Germanen Erobern Rom: Der Untergang des Weströmischen Reiches und die Entstehung germanischer Königreiche bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts [Reprint 2021 ed.] 9783112570005, 3050001275, 9783112569993

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German Pages 282 [289] Year 1987

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Germanen Erobern Rom: Der Untergang des Weströmischen Reiches und die Entstehung germanischer Königreiche bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts [Reprint 2021 ed.]
 9783112570005, 3050001275, 9783112569993

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GERMANEN EROBERN

ROM

BAND

15

VERÖFFENTLICHUNGEN des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR H E R A U S G E G E B E N VON

JOACHIM H E R R M A N N

R I G O B E R T G Ü N T H E R • A L E X A N D E R R. K O R S U N S K I J

GERMANEN EROBERN ROM Der Untergang des Weströmischen Reiches und die Entstehung germanischer Königreiche bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts

Mit 51 Abbildungen auf 32 Kunstdrucktafeln und 3 Karten

AKADEMIE-VERLAG BERLIN 1986

I S B N 3-05-000127-5 I S S N 0138-3914

Redaktion: Dankwart Rahnenführer

Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, D D R - 1 0 8 6 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1986 Lizenznummer: 202 • 100/69/86 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", 7400 Altenburg Einband und Schutzumschlag: Horst Scheffler L S V 0225 Bestellnummer: 7 5 4 6 3 6 9 (2153/15) 03200

INHALT

Vorwort

7

Einleitung

9

1. Die Krise der antiken Sklavereigesellschaft im Weströmischen Reich .

. . .

12

2. Die Westgoten und das Imperium. Die Entstehung des westgotischen Königreiches in Gallien

35

3. Der Zusammenbruch der Römerherrschaft in Spanien. Das suebische und das westgotische Königreich

61

4. Der Einfall der Vandalen in Nordafrika. Das vandalisch-alanische Königreich

79

5. Das burgundische Königreich

93

6. Der Untergang der römischen Herrschaft in Britannien und das Eindringen der germanischen Eroberer

104

7. Die Hunnen und das Weströmische Reich

114

8. Der Untergang der Sklavereigesellschaft an der oberen Donau 9. Die Eroberung Nordgalliens durch die Franken. Die Entstehung und Entwicklung des fränkischen Königreiches bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts . . .

128

10. Die Errichtung der Macht Odoakers in Italien. Das ostgotische Königreich .

181

1 1 . Die Entstehung des langobardischen Königreiches in Pannonien

207

12. Das barbarische Königreich - Charakter und soziales Wesen

214

Sigelverzeichnis

227

Literaturverzeichnis

228

Abbildungsnachweis

234

Register

235

137

VORWORT

Habent sua fata libelli. Wenige Wochen, nachdem A. R. Korsunskij die von ihm verfaßten Teile dieses Werkes fertiggestellt hatte, verstarb er am 15. Februar 1980 in Moskau. Seine Arbeiten weisen ihn als hervorragenden und profunden Sachkenner auf dem Gebiet der Übergangsepoche von der antiken Sklavereigesellschaft zum Feudalismus in Mittel- und Westeuropa aus. Korsunskijs Ratschläge und kritische Hinweise veranlaßten mich als zweiten Autor, meine eigenen Gedankengänge und Formulierungen nochmals zu überprüfen und zu präzisieren. Infolge seines frühen Todes mußte ich dann für die druckreife Fassung des Manuskripts auch die Kapitel des verstorbenen Freundes durchsehen und hier letzte Hand anlegen. Die Einleitung wurde von uns beiden gemeinsam geschrieben. Aus der Feder von Korsunskij stammen die Kapitel 2, 3, 7, 10 und 12, von mir wurden die Kapitel 1, 4, 5, 6, 8, 9 und 11 verfaßt. Die von A. R. Korsunskij erarbeiteten Kapitel übersetzte Frau Dr. Siegrid Weber, Leipzig, aus dem Russischen ins Deutsche, wofür ich ihr zu besonderem Dank verpflichtet bin. Ich danke auch Frau Dr. L. T. Milskaja, Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Moskau, die sich der Mühe unterzog, die Übersetzung noch einmal durchzusehen. Dank schulde ich schließlich Herrn Professor Dr. habil. Joachim Herrmann, dem Direktor des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der D D R , für die Aufnahme des Werkes in die „Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie". Rigobert Günther

EINLEITUNG

In der vorliegenden Arbeit wird der Untergang des Weströmischen Reiches als politischer Ausdruck jener sozialen Umwälzung gewertet, die den Übergang von der römischen Antike und vom germanischen Barbarentum zum Mittelalter, die Ablösung der Sklaverei- und Gentilgesellschaft durch die feudale Gesellschaftsordnung kennzeichnete. Anders ausgedrückt: E s geht den Autoren darum, den soziologisch-historischen Bezug zur traditionell so bezeichneten Völkerwanderungszeit (375-568) aufzudecken. Die Völkerwanderung - ausgelöst von den Hunnen - hatte vorwiegend germanische Stämme vom Osten und Norden nach dem Süden in Bewegung gesetzt, die dann die Grenzen des Imperium Romanum überfluteten. Die soziale Revolution, die zur Beseitigung der Sklaverei in Europa führte, besitzt eigene, spezifische Züge. In der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaft entstanden ebenso wie innerhalb der Gesellschaft der Barbaren Elemente neuer sozialer Verhältnisse; eine neue Wirtschaftsweise, die feudale, entfaltete sich damals aber noch nicht. Eine wichtige Voraussetzung für das richtige „Funktionieren" der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsordnung bestand in einer bestimmten dialektischen Wechselbeziehung zwischen dem Zentrum und der Peripherie dieser Gesellschaftsordnung, wobei dem Zentrum Vorrang, Schwerpunkt und Kontrolle über die Peripherie zustand. Die Peripherie - das waren die Barbarenländer, ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Sklaven, die eine mehr oder weniger auf Sklaverei beruhende Produktion benötigte. Solange diese Wechselbeziehung funktionierte, funktionierten auch Produktion und Reproduktion der Sklavereigesellschaft. Aber diese Wechselbeziehung geriet seit dem Ende des 2. und zu Beginn des 3. Jh. in Unordnung. Vor allem seit dem Entstehen stabiler, militärisch schlagkräftiger und volkreicher Stammesverbände begann sich eine Wende anzubahnen, verlagerten sich allmählich die Schwerpunkte, und etwa seit dem Ende des 4. Jh. vollzog sich die Zersetzung dieses Wechselverhältnisses: Die Barbaren drangen in das Reich ein. Mit finsterer Miene mußte ihnen Rom das Gastrecht zugestehen, da es nicht mehr die K r a f t besaß, die Barbaren aus dem Reich zu vertreiben. Diese Königreiche der „Bundesgenossen" auf römischem Boden wurden zu Keimzellen neuer sozialökonomischer Verhältnisse. Das Zentrum verlor endgültig die Kontrolle über die Peripherie, die Peripherie bemächtigte sich im Jahre 476 mit dem Aufstand der Barbarensöldner unter dem ostgermanischen Heerführer Odoaker in Italien schließlich des Zentrums selbst und etablierte dort einen germanischen Staat als Königreich. Neue gesellschaftliche Beziehungen mit einem neuen Verhältnis von Zentrum und Peripherie begannen sich herauszubilden.

EINLEITUNG

IO

Beim Untergang der Sklavereigesellschaft formierte sich auch keine revolutionäre Klasse, die zum Träger neuer Produktionsverhältnisse hätte werden können. Der politische Überbau der alten Gesellschaft wurde zwar vernichtet, aber nicht durch eine Klasse, die für den Aufbau und die Festigung neuer sozialer Verhältnisse kämpfte, sondern durch äußere Kräfte, nämlich die Stammesverbände der Barbaren-Eroberer. Der Prozeß der sozialen Umgestaltung verwirklichte sich im Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen den spätrömischen und den barbarischen Gesellschaftsverhältnissen. Das Tempo, in dem er sich vollzog, und seine Formen gestalteten sich in den einzelnen Ländern Europas unterschiedlich. Der Zusammenbruch des Weströmischen Reiches und der Übergang von einer Gesellschaftsordnung zu einer anderen sind als eine eigene Periode historischer Entwicklung anzusehen. Die soziale und politische Umwälzung, die hier zu beobachten ist und die übrigens in den einzelnen Teilen des römischen Imperiums nicht völlig synchron verlief, unterschied sich durch eine lange Dauer von jenen Revolutionen, die später vor sich gingen. D a ß hier die Veränderungen nicht einmal nach Jahrzehnten, sondern nach Jahrhunderten gemessen wurden, verleitete einige Forscher dazu, das Wesen jener Epoche nicht als revolutionär, sondern als evolutionär zu bestimmen. Dies freilich ist eine falsche Sicht, denn ganz abgesehen davon, daß im Vergleich zu allen Entwicklungsperioden der beiden älteren, nun untergehenden Formationen sich der erwähnte Prozeß durch ein beschleunigtes Tempo auszeichnete, hatte er - und das eben ist entscheidend - auch eine qualitative Veränderung der Gesellschaftsordnung, d. h. die Ablösung einer Formation durch eine andere, zum Inhalt. In dieser Epoche der sozialen Revolution gingen die beiden kämpfenden Hauptklassen der Sklavereigesellschaft, die Sklaven sowie die Sklavenbesitzer, unter. Die neuen Hauptklassen der feudalen Ordnung entstanden jedoch erst später; sie bildeten sich nicht im Schöße der alten, zum Untergang verurteilten Gesellschaftsordnung, „sondern in den Geburtswehen einer neuen". 1 Dabei waren Königtum, Adel und Bauern in dem zu untersuchenden Zeitraum noch keine Klassen. Im Zusammenhang mit der Zersetzung der Gentilordnung entstand erst der „Rohstoff" für die künftige feudale Klassen entwicklung. Die hier beschriebene Epoche der sozialen Revolution ist daher von der Besonderheit geprägt, daß neben den Klassenkämpfen der freien Kleinproduzenten (Kolonen, Handwerker u. a.) sowie der Sklaven in den Volksbewegungen der Spätantike, welche sich jedoch in einer „permanenten Rebellion" erschöpften, 2 der politische Kampf gegen die untergehende Sklavereigesellschaft vor allem von Kräften geführt wurde, die zunächst noch keine Klassen darstellten, sondern sich erst im Verlauf und Ergebnis dieser Revolution zu den neuen feudalen Hauptklassen formierten. In der Synthese von Elementen beider untergehender Gesellschaftsordnungen, der Sklavereigesellschaft und der Gentilordnung, wurden Überreste der einen wie der anderen Formation am Ende überwunden. Es entstanden eine neue ökonomische Basis und eine neue politische Macht. Die soziale Umwälzung, die hier vonstatten ging, war zugleich mit der Überlegen-

1

F . Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, in: K . M a r x - F . Engels,

2

J. Herrmann, Spuren des Prometheus, Leipzig-Jena-Berlin 1 9 7 5 , S. 196.

Werke ( M E W ) , Bd. 2 1 , Berlin 1962, S. 149.

EINLEITUNG

heit neuer Produktivkräfte verbunden, welche sich - nun nicht mehr gehemmt und behindert durch die Sklavereigesellschaft - frei entfalten konnten.3 D a die Autoren die Fortschritte innerhalb der spätrömischen Gesellschaft wie der der Barbaren zu den wichtigsten sozialökonomischen Voraussetzungen dieser Umwälzung zählen, hielten sie es für notwendig, kurz die Grundzüge der allgemeinen Krise der spätrömischen Sklavereigesellschaft und die wichtigsten Erscheinungen des Zerfallsprozesses der Gentilordnung der Barbaren, welche auf dem Territorium des Weströmischen Reiches angesiedelt waren, zu charakterisieren. Die erwähnten Fortschritte, welche die Veränderung der Gesellschaftsordnung in Westeuropa widerspiegeln, kamen unter den Bedingungen eines unaufhörlichen Kampfes zwischen dem Imperium und den Barbaren zustande. In dessen Verlauf ^wurden die meisten Stammesverbände dem spätrömischen gesellschaftlichen und politischen Organismus eingegliedert, widerstanden jedoch den Romanisierungsversuchen, wie sie vom Staat und von der katholischen Kirche ausgingen, wurden von einem äußeren zu einem inneren Faktor im historischen Prozeß und schufen sich ihre eigenen Königreiche. Die Geschichte dieser Barbarenreiche, die hier untersucht und beschrieben wird, steht, wie im folgenden fast durchgängig sichtbar, im 5. und 6. Jh. hauptsächlich unter dem obengenannten Aspekt der Abschaffung der Sklaverei und der Gentilordnung sowie der Entstehung feudaler Verhältnisse. 4 Rigobert Günther Alexander R. Korsunskij 3

J. Herrmann, Ökonomie und Gesellschaft an der Wende von der Antike zum Mittelalter, Sitz.Ber. der Akad. der Wiss. der D D R , Gesellschaftswissenschaften 13 G , Berlin

4

1979.

In russischer Sprache erschien diese Arbeit unter dem Titel: A . R. Korsunskij -

R.

Günther,

Upadok i gibel' Zapadnoj Rimskoj Imperii i vozniknovenie germanskich korolevstv (do serediny V I v.), Moskva 1984.

i. DIE KRISE DER ANTIKEN SKLAVEREIGESELLSCHAFT IM WESTRÖMISCHEN REICH

Die allgemeine Krise der Sklavereigesellschaft erschütterte seit dem Ende des z. Jh. alle Bereiche der römischen Gesellschaft und des Staates - besonders in den westlichen Provinzen des Reiches. Der Rückgang der Sklaverei erfolgte jedoch weder geradlinig noch zeitgleich in den Provinzen: Dort, wo sie am weitesten entwickelt war, trat die Krise am heftigsten auf. Stagnation und Regression der Sklaverei nahmen einen längeren Zeitabschnitt in Anspruch. Dadurch vertieften sich die Gegensätze zwischen Italien und den Provinzen. 1 Auf dem Lande entwickelte sich der spätantike Kolonat und erlangte schließlich im Vergleich zur Sklaverei immer größere Bedeutung. Viele Städte verarmten. Handwerk und Fernhandel gingen allmählich zurück, und das Handwerk begann sich auf die Großgrundbesitzungen zu verlagern. Ernste Probleme zeigten sich hinsichtlich der schwindenden Finanzkraft des Staates: Der Edelmetallgehalt der Münzen ging rapide zurück, die Preise stiegen, und Steuern wie andere Lasten wuchsen an. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage bedrückte vor allem die Masse der einfachen freien Bevölkerung: die Kolonen und freien Bauern auf dem Lande sowie die Handwerker und kleinen Händler in den Städten, deren Verelendung zunahm. 2 Diese Schichten bildeten nunmehr die Masse der „Niedrigen" (humiliores), welche für bestimmte Vergehen hohe Strafen, darunter den Tod oder die Verbannung in die Bergwerke, zu erwarten hatten, während die Reichen (bonestiores) für die gleichen Delikte mildere Urteile erhielten bzw. sogar straffrei ausgingen. 3 Die Staatsgewalt verlor ihre Stabilität; die Großgrundbesitzeraristokratie und die munizipalen Oberschichten (municipium = römische Stadt mit Selbstverwaltung) waren zerstritten und 1

2

3

E. M. Staerman - V. M. Smirin - N. N. Belova - J. K. Kolosovskaja, Rabstvo v zapadnych provincijach Rimskoj Imperii v I—III vv., Moskva 1977; E. M. Staerman - M. K . Trofimova. Rabovladel'ceskie otnosenija v rannej Rimskoj Imperii (Italija), Moskva 1971; E. M. Schtajerman, Die Krise der Sklavenhalterordnung im Westen des Römischen Reiches, Übersetzung aus dem Russischen von W. Seyfarth, Berlin 1964. H. Dieter - R. Günther, Römische Geschichte, Berlin 1979, S. 288-294; W. Seyfarth, Römische Geschichte: Kaiserzeit, Bd. 1, Berlin 1974, S. 223-329; R. Rémondon, La crise de l'Empire Romain de Marc-Aurèle à Anastase, Paris 1964, S. 7 4 - 1 1 5 ; P. Anderson, Les passages de l'Antiquité au Féodalisme, Übersetzung aus dem Englischen von Y . Bouveret, Paris 1977, S. 90-96; A. R. Korsunskij, O polozenii rabov, vol'nootpuscennikov i kolonov v zapadnych provincijach Rimskoj Imperii v I V - V w . , Vestnik drevnej istorii 1964, 2, S. 47-69. J. Gagé, Les classes sociales dans l'Empire Romain, Paris 1964, S. 282-284; A. H. M. Jones, The Later Roman Empire, Oxford 1964, Bd. 1, S. 17 f. und 519.

DIE KRISE DER ANTIKEN SKLAVEREIGESELLSCHAFT

IJ

bekämpften einander. In den Barbarenstürmen des 3. Jh. und durch zahlreiche Usurpationen schien das Reich auseinanderzufallen: Erstmals gingen bei den Angriffen der Barbaren große Gebiete, wie das Dekumatland in Obergermanien und die reiche Provinz Dakien, unwiederbringlich verloren. Die Rekrutierung des Heeres aus römischen Bürgern verringerte sich, und zunehmend wurden barbarische Kriegerscharen in römischen Sold genommen.4 E s mehrten sich die Anzeichen dafür, daß der Staat der frühen Kaiserzeit, der Prinzipat, nicht mehr in der Lage war, die sozialen und politischen Verhältnisse auch nur zeitweilig zu stabilisieren. Das politische Bündnis einzelner Schichten und Institutionen der herrschenden Klasse - zwischen dem Kaisertum, der Senatsaristokratie, der Ritterschaft und der Munzipalaristokratie - wurde in dieser Krise zersetzt. Auf ihm basierte jedoch die Organisation der politischen Macht während des frühen Kaiserreiches. D i e Senatsaristokratie war im 3. Jh. aus fast allen Kommandostellen im Heer sowie in den Provinzen entfernt und durch Ritter ersetzt worden. Der römische Senat wurde weiter in den Hintergrund gedrängt, und seinen Beschlüssen kam kaum noch Bedeutung zu. Dafür erlangten die Entscheidungen des „Thronrats", des sacrurn consistorium, großes Gewicht. Mit der beginnenden Zersetzung der bis dahin bestehenden sozialen Hauptklassen, der Sklaven und der Sklavenbesitzer, und mit der allmählichen Verdrängung der munizipalen Oberschichten aus der herrschenden Klasse wurde eine Strukturveränderung des Staates unumgänglich.5 Dieser politische Wandel vollzog sich vor allem in der Zeit der Kaiser Diokletian (284-305) und Konstantin I. (306-337). Es entstand der Dominat, das spätrömische Kaiserreich, welches man von 284 bis 476 datiert. Der Übergang zum Dominat leitete die letzte Periode in der Entwicklung des Weströmischen Reiches und der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsordnung ein. Mit Hilfe dieser höchsten Entwicklungsstufe der antiken Militärdiktatur sollte dem weiteren Niedergang des Imperiums Einhalt geboten werden. In der Tat führte sie auch zu einer zeitweiligen, begrenzten Restauration und Konservierung der im Niedergang befindlichen Herrschaftsverhältnisse. 6 Die Großgrundbesitzer, zu denen auch die kaiserliche Familie und in wachsendem Umfang die christliche Kirche gehörten, stellten im Dominat die herrschende Klasse. Sie hatten es verstanden, ihre Ländereien aus den städtischen Territorien herauszutrennen. Oft erwarben sie Sonderrechte, so daß sie nur formell unter kaiserlicher Kontrolle standen. Faktisch wurden sie mehr und mehr unabhängig. Die Großgrundbesitzeraristokratie ist in dieser Zeit nicht mehr der Senatsaristokratie gleichzusetzen; denn auch in der Ritterschaft hatte sich ein großes Grundeigentum entwickelt. 7 Wie die damaligen Großgrundbesitzer zu Vorläufern der mittelalterlichen Feudal4

A. Alföldy, Studien zur Geschichte der Weltkrise des 3. Jahrhunderts nach Christus, Darmstadt 1967, S. 312-374 und 394-416; G. Walser - Th. Pekäry, Die Krise des Römischen Reiches, Berlin (West) 1962, S. 70-75; 76-79; 81-93.

5

M. Mazza, Lotte sociali e restaurazione autoritaria nel 30 secolo d. C., Catania 1970; S. Mazzarino, Trattato di storia romana, Bd. 2, Roma 1956, S. 385-390; G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte, Wiesbaden 1975, S. 1 4 4 - 1 5 3 ; K. Christ, Das römische Weltreich, Freiburg/Br. 1973, S. 201 f. H. Dieter - R. Günther, Römische Geschichte, S. 3 1 7 - 3 2 1 ; W. Seyfarth, Römische Geschichte: Kaiserzeit, Bd. 2, Berlin 1974, S. 350 f.

6

7

E. M. Schtajerman, Die Krise der Sklavenhalterordnung; S. 89-106.

14

DIE KRISE DER ANTIKEN SKLAVEREIGESELLSCHAFT

herren wurden, so waren auch die spätantiken Kolonen Vorläufer der feudalabhängigen Leibeigenen. Natürlich steht hier diese Entwicklung noch ganz am Anfang, weil die Spätantike, wie bekannt, einer im Untergang begriffenen Sklavereigesellschaft entsprach.8 Durch den Erwerb der steuerlichen Immunität, die Ausbreitung des Patroziniums, eines Abhängigkeitsverhältnisses freier Bauern, und die Förderung des Prekariums, eines Vorläufers mittelalterlicher Landleihe, suchten die Großgrundbesitzer oft im Gegensatz zur Politik der Zentralgewalt - ihre ökonomische Macht und Stellung im römischen Staat zu festigen. Allmählich schufen sie sich auf ihren Besitzungen, ohne dafür eine juristische Legitimation einzuholen, eigene Macht- und Unterdrückungsorgane, wie Gefängnisse, eigene Heeresabteilungen {bucellarii), befestigte Häuser, eigene Kirchen. Die Besitzungen (Latifundien) lagen zertreut in den verschiedenen Provinzen des Reiches und waren noch nicht wie später bei den Feudalherren mit einer Landschaft besonders verbunden. Der Senatsadel gliederte sich im 4-/5. Jh. in drei scharf voneinander abgegrenzte Gruppen: die illustres, spectabiles und clarissimi. Mit den illustres war ein Hochadel entstanden, dessen Reichtümer auch mit dem kaiserlichen Vermögen konkurrieren konnten.9 Am Ende des 3. Jh. hatte der Ritterstand schon fast alle Positionen besetzt, welche früher den Senatoren gebührten. Unter Konstantini. (306-337) kam es jedoch zu einer Änderung der kaiserlichen Politik: Die Senatoren besetzten wieder hohe staatliche Ämter, vor allem im Westteil des Reiches. Gleichzeitig relativierte Konstantin die Bedeutung des Senatsadels, indem er den größten Teil der Ritterschaft in den Senatorenstand übernahm. In Ausnahmefällen gelang es auch den reichsten Vertretern der munizipalen Oberschichten, senatorischen Rang zu erhalten. Über die kaiserliche Bürokratie, das Gerichtswesen und über höhere Kommandostellen im Heer konnten sowohl Ritter als auch die vermögendsten Dekurionen (Stadträte) in den Senatsadel einbezogen werden. 10 Die munizipalen Oberschichten hatten im Dominat ihre einst angesehene Stellung eingebüßt. Die Ursachen dafür lagen vorrangig im allmählichen wirtschaftlichen und sozialen Niedergang vieler Städte, vor allem im Westen des Reiches, sowie in der beginnenden Veränderung des Stadt-Land-Verhältnisses, die mit der allgemeinen Krise der Sklaverei verbunden war. Die Ausgliederung des Großgrundbesitzes aus den städtischen Territorien hatte die Städte auch in ihrer Finanzkraft erheblich geschwächt. Viele von ihnen mußten mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfen. Im Interesse der Erhaltung der Steuerkraft und der Heeresversorgung suchten manche Kaiser die Städte wie die munizipalen Oberschichten zu stützen und sie vor Übergriffen der Großgrundbesitzer zu bewahren. Doch diese Maßnahmen hatten keinen anhaltenden Erfolg. Die Munizipalaristokratie verlor allerdings an politischer Bedeutung, wobei jedoch örtlich differenziert werden muß. Viele Dekurionen flüchteten lieber aufs Land 8

9

10

R. Günther, Die Epoche der sozialen und politischen Revolution beim Übergang von der antiken Sklavereigesellschaft zum Feudalismus, Klio 60, 1978, S. 2}8 f.; A. R. Korsunskij, Zur Entstehung von Elementen feudaler Beziehungen im Weströmischen Reich, Klio 60, 1978, S. 254. G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte, S. 169 und 175; N. Brockmeyer, Sozialgeschichte der Antike, 2. Aufl., Stuttgart 1974, S. 122. J . Matthews, Western Aristocracies and Imperial Court A. D. 564-425, Oxford 1975, S. 41 f.; M. T. W. Arnheim, The Senatorial Aristocracy in the Later Roman Empire, Oxford 1972, S. 4 f. und 169 f . ; A. Chastagnol, Le Bas-Empire, Paris 1969, S. 53 ff.; M. Overbeck, Untersuchungen zum afrikanischen Senatsadel in der Spätantike, Kallmünz/Opf. 1973, S. 14 f.

DIE KRISE D E R A N T I K E N S K L A V E R E I G E S E L L S C H A F T

15

und gaben sich als Kolonen aus, als die zweifelhaft gewordene Ehre des Dekurionats auch in Zukunft auf sich zu nehmen. 11 Auch bei der Ansiedlung von entlassenen Söldnern, den Veteranen, läßt sich seit dem }. Jh. eine neue Tendenz erkennen. Waren sie früher in der Regel auf städtischem Land angesiedelt worden und hatten dadurch die munizipalen Oberschichten immer wieder ergänzt, so brachte ihre Befreiung von den munizipalen Lasten den Städten immer weniger Gewinn. Hinzu kam, daß die Veteranen seit dieser Zeit immer häufiger in brachliegenden, unkultivierten, entlegenen oder verlassenen Regionen des privaten und kaiserlichen Großgrundbesitzes ihre Landstücke erhielten, 12 was zur Folge hatte, daß sie im 4. Jh. kaum noch die städtischen Oberschichten, sondern vor allem die ländlichen Grundbesitzer zahlenmäßig verstärkten. D i e soziale Differenzierung unter ihnen bewirkte, daß einige selbst zu Großgrundbesitzern, die meisten aber durch das Patrozinium von diesen abhängig wurden. Germanische Söldner im römischen Dienst erhielten vorzugsweise auch in Grenzgebieten Äcker zugewiesen und waren als limitartei, gent'iles oder laeti (Grenztruppen) ebenfalls der weiteren städtischen Entwicklung nicht förderlich. D i e Barbarisierung des Heeres beeinflußte in der Spätantike auch den Wandlungsprozeß der Klassenstruktur. 13 Ausgebeutete Klassen waren im Dominât die eingeschränkt selbständig wirtschaftenden freien und abhängigen Kleinproduzenten sowie die Sklaven. Zu den ersteren gehörten die verschiedenen sozialen Schichten des Kolonats - etwa die originarli, die adscripticii, die coloni liberi, dazu die laeti, inquilini, limitanei, gent'iles, außerdem freie Bauern und kleine Handwerker in den Städten, Dörfern und auf den Gütern der Großgrundbesitzer. Auch bei den Sklaven gab es, je nach ihrer Stellung in der Gesellschaft, eine mehrgliedrige Zusammensetzung. Allmählich näherten sich beide Klassen in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit wie ihrer sozialen Lage einander an, wenn auch die personenrechtlichen Unterschiede zwischen Freien und Unfreien erhalten blieben. D i e Kolonen wurden in der Regel juristisch nicht zu Sklaven,1'* und trotz zunehmender Freilassungen blieb die Sklaverei in der Spätantike ein zwar allmählich zurücktretendes, aber doch immer noch wichtiges Produktionsverhältnis. D a sich jedoch die Quasi-Kolonen, also Sklaven, die als Pekulium, d. h. den Sklaven zur Verfügung gestellten Besitz, eine Landparzelle erhalten hatten, wirtschaftlich nicht oder kaum mehr von den „echten" Kolonen unterschieden - was ebensowenig bei jenen mit einer kleinen städtischen oder ländlichen Werkstatt ausgestatteten Sklaven und 11

W. Held, Die Vertiefung der allgemeinen Krise im Westen des Römischen Reiches, 1974, S. 68 f.; 86-90; 180 f.; K . Christ, Die Römer, München R. Ganghofier, L'évolution

1979, S.

192 und

Berlin

196-198;

des institutions municipales en Occident et en Orient au

Bas-

Empire, Paris 1963, S. 50-53 und 237; F. de Martino, Storia della costituzione romana, Bd. ), Napoli 1975, S. 496 f. und 524-529; S. Mazzarino, Aspetti sociali del quarto secolo, Roma 1951, S. 248-269. 12

Cod. Theod. 7,20 (320); G. E. Lebedeva, Rannevizantijskoje zakonodatel'stvo o veteranach, in: Vizantijskije ocerki, Moskva 1977, S. 149-157.

u

G . Alföldy, Römische Sozialgeschichte, S. 152 f. und

194; J. K . Kolosovskaja, Veteranskoje

zemlevladenije v Pannonii, Vestnik drevnej istorii 1963, 4, S. 9 6 - 1 1 5 ; R. Günther,

Einige

neuere Untersuchungen zu den Laeten und Gentilen in Gallien im 4. Jahrhundert und zu ihrer historischen Bedeutung, Klio 59, 1977, S. 3x1-321. 14

Ausnahmen bezeugen in Gallien im 5. Jh. Apoll. Sidon., Epist. 5, 19, 1 (um 468/469) und im 6. Jh. der Canon 29 (26) des Konzils von Orléans aus dem Jahre 538.

16

DIE KRISE DER ANTIKEN SKLAVEREIGESELLSCHAFT

den rechtlich freien, aber wirtschaftlich abhängigen Handwerkern der Fall war - , sah sich beispielsweise die kaiserliche Gesetzgebung der Spätantike rechtstheoretisch vor den größten Schwierigkeiten, wenn sie einwandfrei zwischen beiden Kategorien zu trennen versuchte.15 Obwohl der Kolonat im Keim ein neues soziales Verhältnis darstellte, das aus der untergehenden Sklavereigesellschaft in den Feudalismus hinüberführte, belegen zahlreiche juristische Quellen des Dominats und des frühen Byzanz, wie sehr die Kolonen noch mit der alten, untergehenden Gesellschaft verbunden waren. Der Kolonat geriet in den Sog der absterbenden Sklaverei. Die untersten Schichten der Kolonen, die adscripticii und originarü, besaßen weder eigenes Land noch Ackergeräte oder irgendwelche Eigentumsrechte;16 ihr Besitz wurde dem Pekulium der Sklaven gleichgestellt.17 Sehr häufig wandte man auch die Strafbestimmungen für Sklaven und Kolonen in gleicher Härte an; galten doch letztere als servi terrae (Sklaven des Bodens). 18 Ein Gesetz des Kaisers Arcadius (395-408) setzte sie „fast" den Sklaven ihrer Grundherren gleich.19 Im 6. Jh. ist dann die soziale Annäherung zwischen Sklaven und Kolonen so weit gediehen, daß die Juristen mit ihren entsprechenden Formulierungen Mühe hatten. In einem ihrer Texte heißt es: „Was für ein Unterschied besteht denn zwischen den Sklaven und den in das Steuerregister eingetragenen Kolonen, da sich beide in der Gewalt ihres Herrn befinden und er den Sklaven mit seinem Pekulium freilassen, ebenso aber den Kolonen mit seinem Grundstück aus seinem Vermögen entlassen kann?"20 Auch das schon erwähnte Gesetz Valentinians III. von 451 sprach den coloni originarii die persönliche Freiheit ab. Der Kolone unterstand der Gewalt (potestas) des pater familias. E r blieb, nicht anders als der Sklave, auch vom Asylrecht der Kirche ausgeschlossen. Diesen wie jenen verband ein gemeinsames Untertanenverhältnis, eine conditio subdita,21 und beide waren dem Eigentumsrecht ihres Herrn unterworfen.22 Auch die persönliche Habe (res proprio, facultates) der Kolonen wurde als Pekulium gewertet.23 Über die beklagenswerte Lage dieser ländlichen Schicht berichten neben den Rechtszeugnissen literarische Quellen, etwa in Gallien Salvian von Marseille, im Osten Johannes Chrysostomos. Das Juristenlatein bezeichnete mit dem Wort faex (Abschaum, Bodensatz) sowohl die ärmsten Freien als auch die Sklaven.24 Die Kolonen waren wohl schon seit den Reformen Diokletians an den Boden ge15

16

17

18 19 20 21 22

23 24

W. L. Westermann, The Slave Systems of Greek and Roman Antiquity, Philadelphia 1955» S. 139-149Vgl. Cod Theod. 5, 19, 1 (365); R . Günther, Coloni liberi und coloni originarii. Einige Bemerkungen zum spätantiken Kolonat, Klio 49, 1967, S. 267-270. Cod. Iust. 1 1 , 4 8 , 8, 1 (um 370); 1 1 , 52, 2 (um 394); Cod. Theod. 16, 5, 54, 8 (414); 5, 18, 1 , 2 (419); 5, }, 1 (434); Nov. Val. 27, 4 (449); 35, 1, 6 (452); Cod. Iust. 1 1 , 48, 19 (Gesetz des Anastasius, zwischen 491 und 518); Nov. Iust. 162, 2, 1 (539). Cod. Cod. Cod. Cod.

Iust. Iust. Iust. Iust.

1 1 , 52, 1 (371). 1 1 , 50, 2 (396). 1 1 , 48, 2 1 , 1 (530). 1, 12, 6, 9 (466).

Cod. Theod. 5, 18, 1, 2 (419); man muß hierbei allerdings beachten, daß die Grenze zwischen proprietas und possessio bereits zu verschwimmen beginnt. Cod. Theod. 5, 19, 1 (365). Cod. Theod. 9, 42, 5 (362); 16, 5, 21 (392); 6, 27, 18 (416).

DIE KRISE DER ANTIKEN SKLAVEREIGESELLSCHAFT

17

bunden, wobei allerdings diese Entwicklung innerhalb des Reiches nicht einheitlich und nicht zu gleicher Zeit vor sich ging. Konstantin I. wies im Jahre 332 an, daß, wer einen flüchtigen Kolonen aufgenommen habe, diesen dem früheren Grundbesitzer wieder zurückgeben und zusätzlich für die ausgefallene Steuer aufkommen müsse; der fluchtr verdächtige Kolone solle wie ein Sklave gefesselt werden. 25 Dem Kolonen war es verboten, freiwillig in den Militärdienst einzutreten; denn damit wurde seine bisherige soziale Stellung aufgehoben. 36 Die Sklaverei trat, wie schon bemerkt, während der Spätantike in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung weiter zurück, obwohl sie weder auf dem Lande noch in der Stadt völlig verschwand. Nach bestimmten christlichen Quellen jener Zeit galt die Freilassung von Sklaven - wobei man sie zuvor einen Beruf hatte erlernen lassen, damit sie sich selbst ernähren konnten - als besonders gottgefälliges Werk; jedoch rief diese Ansicht keinen Appell zur allgemeinen Sklavenfreilassung hervor. 27 Sklaven fanden sich nach wie vor in den Häusern vornehmer und wohlhabender Bürger; sie leisteten niedere Dienste, und man prahlte mit der Anzahl, die man von ihnen besaß, wie mit seinem Reichtum. Der Kolonat hatte auch auf dem Lande die Sklaverei nicht gänzlich verdrängt; die literarischen Quellen dokumentieren hier einen Rückgang, doch keine gänzliche Aufhebung. 28 Die Lage der Sklaven hatte sich im Vergleich zur Zeit der römischen Republik - eben durch die Annäherung an den Kolonat - etwas gebessert. D a die Möglichkeiten, Sklaven zu erwerben, jetzt nicht mehr so reichlich wie früher vorhanden waren, der Bedarf an ihnen aber nicht in gleichem Maße zurückging, stiegen die Sklavenpreise deutlich an. Speziell ausgebildete Sklaven - etwa in Weinbergen, Olivenplantagen oder im Handwerk - konnten durch die Zusage eines angemessenen Pekuliums auch produktiver als Kolonen sein, bei denen die Arbeitsteilung weniger ausgebildet war. Auf den Gütern der Großgrundbesitzeraristokratie in den römischen Provinzen gehörten immer noch Sklaven zum täglichen Leben. In dieser Beziehung dachten und fühlten zumindest einige ihrer adelsstolzesten Vertreter jetzt keineswegs anders als in der vergangenen Zeit: Sklaven und Klienten bildeten ihr Gefolge, wenn sie das Wohnhaus verließen; Sklaven waren die Erzieher ihrer Kinder, und gegebenenfalls versklavte man auch kriegsgefangene Barbaren, die ansonsten meist als abhängige Bauern angesiedelt wurden. In den Augen der römischen Aristokratie war nach wie vor nicht nur die körperlich schwere handwerkliche Arbeit, sondern auch die landwirtschaftliche Tätigkeit eine verachtenswerte Mühe. 29 In den Städten hatten die Plebejer - Händler, Handwerker, Gelegenheitsarbeiter zunehmend unter dem Druck zu leiden, den die dortigen Behörden auf sie ausübten. Viele Handwerker gleicher Berufe hatten sich schon zur Zeit der römischen Republik zu Kollegien zusammengeschlossen; nun übte der spätrömische Staat eine strenge A u f sicht und Kontrolle über sie aus. Die meisten Kollegien waren zu Zwangsverbänden 25

Cod. Theod. 5, 17, 1 (352).

26

Nov. Val. 13, 8 (445); Cod. Iust. 1 1 , 48, 18 (426); 1 1 , 63, 4 (384/389); " > 64, 1 (?); 12, 54. 3

27

F. Tinnefeid, Die frühbyzantinische Gesellschaft, München 1977, S. 143. Vgl. Apoll. Sidon., Carm. 2, 544-548; Epist. 2, 9, 8. Vgl. Apoll. Sidon., Epist. 1, 6, 3 - 5 ; zum Gesamtkomplex der Sklaverei in der Spätantike N . Brockmeyer, Antike Sklaverei, Darmstadt 1979, S. 220-225.

(44i). 28 211

2

Günther

DIE KRISE DER ANTIKEN

i8

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

geworden ; die Handwerker durften ihre B e r u f e nicht wechseln, und der Sohn hatte bei ihnen das gleiche G e w e r b e wie der Vater auszuüben. 30 A m E n d e des 4. J h . w a r es ihnen im Westreich untersagt, städtische Ämter zu übernehmen, in den Heeresdienst einzutreten, Priester zu werden oder auf dem L a n d e unterzutauchen. D i e ärmeren städtischen Plebejer lebten stets hart an der Grenze des Existenzminimums und mußten von den Lebensmittellieferungen und -spenden der Reichen sowie der Stadtverwaltungen unterhalten werden. 3 1 Politisch stellte die städtische Plebs beileibe keine träge Masse dar. Besonders in Rom selbst w a r sie mit ihren Protesten gegen unpopuläre Beamte und Senatoren, namentlich wenn die Getreidelieferungen ausblieben, gefürchtet. 32 Noch im Jahre 468 äußerte der gallorömische Großgrundbesitzer und Schriftsteller Apollinaris Sidonius, der damals als Stadtpräfekt von R o m für ihre Getreideversorgung verantwortlich war, seine Sorge über eine mögliche Hungerrevolte dieser Bevölkerungsschicht. 33 Durch Zirkusspiele, Theateraufführungen und Pferderennen suchte die herrschende K l a s s e die Plebejer im Z a u m zu halten. Allerdings wurden letztere nur noch in den Städten mit Lebensmittellieferungen versorgt; kamen sie aufs L a n d in die N ä h e der Güter, so konnten sie als Landstreicher ergriffen und unter die Kolonen eingereiht werden. 3 4 D i e wohlhabenderen Vertreter der städtischen Plebs fürchteten stets, daß ihr geringes Vermögen den städtischen Amtspersonen bekannt würde. Sie konnten dann dazu gezwungen werden, in den Dekurionenstand „aufzusteigen", was zur Folge hatte, daß sie - infolge ihrer Haftung für die Steuerzahlung ihrer Stadt - meist binnen kurzem wieder völlig ruiniert waren. M i t der Verarmung der Städte schrumpften auch ihre Märkte. D i e K a u f k r a f t der freien Bevölkerung ging - mit Ausnahme der der Oberschichten - zurück. D i e Herstellung von W a f f e n und Kleidungsstücken nahm der Staat in eigene Regie; um 400 gab es im Weströmischen Reich 20 hierfür eingerichtete fabricae, die ihm direkt unterstanden. 35 Rückläufige Tendenzen werden auch im Handel zwischen den Provinzen sowie im E x p o r t erkennbar. D i e Ursachen hierfür waren komplexer Natur. D e r Niedergang vieler Städte schränkte, wie eben ausgeführt, die Aufnahmefähigkeit ihrer Märkte ein ; die sich weiterentwickelnde Produktion von Luxusgütern für die Bedürfnisse der herr30

R. Günther - H. Köpstein (Hrsg.), Die Römer an Rhein und Donau, Berlin 1975, S. 3 1 0 - 3 2 2 ; J . Gagé, Les classes sociales dans l'Empire Romain, S. 1 2 3 - 1 2 8 ; W. Seyfarth, Von der Bedeutung der Plebs in der Spätantike, in: V . Besevliev - W. Seyfarth (Hrsg.), Die Rolle der Plebs im spätrömischen Reich, Bd. 2, Berlin 1969, S. 7 - 1 8 ; I. Hahn, Zur politischen Rolle der stadtrömischen Plebs im spätrömischen Reich, in: ebenda, S. 3 9 - 5 4 ; ders., Freie Arbeit und Sklavenarbeit in der spätantiken Stadt, Annales Universitatis Scientiarum Budapestinensis, Sectio historia 3, 1961, S. 2 3 - 3 9 .

31

Salvian von Marseille, D e gubernatione dei 5, 7 f. Für den Osten vgl. F. Tinnefeid, Die frühbyzantinische Gesellschaft, S. 1 3 7 ; G . Alföldy, Römische Sozialgeschichte, S. 1 8 2 - 1 8 4 ; W. Held, Die Vertiefung der allgemeinen Krise, S. 7 0 - 7 2 ; J . - M . Carrié, Les distributions alimentaires dans les cités de l'Empire Romain tardif, Mélanges de l'école française de Rome, Antiquité 87, 2. 1975. S. 9 9 5 - 1 1 0 1 .

32

W. Seyfarth, Römische Geschichte: Kaiserzeit, Bd. 2, S. 338 f.

33

Apoll. Sidon., Epist. 1 , 10, 2.

34

Cod. Theod. u , 28, 2 (395).

36

Notitia dignitatum, Occ. 9, 1 6 - 3 9 .

DIE KRISE DER ANTIKEN

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

19

sehenden Klasse bot nur einen unvollkommenen Ersatz für den Rückgang handwerklicher Erzeugnisse. Bestimmte Waren dieser Art fanden in der zunehmenden römischen Armee noch Absatz; aber nicht wenig von dem, was hier gebraucht wurde, stellte man auch in den canabae der Legionslager (kleine Handwerker- und Händlersiedlungen, die dem römischen Kommandeur unterstanden) oder in den zivilen vici militärischer Garnisonen (Siedlungen, die dem römischen Kommandeur nicht unterstellt waren) selbst her. In vielen Städten wurde mehr konsumiert als produziert; der Wert des Geldes begann zu sinken. Die allgemeine Krise der Sklavereigesellschaft sowie die Verelendung der unmittelbaren Produzenten führten freilich nicht zu einer Massenarbeitslosigkeit, sondern im Gegenteil zu einem fühlbaren Mangel an Arbeitskräften, besonders in der Landwirtschaft. Hinzu kam noch, daß zahlreiche Kriege und Pestepidemien die Bevölkerung dezimierten. Etwa um 400 lag in verschiedenen Provinzen des Weströmischen Reiches ein großer Teil des landwirtschaftlich nutzbaren Landes brach; besonders Italien und Nordafrika waren davon betroffen.36 Aufrufe der Kaiser, diese Brache jedem, der sie bearbeiten wolle, zur Verfügung zu stellen und mehrere Jahre hindurch für sie Steuerfreiheit zu gewähren, hatten nicht den gewünschten Erfolg. Immer häufiger wurden kriegsgefangene Barbaren als abhängige Bauern in verödeten Landstrichen angesiedelt. Darin, daß sich technische Neuerungen, die dem Mangel an Arbeitskräften hätten abhelfen können, wie etwa die Wassermühle und eine Erntemaschine, nicht durchsetzten, zeigt sich der zunehmende Widerspruch zwischen dem Charakter der Produktionsverhältnisse und den Produktivkräften.37 Das Requisitions- und Konfiskationssystem für die wachsenden Bedürfnisse des Heeres und der Bürokratie wurde zu einer Geißel für die ausgebeuteten Klassen. Den auf dem Marsch befindlichen Heeresabteilungen und den Beamten der kaiserlichen sowie der Provinzialverwaltung mußten Quartiere, Lebensmittel, Zugtiere und anderes unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Viele Bauern begaben sich daher, durch die Not dazu gezwungen, in die Hand eines benachbarten und einflußreichen Großgrundbesitzers, der sie dafür in „Schutz" nahm, aber so zugleich auch seine Besitzungen ausdehnte. Der Großgrundbesitz wurde auf dem Lande während der Spätantike zu einer vorherrschenden Erscheinung.38 Der hier geschilderten Situation im Reich suchten die Kaiser zu Beginn des Dominats mit verschiedenen politischen und sozialen Reformen Herr zu werden. Die Abwehr der äußeren Feinde, der Usurpationen im Innern des Reiches sowie der Volksaufstände in den Provinzen erforderte jetzt eine gewisse Aufgliederung der kaiserlichen Zentralgewalt. Daher ernannte Diokletian (Abb. 1) im Jahre 285 seinen Kampfgefährten Maximian zum Cäsar (Mitregenten) und im folgenden Jahr zum Augustus („Erhabenen"); Maximian erhielt dabei den Westen des Reiches zugewie-

36

Th. Pekäry, Die Wirtschaft der griechisch-römischen Antike, Wiesbaden

1976, S. 1 2 7 f . ; C. R.

Whittaker, Agri deserti, in: M . I. Finley, Studies in Roman Property, Cambridge 1976, S.

137

bis 1 6 ; . 37

I. Sellnow (Hrsg.), Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus, Berlin 1 9 7 7 , S. ¡ 0 4 f. und 5 1 1 f . ; E . Maróti, Über die Verbreitung der Wassermühlen in Europa, A c t a Antiqua 1 9 7 5 , S. 2 5 5 - 2 8 0 .

38

2*

I. Hahn, D a s bäuerliche Patrozinium in Ost und West, Klio 50, 1968, S.

261-276.

23,

20

DIE KRISE DER A N T I K E N

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

sen. D i e militärische Reorganisation, mit der man schon in der Mitte des 3. Jh. begonnen hatte, wurde weitergeführt, der Grenzschutz verstärkt und das Feldheer ergänzt. 39 D i e Teilung der militärisch-politischen Macht, wie sie damals zu beobachten war, erfuhr im Jahre 293 eine Fortsetzung. Jeder Kaiser ernannte einen bewährten Heerführer zum Cäsar, Mitregenten und Nachfolger und wies ihm in seinem Reichsteil ein bestimmtes Territorium zu. Diese Regierungsform nannte man Tetrarchie (Herrschaft von 4 Kaisern, Abb. 2). D i e staatliche Einheit des Reiches blieb dabei erhalten, und Diokletian wurde als ranghöherer Kaiser von seinen nunmehr drei Mitherrschern anerkannt. Constantius, dem Cäsar Maximians, unterstanden Gallien, Spanien und Britannien.40 Rom blieb damals zwar weiterhin die durch Idee und Tradition geheiligte Hauptstadt der „Welt" (caput oder Vertex mundi), war aber nicht mehr ständige Kaiserresidenz. Diokletian nämlich residierte im kleinasiatischen Nikomedeia, und sein Cäsar Galerius hielt in Sirmium an der Save Hof. Maximians Hauptstadt wurde Mailand (Mediolanum) in Norditalien, von wo aus er die Alpen Übergänge leicht überwachen konnte. Trier und Eburacum (York) schließlich waren die bevorzugten Aufenthaltsorte des Constantius. Diente die Einrichtung der Tetrarchie in erster Linie dazu, die militärische K r a f t zu erhöhen, sollte mit einer Provinzreform die Kontrolle der zivilen Administration verbessert werden. D i e Provinzstatthalter, welche in der frühen Kaiserzeit zugleich als militärische Befehlshaber über die in ihren Provinzen stationierten Heeresverbände fungierten, konzentrierten sich nunmehr völlig auf Verwaltungsfunktionen, besonders auf die Eintreibung der Steuern. Diese Entwicklung hatte schon in der Mitte des 3. Jh. begonnen. Nachdem dann im Jahre 296 die seit der Zeit des Augustus bestehende Sonderverwaltung Ägyptens aufgehoben worden war, kam es wenige Monate später zur Neuordnung dec gesamten Reichsverwaltung. Das Imperium Romanum wurde in zwölf Diözesen eingeteilt, und die Zahl der Provinzen erhöhte sich durch die Teilung der alten, größeren Einheiten auf 1 0 1 . Auf diese Weise ließen sich die staatlichen Kontroll- und Unterdrückungsmaßnahmen mit Hilfe eines im Vergleich zum Prinzipat umgebildeten Personalbestandes leichter durchsetzen. 41 Mit einer weiteren Reform Diokletians, die allerdings erst Konstantini. (306-337) zu E n d e führte, wurde das bestehende Steuersystem, das auf der Naturalsteuer (annona) basierte, vereinheitlicht. Für die freien Bauern wie für die Kolonen bedeutete sie eine erhebliche Mehrbelastung. Durchgesetzt wurde jetzt nämlich eine einheitliche Steuerveranlagung nach landwirtschaftlichen Maßeinheiten, die entsprechend der Bodenqualität, den angebauten Produkten und der verkehrstechnischen L a g e verschieden groß waren. Eine solche Maß- oder Steuereinheit hieß iugum ; seine Größe richtete sich nach der Arbeitskraft, die ein Mann für seine Bewirtschaftung benötigte. In dieser Berechnung war ein Sklave der Arbeitskraft eines freien Mannes gleichgesetzt, und zwei Frauen entsprachen der Arbeitskraft eines Mannes. Diese menschliche Arbeitskraft 39

Hierzu

D.

van Berchem,

L'armée

de Dioclétien

et la réforme Constantinienne,

Paris

über ihn hinaus führt D . Hoffmann, D a s spätrömische Bewegungsheer, Teil 1, Düsseldorf

1952; 1969,

S. I f. ; 1 8 7 f. ; 2 1 9 - 2 2 1 ; 2 3 0 - 2 } } ; 4 1 0 - 4 1 6 . /l0

F . de Martino, Storia della costituzione romana, Bd.

5, S. 7 } - I O 7 ; W . Seston, Dioclétien et la

tétrarchie, Bd. 1, Paris 1946. 41

Hierzu vor allem die neuen Forschungen von Chr. Bruschi, Les officiales provinciaux lau BasEmpire romain, Diss. Aix-en-Provence 1 9 7 5 .

DIE KRISE DER ANTIKEN

21

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

nannte man caput (Kopf, Person) und das Steuersystem als Ganzes iugatio - capitatio. In zuerst fünf-, später dann fünfzehnjährigen Abständen wurden die Steuerzahler neu veranlagt, wobei man stets vom Steuerbedarf, nicht von der Leistungsfähigkeit des Bauern ausging. J a , dieser wurde sogar gezwungen, die Steuer auch für benachbartes, aber verlassenes Land mit zu übernehmen.42 Neben der annona gab es auch Steuern, die in Geld zu entrichten waren, und zwar von den Senatoren, Kaufleuten und Gewerbetreibenden der Städte. Diokletian suchte durch eine Vereinheitlichung des Münzsystems den Geldwert zu stabilisieren und seine Finanzschwierigkeiten durch eine weitere Reform zu beheben. E r verminderte den Geldumlauf, senkte den Nennwert der Bronzemünzen um die Hälfte und gab neue Goldmünzen heraus, deren Realwert sogar über dem Nennwert lag. Der Erfolg, den er sich erhoffte, blieb aus, da die Vermögenden die wertvollen Münzen behielten. Den Nachteil hatten die Armen, die sich keine Goldschätze anlegen konnten; sie waren weiter auf die Kupfermünzen angewiesen, deren Wert im Verhältnis zum Gold- und Silberpreis ständig fiel.43 Derselben Absicht des Kaisers lag ein im Jahre 301 erlassenes Edikt (Abb. 3) zugrunde, das Höchstpreise für etwa 1 000 Warensorten sowie Maximaltarife für 7 5 Transportleistungen und etwa 130 verschiedene Arbeitsleistungen festsetzte. Man nahm an, daß die Preissteigerungen allein durch Spekulationen der Wucherer und Kaufleute verursacht wurden. Die Preise und Löhne entsprachen etwa den im östlichen Reichsteil üblichen, sollten jedoch für das ganze Imperium gelten. Dieses besaß aber keinen einheitlichen Markt, so daß die Händler ihre Waren dorthin verschoben, wo ihnen der höchste Gewinn sicher war. Obwohl bei Übertretung des Edikts die Todesstrafe drohte, wurde es schon bald nicht mehr befolgt. 44 Zwei in der Regierungszeit Diokletians zusammengestellte Gesetzessammlungen sollten die Rechtsprechung erleichtern. Der Codex Gregorianus umfaßte die Kaisergesetze seiner Vorgänger seit Hadrian ( 1 1 7 - 1 3 8 ) , und der Codex Hermogenianus enthielt die Erlasse des Kaisers selbst. Beide sind später durch den Codex Theodosianus von 438 sowie durch die Kodifikationen unter Kaiser Justinian (527-565) ersetzt worden; wir besitzen heute nur noch Fragmente davon. 45 Konstantin I. (306-337) setzte die Reformen Diokletians fort und führte sie zu einem gewissen Abschluß (Abb. 4). Die hier zu beobachtende Kontinuität zeigte sich in einer weiteren Stärkung der kaiserlichen Macht, in der fortschreitenden Trennung der militärischen von der zivilen Verwaltung, im Ausbau des Beamtenapparates, in der Finanzpolitik, der Bindung der Kolonen an den Boden, der Handwerker an ihre Kollegien, der Dekurionen an ihren Stand sowie in der gesetzgeberischen Tätigkeit.

43

W.

Held, D i e Vertiefung der allgemeinen Krise, S. 4 8 - 5 1 ;

A.

Chastagnol,

Le

Bas-Empire,

S. 66 ff.; J. Karayannopulos, Das Finanzwesen des frühbyzantinischen Staates, München

1958,

S. 2 8 - 3 4 . 43

A . H. M . Jones, T h e Later Roman Empire, Bd.

1, S. 61

und 438 f . ; St. Bolin, State

and

Currency in the Roman Empire to 300 A . D „ Stockholm 1 9 5 8 ; D . Sperber, Denarii and Aurei in the Time of Diocletian, Journal of Roman Studies 56, 1966, S. 190 ff,; F . M . Heichelheim, A n Ancient Economic History, Bd. 3, Leyden 1970, S. 2 8 1 - 2 8 6 . 44

S. Lauffer, Diokletians Preisedikt, Berlin (West) 1 9 7 1 .

45

L . Wenger, Die Quellen des römischen Rechts, Wien 1 9 5 3 , S. 5 3 4 - 5 3 6 ; E . Pölay, Die Hermogenianfrage und die justianische Kodifikation, Klio 60, 1978, S. 4 9 9 - 5 0 6 .

22

DIE KRISE DER A N T I K E N S K L A V E R E I G E S E L L S C H A F T

D e r Beamtenapparat wurde weiter vergrößert, wobei eine strenge Rangordnung die einzelnen Amtspersonen voneinander abgrenzte. D a s sacrum consistorium stand unter dem Kaiser an der Spitze der Reichsverwaltung. D i e Tctrarchie wurde damals wieder abgeschafft. D a dieses System die Söhne der Kaiser nicht berücksichtigte, war es A n l a ß zu schweren Bürgerkriegen geworden. Konstantin I. baute jedoch die vier seit Diokletian bestehenden Prätorianerpräfekturen weiter aus und beschränkte auch sie auf zivile Aufgaben. Damit wurde die räumliche und militärische Vierteilung des Reiches, welche sich bewährt hatte, beibehalten, ohne daß jedoch ein Kaiser oder Cäsar an der Spitze der einzelnen Territorien stand. D e r Prätorianerpräfekt (praefectus praetorio) war nunmehr in seinem jeweiligen Gebiet der höchste zivile Verwaltungsbeamte nach dem Kaiser. D i e Befreiung der Prätorianerpräfekturen von ihren kriegerischen Aufgaben hatte zur Folge, daß besondere militärische Befehlshaber ernannt werden mußten. So entwickelte sich das A m t des Heermeisters (magister militum), das seit dem Ende des 4. Jh. auch zunehmend politische Bedeutung gewann. Ein Heermeister befehligte die Fußtruppen, ein anderer die Reiterei. Seit der Zeit des Kaisers Constantius II. (337 bis 361) gab es diese beiden Amtsinhaber in jeder Präfektur. D e n Oberbefehl hatte ein besonderer Heermeister am Kaiserhof inne: der magister militum praesentalis. Seit dem Ende des 4. Jh. wurde er der mächtigste Mann in der Zentralverwaltung, und es kam sogar dahin, daß Ricimer, der oberste Heermeister von 456 bis 472, Kaiser einund absetzte. D i e Heermeister standen an der Spitze des Feldheeres (comitatenses), während die Grenztruppen (limitanei) an ihren einzelnen Abschnitten von besonderen Heerführern (duces) befehligt wurden.156 D i e Diözeseneinteilung blieb nach wie vor bestehen; zu den zwölf bisherigen Diözesen kamen jedoch noch zwei weitere hinzu. D a s Reich umfaßte jetzt 117 Provinzen. Sein Heer wurde zahlenmäßig auf 75 Legionen verstärkt und hatte einen Bestand von etwa 400 000 Mann. 47 D i e Münzprägung wurde von Konstantini. im Jahre 312 erneut reformiert. A l s neues Goldstück wurde der Solidus geschaffen, der, wenn auch mit schwankendem Goldwert, bis zum Ende des Byzantinischen Reiches existierte. 48 D e r Dominât hob sich politisch, sozial und wirtschaftlich von der frühen Kaiserzeit ab; aber er baute zugleich auf den Traditionen der antiken Gesellschaft auf. Mit den Mitteln und Methoden des Dominats sollte die alte, im Niedergang befindliche Ordnung restauriert, stabilisiert und konserviert werden. D i e allgemeine Krise der antiken Sklavereigesellschaft bewirkte nicht zuletzt tiefgreifende Veränderungen auf ideologischem Gebiet. Während zur Blütezeit der Sklaverei die grundlegenden Unterschiede zwischen Freien und Sklaven ideologisch vertieft und gerechtfertigt wurden, setzte in deren Niedergangsperiode ein geistiger Prozeß ein, der mehr die Unterschiede zwischen arm und reich in den Vordergrund rückte. Darin zeigte sich das beginnende Nachlassen der wirtschaftlichen und sozialen Bedeu-

46

Zur römischen Heeresentwicklung im 4-/5. Jh. vgl. D . Hoffmann, Das spätrömische Bewegungsheer, 2 Teile, Düsseldorf 1969/1970, und neuerdings E. Demougeot, L a formation de l'Europe et les invasions barbares de l'avènement de Dioclétien au début du V I e siècle, Bd. 1, Paris 1979, S. 39-42; 7 2 - 7 7 ; 101-104; 1 1 6 - 1 2 1 ; 180-182.

47

D . Hoffmann, Das spätrömische Bewegungsheer, S. 1 und 2.

48

H. Dieter - R. Günther, Römische Geschichte, S. 531 f.

DIE KRISE DER A N T I K E N S K L A V E R E I G E S E L L S C H A F T

23

tung der Sklaverei. Das allmähliche Umdenken erfaßte jedoch die einzelnen ideologischen Bereiche in unterschiedlichem Maße. Besonders konservativ blieb die Rechtstheorie, denn obwohl einige Veränderungen im spätantiken Vulgarrecht erkennbar wurden, teilte sie nach wie vor alle Menschen entweder in Freie oder Sklaven ein.® Es begannen sich auch die ideologischen Bindungen der römischen Bürger an ihre Stadt, an die Bürgergemeinde, zu lösen. Der Niedergang der Städte und die Veränderung des Stadt-Land-Verhältnisses trugen hierzu wesentlich bei. Verstand sich der einzelne bis dahin vor allem als Teil des städtischen Ganzen, so schob sich seine Individualität jetzt zunehmend in den Vordergrund.150 Etwas anderes kam noch hinzu: In der augusteischen Literatur, die um die Zeitwende entstanden war, sowie in der offiziellen Propaganda der Kaiser war die Vorstellung von der Ewigkeit Roms verbreitet. Seit dem 4. Jh. aber hoben christliche Schriftsteller im Gegensatz dazu das Vergängliche alles Irdischen hervor, und ihre Kirche übertrug den Ewigkeitsanspruch auf sich selbst. Das hatte freilich wiederum zur Folge, daß im 5. Jh. einige Dichter der herrschenden Klasse geradezu krampfhaft die Idee von der Unvergänglichkeit Roms trotz aller Wirren und Niedergangserscheinungen zu bewahren suchten, indem sie die Auffassung verbreiteten, Rom werde aus jedem Übel, aus jedem Unglück gestärkt hervorgehen.61 Wenn die Ideen der sozialen Utopie damals erneut an Bedeutung gewannen, so äußert sich hierin die Denkweise geknechteter und sich nach sozialer Gerechtigkeit sehnender Menschen. Eine große Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Vorstellung von der Rückkehr des „Goldenen Zeitalters", welchem ein ewiger Frieden innewohne, in dem die Schwerter zu Sicheln und Sensen umgeschmiedet würden. Der Friede überhaupt wurde als höchstes Glück der Menschheit gefeiert.62 In dem wahrscheinlich auf Prosper von Aquitanien zurückgehenden Gedicht „Über die göttliche Vorsehung", das um 415/16 entstand, kommt ein anderer wichtiger Gedanke der sozialen Utopie stark zur Geltung: „Wir Menschen sind alle gleich; gleich werden der Arme und der Reiche geboren; Könige und Sklaven haben denselben Ursprung. Der Schlechteste wie der Beste erhalten die gleiche Mitgabe fürs Leben." 53 Auch der Verfasser der „Historia Augusta", einer um 400 geschriebenen Kaisergeschichte, nahm Gedanken des ewigen Friedens in sein Werk auf: „Der Provinziale brauchte keine annona zu liefern; aus den erzwungenen Geschenken müßte kein Sold mehr gezahlt werden; der römische Staat besäße gewaltige Schätze; nichts würde vom Kaiser ausgegeben, nichts vom Besitzer erstattet werden: E r (d. h. der Kaiser) stelle wahrhaftig ein Goldenes Zeitalter in Aussicht. Kein Heerlager gäbe es mehr, kein /jil

R. Günther, Einige historische Probleme des spätantiken Vulgarrechts, Klio 61, 1979, S. 1 0 1 - 1 0 4 ; E. M. Stajerman, Einige Bemerkungen zum Klassenkampf und zur Entwicklung des römischen Rechts, ebenda, S. 7 - 1 6 .

50

E . M. Stajermann, Die ideologische Vorbereitung des Zusammenbruchs der Produktionsweise der Sklavereigesellschaft, Klio 60, 197S, S. 2 2 5 - 2 3 4 .

51

Vgl. Apoll. Sidon., Carm. 7, 6 f.; 7, 18; 7, 602; 2, 65 f. Das Goldene Zeitalter kehrt zurück:

02

I. Hahn, Die soziale Utopie der Spätantike, Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-

Apoll. Sidon., Carm. 2, 1 0 2 - m . Universität Halle-Wittenberg, gesellschafts- u. sprachwissenschaftliche Reihe 1 1 , 1962, S.

1357

bis 1362. " 3 M. Manitius, Geschichte der christlich-lateinischen Poesie bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts, Stuttgart 1891, S. 176.

DIE KRISE DER A N T I K E N

24

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

Trompetenschall wäre zu hören; es brauchten keine Waffen geschmiedet zu werden; das Kriegsvolk, das jetzt den Staat mit Bürgerkriegen peinigt, würde den Pflug führen, sich den Studien hingeben, im Handwerk ausgebildet werden und Seefahrt treiben. Hinzu kommt, daß keiner mehr in Kriegen getötet würde."" 4 Der christliche Dichter Commodian, dessen Datierung zwischen der zweiten Hälfte des 3. Jh. und der ersten Hälfte des 5. Jh. schwankt, beschrieb den Untergang der bestehenden Gesellschaft, das Gottesgericht sowie ebenfalls die Wiederkehr des Goldenen Zeitalters. Die Reichen müßten dann ihm zufolge Sklavendienste leisten, und auch den gutgestellten Christen drohe Strafe, wenn sie ihr Vermögen nicht unter die Armen aufteilen. 55 Noch in der Mitte des 5. Jh. findet man Reflexionen über das wiederkehrende Goldene Zeitalter, welches in Dichtungen mit dem ewigen Frühling der Menschheit verglichen wird. Apollinaris Sidonius spricht von ihm als von einem Land, in dem es Äcker gäbe, die sich nicht in Privateigentum befänden und die nicht aufgeteilt seien.56 In jener Zeit fanden religiöse Vorstellungen Zuspruch, die einen Ausweg aus dem Elend der Welt suchten und ihn in einem Jenseits, im Himmel, in einem ewigen Leben nach dem Tode sehen wollten. Eine solche Lehre, die die totale Abkehr von der antiken Welt- und Lebensauffassung bedeutete, war die Gnosis, welche in der Spätantike vor allem in der Form des Manichäismus Verbreitung fand. Die Gnosis war zum konsequentesten und erbittertsten Gegner jeder Theorie geworden, die sich mit dem Bestehenden abfand oder mit ihm einen Kompromiß anstrebte. Sie war humanistisch und fortschrittlich, soweit sie für die völlige Vernichtung und Überwindung der alten Weltordnung eintrat - «ine religiöse Erlösungsbewegung der Spätantike. Aber sie verneinte nicht nur die bestehende Welt, sondern jegliche Weltordnung, was ihr den Weg zu einer weiteren Entwicklung am Ende verbaute. Für den Gnostiker war jedes irdische Leben des Menschen eine Knechtschaft in der Fremde; erlöst werden konnte man allein durch die Erkenntnis (griechisch -.gnosis), daß nach dem Tode die Seele zu einem jenseitigen Lichtreich nach Überwindung des feindlichen Kosmos und damit zur endgültigen Befreiung von dieser Knechtschaft gelangen konnte.57 In der spätrömischen Kaiserzeit wurden die Anhänger einer solchen Glaubensrichtung vom Staat aufs schärfste verfolgt. Mit dem Niedergang der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsordnung gingen in der Spätantike auch ein Niedergang der herrschenden römischen Kultur im Reich sowie ein Aufbruch neuer geistiger Strömungen einher, die von den Volksmassen, getragen wurden. Die Kultur der herrschenden Klasse begann vor letzteren zurückzuweichen und ihre hegemoniale Stellung zu verlieren. Auch nachdem sie die lokalen Oberschichten in den Provinzen assimiliert hatte, war sie die Kultur einer Minderheit ge54

Vita Probi 23, 2 - 3 ; zur Historia Augusta vgl. K.-P. Johne, Kaiserbiographie und Senatsaristo-

55

E.

kratie, Berlin 1976. M . Schtajerman,

Die Krise der Sklavenhalterordnung

im Westen

des Römischen

Reiches,

S. 1 3 4 - 1 3 6 . 56

Apoll. Sidon., Carm. 2, 4 1 2 .

57

R. Günther, Von der antiken zur frühfeudalen christlichen Kirche, Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität

Leipzig, gesellschafts- u. sprachwissenschaftliche Reihe 24,

1975,

1,

S. 7 7 ; zum Gesamtkomplex der Gnosis K . Rudolph, Die Gnosis, Leipzig 1 9 7 7 ; außerdem P. N a gel (Hrsg.), Studien zum Menschenbild in Gnosis und Manichäismus, Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1979/39 ( K 5).

DIE KRISE DER A N T I K E N

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

25

blieben. Die Volksmassen der Provinzen waren dagegen nur oberflächlich romanisiert oder hellenisiert worden, so daß die alten, Jahrhunderte hindurch von Rom unterdrückten Volkskulturen, die sich in Lebensweise, Sprache, Einrichtungen und künstlerischen Ausdrucksformen von der römischen unterschieden, jetzt leicht wieder an Bedeutung gewannen. Mehr und mehr wandelten sich Ideologie und Kultur der römischen Gesellschaft zur Ideologie und Kultur einer „Elite", die sich von den Interessen und Bedürfnissen der Volksmassen getrennt hatte. Es war das Christentum - nach Friedrich Engels eines der revolutionärsten Elemente in der Geistesgeschichte der Menschheit58 - , das ihre Entwicklung progressiv beeinflußte. 59 So schrieb der christliche Schriftsteller Tertullian bereits im Jahre 197 von einer geistigen Erneuerung, welche sich gegen die Einrichtungen der Vorfahren, gegen die Gesetze der Herrschenden und gegen das Alte richtete.® Im 5. Jh. wandte sich dann das Christentum auch von dem vorherrschenden antiken Barbarenbegriff ab und schuf geistige Voraussetzungen, die ein Zusammenleben mit den Barbaren ermöglichten.61 Es stärkte das Selbstbewußtsein der von Rom unterdrückten Völker. In Sekten und Sonderkirchen, in der Begünstigung ihrer eigenen Sprache und Literatur sowie in der Abkehr vom Glauben an die Unwandelbarkeit der bestehenden Ordnung drückte sich der Kampf der Volksmassen gegen die Ideologie und Kultur der herrschenden Klasse aus. Die Voraussetzungen hierfür wurden zu Beginn des Dominais geschaffen. Während die Kaiser der Tetrarchie nämlich noch die traditionellen römischen Kulte förderten und das Christentum durch eine letzte große Verfolgungswelle in den Jahren von 503 bis 311 aus dem öffentlichen Leben auszuschalten suchten, erkannte Konstantini. 313 die christliche Religion als gleichberechtigt neben anderen Lehren an. Dies bedeutete nicht nur das Ende der Drangsalierungen ihrer Anhänger - welches bereits im Toleranzedikt des Kaisers Galerius vom Jahre 3 1 1 bestimmt worden war - , sondern die Vereinbarung Konstantins mit dem Kaiser Licinius (307-324) begünstigte zugleich die christliche Kirche. Dementsprechend entschied schon ein Jahr später die Synode von Arelate (Arles), daß Christen den Militärdienst im römischen Heer nicht mehr verweigern sollten. Nun entstanden in vielen Städten kirchliche Neubauten. Die Kleriker wurden von den Munizipalämtern befreit, und der Bischof von Rom erhielt im Jahre 314 den Lateranpalast als Residenz. Die Kirche wurde in den zivilen Verwaltungsapparat einbezogen: So erlangten bischöfliche Urteile Rechtskraft, auch wenn sie weltliche Dinge betrafen. Sklavenfreilassungen waren juristisch gültig, wenn sie vom Bischof bestätigt wurden. Weiterhin erhielt die Kirche das Erbrecht zugesprochen. 38

F . Engels, Zur Geschichte des Urchristentums, in: M E W ,

59

R. Günther, Der Untergang der Kultur der herrschenden Klasse Roms in der Spätantike, D a s

Bd. 22, Berlin

1963, S. 459.

Altertum 23, 1 9 7 7 , S. 2 3 9 - 2 4 4 ; P. A . Brunt, The Romanization of the Local Ruling

Classes

in the Roman Empire, in: Assimilation et résistance à la culture gréco-romaine dans le monde ancien, Bukarest-Paris 1977, S. 1 6 1 - 1 7 4 ; K . Fittschen, Die Krise des 3. Jahrhunderts im Spiegel der Kunst, in: Krisen in der Antike. Bewußtsein und Bewältigung, Düsseldorf 1975

(Geschichte

und Gesellschaft 1 3 , hrsg. von G . Alföldy u. a.), S. 1 3 3 - 1 4 4 . 60

Tertullian, A d nationes 2, 1 , 7 .

B1

R. Günther, Einige

Bemerkungen

zur Stellung von

Klerikern

und

christlichen

Schriftstellern

in den Klassenverhältnissen des 4-/5. Jahrhunderts, in: J . Irmscher - K . Treu (Hrsg.), D a s Corpus der griechischen bis 27.

christlichen

Schriftsteller. Historie,

Gegenwart,

Zukunft, Berlin

1977,

S.

21

26

DIE KRISE DER ANTIKEN SKLAVEREIGESELLSCHAFT

Damit war eine Entwicklung in die Wege geleitet worden, welche die Kaiser schon seit dem beginnenden 3. Jh. - und bisher vergeblich - erstrebt hatten; die dauerhafte Verbindung mit einer politischen Ideologie, die sowohl den Bedürfnissen der herrschenden Klasse entsprach als auch den ideellen Ansprüchen und Erwartungen der Unterdrückten entgegenkam. In jener Zeit konnte sich eine solche Ideologie nur in religiöser Form entwickeln. Das Christentum bot hierfür die günstigsten Voraussetzungen, weil es in sich widersprüchlich war, sich auf dem Höhepunkt der gesellschaftlichen Krise vorteilhaft entwickelte und - im Gegensatz etwa zur Gnosis - einen Kompromiß selbst suchte.62 Es waren vor allem politische Überlegungen, die Konstantin I. bei seinem Schritt leiteten. Die Aufrufe der Kirche zu Demut und Gehorsam sowie zur Vorbereitung auf ein glückliches Leben im Jenseits versprachen die Kämpfe der unterdrückten Klassen erheblich einzuschränken. Allerdings lehrten Ähnliches auch andere, konkurrierende Erlösungsreligionen, wie beispielsweise die verschiedenen Mysterienkulte und auch die Gnosis; jedoch hatte das Christentum diesen eine feste und straffe Organisation voraus, die der Kaiser im innenpolitischen Interesse nutzen konnte. Da eine einheitliche Kirche mithin für ihn von Vorteil war, unterstützte der Kaiser deren Kampf gegen Sekten und Sonderkirchenbildungen, z. B. gegen den Donatismus und den Arianismus. Und es sollte auch nicht mehr lange dauern, bis Christen hohe Ehren- und Staatsämter besetzten: das; Konsulat im Jahre 323, die römische Stadtpräfektur im Jahre 325 und die Prätorianerpräfektur im Jahre 329. In der Epoche der sozialen Revolution beim Übergang von der Sklavereigesellschaft zum Feudalismus entwickelte sich keine führende materialistische Ideologie, wie es einst bei der Entstehung der antiken Gesellschaftsordnung in Griechenland der Fall gewesen war. Das Christentum paßte sich in der Spätantike den gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur an, sondern gestaltete sie oftmals aktiv mit.63 Es überwand das antike, auf die Stadt (polis) konzentrierte Denken, die antike Weltauffassung und das antike Menschenbild. Mit der römisch-katholischen Kirche bildete sich im Weströmischen Reich, seitdem ihre Lehre am Ende des 4. Jh. zur Staatsreligion geworden war, die politische Ideologie der künftig herrschenden Feudalklasse heraus.64 Die zunehmende Ausbeutung der Kolonen, freien Bauern, Handwerker und Sklaven beeinflußte den Klassenkampf der Spätantike, der sich gleichfalls verstärkte. Die Aufstände in den Provinzen waren jetzt weniger räumlich begrenzt als früher; auch blieben sie nicht auf Kolonen und Sklaven beschränkt, sondern rissen in weiten Landstrichen andere Teile der unzufriedenen, ärmeren und ausgebeuteten Bevölkerung mit. 62

63

64

J . Lenzmann, Wie das Christentum entstand, Berlin 1973, S. 292-298; E. M. Schtajerman, Die Krise der Sklavenhalterordnung im Westen des Römischen Reiches, S. 13 3 f . ; F. Winkelmann, Probleme der Herausbildung der Staatskirche im römischen Reich des 4. Jahrhunderts, Klio 53, 1971, S. 283 f. Vgl. H. Ley, Patristische Literatur als Quelle für die Geschichte von Aufklärung und Atheismus, in: J. Irmscher - K . Treu (Hrsg.), Das Corpus der griechischen christlichen Schriftsteller, S. 77 bis 89; H. Ley, Geschichte der Aufklärung und des Atheismus, Bd. 2/1, Berlin 1970, S. 7; 1 0 - 1 5 ; 71 f . ; 89; 1 2 3 - 1 3 7 ; H. Goltz, Antihäretische Konsequenzen: .Monismus' und .Materialismus' in der orthodoxen Tradition, in: Studien zum Menschenbild in Gnosis und Manichäismus, S. 253 bis 274. R. Müller (Hrsg.), Kulturgeschichte der Antike, Bd. 2: Rom, Berlin 1978, S. 524 f. und 559-562.

DIE KRISE DER A N T I K E N

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

27

In dem sich immer weiter ausbreitenden Kleinkrieg (latrocinium) verschwammen die Grenzen zwischen kriminellen Straßenräubern und bewaffneten „Partisanen", zumal die römische Gesetzgebung jeden, der mit der Waffe in der Hand gegen die bestehende „Ordnung" auftrat, als latro (Räuber) bezeichnete. Die Klassenkämpfe äußerten sich in umfassenden Volksbewegungen im Osten wie im Westen, wobei die aufständische Landbevölkerung vereinzelt und an einigen Orten für eine Veränderung der Grundeigentumsverhältnisse bzw. für die Stärkung ihrer bäuerlichen Nutzungsrechte gegenüber den Großgrundbesitzern eintrat.65 Letzten Endes verausgabten diese Bewegungen jedoch ihre Kräfte in einer „permanenten Rebellion" gegen den römischen Staat, ohne den entstehenden feudalen Verhältnissen zum Durchbruch zu verhelfen.® 6 Wenn wir uns bei ihrer Nennung auf Westrom beschränken, so sind hier vor allem die Erhebungen der Bagauden in Gallien und Spanien sowie der Circumcellionen (Agonistiker) in Nordafrika hervorzuheben. Auch an den dortigen Aufständen des Firmus und des Gildo - die jedoch, wie noch auszuführen ist, eigene Ziele mit ihren Aktivitäten verfolgten - beteiligten sich Teile der Volksmassen, weil sie eine Verbesserung ihrer sozialen Lage erhofften. Die Circumcellionen bildeten den aktivsten Teil der donatistischen Sonderkirche in Nordafrika. OT D a diese Kirche nicht zuletzt antirömische Tendenzen entwickelte, fand sie bei allen Schichten der Bevölkerung in jenem Gebiet Anklang, die mit der Herrschaft Roms unzufrieden waren: bei Grundbesitzern, Städtern und Landgeistlichen, aber auch bei vielen aus den Kreisen der landwirtschaftlichen Produzenten. Sie war sozial nicht einheitlich ; denn es gab in ihr auch Bischöfe, die mit der römischen Verwaltung enger zusammenarbeiteten. Der Kampf der Circumcellionen richtete sich vor allem gegen Wucherer, Großgrundbesitzer und Beamte sowie gegen den oberen Klerus der katholischen Kirche. Zuweilen wurden Eigentümer von Sklaven gezwungen, diese freizulassen; eine allgemeine Aufforderung zur Sklavereiabschafiung erfolgte jedoch nicht. Die Unzufriedenheit der Volksmassen mit Rom nutzte dann ein Stammesfürst der Berber, Firmus, dazu aus, in der Provinz Mauretania Caesariensis 372 die einheimische Bevölkerung zum A u f stand aufzurufen. E r ließ sich zum König ausrufen, und einigen Nachrichten zufolge soll er sogar nach der römischen Kaiserwürde gestrebt haben. D i e Circumcellionen unterstützten ihn, aber im Jahre 375 schlugen die Römer seine Rebellion nieder. Gegen deren Herrschaft erhob sich 397 erneuter Widerstand in Nordafrika, diesmal unter Gildo, dem Bruder des Firmus. Gildo hatte in römischen Diensten gestanden und dort hohe militärische Ämter erlangt: E r war Heermeister in Nordafrika. Wie Firmus stützte er sich vor allem auf die Circumcellionen sowie auf Berberstämme, die in Grenzgebieten siedelten. Durch das Versprechen einer Besitzneuverteilung suchte er 66

R. Günther, Die Volksbewegung in der Spätantike und ihre Bedeutung für den gesellschaftlichen Fortschritt im Feudalismus, in: J. Herrmann -

I. Sellnow (Hrsg.), D i e Rolle der Volksmassen

in der Geschichte der vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen, Berlin 1 9 7 5 , S.

167-174.

66

J. Herrmann, Spuren des Prometheus, Leipzig-Jena-Berlin

67

J.-P. Brisson, Autonomisme et christianisme dans l'Afrique romaine de Septime Sevère à l'inva-

1 9 7 5 , S.

196.

sion vandale, Paris 1958, S. 5 2 5 - 5 5 8 ; H.-J. Diesner, Kirche und Staat im spätrömischen Reich, Berlin 1 9 6 5 ; G . G . Diligenskij, Severnaja A f r i k a v I V - V

vekach, Moskva

1 9 6 1 , S.

155-200

und 2 1 5 - 2 5 6 ; W . H . C. Frend, The Donatisi Church. Oxford 1 9 5 2 ; A . Mandouze, L e donatisme représente-t-il la résistance à Rome de l'Afrique tardive?, in: Assimilation et résistance à culture grécoromaine, S. 5 5 7 - 5 6 6 ; E . Tengström, Donatisten und Katholiken, Göteborg 1964.

la

DIE KRISE DER A N T I K E N

28

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

alle mit Rom Unzufriedenen auf seine Seite zu ziehen. Seine Anhänger erhielten konfiszierten Boden römischer Großgrundbesitzer; allerdings wurde er selbst bei dessen Vergabe zum bedeutendsten Landeigner Nordafrikas. Im Jahre 398 konnte dann auch diese Bewegung von römischen Truppen niedergeschlagen werden. 68 D i e Unterdrückung des gildonischen Aufstands bedeutete für die Circumcellionen eine schwere Niederlage; doch ihre Bewegung lebte weiter. D i e Klassengegensätze beherrschten auch in den nächsten Jahren die soziale Situation. D i e römische Verwaltung Nordafrikas hatte große Mühe, die Umverteilungen des Grundbesitzes nach der Niederschlagung der Rebellion rückgängig zu machen, und Augustinus (354-430), der katholische Bischof von Hippo, forderte in Schriften und Predigten strengste Strafen und andere staatliche Zwangsmaßnahmen gegen die Circumcellionen. 69 Hohe G e l d bußen, Vermögenskonfisk^tion, Entzug der Testamentsfreiheit, Prügel und Zwangsarbeit sollten sie und andere Donatisten wieder in die römische „Ordnung" zurückzwingen. Es gelang auch, sie durch solche Pressionen in den Jahren 411 bis 414 weitgehend zu unterdrücken. Spuren und einzelne Scharen von ihnen finden sich aber noch während der Herrschaft der Vandalen in Nordafrika sowie während der folgenden Zeit, als Byzanz dieses Gebiet 533/34 zurückeroberte. 70 D i e Volksbewegung der Bagauden war in Gallien schon 284, im ersten Jahr der Regierung Diokletians, entstanden. 71 Sie wurde nach kurzer Zeit von dessen Mitkaiser Maximian unterdrückt, geriet jedoch nicht in Vergessenheit und formierte sich seit 407 in Gallien neu. Zunächst hatte sie ihr Zentrum in der nur wenig von der Romanisierung erfaßten Landschaft Aremorica, d. h. in der Bretagne mit ihren angrenzenden Landstrichen, sowie im Gebiet der Loiremündung. Von Zeit zu Zeit niedergeschlagen, lebte sie immer wieder auf und dehnte sich in ihrer- letzten Phase auch nach Nordweatspanien aus. Viele Kolonen und flüchtige Sklaven machten mit den Bagauden gemeinsame Sache; sie bemächtigten sich des Landes von Großgrundbesitzern und bildeten an einigen Stellen eigene Dörfer, in denen sie wie freie Bauern lebten. 72 Ein westgotisches Heer vernichtete im Jahre 454 die spanischen Bagauden; auch von den gallischen schweigen seit dieser Zeit die Quellen. D e r römisch-christliche Schriftsteller Salvian von Marseille gab um die Mitte des 5. Jh. eine Schilderung dieser Bewegung, wobei er nicht zuletzt die römische Herrschaft in Gallien einer scharfen Kritik unterzog: „Nun will ich von den Bagauden sprechen, die durch schlechte und grausame Richter beraubt, niedergeschlagen, getötet wurden und die nach Verlust des Rechtes römischer Freiheit auch die Ehre des römi68

H.-J. D i e s n e t ,

G i l d o s Herrschaft und die N i e d e r l a g e von Theveste, K l i o 40, 1962, S.

178-186;

T . K o t u l a , D e r A u f s t a n d des Afrikaners G i l d o und seine Nachwirkungen, D a s Altertum 18, 1972, S. 1 6 7 - 1 7 6 . 09

V g l . Augustin, Epist.

108, 6, 18; 1 8 ; , 4, 1 5 ; dazu H.-J. Diesner, Studien zur

Gesellschafts-

lehre und zur sozialen Haltung Augustins, Halle/S. 1954, S. 5 5 - 9 2 ; G . G . Willis, Saint Augustine and the Donatist Controversy, London 1950. 70

H.-J. Diesner, D e r Untergang der römischen Herrschaft in N o r d a f r i k a , Weimar

1964, S.

110;

vgl. T h . Büttner - E . Werner, Circumcellionen und A d a m i t e n , Berlin 1959. 71

B . Czuth, D i e Q u e l l e n der Geschichte der Bagauden, Szeged 1965; A . R. Korsunskij, D v i z e n i j e B a g a u d o v , Vestnik

drevnej istorii

Pauly-Wissowa, Realencyclopädie

1957, 4, S. 7 1 - 8 7 ;

S. S z a d e c z k y - K a r d o s s ,

der classischen Altertumswissenschaft

Bagaudae,

( R E ) , Suppl.

gart 1968, Sp. 346-354. 72

J. Küppers, Z u m .Querolus' und seiner Datierung, Philologus 123, 1979, S. 303-323.

11,

in:

Stutt-

DIE KRISE DER A N T I K E N

29

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

sehen Namens verloren. Wir geben ihnen selbst die Schuld an ihrem Unglück; wir belasten sie mit einem Namen, den wir selbst ersonnen haben: Wir nennen sie Rebellen, wir nennen sie Verworfene - wir, die wir sie doch zwangen, Verbrecher zu werden. Denn wodurch anders wurden sie Bagauden als durch unsere Ungerechtigkeiten, durch die Ruchlosigkeit der Richter, durch die Proskriptionen (die sie für vogelfrei erklären) und Räubereien derer, die das Amt staatlicher Steuererhebung zu eigenem Gewinn und Vorteil mißbrauchten und die die Steuerlisten zu einem Feld für ihre Beutelust gemacht haben? . . . Und so kam es, daß diese Menschen, gewürgt und getötejt durch die Räubereien der Richter, wie Barbaren zu leben anfingen, weil man sie keine Römer sein ließ." 73 Die genannten Volksbewegungen waren von großer politischer Bedeutung. Sie erschütterten nicht nur den römischen Staat, sondern rüttelten auch an veralteten Eigentumsverhältnissen. Sie waren freilich nicht in der Lage, die antike Sklavereigesellschaft und ihre Institutionen zu stürzen oder zu vernichten. Sie wurden selbst von K r ä f ten liquidiert, die von außen kamen, und erst diesen Kräften gelang es, dem weströmischen Staat und der sich zersetzenden alten Ausbeuterordnung ein Ende zu bereiten.74 Gegen Ende des 2. Jh. waren bei den Germanen erstmals stabile Stammesverbände entstanden, die nun für das Römische Reich eine größere Gefahr darstellten als zuvor die kleineren, sich oft bekämpfenden Einzelstämme. Z u diesen neuen Bildungen gehörten die Alamannen südlich des Mains, die Franken am Niederrhein, die Sachsen an der Unterelbe, die Vandalen nördlich der Donau im pannonischen Raum und die Goten im Mündungsbereich dieses Flusses am Schwarzen Meer. Einige größere Stämme blieben auch für sich, wie die Chatten zwischen dem Mittelrhein und den Weserquellflüssen oder die Burgunder am oberen und mittleren Main. 7 ° Aus Stämmen mittelasiatischen Ursprungs hatten sich die Sarmaten zusammengeschlossen; bedeutende unter ihnen, die die Römer hart bedrängten, waren die Roxolanen und die Jazygen. Die konzentrierten Angriffe dieser Völkerschaften führten während des 3. Jh. zu umfangreichen und schwerwiegenden Gebietsverlusten des Reiches. In den Jahren 258 bis 259 ging die Region zwischen dem obergermanisch-rätischen Limes, dem Rhein und der Donau endgültig verloren; und die reiche Provinz Dakien mußte 270 nach ständigen Angriffen dakischer, germanischer und sarmatischer Stämme aufgegeben werden. In den siebziger Jahren des 3. Jh. kam es weiterhin zu schweren Einfällen der Alamannen und Franken in Gallien. 76 Seit dem Jahre 350 hatten sich dann auch die Angriffszüge dieser beiden Stammesverbände über die Rheingrenze hinweg wieder verstärkt. 77 Im Unterschied zu früheren

73

Salvian von Marseille, D e gubernatione dei 5, 6.

75

R. Günther, Die Epoche der sozialen und politischen Revolution beim Übergang von der antiken

75

B. Krüger, Zusammenstoß und Auseinandersetzung zwischen römischer Sklavenhaltergesellschaft

Sklavereigesellschaft zum Feudalismus, S. 238 und 2 4 4 - 2 4 6 . und germanischer Gentilgesellschaft, in: H. Grünert -

H.-J. Dölle

(Hrsg.), Römer und

Ger-

manen in Mitteleuropa, Berlin 1 9 7 5 , S. 2 5 - 4 0 . 76

R. Günther -

77

R.

Günther,

H. Köpstein (Hrsg.), Die Römer an Rhein und Donau, S. Zusammenstoß

und

Auseinandersetzung

zwischen

römischer

78-92. Sklavenhaltergesell-

schaft und germanischer Gentilgesellschaft in Mitteleuropa von der Mitte des 4. bis zum E n d e des 5. Jh., in: H . Grünert -

H.-J. Dölle (Hrsg.), Römer und Germanen in Mitteleuropa, S. 41

bis 6 1 ; ders., Zur Entstehung des Feudalismus bei den Franken. Die römisch-germanische Ausein-



DIE KRISE DER ANTIKEN SKLAVEREIGESELLSCHAFT

Beutezügen aber machten sie jetzt Versuche, sich ständig links des Rheins anzusiedeln und das eroberte Terrain landwirtschaftlich zu nutzen. Eine dauerhafte germanische Landnahme war allerdings auf römischem Boden damals nur unter dem Föderatenstatus (d. h. als römische Bundesgenossen) möglich, da das Imperium noch mächtig genug war, eine selbständige Ansiedlung zu verhindern. Etwa 45 Städte oder städtische Siedlungen wurden zwischen 352 und 355 durch Alamannen und Franken zerstört, darunter Strasbourg, Metz, Speyer, Worms, Mainz, Wiesbaden, Bingen, Andernach, Bonn, Neuß und die Colonia Ulpia Traiana bei Xanten. Die Alamannen besetzten das Elsaß, die Pfalz und Rheinhessen; die salischen Franken eroberten die batavischen Gebiete am Unterlauf des Rheins. Zahlreiche römische Höfe und Güter (villae rusticae) wurden dabei vernichtet. Kaiser Constantius II. ernannte, um dem zu begegnen, im Jahre 355 Julian (Abb. 5), den späteren Kaiser (361-363), zum Cäsar und erteilte ihm den Auftrag, die Rheingrenze wiederherzustellen. Das schien nötig, denn auch Köln war inzwischen von den Franken geplündert worden. Julian besiegte 357 die Alamannen in der Schlacht bei Argentoratum (Strasbourg) und nahm ihren Anführer Chnodomar, gefangen. Ein Jahr darauf zog er gegen die salischen Franken am Unterlauf des Rheins und überführte sie in ein Föderatenverhältnis. Bei einem Friedensschluß mußten die Alamannen 20000 römische Provinzbewohner freilassen, die sie bei ihren Vorstößen gefangengenommen hatten. Im Jahre 378 schließlich erlitt dieser Stammesverband bei bei Argentaria (in der Nähe von Colmar im Elsaß) erneut eine schwere Niederlage. Zu Beginn des 5. Jh. jedoch war Westrom wiederum starken germanischen Angriffen ausgesetzt. Bereits 401 setzten sich Vandalen und Alanen - die letzteren waren iranischer Herkunft - in Rätien fest, und am Ende desselben Jahres fiel der Wesitgotenkönig Alarich (um 390-410) mit seinen Scharen in Norditalien ein. Stilicho (Abb. 6), der oberste Heermeister Westroms, ein Mann von vandalischer Abkunft, befahl die am Rhein stehenden Grenztruppen zu seiner Unterstützung nach Italien; er zwang Alarich, die Belagerung von Mailand aufzuheben und schlug ihn im Jahre 402 in der Schlacht bei Pollentia (Pollenzo). Als er dann 403 Alarich eine weitere Niederlage bei Verona zufügte, zog sich dieser mit seinen Westgoten wieder nach Illyricum zurück. 405 und 406 fielen jedoch andere germanische Völker, darunter auch Ostgoten, unter der Führung ihres Stammesfürsten Radagais, in Oberitalien ein. Auch sie wurden 406 von Stilicho, und zwar bei Faesulae (Fiesole bei Florenz), vernichtend geschlagen. Sehr bald allerdings änderte sich die Lage in Gallien grundlegend, was die Römer zu spüren bekamen. In der Silvesternacht von 406 auf 407 überquerten die Vandalen, Alanen und Sueben den mittleren Rhein, eroberten zahlreiche Städte in dem genannten Gebiet und drangen bis zu den Pyrenäen vor. Ihnen folgten die Burgunder nach, die jedoch in Rheinnähe verblieben. Nun gab es in Gallien kein römisches Heer mehr, um die Germanen und Alanen zurückzudrängen; der Einbruch neuer Völker, wie er jetzt erfolgte, konnte nicht wieder rückgängig gemacht werden. So zogen denn auch im Jahre 409 die Vandalen, Alanen und Sueben weiter nach Spanien und ließen sich dort nieder. Westrom mußte sich damals mit der Tatsache abfinden, daß neben den in Illyricum wohnenden Westgoten' noch andere Stämme und Stammesverbände im Reich Siedlungsrechte forderten.78

78

andersetzung im 4. und 5. Jahrhundert, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 20, 1972, S. 427 bis 443. E. Demougeot, La formation de l'Europe, Bd. 2, S. 421-449.

DIE KRISE DER ANTIKEN SKLAVEREIGESELLSCHAFT

31

Noch stand freilich ein starkes römisches Heer in Britannien, wo im Jahre 407 Flavius Claudius Constantinus durch die Truppen zum Gegenkaiser ausgerufen wurde. In der historischen Literatur wird dieser, der bis 4 1 1 regierte, Konstantin III. genannt. E r setzte mit seinen Mannschaften - unter Zurücklassung nur weniger lokaler Milizen - nach Gallien über, bekämpfte die Eindringlinge und stellte die obere Rheingrenze notdürftig wieder her. Die gallorömische wie die hispanorömische Aristokratie stellte sich aüf seine Seite, und so sah sich der weströmische Kaiser Honorius (395-423) gezwungen, ihn als Mitregenten anzuerkennen ,1 er brach jedoch bald das zwischen beiden geschlossene Abkommen und bezwang Konstantin in Arles. 79 Daß er ferner im Jahre 408 den Heermeister Stilicho auf Drängen der antigermanisch eingestellten Hofaristokratie hinrichten ließ, hatte für die militärische Abwehrkraft Westroms verhängnisvolle Folgen. Alarich marschierte schon im gleichen Jahr wieder mit seinen Westgoten nach Italien ein und wandte sich gegen Rom. Die Stadt kaufte sich mit einem hohen Lösegeld frei, wurde jedoch 409 ein zweites und darauf ein drittes Mal belagert, und hierbei fiel sie am 24. August 410 in Alarichs Hände. Drei Tage lang wurde sie geplündert, und die Westgoten benahmen sich dabei nicht anders als früher die Römer. Mit reicher Beute - zu der auch des Honorius Schwester, Galla Placidia, gehörte - zogen sie weiter nach Süditalien. Ende 4 1 0 starb ihr König Alarich und wurde bei Cosenza in Kalabrien beigesetzt. Über diese Zeit schrieb der oströmische Geschichtsschreiber Zosimos, das Reich sei „eine Wohnstätte der Barbaren" geworden,80 und Orientius klagte: „Ganz Gallien rauchte wie ein riesiger Scheiterhaufen." 81 Als Rom erobert wurde, schrieb Hieronymus : „Wehe, der Erdkreis bricht zusammen I"82 Die Einnahme der „Ewigen Stadt" durch die Westgoten nahm Augustin zum Anlaß, um seine theoretische Arbeit „ D e civitate dei" (Über den Gottesstaat) zu beginnen. In dieser Schrift relativierte er das Verhältnis der katholischen Kirche zum weströmischen Staat. D a alles Irdische vergänglich sei, so schrieb er, sei auch Rom vergänglich; nur das Reich Gottes, auf Erden repräsentiert durch die Kirche, dauere ewig. Mit dieser Auffassung trat Augustin Vorwürfen entgegen, die in dem Debakel Roms eine Strafe der alten vernachlässigten bzw. preisgegebenen Götter für den Übergang zum Christentum sahen. Zugleich begann er mit seinem Werk, die allmähliche Lösung der Kirche von dem zum Untergang verurteilten römischen Staat vorzubereiten. 83 Am Schluß dieses Kapitels sind einige allgemeine Ausführungen vonnöten, die der Wertung des Geschilderten dienen. Für die geschichtstheoretischen Untersuchungen der bürgerlichen Historiker existiert die Frage: Revolution - ja oder nein - beim Übergang von der Sklaverei zum Feudalismus, von der Antike zum Mittelalter nicht, hier wird die Problematik lediglich auf das Verhältnis zwischen Kontinuität und Diskontinuität zugespitzt. Aber keine Revolutionsepoche stellt sich als Kulturbruch oder als absolut unzusammenhängend mit dem bisherigen Geschichtsverlauf dar. So ist auch die hier behandelte Epoche, wo sich in einem Zeitraum von etwa 400 Jahren die öko79

80 81 82 83

E. Demougeot, Constantin III., l'Empereur d'Arles, in: Homages à André Dupont, Montpellier 1974. S. 83-125. Zosim. 4, 59, 3. Orientius, Commonitorium 2, 184. Hieron., Epist. 128, 4. K . Thraede, Das antike Rom in Augustins De civitate dei, Jahrbuch für Antike und Christentum 20, 1977, S. 90-148

DIE KRISE DER ANTIKEN

32

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

nomische Basis und ihr Überbau umwälzten, als ein Prozeß anzusehen, in den evolutionäre Elemente mit verwoben sind. Sie allerdings werden von den Verfechtern der bürgerlichen Kontinuitätstheorie oft unberechtigt stark in den Vordergrund gestellt. Zunächst von N. D. Fustel de Coulanges noch recht zurückhaltend formuliert, 195 dann aber von A. Dopsch in extrem zugespitzter Form vertreten, 83 ist diese Theorie heute in recht unterschiedlichen Spielarten vorhanden. So wird von A. Heuß in seinem Aufsatz „Das Revolutionsproblem im Spiegel der antiken Geschichte" 86 wohl der Untergang der römischen Republik als Revolution gekennzeichnet - wobei der Autor seiner Ansicht theoretische Überlegungen des bekannten Althistorikers Th. Mommsen zugrunde legt - , die Spätantike dagegen grundsätzlich nicht in diesen Problemkreis mit einbezogen. In seinem Beitrag für das mehrbändige Werk „Aufstieg und Niedergang der römischen Welt"® mißt Heuß gleichfalls nur der Entstehung des römischen Kaisertums große Bedeutung bei. Das Revolutionsproblem zwängt er in eine recht eigenartige Sicht, wenn er hervorhebt: „ .Revolution' ist die Negation des Rechtes, sofern dieses immer eine reale Ordnung impliziert. Von Rechts wegen kann es keine Revolution geben." 88 Diese Sätze stellen die juristische Seite allein heraus und beinhalten noch dazu eine Verabsolutierung, denn es wird nicht anerkannt, daß die revolutionäre Klasse mit der Eroberung der politischen Macht auch neues Recht in Geltung setzte, wenn dieses auch teilweise an ältere Normen anknüpfen konnte. Auch andere neuere Stellungnahmen aus bürgerlicher Feder, wie sie etwa in der „Römischen Sozialgeschichte", von G. Alföldy, 8 9 in „Kontinuität - Diskontinuität im Übergang von der Antike zum Mittelalter" von Chr. Meier 9 0 oder bei P. E. Hübinger in dem von ihm herausgegebenen Sammelband „Kulturbruch oder Kulturkontinuität im Übergang von der Antike zum Mittelalter" 9 1 zu finden sind, vermeiden oder umgehen den Revolutionsbegriff bei der Charakterisierung unserer Epoche und sehen hier höchstens eine Auflösung von Strukturen, eine Kontinuität des Wandels, eine Entfremdung der römischen Staatsmacht von den gesellschaftstragenden Schichten und ähnliches. Die Germanen wie auch die christliche Kirche erscheinen in diesen Auffassungen als wesentliche Träger der Kontinuität. Es wird hervorgehoben, daß beispielsweise die germanische Einwanderung in Gallien, Spanien und Italien die antike Kultur nicht zerstört habe und somit ein evolutionärer Übergang zum Mittelalter - im Sinne eines allmählichen Strukturwandels - erfolgte. Doch bringt es wenig ein, den Gegensatz zwischen Kontinuität und Diskontinuität als Frage des Entweder-Oder anzusehen. Die Revolutionsepochen bilden eine dialektische Einheit von Widersprüchen, die dem Wechsel der Gesellschaftsordnungen untergeordnet sind. In unserem Falle widersprechen weder das teilweise Fortleben aus der Antike stammender Einflüsse noch eine gewisse 8/1

N . Fustel de Coulanges, Histoire des institutions politiques de l'ancienne France, Bd. i - 6 , Paris 1875-1892.

85

A.

Dopsch, Wirtschaftliche und

soziale Grundlagen

der europäischen

Kulturentwicklung

von

Cäsar bis auf Karl den Großen, 2 Bde., 2. Aufl. Wien 1 9 2 3 - 1 9 2 4 . 86

Historische Zeitschrift 2 1 6 , 1 9 7 3 , S. 1 - 7 2 .

87

Bd. 2/1, Berlin (West) 1974.

88

Ebenda, S. 79.

89

Göttingen 1 9 7 5 .

90

Im Sammelband H. Trümpy (Hrsg.), Kontinuität Darmstadt 1 9 7 3 , S. 5 3 - 9 4 .

91

Wege der Forschung 201, Darmstadt 1968.

Diskontinuität in den Geisteswissenschaften,

i Kaiser Diokletian. Kopf einer Marmorstatue aus N i k o m e d i e n . U m 3oo u. Z. Istanbul, Archäologisches Museum

1

Tetrarchie

Um 3oo u. Z.

(Vierkaiserherrschaft).

Darstellung

aus Porphyr

an

der

Markuskirche

in

Venedig.

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3

Preisedikt

des Diokletian.

Inschriftenfragment

(Ausschnitt).

Athen,

Epigraphisches

Museum

4

Kaiser Konstantin I. Kopf einer

Kolossalstatue. Um 330 u . Z . Rom, Konservatorenpalast 5

Kaiser Julian. Marmorstatue.

Paris, Louvre

*

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l! i f n ^ i ? g i l i .

6

Heermeister Stilicho. Flügel eines Elfenbeindiptychons. Um 400 u. Z. Monza, Domschatz

7

Ulfilas gotische Bibelübersetzung.

Uppsala, Universitätsbibliothek

Pergamentblatt

aus

dem

Codex

Argenteus.

5-/6. Jh.

u.Z.

8 Westgotische Vogelfibeln. Bronze. Vom Castel bei Valence d'Agen. Paris, Museum Cluny

9 Westgotische Gürtelschnalle. Bronze vergoldet. Vom Castel bei Valence d'Agen. Paris, Museum Cluny

10 Westgotische Votivkrone. G o l d durchbrochen, mit Steinen besetzt. Von Guarrazar bei Toledo. Paris, Museum Cluny

DIE KRISE DER A N T I K E N

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

53

personelle Kontinuität der herrschenden Klasse beim Übergang von der Sklavereigesellschaft zum Feudalismus, weder die Übernahme verschiedener kultureller Traditionen noch die Beibehaltung einiger staatlicher Einrichtungen der Tatsache, daß wir es hier mit einer Revolution zu tun haben, die innerhalb der Klassengesellschaft auf den Trümmern der alten eine neue Gesellschaftsordnung errichtete. Und diesem Wechsel der Gesellschaftsordnungen waren auch die Germanen und die christliche Kirche unterworfen. Eine Kontinuität in bestimmten Fragen ist in jeder Revolution der Klassengesellschaft nachweisbar; jedoch ist diese Art von Kontinuität der Diskontinuität in bezug auf die Gesellschaftsordnung untergeordnet.92 Es genügt also nicht, die Wende von der Antike zum Mittelalter nur als eine Frage der Periodisierung anzusehen.93 Und es ist ebensowenig zu akzeptieren, daß F. Vittinghoff mit dem Hinweis darauf, es habe in der Spätantike kein „modernes Bewußtsein", keinen „revolutionären Willen" gegeben, diese Periode nicht als Revolution aufgefaßt wissen will,94 wie daß J. Vogt die Kontinuität und den evolutionären Wandel in diesem Übergangsprozeß als wesentlich betrachtet.95 Selbstverständlich gibt es in Hinsicht auf die Organisiertheit der Volksmassen, die Reife des Klassenkampfes und die Höhe des politischen Bewußtseins der Kämpfenden zwischen den vorkapitalistischen Revolutionen auf der einen, den bürgerlichen und bürgerlich-demokratischen auf der anderen Seite außerordentlich große Unterschiede.96 Der sich vor allem in der Reife der politischen Revolution zeigende subjektive Faktor sollte jedoch nicht der sozialen Revolution gegenübergestellt werden, denn die Entwicklung vom Niederen zum Höheren, welche hier vonstatten geht, darf nicht unberücksichtigt bleiben. Die politische Revolution, welche die bekannte Frage „Wer - Wen?" entscheidet, ist ähnlich wie die Kulturrevolution und andere diesbezügliche Aspekte Bestandteil der umfassenderen sozialen Revolution, „bei der zusammen mit dem Eingriff in die Eigentumsverhältnisse zugleich auch die Fragd der politischen Macht gelöst wird." 97 In diesem Sinne schrieb Karl Marx am Ende seiner 1844 veröffentlichten „Kritischen Randglossen zu dem Artikel eines Preussen": „Jede Revolution stürzt die alte Gewalt; insofern ist sie politisch."96 Im Schöße der untergehenden Gesellschaftsordnung, im Prozeß der Zersetzung der antiken Eigentumsverhältnisse entstanden Keime und Elemente neuer sozialökonomischer Beziehungen. Sie zeigen sich dem Historiker unter anderem darin, daß Namen für die antike Form des Privateigentums wie dominium und proprietas unscharf werden und zu verschwimmen beginnen, bis sich schließlich die Begriffe für „Eigentum" und „Besitz", die im klassischen römischen Recht stets scharf unterschieden wurden, ineinander verflochten. Auf Veränderungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich

92

R. Günther, D i e Epoche der so2ialen und politischen Revolution, S. 2 4 } f.

93

V g l . P. E . Hübinger (Hrsg.), Z u r F r a g e der Periodengrenze zwischen Altertum und Mittelalter,

94

F.

W e g e der Forschung 5 1 , Darmstadt 1969. Vittinghoff, D e r

modernen

Übergang von

Revolutionsbegriffes, in

der „ A n t i k e " dem

96

J . V o g t , D e r Niedergang Roms, Zürich 1 9 6 5 .

96

A.

R.

Korsunskij, O

social'nych revoljucijach

v

teorii social'noj revoljucii, M o s k v a 1 9 7 6 , S. 3 0 - 4 9 . 97

S. L . Uttschenko, Cicero, Berlin 1 9 7 8 , S. 1 1 .

98

K . M a r x , in: M E W , B d . 1 , Berlin 1 9 5 6 , S. 409.

3

Günther

zum

eben genannten

„Mittelalter" Band,

S.

dokapitalisticeskich

und

die Problematik

298-321

(Zitat

formacijach, in:

des

310). Problemy

34

DIE KRISE DER ANTIKEN SKLAVEREIGESELLSCHAFT

weist ferner die schwindende juristische Haftung der Herren für die Verwendung des Pekuliums durch ihre Sklaven hin. Große Bedeutung gewann beim Untergang der Sklavereigesellschaft das precarium, das den Charakter eines Vertrages annahm - eines Leihvertrages, der auch auf den Boden bezogen wurde. Da der Verleiher daran interessiert war, daß das so vergebene Land beim Prekaristen verblieb, forderte er seine Rückgabe nur bei Nichteinhaltung der Pachtbedingungen. Dieser prekaristische oder libellarische Besitz, wie ihn ostgotische Quellen Italiens nennen, wurde nicht mehr als Pekulium gewertet; er galt jetzt als possessio. Die spätantiken Rechtsquellen belegen darüber hinaus den Verfall der locatio-conductio, des alten römischen Pacht- und Mietrechts. Es verstärkte sich die persönliche Abhängigkeit der Freigelassenen von ihren bisherigen Herren bzw. von deren Familien - eine Abhängigkeit, die schon an spätere Züge der Hörigkeit erinnert und auch vertraglich festgesetzt wurde. Keime feudaler Verhältnisse sind nicht zuletzt im spätantiken Kolonat erkennbar, wenn dieser selbst auch noch keine feudale Einrichtung darstellte. In der Zunahme des Patroziniums sowie der Steuerfreiheit der Großgrundbesitzer waren ebenfalls derartige Keime künftiger Abhängigkeits- und Herrschaftsformen vorhanden. Obwohl die Einteilung und die Differenzierung der Freien entsprechend ihrer gesellschaftlichen Stellung an Bedeutung gewannen, blieb in der Rechtstheorie die ganz allgemeine Scheidung der Menschen in Freie und Sklaven weiter erhalten." Jedoch waren all diese Elemente neuer Beziehungen noch bis zum endgültigen Untergang der antiken Sklavereigesellschaft an deren herrschende Struktur gebunden. Eine freie Entwicklung gab es vorerst nicht für sie; sie wurden nicht zu herrschenden Beziehungen bzw. Verhältnissen der Gesellschaft, sondern blieben unentwickelt, solange der weströmische Staat und die sozialökonomischen Verhältnisse existierten, die dieser verkörperte. Erst nach dessen Untergang wurde der Weg frei für die volle Entwicklung dieser Keime. Es dauerte dann allerdings noch bis zum 8. Jh., bevor die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse sich in Westeuropa unwiderruflich durchgesetzt hatten, bevor sie unumkehrbar geworden waren. 99

M. Käser, Vulgarrecht, in: Pauly-Wissowa, R E 9 A, 2, Stuttgart 1967, Sp. 1284-1302; E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht, Weimar 1956, S. 4, 7 0 - 9 1 ; 241; 2 5 1 - 2 7 3 ; F. Wieacker, Recht und Gesellschaft der Spätantike, Stuttgart 1964, S. 10 f.; 38-42; 1 5 5 ; G. Stühff, Vulgarrecht im Kaiserrecht unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebung Konstantins des Großen, Weimar 1966, S. 1 1 8 - 1 2 3 . Siehe schon oben S. 23 mit Anm. 49.

2. DIE WESTGOTEN UND DAS IMPERIUM. DIE ENTSTEHUNG DES WESTGOTISCHEN KÖNIGREICHES IN GALLIEN

Unter allen germanischen Stämmen waren die Goten am bedeutsamsten für das Schicksal des römischen Staates. Vom 3. bis in das 5. Jh. hinein versetzten sie dem Imperium schwere Schläge. Zu Ehren der Siege über sie trugen viele römische Kaiser damals den Ehrennamen Goticus; jedoch fielen auch zwei von ihnen im Kampf. Goten verwüsteten eine Reihe römischer Provinzen im Osten und im Westen sowie schließlich Italien; wie wir schon erwähnten, eroberten sie auch die Hauptstadt des Imperiums. Die Westgoten errichteten das erste barbarische Königreich auf römischem Territorium, und die Ostgoten schufen ein solches noch vor den Langobarden in Italien selbst. Gleich den übrigen an der Völkerwanderung beteiligten Barbarenstämmen befanden sich die Goten bis zu ihrem direkten Zusammenprall mit dem Imperium einige Jahrhunderte am Rande der antiken Zivilisation. Die traditionelle Ansicht, nach welcher das südliche Schweden ihre ursprüngliche Heimat gewesen sein soll, hat ihre Anhänger bis in die heutige Zeit, 1 ist jedoch nicht mehr unbestritten.2 Etwa zu Beginn unserer Zeitrechnung befand sich der Stamm an der Oder in der Nachbarschaft des Markomannenkönigs Marbod; im 1. und 2. Jh. ist er an der Weichsel anzutreffen. Die Reste der Oksywie-Kultur zählte man früher zu den gotischen Denkmälern dieser Periode; in letzter Zeit aber ist man sich da nicht mehr sicher. Folgt man R. Hachmann, so sind die Goten mit der Przeworsker Kultur - und zwar mit ihrer Masowschen Variante in Verbindung zu bringen. Den spärlichen literarischen und archäologischen Quellen nach kann man annehmen, daß sie sich mit Ackerbau befaßten. Sie wurden von Königen geführt, deren Macht im Vergleich zu anderen germanischen Stammesführern als bedeutsam galt. Daß es bereits damals sporadische Handelskontakte zu den Römern gab, ist als möglich anzunehmen.3 Seit dem Ende des 2. Jh. begannen die Goten aus dem Weichselraum in Richtung Süden zu ziehen, bis sie sich schließlich am Schwarzen Meer ansiedelten. Auf welchem 1

E.

C. Oxenstierna, Die

Urheimat der Goten,

Leipzig-Stockholm

1968, S.

152 f. und

181;

E . Schwarz, Die Urheimat der Goten und ihre Wanderungen ins Weichselland und nach Südrußland, Saeculum 4, 1953, 1, S. 1 3 - 2 6 . Nach R . Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, K ö l n Graz 1961, S. 469, siedelten die Goten von Gotland aufs Festland über. 2

Vgl. C. Weibull, Die Auswanderung der Goten aus Schweden, Göteborg 1 9 5 8 ; R . Hachmann, Die Goten und Skandinavien, Berlin (West)

1970, S. 4 5 1 - 4 6 7 ; J . Czarnecki, The Goths in

Ancient Poland, Coral Gables (Florida) 1975, S. 5 - 1 0 . 3

P. Scardigli, Die Goten. Sprache und Kultur, München 1973, S. 80-84; V . Corazza, L e parole latine in gotico, Roma 1969.

3*

36

D I E W E S T G O T E N U N D DAS IMPERIUM

Wege sie dorthin gelangten - ob entlang von Dwina und Dnepr oder die Donau abwärts - ist noch unklar. Während der Wanderung vereinigten sich offensichtlich andere ethnische Gruppen mit ihnen, die im weiteren Verlauf der Entwicklung ihre Selbständigkeit verloren. Die Goten ließen sich in den weiten Gebieten Südrußlands zwischen Don und Donau nieder. Seit dem 3. Jh. ist eine Teilung ihrer Stämme in zwei Hauptgruppen erkennbar: die Ostgoten (Greutungen) und die Westgoten (Terwingen), wovon die ersteren am Dnepr saßen. Um die Mitte des 4. Jh. bildete sich bei ihnen unter dem König Ermanarich ein großer Stammesverband heraus, in dessen Abhängigkeit sich sarmatische, alanische und andere Stämme bis hin zum Kaukasus im Osten sowie die Tschudenstämme im Norden befanden. Die Westgoten nahmen das Gebiet zwischen Dnestr und Donaumündung ein, d. h. das spätere Moldavien, die Bukowina und Ostrumänien. Ihre östlichen Nachbarn waren die Ostgoten, ihre westlichen die Vandalen und die römische Provinz Scythia; nördlich von ihnen saßen die Gepiden und die Skiren, und im Südosten und Süden befand sich das Bosporanische Reich. Wahrscheinlich waren die Westgoten schon am Ende des 3. Jh. vom ostgotischen Stammesverband, der damals unter König Ostrogot stand, unabhängig. Die Goten und Rom bekriegten sich während des 3. Jh. nahezu ununterbrochen. Erstere unternahmen im Verein mit anderen Barbaren Heerfahrten zu Lande und zu Wasser gegen das Imperium, wobei sie mehrere Provinzen auf der Balkanhalbinsel und in Kleinasien verwüsteten. Der Kampf wurde mit wechselndem Erfolg geführt. Im Jahre 255 nahmen die Westgoten Dakien ein; jedoch fügte Kaiser Claudius II. (268 bis 270) den Goten und Bastarnern in der Schlacht bei Naissus eine schwere Niederlage zu, wobei die Barbaren ihre Flotte verloren. Die Römer machten zahlreiche Gefangene, welche als Sklaven und Kolonen in ihre Provinzen gelangten. Auch Kaiser Aurelian (270-275), der den Krieg gegen die Goten auf deren eigenem Territorium führte, konnte sie besiegen; ihr König wurde in der Schlacht getötet. Jedoch die komplizierte innere und äußere Situation des Imperiums, vor allem die Erhebung in Gallien, hinderten den Kaiser an der Möglichkeit, den Sieg auszunutzen. Zwar konnten Thrakien und Mösien von den Barbaren befreit werden; doch ging Dakien schließlich verloren. Seit dem Ende des 3. Jh. festigte sich der westgotische Stammesverband. Er brachte den Bastarnern und Karpen, die danach auf römisches Territorium übersiedelten, eine Niederlage bei und intensivierte seine Beziehungen zu den Römern/' Die Westgoten begannen nun, in der Rolle von Föderaten des Imperiums aufzutreten, und griffen in politische Streitigkeiten ein, die im römischen Staat ausgetragen wurden. Kurz vor der Wende vom 3. zum 4. Jh. wurden gotische Föderaten von Kaiser Maximian zum Krieg gegen die Perser aufgeboten. Allerdings konnten derartige Maßnahmen weitere militärische Zusammenstöße zwischen beiden Kontrahenten nicht verhindern. So führte Kaiser Konstantini. 315 an der Donau einen Krieg gegen die Goten und verstärkte die dortige Grenze; er nahm damals den Titel Goticus maximus an. Westgotische Gruppen beteiligten sich dann neuerlich als römische Verbündete an 4

Nach Meinung von P. Scardigli, Die gotisch-römischen Beziehungen, in: Aufstieg und Niedergang der alten Welt, Bd. 5/1, Berlin (West) 1976, S. 276 f., waren die Verbindungen zwischen beiden im 5. Jh. eine „Tuchfühlung", im 4. Jh. „Beziehungen".

D I E W E S T G O T E N UND DAS IMPERIUM

37

der Schlacht bei Chrysopolis (324) - allerdings auf selten des Kaisers Licinius, des Gegners Konstantins. Im Jahre 328 griff letzterer die Goten wiederum militärisch an und ließ eine Brücke über die Donau errichten. Vier Jahre später brachte er ihnen eine Niederlage bei, als sie Ländereien der Sarmaten zwischen Theiß und Donau zu erobern versuchten. Danach schloß Rom mit ihnen neue Verträge ab, denen zufolge sie jährlich von der römischen Regierung Nahrungsmittel und Geldbeträge» erhalten sollten; sie mußten sich aber dazu verpflichten, Hilfstruppen zu stellen und Sicherungsdienste an der Donau zu übernehmen. Als unter den Westgoten eine Christenverfolgung stattfand, suchte ein Teil der Goten, angeführt vom Bischof Ulfila, auf römischem Territorium Zuflucht. Constantius II. siedelte sie in Niedermösien an, wo sie vor allem Viehzucht betrieben. Die christlichen Goten (Audianer) wurden aus ihrer Heimat verjagt und ließen sich nahe Antiocheia sowie am Euphrat nieder. Um 365 spitzte sich die Lage an der Donaugrenze erneut zu. Während der Erhebung des Usurpators Prokop sandten ihm die Goten 3 000 Mann zu Hilfe; allerdings wurde diese Formation von römischen Abteilungen umzingelt und geriet in Gefangenschaft. Kaiser Valens (364-378) überschritt zwischen 367 und 369 zweimal die Donau und drang in westgotisches Gebiet ein, errang hier aber keinen entscheidenden Sieg. Als Ergebnis von Verhandlungen zwischen dem römischen Kaiser und dem westgotischen „Richter" {iudex) Athanarich, die man auf neutralem Boden - nämlich auf einem Boot mitten auf der Donau - führte, erfolgte im Jahre 369 ein Friedensschluß: Die Donau blieb die Grenze zwischen dem Imperium und den Westgoten; letztere blieben nicht länger Föderaten, und ihnen wurde keine annona mehr gezahlt. Noch lebten sie aber jenseits der Reichsgrenze. Als bei ihnen ein Kampf um die Macht zwischen Athanarich und dem Heerführer Fritigern ausbrach und römische Truppen letzterem Unterstützung erwiesen, nahm dieser um 370 das Christentum an. Nur wenig später fiel noch ein weiterer Teil der Westgoten von Athanarich ab, wobei als Ursache Nahrungsmangel angegeben wird. 5 375 fügten die Hunnen zunächst den Ostgoten eine schwere Niederlage zu; die Macht Ermanarichs zerfiel, und die wilden Scharen führten ihre Expansion weiter gen Westen. Die Westgoten leisteten ihnen keinen Widerstand und zogen sich zurück: Athanarich mit seinen Scharen nach Transsylvanien; Fritigern mit den übrigen Leuten bekam dagegen 376 vom römischen Kaiser die Erlaubnis, auf dem Gebiet Thrakiens innerhalb der Reichsgrenzen zu siedeln. Zusammen mit den Westgoten zog der ihnen verwandte Stamm der Taiphalen. Man sieht also, daß diese Völkerschaft bereits im 4. Jh. einen wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung des Römischen Reiches ausübte. Der Charakter der beiderseitigen Beziehungen wurde dabei je nach Lage und Kräfteverhältnis bestimmt. Ein zeitweiliges Übergewicht auf Seiten der Barbaren verlieh diesen die Möglichkeit, römisches Territorium zu verheeren, Kriegsbeute zu machen und von den Bewohnern des Imperiums Tribute zu erhalten. Die Stärkung des Reiches bedeutete hingegen eine Schwächung der Barbaren, die Verwandlung ihrer Gefangenen in Sklaven und Kolonen. Das relative Gleichgewicht der Kräfte bewog sie, sofern sie sich auf römischem Territorium befanden, zur Annahme des Föderatenstatus. Nichtsdestoweniger blieben die westgotischen Stämme potentielle Gegner des Imperiums: Die römischen Provinzen dienten 5

Ammianus Marcellinus 31, 3, S.

D I E WESTGOTEN UND DAS IMPERIUM

38

ihnen als Terrain f ü r ihre Räubereien, unter günstigen Bedingungen aber auch als Siedelgebiet. Ü b e r die Gesellschaftsstruktur der G o t e n in der Z e i t v o m z. bis zum 4. J h . erlauben die Quellen nur ganz allgemeine Aussagen. Z w e i f e l l o s betrieben die Westgoten Pflugbodenbau und Viehzucht; es ist jedoch schwierig zu sagen, welche von beiden W i r t schaftsweisen dabei vorherrschte. D i e westgotischen D ö r f e r w a r e n im 4. J h . jedenfalls Siedlungen seßhafter Ackerbauern. Unter den Arbeitsgeräten der

Cernjachov-Kultur

befanden sich eiserne Pflugschare und Sicheln; in den Häusern gab es G r u b e n f ü r das K o r n . Dieses w u r d e mit H i l f e runder Steine und steinerner Handmühlen gemahlen. 6 M a n muß hervorheben, daß U l f i l a bei seiner Übersetzung der B i b e l ins Gotische ( A b b . 7) f ü r die E r k l ä r u n g wichtiger B e g r i f f e des B o d e n b a u s keine griechischen T e r m i n i heranzog: D i e entsprechenden W o r t e waren bereits in seiner Sprache eingebürgert. F ü r eine R e i h e antiker A u t o r e n galten die G o t e n im 4. J h . als Ackerbauern ; 7 aber dennoch spielte, w i e gesagt, die Viehhaltung bei ihnen noch eine wesentliche R o l l e . A l s indirektes Zeugnis f ü r deren Bedeutung kann die V e r w e n d u n g von faihu (Vieh) sowie einer Reihe von Ausdrücken, die von diesem W o r t abgeleitet sind, dienen. D a ß die unter Constantius II. in Niedermösien angesiedelten Westgoten sich auf alle F ä l l e mit der Viehhaltung befaßten, ist durch J o r d a n e s bezeugt. 8 W a s das H a n d w e r k anbelangt, so erfahren w i r durch archäologische D e n k m ä l e r von seiner Existenz im Dnestrgebiet während des 4. J h . E s w u r d e teils neben anderer Tätigkeit im H a u s e betrieben (Herstellung von handgeformter K e r a m i k , Spinnen und W e b e n ) ; andererseits existierten schon selbständige H a n d w e r k e r , besonders auf Gebiet

der Metallurgie, der J u w e l i e r k u n s t

und der Töpferei. 9 D i e

dem

Goten; bauten

Schiffe und w a r e n in der L a g e , Belagerungsmaschinen zu gebrauchen. Ihre V e r b i n d u n g zu den antiken Städten im nördlichen Schwarzmeergebiet und an der D o n a u sowie das Vorhandensein von G e f a n g e n e n aus römischen Provinzen begünstigten in bedeutendem M a ß e die handwerkliche Entwicklung in ihrem Bereich. E i n e gewisse R o l l e spielte in ihrem Wirtschaftsleben auch der H a n d e l . A u s Imperium

erhielten

sie W e i n ,

Salz, O l i v e n ö l , W a f f e n , Schmuck

und

dem

Textilwaren;

exportiert wurden hauptsächlich Sklaven, V i e h und F e l l e . M e i s t w u r d e hierbei schon mit G e l d operiert. Welches G e w i c h t der H a n d e l f ü r die Westgoten besaß, zeigt die Tatsache, daß in den Friedensvertrag zwischen Athanarich und V a l e n s v o m J a h r e 369 spezielle Bestimmungen über die Handelsplätze an der D o n a u eingingen, in denen R ö mer und Goten zu diesem Z w e c k zusammenkommen durften. T r o t z d e m w ä r e es falsch, 6

A . R. Korsunskij, O social'nom stroe vestgotov v IV v., Vestnik drevnej istorii 1965, 3, S. 56. Die Heranziehung archäologischer Funde wird durch das Fehlen genügend begründeter Zeugnisse für die Zugehörigkeit von Denkmälern der Cernjachov-Kultur zu den1 Goten erschwert. Letztere befanden sich jedenfalls im Areal der Cernjachov-Kultur. Vgl. Problemy izucenija cernjakovskoj kul'tury. K S I A 1 2 1 , 1970; G . B. Fedorov - L . L . Polevoj, Archeologija Rumynii, Moskva 1973; M. B. Scukin, Sovremennoe sostojanie gotskoj problemy i cernjachovskoj kul'tury, in: Archeologiceskij sbornik 18, Leningrad 1977.

7

Euseb., Vita Constantini 4, 5; Liban., Or. 12, 84; vgl. auch A. R. Korsunskij, O social'nom stroe, S. 56.

8

H. Steubing, Miszellen zur gotischen Bibelübersetzung Ulfilas, Zeitschrift für Kirchengeschichte, 4. Folge II, 64, 1952-195 3, S. 146; Jord., Get. 267.

9

A . R. Korsunskij, O social'nom stroe, S. 56-58; G . B. Fedorov - L. L . Polevoj, Archeologija Rumynii, S. 265 f. und 273-276.

DIE WESTGOTEN UND DAS IMPERIUM

59

die Bedeutung des Handels für die Barbaren zu überschätzen: Ihre oben vorgestellten Ausfuhrgüter mahnen hier strikt zur Vorsicht. Über die wirtschaftlichen

Organisationsformen der G o t e n gibt es keine direkten

Angaben. E s w u r d e z. B . die Vermutung geäußert, d a ß sie sich selbst als „Herrenschicht" darstellten, von der die unterworfene, aus verschiedenen ethnischen K o m p o nenten zusammengesetzte Bevölkerung abhängig w a r ; auch soll bereits im 4. Jh. bei ihnen privater Grundbesitz existiert haben. 10 D o c h ist beides nicht durch Quellen gesichert und stimmt w e d e r mit den Zeugnissen über die soziale Struktur der G o t e n aus jener Zeit noch mit Angaben, die über die ersten hundert Jahre ihres Lebens auf römischem Territorium A u s k u n f t geben, überein. W e n n antike Autoren damals von ihnen w i e auch von anderen Barbaren sprachen, benutzten sie den Terminus sibja

(Verwandtschaft) f ü r die Bezeichnung einer ganzen

G r u p p e von Stämmen, die sich „ G o t e n " nannten. U l f i l a übersetzte die griechischen Bezeichnungen Geschlecht (yevog) und Stamm {(pvkrf) mit ein und demselben B e g r i f f : kuni. E s ist nun bemerkenswert, d a ß es in der gotischen Sprache eine große Z a h l von Wörtern gibt, die von den z w e i genannten Termini abgeleitet sind 1 1 - dies spricht für blutsverwandtschaftliche Bande, die am V o r a b e n d des Hunneneinfalls noch recht stark waren. D e r „Passio S. Sabae", einem W e r k des 4. Jh., kann man entnehmen, d a ß f ü r die westgotischen D ö r f e r während dieser Periode der G e i s t von Solidarität und kameradschaftlicher H i l f e charakteristisch war. D i e Bewohner betrachteten ihre gerichtlich verfolgten christlichen Dorfgenossen als V e r w a n d t e - wobei berücksichtigt w e r d e n m u ß , d a ß es bei den Westgoten erst im 6. Jh. verboten w a r , Personen wegen der Verbrechen, die von ihren V e r w a n d t e n oder Nachbarn begangen worden waren, zu verfolgen. Urteilt man nach den Sprachdenkmälern, so nahmen Fragen der E r b f o l g e

einen

großen Platz im gesellschaftlichen Leben der G o t e n ein. T r o t z d e m bleibt es offen, wie weit sich das Grundeigentum bei ihnen bereits herausgebildet hatte. D e n T y p des A l l o d s (als vererbbarer privater Grundbesitz) in seiner entwickelten Form gab es mit Sicherheit noch nicht, denn wir wissen von Erbbeschränkungen an G r u n d und B o d e n , die teilweise am E n d e des 5. Jh. existierten. D i e gesellschaftliche Struktur der Westgoten w a r während der hier

behandelten

Z e i t im wesentlichen noch die gleiche, w i e sie von dem römischen Historiker Tacitus um das Jahr 100 beschrieben wurde. M a n unterschied Gemeinfreie und A d l i g e , w o b e i die ersteren (plebs) noch vollberechtigt waren. E s gab unter ihnen verarmte Leute, die nicht über Besitz verfügten 1 2 und möglicherweise gegen Lohn arbeiteten; doch w a r diese Schicht kaum von

Bedeutung.

Die Adligen

(nobiles, optimates,

evyeyövareg)

spielten im gesellschaftlichen Leben eine wichtige Rolle. A u s ihren Geschlechtern w ä h l t e man die K ö n i g e ; A d l i g e standen während des Krieges an der Spitze militärischer A b teilungen, und sie fungierten als Gesandte, die man zu anderen V ö l k e r n und Stämmen schickte. Offensichtlich verfügten sie über größeren Besitz als die G e m e i n f r e i e n ; jedoch bestimmte auch bei diesen der Wohlstand bereits das soziale Gewicht. D e r j e n i g e , der

10

11

12

R. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, S. 471 und 477; H. Wolfram, Gotische Studien, MIÖG 83, 1975, 3-4, S. 316; D. Claude, Adel, Kirche und Königtum im Westgotenreich, Sigmaringen 1971, S. 20. H. Steubing, Miszellen zur gotischen Bibelübersetzung, S. 156 f.; A. R. Korsunskij, O social'nom stroe, S. 59-61. Passio S. Sabae, ed. H. Delehaye, Analecta Bollandiana 31, 1912, S. 218.

D I E WESTGOTEN UND DAS IMPERIUM

40

nichts besaß, wurde als ein Mensch angesehen, der in gesellschaftlichen Angelegenheiten keine bedeutende Rolle zu spielen vermochte. Wahrscheinlich besaßen die Adligen neben dem Grundbesitz auch eine größere Anzahl von Sklaven und mehr Vieh; daß sie im 4. Jh. jedoch schon rechtlich aus der übrigen Bevölkerung herausgehoben waren, ist nicht zu belegen. Die Sklaven bildeten einen wichtigen Teil des Besitzes der freien Goten. Über ihre wirtschaftliche Bedeutung gibt es keine Zeugnisse: Man kann jedoch annehmen, daß in der Produktion nicht sie, sondern die Gemeinfreien und Freigelassenen die Hauptrolle spielten. Könige und Heerführer besaßen militärische Gefolgschaften. Auch nach dem Abzug der Römer befand sich darüber hinaus auf dem Territorium Dakiens neben den Goten ein Teil der ansässigen städtischen und dörflichen Bevölkerung.13 Von den antiken Autoren wurden die gotischen Stämme als ein ethnisch-politisches Ganzes angesehen. Das Territorium, das sie einnahmen, nannte man Gothia und faßte sie selbst als natio, populus, e&voi; zusammen. In der gotischen Sprache gab es als eigene Termini für die Bezeichnungen des Volkes piuda und gutpiuda. Eine dauerhafte Einheit oder auch nur eine gemeinsame Führung hatte es aber bei den westgotischen Stämmen nicht gegeben; sie vereinigten sich nur, wenn sie sich auf einen Krieg gegen einen gemeinsamen starken Gegner vorbereiteten, jedoch selbst dann nicht immer. Die einzelnen Stämme wurden von Amtsträgern geführt, die die antiken Autoren als primates, r¡yefióveg (pvXwv, reges, duces bezeichneten, das sind die Stammesältesten, die Heerführer, die Könige. Wahrscheinlich entstand bei einigen westgotischen Stämmen schon eine Königsmacht; andere wurden noch von Ältesten geführt und wählten nur während des Krieges Könige. Umfangreicher als bei anderen uns bekannten Heerführern dieses Stammesverbandes waren die Vollmachten des Athanarich, der in den schriftlichen Quellen als König (rex, ßaaiXevq) aber auch als Richter (iudex, dixaaTfiQ) erscheint. Er war militärischer Befehlshaber, sorgte für die Beziehungen zu anderen Völkern und verfügte über richterliche Vollmachten. H. Wolfram sieht in ihm einen „Volkskönig" (thiudan), dessen Macht sich über sämtliche Westgoten erstreckte.14 Keime einer Erbfolge sind beim Königtum erkennbar, und vermutlich existierte ein Ältestenrat. Die Rolle der allgemeinen Volksversammlung war schwach ausgeprägt, aber es gab sie; und Fragen, die Krieg und Frieden, die Übersiedlung auf ein neues Territorium, die Königswahl betrafen, oblagen ihrer Kompetenz. Grundlage der militärischen Organisation der Westgoten war das Aufgebot aller Freien. Das Heer gliederte sich entsprechend dem Zehnerprinzip in Tausend- und Hundertschaften.15 In einigen Fällen wurden andere Stämme gegen ein entsprechendes Entgelt als Hilfstruppen herangezogen. Die Ausbreitung des Christentums kann als ein Gradmesser für das soziale Entwicklungsniveau der Westgoten sowie den zivilisatorischen Einfluß der Römer auf sie dienen. In den siebziger Jahren des 4. Jh. war ihre Führungsspitze im wesentlichen noch 13

F. Altheim, Niedergang der alten Welt, Frankfurt/Main 1952, S. 90.

14

H. Wolfram, Gotische Studien, M I Ö G 83, 1975, 1 - 2 , S. 18 und 29.

18

Die Frage nach dem Ursprung des Dezimalsystems - danach ob es in der spätrömischen oder germanischen Ordnung wurzelt - ist umstritten; vgl. L . Garcia Moreno, Estudios sobre la organización administrativa del reino visigodo de Toledo, Anuario de Historia del Derecho Español ( A H D E ) 44, 1974, S. 69. Siehe unten über den thiuphadus. Nach Meinung von R . Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, S. 44} f., war das System von den Goten bei den sarmatischen und iranischen Stämmen entlehnt worden.

D I E W E S T G O T E N UND DAS IMPERIUM

41

heidnisch; jedoch ein Teil der einfachen Bevölkerung, einige Heerführer sowie auch Angehörige des Königshauses hatten den neuen Glauben angenommen. Dies alles macht deutlich, daß gegen Ende des 4. Jh. die westgotische Gesellschaft ein soziales Entwicklungsniveau erreicht hatte, das über die gentilen Strukturen hinauswuchs. Die enge Verbindung zu den benachbarten Provinzen beschleunigte den Zerfall ihrer gentilen Bindungen. Die Entwicklung des Handwerks, das Auftreten von Besitzdifferenzierungen, Keime einer erblichen Königsgewalt, die Ausbreitung des Christentums und das Aufkommen eines Schrifttums sind Zeichen tiefgreifender Wandlungen, die bei den Westgoten vor sich gingen. Jedoch signalisiert das alles weder das Aufkommen einer Adelsherrschaft noch die Entstehung von privatem Erbgut oder einer staatlichen Organisation. Noch bevor die Hauptmasse des Stammesverbandes mit Fritigern und A l a v i v an der Spitze - ungefähr 8 000 Krieger und insgesamt etwa 40 000 Menschen - die Donau überschritten hatte, war bereits eine ihm zugehörige Gruppe unter Führung von Sueridus und Colias zu den Römern übergegangen. Die Goten sollten sich in verschiedenen Teilen der thrakischen Diözese ansiedeln, wahrscheinlich in den verwüsteten Gebieten. Bald nach dem Betreten des für sie vorgesehenen Territoriums erhoben sie sich jedoch im Jahr 377 zu einem Aufstand. Den Westgoten unter Fritigern, Sueridus und Colias schlössen sich einige Ostgoten mit Alatheus und Saphrac an der Spitze, aber auch hunnische und alanische Scharen an. Flüchtige Sklaven sowie Arbeiter der Metallgruben nahmen ebenfalls an der Empörung teil. Fritigern verlangte vom Imperium die Überlassung ganz Thrakiens samt seinem Vieh und den dort vorhandenen Früchten. 16 Im Jahre 378 fand bei Adrianopel eine Schlacht statt, in der die Römer eine vollständige Niederlage erlitten und Kaiser Valens selbst fiel. Die Goten versuchten dann - jedoch erfolglos - , Adrianopel und Konstantinopel einzunehmen; sie verwüsteten Thrakien und Makedonien, eroberten auch mehrere Städte. Der Heerführer Theodosius, der, von Kaiser Gratian aus dem Weströmischen Reich hergesandt, schließlich die Dinge in die Hand nahm, konnte die Lage auf der Halbinsel stabilisieren. E r füllte die Truppen mit Rekruten aus der ansässigen Bevölkerung auf und zog einen Teil der aufständischen Goten auf seine Seite, indem er ihnen vorteilhafte Bedingungen für den Dienst im römischen Heer vorschlug. 382 schloß er, nunmehr bereits seit drei Jahren Kaiser, mit seinen Widersachern Frieden und überließ ihnen ein Gebiet in Thrakien zur Ansiedlung. Die Goten wahrten ihr Recht auf eigene Heerführer; sie waren steuerfrei, mußten aber als Föderaten dem Imperium Truppen zur Verfügung stellen. Dies geschah z. B. 394, als ein bedeutendes westgotisches Kontingent unter dem Kommando Alarichs von Theodosius im Kampf gegen den weströmischen Thronprätendenten Eugenius eingesetzt wurde. Bereits früher gab es zwei Gruppierungen, die in Hinsicht auf die Beziehungen zum Imperium gegensätzliche Positionen einnahmen: Parteigänger, die für den Frieden mit dem Reich eintraten (Fravitta) auf der einen, Kriegsanhänger (Eriuf) auf der anderen Seite. Nachdem Kaiser Theodosius 395 gestorben war, erhoben sich die westgotischen Föderaten, geführt von Alarich, erneut, da sich die Linie der Konfrontation durchsetzte. Die Kriegshandlungen der Empörer wurden dabei durch einen komplizierten innenpolitischen Kampf im Oströmischen Reich ebenso begünstigt wie durch die Wider16

Ammianus Marcellinus 31, 12, 8.

D I E WESTGOTEN U N D DAS IMPERIUM

42

spräche zwischen der Ost- und der Westhälfte des Imperiums. Die Westgoten verwüsteten die Balkanhalbinsel; sie eroberten und zerstörten ihre größten Städte. Die Expeditionen des weströmischen Heerführers Stilicho gegen sie erwiesen sich als ergebnislos, denn die Führer des Oströmischen Reiches wollten nicht zulassen, daß dieser Einfluß auf ihren Machtbereich gewann.17 Gegen die Einbeziehung des östlichen Illyricum in das Westreich leistete Konstantinopel harten Widerstand. Nachdem Alarich im Jahre 397 den Epirus in Nordwestgriechenland angegriffen hatte, schloß die oströmische Regierung mit seinen Westgoten Frieden. Alarich dürfte dabei Gelder und ein hohes Amt, wohl das des Heermeisters für Illyricum, erhalten haben, wobei er letzteres vermutlich dazu ausnutzte, seine Truppen mit Waffen aus den römischen Arsenalen auszustatten. Im Jahre 401 verließ er Ostrom und fiel in Italien ein. In dem bis zu diesem Zeitpunkt vergangenen Vierteljahrhundert enthüllte sich nicht zuletzt das wahre Kräfteverhältnis zwischen dem unter den Barbaren gefährlichsten Gegner des Reiches und Rom. Es offenbarten sich die Haupttendenzen der westgotischen Politik in Hinsicht auf das Imperium, die während des weiteren Verlaufs der Ereignisse dann im Westen realisiert wurden. Über diese Ziele des Stammesverbandes und sein Programm gibt es in der historischen Literatur unterschiedliche Ansichten. Von manchen wird als Hauptmotiv, das seine Handlungen bestimmte - und zwar auch noch in der Zeit Alarichs - , das hunnische Prinzip des Raubes angesehen;18 für andere fand auf der Halbinsel ein „klassischer Krieg, ein Aufstand ausgebeuteter Massen" statt, durch den die Beseitigung der römischen Gesellschaft erreicht werden sollte.19 Bereits während ihres Aufenthaltes im Oströmischen Reich soll den Westgoten eine „nationale Idee" eigen gewesen und zu Beginn des 5. Jh. eine klare Verwirklichung im „nationalen Regierungsprogramm" Athaulfs gefunden haben, welch letzterer anfangs Rom zu beseitigen und es in ein Gothia zu verwandeln trachtete.20 Der sich über Jahrhunderte erstreckende Kampf mit den Barbaren, besonders eben mit den Goten, und der zerstörerische Charakter, den deren Einfälle aufwiesen, schufen bei vielen Zeitgenossen die Vorstellung, sie suchten das Imperium mit voller Absicht zu beseitigen.21 Aber die entscheidenden Kriterien für ein Urteil in dieser Frage müssen aus der Bewertung realer Tatsachen gewonnen werden. Dazu sind vor allem die Handlungen der Barbaren zu betrachten. Wenn Fritigern 377 die Übergabe ganz Thrakiens „mit Vieh und Früchten" an seine

17

In letzter Zeit wifrde die Meinung geäußert, Stilicho habe die oströmischen Truppen der Regierung in Konstantinopel zurückgegeben, weil er nicht von einem Sieg im Kampf gegen Alarich überzeugt w a r ; vgl. A . Cameron, Poetry and Propaganda at the Court of Honorius, Oxford 1970, S. 1 5 9 - 1 6 8 .

18

B . Rubin, Das Zeitalter Justinians, Berlin (West) i960, S. 28-50.

19

A . D . Dmitrev, Vosstanie vestgotov na Dunaje i revoljucija rabov, Vestnik drevnej

istorii

1950, 1, S. 74. Vgl. auch V . T . Sirotenko, Istorija mezdunarodnych otnosenij v Evrope

vo

vtoroj polovine I V - n a c a l e V I v., Perm' 1975, S. 26 und 4 0 f . 20 21

L . Schmidt, D i e Ostgermanen, München 1969, S. 423. Nach Eunapius, Fragm. 60, schworen die Westgoten noch bis zur Ansiedlung auf dem Gebiet des Imperiums, den Römern Schaden zuzufügen und sich ihres Landes zu bemächtigen. Vgl. auch Synes., D e regno 19.

DIE WESTGOTEN U N D DAS IMPERIUM

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Leute forderte, so erklärt sich die zitierte Hinzufügung offenkundig daraus, daß er sich nicht mit verwüstetem Grund und Boden zufrieden geben wollte. Dem Friedensvertrag von 382 zufolge war den Goten tatsächlich ein Gebiet in Thrakien gewährt worden, wobei anzunehmen ist, daß sie die Kultivierung des dortigen Grund und Bodens in Angriff nahmen.22 Und da ihnen siebzehn Jahre später erneut ein Territorium überlassen und gleichzeitig die Macht ihrer Heerführer ausgeweitet wurde, kann das Bestreben, in einem bestimmten Gebiet auf Reichsboden seßhaft zu werden und ihre eigene innere Organisation und Führung zu erhalten, als ein charakteristischer Zug der westgotischen Politik in der hier zu betrachtenden Periode ausgemacht werden. Dies schloß natürlich die für eine Barbarengesellschaft typische Bereitschaft zur Expansion auf Kosten der Nachbarn - auch mit dem Ziel, Kriegsbeute zu erwerben - nicht aus; wenn sich dafür günstige Bedingungen ergaben, schritt man diesbezüglich zur Aktion, und das machte ja eine Ansiedlung innerhalb des Imperiums überhaupt erst möglich. Ein bestimmter Teil des gotischen Adels und der Gefolgsleute, so z. B . Fravitta, Modares und Gainas, ging allerdings einen anderen Weg: E r sagte sich von seinen Stammesverwandten los und trat in den Dienst des Imperiums. In all dem offenbart sich, daß das römische Heer jetzt einen „Barbarisierungsprozeß" durchmachte. Für sein Schicksal wie für das des Imperiums im ganzen wurden die Beziehungen zu jenen Barbaren, die ethnisch gefestigt waren und politisch ein selbständiges Ganzes bildeten, von schwerwiegender Bedeutung. Unter Fritigern und Alaviv wie auch unter Alarich wahrten die Westgoten eine solche Selbständigkeit. E s ist zwar nicht gerechtfertigt, ihre Geschlossenheit zu übertreiben oder gar vom Vorhandensein eines „Nationalbewußtseins" bei ihnen zu sprechen, nahmen doch gewisse Gruppen des Stammesverbandes an einer Reihe von Kämpfen gegen das Imperium nicht teil, ja sie gingen sogar in römische Dienste über und kämpften gegen ihre früheren Stammesgenossen. Daß Alarich aber vermutlich die überwältigende Mehrheit der Westgoten nach Italien führte,2^ spricht doch andererseits für deren recht engen Zusammenhalt. Schon während ihres Aufenthaltes auf der Balkanhalbinsel hatte sich bei ihnen unter den Bedingungen der Konfrontation mit der römischen Macht sowie der periodisch wieder aufgenommenen Kriegshandlungen - eine ständige Königsgewalt herausgebildet. Alarich war, wie gewiß richtig vermutet wird, ursprünglich ein „Richter", ähnlich wie Athanarich. Allmählich jedoch festigte sich seine Macht - nicht zuletzt deshalb, weil offensichtlich auch die Bedeutung des Gefolgschaftswesens wuchs.24 Bei den Westgoten bestand weiterhin eine eigentümliche Kirchenorganisation, die

22

L . Schmidt, Die Ostgermanen, S. 419, bemerkt, daß hier keine Landteilungen mit den einheimischen possessores

stattfinden konnten, weil die genannten Gebiete verwüstet und entvölkert

waren. Nach Meinung von A . H. M. Jones, The Later Roman Empire, Bd. 2, O x f o r d

1964,

S. 157, sowie Bd. 3, S. 29, konnte dort eine Niederlassung der Goten nach dem Prinzip der hospitalitas

erfolgen. Auch gibt es die Ansicht, daß die Goten nicht als Bauern

angesiedelt

zu werden vermochten, weil sie gewohnt waren, als eine über der abgabenpflichtigen Bauernschaft stehende „Herrenschicht" zu leben und sich dem Krieg zu widmen; vgl. O. Seeck, G e schichte des Untergangs der alten Welt, Bd. 5, Berlin 1900; R . Wenskus, Stammbildung und Verfassung, S. 476 f. 23

Ebenda, S. 477.

24

Ebenda, S. 322; D . Claude, Adel, Kirche und Königtum, S. 23 f. und 28.

DIE W E S T G O T E N U N D DAS IMPERIUM

44

mit ihrer Stammes- und Militärorganisation verbunden war. Es gab bei ihnen Bischöfe und Priester. 25 Was die gegenseitigen Beziehungen zwischen ihnen und dem römischen Imperium anbelangt, so wurde die „Gotenfrage" schließlich zu einem sich immer schärfer stellenden politischen Problem für die herrschenden Kreise des letzteren. Die Niederlage der kaiserlichen Truppen bei Adrianopel machte einen tiefen Eindruck auf die Zeitgenossen. Sie zeigte jedem, der sie sehen wollte, die Gefahr, welche mit der Ansiedlung von Barbaren-Föderaten auf dem Boden des römischen Staates verbunden war. Dennoch gingen, wie wir bereits ausführten, hinsichtlich der Westgoten sowohl Kaiser Valens als auch sein Nachfolger Theodosius diesen Weg, der auch von einigen Schriftstellern jener Zeit gutgeheißen und popularisiert wurde. Der gallorömische Redner Pacatus behauptete beispielsweise, die Aufnahme der herandrängenden Scharen in den Dienst des Imperiums würde den römischen Lagern die Soldaten sichern sowie dem Boden die Bearbeiter. Der griechische Redner Themistios pries die Weisheit des Theodosius, der die Barbaren nicht mehr beseitigte, sondern sie in seine Herrschaftsphäre einbezog und sie als Siedler und Rekruten nutzte.26 Jedoch stieß diese Politik auch auf Widerstand, den man nicht nur in den herrschenden Kreisen, sondern auch in verschiedenen anderen Gesellschaftsschichten Roms bemerkte. Die „antigermanischen" Aspekte kamen bereits 376, am Vorabend der gotischen Ansiedlung, sowie während der folgenden Periode in Ostrom zum Ausdruck. Als die Bitte der Goten um Übersiedlung auf römisches Territorium im kaiserlichen Rat behandelt wurde, traten einige von dessen Mitgliedern gegen die Gewährung dieses Gesuchs auf, und in den letzten Jahren des 4. Jh. nahm der christliche Bischof Synesios eine extrem „antigermanische" Position ein, da er die Möglichkeit eines Aufstandes von gotischen Föderaten als bedrohliches Faktum in Betracht zog. E r hob hervor, daß sich dann auch Sklaven gotischer Herkunft mit ihnen vereinigen würden, was sehr zum Schaden des Staates wäre. E r forderte die Entfernung der Barbaren, die für ihn „Fremdpartikel" waren, aus dem Heer und den staatlichen Einrichtungen; nach seiner Meinung dürften sie lediglich als abhängige Bauern, d. h. als Kolonen, verwendet werden. Hierin ging er mit dem christlichen Schriftsteller Hieronymus konform, der behauptete, es gäbe nichts Absurderes denn die Nutzung der Goten als Föderaten-Krieger. 27 Die friedliche Koexistenz zwischen der barbarischen Enklave und dem römischen Staat war im Oströmischen Reich nur von sehr kurzer Dauer. Die Westgoten waren im Jahre 376 in eine Gesellschaft eingedrungen, welche durch scharfe Widersprüche in sich zerrissen war. Aber sie, die ja selbst innerhalb des Impe25

Von christlichen Autoren werden Zelte auf Fuhrwerken

erwähnt, die den Goten als Kirchen

dienten: Ambros., Epist. 1, 20; Hieron., Epist. 107. 26

Pacatus, Panegyrici Latini 2, 22;

J . Straub, Die Wirkung der Niederlage bei Adrianopel auf

die Diskussion über das Germanenproblem in der spätrömischen Literatur, in: derselbe, Regeneratio Imperii, Stuttgart 1970, S. 198 f. und 2 0 3 - 2 0 ; . W i e Socrates, Historia ecclesiastica 5, 2, bemerkte, überzeugte die Schlacht von 578 den Kaiser Gratian davon, daß „das römische Imperium schwächer werde, aber die Barbaren erstarken" (Hist. eccles. 5, 2). Ammianus Marcellinus 3 1 , 4, 4 - 8 , sah einen Fehler darin, die Goten in das Territorium des Reiches 376 hereingelassen zu haben, und nach Rufinus, Hist. 2, 3, war die Schlacht bei Adrianopel der Beginn der Verelendung des Römischen Reiches. 27

Eunapius, Fragm. 4 2 ; Synes., D e regno 1 9 - 2 1 ;

Hieron., In Dan.

2,40 ( =

Latina 75, 504); Ambros., Epist. 1 j, 1 0 ( = Migne, Patrologia Latina 16, 958).

Migne, Patrologia

DIE W E S T G O T E N UND DAS IMPERIUM

45

riums einen Fremdkörper darstellten, blieben während ihres gesamten Aufenthaltes im Oströmischen Reich außerhalb dieser Auseinandersetzungen. In der ersten Phase des Westgotenaufstandes gesellten sich flüchtige Sklaven und Arbeiter der thrakischen Metallgruben zu den Empörern und leisteten diesen Beistand, und später, schon unter Theodosius, kann man beobachten, daß römische Söldner, offensichtlich Barbaren, zu ihnen überliefen. 28 Aber jene, die von ihnen aufgenommen wurden, verschwanden dort in der Masse und hatten keinen Einfluß auf deren Vorhaben und den Charakter ihrer Aktionen. Auch als später einige Städte, deren Finanzkraft durch die hohen kaiserlichen Steuern erschöpft war, ihnen die Tore öffneten, blieb das auf die Politik der Goten ohne Einfluß. Andererseits leistete ihnen die städtische Plebs in einer Reihe von Fällen erbitterten Widerstand, wobei der Arianismus, dem sie anhingen, viel zu ihrer Entfremdung von der ansässigen Bevölkerung beitrug, unter der sich das Nikäische Glaubensbekenntnis festigte. Mischehen zwischen Barbaren und Römern waren verboten. Als am Ende des 4. Jh. ein Kampf zwischen Gainas und der römisch gesinnten „Partei" im Ostteil des Reiches entbrannte, schlug ein anderer Westgote, der sich im römischen Dienst befand, Fravitta, den Aufstand der flüchtigen Sklaven und Deserteure in Thrakien nieder. Alarich zeigte keinerlei Absicht, in diese Ereignisse einzugreifen. In jener Zeit übte die Anwesenheit der Westgoten in Italien keinen wesentlichen Einfluß auf die soziale Politik der römischen Regierung aus, die weiterhin Maßnahmen zur Bindung der Kolonen an den Boden durchführte. Es gelang ihr, den Übergang der Bauern in das Patrozinium von Großgrundbesitzern zu bremsen; daneben verschärfte sie die Strafen für das Verbergen von flüchtigen Sklaven und Kolonen. 29 Italien war zu Beginn des 5. Jh. schlecht darauf vorbereitet, einer derart ernsten Belastungsprobe, wie sie der Westgoteneinfall darstellte, standzuhalten. Wie auch in anderen Teilen des Imperiums zeigte sich hier eine Krise des ökonomischen und politischen Systems, die noch besonders verschärft wurde durch den Verlust der Möglichkeit, die Provinzen auszubeuten. In der Wirtschaft nahm der Großgrundbesitz die herrschende Stellung ein; er gehörte den Senatoren, dem kaiserlichen Fiskus und seit der Zeit Konstantins I. - auch der christlichen Kirche. Ein Teil des Bodens befand sich jedoch in den Händen städtischer mittlerer Grundbesitzer, und auch das kleine Grundeigentum war, besonders im Norden der Halbinsel, nicht völlig verschwunden. Wenn auch wie andernorts die Kolonen unter den Hauptproduzenten auf den ersten Platz gerückt waren, so spielten doch die Sklaven noch eine große Rolle in der Wirtschaft. Am Ende des 4. Jh. war in Norditalien eine große Anzahl gefangener Barbaren - Alamannen, Goten und andere - verstreut angesiedelt worden, aber dennoch reichten die Arbeitskräfte nicht aus, und große Landstriche blieben, z. B. in Kampanien, unbearbeitet. Die Städte bewahrten noch ihre früheren wirtschaftlichen Funktionen; sie litten freilich unter der Konkurrenz des provinzialen Handwerks. Bedrückende Steuern und Pflichtleistungen veranlaßten viele Handwerker und Angehörige städtischer Oberschichten (Kuriale), fortzugehen, wohingegen Teile der Bauernschaft, die sich von den Barbaren sowie von den auf ihnen lastenden Abgaben befreit hatten, zuwanderten. Gegen Ende des 4. Jh. war Mailand die Kaiserresidenz im Westen; jedoch nahm 29

Cod. Iust. 11, J2; Cod. Theod. 11, 24, 4; 11, 24, 5; 5, 17, 2; 2, 1, 8; }, 4, 1; 9 , 4 5 , } .

28

Zosim. 4, }.

46

DIE W E S T G O T E N UND DAS IMPERIUM

Rom mit seinen Hunderttausenden von Einwohnern weiterhin einen besonderen Platz im Staat ein. Hier konzentrierten sich die Massen der städtischen Plebs, welche unentgeltlich oder zu herabgesetzten Preisen Getreide und andere Lebensmittel vom Staat erhielten. Italien bildete gemeinsam mit Pannonien eine der vier Präfekturen des Reiches. Es bestand aus 17 Provinzen, von denen die nördlichen unter Einschluß Rätiens als „Italien" galten und die annona zahlen mußten. Die Südprovinzen waren von dieser Steuer befreit, hatten jedoch die Versorgung Roms mit Lebensmitteln zu sichern und wurden von einem besonderen Beauftragten (vicarius) dieser Stadt verwaltet. Eine Kopfsteuer (capitatio humand) gab es in Italien nicht. Rom hing von den Getreidesendungen aus Afrika und Spanien ab, und die Beeinträchtigung der Verbindungswege zu jenen Provinzen bedrohte seine Bevölkerung mit Hunger. Der Senat in der Stadt war nur ein beratendes Organ; die tatsächliche Führung des politischen Lebens oblag der kaiserlichen Bürokratie. Die Armee setzte sich zu wesentlichen Teilen aus Barbaren zusammen. Den Senatoren war das Recht gewährt worden, die Stellung von Rekruten durch Geldzahlungen zu ersetzen. In den Quellen gibt es kaum Hinweise auf Empörungen der Volksmassen in Italien. Bekannt ist, daß im ersten Jahrzehnt des 5. Jh. die Bagauden in den Alpenregionen einen Aufstand wagten. In Rom erhob sich die Plebs zu Meutereien, wenn Verzögerungen in der Lebensmittelversorgung auftraten. Die Weigerung der Kolonen, den Grundzins zu zahlen; die Vereinigung von Sklaven germanischer Abkunft mit den Barbaren, als diese in Italien einfielen; die Flucht von Sklaven und Kolonen; das Desertieren aus der Armee - all das war der Ausdruck sozialer Widersprüche. In ihrem Streben, die Monopolstellung der katholischen Kirche als Staatsreligion zu sichern, stieß die Regierung auf Widerstand seitens des Heidentums, das sowohl von einem Teil der Senatoren als auch besonders von der Dorfbevölkerung unterstützt wurde. Die Arianer, die Donatisten und andere häretische Strömungen kämpften gleichfalls hiergegen an. D|ie politischen Streitigkeiten wurden innerhalb der herrschenden Klassen des Imperiums ausgetragen: Ein Teil von ihr nahm im Westreich wie auch im Osten eine „antigermanische" Position ein und wandte sich gegen den faktischen Regenten des Westreiches, Stilicho, der nach einem Kompromiß mit den Westgoten strebte. Periodisch verschärften sich die Gegensätze zwischen West und Ost, vor allem im Streit um das östliche Illyricum, d. h. die dakische und die makedonische Diözese, worauf Stilicho für das Westreich Anspruch erhob. Noch im Jahre 397 war er deshalb von der oströmischen Regierung als „Feind des Vaterlandes" bezeichnet worden. Der Gang der Ereignisse ließ allmählich erkennen, daß das Westreich dem Barbareneinfall in Italien nur dann einigermaßen erfolgreich Widerstand leisten konnte, wenn es andernorts Positionen aufgab. Als Alarich 401 auf die Halbinsel marschierte, zog die Regierung Truppen aus Britannien und vom Rhein zusammen. Damals wurden die Mauern Roms verstärkt, und der kaiserliche Hof begab sich nach Ravenna. Den Vandalen und Alanen, welche in Rätien standen, brachte Stilicho eine Niederlage bei und zwang sie, Rom als Föderaten zu dienen. Im Jahre 402 trug er den Sieg über die Westgoten bei Pollentia davon und bald darauf auch bei Verona. Die kaiserliche Zentralgewalt jedoch war offensichtlich nicht in der Lage, das gut bewaffnete gotische Heer vollständig zu vernichten.30 Mit Alarich wurde somit eine Vereinbarung (foedus) 30

A. Cameron, Poetry and Propaganda, S. 180-187.

D I E W E S T G O T E N U N D D A S IMPERIUM

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geschlossen, der zufolge die Westgoten an der Save siedeln sollten. Stilicho rechnete außerdem damit, sie für die Eroberung Illyricums einsetzen zu können. Als dann freilich unter dem Kommando des Radagais im Jahre 405 Massen von Barbaren - Ostgoten, Vandalen, Alanen, Sueben - Italien heimsuchten, mußte die weströmische Regierung alle Kräfte aufbieten, um ihnen eine Abfuhr zu erteilen. Als Föderaten wurden Hunnen und sogar eine gotische Formation unter Führung des Sarus herangezogen; weiterhin versprach man den Sklaven die Freiheit, wenn sie ins Heer eintraten. Es gelang dann im Jahre 406 wirklich, das Aufgebot des Radagais zu vernichten; ungeachtet des Widerstandes fränkischer Föderaten durchbrachen aber Vandalen, Alanen und Sueben die Rheingrenze und zogen hinüber nach Gallien; den Vandalen hatte sich dabei auch ein Teil der pannonischen Bevölkerung zugesellt. Noch mehr verschlechterte sich die Lage der weströmischen Zehtralgewalt durch den in Britannien erhobenen Usurpator Konstantin III., der gleichfalls nach Gallien übersetzte, Arles zu seiner Residenz machte und die Herrschaft des Kaisers Honorius bedrohte; sein Sohn nahm Spanien in Besitz. In dieser Zeit übte auch Alarich erneut Druck auf die Regierung aus und forderte eine Belohnung für seine Heerfahrt nach Epirus, die gegen das Oströmische Reich gerichtet war. Diese Frage wurde nun Gegenstand eines hartnäckigen Kampfes zwischen Stilicho und der „antigermanischen" Partei. Italische Senatoren und andere Große, schon früher über die hohen Abgaben umzufrieden, die ihnen für die Rekrutenaushebung auferlegt wurden, wollten sich nicht mit dem riesigen Aufwand zur Befriedigung Alarichs, der 4 000 Pfund Gold verlangte, abfinden. Der Senator Lampridius verkündete im Jahre 408, das Abkommen mit dem Westgoten sei „nicht der Frieden, sondern ein Pakt über die Sklaverei", und Hieronymus sah in ihm ein schlimmeres Ereignis als die Verheerungen der Vandalen in Gallien. 31 Stilicho, der diese nicht hatte abwenden können, gestattete den Westgoten jetzt den Zutritt zum Herzen des Imperiums, nach Italien; folgerichtig wurde er von der konservativen Opposition als Verräter angesehen, wobei man ihn beschuldigte, er wolle Alarich als Waffe zur Sicherung seiner Macht benutzen. Am Ende siegten die „antigermanischen" Kreise am Hof des Honorius, was die Hinrichtung Stilichos und die Vernichtung von Familien germanischer Söldner, die in römischen Diensten standen, zur Folge hatte. Olympius, das Haupt der „antigermanischen" Partei, hielt nun die Macht in seinen Händen. Wenig später erfolgte ein neuer Angriff Alarichs auf das Imperium. Von 408 bis 410 kam es zu Heerfahrten gegen Rom; Verhandlungen fanden statt, in deren Verlauf die Westgoten harte Forderungen stellten: eine riesige Kontribution; die Herausgabe germanischer Sklaven; das Recht der Westgoten auf Ansiedlung in den römischen Provinzen Venetien, Noricum und Dalmatien sowie schließlich den Posten des Kommandierenden der kaiserlichen Armee für Alarich. Daß die Einnahme und Plünderung Roms im Jahre 410 die Zeitgenossen erschütterten, wurde bereits gesagt. Sie veränderten aber kaum die Stellung der Westgoten gegenüber dem Reich - suchten doch diese weiterhin Land zur Niederlassung und waren zu einer friedlichen Vereinbarung bereit. Die Regierung des Honorius gewann schließlich an Stabilität. Nach der Beseitigung des Stilicho verbesserten sich ihre Beziehungen zur oströmischen Zentralgewalt, die 31

Zosim. 5, 29: noti est ista pax, sed pactio servitutis-, Hieton, Epist. 123 A ( = Migne, Patrologia Latina 22, 1058).

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DIE WESTGOTEN UND DAS IMPERIUM

Ravenna Truppen zu H i l f e sandte. Faktischer Herrscher des Westreiches wurde Constantius, der als militärischer Befehlshaber den bewaffneten Kampf gegen die Barbaren wieder aufnahm, sich von den alten Verträgen mit ihnen jedoch nicht lossagte. Noch zu jener Zeit, als die Westgoten unter Führung des Athaulf, der nach dem T o d e Alarichs zum König gewählt worden war, Italien weiterhin verheerten, errichtete das Heer des Constantius die Macht der ravennatischen Regierung in Gallien. D e r größte Teil der Vandalen, Alanen und Sueben zog 409 nach Spanien, wobei am Ende jedoch nur einige Gebiete im Westen und im Süden der Halbinsel unter ihrer Botmäßigkeit blieben; das übrige kam an Honorius. 4 1 1 riß dann Jovinus, ein neuer Usurpator, die Macht in Gallien an sich; ihn unterstützten Alanen und Burgunder, aber auch Alamannen und Franken. Constantius war zunächst zu schwach, ihn zu beseitigen; ihm halfen dabei 4 1 3 jedoch die Westgoten Athaulfs, welche, nachdem sie ein Jahr zuvor in Gallien eingefallen waren, von der Regierung in Ravenna Siedlungsland in Aquitanien und jährliche Lebensmittellieferungen zugesagt erhielten. Schon bald darauf wurde diese Vereinbarung allerdings verletzt, weil ihr die Erhebung des Comes Heraclianus in A f r i k a die Möglichkeit nahm, den letztgenannten Punkt zu erfüllen. Athaulf brach somit im Jahre 4 1 4 zur Mittelmeerküste auf und nahm Narbonne ein; er wurde durch das Erscheinen der Truppen des Constantius jedoch im Jahr darauf gezwungen, nach Spanien auszuweichen. Versuche, von dort nach A f r i k a überzusetzen, blieben erfolglos, und so schloß König Vallia im Jahre 416 mit Constantius ein Abkommen, das die Goten erneut zu Föderaten machte. Bis 418 führten sie als solche in Spanien Krieg gegen Vandalen und Alanen; dann räumten sie auf Geheiß des Kaisers die Halbinsel und erhielten zur Ansiedlung die gallische Provinz Aquitania Secunda sowie einen Teil der Provinzen Novempopulanien und Narbonensis Prima im südlichen Gallien. Über die inneren Verhältnisse der Westgoten in dieser Periode wissen wir nur, daß sich ihre Gemeinschaft nach dem Aufenthalt in Italien wesentlich anders gestaltete. Sie hatten Massen anderer Barbaren-Sklaven germanischer Abkunft bei sich aufgenommen: Krieger des Stilicho, die nach dessen Tod zu Alarich gestoßen waren, und die Truppe des Athaulf. Einzelne Gruppen aus dem gotischen Heer, die während der Hungersnot im Jahre 402 desertierten - Sarus und seine Gefolgsleute - waren dagegen von ihnen abgefallen. Aber ungeachtet aller dieser Veränderungen des Stammesverbandes blieben die Westgoten eine geschlossene ethnische Einheit, die sämtliche mit ihnen in Berührung kommenden fremden Elemente absorbierte. Obwohl die königliche Macht bei ihnen sich allmählich stärkte, bewahrten sie noch die Volksversammlung, und zwar wie bisher in Form einer Heeresversammlung. Wir erkennen jetzt deutlich, daß sie ihre Ziele in Hinsicht auf ihre Beziehungen zum Imperium schrittweise verwirklichten. Sie strebten wie stets nach Kriegsbeute und nahmen gern die Verpflichtungen auf sich, für das Reich Kriegsdienste zu leisten; ihr Hauptverlangen aber blieb immer der Erwerb von Grund und Boden. Sie gingen darauf aus, sich in einer beliebigen römischen Provinz, die fruchtbar oder zumindest nicht sehr verwüstet war, anzusiedeln und wenigstens in der ersten Zeit danach Lebensmittellieferungen zu bekommen. Im Grunde genommen hatten sich also diesbezüglich ihre Pläne im Vergleich zu den Zeiten Fritigerns kaum geändert; nur stellten sie nunmehr umfassendere Forderungen, etwa die Überlassung von gleich zwei bis drei Provinzen anstelle einer. Wie früher, so hatten sie auch jetzt nicht die Beseitigung der politischen und sozialen Ordnung des Imperiums oder die Eroberung der Macht im Reich beabsichtigt. D i e zweimalige Ernennung des Kaisers Attalus - zuerst durch A l a -

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rieh, später noch einmal durch Athaulf - zeigt, daß es für sie zu einer Vereinbarung mit dem Imperium keine Alternative gab. Dennoch brach in den herrschenden Kreisen zu Beginn des 5. Jh., wie schon zu Zeiten von Eriulf und Fravitta, ein Streit über die Gestaltung der römisch-westgotischen Beziehungen aus, wobei zuweilen die Initiative sogar bei den Anhängern des „harten" Kurses lag. Diese wurden jedoch am Ende von der Entwicklung ins Unrecht gesetzt.32 Das Bestreben, die scharfe Trennlinie zwischen Römern und Goten in einigem zu verdecken, zeigte sich auch in Kreisen der katholischen Geistlichkeit. Schriftsteller wie Hieronymus, Augustin und Orosius betonten den Unterschied zwischen den christlichen Goten und den heidnischen Barbaren ; sie erklärten die militärischen Erfolge der Westgoten mit deren Zugehörigkeit zur Welt des „wahren Glaubens". Aber obwohl sie auch daran erinnerten, daß die Krieger Alarichs während der Plünderung Roms die Gotteshäuser mit Achtung behandelt hatten, blieb der Haß gegenüber den Goten in der spätrömischen Gesellschaft weitverbreitet. Orosius bemerkte, daß man in ihnen „die Feinde Roms" sehe,33 und Sulpicius Severus, der die Anwesenheit der Barbaren inmitten der Römer - in den Städten, in Provinzen, im römischen Heer - konstatierte, war sich dessen sicher, daß jene die römische Kultur nie annehmen würden. Aus den deutlich feindseligen Urteilen über sie aber ragt das des Prudentius heraus, für den sich die Römer von ihnen wie die Menschen von den Tieren unterschieden.34 Sei dem wie ihm sei - jedenfalls wurden die Goten nunmehr zu einem wichtigen Faktor des gesellschaftlichen und politischen Lebens im Weströmischen Reich. In der eben behandelten Zeit kam es zwischen ihrer Gesellschaft und der, auf die sie stießen, zu bedeutend engeren Kontakten als früher. In einzelnen römischen Städten suchten Arianer Unterstützung bei den Westgoten, und zu ihnen flüchteten auch Sklaven aus Rom. E s ist möglich, daß Teile der einheimischen Christen ihre Hoffnungen auf die Goten setzten, weil sie der bestehenden sozialen und politischen Ordnung feindlich gesinnt waren. Im Carmen Apologeticum® wurde von den Invasoren die Erfüllung der apokalyptischen Visionen des Johannes erwartet: Sie würden den Senat unterjochen, sich aber wie Brüder zu den Christen verhalten. Die westgotische Politik verflocht sich jetzt bisweilen auch mit dem inneren Kampf im Imperium Romanum. Früher waren die Germanen, wie wir schon bemerkten, nur zufällig an den sich dort abspielenden Zwistigkeiten beteiligt, nämlich wenn dieser oder jener römische Politiker, der um die Macht kämpfte, wie z. B. Licinuius oder Prokop, sie als Föderaten für seine Ziele einsetzte. Seit dem ersten Jahrzehnt des 5. Jh. jedoch mischten sich gotische Stammesführer mit eigenen Aktivitäten in das politische Leben des Reiches ein, suchten ihren Einfluß auf den römischen Staatsapparat geltend zu machen und diesen für eigene Ziele zu nutzen. Davon zeugen solche Ereignisse wie die Ernennung des Römers Attalus, der sich arianisch taufen ließ, zum Kaiser gegen den regierenden Honorius, ; die Übertragung der höchsten militärischen Ämter durch diesen Attalus auf 32

33

34

35

4

Oros. 7, 43, 10: ad boc electus a Cothis ut pacem infringeret, ad hoc ordinatus a Deo, ut pacem confirmaret. C. H. Heibig, Goten und Wandalen. Wandlung der historischen Realität, Zürich 1954, S. 1 6 - 2 1 ; Oros. 3, 20, 1 1 . Sulpicius Severus, Chron. 2, 3; Prudent., Contra Symm. 2, 816; J . Straub, Regeneratio Imperii, S. 300. Die Datierung der Werke Commodians ist umstritten; vgl. P. Courcelle, Histoire littéraire des grandes invasions germäniques, Paris 1948, S. 156-158 und 319-337. Günther

DIE WESTGOTEN UND DAS IMPERIUM

JO

Alarich und Athaulf; die Heirat des letzteren mit der Schwester des Kaisers Honorius, Galla Placidia; schließlich die Niederwerfung des Usurpators Jovinus in Gallien, die auf eine Übereinkunft mit Honorius zielte. A l l diese Kontakte sowie die wechselseitigen Verbindungen gingen jedoch nicht in die Tiefe, da die Westgoten in Italien, ebenso wie in Gallien und Spanien, durch ihren stammesmäßigen Zusammenhalt von der ansässigen Bevölkerung abgekapselt blieben. In der historischen Literatur wurde die Meinung vertreten, Alarich habe nach dem Kommando über sämtliche römische Truppen gestrebt. Für einen gotischen König von seinem Schlage aber konnte dies nicht von wesentlicher Bedeutung sein, sondern höchstens ein Nebenziel. 36 Die dauerhafte Bindung an seine Stammesmitglieder schloß für ihn und Athaulf die Möglichkeit, römische Söldner vom Typ eines Fravitta, Gainas oder Arbogast zu werden, von vornherein aus. Die Einbeziehung von Sklaven-Barbaren in die gotische Heeresorganisation bedeutete nicht, daß dieser Stammesverband sich gegen die Einrichtung der Sklaverei generell wandte. Wurden bei ihm doch selbst Einheimische als Sklaven gehalten und in einer Reihe von Fällen die Bevölkerung der eingenommenen Städte und ländlichen Siedlungen umgebracht, wobei man keinen Unterschied zwischen Freien und Sklaven machte.37 Ob die Goten durch Sklaven und Kolonen oder durch die städtische bzw. ländliche Plebs unterstützt wurden, wissen wir nicht; allein Mitteilungen über die Flucht gotischer Sklaven aus dem besetzten Rom zu Alarich sind bekannt.38 D a dieser sich bemühte, die Übereinkunft mit den römischen Gewalten während der Besetzung der Ewigen Stadt zu festigen, suchte er den Überfällen flüchtiger Sklaven auf die einheimische Bevölkerung im dortigen Umkreis ein Ende zu bereiten.39 Nichtsdestoweniger litten unter dem gotischen Einfall und den Kriegshandlungen in Italien alle Schichten der Gesellschaft, sowohl Bauern als auch Städter. Bezeichnend hierfür ist eine in der Kirche der südkampanischen Stadt Nola erhaltene Inschrift: „Die Ackerbauern danken Gott für die Erlösung vom gotischen Feind." Das Land war durch den Krieg so sehr zugrunde gerichtet worden, daß die kaiserliche Regierung im Jahre 413 genötigt war, für Kampanien, Tuscien, Picenum, Samnium, Apulien-Kalabrien und Lukanien-Bruttium die Steuern herabzusetzen.40 Als überaus kompliziert erwies sich die Zusammenarbeit nicht zuletzt auch für die italische Aristokratie, obwohl einzelne ihrer Vertreter dazu bereit waren. Die Mitteilungen über Bestrebungen zu friedlicher Gemeinsamkeit mit den Römern, die von einigen Autoren des 5. und 6. Jh. gotischen Königen zugeschrieben wurden/*1 sind 36

E . A . Thompson, The Visigoths from Frithigern to Euric, Historia 12, 1963, S. 1 0 7 ; A . Cameron,

37

Augustin, Epist. 30; Hieron., Epist. 94.

Poetry and Propaganda, S. 156. 38

Gemäß einer Version, die ein Jahrhundert später auftrat, halfen Alarich bei der

Einnahme

Roms gotische Jünglinge, die in die Stadt eingedrungen waren. Nach einer anderen Erzählung öffneten die Sklaven der Matrona Proba auf ihren Befehl hin den Goten das Sakrische T o r : Procop., Bell. Vand. 1, 3, 2. 39

Zosim. 5, 42.

40

Cod. Theod. 9, 28, 7. Die Novelle Valentinians III. von 4 5 1 , welche den Kurialen verbietet, ihr Land zu veräußern, vermerkt darin den Vorbehalt jener Verkäufe, die nach dem Einfall Alarichs in Italien abgeschlossen worden waren.

41

Nach Jordanes, Get. 152, äußerte Alarich den Wunsch der Goten, in Italien mit den Römern so zu leben, daß aus beiden Völkern ein einheitliches Ganzes werde. Orosius, 7, 45, 5 - 7 , legte

DIE ENTSTEHUNG DES WESTGOTISCHEN KÖNIGREICHES IN

GALLIEN

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offensichtlich für die spätantike Literatur typische Topoi (d. h. formelhaft verdichtete, oft wiederkehrende Gedanken) 42 und spiegeln eher die Wünsche bestimmter römischer Kreise wider als echte Absichten der Goten. Es ist charakteristisch, daß selbst Priscus Attalus, als Kreatur Alarichs, sich dem Willen seines Patrons nicht völlig unterordnete und es ablehnte, auf dessen Plan in bezug auf das römische Afrika einzugehen.43 In jener Zeit war den Goten ein Solidaritätsgefühl mit irgendeiner Klasse der römischen Gesellschaft fremd. Ihrem Einfall in das Herz des Imperiums kam jedoch eine herausragende Bedeutung zu, da mit ihm dem Sklavenhalterstaat ein schwerer Schlag versetzt wurde, der seinen Untergang beschleunigte. Die Provinz, in der sich die Westgoten 418 niederließen, gehörte in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht zu den entwickelteren Gebieten des Weströmischen Reiches. Südgallien war bereits zu Beginn des Prinzipats ein vollkommen romanisiertes Land mit römischer Munizipalordnung. Gegen Ende des 3. Jh. gab es hier eine große Zahl von Städten, die Handels- und Handwerkszentren darstellten : Vienne, Narbonne, Bordeaux, Toulouse, Lyon, um nur diese zu nennen. In Gallien befanden sich Werkstätten für die Herstellung von Waffen und Bekleidung, welche für staatliche Bedürfnisse arbeiteten, und andere für Luxusgegenstände, Töpferwaren und Glas. Es war eine Provinz mit blühender Landwirtschaft, in der die Ländereien der Großgrundbesitzeraristokratie gewaltige Ausdehnungen erreichten. Das Gut von Chiragan (zwischen Toulouse und Dax) beispielsweise umfaßte annähernd 1 000 ha Ackerland und 9 000 ha Wiesen, Weinberge, Gärten und Wälder ; für die Arbeit auf diesem Komplex benötigte man ungefähr 400 Menschen/'4 Der Besitz des Dichters Ausonius bei Vasates (Bazas), den er selbst als unbedeutend abtat, umfaßte etwa 260 ha Boden. 45 Anscheinend wurde im allgemeinen ein großer Teil davon in den Latifundien an kleine Prekaristen, Kolonen und Sklaven als Besitz abgegeben. Der sozialen Struktur nach unterschied sich Gallien kaum von Italien. Die herrschende Stellung nahm der senatorische Adel ein, welchen Großgrundbesitzer bildeten, die durch ihre Interessen eng mit der italischen Aristokratie verbunden waren. Im 3. Jh. wurden die wirtschaftliche und politische Krise, die inneren Zwistigkeiten, die Barbareneinfälle und die Aufstände der Bagauden vom Niedergang der gallischen Städte, von der Schrumpfung ihres Territoriums'*6 und von der Zerstörung einer Reihe großer Athaulf die bekannte Mitteilung in den Mund, den römischen Staat mit Hilfe der Goten restaurieren zu wollen. 42

J . Straub, Regeneratio Imperii, S. 277 f.; P. Courcelle, Histoire littéraire, S. 9 1 .

43

Als der Comes Africae Heraclianus den Transport von Getreide nach Italien unterbrach, beabsichtigte Alarich, gotische Trupppen dorthin zu entsenden. Attalus war jedoch mit dem schlag, der Rom

mit dem Verlust Afrikas bedrohte, nicht einverstanden.

Vgl.

P.

Vor-

Courcelle,

Histoire littéraire, S. 48 f. 44

C. Jullian, Histoire de la Gaule, Paris 1922, Bd. 5, S. 3 6 1 ; A . Grenier, Manual d'archéologie

45

N . Fustel de Coulanges, Histoire des institutions politiques de l'ancienne France, Bd. 4, Paris

46

Im 4. Jh. begann man, um die Städte Mauern zu errichten. Der städtische Raum war im Ver-

Gallo-Romaine, Teil 2, Bd. 6, Paris 1 9 3 1 , S. 888. 1889, S. 35. gleich zur vorhergehenden

Periode stark eingeengt;

so betrug beispielsweise

die Fläche

Nîmes statt 220 jetzt 32 ha, die von Autun statt 200 nunmehr nur 10 ha. V g l . E . Les Gallo-Romaines, Paris 1959, S. 106 f. 4*

von

Thevenot,

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D I E E N T S T E H U N G D E S W E S T G O T I S C H E N K Ö N I G R E I C H E S IN G A L L I E N

Villen begleitet. Der Umwandlungsprozeß der bis zu jener Zeit noch vorhandenen freien Bauern in Kolonen schritt intensiv voran. Zu Beginn des 5. Jh., also in der Zeit, von der wir reden, gab es auf dem großen Grundbesitz der Senatoren und der Kirche auch Sklaven. Seitdem das Westreich in zwei Präfekturen geteilt worden war, bildete Gallien gemeinsam mit Britannien, Spanien und der Mauretania Tingitana eine von ihnen; und deren Zentrum lag auch auf seinem Boden, nämlich in Arles. Den Verfall der Zentralgewalt begleitete eine zunehmende Selbständigkeit der gallischen Landmagnaten. Einige von diesen befestigten schon damals ihre Villen, hielten bewaffnete Formationen auf ihren Gütern und kämpften manchmal auf eigenes Risiko gegen die Barbaren, wie etwa Ecdicius, ein Großgrundbesitzer aus der Auvergne, um das Jahr 470 gegen den Westgotenkönig Eurich. In jenen Jahren bewahrte die gallorömische Aristokratie ihre Bedeutung im staatlichen Leben des Imperiums, und die Zentralgewalt widmete der Verteidigung von deren Interessen große Aufmerksamkeit. Hiervon zeugt nicht zuletzt die aktive Politik des Constantius sowie später die des Aetius in diesem Gebiet. Die städtischen Grundeigentümer waren hier wie auch in anderen Teilen des Reiches an ihre Munizipien gebunden. Sie hatten die Verantwortung für die Steuereintreibung, was für die einfachen Kurialen eine schwere Last und damals für die munizipale Oberschicht eine Quelle zusätzlicher Einkünfte bedeutete. Letztere wälzte den Hauptteil der Steuern auf die kleinen possessores sowie auf die städtische Plebs ab.47 Im Jahre 418 nun ließen sich die Westgoten in der Provinz Aquitania Secunda auf dem Territorium zwischen Loire und Garonne, in den Gebieten der Städte Bordeaus, Angouleme, Poitiers und Perigueux sowie vor allem im Umkreis von Toulouse nieder (Abb. 8 u. 9). Die Quellen verdeutlichen das mit denselben Worten, die sie schon für jene frühere Ansiedlung auf der Balkanhalbinsel verwendet hatten: sedes acceperunt ad inhabitandum. Erneut befanden sich die Ankömmlinge in der Stellung von Föderaten; doch hatte dieser Status jetzt eine andere Bedeutung, wie auch die Ansiedlungsbedingungen andere waren. Die Rückkehr der Goten von Spanien aus nach Gallien kennzeichnete schon an sich eine gewisse Veränderung im Kräfteverhältnis zwischen ihnen und dem Imperium, weil zwei Jahre zuvor die weströmische Regierung ihrer Ansiedlung in dieser Provinz ablehnend gegenüberstand.48 Es ist möglich, daß die Goten selbst schließlich das Einverständnis für ihre Forderungen erlangten. Aber ein noch wichtigeres Merkmal der veränderten Situation war eben, daß sich die Ansiedlung als solche prinzipiell von früheren Bedingungen des Föderatenverhältnisses unterschied. Jetzt nämlich setzten sich die Goten mitten unter die einheimischen Grundbesitzer, und sie erhielten von diesen einen Teil von ihrem Land - genauer: zwei Drittel des pflügbaren Bodens und die Hälfte der Wälder und Wiesen - sowie von den 47

48

Salvian, De gubernatione dei 5, 4: quot atriales,

tot tyranni . . . quis locus est, ubi non a princi-

palibus civitatum viduarum et pupillorum viscere devorentur? Die Meinung, daß die Goten nach Aquitanien zurückgesandt worden wären, um sie im Interesse Westroms als Gegengewicht gegenüber Bagauden oder sächsischen Piraten zu verwenden, ist durch Fakten nicht gestützt; vgl. E . A. Thompson, The Settlement of the Barbarians in Southern Gaul, Journal of Roman Studies 46, 1956, S. 6 5 - 7 ; ; J. M. Wallace-Hadrill, Gothia and Romania, Bulletin of the John Rylands Library 4 4 , 1 , 1961, S. 2 1 5 - 2 1 7 . Über Bagaudenaufstände im genannten Teil Galliens wie auch über Pirateneinfälle in diesem Zeitabschnitt gibt es keine Zeugnisse.

DIE ENTSTEHUNG DES WESTGOTISCHEN KÖNIGREICHES IN GALLIEN

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Sklaven und Kolonen, den Häusern und Wirtschaftsgebäuden, vermutlich auch vom Vieh und Inventar. Formell zählten die Goten nichtsdestoweniger eine Zeitlang noch zu den Föderaten, und ihr Königtum wurde als Bestandteil (membrutn) des Imperiums betrachtet.49 Jedoch strebten sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit danach, ihre Besitzungen zu erweitern. Im Jahre 421 schickte ihr König Theoderich I. (418-451) den römischen Truppen in Spanien eine Kriegerschar gegen die Vandalen zu Hilfe, die im entscheidenden Moment aber die Fronten wechselte und letztere unterstützte. Vier Jahre darauf versuchte Theoderich erfolglos, Arles einzunehmen, erreichte jedoch beim Friedensschluß eine Geiselstellung der Römer. Als die kaiserlichen Truppen 436 mit dem Kampf gegen die Burgunder und gegen die Bagauden in der Aremorica beschäftigt waren, hoffte der Westgotenherrscher Narbonne zu erobern; jedoch wurden seine Truppen von Kräften des Reiches, die hauptsächlich aus Hunnen bestanden, wieder bis Toulouse zurückgedrängt. Dort konnten die Goten dann über sie einen Sieg erringen; danach wurde Frieden geschlossen. Während des Krieges gegen den Hunnenkönig Attila im Jahre 451 standen die Westgoten auf der Seite des Imperiums; diese Hilfe aber kam schon eher einer freiwilligen Teilnahme am Kampf gegen einen gemeinsamen gefährlichen Gegner gleich als einer Erfüllung von Föderatenpflichten. König Theoderich II. (453-466) erwies dem Imperium Hilfe, indem er ein Heer nach Spanien sandte, um den Bagaudenaufstand in der Tarraconensis niederzuwerfen; auch unterstützte er den römischen Heermeister Avitus, als dieser 455 den weströmischen Kaiserthron einnahm. Westgotische Truppen führten dann in Spanien Krieg gegen die Sueben. Im Jahre 462 vermochte Theoderich Arles zu gewinnen, und vermutlich auch schon unter diesem Herrscher bemächtigten sich die Goten Novempopulaniens sowie eines großen Teiles der Narbonensis Prima. König Eurich (466-484) war anschließend nicht minder darauf aus, den fortschreitenden politischen Niedergang des Weströmischen Reiches dazu zu nutzen, seine Macht zu stärken und das westgotische Territorium zu erweitern. Im Jahre 468 fiel sein Heer in Spanien ein, eroberte Emerita und verwüstete Lusitanien und Asturien. Zu dieser Zeit besaßen die Westgoten auf der Halbinsel die Landschaft Estremadura, einen Teil des heutigen Portugals, und weiterhin das kastilische Messeta, das obere und mittlere Ebrotal mit Navarra sowie Aragon und Katalonien. In Gallien griff Eurich nach Bourges sowie nach dem nördlichen Teil der Aquitania Prima. Dem von Kaiser Anthemius dorthin entsandten Heer bereiteten die Goten im Jahre 470 oder 471 eine Niederlage; daraufhin besetzten sie unter anderem die Städte Arles, Riez, Avignon, Orange und Valence, mußten jedoch bald wieder den Rückzug antreten. In der Aquitania Prima konnten sie gleichfalls mehrere Städte einnehmen ; Clermont allerdings, wo Ecdicius und Sidonius Apollinaris den Abwehrkampf der Römer leiteten, verteidigte sich hartnäckig gegen die Germanen. Im Jahre 473 veranlaßte Kaiser Glycerius einen Trupp von Ostgoten unter der Führung des Vidimer, welcher in Italien eingefallen war, zum Abzug nach Gallien; dort vereinigten sie sich mit den Westgoten. Zwei Jahre später schloß Eurich mit dem Kaiser Julius Nepos einen Vertrag, in dem die! weströmische Regierung offensichtlich jene Eroberungen anerkannte, die die Goten in Gallien und Spanien inzwischen gemacht hatten. Clermont ging damals in die Hände Eurichs über. Als der letzte weströmische Kaiser Romulus '•9 Jord., Get. 188.

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Augustus 476 von Odoaker gestürzt worden war, überschritten westgotische Truppen schließlich die Rhone und besetzten nach einem Zusammenstoß mit den Burgundern Arles und Marseille. Unter westgotischer Macht stand seitdem ungefähr der fünfte Teil des gallischen Territoriums. Die Goten fielen damals auch wieder in Italien ein, erlitten dort jedoch jetzt eine Niederlage. Bereits in den neunziger Jahren des 5. Jh. kam es auch zu einer Konfrontation zwischen Westgoten und Franken. Deren König Chlodwig gelang es am Ende bei einem Kriegszug im Jahre 507, das Tolosanische Königreich der ersteren zu zerschlagen und den seit 484 regierenden Westgotenkönig Alarich II. zu töten. Nunmehr besaßen die Westgoten in Gallien nur noch das Gebiet zwischen der oberen Garonne und den Pyrenäen (Septimanien); zum Zentrum ihres Reiches wurde seit dieser Zeit das spanische Land, in welchem sie sich noch zwei Jahrhunderte lang behaupteten. Die historische Literatur spricht in Hinsicht auf die gesellschaftliche und politische Ordnung im römischen Gallien des 5. Jh. teilweise vom Bestehen eines „Staates im Staate". Mit einer derartigen Formulierung aber kann man sich deshalb nicht einverstanden erklären, weil die Goten zur Zeit ihrer Ansiedlung in Aquitanien noch gar keinen Staat besaßen. Erst im Verlauf ihrer sozialen Entwicklung, für welche die Verbindung von Zügen der zerfallenden Gentilordnung mit solchen der spätantiken Sklaverei sowie das Reifen künftiger- feudaler Verhältnisse bezeichnend war, bildeten sich allmählich die neuen Einrichtungen des barbarischen Königtums heraus. Wie dargelegt, hatten sich die Westgoten bis zu ihrer Ansiedlung in Aquitanien drei Jahrzehnte lang auf römischem Territorium befunden. In dieser Zeit waren sie eng mit einem wichtigen Bestandteil des dortigen Kriegs- und Verwaltungssystems in Beziehung getreten: mit der Militärorganisation - zuweilen als Gegner des römischen Heeres, mitunter auch als Föderaten, die vom Imperium unterstützt wurden. Sowohl auf der Balkanhalbinsel als auch später in Italien hatten sie darüber hinaus Barbaren in ihren Verband aufgenommen, die vorher Sklaven oder Kolonen der Römer gewesen waren und in diesem oder jenem Maße deren Produktion kennengelernt hatten. Obendrein führten sie eine beachtliche Anzahl gefangener Römer als Sklaven mit sich; auch unter ihnen befanden sich sowohl Sklaven und Kolonen wie nicht zuletzt Handwerker. Eine noch wichtigere Bedeutung besaß aber die verstreute Ansiedlung der Goten unter den Grundbesitzern Aquitaniens, von der oben die Rede war. Wie sie nun ganz konkret auch ausgesehen haben mag - ob sie in kompakten Gruppen erfolgte oder ob in diesen oder jenen Villen und Dörfern die „Neuen" zusammen mit der örtlichen Bevölkerung saßen - , der Kontakt zwischen beiden jedenfalls war sehr eng. Als deutliches Merkmal hierfür kann der Hinweis angesehen werden, daß Goten und Römer manchmal gemeinsam Landstücke nutzten. Die Quellen schweigen allerdings darüber, welche Besitzungen der Teilung unterzogen wurden: ob nur die der großen oder auch jene der mittleren und kleinen possessores. Anscheinend erhielt auf der anderen Seite die gotische Aristokratie mehr Grund und Boden als die übrigen Angehörigen des Stammesverbandes. Die Könige konnten außerdem zusätzlich Land an ihre „Getreuen" verleihen; eigene Anteile (sortes) erhielten jedoch auch die einfachen Goten, weshalb es jeder Grundlage entbehrt zu behaupten, daß diese sofort Hörige auf den Gütern ihrer adligen Stammesbrüder wurden. 50 In der folgenden Periode kam es dann wahrscheinlich zu keinen neuen Landteilungen zwischen Römern und Goten mehr. 50

Solch eine Vermutung äußerte E . A. Thompson, The Visigoths from Fritigern to Euric, Historia 12, 1965, S. 119 t.; vgl. aber A. R. Korsunskij, Gotskaja Ispanija, Moskva 1969, Kapitel 3.

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Die konsequente Expansionspolitik, welche die Westgotenkönige von den zwanziger Jahren des 5. Jh. an betrieben, war offensichtlich in erster Linie von den Interessen der königlichen Gefolgsleute sowie des Dienstadels diktiert. Beide gingen darauf aus, neue Ländereien und Ämter in der Verwaltung der eroberten Territorien zu erlangen. Aber auch jetzt behielten jene Motive, aus denen die Züge früherer Jahre unternommen wurden, ihre Bedeutung, nämlich das Interesse der einfachen Mitglieder des Stammesverbandes am Erwerb von Grund und Boden sowie von Kriegsbeute. Die gentilen Eigentumsformen entwickelten sich bei den Goten relativ schnell, und bereits in der zweiten Hälfte des 5. Jh. entstand in ihren Gebieten das Allodialeigentum in seiner frühen Form. Wahrscheinlich gab es bei ihnen - wie auch bei den anderen germanischen Stämmen - eine Dorfgemeinde; sie wird jedoch in den Quellen nicht genannt, wenn man von den Erwähnungen einer öffentlichen Zusammenkunft von Nachbarn (conventus publicus vicinorum) in Gesetzen des 6. Jh. absieht. Schon vor 500 hatte die fortschreitende Differenzierung in den Besitzverhältnissen zur Entstehung einer Schicht von verarmten Bauern geführt, die weder das notwendige Arbeitsvieh noch Landstücke besaßen, um es zu weiden. Einige einfache Goten verkauften ihre Kinder in die Sklaverei und wurden dann Bodenabhängige oder Tagelöhner auf fremden Gütern. Innerhalb des Stammesverbandes gab es Sklaven, deren Lage sich nicht wesentlich von jener der spätantiken servi unterschied. Die Vertreter des Dienstadels verfügten wie der König und auch die arianische Kirche über Großgrundbesitz. Das Patronat war bei den Goten gesetzlich verankert: Die dortigen Magnaten hielten sich Gefolgsleute (bucèllarii, saiones), welche von ihren Patronen Waffen und anderes Gut erhielten. Diese hier beschriebene gotische Gesellschaft existierte neben der gallorömischen, in deren Existenzbedingungen sich während des 5. Jh. keine wesentlichen Veränderungen vollzogen. D a die neuen Herren zahlenmäßig nur eine ganz unbedeutende Minderheit darstellten - sie machten nicht mehr als 2 bis 3 Prozent der einheimischen Bevölkerung aus - , konnten sie kaum verhindern, daß bei dieser im Grunde die alte soziale Struktur erhalten blieb. Zwar verloren die reichen possessores ebenso wie der katholische Klerus einen Teil des Bodens; sie blieben aber nichtsdestoweniger Großgrundbesitzer und beuteten Sklaven, Kolonen und kleine Prekaristen aus. Adlige Gallorömer bekleideten hohe Posten in der königlichen Verwaltung, saßen als comités in den Städten und kommandierten in einzelnen Fällen das Heer und die Flotte j 51 allerdings mußten sie zwangsläufig der gotischen Aristokratie oft den ersten Platz überlassen. Wichtige Positionen innerhalb der katholischen Kirchenhierarchie sicherten dem senatorischen Adel seinen Einfluß auf breite Schichten der einheimischen Bevölkerung, besonders da nicht wenige römische Magnaten von den gotischen Königen die Möglichkeit erlangten, ungehindert Bischofsämter zu übernehmen.52 Die Städte blieben weiterhin römisch; in ihnen erhielten sich Kurien und Kollegien. Die Goten ließen sich selten in ihnen nieder. Die Lage der unterdrückten Massen verbesserte sich ein wenig, weil der Steuerdruck nachließ - vielleicht ist das die Ursache dafür, daß wir von Volksbewegungen zu jener Zeit kaum etwas hören.53! Darüber 1,1

K . F. Stroheker, Der senatorische Adel im spätantiken Gallien, Tübingen 1948, S. 86-91. Apoll. Sidon., Epist. 7, 6. ° 3 Es gibt nur eine Mitteilung über die von gewissen adligen Jünglingen geführte Sklavenverschwörung während der Belagerung der Stadt Bazas durch die Westgoten im Jahre 414: Paulinus von Pella, Eucharistikos 329-336. 62

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hinaus findet sich in der Politik der Gotenkönige auch nicht die geringste Tendenz, solche Bewegungen zu unterstützen; ja im Gegenteil, wie erwähnt, vernichtete 454 ein westgotisches Heer auf Weisung der kaiserlichen Regierung die Bagauden in der Tarraconensis. Für die politische Ordnung im gotischen Gallien war ein Dualismus charakteristisch. Formell blieb dieses Land bis zum Jahre 475 römische Provinz und stand damit sowohl unter der Gewalt des Kaisers als auch des praefectus praetorio, der in Arles residierte. Die gallorömische Bevölkerung lebte nach römischem Recht, und die territoriale Grundeinheit war wie früher die Stadtgemeinde (civitas). Die politische Herrschaft aber lag in jener Zeit bei den gotischen Königen, deren Macht ständig zunahm. Der König hatte die höchste militärische, administrative, gesetzgeberische und richterliche Gewalt inne; er besaß den Staatsschatz und verfügte über Grundbesitzungen. Die Königsgewalt war bei den Goten nicht erblich, sondern man wählte den Herrscher aus den Angehörigen des regierenden Hauses; jedoch ist die Tendenz zur Sohnesfolge bemerkbar. Bei der Wahl des neuen Königs oder seiner Bestätigung spielte der Dienstadel die entscheidende Rolle. Die Könige ernannten die Amtsträger: Richter und comités. Über Stammesversammlungen der Goten ist nichts bekannt; aber daß einige ihrer Funktionen von der Heeresversammlung wahrgenommen wurden, geht aus Claudian, Hydatius, Jordanes, Isidor, Prokop und anderen Quellen hervor. Auf solchen Zusammenkünften wurde über Krieg und Frieden entschieden; man erhob Herrscher und setzte in einzelnen Fällen Verwalter von Provinzen ab.54 Die Beschreibung des Hofes von König Theoderich II., welche sich in einem Brief des Apollinaris Sidonius findet, zeugt vom archaischen Charakter der gotischen Führung in der Mitte des 5. Jh.: Theoderich hielt Gericht, empfing Gesandte und erledigte andere Dinge in Anwesenheit von bewaffneten gotischen Kriegern: 55 Bis zur zweiten Hälfte des 6. Jh. unterschieden sich die westgotischen Könige weder in der Kleidung noch in ihrer Hofhaltung von ihren einfachen Stammesgenossen.56 Die niedere Gerichtsbarkeit wurde von den comités ausgeübt, die dem König unterstellt waren. An den Gerichten gab es Beisitzer {auditores). Mit den Fragen des dörflichen Lebens befaßten sich die Versammlungen der Gemeinden. Die Schlagkraft des westgotischen Heeres basierte auf dem allgemeinen Volksaufgebot. Nach dem herrschenden Dezimalsystem wurden die militärischen Formationen von Tausendschaftsführern (thiuphadi), Fünfhundertschafts-, Hundertschaftsführern usw. geleitet. Der thiuphadus übte nicht nur militärische, sondern auch einige polizeiliche und richterliche Funktionen aus.57 Die Römer brauchten anscheinend im Tolosanischen Königreich am Heeresdienst nicht teilzunehmen, obgleich in einzelnen Fällen Vertreter der gallorömischen Aristokratie bei Kriegshandlungen aktiv waren. Das gotische Gewohnheitsrecht wurde bereits am Anfang des 5. Jh. schriftlich fixiert. Die ersten geschriebenen Gesetze sind aus der Zeit Theoderichs I. erhalten, und wenig später verkündete Eurich dann einen besonderen Gesetzeskodex, 58 dessen Kern 04

C. Sánchez-Albornoz, El Aula regia y las asambleas políticas de los godos. Estudios visigodos,

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Apoll. Sidon., Epist. 1, 2. Isidor von Sevilla, Hist. Goth. ; 1. Dieser Umstand erhärtet die Vermutung, daß der thiuphadus ein Element gotischer archaischer Gesellschaftsstruktur darstellt. Vgl. S. 40, Anm. 15. Nach Meinung von A. Garcia Gallo gibt es freilich keine überzeugenden Beweise dafür, daß

Roma 1971, S. 154-160. 56 57

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DIE E N T S T E H U N G DES WESTGOTISCHEN KÖNIGREICHES IN

GALLIEN

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noch germanisch war, der aber bereits einen starken Einfluß des spätrömischen Vulgarrechts aufwies. Die Fragmente des Codex Euricianus, welche wir besitzen, weisen solche „barbarischen" Züge auf wie die Geldbuße bei Rechtsverletzungen, den Reinigungseid, die Auslieferung eines Täters an die Verwandten des Geschädigten, die Morgengabe des Bräutigams an die Braut, Spuren der Familienverantwortung für von einem Verwandten ausgeführte Straftaten (wogegen der Gesetzgeber auftrat), die Vormundschaft der Verwandten über eine Frau sowie die Leistung eines Entgelts für eine Schenkung (was dem langobardischen launegild entsprach).59 Demgegenüber wurden teilweise das römische Verfahren zum Schutz des Eigentums sowie die dort übliche Form des Eides angewandt. Nach römischem Beispiel formulierte man weiterhin das Pfand und die Entäußerung der Habe, und schließlich unterschieden sich auch die Normen, welche den Sklavenstatus regulierten, in der Regel nicht von den antiken Vorbildern.60 Die Existenz des schriftlich aufgezeichneten Rechts bei den Westgoten bildete einen echten Fortschritt in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung, was auch von den Zeitgenossen vermerkt wurde.61 Doch dies hob die alten Stammesunterschiede noch nicht auf. In der historischen Literatur wird darauf verwiesen, daß neben den romanisierten Gesetzescodices das „inoffizielle" gotische Gewohnheitsrecht seine Bedeutung behielt und selbst noch in den christianisierten spanischen Staaten nach der arabischen Eroberung lebendig blieb.® Parallel zum gotischen Herrschaftssystem übten damals die römischen leitenden Organe in den Stadtgemeinden ihre Funktionen weiter aus. Goten wie Gallorömer blieben im Tolosanischen Königreich gesonderte ethnische Gemeinschaften (Abb. 10). Die Goten waren die herrschende Gruppe: Sie übernahmen den Kriegsdienst und zahlten keine Steuern. Ihre Gesetze garantierten das Eigentumsrecht und die persönliche Sicherheit der römischen Untertanen, was freilich nicht ausschloß, daß in der Praxis des gesellschaftlichen Lebens die Lage der letzteren stärker gefährdet war als ihre eigene.63 Auf der anderen Seite hielten die Römer an ihrem alten Verbot fest, Mischehen mit den Barbaren einzugehen. Was die Religion betrifft, so blieben die Westgoten Arianer; jedoch übten sie in Hinsicht auf die Katholiken Toleranz. der Autor der im Pariser Palimpsest enthaltenen Gesetze Eurich ist; sie könnten auch von Theoderich II. oder Alarich II. abgefaßt worden sein. Vgl. A . Garcia Gallo, Consideraciones criticas de los estudios sobre la legislación y la costumbres visigodas, A H D E 44, 1974, S. 382 und 440 f. 59

C. Sánchez-Albornoz, Pervivencia y crisis de la tradición jurídica romana en la España goda. Estudios sobre las instituciones medievales españolas, Mexico 1965, S. 5 6 1 - 5 8 0 ; A . R . Korsunskij, Gotskaja Ispanija, Kapitel 2.

60

A . Halban, Das römische Recht in den germanischen Volksstaaten, Theil 1, Breslau 1899, S. 187

61

Apoll. Sidon., Epist. 8, 3, schrieb, Eurich beherrsche die Nachbarvölker

und 195 f. durch Waffengewalt,

die Waffen (d. h. die der Westgoten) jedoch durch Gesetze. 62

E . Hinojosa, Das germanische Element im spanischen Recht, Z R G G A 3 1 , 1 9 1 0 ; vgl. A . Garcia

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Es gibt Bestimmungen mit dem Hinweis darauf, daß Goten die Prinzipien der Landteilung ver-

Gallo, Consideraciones críticas, S. 4 1 5 ; 4 1 7 ; 422. letzten, indem sie Anteile der Römer an sich rissen (Lex Visigothorum 10, 1, 16). Um von den Römern an die neuen Herren übertragenen Besitz konnten Prozesse geführt werden (Cod. Euric. 312).



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Die allmähliche Annäherung des gallorömischen Adels an die herrschende Schicht des Tolosanischen Königreiches aber war am Ende nicht aufzuhalten. Schon in jener Zeit, als die gotischen Könige neue Gebiete in Gallien hinzueroberten, erhielten sie Unterstützung durch einzelne Beamte aus den Reihen der römischen Verwaltung. 64 Der aus Narbonne stammende Prätorianerpräfekt Magnus spielte vor 460 für Theoderich II. eine bedeutende Rolle - wie später der römische Großgrundbesitzer Leo zur Zeit Eurichs. Katholische Bischöfe führten zuweilen auf Anweisung des gotischen Königs Verhandlungen mit der kaiserlichen Regierung. Daneben jedoch leisteten einige gallorömische Großgrundbesitzer den Westgoten Widerstand. Einen besonders hartnäckigen Kampf führte, wie schon erwähnt, der Adel der Auvergne unter Führung von Ecdicius und Sidonius Apollinaris; letzterer charakterisierte die Vereinbarung zwischen König Eurich und der weströmischen Regierung, welche Clermont den Goten überantwortete, als eine Auslieferung des Volkes in die Sklaverei.® Zwischen den Ankömmlingen und der eingesessenen Bevölkerung herrschten im großen und ganzen friedliche Beziehungen. Natürlich besaßen die Goten, wie man aus den von ihren Königen veranlaßten Rechtstexten ersehen kann, ein etwas größeres soziales Gewicht als die Gallorömer, 86 und gewiß nicht zuletzt deswegen nahmen Autoren, welche den Letztgenannten zugehörten, im 5. Jh. zu den „Barbaren" unterschiedlich Stellung. Die Freude jener, die in den Goten Befreier von dem drückenden römischen Steuerjoch sahen, beeinflußte die Ansichten Salvians. Dieser Presbyter aus Marseille unterstrich die moralische Überlegenheit der Germanen über die „verdorbenen" Römer; er übte sogar Nachsicht gegenüber ihrem arianischen Glauben und behauptete, sie seien „Häretiker aus Unwissenheit". 67 Andere gallorömische Kreise hingegen empfanden die Ausweitung der Gotenherrschaft wenn schon nicht als Katastrophe, so doch zumindest als Einengung ihrer Privilegien. Ihre Ansichten spiegeln die Schriften des Sidonius Apollinaris wider, in denen Antipathie und Feindseligkeit gegenüber den Barbaren nicht selten offen zutage treten.68 Freilich war die Haltung dieses Bischofs und Literaten nicht immer penetrant antigotisch gewesen; sie modifizierte sich in Übereinstimmung mit der sich verändernden politischen Situation. Um dies zu belegen, sei nur

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Gegen Ende der sechziger Jahre des 5. Jh. wurde der Ptaefectus praetorio per Gallias, Arvandus, wegen Landesverrats und heimlichen Paktierens mit den Westgoten vor Gericht gestellt. Man beschuldigte ihn, er habe Eurich empfohlen, keinen Frieden mit Kaiser Anthemius zu schließen und Gallien im Verein mit den Burgundern aufzuteilen. Der Statthalter von Aquitania Secunda, Seronatus, welcher 471 vor Gericht gestellt wurde, bevorzugte Sidonius Apollinaris zufolge die Gesetze des Westgotenkönigs Theoderich gegenüber denen des Theodosius (womit der Codex Theodosianus gemeint ist). Römische Großgrundbesitzer traten als Berater gotischer Könige auf, Der Prätorianerpräfekt Avitus stand dem Hofe Theoderichs I. nahe.

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Apoll. Sidon., Epist. 7, 7: Facta est servitus nostra pretium securitatis alienae. Die Gesetze Eurichs erwähnen Römer, die den Goten ihr Grundstück schenkten (Cod. Euric. 312), und in den Leges Visigothorum (10, 1, 10) ist von der Aneignung römischer tertiae durch Goten die Rede.

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Salvian, De gubernatione dei 7, 62-64; 5. 5 - 8 : Haeretici ergo sunt, sed non scientes. Apoll. Sidon., Epist. 1 , 6 : . . . in qua unica totius orbis civitate soli barbari et servi peregrinantur...; Epist. 7 , 1 4 : barbaros vitas, quia mali putentur; ego, etiamsi boni; Epist. 7 , 6 (über Eurich): . . . tantum pectori suo catholici mentio nominis acet, ut ambiguas ampliusne suae gentis an suae sectae teneat principatum.

DIE ENTSTEHUNG DES WESTGOTISCHEN KÖNIGREICHES IN G A L L I E N

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angeführt, daß Sidonius einst von Theoderich I. als Stütze und Retter Roms gesprochen hatte. 69 Im ganzen gesehen konnte die gallorömische Aristokratie, was bereits bemerkt wurde, ihre ökonomische Position wie auch ihr soziales Gewicht bewahren. D a ß die gotische Führung ihrerseits die Interessen dieser Schicht im Auge hatte, zeigt neben anderem die Herausgabe eines Gesetzbuches für die römische Bevölkerung durch König Alarich II., das selbst eine Kodifikation römischen Rechts darstellte und an dessen Vorbereitung und Ausformung Bischöfe und der einheimische Adel beteiligt waren. 70 Aus den Konstitutionen des Codex Theodosianus sowie den Novellen der Kaiser Theodosius II., Maiorian und Severus, aber auch aus den Arbeiten römischer Juristen der klassischen Periode wurden diesem „Breviarium Alarici" jene Bestimmungen eingefügt, die den herrschenden Bedingungen entsprachen. Der Codex basierte auf der Anerkennung des privaten Grundeigentums, teilte grundsätzlich alle Menschen in Freie und Sklaven ein und zeigte deutlich die Bewahrung von Sklaverei und Kolonat sowie der Munizipalordnung mit ihren Kurien und Kollegien. Für die Senatoren, die mit den Titeln nobiles und maiores bezeichnet wurden, enthielt er einige Vorrechte in bezug auf die Gerichtsbarkeit. Nicht in ihn aufgenommen wurden diejenigen Konstitutionen des Codex Theodosianus, welche das römische Beamtensystem und die militärische Organisation betrafen, und ferner fehlten das Verbot der Patrozinien sowie Bestimmungen gegen Häresien und speziell gegen den Arianismus. Wie gesagt, das „Breviarium" war allein für die gallorömische Bevölkerung bestimmt; für die Goten galt der Codex Euricianus, 71 was daraus ersichtlich ist, daß in einer Reihe von Fällen die Prozesse zwischen diesen und den Römern nach gotischem Recht geführt wurden. Im ganzen blieben Goten und Römer im 5. Jh. nach ihrer Lage im Staat und dem Niveau der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung voneinander verschiedene ethnische Gruppen. Im Tolosanischen Königreich ging keine Integration der barbarischen und der alteingesessenen Bevölkerung vor sich. Die römische Bevölkerung der spanischen Gebiete, die von den Goten eingenommen waren, blieb bis zum Ende des 5. Jh. nur sehr oberflächlich mit dem gotischen Königreich verbunden. Die Trennung von der weströmischen Zentralgewalt bedeutete für die Masse der Gallorömer eine Verringerung der auf ihr lastenden staatlichen Steuern und Pflichten; um einiges lockerte sich die Abhängigkeit des Dorfes von der Stadt. Die ansässigen Kolonen und kleinen Bauern erlangten vermutlich die Möglichkeit, gemeinsame Land88 70

71

Apoll. Sidon., Carm. 23, 69. Commonitorium Alarici regis, in: M G H , L L 1, 466: . . . adhibitis sacerdotibus ac nobilibus viris . .. baec quae excerpta sunt vel clariori interpretatione conposita venerabilium episcoporum vel electorum provincialium nostrorum roboraait adsensus. Möglicherweise spielten das Nahen des Krieges mit den Franken und das Bestreben des Königs, die Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung zu verbessern, hier eine gewisse Rolle. Sowohl der Codex Euricianus als auch das „Breviarium Alarici" wurden als besondere Gesetzbücher des Territorialrechts angesehen; vgl. A. Garcia Gallo, Nacionalidad y territorialidad del derecho en la época visigoda, A H D E 13, 1 9 3 6 - 1 9 4 1 ; derselbe, Consideraciones criticas de los estudios sobre la legislación y las costumbres visigodas; C. Sánchez-Albornoz, Pervivencia y crisis, S. 561-580; A. R. Korsunskij, Gotskaja Ispanija, S. 7 - 1 0 ; H. Schmidt, Zum Geltungsbereich der älteren westgotischen Gesetzgebung. Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens, Münster 1978, S. 1 - 8 2 .

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stücke in den gemischten römisch-germanischen Dorfgemeinden zu nutzen. Die römischen Magnaten verloren einen Teil ihrer früheren Privilegien, konnten sich jetzt aber legal ein militärisches Gefolge halten. Offensichtlich begann das Gewohnheitsrecht der germanischen Eroberer einen gewissen Einfluß auf die juristische Praxis im Königreich auszuüben - auch in bezug auf die einheimische Bevölkerung. Andererseits wurden die Goten, wenn sie römische Villen oder Teile davon erhielten, in die Sphäre der dort herrschenden Wirtschaftsbeziehungen einbezogen. Das schuf bei ihnen die Bedingungen für eine Entwicklung der Produktion, beschleunigte den Zerfall ihrer gentilen Bindungen und förderte sowohl die Herausbildung des Privateigentums am Boden wie die soziale Differenzierung. Auch für die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Westgotenreich ist - ebenso wie für die politische Struktur, was schon betont wurde - ein Dualismus charakteristisch. Zusammen mit der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsordnung in ihrer spätrömischen Variante existierte die im Zerfall begriffene Dorfgemeinde der Goten. Das spätantike soziale Gefüge überschnitt sich mit der sozialen Schichtung der Barbarengesellschaft. Neben dem vom Imperium übernommenen Staatsapparat existierten die Einrichtungen der germanischen militärischen Demokratie, wobei die Spitze sowohl der römischen als auch der „barbarischen" Herrschaftsorgane die königliche Gewalt geworden war.

5. DER ZUSAMMENBRUCH DER RÖMERHERRSCHAFT IN SPANIEN. DAS SUEBISCHE UND DAS WESTGOTISCHE KÖNIGREICH

Während des 5. und 6. Jh. gingen in Spanien sozialökonomische, politische und demographische Wandlungen vor sich, die für das gesamte weströmische Imperium typisch waren, indem sie den Verfall der auf Sklaverei beruhenden Verhältnisse, den Zusammenbruch der Römerherrschaft und die Entstehung barbarischer Königreiche zum Inhalt hatten. Spanien, eine der am stärksten romanisierten Provinzen des Reiches, unterschied sich zuvor in seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Struktur kaum von Italien und Gallien. Es wurden Getreidekulturen, Oliven und Wein angebaut; aber auch die Viehzucht war von Bedeutung. Man produzierte in den meisten Wirtschaften hauptsächlich für den Eigenbedarf; 1 doch waren Getreide und ö l auch Exporterzeugnisse. Getreide wurde im 4. Jh. sogar nach Italien ausgeführt, und daneben gab es in Rom Händler, die auf den Vertrieb von spanischem Öl spezialisiert waren. Die „Expositio totius mundi", eine geographisch, ethnographisch und handelsgeschichtlich interessante Quelle aus dem 4. Jh., erwähnt außerdem Schweinefleisch sowie Pferde aus Spanien, und im Preisedikt Diokletians ist von spanischer Wolle, darüber hinaus auch von Schinken die Rede. Exportiert wurden ferner Nutzholz und Wachs. Auf der Halbinsel wurde Bergbau betrieben, und zwar nach Gold, Silber und Blei; auch existierten Textilwerkstätten. In der Zeit des Dominats sank die Förderung von Metallerzen merklich, und das metallverarbeitende Handwerk wurde eingeschränkt. Der Import befriedigte damals vor allem die Ansprüche der höchsten Gesellschaftsschicht. Über die Aufgliederung des Grund und Bodens gibt es keine hinreichend exakten Angaben. Man kann vermuten, daß der Großgrundbesitz die vorherrschende Stellung im Lande einnahm. Villen gab es besonders im Süden, in der Baetica, aber auch im zentralen Teil der Halbinsel. 2 Im Norden, in den Gebieten der Basken und Kantabrer, bestanden noch bedeutende Überreste der Gentilordnung. Die dort ansässige Bevölkerung war von der Romanisierung nur sehr wenig erfaßt worden, so daß sich bei ihr Züge einer Gemeindeordnung erhalten konnten. Eine ähnliche Entwicklung gab es auch bei einigen Volksgruppen in anderen Landesteilen, z. B. bei den Turdetanen am Guadiana. Die Villenwirtschaften wurden, wie auch in anderen Teilen des Reiches, von Sklaven und Kolonen bearbeitet. Urteilt man nach gewissen archäologischen Denkmälern, so 1 2

I. M. Blasquez, Historia social y economica de la Espana Romana, Madrid 1973, S. 68 f. A . Balil, Aspectos sociales del Bajo Imperio, Latomus 24, 1 9 6 ; , S. 902.

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gab es in den Villen neben dem Herrenhaus und den Wirtschaftsgebäuden Unterkünfte für Dienstleute, welche offenkundig Sklaven waren.3 Spanien gehörte überhaupt in der Periode des Dominats zu jenen römischen Provinzen, in welchen die Anwendung von Sklavenarbeit in den Wirtschaften klarer zutage tritt als anderswo.4 Im 4. und 5. Jh. ist hier im gesamten Weströmischen Reich ein Niedergang des städtischen Lebens zu beobachten. Allerdings waren die spanischen Städte in ihrer Ausdehnung auch früher schon weniger bedeutsam als jene in Gallien oder in einigen anderen Provinzen. Vom 3. Jh. an ist das Bestreben der Grundbesitzer erkennbar, aus den Städten, von denen mehrere jetzt mit Mauern umgeben sind, in ihre Villen überzusiedeln. Doch dem zum Trotz konnte Ausonius noch am Ende des 4. Jh. in die Zahl der 14 größten Urbanen Siedlungen des Imperiums vier spanische einbeziehen: Hispalis (Sevilla), Corduba (Cordoba), Tarraco (Tarragona) und Bracara (Braga). In administrativer Hinsicht war die Halbinsel seit der Zeit Konstantins I. eine Diözese und Teil der gallischen Präfektur. Römische Truppen gab es hier während des 4. Jh. kaum; nur eine Legion, welche die „Notitia dignitatum", ein Militärhandbuch aus dem Ende des 4. und dem Beginn des 5. Jh., zu den Grenztruppen zählt, stand in León. Offensichtlich hatte man statt dessen Laeten-Germanen stationiert; ihnen werden einige Friedhöfe in der Duero-Ebene zugeschrieben.5 Die politische Herrschaft lag in den Händen senatorischer Geschlechter, von denen uns Inschriften besonders in der Tarraconensis, in Lusitanien und in der Baetica Kunde geben.6 Durch ihre Interessen wurden die spanischen Senatoren noch im 4. Jh. deutlich auf das Imperium verwiesen. Einige von ihnen nahmen hohe Ämter in verschiedenen Provinzen ein. Während andererseits an der Spitze der spanischen Verwaltung damals ein kaiserlicher Beamter stehen konnte, der aus einer anderen Provinz stammte. Adlige Römer, die ebenfalls nicht in Spanien geboren waren, besaßen darüber hinaus auf der Halbinsel Landgüter.7 In mehreren Fällen stellten die Senatoren bewaffnete Einheiten in ihren Besitzungen auf, und im Notfall rüsteten sie auch ihre eigenen Sklaven und Kolonen militärisch aus. Die römische Munizipalordnung begann in dem hier behandelten Gebiet bereits gegen Ende des 4. Jh. zu verfallen. In einer Reihe von Städten verließen die Kürialen ihre Munizipie. Zu beachten ist, daß der Norden von dieser Ordnung überhaupt kaum erfaßt worden war.8 Ebenso wie in Gallien führten die Ausbeutung seitens der Großgrundbesitzer sowie der staatliche Steuerdruck zu scharfen sozialen Widersprüchen. Sie entluden sich in der Flucht von Sklaven und Kolonen, vor allem aber in den Bagaudenaufständen. Teilnehmer dieser Empörungen waren freie Bauern, aber auch Kolonen und Sklaven. In 3

J. de Serra Rafols, La „villa" romana de la dehesa de „la Cocosa", Badajoz 1952, S. 38; 46-48; 62.

4

A. H. M. Jones, The Later Roman Empire, Bd. 2, S. 793 f. I. M. Blasquez, Historia social y económica, S. 32. A. Balil, Aspectos sociales, S. 903. Ebenda, S. 890. C. Sánchez-Albornoz, Ruina y extinción del municipio Romano en España y instituciones que la reemplazan, in: Estudios visigodos, Roma 1971, S. 22 f . ; I. M. Blasquez, Historia social y económica, S. 28.

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den vierziger und fünfziger Jahren des 5. Jh. wurde besonders die Tarraconensis von deren Aktivitäten erfaßt. 9 Dem senatorischen Adel eng verbunden waren die katholischen Bischöfe, welche ihm nach Herkunft und gesellschaftlicher Stellung nahestanden. In den städtischen Gemeinden spielten sie die führende Rolle, während die Dorfbevölkerung noch, besonders im Norden des Landes, in starkem Maße heidnischen Kulten anhing. D i e katholische Kirche, die hiergegen einen scharfen Kampf führte, trat zugleich gegen die Priscillianer, die strenge asketische Auffassungen vertraten, auf. Dieser Häresie hing in Galicien die Mehrheit der Bischöfe an, wobei diese von der Masse der Plebs unterstützt wurde; aufgrund dessen kam es schließlich soweit, daß sich die galicische Kirche von der spanischen faktisch selbständig machte. Auf dem Konzil von Toledo im Jahre 400 erreichte die katholische Geistlichkeit jedoch,, daß sich die Mehrzahl der priscillianischen Bischöfe von ihren Ansichten, die zu den Dogmen der „rechten" Glaubenslehre im Widerspruch standen, lossagte. Dennoch überlebte diese „Abweichung" das römische Spanien, und die Kirche kam nicht umhin, auch noch im Toledanischen Königreich der Westgoten, und zwar bis zum 7. Jh., gegen sie den Kampf zu führen. Das bisher Gesagte führt uns Spanien als ein Gebiet vor Augen, in dem die Krise des auf Sklaverei beruhenden Systems in ebendenselben Formen wie in anderen Teilen des Weströmischen Reichs verlief. Als Besonderheiten, die zu bemerken sind, seien noch einmal hervorgehoben: daß die Sklavenarbeit hier länger als in anderen Regionen ihre Bedeutung bewahrte; daß der Rückgang des Außenhandels ebenfalls später in Erscheinung trat; daß Nordspanien, wo sich vorrömische Formen der Gesellschaftsordnung erhalten hatten, nach wie vor rückständig blieb; schließlich daß sich die sozialen Widersprüche in ganz erheblichem Maße zuspitzten. D a Spanien von den Aufmarschgebieten der Barbaren an Rhein und Donau, von wo aus sie gegen das Imperium vorstießen^ weiter entfernt lag, als etwa Gallien oder Italien, war es auch später dem Druck der Eroberer ausgesetzt. Zwar schlugen sich schon im 3. Jh. Franken dorthin durch und zerstörten mehrere Städte, doch bald darauf stabilisierte sich die Lage auf der Halbinsel wieder. Zu Beginn des 5. Jh. änderte sich dann die Situation. Als damals die Gefahr eines neuen Barbareneinfalls drohte, war Spanien von Italien abgeschnitten, weil der Usurpator Konstantin III. die Landverbindungen unterbrochen hatte. Der Versuch von einigen adligen Hispanorömern aus dem Hause des Theodosius, mit Hilfe einer eigenen Truppe Constans, den Sohn des Konstantin, am Vordringen auf die Halbinsel zu hindern, endete mit einem Mißerfolg: Spanien geriet in die Gewalt des Constans und seines Heerführers Gerontius. Konstantin führte militärische Aktionen gegen die Barbaren durch und brachte den Vandalen eine Niederlage bei; er vermochte sie aber weder aus Gallien hinauszuwerfen, noch später ihr Vordringen nach Süden zu verhindern. Als sie daher nach fortgesetzten Bemühungen 409 über die Pyrenäen zogen und sich nach Spanien durchschlugen, ging dort gerade erneut ein politischer Umsturz vor sich: Gerontius lehnte sich gegen Konstantin III.' auf und erklärte einen gewissen Maximus zum Kaiser. Die römischen Kräfte waren zu dieser Zeit in drei Teile gespalten: Außer der spanischen Administration, die noch der Regierung von Ravenna unterstand, erho8

A . R. Korsunskij, Gotskaja Ispanija, Kapitel 7 ; E . A . Thompson, Peasant Revolts in Gaul and Spain, Past and Present 2, 1952.

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D E R Z U S A M M E N B R U C H D E R R Ö M E R H E R R S C H A F T IN SPANIEN

ben zwei sich bekämpfende Usurpatoren den Anspruch auf die Herrschaft. Diese mißliche Lage ermöglichte es den Barbaren, das Land innerhalb zweier Jahre zu verheeren, ohne daß sie auf ernsthaften Widerstand stießen. Es lag jedoch noch nicht in ihrer Absicht, sich dauerhaft auf irgendeinem der dortigen Territorien anzusiedeln und ein neues Verwaltungssystem zu schaffen. Der spanische Chronist Hydatius beschrieb die Leiden, welche die eingesessene Bevölkerung damals von ihnen erdulden mußte; er klagte über Räubereien und Gewalttaten, die sie verübten, aber daneben auch über Hunger, Kannibalismus, Pest und über Bedrückungen durch die Steuereintreiber.10 Im Jahre 411 trafen römische Behörden in Spanien - offenbar handelte es sich um Gerontius oder seinen Günstling Maximus 11 - mit den Eindringlingen eine Vereinbarung, derzufolge ihnen verschiedene Gebiete der Halbinsel überlassen wurden: So fielen Galicien an die hasdingischen Vandalen und Sueben sowie die Baetica an die silingischen Vandalen; die Alanen bekamen Lusitanien und die Carthaginiensis, während die Tarraconensis von Barbaren frei blieb. Damals konnte Gerontius den Constans besiegen; doch führte nur wenig später das Erscheinen kaiserlicher Truppen unter der Führung von Constantius und Ulfila in Südgallien dazu, daß er eine vollständige Niederlage erlitt. Maximus floh daraufhin zu den Germanen. Wenn auch die weströmische Zentralgewalt zu jener Zeit nicht die Möglichkeit besaß, die Lage in Spanien mit Hilfe eigener Kräfte zu ihren Gunsten zu verändern, so suchte sie doch ihre Stellung auf der Halbinsel zu behaupten, indem sie die Barbaren immer wieder gegeneinander ausspielte. Im zweiten und dritten Jahrzehnt des 5. Jh. betrachtete Honorius die Vandalen als seinen dortigen Hauptgegner und ließ von 416 bis 418 westgotische Föderaten gegen sie kämpfen. Später unterstützten römische Truppen die Sueben im Kampf gegen die Vandalen. Als diese dann mitsamt den Alanen im Jahre 429 nach Afrika abgezogen waren, beanspruchten die Sueben die Herrschaft auf der Halbinsel; sie versuchten, ihre Macht auf die Baetica und die Carthaginiensis auszuweiten, und setzten die räuberischen Überfälle auf die römische Bevölkerung Galiciens und Lusitaniens, aber auch auf das Baskenland fort. In den dreißiger und vierziger Jahren des 5. Jh. waren die Beziehungen zwischen ihnen und Westrom deshalb einmal kriegerisch, dann wieder friedlich, wobei die römische Bevölkerung, besonders in Galicien, nicht selten eigene militärische Aktionen gegen sie durchführte, die ihren Ausgang von den Städten und befestigten Punkten (castella) nahmen. Den Sueben gelang es jedoch, mit diesen Gegnern zu friedlichen Vereinbarungen zu kommen.12 Für Westrom andererseits komplizierte sich die Lage, als Ravenna Truppen gegen die Bagauden entsenden mußte, die die römischen Grundbesitzer in der Tarraconensis bedrohten. Der Suebenkönig Rechila brachte 440 dem römischen Heerführer Andevotus eine Niederlage bei und konnte nun die Baetica und die Carthaginiensis seiner Gewalt unterwerfen, wenn auch diese Eroberungen kaum von Dauer waren. 13 Im Jahre 446 schlug er einen anderen römischen Heerführer, Vitus, in die Flucht. Zwei Jahre darauf ver10

Hydatius, Chron. 48.

11

Dieser Meinung ist die Forschung heute überwiegend;

vgl.

S. Hamann, Vorgeschichte

und

Geschichte der Sueben in Spanien, Darmstadt 1 9 7 1 , S. 81 f . ; W. Reinhart, Historia general del reino hispánico de los suevos, Madrid 1952, S. 35. L . Schmidt, Die Westgermanen, München 1970, S. 206, behauptete dagegen, daß der Vertrag mit den Sueben von der Regierung zu Ravenna abgeschlossen wurde. 12

Hydatius, Chron. 9 1 ; 1 0 0 ; 1 1 3 .

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S. Hamann, Vorgeschichte und Geschichte, S. 105.

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DAS SUEBISCHE U N D DAS WESTGOTISCHE KÖNIGREICH

65

heerte sein Nachfolger Rechiarius das Baskenland und die Tarraconensis; er nahm 449 Herda ein und machte viele Gefangene. 14 Der Hof von Ravenna schickte deshalb die westgotischen Föderaten gegen die Sueben und auch gegen die Bagauden, wobei eines ihrer Heere unter dem Kommando des Frederich, eines Bruders von König Theoderich II., im Jahre 454 über die Letztgenannten in der Tarraconensis den entscheidenden Sieg errang. 15 Die westgotischen Krieger setzten sich anschließend im zentralen Teil der Halbinsel, von Palencia bis hin nach Toledo und Calatayud, fest; doch zu einer massenhaften Ansiedlung ihrerseits kam es in dieser Periode nicht. In Übereinstimmung mit Kaiser Avitus brach Theoderich II. im Jahre 455 gemeinsam mit den Burgundern gegen den Suebenkönig Rechiarius auf, der kurz zuvor die Carthaginiensis und die Tarraconensis verwüstet hatte. Jetzt erlitt sein Heer eine Niederlage, er selbst fiel, und das suebische Königreich verlor im Jahre 456 seine Selbständigkeit. Theoderich ernannte seinen Vertrauten Agivulf zum Regenten des suebischen Territoriums. 16 Aber die Unterlegenen gaben sich nicht mit diesen neuen Verhältnissen zufrieden. Agivulf machte sich schon bald von den Westgoten unabhängig, und in den galicischen Bergen wählte ein anderer Teil des Stammesverbandes einen gewissen Maldras zum König. Nachdem die Westgoten daraufhin den Agivulf geschlagen hatten, vollzog sich in den sechziger Jahren des 5. Jh. eine Annäherung zwischen ihnen und den Sueben. Ihr König Eurich nämlich suchte damals ein Bündnis zustande zu bringen, welches gegen das Imperium gerichtet war und auch die Vandalen mit einschloß.17 Somit wird deutlich, daß bis in die sechziger Jahre des 5. Jh. hinein, ungeachtet der Tatsache, daß auf dem Territorium Spaniens barbarische Reiche entstanden waren, mit dem weströmischen Staat weiter gerechnet werden mußte. E r blieb auf der Iberischen Halbinsel - ebenso wie auch in Gallien - noch ein wirksamer politischer Faktor. Der Niedergang des Weströmischen Reichs veränderte das Kräfteverhältnis auch in Spanien zugunsten der barbarischen Königreiche. Die Geschichte der Sueben nach 469 liegt ziemlich im dunkeln. Unter König Theodimir (560-570) umfaßte ihr Reich Galicien und den Nordteil Lusitaniens. Nach dessen Tod unternahmen sie 572 Heerfahrten in den Süden Spaniens; sie zerstörten Coimbra und fielen in Kantabrien ein, wurden dort aber von den Westgoten hinausgedrängt. Als während der siebziger Jahre des 6. Jh. in deren Toledanischem Königreich innere Zwietracht herrschte, suchte der Suebenkönig Miro die Empörung des Hermengild gegen König Leowigild zu unterstützen; er wurde jedoch besiegt und sein Volk in die 14

Nach

Hydatius

Herda -

unternahm

Reccared

einen Einfall

in das

Gebiet

von

Caesaraugusta

und

gemeinsam mit „Basilius": Chron. 142. Der spanische Geschichtsschreiber teilt nicht

mit, wer dieser Basilius war. Einige Forscher sind der Ansicht, daß von einem Bagaudenführer die Rede ist; andere sehen in ihm einen römischen Befehlshaber. Vgl. A . Szädecky-Kardoss, Zur Interpretation zweier Hvdatius-Stellen, Helikon 1, 1961, S. 1 4 8 - 1 5 2 ; R. Abadal y de Vinyals, Del reino de Tolosa al reino de Toledo, Madrid i960, S. 4 1 ; A . R. Korsunskij, Ispanija, S.

$41;

S. Hamann, Vorgeschichte und Geschichte, S.

nof.;

Hydace,

Gotskaja

Chronique.

Commentaire et introduction par A . Tranoy, Paris 1974, S. 87 f. 15

Hydatius, Chron. auctoritate

158:

Per

Fredericum

regis

16

Ebenda 1 7 5 : . . . regnutn destructum et finitum est

17

L. Schmidt, Die Westgermanen, S. 212.

5

Günther

fratrem

Bacaudae

Romana. Suevorum.

Terraconetises

caeduntur

ex

66

DAS SUEBISCHE U N D DAS W E S T G O T I S C H E K Ö N I G R E I C H

westgotische Abhängigkeit gezwungen. Später, als Audeca (583-585) zum König gewählt worden war, bemühten sich die Sueben, ihre Unabhängigkeit zurückzugewinnen; dies konnte Leowigild im Jahre 585 durch einen erneuten Sieg verhindern. E r verwandelte danach das suebische Territorium in eine westgotische Provinz. Über den inneren Aufbau des Königreichs der Sueben und über deren Gesellschaftsordnung fließen die Quellen besonders spärlich. Sie differieren selbst bei der Wiedergabe der Umstände, die zum Auftreten dieses Stammesverbandes in Spanien führten. So berichtet Prosper Tiro zum Jahre 409 über die Ankunft der Vandalen, ohne aber Sueben und Alanen zu erwähnen, wie das Hydatius tut. Nach der „Chronica Gallica" hingegen erschienen die Sueben bereits 408 auf der Halbinsel. 18 Die Ansicht, der man heute meist zuneigt, besagt, daß die Sueben gemeinsam mit Vandalen und Alanen den Rhein überschritten, Gallien durchzogen und im Jahre 409 in Spanien eindrangen. 19 Auch über ihre Ansiedlungsbedingungen ist man sich in der Forschung nicht einig. L. Schmidt bezog sich auf eine Mitteilung des Hydatius, wonach ihnen regiones durch das Los zugeteilt wurden, und meinte, daß sie in Galicien als Föderaten des Imperiums saßen und die Ländereien mit der einheimischen Bevölkerung teilten.20 Einige Forscher jedoch vermuteten, die Barbaren hätten die Genehmigung zum Niederlassen im Jahre 4 1 1 nicht von der kaiserlichen Regierung, sondern von Gerontius oder Maximus erhalten; ihnen zufolge dürfte sich die erwähnte Nachricht des Hydatius eher auf die Teilung der Provinz zwischen den Barbarenstämmen als auf die des Bodens zwischen Sueben und Römern beziehen. 21 Mit hoher Wahrscheinlichkeit standen die Sueben bei ihrem Einmarsch auf einer niedrigeren Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung als etwa die Westgoten zur Zeit der Gründung ihres Tolosanischen Reiches. Sie hatten siel) bis dahin der Romanisierung widersetzt und waren in der Mehrzahl noch Heiden. Gewiß war ihnen auch ein gentiler Zusammenschluß auf höherer Ebene, wie er bei den Goten zu beobachten ist, fremd. Hamann vermutete, daß die nach Spanien gelangten Sueben nur Splitter des ursprünglichen Gesamtvolkes darstellten, die durch Vandalen und Alanen, als diese durch suebisches Territorium wanderten, mit fortgerissen wurden. 22 Ihre Zahl war im Vergleich zu der anderer Barbaren, die sich auf römischem Territorium angesiedelt hatten - wir denken dabei an die Westgoten und Vandalen, um 18

Hydatius, Chron. 42; Chron. Gallica, in: MGH, A A 9, 654; R- L- Reynolds, Reconsideraron of the History of the Suevi, Revue beige de la philologie et d'histoire 35, 1957. S. 1 9 - 2 4 ; W. Reinhart, Historia general del reino, S. 27-29; S. Hamann, Vorgeschichte und Geschichte, S. 63-66.

19

Vgl. die Literatur oben Anm. 18. Nach Ansicht Reynolds lebten die Sueben, die sich zu Anfang des 5. Jh. auf der Pyrenäenhalbinsel zeigten, früher im Norden Germaniens in der Nachbarschaft der Angeln, Sachsen und Jüten. In der Zeit um 400 wurden sie als Laeten in den Uferzonen Nordgalliens seßhaft gemacht. Die angelsächsischen Denkmäler führen sie unter der Bezeichnung swaefs. Im Jahre 408 kamen die Sueben auf dem Wasserwege nach Galicien. Vgl. R. L. Reynolds, Reconsideration of the History, S. 28-33. Hydatius, Chron. 49: . . . barbari ad pacem ineundam domino miserate conversi sorte ad inhabitandum sibi provinciarum dividunt regiones. L. Schmidt, Die Westgermanen, S. 206 und

30

43°. 21

22

R. Gibert, E l reine visigodo y el particularismo español, Bd. 1 : Goti in Occidente, Spoleto 1956, S. 558; S. Hamann, Vorgeschichte und Geschichte, S. 85. Ebenda, S. 66-68.

DAS SUEBISCHE U N D DAS WESTGOTISCHE

KÖNIGREICH

6?

von den Franken gar nicht zu reden - , recht gering. In jener Zeit betrug die Bevölkerung Spaniens alles in allem rund 7 bis 8 Millionen; es gab dort jedoch nicht mehr als 30000 bis 35000 Sueben. 23 Wichtige Zentren ihrer Ansiedlung waren Braga, Vilana de Castilo und Porto. Über die Wirtschaftsweise dieses Stammesverbandes berichten die Quellen überhaupt nichts Verwertbares, denn die Mitteilung des Orosius, daß die Barbaren in Spanien ihre Schwerter in Pflüge tauschten,24 trägt offensichtlich rhetorischen Charakter. Wir halten es dennoch für unbegründet, die Sueben jener Zeit nur als einen „Kriegerstand" zu betrachten,25 der über eine galicische steuerpflichtige Bevölkerung herrschte. Gewiß sahen sie - im Unterschied zu den Westgoten in Aquitanien oder den Ostgoten in Italien, welche im friedlichen Verein mit der ansässigen Bevölkerung lebten - bis zu den sechziger Jahren des 5. Jh. in ihren hispanorömischen Nachbarn hauptsächlich willkommene Ziele für ihre Räubereien. Demgegenüber bemerkt Orosius, die Barbaren seien mit ihnen wie mit Gefährten und Freunden umgegangen, so daß die Einheimischen ein Leben in solcher „Freiheit" dem Steuerdruck der Römer vorgezogen hätten.26 Mit dieser Behauptung freilich lassen sich andere Quellenzeugnisse nur schwer in Einklang bringen - etwa die Nachricht des Hydatius, daß sich die Spanier „in die Sklaverei" der Barbaren ergaben, welche ihre Herrschaft über die dortigen Provinzen errichtet hatten.2' Obwohl das nun anscheinend ebenso überspitzt formuliert ist wie die Bemerkung des Sidonius Apollinaris über jene „Sklaverei", zu der der Vertrag des Anthemius mit Eurich die Bewohner der Auvergne angeblich verurteilte, 28 sollte man doch die Aussagen des spanischen Chronisten über ununterbrochene Überfälle der Sueben auf römische Städte und Siedlungen, über ihren Erwerb von Beute und Gefangenen sowie über den erbitterten Widerstand der römischen Plebs gegenüber den Barbaren nicht in Frage stellen.29 Wie Reynolds bemerkte, zeigt das Vorgehen der Sueben gegen die Bevölkerung Galiciens und seiner Nachbargebiete Ähnlichkeit mit dem der Danskerne im England des 9. Jh.: Auch diese verübten bewaffnete Überfälle, verheerten das Land und erpreßten Tribute von der einheimischen Bevölkerung, schlössen Friedensverträge unter Austausch von Geiseln, verletzten kurz darauf diese Abkommen wieder und begannen ihr grausames Spiel von vorne.30 Die außerordentliche Aggressivität der Sueben wurde nach der Meinung von Hamann durch die besonderen Umstände ihrer Ansiedlung verursacht: Das Territorium, auf dem sie sich niedergelassen hatten, war ökonomisch schwach entwickelt, und es gab dort keine Basis für die Bildung von Großgrundbesitz. Der Mangel an E x i stenzmitteln drängte die Eindringlinge zum Erwerb dessen, was für sie lebensnotwendig war, und dies suchten sie sich durch Expansion und durch Ausplünderung der Bevölkerung, die sie vorfanden, anzueignen.31 Die Sueben lebten nach ihrem Gewohnheitsrecht, von dem Spuren in Nordportugal 23

W . Reinhart, Historia general, S. 33.

24

Oros. 7, 4 1 , 7.

25

So L . Schmidt, Die Westgermanen, S. 2 1 6 .

26

Oros. 7, 4 1 , 7.

27

Hydatius, Chron. 49.

28

Vgl. S. 58, Anm. 65.

28

Hydatius, Chron. passim. Auch Orosius brachte in einem anderen Fall seine Feindseligkeit gegenüber den Barbaren zum Ausdruck: 3, 20, 6.

30

R. Reynolds, Reconsideration of the History, S. 33.

31

S. Hamann, Vorgeschichte und Geschichte, S. 98.

DAS SUEBISCHE UND DAS WESTGOTISCHE

68

KÖNIGREICH

noch nach 800 anzutreffen waren.32 An ihrer Spitze standen Könige, und ihr Herrschaftsbereich wurde seit der Zeit des Rechila (438-448) als regnum bezeichnet. Der zentrale Stützpunkt des Stammesverbandes war Braga, wo sich der Königshof, das palatium, befand. Die Herrscherwürde war erblich, obwohl es offensichtlich der Bestätigung des jeweiligen Thronkandidaten durch eine Zusammenkunft bedurfte. Das Prinzip der Königswahl, das nie aufgegeben wurde, erwies sich besonders in den kritischen Perioden suebischer Geschichte als bedeutungsvoll - beispielsweise nach der Niederwerfung des Königreiches durch Theoderich II., die im Jahre 456 erfolgte.30 Für den König sind die Bezeichnungen gloriosissimus rex und dominus überliefert. Als weiteres wichtiges Organ gab es neben ihm die Volksversammlung, welche im 5. Jh. sicher nachzuweisen ist.34 In der Zeit des Königs Rechiarius (448-456) nahmen die Sueben das katholische Christentum an; sie wurden aber unter Remismund - wahrscheinlich von den Westgoten beeinflußt - um das Jahr 465 Arianer. Kurz bevor dieses Volk jedoch ihr Reich eroberte, kehrten sie 555 zum katholischen Glauben zurück. Eine lange Zeit hindurch bildeten Sueben und Hispanorömer voneinander getrennte Bevölkerungsgruppen. Die Galicier bewahrten ihre frühere Sozialstruktur und Verwaltungsorganisation: In den Quellen werden beispielsweise Adlige aus der einheimischen Bevölkerung (viri nobiles) erwähnt. Die katholischen Bischöfe spielten hier wie auch in Gallien eine aktive Rolle innerhalb des politischen Lebens; sie verhandelten mit den Beauftragten des Kaisers, um Hilfe gegen die Sueben zu erlangen.35 In den Städten blieb die Munizipalstruktur erhalten. Wie schon hervorgehoben, setzte das Aufgebot der Einheimischen den germanischen Zuwanderern mehrfach Widerstand entgegen und zwang sie zum Friedensschluß. Bezeichnend füß die eigene Handlungsfähigkeit dieser Bevölkerung ist, was den letzten Punkt angeht, die Tatsache, daß die Sueben, wie Hydatius berichtet, nicht mit der kaiserlichen Regierung, sondern direkt mit den Galiciern die entsprechenden Verträge aushandelten.36 Die katholische Kirche setzte in jener Zeit den Kampf gegen Andersgläubige und Häretiker, den sie schon früher geführt hatte, entschieden fort: Sie ergriff Maßnahmen zur Vertreibung der Manichäer aus den Städten wie auch zur Niederwerfung der Priscillianer. Allerdings konnte sie, als die Sueben Arianer waren, ihre Konzilien nicht einberufen; sie kämpfte aber weiterhin um den Einfluß auf die gesamte Bevölkerung des Reiches der Sueben. Deren Könige nahmen offensichtlich zuweilen mit dem höheren katholischen Klerus im Lande Kontakte auf. Jedoch obwohl sie Bischöfe zu Verhandlungen mit den kaiserlichen Vertretern sandten,37 obwohl sie teilweise, wie 469 in Lissabon, mit Angehörigen der Munizipalverwaltungen zu Übereinkommen gelangten38 und auch hier und dort gemeinsam mit den Galiciern in den Städten lebten, war die gegenseitige Einflußnahme hier anscheinend schwächer als in einer Reihe anderer 32

W . Reinhart, Historia generai, S. 1 2 0 - 1 2 2 .

33

Das war auch so bei den Ostgoten während des Krieges gegen Byzanz.

34

W . Reinhart, Historia generai, S. 70.

35

Bischof Hydatius war von den Galiciern als Gesandter zu Aetius nach Gallien geschickt worden:

36

Ebenda 9 1 ; 1 1 3 ; 249.

37

Ebenda 100.

Hydatius, Chron. 96.

33

Der Römer Lusidius, welcher die Stadt den Sueben übergab, war später von deren König an den kaiserlichen Hof entsandt worden: ebenda 246; 2 51.

DAS SUEBISCHE U N D DAS WESTGOTISCHE KÖNIGREICH

69

Barbarenreiche. Wie spärlich aber die Quellenangaben über das innere Leben des Suebenreiches auch sind, so können wir doch annehmen, daß die Sueben nicht nur einen sog. Kriegerstand darstellten, der von der Kriegsbeute und von den Abgaben der unterworfenen Bevölkerung lebte. Die Sueben besaßen keine solche Überlegenheit. Um sich die römische Bevölkerung Galiciens vollständig zu unterwerfen oder gar nach deren Besitzungen in der Baetica und bei den Basken zu trachten, fehlte den Sueben eine kräftemäßige Überlegenheit. Als sich in der Zeit von 460 bis 480 dann die Macht der Westgoten auf der spanischen Halbinsel zu konsolidieren begann und schließlich - in den neunziger Jahren des 5. und zu Beginn des 6. Jh. - die Hauptmasse dieses Stammesverbandes dorthin übersiedelte, konnten die Sueben sogar ihre räuberischen Streifzüge nicht mehr so leicht und häufig durchführen wie in der ersten Hälfte des 5. Jh. Nichtsdestoweniger erwies sich das Suebenreich noch als hinreichend lebensfähig, um seine politische Selbständigkeit bis zum Jahre 585 zu behaupten, was unmöglich gewesen wäre, wenn es nicht über eine ausreichend stabile soziale Basis verfügt hätte. D a diese nicht nur aus einer zahlenmäßig geringen Kriegerschicht bestanden haben kann, existierte vermutlich auch ein suebischer Bevölkerungsteil, der einer produktiven Tätigkeit nachging. So darf man, wenn eine derartige Hypothese erlaubt ist, vermuten, daß, als dieser Stammesverband in Spanien herrschte, hier eine gemischte suebisch-hispanorömische Gesellschaft existierte, in welcher Strukturen der sich zersetzenden Sklavenhalterordnung mit dem barbarischen Gesellschaftsaufbau verflochten waren. Wie bereits in der historischen Literatur betont wurde, kann das Toledanische Königreich der Westgoten nicht als direkte Weiterführung des Tolosanischen betrachtet werden. Nach dem Sieg der Franken von 507 bei Vouille nämlich, der das Ende des letzteren mit sich brachte, konnten zunächst die Ostgoten eine Vorherrschaft in Südgallien und Spanien erringen.39 Überhaupt waren ja die Positionen der Westgoten zur Zeit des Krieges mit Chlodwig labil, denn die militärischen Erfolge, die sie beispielsweise unter Eurich errangen, wurden nicht- von einer Kolonisierung begleitet. Dessenungeachtet vermochten sie aber, als kurz vor dem Ende des 5. Jh. die Mitglieder ihres Stammesverbandes in größerer Zahl nach Spanien kamen, einige gegen sie gerichtete Aufstände niederzuschlagen.40 Daß die Instabilität der bei ihnen herrschenden politischen Verhältnisse nach ihrer Niederlage gegen die Franken eher noch zunahm, zeigen die folgenden Ereignisse. Auf Alarich II., der in der Schlacht bei Vouille gefallen war, folgten zeitweilig zwei Könige: sein unehelicher Sohn Gesalich, der von den Goten Septimaniens erhoben wurde, und der vom Ostgotenkönig Theoderich unterstützte legitime Sproß Amalarich. Als ostgotische Truppen die Kräfte des Erstgenannten bei Barcelona schlugen, wurde Amalarich formell Alleinherrscher; Theoderich aber war bis zu seinem Tode im Jahre 526 der wirkliche Regent des Landes, was sich nicht zuletzt daran zeigt, daß er den westgotischen Staatsschatz nach Ravenna überführen ließ und einige Gebiete, darunter Septimanien, von ihm Beauftragten direkt unterstellte. Amalarich erlitt den Tod im Krieg gegen die Franken, die 531 nach Spanien vorgedrungen waren; sein Nachfolger Theu39

R. Abadal y de Vinyals, Del reino de Tolosa, S. 54.

'*" Chron. Caesaraugust, a. 496; a. 506.

DAS SUEBISCHE U N D DAS WESTGOTISCHE KÖNIGREICH

70

dis, der bis 548 regierte, konnte sie jedoch zum Rückzug zwingen. Theudis unternahm eine Expedition nach Afrika, wo er den Byzantinern für eine kurze Zeit Ceuta entriß; von ihm stammt auch ein Gesetz über Gerichtskosten, welches sowohl für die Goten als auch für die Römer galt. Seine Toleranz der katholischen Kirche gegenüber bewies er unter anderem dadurch, daß er dieser die Einberufung von Provinzialversammlungen gestattete. Gegen den ab 549 herrschenden König Agila, der mit Heeresmacht gegen die Baetica zog 41 und vor Cordoba eine Niederlage erlitt, erhob sich bald darauf der gotische Großgrundbesitzer Athanagild; er wandte sich an Kaiser Justinian um Hilfe und schloß mit diesem eine Vereinbarung ab. In der Baetica landeten daraufhin im Jahre 551 byzantinische Truppen; Agila verlor eine Schlacht, und Athanagild wurde für die nächsten sechzehn Jahre König. Die Oströmer besetzten in diesem Zusammenhang weite Gebiete im Südosten der Halbinsel, darunter Cartagena, Malaga, Cordoba und vermutlich auch Sevilla; sie konnten diese auch trotz der Versuche Athanagilds, sie mit Gewalt zurückzugewinnen, behaupten. D i e Regierungszeit des Königs Leowigild (568—5 86)42 war hingegen eine Periode erfolgreicher Eroberungspolitik; diese verfolgte das Ziel, alle jene Gebiete dem Westgotenreich anzugliedern, die bis dahin diesem noch nicht unterworfen waren. Zu Beginn seiner Herrschaft befanden sich in den Händen von Byzanz die Baetica sowie ein Teil der Carthaginiensis; Galicien und das nördliche Lusitanien zählten zum Suebenreich; das Baskenland war unabhängig, und in einer Reihe von Gebieten, die heute zu Asturien, Kastilien und Andalusien gehören, hatten einheimische Großgrundbesitzer die Führung inne oder saßen Stämme, die noch gentilen Organen gehorchten.43 Leowigild unternahm einige Jahre lang Heereszüge gegen die Byzantiner, in deren Ergebnis er ihnen schließlich Sevilla und Cordoba abnahm und die Baetica zurückeroberte. In Kantabrien nahm er das vermutlich in der Provinz Burgos gelegene Amaya ein, sodann ein Gebiet in Nordwestspanien, wo ein gewisser Aspidius herrschte, weiterhin Salaria in der Gegend von Salamanca und Zamora sowie Orospeda im Südosten der Halbinsel. Daß er das Suebenreich unterwarf und es in eine westgotische Provinz umwandelte, wurde bereits erwähnt; daneben gelang es ihm, Aufstände der Basken im Nordosten des Landes niederzuschlagen. Innenpolitisch sind seine Bestrebungen hervorzuheben, die königliche Gewalt zu festigen, die Selbständigkeit der Großgrundbesitzer zu beschränken und die Trennung der Goten von der einheimischen Bevölkerung in Recht, Religion und gesellschaftlichem Leben zu überwinden. Gegen einige Magnaten wurden Zwangsmaßnahmen angewandt; andererseits unterdrückte Leowigild 572 einen Aufstand der Bewohner Cordobas, der von der ländlichen Bevölkerung unterstützt wurde, und desgleichen eine Bauernrevolte in Orospeda. Von 579 bis 585 tobten im Toledanisthen Reich innere Kämpfe, da Hermengild, Leowigilds Sohn und Regent der Baetica, der zum Katholizismus übergetreten war, sich erhob und zum König erklärte. Seine von Byzantinern und Sueben unterstützte / 1

'

Es ist nicht völlig geklärt, ob in der Baetica damals ein Aufstand stattfand oder ob diese bis dahin unabhängig war und der westgotische König jetzt versuchte, über sie seine Herrschaft zu errichten.

42

Bis 573 herrschte in Septimanien dessen Bruder Liuva.

43

Die Kantabrer hatten in Amaya ihren „Senat" -

eine Institution, deren Charakter unklar ist.

E s ist möglich, daß man sich darunter einen Ältestenrat oder eine Stammesversammlung vorzustellen hat.

DAS SUEBISCHE U N D DAS W E S T G O T I S C H E K Ö N I G R E I C H

71

Rebellion wuchs sich jedoch nicht zu einem Kampf der Katholiken gegen die Arianer aus. Die katholische Kirche erwies Hermengild nicht einmal wesentliche Unterstützung; und so waren seine Pläne zum Scheitern verurteilt. Leowigild gab einen neuen Gesetzescodex heraus, der wesentlich die Schlichtung von Streitfällen zwischen Goten und Hispanorömern zum Inhalt hatte.44 Durch ihn wurde das Verbot der Mischehe aufgehoben. Im Jahre 580 tagte auf Veranlassung des Königs eine arianische Kirchenversammlung, welche die Bedingungen des Übertritts vom Katholizismus erleichterte. Einige aufsässige katholische Bischöfe schickte Leowigild in die Verbannung, bekundete jedoch allgemein keine Feindseligkeit gegen den „andersgläubigen" Klerus. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß er dem Abt Nunctus, einem Asketen, Grund und Boden verlieh. König Reccared (586-601) vollzog dann eine Schwenkung und nahm im Rahmen seiner Politik der religiösen Vereinheitlichung selbst den katholischen Glauben an. Einzelne Erhebungen arianischer Bischöfe in Septimanien und Lusitanien, die es in der Folge gab, wurden niedergeschlagen. Der Haupttrend der inneren Entwicklung des Westgotenreiches ging in Richtung einer neuen sozialen Ordnung, die sich in einer engen Wechselbeziehung zwischen römischen und germanischen Elementen verwirklichte. Über die Umstände der westgotischen Ansiedlung in Spanien unter Eurich sowie in der folgenden Zeit lassen die Quellen nichts Bestimmtes verlauten. Gewiß waren in den Gesetzen Leowigilds die Bestimmungen des Codex Euricianus über die „Drittel" der Römer und die sortes der Goten übernommen worden; jedoch fehlt in den Rechtstexten, die nach Eurich herausgegeben wurden, jeder Hinweis auf eine neue, analoge Aufteilung. Deshalb ist es schwer festzustellen, ob sich die Zugewanderten nach Regeln ansiedelten, wie sie in Aquitanien galten, oder ob sie gleich den Franken in Gallien verödete Ländereien und Königsgüter besetzten.45 Das Gebiet der gotischen Niederlassung umfaßte hauptsächlich Altkastilien; es machte insgesamt nicht mehr als etwa ein Zehntel des Territoriums der Halbinsel aus. Diese blieb unter Goten und Sueben wie schon in römischer Zeit eine Region, in der Ackerbau und Viehzucht die wirtschaftliche Grundlage bildeten. Auch nach den Einfällen der Barbaren blieben die großen römischen Villen bestehen, was sowohl archäologische als auch literarische Denkmäler beweisen.46 Zu Großgrundbesitzern wurden nun aber auch der gotische König, die arianische Kirche sowie der Dienstadel. Die hispanorömische Aristokratie behauptete weiterhin ihre ökonomischen Positionen - so ist im „Breviarium Alarici" von Senatoren die Rede, welche über ausgedehnte Besitzungen verfügten. Das Eigentumsrecht der einheimischen Grundbesitzer an ihrem Boden wie an den servi und coloni wurde vom westgotischen Staat anerkannt. Der 44

45

46

Nach Ansicht einiger Forscher trug er im großen und ganzen bereits Territorialcharakter, vgl. die Literatur S. 59, Anm. 71. Der gängigen Anschauung gemäß war das erste der Fall; jedoch gibt es auch die Behauptung, daß es auf der Halbinsel eine ähnliche Landteilung wie in Aquitanien nicht gegeben habe; vgl. A. d'Ors, El Codigo de Eurico, in: Estudios visigóticos, Bd. 2, Roma-Madrid i960, S. 174; J. Orlandis, Historia de España. La época visigótica, Madrid 1977, S. 123 f. J . Serra Rafols, La „villa" Romana, S. 38; 46-48; 62; siehe auch Procop., Bell. Goth. 1, 12, über die 2 000 Krieger, die in den Besitzungen einer Hispanorömerin, der Gattin des Theudis, aufgenommen wurden. Vgl. J. Orlandis, Historia de España, S. 1 2 5 - 1 2 7 .

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senatorische Adel verfügte nach dem „Breviarium" über einige Privilegien in der Strafprozeßordnung. Diese Schicht, welche sich in der Tarraconensis, in Merida und in der Baetica besonders konzentrierte, war eng verknüpft mit der katholischen Kirche, die, den Quellen vom Anfang des 6. Jh. nach zu urteilen, damals tatkräftig nach einer Vermehrung ihrer Einkünfte strebte. Sie war bemüht, ihre Wirtschaften rationeller zu führen und keine Entfremdung von Kirchengut zuzulassen. Sie regelte die Art und Weise der Bearbeitung ihres Grundbesitzes, der in Prekarien vergeben wurde, und legte Normen für den Umgang mit ihren servi und libertini fest. Den weltlichen Großen sprach sie das Recht ab, Einkünfte aus Eigenkirchen zu erzielen. Bei den Goten übernahmen die Könige offenbar die Besitzungen des kaiserlichen Fiskus, und dieser Bodenfonds diente als materielle Grundlage für die Ausstattung ihrer „Getreuen". So wurden auch jene Angehörigen dieses Stammesverbandes Großgrundbesitzer, die den Dienstadel bildeten. Sie hatten wahrscheinlich schon bei der Ansiedlung in Spanien mehr Land bekommen als die einfachen Goten, und in der folgenden'Zeit erweiterten sie ihre Besitzungen dank königlicher Verleihungen sowie durch die Aneignung des Bodens verarmter Stammesgenossen und Hispanorömer. Ehe sich die Westgoten auf der Halbinsel festsetzten, befanden sie sich bereits fast ein Jahrhundert lang in engem Kontakt zur hier ansässigen Bevölkerung, was einen tiefen Einfluß auf ihren gesellschaftlichen Aufbau ausübte. In den ökonomischen Verhältnissen wie in der politischen Struktur verschwanden die Reste der Gentilordnung zunehmend und waren jetzt weit schwächer als im Tolosanischen Reich. Der Grund und Boden wurde zum Kauf- und Verkaufsobjekt, und die Testierfreiheit über das Hab und Gut erweiterte sich - beides bezeugt den weiteren Fortschritt bei der Entwicklung des Eigentums von allodialem Typ.47 Gleichzeitig wuchs der Großgrundbesitz an und gab, sofern er gotischen Herren gehörte, diesen die Möglichkeit zur Bildung eigener Gefolgschaften. Solche mächtigen Herren waren auch nicht immer geneigt, sich den staatlichen Amtspersonen zu beugen - ein Faktum, dem die Gesetze Leowigilds in gewisser Weise Rechnung trugen. Im westgotischen Recht war, anders als in dem vieler anderer barbarischer Königreiche, das Wergeid (Bußgeld) für alle freien Stammesmitglieder gleich hoch festgesetzt. Doch gab es hier ein differenziertes System von Bestrafungen für Vergehen, das auch dem spätrömischen Recht - in Hinsicht auf die unterschiedliche Behandlung von honestiores und humiliores - eigen war. Aufgrund dessen, was schon ausgeführt wurde, nahm während des 6. Jh. die Lage der Gefolgsleute ( b u c e l l a r i i ) im westgotischen Spanien eine andere Dimension an. Stand zuvor die Waffe im Mittelpunkt der Schenkung, welche der patronus dem bucellarius übergab, so trat jetzt hier der Grund und Boden an die erste Stelle. Der Gefolgsmann war verpflichtet, seinem Herrn Kriegsdienste zu leisten und die Treue zu halten. Er konnte das Land und anderes vom Gefolgsherrn empfangenes Gut seinem Sohn übergeben, doch nur dann, wenn der im Dienst dieses Herrn bzw. von dessen Nachkommen blieb. Anscheinend trugen auch die königlichen Landverleihungen an Gefolgsleute und „Getreue" (fideles) im 6. Jh. einen ähnlichen Charakter. Züge einer bedingten Leihe machten sich nicht zuletzt in der Sphäre des kirchlichen Grundbesitzes bemerkbar. Die Verteilung von Grund und Boden sowie von anderen Gütern in Form der Prekarie 47

Lex Visigothorum 5, 4, 7 ; vgl. A . R. Korsunskij, Gotskaja Ispanija, S. 60-67.

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an Personen, die der Kirche dienten, aber keine Bauern waren, kündigte das Aufkommen kirchlicher Benefizien an.48 Über die Wirtschaftsstruktur der Güter gibt es keine hinreichend sicheren Angaben. Doch scheinen einige indirekte Hinweise archäologischer, juristischer und kanonistischer Quellen den Schluß zu erlauben, daß einerseits die Vergabe von Bodenparzellen an serví, coloni und kleine Prekaristen, andererseits der Erhalt von Grundzins und anderen Zahlungen mehr und mehr Bedeutung erlangte. Hauptarbeitskräfte blieben auf den Gütern wie früher die Sklaven und Kolonen; jedoch wuchs, wie man annehmen kann, allmählich das wirtschaftliche Gewicht der kleinen freien Grundbesitzer. Die Lage der Sklaven schien sich, wenn wir die entsprechenden Aussagen des „Breviarium Alarici" wie des westgotischen Rechts betrachten, seit der spätrömischen Periode nicht verändert zu haben. Doch in Wirklichkeit ging hier schon insofern eine allmähliche Wandlung vor sich, als die Sklaven immer stärker wirtschaftlich selbständig wurden und sich ihr juristischer Status erhöhte. So hatten sie jetzt die Möglichkeit, über bewegliche Habe, etwa über ihr Vieh, zu verfügen; sie bekamen ferner das Recht, Zeugenaussagen zu machen und mit Freien einen Prozeß zu führen. Diese Veränderungen treten erst in den Quellen des 7. Jh. deutlich hervor, sind aber gewiß älteren Datums.49 Gleichfalls veränderte sich die Freilassung: Ein bedeutender Teil der libertini war jetzt durch Bande persönlicher Abhängigkeit eng an seine patroni gebunden. Im gotischen Spanien verschwand die Bindung der Kolonen an die Staatssteuer; jedoch durften die Angehörigen dieser Schicht weiterhin ihre Herren nicht verlassen und waren in Hinsicht auf ihr Vermögen der Rechtsfähigkeit beraubt. Sklaven, libertini und Kolonen bildeten das Hauptreservoir der sich im 6. Jh. formierenden Klasse der abhängigen Bauernschaft. Daneben gab es die freien Kleinbesitzer, welche nicht an den Boden gebunden waren und über hinreichend feste Rechte an ihren Parzellen verfügten; damit stellten sie offensichtlich die höchste Schicht in der Bauernschaft dar. Die einheimische Bevölkerung lebte in Dörfern römischen Typs. In einigen Gebieten erhielten sich Überreste einer alten, vorrömischen Dorfgemeindestruktur - so im Baskenland, in Lusitanien und in der Tarraconensis. Die einfachen freien Goten erweiterten geringfügig die Schicht der kleinen Bodeneigentümer in Altkastilien. In den Gesetzen Leowigilds widerspiegeln sich einige Charakteristika der germanischen Mark, beispielsweise die gemeinsame Nutzung von Landstücken und deren Gemengelage, das System der offenen Felder sowie die Beratung von Dorfangelegenheiten auf den Zusammenkünften der „Nachbarn". Nach den wenigen uns bekannten Zeugnissen für das Niveau der Agrikultur und der landwirtschaftlichen Produktion im Spanien des 6. Jh. gingen hier wohl keine grundlegenden Veränderungen vor sich. Es wurden hauptsächlich solche Arbeitsgeräte verwendet, die schon vor der gotischen Zeit in Gebrauch waren. Als Form der Fruchtfolge war offensichtlich das Zweifeldersystem verbreitet. 43

E. Perez - E . Pujol, Historia de las instituciones sociales de la España goda, Bd. 2, Valencia 1896, S. 195 und 2 1 1 ; C. Sánchez-Albornoz, En torno al los origines del feudalismo, Bd. 3, Mendoza 1942; A. R. Korunskij, Gotskaja Ispanija, Kapitel 6; H.-J. Diesner, Westgotische und langobardische Gefolgschaften, Sitz.-Ber. der Sachs. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Klasse 120, 2. ® A. R. Korsunskij, Gotskaja Ispanija, S. 1 1 3 - 1 2 1 .

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Die Goten betrieben nicht nur Acker-, sondern auch Weinbau. Eine große Rolle spielte bei ihnen, wie übrigens auch bei der einheimischen Bevölkerung, die Viehzucht. Im Vergleich zur römischen Zeit vergrößerte sich jetzt die Fläche des bearbeiteten Bodens : Es wurden Wälder gerodet, um Ackerland zu gewinnen. Die für die spätrömischen Quellen typischen Erwähnungen von Ödländereien fehlen in den westgotischen Dokumenten, und es ist bekannt, daß noch zu Beginn des 6. Jh. spanisches Getreide nach Italien exportiert wurde. Gegenüber früher verringerte sich allerdings mit Sicherheit die handwerkliche Produktion. Dennoch blieb in Spanien zur Zeit der Westgoten eine für den Markt bestimmte Erzeugung auf diesem Sektor erhalten; an ihr waren sowohl Hispanorömer als auch Goten beteiligt. Neben den privaten gab es auch staatliche Werkstätten, in denen Münzen geprägt wurden. Daß die Goldförderung in den galicischen Bergwerken weiterging, ist möglich ; daneben wurden Metallerzeugnisse, insbesondere die bekannten gotischen Fibeln, und Gewebe hergestellt. Gehandelt wurde im Landesinneren meist mit Sklaven, Vieh, Getreide, Wein und handwerklichen Erzeugnissen. Wein und Getreide waren neben Metallen, ö l , Wachs und Honig auch Exportartikel, während aus Italien und Byzanz Edelmetalle, Kleidung, Luxuswaren und ebenfalls Handwerkserzeugnisse ins Land kamen. In einigen Städten konnten Niederlassungen fremder Händler festgestellt werden.50 Die überwiegende Mehrheit der städtischen Bevölkerung stellten die Hispanorömer; Goten befanden sich in relativ großer Zahl nur in der Hauptstadt des Königreichs, in Toledo. Während des 6. Jh. verfiel das römische Munizipalsystem. Schon wenig nach 500 gab es nicht mehr in allen Städten Kuriale, die jedoch dort, wo sich die Kurien erhalten hatten, weiterhin dem Staat verpflichtet waren und ihre Ländereien nicht verkaufen durften. Die Leitung der Städte oblag nunmehr in erster Linie königlichen Mandatsträgern, den comités, vicarii und iudices. Der Staatsaufbau bei den Westgoten war im 6. Jh. durch jenen Dualismus gekennzeichnet, der den barbarischen, auf ehemaligem römischem Territorium entstandenen Königreichen eignete. In den Jahrzehnten nach 550 verstärkte sich die Bedeutung von Elementen spätrömischer und byzantinischer Staatlichkeit, wobei zu bedenken ist, daß bereits unter Alarich II. das Wirken staatlicher Organe des Imperiums sanktioniert worden war. Das Verwaltungssystem wurde hauptsächlich getragen von duces, comités und iudices. Sie standen an der Spitze der Provinzen und städtischen Bezirke, wobei es comités auch im Hofdienst gab. Der König verfügte über die höchste militärische, richterliche und gesetzgeberische Gewalt, beriet allerdings die vorbereiteten Gesetze mit den Bischöfen und dem Adel. Amtsinhaber wurden von ihm ein- und abgesetzt. Noch zu Beginn des 6. Jh. war allerdings im Westgotenreich eine „Sitte" gängig, welche Gregor von Tours als „scheußlich" bezeichnete, nämlich die Tötung von Königen, die den Stammesmitgliedern nicht genehm waren, und ihre Ersetzung durch solche nach deren Geschmack.51 Leowigild festigte die Herrschermacht und ergriff darum Maßnahmen, die die Eigenmächtigkeiten des Adels beschränken sollten. In diesem Zusammenhang wurden einige widerspenstige Magnaten Repressivmaßnahmen unterworfen.52 Der 60

51 52

J. Vicens Vives, Manual de historia de España, Madrid i960, S. 89; J. Orlandis, Historia de España, S. 1 ) 1 - 1 4 1 ; A. R. Jorsunskij, Goroda Ispanii v period stanovlenija feodal'nych otnosenij ( V - V I w . ) , in: Social'no-ékonomiceskije problemy istorii Ispani, Moskva 1965, S. 3-63. Gregor von Tours, Hist. Franc. ), 30; vgl. auch 4, 38. Isidor von Sevilla, Hist. Goth. 10; Gregor von Tours, Hist. Franc. 4, 38.

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König suchte die Erblichkeit seiner Würde jetzt zu stützen, indem er seine Söhne zu Mitregenten ernannte. Eine neue Hofordnung wurde verfaßt, offensichtlich nach byzantinischem Vorbild; in ihr finden sich Hinweise auf ein besonderes königliches Gewand und den Thron. Schließlich kam es auch zur Einführung einer anderen Herrschertitulatur, denn seit Reccared nannte sich der König „heilig" (sartctissimus princeps) und maßte sich den römischen Namen Flavius an. Während der Regentschaft des Ostgoten Theoderich in Spanien findet sich noch das römische Prinzip der zivilen und militärischen Gewaltenteilung; bereits unter Theudis aber wurde es nicht mehr angewandt. Die richterlichen, polizeilichen und fiskalischen Funktionen, aber auch die militärische Gewalt oblagen nun den comités der Provinzen und der Stadtgemeinden. Auch in der hier behandelten Zeit war das spätrömische Steuersystem in Kraft, wenn auch mit einer Reihe von Veränderungen. Seine Grundlage bildete der Bodenzins (tributum), mit dem anscheinend die Kopfsteuer verschmolz. Für den Unterhalt des Heeres und der königlichen Beauftragten wurde die annona eingezogen; eine besondere Steuer lag auf der Handelstätigkeit (auraria). Die Bevölkerung zahlte dem Staat Naturalabgaben ( a n g a r i a e ) . Grundlage des militärischen Systems war im 6. Jh. gleichwie im Tolosanischen Reich das gotische Volksaufgebot. Es bestand auch noch immer aus Trupps und Abteilungen von Kriegern in Tausend-, Fünfhundert-, Hundert- und Zehnerschaften mit den entsprechenden Anführern. Diese unterstanden den comités derjenigen Gebiete, aus denen die Männer kamen. Die adligen und vermögenderen Goten nahmen ihre Gefolgschaften, die bucellarii sowie die bewaffneten servi, auf eine eventuelle Heerfahrt mit. Die Krieger bewahrten sich das Recht auf einen Anteil an der Beute sowie an den Strafgeldern, welche erhoben wurden, wenn jemand seine militärische Pflicht verletzt hatte. Diese militärische Ordnung trug zwar in ihren Grundlagen germanischen Charakter; dennoch aber ist der römische Einfluß in einigem unverkennbar. So enthält das „Breviarium Alarici" auch solche Bestimmungen des römischen Rechts, die die Testamente der Soldaten bzw. die Untersuchung gerichtlicher Angelegenheiten zwischen Militär- und Zivilpersonen zum Inhalt hatten. In den Grenzgebieten gab es Verteidigungsanlagen und befestigte örtlichkeiten. Ein limes (Grenzwall) war von den Goten im septimanischen Gallien errichtet worden, wo man sich in Nachbarschaft zum fränkischen Königreich befand. Ähnliche Befestigungen gab es auch im Norden, an der Grenze zu Kantabrien und zu den Sueben, und ebenso im Süden; hier waren sie gegen die Byzantiner gerichtet.63 In einigen Festungen und Städten lagen ständige Garnisonen. In Keltiberien errichtete Leowigild eine neue Stadt mit Namen Reccopolis. Die Verwaltung wies noch jetzt einige Züge der archaisch-germanischen Ordnung auf. Stammesvolksversammlungen gab es allerdings bald nicht mehr; zuletzt ist eine solche für das Jahr 528 erwähnt, auf der in Merida der Bevollmächtigte des ostgotischen Königs Theoderich abgesetzt wurde. 54 Gerichtliche Verfahren wurden von königlichen Mandatsträgern durchgeführt; jedoch nahmen Schöffen ( a u d i t o r e s ) an ihnen teil. Im Recht des 6. Jh. widerspiegeln sich einige germanische Gewohnheiten, so der Reinigungseid, die Ablösung von Bußen für Tötung 53

54

L. A. García Moreno, Estudios sobre la organización administrativa del reino visigodo de Toledo, AHDE 44, 1974, S. 87 f. Chron. Caesaraugust, a. 529.

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und andere Delikte durch Geld, die Zahlung eines Entgelts für eine Schenkung. Die Gesetze Leowigilds zeigen aber auch den Einfluß römischen Rechtes - beispielsweise wenn aus dem „Breviarium Alarici" ein Kapitel über die Verwandtschaftsgrade {„De gradibus") entlehnt wurde, wenn der Grund und Boden als Kauf- und Verkaufsobjekt erschien oder man die Verantwortung für von Verwandten begangene Straftaten aufhob. Die Vorbildwirkung der Gesetzgebung Justinians für das damalige westgotische Recht ist somit unverkennbar.85 Auf die ethnische Uneinheitlichkeit der Bevölkerung im von uns behandelten Zeitabschnitt ist schon immer wieder hingewiesen worden. Wenn aber die hispanorömische wie die germanische Bevölkerung eine bestimmte Eigenständigkeit im religiösen, rechtlichen und politischen Leben bewahrten, so dürfen wir uns doch beide keinesfalls voneinander isoliert vorstellen und etwa behaupten, die Goten hätten eine Art politischer Superstruktur im Lande gebildet, indem die Hispanorömer die Untergebenen, die Germanen aber die Führungsschicht darstellten.56 Genauso einseitig und damit unberechtigt könnte man ja sagen, die hispanorömische Aristokratie, welche sich in der Kirche behauptete, habe den westgotischen Staat erobert.57 Einige Unterschiede im Status der Gruppierungen seien noch einmal hervorgehoben: Die Goten bildeten während des 6. Jh. die Grundlage des Volksaufgebots in ihrem Königreich, und die Heeresdienstpflicht war offensichtlich noch nicht auf alle Hispanorömer ausgedehnt worden. Die Adligen unter diesen verfügten jedoch über eigene kriegerische Formationen, welche aus bucellarii sowie bewaffneten Sklaven und Kolonen bestanden. Es gibt keine Nachrichten darüber, seit wann die Hispanorömer im westgotischen Heer dienten;58 die politische Entwicklung aber führte dazu, daß die Nachkommen der Eroberer und der Alteingesessenen in diesem Punkt mehr und mehr einander angeglichen wurden. Jedenfalls mußten im 7. Jh. sowohl die einen wie auch die anderen Kriegsdienst leisten. Allmählich vollzog sich eine Gleichstellung der Hispanorömer mit den Goten auch in bezug auf die Steuern und Pflichten. Während die Goten z. B. anfänglich für Bodenparzellen, welche sie bei der Ansiedlung in Spanien erhalten hatten, vermutlich keine Grundsteuer zahlen mußten, wurde von Besitzungen, die sie später erlangten, eine solche eingezogen. Zwischen der katholischen Kirche und dem westgotischen Staat existierten, bevor die Träger des letzteren zum Katholizismus übergingen, keine allzu schroffen Gegensätze. Die Auffassung von F. Dahn, der meinte, die Kirche habe sich damals in Opposition zur Königsgewalt befunden, wird heute bestritten und ist wohl überholt. Man weiß ja, daß schon auf den Konzilien von Agde (506) und Toledo (531) Gebete für den Gotenherrscher eingeführt wurden, und nach den Worten Isidors von Sevilla hat sich König 5a

56 57 58

A. Larraona — A. Tabera, El derecho justinianeo en España, Atti del Congresso internazionale di diritto Romano, Bd. 2, Pavia 1955. So R. Abadal y de Vinyals, Del reino de Tolosa, S. 63. So J . Vicens Vives, Manual de historia, S. 84. ö f t e r tauchte die Meinung auf, die Römer hätten schon im Tolosanischen Königreich die Pflicht hierzu gehabt; vgl. F. Dahn, Die Könige der Germanen, Bd. 6, Leipzig 1885, S. 2 1 3 ; R. Menéndez Pidal (Hrsg.), Historia de España, Bd. 3: España visigoda, Madrid 1940, S. 226; L. G. de Valdeavellano, Curso de historia de las instituciones españolas, Madrid 1968, S. 214. L . Schmidt stellt dies jedoch in Abrede; vgl. auch C. Sánchez-Albornoz, Investigaciones y documentos sobre las instituciones hispañas, Santiago 1970 (mit Aufsatz des Herausgebers: E l exercito visigodo).

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Theudis den Katholiken gegenüber sehr friedfertig verhalten. Vereinzelte Repressivmaßnahmen gegen deren Bischöfe, die immerhin vorkamen, waren zudem auch für die Könige nach Reccareds Übertritt nicht ungewöhnlich. Recht interessant dürfte in diesem Zusammenhang sein, daß die Meuterei des Katholiken Hermengild gegen den Arianer Leowigild, von der oben die Rede war, bei katholischen Autoren aus jener Zeit nicht als Kampf für eine gerechte Sache, sondern als „Tyrannei" aufgefaßt wurde. 59 Daß schon, bevor der Katholizismus zur westgotischen Staatsreligion aufrückte, sich unter den Bischöfen dieser Glaubensrichtung auch Germanen befanden, sei schließlich ebenfalls noch erwähnt. Eben während dieser Zeit hatten die Gotenkönige nicht selten arianische Bischöfe zur Ausübung administrativer und juristischer Funktionen herangezogen, die den Richtern im Notfall Beistand erwiesen oder sie auch ersetzten. Die katholischen Bischöfe hingegen spielten eine wichtige Rolle in der Stadtverwaltung, und ihre Kirche wurde, nachdem sie zur „offiziellen" geworden war, unmittelbar in die staatliche Tätigkeit einbezogen. Ein Beschluß des 3. Toledanischen Konzils vom Jahre 589 machte es den provinzialen Kirchenversammlungen zur Pflicht, die Beamten über die Einnahme von Steuern aus der Bevölkerung zu instruieren. Die Bischöfe hatten sich darum zu kümmern, wie die Steuern einzutreiben waren, und sie mußten dem König mögliche Mißbräuche von Mandatsträgern anzeigen.60 A l l dem zum Trotz jedoch sind Schlußfolgerungen in der Richtung, daß das hispanorömische Element während des 6. Jh. das germanische absorbiert habe oder daß sich eine vollständige Nivellierung zweier ethnischer Hauptgruppen im westgotischen Königreich vollzog, nicht gerechtfertigt. Noch Leowigild sah sich genötigt, einen bewaffneten Aufstand von Adligen und Städtern aus den Reihen der Hispanorömer, welcher im Süden des Landes ausbrach, mit Gewalt niederzuschlagen. Als Reste eines älteren Sonderstatus der Goten stellen sich solche Dinge dar wie die Wahrung des Privilegs, die Königswürde nur Angehörigen dieses Stammesverbandes anzuvertrauen, oder die Existenz eines romanisierten germanischen Gewohnheitsrechts neben dem offiziellen Recht, welches das Toledanische Reich überlebte. Und doch sahen sowohl die Nachkommen des senatorischen Adels wie der höchste katholische Klerus bereits am Ende des 6. Jh. im Westgotenreich „ihren" Staat, mit dem sie durch ihre Lebensinteressen verbunden waren. Als ein charakteristisches Indiz für die hier vorhandenen engen Beziehungen kann die laus Spaniae, der bekannte Prolog zur „Geschichte der Goten, Vandalen und Sueben" des Isidor von Sevilla, dienen: Die patriotische Lobpreisung der „Mutter Spanien" vereinigt sich in seinem Text mit der unbedingten Loyalität für den „ruhmreichen" und siegreichen Gotenstamm. Ganz allgemein gesehen, vollzog sich im gotischen Spanien die weitere Entwicklung jener Grunderscheinung des sozialen Lebens, welche sich bereits im spätrömischen Spanien andeutete: die Auflösung des auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftssystems sowie die Herausbildung neuer, feudaler Beziehungen. Dabei ist die Wechselwirkung römischer und germanischer Elemente nicht zu übersehen. Zu den spezifischen Zügen dieses Prozesses, der ja auch für andere Barbarenreiche charakteristisch war, gehörten auf der Iberischen Halbinsel die schnelle Auflösung der Gentilordnung und die frühe 60

K. Schäferdiecks, Die Kirche in den Reichen der Westgoten und Suewen, Berlin (West) 1967,

80

Conc. Tolet. 3, 18; Lex Visigothorum 12, 1, 2.

S. 1 5 0 - 1 5 5 .



DAS SUEBISCHE UND DAS WESTGOTISCHE KÖNIGREICH

Ausformung der Markgemeinde bei den Einwanderern; die Existenz gemischter römisch-germanischer Siedlungen; die Bildung der Hauptproduzentenklasse der frühfeudalen Gesellschaft, der abhängigen Bauernschaft, hauptsächlich aus Nachkommen der ehemaligen römischen Sklaven, Kolonen, libertini und kleinen Prekaristen und erst in zweiter Linie aus verarmten freien germanischen Bauern. Genannt werden müssen außerdem die Entstehung feudaler Grundherrschaften vorzugsweise durch eine innere Umwandlung der spätrömischen Latifundien; das verhältnismäßig lange Vorhandensein bestimmter Gegensätze zwischen den römischen und germanischen Schichten der sich formierenden herrschenden Klasse, welche erst gegen Ende des 6. Jh. überwunden wurden; schließlich die Existenz von vorrömischen Formen der Gesellschaftsordnung bei bestimmten Teilen der einheimischen Bevölkerung, die in Randgebieten der Halbinsel lebten. All diese Aussagen gestatten, wenn man sie zusammennimmt, zweifelsohne die Feststellung, daß während der zweiten Hälfte des 6. Jh. im westgotischen Spanien eine frühfeudale Gesellschaft und auch der Staat entstanden.

4. DER EINFALL DER VANDALEN IN NORDAFRIKA. DAS VANDALISCH-ALANISCHE KÖNIGREICH

Vandalische Stämme werden unter dem Namen „Vandilier" zuerst von römischen Schriftstellern des i. Jh. u. Z. erwähnt. Wahrscheinlich lagen ihre ursprünglichen Wohnsitze im südwestlichen Skandinavien und auf Jütland. In der zweiten Hälfte des 2. Jh. v. u. Z. dürften sie die Ostsee überquert haben, siedelten dann eine gewisse Zeit im Raum zwischen Unterelbe und Weichsel und zogen weiter nach Süden in das Gebiet am Ober- und Mittellauf der Oder (Abb. u u. 12). Seit dem 1. Jh. v. u. Z. faßt man sie dort in Verbindung mit der Kultgemeinschaft der Lugier. 1 Ihnen zugehörige Einzelstämme waren die Silingen und die Hasdingen, von denen sich erstere im Gebiet des späteren Schlesien festgesetzt hatten. Die Hasdingen tauchen zunächst im Zusammenhang mit den Markomannenkriegen Roms auf; hier suchten sie im Jahre 171 um Aufnahme in die Provinz Dakien nach, was ihnen jedoch verweigert wurde. Im 3. Jh. siedelten sie dann östlich der oberen und mittleren Theiß. Von den Kaisern Aurelian (270-275) und Probus (276-282) wurden vandalische Angriffe gegen Pannonien und Rätien abgeschlagen. Teile des Volkes sollen unter Kaiser Konstantin I. aber Wohnrecht in Pannonien erhalten haben; doch ist dies bislang noch nicht durch archäologische Quellen gesichert.2 Am Ende des 4. Jh. erfaßte die Völkerwanderung auch die vandalischen Stämme, denen sich inzwischen iranische Alanen angeschlossen hatten. Ein kleiner Teil blieb in den alten Wohnsitzen; die große Masse aber drängte westwärts. Im Jahre 401 plünderte sie unter König Godegisel Rätien; im Jahre 405 stieß sie in das RheinNeckar-Gebiet vor und nutzte dabei die Tatsache aus, daß Westroms ranghöchster Heermeister Stilicho zur gleichen Zeit mit der Vernichtung der in Norditalien eingedrungenen und aus verschiedenen Stammessplittern zusammengesetzten Scharen des Radagais beschäftigt war. Eine Schlacht mit den Franken, die als römische Föderaten den Rheinübergang bewachten, endete für die Vandalen mit einer Niederlage, und Godegisel fiel im Kampf. Bald darauf fand jedoch eine zweite Schlacht statt, in der sie und die Alanen Sieger blieben. Sie wählten nun Gunderich, den Sohn Godegisels, zu ihrem neuen Anführer und zogen zusammen mit den Alanen und Sueben am Silvestertag des Jahres 406 über den Rhein. Dies vollzog sich etwa in der Gegend von Mainz. 3 Ohne nennens1

Tacitus, Germania 2 ; Plin., Nat.hist. 4, 14, 99; E . Schwarz, Germanische Stammeskunde, Hei-

2

H.-J. Diesner, Das Vandalenreich, Leipzig 1966, S. 1 7 - 1 9 .

3

H.-J.

delberg 1956, S. 68; B. Krüger (Hrsg.), Die Germanen, Bd. 1, Berlin 1976, S. 50; 58, 386. Diesner,

Die

Völkerwanderung,

Leipzig

1976,

S.

100-126;

V.

T.

Sirotenko,

Istorija

mezdunarodnych otnosenij v E v r o p e vo vtoroj polovine I V - nacale V I v., Perm' 1 9 7 5 , S. 6 8 - 7 0 und 91 f.

DER E I N F A L L DER V A N D A L E N IN NORD A F R I K A

werten Widerstand zu finden, drangen sie danach rasch bis zu den Pyrenäen vor. Zahlreiche Städte fielen ihnen zum Opfer, und viele ländliche Villen von Großgrundbesitzern gingen in Flammen auf. Daß, wie schon erwähnt, der Gegenkaiser Konstantin III. mit seinem Heer aus Britannien nach Gallien vordrang, engte den Handlungsspielraum der Eindringlinge ein. E r konnte allerdings deren Weitermarsch nach Süden nicht verhindern, und so gelang es schließlich den Vandalen, Alanen und Sueben, 409 in Spanien Fuß zu fassen. Auch in diesem Land wurden sie zum Schrecken der Städte, Dörfer und Großgrundbesitzer. Sie verbreiteten sich über große Teile der Iberischen Halbinsel, wobei allerdings die Provinz Tarraconensis von ihnen verschont blieb. Die weströmische Regierung - oder war es eher der in Spanien operierende Heerführer des Usurpators Konstantin: Gerontius? - sah sich gezwungen, mit ihnen Verträge abzuschließen, um Zeit für die Vorbereitung späterer Gegenmaßnahmen zu gewinnen. Auf diese Weise wurden die Hasdingen in das östliche Galicien, die Silingen in die Baetica eingewiesen, während die Alanen Lusitanien und die Carthaginiensis erhielten; es ist jedoch recht unsicher, ob ihnen dort nach den Grundsätzen römischer „Gastfreundschaft" Land gegeben wurde. Mit ihrer Ansiedlung war jedenfalls noch kein vandalisch-alanischer Staat entstanden, wenn sich auch die soziale Differenzierung bei ihnen jetzt rasch entfaltete. Wahrscheinlich war auch schon Spanien der Ort, wo der Übertritt der Vandalen und Alanen zum arianischen Christentum erfolgte. 4 Inzwischen hatte die weströmische Zentralgewalt in den ebenfalls auf die Halbinsel vorgedrungenen Westgoten einen Bundesgenossen gefunden, mit dessen Hilfe sie gegen die eben genannten Barbaren vorgehen konnte. Demzufolge besiegte 416 und 418 ein westgotisches Heer unter dem König Vallia (415-418) in mehreren Schlachten die Silingen und Alanen, wobei die ersteren fast völlig vernichtet wurden. Gleich den Alanen ordneten sich ihre Reste seitdem dem Hasdingenkönig unter und wählten keine eigenen Könige mehr. D a die Westgoten hiernach im südwestgallischen Aquitanien Föderatensitze erhielten und somit Spanien wieder verließen, bemühte sich Westrom nunmehr um die Sueben, denen es eine ähnliche Rolle zudachte wie seinen bisherigen Verbündeten. Ein römisches Heer rettete noch im Jahre 418 ein suebisches vor der Niederlage durch Vandalen und Alanen und schlug diese bei Braga. Vier Jahre später unternahmen die Römer dann unter Führung des Heermeisters Castinus einen großangelegten Feldzug gegen diese beiden Stammesverbände, der aber für sie mit einem schweren Debakel endete und es möglich machte, daß Vandalen und Alanen nun auch die Tarraconensis sowie die südostspanische Küste eroberten. Dies war ein schwerer Schlag für die weströmische Herrschaft in Spanien, zumal die Genannten sich damit nicht begnügten: Sie nahmen wenig später die Hafenstädte ein und überfielen mit requirierten römischen Schiffen die Balearen und die mauretanische Küste. 428 gerieten überdies die wichtigen Städte Hispalis und Carthago nova in ihre Hände. Als im gleichen Jahre König Gunderich starb, übernahm dessen Halbbruder Geiserich, den Godegisel mit einer Sklavin gezeugt hatte, das nun schon innerlich gefestigte vandalische Königtum; er herrschte bis 477, also fast ein halbes Jahrhundert. Schon zuvor war es 427 zwischen der weströmischen Zentralgewalt und Bonifatius, dem Befehlshaber der römischen Truppen in Nordafrika, zum Bürgerkrieg gekommen. 4

H.-J. Diesner, Das Vandaienreich, S. 24-26.

11

Vandalischc Bügelfibeln. G o l d . Vom Königsgrab bei Olesnica. W r o c l a w , Museum

12

Vandalische Riemenschnallen, Löffel und Pinzette. G o l d . Vom Königsgrab bei Olesnica. Wroclaw,

Museum

14

Vandalenkönig Gunthamund. Silbermünze. Durch-

messer 1,8 cm. Berlin, Staatliche Museen 15

Vandalenkönig

Hilderich.

Silbermünze.

messer 1,6 cm. Berlin, Staatliche Museen

Durch-

Burgundische

Gürtelschnalle

mit

Menschendarstellung aus Savoyen (Frankreich)

17

Burgundische Grabfunde von Lampertheim, K r . Bergstraße ( B R D ) . Spätes 4. Jh. u. Z.

18

K a i s e r Konstantin I I I . Konsulardiptychon aus E l f e n b e i n . Frühes 5. J h . u . Z . Halbcrstadt,

schatz

Dom-

19

Anglische W a f f e n aus M o o r o p f e r u n g e n von Thorsberg (oben) und N y d a m (unten). 3 . - 5 . J h . u. Z .

21

Angelsächsisches Reliquienkästchen aus Walroßzahn. Braunschweig,

Herzog-Anton-Ulrich-Museum

22

K a i s e r Theodosius I. mit H o f s t a a t in der Zirkusloge. Relief v o m Theodosiusobelisken in K o n -

stantinopel. U m 390 u. Z .

D E R E I N F A L L D E R V A N D A L E N IN N O R D A F R I K A

81

E r dauerte nicht lange, da sich die Kaiserin Galla Placidia, die für ihren minderjährigen Sohn Valentinian III. (425-455) die Herrschaft ausübte, bald mit dem Empörer wieder aussöhnte, der daraufhin zu Beginn des Jahres 429 wieder in seine Ämter eingesetzt wurde. Jedoch hatten inzwischen berberische Stämme den römischen Limes in Nordafrika durchbrechen und sich in weiten Teilen der dortigen Provinzen festsetzen können. Diese politischen Schwierigkeiten Westroms nutzten Vandalen und Alanen aus, indem sie unter ihrem energischen König Geiserich eine Überfahrt nach Afrika vorbereiteten und im Mai 429 auch erfolgreich bewerkstelligten. Die Ursachen dafür, daß sie das fruchtbare Spanien verließen, sind nicht in Hungersnöten oder im Mangel an Siedlungsland zu suchen - waren doch Lebensmittel ebenso wie auch Acker- und Weideland dort in ausreichendem Maße vorhanden. Wahrscheinlich erkannte Geiserich rechtzeitig den zunehmenden militärischen Druck von Seiten suebischer, westgotischer und römischer Heere, die sich sämtlich die völlige Vernichtung der Vandalen und Alanen zum Ziel gesetzt hatten. Hinzu kam wohl als Grund, daß weite Gebiete der Pyrenäenhalbinsel durch die Kriegshandlungen der beiden letzten Jahrzehnte verheert worden waren und man daher reichere Ländereien in Besitz zu nehmen suchte.5 So überquerte Geiserich zur oben angegebenen Zeit auf Schiffen die Meerenge von Gibraltar; in seinem Gefolge befanden sich dabei etwa 80 000 Menschen. Die römische Eroberung Nordafrikas hatte 146 v. u. Z. mit der Zerschlagung des karthagischen Staates begonnen. Rund zwei Jahrhunderte später war das Land vollständig unterworfen und seine Einverleibung in das System römischer Provinzen abgeschlossen. Wie dies nach der diokletianisch-konstantinischen Neueinteilung des Reiches aussah, sei im folgenden kurz dargestellt: So lag im äußersten Westen des römischen Nordafrika die Provinz Mauretania Tingitana mit der Hauptstadt Tingis (Tanger); ihr schloß sich östlich die Mauretania Caesariensis mit der Hauptstadt Caesarea (Cherchel) an, wo sich auch eine römische Flottenstation befand. Beide Provinzen wurden von einem Prokurator aus dem Ritterstand verwaltet. Weiter östlich lag die Provinz Mauretania Sitifensis mit der Hauptstadt Sitifis (Sétif); dann folgte die Provinz Numidia mit der Hauptstadt Cirta, welche seit 312 zu Ehren Kaiser Konstantins I. den Namen Constantina (Constantine) führte. Im nördlichen Teil des heutigen Tunesien befand sich die Provinz Africa Proconsularis mit Karthago (nahe Tunis) als städtischem Zentrum, und südlich davon war die Provinz Byzacena gebildet worden, wo der Küstenort Hadrumetum (Sousse) den politischen Mittelpunkt bildete. Nach Südosten hin erstreckte sich schließlich noch die Tripolitana mit der Hauptstadt Leptis Magna. Alle diese Provinzen waren ein Teil der italisch-afrikanischen Präfektur - mit Ausnahme der Mauretania Tingitana, die zur gallischen gehörte. Auch in der Diözesaneinteilung gab es gerade hinsichtlich dieser Provinz einen Unterschied, indem sie zur spanischen Diözese (XV) rechnete, während die übrigen die afrikanische Diözese (XI) bildeten. Die weiter östlich liegenden Provinzen Libyen und Ägypten gehörten bereits zum Oströmischen Reich und bleiben somit in dieser Darstellung außer Betracht. Grenzort zwischen der Tripolitana und Libyen war die Hafenstadt Arae Philaenorum (Muktar) an der Südostecke der Großen Syrte; dort stießen auch schon in älterer Zeit das karthagische Reich und die griechische Cyrenaika aneinander. 5

H.-J. Diesner, Der Untergang der römischen Herrschaft in Nordafrika, Weimar 1964, S. 4 1 - 4 6 und 105 f.

6

Günther

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D E R E I N F A L L D E R V A N D A L E N IN

NORDAFRIKA

In den mauretanischen Provinzen lebten hauptsächlich Berber; aber auch jenseits der römischen Grenzen siedelten Berberstämme, welche wiederholt in die Provinzen einfielen. Berber bevölkerten darüber hinaus Numidien und die anschließenden östlichen Provinzen ; hier gab es weiterhin libysche Stämme. • In Africa Proconsularis und der Byzacena siedelten schließlich noch Reste der punischen Bevölkerung. Insgesamt schätzt G. Charles-Picard die Einwohnerzahl des römischen Nordafrika zwischen der Mitte des 2. und dem ersten Drittel des 3. Jh., d. h. in einer wirtschaftlichen Blütezeit, auf etwa 6,5 Millionen.6 Die römische Urbanisierungspolitik war hier besonders erfolgreich. Es existierten schließlich etwa 500 Städte im Lande, von denen weit über ein Drittel sich in den Provinzen Africa Proconsularis und Byzacena konzentrierten. Natürlich befanden sich darunter auch viele kleine und kleinste Städte; doch machte die Romanisierung jener Gebiete gerade mit Hilfe der Urbanisierung rasche Fortschritte. Daß die Zahl der Städte in der Spätantike nur wenig abnahm, zeigen z. B. Angaben über die Kirchenversammlung in Karthago vom Juni 4 1 1 : An ihr nahmen 267 katholische Bischöfe teil, 13 andere waren abwesend; hinzu kamen noch 289 donatistische Bischöfe und schließlich weitere 32, die gleichfalls bei der Zusammenkunft fehlten, aber namentlich bekannt sind. Das waren insgesamt 601 Bischöfe, und wenn auch viele römische Städte Nordafrikas damals je einen katholischen und einen donatistischen Bischofssitz aufwiesen, so unterstreicht diese beachtliche Anzahl doch immerhin die obenerwähnte Kontinuität.7 Auch die wirtschaftliche und politische Lage war während des 5. Jh. in Nordafrika immer noch bedeutend besser als etwa in den gallischen Landschaften. Die großen Häfen wiesen nach wie vor einen bedeutenden Seehandelsverkehr auf. Die städtischen Versammlungen römischer Bürger wurden weiter durchgeführt, die Kurialen gingen ihren Pflichten nach, und die Verwaltungsorgane blieben noch bis in die byzantinische Zeit lebendig. Allerdings vertiefte sich im 4. und 5. Jh. unter den Kurialen Afrikas eine soziale und politische Schichtenteilung: Es gab die höchste Schicht, die principales ; dann folgten secundiones und andere. Reichtum und Vermögen zeigten sich in ihrer Unterschiedlichkeit jetzt schärfer als früher.8 Die Landwirtschaft litt in jenen Jahrhunderten gleichfalls nicht so unter der allgemeinen gesellschaftlichen Krise, wie es in anderen Teilen des Weströmischen Reiches der Fall war. Zumindest noch am Anfang des 5. Jh. stand die Öl- und Getreideproduktion in beträchtlicher Blüte.9 Natürlich darf man sich von diesem Bild eines relativen Wohlstands, wie es hier angedeutet wurde, nicht täuschen lassen, denn im Hintergrund der Szene spielten sich 6

G . Charles-Picard, Nordafrika und die Römer, Stuttgart 1962, S. 4 6 ; vgl. auch Ch. R. Whittakcr, Land and Labour in North Africa, Klio 60, 1978, S. 3 3 1 - 3 6 2 .

7

J . - L . Maier, L'Episcopat de l'Afrique Romaine, Vandale et Byzantine, Roma 1973 Helvetica Romana

(Bibliotheca

1 1 ) , S. 4 4 - 6 3 ; vgl. G . G . Diligenskij, Severnaja Afrika v I V - V

Moskva 1 9 6 1 , S. 4 0 - 7 6 ; J . Kolendo -

vekach,

T . Kotula, Quelques problèmes du développement des

villes en Afrique romaine, Klio 59, 1977, S. 183 f. 8

T . Kotula, Zur Frage des Verfalls der römischen Ordnung in Nordafrika, Klio 60, 1978, S. bis 5 1 5 ;

511

C. Lepelley, Les cités de l'Afrique Romaine au Bas-Empire, Paris 1979, vor allem

S. 1 2 1 - 1 9 5 ; 1 9 7 - 2 4 3 ; 4 1 5 f 9

C . Lepelley, Déclin ou stabilité de l'agriculture africaine au Bas-Empire? Antiquités Africaines 1,

1967, S.

135-144;

vgl. Expositio totius mundi 6 1 ;

Victor Vitensis, Historia

provinciae Africae 1, 3 ; G . G . Diligenskij, Severnaja Afrika, S. 7 7 - 1 4 8 .

persecutionis

D E R E I N F A L L D E R V A N D A L E N IN N O R D A F R I K A

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auf der Grundlage scharfer gesellschaftlicher Widersprüche heftige Klassenkämpfe ab. Die sozial-religiösen Formen, hinter denen sie sich verbargen, sind beispielsweise in den Auseinandersetzungen der Circumcellionen mit der katholischen Kirche und der römischen Staatsgewalt gut zu beobachten. Die nordafrikanische Landwirtschaft in römischer Zeit beruhte vorwiegend auf dem Latifundiensystem, in dem die Ausbeutung von Kolonen, Sklaven und Landarbeitern zugenommen hatte. Dadurch waren viele der landwirtschaftlichen Produzenten außerordentlich verarmt, 10 was den Vandalen und Alanen in gewisser Weise zugute kam. Ohne nennenswerten Widerstand zu finden, zogen diese in knapp einem Jahr von Tingis bis nach Karthago (Abb. 13) - das sind etwa 2000 km. Dabei nutzten sie die vorhandenen römischen Küstenstraßen. Von Teilen der unterdrückten Landbevölkerung wie von Sklaven, die zu ihnen überliefen, wurde ihre Ankunft als Erleichterung angesehen, denn damit fiel - wenigstens vorübergehend - der schwere Steuerdruck fort. Kleinere und größere Städte wurden von den Ankömmlingen eingenommen; nur Cirta und Karthago wehrten die Angriffe erfolgreich ab. Der römische Heerführer Bonifatius hatte sich mit seinen Truppen in die Stadt Hippo Regius zurückgezogen, wo er der Belagerung vierzehn Monate lang, bis zum Juli 431, widerstehen konnte; dann verließ er samt Anhang die Stadt und gab sie den Alanen und Vandalen frei. Hippo regius wurde so zur ersten nordafrikanischen Residenz Geiserichs. Um 432 erreichte dann ein oströmisches Heer das umkämpfte Territorium in Nordafrika, welches vom Heermeister Flavius Aspar, einem Manne alanischer Herkunft, geführt wurde. Beide Seiten verwüsteten nun die reichen Provinzen, wichen anscheinend aber einer Entscheidungsschlacht aus. Als schließlich bis zum Jahre 435 die Vandalen und Alanen große Teile des römischen Nordafrika erobert hatten, mußte Westrom seine Unfähigkeit eingestehen, die Lage hier noch mit militärischen Mitteln verändern zu können. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Beginn des genannten Jahres mit den Barbaren zu verhandeln und im Ergebnis dessen sie als Föderaten anzuerkennen. Sie erhielten Gebiete ad habitandum (als Wohnsitz) zugewiesen, was wohl, obgleich dies nicht eindeutig überliefert ist, einer Ansiedlung gemäß dem Prinzip der hospitalitas, dem römischen Begriff „Gastfreundschaft" für fremde Siedler, entsprach. Ihr neues Land lag im Nordwesten der Provinz Africa Prokonsularis sowie in Numidia und der Mauretania Sitifensis. D a der Vertragstext uns nicht bekannt ist, kann nur vermutet werden, daß sich Geiserich seinerseits zu den in Italien dringend benötigten Getreide- und Olivenöllieferungen wie auch zur Verteidigung der Grenzen gegen die Berber verpflichtete. 11 Aber der auf diese Weise erreichte Frieden war nur von kurzer Dauer. Weil der König damit rechnete, daß Westrom vor allem die ihm in der Africa Proconsularis verbliebenen Gebiete, welche wirtschaftlich bedeutsam waren, als Aufmarschgebiet zu einem neuen Feldzug gegen die Vandalen und Alanen benutzen würde, überwältigte er am 19. Oktober 439 in einem Handstreich Karthago und bemächtigte sich des restlichen Gebietes jener Provinz sowie der Byzacena. E r übernahm die karthagische Getreideflotte und baute sie zu einer Kriegsflotte um, mit der er das westliche und zentrale Mittelmeer beherrschte. In den Jahren 440/441 plünderten die vandalischen 10

11

6*

H.-J. Diesner, Der Untergang der römischen Herrschaft, S. 139; vgl. G. G. Diligenskij, Severnaja Afrika, S. 174-200. Grundlegend für die Geschichte des Vandalenreichs insgesamt bleibt C. Courtois, Les Vandales et l'Afrique, Paris 1955; R. Folz - A. Guillou - L. Musset - D. Sourdel, De l'Antiquité au monde médiéval, S. 57-59.

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Schiffe die Küsten Siziliens und Süditaliens. Ein weströmisches Truppenkontingent und eine von Valentinian III. zu Hilfe gerufene oströmische Flotte richteten hiergegen nicht viel aus, verhinderten jedoch erst einmal die vandalische Inbesitznahme Siziliens. Als aber der oströmische Verband 442 wieder abzog, besetzte Geiserich die Insel doch noch, und zwar vollständig; er zwang die weströmische Regierung zu einem neuen Vertragsabschluß, der die Vandalen und Alanen aus dem Föderatenverhältnis entließ, ihre politische Unabhängigkeit anerkannte und die von ihrem König erweiterten Grenzen ihres Reiches bestätigte. Zu diesem gehörte jetzt auch ein Teil der Tripolis, während die beiden westlichen mauretanischen Provinzen, ein numidisches Gebiet um Cirta und das östliche Tripolitanien bei Westrom verblieben. Letzteres reorganisierte seine Verwaltung in den ihm noch unterstehenden Teilen des Landes, wobei die dortigen munizipalen Einrichtungen ihm als Stützen seiner Herrschaft dienten und von der Regierung daher gefördert wurden. 12 Das Zugeständnis der vollen politischen Unabhängigkeit an die Vandalen und Alanen in Nordafrika war ein bedeutsames Ereignis sowohl für den untergehenden weströmischen Staat wie auch für das Königreich der beiden Eroberervölker. War es doch das erste Mal, daß sich derartiges vollzog: das Erkämpfen von Freiheit auf dem Boden Westroms - nicht nur de facto unter dem Föderatenstatus, sondern auch de jure! In den vierziger und fünfziger Jahren des 5. Jh. kann man den Prozeß der Staatsentstehung bei den beiden vereinigten Stammesverbänden der Barbaren als abgeschlossen ansehen. Schon im Verlauf der vandalischen Eroberung Nordafrikas hatte sich ja die innere Unterdrückungsfunktion insofern gezeigt, als die herrschende Klasse der römischen Großgrundbesitzer in einigen Gebieten entmachtet und enteignet wurde. Zudem verfolgte der Staat, welcher bis zu seinem Untergang arianisch blieb, damals und später die ideologisch-religiöse Hauptstütze Westroms, die katholische Kirche. Ihr Grundbesitz wurde konfisziert, und so manchem Vertreter des katholischen Klerus ging es wie bestimmten Angehörigen der Großgrundbesitzeraristokratie: Sie wurden versklavt oder in den Stand von Kolonen versetzt und deportiert. 13 Mit der Vernichtung der römischen Steuerkataster gewann der neue Staat Freunde unter den ärmeren Schichten der provinzialrömischen Bevölkerung. Doch bald wurden diese wiederum durch andere, nunmehr von den Vandalen erhobene Steuern bedrückt. Das Eroberervolk der Vandalen-Alanen stand an der Spitze einer sozialen Hierarchie, die sich insgesamt im Vergleich zur römischen Spätantike nicht wesentlich verändert hatte. Der unumschränkt herrschende König war zugleich der bedeutendste Großgrundbesitzer im Lande. Die enteigneten Teile des Bodens wurden von ihm, soweit er sie nicht selbst für sich beanspruchte, an den vandalischen Adel, die arianische Kirche sowie an einfache Freie vergeben. Deren Hauptmasse siedelte in der Africa Proconsularis, und die kleineren, ihnen dort zugeteilten Grundstücke, welche sortes Vandalorum genannt wurden und dem fränkischen Allod vergleichbar waren, gingen in ihr Eigentum über. Der vandalische Großgrundbesitz hingegen wurde weiter vorwiegend durch Kolonen und Sklaven bewirtschaftet, was bedeutet, daß die neuen Herren erhebliche Reste der untergehenden Wirtschaftsweise beibehielten. Die Ansätze 12

13

G. G. Diligenskij, Severnajä Afrika, S. 244-248; H.-J. Diesner, Der Untergang der römischen Herrschaft, S. 1 8 1 - 1 8 8 . H.-J. Diesner, Das Vandalenreich, S. 55 und ; 8 f .

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KÖNIGREICH

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zur Feudalisierung der Gesellschaft waren überhaupt bei den Vandalen und Alanen geringer entwickelt als bei den Franken, Westgoten und Burgundern.14 In einer Erhebung der vandalischen Gentilaristokratie, über die wir freilich sehr wenig wissen, wandte diese sich im Jahre 442 gegen die zunehmende persönliche Machtfülle Geiserichs, wurde jedoch gewaltsam unterdrückt und damit gleichzeitig aus dem weiteren politischen Leben des Staates ausgeschaltet. Dafür begann sich die Bedeutung des vom König abhängigen Dienstadels zu heben. Es gab fortan auch keine Volksversammlungen mehr. Die vandalischen Heeresabteilungen, unter denen die Reiterei eine besondere Rolle spielte (Abb. 13), waren an der Südgrenze und in den Häfen stationiert. Abgesehen von maurischen Hilfstruppen, durften nur Angehörige der beiden eingedrungenen Stammesbände am Kriegsdienst teilnehmen. Ihr neuer Staat war in verschiedene Provinzen eingeteilt: in die Zeugitana, Numidia orientalis, Byzacena, Abaritana und Gaetulia. An deren Spitze standen Statthalter, die aus der afrikanisch-römischen Bevölkerung stammten, die Gerichtsbarkeit über diese Bevölkerung wahrnahmen und Steuern einzutreiben hatten, wobei die Grundlage hierfür die spätrömischen Gesetzessammlungen blieben. Das munizipale Leben erlosch auch im vandalischen Königreich nicht: In den Städten wurden die traditionellen Priesterämter ebenso weitergeführt, wie die Provinzialversammlungen aus römischer Zeit ihre Fortsetzung fanden. Die katholische Kirche, obwohl zeitweilig schweren Verfolgungen ausgesetzt, behielt vor allem ihre Anhänger. Wie konservativ die sozialen Strukturen auf dem Lande im Vandalenreich erhalten blieben, zeigen die „Tablettes Albertini" aus dem Süden der Provinz Byzacena. Dies waren Kaufkontrakte, welche nach dem 21. April 496 vor unberechtigtem Zugriff verborgen wurden und sich auf eine große Domäne bezogen, die einem Fl. Geminius Catullinus gehört hatte; sie sind in den Jahren zwischen 493 und 496 abgefaßt. 15 Der Großgrundbesitz (latifundium), von dem die Rede ist, war in vier fundi (Wirtschaften) eingeteilt, die wiederum in zahlreiche kleine Bauernstellen zerlegt erscheinen. In den Kontrakten ist nun von bedrückten Bauern die Rede, die noch nach rund 400 Jahren entsprechend der aus flavischer Zeit stammenden Lex Manciana als Kolonen tätig waren, wenn auch - und darin äußert sich der Niedergang der antiken Gesellschaft ihr Status schon mehr dem eines freien Bauern angeglichen war. Diese Kolonen werden in den Dokumenten als cultores Mandant bezeichnet.16 Neue gesellschaftliche Entwicklungen zeigten sich nur in Ansätzen. Daher dauerte es auch nicht lange, bis die von Westrom einst ausgebeuteten Klassen spürten, daß sie nur die Herren gewechselt hatten, nicht aber das sie ausbeutende System. Sie zeigten sich dann auch den Einflüssen der katholischen Kirche geneigter, die ideologisch die Rückeroberung des Landes vorbereitete, und sie sympathisierten mit den erneut einfallenden Berberstämmen, welche ihrerseits in Nordafrika barbarische Königreiche bildeten.17 Als der Staat seinen letzten Entscheidungskampf gegen Byzanz führte und verlor, da stand die Masse der unterdrückten Klassen abseits - oder sie unterstützte offen die Byzantiner. 14

G . G . Diligenskij, Severnaja Afrika, S. 2 4 9 - 2 6 8 .

15

C. Courtois -

16

G . G . Diligenskij, Severnaja Afrika, S. 2 6 9 - 2 7 5 ;

17

L.

Leschi -

Ch. Perrat -

Ch. Saumagne, Tablettes Albertini, Paris

1952.

H.-J. Diesner, D a s Vandalenreich, S. 86 f.

H.-J. Diesner, D e r Untergang der römischen Herrschaft, S. 1 5 3 .

DAS VANDALISCH-ALANISCHE KÖNIGREICH

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Aber zunächst befanden sich die Vandalen noch vor dem Höhepunkt ihrer Machtentfaltung. Geiserich, eine energische und politisch aktive Persönlichkeit seiner Zeit, 18 erwies sich auch als Meister der Diplomatie: E r täuschte Westrom und hielt Byzanz von Handlungen gegen seinen Staat zurück. Wahrscheinlich waren seine Gesandten auch am Hofe Attilas, des Hunnenkönigs, zu finden. Als im März 455 der weströmische Kaiser Valentinian III. ermordet wurde, nahm der Vandalenkönig dies zum Anlaß, den obenerwähnten Vertrag von 442 als erledigt anzusehen - zumal der neue Kaiser Petronius Maximus die Tochter Valentinians, Eudocia, mit seinem Sohn verheiratet hatte, obwohl sie seit etwa 446 mit Geiserichs Sohn Hunerich verlobt war. Geiserich selbst stellte sich an die Spitze seiner Flotte und besetzte in den letzten Maitagen den Hafen Portus an der Tibermündung. In Rom brach eine Panik aus, wobei Petronius Maximus umkam. Nach vierzehntägiger Plünderung der Stadt zog Geiserich mit seinen Truppen wieder ab, führte jedoch die Witwe Valentinians III., Eudoxia, sowie dessen schon genannte Tochter Eudocia und ihre Schwester Placidia mit sich. Es heißt, daß er auf seinen Schiffen auch Tausende von kriegsgefangenen römischen Handwerkern in sein Reich gebracht habe. Eudocia wurde umgehend mit Hunerich verheiratet; erst im Jahre 472 gelang ihr die Flucht nach Jerusalem. Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen festigte Geiserich seine Herrschaft im westlichen Mittelmeer und nahm die Inseln Sardinien, Korsika, die Balearen und Sizilien in Besitz. Bald nach 455 mußten sich weiterhin die bis dahin noch zu Westrom gehörenden Provinzen Nordafrikas dem vandalischen Staat unterstellen. Allerdings reichte dessen Machtsphäre nach Westen auch jetzt nicht über Numidien hinaus, denn in den mauretanischen Provinzen setzten sich zunehmend Berberstämme fest und verselbständigten sich. Im wesentlichen erstreckte sich die vandalische Herrschaft nur auf die Städte des Küstenbereichs - nach Westen hin etwa bis Ceuta. So kam es, daß sich in den mauretanischen Provinzen auch römische Großgrundbesitzer ansiedeln konnten, die von Geiserich aus der Africa Proconsularis vertrieben worden waren; sie fanden auf verödeten privaten und kaiserlichen Latifundien Platz, sofern sie sich mit den dortigen Berbern arrangierten. 19 E s ist interessant, daß die Eroberung Roms durch die Vandalen im Jahre 455 bei den zeitgenössischen römischen Schriftstellern in wesentlich geringerem Maße Beachtung fand als die Einnahme der Stadt durch die Westgoten, die damals fünfundvierzig Jahre zurücklag. Dazu muß man wissen, daß inzwischen durch Augustin und andere Autoren sowie durch das Papsttum die Vorstellung von der „Ewigkeit" Roms auf die katholische Kirche übertragen worden war. Damit verbreitete sich auch die Auffassung, Germanen und andere Barbaren könnten zwar Rom schaden, aber der Kirche nichts antun. Diese Ideen, die nicht mehr zur Verteidigung des Imperiums verwendbar waren, begünstigten objektiv die Errichtung wie später die Festigung der Barbarenreiche auf weströmischem Boden. Nach der Katastrophe von 455 plante Kaiser Avitus, der bis 456 regierte, größere militärische Aktionen gegen denVandalenstaat. Einige Teilerfolge Westroms auf Sizilien oder in einem Seegefecht bei Korsika änderten jedoch nichts an der Tatsache, daß diesem die Seeherrschaft uneingeschränkt erhalten blieb. Erneut kam es dann unter 18

E. F. Gauthier, Genseric, roi des Vandales, Paris 1932.

19

N o v . V a l . 3, 34 ( 4 5 i ) .

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Kaiser Maiorian (457-461) zu Kriegsvorbereitungen gegen die Vandalen, die diesmal noch umfangreicher1 ausfielen: Eine weströmische Flotte sollte sie von Sizilien, ein Landheer von Spanien her angreifen. Durch einen kühnen Handstreich der vandalischen Flotte auf den Hafen von Cartagena, wo sich die weströmischen Transportschiffe sammelten, gelang es den Barbaren aber, einen Teil von diesen zu entführen. Damit brach 460 der Plan zusammen, an den der Kaiserhof von Ravenna und die weströmische Aristokratie so große Hoffnungen geknüpft hatten. Die vandalische Flotte verheerte jetzt Jahr für Jahr die italischen Küsten, kaperte Handelsschiffe und wurde so zum Schrecken des weströmischen Staates.20 Unter dem Kaiser Anthemius (467-472) wurden noch einmal große Anstrengungen unternommen, um das Vandalenreich zu vernichten. Ein Bündnis mit Byzanz - begünstigt sicher dadurch, daß inzwischen auch die Küsten des östlichen Mittelmeeres vor den Schiffen der Germanen nicht mehr sicher waren - brachte eine gewaltige Flotte sowie ein zahlenmäßig starkes Heer gegen sie zusammen. Wieder hofften Kaiserhof und senatorische Aristokratie auf einen entscheidenden Erfolg. 2 1 Unter dem Befehl des Comes Marcellinus, dem die weströmischen Abteilungen unterstellt wurden, gelangen dann auch erfolgreiche Operationen gegen Sardinien und Sizilien. Im Jahre 468 ging das byzantinische Heer, von Heraclius und Marsus kommandiert, in Tripolitanien an Land und rückte gegen Karthago vor. Die oströmische Flotte, welche Basiliscus befehligte, schlug die vandalische in mehreren Kämpfen und setzte sich am Promonturium Mercurii (Kap Bone) fest. Damit war man dort nur noch 60 km von Karthago entfernt. Basiliscus zögerte jedoch mit seinem entscheidenden Angriff, denn Marcellinus lag mit der weströmischen Flotte noch vor Sizilien, das byzantinische Landheer aber kam in seinem Marsch aus Tripolitanien nach Karthago nur langsam voran. Geiserich suchte Zeit zu gewinnen, um seine Seemacht neu zu sammeln; er täuschte Basiliscus, indem er Friedensbereitschaft vorgab, und erreichte auch einen fünftägigen Waffenstillstand. Nach dem Ablauf dieser Verhandlungen führte er jedoch einen Überraschungsangriff durch: Ein Brandangriff vernichtete einen großen Teil der byzantinischen Schiffe; der Rest zog sich nach Sizilien zurück. Gerade zu dieser Zeit wurde dort Marcellinus ermordet, was vermutlich auf das Betreiben seines Rivalen Ricimer, des obersten Heermeisters Westroms, hin geschah; denkbar ist aber durchaus, daß Geiserich seine Hände dabei mit im Spiel hatte. Flotte und Heer wurden daraufhin nach Byzanz zurückgerufen - das so groß angelegte Unternehmen war gescheitert. Geiserich unterwarf Sardinien und Sizilien erneut, und seine Flotte plünderte wie zuvor im östlichen Mittelmeer. Ein diplomatischer Erfolg gelang dem König im selben Jahre insofern, als nach dem Tode des Anthemius ein von ihm gewünschter und geförderter Kandidat den weströmischen Thron bestieg: Anicius Olybrius (April bis November 472). Dieser war der Gemahl der oben schon genannten Tochter Valentinians III., Placidia, und damit der Schwager des vandalischen Thronfolgers Hunerich. Z w a r starb Olybrius schon wenige Monate nach dem Erwerb des Kaisertums; jedoch allein schon der erfolgreiche Versuch Geiserichs, unter Ausnutzung dieses Verwandtschaftsverhältnisses die Politik Westroms beeinflussen zu können, zeigt das veränderte politische Kräfteverhältnis. Die folgenden Schattenkaiser bildeten für das Vandalenreich keine Gefahr mehr, zumal das untergehende Westrom jetzt ein Spielball byzantinischer, westgotischer, bur20

H.-J. Diesner, Das Vandalenreich, S. 66 f.

21

Vgl. Apoll. Sidon., Carm. 2, 544-548.

68

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gundischer und vandalischer Interessen wurde. Die Diplomatie Geiserichs blieb aber weiterhin aktiv, und er schloß im Jahre 475 sogar mit Westrom ein Bündnis, um diesen Staat eventuell in zukünftigen Auseinandersetzungen mit Byzanz verwenden zu können. So hatten sich die Zeiten geändert! Bereits ein Jahr zuvor war Byzanz zu einem Friedensvertrag mit den Vandalen gezwungen gewesen, in dem es diesen den Besitzstand ihres Staates garantieren und ihm die volle Unabhängigkeit zugestehen mußte. Damit waren die gewandelten Verhältnisse in Nordafrika jetzt auch von seiner Seite juristisch anerkannt - eine Maßnahme, zu der das weströmische Kaisertum schon im Jahre 442 gezwungen war. Als dieses Kaisertum dann 476 unterging und der germanische Heerführer Odoaker neuer Herr Italiens wurde, wußte Geiserich sich diesen gleichfalls zu verpflichten,1 indem er ihm gegen einen jährlichen Tribut den größten Teil Siziliens übergab. Damit festigte er seinen politischen Einfluß auch unter diesen neuen Umständen. Am 24. Januar 477 starb Geiserich, der neben Eurich und Odoaker als einer der bedeutendsten politischen Totengräber des weströmischen Imperiums anzusehen ist.22 Sein Sohn Hunerich übernahm danach die Herrschaft und regierte bis 484. Hunerich richtete sein Hauptaugenmerk auf die innere Festigung des Königtums, was er mit Hilfe der arianischen Kirche zu erreichen suchte. E r verfolgte, wie früher die Römer, die Manichäer, wollte aber zunächst zu einer Übereinkunft mit den Katholiken gelangen. Es ist für alle vandalischen Könige bezeichnend, daß sie, obwohl in grundsätzlicher Gegnerschaft zur katholischen Kirche stehend, es stets verschmähten, die noch vorhandenen Reste der donatistischen Kirche und der Circumcellionen auf ihre Seite zu ziehen.23 Darin zeigt sich die gleiche prinzipielle Feindschaft der germanischen Königreiche zu den Volksbewegungen im Innern des Imperiums, die bereits bei den Westgoten gegenüber den Bagauden auffiel. Hunerich suchte das Arrangement mit der katholischen Kirche auch deshalb, um ihre Zustimmung für die von ihm gewünschte Ablösung der von Geiserich eingerichteten Senioratsnachfolge im Königtum und ihre Ersetzung durch die Erbfolge des ältesten Sohnes zu erhalten. Gemäß dem Seniorat wurde nämlich nicht dieser, sondern das älteste Mitglied der Königsfamilie Nachfolger in der Würde. Um 480/481 forderte der oströmische Kaiser Zenon den Vandalenkönig auf, er solle den vakanten katholischen Bischofssitz von Karthago wieder besetzen. Hunerich verlangte daraufhin die Gleichberechtigung der arianischen Lehre in Konstantinopel und in den anderen orientalischen Provinzen; falls Ostrom auf diese Bedingung nicht eingehe, drohte er mit der Deportation aller katholischen Bischöfe des Vandalenreiches „zu den Mauren". 24 Die vandalisch-byzantinischen Beziehungen spitzten sich hierdurch zu, und mit dem Jahre 482 kam es zu einer schweren Verfolgungswelle der katholischen Kirche; Bischöfe und Priester wurden verbannt. Ein von Hunerich für den Anfang des Jahres 484 anberaumtes Konzil aller arianischen und katholischen Bischöfe seines Reiches in Karthago, an dem von den letzteren etwa 460 teilnahmen,25 sollte die Katholiken ganz allgemein veranlassen, zum Arianismus überzutreten. Ein solches Ansinnen mußte natürlich scheitern, und prompt wurde der Mißerfolg den Katholiken 22 23 24 25

R. Folz - A. Guillou - L. Musset - D. Sourdel, D e l'Antiquité au monde médiéval, 108 f. Ebenda, S. 88. Victor Vitensis, Historia persecutionis 1 , z, 3-5. H.-J. Diesner, Das Vandalenreich, S. 80 f.; Victor Vitensis, Historia persecutionis 2, 58-44.

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zur Last gelegt. Hunerich verlangte nun per Edikt den Übertritt aller Katholiken zum Arianismus, und zwar bis zum 1. Juni 484. Bei der Formulierung zogen er und seine Ratgeber die antihäretischen Gesetze des Codex Theodosianus heran, besonders das des Jahres 4 1 1 gegen die Donatisten. Fast wörtlich wurden deren Bestimmungen nun gegen die Katholiken in Anwendung gebracht, wobei die gegen die Circumcellionen gerichteten Passagen mit übernommen wurden. Spätestens hier jedoch zeigte sich deutlich die innere Schwäche des yandalischen Staatswesens: Es wurde durch die auch in der Zukunft fortdauernde ideologische Spaltung der Gesellschaft - von der übrigens die germanische Herrenschicht selbst keineswegs unberührt blieb - stark in Mitleidenschaft gezogen. Hinzu kam, daß unter Hunerich der vandalische Dienstadel dezimiert wurde, weil er sich entweder mit der geplanten Thronfolgeordnung nicht einverstanden erklärte oder zum Teil sogar Verbindungen zur katholischen Kirche aufgenommen hatte. Berberstämme nutzten diese Situation aus und rissen einige Gebiete des Vandalenreiches an sich. Als Hunerich am 22. Dezember 484 starb, hatte er weder seine Thronfolgeordnung durchsetzen können, noch war die religiös-ideologische Spaltung beseitigt. Die katholische Kirche ging politisch-moralisch gestärkt aus den Verfolgungen hervor, wenn sie unter diesen auch gelitten hatte. Der vandalische Staat hingegen stand vor einer schwierigeren Situation als zur Zeit Geiserichs: E r begann sich immer stärker von den Volksmassen, die einst den Wechsel der Macht von Westrom an die Vandalen und Alanen begrüßt hatten, zu isolieren. Streitbare Vertreter der katholischen Kirche in Nordafrika, beispielsweise der am Ende des 5. Jh. lebende Victor von Vita, bekämpften mit Schriften und Predigten nicht nur den Arianismus, sondern die Vandalen selbst und nahmen dafür Verbannung, Verlust der Freiheit und auch den Tod auf sich. Sie wandten sich darüber hinaus gegen jene katholischen Romanen, die noch Sympathie für die Vandalen empfanden: „Ihr wenigen, die ihr die Barbaren liebt und sie bei eurer Verdammnis manchmal lobt: prüft die Bedeutung ihres Namens und untersucht ihre Sitten! Könnte man sie mit einem besseren Namen benennen als mit dem der Barbaren? Denn dieses Wort ruft die Vorstellung der Wildheit, Grausamkeit und des Terrors hervor. Sie mögen euch mit ihren Gefälligkeiten überhäufen, mit ihren Ergebenheiten ködern - sie kennen doch nichts anderes als: die Römer zu hassen. Und wenn es nach ihrem Willen ginge, so wünschten sie stets den Glanz und den Adel des römischen Namens zu verdunkeln. Ihr Wunsch ist, daß nicht ein einziger Römer überleben möge! Und wenn sie ihre Untertanen schonen, so tun sie es, um sie für ihre Sklavendienste zu gebrauchen; denn sie haben nie auch nur für einen einzigen Römer Zuneigung gehabt." 26 Neuer König der Vandalen und Alanen wurde jetzt Gunthamund (484-496), ein Neffe Hunerichs (Abb. 14). Dieser suchte etwa ab 487 die katholische Kirche wieder durch Entgegenkommen für sich zu verpflichten: E r gestattete den verbannten Bischöfen die Rückkehr in ihre Gemeinden und stellte 494 den Kirchenbesitz der Katholiken wieder her. Jedoch sah er auch weiterhin jede Hinneigung zu Byzanz als staatsgefährdend an. Der Dichter Dracontius kam unter ihm ins Gefängnis, weil er vermutlich den byzantinischen Kaiser - dessen Namen er vorsichtigerweise nicht einmal erwähnt hatte! - in einem Gedicht feierte. Reumütig schrieb er dort unter dem Titel »Satisfactio

26

Ebenda 3, 18, 6 z .



DAS VANDALISCH-ALANISCHE KÖNIGREICH

ad Gunthamundum« (Abbitte an Gunthamund) weitere Verse, mit denen er um Gnade bat.27 Das Vandalenreich litt damals unter neuen und verstärkten Einfällen berberischmaurischer Stämme, welch letztere allmählich auch zur Bildung eigener Königreiche gelangten. Darüber hinaus hatten seine militärischen Versuche, Sizilien während der Kämpfe zwischen Odoaker und dem Ostgotenkönig Theoderich dem Großen zurückzuerobern, keinen Erfolg: Die Goten drängten die Vandalen wieder zurück und nahmen die Insel im Jahre 491 völlig in ihren Besitz. Somit entfiel fortan auch der bislang von dort gezahlte Tribut. Gunthamunds Bruder Thrasamund (496-523) setzte als König die flexiblere Politik seines Vorgängers gegenüber den Katholiken fort. E r bemühte sich, vor allem mit den Mitteln der ideologischen Auseinandersetzung, eine angeblich höhere Qualität des arianischen Glaubens gegenüber dem Katholizismus zu erweisen; und so finden wir ihn in einem Streitgespräch mit dem bedeutendsten Führer der katholischen Kirche während der Vandalenzeit, dem Bischof Fulgentius. Allerdings schreckte der Herrscher andererseits auch nicht vor erneuten Verbannungsurteilen gegen dessen Glaubensgenossen zurück. Fulgentius, Bischof von Rüspe in der Byzacena (467-532), entstammte den Kreisen der römischen Senatsaristokratie und war nach Augustin der bedeutendste katholische Theologe in Nordafrika. Konsequent trat er den arianischen Missionsversuchen des vandalischen Königs entgegen und war eine wesentliche Stütze der Katholiken in den Verfolgungswellen, die ihn nicht zuletzt persönlich trafen. „Die Ecclesia Romana, der Gipfel der Welt, herrscht und lehrt zugleich",28 verkündete er und nahm die Verbannung auf sich. Etwa um 500 heiratete Thrasamund Amalafrida, die Schwester des Ostgotenkönigs. Damit kam es zu einer politischen Annäherung zwischen dem ostgotischen und dem vandalischen Staat, der in diesem Zusammenhang auch das Gebiet von Lilybäum an der Westküste Siziliens wieder zurückerhielt. Die berberisch-maurischen Verbände fielen jetzt tiefer und tiefer in vandalisches Territorium ein. Die Städte Thamugadi (Timgad) und Bagai wurden dabei von ihnen überrannt und zerstört. Im Juni 523 starb Thrasamund, und sein Nachfolger wurde Hilderich (523-530), der Sohn Hunerichs (Abb. 15). Mit ihm gelangte ein Enkel des weströmischen Kaisers Valentinian III. auf den vandalisch-alanischen Königsthron. Hilderich war der Repräsentant einer kleinen Gruppe innerhalb der Königsfamilie, welche ihr Ansehen durch eine enge Verbindung mit dem byzantinischen Hof sowie durch Zugeständnisse an die katholische Kirche zu erhöhen suchte. Noch vor seinem offiziellen Regierungsantritt rief er deshalb die katholischen Bischöfe aus ihrer Verbannung zurück und ließ die vakanten Bistümer neu besetzen. Das Bündnis mit den Ostgoten wurde von ihm aufgegeben. Währenddessen aber konsolidierten die Berber ihre Herrschaften; sie besiegten Hilderichs Truppen in mehreren Schlachten, und Plünderungen vandalischer Städte wurden ein alltägliches Bild. Zeitweilig waren sogar ganze vandalische Provinzen in der Gewalt der Berber. Zudem erhob sich gegen die Maßnahmen des Herrschers eine andere Gruppe der 27

J. Vogt, Der Niedergang Roms, Zürich 1965, S. 444-447.

23

Fulgentius, Epist. 17 (De incarnatione et gratia), 11 (Patroiogia Latina 65, 465 A).

DAS V A N D A L I S C H - A L A N I S C H E K Ö N I G R E I C H

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Königsfamilie mit ihren Anhängern, die die traditionelle vandalische Politik fortzusetzen suchte. So wurde Hilderich am Ende mit seinen Familienangehörigen gefangengenommen und seiner Würde entsetzt. Diese übernahm Gelimer (530-533/534), ein Urenkel Geiserichs; er war der letzte König des Vandalenstaates. Gelimer nahm sogleich die antibyzantinische und antikatholische Politik der Vorgänger Hilderichs wieder auf. Seine materiellen Mittel aber waren, bedingt durch die Eindämmung der vandalischen Macht in Nordafrika als Folge der Berbereinfälle ebenso wie durch die zunehmende öffentliche Parteinahme der romanischen Volksmassen für die katholische Kirche, weit begrenzter als früher. Auch außenpolitisch befand sich der Vandalenstaat in der Isolation. Der byzantinische Kaiser Justinian nahm die feindselige Politik Gelimers zum Anlaß, seine seit langem gehegten Restaurationspläne zu verwirklichen. Nachdem er 5 32 mit den Persern Frieden geschlossen hatte, war es ihm möglich, militärische K r ä f t e zum Kampf gegen den Vandalenstaat einzusetzen. Dieser Staat aber begann allmählich auch selbst zu zerfallen; so erklärte die Provinz Tripolitanien jetzt ihren A b f a l l und schloß sich Byzanz an. Der Statthalter von Sardinien sagte sich gleichfalls von den Vandalen los. Im Jahre 533 drang schließlich ein byzantinisches Heer unter dem Oberbefehl Beiisars in das Vandalenreich ein. Nach einer ersten Niederlage) besiegte es die vandalischen Truppen; Gelimer floh daraufhin nach Numidien, und Karthago fiel in byzantinische Hand. In der Nähe dieser Stadt fand dann der Entscheidungskampf vom Dezember 533 statt; hier wurden die militärischen Kräfte der Barbaren vernichtend geschlagen. Wenige Monate später, etwa im April 534, ergab sich König Gelimer, der zunächst in das gebirgige Grenzgebiet am Rande Numidiens geflohen war, wo er sich noch auf Reste seiner maurischen Hilfstruppen stützen konnte. Der Vandalenstaat war eine leichte Beute der Byzantiner geworden, und diese gingen sogleich daran, die Restauration der römischen Macht und der alten Besitzverhältnisse, der Verwaltung und der Steuereinziehung in die Wege zu leiten.29 Bis etwa 546 hielten sich nichtsdestoweniger noch verstreute vandalische Gruppen, die weiterhin Widerstand leisteten.30 Die Herrschaft der Barbaren hat in Nordafrika kaum Spuren hinterlassen. Das Vandalische wurde nicht zur Literatursprache; es gab keine vandalische Dichtung, keinen eigenen vandalischen Gesetzeskodex. Die dominierende Sprache blieb Latein, und die Rechtsprechung unter den Romanen berücksichtigte die spätrömischen Gesetze. Lediglich bei der Herstellung von Waffen sowie in der Kleinkunst haben vandalische Handwerker Eigenes bewahrt. Gewisse römische Hofdichter faßten, um den vandalischen Königen zu gefallen, in lateinischer Sprache Schmeichelgedichte ab; diese Produkte ihrer „Kunst" aber besaßen nur geringen literarischen Wert. Über sie ragten solche christlich-katholischen Schriftsteller wie Quodvultdeus, Vigilius von Thapsus, Eugenius von Karthago, Victor von Vita und Fulgentius von Rüspe weit hinaus, wobei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, daß sich eine arianisch-christliche Literatur demgegenüber nicht erhalten hat. Die Hauptursache für die Instabilität des Vandalenreiches ist darin zu sehen, daß 29

30

Cod. Iust. 1, 27, 1 und 2 (beide von 534); S. Puliatti, Ricerche sulla lesgislazione „regionale" di Giustiniano, Milano 1980. H.-J. Diesner, Vandalen, in: Pauly-Wissowa, R E , Suppl. 10, Stuttgart 1965, Sp. 973 f.

DAS VANDALISCH-ALANISCHE

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KÖNIGREICH

nur in geringen Ansätzen versucht wurde, jene gravierenden sozialökonomischen Widersprüche, die der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsordnung innewohnten, zu überwinden und zu lösen. Dazu kam die nicht gelungene Bewältigung des politischen und religiös-ideologischen Gegensatzes zwischen Arianern und Katholiken. Hatte der Arianismus im 4. und noch im frühen 5. Jh. den Germanen geholfen, sich politisch und geistig von Rom abzugrenzen, so war er in der folgenden Zeit zu einem Hemmnis für die Verschmelzung des Volkes wie für die Entwicklung eines neuen Staatsbewußtseins geworden. In der Übergangsepoche zum Feudalismus vertrat die katholische Kirche eine historisch fortschrittliche Position. 31 Die Volksmassen aber bekämpften am Ende den Vandalenstaat oder standen in den entscheidenden Augenblicken abseits; sie erblickten letztlich in den Byzantinern wieder einmal ihre „Befreier", wenn sie sich in dieser Annahme auch gründlich täuschten. 31

R. Günther, Von der antiken zur frühfeudalen christlichen Kirche, Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität S. 6 9 - 7 8 ;

Leipzig, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 24,

derselbe, Einige Bemerkungen zur Stellung von Klerikern

stellern in den Klassenverhältnissen

des 4. und 5. Jahrhunderts, in: J. Irmscher -

(Hrsg.), Das Corpus der griechischen christlichen Schriftsteller, S. 2 1 - 2 7 .

1975,

und christlichen SchriftK.

Treu

5. DAS BURGUNDISCHE KÖNIGREICH

Der Stamm der Burgunder besaß vermutlich seine ältesten Wohnsitze im südlichen Norwegen. Etwa im 2. Jh. v. u. Z. zog er südostwärts, lebte wohl zeitweilig auf der Insel Bornholm (Burgundarholm?) und siedelte dann im 1. und 2. Jh. u. Z. im Gebiet zwischen der mittleren Oder und der unteren Weichsel. Etwa um 200 oder in den Jahrzehnten danach mußten die Burgunder dem Druck der Gepiden nachgeben, wichen deshalb nach Südwesten aus und erreichten auf dem Wege über die Lausitz und das Erzgebirge den oberen Main. Von dort unternahmen sie Beutezüge in das rätische Gebiet, wobei sie stetig flußabwärts weiter vorrückten. Der erste römische Kaiser, welcher mit ihnen in Kämpfe verwickelt wurde, war Probus. Schließlich drängten sie die Alamannen in Richtung Westen bzw. Südwesten und gelangten etwa in der Mitte des 4. Jh. bis zur Mündung des Mains in den Rhein. 1 Streitigkeiten zwischen ihnen und den Alamannen vermochten die Römer für sich auszunutzen; so trat um 370 Kaiser Valentinian I. mit den Burgundern in Verbindung und wiegelte sie noch mehr gegen ihre Kontrahenten auf. Die Auseinandersetzungen besaßen allerdings - unabhängig davon - auch einen wirtschaftlichen Hintergrund: E s ging um den Besitz von Salzquellen, die im Grenzgebiet zwischen den beiden Stämmen lagen.2 Was ihre soziale und politische Entwicklung betrifft, so bildete sich bei den Burgundern kein umfassender Stammsverband heraus; da sie sich jedoch von den kleineren Stämmen der frühen Kaiserzeit durch zunehmende soziale Differenzierung und wachsende Volkszahl unterschieden, kann ihre Struktur als Großstamm charakterisiert werden. Als im Jahre 407 die Vandalen, Alanen und Sueben in Gallien einfielen, besetzten die Burgunder unter ihrem Stammeskönig Gundahar (Guntiar) - dem König Gunther der Nibelungensage - Mainz und das angrenzende Rheintal. Zusammen mit den Alanen unter deren Stammesfürsten Goar stießen sie von dort aus in die niedergermanische Provinz vor und unterstützten den gallischen Usurpator Jovinus ( 4 1 1 - 4 1 3 ) , den Gegenkaiser des Honorius. 1

B. Krüger (Hrsg.), Die Germanen, Bd. 1, S. 54 und 386; Ptolemäus, Geographica 2, 1 1 ; Plin., Nat. hist. 4, 99; Ph. Dixon, Barbarian Europe, Oxford 1976, S. 1 2 (Karte); H.-J.

Diesner,

Die Völkerwanderung, S. 130 f.; O. Perrin, Les Burgondes, Neuchâtel 1968, S. 9 2 - 9 7 ;

101-108;

1 3 6 - 1 4 0 ; E . Demougeot, L a formation de l'Europe et les invasions barbares de l'avènement de Dioclétien au début du V I e siècle, Bd. I, Paris 1979, S. 2 4 8 - 2 5 1 . 2

Ammianus Marcellinus 28, 5, 9 - 1 4 .

DAS BURGUNDISCHE

94

KÖNIGREICH

Von der weströmischen Regierung 413 als Föderaten anerkannt, erhielten sie Siedlungsgebiete im Raum um Worms zugewiesen. Noch lebten sie zu jener Zeit im Stadium der sich zersetzenden und untergehenden Gentilgesellschaft; doch schritt ihre soziale und besitzmäßige Differenzierung voran. Wahrscheinlich bildeten sich schon damals erste klassengesellschaftliche Elemente, welche sich um ein gefestigtes Königtum gruppierten. Währenddessen nahmen die Burgunder auch das Christentum an, wobei umstritten ist, ob es in der arianischen oder katholischen Prägung geschah. Jedenfalls erschienen sie in ihren späteren Sitzen, in der Sapaudia, als arianische Christen.3 Jene obengenannte Region in der Rheinpfalz war früher bewohnt von den Wangionen, einem germanischen Stamm, der vermutlich in den ersten Jahrzehnten nach der Zeitwende von Rom die Erlaubnis zur Übersiedlung in die Gegend zwischen Worms und Mainz erhalten hatte. Er war bereits zuvor einem starken keltischen Einfluß ausgesetzt gewesen, und in den folgenden Jahrhunderten wurde er weitgehend romanisiert. Politisch gehörte das nunmehr von Burgundern besetzte Gebiet zur römischen Provinz Germania superior (Obergermanien), die seit der diokletianischen Verwaltungsreform Germania Prima hieß. Ihr Hauptort war Mogontiacum (Mainz), damals ein bedeutendes militärisches Zentrum im System der römischen Grenzverteidigung am Rhein. Obwohl bereits im 3. Jh. von einer festen Mauer umgeben, wurde diese Stadt 368 von den Alamannen geplündert und 406/407 von den Vandalen, Alanen und Sueben verwüstet. Bis zur Mitte des 4. Jh. war hier eine Legion stationiert; dann residierte in Mainz bis zum Beginn des 5. Jh. der Kommandeur (dux) einer Grenztruppe. Handwerk und Handel hatten sich in der Stadt weitgehend auf die Bedürfnisse des dortigen Militärs konzentriert; hingegen waren auf dem Lande die typisch römischen Villenwirtschaften zu finden. Landwirtschaft, Viehzucht und Handwerk versorgten in erster Linie die Grenztruppen im Gebiet von Mainz, Alzey, Worms, Kreuznach und Bingen.4 Ein örtliches Schmiedehandwerk erlebte auch während der burgundisch-fränkischen Zeit in der Umgebung von Worms eine Blüte.5 In den dreißiger Jahren des 5. Jh. suchten die Burgunder das Gebiet der Provinz Belgica für sich zu gewinnen, stießen dabei aber auf energischen Widerstand, den der weströmische Heermeister Aerius gegen sie organisierte. Mit Hilfe hunnischer Söldnertruppen wurden sie von ihm in zwei Schlachten (435 und 436) besiegt, wobei ein beträchtlicher Teil ihres Stammes vernichtet wurde. In den schweren und hart geführten Kämpfen fiel auch König Gundahar mit seinen Brüdern. Dieser Verlust des burgundischen Siedlungsgebietes um Worms bildet einen der Hintergründe des später entstandenen Nibelungenliedes. Ein Teil der Burgunder, der in den gegenüberliegenden rechtsrheinischen Sitzen verblieben war, behielt diese weiterhin und mußte 451 dem Hunnenkönig Attila auf seinem Zug gegen Gallien Heeresfolge leisten.6 Den Rest des Stammes, der der Vernichtung von 436 entkam, siedelte Aerius sieben 3

Oros. 7,

32, 1 1 —15; Socrates, Historia ecclesiastica 7,

l'Europe, Bd. 2, S. 4 9 2 ; R. Günther -

30; E .

Demougeot,

La

formation

de

H. Köpstein (Hrsg.), Die Römer an Rhein und Donau,

S. 574. 4

Ebenda, S. 180.

5

Vgl.

6

Chronica Gallica a. 452,

Die

Ausgrabungsinformation 118

in:

Der

Tagesspiegel,

(Chronica minora

Berlin

(West)

vom

1, 660); Prosper, Chronicon

minora 1, 4 7 5 ) ; vgl. Sidon. Apoll., Carm. 7, 2 3 2 - 2 3 5 .

10. 1980. 1322

(Chronica

DAS BURGUNDISCHE

KÖNIGREICH

95

Jahre später, und zwar erneut als weströmische Föderaten, im Gebiet der Sapaudia an. Diese Landschaft erstreckte sich über das Territorium der Kantone Vaud und Fribourg in der Westschweiz sowie der französischen Departements Doubs und Haute-Saône wobei sie nicht über die Saône hinausreichte - , dazu auf den Raum zwischen diesem Fluß und dem Ain, vor allem nördlich von Lyon. Hier trifft man haute noch auf ursprünglich burgundische Ortsnamen, und man fand einige archäologische Hinterlassenschaften, vor allem Gürtelbeschläge, die dem hier behandelten Stamm zugewiesen werden können (Abb. 16). Insgesamt gibt es in der Sapaudia allerdings nur sehr wenig Fundmaterial, bei dem volle Sicherheit in dieser Frage besteht, denn vermutlich unterschieden sich die Grabbeigaben der Burgunder gar nicht oder kaum von denjenigen der umwohnenden gallorömischen Bevölkerung, weil hier ein rascher Assimilationsprozeß stattfand. Zudem können die meisten „burgundischen" Friedhöfe dieses Raumes sowieso erst in die Zeit der fränkischen Herrschaft (nach 5 34) datiert werden. Das neue burgundische Siedlungsgebiet erscheint damit zwar politisch, aber nicht zivilisatorisch wie eine kleine Enklave im gallorömischen Raum. 7 Von der römischen Einteilung her gesehen, lag es auf dem Territorium der Provinz Viennensis, dehnte sich aber in den folgenden Jahrzehnten auf Teile der Provinzen Maxima Sequanorum, Lugdunensis Prima, Narbonensis Prima und Narbonensis Secunda aus. Die Provence jedoch - und damit der Zugang zum Mittelmeer - blieb den Burgundern verwehrt. In den von ihnen eingenommenen gallorömischen Städten pulsierte ein reges handwerkliches Leben, und der Handel mit der Provence und Italien brach auch in der hier beschriebenen Zeit nicht ab. Auf dem Lande gab es neben kleinen und mittelgroßen Villenwirtschaften auf städtischem Territorium Großgrundbesitz. Die wichtigsten Städte waren Lyon und Genf. Als Hauptaufgabe hatten die burgundischen Föderaten in der Sapaudia die nördliche Grenze gegenüber den Alamannen zu bewachen. Vermutlich suchte Aetius sich ihre militärische K r a f t aber auch für den bereits in der Ferne drohenden Konflikt mit den Hunnen zu sichern. Ähnlich wie die Westgoten erhielten die Burgunder auf der Grundlage des römischen Einquartierungsgesetzes als „Gäste" zwei Drittel des Grund und Bodens ihrer „Wirte", die Hälfte der Wälder und Wiesen sowie ein Drittel der Sklaven zugeteilt. D a jedoch im 5. Jh., bedingt durch die wirtschaftliche Krise und durch den Mangel an Arbeitskräften, etwa die Hälfte des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens brach lag, bedeutete diese Einschränkung, was den ersten Punkt angeht, für die gallorömische Aristokratie keine allzu empfindliche Maßnahme. 8 Vor allem eigneten sich die germanischen Einwanderer das kaiserliche Fiskalland an. Der Boden wurde auch jetzt nach der bisher üblichen Weise bewirtschaftet: So behielt der gallorömische Groß-

7

P.

Bouffard, Nécropoles

burgondes

de la Suisse.

Les

garnitures

de ceinture,

Genève-Nyon

1945, S. 9 - 1 3 ; 4 5 ; 65 (Abb. 6 ) ; 7 9 - 8 6 ; R. Moosbrugger-Leu, Die Schweiz zur Merowingerzeit, Bd. 2, Bern

1 9 7 1 , S. 15 f . ; M . Martin, Archäologische Aspekte zur burgundischen

Geschichte,

in: I X e Congrès de l'Union internationale des Sciences Préhistoriques et Protohistoriques, Nice 1976, Colloque X X X : Les relations entre l'Empire Romain tardif, l'Empire Franc et ses voisins, S. 201 f . ; D . van Berchem, L'établissement des Burgondes en Sapaudia, in: 1 4 e Rencontre du Centre Européen d'études burgondes-médianes, Genf 1972, S. 5 9 - 6 4 . 8

L . Musset, Les invasions. Les vagues germaniques, 2. A u f l . Paris 1969, S. 285 f . ; L e x Burgundionum 54-

96

DAS BURGUNDISCHE KÖNIGREICH

grundbesitz seine Vorrechte, sein Patrozinium und seine Gerichtsbarkeit; die Großgrundbesitzer aber lebten weiter mit ihrem persönlichen kriegerischen Gefolge. 9 Nur übernahmen die Burgunder von nun an jene militärischen Aufgaben, die vorher dort dem Dukat Riparensis oblagen; ihre Truppenführer wurden römischen Offizieren, den praefecti und praepositi im Grenzdienst, gleichgesetzt.10 Diese Ansiedlung sowie die Landteilung mit den Gallorömern beschleunigten innerhalb des Stammes den Prozeß des Zerfalls seiner gentilgesellschaftlichen Ordnung. Die blutsverwandtschaftlichen Gruppen der faramanni zersetzten sich, wenn auch Reste von ihnen zur Zeit der Abfassung der Lex Burgundionum unter König Gundobad noch deutlich erkennbar sind. Der Bodenanteil (sors) glich sich mehr und mehr dem fränkischen Allod an, und die consortes bildeten die Gemeinschaft der germanischen Neusiedler über ungeteilte Ländereien wie Wälder und Wiesen. Zwischen diesen Mit-Besitzern und den Nachbarn (vicini) gab es enge wirtschaftliche Verbindungen. Allerdings lösten sich auch die Überreste der spätgentilen, auf blutsverwandtschaftlichen Bindungen beruhenden Gemeinde seit der Bodenteilung mit den Römern in wenigen Jahrzehnten auf. Die sors wandelte sich um von einem Bodenanteil der Großfamilie zum privaten Grundeigentum der Kleinfamilie, zum frei veräußerlichen, individuellen Familieneigentum. 11 In der Sapaudia entstand das burgundische Königreich, dessen Hauptstadt zuerst Genava (Genf) war. Es teilte sich in drei pagi (Gaue) : die Genavensis (Genf und Umgebung), die Equestris (Nyon und Umgebung) und die Vallensis (oberes Rhônetal). Unter Gundioch (um 443 - um 472) festigte sich die Königsherrschaft im engen Bündnis mit der gallorömischen Aristokratie, welche auch unter der neuen Macht hohe Staatsämter einnahm. In jedem pagus war ein comes für die Germanen und dazu ein zweiter für die römische Bevölkerung zuständig. Die Könige selbst hatten von Rom Ehrungen erhalten: Sie besaßen das Prädikat eines vir illuster - die oberste Rangstufe des spätrömischen Senatsadels - , fungierten als weströmische Heermeister und erhielten die höchste Würde, welche die Kaiser zu vergeben hatten, den Patrizius-Titel. Dies alles hob ihr Ansehen gegenüber der gallorömischen Bevölkerung. Für ihre eigenen Leute dagegen waren sie Könige (reges) und Herrscher (domint). Etwa in der zweiten Hälfte des 5. Jh. war der Entstehungsprozeß des burgundischen Staates abgeschlossen.12 Dessen Träger machten sich die labilen weströmischen Herrschaftsverhältnisse, welche sich nach dem Tod des Avitus im Jahre 456 ergeben hatten, zunutze und dehnten ihr Territorium allmählich nach Süden, die Rhône abwärts, aus. Im Einvernehmen mit der gallorömischen Senatsaristokratie dieses Gebietes besetzten sie einen Teil der Lugdunensis sowie der Maxima Sequanorum und nahmen 457 die Stadt Lyon ein. Mit den Westgoten verband sie damals ein freundschaftliches Verhältnis; wir finden in den genannten Jahren an der Seite von deren König Theoderich II. burgundische Hilfstruppen im Kampf gegen die Sueben in Spanien. Lyon wurde zwar 458 von einem weströmischen Heer unter Kaiser Maiorian noch einmal zurückerobert und hatte seinem 9

M.-B. Bruguière, Littérature et Droit dans la Gaule du V e siècle, Diss. Toulouse 1968, S. 2 7 8 ; E . Demougeot, L a formation de l'Europe, Bd. 2, S. 4 9 3 - 4 9 7 .

10

R . Folz - A . Guillou -

L . Musset -

11

A.

12

L . Musset, Les invasions, S. 1 1 3 f.

I. Njeussychin, Die

D . Sourdel, D e l'Antiquité au monde médiéval, S. 56.

Entstehung der abhängigen Bauernschaft als Klasse der frühfeudalen

Gesellschaft in Westeuropa vom 6. bis 8. Jahrhundert, Berlin

1961, S.

427-454.

DAS B U R G U N D I S C H E K Ö N I G R E I C H

97

Bezwinger hohe Tributzahlungen zu leisten; doch seit 461 war es dann fest in burgundischer Hand. Es wurde die neue Hauptstadt des Staates. 13 Ein Teil der gallorömischen Aristokratie sympathisierte, wie wir gesehen haben, mit dem burgundischen Königtum; der andere aber akzeptierte nur zögernd die veränderten politischen Verhältnisse. Zum Sprecher dieser Gruppierung, für die die Burgunder ein wildes und treuloses Volk blieben, machte sich Apollinaris Sidonius, der in einem Gedicht, das er in den sechziger Jahren des 5. Jh. an einen mit ihm befreundeten Senator Catullinus richtete, seinen Hochmut und seine Germanenverachtung offen zur Schau stellte. Es heißt dort: „Was bittest du mich, wenn auch in der Annahme, daß ich mich wohl befinde, für Venus, den Liebling der Fescenninen, ein Lied zu dichten, der ich mich unter langgelockten Scharen befinde und germanische Worte ertragen muß, der ich wiederholt mit finsterer Miene loben muß, was der vollgefressene Burgunder singt, der mit ranziger Butter sein Haar beschmiert? Soll ich dir sagen, was die Dichtung behindert? Die Muse verschmäht, durch die barbarischen Zupfinstrumente vertrieben, den sechsfüßigen Stil (d. h. den Hexameter; R. G.), seitdem sie die sieben Fuß großen Patrone sieht . . . Du hast keinen unangenehmen Geruch von Knoblauch und stinkenden Zwiebeln in der Nase, der dir vom frühen Morgen an in zehn Mahlzeiten rülpsend ausgebreitet wird, und du bist auch nicht, als wärst du ihr alter Großvater oder der Gatte ihrer Mütter, durch eine Menge solch großer und so vieler Riesen vom Tagesbeginn an belästigt, die auch nicht die Küche des Alcinous ernähren könnte." 14 Doch diese von Haß und Überheblichkeit durchsetzte Anschauung wurde von der katholischen Kirche nicht geteilt. Papst Hilarus (461-468) bezeichnete König Gundioch, obwohl dieser ein Arianer war, als „unseren Sohn" (filius noster) - eine ehrenvolle Anrede, die auch der arianische Ostgotenkönig Theoderich vom Papst Gelasius (492 bis 496) erhielt. 15 Nach der Ermordung Maiorians (461) nutzten die Burgunder die politische Schwäche Westroms erneut aus und drangen erfolgreich noch weiter nach Süden vor. Im Jahre 463 findet man sie in Die, 466 in Autun; zwischen 470 und 474 setzten sie sich in Vienne und Vaison fest. In dieser Zeit verschlechterten sich im Streit um die Provence ihre Beziehungen zu den Westgoten. Diese konnten dort die Herrschaft behaupten, so daß die Durance die Grenze zwischen den beiden germanischen Völkern blieb. In den Jahren von 472 bis 474 verteidigten burgundische Verbände zusammen mit der gallorömischen Aristokratie die Auvergne gegen Angriffe der Westgoten. Seit etwa 474 stießen die Burgunder auch in das Gebiet nördlich des Genfer Sees vor; sie nahmen 479 Dijon ein, erreichten danach Besançon und im Jahre 485 Langres. Mit der Errichtung des burgundischen Königreiches war die untergehende Sklavereigesellschaft nicht völlig beseitigt worden. Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Spätantike zersetzten sich auch in diesem Rahmen weiter; dennoch existierten die spätantiken Formen der Sklaverei und des Kolonats sowie gallorömische Großgrundbesitzungen. Die Burgunder siedelten meist verstreut zwischen diesen und besaßen auch eigene romanische Kolonen. Die Angleichung der beiden eben genannten produzierenden Schichten zeigte sich beispielsweise darin, daß Sklavenbesitzer für Schäden, die 13

15

7

E. Demougeot, La formation de - D. Sourdel, De l'Antiquité au Ph. Dixon, Barbarian Europe, S. Apoll. Sidon., Carm. 12. Consilia Antiqua Galliae 1, 132 Günther

l'Europe, Bd. 2, S. 650-656;,R. Folz - A. Guillou - L. Musset monde médiéval, S. 66 f.; O. Perrin, Les Burgondes, S. 355-346; 66 (Karte). (ed. Sirmond). Vgl. O. Perrin, Les Burgondes, S. 342.

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ihre Sklaven ohne ihr Wissen anderen bereitet hatten, jetzt nicht mehr aufzukommen brauchten, sondern die Sklaven hatten den Schadenersatz aus ihrem Pekujium zu tragen. Andererseits gab es aber noch scharfe juristische Trennungslinien zwischen Sklaven und Freien. Verband sich ein freies Mädchen mit einem Sklaven, so wurden beide mit dem Tode bestraft. 16 Sklaven waren allem Anschein nach im burgundischen Königreich noch in großer Zahl vorhanden - sowohl germanische wie gallorömische. 17 Der Handel mit ihnen wird in einigen Rechtsquellen erwähnt. 18 Einen besonderen Status besaßen die königlichen Sklaven: Im Falle ihrer Ermordung war ihr Wergeid dem eines freien Stammesangehörigen gleichgesetzt.19 Seit der zweiten Hälfte des 5. Jh. bildete sich bei den Burgundern das feudale Benefizium heraus.20 Der sowjetische Historiker A . I. Njeussychin hebt in diesem Zusammenhang hervor: „Aus der Verschmelzung des alten Stammesadels mit dem neuen Dienstadel begann sich die künftige herrschende Klasse herauszubilden, und aus den verarmten Freien, den Freigelassenen, Kolonen und angesiedelten Sklaven entwickelte sich allmählich die Klasse der abhängigen Bauernschaft." 21 Nach dem Tode Gundiochs wurde der burgundische Staat unter seine vier Söhne aufgeteilt. Thronstreitigkeiten erschütterten ihn, bis unter Gundobad (um 480-516) Burgund den Höhepunkt seiner Macht erreichte. Dieser war, als sein Vater starb, von seinem Onkel Chilperich I. zunächst aus dem Reich vertrieben worden und hatte in Westrom Zuflucht gesucht. Seine Brüder nahmen die erwähnte Teilung des Landes vor, wobei Chilperich II. dann in Lyon, Godegisel in Genf und Godomar in Vienne residierte. Gundobad hingegen wurde am Hof zu Ravenna Nachfolger des 472 verstorbenen obersten Heermeisters des Westreichs, Ricimer.22 Nach dem Zwischenspiel des Kaisers Olybrius, der stark vom Vandalenkönig Geiserich abhängig war, bestimmte für eine gewisse Zeit Burgund die Politik Westroms. Gundobad setzte nach des Olybrius Tod Glycerius (473-474) als neuen Kaiser in Ravenna ein - einen Mann, der ihm in allen Dingen freie Hand ließ. Von dessen Nachfolger Julius Nepos (474-475), der von Byzanz nach Italien entsandt worden war, entlassen, kehrte der Burgunder jedoch in seine Heimat zurück, wo er in Genf Godegisel verdrängte. Erst mit dem Untergang des Weströmischen Reiches im Jahre 476 aber erlosch das burgundische Föderatenverhältnis, in dessen Rahmen die Alamannen am Vorrücken in die Schweiz gehindert sowie die weströmischen Heereskräfte unter Aerius im Kampf gegen die Hunnen Attilas 451 mit einem Truppenkontingent unterstützt worden waren. In den Jahren 491 und 492 gelang es Gundobad, seine beiden ihm feindlichen Brüder Chilperich II. und Godomar zu beseitigen. Noch aber lebte, Godegisel, den er einst aus Genf vertrieben hatte. Gundobad schloß mit ihm ein Bündnis, wonach beide zusammen eine Teilung des Staates vornahmen. E t w a zur gleichen Zeit nutzte er die Kämpfe zwischen Odoaker und den Ostgoten auf der Apenninenhalbinsel aus, drang 16 17 18 19 20 21 22

Lex Burgundionum 3 5 , 2 . Ebenda, 10, 2. Ebenda, 56, 1 ; Const. Extravag., D. tit. 21, 2. Lex Burgundionum 2, 1. A. I. Njeussychin, Die Entstehung der abhängigen Bauernschaft, S. 455-459. Ebenda, S. 459. E . Demougeot, La formation de l'Europe, Bd. 2, S. 656 f.

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mehrmals mit einem Heer in Norditalien ein und kehrte im Jahre 493 mit reicher Beute und 6 000 Gefangenen von dort zurück. Zeitweilig kamen auch Marseille, Arles und Avignon in der Provence unter burgundische Herrschaft, gingen aber zu Beginn des 6. Jh. wieder an die Westgoten verloren. Eine im Jahre 499 zu Lyon abgehaltene Synode hob die guten Beziehungen Gundobads zu den katholischen Bischöfen seines Landes hervor. Daß inzwischen auch schon Mitglieder der burgundischen Königsfamilie katholische Christen geworden waren, kann man daraus ersehen, daß eine Nichte Gundobads, die diesem Glauben anhing, die Gattin des Frankenkönigs Chlodwig wurde. 23 Um 500 setzten Streitigkeiten zwischen Gundobad und Godegisel ein, die schließlich zu militärischen Kämpfen führten. In sie mischte sich auch Chlodwig ein, der wohl glaubte, das Burgunderreich wäre für ihn eine leichte Beute, zumal er von Godegisel unterstützt wurde. E r konnte 500 oder 501 Gundobad in der Nähe von Dijon schlagen, woraufhin dieser nach Avignon floh. Chlodwig folgte ihm bis Vienne, wo Godegisel residierte, kehrte aber von dort unversehens in sein Reich zurück - wohl weil Alarich II., der Westgotenkönig, gegen die fränkische Grenze zog. So konnte Gundobad neue Kräfte sammeln und eroberte Vienne. In diesen Kämpfen kam Godegisel ums Leben, und Gundobad war fortan Alleinherrscher im burgundischen Staat. Um 503 traf er sich mit Chlodwig in der Nähe der Stadt Auxerre; hier kam es zu einem A b kommen, demzufolge er in dem 507 ausbrechenden fränkisch-westgotischen Krieg den Frankenkönig militärisch unterstützte. Es waren starke burgundische Kräfte, die an dessen Seite damals ins Feld zogen nicht zuletzt auch in der Absicht, ihr eigenes Territorium nach Süden und Südwesten zu erweitern. Die Intervention des Ostgotenkönigs Theoderich von 508 bis um 512 machte aber die getätigten Eroberungen wieder zunichte. Dabei fiel auch das burgundische Avignon den Ostgoten zu.2'' Als Gundobad starb, folgte ihm in der Herrschaft sein Sohn Sigismund (516-524), der schon zu Beginn des 6. Jh. zum katholischen Glauben übergetreten war. Eine bedeutende Leistung Gundobads und nicht zuletzt seiner römischen Rechtsgelehrten war die Schaffung zweier Gesetzeskodifikationen. Von ihnen galt die Lex Burgundionum für die Burgunder; sie wurde in den Jahren von 501 bis 515 zusammengestellt bzw. vervollständigt und fand auch in Streitfällen zwischen Burgundern und Gallorömern Anwendung. Eine zweite Sammlung, die um 506 erlassene Lex Romana Burgundionum, war für Zwistigkeiten unter den Gallorömern gedacht, welche im burgundischen Staat lebten. Wir erkennen in ihr eine Kompilation von spätantiken römischen Rechtsvorschriften, wie sie vor allem im Codex Theodosianus vorlagen. Obwohl die Gesetze eine eheliche Verbindung zwischen Burgundern und Römern nicht gestatteten, wurde das allgemein friedliche Zusammenleben der beiden Bevölkerungsteile doch dadurch nicht gestört. Man hat seit kurzem infolge von Ausgrabungen Kunde über den Friedhof von Monnet-La-Ville (Dép. Jura), der schon etwa um 450 von Burgundern inmitten eines bereits vorhandenen Gräberfeldes belegt wurde. Sowohl sie wie die Romanen haben dann später die Nekropole gemeinsam genutzt; allein diese Sitte bezeugt ihr gutnachbarliches Koexistieren auf dem Lande. 25 Wichtig in diesem Zusam23 24 25

7*

Ebenda, S. 661 £. ; O. Perrin, Les Burgondes, S. 448 (Karte). E. Demougeot, La formation de l'Europe, Bd. 2, S. 662-671. Zur Lex Romana Burgundionum vgl. L. Wenger, Die Quellen des Römischen Rechts, Wien 1953. S. 558-560; zu Monnet-La-Ville Cl. Mercier - M. Mercier-Rolland, Le cimetière burgonde

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menhang ist auch, daß die Burgunder niemals einen von ihrer gallorömischen Nachbarschaft abweichenden Bestattungsritus entwickelt haben. D i e L e x Burgundionuni stellt sich dar als eine Kombination von gewohnheitsrechtlichen Bestimmungen, die sich vor allem in der Zeit der Landnahme herausgebildet hatten, sowie den neuen königlichen Vorrechten, welche sich seit der Entstehung des Königreiches entwickelten. D e r Nachfolger Gundobads, Sigismund, fügte ihr noch verschiedene Ergänzungen hinzu. W i e es die Tradition gebot, wurden die einzelnen Gesetze nach römischen Konsulaten datiert. Und nicht nur die L e x Romana Burgundionum, sondern auch die Lex Burgundionum selbst zeigen deutliche Einflüsse des spätrömischen Vulgarrechts. 26 W i e die Strafbestimmungen der letzteren zeigen, teilten sich die burgundischen Freien in drei rechtlich voneinander geschiedene Schichten; in die Optimaten (auch potentiores, potentes oder honestiores genannt), welche die entstehende herrschende Klasse darstellten; des weiteren in eine mittlere Schicht von Freien, die als mediani oder mediocres bezeichnet wurden; und in eine freie Unterschicht: die minimi, inferiores, humiliores oder viliores. Entsprechend unterschied sich auch das Wehrgeld, das für einen getöteten Freien gezahlt werden mußte: Für einen Optimaten betrug es 300 Solidi, für einen Angehörigen der mittleren Schicht 200, für einen der minimi 150 Solidi. 27 Noch tiefer als diese letzeren standen die Freigelassenen und die Sklaven. Vermutlich gehörte die Masse der burgundischen Krieger, welche Inhaber von sortes und freie Bauern geworden waren, der mittleren Freienkategorie an. Der Dienstadel des Königs zählte dagegen zu den Optimaten, denen auch die katholischen Bischöfe gleichgestellt waren. D i e dritte und niedrigste Gruppe dürfte sich wahrscheinlich aus besitzlos gewordenen Freien zusammengesetzt haben. D i e Gallorömer hatten das Recht, Waffen zu tragen; sie waren wehrdienstpflichtig. D i e Sklavenflucht war ein D e likt, das nach burgundischem Recht nicht verjährte. 28 D i e katholische Kirche bemühte sich damals um eine Erhöhung ihres Einflusses im burgundischen Königreich. Während sie beispielsweise im südlichen Gallien zu Beginn des 6: Jh. deutlich gegen die arianischen Westgoten eingestellt war und für die katholischen Franken Partei ergriff, kann eine von ihrer Seite aus erfolgte antiburgundische Stellungnahme nicht nachgewiesen werden. 29 D i e Ursachen hierfür lassen sich vermuten: Einerseits hatten damals die Burgunder bereits ein Bündnis mit den Franken geschlossen, und zum anderen war ihr Thronfolger Sigismund bereits selbst ein katholischer Christ geworden. W i e bei anderen in dieser Zeit entstandenen germanischen Königreichen gehörte auch in Burgund die Volksversammlung der Wehrfreien bereits der Vergangenheit an. Hingegen lebten die spätrömischen munizipalen Einrichtungen in Vienne, Lyon und ande-

de Monnet-La-Ville, Paris 1974. Ferner H. Ament, Franken und Romanen im Merowingerreich als archäologisches Forschungsproblem, Bonner Jahrbücher 178, 1978, S. 377-394

(382 f. zu

Monnet-La-Ville). 26

Gesetze der Burgunden, hrsg. von F. Beyerle, Weimar 1936; O. Perrin, Les Burgondes, S. 467 bis 479.

,

27

A . I. Njeussychin, D i e Entstehung der abhängigen Bauernschaft, S. 454 f.; Lex Burgundionum

28

E. Demougeot, L a formation de l'Europe, Bd. 2, S. 664-666.

29

M. Rouche, L'Aquitaine des Wisigothes aux Arabes (418-781), Diss. Paris 1976, S. 32.

2, 2; O. Perrin, Les Burgondes, S. 487-494.

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ren Orten weiter. Auch in der königlichen Kanzlei ahmte die Bürokratie vorgegebene Traditionen nach. Bekannt ist der gallorömische Jurist Laconius, der am burgundischen Hof unter Gundobad eine ähnliche Rolle spielte wie Leo von Narbonne, ein gallorömischer Aristokrat und politischer Berater König Eurichs am westgotischen Hof. Unter König Sigismund erreichte die katholische Kirche ihr so lange verfolgtes Ziel : Nach dem Beispiel des Herrschers erfolgte der allgemeine Übertritt in ihre Reihen. Besonders der Bischof Avitus von Vienne (um 494-518), ein Kirchenmann gallorömischer Abstammung und senatorischen Ranges, sah damit seine unaufhörlichen Bemühungen von Erfolg gekrönt. Sigismund erblickte in der katholischen Kirche einen geeigneten Bündnispartner, sein Königtum gegen den emporstrebenden Adel zu festigen. Im Hinblick auf seine mächtigen fränkischen und ostgotischen Rivalen suchte er nach außen hin enge und freundschaftliche Beziehungen zu Byzanz. Seine Briefe an den Kaiser Anastasios (491 bis 518) zeigen das deutlich: Hier nannte er sich einen Soldaten dieses Herrschers und den burgundischen Staat einen Teil des Byzantinisdien Reiches; auch schrieb er, er erwarte die kaiserlichen Befehle.30 Anastasios seinerseits zeichnete ihn mit ehrenvollen Titeln aus, zu, denen magister militum Galliae und patricias gehörten. Bereits als Thronfolger gründete Sigismund 515 das Kloster Agaunum (Saint-Maurice en Valais in der Schweiz), wohin er sich später zurückzog. Das Kirchenkonzil von Epaône, das im Jahre 517 unter dem Vorsitz des Avitus von Vienne stattfand, bestätigte die guten Beziehungen zu diesem burgundischen König. 31 Seine vierzig Beschlüsse beschäftigten sich weiterhin mit der Lage des Klerus, dem Kirchen vermögen, mit religiösen Bräuchen, der Linderung der Lage der Sklaven sowie mit den Rechten der Bischöfe. Kirchen, die sich die Arianer angeeignet hatten, waren hiernach den Katholiken zurückzugeben. Mit dem Tod des Kaisers Anastasios im Jahre 518 veränderten sich dann die byzantinisch-burgundischen Beziehungen. Bemühte sich doch der neue Kaiser Justin (518 bis 527) um eine Besserung des Verhältnisses zu den Ostgoten, während Sigismund auf seiner feindseligen Position diesen gegenüber beharrte. Damit aber geriet er in eine außenpolitische Isolation. Überhaupt waren die probyzantinischen Maßnahmen des Königs nicht von allen Adligen in Burgund gutgeheißen worden. Unter ihnen bildete sich eine Opposition, was die Stellung des Königs sehr schwächte. Franken und Ostgoten fielen 552 und 523 in Burgund ein, wobei die letzteren über die Durance nach Norden vordrangen und mehrere Städte des Landes besetzten. In einer Schlacht gegen die Franken erlitt das burgundische Heer im Jahre 523 eine Niederlage. Sigismund flüchtete in sein Kloster Agaunum, fiel aber den Franken in die Hände, während sein jüngerer Bruder Godomar entkommen konnte. Da der König noch im gleichen Jahre den Tod erlitt, wurde Godomar wenig später der letzte Herrscher des Burgunderreiches (524-534). Mit neu gesammelten militärischen Kräften konnte er zunächst im Jahr seines Regierungsantritts das fränkische Heeresaufgebot unter den beiden Königen Chlodomer und Theuderich in einer Schlacht bei Véseronce (Dép. Isère) besiegen; hier fiel Chlodomer im Kampf. Damit wurde zwar die Grenze zu den Franken wiederhergestellt; die südlichen Landesteile zwischen Durance und Isère jedoch blieben weiterhin in ostgotischem Besitz. 30

Avitus, Epist. 93 f.

31

O. Perrin, Les Burgondes, S. 516 f.

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Über die weitere Politik Godomars ist nur wenig bekannt. Wir wissen, daß auf einer Adelsversammlung (conventus Burgundiortum) in Ambérieux die Lex Burgundionum 524 durch weitere Zusätze ergänzt wurde; darin trug man für die gleichberechtigte Aufnahme burgundischer Flüchtlinge aus den von den Ostgoten eroberten Gebieten Sorge und behandelte neben anderem auch Fragen der Freilassung von Sklaven, welche in den Kriegswirren nach Burgund geflohen waren.32 Im Jahre 533 trat die Ostgotenkönigin Amalaswintha, die damals für ihren Sohn Athalaricb die Regentschaft führte, die ehemals okkupierten Gebiete wieder an Godomar ab, um sich auf solche Weise des Beistands der Burgunder zu versichern. Aber dies konnte den nahen Untergang von deren Reich nicht mehr verhindern. Schon ein Jahr später nämlich vereinigten sich starke fränkische Truppen unter ihren Königen Childebert, Chlothar und Theudebert und schlugen das burgundische Heer in einer Entscheidungsschlacht bei Autun. Godomar schloß sich in der belagerten Stadt ein, die bald darauf aber von den Franken erobert wurde. Über das Schicksal des Königs existieren in den Quellen unterschiedliche Versionen ; es ist ungewiß, ob er getötet wurde, floh oder in Gefangenschaft geriet. Jedenfalls fand zusammen mit seinem zweifelhaften Schicksal auch der burgundische Staat sein Ende 33 : Die drei genannten fränkischen Könige teilten ihn unter sich auf. Dabei erhielt Theudebert den nördlichen Teil mit den Städten Autun, Langres, Besançon, Avenches und Chalon-surSaône; Childebert nahm sich den mittleren mit Mâcon, Genf, Lyon und Vienne; Chlothar schließlich eignete sich Grenoble, Valence und Die sowie die diesen benachbarten Orte an. Die Burgunder haben uns außer Kleinfunden in den Gräbern und handwerklichen Erzeugnissen, unter ihnen besonders Waffen, keine eigene materielle und geistige Kultur hinterlassen (Abb. 17). Wie zuvor schon betont wurde, schlössen sich ihre Könige eng an spätrömische Traditionen an - nicht zuletzt deshalb, um dem Gentiladel erfolgreich Paroli bieten zu können. Es gibt nur sehr wenige burgundische Sprachdenkmäler und keine Literatur in dieser Sprache, wohl weil die Romanisierung des Großstammes recht schnell erfolgte. Die Münzprägung der Burgunder brachte Goldmünzen in Umlauf, auf denen byzantinische Kaiser abgebildet waren. Auch zu jener Zeit blieb Latein die Verwaltungssprache, und die spätrömische Steuerordnung wurde gegenüber den Gallorömern gleichfalls nicht verändert. Von einer lateinisch schreibenden Dichtung am burgundischen Königshof ist nichts erhalten geblieben; wir wissen aber, daß es unter Chilperich einen Secundinus und unter Gundobad einen Heraclius gab, die sich als Poeten betätigten. Die Gesetze des Stammes erhielten sich noch bis in das 9. Jh. hinein.34 Alles dies erlaubt den Schluß, daß das Volk der Burgunder im Verhältnis zu den Gallorömern wohl zahlenmäßig zu schwach war, als daß eS auf die Dauer seine Eigenart hätte bewahren können. Darüber hinaus brachten ihm die vielen Kriege große Verluste, und die spätrömische Kultur hatte gewiß noch soviel Anziehungskraft bewahrt, daß die germanischen Zuwanderer gar nicht beabsichtigten, ihr etwas Eigenes an die Seite zu stellen. Ausschlaggebend jedoch war letztlich die militärische Übermacht der Franken, der sie erlagen, bevor sich die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse 32 33 34

E. Demougeot, La formation de l'Eutope, Bd. 2, S. 672 f. O. Perrin, Les Burgondes, S. 538-540. J. Vogt, Der Niedergang Roms, Zürich 1965, S. 450-466.

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bei ihnen über Keime hinaus entwickeln konnten. Die burgundische Aristokratie wurde nach der Eroberung ihres Staates voll in das fränkische Herrschaftssystem integriert und „einverleibt". 35 Dies trug neben anderen Faktoren nicht wenig dazu bei, daß die Nachfahren der Angehörigen jenes Großstammes in den folgenden Jahrhunderten an der Ethnogenese des französischen Volkes mitbeteiligt waren. 35

L. Musset. Les invasions, S. 207; K . Bosi, Die ältesten sogenannten germanischen Volksrechte und die Gesellschaftsstruktur der Unterschichten, in: K . Bosl (Hrsg.), Gesellschaft, Kultur, Literatur, Festschrift für L. Wallach, Stuttgart 1975, S. 1 3 7 ; F. Irsigler, Untersuchungen zur Geschichte des frühfränkischen Adels, Bonn 1969 (Rheinisches Archiv 70).

6. DER UNTERGANG DER RÖMISCHEN HERRSCHAFT IN BRITANNIEN UND DAS EINDRINGEN DER GERMANISCHEN EROBERER

Britannien war niemals vollständig von den Römern erobert worden. Im Norden des Landes hatte zunächst Kaiser Hadrian ( 1 1 7 - 1 3 8 ) einen nach ihm benannten Grenzwall mit Kastellen und Toren errichten lassen, der zwischen der Solwaybucht und der Tynemündung lag. Stark befestigt, war er gegen die häufigen Angriffe der in Schottland lebenden Pikten gedacht. Unter Hadrians Nachfolger Antoninus Pius (138—161) entstand noch weiter nördlich, nämlich auf der Landenge zwischen dem Firth of Clyde und dem Firth of Förth, ein weiteres Befestigungswerk, das ebenfalls den Namen seines Initiators (Antoninuswall) trug. Jedoch vermutlich schon unter der Herrschaft des Marc Aurel ( 1 6 1 - 1 8 0 ) , bestimmt aber zur Zeit von Commodus (180-192) mußte diese am weitesten nach Norden vorgeschobene Grenzlinie aufgegeben werden. Die Römer zogen sich damals wieder zum Hadrianwall zurück, der sich etwa 120 km in Richtung Süden befand. Die Insel Irland gehörte niemals zu ihrem Machtbereich. Die wirtschaftliche Bedeutung Britanniens war unter der römischen Herrschaft gewachsen, was besonders auf die Fortschritte im Osten und im Südosten der Insel zurückzuführen war. Die Landwirtschaft hatte sich weiter entwickelt; der Roggenanbau war von den Römern eingeführt worden; zahlreiche Villenwirtschaften entstanden, und die Sklaverei fand als Wirtschaftsform Verbreitung. Der Straßenbau förderte den Handel und erlaubte die rasche Verlegung römischer Truppen, wenn die Pikten vom Norden, die Skoten vom Westen und - etwa seit dem 3. Jh. - sächsische Seefahrer vom Osten undi Süden her angriffen. Zur militärischen Sicherung der römischen Herrschaft standen auf der Insel drei Legionen: in Eburacum (York), Deva (Chester) und Venta Silurum (Caerleon). Andere wichtige römische Städte im Lande waren Londinium (London), Camulodunum (Colchester), Verulamium (St. Albans) und Lindum (Lincoln). In London, das nicht zuletzt als Hafenstadt große Bedeutung besaß, residierte während der Zeit des Dominats der Statthalter (vicarius) der XII. Diözese des Imperium Romanum. Unter Valentinian I. (364-375) erhielt diese Stadt den Beinamen „Augusta". Exportiert wurden aus Britannien vor allem Getreide, Vieh und Felle, und im Südwesten betrieben die Römer Blei- und Silberbergbau. 1 Zentren der in einem derart entfernten Gebiet nur oberflächlichen Romanisierung waren auch hier die Städte und die Villenwirtschaften. Letztere befanden sich häufig in den Händen einheimischer Stammesfürsten, die von den römischen Herren die höher1

I. S e l l n o w M.

Clavel

S . 69.

(Hrsg.), Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus, Berlin -

P.

Leveque,

Villes

et structures

urbaines

dans

l'occident

romain,

1 9 7 7 , S. Paris

544; 1971,

D E R U N T E R G A N G D E R R Ö M I S C H E N H E R R S C H A F T IN

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BRITANNIEN

entwickelte Wirtschaftsweise übernahmen. Reiche Villen bezeugten den Wohlstand der einheimischen Grundbesitzer, während die Bauern verarmten. Was die durch Mauern geschützten Römerstädte Britanniens betrifft, so begann sich ihr Niedergang erst seit der zweiten Hälfte des 4. Jh. abzuzeichnen. Jene für die weströmische Spätantike typische Verkleinerung des Mauerrings, der dann nur noch die Garnison und städtische wie kirchliche Verwaltungs- und Kultbauten umfaßte, während die Mehrzahl der Bevölkerung im Stadtgebiet nun außerhalb der Mauern lebte, ist auch in Britannien nachweisbar, so etwa in Canterbury und Colchester. Es war dies vor allem das Verdienst des comes Flavius Theodosius, Vater des späteren Kaisers Theodosius I., der in den Jahren vor 370, um den Einfällen von Pikten und Skoten zu begegnen, die Städte in den Verteidigungszustand versetzte, so daß sie die Plünderungszüge im wesentlichen gut überstanden und sich danach auch rasch erholten. Das in ihnen ansässige Bauhandwerk florierte damals, und die städtischen Anlagen wurden von den Bewohnern auch noch im 5. Jh. nach dem Abzug der römischen Truppen aus Britannien instandgehalten. Die Ausgrabungen von Verulamium und Cirencester erbrachten noch für das Ende jenes Jahrhunderts die Anlage großer Hausbauten sowie prächtiger Mosaiken.2 Letztere zeigten hier und anderenorts Sujets aus der klassischen antiken Kultur oder auch kultische Themen der Verehrung des griechischen Gottes Dionysos. In Silchester enthielt die Wandinschrift eines Töpfers den Anfang des zweiten Gesangs von Vergils Aeneis: Conticuere omne? („Still schwiegen sie alle . . .")• Während des 4. und 5. Jh. bestand die britannische Diözese aus fünf Provinzen: An die Maxima Caesariensis im Südosten der Insel schloß sich nördlich die Flavia Caesariensis an, und wieder nördlich, sich bis zum Hadrianwall erstreckend, lag die Provinz Britannia Secunda. Den südwestlichen Teil des Landes bildete die Provinz Britannia Prima, und das nördlich angrenzende Gebiet, ebenfalls bis zum Hadrianwall, nahm die unter Kaiser Valentinian I. im Jahre 369 neu geschaffene Valentia ein.4 Diese Provinzen wurden teils von consulares, teils von praesides verwaltet, das waren verschiedene Rangstufen der Provinzstatthalter. Das bis zum Jahre 407 in Britannien stationierte Feldheer unterstand dem comes Britanniae. Die an der Nordgrenze der Diözese befindlichen Limitantruppen befehligte ein dux Britanniarum, und die im Süden, in der Kanalzone, stationierten Grenzeinheiten schließlich befanden sich unter dem Kommando des comes litoris Saxonia.0 Zu Beginn des Dominats war die Küstenverteidigung besonders im Osten, Südosten und Süden gegen sächsische Überfälle verstärkt worden. Bei Malton, etwa 30 km von York entfernt am Wasser gelegen, gab es befestigte Grenzanlagen. 6 In der Kanalzone befand sich das eben im Zusammenhang mit seinem Befehlshaber genannte litus Saxonicum, welches bis zum Ende des 4. Jh. seinen Aufgaben gerecht wurde. Diese Befestigungslinie wurde durch eine zweite, auf der Festlandseite an der gallischen Küste 2

Ebenda, S. 6 2 - 6 5 ; S. Frere, Britannia. A

History of Roman Britain, 2. A u f l . London

1967,

S- 3 5 8 - 3 7 5 3

Ebenda, S. 3 1 3 f . ; M . Clavel - P. Leveque, Villes et structures, S. 280.

4

Ammianus Marcellinus 28, } , 7 ; Notitia dignitatum, Occidens 3, 3 2 - 3 7 . Vgl. die Karte II bei A . H. M . Jones, The Later Roman Empire, Oxford 1964.

5

Vgl. ebenda, Karte V dignitatum, Teil

und D . Hoffmann, Das spätrömische Bewegungsheer und die

2, Düsseldorf

1970, Karte:

Gallien

Bandes. 6

M . Clavel - P. Leveque, Villes et structures, S. 69.

Notitia

und Britannien um 400, am E n d e

des

io6

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ebenfalls gegen die sächsischen Angreifer gerichtete ergänzt: den tractus Aremoricanus et Nervicanus. In der Nähe von Dover entdeckte man im Jahre 1970 Reste eines Kastells, das zum litus Saxonicum gehörte.7 Im Jahrzehnt nach 360 verstärkten sich die Feindseligkeiten und erreichten besondere Ausmaße. Pikten und Skoten drangen weit ins römische Gebiet vor; die Sachsen verheerten die Küsten. Es gelang aber dem römischen Heerführer Flavius Theodosius, die Eindringlinge im Jahre 368 wieder zurückzuschlagen. Allerdings führte das zu schweren Kämpfen, in deren Verlauf der Befehlshaber des litus Saxonicum getötet sowie der Kommandeur der nördlichen Grenztruppen {¿lux Britanniarum) gefangengenommen wurde. Der politisch-militärische Niedergang der römischen Herrschaft in Britannien bahnte sich jedoch vor allem seit dem Jahre 383 an, als Magnus Maximus, der Befehlshaber des dortigen römischen Feldheeres, von seinen Kriegern zum Kaiser ausgerufen wurde. Dieser Usurpator, der sich fünf Jahre lang an der Macht halten konnte, setzte sogleich mit mehreren Truppenabteilungen nach Gallien über. Es gelang ihm, Kaiser Gratian (367-383) zu töten und dort wie auch in Spanien zeitweilig seine Herrschaft zu festigen. Die militärische Schwächung des römischen Britanniens durch den teilweisen Truppenabzug hatte jedoch schwerwiegende Folgen: So mußte die Besetzung des Hadrianwalls verringert und bald gänzlich aufgegeben werden; allein lokale Bürgermilizen blieben im Norden zurück.8 Allerdings vermochten die Römer zeitweilig auch Verbündete unter den ihnen bislang feindlich gesonnenen Stammesfürsten Schottlands zu gewinnen, die dann, gewissermaßen in einem Föderatenverhältnis stehend, den Schutz der römisch-britannischen Nordgrenze übernahmen.9 Als zu Beginn des 5. Jh. Stilicho Truppenkontingente von den Rheinbefestigungen zur Verteidigung Norditaliens gegen Alarichs Westgoten und andere Stämme abzog, beorderte er gleichfalls eine Legion aus Britannien zu diesem Zweck nach Italien. Anscheinend funktionierte damals der lokale Grenzschutz im Norden und Westen; denn erst aus der Zeit um 410 erfahren wir etwas von neuen Angriffen. Außerdem waren, wie schon erwähnt, die Städte auf der Insel von festen Mauern umgeben, so daß die Regierung in Ravenna wohl glaubte, das bewegliche Heer ohne Schaden von dort abziehen zu können. Da sich die römische Armee in Britannien zu jener Zeit zurückgesetzt fühlte, handelte sie entsprechend. Im Jahre 406 erhoben sich zwei Usurpatoren namens Marcus und Gratian, die aber bereits nach kurzer Zeit ermordet wurden. Zu Beginn des Jahres 407 aber kam es zu dem schon erwähnten bedeutenden Vorstoß germanischer und alanischer Stämme über den Rhein. Und wieder beanspruchte die Britannienarmee den Thron - diesmal für ihren Prätendenten Konstantin (Abb. 18), von dem es heißt, er sei ein einfacher Soldat gewesen. Als Gegenkaiser Konstantin III. (407-411) setzte der neue Herr mit fast allen kampfkräftigen Einheiten, die ihm zur Verfügung standen, im Frühjahr 407 nach Gallien über. In Britannien verblieben nur wenige Auxiliarverbände (Hilfstruppen), die großenteils keltischer Abstammung waren. Eine solche Gelegenheit ließen die erneut anstürmenden Pikten und Sachsen nicht vorübergehen. Wie archäologische Befunde erkennen lassen, gehören die Zerstörung der 7

B. Philp, Découverte et fouille des forts romains de Douvres, Septentrion 3, 1973, S. 15 f. und

8

L. Musset, Les invasions, S. 67. Ph. Dixon, Barbarían Europe, Oxford 1976, S. 49 f.

52 f. 9

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Küstenfestung Huntcliff in Yorkshire und die Eroberung von Caistor bei Norwich in diese Jahre. 10 Überdies fiel der König von Irland in die Gebiete von Wales und Cornwall ein und verschleppte viele Einwohner von dort in die Sklaverei. Die Verteidigung Britanniens lag damals in den Händen der Stadtbürger und der britannisch-römischen einheimischen Aristokratie. E s ist bezeichnend, daß diese noch weiter Anlehnung an den weströmischen Staat suchten, obwohl dieser sie längst aufgegeben hatte. Als es beispielsweise 410 zu einem schweren Einfall der Sachsen kam, welcher nicht nur auf die Küstengebiete beschränkt blieb, wandten sich die städtischen Oberschichten Britanniens in dieser Situation an die weströmische Regierung in Ravenna - nicht etwa an den Usurpator Konstantin III. ! - und baten um Hilfe. Aber Kaiser Honorius konnte sie in seinem Antwortschreiben nur auf ihre eigenen K r ä f t e verweisen; Truppen zu senden war ihm unmöglich. „Also ergriffen die Britannier die Waffen, trotzten jeder Gefahr und befreiten ihre Städte von den Barbaren, die in das Land eingefallen waren. Die ganze Aremorica und die anderen gallischen Provinzen ahmten die Bretonen nach, befreiten sich auf gleiche Weise, vertrieben die römischen Beamten (gemeint sind die Beauftragten des Usurpators Konstantin; R. G.), und sie organisierten ihre Angelegenheiten nach eigenem Ermessen." 1 1 Wie aus der Anschrift des Honoriusbriefes hervorgeht, waren es die Führungsschichten in den Städten, die die Verteidigung Britanniens vorrangig organisierten. Schwache Auxiliarverbände werden sie dabei unterstützt haben. Auch die bretonische Grundbesitzeraristokratie stand ihnen zur Seite. In keiner anderen Provinz Westroms haben sich die Städte derart geschlossen und energisch gegen die Angriffe der Barbaren zur Wehr gesetzt wie hier. 17 Daß Westrom für das Land nichts mehr zu tun vermochte oder beabsichtigte, macht die frühbyzantinische Geschichtsschreibung deutlich. Daneben betonten der angelsächsische Schriftsteller Beda Venerabiiis (672-735), der in seiner „Kirchengeschichte Englands" der Tradition des Zosimos folgte, sowie Prokop von Cäsarea (um 500 - nach 565), daß die römische Herrschaft in Britannien um das Jahr 410 endete. Gewiß trifft diese Auffassung insofern zu, als die Städte dort seit jener Zeit auf sich allein angewiesen waren und kein römisches Feldheer mehr auf der Insel stand. Darüber hinaus gibt es auch keinen römischen Münzfund aus der Zeit nach 408 mehr. Auf der anderen Seite aber setzte die britannisch-römische Aristokratie doch mit ihren eigenen Kräften die letzte Periode dieser Herrschaft bis zur Mitte des 5. Jh. erfolgreich fort, wenn auch ihr Territorium allmählich durch die ständigen Einfälle der Pikten und Skoten zusammenschrumpfte. Im Gegensatz zur römischen Provinzialaristokratie im südlichen Gallien, in Italien oder in Spanien arrangierte sie sich nicht mit den Eroberern, sondern führte gegen sie einen verbissenen Abwehrkampf. Wurde sie besiegt, so unterwarf sie sich den Neuankömmlingen nicht, sondern zog sich entweder zuletzt in unwegsame Gebiete des Westens und Südwestens zurück oder begab sich über den Kanal auf die Halbinsel Aremorica, welche daher nach den einwandernden Bretonen schließlich den Namen Bretagne annahm. Über die weitere Entwicklung des römischen Britanniens geben die Quellen nur sehr spärlich Auskunft. Wahrscheinlich konnte der Heermeister Constantius, nachdem er die 10 11 12

R. H. Hodgkin, A History of the Anglo-Saxons, Bd. 1, 3. Aufl. Oxford-London 1952, S. 53. Zosim. 6, 5 ; der Brief des Honorius an die britischen Städte 6, 10. R. Folz - A. Guillou - L. Musset - D . Sourdel, D e l'Antiquité au monde médiéval, S. 77.

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Usurpatoren Konstantin III. und Jovinus ( 4 1 1 - 4 1 3 ) niedergeworfen und die zeitweilig von den Bagauden weithin beherrschte Aremorica (417) bezwungen hatte, wenigstens die Verbindungen zwischen dem Kontinent und der Insel wiederherstellen. Das Kapitel der „Notitia dignitatum", welches die römischen Truppenstandorte in Britannien aufführt und zeitlich etwa die Verhältnisse gegen Ende der Regierung des Honoris wiedergibt, erwähnt noch einige Abteilungen von Reitern und Fußsoldaten, die unter dem Befehl des comes Britanniae standen.13 Einige archäologische Zeugnisse bekunden, daß ungefähr zwischen 400 und 450 städtische Bevölkerungen ihre Befestigungsanlagen ausbesserten.14 Zudem scheinen sich auch die römisch-britannischen Kräfte etwa von 417 bis um 429 wieder konsolidiert zu haben. 15 In jenen Jahrzehnten ließen die Angriffe der Pikten nach. Was die Skoten anbelangt, so übernahmen sie das Christentum in der katholischen Prägung und richteten ihre Züge nicht mehr gegen die römischen Provinzen in Britannien, sondern gegen den nördlichen Teil der Insel, dem sie in der Folgezeit ihren Namen gaben (Schottland). Unter den römischen Auxiliartruppen dienten damals auch Söldner germanischer Herkunft; zahlreiche Fundstücke aus Gräbern Südostbritanniens ähneln den Beigaben aus germanischen Nekropolen Galliens. Spätrömische Glaswaren, Gürtelschnallen, Fibeln und Bronzegeräte stammten aus dem römischen Germanien und dem nördlichen Gallien, was darauf schließen läßt, daß die Handelswege zwischen dem Kontinent und Britannien wenigstens zeitweilig noch funktionierten. Das Auftreten fränkischer Gräber während des 5. Jh. im Themsetal, in Kent und Sussex, auf der Insel Wight sowie in Hampshire, Wiltshire und Essex deutet daneben an, daß Föderaten, die diesem Stammesverband angehörten, in der römischen Armee Britanniens zu jener Zeit ihren Dienst versahen.18 Der gallische Priester und Schriftsteller Gildas, welcher nach 540 eine Geschichte der Eroberung Britanniens schrieb, berichtet, daß sich die Bewohner der Insel dreimal an die weströmische Regierung mit der dringenden Bitte um militärische Hilfe gewandt hätten - zuletzt um das Jahr 446 an den Heermeister Aetius. In ihrem Brief an diesen sollen sie geschrieben haben: „Die Barbaren treiben uns in das Meer, und das Meer treibt uns zu den Barbaren zurück; zwischen diesen zwei Todesarten befinden wir uns; wir sind entweder erwürgt oder ertränkt." 17 Aber trotzdem kamen keine Truppen aus Rom. Statt dessen festigten sich die Beziehungen zwischen dem Papsttum und der katholischen Kirche in Britannien und Irland. Nach dem Zeugnis Tertullians begann sich das Christentum in Britannien während des 2. Jh. zu verbreiten; 18 jedoch haben wir erst seit dem Beginn des 4. Jh. Kenntnis davon, daß einzelne religiöse Gemeinden in den dortigen Städten existierten. An Martyrien gab es auf der Insel das des Albanus in Verulamium und das von Julius und Aron in Legionum urbs (Caerleon). Mit Sicherheit beziehen sich die Berichte hierüber auf Christenverfolgungen des frühen 3. Jh., 13 14 15 16 17 18

A. H. M. Jones, The Later Roman Empire, Bd. 1, S. 191. R. H. Hodgkin, A History of the Anglo-Saxons, Bd. 1, S. 57. P. H. Blair, An Introduction to Anglo-Saxon England, Cambridge 1956, S. 3. V. I. Evison, The Fifth-century Invasions South of the Thames, London 1965, S. 18-45. Gildas, De excidio et conquestu Britanniae 20. Tertullian, Adversus Iudaeos 7.

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nicht auf die Welle von Ausschreitungen unter Kaiser Diokletian, da im Amtsbereich des Constantius Chlorus damals keine Hinrichtungen von Christen stattfanden. 19 A n dem Konzil von Arles (314) nahmen drei britannische Bischöfe - von London, Y o r k und (vermutlich) Colchester - teil. In Silchester und einigen anderen britannischen Städten sind Reste von Kirchenbauten ausgegraben worden; sie gehören zwar erst in die Mitte des 4. Jh., wurden aber auf älteren Kapellen und Baptisterien errichtet.20 Daß daneben in der Spätantike heidnische Kulte fortbestanden, macht die Tatsache deutlich, daß archäologischen Befunden zufolge noch im 4. Jh. zahlreiche ihrer „heiligen Stätten" restauriert oder sogar neu errichtet wurden. 21 Trotz der mißlichen politischen Lage, die während der ersten Hälfte des 5. Jh. in Britannien herrschte, stritt man sich dort auf Kirchen Versammlungen, ähnlich wie auch in Gallien oder Italien, über die Lehre des Pelagius. Dieser im Jahre 418 verstorbene irische Mönch hatte die Auffassung verbreitet, der Mensch sei nicht der Erbsünde unterworfen, er besitze infolge des göttlichen Schöpfungsaktes die Freiheit, sich eigenverantwortlich zum Guten oder zum Bösen zu entwickeln. Ähnliches hatte schon etwa zwei Jahrhunderte früher der christliche Philosoph Bardesanes von Edessa vorgetragen.22 Die Ansichten des Pelagius standen in schroffem Gegensatz zur Erbsünden-, Gnaden- und Erlösungslehre des nordafrikanischen Kirchenvaters Augustin, Bischof von Hippo, welcher sie deshalb bekämpfte. Das 3. Ökumenische Konzil von Ephesos verurteilte 431 den Pelagianismus; die Auseinandersetzung darüber wurde allerdings noch das ganze Jahrhundert hindurch - vor allem in Gallien - fortgeführt. 23 In Britannien, wo der Kampf zwischen beiden Richtungen zuvor heftige Formen angenommen hatte, luden die streng augustinisch gesinnten Bischöfe ihre gallischen Amtskollegen Germanus von Auxerre und Lupus von Troyes zu sich ein, damit diese sie gegen den Pelagianismus unterstützten. Beide folgten im Jahre 429 diesem Ruf und betätigten sich auf einer Synode gemeinsam mit denen, die sie herzitiert hatten, in der gewünschten Weise. 24 Die Germanusvita des Constantius von Lyon, verfaßt in der zweiten Hälfte des 5. Jh., nennt bei der Beschreibung des Aufenthaltes ihres Helden in Britannien noch dort angetroffene städtische Amtsträger mit römischen Titeln. Germanus und Lupus begaben sich nach Verulamium, das etwa 30 km nordwestlich von London liegt; dort aber kam es zu einem überraschenden Angriff der verbündeten Sachsen und Pikten. Germanus übernahm das Kommando über die römisch-britannischen Truppen - seine Vita spricht von zwei Heeresabteilungen Leichtbewaffneter und schlug die Feinde in die Flucht. Daß ein Bischof an der Spitze eines Heeres stand, geschah in der damaligen Zeit nicht selten.25 Mehr als ein Jahrzehnt später wiederholte Germanus seinen Besuch bei den britannischen Bischöfen - diesmal in Begleitung des Bischofs Severus von Trier. Wieder

19

K . Baus, Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Freiburg/Br.

196}

(Handbuch

der Kirchengeschichte 1), S. 430. 20

J . Liversidge, Britain in the Roman Empire, London 1968, S. 459.

21

S. Frere, Britannia, S. 378.

22

R. Günther, Bardesanes und die griechische Philosophie, Acta Antiqua 26, 1978, S.

23

Geschichte der Kirche, Bd. 1 : J. Danielou - H. I. Gregor dem Großen, Einsiedeln 1963, S. 3 9 7 - 4 0 5 .

'-'* A . Chastagnol, L a fin du monde antique, Paris 1976, S. 50. 25

15-20.

Marrou, Von der Gründung der Kirche bis zu

Geschichte der Kirche, Bd. 1, S. 409; Vita Germani 1 2 - 1 8 .

IIO

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ging es um die Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus, und die Quelle nennt noch, immer lokale Amtsträger mit römischen Namen. 26 Um die Mitte des 5. Jh. wurden zu Hauptfeinden des römischen Britanniens die Sachsen. Der bretonische Stammesfürst Vortigern hatte in den zwanziger Jahren, als die Pikten noch besonders gefährliche Gegner waren, Hilfstruppen aus ihren Reihen herbeigerufen und ihnen in Kent Wohnsitze zur Verfügung gestellt. Aber diese „Helfer" erhoben sich im Jahre 442, errangen ihre Unabhängigkeit und dehnten im Kampf gegen die Bretonen ihr Gebiet aus. Die „Gallische Chronik" sagt dazu: „Die Britannier, heimgesucht von allen Arten des Unglücks und des Unheils, fielen unter die Gewalt der Sachsen."27 Zwar war diese Behauptung wohl übertrieben, denn gerade damals besuchte Germanus, wie erwähnt, zum zweiten Male den südlichen Teil der Insel und hielt sich in Städten auf, die noch nicht von den Sachsen erobert waren; jedoch die Angriffe von deren Seite nahmen nunmehr an Heftigkeit zu. Es waren jene Sachsen, die Apollinaris Sidonius am 1. Januar 456 in seinem Lobgedicht auf Kaiser Avitus (455-456) so charakterisierte: „Der tractus Aremoricus (d. h. die römische Verteidigung an der Küste der Normandie; R. G.) erwartet auch den sächsischen Piraten, dem es als Sport erscheint, die britannischen Gewässer mit Lederbooten zu durchfurchen; die sich im geflickten Boot durch das blaue Meer einen Weg bahnen." 23 Aber während er hier noch über die Sachsen spottet, hebt er in einem 469 oder 470 geschriebenen Brief schon sorgenvoll die große Gefahr hervor, die von ihnen ausging: „Dieser Feind übertrifft jeden anderen an Grausamkeit. Plötzlich und unversehens greift er an; wenn man ihn vorher bemerkt, weicht er aus. E r verachtet die, welche sich ihm entgegenstellen, und er vernichtet die, welche nicht auf der Hut sind. Wenn er jemand verfolgt, schneidet er ihm den Weg ab; wenn er flüchten muß, entschlüpft er seinen Verfolgern. Schiffbruch schreckt ihn nicht, sondern ist für ihn mehr ein Training. Mit den Gefahren des Meeres ist er nicht nur vertraut, sondern befreundet. Wenn sich ein Sturm aufmacht, so bringt dieser jenen, die angegriffen werden sollen, ein Gefühl der Sicherheit - doch er verhüllt auch die Angreifer: Sie erdulden gern die Gefahren der Sturzwellen und zackigen Felsen in der Hoffnung, einen überraschenden Vorstoß vollführen zu können."29 Im nächsten Absatz des Briefes wird dann vermerkt, daß die Sachsen nach einem vollbrachten Überfall auf die gallische Küste ihre Segel lösten, um vom Kontinent aus wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Mit dieser Heimat kann nur Britannien gemeint sein, welches außerhalb des Kontinents liegt. Um 470 also war dort das Verschwinden der römischen Herrschaft eine bereits vollzogene Tatsache, und etwa ein Jahrzehnt früher hatte auch die oben verzeichnete Auswanderung der Bretonen, die sich nicht der fremden Herrschaft fügen wollten, auf die Halbinsel Aremorica begonnen; sie vollzog sich zeitlich bis zum Ende des 6. Jh. und erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit zwischen 5 50 und 600. Dem zuvor Gesagten entspricht auch, daß die „Angelsächsische Chronik" die Ansiedlung der sächsischen Einwanderer in die Jahre nach 449 verlegt. Die legendenhaft ausgeschmückte angelsächsische Überlieferung verband sie mit der Landnahme sächsischer Adelsgeschlechter unter der Führung von Hengist und Horsa. 26

Ebenda 2 5 - 2 7 .

21

Chronica Gallica, a. 442, in: M G H , A A IX (Chronica minora 1), Berlin 1892, 660.

28

Apoll. Sidon., Carm. 7, 369 ff.

39

Apoll. Sidon., Epist. 8, 6, 14.

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BRITANNIEN

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Diese Landnahme begann in Kent, und die sagenhafte literarische Überlieferung wird durch archäologische Funde bestätigt. Nur langsam rückten die Eroberer nach Westen voran. Noch kam es bei ihnen nicht zur Herausbildung von Klassen und zur Entstehung von Staaten, denn sie befanden sich damals auf der letzten Stufe der zerfallenden Gentilordnung. In kleinen Familiengruppen traf Nachschub für sie von der friesischen, sächsischen und dänischen Nordseeküste her ein (Abb. 19). 30 Nach Kent wurde Sussex erobert, und in der zweiten Hälfte des 5. Jh. konnten weitere Teile im Osten der Insel besetzt werden. Schließlich dehnten Sachsen, Angeln und Jüten ihre Macht bis zur Mitte des 6. Jh. über den größten Teil Britanniens aus. 31 Die Angelsachsen nahmen bevorzugt während ihrer Einwanderung das pflügbare Land in Besitz und setzten sich vor allem in den Flußtälern fest. E s fehlt jeder Hinweis auf die Eroberung von Städten. Deren wirtschaftliche Bedeutung ging in starkem Maßei zurück; aber städtisches Handwerk und von der Stadt ausgehender Handel kamen nicht völlig zum Erliegen. Die römischen Villen in Britannien wurden von den Angelsachsen nicht übernommen. Seit der Mitte des 5. Jh. verbreitete sich auf der Insel ein bis dahin dort nicht bekannter Tierstil germanischen Ursprungs in der Kleinkunst, während sich die Herstellungstechnik nach wie vor an gallorömischen Vorbildern orientierte. 32 Andererseits begegnet man angelsächsischen Fibeln, Gürtelschnallen, Keramikfunden und anderen Dingen der Kleinkunst (Abb. 20 u. 21), die in das späte 5. sowie das 6. Jh. gehören, in Gräbern an der gegenüberliegenden Küste der Normandie und in diesem Gebiet selbst. Beziehungen verschiedener Art zwischen den Franken und den Angelsachsen setzten die Kontakte aus spätrömischer Zeit fort. 33 Die britannische Aristokratie wich nicht kampflos zurück. Um bzw. kurze Zeit nach $00 errang sie noch einmal in der Schlacht am Mount Badon (Möns Badonicus) unter der Führung eines romanisierten Anführers, Ambrosius Aurelianus, einen Sieg über die Angelsachsen. Der Ort dieses Kampfes ist umstritten; er wird im südwestlichen Britannien vermutet. 34 Von der späteren literarischen Tradition wurde der Name des Siegers ersetzt durch den des legendären Königs Arthur. 35 Zu dieser Zeit aber hatten die Angelsachsen bereits rund ein Drittel der Insel besetzt, und ihre Niederlage verschaffte den kämpfend zurückweichenden Britanniern nur einen kurzen Aufschub. Als in der ersten Hälfte des 6. Jh. die germanischen Einwanderer durch Neuankömmlinge verstärkten Zuzug bekamen, waren jene gezwungen, noch weiter nach Westen auszuweichen. Im Norden der Insel aber hatte sich bereits in der zweiten Hälfte des 5. Jh. ein skotisches Königreich gebildet, das die Gebiete von der Clyde bis zu den südlichen Hebriden beherrschte. 30

L . Musset, Les invasions, S. 156.

31

I. Sellnow, Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus, S. 5 4 4 ; E . Demougeot,

La

formation de l'Europe, Bd. 2, S. 7 0 8 - 7 2 9 . 32

V . I. Evison, The Fifth-century Invasions, S. 46 f.

33

G . Verron -

Chr. Pilet, Un nouveau témoin de la présence angelsaxonne en Basse-Normandie

à l'époque mérovingienne: la fibule cupelliforme de Vierville (Manche), Archéologie médiévale 7, 1977, S. 8 3 - 9 3 ; J- Decaens, Un nouveau cimetière du haut moyen âge en Normandie, Hérouvillette (Calvados), Archéologie médiévale 1, 1 9 7 1 , S. 1 - 1 2 6 , bes. 91 ff. ; vgl. auch L .

Guinet,

Contribution à l'étude des établissements saxons à Normandie, Caen 1967, S. 108 f. 34 33

Ph. Dixon, Barbarian Europe, S. 53. R. Folz - A . Guillou - L . Musset - D . Sourdel, D e l'Antiquité au monde médiévale, S. 78.

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Inwieweit die angelsächsischen Eroberer in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung von den Produktionsverhältnissen der britannisch-römischen Gesellschaft beeinflußt wurden, ist im einzelnen noch wenig erforscht. Gewiß war die direkte Einwirkung der untergehenden bzw. schon vergangenen Sklavereigesellschaft auf sie geringer als vergleichsweise jene, die wir in Gallien, Spanien oder Italien beobachten können; gänzlich auszuschließen ist sie jedoch nicht, wie bestimmte handwerkliche Traditionen und der Handel mit dem Kontinent zeigen. Hinzu kommt, daß die bretonische Sprache, welche auch nach der angelsächsischen Eroberung nicht völlig verdrängt wurde, etwa 800 lateinische Lehnwörter enthält; sie bezogen sich vor allem auf den Kalender, das tägliche Leben, das militärische und städtische Milieu sowie auf die Schiffahrt und umfaßten ferner Begriffe der Erziehung neben Tier- und Pflanzennamen.36 Um die Mitte des 6. Jh. entstanden in Britannien mehrere angelsächsische Kleinkönigreiche, die häufig heftige Kriege gegeneinander führten: Kent, Sussex, Essex, Westanglia, Wessex, Mercia und Northumbria. Diese waren sämtlich in sich noch nicht gefestigt, und die Klassendifferenzierung ihrer Bewohner stand erst in den Anfängen. Eine etwa dem Childerich-Grab von Tournai (481) entsprechende angelsächsische Parallele kennen wir erst aus den zwanziger Jahren des 7. Jh.: das Königsgrab von Sutton-Hoo in Suffolk. Während des 5. Jh. war bei den Sachsen auf der Insel die Institution des Königtums noch nicht vorhanden.37 Nur wenige ehemalige Römerstädte haben auch aus dem 6. Jh. archäologische Spuren hinterlassen. In Wroxeter (Shropshire) finden sich neben den letzten spätrömischen Anlagen in den Boden eingetiefte Hütten. Es blieb also zumindest ein kleiner Teil der städtischen Bevölkerung, welcher im Handwerk tätig war, dort wohnen und bewahrte Traditionen seiner bisherigen Produktion. Um 577 eroberten die Angelsachsen nach harten Kämpfen die Städte Gloucester, Cirencester und Bath, womit sie dem organisierten Widerstand der Britannier, den sie; bisher zu überwinden hatten, ein Ende machten. Im Vergleich zu den Westgoten, Vandalen, Burgundern und Franken entstand der Staat bei den Angelsachsen später, und zwar im 7. und 8. Jh. Hier wie dort ging aber seiner Herausbildung und der von Klassen eine soziale Differenzierung der „Barbaren" voraus.38 Noch vor dem 7. Jh. finden wir auf der Insel auch bretonische Königreiche, in denen ethnisch und kulturell das keltische Element dominierte.39 Schon etwa seit dem Ende des 5. Jh. hatte sich unter den Königen von Kent und Sussex der Titel bretwalda verbreitet, der dem lateinischen rex Britanniae entsprach.40 Im 8. Jh. gewann dann Wessex unter den Reichen größere Bedeutung. Erste Aufzeichnungen des damals geltenden Rechtes, die uns über die eben ange36

K . Jackson, Language and History in Early Britain, Edingburgh 1 9 5 3 , S. 78 f . ; I. Sellnow (Hrsg.), Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus, S. 545. Über den vermutlich kontinuierlichen Gebrauch der Wassermühle in Britannien seit spätrömischer Zeit vgl. J . Herrmann, Ökonomie und Gesellschaft an der Wende von der Antike zum Mittelalter, Sitz.-Ber. der Akad. der Wiss. der D D R , Gesellschaftswissenschaften 13 G , Berlin 1979, S. 33.

37

J . M . Wallace-Hadrill, Kingship in England and on the Continent, Oxford

38

K . F . Savelo, Rannefeodal'naja Anglija, Leningrad 1 9 7 7 , S. 7 - 2 3 ; A . R. Korsunskij, Obrazovanie rannefeodal'nogo gosudarstva v Zapadnoj Evrope, Moskva 1963, S. 7 3 - 7 7 ;

1 9 7 1 , S. 139;

8.

142.

39

D . A . Binchy, Celtic and Anglo-Saxon Kingship, Oxford 1970, S. 1 - 9 .

40

Beda, Hist. eccles. 2, 5. Beda verfaßte seine Kirchengeschichte Englands um 7 3 1 ; E . Demougeot, L a formation de l'Europe, Bd. 2, S. 726.

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sprochene soziale Differenzierung informieren, sind aus Kent bekannt. Diese ältesten Gesetze, von König Aethelberht (um 5JO-616) erlassen, waren nicht mehr in lateinischer, sondern in altwestsächsischer Sprache abgefaßt; in ihnen finden sich nur noch geringe Spuren des römischen Einflusses. Einige ihrer Passagen, die sich auf agrarische Probleme beziehen, entsprechen ähnlichen Bestimmungen in der fränkischen Lex Salica. Für die Verletzung von Angehörigen oder Abhängigen der Familie eines einfachen Freien (Ceorl) brauchte man nach jenem Text nur 6 Schillinge Bußgeld zu zahlen; griff man dagegen einen Mann an, der im Schutze eines Adligen (Eorl) stand, so mußte man die doppelte Summe entrichten, und handelte es sich um einen Abhängigen des Königs, so waren 50 Schillinge aufzubringen. In Mordfällen lag das zu zahlende Wergeid bedeutend höher: für die Tötung eines Sklaven gewöhnlich bei 50 Schillingen; für die eines Freien je nach dessen Stellung und Prestige zwischen 60 und 200 Schillingen. Ebenso war das Wergeid der Adligen nach ihrem Ansehen bzw. ihrer Stellung am Königshof zwischen 300 und 1 200 Schillingen gestaffelt. 41 Während in den schottischen und bretonischen Kleinkönigreichen das Christentum katholischer Prägung bereits seit der spätrömischen Zeit bekannt und verbreitet war, blieben die Angelsachsen bis in das 7. Jh. hinein bei ihren traditionellen Göttervorstellungen. Der erwähnte König Aethelberht von Kent erkannte als erster ihrer Könige welche Bedeutung der katholische Glaube für die Festigung seiner politischen Stellung besaß. Dabei beeinflußte ihn auch das fränkische Vorbild, zumal er mit der Tochter des Merow-ingerkönigs Charibertl. (561-567), Bertha, verheiratet war. Papst Gregor I. entsandte 596/597 den Benediktinermönch Augustin nach Kent, und Aethelberht ließ sich am Weihnachtstage des letztgenannten Jahres taufen. Etwa 10 000 Mann seines Gefolges sollen diesem Beispiel gefolgt sein. Eine weitere christliche Mission verlief 626 in Northumbria erfolgreich, und in der Mitte des 7. Jh. wurde Mercia für den neuen Glauben gewonnen. Bis etwa zum Jahre 700 waren 15 Bistümer in den angelsächsischen Königreichen gegründet worden, die von einem Erzbistum in Canterbury aus geleitet wurden. 42 Die katholische Kirche erwies sich auch in England als feste Stütze der entstehenden herrschenden Klasse im Feudalisierungsprozeß, welch letzterer sich bei den Angelsachsen im 9. Jh. endgültig durchgesetzt hatte. 41

42

8

Ph. Dixon, Barbarian Europe, S. 92; I. Sellnow (Hrsg.), Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus, S. 546 f. E. Demougeot, La formation de l'Europe, Bd. 2, S. 728; Ph. Dixon, Barbarian Europe, S. 100; I. Sellnow (Hrsg.), Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus, S. 545 f.

Günther

7.

DIE HUNNEN UND DAS WESTRÖMISCHE REICH

Die Geschichte des Weströmischen Reiches verband sich im 5. Jh. nicht nur auf das engste mit derjenigen der germanischen Stammesverbände, sondern auch asiatische Nomaden, die während des 4. Jh. nach Europa vorgedrungen waren, spielten damals eine Rolle. Dabei waren die Alanen, deren Hauptteil sich ja, wie bereits ausgeführt, mit den Vandalen verbunden hatte, bei weitem nicht so wichtig wie die Hunnen; diese aber sind seit dem Ende des 4. bis zur Mitte des 5. Jh. als maßgebender Faktor der politischen Geschichte sowohl für das Ost- wie für das Weströmische Reich anzusehen. Gleich den Germanenstämmen traten sie bisweilen als Verbündete des Imperiums auf; zu anderen Zeiten aber brachten sie ihm vernichtende Niederlagen bei. Das Zusammenwirken dieses Volkes mit der spätantiken Gesellschaft führte, insofern es stattfand, jedoch nicht zu einer Synthese, sondern durch den Zusammenbruch des Hunnenreiches wurde auch die Existenz seiner Träger als selbständige ethnische Gemeinschaft auf dem Territorium des Weströmischen Reiches beendet. Dieses Hunnenreich, das im 5. Jh. auf europäischem Boden existierte, unterschied sich seinem sozialen und politischen Charakter nach grundlegend sowohl vom spätantiken Staat als auch von den germanischen Königreichen. Eine solche qualitative Differenz war durch die historische Entwicklung vorgezeichnet worden, die hier kurz skizziert wird. Die Hunnen kamen aus Zentralasien, wo sich im 3. Jh. v. u. Z. ein Verband turksprachiger „Hsiung-nu"-Stämme gebildet hatte. Anscheinend waren sie im i . J h . v. u. Z. durch die Chinesen nach Westen abgedrängt worden. In der Mitte des 4. Jh. befanden sie sich jedenfalls im Gebiet zwischen Wolga und Don; sie unterwarfen den Stammesverband der Alanen, der damals im Nordkaukasus saß, und vernichteten das Bosporanische Reich. Im Jahre 374 fielen sie unter dem Kommando ihres Stammesfürsten Valamer (oder Balamber) in das Gebiet der Ostgoten ein und brachten diesen eine Niederlage bei.i In Abhängigkeit von den Hunnen befanden sich außer Alanen und Ostgoten schließlich auch die Heruler, die Gepiden und andere Stämme. Die Nachrichten von antiken Autoren lassen im Zusammenhang mit gewissen archäologischen Beobachtungen einige Schlüsse auf den Charakter der Gesellschaftsordnung bei den Hunnen in jener Periode zu. Unzweifelhaft waren sie Nomaden; denn Claudian und Ammianus Marcellinus behaupteten von ihnen, daß sie keinen Ackerbau trieben, sich von Fleisch und Wurzelwerk ernährten, keine eigenen Herden besaßen und ständig umherzogen. Zu ihrer materiellen Kultur, die uns zum Teil aus Grabfunden bekannt ist, gehören aus Bronze gegossene Kessel, Erzeugnisse des polychromen, d. h. mehrfarbi-

DIE HUNNEN UND DAS WESTRÖMISCHE REICH

115

gen Stils, beinversteifte Kompositbogen und einige Schwertformen. 1 Man nimmt an, daß sich in den handwerklichen Erzeugnissen der Hunnen sowohl eigene Kulturtraditionen als auch die antike Meisterschaft bosporanischer Künstler widerspiegeln. Die Angehörigen dieses Volkes trugen Leinenkleidung und Tierfelle. Ihre Beziehung zur Cernjachov-Kultur ist heute strittig; es gibt sowohl die Ansicht, daß sie diese Kultur vernichteten, als auch die entgegengesetzte von deren weiterer Entwicklung unter den neuen Verhältnissen. Die hunnische Gesellschaftsorganisation war durch Züge der Gentilordnung gekennzeichnet. Wichtige Angelegenheiten wurden auf Stammesversammlungen entschieden, wobei die Teilnehmer auf ihren Pferden saßen. Anscheinend gab es damals noch keine Königsgewalt, und Anführer (primates) wurden nur gewählt, wenn dies notwendig war. 2 Einen ähnlichen Charakter wie die primates besaßen die reges, welche Olympiodor erwähnt. Es wird vermutet, das hunnische Heer sei nach dem Dezimalsystem aufgestellt gewesen und habe sich in Formationen zu hundert, tausend und zehntausend Kriegern gegliedert, 3 welche nach Ammianus Marcellinus keilförmig in die Schlacht zogen. Möglicherweise ist hier von gentilen Gruppen die Rede. 4 Man kennt Zeugnisse für eine sich herausbildende Besitzdifferenzierung unter den Hunnen. In einigen Bestattungen fand man große Mengen an Gold und anderen Kostbarkeiten, auch reiche Kleidung und mit Gold ausgelegtes Pferdegeschirr; 5 hier dürften Angehörige der Gentilaristokratie beigesetzt worden sein. Überhaupt war die „maßlose Leidenschaft nach Gold", wie Ammianus Marcellinus versichert, ganz allgemein ein charakteristischer Zug der Hunnen.6 Die religiösen Anschauungen dieses Volkes waren weitgehend geprägt von Schamanismus und Magie. Wenn man einem Verstorbenen seine Waffen, das Pferdegeschirr und andere Gegenstände mit ins Grab legte, so zeugt diese Sitte vom Glauben an ein Weiterleben im Jenseits. Während in der Periode des Kampfes gegen Alanen und Ostgoten ein Zusammenschluß der Hunnenstämme notwendig gewesen war, wurde dieser hiernach von weniger festen Bündnisformen abgelöst. Bereits der Nachfolger des Ermanarich, der Ostgotenkönig Vithimir, besaß dadurch die Möglichkeit, einen Teil der Hunnen für sich zu verpflichten. 7 E s ist sogar möglich, daß deren Stammesverband nach dem Sieg über die Ostgoten wieder zerfiel. 8 Jedenfalls besaßen die uns aus der Zeit um 400 bekannten Stammesführer - Donatos, Charaton, Uldis - mit Sicherheit nicht die Macht über sämtliche Hunnen. 1

I. P. Zaseckaja, O roli gunnov v formirovanii kul'tury juznorusskich stepej konca I V - V

vekov

nasej ery, in: Archeologiceskij sbornik 18, Leningrad 1977, S. 9 3 - 9 6 ; J . Werner, Beiträge zur Archäologie des Atila-Reiches, München 1956, S. 86. 2

Ammianus Marcellinus 51, 2, 7 - 8 . Nach der Meinung von J . Harmatta, The Dissolution of the Hun-Empire, Acta Archaeologica 1952, S. 291, waren die primates

des Ammianus Marcellinus

eine Adelsschicht; dies wurde dort jedoch nicht überzeugend belegt. 3

Ebenda, S. 289; E . A . Thompson, A History of Attila and the Huns, Oxford 1948.

4

Ammianus Marcellinus 3 1 , 2, 8; vgl. Tacitus, Germania 7. E . A . Thompson, A History, S. 43.

5

J . Werner, Beiträge zur Archäologie, S. 85; J . Harmatta, The Golden B o w of the Huns, Acta Archaeologica

1 9 5 1 , S. 1 3 9 ; G . Laszlo, The Significance of the Huns Golden Bow,

S. 9 1 - 1 0 4 . 6

Ammianus Marcellinus 3 1 , 2, 11.

7

Ebenda 3 1 , 3, 3.

8

E . A . Thompson, A History, S. 59.

s*

ebenda,

n6

D I E H U N N E N U N D DAS WESTRÖMISCHE R E I C H

Die teils kriegerischen, teils friedlichen Beziehungen dieses Volkes zum Oströmischen Reich begannen fast gleichzeitig mit seinem Überfall auf die Goten. Nachdem die Westgoten des Fritigern über die Donau gezogen waren, erwiesen ihnen einzelne hunnische Abteilungen während ihres Aufstandes in Thrakien Hilfe. Im Jahre 379 brachte Theodosius I. (Abb. 22) den Hunnen, welche damals die Balkanhalbinsel verwüsteten, eine Niederlage bei; bereits seit dieser Zeit aber begannen sie in Pannonien einzudringen. Am Ende des 4. und zu Beginn des 5. Jh. wechselte dann der Einsatz hunnischer Scharen als oströmische Hilfstruppen mit der Abwehr ihrer Einfälle in das römische Territorium. So besiegte Theodosius 388 zwar mit Unterstützung solcher Scharen den weströmischen Usurpator Maximus; sieben Jahre darauf aber überschritten die Hunnen die Donau und begannen, das römische Gebiet von Thrakien bis nach Dalmatien zu verheeren; überdies fielen Verbände von ihnen in Armenien, Kappadokien und Syrien ein. Im Jahre 398 konnte sie Eutropius mit Hilfe gotischer Krieger zurückschlagen; jedoch schon 400 vernichtete der hunnische Heerführer Uldis den oströmischen magister militum Gainas, einen Mann von gotischer Abkunft, der sich gegen die Aristokratie von Konstantinopel erhoben hatte. Uldis war es auch, der 408 in die Provinz Moesia II an der unteren Donau eindrang, die Stadt Castra Martis (Kula) eroberte und danach Thrakien zu verwüsten begann. Durch das Versprechen einer hohen Tributzahlung vermochte Ostrom hingegen, ihm einen Teil seiner hunnischen Krieger abspenstig zu machen, so daß er zum Rückzug gezwungen war. Eine Gesandtschaft des Imperiums führte im Jahre 412 Verhandlungen mit den Hunnen, deren Anführer Donatos einer Mitteilung Olympiodors zufolge von den Römern vergiftet worden war. Auf Donatos folgte Charaton, der erste der hunnischen reges-, er erhielt vom Kaiser Geschenke.® Da die oströmischen Herrscher nichtsdestoweniger die Möglichkeit eines Überfalls von Seiten dieses wilden Volkes befürchteten, ergriffen sie Maßnahmen zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit ihres Staates. Um Konstantinopel wurde 413 eine neue Mauer - die „Theodosianische" - erbaut, und an der Donau errichtete man Festungen. Tatsächlich unternahmen die Hunnen 422 auch einen erneuten räuberischen Überfall auf Thrakien. Ihre Macht festigte sich noch, als kurz vor 430 Roas der Anführer eines Teils ihrer Scharen wurde. Neben ihm kennen wir aus dieser Zeit seine Brüder Mundzuk und Octar, die möglicherweise an der Spitze anderer Hunnenstämme standen.10 In den folgenden zwei Jahrzehnten aktivierten die Hunnen ihre Beziehungen zu den übrigen Völkern und Staaten. Um ihre Ziele auf dem Wege diplomatischer Verhandlungen oder militärischer Aktionen zu verwirklichen, brachten sie das Oströmische Reich in ihre Abhängigkeit, so daß es an sie Tribute zahlen mußte. Um 430 schloß Roas, zu dieser Zeit alleiniger Herrscher der Hunnen, mit der oströmischen Regierung einen Vertrag, der das Imperium verpflichtete, ihm jährlich 350 Pfund Gold zu entrichten. Ein Gesandtschaftsaustausch zwischen beiden Seiten ist nachzuweisen, und wenn man der Auffassung von L. Varady folgt, so wurden die Hunnen um 433 als Föderaten in Pannonien angesiedelt. Über den Charakter dieses „Bündnisses" gibt es jedoch keine näheren Angaben. 11 Wir wissen dagegen, daß die Hunnen zu Beginn der dreißiger 9 10 11

Olympiodor, Fragm. 18 (FHG IV). Jord., Get. 180; E. A. Thompson, A History, S. 63. L. Varady, Das letzte Jahrhundert Pannoniens (376-476), Budapest 1969, S. 303 f.; E. Demougeot, Attila et les Gaules, in: Mémoires de la Société d'agriculture commune et arts de Dép. de la Marne 73, Paris 1958, S. 9.

DIE H U N N E N U N D DAS WESTRÖMISCHE REICH

1

1

7

Jahre des 5. Jh. in Konstantinopel ihre Ansprüche vorbrachten: Sie drohten mit Krieg, wenn ihnen nicht ihre Überläufer ausgeliefert würden.12 Seit 434, nach dem Tode des Roas, standen Bleda und Attila, zwei seiner Neffen, an der Spitze des Volkes. Ein Jahr darauf schlössen diese einen neuen Vertrag mit Ostrom ab, welcher wesentlich härtere Bedingungen als der frühere enthielt. Die Römer mußten nun den doppelten Tribut, also 700 Pfund Gold pro Jahr, zahlen, durften Überläufer aus den hunnischen Gebieten nicht aufnehmen und mußten Landsleute ausliefern, die aus hunnischer Gefangenschaft geflohen waren, oder für jeden von ihnen 8 Solidi geben. Attila erhielt von Ostrom den Titel magister tnilitum, und Konstantinopel akzeptierte sogar die Forderung, kein Bündnis mit einem Volk zu schließen,1 gegen das die Hunnen Krieg führten.13 Außerdem verpflichtete es sich zur Schaffung günstiger Bedingungen für den Handel an der beiderseitigen Grenze. Doch es half alles nichts: Im Jahre 441 begannen Attila und Bleda militärische Aktionen gegen das Oströmische Reich, das sie beschuldigten, den Vertrag nicht einzuhalten. Die Hunnen eroberten unter ihrer Führung Sirmium, Margus, Naissus und Philippopel auf dem Balkan und bewegten sich dann auf Konstantinopel zu.14 War es da ein Wunder, daß die nun folgende Abmachung des Kaisers Theodosius II. aus dem Jahre 443 für die Römer noch schwieriger zu erfüllen war? Sie wurden gezwungen, ihre Schulden vergangener Jahre, die 6 000 Pfund Gold betrugen,15 zu begleichen und darüber hinaus nun jährlich 2 100 Pfund Gold zu entrichten ; für die sich durch Flucht aus den hunnischen Besitzungen rettenden römischen Kriegsgefangenen aber waren bereits 12 Solidi pro Person aufzubringen. Wie ersichtlich, wuchsen die Forderungen der Hunnen bezüglich der Tribute unentwegt; doch waren ähnlich große Zahlungen damals durchaus üblich - denken wir nur an Westrom, das 408 dem Westgotenkönig Alarich 4000 Pfund Gold zahlte! Wie Olympiodor berichtet, kam zu Beginn des 5. Jh. das Jahreseinkommen aus einem Großgrundbesitz etwa derselben Summe gleich, und die Einkünfte aus Produkten eines zweitrangigen Landgutes betrugen etwa 1 000 bis 1 500 Pfund. 16 Im Jahre 445 wurde Attila, nachdem er Bleda beseitigt hatte, Alleinherrscher im Hunnenreich, und nur wenig später nahm er den Angriff auf das Oströmische Reich wieder auf. Die Hunnen fielen 447 in Klein-Skythien (Dobrudscha) und in Mösien ein, besiegten die römischen Truppen in der Provinz D a d a ripensis, eroberten Marcianopolis sowie etwa 100 weitere Orte und verwüsteten die Balkanhalbinsel. Da der Hauptstadt somit erneut Gefahr drohte, kam es 448 zum Frieden. Attila forderte von Ostrom die Preisgabe des rechten Donauufers von Singidunum (Belgrad) bis nach Novae (Swistow); die Zone, auf die er Wert legte, erstreckte sich auf ein Gebiet von fünf Tagesmärschen Breite. Auf diese Weise gingen die gesamte Dacia ripensis und einige andere Regionen südlich der Donau für Rom verloren. Wie früher, so fehlte übrigens auch jetzt nicht der Hinweis, daß Ostrom auf seinem Territorium keine Flüchtlinge aus dem hunnischen Machtbereich aufnehmen dürfe - zu diesen „Flüchtlingen" (fygad.es) 12

L . Varady, Das letzte Jahrhundert, S. 307.

16

F . Altheim, Geschichte der Hunnen, Bd. 4, Berlin (West) 1962, S. 2 7 3 .

14

E . Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches, Wien 1928, S. 437.

15

Dies stellt genau die Summe dar, welche Attila den Römern als „Strafe" für den Friedensbruch im Jahre 438 abnahm: W . Bayless, The Treaty with the Huns of 443, American Journal of Philology 97, 1976, S. 1 7 6 - 1 7 9 , gegen die traditionelle Ansicht.

16

Olympiodor, Fragm. 44.

DIE HUNNEN UND DAS WESTRÖMISCHE

118

REICH

aber zählten in erster Linie jene Hunnen, die der Macht Attilas entflohen und in römische Dienste getreten waren. 17 Nach der Übernahme des Kaisertums durch Marcian (450-457) begann eine neue Etappe in den oströmisch-hunnischen Beziehungen. Der neue Herrscher sagte sich von den auferlegten Tributzahlungen los, und Attila, der bereits seine Kräfte für den Kampf gegen Westrom gesammelt hatte, konnte nicht sofort wirksam auf diesen Schritt reagieren. Einige hunnische Abteilungen, die im Jahre 451 auf die Balkanhalbinsel vordrangen, wurden von oströmischen Truppen überdies abgewehrt, nachdem der Hunnenführer seine Heerfahrt in Richtung Westen begonnen hatte. Bevor wir uns diesem Hunnenzug und den mit ihm im Zusammenhang stehenden Ereignissen zuwenden, soll hier die hunnische Gesellschaft in der Mitte des 5. Jh. kurz skizziert werden. In der Literatur sind recht unterschiedliche, manchmal sogar völlig gegensätzliche Ausführungen zu diesem Thema anzutreffen. So waren etwa F. Altheim zufolge die Vertreter der hunnischen Aristokratie (logades) Besitzer feudaler Grundherrschaften.18 G. Wirth schrieb über das Reich der Hunnen wie über eine erbliche Monarchie. Die Stämme dieses Volkes und die steuerpflichtige Bevölkerung bildeten nach seiner Ansicht einen in sich geschlossenen, homogenen Block um ein allgemeines Zentrum, und die Gefangenen, die sich im hunnischen Machtbereich befanden, hatten sich, wie er meinte, mit ihrer Lage abgefunden.19 Nach J . Harmatta waren die hunnischen Nomaden scharf von der asiatischen Vereinigung der Hsiung-nu geschieden, welch letztere noch eine Stammesföderation darstellten. Bei den europäischen Hunnen sei im zweiten Viertel des 5. Jh. die Gentilordnung zerfallen und die Klassengesellschaft entstanden, wobei sich gleichzeitig ein primitiver Klassenstaat gebildet hätte.20 Auf einen anderen Aspekt ging E. A. Thompson ein, der behauptete, die Hunnen hätten sich erst von der Mitte des 5. Jh. an mit produktiver Arbeit, wie etwa der Viehzucht, beschäftigt. Sie seien in erster Linie eine „parasitäre Gesellschaft von Plünderern" gewesen und hätten auf Kosten der unterworfenen Bevölkerung gelebt, indem sie diese ausbeuteten.21 Es ist nun darauf hinzuweisen, daß über Produktion und ökonomische Verhältnisse bei den Hunnen nur sehr wenige Angaben existieren. Nach J. Harmatta basierte ihre Wirtschaft im 5. Jh. wie früher auf der Nomadenviehzucht, zum Teil auch auf Bodenbau primitiven Charakters.22 Die oben wiedergegebenen Anschauungen Thompsons er17

Priscus, Fragm. 7. Anders als im Text ausgeführt sieht G . Wirth, Attila und Byzanz, Byzantinische Zeitschrift 60, 1967, S. 56 f., die Flüchtlinge, über die Priscus berichtet, eher als Angehörige der einheimischen Bevölkerung, die von den Hunnen gezwungen wurden, in ihren Orten zu bleiben. Vgl. auch E . A . Thompson, A Attila

Xx¡aráQxrjQ

History, S. 98 und 1 0 9 ; O. J .

oder Staatsmann mit höheren Zielen?,

Maenchen-Helfen,

Byzantinische Zeitschrift 6 1 ,

1968,

2, S. 2 7 0 - 2 7 6 . 18

F . Altheim, Geschichte der Hunnen, Bd. 4, S. 286.

19

G . Wirth, Attila und Byzanz, S. 65 f.

20

J. Harmatta, T h e Dissolution, S. 2 8 6 - 2 8 8 . gunnov, viele

Leningrad

1951,

europäische Stämme

S.

162,

Die Meinung von A .

daß die Hunnen

sowohl hinsichtlich

„auf

N . Bernstam, Ocerk istorii

einer bedeutend höheren

ihrer sozialen

Ordnung

als auch

Stufe

ihrer

als

Kultur

standen", wurde sehr bald einer scharfen Kritik unterzogen; vgl. die Rezension von A .

Ch.

Rafikov, Voprosy istorii 1 9 5 2 , 5, und Z . V . Udal'cova, Protiv idealizacii gunnskich zavojevanij, Bol'sevik 1 9 5 2 , 1 1 , S. 6 8 - 7 2 . 21

E . A . Thompson, A History, S. 1 7 7 .

22

J . Harmatta, T h e Dissolution, S. 288.

DIE HUNNEN UND DAS WESTRÖMISCHE REICH

119

scheinen Harmatta nicht überzeugend; er führte dagegen an, daß die Hunnen über eine Organisation, welche ihnen die Versorgung ihres gesamten Volkes mit Lebensmitteln auf Kosten der steuerpflichtigen „Untertanen" ermöglicht hätte, gar nicht verfügen konnten. Außerdem hätten sie auch die materielle Basis ihres Reiterheeres eingebüßt, wenn bei ihnen keine Viehzucht betrieben worden wäre. 23 In der Tat erscheint es wenig glaubwürdig, daß die zahlenmäßig starken Hunnenstämme, die noch am Ende des 4. Jh. von Viehzucht und Jagd lebten, in wenigen Jahrzehnten die Voraussetzungen ihrer Existenz so gründlich verändert haben sollen. Anscheinend blieb aber der Bodenbau auch jetzt fast bedeutungslos. Es ist überliefert, daß man in Dörfern, welche sich in hunnischer Gewalt befanden, Hirse und Gerste anbaute; doch wissen wir nicht, ob in diesen Dörfern hunnische oder andersstämmige Bevölkerung lebte. Jedenfalls gibt Priscus in seiner Beschreibung der Ereignisse nach dem Tode Attilas eine Bemerkung des Hunnen Chelchal wieder, welche besagt, daß seine Stammesmitglieder sich nicht mit Bodenbau beschäftigten.24 Fraglich ist die Herkunft des Leinens, aus dem die Hunnen ihre Kleidung fertigten; es wurde wohl kaum durch eigenen Anbau gewonnen, sondern von der steuerpflichtigen Bevölkerung bezogen. Gleichfalls im dunkeln liegt die damalige handwerkliche Produktion, besonders auch die ethnische Zusammensetzung ihrer Träger. 25 In der als „Residenz Attilas" bezeichneten Siedlung fanden sich feste Häuser, welche eine Tendenz des Übergangs vom Nomadentum zur Seßhaftigkeit erkennen lassen. 26 Gewöhnlich erinnerten die Wohnstätten der Hunnen jedoch in ihrer Form an Jurten, obgleich auch sie bereits aus Holz waren. 27 Die Angehörigen dieses Volkes trugen keine metallenen Rüstungen. Ihr Heer bestand aus leichtbewaffneten Reitern. Die im Gebrauch befindlichen eisernen Schwerter konnten durch den Handel erworben sein, oder sie stammten aus der Kriegsbeute der vielen Eroberungszüge. Wenn die Hunnen eine Stadt überfielen, benutzten sie Belagerungsmaschinen. Daß in ihrem gesellschaftlichen Leben der Handel eine bedeutsame Rolle spielte, bezeugen nicht zuletzt ihre beharrlichen Forderungen nach günstigen Bedingungen für den Grenzverkehr bei den Verhandlungen mit der oströmischen Macht. In den Grenzsiedlungen fanden offensichtlich einmal im Jahr Märkte statt. Die Römer verkauften Seide, Wein, Luxusgegenstände und Waffen, die Hunnen dagegen Pferde und Sklaven. 28 In ihrem Reich waren oströmische Münzen im Umlauf, und das ihnen als Tribut oder Kriegsbeute zufließende Gold wurde in bedeutendem Maße für die Schmuckherstellung verwendet. Die Tribute brachten ihnen überdies jene finanziellen Mittel, die für den Fernhandel erforderlich waren. 29 In der hunnischen Gesellschaftsstruktur sind um die Mitte des 5. Jh. einige Veränderungen im Vergleich zu den siebziger Jahren des 4. Jh. erkennbar. Durch das Werk des Priscus können wir einen besonderen Stand von Freien fassen, welche damals die 23 34 2o

26 27

28 29

Ebenda, S. 301. Priscus, Fragm. 39 (FHG IV 108). Ebenda 8 ist die Rede von Dienerinnen im Hause der Gattin Attilas, welche Ornamente auf Stoffe stickten, die von den Hunnen als Überwurf benutzt wurden. G. Wirth, Attila und Byzanz, S. 57. E. Schaffran, Zur Geschichte der Hunnen in Europa, in: Die Welt als Geschichte, Bd. 1, '957. S. 97. O. J. Maenchen-Helfen, Attila, S. 271 f.; E. A. Thompson, A History, S. 172. J. Werner, Beiträge zur Archäologie, S. 85; L. Varady, Das letzte Jahrhundert, S. 149.

120

D I E HUNNEN UND DAS WESTRÖMISCHE REICH

höchststehende Gruppe im Volk bildeten, im Unterschied zu den primates des Ammianus Marcellinus jedoch keinen Gentiladel darstellten. Dieser Stand, dessen Zugehörige mit dem Terminus logades bezeichnet wurden, umfaßte die Vertrauten Attilas. Sie begleiteten ihren Führer im Krieg, verwalteten einzelne Territorien und erfüllten diplomatische Missionen. Ihnen wurde das Recht gewährt, gleich nach Attila ihren Anteil an der Kriegsbeute in Empfang zu nehmen.30 Über die Lage der hunnischen Gemeinfreien enthalten die Quellen keinerlei Zeugnisse. D i e Sklaven versahen Hausarbeiten und wurden auf Heerfahrten eingesetzt; ihre Herren besaßen offensichtlich das Recht, über deren Leben oder Tod zu bestimmen. In welchem Maße die Sklaven am Produktionsprozeß teilnahmen, weisen die uns bekannten Informationen nicht aus. Für J . Harmatta stellten die logades die herrschende Klasse in der Hunnengesellschaft dar; er meinte, daß sie wie Großgrundbesitzer von der Ausbeutung Freier lebten. Verarmte Freie hüteten seiner Ansicht nach das Vieh und bearbeiteten den Grund und Boden der Reichen. 31 Nun erwähnt Priscus zwar einen Berich, der als Vertrauter Attilas einer großen Anzahl von Siedlungen auf hunnischem Boden vorstand, und das Dorf, in welchem 448 oströmische Gesandte rasteten, wurde von der Gattin Bledas verwaltet. 32 Die hier gebrauchten Formulierungen geben jedoch keine Veranlassung, in den beiden genannten Personen Grundherren zu vermuten. Eher kann man hier auf eine Einrichtung schließen, die dem Unterhalt oder der Versorgung diente, sie existierte so oder ähnlich auch in verschiedenen anderen Barbarenreichen. Von einer Ausbeutung der eigenen verarmten Stammesmitglieder durch adlige Hunnen wissen wir nichts. Die Sklaverei hatte bei diesem Volk offenbar patriarchalischen Charakter. Wenn man über all dies zusammenfassend urteilt, so gab es damals hier wohl kaum mehr als Keime einer Klassenteilung. Bemerkenswert ist, daß die christlichen Missionare bei den Hunnen keinen Erfolg hatten - ungeachtet der Tatsache, daß hinreichend enge Kontakte zur einheimischen Bevölkerung bestanden und eine große Zahl bereits christianisierter Romanen und Germanen in den Gebieten, die das wilde Volk erobert hatte, zu finden waren. 33 Die bei den Kriegszügen gemachten Gefangenen verfielen der Sklaverei. In Einzelfällen konnten sie die Freiheit erlangen, wie es mit einem Griechen geschah, der bei einem Gespräch mit Priscus im Quartier Attilas behauptete, daß die Ausländer bei den Hunnen ein ruhiges Leben führen könnten. Doch insgesamt befand sich diese Bevölkerungsschicht, wie der eben erwähnte Schriftsteller mitteilt, in einer rechtlosen und schweren Lage. 34 Umstritten ist die Frage nach der Verwaltungsorganisation im Hunnenreich. J . Harmatta vermerkte, daß eine territoriale Gliederung desselben existierte. Attila trat als Alleinherrscher auf, der völlig selbständig Beschlüsse faßte ; 35 in einigen Fällen benannte er für unterworfene Stämme Regenten.36 E r hielt in eigener Person Gericht und empfing 30

31 32 33 34 35 36

E. A. Thompson, A History, S. 1 6 5 - 1 6 7 ; J . Harmatta, The Dissolution, S. 297-300; F. Altheim, Geschichte der Hunnen, Bd. 4, S. 280-284. J . Harmatta, The Dissolution, S. 288; 298-300. Priscus, Fragm. 8. E. A. Thompson, A History, S. 37-39. Priscus, Fragm. 8. G. Wirth, Attila und Byzanz, S. 66; O. J. Maenchen-Helfen, Attila, S. 273. J . Harmatta, The Dissolution, S. 288; 297. Beispielsweise seinen Sohn für die Akatzieren.

DIE HUNNEN UND DAS WESTRÖMISCHE

REICH

121

Gesandtschaften anderer Völker. Unter seinen Vertrauten gab es Sekretäre, und an seinem Hofe befanden sich offensichtlich eine Kanzlei sowie ein Archiv, in dem die Verträge mit fremden Staaten aufbewahrt wurden. 37 Für die engen Beziehungen der Hunnen zu den Goten zeugt, daß die Sprache der letzteren neben der hunnischen am Hofe Attilas benutzt wurde. Die Erzählung des Priscus über zwei Barbaren, welche während des Empfangs einer römischen Gesandtschaft an diesem Hofe Lieder über die Heldentaten Attilas sangen, läßt ähnliche über die Skalden an den Höfen skandinavischer Könige ins Bewußtsein treten.38 Man muß sich bei allem stets vergegenwärtigen, daß die Gewalt der Hunnen über weite Gebiete Ost- und Mitteleuropas reichte, die von zahlreichen Stämmen besiedelt waren. Die Verwaltung eines derart riesigen Territoriums konnte in der Tat allein mit Hilfe von gentilen Einrichtungen unmöglich bewerkstelligt werden. Die Notwendigkeit, die Macht über die unterworfene Bevölkerung politisch zu organisieren, beschleunigte die Schaffung einer Zentralgewalt und die Einrichtung von Elementen eines Herrschaftsaufbaus, wie er auch für andere Nomadenreiche charakteristisch war. Einige Verwaltungseinrichtungen konnten von Nachbarvölkern, besonders aber von den Römern, entlehnt werden. 39 Jedoch bedeutete dies alles noch nicht die Errichtung des Staates. Wir besitzen keinen Nachweis über die Existenz einer öffentlichen Gewalt, welche vom Volk getrennt war; wir hören nichts über einen ausgeprägten Apparat im Zentrum oder in der Peripherie. Offensichtlich wurden die zahlreichen unterworfenen Stämme wie früher durch Organe der Gentilordnung verwaltet, und eine engere Beziehung zur hunnischen Macht kam nur in der Entrichtung von Tributen sowie in der Stellung von Kriegerabteilungen für die Heereszüge Attilas zum Ausdruck. Somit gibt es keine ausreichenden Beweise für die Behauptung, die gentilen Strukturen seien bei den Hunnen bereits völlig überwunden gewesen.40 Vielleicht ließe sich diese Frage leichter beantworten, wenn wir wüßten, wie das Gewohnheitsrecht jenes Volkes aussah; aber auch hier lassen uns die Quellen im Stich. Wir meinen jedoch, daß dieses Recht ebenfalls noch von Zügen der Gentilordnung durchdrungen war. Das Fehlen einer spezifischen ökonomischen Basis, welche unter anderen historischen Bedingungen die Entstehung des Staates zur Folge gehabt hätte, führte in dem hier vorliegenden Falle dazu, daß das Hunnenreich eine vorübergehende, labile Bildung blieb. 41 Und es gibt keine ausreichenden Gründe, die gestatten, es etwa als frühfeudal (patriarchalisch-feudal) zu charakterisieren oder die Meinung zu vertreten, daß es sich auf gleichem Entwicklungsniveau mit den barbarischen Königreichen Europas befand. 42 Es stand im Gegenteil weit darunter, worauf alles, was wir bisher ausgeführt haben, hindeutet. Während die Hunnen seit dem Ende des 4. Jh., wie oben beschrieben, zu einem 37

F . Altheim, Geschichte der Hunnen, B d . 4, S. 293.

38

P. Scardigli, D i e Goten. Sprache und Kultur, München 1 9 7 5 .

39

Priscus teilt mit, daß Aetius einen römischen Sekretär zu Attilas Diensten entsandte.

40

J . Harmatta, T h e Dissolution, S. 288. Über die Akatzieren, die wahrscheinlich zu den Hunnenstämmen gehörten, vgl. E . A . Thompson, A History, S. 1 1 , Priscus, F r a g m . 8. gibt an, daß sie in Stämmen und Geschlechtern unter der Leitung ihrer A n f ü h r e r lebten.

41

Uber die „Nomadenreiche" vgl. G . E . M a r k o v , K o c e v n i k i A z i i , M o s k v a

1976:

L . P.

Lasuk,

O Charaktere klassoobrazovanija v obscestvach rannych kocevnikov, V o p r o s y istorii 1967, 3. 42

So S. E . Tolubekov, O istorii 1965, 1 , S. 75.

patriarchal'no-feodal'nych

otnosenijach u kocevych

narodov,

Voprosy

122

DIE H U N N E N U N D DAS WESTRÖMISCHE REICH

wesentlichen Faktor der politischen Geschichte Ostroms wurden, spielten sie für das Westreich eine weit geringere Rolle. D i e zunehmende Auseinanderentwicklung der Reichsteile zeitigte auch hier ihre Folgen, indem jeder von beiden seine Beziehungen zu jenen „Barbaren" selbständig gestaltete und es unter ihnen in dieser Frage keine Solidarität gab. Eine solche Praxis fiel schon den Zeitgenossen auf: D i e Chronica Gallica vermerkt, daß während der Hunneneinfälle auf die Balkanhalbinsel im Jahre 447 der Westen gleichgültig blieb. 43 D i e Geschichte der hunnischen Beziehungen zu Westrom kann in zwei unterschiedliche Perioden geteilt werden: D i e erste reicht von den achtziger Jahren des 4. Jh. bis etwa 450, die zweite von diesem Zeitpunkt an bis zum Untergang des Hunnenreiches. D i e erste Periode ist in der Hauptsache gekennzeichnet durch friedliche Beziehungen zwischen den Nomaden und dem Westreich sowie durch hunnische Aktivitäten als Hilfstruppen im Dienst des römischen Staates. W a s das letztere anlangt, so benutzte Bauto, der Befehlshaber des weströmischen Heeres, ein Franke, Hunnenscharen aus Pannonien 383 dazu, den Germanenstamm der Jutungen aus Rätien zu verdrängen. In der Zeit vor 390 suchten Teile des Reitervolkes in Gallien einzudringen, wurden aber von römischen Truppen abgewehrt. A l s etwa in den gleichen Jahren Theodosius I. den Usurpator Maximus (383-388) bekriegte, welcher Gallien und Spanien in seiner G e walt hatte, dienten dagegen hunnische Truppen in seinem Heer. W i e diese es 406 dann Stilicho ermöglichten, den Streitkräften des Radagais eine entscheidende Niederlage beizubringen, 44 so spielten sie auch eine wichtige Rolle im Kampf gegen Alarichs und Athaulfs Westgoten. Den letzteren schlug Olympius, der nach dem Untergang Stilichos faktisch Herrscher des Westreiches war, mit 300 hunnischen Kriegern derartig, daß dieser seine Schar aus Pannonien weg nach Italien führte, um sie mit der Streitmacht Alarichs zu vereinigen. 4 " Alarich selbst aber wurde im Jahre 409 durch die A n k u n f t von 10 000 Hunnen, welche Honorius für römische Dienste anwerben ließ, dazu veranlaßt, seinen Z u g nach Rom zunächst zu verschieben. 46 Im weiteren Verlauf führte die weströmische Regierung Verhandlungen mit den Hunnen und bekräftigte die mit ihnen getroffenen Vereinbarungen durch die Stellung von Geiseln. Auch Aetius kam als eine solche an den hunnischen Hof, was dazu führte, daß seine Beziehungen zu diesem Volk recht eng wurden. 47 So konnte er, als der oströmische Kaiser Theodosius II. Truppen gegen den Usurpator Johannes entsandte, der im Westen 423 die Macht an sich gerissen hatte, diesen mit der Anwerbung von hunnischen Hilfstruppen beauftragen. E r führte dann auch ein großes Hunnenheer nach Italien; jedoch bereits kurze Zeit später wurde Johannes gestürzt und hingerichtet. Mit den Hunnen traf man hiernach eine Vereinbarung, derzufolge sie aus Pannonien abzogen. D e r Charakter dieses Vertrages ist unklar; folgt man L. Värady, so zielte er nicht auf die erwähnte große Heeresmacht, sondern allein auf einige Volksgruppen, die sich in Pannonien als Föderaten befanden. 48 43

Chronica Gallica, a. 447.

/;4

Oros. 7, 37, 12; Marcellini Comitis Chronicon, a. 406; Chronica Gallica, a. 405; Jord., Rom. 321. Über die Glaubwürdigkeit der Nachricht, daß Uldin die Hunnen in diesem Kampf anführte, vgl. L. Värady, Das letzte Jahrhundert, S. 201-205.

45

Zosim. 5, 50. E . Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches, S. 390.

46

F. Altheim. Geschichte der Hunnen, Bd. 4, S. 187; E. A . Thompson, A History, S. 34.

47

L. Värady, Das letzte Jahrhundert, S. 257-259.

48

Ebenda, S. 278-303.

DIE HUNNEN U N D DAS WESTRÖMISCHE

REICH

123

In den dreißiger und vierziger Jahren des 5. Jh. nahmen die Hunnen direkt oder indirekt an dem inneren Kampf im Westreich teil. Dabei dienten sie dem Imperium teils unmittelbar als Söldner, teils aber handelten sie auch selbständig, jedoch in Übereinstimmung mit den Plänen der Regierung in Ravenna. In der Zeit nach 430 kämpften Aetius und die Kaiserin Galla Placidia, welche im Namen ihres noch minderjährigen Sohnes Valentinian' III. regierte und von ihren Günstlingen - zunächst Bonifatius, danach Sebastianus - unterstützt wurde, um die Macht. Als Aetius dabei eine Niederlage erlitt, floh er zu den Hunnen und erhielt von diesen Unterstützung. So konnte er im Jahre 433 mit einem Heer von dort nach Italien zurückkehren, bekam erneut führende Posten im weströmischen Staat sowie das Oberkommando über die dortigen Streitkräfte. Den Hunnen wurde die Provinz Pannonia II zwecks Ansiedlung zugewiesen.49 Im Jahre 435 fiel dann der Burgunderkönig Gundahar in die römische Provinz Belgica I ein, und Aetius besiegte ihn mit einem Heer, das aus Herulern, Hunnen, Franken und Alanen bestand. Als schon 436 hunnische Verbände schließlich das Burgunderreich am Rhein zerstörten, dürften sie dies wohl aus eigenem Antrieb getan haben; der römische Heerführer hatte dazu kaum einen Auftrag, jedenfalls aber seine Zustimmung gegeben.50 Westrom benutzte hunnische Hilfstruppen auch zur Niederwerfung von Volksbewegungen in Gallien sowie zum Kampf gegen das Tolosanische Reich der Westgoten. So ging im Jahre 437 der Heermeister Litorius mit ihrer Hilfe gegen die Bagauden der Aremorica vor. Der Führer des Aufstandes, Tibatto, geriet dabei in Gefangenschaft, und die Bewegung konnte zeitweilig erstickt werden. Darüber hinaus befreite das Hunnenheer unter dem Befehl des Litorius Narbonne, welches westgotische Truppen belagert hatten. Schließlich erlitt jedoch der Heermeister 439 bei Toulouse eine Niederlage. Aus all dem sieht man deutlich die Unterschiede im Charakter der Beziehungen von Ost- und Westrom zu den Hunnen jn dieser Periode: Westrom war nicht gezwungen, unter erniedrigenden Bedingungen seinen Frieden zu erkaufen, wie das Konstantinopel tun mußte. D a f ü r aber waren seine „Bündnisse" mit dem wilden Reitervolk in keiner Weise gleichzusetzen mit seinen Beziehungen zu den germanischen Föderaten, wenn L. Värady auch hier ebenso wie dort den Begriff foedus für angebracht hält. 51 Als die Regierung in Ravenna, welche die Hunnen als Auxiliartruppen benutzte, deren durch Verträge zugesicherte Niederlassung auf weströmischem Territorium gestatten mußte, bedeutete das faktisch eine Abtretung. Sogar formell konnte sie keine Rechte auf dieses Gebiet mehr wahren, so daß sich die dort ansässige Bevölkerung völlig der Hunnenmacht ausgeliefert sah. Das Verhältnis zwischen dieser Macht und der römischen Gesellschaft war damals allerdings ein anderes als zu den Zeiten des Ammianus Marcellinus, welcher den Hunnenstamm zu den wildesten auf der Erde gerechnet hatte. Gewiß sah die kirchliche Tradition nach wie vor in ihm wie in seinem Anführer Feinde der christlichen Welt und Zerstörer der gottgewollten Ordnung; bereits für Priscus jedoch war Attila ein 49

Chronica Gallica, a. 4 3 5 ; Prosper, Chronica 310. E . Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches,

30

E . Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches, S. 480; F. Altheim, Geschichte der

S. 478 f . ; L . Värady, Das letzte Jahrhundert, S. 3 0 3 - 3 0 9 . Bd. 4, S. 194 f. äl

L . Värady, Das letzte Jahrhundert, passim.

Hunnen,

D I E H U N N E N UND DAS WESTRÖMISCHE REICH

124

großartiger Staatsmann, der ruhmreiche Taten vollbrachte. 52 Salvian hielt den Römern vor, daß die Heiden nicht so wie sie verdorben waren, und er bezog dies gleichermaßen auf die Franken, Sachsen und Vandalen wie auch auf die Hunnen. Gleich Priscus betonte er, daß letztere kein solches Steuerjoch kannten wie die Untertanen des Imperiums.53 In den herrschenden Kreisen der römischen Gesellschaft gab es überdies Gruppierungen, die in den Hunnen ein Instrument der eigenen Militärmacht sahen.84 Wenn aber behauptet wird, die Volksmassen des Weströmischen Reiches hätten für sie Sympathie empfunden, 03 so bestätigen die Quellen eine solche Annahme nicht. E s gibt in ihnen keine Hinweise auf eine irgendwie geartete Unterstützung für die Unterdrückten, ja im Gegenteil, es traten die Bewohner der Aremorica, des Zentrums der Bagaudenbewegung, im Jahre 451 sogar gemeinsam mit Aetius gegen Attila auf. Kurz vor dem Jahre 450 brach dann eine neue Etappe in den weströmisch-hunnischen Beziehungen an. Attila nämlich begann in den Verhandlungen mit der Regierung zu Ravenna einen Ton anzuschlagen, den er vordem nur Konstantinopel gegenüber angewandt hatte.56 Den römischen herrschenden Kreisen wurde somit klar, daß er zu einer Heerfahrt nach dem Westen rüstete.37 Einige Staaten, die in jener Zeit eine bedeutende Rolle spielten, wie Ostrom und das vandalisch-alanische Königreich, waren an einer solchen Wendung der Ereignisse interessiert, da sie einerseits die hunnischen Kräfte vom Osten ablenkte, zum anderen aber auch eine Bedrohung des Tolosanischen Königreiches der Westgoten darstellte, dessen Beziehungen zu den Vandalen feindlich waren. Trotzdem gibt es keine Anzeichen dafür, daß die oströmische Regierung etwa einen Zusammenstoß zwischen den Hunnen und Westrom provoziert hätte - im Gegenteil, wie Priscus und Jordanes mitteilen, soll Attila seinen Feldzug unternommen haben, um Geiserich einen Gefallen zu tun.58 Von der Aktivierung der Politik des Hunnenführers im Westen zeugt auch seine 02

Z . V . Udal'cova, Idejno-politiceskaja bor'ba v rannej Vizantii, Moskva

53

Salvian, D e gubernatione dei 4, 68; 4, 8 1 ; 5, 56.

55

Z . V . Udal'cova, Idejno-politiceskaja bor'ba, S. 1 1 0 - 1 1 2 , zufolge gab es am Hofe zu Ravenna

55

A . N . Bernstam, Ocerk istorii, S. 155 f., vermutete, daß Attila im Hinterland des

1974, Kapitel

3.

eine „prohunnische Partei". Feindes

Bundesgenossen besaß, die zum Teil Sklaven barbarischer Abkunft gewesen wären. Nach E . A . Thompson, A

History, S.

176, wünschten die „armen Klassen" unter den Römern die An-

kunft der Hunnen herbei. Des weiteren wird vermutet, zwischen gewissen Gruppen der Bagauden und den Hunnen habe es irgendwelche Verinbarungen gegeben, woraus sich angeblich der rasche Vormarsch Attilas durch Gallien nach Orléans erklären lasse; vgl. A . Loyen, Resistants et collaborateurs en Gaule à l'epoque des Grandes Invasions, in : Bulletin de

l'Association

G . Bude, Paris 1963, S. 444; F. Clover, Geiseric and Attila, Historia 22, 1973, S. 1 1 5 . 50

Um 449 waren die beiderseitigen Beziehungen wegen der sog. Silvanus-Affäre getrübt. Attila beanspruchte liturgische Goldgefäße, welche der Bischof von Sirmium dem Sektretär des Hunnenführers, Constantius, insgeheim übergeben, dieser jedoch einem römischen Bankier Silvanus verpfändet hatte, für sich und forderte ihre Herausgabe mit der Begründung, ihm sei Kriegsbeute unterschlagen worden; dazu sollte ihm Silvanus überantwortet werden. Westrom erklärte sich einverstanden mit einem Wertausgleich für die Gefäße, lehnte aber die Auslieferung des Silvanus ab. Priscus, Fragm. 8; E . A . Thompson, A History, S. 128 f . ; L . Värady, Das letzte Jahrhundert, S. 318 f.

57

Papst L e o I. begab sich im Jahre 449 nicht zur „Räubersynode" von Ephesos, da er die „ungewisse und unsichere Lage der Dinge" in Italien fürchtete: Epist. 27.

58

Vgl. Priscus, Fragm. 1 5 ; Jord., Get. 184. F . Clover, Geiseric and Attila, S. 1 0 4 - 1 1 7 .

DIE HUNNEN UND DAS WESTRÖMISCHE

125

REICH

Einmischung in innere Streitigkeiten bei den Rheinfranken. Als dort im Jahre 450 um die Thronfolge gekämpft wurde, erhielt der jüngere Königssohn von Aetius Unterstützung, während sich der ältere an Attila um Hilfe wandte. 59 Letzterer hatte schon 448, als die Truppen des Aetius in Gallien ein erneutes Aufflammen der Bagaudenbewegung unterdrückten, dem Arzt Eudocius, einem aktiven Teilnehmer dieses Aufstandes, Zuflucht gewährt.60 Seine Kriegsvorbereitungen gegen den Westen belegen unter anderem seine eigenartige „juristische" Denkart, welche auf das Bemühen hinauslief, für die Eröffnung der Feindseligkeiten einen Anlaß zu finden, der ihm die Rechtmäßigkeit seines Vorgehens bestätigen sollte. 61 In diesem Sinne diente ihm ein 450 an ihn herangetragenes Hilfegesuch von Honoria, der Schwester Valentinians III., als willkommener Vorwand. 62 E r forderte die Zustimmung Westroms für seine Heirat mit Honoria und als Mitgift die Hälfte des Weströmischen Reiches, wobei Gallien unbedingt ein Teil dessen sein sollte.63 Zu Beginn des Jahres 451 brach er mit einem großen Heer aus Pannonien auf. Neben seinen Hunnen nahmen an diesem Kriegszug auch unterworfene Stämme teil : Gepiden, Rugier, Heruler, Ostgoten, Skiren, ein Teil der Rheinfranken, vielleicht auch Thüringer.64 Attila eroberte Metz, das er zum Teil zerstörte, und näherte sich hiernach Orléans ; da es Aetius aber gelang, mit Hilfe des Avitus den Westgotenkönig Theoderich I. zu aktiven Handlungen gegen die Hunnen zu bewegen, eilten dieser Stadt römische und gotische Truppen zu Hilfe und entsetzten sie. Die Entscheidungsschlacht wurde schließlich auf den Katalaunischen Feldern in der Nähe von Troyes geschlagen; an ihr nahmen an der Seite der Römer auch Franken — Salier und ein anderer Teil der Rheinfranken - , Burgunder, Sachsen aus den Siedlungen an der Loire, Armoricaner und Alanen teil. Attila erlitt eine Niederlage und zog sich zurück, wobei er einen bedeutenden Teil seiner Beute verlor. E r blieb aber in der Lage, den Krieg weiterzuführen : Im Jahre 452 schickte er eine kleine Schar gegen das Ostreich und holte mit seinen Hauptkräften zu einem Schlag gegen Italien aus. Die Hunnen eroberten und zerstörten damals Aquileia sowie eine Reihe anderer Städte im Norden der Halbinsel; sie nahmen auch Mailand und Pavia ein. Aetius verfügte über keine Armee, die ihren Vormarsch hätte stoppen können; so riet er Valentinian III., Italien zu verlassen. D i e Situation erwies sich aber auch für die Hunnen als kritisch, weil das Land Hunger litt und Epidemien ausbrachen; dies erleichterte einer römischen Gesandtschaft mit Papst Leo I. an der Spitze, Verhandlungen mit den Angreifern zu führen. In ihrem Ergebnis verließen die Hunnen Italien. Im Jahre 453 starb Attila, und seine zahlreichen Söhne begannen daraufhin, die unterworfenen Stämme unter sich aufzuteilen. Ein von den Gepiden geführter A u f stand einiger dieser Stämme hatte jedoch zwei Jahre später die Niederlage der Hun59

E . A . Thompson, A History, S. 1 3 4 .

60

Chronica Gallica, a. 448.

61

Vgl. R. Grousset, L'Empire des steppes, Paris i960, S. 1 2 3 .

62

Honoria, der verschwörerischen Tätigkeit gegen ihren Bruder überführt, war in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt worden. A l s sie sich an den Hunnenherrscher um Hilfe wandte, bekräftigte sie diese Bitte, indem sie ihm ihren Ring übersandte.

63

Priscus, Fragm. 1 5 - 1 6 ; E . Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches, S. 496.

64

Nach Jord., Get. 4 1 , 2 1 7 , soll das Heer einige hunderttausend Krieger umfaßt haben, und allein in der Schlacht auf

den Katalaunischen Feldern seien

Thompson, A History, S. 142.

180000

Hunnen gefallen. V g l . E .

A.

126

DIE HUNNEN UND DAS WESTRÖMISCHE REICH

nen am Fluß Nedao in Pannonien zur Folge. Schließlich wurde das Heer der letzteren von den Ostgoten zerschlagen; das Hunnenreich zerfiel. Ein großer Teil des Volkes wanderte in die Schwarzmeerzone ab, während kleinere Gruppen nördlich der unteren Donau verblieben; sie waren nun dem Oströmischen Reich botmäßig. Hunnische Abteilungen befanden sich 457 in römischen Diensten im Heer des Kaisers Maiorian. Während ihrer fast hundertjährigen Anwesenheit in Europa übten die Hunnen einen wesentlichen Einfluß auf die Geschicke des Imperium Romanum aus. Dieser äußerte sich nicht nur mittelbar - nämlich indem germanische Stammesverbände veranlaßt wurden, auf römisches Territorium überzusiedeln - , sondern daneben auch ganz direkt, und zwar in doppelter Hinsicht. Wir sahen ja nicht nur einmal, daß die Hunnen gleich den Germanen als römische Hilfstruppen verwendet wurden; aber wie die Germanen verwüsteten sie auch zuweilen römisches Gebiet, unterjochten oder vernichteten die dort ansässige Bevölkerung und machten Kriegsbeute. Die Hunneneinfälle auf das römische Territorium waren besonders zerstörerisch und räuberisch.65 Doch das Hauptmerkmal der hier vonstatten gehenden Expansion in Westeuropa bestand darin, daß die Hunnen überwiegend nomadische Viehzüchter blieben und sich nicht jene produktive Tätigkeit zu eigen machten, die sie in den von ihnen eroberten Ländern vorfanden: die Bodenbearbeitung. Hieraus resultierte grundsätzlich ihre Unfähigkeit, sich in die einheimische Bevölkerung zu integrieren. Der obenerwähnte Sieg des Aetius auf den Katalaunischen Feldern wird manchmal als Rettung der westlichen Zivilisation bzw. zumindest als Rettung Galliens angesehen.66 Wir heben in diesem Zusammenhang zunächst hervor, daß der Hunnenangriff gegen das Westreich erneut deutlich dessen Unfähigkeit vor Augen führte, den Barbaren selbständig wirksamen Widerstand zu leisten. Ohne die Westgoten und seine anderen germanischen Verbündeten hätte Aetius in der Schlacht von 451 keinen Erfolg haben können, und eine solche Unterstützung war auch zur Abwehr von Attilas italischem Kriegszug unentbehrlich. Doch folgt hieraus nicht, daß man die Bedeutung der antihunnischen Allianz von Römern und Germanen überbewerten darf, 67 denn sie war nicht fest und nur von kurzer Dauer. E s ist bekannt, daß Aetius nur mit Mühe die Westgoten zur gemeinsamen Abwehr der Hunnen bewegen konnte, und bereits kurz nach der Schlacht veranlaßte er sie unter ihrem damaligen König Thorismund zur Rückkehr nach Toulouse, da er eine Stärkung ihrer Machtposition befürchtete. E r entließ sogar seine fränkischen Verbündeten. Das alles verhinderte eine vollständige Niederlage der Hunnen, die durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte - obwohl, wie schon erwähnt,1 eine Reihe germanischer Stämme von Anfang an auf der Seite Attilas stand. ®

Der Totengesang zu Ehren Attilas, der die Taten des Königs aufzählte, hob dessen unterschiedliche Politik gegenüber den Barbaren und Rom hervor. Danach nahm er die „skythischen und germanischen Reiche in Besitz"; was jedoch die beiden romischen Reiche anbetrifft, so eroberte er deren Städte, drohte, ihre Territorien zu verheeren, und zwang sie zur Zahlung von Tributen; vgl. Jord., Get. 237.

68

R . Grousset, L'Empire des steppes, S. 1 2 2 ; P. Luponiac, L a disparition de l'empire romain en

67

F. Altheim, Geschichte der Hunnen, Bd. 4, S. 330, pries diese Vereinigung als Mittel zur Ver-

Occident, Paris 1 9 7 1 , S. 65. teidigung der spätantiken Kultur, und E . Demouget, Attila et les Gaules, S. 42, hob hervor, daß das Ergebnis der Schlacht auf den Katalaunlschen Feldern ein „Sieg des germano-römischen Galliens" gewesen sei.

DIE HUNNEN U N D DAS WESTRÖMISCHE REICH

127

Im allgemeinen war es für Rom am gewinnbringendsten, Barbaren von der Art der Hunnen als Söldner zu verwenden. Als sich das Reitervolk allerdings zusammenschloß und ein „Nomadenreich" bildete, wurde der schwächer werdende römische Staat dieser Macht tributpflichtig. In beiden Fällen aber besaß die Wechselwirkung zwischen der römischen und der hunnischen Gesellschaft keinen konstruktiven Charakter. Sie beschleunigte die Erschöpfung materieller Hilfsmittel sowie die Verringerung der Bevölkerung des Imperium Romanum. Aber sie hatte nicht jene Veränderung im Charakter der sozialökonomischen Ordnung zur Folge, welche inf der Perspektive eine Synthese römischer und barbarischer gesellschaftlicher Verhältnisse ermöglicht hätte.

8. DER UNTERGANG DER SKLAVEREIGESELLSCHAFT AN DER OBEREN DONAU

Im spätrömischen Kaiserreich verlief die Nordgrenze an Rhein, Iiier und Donau. Die dort liegenden Gebiete gehörten zu Westrom; genannt werden müssen die Provinzen Raetia I mit dem Sitz der Provinzverwaltung in Curia (Chur), Raetia II mit der Hauptstadt Augusta Vindelicorum (Augsburg), Noricum ripense mit dem Sitz der zivilen Verwaltung in Ovilava (Wels) und Noricum mediterraneum mit dem Hauptort Virunum (Zollfeld in Kärnten) ; nach der Aufgabe von Noricum ripense durch Odoaker (488) wurde jedoch die Hauptstadt von Noricum mediterraneum nach Teurnia (oder Tiburnia: heute St. Peter im Holz in Oberkärnten) verlegt. Außerdem zählten zu diesem Territorium die Provinzen Pannonia I mit der Hauptstadt Carnuntum (bei Wien), Valeria mit der Hauptstadt Aquincum (im heutigen Stadtgebiet von Budapest), Pannonia II mit der Hauptstadt Sirmium (Sremska Mitrovica) und Savia mit dem Hauptort Siscia (Sisak). Zum Weströmischen Reich gehörte dann jenseits der Adria noch die Provinz Dalmatia mit der Hauptstadt Salonae (Solin), während die südlich anschließende Praevalitana bereits Bestandteil Ostroms war. Das Gebiet am Hochrhein zwischen dem Bodensee und dem Knie des Flusses bildete einen Teil der Provinz Maxima Sequanorum, deren Statthalter in Vesontio (Besançon) saß. Die Truppenstandorte mit ihren Befehlshabern waren damals nicht mehr mit den zivilen Verwaltungszentren identisch. Die Raetia I und II standen unter dem militärischen Kommando eines dux, der wahrscheinlich in Castra Regina (Regensburg) residierte; Sitz des dux von Noricum war hingegen Lauriacum (Lorch). Zeitweilig unterstanden alle Gebiete an der oberen Donau sowie in Dalmatien einem einzigen Befehlshaber, wie dem Generidus im Jahre 409. Die dalmatinisch-pannonischen Provinzen unter Einschluß von Noricum bildeten eine gemeinsame Diözese, deren vicarius sich in Sirmium befand. Die beiden rätischen Provinzen rechneten zur Diözese Italia annonaria. Wirtschaftliche Bedeutung besaßen diese Provinzen wegen des Abbaus von Eisenerzen in Noricum und dazu wegen ihrer entwickelten Landwirtschaft, welche Italien mit Futter- und Lebensmitteln versorgen konnte; darüber hinaus gab es Gebiete, in denen besonders Pferdezucht betrieben wurde. Wichtig war weiterhin der Export von handwerklichen Erzeugnissen, vor allem von Metallwaren. Aquincum, Carnuntum und Lauriacum waren Orte mit staatlichen Werkstätten, die sich auf die Herstellung von Schilden für die römische Armee spezialisiert hatten. In den Oberdonauprovinzen lagen außerdem zahlreiche kaiserliche Güter. Für die Militärpolitik der weströmischen Regierung bedeutete die Bewahrung der oberen Donauprovinzen vor germanischen und sarmatischen, später auch hunnischen

25

Alamannische

Lanzenreiter. ungen.

Zierscheibe

Bronze.

Karlsruhe,

Von

mit

Bräun-

Badisches

Lan-

desmuseum

24

Alamannischer

Spangenhelm.

R o t k u p f e r und E i s e n vergoldet. V o n Gammertingen maringen, seum

Hohenzollern.

Hohenzollernsches

SigMu-

25

Alamannische Goldblattkreuze mit Flechtornament. Von Ulm, Andelfingen. Stuttgart,

tümersammlung

Alter-

27

Alamannischer Totenbaum (Sarg). Von

Zöbingen. Stuttgart, Altertümersammlung

28

Fränkischer Rüsselbecher. Von Kent. London, Briti-

sches Museum

29

Fränkische Platte mit Filigran sowie Steinauflage und Kelch. G o l d ,

Von G o u r d o n , D e p . C o t e d ' O r . Paris, Nationalbibliothek

30

Fränkische

Museum

Glashörner

mit

Fadenauflagen.

Von

Bingerbrück

und

Italien.

London,

Britisches

JI

Fränkische Fibeln und Gürtelbeschlag. Von Rittersdorf, K r . Bitburg-Prüm. Trier,

Landesmuseum

Rheinisches

32

Fränkischer

Schmuck:

Kette,

Ohrringe,

Kristallkugel,

durchbohrter

Frankreich. London, Britisches Museum

33

Fränkische Schlüssel. Rouen, Museum D é p a r t e m e n t a l des Antiquités

Stein.

Gräberfund

aus

Keramik:

Wölb-

wandtopf, Knickwandtopf,

34

Fränkische

Röhren-

ausgußkanne. Vom Gräberfeld von Nettersheim,

Kr.

Euskirchen.

lin, Staatliche Museen

Ber-

UPf ' ^ta» tt-' a T ^ r y ,

35

| ...... ¡. - ...

.

Fränkischer E i m e r und Becher. H o l z mit Metallbeschlägcn. A u s einem K a m m e r g r a b bei Soest.

Münster, Landesmuseum

DER UNTERGANG DER

129

SKLAVEREIGESEtLSCHAFT

Angriffen eine militärische Sicherung der Zugänge nach Italien. Als man den obergermanisch-rätischen Limes preisgeben mußte, zog man sich auf die Hochrhein-IllerLinie zurück; diese wurde nun unter Kaiser Valentinian I. noch einmal militärisch verstärkt und mit neuen Grenzsicherungsanlagen versehen. Allein zwischen Konstanz und Basel wurden 50 burgi (Wachttürme) angelegt, um grenznahe Bewegungen germanischer Verbände besser beobachten zu können. A n den Paßstraßen der Alpenübergänge entstanden Kastelle, d. h. militärische Stützpunkte an der Grenze und im Hinterland, die auch als Zufluchtstätten für die ländliche Bevölkerung bei überraschenden Durchstößen barbarischer Heeresabteilungen dienten. Man sieht: Rom hatte mehr und mehr Mühe, sich auf die Verteidigung zu konzentrieren; von Gegenoffensiven konnte keine Rede sein. D e r letzte römische Kaiser, der mit einem Heer rechtsrheinisches G e biet betreten hatte, war Gratian im Jahre 378, obwohl auch Theodosius I. noch den Siegertitel Alamannicus im Namen führte. 1 Gegenüber der rätischen Grenze siedelte der germanische Stammesverband der A l a mannen, welcher seit der zweiten Hälfte des 3. Jh. für gewisse Zeiten durch Föderatenverträge mit dem Römischen Reich verbunden war (Abb. 23-24). 2 Meist aber hatte ihn Rom als Feind zu betrachten - und dennoch bemühten sich einige seiner Kaiser und Heerführer darum, alamannische Söldner f ü r ihre Truppen zu gewinnen. Zuletzt werden alamannische Föderaten in den Jahren 4 1 0 bis 4 1 3 unter den Gegenkaisern K o n stantin III. und Jovinus erwähnt. Ob germanische Gruppen in Rätien während des 4. J h . auch Boden erhielten, gilt bislang in der Forschung noch als strittiges Problem. Jedoch haben jetzt archäologische Funde, wie etwa in Neuburg, die These einer derartigen Ansiedlung im grenznahen Raum, wo somit zugleich Hilfstruppen zur Sicherung gewonnen wurden, erhärtet. 3 Als Stilicho zu Beginn des 5. Jh. Grenztruppen vom Oberrhein und aus Rätien nach Italien beorderte, um seine K a m p f k r a f t gegen die Westgoten unter Alarich auf diese Weise zu verstärken, bedeutete das vor allem für die Raetia I I eine Katastrophe. Dort brach die römische Provinzverwaltung zusammen, wenn auch in den Städten noch das römische Leben erhalten blieb. D i e Stadt Augsburg wird zu jener Zeit in der „Notitia dignitatum" ein letztes M a l genannt; danach sucht man sie vergeblich in den spätantiken Quellen. D i e römische Illergrenze konnte nicht mehr aufrechterhalten werden; Alamannen besiedelten allmählich die Provinz und drangen während der zweiten Hälfte des 5. Jh. bis zum Lech, stellenweise auch bis zur norischen Grenze am Inn vor. Seit etwa 450 erfolgte auch eine bäuerliche Landnahme von seiten der Alamannen im Elsaß, während ihre Siedlungen südlich des Hochrheins erst im 6. Jh. einsetzten. 4 Beson1

K . F . Stroheker, Die Alamannen und das spätrömische Reich, in: W . Alemannen in der Frühzeit, Bühl-Baden Siedlungsvorgänger

1974, S. 2 1 ;

Hübener

(Hrsg.),

Die

9 ; J . Findeisen, Spuren römerzeitlicher

im D o r f - und Stadtbild Süddeutschlands und seiner Nachbargebiete,

Diss.

Bonn 1970, S. 2 5 - 4 0 . 2

B. Stallknecht, Untersuchungen zur römischen Außenpolitik in der Spätantike ( 3 0 6 - 3 9 5 ) ,

Diss.

Bonn 1967. 3

H.-J. Kellner, Die Römer in Bayern, 3. Aufl. München 1976, S. 1 9 7 2 ; E . Keller, Möglichkeiten der Synchronisierung spätrömischer Fundgruppen aus den Provinzen an Oberrhein und oberer Donau mit elbgermanischen

der jüngeren Kaiserzeit, in: G .

Kossak -

J . Reichstein

(Hrsg.),

Archäologische Beiträge zur Chronologie der Völkerwanderungszeit, Bonn 1 9 7 7 (Antiquitas 3, 20), S. 1 2 - 1 6 . 4

9

R. Moosbrugger-Leu, Die Schweiz zur Merowingerzeit, 2 Bde., Bern 1 9 7 1 , A , S. 1 3 - 1 8 ; B, S. 15 Günther

DER UNTERGANG DER

13°

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

ders dicht besiedelt von diesem Stammes verband waren das Lechfeld, Teile des Illerund des Wertachtals sowie das Donautal zwischen den Mündungen von Iiier und Lech. 5 Die politische Macht bei den Alamannen lag während des 4. und 5. Jh. in den Händen der Gentilaristokratie. Gegen Ende des 5. Jh. konzentrierte sie sich in einem Stammeskönigtum, während vorher mehrere Fürsten (reges, reguli, regales) neben- und gegeneinander um die Erhöhung ihres Ansehens gestritten hatten. Aber bevor sich noch ein alamannisches barbarisches Königreich und in seinem Gefolge ein Staat bilden konnte, wurde der Stammesverband von den Franken Chlodwigs besiegt und der größte Teil seines Territoriums dem Fränkischen Reich angegliedert. Auch das alamannisch besiedelte Rätien, welches für einige Zeit den Ostgoten gehörte, wurde im Jahre 537 von diesen an die Franken abgetreten. Um 540 besetzten letztere unter ihrem König Theudebert dann auch Teile von Noricum mediterraneum. Lokale städtische Milizen suchten während des 5. Jh. den Ansturm der Alamannen auf Rätien abzuwehren - in diesem Sinne glich die Lage hier der Britanniens und anderer Grenzprovinzen jener Zeit. Der alamannischen Besiedlung des Landes folgte jedoch keine völlige Abwanderung der romanischen Bevölkerung; häufig siedelten im Gegenteil Alamannen und Romanen nebeneinander. Mit Ausnahme von zwei Gräberfeldern gegenüber von Basel und Kaiseraugst in der Schweiz, welche um 400 einsetzen, wurden die großen alamannischen Reihengräberfelder erst seit der Mitte des 5. Jh. angelegt.6 In dem weitgehend beigabenlosen Gräberfeld von Kaiseraugst aber wird neuerdings ein beträchtlicher Anteil romanischer Bestattungen neben den alamannischen vermutet. 7 Die alamannische Besiedlung brachte einen wirtschaftlichen Niedergang mit sich, der jedoch auch in jenen Territorien anzutreffen war, die noch zum Weströmischen Reich gehörten. Insofern gab es keinen gravierenden Unterschied zwischen den Gebieten diesseits und jenseits der römischen Grenze. Römisch beeinflußtes Handwerk sowie romanische Wirtschaftsformen finden sich im archäologischen Niederschlag Rätiens auch noch, nachdem das Land von Westrom bereits preisgegeben war: Aus dem Gebiet dieses Teilreiches griffen die allgemeinen Tendenzen wirtschaftlicher Entwicklung auf die von Germanen besetzten Landschaften über.8 Das landwirtschaftlich genutzte Gebiet schrumpfte zusammen; die Produktion für den Eigenbedarf überwog. Zu Beginn des 8. Jh. jedoch war der Umfang des in römischer Zeit besiedelten und bewirtschafteten Raumes wieder erreicht, und dann ging der weitere Landesausbau schließlich darüber hinaus. bis 1 9 ; B. Boesch, N a m e und Bildung der Sprachräume, in: W . Hübener (Hrsg.), Die Alemannen in der Frühzeit, S. 98 f . ; G . Fingerlin, Zur alemannischen Siedlungsgeschichte des 3 . - 7 .

Jahr-

hunderts, in: ebenda, S. 80 £. 5

W . Hübener, D e r Beitrag der frühgeschichtlichen Archäologie zur geschichtlichen Landeskunde des alemannischen Raumes, in: ebenda, S. 43.

c

' G . Fingerlin, Zur alemannischen Siedlungsgeschichte, S. 79 f. Vgl. auch H . Dietze, Rätien und seine germanische Umwelt in der Zeit von 4 5 0 bis auf Karl den Großen unter besonderer Berücksichtigung Churrätiens

(Diss. Würzburg

1930), Frankfurt a. M .

1 9 3 1 , S.

' H . Ament, Franken und Romanen im Merowingerreich als archäologisches

51 f.

Forschungsproblem,

Bonner Jahrbücher 178, 1978, S. 3 8 1 . 8

H . Keller, Spätantike und Frühmittelalter im Gebiet zwischen Genfer See und Hochrhein, Frühmittelalterliche Studien 7 , 1 9 7 3 , S. 8 f.

DER UNTERGANG DER

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

Eine schriftliche Fixierung des alamannischen Rechts setzte in den Jahrzehnten nach 500 ein, und zwar unter fränkischem Einfluß. Die einzelnen Bestandteile des Pactus Legis Alamannorum sowie auch der Lex Alamannorum gehören in die Zeit zwischen dem 6. und dem 8. Jh., wobei der Bußkatalog der Lex bereits in der ersten Hälfte des 6. Jh. entstand.9 Die soziale Differenzierung war damals schon recht fortgeschritten: Die Freien gliederten sich in die am höchsten Angesehenen ( p r i n c i p e s , primi, meliorissimi), in die „Mittelfreien" ( m e d i i , mediani) und in die weniger Bedeutenden [minofledt); darunter standen noch die Halbfreien {liti) und die Unfreien (servt).i0 Die Liten rekrutierten sich in erster Linie aus den Freigelassenen. Die rätisch-romanische Bevölkerung war im j./S. Jh. bereits weitgehend assimiliert worden; sie fand daher in den alamannischen Rechtssatzungen keine besondere Erwähnung mehr. 11 In den Texten, welche vom 7. Jh. an entstanden, spielte die christliche Kirche mit ihren Abhängigen und Besitzrechten eine besonders große Rolle: Sie war privilegiert, und das Recht sollte vor allem diese ihre bevorzugte Stellung schützen.12 Die Grabinschrift des Bischofs Valentianus aus Chur, welche 548 entstand, erinnert an die Tätigkeit des Severinus in Noricum: Valentian teilte ihr zufolge freiwillig die Schätze mit den Erniedrigten; er verteilte Kleidungsstücke an die Armen und sorgte sich um das harte Los der Gefangenen. 13 Um die Mitte des 6. Jh. tauchen erstmals in den Quellen die Baiuvaren auf. Ihre Herkunft ist strittig; vermutlich sind sie aus Böhmen eingewandert. Zunächst siedelten sie zwischen den Flijssen Lech und Inn, stießen aber bis gegen Ende des 6. Jh. zur Enns vor, welche dann ihre Grenze zu den Awaren bildete. Die Provinzen Noricum ripense und Noricum mediterraneum erlitten ein ähnliches Schicksal wie die Raetia II. Während des 4. Jh. lagerten die Grenztruppen der Legio I Noricorum in den Kastellen an der Donau, und eine aus leichten Kriegsbooten bestehende Flotte überwachte den Strom. Aber bereits vor 400 begann die römische Herrschaft auch hier ins Wanken zu geraten - als nämlich die Stammesverbände der Vandalen, Quaden und Markomannen die donaunahen Gebiete der Provinz Pannonia I verheerten und im Jahre 395 die dort liegenden Festungen Carnuntum und Vindobona zerstörten. Stilicho konnte zwar 396 die Grenze wieder notdürftig schließen und markomannische Scharen als Föderaten zu ihrem Schutz gewinnen; jedoch drangen fünf Jahre später die Vandalen erneut gegen Noricum und Rätien vor und vernichteten mehrere norische Städte, darunter Lauriacum. Sie wurden von Stilicho zurückgedrängt; aber kurze Zeit darauf bedrohte dann Radagais mit seinen Goten und anderen ethnischen Gruppen, als er nach Italien zog, auch Noricum. Diese allgemeine Unsicherheit ließ die Bedeutung der genannten Provinzen für Rom zurückgehen, und als der Westgotenkönig Alarich im Jahre 408 bei Verhandlungen mit dem Kaiser Honorius Noricum für sich forderte, begründete er dies mit dem Hinweis, 0 10

C . Schott, Pactus, L e x und Recht, in: W . Hübener, D i e Alemannen in der Frühzeit, S. 1 4 0 f. E b e n d a , S. 1 5 3 ; F . Beyerle, D a s Kulturporträt der beiden alamannischen Rechtstexte: Pactus und L e x Alamannorum, in: W . Müller (Hrsg.), Zur Geschichte der Alemannen, Darmstadt 1 9 7 5

(Wege

der Forschung ioo), S. 1 4 ; . 11

C. Schott, Pactus, L e x und Recht, S. 1 5 4 ; F . Beyerle, D a s Kulturporträt, S. 1 4 8 .

12

W . Müller, D i e Christianisierung der Alemannen, in: W . Hübener

(Hrsg.), D i e Alemannen in

der Frühzeit, S. 1 6 9 - 1 8 1 ; vgl. C. Schott, Pactus, L e x und Recht, S . 1 4 3 - 1 4 6 . 13

CIL

13,

S. 4 4 7 f. 9*

5251;

dazu R . Günther -

H . Köpstein

(Hrsg.), D i e

R ö m e r an Rhein

und

Donau,

132

DER UNTERGANG DER

SKLAVEREIGESELLSCHAFT

das Land habe ja für Rom keine besondere Bedeutung mehr, da es nur noch wenig an Steuern einbringe. Dennoch lehnte Honorius dieses Ansinnen ab. Im Jahre 433 wurde Noricum Grenzgebiet zum benachbarten Reich der Hunnen. Solange Westrom unter seinem Heermeister Aetius mit diesem Volk in freundschaftlicher Verbindung stand und die hunnischen Plünderungsfahrten vor allem in oströmische Gebiete gingen, blieb seine Existenz auch in Noricum gesichert. Als sich dann aber seine Beziehungen zu Attila verschlechterten und dieser während seines Zuges nach Gallien 451 auch Noricum brandschatzte, da gestalteten sich dort die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse so, wie wir sie aus der Lebensbeschreibung des Severinus von Eugipp kennen. Wahrscheinlich wurden während des damaligen Hunnenzuges das Kastell bei Zwentendorf an der Donau, das in der Nähe von Tulln lag, sowie ferner die Stadt Ovilava (Wels) zerstört.14 Eugipp hat seine Biographie des Mönches Severinus im Jahre 511 abgeschlossen. Letzterer war etwa um 453/454 aus dem Oströmischen Reich nach Noricum ripense gekommen und wirkte in verschiedenen Orten dieser Grenzprovinz, besonders in Favianis (Mautern) an der Donau. E r starb am 8. Januar 482 im dortigen Kloster. Die Severin-Vita ist eine wichtige historische Quelle für die Beurteilung der wirtschaftlichen und politischen Lage Noricums, wie sie sich iri der zweiten Hälfte des 5. Jh. darstellte. Reguläre römische Truppen gab es dort nicht mehr; die Städte wurden von örtlichen Bürgerwehren und geringen Resten versprengter Limitantruppen geschützt. Die an der Donau liegenden Urbanen Siedlungen wareq ständigen Angriffen germanischer Stämme ausgesetzt oder befanden sich bereits in deren Tributabhängigkeit. Dennoch zeigen die Schilderungen des Eugipp, daß Verbindungen nach Italien noch bestanden und daß es einen - wenn auch bescheidenen - Handelsverkehr gab. Alamannen, Heruler, Rugier, Thüringer und Goten fielen häufig in die norischen Gebiete ein, verheerten die Landschaften außerhalb der Städte, überfielen diese selbst und entführten die Bewohner. Manche Städte besaßen eine germanische Besatzung als „Schirmherren"; aber häufig wurde dieser militärische Schutz als starke Belastung empfunden, da für ihn ein entsprechender Tribut zu zahlen war. Noch standen römische Wachtruppen in einigen Städten, so in Favianis und Batavis (Passau), wo sie auch nach dem Untergang des Weströmischen Reiches weiter bezeugt sind. Das wirtschaftliche Leben konnte sich unter solchen Umständen nicht mehr entfalten; aber es gab beispielsweise in Favianis noch eine Kaufmannsfrau aus vornehmer Familie, die Wuchergeschäfte tätigte und durch das Zurückhalten von Lebensmitteln die Preise hochtrieb. Über Inn und Donau fand ein wenn auch oft gestörter, so doch immer noch gewinnbringender Lebensmittelhandel statt, der durch Flußschiffe vermittelt wurde. Kaufleute mit Öl erreichten die Donaustädte, wenn diese auch bereits den Rugiern anheimgefallen waren. Unter erschwerten Bedingungen wurde der Verkehr zwischen Noricum und Italien fortgeführt. Die Wochenmärkte im rugisch-römischen Grenzgebiet an der Donau besuchten Germanen wie Romanen, und den Kaufleuten der letzteren lag viel daran, die Handelserlaubnis bei den Rugiern zu erlangen. Auf agrarischem Gebiet hören wir vom Obstanbau, und die kleine bäuerliche Landwirtschaft war in der Umgebung der Städte verbreitet. Bauern, Handwerker und Händler

14

H. Mitscha-Märheim, Dunkler Jahrhunderte goldene Spuren, Wien 1963, S. 56.

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135

lieferten den zehnten Teil ihrer Erträge an das Kloster ab, welches ihn für die Armenund Gefangenenfürsorge nutzte. Von den germanischen Stämmen standen die Rugier in besonders engen Beziehungen zu Westrom. Kaiser Maiorian hatte mit ihnen einen Freundschaftsvertrag geschlossen, den sie nutzten, um ihren Einfluß in Noricum ripense zu erweitern; aber auch die römischen Siedlungen profitierten von ihm. Der Rugierkönig Flaccitheus war bis zu seinem um 475 erfolgten Tode jenem Teil des Imperiums wohlwollend verbunden. Sein Nachfolger Feletheus (Fewa) blieb zunächst bei dieser Politik, ließ sich später jedoch von Ostrom beeinflussen und bekämpfte Odoaker; er geriet schließlich in dessen Gefangenschaft, wo er um 487 sein Leben beendete. Als die Rugier ihren Einfluß nach Pannonien auszudehnen begannen, mußten sie im Jahre 469 von den damals dort wohnenden Ostgoten in einer Schlacht am Flusse Bolia eine schwere Niederlage hinnehmen. Auch über die soziale Situation bei den Rugiern berichtet die Severin-Vita. Sie erwähnt gefangene germanische Goldschmiede am dortigen Königshof, die in Zwangsarbeit für die Bedürfnisse der Herrscherfamilie handwerkliche Tätigkeit verrichten mußten. Wie es für Rätien in der erwähnten Grabinschrift des Bischofs Valentian von Chur zum Ausdruck kommt, beschäftigte sich die christliche Kirche auch in Noricum viel mit der Gefangenen- und Armenfürsorge sowie mit dem Loskauf von Kriegsgefangenen, die in die Hände der Germanen gefallen waren. Sklavenfreilassung galt als ein besonders gottgefälliges Werk. 1 5 Allmählich zeigte es sich dann, daß die an der Donau liegenden Städte den sich verstärkenden germanischen Angriffen, besonders denen der Alamannen und Heruler, nicht mehr standhalten konnten. Zuerst wurde Quintanis (Künzing) aufgegeben, dessen Bevölkerung nach Batavis (Passau) umsiedelte. Doch auch dort war die Sicherheit bald nicht mehr gewährleistet, und so zogen die Bürger aus Quintanis und Batavis vereint nach Lauriacum. Als diese Stadt aber nach einiger Zeit ebenfalls geräumt werden mußte, ging es unter der Führung des Severinus schließlich in jene Donaustädte, die unter dem Schutz der Rugier standen und diesen tributpflichtig waren. Zu vermerken ist freilich, daß unter dem Bruder des Rugierkönigs Fewa, Ferderuch, auch die Stadt Favianis nach dem Tode des Severinus geplündert wurde. Der oströmische Kaiser Zenon hatte dieses Volk überredet, gegenüber Odoaker, dem neuen Herrscher1 Italiens, eine feindselige Politik zu betreiben und nach Italien zu ziehen. Doch Odoaker kam dem zuvor und bekriegte im Jahre 482 die Rugier, wobei er König Fewa, wie schon ausgeführt, gefangennehmen konnte. D a sich dessen Kräfte jedoch anschließend erneut unter Friedrich, seinem Sohn, sammelten, führte Odoaker einen zweiten Kriegszug durch und zerschlug jetzt die feindliche Heeresmacht fast völlig. Friedrich gelang die Flucht zum Ostgotenkönig Theoderich, und als der im Jahre 488 ebenfalls gegen Odoaker nach Italien zog, befand er sich mit den Resten des rugischen Heeres an der Seite dieses seines Gönners. Noricum ripense war zu jener Zeit nicht mehr zu halten. Im eben genannten Jahre wanderte die romanische Bevölkerung dieser Provinz nach Italien aus; nur geringfügige Reste dürften noch dort verblieben sein. Nunmehr wurde Noricum 15

Über diese Seite der Tätigkeit Severins vgl. R. Günther an Rhein und Donau, S. 382 f. und 385.

H. Köpstein (Hrsg.), Die Römer

134

DER UNTERGANG DER SKLAVEREIGESELLSCHAFT

mediterraneum zur Grenzprovinz und ein Bestandteil des Ostgotenreiches. Es blieb bis zum Ende des 6. Jh. romanisch; dann wanderten alpenslawische Stämme ein und vermischten sich mit den Resten der ansässigen Bevölkerung. Die Severin-Vita beschreibt vor allem das städtische Leben in Noricum ¡ripense während der zweiten Hälfte des 5. Jh. 1 6 Die Landwirtschaft - ökonomische Grundlage jeder antiken Stadt - war auch hier die Hauptbeschäftigung der Bewohner. Aber die Bedeutung der Städte in diesem Grenzgebiet verringerte sich durch die kriegerischen Einfälle der Germanen wie durch die Störungen der Handelsbeziehungen nach Italien, und so wurden die urbanen Siedlungen mehr und mehr Zufluchtsorte für die ländliche Bevölkerung der stadtnahen Gebiete. Das munizipale Leben verkümmerte; Kirche und Klöster übernahmen, ohne daß sie dazu von der Staatsgewalt einen besonderen Auftrag erhalten hatten, immer häufiger Funktionen, die vordem von Kurialen ausgeübt wurden - vor allem die Armenversorgung. Die Abhängigkeit von germanischen Königen und dazu die inneren Wandlungen in der munizipalen und wirtschaftlichen Organisation lassen die Städte, von denen hier die Rede ist, den frühen mittelalterlichen ähnlich erscheinen. Die Stadt existierte außerhalb des staatlichen Systems von Westrom weiter, aber sozial und organisatorisch gab es in ihr große Veränderungen. Wie auch in weiten Teilen Galliens kam es in dem von uns behandelten Gebiet zu keiner institutionellen Kontinuität städtischer Einrichtungen bis ins frühe Mittelalter hinein. 1 ' Der Untergang der römischen Herrschaft und der antiken Produktionsweise in den vier pannonischen Provinzen ist besonders seit dem Erscheinen des auf dieses Problem bezogenen Buches von L. Värady 1 8 Gegenstand erregter, zum Teil heftiger Auseinandersetzungen.19 Während die Forschung seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts im wesentlichen den Ansichten von A . Alföldy folgte, 20 wonach etwa mit dem Ende des 4. Jh. auch die römische Herrschaft in Pannonien erlosch, kam Värady bei der Überprüfung des Quellenbestandes zu neuen Ergebnissen. Wie er schreibt, wären relativ sichere Spuren der römischen Gewalt und römischer Siedlungen in jenem Gebiet bis zum Untergang des Weströmischen Reiches zu verfolgen. Viele Fragen bleiben hier jedoch offen - schon weil das Ende einer Herrschaft nicht mit demjenigen der entsprechenden Siedlungen gleichzusetzen ist. Und wenn in diesem konkreten Fall der Nachweis hunnischer Stützpunkte in den pannonischen Provinzen geführt werden konnte, so spricht auch das nicht unbedingt für die obengenannte Ansicht, da die Hunnen dort auch als römische Auxiliartruppen und Föderaten Wohnsitze fanden. Analog den Verhältnissen in Noricum und Rätien ist es ratsamer, an einen allmählichen Rückgang römischen Lebens in Pannonien zu denken, wobei sich das wirtschaftliche Niveau 16

17

18 19

20

Zur Wirksamkeit Severins vgl. Eugippius, Das Leben des heiligen Severin. Lateinisch und deutsch. Einführung, Übersetzung und Erläuterungen von R. Noll, Berlin 1965; auch A. H. M. Jones, The Later Roman Empire, Bd. i, S. 246. I. K . Kolosovskaja, Commemoratorium Evgippija kak istocnik po istorii pozdneanticnogo goroda, Vestnik drevnej istorii 1977, 1, S. 1 4 5 - 1 6 0 ; H. Wölfl, Kriterien für lateinische und römische Städte in Gallien und Germanien und die .Verfassung' der gallischen Stammesgemeinden, Bonner Jahrbücher 176, 1976, S. 120. L. Värady, Das letzte Jahrhundert Pannoniens (376-476), Budapest 1969. Vgl. J. Harmatta, Acta Antiqua 18, 1970, S. 361-369; A. Möcsy, Acta Arch2eologica 23, 1971, S. 347-360; L. Värady, ebenda 24, 1972, S. 261-276. A. Alföldy, Der Untergang der Römerherrschaft in Pannonien, 2 Bde., Berlin-Leipzig 1924-1926. Vgl. auch A. Möcsy, Pannonia, in: Pauly-Wissowa, RE, Suppl. 9, Stuttgart 1962, Sp. 516-776.

DER UNTERGANG DER

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13 5

der Barbarensiedlungen dem spätrömischen anglich und spätrömische handwerkliche Fertigkeiten von den neuen Bewohnern weitergeführt wurden. Ein Herrschaftswechsel läßt sich archäologisch nur in den seltensten Fällen nachweisen. Neueste Untersuchungen neigen dazu, das Ende der römischen Herrschaft in Pannonien weiter in das 5. Jh. hinauszuschieben.21 Unter den Völkern, die vor dem Ansturm der Hunnen Balambers an die untere Donau zogen und um Aufnahme in das Römische Reich nachsuchten, waren neben den Westgoten auch Teile der Ostgoten sowie Alanen. Ihnen schlössen sich dann auch einige hunnische Verbände an, die sich, aus welchen Gründen auch immer, von ihrer Hauptmacht getrennt hatten. Während die westgotische Gruppe unter Fritigern von den Römern die Erlaubnis erhielt, die untere Donau zu überqueren, zog ein weiterer Teil dieses Volkes, von Athanarich angeführt, in das Gebiet der südlichen Karpaten. Eine Schar von Ostgoten, Alanen und Hunnen aber, welche unter dem Kommando von Saphrac (Saphrax) und Alatheus stand, überschritt ohne römische Genehmigung die Donau. Sie zu bekämpfen, wurden im Jahre 376 römische Grenz- und Hilfstruppen aus Pannonien abgezogen, die unter dem Befehl ihres dux Frigeridus eine ostgotische Abteilung unter dem Kommando des Farnobius vernichteten. Der Westgotenaufstand in Mösien und Thrakien nützte auch der Saphrac-Alatheus-Gruppe, welche zur Unterstützung der Empörer ein Hilfskontingent stellte. Seit etwa 379 findet man sie in den Provinzen Pannonia II und Savia,22 und zwar als Föderaten Westroms; sie schickte dem Kaiser Theodosius Truppen zum Kampf gegen die Usurpatoren Maximus und Eugenius. Aber diese Föderaten waren für die romanische Bevölkerung Pannoniens unbequeme und lästige Mitbewohner; sie bedrückten die ländliche Bevölkerung hart, und die Städte standen geradezu unter einem „chronischen" Belagerungszustand.23 Hinzu kamen im Jahre 395 Einfälle weiterer Barbarenvölker in pannonische Provinzen. Die Städte Carnuntum und Vindobona wurden zerstört. Hunnen drangen in die Pannonia II ein, doch der weströmische Heerführer Stilicho konnte sie im folgenden Jahre wieder vertreiben. Etwa um 400 endete das „Bündnis" der in Pannonien befindlichen Ostgoten, Alanen und Hunnen mit Westrom; allein die hunnischen Kontingente verblieben weiterhin dort. 402 setzten sich die Westgoten Alarichs zeitweilig in der Pannonia II und Savia fest. In den beiden folgenden Jahrzehnten siedelten Hunnen in der Pannonia II, und alanische Grenzwachen lagen in der Valeria. Im Jahre 427 wurden die Hunnen in „Pannonien" von Westrom angegriffen und vertrieben24 - gemeint ist damit vor allem die Provinz Pannonia II, und bei diesen Hunnen handelte es sich wahrscheinlich immer noch um die Nachgeborenen jener Kontingente, die mit Saphrac und Alatheus zusammen von Kaiser Gratian dort Wohnsitze erhalten hatten. Um 434 erhielten weitere Hunnen Siedlungsland in Pannonien,25 doch nutzte West21

A . Salomon -

L . Barköczi, Archäologische Angaben zur spätrömischen Geschichte des Panno-

nischen Limes - Gräberfeld von Intercisa I, Mitteilungen des archäologischen Instituts der Ungarischen Akademie der Wissenschaften 4,

1973

( 1 9 7 5 ) , S. 7 5 - 9 5 . Vgl. O. J .

Die Welt der Hunnen, W i e n - K ö l n - G r a z 1978, S. 3 1 8 f. 22

L. Värady, Das letzte Jahrhundert, S. 36.

23

Ebenda, S. 93.

-'' O. J. Maenchen-Helfen, Die Welt der Hunnen, S. 93. 25

F . Altheim, Geschichte der Hunnen, Bd. 4, S. 188.

Maenchen-Helfen,

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i)6

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rom später den Zusammenbruch des Attila-Reiches und brachte 455 unter Avitus seine Herrschaft dort noch einmal zur Geltung. Avitus war der letzte Kaiser, der seine Macht in jener Region demonstrierte - wenn auch vielleicht nur zu dem Zweck, um dort Söldner zu werben. Kurze Zeit später aber setzten sich die Ostgoten, deren größter Teil von den Hunnen seit 376 unterworfen worden war, nach der Schlacht am Fluß Nedao in Pannonien als Föderaten Ostroms fest und siedelten in dem Gebiet zwischen Raab, Leitha, Donau und dem Balaton. Den Skiren, Rugiern und Gepiden fügten sie 469 eine schwere Niederlage zu. Nur etwa drei Jahre später aber verließen sie Pannonien wieder, das damals vermutlich völlig ausgesogen und verarmt war, und suchten sich andere Wohnsitze.26 Nach ihrem Abzug waren es dann vor allem die Gepiden, welche sich in der Pannonia II niederließen; Skiren, Heruler wie auch abgesplitterte Stammesteile anderer Völker siedelten in den übrigen pannonischen» Provinzen. 27 Orestes, der Heermeister des Kaisers Julius Nepos (474/475), warb unter diesen Gruppen wiederum Söldner für das weströmische Heer an. Auch die in Dalmatien noch zwischen 454 und 481 stationierte römische Armee, welche unter dem fast autonomen Befehl des Marcellinus und seines Neffen Julius Nepos stand, rekrutierte sich aus diesen und aus benachbarten Verbänden. 28 Von einer römischen Herrschaft konnte jedoch während jener Jahrzehnte in Pannonien keine Rede mehr sein. Zwischen 547 und 552 verdrängten schließlich die Langobarden mit oströmischer Unterstützung die Gepiden von dort, nachdem bereits 526 eine erste langobardische Einwanderungswelle die ehemals römischen Donaubefestigungen der Provinzen Pannonia I und Valeria besetzt hatte. 568 aber überließ dieses Volk Pannonien den Awaren und wandte sich nach Italien. 29 Die Herrschaft der Ostgoten, Heruler, Gepiden und Langobarden in Pannonien war nicht damit verbunden, daß die alteingesessene romanische Bevölkerung gänzlich abwanderte. Untersuchungen ergaben, daß beispielsweise die Langobarden dort vor allem Flachs anbauten, während den Einheimischen als Kulturen Weizen und Gerste überlassen blieben.30 Zu Byzanz bestanden Handelsbeziehungen, und die gepidische oder langobardische eiserne Schmiedetechnik des 5-/6. Jh. stand der spätrömischen in keiner Weise nach. Die neue, sich allmählich zum Feudalismus entwickelnde Welt fußte auf Errungenschaften, welche die Produktivkräfte der untergehenden Sklavereigesellschaft entwickelt hatten. Jedoch hatten die Barbarenvölker auch eigene Ansätze hervorgebracht, und aus der Zersetzung ihrer Gentilordnung waren klassengesellschaftliche Elemente entstanden. Aus einer Symbiose entwickelte sich eine Synthese. 26

R. Folz -

A . Guillou -

L . Musset -

D . Sourdel, D e l'Antiquité au monde médiéval, S. 69;

A . Chastagnol, L a fin du monde antique, Paris 1976, S. 55. 27

I. Bona, Der Anbruch des Mittelalters. Gepiden und Langobarden im Karpatenbecken, Budapest

28

L . Vârady, Das letzte Jahrhundert, S. 401 ; L . Musset, Les invasions, S. 66.

1976, S. 16. 29

Vgl. hierzu die Quellensammlungen von P. Lakatos, Quellenbuch zur Geschichte der Gepiden, Szeged

1 9 7 3 , und S. Szadeczky-Kardoss, Ein Versuch zur Sammlung und chronologischen

An-

ordnung der griechischen Quellen der Awarengeschichte nebst einer Auswahl von anderssprachigen Quellen, Szeged 1 9 7 2 . 30

I. Bona, Der Anbruch des Mittelalters, S. 45 f. Über das Zusammenleben von Romanen und Germanen auf dem Lande vgl. E . B. Thomas, Römische Villen in Pannonien, Budapest

1964,

S. 400 f. ; über die ökonomische Angleichung des „Barbaricum" an die spätrömische Zivilisation L. Värady, Acta Archaeologica 24, 1972, S. 275 f.

9. DIE EROBERUNG NORDGALLIENS DURCH DIE FRANKEN. DIE ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES BIS ZUR MITTE DES 6. JAHRHUNDERTS

Im dritten Viertel des 3. Jh. hatten die nördlichen und nordöstlichen Gebiete Galliens unter den Plünderungszügen germanischer Stammesverbände schwer gelitten. Besonders die Jahre 275 und 276 brachten ihnen schwere Verwüstungen durch Franken und Alamannen. In jener Zeit wurden hier zahlreiche Städte ummauert, um sie vor den germanischen Überfällen zu schützen. Die nach der Krise des 3. Jh. mit den Reformen Diokletians und Konstantins I. erfolgte Festigung der herrschenden Klasse Roms schuf auch in Nord- und Nordostgallien Bedingungen für ein zeitweiliges ökonomisches Erstarken, das bis in die Mitte des 4. Jh. verfolgt werden kann. Verschiedene Redner betonten in den Jahren vor 300 die wirtschaftliche Blüte Galliens, wozu besonders auch die Ansiedlung germanischer Kriegsgefangener als Laeten in den verheerten Gebieten des Nordens beigetragen hat.1 Laeten nennt man sozial abhängige, militärdienstpflichtige Bauern, welche in geschlossenen Siedlungen auf ihren vom Kaiser oder seinen Beauftragten zugewiesenen Ländereien (1terrae laeticae) lebten. Sie waren an den Boden gebunden und durften ihn nicht verlassen. Bei ihrem Land handelte es sich meist um brach und verödet liegende Ackerfluren. Die Laeten waren germanischer, keltischer und sarmatischer Herkunft, wobei die Germanen den Hauptanteil unter ihnen ausmachten.2 Germanische Laeten, namentlich solche fränkischer, chamavischer und friesischer Herkunft, findet man gegen Ende des 3. Jh. auf den Gebieten der Nervier, Treverer, Ambianer, Bellovacer, Tricasser und Lingonen, also in Bezirken der Provinzen Belgica I und II sowie der Lugdunensis I und II. Deren Ländereien blühten unter der Bewirtschaftung durch die germanischen Bauern wieder auf: Die Felder wurden bestellt; die Getreidescheunen waren wieder gefüllt; durch die Abgaben der Laeten wurden die römische Heeresversorgung und die Ernährung der städtischen Bevölkerung gesichert. Mögen die Panegyristen die Zustände auf dem Lande in ihren Lobeshymnen auch ge-

1

V . A . Sirago, L'agricoltura gallica sotto la tetrarchia, in: Hommages ä Marcel Renard, Bd. 2, Bruxelles 1969 (Coli. Latomus 102), S. 687-699. Panegyrici Latini 3, 15, 4 und 5, 18,

2

1-4.

R . Günther, Laeti, foederati und Gentile in Nord- und Nordostgallien im Zusammenhang mit der sogenannten Laetenzivilisation, Zeitschrift für Archäologie 5, 1 9 7 1 , S. 3 9 - 5 9 ; derselbe, D i e sozialen Träger der frühen Reihengräberkultur in Belgien und Nordfrankreich im 4-/5. Jh., Helinium 12, 1972, S. 2 6 8 - 2 7 2 ; R . Günther -

H. Köpstein

(Hrsg.), Die Römer an Rhein und

Donau, S. 3 4 4 - 3 5 2 ; R . Günther, Einige neuere Untersuchungen zu den Laeten und Gentilen in Gallien im 4. Jahrhundert und zu ihrer historischen Bedeutung, K l i o 59, 1977, S.

311-321.

13»

DIE EROBERUNG NORDGALLIENS DURCH DIE F R A N K E N

wiß übertrieben haben3 - der zeitweilige wirtschaftliche Aufschwung Galliens seit dem Ende des 3. Jh. wird nicht zuletzt durch archäologische Quellen bestätigt. Die beiden ehemals umfangreichen Provinzen Bélgica und Gallia Lugdunensis waren im Zuge der Provinzreform Diokletians geteilt worden. Das Gebiet zwischen dem Oberlauf der Loire und der Saône mit den Städten Lugdunum (Lyon) und Augustodunum (Autun) bildete danach die Lugdunensis I, das sich nordwestlich anschließende Territorium, etwa zwischen Loire und Marne mit dem Pariser Becken, die Provinz Lugdunensis Senonia. Am Unterlauf der Seine vom Meer bis zum Beginn der Halbinsel Bretagne, die in der Spätantike noch Aremorica hieß, erstreckte sich anschließend die Provinz Lugdunensis II, welche mit Constantia (Coutances) und Rotomagus (Rouen) bedeutende Städte aufwies. Die Bretagne selbst bis zum Unterlauf der Loire bildete mit der wichtigen Stadt Turones (Tours) die Provinz Lugdunensis III. So waren aus der ehemals einheitlichen Gallia Lugdunensis vier neue Provinzen entstanden. Die Provinz Bélgica war ebenfalls geteilt worden. Ihr östlicher Teil mit Augusta Treverorum (Trier) und Mediomatrici (Metz) wurde nun als Provinz Bélgica I zusammengefaßt; an sie schloß sich nach Westen und Nordwesten hin die Bélgica II mit der Hauptstadt Remi (Reims) an. Der Rhein durchfloß in seinem Unterlauf die Provinz Germania II (früher Germania inferior) mit dem Hauptort Colonia Agrippina (Köln) und den wichtigen Grenzsiedlungen Novaesium (Neuß), Gelduba (Gellep), Bonna (Bonn) und Riomagus (Remagen), und südlich hieran angrenzend lag Germania I (früher Germania superior) mit der Hauptstadt Mogontiacum (Mainz) sowie Confluentes (Koblenz), Bingium (Bingen), Borbetomagus (Worms), Nemetae (Speyer) und Argentoratum (Strasbourg). Ein noch weiter im Süden befindliches Gebiet, welches vor der diokletianischen Reform zur Germania superior gehört hatte, wurde nun abgetrennt und bildete unter dem Namen Maxima Sequanorum (oder Sequania) mit dem Hauptort Vesontio (Besançon) zwischen dem Genfer See und dem Bodensee eine eigene Provinz. Die Verkleinerung der Provinzen ermöglichte es nun zwar der herrschenden Klasse, die Ausbeutung der von ihr unterdrückten Bevölkerung leichter zu kontrollieren; auf der anderen Seite jedoch ließ sie den Beamtenapparat anschwellen, welcher ebenfalls von den jeweiligen Provinzbewohnern unterhalten werden mußte. Das nördliche Gallien war in landwirtschaftlicher Hinsicht von außerordentlich großer Bedeutung. Ein engmaschiges Netz von Villenwirtschaften bedeckte nahezu alle Gebiete dieses Territoriums mit Ausnahme der Waldgebirge. Häufig lagen die Villen in der Mitte leichter Hänge, um vor kalten Winden geschützt zu sein; ein Wasserlauf befand sich in unmittelbarer Nähe. Besonders im engen Umfeld römischer Straßen, eines Steinbruches oder einet! Sand- und Tongrube häuften sich derartige Villenanlagen.4 Die Plünderungszüge germanischer Gefolgschaftsverbände in der zweiten Hälfte des 3. sowie in der Mitte des 4. Jh. hatten noch keine langfristigen Auswirkungen auf die gallorömische Landwirtschaft. Zwar zeigen zahlreiche Villen im archäologischen Befund Brandschäden, die auf die Verheerungen jener Zeiten - besonders im Nordosten 3

S H A , Vita Probi 1 5 , 2 und 1 5 , 6 ; Zosim. 1, 7 1 , 2 und 1, 68, 3 ; Panegyrici Latini 5, 2 1 ,

1;

5, 9, 3 ; 7, 6, 2. 4

R. Chevallier, Problématique de la villa gallo-romain'e, in: 93 e Congrès national des sociétés savantes (Tours 1968), Sect. Archéologie, Paris 1970, S. 4 5 1 - 4 8 0 .

DIE EROBERUNG NORDGALLIENS DURCH DIE F R A N K E N

139

zurückgehen; in der Regel jedoch wurden diese Schäden beseitigt, und die Villen bestanden oft noch bis in das Jahrzehnt nach 400. Wenn vom senatorischen Großgrundbesitz in Gallien die Rede ist, so denkt man meist an bekannte Großvillen in beiden aquitanischen Provinzen und in der Narbonensis, besonders an diejenigen von Chiragan und Montmaurin (Haute-Garonne). Aber durch Luftaufnahmen sind allein in der Picardie vor kurzer Zeit 15 Riesenvillen ausfindig gemacht worden, die teilweise eine Seitenlänge von 400 m aufweisen.5 Es waren dies die Besitzungen von Athies (arr. Péronne), Behen (arr. Abbeville), Cappy (arr. Perorine), Crouy, Estrées-sur-Noye und Fontaine-le-Sec (alle arr. Amiens), Framerville (arr. Péronne), Clairy-Saulchoix, Heucourt-Croquoison und Marcelcave (alle arr. Amiens), Martainneville (arr. Abbeville), Le Mesge und Warf usée-Abancourte (beide arr. Amiens) sowie Le Transloy und Vaulx-Vraucourt (beide arr. Arras). Daneben erkannte man im gleichen Gebiet etwa 130 weitere große Villen mit einer Seitenlänge zwischen 100 und 200 m. Um sie gruppierten sich häufig fünf bis zehn Wirtschaftsgebäude, die bis 200 m vom Mittelpunkt entfernt lagen. Ungeachtet dieser Tatsachen dominierten jedoch kleinere Villen mit einer Seitenlänge von 30 bis 50 m. Die Überreste von 16 vici konnten durch die genannten Luftaufnahmen gleichfalls entdeckt werden. Deutlich zeigten sich in der Umgebung der Städte zu diesen gehörige Territorien mit einer Häufung von Villen, so beispielsweise bei Amiens, wo sich in einem Radius von 15 km etwa 40 kleinere Villen befanden. Ähnliches konnte auch in der Umgebung von Arras, Cambrai und St. Quentin festgestellt werden. Mit der Entwicklung der Villenwirtschaft in Nordgallien verbreitete sich dort auch das System der Centuriation. Es handelte sich dabei um große viereckige Grundstücke, die wieder in kleinere unterteilt waren. Die römische centuria besaß eine Flächengröße von 200 iugera; das waren umgerechnet 50,512 ha. Spuren dieser römischen Centuriation sind noch erkennbar in der Gegend von Limburg sowie bei Reims, im Elsaß, in der Bretagne und in der Normandie.6 Generell lassen sich zwei Formen des Bodeneigentums erkennen: zum einen städtisches Land, das sich entweder in individuellem oder in Gemeinbesitz der Bürger befand und wozu auch die den Veteranen gehörigen fundi zählten; zum anderen der vom städtischen Territorium abgetrennte exempte Großgrundbesitz, und zwar der kaiserliche ebenso wie der private. Ein besonderer Gemeinbesitz am Boden ist in Nordgallien zur Zeit der Spätantike nicht mehr nachweisbar. Der vicus wird zwar im allgemeinen mit dem Wort „Dorfgemeinde" übersetzt, bezeichnet aber in Gallien eine landwirtschaftliche Siedlungseinheit nur dann, wenn er sich auf gallisch-keltische Überreste von dörflichen Siedlungen bezieht. Der gallorömische vicus ist stets Bestandteil eines städtischen Gemeinwesens und steht für eine unselbständige Siedlung von Handwerkern, Händlern und lokalen Verwaltungsbeamten, wovon letztere z. B. für die Marktauf sicht zuständig waren. Erst in den letzten Jahren des 4. Jh. begann sich die landwirtschaftliche Situation im genannten Gebiet zu verändern. Nun wurden Wachttürme {bürgt) auf dem Lande 0

R. Agache - B. Bréart, Atlas d'Archéologie aérienne de Picardie. L e bassin de la Somme et ses abords â l'époque protohistorique et romaine, Amiens 1 9 7 5 ; R. Fossier, L a terre et les hommes en Picardie jusqu'à la fin du X I I I e siècle, Bd. 1, Paris 1968, S. 134—142.

0

G . Duby, Histoire de la France rurale, Bd. origines au X I V e siècle, Paris 1 9 7 5 , S. 235 f.

1 : La

formation des campagnes françaises

des

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errichtet und Villen befestigt; die städtische Aristokratie zog teilweise in wehrhaft gemachte Landsitze um, und auch Luxus und Komfort begannen sich dorthin zu verlagern. 7 Die Mächtigen {potentes) drängten sich den bedrückten Bauern als „Schutzpatrone" auf; ihr Patrozinium erstreckte sich sowohl auf einzelne von ihnen wie auf ganze Dörfer. Die Großvilla eines privaten Grundbesitzers wurde häufig zur Keimzelle eines neuen Gutsdorfes, und der Grundbesitzer war oft gleichzeitig der Patron des Dorfes. Seit dem 4. Jh., besonders in seiner zweiten Hälfte, entwickelten sich ferner cotnmendatio, beneficium und precarium in ihrer spätantiken, römisch-vulgarrechtlichen Bedeutung. 8 In den bedeutenden nordgallischen Städten wie Trier, Reims, Sens und Tours sowie in den römisch-germanischen Orten Köln und Mainz waren damals großgrundbesitzende Senatorenfamilien nicht unbekannt.9 Aber infolge der zunehmenden militärischen Schwäche Westroms flohen - spätestens seit der Verlegung des Sitzes der gallischen Präfektur von Trier nach Arles (um 402) - „Mächtige" aus dem Norden in den als sicherer geltenden Süden Galliens. Trotzdem konnte sich während der ersten Hälfte des 5. Jh. hinter der befestigten Linie der Römerstraßen Köln-Tongern-Bavai-Boulogne noch römisches Leben halten. Das nördlich davon gelegene Gebiet bis zum Rhein hatte man etwa seit 350 fränkischen Föderaten überlassen müssen, welche sich schrittweise nach Südwesten ausbreiteten und in der Mitte des 5. Jh. die Somme erreichten. Doch wir wollen der Darstellung nicht vorauseilen. Die Großgrundbesitzer hatten sich während des 4. Jh. auch des früher in den Städten konzentrierten Handels bemächtigt; sie beschäftigten Personen, die für sie hier speziell tätig waren. Besonders der Handel mit Agrarprodukten war dabei nahezu ihr Monopol geworden. 10 Die Verbreitung der römischen Villenwirtschaften im nördlichen Gallien begünstigte wesentlich die Romanisierung dieser Gebiete, unter der hier vor allem die Entwicklung der antiken, auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsordnung in römischen Formen verstanden wird. Die römische Herrschaft in Nordgallien mußte jedoch mit einem starken ethnischen Faktor der alteinheimischen keltischen Bevölkerung rechnen. Von 23 Städten in der Picardie gehen nur St. Quentin, Valenciennes und Bapaume auf Neugründungen zurück, und auch sie sind wahrscheinlich auf älteren keltischen Niederlassungen errichtet worden. 11 Übrigens ging die herrschende Klasse Roms in den Provinzen niemals so weit, auch das tus Italicum mit den damit verbundenen steuerlichen Privilegien in größerem Umfange zu vergeben. Thérouanne etwa besaß wohl den Status einer colonia, hatte andererseits aber auch Steuern an den römischen Staat zu zahlen. 12 Die archäologischen Funde im Gebiet der Moriner bezeugen für das 4. einen größeren Reichtum als für das 3. Jh., womit die eingangs getroffene Feststellung vom wirtschaftlichen Aufschwung Nordgalliens zu jener Zeit noch einmal bestätigt wird. 7

Ebenda, S. 2 8 2 - 2 8 5 .

8

Ebenda, S. 3 1 3 f.

9

L . Musset, Les invasions, S. 192.

10

R. Doehaerd, Histoire économique de Haut Moyen Age. N o t e à propos d'un point de méthode, in: Mélanges offerts à G . Jacquemyns, Bruxelles 1968, S. 2 5 1 - 2 6 6 .

11

R . Fossier, L a terre et les hommes, S. 1 1 7 f.

12

R. Delmaire, Etude archéologique de la parti orientale de la cité des Morins, Arras 1976 (Mémoires de la Commission Départementale des Monuments Historiques du Pas-de-Calais 16), S. 1 3 4 bis 1 5 7 ; 307 f . ; 3 1 3 .

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141

Durch verschiedene Untersuchungen der letzten Jahre sind nicht zuletzt die städtischen Territorien von Soissons und Reims besser als bisher bekannt geworden. 1 3 W ä h rend der frühen Kaiserzeit gehörte die Champagne zu den am dichtesten besiedelten Gegenden Galliens. In zahlreichen vici entwickelte sich ein reges handwerkliches Leben ; im Marnetal war bis in die Spätantike hinein die Töpferei weit verbreitet. Auch das metallurgische Handwerk - z. B. die Bronzeverarbeitung - besaß noch im 4. Jh. ein hohes Niveau. Z w a r hatten die germanischen Einfälle in den Jahren von 270 bis 280 auch jene Gebiete erreicht; doch war der wirtschaftliche Rückgang, den sie brachten, unter Konstantin I. wieder überwunden worden. Im 4. und 5. Jh. bildete der Raum von Soissons und Reims ein bedeutendes militärisches Zentrum, in dem sich bis zuletzt Werkstätten für Waffenherstellung befanden. 1 ; 4 In Reims beschäftigte die staatliche Waffenmanufaktur noch nach dem Jahre 400 Handwerker syrischer Herkunft (barbaricarii), die sich mit der Herstellung damaszierter und tauschierter Schwerter befaßten. D i e Waffenproduktion setzte sich im 5. Jh. auch dann noch fort, als die römische A r m e e in Nordgallien unter Aegidius und Syagrius gegen die Zentralgewalt in Italien stand und von den Verbindungen dorthin durch die Ausdehnung der westgotischen Herrschaft in Südgallien abgeschnitten war, ja noch mehr: Man findet sie auch nach der fränkischen Eroberung der hier behandelten Gebiete im Jahre 486. Seit dem Ende des 3. Jh. ist in Nordgallien ein Niedergang der Stadt als politischer und administrativer Organisation zu bemerkenj E r steht nicht unbedingt mit dem Schrumpfen des spätantiken Mauerrings im Zusammenhang - grundsätzlich lassen ja neuere Untersuchungsergebnisse es als nicht angebracht erscheinen, aus einer solchen Verengung allein schon eine Verkleinerung der Stadt und eine Bevölkerungsabnahme herauszulesen. 15 Auch änderte sich bis zum Untergang der römischen Herrschaft nichts daran, daß die civitas die Einheit zwischen Stadt und städtischem Territorium darstellte - wenn auch letzteres sich inzwischen gebietsmäßig verkleinert hatte, da die potentes ihre Grundstücke mit E r f o l g aus ihm herauslösten. D e r Verfall zeigte sich besonders in der zunehmenden Verarmung der städtischen Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden sowie in den kaum noch zu tragenden Lasten und Abgaben, welche die Oberschichten meist auf die städtische Plebs abwälzten. Hinzu kam, daß die ehemals begehrten Ehrenämter der städtischen Aristokratie immer mehr an Attraktivität verloren und deshalb von ihr zunehmend gemieden wurden. Wirtschaftliche Veränderungen und die Abnahme der Ware-Geld-Beziehungen haben im Zusammenhang mit der Entwicklung der höchsten Stufe antiker Militärdiktatur und mit dem Sieg der G r o ß grundbesitzer über die munizipale Aristokratie den Niedergang der Städte verursacht. D a die städtischen Kurialen den staatlichen A u f g a b e n nicht mehr nachkommen konnten, geriet die Leitung der städtischen Verwaltung in die Hände staatlicher Kontrollbeamter, etwa der comités civitalum, die unter anderem in Autun und Trier belegt sind. M i t der Eximierung der Güter von Großgrundbesitzern aus dem städtischen Territo13

R. Kaiser, Untersuchungen zur Geschichte der Civitas und Diözese Soissons in römischer und merowingischer Zeit, Bonn 1973 (Rheinisches Archiv 89).

Vl

Notitia Dignitatum, Occidens 9, 35. Andere fabricae für Waffen befanden sich in Mâcon, Autun,

15

M. Roblin, Cités ou citadelles? Les enceintes romaines du Bas-Empire d'après l'exemple de

Trier, Amiens und Argenton; vgl. R. Kaiser, Untersuchungen, S. 138 f. Paris, Revue des études anciennes 53, 1951, S. 3 0 1 - 3 1 1 ; derselbe, Cités ou citadelles? Les enceintes romaines du Bas-Empire d'après l'exemple de Senlis, ebenda 67, 1965, S. 368-391.

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rium, welche mit der Steuer- und Gerichtsimmunität verbunden war, bahnte sich eine Veränderung in der Entwicklung des Stadt-Land-Verhältnisses an, die im späteren Feudalisierungsprozeß noch größeres Gewicht erhalten sollte. 16 Der Niedergang der nordgallischen Städte brachte keinen plötzlichen Wandel ihrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Arras, Amiens und Cambrai wiesen während des 4. Jh. noch ein bedeutendes Textilhandwerk auf, und in den Gebieten von Oise, Aisne und Somme stößt man auf eine Glasherstellung und -Verarbeitung, welche namentlich in Reims, Beauvais und Amiens verbreitet war, 17 wenn sie auch nicht an das Glashandwerk in Köln und anderen Orten des Rheinlands heranreichte. Neuere Untersuchungen haben zudem glaubhaft hervorgehoben, daß die heterogen zusammengesetzte Schicht der kleinen freien Grundeigentümer in den Westprovinzen des spätrömischen Reiches eine größere Bedeutung besaß, als dies früher angenommen wurde. 18 Auf dem Lande arbeiteten nicht nur Kolonen, Laeten und Sklaven, sondern gerade in den nordgallischen Gebieten hielten sich auch Teile der freien bäuerlichen Bevölkerung, denen man wahrscheinlich zahlreiche der durch Luftaufnahmen kenntlich gemachten kleinen und kleinsten V i l l e n zuzuschreiben hat.

Diese mehr oder weniger starken Überreste von freien Produzenten stellten zusammen mit geflohenen Kolonen und Sklaven, welche sich ihnen angeschlossen hatten, in Gallien auch die Basis einer bedeutenden Volksbewegung der Spätantike dar: der Bagauden. Sie verteidigten während der Aufstände ihre kleinen Ländereien im Klassenkampf gegen den kaiserlichen, privaten und kirchlichen Großgrundbesitz und suchten ihre eigenen bäuerlichen Nutzungsrechte am Boden zu erweitern. 19 Die von ihnen ausgehende Bewegung versetzte bereits in den Jahren zwischen 283 und 286 die gallischen Großgrundbesitzer in Schrecken. In den Quellen erscheinen die Empörer als bagaudae, latrones, agrestes, agricolae, aratores, rustici und rusticani-, ein Panegyricus sagt über sie : „ . . . als die des Militärwesens unkundigen Landleute nach militärischer Ordnung strebten, als der Bauer den Fußsoldaten, der Hirt den Reiter, der Landmann den feindlichen Barbaren nachahmte . . ." 20 Kaiser Maximian unterdrückte schließlich ihren Aufstand nach längeren Kämpfen. Zu Beginn des 5. Jh. jedoch lebte diese Volksbewegung verstärkt wieder auf. Die Landschaft Aremorica erscheint nun als eines ihrer Zentren, und es wird hervorgehoben, daß die neuen Bagauden dort nicht mehr nach römischem Recht lebten. Zeitweilig vertrieben sie ihren Grundherrn; manchmal auch unterwarfen sie sich. Obwohl die Bewegung der Bagauden mehrmals unterdrückt werden konnte, erhob sie sich im Jahre 435 erneut, und die Chronica Gallica stellte dazu fest: „Das jenseitige Gallien (mit der Scheide an der Loire) trennte sich von der römischen Gemeinschaft, wodurch be16

F . Vercauteren, Die spätantike Civitas im frühen Mittelalter, in: C. Haase (Hrsg.), Die Stadt des Mittelalters, Bd. 1, Darmstadt 1969 (Wege der Forschung 243), S. 1 2 7 ; R. Ganghofier, L ' é v o lution des institutions municipales en Occident et en Orient au Bas-Empire, Paris 1963

(Biblio-

thèque d'histoire du droit et droit romain 9), S. 2 0 2 - 2 0 8 und 237. 17

F. Vercauteren, Die spätantike Civitas, S. 128.

18

A . R. Korsunskij, O melkoj zemel'noj sobstvennosti v zapadnych provincijach pozdnej Rimskoj

19

R. Günther, Die Volksbewegungen in der Spätantike und ihre Bedeutung für den gesellschaft-

Imperii, Vestnik drevnej istorii 1970, 2, S. 1 6 7 - 1 7 3 . lichen Fortschritt im Feudalismus, in: J . Herrmann massen in der Geschichte der vorkapitalistischen 20

Panegyrici Latini 10, 4, 3.

I. Sellnow (Hrsg.), Die Rolle der Volks-

Gesellschaftsformationen, S.

169 f.

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143

wirkt wurde, daß schon zu Beginn (des Aufstandes) fast alle Knechte der Gallier mit den Bagauden gemeinsame Sache machten." In der Mitte des 5. Jh. schweigt dann die Überlieferung über die gallischen Bagauden, und ihr weiteres Schicksal ist uns unbekannt. Doch dürfen wir ihre politische Bedeutung nicht zu gering veranschlagen: Als Attila seine Heerfahrt nach Gallien vorbereitete, soll er unter anderem auch an sie Boten geschickt haben, um sich ihrer Unterstützung zu versichern. 21 Der Bagaudenaufstand jener Jahre schwächte nicht nur politisch die römische Herrschaft in Gallien, sondern rüttelte auch an den Grundfesten einer zum Untergang verurteilten Gesellschaftsordnung. Die Frage nach der Herkunft und der ursprünglichen Zusammensetzung der Franken kann heute noch nicht befriedigend beantwortet werden. Einerseits haben sich Teile oder besser Splitter von älteren, kleineren Stämmen rechts vom Unterlauf des Rheins zu diesem neuen Stammesverband zusammengeschlossen; andererseits suchten und fanden wohl auch seefahrende Gefolgschaftsverbände von der Nordseeküste, die sich von ihren Stämmen getrennt hatten, Anschluß an ihn. In der ersten Zeit mangelte es auch noch an einer einheitlichen, straff organisierten Führung. Die Namen der Einzelstämme, von denen Teile zum fränkischen Stammesverband verschmolzen, werden noch bis zum 5. Jh. genannt; aber dies mag bisweilen mehr eine literarische Reminiszenz gewesen sein. Wahrscheinlich waren es bei den Franken in weit stärkerem Maße als bei Alamannen, Goten oder Vandalen Gruppen verschiedener Gefolgschaften aus den unterschiedlichsten Stämmen, welche die neue Vereinigung bildeten. 22 Die römischen Geschichtsquellen erwähnen den Frankennamen erstmalig im Zusammenhang mit Ereignissen, welche bald nach der Mitte des 3. Jh. stattfanden. 23 Wahrscheinlich aber sind die Entstehung dieses Stammesverbandes und seine erste Aktivität gegenüber dem Römischen Reich wenigstens zwei Jahrzehnte früher anzusetzen. Im Jahre 231 nämlich bekämpfte die in Bonn stationierte Legion I Minervia germanische Eindringlinge am Niederrhein, deren Namen nicht genannt werden; wir können mit Recht vermuten, daß dies die erste Auseinandersetzung mit dem im Entstehen begriffenen Volk der Franken war. 24 In den fünfziger Jahren des 3. Jh. zogen fränkische Scharen dann plündernd durch Gallien und Spanien; sie zerstörten die Stadt Tarragona, erbeuteten Schiffe und setzten auf ihnen nach Nordafrika über. Dort griffen sie die Stadt Tetuan an der marokkanischen Küste an. Offensichtlich waren es auch fränkische Krieger, die im Jahre 259 das Kastell Niederbieber bei Neuwied am nördlichen Anfang des obergermanischen Limes eroberten und zwar geschah das nach heftiger römischer Gegenwehr. Jedoch traten die Franken dem römischen Imperium nicht nur als Feinde gegenüber, sondern auch als Helfer. So waren während der Regierung des gallischen Sonderkai21

Priscus, Fragm.

22

E . Zöllner, Geschichte der Franken bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts, München 1970, S.

15. V g l . F . M . Clover, Geiseric and Attila, Historia 2 1 ,

1 9 7 3 , S.

113. 1-6.

Die heterogene Zusammensetzung betont besonders H . Kuhn, Das Rheinland in den germanischen Wanderungen II, Rheinische Vierteljahresblätter

38, 1974, S. 1—31. R. Grand, Recherches

l'origine des Francs, Paris 1965, vermutet eine skandinavische Herkunft der Franken. 23

Aurel. Victor, Caes. 33, 3.

24

R . Günther - H . Köpstein (Hrsg.). D i e Römer an Rhein und Donau, S. 70.

sur

144

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sers Postumus (259-268) in dessen Heer auch von ihnen gestellte Auxiliartruppen zu finden. Nach 270 freilich und vor allem in den Jahren 275 und 276 fielen sie von neuem in Gallien ein. Dabei richteten sich ihre Vorstöße einerseits auf das Gebiet von KölnTongeren-Bavai, andererseits auf das Moseltal. Kaiser Probus (276-282), der sie damals bekämpfte, konnte sie schließlich wieder über den Rhein zurückdrängen. Daß sich unter den Angehörigen ihres Stammesverbandes auch kühne Seefahrer befanden, macht eine andere Nachricht deutlich. Ihr zufolge kam es etwa um 280 dazu, daß von Kaiser Probus am Schwarzen Meer angesiedelte fränkische Kriegsgefangene sich befreiten, einige Schiffe besetzten und in einer waghalsigen Reise durch das Mittelmeer - wobei Küsten Kleinasiens, Griechenlands, Libyens und Siziliens geplündert wurden - sowie durch die Meerenge von Gibraltar auf dem Seeweg in ihre Heimat zurückkehrten.25 Etwa zwischen 279 und 281 griffen Franken die in Köln liegende Rheinflotte an und zerstörten sie durch Feuer. In diesen Jahren kam es ferner zu der Usurpation des Proculus, eines reichen gallorömischen Grundbesitzers und Offiziers, der sich in Lyon zum Kaiser ausrufen ließ. Als Probus den Thronräuber in der Nähe von Köln besiegt hatte1, floh dieser zu den Franken und gab an, von ihrer Herkunft zu sein; diejenigen bei denen er Schutz suchte, lieferten ihn jedoch an den Kaiser aus.28 Auch während der folgenden Zeit - etwa bis 295 - blieb der fränkische Stammesverband ein gefährlicher Gegner des Reiches. Jene seiner Teile, die im Rheinmündungsgebiet siedelten und vermutlich schon als Vorläufer der Salier anzusprechen sind, verheerten, oft zusammen mit den Sachsen, die Küsten Galliens und Britanniens. Der Befehlshaber der römischen Flotte im Kanal, Carausius, schlug sie zurück und stellte sie zugleich als Hilfstruppen in seinen Dienst. Mit ihrer militärischen UnterstütAng verteidigten er und sein Nachfolger das britannische Sonderreich (286-296). Zugleich griffen Franken am Mittelrhein in den Jahren von 286 bis 288 wieder nordgallische Gebiete entlang der Linie Köln-Bavai an, wobei sie viel und Villenwirtschaften verheerten. Aus dem römischen Feldzug des Jahres 288, der unter dem Kommando des Kaisers Maximian geführt wurde, ist uns der erste Stammesfürst einer fränkischen Abteilung namentlich bekannt: Gennobaudes, der von Maximian zur Unterwerfung gezwungen wurde.2' In den Jahren 294/295 vertrieb dann der Cäsar Constantius (Chlorus) Franken und Friesen aus den Gebieten der Bataver. Kriegsgefangene Franken sowie andere Germanen wurden damals, und zwar im Zuge der römischen Abwehrmaßnahmen, als Laeten in verödeten nordgallischen Gebieten angesiedelt. Durch die Errichtung des Dominats konsolidierte sich hiernach zeitweilig die römische Militärmacht. Die Dezentralisierung der kaiserlichen Gewalt sowie ihre Konzentration an den gefährdetsten Stellen der Reichsgrenzen ließen daher in den nächsten Jahrzehnten fränkische und andere Angriffe gegen das Imperium zu aussichtslosen Unternehmen werden. Als bald nach dem Regierungsantritt Kaiser Konstantins I. (306) dessenungeachtet einige fränkische Gefolgschaften unter ihren Stammesfürsten Ascarius und Merogaisus in das römische Gebiet eindrangen, nahm sie der Herrscher gefangen und befahl, sie in der Arena von Trier wilden Tieren vorzuwerfen.28 Andererseits 25

Panegyrici Latini 5, 18, 3; Zosim. 1, 71, 2.

36

Aurel. Victor, Caes. 37, 2; SHA, Vita Bonosi 15, 1 ; Vita Proculi 13, 4; Vita Probi 18, 5.

27

Panegyrici Latini 2, 10, 3.

28

Ebenda 7, 10, 2 und 10, 16, 5; Euseb., Vita Constantini 1, 25, 1 ; Eutrop 10, 3, 2.

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aber gliederte Konstantin fränkische Söldner in größerer Zahl seinem Heer ein, als dies früher geschehen war. Einige von ihnen wurden dabei - übrigens ebenso wie bestimmte Alamannen - auf hohe Offiziersstellen gesetzt. Konstantin verstärkte während seiner Regierung die Rheinflotte und legte gegenüber von Köln auf dem rechten Ufer des Flusses das Kastell Divitia (Deutz) an. Z w i schen 310 und 321 gab es ferner einige Angriffe römischer Heerführer gegen die Franken, welche daraufhin für zwei Jahrzehnte ihre Überfälle an der Rheingrenze einstellten. Erst 341 kam es wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden feindlichen Mächten am Niederrhein. A b e r auch jetzt vermochte Kaiser Constans (337-350) die Franken zu besiegen; danach schloß er mit ihnen im Jahre 342 einen Vertrag. A l l diese fränkischen und alamannischen Überfälle auf das römische Germanien und Gallien zielten noch nicht darauf, daß sich die Stämme dauernd zwecks Gründung neuer bäuerlicher Siedlungen auf dem Boden des Imperium Romanum niederlassen wollten. E s war in erster Linie das Streben nach Beute und Kriegsruhm, welches ihre Gefolgschaften und besonders deren Führer in die Regionen jenseits der Grenze führte. Bei den Franken jener Zeit existierte ja noch kein ständiges, sondern nur ein zeitweiliges, von Heerführern ausgeübtes Königtum, was der sozialen Differenzierung in einer letzten Periode der sich zersetzenden Gentilordnung entsprach. Um die Mitte des 4. Jh. aber begann sich die Lage dann wesentlich zu verändern. Jetzt verstärkten sich die Einfälle der Franken und Alamannen sowie dann auch der Burgunder wieder, und sie erfaßten die linksrheinischen Gebiete bis weit nach G a l lien hinein. Im Gegensatz zu den früheren Beutezügen suchten sich jedoch nun vor allem Franken und Alamannen für ständig dort anzusiedeln und, das von ihnen eroberte Gebiet landwirtschaftlich zu nutzen. Hatte bereits seit dem E n d e des 3. Jh. in der Form der Laetendörfer eine erste Etappe der bäuerlichen germanischen Landnahme in Gallien begonnen, welche allerdings noch der ökonomischen und politischen Selbständigkeit entbehrte, so sollte jetzt das römische Herrschaftsgebiet zurückgedrängt werden. Aber die in dieser Richtung unternommenen Versuche blieben noch ohne Erfolg, denn auch in der zweiten Hälfte des 4. Jh. war eine dauerhafte Ansiedlung links des Rheins, die weitere Entwicklung der bäuerlichen Landnahme von Germanen in Gallien, allein im Rahmen der römischen Herrschaft möglich. So wies man den Eindringenden als laeti, foed.era.ti oder als gentiles - und somit stets unter römischer Kontrolle - Grundbesitz zu, und dies war einer der Wege, auf denen salische und mittelrheinische Franken, Alamannen und Burgunder mit den Produktivkräften der römischen spätantiken Gesellschaft nähere Bekanntschaft schlössen. D i e politische Ausstrahlungskraft der genannten Stammesverbände hatte seit der Mitte des 4. Jh. bedeutend zugenommen, ihre militärische Schlagkraft sich erhöht. Wirtschaftlich wie sozial war im Vergleich zu den Jahrzehnten vor 300 eine Weiterentwicklung zu verzeichnen: D i e Entwicklungstendenzen der Sklaverei patriarchalischen Charakters hatten sich verstärkt; durch den Handel wie auch durch Beutestücke römischer Herkunft war das Handwerk in der Germania libera angeregt worden; die Zunahme der ökonomischen und sozialen Gegensätze in diesen Stammesverbänden beschleunigte den Niedergang der Gentilordnung. Damit aber waren seit der zweiten Hälfte des 4. Jh. die Bedingungen für eine revolutionäre Überwindung der antiken Sklavereigesellschaft in Westeuropa herangereift. 29 29

A . R. Korsunskij, Problema revoljucionnogo perechoda ot rabovladel'ceskogo stroja k feodal'nomu

10 Günther

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Als im Jahre 350 der römische Heermeister in Gallien, Magnus Magnentius, die Macht an sich riß - ein Vorgang, bei dem Kaiser Constans getötet wurde - , schwächte er durch Truppenabzüge die Rheingrenze, um gegen Constantius II. (337-361) zu Felde zu ziehen. Magnentius war fränkischer Abstammung und damit der erste sicher bezeugte germanische Usurpator auf dem römischen Kaiserthron. Seine Landsleute zerstörten damals mehrere befestigte Orte am Niederrhein; nur Remagen und Köln konnten sich behaupten. Die mittelrheinischen Franken besetzten das Kugerner Land, welches zur Colonia Ulpia Traiana in der Nähe von Xanten gehörte; die salischen Franken aber nahmen erneut die batavischen Gebiete an der Rheinmündung in Besitz, aus denen sie einst Constantius (Chlorus) vertrieben hatte. Erst 355 gelangen den Römern wieder Teilerfolge im Raum Köln, und zwar durch den Heermeister Silvanus, einen Franken in römischem Dienst. Dieser wurde jedoch am Kaiserhof der Usurpation verdächtigt, was ihn noch im gleichen Jahre den Kopf kostete. Es gab zwischen den Germanen, welche sich den Römern verschrieben hatten, und ihren freien Stammesgenossen keine politische Gemeinsamkeit. Dies wird beispielsweise von dem Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus bezeugt. E r berichtet nämlich, daß Silvanus daran dachte, sich den Franken jenseits des Rheins anzuvertrauen, als er von den Mordplänen des Kaisers erfuhr; seine Freunde aber hätten ihn dann überzeugt, „daß die Franken, deren Landsmann er war, ihn töten oder gegen Belohnung ausliefern würden". 30 Als schließlich der Cäsar Julian, der spätere Kaiser von 361 bis 363, mit der Abwehr der germanischen Eindringlinge beauftragt worden war, wendete sich das Blatt. Nach seinem Sieg über die Alamannen in der Schlacht bei Argentoratum (Strasbourg) wandte sich dieser 358 gegen die salischen Franken sowie die Chamaven in Toxandrien, einer Landschaft zwischen der unteren Maas und der unteren Scheide. Die Salier wurden vermutlich in jenem Jahre römische Föderaten, obwohl die Quellen hierüber keine eindeutige Auslegung zulassen; 31 dagegen kehrten die Chamaven in ihre Heimat zurück. In der folgenden Zeit bis 360 ließ Julian darüber hinaus noch mehrere Grenzfestungen am Niederrhein wieder instandsetzen. Die ersten Jahre der Herrschaft des Kaisers Valentinian I. (364-375) sahen die Chamaven erneut das Gebiet der Bataver bedrängen, und dazu machten sie mit ihren Schiffen die britannische Küste unsicher. Theodosius, der Heerführer des eben genannten Herrschers und Vater des späteren Kaisers gleichen Namens, vermochte die Angreifer jedoch zurückzuschlagen. Unter Valentinian wurde die Grenze am Niederrhein weiter befestigt. Es gelang dem Kaiser, einen Teil der fränkischen Aristokratie für den Eintritt in römische Dienste zu gewinnen; so erlangte Mellobaudes, ein Heerkönig der mittelrheinischen Franken, welcher schon seit Constantius II. als Kommandeur einer schwerbewaffneten Eliteeinheit fungierte, unter ihm das Amt eines Chefs der kaiserlichen Leibgarde, des comes domesticorum. Mellobaudes leitete dann im Jahre 378 den Feldzug Kaiser Gratians (375—383) gegen die Alamannen, welche damals in das Elsaß eingefallen waren. 32 v zapadnoj Evrope, Voprosy istorii 1964, 5; R. Günther, Zur Entstehung des Feudalismus bei den Franken. Die römisch-germanische Auseinandersetzung im 4. und 5. Jahrhundert, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 20, 1972, S. 4 2 7 - 4 4 3 . 30

Ammianus Marcellinus 1 5 , 5, 16.

31

Ebenda 17, 8, 3 f. Vgl. E . Zöllner, Geschichte der Franken, S. 18 f.

32

Ammianus Marcellinus 3 1 , 10, 6.

D I E E R O B E R U N G N O R D G A L L I E N S DURCH D I E F R A N K E N

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Vor allem unter Constantius II. und seinen Nachfolgern waren germanische Adlige in höchste Militärämter aufgestiegen. Bevorzugte der erwähnte Herrscher zunächst Germanen alamannischer Abstammung, so gewannen seit Julian Truppenführer und Heermeister fränkischer Herkunft große Bedeutung. Namen wie Nevitta, Dagalaif, Arintheus, Merobaudes, Richomer, Bauto und Arbogast kennzeichnen Heereskommandeure, die zuweilen auch mehrmals das Amt des Konsuls erlangten. 33 Der Heermeister Flavius Merobaudes unterstützte 383 den Usurpator Magnus Clemens Maximus, welcher bis 388 Gallien, Britannien und Spanien beherrschte. Als Maximus seine Truppen zum Kampf gegen Kaiser Theodosius I. (379-395) konzentrierte, durchbrachen fränkische Heerscharen unter dem Kommando der Stammesfürsten Gennobaudes, Markomer und Sunno den niederrheinischen Limes und plünderten die Umgebung von Köln. Der Heermeister Arbogast, gleichfalls ein Franke von Geburt, führte ab 389 bis 393 verschiedene Feldzüge gegen sie und erneuerte mit ihnen den Föderatenvertrag. Als der von ihm 392 erhobene Usurpator Eugenius zwei Jahre später gegen Theodosius I. in der Schlacht am Frigid us kämpfte, wies sein Heer unter anderem auch ein fränkisches Kontingent auf. Diese römischen Befehlshaber germanischer - meist fränkischer - Abkunft waren eng mit der herrschenden Klasse Westroms verschmolzen. Sie hatten in der Regel Zugang zur Senatsaristokratie gefunden, und wenn sie auf einen solchen verzichteten, dann nur, weil ihnen die entstehende weströmische Heerführer-Aristokratie einen entsprechenden Ersatz bot: So war Stilicho, der berühmte Heermeister vandalischer Abstammung an der Wende vom 4. zum 5. Jh., mit einer Nichte des Kaisers Theodosius I. verheiratet, fungierte als Vormund des jungen Kaisers Honorius (395-423) und wurde später dessen Schwiegervater. Es kann auch hier noch einmal betont werden: Zwischen den freien Germanen und ihren hocharistokratischen Stammesbrüdern im kaiserlichen Dienst gab es keine gemeinsamen Interessen. Die germanischen Heermeister vertraten die Politik der Erhaltung und Restauration des untergehenden weströmischen Staatswesens; sie hatten sich voll mit der Politik der herrschenden Klasse Westroms identifiziert. In den Jahren 395 und 396 reorganisierte Stilicho die weströmische Grenzverteidigung am Niederrhein und schloß mit den fränkischen Heerkönigen neue Verträge. Als er bald darauf Truppen von der Rheingrenze abzog, da er sie dringend in Italien zur Abwehr des Alarich und seiner Westgoten benötigte, blieben die Franken ruhig. Irgendwann zwischen 395 und 402 wurde auch der Sitz der gallischen Präfektur von Trier nach Arles verlegt. Damals verließen viele gallorömische Großgrundbesitzer die Gebiete zwischen Saar, Mosel, Rhein, Maas und Scheide, um in den Süden Galliens zu ziehen. Die fränkischen Föderaten wurden hiernach ihrer vertraglichen Bündnispflichten gegenüber Westrom gerecht, als an der Jahreswende 406/407 die Stammesverbände der Vandalen, Alanen und Sueben in der Nähe von Mainz den Rhein überquerten und in Gallien eindrangen: Sie hatten damals versucht, dieses Vorhaben zu verhindern. Fränkische Truppen stellten sich des weiteren dem Gegenkaiser Konstantin III. (407 bis 4 1 1 ) , der sich in Britannien gegen Kaiser Honorius erhoben und in Gallien seinen Sitz genommen hatte, als Söldner zur Verfügung. Daß sein Heermeister Edobech (Edobicus) überdies selbst ihrem Stamme angehörte, ist in diesem Zusammenhang zu verme.'J3

K. F. Stroheker, Zur Rolle der Heermeister fränkischer Abstammung im späten 4. Jahrhundert. Historia 4, 1955, S. 314-530.

148

D I E E R O B E R U N G N O R D G A L L I E N S DURCH D I E F R A N K E N

ken - ebenso wie die Tatsache, daß noch ein anderer Usurpator in Gallien, Jovinus, sich mit ihrer Unterstützung für kurze Zeit behaupten konnte. Im Jahre 413 wurde Trier von den Franken geplündert, und bis etwa 430 wiederholten sie einen solchen Raubzug dorthin noch zweimal. 34 Daher ist es nicht verwunderlich, daß zu jener Zeit zahlreiche Villen im Moseltal von ihren Besitzern aufgegeben wurden. Damals brach auch die römische Grenze am Ober- und Niederrhein endgültig zusammen, obgleich es dem Heermeister Aetius zunächst 428 und dann noch einmal in den vierziger Jahren des 5. Jh. gelang, die allmählich nach Süden vorrückenden salischen Franken zu besiegen, und Kaiser Avitus später neue Verträge mit ihnen und den Alamannen abschließen konnte. Die salischen Franken rückten vom Niederrhein aus zur Somme vor; die mittelrheinischen Franken besetzten nach der Vernichtung der Burgunder 436 das Gebiet um Mainz; die Alamannen schließlich ließen sich im Elsaß, in Rheinhessen und in der Rheinpfalz nieder. Köln wurde um die Mitte des 5. Jh. endgültig von den mittelrheinischen Franken besetzt, und um 470 fiel auch Trier in fränkische Hand. In seinem Panegyricus auf den Kaiser Maiorian gibt uns Apollinaris Sidonius im Jahre 458 folgende Schilderung der Franken: „Vom Scheitelpunkt des Kopfes fällt ihr rötliches Haar in die Stirn, während ihr entblößter Nacken glänzt, da er seine Bedeckung verloren hat. Ihre Augen sind wasserhell mit graublauem Schimmer. Ihre Gesichter sind glatt rasiert, und anstelle von Bärten tragen sie dünne Schnurrbarte, die sie mit dem Kamm pflegen. Die schlanken Glieder ihrer Männer umschließt eine eng sitzende Bekleidung, die hochgerafft ist, so daß man die Knie sieht; ein breiter Gürtel umschließt ihre enge Taille. Sie haben Freude daran, durch den weiten Raum die Doppeläxte zu schleudern und vorher zu wissen, wo sie niederfallen werden, ihre Schilde zu schwingen und in Sprüngen die geworfenen Speere zu überholen, damit sie zuerst den Feind erreichen. In Knabenjahren schon reift ihre Liebe zum Krieg heran. Werden sie durch die Übermacht der Feinde oder durch die Ungunst des Ortes überwunden, dann streckt sie der Tod nieder, nicht die Furcht. Unbesiegt stehen sie standhaft, und ihr Mut überdauert fast noch ihr Leben." 35 Im ganzen ist dies gewiß ein positives Zeugnis; jedoch bezeichnete der Dichter, als er diese seine Schilderung einleitete, die Franken andererseits als Ungeheuer imonstra). Von den Panegyrikern des 4. Jh. wurde besonders ihre Wildheit hervorgehoben, und auch Salvian von Marseille, der im allgemeinen günstig über die Germanen urteilt, nennt die Franken in den vierziger Jahren des 5. Jh. treulos und betrügerisch.36 In einem um 469 geschriebenen Brief beschreibt Apollinaris Sidonius die Kleidung und das Gefolge eines fränkischen Königssohnes Sigismer, welcher seinem zukünftigen Schwiegervater, dem burgundischen König, im Palast zu Lyon seine Aufwartung machte: „Ein festlich geschmücktes Pferd schritt vor ihm her; ja sogar noch andere Pferde, beladen mit funkelnden Edelsteinen, gingen voran und folgten ihm. Aber der schönste Anblick in diesem Umzug war der junge Prinz selbst, der zu Fuß mitten unter seinen Läufern und Dienern einherschritt, gekleidet in einen scharlachroten Mantel, funkelnd

35

Gregor von Tours, Hist. Franc. 2, 9; Salvian, De gubernatione dei 6, 82 ff., und Th. K. Kempf, Trierer Domgrabungen 1943—1954, in: Neue Ausgrabungen in Deutschland, Berlin 1958, S. 374.

35

Apoll. Sidon., Carm. 5, 2 3 8 - 2 5 5 .

36

Salvian, De gubernatione dei 4, 67 und 7, 64.

D I E E R O B E R U N G N O R D G A L L I E N S DURCH D I E F R A N K E N

149

vor G o l d und glänzend vom Weiß seiner seidenen Tunika, während sein gepflegtes Haar, seine rötlichen Wangen und seine weiße Haut den Farben dieser reichen K l e i dung entsprachen. Was aber die Fürsten und das Gefolge betrifft, die ihn begleiteten, so gewährten sie sogar in Friedenszeiten einen schrecklichen Anblick. Ihre Füße hatten sie bis zum Knöchel in Schuhe aus Fell eingeschnürt; die Knie, Unterschenkel und Waden waren nicht bedeckt. Darüber schloß sich eine eng anliegende bunte Bekleidung an, hochgezogen (hochgerafft), die kaum bis zu den nackten Kniekehlen hinunterreichte; die Ärmel bedeckten gerade den oberen Teil des Armes. Ihre grünen Mäntel trugen dunkelrote Borten. Ihre Schwerter hingen in Wehrgehängen von der Schulter herab und drückten gegen die Taille, die von einem Gürtel aus Leder, mit Nägeln verziert, umgeben war. Diese Ausrüstung zierte und schützte sie zugleich. Lanzen mit Widerhaken und Wurfäxte lagen in ihren rechten Händen; ihre linken Hüften waren mit Schilden geschützt, deren Glanz - silberweiß an den Rändern, goldgelb an den Schildbuckeln in der Mitte - sowohl den Reichtum als auch die Leidenschaft ihrer Träger verriet." 37 Als der fränkische Stammesverband in der Mitte des 3. Jh. entstanden war, stellte er zunächst mehr oder weniger nur ein Konglomerat von zahlreichen Gefolgschaftsgruppen dar. Hundert Jahre später aber hatte er sich politisch gefestigt, militärische Erfahrungen gesammelt und sich in sozialer Hinsicht weiterentwickelt. D e r Ablauf der Ereignisse läßt vermuten, daß sich allmählich zwei stärkere fränkische Verbände gebildet hatten, welche gewissermaßen in einem zentripetalen Sog andere Gruppen in sich aufnahmen: die salischen Franken jenseits der Rheinmündung sowie die mittelrheinischen Franken, die im Maingebiet Chatten und Burgunder zu Nachbarn hatten und in den Quellen der Karolingerzeit dann Ripuarii (Ribuarii) hießen. Bereits seit dem E n d e des 3. Jh. hatten sich zwei geographisch unterschiedliche fränkische Zentren abgezeichnet, die zu Ausgangspunkten für eine bäuerliche Landnahme wurden: Dies waren einmal die Insula Batavorum im Rheinmündungsgebiet sowie die Landschaft Toxandrien zwischen unterer Maas und unterer Scheide, zum anderen die rechtsrheinische Region zwischen Lippe, Ruhr und Sieg. Auch im zeitlichen Verlauf der Landnahme gab es Phasenverschiebungen. D i e salische Flanke erwies sich als der aktivere Teil, der von Toxandrien aus etwa um 4 1 0 Tournai oder vielleicht schon Therouanne erreichte, 38 zwischen 450 und 460 Cambrai eroberte und bald darauf an der Somme anlangte, wo die Salier bis 486 mit dem römischen Reststaat des Syagrius eine gemeinsame Grenze besaßen. D i e mittelrheinischen Franken waren am E n d e des 4. Jh. im Besitz des Kugerner Landes, welches die Römer aufgegeben hatten; dann jedoch begnügten sie sich in den folgenden Jahrzehnten mit der Okkupation der Römerorte unmittelbar auf der linken Rheinseite. E t w a ab 470 besetzten sie das Moseltal, wo jedoch ein starker romanischer Bevölkerungsteil erhalten blieb, in den Ardennen sowie im Raum der oberen Maas sind fränkische Niederlassungen dagegen erst seit dem E n d e des 5. Jh. nachzuweisen. Während des 4. Jh. suchte Rom die Aristokratie der verschiedenen germanischen Stämme und Stammesverbände für sich zu gewinnen, indem besondere Bündnisverträge (foedera) mit diesen abgeschlossen wurden. An und für sich handelte es sich

37

Apoll. Sidon., Epist. 4, 20, 1 - 3 .

38

E. Will, Boulogne et la fin de l'Empire roraain d'Occident, in: Hommages ä Marcel Renard, Bd. 2, S. 827.

15°

DIE E R O B E R U N G N O R D G A L L I E N S DURCH DIE F R A N K E N

dabei von Roms Seite aus um keine neue diplomatische Form; denn schon in der frühen Kaiserzeit gerieten kleinere Staaten - vor allem solche, die im Nahen Osten an der Grenze des Imperiums lagen - auf diese Weise in römische Abhängigkeit. Neu war, daß man jetzt hier noch in der Gentilordnung lebende Verbände als „Partner" anerkannte. Sie wurden als foederati bezeichnet und erhielten für die Übernahme der Verteidigung an einem Abschnitt der römischen Grenze Geld oder Lebensmittel - so wie auch germanische Söldner im römischen Grenz- oder Feldheer solcherart Unterhalt empfingen (Abb. 39). Vor allem aber ist hervorzuheben, daß diese Foederaten seit der zweiten Hälfte des 4. Jh. das Recht erhielten, sich innerhalb der Reichsgrenzen anzusiedeln: die salischen Franken in Toxandrien, die Westgoten in Thrakien usw. Dies war für die weitere Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Römischen Reich und den Barbaren von außerordentlicher Bedeutung. Langfristig begann sich damit das bisher mehr oder minder ausgewogene und wechselseitige Spannungsverhältnis zwischen dem Zentrum der niedergehenden Sklavereigesellschaft und der urgesellschaftlichen Peripherie, dem Barbaricum, zuungunsten der alten Ordnung zu verändern. 39 Wo der Landnahmeprozeß der Barbaren stattfand, wandelten sich die sozialökonomischen Grundlagen der Gesellschaft rascher als in den anderen Territorien des Römischen Reiches; mit der Zunahme und Ausdehnung der Foederatengebiete geriet das obengenannte Wechselverhältnis in Unordnung. Auf ihm aber beruhte in bedeutendem Maße die Existenz der römischen Sklavereigesellschaft. Und als im Verlauf der Veränderungen dann das alte gesellschaftliche Zentrum selbst erfaßt und zersetzt wurde, leitete dies unmittelbar den Untergang der alten Gesellschaft ein - der Weg wurde frei für die Gestaltung neuer, fortschrittlicher Verhältnisse. Die Foederatenverbände, von denen eben die Rede war, behielten ihre Anführer, ihre politische und militärische Organisation sowie ihr Gewohnheitsrecht, wenn auch der römische Einfluß auf sie nicht ausblieb. Interessant und bedeutsam ist, daß unsere wichtigste Quelle über die Truppenstationierung zu Beginn des 5. Jh., ein Militärhandbuch, die „Notita dignitatum", keine Limitanverbände in der Provinz Germania II, also am Niederrhein, nennt. Hier hatten fränkische Foederaten den Grenzschutz übernommen, welche einerseits im Süden Alamannen und Burgunder kontrollieren sollten sowie am Ende des Jahres 406 die Vandalen, Alanen und Sueben in römischem Interesse am Rheinübergang zu hindern suchten, andererseits aber auch die Straßenbefestigungen an der Linie Köln-Bavai-Boulogne verteidigten. Erst als der Durchbruch der eben genannten Völkerschaften erfolgt war, rückten die salfränkischen Einheiten in den Raum von Tournai und Therouanne vor, so daß um diese Zeit auch das Kommando des dux der Provinz Belgica II aufgegeben wurde.40 Noch ehe sich Franken und andere Germanen in den Tälern von Mosel, Rhein, Maas und Scheide niederließen, verödeten die Prunkvillen und Höfe der Großgrundbesitzer in diesen Gebieten. In einer Reihe großer Villen brechen die Münzreihen spätestens um

39

L. Värady, Die Auflösung des Altertums, Budapest 1978, S. 23 ff. und 34 ff.

40

E. Will, Boulogne, S. 822 und 826.

DIE EROBERUNG NORDGALLIENS DURCH DIE F R A N K E N

151

41

402 ab. Auch die Großgrundbesitzer von Köln und Trier verließen zu Beginn des 5. Jh. ihre Städte und zogen sich nach dem Süden zurück.42 Sehr häufig endeten die gallorömischen Villen im Norden und Nordosten des Landes durch eine Feuersbrunst. Aber verschiedentlich finden sich Reparaturen an den Mauern aus merowingischer Zeit; und manche Villen wurden damals zu Herrensitzen des Adels, zu Abteien und Kapellen. Bisweilen benutzte man ihre Ruinen auch als Friedhöfe oder Steinbrüche.43 Wenn jetzt natürlich auch nicht die gesamte gallorömische Bevölkerung aus dem Rhein-Mosel-Land und aus den Gebieten zwischen Maas, Scheide und Somme abwanderte, so wurden hier die bis dahin bestimmenden ökonomischen und sozialen Kräfte der spätantik-römischen Klassengesellschaft doch sehr geschwächt und konnten den Franken keinen großen Widerstand mehr entgegensetzen. Daher spielte deren freie Dorfgemeinde zukünftig eine große Rolle im gesellschaftlichen Leben dieser Gebiete. Das nördliche und nordwestliche Gallien wiesen noch freie Bauern keltischer und germanischer Herkunft auf, die dort Elemente agrarischer Gemeinwesen in romanischer Umwelt bewahrt hatten; diese Schichten wurden jetzt durch die fränkische bäuerliche Landnahme gestärkt. Daneben blieben wesentliche Teile der gallorömischen handwerklich tätigen Bevölkerung im Lande - etwa die Glasmacher und die Edelmetallschmiede in Köln, Töpferhandwerker vor allem in den Ardennen und Argonnen, zwischen Maas und Sambre sowie in der Eifel, Metallhandwerker im mittleren und unteren Maasgebiet. Sie vermittelten den Franken Kenntnisse und Erfahrungen ihrer produktiven Tätigkeit (Abb. 28-30). Kurz, die römische bzw. die gallorömische Oberschicht floh vor den Eindringlingen; die Handwerker, Klein- und Pachtbauern sowie die Kleinhändler aber saßen weiterhin in ihren Orten. Sprachlich und kulturell erstarkten unter ihnen in der Spätantike die keltischen Elemente. So gab es für eine gewisse Zeit in den von den Franken eroberten Gebieten zwei Strukturen nebeneinander: Reste der gallorömischen Verhältnisse mit Überbleibseln der Sklaverei sowie die sich zersetzende fränkische Gentilgesellschaft. Im allgemeinen ließen sich die fränkischen Bauern abseits von den Galloromanen nieder. Die verlassenen Villen boten ihnen genügend Land zur Besiedlung, so daß das spätrömische System der hospitalitas hier nicht zur Anwendung gebracht' werden mußte. Die neuen fränkischen Dörfer entstanden oft in der Nähe römischer Villen, welche jedoch nicht ihre Siedlungskerne bildeten.44

7,1

G . Thill, Um eine „versunkene" Römervilla bei Remerschen, Hémecht 22, 1970, S.

455-467;

R. Weiller, D i e römischen Münzen aus der Villa von Remerschen, ebenda, S. 4 6 7 - 4 7 6 ; J. J . Hatt, Histoire de la Gaule Romaine, Paris 1959, S. 2 9 6 ; E . Gose, D e r römische Gutshof von Weitersbach, Archaeologica Belgica 6 1 , 1962, S. 65 ff.; B. Rüger, Germania Inferior, Köln 1968, S. 4 6 ; Archäologische Funde und Denkmäler des Rheinlandes, Bd. 1 : Kreis Geldern, Köln i960, S. 87 ff. und 101 ff. '' 2 F. Prinz, Die Entstehung des altgallischen und merowingischen Mönchtums, in: D a s erste Jahrtausend, Textbd. 1, Düsseldorf

1962, S. 2 2 9 ; E . E w i g , Trier im Merowingerreich, Trier

1954,

S. 1 0 6 ; F. Petri, D e r Rhein in der europäischen Geschichte und den europäischen Raumbeziehungen von der Vorzeit bis ins Hochmittelalter, in: D a s erste Jahrtausend, Textbd. 2, Düsseldorf 1964, S. 59t. 43

R . Chevallier, Problématique de la villa gallo-romaine, S. 4 7 2 f.

44

H . Jankuhn, Vor- und Frühgeschichte vom Neolithikum bis zur Völkerwanderungszeit,

Stutt-

DIE EROBERUNG NORDGALLIENS DURCH DIE F R A N K E N

152

E t w a in der Zeit um 430 residierte ein salfränkischer Kleinkönig Chlodio (oder Chlojo) bei dem Ort Disparum, der vermutlich im südöstlichen Belgien zu suchen ist. 45 Wie der Geschichtsschreiber Gregor von Tours berichtet, w a r es dieser Herrscher, der die Stadt Cambrai den Römern abnahm und die fränkische Grenze bis zur Somme vorschob. Dies geschah jedoch zu einer Zeit, als Aetius, der bedeutende weströmische Heerführer, nicht mehr lebte. Nach seiner Ermordung eroberten die mittelrheinischen Franken um 456 Mainz, um 459 K ö l n ; weiter nahmen sie die Orte am Unterlauf der Maas und an der Mosel in Besitz, während an der oberen M a a s erst gegen E n d e des 5. J h . eine fränkische Besiedlung feststellbar ist. 46 Einige Jahre hindurch gebot ein romanisierter Franke, der comes Arbogast, über Trier und wohl auch über Metz und Toul. E t w a um 47 5 setzten sich die Franken dann endgültig im Moselgebiet fest, und allmählich wurde f ü r das von ihnen eingenommene Gebiet am Mittel- und Unterlauf des Rheins der N a m e Francia Rinensis gebräuchlich. 47 D i e fränkische Besiedlung in Nordgallien ist archäologisch insofern nachweisbar, als in zahlreichen Gräbern und Gräberfeldern neues Inventar aufkommt, das in jener Region keine Vorläufer kennt. Wohl aber sind solche Vorläufer aus dem Raum zwischen Rhein und E l b e bekannt: D a z u gehören verschiedene Fibeltypen (besonders Stützarmund Tutulusfibeln), lange Haarnadeln in Frauengräbern, Spathae, Speere, Lanzen, Schilde, W u r f ä x t e , bronze- oder eisenbeschlagene Holzeimer, Scheren, Spinnwirtel, Eisenschnallen, dreieckige Bein- oder Knochenkämme (Abb. 3 1 - 3 5 ) . 4 8 A n d e r e Teile des Grabinventars stammen aus spätrömischen Handwerksstätten Nordgalliens, so etwa ein bedeutender Teil der Keramik, Gläser, Metallgefäße, Geldstücke, Perlen und G ü r telbeschläge. Auf dem großen fränkischen Friedhof von Rhenen (Provinz Utrecht, N i e derlande) wurden ebenfalls zahlreiche Gürtelgarnituren gefunden, die in römischen, zur Versorgung der A r m e e eingerichteten Zentren produziert wurden. 49 Rhenen aber lag stets außerhalb des weströmischen Reichsgebietes. Nach der Ermordung des Kaisers Maiorian im J a h r e 461 trennte sich das römische Heer in Nordgallien von der Regierung in Ravenna und vom Heermeister Ricimer. D a sich die Westgoten damals südlich der Loire ausgebreitet hatten und die Burgunder den Südosten Galliens beherrschten, geriet jenes Gebiet in die Isolation. Sein Zentrum lag im Pariser Becken ; es grenzte im Süden an die Loire, im Osten an das Gebiet von A u x e r r e ; Troyes und Langres trennten es von den Alamannen; im Norden und N o r d gatt 1969 (Deutsche Agrargeschichte 1), S. 129. V g l . Istorija srednych vekov, B d .

1, 2. Aufl.

Moskva 1977, S. 77 und 82. /|J

Gregor von Tours, Hist. Franc. 2, 9. Über die verschiedenen Lokalisierungen von Dispargum vgl. V . J . de Boone, D e Franken van hun eerste optreden tot de dood van Childerich, Diss. Groningen 1954, S. 1 4 2 ; E . Zöllner, Geschichte der Franken, S. 27, Anm. 7.

46 47

R. Folz - A . Guillou - L . Musset - D . Sourdel, D e l'Antiquité au monde médiéval, S. 7 1 f. E . Zöllner, Geschichte der Franken, S. 31 f.

' ,8 H . - W . Böhme, Tombes germaniques des I V e et V e siècles en Gaule du Nord, in: M . Fleury

-

P. Périn, Problèmes de chronologie relative et absolue concernent les cimetières mérovingiens d'entre Loire et Rhin, Paris 1978 (Bibliothèque de l'École des Hautes Études 4. section - Sciences historiques et philologiques 526), S. 21 f . ; H . - W . Böhme, Germanische Grabfunde des 4. und 5. Jahrhunderts

zwischen

unterer Elbe

und

Loire,

München

1974

(Münchener

Beiträge

zur

V o r - und Frühgeschichte 19), Textbd., S. 1 8 7 - 2 0 7 . 49

J . Y p r e y , L a chronologie du cimetière franc de Rhenen (Prov. Utrecht), in: M . Fleury - P. Périn, Problèmes de chronologie, S. 5 1 - 5 7 .

DIE EROBERUNG NORDGALLIENS DURCH DIE F R A N K E N

153

osten schließlich verlief die Scheidelinie gegenüber den Franken entlang der Somme, nördlich von Soissons, von dort zym Oberlauf der Maas und in die Gegend nördlich von Metz.50 Die römischen Truppen in diesem Territorium wurden zunächst von Aegidius, dem Heermeister des getöteten Maiorian, kommandiert, welcher es verweigerte, sich Ricimer zu unterstellen. Zwischen diesen Truppen und den salischen Franken blieben die vertraglichen Beziehungen weiter bestehen. Offensichtlich einte Römer und Franken die Gefahr, welche durch die sächsischen Überfälle an der Küste und durch die westgotischen Versuche, über die Loire nach Norden vorzudringen, drohte. Im Jahre 463 wehrten Franken unter der Führung ihres Königs Childerich gemeinsam mit den römischen Formationen des Aegidius einen Angriff der Westgoten bei Orléans ab. Im Herbst des folgenden Jahres starb Aegidius, und den Befehl über seine Streitkräfte übernahm der cotnes Paulus. Sie und die Franken schlugen 469 einen neuen westgotischen Vorstoß zurück, wobei jedoch zur selben Zeit oder nur wenig später die Sachsen unter der Führung des Stammesfürsten Adovacrius in die Bretagne einfielen und die Stadt Angers belagerten. Wieder waren es römische und fränkische Einheiten, welche sie erfolgreich bekämpften, wobei allerdings Paulus fiel. Sein Nachfolger wurde der Sohn des Aegidius, Syagrius, der wahrscheinlich beim Tode seines Vaters noch zu jung gewesen war, um das Kommando zu übernehmen. Gregor von Tours nennt ihn in seiner Frankengeschichte „König der Römer" (Romanorum rex) ; es ist jedoch fraglich, ob er diesen Titel offiziell getragen hat.51 Das Heer, dem er vorstand, war in jener Zeit genausowenig römisch wie etwa das des Ricimer in Italien. Es bestand in erster Linie aus germanischen Söldnern sowie aus Laetenkontingenten. Noch im Jahre 465 wurden Laeten in einer Novelle des Kaisers Severus erwähnt.52 Jener römische Reststaat in Nordgallien überdauerte den Untergang des Weströmischen Reiches um zehn Jahre. 486 vernichtete Chlodwig (Chlodowech), der Sohn des salfränkischen Teilkönigs Childerich (um 463-481), das anachronistisch gewordene Gebilde. Ihr Foederatenverhältnis hatten die salischen Franken wohl schon in den siebziger Jahren des 5. Jh. gelöst. Wir können weiter annehmen, daß sich etwa in der Zeit des eben genannten Childerich die Gentilordnung bei ihnen endgültig zersetzt hatte, daß sie hier nicht mehr das vorherrschende gesellschaftliche System darstellte, obwohl gentile Reste noch für längere Zeit bestehenblieben. Aus dem Heerkönigtum war ein ständiges Königtum geworden, wenn sich dieses in jener Zeit auch noch nicht vereinheitlicht hatte. Damit aber begann jetzt der Entstehungsprozeß des fränkischen Staates. Obwohl die Franken noch keine Christen waren, überliefern die Quellen, daß sie mit den katholischen Romanen friedlich und gütnachbarlich nebeneinander lebten. Schon unter Childerich erhielten christliche Kirchen im salfränkischen Gebiet besondere Rechte.53 Es bahnte sich an, daß die Bischöfe Partner der entstehenden herrschenden Klasse im fränkischen Königreich werden konnten.

50

R. Latouche, Gaulois et Francs de Vercingétorix à Charlemagne, Paris 1965, S. 220

61

Gregor von Tours, Hist. Franc. 2, 27.

52

N o v . Sev. 2, 1.

52

Praeceptio Chlotharii 8. Vgl. den Brief des Remigius von Reims an Chlodwig: Epist. Austr. 2.

(Karte).

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

154

Die Residenz des Königs Childerich war Tournai, wo auch im Jahre 1653 sein Grab gefunden wurde. Dessen wertvolle Beigaben, von denen heute nur noch ein geringer Teil erhalten ist, bezeugen nicht nur den Reichtum des Königs, sondern geben den Archäologen auch die Möglichkeit, im Vergleich mit anderen Gräbern des ausgehenden 5. und des beginnenden 6. Jh., die etwa ähnlich reich ausgestattet sind, die soziale Differenzierung bei den Franken kenntlich zu machen (Abb. 37).^' Neben zahlreichen Schmucksachen sowie rund 100 Gold- und 200 Silbermünzen enthielt das Grab ein Langschwert mit vergoldetem Griff, ein Kurzschwert (Scramasax), eine Wurflanze und eine Wurfaxt. 481 oder 482 trat Chlodwig die Herrschaft in der Nachfolge seines Vaters Childerich an, welche bis 511 dauerte. Zunächst war er nicht der einzige König der salischen Franken ; es gab noch mindestens drei weitere neben ihm. Im Jahre 486 vernichtete Chlodwig den römischen Reststaat in Nordgallien nach einer siegreichen Schlacht bei Soissons. Danach setzte sich die fränkische Landnahme bäuerlichen Typs bis etwa in den Raum am Unterlauf der Seine fort. Die germanischen Gräberfelder reichen nur bei Muids (Dep. Eure), Houdan, Mareil-sur-Mauldre und Maule (alle Dep. Yvelines) geringfügig nach Süden über diesen Fluß hinaus. Sie liegen vor allem an den Läufen von Seine, Oise und Marne sowie in Belgien zwischen Maas und Sambre. Jenseits der Seine bis hin zur Loire gibt es nur wenige verstreute germanische Grabfunde aus der zweiten Hälfte des 5. Jh., wobei man sich noch nicht einmal klar darüber ist, ob sie in die Jahre nach 486 gehören oder ob in den Gräbern, aus denen sie stammen, germanische Söldner des Syagrius bestattet sind.55 In diesem Gebiet überwog die herrschaftliche Form der fränkischen Landnahme. Auf dem Boden des nun beseitigten Syagrius-Staates lagen mehrere größere kaiserliche Güter, die König Chlodwig damals in sein Eigentum überführte. Während der Kämpfe um diesen Staat und danach bei seiner Besetzung kam es auch zur Plünderung christlicher Kirchen und Kapellen. Anekdotenhaft ausgeschmückt berichtet Gregor von Tours über die Bitte eines Bischofs an den König, ihm doch wenigstens eine kostbare Vase aus der Beute wiederzugeben.56 Chlodwig gab sein Einverständnis und suchte auf einer Heeresversammlung zu Soissons von seinen Kriegern die Zustimmung zu erhalten, daß sie ihm diesen bewußten Krug zusätzlich zu seinem Beuteanteil gewährten. Obwohl viele der Männer sein Anliegen unterstützten, so habe doch einer von ihnen, erzählt Gregor weiter, mit beleidigenden Worten widersprochen und dabei sogar den Krug zerschlagen, damit er dem König nicht zugestanden werden könne. Es heißt, daß Chlodwig zunächst seinen Zorn unterdrückt, aber auf der nächsten Heeresversammlung, dem Märzfeld, im folgenden Jahre den Mann erschlagen habe, weil er angeblich seine Waffen nicht in Ordnung gehalten hätte. Dieses Ereignis ist von der Forschung in jüngster Zeit unterschiedlich beurteilt worden. War jener ungenannte fränkische „Thersites" (Homer, Ilias 2,211 ff.) ein einfacher Krieger oder ein angesehener „edler Herr", vielleicht sogar ein hoher Gefolgsmann des Königs?57 Bezeichnet Francus liber, der freie Franke, in der Rechtsaufzeichnung des 54

F.

Dumas,

Le

tombeau

de Childeric,

Paris

(o. J.),

mit ausführlicher Fundbeschreibung

und

zahlreichen Abbildungen. 66

R . Günther, K l i o 59, 1 9 7 7 , S. 3 1 4 und 320.

66

Gregor von Tours, Hist. Franc. 2, 27.

57

Für die sozial hohe Stellung des „Kriegers von Soissons" plädiert D . Claude, Zu Fragen früh-

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

155

Pactus legis Salicae und bei Gregor von Tours nur den dominus, den fränkischen Grundherrn, der bereits mit dieser Stellung entsprechenden Rechten ausgestattet war? 58 Man sollte wohl, wenn man die fränkischen Verhältnisse in den letzten beiden Jahrzehnten des 5. Jh. analysiert, große Vorsicht walten lassen bei dem Versuch, soziale und ökonomische Erscheinungen aus der zweiten Hälfte des 6. Jh. auf jene Zeit zu übertragen. Die ersten zwanzig Jahre der Herrschaft Chlodwigs gleichen noch eher einem Heerkönigtum als einem ständigen an der Spitze eines Königreiches. Die fränkische Oberschicht war sicher nicht gänzlich, aber doch zum großen Teil eine Neubildung der Landnahmezeit selbst. Daher ist also wohl davon auszugehen, daß die Rechte des Königs in einigen Fragen damals noch wesentlich von der Heeresversammlung aller fränkischen Freien, nicht nur eines Adels, begrenzt waren.59 In den ersten Jahren seiner Herrschaft und nach der Einnahme des Syagrius-Staates gab es für Chlodwig wahrscheinlich noch etliche Schwierigkeiten, als er seine Herrschaft bis zur Loire hin zu festigen und überall seine Anerkennung zu erreichen suchte. Leider sind diese Vorgänge nur sehr bruchstückhaft und in späten hagiographischen Quellen überliefert. Bedeutsam ist lediglich die Bemerkung des Prokop von Cäsarea, es hätten sich sog. Arborycher mit den Franken zu einheitlichem Handeln verbunden und „im äußersten Teil Galliens" isolierte römische Soldaten sich letzteren ergeben.60 Man nimmt an, daß „Arborycher" eine Benennung für die romanischen Bewohner der Städte im Süden der bretonischen Landschaft darstellt - vielleicht waren dies aber auch in der Aremorica ansässige Laeten. Und was die letztgenannte Bemerkung angeht, so könnten noch einzelne Gruppen des Syagrius-Heeres nach der Schlacht vom Jahre 486 an einigen Orten Widerstand geleistet haben, der erst später gebrochen wurde.61 Vermutlich fallen in jene Periode auch Kriege gegen die Thoringer (Thüringer), worunter aber nicht das Volk im mittleren Germanien, sondern ein sicher mit diesem verwandter Stamm auf linksrheinischem Gebiet zu verstehen ist. Es scheint möglich, daß die „Rheinthüringer" erst gegen Ende der Regierungszeit Chlodwigs vollends unterworfen wurden. Um 493/494 war das politische Ansehen dieses Herrschers unter seinen germanischen Amtsbrüdern schon so gestiegen, daß der Ostgotenkönig Theoderich - nach der Beseitigung Odoakers - bei ihm um die Hand seiner Schwester Audefleda anhielt. Die Heirat fand statt, und auch Chlodwig vermählte sich in dieser Zeit mit Chrotchildis (Chrodechilde), der Tochter des burgundischen Kleinkönigs Chilperich II. und Nichte Gundobads. Obwohl die burgundische Königsfamilie noch arianisch war, hing Chrot-

fränkischer Verfassungsgeschichte, 2 R G

GA

zum frühfränkischen Comitat, ebenda 81,

83, 1966, S. 273 ff.; auch derselbe, Untersuchungen 1964, S.

1-79.

Dagegen aber R. Sprandel, Struktur

und Geschichte des merowingischen Adels, Historische Zeitschrift

19},

1 9 6 1 , S. 3 7 ; vgl. auch

derselbe, Z R G G A 82, 1965, S. 290 f. 58

Eine solche Ansicht vertritt J. Balon, Études franques, Namur 1963, S. 2 4 ; 2 6 ; 30 f . ; 74.

59

Beispiele hierfür bei E . Zöllner, Geschichte der Franken, S. 1 3 0 f.

60

Procop., Bell. Goth. 1, 12, 19.

61

R. Folz -

A . Guillou -

L . Musset -

D . Sourdel, D e l'Antiquité au monde médiéval, S.

73;

E . Zöllner, Geschichte der Franken, S. 5 1 - 5 3 ; R. Günther, Zeitschrift für Archäologie 5, 1 9 7 1 , S. 59.

IJ6

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

childis bereits dem katholischen Glauben an; für sie war daher die Kirche, die diesen verkündete und sich seit dem Regierungsantritt Chlodwigs darum bemühte, Einfluß auf den Herrscher zu gewinnen, eine wichtige Stütze. Um 496/497 brach zwischen Franken und Alamannen ein Krieg aus. Vermutlich war es nach einem Vorstoß der letzteren in das Gebiet der mittelrheinischen Franken zu einem Bündnis zwischen deren König Sigibert, welcher in Köln residierte, und Chlodwig gekommen. In einer Schlacht bei Tolbiacum (Zülpich) errangen jedenfalls die Franken den Sieg. Sigibert wurde verwundet; der König der Alamannen fiel in der Schlacht, und sein Volk mußte die Herrschaft Chlodwigs anerkennen.62 Im Jahre 506 erhob es sich jedoch und wurde von den Franken erneut unterworfen. 63 Einem Teil der Alamannen gelang damals die Flucht; er unterstellte sich südlich des Bodensees und in Noricum ostgotischem Schutz. Im Zusammenhang mit der Schlacht von Zülpich entschied sich Chlodwig für die Annahme des katholischen Glaubens. Die Datierung seiner Taufe ist strittig; vermutlich erfolgte sie 498, wobei aber auch spätere Termine möglich sind.65 Dieser Übertritt, der für Chlodwig wohl in erster Linie einen Akt der Politik darstellte, war für den weiteren Entstehungsprozeß des fränkischen Staates von großer Bedeutung. Erstens nämlich gewann der König mit Hilfe der katholischen Kirche einen größeren Einfluß auf das eigene Volk, wenngleich zunächst auch nur 3 000 Franken, wahrscheinlich seine persönliche Gefolgschaft, seinem Schritt folgten. Zum zweiten wurde seine politische Stellung bei seinen romanischen Untertanen, die bereits Katholiken waren, erheblich gestärkt. Zum dritten aber wertete Chlodwig selbst sein neues Bekenntnis zur katholischen Lehre als Motiv für eine künftige - auch gewaltsame! Bekehrung oder Vertreibung der arianischen Westgoten und Burgunder in Gallien. In den nordgallischen Städten hatte sich das Christentum seit dem 4. Jh. ausgebreitet. Die Zahl der Bischofssitze war damals größer als in merowingischer Zeit, und mancher Inhaber eines solchen Sitzes, wie etwa Victricius von Rouen (um 385-nach 407), hatte einen ähnlichen Lebensweg wie Martin von Tours. 65 Mit vollem Recht konnte Bischof Avitus von Vienne (um 4 9 0 - 5 1 8 ) in seiner Antwort auf ein Schreiben Chlodwigs, das die Taufe ankündigte, hervorheben: „Euer Glaube ist unser Sieg" (vestra fides nostra Victoria est). Durch seine „Bekehrung" nämlich fand der Franke im katholischen Episkopat Galliens, der sich zu jener Zeit noch ausschließlich aus der gallorömischen Aristokratie rekrutierte, einen bedeutsamen Bündnispartner für die Ausübung seiner politischen Macht. In den Jahren 500 und 501 bekriegte Chlodwig den Burgunderkönig Gundobad, nachdem er 498 bereits einen Vorstoß gegen die Westgoten inszenierte, welcher seine Fran-

62

Gregor von Tours, Hist. Franc. 2, 30 und 2, 37.

63

Ennodius, Panegyricus auf Theoderich 15, 7 2 ; Cassiodor, Variae 2, 41

(mit einem Brief Theode-

richs an Chlodwig) und 3, 50. 04

Ausführliche Darstellung Chlodovechus,

in:

RE

der Motive

Suppl.

13,

sowie der

Stuttgart

1973,

unterschiedlichen Sp.

151-159;

Ansichten E.

bei A .

Zöllner,

Lippold,

Geschichte

der

Franken, S. 5 7 - 6 4 . In das Jahr 508 datiert R . Weiss, Chlodwigs T a u f e - Reims 508, Bern 1 9 7 1 , S. 59. Die Quellen zu diesem Ereignis: Gregor von Tours, Hist. Franc. 2, 3 0 - 3 1 ; Avitus von Vienne an Chlodwig: M G H , A A

V I , 2, S. 75, N r . 4 6 ; Brief

Trier an Chlodosvinde, eine Enkelin Chlodwigs (um 5 6 5 ) : M G H , E III, S. 1 1 9 , N r . 8. 85

Brief

des

des Nicetius von

P.-M. Duval, L a Gaule jusqu'au milieu du V e siècle, Bd. 2, Paris 1 9 7 1 , S. 619.

E N T S T E H U N G UND E N T W I C K L U N G DES F R Ä N K I S C H E N KÖNIGREICHES

157

ken bis Bordeaux gelangen ließ.66 In Burgund war es zu Streitigkeiten zwischen den beiden Brüdern Gundobad und Godegisel gekommen, und der nach einer Möglichkeit, sich dortige Gebiete anzueignen, suchende Frankenherrscher gewährte Godegisel seine Unterstützung. So unterlag Gundobad bei Dijon, woraufhin er nach Avignon floh; als ihm jedoch später auch westgotische Hilfskontingente zur Verfügung standen, schlug er 501 die Franken, die Godegisel zur Seite standen, der sich in Vienne aufhielt; Godegisel kam dabei um. Von fränkischen Gebietserweiterungen als Ergebnis dieses Krieges ist nichts bekannt. Das herausragende politische Ereignis während der Herrschaft Chlodwigs bildete die Eroberung von großen Teilen des westgotischen Staates in Gallien, welche in den Jahren 507/508 durch die verbündeten Franken und Burgunder erfolgte. Auch die mittelrheinischen Franken unterstützten Chlodwig in diesem Krieg. Theoderich, der König der Ostgoten, bemühte sich zwar durch Briefe und Gesandte, die er an die Könige der Westgoten, Burgunder, der westlichen Heruler, Warnen und der rheinischen Thüringer sowie an Chlodwig selbst richtete, den Frieden und damit das politische Gleichgewicht der germanischen Reiche in Westeuropa zu erhalten; 07 doch der Frankenkönig ließ sich nicht auf Verhandlungen ein. Wahrscheinlich spornte ihn nicht zuletzt die byzantinische Diplomatie zu einem raschen Vorgehen gegen die Westgoten an; denn ein Erfolg Chlodwigs bedeutete zugleich eine Schwächung der politischen Stellung Theoderichs des Großen. Chlodwig rechnete damit, daß die Romanen im Westgotenreich sowie die dortige katholische Kirche sich einmütig zu den katholischen Franken bekennen würden. Doch traf diese Annahme nicht in vollem Umfange zu. Die Bewohner der Auvergne - die Reste des gallorömischen Senatsadels einbegriffen - unterstützten unter der Führung des Apollinaris, des Sohnes von Apollinaris Sidonius, den westgotischen König Alarich II. 68 Chlodwig selbst gab als Grund für seinen Krieg gegen die Westgoten an, er wolle die dortige katholische Kirche von der Unterdrückung durch die arianischen Ketzer befreien. Im Spätsommer 507 fand die Entscheidungsschlacht zwischen den beiden Gegnern in Campo Vogliadense (wahrscheinlich bei Voulle nördlich von Poitiers) statt. Nach erbittertem Kampf blieben die Franken Sieger: König Alarich fiel im Gefecht. Damit war der Krieg jedoch noch nicht beendet, zumal die Burgunder sich erst jetzt den Franken anschlössen. Chlodwig zog mit einem Teil seines Heeres nach Bordeaux, wo er überwinterte, wahrend sein Sohn Theuderich mit anderen Kontingenten die gotischen Landesteile in Süd- und Südostgallien unterwarf. Im Jahre 508 eroberten die Franken unter Chlodwig zusammen mit den burgundischen Hilfstruppen die westgotische Hauptstadt Toulouse; dort fiel der Königsschatz in ihre Hände. Chlodwig besetzte dann mit seinem Heer die Stadt Angouleme und zog von dort nach Tours. Auch Theuderich setzte mit fränkischen Truppen den Krieg fort, um die Auvergne zu gewinnen; die Burgunder nahmen ihrerseits Narbonne ein und belagerten Arles. Und jetzt erst - etwa im Sommer 508 - war der Ostgotenkönig Theoderich in der Lage, ein Heer nach Gallien zu entsenden, das den völligen Zusammenbruch des westm

67 68

Prosper Havn. zu 498, MGH, A A IX, S. 331; Gregor von Tours, Hist. Franc. 2, 32—33; Marius von Avenches zu 500, MGH, A A XI, S. 234. Cassiodor, Variae 3, 1-4. Gregor von Tours, Hist. Franc. 2, 37.

1)8

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

gotischen Staates verhindern sollte. Die Burgunder mußten demzufolge die Belagerung von Arles aufgeben; auch Narbonne ging ihnen wieder verloren. Der Krieg zog sich noch etwa bis 512 oder 514 hin, ohne daß wir Genaueres über einzelne Kampfhandlungen wissen. Durch die Intervention Theoderichs konnten die Westgoten Teile von Süd- und Südwestgallien, die Landschaft Septimanien und den Süden von Novempopulanien behaupten. Die Provence südlich der Durance wurde dem Ostgotenreich angeschlossen. Was die Franken angeht, so erweiterten sie nach dem Krieg ihr Territorium in Gallien beträchtlich; der Zugang zum Mittelmeer aber blieb ihnen noch verschlossen. Als Chlodwig 508 in Tours weilte, erreichte ihn dort eine Gesandtschaft des byzantinischen Kaisers Anastasius und überbrachte ihm die Ernennung zum Ehrenkonsul.60 Gleichzeitig bekam er als Zeichen seiner förmlichen Anerkennung durch Anastasios Königsinsignien : einen festlichen Mantel (cblamys), ein Purpurkleid (tunica blattea) sowie ein Diadem. Damit honorierte Ostrom die antigotische Politik Chlodwigs und noch nachträglich seine Bekehrung zum katholischen Christentum. Für den Frankenherrscher bedeutete diese Ehrung eine politisch-moralische Stärkung seines Ansehens bei den romanischen Bewohnern Galliens. In den Augen dieser Bevölkerungsschichten, welche ja die traditionelle Verbundenheit mit dem Römischen Reich, das nun von Byzanz repräsentiert wurde, noch nicht aufgegeben hatten, wurde er damit erst zu einem „legitimen" Regenten.™ In der folgenden Zeit beseitigte Chlodwig die Selbständigkeit des mittelrheinischen Königtums von Köln. Durch die Sitte der Schilderhebung wurde er dort als König anerkannt.71 Auch die anderen Teilkönigreiche der salischen Franken eignete er sich an, wobei er in der Auswahl seiner Mittel keinesfalls wählerisch war. In den Kämpfen, die er zu diesem Zweck führte, vernichtete er einen großen Teil der mit ihm blutsverwandtschaftlich verbundenen salfränkischen Gentilaristokratie. Während der letzten Jahre seiner Herrschaft eroberte er die Gaue bzw. kleinen Königreiche der rheinischen Thüringer, der Warnen und der westlichen Heruler. Damit gab es auf linksrheinischem Boden neben seinem Frankenreich kein selbständiges Territorium mehr. Im Jahre 511 starb Chlodwig in Paris, wohin er bald nach der Rückkehr aus Tours 508 seine Residenz verlegt hatte. Französische Archäologen, namentlich P. Périn, haben nachgewiesen, daß der fränkische Vorstoß maasaufwärts im Vergleich zu dem weiter westlichen Vordringen in Richtung Somme mit erheblicher Verzögerung vor sich ging. Wohl finden sich einzelne germanische Kriegergräber hier schon in der Mitte des 5. Jh.; sie kommen aber als Beweis für eine bäuerliche Landnahme nicht in Frage. Letztere ist im Ardennengebiet nicht vor 480/490 nachzuweisen,72 was entweder bedeutet, daß der Syagrius-Staat bis in jene Gegend reichte und den Franken das Vorrücken verwehrte oder daß die Inbesitznahme des Landes bis zur Somme die militärische Kraft der salischen Franken so in Anspruch genommen hatte, daß das mittlere und obere Maastal erst in einer zwei68

Ebenda 2, 39.

70

R. Folz - A . Guillou -

71

Gregor von Tours, Hist. Franc. 2, 40.

72

P. Périn, L a vaiselle de terre, de verre et de bronze dans Ardennes à l'époque mérovingienne

L . Musset -

D . Sourdel, D e l'Antiquité au monde médiéval, S. 76.

d'après l'archéologie funéraire, in: 9 3 e Congrès national des sociétés savantes Sect. Archéologie, Paris 1970, S. 1 2 1 - 1 4 3 .

(Tours

1968),

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

159

ten Welle am E n d e des 5. Jh. von ihrer Kolonisation erreicht wurde. Eine beträchtliche Anzahl von merowingischen Friedhöfen im Gebiet der Ardennen sowie in der Champagne beginnt sogar erst etwa um 520.73 Gräberfelder mit kontinuierlichen, von der spätrömischen bis in die frühmerowingische Zeit hinein reichenden Bestattungen finden sich allein nördlich der Somme und nördlich der Ardennen. 74 Als Chlodwig fränkischer König wurde, lag die Südgrenze der fränkischen Expansion an der Somme, am „Kohlenwald" (welcher sich am Unterlauf der Scheide von Brabant bis in den Hennegau hinein erstreckte) und nördlich der Ardennen, dann etwa bis hin nach Verdun und in die Rheinpfalz bis Worms. 75 Im Gräberfeld von Lavoye (Dép. Meuse) enthielt das Grab eines fränkischen militärischen Anführers eine kostbare liturgische Meßkanne aus der Wende vom 5. zum 6. Jh. - und etwa wie sie könnte die Vase von Soissons ausgesehen haben, welche Chlodwig in der Heeresversammlung beanspruchte, um sie, wie oben angeführt, einem Bischof zurückzugeben.76 Die figürlichen Gürtelschnallen weisen gallorömische Tradition in der Metalltechnik, aber germanischen Einfluß in der Darstellung des Tiermotivs auf. 77 Im Gebiet des Elsaß setzen die merowingischen Gräber ebenfalls erst an der Wende vom 5. zum 6. Jh., d. h. nach dem Sieg Chlodwigs über die Alamannen, ein, und auch der lothringische Raum kam erst wenig vor 500 unter fränkische Herrschaft. 78 Datierbare Gräber aus der Mitte des 5. Jh. sind in der Region zwischen Loire und Somme, also im römischen Machtbereich des Aegidius und des Syagrius, sehr selten. Die Waffenbeigabe ist in diesen Gegenden erst nach der fränkischen Eroberung wieder verstärkt anzutreffen; Gräber, die dies bezeugen, fanden sich am Oberlauf der Seine.79 In dem reichen Grab von Pouan an der Aube vermutet man die Ruhestätte des Westgotenkönigs Theoderich I., welcher in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern gegen die Hunnen fiel.80 Sehr reich ausgestattete fränkische Gräber, die in diesem Punkt an das des Childerich von Tournai sowie das eben erwähnte von Pouan erinnern, entdeckte man bei Flon73

P. Périn, L a nécropole franque de Mazerny, Études Ardennaises 44, 1966, S. 2 - 1 5 ; derselbe, L a fouille de sauvetage d'Omont, ebenda 47, 1966, S. 3 0 - 3 5 ; derselbe, Les Ardennes à l'époque mérovingienne, ebenda 50, 1967, S. 3 - 4 4 .

7

- H . Böhme, D i e Eingliederung des spätrömischen Nordgallien in das Frankenreich, in : I X e Congrès de l'Union internationale des Sciences Préhistoriques et Protohistoriques, Nice X X X , S. 7 1 - 8 7 . V g l . G . Faider-Feytmans, L a

1976,

Colloque

Belgique à l'époque mérovingienne,

Bruxelles

1964, S. 59 und 64. 75

P. Périn, Trois tombes ce „chef" du début de la periode mérovingienne, Bulletin de la société archéologique Champenoise (Reims) 65, 1972, 4, S. 53 t.

70

R . Jofïroy, L e cimetière de Lavoye, Paris 1974, S. 99 fif.

77

P. Périn, Notes d'Archéologie ardennaise, Études Ardennaises 53/54, 1968, S.

78

B. Arbogast, Trouvailles mérovingiennes d'Alsace, Diss. Strasbourg 1976, S. 1 ; 2 2 5 ; vgl. dazu die neuen Funde von Pfaffenheim bei Colmar Zeitung „ D i e W e l t " , Ausgabe B, vom 23. 3.

(Notiz:

„Merowingergräber

1-6. entdeckt"

in

der

1979). Z u Lothringen A . Laumon, L e pays de

Sarrebourg à l'époque mérovingienne. Étude archéologique et occupation du sol (Fac. des Lettres et Sciences Humaines de Nancy II), o. J . ( 1 9 7 7 ) , S. 2 1 2 . 79

J . Scapula, Un haut lieu archéologique de la Haute Vallée de la Seine. L a Butte d'Isle-Aumont en Champagne, Première partie, Troyes 1 9 7 5 , S. 53.

88

E . Salin - A . France-Lanord, in: Gallia 14, 1 9 5 6 ; E . Salin, Méthode d'étude de l'Occupation du sol du V e au I X e siècle, in Actes du 90 e Congrès national des sociétés savantes (Nice 1 9 6 5 ) , Sect. Archéologie, Paris 1966, S. 16.

i6o

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

heim in Rheinhessen.81 Der Süden dieses Gebietes wurde erst nach dem Alamannenkrieg Chlodwigs (496/497) fränkisch. Da hier mehrere reiche Gräber, die Schwerter mit goldenen Griffen enthielten, bekannt geworden sind, ist anzunehmen, daß schon in frühmerowingischer Zeit mehrere Familien aus der Gegend im königlichen Dienst zu Vermögen und Ansehen gekommen waren.82 Wie die fränkische Kolonisation konkret vor sich ging, ist bislang noch wenig erforscht. Nachweislich existierte etwa im Raum zwischen der heutigen belgischen Grenze sowie dem Unter- und Mittellauf der Seine eine dichte gallorömische Bevölkerung, die teils in Städten, teils in den Villenwirtschaften und vici lebte. Durch den ständigen Kontakt und die rasch erfolgende gegenseitige Beeinflussung kam es sehr bald zu einer „fusion progressive" (F. Lot) zwischen Franken und Galloromanen, welche durch die katholische Kirche wie auch durch gegenseitige Eheschließungen noch begünstigt wurde und somit eine wichtige Komponente der germanisch-romanischen Synthese bei der Genesis des fränkischen Feudalismus darstellte. Einen bedeutenden fränkischen Anteil an der Bevölkerung gab es in der Normandie; die Alamannen waren besonders zahlreich im Elsaß vertreten; der romanische Bevölkerungsanteil hingegen war stärker ausgeprägt in der Champagne, in Lothringen sowie im Moseltal.83 Was die Siedlungsformen der fränkischen Einwanderer anbetrifft, so gibt es darüber ebenfalls noch geringe Kenntnisse. Manche spätantiken Villen wurden in merowingischer Zeit ausgebessert und bewohnt; Beispiele dafür sind unter anderem am Oberlauf der Marne und im Moseltal nachgewiesen worden.84 Im belgischen Raum wurde seit dem Ende des 5. und besonders im 6. Jh. ein Teil der verlassenen spätrömischen Grundbesitzungen wieder besetzt und weiter bewirtschaftet.80 Die Bedeutung der Städte ging im nordgallischen Gebiet während des 5. und 6. Jh. weitgehend zurück.86 In den letzten Jahren sind einige dörfliche Siedlungen oder Teile davon ausgegraben worden, die in die Merowingerzeit gehören. Zu den schon bekannten Anlagen, wie etwa denen bei Gladbach, Kr. Neuwied (BRD) ; Mertloch, Kr. Mayen-Koblenz (BRD) ; West Stow, Suffolk (England) ; Chalton, Hamshire (England) ; Catholme, Staffordshire (England) und Wijster (Holland), kam in jüngster Zeit eine Siedlung in Nordgallien, Brebiêres in der Nähe von Douai (Dép. Pas-de-Calais), hinzu, deren älteste Häuser in die erste Hälfte des 6. Jh. gehören.87 Dies ist bislang das einzig bekannte merowingische Dorf in Frankreich. Es bestand insgesamt aus 30 aufgedeckten Grubenhäusern, wobei aber nur vier Hüften aus der Zeit vor 550 stammen. Etwa um 700 wurde die Siedlung wieder aufgegeben. Neben mehreren Hütten, von denen nicht alle Wohnzwecken, sondern einige auch handwerklicher Tätigkeit dienten, wurden Abfallgruben gefunden. An einer Stelle ließ sich nachweisen, daß eine Hütte (C 7) auf dem Grund einer viel älteren, aus der La-Tène-Zeit stammenden Behausung errichtet worden war. Das Dorf grenzte auch an Gebäudereste aus gallorömischer Zeit. Eine der Hütten besaß einen Wasserabfluß; die Hütten81

H. Ament, Fränkische Adelsgräber von Flonheim in Rheinhessen, Berlin (West) 1 9 7 0 nische Denkmäler der Völkerwanderungszeit B, 5), S. 42 f. und 64 f.

82

Ebenda, S. 1 7 1 - 1 8 6 .

s;!

E . Salin, Méthode d'étude, S. 1 5 - 1 8 .



E . Salin, L'habitat du Haut Moyen âge, in: Actes du 90 e Congrès national, S. 3 5 - 4 1 .

85

G . Fayder-Feytmans, L a Belgique, S. 59.

86

E . Salin, L'habitat du Haut Moyen âge, S. 38.

87

P. Demolon, L e village mérovingien de Brebiêres ( V I - V I I siècle), Arras 1972.

(Germa-

ENTSTEHUNG U N D ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

161

eintiefungen betrugen bis zu 65 cm. Unter der entdeckten Keramik fanden sich sowohl Reste von auf der Drehscheibe hergestellter als auch von handgefertigter Ware. Die größte Hütte maß 1 7 , 4 m 2 ; die mittlere Größe der Behausungen, die sämtlich in Ost-West-Richtung gebaut worden waren, lag bei 7,45 m 2 . Die durchschnittliche Eintiefung der Hüttenböden betrug 21 cm. D a sich in knapp 4 km Entfernung die merowingische Pfalz Vitry-en-Artois befand, vermutet der Ausgräber engere ökonomische und soziale Beziehungen der Bewohner von Brebières zu diesem Königssitz. Die Untersuchung von Knochenresten, welche in den Hütten und in den A b f a l l gruben gefunden wurden, ergab, daß 96,1 Prozent von Haustieren und 3,9 Prozent von Wildtieren stammten. Vorrangig war mit 39,26 Prozent das Schwein vertreten; dann folgten Rind, Schaf, Huhn, Pferd und Ziege. Getreidereste konnten nicht nachgewiesen werden. Der landwirtschaftlich bebaute Boden nahm in Nordgallien während des 5. Jh. im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten ab, was auf die Flucht der zahlreichen Villenbesitzer nach dem Süden und den Verlust an landwirtschaftlicher Betriebsorganisation ebenso wie auf den zeitweiligen Niedergang der Produktivkräfte zurückzuführen ist. Gegen Ende des 5. Jh. aber erneuerte sich die landwirtschaftliche Aktivität. Viele große merowingerzeitliche Villen in Belgien stehen räumlich mit Grundbesitzungen der späten gallorömischen Periode im Zusammenhang. 88 Es hat den Anschein, als ob die ökonomisch fortgeschrittene Rolle, welche das Rheinland und Nordostgallien während der römischen Kaiserzeit mit ihrer verbesserten landwirtschaftlichen Technik spielten, dort auch in der Merowingerzeit behauptet werden konnte.88 Die Dreifelderwirtschaft setzte sich zuerst in den Gebieten nördlich der Loire durch,90 und die Wassermühle verbreitete sich in Gallien vor allem während des 6. Jh. 9 1 Allmählich erlangten die Klöster große wirtschaftliche und natürlich auch ideologische Bedeutung. Im Ergebnis der Weiterentwicklung der Produktivkräfte sowie des landwirtschaftlichen A u f schwungs kam es dann zu einem raschen Bevölkerungszuwachs, 92 der wahrscheinlich schon in der zweiten Hälfte des 6. Jh. ein- und sich im 7. Jh. fortsetzte. Die Zahl der Höfe nahm zu; aus kleinen Gehöftgruppen wurden Dörfer; dementsprechend vergrößerten sich im 7. Jh. auch die Gräberfelder. Zur gleichen Zeit begannen die Rodungen. 88 89

G . Fayder-Feytmans, L a Belgique, S. 64. Ch.

Parain,

Das

Problem

der

tatsächlichen

Verbreitung

des

technischen

Fortschritts

in

der

römischen Landwirtschaft, Zeitschrift f ü r Geschichtswissenschaft 8, i960, S. 364-366. 80

R. Latouche, D e la G a u l e R o m a i n e à la G a u l e F r a n q u e . Aspects sociaux et économiques d e l'évolution, in: Settimane di studio del Centro Italiano di studi sull'alto M e d i o e v o , B d . Il passaggio dall'Antichità

al M e d i o e v o in Occidente, Spoleto

1962, S. 406; M. Bloch,

9: Les

caractères originaux de l'histoire rurale française, O s l o - P a r i s 1931, S. 51 f . ; Ch. Lelong, L a vie quotidienne en G a u l e à l'époque mérovingienne, Paris 1963, S. 38. 91

M . Bloch, A v è n e m e n t et conquêtes d u moulin à eau, Annales d'histoire économique et sociale 7, I

9 3 5» S. 5 3 8 - 5 5 6 ; E . Maróti, Über die Verbreitung der Wassermühlen in E u r o p a , Acta A n t i q u a

23, 1975, S. 255-280. 92

W . Abel, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland, i n : Settimane di studio del Centro Italiano di studi sull'alto Medioevo, Bd. 13 : Agricoltura e m o n d e rurale in O c c i d e n t e nell'alto Medioevo, Spoleto 1966, S. 163 f . ; P. D o n a t - H . Ullrich, Einwohnerzahlen und Siedlungsgröße der Merowingerzeit, Zeitschrift für Archäologie, 1971, S. 2 3 4 - 2 6 0 ; R. Fossier, terre et les hommes en Picardie, S. 155-160.

11

Günther

La

162

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

Ein Pflug, der die Schollen wendete, war schon im 2V3. Jh. in Feddersen-Wierde (bei Bremerhaven) bekannt, blieb aber ebenso wie die gallorömische Mähmaschine nur lokal im Gebrauch. Im salfränkischen Gebiet wurde während des 6. Jh. weithin noch der einfache Hakenpflug (aratrum) benutzt; dazu kam ein Gerät mit besonderem Schar, das aber den Boden noch nicht umbrach (carruca). Doch mit der weiteren Ausbreitung des Roggenanbaus setzte sich schließlich der Bodenwendepflug durch. Im 5. und 6. Jh. hatte die Viehwirtschaft noch Vorrang gegenüber dem Ackerbau, welcher dann aber in der folgenden Zeit bis zum 8. Jh. größere Bedeutung erlangte.93 In der Weidewirtschaft dominierte damals die Waldweide. Mehrere königliche Domänen, etwa jene bei Trier, Tours, im Gebiet von Le Mans und von Bordeaux, beschäftigten sich mit Pferdezucht.9'' Im Gebiet von Aisne und Oise sowie nahe von Seine und Marne gab es zahlreiche merowingische Königsgüter, die allem Anschein nach wohl vorrangig auf kaiserlichen Bodenbesitz und verlassene Höfe der gallorömischen Senatsaristokratie zurückgehen. Vermutlich hatten in diesem Raum auch Aegidius und Syagrius ihre Ländereien.95 Die handwerkliche Produktion beruhte im wesentlichen auf der Übernahme von spätrömischer Technik und Technologie. Das Damaszieren der Schwertschneiden und die Cloisonnée-Technik in der Verzierung beherrschte man schon in den staatlichen Waffenwerkstätten von Soissons und Reims, im Tardenois (Dép. Aisne) sowie im Gebiet von Namur. Vielleicht knüpften die fränkischen Siedlungen im Orxois und Tardenois an spätrömische Niederlassungen germanischer Laeten oder Gentilen an. Denn in den Zentren der spätrömischen Waffenproduktion Nordgalliens lagen auch Stationierungsorte des spätrömischen Feldheeres, das damals im wesentlichen aus germanischen Söldnern bestand, und der Laetenkontingente. Die nach der Eroberung Chlodwigs weiterarbeitenden Waffenwerkstätten wurden z. B. von Reims ins Tardenois verlegt. Gerade dort fand man die meisten und bedeutendsten damaszierten Waren des 5. Jh. Große merowingerzeitliche Friedhöfe, deren Gräber am Ende des 5. oder zu Anfang des 6. Jh. einsetzen, haben uns zahlreiche Stücke dieser Art überliefert.96 Leider ist bisher durch Ausgrabungen noch keine merowingerzeitliche Schmiede bekannt geworden. Im ganzen gesehen aber ging das Handwerk in den nordgallischen Städten deutlich zurück. Auch die Bautätigkeit war gering; hier und da wurden alte Aquädukte instand gehalten. In Paris und Soissons entstanden Amphitheater, die aber aus Holz waren. Einzelne Bischöfe traten als Auftraggeber im Bauwesen hervor. Die Brücken in den Städten befanden sich in einem schlechten Zustand. In Gallien hatte es während des 5. Jh. keine sozialen Bewegungen der städtischen Handwerker gegeben; alle diesbezüglichen Quellen weisen nur nach dem Osten des Reiches. Im Westen vollzog sich dafür eine breite Flucht dieser Handwerker auf die Großgrundbesitzungen, ein Vorgang, der wiederum im Oströmischen Reich keine Bedeutung besaß. Mehrere Gesetze beschäftigten sich seit dem Ende des 4. Jh. mit der Suche nach geflohenen Handwerkern.97 Auf dem Landsitz des Paulinus von Pella 93

W . Abel, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft, S.

169-171;

E.

Zöllner, Geschichte

der

Franken, S. 2 2 2 - 2 2 4 . 95

Ch. Lelong, L a vie quotidienne, S. 4 1 .

86

R. Kaiser, Untersuchungen zur Geschichte der Civitas und Diözese Soissons, S.

96

G . Fayder-Feytmans, L a Belgique, S. 8 2 ; R. Kaiser, Untersuchungen, S. 159 und 179 f.

195-206.

L . C . Ruggini, L e associazioni professionale nel mondo romano-bizantino, in : Settimane di studio del Centro Italiano di studi sull'alto Medioevo, Bd. 18, 1 : Artigianato e tecnica nella società

E N T S T E H U N G U N D E N T W I C K L U N G DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

163

finden wir sie dann wieder, 98 und unter den häufig von Apollinaris Sidonius auf den Gütern genannten Klienten werden sich auch Handwerker befunden haben. D e r Eisenbergbau und die Eisenverhüttung setzten im Merowingerreich die spätantike Produktion fort. Dabei ist zu bemerken, daß der hohe technische Stand des Abbaus, wie er im 5 ./6. Jh. herrschte, zunächst in Vergessenheit geriet und der Bergbau nur dort kontinuierlich weiterbetrieben wurde, wo er mit einfachen Mitteln und Methoden durchgeführt werden konnte." Vom städtischen Leben gab es während der frühen Merowingerzeit im nördlichen und nordöstlichen Gallien nur noch kümmerliche Reste. D i e Stadt bildete eine verwaltungsmäßige Einheit, an deren Spitze in der staatlichen Verwaltung ein comes oder ein graf standen; aber die ländlichen Bezirke dominierten. Zum comes bildete der Bischof in der Stadt ein gewisses Gegengewicht, 100 der sich oft auch um ihre Befestigung kümmerte. D i e schon in der Spätantike eingeengten Mauerbezirke der Städte wurden jetzt zur Innenstadt, jedoch auch zum befestigten Platz. In diesem Zusammenhang begann die Bedeutung von civitas, Castrum und castellum zu verschwimmen. 101 D i e meisten gallischen Städte in der Merowingerzeit wiesen eine Zahl von etwa 2 000 bis 5 000 Einwohnern auf. Kaufleute und Händler waren vor allem im Dienste der Kirche tätig. Von den Häfen der gallischen Atlantikküste aus wurde Seehandel mit Spanien und Britannien wie auch mit den Friesen betrieben. Felle, Schafwolle, Schuhe und K l e i dungsstücke bezog man aus Irland, Zinn aus Cornwall, Felle und Tuche aus Britannien; von dort wurden auch sächsische und bretonische Sklaven nach Gallien eingeführt. D i e ses selbst exportierte Wein, Salz, Ö l , Eisen und Honig. Auch orientalische Waren kamen ins Land und wurden zum Teil von hier aus weitergehandelt. 102 Soissons war während der ganzen Merowingerzeit mit dem Fernhandelsweg verbunden, welcher in die Provence führte, es stellte aber zugleich die nördliche Grenze des Verbreitungsgebietes südgallischer Erzeugnisse dar. Über Soissons führten von der Mittelmeerküste her keine Fernhandelswege weiter nach Norden. 108 In einzelnen Städten weist nur die Kontinuität der Ruinen aus der Spätantike ins Frühmittelalter. An anderen Orten sind Märtyrergräber und die daran anknüpfenden Baulichkeiten ein Bindeglied zwischen den beiden Epochen; verschiedentlich verlagerte sich auch der Schwerpunkt der Siedlung. A l s Bischofssitze, merowingische Residenzen und Sitze von Vertretern der Königsgewalt überdauerten manche spätantiken Städte. Zuweilen bildeten darüber hinaus vorhandene castella und castra den Keim von Urbanen Siedlungen des Mittelalters. 104 D i e Städte behielten ihre spätantiken Mauern. Je-

dell'alto Medioevo occidentale, Spoleto 1971, S. 172-180; Cod. Theod. 12, 1, 146 (395); N o v . Maior. 7 (458); Nov. Sev. 2 (465). 98

Paulinus von Pella, Eucharistikos 210 f.

99

R. Sprandel, Bergbau und Verhüttung im frühmittelalterlichen Europa, in: Settimane di studio del Centro Italiano, Bd. 18, 1, S. 599-606.

100

Ch. Lelong, La vie quotidienne, S. 18 und 20 f.

101

Gy. Györffy, Civitas, Castrum, castellum, Acta Antiqua 23, 1975, S. 331 f.; Ch. Lelong, La vie quotidienne, S. 42.

102

Ebenda, S. 45-52.

103

R. Kaiser, Untersuchungen zur Geschichte, S. 176.

104

E. Ennen, Das Städtewesen Nordwestdeutschlands von der fränkischen bis zur salischen Zeit»

164

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

doch gab es in den meisten von ihnen auf dem Boden Nordgalliens im 5. Jh. keine Stadtverwaltung und keinen ordo decurionum mehr.105 Neuere topographische Arbeiten haben bei der Untersuchung der städtischen Entwicklung in Gallien vom 6. bis zum 9. Jh. Rückgang, Verfall und nur vereinzelte neue Ansätze aufgezeigt. Darüber täuscht auch die häufig nachweisbare Kontinuität von Bischofssitz, Kathedrale und Palatium nicht hinweg.106 Der schwedische Stadthistoriker Th. Hall hat dieses Problem folgendermaßen charakterisiert: „Wenn man der Tatsache Rechnung trägt, daß die hochmittelalterlichen Stadtgrundrisse in vielen Fällen bis in unsere Zeit verhältnismäßig intakt geblieben sind, läßt der Mangel an Kontinuität zwischen der Spätantike und dem Hochmittelalter in bezug auf die Städtegrundrisse mit recht großer Wahrscheinlichkeit darauf schließen, daß viele römische Städte während eines beachtlichen Zeitraums den Charakter einer geschlossenen städtebaulichen Siedlung entbehrt haben."107 Die antike Ordnung hatte auf der Stadt basiert; nun aber wurde sie von einer Gesellschaft abgelöst, welche nicht mehr die Voraussetzung in sich trug, ein entwickeltes Städtewesen weiterzuführen. Im merowingischen Königreich, besonders auch in der Frühzeit unter Childerich und Chlodwig, gab es nur eine sehr geringe Geldzirkulation. Für den Fernhandel und zur Schatzbildung benutzte man oströmische Goldmünzen (Solidi, Semissen und Tremissen); daneben prägte man noch nach dem Fall des Syagrius-Staates Silbermünzen weiter, die dort herausgegeben wurden und auch später hauptsächlich in jenem Raum verbreitet waren.108 Etwa seit der Zeit um 500 wurden römische Goldmünzen nachgeprägt. Die Emission von Kupfer- und Silbermünzen unter Chlodwigs Söhnen ist zu erwähnen; aber das historisch wie numismatisch zur damaligen Zeit herausragende Ereignis bestand doch darin, daß König Theudebert (534-548), Chlodwigs Enkel, als erster germanischer Herrscher überhaupt seit etwa 539 Goldmünzen mit eigenem Namen und eigenem Bild prägen ließ (Abb. 38). Dies war nicht zuletzt eine Brüskierung des oströmischen Kaisers, welcher bislang das Vorrecht der Goldprägung für sich in Anspruch genommen hatte; aber vor allem zeigte sich hier das rasch gestiegene politische Bewußtsein des fränkischen Königtums im Rahmen der Epoche der sozialen Revolution beim Übergang zum Feudalismus. Die merowingische Münzprägung war außerordentlich stark dezentralisiert. Gab es in der Spätantike vier Prägestätten in Gallien, nämlich Trier, Arles, Lyon und Narbonne, so finden wir in der hier behandelten Zeit an die tausend Prägeorte mit etwa 1 500 Namen von Münzmeistern. Münzen wurden lokal zu verschiedenen Zwecken hergestellt: im Auftrag des Königs, der Kirche, von Städten, von Großgrundbesitzern usw. Gewöhnlich schlug man sie eben dort, wo man sie benötigte.109 Ein Schwerpunkt der merowingischen Prägungstätigkeit in: C. Haase (Hrsg.), Die Stadt des Mittelalters I, Darmstadt 1969 (Wege der Forschung 243), S. 105 p

148-151. Vercauteren,

Die spätantike Civitas

im frühen Mittelalter,

S.

135;

E.

Ennen,

Die

Ent-

wicklung des Städtewesens an Rhein und Mosel vom 6 . - 9 . Jh., in: Settimane di studio del Centro Italiano, Bd. 6: L a Cittä nell'alto Medioevo, Spoleto 1959, S. 428. 106

C. Brühl, Palatium und Civitas, Bd. 1 : Gallien, Köln 1 9 7 5 .

107

Th. Hall, Mittelalterliche Stadtgrundrisse. Versuch einer Übersicht der Entwicklung in Deutsch-

108

R. Kaiser, Untersuchungen, S. 1 4 1 ; E . Zöllner, Geschichte der Franken, S. 1 7 2 f.

109

Ch. Lelong, L a vie quotidienne, S. 6 1 - 6 7 .

land und Frankreich, Stockholm 1978, S. 39, vgl. auch 33 f.

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

165

lag im Pariser Becken; weitere befanden sich im Gebiet von Le Mans (vor allem für kirchliche Bedürfnisse), im Raum der Flüsse Dordogne und Loire, zwischen mittlerer Saone und Genfer See sowie in der Umgebung von Seille und Mosel. Häufig war ein und derselbe Münzmeister an verschiedenen Orten tätig. 110 Die meisten Prägestätten lagen in Gebieten südlich der Seine, wohingegen in Austrasien, wie Gräberfunde beweisen, überwiegend Feinwaagen benutzt wurden, mit denen ungeprägtes Edelmetall gewogen und Goldmünzen im Gewicht nachgeprüft werden konnten. 111 In Südgallien lief neben fränkischen Münzen stellenweise auch byzantinisches, westgotisches und ostgotisches Geld um. Demgegenüber war der Geldbedarf im Norden weitaus geringer, da dort während des 6. Jh. die Arbeitsteilung noch wenig ausgeprägt war. Die WareGeld-Beziehungen wurden damals in erster Linie von der entstehenden herrschenden Klasse genutzt, um sich das Mehrprodukt anzueignen. Kauf und Verkauf von Grund und Boden sowie der vor allem in Verdun konzentrierte Menschenhandel nahmen bis zum 7. Jh. innerhalb dieser Beziehungen allmählich an Bedeutung zu. Sie unterstützten die Entwicklung von .frühfeudalen Grundherrschaften und förderten die Konzentration des Bodeneigentums. 112 Aus spätmerowingischer Zeit kennen wir auch einige Wertbestimmungen. So kostete ein Sklave etwa 12 bis 20 Solidi, 6 Wagenladungen voll Öl 100 Solidi, ein kleiner Bauernhof etwa 20 Solidi, ein Pferd 6 Solidi, ein Ochse 2 Solidi, eine Kuh 1 Solidus. Jedoch entsprachen solche Geldangaben mehr Rechenwerten, als daß tatsächlich mit diesen Münzen gezahlt wurde. 1 1 3 Die soziale Struktur der frühmerowingischen Gesellschaft befand sich in einem Zustand dynamischer Mobilität. Die aufgelöste fränkische Gentilgesellschaft hatte eine Differenzierung hervorgebracht, in der die erstarrte soziale Gliederung der weströmischen Spätantike der Vergangenheit angehörte. Die neue Gliederung im entstehenden fränkischen Staat, die ihre Herkunft aus der Gentilordnung nicht verleugnen konnte, widerspiegelt sich am besten in der ältesten Fassung vom 65-Titel-Text des Pactus legis Salicae (Textklasse A). 1 1 4 E r gehört zeitlich höchstwahrscheinlich in die Jahre zwischen 507 und 5 1 1 . Dieser Gesetzestext bezeugt eine soziale Situation, in der die Gentilordnung nicht mehr bestand, der Feudalisierungsprozeß aber gerade erst begonnen hatte. Im Pactus legis Salicae wird zwar häufig auf alte fränkische Volksrechte Bezug genommen; doch schon erlangten die Vorrechte des Königs ihnen gegenüber erhebliches Gewicht. Noch gab es hier keine besondere Begünstigung der Kirche, deren Schutz sich dann ein Brief Chlodwigs aus seinen letzten Regierungsjahren an die Bischöfe widmete. 115 Bald entsprach jene älteste fränkische Rechtsordnung nicht mehr den sich weiter entwickelnden 110

111

112

113 114

115

I. Heidrich, Die merowingische Münzprägung im Gebiet von oberer Maas, Mosel und Seille, Rheinische Vierteljahrsblätter 38, S. 78 f. J . Werner, Waage und Geld in der Merowingerzeit, Sitz.-Ber. der Bayr. Akad. der Wiss. in München, Phil.-hist. Klasse 1954, S. 3 ff. W. Bleiber, Naturalwirtschaft und Ware-Geld-Beziehungen zwischen Somme und Loire während des 7. Jahrhunderts, Berlin 1981, S. 65 ff. Ch. Lelong, La vie quotidienne, S. 67 f. Pactus legis Salicae, hrsg. von K . A. Eckhardt, MGH, L L IV, i, Hannover 1962; vgl. A. I. Njeussychin, Die Entstehung der abhängigen Bauernschaft, S. 1 1 3 - 1 1 8 . Chlodowici regis ad episcopos epistula, MGH, Capitularia, Hannover 1883, Nr. 1, S. 1 f.

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ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

Eigentums- und Klassenverhältnissen, und so wurde sie mehrmals ergänzt und überarbeitet. Der Pactus legis Salicae galt für Franken und Gallorömer gemeinsam - freilich nur in den Gebieten nördlich der Loire. Die romanische Bevölkerung südlich dieses Flusses unterlag auch weiterhin dem westgotischen „Breviarium Alarici" und der Lex Romana Burgundionum. Der fränkische Staat war keine „Schöpfung" Chlodwigs116 und schloß sich nach dem Ende der Gentilordnung dieser auch nicht sogleich nahtlos als Machtinstrument einer organisierten herrschenden Klasse an. E r entstand in einem Übergangsprozeß, der etwa von der Zeit Childerichs bis zur zweiten Hälfte des 6. Jh. dauerte. Damals brachten bisherige gentilpolitische Institutionen schon nicht mehr die gemeinsamen Interessen aller freien Mitglieder des Volkes zum Ausdruck. Die Heeres-Volksversammlung wurde in ihrer Bedeutung zurückgedrängt, und die Königsgewalt entwickelte sich als besondere politische Einrichtung der entstehenden herrschenden Klasse. Im Gegensatz zur vorangegangenen antiken Sklavereigesellschaft finden wir jetzt auch neue Grundeigentumsverhältnisse, und die eben erwähnte herrschende Klasse, die sich in ersten Ansätzen zu bilden begann, gründete ihre ökonomische Macht auf den Großgrundbesitz. 117 Es entstand eine politische Struktur, die der neuen ökonomischen Basis entsprach. Die Problematik der Existenz oder Nichtexistenz eines frühen fränkischen Adels ist in den letzten Jahren wiederholt und heftig debattiert worden. 118 Als wichtige Erkenntnis wurde dabei herausgestellt, daß es in der gesamten Merowingerzeit einen rechtlich abgegrenzten Adelsstand noch nicht gegeben hat. 119 In jenen Jahrzehnten, da sich die Staatseinrichtungen erst entwickelten, waren es vornehmlich einzelne Persönlichkeiten, die unter der direkten und unmittelbaren Kontrolle des Königs bestimmte Funktionen in Heer, Finanzverwaltung, Kanzlei und Gerichtswesen, in der Verwaltung der Städte und Landschaften innehatten und so an der Leitung des Reiches teilnahmen. Dabei ist es wohl von geringerer Bedeutung, ob diese Personen bereits Träger eines besonderen Amtes waren oder nicht.120 Ein Adel wird in der ältesten Fassung des Pactus legis Salicae nicht erwähnt. Gewiß gab es, wie schon gesagt, eine sich herausbildende herrschende Klasse; nur war diese eben keine Aristokratie im ständischen Sinne. Es ist möglich, daß einzelne ihrer Vertreter sich auf die Gentilaristokratie zurückführen lassen, welche allerdings von Chlodwig dezimiert und wohl nahezu vernichtet wurde. Aber der wichtigste Weg in die neue herrschende Klasse führte doch über den Königsdienst. Die Terminologie für diese Klasse war im 6. Jh. noch nicht scharf umrissen und knüpfte häufig an spätrömische Bezeichnungen an. Man sprach von viri fortes, viri 1,6

I. Sellnow (Hrsg.), Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus, S. 526; W. v. Wartburg, U m f a n g und Bedeutung der germanischen Siedlung in Nordgallien im 5. und 6. Jahrhundert im Spiegel der Sprache und der Ortsnamen, Berlin

1950 (Deutsche A k a d . der Wiss.

zu Berlin, Vorträge und Schriften 36), S. 5 1 . 117

A . I. Njeussychin, D i e Entstehung der abhängigen Bauernschaft, S. 1 6 1 - 1 8 7 .

118

Einen Überblick über den Streit der Meinungen bietet A . Lippold, Chlodovechus, in: R E , Suppl.

115

D . Claude, Zu Fragen frühfränkischer Verfassungsgeschichte, Z R G G A 83, 1966, S. 273.

120

H . Ebeling, Prosopographie der Amtsträger der Merowingerzeit, München 1974 (Francia, Bei-

1 3 , Stuttgart 1973, Sp. 170 und 172.

heft 2), S. 10 f . ; R . Sprandel, D u x und comes in der Merowingerzeit. Z R G G A 74, 1957, S, 4 1 - 8 4 ; D . Claude, Untersuchungen zum frühfränkischen Comitat, ebenda 81, 1964, S. 1 - 7 9 .

ENTSTEHUNG U N D E N T W I C K L U N G DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

167

magni, potentes, meliores natu, nobilissimi viri und proceres, wobei die meisten dieser Termini jedoch erst dem Ende des 6. Jh. angehören.121 Der entstehende Dienstadel des Königs zeigt sich unter anderem schon im Pactus legis Salicae bei den Antrustionen, den Gefolgsleuten des Königs, welche ein dreifach höheres Wergeid als die Freien (ingenui) beanspruchen konnten, sowie auch bei den convivae regis („Tischgenossen" des Königs) der romanischen Bevölkerung. Damit soll nicht gesagt werden, daß aus jedem, der in truste dominica stand, auch ein Dienstadliger des Königs wurde. Der Pactus legis Salicae unterschied allgemein bei den Franken nur zwischen Freien (ingenui), Halbfreien {liti, leti, lidi) und Sklaven (servi). Die gallorömischen Bewohner wurden in convivae regis, possessores und tributarii eingeteilt. Unfreie und Halbfreie bildeten damals in der fränkischen Gesellschaft eine Minderheit, waren aber schon stark differenziert. Man stufte die Freigelassenen in eine Stellung ein, die der der Liten ähnelte. Zu den Unfreien zählten servi, servi casati, manicipia, vassi ad ministerium und pueri regii. Es fällt auf, daß im Pactus keine Kolonen genannt werden - offensichtlich sind sie unter den Romani tributarii, stellenweise wohl auch unter den Romani possessores zu finden. Da die Großgrundbesitzer in Nordund Nordostgallien während des 5. Jh. ihre Güter verlassen und sich in den Süden zurückgezogen hatten, ergab sich für die dort wohnenden Kolonen die Gelegenheit, ihre Nutzungsrechte zu erweitern. Sicher waren Verwalter von den Eigentümern zurückgelassen worden ; doch dürften diese vor dem. Heranrücken der Franken geflohen sein. Sofern es sich bei den Gütern nicht um Ländereien handelte, welche nach der fränkischen Landnahme der König vereinnahmte, werden jene Kolonen die Gunst der Stunde genutzt haben und freie Grundeigentümer ihrer Parzellen geworden sein. Andererseits wurden sie zu tributarii, wenn der König, die Kirche oder potentes sich das von den Großgrundbesitzern verlassene Land angeeignet hatten. Was die soziale Lage dieser tributarii betraf, so veränderte sie sich gegenüber den spätrömischen Verhältnissen nicht wesentlich: König, Kirche und Dienstadel setzten die Ausbeutung von Sklaven und Kolonen fort. Es gibt keine Hinweise darauf, daß etwa verarmte fränkische Gemeindemitglieder zu Kolonen wurden.122 Gerieten diese in Abhängigkeit, so verloren sie zwar einige Rechte, aber sie sanken dadurch doch nicht in jenen Status oder gar in den der Sklaven hinab. In diesem Sinne löste die fränkische Gesellschaft den überlebten Grundwiderspruch der antiken Sklavereigesellschaft konsequenter als West- und Ostgoten, Burgunder oder Vandalen. Römischer Einfluß zeigte sich im frühen fränkischen Recht nicht so stark wie in anderen Volksrechten; er äußerte sich im Gebrauch der lateinischen Sprache sowie in der Nennung römischer Münzen bei der Fixierung von Bußgeldern. Der Pactus legis Salicae widerspiegelte somit im wesentlichen die fränkischen Verhältnisse, wie sie sich bis zur Landnahmezeit entwickelt hatten.123 Das Aufkommen einer fränkischen Oberschicht ist auch aus einigen Gräbern ablesbar, wo sich um ein besonders reich ausgestattetes Grab mehrere andere gruppieren.124 Allerdings ist man heute in der archäologischen Forschung nicht mehr unbedingt 121

Gregor von Tours, Hist. Franc. 3, 18; 5, 33; 7, 19; 8, 16; Concil. Arvern., a. 535, Kap. 4 ; Prolog (5 1) der Lex Salicx

121

A . R. Korsunskij, O statuse frankskich kolonov, Srednie veka 32, 1969, S. 26 ff. und bes. 32 ff.

123

Istorija srednych vekov, Bd. 1 , S. 88; A . I. Njeussychin, Die Entstehung der abhängigen Bauern-

m

J. Yprey, La chronologie du cimetière franc de Rhenen, S. 5 1 - 5 7 ; A . Dasnoy, Quelques tombes

schaft, S. 1 1 8 - 1 6 1 .

i68

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

geneigt, die soziale Gliederung nur aus den Grabbeigaben ablesen zu wollen.125 In der Epoche des Übergangs zum Feudalismus änderte sich auch die Auffassung von der Freiheit des Menschen. Die antike Sklavereigesellschaft kannte juristisch nur einen prinzipiellen Gegensatz: den zwischen Sklaven und Freien. Alle Menschen gehörten entweder zu der einen oder zur anderen Kategorie; dazwischen war kein Raum, um neue soziale Entwicklungen widerzuspiegeln. Das klassische römische Recht wurde somit den gesellschaftlichen Veränderungen der Spätantike nicht mehr gerecht, was zu verschiedenen Widersprüchen zwischen ihm und der Wirklichkeit führte. So zählten die Kolonen der Spätantike, besonders die von ihnen am schlechtesten gestellten adscripticii, nach wie vor zu den Freien, da sie rechtlich keine Sklaven waren. Jedoch hatten sie sich diesen sozial so weit angenähert - sie galten als Sklaven des Bodens - , daß die Strafbestimmungen der Gesetze zwischen Sklaven und Kolonen in der Regel keinen Unterschied mehr machten. Schon die frühe fränkische Zeit bereitete dieser Unsicherheit ein Ende: Zwischen Sklaven und Freie schoben sich - jetzt auch rechtlich hervorgehoben - die Halb-, oder Minderfreien. Die Freiheit ergab sich nun nicht mehr allein aus der Antithese zur Sklaverei, da auch persönlich Abhängige „Freie" sein konnten. Die Zugehörigkeit zum Heer-Volk ( p o p u l u s ) ; das Recht, Waffen zu tragen und dem Gefolgsherrn auf seinen Kriegszügen beizustehen; der Anspruch auf einen Beuteanteil; das Recht, sich periodisch zu versammeln und Gericht zu halten; in der Dorfgemeinde kollektiv die noch unkultivierten Teile des Bodens zu bearbeiten; darüber zu entscheiden, ob Neuankömmlinge im Dorf aufgenommen werden sollten oder nicht - alles dies waren wesentliche Kriterien der Freiheit in der frühen merowingischen Gesellschaft. 126 Die sozial niedrigste Klasse bildeten in dieser Gesellschaft die Sklaven. Durch die germanischen Angriffe auf das Weströmische Reich, bei denen viele Menschen diesbezüglich in Mitleidenschaft gezogen wurden, erlebte zeitweilig und kurzfristig die Sklaverei, die in den attackierten Gebieten wirtschaftlich und sozial am Absterben gewesen war, wieder einen Aufschwung. 127 Trotzdem geht es aber wohl zu weit, wenn man die Ordnung der Merowingerzeit in ihrer Gesamtheit noch als eine Sklavereigesellschaft qualifiziert, wie es G. Fournier in einer Abhandlung tat. 128 Zunächst trafen die klassischen und restaurativen Rechtsvorstellungen vom Sklaven,

du cimetière de Pry. in: M . Fleury -

P. Périn, Problèmes de chronologie relative et absolue,

S. 6 9 - 7 9 ; M . Martin, L e Cimetière de Bâle-Bernerring

(Suisse). Interprétation historique et

sociale d'après la chronologie exacte des tombes, in: ebenda, S. 1 8 7 - 1 9 8 . 125

H. Steuer, Zur Bewaffnung und Sozialstruktur der Merowingerzeit, Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 37, 1968, S. 18 ff.; R . Christlein, Besitzabstufungen zur Merowingerzeit im Spiegel reicher Grabfunde aus West- und Süddeutschland, Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 20, 1973, S. 147 ff.; J . Werner, Bewaffnung und Waffenbeigabe in der Merowingerzeit, in: Settimane di studio del Centro Italiano, Bd. 15, 1 : Ordinamenti militari in Occidente nell'alto Medioevo, Spoleto 1968, S. 9 5 - 1 0 8 .

126

G . Duby, Guerriers et paysans V I I e - X I I e siècle, Paris 1973, S. 43 f . ; A . I. Njeussychin,

Die

Entstehung der1 abhängigen Bauernschaft, S. 1 8 7 - 2 2 8 . 127

M. J . Sjuzjumov, Dofeodal'ny period, in: Anticnaja drevnost' i srednie veka 8, 1972, S. 1 6 - 2 6 ;

128

G . Fournier, Les Mérovingiens (Que sais-je?), 4. A u f l . Paris 1966, S. 34.

derselbe, Zakonomerny perechod k feodalizmu i sintez, in: ebenda 12, 1975, S. 3 5 - 3 7 und 41 f.

ENTSTEHUNG U N D ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

169

wie sie bei Gaius und in den Institutionen Justinians überliefert sind, voll und ganz auch auf die frühe Merowingerzeit zu: In servorum condicione nulla differentia est („im Stand der Sklaven gibt es keinen Unterschied").129 Sklavenarbeit wurde im Haus, auf den Feldern und in Werkstätten verwendet; die Sklaverei war vorübergehend wieder ein normales Schicksal der Kriegsgefangenen. Man kaufte auch Sklaven aus Britannien, aus den germanischen Ländern jenseits des Rheins und, etwa seit dem 7. Jh., darüber hinaus aus slawischen Gebieten. Es gab Kaufleute, die sich besonders mit dem Sklavenhandel beschäftigten - vor allem waren Händler aus Verdun für diese Art von Handelstätigkeit bekannt. Die Sklaven gehörten völlig ihrem Herrn; Kinder einer Sklavin wurden wieder Sklaven. Der Eigentümer konnte sie bestrafen, verkaufen und verschenken. Der Selbstverkauf in die Sklaverei war möglich; ebenso gab es eine strafweise Versklavung. Noch im 6V7. Jh. wurde die Sklaverei von der Kirche nicht verurteilt, wenn auch - wie schon früher - die Freilassung von Sklaven als gottgefälliges Werk galt. 130 Flüchtige Sklaven besaßen kein Asylrecht. Der Sklave hatte wie in der Antike kein Eigentum und keine Familie; er durfte keine freie Frau heiraten. Das Recht über Tod und Leben besaß sein Herr. 131 So erscheint die Sklaverei bei den Franken im 5. und 6. Jh. noch als eine recht lebendige Einrichtung. Bei denen, die ihr unterworfen waren, handelte es sich immer noch um „echte" Sklaven, nicht um mittelalterliche Knechte. 132 Allmählich aber wirkte die spätantike vulgarrechtliche Auffassung einer begrenzten Rechtsfähigkeit der Sklaven auf die fränkischen Rechtsvorstellungen ein. Hinzu kam der christlich-kirchliche Einfluß, welcher allmählich die Lage der Sklaven verbessern half. Sie erhielten quasi-familiäre Rechte; schließlich wurde auch ihre Ehe anerkannt. Man gestand ihnen das Asylrecht zu, und es wurde verboten, sie zu töten. Wer letzterem zuwiderhandelte, wurde für zwei Jahre exkommuniziert.133 Die Freilassung von Sklaven erlebte jetzt eine Begünstigung. Die beschriebenen Veränderungen in der Lage der Sklaven traten im wesentlichen jedoch erst seit dem 7V8. Jh. ein. Und wenn auch die wirtschaftliche Bedeutung dieser niedrigsten sozialen Kategorie schon seit dem 6. Jh. wieder zurückging, so läßt sie sich im Frankenreich dennoch bis in das 9. Jh. hinein verfolgen.13'1 In rechtlicher Hinsicht unterschied sich die antike Sklaverei in einem wesentlichen Punkte gänzlich von derjenigen bei den Franken: Bildeten die Sklaven nach römischer Auffassung wie eingangs hervorgehoben, eine undifferenzierte Einheit, so gab es als Gegensatz dazu schon im frühesten fränkischen Recht unter ihnen verschieden bewertete Gruppen, welche sich auch im Wergeid unterschieden.135 Und noch etwas trennte den fränkischen Sklaven - zumindest seit der Mitte des 6. Jh. - vom römischen der Spätantike: die soziale Mobilität. Durch das Patrozinium mächtiger Personen sowie durch Dienste für den König konnten Sklaven einflußreiche 129

Institutiones Iustiniani 1, 3, 5.

130

G . Duby, Guerriers et paysans, S. 42.

131

Gregor von Tours, Hist. Franc. 5, 3.

132

H. Nehlsen, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter. Germanisches und römisches Recht in den germanischen Rechtsaufzeichnungen, Bd. 1 : Ostgoten, Westgoten, Franken, Langobarden, Göttingen 1 9 7 2 , S. 60.

133

Ch. Lelong, L a vie quotidienne, S. 27.

134

M . Bloch, Comment et pourquoi finit l'esclavage antique, in: Annales 2, Paris 1 9 4 7 , S.

135

E . Zöllner, Geschichte der Franken, S. 1 1 5 .

35 f.

170

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

Ämter einnehmen, wie Gregor von Tours in seinen Berichten über Anarchius und Leudastes bezeugt. Der letztere brachte es, nachdem er freigelassen worden war, bis zum Grafen von Tours.136 Da der Königsdienst auch Sklaven zu Antrustionen erheben konnte, wurde der Schutz des Herrschers schließlich wichtiger als die Frage nach der standesmäßigen Herkunft. Wie oben erwähnt, konnte der Pactus legis Salicae schon bald nach seiner Abfassung den sich rasch verändernden sozialen Verhältnissen nicht mehr gerecht werden. So festigte und stärkte die neu entstehende herrschende Klasse in besonderen königlichen Verordnungen und Edikten ihre Position. Wichtig war hierbei besonders auch das Bündnis mit der katholischen Kirche. Über Funktionen im höheren Klerus fanden die Reste der gallorömischen Großgrundbesitzeraristokratie Zugang zur herrschenden Klasse im Frankenreich. Ein Brief Chlodwigs an die Bischöfe des in Gallien eroberten westgotischen Territoriums, der wohl bald nach 507 verfaßt wurde, schuf dafür rechtliche Grundlagen, ebenso wie das Praeceptum König Childeberts I (511-558), welches wahrscheinlich in der Mitte des 6. Jh. erlassen wurde.137 Es verkündete den Kampf gegen das Heidentum, wobei aus ihm sehr deutlich hervorging, daß besonders viele einfache Menschen, die als plebs bezeichnet werden, noch den vorchristlichen Kulten anhingen. Auf den Feldern standen einfache Götterbilder, und oft hinderten die Bauern die christlichen Priester an deren Vernichtung. Kirchliche Feiertage wurden zum Anlaß genommen, vorchristliche Feste und Umzüge zu veranstalten. Das Praeceptum enthält ein eindringliches Verbot all solcher heidnischer Handlungen; eine servilis persona, die dem zuwiderhandelte, sollte mit hundert Peitschenhieben bestraft werden, was wohl einem Todesurteil gleichkam. Mit der Wahrung des allgemeinen Landfriedens und präzisierten Rechtsvorschriften über Raub und Diebstahl beschäftigte sich der Pactus pro tenore pacis (Vereinbarung zur Bewahrung des Friedens), der von den fränkischen Königen Childebertl. und Chlotharl. (511-561) gemeinsam vereinbart wurde. 138 Jegliche Art des latrocinium wurde ihm zufolge mit dem Tode bestraft. Das Gesetz nennt auch erstmals den Sklaven der Kirche im fränkischen Recht. Für die Konsolidierung der neuen Eigentumsverhältnisse war das Edikt des Königs Chilperichl. (561-584) von Bedeutung.139 Vermutlich zu Beginn der siebziger Jahre des 6. Jh. erlassen, regelte es strittige Fragen des Erbrechts und gestand erstmals bei den Franken den Frauen auch betreffs des Hoflandes in Zukunft eine Erbberechtigung zu. Weitere Gesetze und Verordnungen der Könige Gunthramn (561-592) von 585, Childebert II. (575-596) von 596 und ChlotharHI. (584-629) klärten und bestimmten Einzelheiten der Rechtsprechung - besonders des Ehe- und Straf rechtes sowie der Einhaltung des Landfriedens - und bestätigten die an christliche Kirchen vergebenen Immunitäten.150 Einen gewissen Höhepunkt in der Entwicklung der frühen feudalen 136

135

138 139 m

Gregor von Tours, Hist. Franc. 4, 46 und 5, 48; H.-J. Diesner, Fragen der Sozialgeschichte und des frühen Feudalismus bei Gregor von Tours, Philologus i i j , 1971, S. 52—57. MGH, Capitularía I, Nr. 2, S. 2 f. Vgl. P.-M. Duval, Les dieux de la Gaule, Paris 1957, 1 1 6 - 1 1 9 ; B. Young, Paganisme, christianisation et rites funéraires mérovingiens, Archéologie médiévale 7, 1977, S. 5 - 8 1 . Ebenda, Nr. 3, S. 3-7. Ebenda, Nr. 4, S. 8 - 1 0 . Guntchramni regis edictum, ebenda, Nr. 5, S. 1 0 - 1 4 ; Childeberti secundi decretio, ebenda,

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

Verhältnisse stellte schließlich das sog. Pariser E d i k t des Königs Chlothar II. vom Jahre 614 dar: E s sicherte den Adligen die Befreiung von sämtlichen neuen Steuern und Zöllen zu und setzte fest, daß die Grafen zukünftig aus den Kreisen der in ihrem jeweiligen Bezirk ansässigen einflußreichen und mächtigen Familien genommen werden sollten. Seit dem Praeceptum Childeberts zeigt sich in den Benennungen der bonoratiores, v'iri magnificentissimi, optimates und potentes die neu entstehende herrschende Klasse. Aus der Entwicklung des Königtums, der Kirche im Dienste des Königs, der territorialen Gliederung sowie der Ämter und Würdenträger läßt sich erschließen, daß etwa in der zweiten Hälfte des 6. Jh. der Prozeß der Staatsentstehung bei den Franken abgeschlossen war. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß diesem Stammesverband die Vorstellung von der Existenz des Staates im Sinne der res publica fehlte. Zentrale Institution war hier das Königtum, dessen regnum als Patrimonium regis verstanden wurde. 1 4 1 In den Wirren beim Untergang des Weströmischen Reiches hatte sich die katholische Kirche als eine politisch organisierte K r a f t erhalten. Sie bot sich nun den neuen politischen Gewalten der Germanen dazu an, bei der Errichtung der neuen Gesellschaft sozial und politisch-ideologisch behilflich zu sein. Im Feudalisierungsprozeß wurde sie zum Hauptträger der feudalen Ideologie. Schon früher hatte das Christentum die A u f lösung der gentilen Beziehungen insofern begünstigt, als es die eheliche Verbindung bis zur 4. oder gar 7. Verwandtschaftsstufe verbot. D i e Kirche, welche nach römischem Recht lebte, stellte den Erfahrungsschatz der römischen Tradition in den Dienst der neuen Staaten - allerdings mußten sich deren Herrscher dafür der katholischen Lehre zugewandt haben. Suchte der schon erwähnte Brief Chlodwigs von dessen Seite aus die Verhältnisse und zeitweiligen Spannungen zwischen fränkischem Königtum und katholischer Kirche im ehemals westgotischen Gallien in den Griff zu bekommen, so gab das im J a h r e 511 noch durch diesen König einberufene Konzil von Orléans kirchlicherseits eine entsprechende Basis ab. Auf ihm übernahmen die Bischöfe alle Vorschriften und Bestimmungen, welche die katholische Kirche früher bereits gefaßt hatte. 142 Z u betonen ist dabei, daß der König ein bedeutendes Mitentscheidungsrecht in kirchlichen Angelegenheiten, beispielsweise bei der Bischofswahl, besaß und wahrnahm. Papsttum und fränkisches Königtum erwiesen sich, wie man sagen kann, gegenseitig die Reverenz; jedoch waren die Päpste klug genug zu wissen, daß sie sich in Dinge der fränkischen Kirche nicht einmischen konnten. Allerdings hatte die kirchliche Organisation auch durch die germanische Eroberung Einbußen erlitten, vor allem in Nordgallien. Manche Bistümer wurden aufgelöst oder mit anderen vereinigt: Das Bistum Tournai gliederte man dem von Noyon a n ; das Bistum Tongern wurde nach Maastricht verlegt, und das Bistum Arras kam schließlich Nr. 7, S. 1 5 - 1 8 ; Chlotharii II. praeceptio, ebenda, N r . 8, S. 1 8 - 2 0 . Zum folgenden: Chlotharii II. edictum vom 18. Oktober 614, ebenda, N r . 9, S. 20 ff. 141

R. Latouche, D e la Gaule Romaine à la Gaule Fränque, S. 404 f. ; F . L . Ganshof, Les traits généraux du système d'institution de la monarchie franque. in : Settimane di studio del Centro Italiano, Bd. 9, Spoleto 1962, S. 94 und 99 f.

142 Vgl. J . Vogt, Der Niedergang Roms, Zürich

1965, S. 5 2 5 ; K .

Hauck, Von einer spätantiken

Randkultur zum karolingischen Europa, in: Frühmittelalterliche Studien

1, 1967, S.

20-29.

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

zum Bistum Cambrai. 143 An dem erwähnten Konzil von Orléans nahmen aus der ehemaligen Provinz Belgica Secunda allein Bischöfe aus Amiens, Vermand, Senlis und Soissons teil. Die Bistumsorganisation wurde in jener Zeit zum Angelpunkt der Verbindung zwischen den Städten und dem angrenzenden Land. „Die Civitas überlebte die Völkerwanderungszeit nicht als Selbstverwaltungskörperschaft, sondern als Diözese." 144 In mehreren gallischen Städten errang der Bischof während des 6. Jh. sogar eine Vorrangstellung gegenüber dem königlichen Beamten, wie es etwa in L e Mans beobachtet werden kann. 145 Die materiellen Güter der Kirche nahmen bis zur Mitte des 6. Jh. rasch zu, so daß Gregor von Tours einen Ausspruch König Chilperichs vermerkte: „Unsere Reichtümer sind in den Besitz der Kirche übergegangen.146 Bischöfe und Priester beschäftigten sich in der damaligen Zeit auch mit Handelsgeschäften, wie wir es zuverlässig aus den siebziger Jahren des 5. Jh. etwa von den Bischöfen Graecus aus Marseille und Lupus von Troyes wissen. Auch ein Mailänder Bischof betätigte sich nach 500 auf solche Weise, und Papst Pelagius erwähnte im Jahre 557 einen negotiator Petrus, der in Handelsbeziehungen mit dem Kirchenhirten von Arles stand. 147 Im 5. Jh. stritten sich vor allem die Bischöfe von Arles und von Vienne um Primatsvorrechte, welche nicht nur für das südliche, sondern für ganz Gallien gelten sollten. Dabei konnte sich der Bischof von Arles erst zu Beginn des 6. Jh. seinem Rivalen gegenüber durchsetzen - als er nämlich im Jahre 513 Stellvertreter des Papstes für das gesamte Gallien wurde. In der Zeit vor 600 aber verringerte sich sein Einfluß in der gallischen Kirchenpolitik wiederum, und der Bischofsstuhl von Lyon erhielt den ersten Rang unter den fränkischen Diözesen. 148 Die Errichtung von Kirchen nahm während der Merowingerzeit enorm zu. In Paris gehören 16 Kirchenbauten in diese Periode; bei 11 weiteren kann dies nicht mit Sicherheit gesagt, aber angenommen werden. Von den anderen Städten weisen z. B. Metz 38, Reims 32, Lyon 18, Arles 14, Bordeaux 20 bis 22, Trier 20, Köln etwa 15 und Mainz I9 solcher Kirchen auf. 149 Doch trotz dieser intensiven Aktivität und anderen entsprechenden Maßnahmen dauerte es in Gallien noch bis zum 8. Jh., ehe sich das Christentum auch auf dem Lande endgültig durchgesetzt hatte.150 143

R . Kaiser, Untersuchungen zur Geschichte, S. 226.

144

D . Claude, Zu Fragen frühfränkischer Verfassungsgeschichte, S. 276.

145

R . Sprandel, Grundbesitz- und Verfassungsverhältnisse in einer merowingischen Landschaft: die Civitas Cenomannorum, in: Adel und Kirche. Festschrift für Gerd Tellenbach, Freiburg-BaselWien 1968, S. 35.

146

Gregor von Tours, Hist. Franc. 6, 46.

147

R . Doehaerd, Histoire économique du Haut Moyen Âge, S. 264 f.

148

G . Langgärtner, Die Gallienpolitik der Päpste im 5. und 6. Jahrhundert, Bonn 1964, S. 26; 5 } ; 6 1 - 6 8 ; 93 f . ; 1 0 5 ; 107 f . ; 166 f. E . Griffe, L a Gaule chrétienne à l'époque romaine, Bd. 2: L'églises des Gaules au V e siècle, Paris-Toulouse 1957, S. 1 1 4 ff. und 135 f f . ; Geschichte der Kirche, Bd. 1 : J . Danielou - H. I. Marrou, Von der Gründung der Kirche bis zu Gregor dem Großen, Einsiedeln 1963, S. 422 f.

149

E . E w i g , Kirche und Civitas in der Merowingerzeit, in: Settimane di studio del Centro Italiano, Bd. 7, i : L e Chiese nei regni dell'Europa Occidentale e i loro rapporti con Roma sino all' 800, Spoleto i960, S. 4 5 - 7 2 .

150

G . Tessier, L a conversion de Clovis et la christianisation des Francs, in: Settimane di studio

ENTSTEHUNG U N D ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

KÖNIGREICHES

173

In die Zeit der Herrschaft von Chlodwigs Söhnen fallen schließlich die ersten sicheren merowingischen Klostergründungen in Gallien, nachdem dort die ersten Klöster überhaupt bereits in der zweiten Hälfte des 4. Jh. durch Martin von Tours eingerichtet worden waren. Die Schulen, welche sich in ihnen seit dem frühen 5. Jh. gebildet hatten - als Beispiel dafür sei Lérins genannt - , setzten bis zu einem gewissen Grade die auf diesem Gebiet bestehende gallorömische Tradition fort. 151 Verfolgen wir als nächstes die politische Entwicklung des fränkischen Königreiches bis zum Ende der Regierung ChlotharsI (561). Chlodwig hinterließ bei seinem Tode im Jahre 511 die vier Söhne Theuderich, Chlodomer, Childebert und Chlothar sowie eine Tochter Chlotchilde, die bald darauf Amalarich, den Westgotenkönig, heiratete. Sein Reich wurde unter den Söhnen geteilt, und zwar die alten fränkischen Besitzungen nördlich der Loire ebenso wie die aquitanischen Neuerwerbungen seit 507. Theuderich (511-554) erhielt dabei die Gebiete östlich des Rheins, das Rhein-Mosel-Land, eine Region am Oberlauf der Maas mit Toul und Verdun sowie die civitates von Basel, Châlons und Reims. Die Anteile der vier Brüder in Aquitanien sind nicht deutlich zu begrenzen. Bekannt ist, daß die Auvergne Theuderich gehörte, dessen Hauptstadt in Reims lag. Chlodomer (511-524) bekam die Gebiete von Troyes, Sens, Auxerre, Melun, Orléans, Chartres, Angers und Nantes; diesem Territorium schlössen sich im Süden Tours, Bourges, Poitiers und Limoges an. Als Hauptstadt dieses Königs fungierte Orléans. Childebert (511-558) verfügte über die Küstenlandschaften von der Somme bis zur Bretagne mit Amiens, Paris, Rouen, Lisieux, Bayeux, Avrenches, Rennes und Le Mans; im Süden gehörten zu seinem Reich wahrscheinlich die Regionen von Saintes, Angoulème und Bordeaux. Chlothar (511-561) endlich hatte im Norden den größten Teil der altfränkischen Landschaften mit Tournai, Boulogne, Arras, Cambrai, Noyon, Laon und Soissons erhalten, und von den aquitanischen Teilen waren ihm vermutlich die Ländereien am Mittellauf der Dordogne sowie von Bazas und Agen zugesprochen worden. Seine Hauptstadt wurde Soissons, die Childeberts Paris. 152 Etwa um 520 erhob sich die gallorömische Bevölkerung der Auvergne gegen die Herrschaft des Theuderich. Ihr Führer war Arcadius, ein Enkel des spätrömischen Dichters und Schriftstellers Apollinaris Sidonius. Arcadius wollte die Auvergne dem Childebert in die Hände spielen - vermutlich weil er und seine Mitaufständischen hofften, daß dieses bereits für seinen Widerstand gegen die Westgoten bekannte Gebiet bei einem Streit der Brüder eine größere politische Eigenständigkeit erhalten könnte. Bei der Unterdrückung der Empörung ließ Theuderich das Land verheeren ; Ländereien der Anführer wurden konfisziert und Herden weggetrieben. Arcadius rettet sich durch die Flucht in den Reichsteil Childeberts. 523/524 führten dieser König und seine Brüder Chlodomer und Chlothar einen Krieg gegen die Burgunder, wobei sie durch einen gemeinsamen Angriff deren Staat del Centro Italiano, Bd.

1 4 : L a conversione al christianesimo nell'Europa dell'alto

Medioevo,

Spoleto 1967, S. 1 8 7 ; J. Imbert, L'influence du christianisme sur la législation des peuples francs et germains, ebenda, S. 369. lal

E . Zöllner, Geschichte der Franken, S. 1 8 6 - 1 8 8 ; en Occident, Paris 1962, S.

J. Décarreaux, Les moines et la civilisation

125 F. und 140 f.; T . J . Haarhoff, Schools of Gaul. A

Study of

Pagan and Christian Education in the Last Century of the Western Empire, 2. A u f l . Johannesburg 1958, S. 1 5 7 - 1 6 3 und 175 fi. l»2 Y g j ,jj e Karte 1 im Anhang von E . Zöllner, Geschichte der Franken.

174

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

zu vernichten suchten. Sie errangen zwar zunächst einen bedeutenden Erfolg, wurden jedoch dann in einer Schlacht bei Veseronce von den Burgundern entscheidend geschlagen. Dabei erlitt Chlodomer den Tod, was dazu führte, daß sich - und zwar unter Umgehung seiner Söhne - seine drei Brüder das von ihm hinterlassene Reich teilten. Theuderich erhielt die Gebiete von Troyes, Sens, Auxerre und Limoges; Childebert bekam die Ländereien von Angers und Nantes nördlich der Loire sowie von Chartres, Orléans und Bourges; Chlothar schließlich eignete sich die Territorien von Tours und Poitiers sowie diejenigen am Unterlauf der Loire an. In den zwanziger Jahren des 6. Jh. griff ein nordisches Seefahrervolk - es handelte sich um Gauten oder Dänen - das Teilreich Theuderichs an. Sein König Chochilaich war mit Kriegern und Schiffen rheinaufwärts gefahren und verheerte den Chattuariergau. Der Sohn Theuderichs, Theudebert, trat den Eindringlingen jedoch mit einem Heer entgegen und nahm ihnen nach erfolgreichem Kampf die bereits gewonnene Beute wieder ab. 153 Seit etwa 529 richteten sich die fränkischen Expansionsbestrebungen vor allem gegen das Thüringerreich, welches nach mehreren Vorstößen, die teilweise mit sächsischer Unterstützung erfolgten, dann auch im Jahre 534 endgültig dem Angriff unterlag. 154 Solange der Ostgotenkönig Theoderich lebte, hatten die Franken die Eroberung dieses Reiches, da es mit jenem Herrscher im Bündnis stand, nicht gewagt. 531 aber wurde Theuderich in einem Feldzug gegen die Thüringer auch von Chlothar unterstützt, und in einer Schlacht an der Unstrut errangen die Franken und Sachsen den Sieg. Drei Jahre später wurde Herminafried, der König der Thüringer, von den Franken ermordet - eine Tat, die das Ende jenes gerade im Entstehen begriffenen Königreiches bedeutete. E t w a zur gleichen Zeit kam es auch zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Franken und Westgoten. Letztere nämlich hatten es nach dem Tode Chlodwigs geschickt verstanden, ihr Territorium nördlich der Pyrenäen allmählich wieder auszudehnen. Jedoch besiegte dann Childebert ihren König Amalarich 531 in einer Schlacht bei Narbonne, und im folgenden Jahre beteiligten sich auch Theuderich und Chlothar an den Kämpfen. Die Westgoten wurden so zurückgedrängt, und bis auf Septimanien gingen ihnen alle Landstriche in der obengenannten Region erneut verloren. 1 ^ Auch dem burgundischen Staat machten die Franken in jenem Jahr 532 ein Ende, nachdem frühere Versuche, ihn zu erobern, fehlgeschlagen waren. Die Heere Childeberts und Chlothars drangen in das Land ein, welches dann nach einer Entscheidungsschlacht bei Autun seine politische Selbständigkeit einbüßte. 156 Theuderich führte in dieser Zeit erneut eine „Strafexpedition" gegen die Auvergne durch und war deshalb am Angriff auf die Burgunder nicht beteiligt. In Verbindung mit diesem Vorgehen suchte er sein politisches Verhältnis gegenüber Childebert, der mehrmals seine Hand nach der Auvergne ausgestreckt hatte, zu entspannen und schloß mit ihm einen Nichtangriffsvertrag. Von beiden Seiten wurde dieser mit zahlreichen Geiseln aus senatorischen Familien, wie Gregor von Tours herGregor von Tours, Hist. Franc. 3, 3; Liber historiae Francorum 19. 154

G. Behm-Blancke, Gesellschaft und Kunst der Germanen. Die Thüringer und ihre Welt, Dresden

156

Gregor von Tours, Hist. Franc. 3, 2 1 - 2 3 .

^

Ebenda 3, 11 ; Marius von Avenches, a. 534; Procop., Bell. Goth. 1, 13.

1973, S. 1 6 6 - 1 7 4 .

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

175

vorhob, bekräftigt, 157 aber es kam dennoch erneut zu Konflikten, und die Geiseln wurden zu Leibeigenen gemacht. Im Jahre 533 starb Theuderich, der älteste Sohn Chlodwigs. Und wieder bemühten sich seine beiden noch lebenden Brüder Childebert und Chlothar, das Erbe anzutreten und es dem Sohn Theuderichs, Theudebert, ähnlich wie einst den Nachkommen Chlodomers zu rauben. Sie hatten jedoch das Nachsehen, da die umfangreiche Gefolgschaft seines Vaters, durch, reiche Geschenke aus dem königlichen Schatz gewonnen, geschlossen zu Theudebert überging. Dieser übernahm als König den Reichsteil Theuderichs und wurde auch bei der burgundischen Beute berücksichtigt. Die Teilung, welche in diesem Zusammenhang vorgenommen wurde, brachte ihm die Gebiete von Autun, Chalon-sur-Saône, Langres, Avenches, Viviers, Sitten, Nevers und Besançon ein. Damit bestand jetzt eine Landverbindung zwischen den rheinischen und den aquitanischen Gebieten des Theudebert-Reiches. Lyon, Vienne und Genf fielen damals an Childebert; den südlichen Teil des Burgunderreiches zwischen Valence, Avignon und Embrun empfing wohl Chlothar; doch ist dies quellenmäßig nicht sicher belegt. 158 In einem Vertrag trat der Ostgotenkönig Witigis (536/537) die Provence und einen Teil des unter seiner Herrschaft stehenden Rätien an die Franken ab, da er hoffte, hierdurch deren Beistand im Kampf gegen Byzanz zu gewinnen. Die Provence wurde dem Reich Childeberts zugeschlagen, und Rätien kam an Theudebert. Obwohl die Ostgoten aber außerdem noch 2 000 Pfund Gold an die Frankenkönige zahlten, 158 kam es nicht zu der von Witigis erhofften Allianz beider Völker gegen Justinian. Durch die eben geschilderten Vorgänge hatte das Merowingerreich im wesentlichen seine historische territoriale Ausdehnung erhalten. Es hatte sich stabilisiert auf Kosten seiner schwächeren Nachbarn, deren Gebiete es sich einverleibte. Und recht bald beeinflußte das fränkische Vorbild auch die soziale Entwicklung in den eroberten Territorien. Der fränkische Krieger war der gefürchtetste in weiten Teilen Europas. „Der ,freie Bauer' als neue gesellschaftsgestaltende K r a f t hatte seinen Eintritt in die Geschichte mit Waffenlärm verkündet". 160 Die folgenden politischen Ereignisse bis zum Tode Chlothars im Jahre 561 lassen sich kurz abhandeln. König Theudebert mischte sich in den nächsten Jahren öfter in die Kämpfe auf italienischem Boden ein, hatte dabei freilich mehr die fränkische Stärkung im Auge als eine Unterstützung der Ostgoten. Venetien wurde von seinen Franken besetzt, und mit fränkischer Billigung und Unterstützung verheerten die Alamannen darüber hinaus weitere Teile Italiens. Denn zwar profilierte sich die Außenpolitik Theudeberts immer stärker in antibyzantinischem Sinne - von seiner Goldmünzenprägung war ja bereits die Rede; auch schloß er Verträge mit Gepiden und Langobarden gegen die Oströmer - ; er hatte aber kein Interesse daran, daß in Italien wieder ein mächtiges Reich der Ostgoten entstand. Ein fränkisches Heer, das im Jahre 539 dorthin zog, wandte sich sowohl gegen dieses Volk als auch gegen byzantinische Truppen. Theudebert konnte am Ende seine Herrschaft auf das östliche Alpengebiet ausdehnen. Als er 548 starb, hinterließ er seinen Reichsteil seinem Sohn Theudebald. 157

Gregor von Tours, Hist. Franc. 3, 15.

158

E . Zöllner, Geschichte der Franken, S. 87.

159

Procop., Bell. Goth. 1, 15.

160

J. Herrman, Spuren des Prometheus, S. 205.

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DES FRÄNKISCHEN

I76

KÖNIGREICHES

Während dieser sich wie sein Vorgänger aktiv in die Streitigkeiten um Italien einmischte, blieb Childebert probyzantinisch gesinnt. 548 fiel der fränkische Herzog Lanthacarius auf der Halbinsel im Kampf mit byzantinischen Truppen, während Childebert in den Jahren 549/550 ein Bündnis mit dem Ostgotenkönig Totila ablehnte. 553 zogen die alamannischen Herzöge Leuthari und Butilin mit starken fränkisch-alamannischen Kontingenten nach Italien. Es ist hier nicht der Ort, die Einzelheiten dieser Kämpfe zu erwähnen - nur soviel sei gesagt, daß beide Heere das Land durchquerten. Nach wechselvollen Kämpfen starb Leuthari an einer Epidemie, die auch einen großen Teil des Heeres hinwegraffte ; Butilin aber fiel im Kampf gegen den oströmischen Heerführer Narses. Beides geschah im Jahre 554. Ein Jahr später verschied Theudebald kinderlos, sein Reich fiel an Chlothar. 556 wurde von diesem ein Aufstand der Thüringer und Sachsen, welche sich der Tributpflicht entziehen wollten, niedergeschlagen. Ein folgender Bruderkrieg zwischen Childebert, dem sich Chramn, ein Sohn Chlothars, angeschlossen hatte, und letzterem endete mit dem Tod Childeberts im Jahre 558. D a er keine Söhne besaß, kam sein Reichsteil ebenfalls an Chlothar. Damit war die Einheit des fränkischen Merowingerreiches wiederhergestellt - für drei Jahre, bis auch dieser Frankenherrscher starb. Man schätzt die Gesamtzahl der in das römische Gallien eingedrungenen Germanen um die Mitte des 5. Jh. auf etwa 450000 bis 500000 Menschen. 161 Sie verteilt sich schätzungsweise auf 50000 Burgunder, 100000 bis 150000 Westgoten, 100000 Alamannen und 200 000 Franken, unter denen insgesamt etwa 50 000 bis 100 000 wehrfähige Männer gewesen sein dürften. Ihnen stand eine galloromanische Bevölkerung von etwa 6 bis 10 Millionen gegenüber. Es waren wohl vor allem die Reste der Gentilordnung sowie die aus der Synthese von feudalen Elementen der untergehenden Sklavereigesellschaft mit der untergehenden Gentilgesellschaft hervorgehenden neuen Verhältnisse, besonders die neuen Eigentumsverhältnisse, welche die Germanen - und unter ihnen besonders die Franken - so unüberwindlich machten. Bei den letzteren entwickelte sich ein Staat, in dem besonders günstige Voraussetzungen dafür vorhanden waren, daß etappenweise Eroberer und Eroberte miteinander verschmolzen. Seit dem 6. Jh. kämpften Franken und Gallorömer gemeinsam, und Galloromanen nahmen auch an den Gerichtssitzungen teil. Es gab unter ihnen kein Eheverbot und zwischen ihnen keine politisch-religiöse Scheidelinie. Vor allem aber waren die neuen Eigentumsverhältnisse der entstehenden Feudalordnung den absterbenden Sklavereiverhältnissen überlegen. In der bürgerlichen Historiographie werden die damals sich bildenden Strukturen häufig heruntergespielt, und die Elemente der Kontinuität besonders in den Vordergrund gestellt. Diese Auffassung zeigt sich sehr prägnant bei M. Silber, welcher in einer Arbeit über das merowingische Königtum im 5. und 6. Jh. zu dem wenig überzeugendem Ergebnis kam, daß der römische Westen - allerdings ohne Britannien - „continued to be part of a Roman empire during the 5 t h and 6 t h centuries, even if the administration of this empire was, at least in the West, rather less centralised than in previos centuries." 162 E r überschätzt hier bei weitem den römischen Einfluß bzw. den Einfluß dieser 161

J.

Cain

(Hrsg.), Nouvelle

Histoire de France,

Bd.

2:

Le

premier royaume de France.

La

dynastie mérovingienne, Paris 1965, S. 1 7 2 . 162

M . Silber, The Gallic Royalty of the Merovingians in its Relationship to the .Orbis terrarum Romanum' during the j t h and 6 t h Centuries A . D . , Bern 1970, S. 81.

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG. DES FRÄNKISCHEN KÖNIGREICHES

Tradition auf die germanische Staatenwelt und verkennt den neuen Ansatz gesellschaftlicher Entwicklungen, der - wenn auch stark differenziert - von ihr ausging. In den vergangenen Jahren hat man verschiedentlich in der zunehmenden Macht der hohen Aristokratie sowie in deren Entwicklung zu einer zentrifugalen K r a f t eine wesentliche Ursache für den Untergang des Weströmischen Reiches gesehen. 163 Ohne Zweifel ist auch das weströmische Kaisertum von diesen sozialen Kräften in einem bedeutenden Maße geschwächt worden. Jedoch werden in den entsprechenden Untersuchungen die Rolle und die Ergebnisse eines bäuerlichen Landnahmeprozesses, in dessen Zusammenhang sich auch neue Grundeigentumsverhältnisse entfalteten, für das Zugrundegehen sowohl Westroms als auch der mit ihm noch verbundenen gesellschaftlichen Ordnung unterbewertet. Zugleich wird weiterhin die von der spätrömischen Aristokratie ausgehende Mittlerfunktion zwischen römischer Tradition und mittelalterlicher Gesellschaft besonders hervorgehoben. Die Kontinuität „to live the Roman life",1*®® die These vom fehlenden Bruch in der Entwicklung Galliens zwischen „der alten und neuen Epoche" ^ und ähnliche Konzeptionen beeinflussen in gravierender Weise die bürgerliche Forschung der letzten Jahrzehnte. Mit Nachdruck zurückzuweisen ist darüber hinaus eine verschiedentlich immer noch anklingende Vorstellung, nach der die Politik der Merowinger weitgehend von biologischen Faktoren bestimmt gewesen sei.166 Mystischer Idealismus und Abendland-Ideologie finden sich in einigen Darstellungen bei der Beurteilung Chlodwigs, so wenn etwa behauptet wird: „Mit seinem Übertritt zum katholischen Glauben fällte Chlodwig eine schicksalshafte Entscheidung von> weltgeschichtlicher Bedeutung." 167 Den Vogel aber schießt W. Elze ab, der in Fortsetzung einer unheilvollen Tradition deutscher imperialistischer Historiographie schreibt: „Alle Zukunftswege des Abendlandes und damit weithin in der Welt wurden durch Chlodwig bestimmt" oder: „Das Reich des Rheins war die ausstrahlende Mitte des sich neu formierenden Europas." Die Staatsgründung Chlodwigs sieht er an als „die Verbürgung des Gedeihens durch den Bürgen des Heils" 168 - trutzig-deutschtümlicher geht es nicht mehr! In der zweiten Hälfte des 6. Jh. fielen die rechtlichen Beschränkungen bei der Verfügungsgewalt des Allods, des neu entstandenen privaten Grundeigentums. Unter marxistischen Historikern spielt die Frage nach der Herausbildung dieser Eigentumsform im Zusammenhang mit der Genesis des Feudalismus eine wesentliche Rolle. Dabei traten unterschiedliche Auffassungen sowohl über den Zeitpunkt jenes Prozesses als 1 Vgl. dazu auch die Belegsammlung bei S. Szadeczky-Kardoss, Quellenbuch zur Geschichte der Gepiden, Szeged 1973. i(i G. Barni, La conquête de l'Italie, S. 20 f. 27 I. Bona, Der Anbruch des Mittelalters, S. 76. 28 I. A. Dvoreckaja, O social'no-politiceskich protivorecijach v langobardskom obscestve, Srednie veka 41, 1977, S. 78-99.

DIE ENTSTEHUNG DES LANGOBARDISCHEN KÖNIGREICHES

213

Boden mit alter römischer klassengesellschaftlicher Tradition, allmählich Formen heraus, die dem fränkischen Allod ähnlich waren und die zum bäuerlichen Privateigentum am Boden tendierten. D i e langobardische Gesellschaft gehörte damals in eine soziale Entwicklungsstufe, welche im Übergangsfeld von der sich zersetzenden Gentilordnung zur entstehenden Klassengesellschaft angesiedelt ist. Nach dem Untergang des Gepidenreiches sahen sich die Langobarden dann einem verstärkten Druck von Seiten der Awaren, der Slawen und der Byzantiner ausgesetzt. Einer möglichen Koalition dieser drei Gruppen hätten sie nicht widerstehen können. V o r allem erkannte aber wohl Alboin, daß er mit seinem Heer gegen die starke und kampfgeübte awarische Reiterei, die mit Panzerung, Reflexbogen und Steigbügel ausgerüstet war, nichts ausrichten konnte. So schlössen Langobarden und Awaren schließlich ein „ewiges" Bündnis, und die ersteren überließen ihren Partnern Pannonien. A m 2. April 568 verließen sie mit dem gesamten Volk ihre dortigen Wohnsitze und zogen unterstützt von den Sachsen, welche angeblich 20000 Krieger mit ihren Familien gesandt hatten - gegen Italien. Dort war der fähige Heerführer Narses ein Jahr zuvor von Kaiser Justinus II. abgelöst worden; sein Nachfolger Longinus galt als eine politisch schwächere Gestalt. Einige Chroniken meinen, Narses habe aus Ärger über seine Abberufung selbst die Langobarden aufgefordert, Italien zu besetzen; doch war dies wohl nur böswilliger Hofklatsch, von Kreisen ausgehend, die sich bei der Kaiserin Sophia einschmeicheln wollten. Diese, die die Rolle Theodoras am Hofe zu Konstantinopel nachzuahmen gedachte, hatte die Absetzung des Narses bewirkt. In Italien vollzog sich dann bei den Langobarden ein historischer Prozeß, in dessen Verlauf ein Staat entstand, dessen Klassenstruktur auf der feudalen Produktionsweise beruhte (Abb. 4 8 - 5 1 ) .

12. DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER UND SOZIALES WESEN

In den vorangegangenen Kapiteln wurden die politischen Ereignisse charakterisiert, die zu einer Veränderung der politischen Landkarte Europas geführt hatten: Auf dem Territorium des ehemaligen Weströmischen Reiches war eine Reihe von barbarischen Königreichen entstanden. Einer in der historischen Literatur weitverbreiteten Sicht gemäß kennzeichnen die Absetzung des letzten weströmischen Kaisers sowie die vertragliche Bestätigung der politischen Selbständigkeit jener Königreiche den Übergang von der Antike zum Mittelalter in Westeuropa. Der marxistischen Auffassung nach waren diese politischen Vorgänge aber selbst Bestandteil einer sozialen Umwälzung, in der dort die auf Sklaverei beruhende Gesellschaftsordnung von der feudalen abgelöst wurde. Um Sinn und Bedeutung dieses historischen Umschwungs genauer zu charakterisieren, müssen wir zwei Fragen untersuchen: i. Welche Bedingungen und Verhältnisse ermöglichten den Sieg der Barbaren über das Weströmische Reich und die Bildung von Königreichen auf seinem Territorium? 2. Wie stellen sich der soziale Charakter und das Wesen dieser Königreiche dar? Der militärische E r f o l g der Barbaren läßt sich weder auf eine zahlenmäßige Überlegenheit noch auf ein höheres gesellschaftliches Entwicklungsniveau zurückführen. Die Germanen, die ihre Herrschaft in Gallien, Spanien, Italien und Nordafrika errichteten, machten in diesen Ländern nur einen geringen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung aus. Das Niveau der materiellen und geistigen Kultur ihrer Gesellschaft war bedeutend niedriger als das der römischen, wenn auch die Bewaffnung der Eroberer qualitätsmäßig in vielen Fällen derjenigen der Eingesessenen nicht nachstand. Andererseits besaßen die Heere der Barbaren eine innere Geschlossenheit, bedingt durch die Bande gentiler Stammesorganisation. Insgesamt hätte dies alles jedoch für einen dauerhaften militärischen Erfolg nicht ausgereicht; der innere Verfall der spätrömischen Sklavereigesellschaft kam hinzu, und dieser wirkte sich auch nachteilig auf das ihr zugehörige Militärpotential aus. Im Weströmischen Reich des 4V5. Jh. verfügte die Regierung über keine breite soziale Basis, wodurch auch die militärische Schwäche des Staates verursacht wurde. Ein bedeutender Teil der Bevölkerung war vom Armeedienst befreit, und diejenigen, welche ihn leisten mußten, galten in der Regel als unzuverlässig. Die Großgrundbesitzer hatten zwar die Verpflichtung, Rekruten aus den Reihen ihrer Kolonen zu stellen, umgingen aber häufig diese Forderung, indem sie Geld zahlten, und die Regierung sah sich genötigt, dem zuzustimmen. Letzten Endes bestanden die Streitkräfte Westroms aus Barbarensöldnern und Barbarenföderaten; beiden Gruppen aber fehlte natur-

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER UND SOZIALES

WESEN

215

gemäß der römische Patriotismus. Das Heer war mit der Zivilbevölkerung nicht verbunden und am Schicksal des Römischen Reiches nicht interessiert. Die Masse der produktiven Bevölkerung - Kolonen, Sklaven, freie Bauern, städtische und ländliche Handwerker - verteidigte nur ungern jenen Staat, der sie der Gewalt der Großgrundbesitzer und Dekurionen auslieferte und der die unteren Schichten einer brutalen Ausbeutung unterwarf. Das hatte aber nicht zur Folge, daß sich Kolonen und freie Bauern mit den Barbaren verbündeten, wie es zum Teil früher behauptet wurde. In einigen Fällen erhoben sich die Massen, nutzten Sklaven Kriegshandlungen zur: Flucht von ihren Herren, schlössen sich andere ihren Stammesverwandten an. Die untersten Schichten der römischen Gesellschaft traten nicht aktiv zur Verteidigung des Staates auf, was ganz wesentlich zur Schwächung des staatlichen Machtapparates beitrug. Die Krise der Sklavereiverhältnisse, welche verbunden war mit dem dafür charakteristischen Anwachsen naturalwirtschaftlicher Beziehungen sowie einem fortschreitenden Niedergang der Städte und des Handels, schwächte die Verbindungen zwischen den Provinzen und den Hauptstädten. In verschiedenen Teilen des Westreiches verstärkten sich separatistische Tendenzen, die in politischen Kundgebungen, im Auftreten von Usurpatoren wie auch in der Verbreitung örtlicher Häresien und Sonderkirchen zum Ausdruck kamen. Unter diesen Bedingungen existierte das Westreich noch nach der Einnahme Roms durch Alarich für mehr als ein halbes Jahrhundert weiter - vor allem dank der Uneinigkeit seiner Gegner und der großen politischen Erfahrung seiner herrschenden Kreise, denen es gelang, die Barbaren immer wieder gegeneinander auszuspielen. Für diese nun war der Kampf gegen das römische Imperium im 4-/5. Jh. eine Expansion, die charakteristisch ist für Stammesverbände in der Periode des Zerfalls der urgesellschaftlichen Ordnung. Die Königsmacht der Germanen zeigte sich in dieser Zeit noch als Interessenvertretung aller freien Stammesmitglieder, die an der Landnahme zwecks Ansiedlung und an der Kriegsbeute interessiert waren. Im Verlauf der Eroberungen entwickelte sich dann mehr und mehr die Bedeutung des Gefolgschaftswesens. Dies trug entscheidend zur Stärkung der Königsmacht bei. Wenn man die westeuropäische Literatur über den sozialökonomischen und politischen Charakter der barbarischen Königreiche betrachtet, so zeigt sich auch heute noch ein recht beträchtlicher Einfluß der Konzeptionen von N . Fustel de Coulanges und A . Dopsch. Der Zusammenbruch des Weströmischen Reiches sowie die Bildung dieser Königreiche erscheinen hier als eine LTmgestaltung rein politischen Charakters, die nicht von tiefgreifenden sozialökonomischen Veränderungen begleitet war. R. Buchner analysierte den Charakter des Frankenreiches unter den Merowingern und unterstrich dabei die Kontinuität spätantiker Institutionen, hob jedoch die Königsgewalt als eine spezifisch germanische Erscheinung hervor. 1 F. Lot sah die Bildung von Barbarenreichen nicht als Bruch in der Entwicklung an; er ließ die letzte Periode der antiken Geschichte mit der Krise des 3. Jh. beginnen und in der frühen Karolingerzeit ausklingen. Mit dem 8. Jh. begann seiner Meinung nach dann die Epoche des Mittelalters. 2 Annähernd im gleichen Sinne, aber noch schärfer die Kontinuität betonend charak1

R. Buchner, Das merowingische Königtum, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, Lindau-Konstanz 1956, 1 4 3 - 1 5 0 .

2

F . Lot, L a fin du monde antique et le debut du Moyen-Äge, Paris 1 9 5 1 .

2I6

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER UND SOZIALES WESEN

terisierte G. Fournier die soziale Ordnung des Merowingerreiches. Er vertrat die Auffassung, daß die fränkische Gesellschaft jener Periode - ungeachtet des Einflusses germanischer Einrichtungen - in ihrer Struktur das spätrömische Reich fortsetzte. Die Eroberer hätten sich in sämtliche Schichten der römischen Bevölkerung eingeordnet, darunter auch in diejenige der freien Bauern, der kleinen Grundeigentümer. 3 Die merowingische Gesellschaft sei ähnlich wie die spätrömische eine Sklavereigesellschaft gewesen; in ihren politischen Institutionen habe jedoch der germanische Einfluß dominiert.4 In einem noch größeren Maße hob K. F. Stroheker die Verbindungslinien hervor, als er sich mit den mittelmeerischen Barbarenreichen beschäftigte. Im westgotischen, ostgotischen und vandalischen Königreich übernahmen die Germanen die Rolle des führenden Kriegerstandes. Wenn auch bei den Westgoten am Ende von „vorfeudalen Verhältnissen" gesprochen werden könne, so hätten doch alle die genannten Staaten die letzte Phase der Spätantike in Westeuropa dargestellt. 5 Stroheker betonte wie einige französische Historiker den besonderen „dualistischen" Charakter dieser Königreiche. Er komme in der langwährenden Isolierung der römischen und der germanischen Bevölkerung vor allem auf den Gebieten des Rechts und der Religion zum Ausdruck. 6 Die Vertreter der „modernen Schule" in der Historiographie der BRD maßen den germanischen Elementen in der Struktur der barbarischen Königreiche besonders große Bedeutung bei. Für Th. Mayer war der germanische König der Kern des neuen Staates: Er habe das „Staatsvolk" geschaffen, und die Beziehung zur Königsmacht sei jener Faktor gewesen, der den sozialen Status des Menschen bestimmte. 7 H. Dannenbauer wollte in dieser Periode keine soziale Revolution erblicken, weil Großgrundbesitz und Sklaverei nicht beseitigt wurden und die Bauern - offensichtlich sind damit die Kolonen gemeint - nicht die Freiheit erhielten. Die germanischen Eroberer hätten annähernd die gleiche Wirtschaftsweise wie die Römer besessen,8 während das germanische Königtum allerdings mit dem spätrömischen Staat nichts Gemeinsames gehabt habe. 9 K. Bosl hob den aristokratischen Charakter der gesellschaftlichen und politischen Struktur in den barbarischen Königreichen hervor. Zur Zeit der Landnahme seien bei den Germanen die Adligen mit ihren Gefolgschaften die Hauptträger staatlicher Funktionen gewesen. Die Aristokratie mit dem König an der Spitze - hierin müsse der Wesenszug der germanischen Völker in dieser Periode gesehen werden. Die Sklaverei verschwand nach Meinung von Bosl bereits am Ende der Antike ; ah den Boden gebundene kleine Besitzer hätten damals die Sklaven ersetzt.10 Die Existenz von Dorfge-

3

G . Fournier, Les Mérovingiens, 4. Aufl. Paris 1966, S. 42 f.

4

Ebenda, S. 73. K . F. Stroheker, Die geschichtliche Stellung der ostgermanischen Staaten am Mittelmeer, in: derselbe, Germanentum und Spätantike, Zürich 196;, S. 1 0 2 - 1 3 3 .

5

6

R. Folz - A . Guillou - L. Musset - D. Sourdel, De l'Antiquité au monde médiéval, S. 1 1 0 - 1 1 5 .

7

Th. Mayer, Königtum und Gemeinfreiheit im frühen Mittelalter, in: derselbe, Mittelalterliche Studien, Konstanz 1959, S. 158 f. H. Dannenbauer, Grundlagen der mittelalterlichen Welt, Stuttgart 1958, S. 102. Ebenda, S. 70. K . Bosl, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter, in: Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1, 9. Aufl. hrsg. von H. Grundmann, Stuttgart 1970, S. 704 f. und 727.

8 9 10

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER UND SOZIALES

217

WESEN

meinden sowie die Bewahrung von Einrichtungen der Gentilordnung, insbesondere von Hundertschaften, in der Zeit des frühen Mittelalters werden daneben von einigen Forschern bestritten. Somit stellen die barbarischen Königreiche ihrem sozialen Charakter nach in all diesen beschriebenen Auffassungen entweder eine Weiterführung der Antike dar, oder sie entwickeln sich geradlinig aus der bisherigen Sozialordnung der Germanen. Aber selbst wenn man zuweilen in ihnen eine Kombination von Wesenszügen dieser beiden gesellschaftlichen Systeme erblickte, so billigte man ihnen doch nicht zu, etwas wesentlich Neues zu sein. Feudale Elemente dieser Königreiche, so sagte man, hätten sich bereits im spätrömischen Reich sowie bei den Germanen seit taciteischer Zeit entwickelt. 11 Der Feudalismus als Gesellschaftsordnung entfaltete sich dagegen erst bedeutend später - seit dem 8. Jh. Von der marxistischen Geschichtsforschung in der UdSSR wurde die gesamte Epoche des Frühmittelalters lange Zeit hindurch als eine frühfeudale Periode angesehen. Die Geschichte der barbarischen Königreiche galt als Bestandteil dieser Periode. Seit den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts jedoch begann man auch andere Auffassungen zu vertreten. B. D . Grekow zufolge bestand beispielsweise vom 4. bis zum 6. Jh. bei den Ostslawen die militärische Demokratie; die Zeit vom 6. bis zum 8. Jh. dagegen betrachtete er als Übergangsepoche von der sich zersetzenden Gentilordnung zur Klassengesellschaft, zum frühfeudalen Staat. Eben sie entsprach jener Periode, als in Westeuropa die barbarischen Königreiche existierten. Besonders zugespitzt stellte A . I. Njeussychin 1966 in einem Vortrag auf der wissenschaftlichen Session „Bilanz und Aufgaben der Erforschung der Genesis des Feudalismus in Westeuropa" die Frage, ob man sich nicht die Geschichte der barbarischen Königreiche als eine eigenständige Periode vorzustellen habe. Seiner Meinung nach folgte der Überwindung der Gentilordnung eine vor- oder protofeudale Periode, für die folgende Züge charakteristisch seien: Eine breite Schicht von Freien stellte noch dia Hauptmasse des Stammesverbandes dar; der individuelle Familienbesitz bildete sich heraus; eine besitzmäßige Differenzierung entstand und danach auch eine soziale Ungleichheit, aber noch keine Klassenteilung. Die Gentilaristokratie verwandelte sich noch nicht in eine besondere Klasse, welche die Masse der Freien ausbeutete, und das barbarische Königtum stellte noch keinen Staat in dem Sinne dar, daß ein besonderer Apparat der politischen Herrschaft einer Klasse über eine andere existierte. Die Unterdrückungsmaschinerie war erst schwach entwickelt oder fehlte noch ganz. Einen solchen Charakter hatte nach Njeussychin die fränkische Gesellschaft unter Chlodwig, die sächsische dagegen bis zum 9. Jh. 1 2 Diese hier kurz

11

D.

Timpe,

H. Beck -

Die

germanische Agrarverfassung

D . Denecke -

H. Jankuhn

nach

den

Berichten

Caesars

und Tacitus',

in:

(Hrsg.), Untersuchungen zur eisenzeitlichen und früh-

mittelalterlichen Flur in Mitteleuropa und ihrer Nutzung, A b h . der A k a d . der Wiss. in Göttingen, Phil.-hist. Klasse 3, 1 1 5 , Teil 1, Göttingen

1979, S. n - 4 0 ;

R . Schmidt-Wiegand, Marca.

Z u den Begriffen „ M a r k " und „Gemarkung" in den leges barbarorum, in: ebenda, S. 12

74-91.

A . I. Njeussychin, Dofeodal'nyj period kak perechodnaja stadija razvitija ot rodoplemennogo stroja k rannefeodal'nomu (tezisy doklada), Srednie veka 3 1 , 1968, S. 4 5 - 4 8 ; derselbe, Dofeodal'nyi period kak perechodnaja stadija razvitija ot rodoplemennogo stroja k rannefeodal'nomu (na materialach istorii Zapadnoj E v r o p y rannego srednevekova), in: Problemy istorii dokapitalisticeskich obicestv, Moskva 1968, S. $ 9 6 - 6 1 7 .

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER UND SOZIALES

21 8

WESEN

skizzierten Thesen riefen bei einigen Historikern Widerspruch hervor, 1 3 von anderen wurden sie unterstützt. 14 Auch in der Historiographie der D D R verbreitete sich letzthin die A u f f a s s u n g von einer Übergangsepoche, der Epoche der sozialen Revolution im Wandel von der Sklavereigesellschaft zum Feudalismus, von sog. Zwischenstrukturen in Westeuropa während der Zeit vom 4. bis zum 6. J h . 1 5 D i e Ansichten Njeussychins zur Frage der Genesis des Feudalismus in Westeuropa haben viel für sich. Bei der Arbeit mit seiner Konzeption der vor- oder protofeudalen Periode 1 6 muß man jedoch berücksichtigen, daß hier beabsichtigt war, einen „reinen" Entwicklungstyp der barbarischen Gesellschaft darzustellen, der nicht durch den Einfluß äußerer Faktoren kompliziert wurde. D i e Ausführungen von Njeussychin über die vorfeudale Gesellschaft der Franken an der Grenze vom 5. zum 6. Jh. oder der Sachsen bis zum 8. Jh. basieren ausschließlich auf einer Analyse der inneren Verhältnisse dieser germanischen Stammesverbände. D i e Schlußfolgerungen hieraus lassen sich ohne Schwierigkeit auf die Entwicklung der Sachsen sowie der Franken während ihrer Landnahmezeit in Nordgallien anwenden, auch auf die germanischen Eroberer Britanniens. Dehnen wir jedoch die Betrachtung auf das gesamte fränkische Königreich und die anderen barbarischen Reiche aus, so muß man den gemischten Charakter ihrer sozialen Strukturen schon in Betracht ziehen. In einigen Ländern konnten - in unterschiedlichem Verhältnis zueinander stehend - soziale Einrichtungen sowohl der zerfallenden Gentilordnung als auch der spätantiken Gesellschaft nachgewiesen werden. Njeussychin war sich darüber vollständig im klaren, weshalb er auch hervorhob, daß er seine A u f gabe in der Untersuchung „der Entstehung von Voraussetzungen des Feudalismus in der sich auflösenden Urgemeinschaft" 1 7 sah und sich dabei bemühte, die Beziehungen dieses Prozesses zur zerfallenden Sklavereigesellschaft zu berücksichtigen. D e r dualistische Charakter gehört zur sozialen Natur aller barbarischen Königreiche, die in Italien, Gallien, Spanien und N o r d a f r i k a entstanden, obwohl das spezifische Gewicht der spätantiken römischen und der gentilen germanischen Elemente in den verschiedenen Ländern und auch in den verschiedenen Gebieten des einen oder des anderen Landes uneinheitlich war. Im Frankenreich, wo der Anteil von Germanen an der Gesamtbevölkerung höher anzusetzen ist als in anderen barbarischen Königreichen Europas und A f r i k a s , entwickelte sich vor allem in den Gebieten nördlich der Loire eine bedeutsame neue Wirtschaftsweise. D i e Mehrzahl der germanischen Bevölkerung bildeten hier die fränkischen Gemeinfreien; weiter gab es Halbfreie (Liten) und Unfreie (Sklaven). Über diese 1,1

Vgl. die Diskussionsbeiträge zu dem Vortrag Njeussychins von O. L . Vajnstejn, B. A . Rybakov

14

A . M . Chazanov, Voennaja demokratija i epocha klassoobrazovanija, Voprosy istorii 1968,

und N . P. Sokolov, in: Srednie veka 3 1 , 1968, S. 49 und 55 f. 2,

S. 93 f. 15

Vgl. M . A . Korostovcev, Nekotorye teoreticeskie aspekty stanovlenija klassovogo obscestva, I A A 1 9 7 1 , 4, S. 68; R. Günther, Zur Problematik der sozialen und politischen Revolution in der Ubergangsepoche von der antiken Sklavenhaltergesellschaft zum Feudalismus, in: Evolution und Revolution in der Weltgeschichte. E . Engelberg zum 65. Geburtstag, hrsg. von H. Bartel u.a., Bd. 1, Berlin 1976, S. 2 9 - 3 8 ; J. Herrmann, Probleme der Herausbildung des Feudalismus und des deutschen Feudalstaates, Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde 1978, 6, S. ; }o f.

16

Der Terminus „protofeudal" kann dabei als akzeptabel gelten, weil er einen Hinweis auf Tendenz der sozialen Entwicklung enthält.

17

A . I. Njeussychin, D i e Entstehung der abhängigen Bauernschaft, S. 1 1 f.

die

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER UND SOZIALES WESEN

219

Teile des Volkes erhob sich der entstehende Dienstadel, zu dem wiederum Gefolgsleute gehörten. Neben dieser Struktur existierte die gallorömische. E s erhielt sich ein bedeutender Teil der großen und mittleren Villenwirtschaften, die auf spätantike Weise weiterproduzierten; es erhielten sich römische Städte und D ö r f e r . Dementsprechend gab es auch weiterhin große und mittlere römische Grundbesitzer, die katholische Geistlichkeit, kleine Grundeigentümer, Prekaristen, Kolonen, Sklaven, H ä n d l e r und Handwerker. Charakteristisch waren dort ein System der militärischen Demokratie mit einer Königsmacht an der Spitze, örtliche Gerichtsversammlungen sowie das Heeresaufgebot aller freien Franken. Daneben finden sich Reste des römischen Verwaltungssystems, die comités der Städte, Richter, Steuereinnehmer und andere mehr; aber auch diese spätrömischen Überreste wurden nun von einem fränkischen K ö n i g beherrscht. Neben dem germanischen Gewohnheitsrecht behielt das nachklassische spätrömische Recht für die gallorömische Bevölkerung seine Gültigkeit. D i e leitenden Prinzipien dieses Rechtes basierten auf dem Privateigentum und der Klassenhierarchie, während das germanische noch vom Stammeseigentum und der Freiheit aller ausging. E i n solches Nebeneinander römischer und germanischer Elemente w a r auch für das burgundische, westgotische, vandalische, suebische und ostgotische Königreich charakteristisch. Z u den Besonderheiten aller dieser Reiche - neben denen jedes einzelne außerdem noch spezifische Züge aufwies - gehörte zum einen, daß die zahlenmäßige Überlegenheit der einheimischen Bevölkerung hier weit größer w a r als im Frankenreich; zum anderen ist auf die „gemischte" Ansiedlung der Germanen unter den Römern in den Königreichen der West- und Ostgoten sowie der Burgunder hinzuweisen. D i e freien germanischen Dorfgemeinden bildeten dort kleine Inseln, welche inmitten römischer Villen und D ö r f e r mit einer gemischten römisch-germanischen Bevölkerung lagen. E n t sprechend eng w a r daher der Kompetenzbereich germanischer Gerichtsversammlungen. A b e r ungeachtet ihrer geringen Anzahl besaß die Schicht der germanischen Gemeinfreien einen bedeutenden Einfluß auf das Wirtschaftsleben im Lande, auf die A g r a r struktur und auf die L a g e der unmittelbaren Produzenten. Im politischen Leben nahm sie gleichfalls einen hervorragenden Platz ein. D a die freien Germanen das Heer bildeten, dienten sie als erstrangige Stütze der Königsmacht, welche nicht nur über die jeweiligen Mitglieder des Stammesverbandes, sondern auch über die römischen V e r waltungsorgane herrschte. E i n e relative Schwäche des germanischen Elements in den genannten Reichen veranlaßte die Königsgewalt, welche natürlich in erster Linie die Interessen ihrer Stammesgenossen vertrat, zunächst die Trennung der zwei ethnischen Hauptgruppen aufrechtzuerhalten. Diese äußerte sich beispielsweise im Verbot von Mischehen wie auch in der Bewahrung der arianischen Religion. Demnach kann also das barbarische Königtum, wie es in der ersten Periode nach der Ansiedlung der Germanen in Gallien, Italien und Spanien existierte, nicht einfach als eine vorklassenmäßige und vorstaatliche Einrichtung angesehen werden. E s besaß vielmehr eine dualistische N a t u r : In ihm verbanden sich die vorklassenmäßige Struktur der Germanen mit der spätantiken Klassenstruktur, die prästaatlichen Verwaltungsorgane der Barbarengesellschaft mit den Resten des Staatsapparates im Imperium R o manum. Einen anderen Charakter besaßen die germanischen Königreiche, die in Britannien entstanden. D i e römischen Villen und Städte waren dort zusammen mit den dazugehörigen Verwaltungsorganen während der Eroberung des Landes durch die Barbaren beseitigt worden. D i e angelsächsische Gesellschaft des 5. und 6. J h . w a r schwach differen-

220

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER UND SOZIALES

WESEN

ziert. D i e Hauptmasse der Germanen bestand aus vollberechtigten Freien, daneben gab es einen Stammesadel. D i e einheimische keltische Bevölkerung lebte in einer unterdrückten Stellung. Für beide ethnischen Gruppen w a r die Scheidung zwischen Halbfreien und Sklaven charakteristisch, die jedoch keine wesentliche Rolle im Produktionsprozeß spielten. Auf einer derartigen Sozialstruktur basierte dann die entsprechende gesellschaftliche Organisation: die Königsgewalt, die Heeresversammlung, die Gerichtsversammlung aller Freien in einem begrenzten Gebiet und das Gewohnheitsrecht, das durch die Königsmacht erstmals zu A n f a n g des 7. J h . in K e n t fixiert wurde. E t w a zu jener Zeit begann sich auch das Christentum unter den germanischen Eroberern Britanniens zu verbreiten, das allerdings schon in römischer Zeit unter der keltischen Bevölkerung des Landes Fuß gefaßt hatte. In jener Periode w a r das barbarische Königtum - und das ist den in der westeuropäischen Historiographie verbreiteten Vorstellungen entgegenzuhalten - keine direkte Weiterführung der spätrömischen Gesellschaft. A l s besonders anschauliches Zeugnis dafür kann der Prozeß der Klassenbildung in der frühfeudalen Periode angeführt werden. E s ist bekannt, daß sich der Grundtypus der unmittelbaren Produzenten in der Feudalgesellschaft nicht auf dem direkten Wege, nämlich durch Umwandlung von K o lonen in feudalabhängige Bauern, formierte. Zunächst löste ja der freie Bauer im fränkischen Königreich den spätrömischen Kolonen und Sklaven ab 1 8 - der freie Bauer, der dort auch die soziale Basis darstellte. Später, in der frühfeudalen Periode, zersetzte sich diese Schicht, und es kam zur Bildung der abhängigen Bauernschaft. Man muß hervorheben, daß sich die grundlegende Wirtschaftseinheit der Feudalgesellschaft, die Grundherrschaft, auch in Nordfrankreich, wo sich die Genesis des Feudalismus in seiner „klassischen" Form entwickelte, nicht auf dem Wege einer M o difizierung der spätrömischen Villenwirtschaft gestaltete, sondern im Ergebnis der Bildung eines Großgrundbesitzes neuen Typs. 1 9 D a s bedeutet natürlich nicht, daß an der Formierung der abhängigen Bauernklasse keine spätantiken Kolonen, Sklaven und andere soziale Schichten beteiligt waren, daß etwa kein Einfluß der römischen Villenwirtschaft auf die Errichtung der mittelalterlichen Grundherrschaft vorhanden gewesen wäre. In einigen Fällen konnten diese Komponenten des Feudalisierungsprozesses sogar überwiegen; im großen und ganzen barg aber das barbarische Königreich, wie auch immer seine Struktur aussah, in sich die Voraussetzungen für diesen Prozeß. K e i m e feudaler Beziehungen entstanden bekanntlich sowohl in der spätrömischen wie in der letzten Phase der gentilen Gesellschaft. In den barbarischen Königreichen wurden diese K e i m e oder Elemente weiterentwickelt. D i e , sich hier vollziehende Genesis des Feudalismus brachte dann als ihr unmittelbares Ergebnis die Entstehung der frühfeudalen Gesellschaft und des Staates hervor. Von den Problemen, die die Entwicklung der barbarischen Königreiche a u f w i r f t , stand in letzter Zeit dasjenige der Synthese von römischen und germanischen Verhältnissen deutlich im Vordergrund. F . Engels, D e r Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, in: M E W , Bd.

21,

Berlin 1962, S. 149. 19

Hier soll die progressive Bedeutung der Barbarengesellschaft im Feudalisierungsprozeß

unter-

strichen und eine jüngst geäußerte Ansicht zurückgewiesen werden, nach der die Germanen eine „destruktive" bracht hätten: 1 9 7 2 . S. 7.

Rolle gespielt und sogar die beginnende soziale Revolution M.

J. Sjuzjumov, Dofeodal'nyj period. Anticnaja

drevnost'

zum Scheitern i srednie veka

ge8,

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER U N D SOZIALES WESEN

221

Die bürgerliche Mediävistik betrachtet diese Frage heute in Übereinstimmung mit ihrer allgemeinen Auffassung über das Wesen des Feudalismus und den Charakter des Übergangs von der Antike zum Mittelalter. So bestand beispielsweise nach H. Mitteis die römisch-germanische Synthese im Frankenreich vor allem darin, daß in das System der Feudalbindungen, die zunächst aufgrund der gallorömischen Vasallität existierten, der „germanische Treuebegriff" eindrang. Im Ergebnis dessen sei das Lehnssystem entstanden, das einen positiv gewendeten Feudalismus darstelle. 30 In dieser Synthese sahen er und andere das germanische Element überall als die führende Kraft auftreten. H. Aubin etwa brachte in seinen Untersuchungen über die Kulturbeziehungen im Rheinland eine Reihe interessanter Angaben über die Aneignung römischer Errungenschaften auf den Gebieten von Landwirtschaft und Handwerk durch die Germanen, über die Rolle der Kirche in den römisch-germanischen Beziehungen und über die Lage in den Städten. 21 Kam er jedoch allgemein auf die Kontinuität und auf die Rolle des Germanischen und des Römischen in den hier ablaufenden Vorgängen zu sprechen, so äußerte er Ansichten, die mit einer wissenschaftlichen Untersuchung der Probleme nichts zu tun haben: „Wir fühlen das Germanische als einen gar nicht zu diskutierenden Quell unseres Wesens in uns. W i r können es niemals auf eine Stufe mit den Resten der Antike stellen lassen." 22 Weit verbreitet in der bürgerlichen Mediävistik ist aber auch eine andere These, die der Rolle des spätantiken Großgrundbesitzes, des römischen Rechts und der katholischen Kirche in der Geschichte der barbarischen Königreiche große Bedeutung beimißt. R. Buchner verwies auf die wichtige Rolle des antiken Erbes in Wirtschaft und Recht des Frankenreiches und lehnte die Auffassung von Mitteis über die dominierende Rolle des Germanischen in dessen Ordnung ab. Das politische System Chlodwigs stellte sich für ihn als ein Zusammenfließen von Einrichtungen, die beide Seiten einbrachten, dar. Noch entschiedener wurde ein ähnlicher Aspekt von K. Stroheker betont. Der Ursprung der barbarischen Königreiche war seiner Meinung zufolge dualistisch, begründet auf den Widersprüchen zwischen den römischen und germanischen Komponenten, und diese Widersprüche seien im ostgotischen und im Vandalenreich, bis beide untergingen, voll wirksam geblieben. Im Reich der Westgoten hätten sie sich dagegen nur bis zum Ende des 6. Jh. erhalten; dann folgte ihnen eine Synthese römischer und germanischer Grundlagen, in der das spätantike Substrat überwog. 23 Die angeführten Arbeiten enthalten nicht wenige wertvolle Überlegungen zu verschiedenen Seiten des hier zur Debatte stehenden Prozesses, entbehren jedoch sämtlich einer bestimmten soziologischen Charakteristik. Sie betrachten die Vorgänge nicht in einem entsprechenden sozialökonomischen Zusammenhang, der für den Übergang von einer gesellschaftlichen Einrichtung in eine andere - oder ganz grundlegend von einer sozialökonomischen Formation in eine andere - die Erklärung bietet. In der sowjetischen Historiographie wie in der Geschichtswissenschaft der D D R wurde in den letzten Jahren dem Syntheseproblem gleichfalls viel Aufmerksamkeit geschenkt. 24 Die sowjetischen Historiker interpretieren dabei die Abläufe vor allem als 20

H. Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, 9. Aufl. Weimar 1974, S. 19.

21

H. Aubin, Vom Altertum zum Mittelalter, München 1949, S. 1-32.

22

Ebenda, S. 71.

23

K . F. Stroheker, Die geschichtliche Stellung; R. Buchner, Das merowingische Königtum.

2i

B. F. Porsnev, Problema feodal'nogo sintcza, in: derselbe, Feodalizm i narodnye massy, Moskva 1964; A . R. Korsunskij, Obrazovanie rannefeodal'nogo gosudarstva v Zapadnoj Evrope, Moskva

222

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER U N D SOZIALES WESEN

eine Wechselbeziehung zwischen der zerfallenden Sklavereigesellschaft und der untergehenden Gentilordnung. Zu einzelnen Fragen des vorhandenen oder fehlenden Zusammenhanges zwischen diesen und jenen Einrichtungen im Syntheseprozeß gibt es allerdings unterschiedliche Ansichten. B. F. Porsnev widersprach beispielsweise zu Recht einer Auffassung, die in diesem Prozeß allein eine Vereinigung von Begriffen und Kategorien, eine Wechselbeziehung kultureller Einflüsse sah. Andererseits aber stellte er eine Behauptung auf, mit der man schwerlich einverstanden sein kann. Er hob hervor, daß im Altertum der auf Sklaverei beruhende Staat und seine barbarische Peripherie eine echte Einheit dargestellt hätten, und er nahm an, die feudale Synthese sei innerhalb dieses Ganzen erfolgt. 25 Gewiß war nun der beiderseitige Einfluß zwischen dem antiken Zentrum und den barbarischen Randzonen bis zur Eroberung des Imperiums durch die Germanen von Bedeutung. Doch haben wir die Synthese nicht nur unter diesem Aspekt, sondern als Herausbildung neuer sozialer Verhältnisse aufzufassen. Die Geschichte sowohl der Spätantike wie auch des Frühmittelalters zeigt, daß solche qualitativ neuen Verhältnisse sich erst nach der Beseitigung des Sklavenhalterstaates, im Rahmen der barbarischen Königreiche zu entwickeln begannen. Porsnev stellte auch die These vom allgemeinen Charakter der Synthese auf, der angeblich für alle Länder von Britannien bis hin zur Kiewer Rus gültig gewesen sei, obwohl sich einigenorts die Entwicklung ausgewogener gezeigt habe als in anderen Gebieten. 26 Dies wurde von ihm mit der Deutung des Begriffs der feudalen Synthese als Folge der gesetzmäßig immanenten Entwicklung des Feudalismus begründet. Wandte er sich jedoch den konkreten Erscheinungen dieser Gesetzmäßigkeit zu, so belegte er sie einzig mit Beispielen des Zusammenwirkens von Einrichtungen der antiken und der barbarischen Gesellschaft. Die Geschichte der germanischen Königreiche in Britannien kann als charakteristisches Beispiel für die Errichtung feudaler Verhältnisse dienen, die fast ausschließlich im Ergebnis einer inneren Entwicklung der Barbarengesellschaft entstanden. Erst als in dieser Gesellschaft - etwa zwei Jahrhunderte nach der Eroberung der Insel - die Voraussetzungen für die Bildung der frühfeudalen Sozialstruktur und des Staates reiften, begannen die Angelsachsen das Christentum anzunehmen; nach einem weiteren Jahrhundert fing dann die Kirche an, eine durch Urkunden gesicherte Veräußerung von Grund und Boden zu fördern, womit sie eine wesentliche Bedingung für die Formierung des feudalen Grundeigentums schuf. Den Feudalisierungsprozeß in Europa bewertet man nicht selten nach dem Vorhandensein bzw. Fehlen der Synthese von römischen und germanischen Verhältnissen und nach deren Intensität. Man stellt dabei zum einen die sog. proportionale oder ausgeglichene Synthese heraus, in der sich die römischen mit den barbarischen Komponenten etwa das Gleichgewicht hielten. Das Gegenstück dazu ist eine Synthese, in der eine der beiden Seiten dominierte. Dabei betrachtet man manchmal das barbarische Königreich als eine spezifische Verbindung zweier Gesellschaften, der barbarischen und der spätrömischen. Der gegenwärtige Forschungsstand erlaubt jedoch den Schluß, daß eine 1963; A . D . Lublinskaja, Tipologija rannego feodalizma v Zapadnoj Evrope i problema romanogermanskogo sinteza, Srednie veka 31, 1968, S. 9 - 1 7 ; M. J. Sjuzjumov, Dofeodal'nyj period, S. 3 - 4 1 ; jZ. V . Udal'cova -

E. V . Gutnova, Genezis feodalizma v stranach Evropy,

XIII

Mezdunarodnyj kongress istoriceskich nauk, Doklady konkressa, Bd. 1, Teil 4, Moskva 1973. 25

B. F. Porsnev, Problema, S. 514-516.

26

Ebenda, S. 513 und 517.

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER UND SOZIALES

WESEN

223

solche Formulierung ungenau ist. Auf dem Gebiet jener Königreiche existierte nur eine Gesellschaft, die aber in ihrer Sozialstruktur uneinheitlich war. In einem Land wie Britannien gab es eine breite Schicht germanischer freier Gemeindemitglieder und daneben den germanischen Gentiladel, Haussklaven, die Schicht der keltischen freien Gemeindemitglieder, den keltischen Gentiladel und den christlichen Klerus; schließlich finden sich hier auch noch Reste spätantiker sozialer Strukturen, die allerdings in rascher Zersetzung begriffen waren. In Italien, Gallien und Spanien bestand die Gesellschaft, an deren Spitze die Barbarenkönige standen, aus spätantiken Klassen und Ständen sowie aus den Schichten der germanischen Bevölkerung, welche die Grenze zur Klassengesellschait noch nicht überschritten hatte. Bei aller Abgrenzung der einzelnen Gruppen oder Schichten der Völker voneinander waren sie doch auch wieder durch wirtschaftliche, rechtliche und politische Bande verknüpft. Eben dies macht es unmöglich, die Germanen und die Römer als zwei verschiedene Gesellschaften anzusehen. Bisweilen werden Versuche unternommen, die vielfältigen Komponenten der Synthese in den verschiedenen Regionen Europas sorgfältig „abzuwägen". Als ein Land, in dem sie fast ausgeglichen und gleichbedeutend vorhanden waren, gilt in diesem Zusammenhang Gallien. Aber die Situation war hier im Norden und im Süden sehr unterschiedlich. Gegenwärtig steht man hinsichtlich der Aufgabe, exakte Kriterien für die Wertung unterschiedlicher Synthesezonen herauszuarbeiten, noch am Anfang. Es ist kaum möglich, die These über die „Identität" oder das „Gleichgewicht" germanischer und römischer Elemente in Gallien oder in einem anderen Land mit überzeugenden Tatsachen zu belegen. Im größeren oder geringeren Maße überwog stets diese oder jene Seite im Syntheseprozeß. Die Erforschung der Beziehungen zwischen dem Imperium und den Barbarenstämmen, aber auch die Untersuchung der Geschichte der barbarischen Königreiche selbst erlauben die Schlußfolgerung, daß die Wechselwirkung von römischen und germanischen Elementen nur unter bestimmten historischen Bedingungen zu einer feudalen Synthese führte. 27 Voraussetzung dafür waren ein bestimmtes Entwicklungsniveau der Barbaren sowie ein gewisser Reifegrad der Verhältnisse in der Sklavereigesellschaft der Römer. D a ß sich die Hunnen auf römischem Territorium ansiedelten, führte bei ihnen beispielsweise nicht zur Entwicklung feudaler Verhältnisse. Diese Nomaden nämlich waren unter ihren damaligen historischen Bedingungen nicht in der Lage, sich die Produktivkräfte der Römer schöpferisch anzueignen und den Einfluß der spätantiken Sozialverhältnisse mit ausreichender Intensität auf sich einwirken zu lassen. Die Eroberer etab27

Man muß hervorherben, daß K . Marx letztere nur als eines der möglichen Ergebnisse germanischer Eroberungen ansah; vgl. M E W , Bd. 1 3 , Berlin 1 9 6 1 , S. 6 2 9 ; M E W , Bd. 3, Berlin 1958, S. 23 f. und 64 f. Z u

dieser Thematik neuerdings auch J .

Herrmann, Ökonomie und Gesellschaft an

der Wende von der Antike zum Mittelalter. Sitz.-Ber. der A k a d . der Wiss. der D D R ,

Gesell-

schaftswissenschaften 13 G , Berlin 1 9 7 9 ; R. Günther, D i e Epoche der sozialen und politischen Revolution

beim Übergang von der antiken Sklavereigesellschaft

zum Feudalismus, Klio

60,

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DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - C H A R A K T E R UND SOZIALES W E S E N

Herten sich in dem vorliegenden Fall als eine ethnische Gruppe, die sich von der einheimischen Bevölkerung nicht nur kulturell und religiös, sondern auch in bezug auf die produktive Tätigkeit isolierte. Die Hunnen blieben Viehzüchter, und ihre Oberschicht verwandelte sich nicht in Großgrundbesitzer vom Typ des germanischen Dienstadels, obwohl sie sich durch Tribute bereicherte. Dies aber zeigt, daß der unmittelbare Kontakt in der produktiven Arbeit offensichtlich eine wichtige Voraussetzung jener Wechselbeziehung zwischen den Eroberern und der ansässigen Bevölkerung war, die zur Synthese führen konnte. Ein Beispiel für das Fehlen der hierzu notwendigen Bedingungen bietet das Oströmische Reich im 5. und 6. Jh. Dort konnte sich eine solche Synthese nicht verwirklichen, weil die auf der Sklaverei beruhenden Verhältnisse in jener Zeit noch relativ stabil waren und der spätantike Staat so den Barbaren Widerstand zu leisten vermochte. Eine andere notwendige Bedingung zur Realisierung der Synthese bestand in einer gewissen „friedlichen Koexistenz" über einen längeren Zeitraum hinweg, während dessen sich dann die zwei ethnischen Hauptgruppen der Bevölkerung in den Barbarenreichen gegenseitig beeinflussen konnten. Dabei ist zu beachten, daß selbst die vier Jahrzehnte unter Friedensbedingungen im Ostgotenreich anscheinend nicht dazu ausreichten, den beschriebenen Prozeß herbeizuführen. Notwendig waren schließlich auch bestimmte demographische Bedingungen. Wir haben keine exakten Angaben über die zahlenmäßige Stärke der Barbarenvölker, welche die einzelnen Länder des Weströmischen Reiches eroberten; doch ist bekannt, daß das Verhältnis zwischen den Germanen und der einheimischen Bevölkerung im Frankenreich bedeutend höher lag als etwa im gotischen Spanien, wo die Germanen 2 bis 3 Prozent der Gesamteinwohnerzahl ausmachten. Im ostgotischen Italien lag ihr Anteil noch unter diesem Wert, was sicherlich auch einer der Gründe war, die die Verwirklichung der Synthese in diesem Land negativ beeinflußten.28 Im fränkischen und im westgotischen Königreich führte letztere zu einer verhältnismäßig schnellen Ablösung der protofeudalen Periode. Bei den Franken entstand während der zweiten Hälfte des 6. Jh. das Allodialeigentum, und neben den ehemaligen Villen der gallorömischen Senatsaristokratie sowie der katholischen Kirche entstanden Grundherrschaften des fränkischen Dienstadels, der Könige und der reich gewordenen Gemeindemitglieder. Damals gab es noch eine breite Schicht von gleichberechtigten Freien; jedoch begann sich bereits in bedeutendem Maße aus den in grundherrliche und persönliche Abhängigkeit geratenen verarmten Franken, daneben aus Halbfreien und Sklaven, aus ruinierten römischen Bauern, ehemaligen römischen Kolonen, Freigelassenen und an den Boden gebundenen Sklaven die Klasse der feudalabhängigen Bauernschaft zu formieren. Gleichzeitig bildeten sich die Grundherren römischer und germanischer Abkunft zur Klasse der feudalen Grundbesitzer um. Königtum und Kirche hatten ebenfalls Grundherrschaften inne. Noch in der zweiten Hälfte des 6. Jh. finden sich jedoch auch Villen wirtschaften, die auf der Ausbeutung spätantiker servi und coloni basierten. Es gab besonders im Süden des Landes Städte, die eine bestimmte Rolle im Fern- und Lokalhandel einnahmen und Zentren handwerklicher Tätigkeit darstellten. In ihnen hielten sich noch Reste der munizipalen Ordnung. Auf diese Weise entstand gegen Ende des 6. Jh. eine Feudalstruktur, neben der es 28

Istorija Itaiii, Bd. 1, Moskva 1970, S. 11 f.

DAS BARBARISCHE KÖNIGREICH - CHARAKTER UND SOZIALES WESEN

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immer noch Reste von bestimmten Formen der Sklaverei und Gentilwirtschaft gab. Parallel dazu verlief die Ausformung eines neuen Staates. Dieser zeigte sich vor allem in der Veränderung des sozialen Charakters der Königsmacht, die nunmehr in erster Linie die Interessen der sich bildenden K l a s s e feudaler Grundbesitzer zu vertreten begann ; es entstand ein Staatsapparat, der die bestimmende Rolle im Gericht und in der Verwaltung innehatte. Aber eben hier blieben auch einige Ämter und Einrichtungen erhalten, die sowohl von der germanischen Verwaltungsorganisation als auch vom spätrömischen politischen A u f b a u herrührten. Im Tolosanischen Königreich der Westgoten lösten sich dabei die gentilen Bindungen rascher auf als bei den Franken nördlich der Loire; doch war dort das spezifische Gewicht der Verhältnisse, die noch auf Sklaverei beruhten, bedeutend größer, die Zahl der Germanen geringer, die Rolle der Einrichtungen, deren Träger sie waren, nicht so gravierend wie im fränkischen Reich. D i e beiden ethnischen Hauptgruppen blieben politisch, rechtlich und religiös getrennt. So entstand am Ende des 5. Jh. hier noch keine frühfeudale Wirtschaftsstruktur, und das politische Gebilde überschritt noch nicht das Stadium eines barbarischen Königreiches. Im Toledanischen Reich der Westgoten hingegen wandelten sich das Wirtschaftsleben, die sozialen Verhältnisse und die politische Ordnung. E s entwickelte sich ein Großgrundbesitz, der auf der Ausbeutung von Sklaven, von Kolonen, die in ihrer Lage den an den Boden gebundenen Sklaven sehr nahe standen, sowie von freien kleinen Grundeigentümern der Hispanorömer und der Goten begründet war. Keime des Benefizialwesens kamen auf. D i e Trennung der Goten von den Hispanorömern hinsichtlich der Religion und des Familienrechts wurde aufgegeben, und man unternahm die ersten Schritte, um den Dualismus im Recht abzubauen. D a s Königtum verlor die Züge eines Organs der militärischen Demokratie, die ihm noch im 5. Jh. eigen waren, und vertrat mehr und mehr die Interessen der in Bildung begriffenen gotischen und hispanorömischen Feudalaristokratie sowie des hohen Klerus. D a s Westgotenreich war in der zweiten Hälfte des 6. Jh. ein frühfeudaler Staat geworden. D e r Prozeß der sozialökonomischen Entwicklung im ostgotischen Italien ähnelt in vielerlei Beziehung der Entwicklung im Tolosanischen Reich. Freilich waren die Ostgoten hier zahlenmäßig noch geringer vertreten als ihre Stammesgenossen jenseits der Alpen. Spätrömische Einrichtungen hatten sich auf der Apenninenhalbinsel weitgehender erhalten als im Westgotenreich; auch konnte bis in die Zeit nach 530 eine sehr starke, noch auf die Sklaverei gegründete Wirtschaftsstruktur bewahrt werden. D i e Gemeindeverhältnisse zerfielen bei den Ostgoten schnell und wirkten nicht so tiefgreifend auf die Sozialstruktur des Landes ein wie in einigen anderen barbarischen Reichsbildungen. E s kam zu keiner Integration der italischen und germanischen Bevölkerung. Das Ostgotenreich blieb so, ähnlich dem Tolosanischen Reich der Westgoten, ein seinem Wesen nach protofeudales barbarisches Königreich. D a s gleiche läßt sich - vorsichtig abschätzend - auch über den Charakter der kurzlebigen Reiche von Burgundern und Vandalen sagen, wobei zu bemerken ist, daß wir über letzteres besonders wenig Quellen besitzen. Für die politischen Gebilde der Germanen in Britannien war ein im Vergleich zu den kontinentalen Königreichen langsames Tempo des Zerfalls der Gentilstruktur und der Genesis des Feudalismus wesensbestimmend. Bis zum 7. Jh. blieb die angelsächsische Gesellschaft nur schwach differenziert, gab es Einschränkungen in der Verfügungsgewalt über den Boden und spielten die örtlichen Gerichtsversammlungen der Freien in der Verwaltung wie in der Rechtsprechung eine bedeutende Rolle. 1 s Günther

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Veränderungen, die sich in der folgenden Zeit dann abzeichneten, führten zu wesentlichen Fortschritten in den sozialen Verhältnissen sowie in der politischen Struktur. Es entstand ein Großgrundbesitz des Dienstadels, der Kirche und der Krone; die Praxis königlicher Landverleihungen in Form von bocland. (bookland.) verbreitete sich, und es wuchs die Schicht von kleinen freien Bodenbesitzern, die in grundherrliche und persönliche Abhängigkeit gerieten. Das Königtum veränderte seinen Charakter wie in den anderen barbarischen Königreichen derselben Entwicklungsstufe. Obwohl man somit den Übergang von der protofeudalen zur frühfeudalen Periode auf dem Territorium des angelsächsischen England im 7. Jh. ansetzen kann, hatten die freien Gemeindemitglieder bis hin zum 10. Jh. in der Wirtschaft wie im politischen Leben eine wesentliche stärkere Stellung inne als in den frühfeudalen Staaten des Kontinents. Wir können alles in allem den Schluß ziehen, daß die Entstehung der barbarischen Königreiche als solche die soziale Revolution nicht verlangsamte oder „bremste", sondern günstige Bedingungen für ihre Entfaltung schuf. D i e hier behandelte Epoche der sozialen Revolution hatte den Übergang von der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsformation zur Feudalordnung zum Inhalt. Das war, um es klar zu sagen, kein einmaliger A k t und führte auch nicht sofort zum Sieg der neuen Verhältnisse. D i e Bildung barbarischer Königreiche auf weströmischem Boden war nicht gleichbedeutend mit der Entstehung des Staates. Erst in einer Übergangsperiode, die hier protofeudal genannt wird, entstanden die Klassen, die volle Verfügungsgewalt über den Boden und einen Staatsapparat hatten. Beim Übergang von der protofeudalen in die frühfeudale Periode war die soziale Revolution dann im wesentlichen abgeschlossen. Es bleibt zum Schluß noch hervorzuheben, daß das barbarische Königreich keine besondere sozialökonomische Formation darstellte. In ihm vollzog sich der Wandel von der auf Sklaverei gegründeten und von der gentilen Gesellschaftsordnung zum Feudalismus. In den einzelnen Fällen mehr oder weniger ausgebildet, entstand die feudale Produktionsweise, wobei sich in der protofeudalen Periode nicht nur bestimmte neue Elemente, die wir schon in der spätrömischen Gesellschaft und in der letzten Periode der sich zersetzenden Gentilordnung antreffen, entwickelten, sondern auch die Bedingungen für die erfolgreiche Durchsetzung des Feudalismus, die in der folgenden frühfeudalen Periode vor sich ging. Diese erreichten freilich nicht alle barbarischen Königreiche; einige, wie das Vandalen-, das Ostgoten-, das Sueben- und das Burgunderreich, gingen schon während der protofeudalen Periode unter.

SIGELVERZEICHNIS

AHDE KSIA MEW M G H , AA MGH, E M G H , LL MIÖG RE SHA Z R G GA

Anuario de Historia del Derecho Español Kratkije Soobscenija Inst. Archeol. Akad. Nauk SSSR K. Marx - F. Engels, Werke Monumenta Germaniae histórica, Auctores antiqissimi Monumenta Germaniae histórica, Epistulae Monumenta Germaniae histórica, Leges Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Scriptores historiae Augustae Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanische Abteilung

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233

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ABBILDUNGSNACHWEIS

Die Germanen, Bd. 2, Autorenkollektiv unter Leitung von B . Krüger, Berlin 1983: 7, 17, 19, 3 1 , 34, 36, 37, 39, 40, Vor- und Nachsatzkarte. Institut für Denkmalpflege Berlin, Meßbildarchiv: 8 - 1 2 , 20, 2 1 , 2 3 - 3 0 , 32, 33, 35. Kulturgeschichte der Antike, Bd. 2: Rom, Autorenkollektiv unter Leitung von R . Müller, 2. A u f l . Berlin 1982: 1 - 6 , 22. W. Seyfarth, Römische Geschichte: Kaiserzeit, 3. Aufl. Berlin 1 9 8 1 : 41 und Karte. Staatliche Museen zu Berlin/DDR, Münzkabinett: 14, 15, 38, 4 2 - 4 ; . Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus, Autorenkollektiv unter Leitung von I. Sellnow, Berlin 1977: 1 3 , 16, 18, 50.

REGISTER

a) N A M E N R E G I S T E R Abaritana 8 5 Adovacrius 15 3 Adrianopel 4 1 , 4 4 Aegidius 141, 153, 159, 162 Aethelberht (um 5 50-616) 113 Aetius 52, 94f., 98, 108, 1 2 3 - 1 2 6 , 132, 148, 152 Africa Proconsularis 81-84, 86 Afrika 19, 27, 48, 70, 79 ff., 218 Agaunum (Kloster) 101 Agde 76 Agen 173 Agila 70 Agivulf 65 Ägypten 20, 81 Ain 95 Aisne 142 Alamannen 29 f., 93-95, 1 2 9 ! . , 146, i 7 5 f. Alanen 30, 46, 64, 66, 79 ff., 93 f., 147 Alarich (um 390-410) 30 f., 4 1 - 4 3 , 46 bis 50, 106, 122, 129, 1 3 1 , 135, 147, 215 Alarich II. 54, 59, 69, 74, 99, 157, 187 Alatheus 41, 135 Alaviv 4 1 , 4 3 Alboin 2 0 9 , 2 1 1 , 2 1 3 Alzey 94 Amalafrida 90 Amalarich 69, 173 f., 187 Amalaswintha 102, 187 f., 204 Amaya 70 Amberieux 102 Ambianer 137 Ambrosius Aurelianus 111 Amiens 139, 142, 172 ii*

Ammianus Marcellinus 1 1 4 ! . , 120, 123, 146 Anarchius 170 Anastasios (491-518) 1 0 1 , 158 Andalusien 70 Andevotus 64 Angers 153,174 Angouléme 52, 157 Angrivarier 207 Anicius Olybrius 87, 98 Anthaib 208 Anthemius (467-472) 53,67,87 Antiocheia 37 Antoninus Pius ( 1 3 8 - 1 6 1 ) 104 Apollinaris Sidonius 18, 24, 53, 56, 58 f., 67, 97, 1 1 0 , 148, 157, 163, 1 7 3 Apulien 50 Aquileia 125 Aquincum 128 Aquitania Prima 5 3 Aquitania Secunda 48, 52 Aquitanien 48, 54, 67, 7 1 , 80 Arae Philaenorum (Muktar) 81 Aragon 5 3 Arbogast 50, 147, 152 Arcadius (395-408) 16 Arcadius (Enkel von Appllinaris Sidonius) 173 Ardennen 149 Arelate (Arles) 25, 31, 47, 52-54, 99, 157. 172 Aremorica in der Bretagne 28, 53, 107 f., 110, 124, 138 Argentaría 30 Arintheus 147

2}6 Arrabona (Györ) 208 Arras 139, 171 Ascarius 144 Aspidius 70 Asturien 5 3, 70 Athalarich 102, 187 Athanagild 70 Athanarich 37 f., 40, 43, 135 Athaulf 42,48-50, 122 Attalus 48 f. Attila 53, 86, 94, 98, 1 1 7 - 1 1 9 , 120 f., 1 2 3 - 1 2 6 , 132, 136, 143, 181, 2 1 1 Aube 15 9 Audeca (583-585) 66 Audefleda 15 5 Audoin 210 f. Augusta Vindelicorum (Augsburg) 128 f. Augustinus (354-430) 28, 31, 49, 86, 90, 109 Augustus 20, 23 Aurelian (270-275) 36, 79 Ausonius 5 1 , 6 2 Austrigusa 209 Autun 97, 102, 138, 175 Auvergne 52, 58, 67, 97, 173 f. Auxerre 99, 173 f. Avenches 102, 175 Avignon 53, 99, 157, 175 Avitus 53, 65, 86, 96, 110, 125, 136, 148 Avitus von Vienne (um 494-518) 101, 156 Avrenches 173 Awaren 131,136,211-213 Baetica 61 f., 64, 69 f., 72, 80 Bagai 90 Baiuvaren 131 Bajan 2 1 1 Balaton 136,210 Balearen 80, 86 Balkanhalbinsel 36, 42 f., 54, 116 f. Banthaib 208 Bapaume 140 Barcelona 69 Bardengau (Bardungawi) 207 Bardesanes von Edessa 109 Bardowiek 207

REGISTER Basel 129 Basiliscus 87 Baskenlarid 61, 64 f., 69 f., 73 Bastarner 36 Bataver 144, 146 Bath 1 1 2 Bauto 122, 147 Bayeux 173 Bazas 173 Beauvais 142 Beda Venerabiiis 107 Belgica 9 4 , 1 2 3 , 1 3 8 , 1 7 2 Beiisar 91, 188, 194, 206 Bello vacer 137 Benevent 192 Berber 81-83, 8(>> 89-91 Berich 120 Berta 1 1 3 Besançon (Vesontio) 97, 102, 128, 138, 175 Bingen (Bingium) 30, 94, 138 Bisin 209 Bleda 1 1 7 , 120 Boethius 187 Bologna 192 Bonifatius 80, 83, 123 Bonn (Bonna) 30, 138 Bordeaux 50, 52, 157, 172 f. Bornholm 93 Bosporanisches Reich 36 Bourges 53, 173 f. Bracata (Braga) 62, 67 f., 80 Brigetio 208 Britannia Prima 105 Britannia Secunda 105 Britannien 20, 47, 80, 104 ff., 169, 176, 219 f., 222 f., 225 Bruttium 188, 191 Bukowina 36 Burgundaib 208 Burgunder 29, 65, 85, 93 ff., 157, 174 bis 176, 219, 225 Busta Gallorum 2 1 1 Butilin 176 Byzacena 81 - 8 3, 8 5, 90 f. Byzanz 28, 70, 74 f., 85-92, 98, 101, 175, 186 f., 210, 212

REGISTER Caesarea (Cherchel) 81 Caistor bei Norwich 107 Calatayud 6 5 Calluc 2 1 0 Cambrai 139, 149, 152, 172 f. Campo Vogliadense 15 7 Camulodunum (Colchester) 104 Canterbury 105 Canusium 192 Carausius 144 Carnuntum 128, 1 3 1 Cartagena 70 Carthaginiensis 64 f. Carthago nova 80 Cassiodor 1 9 1 , 200, 203 Castinus 80 CastraMartis (Kula) 116 Castra Regina (Regensburg) 128 Catullinus 97 Celeia 2 1 0 Cernjachov - Kultur 38, 1 1 5 Ceuta 70, 86 Chalon - sur - Saöne 102, 175 Chalton 160 Chamaven 146 Charaton 1 1 5 f. Charibert I. (561-567) 113 Chartres 173 f. Chatten 29 Chattuariergau 174 Chauken 207 Chelchal 119 Childebert I. ( 5 1 1 - 5 5 8 ) 102, 1 7 0 f . , 173 bis 176 Childebert II. (575-596) 170 Childerich 1 5 3 ! . , 159, 164, 166, Abb. 37 Chilperich I. (561-584) 98, 102, 170 Chilperich II. 98, 155 Chinesen 114 Chlodio (Chlojo) 152 Chlodomer 1 0 1 , 17 3 f. Chlodwig 54, 69, 99, 130, 1 5 3 - 1 6 0 , 162, 1 6 4 - 1 6 6 , 170 f., 173 f., 177, 187, 2 1 7 , 221 Chlotchilde 173 Chlothar I. ( 5 1 1 - 5 6 1 ) 102, 170, 1 7 3 - 1 7 6 Chlothar II. 171

237 Chlothar III. (584-629) 170 Chnodomar 30 Chochilaich 174 Chramn 176 Chrotchildis (Chrodechilde) 15 5 Chrysopolis 37 Cirencester 112 Cirta (Constantine) 81, 83 f. Civitavecchia 192 Claudian 56, 1 1 4 Claudius II. (268-270) 36 Clermont 53, 58 Clyde 111 Coimbra 65 Colias 41 Colonia Ulpia Traiana 30 Commodian 24,49 Commodus ( 1 8 0 - 1 9 2 ) 104 Confluentes (Koblenz) 138 Constans (337-350) 145 t. Constantia (Coutances) 138 Constantius (Heermeister) 48, 64, 107 Constantius II. ( 3 3 7 - 3 6 1 ) 22, 30, 37 t., 146 Constantius Chlorus 20, 109, 144, 146 Constantius, Flavius Claudius (Konstantin III.) ( 4 0 7 - 4 1 1 ) 31, 47 f., 63 f., 80, 107 f., 129, 147, Abb. 18 Constantius von Lyon 109 Corduba (Cordoba) 62, 70 Cornwall 107, 163 Cosenza 31 Cumae 190 Curia (Chur) 128 Cyrenaika 81 Dacia ripensis 117 Dagalaif 147 Dakien 1 3 , 29, 36, 40, 79 Dalmatien 47, 1 1 6 , 128, 188 Danskerne 67 Dekumatland 13 D e v a (Chester) 104 D i e 97 Dijon 97.99.157 Diokletian (284-305) 13, 16, 1 9 - 2 2 , 28, 6 1 , 8 1 , 109, 137 f., Abb. 1 u. 3

2}8

Divitia (Deutz) 145 Dnepr 36 Dnestr 36 Dobrudscha (Klein-Skythien) 117 Don 36 Donatos 115 f. Donau 29, 35 f., 63, 116, 128 ff. Dordogne 165, 173 Douai 160 Doubs 95 Dracontius 89 Duero-Ebene 62 Durance 97, 101 Dwina 36

Ebro ; 3 Eburacum (York) 20, 104 Ecdicius 52 f., 58 Edico 181 Edobech (Edobicus) 147 Elbe 29, 79, 207 Elsaß 30, 129, 139, 146, 148, 160 Embrun 175 Emerita 5 3 Ennodius 196,203 Epaône 101 Ephesos 109 Epirus 42, 47 Equestris 96 Eraricli 197 Eriulf 4 1 , 4 9 Ermanarich 36 f., 115 Erzgebirge 93 Essex 108, H2 Estremadura ; 3 Eudocia 86 Eudocius 125 Eudoxia 86 Eugenius 41, 135, 147 Eugenius von Karthago 91 Eugipp 132 Euphrat 37 Eurich 52 f., 56, 58, 65, 67, 69, 71, 88, 101 Eutharich 187, 196 Eutropius 116

REGISTER Faesulae (Fiesole bei Florenz) 30 Favianis (Mautern) 132 Feddersen-Wierde 162 Feletheus (Fewa) 133 Firmus 27 Flaccitheus 133 Flavia Caesariensis 10; Flavius Aspar 8 3 Flavius Geminius Catullinus 8 5 Flavius Theodosius 105 f., 146 Flonheim 160 Franken 29-31, 63, 67, 69, 71, 75, 79, 85, 99 f., 126, 137 ff., 218 f., 224 f. Fravitta 41, 43, 45, 49 f. Frederich 65 Fribourg 95 Friedrich 13 3 Friesen 144 Frigeridus 13 5 Frigidus 147 Fritigern 37, 41-43, 48, 13 5 Fulgentius von Ruspe 90-92 Gaetulia 8 ; Gainas 43, 4 ; , 50 Gaius 169 Galerius 20, 2 5 Galicien 63-68, 70, 74, 80 Galla Placidia 31, 50, 81, 123 Gallien 16, 20, 27 f., 32, 36, 51 ff., 62 bis 66, 68 f., 7 1 , 75, 80, 93 f., 100, 126, 137 ff., 176, 218 f., 223 Garonne 52, 54 Gausus 210 Gauten 174 Geiserich 80 f., 83-89, 91, 98, 124 Gelasius (Papst 492-496) 97 Gelduba (Gellep) 138 Gelimer (530-533/34) 91 Generidus 128 Genf (Genava) 95 f., 98, 175 Gennobaudes (3. Jh.) 144 Gennobaudes (4. Jh.) 147 Gepiden 36,93,136,175,210-213 Germanus von Auxerre 109 Gerontius 63 f., 66, 80 Gesalich 69

REGISTER G i b r a l t a r 81 G i l d a s 108 G i l d o 27 f. Gladbach 160 Glycerius (475-474) 53, 98 G o a r 93 Godegisel (vand.) 79 f. Godegisel (bürg.) 98 f., 157 G o d o m a r 98, 101 G o l a n d a 208 G o t e n 29, 35 f., 40, 44, 54, 76 G r a e c u s von Marseille 172 G r a t i a n (375-383) 41, 106, 129, 135, 146 G r e g o r von T o u r s 74, 1 5 2 - 1 5 4 , 170, 172, 174 Grenoble 102 G u a d i a n a 61 G u d e o c 209 G u n d a h a r ( G u n t i a r ) 93 f., 123 Gunderich 79 f. Gundioch (um 44 3 - u m 472) 96-98 G u n d o b a d (um 480-516) 96, 9 8 - 1 0 2 , 156 f. G u n t h a m u n d (484-496) 89 f., A b b . 14 G u n t h r a m n (561-592) 170 Hadrian (117-138) 2 1 , 104 H a d r u m e t u m (Sousse) 81 H a m p s h i r e 108, 160 H a s d i n g e n 79 f. H a u t e - Saöne 95 Hebriden 111 Hengist u n d H o r s a 110 Heraclianus 48 Heraclius 87 H e r m e n g i l d 65, 70 f., 77 Herminafried 174 H e r u l e r 114, 157, 209, 2 1 1 Hieronymus 31,44,47,49 Hilarius (461-468) 97 Hildebad 197 Hilderich (523-530) 90f., 187, A b b . 15 H i p p o regius 2 8 , 8 3 Hispalis (Sevilla) 62, 80 Honorius (395-425) 31, 47~49> 64, 93, 107 f., 122, 131, 147 Houdan 154

2}9 Hunerich 86-90 H u n n e n 9, 37, 47, 53, 94 f., 98, 1 1 4 ff., 135, 184, 225 f. Hunwolf 182,208 H y d a t i u s 56, 64, 66-68 Herda 6 5 Iiier 128 f. Illyricum 30,42,211 Inn 129, 1 3 1 Irland 104 Isère 101 Isidor von Sevilla 56, 76 f. Italia a n n o n a r i a 128 Italien 19, 3 0 - 3 2 , 35, 42, 4 5 ~ 5 i . 54. 63, 67, 74, 79, 83 f., 87 f., 95, 98 f., 1 3 1 , 175 f., 181 ff., 218 f., 224 Jazygen 29 J o h a n n e s I. (523-526) 187 J o h a n n e s Chrysostomos 16 Jordanes 38,56,124, 2 1 1 Jovinus ( 4 1 1 - 4 1 3 ) 48, 50, 93, 108, 129, 148 Julian (361-363) 30, 146, A b b . 5 Julius N e p o s (474-475) 53, 98, 136, 181 bis 183 Justinian (527-565) 2 1 , 70, 76, 91, 175, 188, 203, 2 1 0 f. Justinus I. ( 5 1 8 - 5 2 7 ) 101, 187 Justinus II. (565-578) 211,213 J ü t l a n d 79, m Kaiseraugst 130 Kalabrien 31, 50, 187 K a m p a n i e n 45, 50 Kantabrien 61,65,70,75 Kappadokien 116 Karpen 36 K a r t h a g o 8 1 - 8 3 , 87 f., 91 Kastilien 70 f., 73 Katalaunische F e l d e r bei Troyes Katalonien 53 K a u k a s u s 36 Keltiberien 75 K e n t 108, m f., 220 Kleinasien 36

125 f.

REGISTER

240 Köln (Colonia Agrippina) 30, 138, 144, 146, 172 Konstantini. (306-337) 13 f., 17, 20 bis 22, 25 f., 36 f., 45, 62, 79, 81, 137, 1 4 1 , 144, Abb. 4 Konstantinopel 41 f., 88, 1 1 6 f. Konstanz 129 Korsika 86 Kreuznach 94 Kutriguren 211 Laconius (galloröm. Jurist)

101

Lampridius 47 Langobarden 35,175,2070. Langres 97, 102, 175 Lanthacarius 176 Laon 173 L a Tene - Zeit 160 Laurentius 186 Lauriacum (Lorch) 128, 1 3 1 Lausitz 93,208 Lech 129, 1 3 1 Legionum urbs (Caerleon) 108 Leitha 136 L e Mans 162, 165, 172 f. Leo von Narbonne 58, 101 Leon 62 Leowigild 65 f., 70-77 Leptis Magna 81 Leudastes 170 Leuthari 176 Liberius 190 Libyen 81 f. Licinius (307-324) 25, 37, 49 Ligurien 188 Lilybäum 90 Limoges 174 Lindum (Lincoln) 104 Lingonen 137 Lisieux 173 Lissabon 68 Litorius 123 Loire 2 8 , 5 2 , 1 3 8 , 154 f., 165, 174, 218, 225 Londinium (London) 104, 109 Longinus 213 Lugdunensis 95 f., 138 Lugier 79

Lukanien 50,205 Lupus von Troyes 109, 172 Lusitanien 53, 62, 64 t., 70 t., 73, 80 Lyon 51, 95 f., 98-100, 138, 172, 175 Maas 146 f. Maastricht 171 Mâcon 102 Magnus 5 8 Magnus Clemens Maximus

106, 122,

135.147 Magnus Magnentius 146 Mailand (Mediolanum) 20,30,45 Main 29,93 Mainz (Magontiacum) 30, 79, 93 f., 138, 147» 172 Maiorian (457-461) 59, 87, 96 f., 148, 152 Makedonien 41 Malaga 70 Maldras 65 Marbod 3 5 Marc Aurel 104 Marcai 2 1 0 Marcellinus 87, 136 Marcian (450-457) 118 Marcianopolis 117 Mareil - sur - Mauldre 154 Margus 117 Markomannen 35, 79, 1 3 1 Markomer 147 Marne 138, 160 Marseille 99 Marsus 87 Martin von Tours 156, 173 Maule 154 Mauren 88, 90 f. Mauretania Caesariensis 27, 81 Mauretania Sitifensis 8 1 , 8 3 Mauretania Tingitana 52,81 Mauringa 208 Maxima Caesariensis 105 Maxima Sequanorum 95 f., 128 Maximian 19 f., 28, 36, 142, 144 Maximus 63 f., 66 Mellobaudes 146 Melun 173

126,

REGISTER

241

Merda 112 Merida 72, 75 Merobaudes 147 Merogaisus 144 Merowinger 176 f., 216 Mertloch 160 Messeta 5 3 Metz (Mediomatrici) 30, 138, 152, 172 Miro 6 5 Modares 43 Molda vien 36 Monnet - L a - Ville 99 Möns Iactarius 188 Moriner 140 Mösien 36 Mount Badon (Möns Badonicus) 111 Muids 154 Mundo 186 Mundzuk 116 Mutina 192

Octar 116 Oder 79, 93 Odoaker 9, 54, 88, 90, 98, 128, 1 3 3 , 155, 1 8 1 ff., 208 Oise 142, 154 Oksywie - Kultur 3 5 Olympiodor 115-117 Olympius 47, 122 Orange 5 3 Orestes 136, 181 Orientius 31 Orléans 1 5 3 , 1 7 2 - 1 7 4 Orosius 49, 67 Orospeda 70 Orxois 162 Ostgoten (Greutungen) 30, 3 5 - 3 7 , 4 1 , 6 7 , 69, 98 f., 126, 175, 185 ff., 219, 224 f . Ostrogot 36 Ostrumänien 36 O v i l a v a (Wels) 128

Naissus 36, 1 1 7 Nantes 173 f. Narbonensis Prima 48, 5 3, 95 Narbonensis Secunda 95 Narbonne 48, 50, 53, 58, 157 Narses 176,188,211,213 Navarra 5 3 Neapel 188, 192 Nedao 126, 2 1 2 Nemetae (Speyer) 138 Nervier 137 Neusiedlersee 2 1 1 Neuß (Novaesium) 30, 138 Nevers 17 5 Nevitta 147 Nikomedeia 20 Noricum 47, 1 3 1 Noricum mediterraneum 128,131 Noricum ripense 128,131 Northumbria 112 Norwegen 9 3 N o v a e (Swistow) 117 Novempopulanien 48, 53 Noyon 171 Numidia 81 f., 83, 85 f., 91 Nunctus 71

Pacatus 44 Padua 192 Palencia 6 5 Pannonien 29, 46, 79, 1: 3, 125, 134, 207 ff. Paris 162, 172 f. Paulinus von Pella 162 Paulus 153 Paulus Diaconus 208 Pelagius 109, 172 Perigueux 5 2 Perser 36,91 Petronius Maximus 86 Pfalz 30,94 Philippopel 117 Picardie 139 Picenum 50, 188 Pikten 104, 1 0 6 - 1 0 9 Placentia 181 Placidia 86 f. Po 188 Poetovio 2 1 0 Poitiers 52,157,174 Pollentia (Pollenzo) 30, 46 Porto 67 Portugal 53,67

REGISTER

242 Portus 86 Postumus 144 Pouan 159 Praevalitana 128 Priscus 1 1 9 f., 123 Probus (276-282) 79, 93, 144 Procopius von Cäsarea (Prokop, um 500 bis nach 565) 56, 107, 155, 1 8 1 , 197, 205 Proculus 144 Prokop 37,49 Promonturium Mercurii (Kap Bone) 87 Prosper von Aquitanien 23, 66 Provence 95, 97, 99, 175, 187 f., 192 Prudentius 49 Przeworsker Kultur 3 5 Ptolemäus 207 Pyrenäen 30, 54, 63, 80, 174 Quaden 131,209 Quodvultdeus 91 Raab 136,210 Rabnitz 2 1 0 Radagais 30, 47, 79, 122, 131 Ranicunda 209 Rätien 46, 79, 93, 1 2 8 - 1 3 1 , 175 Ravenna 46, 63-65, 69, 87, 98, 186, 192, Abb. 41 u. 43 Reccared (568-601) 7 1 , 75, 77 Reccopolis 75 Rechiarius 65, 68 Rechila 64,68 Regeta 188, 197 Remi (Reims) 138, 1 4 1 , 172 f. Remismund 68 Rhein 29, 63, 66, 79, 93 f., 128, 138, 146 Rheinhessen 30, 160 Rhone 54,96 Richomer 147 Ricimer 22, 87, 98, 152, 1 8 1 , 184 Riez 5 3 Rimini 192 Riomagus (Remagen) 138 Roas 1 1 6 f. Rodulf 209 Rom 31, 46 f., 50, 86

Romulus Augustulus (476) Rotomagus (Rouen) 138 Roxolanen 29 Rugier 133,183,208 Rugiland 208

53, 181 f.

Sachsen 29, 106, 109, 174, 176, 2 1 3 , 218 Salamanca 70 Salaria 70 Salier 146 Salonae (Solin) 128 Salvian von Marseille 16, 28, 58, 124, 148 Sambre 154 Saöne 95, 138, 165 Sapaudia 94-96 Saphrac 4 1 , 135 Sardinien 86 f., 91, 192 Sarmaten 29, 37 Sarus 47 f. Save 20,47 Savia 128, 135 Scheide 146 f. Schlesien 79 Schwarzes Meer 3 5 Schweden 3 5 Scythia 36 Sebastianus 123 Secundinus 102 Seille 165 Sens 140, 173 Sentinum 2 1 1 Septimanien 54, 69, 7 1 , 174 Severinus 132 f. Severus 59, 153 Severus von Trier 109 Sevilla 70 Siebenbürgen 210 Sigibert 156 Sigismund (516-524) 99-101 Silingen 79 f. Silvanus 146 Singidunum (Belgrad) 117 Sirmium (Sremska Mitrovica) 20, 128, 210 Siscia (Sisak) 128 Sitifis (Setif) 81

REGISTER

Sitten 17 5 Sizilien 84, 86-88, 90, 192 Skandinavien 79,207 Skiren 36 Skoten 104, 106 f. Sophia 213 Spanien 20, 27, 32, 53, 61 ff., 80 f., 87, 96, 218 f., 223 f. Speyer 30 Spoleto 192 Stilicho 30 f., 42, 46-48, 79, 106, 122, 129, 131, 135, 147, Abb. 6 St. Quentin 139 f. Strabon 207 Strasbourg (Argentoratum) 30, 138, 146 Südrußland 36 Sueben 30, 64-69, 80 f., 93 f., 96, 147, 219 Sueridus 41 Suffolk 112, 160 Sulpicus Severus 49 Sunno 147 Sussex 108, i n f. Syagrius 141, 149, 153-155, 15« f-, 162, 164 Symmachus 186 Synesios 44 Syrte 81 Tacitus 39,207 Taginae (Gualdo Tadino) 188 Taiphalen 37 Tardenois 162 Tarent 192 Tarraco (Tarragona) 62, 143 Tarraconensis 53, 56, 62, 64 f., 72 f., 80 Teja 188, 197, 205 Tertullian 25, 108 Teurnia (Tiburnia) 128 Thamugadi (Timgad) 90 Theiß 37,79,212 Themistios 44 Themse 108 Theodahad 188, 195, 197, 203 f., 210, Abb. 44 Theoderich I. (418-451) 53, 56, 59, 125, M9, 194

243 Theoderich II. (453-466) 53, 56, 58, 65, 68, 96, 200 Theoderich d. Gr. (474-526) 69, 75, 90, 97. 99, 133, 155, 157, 174, 183-187, 190 £., 193-196, 200, 202-204, 206, 209, Abb. 41 Theoderich Strabon 185, 194 Theodimir (560-570) 65 Theodosius I. (379-395) 21, 41, 44 f., 59, 89, 99, 105, 116, 122, 129, 147, Abb. 22 Theodosius II. (408-450) 59, 63, 117 Therouanne 140, 149 f. Theudebald 175 f. Theudebert (534-548) 102, 130, 164, 174 f., 210, Abb. 38 Theuderich 101, 157, 173-175 Theudis 69 f., 75, 77, 187 Thiudimer 185 Thoringer (Thüringer) 15 5 Thorismund 126 Thrakien 36 f., 41 f., 45 Thrasamund (496-523) 90, 187 Tibatto 123 Tiber 86 Tiberius 207 Tingis (Tanger) 81,83 Tolbiacum (Zülpich) 156 Toledo 63, 65, 74, 76 f. Tongern 171 Tortona 192, 200 Totila 176, 188 f., 197, 204-206, Abb. 45 Toulouse 51, 53, 126, 157 Tournai 112, 149 f., 171 Transsylvanien 37 Treverer 137 Tricasser 137 Trier 20, 138, 172 Tripolis 84 Tripolitana (Tripolitanien) 81, 84, 87, 91 Tschuden 36 Tullianus 205 Tunesien 81 Turdetanen 61 Turisind 211 Turones (Tours) 138, 157, 174 Tuscien 50

REGISTER

244 Uldis 1 1 5 f. Ulfila (Bischof) Ulfila 64 Unstrut 174 Utiguren 2 1 1 Utrecht 15 2

37 f.

Vaison 97 Valamer (Balamber) 1 1 4 , 135 Valamir 185 Valence 53, 102, 175 Valenciennes 140 Valens (364-378) 37 f., 41, 44 Valentia 105 Valentinian I. (364-375) 93, 104 f., 129, 146 Valentinian III. (425-455) 16, 81, 84, 86 f., 90, 123, 125 Valentianus von Chur 1 3 1 , 133 Valeria 128 Vallensis 96 Vallia 48,80 Vandalen 28-30, 36, 46, 64-66, 79 ff., 93 f., 1 3 1 , 147, 219, 225 Vaud 9 5 Vellerns 207 Venetien 47, 175 Venta Silurum (Caerleon) 104 Verdun 169 Vermand 172 Verona 30, 46, 192 Verulamium (St. Albans) 104, 108 f. Véseronce 1 0 1 , 174 Vesuv 188 Victor von Vita 89, 91 Victricius von Rouen 156 Vienne 51, 97-100, 157, 172, 175 Vigilius von Thapsus 91

Vilana de Castilo 67 Vindobona 1 3 1 Virunum (Zollfeld in Kärnten) 128 Vithimir (Vidimer) 53, 1 1 5 , 185 Vitry-en-Artois 161 Vitus 64 Viviers 175 Vortigern 110 Vouillé 69, 157 Wacho 209 f. Waltari 210 Wangionen 94 Warnen 15 7 f. Weichsel 35,79,93 Weser 29 Wessex 1 1 2 Westanglia 112 Westgoten (Terwingen) 30 f., 35 ff., 80 f., 85, 88, 95-97. 99 t-, 126, 174, 176, 219, 225 West Stow 160 Wiesbaden 30 Wijster 160 Wiltshire 108 Winnili 207 Witigis 175, 188, 195, 197, 204, 2 1 0 Worms (Borbetomagus) 30, 94, 138 Wotankult 208 Wroxeter (Shropshire) 112 Xanten Yorkshire

146 107

Zamora 70 Zenon 88, 133, 182, 186 Zeugitana 8 5 Zosimos 31, 107

b) S A C H R E G I S T E R abhängige Bauern 224, 226 adscripticii 15 f. allgemeine Krise schaft 12 ff.

17, 19, 73, 78, 98, 220,

der

Sklavereigesell-

Allod 39, 55, 72, 84, 96, 177 f., 213, 224 annona (Naturalsteuer) 20f., 23, 37, 75 antike Militärdiktatur 13 Arianismus 26, 45, 58 f., 68, 71, 77, 80, 84, 88-92, 94, 97, 100, 219

REGISTER

245

Bagauden 27 f., 46, 51, 53, 56, 62, 64 f., 88 f., 143 bucellarii (Heeresabteilungen der Großgrundbesitzer) 14, 55, 72, 75 f. canabae 19 capitatio humana (Kopfsteuer) 46 Christentum 25 f., 31, 37, 40, 94 christliche Kirche 13, 25, 31, 44, 68, 84, 89, 1 0 1 , 153, 156, 169 f., 201 Circumcellionen (Agonistiker) 27 f., 83, 88 f. clarissimi 14 Codex Euricianus 57,59 Codex Gothanus 208 Codex Gregorianus 21 Codex Hermogenianus 21 Codex Theodosianus 2 1 , 59, 89, 99 comitatus 198 comites 74 f. condicio subdita 16 Dekurionen 14 f., 18, 2 1 , 215 Diözesen 20,22,46,81 Dominat 13-16,19,22,25,61 Donatismus 26, 28, 46, 82, 88 f. Edictus Theodorici

191,200

f abricae 18 feudalabhängige Leibeigene 14, 220 Föderaten 30, 36 f., 4 1 , 44, 48, 52, 64, 79 f., 83 f., 94 f., 98, 134 f., 214 foedus 46, 123 freie Bauern 12, 14 f., 20, 26, 62, 73, 78, 85, 100, 142, 220 freie Kleinproduzenten 10, 15 Gemeinfreie 194, 2 1 7 - 2 2 0 , 223 gentiles 15, 145 germanische Söldner 9, 15, 181 f., 184 f., 214 Gnosis 24, 26 Großgrundbesitz 14 f., 1 9 , 4 5 , 52, 5 5 , 6 1 , 72, 78, 84 t., 95 f., 97, 139, 2 1 4 f. Großgrundbesitzer 1 3 - 1 5 , 19, 27 f., 45, 58, 62, 70-72, 80, 84, 86, 219, 224 f.

Großgrundbesitzeraristokratie 84

12, 17, 51,

Handwerker 12, 1 4 - 1 8 , 2 1 , 26, 4 1 , 54, 94 f., 1 4 1 , 219 Heidentum 46 Historia Augusta (Kaisergeschichte) 2 3 Historia Langobardorum 208 honestiores (die „Ehrenwerten") 12, 72, 100, 192 humiliores (die Niedrigen) 12, 72, 100, 192 illustres 14,96,193 inquilini 15 iudices 37, 74 iugatio - capitatio 21 iugum 20 Klienten 17 Kollegien 17,21,55,59 Kolonat 12, 1 5 - 1 7 , 34. 59. 97 Kolonen 10, 1 4 - 1 8 , 20 f., 26, 28, 37, 44, 46, 50, 54 f., 59, 61 f., 67, 7 1 , 73, 76, 78, 83-85, 97 f., 142, 167, 193, 202, 205, 214 bis 2 1 6 , 219 f., 224 f. Kurien 55,59,62,74,82 laeti 15, 62, 137, 142, 153 Latifundien (s. auch Großgrundbesitz) 14, 51, 78, 83, 85 f., 192 latro, latrociniutn 27, 170 L e x Alamannorum 131,178 L e x Burgundionum 96, 99 f., 166 L e x Manciana 8 5 L e x Ribuaria 178 L e x Salica 178 f., Abb. 40 limitanei (Grenztruppen) 15, 22 locatio - conductio 34 magister militum (Heermeister) 22, 27, 30, 41 magister militum praesentalis 22 Manichäismus 24, 68, 88 militärische Demokratie 60,225 mittelalterliche Feudalherren 13

REGISTER

246 mittelalterliche Landleihe 14 Munizipalaristokratie 13 f. munizipale Oberschichten 12, 14 f., 74 nobiles

39, 59, 68

optimates 39, 100 originarii 15 f., 193 „Origo gentis Langobardorum"

208

Pactus legis Alamannorum 131 Pactus legis Salicae 155, 165-167, 170 Palatium 198 Patronat 55, 197 Patrozinium 14 f., 34, 45, 59 Pekulium 15 f., 34 Plebejer 17 f., 170 possessio 34 Praeceptum Childeberti I. 170 Prätorianerpräfekt (praefectus praetorio) 22, 56 "-Htorianerpräfektur 22 Prekarium 14, 34, 55, 72 f., 78 Prinzipat 13, 20 Priscillianer 63,68 Provinzstatthalter 20 Quasi-Kolonen

15

Ritterschaft

13 f., 81

Saionat und Komitat 198 Senatoren 14, r8, 21, 45 f., 51, 59, 62 Senatsaristokratie 13 f., 90, 96 Sklaven 1 5 - 1 7 , 22, 26-28, 34, 37, 40, 44-46, 50 f., 54 f., 59-63, 71-73» 75 bis 78, 80, 83 f., 89, 92, 95, 97 f., 100, 142, 167, 169, 193, 202, 205, 218-220, 223 bis 225 Sklavenfreilassung 17, 188 soziale Revolution 10, 26, 33, 218, 226 soziale Utopie 2 3 spectabiles 14 städtische Plebs 18, 46, 50, 52, 206 steuerliche Immunität 14

Tetrarchie 20, 22, 25, A b b . 2 Thronrat (sacrum consistorium) 198 f.

Veteranen 15 vicarii 46, 74 vici 19 villae rusticae 30 Vulgarrecht 5 7

13, 22,

Sóisson:

Worms

Ravenna

Toledo - r^moRom/

^

O

'^/Karthago

D i e g e r m a n i s c h e n S i e d l u n g s g e b i e t e u n d R e i c h s g r ü n d u n g e n auf d e m G e b i e t des I m p e r i u m R o m a n u m z u r V o l k e r w a n d e r u n g s z e i

erunpszeit

500 km

Ausdehnung des Römischen Reiches Ende des 4. J h .

D i e Ausbreitung des orthodoxen katholischen Glaubens unter den Germanen („Fränkische Mission")