Gerechtigkeit!: Impulse für ein menschliches Rechtsleben [1 ed.] 9783428537365, 9783428137367

In dieser hochaktuellen und grundlegenden Studie rollt Günter Herrmann wesentliche Fragen auf: Wie kann unser Rechtslebe

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 9783428537365, 9783428137367

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Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 65

Gerechtigkeit! Impulse für ein menschliches Rechtsleben Von Günter Herrmann

Duncker & Humblot · Berlin

GÜNTER HERRMANN

Gerechtigkeit!

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 65

Gerechtigkeit! Impulse für ein menschliches Rechtsleben

Von

Günter Herrmann

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-13736-7 (Print) ISBN 978-3-428-53736-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-83736-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 * ∞ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Wenn ich nach einem spannungsvollen Leben als Justitiar, Intendant und Hochschullehrer hier den Versuch unternehme, das Verständnis von Gerechtigkeit um grundlegende Aspekte zu erweitern und neue Impulse für ein menschliches Rechtsleben zu vermitteln, so gründet dies auf der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis, dass Gerechtigkeit als Urphänomen und Ideal wirklich existiert. Und wenn die Menschen mit vollem Herzen nach Gerechtigkeit streben, sie im Wege intuitiver Deduktion in ihr Gerechtigkeitsbewusstsein aufnehmen, und wenn sie mit den klassischen Tugenden zielvoll gerechte Entscheidungen treffen wollen, kann Gerechtigkeit in unserem Rechtsleben mit einem lebendigen demokratischen Diskurs tatsächlich ihre fruchtbare Wirkung entfalten. (Damit zeigen die hier angebotenen Gedanken, dass die verbreitete Behauptung unrichtig ist, es gebe gar keine Gerechtigkeit; sie zeigen aber auch, dass es in unserem Rechtsleben Gerechtigkeit nur dann geben kann, wenn Menschen sie wirklich aktiv-bewusst realisieren wollen.) Diese zum Nachdenken und zum Besinnen anregende Arbeit richtet sich naturgemäß in erster Linie an die Menschen des Rechtslebens, die von Amts wegen, oft sogar durch Eid bekräftigt, Gerechtigkeit üben sollen. Darüber hinaus interessiert und bewegt das Thema Gerechtigkeit alle Menschen: Jeder stellt sich fast täglich die Frage, ob eine bestimmte Handlung gerecht oder ungerecht ist, und er wünscht sich ein Rechtsleben, das weniger kalt und damit gerechter, menschlicher ist. Deshalb soll diese Arbeit auch ein Weckruf für alle sein, mehr Gerechtigkeit zu üben und das Rechtsleben menschlicher zu gestalten. Buching, Michaeli 2011

Günter Herrmann

Inhaltsverzeichnis A. Gerechtigkeit tut not! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Einige Grundgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 2. Macht und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerechtigkeit in der Gesellschaft mehrerer Menschen 4. Amtspflicht oder freier Wille, gerecht zu handeln . . 5. Gerechte Preise und Löhne? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verteilgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Soziale Gerechtigkeit: Gerechtigkeit bei Knappheit materieller Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtssicherheit – Rechtsfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Gerechtigkeit nicht nur Abwesenheit von Ungerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Zum Entscheidungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungen nur zwischen mehreren praktikablen Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rhythmus und Waage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßstab? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ius suum cuique tribuere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Zusammenfassung: Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal in der geistigen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Wo ist die Wurzel der Gerechtigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Wie kann Gerechtigkeit in unserem Leben fruchtbar werden? – Über das Gerechtigkeitsbewusstsein . . . . . . . . . . . 72

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Inhaltsverzeichnis

III. Kritische Zwischenfrage: Im 21. Jahrhundert Intuitionen aus der geistigen Welt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 D. Der Weg zu gerechten Rechtsordnungen und Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Ein lebendiger Diskurs kann die individuellen Gerechtigkeitsgedanken zu Gemeinschaftsvorstellungen verschmelzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 II. So kann Gerechtigkeit Quellort für das irdische Rechtsleben sein und sich zu Recht verdichten . . . . . . . . . . . . . . 89 III. „Gerechtigkeit üben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflicht oder freie Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Amtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eidesleistungen im Staatsleben . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundesminister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bundesverfassungsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Parlamentarier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Gerechtigkeit üben“ als freie Tat . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Tugenden für das Rechtsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Gerechtigkeit und Tugenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Vier Kardinaltugenden und drei christliche Tugenden 113 V. Sieben Tugenden als Leitsterne auf dem Wege zur Gerechtigkeit und zu einem menschlichen Rechtsleben . . . 1. Gerechtigkeit (iustitia) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonnenheit – Maß (temperantia) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tapferkeit (fortitudo) – Zivilcourage . . . . . . . . . . . . . . 4. Klugheit (prudentia) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Glaube (fides) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Hoffnung (spes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Liebe (caritas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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E. Schlussthesen mit Impulsen für Gegenwart und Zukunft . 136 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Abkürzungen ABGB BadWürttVerf BayVerf BBG BGB BGH BGHSt BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG DDR Dig. DRiG EG EGMR EU EUGH FAZ GA GG GRUR GWB HA HambVerf HessVerf

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Verfassung des Bundeslandes Baden-Württemberg Verfassung des Freistaates Bayern Bundesbeamtengesetz (2009) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (Band, Seite) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Deutsche Demokratische Republik Digesten (Teil des „Corpus Iuris Civilis“) Deutsches Richtergesetz Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Union Europäischer Gerichtshof Frankfurter Allgemeine Zeitung Gesamtausgabe der Werke von Rudolf Steiner (Band, Seite) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Jahrgang, Seite) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) Hamburger Ausgabe Goethes Werke, 14. Auflage, München 1989 (Band, Seite) Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Verfassung des Bundeslandes Hessen

Abkürzungen Hg. iwd JöR JZ MP NJOZ NJW NW NWVerf PID RGSt Rn SachsVerf SchweizVerf StGB SZ UrhG VVDStRL ZRP ZUM ZUM-RD

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Herausgeber, herausgegeben von Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln Jahrbuch des Öffentlichen Rechts N. F. (Jahrgang, Seite) Juristenzeitung (Jahrgang, Seite) Media-Perspektiven (Jahrgang, Seite) Neue Juristische Online-Zeitschrift (Jahrgang, Seite) Neue Juristische Wochenschrift (Jahrgang, Seite) Nordrhein-Westfalen Verfassung Nordrhein-Westfalen Präimplantationsdiagnostik Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (Band, Seite) Randnummer Verfassung des Freistaates Sachsen Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (1999) Strafgesetzbuch Süddeutsche Zeitung Urheberrechtsgesetz Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (Band, Seite) Zeitschrift für Rechtspolitik (Jahrgang, Seite) Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (Jahrgang, Seite) Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtsprechungsdienst (Jahrgang, Seite)

A. Gerechtigkeit tut not! Nach Gerechtigkeit streben die Menschen seit Äonen. Bernd Rüthers: „Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist ein menschlicher Urtrieb.“ 1 Auch heute wollen wohl die meisten Menschen bei ihren Entscheidungen gerecht sein: Vater und Mutter wollen all ihren Kindern gerecht werden. Der Unternehmer will seine Mitarbeiter, die Journalistin die Personen ihrer Story nicht ungerecht behandeln. Tausende Amtsträger sind kraft ihres Amtseides verpflichtet, „Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben“, ihre Pflichten „als gerechte Richter“ zu erfüllen, „nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen“. Und selbstverständlich erwartet jeder Mensch im täglichen Leben Gerechtigkeit. Die meisten sehen ja in der Gerechtigkeit den wichtigsten Wert. In einer EMNID-Umfrage „Welcher Wert ist Ihnen am wichtigsten?“ nannten 35 % der befragten Menschen Gerechtigkeit; 25 % Toleranz, 18 % Freiheit, 11 % Nächstenliebe, 7% Disziplin. Gleichzeitig erklären zwei Drittel der Deutschen immer wieder, bei uns gehe es „insgesamt eher ungerecht“ zu. Warum differieren Anspruch und Wirklichkeit so stark? 2 1 Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 2. – Ähnlich Norbert Blüm: „Der Ruf nach Gerechtigkeit durchzieht die Geschichte der Menschheit, solange es sie gibt, auch wenn die Vorstellungen über Gerechtigkeit diffus und die Namen, die dafür gefunden werden, unterschiedlich sind“ (Gerechtigkeit, S. 20 f.). 2 Quelle für die EMNID-Umfrage: www.chrismon.de/Umfrage_des _Monats (abgerufen am 4. 5. 2009). – Freilich lädt auch diese Umfrage zu einer kritischen Frage ein: Ist es vielleicht so, dass die Befragten Freiheit vor allem für sich meinen und Gerechtigkeit und Toleranz vor allem von den anderen erwarten, weil jeder sich selbst wie selbstverständlich für gerecht und tolerant hält? Ich fürchte, man muss die Frage weitgehend bejahen. Diese Einschätzung teilt wohl auch Franz Vonessen (Gerechtigkeit und Gnade im Märchen, in: Lox / Lutkat / Kluge [Hg.], Dunkle Mächte im Märchen

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Damit stellen sich mehrere Grundfragen: Welche Vorstellung von Gerechtigkeit bewegt den Menschen, der Gerechtigkeit erwartet oder der gerecht handeln will? Was stellen sich Amtsträger unter Gerechtigkeit vor, wenn sie ihre Eidespflicht ernst nehmen? Woher kommt Gerechtigkeit, wie kommt sie in unser Rechtsleben? Rechtsphilosophen, Philosophen, Juristen und andere suchen seit Menschengedenken nach einer Definition der Gerechtigkeit. Geschichte und Literatur bieten ein vielfältiges Bild – und keine Klarheit. Viele Autoren bekennen am Schluss ihrer Ausführungen, dass sie eine exakte Antwort auf die Frage nach Gerechtigkeit nicht geben können. (Warum uns eine exakte Definition der Gerechtigkeit tatsächlich nicht möglich ist, wird unten C. I. dargestellt.) Hans Kelsen sagte: „Was ist Gerechtigkeit? Keine andere Frage ist so leidenschaftlich erörtert, für keine andere Frage so viel kostbares Blut, so viele bittere Tränen vergossen worden, über keine andere Frage haben die erlauchtesten Geister – von Platon bis Kant – so tief gegrübelt. Und doch ist diese Frage heute so unbeantwortet wie je. Vielleicht, weil es eine jener Fragen ist, für die die resignierte Weisheit gilt, dass der Mensch nie eine endgültige Antwort findet, sondern nur suchen kann, besser zu fragen.“ Bernd Rüthers nennt als Resümee: „Die Grundeinsicht zur Gerechtigkeit lautet nach allem: In der realen Lebenswelt kann es immer nur tastende Annäherungen an gerechte Problemlösungen im einzelnen und nur unbeirrtes Bemühen um eine gerechte Ordnung des Gemeinwesens im ganzen geben.“ Und Reinhold Zippelius erklärt am Schluss seines Beitrages „Im Irrgarten der Gerechtigkeit“: „Ewig auf der Suche nach der Gerechtigkeit zu sein, sie nie endgültig und was sie bannt, Recht und Gerechtigkeit im Märchen, S. 296 f.) – Einen Bericht über Gerechtigkeitseinstellungen in Deutschland (von etwa 1994 – 2004) bringen Liebig / Lippl, in: Möhring-Hesse (Hg.), Streit um die Gerechtigkeit, S. 13 ff., 21 ff. (in dem Beitrag von Liebig / Lippl geht es primär um Einstellungen der Bevölkerung zu Sachverhalten der sog. Sozialen Gerechtigkeit; dazu unten B. I. 7.). – Zu den unterschiedlichen Perspektiven der Opfer, der Täter, der Nutznießer und der Beobachter von Ungerechtigkeiten ausführlich Schmitt / Baumert / Fetchenhauer, u. a., Sensibilität für Ungerechtigkeit, in: Psychologische Rundschau, 60 (1), 2009, S. 8.

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und vollkommen fassen zu können und doch jeden Tag Interessenkonflikte zu einem gerechten Ausgleich bringen zu müssen, das ist die Not des Juristen.“ 3

Am einfachsten haben es dabei diejenigen, die Existenz und / oder Relevanz einer Gerechtigkeit leugnen und die sagen: Recht 3 Zitate: Kelsen, Hans: Was ist Gerechtigkeit?, S. 9. – Rüthers, Bernd: Rechtstheorie, Rn 397. – Zippelius, Reinhold: Im Irrgarten der Gerechtigkeit, S. 21; ähnlich ders., Wesen des Rechts, S. 99. – Weiter zu diesem Thema Rüthers, Bernd, Das Ungerechte an der Gerechtigkeit, S. 2, 72; ders., Rechtstheorie, Rn 2; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. V: Die Rechtsphilosophie erfahre „immer erneut, dass die Suche nach Gerechtigkeit zwar rational strukturierbar ist, dass aber am Ende ein Rest bleibt, der so unberechenbar ist, wie das Leben selbst“; Kirchhof, Paul, Das Maß der Gerechtigkeit, S. 9. – Hartung und Schaede bezeichnen die Gerechtigkeit als eine der „ältesten Rätselfragen der Menschheitsgeschichte“ (dies. [Hg.], Internationale Gerechtigkeit, S. 15). Siehe auch Sandel, Michael J., Justice, What’s the right thing to do? (Zu weiteren US-Autoren, bei denen die sog. Soziale Gerechtigkeit im Vordergrund steht, siehe unten B. I. 7.) – Überblicke über die Entwicklung der Suche nach Gerechtigkeit bei Rüthers, Bernd, Rechtstheorie (insbesondere § 9: dort zeigt Rüthers die Vielfalt der Fragen und der denkbaren Antworten); ders., Das Ungerechte an der Gerechtigkeit; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie (u. a. §§ 11 – 22 „Die Gerechtigkeit“); ders., Wesen des Rechts, S. 60 ff.; Höffe, Otfried, Gerechtigkeit; Hippel, Eike von, Willkür oder Gerechtigkeit, S. 1 ff., u. a.; Engisch, Karl, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 148 ff.; Braun, Johann, Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert; Kaufmann, A. / Hassemer, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart; Coing, Helmut, Rechtsphilosophie, S. 5 ff.; Prodi, Paolo, Eine Geschichte der Gerechtigkeit; Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Recht, Staat, Freiheit; Holzleithner, Elisabeth, Gerechtigkeit, S. 19 ff.; Kriele, Martin, Grundprobleme der Rechtsphilosophie; Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 179 ff.; Brugger / Neumann / Kirste (Hg.), Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert; Radbruch, Gustav, Rechtsphilosophie; Walz / Schrey, Gerechtigkeit in biblischer Sicht; Seelmann, Kurt, Rechtsphilosophie; Wesel, Uwe (Hg.), Recht, Unrecht und Gerechtigkeit; auch Kissel, Otto Rudolf, Die Justitia; Radbruch / Zweigert, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 12 ff.; Assmann, Jan, Ma’at, Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, S. 273 ff. – Siehe auch das „zeitlose Märchen“ von Rudolf Gerhardt, Der Triumph der Gerechtigkeit. – Einen schönen, ausführlichen Überblick über die „Poetik der Gerechtigkeit – Shakespeare-Kleist“ gibt Susanne Kaul. – Anregend und anschaulich Hasso Hofmann, Bilder des Friedens oder Die vergessene Gerechtigkeit.

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ist, was im Gesetz steht – ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit. Zu einem solchen Rechtspositivismus hat aber schon Augustinus gesagt: „Was anders sind also Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden?“ Da wir für unseren Staat und für unser Staatsleben nun wirklich ein anderes Ziel sehen, müssen wir nach Gerechtigkeit weiter suchen. 4 4 Augustinus, Vom Gottesstaat, IV 4, S. 173; dazu Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 35, mit weiteren Nachweisen; auch Papst Johannes XXIII., PACEM IN TERRIS, S. 33; Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 139 ff.; Marx, Reinhard, Das Kapital, S. 125 ff.; ders., Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht, S. 12 f. – Zu Augustinus auch Flasch, Kurt, Kampfplätze der Philosophie, Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire, S. 23 ff. – Zum Rechtspositivismus siehe Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit? („Reine Rechtslehre“; dazu z. B. Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 13 ff.; Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 475 ff.; Hofmann, Hasso, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, S. 14 ff.; Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 77 f.); Rüthers, Bernd, Die unbegrenzte Auslegung, S. 91 ff.; Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 34 ff.; Coing, Helmut, Rechtsphilosophie, S. 58 ff., 87 f.; Holzleithner, Elisabeth, Gerechtigkeit, S. 90 f.; Lange, Richard, Rechtsidee und Rechtsideologie, S. C 1 ff.; Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 88 ff., 116 ff.; Hoerster, Norbert, Was ist Recht?, S. 65 ff.; Seelmann, Kurt, Rechtsphilosophie, S. 31 ff.; Hayek, Friedrich A. von, Die Verfassung der Freiheit, S. 322 ff. – Zeitgeschichtlich bemerkenswert ist der Weg des großen Juristen Gustav Radbruch, der in der Weimarer Zeit, auch als Reichsjustizminister, einen soliden Rechtspositivismus vertreten hat. So schrieb Radbruch im Jahre 1932: „Für den Richter ist es Berufspflicht, den Geltungswillen des Gesetzes zur Geltung zu bringen, das eigene Rechtsgefühl dem autoritativen Rechtsbefehl zu opfern, nur zu fragen, was Rechtens ist, und niemals, ob es auch gerecht sei.“ (Rechtsphilosophie 1932, S. 84). Nach seinen Erfahrungen mit dem Unrechts-System der NS-Zeit (1933 – 1945) schrieb Radbruch im Jahre 1946: „Recht, auch positives Recht, [kann man] gar nicht anders definieren denn als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.“ Radbruch, Gustav, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: ders., Rechtsphilosophie, S. 216; dazu auch Radbruch / Zweigert, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 14 FN 1; Adomeit, Klaus, Rechts- und Staatsphilosophie II, S. 148 ff.; Stolleis, Michael (Hg.), Juristen, Ein biographisches Lexikon, S. 525 ff.; Röschert, Günter, Kunst des Rechts, S. 33 ff.; Hippel, Ernst von, Der Rechtsgedanke in der Geschichte, S. 69; Rottleuthner, Hubert, Gustav Radbruch im Nationalsozialismus, in: Brockmöller / Hilgendorf (Hg.), Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, S. 101 ff. – Zum realen Rechtspositivismus in der ehemaligen DDR siehe z. B. Stolleis, Michael, Sozialistische Gesetzlichkeit, Staats-

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Das Thema Gerechtigkeit ist heute von einer weltweiten, oft erschütternden Aktualität. Nach NS-, DDR- und StalinZeit, nach Rotem Khmer, Somalia, Ruanda und Guantánamo, angesichts schrecklicher Völkermorde an zahlreichen Brennpunkten dieser Erde, wo die Gerechtigkeit mit Füßen getreten wurde und wird, während aktueller globaler Rechtsverwerfungen und himmelschreiender Ungerechtigkeiten, die die Welt erschüttern, und auch angesichts sozialer und anderer Ungerechtigkeiten in unserem Heimatland sollten wir heute noch ernsthafter als unsere Vorfahren Gerechtigkeit üben und versuchen, ihr näherzukommen. Andernfalls besteht angesichts der technischen „Errungenschaften“ der letzten Jahrzehnte (overkill und andere atomare Bedrohungen) sogar die Gefahr, dass die Menschheit dieses Dritte Jahrtausend nicht überlebt. Die deshalb überlebensnotwendige Stärkung der Aktivitäten, Gerechtigkeit zu üben, ist freilich schwierig in einer Zeit, in der weltweit Egoismus, Materialismus, Geld, Gewalt und Terror herrschen. Deshalb schreibt Stéphan Hessel am Ende seines aufrüttelnden Aufrufs „Empört euch!“ völlig zutreffend: „Es ist höchste Zeit, dass Ethik, Gerechtigkeit, nachhaltiges Gleichgewicht unsere Anliegen werden. Denn uns drohen schwerste Gefahren, die dem Abenteuer Mensch auf einem für uns unbewohnbar werdenden Planeten ein Ende setzen können.“ 5 und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR; auch Hippel, Eike von, Willkür oder Gerechtigkeit, S. 18 ff. 5 Hessel, Stéphan, Empört euch!, S. 20; siehe auch ders., Engagiert euch! – Papst Benedikt XVI. erklärte in seiner Weihnachtsansprache am 25. 12. 2008, gerechte und dauerhafte Lösungen ließen sich „nicht durch eine niederträchtige Logik der Konfrontation und der Gewalt erreichen“ (www.radiovaticana.org; abgerufen am 30. 12. 2008). – Zu Guantánamo siehe DER SPIEGEL, Nr. 20/2009, S. 120 ff.; Rüb, Matthias, u. a., in: FAZ 27. 1. 2009, S. 4; Reents, Edo, Alles was die Menschheit braucht, ist Recht, in: FAZ 22. 6. 2009, S. 29; Begley, Louis, Der Fall Dreyfus, Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte; Wolf, Naomi, Wie zerstört man eine Demokratie?, S. 91 ff. – Weiter zur Lage der Gegenwart: Richard von Weizsäcker im Gespräch über die Frage: „Was für eine Welt wollen wir?“; Biedenkopf, Kurt, Die Ausbeutung der Enkel; Hamm-Brücher, Hildegard, In guter Verfassung?; Kirchhof, Paul, Das Gesetz der Hydra; ders., Die Er-

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So ist es heute mehr denn je lebensnotwendig, nach Gerechtigkeit zu streben – in der Praxis, aber auch in der Theorie. Auch in der Rechtswissenschaft besteht ein kräftiger Nachholbedarf. Bernd Rüthers konstatiert, dass „das Wissen um die Grundlagen des Rechts und der Rechtswissenschaft ... in einem beklagenswerten Zustand“ ist. 6 neuerung des Staates; ders., Das Maß der Gerechtigkeit; Di Fabio, Udo, Die Kultur der Freiheit; Clement / Merz, Was jetzt zu tun ist; Schäuble, Wolfgang, Und der Zukunft zugewandt; Sarrazin, Thilo, Deutschland schafft sich ab; Schreiner, Ottmar, Die Gerechtigkeitslücke; Lehmann, Karl, Globalisierung und christliches Menschenbild, sowie Grimm, Dieter, Multikulturalität und Grundrechte, in: Wahl / Wieland (Hg.), Das Recht des Menschen in der Welt, S. 15 ff. und S. 135 ff.; Weizsäcker, Carl Friedrich von, Die Zeit drängt, S. 25 ff., u. a.; Jonas, Hans, Das Prinzip Verantwortung; Goleman, Daniel, Emotionale Intelligenz; Roder, Florian, Die Kunst der Seele, S. 8 ff.; auch Grimm, Dieter, Die Verfassung und die Politik. – Siehe schon Schweitzer, Albert, Verfall und Wiederaufbau der Kultur; ders., Kultur und Ethik; ders., Wir Epigonen. – Zur Finanz- und Wirtschaftskrise z. B. Kirchhof, Paul, Das Maß der Gerechtigkeit, S. 16 ff.; ders., Der Schaden der anderen, in: FAZ 28. 5. 2009, S. 31; Clement / Merz, Was jetzt zu tun ist; Köhler, Horst, „Die Finanzmärkte sind zu einem Monster geworden“, in: STERN, Nr. 21/2008, S. 40 ff.; Titelgeschichte „Im Hauptquartier der Gier“ in: DER SPIEGEL, Nr. 29/2009, S. 42 ff. – Aufschlussreich für eine Analyse der Gegenwart ist auch das „Buch der Laster“ von Wolfgang Sofsky, der zahlreiche subjektive Befindlichkeiten kennzeichnet, die zu dem bedenklichen Zustand unserer modernen Welt ursächlich beitragen: Gleichgültigkeit, Trägheit, Habgier, Maßlosigkeit, Ungerechtigkeit, Hochmut und andere Untugenden. Zu dem Thema „Tugenden und Laster“ auch Philippa Foot, in: Rippe / Schaber (Hg.), Tugendethik, S. 69 ff. – Zu den Tugenden ausführlich unten D. IV. 6 Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, S. VIII. – Siehe dazu auch den interessanten, von Brugger / Neumann / Kirste herausgegebenen Sammelband „Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert“. – Signifikant auch die Überschrift eines Artikels von Paul Nolte „Abschied von der Gerechtigkeit“, in: FAZ 20. 12. 2008, S. 17; siehe auch Gentinetta / Horn (Hg.), Abschied von der Gerechtigkeit. – Weiter Braun, Johannes, Rechtsphilosophie, S. 313, der unter Bezugnahme auf den Untertitel seines Buches „Die Rückkehr der Gerechtigkeit“ zum Schluss schreibt: „Die Rückkehr der Gerechtigkeit, so scheint es, endet langfristig gesehen mit ihrem erneuten Verschwinden.“ – Auch als Paradebeispiele genannte Fälle haben ihre Tücken: So wird z. B. als ganz eindeutig der Fall dargestellt, dass zwei Kinder ein Stück Kuchen bekommen; klar, was gerecht sei: einer schneidet, der andere wählt eines der geschnittenen Stücke (Marx, Reinhard, Gerechtigkeit,

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Also: Was wissen wir über Gerechtigkeit? Wie können wir ihr näherkommen – mit unserem Verstand und mit unserem Bewusstsein?

S. 5, mit dem Zusatz: „So einfach kann Gerechtigkeit sein!“). Bei dieser Darstellung wird aber m. E. übersehen, dass das zweite Kind oft einen Vorteil hat, denn es kann zwischen zwei nicht exakt gleichgroß geschnittenen Stücken wählen – und dabei wohl das etwas größere Stück für sich wählen (die altruistische Abgabe des größeren Stücks an das andere Kind wird eher selten sein). Deshalb bleibt auch in diesem Fall die Frage zu beantworten: Wie wird gerecht entschieden, wer der Erste (Schneidende) und wer der Zweite (Wählende) sein soll ...? – Amartya Sen bringt als Beispiel den Streit zwischen drei Kindern um eine Flöte (Die Idee der Gerechtigkeit, S. 41 ff.). Lässt man komplizierte Theorien beiseite, so ist doch aber klar: Clara hat die Flöte gefertigt, deshalb gehört sie ihr; ob sie einem der beiden anderen Kinder ihre Flöte gibt, ist ihre freie Entscheidung (bei der die von Amartya Sen genannten Situationen dieser anderen eine Rolle spielen können). – Zu Kindern und ihrem Gerechtigkeitsbewusstsein auch unten C. II.

B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit I. Einige Grundgedanken 1. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit

Das Thema Gerechtigkeit flammt im Leben meist dann auf, wenn jemand in einem bestimmten Tatbestand eine Ungerechtigkeit sieht und deshalb nach Gerechtigkeit ruft. Auslöser für einen Ruf nach Gerechtigkeit ist die Differenz zwischen einem als ungerecht empfundenen Sachverhalt und der Vorstellung eines gerechten Zustands. 1 Amartya Sen schreibt im Vorwort seiner „Idee der Gerechtigkeit“, zum Handeln treibe uns „die Tatsache, dass es in unserer Umgebung Ungerechtigkeiten gibt, die sich ausräumen lassen und die wir beenden wollen“; und: „Unrecht zu erkennen, dem man abhelfen kann, ist ... auch zentral für die Theorie der Gerechtigkeit.“ 2 Auseinandersetzungen gehen oft von zwei oder mehr unterschiedlichen Wertungen eines Sachverhalts aus, es gibt auch unterschiedliche Interessen: id quod interest (das was unterschiedlich ist). Das kann bedeuten: Die Waage der Gerechtigkeit hängt schief – zumindest in der Sicht eines Beteiligten, und der möchte den Waagebalken ge-richtet sehen und seine Sache ge-rechter. Und so fängt er ggf. Auseinandersetzung und Streit an: Abmahnung, Anwaltsschreiben, Klage, Prozess – gar gewaltsame Aktivitäten wie Terror, Revolution oder Krieg. 1 Dazu Liebsch, Burkhard, Sinn für Ungerechtigkeit im Streit um Gerechtigkeit, in: Möhring-Hesse (Hg.), Streit um die Gerechtigkeit, S. 118 ff., 131 ff.; Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 400. 2 Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 7. – Zur Ungerechtigkeit auch unten B. I. 9.

I. Einige Grundgedanken

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Für Otfried Höffe scheint „der Konflikt, mindestens die Konfliktgefahr, tatsächlich zur conditio humana zu gehören“. Goethe schrieb an Schiller am 15. 12. 1795: „Leider sind es öfter die Meinungen über die Dinge als die Dinge selbst, wodurch die Menschen getrennt werden.“ Interessant ist dabei: Oft haben beide Seiten etwas Recht. François de La Rochefoucauld meinte: „Streitigkeiten würden nie lange dauern, wenn das Unrecht immer nur auf der einen Seite wäre.“ 3

Ziel aller Bemühungen um Rechtsfrieden und Gerechtigkeit ist es dann, die Differenzen zu beseitigen, etwa durch Änderung der tatsächlichen Situation, durch Einigung der Parteien, durch Einzelentscheidung (verbindliche Anweisung, Verwaltungsakt oder Richterspruch) oder durch Gesetzgebung als präventive Vorsorge. 2. Macht und Gerechtigkeit

Die Frage nach Gerechtigkeit stellen wir bei zahlreichen, ganz unterschiedlichen Handlungen und Akten. Wir sprechen vor allem dann von gerecht oder ungerecht, wenn wir Aktivitäten oder Unterlassungen der drei Staatsgewalten betrachten: Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung. Gerechtigkeit erwarten wir auch bei sozial Mächtigen: bei Arbeitgebern, Direktoren und sonstigen Vorgesetzten, bei Lehrern, Schiedsrichtern etc. Gemeinsam ist diesen Beispielen, dass es um Instanzen und Personen mit Wirkungsgewalt gegenüber anderen geht, um eine Ausübung von Macht: Ausübung von staatlicher Macht oder von sozialer Macht. 4 3 Höffe, Otfried: Politische Gerechtigkeit, S. 292. – Brief Goethe: Staiger, Emil, Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, S. 170. – François de La Rochefoucauld: Maximen und Reflexionen Nr. 496, S. 69. – Zum Begriff des Interesses Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 530 ff.; Nida-Rümelin, Julian, Demokratie und Wahrheit, S. 109 ff. 4 „Macht“ ist bekanntlich ein eigenes Forschungsobjekt; siehe dazu den Klassiker Max Weber, Soziologische Grundbegriffe, § 16, S. 89 ff.; ders., Politik als Beruf, S. 8 ff.; außerdem Spaemann, Robert, Moralische Grund-

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Dazu muss man zunächst nüchtern sagen: Natürlich will jeder Inhaber von Macht seine Macht auch ausüben. Dafür ist sie ihm eingeräumt worden, oder er hat sie sich erworben, manchmal hart erarbeitet und erkämpft; auch er will seine Freiheit, er will seine Kür. Viele setzen ihre Macht ja auch zum Nutzen anderer Menschen ein: Macht an sich ist weder gut noch böse. Und dass Macht beim Mächtigen Verantwortung auslösen soll, ist auch allgemein bekannt. „Freiheit und Verantwortung sind untrennbar.“ 5 Für unser Thema ist wichtig, dass es in einer geordneten, rechtsstaatlichen Gemeinschaft geboten ist, für den Fall drohenden oder wirklichen Missbrauchs die Macht zum Schutze anderer Personen wirkungsvoll zu binden. Genau dies empfinden wir als Sinn der Gerechtigkeit und als Aufgabe des an Gerechtigkeit orientierten Rechts: Schutz vor der Macht-Willkür der Regierungen, Ministerpräsidenten, Stadtdirektoren, Gesetzgeber, Unternehmer, Lehrer und anderer Mächtiger. begriffe, S. 52 f.; Guardini, Romano, Die Macht, Versuch einer Wegweisung (1951); Coing, Helmut, Rechtsphilosophie, S. 163 ff., 211 ff., u. a.; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 163 ff., 211 ff.; Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 109 f.; Glöckler, Michaela, Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung; Sofsky, Wolfgang, Verteidigung des Privaten, S. 17 ff. – Siehe auch Kühne, Adelheid, „Soziale Macht, Machtmissbrauch und Diskriminierungen – eine sozialpsychologische Analyse“, in: Senn / Kühne (Hg.), Diskriminierung – Wahrnehmung und Unterbrechung, S. 13 ff. – Zur Gewaltenteilung, die – auch ungerecht wirkende – Alleingänge der einzelnen Staatsgewalten verhindern soll, ausführlich Cornils, Matthias, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, S. 657 ff.; außerdem Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 31; Hayek, Friedrich A. von, Die Verfassung eines freien Staates, in: ders., Fünf Aufsätze, a. a. O., S. 48 ff. 5 So Hayek, Friedrich A. von, Die Verfassung der Freiheit, S. 93. – Siehe auch den Essay von Julian Nida-Rümelin „Warum es keine Verantwortung ohne Freiheit gibt“ (in: ders., Über menschliche Freiheit, S. 79 ff.). – Weiter: Apel, Karl-Otto, Diskurs und Verantwortung, S. 179 ff. – Hartmut Soell gab der Biographie des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt den Titel „Macht und Verantwortung“. – Zur „Macht der aktuellen Masseninformation“ der Journalisten und zu der damit verbundenen Verantwortung siehe Herrmann, Rundfunkrecht, § 22 Rn 2 ff.

I. Einige Grundgedanken

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Ganz anders ist es, wenn zwei oder mehr gleichstarke Partner zusammenkommen und etwas miteinander vereinbaren wollen: Da gelten vor allem die Prinzipien Freiheit mit freier Gestaltung der rechtlichen Tatbestände (juristisch: Privatautonomie) sowie Brüderlichkeit mit dem Vertragen in einem Vertrag. Wenn A dem B – aus welchen Gründen immer – seinen 30.000-Euro-Flügel für 25.000 Euro verkauft (oder für 35.000 Euro), dann ist das unter der Lupe Gerechtigkeit nicht kritisch. Ebenso, wenn ein Bäcker nur die Geschäfte X, Y und Z beliefert, nicht aber K, L und M (es sei denn, er habe eine marktbeherrschende und damit mächtige Stellung im Sinne des § 19 GWB). – Robert Spaemann verlangt m. E. zu viel Altruismus und Objektivität, wenn er schreibt: „Gerecht nennen wir den, der bei Interessenkonflikten darauf sieht, um welche Interessen es sich handelt und bereit ist, davon abzusehen, wessen Interessen auf dem Spiel stehen.“ (Moralische Grundbegriffe, S. 49 f.) Denn im normalen (Rechts-)Leben zwischen Gleichberechtigten und Gleichstarken darf jeder grundsätzlich seine Interessen vertreten. Wer seine Stradivari-Geige dem Meistbietenden überlässt und nicht dem „hervorragenden Geiger“ mit weniger Geld, lässt es in den Augen mancher Betrachter vielleicht an Brüderlichkeit, Nächstenliebe oder Kunstverständnis fehlen, aber er handelt nicht wirklich ungerecht. Auch die Weisung Luthers, ein nicht-armer Gläubiger solle dem armen Schuldner die Schuld erlassen, erscheint in ihrer Allgemeinheit und Strenge als zu weitgehend. 6 Das Geschäftsleben der modernen Massengesellschaft bringt es mit sich, dass im täglichen Leben immer weniger Einzelvereinbarungen zwischen gleichstarken Partnern ausgehandelt und getroffen werden; immer häufiger werden Verträge als Massengeschäfte nach Preislisten und Allgemeinen Geschäftsbedingungen der (in der Regel mächtigeren) Verkäufer(konzerne) abgeschlossen – und deshalb gibt es die reichhaltige Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz der Käufer und Verbraucher. Zu diesem Thema das Bundesverfassungsgericht: „Aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie und aus dem Sozialstaatsprinzip folgt für das Vertragsrecht im besonderen wie für die Zivilrechtsordnung insgesamt, dass nicht das Recht des Stärkeren gilt; die Zivilrechtsordnung hat dort korrigierend einzugreifen, wo das tatsächliche Übergewicht einer der Vertragsteile dem Vertrag 6 Zitat Martin Luther siehe Wolf, Erik, Recht des Nächsten, S. 61 in Anmerkung 4 zu Seite 27.

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

per se das maßgebliche Gepräge geben kann und damit Fremdbestimmung stattfindet.“ 7

3. Gerechtigkeit in der Gesellschaft mehrerer Menschen

Schon aus diesen wenigen Beobachtungen geht hervor, dass die Frage Gerechtigkeit hier nur bei Entscheidungen und Handlungen im sozialen Leben interessiert, das heißt in einer Gemeinschaft von mehreren Menschen. Unter dem Gesichtspunkt Gerechtigkeit ist z. B. nicht relevant, wie jemand im stillen Kämmerlein allein vor sich hin schreibt, liest, fernsieht etc., ohne einen anderen zu stören. Robinson brauchte nicht nur – entsprechend einer populären Redewendung – „kein Recht“, bei ihm kam es auch nicht darauf an, ob er – mit sich? mit der Natur? – gerecht umging. In sozialen Gemeinschaften, in einer Gesellschaft, leben die Menschen nach dem von Albert Schweitzer formulierten Grundsatz des Menschenbewusstseins: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ 8

Dementsprechend kann man sagen: − Der einzelne Mensch will zunächst das ausleben, was er will: Freiheit! 7 BVerfG 5. 8. 1994, NJW 1994, S. 2749. – Zum „Schutz der Verbraucher durch Regulierungsrecht“ siehe die Referate von Johannes Hellermann und Wolfgang Durner sowie die Diskussion, in: VVDStRL, 70. Band, S. 366 ff. – Zum Thema gerechte Preise und Löhne unten B. I. 5.; zur Verteilgerechtigkeit und zu der sog. ausgleichenden Gerechtigkeit unten B. I. 6. 8 Schweitzer, Albert, Aus meinem Leben und Denken, S. 145. – Zur „sozialen Beziehung“ Weber, Max, Soziologische Grundbegriffe, § 3, S. 47 ff.; auch Pannenberg, Wolfhart, Was ist der Mensch?, Die Anthropologie der Gegenwart, S. 58 ff.; Ochmann, Frank, Die gefühlte Moral, S. 74 ff.: „Ich, wir und die anderen. Der Mensch, ein soziales Wesen von Anfang an.“

I. Einige Grundgedanken

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− Mehrere Menschen können in einer Gemeinschaft nur dann lebenswert zusammenleben, Mord und Totschlag vermeiden und auch ihr Wirtschaftsleben fruchtbar gestalten, wenn ihre Devise Brüderlichkeit ist. − Und wir fügen hinzu: Da der Mächtige seinen Willen auch manchmal auf Kosten anderer Menschen verwirklichen will (Will-Kür), rufen Menschen zu allen Zeiten und in aller Welt nach Ausschluss von Willkür und Diskriminierung, nach Gerechtigkeit durch Gleichheit. So verstanden gewinnt die durch die Französische Revolution von 1789 allgemein bekannte Devise „Liberté! Égalité! Fraternité!“ einen besonderen Sinn. Gerecht erscheint eine Ordnung, die dieses Verständnis von „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ zu sichern vermag: − Freiheit für das Geistesleben! − Gleichheit im Staatsleben! − Brüderlichkeit im Gemeinschaftsleben einschließlich Wirtschaftsleben! Die Devise „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ spiegelt sich auch in dem Text, den Hoffmann von Fallersleben 50 Jahre nach der Französischen Revolution geschaffen hat und der Grundlage für die deutsche Nationalhymne geworden ist: „Einigkeit und Recht und Freiheit Für das deutsche Vaterland! Danach lasst uns alle streben Brüderlich mit Herz und Hand!“

Auch dies mag bedeuten: Freiheit für den Menschen! Brüderliche Einigkeit für die Gemeinschaft! Und Recht für und durch das Staatsleben! Im Geistesleben (Kunst, Wissenschaft und Religion) geht es ja nicht in erster Linie um Gleichheit und auch nicht primär um Brüderlichkeit: Der Künstler, der Wissenschaftler, auch der Rechtswissenschaftler, der Lehrer, der Pfarrer muss individuell

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

frei schaffen können, ohne an gleichmacherisch-einebnende Regeln oder an Gemeinschaftszwänge gebunden zu sein. Kunst, Wissenschaft und Religion können nur in einem freien Geistesleben gedeihen, nicht-gegängelt durch Staat oder Wirtschaft. Für eine Trennung von Kultur und Politik plädiert jetzt auch Rüdiger Safranski: „Diese beiden Wahrheiten, die kulturelle und die politische, sollten getrennt werden“ – sonst bestehe die Gefahr, dass „wir entweder eine abenteuerliche Politik oder eine ausgenüchterte Kultur bekommen und, im schlimmsten Fall, sogar beides“. 9 Die Verbindung von Wirtschaftsleben und Brüderlichkeit mag zunächst erstaunen, wenn man an mörderische Konkurrenzkämpfe, feindliche Übernahmen, Verkauf von Luftnummern zum Schaden ganzer Volkswirtschaften sowie an andere Untaten des Wirtschaftslebens denkt. Aber: Ohne Miteinander-Vertragen („Vertrag“!) und ohne Vertrauen kann es tatsächlich kein fruchtbares Wirtschaftsleben geben. Wer Augentropfen, einen Elektromixer oder tausend Laptops kauft, vertraut ganz natürlich darauf, dass diese Gegenstände ihren versprochenen Zweck erfüllen und nicht schaden. In dem gewaltigen Abschnitt des heutigen Gemeinschaftslebens Straßenverkehr geht es überhaupt nicht ohne ein brüderliches Vertrauen darauf, dass der Entgegenkommende mich nicht rammt. 10 9

Safranski, Rüdiger, Wieviel Wahrheit braucht der Mensch?, S. 208 f. Dies bringt § 1 Straßenverkehrsordnung recht gut zum Ausdruck: „(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. (2) Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, daß kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“ – Zur Subsidiarität des Staates und zur Dreigliederung des Sozialen Organismus siehe Ernst von Hippel, Gewaltenteilung im modernen Staate, S. 53 ff.; ders., Vom Wesen der Demokratie, S. 51 ff., u. a.; Spitta, Dietrich, Die Staatsidee Wilhelm von Humboldts, S. 94 ff., 132 ff., u. a.; ders., Menschenbildung und Staat, S. 33 ff., 88 ff.; ders., Voraussetzungen für solidarisches Wirtschaften, in: ders. (Hg.), Die Herausforderungen der Globalisierung, S. 91 ff.; Humboldt, Wilhelm von, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, S. 49 ff., 64 ff., 160 ff.; dort S. 170 ff. Nachwort von Dietrich Spitta; zu Wilhelm von Humboldt auch Weber-Fas, Rudolf, Staatsdenker der Moderne, S. 215 ff.; Röschert, Günter, Kunst des Rechts, S. 19 ff. – Zu Gedanken eines subsidiären Staates schon Friedrich Schiller, 10

I. Einige Grundgedanken

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4. Amtspflicht oder freier Wille, gerecht zu handeln

Wie erwähnt, fordern wir Gerechtigkeit primär im Staatsleben. Wir erwarten und verlangen, dass der Staat mit seinen drei Gewalten Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung gerechtes Recht schafft und Recht gerecht anwendet. Gerechtigkeit ist ein Fundament des Rechtsstaates, und Gerechtigkeit üben ist im Staatsleben Pflicht. 11 Demgegenüber sollen im Geistesleben die Menschen primär nach der Devise Freiheit leben und schaffen können, und im allgemeinen Gemeinschaftsleben einschließlich Wirtschaftsleben mögen die Menschen unter dem Motto Brüderlichkeit handeln. Soweit im Zusammenhang mit dem Wirtschaften oder mit dem Geistesschaffen etwas geschieht, das seiner Natur nach Rechtsleben ist, taucht freilich ganz natürlich auch die Frage nach Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 27. Brief, a. a. O., S. 163 ff. („Freiheit zu geben durch Freiheit ist das Grundgesetz dieses Reiches.“); dort S. 9: Einleitung von Heinz Zimmermann. – Nachweise über die Dreigliederung des sozialen Organismus bei Rudolf Steiner siehe Herrmann, Recht, Rn D. 20 ff., sowie zahlreiche Zitate in dem Sammelband Herrmann, Quellen für ein neues Rechtsleben. – Zu entsprechenden Gedanken im Märchen von Goethe siehe Spitta, Dietrich, Goethes Einweihung und sein Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie, S. 252 ff. – Zu dem in unserer Zeit besonders vernachlässigten Thema Brüderlichkeit siehe Attali, Jacques, Brüderlichkeit; Georgens, Otto, Solidarität – Auslaufmodell oder Ressource der Gesellschaft?, in: Schreckenberger (Hg.), Staat und Religion, S. 69 ff. (mit zehn Thesen „Für eine Kultur der Solidarität“, S. 78 f.); Kaufmann, Franz-Xaver, Über die Brüderlichkeit, in: Rahner / Welte (Hg.), Mut zur Tugend, S. 67 ff.; Häfner, Gerald, Brüderlichkeit im Zeitalter der Globalisierung, in: Spitta, Dietrich (Hg.), Die Herausforderungen der Globalisierung, S. 62 ff.; Herrmann, Recht, Rn D. 14 ff., 48 ff., 189. 11 Dazu Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 387 ff. (mit einem zutreffenden Hinweis auf die enge Verbindung zwischen Grundgesetz und Gerechtigkeit). – Zum Rechtsstaat siehe Schachtschneider, Karl Albrecht, Prinzipien des Rechtsstaates; Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12; Arnauld, Andreas von, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, S. 703 ff. – Zu den Pflichten und Eidesleistungen der Amtsträger unten D. III.

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Recht und Gerechtigkeit auf. Wenn ein Maler ein Bild veräußert oder ein Kunsthändler es versteigert, gelten dafür selbstverständlich die Rechtsnormen mit dem Gerechtigkeitsgebot pacta sunt servanda (Verträge müssen gehalten werden). 12 Was sagen wir nun, wenn ein Kind sich ungerecht behandelt fühlt, weil es meint, zu Weihnachten „viel weniger“ bekommen zu haben als seine Geschwister? Oder wenn ein Schüler über die Ungerechtigkeit des Lehrers klagt, der ihn „immer links liegen“ lässt und „nie aufruft“? Beide haben mit ihrem Gefühl von Ungerechtigkeit schon Recht! Oder wollen wir etwa unsere schöne Gerechtigkeit streng für das Rechts- und Staatsleben monopolisieren und sagen, das Kind oder der Schüler möge einen anderen Begriff wählen? – Nein, es geht auch hier darum, ob ein tatsächlich Mächtiger gerecht oder ungerecht handelt. Der Unterschied liegt darin, dass die Eltern und der Lehrer keine auf diese Details bezogene Rechtspflicht haben. Sie werden in erster Linie frei, brüderlich oder liebevoll handeln wollen; wenn sie ihre Handlungen (auch) an der Gerechtigkeit ausrichten, kann dies als freie Tat hinzukommen. 13

12 Zu Verträgen im Wirtschaftsleben siehe Herrmann, Recht, Rn D. 182 ff. – Zu dem Satz „pacta sunt servanda“ siehe Bovensiepen, Rudolf, Lateinische Rechtssprichwörter, S. 23 f.; auch unten B. II. 3. c). 13 Zu dem Gerechtigkeitsempfinden von Kindern Weiteres unten C. II. – Weiteres zu der Fülle von Fragen, wie Menschen Gerechtigkeit üben müssen oder wollen und wie frei oder gebunden sie dabei sind, unten D. III. – Anmerkung: Bei den Differenzierungen zwischen Staatsleben, Geistesleben und Wirtschaftsleben kommt es auf den Charakter des Lebenssachverhalts an, nicht auf die handelnden Personen. Über welche Themen in welchem Stil ein Bundesminister Gedichte schreibt und was er seiner Ehefrau zu Weihnachten schenkt, ist – trotz seiner hohen Funktion im Staate – nicht unter dem Gesichtspunkt einer Gerechtigkeitspflicht zu beurteilen.

I. Einige Grundgedanken

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5. Gerechte Preise und Löhne?

Wie ist es mit dem gerechten Preis und dem gerechten Lohn, die in Gerechtigkeitsdebatten an unterschiedlichen Stellen abgehandelt werden? 14 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass in einer freien, wenn auch sozialen Marktwirtschaft der Unternehmer seine Einnahmen und Ausgaben regelmäßig zu seinem Nutzen steuert und auch steuern darf. Der Wirtschaftsunternehmer hat nicht primär das Ziel, aus Gründen der Gerechtigkeit einen gerechten Preis zu verlangen oder einen gerechten Lohn zu zahlen. Die Preis- und Lohngestaltung folgt wesentlich anderen Prinzipien als denen der Gerechtigkeit. Freilich erkundigt sich der umsichtige Unternehmer nach den Preisen der Konkurrenz, um (im Rahmen der Preisvorgaben seiner Lieferanten, seiner Selbstkosten und anderer Parameter) einen angemessenen, „marktgerechten“ Preis festzusetzen: Das ist aber meist weniger allgemeines Gerechtigkeitsstreben als unternehmerisches Kalkül. Und ein guter Chef will natürlich seinen Mitarbeitern Löhne und Gehälter zahlen, die Ungerechtigkeiten möglichst vermeiden – sei es auch um des lieben (Betriebs-)Friedens willen. Gerechtigkeit als solche hat dabei meist nicht Priorität – von den lobenswerten und erfreulich häufiger werdenden Fällen eines fairen Handels und eines sozial-menschlichen Betriebes mit fairer Preis- und Lohngestaltung abgesehen. (Dass der Unternehmer für die Mitarbeiter einer bestimmten Beschäftigungsart gleiche Löhne zu zahlen hat, erscheint freilich als Gebot der Gerechtigkeit: Gleichbehandlung der Arbeitnehmer.) Trotz formaler Privatautonomie und trotz freier Marktwirtschaft erscheinen freilich vielen Menschen bestimmte Preise und Löhne ungerecht: seien es extrem hohe Einzelgehälter, Boni, Abfindungen, Ablösungen etc. für einige Spitzenmanager, Spitzensportler und andere sog. Prominente, seien es Preise für manche Kunstgegenstände. Auch das aber ist im Prinzip freier Markt. – Ungerecht können auch extrem 14 Z. B. Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 361 ff.; Engisch, Karl, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 163 ff., 166 ff.; Hippel, Eike von, Willkür oder Gerechtigkeit, S. 26 ff., 53 ff.; auch Sandel, Michael J., Justice, S. 3 ff.

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

niedrige Preise erscheinen: Dumpingpreise oder Preise, die nur wegen einer unbeschreiblichen Ausbeutung von Arbeitern im Produktionsprozess möglich sind. 15

Sobald jedoch der Staat Preise oder Löhne festsetzt, Managerbezüge und Bonuszahlungen beschränkt oder die Preisgestaltung marktbeherrschender Unternehmen regelt, gelten selbstverständlich die für staatliches Handeln geltenden Gerechtigkeitsgebote. Staatliche Preis- und Lohnregelungen gibt es ja nicht nur in Diktaturen mit volkseigener Wirtschaft, sondern sie sind manchmal auch Instrumentarien demokratischer Staatsführungen mit grundsätzlich freier Marktwirtschaft – denken Sie nur an die zahlreicher werdenden Normen für Mindestlöhne und die Auflagen bei Bürgschaften oder anderen Hilfen des Staates. Mittelbare Regelungen privatrechtlicher Entgelte durch den Staat finden sich auch immer häufiger in (sozialstaatlich gemeinten) Gesetzesbestimmungen, die manchmal unter der unscheinbaren Flagge angemessene Vergütung aufscheinen, z. B. im Arbeitsrecht, im Mietrecht, im Urheberrecht. 16 15 Siehe auch die folgenden Ausführungen sowie B. I. 2. und B. I. 7. – Übrigens: Wenn für die Preisgestaltung in der freien Wirtschaft Gerechtigkeit im Sinne von Gleichgewichtigkeit von Leistung und Gegenleistung geboten wäre – was aber eben nicht der Fall ist –, würde es in diesem zentralen Punkt des Wirtschaftslebens kaum Wettbewerb geben: Der aber ist nach allgemeiner Meinung eine tragende Säule unseres Wirtschaftssystems. – Zur früheren laesio enormis (Die Gegenleistung darf nicht mehr als das Doppelte und nicht weniger als die Hälfte der Leistung betragen) siehe Wolf, Erik, Recht des Nächsten, S. 42 Anm. 8. Dazu aktuelle Anmerkung: Eine solche Regelung würde heutzutage gegen die von Michael J. Sandel eindrucksvoll beschriebenen Preistreibereien in Katastrophenfällen helfen können ... (Sandel, Michael J., Justice, S. 3 ff.) – Zum Gesamtthema Wettbewerb siehe Berichte und Diskussionen der Staatsrechtslehrertagung 2009 „Gemeinwohl durch Wettbewerb?“ (VVDStRL, 69. Band). 16 Vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) werden regelmäßig „Mindestlöhne im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG)“ bekanntgemacht; www.bmas.de. – Zu Problemen der Mindestlöhne siehe Schreiner, Ottmar, Die Gerechtigkeitslücke, S. 110 ff.; Sodan /

I. Einige Grundgedanken

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6. Verteilgerechtigkeit

Schon die bisher genannten Beispiele haben uns vor Augen geführt, dass die Frage der Gerechtigkeit in verschiedenen Fallgestaltungen der Über- und Unterordnung auftaucht, bei der Verteilung von Rechten und Pflichten, Rechtspositionen und Wohltaten oder Lasten: Der Gesetzgeber verteilt Rechte und Pflichten durch Gesetze für die verschiedenen Rechtsgebiete. Der Richter ordnet durch sein Urteil den Beteiligten ihre Rechtspositionen konkret zu, ebenso der Verwaltungsbeamte durch einen Verwaltungsakt und der Unternehmenschef durch seine Anweisungen. Gerechtigkeit ist in all diesen Fällen Verteilgerechtigkeit. 17 Zimmermann, Tarifvorrangige Mindestlöhne versus Koalitionsfreiheit, in: NJW 2009, S. 2001; Bayreuther, Frank, Einige Bemerkungen zur Verfassungsmäßigkeit des Arbeitnehmerentsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungengesetzes 2009, in: NJW 2009, S. 2006. – Zu den „angemessenen Vergütungen“ in den §§ 32 ff. UrhG (Novelle von 2002) siehe die Veranstaltung des Instituts für Urheber- und Medienrecht, München, am 4. 12. 2009; Referate und Diskussionsbericht in: ZUM 2010, S. 89 ff.; auch Schweizer, Robert, Schutz der Leistungen von Presse und Journalisten, in: ZUM 2010, S. 7; Däubler-Gmelin, Herta, Zur Notwendigkeit eines Urhebervertragsgesetzes, in: GRUR 2000, S. 764. – Das Landgericht Hamburg hat in einem Urteil vom 18. 4. 2008 zu diesen Normen – mit erkennbar kritischem Unterton – gesagt: „Eine Konkretisierung dieses ‚gerechten Preises‘ hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen. Sie bleibt den Gerichten überlassen, wobei die mit dieser hoheitlichen Preiskontrolle verbundene Ermessensausübung die Grenze der Justitiabilität erreicht.“ (ZUM 2008, S. 603) – Weiter hierzu BGH 7. 10. 2009, ZUM 2010, S. 48, mit Anmerkung Bernhard von Becker, ZUM 2010, S. 55; ZUM-RD 2010, S. 62; BGH 29. 10. 2009, ZUM-RD 2010, S. 1. – Zu angemessenen Übersetzervergütungen siehe z. B. BGH 20. 1. 2011, ZUM 2011, S. 403 und 408. – Eine weitaus längere Tradition hat der „Wucherparagraph“ § 138 BGB: Nichtig ist ein Rechtsgeschäft, „das gegen die guten Sitten verstößt“, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Die moderneren §§ 307 ff. BGB schützen gegen eine unangemessene Benachteiligung eines Vertragspartners durch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Dazu Helmut Heinrichs, in: Palandt, BGB, Anmerkungen zu §§ 138 und 307 ff. BGB. 17 In dieser Arbeit wird der sonst oft übliche Begriff „verteilende Gerechtigkeit“ nicht verwendet, weil es nicht die Gerechtigkeit ist, die verteilt,

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Ob die seit über 2000 Jahren übliche Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit beim Verteilen (iustitia distributiva) und ausgleichender Gerechtigkeit (iustitia commutativa und iustitia vindicativa) heute noch den tradierten definitorischen Wert hat, erscheint nicht sicher. 18 Klar ist, was mit der soeben erörterten Verteilgerechtigkeit gemeint wird: Der Staat, der Gemeindedirektor, der Geschäftsführer eines Unternehmens oder ein anderer Übergeordneter verteilt Sozialleistungen, Steuererleichterungen, Betriebsgenehmigungen, Prämien, auch Orden und Ehrenzeichen – oder Pflichten: Wehrpflicht, Zahlungs- und Steuerpflichten, Dienstpläne etc. – und bei diesem Verteilen soll er gerecht entscheiden. – Daneben soll nach der tradierten Lehre mit einer iustitia commutativa und mit einer iustitia vindicativa erfasst werden: Mehrere Partner vereinbaren etwas – dies geschieht aber doch tatsächlich weitgehend in persönlicher Freiheit und Privatautonomie und nicht zur Praktizierung allgemeiner Gerechtigkeit (soeben B. I. 5.). Oder: Der Staat will in vorauseilender Fürsorge zum Schutz des Schwächeren durch Gesetze Auswüchse verhindern oder für bestimmte Tatbestände Schäden ausgleichen oder eine Strafe vorsehen. So gewährt der Gesetzgeber dem, der eine mangelhafte Kaufsache erhält, Gewährleistungsansprüche, dem Mittelständler Schutz vor Kartellmissbrauch, dem Arbeitnehmer Kündigungsschutz, dem Grundeigentümer Schutz gegenüber einem rabiaten Nachbarn, dem Kind (durch Pflichtteilregelung) Schutz vor völliger Enterbung, dem Verletzten Schadensersatz, oder er droht dem Straftäter eine Strafe an. Genau betrachtet ist auch in diesen Fälsondern die Menschen, deren Handlungen unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten beurteilt werden. 18 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 5. Buch. – Zur Gerechtigkeitslehre von Aristoteles und zu ihrer Fortführung durch Thomas von Aquin siehe Höffe, Otfried, Aristoteles, S. 228 ff., u. a.; ders., Gerechtigkeit, S. 22 ff.; Forschner, Maximilian, Thomas von Aquin, S. 105 f., u. a.; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 111 ff.; Haft, Fritjof, Aus der Waagschale der Justitia, S. 118 ff.; Adomeit, Klaus, Rechts- und Staatsphilosophie I, S. 82 ff.; Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 181 ff.; Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 350 ff.; Pfordten, Dietmar von der, Rechtsphilosophie, S. 21 ff., 61 ff. (mit instruktiven Übersichten S. 23 f.); Dihle, Albrecht, in: Bock (Hg.), Gesetz und Gesetzlichkeit in den Wissenschaften, S. 23 ff.; Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit?, S. 43 ff.; Engisch, Karl, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 149 ff.; MacIntyre, Alasdair, Der Verlust der Tugend, S. 197 ff.; Radbruch / Zweigert, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 37; Pieper, Josef, Über die Tugenden, S. 101 ff. (Pieper sieht in der Tauschgerechtigkeit „die sozusagen klassische Gestalt der Gerechtigkeit“).

I. Einige Grundgedanken

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len der entscheidende Akt ein zuteilender, ein verteilender Akt; hier werden Rechtspositionen zugeteilt, verteilt – und bei diesen Entscheidungen hat der Gesetzgeber gerecht vorzugehen, ebenso der Richter und der Verwaltungsbeamte bei Anwendung der Gesetze mit der Zuordnung von Rechtspositionen durch Urteil oder Verwaltungsakt. Das ist der Sache nach im Grunde alles Verteilgerechtigkeit. 19

7. Soziale Gerechtigkeit: Gerechtigkeit bei Knappheit materieller Güter

Nun zu der Fülle ganz aktueller weltweiter Probleme, die allgemein unter der Überschrift „Soziale Gerechtigkeit“ abgehandelt werden. Gemeint ist damit in erster Linie die schier unüberschaubare Masse erschütternder Sozialverhältnisse in aller Welt: Armut, Hunger, Krankheiten und anderes Elend von hunderten Millionen Menschen. Weltweit ertönt hier der Hilferuf nach Besserung, nach Ausgleich - nach Gerechtigkeit! Diese Missstände, und auch andere soziale Ungerechtigkeiten in gemäßigten Zonen und in gemäßigten Graden, sind es ja, die die meisten Menschen im Auge haben, wenn sie die Verhältnisse als insgesamt ungerecht bezeichnen (oben A.). Soziale Gerechtigkeit ist auch Schlagwort und politischer Kampfbegriff. Norbert Blüm nennt sie einen „weißen Schimmel“, Friedrich A. von Hayek spricht von „Unsinn“. Wolfgang Sofsky merkt an, bei den sozialen Missständen gehe es nicht um eine Frage der Gerechtigkeit: Wenn jemand hungere, dann müsse ihm geholfen werden, weil Hunger für jeden Menschen ein elender Zustand sei – unabhängig davon, ob auch andere Menschen hungern. Otfried Höffe spricht von einem „Zauberwort“. 20 19 Ähnlich Engisch, Karl, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 161 (mit Nachweisen); kritisch zur allgemeinen Lehre auch Brunner, Emil, Gerechtigkeit, S. 33 ff. 20 Blüm, Norbert, Gerechtigkeit, S. 31: „Soziale Gerechtigkeit“ sei ein „weißer Schimmel“, weil sich Gerechtigkeit immer auf andere be-

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Soziale Gerechtigkeit meint Gerechtigkeit bei der Verteilung von materiellen, für das Leben wichtigen, zumal knappen Gütern in den verschiedenen sozialen Systemen. ziehe – „iustitia est ad alterum“. – Friedrich A. von Hayek hat scharfe Kritik geäußert und „Soziale Gerechtigkeit“ als „Unsinn, alles Unsinn!“ bezeichnet; zu dieser Äußerung von Hayek siehe Möhring-Hesse, Matthias, in: ders., Streit um die Gerechtigkeit, S. 137 f. – Zitat von Sofsky, Wolfgang: Das Buch der Laster, S. 172 f. – Zitat Höffe, Otfried: Soziale Gerechtigkeit: ein Zauberwort – Essay, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 37/2005, auch: www.bpb.de (9. 1. 2009). – Hasso Hofmann spricht in seiner „Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie“ von einer „neuen Parole“ und fragt: „... nur eine neue Illusion?“; S. 193 ff., 212 ff. – „Soziale Gerechtigkeit“ ist traditionell Losung und Parole politischer Parteien – zunächst linker Parteien, später auch anderer Parteien, die nicht als sozial ungerecht erscheinen wollen. Zum Thema Schreiner, Ottmar, Die Gerechtigkeitslücke (mit dem Vorschlag für einen „Pakt für Soziale Gerechtigkeit“, S. 223 ff.). – Zu dem gewaltigen Thema Soziale Gerechtigkeit gibt es unzählige Äußerungen; hier nur einige Hinweise: Isensee, Josef (Hg.), Solidarität in Knappheit; Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 84 ff.; Kirchhof, Paul, Das Maß der Gerechtigkeit, S. 290 ff., u. a.; Nussbaum, Martha C., Die Grenzen der Gerechtigkeit; Möhring-Hesse, Matthias (Hg.), Streit um die Gerechtigkeit; Gentinetta / Horn (Hg.), Abschied von der Gerechtigkeit; Honneth, Axel, Das Andere der Gerechtigkeit; Geißler, Heiner, Glaube und Gerechtigkeit; Walzer, Michael, Sphären der Gerechtigkeit; Prantl, Heribert, Kein schöner Land, Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit; Grosser, Alfred, Gerechtigkeit (mit Hinweisen auf päpstliche Enzykliken), in: Marx (Hg.), Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht, S. 70 ff. (siehe dort auch einschlägige Beiträge anderer Autoren); Pfordten, Dietmar von der, Rechtsethik, S. 210 ff., 436 ff.; Krebs, Angelika (Hg.), Gleichheit oder Gerechtigkeit; Ekardt, Felix, Wird die Demokratie ungerecht?; Di Fabio, Udo, Kann Globalisierung gerecht sein?, in: FAZ 22. 9. 2008, S. 8; Kriele, Martin, Rechtsphilosophie, S. 210 ff. (mit Kritik gegenüber dem Begriff „soziale Gerechtigkeit“); Suttner, Bernhard G., Die 10 Gebote; Weizsäcker, Carl Friedrich von, Die Zeit drängt, S. 25 ff., 115, u. a.; Brugger, Winfried, Das anthropologische Kreuz, S. 167 ff.; Davy, Ulrike / Axer, Peter, Soziale Gleichheit: Voraussetzung oder Aufgabe der Verfassung?, sowie Kluth, Winfried und Baer, Susanne, Demografischer Wandel und Generationengerechtigkeit, Berichte und Diskussionen in: VVDStRL, 68. Band, S. 122 ff. und 246 ff.; auch Assmann, Jan, Ma’at, Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, S. 24 ff. – Last but not least sind die US-amerikanischen opinion leader zu nennen: Rawls, John, Eine Theorie der Gerechtigkeit (1979) sowie Gerechtigkeit als Fairness (2006); Sen, Amartya, The Idea of justice (2009), deutsch: Die Idee der Gerechtigkeit (2010); Nussbaum, Martha C., Die Grenzen der Gerechtigkeit (2010) sowie Sandel, Michael

I. Einige Grundgedanken

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Im Gegensatz zu der sog. Sozialen Gerechtigkeit geht es bei den anderen Feldern der Gerechtigkeit und in ihrem Kern nicht (nur) um die Verteilung knapper materieller Güter (so aber Spaemann, Robert, Moralische Grundbegriffe, S. 50). Gerechtigkeit allgemein bezieht sich nicht nur auf materielle Güter, schon gar nicht nur auf knappe materielle Güter, sondern sie kann sich z. B. auch im Strafrecht, im Familienrecht, im Urheberrecht und nicht zuletzt im Verfassungsrecht entfalten. Gerechtigkeit kann durchaus immaterielle Güter wie Menschenwürde und Persönlichkeit betreffen und vor verletzender Machtausübung schützen. Bei Friedrich Dürrenmatt will die „Alte Dame“ auf Besuch sehr viel Geld spenden – aus Gründen der Gerechtigkeit unter der Bedingung eines Mordes. 21 J., Justice (2009). Zu John Rawls, der offensichtlich primär die sog. „soziale Gerechtigkeit“ im Auge hat, siehe Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 383 f.; Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 223 ff.; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 115 ff.; S. 116: „Auch die von Rawls vorgeschlagenen Gerechtigkeitsprinzipien lassen zu viele Fragen offen.“; ders., Im Irrgarten der Gerechtigkeit, S. 19; Nussbaum, Martha C., Die Grenzen der Gerechtigkeit, S. 25, u. a.; Sandel, Michael J., Justice, S. 140 ff.; Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 66 ff.; Nida-Rümelin, Julian, Demokratie und Wahrheit, S. 25 f.; Hofmann, Hasso, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, S. 62 ff.; ders., Bilder des Friedens oder Die vergessene Gerechtigkeit: „Im Kern ging und geht es nach diesem Defensor Iustitiae der Neuen Welt um den Versuch, die vergessene Gerechtigkeit als soziales Ordnungsprinzip zur Modifikation des Freiheitsgrundsatzes und des Fortschrittsgedankens ins Zentrum der Rechts- und Staatsphilosophie zurückzuholen.“ (S. 74); Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 28 ff.; Brandt, Reinhard, Philosophie, S. 218 ff.; Albrecht Bossert, in: Bottke / Rauscher (Hg.), Gerechtigkeit als Aufgabe, S. 75 ff.; Seelmann, Kurt, Rechtsphilosophie, S. 182 ff.; Liebig / Lengfeld, Interdisziplinäre Gerechtigkeitsforschung, S. 35 f.; Merz, Friedrich, Mehr Kapitalismus wagen, S. 27 f.; Preul, Reiner, So wahr mir Gott helfe!, S. 142 ff.; Zimmer, Robert, Basis-Bibliothek Philosophie, S. 256 ff. – Amartya Sen hat sein Hauptwerk „The idea of justice“ John Rawls gewidmet, ihn kritisiert und seine Gedanken weiterentwickelt. Zu John Rawls Weiteres unten S. 85. – Erik Wolf erwähnt, dass Lon Fuller schon 1940 und Hart 1953 die Auffassung geäußert haben, Rechtsordnung sei analog der sportlichen Spielordnung aufzufassen, ihr Zweck sei ungestörter Spielverlauf, garantiert durch „fairness“ der Spieler (Wolf, Erik, Recht des Nächsten, S. 40 in der Anmerkung 9). 21 Dürrenmatt, Friedrich, Der Besuch der alten Dame, S. 31 ff., 69. – Dass es bei der allgemeinen Gerechtigkeit nicht nur um knappe materielle Güter geht, zeigt beispielhaft ein Blick auf die Ausschüttung

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Die besondere Schwierigkeit, auf diesen Feldern (gar weltweit) Gerechtigkeit im Sinne etwa gleicher Lebensverhältnisse herzustellen, liegt in der offenkundigen Tatsache, dass zahlreiche soziale Notstände und ihre Ursachen nicht von Menschen geschaffen sind und von Menschen nicht oder nicht schnell wirksam beseitigt werden können. Diese naturgegebenen Verteilungen der materiellen Güter und Unterschiede beim Zugang zu materiellen Gütern, werden oft als ungerecht bezeichnet. Im Sinne unserer Gedanken sind freilich nur menschliche Handlungen oder Unterlassungen auf die Waage der (irdischen) Gerechtigkeit zu legen. Klimaverhältnisse, Naturkatastrophen oder „gottgegebene“ Lebensschicksale können im Sinne unserer Gedanken und Ausführungen nicht als gerechte oder ungerechte Handlungen der Menschen beurteilt werden. 22

von Dividenden an durchaus Wohlhabende: Natürlich muss es dabei mit der Verteilung gleicher Anteile gerecht zugehen. – Vielleicht soll das Attribut „sozial“ bei der sog. „Sozialen Gerechtigkeit“ einfach nur zum Ausdruck bringen, dass es sich bei diesem Teilaspekt von Gerechtigkeit um soziale Verhältnisse in Bezug auf knappe materielle Güter handelt. Wenn John Rawls und andere US-Autoren ihr Gerechtigkeitsverständnis wesentlich an der Knappheit materieller Güter entwickeln, zeigt auch diese Tatsache, dass sie vor allem die Soziale Gerechtigkeit im Auge haben (siehe auch die vorangehende Fußnote; ähnlich auch die auf die Verteilung von Gütern konzentrierten „Sphären der Gerechtigkeit“ von Michael Walzer). – Zum Thema „Solidarität in Knappheit“ siehe den interessanten Sammelband von Josef Isensee. – Zur „Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen“ siehe die Referate von Joachim Lege und Thorsten Kingreen sowie Diskussion, in: VVDStRL, 70. Band, S. 112 ff. – Zur „Verteilung knapper Güter“ im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge siehe Gurlitt, Elke, in: VVDStRL, 70. Band, S. 253 ff. 22 Dazu Friedrich A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 127 ff.; Möhring-Hesse, Matthias, in: ders. (Hg.), Streit um die Gerechtigkeit, S. 137 f.; Grün, Anselm, Womit habe ich das verdient?, Die unverständliche Gerechtigkeit Gottes; Moltmann, Jürgen, „Sein Name ist Gerechtigkeit“; Onora O’Neill, Zur Begründung von Prinzipien der Gerechtigkeit, in: Ballestrem (Hg.), Naturrecht und Politik, S. 131 f. – Die göttliche und die karmische Gerechtigkeit unterliegen nicht menschlicher Disposition und auch nicht menschlicher Beurteilung; dazu auch Herrmann, Recht, Rn C. 21 ff., 43, 86 ff., 121 ff. sowie unten C. I.

I. Einige Grundgedanken

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Freilich: Es wäre total falsch, unmenschlich und ungerecht, wenn wir hier die Hände in den Schoß legen würden. Auch wenn wir die materiellen Lebensbedingungen jedenfalls auf absehbare Zeit weltweit nicht voll ausgleichen können, können und müssen wir aus dem Gerechtigkeitsgedanken den Impuls ableiten, wenigstens die Menschenwürde der Millionen leidender Menschen wahren oder herstellen zu helfen. Dafür gibt es ja in der Tat nicht nur die ungezählten Entwicklungshilfen zahlreicher Staaten, die Verbesserungen der Lebensverhältnisse in der sog. Dritten Welt anstreben, sondern auch zahllose Aktivitäten unterschiedlichster Organisationen. Und dass Menschen auch Wüste fruchtbar machen können, beweisen der Träger des alternativen Nobelpreises Ibrahim Abouleish und tausende Siedler in Israel. 23 Bei all diesen Hinweisen auf die weltweit furchtbaren Nöte darf nicht vergessen werden, dass es auch in Mitteleuropa – in gemäßigten Zonen und in gemäßigtem Grade – soziale Probleme gibt, unter denen Menschen leiden. Richtet man das Spotlight Soziale Gerechtigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland, so scheint auf, dass unser Staatswesen ein sozialer Rechtsstaat ist (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG; siehe auch die Sozialbindung in Art. 14 Abs. 2 GG). 24 23 Über Ibrahim Abouleish, der in der Wüste nordöstlich von Kairo eine mustergültige biologisch-dynamische Landwirtschaft SEKEM aufgebaut hat, siehe Baumgartner / Bader, SEKEM, Im Puls der Zukunft. – Übersichten über staatliche und nicht-staatliche Aktivitäten auch bei Hartung / Schaede (Hg.), Internationale Gerechtigkeit. – Eine Übersicht über staatliche Entwicklungshilfen findet sich in: iwd (Institut der deutschen Wirtschaft Köln) Nr. 5/2010, S. 8. – Zur „Globalisierung als Ernstfall universaler Solidarität“ siehe Otto Depenheuer, in: Isensee (Hg.), Solidarität in Knappheit, S. 48 ff. 24 Zum Sozialstaat siehe Gerhard A. Ritter, Der Sozialstaat – Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich; detailreich die Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 2004: Referate und Diskussionen in VVDStRL, 64. Band, S. 7 ff.; siehe auch VVDStRL, 68. Band, S. 185 ff., u. a.; außerdem Meinhard Heinze „Grund und Missbrauch der Solidarität im System der sozialen Gerechtigkeit“, in: Isensee (Hg.), Solidarität in Knappheit, S. 67 ff.; Spiecker gen. Döhmann, Indra, in: Depen-

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Das Bundesverfassungsgericht spricht von einem Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zum Ausgleich der sozialen Gegensätze (BVerfGE 100, 271, 284). Und BVerfGE 123, 267, 362: „Das Sozialstaatsprinzip begründet die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. ... der Staat hat ... die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen.“ In seinem sog. Hartz-IV-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht diese Ausrichtung an der Menschenwürde bestätigt: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert dem Hilfsbedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.“ 25

Wichtig ist nun: Die in dieser Arbeit angebotenen Gedankengänge und Impulse können auch und gerade für die Bewältigung der sozialen Probleme fruchtbar sein. Die angestrebte heuer / Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, S. 777 ff. (mit dem Satz im „Fazit“: „Der gesellschaftliche und globale Sprengstoff, der dem Sozialstaatsbegriff innewohnt, ist bisher unerkannt“; dort S. 805); Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 13; Zippelius, Reinhold, Allgemeine Staatslehre, § 35; Grimm, Dieter, Die Verfassung und die Politik, S. 275 ff.; Herzog, Roman, in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Anmerkungen VIII. zu Art. 20 GG; auch Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 150 ff.; Herrmann, Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung, S. 374 f.; ders., Recht, Rn D. 31 ff. – Ernst Forsthoff prägte für die sozialen Aktivitäten des Staates den Begriff Daseinsvorsorge; Bachof / Stober, Verwaltungsrecht I, § 1 Rn 11, § 22 Rn 22, § 57 Rn 2. – Auch die Steuergesetzgebung ist ein außerordentlich wirksames Mittel, um sozialstaatlich Gerechtigkeit zu üben (oder nicht zu üben); dazu Kirchhof, Paul, Der sanfte Verlust der Freiheit; Schreiner, Ottmar, Die Gerechtigkeitslücke, S. 52 ff., u. a.; dort S. 229: „Die Steuerpolitik ist alles andere als ein politisches Neutrum.“ – Siehe auch Sarrazin, Thilo, Deutschland schafft sich ab, S. 108 ff., 130 ff., 320 ff. u. a. – Zu einigen Aspekten des Sozialstaates schon oben B. I. 5. 25 BVerfG 9. 2. 2010, BVerfGE 125, 175 Leitsatz 1. – Zur Menschenwürde weiter unten B. II. 3. c). – Auch Martha C. Nussbaum geht es mit ihrem sog. „Fähigkeitenansatz“ „um die philosophischen Grundlagen einer Theorie grundlegender menschlicher Ansprüche, die von allen Regierungen als von der Menschenwürde gefordertes absolutes Minimum geachtet und umgesetzt werden sollten“ (Die Grenzen der Gerechtigkeit, S. 104).

I. Einige Grundgedanken

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Soziale Gerechtigkeit können wir ja nicht durch einen einmaligen globalen Geniestreich erreichen, sondern wir können uns ihr – im Rahmen umfassender politisch-ethischer Programme – nur durch tausend Einzelschritte annähern. Und für die zahlreichen Entscheidungen in diesem Kampf gegen Hunger, Armut und tausend andere Notstände können gerade die Tugenden Gerechtigkeit, Besonnenheit, Tapferkeit, Klugheit und – besonders – Glaube, Hoffnung und Liebe eine wirksame Orientierung und Stütze sein (zu diesen Tugenden unten D. IV.). Zum Abschluss dieser Betrachtungen über die sog. Soziale Gerechtigkeit sei ein Gedanke geäußert mit der besonderen Bitte, ihn nicht misszuverstehen: Soziale Probleme sind nicht selten geistige Probleme. Den Menschen, die durch die Verhältnisse benachteiligt sind, hilft nicht immer nur eine materielle Zuwendung, mit der sie etwa abgespeist werden sollen. In ihrer Entwicklung werden Menschen vielmehr oft auch oder sogar mehr gefördert, wenn sie – natürlich neben der lebensnotwendigen materiellen Ausstattung – geistige Hilfe, auch mit Hinweisen zur Verbesserung ihrer Situation durch ihre eigene Aktivität, erfahren. Ein deutscher Ministerpräsident hat bei seinem „Stahlbad beim Volk“ über Weihnachten 2009 gespürt, dass „nicht-ökonomische Lebensbedingungen“ für die Bevölkerung immer wichtiger würden, und seine Partei müsse erkennen, „dass man im Leben nicht alles danach beurteilen kann, was sich messen, wiegen, zählen lässt“. Eine großartige Erkenntnis! – Auch Probleme in den notleidenden Ländern der sog. Dritten Welt könnten wohl oft durch besser überlegtes soziales Denken und Handeln vor Ort einer Lösung zugeführt werden. Auch hier können Geist und Wille das Handeln der Menschen beflügeln und die Hilfe verstärken. – Oder wenn ein Unternehmer nicht primär an den Aktienindex seines Betriebes oder an die Forderungen des Hedge-Fonds denkt, sondern auch an das Gebot der Nächstenliebe gegenüber seinen Mitarbeitern, und wenn er zusammen mit ihnen die Grundlagen für menschen- und familienfreundliche Dienst-, Kurzarbeits- und Notdienstpläne oder für besondere Prämiensysteme schafft, die von den Mitarbeitern selbstverantwort-

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

lich ausgeformt werden können, so löst dies soziale Probleme vielleicht wirksamer als ein kleiner Obolus. 26

8. Rechtssicherheit – Rechtsfrieden

Gerechtigkeit gebietet die Geltung einer Rechtsordnung, die Rechtsfrieden sichert und die zum Schutze der Menschen die Macht des Staates und der Sozial-Mächtigen bindet. Gerechtigkeit im Rechtsstaat bedeutet auch, dass sich die Bürger eines Landes darauf verlassen können, dass in Gesetze gegossene Gerechtigkeit tatsächlich Wirkungen entfaltet und (notfalls mit dem Machtmonopol des Staates) durchgesetzt wird: Gerechtigkeit durch Rechtsfrieden mit Rechtssicherheit! Säulen des Rechtsstaates sind deshalb eine funktionierende Justiz und Verwaltung mit Urteilsgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit. Jeder soll sich in einem Rechtsstaat darauf verlassen können, dass er sich persönlich in äußerer und innerer Freiheit entwickeln kann, geschützt gegen willkürliche Machtausübung des Staates und anderer Mächtiger: Freiheit durch Rechtsordnung! Schon Goethe formulierte: „... das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ Rüthers stellt fest: „Rechtssicherheit wird auch durch ‚ständige Rechtsprechung‘ geschaffen.“ Böckenförde erklärt, es bestehe kein Grund, den „Bereich des Not- und Verstandesstaates gering zu schätzen. Er enthält ein unabdingbares Moment der Freiheit und damit auch des sittlichen Staa26 Bericht über den zitierten Ministerpräsidenten „2010 – welch ein Kreuth“, in: FAZ 15. 1. 2010, S. 4. – Zu nicht-ökonomischen Zielen der Menschen auch Bischoff, Franz, Soziale Krisen, soziale Stimmungen und Gerechtigkeit, S. 327. – Siehe auch Ernst Dassmann:: „Die Erfahrung, dass engagierte Hilfe von seiten Dritter die Eigeninitiative nicht unbedingt fördert, lässt sich bis heute machen.“ (In: Isensee [Hg.], Solidarität in Knappheit, S. 39). Ähnlich auch Meinhard Heinze unter der Überschrift „Grund und Missbrauch der Solidarität im System der sozialen Gerechtigkeit“, in: Isensee (Hg.), Solidarität in Knappheit, S. 71, u. a. – Zu dem Grundgedanken soziale Not und geistige Hilfe weiter Herrmann, Recht, Rn B. 10 ff., C. 41 ff., D. 13.

I. Einige Grundgedanken

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tes.“ Und Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. erklärt: „Friede beruht auf Gerechtigkeit.“ 27 Bei diesem Blick auf Gerechtigkeit und Rechtsordnung ist anzumerken: Das Vorhandensein einer großen Anzahl von Gesetzen mag zwar manchem Bürger ein gewisses Gefühl der Sicherheit geben – nach dem Motto: „Es ist ja alles geregelt!“ Aber auch hier ist ein „Zu viel“ gefährlich und schädlich. Auch hier gilt der aus dem Tempel von Delphi überlieferte Warnruf „medén ágan“: Nicht zu viel = Nichts im Übermaß = Alles in Maßen! Denn eine Überflutung mit Vorschriften, eine Gesetzesflut, kann sehr schnell die Gerechtigkeit unter sich begraben – eine Gefahr, die bei uns (nicht nur, aber besonders durch die immense Flut von EG-Vorschriften) durchaus real droht. 28

27 Goethe: Brief an M. P. von Brühl, 23. 10. 1828 (nach Dobel, Richard, Lexikon der Goethe-Zitate, Stichwort: Freiheit). – Rüthers, Bernd: Das Ungerechte an der Gerechtigkeit, S. 74 f., 114 ff. – Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Der Staat als sittlicher Staat, S. 21. – Ratzinger, Joseph – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Zweiter Teil, S. 224. Siehe auch Papst Johannes XXIII., PACEM IN TERRIS, Über den Frieden unter allen Völkern in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit, S. 25 ff. – Weiter dazu Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 57; dort S. 53 ff. zu „Gerechtigkeitsprinzipien der Justiz“. – Zu den Themen Rechtsfrieden und Rechtssicherheit siehe Zippelius / Würtenberger, Staatsrecht, § 12 III 5; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, § 23, S. 166 ff.; ders., Wesen des Rechts, S. 103 ff.; Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Vom Ethos der Juristen, S. 23, u. a. – Zu tatsächlichen Mängeln in unserem Rechtsleben siehe unten B. III. 28 Dazu Grimm, Dieter, Die Verfassung und die Politik, Einsprüche in Störfällen, S. 151 ff.; weiter zur modernen Gesetzesflut: Herrmann, Recht, Rn A. 18; C. 71; D. 54, 185. – Eine wortstarke Kritik an dieser Entwicklung der EU / EG von Hans Magnus Enzensberger „Wehrt euch gegen die Bananenbürokratie!“, in: FAZ 3. 2. 2010, S. 27: „demokratisches Defizit“, „organisatorischer Dschungel“, „Regelungswahn der Brüsseler Behörden“, „Kompetenzgier“ usw.; nunmehr in Buchform: ders., Sanftes Monster Brüssel oder Die Entmündigung Europas (Berlin 2011); dort S. 53: „... monströse Normensammlung, die kein Mensch je gelesen hat. Anno 2004 umfasste sie bereits 85 000 Seiten, heute werden es weit über 150 000 sein.“

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

9. Gerechtigkeit nicht nur Abwesenheit von Ungerechtigkeit

Schließlich ist anzumerken, dass der Gedanke: Gerechtigkeit = Verhinderung oder Ausgleich einer Ungerechtigkeit in manchen Fällen naheliegt und durchaus hilfreich sein kann. Manchmal kann die qualifizierte Feststellung einer Ungerechtigkeit auch helfen zu eruieren, was eigentlich gerecht wäre – so wie mathematische Erkenntnisse aus dem Beweis entstehen können, dass das Gegenteil falsch ist (indirekter Beweis). Es mag freilich nicht selten geschehen, dass sich Betrachter eines Sachverhalts sehr schnell darüber einig sind, dass es in casu ungerecht zugegangen ist – dass aber über die Frage, wie es hätte gerecht zugehen sollen, durchaus natürliche Differenzen bestehen. Die meisten Menschen wollen bei ihren Entscheidungen Ungerechtigkeiten und Willkür vermeiden – und jeder möchte selbst möglichst wenig Ungerechtigkeit erleiden. Wohl jeder will, dass die Waage der Gerechtigkeit waagerecht ist, und er sollte nicht nur darauf achten, dass die Waage nicht zu seinen Ungunsten ausschlägt – nach dem scherzhaft-satirischen Motto: „Gerechtigkeit ist, wenn der andere bestraft wird.“ Auch in puncto Gerechtigkeit sollte mit einer Korrektur zum Besseren jeder bei sich selbst anfangen: „Erkenne dich selbst!“ lautete eine weitere Inschrift am Tempel von Delphi. John Rawls sagt: „Man hat also, soweit es die Umstände gestatten, eine natürliche Pflicht, Ungerechtigkeiten zu beseitigen und bei den schlimmsten anzufangen, die am weitesten von der vollkommenen Gerechtigkeit abweichen.“ 29 29 Rawls, John, Theorie der Gerechtigkeit, S. 278. – Mit einem Kern Wahrheit merkte Johann Gottfried Seume an: „Wer die Krankheit hat, keine Ungerechtigkeiten ertragen zu können, darf nicht zum Fenster hin-

II. Zum Entscheidungsprozess

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Freilich reicht die Gleichung Gerechtigkeit = Gegenteil von Ungerechtigkeit als doppelte Negation des zu definierenden Begriffs nicht aus, um das Wesen der Gerechtigkeit in ihrer ganzen Wahrheit und Fülle zu erfassen. Gerechtigkeit ist – recht verstanden – mehr als die Abwesenheit von Ungerechtigkeit, so wie Gesundheit nicht nur Abwesenheit von Krankheiten ist, sondern positive Lebens-Elemente enthält. Die unten zu C. dargestellte Verwurzelung der Gerechtigkeit in der geistigen Welt und die zu D. vorgestellte Anreicherung der Ersten Tugend Gerechtigkeit mit sechs weiteren Tugenden werden dies wohl illustrieren. 30

II. Zum Entscheidungsprozess 1. Entscheidungen nur zwischen mehreren praktikablen Alternativen

Wenn wir uns nun dem Entscheidungsprozess zuwenden, so ist zunächst darauf hinzuweisen: Die Frage nach der Gerechtigkeit einer Entscheidung ist nur dann sinnhaft zu stellen, wenn überhaupt eine Entscheidung zwischen zwei oder mehr Alternativen wirklich möglich ist. Denn wenn es mehrere praktikable Möglichkeiten gar nicht gibt, ist für eine Ent-Scheidung kein Raum, und das Handeln der Beteiligten kann nicht unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit bewertet werden. Wenn in dem Übungsfall (Eine herrenlos herabrollende EisenbahnLore würde auf Gleis 1 drei Kinder und auf Gleis 2 niemanden gefährden) die in Richtung Gleis 1 gestellte Weiche klemmt, aussehen und muss die Stubentür zuschließen. Vielleicht tut er auch wohl, wenn er den Spiegel wegnimmt.“ (Apokryphen, S. 18). – Zur Sinnhaftigkeit einer „Ungerechtigkeitsprüfung“ siehe Hofmann, Hasso, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, S. 215. 30 Zu Gesundheit und Krankheit siehe Michaela Glöckler und andere im Themenheft „Salutogenese“, in: dieDrei Nr. 8 – 9/2004; Meyer, Frank, Besser leben durch Selbstregulation, S. 82 ff., 153 ff. – Zum Thema „Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit“ auch oben B. I. 1.

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

kann der zufällige Beobachter nicht wegen unterlassener Hilfeleistung zur Verantwortung gezogen werden. 31

2. Rhythmus und Waage

Der Weg zu einer Entscheidung ist meist ein bipolares, dialektisches Pendeln zwischen Für und Wider, zwischen These und Antithese in der Hoffnung auf eine Synthese. Augenfällig im Rechtsleben: Behauptungen und Gründe eines (vermeintlichen) Gläubigers – Gegengründe des Schuldners; Klage – Klageerwiderung – Urteil mit der Abwägung der beiderseitigen Argumente; dann evt. Berufung – Berufungserwiderung – Urteil; evt. Revision usw. Dabei fließen in den Entscheidungsprozess ganz unterschiedliche Gedanken und Argumente ein. Winfried Brugger bietet dafür ein System an, das er „Das anthropologische Kreuz der Entscheidung“ nennt. Die zentrale „Entscheidung in der Gegenwart“ wird danach einmal beeinflusst durch Gedanken der Vergangenheit und der Zukunft (in seinem Kreuz Rückwärts: links und Vorwärts: rechts) sowie zum anderen durch „Persönliche Ideale, Werte; das ideale Ich, Selbst“ und „Antriebe, Bedürfnisse; das empirische Ich, Selbst“ (in seinem Kreuz: Aufwärts und Abwärts). 32

All diese dialektischen Entscheidungsschritte und die dabei aufscheinenden Dialoge und Diskurse spiegeln das dualistische Gesetz der Polarität und das Ur-Lebensprinzip Rhythmus. Leonard Bernstein erklärte: „Wir alle sind symmetrisch beschaffen, dualistisch eingerichtet, in der Systole und Diastole 31 Michael Sandel bringt einen ähnlichen, höchst kritischen Fall mit Entscheidungsmöglichkeit „The runaway trolley“: Angenommen, die Bremsen versagen: Wenn der Fahrer weiter geradeaus fährt, wird er fünf Menschen totfahren; wenn er aber rechts abbiegt, nur einen (Justice, S. 21 ff.). – Zur Bedeutung der Tatsachenfeststellung mit dem Abwägen realer Alternativen auch unten D. V. 4. 32 Brugger, Winfried, Das anthropologische Kreuz der Entscheidung in Politik und Recht, S. 30, 43, 140, 186 ff., u. a.

II. Zum Entscheidungsprozess

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unseres Herzschlages, in der Links-Rechts-Bewegung unseres Ganges, in unserer Männlichkeit und Weiblichkeit. Dieser Dualismus bestimmt unser ganzes Leben, auf allen Ebenen.“ So geht es auch beim Anbahnen eines Vertrages oft rhythmisch hin und her: A sucht einen bestimmten Gegenstand, findet ihn bei B, spricht mit ihm in wechselnder Rede über Eigenschaften und Qualität der Ware, über den Preis, über andere Bedingungen des Geschäfts, bis hin zur Synthese: Einigung mit dem Abschluss des Vertrages. Auch die Auslegung einer Norm hat – so Reinhold Zippelius – „den Charakter eines Diskurses, in dem ... Gründe geltend gemacht, andere Gründe dagegengestellt werden und schließlich die besseren Gründe den Ausschlag geben sollen.“ 33 Dieses für das Rechtsleben typische Hin und Her des rhythmisch-dualistischen Vortragens und Abwägens von Gründen und Gegengründen, für oder gegen die eine oder andere denkbare Alternative entspricht dem Auf und Ab der Waage, des alten Gerechtigkeitssymbols. Das natürliche Ziel ist, dass die Waage letztendlich waage-recht ein Gleichgewicht zwischen Recht und Pflicht, zwischen Tat und Strafe oder Schadensersatz symbolisiert. 34 Freilich stellt sich beim Abwägen immer wieder die Frage: Was lege ich auf die Waagschale, wenn auf der anderen Schale 33 Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 147 mit Bezug auf BVerfGE 82, 38 f. – Zitat Leonard Bernstein, Musik – Die offene Frage, S. 105. – Auch in der gängigen Begriffspaarung „Rechte und Pflichten“ wird das Rhythmische des Rechts evident; dazu Herrmann, Recht, Rn C. 83. – Zum Rhythmus als Lebensprinzip Glöckler, Michaela, Kraftquelle Rhythmus; Meyer, Frank, Besser leben durch Selbstregulation, S. 99 ff.; Fischer, Edwin, Musikalische Betrachtungen, S. 23 f. 34 Zur Waage, auch zu ihrer Historie, mit zahlreichen Abbildungen Kissel, Otto Rudolf, Die Justitia, Reflexionen über ein Symbol, S. 92 ff., u. a.; auch Kocher, Gernot, Zeichen und Symbole des Rechts. – Schon im alten Ägypten galt die Waage als ein Symbol der Gerechtigkeit; siehe Assmann, Jan, Ma’at, Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, S. 124 ff., 132 ff.

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

die Interessen und Argumente der einen Seite oder die Straftat des Angeklagten liegen? Abwägen ist eine tolle, eine faszinierende Sache! Nur: Was wägen wir wie gegen was? Auf diese Frage nach dem Maß oder nach dem Maßstab kann es durchaus unterschiedliche Antworten geben. 35

3. Maßstab? a) Die Frage

Wie auch der Blick auf die Waage gezeigt hat, stellt sich bei Entscheidungsprozessen regelmäßig die Frage: Nach welchem Maßstab ist zu entscheiden? Wenn A dem B 1000 Euro geliehen hat und B nicht fristgemäß zurückzahlt, werden in der Regel alle Richter den B auf Rückzahlung dieses Betrages verurteilen. Wenn aber ein ermittelter Tatbestand einen Strafrahmen von „bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe“ eröffnet, gibt es für den Urteilsspruch keine mathematische Lösung. Der Strafrichter muss vielmehr die verschiedenen Facetten des Sachverhalts berücksichtigen und dann individuell eine Entscheidung treffen, die ein anderer Richter vielleicht anders treffen würde (wie Änderungen des Strafausspruchs durch Instanzgerichte demonstrieren). Gleiches gilt für den Zivilrichter, der bei der Festsetzung eines sog. Schmerzensgeldes sorgfältig zwischen Handlung und Verschulden des Schädigers einerseits und dem (nachhaltigen?) Schaden des Geschädigten andererseits abzu35 Ich erinnere mich, wie mancher Student in einer Übung stolz verkündete, er werde den Fall „durch Abwägung“ lösen – und der Professor mild-lächelnd fragte: Wie und womit wollen Sie abwägen? – Interessant-aktuelle Beispiele für kritische Abwägungen bringt Grimm, Dieter, Multikulturalität und Grundrechte, in: Wahl / Wieland (Hg.), Das Recht des Menschen in der Welt, S. 144 ff. – Im Rechtsleben begegnen manchmal auch Fälle, bei denen man vor dem Versuch einer Abwägung erst einmal tief Luft holen muss, um einen Ansatz für Argumente zu finden: So etwa bei der in einigen US-Bundesstaaten anstehenden Entscheidung, ob tausende Straftäter einschließlich Schwerverbrechern freigelassen werden sollten, weil die durch Richter festgelegte Obergrenze für die Belegung der (überfüllten) Justizvollzugsanstalten überschritten sei ... (FAZ 7. 6. 2011, S. 10).

II. Zum Entscheidungsprozess

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wägen hat. Im politischen Bereich sind die Entscheidungsspielräume noch größer: Welches Konjunkturpaket zu welchem Zeitpunkt gerecht erscheint oder ob für einen bestimmten Tatbestand ein Steuersatz von 20%, 30 % oder 38 % gerecht ist, kann nicht mit objektiv-mathematischer Sicherheit zugunsten eines der denkbaren Modelle oder Prozentsätze beantwortet werden. Und wer seine Erbfolge für Ehefrau und vier Kinder gerecht gestalten will, steht vor hundert denkbaren Möglichkeiten. 36

Was also ist der rechte Maßstab, an dem Entscheidungen aus-ge-richtet werden können, um ge-recht zu sein? b) Ius suum cuique tribuere

Allgemein bekannt ist die klassische, römisch-rechtliche Definition der Gerechtigkeit: „Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi.“ („Gerechtigkeit ist der ständige und fortdauernde Wille, einem jeden sein Recht zuteil werden zu lassen“; Ulpianus, Dig. 1.1.10 pr.)

Rüthers weist zu Recht auf das subjektive Element dieser Definition hin: Gerechtigkeit als Wille, als Streben der Menschen. Die Maxime „suum cuique“ („Jedem das Seine“) gilt traditionell als Inhalt des formalen Gerechtigkeitsbegriffs. 37 36 Rüthers bringt das bild- und lehrreiche Beispiel einer (möglichst gerechten) Verteilung von 132 Ziegen zwischen zwei Brüdern mit sieben plus x denkbaren Lösungsvarianten (Rechtstheorie, Rn 345 f., 399). 37 So Walz / Schrey, Gerechtigkeit, S. 19. Dabei heißt es bei Walz / Schrey, wie oft auch im allgemeinen Sprachgebrauch, nur noch „suum cuique“ = „Jedem das Seine“: Das „Ius“, das Recht, ist dabei auf der Strecke geblieben ... – ebenso bei Blüm, Norbert, Gerechtigkeit, S. 39. – Zitat Rüthers, Bernd: Rechtstheorie, Rn 349; dazu weiter unten D. IV. 1. – Der Gedanke „Jedem das Seine“ findet sich schon bei Platon, Politeia, I. Buch, 332c, a. a. O., S. 18 f.; dazu Rüthers, Bernd, Das Ungerechte an der Gerechtigkeit, S. 68 ff.; dort S. 69: „Platon definierte die Gerechtigkeit dahin, dass nach ihr jeder das Seine zu tun und zu bekommen habe.“ – Weiter:

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Nur: Was ist „ius suum“ – „sein“ Recht? Beispiel: Am Abend erwarten die Tagelöhner ihren Lohn. Bezahlt der Unternehmer nach Stunden, nach Leistung, nach Akkord? Nach Bedürfnis der Arbeiter? Nach seiner eigenen Finanzlage? ... oder gibt er jedem Arbeiter, unabhängig von der Arbeitsdauer, den gleichen Lohn – so wie im Gleichnis vom Weinberg (Mt. 20.1 –16). Wenn in diesem Gleichnis der Unternehmer dem Arbeiter, der nur eine Stunde gearbeitet hat, auch den Lohn zahlt, den er mit dem Arbeiter vereinbart hat, der den ganzen Tag arbeitet, dann erscheint das nicht durch Gerechtigkeit geboten, sondern als freiwillige Liebestat (zu dieser Differenzierung unten D. III.). 38

Oft wird unter „ius suum“ das verstanden, was jemandem zusteht, und zwar nach der geltenden Rechtsordnung. 39 Gerecht erscheint danach ein Urteil, das aufgrund einer (insgesamt nicht ungerechten) Rechtsordnung rechtstechnisch einwandfrei den Beteiligten das ihnen danach zustehende Recht zuordnet. Gemeint ist damit Urteilsgerechtigkeit, d. h. das juristisch einwandfreie Urteilen mit effektivem Rechtsschutz und mit dem Vermeiden von Fehlurteilen – gar in der schlimmsten Form, dass ein Unschuldiger zu einer harten Strafe verurteilt wird. 40 Coing, Helmut, Rechtsphilosophie, S. 12. – Siehe auch Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 113; Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 52; Adomeit, Klaus, Rechts- und Staatsphilosophie I, S. 149; Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit?, S. 32. 38 Dementsprechend sagt der Unternehmer zu einem der Arbeiter, der länger gearbeitet hatte und wegen des gleichen Lohnes über den Unternehmer murrte: „Nimm, was dir zusteht, und geh. Ich gebe aus freien Stücken dem Letzten das gleiche wie dir.“ (Mt. 20.14; Übersetzung von Emil Bock) – Zu dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg siehe Dickerhoff, Heinrich, Gerechtigkeit in der Welt, im Himmel und im Märchen, in: Lox / Lutkat / Kluge (Hg.), Dunkle Mächte im Märchen und was sie bannt, Recht und Gerechtigkeit im Märchen, S. 135 f. – Zum „barmherzigen Samariter“ Wolf, Erik, Recht des Nächsten, S. 53 in Anmerkung 5 zu Seite 19. 39 Z. B. Pieper, Josef, Über die Tugenden, S. 65 ff. 40 Die SPIEGEL-Titelgeschichte „Fehlurteile – Wie gerecht kann Justiz sein?“ offenbart eine Fülle erschütternder Fälle (Nr. 22/2011); zu weiteren

II. Zum Entscheidungsprozess

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Zu der weiteren Frage, ob das „ius suum cuique tribuere“ sich auf das bezieht, das dem Betroffenen nach einem Naturrecht zusteht, ist zunächst anzumerken, dass bei der bekannten Nüchternheit der Römer den römischen Rechtsgelehrten ein solcher Bezug sicher ferngelegen hat. Heute herrscht die Auffassung vor, dass „Naturrecht“ nicht als „Rechtsquelle“ gelten kann. Martin Kriele weist freilich zu Recht darauf hin: „Wie stark das moderne Denken vom Naturrechtsgedanken geprägt ist, macht der Begriff der Menschenrechte augenfällig.“ 41

Defiziten im Rechtsleben B. III. (S. 58) – Klassisch-historisches Beispiel für eine ungerechte Verurteilung ist der Fall des französischen Hauptmanns Alfred Dreyfus, der kurz vor 1900 Frankreich und Mitteleuropa erschüttert hat; dazu Begley, Louis, Der Fall Dreyfus. Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte; Herrmann, Recht, Rn C. 46. 41 Kriele, Martin, Naturrecht der Neuzeit, in: Ballestrem (Hg.), Naturrecht und Politik, S. 9 ff.; in diesem Tagungsband weitere Beiträge zum Thema. – Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 262 ff., 429 ff.; Rn 444: „Im weltanschaulich neutralen [pluralen] Staat scheidet das Naturrecht als Rechtsquelle aus.“; ders., Das Ungerechte an der Gerechtigkeit, S. 17 f., 28 ff., 51 ff.; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, § 12 (dort zu Beginn: „Schon über den Begriff des Naturrechts herrscht keine Einigkeit“); ders., Wesen des Rechts, S. 88 ff.; ders., Im Irrgarten der Gerechtigkeit, S. 7 ff.; Kirchhof, Paul, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, S. 74 Rn 10; Kaufmann / Hassemer, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 179 ff.; Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 40 ff.; Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit?, S. 46 ff.; Brunner, Emil, Gerechtigkeit, S. 100 ff.; Prodi, Paolo, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 86; Adomeit, Klaus, Rechts- und Staatsphilosophie I, S. 85 ff.; Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 102 ff.; Hoerster, Norbert, Was ist Recht?, S. 93 ff.; Kriele, Martin, Rechtsphilosophie, S. 163 ff.; Seelmann, Kurt, Rechtsphilosophie, S. 134 ff.; Rauscher, Anton, Zum Verhältnis von Naturrecht und positivem Recht in der christlichen Denktradition, in: Bottke / Rauscher (Hg.), Gerechtigkeit als Aufgabe, S. 9 ff.; auch Bloch, Ernst, Naturrecht und menschliche Würde, S. 23 ff., 81 ff., u. a.; Herrmann, Recht, Rn C. 78 ff. – Die erwähnte Nüchternheit und Weltzugewandtheit der römischen Juristen spiegelt sich auch darin, dass im „Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts“ von H. G. Heumann, Jena 1895, zu dem allgemeinen Begriff „iustitia“ (Gerechtigkeit) nur vier Fundstellen ausgewiesen sind, zu Stichwörtern des praktischen Rechtslebens wie „ius“

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Wenn man mit Helmut Coing „Naturrecht“ im Sinne von „Grundsätzen der Gerechtigkeit“ versteht, kann dem unschwer zugestimmt werden: Das Recht soll ja an den Grundsätzen der Gerechtigkeit ausgerichtet werden; bei der Rechtsgestaltung soll jeder erhalten, was ihm gerechterweise zusteht. Dazu finden sich in dieser Arbeit zahlreiche Gedanken. 42 c) Gleichheit

Viele Gedanken zum Thema Gerechtigkeit kreisen um die Gleichheit – ein Begriff, der zu dem mehr Individuum-gerichteten „ius suum cuique tribuere“ in einem gewissen Spannungsverhältnis steht. 43 Dazu können wir zunächst als ehernen Grundsatz fixieren, dass alle Menschen als Gottes Ebenbild gleich würdig anzusehen sind (1.Mose 1.27). Jeder Mensch hat seine angeborene Würde. Unser Grundgesetz setzt dies an den Anfang (Art. 1 Abs. 1): „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Damit erklärt das Grundgesetz an erster Stelle: Der Staat ist um des Menschen willen da – nicht umgekehrt. 44 (Recht), „iudicium“ (Gericht und Klage), „iurisdictio“ (Rechtsprechung, Gerichtsbarkeit) aber mehrere Dutzend. 42 B. II. 3. c); C. II.; D. II., u. a. – Coing, Helmut: Rechtsphilosophie, z. B. S. 194 ff., 202; dazu auch Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Vom Ethos der Juristen, S. 44 ff.; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, § 12. 43 Dazu z. B. Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 109 ff.; Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 318 ff.; Seelmann, Kurt, Rechtsphilosophie, S. 129; auch Brunner, Emil, Gerechtigkeit, S. 29 ff.; Nolte, Paul, Abschied von der Gerechtigkeit, in: FAZ 20. 12. 2008, S. 17; Kirchhof, Paul, Das Maß der Gerechtigkeit, S. 132 ff. 44 Zu Art. 1 GG und zur Menschenwürde siehe Matthias Herdegen in: Maunz / Dürig / Herzog, Anmerkungen zu Art. 1 Abs. 1 GG; ders., in: Brudermüller / Seelmann (Hg.), Menschenwürde, S. 57 ff. (darin weitere ein-

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Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 30. 6. 2009: „Dem Schutz der Menschenwürde liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten“ (BVerfGE 123, 267, 413 – Lissabon-Vertrag). – Und Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 lautet: „Alle Menschen werden frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Dem entspricht § 1 BGB, der jedem Menschen gleichermaßen die Rechtsfähigkeit zuordnet.

Max Planck, der große Physiker und Denker des 20. Jahrhunderts, sagte: „Es gibt einen Punkt, einen einzigen Punkt in der weiten unermesslichen Natur- und Geisteswelt, welcher jeder Wissenschaft und daher auch jeder kausalen Betrachtung nicht nur praktisch, sondern auch logisch genommen unzugänglich ist und für immer unzugänglich bleiben wird: Dieser Punkt ist das eigene Ich.“ Und dass mit der unantastbaren Menschenwürde in Art. 1 GG wohl dieses Ich gemeint ist, habe ich an anderer Stelle dargelegt. 45 schlägige Beiträge sowie Übersicht über einschlägige internationale und nationale Normen); ders., Das Absolute ist relativ, in: FAZ 18. 12. 2008, S. 8; Kirchhof, Paul, Das Maß der Gerechtigkeit, S. 208 ff.; ders., in: Depenheuer / Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, S. 79 Rn 21; Höfling, Wolfram, in: Sachs, Grundgesetz, Anmerkungen zu Art. 1 GG; Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 269 ff.; Moltmann, Jürgen, Menschenwürde Recht und Freiheit; auch Dahrendorf, Ralf, Gesellschaft und Freiheit, S. 375 ff.; Münch, Ingo von, Die Würde des Menschen im deutschen Verfassungsrecht, in: Recht – Staat – Gemeinwohl, Festschrift für Dietrich Rauschning, S. 27 ff.; Brugger, Winfried, Das anthropologische Kreuz, S. 191 ff.; Link, Christoph, Der Einfluss christlicher Werte; Nida-Rümelin, Julian, Über menschliche Freiheit, S. 127 ff.: „Warum Menschenwürde auf Freiheit beruht“. – Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach erklärt, dass die Grundrechte insgesamt „Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind“ und dass im Falle einer Verletzung der Menschenwürde das Erfordernis der Abwägung mit der Bedeutung der Meinungsfreiheit entfalle (BVerfG 12. 3. 2008, NJW 2009, S. 2907, 2909 mit Bezugnahme auf BVerfGE 93, 266, 293; ebenso BVerfG 24. 9. 2009, NJW 2009, S. 3503 f.); nunmehr BVerfGE 9. 2. 2010 („Hartz IV“; BVerfGE 125,175; auch oben B. I. 7.). – Zur Entstehung des Art. 1 GG siehe von Doemming / Füsslein / Matz, JöR, Band 1, S. 48 ff.

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Freilich: Die Menschenwürde wird dem Menschen nicht einfach so auf Dauer geschenkt; sie ist vielmehr ein höchstes Gut, das jeder Mensch bei seiner Lebensgestaltung in Freiheit tatsächlich für sich selbst aktiv behüten und bewahren muss. Angesichts des stundenlangen „Konsums“ von destruktiven Computer-Games und Fernsehsendungen durch Millionen Zeitgenossen und angesichts anderer Dekadenzerscheinungen der Gegenwart erscheinen brandaktuell die Worte, die – nach der klassischen Rede des Giovanni Pico della Mirandola – Gott an den Menschen richtet: „Es steht dir frei, in die Unterwelt des Viehes zu entarten. Es steht dir ebenso frei, in die höhere Welt des Göttlichen dich durch den Entschluss deines eigenen Geistes zu erheben.“ 46

Diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen! Mit Gleichheit ist natürlich nicht eine äußerliche, klon-artige Natur-Gleichheit aller Menschen gemeint. Denken Sie nur an das herrliche Schiller-Wort: „Keiner sei gleich dem anderen, doch gleich sei jeder dem Höchsten, Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich.“

Und Dostojewski erklärte: „Nur in der geistigen Würde des Menschen gibt es Gleichheit.“ 47 45

Herrmann, Recht, Rn D. 36 ff.. – Max Planck ist hier zitiert nach „Festveranstaltung zum 150. Geburtstag von Max Planck“, 26. 4. 2008, herausgegeben von der Max-Planck-Gesellschaft, München, S. 30. – Zum Ich des Menschen siehe auch Prokofieff, Sergej O., Das Rätsel des menschlichen Ich; Popper, Karl, R., Das Ich (1977), in: ders., Lesebuch, S. 263 ff.; Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 166 ff.; Eccles, John C., Wie das Selbst sein Gehirn steuert, S. 242 ff., u. a. – Zum Verhältnis zwischen Gleichheit und Menschenwürde siehe Dürig, Günter, in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Rn 6, 135, 156 zu Art. 3 Abs. 1 GG. 46 Pico della Mirandola, Giovanni, Über die Würde des Menschen (De hominis dignitate), S. 11.

II. Zum Entscheidungsprozess

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Gleichheit ist hier Rechts-Gleichheit, Gleichgewichtigkeit auf der Gerechtigkeitswaage, Gleichheit „vor dem Gesetz“ (so Art. 3 Abs. 1 GG). 48 Auch die oft verwendete Wendung Chancengleichheit soll zum Ausdruck bringen, dass es nicht um Gleichheit der Menschen in ihrer äußeren, realen Befindlichkeit, sondern um Rechtsgleichheit der Chancen für die eigene Entwicklung der Menschen und um deren Gleichbehandlung geht. Das Ziel ist, eine willkürliche Ungleichbehandlung und eine Diskriminierung der Menschen – auch in ihren Chancen – durch Mächtige unterschiedlichster Art zu vermeiden, auszuschließen oder wiedergutzumachen. 49 Für einige Felder des Rechtslebens gilt das Gleichheitsgebot ganz streng: Bei der Durchführung der Verfahren bei Gericht oder Verwaltung müssen alle Regularien für alle Beteiligten strikt gleich angewendet werden: Verfahrensgerechtigkeit. Und alle Beteiligten haben alle Verträge gleichermaßen einzuhalten, gleichviel, wie begütert oder verarmt der eine oder andere Partner ist (pacta sunt servanda = Verträge müssen gehalten werden): Vertragsgerechtigkeit. Gesetze müssen für jeden gleichermaßen 47 Schiller: Tabulae votivae 56 „Aufgabe“; Schiller, Friedrich, Werke I, S. 309. – Dostojewski zitiert bei Günter Röschert, Kunst des Rechts, S. 33. 48 Hierzu Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 354. 49 Zur Chancengleichheit siehe Rehbinder, Manfred, Rechtssoziologie, Rn 88; MacIntyre, Alasdair, Der Verlust der Tugend, S. 20 f.; Axer, Peter, Soziale Gleichheit, in: VVDStRL, 68. Band, S. 208 ff.; Krebs, Angelika (Hg.), Gleichheit oder Gerechtigkeit; auch Marx, Reinhard, Das Kapital, S. 105 ff., 213 ff. – Nach Art. 2 Abs. 3 der 1999 total revidierten Schweizer Bundesverfassung sorgt die Schweizerische Eidgenossenschaft „für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern“. – Zu dem sog. Fähigkeitenansatz von Martha C. Nussbaum siehe oben B. I. 7.; zu einem solchen Gedanken schon Papst Johannes XXIII., PACEM IN TERRIS, S. 31. – Zur Gleichbehandlung siehe Zippelius, Reinhold, Wesen des Rechts, S. 92 ff. – Treffende Satire bietet der Satz von Anatol France: „Die majestätische Gleichheit der Gesetze untersagt es dem Reichen ebenso wie dem Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“ (Zitiert nach Wickert, Ulrich, Das Buch der Tugenden, S. 341).

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

gelten, Sondergesetze sind unzulässig: Allgemeinheit der Gesetze. Friedrich von Hayek merkt an, dass „Gleichheit der allgemeinen Gesetzes- und Verhaltensregeln ... die einzige Art von Gleichheit [ist], die der Freiheit förderlich ist“. 50 Wie aber ist der Gleichheitssatz bei der rechtsgestaltenden Gesetzgebung zu verwirklichen? Da kann eine strikt-arithmetische Anwendung des Grundsatzes Gleichheit sicher nicht die Probleme lösen. Vielmehr wird allgemein als gerecht empfunden, bei der inhaltlichen Rechtsgestaltung Personen und Sachverhalte entsprechend ihren Eigenschaften und Parametern differenziert zu behandeln. Das wiederum wirft sogleich die oft außerordentlich schwierig zu beantwortende Frage auf: Welche Parameter der betroffenen Personen dürfen oder müssen bei der gebotenen Gleichbehandlung in welchen Fällen wie berücksichtigt werden? Z. B.: − bei der Steuerfestsetzung die Einkünfte oder die Überschüsse oder die Familienverhältnisse mit ihren finanziellen Belastungen oder die Notwendigkeit des gekauften Produktes für das Leben der Menschen oder ...? − bei der Gewährung von Rente oder von Taschengeld das Alter oder die Bedürftigkeit oder das Verhalten der Betroffenen oder ...? 50 Hayek, Friedrich A. von, Die Verfassung der Freiheit, S. 110. – In diesem Zusammenhang ist auch die Wahlgleichheit zu nennen (Art. 38 GG). – Der Ausdruck „allgemeine Gesetze“ in Art. 5 Abs. 2 GG meint etwas anderes, nämlich das Verbot von Gesetzen, die eine bestimmte Meinungsrichtung fördern oder einschränken; dazu Herrmann, Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland (1975), S. 178 ff.; ders., Rundfunkrecht, § 5 Rn 44 ff.; nunmehr ebenso BVerfG 4. 11. 2009, BVerfGE 124,300, 322; NJW 2010, S. 47 (dazu Volkmann, Uwe, Die Geistesfreiheit und der Ungeist – Der Wunsiedel-Beschluss des BVerfG, in: NJW 2010, S. 417). – Zur Verfahrensgerechtigkeit z. B. Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 375 ff., 388 ff.; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 81, 207 f., 243 ff.; Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 46 ff., 53 ff. („Gerechtigkeitsprinzipien der Justiz“); auch Dürig, Günter, in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Rn 42, 50 zu Art. 3 Abs. 1 GG.

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− bei der Feuerwehrpflicht und bei der allgemeinen Wehrpflicht das Geschlecht oder das Alter oder die Fitness? 51 Für diese und weitere ungezählte Fallgestaltungen gibt es keine durchgängig-wirksame, objektive Patentlösung mit automatisch-exakter Bewertung. Es bleibt jeweils individuell zu entscheiden, welche der denkbaren Parameter wie mit welchem Gewicht in die Abwägung einbezogen werden sollen. So können die Steuertarife nach durchaus unterschiedlichen Messwerten und Parametern gestaffelt werden, und für den Wehrdienst ist bei uns der herkömmliche Ausschluss der Frauen vom Dienst mit der Waffe erst im Jahre 2000 zum Teil aufgehoben worden (Art. 12a GG). Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass der Gesetzgeber für seine Entscheidungen durchaus weite Rahmen zur Verfügung hat: „Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.“ 52 51 Zu derartigen Fragen auch Robert Spaemann, Moralische Grundbegriffe, S. 57 ff. – Zur sog. geometrischen Gerechtigkeit etwa Brandt, Reinhard, Philosophie, S. 228 ff. – Montesqieu merkt an, „der gute Legislator ist daran zu erkennen, dass er jedem das Seine zu geben versucht, nicht jedem das Gleiche. Das Rechte ist anscheinend nicht immer das Gleiche“ (Vom Geist der Gesetze, S. 35). 52 BVerfGE 123,1,19; ähnlich BVerfGE 123, 111, 119; siehe auch BVerfGE 125, 1, 17 f.; BVerfGE 120, 1, 29; BVerfGE 120, 125, 144; BVerfGE 127, 224, 244, 280. – Die Entscheidung des BVerfG vom 7. 7. 2009 wirft freilich die Frage auf, ob eine nicht-zwingende Ausgangs-Feststellung ungleicher Sachverhalte als gleich die Gefahr einer zu weitgehenden rechtlichen Gleichbehandlung unterschiedlich erscheinender Sachverhalte auslösen kann: „Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft bei VBL-Hinterbliebenenversorgung“; BVerfGE 124, 199 (ihm folgend BVerwG 28. 10. 2010, NJW 2011, S. 1466). Gleiches gilt für die Entscheidung des BVerfG vom 21. 7. 2010 über die Erbschafts- und Schenkungssteuer bei Ehe und bei Lebenspartnerschaften (BVerfGE 126,400).

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Wie auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gleichheitssatz zeigt, kann auch die Wegtafel Gleichheit / Gleichbehandlung keine fixe Detaillösung für jeden Einzelfall weisen. Wie mit dieser Schwierigkeit praktisch umzugehen ist und wie jedermann am Rechtsleben mit seinem Rechtsbewusstsein mitwirken kann, ist im Verlauf dieser Arbeit weiter zu erörtern.

III. Zusammenfassung: Rationale Aspekte der Gerechtigkeit Damit haben wir einige Elemente und Erscheinungen der Gerechtigkeit ausmachen können, die wir mit unserem Verstand rational wahrzunehmen und mit unserem Willen aktiv-tätig zu gestalten vermögen – und die so Eingang in die Rechtsordnungen finden. Wir wollen hieraus für unseren Rechtsstaat folgende Schwerpunkte festhalten:

Christian Hillgruber hat dem BVerfG bereits vorgehalten, es habe in seinem Beschluss vom 7. 7. 2009 mit seiner „eigenmächtigen ‚Ergänzung‘ des Art. 6 Abs. 1 1. Alt. GG“ das Verfassungsgebot, der Ehe einen besonderen Schutz angedeihen zu lassen, durch Richterspruch endgültig aufgehoben; Hillgruber wirft dem BVerfG eine „eklatante verfassungsgerichtliche Missachtung“ der Wertentscheidung des Verfassunggebers vor, die „objektiv willkürlich“ sei (JZ 2010, S. 41 ff.). Zu dieser Rechtsprechung auch Michael, Lothar, Lebenspartnerschaften unter dem besonderen Schutz einer (über-)staatlichen Ordnung, in: NJW 2010, S. 3537 (mit der Anführung kritischer Stimmen); zum Thema auch Wolf-Dieter Tölle, Die eingetragene Lebenspartnerschaft im steuerlichen Wandel, in: NJW 2011, S. 2165, sowie Günter Krings in der Festschrift zum 80. Geburtstag von Karl Heinrich Friauf, siehe FAZ 11. 8. 2011, S. 6. – Ähnlichen Bedenken begegnen Entscheidungen, die – unter Missachtung tatsächlich differierender Fakten – bei Versicherungen zu „Unisex-Tarifen“ führen; EuGH (Große Kammer), 1. 3. 2011, NJW 2011, S. 907; dazu Kahler, Björn, in: NJW 2011, S. 894; DER SPIEGEL, Nr. 10/2011, S. 69 mit Beispielen.

III. Zusammenfassung

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1. Freiheit durch Rechtsordnung! Gerechtigkeit gebietet das Schaffen einer wirksamen Rechtsordnung, die willkürliche Machtausübung verhindert und den Menschen möglichst viel Freiheit gewährleistet. Damit nicht eine Gesetzesflut die Gerechtigkeit unter sich begräbt, ist bei der Gesetzgebung auch in Bezug auf den Umfang des Gesetzesbestandes Maß zu halten. 2. Rechtssicherheit und Rechtsfrieden! Gerechtigkeit gebietet eine Rechtsordnung aufgrund einer Verfassung mit Gewaltenteilung und Machtmonopol des Staates, um Sicherheit und Frieden für die freie innere und äußere Entwicklung der Menschen zu gewährleisten, auch durch Sicherung der Vertragsgerechtigkeit. 3. Allgemeinheit der Gesetze und Gleichbehandlung durch Gesetze! Gerechtigkeit gebietet, dass alle Gesetze, insbesondere bei der Verteilung von Rechten und anderen Gütern, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandeln und dass sie für alle gleich gelten. Sondergesetze sind allgemein unzulässig. 4. Verfahrensgerechtigkeit! Gerechtigkeit gebietet für alle Verfahren die gleiche, zügige und einwandfreie Anwendung aller Gesetze auf alle Menschen und Institutionen. Sonderbehandlungen sowie Diskriminierungen sind unzulässig. 5. Urteilsgerechtigkeit! Gerechtigkeit gebietet Einzelfallgerechtigkeit für alle Urteile und für Entscheidungen mit der Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes in allen Verfahren des Rechts- und Staatslebens. Hier gilt ius suum cuique tribuere (Jedem sein Recht zuteilen) durch exakte Anwendung der Rechtsordnung mit einer ordnungsgemäßen Subsumtion des Sachverhalts unter die Rechtsnormen und mit wohlbegründeten Abwägungen

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

zwischen Pflichten sowie Rechten und Rechtsgütern. Jeder muss gleichermaßen sein Recht bekommen! Diese rationalen Elemente der Gerechtigkeit werden in unserem Rechtsleben täglich tausendfach praktiziert (ohne dass dies jedem in jedem Fall bewusst würde). Leider mangelt es aber (zu) häufig an der Realisierung dieser Gerechtigkeitsgebote. Es gibt zu viele handwerkliche und inhaltliche Fehler bei der Gesetzgebung, Verschleppen von Prozessen und Verwaltungsgängen, Fehlurteile und schlichte Schlampereien. Mängel und Fehler werden täglich in der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie in der Fachliteratur beklagt und füllen die Zeitungen und andere Medien. Oft haben die Gerechtigkeits-Defizite ihre Ursache darin, dass die Tugenden, die durch diese Arbeit allen Menschen ans Herz gelegt werden sollen, nicht beachtet und geübt werden (unten D. IV.). Dies alles generiert und betont die aktuelle und dringende Notwendigkeit, sich mit dem Thema Gerechtigkeit zu befassen und zum aktiven Üben von Gerechtigkeit aufzurufen! Viele Skandale, die öffentlich oder individuell Zorn, Wut und Enttäuschung mit dem Aufschrei „Das ist aber ungerecht!“ auslösen, bedürfen keiner weitläufigen Diskussion um Gerechtigkeit, sondern sie spiegeln einfach evident-mangelhafte Gesetzgebung, Verwaltung oder Rechtsprechung. Wenn zum Beispiel eine Bauaufsicht nicht verhindert, dass tonnenweise Baustahl weiterverkauft statt zur Armierung in U-Bahn-Schächte eingebaut wird, so dass Einsturzgefahr und damit Lebensgefahr für Hunderte Menschen entsteht, dann ist das einfach skandalös oder gar kriminell. Ebenso, wenn Prozesse um das Sorgerecht für Kinder unerträglich lange dauern oder wenn Hubschrauberpiloten der polizeilichen Sondereinheit allesamt in die Sommerferien geschickt und / oder die Hubschrauber aus Geldmangel nicht repariert werden und deshalb von einem Massenmörder Dutzende Kinder erschossen werden können. 53 53

Das Taschenbuch von Roth / Nübel / Fromm, Anklage unerwünscht!, Korruption und Willkür in der deutschen Justiz, bringt nicht nur erschreckende Einzelfälle, sondern stellt auch einige Systemmängel und die Gefahren von Stellenkürzungen dar; ebenso die SPIEGEL-Titelgeschichte „Fehlurteile – Wie gerecht kann Justiz sein?“ mit erschütternden Beispielen (Nr. 22/2011). – Auf zahlreiche „Gerechtigkeitsdefizite“ weist auch Eike

III. Zusammenfassung

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Für unsere Suche nach dem Wesen der Gerechtigkeit ist nun das Folgende eminent wichtig: Die bisher erörterten Erscheinungen der Gerechtigkeit können wir mit unserem Verstand wahrnehmen und zielführend erörtern, wir können sie gewissermaßen aus allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken rational deduzieren und in unser Rechtsleben aktiv-tätig integrieren. Das meiste, das wir im Rechtsleben tun, ist ja vernünftigerweise rationales Arbeiten – und das soll stets ein tragendes Element unseres Rechtslebens sein. Aber: Wir können nicht allein mit derartigen rationalen Überlegungen abschließend die Frage beantworten, wie der Staat die Persönlichkeit in ihrer Identität, Selbstbestimmung und Ehre gegen Verletzungen durch immer neue technische Medien (IT) schützen kann und soll, ob oder wie Präimplantationsdiagnostik (PID), Abtreibung oder Sterbehilfe unter Strafe zu stellen sind, ob ein Attentat auf einen Diktator oder die Androhung von Folter bei Lebensgefahr für ein Kind in einem Ausnahmefall als nicht ungerecht erscheinen kann. Selbst bei dem profan erscheinenden Nachtflugverbot kann zwischen den offenkundigen Gefahren für die Gesundheit der durch den Fluglärm betroffenen Menschen und der (nur kommerziell bedeutsamen?) Eilbedürftigkeit der Lufttransporte letzten Endes nicht rational abgewogen und entschieden werden: da versagen verstandesmäßige Abwägung und intellektuelle Disputation mit rationalen Argumenten. Benedikt XVI. erklärte vor dem Deutschen Bundestag am 22. 9. 2011, jeder Verantwortliche müsse sich bei der Rechtsbildung in den Grundfragen des Rechts die Kriterien seiner Orientierung suchen.

von Hippel hin; Willkür oder Gerechtigkeit, S. VII, 5 ff., u. a. – Als eine extreme Fehlleistung kann auch gelten, wenn eine Rechtsverordnung in ein und derselben Ausgabe des Bundesgesetzblattes zusammen mit mehreren widersprüchlichen Änderungen und Bekanntmachungen derselben Rechtsverordnung erscheint; siehe BGBl. I vom 13. 1. 2006 (dies berichtet Ludger-Anselm Versteyl, in: NJW Nr. 9/2006, Editorial).

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B. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit

Mancher Leser hat ja schon erlebt, dass über einen Fall zunächst rational-nüchtern gesprochen und gestritten wird, bis in der Diskussion mit der Suche nach Gerechtigkeit Äußerungen fallen wie „Ich habe das Gefühl, ...“, „Aber nach meiner Empfindung ...“, „Hier wäre es wohl gerechter, wenn ...“ Das bedeutet wohl, dass die Beteiligten bei fundamentalen Lebensfragen und extremen Lebenslagen – nach der selbstverständlichen Ausschöpfung aller geschriebenen Normen und Praktizierung aller juristischen Denkfiguren! – eine wahre Gerechtigkeit und einen Kern der Gerechtigkeit suchen, die mit dem Verstand offensichtlich nicht rational zu erfassen sind. Man ist versucht mit Sokrates zu sagen: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Oder wir denken mit Paulus: „Denn unser Wissen ist Stückwerk / und unser Weissagen ist Stückwerk ...“. 54

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Sokrates: Platon, Apologie, 21d; Platon, Werke, Band 2, S. 14 f.: „Was ich nicht weiß, glaube ich auch nicht zu wissen.“ Zu diesem Satz auch die „Zweite These“ von Popper, Karl, R., Lesebuch, S. XIX/1. – Paulus: 1.Kor. 13.9; zitiert von Bernd Rüthers zu Beginn seines Kapitels „Was ist und was soll Rechtstheorie?“ (Rechtstheorie, § 1). Die auch von Rüthers zitierte Fortsetzung der Paulus-Worte: „Wenn aber das Vollkommene kommt, hört alles Stückwerk auf.“ weist einen Weg in die geistige Welt; dazu der hier folgende Text.

C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal in der geistigen Welt I. Wo ist die Wurzel der Gerechtigkeit? So wie Paulus eine Weiterentwicklung nicht in unserem Wissen, sondern im „Vollkommenen“ sieht, wollen wir bei unserer Suche nach der wahren Gerechtigkeit nun ein Gebiet betreten, das außerhalb unserer sinnlich-irdischen Wahrnehmung liegt: die nicht-materielle, die nicht-irdische, die geistige Welt. Vielleicht haben wir bei unserer Suche nach der wahren Gerechtigkeit Erfolg, wenn wir unsere Erkenntnisgrenzen erweitern und die übersinnliche, die geistige Welt einbeziehen? Gerechtigkeit ist ja auch im allgemeinen Bewusstsein nicht etwas Irdisch-Sinnlich-Wahrnehmbares, wie etwa ein Gerichtsgebäude oder ein Gesetzbuch. Die meisten Menschen haben, wenn sie an Gerechtigkeit denken, ein Empfinden von etwas Höherem, Übersinnlichem. Wer eine bestimmte strafgesetzliche Sanktion für ungerecht hält (weil sie ihm als zu hart oder als zu weich erscheint), meint mit Gerechtigkeit nicht eine irdische Sache. Entsprechend sagte Emil Brunner: „Wer im Ernst sagt: ‚Das ist gerecht‘ oder ‚Das ist ungerecht‘, hat schon, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist, an eine außermenschliche, höchste und letzte Instanz appelliert.“ 1 Also: Wie können wir unseren Blick erweitern? Wo finden wir die Wurzel und den Kern der Gerechtigkeit, wo die „wahre Gerechtigkeit“?

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Brunner, Emil, Gerechtigkeit, S. 54.

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

Denken wir dazu an die Worte, die Goethe den alten, suchenden Faust als Spruch eines Weisen zitieren lässt: „Die Geisterwelt ist nicht verschlossen; Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!“ 2

Das Weltall besteht ja nicht nur aus physischen, sinnlichwahrnehmbaren, dinglichen Sachen, sondern wesentlich aus Geist, aus geistigen Wesen. Unsere Welt ist nicht gottlos – mögen die Vertreter des sog. neuen Atheismus das Gegenteil noch so vehement behaupten. 3 Max Planck erklärte zur Existenz Gottes: „Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche – denn die Materie bestünde ohne den Geist überhaupt nicht –, sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre! Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen zugehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen. Da aber auch Geistwesen nicht aus sich selber sein können, sondern geschaffen werden müssen, so scheue ich mich nicht, diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu benennen, wie ihn alle Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt haben: Gott!“ 2

Goethe, Faust, Zeilen 443 f. Dazu Spaemann, Robert, Der letzte Gottesbeweis; Röd, Wolfgang, Der Gott der reinen Vernunft; Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 31, u. a.; Kühn, Ulrich, Was Christen glauben, S. 63 ff., u. a.; Weiler, J. H. H., Ein christliches Europa, mit einem Vorwort von Ernst-Wolfgang Böckenförde; Küng, Hans, Existiert Gott?; Preul, Reiner, So wahr mir Gott helfe!, S. 14 (dort sogar: „Es gibt keine religionslose Gesellschaft“; auch S. 123 ff.); Eckoldt / Weiland, Wozu Tugend?, S. 11; Pfister, Jonas, Philosophie, S. 66 ff.; Meyer, Frank, Besser leben durch Selbstregulation, S. 76 f.; Lätzel, Martin, Was Dichter glauben, Gespräche über Gott und Literatur; Flasch, Kurt, Was ist Gott?, Das Buch der 24 Philosophen; siehe auch schon Eduard Spranger, Der unbekannte Gott (1954). – Zum Thema „Gott und Natur“ mit einer ausführlichen Diskussion ganz unterschiedlicher Standpunkte siehe Barbour, Ian G., Naturwissenschaft trifft Religion, S. 171 ff. – Über Richard Dawkins’ atheistischen „Gotteswahn“ treffend Bernhard Dressler in der Besprechung des Buches von Peter Strasser: „Warum überhaupt Religion?“, Der Gott, der Richard Dawkins schuf [!], in: FAZ 18. 4. 2008, S. 37, sowie das Buch von Peter Strasser selbst (dort S. 53 die Anmerkung, dass 96 % der US-Amerikaner an Gott glauben). 3

I. Wo ist die Wurzel der Gerechtigkeit?

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Werner Heisenberg, ebenfalls Nobelpreisträger und berühmter Physiker des 20. Jahrhunderts, sagte: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.“ 4

Auch unsere geltende Rechtsordnung erkennt Gott und damit eine geistige Welt an. Die Präambel unseres Grundgesetzes von 1949 beginnt mit den Worten: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ... hat sich das Deutsche Volk ... dieses Grundgesetz gegeben.“ Ein solcher Gottesbezug wurde auch in jüngerer Vergangenheit gefordert: Eine Volksinitiative in Niedersachsen hat 1993/94 zu folgender Präambel der Landesverfassung geführt: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das Volk von Niedersachsen durch seinen Landtag diese Verfassung gegeben.“ Und die erst 1999 revidierte Bundesverfassung der Schweiz beginnt mit den Worten: „Im Namen Gottes des Allmächtigen!“ Auch werden heute zahllose Amtseide geleistet mit dem Schlusssatz: „So wahr mir Gott helfe!“ Wer seinen Eid so leistet – und das sind tausende Amtsträger –, verpflichtet sich, bei seinen Entscheidungen die Hilfe Gottes zu suchen. Damit zeigen auch diese Eidesnormen, dass eine Verbindung der 4 Max Planck: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Abt. V a, Rep. 11 Planck, Nr. 1797 (zitiert nach Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 33, sowie www.weloennig.de/MaxPlanck.html; 19. 8. 2009). – Siehe auch die weitere Aussage von Max Planck: „Es ist der stetig fortgesetzte, nie erlahmende Kampf gegen Skeptizismus und gegen Dogmatismus, gegen Unglaube und gegen Aberglaube, den Religion und Naturwissenschaft gemeinsam führen, und das richtungweisende Losungswort in diesem Kampf lautet von jeher und in alle Zukunft: Hin zu Gott!“ Zitiert nach: Beck, Lorenz Friedrich (Hg.), Max Planck und die Max-Planck-Gesellschaft, S. 307 f. – Zitat Werner Heisenberg: www .mitglied.multimania.de/zitatenschatz/gott.htm (10. 5. 2010); auch bei Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 49. Dort (S. 63) konstatiert Hollerbach mit Berufung auf Quanten- und Bewusstseinsphysik: „Der Geist erzeugt Materie.“

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

Staatsgewalten zu Gott und damit zur geistigen Welt auch heute offiziell angenommen wird. 5 Zur Existenz einer geistigen Welt vorsorglich einige Anmerkungen: Was wir täglich mit unseren irdischen Sinnen wahrnehmen und mit unseren Willenskräften gestalten, ist die uns vertraute irdische Welt mit den Naturreichen Mineralreich, Pflanzenreich, Tierreich und physisches Menschenreich. Außerdem gibt es nicht-irdische, nicht-materielle Reiche, die allgemein geistige Welt genannt werden: Dort existieren Gott sowie Ideen, Urphänomene und Ideale wie die Wahrheit, die Freiheit und die Liebe, das Gute und das Schöne. Diese geistige Welt ist unseren Sinnen und unserer irdischen Wahrnehmung in ihrer Wahrheit und Fülle meist nicht voll klar zugänglich, sie ist gewissermaßen unsichtbar. Dem Menschen erschließt sich die geistige Welt im Schlaf, in der Meditation oder bei einem Nah-Tod-Erlebnis, wohl auch im Unterbewusstsein – und nach dem Tode. Auch können Menschen im irdischen Leben aus der geistigen Welt intuitive Impulse empfangen. Im Leben kann uns auch helfen, wenn wir Offenbarungen derer wahrnehmen, die mehr Zugang zur geistigen Welt haben und die uns so auch über Gerechtigkeit etwas vermitteln können. Als Beispiel sei Moses genannt, der Zehn Gebote empfangen und der Nachwelt überlassen hat – die Zehn Gebote, die zu großen Teilen heute noch zum Kerninhalt vieler Rechtsordnungen gehören. Auch die Bergpredigt erscheint manchen als eine Offenbarung wahrer Gerechtigkeit (Mt. 5 – 7). 6 5

Zu den Amtseiden ausführlich unten D. III. – Bei dem zitierten Text der Präambel des GG handelt es sich nach allgemeiner Auffassung um eine „nominatio dei“, nicht um eine „invocatio dei“ (Benennung, nicht Anrufung Gottes). Dazu Gärditz, Klaus Ferdinand, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, S. 175 Rn 31; Link, Christoph, Der Einfluss christlicher Werte; Huber, Peter M., in: Sachs, Grundgesetz, Präambel, Rn 38 ff.; Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 36 ff.; Kühn, Ulrich, Was Christen glauben, S. 18; ders., Gehört Gott in die Verfassung?, S. 297 ff. – Weitere Überblicke über Gottesbezüge in anderen Verfassungen z. B. bei Goerlich / Huber / Lehmann, Verfassung ohne Gottesbezug?; Weiler, J. H. H., Ein christliches Europa, S. 154 ff. – Zu der erwähnten Volksinitiative in Niedersachsen siehe Weizsäcker, Beatrice von, Warum ich mich nicht für Politik interessiere, S. 199. 6 Zehn Gebote: 2.Mose 20.1 – 17; 5.Mose 5.6 – 21; zu den Zehn Geboten siehe Kühn, Ulrich, Du sollst, du kannst, du darfst ..., Die Zehn Gebote erklärt; Wolf / Drobinski, Regeln zum Leben, Die Zehn Gebote; Beckstein,

I. Wo ist die Wurzel der Gerechtigkeit?

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Bemerkenswert und evident ist doch, dass wohl alle Menschen, auch die skeptischen, täglich Emanationen der geistigen Welt erleben und durch ihr Tun praktisch anerkennen, ohne dass sie sich dessen stets bewusst wären: − Sie lieben ihren Partner, ihre Partnerin: Ist diese Liebe etwa eine irdisch-gegenständliche Sache, die mit physikalischen Maßen zu messen ist: Wieviel Kilogramm? Wieviel Meter oder Kubikmeter? − Sie haben Einfälle, Geistesblitze: Woher kommen die, wenn nicht aus der geistigen Welt? − Sie haben Träume, Vorstellungen, Visionen, in denen Raum und Zeit aufgehoben sind. − Sie sehen nach einem tiefen, gesunden Schlaf ein unlösbar erscheinendes Problem gelöst: von wem gelöst? − Sie genießen die unberührte Natur: von wem geschaffen und gestaltet? ... von Menschen bestimmt nicht! − Sie wissen, dass es außer unserem, auch schon unendlich scheinenden Sonnen- und Milchstraßensystem ungezählte Sternensysteme in unendlichen Mengen und unendlichen Entfernungen gibt: geschaffen und gesteuert durch uns irdische Menschen? − Sie hören von Nah-Tod-Erlebnissen aus der geistigen Welt, die immer häufiger auch von sog. Schulmedizinern anerkannt werden. − Sie genießen herrliche, begeisternde Sinfonien und Oratorien, Gemälde und Skulpturen, Novellen und Gedichte, Kirchen und andere Kunstwerke, die die Künstler doch nicht nur durch intellektuelles Nachdenken erdacht und geschaffen, sondern wesentlich durch Inspiration und Intuition empfangen und gestaltet haben, − und sie beten „Vaterunser in den Himmeln!“ Was sind diese Himmel – im griechischen Urtext steht der Plural – anderes als geistige Welt? Hans Dölle sprach sogar in seinem Festvortrag vor dem 42. Deutschen Juristentag 1957 über „Juristische Entdeckungen“ von einem Günther, Die Zehn Gebote; Zehm, Günter, Das Böse und die Gerechten, S. 173 ff., 203 ff., 221 ff., u. a.; auch Herrmann, Recht, Rn C. 2 f. – Papst Benedikt XVI. bezeichnete bei seiner ersten Pfingstmesse 2005 die Zehn Gebote als „Grundlage der wahren Freiheit“. – Zur Würdigung der Bergpredigt siehe Bischoff, Franz, Soziale Krisen, soziale Stimmungen und Gerechtigkeit, S. 335 f. – Neale Donald Walsch nennt weitere Persönlichkeiten, die nach seiner Auffassung der Welt mitteilten, was sie aus der geistigen Welt empfingen, und die „die Welt verändert“ haben (Walsch, Gemeinschaft mit Gott, S. 19 ff.).

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

„schöpferischen Erkenntnisakt“. Frank Schirrmacher stellt zu Recht fest: „Der Computer kann keinen einzigen kreativen Akt berechnen, voraussagen oder erklären. Kein Algorithmus erklärt Mozart oder Picasso oder auch nur den Geistesblitz, den irgendein Schüler irgendwo in der Welt hat.“ Karl Albrecht Schachtschneider nennt als „Gegenstand der Glaubensfreiheit ... die transzendente Zweite Welt, etwa Gott, das ewige Leben und die Unsterblichkeit der Seele“. 7

Also lassen Sie uns die Frage vor die Seele stellen: Wurzelt die Gerechtigkeit in der Geistigen Welt? Ist die wahre Gerechtigkeit eine geistige Wesenheit? 7

Dölle, Hans, Juristische Entdeckungen, S. B 3. – Schirrmacher, Frank, Payback, S. 218. – Schachtschneider, Karl Albrecht, Grenzen der Religionsfreiheit, S. 27. – Zu diesen Gedanken siehe auch den Ausspruch von Pablo Casals: „Intuition ist das entscheidende Moment, sowohl beim Komponieren als auch beim Interpretieren von Musik. Natürlich haben Technik und Intelligenz dabei lebenswichtige Funktionen ..., letztlich spielt aber die Intuition die Hauptrolle.“ Und Bruno Walter glaubte sogar, „dass dem Menschen kein unmittelbarerer Zugang zum Erahnen des Logos und seines Wirkens gegeben ist als durch die Musik“. Pablo Casals und Bruno Walter in: Walter (Hg.), Ein Hauch der Gottheit ist Musik, S. 92 und 107. – Zu Inspiration und Intuition bei großen Musikern und Wissenschaftlern auch Volkamer / Streicher / Walton, Intuition, Kreativität und ganzheitliches Denken, S. 25 ff., 30 ff. – Zu Geistesblitzen und Einfällen: Böhmer, Otto A., Sternstunden der Philosophie, S. 7, u. a. – Zu Nah-Tod-Erlebnissen ausführlich Pim van Lommel, Endloses Bewusstsein, Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung; außerdem siehe dazu den „Klassiker“ Moody, Raymond, Das Licht von drüben. – Zu dem Riesenthema Geistige Welt siehe Weiteres z. B. bei Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 31 ff., u. a.; Schreiber, Mathias, Was von uns bleibt, Über die Unsterblichkeit der Seele; Broers, Dieter, Gedanken schaffen Realität; Kugler, Walter (Hg.), Rudolf Steiner, Einführung in die Anthroposophie; ders., Rudolf Steiner und die Anthroposophie; siehe auch Lätzel, Martin, Was Dichter glauben, Gespräche über Gott und Literatur. – Karl R. Popper scheidet in seiner 3-Welten-Lehre eine physikalische Welt („Welt1“) von einer „Welt2“ (Welt unserer bewussten Erlebnisse) und einer „Welt3“ (Welt der objektiven Gedankeninhalte): Ob und wie diese Lehre für eine Antwort auf unsere Fragen fruchtbar sein kann, bleibt noch zu durchdenken (Popper, Karl R., Objektive Erkenntnis, S. 75 ff., 109 ff., 115 ff., 160 ff., 312, u. a.; ders., Lesebuch, S. 40 ff., 253 ff.; dazu siehe auch Eccles, John C., Wie das Selbst sein Gehirn steuert, S. 17 ff., sowie Popper / Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 61 ff., u. a.).

I. Wo ist die Wurzel der Gerechtigkeit?

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Etwa: − Eine Idee? Platon hat geschildert, wie jeder Mensch aus seiner früheren unmittelbaren Anschauung zwischen Tod und neuer Geburt eine, wenn auch dunkle Erinnerung an das mitbringt, was schön, gerecht und gut ist. Auch Radbruch / Zweigert sehen in der Gerechtigkeit einen „absoluten Wert, gleich dem Wahren, dem Guten, dem Schönen ...“ Amartya Sen nennt sein Hauptwerk bewusst „The idea of justice“. Und die Idee Gerechtigkeit können wir Menschen als Ideal anerkennen. Rudolf Steiner: „Jede Idee, die dir nicht zum Ideal wird, ertötet in deiner Seele eine Kraft; jede Idee, die aber zum Ideal wird, erschafft in dir Lebenskräfte.“ Und: „Nur der kann über die unmittelbare Gegenwart hinaus wirken, der Ideale hat.“ 8 − Gott? Für Augustinus war Gott die Gerechtigkeit. 9 − Ein integraler Bestandteil der lex aeterna, die nach Thomas von Aquin in der göttlichen Weisheit (ratio divinae sapientiae) existiert und die „dem Menschen in diesem Leben nicht (in vollem Umfang) einsichtig“ ist? 10 8 GA 10, 28 und GA 61, 94. – Zitat Platon: Menon 81; in: Platon, Werke, Band 2, S. 539 ff. – Zitat Radbruch / Zweigert: Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 36. – Elisabeth Holzleithner überschreibt in „Gerechtigkeit“ ihr Eingangskapitel „Warum Gerechtigkeit? Ein Ideal und seine Bedeutungen“ (S. 7 ff.; siehe auch dort S. 15) – Eine gute Übersicht über die Ideenlehre gibt Martin Gessmann, Philosophisches Wörterbuch, Stichwort „Idee“. – Zur Ideenlehre Platons siehe Weizsäcker, Carl Friedrich von, Ein Blick auf Platon; auch Lommel, Pim van, Endloses Bewusstsein, S. 357 ff., sowie Prokofieff, Sergej O., Anthroposophie und „Die Philosophie der Freiheit“, S. 22 f. – Für Emil Brunner sind „die Idee der Gerechtigkeit und der Gedanke eines göttlichen Gesetzes ... eins und dasselbe.“ (Gerechtigkeit, S. 54). – Michaela Glöckler spricht von drei christlichen Idealen: Wahrheit für das Denken, Liebe für das Fühlen, Freiheit für das Wollen (Die Heilkraft der Religion, S. 37, 88 ff.). 9 Flasch, Kurt, Kampfplätze der Philosophie, Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire, S. 24, 26. – Jürgen Moltmann nennt in seinem Buch „Sein Name ist Gerechtigkeit“ (S. 13) eine seiner „drei fundamentalen christlichen Einsichten“: „Gott ist die Gerechtigkeit, die Recht schafft und zurechtbringt.“

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

− Ein Urphänomen? „Urphänomen: ideal als das letzte Erkennbare, real als erkannt, symbolisch, weil es alle Fälle begreift, identisch mit allen Fällen.“ 11

− Ein Geheimnis, ein offenbares Geheimnis? 12 − Ein Archetyp im Sinne der Tiefenpsychologie von C. G. Jung? 13 − „Ein schöner Traum der Menschheit“? 14 Gemeinsam ist diesen Bekundungen aus gut zweitausend Jahren, dass sie – bei all ihren Unterschieden – Gerechtigkeit als eine geistige Wesenheit sehen oder zumeist ähnliche Wege für einen Blick in die geistige Welt öffnen. Auf der Basis dieses tradierten Geistes-Fundus können wir heute zusammengefasst Gerechtigkeit als Urphänomen erkennen, und wir können sie als Ideal anerkennen – wie die Wahrheit, das Gute, das Schöne, die Weisheit, die Freiheit, den Frieden, die Brüderlichkeit, die Liebe. All diese Wesenheiten existieren in der geistigen Welt: Wir ahnen sie, machen uns eine Vorstellung von ihnen, und wir streben nach ihnen als Ideale. 10 Forschner, Maximilian, Thomas von Aquin, S. 126; dort Weiteres S. 125 ff.; Coing, Helmut, Rechtsphilosophie, S. 24; dort S. 85 ähnliche Fragestellungen wie hier; siehe auch Papst Johannes XXIII., PACEM IN TERRIS, S. 21; Schaede, Stephan, Gesetz und neues Gesetz bei Thomas von Aquin, in: Bock (Hg.), Gesetz und Gesetzlichkeit in den Wissenschaften, S. 61 ff. 11 Goethe, Maximen und Reflexionen Nr. 15, HA XII, S. 366. – Helmut Coing bezeichnet die Ethik als „Urphänomen des menschlichen Geisteslebens“ (Rechtsphilosophie, S. 103). – Zu Goethe und dem Wesen des Rechts siehe Häfner, Gerald, Brüderlichkeit im Zeitalter der Globalisierung, in: Spitta (Hg.), Die Herausforderungen der Globalisierung, S. 68. 12 Z. B. Goethe, Offenbar Geheimnis, in: Westöstlicher Divan, HA II, S. 24. 13 Dazu Wehr, Gerhard, C. G. Jung, S. 39, u. a.; auch unten C. III. 14 Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit?, S. 52.

I. Wo ist die Wurzel der Gerechtigkeit?

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Was wir suchen und ahnen, wenn wir an Gerechtigkeit denken, kann uns gut bewusst werden, wenn wir uns die Wurzel des lateinischen Wortes für Recht vor die Seele stellen: ius kommt über das altlateinische jous von sanskrit. yós = Heil. Also: Wenn wir Gerechtigkeit suchen, suchen wir im Grunde das Heil für das menschliche Miteinander. 15

So können wir in der geistigen Welt eine wahre Gerechtigkeit ahnen. Der oberste Bereich dieser wahren Gerechtigkeit, die göttliche, karmische Gerechtigkeit, kann von uns Menschen generell nicht wahrgenommen oder gar verstanden werden. Aber von den uns näheren Sphären der Gerechtigkeit können und sollten wir uns soweit möglich befruchten und inspirieren lassen; wir können und sollten sie soweit irgendmöglich im Wege intuitiver Deduktion in und mit unserem Gerechtigkeitsbewusstsein für unser Rechtsleben fruchtbar machen. Durch diese Aktivität der Menschen – und nur durch diese Aktivität! – kann Gerechtigkeit in unser Rechtsleben kommen. 16 Strahlen der Gerechtigkeit können wir auch empfangen, wenn wir ein Entscheidungsproblem mit in die Nacht nehmen. Sicher haben schon viele Leser die Erfahrung gemacht, dass auch bei Rechtsproblemen das Überschlafen weiterhilft: Am Morgen ist ihnen die Lösung eingefallen. Dies ist wohl während des Schlafens eine Befruchtung aus

15 Zu ius, jous und yós siehe Menge, Hermann, Langenscheidts Großwörterbuch Lateinisch, Teil I Lateinisch-Deutsch, Stichwort „ius“. – Das deutsche Wort „gerecht“ stammt ab von ahd. „gireht“ = „gerad[linig]“, mhd. „gereht“ = „gerade, recht (im Gegensatz zu ‚links‘)“; DUDEN, Etymologie, Das Herkunftswörterbuch, Stichwort „gerecht“. 16 Zum Gerechtigkeitsbewusstsein des Menschen sogleich zu C. II. – Zu dem Themenkomplex karmische, göttliche Gerechtigkeit siehe z. B. Grün, Anselm, Womit habe ich das verdient? Die unverständliche Gerechtigkeit Gottes; Herrmann, Recht, Rn C. 121 ff.: Dort ist auch ausgeführt, dass bei den juristischen Beurteilungen in unserem irdischen Rechtsleben Aspekte des Karmas nicht zu berücksichtigen sind (auch oben B. I. 7.). – Zum karmischen Aspekt des Lebens auch Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 161 ff.

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

der geistigen Welt, eine Befruchtung durch die geistige Wesenheit Gerechtigkeit. Wie ist es sonst zu erklären? Der bedeutende US-Immunologe Jonas Salk sagte: „Es ist immer wieder aufregend, morgens aufzuwachen und sich zu wundern, was die Intuition, wie Geschenke aus dem Meer, in mir hervorgebracht hat. Ich arbeite mit ihr, ich vertraue auf sie. Sie ist mein Partner.“ Und Hermann von Helmholtz erklärte: „Soweit meine Erfahrung reicht, kamen günstige Einfälle nie dem ermüdeten Gehirn und nicht am Schreibtisch. Oft waren sie des Morgens beim Aufwachen da, wie auch Gauß angemerkt hat.“ 17 Wenn wir so von Strahlen der Gerechtigkeit sprechen, können wir auch die jahrtausende-alte Signatur Sonne der Gerechtigkeit vor unsere Seele stellen. Schon im Alten Testament können wir lesen: „Für euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen, und ihre Flügel bringen Heilung.“ (Maleachi 3.20) Und: „Also sind wir vom Weg der Wahrheit abgeirrt; das Licht der Gerechtigkeit strahlte uns nicht – und die Sonne ging nicht für uns auf.“ (Buch der Weisheit 5.6; siehe auch Psalm 119). Alanus ab Insulis erklärte in seiner Epiphanias-Predigt: „[Die drei Weisen aus dem Morgenland] suchen unter der Führung des Sterns die Sonne der Gerechtigkeit.“ 18 17 Zitat Jonas Salk nach Traufetter, Gerald, Intuition, vor dem Inhaltsverzeichnis. Dazu auch Volkamer / Streicher / Walton, Intuition, Kreativität und ganzheitliches Denken, S. 36; dort auch das Zitat Hermann von Helmholtz. 18 „Stella duce, quaerunt solem iustitiae“: Alanus ab Insulis, Predigten zum Jahreslauf, S. 44 f.; dazu Selg, Peter, Das Ereignis der Jordantaufe, S. 17; dort S. 81 ff. Abdruck der genannten Predigt. – Zur Sonne der Gerechtigkeit weiter Röschert, Günter, Die Kunst des Rechts, S. 16 f.; Moltmann, Jürgen, „Sein Name ist Gerechtigkeit“, S. 118. – Zu der Sonne der Gerechtigkeit und zu dem Kupferstich von Albrecht Dürer „sol justitiae“ siehe Kissel, Otto Rudolf, Die Justitia, S. 36, 39, 55 f. – Ernst von Hippel schrieb 1947, die „Grundideen der Ordnung ... Wahrheit, die Schönheit und die Gerechtigkeit“ verhielten sich „zum Ideal jeder Ordnung, dem Göttlichen, ... wie die Strahlen zum Licht“ (Vom Wesen der Demokratie, S. 63 f.). – Hartung und Schaede berichten von einem evangelischen Kirchenlied, in dem „Jesus Christus als ‚Sonne der Gerechtigkeit‘“ bezeichnet wird (dies. [Hg.], Internationale Gerechtigkeit, S. 15). – Die Sonne der Gerechtigkeit ist auch Thema von Studien zum Codex Hammurabi und zur Jahwe-Religion; z. B. Arneth, Martin, Sonne der Gerechtigkeit, Studien zur Solarisierung der Jahwe-Religion im Lichte von Psalm 72.

I. Wo ist die Wurzel der Gerechtigkeit?

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Bevor wir uns nun vor Augen führen, wie diese Gerechtigkeit in unserem Rechtsleben durch unser Gerechtigkeitsbewusstsein fruchtbar werden kann, sei hier im Blick auf die allgemeine Debatte um eine Definition der Gerechtigkeit eingefügt: Aus der Erkenntnis, dass wir die wahre Gerechtigkeit mit unseren normalen, irdischen Sinnen und Organen nur zum Teil erfassen können, folgt, dass und warum uns eine umfassend-exakte rationale Definition der Gerechtigkeit in ihrer ganzen Wahrheit und Fülle nicht möglich ist. Wir sind Menschen und vermögen nur das Menschen-Mögliche. Deshalb sind auch die bisherigen Versuche, für die Gerechtigkeit eine in unserem Verständnis umfassend-exakte Definition zu finden, nicht gelungen (das wird von den Autoren regelmäßig auch selbst festgestellt; oben A.). Das Schicksal, in ihrem Kern für uns ein Geheimnis zu bleiben und sich damit einer rationalen Definition zu entziehen, teilt die Gerechtigkeit mit anderen Urphänomenen und Idealen. Auch zum Guten, Wahren, Schönen, nach Freiheit und Liebe streben die Menschen seit Menschengedenken, ohne diese Ideale je ganz erfassen und erreichen zu können. Denken Sie an das Gedicht von Friedrich Schiller „Das verschleierte Bild zu Sais“! Oder an den Satz von Johann Gottfried Seume: „Das Los der Menschen scheint zu sein, nicht Wahrheit, sondern Ringen nach Wahrheit, nicht Freiheit und Gerechtigkeit und Glückseligkeit, sondern Ringen danach.“ 19

Dieses Verständnis der Gerechtigkeit als geistige Wesenheit, die wir nicht in ihrer ganzen Wahrheit und Fülle erfassen und definieren können, mag für manchen Leser zunächst ungewohnt sein. Aber der Wirklichkeit kommen wir so näher, als wenn wir meinen, wir könnten mit unserem Verstand erkennen 19 Seume, Johann Gottfried, Apokryphen, S. 21; dort S. 11: „Wer den ersten Gedanken der Gerechtigkeit hatte, war ein göttlicher Mensch, aber noch göttlicher wird Der sein, der ihn wirklich ausführt.“ – Zum Erkenntnisstreben, das uns der objektiven Wahrheit näher bringen soll und kann, Popper, Karl R., Objektive Erkenntnis, S. VII, 1 ff. – Zur Gemeinschaftsbildung durch Ideale siehe Glöckler, Michaela, Die Heilkraft der Religion, S. 88 ff.

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

und fixieren, was Gerechtigkeit in ihrer ganzen Wahrheit und Fülle ist (da helfen auch nicht kompliziert-intellektuelle Definitionsversuche mit hypothetischen Vorstellungen bestimmter Ur-Zustände). Dass wir hier in dieser Arbeit sehen, warum wir die gesamte Gerechtigkeit nicht mit unserem Verstand objektivabstrakt definieren können, ist wohl auch schon ein Erkenntnisfortschritt. Es ist mit der Gerechtigkeit eben anders als mit Gegenständen, die wir benennen und definieren können. Das Ergebnis von „2 × 2 = 4“ und die Definition des Kreises oder der Eiche (quercus) werden allgemein verstanden und genießen allgemeine Zustimmung. Ähnliches gilt für viele Elemente der Rechtsordnung: Das Eigentumsrecht wird allgemein definiert als das absolute Recht, mit einer bestimmten Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen zu dürfen (§ 903 BGB mit Art. 14 GG). Gerechtigkeit aber in ihrer ganzen Fülle und Wahrheit wurzelt und existiert in der geistigen Welt. Menschen haben begrenzten und unterschiedlichen Zugang zu ihr, und sie haben unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit – so wie auch über andere Ideale keine Einigkeit, keine opinio communis besteht. Auch die Pilatus-Frage „Was ist Wahrheit?“ (Joh. 18.38) steht seit 2000 Jahren unbeantwortet im Raum. 20

II. Wie kann Gerechtigkeit in unserem Leben fruchtbar werden? – Über das Gerechtigkeitsbewusstsein Für unser tägliches Rechtsleben ist nun wichtig: Gerechtigkeit kann in unsere Welt kommen und in unserem Rechtsleben real wirken, wenn wir bei unseren Entscheidungen tatsächlich aktiv nach Gerechtigkeit streben und gewissermaßen Strahlen der Gerechtigkeit aufzunehmen suchen. Dann kann jeder in sich das Gerechtigkeitsbewusstsein entwickeln, das mit 20 Dazu Ratzinger, Joseph – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Zweiter Teil, S. 215 ff.

II. Wie kann Gerechtigkeit fruchtbar werden?

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Vernunft und mit unserem Gewissen unser Leben gerechter und menschlicher gestalten kann. 21 Dieses Gerechtigkeitsbewusstsein und das Gewissen gehören zur Individualität, zum Ich des Menschen. Im Leben Gerechtigkeit realisieren und praktizieren erscheint als höchstverantwortliche, von Gerechtigkeitsbewusstsein und Gewissen getragene, seelisch-geistige Tätigkeit. Dazu ist nur der Mensch fähig, kein Tier. Denn nur der Mensch hat ein Ich – und im Ich wurzelt das Recht. 22 Denken Sie dazu an das herrliche Goethe-Gedicht „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“: „Nur allein der Mensch Vermag das Unmögliche:

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Reinhold Zippelius findet bei seinen grundlegenden Gedanken über Gerechtigkeit im „vernunftgeleiteten Gewissen der Einzelnen die letzte Instanz“; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 88; siehe auch ders., Verhaltenssteuerung durch Recht und kulturelle Leitideen, S. 62 ff. – Zum Gewissen auch Spaemann, Robert, Moralische Grundbegriffe, S. 73 ff.; Ochmann, Frank, Die gefühlte Moral, S. 163 ff.; Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 165 ff., 185 ff. – Von Rechtsgewissen spricht Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Vom Ethos der Juristen, S. 42 ff. – Zum Rechtsbewusstsein differenzierend Rehbinder, Manfred, Rechtssoziologie, Rn 118 f. – Franz Bischoff spricht von einer „Grundstimmung der Gerechtigkeit“, in der wir uns immer befinden, ob wir sie wahrnehmen oder nicht (Die Erziehung zur Gerechtigkeit, S. 215). – Zum Bewusstsein siehe Damasio, Antonio, Selbst ist der Mensch, S. 15 ff., 169 ff., u. a.; Eccles, John C., Wie das Selbst sein Gehirn steuert, S. 172 ff., u. a.; Volkamer / Streicher / Walton, Intuition, Kreativität und ganzheitliches Denken; Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 30 ff. u. a.; Broers, Dieter, Gedanken schaffen Realität, Die Gesetze des Bewusstseins; Pim van Lommel, Endloses Bewusstsein; Ochmann, Frank, Die gefühlte Moral, S. 44 ff., u. a. 22 Herrmann, Recht, Rn E. 20. – Siehe das Kapitel „Bemerkungen über das Ich“ in: Popper / Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 134 ff. – Auch der australische Gehirnphysiologe John C. Eccles ist zu der Erkenntnis gekommen, dass nur der Mensch ein Ich-Bewusstsein besitzt: den Titel seines Buches „Wie das Selbst sein Gehirn steuert“ nennt E. selbst „provozierend“; S. 11; dort weiter S. 172 ff., u. a. – Zum Ich des Menschen schon oben B. II. 3. c).

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

Er unterscheidet, Wählet und richtet; ...“ 23

Da jeder Mensch ein Individuum ist, kann das individuelle Gerechtigkeitsbewusstsein bei den unterschiedlichen Personen auch in Bezug auf ein und denselben Sachverhalt zu durchaus unterschiedlichen Urteilen führen: A hält die Entscheidung X für gerecht, B aber Y; und C glaubt, eine grobe Ungerechtigkeit sei nur durch eine Aktivität Z zu verhindern. Diese Feststellung subjektiver Unterschiede entspricht auch der Lebenserfahrung: In Gesprächen und Debatten aller Art werden ja ständig individuelle und damit unterschiedliche Gedanken über gerecht oder ungerecht geäußert. Das ist vielleicht so ähnlich wie bei einem Blick auf einen hohen Berg: Viele Menschen schauen ihn an, alle sehen einen „hohen Berg“ – aber jeder hat nach Standort, nach Qualität seiner Sinne und nach geistiger Wachheit ein anderes Detail-Bild; vielleicht verdeckt auch dem einen oder anderen eine Nebelwand oder eine Wolke den Blick auf den Gipfel. – Dieses Bild soll vermitteln: Jeder Mensch hat seine eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen, die eben auch durch unterschiedliche Sichtweisen, durch Region, Zeitläufte, Erziehung, Erfahrungen und andere Parameter des Individuums und der Gesellschaft individuell geprägt sind. Jeder sieht andere Details und kommt ggf. zu einem anderen Bild, Ergebnis oder Schluss als ein anderer. Auch deshalb haben wir rund um den Globus die verschiedenen Ableitungen aus der Gerechtigkeit: die unterschiedlichen Rechtsordnungen von Land zu Land, von Zeitalter zu Zeitalter, und Rechtsprechung mit durchaus unterschiedlichen Urteilssprüchen, auch über ein und denselben Sachverhalt in verschiedenen Instanzen.

Diese Feststellung individueller Unterschiede sollte uns auch nicht erschrecken. Denn dass und wie sich dann aus den individuellen Gerechtigkeitsgedanken in Gemeinschaften durch Diskurs gemeinschaftliche Gerechtigkeitsvorstellungen formen kön-

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Goethe, HA I, S. 147 ff.

II. Wie kann Gerechtigkeit fruchtbar werden?

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nen und notfalls (Mehrheits-)Entscheidungen getroffen werden müssen, ist ein zweiter Schritt (unten D. I.). 24 Einen weiteren Aspekt individueller Gerechtigkeitsgewinnung eröffnen einige Autoren, die Recht und Gerechtigkeit mit dem Herzen des Menschen in Verbindung bringen und von Rechtsgefühl sprechen. „Das natürliche Gesetz ist allen Menschen ‚ins Herz geschrieben‘“ – so die Lehre des Thomas von Aquin. Und Rudolf Steiner hat wiederholt erklärt, dass das Recht aktuell „aus jeder gesunden Menschenbrust kommt“. Soweit dieser Satz Überraschung auslöst, kennzeichnet dies genau das punctum saliens, den springenden Punkt: Denn Recht soll – recht verstanden – nichts Statisches sein, sondern Leben, Menschlichkeit, Rhythmus, Dynamik, Herz! 25

24 Dazu auch Reinhold Zippelius unter der Überschrift „Die Überwindung der Subjektivität im Konsens“; in: Verhaltenssteuerung durch Recht und kulturelle Leitideen, S. 67 ff. 25 Weiter hierzu Herrmann, Recht, Rn C. 47 ff. – Zu dem Satz von Thomas von Aquin: Forschner, Maximilian, Thomas von Aquin, S. 131 f. – Zu Beobachtungen bei Kindern, die aufgrund ihrer noch elementaren Verbindung zur geistigen Welt schon vor einer Erziehung zu gerechtem Denken und Handeln ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl haben, siehe Kriele, Martin, Rechtsphilosophie, S. 13; Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 196 ff.; Zitzlsperger, Helga, Über das Gerechtigkeitsempfinden von Kindern und Jugendlichen beim Hören von Märchen, in: Lox / Lutkat / Kluge (Hg.), Dunkle Mächte im Märchen und was sie bannt, Recht und Gerechtigkeit im Märchen, S. 141 ff.; Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Vom Ethos der Juristen, S. 41; Herrmann, Recht, Rn C. 100. – Zu bemerkenswerten Experimenten mit Kindern, die spontan anderen helfen wollen: „Helfende Hände“, siehe Ochmann, Frank, Die gefühlte Moral, S. 120 f.; ausführlich Tomasello, Michael, Warum wir kooperieren. – Statt von Rechtsgefühl sollte man von Gerechtigkeitsgefühl sprechen; denn es geht hier weniger um das Fühlen irdischer Rechtsvorschriften als um ein Gefühl von und für Gerechtigkeit. Zum Thema siehe Rehbinder, Manfred, Rechtssoziologie, Rn 121 ff.; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, §§ 18 –22; ders., Im Irrgarten der Gerechtigkeit, S. 15 ff. mit Hinweis auf Lampe, E. J., Das sogenannte Rechtsgefühl, S. 12 ff.; Ernst Bloch schreibt über das „sogenannte Rechtsgefühl“ in: Naturrecht und menschliche Würde, S. 16 ff. – Zu Rechtserkenntnis und Rechtsgefühl siehe Eichholz, Reinald, Der Mensch im Recht – Das Recht im Menschen, S. 112 ff., 128 ff.

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

Gerechtigkeitsbewusstsein und Gerechtigkeitsgefühl können uns mit aktivem Herzdenken zu Entscheidungen führen, die Gerechtigkeit atmen. Schon in Jesus Sirach 37.17 ist zu lesen: „Bleibe bei dem, was dir dein Herz rät!“ (Oder: „Die Wurzel der Pläne ist das Herz.“) – Herzdenken ist gerade im Rechtsleben geboten, damit nicht übertriebene, intellektuell-juristische Jongleurkunst zu einem „summum ius summa iniuria“ führt („Höchste Rechtstechnik kann höchstes Unrecht bedeuten“). 26 Bemerkenswert ist, dass die Berücksichtigung der Emotionen und Gefühle im Gedankenleben ein aktuelles Thema auch in der modernen Literatur ist: „Emotionale Intelligenz“ ist der Titel des Bestsellers von Daniel Goleman. In seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe im Jahre 1997 erklärte Goleman, dass es auch in Deutschland so dringlich sei, „das emotionale Alphabet zu beherrschen. In unserem Zeitalter sind die Kräfte und Fähigkeiten des Herzens genauso lebenswichtig wie die Kräfte des Kopfes.“ Goleman zitiert auch Antoine de Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ 27

Wenn Richter, Politiker und andere bei ihren Entscheidungen tatsächlich Gerechtigkeit intuitiv empfangen und im Rahmen des Möglichen in die Realität umsetzen, wird das Rechtsleben sicher gerechter – und es verliert etwas von seiner Kälte und Nicht-Menschlichkeit: es wird menschlicher. Wer eine sol26 Cicero, De officiis I, 10, 33; a. a. O., S. 31 ff. – Wolfgang Huber zitiert Gustav Radbruch: „Recht kann ungerecht sein (summum ius summa iniuria), aber es ist Recht nur, weil es den Sinn hat, gerecht zu sein.“ (Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 347); zu der zitierten Sentenz auch unten D. II. a. E. – Zum Herzdenken ausführlich Dietz, Karl-Martin, Wenn Herzen beginnen, Gedanken zu haben; Törpel, Claudia, Man denkt nur mit dem Herzen gut; auch Glöckler, Michaela, Die Heilkraft der Religion, S. 35 ff.; Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 26 ff., u. a. 27 Goleman, Daniel, Emotionale Intelligenz, S. 8, 19. – Seine hier zitierte Aussage ist auch heute, ein gutes Jahrzehnt später, zutreffend. – Zu dem Buch von Goleman auch Zimmermann, Heinz, in: Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, S. 13. – Zitat Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz, S. 100. – Zu den Beziehungen zwischen Gefühl und Gehirndenken Weiteres unten C. III.

II. Wie kann Gerechtigkeit fruchtbar werden?

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che Intuition aufnimmt, wird uns als ein guter Gesetzgeber, als ein guter Richter, als ein guter Politiker erscheinen – so wie wir dies bei einem guten, inspirierten Künstler, Arzt, Priester oder Lehrer empfinden. Deshalb müssen ja nicht alle am Rechtsleben beteiligten Menschen hellsichtige Eingeweihte sein. Aber jeder Mensch, der ernsthaft in sich hineinhorcht und die Idee Gerechtigkeit in seinem Herzen und in seinem Ich-Bewusstsein zum Schwingen bringt, wird doch spüren, und ihm wird durch seine innere Stimme bewusst werden, was im konkreten Fall gerecht oder ungerecht ist. Benedikt XVI. empfahl in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 22. 9. 2011 besonders Politikern ein „hörendes Herz“, und: „Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein.“ Wenn z. B. ein 55-jähriger Arbeitsloser, der 35 Jahre lang regelmäßig in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, am Monatsersten weniger in der Hand hat als ein Sozialhilfeempfänger ohne eine solche jahrzehntelange Vorleistung, erscheint dies wohl jedem Gerechtigkeit fühlenden Menschen als ungerecht (Beispiele für soziale Ungerechtigkeiten bei Schreiner, Ottmar, Die Gerechtigkeitslücke; Sarrazin, Thilo, Deutschland schafft sich ab, S. 320 ff., u. a.). Und wenn fast regelmäßig, in den unterschiedlichsten historischen Situationen, die Kleinen gehängt und die Großen laufen gelassen werden, so empfindet das wohl jeder Gerechtigkeit Fühlende als ungerecht. 28

Besonders wichtig erscheint das ernsthafte Streben nach Gerechtigkeit bei den Menschen, die die Rechtsordnung schaffen, weiterentwickeln und anwenden, d. h. bei der politischen Arbeit, in der Öffentlichen Verwaltung und bei den Richtern aller Instanzen. Die gegenwärtige Praxis lässt freilich bei Akteuren des Staatslebens Intuitionen aus dem Ideal Gerechtigkeit oft vermissen. Viele Politiker orientieren sich heute zu sehr an der eigenen Karriere, am näch28 Zu diesem Themenkreis Rüthers, Bernd, Entartetes Recht, Rechtslehrer und Kronjuristen im Dritten Reich; ders., Die Wende-Experten; ders., Geschönte Geschichten – Geschonte Biographien; auch Eike von Hippel, Willkür oder Gerechtigkeit, S. 18 ff., u. a.

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

sten Wahltermin, an der nächsten Pressekonferenz oder gar nur an der nächsten Möglichkeit, in einem Boulevardblatt eine maßgebliche Meinung zum Besten zu geben. Natürlich spüren viele Menschen in unserem Land diese Fehlorientierung und werden politikverdrossen. „Politikverdrossenheit“ war schon 1992 das „Wort des Jahres“. Dies kommentierte Trutz Graf Kerssenbrock mit der Bemerkung: „Das Ansehen der Parteipolitik ist so schlecht, dass dies zu einer langfristigen Gefahr für die repräsentative Demokratie zu werden droht, weil es eines Tages keine repräsentativen Demokraten mehr gibt.“ – Dietrich Spitta meint dazu, tatsächlich gehe es mehr um Politiker- und Parteien-Verdrossenheit als um Politikverdrossenheit. Horst Köhler formulierte – kurz vor seinem überraschenden Rücktritt als Bundespräsident – am 14. 5. 2010: „Die politischen Parteien, die Parlamente und die Regierungen haben viel von ihrem Ansehen verloren.“ – Dass der „GfK Vertrauensindex 2011“ angibt, den Politikern vertrauten nur noch 9 Prozent der Deutschen (im Vorjahr: 14 Prozent; beide Werte am Ende der Skala von 20 Berufsgruppen!), müsste eigentlich zu einem explosionsartigen Aufwacherlebnis bei allen Betroffenen führen! (Die Richter liegen mit 79 % noch im oberen Drittel.) 29 Zur Vermeidung von Missverständnissen: Mir liegt ganz fern eine Pauschalabwertung aller am Staatsleben Beteiligten; denn natürlich ist 29 Zitat Graf Kerssenbrock: Politische Führung und Demokratie, in: www.rewi.hu-berlin.de/online/hfr/7-1996 (26. 5. 2006). – Zitat Dietrich Spitta: In: Das Goetheanum, Nr. 39/2009, S. 6 f. – Zitat Horst Köhler: Rede des Bundespräsidenten zur Einführung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle; www.bundespraesident.de/Reden-und -Interviews-... (15. 5. 2010). – Zum „GfK-Vertrauensindex 2011“ siehe Pressemitteilung 17. 6. 2011; www.gfk.com/group/press_information/...; 18. 6. 2011). – Bernd Holznagel stellte in seiner Ersten These auf der Erlanger Staatsrechtslehrertagung 2008 fest: „Die Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit der Bürger hat in den letzten Jahren zugenommen.“ (VVDStRL, 68. Band, S. 409; ebenso Hans-Detlef Horn, dort S. 445). – Siehe auch die treffende Kritik von Stolleis, Michael, Das Auge des Gesetzes, S. 69 f.; auch Oskar Negt: in: DER SPIEGEL, Nr. 32/2010, S. 98. – Zum Thema auch die differenzierenden Beobachtungen von Beatrice von Weizsäcker, Warum ich mich nicht für Politik interessiere; außerdem Weber, Max, Politik als Beruf; Hippel, Eike von, Willkür oder Gerechtigkeit, S. 157 ff., u. a.; Arnim, Hans Herbert von, Der Verfassungsbruch, Verbotene Extra-Diäten – Gefräßige Fraktionen (Berlin 2011); Rüthers, Bernd / Höpfner, Clemens, Abschied vom Rechtsstaat?, in: FAZ 26. 8. 2011, S. 9.

III. Kritische Zwischenfrage

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für viele bei ihren Entscheidungen die Gerechtigkeit ein, vielleicht nicht immer bewusstes, aber wesentliches Leitziel. Als Beispiel nenne ich die Richter des Bundesverfassungsgerichts: Wer so schwierig-fundamentale Fragen wie Gen-Technik, Organ-Transplantation, Schwangerschaftsabbruch, Präimplantationsdiagnostik (PID), Sterbehilfe, Luftsicherheitsgesetz letztverantwortlich zu entscheiden hat, kann dies nicht selten nur, wenn er – zusätzlich zu allen juristisch gebotenen rationalen Gedanken – auch in sich hineinhorcht und sich fragt: Was ist hier gerecht? ... auch wenn es formal um die Frage verfassungsgemäß oder verfassungswidrig geht. 30

III. Kritische Zwischenfrage: Im 21. Jahrhundert Intuitionen aus der geistigen Welt? Vielleicht wird nun mancher Leser einwenden: Was soll denn das? Intuitionen aus der geistigen Welt? Wir sind doch modernfortschrittliche, aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts! Ein solcher (natürlich naturwissenschaftlich bewanderter!) Skeptiker sollte jedoch – außer den Ausführungen soeben I. und II. – bedenken, dass die moderne Naturwissenschaft, sowohl die moderne Hirnforschung als auch die moderne Psychologie, den hier entwickelten Gedanken nicht nur nicht entgegensteht, sondern dass sie sie auf vielleicht überraschende Weise zu stützen vermag: Ein markantes und allgemein bekanntes Ergebnis der modernen Hirnforschung ist ja die Feststellung, dass der Mensch seine Entscheidungen häufig nicht primär durch eigene, bewusste intellektuelle Anstrengungen, durch neuronale Schaltungen in seinem Gehirn produziert, sondern: „... ein Großteil 30 Dazu etwa Grimm, Dieter, Verfassung und Politik, insbesondere S. 96 ff., 133 f., 303 ff. – Zu den Beziehungen zwischen Verfassung und Gerechtigkeit siehe Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 387 ff. – Siehe auch unten D. III. 2. b).

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

unseres geistigen Lebens vollzieht sich unbewusst und beruht auf Prozessen, die nichts mit Logik zu tun haben: Bauchgefühle oder Intuitionen“. Dementsprechend spricht man in einschlägigen Buchtiteln von „Bauch-Entscheidungen“, kombiniert mit einem Untertitel „Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition“ oder mit der Ergänzung „Die Kraft der Intuition“. 31 31 Gigerenzer, Gerd, Bauchentscheidungen, Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, S. 11 (dazu Gladwell, Malcolm, Blink!, Die Macht des Moments, S. 17 ff.: „adaptives Unbewusstes“; auch S. 54 ff.); Kast, Bas, Wie der Bauch dem Kopf hilft, Die Kraft der Intuition; Bas Kast zitiert dort S. 72 einen Brief von Schiller an Goethe vom 30. 7. 1799: „Auch ist nicht zu leugnen, dass die Empfindung der meisten Menschen richtiger ist als ihr Raisonnement. Erst mit der Reflexion fängt der Irrtum an.“ (Dieser Brief auch in: Staiger, Emil, Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, S. 787) – Zu dem gewaltigen Thema Hirnforschung siehe Roth, Gerhard, Wir sind determiniert, in: Geyer (Hg.), Hirnforschung und Willensfreiheit, S. 218 ff., sowie weitere Beiträge in diesem Sammelband; Seidel, Wolfgang, Das ethische Gehirn; ders., Wille und Verantwortung, Das Gehirn moduliert den Determinismus, in: NJOZ 2009, S. 2106; gekürzt in: NJW 2009, S. 2415; Singer, Wolf, Der Beobachter im Gehirn; ders., Ein neues Menschenbild; Singer / Ricard, Hirnforschung und Meditation, ein Dialog; Hüther, Gerald, Wo genau passiert es?, Die vergebliche Suche der Hirnforscher nach der Region, in der das Bewusstsein entsteht, in: dieDrei, Nr. 1/2006, S. 52 ff.; Janich, Peter, Kein neues Menschenbild; Bonhoeffer, Tobias / Gruss, Peter (Hg.), Zukunft Gehirn, Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen, Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft; Damasio, Antonio, Selbst ist der Mensch, Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. – Otfried Höffe nimmt zur Hirnforschung in „Lebenskunst und Moral“, S. 246 ff., eingehend Stellung. – Bei Geyer, Christian, Hirnforschung und Willensfreiheit, S. 268 ff., findet sich auch der Abdruck des Beitrages von Benjamin Libet „Haben wir einen freien Willen?“ Die in diesem Beitrag geschilderten Experimente haben wesentlich die Entwicklung der modernen Hirnforschung impulsiert. – „Antworten der großen Philosophen“ auf die (in der Tat jahrhundertealte) Frage „Hat der Mensch einen freien Willen?“ haben Uwe an der Heiden und Helmut Schneider zusammengestellt. Zu diesem Themenkreis auch Ochmann, Frank, Die gefühlte Moral, S. 240 ff., und sogleich im Text. – Interessante Aspekte zum Thema Intuition / Herzdenken bringt Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 26 ff., u. a. – „Wie das Selbst sein Gehirn steuert“ nennt John C. Eccles eines seiner bemerkenswerten Bücher, mit dem er „den Materialismus herauszufordern, vom Thron zu stoßen und das geistige Selbst als Herrscher im Gehirn wiedereinzusetzen“

III. Kritische Zwischenfrage

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Wie auch die Verwendung des Wortes Intuition in diesem Zusammenhang zeigt, sind mit „Bauchentscheidungen“ nicht etwa physiologische Abläufe im Körperteil Bauch gemeint. Vielmehr soll das (etwas profan-vulgäre) Wort Bauch-Entscheidungen anzeigen, dass man oft Entscheidungsimpulse zunächst in der Bauchgegend intuitiv fühlt und erst dann intellektuell im Gehirn denkt. Gerd Gigerenzer zitiert in seinem Buch „Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition“ zu Beginn seines Ersten Kapitels „Bauchgefühle“ (S. 11) ein Wort von Blaise Pascal: „Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.“ Die Zeitfolge „Herz – Entschluss – Handlung“ spiegelt sich auch in der Charakterisierung des alten Ägypters: „Was mein Herz dachte, geschah durch meinen Arm.“ 32 Bei Maja Storch heißt es: „Verstandesanalysen können lange dauern, die Signale vom emotionalen Erfahrungsgedächtnis kommen blitzschnell.“ Und: „Diejenigen Menschen verfügen über eine gute Selbstsicherheit, die in der Lage sind, die Signale des emotionalen Erfahrungsgedächtnisses wahrzunehmen, sie mit der Vernunft zu verarbeiten und die Entscheidungen für ihre Lebensgestaltung in Harmonie mit den bewussten Überlegungen und den Signalen aus dem emotionalen Erfahrungsgedächtnis zu treffen.“ 33 Können wir aus diesen naturwissenschaftlichen Befunden der Hirnforschung nicht zwanglos folgern, dass auch rechtsrelevante Entscheidungen häufig intuitiv-emotional vorbereitet sucht (S. 12); dazu weiter Eccles, John, C., Die Evolution des Gehirns – die Erschaffung des Selbst, sowie Popper / Eccles, Das Ich und sein Gehirn. 32 So unter Bezug auf den Ägyptologen Hellmut Brunner: Törpel, Claudia, Man denkt nur mit dem Herzen gut, Zum Leibverständnis der alten Ägypter, S. 63. – Blaise Pascal: „Le cœur a ses raisons que la raison ne connaît pas.“ (Pensées IV, 277) – Hierzu siehe auch Böhmer, Otto A., Sternstunden der Philosophie, S. 12 ff. – Zum Herzdenken oben C. II. 33 Storch, Maja: Das Geheimnis kluger Entscheidungen, S. 23, 60. – Siehe auch Traufetter, Gerald, Intuition, Die Weisheit der Gefühle; Gladwell, Malcolm, Blink!, Die Macht des Moments, S. 78 ff.

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

oder getroffen und danach willentlich durch den Verstand bestätigt – oder umgestoßen werden? (Erfahrungen vieler Leser werden dies bestätigen; Weiteres sogleich im Text sowie unten D. III. 2. c – e). Zum zweiten lehrt uns die moderne Psychologie, insbesondere aufgrund der Tiefenpsychologie von Sigmund Freud und der analytischen Psychologie von C. G. Jung, dass der Mensch in seinem Denken, Fühlen und Handeln wesentlich durch unbewusste psychische Prozesse beeinflusst und gesteuert wird. Interessant für unsere Überlegungen ist dabei auch die Annahme eines „kollektiven Unbewussten“, in dem sich die von C. G. Jung beschriebenen „Archetypen“ manifestieren, gleichsam geologische Ablagerungen uralter Menschheitserfahrungen. Erscheint es als zu kühn, in diesem kollektiven Unbewussten als Archetypus auch die Gerechtigkeit verwurzelt zu sehen? 34 Die hier skizzierten Ergebnisse der Hirnforschung und der Psychologie passen besser zusammen und besser zu unserem Thema als es manchem prima facie erscheinen mag. Denn wenn unsere Entscheidungen oft primär quasi aus dem Empfindungsbereich der Bauch- oder Herzgegend kommen, dann korrespondiert dies mit der Erklärung, dass sich Entscheidungen zuerst im Unbewussten entwickeln, d. h. in tieferen Willensschichten, in denen manche auch die Wirkung des Karmas sehen. Und wenn das so ist, dann zeichnet nicht als Erstes der Intellekt die Entscheidung vor. Von da ist es nur ein kleiner Schritt zu der von einigen Hirnforschern aufgestellten These, der Mensch entscheide nicht (primär) in seinem Kopf bewusst mit freiem Willen. 35 34

Beschreibung „geologische Ablagerungen“ durch Rattner / Danzer, Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, S. 43; dort auch ein guter Überblick über den Stand der Psychologie. Außerdem siehe Wehr, Gerhard, C. G. Jung, S. 37 ff., u. a. – Zum Freud’schen Unbewussten siehe Damasio, Antonio, Selbst ist der Mensch – Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins, S. 189 ff. – Siehe auch Bischoff, Franz, Soziale Krisen, soziale Stimmungen und Gerechtigkeit, S. 329; Sheldrake, Rupert, Das schöpferische Universum, S. 32 f.

III. Kritische Zwischenfrage

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Es bedarf freilich noch intensiver, natürlich interdisziplinärer Forschungen, um Näheres und Sicheres darüber zu erfahren, warum dieses – wohl von allen schon erlebte – zunächst unbewusste Primärgefühl allgemein in der zentralen Gegend um Bauch-SonnengeflechtHerz verortet und woher es gespeist wird: Die anatomische Medizin sieht dort Teile des wunderbaren vegetativen Nervensystems mit 100 Millionen Nervenzellen (Michael Gershon spricht von einem Gehirn in unserem Bauch). Die moderne Psychologie erklärt, dass die meisten Entscheidungen durch unbewusste psychische Prozesse und aus einem „kollektiven Unbewussten“ gesteuert werden. Die uralte Lehre von den Chakren (Sonnenrädern oder auch: Sinnesorganen der Seele) sieht in diesem Zentralbereich des Menschen das Sonnengeflecht-Chakra, dem vor allem „Energie und Lebendigkeit, Selbstbewusstsein, intuitive Entscheidungen aus dem Bauch heraus“ zugeschrieben werden (wikipedia.org/wiki/Chakra; 28. 6. 2010). Frage: Ist etwa mit den Chakren oder mit der Bezeichnung bestimmter Organe als Antennen etwas gemeint, das man als Sensoren zur Aufnahme der das Weltall durchströmenden Schwingungen verstehen könnte, die ihrerseits wie Trägerwellen die Emanationen geistiger Wesenheiten tragen und so den Menschen zugänglich machen können? Wie kommt es zu dem wunderbaren Wechsel- und Zusammenspiel zwischen Herz und Gehirn? Das sind wahrhaft spannende und lebenswichtige Grundfragen, die noch ihrer Antworten harren! 36 35

Durch die von Hirnforschern neu betriebene „Debatte über die Willensfreiheit“ fühlt sich Jürgen Habermas „ins 19. Jahrhundert zurückversetzt“ (Zwischen Naturalismus und Religion, S. 155). Und Frank Schirrmacher erklärt: „... wenn der Glaube an den freien Willen schwindet, verändert sich das soziale Verhalten von Menschen schlagartig.“ (Payback, S. 221). – Anmerkung: Es wurde auch schon darauf hingewiesen, wie paradox es ist, wenn Naturwissenschaftler die Existenz eines freien Willens in Abrede stellen – und dann ihre Kinder streng auffordern, künftig dies zu tun und jenes zu unterlassen ... – Siehe auch das Plädoyer für reife Rationalität von Winfried Hassemer, in: FAZ 15. 6. 2010, S. 35. – Gegen materialistische Sichtweisen eindrucksvoll Eccles, John, C., Wie das Selbst sein Gehirn steuert, S. 12, u. a.; Hollerbach, Lothar, Der Quantencode; Lommel, Pim van, Endloses Bewusstsein, S. 170 ff., u. a. 36 Neue Wege auf diesem wohl zukunftsträchtigen Terrain weisen Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 28 ff., 35 ff., 39 ff., 57 ff., 124 ff. u. a.; Lommel, Pim van, Endloses Bewusstsein; Volkamer / Streicher / Walton, Intuition, Kreativität und ganzheitliches Denken; Broers, Dieter, Gedanken schaffen Realität, Die Gesetze des Bewusstseins. – Michael Gershon spricht

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C. Gerechtigkeit – Urphänomen und Ideal

Für unser Thema lässt sich nun sagen – und die Erfahrungen mancher Leser werden dies bestätigen: Wenn ein Richter oder ein anderer Entscheidungsträger mit einem neuen Fall befasst wird, hat er oft intuitiv ein bestimmtes Gefühl, welche Partei mehr Recht hat als die andere, welche Entscheidung ihm gerecht erscheinen würde. Natürlich reicht das für eine begründete Entscheidung nicht aus; denn die wesentliche Aufgabe des Richters und des Beamten ist und bleibt die rationale Anwendung der Rechtsordnung als logische Gedankenarbeit: korrekte Subsumtion des gewissenhaft ermittelten Sachverhalts sowie juristisch-einwandfreies Ermitteln und Begründen der Rechtsfolgen. Diese im Jurastudium vermittelte und in der Praxis geübte Rechtskunst bringt ja in den meisten Fällen ein Ergebnis, das der Richter oder der Verwaltungsbeamte auch als gerecht empfindet. Unsere Rechtsordnung ist ja dem Ziel gewidmet, gerechte Entscheidungen hervorzubringen – und sie leistet dies auch in der Regel. Es kann aber eben auch passieren, dass der objektiv-logische Schluss aufgrund der Rechtsordnung einerseits und das intuitive Gerechtigkeitsgefühl andererseits nicht harmonieren. Ob und wie der Betreffende dann dieses Differenzproblem lösen kann, hängt wesentlich von seiner Funktion ab. Diese Frage wird deshalb bei den verschiedenen Gruppen von Amtsträgern erörtert (D. III. 2.).

in seinem Buch „The Second Brain“ von 100 Millionen Nervenzellen und von einem Gehirn in unserem Bauch. Meinem Freund Balthasar Wohlgemuth (Pathologe in Leipzig) verdanke ich den Hinweis, dass diese 80 –100 Millionen Nervenzellen auch von Furness und Costa, in: Neuroscience 5 (1980) genannt wurden. Wohlgemuth sieht bei den Bauch-Entscheidungen besonders Spontaneität, Gefühlsbetonung, Einfluss von Stimmungslagen und der eigenen Befindlichkeit, kurze Dauer bis zum Ergebnis etc. – Als Beispiel für einen interdisziplinären Dialog seien hier die – auch für unser Thema fruchtbaren – Gespräche zwischen dem Philosophen Karl R. Popper und dem Gehirnphysiologen John C. Eccles genannt: Das Ich und sein Gehirn, S. 505 ff.

D. Der Weg zu gerechten Rechtsordnungen und Entscheidungen I. Ein lebendiger Diskurs kann die individuellen Gerechtigkeitsgedanken zu Gemeinschaftsvorstellungen verschmelzen Wenn wir uns nun konzentriert den praktischen Konsequenzen der dargestellten Gedanken für unser Rechtsleben zuwenden, so ist zunächst daran zu erinnern, dass das individuelle Gerechtigkeitsbewusstsein der beteiligten Menschen durch ganz unterschiedliche Parameter geformt wird: Jeder Mensch wird als Individualität mit seinen Begabungen in eine bestimmte Zeit und in eine bestimmte Region hineingeboren, und er gewinnt durch Eltern und Erziehung, durch die eigenen Lebenserfahrungen, durch das allgemeine politische und kulturelle Geschehen der Gesellschaft und viele andere Ursachen seine individuellen Gerechtigkeitsvorstellungen, die sich im Laufe seines Lebens naturgemäß entwickeln und ändern können. 1 Für eine Rechtsgemeinschaft ist es nun ein notwendiges, wesentliches Ziel, die individuellen Gerechtigkeitsvorstellungen der beteiligten Mitmenschen zu möglichst homogenen „fundierten Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft“ zu ver1 Ein erschütterndes Beispiel für die Prägung des individuellen Bewusstseins durch ein Kindheitserlebnis: Ein Vater fordert seinen dreijährigen Sohn auf, vom Tisch herunterzuspringen, angeblich in seine Arme. Als der Junge sich fallen lässt, springt der Vater plötzlich zur Seite, so dass der Junge auf den Boden fällt und sich schwer verletzt. Der Vater: „Das habe ich gemacht, damit du nie in deinem Leben irgendjemandem irgendwie vertraust!“ Diese unglaubliche Kindheitserfahrung schilderte der Junge zwanzig Jahre später dem Schwurgericht in einem Prozess gegen ihn als Massenmörder ...

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

schmelzen. 2 In einer freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft bilden sich Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft praktisch durch den offenen Austausch von Informationen, Ideen, Meinungen und Vorstellungen, die die Glieder der Gemeinschaft einander in vielfältigen Beziehungen und Vernetzungen zukommen lassen und austauschen. Über diesen, in großen Teilen öffentlichen Diskurs in einer deliberativen Demokratie gibt es heute eine ebenso intensive wie extensive Literatur. John Rawls: „Man kann sich eine gemeinsame Gerechtigkeitsvorstellung als das Grundgesetz einer wohlgeordneten menschlichen Gesellschaft vorstellen.“ 3

2 So die Wendung in BVerfGE 34,287; siehe auch Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, § 11, S. 77. 3 Rawls, John, Eine Theorie der Gerechtigkeit S. 21 (zu Rawls oben B. I. 7.). – Außerdem Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung (dort auch eine interessante Auseinandersetzung mit John Rawls: S. 79 ff., 663 ff.); ders., Strukturwandel der Öffentlichkeit (über Jürgen Habermas ausführlich Lauenstein, Diether, Das Ich und die Gesellschaft, S. 156 ff., 211 ff.); siehe dazu auch Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 71 f., 350 ff. – Apel, Karl-Otto, Diskurs und Verantwortung, S. 270 ff., u. a. – Zu John Rawls und Jürgen Habermas auch Nida-Rümelin, Julian, Demokratie und Wahrheit, S. 42 ff., 60 ff.; Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 383 ff., 586 ff.; Höffe, Otfried, Ist die Demokratie zukunftsfähig?, S. 295 ff.; ders., Kleine Geschichte der Philosophie, S. 355 f.; auch Nussbaum, Martha C., Die Grenzen der Gerechtigkeit, S. 25, u. a.; Volkmann, Uwe, Die Privatisierung der Demokratie, in: FAZ 26. 2. 2010, S. 9. – Jürgen Habermas schreibt in Faktizität und Geltung (S. 663): „Die Rechtsgemeinschaft konstituiert sich nicht auf dem Wege eines Gesellschaftsvertrages, sondern auf der Grundlage eines diskursiv erzielten Einverständnisses.“ Freilich: Dass dabei jeweils „alle möglicherweise Betroffenen“ dem Ergebnis eines Diskurses zustimmen sollten (dort S. 138, 676), scheint wohl zu viel verlangt: Ein potentieller Steuerbetrüger wird den entsprechenden Strafvorschriften vermutlich nicht zustimmen. – Zur Öffentlichkeit siehe Bernd Holznagel und Hans-Detlef Horn, Erosion demokratischer Öffentlichkeit, in: VVDStRL, 68. Band, S. 381 f., 413 ff.; Schambeck, Herbert, Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung; Habermas, Jürgen, Kultur und Kritik, S. 61 ff. – Neue Aspekte für ein Verschmelzen individueller Gedanken zu Gemeinschaftsgedanken aufgrund der aus der Quantenphysik bekannten „Quantenverschränkung“ bei Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 54 ff., u. a.; auch Broers, Dieter, Gedanken schaffen Realität.

I. Ein lebendiger Diskurs

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Julian Nida-Rümelin weist zu Recht darauf hin, dass „Demokratie ohne Wahrheitsansprüche inhaltsleer“ ist; „Demokratie ist kein bloßes Spiel der Interessen“. Deshalb solle auch der hier apostrophierte Diskurs dieses Ziel haben: „Wahrheit, das Ringen um das empirisch und normativ Richtige“; „Demokratie [würde] ohne den ernsthaften und öffentlichen Austausch praktischer und theoretischer Gründe zum großen Illusionstheater“. 4

Heute ist dieser demokratische Diskurs in aller Munde. Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Parteienfinanzierungsurteil vom 19. 7. 1966 den „freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes“ beschrieben, der sich „vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin“ vollziehen muss (BVerfGE 20,56). In seinen bedeutenden Entscheidungen über Meinungsbildung und Massenmedien betonte unser höchstes Gericht, dass das Fernsehen dank seiner besonderen „Suggestivkraft“ als „Medium und Faktor der Meinungsbildung“ eine besondere Verantwortung hat (siehe schon das Erste Fernsehurteil vom 28. 2. 1961, BVerfGE 12,205; ausführlich Herrmann, Rundfunkrecht, § 5 Rn 31 ff., § 22, u. a.) – In der Tat formen in dem ständigen Diskurs die Fernsehprogramme wesentlich auch das Gerechtigkeitsbewusstsein von Millionen Menschen: durch Nachrichten und Kommentare, durch Talk-Shows, durch Gerichtssendungen – und auch durch Unterhaltungsprogramme: Welches Bild sozialer Beziehungen bekommt ein Jugendlicher, der bis zu seinem 14. Lebensjahr im statistischen Durchschnitt zehntausende Morde gesehen hat? ... in der Fernseh-Unterhaltung zum Zeitvertreib! – Qualität und Fruchtbarkeit des öffentlichen Rechtsdiskurses hängen in den modernen Kommunikationsgesellschaften wesentlich von der Gestaltung, von der Publikationspraxis und von der Verantwortung der Massenmedien ab, zu denen aktuell in wachsendem Umfang auch Millionen Emanationen im Internet gehören (die praktisch fast unkontrollierbar sind). Wenn z. B. ein 4 Nida-Rümelin, Julian, Demokratie und Wahrheit, S. 7, 10. – Aktuelle Anmerkung: Leider gibt es täglich Anlass zu der Sorge, dass sich unsere Demokratie und andere moderne Staaten in diese negative Richtung zu entwickeln drohen. Zur aktuellen Gefahr eines Illusionstheaters siehe auch den folgenden Text sowie oben C. II.

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

Kindesmord oder ein anderes Verbrechen in den Massenmedien quasi als event in die Schlagzeilen geworfen wird, rufen viele sofort nach schärferen Gesetzen, gar nach der Todesstrafe. Ernst Forsthoff sagte schon vor 60 Jahren, es gebe eigentlich weniger eine öffentliche Meinung als eine öffentliche Aufregung. – Mit einem alten, leicht abgewandelten Juristenspruch („Quod non est in actis, ...“) kann man in der heutigen globalen Massenmediengesellschaft auch sagen: „Quod non est in televisione, non est in mundo.“ („Was im Fernsehen nicht erscheint, existiert in dieser Welt eigentlich gar nicht.“) – Bei dem unheimlichen, sekundenschnellen Umschlag von Milliarden Informationen und den daraus resultierenden öffentlichen Hysterien besteht heute auch ständig die Gefahr, dass der in Massenmedien aufscheinende main-stream individuelle Ausformungen des Gerechtigkeitsbewusstseins überrollt. 5 5 Auf der Jahrespressekonferenz des Bundesgerichtshofs Anfang 2010 erklärte der Präsident des BGH, Klaus Tolksdorf, viele der „mit heißer Nadel gestrickten“ Gesetzesinitiativen anlässlich schrecklicher Einzelfälle blieben „zum Glück im parlamentarischen Verfahren hängen“; Zitat nach FAZ, 6. 2. 2010, S. 4. – Anmerkung: Die oft hysterische Anprangerung und Vorverurteilung sog. Prominenter (und auch anderer Menschen) wegen ihrer mutmaßlichen Vergehen durch Massenmedien und ihre Wirkung auf die Rechtsprechung bedarf dringend ernsthafter Erörterung durch unabhängige Sachverständige oder sachverständige Unabhängige (zum Thema Altermann, Christian, Medienöffentliche Vorverurteilung; Schambeck, Herbert, Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, S. 35). – Zur Rolle der Massenmedien im demokratischen Diskurs Nida-Rümelin, Julian, Demokratie und Wahrheit, S. 39 ff.; Uhl, Matthias, Medien – Gehirn – Evolution (dort S. 288 ff. über das „Leitmedium Fernsehen“); Arnold / Classen / Kinnebrock / Lersch / Wagner (Hg.), Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen?; auch Schambeck, Herbert, Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung; Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 361 ff. – Zur Wirkung von Massenmedien, zu der „Macht der aktuellen Masseninformation“ und zur sog. „öffentlichen Meinung“ Herrmann, Rundfunkrecht, § 2 Rn 152, 168 ff., § 22, u. a.; ders., Recht, Rn D. 100; ausführlich Lamp, Erich, Die Macht öffentlicher Meinung. – Zur „Verteidigung des Privaten“ auch gegen Massenmedien siehe die so betitelte Streitschrift von Wolfgang Sofsky. – Anders als in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung vollzieht sich in einer Diktatur die (öffentliche) Meinungsbildung von den Staatsorganen zum Volke hin. So wurde z. B. in der NS-Zeit 1933 – 1945 ein von der NSDAP und damit vom Staat verordnetes Meinungsbild als „gesundes Volksempfinden“ propagiert, das zu ideologisch-parteitreuen Entscheidungen führte, die oft den anerkannten

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II. So kann Gerechtigkeit Quellort für das irdische Rechtsleben sein und sich zu Recht verdichten Wenn nun Politiker, Richter und andere bei der Schaffung sowie bei der Anwendung der Rechtsordnung die Gerechtigkeit als Quellort ansehen und auch im Rahmen des geschilderten Diskurses als nucleus nutzen wollen, kann die Gerechtigkeit in der Rechtsordnung und im täglichen Rechtsleben ihren irdischen Abglanz finden: „Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.“ 6 Unter Recht im Sinne von Rechtsordnung verstehen wir hier die von Menschen geschaffene irdische „Friedensordnung, die in einer bestimmten sozialen Gruppe zu einer bestimmten Zeit Geltung besitzt“. 7 Die Rechtsordnungen normieren für die Personen ihres Geltungsbereichs Rechtspositionen, die letzten Endes mit dem Machtmonopol des Staates durchgesetzt werden können. Weltweit gibt es hunderte Rechtsordnungen, über die Normen des Rechts widersprachen. Dazu Rüthers, Bernd, Die unbegrenzte Auslegung, S. 217 ff.; dort S. 218 Zitat aus einem Urteil des Reichsarbeitsgerichtes (RAG) vom 7. 3. 1936: „Das herrschende Volksbewusstsein und das Anstandsgefühl kann wechseln, maßgebend ist immer die jeweilige Volksanschauung.“ Und anschließend zur Auslegung der §§ 138, 157, 242 BGB: „Von ausschlaggebender Bedeutung sind dabei die Ziele, die sich der Nationalsozialismus gestellt hat und die in den seit der Erhebung [1933] erlassenen Gesetzen Ausdruck gefunden haben.“ – Ähnliches war in den vierzig Jahren DDR zu erleben; siehe auch sogleich D. II. 6 Goethe, Faust, Zeile 4727. – Die Einsicht, dass das geistige Wesen Gerechtigkeit die irdische Rechtsordnung zu formen vermag, bildet eine Parallele zu der – immer häufiger zu beobachtenden – Auffassung, dass Geist Materie formen kann; dazu auch C. I. sowie Dürr, Hans-Peter, Geist, Kosmos und Physik; Eccles, John C., Wie das Selbst sein Gehirn steuert, S. 94 ff., u. a. 7 So die Formulierung von Coing, Helmut, Rechtsphilosophie, S. 261. – Zu der Frage „Was ist Recht?“ ausführlich Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, § 2; Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 3 ff.; Hofmann, Hasso, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, S. 3 ff.; Eichholz, Reinald, Der Mensch im Recht – Das Recht im Menschen, S. 13 ff.

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ungezählte Kommentare geschrieben und aufgrund deren tausende Urteile gefällt werden: Das ist die normale Rechtswissenschaft und das normale Rechtsleben. 8 Die Rechtsordnungen sollen Frieden sichern und dadurch die freie Entwicklung ihrer Schutzbefohlenen ermöglichen; sie sollen verhindern, dass die Menschen einander gefährden oder schädigen. Das ist höchstrangig in Art. 2 unseres Grundgesetzes angelegt: Jeder Mensch kann tun und lassen, was er will – und er darf in seiner Entwicklung und in seinen Handlungen nicht behindert oder gar verletzt werden. Für beides gelten die Schranken Rechte anderer, Sittengesetz und verfassungsmäßige Ordnung. 9 Die Ziele und die Wege für die inner-persönliche Entwicklung des Menschen – frei denken, aus Erkenntnis handeln, glücklich sein etc. – werden nicht durch die irdische Rechtsordnung bestimmt. Vielmehr soll der Mensch den Charakter und den Lauf seines Lebens mit seinem Freiheits- und Entwicklungsstreben 8

Für Nicht-Juristen einige Literaturhinweise: Fahl, Christian, Jura für Nichtjuristen; Baur, Fritz / Walter, Gerhard, Einführung in das Recht der Bundesrepublik Deutschland; Loos, Claus, Recht: verstanden!, So funktioniert unser Rechtssystem; Radbruch / Zweigert, Einführung in die Rechtswissenschaft; Engisch, Karl, Einführung in das juristische Denken; auch Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Vom Ethos der Juristen. 9 „Rechte anderer“ sind die Rechtspositionen der Mitmenschen, die ggf. ihrerseits im Lichte der Grundrechte interpretiert werden müssen. – Das (ungeschriebene) „Sittengesetz“ ist keine ewig-unwandelbare Größe, sondern entsprechend den Zeitläuften durchaus einer Entwicklung zugänglich. Dies mag zum Exempel ein höchstrichterliches Strafurteil vom 17. 2. 1954 zeigen, in dem der BGH erst vor gut 50 Jahren, aber wie für alle Zeiten festgemauert, zum Straftatbestand Kuppelei eine Erklärung formulierte, die heute weitgehend nur ein müdes Lächeln hervorrufen dürfte: „Die sittliche Ordnung will, dass sich der Verkehr der Geschlechter grundsätzlich in der Einehe vollziehe, weil der Sinn und die Folge des Verkehrs das Kind ist.“ (BGHSt 6,48) – Die „verfassungsmäßige Ordnung“ als Grenze der Persönlichkeitsentfaltung meint die Grundsätze der Verfassung. Zu dieser Interpretation (abweichend von der h. M.) Herrmann, Recht, Rn D. 40; ders., Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland (1975), S. 201 ff. – Zum „Sittengesetz“ z. B. Di Fabio, Udo, in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Rn 45 f. zu Art. 2 Abs. 1 GG.

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selbst formen: „Den letzten Schliff kann nur der Mensch selbst sich geben.“ 10 Aus dem Satz „Recht kann und soll Abglanz der Gerechtigkeit sein“ können wir auch ableiten: Wenn eine Entscheidung im Rechtsleben nicht durch Gerechtigkeit befruchtet wird, erscheint sie uns oftmals als Unrecht oder Ungerechtigkeit. Und wenn gar eine ganze Gesetzesordnung im krassen Gegensatz zur Gerechtigkeit steht, wird dieses Regelwerk in seinem Geltungsbereich zwar entsprechend dem staatlichen Zwang formal als verbindlich behandelt und kann auch in der Praxis zu entsprechenden Urteilen oder Verwaltungsakten führen, es kann aber dennoch als ungerecht gelten: Es gibt ungerechte Gesetze und ungerechte Staatssysteme. Man kann entsprechend der Äußerung von Max Planck, dass es keine Materie ohne Geist gibt und dass jeder Geist einem Wesen zugehört, auch sagen: Die Gerechtigkeit ist der wesen-tliche Kern einer wahren Rechtsordnung und einer gerechten Entscheidung im Rechtsleben. Ohne Gerechtigkeit gibt es keine echte Rechtsordnung und keine echte Rechtsentscheidung. 11 10 So Steiner, Rudolf, GA 4,170. – Zu der Frage, ob die Rechtsordnung Glück oder Glückseligkeit verschaffen oder sichern soll, siehe Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit?, S. 11 ff.; Kirchhof, Paul, Das Maß der Gerechtigkeit, S. 154 ff.; Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 399; Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 297 ff.; auch Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Der Staat als sittlicher Staat, S. 23 f. 11 Max Planck: oben C. I. – Zu dem Gedanken ungerechte Gesetze schon Thomas von Aquin; vgl. Coing, Helmut, Rechtsphilosophie, S. 24. – Hasso Hofmann benennt in seiner „Einführung in die Rechtsund Staatsphilosophie“ den ganzen Zweiten Teil „Ungerechtes Recht des Staates und das von Natur Rechte“; S. 67 ff. – Weiter hierzu Herzog, Roman, in Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Rn 53 zu Art. 20 GG; Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 262 f., 484 ff., u. a. mit einem Zitat aus Schillers „Wilhelm Tell“: „Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht: Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, / Wenn unerträglich wird die Last – greift er / Hinauf getrosten Mutes in den Himmel / Und holt herunter seine ew’gen Rechte, ...“ (2. Aufzug, 2. Szene, Zeilen 1274 ff.; Schiller, Werke II, S. 959); dazu auch Lüderssen, Klaus, „Daß nicht der Nutzen des Staats Euch als Gerechtigkeit erscheine“, S. 119 ff.; zu „Wilhelm Tell“ auch Safranski, Rüdiger, Goethe und Schiller, S. 280 ff. – Zum Thema gesetzliches

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Andererseits erscheint nicht ausnahmslos jeder formale Gesetzesverstoß als Unrecht. Vielmehr kann in besonderen Fällen eine bestimmte Handlung nach dem Text des geltenden Gesetzes als rechtswidrig gelten, uns aber nach einer höheren Einschätzung – gerechterweise muss man sagen: manchmal auch aufgrund der historischen Folge-Ereignisse – nicht ungerecht, vielleicht sogar als gerecht erscheinen. 12

Unrecht auch Hoerster, Norbert, Was ist Recht?, S. 79 ff. (mit Bezug auf den Wandel bei Gustav Radbruch; dazu bereits oben A.). – Als Beispiele für ungerechte Gesetze seien genannt das NS-Gesetz „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. 4. 1933, die NS-Rassengesetze 1935 (Uwe Wesel: „Rechtsverwüstung des Nationalsozialismus“) und die DDR-Gesetze zum Schutze der Mauer; dazu Wesel, Uwe, Recht, Unrecht und Gerechtigkeit, S. 11, 135 ff.; dort auch S. 47 ff., 101 ff.; Zippelius, Reinhold, Wesen des Rechts, S. 99 ff.; Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 49 ff., 546 ff.; ders., Die unbegrenzte Auslegung; ders., Entartetes Recht; ders., Verräter, Zufallshelden oder Gewissen der Nation? – Zum Gesetz vom 7. 4. 1933 auch Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Der Staat als sittlicher Staat, S. 27 ff. – Auch in der DDR galt das Motto des Unrechtsstaatssystems: „Die Partei hat immer Recht!“; dazu etwa Stolleis, Michael, Sozialistische Gesetzlichkeit, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR; Hippel, Eike von, Willkür oder Gerechtigkeit, S. 18 ff. 12 Bekannte historische Beispiele sind die Geschehnisse des 20. Juli 1944 (seinerzeit formalgesetzlich: Mordversuch) und am 9. 11. 1918 (Ausrufung der Republik: formal Hochverrat). – Aus der jüngeren Vergangenheit: Ein stellvertretender Polizeipräsident ließ im Jahre 2002 einem festgenommenen Studenten körperliche Schmerzen androhen, weil er nach der Sachlage hoffen durfte, dadurch das Leben eines von diesem Studenten unschuldig verschleppten Jungen retten zu können. Die Rechtsordnung verbietet auch international Folter. Dennoch erscheint die Entscheidung des stellvertretenden Polizeipräsidenten nicht wenigen Menschen als nicht ungerecht. Siehe dazu EGMR (Große Kammer) 1. 6. 2010, NJW 2010, S. 3145; Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 69 ff.; auch de.wikipedia.org/wiki/ Daschner-Prozess (27. 1. 2011). Dass das Landgericht Frankfurt a. M. am 4. 8. 2011 wegen dieser Androhung von Folter diesem Kindesmörder eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zugesprochen hat, wird manchem Beobachter als ein eklatanter Fall eines „summum ius summa iniuria“ erscheinen (dazu oben C. II.). – Anfang Mai 2011 stellte sich die Frage, ob es ausnahmsweise nicht ungerecht erscheinen kann, einen über viele Jahre weltweit agierenden Terroristenführer und Massenmörder ohne rechtsstaatliches Verfahren gezielt zu töten.

III. „Gerechtigkeit üben“

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Für das Verhältnis zwischen Gerechtigkeit und Rechtsordnung ist auch zu bedenken: Nicht alles, was in Gesetzen steht oder sonst im Rechtsleben geschieht, muss im Einzelnen durch Gerechtigkeit geboten sein; manches ist vielmehr das Ergebnis des – im Rahmen der Rechtsordnung – freien, politischen, öffentlichen oder privaten Wollens. Wir sollten das so wertvolle Ideal Gerechtigkeit auch nicht zu sehr mit Pflichten belasten. Es gibt noch andere Ideale, Tugenden und Lebensziele – Werte, die unser Leben formen und bereichern und die für unsere Entscheidungen tragende Gründe bilden können. (Freilich hat auch freies politisches Handeln gewisse Gerechtigkeitsgrenzen einzuhalten; unten D. III. 2. b.)

III. „Gerechtigkeit üben“ 1. Pflicht oder freie Tat

In der Staatspraxis und auch im allgemeinen Leben begegnet für gerechtes Handeln der Terminus „Gerechtigkeit üben“. Dabei ist Üben primär im Sinne von ausüben, realisieren, praktizieren gemeint. Eine weitere Interpretation, nämlich als üben = trainieren, gibt einen zusätzlichen Sinn: Wer Gerechtigkeit stetig übt, wird wohl zuverlässiger gerechte Entscheidungen treffen als jemand, der bei seinen Entscheidungen nur sporadisch an Gerechtigkeit denkt. Gerechtigkeit üben ist Amtspflicht für hunderttausende Persönlichkeiten im öffentlichen Leben (2.). Und alle Menschen haben vielfältig Gelegenheit, freiwillig Gerechtigkeit zu üben (3.).

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

2. Amtspflichten a) Eidesleistungen im Staatsleben

Tausende Amtsträger verpflichten sich durch feierlichen Eid, bei der Wahrnahme ihres Amtes „Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben“, „gerechte Richter“ zu sein oder „nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen“. Die meisten Amtsträger fügen entsprechend Verfassung oder Gesetz hinzu: „So wahr mir Gott helfe!“ Wer will, darf den Eid ohne religiöse Beteuerung leisten: diese Regelung ist Ausfluss der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG. 13 Zitiert seien zunächst einige Antworten von Spitzenpolitikern auf die Frage, wie sie das (den Eid abschließende) „So wahr mir Gott helfe“ verstehen und was sie persönlich damit gemeint haben: „Gläubige Christen wissen, dass politische Probleme allein durch menschliche Vernunft und ohne die Hilfe Gottes nicht zu lösen sind.“ (Helmut Kohl) – „... Für wesentlicher halte ich aber, dass der Amtsinhaber mit der Berufung auf Gott bei der Eidesleistung zum Ausdruck bringt, dass ihm bewusst ist, dass er auf die Hilfe Gottes für die Führung seines Amtes angewiesen ist.“ (Johannes Rau) – „Der Satz ‚So wahr 13 Zum Eid im öffentlichen Leben, zu seiner Geschichte, seinem Charakter und seinen verschiedenen Regelungen siehe die klassische Dissertation von Friesenhahn, Ernst, Der politische Eid, 1928; mit einem Vorwort und mit Angabe neuerer Literatur wieder erschienen im Jahre 1979. – Zur Geschichte der Eidesleistungen siehe Hermann, Hans-Georg, Treue- und Loyalitätskonzepte im deutschen Staatsrecht zwischen Kaiserreich und Wiedervereinigung, S. 153 ff.; zur Geschichte des Eides auch Meier, Christian, Kultur, um der Freiheit willen, S. 133, 177, 211, 300, 314 f., u. a. – Zur Religionsfreiheit siehe Schachtschneider, Karl Albrecht, Grenzen der Religionsfreiheit; Herzog, Roman, in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Rn 63 ff. zu Art. 4 GG; Campenhausen, Axel Freiherr von, Staatskirchenrecht, § 12, u. a.; Berichte von Ute Sacksofsky und Christoph Möllers sowie die Diskussion „Religiöse Freiheit als Gefahr?“, in: VVDStRL, 68. Band, S. 7 ff.; Schreckenberger, Waldemar (Hg.), Staat und Religion. – Zur Religion in der modernen Gesellschaft siehe Preul, Reiner, So wahr mir Gott helfe!

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mir Gott helfe‘ besitzt ... eine zweifache Bedeutung: Erstens besagt er, dass ich in allen politischen Entscheidungen mein Handeln noch einmal vor Gott rechtfertige. Zweitens besagt er aber auch, dass wir alle als Menschen auf die Hilfe Gottes angewiesen sind“ (Mathias Wissmann). 14 Auch angesichts der Gedanken oben zu B. und C. stellt sich die Frage: Wie realisieren die Amtsträger ihre durch Eid erklärten Versprechen? b) Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundesminister

Diese Träger herausragender Staatsämter haben nach Art. 56, 64 GG folgenden Eid zu leisten: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ 15 Diese Eidesnormen haben im Schrifttum ein recht zurückhaltendes, ja merkwürdiges Echo gefunden. Roman Herzog schrieb, die Vorschrift über den Amtseid (Art. 56 GG) befasse sich mit der „Selbstdarstellung des Staates“, „auch mit dem 14 Die Umfrage hat von Anfang 1994 bis Anfang 1995 stattgefunden. Quelle: www.humanistische-aktion.homepage.t-online.de/eid.htm (24. 8. 2009). – Zur Vermeidung von Missverständnissen sei hinzugefügt, dass „Gott“ in dem Satz „So wahr mir Gott helfe!“ nicht nur Gott im christlichen Verständnis meint. Auch die Niedersächsische Ministerin moslemischen Glaubens Aygül Özkan hat im April 2010 ihren Amtseid mit dem Zusatz „So wahr mir Gott helfe!“ gesprochen. 15 Kursive Hervorhebungen hier und in weiteren Zitaten durch den Verfasser. – Für einige Ministerpräsidenten und Minister der Länder finden sich in Landesverfassungen ähnliche Regelungen; z. B. Art. 48 BadWürttVerf („Gerechtigkeit gegen jedermann üben“); Art. 56 BayVerf; Art. 38 HambVerf; Art. 111 HessVerf; Art. 53 NWVerf; Art. 61 SachsVerf („Gerechtigkeit gegenüber allen“). – Zu Eidesformeln für frühere Staatsoberhäupter siehe Friesenhahn, Ernst, Der politische Eid, S. 35 ff., u. a.

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Selbstverständnis seiner höchsten Amtsträger“; und: „Bei der Nüchternheit, ja Verklemmtheit der in solchen Fragen heute üblichen Betrachtungsweise [versteht es sich] fast von selbst, dass sie damit auch zu jenen Bestimmungen des GG gehört, mit denen sich Öffentlichkeit und Verfassungsrechtslehre besonders schwer tun“. Von „Selbstdarstellung des Staates“ spricht auch Michael Nierhaus. 16 Diese gleichförmige Kommentierung des Eides mit der Bezeichnung „Selbstdarstellung“, die ja einen eher negativen Klang hat, verkennt m. E. den ernsthaften Inhalt und Charakter dieser Amtseide, denn die Eide enthalten tatsächlich eine echte, inhaltsschwere, persönliche Verpflichtung. 17 Zu der Frage, was die Eidesformeln für die genannten Amtsträger konkret bedeuten, ist zunächst der wohl allgemeinen Meinung zuzustimmen, dass die Eidesformeln die für den Amtsträger verbindlich festgelegten Funktionsbereiche nicht erweitern. Der Bundespräsident, der Bundeskanzler und die Bundesminister haben genau die Kompetenzen, die das Grundgesetz und andere Bestimmungen aufgrund des Grundgesetzes für sie normieren; aus ihren Amtseiden können sie keine weitergehenden Befugnisse ableiten. 18 16

Herzog, Roman: in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Rn 1 zu Art. 56 GG; Nierhaus, Michael: in: Sachs, Grundgesetz, Rn 2 zu Art. 56 GG. – Positiv zu diesen Eidesleistungen äußert sich Marx, Reinhard, Das Kapital, S. 127. – Zippelius / Würtenberger widmen in ihrem Grundwerk „Deutsches Staatsrecht“ im Abschnitt über den Bundespräsidenten dem Thema „Eidesleistung“ am Ende viereinhalb kleingedruckte Zeilen mit dem Tenor, dass sich aus dieser „sehr umfassenden Formel“ keine zusätzlichen Kompetenzen des Bundespräsidenten ableiten ließen (§ 41). 17 Der DUDEN, Deutsches Universalwörterbuch, definiert „Selbstdarstellung“ als „Darstellung der eigenen Person, Gruppe o. Ä., um Eindruck zu machen, seine Fähigkeiten zu zeigen o. Ä.“ – Zur „Selbstdarstellung des Staates“ gehören z. B. Staatssymbole, Regierungserklärungen, Truppenparaden und andere „Darstellungen“; hierzu ausführlich Quaritsch, Helmut, Probleme der Selbstdarstellung des Staates. In diesen Kreis von Darstellungen des Staates passen die persönlichen Eidesleistungen der Amtsträger nicht.

III. „Gerechtigkeit üben“

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Innerhalb des Rahmens dieser Kompetenzen ist zu unterscheiden, ob der Amtsträger eine Entscheidung vor sich hat, die als konkrete Pflicht strikt normiert ist (aa), oder ob er eine Entscheidung im Rahmen seines (politischen) Ermessens zu treffen beabsichtigt (bb). aa) Auch für die genannten Träger höchster Ämter nennt das Grundgesetz bestimmte, strikt und verbindlich normierte Einzelpflichten. Der Bundespräsident ist z. B. verpflichtet, die vom Bundeskanzler vorgeschlagene Persönlichkeit zum Bundesminister zu ernennen oder zu entlassen (Art. 64 Abs. 1 GG) und den vom Bundestag festgestellten Verteidigungsfall zu verkünden (Art. 115a Abs. 3 GG). Der Bundeskanzler und die Bundesminister sind verpflichtet, „kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf“ auszuüben (Art. 66 GG). Diese Pflichten haben die Amtsträger korrekt und ohne Wenn und Aber zu erfüllen. 19 bb) Bei politischen Ermessensentscheidungen ist der Amtsträger in seiner Entscheidung naturgemäß vom (Grund-)Gesetz her freier. Es gehört ja zum Wesen politischen Gestaltens, dass es nicht von Rechts wegen im Detail vorgezeichnet ist. Politisches Handeln soll vielmehr von Ideen impulsiert und von Freiheit und Brüderlichkeit inspiriert werden. Dieser Freiheit des politischen Handelns soll auch der Amtseid nicht im Weg stehen. Mit seinem Eid verpflichtet sich der Amtsträger sogar ausdrücklich, dass er positiv seine „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden ... werde“. Nicht soll eine stromlinienförmige Gesetzesdirektive das freie verantwortungsvolle politische Handeln 18 Siehe nur die in der vorletzten Fußnote zitierte Äußerung von Zippelius / Würtenberger. 19 Nur wenn ein Amtsträger die Erfüllung einer solchen Pflicht in einem besonderen Einzelfall für evident unvereinbar mit seiner Eidespflicht hält, „Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben“, mag er sie unterlassen – und dadurch ggf. einen erstrangigen politischen und / oder verfassungsrechtlichen Streit auslösen, der dann evt. vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden wäre.

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kanalisieren. Freilich haben die genannten Amtsträger bei ihren politischen Entscheidungen aufgrund ihrer Eidesleistungen gewisse, aus der Gerechtigkeit fließende Grenzen einzuhalten: Bei aller Freiheit des politischen Handelns darf keine Entscheidung die Würde der betroffenen Menschen antasten (Art. 1 GG); ihre Interessen sind unter Beachtung der wirklichen Sachverhalte klug und besonnen abzuwägen, und wesentlich gleichartige Tatbestände dürfen nicht willkürlich ungleich oder diskriminierend behandelt werden. Auch haben diese Amtsträger bei besonders schwierigen und bedeutsamen Ermessensentscheidungen unmittelbar aus ihren Eiden die Pflicht, Gerechtigkeit auch in der Weise zu üben, dass sie – wenn die selbstverständlich gebotenen rationalen Erwägungen nicht zu einer klar-eindeutigen Entscheidung führen – ihr Gewissen erforschen, auf ihre innere Stimme hören und so Intuitionen aus dem Wesen Gerechtigkeit heraus aufzunehmen suchen (so etwa der Bundespräsident bei der Ausübung seines Begnadigungsrechtes nach Art. 60 Abs. 2 GG). Wie schwierig es in der Praxis ist, in den oft außerordentlich komplexen Fällen des Staatslebens Gerechtigkeit zu üben, zeigen – außer den allgemeinen Fragen um die Gerechtigkeit – schon die täglichen Medienberichterstattungen sowie die Vorstellung, wie kompliziert-vielschichtig das öffentliche Leben in seiner globalen Weitläufigkeit heute ist. Wie soll eine Entscheidung gerecht getroffen werden, die – manchmal sachnotwendig – fast allen Betroffenen wehtut? Steuerlasten, Strafbestimmungen und Dienstpflichten sind die augenfälligsten Beispiele. Und welches Ergebnis wird eine Umfrage unter Studenten haben, ob sie Studiengebühren für gerecht halten? Besonders angesichts der kompliziert-schwierigen Probleme einer modernen Massengesellschaft in ihren globalen Verflechtungen ist es nicht immer, vielleicht sogar selten, möglich, es jedem recht zu machen. In besonders diffizilen Fällen wird man das Gebot, Gerechtigkeit zu üben, schon dann als erfüllt ansehen müssen, wenn durch eine notwendig harte Entscheidung möglichst wenig Betroffene sich als ungerecht behandelt empfinden.

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Festzuhalten ist aber: Die Eidesleistungen enthalten eine echte, ernsthafte, persönliche Verpflichtung; sie sind nicht Selbstdarstellung des Staates. Diese, in den Eidesleistungen liegende, Selbstbindung an die Gerechtigkeit korrespondiert mit den Verfassungsnormen, nach denen die Grundrechte „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht“ binden (Art. 1 Abs. 3 GG) und nach denen „die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung ... an Gesetz und Recht gebunden“ sind (Art. 20 Abs. 3 GG). Zu der Wendung „Gesetz und Recht“, die sicher keine Tautologie sein soll, hat das Bundesverfassungsgericht schon im Südweststaat-Urteil vom 23. 10. 1951 erklärt: „Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Existenz überpositiven, auch den Verfassungsgesetzgeber bindenden Rechtes an und ist zuständig, das gesetzte Recht daran zu messen.“ (BVerfGE 1, 14, Leitsatz 27) – Später hat das Bundesverfassungsgericht formuliert: Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt könne unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen und in anderen „fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft“ habe (BVerfGE 34,287). Peter Häberle erklärte in der Erlanger Staatsrechtslehrerdiskussion (2008), die dort erörterte Generationengerechtigkeit stecke für ihn „vor allem in der genialen Formel ‚Gesetz und Recht‘ (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Gerechtigkeit ist ein immanentes Verfassungsprinzip unseres Grundgesetzes.“ 20 20

Häberle, Peter, in: VVDStRL, 68. Band, S. 373. – Hierzu auch Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, § 11, S. 77. – Dass die Anerkennung eines überpositiven Rechts kein esoterisches Produkt „juristischer Seiltänzer“ ist (so charakterisierte ein früherer Präsident des Bundesverfassungsgerichts im Gespräch das Bild, das „ordentliche Richter“ von den Bundesverfassungsrichtern haben), zeigt ein Blick auf die dem ordentlichen Richter geläufigen Klauseln „übergesetzlicher Notstand“, „extra legem“ etc. In solchen Fällen erkennen auch ordentliche Zivil- und Strafrichter an,

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

Die Bindung staatlicher Amtsträger an Gerechtigkeit ist also Verfassungsgebot. Dies gilt auch für weitere Amtsträger entsprechend den folgenden Ausführungen. c) Bundesverfassungsrichter

Die Richter des höchsten deutschen Gerichts leisten bei Amtsantritt vor dem Bundespräsidenten folgenden Eid: „Ich schwöre, dass ich als gerechter Richter allezeit das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland getreulich wahren und meine richterlichen Pflichten gegenüber jedermann gewissenhaft erfüllen werde. So wahr mir Gott helfe.“ (§ 11 BVerfGG) Die Bundesverfassungsrichter haben aufgrund ihrer Funktionen nach Verfassung und Gesetz sowie aufgrund ihrer allgemein hochgeachteten Realkompetenz die besondere Pflicht und am ehesten die Möglichkeit, bei ihren Entscheidungen Gerechtigkeit walten zu lassen. Sie sind ja oft geradezu aufgerufen, die ihnen vorgelegten Fälle auch am überpositiven Recht zu messen und ggf. die Rechtsordnung an die Gerechtigkeit anzupassen. Dies illustrieren auch die in dieser Arbeit zitierten Beispiele aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 21 d) Richter

Die anderen Richter, kraft Art. 97 Abs. 1 GG „unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“, schwören, „das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschdass Rechtsanwendung nicht nur die buchstabengetreue Subsumtion eines Sachverhalts unter Paragraphen ist. Auch die Möglichkeit, in „Härtefällen“ anders als nach dem strikten Wortlaut der Vorschrift zu entscheiden, weist in diese Richtung. – Zu „Treu und Glauben“ sowie anderen Generalklauseln und „Schleusenbegriffen“ siehe Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Vom Ethos der Juristen, S. 25 ff.; siehe auch unten D. V. 5. 21 Dazu auch Grimm, Dieter, Die Verfassung und die Politik, Einsprüche in Störfällen. – Siehe dazu auch oben C. II. am Ende.

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land und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe.“ 22 Wesentliche Aufgabe des Richters ist es, jedem sein Recht zu bestätigen oder zu verschaffen – also das traditionelle ius suum cuique tribuere. 23 Freilich: Die beiden, in ein und derselben Eidesformel enthaltenen Pflichten, „das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben“ und „nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen“, können im konkreten Fall durchaus miteinander kollidieren. Dann kann der Richter entweder seine Entscheidung strikt nach der Gesetzesordnung fällen und dabei ein schlechtes Gefühl haben, etwa wenn er auf Antrag eines reichen, schikanegeübten Gläubigers eine sofortige Zwangsvollstreckung gegen einen ohne Verschulden in Armut geratenen Schuldner anordnen muss. Oder er versucht, seinem Gerechtigkeitsbewusstsein zu folgen. Schon Aristoteles sagte: „Zu ihm [dem Richter] zu gehen bedeutet zur Gerechtigkeit zu gehen. Denn der Richter soll so etwas wie eine beseelte Gerechtigkeit sein.“ 24 Eine Ausrichtung an der Gerechtigkeit ist jedoch nur im Rahmen der jeweiligen Kompetenzen zulässig. Ein Gericht, das bei Anwendung eines bestimmten Gesetzes zu einem als ungerecht empfundenen Urteil kommen würde, hat ggf., wenn es das entsprechende Gesetz für verfassungswidrig hält, nach Art. 100 GG die Möglichkeit, die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Besonders obere Gerichte gehen manchmal auch 22 § 38 DRiG für die Berufsrichter. Dieser Eid kann für Richter im Landesdienst eine Verpflichtung auf die Landesverfassung enthalten (§ 38 Abs. 3 DRiG); z. B. §§ 2 und 3 Richtergesetz Hamburg. – Für die ehrenamtlichen Richter gilt § 45 Abs. 3 DRiG. – Zum Richtereid schon Friesenhahn, Ernst, Der politische Eid, S. 87 ff. 23 Dazu Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Vom Ethos der Juristen, S. 34 ff., sowie oben B. II. 3. b) und B. III. 24 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 5. Buch, 1132a; in der Ausgabe Nickel / Gigon S. 203.

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

den Weg einer (gelegentlich gewagten) Gesetzesinterpretation, einer Füllung einer tatsächlichen oder vorgeblichen Gesetzeslücke ggf. mit einer Korrektur einer (auch: ständigen) Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht (Erster Senat) hatte Anfang 2011 sogar Anlass, den Bundesgerichtshof zu rügen, weil er eine „gesetzgeberische Grundentscheidung durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzt“ habe: „Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt.“ 25 Bernd Rüthers schrieb daraufhin einen bemerkenswerten Artikel „Klartext zu den Grenzen des Richterrechts“: Das Bundesverfassungsgericht habe in diesem Beschluss (wie schon 2009 die Minderheit des Zweiten Senats im Beschluss NJW 2009, S. 1469, 1474) zu Recht „den Regelungswillen der Gesetzgebung zur primären Richtlinie der Normanwendung“ erklärt. 26 25

BVerfG 25. 1. 2011; NJW 2011, S. 836, Rn 62 und 52. Rüthers, Bernd, in: NJW 2011, S. 1856; Rüthers nimmt dort auch Stellung zu Volker Rieble, der in NJW 2011, S. 819 den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts kommentiert hatte. – Frühere Stellungnahmen zum sog. „Richterrecht“: Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 279 (dort weiter Rn 235 ff., 490, auch Rn 724, 949 ff.); ders., Richter ohne Grenzen, in: FAZ 17. 6. 2010; S. 7; ders., Trendwende im BVerfG?, Über die Grenzen des „Richterstaates“, in: NJW 2009, S. 1461; außerdem Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 59 ff.; Gadamer, Hans-Georg, Wahrheit und Methode, S. 35: „Der Richter ... trägt durch seinen Richtspruch selber zur Entfaltung des Rechts bei (‚Richterrecht‘).“ Zur „Applikation“ als „Moment des Verstehens selber“ ebendort S. XVIII (sowie S. 291 ff.). – Ein Beispiel aus der Zeit vor dem Grundgesetz: Das Reichsgericht hat im Februar 1940 eine neue strafrechtliche Teilnahmelehre entwickelt, um das Leben einer jungen Bauerntochter zu retten, die ihrer Schwester nur helfen wollte, ihr uneheliches Kind in der Badewanne zu töten, und die bei einer herkömmlichen Anwendung des § 211 StGB hätte zum Tode verurteilt werden müssen (sog. Badewannenfall); RGSt 74,84; dazu Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Vom Ethos der Juristen, S. 38 f. mit der Bemerkung: „Juristisches Ethos wirkt als Anstoß zur Theoriebildung.“; Fahl, Christian, Jura für Nichtjuristen, S. 131 ff. – Anmerkung: Die Frage, ob wir zu viel Richterrecht haben, kann sinnhaft wohl nur spezifisch für die einzelnen Rechtsgebiete und Rechtsfragen beantwortet werden. Letzten Endes kommt es ja darauf an, wie für die betroffenen Menschen im Lichte der Gerechtigkeit das 26

III. „Gerechtigkeit üben“

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Zum Richter noch eine abschließende Bemerkung: Die – im wahrsten Sinne – hoheitliche Tätigkeit des Richters ist Persönlichkeitsentfaltung, Entfaltung einer Persönlichkeit in ihrer Individualität. Sonst gäbe es nicht über ein und dieselbe Sache durch die Instanzen hindurch unterschiedliche Urteile, obwohl alle Richter nach einem insgesamt ähnlichen Jurastudium die gleiche Gesetzessammlung Schönfelder oder Sartorius oder www.dejure.org benutzen; sonst gäbe es nicht Richterpersönlichkeiten (und auch nicht das Schielen der Prozessparteien auf den favor iudicis, auf die Geneigtheit des Richters). Dieses Richten ist – scil. im Rahmen der Rechtsordnung – individuelles Schaffen aufgrund des individuellen Gerechtigkeitsbewusstseins. Wäre Rechtsprechung nicht aktiv-schöpferische Tat unterschiedlicher Individualitäten, so könnten wir die Rechtsprechung (unglaublich kostensparend!) weitgehend Computern überlassen, die digital-glasklar, aber geistlos und ohne Gerechtigkeitsbewusstsein, den Sachverhalt auf ihre Festplatte speichern und nach verblüffend-präziser Subsumtion in 0,02 Sekunden irgendeinen Satz als Urteil generieren würden ... Dass Richten, Urteilen seiner Natur nach individuelles, persönliches Streben nach Gerechtigkeit ist, zeigt beispielhaft auch ein Blick auf die Beratung in einem Kollegialgericht: Nach einer gemessenen Zeit der Besprechung hält der Berichterstatter fünf Jahre Freiheitsstrafe für gerecht, der andere Beisitzer vier Jahre, und der Vorsitzende drei Jahre – jeder Richter strebt dabei nach Gerechtigkeit und bringt sein Gerechtigkeitsbewusstsein ein! (Der anschließende Diskurs kann idealiter zu einer von allen getragenen Entscheidung führen. Gelingt dies nicht, so muss in einem bestimmten Verfahren, z. B. nach § 196 GVG, entschieden werden.)

Bestmögliche erreicht wird. (Zusatz: Wenn die Umfrageergebnisse über das Vertrauen der Menschen in Politiker [9 % der Bevölkerung] und in Richter [79 %; oben C. II.] tatsächlich etwas über die Qualität der Arbeit dieser Berufsgruppen aussagen, wird der eine oder andere dies vielleicht auch in seine Stellungnahme einfließen lassen.)

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

e) Beamte

Viele Beamte in Bund, Ländern und Gemeinden schwören einen Diensteid mit der Verpflichtung, Gerechtigkeit zu üben. In Nordrhein-Westfalen z. B. lautet der Eid der Beamten: „Ich schwöre, dass ich das mir übertragene Amt nach bestem Wissen und Können verwalten, Verfassung und Gesetze befolgen und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ 27 Beamte haben nach solchen Eidesleistungen und angesichts des Art. 20 Abs. 3 GG bei ihren Entscheidungen stets mitzubedenken, ob die Anwendung eines bestimmten Gesetzes etwa zu einer ungerechten Entscheidung führen würde. Beamte leben bei ihren Entscheidungen – ähnlich wie die Richter – stetig in einem Spannungsverhältnis zwischen der gebotenen exakten Anwendung des Gesetzes und dem Dienst an der Gerechtigkeit – ein Spannungsverhältnis, das Würde und Bürde dieser hoheitlichen Funktionen spiegelt. Roman Herzog schreibt: „Unter der Geltung des GG kann sich kein Staatsorgan damit beruhigen, dass eine handgreifliche Verletzung des Gerechtigkeitsgedankens in einem Gesetz zugelassen oder vorgeschrieben ist; ebensowenig kann es aber den Pfad des Gesetzesgehorsams einfach mit der Begründung verlassen, dass die Gerechtigkeitsidee eben etwas anderes verlange.“ 28 Kommt ein Beamter zu dem Schluss, dass eine Entscheidung streng nach Gesetz oder die Ausführung einer Anweisung ungerecht erscheinen würde, so hat er in der Regel 27

Art. 80 NWVerf, § 61 NW-Landesbeamtengesetz; siehe auch Art. 78 BadWürttVerf („Gerechtigkeit gegenüber jedermann“). – Anders für Bundesbeamte nach § 64 BBG (2009): „Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ – Zum Beamteneid siehe Friesenhahn, Ernst, Der politische Eid, S. 83 ff., 89 ff.; Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht II, § 114 II. 28 Herzog, Roman: in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Rn 53 zu Art. 20 GG. – Zu Art. 20 Abs. 3 GG oben S. 99.

III. „Gerechtigkeit üben“

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eine behördeninterne Klärung zu versuchen. Dies ist in den einzelnen Regionen und Gesetzen unterschiedlich geregelt und kann hier nicht im Detail nachgezeichnet werden. 29 f) Parlamentarier

Für Parlamentarier ist eine entsprechende Eidesleistung meist nicht normiert. Angesichts der fundamentalen Bedeutung der Gesetzgebung für das Leben und für die Konkretisierung der Gerechtigkeit erscheint es erwägenswert, für Parlamentarier die Pflicht zu einer entsprechenden Eidesleistung im Grundgesetz zu verankern, so wie dies bereits für die Mitglieder einiger Gemeinderäte und auch mehrerer Parlamente im Ausland normiert ist. Gerade weil die Abgeordneten „nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind und Indemnität sowie Immunität genießen (Art. 38, 46 GG), wäre eine Eidespflicht sinnhaft. In diese Richtung zielt wohl auch die Bemerkung von Roman Herzog, dass sich als Grundlage für eine Vereidigung oder auch nur Verpflichtung der Bundesparlamentarier „der ethische Anruf des Art. 38 I Satz 2 GG ... hervorragend eignen würde“. 30 29

Zu der sog. Remonstrationspflicht etwa Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht II, § 114 III. 30 Herzog, Roman, in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz, Rn 3 zu Art. 56 GG. – Zum Abgeordneteneid mit vielen Beispielen siehe Friesenhahn, Ernst, Der politische Eid, S. 64 ff. – Eidespflichten bestehen z. B. für die Gemeinderäte in Bayern nach Art. 31 Abs. 4 BayGemeindeordnung vom 22. 8. 1998 (schon nach Art. 6 des Bayr. Gesetzes „den Geschäftsgang des Landtags betreffend“ vom 25. 7. 1850 leisteten „sämmtliche neueintretende Mitglieder der beiden Kammern [...] den verfassungsmäßig vorgeschriebenen Eid in die Hände des Königs ...“). – Für die Mitglieder des Landtags in Liechtenstein siehe Art. 54 der Verfassung (www.liechtenstein.li; 28. 8. 2009). – Die Abgeordneten des Ukrainischen Parlaments Verchovna Rada leisten einen Eid nach Art. 79 der Verfassung: „... meine Pflichten im Interesse aller Mitbürger zu erfüllen.“ (wikipedia.org/wiki/ Amtseid; 2. 2. 2010). – Die §§ 331 ff. StGB mit der Strafbarkeit der Vorteilsannahme durch Amtsträger gelten nicht für den Parlamentarier, der nicht zugleich Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 StGB ist. – Seit 1994 ist Abgeordnetenbestechung strafbar; § 108e StGB. – Beispiele für nach-

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

3. „Gerechtigkeit üben“ als freie Tat

Außerhalb der erörterten Amtsführungen im Staatsleben haben nun viele Menschen im privaten oder privat-geschäftlichen Bereich aus eigenem Antrieb die Absicht, freiwillig, aus freien Stücken Gerechtigkeit zu üben. Dabei ist freilich der rechtsstaatliche Grundsatz zu beachten, dass jeder grundsätzlich an die Rechtsordnung gebunden ist; er darf nicht nach eigenem Gutdünken Gerechtigkeit walten lassen, wenn er mit seinem Tun contra legem (gegen die Rechtsordnung) handeln würde. 31 Auch hier ist (wie oben zu 2. b) zu differenzieren: aa) Wer eine Entscheidung vor sich hat, für die eine konkrete, zwingende Norm gilt, ist an diese Norm gebunden und kann nicht nach eigenem Gusto Gerechtigkeit üben. Wenn z. B. jemand aus Gründen der Gerechtigkeit reichen Personen oder Institutionen etwas wegnehmen und Armen geben will, darf er dies wegen des gesetzlichen Diebstahlsverbotes eben nicht. Michael Kohlhaas und Karl Moor können nicht mit unserem rechtsstaatlichen Placet rechnen! 32

trägliche Sanktionen in den Bundesländern: Den Landtagsmitgliedern in Baden-Württemberg und in Bayern droht eine Anklage, wenn sie ihre Stellung in gewinnsüchtiger Absicht missbrauchen; Art. 42 BadWürttVerf; Art. 61 BayVerf. Einem Mitglied der Bürgerschaft in Hamburg droht der Ausschluss, wenn es sein Amt missbraucht, um sich oder anderen persönliche Vorteile zu verschaffen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 HambVerf). 31 Diese Bindung an die allgemeine Rechtsordnung gilt auch für Amtsträger außerhalb ihrer Amtsführung: Wenn ein Bundesminister seine private Erbfolge regelt, hat er die allgemeine Rechtsordnung prinzipiell genauso zu beachten wie ein einfacher Bürger. 32 Nur für extreme Ausnahmefälle hat die Rechtsordnung diese Bindung aufgehoben: Art. 20 Abs. 4 GG gewährt dem Bürger für eine ganz besondere Fallgestaltung ein Widerstandsrecht, und die Rechtsprechung erkennt seit je einen übergesetzlichen Notstand an: „Not kennt kein Gebot!“ Wer ein Kind in einem Grenzfluss ertrinken sieht, darf für seine Hilfeleistung einem anderen das Schlauchboot wegnehmen, und er braucht sich auch nicht um Grenzformalitäten zu kümmern ...

III. „Gerechtigkeit üben“

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bb) Wessen Entscheidung nicht durch eine strikte Norm zu einem bestimmten Ergebnis gelenkt wird, kann im Rahmen der Rechtsordnung frei nach seinem eigenem Willen entscheiden, und er kann in die Gestaltung seiner Rechtsgeschäfte natürlich auch Gerechtigkeitsaspekte einfließen lassen. So kann Vater A in seinem Testament aus Gründen der Gerechtigkeit berücksichtigen, dass er seinem Sohn das Studium finanziert hat und dass seine Tochter schwerkrank auch künftig mehr Unterhalt braucht. Aber: A ist nicht rechtlich verpflichtet, hier mit solchen Überlegungen Gerechtigkeit zu üben; wenn er sein Erbe unter seinen Kindern so verteilt, dass es Beobachtern nicht gerecht erscheint, so hätte dies keine irdischen Rechtsfolgen. Mit der in diesem Abschnitt behandelten freien Tat ist der Gegensatz zur Rechtspflicht gemeint. Freie Tat meint auch die Fälle, in denen sich Menschen durch ethisch-moralische Impulse gedrängt oder gar innerlich gezwungen fühlen, gerecht zu handeln. Herrlich-satirisch dazu die gegen den Pflichtbegriff von Immanuel Kant gerichtete Sentenz von Friedrich Schiller: „Gerne dien ich den Freunden, doch tu ich es leider mit Neigung. Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.“ 33

Auch all diese Gedanken und Beispiele zeigen: Trotz der immer wieder zu Recht betonten Bedeutung eines umfassend33 Schiller, Werke, Band I, S. 299, Xenien Nr. 388 „Gewissensskrupel“; auch in Goethe, HA I, S. 221; Herrmann, Quellen für ein neues Rechtsleben, Nr. 129 Rn 4; zur Huldigung der Pflicht durch Kant auch Prokofieff, Sergej O., Anthroposophie und „Die Philosophie der Freiheit“, S. 181. – An anderer Stelle schreibt Schiller: „Tugend ist nicht anders ‚als eine Neigung zu der Pflicht‘.“ Schiller, Über Anmut und Würde, in: Werke, Band V, S. 464. – G. E. M. Anscombe nennt in ihrem Beitrag „Moderne Moralphilosophie“ als zweite These, „dass wir die Begriffe der Pflicht (duty) und der Verpflichtung (obligation) – im Sinne der moralischen Pflicht und der moralischen Verpflichtung – über Bord werfen sollten, falls dies psychologisch möglich ist, ...“ (in: Grewendorf / Meggle [Hg.], Seminar: Sprache und Ethik, S. 217). Zu dieser „Kritik an einer Pflichten- und Prinzipienethik“ mit Hinweis auf Elizabeth Anscombe auch Rippe / Schaber (Hg.), Tugendethik, S. 7 ff. in der Einleitung, u. a.

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

wirksamen Diskurses und aller gemeinschaftlichen Gerechtigkeitsvorstellungen handelt und entscheidet jeder Mensch letzten Endes oft nach seinem individuellen Bewusstsein und Gewissen. Treffend dazu Robert Spaemann: Der einzelne „kann sich in einen Dialog begeben, Gründe und Gegengründe abwägen; aber der Gründe und Gegengründe ist kein Ende. Das menschliche Leben dagegen ist endlich. Es muss gehandelt werden, ehe weltweite Einigkeit über das Richtige und Falsche herbeigeführt ist. Der einzelne muss also entscheiden, wann er aus der Unendlichkeit des Abwägens austritt, den Diskurs beendet und mit Überzeugung zum Handeln übergeht. Diese Überzeugung, die uns den Diskurs beenden lässt, nennen wir das Gewissen.“ Zutreffend auch Bernd Rüthers: „Die Entscheidungen müssen ... in geregelten Verfahrensformen und das heißt besonders auch in endlichen, oft kurzen Zeiträumen fallen.“ 34 Gerade weil das Entscheiden letzten Endes eine höchstpersönliche Handlung ist, vermag die persönliche Beachtung der Tugenden gerechte Entscheidungen zu fördern.

IV. Tugenden für das Rechtsleben 1. Gerechtigkeit und Tugenden

Es bedarf keiner großen Phantasie, um das Gerechtigkeit üben als eine positive Handlung anzusehen. Und dafür gibt es seit alters die Bezeichnung Tugend. Mehrere Autoren haben auch schon (neben einer Gerechtigkeit im objektiven Sinne) eine Gerechtigkeit im subjektiven Sinne angenommen und damit die Beziehungen zwischen der Gerechtigkeit und den Menschen in ihrem Empfinden, Fühlen und Tun bezeichnet: Gerechtigkeit als Tugend. Robert Spaemann: „Zuerst und vor al34 Spaemann, Robert, Moralische Grundbegriffe, S. 76 f. – Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 591. – Zum Gewissen auch oben C. II. – Zur Macht des Moments siehe Gladwell, Malcolm, Blink!, S. 14 ff., 20, u. a.

IV. Tugenden für das Rechtsleben

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lem ist Gerechtigkeit eine Tugend. Das heißt: eine Haltung von Menschen.“ 35 Freilich: Tugenden waren in der jüngeren Vergangenheit nicht in Mode. So hat Paul Valéry in seiner berühmten AkademieRede kurz nach dem Ersten Weltkrieg bereits erklärt, das Wort Tugend sei aus dem alltäglichen Sprachgebrauch verschwunden, als Begriff nicht mehr existent, also tot. John Steinbeck stellte fest: „Menschliche Eigenschaften wie Güte, Großzügigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit, Verständnis und Gefühl sind in unserer Gesellschaft Symptome des Versagens. Negativ besetzte Charakterzüge wie Gerissenheit, Habgier, Gewinnsucht, Gemeinheit, Geltungsbedürfnis und Egoismus hingegen sind 35 Spaemann, Robert, Moralische Grundbegriffe, dort: Gerechtigkeit, oder: Ich und die anderen, S. 46 ff., 49. – Zur Gerechtigkeit als Tugend weiter Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 349, 400, u. a.; Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 30 ff.; siehe auch schon Platon, Menon 72/73, in: Platon, Werke, Band 2, S. 513 ff.; Aristoteles, Nikomachische Ethik, z. B. 5. Buch, 1129b; in der Ausgabe Nickel / Gigon S. 190 f.; dazu auch Höffe, Otfried, Aristoteles, S. 229, u. a. – Norbert Blüm schreibt: „Gerechtigkeit ist ein Zweifaches: Tugend und soziales Prinzip.“ (Gerechtigkeit, S. 27) – Uto Meier zitiert folgende Definition der Gerechtigkeit von Dietmar Mieth im Wörterbuch Christliche Ethik: „Als Tugend, als Grundidee des Rechts, als Grundverfassung des Sozialen und als religiöse Vorstellung“ (in: Bottke / Rauscher [Hg.], Gerechtigkeit als Aufgabe, S. 43). – Michael J. Sandel nennt als dritte Sichtweise für Gerechtigkeit neben „maximizing welfare, respecting freedom“: „promoting virtue“ (Justice, S. 6, 19, u. a.). – Siehe auch Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 170 ff. – Zu den Tugenden ausführlich Eckoldt / Weiland, Wozu Tugend? (auch mit guter Darstellung verschiedener missbräuchlicher Instrumentalisierungen des Tugendbegriffs, S. 15 ff., 20 ff.); Rahner / Welte (Hg.), Mut zur Tugend; Reber, Rolf, Gut so! Kleine Psychologie der Tugend; Pieper, Josef, Über die Tugenden; Rippe / Schaber (Hg.), Tugendethik, S. 92 ff.; Bollnow, Otto Friedrich, Wesen und Wandel der Tugenden; Lin, Jean-Claude (Hg.), Tugenden im Jahreslauf; ders. (Hg.), Die Monatstugenden; MacIntyre, Alasdair, Der Verlust der Tugend; Höffe, Otfried, Lebenskunst und Moral, oder Macht Tugend glücklich?; Guardini, Romano, Tugenden (Guardini weist dabei auch auf Max Scheler hin, der 1955 einen Aufsatz „Zur Rehabilitierung der Tugend“ publiziert hat; S. 11); Eckert, Johannes, Lebe, was du bist, Ein Brevier der Tugenden; Kersting, Wolfgang, Kritik der Gleichheit, S. 193 ff., u. a.; Wickert, Ulrich, Das Buch der Tugenden. – Zur Tugendlehre des Thomas von Aquin siehe Forschner, Maximilian, Thomas von Aquin, S. 101 ff.

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

Merkmale des Erfolges.“ Und: Man bewundere die Qualität der ersteren, begehre aber die Erträge der letzteren. Otfried Höffe erklärt, man empfinde „den Ausdruck ‚Tugend‘ als etwas angestaubt“. Eckoldt und Weiland konstatieren zu Beginn ihrer eindrucksvollen Arbeit „Wozu Tugend?“: „Dem Tugendbegriff haftet etwas Unzeitgemäßes an.“ Und praktisch wird man heute in unserer Spaß- und Ellbogengesellschaft weithin auf Unverständnis stoßen, wenn man von Tugend sprechen – oder sie gar erwarten würde. 36 Es ist aber Jean-Claude Lin voll zuzustimmen, wenn er im Vorwort zu seinen „Tugenden im Jahreslauf“ schreibt: „Menschliche Gesellschaft und damit auch menschliche Individualität wären in ihrem leben- und kulturgestaltenden Zusammenhang ohne die Tugenden nicht möglich“ (S. 7). Und so ist es zu begrüßen, dass in jüngeren Publikationen wieder ein Ruf nach Tugenden laut wird. Martha C. Nussbaum schreibt: „In der zeitgenössischen philosophischen Debatte richtet sich das Interesse zunehmend auf die Tugenden.“ 37 36 Paul Valéry ist zitiert nach Erhard Fucke, in: Lin (Hg.), Tugenden im Jahreslauf, S. 240; John Steinbeck nach Thomas Hilden, in: Lin (Hg.), Tugenden im Jahreslauf, S. 155. – Zitat Höffe, Ofried, Lebenskunst und Moral, oder Macht Tugend glücklich?, S. 127. – Eckoldt / Weiland, Wozu Tugend?, S. 7. – Zur „Spaßgesellschaft“ siehe Zehm, Günter, Das Böse und die Gerechten, Auf der Suche nach dem ethischen Minimum, S. 13 ff.; auch unten D. V. 4. am Ende. 37 Nussbaum, Martha C., Gerechtigkeit oder Das gute Leben, S. 227. – Als ein erfreuliches Zeichen kann man auch empfinden, dass das Philosophische Quartett im ZDF am 13. 9. 2009 „Die Rückkehr zur Tugend“ durchaus positiv debattiert hat. Symptomatisch auch die Ausstrahlung des Essays von Matthias Eckoldt „Unnötiger Ballast oder unverzichtbares Prinzip – Wozu noch Tugend?“ in SWR2 am 30. 5. 2010 sowie die hervorragende Arbeit von Matthias Eckoldt und René Weiland, Wozu Tugend?, Zum Gebrauch eines missbrauchten Begriffs (März 2010). – Siehe auch Walter, Rudolf, Für einen Mann mit Eigenschaften, Plädoyer für unzeitgemäß-zeitgemäße Tugenden, in: Rahner / Welte (Hg.), Mut zur Tugend, S. 236 ff.; Johannes Rau im Vorwort zu Pieper, Josef, Über die Tugenden, S. 9; Bollnow, Otto Friedrich, Wesen und Wandel der Tugenden, S. 9 ff.; Nussbaum, Martha C., in: Rippe / Schaber (Hg.), Tugendethik, S. 114 ff.; auch Honecker, Martin, in: Rippe / Schaber (Hg.), Tugendethik, S. 166 ff.

IV. Tugenden für das Rechtsleben

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Wem die Einsicht fehlt, dass eine Orientierung seines Denkens, Wollens und Handelns an den Tugenden für ein harmonisches Gemeinschaftsleben und für eine sinnvoll-fruchtbare Entwicklung der Menschheit lebensnotwendig ist, dem ist die Goldene Regel vor Augen zu führen: „Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu!“ Luk. 6.31: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!“ 38 Die Lebenserfahrung lehrt nämlich, dass Menschen, die mit ihrer Umgebung modern-forsch-locker umgehen, oft sehr empfindlich reagieren, wenn man sich ihnen gegenüber ebenso unbekümmert-rücksichtslos benimmt. Eine Gruppe um Manfred Schmitt hat bei Arbeitern einer Automobilfabrik beobachtet: „Die Menschen, die besonders sensibel auf Benachteiligungen der eigenen Person reagieren, sind in der Regel auch egoistischer. In ihren Bemühungen um Gerechtigkeit für sich selbst begehen sie häufiger Ungerechtigkeiten zu Lasten anderer.“ 39 („Das Wort Tugend kommt neuerdings wieder in Schwang.“); ausführlich Eckert, Johannes, Lebe, was du bist, Ein Brevier der Tugenden. 38 Siehe auch Mt. 7.12. – Zu dieser regula aurea siehe Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Vom Ethos der Juristen, S. 16; Höffe, Otfried, Kleine Geschichte der Philosophie, S. 368 f. („Goldene Regel, die sich in allen Kulturen findet“; ebenso für alle Religionen Frido Mann, in: Lätzel, Was Dichter glauben, S. 74); Kirchhof, Paul, Das Maß der Gerechtigkeit, S. 158 (dort S. 38 f. entsprechende Rechtssprichwörter wie: „Der ist ein Narr, wer andern tut, / was ihm von keinem scheint als gut. ...“); Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 252 ff.; auch Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit?, S. 38 ff. (dazu wiederum Taschner, Rudolf, Gerechtigkeit siegt, S. 186 ff.); Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 111. – Unter dem Stichwort Weltethos bringt wikipedia.org mehrere Zitate dafür, dass auch Hinduismus, Buddhismus, Islam und Judentum Sätze kennen und vertreten, die dem Inhalt der Goldenen Regel entsprechen. Für den Islam wird dort folgender Satz zitiert: „Keiner von euch ist gläubig, solange er nicht für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht.“ (An-Nawawi, Kitab Al-Arba’in [Vierzig Hadithe] 13) – Ähnlich: Busaari, Iman:7; zitiert in: www.lehrer.schule.at/islam/moral/htm (7. 6. 2010). 39 Bericht von Inka Wahl, in: FAZ 31. 7. 2008. – Außerdem zum Thema „Sensibilität für Ungerechtigkeit“ der so betitelte Beitrag von Schmitt / Baumert / Fetchenhauer, u. a., in: Psychologische Rundschau, 60 (1), 2009, S. 8; dort S. 11: „... ist es denkbar, dass manche Personen zwar sensibel auf Ungerechtigkeiten reagieren, deren Opfer sie sind, jedoch weniger sensibel,

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

Die Menschheit hat zu Beginn des Dritten Jahrtausends fast alles materiell-technisch Denkbare erreicht – so sind z. B. Raum und Zeit durch Satellitenfunk, Internet und Handy schon teilweise global aufgehoben. Aber gerade wegen der technischen Entwicklungen, die zwar die Lösung von Aufgaben über die Erde hinweg in Echtzeit, aber mit Atomgewalten auch eine apokalyptische Vernichtung der Menschheit möglich machen, hängt unsere Zukunft davon ab, dass wir (wieder) lernen, Tugenden zu üben. Das – im wahrsten Sinne – unheimliche globale Potential technischer „Errungenschaften“ wird nur dann nicht zur Vernichtung der Menschheit führen, wenn es nicht (mehr) durch egoistisch-geldgierige private oder staatliche Mächte gesteuert, sondern wenn es durch eine geistige, moralische Tugendethik mit einer entscheidenden Wendung zur Nächstenliebe und zur Gerechtigkeit wirksam gebändigt wird. Dafür sind natürlich eine weltweite Kurskorrektur des sog. Mainstream mit der Überwindung des globalen „Geld regiert die Welt!“ sowie eine durchgreifende Verbesserung der Bildung und der Erziehung notwendig. Zu erinnern ist dazu auch an die sokratisch-platonische Weisheit, dass derjenige, der einmal Einsicht in das Gute und in das Wissen um das handwerklich Rechte gewonnen hat, nicht etwas Schlechtes produzieren werde (es sei denn, Widersachermächte zwingen ihn dazu, z. B. aus Macht- oder Geldgier). Will sagen: Wer einmal erkannt hat, dass die Übung von Tugenden mit der Gerechtigkeit als Erster Tugend für das Überleben der Menschheit entscheidend ist, wird hoffentlich nicht wieder gedankenlos-egoistisch ungerecht handeln wollen, sondern mit seinem Handeln die Menschheitsentwicklung positiv fördern. 40 wenn sie von einer vergleichbaren Ungerechtigkeit profitieren.“ – Zu einer ähnlichen Beobachtung bei Journalisten schon Herrmann, Rundfunkrecht, § 22 Rn 14. – Zu diesem Thema auch oben A. 40 Z. B. Platon, Menon 70; siehe Platon, Werke, Band 2, S. 507 ff. – Beispielhaft sei hingewiesen auf das „Projekt Weltethos“ von Hans Küng und auf den Vorschlag einer „Weltkonferenz der Christen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung“ von Carl Friedrich von Weiz-

IV. Tugenden für das Rechtsleben

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2. Vier Kardinaltugenden und drei christliche Tugenden

Schon im Alten Testament ist zu lesen: „Wenn jemand Gerechtigkeit liebt, in ihren Mühen findet er die Tugenden. Denn sie lehrt Maß und Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit, die Tugenden, die im Leben der Menschen nützlicher sind als alles andere.“ 41 Für Platon war Gerechtigkeit der harmonische Ausgleich der drei von ihm genannten Haupttugenden Weisheit, Starkmut oder Tapferkeit und Mäßigkeit oder Besonnenheit. „Das Gerechte ist somit das für die Seele Gesunde.“ 42 Im Laufe der Zeit wurden diese vier Kardinaltugenden zum abendländischen Geistesgut: − Besonnenheit, Verständigkeit, Mäßigkeit, Maß, Selbstbeherrschung (griech. sophrosýne, lat. temperantia),

säcker (Die Zeit drängt). – Zur „Erziehung zur Gerechtigkeit“ siehe den so überschriebenen Beitrag von Bischoff, Franz, S. 211 ff. 41 Buch der Weisheit 8.7. – Zu Psalm 82 siehe Moltmann, Jürgen, „Sein Name ist Gerechtigkeit“, S. 110 ff. – Zur Gerechtigkeit im Alten Testament z. B. Brunner, Emil, Gerechtigkeit, S. 140 ff.; Herrmann, Recht, Rn C. 2 f. 42 So Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 78, 81. – Weiter dazu Rüthers, Bernd, Das Ungerechte an der Gerechtigkeit, S. 68 ff.; Eckold / Weiland, Wozu Tugend?, S. 10 ff. – Zu Platon weiter Coing, Helmut, Rechtsphilosophie, S. 10 ff., u. a.; Weizsäcker, Carl Friedrich, Ein Blick auf Platon; Erler, Michael, Platon, S. 178 ff., u. a.; Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit?, S. 28 ff.; Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 20 ff.; Hüttinger, Daniela, in: Maier / Denzer (Hg.), Klassiker des politischen Denkens, Erster Band, S. 15 ff.; Haft, Fritjof, Aus der Waagschale der Justitia, S. 115 ff. – Damir Barbaric hat die Ergebnisse eines internationalen Symposiums „Platon über das Gute und die Gerechtigkeit“ herausgegeben (Würzburg 2005). – Unser Wort Gerechtigkeit gibt den Sinn des griechischen Wortes dikaiosýne bei Platon nicht vollständig wieder. Das meint nämlich auch das „Sich-Richtung-Gebende, Sich-Auskennende, Sich-Orientierende im Leben“ (Steiner, Rudolf, GA 170,80); hierzu auch Bischoff, Franz, Die Erziehung zur Gerechtigkeit, S. 211 ff.

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

− Klugheit, Weisheit, Vernunft, Denken (griech. phrónesis, lat. prudentia), − Tapferkeit, Starkmut, Willensenergie (griech. areté, lat. fortitudo, magnitudo animi) und diese drei Tugenden umfassend: − Gerechtigkeit (griech. dikaiosýne, lat. iustitia). Besonders plastisch erscheinen diese Tugenden, wenn man sie in der Mitte zwischen den von Aristoteles genannten beidseitigen Übertreibungen sieht: die Tapferkeit als erstrebenswerte Mitte zwischen Tollkühnheit und Feigheit, die Besonnenheit als Mitte zwischen Zügellosigkeit und Gefühlsstumpfheit, die Gerechtigkeit als Mitte zwischen Unrechttun und Unrechtleiden. 43 Der Apostel Paulus schrieb an die Korinther: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Aber die größte unter ihnen ist die Liebe.“ 44

43 Aristoteles, Nikomachische Ethik, z. B. 2. Buch, 1106a ff., 6. Buch, 1138b ff.; in der Ausgabe Nickel / Gigon S. 71 ff., 236 ff.; das 6. Buch in der Ausgabe von Hans-Georg Gadamer S. 24 ff., auch S. 3. – Hierzu Höffe, Otfried, Gerechtigkeit, S. 22 ff.; Zimmer, Robert, Basis-Bibliothek Philosophie, S. 28 ff.; (auch kritisch) Adomeit, Klaus, Rechts- und Staatsphilosophie I, S. 77 ff., und Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit?, S. 43 ff. – Bildliche Darstellungen der Kardinaltugenden bei Kissel, Otto Rudolf, Die Justitia, S. 27, 29. – Über Feigheit, Torheit, Maßlosigkeit und Ungerechtigkeit als Gegenstücke zu Tapferkeit, Klugheit, Besonnenheit und Gerechtigkeit sowie über andere Untugenden siehe Sofsky, Wolfgang, Das Buch der Laster, S. 69 ff., 87 ff., 140 ff., 167 ff. 44 1.Kor. 13.13. – Siehe auch 1.Petr. 1.5 – 7 sowie Röm. 12.9 –21. – Dazu Andreas Neider, in: Lin (Hg.), Die Tugenden im Jahreslauf, S. 123 ff.; Grün, Anselm, Das kleine Buch der Tugenden, Der Glaube, die Hoffnung, die Liebe; Moltmann, Jürgen, Theologie der Hoffnung. – Zur Gerechtigkeit im Neuen Testament siehe Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 194 ff., u. a.; Rüthers, Bernd, Das Ungerechte an der Gerechtigkeit, S. 12 ff.; Geißler, Heiner, Glaube und Gerechtigkeit, S. 27 ff.; Brunner, Emil, Gerechtigkeit, S. 130 ff.; auch Kelsen, Hans, Was ist Gerechtigkeit?, S. 29 ff.; Herrmann, Recht, Rn C. 13 ff.

V. Sieben Tugenden als Leitsterne

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Thomas von Aquin hat diese drei christlichen Tugenden mit den vier tradierten Kardinaltugenden zusammengefasst. Rudolf Steiner setzte die Gerechtigkeit an die erste Stelle: Gerechtigkeit – Urteilsenthaltsamkeit (Freiheit von Antipathie und Sympathie) – Starkmut – Klugheit – Glaube – Hoffnung – Liebe. Und John Rawls schreibt zu Beginn seiner „Theorie der Gerechtigkeit“: „Die Gerechtigkeit ist die erste Tugend sozialer Institutionen, so wie die Wahrheit bei Gedankensystemen.“ 45

V. Sieben Tugenden als Leitsterne auf dem Wege zur Gerechtigkeit und zu einem menschlichen Rechtsleben Können diese sieben Tugenden Leitsterne und Stützen, gemeinsam verstandene und gemeinschaftlich genutzte Wegzeichen sein, wie wir Gerechtigkeit in einem menschlichen Rechtsleben praktisch üben können? Wir wollen schauen, ob die Erste Tugend Gerechtigkeit in ihrem Verständnis durch die anderen sechs Tugenden erweitert und weiterentwickelt werden kann – etwa folgendermaßen: 1. Gerechtigkeit (iustitia)

In den bisherigen Ausführungen haben wir mehrere Aspekte der Gerechtigkeit ermitteln und zu den Maßstäben ius suum cuique tribuere und Gleichheit einige differenzierte Erkenntnisse gewinnen können. Wenn die Gerechtigkeit nun hier in einem subjektiven Verständnis aufscheint, kann man hinzufügen, dass die meisten Menschen, nach Gerechtigkeit gefragt, eine gewisse Kombination dieser beiden Grundsätze vor Augen ha45 Steiner, Rudolf, GA 88, 82 ff. – Rawls, John, Theorie der Gerechtigkeit, S. 19.

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

ben: Gleichbehandlung unter Abwägung und Berücksichtigung der als rechtsrelevant erachteten Interessen, Eigenschaften und Parameter, ohne Willkür und ohne Diskriminierung. Dabei hat jeder Mensch von Gerechtigkeit natürlich seine eigenen Vorstellungen, die in einer Rechtsgemeinschaft in einem lebendigen Diskurs möglichst harmonisch zu gemeinschaftlichen Gerechtigkeitsvorstellungen zu verschmelzen sind. Zu diesem, schon oben eruierten Gedanken ist hier hinzuzufügen, dass ein gemeinsamer Tugend-Kanon auch den Diskurs und die Bildung gemeinschaftlicher Gerechtigkeitsvorstellungen in einer möglichst harmonischen Gesellschaft erleichtert und qualifiziert, wenn die Menschen die hier eruierten Tugenden als Leitsterne nutzen. Wesentlich ist, dass jeder bei seinen Entscheidungen mit ernsthaftem Willen zur Wahrheit sowie mit Herzdenken und Gerechtigkeitsbewusstsein nach Gerechtigkeit strebt – unter aktiver Beachtung und integrierender Realisierung der folgenden Tugenden. 46

2. Besonnenheit – Maß (temperantia)

Die zweite Tugend (sophrosýne, temperantia) wollen wir hier als Besonnenheit, Maß bezeichnen. 47 46 Höchst vorsorglich sei angemerkt: Natürlich ist nicht in jedem konkreten Rechtsfall jede der folgenden Tugenden mit derselben Intensität zu bedenken. Wenn es um die fällige Rückzahlung geliehener 1000 Euro geht, führt die schlichte Subsumtion unter die entsprechende Zivilrechtsnorm generell zu einer klaren Entscheidung, ohne dass es besonderer Tugendgedanken bedarf. 47 Josef Pieper hat in seinen Betrachtungen „Über die Tugenden“ erklärt, dass die deutsche Sprache „kein geltendes Wort bereit[hält], das auch nur einigermaßen den Kern und den Umfang des Begriffes temperantia widerzuspiegeln vermöchte“; der „ursprüngliche Wortsinn des griechischen Namens [sophrosýne] meint ‚ordnende Verständigkeit‘ insgesamt“; Pieper, Josef, Über die Tugenden, S. 181 ff., 234, 251. – Langenscheidts Großes Wörterbuch Griechisch-Deutsch weist zur Übersetzung von „sophrosýne“ folgende Wörter aus: „1. gesunder Verstand, Klugheit, richtige Erkenntnis. – 2.a) Seelenruhe, Besonnenheit, Selbstbeherrschung, Enthaltsamkeit,

V. Sieben Tugenden als Leitsterne

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Diese Tugend mag uns im täglichen Rechtsleben auffordern: − Die unterschiedlichen Interessen, die wechselseitigen Argumente und die verschiedenen, für die Entscheidung wirklich bestehenden Alternativen besonnen und maßvoll abwägen! „Die beiden pendelnden Waagschalen am Waagebalken pendeln langsam aus. Je feinfühliger die Waage, desto langsamer. Das sollte auch Vorbild sein für das Abwägen bei der richterlichen Entscheidung, nicht ‚langsam‘ um jeden Preis, sondern ruhig, abgewogen.“ 48 − Keine überstürzten Entscheidungen! Leider behindern die oft vorhandene und noch häufiger beklagte Überlastung sowie der Zeitdruck, der Stress und die Hetze des Alltags häufig ein besonnenes Entscheiden. Nach einem alten Sprichwort hat aber Gott die Zeit geschaffen, nicht die Eile (und schon gar nicht den Stress). Die Gerechtigkeit darf auch nicht Kürzungen der Stellenpläne und anderen Sparmaßnahmen zum Opfer fallen! − Wer eine Entscheidung besonnen überlegt, ist sicher offener für das Empfangen zielführender Gerechtigkeits-Ideen und Intuitionen als ein hastig-nervös Durchentscheidender. Entscheidungen unter Stress atmen nach aller Wahrscheinlichkeit weniger Gerechtigkeit als wenn sie besonnen getroffen Mäßigung der Begierden, Mäßigkeit, ...; b) Sittlichkeit, Sittsamkeit, ..., insbesondere Bescheidenheit.“ – Zur Besonnenheit weiter Höffe, Otfried, Lebenskunst und Moral, S. 139 ff.; Bollnow, Otto Friedrich, Wesen und Wandel der Tugenden, S. 89 ff.; Reber, Rolf, Gut so! Kleine Psychologie der Tugend, S. 114 ff. 48 So der langjährige Präsident des Bundesarbeitsgerichts Kissel, Otto Rudolf, Die Justitia, S. 100. – Beispiele für eine sorgsame Abwägung zwischen den verschiedenen Interessen aus der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung: BVerfG 27. 2. 2008, BVerfGE 120, 274, 322 (Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme); BVerfG 2. 3. 2010, BVerfGE 125,260 (Vorratsdatenspeicherung); BGH, NJW 2008, S. 3784 (Abwägung zwischen Urheberrecht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht – St. Gottfried); auch BVerfG 9. 6. 2010, BVerfGE 126,158 (Einstweilige Anordnung im Falle völkerrechtlicher oder außenpolitischer Auswirkungen – Euro-Stabilisierungsmechanismusgesetz).

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

werden. Be-sonnen, be-sinnen bedeutet ja über etwas nachdenken, sich bewusst werden, überlegen. 49 − Besonnenheit kann bei der Gesetzgebung nach einem alten liberalen Grundsatz auch bedeuten: „Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es nötig, es nicht zu erlassen.“ Tatsächlich droht die heute auf uns herabstürzende Flut von Gesetzestexten die Gerechtigkeit zu ersticken. Auch in Bezug auf den Umfang der Gesetzesordnung ist Maß zu halten! − Besonnen entscheiden bedeutet auch, dass man die Betroffenen nicht mit übermäßigen Belastungen überzieht. Das meint der allgemeine Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit: Es ist die geringstmögliche Belastung für die Betroffenen zu wählen. Verboten sind Eingriffe, die zu dem Erfolg außer Verhältnis stehen: Übermaßverbot. − Keine Vorurteile, keine Egoismen, keine Affekte – und kein Hochmut, kein Fanatismus, kein Fundamentalismus! Kein Urteil nach Antipathie oder Sympathie! Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Richter die Verhandlung besonnen, ohne Affekte und ohne Vorurteile führt. Mit das Schlimmste, was ein Jurist zum Thema Gerechtigkeit an den Tag legen kann, ist Selbstgerechtigkeit! Freilich sagte schon Albert Einstein: „Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.“ 50 49 DUDEN, Etymologie, Herkunftswörterbuch, Stichwort sinnen. – Natürlich richten sich Maß und Dauer des Besinnens nach Objekt, Bedeutung und sonstigen Umständen der Entscheidung: Über einen normalen Zahlungsanspruch im Urkundenprozess braucht der Richter nicht lange zu sinnieren. 50 Zitiert nach Franckh, Pierre, Das Gesetz der Resonanz, S. 22. – Zum Thema Vorurteil siehe Goleman, Daniel, Emotionale Intelligenz, S. 200 ff. – Bei Befangenheit kann ein Richter abgelehnt werden; z. B. § 42 ZPO, § 24 StPO; für den Sachverständigen gelten § 406 ZPO und § 74 StPO. – Negative Beispiele aus der Praxis: Einem Richter, der an einem Vormittag 30 Offenbarungseide abzunehmen hat, platzt beim 23. Schuldner der Kragen, weil er sich über den 19. geärgert hat. Ein anderer Richter schreit in einer Verhandlung plötzlich los: „Jetzt verliere ich aber die Geduld!“

V. Sieben Tugenden als Leitsterne

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− Mit der Tugend Besonnenheit ist auch anzustreben, was allgemein als Objektivität oder Unparteilichkeit bezeichnet und gefordert wird: Der Richter soll aufgrund des möglichst objektiv und wahrhaftig festgestellten Sachverhaltes ohne Ansehen der Person entscheiden – deshalb wird der Justitia eine Binde vor die Augen appliziert. 51 − Wenn man sich bei einer Entscheidung den Sachverhalt besonnen aus der Sicht aller Beteiligter vor die Seele stellt, erhält man ein richtigeres Bild und kann sicherer zu einer gerechten Beurteilung kommen. Deshalb gilt der alte Rechtssatz Audiatur et altera pars (Auch die andere Partei soll gehört werden) heute als verfassungsrechtliches Gebot des rechtlichen Gehörs. 52 − Die Tugend Besonnenheit sollte auch anregen, darüber nachzudenken, ob die erwogene Entscheidung im allgemeinen Umfeld der Rechtsgemeinschaft akzeptiert werden kann. (Dieser Gedanke soll natürlich nicht ausschließen, dass ein Richter nach intensivem, besonnenen Nachdenken, auch über aktuelle Entwicklungen, zu einer die Rechtsprechung ändernden, evt. sogar provokant wirkenden Entscheidung kommt.) 53 51 So mag z. B. der Mieterbund die Gesetze für das Mietrecht für ungerecht halten, ebenso der Haus- und Grundstücksbesitzerverband – beide diametral in gegensätzlicher Richtung, und beide völlig legitimerweise. Aber der Richter darf sich in einem Mietrechtsprozess nicht dadurch beeinflussen lassen, dass er persönlich Mieter oder Vermieter ist. – Zu „Unparteilichkeit und Objektivität“ das so betitelte Kapitel bei Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 141 ff., sowie S. 151 ff. – Zu den Darstellungen der Justitia und zu den verschiedenen Interpretationen der Augenbinde ausführlich Kissel, Otto Rudolf, Die Justitia, S. 31, 82 ff., 91 f.; auch Kocher, Gernot, Zeichen und Symbole des Rechts, S. 25; Stolleis, Michael, Das Auge des Gesetzes, S. 25 f. – Zur klugen, objektiven Feststellung des Sachverhalts auch unten D. V. 4. 52 Bovensiepen, Rudolf, Lateinische Rechtssprichwörter, S. 37 f. mit Hinweis auf den alten deutschen Grundsatz: „Eines Mannes Rede ist keine Rede, / man soll sie billig hören beede.“ – Zum Verfassungsgebot des rechtlichen Gehörs siehe Art. 103 Abs. 1 GG. – Zum rechtlichen Gehör und zur Waage Kissel, Otto Rudolf, Die Justitia, S. 100. – Siehe auch das Kapitel „Standort, Relevanz und Illusion“ bei Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 183 ff.

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

Mit so verstandener und gelebter Besonnenheit kann Gerechtigkeit sicherer und lebendiger aufscheinen als bei überstürzter Hast. Auch deshalb sind die aktuelle Überlastung von Richtern und anderen Entscheidungsträgern sowie das wirkliche oder vermeintliche Diktat der modernen sekundenschnellen Kommunikationsmedien wie e-mail, Internet und Intranet, Telefax und Telefon eine akute Gefahr für die Qualität der Rechtsprechung und anderer Bereiche des Rechtslebens. Dieser Gefahr muss jeder mit Ich-Kraft und Besonnenheit begegnen! 54

3. Tapferkeit (fortitudo) – Zivilcourage

Manchen Leser wird es überraschen, dass in unseren Überlegungen die Tapferkeit, auch in der Form des schönen Wortes Starkmut, auftaucht. Aber auch diese Tugend ist auf dem Weg zur Gerechtigkeit wichtig, auch wenn man sie modern als Zivilcourage, als Standfestigkeit oder als „eine auf Einsicht gegründete Beharrlichkeit ... angesichts drohender, zu fürchtender Gefahren“ versteht. 55 Starkmut, Tapferkeit, Zivilcourage können für unser Thema bedeuten:

53 Zur „Konsensfähigkeit von Gerechtigkeitseinsichten“ siehe Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 142 ff. mit Bezug auf BVerfGE 82, 38 f. – Zum sog. Badewannenfall oben D. III. 2. d). 54 Zu diesen Gefahren für unser Leben siehe den Artikel „Die zerhackte Zeit“ in: DER SPIEGEL, Nr. 2/2011, S. 42 ff. 55 Letzteres die Wertung der platonischen Tapferkeit im Philosophischen Wörterbuch von Martin Gessmann. – Zu dieser Tugend Weiteres bei Höffe, Otfried, Lebenskunst und Moral, S. 135 f.; Fetscher, Iring, Ermutigung zur Zivilcourage, in: Rahner / Welte (Hg.), Mut zur Tugend, S. 94 ff.; Pieper, Josef, Über die Tugenden, S. 145 ff. (mit einigen, heute z.T. nicht mehr zeitgemäßen Gedanken, freilich auch mit der zutreffenden Feststellung: „Nur wer klug ist, kann tapfer sein“; S. 153 f.); Bollnow, Otto Friedrich, Wesen und Wandel der Tugenden, S. 77 ff.; Wickert, Ulrich, Das Buch der Tugenden, S. 32 f.

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− Jedermann soll bei entsprechenden Entscheidungen Gerechtigkeit tatkräftig wollen und nach Gerechtigkeit wirklich streben! − Entscheidungsfreude! Keine Schwäche, keine Schlaffheit! Der Richter soll im Interesse der Beteiligten Prozesse zügig bearbeiten und entscheiden. Politiker, Gesetzgeber und Exekutive sollen rasch-konsequent, ohne schuldhaftes Zögern handeln; insbesondere sollen sie nicht Entscheidungen unterlassen oder verzögern (aussitzen), wenn sonst Ungerechtigkeiten bestehen bleiben, die durch entschlossenes Handeln beseitigt oder wenigstens gemildert werden können. − Die wirklichen Probleme beherzt anpacken! Wenn ein Missstand bekannt wird, muss der Politiker und der Beamte aktiv werden – natürlich im Rahmen seiner Möglichkeiten: Die aber sind manchmal größer und vielfältiger als mancher, auch als Schutzbehauptung für Inaktivität, so sagt. Dass es nicht möglich ist, alle Hungernden in der Dritten Welt kurzfristig entsprechend dem europäischen Standard zu versorgen, darf nicht als Ausrede für Passivität bei der Beseitigung der Missstände missbraucht werden, die tatsächlich beseitigt werden können. 56 − Starkmut in der Vertretung der Auffassungen, besonders durch den Rechtsanwalt zugunsten des eigenen Mandanten! Der Anwalt darf sich bei Gerichte nicht mit Vortrag und Anträgen zurückhalten, um aus Eigennutz beim Richter nicht anzuecken. Auch Helmut Coing spricht für das Vertreten von Auffassungen von Zivilcourage. 57

56 Siehe auch oben B. I. 7. sowie den sogleich zur Klugheit (zu 4.) zitierten Gebetsspruch. – Anmerkung: Auch im allgemeinen Leben wird die Tugend „Starkmut“ zu wenig beachtet und geübt: „cool“ ist „in“! Unter dieser „coolness“ leidet heute der notwendige Mut und Einsatz zur Änderung desolater Umstände. Mit „coolness“ verwandt ist die „Gleichgültigkeit“, die Wolfgang Sofsky zutreffend als eine der modern-grassierenden Untugenden apostrophiert (Das Buch der Laster, S. 24 ff.) 57 Coing, Helmut, Rechtsphilosophie, S. 103.

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Für den Politiker bedeutet Starkmut oder Zivilcourage auch: − Keine Furcht vor bevorstehenden Wahlen, scharfen (Parlaments-)Debatten oder Pressekonferenzen! − Das eigene Gewissen sprechen und mitentscheiden lassen! Zivilcourage auch gegenüber Fraktionsdisziplin! Nach Art. 38 Abs. 1 GG sind die Abgeordneten des Bundestages „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Wer eine individuelle Gewissensentscheidung trifft – wozu oft mehr Mut gehört als zum Schwimmen im Strome –, darf nicht gemobbt werden. 58

4. Klugheit (prudentia)

Für eine Entscheidung im Rechtsleben kann die Klugheit nur als selbstverständliche Voraussetzung und als elementares Gebot erscheinen. Hier passt eines jener lateinischen Sprichwörter, die leider immer mehr aus dem Allgemeinwissen schwinden: Quidquid agas, prudenter agas, et respice finem = Was immer du tust, handle klug – und bedenke das Endergebnis deiner Entscheidung! Modern bei Stephen R. Covey: „Schon am Anfang das Ende im Sinn haben.“ 59 58 Negativ-Beispiel: Im Herbst 2008 wollten in Hessen vier Landtagsabgeordnete im Gegensatz zur Fraktionsmehrheit die SPD-Kandidatin nicht mit zur Ministerpräsidentin wählen. Wer zu diesem, mit dem Gewissen begründeten, Verhalten der vier Abgeordneten als Politikerin äußert, es sei „ein wunderschöner Gedanke“, dass man im Mittelalter „solche Leute [wie die vier Abweichler] ... geteert, gefedert und gevierteilt“ hätte, disqualifiziert sich selbst; FAZ.net vom 18. 12. 2008. Zu diesem Themenkreis Spaemann, Robert, Das Gewissen hat seine Gründe, in: FAZ 7. 1. 2009, S. 32. – Zu der Anregung, Parlamentsabgeordnete einer Eidespflicht zu unterwerfen, oben D. III. 2. f). 59 Covey, Stephen R., Der 8. Weg, S. 17. – Zu diesem Gedanken auch Glöckler, Michaela, Die Heilkraft der Religion, S. 74 ff. – Zur Klugheit siehe Pieper, Josef, Über die Tugenden, S. 15 ff.; Höffe, Otfried, Lebenskunst und Moral, S. 160 ff., u. a.; Reber, Rolf, Gut so! Kleine Psychologie der Tugend, S. 87 ff.; Bollnow, Otto Friedrich, Wesen und Wandel der Tugenden,

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Es liegt auf der Hand: Für ein gesundes, gerechtes Rechtsleben sind kluge, gut-geschulte Juristen eine conditio sine qua non (Bedingung, ohne die es nicht geht). Erforderlich sind dafür Menschen, die sowohl die Rechtsordnung kennen und klug anwenden als auch die konkreten Fälle mit menschlicher Klugheit angehen und beurteilen können. Elementar wichtig ist: Eine gerechte Entscheidung ist nur denkbar, wenn alle Elemente des wirklichen Sachverhalts klugwahrhaftig ermittelt werden. 60 Der Richter schwört ja, „nur der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu dienen“. Und die Wahrheit kann in der Tat als natürliche Schwester der Gerechtigkeit verstanden werden. Jürgen Moltmann schreibt: „Gerechtigkeit meint ‚in Ordnung sein‘, im rechten Verhältnis stehen, meint Entsprechung und Einstimmigkeit und ist insofern der ‚Wahrheit‘ benachbart.“ Rudolf Steiner: Wahrheit ist „die Führerin der Menschen zur Einigkeit und zum gegenseitigen Verständnis. Damit ist sie auch die Vorbereiterin von Gerechtigkeit und Liebe.“ Rüdiger Safranski: „Wir brauchen eine Politik, die es den einzelnen erlaubt, nach ihren Wahrheiten zu suchen.“ 61 S. 99 ff.; Wickert, Ulrich, Das Buch der Tugenden, S. 249 ff.; Aristoteles, Nikomachische Ethik, 6. Buch, 1140a ff.; in der Ausgabe Nickel / Gigon S. 245 ff. – Klugheit fasst alles das zusammen, was uns befähigt, über die irdischen Verhältnisse ein Urteil zu fällen; so Steiner, Rudolf, GA 88,82. 60 Dazu Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, Rn 669 ff.; auch Pieper, Josef, Über die Tugenden, S. 24 ff. – Zur „grundsätzlichen Bindung des Rechts an die Realitäten“ Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 50 f. 61 Zum Richtereid oben D. III. 2. d). – Moltmann, Jürgen, Theologie der Hoffnung, S. 185. – Steiner, Rudolf, GA 58,90. – Safranski, Rüdiger, Wieviel Wahrheit braucht der Mensch?, S. 207. – Zur Wahrheit weiter Frankfurt, Harry G., Über die Wahrheit; dort S. 34: „... darf die Gesellschaft nicht versäumen, Ermutigung und Unterstützung für fähige Individuen bereitzustellen, die sich dem Erwerb und der Nutzung bedeutsamer Wahrheiten widmen“; Nida-Rümelin, Julian, Demokratie und Wahrheit, S. 26 ff., 37 ff., u. a.; grundlegend: Popper, Karl R., Objektive Erkenntnis, Ein evolutionärer Entwurf, S. VII ff., 44 ff., 58 ff., 332 ff., 376 ff. u. a.; auch ders., Lesebuch, S. 164 ff. – Weiter: Blackburn, Simon, Wahrheit, Ein Wegweiser für Skeptiker; auch Guardini, Romano, Tugenden, Meditationen über Gestalten sittli-

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

Ohne kluge Berücksichtigung des wirklichen Sachverhalts, über den entschieden werden soll, ist eine Entscheidung a priori nicht begründet; sie ist dann Lotto-Spiel, kein rechter Prozess. Notwendig und geboten ist bei allen Entscheidungen eine gewissenhaft-gründliche Lagebeurteilung: Sachverhalt besonnen und wahrhaftig-klug feststellen – gewissenhaft bewerten – mutig entscheiden – und die Entscheidung durchsetzen! Diese Anlehnung an einen alten Grundsatz des Militärlebens, wo es ja oft um Leben und Tod geht, mag auch hier, wie auch schon in anderen zivilen Feldern, lehrreich sein. 62 Die Verknüpfung von Klugheit und rationaler Tatsachenfeststellung kann untermauert werden durch einen Hinweis auf die Erwägung von HansGeorg Gadamer, der den griechischen Ausdruck phrónesis mit praktischem Wissen oder praktischer Vernünftigkeit zu erfassen sucht – besser als mit Klugheit, die eigentlich gar keine Tugend, chen Lebens, S. 20 ff.; dort S. 20: „Wahrhaftigkeit – das Wort so verstanden, dass es die Liebe zur Wahrheit mitmeint, den Willen, die Wahrheit solle erkannt und angenommen werden.“ – Zum „Umgang mit Wahrheit und Lüge“ Glöckler, Michaela, Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung, S. 103 ff. – Zu tatsächlichen Mängeln der Wahrheitsfindung in Prozessen siehe den SPIEGEL-Titel „Fehlurteile – Wie gerecht kann Justiz sein?“ (Nr. 22/2011, S. 56 ff.). 62 Horst Köhler nannte als Voraussetzung des „Quellgrundes“, aus dem die Tugenden „Erfindungsreichtum, Fleiß und Flexibilität“ entspringen, den „Dreierschritt: analytische Beratung, sachorientierte Entscheidung und umsichtige Verwirklichung“; Rede des Bundespräsidenten zur Einführung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle am 14. 5. 2010; www.bundespraesident.de/Reden-undInterviews-...; 15. 5. 2010. – Negativ-Beispiel mit weit tragenden Folgen: Die Entscheidung des US-Präsidenten für den Irak-Krieg im Frühjahr 2003 aufgrund falscher Daten. Dazu Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 30 ff.; Martin Gropp in einem Bericht über die NDR-Fernsehdokumentation „Die Lügen vom Dienst – Der BND und der Irakkrieg“ vom 2. 12. 2010, in: FAZ 2. 12. 2010, S. 39. – Ausführlich Kink, Markus, Die Sprache des Krieges, Zur diskursiven Ermöglichung präventiver Kriegsführung. – Anmerkung: Bei der Feststellung des Sachverhalts geht es um eine primär rational-exakte Gedanken-Arbeit: „Intuition“ ist hier angesichts der Gefahr der sog. „Conjunction fallacy“ nicht in erster Linie gefragt (auch wenn Intuition vielleicht bei mancher „Spürnase“ in Kriminalfällen hilfreich sein mag); zu der sog. „Conjunction fallacy“ siehe Rolf Dobelli, in: FAZ 20. 6. 2011, S. 30.

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sondern eine Naturgabe sei. Auch die Wendung Urteilskraft bringt diesen Aspekt der phrónesis gut zum Ausdruck. 63 Aktuell scheint sich das Verhältnis zur Realität durch den Siegeszug des Computers und des Internet besonders für die jüngere Generation, für die sog. digital natives, nicht unwesentlich zu wandeln. Second life ist die Kennzeichnung einer globalen Bewegung, die das Betrachten einer Scheinwelt auf dem Bildschirm an die Stelle eigener, lebendig-realer Erfahrungen setzt. Diese Erscheinung mag die Frage aufwerfen: Wird die Menschheit durch diese Entwicklung zur globalen Herrschaft des Virtuellen in die Höhle (zurück)geworfen, die Platon in seinem Höhlengleichnis geschildert hat? 64 63

Aristoteles, Nikomachische Ethik: Ausgabe von Hans-Georg Gadamer, Vorwort und S. 19, auch S. 33 ff. – Dazu siehe auch Rippe / Schaber (Hg.), Tugendethik, Einleitung, S. 14. – In Langenscheidts Großwörterbuch Griechisch Deutsch von Hermann Menge wird für phrónesis als 1. Übersetzung angeboten: „(richtiges) Denken, Nachdenken, Verstand, Vernunft, Bewusstsein; auch Empfindung, ... Insb.: a) Einsicht, Klugheit, Weisheit, ...“, und dann „e: en to: panti phronesis = die in dem Weltall wohnende Vernunft“. – Unser Verständnis des englischen Wortes clever entspricht nicht dem, was hier beim Streben nach Gerechtigkeit mit Klugheit gemeint ist. Wenn wir von clever sprechen, meinen wir oft sogar ein gewisses Um-das-Recht-Herummogeln. Nach DUDEN Deutsches Universalwörterbuch ist „clever ...: mit Schläue und Wendigkeit ... geschickt alle Möglichkeiten nutzend ...“. 64 Zum Höhlengleichnis siehe Hofmann, Hasso, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, S. 83 ff.; Nida-Rümelin, Julian, Demokratie und Wahrheit, S. 11 f.; Spaemann, Robert, Der letzte Gottesbeweis, S. 9 ff.; Wolf, Erik, Recht des Nächsten, S. 14; Wickert, Ulrich, Das Buch der Tugenden, S. 42, 55 ff.; Sandel, Michael J., Justice, S. 29 f. – Zu dem gewaltigen Thema Internet – virtuelle Scheinwelt siehe Schirrmacher, Frank, Payback; dazu die Gegenrede von Lobo, Sascha, Die bedrohte Elite, in: DER SPIEGEL, Nr. 50/2009, S. 142 f. – Außerdem Rosenfelder, Andreas, „Der Terror ist in der Idealwelt angekommen“, in: FAZ 23. 1. 2007, S. 33; Titelgeschichte „Der digitale Maskenball. Zweites Leben im Internet“; in: Der Spiegel, Nr. 8/2007; Hopf / Braml, Virtuelle Kinderpornographie vor dem Hintergrund des Online-Spiels Second Life, in: ZUM 2007, S. 354 ff. – Erschütternd: Das Anschauen von Gewaltvideos und das stundenlange Spielen mit Ego-Shootern u. Ä. galten als cool – und hatten als Folge die

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Es ist für eine gerechte Entscheidung auch außerordentlich wichtig, wahrhaftig und klug-treffend die realistisch bestehenden Alternativ-Möglichkeiten festzustellen. Denn was tatsächlich nicht möglich ist und nicht nur aus vorgeschobenem Sachzwang als unmöglich dargestellt wird, braucht nicht auf den Radarschirm der Abwägung und damit auf die Waage der Gerechtigkeit zu kommen (und umgekehrt!). In diesem Zusammenhang sei auf den allgemein bekannten, aber nicht allgemein beachteten Gebetsspruch hingewiesen: „Herr, gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann – den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann – Und [das Wichtigste:] die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden!“

Denn wieviel Zeit und Kraft wird auch im Rechtsleben in Konferenzen sowie bei Kollegial- und Einzelentscheidungen in kraft- und nervenzehrende Überlegungen und Diskussionen über eine Alternative investiert, die in Wirklichkeit gar nicht realisiert werden kann – und ebenso oft bleiben Missstände bestehen, die eigentlich, bei exakter Tatsachenfeststellung, mit etwas Mut zum Besseren geändert werden könnten. Klugheit sei also stets zielführende Tugend bei allen Entscheidungen, die andere Menschen betreffen. Dazu sei angemerkt, dass schon das normale Verständnis des Wortes Klugheit mehr meint als den Einsatz kalten Verstandes-Intellekts. Klugheit meint mehr menschliche Vernunft als intellektuellen Verstand. schrecklichen Amokläufe von Erfurt und Winnenden in den Jahren 2002 und 2009 sowie andere Verbrechen (zum Thema ausführlich Flensburger Hefte, Leere Seelen, Was treibt sie in den Amok?; zu Winnenden siehe Rohlfs, Nothart, Winnenden und keine Antworten, in: dieDrei, Nr. 7/2009, S. 57 ff.). – Siehe auch Herrmann, Recht, Rn D. 111, mit Bezug auf die moderne Fernsehpraxis: Im Fernseh-Gewerbe werden Programme oft nach fiction und non-fiction unterschieden: Die Wirklichkeit wird also als Negierung der Fiktion, als Nicht-Scheinwelt behandelt! Dazu auch Eckoldt, Matthias, Medien der Macht, Macht der Medien, S. 52 ff.

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Noch stärker meint die der Klugheit verwandte Weisheit die Gabe und die Fähigkeit, mit Lebenserfahrung, Besonnenheit und Herzdenken aufgrund sicheren Urteilens verständige und wirklichkeitsgemäße Entscheidungen zu treffen. 65 Zu dem Aspekt Klugheit mag schließlich erwähnt werden, dass es selbstverständlich klug ist, Entscheidungen so zu formulieren, dass der Adressat sie auch tatsächlich als gerechte Entscheidungen verstehen kann. Bei Entscheidungen im Rechtsleben ist auch die Sprache wichtig. Paul Kirchhof: „Recht wird nur angenommen, wenn es verstanden wird.“ Walter Odersky, früherer Präsident des BGH, hat in einem Interview mit Rudolf Gerhardt erklärt, wichtig sei auch, dass der Richter „die Argumente und die Gedankengänge des Verlierers würdigt. Der Gewinner ... liest den Entscheidungssatz, und die Gründe wird er gar nicht mehr so kritisch zur Kenntnis nehmen, aber dem Verlierer sollte man nach Kräften zeigen, dass man ihn wirklich ernst genommen hat. ... Das ist vor allem eine menschliche Aufgabe.“ 66 Es ist auch klug, beim Vortrag und bei der Abfassung von Entscheidungen an den alten Satz zu denken: Suaviter in modo, fortiter in re! (Angenehm in der Formulierung, aber hart in der Sache!). Auch im Rechtsleben leidet manches Gedankenwerk darunter, dass mit überzogenen Kraftausdrücken, aber schwach

65 Zu „Vernunft und Gerechtigkeit“ siehe Onora O’Neill, Zur Begründung von Prinzipien der Gerechtigkeit, in: Ballestrem (Hg.), Naturrecht und Politik, S. 132 ff. 66 Kirchhof, Paul, Justitia spricht deutsch, in: FAZ 16. 5. 2008, S. 37. – Walter Odersky zitiert nach Kopp, Hans W., Verschleiernde Rechtssprache, S. 10. – Zu „Form, Sprache und Stil der Verfassung“ ausführlich Wolfgang Graf Vitzthum, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, S. 373 ff. (zur Sprache insbesondere dort Rn 12 ff.). – Siehe auch das Interview mit Jutta Limbach „Die Sprache muss das Recht verständlich machen“, in: ZRP 2010, S. 61. – Zur Sprache im Rechtsleben ausführlich Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, § 5 „Recht und Sprache“; auch Münch, Ingo von, Sprechen und Schweigen im Recht, in: NJW 2002, S. 1995; Herrmann, Recht, Rn D. 12.

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in der Sache gefochten wird. Man sollte Polemik ohne Sachsubstanz eigentlich vermeiden! Freilich muss man heute leider feststellen: In unserer massenmedialen Gegenwart laufen weite Felder der Diskussion und des Diskurses genau gegensätzlich, nämlich mit Polemik ohne Sachsubstanz – und in unserer Spaß- und Rede-Gesellschaft leider oft „mit Erfolg“. Sprechblasen in Statements, Talk-Shows und Boulevardblättern verdrängen immer mehr das gepflegte Disputieren mit Sach-Argumenten. 5. Glaube (fides)

Der Glaube erscheint hier als erste der drei christlichen oder göttlichen Tugenden, die den Strauß der Kardinaltugenden erweitern und bereichern, vielleicht sogar erhöhen. 67 Diese Tugend mag hier besonders in folgenden Variationen zu bedenken und zu realisieren sein: − Glaube an die Gerechtigkeit, von der jeder sich soweit möglich lenken und inspirieren lassen sollte. − Glaube an die Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit des eigenen Tuns und der eigenen bevorstehenden Entscheidung. Es dringt ja immer mehr in das allgemeine Bewusstsein, dass Glaube nicht nur in der Bibel Berge versetzt (Mt. 21.21), sondern dass das, was wir glauben, tatsächlich sich (meist) realisiert. Denken Sie an das Buddha-Wort: „Das was du heute denkst, wirst du morgen sein.“ 68 67 Zum Glauben siehe etwa Moltmann, Jürgen, Theologie der Hoffnung, S. 15 ff., u. a.; Dellbrügger, Günther, Die geistige Waffenrüstung, S. 56 ff., u. a.; Reber, Rolf, Gut so! Kleine Psychologie der Tugend, S. 50 ff.; Meyer, Frank, Besser leben durch Selbstregulation, S. 74 ff.; Forschner, Maximilian, Thomas von Aquin, S. 156 ff.; Grün, Anselm, Das kleine Buch der Tugenden, S. 20 ff. 68 Franckh, Pierre, Das Gesetz der Resonanz, S. 28, 61, u. a. – Zum Glauben, der Berge versetzt, siehe Grün, Anselm, Das kleine Buch der

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− Auch der Glaube des Menschen an sich selbst: Selbstbewusstsein im besten Sinne! Selbstbewusstsein nicht als Überheblichkeit, sondern als Überzeugung vom wirklichen Wert der eigenen Persönlichkeit, als Bewusstsein des eigenen Ich, das sich bei der Entscheidungsfindung von der Gerechtigkeit inspirieren lässt. 69 Der Glaube begegnet in einer weltlichen Variante im Bürgerlichen Gesetzbuch, in dem Treu und Glauben und der gute Glaube mehrfach als handfeste Tatbestandsmerkmale und Wegweiser auftauchen. Zentral gebietet § 242 BGB: „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“ Traditionell gilt der Grundsatz Treu und Glauben für den gesamten Rechtsverkehr. „Treue bedeutet nach seinem Wortsinn eine auf Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Rücksichtnahme beruhende innere und äußere Haltung gegenüber einem anderen; Glauben das Vertrauen auf eine solche Haltung“. 70

Tugenden, Der Glaube, die Hoffnung, die Liebe, S. 40 f. – Siehe auch die bemerkenswerten Beobachtungen und Erkenntnisse von Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 154 ff., u. a. 69 Zum Selbstbewusstsein siehe Glöckler, Michaela, Die Heilkraft der Religion, S. 55 ff., 63 f.; Meyer, Frank, Besser leben durch Selbstregulation, S. 15. – Zum Ich des Menschen oben B. II. 3. c) sowie C. II.; siehe auch den Grund-Satz von Albert Schweitzer: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ (oben B. I. 3). 70 So Heinrichs, Helmut, in: Palandt, BGB, Rn 3 zu § 242 BGB. – Treu und Glauben begegnen in weiteren Normen, z. B. §§ 157, 162, 275, 307, 320, 815 BGB, mittelbar z. B. in § 241 Abs. 2 BGB. – Guter Glaube hat besondere Rechtsfolgen z. B. nach den §§ 892, 932 ff., 2211, 2366 BGB. – Das Schweizer Zivilgesetzbuch erklärt in Art. 2 Abs. 1: „Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.“ Der Grundsatz Treu und Glauben ist sogar am Beginn der neuen Schweizer Bundesverfassung von 1999 verankert. Art. 5 Abs. 3 SchweizVerf: „Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.“ Und Art. 9 SchweizVerf: „Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.“ – Für Österreich sei auf § 914 ABGB hingewiesen.

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

6. Hoffnung (spes)

Fruchtbar auf dem Wege zur Gerechtigkeit im Rechtsleben mag auch die Hoffnung sein, dass die Entscheidung Gutes bewirke – Gutes für die Betroffenen, vielleicht auch für den Rechtsfrieden und für eine positive Menschheitsentwicklung. Hoffnung kann der Mensch nur ausbilden, wenn er an eine Fortentwicklung glaubt. 71 Besonders erstrebenswert erscheint die Hoffnung, dass die Entscheidung für die Betroffenen soweit irgendmöglich Freiheit sichert oder belässt – und dass die Betroffenen diese Freiräume auch nutzen. Eindrucksvoll das Interview mit dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier „Der Zweck des Staates ist die Gewährleistung der Freiheit“. 72 Hoffnung auf eine gerechte Entscheidung: Dies zu vermitteln erscheint als vornehme, edle Pflicht des Richters. Auch hier kann das, was gemeint ist, durch einen Blick auf das Gegenteil klarer werden, etwa wenn ein Richter oder ein Beamter eine unüberlegt-ungerechte Entscheidung trifft, dem Betroffenen alles schwarz malt, unnütz Steine in den Weg legt und ihm dadurch Hoffnung auf die Zukunft zerstört. 71

So Steiner, Rudolf, GA 88,87. – Zur Hoffnung siehe den Klassiker Ernst Bloch „Das Prinzip Hoffnung“: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.“ (S. 1, Vorwort; dazu Jonas, Hans, Das Prinzip Verantwortung, S. 391 f., u. a.; zu Hans Jonas siehe Höffe, Otfried, Kleine Geschichte der Philosophie, S. 360 f.); Moltmann, Jürgen, Theologie der Hoffnung, passim; dort S. 313 ff. „Ein Gespräch mit Ernst Bloch“; Pannenberg, Wolfhart, Was ist der Mensch?, S. 31 ff.; Reber, Rolf, Gut so! Kleine Psychologie der Tugend, S. 53 ff.; Grün, Anselm, Das kleine Buch der Tugenden, Der Glaube, die Hoffnung, die Liebe, S. 56 ff. – Zur Hoffnung auf Gewaltlosigkeit siehe Hessel, Stéphan, Empört euch!, S. 18 ff.; auch ders., Engagiert Euch! 72 In: FAZ 19. 1. 2010, S. 4; ähnlich vorher ein Beitrag von Hans-Jürgen Papier in: Die Welt 22. 10. 2008, S. 7. – Zur Freiheit siehe weiter Zippelius, Reinhold, Rechtsphilosophie, S. 178 ff.; Nida-Rümelin, Julian, Demokratie und Wahrheit, S. 114 ff., u. a.; Sen, Amartya, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 253 ff., 328 ff.

V. Sieben Tugenden als Leitsterne

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Besonders wertvoll ist es, wenn die Entscheidung auch Hoffnung vermittelt: Hoffnung bei den Betroffenen, bei den unter dem Rechtsstreit und dem zugrunde liegenden Geschehen leidenden Menschen. Juristische Entscheidungen wirken ja, auch wenn sie die Vergangenheit betreffen, oft auch in die Zukunft: und für diese Zukunft sollen die betroffenen Menschen aus der Entscheidung möglichst Hoffnung schöpfen können. 73

7. Liebe (caritas) „Erst wenn die Macht der Liebe stärker wird als die Liebe zur Macht, wird sich unsere Welt verändern.“ 74

Liebe – im Verständnis der griechischen agápe und der lateinischen caritas – sei das oberste Ziel und Streben des Menschen in unserer Welt. Liebe in der Weisheit – Weisheit in der Liebe! Nächstenliebe ist das Gebot der Bibel: des Alten und des Neuen Testaments. Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.: „Der Sieg der Liebe wird das letzte Wort der Weltgeschichte sein.“ Und Frido Mann schreibt: „Wenn ich die fünf Weltreligionen überblicke, dann sind die beiden alle Religionen verbindenden Grundmetaphern ‚Licht‘ und ‚Liebe‘.“ 75 73 Zur Bedeutung der Lebenseinstellung für die tatsächliche Entwicklung siehe Hollerbach, Lothar, Der Quantencode, S. 153 ff. u. a. 74 So treffend eine von einer Nahtod-Erfahrung Betroffene zu dem Arzt Pim van Lommel (Endloses Bewusstsein, S. 401 f.). 75 Ratzinger, Joseph – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Zweiter Teil, S. 313. – Frido Mann, in: Lätzel, Martin, Was Dichter glauben, Gespräche über Gott und Literatur, S. 73; zu „Licht und Liebe“ Rudolf Steiner, GA 120,193. – 3.Mose 19.18: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der Herr.“; weiter Mt. 5.43, 22.39; Luk. 10.27, u. a. – Zur „Nächstenliebe unter den Bedingungen der Knappheit“ ausführlich der Kirchenhistoriker Ernst Dassmann, in: Isensee (Hg.), Solidarität in Knappheit, S. 9 ff. – Zur Tugend Liebe siehe Grün, Anselm, Das kleine Buch der Tugenden, Der Glaube, die Hoffnung, die Liebe, S. 90 ff.; Reber, Rolf, Gut so! Kleine Psychologie der Tugend, S. 55 f.; Pannenberg, Wolfhart, Was ist der Mensch?, S. 63, 67 ff.; Rau, Christoph, Die Vier um den Einen, S. 125,

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

Wer eine gerechte Entscheidung treffen will, sollte für die Betroffenen, soweit irgendmöglich, ein Leben in der Liebe zum Handeln belassen oder schaffen helfen. 76 Wenn wir wollen, können wir auch im Rechtsleben oft Liebe walten lassen, sei es auch unter den modernen Flaggen Solidarität, Humanität oder Empathie. Die Rechtsordnung ist für die Gestaltung unseres Gemeinschaftslebens ein wichtiges Werkzeug: Es kommt aber auf den Menschen an, ob er dieses Werkzeug mit Liebe und mit Toleranz zur Förderung von Freiheit und Frieden zur positiven Menschheitsentwicklung nutzen oder mit Schikane oder Hass destruktiv missbrauchen will! 77 141, u. a. – Wolfgang Huber überschreibt ein ganzes Kapitel: „Gerechtigkeit und Liebe“ (in: Gerechtigkeit und Recht, S. 238 ff.). – Nadja Rosmann berichtet, dass ihr der Präsident eines Acht-Milliarden-Dollar-Unternehmens sagte: „Nun, das, worum es geht, ist Liebe.“ (in: info3, Nr. 10/2008, S. 68). – Siehe auch Bischoff, Franz, Soziale Krisen, soziale Stimmungen und Gerechtigkeit, S. 339. 76 Zu dem Kernsatz von Rudolf Steiner „Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen.“ (GA 4,166) siehe Prokofieff, Sergej O., Anthroposophie und „Die Philosophie der Freiheit“, S. 144, 190, u. a.; Herrmann, Recht, Rn D. 6, 66. – Zum Reine-Liebe-Üben siehe Steiner, Rudolf, GA 266 II, S. 83; zum Verhältnis von Gerechtigkeit und Liebe mit Bezug auf die Bergpredigt siehe GA 97,96. 77 Emil Brunner hat erklärt, der Unterschied und Wesensgegensatz von Gerechtigkeit und Liebe bedeute kein „Entweder – Oder für das Handeln“. „Die Liebe kann immer nur mehr, sie darf nie weniger geben, als die Gerechtigkeit fordert.“ (Gerechtigkeit, S. 147, 153). – Weitergehend hat Erik Wolf in seiner Rede zur 500-Jahr-Feier der Universität Freiburg im Jahre 1957 dargelegt, dass nur da „wirkliches Recht“ wirken kann, wo Nächstenrecht geachtet und Nächstenpflicht geübt wird (Recht des Nächsten, S. 20 f., 26, 34, u. a.; dort S. 50 in Anmerkung 14 Beispiele für Verpflichtungen zu Almosen und Liebeswerken im Alten Testament als „Rechthandeln“; Ex. 18.21; Micha. 6.8 u. a.; ebenda S. 53 in Anmerkung 5 zu Seite 19 über den „barmherzigen Samariter“, Luk. 10.34 ff.). – Zur Solidarität siehe die Beiträge in: Isensee (Hg.), Solidarität in Knappheit (in Sonderheit das interessante Nachwort des Herausgebers „Solidarität – sozialethische Substanz eines Blankettbegriffs, S. 97 ff.). – Zur Empathie z. B. Ochmann, Frank, Die gefühlte Moral, S. 114 ff.

V. Sieben Tugenden als Leitsterne

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Ein Lehrer ist Lehrer aus Berufung, wenn er sich bei seinen Entscheidungen auch von der caritas zu seinen Schülern leiten lässt. In einer Regierungsmannschaft sollte nicht nur der Sozialminister sich am Gedanken der caritas orientieren. Und der Familienrichter sollte bei seinen Entscheidungen sich die Lebensverhältnisse der betroffenen Menschen sehr lebendig-liebevoll vor seine Seele stellen. 78

Mit diesen christlichen Tugenden, von denen nach Paulus die Liebe die größte ist, ist ein Gedankenfeld geöffnet, das anspruchsvoll Durchchristung des Rechtslebens genannt werden kann. Dietrich Bonhoeffer sagte: „Recht, das auf Gerechtigkeit ausgerichtet ist und durch Macht eine geschichtliche Wirklichkeit (und nicht eine abstrakte Idee!) ist, ist der ‚Pädagoge auf Christus hin‘.“ Und: „... wie wir vergeben unseren Schuldigern“: Das ist Christentum. Auch mit dem Satz des Vaterunser „Dein Reich komme“ kann der Betende das Wirken der geistigen Wesenheit Gerechtigkeit im irdischen (Rechts-)Leben erbitten. 79 78 Als Beispiel für eine staatliche Normierung einer Ausformung von Nächstenliebe sei § 330c StGB genannt, der das schuldhafte Unterlassen einer (möglichen und zumutbaren) Hilfeleistung unter Strafe stellt. – Es ist selbstverständlich, dass zahllose Entscheidungen im Rechtsleben gefällt und betrachtet werden können, ohne dass die Frage caritas eine Rolle spielt. Als Beispiele sind etwa das Hypothekenrecht, das Bilanzrecht und technische Regelwerke oder Formvorschriften zu nennen. Aber auch bei nicht so zentral interessierenden Rechtsgebieten wie Konsularrecht und Asylrecht sollten die aktiv Beteiligten im Sinne einer caritas auch an die betroffenen Menschen denken. 79 Dietrich Bonhoeffer zitiert nach Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht, S. 501. – Zum Vaterunser (Mt. 6.9 – 13) siehe Althoff, Karl Friedrich, Das Vaterunser; Rittelmeyer, Friedrich, Das Vaterunser; Selg, Peter, Das Vaterunser. – Zu erwähnen ist auch das Buch von J. H. H. Weiler, Ein christliches Europa. In seinem (ebenfalls bemerkenswerten) Vorwort nennt Ernst-Wolfgang Böckenförde als These von „Weiler, kurz zusammengefasst, dass die europäische Zivilisation – historisch wie auch in der Gegenwart – ohne die zentrale Bedeutung des Christentums nicht verstanden werden kann. Darüber werde aber in der geistigen und politischen Diskussion um Europa und in den juristischen Dokumenten geflissentlich hinweggesehen. Dies sei ein denial, ein Verleugnen der eigenen Grundlagen.“ (Weiler, J. H. H., S. 8 f.) – Außerdem sei erneut auf den „rechts-

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D. Der Weg zu gerechten Entscheidungen

Dies kann konkret-praktisch bedeuten, dass nicht jeder bei jeder Gelegenheit jeden Splitter im Auge eines anderen anprangert, auf sein tatsächliches oder vermeintliches Recht pocht und deshalb gleich immer einen Prozess beginnt, sondern dass er mit dem anderen Menschen, wenn sich ein Dissens entwickelt, erst einmal spricht, seine Gründe anhört, ihm Verständnis entgegenbringt – und auch einmal verzeiht. Nicht jeder Prozessgegner ist ein Feind. Und für die christliche Einstellung gegenüber Feinden gilt das Wort: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“ (Mt. 5.44) – Könnte nicht künftig ein Beleidigungsprozess oder ein anderes Verfahren öfter damit enden, dass der Angeklagte, etwa nach entsprechenden Worten des Richters oder Schlichters, seine Handlung bereut und der betroffene Nebenkläger ihm verzeiht? 80 Zur Vermeidung von Missverständnissen sei hier nachhaltigst betont: Mit diesen Ausführungen sollen nicht etwa NichtChristen aus dem Gespräch über Gerechtigkeit und Nächstenliebe ausgeschlossen werden. Vielmehr seien alle NichtChristen dringlich-ernsthaft aufgerufen, aufgrund ihrer Überzeugungen ihrerseits Gedanken für eine derartige Förderung der allgemeinen Gerechtigkeit und des Rechtsfriedens zu entwickeln. Menschliches Verstehen, Bereuen und Verzeihen sind ja nicht Monopole des Christentums, ebenso wenig wie Nächstenliebe. 81 theologischen Entwurf“: „Recht des Nächsten“ von Erik Wolf hingewiesen. – Höchstvorsorglich sei angemerkt, dass Christentum hier im Sinne der Heiligen Schrift verstanden wird, im Sinne des sog. Urchristentums oder eines Johanneischen Christentums; mit Christentum sind nicht die gegenwärtigen Institutionen der Kirchen und ihre Gestionen gemeint. 80 Auch hierfür bietet die Bergpredigt hilfreiche Gedanken (Mt. 5 –7). – Die – auch gesetzlich gebotenen – Bemühungen um einen Vergleich und die modernen Mediationen weisen in diese Richtung; dazu Herrmann, Recht Rn 69, 124. 81 Dazu Steiner, Rudolf, GA 266 II, S. 83. – Ausführlich der Band „Esoterik der Weltreligionen“ mit Beiträgen von Virginia Sease (Hg.), Manfred Schmidt-Brabant, Aban Bana, Ibrahim Abouleish, Sergej O. Prokofieff, u. a.; siehe auch Wolf, Erik, Recht des Nächsten, S. 32 f. – Auch der Beitrag

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Wesentlich ist, dass alle Menschen mit allen Kräften und mit vollem Herzen danach streben, Recht im Lichte der Gerechtigkeit zu schaffen oder anzuwenden. „Wer immer strebend sich bemüht, Den können wir erlösen.“ 82

von Raif-Georges Khoury „Politik und Religion im Islam“ (in: Schreckenberger [Hg.], Staat und Religion, S. 25 ff.) ist ein Aufruf zur Verständigung zwischen Islam und anderen Religionen. – Siehe auch den Hinweis auf andere Religionen oben D. IV. 1. 82 Goethe, Faust, Zeilen 11936 f.

E. Schlussthesen mit Impulsen für Gegenwart und Zukunft I. Die Gerechtigkeit, die die Menschen seit unvordenklichen Zeiten suchen, existiert tatsächlich in der geistigen Welt als Urphänomen, Idee und Ideal. Wir können die Wesenheit Gerechtigkeit – ebenso wie die anderen Ideen und Ideale Wahrheit, Liebe, Weisheit, Freiheit, das Schöne, das Gute etc. – mit unseren Sinnen und mit unserem Verstand nicht in ihrer ganzen Fülle erfassen. Der Kern der Gerechtigkeit bleibt für uns ein Geheimnis. Wir können deshalb auch nicht die Gerechtigkeit in ihrer Gänze intellektuell-exakt definieren. Wir können aber nach Gerechtigkeit streben. Wir können und sollen versuchen, auch mit einem „hörenden Herzen“ sowie durch Hinhören auf unsere innere Stimme möglichst viel Gerechtigkeit in unser Bewusstsein aufzunehmen, in unserem Leben insbesondere bei der Erfüllung unserer Rechte und Pflichten für unsere Entscheidungen fruchtbar werden zu lassen und so in das Rechtsleben einzubringen. Dies bedarf wirklich unserer eigenen bewussten Aktivität: Gerechtigkeit kommt nicht „von alleine“ von oben, wie Regen oder Schnee, Sonne oder Sturm. Gerechtigkeit kommt in unser Rechtsleben nur dann, wenn wir Menschen sie aktiv realisieren wollen. Sätze wie „Die Welt ist ungerecht“ übersehen die persönliche Verantwortung der Menschen und tragen zur Beantwortung unserer Fragen nichts bei. II. Nur wenn jeder sich bei seinen Entscheidungen von der Gerechtigkeit inspirieren lässt und im Rahmen des Möglichen Gerechtigkeit tatsächlich-aktiv übt, kann unser Rechtsleben gerechter und damit menschlicher werden. So kann die Gerechtig-

E. Schlussthesen

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keit Quellort eines gerechten und menschlichen Rechtslebens werden. III. In einer Gemeinschaft können sich eine gerechte Rechtsordnung und ein gerechtes Rechtsleben besonders homogen entwickeln, wenn die Menschen ihre individuellen Gedanken in einem lebendigen Diskurs zu gemeinschaftlichen Gerechtigkeitsvorstellungen zusammenführen. Soweit dabei Divergenzen bestehen bleiben, bedarf es zur Rechtsschöpfung und zur Rechtsanwendung tragender (ggf. Mehrheits-)Entscheidungen. IV. Bei allen rechtsrelevanten Entscheidungen können die klassischen sieben Tugenden zu gerechteren und menschlicheren Ergebnissen führen: 1. Gerechtigkeit statt Machtmissbrauch, Willkür und Diskriminierung! 2. Besonnenheit statt Überheblichkeit, Unbeherrschtheit und Stress! 3. Starkmut, Standfestigkeit und Zivilcourage statt Trägheit und Aussitzen! 4. Klugheit statt Gedankenlosigkeit! 5. Glaube statt Materialismus! 6. Hoffnung statt Nihilismus! 7. Liebe, Brüderlichkeit und Empathie statt Gleichgültigkeit, Egoismus und Hass! Wer die Menschen nicht liebt, kann eigentlich nicht fruchtbar am Rechtsleben teilnehmen. V. Heute und morgen ist es lebensnotwendig, Gerechtigkeit und Nächstenliebe in unserem Gemeinschaftsleben mit voller Willenskraft massiv zu stärken. Denn angesichts der eklatanten Gerechtigkeitsdefizite in der Welt und angesichts der modernen technischen „Errungenschaften“ in all ihrer Gefährlichkeit einschließlich der globalen atomaren Bedrohungen wird die Menschheit dieses Dritte Jahrtausend nur dann überleben, wenn

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E. Schlussthesen

− überwunden werden Egoismus und Materialismus, Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit, Fanatismus und Hass, Gewalt und Terror, und wenn − wir alle aktiv mehr Nächstenliebe, Menschlichkeit und Gerechtigkeit üben! Deshalb tut Gerechtigkeit not!

Literatur Adomeit, Klaus: Rechts- und Staatsphilosophie, Band I: Antike Denker über den Staat, 3. Auflage, Heidelberg 2001; Band II: Rechtsdenker der Neuzeit, 2. Auflage, Heidelberg 2002. Alanus ab Insulis: Predigten zum Jahreslauf, Herausgegeben und übersetzt von Bruno Sandkühler, Lateinisch-deutsch, Stuttgart 1998. Althoff, Karl Friedrich: Das Vaterunser, Die Wortgestalt des Menschheitsgebetes auf ihrem Weg durch die Kulturen der Völker, Stuttgart 1978. Apel, Karl-Otto: Diskurs und Verantwortung, Frankfurt / Main 1990. Aristoteles: Die Nikomachische Ethik, Hg. von Rainer Nickel, Übersetzt von Olof Gigon, Düsseldorf Zürich 2001. – Nikomachische Ethik VI, Hg. von Hans-Georg Gadamer, Frankfurt / Main 1998. Arneth, Martin: Sonne der Gerechtigkeit, Studien zur Solarisierung der Jahwe-Religion im Lichte von Psalm 72, Wiesbaden 2000. Arnim, Hans Herbert von: Der Verfassungsbruch, Verbotene Extra-Diäten – Gefräßige Fraktionen, Berlin 2011. Arnold, Klaus / Classen, Christoph / Kinnebrock, Susanne / Lersch, Edgar / Wagner, Hans-Ulrich (Hg.): Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen?, Zum Verhältnis von Medien, Öffentlichkeiten und Politik im 20. Jahrhundert, Leipzig 2010. Assmann, Jan: Ma’at, Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München 2001. Attali, Jacques: Brüderlichkeit, Eine notwendige Utopie im Zeitalter der Globalisierung, Stuttgart 2003. Augustinus Aurelius: Vom Gottesstaat (De civitate Dei), Buch 1 –10, München 2007. Ballestrem, Karl Graf (Hg.): Naturrecht und Politik, Berlin 1993.

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Literatur

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Goerlich, Helmut / Huber, Wolfgang / Lehmann, Karl: Verfassung ohne Gottesbezug?, Zu einer aktuellen europäischen Kontroverse, Leipzig 2004. Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Werke, Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, 14. Auflage, München 1989 ff. (zitiert HA Band und Seite). Goleman, Daniel: Emotionale Intelligenz, 4. Auflage München 1997. Grewendorf, Günther / Meggle, Georg (Hg.): Seminar: Sprache und Ethik, Zur Entwicklung der Metaethik, Frankfurt am Main 1974. Grimm, Dieter: Die Verfassung und die Politik, Einsprüche in Störfällen, München 2001. Grün, Anselm: Das kleine Buch der Tugenden, Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe, München 2007. – Womit habe ich das verdient?, Die unverständliche Gerechtigkeit Gottes, 2. Auflage Münsterschwarzach 2005. Guardini, Romano: Die Macht, Versuch einer Wegweisung, Würzburg 1951. – Tugenden, Meditationen über Gestalten sittlichen Lebens, Ostfildern Paderborn 1987. Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung, Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a. M. 1998. – Kultur und Kritik, Verstreute Aufsätze, 2. Auflage Frankfurt / Main 1977. – Zwischen Naturalismus und Religion, Philosophische Aufsätze, Frankfurt / Main 2009. Haft, Fritjof: Aus der Waagschale der Justitia, Ein Lesebuch aus 2000 Jahren Rechtsgeschichte, München 2001. Hamm-Brücher, Hildegard: In guter Verfassung? Nachdenken über die Demokratie in Deutschland, München 2006. Hartung, Gerald / Schaede, Stephan (Hg.): Internationale Gerechtigkeit, Theorie und Praxis, Darmstadt 2009. Hassemer, Winfried: Haltet den geborenen Dieb!, Ein Plädoyer für reife Rationalität, in: FAZ 15. 6. 2010, S. 35. Hayek, Friedrich A. von: Die Verfassung der Freiheit, herausgegeben von Alfred Bosch und Reinhold Veit, 4. Auflage Tübingen 2005.

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Literatur

– Fünf Aufsätze, Zürich 1982. Heiden, Uwe an der / Schneider, Helmut (Hg.): Hat der Mensch einen freien Willen?, Die Antworten der großen Philosophen, Stuttgart 2007. Herrmann, Günter: Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, zugleich ein Beitrag zu weiteren allgemeinen verfassungsrechtlichen und kommunikationsrechtlichen Fragen, Tübingen 1975. – (Hg.): Quellen für ein neues Rechtsleben und für eine menschliche Gesellschaft aus dem Werk von Rudolf Steiner, Anthroposophie und Jurisprudenz, Dornach 2000. – Recht und Gerechtigkeit, Geisteswissenschaftliche Impulse für ein menschliches und gerechtes Zusammenleben, Dornach 2007 (zitiert: Herrmann, Recht). – Rundfunkrecht, Fernsehen und Hörfunk mit Neuen Medien, München 1994; 2. Auflage (mit Lausen, Matthias) München 2004. Hermann, Hans-Georg: Treue- und Loyalitätskonzepte im deutschen Staatsrecht zwischen Kaiserreich und Wiedervereinigung, in: Buschmann, Nikolaus / Murr, Karl Borromäus (Hg.), Treue, Politische Loyalität und militärische Gefolgschaft in der Moderne, Göttingen 2008, S. 153. Hessel, Stéphan: Empört euch!, 5. Auflage Berlin 2011. – Engagiert euch!, Berlin 2011. Heumann, H. G.: Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, Jena 1895. Hillgruber, Christian: Anmerkung (zum Beschluss des BVerfG vom 7. 7. 2009 – 1 BvR 1164/07), in: JZ 2011, S. 41. Hippel, Eike von: Willkür oder Gerechtigkeit, Studien zur Rechtspolitik, Berlin 1998. Hippel, Ernst von: Der Rechtsgedanke in der Geschichte, Düsseldorf 1955. – Gewaltenteilung im modernen Staate, Koblenz (1948). – Vom Wesen der Demokratie, Bonn 1947. Hoerster, Norbert (Hg.): Recht und Moral, Texte zur Rechtsphilosophie, Stuttgart 1998. – Was ist Recht?, Grundfragen der Rechtsphilosophie, München 2006.

Literatur

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Höffe, Otfried: Aristoteles, 3. Auflage München 2006. – Gerechtigkeit, Eine philosophische Einführung, 3. Auflage München 2007. – Kleine Geschichte der Philosophie, München 2005. – Lebenskunst und Moral, oder Macht Tugend glücklich?, München 2009. – Politische Gerechtigkeit, Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat, Frankfurt / Main 1989. – Soziale Gerechtigkeit: ein Zauberwort – Essay, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 37/2005, auch: www.bpb.de (abgerufen am 9. 1. 2009). Hofmann, Hasso: Bilder des Friedens oder Die vergessene Gerechtigkeit, 2. Auflage München 2008. – Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, Darmstadt 2011. Hollerbach, Lothar: Der Quantencode, Heilung und Selbstheilung durch die Urenergie, 2. Auflage Berlin / München 2010. Holzleithner, Elisabeth, Gerechtigkeit, Wien 2009. Honneth, Axel: Das Andere der Gerechtigkeit, Aufsätze zur praktischen Philosophie, Frankfurt / Main 2000. Huber, Wolfgang: Gerechtigkeit und Recht, Grundlinien christlicher Rechtsethik, 3. Auflage Gütersloh 2006. Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, mit einem Nachwort von Dietrich Spitta, Stuttgart 1962. Isensee, Josef (Hg.): Solidarität in Knappheit, Zum Problem der Priorität, Berlin 1998. Janich, Peter: Kein neues Menschenbild, Zur Sprache der Hirnforschung, Frankfurt / Main 2009. Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt am Main 1984. Kast, Bas: Wie der Bauch dem Kopf hilft, Die Kraft der Intuition, Frankfurt am Main 2009. Kaufmann, Arthur / Hassemer, Winfried (Hg.): Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 6. Auflage Heidelberg 1994.

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Literatur

Kaul, Susanne: Poetik der Gerechtigkeit, Shakespeare – Kleist, München 2008. Kelsen, Hans: Was ist Gerechtigkeit?, Stuttgart 2000. Kersting, Wolfgang: Kritik der Gleichheit, Über die Grenzen der Gerechtigkeit und der Moral, Weilerswist 2002. Kink, Markus: Die Sprache des Krieges, Zur diskursiven Ermöglichung präventiver Kriegsführung, Baden-Baden 2011. Kirchhof, Paul: Das Gesetz der Hydra, Gebt den Bürgern ihren Staat zurück!, München 2006. – Das Maß der Gerechtigkeit, Bringt unser Land wieder ins Gleichgewicht!, München 2009. – Der sanfte Verlust der Freiheit, Für ein neues Steuerrecht – klar, verständlich, gerecht, München / Wien 2004. – Die Erneuerung des Staates – eine lösbare Aufgabe, Freiburg im Breisgau 2006. – Justitia spricht deutsch, Die Würde des Menschen in seiner Muttersprache: Fünf Thesen zum gemeinsamen Ursprung von Recht und Rede, in: FAZ 16. 5. 2008, S. 37. Kissel, Otto Rudolf: Die Justitia, Reflexionen über ein Symbol und seine Darstellung in der bildenden Kunst, München 1984. Kluth, Winfried (Hg.): Facetten der Gerechtigkeit, Baden-Baden 2010. Kocher, Gernot: Zeichen und Symbole des Rechts, Eine historische Ikonographie, München 1992. Köhler, Horst: „Die Finanzmärkte sind zu einem Monster geworden“, in: STERN Nr. 21/2008, S. 40 ff. Kopp, Hans. W.: Verschleiernde Rechtssprache, Trier 2004. Krebs, Angelika (Hg.): Gleichheit oder Gerechtigkeit, Texte der neuen Egalitarismuskritik, Frankfurt / Main 2000. Kriele, Martin: Grundprobleme der Rechtsphilosophie, Münster / Hamburg / London 2003. Kugler, Walter (Hg.): Rudolf Steiner, Ausgewählte Texte, Einführung in die Anthroposophie, Dornach 2006. Kugler, Walter: Rudolf Steiner und die Anthroposophie, Einführung in sein Lebenswerk, Köln 2010.

Literatur

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Kühn, Ulrich: Du sollst, du kannst, du darfst ...; Die Zehn Gebote erklärt, Leipzig 2005. – Gehört Gott in die Verfassung?, in: Beyer, Martin / Liedke, Ulf (Hg.), Wort Gottes im Gespräch, Festschrift für Matthias Petzold, Leipzig 2008, S. 297. – Was Christen glauben, Das Glaubensbekenntnis erklärt, 2. Auflage Leipzig 2004. Küng, Hans: Existiert Gott?, Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit, 6. Auflage München 1991. – Projekt Weltethos, 4. Auflage München / Zürich 1992. La Rochefoucald, François de: Maximen und Reflexionen, Stuttgart 1965. Lamp, Erich: Die Macht öffentlicher Meinung – und warum wir uns ihr beugen, Über die Schattenseite der menschlichen Natur, München 2009. Lange, Richard: Rechtsidee und Rechtsideologie in West und Ost, in: Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Band II, Tübingen 1958, S. C 1. Lätzel, Martin: Was Dichter glauben, Gespräche über Gott und Literatur, Kiel 2011. Lauenstein, Diether: Das Ich und die Gesellschaft, Einführung in die philosophische Soziologie, Stuttgart 1974. Liebig, Stefan / Lengfeld, Holger (Hg.): Interdisziplinäre Gerechtigkeitsforschung, Zur Verknüpfung empirischer und normativer Perspektiven, Frankfurt am Main / New York 2002. Lin, Jean-Claude (Hg.): Die Monatstugenden, Zwölf Meditationen, 2. Auflage Stuttgart 2007. – Die Tugenden im Jahreslauf, Wandlungskräfte der Seele, Stuttgart 2005. Link, Christoph: Der Einfluss christlicher Werte auf die deutsche Verfassungsordnung, 12. Sinclair-Haus-Gespräch 23. / 24. 4. 1999; www. h-quandt-stiftung.de/root/index.php?lang=de&page_id=225 (abgerufen am 19. 1. 2010). Lobo, Sascha: Die bedrohte Elite, in: DER SPIEGEL, Nr. 50/2009, S. 142. Lommel, Pim van: Endloses Bewusstsein, Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung, 3. Auflage Mannheim 2010. Loos, Claus: Recht: verstanden!, So funktioniert unser Rechtssystem, Juristische Grundlagen einfach erklärt, München 2009.

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Literatur

Lox, Harlinda / Lutkat, Sabine / Kluge, Dietrich (Hg.): Dunkle Mächte im Märchen und was sie bannt, Recht und Gerechtigkeit im Märchen, Forschungsbeiträge aus der Welt der Märchen, Krummwisch bei Kiel 2007. Lüderssen, Klaus: „Dass nicht der Nutzen des Staats Euch als Gerechtigkeit erscheine“, Schiller und das Recht, Frankfurt/Main / Leipzig 2005. MacIntyre, Alasdair: Der Verlust der Tugend, Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt / New York 1995. Maier, Hans / Denzer, Horst (Hg.): Klassiker des politischen Denkens, Erster Band, 3. Auflage München 2007. Marx, Bischof Reinhard (Hg.): Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht, Worte, die weiterführen, Freiburg 2006. Marx, Reinhard: Das Kapital, Ein Plädoyer für den Menschen, München 2008. Maunz, Theodor / Dürig, Günter / Herzog, Roman (Hg.): Grundgesetz, Kommentar, München 2006 ff. (Loseblattwerk). Max-Planck-Gesellschaft (Hg.): Festveranstaltung zum 150. Geburtstag von Max Planck, München 2008. Meier, Christian: Kultur, um der Freiheit willen, Griechische Anfänge – Anfang Europas?, 2. Auflage München 2009. Menge, Hermann: Langenscheidts Großwörterbuch Griechisch Deutsch, 25. Auflage Berlin / München / Wien / Zürich 1984. – Langenscheidts Großwörterbuch Lateinisch, Teil I Lateinisch-Deutsch, 22. Auflage Berlin / München / Wien / Zürich 1984. Merz, Friedrich: Mehr Kapitalismus wagen, Wege zu einer gerechten Gesellschaft, 3. Auflage München / Zürich 2008. Meyer, Frank: Besser leben durch Selbstregulation, 2. Auflage Frankfurt am Main 2008. Michael, Lothar: Lebenspartnerschaften unter dem besonderen Schutz einer (über-)staatlichen Ordnung, in: NJW 2010, S. 3537. Möhring-Hesse, Matthias (Hg.): Streit um die Gerechtigkeit, Themen und Kontroversen im gegenwärtigen Gerechtigkeitsdiskurs, Schwalbach / Ts. 2005. Moltmann, Jürgen: „Sein Name ist Gerechtigkeit“, Neue Beiträge zur christlichen Gotteslehre, Gütersloh 2008.

Literatur

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– Menschenwürde Recht und Freiheit, Stuttgart / Berlin 1979. – Theologie der Hoffnung, Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, 13. Auflage Gütersloh 1997. Montesqieu: Vom Geist der Gesetze, Eingeleitet, ausgewählt und übersetzt von Kurt Weigand, Stuttgart 1965. Moody, Raymond: Das Licht von drüben, Neue Fragen und Antworten, 4. Auflage Reinbek bei Hamburg 2009. Münch, Ingo von: Die Würde des Menschen im deutschen Verfassungsrecht, in: Recht – Staat – Gemeinwohl, Festschrift für Dietrich Rauschning, Köln u. a. 2001, S. 27. – Sprechen und Schweigen im Recht, in: NJW 2002, S. 1995. Negt, Oskar: „In dieser Gesellschaft brodelt es“, in: DER SPIEGEL, Nr. 32/2010, S. 98. Nida-Rümelin, Julian: Demokratie und Wahrheit, München 2006. – Über menschliche Freiheit, Stuttgart 2005. Nolte, Paul: Abschied von der Gerechtigkeit, in: FAZ 20. 12. 2008, S. 17. Nussbaum, Martha C.: Die Grenzen der Gerechtigkeit, Behinderung, Nationalität und Spezieszugehörigkeit, Berlin 2010. – Gerechtigkeit oder Das gute Leben, Hg. Herlinde Pauer-Studer, Frankfurt am Main 1999. Ochmann, Frank: Die gefühlte Moral, Warum wir Gut und Böse unterscheiden können, Berlin 2008. Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Auflage München 2007. Pannenberg, Wolfhart: Was ist der Mensch?, Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie, Göttingen 1962. Papst Johannes XXIII.: PACEM IN TERRIS, Über den Frieden unter allen Völkern in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit, Enzyklika vom 11. 4. 1963, Recklinghausen 1963. Pfister, Jonas: Philosophie, Ein Lehrbuch, Stuttgart 2011. Pfordten, Dietmar von der: Rechtsethik, München 2001. – (Hg.): Rechtsphilosophie, Freiburg / München 2002.

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Literatur

Pico della Mirandola, Giovanni: Über die Würde des Menschen, 4. Auflage Zürich 1996. Pieper, Josef: Über die Tugenden Klugheit Gerechtigkeit Tapferkeit Maß, 2. Auflage München 2008. Platon: Werke, Band 2, Apologia Sokratous (u. a.); Band 4, Politeia, Darmstadt 1990. Popper, Karl R.: Lesebuch, hg. David Müller, 2. Auflage Tübingen 1997/ 2005. – Objektive Erkenntnis, Ein evolutionärer Entwurf, 2. Auflage Hamburg 1994. Popper, Karl R., / Eccles, John C.: Das Ich und sein Gehirn, 10. Auflage München / Zürich 2008. Prantl, Heribert: Kein schöner Land, Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit, München 2005. Preul, Reiner: So wahr mir Gott helfe!, Religion in der modernen Gesellschaft, Darmstadt 2003. Prodi, Paolo: Eine Geschichte der Gerechtigkeit, Vom Recht Gottes zum modernen Rechtsstaat, München 2003. Prokofieff, Sergej O.: Anthroposophie und „Die Philosophie der Freiheit“, Dornach 2006. – Das Rätsel des menschlichen Ich, Eine anthroposophische Betrachtung, Dornach 2010. Quaritsch, Helmut: Probleme der Selbstdarstellung des Staates, Tübingen 1977. Radbruch, Gustav: Einführung in die Rechtswissenschaft, 13. Auflage, besorgt von Konrad Zweigert, Stuttgart 1980. – Rechtsphilosophie, Studienausgabe von Ralf Dreier und Stanley L. Paulson (Hg.), Heidelberg 1999. Rahner, Karl / Welte, Bernhard (Hg.): Mut zur Tugend, Über die Fähigkeit, menschlicher zu leben, Freiburg / Basel / Wien 1979. Rattner, Josef / Danzer, Gerhard: Grundbegriffe der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, Darmstadt 2000. Ratzinger, Joseph – Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth, Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg im Breisgau / Basel /

Literatur

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Wien [2007]; Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg / Basel / Wien [2010]. Rau, Christoph: Die Vier um den Einen, Wesensart und spiritueller Hintergrund der Evangelien, Bochum 2008. Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt / Main 1979. – Gerechtigkeit als Fairness, Frankfurt am Main 2006. Reber, Rolf: Gut so! Kleine Psychologie der Tugend, München 2008. Rehbinder, Manfred: Rechtssoziologie, 4. Auflage München 2000. Rippe, Klaus Peter / Schaber, Peter (Hg.): Tugendethik, Stuttgart 1998. Rittelmeyer, Friedrich: Das Vaterunser, Ein Weg zur Menschwerdung, Stuttgart 1998. Ritter, Gerhard A.: Der Sozialstaat, Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, München 2010. Röd, Wolfgang: Der Gott der reinen Vernunft, Ontologischer Gottesbeweis und rationalistische Philosophie, München 2009. Roder, Florian: Die Kunst der Seele, Schritte auf dem Schulungsweg, Stuttgart 2003. Rohlfs, Nothart: Winnenden und keine Antworten, in: dieDrei Nr. 7/2009, S. 57 ff. Röschert, Günter: Die Kunst des Rechts, Zur Sozialästhetik des öffentlichen Lebens, Stuttgart 1981. Roth, Jürgen / Nübel, Rainer / Fromm, Rainer: Anklage unerwünscht!, Korruption und Willkür in der deutschen Justiz, München 2008. Rüthers, Bernd: Das Ungerechte an der Gerechtigkeit, Fehldeutungen eines Begriffs, 3. Auflage Tübingen 2009. – Die unbegrenzte Auslegung, Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 6. Auflage Tübingen 2005. – Die Wende-Experten, Zur Ideologieanfälligkeit geistiger Berufe am Beispiel der Juristen, 2. Auflage München 1995. – Entartetes Recht, Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 2. Auflage München 1989. – Geschönte Geschichten – Geschonte Biographien, Sozialisationskohorten in Wendeliteraturen, Ein Essay, Tübingen 2001.

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Literatur

– Klartext zu den Grenzen des Richterrechts, in: NJW 2011, S. 1856. – Rechtstheorie, 4. Auflage München 2008. – Richter ohne Grenzen, in: FAZ 17. 6. 2010, S. 7. – Verräter, Zufallshelden oder Gewissen der Nation?, Facetten des Widerstands in Deutschland, Tübingen 2008. Sachs, Michael (Hg.): Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage München 2009. Sacksofsky, Ute / Möllers, Christoph u. a.: Erosion von Verfassungsvoraussetzungen, Berichte und Diskussionen auf der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Erlangen vom 1. bis 4. 10. 2008, in: VVDStRL Band 68, Berlin 2009. Safranski, Rüdiger: Goethe und Schiller, Geschichte einer Freundschaft, München 2009. – Wieviel Wahrheit braucht der Mensch?, 10. Auflage Frankfurt / Main 2008. Saint-Exupery, Antoine de: Der kleine Prinz, München 1988. Sandel, Michael J.: Justice, What’s the right thing to do?, London 2009. Sarrazin, Thilo: Deutschland schafft sich ab, Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, 14. Auflage München 2010. Schachtschneider, Karl Albrecht: Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam, Berlin 2010. – Prinzipien des Rechtsstaates, Berlin 2006. Schambeck, Herbert: Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, Berlin 1992. Schäuble, Wolfgang: Und der Zukunft zugewandt, Berlin 1994. Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke, 8. Auflage, München 1987. – Über die ästhetische Erziehung des Menschen, mit Einleitung und Nachwort von Heinz Zimmermann, 3. Auflage Stuttgart 2004. Schirrmacher, Frank: Payback, Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen, München 2009. Schmitt, Manfred / Baumert, Anna / Fetchenhauer, Detlef / Gollwitzer, Mario / Rothmund, Tobias / Schlösser, Thomas: Sensibilität für Ungerechtigkeit, in: Psychologische Rundschau, 60 (1), 2009, S. 8.

Literatur

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Schreckenberger, Waldemar (Hg.): Staat und Religion, Der moderne Staat im Rahmen kultureller und religiöser Lebenselemente, Berlin 2006. Schreiber, Mathias: Was von uns bleibt, Über die Unsterblichkeit der Seele, München 2008. Schreiner, Ottmar: Die Gerechtigkeitslücke, Wie die Politik die Gesellschaft spaltet, Berlin 2008. Schweitzer, Albert: Aus meinem Leben und Denken, Leipzig 1947. – Kultur und Ethik, 8. Auflage München 1951. – Verfall und Wiederaufbau der Kultur, 10. Auflage München 1951. – Wir Epigonen, Kultur und Kulturstaat, herausgegeben von Ulrich Körtner und Johannes Zürcher, München 2005. Schweizer, Robert: Schutz der Leistungen von Presse und Journalisten, in: ZUM 2010, S. 7. Sease, Virginia (Hg.): Esoterik der Weltreligionen, Dornach 2001. Seelmann, Kurt: Rechtsphilosophie, 4. Auflage München 2007. Seidel, Wolfgang: Das ethische Gehirn, Der determinierte Wille und die eigene Verantwortung, Heidelberg 2009. – Wille und Verantwortung – Das Gehirn moduliert den Determinismus, in: NJOZ 2009, S. 2106; gekürzt in: NJW 2009, S. 2415. Selg, Peter: Das Ereignis der Jordantaufe, Stuttgart 2008. – Das Vaterunser in der Darstellung Rudolf Steiners, Stuttgart 2009. Sen, Amartya: Die Idee der Gerechtigkeit, München 2010. – The Idea of justice, Cambridge Massachussets 2009. Senn, Mischa / Kühne, Adelheid (Hg.): Diskriminierung – Wahrnehmung und Unterbrechung, Bern 2009. Seume, Johann Gottfried: Apokryphen, Frankfurt / Main 1966. Sheldrake, Rupert: Das schöpferische Universum, Die Theorie des morphogenetischen Feldes, 10. Auflage München 2010. Singer, Wolf: Der Beobachter im Gehirn, Essays zur Hirnforschung, Frankfurt / Main 2002. – Ein neues Menschenbild, Gespräche über Hirnforschung, Frankfurt / Main 2003.

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Literatur

Singer, Wolf / Ricard, Matthieu: Hirnforschung und Meditation, Ein Dialog, Frankfurt / Main 2008. Sodan, Helge / Zimmermann, Markus: Tarifvorrangige Mindestlöhne versus Koalitionsfreiheit, in: NJW 2009, S. 2001. Sofsky, Wolfgang: Das Buch der Laster, München 2009. – Verteidigung des Privaten, Eine Streitschrift, München 2007. Spaemann, Robert: Der letzte Gottesbeweis, München 2007. – Moralische Grundbegriffe, 4. Auflage München 1991. Spitta, Dietrich (Hg.): Die Herausforderungen der Globalisierung, Stuttgart 2010. – Die Staatsidee Wilhelm von Humboldts, Berlin 2004. – Goethes Einweihung und sein Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie, Stuttgart 2008. – Menschenbildung und Staat, Das Bildungsideal Wilhelm von Humboldts angesichts der Kritik des Humanismus, Stuttgart / Berlin 2006. – Paradigmenwechsel gesucht, in: Das Goetheanum Nr. 39/2009, S. 6 f. Spranger, Eduard: Der unbekannte Gott, Stuttgart 1954. Staiger, Emil: Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, 3. Auflage Frankfurt am Main 1987. Steiner, Rudolf: Gesamtausgabe, Dornach (GA Band, Seite). Stolleis, Michael: Das Auge des Gesetzes, München 2004. – (Hg.): Juristen, Ein biographisches Lexikon, Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 2001. – Sozialistische Gesetzlichkeit, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR, München 2009. Storch, Maja: Das Geheimnis kluger Entscheidungen, Von somatischen Markern, Bauchgefühl und Überzeugungskraft, München 2005. Strasser, Peter: „Warum überhaupt Religion?“, Der Gott, der Richard Dawkins schuf, München 2008. Suttner, Bernhard G.: Die 10 Gebote, Eine Ethik für den Alltag im 21. Jahrhundert, Murnau 2007. Taschner, Rudolf: Gerechtigkeit siegt – aber nur im Film, Salzburg 2011.

Literatur

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Tölle, Wolf-Dieter: Die eingetragene Lebenspartnerschaft im steuerlichen Wandel, in: NJW 2011, S. 2165. Tomasello, Michael: Warum wir kooperieren, Berlin 2010. Törpel, Claudia: Man denkt nur mit dem Herzen gut, Zum Leibverständnis der alten Ägypter, 2. Auflage Basel 2007. Traufetter, Gerald: Intuition, Die Weisheit der Gefühle, Reinbek bei Hamburg 2009. Uhl, Matthias: Medien – Gehirn – Evolution, Mensch und Medienkultur verstehen, Eine transdisziplinäre Medienanthropologie, Bielefeld 2009. Volkamer, Klaus / Streicher, Christoph / Walton, Ken G.: Intuition, Kreativität und ganzheitliches Denken, Neue Wege zum bewussten Handeln, Frankfurt / Main 1996. Volkmann, Uwe: Die Geistesfreiheit und der Ungeist, Der WunsiedelBeschluss des BVerfG, in: NJW 2010, S. 417. – Die Privatisierung der Demokratie, in: FAZ 26. 2. 2010, S. 9. Wahl, Rainer / Wieland, Joachim (Hg.): Das Recht des Menschen in der Welt, Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstags von Ernst-Wolfgang Böckenförde, Berlin 2002. Walsch, Neale Donald: Gemeinschaft mit Gott, 2. Auflage München 2007. Walter, Meinrad (Hg.): Ein Hauch der Gottheit ist Musik, Gedanken großer Musiker, Düsseldorf 2006. Walz, Hans Hermann / Schrey, Heinz Horst: Gerechtigkeit in biblischer Sicht, Zürich Frankfurt / Main 1955. Walzer, Michael: Sphären der Gerechtigkeit, Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, Frankfurt/Main New York 2006. Weber, Max: Politik als Beruf, 11. Auflage Berlin 2010. – Soziologische Grundbegriffe, 5. Auflage Tübingen 1981. Weber-Fas, Rudolf: Staatsdenker der Moderne, Klassikertexte von Machiavelli bis Max Weber, Tübingen 2003. Wehr, Gerhard: C. G. Jung in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1969. Weiler, J. H. H.: Ein christliches Europa, Erkundungsgänge, Mit einem Vorwort von Ernst-Wolfgang Böckenförde, Salzburg München 2004.

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Literatur

Weizsäcker, Beatrice von: Warum ich mich nicht für Politik interessiere, Bergisch Gladbach 2009. Weizsäcker, Carl Friedrich von: Die Zeit drängt, Eine Weltversammlung der Christen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, 3. Auflage München / Wien 1986. – Ein Blick auf Platon. Ideenlehre, Logik und Physik, Stuttgart 1981. Weizsäcker, Richard von (im Gespräch mit Jan Roß): „Was für eine Welt wollen wir?“, Berlin 2005. Wesel, Uwe (Hg.): Recht, Unrecht und Gerechtigkeit, Von der Weimarer Republik bis heute, München 2003. Wickert, Ulrich: Das Buch der Tugenden, Hamburg 1995. Wolf, Erik: Recht des Nächsten, Ein rechtstheologischer Entwurf, Frankfurt am Main 1958. Wolf, Naomi: Wie zerstört man eine Demokratie?, Das 10-Punkte-Programm, München 2008. Wolf, Notker / Drobinski, Matthias: Regeln zum Leben, Die Zehn Gebote – Provokation und Orientierung für heute, 3. Auflage Freiburg / Basel / Wien. Wolff, Hans J. / Bachof, Otto / Stober, Rolf: Verwaltungsrecht II, 5. Auflage München 1987. Zehm, Günter: Das Böse und die Gerechten, Auf der Suche nach dem ethischen Minimum, Schnellroda 2005. Zimmer, Robert: Basis-Bibliothek Philosophie, Stuttgart 2009. Zippelius, Reinhold / Würtenberger, Thomas: Deutsches Staatsrecht, 31. Auflage München 2005. Zippelius, Reinhold: Das Wesen des Rechts, Eine Einführung in die Rechtsphilosophie, 5. Auflage München 1997. – Im Irrgarten der Gerechtigkeit, Mainz / Stuttgart 1994. – Rechtsphilosophie, 4. Auflage München 2003. – Verhaltenssteuerung durch Recht und kulturelle Leitideen, Ausgewählte Aufsätze, Berlin 2004.

Register Abouleish, Ibrahim 37 Abwägen 44 ff., 55, 108, 116 f., 126, u. a.

Beamte 84, 104 f., 121, 130, u. a.; siehe Verwaltung (Öffentliche) Begnadigungsrecht 98

Affekte, keine – ! 118

Benedikt XVI. 41, 59, 65, 77, 131

Ägypten 45, 81

Bergpredigt 64, 132, 134

Aktiv, Aktivität 5, 39, 69, 136

Bernstein, Leonard 44

Alanus ab Insulis 70

Besonnenheit – Maß (temperantia) 113, 116 ff., 137, u. a.

Allgemeinheit der Gesetze 54, 57, u. a.

Bildung 112

Alternativen 43, 117, 126

Binde vor den Augen (Justitia) 119

Altes Testament 70, 113, 131

Bloch, Ernst 130

Amtseid siehe Eid

Blüm, Norbert 33, 109

Amtspflichten 27, 94 ff. Ansehen der Person, ohne –

119

Anstandsgefühl (aller billig und gerecht Denkenden) 31, 89

Böckenförde, Ernst-Wolfgang 40, 102, u. a. Bonhoeffer, Dietrich 133

Antipathie 118

Brüderlichkeit 23, 25, 27, 68, 97, 137, u. a.

Archetyp 68, 82

Brugger, Winfried 44

Aristoteles 32, 101, 114, u. a.

Brunner, Emil 61, 132

Armut 33 ff.

Buddhismus 111, 128

Atheismus 62

Bundesgerichtshof 88, 90, 102

Attentat 59

Bundeskanzler 95 ff.

Audiatur et altera pars 119

Bundesminister 95 ff.

Augustinus 16, 67

Bundespräsident 95 ff.

Auslegung 45

Bundesverfassungsgericht 23, 38, 51, 55, 79, 87, 97, 100, 102, u. a.

Aussitzen 121, 137

Bundesverfassungsrichter 78, 100 Badewannenfall 102 Bauchgefühl, Bauchentscheidungen 80 ff.

Caritas 131 ff.; siehe Liebe Casals, Pablo 66

160

Register

Chakren 83 Chancengleichheit 53 Christen, Christentum 94 f., 133 f. Christliche Tugenden 113 ff., 133; siehe Glaube, Hoffnung, Liebe Clever 125 Coing, Helmut 49, 121, u. a. Computer 66, 103, 125 Computer-Games 52 Conjunction fallacy 124 Cool, coolness 121, 125 Covey, Stephen R. 122

Dürrenmatt, Friedrich 35

Daseinsvorsorge 38 DDR (Deutsche Demokratische Republik) 17, 89, 92 Definition (der Gerechtigkeit) 14, 47, 71, 109, 136 Delphi: Nichts im Übermaß! 41; Erkenne dich selbst! 42 Demokratie 78, 86 f., u. a. Digesten 47 Digital natives 125 Diskriminierung 53, 57, 116, 137, u. a. Diskurs 5, 44, 74, 85 ff., 108, 116, 128, 137, u. a. Dölle, Hans 65 Dostojewski 52 Dreigliederung des sozialen Organismus 26 Dreyfus, Alfred 49 Dritte Welt 37, 39, 121 Dualismus 44 Dumping-Preise 29 Durchchristung des Rechtslebens 133

EMNID-Umfrage 13

Eckoldt, Matthias 110 EG, EU 41 Egoismus 17, 109, 111 f., 118, 137 f., u. a. Ehe 55 f. Eid, Amtseid u. a.

13, 63, 94 ff., 105,

Einstein, Albert 118 Einzelpflichten (hoher Amtsträger) 97 E-mail 120 siehe Liebe

Empathie 132, 137; (caritas)

Entdeckungen, Juristische 65 Entscheidungen (nur zwischen mehreren praktikablen Alternativen) 43 ff. Entscheidungsfreude 121 Entscheidungsprozess 43 ff. Entwicklung, innere – des Menschen 90 Entwicklungshilfe 37 Enzensberger, Hans Magnus 41 Erkenne dich selbst (Delphi) 42 Erkenntnis (aus – handeln) 90 Ermessensentscheidungen 31, 97 Erziehung 85, 112 Europa 41, 133 Exekutive 21, 27, 121, u. a.; siehe Regierung, Verwaltung Fähigkeitenansatz Nussbaum) 38

(Martha

Fairness 35; siehe Rawls, John

C.

Register Fallersleben, Hoffmann von 25 Favor iudicis 103 Fehler im Rechtsleben, Fehlurteile 48, 58 Fernsehen 52, 87 f., 126 Fiction, non-fiction 126 Folter 59, 92 Forsthoff, Ernst 38, 88 Fraktionsdisziplin 122 Französische Revolution 25 Freie Tat, Gerechtigkeit üben als – 93, 106 ff. Freiheit 13, 22 ff., 27, 51, 54, 56, 64, 68, 90, 97, 130, 136, u. a. Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit 25 Freiheit durch Rechtsordnung 40, 56 f. Freud, Sigmund 82 Gadamer, Hans-Georg 124 Gebetsspruch (Herr, gib mir ...) 126 Gebote, Zehn 64 Gegenwart (Lage) 17, 33, 52, 58, 79, u. a.; auch 136 ff. Geheimnis, auch: offenbares – 68 Gehirn 83; siehe Hirnforschung Gehör, rechtliches 119 Geist 62 ff., 90, u. a. Geistesblitze 65 Geistesleben 25 ff. Geistige Probleme 39 Geistige Welt 61 ff., 79 ff., 136 ff., u. a. Geld (regiert die Welt) 112 Gerechtigkeit (im subjektiven Sinn) 108 ff., 115 ff.

161

– (Ausrichtung an – im Rahmen der Rechtsordnung) 101 f., 106 ff., 136 – (iustitia) als Tugend 115 ff. – nicht nur Abwesenheit von Ungerechtigkeit 41 ff. – tut not! 13 ff., 138 – üben 13, 93 ff., 138, u. a. – , göttliche, karmische 36, 69 – , Soziale 33 ff., u. a. – , wahre 60 ff., 66, 69 – : Für die meisten der wichtigste Wert 13 Gerechtigkeitsbewusstsein 5, 69, 72 ff., 76, 85, 103, 116, u. a. Gerechtigkeitsgefühl 75 f., 84 Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft 74, 85 ff., 99, 116, 137, u. a. Gerhardt, Rudolf 127 Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) 99, 104 Gesetze, Allgemeinheit der – 54, 57, u. a. Gesetzesflut 41, 57, 118 Gesetzgebung 21, 27, 31 ff., 54 f., 77, 102, 118, 121, u. a. Gewaltenteilung 21 f., 27, 57 Gewissen 73, 98, 101, 105, 108, 122 GfK-Vertrauensindex 2011 78 Gigerenzer, Gerd 81 Glaube (fides) 114, 128 ff., 137, u. a. Gleichbehandlung 53, 56 f., 116 – der Arbeitnehmer 29 Gleichgültigkeit 18, 121, 137 f. Gleichheit 25, 50 ff., 115, u. a.

162

Register

Glück, glücklich sein 90 f. Goethe, Johann Wolfgang von 21, 40, 62, 68, 73, 135, u. a. Goldene Regel 111 Goleman, Daniel 76 Gott 52, 62 ff., 94 f., u. a.; siehe So wahr mir Gott helfe! Gottes Ebenbild (Menschen sind – ) 50 Grundgesetz, Präambel 63 Guantánamo 17 Güter, Verteilung materieller – 33 ff. Häberle, Peter 99 Habermas, Jürgen 86, u. a. Hayek, Friedrich von 33, 54 Heil für das menschliche Miteinander (sanskrit. yós) 69 Heisenberg, Werner 63 Helmholtz, Hermann von 70 Herz 75 ff., 83, 136, u. a. Herzdenken 76, 116 Herzog, Roman 95, 104 f., u. a. Hessel, Stéphan 17, 130 Hessen 122 Hillgruber, Christian 56 Hindu, Hinduismus 111 Hirnforschung 79 ff. Höffe, Otfried 21, 33, 110, u. a. Hoffnung (spes) 114, 130 f., 137 Hoheitliche Funktionen 103 f. Höhlengleichnis (Platon) 125 Humanität 132; siehe Liebe Humboldt, Wilhelm von 26

Ich (des Menschen) 24, 51, 73, 77, 120, 129, u. a.; siehe Individualität Ideal 61 ff., 64, 68, 136 Idee 67, 136 Illusionstheater 87 Immunität 105 Indemnität 105 Individualität (des Menschen) 73 f., 103, 110, u. a.; siehe Ich Individuelle Gerechtigkeitsgedanken 74, 85 ff., 103, 116, 137, u. a. Inspiration 65 Intelligenz, emotionale 76 Interesse(n) 20 f., 45, 87, 98, 116 f., u. a. Internet 87, 112, 120, 125 Intranet 120 Intuition 65, 69 f., 76 f., 79 ff., 84, 98, 117, u. a. Invocatio dei (Anrufung Gottes) 64 Irak-Krieg 124 Isensee, Josef 36, 132, u. a. Islam 95, 111, 135 Ius (Etymologie) 69 – suum cuique tribuere 47 ff., 50, 57, 101, 115 Iustitia 47 – commutativa, distributiva, vindicativa 32 f. Jedem sein Recht 47 ff., 57; siehe ius suum cuique tribuere Johannes XXIII. 41, 53 Judentum 111 Jung, C. G. 68, 82

Register

163

Juristen, juristisch 14, 48, 60, 69, 76, 79, 84, 99, 118, 123, u. a.

Lin, Jean-Claude 110

Justitia (Symbolfigur) 119; siehe iustitia

Luftsicherheitsgesetz 79

Justiz 40; siehe Rechtsprechung

Löhne 29 f., 48 Luther, Martin 23 Macht 21 ff., u. a.

Kant, Immanuel 14, 107 Kardinaltugenden 113 ff.

Machtmonopol (des Staates) 57, 89

Karma 36, 69, 82

Mainstream 88, 112

Kelsen, Hans 14, 16, 68

Mängel des Rechtslebens 48, 58

Kern (der Gerechtigkeit) 60, 136

Marktwirtschaft 29 f.

Kerssenbrock, Trutz Graf 78 Kind, Kinder 18, 28, 75

Maß, Mäßigkeit heit

Kirchhof, Paul 127, u. a.

Massenmedien 51, 87 f.

Klugheit (prudentia) 137, u. a.

Maßstab 46 ff.

114, 122 ff.,

Knappheit (materieller 33 ff., 131

Güter)

(für

40,

siehe Besonnen-

Entscheidungen)

Materialismus 17, 137 f. Materie 62

Kohl, Helmut 94

Materielle Güter 33 ff.

Köhler, Horst 78

Mediation 134

Kohlhaas, Michael 106

Meditation 64

Kommunikationsmedien, moderne 120

Mehrheitsentscheidungen 75, 137

Konjunkturpaket 47

Meinung (öffentliche, allgemeine) 87 f.

Kuchen (teilen) 18 f.

Menschenrechte 49, 51

Küng, Hans 112 Kunst 65; siehe Geistesleben

Menschenwürde 35, 37 f., 50 f., 98, u. a.; siehe Ich

Kurskorrektur 112

Menschheit 17, 68, 112

La Rochefoucauld, François de 21

Menschlich, Menschlichkeit 5, 73, 75 f., 109, 115 ff., 137, u. a.

Laesio enormis 30

Mietrecht 30, 119

Lagebeurteilung 124

Mindestlöhne 30

Lebenspartnerschaften 55 f.

Ministerpräsidenten, Minister (der Länder) 95

Lehrer 25, 28, 77, 133 Liebe (caritas) 64 f., 68, 114, 131 ff., 136 ff., u. a.

Moltmann, Jürgen 123 Moor, Karl 106

164

Register

Moses 50, 64, 131 Nächstenliebe 13, 39, 112, 131, 134, 138, u. a.; siehe Brüderlichkeit, Liebe Nachtflugverbot 59 Nah-Tod-Erlebnisse 64 f., 130 Nationalhymne 25 Nationalsozialismus 17, 88, 92 Naturrecht 49 f. Naturwissenschaft 63, 79 ff. Nervensystem, vegetatives 83 Neues Testament 59 f., 114, 128, 131, 134; siehe Bergpredigt, Goldene Regel, Weinberg Nicht-Christen 134 f. Nida-Rümelin, Julian 21, 87, u. a. Niedersachsen 63 Nierhaus, Michael 96 Nominatio dei (Benennung Gottes) 64 Nordrhein-Westfalen 104 Not kennt kein Gebot 106 Nussbaum, Martha C. 34, 38, 110 Objektivität 119 Odersky, Walter 126 Österreich 129 Overkill 17 Pacta sunt servanda 28, 53 Papier, Hans-Jürgen 130 Parlamentarier 105, 122 Parteien, -verdrossenheit 76 ff.; siehe Politiker Pascal, Blaise 81 Paulus 60 f., 114, 133

Pendeln 44 Persönlichkeit 35, 59, 90, 103, 129 Pfarrer 25 Pflichten, Gerechtigkeit zu üben 93 ff. Pico della Mirandola 52 Planck, Max 51, 62, 91 Platon 47, 67, 113, 125, u. a. Polarität 44 Polemik (ohne Sachsubstanz) 128 Politiker 57, 76 ff., 89, 94 f., 121 f., u. a. Politikerverdrossenheit 78 Popper, Karl R. 60, 66, u. a. Präimplantationsdiagnostik (PID) 59, 79 Preise und Löhne 29 f. Pressekonferenz 78, 122 Privatautonomie 23, 29 Psychologie 79, 82 ff. Quellort für das Rechtsleben (Gerechtigkeit als – ) 89 ff., 137 Quidquid agas prudenter agas ... 122 Quod non est in televisione ... 88 Radbruch, Gustav 16, 67, u. a. Rationale Aspekte der Gerechtigkeit 20 ff., 56 ff., 84 Ratzinger siehe Benedikt XVI. Rau, Johannes 94 Raum und Zeit 65, 112 Rawls, John 34 ff., 42, 86, 115, u. a. Recht, Rechtsordnung 40 f., 48, 56 f., 64, 84, 89 ff., 99 ff., 106 ff., 132, 137, u. a.

Register

165

– , überpositives 99 f.

Sandel, Michael J. 34, 44, 109, u. a.

Rechte und Pflichten 45

Sarrazin, Thilo 77

Rechtsanwalt 121

Satellitenfunk 112

Rechtsfrieden 40 f., 57, 130, 134

Schachtschneider, Karl Albrecht 66

Rechtsgefühl 75; siehe Gerechtigkeitsgefühl Rechtskunst 84 Rechtsleben 5, 27, 58, 69 ff., 115 ff., 136 ff., u. a.

Scheinwelt 125 Schiller, Friedrich von 21, 27, 52, 71, 91, 107, u. a. Schirrmacher, Frank 66, 125

Rechtspflicht 107

Schlafen 64 f., 69

Rechtspositivismus 16

Schmitt, Manfred 111

Rechtsprechung 21, 27, 40, 57 f., 99, 101 ff., 117 ff., u. a.; siehe Richter

Schreiner, Ottmar 77

Rechtsschutz 48, 57

Schweitzer, Albert 24

Rechtssicherheit 40 f., 57

Schweiz 53, 63, 129

Rechtsstaat 27, 37, 40, 56 f., u. a.

Schwingungen 83

Rechtswissenschaft 18, 25, 89

Second life 125

Regierung 22, 133, u. a.; Exekutive

siehe

Reichsgericht 102

Schwangerschaftsabbruch 59, 79

SEKEM 37 Selbstbewusstsein 129

Religion 25, 61, 93, 111, 131, 133 ff.

Selbstdarstellung des Staates 95 f., 99

Religionsfreiheit 94

Selbstgerechtigkeit 118

Rhythmus 44 f., 75

Sen, Amartya 20, 34, 67, u. a.

Richter 76 ff., 84, 89, 100 ff., 118 f., 121, 123, 127, 130, u. a.; siehe Rechtsprechung

Seume, Johann Gottfried 42, 71

Richterpersönlichkeit 103

Sofsky, Wolfgang 18, 33

Richterrecht 102 f.

Sokrates 60, 112

Robinson 24

Solidarität 34 f., 132, u. a.; siehe Liebe (caritas)

Rom, römische Jurisprudenz 47 ff. Rüthers, Bernd 102, 108, u. a.

13 f., 18, 40, 47,

So wahr mir Gott helfe! 63, 94 ff., 100 f., 104

Sondergesetze (unzulässig) 54, 57 Sonne der Gerechtigkeit 70 Sonnengeflecht 83

Safranski, Rüdiger 26, 123

Soziale Gerechtigkeit 33 ff., u. a.

Saint-Exupéry, Antoine de 76

– Probleme sind oft geistige Probleme 39

Salk, Jonas 70

166

Register

Soziales Leben (Entscheidungen im – ) 24 ff.

Testament 107

Sozialstaat 23, 30, 37 f., u. a.

Tiefenpsychologie 82

Spaemann, Robert 23, 35, 108

Toleranz 13, 132

Spaßgesellschaft 110, 128

Tolksdorf, Klaus 88

Spitta, Dietrich 78

Treu und Glauben 100, 129

Sprache 127 f.

Tugenden 39, 43, 58, 93, 107, 108 ff., 137, u. a.

Staat, Staatsleben 21, 27, 30, 94 ff., u. a. Staatsgewalten tenteilung

21;

siehe Gewal-

Thomas von Aquin 67, 75, 115

– als Stützen und Leitsterne auf dem Weg zur Gerechtigkeit 115 ff. Tugendethik 112

Standfestigkeit siehe Tapferkeit Starkmut siehe Tapferkeit Steinbeck, John 109

Überlastung 117, 120

Steiner, Rudolf 132, u. a.

Übergesetzlicher Notstand 99, 106

67, 75, 115, 123,

Übermaßverbot 118

Stellenpläne 117

Überpositives Recht 99

Sterbehilfe 59, 79

Überschlafen 69; auch 64 f.

Steuern, Steuergesetzgebung 54, 98, u. a.

47,

Ulpianus 47 Umfragen 13, 103

Stimme, innere 77, 98, 136

Unbewusst 79 ff.

Storch, Maja 81

– , Das kollektive –e 82

Strafe, Strafrecht 32, 35, 45 f., 61, 90, 98, 102, 133, u. a.

Ungerecht, Ungerechtigkeit, Unrecht 20 f., 28, 33, 36, 42 f., 58, 77, 91 f., 111, 121, u. a.

Strahlen der Gerechtigkeit 69 Straßenverkehr, ordnung 26

Straßenverkehrs-

Ungerechte Gesetze 91 UNO siehe Vereinte Nationen

Stress 117, 137

Unparteilichkeit 119

Suaviter in modo, fortiter in re 127

Untugenden 18, 114

Subsidiarität des Staates 25 ff.

Urheberrecht 30, 35

Summum ius summa iniuria 76, 92

Urphänomen 61 ff., 64, 68, 71, 136

Sympathie 118

Urteilsgerechtigkeit 40, 48, 57 Urteilskraft 125

Tapferkeit, Starkmut (fortitudo) 39, 114 f., 120 ff., 137

Valéry, Paul 109

Telefax, Telefon 120

Vaterunser 65, 133

Register

167

Verantwortung 22, 63, 87, u. a.

Walzer, Michael 36

Vereinte Nationen (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) 51

Weber, Max 21

Verfahrensgerechtigkeit 40, 53, 57

Weinberg (Gleichnis vom –) 48

Vergleich 134

Weisheit 68, 113, 126, 131, 136, u. a.

Vergütung, angemessene 30 Verhältnismäßigkeit 118 Vernichtung der Menschheit 112, 137 f. Vernunft 73, 81, 94, 114, 126, u. a. Verstand 19, 56, 59, 71, 126, 136, u. a. Verteilgerechtigkeit 31 ff., u. a. Verteilung materieller Güter 34 ff. Vertrag, vertragen 26 Vertragsgerechtigkeit 53, 57 Vertrauen 26, 129 Verwaltung (Öffentliche) 40, 77, u. a.; siehe Beamte, Exekutive Verzeihen 134 Virtuell 125 Volksempfinden, gesundes 88 Vorurteile, keine – ! 118 Vorverurteilung (durch Massenmedien) 88 Waage 29, 36, 42, 44 f., 53, 117, 126 Wahrheit 13, 64, 68, 72, 87, 94, 101, 115 f., 123, 136, u. a. Walter, Bruno 66

Weiland, René 110

Welt, geistige siehe Geistige Welt Weltall 62, 83, 125 Weltethos 111 f. Wesenheit, geistige 66 ff., 83, 133, 136, u. a. Wettbewerb 30 Widerstandsrecht 106 Wille (freier –) 27 f., 47, 82, u. a. Willkür, Willkürverbot 22, 25, 40, 55, 116, 137, u. a. Wirtschaftsleben 26 ff., 29, u. a. Wissenschaft 25, 51, 62, 78 Wissmann, Mathias 95 Wolf, Erik 35, 132 Würde des Menschen siehe Menschenwürde Wurzel der Gerechtigkeit 61 ff., 66 Zeitdruck 117 Zippelius, Reinhold 14, 45, 73, u. a. Zivilcourage Tapferkeit

120 ff., 137;

Zukunft 17, 112, 131, 136 ff. Zweigert, Konrad 67

siehe