Geographiedidaktik: Fachwissenschaftliche Grundlagen, fachdidaktische Bezüge, unterrichtspraktische Beispiele - Band 1 9783662657294, 9783662657300, 3662657295

Mit dem zweibändigen Werk liegt das erste deutschsprachige Lehrbuch zur Geographiedidaktik vor, welches konkret zum krea

166 110 12MB

German Pages 404 [392] Year 2023

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Geographiedidaktik: Fachwissenschaftliche Grundlagen, fachdidaktische Bezüge, unterrichtspraktische Beispiele - Band 1
 9783662657294, 9783662657300, 3662657295

Table of contents :
Vorwort
Alternative Inhaltsverzeichnisse
Inhaltsverzeichnis
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Geographiedidaktik und das Schulfach Geographie
1.2 Was ist mit diesem Werk möglich? Eine Gebrauchsanregung
1.2.1 Gliederung nach geographiedidaktischen Bezügen
1.2.2 Gliederung nach fachwissenschaftlichen Bezügen und Lehrplanthemen
1.2.3 Gliederung nach Basiskonzepten
1.2.4 Gliederung nach Kompetenzen
1.2.5 Gliederung nach räumlichen Bezügen
1.2.6 Struktur der Kapitel
1.2.7 Variation didaktischer Zugangsweisen
Literatur
2 Die geographische Brille schärfen – metakognitives Lernen
2.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Grundlagen des Fachs Geographie
2.2 Fachdidaktischer Bezug: Metakognitives Lernen
2.3 Unterrichtsbaustein: Geographie – dein neues Unterrichtsfach
2.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
3 Forschendes und entdeckendes Lernen – Steine erzählen Geschichten
 Teaser
3.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Erdgeschichte – Geologie und Paläontologie
3.2 Fachdidaktischer Bezug: Entdeckendes und forschendes Lernen
3.3 Unterrichtsbaustein: Steine erzählen Geschichte – Die Dynamik der Erde
3.4 Transfer
Anchor 7
Literatur
4 Digitale Geomedien
4.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Vulkanismus – Naturgefahren
4.2 Fachdidaktischer Bezug: Digitale Geomedien
4.3 Unterrichtsbaustein: Eine Story Map als Lernprodukt zur Bewertung der Gefahrenlage
4.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
5 Naturwissenschaftliches Experimentieren im Geographieunterricht
5.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Boden – Winderosion
5.2 Fachdidaktischer Bezug: Experimentieren
5.3 Unterrichtsbaustein: Der Winderosion auf der Spur
5.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
6 Perspektivenwechsel
6.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Sozialkatastrophe Hurricans
6.2 Fachdidaktischer Bezug: Perspektivenwechsel
6.3 Unterrichtsbaustein: „Hurrikan Katrina“ als Naturgefahr und Sozialkatastrophe
6.4 Transfer
Literatur
7 Schülervorstellungen
7.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Erde im Sonnensystem – Erderwärmung und Entstehung von Jahreszeiten
7.2 Fachdidaktischer Bezug: Schüler*innenvorstellungen und Conceptual Change
7.3 Unterrichtsbaustein: Die Entstehung der Jahreszeiten
7.4 Transfer
Literatur
8 Faktische Komplexität und unsicheres Wissen im Geographieunterricht
8.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation
8.2 Fachdidaktischer Bezug: Faktische Komplexität und unsicheres Wissen
8.3 Unterrichtsbausteine: Golfstromzirkulation und Klima(-wandel)
8.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
9 Satellitenbilder im Geographieunterricht
9.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Globale Zirkulation – El-Niño-Ereignisse
9.2 Fachdidaktischer Bezug: Fernerkundung
9.3 Unterrichtsbausteine: Die Folgen von El Niño mit Satellitenbildern erkennen, erkunden und erklären
9.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
10 Von der Modellanwendung zur Modellentwicklung
10.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Wasserhaushalt – Hochwasser und Hochwasserschutz
10.2 Fachdidaktischer Bezug: Haptische Modelle
10.3 Unterrichtsbaustein: Hochwasser und Hochwasserschutz
10.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
11 Kartenauswertungskompetenz
11.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Glaziologie – Gletscherschmelze
11.2 Fachdidaktischer Bezug: Kartenauswertung
11.3 Unterrichtsbaustein: Dem Gletscherrückgang auf der Spur – Ein Unterrichtsbaustein zur Kartenauswertung
11.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
12 Mediendidaktik
12.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Erde als Planet – Grundlagen des Lebens
12.2 Fachdidaktischer Bezug: Mediendidaktik
12.3 Unterrichtsbaustein: „Es gibt keinen Planeten B“
12.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
13 Klimawandelbildung
13.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Ökozonen – Auswirkungen des Klimawandels
13.2 Fachdidaktischer Bezug: Klimawandelbildung
13.3 Unterrichtsbaustein: Auf den Spuren des Klimawandels – Forschend lernen
13.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
14 Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern
14.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Landwirtschaft – ökologischer Landbau
14.2 Fachdidaktischer Bezug: Interessenorientierung
14.3 Unterrichtsbaustein: Der Biobauernhof – ein Vorbild für die Landwirtschaft der Zukunft?
14.4 Transfer
Literatur
15 Werte-Bildung
15.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Landwirtschaft – Tierwohl
15.2 Fachdidaktischer Bezug: Werte-Bildung
15.3 Unterrichtsbaustein: „The Future We Want“ – Nachhaltige Produktion von Fleisch und Milch unter besonderer Berücksichtigung des Tierwohls
15.4 Transfer
Literatur
16 Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf
16.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Planetare Belastungsgrenzen – Nachhaltigkeit
16.2 Fachdidaktischer Bezug: Statistik und Visual Analytics
16.3 Unterrichtsbaustein: Mit dem Modell der Donut-Ökonomie visuell-explorativ nachhaltige Entwicklung erforschen
16.4 Transfer
Literatur
17 Systemisches Denken
17.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff
17.2 Fachdidaktischer Bezug: Systemkompetenz
17.3 Unterrichtsbaustein: Natürlicher und anthropogen überprägter Stickstoffkreislauf – systemisch betrachtet
17.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
18 Das Aktualitätsprinzip am Thema Nutzungskonflikte umsetzen
18.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Gefährdung von Lebensräumen
18.2 Fachdidaktischer Bezug: Aktualitätsprinzip
18.3 Unterrichtsbaustein: Analyse von Lebensräumen und ihrer Nutzung und Gefährdung
18.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
19 Das Syndromkonzept im Geographieunterricht
19.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Intensive Landwirtschaft – Nachhaltigkeitsprobleme
19.2 Fachdidaktischer Bezug: Syndromansatz
19.3 Unterrichtsbaustein: Landwirtschaftliche Intensivregionen mithilfe des Syndromansatzes analysieren
19.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
20 Wissenschaftsorientierung
20.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Klimawandel
20.2 Fachdidaktischer Bezug: Wissenschaftsorientierung
20.3 Unterrichtsbaustein: Klimawandel im Geographieunterricht – wissenschaftlich beleuchtet
20.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
21 Sprachbewusster Umgang mit Bildern
21.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Klimawandel – Auswirkungen des Klimawandels
21.2 Fachdidaktischer Bezug: Sprachbewusster Umgang mit Bildern
21.3 Unterrichtsbausteine: Scaffolds zu drei Visualisierungen zum Klimawandel
21.4 Transfer
Literatur
22 Machtsensible geographische Bildung
22.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Politische Ökologie – Klimagerechtigkeit
22.2 Fachdidaktischer Bezug: Machtsensible geographische Bildung
22.3 Unterrichtsbaustein: Ein Mystery zum Thema Klimagerechtigkeit
22.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
23 Handlungsorientierte Sozialgeographie
23.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Energieträger – Energiewende
23.2 Fachdidaktischer Bezug: Handlungstheoretische Sozialgeographie
23.3 Unterrichtsbaustein: Handlungsorientierte Sozialgeographie am Beispiel des Rheinischen Braunkohlereviers
23.4 Transfer
Literatur
24 Lernen am außerschulischen Lernort
24.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Strukturwandel – Braunkohleabbau
24.2 Fachdidaktischer Bezug: Außerschulische Lernorte
24.3 Unterrichtsbaustein: Ökologische und gesellschaftliche Folgen des Abbaus von Braunkohle am außerschulischen Lernort untersuchen
24.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
25 Mit Mental Maps und subjektivem Kartieren Raumwahrnehmung reflektieren
25.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Nachhaltige Stadtentwicklung – Stadtgrün
25.2 Fachdidaktischer Bezug: Mental Maps/Subjektive Karten
25.3 Unterrichtsbausteine: Raumwahrnehmungen und Raumbewertungen reflektieren lernen
25.4 Transfer
Literatur
26 Spatial Thinking
26.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Räumliche Orientierung – Hilfsmittel der Orientierung
26.2 Fachdidaktischer Bezug: Spatial Thinking
26.3 Unterrichtsbaustein: Räumliche Orientierung mit digitalen Orientierungsrastern
26.4 Transfer
Literatur
27 Spatial Citizenship
27.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Geovisualisierung – Web-Mapping
27.2 Fachdidaktischer Bezug: Spatial Citizenship
27.3 Unterrichtsbaustein: Stadtgrün mittels digitaler Karten erfassen und bewerten
27.4 Transfer
Anchor 6
Literatur
Stichwortverzeichnis

Citation preview

Inga Gryl Michael Lehner Tom Fleischhauer Karl Walter Hoffmann Hrsg.

Geographiedidaktik Fachwissenschaftliche Grundlagen, fachdidaktische Bezüge, unterrichtspraktische Beispiele Band 1

Geographiedidaktik

Inga Gryl · Michael Lehner · Tom Fleischhauer · Karl Walter Hoffmann (Hrsg.)

Geographiedidaktik Fachwissenschaftliche Grundlagen, fachdidaktische Bezüge, unterrichtspraktische Beispiele – Band 1

Hrsg. Inga Gryl Institut für Geographie University of Duisburg-Essen Essen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland Tom Fleischhauer Erfurt, Thüringen, Deutschland

Michael Lehner Institut für Geographie University of Duisburg-Essen Essen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland Karl Walter Hoffmann Staatliches Studienseminar für Gymnasien Speyer, Rheinland-Pfalz, Deutschland

ISBN 978-3-662-65729-4 ISBN 978-3-662-65730-0  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: The Inverted World Map by Frans Blok/3Develop Planung/Lektorat: Simon Shah-Rohlfs Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Liebe Leser*innen, Schulpraktiker*innen, Lehrer*innen, Referendar*innen, Studierende, Fachdidaktiker*innen, Theoretiker*innen und Interessierte, das Schulfach Geographie ist vielfältig – und mannigfaltig ist auch der mit dem Schulfach befasste Personenkreis. Die nicht abzuschließende Vielfalt der Anreden dieses Vorworts deutet bereits an, dass dieses Buch, im Bewusstsein der Heterogenität der Adressat*innen, eine Einladung und Unterstützung sein kann, Geographiedidaktik von verschiedenen Ausgangslagen aus zu erkunden. Deswegen bietet es eine Fundgrube an Bausteinen aus geographiedidaktischer Theorie, Schulpraxis und geographischem Fachwissen, in denen jede*r stöbern und sich daraus entsprechend der eigenen Bedürfnisse bedienen kann. Kompendien und Lehrbücher zur Geographiedidaktik gibt es bereits einige, und auch wenn jeder neue Aufschlag um Aktualität bemüht ist, können Wiederholungen nicht vermieden werden. Dennoch gibt es gute Gründe für die beiden vorliegenden, eng zusammengehörenden Bände: Jedes Werk zur Geographiedidaktik verfolgt eine eigene Strategie, dieses komplexe Fach erschließbar und in der Praxis vermittelbar zu machen. Das Selbstverständnis dieses Werks ist es, vielfältige geographiedidaktische Ansätze sowohl unter Herstellung eines Anwendungsbezugs als auch unter Fundierung durch geographische, auf Lehrpläne zugeschnittene Inhalte zu vermitteln und flexibel anwendbar zu machen. Mit anderen Worten: Der Band möchte fachwissenschaftlich fundiert, fachdidaktisch absichtsvoll und unterrichtspraktisch umsetzend sein. Die Besonderheit besteht nun insbesondere auch darin, dass der umfassende Fundus es ermöglicht, geographiedidaktische Ansätze und fachwissenschaftliche Inhalte ausgehend von dem exemplarischen Anwendungsbezug durch Transferideen vielfältig miteinander zu kombinieren. Um dieses Ziel zu erleichtern, verfügt dieser Band neben seiner linearen, an Lehrplaninhalten orientierten Struktur auch über weitere Indizes, die ein Durchsuchen auf ganz anderen Ebenen erlauben: auf den geographiedidaktischen Ansätzen, den Basiskonzepten, den räumlichen Bezügen und der Kompetenzorientierung etwa. Die beiden Bände sind ein umfassendes Gemeinschaftswerk, das verschiedene Professionen und Expertisen vereint. Die 83 Autor*innen aus der gesamten deutschsprachigen Community der Geographiedidaktik sind in Schulpraxis, Lehramtsausbildung und/oder Forschung tätig. Heterogene Autor*innenteams beflügeln sich gegenseitig und V

VI

Vorwort

sind sich ein kritisches Korrektiv. Aus diesem Grund wurden alle Beiträge des Bandes offen in der Gruppe der Autor*innen peer-reviewed, um Dialoge im Entstehungsprozess anzuregen1. Das Herausgeber*innenteam ist mit Hintergründen in Schulpraxis, Fachund Seminarleitung und Universität bewusst heterogen zusammengesetzt. Auch Schule ist heterogen und unterliegt vielfältigen Einflüssen. Für ihre Bereitschaft, sich auf diese herausfordernde Arbeit einzulassen, ihren Erfahrungsschatz zu teilen und mit all ihrer Expertise den Leser*innen Anregung, Professionalisierung und Unterstützung anzubieten, danken wir als Herausgeber den Autor*innen auf das Herzlichste. Darüber hinaus möchten wir uns auch besonders bei Gudrun Reichert und Julia Konschak bedanken, deren Unterstützung in organisatorischer und technischer Hinsicht für uns eine riesige Hilfe war. Das Titelbild „The Inverted World Map“ dieses Bandes stammt von Frans Blok (3Develop, E-Mail: [email protected], www.3develop.nl). Es wirft die Frage auf: Was wäre, wenn ...? Die Welt mit invertierten Land- und Wasserflächen ist ein spannendes Gedankenexperiment, wären doch die klimatischen Verhältnisse, aber auch Bedingungen etwa von Transport und Migration ganz anders aufgestellt. Wir bedanken uns sehr herzlich für die freundliche Bereitstellung. Wir wünschen Ihnen als Leser*innen, dass die vorliegenden zwei Bände Ihnen mit den theoriegeleiteten und praxisorientierten Beiträgen die Vielfalt geographiedidaktischer Zugangsweisen aufzeigen und deren Praktikabilität und Transferfähigkeit in der eigenen Erprobung erlebbar machen. Sollten Sie bereits Expertin bzw. Experte im Unterrichten sein, hoffen wir, dass Ihnen die Bände weitere Inspiration bieten und Lust machen, Neues auszuprobieren. Die Herausgeber*innen Inga Gryl Michael Lehner Karl Walter Hoffmann Tom Fleischhauer

1

Bei einzelnen Beiträgen wurde das Peer-Review-Verfahren auch noch zusätzlich von sechs externen Gutachter*innen unterstützt. Für ihre Anregungen möchten wir uns bei Annette Coen, Jan Grey, Thomas Jekel, Tilman Rhode-Jüchtern, Theresa Steffestun und Sandra Stieger bedanken.

Alternative Inhaltsverzeichnisse

Gliederung nach geographiedidaktischen Bezügen Dieser Index ergänzt das klassische Inhaltsverzeichnis. Er soll einen Zugriff auf die geographiedidaktischen Bezüge der jeweiligen Beiträge ermöglichen. Als Verweis dient ein Code (z. B. 2.18), wobei die Ziffer vor dem Punkt auf einen der beiden Bände verweist und die Zahl nach dem Punkt auf die Kapitelnummer des jeweiligen Bandes. (Für weitere Anregungen zur Verwendung dieses Index: siehe Abschn. 1.2.1 in der Einleitung) A Activist Citizenship, 1.24, 2.10 Aktualitätsprinzip, 1.18, 2.11, 2.21, 2.22 Alltagsorientierung, 1.15 Argumentation, 2.21, 1.20, 1.23, 2.18, 2.21 ästhetische Bildung, 2.16, 2.23 außerschulischer Lernort, 1.24, 1.14 B Basiskonzept, 2.04, 1.02, 1.17, 1.20, 1.25, 1.26, 2.03, 2.08, 2.12, 2.15 bewegtes Lernen, 1.12 Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2.20, 1.08, 1.13, 1.14, 1.15, 1.16, 1.18, 1.22, 1.24, 1.25, 2.05, 2.16, 2.19, 2.23, 2.24, 2.27, 2.28 bilingualer Geographieunterricht, 2.11 D Dekonstruktion, 2.14, 1.21, 2.12, 2.13, 2.18, 2.26 didaktische Rekonstruktion, 1.07 didaktisches Strukturgitter, 2.10 digitale Geomedien, 1.04, 1.03 Digitalisierung, 2.25, 1.12 VII

VIII

Alternative Inhaltsverzeichnisse

E entdeckendes Lernen, 1.03, 1.05, 1.20, 2.09, 2.10, 2.16 Epistemologie des Fachs, 1.02, 1.20 Erkenntnisgewinnung, 2.02 experimentieren, 1.05, 1.03, 1.10 Exkursionsdidaktik, 2.08, 1.14, 1.24 F fächerübergreifender Unterricht, 2.23, 1.16, 1.24, 2.11 Fernerkundung, 1.09 forschendes Lernen, 1.03, 1.05, 1.13, 1.19, 1.20, 2.09, 2.10, 2.16 G Geomedienkompetenz, 1.09, 1.11, 1.12, 1.16, 1.21, 1.27 globales Lernen, 2.05, 2.18, 2.19, 2.20 H handlungstheoretische Sozialgeographie, 1.23, 1.06 haptisches Modell, 1.10 I immanente Kritik, 2.15 Inklusion, 2.13, 2.07 Innovativität, 2.07, 2.19 Interessenorientierung, 1.14 K Kartenauswertung, 1.11, 2.23 Klimawandelbildung, 1.13, 1.08, 1.18 kognitive Karte, 1.26, 2.03 Kompetenzorientierung, 2.03, 1.24 Komplexität, 1.08, 1.17, 1.18, 1.20, 1.23 Konfliktorientierung, 2.21 Konstruktivismus, 1.02, 1.07, 1.13, 1.20, 2.02, 2.12, 2.14 Kontroversitätsprinzip, 1.08, 2.15, 2.22 kritisches Denken, 2.18, 1.06, 1.20, 2.09, 2.14, 2.26 kritisches Kartieren, 2.06 M machtsensible geographische Bildung, 1.22, 1.06 Mapping, 1.25

Alternative Inhaltsverzeichnisse

Mediendidaktik, 1.12, 1.06, 1.11, 1.21, 2.13, 2.14 Medienkompetenz, 2.27 Mental Map, 1.25 metakognitives Lernen, 1.02, 1.07, 1.11, 2.02, 2.04, 2.17 Modellierung, 2.03, 2.17 Modellkompetenz, 2.17, 1.05, 1.10, 1.20, 2.17 Multiperspektivität, 2.21 mündigkeitsorientierte Bildung, 2.28, 1.06, 1.27, 2.14, 2.15, 2.24, 2.25, 2.26 N Nachhaltigkeitsviereck, 1.19 O Othering, 2.18 P Partizipation, 2.27, 2.07, 2.10, 2.28 Perspektivenwechsel, 1.06, 1.02, 1.10, 1.20, 2.02, 2.11, 2.12, 2.14, 2.15, 2.22 Phänomenologie, 2.09, 1.06, 2.02, 2.16 postkoloniale Perspektive, 2.18 Problemorientierung, 2.21 R rassismuskritische Didaktik, 2.13 Raumkonzept, 2.12, 1.02, 1.22, 1.23, 1.26, 2.02, 2.04, 2.09 räumliche Orientierung, 2.08 Reflexion, 2.26 regionales Lernen, 1.24 S Schüler*innenvorstellung und Conceptual Change, 1.07 sozioökonomische Bildung, 2.22, 2.17, 2.23, 2.25 Spatial Citizenship, 1.27, 1.04, 1.16, 1.24, 1.25, 2.07, 2.10, 2.28 Spatial Thinking, 1.26, 1.04, 1.09, 1.27 sprachbewusster Umgang mit Bildern, 1.21 Statistik und Visual Analytics, 1.16 subjektive Karte, 1.25, 1.26, 2.03, 2.06 Syndromansatz, 1.19, 1.18 Systemkompetenz, 1.17, 1.08, 1.18, 1.19, 2.02, 2.03, 2.04, 2.05

IX

X

Alternative Inhaltsverzeichnisse

T transformative Bildung, 2.24, 1.15, 1.22, 2.20 W Wertebildung, 1.15, 1.06, 2.05, 2.19, 2.20, 2.24 Wirkungsgefüge, 1.19 Wissenschaftsorientierung, 1.20, 1.08, 2.02, 2.14 Z Zukunftsorientierung, 2.19, 1.18

Gliederung nach fachwissenschaftlichen Bezügen Dieser Index ergänzt das klassische Inhaltsverzeichnis. Er soll einen Zugriff auf die fachwissenschaftlichen Bezüge der jeweiligen Beiträge ermöglichen. Als Verweis dient ein Code (z. B. 2.18), wobei die Ziffer vor dem Punkt auf einen der beiden Bände verweist und die Zahl nach dem Punkt auf die Kapitelnummer des jeweiligen Bandes. (Für weitere Anregungen zur Verwendung dieses Index: siehe Abschn. 1.2.1 der Einleitung) B Boden, 1.05 Braunkohle, 1.24 D Dienstleistungssektor, 2.25 Digitalisierung, 2.27 Disparität globale, 2.18 regionale, 2.23 E Energieträger, 1.23 Energiewende, 1.23 Erderwärmung, 1.07 Erdgeschichte, 1.03 Ernährung, 2.24 Europa, 2.09, 2.12 Europäische Union, 2.11, 2.15

Alternative Inhaltsverzeichnisse

F Fachgeschichte, 2.02 Flucht, 2.14 G Gegenstandsbereich der Geographie, 1.02 Gentrifizierung, 2.08 Geovisualisierung, 1.27 Glaziologie, 1.11 Gletscherschmelze, 1.11 globale Warenkette, 2.19 globale Zirkulation El-Niño-Ereignis, 1.09 Golfstromzirkulation, 1.08 Globalisierung, 2.19 Grenze, 2.12 H Hochwasser, 1.10 humangeographisches Paradigma, 2.02 Hurrikan, 1.06

I Informationssektor, 2.26 J Jahreszeit, 1.07 K Klimagerechtigkeit, 1.22 Klimawandel, 1.13, 1.20, 1.21 Kultur der Digitalität, 2.28 L Länderklassifikation, 2.18 Landwirtschaft, 1.15 intensive, 1.19 ökologische, 1.14 M mediale Repräsentation, 2.14 Megacity, 2.05

XI

XII

Megatrend, 2.24 Migration, 2.14, 2.15 Mobilität, 2.16 N nachhaltiges Wirtschaften, 2.22 Nachhaltigkeit, 1.16 Nachhaltigkeitsproblem, 1.19 Naturgefahr, 1.04 O Ökosystem, 1.18 Ökozone, 1.13 Othering, 2.13 P peripherer ländlicher Raum, 2.23 Planet Erde, 1.12 planetare Belastungsgrenze, 1.16, 1.17 Plattformökonomie, 2.25 politische Ökologie, 1.22 Postkolonialismus, 2.13 R räumliche Orientierung, 1.26 Raumnutzungskonflikt, 2.21 Raumplanung, 2.10 S Smart City, 2.28 Sonnensystem, 1.07 Sozialkatastrophe, 1.06 Stadt -entwicklung, 1.25, 2.04, 2.06, 2.08 -gliederung, 2.03 -grün, 1.25 öffentlicher Stadtraum, 2.07 Recht auf, 2.07 Ungleichheit in der, 2.06 Standortanspruch, 2.22 Stickstoff, 1.17 Strukturwandel, 1.24

Alternative Inhaltsverzeichnisse

Alternative Inhaltsverzeichnisse

XIII

T Textilindustrie, 2.20 Tierwohl, 1.15 Tourismus, 2.16 V Verstädterung, 2.05 Virtualität, 2.27 Vulkanismus, 1.04 W Wasserhaushalt, 1.10 Webmapping, 1.27 Welthandel, 2.20 Winderosion, 1.05 Windkraft, 2.21 wirtschaftsräumlicher Wandel, 2.17 Z Zukunftsforschung, 2.24

Gliederung nach Basiskonzepten Dieser Index ergänzt das klassische Inhaltsverzeichnis. Er soll einen Zugriff auf die Basiskonzepte, welche in den jeweiligen Beiträge angesprochen werden, ermöglichen. Als Verweis dient ein Code (z. B. 2.18), wobei die Ziffer vor dem Punkt auf einen der beiden Bände verweist und die Zahl nach dem Punkt auf die Kapitelnummer des jeweiligen Bandes. (Für weitere Anregungen zur Verwendung dieses Index: siehe Abschn. 1.2.1 der Einleitung)

Basiskonzepte Deutschland Mensch-Umwelt-System menschliches (Teil-)System, 1.05, 1.06, 1.07, 1.08, 1.10, 1.14, 1.18, 1.23, 1.24, 1.25, 2.05, 2.07, 2.10, 2.11, 2.16, 2.19, 2.21 natürliches (Teil-)System, 1.05, 1.06, 1.07, 1.08, 1.10, 1.14, 1.18, 1.23, 1.24, 1.25, 2.05, 2.10, 2.16, 2.21

XIV

Alternative Inhaltsverzeichnisse

Systemkomponenten Struktur, 1.03, 1.05, 1.07, 1.08, 1.09, 1.12, 1.18, 1.19, 1.24, 1.27, 2.03, 2.05, 2.06, 2.08, 2.10, 2.15, 2.25, 2.26 Funktion, 1.03, 1.07, 1.08, 1.18, 1.19, 1.24, 2.03, 2.05, 2.08, 2.10, 2.11, 2.14, 2.22, 2.28 Prozess, 1.03, 1.04, 1.05, 1.08, 1.09, 1.11, 1.18, 1.19, 1.21, 1.24, 2.03, 2.05, 2.06, 2.08, 2.10, 2.14, 2.15, 2.17, 2.22, 2.26, 2.28 Nachhaltigkeitsviereck Ökonomie, 1.05, 1.15, 1.16, 1.18, 2.04, 2.05, 2.19, 2.20, 2.24, 2.25, 2.27, 2.28 Ökologie, 1.05, 1.11, 1.15, 1.16, 1.18, 1.25, 2.04, 2.05, 2.19, 2.20, 2.24, 2.25, 2.27, 2.28 Politik, 1.15, 1.16, 1.18, 2.04, 2.05, 2.19, 2.20, 2.24, 2.25, 2.27, 2.28 Soziales, 1.05, 1.15, 1.16, 1.18, 2.04, 2.05, 2.19, 2.20, 2.24, 2.25, 2.27, 2.28 Maßstabsebenen lokal, 1.07, 1.11, 1.13, 1.18, 1.25, 1.26, 1.27, 2.05, 2.06, 2.07, 2.08, 2.09, 2.10, 2.15, 2.16, 2.17, 2.18, 2.19, 2.22, 2.23, 2.24, 2.25, 2.26, 2.27, 2.28 regional, 1.04, 1.05, 1.07, 1.08, 1.09, 1.13, 1.18, 1.19, 1.21, 1.26, 1.27, 2.05, 2.06, 2.09, 2.10, 2.11, 2.15, 2.17, 2.18, 2.19, 2.22, 2.23, 2.24, 2.25, 2.28 national, 1.07, 1.08, 1.13, 1.16, 1.18, 1.19, 1.21, 1.26, 1.27, 2.05, 2.06, 2.09, 2.11, 2.15, 2.17, 2.18, 2.19, 2.23, 2.24, 2.25, 2.28 international, 1.07, 1.08, 1.13, 1.18, 1.19, 1.26, 1.27, 2.05, 2.06, 2.09, 2.14, 2.17, 2.18, 2.19, 2.23, 2.24, 2.28 global, 1.04, 1.07, 1.08, 1.09, 1.12, 1.13, 1.16, 1.18, 1.22, 1.26, 1.27, 2.05, 2.06, 2.09, 2.14, 2.15, 2.17, 2.18, 2.19, 2.24, 2.25, 2.26, 2.28 Zeithorizonte kurzfristig, 1.07, 1.18, 2.07, 2.15, 2.17, 2.25 mittelfristig, 1.05, 1.07, 1.09, 1.11, 1.16, 1.18, 1.19, 1.21, 2.07, 2.17, 2.22 langfristig, 1.04, 1.05, 1.07, 1.08, 1.16, 1.18, 1.19, 2.15, 2.17, 2.19, 2.22, 2.25, 2.27 Raumkonzepte Raum als Container, 1.04, 1.05, 1.08, 1.12, 1.21, 1.24, 1.26, 2.04, 2.08, 2.09, 2.18, 2.21, 2.23 Beziehungsraum, 1.04, 1.08, 1.11, 1.12, 1.13, 1.19, 1.24, 1.26, 2.04, 2.08, 2.09, 2.14, 2.18, 2.21, 2.22, 2.23, 2.26 wahrgenommener Raum, 1.12, 1.13, 1.23, 1.24, 1.25, 1.26, 1.27, 2.04, 2.05, 2.08, 2.09, 2.11, 2.13, 2.14, 2.16, 2.18, 2.19, 2.21, 2.22, 2.23, 2.27, 2.28 konstruierter Raum, 1.12, 1.21, 1.22, 1.23, 1.24, 1.26, 1.27, 2.04, 2.07, 2.08, 2.09, 2.11, 2.12, 2.13, 2.14, 2.16, 2.18, 2.21, 2.22, 2.26, 2.27

Alternative Inhaltsverzeichnisse

XV

Basiskonzepte Österreich Raumkonstruktion und Raumkonzepte, 1.04, 1.08, 1.12, 1.21, 1.23, 1.25, 1.26, 1.27, 2.02, 2.03, 2.04, 2.09, 2.12, 2.13, 2.14, 2.16, 2.18, 2.22, 2.26, 2.27 Regionalisierung und Zonierung, 2.03, 2.08, 2.09, 2.11, 2.17, 2.18 Diversität und Disparität, 1.19, 2.03, 2.05, 2.06, 2.09, 2.13, 2.14, 2.17, 2.18, 2.19, 2.23 Maßstäblichkeit, 1.07, 1.08, 1.09, 1.16, 1.17, 1.25, 1.27, 2.03, 2.09, 2.17, 2.26 Wahrnehmung und Darstellung, 1.04, 1.12, 1.13, 1.16, 1.21, 1.25, 1.26, 1.27, 2.02, 2.03, 2.04, 2.06, 2.09, 2.13, 2.14, 2.16, 2.18, 2.22, 2.23, 2.26, 2.27 Nachhaltigkeit und Lebensqualität, 1.12, 1.14, 1.15, 1.16, 1.17, 1.18, 1.19, 1.23, 1.24, 1.25, 2.03, 2.04, 2.05, 2.07, 2.10, 2.16, 2.19, 2.20, 2.21, 2.22, 2.24, 2.28 Interessen, Konflikte und Macht, 1.06, 1.18, 1.19, 1.22, 1.23, 1.24, 2.03, 2.06, 2.07, 2.10, 2.14, 2.15, 2.18, 2.19, 2.21, 2.22, 2.26, 2.28 Arbeit, Produktion und Konsum, 1.15, 2.11, 2.15, 2.17, 2.19, 2.20, 2.24, 2.25 Märkte, Regulierung und Deregulierung, 2.15, 2.24, 2.25 Wachstum und Krise, 2.15, 2.23 Mensch-Umwelt-Beziehungen, 1.05, 1.06, 1.07, 1.08, 1.09, 1.10, 1.11, 1.13, 1.14, 1.15, 1.16, 1.17, 1.18, 1.19, 1.21, 1.22, 1.23, 1.24, 1.25, 2.10, 2.16, 2.20, 2.21, 2.22, 2.24 Geoökosysteme, 1.03, 1.04, 1.05, 1.07, 1.08, 1.09, 1.10, 1.11, 1.13, 1.17, 1.18, 1.19, 1.21, 1.24, 1.25 Kontingenz, 1.22, 2.02, 2.03, 2.07, 2.09, 2.14, 2.15, 2.16, 2.22, 2.28

Lehrplan Schweiz 1 Natürliche Grundlagen der Erde untersuchen Die Schülerinnen und Schüler können … 1.1 die Erde als Planeten beschreiben, 1.12. 1.2 Wetter und Klima analysieren, 1.08, 1.09, 1.11, 1.21. 1.3 Naturphänomene und Naturereignisse erklären, 1.03, 1.04, 1.05, 1.08, 1.18. 1.4 natürliche Ressourcen und Energieträger untersuchen, 1.16, 1.23. 2 Lebensweisen und Lebensräume charakterisieren Die Schülerinnen und Schüler können … 2.1 Bevölkerungsstrukturen und -bewegungen erkennen und einordnen, 1.04, 2.14, 2.15. 2.2 Lebensweisen von Menschen in verschiedenen Lebensräumen vergleichen, 1.13, 1.16, 2.03, 2.09, 2.12, 2.13, 2.18, 2.19, 2.23. 2.3 die Dynamik in städtischen und ländlichen Räumen analysieren, 1.25, 2.03, 2.04, 2.05, 2.06, 2.07, 2.08, 2.10, 2.23, 2.28. 2.4 Mobilität und Transport untersuchen, 2.11, 2.16. 2.5 die Bedeutung des Tourismus einschätzen, 2.22, 2.23.

XVI

Alternative Inhaltsverzeichnisse

3 Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren Die Schülerinnen und Schüler können … 3.1 natürliche Systeme und deren Nutzung erforschen, 1.05, 1.06, 1.07, 1.08, 1.09, 1.10, 1.11, 1.13, 1.14, 1.16, 1.17, 1.18, 1.22, 1.23, 1.24, 2.22. 3.2 wirtschaftliche Prozesse und die Globalisierung untersuchen, 1.15, 1.19, 2.03, 2.17, 2.19, 2.20, 2.24, 2.25, 2.26. 3.3 Prozesse der Raumplanung nachvollziehen, 1.04, 1.06, 1.17, 1.25, 2.10, 2.11, 2.21. 4 Sich in Räumen orientieren Die Schülerinnen und Schüler können … 4.1 Orte lokalisieren, 1.04, 1.19, 1.25, 1.26, 1.27. 4.2 Karten und Orientierungsmittel auswerten, 1.04, 1.09, 1.16, 1.19, 1.26, 2.03, 2.06, 2.10, 2.12, 2.26. 4.3 sich im Realraum orientieren, 1.26, 2.03, 2.08. 5 Schweiz in Tradition und Wandel verstehen Die Schülerinnen und Schüler können … 5.1 Entstehung und Entwicklung der Schweiz erklären. (kein Beitrag) 5.2 aufzeigen, wie Menschen in der Schweiz durch wirtschaftliche Veränderungen geprägt werden und wie sie die Veränderungen gestalten. (kein Beitrag) 5.3 das Alltagsleben von Menschen in der Schweiz in verschiedenen Jahrhunderten vergleichen. (kein Beitrag) 6 Weltgeschichtliche Kontinuitäten und Umbrüche erklären Die Schülerinnen und Schüler können … 6.1 die Geschichte vom Beginn der Neuzeit bis heute in ausgewählten Längsschnitten erzählen. (kein Beitrag) 6.2 Kontinuitäten und Umbrüche im 19. Jahrhundert charakterisieren, 2.1. 6.3 ausgewählte Phänomene der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts analysieren und deren Relevanz für heute erklären, 2.1. 7 Geschichtskultur analysieren und nutzen Die Schülerinnen und Schüler können … 7.1 sich an ausserschulischen geschichtlichen Bildungsorten zurechtfinden und sie zum Lernen nutzen. (kein Beitrag) 7.2 Geschichte zur Bildung und Unterhaltung nutzen. (kein Beitrag) 7.3 aus Gesprächen mit Zeitzeugen Erkenntnisse über die Vergangenheit gewinnen. (kein Beitrag) 8 Demokratie und Menschenrechte verstehen und sich dafür engagieren Die Schülerinnen und Schüler können … 8.1 die Schweizer Demokratie erklären und mit anderen Systemen vergleichen. (kein Beitrag)

Alternative Inhaltsverzeichnisse

XVII

8.2 die Entwicklung, Bedeutung und Bedrohung der Menschenrechte erklären, 2.14. 8.3 die Positionierung der Schweiz in Europa und der Welt wahrnehmen und beurteilen. (kein Beitrag)

Gliederung nach Kompetenzen Dieser Index ergänzt das klassische Inhaltsverzeichnis. Er soll einen Zugriff auf die Kompetenzen, welche in den jeweiligen Beiträge angesprochen werden, ermöglichen. Als Verweis dient ein Code (z. B. 2.18), wobei die Ziffer vor dem Punkt auf einen der beiden Bände verweist und die Zahl nach dem Punkt auf die Kapitelnummer des jeweiligen Bandes. (Für weitere Anregungen zur Verwendung dieses Index: siehe Abschn. 1.2.1 der Einleitung)

Fachwissen F1 Fähigkeit, die Erde als Planeten zu beschreiben Schülerinnen und Schüler können … S1 grundlegende planetare Merkmale (z. B. Größe, Gestalt, Aufbau, Neigung der Erdachse, Gravitation) beschreiben, 1.07. S2  die Stellung und die Bewegungen der Erde im Sonnensystem und deren Auswirkungen erläutern (Tag und Nacht, Jahreszeiten), 1.07. F2  Fähigkeit, Räume unterschiedlicher Art und Größe als naturgeographische Systeme zu erfassen Schülerinnen und Schüler können … S3 die natürlichen Sphären des Systems Erde (z. B. Atmosphäre, Pedosphäre, Lithosphäre) nennen und einzelne Wechselwirkungen darstellen, 1.03, 1.17. S4  gegenwärtige naturgeographische Phänomene und Strukturen in Räumen (z. B. Vulkane, Erdbeben, Gewässernetz, Karstformen) beschreiben und erklären, 1.03, 1.04, 1.10. S5 vergangene und zu erwartende naturgeographische Strukturen in Räumen (z. B. Lageveränderung der geotektonischen Platten, Gletscherveränderungen) erläutern, 1.08, 1.11. S6 Funktionen von naturgeographischen Faktoren in Räumen (z. B. Bedeutung des Klimas für die Vegetation, Bedeutung des Gesteins für den Boden) beschreiben und erklären, 1.10, 1.17. S7 den Ablauf von naturgeographischen Prozessen in Räumen (z. B. Verwitterung, Wettergeschehen, Gebirgsbildung) darstellen, 1.03, 1.05, 1.09.

XVIII

Alternative Inhaltsverzeichnisse

S8 das Zusammenwirken von Geofaktoren und einfache Kreisläufe (z. B. Höhenstufen der Vegetation, Meeresströmungen und Klima, Ökosystem tropischer Regenwald, Wasserkreislauf) als System darstellen, 1.08, 1.17. S9 ihre exemplarisch gewonnenen Kenntnisse auf andere Räume anwenden. 1.18. F3 Fähigkeit, Räume unterschiedlicher Art und Größe als humangeographische Systeme zu erfassen Schülerinnen und Schüler können … S10  vergangene und gegenwärtige humangeographische Strukturen in Räumen be­schreiben und erklären; sie kennen Vorhersagen zu zukünftigen Strukturen (z. B. politische Gliederung, wirtschaftliche Raumstrukturen, Bevölkerungsverteilungen), 2.04, 2.12, 2.23. S11 Funktionen von humangeographischen Faktoren in Räumen (z. B. Erschließung von Siedlungsräumen durch Verkehrswege) beschreiben und erklären, 1.12, 2.04. S12 den Ablauf von humangeographischen Prozessen in Räumen (z. B. Strukturwandel, Verstädterung, wirtschaftliche Globalisierung) beschreiben und erklären, 1.15, 1.24, 2.04, 2.08, 2.20, 2.23, 2.28. S13  das Zusammenwirken von Faktoren in humangeographischen Systemen (z. B. Bevölkerungspolitik, Welthandel, Megastädte) erläutern, 2.04, 2.07. S14  die realen Folgen sozialer und politischer Raumkonstruktionen (z. B. Kriege, Migration, Tourismus) erläutern, 2.12, 2.14, 2.23. S15 humangeographische Wechselwirkungen zwischen Räumen (z. B. Stadt – Land, Entwicklungsländer – Industrieländer) erläutern, 2.03. S16 ihre exemplarisch gewonnenen Erkenntnisse auf andere Räume anwenden. (kein Beitrag) F4 Fähigkeit, Mensch-Umwelt-Beziehungen in Räumen unterschiedlicher Art und Größe zu analysieren Schülerinnen und Schüler können … S17 das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen (z. B. Standortwahl von Betrieben, Landwirtschaft, Bergbau, Energiegewinnung, Tourismus, Verkehrsnetze, Stadtökologie) beschreiben und analysieren, 1.06, 1.13, 1.14, 1.17, 1.18, 1.19, 1.20, 1.22, 1.25, 2.03, 2.05, 2.22, 2.23. S18 Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen (z. B. Rodung, Gewässerbelastung, Bodenerosion, Naturrisiken, Klimawandel, Wassermangel, Bodenversalzung) erläutern, 1.05, 1.06, 1.11, 1.13, 1.15, 1.17, 1.19, 1.21, 1.24, 2.05, 2.23. S19 an ausgewählten einzelnen Beispielen Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen (z. B. Desertifikation, Migration, Ressourcenkonflikte, Meeresverschmutzung) systemisch erklären, 1.10, 1.11, 1.17, 1.19, 2.05, 2.19, 2.23.

Alternative Inhaltsverzeichnisse

XIX

S20 mögliche ökologisch, sozial und/oder ökonomisch sinnvolle Maßnahmen zur Entwicklung und zum Schutz von Räumen (z. B. Tourismusförderung, Aufforstung, Biotopvernetzung, Geotopschutz) erläutern, 1.04, 1.13, 1.14, 1.17, 1.19, 1.25, 2.23. S21 Erkenntnisse auf andere Räume der gleichen oder unterschiedlichen Maßstabsebene anwenden sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede (z. B. globale Umweltprobleme, Regionalisierung und Globalisierung, Tragfähigkeit der Erde und nachhaltige Entwicklung) darstellen, 1.18, 1.19. F5  Fähigkeit, individuelle Räume unterschiedlicher Art und Größe unter bestimmten Fragestellungen zu analysieren Schülerinnen und Schüler können … S22 geographische Fragestellungen (z. B. Gunst-/Ungunstraum, Gleichwertigkeit von Lebensbedingungen in Stadt und Land) an einen konkreten Raum (z. B. Gemeinde/ Heimatraum, Bundesland, Verdichtungsraum, Deutschland, Europa, USA, Russland) richten, 1.02, 1.17, 1.25, 2.03, 2.04, 2.05, 2.23, 2.27. S23  zur Beantwortung dieser Fragestellungen Strukturen und Prozesse in den ausgewählten Räumen (z. B. Wirtschaftsstrukturen in der EU, Globalisierung der Industrie in Deutschland, Waldrodung in Amazonien, Sibirien) analysieren, 1.16, 1.17, 1.19, 1.25, 2.05, 2.11, 2.15, 2.23. S24  Räume unter ausgewählten Gesichtspunkten (z. B. die Bevölkerungspolitik in Indien und China; das Klima Deutschlands, Russlands und der USA; die Naturausstattung von Arktis und Antarktis) vergleichen, 2.23. S25 Räume nach bestimmten Merkmalen kennzeichnen und sie vergleichend gegeneinander abgrenzen (z. B. Entwicklungsländer – Industrieländer, Verdichtungs- und Peripherräume in Deutschland und Europa). (kein Beitrag)

Räumliche Orientierung O1 Kenntnis grundlegender topographischer Wissensbestände Schülerinnen und Schüler … S1 verfügen auf den unterschiedlichen Maßstabsebenen über ein basales Orientierungswissen (z. B. Name und Lage der Kontinente und Ozeane, der großen Gebirgszüge der Erde, der einzelnen Bundesländer, von großen europäischen Städten und Flüssen). (kein Beitrag) S2 kennen grundlegende räumliche Orientierungsraster und Ordnungssysteme (z. B. das Gradnetz, die Klima- und Landschaftszonen der Erde, Regionen unterschiedlichen Entwicklungsstandes), 1.26.

XX

Alternative Inhaltsverzeichnisse

O2 Fähigkeit zur Einordnung geographischer Objekte und Sachverhalte in räumliche Ordnungssysteme Schülerinnen und Schüler können … S3 die Lage eines Ortes (und anderer geographischer Objekte und Sachverhalte) in Beziehung zu weiteren geographischen Bezugseinheiten (z. B. Flüsse, Gebirge) beschreiben, 1.02, 1.19, 1.26. S4  die Lage geographischer Objekte in Bezug auf ausgewählte räumliche Orientierungsraster und Ordnungssysteme (z. B. Lage im Gradnetz) genauer beschreiben, 1.18, 1.26. O3 Fähigkeit zu einem angemessenen Umgang mit Karten (Kartenkompetenz) Schülerinnen und Schüler können … S5  die Grundelemente einer Karte (z. B. Grundrissdarstellung, Generalisierung, doppelte Verebnung von Erdkugel und Relief) nennen und den Entstehungsprozess einer Karte beschreiben, 1.03. S6 topographische, physische, thematische und andere alltagsübliche Karten im Web oder anderen Quellen finden, lesen und unter einer zielführenden Fragestellung auswerten, 1.03, 1.11. S7  Beeinflussungsmöglichkeiten der Kommunikation mit kartographischen Darstellungen (z. B. durch Farbwahl, Akzentuierung) beschreiben, 1.04, 2.06, 2.26. S8  topographische Übersichtsskizzen und einfache Karten analog und digital anfertigen, 1.04. S9 aufgabengeleitet einfache Kartierungen durchführen, 1.27, 2.06. O4 Fähigkeit zur Orientierung in Realräumen Schülerinnen und Schüler können … S11  mithilfe einer Karte und anderer Orientierungshilfen (z. B. Landmarken, Straßennamen, Himmelsrichtungen, mobilen Geräten zur Standortermittlung) ihren Standort im Realraum bestimmen, 1.26, 2.08. S12 anhand einer Karte eine Wegstrecke im Realraum beschreiben. (kein Beitrag) S13 sich mithilfe von Karten und anderen Orientierungshilfen (z. B. Landmarken, Piktogrammen, Kompass, Diensten zur Routenplanung, Augmented Reality) im Realraum bewegen, 1.26, 2.03. S14 schematische Darstellungen von Verkehrsnetzen anwenden. (kein Beitrag) O5 Fähigkeit zur Reflexion von Raumwahrnehmung und -konstruktion Schülerinnen und Schüler können … S15 anhand von kognitiven Karten/Mental Maps und Augmented Reality erläutern, dass Räume stets selektiv und subjektiv wahrgenommen werden (z. B. Vergleich der Mental Maps deutscher und japanischer Schüler von der Welt), 1.25, 2.09, 2.13, 2.27.

Alternative Inhaltsverzeichnisse

XXI

S16  anhand von Karten verschiedener Art erläutern, dass Raumdarstellungen stets konstruiert sind (z. B. zwei verschiedene Kartennetzentwürfe; zwei verschiedene Karten über Entwicklungs- und Industrieländer), 2.06, 2.12, 2.26.

Erkenntnisgewinnung/Methoden M1  Kenntnis von geographisch/geowissenschaftlich relevanten Informationsquellen, -formen und -strategien Schülerinnen und Schüler können … S1  geographisch relevante Informationsquellen, sowohl analoge (z. B. Fachbücher, Gelände) als auch digitale (z. B. Internet, Apps) und Hybridformen (digital angereicherte Fach-/Lehrbücher, Augmented Reality, Virtual Reality) nennen, 1.20. S2 geographisch relevante Informationsformen/Medien (z. B. Karte, Foto, Luftbild, Zahl, Text, Diagramm, Globus, Augmented Reality, Virtual Reality) nennen, 1.20. S3 grundlegende Strategien der Informationsgewinnung aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen und -formen sowie Strategien der Informationsauswertung beschreiben, 1.09, 1.20. M2 Fähigkeit, Informationen zur Behandlung von geographischen/geowissenschaftlichen Fragestellungen zu gewinnen Schülerinnen und Schüler können… S4  problem-, sach- und zielgemäß Informationen aus geographisch relevanten Informationsformen/-medien auswählen, 1.03, 1.04, 1.12, 1.16, 1.21, 2.02, 2.10, 2.15, 2.22. S5  problem-, sach- und zielgemäß Informationen im Gelände (z. B. Beobachten, Kartieren, Messen, Zählen, Probennahme, Befragen) oder durch einfache Versuche und klassische Experimente gewinnen, 1.02, 1.03, 1.05, 1.07, 1.14, 2.08, 2.09. M3  Fähigkeit, Informationen zur Behandlung geographischer/geowissenschaftlicher Fragestellungen auszuwerten Schülerinnen und Schüler können … S6  geographisch relevante Informationen aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen sowie aus eigener Informationsgewinnung strukturieren und bedeutsame Einsichten herausarbeiten, 1.05, 1.07, 1.13, 1.16, 1.17, 1.20, 1.21, 1.27, 2.15, 2.17, 2.18, 2.24, 2.25, 2.26. S7  die gewonnenen Informationen mit anderen geographischen Informationen zielorientiert verknüpfen, 1.05, 1.17, 2.25. S8 die gewonnenen Informationen in andere Formen der Darstellung (z. B. Zahlen in Karten oder Diagramme, Fotos, Texte, Links u. v. m. in multimediale geographische Darstellungsformen) umwandeln, 1.04, 1.07, 1.08, 1.13, 1.19, 1.20, 1.27.

XXII

Alternative Inhaltsverzeichnisse

M4 Fähigkeit, die methodischen Schritte zu geographischer/geowissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung in einfacher Form zu beschreiben und zu erläutern Schülerinnen und Schüler können … S9  selbstständig einfache geographische Fragen stellen und dazu Hypothesen formulieren, 1.02, 1.05, 1.07, 1.09, 1.10, 1.12, 2.16, 2.17. S10  einfache Möglichkeiten der Überprüfung von Hypothesen beschreiben und anwenden, 1.09, 1.10, 2.14, 2.17. S11 den Weg der Erkenntnisgewinnung in einfacher Form beschreiben, 1.02, 2.02, 2.17.

Kommunikation K1  Fähigkeit, geographisch/geowissenschaftlich relevante Mitteilungen zu verstehen und sachgerecht auszudrücken Schülerinnen und Schüler können … S1 geographisch relevante schriftliche und mündliche Aussagen in Alltags- und Fachsprache verstehen, 1.12, 2.11. S2 geographisch relevante Sachverhalte/Darstellungen (in Text, Bild, Grafik etc.) sachlogisch geordnet und unter Verwendung von Fachsprache ausdrücken, 1.21, 2.07. S3  bei geographisch relevanten Aussagen zwischen Tatsachenfeststellungen und Bewertungen unterscheiden, 1.04, 2.18. S4  geographisch relevante Mitteilungen fach-, situations- und adressatengerecht organisieren und präsentieren, 1.04, 1.18. K2  Fähigkeit, sich über geographische/geowissenschaftliche Sachverhalte auszutauschen, auseinanderzusetzen und zu einer begründeten Meinung zu kommen Schülerinnen und Schüler können … S5  im Rahmen geographischer Fragestellungen die logische, fachliche und argumentative Qualität eigener und fremder Mitteilungen kennzeichnen und angemessen reagieren, 1.21, 2.06, 2.09, 2.18, 2.21, 2.26. S6 an ausgewählten Beispielen fachliche Aussagen und Bewertungen abwägen und in einer Diskussion zu einer eigenen begründeten Meinung und/oder zu einem Kompromiss kommen (z. B. Rollenspiele, Szenarien), 2.07, 2.10, 2.14, 2.16, 2.18, 2.21, 2.22, 2.24.

Beurteilung/Bewertung B1 Fähigkeit, ausgewählte Situationen/Sachverhalte im Raum unter Anwendung geographischer/geowissenschaftlicher Kenntnisse zu beurteilen Schülerinnen und Schüler können…

Alternative Inhaltsverzeichnisse

XXIII

S1 fachbezogene und allgemeine Kriterien des Beurteilens (wie z. B. ökologische/ökonomische/soziale Adäquanz, Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung, Perspektivität) nennen, 1.25, 2.22. S2 geographische Kenntnisse und die o.g. Kriterien anwenden, um ausgewählte, geographisch relevante Sachverhalte, Ereignisse, Herausforderungen und Risiken (z. B. Migration, Hochwasser, Entwicklungshilfe, Flächennutzungskonflikte, Konflikte beim Zusammentreffen von Kulturen, Bürgerkriege, Ressourcenkonflikte) zu beurteilen, 1.10, 1.14, 1.16, 1.19, 1.24, 1.26, 2.08, 2.10, 2.19, 2.23. B2 Fähigkeit, ausgewählte geographisch/geowissenschaftlich relevante Informationen aus Medien kriteriengestützt zu beurteilen (Medienkompetenz) Schülerinnen und Schüler können … S3  aus klassischen und modernen Informationsquellen (z. B. Schulbuch, Zeitung, Atlas, Internet) sowie aus eigener Geländearbeit gewonnene Informationen hinsichtlich ihres generellen Erklärungswertes und ihrer Bedeutung für die Fragestellung beurteilen, 1.05, 1.08, 1.10, 1.20, 1.27, 2.02, 2.17. S4 zur Beeinflussung der Darstellungen in geographisch relevanten Informationsträgern durch unterschiedliche Interessen kritisch Stellung nehmen (z. B. touristische Anlagen in Reiseprospekten, Stadtkarten für Kinder), 1.20, 1.21, 2.03, 2.06, 2.13, 2.26. B3  Fähigkeit, ausgewählte geographische/geowissenschaftliche Erkenntnisse und Sichtweisen hinsichtlich ihrer Bedeutung und Auswirkungen für die Gesellschaft angemessen zu beurteilen Schülerinnen und Schüler können … S5 zu den Auswirkungen ausgewählter geographischer Erkenntnisse in historischen und gesellschaftlichen Kontexten (z. B. Folgen von verschiedenen Weltbildern/ Berichte von Entdeckungsreisen) kritisch Stellung nehmen, 1.20, 2.02, 2.05, 2.06, 2.15, 2.18, 2.23, 2.25. S6  zu ausgewählten geographischen Aussagen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung (z. B. Vorhersagen von Naturrisiken und Umweltgefährdung) kritisch Stellung nehmen, 1.12, 1.17, 1.18, 1.19, 1.20, 2.05, 2.18, 2.24, 2.25, 2.28. B4  Fähigkeit, ausgewählte geographisch/geowissenschaftlich relevante Sachverhalte/Prozesse unter Einbeziehung fachbasierter und fachübergreifender Werte und Normen zu bewerten Schülerinnen und Schüler können … S7 geographisch relevante Werte und Normen (z. B. Menschenrechte, Naturschutz, Nachhaltigkeit) nennen, 1.15, 1.23, 2.05, 2.20. S8 geographisch relevante Sachverhalte und Prozesse (z. B. Flussregulierung, Tourismus, globale Ordnungen, Entwicklungshilfe/wirtschaftliche Zusammenarbeit, Ressourcennutzung) in Hinblick auf diese Normen und Werte bewerten, 1.06, 1.15, 1.16, 1.22, 1.23, 1.25, 2.05, 2.13, 2.14, 2.15, 2.19, 2.20, 2.23, 2.24, 2.27.

XXIV

Alternative Inhaltsverzeichnisse

Handlung H1 Kenntnis handlungsrelevanter Informationen und Strategien Schülerinnen und Schüler kennen … S1  umwelt- und sozialverträgliche Lebens- und Wirtschaftsweisen, Produkte sowie Lösungsansätze (z. B. Benutzung von ÖPNV, ökologischer Landbau, regenerative Energien), 2.16, 2.19. S2 schadens- und risikovorbeugende/-mindernde Maßnahmen (z. B. Tsunami-Warnsysteme, Entsiegelung, Renaturierung), 1.5. S3 Möglichkeiten, Vorurteile (z. B. gegenüber Angehörigen anderer Kulturen) aufzudecken und zu beeinflussen, 2.13, 2.14. H2  Motivation und Interesse für geographische/geowissenschaftliche Handlungsfelder Schülerinnen und Schüler interessieren sich … S4 für die Vielfalt von Natur und Kultur im Heimatraum und in anderen Lebenswelten, 2.13. S5 für geographisch relevante Probleme auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Maßstabsebene (z. B. Meeresverschmutzung, Hochwasser, Armut in Entwicklungsländern), 1.14, 2.19. S6 für die Orientierung an geographisch relevanten Werten, 1.15. H3  Bereitschaft zum konkreten Handeln in geographisch/geowissenschaftlich relevanten Situationen (Informationshandeln, politisches Handeln, Alltagshandeln) Schülerinnen und Schüler sind bereit, … S7 andere Personen fachlich fundiert über relevante Handlungsfelder zu informieren (z. B. Umwelt- und Sozialverträglichkeit einer Umgehungsstraße, Notwendigkeit eines Deichbaus oder von Überflutungsflächen, nachhaltige Stadtentwicklung, nachhaltige Landwirtschaft), 1.15, 2.03, 2.18, 2.28. S8 fachlich fundiert raumpolitische Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen und daran zu partizipieren (z. B. Planungsvorschläge an den Gemeinderat, Beteiligung an der Lokalen Agenda des Heimatortes), 1.24, 2.10, 2.27. S9 sich in ihrem Alltag für eine bessere Qualität der Umwelt, eine nachhaltige Entwicklung, für eine interkulturelle Verständigung und eine Begegnung auf Augenhöhe mit Menschen anderer Regionen sowie ein friedliches und gerechtes Zusammenleben in der Einen Welt einzusetzen (z. B. Kauf von Fair-Trade- und/oder Ökoprodukten, Partnerschaften, Verkehrsmittelwahl, Abfallvermeidung), 2.23, 2.25.

Alternative Inhaltsverzeichnisse

XXV

H4 Fähigkeit zur Reflexion der Handlungen hinsichtlich ihrer natur- und sozialräumlichen Auswirkungen Schülerinnen und Schüler können … S10 einzelne potenzielle oder tatsächliche Handlungen in geographischen Zusammenhängen begründen, 1.15, 2.18, 2.20, 2.24, 2.28. S11  natur- und sozialräumliche Auswirkungen einzelner ausgewählter Handlungen abschätzen und in Alternativen denken, 1.15, 1.18, 2.07, 2.18, 2.20, 2.24, 2.25, 2.28.

Gliederung nach räumlichen Bezügen Dieser Index ergänzt das klassische Inhaltsverzeichnis. Er soll einen Zugriff auf die räumlichen Bezüge der jeweiligen Beiträge ermöglichen. Als Verweis dient ein Code (z. B. 2.18), wobei die Ziffer vor dem Punkt auf einen der beiden Bände verweist und die Zahl nach dem Punkt auf die Kapitelnummer des jeweiligen Bandes. (Für weitere Anregungen zur Verwendung dieses Index: siehe Abschn. 1.2.1 der Einleitung) A Alpenraum, 1.11, 1.21, 2.22, 2.23 Atlantik, 1.08 Australien, 1.09 B Bad Frankenhausen (Kyffhäuserkreis), 1.03 Bahamas, 1.18 Bangladesch, 2.20 Berlin, 2.25, 2.26 Berner Alpen, 1.11 Bolivien, 2.19 Brandenburg, 1.05 Braunkohlerevier Lausitzer, 1.24 Rheinisches, 1.23 Burma, 2.19 C Chile, 1.09 China, 2.20, 2.24

XXVI

Alternative Inhaltsverzeichnisse

D Deutschland, 1.13, 1.17, 1.21, 1.22, 2.03, 2.13, 2.20, 2.21, 2.24 Donau, 1.10 Dortmund, 2.16 Dreiländereck Polen-Tschechische Republik-Deutschland, 2.11 E Elfenbeinküste, 2.19 Entwicklungsland, 2.18 Europa, 1.08, 2.04, 2.12 europäische Grenzregion, 2.12 F Fluchtraum, 2.14 Fujisan (Japan), 1.04 G gentrifizierter Stadtteil, 2.08 global, 1.02, 1.07, 1.09, 1.12, 1.13, 1.16, 1.17, 1.20, 1.21, 2.15, 2.18, 2.20, 2.26 Golf von Mexiko, 1.08 Grosser Aletschgletscher, 1.11 Großraum Mittlerer Osten (Greater Middle East), 2.15 Gründerzeitviertel, 2.08 I Ica (Peru), 1.19 Indien, 2.19, 2.20 Industriestadt (westlich), 2.04 Innenstadt, 1.25 K Kalifornien, 2.17 Karlsruhe, 1.22 Kenia, 2.13, 2.18 Kikonda Forest Reserve, 1.22 Kilauea (Hawaii, USA), 1.04 Koblenz, 2.03 Kongo, 2.19 L ländlicher Raum, 1.14 lokal, 1.09, 1.17, 1.20, 2.10, 2.20

Alternative Inhaltsverzeichnisse

M Mecklenburg-Vorpommern, 1.05 Merapi (Indonesien), 1.04 Migrationsraum, 2.14 mitteleuropäische Stadt, 2.03 N Naherholungsfläche, 1.25 Nahraum, 1.02, 1.14 national, 1.15, 1.16, 2.18 New Orleans, 1.06 Niedersachsen (westlich), 1.05 Nordamerika, 2.04 O Oldenburger Münsterland, 1.19 Ostafrika, 1.22 Ozeanien, 1.09 P Pinatubo (Philippinen), 1.04 Pontresina (Schweiz), 1.18 Popocatépetl (Mexiko), 1.04 R regional, 1.15, 1.17, 2.10 Rhein-Main-Gebiet, 2.10 Ruhrgebiet, 1.24 S Schengen-Raum, 2.15 Schleswig-Holstein, 1.05 Schuleinzugsgebiet, 1.26 Schulumfeld, 1.25, 1.26, 1.27, 2.06, 2.28 Schweiz, 1.11, 2.24 Scilly-Inseln, 1.08 Senegal, 2.24 Schanghai, 2.05 Sibirien, 1.18 Siedlungsraum, 2.07 Silicon Valley, 2.17, 2.25 Songdo City (Südkorea), 2.28

XXVII

XXVIII

Sonnensystem, 1.12 Stadtquartier, 1.25 Stadtraum, 2.07 Stadtteil, 1.27 Südamerika, 1.09 Südpazifik, 1.09 Südstaaten, 1.06 T Tambach-Dietharz (Thüringer Wald), 1.03 Tasmanien, 1.09 Tuvalu, 2.19 U Uganda, 1.22 urbaner Raum, 2.06, 2.08, 2.09, 2.16, 2.25, 2.27 USA, 1.06, 2.17 V Vesuv (Italien), 1.04 virtueller Raum, 2.27 W Wallis, 1.11 Wien, 2.25 Wohnquartier, 1.26, 1.27, 2.06 Wohnumfeld, 1.27

Alternative Inhaltsverzeichnisse

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Inga Gryl, Michael Lehner, Tom Fleischhauer und Karl Walter Hoffmann 1.1 Geographiedidaktik und das Schulfach Geographie . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Was ist mit diesem Werk möglich? Eine Gebrauchsanregung. . . . . . . . . 3 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2

Die geographische Brille schärfen – metakognitives Lernen . . . . . . . . . . . . 19 Michael Hemmer und Inga Gryl 2.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Grundlagen des Fachs Geographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.2 Fachdidaktischer Bezug: Metakognitives Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.3 Unterrichtsbaustein: Geographie – dein neues Unterrichtsfach. . . . . . . . 24 2.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3

Forschendes und entdeckendes Lernen – Steine erzählen Geschichten . . . 31 Gregor Bruzzi und Peter Frenzel 3.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Erdgeschichte – Geologie und Paläontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2 Fachdidaktischer Bezug: Entdeckendes und forschendes Lernen. . . . . . 33 3.3 Unterrichtsbaustein: Steine erzählen Geschichte – Die Dynamik der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

4

Digitale Geomedien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Sarah Franz 4.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Vulkanismus – Naturgefahren. . . . . . 44 4.2 Fachdidaktischer Bezug: Digitale Geomedien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

XXIX

XXX

Inhaltsverzeichnis

4.3

Unterrichtsbaustein: Eine Story Map als Lernprodukt zur Bewertung der Gefahrenlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5

Naturwissenschaftliches Experimentieren im Geographieunterricht. . . . . 55 Nadine Rosendahl und Carina Peter 5.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Boden – Winderosion. . . . . . . . . . . . 56 5.2 Fachdidaktischer Bezug: Experimentieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 5.3 Unterrichtsbaustein: Der Winderosion auf der Spur. . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

6 Perspektivenwechsel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Mirka Dickel 6.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Sozialkatastrophe Hurricans. . . . . . . 67 6.2 Fachdidaktischer Bezug: Perspektivenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 6.3 Unterrichtsbaustein: „Hurrikan Katrina“ als Naturgefahr und Sozialkatastrophe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 6.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 7 Schülervorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Wolfgang Gerber und Kati Barthmann 7.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Erde im Sonnensystem – Erderwärmung und Entstehung von Jahreszeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 7.2 Fachdidaktischer Bezug: Schüler*innenvorstellungen und Conceptual Change. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 7.3 Unterrichtsbaustein: Die Entstehung der Jahreszeiten. . . . . . . . . . . . . . . 88 7.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 8

Faktische Komplexität und unsicheres Wissen im Geographieunterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Melissa Hanke, Ulrike Ohl und Sandra Sprenger 8.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 8.2 Fachdidaktischer Bezug: Faktische Komplexität und unsicheres Wissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 8.3 Unterrichtsbausteine: Golfstromzirkulation und Klima(-wandel). . . . . . 100 8.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Inhaltsverzeichnis

9

XXXI

Satellitenbilder im Geographieunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Johannes Keller, Mario Blersch, Lisa Dannwolf, Christian Plass und Alexander Siegmund 9.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Globale Zirkulation – El-Niño-Ereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 9.2 Fachdidaktischer Bezug: Fernerkundung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 9.3 Unterrichtsbausteine: Die Folgen von El Niño mit Satellitenbildern erkennen, erkunden und erklären. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 9.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

10 Von der Modellanwendung zur Modellentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Leif Mönter und Carina Peter 10.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Wasserhaushalt – Hochwasser und Hochwasserschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 10.2 Fachdidaktischer Bezug: Haptische Modelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 10.3 Unterrichtsbaustein: Hochwasser und Hochwasserschutz. . . . . . . . . . . . 123 10.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 11 Kartenauswertungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Tobias Ulmrich und Sebastian Krüger 11.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Glaziologie – Gletscherschmelze. . . 131 11.2 Fachdidaktischer Bezug: Kartenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 11.3 Unterrichtsbaustein: Dem Gletscherrückgang auf der Spur – Ein Unterrichtsbaustein zur Kartenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 11.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 12 Mediendidaktik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Johanna Lehmann 12.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Erde als Planet – Grundlagen des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 12.2 Fachdidaktischer Bezug: Mediendidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 12.3 Unterrichtsbaustein: „Es gibt keinen Planeten B“. . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 12.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 13 Klimawandelbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Susanne Kubisch, Lars Keller und Sandra Parth 13.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Ökozonen – Auswirkungen des Klimawandels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 13.2 Fachdidaktischer Bezug: Klimawandelbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

XXXII

Inhaltsverzeichnis

13.3 Unterrichtsbaustein: Auf den Spuren des Klimawandels – Forschend lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 13.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 14 Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern . . . . . . . . . 167 Ingrid Hemmer, Michael Hemmer und Martin Xaver Müller 14.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Landwirtschaft – ökologischer Landbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 14.2 Fachdidaktischer Bezug: Interessenorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 14.3 Unterrichtsbaustein: Der Biobauernhof – ein Vorbild für die Landwirtschaft der Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 14.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 15 Werte-Bildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Christiane Meyer 15.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Landwirtschaft – Tierwohl. . . . . . . . 183 15.2 Fachdidaktischer Bezug: Werte-Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 15.3 Unterrichtsbaustein: „The Future We Want“ – Nachhaltige Produktion von Fleisch und Milch unter besonderer Berücksichtigung des Tierwohls. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 15.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 16 Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf. . . 195 Anna Oberrauch und Martin Andre 16.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Planetare Belastungsgrenzen – Nachhaltigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 16.2 Fachdidaktischer Bezug: Statistik und Visual Analytics . . . . . . . . . . . . . 198 16.3 Unterrichtsbaustein: Mit dem Modell der Donut-Ökonomie visuell-explorativ nachhaltige Entwicklung erforschen. . . . . . . . . . . . . . 200 16.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 17 Systemisches Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Janis Fögele, Rainer Mehren und Armin Rempfler 17.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 17.2 Fachdidaktischer Bezug: Systemkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 17.3 Unterrichtsbaustein: Natürlicher und anthropogen überprägter Stickstoffkreislauf – systemisch betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Inhaltsverzeichnis

XXXIII

17.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 18 Das Aktualitätsprinzip am Thema Nutzungskonflikte umsetzen. . . . . . . . . 223 Monika Reuschenbach und Thomas Hoffmann 18.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Gefährdung von Lebensräumen. . . . 224 18.2 Fachdidaktischer Bezug: Aktualitätsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 18.3 Unterrichtsbaustein: Analyse von Lebensräumen und ihrer Nutzung und Gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 18.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 19 Das Syndromkonzept im Geographieunterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Hannah Lathan und Annemarie Castillo Mispireta 19.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Intensive Landwirtschaft – Nachhaltigkeitsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 19.2 Fachdidaktischer Bezug: Syndromansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 19.3 Unterrichtsbaustein: Landwirtschaftliche Intensivregionen mithilfe des Syndromansatzes analysieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 19.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 20 Wissenschaftsorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Janis Fögele und Karl Walter Hoffmann 20.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Klimawandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 20.2 Fachdidaktischer Bezug: Wissenschaftsorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . 256 20.3 Unterrichtsbaustein: Klimawandel im Geographieunterricht – wissenschaftlich beleuchtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 20.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 21 Sprachbewusster Umgang mit Bildern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Nina Scholten, Eva Nöthen und Sandra Sprenger 21.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Klimawandel – Auswirkungen des Klimawandels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 21.2 Fachdidaktischer Bezug: Sprachbewusster Umgang mit Bildern . . . . . . 274 21.3 Unterrichtsbausteine: Scaffolds zu drei Visualisierungen zum Klimawandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 21.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

XXXIV

Inhaltsverzeichnis

22 Machtsensible geographische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Birte Schröder und Felicitas Kübler 22.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Politische Ökologie – Klimagerechtigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 22.2 Fachdidaktischer Bezug: Machtsensible geographische Bildung . . . . . . 292 22.3 Unterrichtsbaustein: Ein Mystery zum Thema Klimagerechtigkeit. . . . . 293 22.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 23 Handlungsorientierte Sozialgeographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Andreas Keil und Miriam Kuckuck 23.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Energieträger – Energiewende. . . . . 301 23.2 Fachdidaktischer Bezug: Handlungstheoretische Sozialgeographie . . . . 303 23.3 Unterrichtsbaustein: Handlungsorientierte Sozialgeographie am Beispiel des Rheinischen Braunkohlereviers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 23.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 24 Lernen am außerschulischen Lernort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Hanna Janßen und Nicole Raschke 24.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Strukturwandel – Braunkohleabbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 24.2 Fachdidaktischer Bezug: Außerschulische Lernorte . . . . . . . . . . . . . . . . 316 24.3 Unterrichtsbaustein: Ökologische und gesellschaftliche Folgen des Abbaus von Braunkohle am außerschulischen Lernort untersuchen. . . . 318 24.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 25 Mit Mental Maps und subjektivem Kartieren Raumwahrnehmung reflektieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Jan Hiller und Stephan Schuler 25.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Nachhaltige Stadtentwicklung – Stadtgrün. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 25.2 Fachdidaktischer Bezug: Mental Maps/Subjektive Karten . . . . . . . . . . . 328 25.3 Unterrichtsbausteine: Raumwahrnehmungen und Raumbewertungen reflektieren lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 25.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Inhaltsverzeichnis

XXXV

26 Spatial Thinking. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Uwe Schulze und Rieke Ammoneit 26.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Räumliche Orientierung – Hilfsmittel der Orientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 26.2 Fachdidaktischer Bezug: Spatial Thinking. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 26.3 Unterrichtsbaustein: Räumliche Orientierung mit digitalen Orientierungsrastern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 26.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 27 Spatial Citizenship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Uwe Schulze und Jana Pokraka 27.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Geovisualisierung – Web-Mapping. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 27.2 Fachdidaktischer Bezug: Spatial Citizenship. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 27.3 Unterrichtsbaustein: Stadtgrün mittels digitaler Karten erfassen und bewerten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 27.4 Transfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Über die Herausgeber Inga Gryl, Prof.in Dr.in  – Universität Duisburg-Essen, [email protected] Michael Lehner,  Institut für Geographie, University of Duisburg-Essen, Essen, Deutschland, [email protected] Tom Fleischhauer,  Erfurt, Deutschland, [email protected] Karl Walter Hoffmann,  OStD – Seminarleiter, Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien Speyer, [email protected]

Autorenverzeichnis Rieke Ammoneit,  Abteilungen für Transferforschung und Biologiedidaktik, IPN, Kiel, Deutschland Martin Andre, Mag. Dr.  Pädagogische Hochschule Tirol, Institut für fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Forschung und Entwicklung, Innsbruck, Österreich Kati Barthmann, Dr.in  Didaktik der Geographie, Universität Bayreuth, Bayreuth, Deutschland Mario Blersch, M.Sc.  Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo), Pädagogische Hochschule Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Gregor Bruzzi,  Bad Frankenhausen, Deutschland Annemarie Castillo Mispireta, M.Sc.  Universität Vechta, Didaktik der Geographie, Vechta Institute of Sustainability Transformation of Rural Areas (VISTRA), Vechta, Deutschland XXXVII

XXXVIII

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Lisa Dannwolf, M.Sc.  Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo), Pädagogische Hochschule Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Mirka Dickel, Prof.in Dr.in  Institut für Geographie, Friedrich-Schiller-Universität, Jena, Deutschland Tom Fleischhauer,  Erfurt, Thüringen, Deutschland Janis Fögele, Prof. Dr.  Institut für Geographie, Abt. Geographiedidaktik, Universität Hildesheim, Hildesheim, Deutschland Sarah Franz,  Reinbek, DeutschlandErich Kästner Gemeinschaftsschule mit Oberstufe Barsbüttel, Barsbüttel, Deutschland Peter Frenzel, apl. Prof. Dr.  Institut für Geowissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena, Deutschland Wolfgang Gerber, Dr.  (Lehrer i. R.), Leipzig, Deutschland Inga Gryl, Prof.in Dr.in  Institut für Geographie/Institut für Sachunterricht, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland Melissa Hanke,  Fakultät für Erziehungswissenschaft, Didaktik der Geographie, Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland Ingrid Hemmer, Prof.in Dr.in  Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Professur für Geographiedidaktik und BNE, Bayern, Deutschland Michael Hemmer, Prof. Dr.  Institut für Didaktik der Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland Jan Hiller, Dr.  Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Ludwigsburg, Deutschland Karl Walter Hoffmann,  Staatl. Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien, Speyer, Deutschland Thomas Hoffmann, PD Dr.  Studienseminar Karlsruhe, Karlsruhe, Deutschland Hanna Janßen,  Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland Andreas Keil, Prof. Dr.  Institut für Geographie und Sachunterricht, Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Johannes Keller,  Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo), Pädagogische Hochschule Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Lars Keller, Assoc. Prof.  Universität Innsbruck, Institut für Geographie, Innsbruck, Österreich Sebastian Krüger,  Institut für Didaktik der Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

XXXIX

Susanne Kubisch, M.Sc.  Universität Innsbruck, Institut für Geographie, Innsbruck, Österreich Felicitas Kübler, Univ.-Ass.in  Institut für Geographie und Regionalforschung, Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Miriam Kuckuck, Prof.in Dr.in  Institut für Geographie und Sachunterricht, Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Hannah Lathan, M.Ed.  Universität Vechta, Didaktik der Geographie, Vechta Institute of Sustainability Transformation of Rural Areas (VISTRA), Vechta, Deutschland Johanna Lehmann,  Institut für Geographie, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena, Deutschland Michael Lehner,  Institut für Geographie, University of Duisburg-Essen, Essen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland Rainer Mehren, Prof. Dr.  Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Didaktik der Geographie, Münster, Deutschland Christiane Meyer, Prof.in Dr.in  Didaktik der Geographie, Leibniz Universität Hannover, Institut für Didaktik der Naturwissenschaften, Hannover, Deutschland Leif Mönter, Prof. Dr.  Fachbereich Raum- und Umweltforschung, Universität Trier, Trier, Deutschland Martin Xaver Müller, Dr.  Universität Augsburg, Lehrstuhl für Didaktik der Geographie, Augsburg, Deutschland Eva Nöthen, Dr.in  Institut für Humangeographie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland Anna Oberrauch, Mag.a, PhD  Pädagogische Hochschule Tirol, Institut für fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Forschung und Entwicklung, Innsbruck, Österreich Ulrike Ohl, Prof.in Dr.in  Institut für Geographie, Lst. für Didaktik der Geographie, Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland Sandra Parth, Mag.a  Pädagogische Hochschule Tirol, Innsbruck, Österreich Carina Peter, Prof.in Dr.in  Fachbereich Geographie, Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland Christian Plass, Dipl.-Geogr  Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo), Pädagogische Hochschule Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Jana Pokraka, Dr.in  Institut für Geographie/Institut für Sachunterricht, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland

XL

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Nicole Raschke, Jun.-Prof.in Dr.in  Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland Armin Rempfler, Prof. Dr.  Pädagogische Hochschule Luzern, Geographie & Geographiedidaktik, Luzern, Schweiz Monika Reuschenbach, Prof.in Dr.in  Geografie und Geografiedidaktik, Pädagogische Hochschule Zürich, Zürich, Schweiz Nadine Rosendahl,  Institut für Didaktik der Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland Nina Scholten, Dr.in  Insitut für Didaktik der Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster, Deutschland Birte Schröder, Dr.in  Leibniz-Institut für Bildungsmedien I Georg-Eckert-Institut, Braunschweig, Deutschland Stephan Schuler, Prof. Dr.  Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Ludwigsburg, Deutschland Uwe Schulze, Dr.  Institut für Humangeographie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland Alexander Siegmund, Prof. Dr.  Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo), Pädagogische Hochschule Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Heidelberg Center for the Environment (HCE), Geographisches Institut, RuprechtKarls-Universität, Heidelberg, Deutschland Sandra Sprenger, Dr.in  Fakultät für Erziehungswissenschaft, Didaktik der Geographie, Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland Tobias Ulmrich,  Institut für Didaktik der Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland

1

Einleitung Inga Gryl, Michael Lehner, Tom Fleischhauer und Karl Walter Hoffmann

1.1 Geographiedidaktik und das Schulfach Geographie Zentrale Schlüsselprobleme der Gegenwart wie der menschenverursachte Klimawandel, global ungleiche Entwicklung, Urbanisierung und damit verbundene grundlegende Fragen des Zusammenlebens, komplexe Konflikte in Verbindung mit Migration, die sich u. a. entlang nationaler oder supranationaler Grenzziehungen zeigen, und vieles andere mehr weisen allesamt eine geographische Dimension auf. Neben einer individuellen Ausbildung von wichtigen Kulturtechniken, wie der Karten- und Geomedienkompetenz, ist es eben auch eine Auseinandersetzung mit einschlägigen Gegenwarts- und Zukunftsfragen, welche die Bedeutung einer geographischen Bildung unterstreicht. Den Auftrag zur geographischen Bildung in der Institution Schule trägt – neben Verbundfächern wie Gesellschafts- oder Naturwissenschaften sowie Sachunterricht – vor allem das Schulfach „Geographie“, welches in wenigen Bundesländern Deutschlands noch unter der Bezeichnung „Erdkunde“ geführt oder beispielsweise in Österreich als I. Gryl (*) · M. Lehner  Institut für Geographie, University of Duisburg-Essen, Essen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Lehner  E-Mail: [email protected] T. Fleischhauer  Erfurt, Thüringen, Deutschland E-Mail: [email protected] K. W. Hoffmann  Staatl. Studienseminar für Gymnasien, Speyer, Rheinland-Pfalz, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_1

1

2

I. Gryl et al.

Integrationsfach gemeinsam mit Wirtschaft unterrichtet wird. Der Beitrag des Schulfachs zur geographischen Bildung wird in dem Konsenspapier zwischen den geographischen Teilverbänden (Deutschlands), den „Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss“, folgendermaßen konkretisiert: „Leitziele des Geographieunterrichts sind […] die Einsicht in die Zusammenhänge zwischen natürlichen Gegebenheiten und gesellschaftlichen Aktivitäten in verschiedenen Räumen der Erde und eine darauf aufbauende raumbezogene Handlungskompetenz“ (DGfG, 2020: 5). Mit dieser Zielsetzung wird das Fach an der Schnittstelle zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften positioniert. Neben einer stärker naturwissenschaftlich orientierten Physischen Geographie, die u. a. Klimageographie oder Geomorphologie umfasst, sowie einer stärker gesellschafts- und geisteswissenschaftlich ausgerichteten Humangeographie, zu der u. a. Wirtschafts-, Stadt- oder Politische Geographie zählen, wird mit den Bildungsstandards auch eine dritte Säule (vgl. „Drei-Säulen-Modell“ nach Weichhart in Gebhardt et al., 2007: 65–75) betont, die auf einer (mehr oder weniger) eigenständigen Gesellschafts-Umwelt-Forschung basiert und sowohl Ansätze aus der Physischen als auch der Humangeographie integriert. Darüber hinaus gründet diese Zielsetzung auf einem erweiterten Raumbegriff, welcher Raum nicht nur als einen „Container“, der bestimmte Sachverhalte enthält, wie Klima, Gewässer, Vegetation, Tierwelt oder Kulturgüter, sondern etwa auch als Ergebnis von Aushandlungsprozessen auffasst (wir werden unter Abschn. 1.2.1 „Gliederung nach Basiskonzepten“ noch näher auf unterschiedliche Raumkonzepte eingehen). Letztlich soll Geographieunterricht dazu befähigen, „die für die Zukunft des Planeten Erde und das Zusammenleben der Menschheit epochalen Problemfelder […] aus geographischer Perspektive erfassen, analysieren und beurteilen zu können und eine raumbezogene Handlungskompetenz zu entwickeln“ (Hemmer, 2021:138). Diese gegenwärtigen Leitziele sind auch Ausdruck eines grundlegenden Wandels in der Ausrichtung des Unterrichtsfachs. Ein tiefgreifender Paradigmenwechsel geht dabei auf die 1970er-Jahre zurück. Seit der Einführung eines eigenständigen Fachs – z. B. 1872 in Verbindung mit der preußischen Bildungsreform (vgl. Bauer, 1976) – lässt sich das Paradigma der Länderkunde als dominante Leitvorstellung herausarbeiten (vgl. Rinschede & Siegmund, 2020: 26). Im Sinne eines länderkundlichen Zugangs rückt die Vermittlung von enzyklopädischem Wissen über einzelne Länder und ihre Bevölkerung in den Fokus. Diese unterrichtliche Leitvorstellung vermochte neben einer Legitimation von Nationalstaaten in Verbindung mit imperialen und kolonialen Ansprüchen sogar einer Blut-und-Boden-Ideologie im Kontext des Nationalsozialismus Vorschub zu leisten (vgl. Birkenhauer, 1999; Schultz, 1993: 10). Seit den 1970er-Jahren konnte schrittweise eine Abkehr von einer länderkundlichen Ausrichtung durchgesetzt werden und es zeichnet sich ein zunehmender Pluralismus an geographiedidaktischen Zugängen ab (vgl. Bauer & Gryl, 2018).

1 Einleitung

3

Zwei bedeutende didaktische Prinzipien, die sich als Beispiele im Kontrast zur Länderkunde nennen lassen, sind Schüler*innenorientierung und Exemplarität. Für die unterrichtliche Praxis bedeutet etwa der Anspruch der Exemplarität, dass Einsichten u. a. auch übertragbar sein sollen, wie sich beispielsweise die Einblicke in Ambivalenzen in Verbindung mit dem Braunkohletagebau und möglichen Rekultivierungsmaßnahmen in einer bestimmten Region in vielerlei Hinsicht auch auf andere Regionen übertragen lassen. Über die Wahl des Exemplarischen kann zugleich eine Schüler*innenorientierung realisiert werden. Diesem Anspruch der Exemplarität und Transferfähigkeit wollen wir auch in den vorliegenden zwei Bänden gerecht werden, mit denen ein umfassender Einblick in die zunehmende Vielfalt an Zugängen zum Geographieunterricht geboten werden soll. Wie diese beiden Bände konkret Orientierung in einer vielstimmigen Geographiedidaktik bieten können, ist Gegenstand der folgenden Abschnitte.

1.2 Was ist mit diesem Werk möglich? Eine Gebrauchsanregung Struktur der Bände Bücher sind, bedingt durch die physisch notwendige Reihung von Seiten und Kapiteln, zunächst linear. Allerdings müssen sie nicht linear gelesen werden. Die beiden vorliegenden Bände regen dazu an, mithilfe von zusätzlichen Indexen querzulesen, Verweisen auch über die Bände hinweg zu folgen und eigene Zusammenstellungen von Inhalten vorzunehmen. Die in den jeweiligen Kapiteln vorgestellte Kombination aus fachwissenschaftlichem Lehrplanbezug und fachdidaktischem Ansatz ist exemplarisch und einige Verweise sowie der Transferbereich laden zu Neuarrangements ein. Um ein eigenständiges Remixen zu erleichtern, sind alle Beiträge gleich aufgebaut (vgl. Abschn. 1.2.2 „Struktur der Kapitel“). Und um einen Zugriff auf die einzelnen Elemente der jeweiligen Beiträge zu ermöglichen, wird das klassische Inhaltsverzeichnis durch fünf alternative Verzeichnisse ergänzt: • • • • •

Gliederung nach geographiedidaktischen Bezügen Gliederung nach fachwissenschaftlichen Bezügen Gliederung nach Basiskonzepten Gliederung nach Kompetenzen Gliederung nach räumlichen Bezügen

Im Folgenden werden diese verwendeten Gliederungssysteme als alternative Inhaltsverzeichnisse näher vorgestellt. Wie diese vielseitigen Zugänge ein eigenständiges

4

I. Gryl et al.

Kombinieren der einzelnen Elemente der Beiträge konkret unterstützen können, ist Gegenstand von Abschn. 1.2.3 „Variation didaktischer Zugangsweisen“.

1.2.1 Gliederung nach geographiedidaktischen Bezügen Geographiedidaktische Ansätze1 sind Modi des Kompetenzerwerbs (Fachwissen, Anwendungskompetenzen und Haltungen) und damit der Erschließung von Welt. Sie sind zwar flexibel einsetzbar, aber stellen eben auch spezifische Brillen auf Aneignung und Welt dar. Sie setzen eigene Akzente, die für den Kompetenzerwerb mal mehr, mal weniger geeignet sind. Ihre Beherrschung eröffnet ein professionell immer neu arrangierbares Repertoire für die Unterrichtsplanung. Zentrales Anliegen ist es hierbei deshalb, geographiedidaktische Ansätze zu vermitteln bzw. für die Unterrichtsplanung bereitzustellen. Zur Realisierung einer selbstverständlichen Anwendbarkeit wird jeder hier aufgeführte Ansatz in einem Beitrag im Kontext mit fachwissenschaftlichen Inhalten statt kontextlos eingeführt und mit einem Vorschlag der praktischen Umsetzung versehen. Zur Vermeidung der Starrheit der Anwendung und zur Anbahnung von Flexibilität und Kreativität wird ihre Transferierbarkeit ebenfalls ausgeführt. Die Auswahl der Ansätze in den vorliegenden Bänden soll, verteilt über beide Bände(!), eine möglichst umfassende Darstellung aktueller und zentraler geographiedidaktischer Bezüge bieten, gleichwohl wissend, dass nie eine Vollständigkeit erreicht werden kann. Das ist durch den begrenzten Umfang eines solchen Werks bei der enormen Anzahl an Ansätzen bedingt. Zusammen mit den Autor*innen, die als Expert*innen für den jeweiligen Ansatz fungieren, im Austausch mit weiteren Expert*innen aus Schule, Studienseminar, Universität und Verlag sowie im Rückgriff auf eine große Menge an geographiedidaktischer Literatur (insbesondere Fachzeitschriften und unterrichtspraktische Zeitschriften) wurde eine (große) Auswahl getroffen, die möglichst viele bedeutsame „Brillen“ der Unterrichtsplanung und des Unterrichtens im Fach Geographie erfassen. Dabei ist es unvermeidbar, dass die präsentierten Ansätze mitunter auf unterschiedlicher Abstraktionsebene angesiedelt sind oder aber auch verschiedenen Denkschulen entstammen. Auch mussten die Autor*innen bei umfassenden Ansätzen bestimmte Akzente setzen. Deshalb werden die Ansätze in den Beiträgen jeweils transparent mit ihren Theoriebezügen und auch möglichen Kontroversen dargestellt. Neben der Darstellung eines Ansatzes pro Kapitel wird für die Flexibilisierung der Anwendungsbezüge auf weitere Ansätze, die an die vorgestellten anschließbar sind, sowie auf solche, die im Umsetzungsbeispiel mit angerissen werden, verwiesen. In vielen Fällen

1  Die

Hervorhebungen im Index „Gliederung nach geographiedidaktischen Bezügen“ verweisen auf Beiträge, die sich explizit mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen. Verweise, die nicht hervorgehoben sind, greifen den jeweiligen Gegenstand weniger umfassend bzw. nicht als Hauptartikel auf.

1 Einleitung

5

kann auf diese Weise in einem anderen Kapitel weitergelesen werden. Darüber hinaus berücksichtigt jeder Aufsatz grundlegende didaktische Ansätze, die ein Selbstverständnis in der Vermittlung sind, wie Exemplarität, Problemorientierung, Inklusion, Gelegenheiten zur kognitiven Aktivierung und inhaltliche Strukturierung. Exemplarität als Prinzip der didaktischen Analyse nach Klafki ist durch den Unterrichtsbaustein und dessen konkreten thematischen und Raumbezug realisiert. Problemorientierung wird unter anderem mit der problemorientierten Frage gestützt. Inklusion wird durch die Differenzierungsmöglichkeiten gefördert. Kognitive Aktivierung wird in den Unterrichtsbausteinen realisiert, etwa durch anregende Aufgaben, ebenso wie inhaltliche Strukturierung durch Gestaltung der Bausteine in einer logischen Unterrichts- und Materialstruktur.

1.2.2 Gliederung nach fachwissenschaftlichen Bezügen und Lehrplanthemen Die chronologische Gliederung der vorliegenden Bände folgt fachwissenschaftlichen Themen. Zwar weisen Lehrpläne mittlerweile auch Kompetenzen aus, aber die Gliederung nach aus der Fachwissenschaft Geographie adaptierten Themen ist weiterhin ein entscheidendes Kriterium ihrer Struktur. Um die Unterrichtsplanung zu erleichtern und niederschwellige Anregungen zu geben, fachdidaktische Ansätze anzuwenden, haben wir uns für einen Zugang entschieden, der leicht von den Lehrplänen als verbindliche Grundlage des Unterrichtens ausgehend erschlossen werden kann. Fachdidaktische Ansätze bleiben damit nicht abstrakt, sondern sie gehen, zumindest in diesen Bänden, mit Lehrplanthemen – exemplarisch – einher. Selbstverständlich sind wir der Auffassung, dass alle alternativen Gliederungsebenen/Inhaltsverzeichnisse, insbesondere auch die fachdidaktischen Ansätze, ebenso relevant sind, dass alle vorgestellten Verzeichnisse als gleichrangig gelten sollen und dass ein nichtlineares Lesen empfohlen werden kann. Bei den fachwissenschaftlichen Bezügen dieser Bände handelt es sich um didaktisch rekonstruierte Darstellungen unter Bezug auf aktuelle fachwissenschaftliche Inhalte. Die Themen wurden auf Basis einer umfangreichen Analyse deutschsprachiger Lehrpläne (Österreich, Schweiz, verschiedene Bundesländer Deutschlands) gruppiert und definiert und mithilfe des Bandes „Geographie“ (Gebhard et al., 2020), ebenfalls aus dem Springer-Verlag, ergänzt sowie auf fachwissenschaftlicher Basis aktualisiert. Auf diese Art und Weise ist es möglich, viele fachwissenschaftliche Bezüge des vorliegenden Werks mithilfe der „Geographie“ zu vertiefen. Wichtig in der Konzeption des Werks war es, die Interdisziplinarität des Fachs im Bezug zu Natur- und Gesellschaftswissenschaften sowie die Verflechtung beider Bereiche als Normalfall darzustellen. Daher ist die Gliederung in zwei Bände auch eine verlagstechnische Pragmatik, die aus dem großen Umfang an Beiträgen folgt. Pragmatisch wurde ein Band mit überwiegend naturwissenschaftlich zentrierten Anwendungsbezügen und ein zweiter mit überwiegend gesellschaftswissenschaftlichen Anwendungsbezügen konzipiert, wobei vor dem Hintergrund von Vernetzung und

6

I. Gryl et al.

Komplexität keine scharfe Trennung möglich ist. Daher beinhalten beide Bände darüber hinaus auch explizite Inhalte aus der Mensch-Umwelt-Forschung. Tatsächlich ist die Verflechtung aus natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Bezügen als einer der Normalfälle des Fachs Geographie zu sehen. Beide Bände beinhalten zudem methodische Themen: im ersten Band eher technische Grundlagen und im zweiten eher an sozialgeographischen Bezügen einer Kultur der Digitalität orientiert.

1.2.3 Gliederung nach Basiskonzepten Die bewusste Integration von Basiskonzepten der Geographie nimmt ergänzend zu den fachwissenschaftlichen Grundlagen das konzeptionelle Lernen in den Blick. Geographie wird – entgegen der immer wieder auftretenden öffentlichen Wahrnehmung – nicht als ein Themenfach, in dem nacheinander Themen mit Raumbezug behandelt werden, aufgefasst, sondern vielmehr als eine konzeptionelle Disziplin (Leat, 1998) verstanden. Jede Wissenschaftsdisziplin hat einen (fach-)spezifischen Zugriff auf die Welt. Ein geographischer Zugriffsmodus kann mithilfe von Basiskonzepten konkretisiert werden. „Basiskonzepte sind grundlegende, für Lernende nachvollziehbare Leitideen des fachlichen Denkens, die sich in den unterschiedlichen geographischen Sachverhalten wiederfinden lassen. Sie stellen als systematische Denk- und Analysemuster sowie Erklärungsansätze die fachspezifische Herangehensweise der Geographie an einen Lerngegenstand dar“ (Fögele & Mehren, 2021: 50; vgl. Infobox 1.1). Infobox 1.1: Was leisten Basiskonzepte?

• Basiskonzepte sind für die Lehrkraft ein wichtiges Instrument der Unterrichtsplanung, weil sie als Relevanzfilter den fachlichen Kern des Unterrichts fokussieren. Der eigene Unterricht wird konzeptualisiert und dadurch stärker „geographisiert“. Leitend dabei ist, einen fachlich roten Faden durch die Themen des Fachs zu ermöglichen. Das (fachliche) Lernen verlangt ein längeres Verweilen am Thema, eine elaborierte Auseinandersetzung mit entsprechender Verarbeitungstiefe und bindet ganz gezielt das geographische Fragenstellen und metakognitive Reflexionsphasen mit ein. • Basiskonzepte können so als die „Grammatik“ des Fachs verstanden werden, während etwa die geographischen Themen und Inhalte (Fachbegriffe und Raumbezüge, Modelle und Theorien) des Unterrichts die „Vokabeln“ darstellen. Basiskonzepte als konzeptioneller Zugang bilden so aus diesen einzelnen Vokabeln eine sinnhafte (systematische) Gesamtstruktur. Kurz: Von der Beliebigkeit zur Systematik! Oder: Vom Stoff zum Konzept!

1 Einleitung

7

• Basiskonzepte stellen in besonderer Weise ein Strukturierungsprinzip dar und leisten einen wertvollen Beitrag zur Förderung von Progression und des kumulativen Lernens. Das bedeutet auch, dass die klassischen Vorgaben einer Inhalts- und Kompetenzorientierung um die sog. Basiskonzeptorientierung erweitert werden müssen. So hat die Gestaltung mehrphasiger Lernaufgaben erfolgreiches Geographielernen zum Ziel, wenn ganz bewusst ein Denken in Fachkonzepten, geographische Denkstrategien und der Nutzen geographischer Erkenntnisse in Lernphasen eingebunden werden. • Für Schülerinnen und Schüler sind Basiskonzepte zunächst Lernhilfen etwa im Sinne einer „geographischen Brille“ oder eines „geographischen Schlüssels“. Sie stellen als systematische Denk- und Analysemuster sowie Erklärungsansätze die fachspezifische Herangehensweise der Geographie an einen Lerngegenstand dar. Schüler*innen werden aufgefordert und angeleitet, Gegenstände noch deutlicher geographisch zu befragen und zu analysieren. Dabei sind Konzeptwissen, Abstraktionsvermögen und der Aufbau von tragfähigen Wissensnetzen erforderlich. Im Ergebnis sollen die Schüler*innen fachlich denken können. Basiskonzepte als Denkarten, Analyseinstrument und Reflexionswerkzeug sind Lernhilfen zur Erschließung und Bewältigung von Komplexität. • Vor diesem Hintergrund ist es für die Gestaltung von Geographieunterricht notwendig, dieses fachliche Denken zu konkretisieren (vgl. Hoffmann, 2021).

Einen festgelegten Kanon von geographischen Basiskonzepten gibt es bislang nicht, vielmehr existieren parallel verschiedene Klassifikationen und Kataloge, Hierarchien und Anordnungen. Allen diesen Zusammenstellungen ist gemein, dass mindestens Raum (space und place) und Maßstab (scale) als Basiskonzepte angesehen werden, was Fögele (2016: 81) und Radl (2016: 35) auch im internationalen Vergleich bestätigen. Die Basiskonzepte der Geographie gelten sowohl für die humangeographischen als auch für die naturgeographischen und regionalgeographischen Bereiche sowie für das Gesamtsystem Mensch-Erde auf sämtlichen Maßstabsebenen. Die Bildungsstandards (DGfG, 2020) definieren das „(Mensch-Umwelt-)System“ als zentrales Basiskonzept sowie den „Struktur-Funktion-Prozess“ und „Maßstabsebenen“ als konkretisierende Basiskonzepte zur Untersuchung des Mensch-Umwelt-Systems (DGfG, 2020: 11). Aktuell werden in Deutschland das  Mensch-Umwelt-System, die Systemkomponenten Struktur, Funktion, Prozess, die  Raumkonzepte, verschiedene Maßstabsebenen und Zeithorizonte sowie das Nachhaltigkeitsviereck als Basiskonzepte aufgefasst (Abb. 1.1).

8

I. Gryl et al.

Abb. 1.1   Der erweiterte Würfel der geographischen Basiskonzepte. (Mit freundlicher Genehmigung des Klett-Verlages)

Die bewusste Einbindung dieser sechs Basiskonzepte der Geographie aus Deutschland und die 13 (geographischen und ökonomischen) Konzepte aus Österreich (Abb. 1.2) sowie die Lehrplanbezüge aus der Schweiz2 stellen ein weiteres Gliederungsprinzip der beiden Bände dar. Dabei wird vorausgesetzt, dass Basiskonzepte kein zusätzlich zu vermittelnder „Lehr-Stoff“ und „Lern-Stoff“ sind, sondern aus den jeweiligen Basiskonzepten ergeben sich jeweils andere fachliche Sichtweisen auf das gleiche Unterrichtsthema. Lerngegenstände und Themen können mithilfe von Basiskonzepten

2  Da

im Lehrplan der Schweiz keine expliziten Konzeptbezüge enthalten sind, beziehen wir uns auf die bestehende Form dieses Lehrplans.

1 Einleitung

Konngenz

Raumkonstrukon und Raumkonzepte

Regionalisierung und Zonierung Diversität und Disparität

Geoökosysteme

Mensch-UmweltBeziehungen

9

Raumbezogenes menschliches Handeln

Maßstäblichkeit

Wahrnehmung und Darstellung

Wachstum und Krise

Märkte, Regulierung Deregulierung

Nachhalgkeit und Lebensqualität Arbeit Produkon Konsum

Interessen Konflikte Macht

Abb. 1.2   Basiskonzepte im österreichischen GW-Lehrplan. (Eigene Darstellung, basierend auf Jekel & Pichler, 2017)

unterschiedlich befragt werden. Geographieunterricht kann demzufolge nicht nur über ein Basiskonzept strukturiert werden, vielmehr gibt es – je nach Planung und Zielsetzung eines Unterrichtsvorhabens – verschiedene Zugänge und Schwerpunktsetzungen. Die Basiskonzeptorientierung bleibt damit nicht abstrakt, sondern sie geht in diesen Bänden mit fachwissenschaftlichen Grundlagen und den fachdidaktischen Bezügen – exemplarisch – einher. Mithilfe der Konzeptorientierung lassen sich sowohl ein fachlich roter Faden zwischen den jeweiligen Beiträgen als auch die Routine geographischer Denkweisen in den Unterrichtsbausteinen konkret aufzeigen. Vor diesem Hintergrund eines eher konzeptionellen Geographieunterrichts kann, ähnlich dem Beispiel einer fachdidaktischen Lesart, ein (weiteres) nichtlineares Lesen – nun orientiert am konzeptionellen Denken – empfohlen werden.

10

I. Gryl et al.

1.2.4 Gliederung nach Kompetenzen Seit April 2006 verfügt das Schulfach Geographie über nationale Bildungsstandards für den Mittleren Bildungsabschluss. Die von Geographiedidaktiker*innen und Schulgeograph*innen gemeinsam erarbeiteten und von der Deutschen Gesellschaft für Geographie im Frühjahr 2006 verabschiedeten und 2020 zuletzt aktualisierten Bildungsstandards legen fest, über welche Kompetenzen ein*e Schüler*in am Ende der Sekundarstufe I verfügen soll (vgl. Infobox 1.2). Infobox 1.2: Was kennzeichnet einen/eine geographisch gebildete*n Schüler*in am Ende der Sekundarstufe I?

Am Ende der Sekundarstufe I sollen Schüler*innen über folgendes Kompetenzprofil verfügen und aus den jeweiligen Kompetenzbereichen operationalisierbare Könnensleistungen zeigen können (DGfG, 2020: 9): Fachwissen: Schüler*innen können Räume auf den verschiedenen Maßstabsebenen als natur- und humangeographische Systeme erfassen und Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Umwelt analysieren. Räumliche Orientierung: Schüler*innen können sich in Räumen orientieren (topographisches Orientierungswissen, Kartenkompetenz, Orientierung in Realräumen und Reflexion von Raumwahrnehmungen und Raumkonstruktionen). Erkenntnisgewinnung/Methoden: Schüler*innen können geographisch/ geowissenschaftlich relevante Informationen im Realraum sowie aus Medien gewinnen und auswerten sowie Schritte zur Erkenntnisgewinnung in der Geographie beschreiben. Kommunikation: Schüler*innen können geographische Sachverhalte verstehen, versprachlichen und präsentieren sowie sich im Gespräch mit anderen darüber sachgerecht austauschen. Beurteilung/Bewertung: Schüler*innen können raumbezogene Sachverhalte und Probleme, Informationen in Medien und geographische Erkenntnisse kriterienorientiert sowie vor dem Hintergrund bestehender Werte in Ansätzen beurteilen. Handlung: Schüler*innen können auf verschiedenen Handlungsfeldern naturund sozialraumgerecht handeln.

Die Bildungsstandards Geographie sind von der KMK kein „offiziell“ anerkanntes Dokument, sie stellen aber ein wichtiges Bezugsdokument dar, wirken auf vielfältige Weise in die Lehrplanentwicklung ebenso wie in die fachdidaktische Diskussion und die konkrete Unterrichtsplanung hinein. Auch die Herausgeberin und die Herausgeber sehen darin eine gemeinsame Verabredung und ein wichtiges Konsenspapier. Darin eingebunden sind viele konzeptionelle Gedanken, und entlang der 14 Aufgabenbeispiele

1 Einleitung

11

der Bildungsstandards werden verschiedene Lerngelegenheiten eines reflektierten und kompetenzorientierten Geographieunterrichts illustriert. Der Aufbau der Geographie-Standards folgt dem Aufbauprinzip der KMKStandards der anderen Fächer: Bildungsbeitrag – Ausweisung der Kompetenzbereiche und Teilkompetenzen – Präzisierung über Standards – Konkretisierung mithilfe von Aufgabenbeispielen. Für jeden der sich ergänzenden sechs geographischen Kompetenzbereiche (Fachwissen, Räumliche Orientierung, Erkenntnisgewinnung/Methoden, Kommunikation, Beurteilung/Bewertung, Handlung) wurden Standards formuliert, mit denen sich die Förderung einer geographischen Gesamtbildung planen und auch überprüfen lässt. Hierbei ist grundsätzlich anzumerken, dass die sechs Kompetenzbereiche der nationalen Bildungsstandards zusammenwirken, um eine geographische Gesamtkompetenz zu generieren. Die Bereiche sind nicht überschneidungsfrei. Eine direkte Hierarchie der Bereiche liegt nicht vor. Gleichwohl haben die Bereiche „Fachwissen“ und „Räumliche Orientierung“ eine gewisse grundlegende Funktion. Der Kompetenzbereich „Handlung“ stellt in gewisser Weise einen übergeordneten Bereich dar und schließt an das Leitziel des Geographieunterrichts, die raumbezogene Handlungskompetenz zu fördern, an. Die „Kompetenz-Analysespinne“ (DGfG, 2020: 24) verdeutlicht das Zusammenwirken des Fachwissens mit den anderen fünf Kompetenzbereichen zum Aufbau einer geographischen Gesamtkompetenz. Fatal wäre es jedoch, Kompetenz bzw. die 77 konkret ausformulierten Standards der sechs geographischen Kompetenzbereiche mit Bildung gleichzusetzen. Kompetenzorientierung hat sich stets einem humanistischen Bildungsbegriff unterzuordnen, weil umfassende Bildung auf die Menschwerdung des Einzelnen zielt und Selbstbildung und Bildung des Selbst ist (für eine umfassende, auch kritische Diskussion der Kompetenzorientierung vgl. Hoffmann et al., 2019; Dickel, 2021).

1.2.5 Gliederung nach räumlichen Bezügen Selbstverständlich sind den einzelnen Beiträgen auch Raumbezüge immanent. Die Autor*innen wurden gebeten, diejenigen räumlichen Bezüge, welche für die jeweiligen Beiträge von besonderer Bedeutung sind, anzugeben. Dabei wurden Bezüge wie „Chile“, „Migrations- & Fluchträume“, „globale Perspektive“, „lokale Perspektive“, „New Orleans“, „Schulumfeld“ oder „Popocatépetl“ angeführt. Als Herausgeber*innen war es uns auch wichtig, einen Zugang zu den einzelnen Beiträgen über räumliche Bezüge zu ermöglichen (siehe Index: Gliederung nach räumlichen Bezügen). Drei Aspekte sind an dieser Gliederung aus unserer Sicht besonders erwähnenswert: Die unterschiedlichen Raumbezüge wurden gewählt, um Lehr-Lern-Gegenstände in ihrer Vielfalt zu erschließen bzw. Basiskonzepte und Kompetenzen zu fördern und nicht – wie etwa im länderkundlichen Paradigma üblich – einen bestimmten „Raum“ an sich

12

I. Gryl et al.

zu erschließen (1). Wenn also beispielsweise ein räumlicher Bezug zum „Popocatépetl“ oder zu „New Orleans“ bedeutsam gemacht wird, dann etwa in der Absicht, Einblicke in Lehr-Lern-Gegenstände wie Vulkanismus (Popocatépetl; vgl. Band 1, Kap. 3) zu geben oder physio- und sozialgeographische Fragestellungen im Zusammenhang mit dem „Hurrikan Katrina“ (New Orleans; vgl. Band 1, Kap. 5) zu diskutieren. An räumlichen Bezügen wie „Migrations- & Fluchträume“ wird darüber hinaus auch deutlich, dass dabei unterschiedliche Raumkonzepte (vgl. Wardenga, 2002), wie sie bereits im Abschnitt zu den Basiskonzepten angesprochen wurden, von Bedeutung sind (2). Im Beitrag zu „Migrations- und Fluchtmythen“ (vgl. Band 2, Kap. 13) wird beispielsweise das Raumkonzept „konstruierter Raum“ genutzt, um u. a. danach zu fragen, welche „Funktionen eine raumbezogene Sprache [hier: zu Flucht und Migration] in der modernen Gesellschaft erfüllt“ (Wardenga, 2002: 10) (Abb. 1.3). Ergänzend (aber auch überschneidend) zu den unterschiedlichen Raumkonzepten zeigt sich an räumlichen Bezügen wie „globale Perspektive“ oder „Schulumfeld“, dass „Raum“ in unterschiedlichen Qualitäten von Relevanz ist (3). So betont der Bezug auf eine „globale Perspektive“ etwa „Raum“ in einer Maßstabsebene („Scale“) oder der Bezug auf das „Schulumfeld“ betont „Raum“ als Netzwerk, also als eine Differenzierung von (sozialen) Beziehungen zwischen Knotenpunkten innerhalb topologischer Verflechtungen. In diesem Sinne legt etwa der TSPN-Ansatz (vgl. Jessop et al., 2008) eine Unterscheidung nach den vier räumlichen Qualitäten nahe: Territory (T), Scale (S), Place (P) und Network (N) (vgl. Tab. 1.1). So ist die Gliederung nach räumlichen Bezügen als eine Annäherung zu verstehen, die eine Orientierung innerhalb der vorliegenden Bände unterstützen soll – ohne dabei jedoch zu einem länderkundlichen Zugang einzuladen, der den „Raum“ an sich zu vermitteln versucht. Wir hoffen, in Verbindung mit diesen Anmerkungen, eine Orientierung entlang räumlicher Bezüge im Sinne von Raumkonzepten bzw. räumlichen Qualitäten zu ermöglichen.

Abb. 1.3   „Raumkonzepte“ – Ausschnitt aus dem „erweiterten Würfel der geographischen Basiskonzepte“. (Mit freundlicher Genehmigung des Klett-Verlages)

1 Einleitung

13

1.2.6 Struktur der Kapitel Jeder Beitrag folgt einer festen Struktur, die sowohl eine Theorie-Praxis-Verzahnung als auch die exemplarische Verbindung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik sicherstellen soll. Die Struktur ermöglicht eine verlässliche Orientierung innerhalb der Aufsätze und eine schnelle Auffindbarkeit einzelner Punkte, etwa der adressierten Kompetenzen. Wesentlich ist die Dreiteilung in fachwissenschaftlichen/Lehrplan-Bezug, fachdidaktischen Ansatz und deren Kombination in einem Unterrichtsbaustein. Flexibilität der Verwendung der Komponenten eines Beitrags wird angebahnt durch Hinweise zur Differenzierung und zum Transfer sowie durch Verweise auf andere fachdidaktische Ansätze und weitere Kapitel. Der Titel eines Beitrags verweist auf den fachdidaktischen Ansatz und setzt damit dessen Vermittlung als zentrales Anliegen des jeweiligen Aufsatzes. Der Untertitel bezieht sich stärker auf den fachwissenschaftlichen bzw. Lehrplaninhaltsbezug. Die Kombination ist exemplarisch und kontingent, aber jeweils zueinander passend. Ein Teaser gibt einen knappen Einblick in diese beiden Komponenten im konkreten Aufsatz sowie in der Regel in zentrale methodische Bezüge des Unterrichtsbausteins. So wird auf einen Blick erkennbar, ob das Beispiel für den*die Leser*in interessant ist. Die fachwissenschaftliche Grundlage ist den Lehrplanthemen entsprechend ausgewählt und didaktisch rekonstruiert, aber zugleich mit aktueller Literatur (u. a. auch aus dem Lehrbuchsegment) versehen. Der Absatz wird beschlossen von einer dazu passenden weiterführenden Leseempfehlung, beispielsweise aus einem Lehrbuch zum Studienfach Geographie. Eine problemorientierte Fragestellung soll den vorgestellten Inhalt im Sinne eines problem- (oder lösungs-)orientierten Unterrichts für Schüler*innen lebendig und wissenswert machen. Diese Frage kann im Unterricht verwendet werden, um für das vorliegende Thema zu motivieren und kognitive Aktivierung anzuregen. Der fachdidaktische Ansatz wird ebenfalls literaturgestützt dargestellt. Auch dieser Abschnitt endet mit einer weiterführenden Leseempfehlung. Weitere fachdidaktische Ansätze werden erwähnt, die Verbindungen zum vorliegenden Aufsatz aufweisen und oftmals an anderen Stellen des Buches weiter ausgeführt werden. Der Unterrichtsbaustein stellt nun eine exemplarische Umsetzung der Kombination aus fachwissenschaftlicher Grundlage und fachdidaktischem Ansatz vor. Der zeitliche Umfang bei Umsetzung im Unterricht variiert von einer kleinen Komponente einer Geographiestunde bis hin zu mehrtägigen Projekten. Neben dieser Darstellung werden noch einmal in gesonderten kleineren Kapiteln relevante Eckpunkte abgefragt: Der Beitrag zum fachlichen Lernen soll aufzeigen, wie das Fach Geographie durch den Baustein gelehrt und lernbar gemacht wird. Kompetenzorientierung verweist auf Kompetenzen aus den Bildungsstandards und darüber hinaus, die mit dem vorliegenden Entwurf gefördert werden. Die Angabe der Klassenstufe gibt eine Orientierung über den Einsatz, wobei der Punkt der Differenzierung eine Anwendung auch in anderen Altersstufen sowie Differenzierungen im Sinne des inklusiven Klassenraums vorhält. Der räumliche Bezug bietet eine

14

I. Gryl et al.

Tab. 1.1  Unterschiedliche räumliche Qualitäten nach dem TSPN-Ansatz. (Eigene Darstellung nach Jessop et al., 2008) DIMENSION SOZIALRÄUMLICHER BEZIEHUNG

MUSTER DER STRUKTURIERUNG SOZIALRÄUMLICHER BEZIEHUNGEN

TERRITORIUM („TERRITORY“)

Differenzierung sozialer Beziehungen durch Konstruktion von Innen-/Außengrenzen; konstitutive Rolle der „Außenseite“ – z. B. Nationalstaaten, EU-Außengrenzen

ORT („PLACE“)

Differenzierung sozialer Beziehungen, basierend auf Bedeutungszuschreibungen, etwa aufgrund von Erfahrungen an/mit diesen Orten (Sense of Place) – z. B. „Heimat“; horizontale räumliche Differenzierung

MAßSTABSEBENEN („SCALE“)

Vertikale räumliche Differenzierung; Differenzierung sozialer Beziehungen durch (hierarchisierte) relative Raumgrößen wie „lokal“, „global“, „glokal“ etc.

NETZWERK („NETWORKS“)

Differenzierung sozialer Beziehungen zwischen Knotenpunkten innerhalb topologischer Verflechtungen wie z. B. „Global Cities“ (vgl. Sassen, 2001), Wertschöpfungsketten

weitere Kategorisierung der Beispiele und eine Orientierung in den kognitiven Karten der Schüler*innen an. Die Konzeptorientierung ordnet das Beispiel in Basiskonzepte (D, AU) bzw. Lehrplaninhalte (CH) ein und zeigt damit curriculare Bezüge jenseits der fachwissenschaftlichen Inhalte. Verweise auf andere Kapitel beider Bände bieten eine Vertiefung in ausgewählten Aspekten sowie erste Ideen für den Transfer einzelner Komponenten des Aufsatzes, etwa durch Neukombination des fachdidaktischen Ansatzes mit anderen fachwissenschaftlichen Bezügen. Explizit besprochen und handlungsleitend ausgeschmückt wird dies im Absatz „Transfer“. Die Infoboxen dienen im Aufsatz dem Vorhalten wichtiger zusätzlicher Informationen. Einige Materialien, insbesondere Arbeitsmaterialien für Schüler*innen und Druckvorlagen, finden sich im digitalen Materialanhang – nicht jedes Kapitel, aber viele weisen einen solchen auf.

1.2.7 Variation didaktischer Zugangsweisen Aus dem bisher Gesagten ist deutlich geworden, dass geographiedidaktische Ansätze nicht abstrakt, sondern ganz konkret auf Lehrplanthemen und Fachgegenstände, Basiskonzepte und Kompetenzziele zu beziehen sind. Diese wechselseitige Beziehung ermöglicht immer auch eine Neukombination mit verschiedenen fachdidaktischen Ansätzen. Didaktische Prinzipien sind Modi des Kompetenzerwerbs, die verschiedene Lehr-

1 Einleitung

15

Lern-Prozesse auf bestimmte Kompetenzziele (mit dem Fokus auf einen bestimmten Kompetenzschwerpunkt) hin ausrichten. In einem erwartbaren Lernprodukt wird der Kompetenzerwerb sicht- bzw. hörbar und kann diskursiv verhandelt werden. Mithilfe des „didaktischen Mischpults“ (Abb. 1.4) lassen sich diese vielfältigen didaktischen Variations- und Kombinationsmöglichkeiten illustrieren. Ein Mischpult ist allgemein formuliert eine Konsole, die Audiosignale zusammenführt und ausgibt. Mit einem Mischpult lassen sich eigene Klänge, Rhythmen und Me lodien aus verschiedenen Songs miteinander vermischen und aufeinander abstimmen. Das Mischpult ist dabei die Steuerzentrale der benötigten Komponenten zur Musikerzeugung für eine*n Musiker*in oder DJ. Neben dem guten Klang ist bei einem Mischpult besonders wichtig, dass alle nötigen Anschlussmöglichkeiten gegeben sind. Das „didaktische Mischpult“ (Abb. 1.4) – um im Bild zu bleiben – lädt dazu ein, eigene Planungskombinationen von Lehr-Lern-Prozessen mit dem „didaktischen Schieberegler“ zu gestalten und immer wieder neu zu kombinieren. Mithilfe dieses Instrumentariums können verschiedene didaktische Entscheidungen bei der Unterrichtsplanung vom Fachgegenstand bis hin zum Lernprodukt aufgezeigt und stets neu begründet und variiert werden. So kann bspw. der Fachgegenstand „Klima“ in Abb. 1.4 basiskonzeptionell mithilfe der Systemkomponenten Struktur, Funktion und Prozess befragt und der sich anschließende Lernprozess wissenschaftsorientiert geplant und auf einen Kompetenzzuwachs im Bereich „Methoden“ fokussiert und sichtbar werden – in einem Versuchsprotokoll als erwartbarem Lernprodukt. Die Abb. 1.4 zeigt zusätzlich eine alternative didaktische Kombinationsmöglichkeit: Der Fachgegenstand „Klima“ wird mithilfe des Basiskonzepts Nachhaltigkeitsviereck befragt, didaktische Bezüge könnten demzufolge in den Kontext einer Werteorientierung gestellt werden und der daraus resultierende Lehr-Lern-Prozess fokussiert den Kompetenzerwerb Beurteilen/ Bewerten, der in einem ausgefüllten Wertequadrat sichtbar gemacht wird. Versuchen Sie es einfach selbst (vgl. Infobox 1.3). Infobox 1.3: Übung zum „didaktischen Mischpult“

Liebe Leser*innen, nutzen Sie das didaktische Mischpult und verändern Sie für sich passend die Schieberegler. Hierzu eine kleine Übung zum didaktischen Variieren: 1. Finden Sie für das bisherige Beispiel „Klima“ eine (für Ihre Lerngruppe) geeignete (und lernwirksame) dritte Kombinationsmöglichkeit. Befragen Sie bspw. den Fachgegenstand „Klima“ mithilfe des Basiskonzeptes Raumkonzepte (erweitertes Raumverständnis) und wählen als didaktischen Bezug das Lebensweltprinzip. Und so weiter … 2. Oder Sie wählen einen ganz anderen Fachgegenstand wie bspw. „Landwirtschaft“ als Ausgangspunkt. Dieser könnte durch die Frage „Welche Fleisch- und Milchwirtschaft wollen wir für unsere Zukunft?“ zu einem Thema gemacht

Abb. 1.4   Didaktisches Mischpult – mit dem Schieberegler didaktisch variieren. (Eigene Darstellung – Idee K. W. Hoffmann)

16 I. Gryl et al.

1 Einleitung

17

werden. Verwenden Sie nun den Schieberegler und entscheiden Sie sich für ein Basiskonzept. Und so weiter …

Die vorliegenden beiden Bände sollen einen derartigen Zugang zur Geographie und ihrer Didaktik unterstützen, wobei die (im vorangestellten Abschnitt diskutierten) Indizes als Orientierungshilfe dienen.

Literatur Bauer, I., & Gryl, I. (2018). Quo vadis Geographiedidaktik (II): Was die Fishbowl-Diskussion auf dem HGD-Symposium in Jena (2017) an Perspektiven und Grenzen aufzeigte. GW-Unterricht, 13, 20–33. Bauer, L. (1976). Geschichte des geographischen Unterrichts im Überblick. In L. Bauer & W. Hausmann (Hrsg.), Geographie (S. 30–35). Oldenbourg. Birkenhauer, J. (1999). Vaterländische Erdkunde. Völkische Erdkunde. In D. Böhn (Hrsg.), Didaktik der Geographie-Begriffe (S. 167–168; 170–171). Oldenbourg. Deutsche Gesellschaft für Geographie. (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss (10., aktualisierte und überarbeitete Auflage). Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG). Dickel, M. (2021). Geographieunterricht unter dem Diktat der Standardisierung. Kritik der Bildungsreform aus hermeneutisch-phänomenologischer Sicht. GW-Unterricht, 123, 3–23. Fögele, J. (2016). Entwicklung basiskonzeptionellen Verständnisses in geographischen Lehrerfortbildungen: Rekonstruktive Typenbildung | Relationale Prozessanalyse | Responsive Evaluation, Geographiedidaktische Forschungen (Bd. 61). Monsenstein und Vannerdat. Fögele, J., & Mehren, R. (2021). Basiskonzepte – Schlüssel zur Förderung geographischen Denkens. Praxis Geographie, 5, 50–57. Gebhardt, H., Glaser, R., Radtke, U., & Reuber, P. (2007). Geographie. Physische Geographie und Humangeographie. Spektrum Akademischer Verlag. Gebhard, H., Glaser, R., Radtke, U., Reuber, P., & Vött, A. (Hrsg). (2020). Geographie – Physische Geographie und Humangeographie. 3. Auflage. Springer Spektrum. Hemmer, M. (2021). Geographiedidaktik. Bestandsaufnahme und Forschungsperspektiven. In M. Rothgangel, U. Abraham, H. Bayrhuber, V. Frederking, W. Jank, & H. J. Vollmer (Hrsg.), Lernen im Fach und über das Fach hinaus: Bestandsaufnahmen und Forschungsperspektiven aus 17 Fachdidaktiken im Vergleich (2 korrigierte, S. 132–154). Waxmann. Hoffmann, K. W. (2019). Erdkunde – Kernfach des 21. Jahrhunderts?! Ein lebendiges und zukunftsorientiertes Fach und wichtige Ressource für Menschen im 21. Jahrhundert. Impulsvortrag zur Eröffnung des Tags der Schulgeographie in Kiel am 27. September 2019. https://www. klett.de/alias/1130433. Hoffmann, K. W. (2021). Das Konzept der Nachhaltigkeit als Grundlage und Reflexionsrahmen schulischen Lernens (Teil 1). Von der Problemorientierung mit Hilfe von Gelingensgeschichten zur Problemlösungsorientierung. https://doinggeoandethics.com/2021/09/13/das-konzept-dernachhaltigkeit-als-grundlage-und-reflexionsrahmen-schulischen-lernens-teil-i/. Hoffmann, K. W., Dickel, M., Gryl, I., & Hemmer, M. (2012). Bildung und Unterricht im Fokus der Kompetenzorientierung. Geographie und Schule, 195, 4–13.

18

I. Gryl et al.

Jekel, T., & Pichler, H. (2017). Vom GW-Unterricht zum Unterrichten mit geographischen und ökonomischen Konzepten. Zu den neuen Basiskonzepten im österreichischen GW-Lehrplan AHS Sek II. GW-Unterricht, 147(3), 5–15. Jessop, B., Brenner, N., & Jones, M. (2008). Theorizing sociospatial relations. Environment and Planning D: Society and Space, 26(3), 389–401. https://doi.org/10.1068/d9107. Klieme, E., Avenarius, H., Blum, W., Döbrich, P., Gruber, H., Prenzel, M., Reiss, K., Riquarts, K., Rost, J., Tenorth, H.-E., & Vollmer, H. J. (2003). Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise (S. 73). Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). https://doi.org/10.25656/01:20901. Leat, D. (1998). Thinking through geography. Chris Kington Publishing. Radl, A. (2016). Basiskonzepte im GW-Unterricht – Ein Instrument zur Vermittlung globaler Zusammenhänge. GeoGraz, 59, 32–37. Rinschede, G., & Siegmund, A. (2020). Geographiedidaktik (4., völlig neu bearbeitete und erweiterte Aufl.). Ferdinand Schöningh. Sassen, S. (2001). The global city: New York, London, Tokyo (2. Aufl.). Princeton University Press. Schultz, H.-D. (1993). Mehr Geographie in die deutsche Schule! Anpassungsstrategien eines Schulfaches in historischer Rekonstruktion. Geographie und Schule, 84, 4–14. Wardenga, U. (2002). Alte und neue Raumkonzepte für den Geographieunterricht. Geographie heute, 200, 8–11.

2

Die geographische Brille schärfen – metakognitives Lernen Michael Hemmer und Inga Gryl

 Teaser  Metakognitives Lernen erlaubt eine Metaebene auf das Fach Geographie – nicht nur zu Beginn des Geographieunterrichts, sondern während der gesamten Schullaufbahn und darüber hinaus. Mit Methoden wie Schlüsselerzählungen und einer Exkursion im Nahraum wird exemplarisch anhand eines Prologs zu Beginn der Jahrgangsstufe 5 aufgezeigt, wie Metakognition in unterrichtlichen Settings den Blick auf das Fach Geographie eröffnen kann; konkret, wie Schüler*innen für die Gegenstandsbereiche der Geographie, ihre Erkenntnisinteressen, ihre Erkenntniswege sowie ihre gesellschaftliche und individuelle Relevanz sensibilisiert werden können.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_2. M. Hemmer  Institut für Didaktik der Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland E-Mail: [email protected] I. Gryl (*)  Institut für Geographie/Institut für Sachunterricht, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_2

19

20

M. Hemmer und I. Gryl

2.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Grundlagen des Fachs Geographie Metakognition wird als das „Denken über Denken“ (Kaiser & Kaiser, 1999: 25), das „Wissen über das eigene Denken“ (Lohaus & Vierhaus, 2015: 128) oder auch als „Kognitionen höherer Ordnung“ (Hasselhorn & Artels, 2018: 520) bezeichnet. In diesem Beitrag wird durch Metakognition der Blick auf das Fach Geographie geschärft. Mit dieser fachbezogenen Anwendung von Metakognition sind sowohl ein fachliches „Metawissen“ (Bette, 2011: 1) als auch fachbezogene epistemologische Überzeugungen (Urhahne & Hopf, 2004) angesprochen, die sich in der theoretischen Fundierung und Wissenschaftsorientierung des Fachs begründen. Die Fachwissenschaft Geographie hat zahlreiche Wandlungen bis zur gegenwärtigen Konzeptualisierung durchlaufen (vgl. Weichhart, 2018). Diese haben die in Teilen auch noch heute einen Widerschein in unterrichtlichen Praktiken und damit einen Einfluss auf das schulisch vermittelte Verständnis von Geographie. Die universitäre Verankerung der Geographie als Disziplin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde durch die Notwendigkeit der Ausbildung von Lehrkräften für das Schulfach Geographie vorangetrieben, und das Schulfach wiederum durch die gesellschaftspolitische Intention der Stütze des neu gegründeten Nationalstaats. Angebahnt durch die im 20. Jahrhundert aufkommende Sozialgeographie mit dem Menschen als Gestalter (und Zerstörer) der Welt entwickelte sich bis heute eine Komplexität wechselseitiger MenschUmwelt-Beziehungen als Fachgegenstand anstelle einseitiger Ursache-WirkungsZuschreibungen, was zu einem zentralen Erkenntnisgegenstand des Fachs geworden ist. Als Erkenntnisfigur dieser Entwicklung kann das Drei-Säulen-Modell der Geographie nach Weichhart (2005) verstanden werden, das neben der Eigenständigkeit von Human- und Physischer Geographie einen eigenen überlappenden wie auch ergänzenden Bereich der Mensch-Umwelt-Forschung umfasst, der beide Disziplinen integriert. Darüber hinaus sind mit dem Spatial Turn der Sozialwissenschaften Aspekte jenseits der Materialität und Relationalität ins Blickfeld getreten, etwa die der individuellen und sozialen Konstruiertheit von Räumen, die wiederum raumbezogenes Handeln beeinflussen. Gerade diese Erweiterung des Theoriespektrums der Geographie ermöglicht eine erhöhte Reflexivität (i. S. v. kritischem Hinterfragen) bzgl. geographischer Gegenstände und Erkenntnisprozesse, und ausgehend davon als weitere Metaebene auch ein vertieftes Nachdenken über das Fach selbst. Hierbei übertragen Subdisziplinen wie Fachtheorie, Fachgeschichte und fachbezogene Wissenschaftssoziologie (die viel über die gesellschaftliche Legitimation des Fachs aussagt) ihre reflexive Haltung auf eine Metaebene auf das Fach. Dabei ist erkennbar, dass die Disziplin Geographie heute durch drei wesentliche Eckpunkte gekennzeichnet ist: 1. Trotz einer hohen Spezialisierung der Teildisziplinen ist sie in/ihrer Gesamtheit durch die Verschränkung naturgeographischer und humangeographischer (Sub-)Systeme geprägt und damit durch die Notwendigkeit auch interdisziplinärer Herangehens-

2  Die geographische Brille schärfen – metakognitives Lernen

21

weisen. Geographie kann infolgedessen einen wesentlichen Beitrag zur MenschUmwelt-Forschung leisten, die sich komplexen, drängenden Problemstellungen wie Klimawandel und Nachhaltigkeit widmet. 2. Darüber hinaus hat sich im Zuge der Disziplingeschichte ein umfassendes System an theoretischen Bezügen zur Beschreibung der so zentralen Kategorie „Raum“ herausgebildet, von geometrischen Raum-Lage-Beziehungen der Geoinformation bis hin zu sozial konstruierten Räumen, in denen auf sozialer Aushandlung und Machtbeziehungen basierende Bedeutungszuweisungen an das Physisch-Materielle zentral für menschliches Handeln sind und dadurch hervorgebracht werden. 3. Zugleich bezieht Geographie angesichts einer sich stetig wandelnden Welt (natürliche Zyklen, Erdzeitalter, anthropogene Veränderungen usw.) als Gegenstand verschiedene Zeithorizonte ein. Geographie als Wissenschaft ist, wie diese drei Aspekte aufzeigen, stets durch das Einnehmen verschiedener Blickwinkel auf einen Gegenstand gekennzeichnet und liefert dazu das methodische Handwerkszeug. Weiterführende Leseempfehlung Gebhardt, H., Glaser, R., Radtke, U., Reuber, P. & A. Vött (Hrsg.) (2020), Geographie. Physische Geographie und Humangeographie. 3. Aufl. Berlin: Springer (hierbei Teil 1 und Teil 2 des Bandes). Problemorientierte Fragestellungen • Was und wie lernen wir mit Geographie (über die Welt)? • Warum gibt es das Fach Geographie?

2.2 Fachdidaktischer Bezug: Metakognitives Lernen Eine Untersuchung der Vorstellungen von Schüler*innen am Ende der Sekundarstufe I über die Disziplin Geographie (Bette, 2011) zeigt auf, dass, abgesehen von einem Bewusstsein für Mensch-Umwelt-Wechselwirkungen, die Vorstellungen eher summativ Gegenstände aneinanderreihen (z. B. Länder, Welt, Lebensweisen, Naturereignisse) sowie ein unterkomplexes Raumverständnis aufweisen, als die eingangs dargestellte Multiperspektivität anzudeuten. Damit ist ein fundiertes fachliches Konzept zur Geographie ein noch bestehendes Defizit in der schulischen Vermittlung, die gleichzeitig Auswirkungen auf ein Verständnis der Relevanz sämtlicher fachlicher Inhalte hat. Eine Metaebene auf das Fach ist notwendig für eine sinnhafte Vermittlung, da sie die Grundlage für das zunehmend eigenständige kritische Prüfen fachlicher Erkenntnisse, ihrer Grenzen und ihrer Relevanz ist. Die Begrifflichkeit des metakognitiven Lernens aus der Lerntheorie bietet einen Zugang, der deklaratives (explizierbares) und exekutives (anwendungsbezogenes) Wissen über das eigene Lernen umfasst (Kaiser & Kaiser, 1999), womit insbesondere

22

M. Hemmer und I. Gryl

auch Selbststeuerung im Lernen realisiert wird. Der Schwerpunkt soll hier allerdings auf fachspezifisches Lernen gelegt werden und nach der Klassifikation nach Kaiser und Kaiser (1999) sowohl Strategiewissen – hier im engeren Sinne die fachdidaktisch rekonstruierte Fachmethodik – als auch Aufgabenwissen – hier als fachliche Grundzüge verstanden – beinhalten. Dieses Metawissen hat wiederum Auswirkungen auf das fachliche Lernen im Sinne von epistemologischen Überzeugungen über das Fach Geographie und deren Reflexion, die mit einem Verständnis über die Konzeptualisierung des Fachs und seines Potenzials sowie seiner Limitationen für die Erkenntnisproduktion und Weltaneignung einhergehen. Derart elaborierte epistemologische Überzeugungen stehen bei Schüler*innen, empirisch zumindest für den Bereich der Naturwissenschaften nachgewiesen (Urhahne & Hopf, 2004), in enger Verbindung mit anspruchsvolleren, vernetzenden und reflektierenden Lernstrategien, meist höherem Lernerfolg und fachlichem Interesse, letzteres möglicherweise auch, weil Metakognition und Selbstkonzepte durch das Zusammenspiel aus Welterschließung und Identitätsbildung im Zusammenhang stehen (Urhahne & Hopf, 2004). Bezüglich der Konzeptualisierung des gegenwärtigen Fachs Geographie ergeben sich folgende metakognitive Kategorien (Abb. 2.1), die im Unterricht vermittelt werden sollten: • Wissen über die Gegenstandsbereiche des Fachs, die, wie oben aufgezeigt, durch Räume (vielperspektivisch im Sinne von Raumkonzepten), durch komplexe MenschUmwelt-Beziehungen sowie eine Vielfalt an Maßstabs- und Zeitebenen gekennzeichnet sind. Die Gegenstandsbereiche des Fachs werden über die spezifischen disziplinären Denkweisen abgegrenzt, die sich in der Geographie als Basiskonzepte des Fachs herausgebildet haben; • Wissen über die Erkenntnisinteressen des Fachs, die Zielstellung und Orientierung der Erkenntnisgewinnung umfassen und ihre Entsprechung im spezifischen fachlichen Blick und Denken der Basiskonzepte finden, die wiederum durch die dahinterliegenden theoretischen Bezüge wie Raumtheorien, Systemtheorie und Medialität fundiert sind; • Wissen über die Erkenntniswege im Fach, die auf der Basis des Erkenntnisinteresses entwickelte fachliche Methoden meinen; dies beinhaltet u. a. ein Strategiewissen, dessen Anwendung sowie ein Wissen über die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung; • sowie Wissen über die gesellschaftliche wie individuelle Relevanz des Fachs als dessen Legitimation, die sowohl den Status als Disziplin und Schulfach rechtfertigt und verständlich macht als auch der Entwicklung des subjektiven, persönlichen Bezugs und Nutzens dient. Diese Kategorien metakognitiven Lernens erlauben es, die „fachliche Brille“ der Geographie in ihren Fokussen und Grenzen zu verstehen und durch deren Verständnis und Reflexion diese Brille zugleich an entscheidenden Stellen zu „schärfen“, d. h. möglichst adäquate fachliche Herangehensweisen für Fragestellungen zu wählen. Mit den Grenzen des Fachs in seinen Erkenntniswegen, Erkenntnisinteressen und Gegenstandsbereichen

2  Die geographische Brille schärfen – metakognitives Lernen

23

Gegenstandsbereiche des Fachs

Geographie Erkenntnisinteressen des Fachs

Erkenntniswege im Fach

Abb. 2.1   Metakognitive Kategorien für das Fach Geographie. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Hemmer, 2019)

sind natürlich auch unscharfe und blinde Bereiche der Brille genannt, bei denen die Schärfung an ihre Grenzen kommt. Metakognitives Lernen dient der Versicherung und Bezugnahme allen Lernens im Fach und muss daher immer wieder im Verlauf des Geographieunterrichts adressiert werden. Metakognitives Lernen stellt eine lohnende Rahmung zu Beginn und am Ende einer größeren Lerneinheit dar (Prolog/Epilog) und zugleich ein durchgängiges Prinzip. Auch bietet es einen fundierten Einstieg in das (neue) Unterrichtsfach Geographie beim Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe, wie im Unterrichtsbaustein des Beitrags illustriert. Weiterführende Leseempfehlung Hemmer, M. (2021). Geographiedidaktik. Bestandsaufnahme und Forschungsperspektiven. In: Rothgangel, M., Abraham, U., Bayrhuber, H., Frederking, V., Jank, W. und J. Vollmer (Hrsg.), Lernen im Fach und über das Fach hinaus. Bestandsaufnahmen und Forschungsperspektiven aus 17 Fachdidaktiken im Vergleich (S. 132–154). 2. korrigierte Auflage. Münster: Waxmann. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Basiskonzepte/Geoconcepts, Epistemologien des Fachs, Perspektivenwechsel/Konstruktivismus, Raumkonzepte

24

M. Hemmer und I. Gryl

2.3 Unterrichtsbaustein: Geographie – dein neues Unterrichtsfach Schüler*innen für die Gegenstandsbereiche, die Erkenntnisinteressen, die unterschiedlichen Erkenntniswege und die Relevanz des Fachs Geographie zu sensibilisieren, ist im Geographieunterricht zu allen Zeiten möglich, gar ein notwendiger Schlüssel, um beispielsweise Räume, Problemstellungen und Karten auf ihren geographischen Gehalt hin erfassen, analysieren und beurteilen zu können. Zu Beginn eines Schuljahres, insbesondere dann, wenn das Fach nicht durchgängig unterrichtet wird, bietet sich ein Prolog an, der die epistemologischen Grundlagen des Faches in einer von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe zunehmend komplexeren und abstrakteren Durchdringung thematisiert und vertieft. Der nachfolgend skizzierte Unterrichtsbaustein zielt auf die Erstbegegnung der Schüler*innen mit dem Fach Geographie zu Beginn der Sekundarstufe I. Auch wenn die geographische Perspektive eine der fünf Perspektiven des Sachunterrichts darstellt (GDSU, 2013), ist damit nicht die eigene Struktur des Fachs Geographie im Sinne seiner Wissenschaftsorientierung jenseits des deutlich breiter, aber weniger komplex vernetzenden Sachunterrichts erschlossen. Ungeachtet dessen ist, wie empirisch von Hemmer & Hemmer (2021) untersucht, das Interesse der Schüler*innen an den Themen, Regionen und Arbeitsweisen des Faches zu Beginn der Jahrgangsstufe 5 besonders hoch, vorzugsweise hinsichtlich des Planeten Erde, dessen Entstehung, Entdeckungsreisen sowie des Lebensalltags der Menschen in verschiedenen Regionen der Erde. Bezüglich der Regionen zeigen die Schüler*innen ein besonders hohes Interesse für die außereuropäischen Räume. Bei den Arbeitsweisen sind es vorrangig die anschaulich-konkreten sowie handlungsorientierten Medien und Methoden (z. B. Fotos, Filme, Exkursionen), die im Schülerinteresse weit vorne liegen (Hemmer & Hemmer, 2021). Ziel des auf drei Doppelstunden hin konzipierten Prologs (Tab. 2.1) ist es, Schüler*innen aufzuzeigen, mit welchen Themen sich Geograph*innen beschäftigen, worin ihre spezifischen Erkenntnisinteressen liegen und welche Erkenntniswege möglich sind. Damit wird der Fokus in der 5. Jahrgangsstufe auf elementare Aspekte geographischen Denken und Handelns gelegt, die in den nachfolgenden Jahrgangsstufen sukzessiv vertieft und erweitert werden. In Anlehnung an die metakognitiven Kategorien (Abb. 2.1) fokussiert jede der drei Doppelstunden einen spezifischen, in der jeweiligen Überschrift in Klammern angeführten Aspekt. Während die beiden ersten Doppelstunden ortsunabhängig dargestellt werden, ist bei der dritten Einheit, der Erkundung des Nahraums, eine Konkretisierung erforderlich. Exemplarisch erfolgt diese an der Promenade in Münster, die als durchgehende Grünfläche die Altstadt entlang der ehemaligen Befestigungsanlagen umgibt und in deren unmittelbare Nähe sich die Schule befindet, für die der Prolog konzipiert wurde. Um den geographischen Blick im Gelände zu schulen, wird sicher jede Lehrperson ein gewinnbringendes und interessantes Beispiel im Umfeld der eigenen Schule kennen, das Schüler*innen anregt, Fragen zu stellen. Der skizzierte Unterrichtsbaustein stellt nur einen von zahlreich denkbaren Einstiegen in das neue Unterrichtsfach dar. Inspirationen hierzu bieten u. a. die Prologe in den Schulbüchern. Unabhängig davon, ob man in der zweiten Doppelstunde anstelle

2  Die geographische Brille schärfen – metakognitives Lernen

25

Tab. 2.1  Die Unterrichtssequenz Geographie – dein neues Unterrichtsfach im Überblick Einheit

Inhaltlich-methodische Schwerpunkte

01

Geographie – ein facettenreiches Fach Tafel (Gegenstandsbereiche des Faches) Fotos (DIN A4), Weltkarte Problemstellung und Vorkenntnismobilisierung Die Schüler*innen im Sitzkreis äußern ihre Erwartungen an das Unterrichtsfach und formulieren u. a. folgende Fragen: Was und wie lernen wir im Fach Geographie? Warum gibt es das Fach Geographie? Womit beschäftigen sich Geograph*innen? Erarbeitungsphase In der Mitte des Stuhlkreises liegen ca. 50 Fotos, die geographische Phänomene zeigen (z. B. Vulkane, Wüsten, Siedlungen/Städte, Landnutzung in verschiedenen Regionen der Erde, Umweltprobleme). Auf der Rückseite eines jeden Fotos befindet sich eine kurze Beschreibung sowie eine Weltkarte mit der Verortung des jeweiligen Fotos. (Beispiel: Abb. 2.2) Die Schüler*innen wählen jeweils ein Foto aus, das sie besonders interessiert, präsentieren dieses den anderen und begründen ihre Auswahl (individuelle Relevanz) Die Lehrperson verweist darauf, dass die Fotos allesamt Phänomene darstellen, die im Geographieunterricht behandelt werden. Gemeinsam werden erste Klassifikationsversuche (z. B. Natur-/Kulturraum) und Verortungen auf der Weltkarte vorgenommen Sicherung Die Schüler*innen notieren in ihr Arbeitsheft, dass Geographen sich mit vielfältigen Phänomenen auf unserem Planeten Erde beschäftigen und führen dazu (interessengeleitet) drei Beispiele an. Gegebenenfalls kann ein Ausdruck des vorab ausgewählten Fotos ins Heft geklebt werden

Materialien

02

Geographie – den Raum lesen lernen Bild (Erkenntnisinteressen des Faches) Schlüsselerzählungen Einstieg Die Lehrperson präsentiert ein Foto der letzten Stunde (z. B. einen Lawinenabgang nahe einer Ortschaft), sammelt unter der Frage Was interessiert euch an diesem Phänomen? Fragen der Schüler*innen, die gemeinsam beantwortet werden (persönliche Relevanz). Dann wirdübergeleitet zur Frage + : Was genau interessiert Geograph*innen an diesem Phänomen? Erarbeitung Die Schüler*innen lesen und bearbeiten in Gruppen jeweils eine der beiden Schlüsselerzählungen (siehe digitaler Materialanhang), in denen über die Arbeit von Geograph*innen berichtet wird. Zum einen handelt es sich um einen Expeditionsbericht über Alexander von Humboldt, zum anderen um die Vorstellung der Arbeit einer Geographin, die Geodaten für ein Artenschutzprojekt bearbeitet Folgende Fragen können die individuelle Erschließung leiten: Was genau wollte hat die*der Geograph*in wissen; was hat sie*er herausgefunden? Warum wollte er*sie das herausfinden? Mit welchen Mitteln hat sie*er ihr*sein Erkenntnisinteresse verfolgt? Die Schüler*innen präsentieren ihre Ergebnisse und stellen hinsichtlich der Erkenntnisinteressen Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest Sicherung Die Schüler*innen notieren in ihrem Arbeitsheft, dass Geograph*innen herausfinden wollen, wo und warum etwas auf unserem Planeten Erde ist und welche Konsequenzen und Wechselbeziehungen sich daraus zwischen dem Menschen und der Umwelt ergeben. Dies illustrieren sie am Beispiel der von ihnen bearbeiteten Schlüsselerzählung

(Fortsetzung)

26

M. Hemmer und I. Gryl

Einheit

Inhaltlich-methodische Schwerpunkte

03

Geographie – die Umgebung mit geographischen Augen erkunden Stadtplan (Erkenntniswege im Fach) Historische Karten und Einstieg Abbildungen Die Schüler*innen begeben sich mit der Lehrkraft zu der in unmittelbarer Nähe der Schule liegenden Münsterschen Promenade, verorten den Standort auf einer Karte und verbalisieren dessen Lage. Erarbeitung Die Schüler*innen erfassen „ordnend beobachtend“ sämtliche Raummerkmale (wie Reliefunterschiede, Wasserflächen, Vegetation, Verkehrswege), stellen Fragen an den Raum und rekonstruieren „verbindend deutend“ unter Zuhilfenahme historischer Karten und Abbildungen, Impulsen der Lehrkraft sowie mit einem steten Bezug zu den Geländebeobachtungen die Persistenz historisch gewachsener Raummerkmale. Im konkreten Fall bieten die im Mittelalter und in der früher Neuzeit sukzessiv erweiterten Befestigungsanlagen sowie die Entscheidung der Stadt, den Grüngürtel trotz veränderter städtebaulicher Leitbilder zu bewahren, einen Schlüssel zum Raumverständnis. Mit Blick auf die Passanten und Radfahrer*innen wird die heutige Funktion der Promenade (Freizeitraum, Verkehrsflächen, Stadtklima etc.) thematisiert. Eine Vertiefung kann z. B. mit der Frage einhergehen, weshalb sich eine Gesellschaft in einer derart ökonomisch profitablen Lage Grünflächen gönnt (gesellschaftliche Relevanz). Sicherung Die Schüler*innen notieren in ihrem Arbeitsheft, dass Geograph*innen u. a. mittels Beobachtungen im Gelände, Karten (Geodaten) und anderweitigen Medien Raumstrukturen erfassen, analysieren, beurteilen. Sie konkretisieren dies anhand der auf der Exkursion gewonnenen Erkenntnisse. Ausblick Die Schüler*innen formulieren offen gebliebene Fragen (was auf die methodischen Grenzen verweist). Gemeinsam vergleichen sie ihre Vorgehensweise mit den Schlüsselerzählungen aus 02 und benennen Gemeinsamkeiten und Unterschiede (Erkenntnisinteresse, Methoden etc.).

Materialien

der Schlüsselerzählungen mit Senkrechtluftbildern (z. B. Dubai damals und heute, Gletscherrückgang in den Alpen) oder einem Film arbeitet, sollte der Fokus in sämtlichen Erarbeitungs- und Sicherungsphasen stets auf die metakognitiven Aspekte gerichtet sein, das heißt das Fach in seiner Eigenlogik und einen Praktiken verstehen und die Grenzen der Erkenntnis zunehmend hinterfragen zu lernen. Beitrag zum fachlichen Lernen Indem der Unterrichtsbaustein grundlegende metakognitive Kategorien des Faches thematisiert, leistet er einen wichtigen Beitrag zum fachlichen Lernen entsprechend der empirisch belegten Feststellung der lernförderlichen Wirkung dieses Wissens (vgl. Urhahne & Hopf, 2004). Um bei Schüler*innen ein konzeptionelles Verständnis geographischen Denken und Handelns zu wecken und zu fördern, bedarf es einer steten Ausweitung und Vertiefung der Metakognition während der gesamten Schullaufbahn.

2  Die geographische Brille schärfen – metakognitives Lernen

27

Kompetenzorientierung • Fachwissen: S22 „geographische Fragestellungen […] an einen konkreten Raum (z. B. Gemeinde/Heimatraum, Bundesland, Verdichtungsraum, Deutschland, Europa, USA, Russland) richten“ (DGfG, 2020: 15) • Räumliche Orientierung: S3 „die Lage eines Ortes (und anderer geographischer Objekte und Sachverhalte) in Beziehung zu weiteren geographischen Bezugseinheiten (z. B. Flüsse, Gebirge) beschreiben“ (ebd.: 17) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S5 „problem-, sach- und zielgemäß Informationen im Gelände (z. B. Beobachten, Kartieren, Messen, Zählen, Probennahme, Befragen) oder durch einfache Versuche und klassische Experimente gewinnen“ (ebd.: 20); S9 „selbstständig einfache geographische Fragen stellen und dazu Hypothesen formulieren“ (ebd.: 21); S11 „den Weg der Erkenntnisgewinnung in einfacher Form beschreiben“ (ebd.) Besonders die Kompetenzen F5 S22, M4 S9 sowie M4 S11 sind mit metakognitiven Denkweisen über das Fach assoziiert. Indem etwa die Schüler*innen den Erkenntnisgang zweier Wissenschaftler*innen (historisch und gegenwärtig) exemplarisch nachvollziehen, lernen sie Erkenntniswege kennen und in einfacher Form beschreiben (M4 S11). Die weiteren genannten Kompetenzen (O2 S3 und M2 S5) dienen vor allem der Unterstützung und fachlichen Fundierung des auf Metakognition abzielenden Unterrichtsvorhabens. Klassenstufe und Differenzierung Der vorliegende Unterrichtsbaustein kann zu Beginn der Jahrgangsstufe 5 in allen Schularten eingesetzt werden. Er setzt keine über die Grundschulzeit hinausgehenden spezifischen Vorkenntnisse voraus. Lernschwierigkeiten könnten die Schüler*innen jedoch bei der Verbalisierung dessen haben, was sie auf den Fotos, Karten oder im Gelände beobachten. Hier sind gegebenenfalls adaptive Hilfen erforderlich wie z. B. eine stärkere inhaltliche Strukturierung durch Hinweise und Tipps auf der Rückseite der Fotos oder eine unterstützende Visualisierung durch eine auf den Gehweg gezeichnete Windrose mit den Himmelsrichtungen. Räumlicher Bezug Globale Perspektive, lokale Perspektive (Erkundung des Nahraums) Konzeptorientierung Metaebene (Überblick) auf die Zugänge in Deutschland, Österreich und Schweiz

28

M. Hemmer und I. Gryl

Abb.2.2   Beispiel eines Fotos mit Rückentext. (Eigene Abbildung auf der Basis von Pixabay)

2  Die geographische Brille schärfen – metakognitives Lernen

29

2.4 Transfer Die in Abb. 2.1 ausgewiesenen Kategorien metakognitiver Wissensbestände und Fähigkeiten (wie sie auf alle Wissenschaften übertragbar sind) bilden ein grundlegendes Werkzeug und Prüfinstrument zur Identifizierung und Hinterfragung des geographischen Gehalts z. B. einer Problemstellung, eines unterrichtlichen Themas oder eines methodischen Zugriffs. Die Grundstruktur des Unterrichtsbausteins bietet in ihrem Dreischritt zudem ein Gerüst für das Nachdenken über das Fach Geographie zu Beginn einer jeden Jahrgangsstufe respektive im Rahmen anderer metareflexiver Exkurse im Geographieunterricht. Wünschenswert wäre hier ein jahrgangsstufenübergreifendes Konzept, in dem pro Jahrgangsstufe und metakognitiver Kategorie einzelne Vertiefungen und Erweiterungen des metakognitiven Wissens ausgewiesen werden z. B. durch die Erhöhung der Komplexität der Mensch-Umwelt-Systeme, durch die Ausweitung der Perspektiven und methodischen Zugriffe im Kontext des Erkenntnisgewinns bis hin zu einer grundlegenden Reflexion über die Grenzen der Erkenntnisproduktion und Weltaneignung. Die in allen Fragen mitschwingende Relevanz von Geographie für die Gesellschaft und den intrapersonalen Verantwortungsbereich bietet zusätzliche Potentiale zur Motivation der Schüler*innen im Unterricht und ist als ein Beitrag zu einer reflexiven, mündigkeitsorientierten sowie (gesellschaftliche) Werte berücksichtigenden geographischen Bildung zu verstehen. Verweise auf andere Kapitel • Fögele, J. & Mehren, R.: Basiskonzepte. Stadtentwicklung – Transformation von Städten. Band 2, Kapitel 4. • Hemmer, I., Hemmer, M. & Müller, M. X.: Interessensorientierung. Landwirtschaft – Ökologischer Anbau. Band 1, Kapitel 14. • Jahnke, H. & Bohle, J.: Raumkonzepte. Grenzen – Europas Grenzen. Band 2, Kapitel 12. • Kanwischer, D.: Reflexion. Informationssektor – Geographien der Information. Band 2, Kapitel 26. • Meyer, C.: Wertebildung. Landwirtschaft – Tierwohl. Band 1, Kapitel 15. • Mittrach, S. & Dorsch, C.: Mündigkeitsorientierte Bildung. Kultur der Digitalität – Smart Cities. Band 2, Kapitel 28.

Literatur Bette, J. (2011). Schülervorstellungen und fachliche Vorstellungen zur „Geographie“ und ihren zentralen Konzepten. Eine empirische und hermeneutische Untersuchung (=Münsteraner Arbeiten zur Geographiedidaktik 1). Westfälische Wilhelms-Universität. http://nbn-resolving. de/urn:Nbn:De:Hbz:6-44499641645.

30

M. Hemmer und I. Gryl

DGfG (Deutsche Gesellschaft für Geographie) (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den mittleren Schulabschluss. DGfG. GDSU = Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (Hrsg.) (2013). Perspektivrahmen Sachunterricht. Klinkhardt-Verlag. Hasselhorn, W., & Artelt, C. (2018). Metakognition. In D. H. Rost, Sparfeldt, J. R., & Buch, S. R. (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (5. überarb. und erw. Aufl., S. 520–526). Beltz-Verlag. Hemmer, M. (2019). Wie geographisch ist der Geographieunterricht? Videobasierte Analysen zu metakognitiven Akzentuierungen. Skript zur gleichnamigen Lehrveranstaltung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. (unveröffentlicht). Hemmer, I., & Hemmer, M. (2021). Das Interesse von Schülerinnen und Schülern an geographischen Themen, Regionen und Arbeitsweisen – Ein Bundeslandvergleich zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen. Zeitschrift für Geographiedidaktik, 49(1), 101–122; https:// doi.org/10.18452/22031. Kaiser, A., & Kaiser, R. (1999). Metakognition. Denken und Problemlösen optimieren. Luchterhand. Lohaus, A., & Vierhaus, M. (2015). Metakognitive Fähigkeiten. In A. Lohaus & M. Vierhaus (Hrsg.), Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters für Bachelor (3. Aufl., S. 128 f.). Springer. Urhahne, D., & Hopf, M. (2004). Epistemologische Überzeugungen in den Naturwissenschaften und ihre Zusammenhänge mit Motivation, Selbstkonzept und Lernstrategien. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 10, 71–87. Weichhart, P. (2005). Auf der Suche nach der „Dritten Säule“. In D. Müller-Mahn, & U. Wardenga (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen integrativer Forschungsansätze in Physischer Geographie und Humangeographie (S. 109–136). Selbstverlag (=ifl Forum 2). Weichhart, P. (2018). Entwicklungslinien der Sozialgeographie (2. Aufl.). Steiner.

3

Forschendes und entdeckendes Lernen – Steine erzählen Geschichten Gregor Bruzzi und Peter Frenzel

 Teaser  Die Geschichte der Erde und des Lebens dokumentiert unser aller

Vorgeschichte. Neben ihrer Bedeutung für unser Selbstverständnis als Menschen prägt sie auch die Entwicklung und heutigen Nutzungs- und Lebensbedingungen der Regionen. Ihre Kenntnis ermöglicht ein besseres Verständnis ablaufender Prozesse (z. B. Evolution, Klimaveränderungen). Diese entziehen sich wegen der riesigen Zeiträume, in denen sie ablaufen, weitestgehend der direkten menschlichen Beobachtung, sind aber indirekt durch Gesteine und die in ihnen enthaltenen Fossilien dokumentiert.

3.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Erdgeschichte – Geologie und Paläontologie Die Geologie stellt unter den Naturwissenschaften eine Besonderheit dar, ist sie doch zum Teil auch ein historisch arbeitendes Fachgebiet. Über geologische und paläontologische Dokumente rekonstruiert sie die Geschichte der Erde und des Lebens, also

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_3. G. Bruzzi (*)  Bad Frankenhausen, Deutschland E-Mail: [email protected] P. Frenzel  Institut für Geowissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_3

31

32

G. Bruzzi und P. Frenzel

unseres Lebensumfeldes, unseres Planeten und unserer Herkunft als Menschen. Die bestimmenden geologischen und biologischen Prozesse laufen oft über viele menschliche Generationen oder länger ab, entziehen sich also der direkten Beobachtung durch den Menschen und können nur mithilfe der Analyse von Proxys vergegenwärtigt werden. Proxys sind Stellvertreterdaten wie beispielsweise Pollenverbreitungen, die die Rekonstruktion von Temperaturen und Niederschlägen in der jüngeren geologischen Vergangenheit erlauben. Die Geologie einer Region beeinflusst die Nutzung des betreffenden Naturraums stark. Böden, Relief, Rohstoffe, geogene Naturgefahren, Grundwasser und Gewässer prägen die traditionelle Land- und Forstwirtschaft, die Wasserwirtschaft und die Architektur von Gebäuden. Die oberflächlich aufgeschlossenen Sedimentgesteine Mitteleuropas enthalten meist Fossilien. Diese müssen nicht immer gut sichtbare Körperfossilien sein, häufig sind auch Mikro- oder Spurenfossilien. Insbesondere marine Sedimentgesteine sind meist reich an Versteinerungen, während terrestrische Sedimente für gewöhnlich fossilärmer sind. Magmatische oder metamorphe Gesteine enthalten entsprechend ihrer Entstehung keine Fossilien. Einzige Ausnahme sind zuweilen Tuffe. Im norddeutschen Vereisungsgebiet treten Fossilien zusätzlich oft in Geschieben auf. Da die Entwicklung des Lebens in charakteristischen Phasen mit sich entwickelnden Ökosystemen und einander ablösenden Arten einhergeht, kann die zeitliche Abfolge von Gesteinen über die darin enthaltenen Versteinerungen erkannt werden. Dieses Spezialgebiet der Paläontologie wird als Biostratigraphie bezeichnet. Neben der relativen zeitlichen Einstufung erlauben die Fossilgemeinschaften aber auch die Rekonstruktion der vorzeitlichen Lebensräume und der Veränderung von Umweltbedingungen. Dazu gehört beispielsweise das Klima der geologischen Vergangenheit. Hierdurch lassen sich langfristige Veränderungen im System Erde dokumentieren und die Wechselwirkungen zwischen Geo-, Bio- und Atmosphäre sowie der Anthroposphäre verstehen – eine unabdingbare Voraussetzung für die Bewertung gegenwärtiger Veränderungen und die Prognose zukünftiger. Die Historische Geologie dokumentiert die Veränderungen unserer Erde seit mehr als 4,5 Mrd. Jahren. Dies schließt auch die Entwicklung des Lebens ein. Sie untersucht die Abfolge von Gesteinen, die Veränderung ihrer Bildungsbedingungen und anderer, für das Leben auf der Erde wichtiger Umweltfaktoren. Die Gesteine werden in natürlichen Aufschlüssen, wie Prallhängen an Flüssen oder in Erosionsrinnen, in künstlichen Aufschlüssen wie Straßen- und Bahnanschnitten, Baugruben, Steinbrüchen, Kies-, Sandund Tongruben oder im untertägigen Bergbau sowie durch Bohrungen untersucht. Auch Lesesteine, lose an der Erdoberfläche liegende Steine, können für die Beschreibung des Untergrundes nützlich sein. Die Zusammensetzung und Strukturen der Gesteine sowie die enthaltenen Fossilien geben über ihre Bildungsbedingungen und eventuell spätere Umwandlungen Auskunft. Die aufmerksame Betrachtung der Gesteine mit dem bloßen Auge und der Lupe, mit dem Hammer erzeugte frische Bruchflächen und zuweilen der Karbonattest mit verdünnter Salzsäure erlauben bei einiger Erfahrung oft bereits weitgehende Schlussfolgerungen zur Gesteinsart, den Bildungsbedingungen und, bei guten Kenntnissen über die regionale Geologie, auch zum Alter.

3  Forschendes und entdeckendes Lernen Steine erzählen Geschichten

33

Weiterführende Leseempfehlung • Götze H J, Mertmann D, Riller U, Arndt J (2017): Einführung in die Geowissenschaften. Stuttgart. • Grotzinger J, Jordan T (2017): Press/Siever Allgemeine Geologie. Berlin. Problemorientierte Fragestellung Kein Gestein der Erde ist für die Ewigkeit gemacht. Durch Einflüsse von außen verwittert es an der Erdoberfläche, es wird durch Wasser und Wind abtransportiert und an einer anderen Stelle abgelagert. Wie unterscheidet sich die Geologie in Bad Frankenhausen von der in Tambach-Dietharz?

3.2 Fachdidaktischer Bezug: Entdeckendes und forschendes Lernen Das Fundament des forschenden und entdeckenden Lernens etabliert sich in einer evidenten Problembeschreibung, welche die Schüler*innen zu einem motivierten wie auch provozierenden Arbeiten anregen soll. Dieser Prozess ist durch eine unerhebliche Überforderung aufseiten der Lernenden charakterisiert, da diese unter Umständen noch nicht über alle Grundlagen verfügen, um selbstständig Lösungen für den Sachverhalt zu entwerfen. Eine Forschungsfrage dient dabei als „roter Faden“ der forschend entdeckenden Arbeit (Limmer, 2018: 56 f.; Meyer, 2008: 113). Hierbei etabliert sich ein längerer Arbeitsprozess, der aus dem gebräuchlichen Rahmen des Unterrichtsalltages hervorsticht. Zum einen erfolgt eine vertiefende Erarbeitung sowie Aneignung neuer Informationen und zum anderen umfasst das Vorgehen einen Zeitraum von mehreren Wochen (hier: Planung, Durchführung und Reflexion). Eine signifikante Bedeutung erhalten hierbei die Darstellungen, Präsentationen und Reflexion der Forschungsergebnisse. Schüler*innen sollten schrittweise an ein solches Arbeiten herangeführt werden, damit sie ihre Selbstständigkeit ausbauen können. Das forschende und entdeckende Lernen zielt auf die Entwicklung der Fähigkeit des Problemlösens ab (Meyer, 2008: 112 f.; Otto et al., 2011: 98; Reinfried, 2008: 52). Bereits bestehende Erwartungen werden auf Grundlage eines erkannten Problems überdacht, das Vorverständnis wird reflektiert und die Situation mit neuen Erkenntnissen versehen (Tillmann, 2015: 238 f.). Im Hinblick auf eine solche Unterrichtsdidaktik manifestieren sich vordergründig die folgenden Gedankenpunkte: • Der experimentelle Lernprozess stellt ein spannungsreiches Lernen dar, da er unter anderem an die Bedürfnisse der Lernenden anknüpft und einen Fragen entwickelnden Unterricht hervorbringt. Des Weiteren bietet sich die Lernform an, um Kontraste zum alltäglichen Lernen in der Schule zu setzen.

34

G. Bruzzi und P. Frenzel

• Ein sich an Handlungen orientierendes Lernen intensiviert die Kreativität der Lernenden, da diese in sachbezogenen Situationen eine Vielzahl an Lösungswegen aufstellen und diese in ihrer Umsetzung erproben. • Während der Bewältigung der Problemstellungen überprüfen die Schüler*innen stetig die eigenen Arbeitsprozesse, da das eigene Vorhaben geplant und strukturiert werden muss (hier: ganzheitliches Lernen). • Ein handlungsorientierter Unterricht ermöglicht den Lernenden, sich intensiv mit einem Thema genauer zu beschäftigen. Die Schüler*innen sind dazu angeregt, sich in Kooperation mit anderen Lernenden einem spezifischen Problemfall zu nähern (Becker, 2007: 26; Döring, 2003: 65; Meyer, 2008: 126). Weiterführende Leseempfehlung • Brinkmann M (2020): Forschendes Lernen. Pädagogische Studien zur Konjunktur eines hochschuldidaktischen Konzepts. Wiesbaden. • Knörzer M, Förster L, Franz U, Hartinger A (Hrsg.) (2019): Forschendes Lernen im Sachunterricht. Bad Heilbrunn. • Mönter L-O, Otto K-H, Peter C (Hrsg.) (2017): Diercke. Experimentelles Arbeiten. Beobachten, untersuchen, experimentieren. Braunschweig. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Digitale Geomedien, Experimentieren

3.3 Unterrichtsbaustein: Steine erzählen Geschichte – Die Dynamik der Erde An der einen Stelle lugt es unter einer Bodendecke hervor, an einer anderen ragt es als kahle steile Felswand im Landschaftsbild in die Höhe. Gesteine sind das Baumaterial, aus dem die Kruste sowie der Mantel unserer Erde bestehen. Zugleich ermöglichen sie eine Rekonstruktion geologischer Prozesse, denn sie enthalten Informationen über ihre Entstehungsbedingungen und damit über Prozesse, die an der Erdoberfläche sowie im Erdinneren stattfinden. Gesteine mögen auf den ersten Blick unscheinbar sein, doch sind sie ganz alltäglich und faszinierend zugleich. Im Folgenden sind Vorschläge für einen Unterrichtsbaustein aufgezeigt, die je nach lokalen Möglichkeiten und Voraussetzungen genutzt werden können: Eine detaillierte Betrachtung der Geologie ist in den Lehrplänen der Schulen nur geringfügig vorgesehen. Dafür besteht umso mehr die Chance neuer Entdeckungen für die Schüler*innen. Zumeist bringen die Lernenden eine Vielzahl an Vorwissen (z. B. Interesse an Sauriern, anderen Fossilien, Mineralen, Vulkanen, Erdbeben, Meteoriteneinschlägen und Heimatgeschichte) mit, welches im Unterrichtsgeschehen aufgegriffen und weiter vertieft werden kann.

3  Forschendes und entdeckendes Lernen Steine erzählen Geschichten

35

Lernende können nur verstehen, wenn sie sich mit einer bestimmten Aufgabe, einer Frage oder einem Problem auseinandersetzen und es sich um einen für sie relevanten Sachverhalt handelt, mit dem sie sich identifizieren können. Dadurch wird bei den Schüler*innen Interesse geweckt, sich näher mit einem Sachverhalt auseinanderzusetzen (Müller, 2013: 25). Um den Schüler*innen die Thematik zugänglich zu machen, erfolgt ein problematisierender Einstieg durch einen Hörimpuls. Dieser berichtet von der Schülerin Hanna, die während einer Autofahrt bemerkt, dass sich die landwirtschaftlichen Formen innerhalb des Thüringer Beckens stark unterscheiden. Die Hörsequenz endet damit, dass Hanna den Ausflug für sich Revue passieren lässt und ins Grübeln kommt. Die Lernenden sind dazu angeregt, sich in Hanna hineinzuversetzen und zu überlegen, welche Fragen sich Hanna stellen könnte. Die Inhalte und Materialien (M1–M5) des Unterrichtsbausteins sind im digitalen Materialanhang zusammengefasst. An die „Ankommensphase“ schließt sich eine erste Erarbeitungsphase an. Basis geologischer Informationen sind geologische Karten und ihre Begleittexte. Untergrundprofile (hier: Bohrungen) können zudem herangezogen werden, um die Abfolge der Gesteine darzustellen. In dieser Phase sind die Schüler*innen dazu angeregt, ein physisches Höhenprofil anzulegen (siehe Beispiel in Abb. 3.1). Im weiteren Prozess erfolgt die Analyse einer weiteren Atlas-Karte. Die Lernenden verschaffen sich einen Überblick zur Geologie der Region. In der zweiten Erarbeitungsphase finden sich die Lernenden in Gruppen zusammen. In Einzelarbeit erschließen sie sich zunächst Sachtexte, um im Anschluss über die aufkommenden Fragen innerhalb der Stammgruppen zu sprechen. Die Schüler*innen treten in den inhaltlichen Austausch. Sie entwerfen eine Übersicht oder ein Schema (siehe Abb. 3.2), das anschließend dem Plenum präsentiert wird. Diese Präsentationsphase stellt zudem die Sicherungsphase des Inhalts dar. Der Abschluss der Stunde wird durch das Anfertigen eines Podcasts generiert. Die Lernenden nehmen erneut Stellung zu möglichen Verwendungen der Gesteine. Anhand eines ausgewählten Gesteins führen sie eine Gesteinsbestimmung durch. Die Informationssammlung wird mit weiteren Punkten zum Thema „Der Einfluss exogener und endogener Prozesse auf die Gesteine“ ergänzt. Die Lernenden werden dazu veranlasst, den Sachverhalt mit eigenen Worten zu beschreiben sowie zu erklären (hier: Verfassen eines Manuskripts (Sprechertext) für den Podcast. Beitrag zum fachlichen Lernen Ziel des forschenden und experimentellen Lernens ist es, den Schüler*innen die Möglichkeit zu eröffnen, „Verhalten zu zeigen, das, wenn erwünscht, sogleich bekräftig wird“ (Wild & Möller, 2015: 7). Im Vordergrund stehen eine aktive Teilnahme der Lernenden sowie ein gemeinsames Lösen von selbst formulierten Problemstellungen und Leitfragen. Der Lernprozess übt einen Einfluss auf Schlüsselqualifikationen wie die Kommunikationsfähigkeit, Kreativität und Durchhaltekraft der Lernenden aus (Meyer &

36

G. Bruzzi und P. Frenzel

Abb. 3.1   Beispiel für ein Höhenprofil in Google Earth Pro. (Eigene Darstellung nach Google LLC, 2021: o. S.)

Abb. 3.2   Mögliche Schülerlösung eines Gesteinskreislaufs als Schema. (Eigene Darstellung)

3  Forschendes und entdeckendes Lernen Steine erzählen Geschichten

37

Paradies, 2000: 30 ff.). „Um Wissen zu erwerben, müssen Lernende [...] aktiv an Diskursen und Problemlöseprozessen teilnehmen, um so die entsprechenden Aktivitätsmuster zu erwerben“ (Wild & Möller, 2015: 7). Kompetenzorientierung • Fachwissen: S3 „die natürlichen Sphären des Systems Erde (z. B. Atmosphäre, Pedosphäre, Lithosphäre) nennen und einzelne Wechselwirkungen darstellen“ (DGfG, 2020: 14); S4 „gegenwärtige naturgeographische Phänomene und Strukturen in Räumen (z. B. Vulkane, Erdbeben, Gewässernetz, Karstformen) beschreiben und erklären“ (ebd.); S7 „den Ablauf von naturgeographischen Prozessen in Räumen (z. B. Verwitterung, Wettergeschehen, Gebirgsbildung) darstellen“ (ebd.) • Räumliche Orientierung: S5 „die Grundelemente einer Karte (z. B. Grundrissdarstellung, Generalisierung, doppelte Verebnung von Erdkugel und Relief) nennen und den Entstehungsprozess einer Karte beschreiben“ (ebd.: 17); S6 „topographische, physische, thematische und andere alltagsübliche Karten im Web oder anderen Quellen finden, lesen und unter einer zielführenden Fragestellung auswerten“ (ebd.) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S4 „problem-, sach- und zielgemäß Informationen aus geographisch relevanten Informationsformen/-medien auswählen“ (ebd.: 20); S5 „problem-, sach- und zielgemäß Informationen im Gelände (z. B. Beobachten, Kartieren, Messen, Zählen, Probennahme, Befragen) oder durch einfache Versuche und klassische Experimente gewinnen“ (ebd.) • Sachkompetenz: „die Entstehung ausgewählter Gesteine, deren Nutzung und den Gesteinskreislauf erklären“ (TMfBWK, 2012: 17); „ausgewählte Verwitterungsprozesse im Kultur- und Naturraum beschreiben“ (ebd.); „den Einfluss sowie das Zusammenspiel endogener und exogener Vorgänge bei der Entstehung der Gesteinsarten erläutern“ (ebd.) • Methodenkompetenz: „thematische Karten auswählen und auswerten“ (ebd.: 18); „fragegeleitet einen Raum analysieren“ (ebd.); „Experimente planen, durchführen und daraus neue Erkenntnisse gewinnen“ (ebd.) • Selbst- und Sozialkompetenz: „sein eignes Denken kritisch hinterfragen“ (ebd.); „in kooperativen Arbeitsformen eigenverantwortlich arbeiten und den gemeinsamen Arbeitsprozess beurteilen“ (ebd.); „sich in Interaktionen sachlich angemessen austauschen“ (ebd.) Entdeckende Lernanlässe motivieren die Lernenden, sich aktiv mit einem Sachverhalt auseinanderzusetzen. Durch das selbstständige Beobachten, Fragen, Vermuten und Ausprobieren sollen Lernende neue Erkenntnisse bezüglich Inhalten und Arbeitsweisen gewinnen. Abb. 3.3 stellt dar, in welchen Phasen das entdeckend-forschende Lernen stattfinden kann. Je nach persönlichem Bedarf erfolgt das selbstständige Bearbeiten von Problemen mit mehr oder weniger Unterstützung durch die Lehrkraft. Indem sich die Schüler*innen mit einem Unterrichtsgegenstand näher auseinandersetzen, sollen

38

G. Bruzzi und P. Frenzel

sie kognitive Strukturen aufbauen. Entlang der einzelnen „Kettenglieder“ der Unterrichtsreihe erfolgt ein schrittweises Generieren von abstraktem Wissen. Durch die Verwendung ausgewählter Operatoren wie „Zusammenfassen“, „Ordnen“ und „Vergleichen“ können die Denk- und Handlungsprozesse der Lernenden unterstützt werden. In einem fortlaufend schwieriger werdenden Lernprozess gewinnen die Lernenden an Kompetenz (verschränktes Denken, Vertreten der eigenen Meinung, Aspekte der Argumentationsführung) (Jank & Meyer, 2011: 205 ff.). Der Unterrichtsrahmen muss Platz für eine eigenständige Konstruktion von Wissen zulassen, sodass die Schüler*innen sich zunehmend als Gestalter ihrer eigenen Welt sehen (Hüther, 2009: 70; Wild & Möller, 2015: 7). Im Kern der didaktischen Analyse etabliert sich der Einbezug aktueller Fragestellungen sowie das Ermöglichen eines Perspektivwechsels zum geologischen Thema. Die zuvor genannten Themenschwerpunkte finden sich in Auszügen in den Lehrplänen der einzelnen Bundesländer wieder. So können zum Beispiel die Schüler*innen die „Entstehung ausgewählter Gesteine, deren Nutzung und den Gesteinskreislauf erklären; ausgewählte Verwitterungsprozesse im Kultur- und Naturraum beschreiben sowie glaziale, fluviale und äolische Vorgänge sowie Formenbildungen und deren Auswirkungen auf das Leben und Wirtschaften der Menschen erläutern“ (TMfBWK, 2012: 6). Klassenstufe und Differenzierung Klassenstufe: 7./8. Klasse (Gymnasium) Um den individuellen Lernausgangslagen der Lernenden Rechnung zu tragen, können bei Bedarf auf sie zugeschnittene Maßnahmen sowohl im Unterrichtsgeschehen als auch

Abb. 3.3   Der steinige Weg bis zum Ziel. (Eigene Darstellung nach Wolter, 2018: o. S.)

3  Forschendes und entdeckendes Lernen Steine erzählen Geschichten

39

in der Aufbereitung der Arbeitsmaterialien getroffen werden. So können Veränderungen in der Sozialform (hier: kooperatives Lernen) und der Umfang der Zugangsweise (hier: zusätzliche Informationsblätter sowie die individuelle Zuwendung durch die Lehrkraft) den Lernprozess der Schüler*innen befähigen. Räumlicher Bezug Bad Frankenhausen (Kyffhäuserkreis), Tambach-Dietharz (Thüringer Wald) Konzeptorientierung Deutschland:  Systemkomponenten (Struktur, Funktion, Prozess) Österreich:  Geoökosysteme Schweiz:  natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.3a, 1.3d)

3.4 Transfer Lernende sollen durch das forschende und entdeckende Lernen dazu befähigt werden, sich Strategien zum Lösen von Problemen anzueignen. Der didaktische Ansatz eignet sich für Problematiken, die auf Kausalzusammenhängen beruhen. Unter Verwendung des eigenen Wissens sowie durch Verwendung der individuellen Kreativität werden von den Lernenden Lösungsmuster erarbeitet und auf den gegebenen Sachverhalt angewendet. Das forschende und entdeckende Lernen ist schwer in ein Zeitschema einzuteilen, da die Ziele, die die Lernenden erreichen, zunächst durch die eigene Auseinandersetzung mit der Thematik aufgestellt werden. Der Unterrichtsvorschlag greift die Neugierde und Selbstständigkeit der Schüler*innen auf, sodass sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit Wissen verknüpfen können. Sind nicht alle Kinder und Jugendlichen von Natur aus neugierig und von sich aus bereit, die alltäglichen Dinge zu hinterfragen? Wollen sie nicht so viel wie möglich selbst herausfinden, um zu verstehen, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt? Verweise auf andere Kapitel • Franz. S.: Digitale Geomedien. Naturgefahr – Vulkanismus. Band 1, Kap. 4. • Rosendahl, N. & Peter, C.: Experimentieren. Boden – Winderosion. Band 1, Kap. 5.

Literatur Becker, G. E. (2007). Durchführung von Unterricht. Beltz. BPZ (Bildungsplan Zentralschweiz). (2004) Lehrplan Geographie. Für das 7. bis 9. Schuljahr. https://www.kmsu.ch/wp-content/uploads/2019/04/lp_geografie_1-3kl.pdf. Zugegriffen: 16. Okt. 2021.

40

G. Bruzzi und P. Frenzel

Bundeskanzleramt Österreich. (2016) Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich. Änderung der Verordnung über die Lehrpläne der allgemein bildenden höheren Schulen: Änderung der Bekanntmachung der Lehrpläne für den Religionsunterricht an diesen Schulen. https://www. ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2016_II_219/BGBLA_2016_II_219.pdfsig. Zugegriffen: 16. Okt. 2021. DGfG (Deutsche Gesellschaft für Geographie e. V.). (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. https://geographie.de/wp-content/uploads/2020/09/ Bildungsstandards_Geographie_2020_Web.pdf. Zugegriffen: 16. Dez. 2021. Domdey, C., Jung, D., & Schlimmer, F. (2013). Seydlitz. Weltatlas. Thüringen. Schroedel. Döring, R. (2003). Handlungsorientierter Unterricht – Ansätze, Kritik und Neuorientierungen aus bildungstheoretischer, curricularer und instruktionspsychologischer Perspektive. WiKu-Verlag. Elicki, O., & Breitkreuz, C. (2016). Die Entwicklung des Systems Erde. Springer. Fögele, J. (2016). Entwicklung basiskonzeptionellen Verständnisses in geographischen Lehrerfortbildungen: Rekonstruktive Typenbildung | Relationale Prozessanalyse | Responsive Evaluation. Geographiedidaktische Forschungen 61. Fögele, J., & Mehren, R. (2021). Basiskonzepte – Schlüssel zur Förderung geographischen Denkens. Praxis Geographie, 5, 50–57. Hinsch, S., Pichler, H., Jekel, T., Keller, L., & Baier, F. (2014). Semestrierter Lehrplan AHS, Sekundarstufe II. Ergebnis der ministeriellen Arbeitsgruppe. https://www.gw-unterricht.at/ images/pdf/gwu_136_51_61_hinsch_pichler_jekel_keller_baier.pdf. Zugegriffen: 18. Dez. 2021. Hüther, G. (2009) Erfahrung als Grundlage kindlicher Entwicklung. Kindliche Entwicklung als eine Erfahrung – in Strukturen – verwandelnder Prozess. Die neurobiologische Verankerung eigener Erfahrungen als Metakompetenz. In G. Opp, & G. Theunissen (Hrsg.), Handbuch schulischer Sonderpädagogik (S. 70–71). Verlag Julius Klinkhardt. Hüther, G. (2013). Bewusstsein, Lernen und Handeln. Phänomenologie bewusster mentaler Zustände. In G. Feuser & J. Kutscher (Hrsg.), Entwicklung und Lernen (S. 46–47). Kohlhammer. Lehrplan 21. (2016). Räume, Zeiten, Gesellschaften [mit Geografie, Geschichte]. https://v-fe.lehrplan.ch/index.php?code=b%7C6%7C4 Zugegriffen: 20. Dez. 2021. Limmer, I. (2018) Entdeckendes Lernen. In A. Brucker, J. B. Haversath, & A. Schöps (Hrsg.), Geographie-Unterricht. 102 Stichworte (S. 56–57). Schneider Verlag Hohengehren. Jank, W., & Meyer, H. (2011). Didaktische Modelle. Cornelsen. KAK. (2005). Bodenkundliche Kartieranleitung. E. Schweizbart´sche Verlagsbuchhandlung (Nägele und Obermiller). Hannover. Meschede, M. (2018). Geologie Deutschlands: Ein prozessorientierter Ansatz. Springer. Meyer, C. (2008). Vielfältige Unterrichtsmethoden sachgerecht anwenden. In H. Haubrich (Hrsg.), Geographie unterrichten lernen (S. 107–172). Oldenbourg Schulbuchverlag GmbH. Meyer, H., & Paradies, L. (2000). Handlungsorientierter Unterricht. Oldenburg. Müller, A. (2013). Eigentlich wäre Lernen geil. Alles außer gewöhnlich. hep-verlag. Otto, K.-H., Mönter, L., & Hof, S. (2011). (Keine) Experimente wagen? In C. Meyer, R. Henrÿ, & G. Stöber (Hrsg.), Geographische Bildung. Kompetenzen in didaktischer Forschung und Schulpraxis (S. 114–129). Westermann. Reinfried, S. (2008). Interessen, Vorwissen, Fähigkeiten und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern berücksichtigen. In H. Haubrich (Hrsg.), Geographie unterrichten lernen (S. 49–78). Oldenbourg Schulbuchverlag GmbH. Rothe, P. (2015). Allgemeine Geologie. wbg.

3  Forschendes und entdeckendes Lernen Steine erzählen Geschichten

41

Rothe, P., Storch, V., & von See, C. (Hrsg.). (2013). Lebensspuren im Stein: Ausflüge in die Erdgeschichte Mitteleuropas. Wiley-VCH. Tillmann, A. (2015). Forschendes Lernen im Geographieunterricht. Sinnkonstitution durch Integration von Subjekt- und Gegenstandorientierung beim forschenden Lernen nach John Dewey: Sinn macht, was sich in der Praxis bewährt. In U. Gebhard (Hrsg.), Sinn im Dialog. Zur Möglichkeit sinnkonstituierter Lernprozesse im Fachunterricht (S. 235–252). Springer Fachmedien. TMfBWK (Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur). (2012) Zur Kompetenzentwicklung im Geografieunterricht zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife. – Lehrplan für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife. Geografie. https://www. schulportal-thueringen.de/media/detail?tspi=2840. Zugegriffen: 25. Nov. 2021. Wild, E., & Möller, J. (2015). Pädagogische Psychologie. Springer. Wolter, H. (2018). Forschend-entdeckendes Lernen im Geschichtsunterricht. Wochenvorschau Verlag.

4

Digitale Geomedien Auf den Spuren des Vulkanismus Sarah Franz

 Teaser  „Macht euch die Erde untertan!“, steht schon im Alten Testament geschrieben. Doch bis heute scheitert die Menschheit an dieser Aufforderung, vor allem im Hinblick auf die Naturgewalten aus dem Erdinneren. Besser müsste es lauten „Lebt mit der Erde“ – und damit auch mit den Vulkanen und Erdbeben. Wo und warum diese Naturkräfte auftreten und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um mit ihnen zu leben, ist eine Frage, die der Geographieunterricht beantworten soll. Mit Datensätzen in digitalen Geomedien können diese Fragen zum Vulkanismus aktiv bearbeitet und ausgewertet werden.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_4. S. Franz (*)  Reinbek, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Franz  Erich Kästner Gemeinschaftsschule mit Oberstufe Barsbüttel, Barsbüttel, Deutschland © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_4

43

44

S. Franz

Gefahren durch Vulkane

Nutzung des Raumes

lokal und regional durch:  hohe Temperaturen  Tephra  Ascheregen  pyroklassche Ströme  blockreiche Glutlawinen  Lahars  Schulawinen  heiße Druckwellen  gasreiche Surges  Hangrutschungen global durch:  Tsunamis  Klimaveränderungen

wegen:  fruchtbarer Böden  Wärme- und Energiegewinnung  Gewinnung von Bauund Werkstoffen  Erzlagerstäen  Arakvität der Landscha führt zu:  hoher Bevölkerungsdichte  dichter Bebauung  vernetzter Infrastruktur  Tourismus

Katastrophenvorsorge/Maßnahmen zum Schutz vor Katastrophen:  wissenschaliche, lückenlose, dauerhae Bobachtung und Analyse der Gefahr; Risikoanalyse  Karerung der Gefahrenzone  Aulärung der Öffentlichkeit  Vorbereitung der lokalen und regionalen Verwaltungen und relevanter Gremien  Vorhersage eines möglichen Ausbruchs  Einsatz der Noallpläne, rechtzeige Evakuierung

Katastrophe

entsteht wegen:  Bebauung ungeeigneter Räume  fehlendem Monitoring  fehlender Warnung  fehlender Evakuierung  fehlender Aulärung der Bevölkerung führt zu:  Toten  Verletzten  Zerstörung von Infrastruktur und Gebäuden  Zerstörung landwirtschalicher Nutzfläche  Beeinträchgung von Land-, Lu- und Seeverkehrverbindungen

Abb. 4.1   Überblick zur Gefahr durch Vulkane und mögliche Gegenmaßnahmen. (Eigene Darstellung, zusammengestellt aus Schmincke, 2013)

4.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Vulkanismus – Naturgefahren Das Global Volcanism Program verzeichnet 1420 im Holozän aktive Vulkane (Venzke, 2013). Weltweit treten rund 60 Eruptionen pro Jahr auf (Schmincke, 2013:193). Die Entstehung und Verteilung von Vulkanen und Erdbeben wird durch die Hypothesen des Sea Floor Spreading und der Plattentektonik erklärt. Vulkane existieren an divergierenden (konstruktiven) Plattenrändern (Mittelozeanischen Rücken) und konvergierenden (destruktiven) Plattenrändern. Zudem gibt es Intraplattenvulkane, die aus lokal aufsteigendem Mantelmaterial gespeist werden (ebd.:17f.). In den Subduktionszonen gibt es die meisten aktiven Vulkane mit zumeist explosiven Eruptionen. Die Magmenmengen

4  Digitale Geomedien

45

von Subduktionsvulkanen machen weniger als 10 % der globalen Menge aus, entsprachen jedoch über 80 % aller ca. 5350 historischen Eruptionen (ebd.: 18 f.). Ob eine Eruption zur Gefahr für die Menschen wird und zu einer Katastrophe führt, hängt von der Form des Ausbruchs und den Folgen bzw. den Vorbereitungen auf den Ausbruch ab (Abb. 4.1). Durch Vulkanismus bedrohte Gebiete verdanken ihren vulkanischen Ablagerungen besonders fruchtbare Böden. Wärme und Niederschläge bilden in den aktiven Erdbebenregionen die Basis für gute landwirtschaftliche Erträge. „Doch gerade hier liegt auch die große Gefahr. Denn der in den Ländern der Dritten Welt meist hohe Bevölkerungsdruck treibt die Menschen immer höher auf die fruchtbaren Hänge der Vulkane“ (Schmincke, 2013: 239). In entwickelteren und technisierteren Gesellschaften nimmt das Risiko der Zerstörung grundlegender Infrastruktur zu. Vergleicht man Länder unterschiedlicher Entwicklung, fällt auf, dass etwa 90 % der monetären Schäden in Industrieländern entstehen, während mehr als 90 % der Todesopfer in Entwicklungsländern gezählt werden (Dikau & Voss, 2000). Es wird prognostiziert, dass die Zahl der Todesopfer steigen wird, da auch bevölkerungsreiche und expandierende Städte wie Tokio (Fujisan), Mexiko City (Popocatépetl), Yogyakarta (Merapi), Neapel (Vesuv) und Seattle (Mt. Rainier) gefährdet sind (Schmincke, 2013: 193). Vulkanausbrüche können nicht verhindert werden, Vulkankatastrophen hingegen schon. Wesentliche Anhaltspunkte der Katastrophenvorsorge umfassen „die Risikoanalyse, die Katastrophenvorbeugung und die Vorbereitung auf den Katastrophenfall“ (vgl. Abb. 4.1; Schmincke, 2013: 194). Generell konnte festgestellt werden: Je länger die Ruhephasen bei großen explosiven Vulkanen sind, desto größer ist die Gefahr einer katastrophalen Eruption (ebd.: 200). Um eine kurzfristige Vorhersage zu machen, genügt die statistische Auswertung vergangener Ausbrüche nicht. Ein dauerhaftes Monitoring ist notwendig, um vor einer anstehenden Eruption zu warnen. Die vier wichtigsten Indikatoren, die durch aufsteigendes Magma hervorgerufen werden, sind: verstärkte vulkanische Erdbebenaktivität, Ausdehnung von Magmakammern, verstärkte Entgasung und Aufheizung. Nicht alle aktiven Vulkane können vor Ort beobachtet werden. Die Fernerkundung ermöglicht eine langfristige Beobachtung des elektromagnetischen Spektrums, um Veränderungen zu detektieren (ebd.: 209 f.). Mit digitalen Geländemodellen können gefährdete Gebiete (z. B. durch pyroklastische Ströme) identifiziert und Abwehrmaßnahmen formuliert werden. Von Bedeutung ist auch, wie diese Abwehrstrategien den potenziell Betroffenen, die die Gefahr evtl. anders wahrnehmen, übermittelt werden. Durch Aufklärungsarbeit sind Einsicht und Mithilfe der Bevölkerung sowie der örtlichen Behörden zur Verhinderung einer Katastrophe erreichbar. Weiterführende Leseempfehlung Schmincke, H.-U. (2013). Vulkanismus. Darmstadt: Primus Verlag. Problemorientierte Fragestellung Inwiefern droht am Vesuv eine Katastrophe?

46

S. Franz

4.2 Fachdidaktischer Bezug: Digitale Geomedien Mit der zunehmenden Digitalisierung werden klassische Kompetenzen des geographischen Arbeitens (z. B. Lesen von Maßstäben und Legenden, Selbstverortung auf Karten) seltener gefragt (HGD, 2020: 3). Zugleich haben Geoinformationen in fast alle Lebensbereiche Einzug gehalten. Die aktive Auseinandersetzung mit der Digitalisierung für das Fach Geographie wird „als fachpolitischer Sachzwang […], als Chance der fachlichen Vermittlung […], als Aufgabe der Kompetenzvermittlung […] und als Element einer immanenten Fachentwicklung […]“ vom Hochschulverband für Geographiedidaktik aufgefasst (ebd.). Zu Geomedien gehören generell alle bekannten Medien mit Raumbezug. Geomedienkompetenz ist als „die Kenntnis von Inhalt und Anwendung der verschiedenen Geomedien und die Fähigkeit, diese zweckbezogen und zielgerichtet auszuwählen, um Erkenntnisse zu lokalen und regionalen Phänomenen daraus zu gewinnen, diese räumlich zu verorten, zu bewerten, aufzuarbeiten, zu kommunizieren und in die globalen Zusammenhänge einzuordnen“, definiert worden (Klein, 2007: 37). Mit dem Übergang vom Lernen „über“ zum Lernen „mit“ digitalen Geomedien müssen neue Kompetenzen erworben werden, denn alle Geomedien sind individuelle bzw. gesellschaftliche Konstrukte (Gryl, 2010: 23; Kanwischer, 2014: 18). Wissen über den Urheber der Karte und seine Intentionen zu erlangen, ist entscheidend. Durch einen Perspektivwechsel können Bedeutungszuweisungen hinterfragt und der Kontext der Erstellung identifiziert werden. Damit können das Verständnis erhöht und die Verwertbarkeit der Informationen verbessert werden. Eine reflexive Kartenkompetenz entsteht. Ein „mündiger Konsum von Karten bildet […] die Grundlage für verantwortungsvollen und emanzipierten Umgang mit Geoinformationen im Allgemeinen“ (Gryl, 2010: 34). Die Herausbildung von sogenannten Spatial Citizens, die in der Lage sind, gesellschaftlich und staatsbürgerlich Selbstverantwortung zu übernehmen und sich mithilfe von digitalen Geomedien an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu beteiligen und Diskurse zu hinterfragen, ist wünschenswert (Kanwischer, 2014: 15). Da Nutzer digitaler Geomedien zugleich Produzenten und Konsumenten sein können, ist die Implementierung eines Kompetenzmodells (Abb. 4.2) notwendig. Die vier Kernkompetenzen werden durch den Bezug zum Raum und die politische Bildung untermauert. Digitale Geomedien, die die Fähigkeit zum räumlichen Denken (Spatial Thinking) abverlangen, werden zu einer multidisziplinären Sprache. Entwerfen Lernende eigene Karten, müssen sie sich die Kodierung von Informationen bewusst machen. Gewählte Darstellungselemente sollten Standards entsprechen, die Fehlinterpretationen für Leser*innen minimieren. Auch bei „offiziellen“ Karten (z. B. Weltrisikoindex) müssen die Intention des Kartenherstellers und der Informationsgehalt hinterfragt werden. Die zukünftige Herausforderung ist es, die durch Aktualität überzeugenden digitalen Geomedien in fachdidaktische Konzepte eingebettete Lehr-/Lernmedien umzuwandeln.

4  Digitale Geomedien

  

Fähigkeit, geographische Sachverhalte zu verstehen sich in angemessener Verwendung von Fachsprache auszudrücken zielbezogene sowie sach- und adressatengemäße Kommunikaon und Präsentaon von Sachverhalten und Argumenten

adressatengerechte Präsentaon als Story-Map

Tragweite und Relevanz der Vorhersage eines Vulkanausbruchs 

   

47

geographische Kommunikaonskompetenz

Fähigkeit, raumbezogene Situaonen, Sachverhalte, Probleme unter Anwendung geographischer Kenntnisse und Kriterien vor dem Hintergrund bestehender Normen und Werte zu beurteilen Fähigkeit zum Perspekvwechsel fachliche Beurteilung von Informaonsquellen und Medien Fähigkeit gesellschalicher Parzipaon Erkenntnis über die Tragweite und Relevanz geographischer/geowissenschalicher Forschungsergebnisse

  

geographische Kompetenz

   

geographische Medienkompetenz

Geomedienkompetenz



geographische Informaonskompetenz

Fähigkeit zur räumlichen Orienerung topographische Kenntnisse und Fähigkeiten Kenntnis und Fähigkeit zur Einordnung in verschiedene räumliche Orienerungsraster und Ordnungssysteme Erkennen von Lagebeziehungen Lesen und Erstellen von (digitalen) Karten Wahrnehmung von Raumdarstellungen Metareflexion der Produkonsbedingungen

     

Verortung der Vulkane; Erstellen einer digitalen Karte

Informaonsgewinnung durch Verknüpfung von Karteninformaonen

Kenntnis von Informaonsquellen, -formen und -strategien reflekerter Geomedienkonsum Fähigkeit der Informaonsgewinnung Fähigkeit der Informaonsauswertung systemasche Informaonsauswertung durch Strukturierung, Verknüpfungen, Fokussierung und Umsetzung in andere Informaonsformen Wege der Erkenntnisgewinnung und Lösung geographischer Fragestellungen und Hypothesen ermöglicht lebenslanges Lernen

Abb. 4.2   Die vier Dimensionen der Geomedienkompetenz mit Bezug zum Unterrichtsbaustein. (Eigene Darstellung: Zusammenstellung aus DGfG 2020: 16, 18–24; Klein, 2007: 35; Kanwischer, 2014: 16; Schulze et al., 2020: 117 f.)

Voraussetzungen für die erfolgreiche Implementierung werden u. a. die Anwenderfreundlichkeit, die Verfügbarkeit und Barrierefreiheit, die Verknüpfungsmöglichkeiten mit anderen Lernmaterialien, die Differenzierungsmöglichkeiten, die Datenschutzkonformität und die Ressourcenverfügbarkeit sowie die Einsatzkompetenz bei den Lehrkräften sein (Schulze et al., 2020: 120 f.). Der Einfluss kommerzieller Anbieter durch die Nutzung von Soft- und Hardware, Medien und Daten im Bildungskontext ist stets im Blick zu behalten. Weiterführende Leseempfehlung Kanwischer, D. (2014). Digitale Geomedien und Gesellschaft. Zum veränderten Status geographischen Wissens in der Bildung. Geographische Rundschau 6, 12–17. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Spatial Thinking, Spatial Citizenship

48

S. Franz

4.3 Unterrichtsbaustein: Eine Story Map als Lernprodukt zur Bewertung der Gefahrenlage Der Unterrichtsaufbau folgt dem Lehr-Lern-Modell nach Leisen (2018: 2; vgl. Abb. 4.3). Im Mittelpunkt steht die Erstellung und Reflexion eines Lernprodukts. Erstellt werden soll eine Story Map, deren wesentliches Merkmal die Einbeziehung von Karten als zentrales Element der Daten- und Erkenntnispräsentation ist, in Kombination mit Texten, Bildern und Videos (ESRI, 2021). Niederschwellige Tutorials werden im Internet angeboten. Die Arbeit ist sowohl am PC als auch mit kleinen Einschränkungen am Tablet möglich. Die Story Map soll die folgenden drei Gliederungspunkte mit entsprechendem Material enthalten: 1. Informationen zum Vulkan (Standort, Vulkantyp nach äußerer Form, Art, Aktivität) (Karte, Fotos, Daten, Text) 2. Gefährdung durch den Vulkan (Visualisierung auf eigener Karte) 3. Beantwortung der Leitfrage (Text unter Einbeziehung eigener Erkenntnisse und Recherchen)

Lernen

Kompetenzen Lehren

Aufgabenstellung

materiale

Lernumgebung

im Lernkontext ankommen



Sller Impuls

Vorwissen akvieren



Was ist wo möglich?

Lernprodukte erstellen ③

StoryMap

Lernprodukte diskueren ④

Fokus auf Kartendarstellung

Gestaltung

Materialien/ Methoden

Moderaon

personale Gestaltung

sichern und vernetzen transferieren und fesgen



Weltrisikoindex

Rückmeldung

⑥ andere Naturereignisse

Kompetenzen

Abb. 4.3   Modell des Lehr-Lern-Prozesses in Anwendung. (Eigene Darstellung, erweitert nach Leisen, 2018)

4  Digitale Geomedien

49

Im Einstieg wird ein Foto eines Vulkanausbruchs mit Beschädigungen von Infrastruktur durch das Naturereignis als stiller Impuls ① (siehe Abb. 4.3) präsentiert. Anbieten würden sich der Kilauea (Hawaii, USA), Vesuv (Italien), Merapi (Indonesien), Fujisan (Japan), Popocatépetl (Mexiko) oder der Pinatubo (Philippinen), da sie wissenschaftlich gut dokumentiert sind. Die Information zum Ort des Vulkans sollte den Schüler*innen zunächst vorenthalten werden. Der stille Impuls ermöglicht, vielfältige Assoziationen zum Thema Vulkanismus zu formulieren. Die Lehrkraft erhält einen Eindruck vom Wissensstand in der Klasse. Sicherlich wird von den Schüler*innen die Zerstörung der Infrastruktur aufgegriffen, wobei auch die Begriffe „Gefahr“, „Risiko“ und „Katastrophe“ fallen könnten. Diese Begriffe (vgl. Infobox 4.1) sollten voneinander abgegrenzt werden, bevor zur Leitfrage übergeleitet wird. Infobox 4.1: Begriffliche Abgrenzung

Bei Naturereignissen unterscheidet man zwischen Ereignissen exogenen (z. B. Starkniederschlag, Hochwasser, Meteoriteneinschlag) und endogenen Ursprungs (Vulkanausbruch, Erdbeben). Ein Naturereignis wird zur Naturgefahr (engl. hazard), wenn es in einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Raum den Menschen und ihren Errungenschaften potenziell Schaden zufügen kann. Tritt eine solche Naturgefahr tatsächlich ein und zieht Schäden nach sich, spricht man von einer Naturkatastrophe. Bei Vulkanen ist das gegeben, wenn es zur Eruption kommt und Menschen die Gefährdung nicht erkannt oder sich nicht rechtzeitig geschützt haben. Der Risikobegriff (engl. risk) beschreibt die zu erwartenden Verluste durch eine Naturgefahr. Das Risiko kann als Produkt der Gefahr und der Verwundbarkeit berechnet werden (siehe Weltrisikoindex). Jedoch ist das Risiko im Gegensatz zur Naturgefahr ein mentales Konstrukt, um Gefahren näher zu bestimmen und nach dem Grad der Bedrohung zu ordnen. (vgl. Dikau & Voss, 2000) Bei der Recherche der Informationen wird Vorwissen aktiviert ②. Als reizvolle Überleitung könnte mit den Schüler*innen nach der Was ist wo möglich?-Methode vorgegangen werden (vgl. Schuler et al., 2017: 93). Da die Lernenden bisher keine Ortsangabe erhielten, müssen sie mithilfe einer Weltkarte zum Vulkanismus eine Vermutung aufstellen, wo der Ausbruch stattfand. Die Lehrkraft kann weitere Informationen hinzugeben und steuern, inwiefern die Schüler*innen auf die Spur des „richtigen“ Vulkans kommen. Die Auswahl muss durch Vernetzung des Vorwissens mit den gegebenen Informationen begründet werden. Vermutlich wird mehr als ein Vulkan aus dem Pazifischen Feuerring (engl. ring of fire) genannt werden. Mithilfe einer digitalen Karte kann gezeigt werden, dass der Feuerring besonders durch die Zentrierung auf den Pazifik sichtbar wird. Dieser Blick auf unsere Erde ist ein eher ungewohnter, weil er von der

Wie schätzt du die allgemeine Gefährdungslage für grundlegende Infrastruktur im Umkreis ein?

Wie schätzt du die allgemeine Gefährdungslage für Menschen im Umkreis ein?

Inwiefern gibt es die Möglichkeit, Abwehrmaßnahmen zu installieren?

Wie hoch fielen die Schäden bei der letzten Eruption aus? (falls bekannt)

Wie stark waren die Aktivitäten bei den letzten Eruptionen?

Wie aktiv ist der Vulkan in den letzten Jahrzehnten gewesen?

Wie hoch ist der Anteil städtischer Infrastruktur in der Umgebung des Vulkans?

Wie stark ist die Umgebung des Vulkans bebaut?

Wie groß ist die Zahl der Menschen, die in unmittelbarer Umgebung des Vulkans leben?

Fragen zur Einschätzung der Gefährdungslage

Tab. 4.1  Mögliche Fragen zur Einschätzung der Gefährdung (eigene Zusammenstellung)

30 km

10 km

5 km

30 km

10 km

5 km

gering

mittel

hoch

sehr hoch

50 S. Franz

4  Digitale Geomedien

51

typischen, eurozentristischen Kartendarstellung abweicht. Die Lehrkraft entscheidet, ob alle Schüler*innen zu einem Vulkan arbeiten oder ob eine Auswahl möglich ist. Die Erstellung der Story Map ③ wird von der Lehrkraft vor allem von der materialen Seite und durch Hilfe bei der Erstellung der digitalen Karte gestützt. Als Software bieten sich sowohl das kommerzielle ArcGIS von ESRI als auch das Open-Source-GIS QGIS oder das nutzerfreundliche GoogleEarth an. Die im Online-Arbeitsblatt aufgelisteten Layer könnten als Ausgangspunkt der Kartenerstellung genutzt werden. Für Aussagen zur Gefährdung sind inhaltliche Recherchen und Verschneidungen mit humangeographischen Datensätzen und/oder Satellitenbildern notwendig (siehe OnlineArbeitsblatt). Daten zur Bevölkerungsdichte in bestimmten Radien um den jeweiligen Vulkan sind zudem im Global Volcanism Program (Venzke, 2013) abrufbar. Zur Beantwortung der Leitfrage kann den Schüler*innen der folgende Fragebogen (Tab. 4.1) gereicht werden. Durch ein kriteriengeleitetes Vorgehen wird sich die anschließende Diskussion des Lernproduktes ④ strukturieren, da die Story Maps leichter verglichen werden können. Der Reflexionsschwerpunkt sollte auf dem Informationsgehalt der erstellten Karten und der Lesbarkeit liegen. Fragen könnte lauten: Ist die Karte adressatengerecht? Könnte sie zur Aufklärung und Information Betroffener genutzt werden? An dieser Stelle kann die Abgrenzung von Räumen mit Naturereignissen zu Räumen mit Naturrisiken oder -katastrophen bewusst gemacht werden. Das Sichern und Vernetzen ⑤ kann mit der Karte des Weltrisikoindex geschehen. Den Schüler*innen sollte auffallen, dass viele – aber nicht alle – Länder entlang des Pazifischen Feuerrings einen hohen bis sehr hohen Risikowert aufweisen. Dies könnte man auf die Dichte des vulkanischen Bestandes zurückführen, doch bei genauer Untersuchung des Weltrisikoindex zeigt sich, dass Vulkanismus im Gegensatz zu Erdbeben nicht in den Index einbezogen wird (vgl. Infobox 4.2). Erdbeben gehen jedoch meist vulkanischen Eruptionen voraus. Der umgekehrte Fall gilt im Allgemeinen nicht (Schmincke, 2013: 207). Der Schritt ⑥ wird im Abschnitt „Transfer“ ausgeführt. Infobox 4.2: Begriffe im Kontext des Weltrisikoindex

Weltrisikoindex: Der in Prozentwerten angegebene Index gibt die Höhe der Wahrscheinlichkeit an, dass in einem Land eine Naturkatastrophe infolge eines Naturereignisses eintritt. Er ergibt sich als Produkt von Exposition und Vulnerabilität. Exposition/Gefährdung/Gefahr (engl. hazard): Dieser Wert misst den Anteil der Bevölkerung, die durch ein extremes Naturereignis (Erdbeben, Stürme, Überschwemmungen, Dürren und drohende Meeresspiegelanstiege von mindestens einem Meter) gefährdet ist. Vulnerabilität/Verwundbarkeit (engl. vulnerability): Dieser Wert beschreibt den Grad der Fähigkeiten des Umgangs eines Individuums, einer Gemeinde oder einer ganzen Gesellschaft mit einem extremen Naturereignis und die Möglichkeit, sich davon zu erholen. Vulnerabilität errechnet sich beim Weltrisikoindex als Mittelwert aus den drei Kompetenten Anfälligkeit, Bewältigungsmöglichkeiten und Anpassungsmöglichkeiten. (nach: BEH 2020: 6)

52

S. Franz

Beitrag zum fachlichen Lernen Die Frage nach dem Schutz von Einwohnern vor Vulkanausbrüchen hängt zum einen vom Monitoring des Vulkans ab, zum anderen von der Existenz und Umsetzung von Katastrophenplänen sowie deren Akzeptanz in der Bevölkerung und bei örtlichen Behörden. Hierbei gibt es deutliche Unterschiede zwischen Ländern des Globalen Südens und des Globalen Nordens. Menschen, die in einem gefährdeten Gebiet leben, haben in einem armen Land eine siebenfach höhere Wahrscheinlichkeit zu sterben als in reicheren Ländern. In höher entwickelten Ländern liegt der Schwerpunkt meist im Bereich der materiellen Schäden (BEH 2020). Eine genaue Analyse muss für den gewählten Vulkan durchgeführt werden. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S4 „gegenwärtige naturgeographische Phänomene […] beschreiben und erklären“ (DGfG 2020:14); S20 „[…] Maßnahmen […] zum Schutz von Räumen […] erläutern“ (ebd.: 15) • Räumliche Orientierung: S7 „Beeinflussungsmöglichkeiten der Kommunikation mit kartographischen Darstellungen (z. B. durch Farbwahl, Akzentuierung) beschreiben“ (ebd.: 18); S8 „topographische Übersichtsskizzen und einfache Karten analog und digital anfertigen“ (ebd.) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S4 „problem-, sach- und zielgemäß Informationen aus geographisch relevanten Informationsformen/-medien auswählen“ (ebd.: 20); S8 „die gewonnenen Informationen in andere Formen der Darstellung […] umwandeln“ (ebd.: 21); „Informationen, Inhalte und vorhandene digitale Produkte weiterverarbeitet und in bestehendes Wissen integrieren“ (KMK 2016: 17) • Kommunikation: S3 „bei geographisch relevanten Aussagen zwischen Tatsachenfeststellungen und Bewertungen unterscheiden“ (DGfG 2020: 22); S4 „geographisch relevante [Sachverhalte] fach-, situations- und adressatengerecht organisieren […] [und Story Maps präsentieren und veröffentlichen]“ (ebd.) Die vier genannten Kompetenzen werden, wie üblich bei der Arbeit mit Geomedien, in Schritt ①–③ des Unterrichtsbausteins angesteuert (vgl. auch Abb. 4.2). Bei der Reflexion (Bewertung) der erstellten Karten sollten diese im Zuge einer kritischen Kartenlesekompetenz multiperspektivisch hinsichtlich ihrer Interpretationsmöglichkeiten untersucht werden. Dies ist von Bedeutung, da Story Maps ein professionelles Erscheinungsbild haben, veröffentlicht werden können und Problemlöseprozesse (Handlungskompetenz) in Gang setzen können. Klassenstufe und Differenzierung Sekundarstufe II Der Lehr-Lern-Prozess kann auf jüngere Klassenstufen übertragen werden, wenn die Vorgaben an das Lernprodukt angepasst werden. Statt der Arbeit mit GIS kann der Atlas genutzt werden. Als Differenzierungsmöglichkeit können die digitalen AtlasApps der Schulbuchverlage genutzt werden. Einzelne Kartenlayer können dort einbzw. ausgeblendet werden. Die visuelle Wahrnehmung des Pazifischen Feuerrings wird dadurch vereinfacht. Auch andere Präsentationsmöglichkeiten wie Lapbook, Info-

4  Digitale Geomedien

53

flyer oder PowerPoint bieten sich für jüngere Schüler*innen an. Für leistungsstärkere Schüler*innen kann in die Story Map ein Gliederungspunkt zur globalen Verteilung von Vulkanen eingefügt werden. Entscheidet die Lehrkraft, dass alle Schüler*innen zum gleichen Vulkan arbeiten sollen, kann in der Reflexion des Lernproduktes ④ stärker ins Detail gegangen werden. Werden unterschiedliche Vulkane bearbeitet (z. B. Merapi, Kilauea, Pinatubo, Popocatépetl, Fujisan), wird sich bei der Besprechung der Weltrisikoindex-Karte ⑤ größeres Potenzial ergeben. Räumlicher Bezug Global mit lokalem, selbstgewähltem Vulkanbeispiel: Vulkane entlang des Pazifischen Feuerrings (Fujisan oder Pinatubo) oder Vesuv (Italien), Kilauea (Hawaii, USA), Popocatépetl (Mexiko) bzw. Merapi (Indonesien) Konzeptorientierung Deutschland: Systemkomponente (Prozess), Maßstabsebenen (regional, global), Zeithorizont (langfristig), Raumkonzepte (Raum als Container, Beziehungsraum) Österreich: Raumkonstruktion und Raumkonzepte, Wahrnehmung und Darstellung, Geoökosysteme Schweiz: natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.3), Lebensweisen und Lebensräume charakterisieren (2.1), Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.3), sich in Räumen orientieren (4.1, 4.2).

4.4 Transfer Methodisch erworbene Kompetenzen beim Lesen, Auswerten und Erstellen von Karten können auch auf andere Naturereignisse übertragen werden. Dies sollte auch geschehen, um den Lehr-Lern-Prozess abzuschließen (⑥). Am naheliegendsten ist die Untersuchung von Erdbeben, aber auch alle anderen Bereiche, die durch die Hazard-Forschung an der Erdoberfläche oder durch Schwankungen in der Atmosphäre oder im Wasserhaushalt abgedeckt werden, wie Massenbewegungen, Lawinen, Stürme, Dürren, Feuer oder Überschwemmungen, bieten sich an. Die fachwissenschaftliche Grundlage der Naturereignisse ist zwar unterschiedlich, jedoch können Auswirkungen auf die Menschen und Infrastruktur ähnliche sein und Konzepte zur Sicherung vergleichbare Abläufe beinhalten. Verweise auf andere Kapitel • Lehmann, J.: Mediendidaktik. Erde als Planet – Grundlagen des Lebens. Band 1, Kapitel 12. • Schulze, U. & Ammoneit, R.: Spatial Thinking. Räumliche Orientierung – Hilfsmittel der Orientierung. Band 1, Kapitel 26.

54

S. Franz

• Schulze, U. & Pokraka, J.: Spatial Citizenship. Geovisualisierung – Webmapping. Band 1, Kapitel 27. • Ulmrich, T. & Krüger, S.: Kartenauswertung. Glaziologie – Gletscherschmelze. Band 1, Kapitel 11.

Literatur Bündnis Entwicklung Hilft (BEH) (Hrsg.) (2020). WeltRisikoBericht 2020. https://weltrisikobericht.de/ (28.12.2020). Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG) (Hrsg.) (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie. https://geographie.de/wp-content/uploads/2020/09/Bildungsstandards_Geographie_2020_Web.pdf (09.11.2020). Dikau, R. & Voss, H. (2000). Lexikon der Geowissenschaften. Naturkatastrophe. https://www. spektrum.de/lexikon/geowissenschaften/naturkatastrophe/10985 (08.01.2021). ESRI (2021). ArcGIS StoryMaps. Wirkungsvolles Storytelling. https://www.esri.com/de-de/arcgis/ products/arcgis-storymaps/overview (04.01.2021). Gryl, I. (2010). Mündigkeit durch Reflexion. Überlegungen zu einer multiperspektivischen Kartenarbeit. GW-Unterricht 118, 20–37. http://www.gw-unterricht.at/images/pdf/ gwu_118_020_037_gryl_multiperspektivische_kartenarbeit.pdf (08.07.2020). Hochschulverband für Geographiedidaktik e. V. (HGD) (2020): Der Beitrag des Fachs Geographie zur Bildung in einer durch Digitalisierung und Mediatisierung geprägten Welt. Positionspapier. http://geographiedidaktik.org/wp-content/uploads/2020/11/Positionspapier_Geographische_ Bildung_und_Digitalisierung_2020.pdf (15.05.2021). Kanwischer, D. (2014). Digitale Geomedien und Gesellschaft. Zum veränderten Status geographischen Wissens in der Bildung. Geographische Rundschau, 6, 12–17. Klein, U. (2007). Geomedienkompetenz. Untersuchung zur Akzeptanz und Anwendung von Geomedien im Geographieunterricht unter besonderer Berücksichtigung moderner Informationsund Kommunikationstechniken. Dissertation, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. https:// macau.uni-kiel.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dissertation_derivate_00002116/d2116.pdf (14.07.2020). Kultusministerkonferenz (KMK) (2016). Strategie der Kultusministerkonferenz. Bildung in der digitalen Welt. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf (10.12.2020). Leisen, J. (2018). Was Lehrkräfte brauchen – Ein praktikables Lehr-Lern-Modell. http://www. josefleisen.de/downloads/lehrenlernen/00%20Was%20Lehrkr%C3%A4fte%20brauchen%20 -%20Ein%20praktikables%20Lehr-Lern-Modell%202018.pdf (02.05.2018). Schmincke, H.-U. (2013). Vulkanismus. Primus Verlag. Schuler, S., Vankan, L., & Rohwer, G. (2017). Diercke. Denken lernen mit Geographie. Methoden 1. Westermann. Schulze, U., Kanwischer, D., Gryl, I., & Budke, A. (2020). Mündigkeit und digitale Geomedien – Implementation eines digitalen Fachkonzepts in der geographischen Lehrkräfteausbildung. AGIT – Journal für Angewandte Geoinformatik, 6, 114–123. Venzke, E. (Hrsg.) (2013). Smithsonian Institution. Global Volcanism Program, Volcanoes of the World, v. 4.9.2 (10 Dec 2020). https://doi.org/10.5479/si.GVP.VOTW4-2013 (29.12.2020).

5

Naturwissenschaftliches Experimentieren im Geographieunterricht Bodengefährdung durch Winderosion Nadine Rosendahl und Carina Peter

 Teaser  Durch

Winderosionsprozesse können in Deutschland auf unbedeckten Ackerflächen jährlich bis zu 45 t/ha fruchtbarer Boden verloren gehen (Wurbs & Steininger, 2017). Weitere Folgen sind Pflanzenschädigungen und die Gefährdung des Verkehrs durch Sichtbehinderungen. Winderosionsprozesse und deren Folgen sind jedoch regional sehr unterschiedlich. Mit der Methode des Experimentierens können Schüler*innen den Einflussfaktoren der Winderosion nachgehen und damit neben dem Erwerb methodischer Kompetenzen eine räumlich unterschiedliche Erosionsgefährdung von Böden erklären und Schutzmaßnahmen ableiten.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_5. N. Rosendahl (*)  Institut für Didaktik der Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Peter  Fachbereich Geographie, Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_5

55

56 Abb. 5.1   Korngrößenfraktionen (Verändert nach Strahler & Strahler, 2009: 384)

N. Rosendahl und C. Peter mm

mm

2,0 1,0

2,0

0,1

Sand 0,063

Schluff

0,01 0,001

Kies

0,002

0,0001

Ton

0,00001

Kolloide 0,000001

5.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Boden – Winderosion Unter dem Begriff Boden versteht man in der Bodengeographie den „extrem dünne[n], oberste[n] belebte[n] Bereich der Erdoberfläche von der Streu bis zum unverwitterten Lockermaterial oder dem anstehenden Gestein“ (Faust, 2020: 480). Er besteht neben mineralischen und organischen Bestandteilen aus Bodenwasser sowie der Bodenluft (Faust, 2020). Böden können sich hinsichtlich ihrer physikalischen (Körnung, Textur, Bodenfarbe etc.) und chemischen (pH-Wert, Acidität, Puffersysteme) Eigenschaften unterscheiden. Bodenarten werden in Korngrößenfraktionen unterteilt (siehe Abb. 5.1). Die natürlichen Funktionen und Nutzungsfunktionen von Böden sind vielfältig, Bodenbildungsprozesse langwierig (Glawion et al., 2017). Das Gestein als Ausgangsmaterial unterliegt physikalischen und chemischen Verwitterungsvorgängen, parallel dazu finden pedogenetische Prozesse (Humifizierung/Mineralisierung) statt. Neben diesen Umwandlungsprozessen ist die Bodenbildung von Ab- und Verlagerungsprozessen geprägt (ebd.). Die verschiedenen Wechselwirkungen zwischen Bodenbildungsfaktoren wie dem Klima, dem Relief oder lebenden Organismen, führen auf diese Weise im Laufe der Zeit zu sehr verschiedenartigen Böden (Strahler & Strahler, 2009). Der Eingriff des Menschen in die Pedosphäre führt verstärkt zu Bodengefährdungen wie Nähr- und Schadstoffeinträgen, Flächenverbrauch und Versiegelung, Erosion, Humusabbau und -verlust oder strukturellen Veränderungen wie Bodenverdichtung (Glawion et al., 2017). Dabei stellt die Bodenerosion die problematischste Form der Bodendegradation dar (Ries, 2020). Unter Bodenerosion werden die Prozesse der Ablösung, des Transports sowie zuletzt der Ablagerung von Bodenpartikeln durch erosive Niederschläge (Wassererosion) oder den Wind (Winderosion) verstanden (Botschek, 2013). Betroffen sind vor allem Ackerflächen. Mit dem Klimawandel verbundene Effekte führen vielerorts zu einer Beschleunigung des hydrologischen Kreislaufs, wodurch es in manchen Regionen zu steigenden Niederschlagsmengen und Starkregenereignissen kommt, während andere Gebiete durch vermehrte Trockenheit geprägt sind (Botschek, 2013). Winderosionsprozesse treten weltweit vor allem

5  Naturwissenschaftliches Experimentieren im Geographieunterricht

57

Tab. 5.1  Häufige Ausgangsbedingungen für das Auftreten von Winderosionsereignissen (Eigene Darstellung, orientiert an Duttmann et al. 2011: 14) Häufige Ausgangsbedingungen für das Auftreten von Winderosionsereignissen Windgeschwindigkeit

> 7 m/s (in 10 m Höhe gemessen), entsprechend 4,5–5 m/s an der Bodenoberfläche

Bodenerodierbarkeit

Fein- und Mittelsande (Teilchengrößen zwischen 0,1 und 0,5 mm), schwach schluffige und schwach lehmige Sande mit geringem Gehalt an organischer Substanz, ackerbaulich genutzte Moorböden

Bodenfeuchte

Trockenheit in den obersten Millimetern eines unbedeckten Bodens

Bodenbedeckung

fehlende oder geringe Bodenbedeckung; hohes Auswehungsrisiko bei Bedeckungsgraden < 30 %

Windoffenheit, Feldlänge

< 5 km Flurelemente pro km2 in waldarmen Landschaften; Abstand von Feldgehölzen und Hecken > 300 m quer zur Hauptwindrichtung

in Trockengebieten und deren Randbereichen sowie auf Flächen mit fein- bis mittelsandigem Substrat auf (Ries, 2020). Der Bodenverlust durch Winderosion reicht in manchen Regionen Deutschlands an die Größenordnung wassererosionsbedingten Bodenabtrags heran (Wurbs & Steininger, 2017). Größere Gebiete mit hoher bis sehr hoher Gefährdung finden sich vor allem in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und im westlichen Niedersachsen (Wurbs & Steininger, 2017). Das Ausmaß und die Intensität der Winderosion hängen vom Zusammenwirken verschiedener Faktoren ab (siehe Tab. 5.1), wobei sich die tatsächliche Winderosionsgefährdung aus der potenziellen und der bewirtschaftungsbedingten Winderosionsgefährdung ergibt (Duttmann et al. 2011). Die Folgen von Winderosionsprozessen können vielfältig sein und betreffen ökologische, soziale und ökonomische Dimensionen. Gefahren für Mensch, Tier und Ökosysteme gehen bspw. von einer erhöhten Feinstaubbelastung aus. Neben Ertragseinbußen in der Landwirtschaft sind weitreichende Auswirkungen auf die Infrastruktur zu erwarten. Zu den Onsite-Effekten zählen die Auswehung von fruchtbarem Feinboden, die Förderung der Oberbodenversauerung, Schädigungen der Bodenstruktur und direkte Schäden an Pflanzen durch Windschliff. Beispiele für Offsite-Effekte sind übersandete Verkehrswege und Staubeinträge in technischen Anlagen, aber auch Schädigungen sensibler Ökosysteme, Gewässereutrophierung und Atemwegserkrankungen (ebd.). Mögliche Schutzmaßnahmen betreffen die Art der Bodenbearbeitung (z. B. Direktsaatverfahren) und der Anbausysteme (Anpassung der Fruchtfolge), die Anlage von Schutzpflanzungen oder Nutzungsumwidmungen (ebd.). Die Behandlung des Themas Winderosion im Unterricht ermöglicht es, Schüler*innen auf eine der gravierendsten Formen der Bodendegradation aufmerksam zu machen und an regionalen Beispielen deren Ursachen und mögliche Schutzmaßnahmen zu erarbeiten.

58

N. Rosendahl und C. Peter

Weiterführende Leseempfehlung Eitel, B. & Faust, D. (2013). Bodengeographie. Braunschweig: Westermann. Problemorientierte Fragestellung Welche Faktoren begünstigen die Bodenerosion durch Wind?

5.2 Fachdidaktischer Bezug: Experimentieren Mit naturwissenschaftlichen Methoden bzw. Arbeitsweisen, zu denen Beobachtungen, Untersuchungen, Modellierungen und Experimente zählen, können natürliche sowie gesellschaftliche Strukturen und Dynamiken untersucht werden (Otto, 2009). Sowohl der Grad der Eigenständigkeit als auch jener der Komplexität variieren (Mönter & Otto, 2016). Die Entscheidung für eine dieser Arbeitsweisen hängt dabei maßgeblich vom zugrunde liegenden Erkenntnisziel ab. So können alleinig durch ein Experiment kausale Zusammenhänge untersucht und offengelegt werden. Unter einem Experiment versteht man „eine planmäßige, grundsätzlich wiederholbare Beobachtung unter künstlich hergestellten, möglichst veränderbaren Bedingungen“ (Regenbogen et al., 1998: 213). Es zeichnet sich dadurch aus, dass ein zu untersuchender Faktor isoliert und systematisch variiert wird, während alle anderen Faktoren konstant gehalten werden (Otto, 2009). Ein Experiment wird stets mit einem Kontrollansatz geplant. Der Prozess des Experimentierens lässt sich in Anlehnung an den naturwissenschaftlichen Erkenntnisweg in verschiedene Phasen unterteilen (Emden & Sumfleth, 2012): Fragestellung und Hypothesen zu einem Phänomen entwickeln, Experiment planen und durchführen, Ergebnisse bzw. Daten auswerten und Schlussfolgerungen ziehen (siehe Abb. 5.2). Im Experiment werden Strukturen und Prozesse modellhaft abgebildet. Bei der Planung erfolgt die Messbarmachung der zu untersuchenden Faktoren und damit ein Wechsel vom Real- in den Experimentierraum. Im letzten Schritt der Schlussfolgerung erfolgt eine Generalisierung der Ergebnisse sowie die Diskussion über einen mög-

Abb. 5.2   Mögliche Schrittfolge beim Experimentieren im Geographieunterricht. (Eigene Darstellung, angelehnt an Mönter & Otto, 2016; unter Berücksichtigung der Grundstruktur nach Emden & Sumfleth, 2012)

5  Naturwissenschaftliches Experimentieren im Geographieunterricht

59

Tab. 5.2  Ausgewählte Klassifikationen von im Geographieunterricht eingesetzten Experimente (eigene Darstellung: Rosendahl & Peter, orientiert an den Synopsen von Rinschede & Siegmund 2020; Mönter & Otto 2016) Kriterium der Klassifikation Entsprechende unterrichtliche Organisation Fachinhaltliche Zuordnung

Bezogen auf die Elemente der Geosphäre bzw. Geokomponenten: • Geologische und geomorphologische Experimente • Bodengeographische Experimente •… Bezogen auf die Fachlichkeit: • Exklusiv geographische Experimente • Fächerverbindende Experimente

Realitätsbezug

• Naturexperiment/Realexperiment • Modellexperiment • Gedankenexperiment

Art der Ergebnisauswertung

• Qualitative Experimente • Quantitative Experimente

Dauer des Experiments

• Kurzzeitexperiment • Langzeitexperiment

Didaktischer Ort

• Einführendes Experiment • Entdeckendes Experiment • Überprüfendes oder bestätigendes Experiment

Methodische Organisation

• Lehrerexperiment/Demonstrationsexperiment • Schülerexperiment/Aktionsexperiment

Grad der Offenheit

• Angeleitetes Experiment • Teiloffenes Experiment • Offenes Experiment

lichen Transfer und damit ein Wechsel zurück in den Realraum. Für den Rückbezug zur Fragestellung sowie die Hypothesen spielt die Reflexion über die Aussagekraft der Ergebnisse eine herausragende Rolle, da durch den Modellcharakter von Experimenten die Übertragbarkeit der erhobenen Daten in der Regel eingeschränkt ist (Broll et al., 2017). Diese Schrittfolge, die auch experimenteller Algorithmus genannt wird, kann als Orientierung für die Planung von Unterricht dienen. Ebenso kann die Klassifikation von Experimenten nach verschiedenen Kriterien Hilfestellung für den Planungsprozess geben (siehe Tab. 5.2). Eine Checkliste zu Aspekten, die bei der methodischen Planung beachtet werden müssen, geben Rinschede und Siegmund (2020). Mit dem Einsatz von Experimenten im Unterricht werden zahlreiche Ziele und Potenziale verbunden (Rinschede & Siegmund, 2020). Neben der Möglichkeit einer anschaulichen Vermittlung fachlicher Inhalte stehen die Förderung eines Verständnisses naturwissenschaftlicher Erkenntnis- und Arbeitsweisen sowie das Erlernen experimenteller Fähigkeiten im Vordergrund (Otto et al., 2010). Ob sich die Potenziale tatsächlich entfalten können und die mit dem Einsatz eines Experiments verbundenen Ziele erreicht werden, hängt unter anderem von der Eignung des Experiments, der gegebenen Aufgabenstellung

60

N. Rosendahl und C. Peter

und der Einbettung in das Lernarrangement, von der Anpassung an Lernvoraussetzungen sowie der Art und Weise des unterrichtlichen Einsatzes (z. B. dem didaktischen Ort und der methodischen Organisation) ab (Rinschede & Siegmund, 2020). Weiterführende Leseempfehlung Mönter, L., Otto, K.-H. & Peter, C. (Hrsg.). (2017). Experimentelles Arbeiten. Beobachten, untersuchen, experimentieren. Braunschweig: Westermann. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Forschendes Lernen, entdeckendes Lernen, Modellkompetenz

5.3 Unterrichtsbaustein: Der Winderosion auf der Spur Der hier vorgestellte Unterrichtsbaustein greift mit dem Thema der Winderosion ein in der fachdidaktischen Literatur noch unterrepräsentiertes, aber relevantes Thema auf (v. a. auch in Anbetracht klimatischer Veränderungen). Als Raumbeispiel wurde Deutschland ausgewählt, um so die Wahrscheinlichkeit einer persönlich wahrgenommenen Relevanz seitens der Lernenden zu erhöhen (Bekanntheit des Raums, Wohn- bzw. Urlaubsort). Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Raumbeispiele (z. B. USA – Great Plains; Russland/Kasachstan – Kulundasteppe) ist möglich. Um die Bedeutung von Bodengefährdungsprozessen zu verstehen, bedarf es eines Grundwissens über die Ressource Boden. Die Lernenden sollten daher mit den Grundlagen der Bodenkunde, wie der Definition von Boden, dessen Funktionen sowie seiner Entstehung, vertraut sein. Zudem sollten sie bereits mögliche Bodengefährdungen und den Begriff der Bodenerosion kennengelernt haben. Mit dem vorgestellten Experiment können Schüler*innen den Prozessen einer bestimmten Bodengefährdung, der Winderosion, anschaulich auf den Grund gehen und damit eine räumlich unterschiedliche Erosionsgefährdung von Böden erklären sowie mögliche Schutzmaßnahmen ableiten. Der Unterrichtsbaustein ist so angelegt, dass die Schüler*innen im Sinne eines wissenschaftspropädeutischen Unterrichts den experimentellen Algorithmus durchlaufen. Für den Erhalt eines Überblicks über die Schrittfolge bietet sich zur Dokumentation die Verwendung eines strukturierten Protokolls an (siehe Zusatzmaterial im digitalen Materialanhang). Das hier vorgestellte Experiment ist teiloffen gestaltet, wobei die Fragestellung sowie der Schritt der Planung vorgegeben sind. Die dem Experiment zugrunde liegende Fragestellung lautet: Welche Faktoren begünstigen die Bodenabtragung durch Wind? Als Einstieg und Hinleitung zur Fragestellung können Fotos von durch Wind erodierten Ackerböden gezeigt (z. B. Abb. 5.3) und anschließend durch einen Zeitungsartikel der Welt zum Verschwinden des Bodens in Deutschland (Kroker, 2015) konkretisiert werden. Im Plenum kann mit der Diskussion über mögliche Folgen der Winderosion die Relevanz des Problems aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang können weitere Bildimpulse oder Zeitungsartikel gezeigt werden (z. B. zur Sichtbehinderung auf Auto-

5  Naturwissenschaftliches Experimentieren im Geographieunterricht

61

Abb. 5.3   Winderosion auf einem Acker (LBEG; Foto: W. Schäfer)

bahnen und resultierende Unfälle im Norden Deutschlands; Duttmann 2011). Ausgehend von der Frage, ob das Phänomen der Winderosion räumlich unterschiedlich auftritt, kann nun die Fragestellung des Experiments aufgeworfen werden. Im nächsten Schritt werden Hypothesen zur Beantwortung der Fragestellung gesammelt und notiert. Für eine Anschlussfähigkeit zu den mit den gegebenen Materialien möglichen Experimentansätzen sollten in den Hypothesen die Faktoren Windgeschwindigkeit, Grad der Bodenbedeckung durch Pflanzen und Korngröße des Bodens enthalten sein. Um die Hypothesen anschließend im Experiment zu prüfen, werden verschiedene Ansätze aufgebaut und getestet. Das vorgegebene Protokoll enthält die für alle Ansätze notwendigen Materialien. Wegen des hohen Materialaufwands bietet sich die Einteilung in Kleingruppen an, wobei jede Gruppe einen anderen Ansatz testet. Jede Gruppe benötigt dazu eine Box (z. B. Schuhkarton), die an einer schmalen Seite sowie nach oben hin geöffnet ist (Abb. 5.4). An der geöffneten Seite wird das Substrat gleichmäßig aufgebracht und dem Gebläse des Haartrockners ausgesetzt (Abb. 5.4). In den verschiedenen Ansätzen werden die Windstärke, die Bodenbedeckung sowie die Korngröße des Substrats variiert und der Bodenabtrag nach einer bestimmten Zeit (z. B. 2 min) gemessen und notiert.

30 cm 0

2:00

10

20

30 cm 00

30

10 10

20 20

30 30

2:00

Abb. 5.4   Exemplarischer Aufbau von zwei Experimentansätzen zum Faktor Vegetationsbedeckung. (Eigene Darstellung; Grafik: Cordula Mann)

62

N. Rosendahl und C. Peter

Es folgt die Analyse der Daten, in der die Schüler*innen Rückbezüge zu den aufgestellten Hypothesen herstellen. Anschließend präsentieren die Gruppen ihre Ergebnisse und die übergeordnete Fragestellung wird beantwortet. Für eine Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse bietet sich eine Aufgabe zur Verortung besonders gefährdeter Gebiete in Deutschland und deren Diskussion an. Hierbei sollen die Schüler*innen die Ergebnisse des durchgeführten Experiments einfließen lassen und unter Hinzuziehung weiterer Karten (z. B. vorherrschende mittlere Windstärken in Deutschland) Begründungszusammenhänge formulieren. Zudem wird diskutiert, inwiefern sich die Ergebnisse der Experimente auf die Prozesse im Realraum übertragen lassen. Herausgestellt werden sollte, dass die Einflussfaktoren stets in Kombination auftreten und es zudem noch weitere Einflussfaktoren geben könnte. Hinsichtlich der Aussagekraft der Ergebnisse gilt es zu beachten, dass aufgrund der Gewährleistung einer Durchführbarkeit im Klassenzimmer auf die Verwendung von Substraten kleinerer Korngrößen (< 0,06 mm, Schluff) verzichtet wurde. Die Aussage, dass die Winderosion mit kleiner werdender Korngröße zunimmt, gilt nur im Rahmen des Experiments und nicht darüber hinaus. In der Natur werden Partikel von 0,1 bis 0,5 mm Größe am leichtesten in Bewegung gesetzt (Duttmann et al. 2011). Kleinere Partikel sind oft durch Kohäsionskräfte gebunden (Ries, 2020). Hierüber sollte die Lehrkraft ergänzend informieren. Im Anschluss empfiehlt sich eine Diskussion darüber, inwiefern der Mensch durch sein Handeln Winderosionsprozesse verstärkt und welche Erosionsschutzmaßnahmen ergriffen werden können (z. B. mit verbundener Internetrecherche). Zum Abschluss erfolgt eine gemeinsame Reflexion über die Methode des Experimentierens. Für den Unterrichtsbaustein sollten insgesamt ca. zwei Doppelstunden eingeplant werden. Beitrag zum fachlichen Lernen Im aufgezeigten Experiment gehen die Schüler*innen der Frage nach, welche Faktoren die Winderosion beeinflussen. Dabei erweisen sich eine hohe Windstärke, ein geringer Bedeckungsgrad durch Pflanzen und sandige Böden als begünstigend für die Erosionsprozesse. Das Experiment könnte weiterhin um den Faktor der Bodenfeuchte erweitert werden. Aus den erhaltenen Erkenntnissen können anschließend mögliche Bodenschutzmaßnahmen abgeleitet werden. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S7, S18 erklären den Einfluss der Faktoren Windstärke/Bodenbedeckungsgrad/Bodenart auf die Intensität des Bodenabtrags durch Wind, übertragen die im Experiment erhaltenen Erkenntnisse auf die Erosionsgefährdung von landwirtschaftlich genutzten Flächen in Deutschland und schlussfolgern aus ihren Erkenntnissen mögliche Schutzmaßnahmen zur Minderung von Winderosionsprozessen. • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S5 erheben eigenständig Daten durch ein Experiment zu den Einflussfaktoren der Winderosion; S6, S7 interpretieren die aus dem Experiment gewonnenen Daten; S9 formulieren selbstständig Hypothesen zu möglichen Einflussfaktoren der Winderosion.

5  Naturwissenschaftliches Experimentieren im Geographieunterricht

63

• Beurteilung/Bewertung: S3 beurteilen die aus dem Experiment gewonnenen Informationen hinsichtlich des generellen Erklärungswertes und ihrer Bedeutung. Klassenstufe und Differenzierung Ab Klasse 7 In der Grundanlage ist das Experiment teilweise angeleitet und kann somit auch von Lernenden mit geringem methodischem Vorwissen durchgeführt werden. Im Sinne einer Differenzierung hinsichtlich des Vorwissens erweisen sich Tipps zum methodischen Vorgehen in Form von gestuften Lernhilfen für die offen gestalteten Bereiche als sinnvoll (z. B. wie eine Hypothese formuliert wird). Zudem können inhaltliche Hinweise (z. B. durch Vorgabe der Faktoren) eingebaut werden. Für Lernende mit höherem methodischem Vorwissen kann das Experiment so umgestaltet werden, dass sie den Schritt der Planung selbstständig übernehmen. Ebenfalls kann eine Differenzierung durch Rollenverteilung (z. B. Zeitwächter, Protokollant, Material- und Konzentrationswächter; Schubert, 2016) oder die freie Wahl der Dokumentationsform (Film drehen, Protokoll schreiben) vorgenommen werden. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Größe der Windstärke (z. B. Erarbeiten der Beaufort-Skala), der einzelnen Prozesse (kriechende und springende Fortbewegung der Partikel) der Winderosion oder eine grafische Darstellung der Messergebnisse eignen sich als mögliche Sprinteraufgaben. Räumlicher Bezug Deutschland (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und westliches Niedersachsen) Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System), Systemkomponenten (Struktur, Prozess), Nachhaltigkeitsviereck (Ökonomie, Ökologie, Soziales), Maßstabsebene (regional), Zeithorizonte (mittelfristig, langfristig), Raumkonzept (Raum als Container) Österreich: Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz: natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.3), Mensch-UmweltBeziehungen analysieren (3.1)

5.4 Transfer In der fachdidaktischen Literatur lassen sich Experimente für fast alle Bereiche der Geographie finden. Zum Thema Boden sind dies unter anderem Experimente zur Bodenversalzung (z. B. Drieling, 2006) oder zum Wasserhaltevermögen (z. B. Schubert, 2016). Ein Experiment zur Hydrosphäre findet sich beispielsweise bei Peter und Haffer (2015), in dem der Einfluss von Salzgehalt und Wassertemperatur auf das hydrologische System untersucht wird. Ein Sammelwerk mit unterschiedlichen Experimenten unter Angabe

64

N. Rosendahl und C. Peter

angesprochener Geosphären brachten Mönter et al. (2017) heraus. Hier wurden auch Experimente zur Raumwahrnehmung und zur Raumplanung aufgenommen, welche rein der Anthroposphäre zugeordnet werden können. Fachlich können Bezüge zu weiteren Erosionsformen, z. B. zur Wassererosion, angebahnt werden oder eine Hinleitung zu den Themen Dünenbildung in Wüstenregionen oder Desertifikation erfolgen. Zudem können die Prozesse der Winderosion auf andere Regionen übertragen werden. So ist bspw. ein Transfer auf das Raumbeispiel Texhoma in Oklahoma (USA) denkbar. Texhoma ist stark von Winderosion betroffen und Maßnahmen zur Bodenerhaltung wurden bereits getroffen (s. Diercke Weltatlas: 204). Verweise auf andere Kapitel • Frenzel, P. & Bruzzi, G.: Entdeckendes und forschendes Lernen. Erdgeschichte – Geologie und Paläontologie. Band 1, Kapitel 3. • Mönter, L. & Peter, C.: Haptische Modelle. Wasserhaushalt – Hochwasser und Hochwasserschutz. Band 1, Kapitel 10.

Literatur Botschek, J. (2013). Bodenerosion – Wirkungen, Prozessgeschehen und Bekämpfung. Geographische Rundschau, 4, 10–15. Broll, G., Leser, H., & Anschlag, K. (Hrsg.). (2017). Diercke Wörterbuch Geographie. Braunschweig. Drieling, K. (2006). Der experimentelle Algorithmus: Das Beispiel Bodenversalzung. Praxis Geographie, 36(11), 18–22. Duttmann, R., Hassenpflug, W., Bach, M., Lungershausen, U. & Frank, J.-H. (2011). Winderosion in Schleswig-Holstein – Kenntnisse und Erfahrungen über Bodenverwehungen und Windschutz. Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein (LLUR). Emden, M., & Sumfleth, E. (2012). Prozessorientierte Leistungsbewertung. Zur Eignung einer Protokollmethode für die Bewertung von Experimentierprozessen. MNU, 65(2), 68–75. Faust, D. (2020). Definition und Bodenbildungsfaktoren und Bodenbestandteile. In H. Gebhardt, R. Glaser, U. Radtke, & P. Reuber (Hrsg.), Geographie. Physische Geographie und Humangeographie (S. 480–485). Springer Spektrum. Glawion, R., Glaser, R., Saurer, H., Gaede, M., & Weiler, M. (2017). Physische Geographie. Ein Lehr- und Übungsbuch. Westermann. Kroker, H. (2015): Deutschlands Boden verschwindet. Veröffentlicht am 24.12.2015 in Welt, https://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article150306740/Deutschlands-Boden-verschwindet.html (19.05.2021). Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie [LBEG] (o. J.). https://www.lbeg.niedersachsen.de (02.12.2020). Mönter, L., & Otto, K.-H. (2016). Experimentelles Arbeiten im Geographieunterricht. Grundlagen, Erkenntnisse. Konsequenzen. Geographie aktuell und Schule, 38(219), 4–13.

5  Naturwissenschaftliches Experimentieren im Geographieunterricht

65

Mönter, L., Otto, K.-H., & Peter, C. (2017). Experimentelles Arbeiten. Beobachten, untersuchen, experimentieren (S. 5–9). Westermann. Otto, K.-H. (2009). Experimentieren als Arbeitsweise im Geographieunterricht. Geographie und Schule, 31(180), 4–15. Otto, K.-H., Mönter, L., Hof, S. & Wirth, J. (2010). Das geographische Experiment im Kontext empirischer Lehr-/Lernforschung. Zeitschrift für Geographiedidaktik (ZGD), 38 (133–145). Peter, C., & Haffer, S. (2015). Warum die Schichtung einen Sprung hat: Den Einfluss von Salzgehalt und Wassertemperatur auf das hydrologische System Nordpolarmeer im Experiment erfahren. Geographie heute, 26(322), 28–31. Regenbogen, A., Meyer, U., Kirchner, F., Michaelis, C., & Hoffmeister, J. (1998). Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Philosophische Bibliothek. Meiner. Ries, J. (2020). Bodenerosion. In H. Gebhardt, R. Glaser, U. Radtke, & P. Reuber (Hrsg.), Geographie. Physische Geographie und Humangeographie (S. 513–524). Springer Spektrum. Rinschede, G., & Siegmund, A. (2020). Geographiedidaktik. Schöningh. Schubert, J. C. (2016). Kognitiv aktivierend und eigenständig experimentieren. Schülerinnen und Schüler erforschen das Wasserhaltevermögen von Böden. Geographie aktuell und Schule, 38(219), 24–34. Strahler, A. H., & Strahler, A. N. (2009). Physische Geographie. Eugen Ulmer KG. Wurbs, D., & Steininger, M. (2017). Bodenerosion durch Wind. Sachstand und Handlungsempfehlungen zur Gefahrenabwehr. Umweltbundesamt.

6

Perspektivenwechsel Hazards im Kontext geographischer Gesellschaft-UmweltForschung – „Hurrikan Katrina“ als Naturgefahr und Sozialkatastrophe Mirka Dickel

 Teaser  Perspektivenwechsel ist eine Erkenntnisfigur, die es erlaubt, unter-

schiedliche Blickwinkel und Hinsichten auf einen unterrichtlichen Gegenstand zu richten, sodass wir uns von gesellschaftlich und individuell als selbstverständlich geltenden Wahrnehmungs- und Deutungsmustern lösen und unseren Verständnishorizont hinsichtlich der Phänomene an der Grenze von Kultur und Natur erweitern können. Über unterschiedliche Perspektivierungen wird der unterrichtliche Gegenstand „Hurrikan Katrina“ in seinen Grundstrukturen und Problemgehalten erkennbar.

6.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Sozialkatastrophe Hurricans Tropische Wirbelstürme, Tornados, Überschwemmungen und Tsunamis sind Beispiele für plötzlich und extrem auftretende Naturereignisse. Sofern diese aufgrund ihrer Eintrittshäufigkeit oder ihres Ausmaßes das Leben und Werk von Menschen zu zerstören drohen, spricht man von Naturgefahren. Durch Einschätzen des Naturrisikos lassen sich Maßnahmen ergreifen, um Schäden möglichst gering zu halten. Werden die Verluste in der Sozialwelt im Zuge eines Naturereignisses als überdurchschnittlich groß empfunden, trifft der Begriff „Katastrophe“ zu (Felgentreff & Dombowsky, 2007: 13). Während in der medialen Berichterstattung zumeist von einer „Naturkatastrophe“ die Rede ist, verwendet die Fachwissenschaft Geographie die Begriffe „Naturgefahr“ und

M. Dickel (*)  Institut für Geographie, Friedrich-Schiller-Universität, Jena, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_6

67

68

M. Dickel

„Sozialkatastrophe“. Mit dieser begrifflichen Differenzierung lässt sich das komplexe Geschehen infolge eines extremen Naturereignisses angemessen begreifen, da dieses so als Zusammenspiel sozialer und natürlicher Faktoren verstanden wird. „Hazard“, ein Begriff aus der interdisziplinären Hazard-Forschung, die sich seit Mitte der 1950er-Jahre vor allem in den USA entwickelt hat, bezeichnet demgegenüber das ungeteilt als Gesellschaft-Umwelt-Interaktion adressierte Phänomen (Gebhard 2011: 1118). Im Großraum New Orleans treten verheerende Stürme in unregelmäßigen Abständen auf, so in den Jahren 1893, 1915, 1947 und 1965. Doch „Hurrikan Katrina“ (2005) hatte die schwersten Folgen. New Orleans ist auf trockengelegtem Sumpfland erbaut. Aufgrund der stetigen Verdichtung der Flusssedimente liegen 80 % des Stadtgebietes unterhalb des Meeresspiegels. Ein Drainagesystem mit Pumpstationen entwässert die Stadt, Flutmauern und Deiche schützen vor Wassereinlauf. Das weitaus größte Risiko trägt die ärmere afroamerikanische Bevölkerung, die überwiegend in den tiefer liegenden Gebieten wohnt. Aufgrund der Koinzidenz von Hurrikan und anstehender Flut kam es im August 2005 zu einer etwa 6 m hohen Flutwelle. Deiche, Flutmauern und Pumpanlagen wurden schwer beschädigt. 80 % des Stadtgebietes standen 2–3 m tief – bis zu den Dachspitzen – unter Wasser. Besonders hart traf es den armen, kulturell afroamerikanisch geprägten Stadtteil Lower Ninth Ward. Mehr als 400.000 Einwohner verließen New Orleans, bevor „Hurrikan Katrina“ auf Land traf. Es kam zu 1800 Toten und weiteren hundert Vermissten. Das Krisenmanagement der Federal Emergency Management Agency (FEMA) war defizitär: In die Deich- und Pumpanlagen war wider besseren Wissens im Vorfeld nicht investiert worden. Den Zurückgebliebenen, überdurchschnittlich viele davon arm, schwarz, alt und krank, die im Stadion (Superdome) und im Kongresszentrum (Convention Center) Notunterkunft suchten, wurde Unterstützung nur mit großer Verspätung zuteil. Viele Einwohner, vor allem Afroamerikaner, konnten sich die selbst zu finanzierende Renovierung ihrer Häuser nicht leisten und wurden obdachlos. Hilfszahlungen der Regierung waren an die Bedingung geknüpft, eine Besitzurkunde des Grundstücks vorzulegen. Diese beizubringen war in den meisten Fällen unmöglich. Sozialmieter wurden an der Rückkehr in ihre Wohnungen gehindert: Sozialer Wohnungsbau wurde polizeilich abgeriegelt und Gebäude wurden an private Investoren verkauft und zum Marktpreis vermietet (M5). Weiterführende Leseempfehlung • Dikau, R., Weichselgartner, J. & Hufschmidt, G. (2020). Gefahren – Risiken – Katastrophen. In H. Gebhard et al. (Hrsg.), Geographie. Physische und Humangeographie (S. 1101–1142). Heidelberg. Springer Spektrum. • Felgentreff, C. & Dombrowsky, W. R. (2007): Hazard-, Risiko- und Katastrophenforschung? In C. Felgentreff & T. Glade (Hrsg.), Naturrisiken und Sozialkatastrophen. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. • Moskowitz, P. (2017). How to kill a city. Gentrification, inequality, and the fight for the neighbourhood. New York: Nation Books • Snedecker, R. & Solnit, R. (2013). Unfathomable City. A New Orleans Atlas. Berkeley: University of California Press

6 Perspektivenwechsel

69

Problemorientierte Fragestellungen • Welches physio- und sozialgeographische Faktorengeflecht (sozial, kulturell, politisch, physiogeographisch, technisch) ist ursächlich für das humanitäre Desaster „Hurrikan Katrina“ (2005)? • Wie lässt sich die hohe Vulnerabilität (M3) der risikoexponierten Gruppe der African Americans verstehen und wer trägt die Verantwortung für das humane Desaster?

6.2 Fachdidaktischer Bezug: Perspektivenwechsel Perspektivenwechsel ist seit den 1990er-Jahren ein wesentliches geographiedidaktisches Prinzip (vgl. Hasse, 1993; Hasse & Isenberg, 1991; Rhode-Jüchtern, 1996). Es wurde vor allem durch Rhode-Jüchtern (u. a. 2001, 2002, 2003, 2009, 2012, 2013) als erkenntnistheoretische Figur etabliert. Der Begriff geht auf lateinisch perspicere‚ „hindurchsehen“, „genau betrachten“, „erkennen“ zurück. Mehrperspektivität ist eine Konsequenz aus dem Zweifel an der positivistischen Wissensordnung, die sich in unserem Fach als quantitativ orientierte allgemein-geographische und regionalwissenschaftliche Geographie niederschlug. Grundidee der Kritik ist, dass ein*e Forscher*in seinen bzw. ihren Gegenstand niemals unverstellt in den Blick nehmen kann. Wissen ist nicht einfach gegeben, sondern geworden und gemacht. In der Geographiedidaktik geht es darum, sich der erkenntnistheoretischen Brillen, die unsere Sicht auf den Unterrichtsgegenstand implizit bestimmen, bewusst zu werden, um so die erlernten Muster des Sehens zu entankern, die Perspektive zu wechseln, anders hinzusehen und Neues zu erkennen. Wir fragen, wie Gegenstände zu Gegenständen des Unterrichts gemacht werden. So zu fragen heißt, sich reflexiv zum unterrichtlichen Tun zu verhalten, das unterrichtliche Hinsehen, Denken und Handeln zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen. Durch diese Reflexivität sollte vermieden werden, dass sich zeitübliche Weltbilder unbemerkt in die unterrichtliche Hinsicht auf den Gegenstand einschreiben. Indem wir den Unterrichtsgegenstand auf neue Weise perspektivieren, kommen wir zu neuen Einsichten und weiteren lohnenden Fragen. „Hurrikan Katrina“ wird als humanitäres Desaster durch einen vierfachen Perspektivenwechsel begreifbar: 1. Fachliche Rahmung: sowohl physio- als auch humangeographischer Zugriff Die Gesellschaft-Umwelt-Forschung geht nicht von einer kausalen Wirkung der Natur auf Mensch und Gesellschaft aus. Die naturdeterministische Sichtweise lässt gesellschaftliche, kulturelle und politische Einflussfaktoren, Machtverhältnisse und situative Rahmenbedingungen aus dem Blick geraten. Statt gesellschaftliche Prozesse aus materiellen Gegebenheiten heraus zu erklären, geht es darum, soziale Ungleichheiten, Praktiken und Strukturen mithilfe sozialwissenschaftlicher Kategorien zu analysieren (Mattissek & Sakdapolrak, 2016: 16). 2. Optik: sowohl statischer als auch genetischer Blick Die Struktur eines Gegenstandes lässt sich mithilfe des statischen Blicks begreifen. Strukturen fallen aber nicht vom Himmel, sondern sie sind gesellschaftlich, kulturell

70

M. Dickel

und politisch geworden. Der genetische Blick auf die Prozesse, die zum Status quo geführt haben, ermöglicht uns, die in die aktuelle Struktur eingeschriebenen impliziten Wertentscheidungen und Verantwortlichkeiten zu verstehen. 3. Wirklichkeitsausschnitt: sowohl makrologischer als auch mikrologischer Zugang Wenn wir den Gegenstand Top-down aus der Distanz untersuchen, so geraten Strukturen und Prozesse in ihrem Zusammenhang in den Blick. Makroperspektiven bieten Wahrnehmungs- und Deutungsmuster im Sinne eines vereinheitlichenden Weltund Menschenbildes an, die sich der Kritik des naiven Essentialismus aussetzen. „Große Erzählungen“ müssen durch „kleine Geschichten“ ergänzt werden. Die Mikroperspektive zeigt persönliche Erfahrungen von Opfern und Verantwortlichen. 4. Repräsentation: sowohl wissenschaftliche, alltägliche als auch künstlerische Darstellungen Mediale Repräsentationen sind kulturelle Zeugnisse und als solche niemals identisch mit dem ursprünglichen Ereignis. Vielmehr stellen Medien spezifisches Wissen zur Schau. Manches wird betont, anderes vergessen oder verschwiegen. Da ein Medium darstellt, was aus einem Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt wird, sind Medien maßgeblich daran beteiligt, unser kollektives Gedächtnis zu formen, und daher immer schon politisch. Daher ist es wichtig, neben den (populär-)wissenschaftlichen und alltäglichen Medien immer auch künstlerische Produktionen (Filme, Romane, Performances etc.) heranzuziehen. Diese Perspektivierungen zu „Hurrikan Katrina“ machen deutlich, dass soziale Ungleichheiten nicht erst durch ein Naturereignis entstehen. Die kulturelle Gemeinschaft der African Americans ist aufgrund der sich in der Segregation räumlich niederschlagenden sozialen Ungleichheit (M1) risikoexponiert und vulnerabel. Diese Nachteile verstärken sich im Zuge der Katastrophe noch (vgl. M2). Weiterführende Leseempfehlung • Rhode-Jüchtern, T. (Moderation) (1996). Weltverstehen durch Perspektivenwechsel (Themenheft). Praxis Geographie 26(4). • Rhode-Jüchtern, T. (2003). Narrative Geographie – Plot, Imagination und Konstitution von Wissen. In C. Vielhaber (Hrsg.), Fachdidaktik alternativ, innovativ. 28. Deutscher Schulgeographentag 2002 Wien. Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde Bd.17 (S. 48–61). Wien. • Dickel, M., Kanwischer D. & Schneider, A. (2007): Tsunamis – Ereignisse an der Grenze zwischen Mensch und Natur. In: geographie heute. Themenheft: Kompetenzen, Standards, Aufgaben 255/256, S. 24–28. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Mediendidaktik, Wertebildung, machtsensible geographische Bildung, handlungstheoretische Sozialgeographie, Phänomenologie, kritisches Denken, mündigkeitsorientierte Bildung

6 Perspektivenwechsel

71

6.3 Unterrichtsbaustein: „Hurrikan Katrina“ als Naturgefahr und Sozialkatastrophe Der Unterrichtsgang folgt fünf Schritten: 1. Problematisierung (fachlicher Rahmen: physio- und humangeographischer Zugriff) 2. Segregation und Vulnerabilität (Optik: statischer und genetischer Blick) 3. Ursachen des humanitären Desasters (fachlicher Rahmen: physio- und humangeographischer Zugriff; Wirklichkeitsausschnitt: Makroperspektive) 4. Erfahrungsberichte Betroffener (Wirklichkeitsausschnitt: Mikroperspektive) 5. Mediale Darstellung und Erinnerungskultur (Repräsentationsformen: wissenschaftliche, alltägliche und künstlerische Darstellungen) 1. Problematisierung

Abb. 6.1   „Go Away“ (ioerror, 2005: o. S.)

2. Segregation Bis August 2005 lebten knapp 500.000 Einwohner in New Orleans, davon 70 % African Americans, auf einer Stadtfläche, die zu 70 % bis zu 1,6 m unter dem Meeresspiegel liegt. Das Stadtgebiet zeichnet sich durch eine hohe Segregation aus (M1). a) Beschreibe die Segregation in New Orleans und recherchiere mögliche Ursachen zu ihrer Entstehung (M2). (Stichworte: Kolonialpolitik, Sklaverei, Rassentrennung, Zwei-Klassen-Gesellschaft, White Supremacy, „Black Lives Matter“) b) Bewerte die Vulnerabilität des Raumes und der sozialen Gruppen (M3). M1: Soziale Ungleichheiten im städtischen Raum „Sag mir, wo du wohnst, und ich sage dir, wer du bist.“ Dieses Sprichwort wird immer wieder gern in den Medien zitiert, wenn über „Problemquartiere“, „soziale Brenn-

72

M. Dickel

punkte“, „Migrantenghettos“ und ethnische „Parallelgesellschaften“ berichtet wird. Die plakative Behauptung verweist auf reale soziale Prozesse. Sie lassen sich, stark vereinfacht, zunächst mit der Vorstellung beschreiben, dass sich „die vielfältigen Muster sozialer Ungleichheit im Raum niederschlagen“ (Dangschat, 1998: 43). Ganz so einfach liegt der Fall jedoch nicht. Segregationen haben differenzierte Ursachen, die als solche erst einmal genau in den Blick genommen werden müssen, um zu verstehen, wie Stadträume sozial strukturiert und fortlaufend restrukturiert werden. Dabei ist zu bedenken, dass sich die Zusammenhänge zwischen sozialen Phänomenen (Sozialstruktur, soziale Beziehungen, Lebensstile etc.) und gebauten Räumen nicht allein auf der lokalen Ebene formieren. Ökonomische und kulturelle Globalisierungsprozesse sowie neoliberale Ideologien haben in den vergangenen Dekaden tief in die sozialräumliche und physische Struktur der Städte eingegriffen. (…) Räumliche bzw. residentielle Segregation wird in der stadtsoziologischen und geographischen Literatur verstanden als das Ausmaß, in dem die Angehörigen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen voneinander räumlich getrennt wohnen. Mit der räumlichen Trennung geht auch häufig eine Separierung der sozialen Beziehungsstrukturen und Verkehrskreise der unterschiedlichen Gruppen einher. Soziale Distanz übersetzt sich in räumliche Distanz (Häußermann & Kapphan, 2000). (Belina, B. et al., 2014: 108). M2: Segregation in New Orleans (Siehe Abb. 6.2) M3: Vulnerabilität „Die Verwundbarkeit eines Raumes oder einer sozialen Gruppe hängt von unterschiedlichen Einflussgrößen ab (Gallopin, 2006). Ein wichtiger Parameter ist die Empfindlichkeit. Sie gibt Auskunft über den Einwirkungsgrad einer potentiellen Störung. Bewältigungskapazitäten sind ein weiterer Faktor. Damit sind die vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen gemeint, mithilfe derer auf eine Störung reagiert werden kann. Eine dritte Einflussgröße ist die Exponiertheit. Sie ist ein Maß für die Ausgesetztheit gegenüber einer spezifischen Störung, etwa aufgrund der räumlichen Nähe oder der sozialen Stellung. Verwundbarkeit ist immer von einer konkreten Störung abhängig, existiert aber unabhängig von einer konkreten Exponiertheit.“ (Dikau et al., 2020: 1115)

3. Ursachen des humanitären Desasters Am 29. August 2005 trifft der „Hurrikan Katrina“ mit einer Stärke bis zu Stufe 5 auf den Großraum New Orleans. 80 % des Stadtgebietes stehen bis zu 7,6 m unter Wasser. a) Erläutere die Entstehung des Hurrikans. (M4) b) Stelle Maßnahmen und Unterlassungen des Krisenmanagements der US-Regierung vor, während und nach „Hurrikan Katrina“ dar. (M5, M6, M7) c) Nimm begründend Stellung: „(T)he disaster, which unfolded, might have been natural in its shape – the wind, the rain, the flooding – but at its core, it was human-made“ (Dickel & Kindinger, 2015: 9).

6 Perspektivenwechsel Abb. 6.2   Auswirkungen von „Hurrikan Katrina“ auf New Orleans, Bezirk Orleans Parish, 2005 (Dickau & Pohl., 2011: 1124; verändert nach Haan, 2005)

73

74

M. Dickel

d) Metareflexion: Überlege, warum tagesaktuelle Nachrichten den Begriff „Naturkatastrophe“ dem Begriff „Sozialkatastrophe“ vorziehen. M4: „Hurrikan Katrina“ – Wetterlage und Route

Abb. 6.3   Entstehung und Verlauf von „Hurrikan Katrina“ (Mendler 2021 nach DWD, Kartengrundlage: Mountain High Maps 1993)

M5: Soziale Säuberung „Ende August 2005 wurden als Folge von „Hurrikan Katrina“ weite Teile von New Orleans überschwemmt. Heute hat sich die Sozialstruktur der Stadt nachhaltig verändert. New Orleans ist weißer und wohlhabender geworden. Viele der ärmsten Bewohner sind nicht zurückgekehrt. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Studie der Sozialwissenschaftler Christian Jakob und Friedrich Schorb vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen über die sozialen Auswirkungen der sozialen Katastrophe vor drei Jahren. Verantwortlich dafür ist nach Auffassung der Bremer Wissenschaftler nicht zuletzt die Aussperrung von mehr als 20.000 Sozialmietern aus ihren weitgehend unbeschädigten Wohnungen in zentraler Innenstadtlage. Als das Wasser wich, zogen die Behörden Zäune um diese Häuser, verrammelten Türen und Fenster und stellten Polizei vor die Eingänge. Die Bewohner konnten nicht zurückkehren. Heute leben sie verstreut im Süden der USA, sozial isoliert und meist ohne Arbeit. Ihre Häuserblöcke in New Orleans – einst Brennpunkt von Gewalt und Kriminalität – wurden inzwischen von privaten Immobiliengesellschaften abgerissen. Auf den lukrativen Grundstücken entstehen subventionierte Mustersiedlungen

6 Perspektivenwechsel

75

mit rigider Hausordnung und teuren Apartments. Nur für einen Bruchteil der einstigen Bewohner wird dort Platz sein. Die Eliminierung von Armutsquartieren ist Teil eines Paradigmenwechsels der US-amerikanischen Sozialpolitik, den die Autoren so erklären: „Die Gründe für Armut werden nicht länger in der sich verschärfenden strukturellen und materiellen Ungleichheit, sondern in tatsächlichen und zugeschriebenen Verhaltensweisen der Armutsbevölkerung gesucht.“ Konkret bedeutet das: Die Sozialbauten werden demontiert, ohne für die Mehrzahl der ehemaligen Bewohner angemessenen Ersatz zu schaffen. „Dieser Prozess vollzieht sich in New Orleans – dank Katrina – im Zeitraffer“, so die Schlussfolgerungen von Jakob und Schorb. Die Sozialwissenschaftler haben ihre Untersuchung mit Unterstützung von Professoren und Wissenschaftlern der Brown University in Providence, der University of New Orleans, des Urban Institute in Washington und dem Stadtsoziologen Mike Davis von der University of California durchgeführt. Im Frühjahr 2007 haben sie in New Orleans vertriebene Mieter, Verantwortliche aus Bundesbehörden, Manager von Immobilienfirmen, Aktivisten und Bürgerrechtler interviewt. Ihre Studie unter dem Titel „Soziale Säuberung: Wie New Orleans nach der Flut die Unterschicht vertrieb“ dokumentiert, wie im Namen des Wiederaufbaus die ursprünglichen Bewohner sozial benachteiligter Quartiere vertrieben worden sind, um eine lukrative Verwertung der Wohnareale zu ermöglichen.“ (Scholz, 2008)

M6: Neoliberale Sintflut „Cedric Johnson’s edited book ,The Neoliberal Deluge: Hurricane Katrina, Late Capitalism and the remaking of New Orleans‘ (2011) reviews private and governmental rebuilding efforts, while Johnson formulates a rather sobering verdict, namely that ,the social, economic and environmental crises that were rendered visible through disaster have been used to further advance neoliberalization‘ (2006: xvii). Disaster relief was and is mostly privatized, and the same is true for urban redevelopment. This privatization highlights and reinforces the neoliberal belief that social responsibility is not in the hands of state and federal government, but in the hands of private institutions and individuals. Without discrediting all the privatized disaster relief work, The Neoliberal Deluge aims at exposing inequalities rendered by neoliberalization and calls for government responsibility in times of crises.“ (Dickel & Kindinger 2015: 10)

M7: 10 Years After (Siehe Abb. 6.4) „Ten years after Hurricane Katrina’s massive devastation, Congress approved $14 billion for a 350-mile ring of protection around New Orleans with a promise to build bigger and stronger levees. The construction of pump stations have been built and more are in progress to keep the city’s three main drainage canals from being overwhelmed by future storms.“ (Segrest, 2015: o. S)

4. Erfahrungsberichte Betroffener Der achtteilige US-Podcast „Floodlines“, der am 11. März 2020 erstmals in voller Länge zu hören war, wurde von The Atlantic produziert, einer 1857 von Schriftstellern gegründeten amerikanischen Monatszeitschrift, die literarische, kulturelle und (außen-)

76

M. Dickel

Abb. 6.4   10 Years After (Segrest, 2015: o. S.)

politische Themen kommentiert. Dargestellt werden persönliche Erfahrungen von vier Betroffenen von „Hurrikan Katrina“: Le-Ann Williams, Fred Johnson, Alice CraftKerney, Sandy Rosenthal sowie ein Interview mit Michel Brownie Brown, Chef der FEMA (Federal Emergency Management Agency, Nationale Koordinationsstelle der Vereinigten Staaten für Katastrophenhilfe). (Mikroperspektive) a) Fertige zu einer Person eine Rollenkarte an: In welcher persönlichen Situation bist du vor dem Sturm? Wie ergeht es dir während des Hurrikans? Wie verändert sich dein Leben danach? Was denkst und fühlst du heute im Rückblick? Worauf wünschst du dir Antworten? Was bereust du? Welche Wertvorstellungen bestimmen dein Leben? b) Stelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Erfahrungen der Opfer heraus. Welche weiterführenden Fragen ergeben sich für dich durch die Rezeption dieser Erfahrungsberichte? c) Wer trägt die Verantwortung für die Sozialkatastrophe? Stelle die Position Michel Browns zu dieser Frage dar und nimm Stellung. d) Metareflexion: Lässt sich in Bezug auf die Vielperspektivität in „Floodlines“ von einer ganzheitlichen oder wahr(er)en Darstellung sprechen? (M9) M8: The Atlantic: Podcast „Floodline“ und Transkript zum Podcast 8a: Podcast Floodlines (Newkirk 2020a): https://www.theatlantic.com/podcasts/floodlines/ 8b: Transkript zum Podcast (Newkirk 2020b): https://www.theatlantic.com/floodlinestranscript/

6 Perspektivenwechsel

77

8c: Über-Podcast: US-Podcast „Floodlines“ – Dokumentation eines staatlichen Versagens (von Anna Bühler, gesendet am 31.07.2020, Deutschlandfunk) M9: Selbstbeschreibung des Magazins „The Atlantic“ „No story is ever complete, no argument is ever perfect, and debates worth having tend to shift and turn more than they end. So we can never rely on a single point of view, or even a ,balance‘ of two. Important ideas, observations, points, and counterpoints can come from anywhere – from across the political spectrum – so we have to look everywhere for them.“ (The Atlantic, 2020: o. S.)

5. Mediale Darstellung und Erinnerungskultur „Hurrikan Katrina“ und seine Folgen wurden in zahlreichen kulturellen Zeugnissen medial verarbeitet. a) Von der Nachrichtenberichterstattung wurden die Opfer, die aufgrund des Hurrikans ihr Hab und Gut und ihre Heimat hinter sich lassen mussten, häufig als „Flüchtlinge“ statt als „Einwohner“ New Orleans‘ adressiert (Dickel & Kindinger, 2015: 11). Erläutere den Eindruck, der durch die Bezeichnung „Flüchtlinge“ hervorgerufen wird. Stelle mögliche politische und soziale Implikationen dar, die die Verwendung des Begriffs mit sich bringen. b) Analysiere und vergleiche dir zugängliche offizielle, fiktionale, dokumentarische, persönliche oder künstlerische Antworten auf die soziale Katastrophe im Zusammenhang mit „Hurrikan Katrina“. Was wird von wem auf welche Weise erinnert, erzählt, visualisiert und politisiert? Was wird verschwiegen oder vergessen? Welche Narrative lassen sich unterscheiden? Welche Narrative sind machtvoll und welche nicht? Beitrag zum fachlichen Lernen Ausgangspunkt ist ein lohnendes alltagsweltliches Phänomen, das an die Lebenswelt der Schüler*innen anknüpft, das sie zugleich aber auch irritiert, sodass sie von sich aus beginnen, sich für das Phänomen zu interessieren und Fragen zu stellen. Das Fach Geographie vermittelt keine einfachen Weltbilder. Vielmehr gilt es, Brüche und Diskontinuitäten auszuhalten, um Widersprüchlichkeiten zwischen makroperspektivischen und mikroperspektivischen, zwischen statischen und genetischen, zwischen berichtenden und künstlerischen sowie zwischen natur- und humangeographischen Perspektivierungen handhaben zu können. Es ist die Kunst der Lehrperson, diese Perspektiven im Sinne der Erkenntnisgewinnung zu öffnen. Das darf sie zugleich nicht davon abhalten, das prinzipiell unabgeschlossene prozesshafte Bildungsgeschehen auch immer wieder zu schließen. Denn jede mikrologische Untersuchung führt zu ganz konkreten, lebensweltlich relevanten und darstellbaren Ergebnissen, Einsichten und Fähigkeiten. In diesem Unterricht üben sich Schüler*innen in kritisch-emanzipatorischer Erkenntnis. Sie

78

M. Dickel

erlernen eine fachliche Haltung, die der Komplexität der modernen Gesellschaft, die durch vielfältige und sich überlagernde, z. T. disparate Wissensformen charakterisiert ist, gerecht wird. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S17 „das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] beschreiben und analysieren“ (DGfG, 2020: 15); S18 „Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] erläutern“ (ebd.) • Beurteilung/Bewertung: S8 „geographisch relevante Sachverhalte und Prozesse […] in Hinblick auf diese Normen und Werte bewerten“ (ebd.: 25) • Handlung: S2 „kennen schadens- und risikovorbeugende/-mindernde Maßnahmen […]“ (ebd.: 27) Umwelt-Interaktionen haben sich neben der Physio- und der Humangeographie als dritte Säule des Faches etabliert. Durch Anwendung und Reflexion des mehrdimensionalen Perspektivenwechsels wird die Einsicht in Möglichkeiten und Grenzen erkenntnistheoretischer Figuren geschult. Dabei zielt der Perspektivenwechsel nicht auf die Herstellung einer glatten Oberfläche im Sinne eines kohärenten, einheitlichen Verständnisses des Unterrichtsgegenstandes. Vielmehr differenzieren die verschiedenen Formen des Hinsehens unsere Wahrnehmungen und vertiefen unser Verständnis des Gegenstandes. Das entstehende Bild ist auch durch Brüche, Widersprüche und Leerstellen gekennzeichnet. Durch den Perspektivenwechsel ergibt sich ein sich wechselseitig inspirierendes dynamisches Gefüge, das kein fixes System bildet und zugleich ein sinnvolles Verstehen des Geschehens erst ermöglicht. Denn an den Widersprüchen setzt immer wieder neues Fragen als Ausgangspunkt für neue Lernbewegungen an. Der Unterricht ist auf mediale Repräsentationen angewiesen. Medien bilden das Ereignis nicht wirklichkeitsgetreu ab, sondern inszenieren es. Durch die Analyse unterschiedlicher medialer Repräsentationsformen wird Beurteilungskompetenz geschult. Klassenstufe und Differenzierung Klassenstufe 9–13 Die Unterrichtseinheit eignet sich ab Klasse 9 insbesondere für die Oberstufe in Kursen mit grundlegendem oder erhöhtem Anforderungsniveau. Möglichkeiten der Differenzierung sind aufgrund der Aufgaben unterschiedlichen Komplexitätsgrades gegeben und ergeben sich organisch aus der Phase der Problematisierung mit der Öffnung von Fragen für den weiteren Unterrichtsverlauf im Einstieg. Die Differenzierung wird als individuelles Lernen in Kooperation am gemeinsamen Gegenstand im inklusiven Unterricht organisiert (vgl. Müller et al., 2015).

6 Perspektivenwechsel

79

Räumlicher Bezug USA, Südstaaten, New Orleans Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System) Österreich: Interessen, Konflikte und Macht, Mensch-Umwelt-Beziehungen Schweiz: Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.1d, 3.1e, 3.3a, 3.3b)

6.4 Transfer Inhaltlich bietet sich ein Transfer auf Fallbeispiele an, in denen die Sozialkatastrophe durch Naturrisiken anderer Art ausgelöst wurden, z. B. Tsunamis, Erdbeben, Sandstürme, Lawinen. Der methodische Zugriff des Perspektivenwechsels als epistemisches Werkzeug bietet sich bei Themen z. B. der Politischen Geographie, u. a. der Erforschung von Ressourcenkonflikten, oder der Stadtgeographie, u. a. der Erforschung städtischer Lebenswelten, an. Bei allen Themen, die als klassisch naturgeographisch gelten, wie Natur- und Artenschutz, Biodiversität, Ökosysteme, Landschaftsplanung und Landschaftswandel, lassen sich durch Perspektivenwechsel verborgende Dimensionen erhellen. Neben der Reflexion über gängige und ungewöhnliche Perspektivierungen des Gegenstandes ist Reflexivität anzustreben, die Bewusstwerdung über die eigene Positionalität und Situiertheit. Über Reflexion und Reflexivität im Hinblick auf Perspektivierungen können emanzipatorische Bildungsprozesse angestoßen werden. Weiterführend: Dickel, M., Kanwischer, D. & Schneider, A. (2007). Tsunamis – Ereignisse an der Grenze zwischen Mensch und Natur. In geographie heute 255/256 (Themenheft: Kompetenzen, Standards, Aufgaben), 24–28. Verweise auf andere Kapitel • Borukhovich-Weis, S., Gryl, I. & Lehner, M.: Innovativität. Öffentlicher Stadtraum – Recht auf Stadt. Band 2, Kapitel 7. • Felgenhauer, T., Gryl, I. & Fleischhauer, T.: Erkenntnisgewinnung. Fachgeschichte – humangeographische Paradigmen. Band 2, Kapitel 2. • Hintermann, C. & Pichler, H.: Dekonstruktion. Flucht und Migration – Mediale Repräsentation. Band 2, Kapitel 14. • Meurel, M., Lindau, A.-K. & Hemmer, M.: Exkursionsdidaktik. Stadtentwicklung – Gentrifizierung. Band 2, Kapitel 8. • Meyer, C.: Wertebildung. Landwirtschaft – Tierwohl. Band 1, Kapitel 15. • Schröder, B. & Kübler, F.: Machtsensible geographische Bildung. Politische Ökologie – Klimagerechtigkeit. Band 1, Kapitel 22. • Schrüfer, G. & Eberth, A.: Globales Lernen. Verstädterung – Megacities. Band 2, Kapitel 5.

80

M. Dickel

Literatur Belina, B., Naumann, M., & Strüver, A. (Hrsg.). (2014H). Handbuch Kritische Stadtgeographie. Westfälisches Dampfboot. Müller Bösch, C. & A. Schaffner Menn (20152). Individuelles Lernen in Kooperation am Gemeinsamen Gegenstand im inklusiven Unterricht. In: Luder, R.; A. Kunz & C. Müller Bösch (Hrsg.): Inklusive Pädagogik und Didaktik (S. 75–116). PH. Dangschat, J. S. (1998). Klassenstrukturen im Nach-Fordismus. In: Berger, P. A. & Vester, Michael (Hrsg.):Alte Ungleichheiten. Neue Spaltungen (S. 49–87). Wiesbaden. Deutsche Gesellschaft für Geographie (Hrsg.). (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den mittlerenSchulabschluss – mit Aufgabenbeispielen. DGFG. Dickau, R., & Pohl, J. (2011). Hazards: Naturgefahren und Naturrisiken. In: Gebhardt, H. et.al. (Hrsg.):Geographie. Physische Geographieund Humangeographie (S. 114–1169). Springer:Spektrum. Dikau, R., Weichselgartner, J., & Hufschmidt, G., et al. (2020). Gefahren – Risiken  – Katastrophen. In H. Gebhard (Hrsg.), Geographie. Physische und Humangeographie (S. 1101– 1142). Springer Spektrum. Dickel, M., Kanwischer D. & Schneider, A. (2007). Tsunamis – Ereignisse an der Grenze zwischen Mensch und Natur. In: Geographie heute. Themenheft: Kompetenzen, Standards, Aufgaben, 255/256, 4–28. Dickel, S., & Kindiger, E. (Hrsg.). (2015). After the storm. The cultural politics of hurricane katrina. transcript. Felgentreff, C., & Dombrowsky, W. R. (2007). Hazard-, Risiko- und Katastrophenforschung? In C. Felgentreff & T. Glade (Hrsg.), Naturrisiken und Sozialkatastrophen. Spektrum Akademischer Verlag. Gebhardt, H. (2011). Natural and man-made Hazards. In H. Gebhardt et al. (Hrsg.), Geographie. Physische und Humangeographie (S. 1118). Heidelberg: Springer Spektrum. Hahn, B. (2005). Die Zerstörung von New Orleans – mehr als eine Naturkatastrophe. Geographische Rundschau, 57(11), 60–62. Hasse, J. (Hrsg.) (1993). Vielperspektivischer Geographieunterricht. Selbstverl. des Fachgebietes Osnabrück im Fachbereich Kultur- und Geowiss. der Univ. Osnabrück. Hasse, J., & Isenberg, W. (Hrsg.). (1991D). Die Geographiedidaktik neu denken. Perspektiven eines Paradigmenwechsels. Thomas-Morus-Akademie. Häußermann, H., & Kapphan, A. (2000). Berlin: von der geteilten zur gespaltenehn Stadt?Sozialräumlicher Wandel seit 1990. Opladen. ioerror (flickr user) (2005). Katrina Go Away sign.jpg. https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=1617338 (12.09.2005). Mattissek, A., & Sakdapolrak, P., et al. (2016). Gesellschaft und Umwelt. In T. Freytag (Hrsg.), Humangeographie kompakt (S. 13–37). Springer. Michael, T. (Hrsg.). (2008D). Diercke Weltatlas. Westermann. Newkirk II, V. R. (2020a). Floodlines. The story of an unnatural disaster. https://www.theatlantic. com/podcasts/floodlines/ (2020a). Newkirk II, V. R. (2020b). Floodlines. The story of an unnatural disaster. https://www.theatlantic. com/floodlines-transcript/ (2020b). Rhode-Jüchtern, T. (Moderation) (1996). Weltverstehen durch Perspektivenwechsel (Themenheft). Praxis Geographie, 26(4), 4–9.

6 Perspektivenwechsel

81

Rhode-Jüchtern, T. (2001). Perspektivenwechsel als Verstehenskultur. Über ein produktivkonstruktives Konzept für die Geographie. Internationale Schulbuchforschung. Themenheft Multiperspektivität im Geographieunterricht, 4, 423–438. Rhode-Jüchtern, T. (2002). Die Welt auf den Kopf stellen?! Erkennen durch Perspektivenwechsel. In W. Lütgert & P. Hallpap (Hrsg.), Didaktik in Jena. Aufgaben zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Beiträge des Zentrums für Didaktik, 1(13), 13–29. Rhode-Jüchtern, T. (2003). Narrative Geographie – Plot, Imagination und Konstitution von Wissen. In C. Vielhaber (Hrsg.), Fachdidaktik alternativ, innovativ. 28. Deutscher Schulgeographentag 2002 Wien. Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde Bd.17 (S. 48–61). Zentrum für Didaktik i. G. der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Rhode-Jüchtern, T. (2009). Eckpunkte einer modernen Geographiedidaktik – Hintergrundbegriffe und Denkfiguren. Klett Kallmeyer. Rhode-Jüchtern, T. (2012). Perspektiven und Visionen. In J.-B. Haversath (Hrsg.), Geographiedidaktik. Theorie – Themen – Forschung. (Das Geographische Seminar) (S. 64–68). Westermann. Rhode-Jüchtern, T. (2013). Perspektivenwechsel. In D. Böhn & G. Obermeier (Hrsg.), Wörterbuch der Geographiedidaktik (S. 214–215). Westermann Schulbuch. Scholz, E. (2008). New Orleans Vertreibung nach der Flut. https://idw-online.de/de/ news?print=1&id=273713 (12.08.2008). Segrest, M. (2015). Pump Station Protect New Orleans – Hurricane Katrina’s 10th Anniversary. https://www.navigatecontent.com/blog/pump-stations-protect-new-orleans-hurricanekatrina?rq=katrina (29.08.2015). The Atlantic (2020). Who We Are. Embrace a diversity of perspectives. https://www.theatlantic. com/history/ (2020).

7

Schülervorstellungen Konzeptveränderung am Beispiel der Entstehung von Jahreszeiten Wolfgang Gerber und Kati Barthmann

 Teaser  Häufig

werden Lehrer*innen mit Alltagsvorstellungen ihrer Schüler*innen beispielsweise zu astronomischen Sachverhalten im Unterricht überrascht. Diese sind meist wissenschaftlich nicht korrekt, halten sich trotz Unterrichts aber hartnäckig (Tab. 7.1). Als Lernvoraussetzung spielen Schülervorstellungen eine große Rolle – sie nachhaltig zu verändern, macht fachdidaktisches Professionswissen zum Umgang mit ihnen unabdingbar. Der Ansatz des Conceptual Change ist eine Möglichkeit, Schülervorstellungen nachhaltig zu verändern.

Mit großem Bedauern merken die Herausgeber*innen an, dass Herr Gerber vor Erscheinen dieses Buches verstorben ist.

W. Gerber  (Lehrer i. R.), Leipzig, Deutschland K. Barthmann (*)  Didaktik der Geographie, Universität Bayreuth, Bayreuth, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_7

83

84

W. Gerber und K. Barthmann

7.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Erde im Sonnensystem – Erderwärmung und Entstehung von Jahreszeiten Bereits die frühen Menschen haben in der Urzeit gen Himmel geschaut, kamen doch die meisten, für sie unerklärbaren Naturphänomene wie Regen, Donner und Blitz, und damit auch das Feuer, vom Himmel her. So entwickelte sich im Laufe der Zeit die Astronomie als eine der ersten grundlegenden Wissenschaften der Menschheit. Kopernikus veränderte fundamentale Einstellungen der Menschheit durch sein heliozentrisches Weltbild; Galileo und Kepler leisteten mit ihren mathematischen Erkenntnissen zur Umlaufbahn der Planeten um die Sonne elementare Beiträge zum korrekten Verständnis astronomischer Prozesse und derer Auswirkungen auf unseren Planeten – beispielsweise für die Entstehung der Jahreszeiten. Astronomische Kenntnisse in den Geographieunterricht einfließen zu lassen, ist unabdingbar, erklären sie doch viele Erscheinungen und Prozesse auf der Erde (Tab. 7.1) Weiterführende Leseempfehlung Gerber, W. (2012): Die Geburt der Erde. Erd- und Mondentstehung, Landschaftsevolution, Lebensentwicklung. In: geographie heute, Heft 299, S. 12–19. Problemorientierte Fragestellung Wieso ist es im Sommer wärmer als im Winter?

7.2 Fachdidaktischer Bezug: Schüler*innenvorstellungen und Conceptual Change Schüler*innen haben bereits Alltagstheorien (Präkonzepte, subjektive Theorien) über geographische Sachverhalte oder Phänomene entwickelt, bevor sie im Unterricht behandelt und dort mit einer wissenschaftlichen Theorie konfrontiert werden (Krüger, o. J.). Aus lernpsychologischer Sicht sind sie individuelle erfahrungsbasierte mentale Repräsentationen. Sie unterscheiden sich häufig von fachwissenschaftlichen Sichtweisen und sind oft persistent. Als Lernvoraussetzung spielen sie eine zentrale Rolle im Lernprozess (Reinfried, 2015). Aus Sicht von Lehrkräften werden sie kontextabhängig als Lernhindernis, -chance oder beides wahrgenommen (Barthmann, 2018). Die Wahrnehmung als Lernhindernis ist eng verbunden mit Lernschwierigkeiten. In der Geographie trifft das verstärkt – aber nicht nur – auf physiogeographische bzw. komplexe Sachverhalte (Treibhauseffekt, Klimawandel) zu. Lehrkräfte tendieren dann dazu, die Schüler*innenvorstellungen durch das fachwissenschaftlich richtige Wissen ersetzen zu wollen. Da nach konstruktivistischer Lernauffassung Wissen aber nicht von einer Person auf die andere übertragen werden kann, bleiben infolgedessen nachhaltige Lernerfolge meist aus.

7 Schülervorstellungen

85

Tab. 7.1  Ausgewählte Schüler*innenvorstellungen und die wissenschaftliche Sichtweise (Gerber, 2006; Gryl, 2005; Leufke, 2011; Raber, 2015) Lebensweltliche Vorstellungen

Wissenschaftliche Sichtweise

Im Vorschul- und Grundschulalter Sterne sind Engel am Himmel.

Sterne sind überdimensionale Gaskugeln, die durch Kernfusion selbst leuchten und viele Lichtjahre von der Erde entfernt sind.

Im Sommer stauen sich die Abgase in den Wolk Die Ursache für die Entstehung der Jahresen und im Winter fallen sie als Schnee herunter. zeiten liegt in der Kreisbewegung der Erde um die Sonne und in der Schiefe der Ekliptik. Das Zusammenspiel beider be dingt, dass mal die Nord- und mal die Südhalbkugel der Sonne stärker zugewandt ist. Je kleiner der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen ist, desto geringer ist die Strahlungsenergie auf dieser (größeren bestrahlten) Fläche. Daraus resultieren niedrigere Temperaturen (Winter). In den Sekundarstufen I und II Es ist bei uns auf der Nordhalbkugel Sommer, w enn die Erde auf ihrer Ellipsenbahn um die Sonn e zu dieser den geringsten Abstand hat.

Im Sommer der Nordhalbkugel ist der Abstand Sonne – Erde am größten, im Winter am geringsten. Die wärmeren Sommertemperaturen ergeben sich durch einen relativ großen Einfallswinkel der Sonnenstrahlen auf die Erdoberfläche, wenn die Nordhalbkugel der Erde aufgrund der Schrägstellung der Erdachse stärker der So nne zugeneigt ist.

Im Sommer sind die Tage länger als im Winter.

Wenn die Nordhalbkugel zur Sonne geneigt ist, ist der beleuchtete Bereich dort größer als auf der Südhalbkugel. Dadurch dreht sich der Ort auf der Nordhalbkugel früher ins Sonnenlicht und später wieder heraus.

Der Mond und die Planeten leuchten selbst.

Nur die Sonne besitzt unter den Körpern im Sonnensystem eine eigene Leuchtkraft, die durch Kernfusion entsteht. Alle anderen Körper im Sonnensystem sind zu massenarm für den Prozess der Kernfusion. Sie werden von der Sonne angestrahlt und reflektieren das Sonnenlicht.

Die schrittweise Veränderung von Schüler*innenvorstellungen erfordert eine andere Herangehensweise an die Planung und Durchführung von Unterricht. Die Strategie des Conceptual Change zielt auf die Veränderung von bestehendem Wissen durch Unterricht (Reinfried, 2008) ab (Abb. 7.1). Change ist dabei nicht als abrupter Wechsel, sondern als schrittweise Veränderung zu verstehen. Ausgangspunkt der Unterrichtsplanung

86

W. Gerber und K. Barthmann

Abb. 7.1   Ein Modell zum Verlauf konstruktivistischer Lehr-Lern-Sequenzen (eigene Abb., verändert nach Widodo & Duit, 2015, S. 135)

muss zunächst die didaktische Rekonstruktion (Kattmann et al., 1997) sein. Nach dem kognitiven Ansatz von Posner et al. (1982) müssen für eine erfolgreiche Konzeptveränderung in der didaktischen Strukturierung vier Bedingungen erfüllt sein: Durch Provozieren eines kognitiven Konflikts, indem man beispielsweise einen Widerspruch zwischen der Schüler*innenvorstellung und der wissenschaftlichen Vorstellung entdecken oder mehrere widersprüchliche Schüler*innenvorstellungen vergleichen lässt, soll Unzufriedenheit mit der eigenen Vorstellung induziert und zum Lernen motiviert werden, sodass die Lernenden mit ihrer bisherigen Vorstellung den wissenschaftlichen Sachverhalt nicht mehr erklären können. Verständlichkeit und Plausibilität der neuen Vorstellung können durch konstruktivistisch ausgerichtete Lernumgebungen mit komplexen Lernaufgaben angebahnt werden. Eine Vorstellungsveränderung ist erst erfolgreich, wenn die Schüler*innen erleben und reflektieren, dass sich die neue wissenschaftliche Vorstellung auch bei der Anwendung in anderen Kontexten bewährt, also als fruchtbar erweist. Widodo und Duit (2015: 135) haben ein Modell zum Verlauf konstruktivistischer LehrLern-Sequenzen entwickelt:

7 Schülervorstellungen

Abb. 7.2   Abstand Erde – Sonne im Sommer und Winter (Barthmann, eigene Darstellung)

Abb. 7.3   Stellung der Erde zu verschiedenen Jahreszeiten (eigene Darstellung)

87

88

W. Gerber und K. Barthmann

Demnach erfolgt der Unterricht in fünf Phasen: Orientierung: Vertrautmachen mit dem Phänomen, dem Unterrichtsgegenstand, Bewusstmachen der individuellen Vorstellungen dazu Erkunden: Klärung und Austausch von/über SV (Kundtun der eigenen Vorstellung, Austausch mit anderen Schüler*innen) Umstrukturieren: Kognitiven Konflikt induzieren (Unzufriedenheit) Vorstellungsveränderung durch Konstruktion (Erarbeitung) neuen Wissens anbahnen (Verständlichkeit und Plausibilität) (Abb. 7.2, Abb. 7.3) Anwenden: Übertragen der neuen Vorstellung auf eine andere, vergleichbare Situation (Fruchtbarkeit) Überprüfen und Bewerten der neuen Vorstellung: Präsentation, (Meta-)Reflexion, Bewertung der individuellen Vorstellungsveränderung Weiterführende Leseempfehlung Reinfried, S. (Hrsg.) (2010): Schülervorstellungen und geographisches Lernen. Aktuelle Conceptual-Change-Forschung und Stand der theoretischen Diskussion. Logos. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Didaktische Rekonstruktion, Konstruktivismus, metakognitives Lernen

7.3 Unterrichtsbaustein: Die Entstehung der Jahreszeiten Zum Erreichen der Zielstellung der Unterrichtseinheit sind astronomische Kenntnisse erforderlich. Orientierung und Hervorlocken der Schüler*innenvorstellungen Die Unterrichtsstunde beginnt mit der bildhaft unterstützten Frage, warum es im Sommer eigentlich wärmer als im Winter sei. Die Schüler*innen stellen Hypothesen auf und aktivieren ihre Alltagsvorstellungen, notieren diese oder zeichnen sie auf (Heft, Tablet). Vermutlich wird die Distanztheorie als zentrales Denkkonzept aktiviert werden. Idealerweise erhalten die Schüler*innen Gelegenheit, sich über ihre Vorstellungen auszutauschen. In einer konstruktivistisch ausgerichteten Lernumgebung erhalten die Schüler*innen nun in der Umstrukturierungsphase (= Erarbeitung der fachwissenschaftlichen Sichtweise) Lerngelegenheiten, um an ihren Alltagsvorstellungen zu arbeiten.

7 Schülervorstellungen

89

Umstrukturierung Baustein: Erdumlaufbahn – Distanztheorie – Problemfindung – kognitiver Konflikt Frage: In welcher Jahreszeit ist der Abstand von der Erde zur Sonne größer/kleiner? Ziel: kognitiven Konflikt durch Gegenüberstellung von  Schüler*innenvorstellung und wissenschaftlicher Vorstellung auslösen und situatives Interesse induzieren. Die Beschreibung der Erdbahn als Ellipse mit der Sonne in einem der Brennpunkte stellt für die Lernenden kein Problem dar, jedoch erkennen sie schnell, dass der Abstand Erde – Sonne nicht entscheidend für die Entstehung der Jahreszeiten ist. Umstrukturierung Baustein: Einfallswinkel der Sonnenstrahlen – Strahlungsenergie – Erwärmung der Erdoberfläche Arbeit mit dem Tellurium und/oder Versuch Taschenlampe und A4-Blatt Aufgabe: Forschungsauftrag 1: Überlegt euch eine Strategie, wie ihr mithilfe des Modells oder Versuchs herausfinden könnt, was dann wohl eine Bedingung dafür ist, dass es bei uns Sommer und Winter gibt. Ziel: Die Schüler*innen nennen den Einfallswinkel der Sonnenstrahlen als eine Bedingung für die Entstehung von Jahreszeiten. Sie können erklären, dass Sonnenstrahlen mit unterschiedlichen Einfallswinkeln auf die Erdoberfläche treffen. Je steiler die Strahlen auf einen Teil der Erdoberfläche treffen, umso mehr Strahlungsenergie trifft dort auf und führt zu einer starken Erwärmung. Je flacher der Winkel ist, umso weniger Energie ist auf einer Fläche, umso weniger Wärmeentwicklung entsteht, umso kälter ist es. Binnendifferenzierung: durch freies Experimentieren oder Experimentieren nach Anleitung, durch freies Formulieren der Erkenntnis oder Ausfüllen eines Lückentextes. Baustein: Erdrevolution Experimentieren mit dem Tellurium oder einer Taschenlampe und Styroporkugel (Erde) Forschungsauftrag 2: Stellt die Bewegung der Erde um die Sonne nach. Fertigt eine einfache Skizze an, die die Bewegung der Erde um die Sonne korrekt darstellt. Beschriftet die Skizze mit: Sonne, Erde, Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Erklärt mit euren eigenen Worten die weitere Bedingung für Jahreszeiten auf der Erde. Ziel: Die Schüler*innen erklären, dass die Bewegung der Erde um die Sonne und die dabei unveränderte Schrägstellung der Erdachse die eigentlichen Ursachen für die Entstehung der Jahreszeiten sind.

90

W. Gerber und K. Barthmann

Anwenden der neuen Vorstellung: Auswahl von 3 von 6 je nach Interesse, Beantwortung in Partner*innenarbeit • Warum trägt Santa Claus in Australien am Heiligen Abend kurze Hosen? • Was würde mit den Jahreszeiten passieren, wenn die Erde nicht geneigt wäre? • Dein dreimonatiger Schüleraustausch in Argentinien beginnt am 1. September – welche Kleidung packst du überwiegend in deinen Koffer? • Wann und wieso gibt es am Nordpol Polarnacht und Polartag? • Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Entstehung der Jahreszeiten und dem anthropogen verursachten Klimawandel? Ziel: Alltagsbezüge herstellen, Anwenden des neuen Wissens in anderen Kontexten, Erfahren, dass Alltagsvorstellungen zwar nicht falsch sind, aber wissenschaftliches Wissen notwendig ist, um geographische Phänomene richtig erklären zu können. Zudem kann das neue Wissen zur Medienkompetenz beitragen, indem Beiträge in digitalen oder Printmedien hinsichtlich ihrer Korrektheit kritisch beurteilt werden können. Überprüfen und Bewerten der neuen Vorstellung (individuelle(!) Metareflexion) Die Schüler*innen erhalten am Stundenende genügend Zeit, ihre Notizen/Zeichnungen zu ihrer Alltagsvorstellung durch ihr eigenes, neu erworbenes Wissen zu verändern, ergänzen, erweitern. Ziel: Die Metareflexionsphase ist notwendig, damit sich die Schüler*innen mit dem Fortschritt ihrer Konzeptveränderung bewusst auseinandersetzen. So sind sie in der Lage, ihre Kompetenzen in Bezug auf das Thema einzuschätzen und mögliche Verständnisschwierigkeiten aufzuzeigen. Die Lehrkraft kann durch individualisiertes Feedback mit geeigneten Methoden oder weiterführenden Aufgaben helfen, die Vorstellungen in Richtung fachlich korrektes Konzept zu schärfen. Beitrag zum fachlichen Lernen Die Entstehung der Jahreszeiten und damit auch die klimatischen Unterschiede auf globaler Ebene zu verstehen und deren Auswirkungen erklären zu können, ist eine Basiskompetenz, die im Geographieunterricht entwickelt wird. Der Conceptual Change als Unterrichtsstrategie ermöglicht nachhaltiges wissenschaftliches Lernen und die Entwicklung von vernetztem und systemischem Denken. Wissenschaftlich fundierte geographische Vorstellungen fördern die Wahrnehmung der Erde als komplexes System und sensibilisieren dafür, sie zu bewahren und aktiv mitzugestalten. Zudem leistet der Conceptual Change einen Beitrag zur Gewinnung von Einblicken in Gesetzmäßigkeiten und Regelhaftigkeiten zwischen natürlichen Gegebenheiten, die wiederum das Leben der Menschen in verschiedenen Räumen der Erde beeinflussen. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S1 „grundlegende planetare Merkmale (z. B. Größe, Gestalt, Aufbau, Neigung der Erdachse, Gravitation) beschreiben“ (DGfG, 2020: 13); S2 „die Stellung

7 Schülervorstellungen

91

und die Bewegungen der Erde im Sonnensystem und deren Auswirkungen erläutern (Tag und Nacht, Jahreszeiten)“ (ebd.) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S5 „problem-, sach- und zielgemäß Informationen […] durch einfache Versuche und klassische Experimente gewinnen [z. B. mit Tellurium]“ (ebd.: 20); S6 „geographisch relevante Informationen aus analogen […] Informationsquellen sowie aus eigener Informationsgewinnung strukturieren und bedeutsame Einsichten herausarbeiten“ (ebd.: 21); S8 „die gewonnenen Informationen in andere Formen der Darstellung […] umwandeln [z. B. graphische Darstellung der Erkenntnisse]“ (ebd.); S9 „selbstständig einfache geographische Fragen stellen und dazu Hypothesen formulieren“ (ebd.) Im Kompetenzbereich Fachwissen der Bildungsstandards im Fach Geographie (2020) wird ausgewiesen, dass die Schüler*innen das „[…] System Erde […] analysieren können. Hierbei sind Vernetzungen zu anderen Bezugswissenschaften wie Geophysik oder Astronomie herzustellen“ (DGfG, 2020: 10). In den Standards S1 und S2 wird konkretisiert, dass die Lernenden am Ende ihres gesamten schulischen Geographieunterrichts „grundlegende planetare Merkmale (z. B. Größe, Gestalt, Aufbau, Neigung der Erdachse, Gravitation) beschreiben und die Stellung und die Bewegungen der Erde im Sonnensystem und deren Auswirkungen erläutern (Tag und Nacht, Jahreszeiten)“ können (DGfG, 2020: 13). Das schließt das Wissen zu elementaren planetaren Merkmalen und zu Stellung und Bewegungen der Erde im Sonnensystem sowie deren Auswirkungen ein. Im Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung/Methoden entwickeln sie Fähigkeiten, mit geographisch/geowissenschaftlich/astronomisch relevanten Informationen bzw. Informationsquellen sachgerecht umzugehen. Die Fähigkeit der angemessenen Anwendung von Fachsprache, der Formulierung/Überprüfung von Hypothesen, die Ableitung neuer Einsichten und die Reflexion des Erkenntnisprozesses entsprechen einer wissenschaftspropädeutischen Bildung der Schüler*innen. Klassenstufe und Differenzierung Ab 7. Jahrgangsstufe Potenzial für eine Binnendifferenzierung besteht bei den Aufgabenstellungen hinsichtlich ihres Anforderungsniveaus und ihrer Komplexität. Ebenso kann beim Grad der Hilfestellung und der Steuerung durch die Lehrkraft variiert werden. Auch bei den Lernzugängen und beim Medieneinsatz ist Differenzierung möglich. Räumlicher Bezug Global Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System), Systemkomponenten (Struktur, Funktion), Maßstabsebenen (lokal, regional, national, international, global), Zeithorizonte (kurzfristig, mittelfristig, langfristig)

92

W. Gerber und K. Barthmann

Österreich: Maßstäblichkeit, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz: Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.1)

7.4 Transfer Der Conceptual Change kann prinzipiell zu Vorstellungsveränderungen bei den meisten Themen im Geographieunterricht eingesetzt werden. Dies betrifft nicht nur physischgeographische Sachverhalte, sondern auch humangeographische Fragestellungen. Mit ihm zu arbeiten empfiehlt sich dann, wenn es um komplexe oder abstrakte Themen wie beispielsweise Klimawandel, Treibhauseffekt, Migration oder globale Bevölkerungsentwicklung geht. Der Conceptual Change unterstützt dabei, die eigene Vorstellung im jeweiligen Kontext einzuordnen, um sich dann individuell und schrittweise einer fachwissenschaftlich angemessenen Sichtweise nähern zu können. Elementar ist, die Schüler*innen zu befähigen, dem jeweiligen Thema innewohnende Strukturen und Gesetzmäßigkeiten zu identifizieren, die dann systematisch bei verwandten Themen zur möglichst selbstständigen Wissensaneignung angewendet werden können. Verweise auf andere Kapitel • Felgenhauer, T., Gryl, I. & Fleischhauer, T.: Erkenntnisgewinnung. Fachgeschichte – humangeographische Paradigmen. Band 2, Kapitel 2. • Frenzel, P. & Bruzzi, G.: Entdeckendes und forschendes Lernen. Erdgeschichte – Geologie und Paläontologie. Band 1, Kapitel 3. • Gryl. I. & Hemmer, M.: Metakognitives Lernen. Grundlagen des Fachs – Gegenstandsbereich, Erkenntnisinteresse, Wege der Erkenntnisgewinnung und Legitimation. Band 1, Kapitel 2. • Rosendahl, N. & Peter, C.: Experimentieren. Boden – Winderosion. Band 1, Kapitel 5.

Literatur Barthmann, K. (2018). Vorstellungen von Geographielehrkräften über Schülervorstellungen und den Umgang mit ihnen in der Unterrichtspraxis. Dissertation. Bayreuth. online unter http://nbnresolving.org/urn:nbn:de:bvb:703-epub-3714-2 (zuletzt aufgerufen 25.11.2021). Barthmann, K. & Conrad, D. (2018). Schülervorstellungen nutzen – Konstruktivistischer Umgang mit Schülervorstellungen. In: G. Obermaier (Hrsg.): Bayerischer Schulgeographentag 2018. Bayreuther Kontaktstudium Geographie, Bd. 10 (S. 25–41). Verlag Naturwissenschaftliche Gesellschaft Bayreuth e.V. Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG) (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss mit Aufgabenbeispielen. Selbstverlag Deutsche Gesellschaft für Geographie. Gerber, W. (2006). Deep Impact! Eine Unterrichtseinheit zu Auswirkungen kosmischer Einflüsse auf das System Erde-Mensch. Geographie heute, 45, 28–33.

7 Schülervorstellungen

93

Gryl, I. (2005). Entfernungsbestimmung in der Astronomie. Astronomie + Raumfahrt im Unterricht, 42(3), 9–12. Kattmann, U., Duit, R., Gropengiesser, H. & Kormorek, M. (1997). Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion – Ein Rahmen für naturwissenschaftsdidaktische Forschung und Entwicklung. Online unter https://www.researchgate.net/publication/271957189_Das_Modell_der_ Didaktischen_Rekonstruktion_-_Ein_Rahmen_fur_naturwissenschaftsdidaktische_Forschung_ und_Entwicklung/citations#fullTextFileContent (zuletzt aufgerufen 25.11.2021). Krüger, D. (o. J.). Die Conceptual Change-Theorie. Online unter https://link.springer.com/content/ pdf/https://doi.org/10.1007/978-3-540-68166-3_8.pdf (zuletzt aufgerufen 25.11.2021) Leufke, S. (2011). Klimazonen im Geographieunterricht  – Fachliche Vorstellungen und Schülervorstellungen im Vergleich. In: M. Hemmer, G. Schrüfer, G. & J. C. Schubert (Hrsg.): Münsteraner Arbeiten zur Geographiedidaktik Band 02, online unter urn: Nbn:De:Hbz:6–64449409681 [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:6-64449409681], S. 5. Posner, G. J., Strike, K. A., Hewson, P. W., & Gertzog, W. A. (1982). Accomodation of a scientific conception: toward a theory of conceptual change. Science Education, 66(2), 211–227. https:// doi.org/10.1002/sce.3730660207 Raber, A. (2015): Schülervorstellungen zur Entstehung der Jahreszeiten, Akademikerverlag. S. 58 ff. Akademikerverlag. Reinfried, S. (2015). Schülervorstellungen bei der Gestaltung von Unterricht berücksichtigen. In S. Reinfried & H. Haubrich (Hrsg.), Geographie unterrichten lernen. Die Didaktik der Geographie (S. 80–81). Mensch und Raum. Reinfried, S. (2008). Schülervorstellungen und Lernen von Geographie. geographie heute, 265, 8–13. Widodo, A., & Duit, R. (2015). Konstruktivistische Lehr-Lern-Sequenzen und die Praxis des Physikunterrichts. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften: ZfDN: Biologie, Chemie, Physik, 11, 131–146.

8

Faktische Komplexität und unsicheres Wissen im Geographieunterricht Die Golfstromzirkulation – Einfluss auf das Klima und mögliche Veränderungen infolge des Klimawandels Melissa Hanke, Ulrike Ohl und Sandra Sprenger

 Teaser  Faktische Komplexität ist ein Merkmal zahlreicher geographischer

Themen. Die Beschäftigung mit komplexen Inhalten und unsicherem Wissen birgt ein hohes Bildungspotenzial, da sie die Förderung vernetzten Denkens sowie eines kompetenten Umgangs mit unsicherem Wissen ermöglicht. Gewinnbringende methodische Zugänge, wie die Arbeit mit Concept Maps und eine Stärkung des Quellenbewusstseins, werden hier am Beispiel der Golfstromzirkulation dargestellt.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_8. M. Hanke (*)  Fakultät für Erziehungswissenschaft, Didaktik der Geographie, Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] U. Ohl  Institut für Geographie, Lst. für Didaktik der Geographie, Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Sprenger  Fakultät für Erziehungswissenschaft, Didaktik der Geographie, Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_8

95

96

M. Hanke et al.

8.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation Die Strömungen der Weltmeere stellen ein komplexes raumwirksames System dar. Sie werden durch die planetarischen Windsysteme angetrieben, von der Wassertemperatur und -salinität beeinflusst – und prägen das Klima auf der Erde maßgeblich. Für Europa hat speziell die Golfstromzirkulation eine hohe Relevanz (Bröckner & Kelletat, 2011). Das gesamte System der Golfstromzirkulation, das auch atlantische meridionale Umwälzbewegung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) genannt wird, wird umgangssprachlich häufig als Golfstrom bezeichnet. Dieser umfasst im engeren Sinne den windgetriebenen Strom an der amerikanischen Ostküste und damit einen Teil des Gesamtsystems. An den Golfstrom schließt nördlich der Nordatlantische Strom an, der durch Westwinde und die Corioliskraft auf der Nordhalbkugel nach Osten abgelenkt wird, sodass horizontal warmes tropisches Wasser an der Oberfläche

Abb. 8.1   Vereinfachte Darstellung der Golfstromzirkulation. (Quelle: DKK & KDM, 2017)

8  Faktische Komplexität und unsicheres Wissen …

97

in Richtung Europa strömt (vgl. Kasang, o. J.) (s. Abb. 8.1). Das an der Oberfläche überwiegend nach Norden strömende warme Wasser kühlt sich infolge des Wärmeaustausches zwischen Ozean und Atmosphäre ab. Dadurch wird die Lufttemperatur insbesondere in West- und Nordeuropa erhöht, sodass beispielsweise auf den Isles of Scilly eine Vegetation vorzufinden ist, wie sie typisch für die Subtropen ist. Gleichzeitig ist die Wassersalinität im nördlichen Bereich der Golfstromzirkulation aufgrund der hohen Verdunstung, insbesondere in den tropischen Herkunftsregionen der Wassermassen, hoch. Das folglich dichtere und schwerere Wasser sinkt aufgrund der höheren Dichte in den Absinkregionen zwischen Island und Südgrönland vertikal in tiefe Meeresschichten ab. Als kalter Tiefenstrom fließt das Wasser in den subtropischen Atlantik in Richtung Äquator zurück, wodurch wiederum salzhaltiges Wasser an der Oberfläche nach Norden gezogen wird. Dieser Absinkmechanismus am nördlichen Ende der Schleife ist folglich ein sehr wichtiger Antrieb der Golfstromzirkulation (vgl. MPI, 2017) und erfordert, dass das Wasser hinreichend salzig sowie hinreichend kalt wird. Da also die Temperatur und der Salzgehalt für die Golfstromzirkulation wichtig sind, spricht man von der “thermohalinen” Zirkulation (von griechisch “thermós” = warm, heiß und “halinos” = aus Salz bestehend) (DKK & KDM, 2017). Mögliche zukünftige Veränderungen des Golfstroms aufgrund des Klimawandels und damit zusammenhängende Auswirkungen werden in der Klimawissenschaft kontrovers diskutiert. Als entscheidende Einflussfaktoren gelten die Temperaturveränderung, die Veränderung der Salinität infolge abschmelzenden Eises, die Veränderung der CO2Menge in der Atmosphäre sowie sich verstärkende Rückkopplungseffekte. Während bezüglich einiger Faktoren eher ein Konsens besteht, liegen gleichzeitig wissenschaftliche Unsicherheiten in Form von Noch-Nicht-Wissen und Nicht-Wissen-Können vor. Meist wird eine Abschwächung des Golfstroms prognostiziert, es liegen aber differente Szenarien und Annahmen über Kipppunkte unter Berücksichtigung unterschiedlicher Einflussfaktoren vor (IPCC, 2019; DKK & KDM, 2017). So stuft der Weltklimarat eine Abschwächung der Golfstromzirkulation als „sehr wahrscheinlich“ ein. Diese könnte zu einer Verringerung der oberflächennahen Erwärmung im Nordatlantik führen, sodass die Lufttemperatur in Europa näher an das Niveau anderer Ozeanbecken in diesen Breiten gebracht werden könnte, sich also abkühlen würde. Ein vollständiger Zusammenbruch der Golfstromzirkulation gilt hingegen (mit „mittlerem Vertrauen“) als „eher unwahrscheinlich“ (Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle et al., 2020). Eine Analyse der Golfstromzirkulation und möglicher Veränderungen durch den Klimawandel bietet das Potential, die komplexe Thematik systemisch zu verstehen und dabei vernetztes Denken, das Quellenbewusstsein und den kompetenten Umgang mit unsicherem Wissen zu fördern. Weiterführende Leseempfehlung DKK (Deutsches Klima-Konsortium e. V.), KDM (Konsortium Deutsche Meeresforschung e. V.) (Hrsg.) (2017). Zukunft der Golfstromzirkulation. Fakten und Hintergründe aus der Forschung. Berlin. Online: https://www.deutsches-klima-konsortium.de/

98

M. Hanke et al.

fileadmin/user_upload/pdfs/Publikationen_DKK/Zukunft_der_Golfstromzirkulation_ DKK_KDM.pdf (06.01.2021). Problemorientierte Fragestellungen • Wie entsteht die Golfstromzirkulation und wie beeinflusst sie das Klima in Europa? • Wie könnte sich die Golfstromzirkulation aufgrund des Klimawandels verändern?

8.2 Fachdidaktischer Bezug: Faktische Komplexität und unsicheres Wissen Zahlreiche Themen des Geographieunterrichts, insbesondere die zukunftsrelevanten Themen aus den Bereichen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) und „Globales Lernen“, sind durch eine hohe faktische sowie ethische Komplexität geprägt. „Faktische Komplexität“ ist hierbei die Komplexität der Sachlage, also der fachlichen Zusammenhänge, während „ethische Komplexität“ ethische Unsicherheiten bezeichnet, d. h. ungeklärte Gewichtungen möglicher Handlungsziele (Bögeholz & Barkmann, 2005). Im Fokus dieses Beitrags steht die faktische Komplexität. Sie lässt sich genauer als Vielfalt und Vernetzung von Einflussgrößen charakterisieren, die durch mehrseitige und rückgekoppelte Wechselwirkungen geprägt sind (Rempfler & Uphues, 2011: 38), so auch im Beispiel der Golfstromzirkulation. Faktische Komplexität geht häufig einher mit fachlichen Kontroversen und unsicherem Wissen (Ohl, 2013, 2018). Im vorliegenden Beispiel zeigt sich dies in unterschiedlichen Expert*innenmeinungen und fachlichen Unsicherheiten hinsichtlich der Frage, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Golfstromzirkulation haben wird und welche Folgen daraus resultieren werden. So sind komplexe Themen zwar anspruchsvolle Themen des Geographieunterrichts, doch gerade sie enthalten ein hohes Bildungspotenzial, fördern sie doch beispielsweise vernetztes Denken und damit Systemkompetenz (Rempfler & Uphues, 2011), die wiederum eine wichtige Grundlage eigener Handlungsfähigkeit ist (Rieckmann, 2013). Darüber hinaus erhalten die Schüler*innen durch die Beschäftigung mit dem IPCCBericht und dem Interview mit Prof. Dr. Mojib Latif wertvolle Einblicke in die Wege wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung. Zielführende Prinzipien bei der Behandlung komplexer Themen im Unterricht sind insbesondere das Kontroversitätsprinzip, die Förderung der Argumentationsfähigkeit, das Explizit-Machen unsicheren Wissens, die Wissenschaftsorientierung, das Training von Quellenbewusstsein und die Anwendung reduktiv-organisierender Strategien (Ohl, 2018). Sie zielen darauf ab, faktische Komplexität durch sinnvolle Reduktionsstrategien zu verringern, ohne dabei relevante Inhalte und deren Vernetzung zu marginalisieren, und die Systemkompetenz der Schüler*innen zu fördern. Das richtige Maß von didaktischer Reduktion und angemessener Vereinfachung stellt hierbei einen Balanceakt dar (Mehren et al., 2015: 6; s. hierzu auch das Interview mit dem Klimawissenschaftler Mojib Latif in Abb. 8.2).

8  Faktische Komplexität und unsicheres Wissen …

99

Abb. 8.2   Mojib Latif (Foto: © Jan Steffen, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel)

Der Unterrichtsvorschlag zur Golfstromzirkulation zielt auf eine Erschließung der komplexen fachlichen Zusammenhänge durch eine reduktiv-organisierende Strategie, nämlich die Arbeit mit Concept Maps ab, die die Schüler*innen auf der Grundlage von sinnvoll didaktisch reduzierten Materialien erstellen und sukzessive ausdifferenzieren. Darüber hinaus trainieren die Lernenden den Umgang mit unsicherem fachlichem Wissen, indem sie ihr Quellenbewusstsein schulen und nachvollziehen, wie die Wissenschaftler*innen des Weltklimarats IPCC (International Panel of Climate Change) fachliche Unsicherheiten aufgreifen. Infobox 8.1: Experteninterview mit Prof. Dr. Mojib Latif zum Umgang mit fachlichen Unsicherheiten

„Herr Professor Latif, wie kann es Lehrkräften gelingen, bei der Vermittlung von Inhalten zum Klimawandel ein sinnvolles Maß im Umgang mit relativ gesicherten Erkenntnissen und unsicherem Wissen zu finden?“ Mojib Latif: „Wir Menschen gehen tagtäglich mit Unsicherheiten um, es ist uns aber nicht bewusst. Unsicherheit gehört zum Alltagsleben. Wir bewerten pausenlos die Wahrscheinlichkeit dafür, ob uns etwas passieren kann, zum Beispiel wenn wir in ein Auto oder Flugzeug steigen. Unsicherheit ist allgegenwärtig und führt nicht dazu, dass die Menschen nicht entscheiden. Was den Klimawandel anbelangt, gibt es relativ gesicherte Erkenntnisse wie zum Beispiel, dass ein Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration infolge anthropogener Emissionen zu einer globalen Erwärmung führen muss, was u. a. zu mehr Hitzewellen führt und die

100

M. Hanke et al.

Meeresspiegel steigen lässt. Klar ist also, dass der globale Klimawandel stattfindet, der Mensch die Ursache und der Wandel gefährlich ist. Gerade was die regionalen klimatischen Auswirkungen der globalen Erwärmung angeht und ihre Auswirkungen auf die Ökosysteme, gibt es zum Teil große Unsicherheiten. Das sollte man auch so kommunizieren. Auf jeden Fall darf nicht der Eindruck entstehen, dass Wissenschaft allwissend und unfehlbar ist. Sonst liefe die Wissenschaft Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Entscheidungen können immer nur auf der Basis des aktuellen Kenntnisstands getroffen werden.“

Weiterführende Leseempfehlung Ohl, U. (2018). Herausforderungen und Wege eines systematischen Umgangs mit komplexen Themen in der schulischen Nachhaltigkeitsbildung. In T. Pyhel (Hrsg.), Zwischen Ohnmacht und Zuversicht? Vom Umgang mit Komplexität in der Nachhaltigkeitskommunikation (S. 131–146). München: Oekom Verlag. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Systemkompetenz, Wissenschaftsorientierung, Kontroversitätsprinzip, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Klimawandelbildung

8.3 Unterrichtsbausteine: Golfstromzirkulation und Klima(-wandel) Für die Umsetzung des Themas wurden zwei Unterrichtsbausteine konzipiert, deren Materialien im digitalen Materialanhang bereitstehen. Dabei wird exemplarisch die faktische Komplexität geographischer Themen und Fragestellungen aufgegriffen und die Vertrauenswürdigkeit von Quellen sowie der Umgang mit unsicherem Wissen thematisiert. Der Unterrichtsbaustein 1 (M1–M3) behandelt die Entstehung der Golfstromzirkulation und deren Beeinflussung des Klimas in Europa. Als kognitiv aktivierender visueller Impuls dient zum Einstieg ein Foto der subtropischen Vegetation der Isles of Scilly (s. Abb. 8.3). Nach einer systematischen Bildbeschreibung spekulieren die Schüler*innen darüber, wo das Foto aufgenommen worden sein könnte, und begründen ihre Äußerungen. Zu erwarten sind – aufgrund der abgebildeten Vegetation – Nennungen subtropischer Regionen. Im weiteren Verlauf stellen die Schüler*innen Vermutungen darüber an, wie es sich erklären lässt, dass auf der geographischen Breite der Isles of Scilly (49°55‘30"N) eine Vegetation vorzufinden ist, die wir eigentlich in den Subtropen vermuten. Sie reaktivieren hierbei ihr klima- und vegetationsgeographisches Vorwissen und trainieren ihre fachbezogenen Argumentationsfähigkeiten. Gemeinsam wird die

8  Faktische Komplexität und unsicheres Wissen …

101

Abb. 8.3   Isles of Scilly: Tresco Abbey Gardens. (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:TrescoAbbeyGardens.JPG#metadata)

Leitfrage aufgeworfen: Wie entsteht die Golfstromzirkulation und wie beeinflusst sie das Klima in Europa? Zur Erschließung dieser Leitfrage konzipieren die Schüler*innen in der Erarbeitungsphase eine Concept Map, in der sie die Golfstromzirkulation und deren Wirkungen auf das Klima in Europa darstellen. Dies geschieht auf Basis zweier Abbildungen (u. a. Abb. 8.1; Unterrichtsmaterial: M1 und M2) und eines Informationstextes (M3: Die Golfstromzirkulation). Mittels dieser reduktiv-organisierenden Strategie visualisieren sie die zentralen geographischen Einflussgrößen in ihrer Vernetzung und trainieren dabei ihre Systemkompetenz. Zur Leistungsdifferenzierung können Schlüsselbegriffe vorgegeben werden, die in der Concept Map verbindlich aufgegriffen werden sollen. Hierbei kann sich die Lehrkraft an der im Downloadbereich zu findenden möglichen Musterlösung für die Concept Map (vgl. Abb. 8.4) orientieren. Zur Präsentation und Sicherung der Ergebnisse und damit zur Beantwortung der Leitfrage der Stunde können die wichtigsten Zusammenhänge im Plenum besprochen und in einer reduzierten Concept Map an der Tafel zusammengefasst werden (ggf. unter Einbezug der Musterlösung, s. Abb. 8.4). Als Abschluss wird zum Training der methodischen Kompetenzen der Schüler*innen eine Metakognition empfohlen, bei

102

M. Hanke et al.

Abb. 8.4   Musterlösung Concept Map. (Quelle: eigene Konzeption, Illustration: Matthias Jung)

der im Plenum die Chancen und Herausforderungen der Erstellung von Concept Maps reflektiert werden. Der Unterrichtsbaustein 2 (M4–M6) behandelt die möglichen Veränderungen der Golfstromzirkulation aufgrund des Klimawandels und damit einhergehende mögliche Folgen. Im Einstieg nimmt die Lehrkraft Bezug auf die im Unterrichtsbaustein 1 erstellten Concept Maps und wirft die Leitfrage der Stunde auf: Inwiefern verändert sich die Golfstromzirkulation aufgrund des Klimawandels? Vermutungen und begründete Hypothesen der Schüler*innen werden gesammelt und fixiert, um später darauf zurückgreifen zu können. Zur Erarbeitung wird ein kurzer Film eingesetzt, anhand dessen die Schüler*innen die möglichen Implikationen des Klimawandels erarbeiten und auf dieser Grundlage ihre Concept Maps um die darauf bezogenen Aspekte erweitern (s. M4). Im Anschluss an die Präsentation, Diskussion und Sicherung der erarbeiteten Aspekte hinsichtlich möglicher Veränderungen der Golfstromzirkulation durch den Klimawandel lenkt die Lehrkraft das Unterrichtsgespräch auf die Frage, wie wahrscheinlich die Veränderungen der Golfstromzirkulation sind. Die Schüler*innen können dies anschließend quantitativ schätzen und ihre Schätzungen begründen. Im Unterrichtsgespräch erfolgt daraufhin die Überleitung zu der Frage, wie vertrauenswürdig eigentlich ein solches im Internet

8  Faktische Komplexität und unsicheres Wissen …

103

zu findendes Video ist. Zur Klärung dieser Frage beschäftigen sich die Schüler*innen mit Kriterien für vertrauenswürdige Informationsquellen (M5: Vertrauenswürdigkeit von Quellen). So können sie feststellen, dass es bei einem solchen Video erforderlich ist, zu überprüfen, inwiefern die vermittelten Informationen dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Genau dies geschieht nun durch einen Abgleich mit einer vertrauenswürdigen Quelle, nämlich einem Experteninterview mit dem renommierten Klimawissenschaftler Prof. Dr. Mojib Latif (M6: Interview mit dem Meteorologen Prof. Dr. Mojib Latif). Es wird deutlich, dass die Inhalte des Films – wenn auch vereinfacht – aus wissenschaftlicher Perspektive grundsätzlich zutreffend sind. Gleichzeitig zeigt sich im Interview und in einem Infotext zu Unsicherheiten in der Klimawissenschaft (M7), dass das Wissen in diesem Bereich noch mit gewissen Unsicherheiten einhergeht. Damit die Schüler*innen nachvollziehen können, dass Unsicherheit ein Merkmal wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse ist, recherchieren sie nun eigenständig im aktuellen IPCC-Report nach den Aussagen des Weltklimarats bezüglich der Entwicklung der Golfstromzirkulation. Die darin enthaltenen Angaben zu den Unsicherheiten in den Aussagen sollen sie anhand der Abstufungen des Weltklimarats (M7: Unsicherheiten in der Klimawissenschaft) einordnen. Abschließend erfolgt im Plenum eine Verständigung über die Ergebnisse unter Rückbezug auf die Vermutungen und Hypothesen aus der Einstiegsphase. Zur weiteren Vertiefung wäre eine Modifizierung der Concept Map unter Einbezug der neuen Erkenntnisse aus dem IPCC-Report möglich. Dieses Vorgehen ermöglicht eine Förderung des Wissenschaftsverständnisses der Schüler*innen wie auch von deren Quellenbewusstsein, welches aufgrund der Pluralität von Informationen zu geographischen Themen von hoher Relevanz ist. Beitrag zum fachlichen Lernen Durch die beiden Unterrichtsbausteine erweitern die Schüler*innen ihre fachwissenschaftlichen Kompetenzen im Bereich der Klima- und Vegetationsgeographie anhand eines aktuell diskutierten, zukunftsrelevanten Themas. Bei der Erschließung der beiden problemorientierten Leitfragen trainieren sie zugleich ihre Systemkompetenz (bezogen auf die Funktionsweise und Wirkung der Golfstromzirkulation und auf die möglichen Implikationen des Klimawandels), ihr Quellenbewusstsein (Merkmale vertrauenswürdiger Quellen) und ihre Fähigkeiten im Umgang mit unsicherem Wissen. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S5 „vergangene und zu erwartende naturgeographische Strukturen in Räumen (z. B. Lageveränderung der geotektonischen Platten, Gletscherveränderungen) erläutern [hier am Beispiel der Golfstromzirkulation im Kontext des Klimawandels]“ (DGfG, 2020: 14); S8 „das Zusammenwirken von Geofaktoren und einfache Kreisläufe (z. B. Höhenstufen der Vegetation, Meeresströmungen und Klima, Ökosystem tropischer Regenwald, Wasserkreislauf) als System darstellen“ (ebd.)

104

M. Hanke et al.

• Erkenntnisgewinnung/Methoden: S8 „die gewonnenen Informationen in andere Formen der Darstellung (z. B. Zahlen in Karten oder Diagramme, Fotos, Texte, Links u. v. m. in multimediale geographische Darstellungsformen) umwandeln“ (ebd.: 21) • Beurteilung/Bewertung: S3 „aus klassischen und modernen Informationsquellen (z. B. Schulbuch, Zeitung, Atlas, Internet) sowie aus eigener Geländearbeit gewonnene Informationen hinsichtlich ihres generellen Erklärungswertes und ihrer Bedeutung für die Fragestellung beurteilen“ (ebd.: 24) • Kompetenzen aus dem Bereich BNE und Globales Lernen: Förderung von Systemkompetenz (Rempfler & Uphues, 2011) und Gestaltungskompetenz (de Haan, 2009) Hinsichtlich der Kompetenzen im Bereich Erkenntnisgewinnung und Methoden trainieren die Schüler*innen im folgenden Unterrichtsvorschlag gezielt ihre Fähigkeiten zur Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit unterschiedlicher Quellen. Dies ist in Kontexten von hoher Relevanz, in denen der gesellschaftliche und fachliche Diskurs durch komplexe, unsichere oder widersprüchliche Sachinformationen geprägt ist, wie es auch beim hier im Fokus stehenden Thema der Fall ist. Klassenstufe und Differenzierung Die beiden Unterrichtsbausteine werden ab der 9. Jahrgangsstufe empfohlen, da gewisse klimageographische Grundkenntnisse erforderlich sind. Zur Differenzierung können, um das Anforderungsniveau zu vereinfachen, bei der Erstellung der Concept Maps von der Lehrkraft Schlüsselbegriffe vorgegeben werden, die in den Darstellungen der Schüler*innen aufgegriffen werden sollen. Dies erleichtert die Fokussierung auf die wesentlichen Aspekte, wie sie etwa in der Musterlösung aufgegriffen werden (vgl. Abb. 8.4). Für eine Anhebung des Anforderungsniveaus kann, insbesondere in der Sekundarstufe II, der Aspekt der Salinität noch weiter vertieft werden. Räumlicher Bezug Golfstromzirkulation (Atlantik, Golf von Mexiko und Europa, Isles of Scilly), globales Klimasystem, globale Meeresströmungen Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System), Systemkomponenten (Struktur, Funktion, Prozess), Maßstabsebenen (regional, national, international, global), Zeithorizont (langfristig), Raumkonzepte (Raum als Container, Beziehungsraum) Österreich: Raumkonstruktion und Raumkonzepte, Maßstäblichkeit, Mensch-UmweltBeziehungen, Geoökosysteme Schweiz: natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.2c, 1.3a), Mensch-UmweltBeziehungen analysieren (3.1a)

8  Faktische Komplexität und unsicheres Wissen …

105

8.4 Transfer Der Umgang mit faktischer Komplexität, der hier mit einem Fokus auf vernetztes Denken/Systemkompetenz, Quellenbewusstsein und Umgang mit unsicherem Wissen trainiert wird, ist in nahezu allen Themenfeldern der BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) und des Globalen Lernens relevant. Allein die Berücksichtigung unterschiedlicher Nachhaltigkeitsdimensionen (Ökonomie, Ökologie, Soziales, Politik) mit den ihnen zugehörigen Einflussgrößen und deren Vernetzungen führt zu einer ausgeprägten faktischen Komplexität, die oftmals mit unsicherem Wissen und damit mit der Frage nach verlässlichen Quellen einhergeht. So können die hier vorgestellten methodischen Zugänge (Arbeit mit Concept Maps als reduktiv-organisierende Strategie, Analyse der Vertrauenswürdigkeit von Quellen) sehr sinnvoll bei der Behandlung vieler Themen der BNE und des Globalen Lernens eingesetzt werden. Verweise auf andere Kapitel • Fögele, J. & Hoffmann, K. W.: Wissenschaftsorientierung. Folgen des Klimawandels. Band 1, Kapitel 20. • Fögele, J., Mehren, R. & Rempfler, A.: Systemkompetenz. Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff. Band 1, Kapitel 17. • Kanwischer, D.: Reflexion. Informationssektor – Geographien der Information. Band 2, Kapitel 26. • Keller, J., Blersch, M., Dannwolf, L., Plass, C. & Siegmund, A.: Fernerkundung. Globale Zirkulation – El Niño-Ereignisse. Band 1, Kapitel 9. • Kubisch, S., Keller, L. & Parth, S.: Klimawandelbildung. Ökozonen – Klimawandel. Band 1, Kapitel 13. • Meyer, C. & Mittrach, S.: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Welthandel – Textilindustrie. Band 2, Kapitel 20. • Reuschenbach, M. & Hoffmann, T.: Aktualitätsprinzip. Ökosysteme – Gefährdung von Lebensräumen. Band 1, Kapitel 18. • Scholten, N., Nöthen, E. & Sprenger, S.: Sprachbewusster Umgang mit Bildern. Klimawandel – Auswirkungen des Klimawandels. Band 1, Kapitel 21.

Literatur Bögeholz, S., & Barkmann, J. (2005). Rational choice and beyond: Handlungsorientierende Kompetenzen für den Umgang mit faktischer und ethischer Komplexität. In R. Klee & A. Sandmann (Hrsg.), Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik (Bd. 2, S. 211–224). Studienverlag. Bröckner, H., & Kelletat, D. (2011). Marine Regime. In H. Gebhardt, R. Glaser, U. Radtke, & P. Reuber (Hrsg.), Geographie. Physische Geographie und Humangeographie (S. 598–603). Springer. de Haan, G. (2009). Transfer 21. Bildung für nachhaltige Entwicklung. Hintergründe, Legitimation und (neue) Kompetenzen. Programm Transfer 21.

106

M. Hanke et al.

Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle, SCNAT & Umweltbundesamt GmbH. IPCC-Sonderbericht über den Ozean und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima (SROCC). Hauptaussagen (Finale Version vom 20. November 2020). https://www.de-ipcc.de/270.php#SROCC%20 %C3%9Cbersetzungen (28.01.2020). DGfG. (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss mit Aufgabenbeispielen (10. aktualisierte und überarbeitete Aufgabe). Bonn. DKK (Deutsches Klima-Konsortium e. V.) & KDM (Konsortium Deutsche Meeresforschung e. V.) (Hrsg.). (2017). Zukunft der Golfstromzirkulation. Fakten und Hintergründe aus der Forschung. Berlin. https://www.deutsches-klima-konsortium.de/fileadmin/user_upload/pdfs/Publikationen_ DKK/Zukunft_der_Golfstromzirkulation_DKK_KDM.pdf (06.01.2021). IPCC (2019). IPCC Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate. [H.O. Pörtner, D.C. Roberts, V. Masson-Delmotte, P. Zhai, M. Tignor, E. Poloczanska, K. Mintenbeck, A. Alegría, M. Nicolai, A. Okem, J. Petzold, B. Rama, N. M. Weyer (Hrsg.)]. Cambridge University Press. Kasang, D. (o. J.). Golfstrom. https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/Golfstrom (06.01.2021). Mehren, M., Mehren, R., Ohl, U., & Resenberger, C. (2015). Die doppelte Komplexität geographischer Themen – Eine lohnenswerte Herausforderung für Schüler und Lehrer. Geographie aktuell und Schule, 216, 4–11. Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI). (2017). Was ist der Golfstrom? https://mpimet.mpg. de/kommunikation/fragen-zu-klima-/-faq/was-ist-der-golfstrom (06.01.2021). Ohl, U. (2013). Komplexität und Kontroversität. Herausforderungen des Geographieunterrichts mit hohem Bildungswert. Praxis Geographie, 3, 4–8. Ohl, U. (2018). Herausforderungen und Wege eines systematischen Umgangs mit komplexen Themen in der schulischen Nachhaltigkeitsbildung. In T. Pyhel (Hrsg.), Zwischen Ohnmacht und Zuversicht? Vom Umgang mit Komplexität in der Nachhaltigkeitskommunikation (S. 131– 146). Oekom. Rempfler, A., & Uphues, R. (2011). Systemkompetenz im Geographieunterricht – Die Entwicklung eines Kompetenzmodells. In C. Meyer (Hrsg.), Geographische Bildung. Kompetenzen in didaktischer Forschung und Schulpraxis (S. 36–48). Westermann. Rieckmann, M. (2013). Schlüsselkompetenzen für Denken und Handeln in der Weltgesellschaft – Ergebnisse eines europäisch-lateinamerikanischen Experten-Delphis. In B. Overwien & H. Rode (Hrsg.), Bildung für nachhaltige Entwicklung. Lebenslanges Lernen, Kompetenz und gesellschaftliche Teilhabe (S. 69–88). Budrich.

9

Satellitenbilder im Geographieunterricht Von den Folgen zu den Ursachen von El Niño Johannes Keller, Mario Blersch, Lisa Dannwolf, Christian Plass und Alexander Siegmund

 Teaser  El Niño führt regelmäßig zu globalen Witterungsanomalien,

wodurch es unter anderem zu Waldbränden im eigentlich humiden Tasmanien und zum Aufblühen der Atacama-Wüste kommen kann. Beide Phänomene sind aus dem All durch Satellitenbilder zu erkennen. Durch die Analyse und den Vergleich mehrerer Satellitenbilder lernen die Schüler*innen wichtige Methoden der Fernerkundung kennen und nutzen ihre Erkenntnisse, um die Folgen und Ursachen von El Niño darzustellen. Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_9. J. Keller · M. Blersch · L. Dannwolf · C. Plass · A. Siegmund (*)  Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo), Pädagogische Hochschule Heidelberg, Heidelberg, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Blersch  E-Mail: [email protected] L. Dannwolf  E-Mail: [email protected] C. Plass  E-Mail: [email protected] A. Siegmund  E-Mail: [email protected] A. Siegmund  Heidelberg Center for the Environment (HCE), Geographisches Institut, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg, Deutschland © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_9

107

108

J. Keller et al.

9.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Globale Zirkulation – El-Niño-Ereignisse Im Februar 2016 ereigneten sich in Tasmanien außergewöhnlich viele Busch- und Waldbrände. Etwa die Fläche von Bremen und Berlin des tasmanischen Urwalds wurde durch die Brände zerstört. Der von der UNESCO als Weltnaturerbestätte ausgezeichnete Regenwald beheimatet bis zu 1000-jährige Bäume. Zur gleichen Zeit fielen in NordChile überdurchschnittlich hohe Niederschlagsmengen, die zu Überschwemmungen und zum Aufblühen der Wüste, der sogenannten Wüstenblüte, führten. Die Waldbrände und die Wüstenblüte haben den gleichen Auslöser, das El Niño/Southern OscillationPhänomen, kurz ENSO (Ferster et al., 2018; He et al., 2017; Jaksic, 2001). Einen Blick auf beide Phänomene sowie auf das gesamte ENSO-Phänomen ermöglicht die Perspektive von oben – die Fernerkundung. Alle zwei bis sieben Jahre führt das ENSO-Phänomen zu globalen Witterungsschwankungen (McPhaden et  al., 2006; Philander, 1998). Das ENSO-Phänomen ist ein gekoppeltes Zirkulationssystem von Ozean und Atmosphäre im tropischen Pazifik, dessen Name sich aus El Niño (dt. das Christkind) und Southern Oscillation zusammensetzt. Die Southern Oscillation ist eine Schwankung des Luftdruckunterschieds zwischen dem westlichen und östlichen tropischen Pazifik, mit Einfluss auf die planetarische Zirkulation wie bspw. die Walker-Zirkulation oder die Passatwinde. Die Walker-Zirkulation ist ein Zirkulationsmuster aus den Passatwinden, dem Aufsteigen der Luftmassen im Westpazifik, den Höhenströmungen nach Osten und dem Absinken der Luftmassen im Ostpazifik (vgl. Abb. 9.1) (Bayr et al., 2018). Aus der Abschwächung oder Umkehr der Walker-Zirkulation folgt meist um die Weihnachtszeit eine Verschiebung der oberflächennahen Meerestemperatur Richtung Ostpazifik, was zu globalen Witterungsanomalien führt. Die drei Phasen des ENSO-Phänomens sind gezeichnet durch die Neutralphase, die Warmphase El Niño und die Kaltphase „La Niña“ (dt. das Mädchen) (McPhaden et al., 2006). Die Neutralphase beschreibt die übliche atmosphärische Zirkulation aus Passatwinden und Walker-Zirkulation, die zur typischen Verteilung der oberflächennahen Meerestemperatur im äquatorialen Pazifik führt (vgl. Abb. 9.1). Während der Neutralphase weht der oberflächennahe Wind im tropischen Pazifik von Ost nach West und wird durch die Passatwinde verstärkt. Über dem warmen Westpazifik steigen die Luftmassen auf (Konvektion). Dadurch kommt es zu starker Wolkenbildung und relativ hohen Niederschlagsmengen in Südostasien und Tasmanien. Die abgeregnete, trockene Luft strömt Richtung Ostpazifik, sinkt vor der Küste Südamerikas ab und ist mitverantwortlich für die Entstehung der Atacama, der trockensten Wüste der Welt. Im Ostpazifik drücken die oberflächennahen Winde das warme Wasser nach Westen. Als Folge strömt kaltes Tiefenwasser des Humboldtstromes nach. Dies wird als Upwelling (dt. Auftrieb) bezeichnet (vgl. Abb. 9.1). Zusammen sorgen die Walker-Zirkulation und das Upwelling für einen Temperaturunterschied von ca. 6 °C zwischen Ost- (24 °C) und Westpazifik (30 °C) (Bayr et al., 2018). In El-Niño-Jahren herrschen schwache Passatwinde und

9  Satellitenbilder im Geographieunterricht

109

Abb. 9.1   Die drei ENSO-Phasen neutral, El Niño und La Niña. Die grauen Pfeile stellen die WalkerZirkulation dar. (Eigene Darstellung: Christian Plass)

110

J. Keller et al.

der Ostpazifik erwärmt sich, infolgedessen stoppt das Upwelling. Dadurch drehen sich die Windrichtungen der Walker-Zirkulation und die dadurch bedingte Niederschlagsverteilung um (vgl. Abb. 9.1). Dies führt zu Trockenheit in Indonesien und Australien sowie zu starken Konvektionsniederschlägen in Südamerika. In der Kaltphase La Niña führen stärkere Passatwinde zur Verstärkung der üblichen Niederschlagsverteilung (vgl. Abb. 9.1). Außergewöhnlich starke Westwinde im äquatorialen Pazifik führten 2015/16 zu einer dreimal so hohen Erwärmung des Ostpazifiks wie zu gewöhnlichen Warmphasen. Die Folge war eines der stärksten El-Niño-Ereignisse seit 70 Jahren (Haeseler & Ziese, 2016). Die ausgelöste historische Trockenheit führte in Tasmanien zu hunderten Waldbränden (Chen et al., 2017), im Gegenzug dazu aber zu hohen Niederschlagsmengen in Chile und zum Aufblühen der Atacama (Jaksic, 2001). Weiterführende Leseempfehlung Haeseler, S., & Ziese, M. (2016). El Niño 2015/16 und seine klimatischen Folgen im Vergleich zu 1982/83 und 1997/98. Online unter: https://www.dwd.de/DE/leistungen/ besondereereignisse/verschiedenes/20160615_el_nino_global_2015-2016.pdf?__ blob=publicationFile&v=4. Problemorientierte Fragestellung Wie hängen Waldbrände in Australien und die Wüstenblüte in Chile zusammen?

9.2 Fachdidaktischer Bezug: Fernerkundung Das El-Niño-Phänomen zeigt, dass Satellitenbilder für viele geographische Fragestellungen genutzt werden können. Dies ist möglich, da Satelliten seit über 50 Jahren „Bilder“ der Erdoberfläche aufnehmen. Mit Satellitenbildern können Landschaften und deren Wandel auf unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Maßstabsebenen analysiert werden (Albertz, 2009). Viele Satellitenbilder sind kostenlos verfügbar und werden in vielen Berufsfeldern und im Alltag genutzt, weshalb die Fernerkundung zu einer der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts zählt. Durch die wachsende Bedeutung von Geotechnologien sollen Schüler*innen den kritischen und reflektierten Umgang mit diesen erlernen (Schulze et al., 2020). Die Anwendungen, die Ästhetik und der Raumfahrtbezug ermöglichen einen motivierenden (Ditter, 2013) bildungsplan-, problem- sowie lebensweltorientierten Unterricht mit Satellitenbildern. Didaktisch aufbereitet dienen sie als Primärquellen für die Vermittlung von Fachinhalten und Kompetenzen (Fuchsgruber et al., 2017). Damit Schüler*innen Satellitenbildanalysen durchführen können, benötigen sie die Kompetenz, diese zu interpretieren, deren Eignung zu bewerten sowie Potenziale und Grenzen der Fernerkundung zu benennen (Kollar, 2012).

9  Satellitenbilder im Geographieunterricht

111

Infobox 9.1: Darstellung von Satellitendaten

Objekte auf der Erdoberfläche reflektieren die elektromagnetische Sonnenstrahlung abhängig von ihren Eigenschaften. Wir Menschen erfassen diese Rückstrahlung mit unseren Augen und erkennen aufgrund der unterschiedlichen Rückstrahlungswerte der elektromagnetischen Strahlung unterschiedliche Farben. Ein Teil der Strahlung gelangt bis ins Weltall und wird dort von den Sensoren der Fernerkundungssatelliten erfasst. Neben den roten, grünen und blauen Spektren erfassen Satelliten auch für das menschliche Auge unsichtbare Spektren wie infrarotes Licht. Die Informationen der einzelnen Kanäle werden in Bändern gespeichert, aus denen die erfassten Rückstrahlungswerte in Graustufen-Bildern ausgegeben werden (Albertz, 2009). Spezielle Computerprogramme können die einzelnen Bänder so kombinieren und einfärben, dass aus den Satellitendaten farbige Satellitenbilddarstellungen oder kurz Satellitenbilder entstehen. Werden den Bändern Rot, Grün und Blau jeweils die entsprechenden Farben zugeordnet, entstehen nach dem Prinzip der adaptiven Farbmischung Bilder, deren Farbgebung der Farbwahrnehmung des menschlichen Auges entspricht. Diese Darstellungsform wird als Echtfarbenbild bezeichnet und ähnelt Farbfotos der Erdoberfläche. Werden den Grundfarben des RGB-Farbraums (Rot, Grün, Blau) drei andere Bänder zugeordnet, entstehen Falschfarbenbilder. Wird etwa wie in Abb. 9.2 ein Infrarotband der Farbe Rot, das rote Band der Farbe Grün und das grüne Band der Farbe Blau zugeordnet, entstehen nach dem Prinzip der adaptiven Farbmischung ungewohnte, aber nützliche Bilder. Im Falschfarbenbild in Abb. 9.2 zum Beispiel erscheinen Pflanzen rötlich, da grüne Pflanzen besonders viel infrarotes Licht reflektieren und rotes Licht absorbieren (Albertz, 2009). Je „gesünder“ eine Pflanze ist, desto größer ist dieser Unterschied. Tote Pflanzen, Beton und unbedeckter Boden reflektieren hingegen im roten Bereich mehr als im infraroten. Diese Eigenschaft von Vegetation wird genutzt, um mit dem Normalized Difference Vegetation Index (NDVI) die Verbreitung und den „Gesundheitszustand“, kurz die Qualität der Pflanzendecke zu analysieren. Programme wie BLIF können diesen Wert für jedes einzelne Pixel von Satellitendaten berechnen und so die Darstellung des NDVI als Bild erzeugen (vgl. Abb. 9.2). Je näher der Wert an 1 reicht, desto dichter und gesünder ist die Vegetation in diesem Pixel. Werte gegen 0 sprechen für schwache, Werte bis −1 für fehlende Pflanzenbedeckung (Albertz, 2009). In den Regionen der Wüstenblüte stieg der NDVI in der Atacama schlagartig an, da plötzlich Millionen Pflanzen den sonst nur spärlich begrünten Boden bedeckten.

112

J. Keller et al.

Abb. 9.2   Echtfarbendarstellung, Falschfarbendarstellung und Darstellung des NDVI der Westküste Tasmaniens aus dem Jahr 2015. (Eigene Darstellung: Christian Plass. Quelle Satellitenbilder: Landsat-8 © USGS)

Der Vergleich von geeigneten Satellitenbildern veranschaulicht die Folgen von El Niño. Mit der Fernerkundungsanwendung BLIF (https://blif.de) können Schüler*innen diese mit einfachen Tools und Hilfestellungen analysieren. Die Anwendung wurde von der Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo) der Pädagogischen Hochschule Heidelberg entwickelt. Zuerst müssen beide Satellitenbilder verortet, beschrieben und analysiert werden. Im Gegensatz zu Karten stellen Satellitenbilder raumrelevante Informationen nicht strukturiert, generalisiert oder kodiert dar. Die Schüler*innen müssen deshalb zunächst Pixel zu Objekten zusammenfassen, diese beschreiben und kodieren. Die Arbeit mit Echtfarbenbildern erleichtert Anfänger*innen den Einstieg (Kollar, 2012). Im Echtfarbenbild in Abb. 9.2 müssen beispielsweise die blaue Fläche als Ozean, die grünen als Vegetation und die grauen Linien als Straßen identifiziert werden. Identifizierte Objekte werden anschließend gegliedert und zu Strukturen wie Siedlungen oder Wäldern zusammengefasst. Gewonnene Informationen gleichen die Schüler*innen mit ihrem Vorwissen und weiteren Materialien ab und entwickeln oder beantworten „Forschungsfragen“. Dabei müssen sie Eignung und Qualität der Satellitenbilder hinsichtlich der Aufgabenstellung bewerten (Kollar, 2012). Erkennen Schüler*innen Objekte aufgrund der Perspektive, der räumlichen Auflösung oder einer Wolkendecke nicht eindeutig, lernen sie die Grenzen der Fernerkundung kennen. Durch die Auswahl von wolkenlosen Satellitenbildern, Insitu-Fotos und Karten werden Schwierigkeiten bei der Interpretation reduziert.

9  Satellitenbilder im Geographieunterricht

113

Infobox 9.2: Auflösung von Satellitendaten

Satellitendaten sind Rasterdaten. Dies bedeutet, dass die Rückstrahlungswerte der einzelnen Bänder, ähnlich wie bei Digitalfotos, in rasterförmig angeordneten Bildzellen (Pixeln) gespeichert werden. Die Satellitenbilder in Abb. 9.2 und 9.3 haben eine räumliche Auflösung von 30 m, d. h., jeder Pixel bildet eine Fläche von 30 × 30 m ab. Aus diesem Grund sind auf diesen Satellitenbildern nur grobe Strukturen zu erkennen. Zur Analyse etwa der Wüstenblüte, von Waldbränden oder des Gletscherrückgangs reicht diese Auflösung aber aus.

Falschfarbenbilder und der NDVI liefern für das menschliche Auge unsichtbare Informationen. Abb. 9.2 zeigt z. B. qualitative Unterschiede der Waldflächen, die im Echtfarbenbild verborgen bleiben. Durch die Arbeit und den Vergleich von Echt- und Falschfarbenbildern gewinnen die Schüler*innen zusätzliche Informationen und lernen das volle Potenzial der Fernerkundung kennen (Kollar, 2012; Siegmund, 2011). Satellitenbilder zeigen Prozesse auf unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Maßstabsebenen. Abb. 9.3 verdeutlicht, dass im Satellitenbild der Atacama von 2016

Abb. 9.3   Die Satellitenbilder zeigen die Ausschnitte der Atacama (Chile) und Tasmaniens zur Neutralzeit (links) und kurz nach der El-Niño-Phase im Jahr 2015/16 (rechts). Die In-situ-Fotos (unten) zeigen einen Ausschnitt der Atacama, links aus dem Jahr 2013 zur Neutralphase, rechts mit Wüstenblüte aus der El-Niño-Phase im Jahr 2015/16. (Eigene Darstellung: Christian Plass; Quellen: Satellitenbilder: Landsat-8 © USGS; Fotos: © Gerhard Hüdepohl)

114

J. Keller et al.

mehr Vegetation als 2013 zu sehen ist. Durch diesen Hinweis auf El Niño-bedingte Witterungsanomalien werden die Schüler*innen motiviert, sich mit dem komplexen Thema des gekoppelten Ozean-Atmosphäre-Zirkulationssystems zu beschäftigen. Weiterführende Leseempfehlung Praxis Geographie. Fernerkundung. Satellitenbilder im Geographieunterricht. Ausgabe März, Heft 3/2017. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Spatial Thinking, Geomedienkompetenz

9.3 Unterrichtsbausteine: Die Folgen von El Niño mit Satellitenbildern erkennen, erkunden und erklären Ziele der Unterrichtsbausteine sind, dass die Schüler*innen durch den Vergleich von jeweils zwei Satellitenbildern an zwei Fallbeispielen die Folgen von El Niño erkennen, beschreiben und mit Begleitmaterial in Wirkungsgefügen deren Entstehung erklären. Für beide Unterrichtsbausteine werden Computer oder Tablets mit einer stabilen Internetverbindung benötigt. Abb. 9.3 zeigt die verwendeten Satellitenbilder, je einen Ausschnitt der Atacama und Tasmaniens zur Neutralphase (A1 und T1) sowie den gleichen Ausschnitt kurz nach dem El-Niño-Ereignis 2015/16 (A2 und T2). Alle vier Satellitenbilder sind nach einer Anmeldung kostenlos bei BLIF verfügbar. Im digitalen Materialanhang über den Link finden sich die beiden Arbeitsblätter (AB-A/AB-T), Hilfekarten (Atacama/Tasmanien) und Lösungskarten (Atacama/Chile) für die Unterrichtseinheit. In Zweiergruppen analysieren die Schüler*innen in Aufgabe 1 jeweils ein Untersuchungsgebiet mit einem Arbeitsblatt (AB-A/AB-T). Ein Gruppenmitglied arbeitet mit A1/T1, das andere mit A2/T2. Zunächst lernen sie die BLIF kennen, indem sie das Bild verorten sowie Echt- und Falschfarbenbilder erstellen. In den folgenden Teilaufgaben beschreiben die Schüler*innen das Satellitenbild, sie müssen diesen In-situ-Fotos zuordnen sowie Pixel zu Strukturen zusammenfassen und diese benennen. Die Aufgaben sind bewusst einfach gehalten, um den Lernenden den Erstkontakt mit den Satellitenbildern und BLIF zu vereinfachen. Unterstützung erhalten sie zusätzlich durch die Hilfekarten (Atacama/Tasmanien) sowie durch Assistenztexte und die Hintergrundkarte in BLIF. Im letzten Teil von Aufgabe 1 berechnen die Schüler*innen den NDVI. Durch die Beschreibung der Darstellung des NDVI und den Vergleich mit dem Echtfarbenbild lernen die Schüler*innen den Nutzen des NDVI kennen. Weitere Informationen erhalten sie über die Assistenztexte von BLIF. Schnelle Schüler*innen können im Internet nach weiteren Informationen zu ihrem Untersuchungsgebiet suchen oder das zweite Satellitenbild analysieren.

9  Satellitenbilder im Geographieunterricht

115

In Aufgabe 2 beschreiben sich die Mitglieder der Zweiergruppen gegenseitig ihr Satellitenbild, sie sollen dabei gezielt auf den NDVI und die Vegetation eingehen. Anschließend sollen sie Unterschiede herausarbeiten. In der Atacama ist in A2 nach dem El Niño Ereignis 2015/16 im Vergleich zum Satellitenbild A1 aus der Neutralphase 2013 aufgrund der Wüstenblüte deutlich mehr Vegetation zu erkennen (vgl. Abb. 9.3), dies wird besonders im NDVI deutlich. In Tasmanien zeigt der NDVI, bedingt durch die trockenheitsbedingten Brände, deutliche Unterschiede in den bewaldeten Flächen. Die Aufgabe endet mit der Formulierung einer Forschungsfrage durch die Schüler*innen. Dazu sollen sie zunächst Vermutungen für die beobachtete Veränderung formulieren. Mit den Lösungskarten (Atacama/Chile) können die Schüler*innen ihre Ergebnisse überprüfen. In der anschließenden Gelenkstelle sammelt die Lehrkraft die Forschungsfragen der Gruppen. Diese müssen zu einer gemeinsamen Forschungsfrage zusammengefasst werden. Durch die Lösungskarten wird der Fokus auf die trockenheitsbedingten Buschbrände und die Wüstenblüte gelegt. So ist es möglich, dass ohne große Steuerung der Lehrkraft die gemeinsame Forschungsfrage auf die unterschiedliche Entwicklung der Vegetation gelenkt wird. Durch die Gegenüberstellung der Forschungsfragen entsteht eine Kontroverse: Waldbrände auf der einen und Wüstenblüte auf der anderen Seite. Diese soll die Schüler*innen motivieren, sich im nachfolgenden Teil der Stunde mit der Walker-Zirkulation und El Niño auseinanderzusetzen. Hierzu eignen sich beispielsweise die YouTube-Videos zur Walker-Zirkulation und zu El-Niño von „simpleclub“. Nachdem sich die Klasse mittels geeigneter Materialien mit dem ENSO-Phänomen auseinandergesetzt hat, wird das Gelernte auf die Ergebnisse der Satellitenbildanalyse angewendet. Die Schüler*innen erklären dazu mit El Niño die in Aufgabe 2 beobachteten Veränderungen. In Aufgabe 3 arbeiten die Zweiergruppen in Partnerarbeit und sollen zunächst jeweils die Satellitenbilder A1/T1 zur Neutral- und A2/T2 zur Warmphase zuordnen. Dann erstellen die Schüler*innen jeweils ein Wirkungsgefüge. Dazu sammeln sie zunächst Begriffe. Durch die Vorgabe von bestimmten Begriffen soll ein Rahmen für das Wirkungsgefüge vorgegeben werden. So wird sichergestellt, dass die zuvor gelernten Fachbegriffe wie Walker-Zirkulation und Neutralphase auch genutzt werden. In Aufgabe 4 reflektieren die Schüler*innen ihren Lernzuwachs, indem sie sich mit dem anderen Untersuchungsgebiet auseinandersetzen. Dazu kommen immer zwei Gruppen zusammen. Eine Zweiergruppe beginnt und präsentiert ihre Satellitenbilder und benennt die Unterschiede. Die andere Zweiergruppe muss anschließend erklären, wie die Unterschiede durch El Niño zustande kommen. Dann tauschen die Gruppen ihre Rollen. Abschließend ergänzen alle Schüler*innen ihre Wirkungsgefüge. Beitrag zum fachlichen Lernen In den zwei Unterrichtsbausteinen wird aufgezeigt, wie El Niño die Witterung an zwei über 12.000 km entfernten Orten ganz unterschiedlich beeinflusst. Im normalerweise humiden Tasmanien führt es zu extremer Trockenheit, wodurch wiederum Waldbrände

116

J. Keller et al.

ein verheerenderes Ausmaß annehmen können. Zeitgleich blühen Teile die hyperariden Atacama-Wüste auf. Die Aufgaben bilden für die Schüler*innen den Rahmen für die fachliche Auseinandersetzung mit der Walker-Zirkulation und El Niño. In Aufgabe 1 und 2 führen sie eine Satellitenbildanalyse durch und lernen die Folgen von Extremereignissen kennen. So werden sie für die Arbeit motiviert, indem die Schüler*innen mit einer interessanten Methode die Forschungsfrage aufwerfen, wie Waldbrände in Tasmanien und die Wüstenblüte in Chile zusammenhängen. In den Aufgaben 3 und 4 müssen sie das erlernte Wissen anwenden, um die Forschungsfrage zu beantworten. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S7 „den Ablauf von naturgeographischen Prozessen in Räumen (z. B. Verwitterung, Wettergeschehen, Gebirgsbildung) darstellen“ (DGfG, 2020: 14) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S3 „grundlegende Strategien der Informationsgewinnung aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen und -formen sowie Strategien der Informationsauswertung beschreiben“ (ebd.: 20); S9 „selbstständig einfache geographische Fragen stellen und dazu Hypothesen formulieren“ (ebd.: 21); S10 „einfache Möglichkeiten der Überprüfung von Hypothesen beschreiben und anwenden“ (ebd.) In den Unterrichtsbausteinen analysieren die Schüler*innen mit verschiedenen Satellitenbildern Räume auf unterschiedlichen zeitlichen Maßstabsebenen und nutzen ihre Erkenntnisse, um Forschungsfragen aufzustellen und zu prüfen. Durch die Untersuchung der Folgen von El Niño führen sie wichtige Arbeitsschritte bei der Analyse von Satellitenbildern mit BLIF eigenständig durch. Klassenstufe und Differenzierung Die Unterrichtsbausteine sind für die Klassenstufen 9/10 konzipiert, können aber auch in höheren Klassenstufen verwendet werden. In niedrigeren Klassenstufen kann das Thema ebenfalls, aber ohne Bezug zur Walker-Zirkulation, behandelt und die Phänomene als Beispiele für extreme Wetter- und Witterungsereignisse benannt werden. Die Unterrichtsbausteine sind so konzipiert, dass die Satellitenbilder ersetzt werden können und so andere Phänomene und deren Folgen, die auf anderen Satellitenbildern erkennbar sind, behandelt werden können. Die Aufgabenblätter und Hinweiskarten müssen dann angepasst werden. So lässt sich beispielsweise die Flutkatastrophe, die als Folge des Tropensturms „Ida“ im März 2019 die Küste Mosambiks heimsuchte, eindrucksvoll mit Satellitenbildern der Region um Beira verdeutlichen. Räumlicher Bezug Südpazifik, Australien und Ozeanien, Tasmanien, Südamerika, Chile, lokale und globale Perspektiven auf Witterungsanomalien

9  Satellitenbilder im Geographieunterricht

117

Konzeptorientierung Deutschland: Systemkomponenten (Struktur, Prozess), Maßstabsebenen (regional, global), Zeithorizont (mittelfristig) Österreich: Maßstäblichkeit, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz: natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.2b), Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.1a), sich in Räumen orientieren (4.2b)

9.4 Transfer Von der Abholzung des Regenwaldes über Dürren bis zur Stadtentwicklung können mit Satellitendaten verschiedenste globale Phänomene aus unterschiedlichen Teilgebieten der Geographie behandelt werden (Fuchsgruber et al., 2017). Durch die hohe räumliche und zeitliche Verfügbarkeit von Satellitendaten lässt sich mit ihnen der Wandel von Landschaften visualisieren, analysieren und beurteilen (Albertz, 2009). Lehrkräfte benötigen für den Einsatz von Satellitenbilder grundlegendes Wissen im Bereich der Fernerkundung, um für ein Thema geeignete Satellitenbilder auszuwählen und die Arbeit für Schüler*innen didaktisch aufzubereiten. Limitiert wird der Einsatz im Unterricht vor allem durch die fehlende Verankerung dieser Methoden in Fortbildungs- und Studienplänen von Lehrkräften (Siegmund, 2011). Aus diesem Grund stellen verschiedene Initiativen von Hochschulen und Verbänden fertig nutzbare Unterrichtsmaterialien zum Einsatz von Satellitenbildern im Unterricht zur Verfügung. Mit der adaptiven E-LearningPlattform geo:spektiv beispielsweise können Schüler*innen eigenständig raum- und umweltrelevante Fragestellungen behandeln, indem sie angeleitet werden, mit BLIF Satellitenbilder zu einem bestimmten Thema zu analysieren (Dannwolf et al., 2020). Verweise auf andere Kapitel • Hanke, M., Ohl, U. & Sprenger, S.: Faktische Komplexität. Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation. Band 1, Kapitel 8. • Ulmrich, T. & Krüger, S.: Kartenauswertung. Glaziologie – Gletscherschmelze. Band 1, Kapitel 11.

Literatur Albertz, J. (2009). Einführung in die Fernerkundung: Grundlagen der Interpretation von Luft- und Satellitenbildern (4., aktualisierte Aufl.). WBG (Wiss. Buchges). Bayr, T., Latif, M., Dommenget, D., Wengel, C., Harlaß, J., & Park, W. (2018). Mean-state dependence of ENSO atmospheric feedbacks in climate models. Climate Dynamics, 50(9–10), 3171–3194. https://doi.org/10.1007/s00382-017-3799-2. Chen, L., Li, T., Wang, B., & Wang, L. (2017). Formation Mechanism for 2015/16 Super El Niño. Scientific Reports, 7(1), 2975. https://doi.org/10.1038/s41598-017-02926-3.

118

J. Keller et al.

Dannwolf, L., Matusch, T., Keller, J., Redlich, R., & Siegmund, A. (2020). Bringing earth observation to classrooms – The importance of out-of-school learning places and e-learning. Remote Sensing, 12(19), 3117. https://doi.org/10.3390/rs12193117. Ditter, R. (2013). Die Wirksamkeit digitaler Lernwege in der Fernerkundung: Eine empirische Untersuchung zu Lernmotivation und Selbstkonzept bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe. Pädagogische Hochschule. Ferster, B., Subrahmanyam, B., & Macdonald, A. (2018). Confirmation of ENSO-Southern Ocean teleconnections using satellite-derived SST. Remote Sensing, 10(2), 331. https://doi. org/10.3390/rs10020331. Fuchsgruber, V., Ditter, R., & Siegmund, A. (2017). Geographieunterricht mit Satellitenbildern innovativ gestalten. Praxis Geographie, 3, 8–9. He, B., Huang, L., Liu, J., Wang, H., Lű, A., Jiang, W., & Chen, Z. (2017). The observed cooling effect of desert blooms based on high-resolution moderate resolution imaging spectroradiometer products. Earth and Space Science, 4(5), 247–256. https://doi. org/10.1002/2016EA000238. Jaksic, F. M. (2001). Ecological effects of El Niño in terrestrial ecosystems of western South America. Ecography, 24(3), 241–250. https://doi.org/10.1111/j.1600-0587.2001.tb00196.x. Kollar, I. (2012). Die Satellitenbild-Lesekompetenz: Empirische Überprüfung eines theoriegeleiteten Kompetenzstrukturmodells für das „Lesen“ von Satellitenbildern [Dissertation]. Pädagogische Hochschule. McPhaden, M. J., Zebiak, S. E., & Glantz, M. H. (2006). ENSO as an integrating concept in earth science. Science (New York, N.Y.), 314(5806), 1740–1745. https://doi.org/10.1126/ science.1132588 Philander, S. G. (1998). El Niño, La Niña, and the southern oscillation (4. Aufl.). International geophysics series: Bd. 46. Academic. Schulze, U., Kanwischer, D., Gryl, I., & Budke, A. (2020). Mündigkeit und digitale Geomedien: Implementation eines digitalen Fachkonzepts in der geographischen Lehrkräftebildung. Journal für Angewandte Geoinformatik, 6, 114–123. https://doi.org/10.14627/537698011. Siegmund, A. (2011). Satellitenbilder im Unterricht – Eine Ländervergleichsstudie zur Ableitung fernerkundungsdidaktischer Grundsätze [Dissertation]. Pädagogische Hochschule.

Von der Modellanwendung zur Modellentwicklung

10

Am Beispiel von Hochwasser und Hochwasserschutz Leif Mönter und Carina Peter

 Teaser  Hochwasserereignisse stellen weltweit eine erhebliche Gefahr

dar, die durch die Auswirkungen des Klimawandels weiter an Bedeutung gewinnt, wie insbesondere an der Flutkatastrophe 2021 in Mitteleuropa deutlich wurde, von der Teile Belgiens, der Niederlande, Österreichs, der Schweiz, Deutschlands und weiterer angrenzender Länder betroffen waren. In dem Beitrag wird der Frage nachgegangen, wie es zu Hochwasser kommt und wie den damit verbundenen Gefahren begegnet werden kann. Dabei gilt es, das Zusammenwirken verschiedener physiogeographischer und anthropogeographischer Faktoren zu analysieren und im Sinne des Hochwasserschutzes zu beeinflussen. Im Zentrum der Behandlung steht die Arbeit mit unterschiedlichen Modellen, um systematisierte Einblicke in dieses Zusammenwirken zu gewinnen. Die verschiedenen Grunddimensionen der Modellkompetenz werden gefördert, indem die Lernenden ausgehend von der praktischen Arbeit mit einem konkret-gegenständlichen Modell zum Hochwasser ein theoretisches Modell zum Hochwasserschutz entwickeln.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_10. L. Mönter (*)  Fachbereich Raum- und Umweltforschung, Universität Trier, Trier, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Peter  Fachbereich Geographie, Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_10

119

120

L. Mönter und C. Peter

10.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Wasserhaushalt – Hochwasser und Hochwasserschutz Mitte Juli 2021 kam es in Teilen Mitteleuropas zu extremen Unwettern. Die schwersten Hochwasser wurden durch das relativ ortsfeste Tiefdruckgebiet „Bernd“ verursacht. Betroffen waren neben Deutschland auch Teile Belgiens, Frankreichs, der Niederlande, Luxemburg und anderer Regionen Europas. In Deutschland waren die Schäden am gravierendsten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, insbesondere im Nordosten der Eifel. Am 14. Juli und in der Nacht auf den 15. Juli 2021 fielen in Teilen der beiden Bundesländer innerhalb von 24 Stunden 100–150 Liter Regen pro Quadratmeter (bpb, 2021). Es kam zu Sturzfluten und massiven Überschwemmungen, die zu Toten und enormen Schäden führten. Bei der Flutkatastrophe starben über 220 Menschen, davon mindestens 183 in Deutschland. Gemessen an der Opferzahl handelt es sich um die schwerste Überschwemmungskatastrophe in Deutschland seit der Sturmflut von 1962. Neben Gebäuden wurden auch zahlreiche Bahnstrecken, Straßen, Brücken, Mobilfunkmasten sowie Versorgungseinrichtungen zerstört. Nach Schätzungen des Versicherungskonzerns AON (2021) ist in etwa mit einer Schadenshöhe von 25 Mrd. US-Dollar zu rechnen, wovon ca. 20 Mrd. auf Deutschland entfallen. Überschwemmungen stellen weltweit nach Stürmen das Naturrisiko mit den größten Auswirkungen dar. Etwa 40 % aller Schäden durch Naturereignisse im Zeitraum zwischen 1980 und 2019 sind auf Hochwasser zurückzuführen (vgl. Munich RE, 2021). Infolge des Klimawandels steigt in vielen Regionen die Wahrscheinlichkeiten für Extremniederschläge und damit die Gefahr von Sturzfluten und Hochwasserereignissen weiter an. Szenarien zufolge werden die Betroffenenzahl innerhalb der Bevölkerung sowie die Schäden durch Hochwasser in den kommenden Jahrzehnten deutlich zunehmen (Dottori et al., 2018). Diese globalen Zunahmen sind maßgeblich durch den Klimawandel bedingt, fallen regional jedoch sehr unterschiedlich aus, da insbesondere das Einzugsgebiet für die Entstehung von Hochwasser von hoher Relevanz ist (vgl. Umweltbundesamt, 2011: 19). So werden gerade in Süddeutschland zukünftig voraussichtlich vermehrt mittlere und extreme Hochwasser auftreten (Hennegriff et al., 2006). Hochwasser bedeutet, dass ein Fluss beim Übertreten seines Gerinnebetts benachbartes Land überschwemmt (Strahler & Strahler, 2009: 543). Die Entstehung von Hochwasser hängt von verschiedenen Faktoren ab, zum Beispiel der Niederschlagsstärke und dem Wassereinzugsgebiet. Hochwasserereignisse können sowohl in Küstenregionen als auch an Fließgewässern auftreten. Der vorliegende Beitrag fokussiert auf Fließgewässer, insbesondere Flüsse, bei denen von Hochwasser gesprochen wird, wenn ihr Wasserstand für mehrere Tage ihren normalen Pegel deutlich übersteigt. Es handelt sich um eine Überschreitung der Aufnahmekapazität unter Berücksichtigung von Zulauf, Ablauf und der zur Verfügung stehenden Fläche. Hochwasserstände an Fließgewässern weisen zumeist eine jahreszeitliche Häufung auf, etwa bei der Schneeschmelze oder nach sommerlichen Starkregen. Zudem bedingen und verändern anthropogene Eingriffe in den natürlichen Wasserkreislauf das Hochwasserrisiko. Zu nennen sind u. a.:

10  Von der Modellanwendung zur Modellentwicklung

121

• Veränderung des Gewässerbettes durch Flussbegradigungen oder Uferbefestigungen mit der Folge, dass die Flüsse ihr natürliches Rückhaltevermögen verlieren. • Verlust an Retentionsflächen, also Überflutungsflächen, die eine Hochwasserwelle abschwächen können. • Versiegelung von Flächen, sodass Wasser schlecht oder gar nicht versickern kann. Hochwasserschutzmaßnahmen zielen darauf, Schäden an Personen, Bauwerken und Infrastruktur sowie Natur zu vermeiden, indem Wasser zurückgehalten oder kontrolliert aufgestaut wird. Hochwasserschutz basiert insbesondere auf 1. den technischen Hochwasserschutzmaßnahmen, z. B. durch Deiche, Dämme, Umfluter oder Hochwasserrückhaltebecken, 2. dem vorsorgenden Bereich, z. B. durch Flächen- und Bauvorsorge, 3. dem natürlichen Hochwasserschutz, z. B. durch Wiederherstellung von Retentionsflächen und der Begünstigung von Versickerung, 4. der Kompensation von Schadenskosten (BMU, 2017; Kuhlicke & Meyer, 2013). Daneben ist die Hochwasservorhersage (Strahler & Strahler, 2009: 544) etwa durch Frühwarnsysteme (BMU, 2017) ein wichtiges Element. Für den Nachvollzug von Gründen für Hochwasser sowie Maßnahmen des Hochwasserschutzes ist ein grundsätzliches Verständnis des Wasserkreislaufs erforderlich (siehe Abb. 10.1). Weiterführende Leseempfehlung • Bundeszentrale für politische Bildung [bpb] (2021): Jahrhunderthochwasser 2021 in Deutschland. (abrufbar unter https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/337277/ jahrhunderthochwasser-2021-in-deutschland (28.08.2021) • Umweltbundesamt (UBA) (2011): Hochwasser. Verstehen, erkennen, handeln! (abrufbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/ publikationen/uba_hochwasser_barrierefrei_new.pdf (14.02.2021) Problemorientierte Fragestellungen • Wie entsteht Hochwasser und welche Maßnahmen können zum Hochwasserschutz beitragen? • Welchen Beitrag können Modelle zur Klärung leisten?

10.2 Fachdidaktischer Bezug: Haptische Modelle Modelle sind wesentliche Bestandteile wissenschaftlicher Denk- und Arbeitsweisen und haben erkenntnistheoretische Funktionen (Wiktorin, 2014). Im Geographieunterricht werden Modelle maßgeblich als vereinfachte Rekonstruktion der Wirklichkeit bzw. als Abbild von Theorie über die Wirklichkeit verwendet (Krautter, 2020). Ihre Anschaulichkeit kann das Verständnis für geographische Strukturen und Prozesse erleichtern. Durch Modelle bzw. Modellierung lassen sich komplexe Zusammenhänge und Systeme ver-

122

L. Mönter und C. Peter

Verdunstung

Globalstrahlung Niederschlag Verdunstung Schneeschmelze

Speicherung durch Vegetation und im Gelände

Abfluss (Graben, Bach, Fluss) Hochwasser

Oberflächenabfluss

See Speicherung im Boden

Versickerung

Zwischenabfluss

Grundwasserabfluss

Abb. 10.1   Wasserkreislauf mit Bezügen zu Hochwasser (Verändert nach NLWKN, Grafik: Cordula Mann)

anschaulichen und vereinfacht darstellen (vgl. Ammoneit et al., 2019; Wiktorin, 2014). Modelle können zudem einerseits als Mittel der Erkenntnisgewinnung dienen, etwa wenn mit ihnen Versuche durchgeführt werden. Andererseits können sie Ergebnisse von Erkenntnisprozessen repräsentieren, z. B. in Form von Modellskizzen (vgl. Krautter, 2015). Mit Bette und Kollegen (2019: 5) lässt sich zusammenfassend sagen, dass es sich bei Modellen im Geographieunterricht um „durch einen Modellierer zweckbezogen entwickelte und damit reduzierte, idealisierte sowie zumeist verkleinerte Rekonstruktionen geographischer Wirklichkeit (d. h. realer Objekte) bzw. Repräsentationen gedanklicher Konstrukte (Theorien, Gesetze, Regelhaftigkeiten, Hypothesen etc.)“ handelt. Unterscheiden lassen sich konkret-gegenständliche Modelle (etwa dreidimensionale Nachbauten eines Gewässerabschnitts zur Simulation von Hochwasserereignissen) und theoretische Modelle (etwa das Modell des Wasserkreislaufs) (Abb. 10.2). Zwei Ebenen sind für die Arbeit mit und das Verständnis von Modellen bedeutend: Modelle können gleichzeitig Modelle von und für etwas sein (Mahr, 2008). Sie werden oft zur Veranschaulichung eingesetzt, beschränken sich aber nicht darauf, da auch durch die Entwicklung eines Modells (Modellierung) im Kontext geographischer Bildung grundlegende Erkenntnisse gewonnen und Kompetenz gefördert werden können (z. B. Ammoneit et al., 2019). Aus diesem Grund können Modelle nicht losgelöst vom Modellieren gedacht werden. Sie lassen sich demnach durch pauschal gültige Merkmale

10  Von der Modellanwendung zur Modellentwicklung konkret-gegenständliche Modelle Rekonstrukonen geographischer Wirklichkeit

Arten von Modellen Arbeit mit geographischen Modellen

123

theoresche Modelle Repräsentaonen gedanklicher Konstrukte

Grunddimensionen von Modellkompetenz Modellauswertung Auswertung von geographischen Modellen

Modellbildung und -anwendung Entwicklung und Anwendung von Modellen zur Erkenntnisgewinnung

Geographisches Modellverständnis Reflexion geographischer Modelle

Abb. 10.2   Differenzierung von Modellen und Dimensionen von Modellkompetenz (Nach Bette et al., 2019; Krautter, 2015; Peter, 2017)

nur bedingt definieren, sind aber stets zweckgerichtet, sodass räumliche Fragestellungen durch und mit Modellen zweckgerichtet beantworten werden können (vgl. Peter, 2017). Im folgenden Unterrichtsbeispiel finden Modelle im Geographieunterricht auf der Ebene der Modellanwendung und der Modellentwicklung Berücksichtigung. Ein konkret-gegenständliches Modell wird für die Modellanwendung und ein theoretisches Modell für die Modellentwicklung (Modellierung) verwendet. Weiterführende Leseempfehlung • Ammoneit, R., Reudenbach, C., Turek, A., Nauß, T., & Peter, C. (2019). Geographische Modellierkompetenz – Modellierung von Raum konzeptualisieren. In: GW-Unterricht. 156, 19–29. https://doi.org/10.1553/gw-unterricht156s19. • Schmidt, H. (2003): So erkläre ich Geografie. Modelle und Versuche einfach anschaulich. Mülheim an der Ruhr, Verlag an der Ruhr. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Modellkompetenz, Experimentieren, Perspektivenwechsel

10.3 Unterrichtsbaustein: Hochwasser und Hochwasserschutz Das Unterrichtsbeispiel ist für Schüler*innen der 6. bis 7. Jahrgangsstufe entwickelt und kann in ca. einer Doppelstunde durchgeführt werden. Die Erarbeitung erfolgt unter Verwendung eines konkret-gegenständlichen Modells zum Hochwasser sowie durch die Entwicklung eines theoretischen Modells zum Hochwasserschutz. Ein Arbeitsblatt zu diesem Unterrichtsbeispiel ist dem digitalen Materialanhang zu entnehmen. Als problemorientierter Unterrichtseinstieg wird die mitteleuropäische Flutkatastrophe im Sommer 2021 gewählt, in deren Folge es insbesondere im Nordosten der Eifel zu Überschwemmungen kam. Ein entsprechendes Foto aus der Gemeinde Altenahr-Kreuzberg (s. Abb. 10.3) eröffnet das Unterrichtsgeschehen. Die Lernenden stellen Vermutungen auf, welche Ursachen für das Hochwasser verantwortlich gewesen sein könnten. Die Vermutungen werden an der Tafel gesammelt.

124

L. Mönter und C. Peter

Abb. 10.3   Hochwasser in Altenahr-Kreuzberg, Juli 2021. (Quelle https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Hochwasser_Altenahr_Kreuzberg.jpg)

Im Fortgang wird das konkret-gegenständliche Modell zum Hochwasser vorgestellt. Es handelt sich um ein Modell, bei dem der Zulauf und das Rückhaltevermögen bzw. die Auswirkungen von Versiegelung variiert werden können, um die Folgen zu ermitteln. In diesem Fall (vgl. Abb. 10.4) wurde mit dem Modell Ward’s Stormwater Floodplain Simulation System gearbeitet (vgl. https://www.wardsci.com/store/product/8889092/ ward-s-stormwater-floodplain-simulation-system). Mit etwas handwerklichem Geschick kann ein entsprechendes Modell auch eigenständig gebaut bzw. ein existentes Modell von Fließgewässern erweitert werden. Die Basis stellt ein Modell dar, das ein Fließgewässer morphologisch abbildet und mit dem die Auswirkungen eines erhöhten Durchflusses simuliert werden können. Ergänzt wird ein solches Modell durch einen Bereich, in dem beim Zufluss wahlweise versiegelte Flächen (direkter Abfluss) oder Retentionsflächen (etwa durch Schaumstoff oder Textilien) simuliert werden können. Mithilfe des Modells kann der Frage nachgegangen werden, welche Faktoren Hochwasser bedingen. Die Lernenden überlegen nun zunächst, welche ihrer Vermutungen zu den Entstehungsursachen von Hochwasser mithilfe dieses Modells überprüft werden können, führen Versuche durch und protokollieren ihre Ergebnisse. Anschließend werden räumlich funktionale Zusammenhänge zwischen den Komponenten hergeleitet. Als Ergebnis dieser Modellanwendung wird zum Beispiel das Ergebnis formuliert: Je größer die Versiegelungsflächen und je geringer die Retentionsflächen, desto ausgeprägter ist das Hochwasser.

10  Von der Modellanwendung zur Modellentwicklung

125

Abb. 10.4   Arbeit mit einem Hochwassermodell (Foto: Karl-Heinz Otto)

Sofern ein solches oder vergleichbares Modell nicht zur Verfügung steht, kann auf die Arbeit mit Filmsequenzen oder digitalen Modellen zurückgegriffen werden. Als Film kann etwa der Beitrag „So entsteht Hochwasser am Fluss“ der ARD (Quarks) genutzt werden, der bei YouTube abrufbar ist unter https://www.youtube.com/ watch?v=kq2JteM3JhQ. Für die Einbindung von Simulationen eignet sich etwa der digitale Hochwasseratlas, der nach Anmeldung auf den Seiten des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie verfügbar ist (siehe https://gdz.bkg.bund.de/index.php/ default/hochwasseratlas.html). Damit lassen sich etwa die Zusammenhänge der aktuellen Pegelstände mit den Einflussgebieten und Niederschlägen untersuchen. Im Fortgang der Lernsequenz wird der Frage nachgegangen, welche Maßnahmen zum Hochwasserschutz beitragen können. Ziel ist die Modellierung eines theoretischen Modells zum Hochwasserschutz, aufbauend auf den Erkenntnissen, die aus der Arbeit mit dem konkret-gegenständlichen Modell gezogen werden konnten. Zur Unterstützung erhalten die Schüler*innen eine Skizze (Abb. 10.5a), die sie in einem ersten Schritt durch die Ergänzung möglicher Ursachen von Hochwasser zu einem Modell ausbauen. Es werden räumliche Strukturen benannt, die zum Hochwasser beitragen (Retentionsflächen, Versiegelung, Flussbegradigung etc.). Dies erfolgt unter Einbezug der durch das konkret-gegenständliche Modell gewonnenen Erkenntnissen zum Hochwasser. Anschließend werden Maßnahmen beschrieben, die zum Hochwasserschutz beitragen können, etwa technische Komponenten (Damm, Wasserrückhaltebecken, Umfluter, Hochwasserentlastungskanäle etc.), aber auch Aspekte der Vorsorge (Flächenvorsorge, Verhaltens- und Risikovorsorge) und der Verbesserung des natürlichen Wasserrückhaltes in der Fläche können Berücksichtigung finden. Diese möglichen Maßnahmen zum Hochwasserschutz werden ebenfalls in das theoretische Modell übernommen (Abb. 10.5b). In der abschließenden Revision greifen die Schüler*innen erneut auf das konkretgegenständliche Modell zurück und prüfen durch Versuche Aspekte des theoretischen Modells zum Hochwasserschutz, indem sie zum Beispiel einen Damm durch Knetmasse installieren.

126

L. Mönter und C. Peter

a Mögliche Ursachen von Hochwasser

Mögliche Hochwasserschutzmaßnahmen

Abb. 10.5a   Theoretisches Modell zu Ursachen von und Schutz vor Hochwasser (Vorlage)

b Mögliche Ursachen von Hochwasser

Mögliche Hochwasserschutzmaßnahmen

Starke Niederschläge, ggf. in Folge klimascher Veränderungen

Schaffung von Überflutungsflächen (Retenonsflächen)

Verlust von natürlichen Überflutungsflächen

Renaturierung des Gewässerbe„s (Steigerung des Rückhaltevermögens)

Versiegelung, verringerte Versickerung Eingriffe in das Gewässerbe„ (Verlust von Rückhaltevermögen)

Entsiegelung von Flächen Errichtung von Dämmen oder Deichen

Erhöhter Durchfluss, z.B. durch Schneeschmelze

Abb. 10.5b    Theoretisches Modell zu Ursachen von und Schutz vor Hochwasser (mögliche Lernendenlösung)

Im Fortgang wird reflektiert, warum nicht alle Möglichkeiten des Hochwasserschutzes umgesetzt werden bzw. umstritten sind. Hierbei wird insbesondere auf gesellschaftliche Konfliktsituationen und divergierende Interessen Bezug genommen. Die Ergebnisse können in einer Tabelle festgehalten werden (siehe Abb. 10.6). Abschließend kann ein Rückbezug auf das eingangs gewählte Raumbeispiel hergestellt werden, etwa indem die Lernenden als Hausaufgabe recherchieren, wie in Passau mit den Folgen des Hochwassers 2013 umgegangen und welche Maßnahmen umgesetzt wurden. Dazu lassen sich etwa die von der Helmholtz-Gemeinschaft auf der Wissensplattform „Erde und Umwelt“ bereitgestellten Materialien zur Analyse des Hochwassers

10  Von der Modellanwendung zur Modellentwicklung Mögliche Hochwasserschutzmaßnahmen

1 2 3 4

Eindeichung gefährdeter Bereiche

127

Mögliche Konfliktgründe Hohe Kosten, Verlagerung der Gefährdung auf andere Bereiche

Renaturierung begradigter Gewässerabschnitte

Hoher Flächenbedarf, ggf. Auswirkung auf andere Nutzung, etwa Schifffahrt.

Schaffung von Retentionsflächen

Flächen werden anderer Nutzung entzogen, ggf. nötige Entschädigungen

Mehr Versickerungsmöglichkeiten, weniger versiegelte Flächen

Maßnahmen sind teuer, ggf Einschränkung der Nutzung, etwa für Verkehr

Abb. 10.6   Mögliche Konflikte in Zusammenhang mit Hochwasserschutzmaßnahmen

von 2013 und ergänzende Empfehlungen nutzen (siehe https://www.eskp.de/naturgefahren/hochwasser-2013-analyse-ergebnisse-und-empfehlungen-935616/). Beitrag zum fachlichen Lernen In diesem Unterrichtsbeispiel gehen die Schüler*innen der Frage nach, wie es zu Hochwasser kommt und wie den damit verbundenen Gefahren und Risiken begegnet werden kann. Dabei werden physiogeographische und anthropogeographische Strukturen und Prozesse analysiert. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S4 (hier und im Folgenden Standards nach DGfG 2020) nennen räumliche Strukturen, die Hochwasser begünstigen (z. B. Versiegelungsflächen, Flussbegradigung); S6 erklären Prozesse, die zum Hochwasser beitragen (z. B. Starkregen, Einflussgebiet); S19 kennen Maßnahmen für einen Hochwasserschutz (z. B. Damm, Rücklaufbecken) (DGfG, 2020) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S9 entwickeln Hypothesen zur Entstehung von Hochwasser; S10 überprüfen anhand eines Modells ihre Hypothesen (ebd.) • Beurteilung/Bewertung: S2 bewerten Maßnahmen zum Hochwasserschutz; S3 reflektieren Modelle hinsichtlich ihrer Aussagekraft (ebd.)

128

L. Mönter und C. Peter

Klassenstufe und Differenzierung Das Unterrichtsbeispiel stellt ein Angebot für Schüler*innen der 6. bis 7. Jahrgangsstufe dar und kann in ca. einer Doppelstunde durchgeführt werden. Folgende Differenzierungsmöglichkeiten bieten sich für die unterrichtliche Umsetzung an: • Modellvariation: Das haptische Modell kann zum Beispiel durch anschauliche Elemente erweitert werden. Außerdem können Filmsequenzen oder digitalen Modelle bzw. Simulationstools (siehe oben) sowie weiterführende Informationen etwa in Form von Datensätzen ergänzend genutzt werden. • Offenheit der Methoden: Sowohl die Modellnutzung als auch die Modellentwicklung können im unterrichtlichen Verlauf offen gestaltet werden, verbunden mit einer möglichst hohen Selbstständigkeit der Schüler*innen, oder eher angeleitet durch die Lehrkraft mit verstärkt instruktiven Unterrichtsphasen erfolgen, je nach Lerngruppe. • Differenzierungstools und -methoden: Zur weiteren Differenzierung können Hilfestellungen etwa in Form von Hilfeboxen oder Peer-to-Peer-Verfahren eingesetzt werden. Räumlicher Bezug Flüsse in Deutschland (konkret: Donau) Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System) (vgl. DGfG, 2020) Österreich: Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme (vgl. Bundeskanzleramt, 2016) Schweiz: Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.1) (vgl. D-EDK, 2016)

10.4 Transfer Die Betrachtung kann auf ähnliche Hochwassergefährdungen an anderen Flüssen in Deutschland transferiert werden, etwa Elbe, Oder, Saale, Rhein oder Mosel. Auch ein Bezug zu anderen gefährdeten Regionen in Europa kann erfolgen, etwa zu den im Mai 2014 betroffenen Gebieten in Serbien und Bosnien-Herzegowina. Weiter kann ein Transfer durch eine vergleichende Untersuchung anderer globaler Hochwasserereignisse vorgenommen werden, etwa das Hochwasser im Juli/August 2020 in China oder das Mississippi-Hochwasser im Mai 2019. Und schließlich ist eine Übertragung auf Küstenräume möglich, etwa mit Bezug auf Sturmfluten und Küstenschutz an der deutschen Nordseeküste oder zu Möglichkeiten des Hochwasserschutzes mit Fluttoren am Beispiel von Venedig.

10  Von der Modellanwendung zur Modellentwicklung

129

Verweise auf andere Kapitel • Bette, J.: Modellkompetenz. Wirtschaftsräumlicher Wandel – Innovation. Band 2, Kapitel 17. • Dickel, M.: Perspektivenwechsel. Sozialkatastrophe – Hurricans. Band 1, Kapitel 6. • Rosendahl, N. & Peter, C.: Experimentieren. Boden – Winderosion. Band 1, Kapitel 5.

Literatur AON (2021). Global Catastrophe Recap. July 2021. Abgerufen am 20.08.2021 unter: http:// thoughtleadership.aon.com/Documents/20211008_analytics-if-july-global-recap.pdf. Ammoneit, R., Reudenbach, C., Turek, A., Nauß, T., & Peter, C. (2019). Geographische Modellierkompetenz – Modellierung von Raum konzeptualisieren. GW-Unterricht, 156, 19–29. https:// doi.org/10.1553/gw-unterricht156s19. bpb [Bundeszentrale für politische Bildung] (2021). Jahrhunderthochwasser 2021 in Deutschland. Abgerufen am 28.08.2021 unter https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/337277/jahrhunderthochwasser-2021-in-deutschland. Bette, J., Mehren, M., & Mehren, R. (2019). Modellkompetenz im Geographieunterricht. Modelle als Schlüssel zum Weltverstehen. Praxis Geographie, 3, 4–9. BMU [Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit] (2017). Hochwasservorsorge im Inland. Aufgerufen am 23.05.2021 unter: https://www.bmu.de/themen/wasserabfall-boden/binnengewaesser/hochwasservorsorge/. Bundeskanzleramt (2016). Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich: Änderung der Verordnung über die Lehrpläne der allgemeinbildenden höheren Schulen; Änderung der Bekanntmachung der Lehrpläne für den Religionsunterricht an diesen Schulen. D-EDK [Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz] (2016). Lehrplan 21. Abgerufen am 19.05.2021 unter: https://v-fe.lehrplan.ch/index.php?code=b|6|4|3. DGfG [Deutsche Gesellschaft für Geographie] (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss (10. Aufl.). Selbstverlag Deutsche Gesellschaft für Geographie. Dottori, F., Szewczyk, W., Ciscar, J. C., Zhao, F., Alfieri, L., Hirabayashi, Y., Bianchi, A., Mongelli, I., Frieler, K., Betts, R. A., & Feyen, L. (2018). Increased human and economic losses from river flooding with anthropogenic warming. Nature Climate Change, 8(9), 781–786. Hennegriff, W., Kolokotronis, V., Weber, H., & B. H. (2006). Klimawandel und Hochwasser – Erkenntnisse und Anpassungsstrategien beim Hochwasserschutz. Wasserwirtschaft, 53(8), 768– 779. https://doi.org/10.1038/s41558-018-0257-z. Krautter, Y. (2020). Medien im Geographieunterricht nach lernförderlichen Kriterien auswählen. In S. Reinfried & H. Haubrich (Hrsg.), Geographie unterrichten lernen. Die Didaktik der Geographie (S. 213–276). Cornelsen. Kuhlicke, C., & Meyer, V. (2013). Nachhaltige Hochwasservorsorge. In Bundeszentrale für politische Bildung. Aufgerufen am 23.05.2021 unter https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/ hochwasserschutz/166131/nachhaltige-hochwasservorsorge. Mahr, B. (2008). Ein Modell des Modellseins. In U. Dirks & E. Knobloch (Hrsg.), Modelle. (S. 187–218). Peter Lang. Munich RE. (2021). Überschwemmungen, Sturmfluten und Sturzfluten. Unterschätzte Naturgefahren. Aufgerufen am 14.02.2021 unter: https://www.munichre.com/de/risiken/

130

L. Mönter und C. Peter

naturkatastrophen-schaeden-nehmen-tendenziell-zu/ueberschwemmungen-und-sturzflutenhochwasser-eine-unterschaetzte-gefahr.html#1258490336. NLWKN [Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz] (.oJ.). Wie entsteht Hochwasser? Aufgerufen am 16.02.2021 unter: https://www.nlwkn.niedersachsen. de/startseite/hochwasser_kustenschutz/hochwasserschutz/hintergrundinformationen/wie_entsteht_hochwasser/fachliche-grundlagen-wie-entsteht-hochwasser-119741.html. Peter, C. (2017). Modelle. In A. Brucker, J.-B. Haversath, & A. Schöps (Hrsg.), GeographieUnterricht. 102 Stichwort (S. 151–152). Schneider Verlag Hohengehren. Schmidt, H. (2003). So erkläre ich Geografie. Modelle und Versuche einfach anschaulich. Verlag an der Ruhr. Strahler, A., & Strahler, A. N. (2009). Physische Geographie. Springer. UBA [Umweltbundesamt] (2011). Hochwasser. Verstehen, erkennen, handeln! Aufgerufen am 15.02.2021 unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/ uba_hochwasser_barrierefrei_new.pdf. Wiktorin, D. (2014). Modelle in der Geographie: Vernetzt denken, kritisch reflektieren, kompetent anwenden. In Praxis Geographie extra, S. 6–10.

Kartenauswertungskompetenz Ein strategiebasierter Unterrichtsbaustein am Beispiel einer thematischen Karte zum Gletscherrückgang

11

Tobias Ulmrich und Sebastian Krüger

 Teaser  Die Kartenauswertung stellt im Geographieunterricht eine zentrale

Arbeitstechnik dar, die im Kontext der Räumlichen Orientierung einen auf Lese- und Verstehensstrategien basierenden Zugriff auf das Medium Karte voraussetzt. Die Förderung der Kartenauswertungskompetenz baut im Beitrag auf dem Ludwigsburger Kompetenzstrukturmodell auf. Der dort ausgewiesene Vierschritt aus Dekodieren, Beschreiben, Erklären und Beurteilen hat nomothetischen Charakter und wird exemplarisch an einer Karte zum Rückzug des Aletschgletschers vollzogen.

11.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Glaziologie – Gletscherschmelze Gletscher sind natürliche, sich in Bewegung befindliche Eiskörper an Land, die Eis vom Akkumulationsgebiet (Nährgebiet) zum Ablationsgebiet (Zehrgebiet) transportieren (vgl. Krainer, 2016: 64). Charakteristisch ist die stetige Eisbildung auf der AkkumulationsErgänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_11. T. Ulmrich (*) · S. Krüger  Institut für Didaktik der Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Krüger  E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_11

131

132

T. Ulmrich und S. Krüger

fläche bei gleichzeitigem Eisschwund durch Schmelzprozesse im Ablationsgebiet. Durch ihre Abhängigkeit von klimatischen Bedingungen sind Gletscher als „komplexe, klimagesteuerte natürliche [Öko-]Systeme“ (Winkler, 2009: 11) zu verstehen. Voraussetzung für ihr Entstehen ist Schneefall in ausreichender Menge. Ein Teil des Schnees muss ganzjährig liegen bleiben, „sodass sich über einen längeren Zeitraum größere Schneemassen ansammeln können, die dann allmählich in Gletschereis umgewandelt werden“ (Krainer, 2016: 65). Überdauert Altschnee den nachfolgenden Sommer, spricht man von Firn, der sich über Jahre zu Gletschereis formt (vgl. Alean, 2010: 36). Gletschereis bildet sich dabei durch Prozesse der Kompaktion sowie Umkristallisation. Die Dauer der Gletschereisbildung ist temperaturabhängig und dauert in den Alpen ca. 15–20 Jahre. Gletscher reagieren auf klimatische Veränderungen mit Vorstoß oder Rückzug. Der zeitweise Rückzug des Gletschereises ist ein natürlicher Prozess, der durch Verdunstung und Abschmelzprozesse hervorgerufen wird. Von Gletscherzuwachs spricht man, wenn der Zuwachs an Schnee im Akkumulationsgebiet größer als der Abschmelzbetrag im Zehrgebiet ist (vgl. Krainer, 2016: 65 ff.). Hat ein Gletscher über Jahre keinen Zuwachs, handelt es sich aufgrund der gleichzeitigen Schmelzprozesse um einen Gletscherrückzug. Veränderungsprozesse treten insbesondere durch eine Positions- bzw. Längenveränderung der Gletscherfront in Erscheinung (vgl. Winkler, 2009: 56). Heutzutage weisen viele Gletscher einen stark negativen Gletscherhaushalt auf (vgl. Krainer, 2016: 68). Die Veränderung des Klimas (u. a. durch den anthropogen bedingten Ausstoß von Treibhausgasen) ist ein Multiplikator der Gletscherschmelze, der sich weiter verstärken wird (vgl. Alean, 2010: 20). Die steigende Lufttemperatur hat großen Einfluss auf die negative Massebilanz von Gletschern (vgl. ebd.: 63), wenngleich die häufig monokausal dargestellte Korrelation zwischen solch einzelnen Klimaparametern und Längenveränderungen eines Gletschers eine unzulässige Vereinfachung darstellt, die in Wirklichkeit weitaus komplexer ist (vgl. Winkler, 2009: 56).

Abb. 11.1   Panoramaaufnahme des Grossen Aletschgletschers (Schweiz) von 2012; Fotostandort: Eggishorn, Fiescheralp (Quelle: UNESCO-Welterbe Swiss Alps Jungfrau-Aletsch, Raphael Schmid)

11 Kartenauswertungskompetenz

133

Abb 11.2   Gletscherrückzug am Grossen Aletschgletscher im zeitlichen Verlauf von 1860 bis 2017. a Historisches Bild von 1860, Fotostandort: Aletschbord, Belalp (Quelle: Alpine Club London, F. Martens); b Aufnahme von 2008, Fotostandort: Aletschbord, Belalp (Quelle: UNESCO-Welterbe Swiss Alps Jungfrau-Aletsch, Raphael Schmid); c Aufnahme von 2017, Fotostandort: Aletschbord, Belalp (Quelle: UNESCO-Welterbe Swiss Alps Jungfrau-Aletsch, Raphael Schmid)

Infobox 11.1: Grosser Aletschgletscher

Der Grosse Aletschgletscher (Abb. 11.1 und 11.2) im schweizerischen Kanton Wallis ist der flächenmäßig größte und längste Talgletscher der Alpen. Dort kann ein Temperaturanstieg von ca. 1 °C bereits zu einem Rückzug der Gletscherzunge von ca. zwei bis drei Kilometern führen (vgl. Alean, 2010: 246). Die Aktualität der Thematik wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass jener Gletscher in den Berner Alpen jährlich ca. 50 Meter seiner Länge einbüßt (vgl. Aletsch Arena AG, o. J.).

134

T. Ulmrich und S. Krüger

Darüber hinaus führen auch andere Parameter, wie z. B. die touristische Inanspruchnahme und die damit verbundene Notwendigkeit von Infrastruktur, zu teils irreversiblen Schäden in den fragilen Ökosystemen. Das Abschmelzen der Gletscher gefährdet menschliche Siedlungsräume (vgl. Fraedrich, 2016: 103–120) nicht nur durch den daraus resultierenden Anstieg des Meeresspiegels. Ehemalige Gletscher hinterlassen beispielsweise Schotterfelder oder Trümmerhaufen, die u. a. Murengänge und Felsstürze begünstigen. Durch abfließendes Schmelzwasser kann es zu Hochwasser und anschließend zu Wasserengpässen für die Trinkwasserversorgung kommen (vgl. Revaz, 2004: 232). Der globale Gletscherrückzug ist einer jener Veränderungsprozesse unseres Naturraums, für den der Mensch Mitauslöser, gleichzeitig aber auch Betroffener und Leidtragender ist. Am Beispiel des Gletscherrückzugs mit seinen Ausmaßen und Folgen werden daher Mensch-Umwelt-Beziehungen sowie Aspekte des globalen Wandels besonders deutlich. Der Sachgegenstand bietet somit Anknüpfungspunkte für verschiedenste Unterrichtsvorhaben und lässt sich je nach geltendem Lehrplan in unterschiedlichen Jahrgangsstufen und Schulformen thematisieren. Weiterführende Leseempfehlung Winkler, S. (2009). Gletscher und ihre Landschaften. Eine illustrierte Einführung. Darmstadt: Primus-Verlag. Problemorientierte Fragestellung Wie kann ich mithilfe einer thematischen Karte dem Ausmaß und den Folgen des Gletscherrückgangs auf die Spur kommen?

11.2 Fachdidaktischer Bezug: Kartenauswertung Die Bildungsstandards für das Fach Geographie weisen räumliche Orientierungskompetenz als eigenen Kompetenzbereich aus. In diesen fällt die Fähigkeit zum angemessenen Umgang mit Karten (Kartenkompetenz), die sich in die Dimensionen Karten zeichnen, Karten auswerten und Karten reflektieren aufteilt. Kartenauswertung fokussiert auf zielgerichtete, fragengeleitete Lese- und Interpretationsprozesse, die einen strategiebasierten Zugriff auf Karten einfordern. Karten sind in besonderem Maße geeignet, eine Vorstellung über räumliche Strukturen, Funktionen und Prozesse grafisch-modellhaft zu transportieren. Ihrer Auswertung kommt daher eine große Bedeutung in der Übermittlung raumbezogener Informationen zu (vgl. DGfG, 2020). Karten als doppelt verebnete, maßstäblich verkleinerte, generalisierte, erläuterte sowie inhaltlich, zeitlich und räumlich begrenzte Modelle räumlicher Informationen (vgl. Hüttermann, 2013) vereinen grafische und textuelle Elemente auf eine Art und Weise, dass diese aufeinander verweisen. Die Schüler*innen müssen die Elemente daher aktiv aufeinander beziehen. Dieser Beitrag fokussiert die thematische Karte, welche sich durch die Kombination mehrerer Darstellungsschichten sowie eine große Dichte kartographischer Zeichen auszeichnet und häufig im Geographieunterricht genutzt wird (vgl.

11 Kartenauswertungskompetenz

135 Kartenauswertungskompetenz

primär karteninterne Informaonen nutzen

grafisches Dekodieren

Einzelinformaonen (Elemente) erfassen Dekodieren der Grafik

symbolisch

geometrisch

Generalisierung

Karte beschreiben

Einzelphänomene

Karten lesen

Raumstrukturen

externe Informaonen heranziehen

Beziehungen (Relaonen) verstehen Karte erklären

kartenimmanent

mit externen Informaonen

zum Inhalt

zur Grafik

Karte beurteilen

sachimmanente Beurteilungen

Karten interpreeren

Abb. 11.3   Ludwigsburger Kompetenzstrukturmodell der Kartenauswertung (Verändert nach Hemmer et al., 2012: 150)

Diekmann-Boubaker, 2011: 9). Um ausgehend von einer Aufgabenstellung zu interpretierenden Aussagen zu gelangen, ist ein konzeptgeleiteter Zugriff unerlässlich. Als Basis dazu dient das Ludwigsburger Modell der Kartenauswertungskompetenz (Abb. 11.3). Dieses weist mit Dekodieren, Beschreiben, Erklären und Beurteilen vier aufeinander aufbauende, operationalisierbare Kompetenzdimensionen aus, wobei die ersten zwei Dimensionen dem Kartenlesen, die letzten beiden der Karteninterpretation zugeordnet sind. Der Vierschritt dient dann als metakognitive Wissensbasis für einen strategischen Zugriff, der den Lernenden hilft, ihren Auswertungsprozess zu planen, zu steuern und zu kontrollieren. In Abhängigkeit von der leitenden Fragestellung gilt es zunächst (1) die Bedeutung ausgewählter Symbole und Kartenzeichen mithilfe der Legende zu dekodieren. Dazu muss von den Lernenden die Aufgabenstellung verstanden und auf die Karte bezogen werden. Dem sich anschließenden Such-, Orientierungs- und Lokalisierungsprozess folgt die Nutzung der Legende zur Identifikation der Kartenzeichen. Die geometrische Dekodierung von Maßstab und Höhendarstellungen sowie der Umgang mit der Generalisierung erfolgen nach festgelegten kognitiven Auswertungsoperationen. Die so gewonnenen Informationen können dann (2) in eine textlich kontinuierliche und sachlogisch kombinierende Beschreibung von Einzelobjekten bzw. Raumstrukturen einfließen. Die Beschreibung bildet die hermeneutische Grundlage für (3) die Erklärung der in der Karte dargestellten geographischen Phänomene, Strukturen und Prozesse. Neben der Verknüpfung kartenimmanenter Informationen erfolgt diese häufig unter Einbezug externer Informationen. Eine (4) Beurteilung der Karte erfolgt abschließend bezüglich des zuvor erklärten Inhalts oder der Kartengrafik. Spätestens in diesem letzten Schritt ist es zentral für die Schüler*innen, die Rezipient*innenperspektive zu verlassen und sich in die der/des Kartograph*in hineinzuversetzen, um den kartographischen Her-

136

T. Ulmrich und S. Krüger

stellungsprozess als subjektiv und unter Umständen fehleranfällig nachzuvollziehen. Diese kartenimmanente Beurteilung ist nicht mit der reflexiven Kartenarbeit (vgl. Gryl & Kanwischer, 2011) gleichzusetzen. Letztere kann als konstruktivistische Perspektive an verschiedenen didaktischen Orten in den Auswertungsprozess eingebunden werden. Weiterführende Leseempfehlung Krüger, S. & Hemmer, M. (2019). Karten lesen – (k)eine Kunst?! Theoretische Grundlagen und Konzeption des Praxisprojekts Geographie. In M. Bönnighausen (Hrsg.), Praxisprojekte in Kooperationsschulen. Fachdidaktische Modellierung von Lehrkonzepten zur Förderung strategiebasierten Textverstehens in den Fächern Deutsch, Geographie, Geschichte und Mathematik (S. 107–163). Münster: WTM-Verlag. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Mediendidaktik, metakognitives Lernen, Geomedienkompetenz

11.3 Unterrichtsbaustein: Dem Gletscherrückgang auf der Spur – Ein Unterrichtsbaustein zur Kartenauswertung Der Unterrichtsbaustein (vgl. Tab. 11.1) zielt auf die strukturierte Auswertung einer thematischen Karte zur Gletscherschmelze am Beispiel des Aletschgletschers. Die Konzeption folgt mit inhaltlicher Strukturierung, kognitiver Aktivierung und innerer Differenzierung drei Merkmalen lernförderlichen Unterrichts (vgl. Helmke, 2014). Der Vierschritt aus Dekodieren, Beschreiben, Erklären und Beurteilen bildet das strukturgebende Element. Der Auswertungsprozess ist eingebettet in die kognitiv aktivierende, motivierende Rahmennarration eines fiktiven Forschungsvorhabens und setzt neben der obligaten Berücksichtigung inhaltlich-thematischer Komponenten vor allem einen methodischen Schwerpunkt. Ein weiteres konstitutives Element ist die Berücksichtigung der Heterogenität. Möglichkeiten zur Differenzierung werden im Anschluss an den Unterrichtsbaustein skizziert. Eine Realisierung sollte mehrstündig angelegt werden, um heterogenen Lernvoraussetzungen sowie ggf. bestehenden Auswertungsschwierigkeiten gerecht zu werden. Die Aufteilung auf Einzelstunden ist ebenso denkbar wie eine zusammenhängende Projektarbeit. Zu berücksichtigen ist, dass die einzelnen Auswertungsschritte sukzessiv aufeinander aufbauen, sodass ein Absolvieren in abweichender Reihenfolge nicht möglich ist. Methodisch wurde daher ein Lernzirkel (vgl. Rinschede & Siegmund, 2020: 272 f.) gewählt. Im Auswertungsprozess werden verschiedene Lernvoraussetzungen und -herausforderungen wirksam, die hinsichtlich der Ergebnisse in einer erfahrungsgemäß großen Leistungsheterogenität der Lernenden münden. Zu jedem der vier Auswertungsschritte liegen empirische Studien bzgl. potenzieller Schwierigkeiten vor (vgl. Krüger & Hemmer 2019). Diese Diagnosen, die nicht nur aus der Geographiedidaktik, sondern auch aus Bezugswissenschaften stammen, können bei der gezielten Anpassung des Unterrichtsbausteins unterstützen. Als

11 Kartenauswertungskompetenz

137

Tab. 11.1  Vorschlag zur unterrichtlichen Umsetzung des Unterrichtsbausteins (LV = Lehrervortrag, UG = Unterrichtsgespräch) Phase

Inhaltlicher Schwerpunkt

Methode; Sozialform

Medien; Material

Einstieg

Thematischer Einstieg und Entwicklung einer problemorientierten, fach- und raumbezogenen Leitfrage auf Basis einer Bilderreihe zum Gletscherrückzug am Aletschgletscher

Stummer Impuls, UG

Projektion Abb. 11.2

Entwicklung einer Leit- UG frage: „Welches Ausmaß und welche Folgen hat der Gletscherrückgang am Aletschgletscher?“ o. Ä.

Tafel

Entwicklung von VerUG mutungen zur Leitfrage Themenbezogene Verortung

LV

Atlaskarte: Abb. 11.4, Google Earth, Tafel

Überleitung (Karte und LV Lernzirkel) Erarbeitung

Lernzirkel in vier TeilDurchlaufen eines stationen (Vierschritt) Lernzirkels zur Kartenauswertung und Bearbeitung der Fragestellung (ggf. Zwischenreflexion nach jedem Teilschritt)

Karte, Aufgaben- und Arbeitsblätter, Zusatzmaterial (nicht im Beitrag enthalten)

Präsentation und Ergebnissicherung

UG

Arbeitsblätter, Dokumentenkamera o. Ä.

Rückbezug zur Fragestellung und Abgleich mit aufgestellten Vermutungen

UG

(Fortsetzung)

138

T. Ulmrich und S. Krüger

Tab. 11.1   (Fortsetzung)

Phase

Inhaltlicher Schwerpunkt

Methode; Sozialform

Sicherung/Transfer

Inhaltlicher Transfer: Maßstabswechsel/ Raumbeispiel und/ oder methodische Reflexion der Auswertungsmethodik (Inwiefern hat die Kartenauswertung bei der Beantwortung der Fragestellung geholfen? Was hat die Karte in Bezug auf das Erkenntnisinteresse am Ausmaß und den Folgen des Gletscherrückgangs geleistet bzw. nicht geleistet? Welchen Mehrwert hat die Schrittfolge der Kartenauswertung?)

UG

Medien; Material

kartographisches Leitmedium dient eine etablierte Atlaskarte zum Gletscherrückzug am Aletschgletscher (Abb. 11.4). Die Karte weist eine reichhaltige topographische Grundlage sowie einen formenreichen Zeichenschatz auf. Mit der Zusammenschau anthropogener und physiogeographischer Faktoren adressiert sie typische Zusammenhänge eines MenschUmwelt-Systems. Der Aletschgletscher wurde aufgrund seiner Größe sowie der deutlich sichtbaren Rückzugsprozesse (Abb. 11.2) ausgewählt. Als sensible Ökosysteme haben Gletscher eine herausragende Indikatorfunktion für klimatische Veränderungsprozesse und legitimieren sich deshalb im Kontext des Klimawandels für ihre unterrichtliche Thematisierung. Als Einstieg kann eine Bilderreihe zum Gletscherrückzug (Abb. 11.2) präsentiert werden. Der Bildimpuls dient der kognitiven Aktivierung und kann gleichermaßen für die Fragilität glazialer Ökosysteme sensibilisieren. Die Schüler*innen beschreiben die Bilder, identifizieren die Problematik des Gletscherrückgangs und entwickeln daraus eine problembezogene Leitfrage (z. B.: „Welches Ausmaß und welche Folgen hat der Gletscherrückgang am Aletschgletscher?“). Unterrichtliche Leitfragen sind meist inhaltlicher Natur, wenngleich auch eine Kombination mit der Erschließungsmethode der Kartenauswertung möglich ist, sofern diese transparent gemacht wird (z. B.: „Wie kann ich mithilfe einer thematischen Karte dem Ausmaß und den Folgen des Gletscherrückgangs auf die Spur kommen?“). Hierbei wäre eine Reflexion des Kartenauswertungsprozesses zur Beantwortung der Leitfrage am Ende

11 Kartenauswertungskompetenz

139

Abb. 11.4   Kartographische Grundlage des Unterrichtsbausteins (Quelle: Klett-Verlag, 2017: 61). Die kartographische Grundlage ist darüber hinaus als 3-D-Overlay verfügbar, das mithilfe von Google Earth abgerufen kann: https://static.klett.de/haack/04-296.kmz

140

T. Ulmrich und S. Krüger

der Unterrichtssequenz (oder am Ende jedes Auswertungsschrittes) essenziell. Im Übergang zur Erarbeitungsphase sollte eine Initiierung der Rahmennarration, eine Einführung in die Stationenarbeit sowie die Klärung offener Fragen stattfinden. Die Schüler*innen dekodieren zunächst zentrale Darstellungselemente der Karte (Signaturen, Maßstab, Höhenlinien) mit dem Ziel, eine geeignete Aufstiegsroute zur Erkundung des Gletschers zu identifizieren. Anschließend beschreiben sie eine vorgegebene Abstiegsroute in mehreren Etappen. Dabei erfassen sie kartenimmanente Parameter (z. B. Ausgangs- und Endpunkt, Beschaffenheit der Wegstrecke, Landschaftsmerkmale, Relief, Entfernungen). Die gewonnenen Informationen fassen sie in kurzen Texten zusammen. Nachfolgend erklären die Schüler*innen anhand der Karte und unter Zuhilfenahme externer Informationen Ausmaß und Folgen des Gletscherrückgangs am Aletschgletscher. Im letzten Schritt beurteilen sie den Karteninhalt, u. a. in Bezug auf die Darstellung der zeitlichen Veränderung des Gletscherrückzugs sowie die Eignung der Karte für Zukunftsprognosen. Dabei werden potenzielle Schwächen der Kartendarstellung und damit verbundene Fallstricke bei der Karteninterpretation entdeckt. Anschließend sollten eine Präsentation und Ergebnissicherung sowie ein Rückgriff auf die Leitfrage und die aufgestellten Vermutungen erfolgen. In der Sicherungs- bzw. Transferphase bietet sich ein Abstrahieren der lokalen Problematik auf die globale Maßstabsebene an. Weiterhin kann eine Reflexion der systematischen Kartenauswertung vorgenommen werden. Auch eine Thematisierung von Schwierigkeiten und Problemen ist denkbar. Detaillierte Vorschläge zur unterrichtlichen Umsetzung (Rahmennarration, Aufgabenbeispiele, Hinweise für die Lehrkraft) finden sich im digitalen Materialanhang zu diesem Band. Beitrag zum fachlichen Lernen Im Rahmen der Leitfrage wird dem Medium Karte und der Methodik seiner Auswertung ebenso viel Raum gegeben wie dem thematisch-inhaltlichen Bezug. Somit wird die strukturierte Auswertung einer Karte mit einem konkreten Inhalt (Ursachen und Folgen des Gletscherrückgangs) verbunden. Der Vierschritt des Ludwigsburger Modells wird so als ein auch auf andere Karten transferfähiges Werkzeug genutzt, um der genuin geographischen Frage nach den Auswirkungen eines anthropogen beeinflussten Klimas (u. a. sich beschleunigender Schwund der Kryosphäre) auf die Spur zu kommen. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S5 „vergangene und zu erwartende naturgeographische Strukturen in Räumen (z. B. […] Gletscherveränderungen) erläutern“ (DGfG, 2020: 14); S18 „Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen (z. B. […] Klimawandel […]) erläutern“ (ebd.: 15); S19 „an ausgewählten einzelnen Beispielen Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] systemisch erklären“ (ebd.) • Räumliche Orientierung: S6 „topographische, physische, thematische und andere alltagsübliche Karten im Web oder anderen Quellen finden, lesen und unter einer zielführenden Fragestellung auswerten“ (ebd.: 17)

11 Kartenauswertungskompetenz

141

Bedeutsam in der Förderung der Auswertungskompetenz ist, dass sie nicht in dem instrumentellen Selbstzweck untergeordneten Methodenstunden erfolgt. Der Kompetenzerwerb muss anwendungsbezogen, systematisch und sachlogisch progressiv in Verbindung mit geographischen Fragestellungen geschehen (vgl. Hüttermann, 2002). Vorgesehen ist daher das Durchlaufen des gesamten Vierschritts am Beispiel einer Karte. Auf diese Weise werden die Schüler*innen zur strategiebasierten Kartenarbeit angeleitet. Die Verknüpfung der Auswertung mit dem Kompetenzbereich des Fachwissens und diesbezüglicher Fragestellungen macht die Kartenauswertung zu einem Erkenntnisinstrument der Beantwortung geographisch relevanter Fragestellungen. Klassenstufe und Differenzierung Jahrgangsstufe 7 bis 8, z. B. im Kontext des Themenkomplexes „Wetter und Klima“ Das Konzept der Binnendifferenzierung strebt eine situations- und adressatengerechte, offen differenzierte Lernumgebung auf Grundlage adaptiver Hilfen (Hilfekarten, Lösungshinweise und -wege) und verschiedener medialer Zugänge zur Karte (u. a. möglich sind digitale Atlanten oder haptische 3-D-Modelle) an. Das Ziel der offenen Differenzierung ist die Schaffung einer klar gerahmten, adaptiven und anregungsreichen Lernumgebung. Dabei können die Schüler*innen unter Berücksichtigung individueller Lernvoraussetzungen und der eigenständigen Auswahl verschiedener Lernhilfen (z. B. Art und Formulierung von Hilfe- und Hinweiskarten, fachsprachliches Scaffolding in der Ergebnissicherung durch Verfassen eines Freitextes oder Füllen eines Lückentextes), Bearbeitungswege (z. B. Umgang mit dem Maßstab über Verhältniszahl oder Maßstabsleiste), Sozialformen und Lerntempi (z. B. Setzung einer Einzel- oder Partnerarbeit) zum zielgleichen Lernerfolg angeleitet werden, ohne grundlegende Abstriche bei der Sach- und Methodenkompetenz zuzulassen. Räumlicher Bezug Alpenraum, Schweiz, Berner Alpen, Wallis, Grosser Aletschgletscher Konzeptorientierung Deutschland: Systemkomponente (Prozess), Nachhaltigkeitsviereck (Ökologie), Maßstabsebene (lokal), Zeithorizont (mittelfristig), Raumkonzept (Beziehungsraum) Österreich: Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz: natürliche Grundlagen der Erde untersuchen, Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren

11.4 Transfer Transfer thematisch-inhaltlicher Aspekte: Der Gletscherrückgang ist ein globales, sich beschleunigendes Phänomen. Die Thematisierung des Aletschgletschers kann daher als Beispiel für das weltweite Auftreten einer schwindenden Kryosphäre mit Folgen auf

142

T. Ulmrich und S. Krüger

unterschiedlichen Maßstabsebenen gelten. Neben dem räumlichen Transfer können die kausalen Wirkzusammenhänge des Gletscherschwunds in ihren Grundzügen auch auf andere klimabedingte Veränderungen (z. B. das Auftauen des Permafrostbodens oder Eismasseverluste) übertragen werden. Transfer methodischer Aspekte: Als metakognitive Wissensbasis kann der Vierschritt die Auswertung jedweden Kartentyps unterstützen. Dabei hilft eine flexible Akzentuierung der Auswertungsschritte, unterschiedliche Kartentypen in Schule und Alltag zu lesen und zu interpretieren bzw. die Auswertung funktional an die schulpraktischen Gegebenheiten anzupassen. So wären z. B. im Fall eines U-Bahn-Netzplans das Dekodieren und Bewerten (im Sinne eines Abgleichens mit dem Streckenverlauf im Realraum) deutlich stärker im Fokus als das Beschreiben und Erklären. Verweise auf andere Kapitel • Fögele, J. & Hoffmann, K. W.: Wissenschaftsorientierung. Klimawandel. Band 1, Kapitel 20. • Franz. S.: Digitale Geomedien. Naturgefahr – Vulkanismus. Band 1, Kapitel 4. • Gryl. I. & Hemmer, M.: Metakognitives Lernen. Grundlagen des Fachs – Gegenstandsbereich, Erkenntnisinteresse, Wege der Erkenntnisgewinnung und Legitimation. Band 1, Kapitel 2. • Hanke, M., Ohl, U. & Sprenger, S.: Faktische Komplexität. Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation. Band 1, Kapitel 8. • Lehmann, J.: Mediendidaktik. Erde als Planet – Grundlagen des Lebens. Band 1, Kapitel 12. • Reuschenbach, M. & Hoffmann, T.: Aktualitätsprinzip. Ökosysteme – Gefährdung von Lebensräumen. Band 1, Kapitel 18. • Scholten, N., Nöthen, E. & Sprenger, S.: Sprachbewusster Umgang mit Bildern. Klimawandel – Auswirkungen des Klimawandels. Band 1, Kapitel 21.

Literatur Alean, J. (2010). Gletscher der Alpen. Haupt. Aletsch Arena AG. (o. J.). Der Grosse Aletschgletscher. https://www.aletscharena.ch/weltnaturerbe/grosser-aletschgletscher (18.12.2020). Alpine Club London | F. Martens. (o. J.). Historisches Bild des Grossen Aletschgletschers von 1860. DGfG (Deutsche Gesellschaft für Geographie). (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. DGfG. Diekmann-Boubaker, N. (2011). Untersuchungen zur Effektivität von thematischen Karten im Prozess der schulischen Wissensvermittlung. Dissertationsschrift. Ruhr-Universität Bochum. https://hss-opus.ub.ruhr-uni-bochum.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/2642/file/diss.pdf (15.12.2020). Ehlers, J. (2011). Das Eiszeitalter. Spektrum Akademischer Verlag.

11 Kartenauswertungskompetenz

143

Fraedrich, W. (2016). Spuren der Eiszeit. Springer Spektrum. Gryl, I., & Kanwischer, D. (2011). Geomedien und Kompetenzentwicklung. Ein Modell zur reflexiven Kartenarbeit im Unterricht. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 17, 177–202. Helmke, A. (2014). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Klett-Kallmeyer. Hemmer, I., Hemmer, M., Hüttermann, A., & Ullrich, M. (2012). Über welche grundlegenden Fähigkeiten müssen Schülerinnen und Schüler verfügen, um eine Karte auswerten zu können? Auf dem Weg zu einem Kompetenzmodell zur Kartenauswertekompetenz. In A. Hüttermann, P. Kirchner, S. Schuler, & K. Drieling (Hrsg.), Räumliche Orientierung. Räumliche Orientierung, Karten und Geoinformation im Unterricht (S. 144–153). Westermann. Hüttermann, A. (2002). Kartenarbeit – ganz nebenbei. Geographie heute, 23(199), 2–7. Hüttermann, A. (2013). Karten. In D. Böhn & G. Obermaier (Hrsg.), Wörterbuch der Geographiedidaktik. Begriffe von A–Z (S. 128–130). Westermann. Klett Verlag. (2017). Haack Verbundatlas. Klett. Krainer, K. (2016). Naturpark Kaunergrat. Universitätsverlag Wagner. Krüger, S., & Hemmer, M. (2019). Karten lesen – (k)eine Kunst?! In M. Bönninghausen (Hrsg.), Praxisprojekte in Kooperationsschulen. Fachdidaktische Modellierung von Lehrkonzepten zur Förderung strategiebasierten Textverstehens in den Fächern Deutsch, Geographie, Geschichte und Mathematik (S. 107–163). WTM-Verlag. Revaz, M. (2004). Das Damokles-Schwert: Tauwetter im Alpenraum. In W. Zängl & S. Hamberger (Hrsg.), Gletscher im Treibhaus (S. 7–9). Tecklenborg Verlag. Rinschede, R., & Siegmund, A. (2020). Geographiedidaktik. Verlag Ferdinand Schöningh. UNESCO-Welterbe Swiss Alps Jungfrau-Aletsch | Raphael Schmid (o. J.). Aufnahmen des Grossen Aletschgletschers. Winkler, S. (2009). Gletscher und ihre Landschaften. Eine illustrierte Einführung. Primus Verlag.

Mediendidaktik Einzigartigkeit des Planeten Erde – Grundlage des Lebens

12

Johanna Lehmann

 Teaser  Spätestens

seit dem Aufkommen der „Fridays-for-Future“Bewegung und den dazugehörigen freitäglichen Demonstrationen ist die Aussage „There is no planet B“ – „Es gibt keinen Planeten B“ in aller Munde. Der Satz lässt sich in Reden, auf (Werbe-)Plakaten, T-Shirts, Stoffbeuteln, als Buchtitel, in Zeitungsartikeln, bei Twitter usw. finden. Wie kommt es zu der Aussage, dass es neben dem Planeten Erde als Plan(et) A keinen anderen Planeten B als Plan B gibt, auf dem Menschen und viele andere Lebewesen leben könnten? Mithilfe der Mediendidaktik lässt sich dieser Frage im Geographieunterricht nachgehen.

12.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Erde als Planet – Grundlagen des Lebens Die Einzigartigkeit des Planeten Erde lässt sich auf zwei ineinandergreifenden Ebenen erschließen: zum einen durch den Vergleich der Erde mit den anderen sieben Planeten unseres Sonnensystems und zum anderen durch den Fokus auf die Erde selbst, das heißt durch die Untersuchung der Atmosphäre und des globalen Wasserkreislaufs sowie des

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_12. J. Lehmann (*)  Institut für Geographie, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_12

145

146

J. Lehmann

Magnetfeldes der Erde, welche ein Leben (der Menschen) auf der Erde ermöglichen. Beide Ebenen führen zu Überlegungen und Debatten zum nachhaltigen Leben auf der Erde, an denen sich auch mediale Darstellungen und Inszenierungen der Erde als einzigartiger Planet untersuchen lassen. Im Unterrichtsbaustein soll es darum gehen, welche Bedingungen für Leben die Erde erfüllt und ob diese auch auf den anderen Planeten des Sonnensystems zu finden sind. In unserem Sonnensystem befinden sich die vier terrestrischen (erdähnlichen) Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars und die vier großen Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, wobei die zwei letztgenannten aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung auch als Eisplaneten bezeichnet werden (Hanslmeier, 2016: 51, 84). Vergleicht man diese acht Planeten, so fällt schnell auf, dass keiner davon dieselben Bedingungen (Atmosphäre mit Sauerstoff, feste Oberfläche, Temperaturen, …) für Leben zur Verfügung stellt wie die Erde. Auch wenn die terrestrischen Planeten Merkur, Venus und Mars sich in ihrer festen Oberfläche erdähnlich zeigen, weisen sie vor allem in Hinblick auf die Zusammensetzung der Atmosphäre, das Wasservorkommen sowie die Temperatur und den Druck (was auch in Zusammenhang mit den Atmosphären steht) zum Teil große Unterschiede zur Erde auf (vgl. Hanslmeier, 2016). So schwanken beispielsweise die Temperaturen auf dem Merkur zwischen ca. 426,85 °C am Tag und ca. -173,15 °C in der Nacht (ebd.: 65). Die größtenteils aus Kohlendioxid (CO2) bestehende Atmosphäre der Venus ermöglicht dort Temperaturen von ca. 466,85 °C und einen Druck, der dem in 1 km Meerestiefe auf der Erde entspricht (ebd.: 67 f.). Die Temperatur, der Druck und der Umstand, dass sich in 30 bis 60 km Höhe Schwefeltröpfchen-Wolken ansammeln (ebd.: 68), zeigt, dass auch die Venus keine Möglichkeit für Leben von Menschen und den meisten anderen Lebewesen bietet. Anders als bei der Venus ist der Druck der Atmosphäre des Mars heute sehr gering und entspricht nur ca. 1 % des Drucks auf der Erdoberfläche (ebd.: 69). Bei solch geringem Druck ist eine Ansammlung von flüssigem Wasser nicht möglich, da es sofort verdampft (ebd.). Auch die Temperaturschwankungen, welche zwischen 0 °C und -100 °C liegen, sind keine guten Bedingungen für Leben. Die Riesenplaneten sind nicht zuletzt durch ihre Zusammensetzung für ein Leben wie auf der Erde ebenfalls ungeeignet. Sie bestehen aus einem festen Kern und diesen umgebenden Gasen (ebd.: 51). Aus diesem Vergleich zeigt sich, dass es – laut jetzigem Forschungsstand – keine zweite Erde, keinen Planeten B (für die Menschen) in unserem Sonnensystem gibt. Was die Erde einzigartig macht und Grundlage für Leben bietet, sind die Atmosphäre und ihre Zusammensetzung (insb. das Vorhandensein von Sauerstoff), das Vorkommen von flüssigem Wasser, das Magnetfeld als Schutz vor Sonnenwinden, der natürliche Treibhauseffekt, welcher „angenehme“ Temperaturen ermöglicht, und andere Energiesowie Stoffkreisläufe, Geofaktoren und -prozesse (vgl. Wambsgnaß, 2012; Hanslmeier, 2016). Unter anderem darauf, dass es eben keinen Planeten wie die Erde gibt, macht die „Fridays for Future“-Bewegung aufmerksam. Damit möchte sie zeigen, dass die Erde in ihrer Einzigartigkeit zu schützen ist, und leitet daraus Forderungen zum Umgang mit unserer (Um-)Welt ab. Um sich sowohl mit der medialen Präsentation dieser Aussage auseinanderzusetzen als auch Informationen zu gewinnen, zu bearbeiten und zu präsentieren, bietet sich der Zugang über die Mediendidaktik an.

12 Mediendidaktik

147

Weiterführende Leseempfehlung NASA (2021). Planets. https://solarsystem.nasa.gov/planets/overview/ (14.01.2021). Problemorientierte Fragestellungen • Wieso ist der Planet Erde als Grundlage des Lebens einzigartig? • Was bedeutet die Aussage „Es gibt keinen Planeten B“?

12.2 Fachdidaktischer Bezug: Mediendidaktik Als Anliegen einer Mediendidaktik formulieren Gryl und Kanwischer (2013: 203) Folgendes: „Mediendidaktik verfolgt die Herausbildung von Medienkompetenz und kann Teil der Mediensozialisation werden, d. h. der Entwicklung einer spezifischen Haltung und graduellen Befähigung im Umgang mit Medien im Zuge der eigenen Biographie.“ Dabei soll es auch um die Herausbildung von Mündigkeit gehen, insbesondere um „die mündige Nutzung von Medien, das Navigieren in der Informationsflut, die Inwertsetzung von Medien und die kritische Metakommunikation über Medien“ (Gryl & Kanwischer, 2013: 204). Über das Aneignen von Kompetenzen geht eine Medienbildung im Sinne einer „strukturalen Medienbildung“, wie sie Benjamin Jörissen (2011) beschreibt, hinaus. In diesem Sinne werden „Bildungsprozesse als eine Form komplexer, selbstreflexiver Lernund Orientierungsprozesse“ (ebd.: 223) verstanden. Dabei ist es bei Orientierungsleistungen, die auf Orientierungswissen beruhen, das heißt auf „reflexive[r] Transformation der Selbstund Welthaltung“ (Jörissen, 2011: 223), wichtig, Medien bewusst einzubeziehen. Denn in Medien sieht Jörissen (ebd.) einen „Ort der Manifestation und Artikulation von Weltsichten“, welche „grundsätzlich ein Moment der Entäußerung (und damit der Distanzierung) beinhalten“. Dies gilt für alle Arten von Medien, sowohl digital als auch analog. Über Medien lassen sich Informationen, Zeichen, Symbole, Vorstellungen, Imaginationen (mit)teilen. Dabei ist nicht zu vernachlässigen, dass diese selbst auch „Narrationen und Repräsentationen über die Welt“ (Gryl & Kanwischer, 2013: 199), letztlich konstruiert sind. Medien, die im Unterricht zum Einsatz kommen können, lassen sich nicht auf „neue, digitale“ Medien beschränken, auch „alte, analoge“ Medien wie gedruckte Texte haben didaktische Relevanz. Kerstin Mayrberger (2019) zählt verschiedene Funktionen auf, die (Bildungs-)Medien in Prozessen des Lernens mit und über Medien einnehmen können. Diese lauten „Lernanregung und -hilfe, Bereitstellung von Informationen, Werkzeug zur Informationssammlung, -ordnung und -aufbereitung, Unterstützung des selbstgesteuerten Lernens, Instrumente der Speicherung und Präsentation von Informationen und Arbeitsergebnissen, Kontroll- und Rückmeldefunktion, Instrumente zur Kooperation, Kommunikation und Vernetzung“ sowie „Gegenstand der Analyse und Reflexion, Produktion und Gestaltung, Rezeptionserleben“ (Mayrberger, 2019: 26). In dieser Aufzählung an Funktionen zeigt sich auch, dass der Medieneinsatz im Unterricht über das bloße „Anschaulich-Machen“ von Sachinhalten durch die Lehrperson mithilfe von Medien hinausgeht.

148

J. Lehmann

Brüggen (2009: 192) identifiziert in Anlehnung an Tulodziecki und Herzig (2004) drei zentrale Prinzipien für die Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen mit Medien: Handlungsorientierung, Entwicklungsorientierung und Situationsorientierung (in Tulodziecki et al. (2019: 12): Handlungsorientierung, Entwicklungsorientierung und Kompetenzorientierung). Diese Prinzipien verweisen auf eigenes Gestalten, Entwicklungs- bzw. Lernstand im Umgang mit Medien, Alltags- und Lebensbezug der Schüler*innen (ebd.). Diese Prinzipien helfen ebenfalls dabei, (Fach-)Inhalte nicht ohne Didaktisierung aus Fachwissenschaften zu übernehmen. Als Orientierung können auch die Teilkompetenzen der Medienkompetenz nach Baacke (1997 nach Gryl & Kanwischer, 2013: 204) dienen: Medienkunde, Medienkritik, Mediennutzung und Mediengestaltung. Es geht in der Auseinandersetzung mit Medien im Unterricht also um das Wissen über Medien, den Umgang mit und das Nutzen von Medien und die Reflexion des eigenen Handelns sowie der Wirkung von Medien und die Gestaltung von medialen Beiträgen. Mithilfe der Mediendidaktik lassen sich auch Wege finden, um mit der medial geprägten Aussage „Es gibt keinen Planeten B“ im Unterricht zu arbeiten und damit umzugehen. Weiterführende Leseempfehlung Rinschede, G. & Siegmund, A. (2020). Geographiedidaktik (4., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage). Stuttgart, Paderborn: UTB (Kapitel 6 und 7). Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Medienerziehung, bewegtes Lernen, Geomedienkompetenz, Digitalisierung

12.3 Unterrichtsbaustein: „Es gibt keinen Planeten B“ In der Verschränkung von Mediendidaktik mit der fachwissenschaftlichen Perspektive liegt es nahe, sich auch mit medialen Inszenierungen vom Planeten Erde als einzigartigem Planeten auseinanderzusetzen. Wie einleitend unter dem Punkt „Fachwissenschaftliche Grundlage“ dargestellt wurde, ist die Einzigartigkeit des Planeten unter anderem durch den Vergleich mit anderen Planeten erfahrbar. Als Aufmachung bzw. Einstieg kann ein Plakat oder eine Abbildung mit der Aufschrift „Es gibt keinen Planeten B“ dienen (Abb. 12.1). Hieran eröffnen sich Fragestellungen wie: Was ist überhaupt mit Planet B gemeint? Was soll mit diesem Plakat ausgesagt werden? Worauf soll es hinweisen? Wo war das Plakat zu sehen? Und weiterführend, wenn Planet B mit einem Plan B gleichgesetzt wird: Wie ist das gemeint? Gibt es keinen anderen Planeten, auf dem es Leben gibt oder auf dem Leben möglich ist?1 In dieser Abbildung wird die Erde als etwas Einzigartiges inszeniert, das schützenswert ist und das es zu schützen gilt.

1 Da

es in der Frage um gegenwärtiges oder zukünftiges Leben auf den Planeten geht, wird die aktuelle Perseverance-Mission vernachlässigt. Die Hauptaufgabe dieser Mission ist es, vergangenes mikrobiologisches Leben auf den Mars zu erforschen. Nichtsdestotrotz kann diese ebenfalls im Unterricht thematisiert werden.

12 Mediendidaktik

149

Abb. 12.1   „Es gibt keinen Planeten B“ (Eigenes Foto)

Versteht man Mediendidaktik in einem transformatorischen Sinne (strukturale Medienbildung), so bietet es auch die Möglichkeit, Lernen als Transformation in dem Sinne zu verstehen, dass durch die Auseinandersetzung mit Medien auch neue Medien gestaltet und so der Inhalt, die Kenntnis und das Verständnis darüber transformiert werden. Dabei umfassen Medien nicht nur „neuere“ digitale Medien, auch analoge Medien können Transformationsprozesse anregen. In diesem Fall wäre es zum Beispiel eine Fotografie, die analog oder digital präsentiert werden kann. Aus diesem Verständnis von Mediendidaktik heraus ergeben sich im Zusammenhang mit dem inhaltlichen Thema „Einzigartigkeit des Planeten Erde. Grundlagen des Lebens“ eine Vielzahl an unterschiedlichen Frage- bzw. Problemstellungen und unterschiedliche mögliche Unterrichtsbausteine. Verbleibend bei den Fragestellungen „Wieso ist der Planet Erde als Grundlage des Lebens einzigartig?“ und „Was bedeutet die Aussage ,Es gibt keinen Planeten B‘?“ (die durch die Präsentation der Abb. 12.1 dargestellt werden) lässt sich zu einem Vergleich des Planeten Erde mit den übrigen sieben Planeten des Sonnensystems überleiten. In Gruppenarbeit können aus Texten (siehe digitaler Materialanhang) (alternativ können die Schüler*innen selbstständig im Internet, beispielsweise auf den Webseiten von ESA und NASA recherchieren) „Steckbriefe“ der einzelnen Planeten erstellt werden. Diese Texte dienen somit der Bereitstellung von Informationen und die Steckbriefvorlage kann als Werkzeug zur Informationssammlung, -ordnung und -aufbereitung genutzt werden. Die Vorstellung dieser Steckbriefe kann durch die Schüler*innen in einer Art Schauspiel (ggf. auch als Standbild) erfolgen. Das Schauspiel ist hier im Sinne einer Spielform

150

J. Lehmann

im Unterricht zu verstehen, die als Methode, aber auch als Medium zur Beantwortung der Frage(n) beiträgt. Dafür können die Schüler*innen auch Masken oder Schilder gestalten, welche die Planeten symbolisieren. In dem von den Schüler*innen gestalteten und geplanten Medium Schauspiel geht es darum, dass die Planeten von Schüler*innen vorgestellt und von anderen repräsentiert werden. Dabei kann es hilfreich sein, die Schüler*innen mit Aussagen wie „Hallo. Ich bin die Erde. Ich …“ oder „Das ist die Erde. Sie …“ beginnen zu lassen. Um die Planeten einfacher in Relation zur Sonne zu bringen, wird von einer Gruppe ein Steckbrief zur Sonne und auch die „Figur“ der Sonne vorbereitet, da sie das Zentrum unseres Sonnensystems ist. Durch die Lehrperson oder durch die Schüler*innen selbst kann an dieser Stelle zudem eine Verortung der Planeten in Bezug zur Sonne hergestellt werden. Daher würde es sich eignen, die Präsentation des Schauspiels auf dem Schulhof durchzuführen, um auch ungefähre Distanzrelationen darzustellen. Aus der Vorstellung der Planeten ließe sich eine Vielzahl an neuen Fragestellungen bilden. Kommt man jedoch zurück zu der Aussage „Es gibt keinen Planeten B“ und den dazugehörigen Fragestellungen, lässt sich aus dem Schauspiel bzw. der Vorstellung der Planeten heraus eine Antwort auf diese Fragestellungen finden. Infobox 12.1: Praxistipp

Im Anschluss an die Vorstellung der Planeten können noch weitere Aufstellungsund Sortierungsspiele durchgeführt werden. Die „Planeten“ können sich beispielsweise nach ihrer Größe, Anzahl der Monde oder Planetenfamilie aufstellen.

Das Schauspiel stellt die „analoge“ Variante des Unterrichtsbausteins dar. Als „digitale“ Lösung lässt sich die App „Earth Speakr“ zweckentfremden bzw. nutzen. Diese sich als Kunstwerk verstehende App wurde von Olafur Eliasson entwickelt, um Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, ihre „Ideen für die Zukunft des Planeten“ (earthspeaker.art, 2020: o. S.) zu äußern, und Erwachsenen, die Ideen der Kinder zu hören. Hierbei können Kinder ihre Mimik auf Gegenstände und Bilder projizieren, um diese dann mit ihrer Mimik sprechen zu lassen. So lassen sich für diesen Unterrichtsbaustein auch Planeten in Gesichter verwandeln (Abb. 12.2), was die Vorstellung der Planeten sicher spannend macht. Anschließend müssen die gewonnenen Erkenntnisse in Bezug zu den Fragestellungen gesetzt werden, ob es einen Planeten B gibt und was die Erde einzigartig macht. In diesem Unterrichtsbaustein wurde die Abbildung eines Plakates genutzt, um Fragen zu provozieren; es wurden Texte bzw. Arbeitsblätter genutzt, um Informationen zu erlangen, Steckbriefe, um die Informationen zu sammeln und zusammenzustellen; und  es wurde das Schauspiel bzw. die App genutzt, um die Informationen zu präsentieren. Abschließend kann das Bild als Folie genutzt werden, um die Erkenntnisse zu sammeln und die Frage zu beantworten. Somit wird dem Anliegen der Mediendidaktik, wie unter „fachdidaktische Perspektiven“ beschrieben, entsprochen, indem die

12 Mediendidaktik

151

Abb. 12.2   Sprechender Mars (Eigene Darstellung mithilfe der App „Earth Speakr“ 2021)

Schüler*innen Informationen aus verschiedenen Medien sammeln, transformieren und selbstständig (gestalterisch) tätig werden. Beitrag zum fachlichen Lernen Durch die Vorstellung der Planeten unseres Sonnensystems mithilfe eines Schauspiels oder der App lässt sich interaktiv verdeutlichen, worin sich die Erde von den anderen Planeten unterscheidet. Es zeigt sich, dass die Erde aufgrund ihrer Atmosphäre, der Temperaturen und des Wasservorkommens zum jetzigen Stand der einzige Planet (in unserem Sonnensystem) ist, auf dem wir Menschen (und viele andere Lebewesen) leben können. Somit lässt sich auch die Aussage auf dem Plakat „Es gibt keinen Planeten B“ nachvollziehen und in Bezug auf die Grundlagen des Lebens unterstreichen. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S11 „grundlegende planetare Merkmale […] beschreiben“ (DGfG 2020: 13) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S4 anhand der zur Verfügung stehenden Texte und Abbildungen Informationen herausarbeiten, strukturieren und aufarbeiten; S9 anhand der Abb. 12.1 üben, „selbstständig einfache geographische Fragen [zu] stellen und dazu Hypothesen [zu] formulieren“ (ebd.: 21) • Kommunikation: S1 Inhalte der Texte verstehen; S4 Informationen in einem Schauspiel/Schaubild oder mithilfe einer App präsentieren • Beurteilung/Bewertung: S6 zu der Aussage „Es gibt keinen Planeten B“ kritisch Stellung nehmen

152

J. Lehmann

Klassenstufe und Differenzierung Dieser Unterrichtsbaustein ist für die Klassenstufe 5 konzipiert (bzw. auch Klasse 7) und dementsprechend inhaltlich reduziert. Das Arbeitsmaterial kann beispielsweise differenziert werden, indem die „Lösungen“, also die Inhalte, welche in den Steckbrief übernommen werden sollen, im jeweiligen Text hervorgehoben werden. In höheren Klassen, in denen den Schüler*innen schon die Zusammensetzung der Atmosphäre sowie verschiedene Energie- und Stoffkreisläufe bekannt sind, lässt sich inhaltlich tiefgründiger arbeiten und der Fokus stärker auf den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit, Schutz der (Um-)Welt und „Einzigartigkeit des Planeten Erde“ legen. Dabei ist aber vor allem auch die Auseinandersetzung mit Medien und medialen Darstellungen der Erde besonders interessant und relevant. Ab Klassenstufe 9 oder 10 kann stärker untersucht werden, wie die Einzigartigkeit des Planeten Erde als Grundlage des Lebens von unterschiedlichen Medien dargestellt wird und mit welcher Intention sowie Wirkung dies geschieht. In den höheren Klassen sollte es auch vermehrt um die reflektierte Produktion und Nutzung von Medien gehen sowie um die Konstruktion sozialer Wirklichkeiten durch Medien. Unter Anwendung von Vielperspektivität in Zusammenhang mit Mediendidaktik kann das Plakat (Abb. 12.1) auch weitere Fragestellungen eröffnen, die die Darstellungsweise, den Kontext und die Produktion dieser Abbildung hinterfragen. Räumlicher Bezug Global, Sonnensystem Konzeptorientierung Deutschland: Systemkomponente (Struktur), Maßstabsebene (global), Raumkonzepte (Raum als Container, Beziehungsraum, wahrgenommener Raum, konstruierter Raum) Österreich: Raumkonstruktion und Raumkonzepte, Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Wahrnehmung und Darstellung Schweiz: natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.1)

12.4 Transfer Mediendidaktik findet auf einer unbedachten Ebene in jedem Lehr-Lern-Prozess Anwendung, insofern man von einem weiteren Medienbegriff ausgeht. Medien sind immer schon Teil unserer Um- und Alltagswelt, daher sind sie auch immer schon Teil von Lehr- und Lernprozessen. Das Bewusstwerden über den Einsatz von Medien und ihre Funktionen ist jedoch entscheidend, um sie zielgerichtet zu nutzen. Aufgrund ihrer Präsenz ist es auch wichtig, andere Blickwinkel einzunehmen, um die alltägliche Sichtweise auf Medien und mediale Darstellungen sowie den Umgang mit ihnen zu reflektieren und eventuell zu ändern. Dieser Teilaspekt hält sich bei dem geplanten Unterrichtsbaustein in Grenzen, da es sich um eine Planung für die Klassenstufe 5 handelt. Umso mehr muss in den höheren Klassen auch auf die Reflexion von

12 Mediendidaktik

153

Medien(darstellung), -nutzung und -anwendung geachtet werden. Dies ist auf kein fachliches Thema beschränkt, zeigt sich jedoch vor allem bei Fragestellungen mit humangeographischem Anteil (Klima- und Umweltschutz, Stadt, …), die sich mit der Repräsentation von Raum auseinandersetzen. Verweise auf andere Kapitel • Gerber, W. & Barthmann, K.: Schüler*innenvorstellungen und Conceptual Change. Erde im Sonnensystem – Erderwärmung und Entstehung von Jahreszeiten. Band 1, Kapitel 7. • Hanke, M., Ohl, U. & Sprenger, S.: Faktische Komplexität. Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation. Band 1, Kapitel 8. • Oberrauch, A. & Andre, M.: Statistik und Visual Analytics. Planetare Belastungsgrenzen – Nachhaltigkeit. Band 1, Kapitel 16.

Literatur Brüggen, N. (2009). Mediendidaktik. In B. Schorb (Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik: Praxis (S. 190–192). Kopaed. DGfG (Deutsche Gesellschaft für Geographie e. V.). (Hrsg.). (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss mit Aufgabenbeispielen (10. Aufl.). http://geographiedidaktik.org/wp-content/uploads/2020/09/Bildungsstandards_Geographie_2020_Web. pdf (12.12.2020). earthspeakr.art. (2020). Über earth speakr. https://earthspeakr.art/de/uber-earth-speakr/ Gryl, I., & Kanwischer, D. (2013). Medien im Geographieunterricht: Theoretische Ansätze und empirische Analysen. In D. Kanwischer (Hrsg.), Studienbücher der Geographie. Geographiedidaktik: Ein Arbeitsbuch zur Gestaltung des Geographieunterrichts (S. 198–208). Borntraeger. Hanslmeier, A. (2016). Faszination Astronomie: Ein topaktueller Einstieg für alle naturwissenschaftlich Interessierten (2. Aufl.). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-49037-2. Jörissen, B. (2011). „Medienbildung“ – Begriffsverständnisse und -reichweiten. In H. Moser, P. Grell, & H. Niesyto (Hrsg.), Medienbildung und Medienkompetenz: Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik (S. 211–235). Kopaed. Mayrberger, K. (2019). Partizipative Mediendidaktik: Gestaltung der (Hochschul-) Bildung unter den Bedingungen der Digitalisierung. Beltz Juventa. Tulodziecki, G., Grafe, S., & Herzig, B. (2019). Medienbildung in Schule und Unterricht (2. Aufl.). UTB. Wambsgnaß, J. (2012). Gibt es eine zweite Erde? In J. Wambsgnaß (Hrsg.), Universum für alle: 70 spannende Fragen und kurzweilige Antworten (S. 8–11). Springer.

Klimawandelbildung Die Ökozonen im Klimawandel – Chancen und Risiken auf globaler und regionaler Ebene

13

Susanne Kubisch, Lars Keller und Sandra Parth

 Teaser  Der Klimawandel führt zu Veränderungen innerhalb der Ökosysteme

sowie zur Verschiebung von Ökozonen. Klimawandelbildung zielt darauf ab, Menschen für den Klimawandel und dessen Folgen zu sensibilisieren. Mittels forschenden Lernens werden Schüler*innen im Unterrichtsbeispiel dazu befähigt, sich mit klimabedingten Veränderungen von Ökozonen und -modellen auseinanderzusetzen. Die Auswirkungen des Klimawandels werden am Beispiel der Ökozone „feuchte Mittelbreiten“ (Deutschland) dargestellt.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_13.

S. Kubisch (*) · L. Keller  Universität Innsbruck, Institut für Geographie, Innsbruck, Österreich E-Mail: [email protected] L. Keller  E-Mail: [email protected] S. Parth  Pädagogische Hochschule Tirol, Innsbruck, Österreich E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_13

155

Abb. 13.1   Die Ökozonen der Erde. (Quelle: Schultz, 2016)

156 S. Kubisch et al.

13 Klimawandelbildung

157

13.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Ökozonen – Auswirkungen des Klimawandels Ökozonen sind Großräume der Erde, die sich anhand der dort vorherrschenden klimatischen Bedingungen (Klimagenese), Bodenbildungsprozesse (Pedogenese), geomorphologischen Prozesse (Morphodynamik) sowie der Lebensweisen von Pflanzen und Tieren unterscheiden lassen. Die Ausprägung dieses Wirkungsgefüges variiert von Ökozone zu Ökozone. Schultz (2016) gliedert die Erde in neun Ökozonen, die sich von der polaren/subpolaren Zone bis hin zu den immerfeuchten Tropen entlang des Äquators erstrecken (Abb. 13.1). Bei dieser Einteilung der Erde in Großräume handelt es sich um eine menschliche Konstruktion. Die Einteilung der Ökozonen aufgrund der räumlich variierenden Ausprägung des Wirkungsgefüges unterliegt einer subjektiven Betrachtung. Je nach Grenzziehung unterscheidet sich demnach die Anzahl der Großräume. Die wohl bekannteste ökozonale Einteilung basiert auf Schultz (2016). Der Mensch spielt im ökozonalen Wirkungsgefüge eine bedeutende Rolle (Abb. 13.2). Seine Lebensweise wird von der Ausprägung natürlicher Prozesse von jeher beeinflusst. Umgekehrt nimmt der Mensch eine aktive Rolle ein und bringt durch Landnutzung und Lebensweise das natürliche Wirkungsgefüge zunehmend aus dem Gleichgewicht. Die Mensch-Umwelt-Beziehung ist zentral für gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen des Klimas: Die Emission klimawirksamer Treibhausgase, die durch die Nutzung fossiler Energieträger, die Landwirtschaft, den Verkehr, aber auch durch den Energieverbrauch in Haushalten entsteht, führt global zu steigenden Temperaturen bei gleichzeitiger Veränderung von Niederschlagsregime und -intensitäten (IPCC, 2016). Eine Veränderung des Klimas, des steuernden Faktors des Wirkungsgefüges, wirkt sich nicht nur auf die Ausprägung der anderen Faktoren des Gefüges aus (Veränderungen von

Abb. 13.2   Wirkungsgefüge der Ökozonen. (Eigene Darstellung nach Schultz, 2016)

Klima

Relief

Gewässer Böden

Vegetation und Tierwelt

Landnutzung

158

S. Kubisch et al.

Ökosystemen), sondern kann auch zu einer Verschiebung der Grenzen der Ökozonen führen (Rubel & Kottek, 2010). Laut den Berichten des International Panel on Climate Change (IPCC) wird für alle Emissionsszenarien ein globaler Anstieg der Erdoberflächentemperatur im Verlauf des 21. Jahrhunderts vorhergesagt. Während die letzten drei Jahrzehnte an der Erdoberfläche wärmer waren als alle vorhergehenden Jahrzehnte seit 1850 und für 2100 eine weitere Zunahme projiziert wird, sind die Veränderungen in den Niederschlagsregimen global gesehen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es wird von einem Anstieg des jährlichen Niederschlagsmittels in den hohen Breitengraden und den feuchten Regionen der mittleren Breiten ausgegangen, während gemäß des Szenarios RCP8.5 in einigen trockenen Gebieten der mittleren Breiten und Subtropen der jährlich gemittelte Niederschlag abnehmen wird (IPCC, 2016). Die global sehr unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels sowie eine unzureichende Berücksichtigung regionaler Effekte (z. B. durch Topographie und Hydrologie) lassen allgemein eine Einteilung der Erde in Großzonen kritisch betrachten (Infobox 13.1) (Schultz, 2016). Im Hinblick auf den Klimawandel nimmt der Mensch sowohl die Rolle des Agierenden als auch des Reagierenden ein. Aus diesem Grund werden in diesem Beitrag die Veränderungen in den Ökozonen durch den Klimawandel im Kontext der Gesellschaft betrachtet und anhand des ökozonalen Wirkungsgefüges beispielhaft an Deutschland gezeigt (siehe dazu digitalen Materialanhang Supplement 1). Zugleich soll die in ökozonalen Modellen überwiegend naturwissenschaftliche Betrachtung durch eine sozialwissenschaftliche Perspektive erweitert werden. Diese Perspektive stellt den Menschen und dessen Lebensweise in den Vordergrund und greift zudem Aspekte von Mitigation (= Klimaschutz) und Adaption (= Klimawandelanpassung) auf, um dem Klimawandel zu begegnen. Infobox 13.1: Kritik an dem ökozonalen Konzept

Um die Komplexität, die aufgrund der spezifischen kleinräumigen Ausprägung des ökozonalen Wirkungsgefüges entsteht, zu reduzieren, erfolgt die Einteilungen der Erde modellhaft in Großräume. Die Erde durch einzelne Großräume zu gliedern, ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch. Schultz (2016: 19) verweist auf Limitationen des ökozonalen Konzeptes wie z. B.: – Die tatsächlich existierende kleinräumige Vielfalt der Standortbedingungen wird zu wenig berücksichtigt. – Eine Reihe von Gegebenheiten entzieht sich, da erkennbare Umwelteinwirkungen fehlen, jeglicher Zuordnung (z. B. die Land-Meer-Verteilung etc.) – Die übrigen umweltabhängigen Landschaftselemente haben nur selten scharf ausgeprägte Verbreitungsgrenzen. – Viele der exogen geprägten Gegebenheiten haben sich im Laufe langer Zeiträume herausgebildet. – Gebirgsräume bilden stets Ausnahmen.

13 Klimawandelbildung

159

Weiterführende Leseempfehlung Schultz, J. (2016). Die Ökozonen der Erde.. Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer. Problemorientierte Fragestellungen Das Klima unterliegt einem Wandel, der Mensch spielt hierbei eine wesentliche Rolle: • Welche Auswirkung hat dies für die Einteilung und Grenzziehung der Ökozonen nach Schultz (2016) und die gegenwärtige Mensch-Umwelt-Beziehung? • Wie möchten wir unsere Lebenswelt zukünftig gestalten, um diesen Veränderungen zu begegnen?

13.2 Fachdidaktischer Bezug: Klimawandelbildung Klimawandelbildung bedeutet Lernen im Hinblick auf eine sich rapide verändernde Welt und eine unsichere Zukunft. Aufgrund der Komplexität und Abstraktheit von Klimawandel begegnet Klimawandelbildung mehreren Herausforderungen (siehe dazu digitalen Materialanhang Supplement 2). Klimawandelbildung erfordert deshalb einen Fokus auf Kompetenzentwicklung im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) (UNESCO, 2020). Dabei sollen (junge) Menschen für den Klimawandel und klimabedingte Folgen und Veränderungen in ihrer Umwelt sensibilisiert sowie in ihrer Handlungs- und Anpassungsfähigkeit gestärkt werden, um gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen (Keller et al., 2019) (Abb. 13.3). Fachdidaktische Zugänge, die den Schüler*innen Zeit und Raum geben, den Klimawandel und dessen Folgeerscheinungen bewusst wahrzunehmen, mit anderen zu

Ökozonen der Erde im Klimawandel

Mensch-Umwelt-Beziehung

Klimawandelbildung

Veränderung

Umgang mit Veränderung

Unterrichtsseng

Bewusstsein

Klima

Relief

Gewässer

Lebensweltbezug Böden

Vegetation und Tierwelt

Landnutzung

Moderater Konstrukvismus Conceptual Change

Inter- und Transdisziplinarität

Kompetenzentwicklung

Adaption

Mitigation Reflexion

Abb. 13.3   Klima – Wandel – Bildung am Beispiel der klimabedingten Veränderung der Ökozonen. (Eigene Darstellung, Wirkungsgefüge nach Schultz 2016)

160

S. Kubisch et al.

diskutieren, gemeinsam Visionen für eine lebenswerte Gegenwart und Zukunft zu entwickeln, werden in der Klimawandelbildung als zielführend erachtet. Die aktive und erforschende Auseinandersetzung mit einer realweltlichen Problemstellung sowie der Austausch von Wissen, Erfahrungen und unterschiedlichen Perspektiven fördern die Kompetenzentwicklung (Keller et al., 2019; UNESCO, 2020). McKeown und Hopkins (2010), aber auch Stevenson et al. (2017) und Mochizuki und Bryan (2015) empfehlen eine holistische Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und dessen Folgeerscheinungen. Diese umfasst einerseits die naturwissenschaftlichen Grundlagen „Climate“ und andererseits sozialwissenschaftliche Aspekte des Klimawandels, die McKeown und Hopkins (2010) unter dem Begriff „Change“ oder auch „Educating for Change“ zusammenfassen. Klimawandelbildung bezieht sich demnach nicht nur auf das Wissen über den Klimawandel, sondern stellt Kompetenzentwicklung im Sinne von BNE in den Vordergrund, um mit Veränderung, Unsicherheit und Komplexität umgehen zu können. Das Verständnis systemischer Zusammenhänge wie MenschUmwelt-Beziehungen und der Zusammenhang zwischen Lokalität und Globalität sind wichtige Kompetenzen im Sinne von BNE. Darüber hinaus zielt Klimawandelbildung auf Bewusstseinsbildung und die Entwicklung von Handlungsoptionen in den Bereichen Adaption und Mitigation auf individueller und kollektiver Ebene ab (McKeown & Hopkins, 2010; Mochizuki & Bryan, 2015; Stevenson et al., 2017). Zusammenfassend erfordert Klimawandelbildung einen problembasierten, realweltlichen, reflexiven und partizipativen Ansatz des Lernens, um Kompetenzen auszubilden wie systemisches und kritisches Denken sowie die Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten und voneinander zu lernen (Keller et al., 2019; UNESCO, 2020). Klimawandelbildung ist folglich vielmehr ein Learning for Change als ein Educating for Change. Dies wird durch fachdidaktische Zugänge wie des moderaten Konstruktivismus, der Conceptual-ChangeTheorie, des forschenden Lernens sowie der Inter- und Transdisziplinarität aufgegriffen (Infobox 13.2). Infobox 13.2: Fachdidaktische Bezüge

Im moderaten Konstruktivismus wird Lernen als ein aktiver, selbstgesteuerter, situativer, sozialer und konstruktiver Prozess definiert. Schüler*innen verfügen bereits über (Alltags-)Vorstellungen, Vorwissen und Erfahrungen, auf Basis derer sie neues Wissen konstruieren. Verändern sich im Zuge des Lernprozesses diese (Alltags-)Vorstellungen und nähern sich wissenschaftlichen Vorstellungen an, spricht man von einem Conceptual Change (Basten et al., 2015; Krüger, 2007) (vgl. Band 1, Kapitel 7). Forschendes Lernen ermöglicht es, dass Schüler*innen eine Problemstellung anhand eines wissenschaftlichen Forschungsprozesses analysieren, beginnend mit der Identifikation eines Problems über die Entwicklung einer Forschungsfrage, Methodenauswahl und Datenerhebung bis hin zur Auswertung der Ergebnisse und

13 Klimawandelbildung

161

der Entwicklung von Lösungsstrategien. Forschendes Lernen bietet die Möglichkeit, Zusammenhänge zwischen Phänomenen zu entdecken, und fördert die aktive Auseinandersetzung der Lernenden sowie eine eigenständige Herangehensweise (Pedaste et al., 2015) (vgl. Band 1, Kapitel 3). Komplexe Probleme wie der Klimawandel erfordern eine inter- und transdisziplinäre Betrachtungsweise. Die Zusammenarbeit zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen mit außerschulischen Akteur*innen (z. B. Firmenbesitzer*innen, Politiker*innen in der Gemeinde etc.) sowie die aktive Auseinandersetzung mit einer realweltlichen Problemstellung ermöglichen Schüler*innen einen Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis herzustellen (Kubisch et al., 2021). Empfehlung für die Gestaltung von Lernsettings: • Gestalten auf Basis des Vorwissens und der Erfahrungen von Schüler*innen • Herstellen eines Bezugs zu den Interessen von Schüler*innen • Ermöglichen von Raum für Kreativität • Ermöglichen der aktiven, erforschenden Auseinandersetzung mit Lerninhalten • Ermöglichen von Freiraum zur individuellen Entfaltung von Schüler*innen • Ermöglichen von Austausch mit außerschulischen Akteur*innen

Weiterführende Leseempfehlung Keller, L., & Stötter, J. (2020). Klimawandel Anpassung Lernen: Eine Handreichung für Lehrer*innen und Schüler*innen der Sekundarstufe II. Institut für Geographie, Arbeitsgruppe Education & Communication for Sustainable Development, Universität Innsbruck. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Bildung für nachhaltige Entwicklung, moderater Konstruktivismus, forschendes Lernen

13.3 Unterrichtsbaustein: Auf den Spuren des Klimawandels – Forschend lernen Das übergeordnete Ziel des Unterrichtsbausteins ist es, ein Bewusstsein für den Klimawandel und die damit verbundenen Veränderungen ökozonaler Modelle zu bilden sowie die Rolle des Menschen in Mensch-Umwelt-Systemen zu reflektieren. Dabei entwickeln Schüler*innen selbstständig Fragestellungen, formulieren Thesen, recherchieren und geben sich auf die Spur der typischen Eigenschaften der eigenen Ökozone als auch einer weiteren. Der Gesamtumfang des Unterrichtbausteins entspricht 12 UE. Einzelne Einheiten des Bausteins können zeitlich flexibel angepasst werden. Darüber hinaus bietet

162

S. Kubisch et al.

sich die Möglichkeit an, den gesamten Unterrichtsbaustein in einer Projektwoche durchzuführen (siehe dazu im digitalen Materialanhang, Supplement 3). Ziele des Unterrichtsbausteines: 1. Mensch-Umwelt-Beziehungen anhand typischer Eigenschaften des ökozonalen Wirkungsgefüges der feuchten Mittelbreiten aufzeigen (Arbeitsauftrag 1) 2. Veränderungen der typischen Eigenschaften der feuchten Mittelbreiten im Zusammenhang mit dem anthropogenen Klimawandel recherchieren (Arbeitsauftrag 2) 3. Die recherchierten Ergebnisse aus Aufgabe 2 mit einer weiteren Ökozone nach Wahl vergleichen (Arbeitsauftrag 3) 4. Aus den Gesamtergebnissen der klimabedingten Veränderung der typischen Eigenschaften in den jeweiligen Ökozonen individuelle Handlungsmöglichkeiten entwickeln (Arbeitsauftrag 4) 5. Veränderung der typischen Eigenschaften der Ökozonen der Erde sowie deren Grenzveränderungen bis 2100 modellhaft darstellen (Arbeitsauftrag 5) Arbeitsaufträge zu den jeweiligen Zielen: 1. Sucht euch einen geeigneten Aussichtspunkt, an dem ihr einen möglichst weitläufigen Blick auf eure Umgebung habt (z. B. Anhöhe mit Blickrichtung Ortschaft). Nehmt euch Abb. 13.2 zur Hand, die die Faktoren des ökozonalen Wirkungsgefüges zeigt. Beobachtet anhand von Beispielen in eurer Umgebung, wie diese ausgeprägt sind und wie sie miteinander zusammenhängen. 2. Der Klimawandel führt zu Veränderungen der typischen Eigenschaften der Faktoren der Ökozonen. Stellt Vermutungen auf, inwiefern sich diese Eigenschaften in der Region oder in dem Land, in dem ihr lebt (z. B. Alpenvorland/Deutschland etc.), durch den Klimawandel verändern. (Übrigens: Die Ökozone, in der ihr lebt, wird als „feuchte Mittelbreiten“ bezeichnet.) Euren Vermutungen könnt ihr in einer Recherche nachgehen, wofür ihr Berichte wie z. B. den IPCC oder APCC, das online einsehbare Buch „Klimawandel in Deutschland“ von Brasseur et al. (2017) oder das Internet (z. B. Suchbegriff „Ökozone feuchte Mittelbreiten“) zur Hilfe nehmen könnt. Haltet eure Ergebnisse (z. B. in Form von Fotos, Kurztexten, Klimadiagrammen etc.) auf einem Poster fest. 3. Sucht euch anhand des Ökozonenmodells nach Schultz (Abb. 13.1) eine weitere Ökozone eurer Wahl aus und führt erneut Recherchen durch. Wie sind die Faktoren des ökozonalen Wirkungsgefüges in dieser Ökozone ausgeprägt und welchen Einfluss hat der anthropogene Klimawandel? Achtet bei der Auswahl der Quellen auf deren Glaubwürdigkeit: Welche Quellen sind vertrauenswürdig, welche weniger? Einigt euch, bevor ihr fortfahrt, mit euren Klassenkamerad*innen darauf, in welcher Form ihr eure Ergebnisse präsentieren wollt. 4. Global zu denken und lokal zu handeln, ist wichtig – vor allem wenn es um den Klimaschutz geht. Überlegt euch in Einzelarbeit Möglichkeiten und Barrieren für individuelles klimafreundliches Handeln und haltet eure Ergebnisse in einer Mind-

13 Klimawandelbildung

163

map fest. Diskutiert diese in der Klasse und erweitert eure Mindmap auf Basis der Diskussion. Sucht euch nun eine umsetzbare Herausforderung mit Klimabezug aus und führt diese für 30 Tage durch (z. B. auf Fleisch verzichten etc.). Haltet eure Erfahrungen und Gefühle täglich per Foto, Video und/oder Kurztexte fest (eure/ euer Lehrer*in stellt euch hierfür eine digitale Plattform zur Verfügung). Diskutiert nach den 30 Tagen eure Erfahrungen gemeinsam in der Klasse. Welche Chancen und Herausforderungen sind euch begegnet? Wie könnte eure Herausforderung in einen größeren gesellschaftlichen und ökologischen Kontext eingebettet werden? Als Beispiel: Inwiefern wirkt sich klimafreundliches Handeln auf das Leben der Menschen und deren natürliche Umgebung in weit entfernten Ländern aus? Erweitert eure Mindmap mit den neu gesammelten Erkenntnissen und erschließt Zusammenhänge zum übergeordneten Thema „Ökozonen im Klimawandel“. 5. Ihr habt euch intensiv mit den Ökozonen der Erde sowie deren aktuellen Veränderungen, bedingt durch den anthropogenen Klimawandel, auseinandergesetzt. Denkt nun darüber nach, wie sich die Eigenschaften der Faktoren des Wirkungsgefüges verändern bzw. wie sich die Grenzen der Ökozonen der Erde verschieben könnten. Entwickelt dazu ein Ökozonenmodell (wie in Abb. 13.1) für das Jahr 2100 und beschriftet dieses mit den aus eurer Sicht wesentlichen Veränderungen. Wählt abschließend ein „Gewinner*innen-Modell“ aus und begründet eure Wahl. Beitrag zum fachlichen Lernen Die Ökozonen nach Schultz (2000, 2016) bieten einen Überblick der Einteilung der Erde in neun Großräume. Durch den anthropogenen Klimawandel verändert sich nicht nur die Ausprägung des Wirkungsgefüges in den jeweiligen Zonen, sondern auch die jeweiligen Grenzen. Um diesen Veränderungen zu begegnen, ist Klimawandelbildung mehr als notwendig: Auf der Spur nach Merkmalen sowohl des ökozonalen Wirkungsgefüges in der eigenen Lebenswelt als auch von weiteren Ökozonen nehmen die Schüler*innen ihre Umgebung mit allen Sinnen wahr, stellen Fragen und Hypothesen auf, recherchieren nach Antworten und präsentieren ihre Ergebnisse im Hinblick auf die Mensch-UmweltBeziehung. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S17 „das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] beschreiben und analysieren“ (DGfG, 2020: 15); S18 „Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen [mit Bezug zum Klimawandel] erläutern“ (ebd.); S20 „mögliche ökologisch, sozial und/oder ökonomisch sinnvolle Maßnahmen zur Entwicklung und zum Schutz von Räumen (z. B. […] Aufforstung […]) erläutern“ (ebd.) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S6 „geographisch relevante Informationen aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen sowie aus eigener Informationsgewinnung strukturieren und bedeutsame Einsichten herausarbeiten“ (ebd.: 21); S8 „die gewonnenen Informationen in andere Formen der Darstellung

164

S. Kubisch et al.

(z. B. […] Diagramme, Fotos […] u.v.m. in multimediale geographische Darstellungsformen) umwandeln“ (ebd.) Durch die erforschende Auseinandersetzung mit den fachwissenschaftlichen Inhalten der Ökozonen im Klimawandel mit Fokus auf die eigene Lebenswelt erlernen Schüler*innen die Mensch-Umwelt-Beziehungen in Räumen unterschiedlicher Art und Größe zu analysieren. Klassenstufe und Differenzierung Der Unterrichtsbaustein ist primär für alle Schüler*innen geeignet, die sich für ökozonale Modelle im Klimawandel sowie Mensch-Umwelt-Systeme interessieren. Das Unterrichtssetting lässt dabei Gestaltungsfreiraum, um einzelne Bausteine den jeweiligen Schulstufen und individuellen Vorkenntnissen der Schüler*innen anzupassen. Allgemein eignet sich das Unterrichtssetting für Schüler*innen in der 8. und 9. Schulstufe, wobei einzelne Elemente der Unterrichtsbausteine sich sowohl für jüngere als auch für ältere Schüler*innen anbieten. Die Differenzierung des Schwierigkeitsgrades obliegt der Lehrperson. Räumlicher Bezug Globale Perspektive, Deutschland Konzeptorientierung Deutschland: Maßstabsebenen (lokal, regional, national, international, global), Raumkonzepte (Beziehungsraum, wahrgenommener Raum) Österreich: Wahrnehmung und Darstellung, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz: Lebensweisen und Lebensräume charakterisieren (2.2), Mensch-UmweltBeziehungen analysieren (3.1)

13.4 Transfer Der Klimawandel ist ein globales Phänomen und zeigt sich auf lokaler Ebene auf unterschiedliche Art und Weise, wie in der Zunahme von Naturgefahren und in der Veränderung von Großräumen der Erde – verdeutlicht am Beispiel der Ökozonen. Der Klimawandel zählt zu den „Global Grand Challenges“ des 21. Jahrhunderts und betrifft, wenn auch in ungleichem Ausmaß, alle Länder der Erde. Der Ansatz der Klimawandelbildung kann folglich auf diverse fachwissenschaftliche Inhalte angewendet werden. Aufgrund der Unsicherheit und steten Veränderung durch den Klimawandel obliegt es der Klimawandelbildung, in Bezug auf fachwissenschaftliche Inhalte und die Gestaltung von Lernprozessen flexibel zu bleiben. Der Lebensweltbezug in der Klimawandelbildung sowie unterschiedliche soziale und ökologische Bedingungen auf lokaler Ebene erfordern deshalb eine kontextspezifische Anpassung von Lernsettings.

13 Klimawandelbildung

165

Verweise auf andere Kapitel • Brendel, N. & Mohring, K.: Partizipation. Digitalisierung – Virtualität. Band 2, Kapitel 27. • Brühne, T. & Köppen, B.: Kompetenzorientierung. Stadtgeographie – Funktionale Gliederung von Städten. Band 2, Kapitel 3. • Dickel, M.: Perspektivenwechsel. Sozialkatastrophe – Hurricans. Band 1, Kapitel 6. • Eberth, A. & Hoffmann, K. W.: Kritisches Denken. Globale Disparitäten – Länderklassifikationen. Band 2, Kapitel 18. • Fögele, J., Mehren, R. & Rempfler, A.: Systemkompetenz. Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff. Band 1, Kapitel 17. • Frenzel, P. & Bruzzi, G.: Entdeckendes und forschendes Lernen. Erdgeschichte – Geologie und Paläontologie. Band 1, Kapitel 3. • Gerber, W. & Barthmann, K.: Schüler*innenvorstellungen und Conceptual Change. Erde im Sonnensystem – Erderwärmung und Entstehung von Jahreszeiten. Band 1, Kapitel 7. • Hemmer, I., Hemmer, M. & Müller, M. X.: Interessensorientierung. Landwirtschaft – Ökologischer Anbau. Band 1, Kapitel 14. • Janßen, H. & Raschke, N.: Außerschulische Lernorte. Ressourcen und Strukturwandel – Braunkohle. Band 1, Kapitel 24. • Meyer, C. & Mittrach, S.: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Welthandel – Textilindustrie. Band 2, Kapitel 20. • Reuschenbach, M. & Hoffmann, T.: Aktualitätsprinzip. Ökosysteme – Gefährdung von Lebensräumen. Band 1, Kapitel 18. • Scholten, N., Nöthen, E. & Sprenger, S.: Sprachbewusster Umgang mit Bildern. Klimawandel – Auswirkungen des Klimawandels. Band 1, Kapitel 21. • Ulmrich, T. & Krüger, S.: Kartenauswertung. Glaziologie – Gletscherschmelze. Band 1, Kapitel 11.

Literatur Basten, M., Greiff, S., Marsch, S., Meyer, A., Urhahne, D., & Wilde, M. (2015). Kurzskala zur Messung gemäßigt konstruktivistischer Prozessmerkmale (Kurz-PgK) im Biologieunterricht. In D. Krüger, P. Schmiemann, A. Möller, A. Dittmer, L. & Kotzebue (Hrsg.), Erkenntnisweg Biologiedidaktik, 14, 43–57. DGfG. (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss: Mit Aufgabenbeispielen. Deutsche Gesellschaft für Geographie e.V. IPCC, 2014. (2016). Klimaänderung 2014: Synthesebericht. Beitrag der Arbeitsgruppen I, II und III zum Fünften Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC). In R.K. Pachauri, & L.A. Meyer (Hrsg.), IPCC, Genf, Schweiz. Deutsche Übersetzung durch Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle. Keller, L., Stötter, J., Oberrauch, A., Kuthe, A., Körfgen, A., & Hüfner, K. (2019). Changing climate change education: Exploring moderate constructivist and transdisciplinary approaches

166

S. Kubisch et al.

through the research-education co-operation k.i.d.Z.21. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society, 28(1), 35–43. Krüger, D. (2007). Die Conceptual Change-Theorie. In D. Krüger & H. Vogt (Hrsg.), Theorien in der biologiedidaktischen Forschung: Ein Handbuch für Lehramtsstudenten und Doktoranden (S. 81–92). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-540-68166-3. Kubisch, S., Parth, S., Deisenrieder, V., Oberauer, K., Stötter, J., & Keller, L. (2021). From transdisciplinary research to transdisciplinary education—The role of schools in contributing to community well-being and sustainable development. Sustainability, 13(1), 306. McKeown, R., & Hopkins, C. (2010). Rethinking climate change education. Green Teacher, 89, 17–21. Mochizuki, Y., & Bryan, A. (2015). Climate change education in the context of education for sustainable development: Rationale and principles. Journal of Education for Sustainable Development, 9(1), 4–26. Pedaste, M., Mäeots, M., Siiman, L. A., de Jong, T., van Riesen, S. A. N., Kamp, E. T., Manoli, C. C., Zacharia, Z. C., & Tsourlidaki, E. (2015). Phases of inquiry-based learning: Definitions and the inquiry cycle. Educational Research Review, 14, 47–61. Rubel, F., & Kottek, M. (2010). Observed and projected climate shifts 1901–2100 depicted by world maps of the Köppen-Geiger climate classification. Meteorologische Zeitschrift, 19(2), 135–141. https://www.schweizerbart.de/journals/metz. Zugegriffen: 5. Juli 2021. Schultz, J. (2016). Die Ökozonen der Erde. Verlag Eugen Ulmer. Stevenson, R. B., Nicholls, J., & Whitehouse, H. (2017). What is climate change education? Curriculum Perspectives, 37(1), 67–71. UNESCO. (2020). Climate change education. https://en.unesco.org/themes/education-sustainabledevelopment/cce. Zugegriffen: 1. Dez. 2020.

Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern

14

Erkundung eines Betriebs des ökologischen Landbaus Ingrid Hemmer, Michael Hemmer und Martin Xaver Müller

 Teaser  Das Interesse von Schüler*innen ist von großer Bedeutung für

das Lernen. Die geographiedidaktische Forschung hat in diesem Bereich eine Fülle von Ergebnissen erbracht. Dabei zeigte sich u. a., dass es große Unterschiede beim Themeninteresse gibt. Das Thema Landwirtschaft gehört zu den Themen, die grundsätzlich auf wenig Interesse stoßen, ist aber gesellschaftlich angesichts der ökologischen und sozioökonomischen Probleme von hoher Relevanz. Wie kann es gelingen, das Schülerinteresse im Geographieunterricht zu wecken?

I. Hemmer (*)  Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Professur für Geographiedidaktik und BNE, Bayern, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Hemmer  Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Didaktik der Geographie, NRW, Deutschland E-Mail: [email protected] M. X. Müller  Universität Augsburg, Lehrstuhl für Didaktik der Geographie, Augsburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_14

167

168

I. Hemmer et al.

14.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Landwirtschaft – ökologischer Landbau Landwirtschaft ist ein klassischer Bereich der Geographie. Sie stellt eine Wirtschaftsweise dar, die in ihren Voraussetzungen sowie Auswirkungen dem Naturraum (Klima, Boden, Wasser, Relief) stark verbunden ist. Zugleich wirken anthropogene Faktoren (z. B. Subventionen, Marktentwicklung) ganz erheblich auf das System ein. Das Ineinandergreifen von Mensch und Umwelt wird hier sehr deutlich. In Deutschland werden derzeit 50,7 % (2019) der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt, aber weniger als 1,3 % (2020) der Erwerbstätigen sind hier tätig; der Anteil an der Bruttowertschöpfung ist mit 0,62 % (2020) äußerst gering (Statistisches Bundesamt, 2021). Die landwirtschaftliche Nutzfläche wird wie folgt genutzt: 60 % für Futtermittel, 22 % für Nahrungsmittel, 14 % für Energiepflanzen und 4 % für anderweitige Nutzung (Hemmer, 2019; FNR, 2020). Deutschland gehört zu den wichtigsten Exportländern für Fleisch, insbesondere Schweinefleisch (Wagner, 2020). Die Landwirtschaft befindet sich derzeit in zweierlei Weise in der Krise. Einerseits gehören die ökologischen Folgen der derzeitigen Form der Landnutzung zu den größten Herausforderungen: z. B. Verlust der Biodiversität, nicht artgerechte Tierhaltung, Veränderung der Stoffkreisläufe, Klimawandel, Desertifikation, Belastung des Grund- und Trinkwassers, des Oberflächenwassers sowie des Bodens (vgl. BFN, 2020; Limmer et al., 2019). Andererseits ist die sozioökonomische Situation der Landwirtschaft seit Jahrzehnten sehr schwierig (Höfesterben, hohe Investitionen, niedrige Preise; vgl. Tab. 14.1; Klohn & Voth, 2017). Ohne eine Änderung der Landnutzung und Ernährung wird es nicht gelingen, die Herausforderungen zu meistern.

Tab. 14.1  Vergleich ausgewählter Betriebsdaten von Betrieben des ökologischen Landbaus und konventionell wirtschaftenden Betrieben (ausgewählte Daten; 2018/19) (Quelle: zusammengestellt nach https://www.thuenen.de/de/thema/oekologischer-landbau/aktuelle-trends-der-deutschenoekobranche/einkommensentwicklung-im-oekolandbau/ (Abruf: 07.02.2021)) Betriebsdaten

Maßeinheiten

Weizen, Ertrag

ökologisch

konventionell

dt/ha

28,2

56,1

Weizen, Preis

€/dt

41,1

17,8

Milchleistung

kg/Kuh

6372

7398

Milch, Preis

€/100 kg

48,9

35,7

Materialaufwand

€/ha LF

46

71

Personalaufwand

€/ha LF

122

96

Gewinn

€/ha LF

470

298

Einkommen

€/AK

37.447

27.453

dt = Dezitonne; ha = Hektar; LF = landwirtschaftlich genutzte Fläche; AK = Voll-Arbeitskraft

14  Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern

169

Der ökologische Landbau bietet einen möglichen Lösungsansatz für diese Krise und somit für die Zukunft. Er führt zu deutlich geringeren Belastungen von Boden, Wasser, Klima sowie Artenvielfalt und ermöglicht den Betrieben eine bessere wirtschaftliche Situation (vgl. Tab. 14.1). Der ökologische Landbau zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: Verzicht auf chemisch-synthetischen Mineraldünger und Gentechnik, Verbot von chemischsynthetischen Pestiziden und prophylaktischen Antibiotika, flächengebundene und artgerechte Tierhaltung, Erhalt bzw. Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit und möglichst geschlossener Betriebskreislauf (vgl. Abb. 14.1). Der Boden wird im ökologischen Landbau als lebendiger Organismus betrachtet, der durch eine abwechslungsreiche Fruchtfolge gepflegt wird. Er hat einen hohen Humusgehalt, ist locker, hat ein hohes Porenvolumen und ist gut durchlüftet. Wasser kann gut in den Boden infiltrieren (eindringen). Ein Indikator ist die knapp doppelt so hohe Regenwurmpopulation im Vergleich zu einem konventionell bewirtschafteten Boden. Der Tierbestand ist immer an eine bestimmte Fläche gebunden, denn ein geschlossener

Konvenoneller Landbau Nahrung

Mineraldünger Peszide

Kompost Abfall

Kompost

Anbioka Fu er

Imporerte Fu ermi el

Nitrat Phosphat Nitrat

Peszid- Nitrat Phosphat rückstände

Phosphat

Ökologischer Landbau Nahrung

Fu er

Dünger Mist Gülle

Kompost Abfall

Kompost

Nitrat Phosphat

Abb. 14.1   Stoffkreisläufe von ökologischem und konventionellem Landbau im Vergleich. (Eigener Entwurf)

170

I. Hemmer et al.

Betriebskreislauf ist nur möglich, wenn nicht mehr Tiere gehalten werden, als von der Betriebsfläche ernährt werden können. Eine artgerechte Haltung umfasst die Ernährung mit ökologisch produziertem Futter sowie viel Platz im Stall mit Auslauf oder Weidegang. Die meisten Biobauernhöfe sind nicht so stark spezialisiert wie konventionelle Höfe, realisieren noch eine Verbindung zwischen Tierhaltung und Pflanzenbau und können diesen Kreislauf (Abb. 14.1) schließen. Der Zukauf von Futtermitteln aus anderen ökologisch wirtschaftenden Betrieben ist begrenzt möglich. Jeder landwirtschaftliche Betrieb in Deutschland, auch der konventionelle, erhält seit Jahrzehnten erhebliche Subventionen. Die Art und Weise der Subventionen ist jedoch nicht immer zielführend und begünstigt Spezialisierung und Großbetriebe. Allerdings wird auch die Bewirtschaftung nach ökologischen Prinzipien durch Subventionen unterstützt. Die Produkte aus ökologischem Landbau sind im Handel an Siegeln erkennbar. Neben dem EU-Siegel, das die geringsten Anforderungen stellt, gibt es mehrere Anbauverbände, z. B. Demeter, Bioland, Naturland, die strengere Richtlinien und eigene Siegel haben. Die Zugehörigkeit von Höfen zu einem Anbauverband ist ebenfalls über die Siegel, die außen an den Hofwänden angebracht sind, erkennbar. In Deutschland werden derzeit 10,1 % der Fläche (2020) und 12 % der Betriebe (2020) ökologisch bewirtschaftet; politisches Ziel gemäß der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sind 20 % der Fläche bis 2030 (BÖLW, 2020). Weiterführende Leseempfehlung Limmer, I., Hemmer, I., Trappe, M., Mainka, S., & H. Weiger. (2019). Zukunftsfähige Landwirtschaft: Herausforderungen und Lösungsansätze. München: Oekom-Verlag. Problemorientierte Fragestellung Der Biobauernhof – ein Vorbild für die Landwirtschaft der Zukunft?

14.2 Fachdidaktischer Bezug: Interessenorientierung Interesse ist eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Lernen und zugleich erklärtes Ziel geographischer Bildung. Die in den 1980er-Jahren entwickelte pädagogisch-psychologische Interessentheorie (Schiefele et al., 1983) versteht unter Interesse eine bedeutungsmäßig herausgehobene Person-Gegenstands-Relation, die u. a. dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die Person aus freien Stücken mit dem Interessengegenstand auseinandersetzt und die Interessenhandlung an überwiegend positive Emotionen geknüpft ist. In Abgrenzung zum individuellen Interesse, dem der Status eines Persönlichkeitsmerkmales zukommt, beschreibt das situationale Interesse die Bindung an eine bestimmte Lehr-Lern-Situation, bei der das Interesse erstmalig geweckt wird (Ditges 2015).

14  Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern

171

Geschlechterdifferenzen | 2015

Abb. 14.2   Interesse nordrhein-westfälischer und bayerischer Schüler*innen der Jahrgangsstufen 5–9 der Realschule und des Gymnasiums an einzelnen Themenbereichen (Subskalen) 2015, differenziert nach Mädchen und Jungen. (Quelle: Hemmer & Hemmer, 2021: 15)

Im Geographieunterricht kann sich sowohl das individuelle als auch das situationale Interesse auf Objekte (z. B. Globen), Inhalte und Arbeitsweisen des Faches beziehen. Wenngleich seit Beginn des 20. Jahrhunderts einzelne Untersuchungen zum fachspezifischen Schülerinteresse vorliegen, erlebte die geographiedidaktische Interessenforschung vor allem infolge der o. g. Interessentheorie einen regelrechten Boom ab Mitte der 1990er-Jahre. In diesem Kontext wurde z. B. 1995, 2005 und 2015 schulartenübergreifend das individuelle Interesse von jeweils mehr als 3000 Schüler*innen der Jahrgangsstufen 5–11 an einzelnen Themen, Regionen und Arbeitsweisen des Geographieunterrichts erfasst (vgl. Hemmer & Hemmer, 2010a, 2021). Bezogen auf das individuelle Interesse an einzelnen Themen des Geographieunterrichts zeigt sich in sämtlichen Studien ein vergleichbares Bild. Während Schüler*innen aller Schularten und Jahrgangsstufen für die Entstehung und Entdeckung des Planeten Erde, Georisiken, den Lebensalltag der Menschen und Umweltprobleme ein hohes Interesse zeigen, ist das Interesse an einzelnen klassischen Themen des Geographieunterrichts, insbesondere an den wirtschaftsgeographischen Fragestellungen, deutlich geringer (vgl. Abb. 14.2). Dies gilt auch für das Thema Landwirtschaft, dessen Einzelitems der Subskala „Wirtschaft und Bevölkerung“ zugeordnet sind. Lediglich beim Item „Landwirtschaft und

172

I. Hemmer et al.

Tab. 14.2  Interesse nordrhein-westfälischer und bayerischer Schüler*innen der Jahrgangsstufen 5–9 aller Schularten (n = 3400) an einzelnen Arbeitsweisen des Geographieunterrichts. Datengrundlage: Hemmer und Hemmer 2015 Rang

Item

mean

SD

01

Experimente

4,59

,77

02

Arbeit mit Filmen

4,53

,86

03

Arbeit mit dem Computer

4,25

1,05

04

Arbeit mit Fotos/Bildern

4,17

1,02

05

Exkursionen/Unterrichtsgänge

4,12

1,15

06

Arbeit mit Google Earth

4,12

1,11

07

Recherchen im Internet

4,01

1,13

08

Arbeit mit Modellen (z. B. Globus, Tellurium)

3,96

1,16

09

Projektarbeit

3,95

1,15

10

Arbeit mit originalen Gegenständen (z. B. Steinen)

3,92

1,20

11

Arbeit mit Navigationssystemen (z. B. GPS)

3,80

1,24

12

Orientierung mit Hilfsmitteln in einer Stadt/im Gelände

3,73

1,20

13

Arbeit mit Erlebnis-/Reiseberichten

3,66

1,22

14

Rollenspiel

3,60

1,40

15

Arbeit mit aktuellen Zeitungsberichten

3,41

1,25

16

Arbeit mit GIS (geographischen Informationssystemen)

3,37

1,25

17

Arbeit mit Karten

3,22

1,26

18

Arbeit mit dem Atlas

3,17

1,32

19

Arbeit mit Säulen- und Kreisdiagrammen

3,01

1,22

20

Arbeit mit Zahlen/Tabellen (Statistiken)

2,92

1,24

21

Arbeit mit Texten

2,71

1,19

22

Arbeit mit dem Schulbuch

2,53

1,18

mean = Mittelwert, SD = Standardabweichung

Umwelt“ liegt der Mittelwert (mean2015 = 3,18) über dem testtheoretischen Mittelwert. Berücksichtigt werden muss, dass bei diesen Mittelwerten eine recht große Standardabweichung auftrat und selbst beim Item „Landwirtschaft in verschiedenen Gebieten der Erde“, das zu allen Untersuchungszeitpunkten zu den fünf unbeliebtesten Themen des Geographieunterrichts zählt, 2015 fast 400 der 3400 befragten Schüler*innen (11,7 %) dieses Thema als sehr interessant einstufen. Betrachtet man das Interesse am Thema Landwirtschaft noch differenzierter, so zeigen die Ergebnisse zweier Abschlussarbeiten, dass Schüler*innen der Jahrgangsstufe 5 (n = 254) ausgewählten Problemen der Landwirtschaft (z. B. Ursachen und Folgen von

14  Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern

173

Tierseuchen, Massentierhaltung) sowie Themen mit einem direkten Bezug zum Lebensalltag der Menschen (z. B. Ernährung) ein durchaus hohes Interesse entgegenbringen (Bothe, 2007). Bei der Erkundung eines Bauernhofes sind Kinder der Jahrgangsstufe 4 zudem besonders an der Unterbringung und Pflege der Tiere, an Fragen des Umweltschutzes sowie am Lebensalltag der bäuerlichen Familie interessiert (Schneck, 2008). Bezogen auf das Interesse an einzelnen Arbeitsweisen des Geographieunterrichts lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass vor allem die anschaulichen und handlungsorientierten Arbeitsweisen und Medien im Interessenranking weit oben stehen, während die klassischen, vor allem abstrakteren Arbeitsweisen und Medien bei den Schüler*innen auf weit weniger Interesse stoßen (vgl. Tab. 14.2). Zur Förderung des Interesses von Schüler*innen im Unterricht gibt es in der geographiedidaktischen Literatur zahlreiche Empfehlungen (vgl. Infobox 14.1). Infobox 14.1: Interessenförderliche Maßnahmen im Geographieunterricht

(mit Beispielen zum Themenfeld Landwirtschaft) • Bezüge zur Lebenswirklichkeit/zum Alltag der Schüler*innen herstellen (z. B. Ernährung, Gesundheit, Hofläden im Nahraum) • Bezüge zur Lebenssituation von Menschen, insbesondere zu gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen, herstellen (z. B. Arbeitsalltag auf einem Bauernhof, Kinderarbeit weltweit, Hunger und Mangelernährung) • Bezüge zu Umweltaspekten und Naturrisiken herstellen (z. B. Massentierhaltung, Dünger und Pestizide, Abholzung der tropischen Regenwälder) • Themen in den Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung einbetten/ positive Lösungsansätze aufzeigen (z. B. intensive Landnutzung und globale Vernetzungen als globales Umwelt- und Entwicklungsproblem, ökologische Landwirtschaft) • Fenster in die Welt öffnen (z. B. zu Agrarprodukten und -regionen weltweit) • Problemorientiertes/Entdeckendes Lernen ermöglichen (z. B.: Was hat das Schnitzel auf meinem Teller mit dem Klimawandel zu tun?) • Kognitiv aktivierende Arbeitsaufträge • Handlungsorientierte Arbeitsweisen bevorzugen, die die Authentizität der Lerninhalte erlebbar machen (z. B. Exkursionen, Experimente, Plan- und Rollenspiele) • Konkret-ikonische Medien bevorzugen (z. B. Bilder/Fotos, originale Gegenstände) • Mehrperspektivische Zugänge bevorzugen (z. B. ökologische, ökonomische und gesellschaftlich-politische Perspektiven berücksichtigen) • Interessengeleitetes, eigenverantwortliches Lernen fördern, indem Schü­ ler*innen in offenen Lehr-Lern-Arrangements persönlich bedeutsamen Fragen nachgehen und hierdurch bestehende Interessen aktualisieren können (z. B. Herkunft von Lebensmitteln, Tierhaltung und Tierwohl)

174

I. Hemmer et al.

• Partizipation/aktive Beteiligung von Schüler*innen bei der Erschließung von Lerngegenständen ermöglichen (z. B. gemeinsame Planung einer Betriebserkundung) • Positives Unterrichtsklima schaffen (in Anlehnung an: Hemmer, I. und M. Hemmer, 2010, S. 274–280; Müller, 2021, S. 198– 205.)

Weiterführende Leseempfehlung Hemmer, I., und M. Hemmer (2021). Das Interesse von Schülerinnen und Schülern an geographischen Themen, Regionen und Arbeitsweisen – Ein Bundeslandvergleich zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen. In: Zeitschrift für Geographiedidaktik, 49(1), 3–24. https://doi.org/10.18452/2278. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Außerschulische Lernorte, Exkursionsdidaktik, Bildung für nachhaltige Entwicklung

14.3 Unterrichtsbaustein: Der Biobauernhof – ein Vorbild für die Landwirtschaft der Zukunft? Der Unterrichtsbaustein besteht aus einer Sequenz, in deren Mittelpunkt eine Exkursion zu einem ökologischen landwirtschaftlichen Betrieb steht. Die problemorientierte Leitfrage lautet: „Der Biobauernhof – ein Vorbild für die Landwirtschaft der Zukunft?“ Vorbereitende Unterrichtseinheiten Um eine Exkursion zu einem Betrieb des ökologischen Landbaus inhaltlich vorzubereiten und das interessenförderliche Potenzial optimal auszuschöpfen, ist eine angemessene unterrichtliche Vorbereitung vonnöten. Einerseits werden so ein Wissensaufbau im Sinne des kumulativen Lernens und eine adäquate inhaltliche Vertiefung vor Ort möglich. Andererseits ergibt sich aus den Vorbereitungseinheiten eine aus Sicht der Interessenorientierung Erfolg versprechende Ausgangslage für die Exkursion, indem hier interessante Teilaspekte aufgegriffen, bestehende individuelle Interessen aktualisiert und eine interessengeleitete Umsetzung der Arbeitsexkursion konkret vorbereitet werden können. Folgende vier Unterrichtseinheiten (UE) erscheinen in diesem Zusammenhang als angemessen: eine erste UE zum Thema „Bedeutung der Landwirtschaft für die Produktion von Nahrungsmitteln“, wodurch den Schüler*innen ein direkter Bezug ermöglicht und zugleich ein Teilaspekt von Interesse, nämlich die Zuschreibung von

14  Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern

175

Bedeutung, adressiert wird. Die zweite UE betrachtet die „naturräumliche Eignung konkreter Standorte (Boden, Klima) für eine landwirtschaftliche Nutzung“. Auf diesen Grundlagen können in der dritten UE „negative Folgen der konventionellen LW anhand eines exemplarischen Beispiels aus der Nahrungsmittelerzeugung (z. B. Schweinemast und Grundwassergefährdung)“ behandelt werden. Neben den ökologischen Folgen sollten hier auch soziale (Preis und Ernährungsverhalten) sowie ökonomische Folgen (geringe Erzeugerpreise, Abhängigkeit von großen Abnehmern) betrachtet werden. Eine derart mehrperspektivische Vermittlung bietet interessenförderliche Impulse, wie auch das Anknüpfen an die Lebenswirklichkeit der Schüler*innen über das Thema Ernährung während der gesamten Sequenz. Die letzte vorbereitende UE adressiert das „Prinzip des ökologischen Landbaus“, wobei dessen Merkmale (Kreislaufwirtschaft, Bindung von Produktionsmenge an Fläche, Zertifikate, Schutz von Lebensräumen, Tierwohl, Biodiversität, (Grund-)Wasser, Boden) hier zwar angesprochen, aber noch nicht im Detail behandelt werden. Vielmehr sollen die Schüler*innen in Vorbereitung auf die Exkursion interessengeleitete Fragen und Vermutungen bezüglich der konkreten Ausprägung der Aspekte „Bedingungen der Tierhaltung“ und „Methoden der Ackerbewirtschaftung“ formulieren. Arbeitsexkursion zu einem Betrieb des ökologischen Landbaus Die Exkursion selbst ist als halbtägige Arbeitsexkursion angelegt und orientiert sich an den in Infobox 14.1 dargelegten interessenförderlichen Maßnahmen sowie an den Prinzipien der Exkursionsdidaktik (vgl. Kap. 8, Band 2). Ein Erkundungsbogen dient dabei als Leitmedium, in dem neben Beobachtungsaufgaben und Notiz-Impulsen hinsichtlich der konkreten Ausprägung der Merkmale des ökologischen Landbaus auch ein in der Vorstunde erarbeiteter gemeinsamer Fragenkatalog sowie individuelle Fragen der Schüler*innen enthalten sind. Ein Plan des Hofs liegt bei (Tab. 14.3). Die Leitfrage der Arbeitsexkursion lautet: „Was kennzeichnet den landwirtschaftlichen Betrieb als Biobauernhof?“ Das Ziel der Exkursion ist: Die Schüler*innen sollen wesentliche Kennzeichen des ökologischen Landbaus im Rahmen einer Betriebserkundung erfassen und diese anhand des Kreislaufmodells erläutern. Nachbereitende Unterrichtseinheit Die Unterrichtseinheit (90 min) unmittelbar nach der Exkursion schließt die Sequenz ab. Unter der Leitfrage „Ist der Biobauernhof bzw. der ökologische Landbau ein Vorbild für die Zukunft?“ sollen die auf der Exkursion gewonnenen Informationen ausgewertet, die Merkmale des ökologischen Landbaus im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft bewertet und das eigene Verhalten bzgl. des Konsums landwirtschaftlicher Produkte (Preissensibilität, Ernährungsgewohnheiten) reflektiert werden. Eine FishbowlDiskussion über die Zukunftsfähigkeit der ökologischen Landwirtschaft unter ökologischer, ökonomischer und sozialer Perspektive greift die Leitfrage dabei explizit auf. Erwartbare Schülerergebnisse könnten sein, dass die Kinder zu jeder Perspektive mehrheitlich Argumente dafür finden, dass der ökologische Landbau zukunftsfähig ist, wobei

176

I. Hemmer et al.

Tab. 14.3  Verlaufsplan der Arbeitsexkursion zu einem Betrieb des ökologischen Landbaus Standort

Inhaltlich-methodischer Schwerpunkt

Standort 1

Einführung in das Exkursionsthema

Vor dem Hof idealerweise mit Sichtachsen ins Umland

Orientierung und Verortung Die Schüler*innen beschreiben anhand einer amtlichen Karte die Anreiseroute und Lage des Hofes.

Materialien Amtliche topographische Karte

Siegel am Gebäude des Problemerschließende Fragestellung Hofes Ausgehend vom Siegel des Biobauernhofs wird mit den Schüler*innen die problemerschließende Frage erarbeitet: „Was kennzeichnet diesen landwirtschaftlichen Betrieb als Biobauernhof? Wofür steht das Siegel konkret?“ Vorkenntnisse aktivieren Die Schüler*innen äußern Vermutungen, wie der ökologische Landbau hinsichtlich unterschiedlicher Merkmale hier konkret ausgeprägt sein könnte (aufbauend auf der letzten Vorbereitungseinheit). Zieltransparenz Die Lehrperson skizziert Zielsetzung, geographische Relevanz, Struktur und organisatorische Aspekte der Exkursion. Standort 2 Variabel, z. B. vor Wohnhaus

Entwicklung und Aufbau des Hofes im Überblick Vorstellung des Hofes Der/die Landwirt*in begrüßt die Gruppe und berichtet in einem kurzen Vortrag über seine/ ihre persönliche Motivation für die ökologische Landwirtschaft, den Hof und dessen Geschichte. Orientierung Die Schüler*innen identifizieren den Standort auf ihrem Hofplan und beschriften die vom Standort aus erkennbaren räumlichen Strukturmerkmale und Funktionen (z. B. Wohnhaus, Garten, Hofladen).

Hofplan

(Fortsetzung)

14  Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern

177

Tab. 14.3   (Fortsetzung)

Standort

Inhaltlich-methodischer Schwerpunkt

Standort 3 oder 4

Kennzeichen des ökologischen Ackerbaus

Hofnaher Acker

Orientierung und Beobachtung Die Schüler*innen verorten den Standort auf ihrem Hofplan.

Materialien

Hofplan

Erkundungsbogen Erarbeitung Im Gespräch mit den Schüler*innen zeigt und erläutert der/die Landwirt*in u. a. – die Aspekte Düngung und Anbau von Futterpflanzen für die eigenen Tiere sowie von weiteren Feldfrüchten, – die Formen der ökologischen Bewirtschaftung des Ackers unter besonderer Berücksichtigung der Schädlingsbekämpfung, – das intakte Bodenleben anhand einer Spatenprobe (nach Möglichkeit im Vergleich mit einem konventionell bewirtschafteten Nachbarfeld). Sicherung Die Schüler*innen dokumentieren ihre Erkenntnisse auf dem Erkundungsbogen (sowie ggf. zusätzlich fotografisch). Standort 3 oder 4

Kennzeichen der ökologischen Tierhaltung

Stall

Orientierung Die Schüler*innen verorten den Standort auf ihrem Hofplan.

Hofplan

Erkundungsbogen Erarbeitung Die Schüler*innen erfassen die Bedingungen der Tierhaltung (insb. Auslauf und artgerechte Haltung) auf Grundlage der Erläuterungen der Landwirt*in sowie unterstützt durch Beobachtungsimpulse im Erkundungsbogen. Im Gespräch mit den Schüler*innen erläutert der/die Landwirt*in u. a. den Einsatz von Medikamenten sowie die Bedeutung eigener Flächen für Tierfutter und Dünger. Sicherung Die Schüler*innen dokumentieren ihre Erkenntnisse auf dem Erkundungsbogen (sowie ggf. zusätzlich fotografisch). (Fortsetzung)

178

I. Hemmer et al.

Tab. 14.3   (Fortsetzung)

Standort

Inhaltlich-methodischer Schwerpunkt

Materialien

Standort 4

Selbstvermarktung

Hofladen (falls vorhanden)

Orientierung Die Schüler*innen verorten den Standort auf ihrem Hofplan.

Hofplan

Erarbeitung Die Schüler*innen untersuchen das Angebot des Hofladens hinsichtlich hier produzierter Produkte und verköstigen ggf. einige davon. Der/die Landwirt*in erläutert ggf. einzelne Biosiegel.

Erkundungsbogen

Impulskarten Binnendifferenzierung: Diskussion Preise/Wert ökologischer Produkte, individuelles Konsumverhalten Die Schüler*innen diskutieren den Wert von Produkten aus dem ökologischen Landbau unter Einbeziehung individueller Konsumentscheidungen. Standort 5

Kreislaufwirtschaft als zentrales Element der ökologischen Landwirtschaft

Variabel, z. B. Hofplatz

Rückblick Die Schüler*innen fassen ihre Beobachtungen hinsichtlich der Leitfrage zusammen. Einordnung Die Schüler*innen ergänzen eine schematische Darstellung zur ökologischen Kreislaufwirtschaft mit den konkreten Bedingungen des besuchten landwirtschaftlichen Betriebs.

Schema der Kreislaufwirtschaft (vgl. Abb. 14.1)

Die Schüler*innen vergleichen die kennengelernten Merkmale der ökologischen Landwirtschaft mit den Bedingungen in der konventionellen Landwirtschaft und nehmen Stellung dazu.

Materialien zur konventionellen Landwirtschaft: z. B. Tabellen und Abbildungen zu Haltungsbedingungen (Auslauf, Stallfläche pro Tier), Einsatz von Medikamenten und Pestiziden, Gülleproblem

Lernzuwachs reflektieren Die Schüler*innen stellen individuell bedeutsame Inhalte sowie neue Erkenntnisse der heutigen Exkursion vor. (Fortsetzung)

14  Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern

179

Tab. 14.3   (Fortsetzung)

Standort

Inhaltlich-methodischer Schwerpunkt

Materialien

Ausklang Vesper/Brotzeit auf dem Hof mit Produkten aus dem Betrieb (fakultativ) Alternative: Mitarbeit Nach besonderer Absprache können Schüler*innen bei ausgewählten Arbeiten, z. B. bei der Ernte, beim Füttern der Tiere oder beim Abwiegen und Abpacken einzelner Produkte für den Hofladen, unterstützen (vgl. Abb. 14.3).

Abb. 14.3   Schüler*innen helfen Stroh als Einstreu für die artgerechte Tierhaltung aufzuladen. (Foto: Schulbauernhof Emshof)

die ökologische Perspektive dabei wahrscheinlich dominiert. Die Lehrkraft sollte die sozialen und ökonomischen Aspekte ggf. aktiv in die Diskussion einbringen. Es könnte ggf. ein weiterführender Impuls aus der Diskussion erwachsen: Was können wir dazu beitragen, den ökologischen Landbau zu unterstützen (z. B. Schulmensa, Pausenverkauf, Einkaufsverhalten zu Hause)? Das Interesse an Aspekten der ökologischen Landwirtschaft wird in der Nachbereitungsstunde u. a. dadurch berücksichtigt, dass die auf der Exkursion gewonnenen

180

I. Hemmer et al.

Informationen (Erkundungsbögen) in teils offener Aufgabenstellung ausgewertet werden. Hierdurch bietet sich stark interessierten oder interessengeförderten Schüler*innen die Gelegenheit, ihre Interessen weiter zu vertiefen. Beitrag zum fachlichen Lernen Die Unterrichtssequenz zum ökologischen Landbau greift die Frage auf, ob der Biobauernhof ein Vorbild für die Landwirtschaft der Zukunft ist. Es wird somit ein exemplarisches Mensch-Umwelt-Problem in den Blick genommen, das vielfältige naturräumliche (u. a. Boden, Klima, Biodiversität) und kulturräumliche (u. a. Preis und Markt, Subventionen) geographische Aspekte verbindet. Durch eine Ergänzung der ökologischen Betrachtung um ökonomische und soziale sowie globale (Futtermittelexporte) Perspektiven trägt die Sequenz zudem zur Bildung für nachhaltige Entwicklung bei. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S17 „das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen (z. B. Standortwahl von Betrieben, Landwirtschaft, Bergbau, Energiegewinnung, Tourismus, Verkehrsnetze, Stadtökologie) beschreiben“ (DGfG, 2020: 15); S20 „mögliche ökologisch, sozial und/oder ökonomisch sinnvolle Maßnahmen zur Entwicklung und zum Schutz von Räumen (z. B. Tourismusförderung, Aufforstung, Biotopvernetzung, Geotopschutz) erläutern“ (ebd.) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S5 „problem-, sach- und zielgemäß Informationen im Gelände (z. B. Beobachten, Kartieren, Messen, Zählen, Probennahme, Befragen) oder durch einfache Versuche und klassische Experimente gewinnen“ (ebd.: 20) • Beurteilung/Bewertung: S2 „geographische Kenntnisse und die o. g. Kriterien anwenden, um ausgewählte, geographisch relevante Sachverhalte, Ereignisse, Herausforderungen und Risiken (z. B. Migration, Hochwasser, Entwicklungshilfe, Flächennutzungskonflikte, Konflikte beim Zusammentreffen von Kulturen, Bürgerkriege, Ressourcenkonflikte) zu beurteilen“ (ebd.: 24) • Handlung: S5 „Motivation und Interesse für geographische/geowissenschaftliche Handlungsfelder für geographisch relevante Probleme auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Maßstabsebene (z. B. Meeresverschmutzung, Hochwasser, Armut in Entwicklungsländern) aufbringen“ (ebd.: 27) Klassenstufe und Differenzierung Anvisierte Zielgruppe sind Schüler*innen der 5. Jahrgangsstufe, da diese Altersgruppe für eine Förderung von allgemeinen Interessen hier, vor der Adoleszenz, noch gut zu erreichen ist. Explizite Lehrplanbezüge in zahlreichen Bundesländern und Schularten unterstreichen diese Wahl. Eine Differenzierung für Schüler*innen mit bereits stärker ausgeprägtem Interesse am Thema könnte dadurch erreicht werden, dass zusätzliche Möglich-

14  Interesse von Schüler*innen im Geographieunterricht fördern

181

keiten zur individuellen Vertiefung gegeben werden, z. B. durch die Bearbeitung einer größeren Anzahl von selbst formulierten Fragen. Zur Unterstützung lernschwächerer Schüler*innen könnte der Erkundungsbogen in einer stärker vorstrukturierten Weise gestaltet werden, mit Fokus auf durch die Lehrperson vorgegebene Beobachtungsaspekte und Hilfestellungen für deren Bearbeitungen. Ein sprachsensibler Umgang mit der Thematik könnte durch eine Aufzeichnung der Gespräche mit dem/der Landwirt*in erfolgen. Räumlicher Bezug Ländlicher Raum, Nahraum Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System) Österreich: Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Mensch-Umwelt-Beziehungen Schweiz: Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.1)

14.4 Transfer Der hier dargestellte Ansatz der Interessenorientierung lässt sich auf vielfältige geographische Themenfelder übertragen. Der generelle Ansatz, bestehendes Interesse zu aktualisieren (durch Öffnung des Unterrichts, interessengeleitete Fragen) sowie situationales Interesse bei Themen von geringerem Interesse durch geeignete inhaltliche Aspekte (Umwelt, Ernährung) und angemessene methodische Maßnahmen, z. B. durch Experimente, Exkursionen, digitale Medien, Fachmethoden etc. auszulösen und aufrecht zu erhalten, ist dabei transferierbar. Insbesondere bei weiteren geographischen Themen mit großer aktueller Relevanz, wie z. B. Klimawandel, Migration, Rohstoffversorgung, Endlagerung, ist ein interessenorientiertes Vorgehen Erfolg versprechend. Neben Exkursionen sind auch andere interessenintegrierende Unterrichtsformen, wie Projektarbeit, Film oder forschendes Lernen, im Sinne der Interessenorientierung naheliegend. Die fachliche Auslegung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung ist dabei ebenfalls geeignet, um interessenorientiert zu arbeiten. Verweise auf andere Kapitel • Janßen, H. & Raschke, N.: Außerschulische Lernorte. Ressourcen und Strukturwandel – Braunkohle. Band 1, Kapitel 24. • Meurel, M., Lindau, A.-K. & Hemmer, M.: Exkursionsdidaktik. Stadtentwicklung – Gentrifizierung. Band 2, Kapitel 8. • Meyer, C. & Mittrach, S.: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Welthandel – Textilindustrie. Band 2, Kapitel 20.

182

I. Hemmer et al.

Literatur BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft). (2020). Branchenreport 2020 Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Selbstverlag. https://www.boelw.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/ Zahlen_und_Fakten/Brosch%C3%BCre_2020/B%C3%96LW_Branchenreport_2020_web.pdf. Zugegriffen: 8. Febr. 2021. Bothe, B. (2007). Das Interesse von Schülerinnen und Schülern am Thema Landwirtschaft. Eine empirische Untersuchung in der Jahrgangsstufe 5 an Gymnasien. Münster (unveröffentlichte Abschlussarbeit). BfN (Bundesamt für Naturschutz). (2020). Die Lage der Natur in Deutschland. Selbstverlag. https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/natura2000/Dokumente/bericht_lage_natur_2020.pdf. Zugegriffen: 8. Febr. 2021. Ditges, T. (2015). Didaktisch-methodische Empfehlungen zur Weckung eines situationalen Interesses an einem für Schülerinnen und Schüler wenig interessanten Unterrichtsthema. Eine Befragung von Geographielehrerinnen und -lehrern in Nordrhein-Westfalen. (= Münsteraner Arbeiten zur Geographiedidaktik, Bd. 8). FNR (Fachagentur Nachhaltige Rohstoffe). (2020). Flächennutzung in Deutschland 2019. https:// mediathek.fnr.de/flachennutzung-in-deutschland.html. Zugegriffen: 19. Apr. 2021. Hemmer, I., & Hemmer, M. (Hrsg.). (2010a). Schülerinteresse an Themen, Regionen und Arbeitsweisen des Geographieunterrichts. Ergebnisse der empirischen Forschung und deren Konsequenzen für die Unterrichtspraxis. Weingarten (= Geographiedidaktische Forschungen, Bd. 46). https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/geographiedidaktische-forschungen/ gdf_46_hemmer_hemmer.pdf. Zugegriffen: 14. Febr. 2021 Hemmer, I., & Hemmer, M. (2010b). Wie kann man Schülerinteressen im Geographieunterricht berücksichtigen? Empfehlungen für die Lehrplanarbeit und den Unterrichtsalltag. In I. Hemmer & M. Hemmer (Hrsg.), Schülerinteresse an Themen, Regionen und Arbeitsweisen des Geographieunterrichts (S. 273–281). Weingarten. Hemmer, I., & Hemmer, M. (2021). Das Interesse von Schülerinnen und Schülern an geographischen Themen, Regionen und Arbeitsweisen – Ein Bundeslandvergleich zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen. Zeitschrift für Geographiedidaktik, 49(1), 3–24. Hemmer, J. (2019). Landwirtschaft und Biodiversität – Ein Überblick. In I. Limmer, I. Hemmer, M. Trappe, S. Mainka, & H. Weiger (Hrsg.), Zukunftsfähige Landwirtschaft: Herausforderungen und Lösungsansätze (S. 51–67). Oekom-Verlag. Müller, M. X. (2021). Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten unter interesseverändernden Bedingungen. Analyse der Interessenstruktur und Ermittlung von Prädiktoren für eine differenzierte Interessenförderung im außerschulischen Lernort . Dissertation. Universität Augsburg, Augsburg. Schiefele, H. et al. (1983). Zur Konzeption einer pädagogischen Theorie des Interesses. Schneck, C. (2008). Interesse von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 4 an der Erkundung eines Bauernhofs. Münster (unveröffentlichte Abschlussarbeit). Statistisches Bundesamt. (2021). Land- und Forstwirtschaft, Fischerei. https://www.destatis.de/ DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/_inhalt.html. Zugegriffen: 8. Febr. 2021. Wagner, C. (2020). Die größten Exportländer von Fleisch. WELTEXPORTE. Das Fachmagazin. 4.5.2020 https://www.weltexporte.de/fleisch-exporte/. Zugegriffen: 8. Febr. 2021.

Werte-Bildung Produktion und Konsum von tierischen Lebensmitteln im Kontext von Nachhaltigkeit

15

Christiane Meyer

 Teaser  Werte leiten unser Handeln, das auf Entscheidungen bzw. Urteilen

basiert. Werte-Bildung bezieht sich hier konkret auf die Produktion und den Konsum von tierischen Lebensmitteln (Fleisch, Milch), wobei besonders das Tierwohl vertieft wird. Dieses kann Lernenden besser zugänglich gemacht werden als die Beziehung z. B. zu Pflanzen oder zum Boden. Im Kontext von Nachhaltigkeit wird somit die Dimension Kultur neben den Dimensionen Ökologie, Ökonomie, Soziales und Politik besonders fokussiert.

15.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Landwirtschaft – Tierwohl Etwa die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt, auf knapp 60 % werden Futtermittel für die Tierhaltung angebaut (Umweltbundesamt, 2019). Die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland erfolgt gegenwärtig in 86,5 % der Betriebe und auf 89,7 % der Fläche konventionell bzw. industriell (BMEL, 2020). Deutschland ist mit 33,2 Mio. Tonnen produzierter Milch im Jahr 2020 der größte Kuhmilchproduzent der EU (Tergast & Hansen, 2020). Zudem „ist die Milchproduktion in Deutschland der wichtigste tierische Produktionszweig“ (ebd. 2020: 6) mit etwa 19 % am Produktionswert des Bereichs Landwirtschaft. „Nach der Milcherzeugung ist die

C. Meyer (*)  Didaktik der Geographie, Leibniz Universität Hannover, Institut für Didaktik der Naturwissenschaften, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_15

183

184

C. Meyer

Schweinehaltung der zweitwichtigste Betriebszweig der Landwirtschaft in Deutschland. Immer weniger hochspezialisierte Betriebe managen immer größere Tierbestände. In Deutschland werden 26,9 Mio. Schweine zur Fleischerzeugung gehalten. […] Schweinefleisch ist mit Abstand die beliebteste Fleischart in Deutschland: Jeder Bundesbürger isst im Schnitt 35,9 kg Schweinefleisch pro Jahr.“ (BLE, 2021a) Die typischen Produktionsabläufe, z. B. in der konventionellen Schweinehaltung (Rohlmann et al., 2020: 15) und in der Milchviehhaltung (Tergast & Hansen, 2020: 13), deuten jedoch darauf hin, dass die effiziente, durchrationalisierte und optimierte Produktion von Schweinefleisch und Milch zulasten des Tierwohls geht. Die intensive Tierhaltung wird u. a. aufgrund der Haltungsbedingungen, der Umweltbelastungen (z. B. Nitrat im Grundwasser, Ammoniak-Emissionen aus den Ställen, Ausstoß klimawirksamer Treibhausgase) und der Futtermittelimporte (z. B. Soja aus Brasilien) kritisiert (Hörning, 2019; Umweltbundesamt, 2019). Sie ist somit nicht tiergerecht (Ach, 2020; Hörning, 2019). Aber auch der hohe Einsatz von Antibiotika in der Nutztiermedizin stellt aufgrund der Entwicklung sowie Ausbreitung von antibiotikaresistenten Mikroorganismen „ein Gesundheitsrisiko für Mensch und Tier“ dar (Benning, 2019: 3). Ein wichtiger Hebel für wirksame Veränderungen in der intensiven Tierhaltung ist die Agrarpolitik, die derzeit jedoch noch ein nicht zukunftsfähiges System fördert (HBS et al. 2020). Was die Tierethik betrifft, so sind hier verschiedene Aspekte zu betrachten, die im Rahmen dieses Beitrags jedoch nur exemplarisch angedeutet werden können (vgl. Klopp & Gottwald, 2019: 84–95): Zucht: Schweine werden so gezüchtet, dass mageres Fleisch entsteht, wobei nur wenige Rassen mit kurzer Mastdauer und abnehmendem Futterinput zur Optimierung beitragen. Die mit 59 % aller zur Milchproduktion gehaltenen Kühe in Deutschland dominierende Holstein-Friesian-Kuh ist eine auf hohe Milchleistung gezüchtete Rasse, die jedoch keinen hohen Fleischertrag liefert (Tergast & Hansen, 2020). Ihre männlichen Kälber sind daher wirtschaftlich wertlos (Meyer, 2021). Haltung: Schweine leiden „unter Platzmangel, zu hoher Besatzungsdichte, kontrollierter, reizarmer Umgebung, Langeweile, homogenen Gruppen und mangelnden Möglichkeiten zur Ausübung arteigener Verhaltensweisen“ (Klopp & Gottwald, 2019: 86). Kühe leiden in Verbindung mit „den widernatürlich hohen Milchleistungen“ (tierim-fokus.ch, 2009: 6 f.) unter sogenannten Produktionskrankheiten wie Klauen- und Gelenkschäden, Euter- oder Stoffwechselerkrankungen (ebd.). Kuh und Kalb werden unmittelbar nach der Geburt voneinander getrennt, sodass die natürlichen Verhaltensweisen und Bedürfnisse der Tiere in ihrer Beziehung zueinander vollständig unterdrückt werden (ebd.). Transport zum Schlachthof: Längere Transportwege bedeuten für Tiere Stress und können mit Verletzungen und Schmerzen aufgrund der langen Stehzeiten einhergehen. Schlachtung: Aufgrund des hohen Zeitstresses in den hochindustrialisierten Schlachtbetrieben kann nicht ausgeschlossen werden, dass Tiere nur unzureichend betäubt sind, sodass sie am Schlachtband noch lebendig und wach sind.

15 Wertebildung

185

POLITIK als Vertretung kollekver Ziele/Interessen: „Good Governance“: Steuerung und Regulaon von nachhalger Entwicklung, demokrasche Entscheidungen unter sorgfälgem Abwägen verschiedener Ziele und Interessen…

ÖKOLOGIE Ziele/Interessen: • Schutz von Ökosystemen bzw. der Natur, u. a. Vorsorgeprinzip einhalten • Kreisläufe und Zeitmaße der Natur • Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen, u. a. Bodenfruchtbarkeit • ...

KULTUR Ziele/Interessen: • Ethische Vergewisserung, u. a. Tierwohl und Wertereflexion • Verantwortung gegenüber Um- und Mitwelt (und gegenüber sich selbst) • Nachhalgkeitsgerechte Lebenssle • ... Ziele und Interessen SOZIALES Ziele/Interessen: • Befriedigung der Bedürfnisse (u. a. mit „guten“ Lebensmieln) • Lebensqualität durch nachhalge Ernährung • Gesundheit und Wohlergehen • ...

ÖKONOMIE Ziele/Interessen: • Versorgung mit Konsumgütern , u. a. Einhaltung des Verursacherprinzips • Arbeitsplätze und Einkommen sichern • Rentabilität und Gemeinwohl • Corporate Social Responsibility (CSR) • ...

INDIVIDUEN mit persönlichen Zielen und Interessen: Verantwortungsbewusste alltägliche Entscheidungen für eine nachhalge Entwicklung, krische Auseinandersetzung mit Fragen/Themen zur Nachhalgkeit, zivilgesellschaliches Engagement für die Umsetzung einer nachhalgen Entwicklung, polische Parzipaon …

Abb. 15.1   Dimensionen im „Haus der Nachhaltigkeit“ mit Interessen und Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (Entwurf: C. Meyer)

Was den Konsum betrifft, so deuten aktuelle Studien zu den Erwartungen an die Landwirtschaft und zum Ernährungsverhalten auf einen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit hin, indem „mehr als 80 % der Bundesbürger/innen höhere Kosten für tierische Produkte dann präferieren, wenn sie damit die Haltungsbedingungen der Tiere verbessern könnten. […] Die Verbrauchernachfrage im Supermarkt bestätigt diese Zahlen nicht.“ (Klopp & Gottwald, 2019: 95) Damit entspricht die Einstellung nicht dem tatsächlichen Handeln („Attitude Behaviour Gap“; Heidbrink, 2019). Daher ist bewusst zu machen, dass auch Entscheidungen von Konsumierenden raum- und zukunftswirksam sind. Diese basieren letztlich auf handlungsleitenden Wertorientierungen (PIRC 2014). Das Thema betrifft alle Dimensionen von Nachhaltigkeit (siehe Abb. 15.1). In der Ökologie wird u. a. das Vorsorgeprinzip, in der Ökonomie u. a. das Verursacherprinzip nicht eingehalten. Was Soziales betrifft, so wird u. a. die Förderung der menschlichen Gesundheit missachtet, die Kultur ist nicht an einer ethischen Vergewisserung ausgerichtet und Politik nutzt nicht die Steuerungsmöglichkeiten Top-down in Richtung Nachhaltigkeit. Auch Individuen bzw. Konsumierende sind nicht bereit, ihre Macht zu nutzen, um Bottom-up etwas zu verändern (Heidbrink, 2019). Abb. 15.2 zeigt ausgewählte Aspekte bzw. Probleme am Beispiel von tierischen Lebensmitteln auf.

186

C. Meyer

POLITIK Die Gemeinsame EU-Agrarpolik (GAP) vergibt z. B. Flächenprämien und fördert damit v. a. wenige, große Betriebe – das Primat „wachse oder weiche“ hat Höfesterben zur Folge; Tierwohl wird kaum gefördert.

ÖKOLOGIE Nitratbelastung des Grundwassers, Treibhausgasemissionen, Peszideinsatz bei der Produkon von Fuermieln, Import von Fuermieln (z. B. Soja aus Brasilien), lange Transportwege entlang der Lieferkeen (z. B. Ferkel in großer Anzahl aus Dänemark) …

KULTUR Keine ergerechte Haltung (z. B. Kastenstand in der Sauenhaltung, zu wenig Platz für Mastschweine, kein Auslauf, kein Zugang zur Natur), Trennung von Muerkuh und Kalb direkt nach der Geburt, kein nachhalgkeitsbewusster Ernährungssl …

SOZIALES Anbiokaresistenzen als Gefahr für die Gesundheit, zu hoher Konsum von Fleisch- und Milchprodukten, „,Geiz ist geil‘-Mentalität“ von Konsumierenden, Intransparenz von Produkten und Siegeln bzw. „Label-Labyrinth“ …

ÖKONOMIE Effizienz und Profitopmierung kalkuliert nicht die ökologischen und sozialen Kosten, Ausbeutung von Arbeitnehmen den in der Schlacht- und Verarbeitungs industrie, Erzeugungskosten liegen über den (Milch-)Auszahlungspreisen – keine Rentabilität …

INDIVIDUEN Atude Behaviour Gap, fehlendes Nachhalgkeitsbewusstsein und (polisches) Engagement

Abb. 15.2   Ausgewählte Aspekte bzw. Probleme der nicht nachhaltigen Produktion und des Konsums von tierischen Lebensmitteln (Entwurf: C. Meyer)

Ernährungsstile und tierische Lebensmittel sind jedoch nicht nur tierethisch zu reflektieren, sondern stehen auch in einem Zusammenhang mit dem Klimawandel (HBS, 2020; Lemke, 2011). Der Thünen Report 65 ermittelt auf Basis der Auswertung zahlreicher aktueller Studien zur Landwirtschaft die Leistungen des ökologischen Landbaus (ÖL) für Umwelt und Gesellschaft – im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft. Es wird zusammenfassend geschlussfolgert, dass „der ökologische Landbau einen relevanten Beitrag zur Lösung der umwelt‐ und ressourcenpolitischen Herausforderungen dieser Zeit leisten kann und zu Recht als eine Schlüsseltechnologie für eine nachhaltige Landnutzung gilt“ (Sanders & Heß, 2019: vii). Dabei wird u. a. hervorgehoben, dass der ÖL die Systeme und Kreisläufe der Natur respektiert und eine flächengebundene (Obergrenze: 2 GV/ha) sowie an den Standort angepasste Tierhaltung umsetzt. Der ökologische Landbau ist jedoch zu differenzieren nach den Prinzipien der neun Bio-Anbauverbände wie Demeter oder Bioland sowie dem EU-Bio-Siegel (BLE, 2021b). „Das EU-Bio-Siegel beinhaltet im Vergleich zu den Siegeln der meisten Öko-Verbände in Deutschland schwache ökologische Anforderungen“ (CIR, o. J.). Viele Konsumierende wissen nicht, wie unterschiedliche (Bio-)Siegel hinsichtlich verschiedener Ansprüche an Nachhaltigkeit zu bewerten sind (CIR, 2021). Auf einer Metaebene können Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung durch das Anknüpfen an natur- bzw. umweltethische Positionen reflektiert werden. Hierbei wird

15 Wertebildung

187

Lebewesen + Unbelebtes + überorganisLebewesen mische Ganzheiten

Natürliche Objekte mit Eigenwert Menschen

‚höhere‘ Tiere P h

y

s

i

o

z

e

n

Pathozentrismus Anthropozentrismus Biozentrismus (Senensmus) Menschsein, Personalität, Lebendigsein/ (Schmerz-)EmpfinSprache Zielgerichtetheit dungsfähigkeit

t

r

i

k

Holismus Existenz

Kriterien für moralische Berücksichgungswürdigkeit

Abb. 15.3   Das sogenannte Zwiebelschalenmodell der Grundtypen der Natur- bzw. Umweltethik. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Ott et al., 2016: 12)

z. B. die Frage gestellt, ob (Nutz-)Tiere Rechte haben, und falls ja, was das für das Handeln der Menschen bedeutet (Diehl & Tuider, 2019). Dabei können Anthropozentrismus, Pathozentrismus, Biozentrismus und Holismus unterschieden werden (siehe Abb. 15.3; Meyer & Remmers, 2016). Weiterführende Leseempfehlung • Fachliche Klärung: Thünen-Institut. (o. J.). Dossier Nutztierhaltung und Fleischproduktion in Deutschland. https://www.thuenen.de/de/themenfelder/nutztierhaltungund-aquakultur/nutztierhaltung-und-fleischproduktion-in-deutschland. (02.11.2022). • Ethische Klärung: Diehl, E. & Tuider, J. (Hrsg.). (2019). Haben Tiere Rechte? Aspekte und Dimensionen der Mensch-Tier-Beziehung (Schriftenreihe, Band 10.450). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Problemorientierte Fragestellung Eine Frage der Haltung! – Welche Fleisch- und Milchwirtschaft wollen wir für unsere Zukunft?

15.2 Fachdidaktischer Bezug: Werte-Bildung Als fachdidaktisches Prinzip wird die Werte-Bildung herangezogen. Diese basiert auf den Fragen, was Werte sind, wie sie entstehen und sich entwickeln (Joas, 2006). Sie stellt eine Verbindung zwischen Emotion und Kognition her (Meyer, 2018). Emotionen bewerten primär-unbewusst und nicht das bewusste Denken, wie die Neurobiologie nachgewiesen hat (Jung, 2012: 117). Mit diesem Ansatz einer ganzheitlichen Werte-

188

C. Meyer

Abb. 15.4   Holistische Werte-Bildung im Zusammenhang mit der Einzigartigkeit des Menschen (Entwurf C. Meyer in Meyer, 2018)

Bildung wird die (ethische) Urteilskompetenz in einen größeren Zusammenhang eingebettet (Meyer & Remmers, 2016). Abb. 15.4 verdeutlicht die einzelnen Ebenen der Werte-Bildung in Verbindung mit der Einzigartigkeit des Menschen (ausführlich in Meyer, 2018: 66–67, 2019: 50–53): Ergriffenwerden/-sein: Hans Joas definiert Werte als „stark emotional besetzte Vorstellungen darüber, was eigentlich wahrhaftig des Wünschens wert ist“ (ebd. 2006: 3). Er konstatiert, „Werte entstehen in Erfahrungen der Selbstbildung und Selbsttranszendenz“ (ebd: 4). Selbstbildung ist verknüpft mit der Fähigkeit der Reflexivität bzw. mit reflexiven Subjekten. Selbsttranszendenz bedeutet, dass „ein schon geformtes Selbst die Erfahrung macht, dass es über die Grenzen dieses Selbst hinausgerissen wird. […] Wir sind eigentlich schon ein Selbst, aber wir machen eine fundamentale, wertbezogene Transformationserfahrung durch“ (ebd.: 5). Diese Erfahrung geht einher mit einem Ergriffenwerden bzw. Ergriffensein. Bedeutsam dabei ist, dass wir uns gebunden fühlen müssen und nicht selber binden. Dies bezeichnet Joas als „passivisches Moment“ (ebd.: 2). Derartige Erfahrungen sind der menschlichen Natur bzw. der Ebene „Human Nature“ in Abb. 15.4 zuzuordnen. Solche Erfahrungen können unmittelbar vor Ort bei der Besichtigung landwirtschaftlicher Betriebe gemacht werden oder mittelbar beim Anschauen bestimmter Sequenzen von Dokumentarfilmen (Meyer, 2018). Verbundensein: Durch das Kennenlernen anderer Perspektiven z.  B. auf die Produktion von tierischen Lebensmitteln kann ein Verbundensein mit bestimmten Produktionsweisen und Haltungen erfolgen, indem die dahinterstehenden Prinzipien und Werte als persönlich bedeutsam angenommen werden. Grundsätzlich geht es bei dieser Ebene um Kultur als kollektives Phänomen von spezifischen Gruppen oder Kategorien. Jeder Mensch ist kulturell geprägt und hat Werte verinnerlicht. Diese Wertorientierungen können aber auch im Zuge eines Perspektivwechsels infrage gestellt werden. Überzeugtsein: Überzeugtsein meint hier, dass aufgrund des Bewusstmachens persönlicher Wertorientierungen reflektierte Entscheidungen getroffen bzw. (ethische) Urteile gefällt werden können. Diese sind mit der individuellen Persönlichkeit verknüpft, die in ihren Anlagen vererbt und durch Lernprozesse entwickelt wird. Werte sind kulturüber-

15 Wertebildung

189

greifend erforscht und in Wertegruppen zusammengefasst worden (PIRC, 2014). Diese können z. B. bei der Reflexion über Wertorientierungen als Orientierung herangezogen werden (Meyer, 2018). Weiterführende Leseempfehlung Meyer, C. (2018). Landwirtschaft und Werte-Bildung: Von „Unser täglich Brot“ bis „10 Mrd.“. In C. Meyer & A. Eberth (Hrsg.), Filme für die Erde – Unterrichtsanregungen zum Lernbereich „Globale Entwicklung“ im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (S. 59–80). Selbstverlag. https://doi.org/10.15488/3686. (Hannovers che Materialien zur Didaktik der Geographie 1). Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Alltagsorientierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, transformative Bildung

15.3 Unterrichtsbaustein: „The Future We Want“ – Nachhaltige Produktion von Fleisch und Milch unter besonderer Berücksichtigung des Tierwohls Ergriffenwerden/-sein: Um die konventionelle Produktion zu veranschaulichen, wird mit ausgewählten Sequenzen aus dem Dokumentarfilm „Unser täglich Brot“ von N. Geyrhalter (Meyer, 2018: 63) eingestiegen (u. a. künstliche Besamung von Sauen, Ferkel mit Muttersau im Kastenstand, Kastration von männlichen Ferkeln, Schlachthof). Da dieser Film von 2005 ist, müsste der aktuelle Stand der Diskussion z. B. zum Kastenstand und zur Kastration recherchiert werden. Was die Produktion von Milch betrifft, wird der Trailer aus dem Dokumentarfilm „Das System Milch“ von Andreas Pichler (2017) gezeigt. Die typischen Produktionsabläufe in der konventionellen Schweinehaltung (Rohlmann et al., 2020: 15; online verfügbar) und in der Milchviehhaltung (Tergast & Hansen, 2020: 13; online verfügbar) werden in einem Lerntempoduett vertieft: Stelle den typischen Produktionsablauf in der konventionellen Schweinehaltung bzw. Milchviehhaltung dar. In einem Vortrag vonseiten der Lehrkraft wird die aktuelle Situation zum Anteil dieser jeweiligen Form der Landwirtschaft mit weiteren ausgewählten Zahlen zur durchschnittlichen Größe der Ställe präsentiert. Verbundensein: Anschließend werden die folgenden Fragen diskutiert: „Ist diese Form der Fleisch- [und Milch-]produktion die richtige? Kann man Tiere wie Massenware produzieren? Muss man es? Vor allem: Darf man es? “ (Amann et al., 2013: 66) Vertiefend werden hierzu Wertegruppen bzw. Werte bestimmt, die zum einen diese Produktionsabläufe prägen und zum anderen unter Berücksichtigung des Tierwohls anzustreben sind (siehe Abb. 15.5; Meyer, 2018; PIRC, 2014; Meyer & Remmers, 2016). Ordnet den Produktionsabläufen Wertegruppen bzw. Werte zu. Analysiert, welche Werte(gruppen) die Berücksichtigung des Tierwohls besonders zum Ausdruck bringen.

190

C. Meyer

Blick aufs Ganze

VERSTÄNDNIS, WERTSCHÄTZUNG UND SCHUTZ FÜR DIE NATUR UND DAS WOHL ALLER MENSCHEN SOWIE NICHTMENSCHLICHER LEBEWESEN



Selbstbestimmung

UNABHÄNGIGKEIT IN GEDANKEN UND TAT - DIE EIGENE WAHL TREFFEN, EIGENES SCHAFFEN UND ENTDECKEN Werte wie Freiheit, Neugierde, Selbstachtung, Kreativität, eigene Ziele wählen, Privatheit ...

Werte wie soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, Frieden in der Welt, innere Harmonie, Einheit mit der Natur, Weisheit, Schutz der Umwelt, Schönheit, Würde der Kreatur ...

Gemeinsinn

ERHALTUNG UND FÖRDERUNG DES WOHLS DER MENSCHEN, MIT DENEN MAN HÄUFIGEN PERSÖNLICHEN KONTAKT HAT Werte wie Ehrlichkeit, Vergebung, Hilfsbereitschaft, Lebenssinn, Verantwortung, wahre Freundschaft, Liebe, Spiritualität ...

Tradition

Abenteuer

ANREGUNG, NEUES UND HERAUSFORDERUNGEN IM LEBEN Werte wie Wagemut, Abwechslung, aufregendes Leben ...

Genuss

Wertegruppen

AKZEPTANZ, RESPEKT UND ENGAGEMENT FÜR IDEEN UND BRÄUCHE DER TRADITIONELLEN KULTUR UND RELIGION Werte wie Demut, Mäßigung, Anerkennung überlieferten Wissens, Schicksal annehmen, Zuversicht, Glaube, angemessene Distanz ...

Konformität

UNTERDRÜCKUNG VON HANDLUNGEN, NEIGUNGEN UND IMPULSEN, DIE ANDERE VERÄRGERN, IHNEN SCHADEN ODER SOZIALE ERWARTUNGEN UND NORMEN VERLETZEN KÖNNTEN Werte wie Selbstdisziplin, Höflichkeit, Gehorsam, Wertschätzung von Älteren ...

Sicherheit

GEBORGENHEIT, HARMONIE UND STABILITÄT IN DER GESELLSCHAFT, IN BEZIEHUNGEN UND IN EINEM SELBST Werte wie Gesundheit, soziale Ordnung, Sauberkeit, Zugehörigkeitsgefühl, familiäre Stabilität, nationale Stabilität ...

PERSÖNLICHES VERGNÜGEN UND SINNLICHE BEFRIEDIGUNG Werte wie Lebensfreude, Hingabe, Nachsicht sich selbst gegenüber ...

Leistung

PERSÖNLICHER ERFOLG DURCH DAS ANWENDEN VON AN SOZIALEN STANDARDS AUSGERICHTETEN KOMPETENZEN Werte wie Intelligenz, Erfolg, Ehrgeiz, Fähigkeiten, Einfluss ...

Macht

SOZIALER STATUS, PRESTIGE, HERRSCHAFT BZW. KONTROLLE ÜBER MENSCHEN UND RESSOURCEN Werte wie Wohlstand, soziale Anerkennung, Autorität, soziale Macht ...

Abb. 15.5   Wertegruppen und Werte. (Eigene Darstellung in Anlehnung an PIRC 2014: 13 f.)

Überzeugtsein: Dies wirft die Frage nach weiterer fachlicher Klärung und Alternativen auf. In themenverschiedener Gruppenarbeit können folgende Themen erschlossen werden, um anschließend über die Leitfrage „Eine Frage der Haltung! – Welche Fleisch- und Milchwirtschaft wollen wir für unsere Zukunft?“ zu diskutieren (vgl. Meyer, 2021: 28–31): Gruppe 1: Schweinefleischproduktion im ökologischen Landbau am Beispiel eines BioAnbauverbands (z. B. Demeter, www.demeter.de) Gruppe 2: Milchproduktion im ökologischen Landbau am Beispiel eines Bio-Anbauverbands (z. B. Demeter, www.demeter.de) Gruppe 3: Auf den Punkt gebracht: „Leistungen des ökologischen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft“ (Website Thünen-Institut) Gruppe 4: „Tierhaltung und Tiernutzung“ (Ach, 2020) Gruppe 5: Eigene Recherche im Kontext von zukunftsfähiger Schweinehaltung Gruppe 6: Eigene Recherche im Kontext von zukunftsfähiger Milchviehhaltung Als Aufgabenstellungen könnten folgende zur Orientierung dienen: Fasst zentrale Aspekte zum Thema eurer Themengruppe zusammen. Diskutiert in eurer Themengruppe, welche Aspekte davon einer zukunftsfähigen Fleisch- und/oder Milchwirtschaft zuträglich sind. Präsentiert eure Ergebnisse anschließend im Plenum (alternativ in neu zusammengesetzten Gruppen, die sich aus Personen aus den unterschiedlichen Themen-

15 Wertebildung

191

gruppen zusammensetzen). Diskutiert im Plenum (in der Gruppe) die Leitfrage und berücksichtigt dabei insbesondere Werte(gruppen) bei eurer Argumentation. Die Besichtigung eines konventionellen Betriebs mit Schweinemast und/oder Milchviehhaltung sowie eines ökologischen Betriebs ist dringend zu empfehlen, um vor Ort konkrete Einblicke zu erhalten und weitere Fragen zu klären (Meyer, 2018, 2021). Beitrag zum fachlichen Lernen Durch den Unterrichtsbaustein erarbeiten die Lernenden sich die typischen, d. h. vorherrschenden Abläufe der Produktion von Schweinefleisch und Milch, wobei jeweils die ethische Frage des Tierwohls aufgeworfen wird. Vor dem Hintergrund der Leitfrage und auf Basis von anschlussfähigen Wertorientierungen werden Alternativen im Zusammenhang mit einem nachhaltigen Konsum diskutiert. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S12 „den Ablauf von humangeographischen Prozessen in Räumen […] beschreiben und erklären“ (DGfG, 2020: 14); S18 „Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] erläutern“ (ebd.: 15) • Beurteilung/Bewertung: S7 „geographisch relevante Werte und Normen (z. B. Menschenrechte, Naturschutz, Nachhaltigkeit) nennen“ (ebd.: 25); S8 „geographisch relevante Sachverhalte und Prozesse […] in Hinblick auf diese Normen und Werte bewerten“ (ebd.) • Handlung: S6 „für die Orientierung an geographisch relevanten Werten“ (ebd.: 27); S7 „andere Personen fachlich fundiert über relevante Handlungsfelder zu informieren […]“ (ebd.); S10 „einzelne potentielle oder tatsächliche Handlungen in geographischen Zusammenhängen begründen“ (ebd.: 28); S11 „natur- und sozialräumliche Auswirkungen einzelner ausgewählter Handlungen abschätzen und in Alternativen denken“ (ebd.) Klassenstufe und Differenzierung Der Unterrichtsbaustein kann ab Klassenstufe 9 eingesetzt werden. Vorkenntnisse im Zusammenhang mit den Dimensionen von Nachhaltigkeit sollten vorliegen. Die Auswahl der Arbeitsmaterialien für die Gruppenarbeit in Verbindung mit der Leitfrage ist an die jeweilige Lerngruppe anzupassen. Räumlicher Bezug National, regional Konzeptorientierung Deutschland: Nachhaltigkeitsviereck (Ökonomie, Ökologie, Politik, Soziales) Österreich: Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Arbeit, Produktion und Konsum, Mensch-Umwelt-Beziehungen Schweiz: Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.2)

192

C. Meyer

15.4 Transfer Probleme in puncto Nachhaltigkeit können auf andere Konsumgüter übertragen werden wie Schokolade, Tee, Kaffee oder (Baumwoll-)Kleidung. Diese sind zudem mit dem globalen Handel und den Zielen von Fairtrade im Kontext globalen Lernens verknüpft. Auch hier ist es möglich, auf Werte-Bildung zu fokussieren und Lösungsansätze zu diskutieren. Fachliche und ethische Komplexität, Zielkonflikte oder System-, Ziel- und Transformationswissen können vertieft werden. Im Hinblick auf ackerbauliche landwirtschaftliche Produkte in Deutschland sind Regionalität und Saisonalität zu beachten. Zur Sensibilisierung im Kontext von Klimawandel und Treibhausgasemissionen bietet sich z. B. folgende Website an: https://www.ifeu.de/publikation/oekologische-fussabdrueckevon-lebensmitteln-und-gerichtenin-deutschland/ Verweise auf andere Kapitel • Fögele, J., Mehren, R. & Rempfler, A.: Systemkompetenz. Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff. Band 1, Kapitel 17. • Hanke, M., Ohl, U. & Sprenger, S.: Faktische Komplexität. Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation. Band 1, Kapitel 8. • Janßen, H. & Raschke, N.: Außerschulische Lernorte. Ressourcen und Strukturwandel – Braunkohle. Band 1, Kapitel 24. • Lathan, H. & Castillo Mispireta, A.: Syndromansatz. Intensive Landwirtschaft – Nachhaltigkeitsprobleme. Band 1, Kapitel 19. • Meyer, C. & Mittrach, S.: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Welthandel – Textilindustrie. Band 2, Kapitel 20. • Oberrauch, A. & Andre, M.: Statistik und Visual Analytics. Planetare Belastungsgrenzen – Nachhaltigkeit. Band 1, Kapitel 16. • Pettig, F. & Raschke, N.: Transformative Bildung. Zukunftsforschung und Megatrends – Ernährung. Band 2, Kapitel 24. • Reuschenbach, M.: Zukunftsorientierung. Globalisierung – Globale Warenketten. Band 2, Kapitel 19.

Literatur Ach, J. S. (2020). Tierhaltung und Tiernutzung. https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/bioethik/319128/tierhaltung-und-tiernutzung. Zugegriffen: 2. Jan. 2021. Amann, S., Fröhlingsdorf, M., & Ludwig, U. (2013). Schlacht-Plan. Der Spiegel, 66(43), 64–72. http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/117180355. Zugegriffen: 2. Jan. 2021. Benning, R. (2019). Über Antibiotikaresistenzen, ihre Ursachen und Reduktionsstrategien in der Tierhaltung. https://germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/Antibiotikaresistenzen%2C%20 ihre%20Ursachen%20und%20Reduktionsstrategien%20in%20der%20Tierhaltung.pdf. Zugegriffen: 2. Jan. 2021. BLE. (2021a). Schweinehaltung in Deutschland. https://www.praxis-agrar.de/tier/schweine/ schweinehaltung-in-deutschland/. Zugegriffen: 2. Jan. 2021.

15 Wertebildung

193

BLE. (2021b). Umstellung: Öko-Verbände und -Standards im Vergleich. https://www.oekolandbau. de/erzeuger/umstellung/oeko-verbaende-und-standards-im-vergleich/. Zugegriffen: 2. Jan. 2021. BMEL. (2022). Ökologischer Landbau in Deutschland. BMEL. CIR: Christliche Initiative Romero (Hrsg.). (2021). Ein Wegweiser durch das Label-Labyrinth (3. Aufl.). CIR. CIR: Christliche Initiative Romero. (2022). EU-Bio. https://www.ci-romero.de/label/83-eu-bio/. Zugegriffen: 2. Nov, 2022. Diehl, E., & Tuider, J. (Hrsg.). (2019). Haben Tiere Rechte? Aspekte und Dimensionen der Mensch-Tier-Beziehung (Schriftenreihe Band 10450). Bundeszentrale für politische Bildung. HBS: Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., & Le Monde Diplomatique (2020). Agrar-Atlas 2019. Daten und Fakten zur EU-Landwirtschaft (3. Aufl.). https://www.boell.de/de/agraratlas. Zugegriffen: 2. Jan. 2021. Heidbrink, L. (2019). Wir brauchen mehr nachhaltige Konsument/-innen! https://www.bpb.de/ dialog/netzdebatte/281705/wir-brauchen-mehr-nachhaltige-konsument-innen. Zugegriffen: 2. Jan. 2021. Hörning, B. (2019). Intensivtierhaltung von Nutztieren in Deutschland. Probleme und Alternativen. In E. Diehl & J. Tuider (Hrsg.), Haben Tiere Rechte? Aspekte und Dimensionen der MenschTier-Beziehung (S. 166–183). Bundeszentrale für politische Bildung. Joas, H. (2006). Wie entstehen Werte? Wertebildung und Wertevermittlung in pluralistischen Gesellschaften. http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2006_Vortrag_Joas_ authorisiert_06101x.pdf. Zugegriffen: 2. Jan. 2021. Jung, N. (2012). Natur und Entstehung von Werten. In N. Jung, H. Molitor, & A. Schilling (Hrsg.), Auf dem Weg zu gutem Leben. Die Bedeutung der Natur für seelische Gesundheit und Werteentwicklung. (Eberswalder Beiträge zu Bildung und Nachhaltigkeit, Bd. 2, S. 113–135). Budrich UniPress. Klopp, N. & Gottwald, F.-T. (2019). Schwein gehabt? Tier- und konsumethische Aspekte des Umgangs mit Schweinen. In J. Rückert-John & M. Kröger (Hrsg.), Fleisch. Vom Wohlstandssymbol zur Gefahr für die Zukunft (S. 81–102). Nomos. Lemke, H. (2011). Klimagerechtigkeit und Esskultur – Oder „Lerne Tofuwürste lieben!“ In A. Ploeger, G. Hirschfelder, & G. Schönberger (Hrsg.), Die Zukunft auf dem Tisch. Analysen, Trends und Perspektiven der Ernährung von morgen (S. 167–185). VS Verlag. Meyer, C. (2021). Das Milchsystem – Welche Milchwirtschaft wollen wir im Kontext von Nachhaltigkeit? Praxis Geographie, 51(3), 26–31. Meyer, C. (2019). Denn sie tun, was sie wissen! Integrale Theorie und Werte-Bildung für eine gesellschaftliche Transformation. transfer Forschung Schule, 5, 40–58. Meyer, C. (2018). Landwirtschaft und Werte-Bildung: Von „Unser täglich Brot“ bis „10 Milliarden“. In: C. Meyer & A. Eberth (Hrsg.), Filme für die Erde – Unterrichtsanregungen zum Lernbereich „Globale Entwicklung“ im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (S. 59–80). Selbstverlag. https://doi.org/10.15488/3686.(Hannoversche Materialien zur Didaktik der Geographie 1). Meyer, C. & Remmers, S. (2016). „Rhythm of Nature“ – Werte-Bildung am Beispiel der landwirtschaftlichen Produktion unter besonderer Berücksichtigung der intensiven Tierhaltung. In C. Meyer (Hrsg.), Diercke Geographie und Musik. Zugänge zu Mensch, Kultur und Raum (S. 44–63). Westermann. Ott, K., Diercks, J., & Voget-Kleschin, L. (2016). Einleitung. In H. Umweltethik (Hrsg.), dies (S. 1–18). Metzler. PIRC: Public Interest Research Centre. (2014). Die Gemeinsame Sache. Ein Handbuch zu Werten und Deutungsrahmen. (Deutsche Arbeitsausgabe). https://www.diegemeinsamesache.org/home/ das-handbuch/. Zugegriffen: 2. Jan. 2021.

194

C. Meyer

Rohlmann, C., Verhaagh, M., & Efken, J. (2022). Steckbriefe zur Tierhaltung in Deutschland: Ferkelerzeugung und Schweinemast. Johann Heinrich von Thünen-Institut. Sanders, J., & Heß, J. (Hrsg.). (2019). Leistungen des ökologischen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft. Thünen Report 65 (2. überarbeitete und ergänzte Auflage). https://www.thuenen. de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen_Report_65.pdf. Zugegriffen: 2. Jan. 2021. Tergast, H., & Hansen, H. (2021). Steckbriefe zur Tierhaltung in Deutschland: Milchkühe. Johann Heinrich von Thünen-Institut. tier-im-fokus.ch (Hrsg.). (2009). Kühe und ihre Kälber. Info-Dossier Nr. 24. https://www.tier-imfokus.ch/wp-content/uploads/2009/06/kuehe_kaelber.pdf. Zugegriffen: 2. Jan. 2021. Umweltbundesamt. (2022). Umweltbelastungen der Landwirtschaft. https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft. Zugegriffen: 2. Nov. 2022.

16

Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf Planetare Belastungsgrenzen und soziale Mindeststandards als Orientierung für ein gutes Leben im „Donut“ Anna Oberrauch und Martin Andre

 Teaser  Der

(Geo-)Visual Analytics-Ansatz unterstützt die visuellexplorative Analyse raum-zeitlicher Daten mittels digitaler Geomedien. Im vorliegenden Unterrichtsbaustein bildet das alternative Wirtschaftsmodell der Donut-Ökonomie den Analyserahmen für visuell-statistische Untersuchungen der Schüler*innen. Daten werden mithilfe statistischer Konzepte analysiert, eigene Modellierungen erstellt, Schlussfolgerungen gezogen und Ergebnisse kritisch reflektiert.

16.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Planetare Belastungsgrenzen – Nachhaltigkeit Das klassische Drei- oder Viereck der Nachhaltigkeit, in dem die Dimensionen Ökonomie, Ökologie, Soziales bzw. auch Politik/Kultur integriert betrachtet werden, wird oftmals vor dem Hintergrund der Leitplankenmodelle der Nachhaltigkeit kritisiert. Die Kritik bezieht sich v. a. auf die Gleichwertigkeit der Dimensionen, wodurch die Einsicht, dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung nur durch das Respektieren ökologischer Grenzen nachhaltig sein kann (Griggs et al., 2013), zu wenig zum Tragen kommt. Demgegenüber stehen Nachhaltigkeitskonzepte, die das Einhalten von

A. Oberrauch (*) · M. Andre  Pädagogische Hochschule Tirol, Institut für fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Forschung und Entwicklung, Innsbruck, Österreich E-Mail: [email protected] M. Andre  E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_16

195

196

A. Oberrauch und M. Andre

Grenzen in Bezug auf die Tragfähigkeit der Ökosysteme sowie die Einhaltung universaler Menschenrechte betonen. Diese Sichtweise hat Kate Raworth (2017) in ihrem Modell der Donut-Ökonomie aufgegriffen (Abb. 16.1): Zwischen der Deckung sozialer Mindeststandards (= Grenze des gesellschaftlichen Fundaments, innerer Kreis) und dem Erreichen der ökologischen Grenzen (= ökologische Decke, äußerer Kreis) befindet sich der Handlungsraum für eine nachhaltige Entwicklung. Dieser Donut-förmige Kreisring markiert den sichereren, gerechteren Lebensraum, im Rahmen dessen Bedürfnisse aller mit den Mitteln des Planeten befriedigt werden können (Raworth, 2017). Die Bestimmung und Operationalisierung der ökologischen Leitplanken nach außen beruht auf dem Konzept der planetaren Belastungsgrenzen (Rockström et al., 2009; Steffen et al., 2015). Für neun ökologische Problemfelder werden Messvariablen und Schwellenwerte definiert, bei deren Einhaltung angenommen wird, dass die Erde keine irreversiblen Schäden nimmt. Abb. 16.1 zeigt, dass die Menschheit hinsichtlich einiger Problemfelder im sicheren Handlungsraum agiert, während in Bezug auf Klimawandel, Landnutzungsänderungen, Biodiversitätsverlust sowie Stickstoff- und Phosphoreintrag in

Abb. 16.1   Modell der Donut-Ökonomie – angewandt auf den globalen Maßstab. (Eigene Darstellung: Andre nach Raworth, 2017)

16  Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf

197

die Biosphäre Schwellenwerte überschritten werden und ein erhöhtes bis hohes Risiko mit gravierenden Folgen besteht (Steffen et al., 2015). Das Modell wird zwar aufgrund der Anzahl der Variablen pro Belastungsgrenze bzw. der teilweise fehlenden Definition von Kontrollvariablen oder Schwellenwerten kritisiert, doch repräsentiert es ein grundlegendes Denkmuster, wonach das Erreichen nachhaltiger Entwicklungsziele in einem definierten ökologischen Rahmen erfolgen muss. Die Bestimmung des sozialen Fundaments basiert auf zwölf Dimensionen, die aus den nachhaltigen Entwicklungszielen, den sog. Sustainable Development Goals (UN, 2015), abgeleitet sind. Sie stellen die grundlegenden Komponenten des Lebens dar, wie etwa Nahrung, sauberes Wasser, Zugang zu Energie, Gesundheitsversorgung, Bildung sowie Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit, politische Teilhabe und Frieden (Raworth, 2017, Abb. 16.1). Die roten Bereiche in Abb. 16.1 zeigen, dass auch in Bezug auf das Erreichen dieser sozioökonomischen Mindestanforderungen global gesehen Defizite bestehen. Infobox 16.1: Beispiel – Downscaling des Modells auf nationale Maßstabsebene

Durch Downscaling wird das Modell von der globalen Ebene heruntergebrochen, um auf nationaler und lokaler Maßstabsebene als Grundlage für Monitoring- und politische Entscheidungsprozesse zu dienen. Auf nationaler Maßstabsebene zeigt eine Analyse der University of Leeds eindrücklich, dass kein Land der Erde „im Donut lebt“, d. h. soziale Mindeststandards sichert, ohne gleichzeitig planetare Belastungsgrenzen zu überschreiten (O´Neill et al., 2018).

Nationale Donuts von Österreich und Indien im Vergleich (Screenshot: https:// goodlife.leeds.ac.uk/national-snapshots/countries/ mit dem Abrufdatum 28.7.2021)

198

A. Oberrauch und M. Andre

Mit dem Modell der Donut-Ökonomie wird dem wirtschaftlichen Wachstumsnarrativ ein Denkmodell gegenübergestellt, das Wirtschaft als Mittel zum Zweck der Erfüllung von Bedürfnissen versteht und als solches in Gesellschaft und Ökologie eingebettet ist. Aus fachdidaktischer Sicht liegen Stärken dieses Modells in der Visionsorientierung (Raworth, 2017), der hohen Anschaulichkeit und Einprägsamkeit (Eberth, 2020) und der Vermittlung eines adäquaten Nachhaltigkeitsverständnisses (Andre et al., 2020). Zudem kann es auf verschiedenen Maßstabsebenen als Instrument dienen, um Zustände auf der Erde zu analysieren und Herausforderungen und Handlungswege nachhaltiger Entwicklung zu erkennen. Weiterführende Leseempfehlung Raworth, K. (2018). Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört. München: Carl Hanser Verlag. Problemorientierte Fragestellungen • Ist ein gutes Leben im „Donut“ – dem Handlungsraum zwischen planetaren Belastungsgrenzen und sozialen Mindeststandards – möglich? • Wie sieht die Situation in verschiedenen Ländern aus und welche Handlungsanforderungen lassen sich daraus für die Zukunft ableiten?

16.2 Fachdidaktischer Bezug: Statistik und Visual Analytics Räumliche Erscheinungen sowie gesellschaftspolitische Phänomene und Entwicklungen können vielfach in Zahlen gefasst werden, die wiederum in Tabellen, Diagrammen und Grafiken dargestellt werden. Entsprechend bilden Statistiken als „numerische Tabellen, die Zahlenwerte nach bestimmten Kriterien ordnen“ (Brucker, 2012: 299), sowie deren Darstellungen ein wichtiges (Geo-)Medium im Unterricht. Sie generieren besondere Glaubwürdigkeit durch die scheinbar exakte wissenschaftliche Erfassung, Beschreibung, Erklärung und Darstellung (Wintzer, 2015). Umso wichtiger ist es, Schüler*innen in der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitisch relevanten Statistiken zu fördern (Nicholson et al., 2018). Speziell im Geographieunterricht können Statistiken als Informationsquelle genutzt werden, um Fragestellungen zu beantworten und kausale Zusammenhänge zu erschließen. Sie können von Schüler*innen selbst generiert, interpretiert, hinsichtlich ihrer Aussagekraft und Absichten hinterfragt werden. Gleichsam können Schüler*innen Statistiken als Kommunikations- und Partizipationsinstrumente nutzen und reflektieren. Der (Geo-)Visual Analytics-Ansatz (Andrienko et al., 2010) kann im Unterricht visuell-explorative Analysen umfangreicher raum-zeitlicher Daten mittels digitaler Geomedien unterstützen. Die Grundidee dieses Ansatzes umfasst die Verbindung von Visualisierungsmethoden mit Analyseprozessen, die hohe Interaktivität ermöglichen, das Erkennen von Mustern und Zusammenhängen, das Argumentieren, die direkte

16  Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf

199

Bewertung von Ergebnissen und die Generierung sowie Prüfung von neuen Hypothesen unterstützen (Andrienko et al., 2010; Jekel & Lehner, 2017; Stenliden, 2013). Der Ansatz ist anschlussfähig an konstruktivistische Perspektiven, wenn Geovisualisierungen auch den Ausgangspunkt und nicht nur das Produkt von Denkprozessen bilden (Jekel, 2010). Visuell-explorative Analysen bedürfen dabei digitaler Plattformen, die dynamische Visualisierung umfangreicher Daten und Interaktion mit den Daten ermöglichen und somit eine transparente Schnittstelle zwischen statistischen Diensten und intuitiver, interaktiver Datenabfrage bilden. Beispiele dafür sind der OECD-Explorer (stats.oecd.org) oder die Gapminder-Plattform (www.gapminder.org). Letztere beinhaltet diverse, einfach handhabbare Visualisierungs-Tools, die auf Daten internationaler Organisationen zurückgreifen und Möglichkeiten bieten, umfangreiche Datensätze speziell auch im Geographieunterricht (z. B. Jekel & Lehner, 2017; Palasser & Vogler, 2020) zu explorieren. Bei der Umsetzung im Unterricht soll Freiraum für eigenständiges Denken, Argumentieren und Bewerten vonseiten der Schüler*innen ermöglicht werden. Zentrale Phasen der Arbeitsprozesse werden im visuell-statistischen Forschungskreislauf (Andre et al., 2020) dargestellt (vgl. Abb. 16.2). Die Phasen des Kreislaufs greifen dynamisch ineinander und können mehrfach durchlaufen werden. Um die Analyse, Interpretation und Argumentation der Daten zu vertiefen, kann auf verschiedene statistische Konzepte wie etwa Grenzwerte, Streuung oder Korrelation (Garfield & Ben-Zvi, 2008)

Fragestellung / Hypothese Festlegung der Analyseeinheit und Formulierung von Hypothesen

Synthese / Bewertung gewonnene Einsichten bewerten und zu einer begründeten Antwort zusammenführen

Entwicklung von Einsichten Zusammenhänge zwischen den Datenvisualisierungen und der Fragestellung herstellen

Datensuche Auswahl von Indikatoren und Suche von Daten in Bezug auf Fragestellung / Hypothese

Datenvisualisierung, -analyse und -interpretaon Datenvisualisierungen untersuchen und mithilfe stasscher Konzepte interpreeren

Abb. 16.2   Phasen der visuell-explorativen Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf. (Eigene Darstellung nach Andre et al., 2020)

200

A. Oberrauch und M. Andre

zurückgegriffen werden. Dies eröffnet Möglichkeiten für fächerübergreifenden Unterricht mit Mathematik. Visualisierungen wie in Abb. 16.1 und Infobox 16.1 beruhen ebenso auf der statistischen Auswertung und Interpretation raum-zeitlicher Daten. Durch visuellstatistische Analysen mit digitalen Geomedien wie Gapminder können Schüler*innen unterstützt werden, eigenständig Daten zu ökologischen Problemfeldern und gesellschaftlichen Verhältnissen in unterschiedlichen Maßstäben zu analysieren. Mithilfe von Grenzwerten können Daten interpretiert und Bewertungen in eigene Modellierungen transferiert werden, die die Grundlage für Schlussfolgerungen, gesellschaftliche Partizipation, Handlung und kritische Reflexion bilden können. Weiterführende Leseempfehlung Andre, M., Lavicza, Z., & Prodromou, T. (2019). Die Relevanz von Armut: Kritisches Denken durch Visualisierung sozial- und wirtschaftspolitischer Daten mit Gapminder entwickeln. transfer Forschung ↔ Schule, 5, 139–147. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Spatial Citizenship Education, Geomedienkompetenz, Bildung für nachhaltige Entwicklung, fächerübergreifendes Lernen (Mathematik – Statistics Education & Geographie und Wirtschaftskunde)

16.3 Unterrichtsbaustein: Mit dem Modell der DonutÖkonomie visuell-explorativ nachhaltige Entwicklung erforschen Am Beispiel visuell-explorativer Analysen von Daten mit Gapminder wird aufgezeigt, wie Schüler*innen mithilfe des Modells der Donut-Ökonomie als Analyserahmen die nachhaltige Entwicklung verschiedener Länder erforschen und ihre Ergebnisse mithilfe eines Donut-Applets visualisieren können. Tab. 16.1 gibt einen Überblick über den Ablauf des Unterrichtsbausteins. Ausgehend von den Perspektiven der Lernenden wird zum Einstieg das Modell der Donut-Ökonomie kollaborativ erarbeitet und visualisiert (Abb. 16.3). Dabei stehen zwei Tab. 16.1  Überblick über Ablauf und Struktur des Unterrichtsbausteins Phase

Beschreibung

Einstieg Kollaborative Erstellung des Modells der Donut-Ökonomie und Ein(Plenum/Klassengespräch) führung in die problemorientierte Fragestellung Erarbeitungsphase (Kleingruppenarbeit)

Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf mittels Gapminder und Donut-Applets

Synthese und Reflexion Präsentation und Interpretation der Gruppenergebnisse, Reflexion (Plenum/Klassengespräch) der Ergebnisse und des Arbeitsprozesses

16  Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf

201

Diese Faktoren guten Lebens bilden das SOZIALE FUNDAMENT. Werden entsprechende soziale Mindestgrenzen (z. B. Zugang zu sanitärer Einrichtungen für alle) nicht erreicht, herrschen teilweise kritische Bedingungen für die Menschheit vor.

CO2 Diese Faktoren sind Ausdruck von Umweltbelastungen, sie gehören zur ÖKOLOGISCHEN DECKE des Planeten Erde. Werden entsprechende ökologische Belastungsgrenzen (z. B. das Einhalten von bestimmten Emissionswerten) überschritten, tritt die Menschheit in Risikobereiche mit oft irreversiblen Schäden ein. Das Ziel ist es im DONUT zu leben, d.h. bei gleichzeitiger Sicherung sozialer Grundbedürfnisse innerhalb der Grenzen des Planeten zu handeln und zu wirtschaften.

Abb. 16.3   Mit den Schüler*innen erarbeitetes Modell der Donut-Ökonomie in einfachen Grundzügen. (Eigene Darstellung: Oberrauch, aufbauend auf eine Erprobung in einer 8. Schulstufe)

Frageblöcke im Zentrum des Unterrichtsgeschehens, die von den Schüler*innen auf Post-its beantwortet werden. a) Welche Faktoren sind wichtig für ein gutes Leben? Was brauche(n) ich/wir als Gesellschaft für ein gutes Leben? b) Welche Auswirkungen hat menschliches Handeln auf den Planeten? In welchen Bereichen belastet der Mensch durch seine Lebens- und Wirtschaftsweise die Umwelt? Die Antworten zum ersten Frageblock werden entlang einer Ringstruktur geclustert, um den inneren Kreis des Donut-Modells, d. h. das soziale Fundament, zu visualisieren. Die Antworten zum zweiten Block werden an einer äußeren Ringstruktur geclustert, um die ökologische Decke sichtbar zu machen. In einem Unterrichtsgespräch wird gemeinsam der zwischen äußerem und innerem Kreis liegende Raum als der gerechte und sichere Handlungsraum für die menschliche Entwicklung definiert. Aufgrund seiner Form wird er nach dem Süßgebäck „Donut“ benannt und die grundlegende Funktionsweise dieser Denkfigur besprochen (Abb. 16.3). Das in der Klasse erstellte Modell kann mit dem Modell von Raworth (2017, vgl. z. B. Abb. 16.1) verglichen werden, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf die genannten Themenfelder/Faktoren diskutiert werden können.

202

A. Oberrauch und M. Andre

Infobox 16.2: Tipps und Hinweise zum Vergleich der Modelle

Der Vergleich des in der Klasse erstellten Modells mit dem wissenschaftlichen Modell zielt nicht auf Korrektur ab, sondern bildet an dieser Stelle eine Perspektivenerweiterung und einen Reflexionsanlass. Leitfragen dafür können zum Beispiel sein: „Welche Faktoren und Bereiche erscheinen uns bedeutender, welche weniger?“ Oder: „Welcher ökologischen Problemfelder sind wir uns bewusst, welcher kaum und warum nicht?“. Wenn Schüler*innen im weiteren Unterrichtsverlauf eigene Länder-Donuts erstellen, zielt dies nicht auf Reproduktion des wissenschaftlichen Modells, sondern es soll bewusst ein Raum für Schüler*innenOrientierung geöffnet werden, um die Lernenden zu motivieren, eigene Ideen und Überlegungen einzubringen. Bestimmte genannte Faktoren der Lernenden bilden hinsichtlich ihrer Multidimensionalität Anlass Mehrfachzuordnungen zu diskutieren, wodurch Zusammenhänge zwischen sozioökonomischen und ökologischen Dimensionen sichtbar gemacht und visualisiert werden können. Beispiel „Smartphone“: Der Begriff lässt sich in Bezug auf die Bedürfnisse nach Kommunikation, Teilhabe, social networking etc. im Kontext der sozialen Dimension verorten; in Bezug auf den für die Smartphone-Herstellung notwendigen Abbau seltener Erden, die Verschmutzung durch Elektroschrott etc., ebenso in der ökologischen Dimension (äußerer Ring).

Nach der Einstiegsphase kann nun die problemorientierte Leitfrage eingeführt werden: „Ist ein gutes Leben im ‚Donut‘ – dem Handlungsraum zwischen planetaren Belastungsgrenzen und sozialen Mindeststandards – möglich?“ Wie sieht die Situation in verschiedenen Ländern (auch im eigenen Land) aus? In einem Klassengespräch können Hypothesen gesammelt sowie Ideen entwickelt werden, wie Antworten auf die Fragestellung gefunden werden können. Den Kern des Unterrichtsbausteins bildet schließlich die visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf, mithilfe derer die Schüler*innen Antworten auf die problemorientierte Leitfrage finden können. Abb. 16.4 stellt den Workflow der Erarbeitungsphase in Grundzügen dar. Die Schüler*innen analysieren in Kleingruppen Daten zu ausgewählten Ländern und Variablen auf Gapminder und stellen die Synthese ihrer Ergebnisse für jede Variable über einen entsprechenden Schieberegler im DonutApplet dar. So entstehen schrittweise „nationale Donuts“. Alle im Folgenden genannten Materialien (M1–M5), die die Schüler*innen benötigen, inkl. Einführungen in die Online-Medien Gapminder und Donut-Applet, sind unter folgendem Link abrufbar: https://www.geogebra.org/m/hzkqymnc M1 führt die Schüler*innen Schritt für Schritt durch diesen Arbeitsprozess:

16  Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf

Wie sind die Werte der Länder in Bezug zu wissenschaftlichen Grenzwerten einzuordnen?

Gapminder

Welche Entwicklung durchläuft das Land im Vergleich zu anderen Ländern?

203

Wurde die soziale Mindestgrenze erreicht bzw. die ökologische Grenze überschritten? Befindet sich das Land in Bezug auf das jeweilige Thema im Risikobereich?

Donut-Applet

Gibt es Zusammenhänge zwischen zwei Variablen und welche Einsichten lassen sich daraus ableiten?

Abb. 16.4   Workflow der visuell-explorativen Datenanalyse mithilfe der Online-Medien im Überblick (Eigene Darstellung)

1. Innerhalb der Gruppe einigen sich die Schüler*innen auf zwei Länder (je nach Differenzierung auch weniger oder mehr), die sie hinsichtlich der problemorientierten Fragestellung untersuchen möchten. Sie begründen ihre Auswahl und halten Vermutungen zum Ergebnis auf M2 fest. M2 bietet eine Vorlage, um die Ergebnisse zu allen Arbeitsschritten zu dokumentieren. 2. Für jedes Themenfeld, das die Kleingruppe in die Analyse des sozialen Fundaments oder der ökologischen Decke aufnehmen möchte, durchlaufen die Schüler*innen den statistischen Forschungskreislauf: • Sie suchen jeweils eine passende Variable für das Themenfeld (vgl. Tab. 16.2). Eine Liste mit geeigneten Variablen steht in M1 zur Verfügung. In Bezug auf die Auswahl der Variablen kann Raum für Ideen und Argumentationen der Schüler*innen gewährt werden. • Sie analysieren verschiedene Visualisierungen (Bubbles, Trends, Ranks etc.) zur gewählten Variable auf Gapminder mit dem Ziel, datenbasiert Einsichten zu entwickeln, inwiefern das jeweilige Land bezüglich der ausgewählten Variable die soziale Mindestgrenze erreicht bzw. die ökologische Belastungsgrenze überschreitet (vgl. Beispiel in Abb. 16.5 rechts). Dieser Interpretations- und

204

A. Oberrauch und M. Andre

Tab. 16.2  Beispiele für Themenfelder und verfügbare Indikatoren/Variablen auf Gapminder Themenfeld/Faktor

Indikatoren/Variablen

Soziales Fundament/Grundbedingungen menschlichen Lebens (innerer Donut-Ring) Bildung

in Bezug auf den Alphabetisierungsgrad, z. B. „Literacy rate, adult total“ in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit, z. B. „Ratio girls/boys in schools“

Gesundheit

in Bezug auf die Lebenserwartung, z. B. „Life expectancy“ in Bezug auf gesundheitliche Infrastruktur, z. B. „Medical Doctors (per 1000 people)“

Wasser

in Bezug auf Wasserverfügbarkeit, z. B. „At least basic water source, overall“

Ökologische Decke/planetare Belastungsgrenze (äußerer Donut-Ring) Klimawandel

in Bezug auf CO2-Emissionen, z. B. „CO2-emissions (tonnes per person)“

Wasser

in Bezug auf Wasserentnahme, z. B. „municipal water withdrawel (cu per person per year)“

Bewertungsprozess wird durch das Material M3 unterstützt, in dem zu vielen Variablen wissenschaftlich definierte Grenzwerte und Farbskalen zur Einordnung und Interpretation von Zahlenwerten zur Verfügung stehen. Wenn es für ausgewählte Variablen keine wissenschaftlich definierten Grenzwerte gibt, sollen die Schüler*innen dazu angeregt werden, selbst Grenzwerte zu diskutieren und zu argumentieren (siehe Infobox 16.3). Infobox 16.3: Beispiele – Eigenständige Setzung und Reflexion von Grenzwerten

Das eigenständige Setzen von Grenzwerten zu Indikatoren kann in den Kleingruppen zu spannenden Diskussionen führen, in die verschiedene Perspektiven und normative Vorstellungen eingehen können. Da es keine eindeutig richtigen Lösungen gibt, sollte auf eine schlüssige Argumentation Wert gelegt werden. Beispiel: Argumentation für Grenzwerte für den Indikator „Cell phones (per 100 people)“: – als Indikator des sozialen Fundaments (Themenfeld Kommunikation/Teilhabe): Jede Person eines Landes sollte Zugang zu einem Handy haben → Grenzwert: 100 Phones (per 100 people) – als Indikator für die ökologische Decke (Themenfeld Ressourcenverbrauch):

16  Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf

205

• Daten zeigen: In sehr vielen Ländern besitzen Menschen mehr als ein Handy, dies ist ökologisch bedenklich (viele seltene Rohstoffe, Elektroschrott etc.). • Gleichzeitig ist es aber wichtig für Kommunikation, weshalb jede*r das Recht auf Besitz eines Handys haben sollte (z. B. ab Alter von 10 Jahren) → Grenzwert zwischen 65–95 Phones (per 100 people) (je nach Anteil von Kindern an der Bevölkerung eines Landes) Optional: Schüler*innen können auch dazu angeregt werden, wissenschaftlich definierte Grenzwerte zu hinterfragen, beispielsweise in Bezug auf persönliche normative Vorstellungen: Was empfinden sie persönlich hinsichtlich des Faktors als „gut“, „ausreichend“, „nicht ausreichend“? Dies kann im Widerspruch zu fachlich definierten Schwellenwerten liegen und argumentativ Eingang in die Bewertungen finden. Zudem unterstützt es Lernende dabei, zu erkennen, dass hinter jeder Festlegung von Grenzwerten auch bestimmte (inter-)subjektive gesellschaftliche Normen stehen.

Infobox 16.4: Optional – Weitere Vertiefung statistischer Analysen

Die Materialien M4 (Streuung und Boxplots für den Lagevergleich bezüglich der anderen Länder) und M5 (Korrelation und Regression für die Erkundung von Zusammenhängen zwischen Indikatoren) stehen optional zur Verfügung, wenn für vertiefte Analyse- und Interpretationsprozesse auf statistische Konzepte zurückgegriffen werden möchte. Die Materialien bieten sich v. a. für eine fachübergreifende Umsetzung mit Mathematik an. • Die Gesamtbewertung für die Variable und Länder dokumentieren und begründen die Schüler*innen in M2 und stellen das (Teil-)Ergebnis über den entsprechenden Schieberegler in den Länder-Donuts im Donut-Applet dar (vgl. Abb. 16.5, links). Tipp: Das Donut-Applet zur Erstellung der nationalen Donuts erlaubt eine Differenzierung in Bezug auf die Anzahl der dargestellten Themenfelder bzw. Indikatoren: Um ein gewisses thematisches Spektrum abzudecken, sollten je mindestens 3–4 Faktoren für das soziale Fundament und die ökologische Decke dargestellt werden. Je nach gewünschter Komplexität oder Arbeitsfortschritt der Gruppen können weitere Bereiche hinzugefügt werden. 3.) und 4.) Synthese in den Kleingruppen: Die so schrittweise entstehenden „nationalen Donuts“ dienen den Schüler*innen als Grundlage für Schlussfolgerungen hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung und der Beantwortung der problemorientierten Leitfrage. Die Schüler*innen setzen ihre Ergebnisse zu den eingangs formulierten Vermutungen in

206

A. Oberrauch und M. Andre

Water

Kinder –

Abb. 16.5   Exemplarische Erstellung eines nationalen Donuts von China. Links: Donut-Applet und verwendete Indikatoren. Rechts: Exemplarische Begründungen zu den CO2-Emissionen. (Eigene Darstellung: Andre; Screenshots: https://www.gapminder.org/tools)

Beziehung und können Ideen entwickeln, wie sie ihre Donuts zum Argumentieren und (öffentlichkeitswirksamen) Kommunizieren von Handlungsanforderungen nachhaltiger Entwicklung nutzen können. Synthese und Reflexion im Plenum: Zum Abschluss werden die Ergebnisse im Plenum präsentiert und reflektiert. Vergleiche der erstellten Donut-Modelle in Kleingruppen oder der Vergleich mit den nationalen Donuts des Forschungsprojekts der University of  Leeds (https://goodlife.leeds.ac.uk/countries/) können Reflexionsimpulse bilden, die ein Bewusstsein dafür schaffen, dass sich die Modelle in Abhängigkeit der getroffenen Entscheidungen, wie etwa die Auswahl der Indikatoren und der Visualisierungen sowie deren Interpretation oder die Einbeziehung eigener normativer Vorstellungen, stark unterscheiden können. Die eigenen Modelle werden somit als Konstrukte sichtbar, die, obwohl auf wissenschaftlichen Daten und Fakten basierend, auch anders aussehen könnten. Dadurch kann die Erkenntnis generiert werden, jegliche

16  Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf

207

statistische Datengrundlage und Darstellungsform als Instrument interessengeleiteter Kommunikation zu erkennen und hinsichtlich ihrer Konstruktionsbedingungen zu hinterfragen. Zur inhaltlichen Abrundung kann abschließend gemeinsam die eingangs formulierte Fragestellung „Ist ein gutes Leben im ‚Donut‘ – dem Handlungsraum zwischen planetaren Belastungsgrenzen und sozialen Mindeststandards – möglich?“ beantwortet werden. Dazu kann abschließend die provokante Aussage „Jedes Land der Erde ist ein Entwicklungsland!“ diskutiert (und vermutlich) bejaht werden. Beitrag zum fachlichen Lernen Die Schüler*innen entwickeln ihr Verständnis von nachhaltiger Entwicklung weiter, gewinnen Einsichten zu sozioökonomischen und ökologischen Verhältnissen in der Welt. Es wird sich zeigen, dass kein Land alle sozialen Mindeststandards sichert, ohne planetare Belastungsgrenzen zu überschreiten. Dies verdeutlicht die dringende Notwendigkeit einer großen Transformation hin zu nachhaltigen Wirtschaftsweisen, wobei stets gleichzeitig soziale wie ökologische Grenzen berücksichtigt werden müssen. Das Modell kann auch dabei helfen, Handlungsmaßnahmen nachhaltiger Entwicklung in Bezug auf ihre Auswirkungen auf verschiedene Dimensionen kritisch zu diskutieren sowie innovative Ideen und Visionen für ein Leben im Donut zu entwickeln. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S23 „zur Beantwortung dieser Fragestellungen Strukturen und Prozesse in den ausgewählten Räumen (z. B. Wirtschaftsstrukturen in der EU, Globalisierung der Industrie in Deutschland, Waldrodung in Amazonien, Sibirien) analysieren“ (DGfG, 2020: 16) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S4 „problem-, sach- und zielgemäß Informationen aus geographisch relevanten Informationsformen/-medien auswählen“ (ebd.: 20); S6 „geographisch relevante Informationen aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen sowie aus eigener Informationsgewinnung strukturieren und bedeutsame Einsichten herausarbeiten“ (ebd.: 21) Schüler*innen analysieren Daten zu ausgewählten Indikatoren mithilfe interaktiver Visualisierungen auf Gapminder, um die nachhaltige Entwicklung von Ländern zu untersuchen. Vorgegebene sowie eigenständig argumentierte Grenzwerte und statistische Konzepte unterstützen die Interpretation und Entwicklung von Einsichten. • Beurteilung/Bewertung: S2 „geographische Kenntnisse und die o.g. Kriterien anwenden, um ausgewählte, geographisch relevante Sachverhalte, Ereignisse, Herausforderungen und Risiken zu beurteilen“ (ebd.: 24); S8 „geographisch relevante Sachverhalte und Prozesse (z. B. Flussregulierung, Tourismus, globale Ordnungen, Entwicklungshilfe/wirtschaftliche Zusammenarbeit, Ressourcennutzung) in Hinblick auf diese Normen und Werte bewerten“ (ebd.: 25) Schüler*innen verknüpfen die Einsichten, die sie zu einem bestimmten Themenfeld/ Indikator aus der Datenanalyse gewonnen haben, und kommen für jedes untersuchte

208

A. Oberrauch und M. Andre

Land zu einer Beurteilung, inwiefern die soziale Mindestgrenze erreicht oder die ökologische Belastungsgrenze überschritten wird. Diese Bewertungen stellen sie im Donut-Applet durch Einstellungen der Schieberegler dar und erstellen so schrittweise nationale Donuts. Klassenstufe und Differenzierung Sekundarstufe II (9. bis 13. Jahrgangsstufe) Der Unterrichtsbaustein lässt sich flexibel für unterschiedliche Schwierigkeitsgrade adaptieren, z. B. über die Anzahl der in den nationalen Donuts darzustellenden Themenfelder/Faktoren, der Anzahl der untersuchten Länder, der Reduktion auf die Arbeit mit den bestehenden Grenzwerten (M3). Ebenso kann auf die Vertiefung in weitere statistische Ideen (M4 und M5) verzichtet werden. In der Sekundarstufe I bedarf es für die eigenständigen Analysen auf Gapminder einer intensiveren, stärker strukturierten Hinführung. Dabei können evtl. auch Materialien der Gapminder-Community1 hilfreich sein. Räumlicher Bezug Global, national (Analyse ausgewählter Volkswirtschaften/Nationalstaaten) Infobox 16.5: Transfer auf andere Maßstabsebenen

Im Anwendungsbeispiel bildet die nationale Maßstabsebene die Grundlage für die Analyse. Die Idee der planetaren Belastungsgrenzen und der Donut-Ökonomie kann auch für andere Maßstabsebenen angewendet und adaptiert werden. Es ist auch denkbar, regionale und lokale Einheiten zu untersuchen, z. B. Regionen, Städte2, Haushalte, Unternehmen, die Institution Schule. Dabei kann auf vorhandene statistische Daten zurückgegriffen und es können im Rahmen eines Projekts von den Schüler*innen weitere Daten erhoben werden.

Konzeptorientierung Deutschland: Nachhaltigkeitsviereck (Ökonomie, Soziales, Politik, Ökologie), Maßstabsebenen (national, global), Zeithorizonte (mittelfristig, langfristig) Österreich: Maßstäblichkeit, Wahrnehmung und Darstellung, Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Mensch-Umwelt-Beziehungen

1   Zu

finden unter dem Menüpunkt „How to use“ (https://www.gapminder.org/tools/#$charttype=bubbles). 2  Vgl. beispielsweise https://www.kateraworth.com/2020/07/16/so-you-want-to-create-a-citydoughnut/.

16  Visuell-explorative Datenanalyse im statistischen Forschungskreislauf

209

Schweiz: natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.4d), Lebensweisen und Lebensräume charakterisieren (2.2d), Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.1), sich in Räumen orientieren (4.2b)

16.4 Transfer Thematisch lässt sich dieser fachdidaktische Ansatz auf viele weitere Themen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Problemstellungen anwenden. Voraussetzung ist jeweils, dass die Analyse umfangreicher raum-zeitlicher Daten neue Perspektiven und Einsichten bringen kann und Daten zu entsprechenden Variablen in einer für Schüler*innen ansprechenden und intuitiv bedienbaren digitalen Anwendung vorhanden sind. Forschungsprozesse der Schüler*innen können sehr offen gestaltet (z. B. Hypothesen entwickeln und überprüfen, Prognosen entwickeln) oder stärker geleitet werden. Im Themenfeld nachhaltiger Entwicklung bieten z. B. die Sustainable Development Goals, Grand Challenges wie der Klimawandel oder Themen wie Bevölkerungsdynamik, Corona etc. weitere Anwendungsgebiete. Verweise auf andere Kapitel • Eberth, A. & Hoffmann, K. W.: Kritisches Denken. Globale Disparitäten – Länderklassifikationen. Band 2, Kapitel 18. • Fögele, J. & Hoffmann, K. W.: Wissenschaftsorientierung. Klimawandel. Band 1, Kapitel 20. • Fögele, J., Mehren, R. & Rempfler, A.: Systemkompetenz. Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff. Band 1, Kapitel 17. • Fridrich, C.: Sozioökonomische Bildung. Standortansprüche – Nachhaltiges Wirtschaften. Band 2, Kapitel 22. • Hanke, M., Ohl, U. & Sprenger, S.: Faktische Komplexität. Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation. Band 1, Kapitel 8. • Scholten, N., Nöthen, E. & Sprenger, S.: Sprachbewusster Umgang mit Bildern. Klimawandel – Auswirkungen des Klimawandels. Band 1, Kapitel 21. • Schulze, U. & Pokraka, J.: Spatial Citizenship. Geovisualisierung – Webmapping. Band 1, Kapitel 27.

Literatur Andre, M., Oberrauch, A., & Zöttl, M. (2020). Ein Donut, der alle satt macht? Durch visuelle Datenanalyse mit GeoGebra und Gapminder nachhaltige Entwicklung greifbar machen. In S. Kapelari (Hrsg.), Interdisziplinäre fachdidaktische Diskurse zu Bildung für nachhaltige Entwicklung (S.45–80). Iup. https://doi.org/10.15203/99106-019-2

210

A. Oberrauch und M. Andre

Andrienko, G., Andrienko, N., Demsar, U., Dransch, D., Dykes, J., Fabrikant, S. R., & Tominsk, C. (2010). Space, time and visual analytics. International Journal of Geographical Information Science, 24(10), 1577–1600. Eberth, A. (2020). Die „Donut-Ökonomie“ induktiv erschließen. Alternative Wirtschaftsformen im Geographieunterricht diskutieren. Praxis Geographie, 50(6), 34–39. Garfield, J. B., & Ben-Zvi, D. (2008). Developing students’ statistical reasoning: Connecting research and teaching practice. Springer. Griggs, D., Stafford-Smith, M., Gaffney, O., Rockström, J., Ohman, M. C., Shyamsundar, P., & Noble, I. (2013). Sustainable development goals for people and planet. Nature, 495, 305–307. https://doi.org/10.1038/495305a Jekel, T. (2010). Internetnutzung und Fertilitätsrate, oder: Dynamische Visualisierung als Unterstützung eines problemorientierten Unterrichts. GW-Unterricht, 118, 38–46. Jekel, T., & Lehner, M. (2017). Hypotheses generation and innovativeness. A videography based analysis of lay hypotheses-generation in secondary-school education. GI-Forum, 5(1), 270–281. O’Neill, D. W., Fanning, A. L., Lamb, W. F., & Steinberger, J. K. (2018). A good life for all within planetary boundaries. Nature Sustainability, 1(2), 88–95. https://doi.org/10.1038/s41893-0180021-4 Nicholson, J., Gal, I., & Ridgway, J. (2018). Understanding civic statistics: A conceptual framework and its educational applications. A product of the ProCivicStat project. http://iaseweb.org/islp/pcs/documents/Conceptual_framework_long.pdf?1543033025. Palasser, N., & Vogler, R. (2020). Erstickt unsere Stadt in Abgasen? Ein Praxisbeispiel zur Implementierung der Bildung für Nachhaltige Entwicklung im digitalen GW-Unterricht. GWUnterricht, 158, 68–86. Raworth, K. (2017). Doughnut Economics. Seven Ways to Think Like a 21st-Century Economist. Chelsea Green Publishing. Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Persson, A., Chapin, F. S., Lambin, E. F., Lenton, T. M., Scheffer, M., Folke, C., Schellnhuber, H. J., Nykvist, B., de Wit, C. A., Hughes, T., van der Leeuw, S., Rodhe, H., Sörlin, S., Snyder, P. K., Costanza, R., Svedin, U., & Foley, J. A. (2009). A safe operating space for humanity. Nature, 461, 472–475. https://doi.org/10.1038/461472a Steffen, W., Richardson, K., Rockström, J., Cornell, S. E., Fetzer, I., Bennett, E. M., Biggs, R., Carpenter, S. R., de Vries, W., de Wit, C. A., Folke, C., Gerten, D., Heinkie, J., Mace, G. M., Persson, L. M., Ramanathan, V., Reyers, B., & Sörlin, S. (2015). Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science, 347, 736–746. https://doi.org/10.1126/ science.1259855 Stenliden, L. (2013). Understanding education involving geovisual analytics. Journal of Information Technology Education: Research, 12, 283–300.

Systemisches Denken Stickstoff in der Umwelt – planetare Belastungsgrenze überschritten?

17

Janis Fögele, Rainer Mehren und Armin Rempfler

 Teaser  Stickstoff in der Umwelt betrifft uns alle, ob wir wollen oder nicht.

Über die Luft, über Nahrung und Wasser kommen wir täglich mit Stickstoff in Berührung. Allerdings hat sich der Stickstoffkreislauf derart verändert, dass unser lokaler Umgang damit regionale und globale Folgen mit sich bringt. Der persönliche Bezug zu Stickstoff sowie seine hochgradig komplexe Durchdringung sämtlicher Sphären der Erde und über alle Maßstabsebenen hinweg machen ihn zu einem besonders interessanten Gegenstand, um daran systemisches Denken zu üben.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_17.

J. Fögele (*)  Universität Hildesheim, Institut für Geographie, Abt. Geographiedidaktik, Hildesheim, Deutschland E-Mail: [email protected] R. Mehren  Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Didaktik der Geographie, Münster, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Rempfler (*)  Pädagogische Hochschule Luzern, Geographie & Geographiedidaktik, Luzern, Schweiz E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_17

211

212

J. Fögele et al.

17.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff Seit 1900 hat sich die globale Freisetzung ökologisch relevanter Stickstoffverbindungen fast verzehnfacht, was in vielen Regionen weltweit zu großen Überschüssen in Boden, Wasser und Luft und somit zu beträchtlichen Umweltproblemen führt. Der von Natur aus geschlossene Stickstoffkreislauf ist durch drei anthropogene Einflüsse völlig aus dem Gleichgewicht geraten: Kunstdüngereinsatz in der Landwirtschaft, hoher Fleischkonsum und Verbrennungsprozesse. Systemisch relevant bei dieser Entwicklung ist die Öffnung eines ursprünglich geschlossenen und ausgesprochen haushälterischen N-Kreislaufs, die zu problematischen N-Anreicherungen führt. Übersteigen diese Stoffmengen in Boden, Wasser und Luft bestimmte Größen, können sie die betroffenen Ökosysteme massiv schädigen. Der Mensch spielt dabei eine entscheidende Rolle, als Verursacher wie auch als „Opfer“, indem die N-Belastung seine Gesundheit belastet. Nebst dieser eher „vertikalen“ Wirkung kommt eine nicht minder bedeutsame „horizontale“ Wirkung dazu. Die ausgeprägte Bindungs- und Transportfähigkeit von reaktivem N – etwa als Nitrat im Wasser – führt nämlich zu einer Verlagerung des Problems von der lokalen (z. B. Mensch) über die regionale (z. B. größere Seen) bis hin zur globalen (z. B. Ozeane) Dimension. Die Durchdringung ist so ausgeprägt, dass Stickstoff neben dem Artensterben zu den Prozessbereichen gehört, welche die planetare Belastungsgrenze am deutlichsten überschritten haben (Steffen et al., 2015). Diese hochgradige Komplexität macht eine Lösung der damit verbundenen Probleme nicht einfach. Steffen et al. (2015) gehen von einer planetaren N-Leitplanke von 63 Mio. Tonnen jährlich aus. Sie wird gegenwärtig global um mindestens den Faktor zwei überschritten, wobei nur die beabsichtigte Freisetzung von reaktivem N über biologische Fixierung und Düngeranwendung, nicht aber die unbeabsichtigten Verbrennungsprozesse berücksichtigt sind. Das Konzept der „planetaren Grenzen“ beeinflusst die Politik auf unterschiedlichen Ebenen immer stärker. So haben etwa Hoff et al. (2017) die planetaren Werte auf Deutschland herunterskaliert und räumlich dargestellt. Es zeigt sich, dass selbst bei vollständiger Umsetzung der vom Umweltbundesamt geforderten Halbierung des N-Überschusses auf landwirtschaftlichen Flächen die auf Deutschland bezogene N-Leitplanke noch immer um 200 % überschritten würde. Eine Erhöhung der Effizienz der N-Nutzung auf allen Ebenen und über die gesamte Wertschöpfungskette stellt einen wichtigen Hebel zur Ressourcenschonung dar. Um national und international Wirkung zu erzielen, wird dabei der Dreischritt aus a) Verringerung der N-Freisetzung innerhalb Deutschlands, b) Reduktion des (handelsbedingten) deutschen N-Fußabdrucks im Ausland sowie c) internationaler Kooperation für eine verbesserte N-Nutzung und Ressourceneffizienz in allen Bereichen als zentral erachtet. Der Bildungsgehalt des Themas „Stickstoff in der Umwelt“ liegt in der Auseinandersetzung mit einer der großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (vgl. De Vries et al., 2013; Erisman et al., 2013; Steffen et al., 2015). Kernfragen der Geographie innerhalb eines Mensch-Umwelt-Systems lassen sich daran exemplarisch behandeln. Die

17  Systemisches Denken

213

Schüler*innen werden sich der Relevanz ihres persönlichen Konsumverhaltens bewusst, das auf sie indirekt zurückwirken kann und globale Auswirkungen mit sich bringt. Die Reflexion dieses Verhaltens kann das spätere Erwachsenenleben maßgeblich beeinflussen, sei es privat oder im beruflichen und politischen Leben. Weiterführende Leseempfehlung Umweltbundesamt (o. J.). Reaktiver Stickstoff in der Umwelt. https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/wirkungen-von-luftschadstoffen/wirkungen-auf-oekosysteme/ reaktiver-stickstoff-in-der-umwelt#formen-reaktiven-stickstoffs (03.06.2021). Problemorientierte Fragestellungen • Warum ist der natürliche Stickstoffkreislauf gewässerschonend? • Was hat unser Fleischkonsum mit dem anthropogen überprägten Stickstoffkreislauf zu tun?

17.2 Fachdidaktischer Bezug: Systemkompetenz Das umfassendste System, mit dem sich die Geographie befasst, ist das MenschUmwelt-System, vorliegend herausgearbeitet durch die Gegenüberstellung von natürlichem und anthropogen überprägtem Stickstoffkreislauf. Der Vergleich macht deutlich, dass der Mensch die Erde immer dominanter gestaltet, in Bezug auf Stickstoff sämtliche Sphären der Erde über alle Maßstabsebenen hinweg durchdringend. Will man diese Komplexität verstehen, reicht die isolierte Analyse einzelner Faktoren nicht. Vielmehr geht es darum, die zahlreichen Einzelaspekte, deren Vernetzungen und Wechselwirkungen zu berücksichtigen und sie in ihrer Ganzheitlichkeit zu erkennen sowie daraus konsequent Prognosen der weiteren Entwicklung und entsprechende Lösungsansätze abzuleiten. Systemisches Denken als grundlegende Strategie geographischen Denkens bietet den Zugang zum tiefgründigen Verständnis solch größerer Zusammenhänge (Mehren et al., 2016). Eine zentrale Rolle im Verhalten komplexer Systeme nehmen Rückkopplungen ein, weil sich ein System dadurch „hochschaukelt“ und zunehmend instabiler wird. Die Wirkungen eines steigenden Fleischkonsums verdeutlichen eine solche (positive) Rückkopplung (vgl. Unterrichtsbaustein, Schritt 2). Die Lernmethode des Concept Mapping unterstützt systemisches Denken besonders. Sowohl das eigene Erstellen als auch das Auswerten von Concept Maps (CM) ist erwiesenermaßen effektiver im Hinblick auf die Lernleistung von Schüler*innen als vergleichbare Aktivitäten wie Textarbeit. Denn CM bedürfen einer aufwendigeren kognitiven Verarbeitung als die Arbeit mit Texten. Im Gegensatz zu anderen Darstellungsformen verdeutlichen sie zusammengehörige Informationen unmittelbar und heben zentrale Elemente durch eine hohe Vernetzung optisch stärker hervor (Fögele et al., 2020). Die vorliegend gewählte Form führt die Lernenden schrittweise an vorgegebene Experten-CM heran (M2a, M2b, siehe Vorschau Infobox 17.1):

214

J. Fögele et al.

– Der natürliche N-Kreislauf ist in seiner Komplexität überschaubar. – Er bietet Bezugspunkte zur Alltagswelt der Lernenden und allenfalls zum Biologieund Chemieunterricht. – Die wesentlichen Subsysteme im N-Kreislauf – Atmosphäre und terrestrische bzw. aquatische Ökosysteme – und die daran gekoppelten Austauschmöglichkeiten (elementarer vs. reaktiver Stickstoff) sind zu kennen, ebenso die lebensnotwendige Funktion von N. – Viele Systeme funktionieren als Kreisläufe. – Natürliche, gut funktionierende (= stabile) Kreisläufe weisen eine ausgeglichene Stoffbilanz Infobox 17.1: Vorschau – Natürlicher Stickstoffkreislauf

(siehe M2a und M2b im digitalen Materialanhang) M-2a und M2b Merkmale des natürlichen S ckstoreislaufs (Eigene Darstellung) 1) Am häufigsten kommt Sckstoff als elementarer Lusckstoff (N 2) in der Atmosphäre vor. Er bildet dort mit ca. 78 % den Hauptbestandteil unserer Atemlu. Aus chemischen Gründen ist diese Sckstoffform äusserst stabil. Aufgabe: Beschreiben Sie, wie elementarer Sckstoff trotz seiner hohen Stabilität die Atmosphäre verlassen und auf welchen Wegen wieder zurückkehren kann. 2) Im Gegensatz zu Lusckstoff ist reakver Sckstoff sehr reakonsfreudig, d.h. ein einzelnes Sckstoffatom geht laufend unterschiedliche Verbindungen ein (z.B. Ammonium, Nitrit, Nitrat) und kann diese Verbindungen schnell wechseln. Aufgabe: Lokalisieren Sie, wo reakver Sckstoff vorkommt. 3) Alle Lebewesen brauchen Sckstoff, weil er in Proteinen und Nucleinsäuren (z.B. der DNA) vorkommt. Aufgabe: Erläutern Sie, wie Lebewesen zu Sckstoff kommen und wie sie ihn wieder abgeben. 4) Sckstoff befindet sich in einem ständigen Kreislauf zwischen Atmosphäre und terrestrischen bzw. aquaschen Ökosystemen. Ist der reakve Sckstoff erst einmal gebunden (z.B. als Nitrat), wird er sorgsam genutzt und praksch vollständig wiederverwendet. Er geht den Organismen nie verloren, somit entstehen keine Überschüsse. Aufgaben: a) Verfolgen Sie den Kreislauf. Überprüfen Sie die Behauptung, dass Sckstoff im natürlichen Kreislauf nie verloren geht. b) Vergleichen Sie Ihre Feststellung mit der eingangs formulierten Einschätzung, wie die Nitratbelastung vor der Existenz des Menschen ausgesehen haben könnte. 5) Die natürliche Sckstofffixierung und die Abgabe von Sckstoff in die Atmosphäre (= Denitrifikaon) stehen im Gleichgewicht zueinander. Man sagt auch: Der natürliche Kreislauf zwischen elementarem und reakvem Sckstoff ist geschlossen. Aufgaben: a) Stellen Sie Vermutungen an, wie dieses natürliche Gleichgewicht gestört werden könnte. b) Formulieren Sie Hypothesen, was es konkret bedeuten könnte, wenn der natürliche Kreislauf sich öffnet.

17  Systemisches Denken

215

Atmosphäre Atmosphärischer Stickstoff (N2)

Denitrifikation durch Bakterien zu

Aufnahme über Assimilation

Wildpflanzen

Terrestrische Ökosysteme

sind Nahrung für

Wildtiere produzieren

liefern N an

Symbionten (z.B. Knöllchenbakterien)

Bodenbakterien

produzieren

Organische Abfälle von Bakterien/ Pilzen umgewandelt zu N-Reduktion zu

Nitrat (NO3) … und Nitrifikation durch Bakterien zu

Ammonium (NH4)

gelangt in

Oberflächengewässer/ Grundwasser/ Ozeane

Nitrit (NO2)

Aquatische Ökosysteme

In der Auseinandersetzung mit M3a und M3b aus dem Materialanhang (siehe Vorschau Infobox 17.2) erhöht sich der Komplexitätsgrad kontinuierlich: – Um die Vergleichbarkeit zu erleichtern, wird auf grafische Ähnlichkeit der beiden CM (M2b und M3b) geachtet. – Um den Schwierigkeitsgrad angemessen zu halten, wird wie schon bei M2b mit einer bereits vorgefertigten Experten-CM gearbeitet. Die Konfrontation mit Aussagen und daran gekoppelten Aufgaben soll den Umgang mit den komplexen Inhalten anregen und steuern. – Die drei Hauptproblembereiche (Verbrennungsprozesse, Kunstdüngereinsatz, Fleischkonsum), die den natürlichen N-Kreislauf aus dem Gleichgewicht gebracht haben, werden in ihren Vernetztheit wahrgenommen. – Angelehnt an den natürlichen N-Kreislauf wird das Problem der Stoff-Bilanzüberschüsse und die damit verbundene Stoffanreicherung in N-Senken verdeutlicht. – Ausgehend von der N-Wirkung in unterschiedlichen Bereichen der Ökosysteme wird auf die Durchdringung sämtlicher Maßstabsebenen übergeleitet. Damit wird die starke Wechselwirkung lokaler, regionaler und globaler Belastungsquellen verdeutlicht und bewusst gemacht, dass das Problem die ganze Erde betrifft. – Die Lösungsansätze folgen der Logik der Komplexität, indem gesamtheitliche Konzepte entwickelt werden, die lokal, regional und global ansetzen.

216

J. Fögele et al.

Infobox 17.2: Vorschau – Anthropogen überprägter Stickstoffkreislauf

(siehe M3a und M3b im digitalen Materialanhang)

M-3a und M3b Merkmale des anthropogen überprägten Sckstoreislaufs (Eigene Darstellung) 1) Der von Natur aus geschlossene Sckstoreislauf ist durch drei anthropogene Einflüsse völlig aus dem Gleichgewicht geraten: - allgegenwärge Verbrennungsprozesse - exzessiver Einsatz von Kunstdünger in einer übermässig intensivierten Landwirtscha - hoher Fleischkonsum einer ständig wachsenden Bevölkerung und damit einhergehende Ausscheidungsprodukte vor allem in der Tierhaltung Aufgabe: Lokalisieren Sie die drei genannten Problembereiche in Abbildung M 3b. 2) Im natürlichen N-Kreislauf zirkuliert Sckstoff ständig zwischen Atmosphäre und terrestrischen bzw. aquaschen Ökosystemen und geht somit den Organismen nie verloren. Im anthropogen überprägten N-Kreislauf ist dies völlig anders. Aufgabe: Stellen Sie Vermutungen an, wo sich der reakve Sckstoff befinden könnte, der den Organismen verloren geht. 3) Um abschätzen zu können, welche Menge an Sckstoff den Organismen verloren geht, erstellt man Bilanzen. Im natürlichen N-Kreislauf ist die Bilanz zwischen reakvem und elementarem Sckstoff ausgeglichen. Im anthropogen überprägten Kreislauf hingegen entstehen massive Bilanzüberschüsse. Konkret: 6300 Kilotonnen reakver Sckstoff wurden 2019 in Deutschland produziert, hingegen nur 4700 Kilotonnen wieder in elementaren Lusckstoff umgewandelt. Es blieb also ein Überschuss von 1600 Kilotonnen reakver Sckstoff. Aufgabe: Erläutern Sie die Folgen daraus, dass so große Mengen an reakvem Sckstoff den N-Kreislauf verlassen. 4) Der hohe Fleischkonsum des Menschen und die daran gekoppelte Tierhaltung tragen wesentlich zur Störung des natürlichen N-Kreislaufs bei. In der Tat beeinflusst unser Ernährungssl unsere persönliche Sckstoilanz am stärksten: Wenig Fleisch essen, uns fleischlos (vegetarisch) ernähren oder gar keine erischen Lebensmiel verwenden (vegan) – damit können wir den eigenen Sckstoff-Fußabdruck, also die Menge an freigesetztem reakvem Sckstoff, deutlich verringern. Hilfreich ist auch das Vermeiden von Lebensmielabfällen. Aufgaben: a) Begründen Sie anhand von Abbildung M 3b, warum der Ernährungssl eines Menschen wesentlichen Einfluss auf die Freisetzung von reakvem Sckstoff hat. b) «Eine Steigerung des Fleischkonsums führt indirekt zu einer erhöhten N-Aufnahme durch den Menschen». Beurteilen Sie diese Aussage anhand von Abbildung M 3b. 5) Reakver Sckstoff wirkt nicht nur in unterschiedlichen Bereichen der Ökosysteme (Lu, Boden, Wasser, Flora/Fauna, Mensch), sondern auch auf sämtlichen Maßstabsebenen (lokal, regional, global). Auf lokaler Ebene ist es vor allem die menschliche Gesundheit, die über die übermässige Aufnahme von Nitrat via Trinkwasser und Lebensmiel sowie Nitrit über (gepökeltes) Fleisch geschädigt wird (ca. 70 % der Weltbevölkerung betroffen). Regional besonders gefährdet sind u.a. Süßgewässer, bedingt vor allem durch Nitrateinträge aus der Landwirtscha und Abwassereinleitungen (ca. 10 % der Süßgewässer weltweit betroffen). Auf globaler Ebene zählen ca. 80 % aller Meeresgebiete entlang von Küsten zu den bedeutenden Sckstoffsenken. Insgesamt wird etwa 80 % des jährlichen Welischfangs in diesen küstennahen Gewässern generiert. Auch hier sind Nitrateinträge und Abwassereinleitungen die Hauptgründe, das heißt, die eigentliche Ursache liegt in weit enernten (lokalen und regionalen) Belastungsquellen (Erisman et al. 2013). Aufgaben: a) Erläutern Sie anhand von Abbildung M 3b die Wirkungen des reakven Sckstoffs auf lokaler, regionaler und globaler Ebene. b) Entwickeln Sie vor dem Hintergrund der Tatsache, dass reakver Sckstoff sämtliche Maßstabsebenen durchdringt, Lösungsansätze für das Problem.

17  Systemisches Denken

217

Atmosphäre Atmosphärischer Stickstoff (N 2) Stickoxide (NOx) wird zu

Lachgas (N2O)

Kunstdünger Verbrennungsprozesse (Industrie, Haushalte, Verkehr)

verursachen

Terrestrische Ökosysteme N in (Agrar-) Früchten

Menschen

N in menschl. und tierischen Fäkalien

N in Nutztieren

verlagert sich zu

Symbionten

N im Boden

verlagert sich zu verlagert sich zu

N in Oberflächengewässern N im Grundwasser

N in Fischen

Aquatische Ökosysteme

verlagert sich zu

N in Ozeanen

Weiterführende Leseempfehlung Mehren, R., Rempfler, A. & Ulrich-Riedhammer, E. (2017). Die Anbahnung von Systemkompetenz im Geographieunterricht. In H. Arndt (Hrsg.), Systemisches Denken im Fachunterricht. FAU Lehren und Lernen (S. 223–251). Erlangen: FAU University Press. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Komplexität, Basiskonzepte (unterschiedliche Maßstabsebenen)

17.3 Unterrichtsbaustein: Natürlicher und anthropogen überprägter Stickstoffkreislauf – systemisch betrachtet Der Unterrichtsbaustein ist zweischrittig aufgebaut, eine Beachtung der Reihenfolge ist zwingend. Die in Schritt 1 und 2 vermerkten Materialien (M1, M2a + b und M3a + b) sowie Erläuterungen dazu finden sich im digitalen Materialanhang. Schritt 1:  Warum ist der natürliche Stickstoffkreislauf gewässerschonend? Die Lehrperson legt M1 vor und lässt die Schüler*innen Vermutungen anstellen, wie die zu hohe Nitratbelastung des Grundwassers in Deutschland verursacht wird. Die Äußerungen werden an der Tafel festgehalten. Anschließend diskutiert die Klasse die

218

J. Fögele et al.

Frage, wie sie die Situation vor der Existenz des Menschen einschätzt. Die gesammelten Ergebnisse werden den ersten Äußerungen gegenübergestellt. Mit Bezug auf die Tafelergebnisse verweist die Lehrperson auf den Stickstoffkreislauf als eine der großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Um die hohe Komplexität dieses Problems – die Nitratbelastung der Gewässer ist nur ein Teil davon – tiefgründig zu verstehen, macht eine Gegenüberstellung des natürlichen und anthropogen überprägten Stickstoffkreislaufs Sinn. Das Spektrum der anschließenden Bearbeitung des natürlichen Kreislaufs anhand von M2a reicht von selbstständiger Einzel-/Partnerarbeit über arbeitsteilige Gruppenaufträge (mit gegenseitigem Vorstellen) bis hin zur engen Anleitung durch die Lehrkraft. Basierend auf den fünf Aussagen (M2a) werden die entsprechenden Aufgaben anhand von M2b schrittweise gelöst. Der Erwartungshorizont dazu erschließt sich selbsterklärend aus M2b. Bezüglich Aufgabe 5 sollte sich die Lehrperson schon im Voraus mit M3a und M3b auseinandersetzen, auch wenn sich für die Schüler*innen die Antworten darauf erst aus Schritt 2 des Unterrichtsbausteins ergeben. Schritt 2:  Was hat unser Fleischkonsum mit dem anthropogen überprägten Stickstoffkreislauf zu tun? Zunächst vergleichen die Schüler*innen (in Partnerarbeit, danach Austausch im Plenum) überblickshaft Übereinstimmungen und Abweichungen zwischen dem natürlichen (M2b) und dem anthropogen überprägten Stickstoffkreislauf (M3b). Es lässt sich erkennen, dass Stickstofffixierung und Denitrifikation grundsätzlich gleich ablaufen, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied einer anthropogen bedingten NOx-Produktion und Kunstdüngerherstellung aus N2 sowie einer Lachgasproduktion. Weiter fällt die dominante Rolle des Menschen in Bezug auf die landwirtschaftliche Produktion ins Auge – der Aspekt „Wildpflanzen/-tiere“ wurde in M3b aus Platzgründen nicht mehr einbezogen – sowie die weitreichende N-Verlagerung in die aquatischen Ökosysteme. Schließlich setzen sich die Schüler*innen vertieft mit den Merkmalen des anthropogen überprägten N-Kreislaufs (M3a) auseinander, indem schrittweise die fünf Aussagen und Aufgaben bearbeitet werden. Die Form der Bearbeitung richtet sich wiederum nach dem Niveau der Klasse (Einzel-/Partnerarbeit, arbeitsteilige Gruppenaufträge, enge Anleitung der Lehrkraft etc.). Die verschriftlichten Lösungen werden im Plenum diskutiert und von der Lehrperson ergänzt. Abschließend nimmt die Lehrkraft nochmals Bezug auf die in Schritt 1 geäußerte Feststellung, dass der Stickstoffkreislauf zu den großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zählt. Es herrscht Konsens darüber, dass die „planetare Belastungsgrenze“ beim Stickstoffkreislauf bereits deutlich überschritten ist (Geupel et al., 2009; Umweltbundesamt, o.J.a). Die entsprechende Grafik, basierend auf Steffen et al. (2015), kann unter www.bmu.de/WS4559 abgerufen werden. Das Konzept der planetaren (bzw. ökologischen) Belastungsgrenzen definiert wissenschaftlich begründete Stufen menschlicher Störung des Erdsystems. Eine Überschreitung dieser Grenzen geht mit einem erheblichen Risiko der Destabilisierung der Erde einher. In der grünen Zone bewegt sich

17  Systemisches Denken

219

die Menschheit in einem sicheren Handlungsraum. Überschreiten wir die Grenze dieser Zone, stellt sich ein steigendes Risiko gravierender Folgen ein (gelbe Zone). In der roten Zone besteht gar ein hohes Risiko. Von neun diskutierten Prozessbereichen – jeder wird eindeutig durch menschliches Handeln modifiziert – zählt Stickstoff (innerhalb der „biogeochemischen Flüsse“) zu denjenigen, welche weit über die Belastungsgrenze hinaus in die rote Zone reichen. Schulfilm Chemie (2017). Stickstoffkreislauf. https://www.youtube.com/watch?v=S2bBR1y4h4 (03.06.2021; sehr guter 5 Min-Film als ergänzende Einführung ins Thema). Umweltbundesamt (o. J.). Reaktiver Stickstoff in der Umwelt. https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/wirkungen-von-luftschadstoffen/wirkungen-auf-oekosysteme/ reaktiver-stickstoff-in-der-umwelt#wirkungen-reaktiven-stickstoffs (03.06.2021; prägnanter Überblick über die Formen, Quellen und Wirkungen reaktiven Stickstoffs sowie Minderungsstrategien). United Nations Environment Assembly (2019). Sustainable nitrogen management. https://www.informea.org/en/decision/sustainable-nitrogen-management (03.06.2021). BAFU – Schweizer Bundesamt für Umwelt (2017). Die planetaren Belastbarkeitsgrenzen – und was sie für die Zukunft der Menschheit bedeuten. https://www.youtube. com/watch?v=m1nBEOfNFIE (03.06.2021; sehr guter 5 Min-Film). Beitrag zum fachlichen Lernen Schritt 1 des Unterrichtsbausteins verdeutlicht die geringe Belastung von Ökosystemen durch einen natürlichen Stickstoffkreislauf. Die Bilanz des zwischen Atmosphäre und terrestrischen bzw. aquatischen Ökosystemen wechselnden Stickstoffs ist ausgeglichen. Seine Nutzung ist hocheffizient, es entstehen keine Überschüsse. Dieser natürlichen Situation gegenübergestellt wird in Schritt 2 des Unterrichtsbausteins der anthropogen überprägte Stickstoffkreislauf. Durch die Kontrastierung wird deutlich, dass Stickstoffüberschüsse heute in großen Mengen Ökosysteme belasten, wesentlich verursacht durch den Menschen und teilweise negativ auf ihn zurückwirkend. Das Problem weist eine globale Dimension auf, es geht mit einem hohen Risiko gravierender Folgen für die Erde einher. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S3 „die natürlichen Sphären des Systems Erde […] nennen und einzelne Wechselwirkungen darstellen“ (DGfG, 2020: 14); S6 „Funktionen von naturgeographischen Faktoren in Räumen […] beschreiben und erklären“ (ebd.); S8 „das Zusammenwirken von Geofaktoren und einfache Kreisläufe […] als System darstellen“ (ebd.); S17 „das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] beschreiben und analysieren“ (ebd.: 15); S18 „Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] erläutern“ (ebd.); S19 „an ausgewählten einzelnen Beispielen Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] systemisch erklären“ (ebd.); S20 „mögliche ökologisch, sozial und/oder ökonomisch sinnvolle

220

J. Fögele et al.

Maßnahmen zur Entwicklung und zum Schutz von Räumen […] erläutern“ (ebd.); S22 „geographische Fragestellungen […] an einen konkreten Raum […] richten“ (ebd.); S23 „zur Beantwortung dieser Fragestellungen Strukturen und Prozesse in den ausgewählten Räumen […] analysieren“ (ebd.: 16) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S6 „geographisch relevante Informationen aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen sowie aus eigener Informationsgewinnung strukturieren und bedeutsame Einsichten herausarbeiten“ (ebd.: 21); S7 „die gewonnenen Informationen mit anderen geographischen Informationen zielorientiert verknüpfen“ (ebd.) • Beurteilung/Bewertung: S6 „zu ausgewählten geographischen Aussagen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung […] kritisch Stellung nehmen“ (ebd.: 25) Der Unterrichtsbaustein fokussiert im Kompetenzbereich Fachwissen ein Natursystem (natürlicher Stickstoffkreislauf) und ein Mensch-Umwelt-System (anthropogen überprägter Stickstoffkreislauf). Zur Vermittlung des systemischen Denkens wird sich der Lernmethode des Concept Mapping bedient (Erkenntnisgewinnung/Methoden). Diese Darstellungsform bietet die Möglichkeit, das gewählte Thema in seiner Ganzheit zu betrachten und darin möglichst viele Einzelaspekte, deren Vernetzungen und Wechselwirkungen – u. a. in Form von Rückkopplungen – zu erkennen. Klassenstufe und Differenzierung Der Unterrichtsbaustein richtet sich auf die obere Sekundarstufe I und Sekundarstufe II aus. Differenzierungsmöglichkeiten für Sek I bestehen insbesondere in der Handhabung der Materialien M2a und M3a (siehe Hinweise oben). Differenzierungsmöglichkeiten für Sek II im Sinne einer weiteren fachlichen Vertiefung bieten sich über den ausgezeichneten Online-Umweltatlas des Umweltbundesamtes (o. J.a, b) an. Interessant für beide Stufen ist der Einbezug des Stickstoff-Fußabdrucks (Umweltbundesamt, 2012). Der Rechner ermöglicht es, die Freisetzung von reaktivem Stickstoff abzuschätzen, die der persönliche Lebensstil verursacht. Damit zeigt er auf, wo individuelle Möglichkeiten zur Verminderung der N-Emission bestehen und wie groß deren Wirksamkeit ist. Räumlicher Bezug Deutschland, lokale, regionale und globale räumliche Dimension Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System), Maßstabsebenen (lokal, regional, global) Österreich: Maßstäblichkeit, Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Mensch-UmweltBeziehungen, Geoökosysteme Schweiz: Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.1, 3.3)

17  Systemisches Denken

221

17.4 Transfer Das nur knapp angesprochene Konzept der „Planetaren Belastungsgrenzen“ ist inhaltlich stark erweiterbar. Nebst der Stickstoffproblematik können acht weitere Prozessbereiche in den Blick genommen werden. Das Basiskonzept des systemischen Denkens lässt sich grundsätzlich auf viele geographische Themen anwenden, insbesondere solche, die einen hohen fachlichen Komplexitätsgrad aufweisen. Anregungen dazu finden sich etwa unter: Landtwing Blaser, M. & Rempfler, A. (2017). Nachhaltiger Massentourismus – geht das? In M. Wilhelm & K. Kalcsics (Hrsg.), Lernwelten. Natur – Mensch – Gesellschaft – Praxisbuch 3. Zyklus (S. 60–91). Bern: Schulverlag Plus. Mehren, M. (2015). Piraterie vor Somalia. Ein komplexes Problem systemisch betrachtet. Geographie aktuell & Schule 215(37), 30–40. Verweise auf andere Kapitel • Hanke, M., Ohl, U. & Sprenger, S.: Faktische Komplexität. Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation. Band 1, Kapitel 8. • Pettig, F. & Raschke, N.: Transformative Bildung. Zukunftsforschung und Megatrends – Ernährung. Band 2, Kapitel 24.

Literatur BMEL & BMU – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft & Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.). Nitratbericht 2020. https://www.bmu.de/ download/nitratberichte/. Zugegriffen: 3. Juni 21. De Vries, W., Kros, J., Kroeze, C., & Seitzinger, S. P. (2013). Assessing planetary and regional nitrogen boundaries related to food security and adverse environmental impacts. Current Opinion in Environmental Sustainability, 5(3–4), 392–402. Erisman, J. W., Galloway, J. N., Seitzinger, S., Bleeker, A., Dise, N. B., Roxana Petrescu, A. M., Leach, A. M., & De Vries, W. (2013). Consequences of human modification of the global nitrogen cycle. Philosophical Transactions of the Royal Society B, 368(1621), 20130116. Fögele, J., Mehren, R., & Rempfler, A. (2020). Wissen vernetzen. Concept Maps im Geographieunterricht. Praxis Geographie, 50(4), 10–14. Geupel, J., Frey, G., Lambrecht, J., Koppe, M., Mäder, N., Strogies, M., … & Fricke, G. (2009). Hintergrundpapier zu einer multimedialen Stickstoffemissionsminderungsstrategie. Umweltbundesamt. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/3982. pdf. Zugegriffen: 3. Juni 21. Hoff, H., Keppner, B., & Kahlenborn, W. (2017). Die planetare Stickstoff-Leitplanke als Bezugspunkt einer nationalen Stickstoffstrategie. UBA Texte 75. Umweltbundesamt. https://www. umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2017-08-28_texte_752017_planteare_stickstoffleitplanke.pdf. Zugegriffen: 3. Juni 21. Mehren, R., Rempfler, A., Ulrich-Riedhammer, E., Buchholz, J., & Hartig, J. (2016). Systemkompetenz im Geographieunterricht. Ein theoretisch hergeleitetes und empirisch überprüftes

222

J. Fögele et al.

Kompetenzstrukturmodell. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 22(1), 147–163. https://link.springer.com/article/https://doi.org/10.1007/s40573-016-0047-y Steffen, W., Richardson, K., Rockström, J., Cornell, S. E., Fetzer, I., Bennett, E. M., ... & Sörlin, S. (2015). Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science, 347(6223), 1259855. Umweltbundesamt. (o.  J.a). Umweltatlas. https://www.umweltbundesamt.de/umweltatlas/ reaktiver-stickstoff/reaktiver-stickstoff. Zugegriffen: 3. Juni 21. Umweltbundesamt. (o. J.b). Reaktiver Stickstoff in der Umwelt. https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/wirkungen-von-luftschadstoffen/wirkungen-auf-oekosysteme/reaktiverstickstoff-in-der-umwelt#formen-reaktiven-stickstoffs. Zugegriffen: 3. Juni 21. Umweltbundesamt. (2012). Stickstoff-Fußabdruck-Rechner. https://www.umweltbundesamt.de/ sites/default/files/medien/pdfs/faq_stickstoff_fussabdruck_rechner.pdf. Zugegriffen: 3. Juni 21.

Das Aktualitätsprinzip am Thema Nutzungskonflikte umsetzen

18

Gefährden wir selbst unsere Lebensräume? Monika Reuschenbach und Thomas Hoffmann

 Teaser  Jede menschliche Handlung greift in das Mensch-Umwelt-System

des Planten Erde ein. Solange diese Eingriffe die Widerstandsfähigkeit des Systems Erde nicht überschreiten, bleibt dieses ohne Folgen. Wird die Resilienz des Systems Erde aber überfordert, treten Schäden im naturräumlichen System auf und bedrohen unweigerlich unsere existenziellen Lebensgrundlagen. Die aktuelle globale Situation ist zunehmend von genau solchen Handlungen geprägt – in Gestalt baulicher Maßnahmen, millionenfachen touristischen Verhaltensweisen oder der kurzfristig angelegten Entnahme von Ressourcen. Der am Aktualitätsprinzip ausgerichtete Geographieunterricht greift geeignete, aktuell bedeutsame Raumbeispiele auf, um die vielfältige systemische Verzahnung zwischen menschlichem Handeln, den naturräumlichen Konsequenzen und veränderten Lebensgrundlagen zu verdeutlichen.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_18.

M. Reuschenbach (*)  Geografie und Geografiedidaktik, Pädagogische Hochschule Zürich, Zürich, Schweiz E-Mail: [email protected] T. Hoffmann  Studienseminar Karlsruhe, Karlsruhe, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_18

223

224

M. Reuschenbach und T. Hoffmann

Abb. 18.1   Vier Kategorien von Ökosystemdienstleistungen mit Beispielen. (Eigene Darstellung nach Zerbe (2019: 124))

18.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Gefährdung von Lebensräumen Begriffe wie Biome, Lebensgemeinschaften oder Ökosysteme zeigen, dass Lebensräume in der Literatur unterschiedlich definiert werden. Für eine geographische Betrachtungsweise macht der Begriff Ökosystem Sinn, der in diesem Beitrag mit Lebensraum gleichgesetzt wird. Unter Ökosystem werden „Lebensgemeinschaften sowohl von Organismen als auch die abiotische Umwelt, in der sie leben, verstanden“ (Begon et al., 2017: 9). Insofern ist ein Ökosystem „ein dynamischer Komplex von Lebensgemeinschaften aus Pflanzen, Tieren, Menschen und Mikroorganismen sowie deren nicht lebender Umwelt, die als funktionelle Einheit miteinander in Wechselbeziehungen stehen. […] Die funktionalen Beziehungen bzw. Prozesse innerhalb des Ökosystems […] umfassen z. B.

18  Das Aktualitätsprinzip am Thema Nutzungskonflikte …

225

Bodenbildung, Speicherung von Wasser, biochemische Kreisläufe usw. Sie werden vom Menschen zwar beeinflusst, bedürfen ihn aber nicht.“ (Zerbe, 2019: 17) Die sogenannten Ökosystemdienstleistungen dagegen sind Leistungen, die Ökosysteme für Menschen leisten bzw. einen Nutzen bezeichnen, den Menschen von Ökosystemen haben können. Diese lassen sich wie in Abb. 18.1 gliedern (nach Zerbe, 2019): Die Ausprägung und die globale Verteilung von Ökosystemen sind von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. An Land sind es grundsätzlich Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse, im Meer bewirkt die Verfügbarkeit von Licht und Nährstoffen eine abgestufte Strukturierung. Diese einfache Beschreibung darf nicht über die tatsächlich sehr komplexen Zusammenhänge und Prozesse hinwegtäuschen, die an jedem Ort der Erde in spezifischer Form und Kombination zum Tragen kommen: – Die Neigung der Erdachse relativ zur Sonne im Verlauf der jährlichen Umlaufbahn um die Erde führt zu unterschiedlichen Strahlungsverhältnissen auf der Erde und damit zur ungleichen Erwärmung von Land- und Wassermassen. – Wasser absorbiert Wärme stärker als Landmassen und puffert Temperaturschwankungen ab. – Die Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Meeren und Gebirgen führen durch die beweglichen Medien Luft (als Wind) und Meerwasser zu einer Umverteilung von Wärmeenergie. Zusätzlich dazu wirken lokale Faktoren  wie Bodenbildung, Ausgangsgestein, Neigung, Höhenlage usw. bei der Ausprägung von Lebensräumen mit. Auch wenn die klimatischen Bedingungen überall gleich wären, würde die Erdoberfläche folglich aus einem vielfältigen Mosaik von Lebensräumen bestehen. Insofern werden in Abb. 18.2 lokale und azonale Lebensräume nicht ausreichend abgebildet. Beispiele wie Städte, Mangroven, Korallenriffe, Inselgruppen oder Gebirgsregionen entziehen sich daher der zonalen Ordnung, weisen aber dennoch eine große Bedeutung bezogen auf die Ökosystemdienstleistungen auf. An der Bedrohung des Ortes Pontresina durch Naturrisiken, der Gefährdung der Bahamas durch den kreuzfahrtbedingtem Overtourism oder der Waldvernichtung in Sibirien werden sowohl das Zusammenwirken der naturräumlichen Faktoren als auch deren jeweilige Ökosystemleistungen deutlich. Mindestangebote von Ökosystemen sind für die menschliche Existenz unabdingbare Voraussetzung und daher in vielfältiger Hinsicht lebenswichtig (vgl. Abb. 18.1). Der Mensch nutzt sie intensiv. Unumstritten ist, dass die von Menschen verursachten Veränderungen von Lebensräumen erheblich sind und die Indikatoren, die Aufschluss über den Zustand der Lebensräume geben, sich rasch verändern bzw. für Menschen verschlechtern (vgl. Abb. 18.3). Verursacht werden sie hauptsächlich durch Landnutzungsänderungen, die weltweit die größten Auswirkungen auf Land- und Süßwassersysteme haben. Ursachen dafür sind die Fischerei und die Expansion der Landwirtschaft, aber auch der Bedarf an Siedlungsräumen und Rohstoffen. In der Folge entstehen beispiellose Mengen an Abfall (Plastikmüll, Abwasser, Treibhausgase, Industrieabfälle, über-

226

M. Reuschenbach und T. Hoffmann

Abb. 18.2   Die globale Verteilung von Lebensräumen (Ökosystemen) in der Welt (a) und entlang eines Temperatur- und Niederschlagsgradienten (b). (Quelle: eigene Darstellung nach Begon et al., (2017)

18  Das Aktualitätsprinzip am Thema Nutzungskonflikte …

227

Abb. 18.3   Sinkendes Potenzial der Natur, auf nachhaltige Weise zur Lebensqualität für Menschen bei fast allen Ökosystemdienstleistungen beitragen zu können. (Quelle: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)/Auszüge aus dem „Summary for Policymakers“ des Globalen Assessments des Weltbiodiversitätsrates IPBES/2019)

228

M. Reuschenbach und T. Hoffmann

schüssige Agrochemikalien), zudem werden Luft, Wasser und Boden belastet. Weiterer Faktor ist die Nutzung von Meeren und Küstenlebensräumen durch Fischerei, Schifffahrt und die Energiegewinnung. Alle diese Ökosysteme sind durch Verschmutzung, den Rückgang der Artenvielfalt und der Fischbestände usw. stark betroffen. Indirekt verändern sich Meeresökosysteme und Küstenräume durch die Auswirkungen des Klimawandels (Erwärmung, Ausdehnung, veränderte Meeresströmungen, Anstieg des Meeresspiegels). Ursachen für diese Entwicklungen werden im zunehmenden Welthandel, dem Wachstum der Weltwirtschaft (wachsender Bedarf an Ressourcen) sowie der Verlagerung von Konsum- und Produktionsprozessen und den damit einhergehenden Umweltbelastungen zwischen verschiedenen Regionen der Welt gesehen (Factsheet IPBES, 2019: 10). Die Folgen für Mensch und Umwelt sind gravierend: zunehmende Exportorientierung, Konflikte, Umweltflüchtlinge, Vertreibung, Existenzbedrohung, Zunahme von Disparitäten besonders zwischen hoch und weniger stark entwickelten Ländern oder ungleiche Abhängigkeiten. Auch Subventionen, Finanztransfers, Kredite, Steuererleichterungen oder die anhaltend niedrigen Rohstoffpreise tragen zur Gefährdung von Lebensräumen durch Entwaldung, Überfischung, Zersiedelung und verschwenderische Wassernutzung bei, weil sie die Umwelt- und Sozialkosten nicht berücksichtigen bzw. die nachhaltige Produktion nicht fördern (Factsheet IPBES, 2019: 10). Mit dem derzeitigen aktuellen Handeln können Ziele zum Schutz der Natur und zur Erzielung von Nachhaltigkeit nicht erreicht werden. Es ist daher nicht nur bedeutsam, sondern lebensnotwendig, Kenntnisse über entsprechende Grundlagen und Zusammenhänge zu erwerben, damit Handlungsoptionen rasch und nachhaltig wirksam werden. Weiterführende Leseempfehlung • Möllers, Nina & Schwägerl, Christian & Trischler Helmuth (Hrsg.) (2015). Willkommen im Anthropozän. Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde. München: Deutsches Museum Verlag. • WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2020). Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration. Berlin: WBGU. • Weltbiodiversitätsrat IPBES (2019). Das „Globale Assessment“ des Weltbiodiversitätsrates IPBES. Die umfassende Beschreibung des Zustands unserer Ökosysteme und ihrer Artenvielfalt seit 2005 – Chancen für die Zukunft. https://www.helmholtz.de/ fileadmin/user_upload/IPBES-Factsheet.pdf (10.12.2020) Problemorientierte Fragestellung Warum gewinnen wir, wenn wir gefährdete Lebensräume erhalten?

18  Das Aktualitätsprinzip am Thema Nutzungskonflikte …

229

Tab. 18.1  Einordnung des Aktualitätsprinzips zu verschiedenen Unterrichtsprinzipien. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Flath 2012; in: Reinfried & Haubrich (2015: 183)) Unterrichtsprinzipien Didaktische Prinzipien

Methodische Prinzipien

Ziel- oder Kompetenzorientierung

Bezüge zur Aktualität lassen sich zu den Aspekten Sinn, Bedeutung für die Gegenwart, Schlüsselprobleme und dem transferfähigen Wissen herstellen. Darüber hinaus sind vorausschauendes sowie systemisches Denken bedeutsam.

Bezüge zur Aktualität lassen sich in den Kompetenzen und Fähigkeiten sowie den inhaltlichen Schwerpunkten zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, zum regionalen, globalen, inter- und transkulturellen Lernen und zur Umweltbildung herstellen.

Schülerorientierung

Bezüge zur Aktualität lassen sich zu den Interessen und Einstellungen der Schüler*innen sowie zu deren Vorwissen herstellen.

Aktualität gilt explizit als regulierendes Prinzip. Zudem lassen sich Bezüge herstellen zur Anschauung, zum diskursiven Austausch, zur Realbegegnung, zum Bezug zur Lebenswelt und der Handlungsorientierung.

Wissenschaftsorientierung

Bezüge zur Aktualität lassen sich zur Wissenschaftspropädeutik und der Problemlösungsorientierung herstellen.

Der Aktualitätsbezug wird über das systemische, prozessuale Denken und deren Gesetzmäßigkeiten hergestellt.

18.2 Fachdidaktischer Bezug: Aktualitätsprinzip Der diesem Beitrag zugrunde liegende fachdidaktische Ansatz ist das Aktualitätsprinzip. Es hat im Geographieunterricht seit jeher eine wichtige Bedeutung. Bereits 1958 forderte Klafki in seinen didaktischen Grundfragen, dass ein Thema eine «lebendige Stellung im Leben der Schüler bzw. in der Welt» haben müsse – also aktuell sein solle» (Klafki, 1958). «Die Thematisierung aktueller Entwicklungen leistet einen Beitrag sowohl zum Verständnis der Gegenwart als auch zur Bereitschaft zum gesellschaftlichen Engagement» (Brucker, 2016: 102). Didaktisch lässt sich Aktualität den Unterrichtsprinzipien zuordnen. Dabei ergeben sich sowohl methodisch als auch inhaltlich und didaktisch mehrere Bezugsmöglichkeiten (vgl. Tab. 18.1): Auch die Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss weisen aus, dass «Anschaulichkeit und Aktualität im Geographieunterricht eine große Rolle spielen. […] Aktuelle geographisch und geowissenschaftlich relevante Phänomene und Prozesse […] prägen unser Leben und unsere Gesellschaft auf dem Planeten Erde in vielen Bereichen» (DGfG, 2020: 5 f.). Insofern gehört es zu den Kernaufgaben des Geo-

230

M. Reuschenbach und T. Hoffmann

graphieunterrichts, aktuelle Fragen auf moderne und spannende Weise zu thematisieren und an ihnen zu lernen. In der Regel handelt es sich dabei um komplexe, vielfältig miteinander vernetzte Themen und Ansätze. Für die Vorbereitung durch die Lehrperson ist dies anspruchsvoll und herausfordernd, insbesondere weil alleiniges Faktenwissen für das Verständnis der aktuellen Themen nicht ausreicht, sondern eine aktive Auseinandersetzung, ein Aufbau von konzeptuellem Wissen und Können sowie ein kumulativer Entwicklungsprozess erforderlich sind (nach Fögele, 2016). Mithilfe der Basiskonzepte, die die oben beschriebenen Unterrichtsprinzipien aufgreifen und ergänzen, lassen sich solch anspruchsvolle Themen strukturiert gliedern und erarbeiten. Zudem wird das geographische Denken im systemischen Sinn gefördert, was für raumwirksames Handeln von großer Bedeutung und sogar Voraussetzung ist. Insofern sind die Basiskonzepte ein geeignetes Instrument dafür, den selbstverständlichen, aber herausfordernden Anspruch an Aktualität im Geographieunterricht umzusetzen. Das Aktualitätsprinzip erfährt also auf der inhaltlichen, der didaktischen und der methodischen Ebene eine wesentliche Bedeutung. Deutlich wird dies auch im zunehmend reichhaltigeren Angebot von Unterrichtsmaterialien, die auf allen Ebenen so aktuell und rasch wie selten zuvor verfügbar sind. Beispielhaft anzufügen sind diesbezüglich nicht nur digital verfügbare Medien, sondern auch eine zunehmende Vielfalt von online zugänglichen Bildungsmaterialien (Open Educational Ressources). Inhaltlich kann bezüglich der Aktualität zwischen „tages- bzw. brandaktuell“ und „fortwährend aktuell“ unterschieden werden. „Tagesaktuelle“ Ereignisse müssen von der Lehrperson situativ und kontextbezogen in den Unterricht integriert werden, da sie sich spontan ereignen und deren Unterrichtseinsatz kaum geplant werden kann. Daher liegt der Fokus dieses Beitrags auf „fortwährend aktuellen Ereignissen“, sie sind heute und in naher Zukunft von Bedeutung und damit aktuell im Sinne von „unsere Zeit prägend“. Zum Dritten berücksichtigt der Unterrichtsbaustein auch aktuell bedeutsame Intentionen, also die beabsichtigten normativen Konzepte (wie z. B. Nachhaltigkeit), um Sachverhalte einordnen bzw. bewerten und schließlich Handlungsoptionen ableiten zu können. Weiterführende Leseempfehlung • Flath, Martina (Hrsg.) (2021): Geographiedidaktik in Übersichten. Hannover. Friedrich • Reinfried, Sibylle; Haubrich, Hartwig (Hrsg.) (2015). Geographie unterrichten lernen. Cornelsen. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Komplexität, Zukunftsprinzip, Systemkompetenz, Syndrom-Ansatz, Klimawandelbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung

18  Das Aktualitätsprinzip am Thema Nutzungskonflikte …

231

18.3 Unterrichtsbaustein: Analyse von Lebensräumen und ihrer Nutzung und Gefährdung Der Unterrichtsbaustein fokussiert die Analyse von drei ausgewählten regionalen Fallbeispielen hinsichtlich ihrer natürlichen Ausprägung (Ökosystem) und ihrer aktuellen Nutzung durch den Menschen (Ökosystemdienstleistung): dem touristisch geprägten Dorf Pontresina in den Schweizer Alpen, der Inselgruppe Bahamas im Atlantik und den borealen Nadelwäldern Sibiriens. Die Beispiele verdeutlichen unterschiedliche Lebensräume und entsprechend verschiedene Nutzungen. Sie wurden ausgewählt, weil sie aktuelle Problemsituationen und Gefährdungen exemplarisch aufzeigen und in diesem Sinn gegenwärtige Herausforderungen beispielhaft verdeutlichen. Zudem stehen diese weniger im Fokus von Ökosystembewertungen als z. B. tropische Regenwälder oder die australischen Korallenriffe, sind aber dennoch stellvertretend für Lebensräume, Ökosystemdienstleistungen und ihre anthropogenen Gefährdungen und können daher etwas unvoreingenommener analysiert werden. Mit der Auswahl eines Dorfes, einer Insel und einer Region wird zudem verdeutlicht, dass die Thematik auf unterschiedliche Maßstabsebenen übertragen werden kann. Die Analyse der Beispiele erfolgt entlang der Basiskonzepte Mensch-UmweltSystem, Systemkomponenten, Raumkonzepte, Maßstabsebenen und Nachhaltigkeit, sodass ein umfassendes Bild der Lebensräume und ihrer Nutzung entsteht. Die Schüler*innen werden im Vorgehen schrittweise angeleitet. Der Unterrichtsbaustein kann in die Lehrplanthemen „Natürliche Systeme“, „Gefährdung von Lebensräumen“, „Naturrisiken“ oder „Nutzung von Lebensräumen/Rohstoffen“ eingeordnet werden bzw. Bestandteil der jeweiligen Lerneinheiten sein. Die im Folgenden genannten Arbeitsblätter (AB) sind dem digitalen Materialanhang zu diesem Beitrag zu entnehmen. Der Einstieg in die Unterrichtseinheit erfolgt mit einem Bild des regionalen Beispiels, damit sich die Lernenden eine Vorstellung des Ortes machen können (AB 1). Gleichzeitig wird für alle drei Raumbeispiele die Leitfrage gestellt: „Warum gewinnen wir, wenn wir gefährdete Lebensräume erhalten?“ Die Schülerinnen und Schüler formulieren erste Assoziationen zur Beantwortung der Frage und beginnen aufgrund der Bildinterpretation, Kenntnisse über das Raumbeispiel zu aktivieren. In der Erarbeitungsphase wird das regionale Beispiel zunächst räumlich verortet (Karten- und Atlasarbeit) und dann mithilfe eines Rasters analysiert (vgl. AB 2a). Informationen erhalten die Lernenden durch einen vorgegebenen Kurztext sowie weitere Quellen (vgl. AB 2b/2c und 2d). Diese Quellen können von der Lehrperson aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden oder die Lernenden recherchieren dazu im Internet und in Fachliteratur. Es ist auch denkbar, aktuelle regionale Beispiele aus Zeitungsmeldungen für die Analyse zu nutzen und die Erarbeitungsphase damit zu ergänzen. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in dieser Phase vorzugsweise zu zweit. Das Analyse-Raster (Abb. 18.4) orientiert sich an den Basiskonzepten und ermöglicht den

232

M. Reuschenbach und T. Hoffmann

Abb. 18.4   Arbeitsblatt 2a: Raster zur Analyse und Beschreibung von Ökosystemen und ihrer Nutzung durch den Menschen. (Eigene Darstellung)

18  Das Aktualitätsprinzip am Thema Nutzungskonflikte …

233

Schüler*innen ein strukturiertes Vorgehen. Sie erhalten durch verschiedene Kriterien und explizit ausformulierte Aufgabenstellungen eine Orientierungshilfe zu den Aspekten, die erarbeitet werden müssen. So können wesentliche Informationen herausgearbeitet und fokussiert auf den Raum benannt werden. Die dezenten Verweise zu den Basiskonzept-Ebenen dienen der Einbettung, aber auch der konzeptionellen Orientierung. Im Sinne einer Sicherung stellt das ausgefüllte Raster eine überaus geeignete Form der Veranschaulichung von Sachverhalten dar, weil Informationen umfassend, aber gebündelt und strukturiert abgebildet werden. Bei einer hohen Aktivierung der Lernenden durch die eigenständige Bearbeitung sind solche verbindlichen Fixierungen wichtig. Zudem sind Vergleiche beispielsweise zu anderen Lebensräumen mit dem Arbeitsblatt einfach möglich. In der Abschlussphase bringen sich die Tandems in die Diskussion zur Leitfrage ein. Gemeinsam diskutieren und beantworten sie diese, bewerten dabei die Gefährdung des Lebensraumes und benennen die Gründe, warum der Schutz des Systems Sinn macht. Dabei werden auch konkrete Ideen und Maßnahmen erläutert bzw. zur Diskussion gestellt. Normative Setzung für diese Lösungsansätze ist das Prinzip der Nachhaltigkeit. Dieses kann an dieser Stelle im Sinne eines Bewertungsmaßstabs eingeführt werden, falls es den Schüler*innen noch nicht bekannt ist. Wenn verschiedene Gruppen am gleichen Beispiel gearbeitet haben, macht dieser sachbezogene Austausch Sinn und ist gewinnbringend, da die verschiedenen Perspektiven die jeweils subjektive Sichtweise auf Sachverhalte verdeutlichen und ergänzend zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Die eigenen Sichtweisen werden dadurch erweitert. Auf einer reflexiven Ebene macht es Sinn, die aktuelle Brisanz der Gefährdung zu thematisieren. So wird den Lernenden noch einmal bewusst, dass das regionale Beispiel lediglich exemplarisch anzusehen ist und die Gefährdung fast alle gegenwärtigen Lebensräume betrifft. Dies gelingt insbesondere auch dann, wenn ausgehend vom bearbeiteten Beispiel ein Bezug zum eigenen Lebensumfeld geschaffen wird. Beitrag zum fachlichen Lernen Da im Sinne einer Präkonzept-Aktivierung bereits zu Beginn der Arbeitsphase die Leitfrage gestellt wird, bildet diese die Klammer für den gesamten Lernprozess. Aktiviert und hergestellt werden Lebensweltbezüge bereits zu Beginn, aber auch beim Abschluss der Lerneinheit. Um die Leitfrage fundiert beantworten zu können, ist grundlegendes und strukturiertes Wissen nötig, das mithilfe des Analyse-Rasters erarbeitet wird. So lassen sich Situationen bewerten und Handlungsoptionen ableiten. Darüber hinaus trägt der Unterrichtsbaustein zur Herausbildung bzw. Stärkung individueller Wahrnehmungssensibilität mit Blick auf gefährdete Räume bei, befähigt zum Transfer des Erkannten auf andere Räume und legt somit den Grundstein dafür, die Welt durch Verstehen mitzugestalten.

234

M. Reuschenbach und T. Hoffmann

Kompetenzorientierung • Fachwissen: S9 „ihre exemplarisch gewonnenen Kenntnisse auf andere Räume anwenden“ (DGfG, 2020: 14); S17 an ausgewählten Beispielen „das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] beschreiben und analysieren“ (ebd.: 15); S21 „[…] Gemeinsamkeiten und Unterschiede […] darstellen“ (ebd.) • Räumliche Orientierung: S4 „die Lage geographischer Objekte in Bezug auf ausgewählte räumliche Orientierungsraster und Ordnungssysteme […] beschreiben“ (ebd.: 17) • Kommunikation: S4 „geographisch relevante Mitteilungen fach-, situations- und adressatengerecht organisieren und präsentieren“ (ebd.: 22) • Beurteilung/Bewertung: S6 „zu ausgewählten geographischen Situationen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen [und lebensraumspezifischen] Bedeutung kritisch Stellung nehmen“ (ebd.: 25) • Handlung: S11 „natur- und sozialräumliche [Lösungsansätze beschreiben sowie] Auswirkungen ausgewählter Handlungen abschätzen und in Alternativen denken“ (ebd.: 28) Der Schwerpunkt des Unterrichtsvorschlags liegt auf der Analysekompetenz der Beispiele, dafür erwerben die Schüler*innen zunächst Kompetenzen in den Bereichen „Fachwissen“, „Räumliche Orientierung“ und „Erkenntnisgewinnung/Methoden“. Durch Diskussionen über die Gefährdung von Lebensräumen und die Aushandlung möglicher Lösungsansätze werden zudem weitere Kompetenzen entwickelt. Klassenstufe und Differenzierung Der Unterrichtsbaustein ist ab der 9. Klasse (Sekundarstufe I) einsetzbar. Die Schüler*innen brauchen ein gewisses Vorwissen über Lebensräume dieser Welt, zudem ist es (partiell) von Vorteil, wenn die Schüler*innen selbstständig nach Informationen suchen und diese auswerten können. Es bestehen folgende Differenzierungsmöglichkeiten: – Analyse anderer Beispiele: in tieferen Klassen Beispiele aus dem näheren Lebensumfeld der Lernenden (z. B. Stadt, in der ich lebe; Bach vor meiner Haustür), in höheren Klassen anspruchsvollere Beispiele; – Informationsbereitstellung: Die Lehrperson kann mehr oder weniger Informationen vorgeben, die Rechercheoptionen sind ausbaubar; – Variation im Analyse-Raster: Das Raster kann vereinfacht oder ergänzt werden; – Variation in der Sozialform: Beispiele können in Kleingruppen analysiert werden, es kann ein Gruppenpuzzle zum Austausch angeregt werden usw. – Variation in der Produktorientierung: Ergänzend oder alternativ zum Analyse-Raster können Formen wie Post-Organizer, Poster, Concept Map usw. zur Sicherung verwendet werden.

18  Das Aktualitätsprinzip am Thema Nutzungskonflikte …

235

Räumlicher Bezug Die Raumbeispiele fokussieren Lebensräume, die naturräumlich verschieden ausgeprägt sind und unterschiedlich vom Menschen genutzt werden, entsprechend ergeben sich unterschiedliche Gefährdungen: – Pontresina (CH): alpine Siedlung; Gefährdung durch Lawinen, Murgänge, Klimawandel – Bahamas: Küstenregion/Insel; Gefährdung durch Abwasser, Klimawandel, Erwärmung der Meere, Absterben der Korallenriffe, Rückgang der Fischerei, Hurrikans – Sibirien: borealer Nadelwald; Gefährdung durch Rodung, Vertreibung ethnischer Gruppen, auftauenden Permafrost Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System), Systemkomponenten (Struktur, Funktion, Prozess), Nachhaltigkeitsviereck (Ökonomie, Ökologie, Politik, Soziales), Maßstabsebenen (lokal, regional, national, international, global), Zeithorizonte (kurzfristig, mittelfristig, langfristig) Österreich: Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Interessen, Konflikte und Macht, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz:  natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.3a), Mensch-UmweltBeziehungen analysieren (3.1)

18.4 Transfer Das skizzierte Vorgehen kann auf andere regionale Beispiele übertragen werden. Die wesentlichste Transferleistung gelingt aber dann, wenn die Thematik auf das eigene Lebensumfeld übertragen wird. Insofern sind die Lernenden angehalten, im eigenen Umfeld Lebensräume auszumachen und zu bestimmen, welche Ökosystemleistungen diese erbringen und wodurch sie bedroht sind. Zeitungsmeldungen im regionalen Kontext, zuweilen auch politische Bemühungen (Schutzverordnungen, Regelungen oder Nutzungsvereinbarungen) können dabei hilfreich sein. Anschließend an diese Auseinandersetzung kann untersucht werden, wie die Lebensräume geschützt werden bzw. wie deren Schutz aussehen könnte. Somit gelingt eine Rückbesinnung vom Beispiel irgendwo auf der Welt auf das eigene Umfeld. Verweise auf andere Kapitel • Borukhovich-Weis, S., Gryl, I. & Lehner, M.: Innovativität. Öffentlicher Stadtraum – Recht auf Stadt. Band 2, Kapitel 7. • Dickel, M.: Perspektivenwechsel. Sozialkatastrophe – Hurrikans. Band 1, Kapitel 6. • Fögele, J. & Hoffmann, K. W.: Wissenschaftsorientierung. Klimawandel. Band 1, Kapitel 20.

236

M. Reuschenbach und T. Hoffmann

• Fögele, J., Mehren, R. & Rempfler, A.: Systemkompetenz. Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff. Band 1, Kapitel 17. • Hemmer, I., Hemmer, M. & Müller, M. X.: Interessenorientierung. Landwirtschaft – Ökologischer Anbau. Band 1, Kapitel 14. • Kubisch, S., Keller, L. & Parth, S.: Klimawandelbildung. Ökozonen – Klimawandel. Band 1, Kapitel 13. • Lathan, H. & Castillo Mispireta, A.: Syndromansatz. Intensive Landwirtschaft – Nachhaltigkeitsprobleme. Band 1, Kapitel 19. • Oberrauch, A. & Andre, M.: Statistik und Visual Analytics. Planetare Belastungsgrenzen – Nachhaltigkeit. Band 1, Kapitel 16. • Reuschenbach, M.: Zukunftsorientierung. Globalisierung – Globale Warenketten. Band 2, Kapitel 19.

Literatur Begon, M., Howarth, R. W., & Townsend, C. R. (2017). Ökologie (3. Aufl.). Springer Spektrum. Brucker, A. (Hrsg.). (2016). Geographiedidaktik in Übersichten. München: Aulis Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG) (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. Bonn: Selbstverlag DGfG Klafki, W. (1958). Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung. In Die deutsche Schule 50, Nr. 10. S. 450–471 Möllers, N., Schwägerl, C., & Helmuth, T. (Hrsg.). (2015). Willkommen im Anthropozän. Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde. Deutsches Museum Verlag. WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. (2020). Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration. WBGU. Weltbiodiversitätsrat IPBES. (2019). Das „Globale Assessment“ des Weltbiodiversitätsrates IPBES. Die umfassende Beschreibung des Zustands unserer Ökosysteme und ihrer Artenvielfalt seit 2005 – Chancen für die Zukunft. https://www.helmholtz.de/fileadmin/user_upload/IPBESFactsheet.pdf. (10.12.20). Zerbe, S. (2019). Renaturierung von Ökosystemen im Spannungsfeld von Mensch und Umwelt. Springer.

Weiterführende Literatur Bork, H.-R. (2020). Umweltgeschichte Deutschlands. Springer. Bork, H.-R., & Winiwarter, V. (2019). Geschichte unserer Umwelt. 66 Reisen durch die Zeit. Wbg Theiss Ehlers, E. (2008). Das Anthropozän. Die Erde im Zeitalter des Menschen. Profil Lewis, S., & Maslin, M. (2018). The human planet. How we created the anthropcene. Penguin Books Ltd

Das Syndromkonzept im Geographieunterricht

19

Landwirtschaftliche Intensivregionen im Spannungsfeld regionaler Wertschöpfung, Nachhaltigkeit und Globalisierung Hannah Lathan und Annemarie Castillo Mispireta



Teaser  Das Syndromkonzept gilt im Geographieunterricht als traditioneller Ansatz, mit dem globale Ursache-Wirkungszusammenhänge des Globalen Wandels systematisch, funktional und überblicksartig beschrieben werden können. Mit aktuellen Fallbeispielen aus verschiedenen Regionen der Erde (siehe Abb. 19.1) und neuen didaktischmethodischen Zugängen wie dem kooperativen Lernen lassen sich damit auch heute das Interesse der Lernenden wecken, das vernetzte systemische Denken fördern und globale wie lokale Lösungsmöglichkeiten diskutieren.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_19. H. Lathan (*) · A. Castillo Mispireta  Universität Vechta, Didaktik der Geographie, Vechta Institute of Sustainability Transformation of Rural Areas (VISTRA), Vechta, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Castillo Mispireta  E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_19

237

238

H. Lathan und A. Castillo Mispireta

19.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Intensive Landwirtschaft – Nachhaltigkeitsprobleme Landwirtschaft wird definiert als planmäßige Bewirtschaftung des Bodens mit dem Ziel, pflanzliche und tierische Produkte zu erzeugen. Dabei stehen die Herstellung von Nahrungsmitteln zum direkten Verbrauch, ihre Veredelung, die durch die Verfütterung an Tiere zu höherwertigen Nahrungsmitteln erzielt wird, und die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen im Vordergrund. Die naturräumlichen Voraussetzungen gelten als Grundlage der agrarischen Produktion. Zudem sind ökonomische Faktoren und politische Vorgaben von großer Bedeutung (Abb. 19.1).

Abb 19.1   Ausgewählte Syndrome des globalen Wandels: a das Müllkippen-Syndrom in Jakarta, Indonesien (Pixabay), b das Aralsee-Syndrom am Aralsee, Kasachstan (Wikimedia Commons/Staecker, gemeinfrei), c das Raubbau-Syndrom im brasilianischen Regenwald (Wikimedia Commons/Ibama CC BY 2.0), d das Massentourismus-Syndrom in Benidorm, Spanien (Wikimedia Commons/William Helsen CC BY 2.0).

19  Das Syndromkonzept im Geographieunterricht

239

Infobox 19.1: Merkmale eines Agribusiness

– – – – – –

große (wachsende) Betriebe mit hohem Kapitalbedarf Spezialisierung der Betriebe Massenproduktion in Pflanzenbau und Tierhaltung Einsatz moderner (IT-)Technik und Maschinen Erhöhung der Produktivität durch Automatisierung und Mechanisierung vertikale und horizontale Integration und Konzentration der Agrarunternehmen

Die Landwirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten einen tiefgreifenden Strukturwandel erfahren, der sich primär in einer größeren Produktivität in Pflanzenbau und Nutzviehhaltung und der Effizienz der Betriebe widerspiegelt. Kennzeichnend für diese Entwicklung sind zudem ein Rückgang der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe und der Erwerbstätigen bei gleichzeitiger Vergrößerung der Flächenausstattung und zunehmender Spezialisierung der Betriebe. Untrennbar mit dem Strukturwandel ist die Industrialisierung der Landwirtschaft verbunden, die sich an der sektoralen Konzentration, der Kapitalisierung der Agrarproduktion, der Herausbildung vertikal integrierter agrarindustrieller Unternehmen sowie der regionalen Konzentration zeigt.

private Dienstleistungen z. B.: Finanzierung, Versicherung, Reparatur, Beratung, Lagerung, Genossenscha

vorgelagerte Einrichtungen

nachgelagerte Einrichtungen

·

· Handel- und Vermarktungs-

· Maschinen- und Gerätehersteller

· Transportunternehmen

· Agrochemie · Saatgutpr Gentechnik

organisa

landwirtscha Erzeugerbetriebe

· Energie- und Wasserwirtscha

· Verarbeitungsbetriebe, z. B.: Schlachterei, Molkerei, Mühle, Zuckerfabrik, Verpackungs- und Te industrie · Abf Abwasserreinigung

staatliche Dienstleistungen z. B.: Beratung, Forschungseinrichtungen, (digitale) Infrastruktur, We Kontrolldienste, ländliche Raumplanung Abb. 19.2    Schematische Darstellung eines Agribusiness. (Eigene Darstellung, verändert nach Kulke 2017: 74)

240

H. Lathan und A. Castillo Mispireta

Maßgeblich gesteuert werden diese Prozesse durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt, agrarpolitische Beschlüsse und Konzentrationsprozesse in vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen (vgl. ebd.). Am Ende beider Prozesse steht die industrielle Landwirtschaft, die auch als Agribusiness (oder Agrobusiness) bezeichnet wird. Ihre wesentlichen Merkmale sind geprägt durch die Übernahme industrieller Fertigungsmethoden. Durch Agribusiness geprägte Regionen werden auch landwirtschaftliche Intensivregionen genannt. Sie verzeichnen hohe Nutzvieh-Besatzdichten oder große Cluster mit Kulturpflanzen züchtenden Betrieben, gepaart mit der Ansiedlung von transnationalen Unternehmen in den vor- und nachgelagerten Bereichen, die eine Vielzahl von Arbeitskräften unterschiedlicher Qualifikationen beschäftigen (vgl. Abb. 19.2; vgl. Klohn & Voth, 2009). Ein beachtliches Wirtschaftswachstum, eine geringe Arbeitslosigkeit und eine dynamische Bevölkerungsentwicklung, die entscheidend durch den Agrar- und Ernährungssektor getragen werden, ergänzen das komplexe Gesamtbild (vgl. Tamasy, 2014). Diese Entwicklungen bringen jedoch große Herausforderungen mit sich. Nährstoffüberschüsse führen zur Überversorgung der landwirtschaftlichen Flächen und belasten das Grundwasser. Hinzu kommen die Emissionen klimawirksamer Gase sowie von Geruch, Staub und anderer Aerosole, die zu einer erhöhten Gesundheits- und Umweltbelastung beitragen und kritische Schwellenwerte überschreiten. Nutzungskonflikte um bedeutende Ressourcen wie Fläche, Wasser oder exponierte Lagen sind allgegenwärtig. Weitere Konflikte, die sich primär aus ökonomischen und politischen Abhängigkeiten und der Vormachtstellung globaler Akteure ergeben, sind Land Grabbing oder Green Grabbing, die den wirtschaftlich und ökologisch motivierten Handel mit agrarischer Nutzfläche intendieren. Besonders traditionelle und kleinbäuerliche Strukturen in Ländern des Globalen Südens werden durch den ungleichen Zugang zu finanziellen Mitteln, technischem Wissen, politischem Einfluss und Zugang zu Wasserressourcen benachteiligt. Daraus ergeben sich ferner soziale Problemstellungen wie niedrige Lohnniveaus, saisonale Arbeitslosigkeit oder schlechte Bildungsmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung. Auch gesundheitliche Probleme infolge der Emissionen und die mangelnden sozialen Sicherheiten durch die weiter fortschreitende Technisierung sind anzumerken. Weiterführende Leseempfehlung • Klohn, W. (2021). Landwirtschaft unter Anpassungsdruck. In: Praxis Geographie, Jahrgang 52, Heft 3/2021, 4–8. • Schmied, D. (2018). Nahrungsgeographie. Braunschweig: Westermann. Insb. Kapitel 4: „Die Agrofood-Kette“, S. 133–236. Problemorientierte Fragestellung Das Dust-Bowl-Syndrom im Oldenburger Münsterland und in den Küstenregionen Perus – Welche Herausforderungen gibt es in landwirtschaftlichen Intensivregionen?

19  Das Syndromkonzept im Geographieunterricht

241

19.2 Fachdidaktischer Bezug: Syndromansatz Die Geographie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die die vielfältigen sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten des Menschen und die komplexen räumlichen Wechselwirkungen im Mensch-Umwelt-System untersucht. Sie versteht sich als Systemwissenschaft, der das Hauptkonzept des Faches, das Systemkonzept, zugrunde liegt (vgl. DGFG, 2020). Ein Ansatz, der diesem in besonderem Maße gerecht wird, ist das Syndromkonzept des WBGU. Es wurde im Kontext der Forschungen zum „globalen Wandel“ in den 1990er-Jahren erarbeitet. Der Begriff Syndrom ist dabei aus der Medizin entlehnt, wo er komplexe Krankheitsbilder kennzeichnet und aus deren individueller Vorgeschichte, den unterschiedlichen Ausprägungen der Symptome, den Untersuchungen und der Diagnose Therapiemöglichkeiten entwickelt werden können. Wird dieser Begriff auf geographische Problemstellungen übertragen, so zielt das Syndromkonzept darauf ab, die Ursachen und Wechselwirkungen globaler Umwelt- und Entwicklungsprobleme zu erkennen, Maßnahmen zur Eindämmung und Vermeidung zu eruieren und künftige Entwicklungen vorherzusagen. Die Syndrome sind daher als Ursache-Wirkungs-Muster mit Rückkopplungs- und Synergieeffekten zu verstehen, deren Ursachen in naturräumlichen und anthropogenen Faktoren festzumachen sind. Sie stellen typische Konstellationen von Symptomen dar, die sich in vielen Regionen der Erde identifizieren lassen. Erst etwa zehn Jahre nach der ersten Veröffentlichung fand das Syndromkonzept Eingang in den Geographieunterricht und ist bis heute fester Bestandteil der Lehrpläne. Mittlerweile sind die fachwissenschaftliche Forschung und Praxis weiter vorangeschritten und die Schwächen des Konzepts werden deutlich: Historische und politische Aspekte finden kaum Berücksichtigung, sind jedoch mit Blick auf eine tiefergehende Analyse des problematischen Mensch-Umwelt-Verhältnisses essenziell (vgl. Krings, 2012, S. 516 ff.). Das Syndromkonzept bietet dennoch viel Potenzial, um Lerninhalte wie Klimawandel, Ernährungssicherung, Bodendegradation oder Bevölkerungsentwicklung als Kernprobleme des globalen Wandels zu erschließen. Mithilfe dieses wissenschaftlich fundierten und anerkannten Analysewerkzeugs kann im Geographieunterricht ein systematischer und funktional orientierter Blick auf die komplexen Zusammenhänge, Prozesse und Wechselwirkungen von anthropogenen Aktivitäten auf unterschiedlichen Maßstabsebenen gelegt werden. Kurz- und langfristig problematische und nicht nachhaltige Entwicklungspfade können analysiert und darauf aufbauend Leitlinien für die nachhaltige Entwicklung identifiziert werden. Zudem trägt die Analyse mithilfe des Syndromkonzepts dazu bei, den Begriff Nachhaltigkeit zu operationalisieren und ihm eine räumliche Dimension zu verleihen. Für ihre Aufarbeitung eignet sich ein Wirkungsgefüge. Die Syndrome werden in drei Gruppen gegliedert und lassen sich, wie in Tab. 19.1 abgebildet, zuordnen:

242

H. Lathan und A. Castillo Mispireta

Tab. 19.1  Übersicht der Syndrome des globalen Wandels. (Eigene Darstellung nach Cassel-Gintz & Harenberg, 2002) Syndromgruppe „Nutzung“: Syndrome als Folge einer unangepassten Nutzung von Naturressourcen als Produktionsfaktoren

Raumbeispiele

1. Landwirtschaftliche Übernutzung marginaler Standorte

SAHEL-SYNDROM

Sahelzone, Südeuropa

2. Raubbau an natürlichen Ökosystemen

RAUBBAU-SYNDROM

Tropischer Regenwald, Neulandgewinnung

3. Umweltdegradation durch Preisgabe traditioneller Landnutzungsformen

LANDFLUCHT-SYNDROM

Ländlicher Raum Subsahara-Afrika, Zentralasien

4. Nicht nachhaltige Bewirtschaftung von Böden und Gewässern

DUST-BOWL-SYNDROM

Great Plains, USA Oldenburger Münsterland, Deutschland

5. Umweltdegradation durch Abbau nicht erneuerbarer Ressourcen

KATANGA-SYNDROM

Norilsk, Russland Fort McMurray, Kanada

6. Erschließung und Schädigung von Naturräumen für Erholungszwecke

MASSENTOURISMUSSYNDROM

Benidorm, Spanien Hallstadt, Österreich

7. Umweltzerstörung durch militärische Nutzung

VERBRANNTE-ERDESYNDROM

Landminen aus Zweiten Weltkrieg Vietnamkrieg

Syndromgruppe „Entwicklung“: Mensch-Umwelt-Probleme, die sich im Zusammenhang mit nicht nachhaltigen Entwicklungsprozessen ergeben 8. Umweltschädigung durch zielgerichtete Naturraumgestaltung im Rahmen von Großprojekten

ARALSEE-SYNDROM

Aralsee, SüdostanatolienProjekt

9. Umweltdegradation durch Verbreitung standortfremder Produktionsverfahren

GRÜNE-REVOLUTIONSYNDROM

Subsahara-Afrika, Ostindien

10. Vernachlässigung ökologischer Standards im Zuge hochdynamischen Wirtschaftswachstums

KLEINE-TIGER-SYNDROM

Thailand, Indonesien, Philippinen

11. Umweltdegradation durch ungeregelte Urbanisierung

FAVELA-SYNDROM

El Salvador, Brasilien, Bangkok, Thailand

12. Landschaftsschädigung durch URBAN-SPRAWLgeplante Expansion von SYNDROM Stadt- und Infrastrukturen

Städte der Ost- und Westküste der USA (Fortsetzung)

19  Das Syndromkonzept im Geographieunterricht

243

Tab. 19.1   (Fortsetzung)

13. Singuläre anthropogene HAVARIE-SYNDROM Umweltkatastrophen mit längerfristigen Auswirkungen

Fukushima, Japan Ölteppiche

Syndromgruppe „Senken“: Umweltdegradation durch nicht angepasste zivilisatorische Entsorgungsanforderungen 14. Umweltdegradation durch weiträumige diffuse Verteilung von langlebigen Wirkstoffen

HOHER-SCHORNSTEINSYNDROM

MÜLLKIPPEN-SYNDROM 15. Umweltverbrauch durch geregelte und ungeregelte Deponierung zivilisatorischer Abfälle 16. Lokale Kontamination von Umweltschutzgütern an vorwiegend industriellen Produktionsstandorten

ALTLASTEN-SYNDROM

Atmosphäre der Erde, Ozonschicht

Müllentsorgung im Weltmeer

Bitterfeld, Deutschland Mittelengland

Die in der fachwissenschaftlichen Grundlage skizzierten Problemstellungen gelten als kennzeichnend für das Dust-Bowl-Syndrom. Darunter wird die nicht nachhaltige industrielle Bewirtschaftung von Böden und Gewässern verstanden. Die Produktionsfaktoren Boden und Gewässer werden für größtmögliche Erträge an Biomasse im Sinne einer modernen, intensiven Landwirtschaft mit hohem Energie-, Kapital- und Technikeinsatz umweltschädigend bewirtschaftet. Symptome sind der Verlust von Ökosystemund Artenvielfalt, genetische Erosion, Eutrophierung, saurer Regen, Treibhauseffekt, Kontamination von Gewässern und Luft, Süßwasserverknappung, Bodendegradation, Marginalisierung und Landflucht (vgl. Abb. 19.3). Weiterführende Leseempfehlung • Cassel-Gintz, M. & Harenberg, D. (2002). Syndrome des Globalen Wandels als Ansatz interdisziplinären Lernens in der Sekundarstufe. Ein Handbuch mit Basisund Hintergrundmaterial für Lehrerinnen und Lehrer. In: BLK-Programm 21 (Hrsg.): Werkstattmaterialien. Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung, Nr. 1. Berlin. Verfügbar unter: www.institutfutur.de/transfer-21/daten/materialien/Werkstattmaterialien/01.pdf (06.12.2020). • Krings, T. (2012): Syndromansatz. In: Rolfes, M. & Uhlenwinkel, A. (Hrsg.): Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht. Ein Leitfaden für Praxis und Ausbildung. Braunschweig.

244

H. Lathan und A. Castillo Mispireta

Biosphäre Konversion natürlicher Ökosysteme

Schädigung von Ökosystemstruktur und -funktion

Atmosphäre

Pedosphäre

Verstärkter Treibhauseffekt

Globaler und regionaler Klimawandel

Überdüngung durch Einsatz von organischem, chemischem Dünger Versalzung, Alkalisierung Einsatz von Pestiziden

Bevölkerung / Gesellschaft Arbeitsmigration, Bevölkerungswachstum

Wirtschaft

Hydrosphäre

Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Flächen Industrialisierung

Gesundheitsschäden durch Umweltbelastung

Intensivierung der Landwirtschaft Globalisierung der Märkte

Veränderung des Grundwasserspiegels Veränderung der lokalen Wasserbilanz Veränderung der Wasserqualität (Pathogene, Nährstoffe, Toxine)

Ausbreitung westlicher Konsum- und Lebensstile

Psychosoziale Sphäre Wachsendes Umweltbewusstsein

Anspruchssteigerung

unsichere und gering bezahlte Arbeitsplätze, Saisonarbeit

Politische Rahmenbedingungen

Technik / Wissenschaft Automatisierung, Mechanisierung

Wissenschaftliche Begleit-/ Feldforschung

Abb. 19.3    Wirkungsgefüge des Dust-Bowl-Syndroms. Pfeile beschreiben eine Verstärkung der Symptome, Pfeile mit einem Kreis eine Abnahme der Symptome. (Eigene Darstellung nach CasselGintz & Harenberg, 2002; Krings, 2012)

Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Systemkompetenz, Wirkungsgefüge, Nachhaltigkeitsviereck (Ökonomie, Ökologie, Soziales, Politik), forschendes Lernen

19.3 Unterrichtsbaustein: Landwirtschaftliche Intensivregionen mithilfe des Syndromansatzes analysieren Die Einführungsstunde der Unterrichtseinheit sollte das Syndromkonzept und die drei Syndromgruppen anhand unterschiedlicher Fallbeispiele vorstellen. Es empfiehlt sich ein aktivierender Einstieg mit Bildern zu verschiedenen Symptomen des globalen Wandels, wodurch die komplexen Anzeichen und Phänomene unter Berücksichtigung unterschiedlicher Problemstellungen, Perspektiven und Raumbeispiele beleuchtet werden. Zielbezogene Fragen werden aufgeworfen, Vorwissen zu Themen wie Globalisierung, Ressourcennutzung oder Bevölkerungsentwicklung aktiviert und das Interesse

19  Das Syndromkonzept im Geographieunterricht

245

geweckt. Mithilfe der Fotos und möglichen kurzen Zusatzinformationen durch die Lehrkraft benennen die Lernenden die Kernprobleme des globalen Wandels und verorten die Raumbeispiele auf einer Weltkarte. Anschließend werden sie mit dem Syndromkonzept vertraut gemacht und die einzelnen Beispiele den Syndromgruppen zugeordnet. Die abschließende Zusammenfassung des Syndromkonzepts bietet eine wichtige Grundlage für die weitere Arbeit. Im zweiten Teil könnte bereits gemeinsam im induktiven Verfahren ein Fallbeispiel diskutiert werden. Angebracht wäre es, mit dem Sahel- oder dem Aralsee-Syndrom zu beginnen, das die Lernenden bereits kennen dürften. Dabei sollte auch die Anfertigung eines Wirkungsgefüges thematisiert werden, wobei die Vorlage M12 zum Einsatz kommen kann. In der folgenden Doppelstunde analysieren die Schüler*innen zwei Fallbeispiele des Dust-Bowl-Syndroms aus Deutschland und Peru. Abb. 19.4 stellt die dominierenden landwirtschaftlichen Strukturen der Fallbeispiele sowie die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen und Wechselbeziehungen der Agrarindustrie am Beispiel des Oldenburger Münsterlands dar.

Biosphäre

Atmosphäre Eintrag klimaschädlicher Gase

Flächenversiegelung

Treibhauseffekt

Monokulturen

Bevölkerung / Gesellschaft

Wirtschaft Strukturwandel der Landwirtschaft

Traditionelle Familienverhältnisse

Gesundheitsschäden durch belastetes Trinkwasser

Psychosoziale Sphäre Anspruchssteigerung zunehmender Wohlstand wachsendes Umweltbewusstsein

Überdüngung

Bodenverdichtung und -erosion

Zunahme Wetterextreme

Biodiversitätsverlust

Hohe Geburtenraten, hoher Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund

Pedosphäre

Intensivierung der Landwirtschaft

Hydrosphäre Hohe Nitratwerte im Grundwasser Eutrophierung von Gewässern

Industrialisierung Globalisierung der Märkte

unsichere und gering bezahlte Arbeitsplätze, Saisonarbeit

Politische Rahmenbedingungen Einfluss lokaler / regionaler Interessensvertretungen

Verschlechterung der Wasserqualität

Technik / Wissenschaft neue Fütterungstechniken, Hochleistungsrassen, Pflanzenschutzmittel Automatisierung, Mechanisierung, Digitalisierung

Abb. 19.4   Erwartungshorizont zum Wirkungsgefüge des Dust-Bowl-Syndroms am Fallbeispiel Oldenburger Münsterland. (Eigene Darstellung nach Cassel-Gintz & Harenberg, 2002; Krings, 2012)

246

H. Lathan und A. Castillo Mispireta

Im Einstieg untersuchen die Schüler*innen Lebensmittel aus dem Oldenburger Münsterland und Peru. Diese sind in den meisten Supermärkten erhältlich. Es bieten sich z. B. Spargelprodukte oder Avocados aus Peru und Wurstprodukte oder Gemüse aus dem Oldenburger Münsterland an. Diese Herangehensweise hat sich in der Praxis bewährt, bietet Schüler*innen einen anschaulichen Zugang und einen Lebensweltbezug. Gemeinsam werden die Produkte betrachtet und das Unterrichtsgespräch gezielt auf landwirtschaftliche Intensivregionen gelenkt. Auf dieser Basis wird die Leitfrage entwickelt und die Beispiele regional eingeordnet. In der Erarbeitungsphase wird das weitere Vorgehen mit der kooperativen Lernmethode des Venn-Diagramms organisiert. Die Schüler*innen tragen zunächst wesentliche Aspekte und Probleme der beiden Fallbeispiele mithilfe der Materialien M1 bis M11 selbstständig zusammen und bearbeiten die Aufgaben ihres Arbeitsblattes. Die Ergebnisse dienen ihnen als Grundlage, um am konkreten Raumbeispiel den Syndromkern, die Ursachen und Wechselwirkungen zu identifizieren, den einzelnen Sphären zuzuordnen und somit ein Wirkungsgefüge zu entwickeln. Dabei kann das Schema der verschiedenen Sphären als Strukturierungsvorlage unterstützen und den Gruppenmitgliedern den Vergleich der einzelnen Ergebnisse erleichtern (Abb. 19.3). Für eine Durchführung des Unterrichtsbausteins in Klasse 8, 9 oder 10 kann im Sinne der didaktischen Reduktion ein induktives Vorgehen gewählt werden, bei dem im Klassenverbund gemeinsam ein Wirkungsgefüge zum Fallbeispiel Oldenburger Münsterland erstellt wird. Anschließend wenden sie diese systemische Vorgehensweise in Partner- oder Gruppenarbeit auf das zweite Fallbeispiel an. Den zweiten Schritt des Venn-Diagramms bildet die Partnerarbeit, bei dem die Symptome der zwei Fallbeispiele miteinander verglichen und im Schaubild eingetragen werden (M13, M14). Der Austausch über die spezifischen Probleme und Verflechtungen unterstützt die Lernenden dabei, Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den Ausprägungen und Entwicklungspfaden der zwei Raumbeispiele herauszuarbeiten. Sie erkennen, dass es sich bei den zwei Fallbeispielen zum DustBowl-Syndrom trotz unterschiedlicher regionaler Ausgangslagen und Ausprägungen um globale Muster mit ähnlichen Verläufen und Rückkopplungen für weltweite landwirtschaftliche Intensivregionen handelt. Variationen können von der Lehrkraft eingebracht werden, indem noch einmal spezifisch auf politische Rahmenbedingungen und/oder unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen in beiden Räumen eingegangen wird. Abschließend können Lösungsmöglichkeiten für eine nachhaltigere Entwicklung andiskutiert werden. Dafür sollten die erstellten Wirkungsgefüge genutzt werden. Zusätzliche Materialien zu aktuellen Entwicklungen in den Regionen können hierfür eine gute Hilfestellung und Diskussionsgrundlage bieten. In der Sicherung werden die Ergebnisse ausgewertet. Dazu präsentieren einige Gruppen ihre Wirkungsgefüge und Schaubilder, die ergänzt werden können. Gemeinsam wird die Leitfrage beantwortet. Die Handlungsoptionen können weiter im Plenum diskutiert werden. Es bietet sich an, das Syndromkonzept in folgenden Unterrichtsstunden anhand weiterer konkreter Fallbeispiele zu üben und festigen (vgl. Tab. 19.2). Denkbar ist ein

19  Das Syndromkonzept im Geographieunterricht

247

Tab. 19.2  Übersicht für einen Unterrichtsbaustein zum Dust-Bowl-Syndrom in einer Unterrichtseinheit zum Syndromkonzept. (Eigene Darstellung) Doppelstunde/Thema

Inhaltliche Schwerpunkte/Kompetenzen

1 Einstieg: Probleme des globalen Wandels – das Syndromkonzept (Einzelstunde)

– Probleme des globalen Wandels vorstellen (Fotos) – Kernprobleme des globalen Wandels benennen, Beispiele auf der Weltkarte verorten, Raum- und Lebensweltbezug herstellen – Syndromkonzept vorstellen (– Beispiel induktiv mit der Klasse erarbeiten)

2 Fallbeispiel I: Syndrom aus der Gruppe „Nutzung“

– Dust-Bowl-Syndrom: Fallbeispiele Oldenburger Münsterland und Ica, Peru im Wirkungsgefüge analysieren

3 Fallbeispiel II: Syndrom aus der Gruppe „Entwicklung“

Mögliche Fallbeispiele (Abb. 19.2)

4 Fallbeispiel III: Syndrom aus der Gruppe „Senken“

Mögliche Fallbeispiele (Abb. 19.2)

5 Zusammenfassung/ Abschluss

– Rückbezug zum Einstieg – Ggf. Schülervorträge/Plakate gestalten – Ggf. Erkundung durchführen

Transfer auf Syndrome der anderen Syndromgruppen mithilfe der gleichen Grundstruktur. Zudem sollte stets ein Rückbezug zur Einführungsstunde intendiert werden, indem auch eigene Handlungsoptionen auf lokaler Ebene diskutiert werden, welche die erarbeiteten Syndrome beeinflussen könnten. Zusammenfassend könnten weitere Handlungsprodukte entstehen wie beispielsweise Plakate, Vorträge oder selbst organisierte Erkundungen. Infobox 19.2: Weiterführende Informationen und Materialien zu den Fallbeispielen

Oldenburger Münsterland • Lambrecht, O. (2012). Die Spur der Schweine. Reportage des NDR. https:// www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Die-Spur-derSchweine,schweine149.html (16.12.2020). • Lathan, H. & Ortland, A. (2020). Förderung der Biodiversität in der Landwirtschaft des Oldenburger Münsterlandes – Projekte der Umsetzung gemeinsam diskutieren. Praxis Geographie 5 (2020), 32–36.

248

H. Lathan und A. Castillo Mispireta

• Lathan, H. & Ortland, A. (2020). Dürre in der Landwirtschaft – Anpassungsstrategien der Landwirte in Deutschland diskutieren. geographie heute 351 (2020), 28–32. • Tamasy, C. & Klein, O. (2021): Agrarische Intensivgebiete. https://www.bpb. de/themen/stadt-land/laendliche-raeume/334150/agrarische-intensivgebiete/ (01.11.2022). • Umfangreiches Karten- und Informationsmaterial: https://www.thuenen.de/ [Schweinehaltung, Geflügelhaltung] https://www.boell.de/ [Fleischatlas] Peru • Castillo-Mispireta, A. & Lathan, H. (2020): Superfood Avocado – Chiles „Grünes Gold“?. Geographie heute 349 (2020), 12–15. • Hepworth, N. D., Postigo, J. & Güemes Delgado, B. (2010). Drop by drop. Understanding the impacts of the UK’s water footprint through a case study of Peruvian asparagus. London: Progressio. https://www.progressio.org.uk/sites/ default/files/Drop-by-drop_Progressio_Sept-2010.pdf (14.04.2021). • Weltbank (2017). Gaining Momentum in Peruvian Agriculture. Opportunities to increase productivity and enhance competitiveness. Washington DC: World Bank. http://documents1.worldbank.org/curated/en/107451498513689693/pdf/ P162084-06-26-2017-1498513685623.pdf (14.04.2021). • Williams, P. & Murray, W. (2019). Behind the „Miracle“: Non-Traditional Agro-Exports and Water Stress in Marginalised Areas of Ica, Peru. Bulletin of Latin American Research 38 (5), 591–606. https://doi.org/10.1111/blar.12918 (14.04.2021).

Beitrag zum fachlichen Lernen Das Syndromkonzept bietet eine mehrperspektivische, systemische und strukturierte Herangehensweise, mit der komplexe Phänomene und Prozesse des globalen Wandels ganzheitlich und interdisziplinär betrachtet werden können. Die Lernenden nutzen bei der Anwendung der Arbeitsweise eine Handlungsfolge zur Problemanalyse und erarbeiten ähnliche Strukturen und Prozesse in Räumen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen. Damit wird die Fähigkeit des inhaltlichen, räumlichen und methodischen Transfers sowie das Erkennen von Entwicklungspfaden gefördert. Es dient der Förderung regionalgeographischer Kenntnisse und der Fähigkeit, Mensch-UmweltBeziehungen und deren gesellschaftliche Auswirkungen in unterschiedlichen Räumen zu analysieren und zu beurteilen. Es leistet daher einen Beitrag zur Vernetzung von naturund anthropogeographischen Fragestellungen.

19  Das Syndromkonzept im Geographieunterricht

249

Kompetenzorientierung • Fachwissen: S17 analysieren das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen; S18 erläutern systemisch an ausgewählten Beispielen die Auswirkungen der anthropogenen Nutzung und Gestaltung durch nicht nachhaltige industrielle Landwirtschaft; S19 charakterisieren das Agribusiness des Oldenburger Münsterlandes und von Ica, der südlichen Küstenregion Perus; S20 „mögliche ökologisch, sozial und/oder ökonomisch sinnvolle Maßnahmen zur Entwicklung und zum Schutz von Räumen (z. B. Tourismusförderung, Aufforstung, Biotopvernetzung, Geotopschutz) erläutern“ (DGfG, 2020: 15); S21 „Erkenntnisse auf andere Räume der gleichen oder unterschiedlichen Maßstabsebene anwenden sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede (z. B. globale Umweltprobleme, Regionalisierung und Globalisierung, Tragfähigkeit der Erde und nachhaltige Entwicklung) darstellen“ (ebd.); S23 transferieren ihre Erkenntnisse auf andere Räume unterschiedlicher Maßstabsebenen und stellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. • Räumliche Orientierung: S3 beschreiben die geographische Lage des Oldenburger Münsterlandes und von Ica. • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S8 erstellen ein Wirkungsgefüge. • Beurteilung/Bewertung: S2 identifizieren die Symptome des globalen Wandels und ordnen sie begründet einem Syndrom zu; S6 nehmen kritisch Stellung zu ausgewählten geographischen Aussagen. Der Unterrichtsbaustein bedient schwerpunktmäßig die Kompetenzbereiche Fachwissen, Erkenntnisgewinnung durch Methoden sowie Beurteilung und Bewertung. Im Zentrum stehen die Analyse des funktionalen Zusammenwirkens der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen sowie die daraus folgende Identifikation der Symptome des globalen Wandels und deren begründete Zuordnung. Dabei erfolgt die Nutzung vielfältiger Medien wie Karten beider Regionen, Bilder, die die spezifischen Problemstellungen illustrieren, zielführende Diagramme/Tabellen mit aktuellen Kennzahlen sowie Texte, welche die Lernenden bei der Erschließung der Sachverhalte unterstützen. Gleichzeitig werden auf diese Weise fachübergreifende Arbeitstechniken eingeübt. Durch zielführende Aufgabenstellungen werden die Schüler*innen in ihrem Kompetenzerwerb gelenkt und unterstützt. Ein Transfer auf andere Räume, eine kritische Stellungnahme und die Herstellung eines Lebensweltbezugs sollten von der Lehrkraft angeleitet und hergestellt werden. Klassenstufe und Differenzierung Der Unterrichtsbaustein wurde für die Durchführung in der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe konzipiert, in der globale Nutzungskonflikte und deren nachhaltige Lösung thematisiert werden (z. B. BY: Realschule 9, Gymnasium 10; NRW: gymnasiale Oberstufe, NDS: Oberschule 9/10, Gymnasium 10; LSA: Sekundarschule 9/10, Gymnasium 10). In diesem Kontext wird häufig in das Syndromkonzept als wissenschaft-

250

H. Lathan und A. Castillo Mispireta

liche Vorgehensweise und in die Entwicklung von Wirkungsgefügen eingeführt, um die Zusammenhänge zwischen den Faktoren zu verdeutlichen. Der Unterrichtsbaustein bedient schwerpunktmäßig die Kompetenzen Fachwissen, Erkenntnisgewinnung durch Methoden sowie Beurteilung/Bewertung. Globalisierungsfolgen und die Notwendigkeit nachhaltiger Ressourcennutzung werden mehrperspektivisch analysiert und mithilfe des Syndromansatzes beurteilt (vgl. Abschn. Kompetenzorientierung). Eine didaktisch-methodische Differenzierung kann nach den jeweiligen curricularen Vorgaben, den situativen und individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen oder über die Komplexität der Materialien vorgenommen werden. Räumlicher Bezug Oldenburger Münsterland, südliche Küstenwüste Perus (Region Ica) Die landwirtschaftlichen Intensivregionen Oldenburger Münsterland und Ica, die südliche Küstenregion Perus, stehen beispielhaft für eine nicht nachhaltige industrielle Bewirtschaftung von Böden, um maximal mögliche Erträge zu erhalten und so im internationalen Wettbewerb die steigende Verbrauchernachfrage zu bedienen (Syndromkern des Dust-Bowl-Syndroms). Dabei steht das Agribusiness im Oldenburger Münsterland in Deutschland stellvertretend für landwirtschaftliche Intensivregionen mit großen, konventionell bewirtschafteten Viehbeständen und Nutzflächen in Industrieländern; der Spargelanbau im Süden Perus repräsentiert die exportorientierte, wasserintensive Nahrungsmittelproduktion in ariden Küstenwüsten Lateinamerikas. Konzeptorientierung Deutschland: Systemkomponenten (Struktur, Funktion, Prozess), Maßstabsebenen (regional, national, international), Zeithorizonte (mittelfristig, langfristig), Raumkonzept (Beziehungsraum) Österreich: Diversität und Disparität, Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Interessen, Konflikte und Macht, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz: Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.2b, 3.2e), sich in Räumen orientieren (4.1, 4.2b)

19.4 Transfer Kernprobleme des globalen Wandels sind Bestandteile geographischer Curricula, die häufig noch isoliert voneinander betrachtet werden. Die Systematik des Syndromkonzepts bietet Gelegenheiten der Verknüpfung und Strukturierung der Lerninhalte, die sich den globalen Trends in unterschiedlichen Sphären (Wirtschaft, Hydrosphäre usw.) nähert und analysiert (vgl. Cassel-Gintz & Bahr, 2008). Mithilfe eines Wirkungsgefüges erfolgt die Darstellung der hoch komplexen Prozesse, die zwischen den einzelnen Sphären ablaufen (vgl. ebd.). Damit fördert das Syndromkonzept das vernetzte und problemlösende Denken, das forschende Lernen und unterstützt die Lernenden bei

19  Das Syndromkonzept im Geographieunterricht

251

der Erfassung komplexer Zusammenhänge. Aus fachdidaktischer Sicht leistet es einen Beitrag für die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im Sinne der Sustainable Development Goals (SDG) und bildet Synergien zu bekannten Modellen wie dem Nachhaltigkeitsviereck oder dem ökologischen Fußabdruck. Im Unterricht sollte darauf geachtet werden, dass auch die politischen Faktoren in den Raumbeispielen Berücksichtigung finden, um auch diese Wechselwirkungen in den unterrichtlichen Diskurs mit einzubeziehen. Verweise auf andere Kapitel • Budke, A., Kuckuck, M. & Engelen, E.: Argumentation. Raumnutzungskonflikte – Windkraft. Band 2, Kapitel 21. • Fögele, J., Mehren, R. & Rempfler, A.: Systemkompetenz. Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff. Band 1, Kapitel 17. • Hemmer, I., Hemmer, M. & Müller, M. X.: Interessenorientierung. Landwirtschaft – Ökologischer Anbau. Band 1, Kapitel 14. • Meyer, C.: Wertebildung. Landwirtschaft – Tierwohl. Band 1, Kapitel 15. • Reuschenbach, M.: Zukunftsorientierung. Globalisierung – Globale Warenketten. Band 2, Kapitel 19.

Literatur Cassel-Gintz, M., & Bahr, M. (2008). Syndrome des globalen Wandels. Ein integriertes Analyseinstrument des globalen Wandels und seine Einsatzmöglichkeiten im Geographieunterricht. Praxis Geographie, 8(2008), 4–10. Cassel-Gintz, M., & Harenberg, D. (2002). Syndrome des Globalen Wandels als Ansatz interdisziplinären Lernens in der Sekundarstufe. Ein Handbuch mit Basis- und Hintergrundmaterial für Lehrerinnen und Lehrer. BLK-Programm 21 (Hrsg.): Werkstattmaterialien Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung, Nr. 1. Berlin. www.institutfutur.de/transfer-21/daten/ materialien/Werkstattmaterialien/01.pdf. (06.12.2020). Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGFG). (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss mit Aufgabenbeispielen. Selbstverlag. Klohn, W. (2021). Landwirtschaft unter Anpassungsdruck. Praxis Geographie, Jahrgang 52(3), 4–8. Klohn, W., & Voth, A. (2009). Die Landwirtschaft in Deutschland (= VMG 5. Auflage). Vechtaer Druckerei und Verlag. Kulke, E. (2017). Wirtschaftsgeographie. UTB. Krings, T. (2012). Syndromansatz. In Rolfes, M. & Uhlenwinkel, A. (Hrsg.), Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht. Ein Leitfaden für Praxis und Ausbildung. Westermann. Schmied, D. (2018). Nahrungsgeographie. Westermann. Tamasy, C. (2014). Intensivierung der Landwirtschaft im Oldenburger Münsterland – Nutztierhaltung im Fokus der Nachhaltigkeit. Standort Magazin für angewandte Geographie, 38(4),203–207.

Wissenschaftsorientierung Umgang mit Faktizität am Beispiel des Klimawandels

20

Janis Fögele und Karl Walter Hoffmann

 Teaser  Hohe Komplexität, faktische Kontroversität und Nicht-Wissen-

Können zeichnen viele Themenbereiche der Geographie aus. Besonders bedeutsam ist dies im Fall der Klimawandelforschung bzw. Climate Change Education, zu der das Fach als Mensch-Umwelt-Disziplin ganz wesentlich beiträgt. Zugleich geht damit ein besonderer Anspruch für das Unterrichten einher, der im Beitrag mit dem Fokus auf Wissenschaftsorientierung bzw. einen wissenschaftsorientierten Geographieunterricht bearbeitet wird. Es wird dargelegt, welche Merkmale einen solchen Unterricht ausmachen und wie auf diese Weise nicht zuletzt das Wissenschaftsverständnis der Lernenden gefördert werden kann. Klimawandelforschung basiert auf Messungen bzw. Messreihen und Modellen, operiert mit Szenarien und Wahrscheinlichkeiten, agiert in einem Rahmen der Unsicherheit und soll zugleich Grundlage sein für gesellschaftspolitische Entscheidungen. Mit diesen Herausforderungen des Unterrichtsgegenstandes geht die Notwendigkeit von intersubjektiver NachErgänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_20. J. Fögele (*)  Institut für Geographie, Abt. Geographiedidaktik, Universität Hildesheim, Hildesheim, Deutschland E-Mail: [email protected] K. W. Hoffmann  Staatl. Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien, Speyer, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_20

253

254

J. Fögele und K. W. Hoffmann

vollziehbarkeit, methodischer Sauberkeit, Transparenz, Objektivität, kurz: der Notwendigkeit wissenschaftlichen Vorgehens einher. Für den Beitrag wird daher nach einigen Eckpunkten zur fachwissenschaftlichen Grundlage das didaktische Prinzip der Wissenschaftsorientierung ausgearbeitet und einem Unterrichtbaustein zugrunde gelegt.

20.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Klimawandel Das Klimasystem ist sehr komplex. Es wird von verschiedenen äußeren Faktoren beeinflusst und weist zahlreiche interne Schwankungen und Rückkopplungsprozesse auf. Eine Simulation der zukünftigen Entwicklung ist aufgrund dieses komplexen Zusammenwirkens sehr schwierig. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) haben 1988 ein wissenschaftliches Gremium ins Leben gerufen, das regelmäßig den jeweils neuesten Wissensstand zum Thema Klimaänderung in Sachstandsberichten zusammenfasst: der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC). Die Berichte des IPCC, in Deutschland auch Weltklimarat genannt, repräsentieren den aktuellen internationalen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Klimawandel und dem Umgang damit. 1991 von den Vereinten Nationen gegründet, hat der IPCC die Aufgabe, etwa alle fünf Jahre einen Sachstandsbericht zur Klimaveränderung vorzulegen. Dazu forscht der IPCC nicht selbst, sondern fasst die Ergebnisse der weltweiten Klimaforschung zusammen, über die Einigkeit besteht. In den bereits vorliegenden Sachstandsberichten hat der IPCC sich immer auch in sehr konzentrierten Botschaften, den Key Findings, geäußert. Der IPCC repräsentiert damit die Meinung von über 97 % aller Klimaforscher*innen. Chronologie der IPCC-Ergebnisse (www.de-ipcc.de): 1990: Umfassender Überblick über den Stand der Klimawissenschaft, die Diskussion von Unsicherheiten und Belege für die Erderwärmung. 1995: Die Abwägung der Nachweise legt einen erkennbaren menschlichen Einfluss auf das globale Klima nahe. 2001: Der größte Teil der Erwärmung der letzten 50 Jahre ist wahrscheinlich (> 66 %) menschlichen Aktivitäten zuzuschreiben. 2007: Die Erwärmung ist eindeutig und der Großteil der Erwärmung der letzten 50 Jahre sehr wahrscheinlich (90 %) auf den Anstieg der Treibhausgase zurückzuführen. 2013: Der menschliche Einfluss auf das Klimasystem ist klar! 2018: Die globale Erwärmung erreicht 1,5 °C wahrscheinlich zwischen 2030 und 2052, wenn sie mit der aktuellen Geschwindigkeit weiter zunimmt (hohe Wahrscheinlichkeit). 2021:  Sechster IPCC-Sachstandsbericht (AR6). Beitrag von Arbeitsgruppe 1: Naturwissenschaftliche Grundlagen zum aktuellen Zustand des Klimas (IPCC, 2021):

20 Wissenschaftsorientierung

255

1. Es ist eindeutig, dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, den Ozean und die Landflächen erwärmt hat. Es haben weit verbreitete und schnelle Veränderungen in der Atmosphäre, dem Ozean, der Kryosphäre und der Biosphäre stattgefunden. 2. Das Ausmaß der jüngsten Veränderungen im gesamten Klimasystem – und der gegenwärtige Zustand vieler Aspekte des Klimasystems – ist seit vielen Jahrhunderten bis Jahrtausenden beispiellos. 3. Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus. Seit dem Fünften Sachstandsbericht (AR5) gibt es stärkere Belege für beobachtete Veränderungen von Extremen wie Hitzewellen, Starkniederschlägen, Dürren und tropischen Wirbelstürmen sowie insbesondere für deren Zuordnung zum Einfluss des Menschen. 4. Auf Basis von verbesserten Kenntnissen über Klimaprozesse, paläoklimatische Nachweise und die Reaktion des Klimasystems auf zunehmenden Strahlungsantrieb lässt sich die Gleichgewichtsklimasensitivität am besten mit 3 °C beziffern, wobei die Bandbreite im Vergleich zum AR5 eingegrenzt wurde. Das Zustandekommen dieses Sachstandsberichts – im Zusammenhang mit der Gewinnung und der begründeten Auflistung sicheren fachlichen Wissens – ist von hohem Bildungswert. Schüler*innen erhalten durch die Beschäftigung mit dem IPCC-Bericht wertvolle Einblicke in die Wege wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung und den Umgang mit (un-)sicherem fachlichem Wissen. Leitende Unterrichtsprinzipien bei der Behandlung solch komplexer Themen im Fachunterricht sind insbesondere das Kontroversitätsprinzip, die Förderung der Argumentationsfähigkeit, das Explizit-Machen unsicheren Wissens, die Wissenschaftsorientierung, das Training von Quellenbewusstsein und die Anwendung reduktivorganisierender Strategien (Ohl, 2013, 2018). Solche Prinzipien ermöglichen die Anbahnung und Weiterentwicklung des Wissenschaftsverständnisses der Schüler*innen wie auch von deren Quellenbewusstsein, welches aufgrund der Pluralität von (Sach-) Informationen zu geographischen Themenfeldern von hoher Relevanz ist. Vor diesem Hintergrund sind ein „Lehren und Lernen über Geographie“ (Bette, 2013) und die Förderung des fachlichen Metawissens von grundlegender Bedeutung und stellen einen unverzichtbaren Bestandteil geographischer Bildung dar. Weiterführende Leseempfehlung • IPCC, 2021: Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In: Naturwissenschaftliche Grundlagen. Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)]. In Druck. Deutsche Übersetzung auf Basis der Druckvorlage, Oktober 2021. Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle, Bonn; Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt,

256

J. Fögele und K. W. Hoffmann

Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Wien; Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT, ProClim, Bern, Februar 2022. • Umweltbundesamt (Hrsg.): Monitoringbericht 2019 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Anpassungsstrategie der Bundesregierung. Berlin 2019. Problemorientierte Fragestellungen • Was können wir über den Klimawandel wirklich wissen? • Wie entsteht dieses Wissen, wie können wir es überprüfen, uns darüber verständigen und es nutzen?

20.2 Fachdidaktischer Bezug: Wissenschaftsorientierung Wissenschaft gilt seit Jahrzehnten als zentrale Referenz für schulisches Lernen (Thomas, 2015). Analog zu anderen Fächern, etwa dem zum Sachunterricht weiterentwickelten Fach Heimatkunde, ist es der Wandel von eher beschreibend landeskundlichen Zugriffen des Erdkunde- zu eher erklärend nomothetisch ausgerichtetem Geographieunterricht, der die Bedeutung von Wissenschaftlichkeit im Unterrichtsfach erhöhte. Als didaktisches Prinzip zielt die Wissenschaftsorientierung grundsätzlich darauf ab, dass wissenschaftliche Theorien und Erkenntnisse im Unterricht fachlich angemessen und korrekt dargestellt werden, Unterricht also an wissenschaftlichen Erklärungen orientiert ist (Rinschede, 2005: 53). Darüber hinaus zählt die Strukturierung von Lerngegenständen (bspw. mithilfe von fachlichen Basiskonzepten; vgl. Detjen, 2013; Thomas, 2015), die Einbindung fachwissenschaftlicher Arbeitsweisen und Erkenntnismethoden (bspw. Arbeit mit Karten, Diagrammen, Modellen oder Experimenten) und das In-BeziehungSetzen wissenschaftlicher Untersuchungen mit lebensweltlichen Kontexten im Unterricht zu den Merkmalen eines an Wissenschaftlichkeit orientierten Geographieunterrichts (Rinschede, 2005: 53). Globale Entwicklungen des Mensch-Umwelt-Systems im Allgemeinen (Globalisierung, Informationsgesellschaft etc.) und der Klimawandel im Besonderen erzeugen zusätzliche Anforderungen, aber auch Relevanz wissenschaftlichen Wissens und dem Umgang damit. Mit der Komplexität des Gegenstandes geht faktische Kontroversität, aber auch eine gewisse Unsicherheit und kurzfristige Gültigkeit von Wissen einher (Gagel, 2005), womit eine neue Bedeutung einer Wissenschaftsorientierung im Geographieunterricht verbunden ist (Ohl, 2013). Mehrere didaktische Konzepte versuchen damit verbundene Zielsetzungen schulischen Lernens zu rahmen. Das Verständnis für die grundlegenden Prinzipien und Prozesse der (Natur-)Wissenschaften wird in Anlehnung an andere zentrale Kulturtechniken als Scientific Literacy bezeichnet (Gräber et al., 2002; Kattmann, 2003), das etwa hierarchisiert wird von einer rein begrifflichen über eine konzeptionell-prozedurale bis hin zu einer multidimensionalen (natur-)wissenschaftlichen Bildung. In vergleichbarer Weise

20 Wissenschaftsorientierung

257

wird mithilfe des Nature of Science-Ansatzes (NOS) intendiert, die epistemologischen Grundlagen wissenschaftlicher Wissensgenerierung mit dem Lernen im schulischen Fachunterricht in Verbindung zu bringen (Höttecke, 2008; exemplarisch für die Geographie: Bette, 2013). Nicht selten wird eine relativ hohe Überschneidung des Konzepts mit dem Ansatz der epistemologischen Überzeugungen festgestellt (Neumann & Kremer, 2013; Schauß & Sprenger, 2019). Schließlich kann als dritter Bezugsrahmen der Wissenschaftsorientierung das forschende Lernen bzw. der Inquiry-Based Learning-Ansatz (Brumann et al., 2019) herangezogen werden, der den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess an authentischen Fragestellungen für Lernende im Unterricht erfahrbar macht. Ausgangspunkt für unterrichtliche Lernprozesse sind jeweils die bei Lernenden bestehenden Präkonzepte bzw. bestehende Kompetenzen. Für den in diesem Beitrag exemplarisch gewählten Themenbereich der Klimafolgenforschung kann auf erste geographiedidaktische Arbeiten zurückgegriffen werden. Beispielsweise untersucht Schuler (2011) Alltagstheorien von Lernenden zu Ursachen und Folgen des Klimawandels, wobei diese bereits im Rahmen von Unterrichtskonzepten zur Weiterentwicklung aufgegriffen (Felzmann, 2018) und die Entwicklungen der Vorstellungen aufseiten der Lernenden empirisch untersucht wurden (Schauß & Sprenger, 2019). Auch kann auch Konzepte forschenden Lernens aus dem Bereich der Geographiedidaktik zum Thema zurückgegriffen werden (Brumann et al., 2019). Darauf aufbauend kann das Prinzip der Wissenschaftsorientierung für die Geographiedidaktik konkretisiert werden, um im Anschluss daran exemplarisch eine mögliche praktische Umsetzung aufzuzeigen. Als Synthese aus den zuvor skizzierten Referenzen (für eine vergleichende Analyse von z. B. NOS-Aspekten siehe Neumann & Kremer, 2013) wurden die nachfolgenden sechs Dimensionen erarbeitet, die zentrale angestrebte Kompetenzen im Rahmen der Wissenschaftsorientierung aus Sicht der Lernenden darstellen sollen. Dabei nehmen die ersten drei (a–c) die Prozesse der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung in den Blick. Demgegenüber adressieren die Perspektiven (d–f) den Umgang mit wissenschaftlicher Erkenntnis im sachbezogenen Diskurs. Sechs Dimensionen des didaktischen Prinzips der Wissenschaftsorientierung im Geographieunterricht: Prozesse der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung (a–c) a) Lernen auf der Basis wissenschaftlicher Quellen sowie mithilfe wissenschaftlicher Konzepte und Begriffe b) Lernen über die Entstehung und Ableitung eigener wissenschaftlicher Aussagen mithilfe fachspezifischer Arbeitsweisen c)  Lernen, wissenschaftliche Information vor dem Hintergrund von sachbezogener Bedeutsamkeit sowie empirischer Faktizität und Evidenz zu lesen Umgang mit wissenschaftlicher Erkenntnis (d–f) d) Lernen, wissenschaftliches Denken als kritische Praxis zu begreifen, auch zur Unterscheidung von Tatsachen und Meinungen

258

J. Fögele und K. W. Hoffmann

e) Lernen zur Bedeutung von Multiperspektivität und Kontroversität und der Begrenztheit von Wissen f) Lernen zum verantwortlichen Umgang mit Wissen(schaft) und Verständigung über Welt Weiterführende Leseempfehlung Keller, L. & Stötter, J. (2020). Klimawandel Anpassung Lernen: Eine Handreichung für Lehrer*innen und Schüler*innen der Sekundarstufe II. Innsbruck: Institut für Geographie, Arbeitsgruppe Education & Communication for Sustainable Development, Universität Innsbruck. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Basiskonzepte/Geoconcepts, Epistemologien des Fachs, faktische Komplexität und unsicheres Wissen,  kritisches Denken, Perspektivenwechsel/Konstruktivismus, entdeckendes und forschendes Lernen, Modellkompetenz, Kommunikation und Argumentation

20.3 Unterrichtsbaustein: Klimawandel im Geographieunterricht – wissenschaftlich beleuchtet Der Unterrichtsbaustein verfolgt das Ziel, die sechs Dimensionen des fachdidaktischen Prinzips der Wissenschaftsorientierung in verschiedene Lernanlässe zu überführen. Diese hier vorgeschlagenen Lerngelegenheiten besitzen Angebotscharakter und bilden eine große Anschlussfähigkeit an aktuelle Lehrplanvorgaben und an Schulen eingeführte Lehrwerke bspw. des Westermann-, Klett- oder Cornelsen-Verlages für den Oberstufenunterricht. Das didaktische Prinzip der Wissenschaftsorientierung ist mit einem mehrdimensionalen Lernen verknüpft und kann demzufolge in die eigene Unterrichtspraxis vertiefend eingebaut werden. Je nach Schwerpunktsetzung können aus der folgenden Lernschrittabfolge I bis III schüleraktivierende Aufgaben, vertiefende Arbeitsaufträge und weiterführende Gesprächsimpulse für die eigene Unterrichtsplanung zur Verstärkung des wissenschaftsorientierten Lernens ausgewählt werden. Mithilfe der „Wissenschaftlichkeit“ im Geographieunterricht soll (auch) ein Denkmuster der Vernunft für die rationale Auseinandersetzung mit dem Klimawandel angebahnt, gefördert und gefordert werden. Das Prinzip der Wissenschaftsorientierung lässt sich in vielfältiger Weise in vielen anderen komplexen und kontroversen Unterrichtsthemen didaktisch einbetten. Für die sechs Dimensionen des Prinzips der Wissenschaftsorientierung werden im Unterrichtsbaustein neben Druckvorlagen (Arbeitsblätter) auch unterschiedliche Varianten (Alternativen) mit differenzierten Zugangsweisen und Schwierigkeitsgraden

20 Wissenschaftsorientierung

259

ausgewiesen. Je nach Leistungsstand der Lerngruppe können mithilfe dieser Varianten auch unterschiedliche Anforderungsbereiche ausgewählt und abgedeckt werden. Alle Varianten besitzen Angebotscharakter und sollen ebenfalls helfen, die verschiedenen Dimensionen eines wissenschaftsorientierten Lernens im Geographieunterricht zu konkretisieren. Die Konzeption des hier vorgestellten Unterrichtsbausteins ist daran orientiert und lässt sich in die Teile I bis III und einen Abschluss des Unterrichtsbausteins gliedern. Die im Nachfolgenden genannten Arbeitsblätter und Materialien sind dem digitalen Materialanhang (A: Unterrichtsbaustein mit Druckvorlagen; B: Unterrichtsbaustein mit Varianten) zu diesem Beitrag zu entnehmen. I: Lernprozessanregung Infobox 20.1: Zitat zur Fridays for Future-Bewegung

„Mit der Übergabe einer Petition haben sich am Freitag offiziell 23.000 Wissenschaftler hinter die Streikenden gestellt. Die Bewegung braucht die Schützenhilfe dringend – aber auch die Forscher profitieren von den Jugendlichen.“ (Anton & Obertreis, 2019)

Mithilfe dieses Zitats wird der Einstieg gestaltet und das Vorwissen der Schüler*innen aktiviert. Diese Phase der Lernprozessanregung verfolgt drei Ziele: eine lohnende Fragestellung identifizieren, das relevante Problem geographisch und persönlich befragen, eigene Vorstellungen und Strategien entwickeln. Leitend für dieses Ankommen im neuen Lernkontext sind folgende Leitfragen für das Unterrichtsgespräch: Warum und wie macht die Wissenschaft die Jugendlichen stark? Wie betrachtet ein*e Geograph*in den Klimawandel? Was leistet die „Wissenschaft“ Geographie in der Klimawandelforschung und im Klimaschutz? Wie profitiere ich persönlich von der Wissenschaft? Was hat die Gesellschaft davon? Gibt es, wenn du an Demonstrationen teilnimmt und dich an Protesten beteiligst, (aufgrund deiner Kenntnisse) Unbehagen? II: Prozesse der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung (a–c) a)  Lernen auf der Basis wissenschaftlicher Quellen sowie mithilfe wissenschaftlicher Konzepte und Begriffe Fokussiert wird in einer weiteren Unterrichtsphase ein Lernen auf der Grundlage wissenschaftlicher Quellen. Für den Oberstufenunterricht wird hierbei eine grundlegende Lernstrategie im Umgang mit (allgemeinen) Quellen bei den Schüler*innen vorausgesetzt. In gängigen Lehrwerken für die Sekundarstufe I werden neben einem GEO-Lexikon auch GEO-Methoden ausgewiesen und in Form von Kompetenzchecks wiederholt und geübt. Dabei eignet sich bei der Methode „Erschließung und Deutung von Quellen“ die Anwendung verschiedener Fragewörter wie: Wo? Was? Wer? Warum? Wozu? Wann?

260

J. Fögele und K. W. Hoffmann

Wie? Wem? Auch eine Sammlung von Aspekten zur Interpretation von Quellen stellt eine wichtige Lernhilfe für Schüler*innen dar: Verfasser; Urheberschaft; Entstehungsort; Entstehungszeit; Art der Quelle; Adressatenkreis; Inhalt der Quelle; zentrale Aussagen; Motivation; Kontext; kritisches Hinterfragen des Inhalts. Konkret bedeutet dies nun, dass Schüler*innen mit einem Leitfaden für den Umgang mit Quellen arbeiten. Mithilfe dieses Leitfadens werden zwei unterschiedliche Texte zum „Treibhauseffekt“ vergleichend analysiert und beurteilt: Text 1: Was ist der Treibhauseffekt? Einfach erklärt. Anna Hegeler vom 05.01.2022 für „FOCUS online“. Text 2: Klima und Treibhauseffekt. Quelle: Umweltbundesamt vom 23.04.2021: www. umweltbundesamt.de Bei dieser Textanalyse wird die (Weiter-)Entwicklung eines Quellenbewusstseins zentriert. Die sich anschließende Auswertungsphase kann entlang folgender Impulsfragen moderiert werden: „Beurteile den Lerneffekt bei der Verwendung des Leitfadens zur Quellenanalyse!“ „Welchen Quellen kann ich trauen?“ „Was kennzeichnet eine vertrauenswürdige Quelle?“ „Begründe, inwieweit eine wissenschaftliche Quelle eine Orientierungshilfe darstellt!“ Als mögliche Weiterführung können im weiteren Unterrichtsverlauf die Lernmedien gewechselt werden. Nach Phasen der Textarbeit folgen nun kritische Auseinandersetzungen mit Bildmedien. Dabei werden Alltagsgeographien der Schüler*innen lernwirksam auf Wissenschaftskonzepte bezogen. Aufgabe Zeichne ein eigenes Modell, das den anthropogenen Treibhauseffekt erklärt. Beschrifte deine Zeichnung bzw. lege eine Legende an. Welche Begriffe sind von zentraler Bedeutung, welche Gesetzmäßigkeiten finden sich wieder? Verfasse eine kurze zusammenfassende Erklärung. Vergleiche abschließend deine Modellzeichnung mit einer wissenschaftlichen Modellskizze! (Vgl. „Was ist ein Klimamodell und wozu braucht man es?“ Online: „Klimawandel und Klimafolgen“ (klimafolgenonline-bildung.de) – Stichworte: Klimawissen und Klimamodelle) b) Lernen über die Entstehung und Ableitung eigener wissenschaftlicher Aussagen mithilfe fachspezifischer Arbeitsweisen Als eine weitere Lernvoraussetzung wird der in der Sekundarstufe zugrunde gelegte naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnungsprozess bewusst eingebunden. Bei der Anwendung und Durchführung fachspezifischer Arbeitsweisen wird im Unterricht nun das Experimentieren fokussiert. Der naturwissenschaftliche Erkenntnisgang folgt dabei dem sog. „Ablaufplan beim Experimentieren“: Problemfindung – Planung – Durchführung – Auswertung – Interpretation (vgl. hierzu DGfG, 2020, S. 77 im Kontext der Aufgabe 10 der Bildungsstandards). Dieser Ablaufplan findet Anwendung bei einer Vielzahl von Schülerexperimenten. Kurz: „Klima mit dem Koffer verstehen“. Wissenschaftliche Hintergründe und Folgen

20 Wissenschaftsorientierung

261

des Klimawandels können mit den Experimenten des Klimakoffers für Schüler*innen experimentell erfahrbar gemacht werden (vgl. Klimakoffer – Klimawandel: verstehen und handeln (www.klimawandel-schule.de)). In diesem Koffer, herausgegeben im Jahre 2019 von der Fakultät für Physik der LMU, werden zwölf spannende und herausfordernde Experimente (mit zugehörigen Arbeitsaufträgen, Materialien für die jeweiligen Unterrichtsmodule in Abschn. 6.5; einsetzbar ab Jahrgangsstufe 8) vorgestellt: 1. Die Erde im Sonnensystem: Wie besonders ist die Erde? 2. Strahlungsgleichgewicht und Albedo der Erdoberfläche 3. Erwärmung verschiedener Luftschichten: Was erwärmt die Luft? 4. Der unsichtbaren Infrarotstrahlung auf der Spur 5. Die Absorption von Wärmestrahlung durch CO2 – Der Treibhauseffekt 6. Wo die Wärme hingeht: Die Ozeane als Klimapuffer 7. Die Sonnenstrahlung und die Klimazone der Erde 8. Anstieg des Meeresspiegels 9. Versauerung der Ozeane 10. Freisetzung von CO2 11. Anzeichen des Klimawandels in Bayern auf der Spur 12. Anzeichen des Klimawandels in Deutschland auf der Spur Für die unterrichtliche Umsetzung werden Projekte oder das Stationenlernen (als eine Form des offenen Unterrichts) empfohlen. Die sich anschließende Auswertungsphase kann entlang folgender Impulsfragen gestaltet werden: Was hast du beim Experimentieren über die Arbeit von Wissenschaftler*innen erfahren? Wie gewinnen Wissenschaftler*innen neue Erkenntnisse? Wissenschaftler*innen haben sich dem Prinzip verschrieben, dass ihre Erkenntnisse methodisch gesichert sind. Erläutere und beurteile dieses Prinzip! c) Lernen, wissenschaftliche Information vor dem Hintergrund von sachbezogener Bedeutsamkeit sowie empirischer Faktizität und Evidenz zu lesen Im weiteren Unterrichtsverlauf können nun wahre und unwahre Aussagen voneinander unterschieden werden. Leitend sind dabei die Reflexion von Mythen und die kritische Auseinandersetzung mit strittigen Thesen, die Reflexion der zugrunde liegenden Motive und beobachtbaren Argumentationsmuster (Lemke, 2019). „Drei Stammtischparolen – und wie Sie ihnen Paroli bieten – Argumentationshilfe gegen Klimaleugner“, so titelte am 22. September 2019 der „Spiegel“: https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/klimawandel-antworten-auf-die-wichtigstenargumente-der-leugner-a-1286437.html Mythos 1: Klimaveränderungen gab es schon immer. Mythos 2: Der CO2-Anteil der Luft ist viel zu niedrig, als dass das Gas einen Effekt haben könnte.

262

J. Fögele und K. W. Hoffmann

Mythos 3: Selbst Klimaforscher sind sich uneinig, ob es den menschengemachten Klimawandel gibt. Eine mögliche Alternative stellt der folgende Arbeitsauftrag dar: Recherchiert im Internet nach weiteren Mythen zum Klimawandel (Suchbegriffe: Fakten und Mythen zum Klimawandel; Klimawandel-Skeptiker; Fakten statt Behauptungen). Systematisiert eure Ergebnisse in tabellarischer Form, indem ihr nach Thesen und Fakten gliedert. Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein abschließender Impuls für ein gemeinsames Unterrichtsgespräch: „Der Klimawandel ist menschgemacht – Fake oder Fakt?“ III: Umgang mit wissenschaftlicher Erkenntnis (d–f) d) Lernen, wissenschaftliches Denken als kritische Praxis zu begreifen, auch zur Unterscheidung von Tatsachen und Meinungen Im weiteren Unterrichtsverlauf werden im Kontext der Unterscheidung von Tatsachen und Meinungen eine eher einfachere lernmethodische Erarbeitung und ein anspruchsvoller Grundkurs „Desinformation“ vorgeschlagen. Lernmethode: „Tatsachen und Meinungen“ „Tatsachen sind beweisbar, Meinungen sind argumentierbar. Tatsachen sind nicht argumentierbar [wenngleich MIT ihnen durchaus argumentiert werden kann; Anm. d. Autoren], Meinungen nicht beweisbar. […] Tatsachen-und-Meinungen-Aufgaben eignen sich besonders gut für ein Thema, das die Schüler bereits zu kennen glauben. Die mehrperspektivische Sichtweise in den Aufgaben ermöglicht ihnen eine Verbreiterung ihres Verständnisses durch die Beschäftigung mit anderen Interpretationen“ (Schuler, 2013: 138). Vorgegebene und gesammelte Aussagen zum Klimawandel werden im  Sinne dieser Lernmethode von Schüler*innen bewertet und begründet den „Tatsachen“ bzw. den „Meinungen“ zugeordnet. Schüler*innen können ggf. selbst eigene Aufgaben konstruieren und diese sich gegenseitig vorstellen und diskutieren lassen. Weiterführende Klassifizierungsaufgabe: Unter der übergeordneten Fragestellung „Sind die Menschen für den Klimawandel im 20. und 21. Jahrhundert verantwortlich?“ (Schuler, 2013: 148) sammeln Schüler*innen (im Internet) unterschiedliche Aussagen zum Thema „globaler Klimawandel“. Jede gesammelte Aussage wird auf ein Kärtchen geschrieben und alle werden in einen Briefumschlag gesteckt. Die Briefumschläge werden im Rahmen einer Gruppenarbeit getauscht und alle Kärtchen bzw. Aussagen nach den drei Rubriken (weitgehend akzeptierte) „Fakten“, „Unsicherheiten“ und „Prognosen“ klassifiziert. Schüler*innen werden aufgefordert, ihre Entscheidungen zu begründen. Anschließend kann im Plenum über den unterschiedlichen Charakter von wissenschaftlichen Fakten, Beweisen, Schlussfolgerungen und Bewertungen diskutiert werden.

20 Wissenschaftsorientierung

263

Grundkurs: „Desinformation“ nach John Cook gestalten: Der Blog „Klimafakten.de“ stellt in einem Beitrag das sogenannte FLICC-Konzept (Fake Experts, Logical Fallacies, Impossible Expectations, Cherry Picking, Conspiracy Theories) vor, auf Deutsch PLURV (Pseudoexperten, Logikfehler, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei, Verschwörungsmythen). Neben diesem Beitrag stellen die Betreiber des Blogs gut aufgearbeitetes Basiswissen, Infografiken, Branchenberichte und ein ausführliches Glossar zur Verfügung, welches direkt unterrichtlich eingesetzt werden kann. Mithilfe der PLURV-Methode (online auch ausgewiesen als Grafik bzw. Lernplakat) erwerben sich Schüler*innen Strategien, mit denen die „Nebelmaschine der Desinformation“ arbeitet. Dies ist von besonderer Relevanz, weil noch immer in politischen Diskussionen grundlegende wissenschaftliche Fakten falsch dargestellt werden. An dieser Stelle wird auf eine praxisstarke Unterrichtsreihe in Form eines Gruppenpuzzles (mit Stamm- und Expertengruppen sowie Arbeitsmaterialien und Lösungshinweisen) von Luisa Betz verwiesen, die folgende Zielsetzung ausweist: Schüler*innen erwerben wichtige Kompetenzen, „um die Argumente von Leugner*innen zu erkennen. Durch ihre Kenntnis ist es selbst bei geringfügiger Expertise auf dem Gebiet der Klimawissenschaften möglich, Falschinformationen der Leugner mit logischem Denken zu entlarven“ (Betz, 2021). e) Lernen zur Bedeutung von Multiperspektivität und Kontroversität und der Begrenztheit von Wissen Um der Mehrperspektivität im Unterricht gerecht zu werden, ist es sinnvoll, wiederholt den lebensechten Kontext der „Fridays for Future“-Bewegung zu wählen. Verschiedene Akteur*innen sind daran beteiligt, verschiedene Institutionen beurteilen dieses Engagement auch sehr unterschiedlich. Vor diesem Hintergrund können den Schüler*innen verschiedene „Rollen“ angeboten werden: Klimaaktivist*in, Wissenschaftler*in, Politiker*in, Wirtschaftslobbyist*in, Jurist*in, Schulleiter*in, Klimaskeptiker*in, Elternsprecher*in u. v. m. Im Unterricht wird eine Podiumsdiskussion „Sollen wir uns an der Fridays for FutureBewegung beteiligen?“ geplant, durchgeführt und ausgewertet. Von zentraler Bedeutung ist, dass Schüler*innen mithilfe einer Rollenkarte eine entsprechende Argumentationsstruktur entwickeln und diese auf dem Podium argumentativ vertreten (Abb. 20.1). Die Auswertung nach der Podiumsdiskussion kann entlang folgender Fragen im Plenum gestaltet werden: Welche Argumente waren überzeugend, welche weniger? Konnte unsere Problemfrage beantwortet werden? Welche Bedeutung kam den „wissenschaftlichen“ Argumenten zu? Welche Rolle spielte der/die Klimaforscher*in? … Hierbei ist die Weiterentwicklung von Argumentationsfähigkeiten der Schüler*innen eine zentrale Zielperspektive. Gerade bei solch vielschichtigen Fragestellungen, bei denen sich verschiedene Interessengruppen mit unterschiedlichen Begründungen unterschiedlich positionieren, spielt die Argumentations-/Kommunikationskompetenz eine ganz besondere Rolle.

264

J. Fögele und K. W. Hoffmann

Meine Rollenkarte I: Wer bin ich?    

Alter? ______________________________________________________________________ Beruf? ______________________________________________________________________ Herkun? ___________________________________________________________________ … __________________________________________________________________________

II: Was will ich erreichen?  Ziel? _______________________________________________________________________  Mit wem verstehe ich mich im „Rollenspiel“ gut, mit wem nicht? _______________________  … __________________________________________________________________________ III: Wie werde ich argumeneren?

Mein „strategisches“ Reden und Argumeneren: Satz 1: Problem und Einführungssatz: ___________________________________________________ Satz 2: Erstes (sachlich fundiertes) Argument: _____________________________________________ Satz 3: Zweites (sachlich fundiertes) Argument: ___________________________________________ Satz 4: Dries (sachlich fundiertes) Argument: ____________________________________________ Satz 5: Entscheidung und Zielsatz: ______________________________________________________

Abb. 20.1   Übersicht Unterrichtsverlauf (Idee und Entwurf: K. W. Hoffmann)

20 Wissenschaftsorientierung

265

f) Lernen zum verantwortlichen Umgang mit Wissen(schaft) und Verständigung über Welt Bei der unterrichtlichen Umsetzung dieser Dimension besitzen die Reflexion über den öffentlichen Diskurs, die Medienkritik und der Sprachwandel eine zentrale Bedeutung. Expert*innen, Germanist*innen und Sprachwissenschaftler*innen sollen im Unterricht zu Wort kommen. Je nach Lerngruppe kann man zum Beispiel das „Unwort des Jahres“ ohne Erklärung präsentieren und den Begriff gemeinsam reflektieren. Das Wort des Jahres 2018: „Heißzeit“. Das Unwort des Jahres 2019: „Klimahysterie“. Aktuell mehren sich die Forderungen nach einer „klimagerechten Sprache“. Gewinnbringend hierbei ist die Diskussion, wie wir richtig über das Klima sprechen. Erläutere den Zusammenhang, wie ihn der Germanist und Sprachwissenschaftler Prof. Kersten Sven Roth erklärt (Quelle: Olga Patlan im Interview mit Kersten Sven Roth vom 29.07.2021: „Klimawandel, -krise oder -katastrophe? Wie wir richtig übers Klima sprechen“. Reihe: mdr WISSEN. Online: www.mdr.de). 2019 wurde das Wort „Klimahysterie“ zum Unwort des Jahres gekürt. Eine Jury hatte es aus mehr als 600 Einsendungen und fast 400 Vorschlägen gewählt. In der Auswahl waren viele Begriffe zu Ökologie und Klima. Erarbeite die Begründung der Jury mithilfe des Gastbeitrags des Journalisten und Buchautors Stephan Höbel für klimareporter.de (Quelle: Hebel, S. (2020): „,Klimahysterie‘ und die Verwilderung der Sprache“. Online: https://www.klimareporter.de/gesellschaft/klimahysterie-und-die-verwilderung-dersprache, 16.01.2020). Abschluss: Gedanklicher Rahmen des Unterrichtsbausteins Der folgende Text kann als Gesamtrahmen bzw. auch als Zielpunkt der verschiedenen Lerngelegenheit verstanden werden. Er dient als Hintergrundinformation für die Lehrperson. Auch können in Auswahl und reduzierter Form Teilaufgaben für Schüler*innen abgeleitet und Impulse für ein fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch fruchtbar gemacht werden: Begründe, warum „Evidenzbegründung“ nach wie vor ein Prinzip der Politik ist! „Ihr kritisches Potenzial macht die Wissenschaft zu einer Säule der Demokratie.“ – Beziehe dazu Stellung! Infobox 20.2: „Wahres“ Wissen und demokratisch verfasste Gesellschaft

„Die Fragen, auf die Leugner von Fakten eine Antwort geben müssen, lauten: Woran orientieren sie ihr Handeln? Wie stellen sie sich eine Einigung vor, wenn sich widerstreitende Argumente nicht unter Bezug auf Evidenzen lösen lassen? Es gibt derzeit keinen vertretbaren Gesellschaftsentwurf, der von der Funktion gesicherten Wissens als Basis von Konsensfindung absehen würde. Ganz im Gegenteil: Evidenzbegründung ist nach wie vor Prinzip der Politik sowie der Beilegung oder Vermeidung von Konflikten, die sich aus widersprüchlichen Meinungen ergeben.

266

J. Fögele und K. W. Hoffmann

Die inzwischen immer lauter werdende Kritik an der Verbreitung von Falschmeldungen über die sozialen Medien deutet nicht darauf hin, dass die Gesellschaft viel Freude am „Postfaktischen“ hätte. Vielmehr scheint sich ein Gefühl der Desorientierung, des Betrogenseins zu verbreiten. Die Gesellschaft hat also eine Vorstellung von gesichertem Wissen, von Fakten und warum es wichtig ist, sie von Fakes zu unterscheiden. Tatsächlich gilt die Wissenschaft trotz zunehmender Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Institutionen nach wie vor als vertrauenswürdige Institution. Ihr kritisches Potenzial macht die Wissenschaft zu einer Säule der Demokratie. Alle modernen Demokratien gewähren unter den Grundrechten die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Wissenschaft. Letztere wird zwar nicht überall explizit in den Verfassungen erwähnt, sondern leitet sich etwa aus der Pressefreiheit ab. Beide Freiheiten sind wichtige Mechanismen der Machtkontrolle: Die Freiheit der Meinung schützt den Einzelnen vor staatlicher Willkür, wenn er sich kritisch äußert, und sichert zugleich die kritische Funktion der Presse. Die Freiheit der Wissenschaft schützt die Wissenschaftler vor staatlicher Willkür, wenn sie politisch unliebsame Forschungsergebnisse publizieren. Meinungen können jedoch nicht gegen Forschungsergebnisse ausgespielt werden, sondern finden an diesen ihre Grenze.“ (Weingard, 2017)

Beitrag zum fachlichen Lernen Aus fachlicher Perspektive kann von einer Erweiterung des Konzeptwissens zum Klimawandel ausgegangen werden. Der Unterrichtsbaustein leistet konkret einen Beitrag zu einem Verständnis des Fachs Geographie aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel heraus. Die Schüler*innen festigen und erweitern ihre fachlichen Kompetenzen im Bereich Klimawandel. Zudem wird deutlich, dass wissenschaftliche Regelhaftigkeiten auf Basis empirischer Erkenntnisse (vgl. IPCC) und theoretischer Überlegungen modifizier- und erweiterbar sind, wodurch ein Beitrag zum allgemeinen Wissenschaftsverständnis geleistet wird. Die Durchführung der kritischen Quellenanalyse erweitert zusätzlich die Methodenkompetenz der Schüler*innen. Diese fachlichen und methodischen Grundlagen sollten sie dazu befähigen, verzerrende oder interessengeleitete Narrative zum Klimawandel enttarnen zu können. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S17 „das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] beschreiben und analysieren“ (DGfG, 2020: 15) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S1 „geographisch relevante Informationsquellen […] nennen“ (ebd.: 20); S. 2 „geographisch relevante Informationsformen/Medien

20 Wissenschaftsorientierung

267

[…] nennen“ (ebd.); S3 „grundlegende Strategien der Informationsgewinnung aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen und -formen sowie Strategien der Informationsauswertung beschreiben“ (ebd.); S6 „geographisch relevante Informationen aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen sowie aus eigener Informationsgewinnung strukturieren und bedeutsame Einsichten herausarbeiten“ (ebd.: 21); S8 „die gewonnenen Informationen in andere Formen der Darstellung (z. B. […] Diagramme, Fotos […] u. v. m. in multimediale geographische Darstellungsformen) umwandeln“ (ebd.) • Beurteilung/Bewertung: S3 „aus klassischen und modernen Informationsquellen […] sowie aus eigener Geländearbeit gewonnene Informationen hinsichtlich ihres generellen Erklärungswertes und ihrer Bedeutung für die Fragestellung beurteilen“ (ebd.: 24); S4 „zur Beeinflussung der Darstellungen in geographisch relevanten Informationsträgern durch unterschiedliche Interessen kritisch Stellung nehmen […]“ (ebd.: 25); S5 „zu den Auswirkungen ausgewählter geographischer Erkenntnisse in historischen und gesellschaftlichen Kontexten […] kritisch Stellung nehmen“ (ebd.); S6 „zu ausgewählten geographischen Aussagen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung […] kritisch Stellung nehmen“ (ebd.) Klassenstufe und Differenzierung Der vorliegende Unterrichtsbaustein mit verschiedenen Aufgabenvarianten kann zu Beginn der gymnasialen Oberstufe (Sekundarstufe II) eingesetzt werden. Er setzt demzufolge spezifische Vorkenntnisse des Mittelstufenunterrichts voraus. Lernschwierigkeiten könnten die Schüler*innen vor allem bei der Beurteilung von Informationen (Entstehung, Verwendung, Bedeutung) haben. Hier sind gegebenenfalls adaptive Hilfen erforderlich wie z. B. eine stärkere inhaltliche Strukturierung durch Hinweise und Tipps (siehe digitaler Materialanhang). Aus den ausgewiesenen Varianten (Aufgaben, Arbeitsaufträge, Gesprächsimpulse) resultieren Möglichkeiten binnendifferenzierender Maßnahmen. Räumlicher Bezug Globale Perspektive, lokale Perspektive: Auf jeden Fall sollte ein reflektierter Maßstabswechsel von den Schüler*innen durchgeführt werden. Konzeptorientierung Metaebene (Überblick) auf die Zugänge in Deutschland, Österreich und Schweiz

20.4 Transfer Der hier dargestellte Ansatz der Wissenschaftsorientierung lässt sich auf vielfältige geographische Themenfelder übertragen. Der Lebensweltbezug in der Wissenschaftsorientierung sowie unterschiedliche soziale und ökologische Bedingungen auf lokaler Ebene erfordern deshalb eine kontextspezifische Anpassung von Lernumgebungen.

268

J. Fögele und K. W. Hoffmann

Der Klimawandel zählt zu den Global Grand Challenges des 21. Jahrhunderts und betrifft, wenn auch in ungleichem Ausmaß, alle Länder der Erde. Der Ansatz der Wissenschaftsorientierung kann auf diverse fachwissenschaftliche Inhalte und Fragestellungen angewendet werden. Aufgrund der Unsicherheit und steten Veränderung durch den Klimawandel obliegt es der Wissenschaftsorientierung, in Bezug auf fachwissenschaftliche Inhalte und die Gestaltung von Lernprozessen flexibel zu bleiben. Der Klimawandel ist ein globales Phänomen und zeigt sich auf lokaler Ebene auf unterschiedliche Art und Weise, wie etwa in der Zunahme von Georisiken und Extremereignissen als Folge eines komplexen systemischen Zusammenspiels zahlreicher Faktoren bzw. Sphären. Um solche Naturkatastrophen angemessen zu verstehen, ist es für Schüler*innen zentral, dieses Phänomen (wie auch viele weitere Herausforderungen des 21. Jahrhunderts) als Mensch-Umwelt-System zu begreifen. Es bedarf des Zusammenspiels naturwissenschaftlicher und gesellschaftswissenschaftlicher Herangehensweisen im Unterricht, um Ursachen und Auswirkungen zu analysieren und sinnvolle Maßnahmen zu entwickeln, die unsere Gesellschaft zukünftig resilienter werden lassen. Die Grundstruktur des Unterrichtsbausteins bietet in ihrer Mehrdimensionalität (sechs Dimensionen des Prinzips der Wissenschaftsorientierung) ein Gerüst für das Nachdenken über das Fach Geographie zu Beginn einer jeden Jahrgangsstufe, vor allem auch in weiterführenden anderen metareflexiven Phasen im Geographieunterricht. Mithilfe der „Wissenschaftlichkeit“ im Geographieunterricht soll (auch) ein Denkmuster der Vernunft für die rationale Auseinandersetzung mit den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angebahnt, gefördert und gefordert werden. Die in allen Fragen mitschwingende Relevanz eines wissenschaftsorientierten Geographieunterrichts für den persönlichen Verantwortungsbereich und für die Gesellschaft bietet zusätzliche Potenziale zur Motivation der Schüler*innen im Unterricht und ist als Beitrag zu einer reflexiven, mündigkeits- und werteorientierten geographischen Bildung zu verstehen. Verweise auf andere Kapitel • Budke, A., Kuckuck, M. & Engelen, E.: Argumentation. Raumnutzungskonflikte – Windkraft. Band 2, Kapitel 21. • Eberth, A. & Hoffmann, K. W.: Kritisches Denken. Globale Disparitäten – Länderklassifikationen. Band 2, Kapitel 18. • Frenzel, P. & Bruzzi, G.: Entdeckendes und forschendes Lernen. Erdgeschichte – Geologie und Paläontologie. Band 1, Kapitel 3. • Gerber, W. & Barthmann, K.: Schüler*innenvorstellungen und Conceptual Change. Erde im Sonnensystem – Erderwärmung und Entstehung von Jahreszeiten. Band 1, Kapitel 7. • Hanke, M., Ohl, U. & Sprenger, S.: Faktische Komplexität. Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation. Band 1, Kapitel 8.

20 Wissenschaftsorientierung

269

• Hemmer, M. & Gryl, I.: Metakognitives Lernen. Grundlagen des Fachs – Gegenstandsbereich, Erkenntnisinteresse, Wege der Erkenntnisgewinnung und Legitimation. Band 1, Kapitel 2. • Kubisch, S., Keller, L. & Parth, S.: Klimawandelbildung. Ökozonen – Klimawandel. Band 1, Kapitel 13.

Literatur Anton, J., & Obertreis, S. (15. März 2019). FRUDAYS FIR FUTURE. Die Profis sind da. Frankfurter Allgemeine. Bette, J. (2013). Lehren und Lernen über Geographie. Ansätze zur Förderung von Metawissen im Geographieunterricht. Praxis Geographie, (2), 41–45. Betz, L. (2021). Ein Vorschlag zum Einsatz der P-L-U-R-V-Methode im Ethik- oder Geographieunterricht. Datum: 5. Juli 2021. Online: Argumente von Klimawandelleugnern prüfen und widerlegen – doing geo & ethics (doinggeoandethics.com). Brumann, S., Ohl, U., & Schackert, C. (2019). Researching climate change in their own backyard—Inquiry‐based learning as a promising approach for senior class students. In W. Leal Filho & S. L. Hemstock (Hrsg.), Climate change management. Climate change and the role of education (Bd. 40, S. 71–86). Springer International Publishing. Detjen, J. (2013). Politische Bildung. Geschichte und Gegenwart in Deutschland (2. Aufl.). Oldenbourg. DGfG (Hrsg.) (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. mit Aufgabenbeispielen. 10. Aufl. Bonn. Felzmann, D. (2018). Vorstellungen von Lernenden zu Ursachen und Folgen des Klimawandels und darauf aufbauende Unterrichtskonzepte. In C. Meyer, A. Eberth, & B. Warner (Hrsg.), Klimawandel im Unterricht: Bewusstseinsbildung für eine nachhaltige Entwicklung (S. 53–63). Diercke. Höttecke, D. (2008). Was ist Naturwissenschaft? Physikunterricht über die Natur der Naturwissenschaften. Naturwissenschaften im Unterricht Physik, (103), 4–11. Gagel, W. (2005). Wissenschaftsorientierung. In W. Sander (Hrsg.), Handbuch politische Bildung (3. Aufl., S. 156–169). Wochenschau. Gräber, W., Nentwig, P., Koballa, T. R., & Evans, R. H. (Hrsg.). (2002). Scientific literacy. Der Beitrag der Naturwissenschaften zur allgemeinen Bildung. Leske + Budrich. IPCC. (2021). Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In: Naturwissenschaftliche Grundlagen. Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)]. In Druck. Deutsche Übersetzung auf Basis der Druckvorlage, Oktober 2021. Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle, Bonn; Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Wien; Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT, ProClim, Bern, Februar 2022. Kattmann, U. (2003). Vom Blatt zum Planeten – Scientific Literacy und kumulatives Lernen im Biologieunterricht und darüber hinaus. In B. Moschner, H. Kiper, & U. Kattmann (Hrsg.), PISA 2000 als Herausforderung. Perspektiven für Lehren und Lernen (S. 115–137). Schneider Verlag Hohengehren.

270

J. Fögele und K. W. Hoffmann

Keller, L., & Stötter, J. (2020). Klimawandel Anpassung Lernen: Eine Handreichung für Lehrer*innen und Schüler*innen der Sekundarstufe II. Institut für Geographie, Arbeitsgruppe Education & Communication for Sustainable Development, Universität Innsbruck. Lemke, S. (2019). Fake oder Fakt? Klimawandel-Mythen im Check. In: Schroedel aktuell. Aktualitätenservice November 2019. Neumann, I., & Kremer, K. (2013). Nature of Science und epistemologische Überzeugungen. Ähnlichkeiten und Unterschiede. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, ZDN, 19, 209–232. Ohl, U. (2013). Komplexität und Kontroversität. Herausforderungen des Geographieunterrichts mit hohem Bildungswert. Praxis Geographie, (3), 4–8. Ohl, U. (2018). Herausforderungen und Wege eines systematischen Umgangs mit komplexen Themen in der schulischen Nachhaltigkeitsbildung. In T. Pyhel (Hrsg.), Zwischen Ohnmacht und Zuversicht? Vom Umgang mit Komplexität in der Nachhaltigkeitskommunikation (S. 131–146). oekom. Rinschede, G. (2005). Geographiedidaktik (2. Aufl.). UTB. Schauss, M., & Sprenger, S. (2019). Conceptualization and evaluation of a school project on climate science in the context of Education for Sustainable Development (ESD). Education Sciences, 9(3), 217. https://doi.org/10.3390/educsci9030217. Schuler, S. (2011). Alltagstheorien zu den Ursachen und Folgen des globalen Klimawandels. Erhebung und Analyse von Schülervorstellungen aus geographiedidaktischer Perspektive. Europäischer Universitätsverlag (Bochumer geographische Arbeiten, Bd. 78). Schuler, S. (Hrsg.). (2013). Diercke Methoden 2. Braunschweig, Kapitel 7, S. 138–151. Thomas, B. (2015). Wissenschaftsorientierung als konzeptioneller Anspruch. In J. Kahlert, M. Fölling-Albers, M. Götz, A. Hartinger, & S. Wittkowske (Hrsg.), Handbuch Didaktik des Sachunterrichts (2., aktualisierte und erw. Aufl., S. 236–242). Klinkhardt (UTB, Nr. 8621). Umweltbundesamt. (Hrsg.). (2019). Monitoringbericht 2019 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Anpassungsstrategie der Bundesregierung. Berlin. Weingart, P. (2017). „Wahres“ Wissen und demokratisch verfasste Gesellschaft. AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE (APUZ 13/2017). https://www.bpb.de/apuz/245215/wahres-wissenund-demokratisch-verfasste-gesellschaft?p=all.

Sprachbewusster Umgang mit Bildern Scaffolding zu Visualisierungen des Klimawandels

21

Nina Scholten, Eva Nöthen und Sandra Sprenger

 Teaser  Der vorliegende Beitrag thematisiert – im Sinne eines sprach-

bewussten Geographieunterrichts – den Einsatz von Bildern als Geomedien bezugnehmend auf den Klimawandel und Klimaschutz. Anhand von drei unterschiedlichen fachdidaktischen Zugängen zu Bildern (Bild als Dokumentation, Bild als abstrakte Repräsentation, Bild als soziale Konstruktion) werden Möglichkeiten zum sprachbewussten Umgang mit Bildern in verschiedenen Phasen des Unterrichts dargestellt. Jeder der drei Unterrichtsbausteine zeigt auf, welche sprachlichen Hilfen sich als Scaffolding-Maßnahmen eignen.

21.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Klimawandel – Auswirkungen des Klimawandels Der Klimawandel mit seinen Folgen für Umwelt und Gesellschaft stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Hierbei handelt es sich um ein komplexes Phänomen, das aus vielen verschiedenen Komponenten besteht, die in Wechselwirkung N. Scholten (*)  Insitut für Didaktik der Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster, Deutschland E-Mail: [email protected] E. Nöthen  Institut für Humangeographie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Sprenger  Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_21

271

272

N. Scholten et al.

zueinander stehen. Um diese Komplexität erfassen zu können, bedarf es u. a. der Kenntnisse über: • die Grundlagen des Klimasystems, • den natürlichen und anthropogenen Treibhauseffekt, • die globale Erwärmung, • die Auswirkungen des Klimawandels, • Klimapolitik, • Klimaforschung, • Klimakommunikation. Der Klimawandel ist eng verbunden mit dem Thema Klimaschutz. Im IPCC-Report wird Klimaschutz als Mitigation (IPCC, 2014) verstanden, also als Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels. Grundsätzliche Minderungsoptionen bestehen in verschiedenen Sektoren (IPCC, 2014), wie im Bereich der Energieversorgung die Nutzung von Energiequellen, bei deren Gebrauch weniger Kohlenstoff freigesetzt wird als bei fossilen Energieträgern. Weitere wichtige Minderungsoptionen bestehen in der Industrie durch Brennstoffumstellung zur Erhöhung der Energieeffizienz sowie im Bauwesen durch bessere Isolation. Im Bereich Verkehr sind die Umstellung auf kohlenstoffarme Kraftstoffe oder Effizienzverbesserungen im Automobilbau Optionen. Im Bereich Landnutzung (Land- und Forstwirtschaft) sind Verringerungenen von CO2-Emissionen durch eine Reduzierung von Entwaldung, Waldschädigungen und Waldbränden denkbar. Auf der Konsumentenseite sind eine Reduzierung der Lebensmittelverschwendung und Nahrungsmittelumstellung mögliche Optionen. Im folgenden Beitrag werden drei der in der Stichpunktliste aufgeführten Aspekte exemplarisch vertieft: Die Auswirkungen des Klimawandels und die globale Erwärmung wurden gewählt, weil sie grundlegend für das Verständnis des Klimawandels sind. Schließlich erfährt die Klimakommunikation eine stärkere Berücksichtigung, da die mediale Kommunikation zum Klimawandel maßgeblich die Wahrnehmung des Klimawandels und die Information über den Klimawandel in der Öffentlichkeit prägt. a) Auswirkungen des Klimawandels Ein Beispiel für die Auswirkungen des Klimawandels ist die Gletscherschmelze in Hochgebirgsregionen. Gletscher reagieren besonders sensibel auf Klimaveränderungen. In den Alpen haben die Gletscher seit Beginn der industriellen Revolution mehr als die Hälfte ihrer Masse verloren. Das Abschmelzen der Gletscher hängt neben der Temperatur auch vom Niederschlag und der Sonneneinstrahlung ab. Gebirgsgletscher dienen als Wasserspeicher und erfüllen damit u. a. für die Landwirtschaft in vielen Regionen der Erde eine wichtige Funktion (Rahmstorf & Schellnhuber, 2019: 53–56). b) Globale Erwärmung Die mittlere Durchschnittstemperatur ist in den letzten hundert Jahren deutlich gestiegen. Die Messdaten der globalen Wetterstationen zeigen einen Anstieg von etwa

21  Sprachbewusster Umgang mit Bildern

273

Abb. 21.1   Veränderung der Oberflächentemperatur. (Quelle: IPCC, 2013)

1 °C (IPCC, 2013; Rahmstorf & Schellnhuber, 2019). Die Erde erwärmt sich jedoch nicht gleichmäßig, regional sind große Unterschiede (s. Abb. 21.1) zu sehen, die durch Wechselwirkungen mit anderen Prozessen im Klimasystem entstehen. c) Klimakommunikation Die Art und Weise, wie unterschiedliche Akteur*innen aus Politik, aktivistischen Bewegungen oder Kunst und Kultur über den Klimawandel kommunizieren, ist Ausdruck der jeweiligen Positionierung zum Gegenstand und prägt – auf dem Weg der (massen-)medialen Vermittlung – die öffentliche Meinungsbildung. Denn es lässt sich konstatieren, dass das, was der breiten Öffentlichkeit (in Deutschland) über den Klimawandel bekannt ist, in erster Linie den Massenmedien entstammt (Kuckartz, 2010: 147). Weiterführende Leseempfehlung Rahmstorf, S. & Schellnhuber, H.-J. (2019). Der Klimawandel: Diagnose, Prognose, Therapie (9. Auflage). München: C. H. Beck. Problemorientierte Fragestellungen • Zu Unterrichtsbaustein 1 (Bild zum Einstieg → Bild als Dokumentation): Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Alpenregion? • Zu Unterrichtsbaustein 2 (Bild zum Einstieg oder in der Erarbeitung → Bild als abstrakte Repräsentation): Welche Zusammenhänge lassen sich im Verhältnis von Zeit und Temperaturentwicklung für Deutschland oder den globalen Durchschnitt erkennen?

274

N. Scholten et al.

• Zu Unterrichtsbaustein 3 (Bild zum Einstieg oder in der Erarbeitung → Bild als soziale Konstruktion): Warum wird ein Gletscher mit zerrissenen Tüchern bedeckt und mit Scheinwerfern beleuchtet?

21.2 Fachdidaktischer Bezug: Sprachbewusster Umgang mit Bildern Die Arbeit am und mit dem Bild ist konstitutiv für die Geographie und für geographische Bildungsprozesse: In der „klassischen Geographie“ zur Zeit der Entstehung der Wissenschaftsdisziplin erfuhr das Landschaftsbild zugleich als Dokumentation des Gesehenen sowie als dessen ästhetische Re-Imagination (Jahnke, 2012: 5–8) Aufmerksamkeit. Das Erstarken des länderkundlichen Ansatzes im beginnenden 20. Jahrhundert wirkte sich insbesondere in Form einer Konventionalisierung kartographischer, aber auch fotografischer Raumdarstellungen aus (Michel, 2015). Seit Ende der 1970erJahre kam in der geographischen Forschung das Interesse an Visualisierungen mentaler Raumvorstellungen auf und bildete sich in mental maps ab. Seit Beginn der 2000erJahre hat sich infolge eines zunehmenden Einflusses konstruktivistischer Ansätze in der (deutschsprachigen) Geographie der Forschungsschwerpunkt der Visuellen Geographien herausgebildet (z. B. Schlottmann & Miggelbrink, 2009). Im Zuge dieses „iconic turn“ (Boehm, 1994) erfuhr auch das Verhältnis von Sicht- und Sagbarkeit eine Problematisierung (z. B. Renggli, 2006). Für den unterrichtlichen Einsatz von Bildern ergeben sich aus diesen fachlichen Prämissen zwei konkrete Herausforderungen: der kritisch-reflexive Umgang (a) mit dem konstruierenden Charakter von Bildern als Mittel der Kommunikation sowie (b) mit der Versprachlichung dessen, was gesehen und beim Sehen erlebt wird. Konkrete methodische Vorschläge zum reflexiven Umgang mit unterschiedlichen Facetten der visuellen Konstruktion von Raum und Wissen finden sich – bezugnehmend auf kunstpädagogische Ansätze – z. B. bei Nöthen (2012, 2018). Im Folgenden wird daher näher auf methodische Implikationen für das sprachbasierte Arbeiten an und mit dem Bild eingegangen. Bildwahrnehmung ist eine mentale Aktivität, die einer nichtlinearen und simultanen Logik folgt. Die Verbalsprache stellt hingegen eine externe Repräsentation dar (schriftlich oder mündlich), die zwangsläufig eine lineare Struktur verfolgt. Vorausgesetzt, eine (wahrnehmungsbasierte) Auseinandersetzung mit dem Bild soll in Verbalsprache überführt werden, ist ein Transformationsprozess erforderlich (Jahnke, 2011; Oleschko, 2013), der zugleich einen Kognitivierungsprozess darstellt. Dieser Prozess kann seitens der Schüler*innen im Fachunterricht eine große Herausforderung, wenn nicht gar Überforderung darstellen, sofern diese nicht über die erforderlichen alltags-, bildungs- und fachsprachlichen Mittel verfügen. Eine Lehrkraft, die sich sowohl der epistemischen als auch der vermittelnden Funktion von Sprache im Fachunterricht für den Bildungserfolg auf ihren unterschiedlichen Ebenen bewusst ist (Tajmel & Hägi-Mead, 2017: 7–17), kann eine entsprechende Förderung in

21  Sprachbewusster Umgang mit Bildern

275

ihren Unterricht integrieren. Ein Ansatz zur Sprachförderung im Fachunterricht, der sich bereits im bilingualen Geographieunterricht bewährt hat und auch empirisch überprüft wurde (Van de Pol et al., 2010), ist Scaffolding (Gerüstbau). Der Ansatz beruht auf der Annahme, dass durch eine gezielte Interaktion einer bereits kompetenten Person eine weniger kompetente Person ein Fähigkeitsniveau erreichen kann, das ohne die Interaktion nicht erreichbar gewesen wäre (Kniffka, 2012: 213). Laut Van de Pol et al. (2010: 274–276) sind drei Hauptmerkmale für Scaffolding charakteristisch: (i) die Angepasstheit der Hilfe auf den Lernstand der Schüler*innen, (ii) das Ausblenden der Hilfe im Verlauf des Lernprozesses und (iii) die Verantwortungsübertragung an die Lernenden. Für den Schulkontext bedeutet dies, dass eine Lehrkraft Schüler*innen zur Bewältigung einer Anforderung eine passende Hilfe (Scaffold) zur Verfügung stellt, die bei einer Lernprogression der Schüler*innen sukzessiv zurückgenommen wird. Der unter Einsatz von Scaffolding geplante Unterricht muss einer sprachlichen Bedarfsanalyse unterzogen werden (u. a. Gibbons, 2015: 211–213), welche die sprachlichen Anforderungen des zu behandelnden oder zu produzierenden Textes auf Wort-, Satz-, Text- und Diskursebene offenlegt. Auf der Wortebene umfasst die Bedarfsanalyse folgende grammatische Informationen: Für Nomen sind es das Genus und der Plural (siehe Infobox 21.1). Für Verben sind es der Infinitiv, die 3. Person Singular Präteritum und das Partizip II (zur Konkretisierung Tajmel & Hägi-Mead, 2017: 80). Die übliche Darstellung der Bedarfsanalyse findet sich in ausführlicher Form in Baustein 1 sowie in verkürzter Form in den Bausteinen 2 und 3. Auf Grundlage einer sprachlichen Lernstandserhebung bei den Schüler*innen kann ein Scaffold geplant werden, indem beispielsweise geeignetes Zusatzmaterial ausgewählt wird oder vermittelnde Texte eingesetzt werden (Kniffka, 2012). Weiterführende Leseempfehlung • Jahnke, H. (2012). Geographische Bildkompetenz? Über den Umgang mit Bildern im Geographie-Unterricht. Geographie und Schule 34(195), 27–35. • Schwarze, S. (2017). Fachsprachliche Bildung in der Geographie. GW-Unterricht 148(4), 16–27. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Geomedienkompetenz, Mediendidaktik, Dekonstruktion

21.3 Unterrichtsbausteine: Scaffolds zu drei Visualisierungen zum Klimawandel Der Beitrag umfasst drei Unterrichtsbausteine, um dem oben skizzierten aktuellen fachdidaktischen Diskurs zu Bildern gerecht zu werden. Die drei Bausteine zeigen auf, wie im Sinne eines sprachbewussten Unterrichts Scaffolding eingebunden werden kann. Dafür wird jeweils eine Bedarfsanalyse durchgeführt. Die Lernstandserhebung richtet

276

N. Scholten et al.

Abb. 21.2   Tschiervagletscher, Schweiz, Kanton Graubünden, um 1910 und 2012. (Quelle: http://www. gletscherarchiv.de/, Gesellschaft für ökologische Forschung e. V.)

sich an der konkreten Schüler*innengruppe aus, daher kann darauf nicht eingegangen werden. Die Bausteine liefern Scaffolds, die beispielsweise in Form von Plakaten im Klassenraum aufgehängt werden könnten. Baustein 1: Bild zum Einstieg → Bild als Dokumentation von Wirklichkeit Der Bildvergleich zum Tschiervagletscher (s. Abb. 21.2) macht die starke Reaktion des Gletschers auf eine bereits geringe Erwärmung in kurzer Zeit für die Schüler*innen

21  Sprachbewusster Umgang mit Bildern

277

eindrucksvoll sichtbar. Die Beschreibung der Veränderung von Oberflächenformen ist eine genuin geographische Fähigkeit. Daher handelt es sich um eine fachspezifische sprachliche Handlung. Der Unterrichtsbaustein trägt zu dieser Fähigkeit bei, indem die Schüler*innen die Veränderungen einer glazial geprägten Hochgebirgslandschaft verbalisieren. Zudem provoziert der Bildvergleich, geographische Fragen zu stellen. Infobox 21.1: Baustein 1 – Bild als Dokumentation von Wirklichkeit

(1) Bedarfsanalyse Aufgabenstellung

– Lehrkraft fordert die Schüler*innen auf: Vergleicht die beiden Bilder. – Kontext: mündlich, Plenumssituation, Einstieg, Sprachvarietät: konzeptionell mündlich, weil es sich um einen Einstieg handelt

Sprachhandlung

– Beschreibung der Veränderung einer Oberflächenform

Mögliches Antwortbild

Ich sehe den Tschiervagletscher in der Schweiz zu zwei verschiedenen Zeitpunkten. Das obere Bild wurde um 1910 aufgenommen und das untere Bild zeigt den Gletscher um 2012. Während 1910 der Gletscher noch das gesamte Tal ausfüllt, ist 2012 die Talsohle zu sehen und ein Rinnsal. Dort, wo der Gletscher einmal war, sind Bäume gewachsen. Der Gletscher hat sich zurückgezogen. Der Gletscher ist geschmolzen. Im Hintergrund sieht man ein (Hoch-)Gebirge. 1910 ist es mit Schnee und Eis bedeckt. 2012 sind viele Hänge eisfrei. Die Gipfel sind aber noch schneebedeckt. Es ist erstaunlich, dass sich der Gletscher innerhalb von etwa 100 Jahren so stark zurückgezogen hat.

Sprachliche Mittel

Wortebene

– r Gletscher, -; r Schnee, kein Plural; s Eis, kein Plural; s Rinnsal, -e; r Bach, Bäche; e Bergkette, -n; r Berg, -e; e Parkplatz, -plätze; e Hütte, -n; e Straße, -n; s Geröll, kein Plural; r Schutt, kein Plural; e Bergflanke, -n; r Abhang, -hänge; s Tal, Täler; Talsohle, -n; – schmelzen (schmolz, geschmolzen); zurückziehen (zog zurück, zurückgezogen); tauen (taute, getaut) – Komparative: größer, kleiner, weniger

Satz- und Textebene

– das Tal ausfüllen – etwas ist von Schnee/Eis bedeckt – Bildposition (auf dem rechten/linken Bild …, auf dem ersten Bild/zweiten Bild, im Hintergrund, im Vordergrund, in der Bildmitte) + Verben (… sehe ich, … erkenne ich – Inversion!) …

Diskursebene

Unterrichtsgespräch zum Einstieg, Bildvergleich

278

N. Scholten et al.

(2) Das Scaffold bietet eine Struktur und Phrasen an. Sprachliche Hilfen: Bildvergleich 1. Einführender Satz • Die beiden Bilder zeigen … • Die beiden Bilder unterscheiden sich in/im … 2. Vergleich der beiden Bilder • Bildauswahl: Das erste/zweite/linke/rechte Bild … • Bildposition: In der Bildmitte/im Vordergrund/im Hintergrund/im rechten, linken, oberen, unteren Teil des Bildes sehe ich/erkenne ich … • Ich kann nicht erkennen/sehen, … • Phrasen für den Vergleich: – X ist anders als/unterscheidet sich von Y. – X ist ähnlich zu Y. – X ist größer, kleiner, konzentrierter als Y. 3. Abschließender Satz • Darum denke ich, dass die beiden Bilder unterschiedlich/ähnlich sind. • Besonders auffällig ist X. • Ich frage mich, warum …

Baustein 2: Bild zum Einstieg oder in der Erarbeitung  →  Bild als abstrakte Repräsentation Klimadaten im zeitlichen Verlauf werden zumeist in Klimadiagrammen visualisiert. Das Bild mit Wärmestreifen (Warming Stripes) ist eine ähnliche Darstellung, die inzwischen in vielfältigen Kontexten weit verbreitet ist, und daher einen hohen Wiedererkennungswert hat. Die Wärmestreifen zeigen die globale Temperaturveränderung in den Bildern von 1850–2019 (Abb. 21.3) bzw. 1881–2019 (Abb. 21.4). Mit den verwendeten Farben Blau und Rot werden Abweichungen von einem langjährigen Durchschnittswert visualisiert: Blaue Streifen bedeuten kühlere Jahresdurchschnittstemperaturen, rote bedeuten wärmere. Da es bei diesem Bild um die Analyse einer abstrakten Repräsentation geht, setzt hier das Scaffolding bei Begriffen aus diesem Kontext an.

21  Sprachbewusster Umgang mit Bildern

279

Abb. 21.3   Globale Temperaturveränderung 1850–2019. (Quelle: Ed Hawkins, University of Reading, CC BY 4.0, https://showyourstripes.info/)

Abb. 21.4   Temperaturveränderung in Deutschland 1881–2019. (Quelle: Ed Hawkins, University of Reading, CC BY 4.0, https://showyourstripes.info/)

280

N. Scholten et al.

Infobox 21.2: Baustein 2 – Bild als abstrakte Repräsentation

(1) Bedarfsanalyse Aufgabenstellung

Variabel einsetzbar als mündlicher Einstieg (Einzelgrafik) oder als Erarbeitung (Vergleich mehrerer Orte). Mögliche Fragen der Lehrkraft, die je nach Einsatzort angepasst werden können: – In welchem Zusammenhang ist dir diese Darstellungsform schon einmal begegnet? – Benenne die Assoziationen, die du dazu hast. – Beschreibe die vorliegende Grafik. – Vergleiche die vorliegenden Grafiken. – Erläutere, welche Intention der Entwickler dieser Grafik möglicherweise verfolgt. –…

Sprachhandlung

– Vergleichen, Verorten – Gesprochener Austausch über Grafik mit Mitschüler*innen

Mögliches Antwortbild

Hier sind zwei Fälle denkbar: (a) Die grafische Darstellung ist unbekannt oder (b) sie ist bekannt a) Grafische Darstellung ist unbekannt: Auf der Grafik sind blaue und rote Streifen zu erkennen. Manche sind heller, andere dunkler. Ich frage mich, was diese Streifen bedeuten können. Ich vermute, dass es sich dabei um XY handeln könnte. b) Grafische Darstellung ist bekannt: Die Grafik zeigt die „Wärmestreifen“ oder Warming Stripes, die ich von der „Fridays for Future“Bewegung oder aus dem Wetterbericht kenne. Es handelt sich um eine Visualisierung der Temperaturwerte eines Jahres in farbigen Strichen. Jedes Jahr erhält – je nach Temperaturabweichung vom Durchschnittswert – eine dunkelblaue (sehr kühl) über hellblaue und hellrote bis dunkelrote (sehr heiß) Färbung. Entwickelt hat diese Art der Visualisierung der Klimawissenschaftler Ed Hawkins. Grundlage für Deutschland sind Klimadaten aus den Jahren 1881 bis 2017.

Sprachliche Mittel

Wortebene

– Analog zu den Anregungen in Beispiel 1 entwickelbar

Satz- und Textebene

– Analog zu den Anregungen in Beispiel 1 entwickelbar

Diskursebene

– Einbettung der Grafik in einen größeren Zusammenhang (Klimawandel)

21  Sprachbewusster Umgang mit Bildern

281

(2) Scaffold Sprachliche Hilfen: Analyse abstrakter Grafiken 1. Einführung: Sprachliche Hilfen zur ersten Beschreibung • Die Grafik zeigt … • Die blauen und roten Balken/Streifen unterscheiden sich in/im … • Die blauen und roten Balken/Streifen (können) bedeuten … 2. Erarbeitung: Beschreibung und Vergleich von Bildern • Phrasen für den Vergleich: – X ist anders als/unterscheidet sich von Y. – X ist ähnlich zu Y. – X ist heller, dunkler, blauer, roter als Y. • Ich kann nicht verstehen, … 3. Fazit: Weiterführende Fragestellungen zum Bild • Ich frage mich, …

Baustein 3: Bild zum Einstieg oder in der Erarbeitung → Bild als soziale Konstruktion Das Bild  „Shroud“ (dt. Leichentuch)  der Fotografen Simon Norfolk und Klaus Thymann (vgl. Abb. 21.5) zeigt in einer atmosphärisch aufgeladenen Aufnahme den Blick auf einen Teil des Rhonegletschers, der mit weißen Planen zum Schutz gegen die Sonneneinstrahlung abgedeckt wurde. Entstanden ist die Fotografie als Auftragsarbeit für die Wohltätigkeitsorganisation Project Pressure, die seit 2008 in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen Künstler*innen beauftragt, Arbeiten zu entwickeln, welche die Öffentlichkeit auf die Folgen der Klimakrise – hier den Massenverlust der Hochgebirgsgletscher – aufmerksam machen sollen. Unter Berücksichtigung der oben genannten Leitfrage eignet sich das Bildbeispiel, um individuelles Bilderleben im Dialog zu versprachlichen und zu reflektieren und einen möglichen Zusammenhang von Bilderleben und Intention der fotografierenden Person zu erörtern. Hier setzt auch das Scaffolding (s. u.) an. Darüber hinaus bietet das Bild auf inhaltlicher Ebene im unterrichtlichen Einsatz Anknüpfungspunkte, um sich ausgehend von einer Auseinandersetzung mit dem individuellen Bilderleben und dessen kollektiver Ausdeutung über die (gefühlte) Bedrohung für das System Mensch-Umwelt durch den Klimawandel auszutauschen und auseinanderzusetzen (Kompetenzbereich Kommunikation, K2). Darüber hinaus kann die Positionierung der Künstler durch ihre Fotografie im Kontext der Thematisierung von Klimakommunikation als Form der aktivistischen Positionierung und Beitrag zum Klimaschutz diskutiert werden.

282

N. Scholten et al.

Abb. 21.5   „Shroud“ (dt. Leichentuch), 2018. (Quelle: https://www.project-pressure.org/artists//Foto: Simon Norfolk & Klaus Thymann)

Infobox 21.3: Baustein 3 – Bild als soziale Konstruktion

(1) Bedarfsanalyse Aufgabenstellung

1. Notiere in Stichworten: – Was siehst du? – Was fühlst du? – Was denkst du? 2. Erläutere, was du beim Betrachten des Bildes erlebt hast, und tausche dich mit deinen Mitschüler*innen darüber aus. 3. Erörtert eine mögliche Intention und geplante Bildverwendung der fotografierenden Person.

Sprachhandlung

zu 1.) Verschriftlichung von individuellem Bilderleben zu 2.) Verbalisierende Reflexion von Bilderleben mit Mitschüler*innen zu 3.) Diskursive Erörterung des Zusammenhangs von persönlichem Bilderleben und vermuteter Intention der fotografierenden Person

21  Sprachbewusster Umgang mit Bildern Mögliches Antwortbild

Sprachliche Mittel

283 zu 1.) Mögliches Antwortbild: – I ch sehe einen weißen Felsen – evtl. auch einen Eisberg oder Gletscher –, der mit Tüchern abgedeckt und in ein Dämmerlicht getaucht ist. – I ch fühle mich in eine düstere/ melancholische/bedrohliche/… Stimmung versetzt. – I ch denke darüber nach, warum jemand einen Felsen oder Eisberg mit Tüchern bedeckt/… einen Eisberg in einem so besonderen Licht fotografiert/… zu 2.) Mögliches Antwortbild: Wir sind zu der Ansicht gekommen, dass auf der Fotografie ein Eisberg oder Gletscher zu sehen ist, der mit Tüchern abgedeckt wurde, um ihn (z. B. vor der Sonne) zu verstecken und/oder (z. B. vor dem Abschmelzen) zu schützen. Das Bild wirkt wie die Fotografie einer dramatisch beleuchteten Theaterbühne mit dem Unterschied, dass hier keine Menschen, sondern nur ein Ausschnitt einer durch den Menschen veränderten Landschaft zu sehen ist. zu 3.) Mögliches Antwortbild: Das Ziel der fotografierenden Person könnte gewesen sein, anzudeuten, dass mit der Landschaft, in diesem Fall mit dem Gletscher, etwas Schlimmes passieren könnte. Dies könnte ein Hinweis auf das Abschmelzen infolge der Klimaerwärmung sein. Es könnte aber auch sein, dass …, um zu …

Wortebene

– Analog zu den Anregungen in Beispiel 1 entwickelbar

Satz- und Textebene

– Analog zu den Anregungen in Beispiel 1 entwickelbar

Diskursebene

– Darstellung von eigenen Wahrnehmungen, Gefühlen, Gedanken – Reflexion des eigenen Bilderlebens im Vergleich mit anderen – Einbettung des Zusammenhangs in den Mensch-Umwelt- Kontext

284

N. Scholten et al.

(2) Scaffold Sprachliche Hilfe: Darstellung und Reflexion von Bilderleben 1. Einführung: Verbalisierung individuellen Bilderlebens • Wenn ich auf das Bild schaue, sehe ich … • Wenn ich auf das Bild schaue, fühle ich … • Wenn ich auf das Bild schaue, denke ich … 2. Erarbeitung: Austausch über Bilderleben • Mein erster Eindruck des Bildes war … • Je länger ich das Bild betrachte … • Das Bild erinnert mich … • Dass ich das Bild so erlebe, liegt an … 3. Fazit: Erörterung des Zusammenhangs von Bilderleben und Intention von fotografierender Person • Mein Bilderleben und das meiner Mitschüler*innen verbindet, dass … • Dass wir das Bild so erleben, könnte daran liegen, dass … • Das Ziel der fotografierenden Person könnte daher gewesen sein, … • Für mich bedeutet das, dass …

Beitrag zum fachlichen Lernen Durch die drei Unterrichtsbausteine erweitern die Schüler*innen ihre fachlichen Kompetenzen im Bereich Klimawandel. Im ersten Baustein stehen die Auswirkungen des Klimawandels im Vordergrund. Dies wird am Beispiel der Gletscherschmelze in den Alpen dargestellt. Im zweiten Baustein erwerben Schüler*innen Kenntnisse zur globalen Erwärmung, wobei hier besonders die mittlere Durchschnittstemperatur im Fokus steht. Im dritten Baustein geht es um Klimakommunikation. Am Beispiel einer inszenierten Fotografie wird das appellative Potenzial von Bildern auch im Hinblick auf deren Relevanz für klimabezogenes Handeln thematisiert. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S18 „Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen (z. B. Rodung, Gewässerbelastung, Bodenerosion, Naturrisiken, Klimawandel, Wassermangel, Bodenversalzung) erläutern“ (DGfG, 2020: 15) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S4 „problem-, sach- und zielgemäß Informationen aus geographisch relevanten Informationsformen/-medien auswählen“ (ebd.: 20); S6 „geographisch relevante Informationen aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen sowie aus eigener Informationsgewinnung strukturieren und bedeutsame Einsichten herausarbeiten“ (ebd.: 21) • Kommunikation: S2 „geographisch relevante Sachverhalte/Darstellungen (in Text, Bild, Grafik etc.) sachlogisch geordnet und unter Verwendung von Fachsprache aus-

21  Sprachbewusster Umgang mit Bildern

285

drücken“ (ebd.: 22); S5 „im Rahmen geographischer Fragestellungen die logische, fachliche und argumentative Qualität eigener und fremder Mitteilungen kennzeichnen und angemessen reagieren“ (ebd.) • Beurteilung/Bewertung: S4 „zur Beeinflussung der Darstellungen in geographisch relevanten Informationsträgern durch unterschiedliche Interessen kritisch Stellung nehmen“ (ebd.: 25) Darüber hinaus zielt dieser Beitrag darauf ab, übergreifend die sprachlichen Kompetenzen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen (Wort, Satz, Diskurs) mittels Scaffolding zu fördern und durch den Vorschlag zur Bedarfsanalyse die Lehrkraft für die Herausforderung eines sprachbewussten Fachunterrichts zu sensibilisieren. Klassenstufe und Differenzierung Der erste Unterrichtsbaustein bezieht sich auf die 7. Jahrgangsstufe. Die anderen beiden Unterrichtsbausteine passen in die 9./10. Klasse. Bei allen Unterrichtsbausteinen ist eine Differenzierung in dreierlei Hinsicht möglich: Entweder differenziert die Lehrkraft a) über das Bildmaterial, b) über die Aufgabenstellung oder c) über das angebotene Scaffold. Räumlicher Bezug Alpenraum (Deutschland, Österreich, Schweiz), Deutschland, globale Ebene Konzeptorientierung Deutschland: Systemkomponente (Prozess), Maßstabsebenen (regional, national), Zeithorizont (mittelfristig), Raumkonzepte (Raum als Container, konstruierter Raum) Österreich: Raumkonstruktion und Raumkonzepte, Wahrnehmung und Darstellung, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz: natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.2c)

21.4 Transfer Scaffolding bietet einen grundsätzlichen Ansatz zur Spracharbeit im Fachunterricht. Für den Umgang mit Bildern bieten die zu den Unterrichtsbausteinen angebotenen Scaffolds den Schüler*innen zugleich eine Hilfestellung zur Strukturierung von Gedankengängen sowie konkrete Begrifflichkeiten und Phrasen zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Themenfeldern Klimawandel und Klimaschutz. In ihrer Struktur können die Scaffolds auch bei der Bildarbeit zu verwandten und/oder anderen geographischen Fragestellungen eingesetzt werden. Bezogen auf die angebotenen Phrasen muss eine themenspezifische Anpassung vorgenommen werden.

286

N. Scholten et al.

Verweise auf andere Kapitel • Dickel, M.: Perspektivenwechsel. Sozialkatastrophe – Hurrikans. Band 1, Kapitel 6. • Fögele, J. & Hoffmann, K. W.: Wissenschaftsorientierung. Klimawandel. Band 1, Kapitel 20. • Hanke, M., Ohl, U. & Sprenger, S.: Faktische Komplexität. Globale Zirkulation – Golfstromzirkulation. Band 1, Kapitel 8. • Keil, A. & Kuckuck, M.: Handlungstheoretische Sozialgeographie. Energieträger – Energiewende. Band 1, Kapitel 23. • Nöthen, E. & Klinger, T.: Ästhetische Bildung. Tourismus – Mobilität. Band 2, Kapitel 16. • Oberrauch, A. & Andre, M.: Statistik und Visual Analytics. Planetare Belastungsgrenzen – Nachhaltigkeit. Band 1, Kapitel 16.

Literatur Boehm, G. (1994). Die Wiederkehr der Bilder. In G. Boehm (Hrsg.), Was ist ein Bild? (S. 11–38). Fink. Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG). (Hrsg.). (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss (10. Aufl.). Selbstverlag Deutsche Gesellschaft für Geographie. Gibbons, P. (2015). Scaffolding Language. Scaffolding Learning. Teaching English Language Learners in the Mainstream Classroom. Heinemann. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). (2013). Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger. In T. F. Stocker, D. Qin, G.-K. Plattner, M. Tignor, S. K. Allen, J. Boschung, A. Nauels, Y. Xia, V. Bex, & P. M. Midgley (Hrsg.), Klimaänderung 2013: Wissenschaftliche Grundlagen. Beitrag der Arbeitsgruppe I zum Fünften Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC). Cambridge University Press, 1535 Seiten. Deutsche Übersetzung durch ProClim, Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle, Österreichisches Umweltbundesamt, Bern/Bonn/Wien, 2014. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). (2014). Klimaänderung 2014: Synthesebericht. Beitrag der Arbeitsgruppen I, II und III zum Fünften Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) [Hauptautoren, R. K. Pachauri und L. A. Meyer (Hrsg.)]. IPCC, Genf, Schweiz. Deutsche Übersetzung durch Deutsche IPCCKoordinierungsstelle, Bonn, 2016. Jahnke, H. (2011). Das „geographische Bild“ und der „geographische Blick“ – Von der Bildlesekompetenz zur Fotoperformanz. In C. Meyer, R. Henry, & G. Stöber (Hrsg.), Geographische Bildung. Kompetenzen in didaktischer Forschung und Schulpraxis (S. 82–97). Westermann. Jahnke, H. (2012). Mit Bildern bilden. Eine Bestandsaufnahme aus Sicht der Geographie. Geographie und Schule, 34(199), 4–11. Kuckartz, U. (2010). Nicht hier, nicht jetzt, nicht ich – Über die symbolische Bearbeitung eines ernsten Problems. In H. Welzer, H.-G. Soeffner, & D. Giesecke (Hrsg.), KlimaKulturen. Soziale Wirklichkeiten im Klimawandel (S. 144–160). Campus. Kniffka, G. (2012). Scaffolding – Möglichkeiten, im Fachunterricht sprachliche Kompetenzen zu vermitteln. In M. Michalak & M. Kuchenreuther (Hrsg.), Grundlagen der Sprachdidaktik Deutsch als Zweitsprache (S. 208–225). Schneider Verlag Hohengehren.

21  Sprachbewusster Umgang mit Bildern

287

Michel, B. (2015). Geographische Visualitätsregime zwischen Länderkunde und Quantitativer Revolution. In A. Schlottmann & J. Miggelbrink (Hrsg.), Visuelle Geographien. Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern (S. 209–224). transcript. Nöthen, E. (2012). Bildern des Klimawandels begegnen. Methodische Annäherungen für Unterricht und Alltag. Geographie und Schule 34(199), 20–29. Nöthen, E. (2018). Spiegelbilder des Klimawandels. Die Fotografie als Medium in der Umweltbildung. transcript. Oleschko, S. (2013). „Ich verstehe nix mehr“. Zur Interdependenz von Bild und Sprache im Geschichtsunterricht. Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, 12, 112–127. Rahmstorf, S., & Schellnhuber, H.-J. (2019). Der Klimawandel: Diagnose, Prognose, Therapie (9. Aufl.). Beck. Renggli, C. (2006). Behinderung und Sport. Eine essayistische Bildbetrachtung. In E. O. Graf (Hrsg.), Die Unausweichlichkeit von Behinderung in der Kultur (S. 93–102). Edition Soziothek. Schlottmann, A., & Miggelbrink, J. (2009). Visuelle Geographien – ein Editorial. Social Geography, 4(1), 1–11. Tajmel, T., & Hägi-Mead, S. (2017). Sprachbewusste Unterrichtsplanung: Prinzipien, Methoden und Beispiele für die Umsetzung. Waxmann. Van de Pol, J., Volman, M., & Beishuizen, J. (2010). Scaffolding in teacher-student interaction: A decade of research. Educational Psychology Review, 22(3), 271–296.

Machtsensible geographische Bildung Ein Mystery zur Klimagerechtigkeit

22

Birte Schröder und Felicitas Kübler

 Teaser  Im folgenden Beitrag setzen wir uns mit der Frage von Klima-

gerechtigkeit und kritisch-emanzipatorischen Handlungsmöglichkeiten angesichts des globalen Klimawandels auseinander. Dabei geht es sowohl darum, Schüler*innen das Angebot zu machen, sich kritisch mit translokalen Auswirkungen ihres eigenen Handelns auseinanderzusetzen, ihnen durch die Berücksichtigung von Klimaprotesten im Globalen Süden alternative Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und sie so darin zu unterstützen, ihr Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.

22.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Politische Ökologie – Klimagerechtigkeit Durch den Klimawandel verändert sich unsere Lebenswelt auf einer globalen Skala. Besonders betroffen sind jedoch Regionen im Globalen Süden. Mithilfe der politischen Ökologie können diese Veränderungen im Kontext von gesellschaftlichen und politischen Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi. org/10.1007/978-3-662-65730-0_22. B. Schröder (*)  Leibniz-Institut für Bildungsmedien I Georg-Eckert-Institut, Braunschweig, Deutschland E-Mail: [email protected] F. Kübler  Institut für Geographie und Regionalforschung, Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_22

289

290

B. Schröder und F. Kübler

Aushandlungsprozessen analysiert und ungleiche Machtverhältnisse und Handlungsmöglichkeiten berücksichtigt werden (Mattissek & Sakdapolrak, 2016). Insbesondere in Zusammenhang mit dem Klimawandel zeichnet sich die Wechselwirkung von „sozialen Ungleichheiten mit ökologischen Bedrohungslagen“ ab (Backhouse & Tittor, 2019: 299). Unregulierter Rohstoffabbau, Bergbau, Bodenerosion und -degradation haben an vielen Orten des Globalen Südens zu einer irreversiblen Umweltzerstörung geführt und gefährden dadurch die Lebens- und Ernährungsgrundlage der Menschen vor Ort (Harvey, 2015). Zugleich wird der entstandene Mehrwert im Globalen Norden akkumuliert. Vor diesem Hintergrund fordern Regierungen im Globalen Süden, indigene Gruppen und NGOs mit jeweils differenzierenden Fokussen Klimagerechtigkeit (Fisher, 2015). Dabei geht es einerseits um die gerechte Verteilung von Umweltgütern, Partizipation und Anerkennung, andererseits um die ungleiche Entwicklung im Globalen Süden und globale Interdependenz (ebd.). Das Konzept Klimagerechtigkeit ist Teil der internationalen Debatte über die (historische) Verantwortung von Staaten für den Klimawandel (Fisher, 2015). Zugleich ist die Umsetzung von Klimagerechtigkeit komplexer. So fordert Amartya Sen (2011) Gerechtigkeit nicht an Institutionen und Regeln zu bemessen, sondern an deren realer, gesellschaftlicher Verwirklichung. Dies lenkt den Blick auf die multiskalare, widersprüchliche Aushandlung von Klimagerechtigkeit jenseits der nationalstaatlichen Ebene. Zum Beispiel führt das sogenannte Green Grabbing (Fairhead et al., 2012) im Kontext des Anbaus von „Biomasse zur energetischen Nutzung“ in Westafrika zu Konflikten mit der bisherigen gewohnheitsrechtlichen landwirtschaftlichen Nutzung (Bauriedl, 2018: 186) und damit zur weiteren Prekarisierung sozioökonomisch schwacher Gruppen. Somit „ist es kein Naturgesetz, wenn Umweltereignisse besonders für arme Gruppen in peripheren Regionen zu einer existenziellen Katastrophe werden, sondern die Konsequenz eklatanter globaler sozialer Ungleichheiten“ (Backhouse & Tittor, 2019: 299). Insbesondere im lateinamerikanischen Kontext hat sich die Forderung nach Klimagerechtigkeit entlang von Dekolonialisierungsdiskursen entwickelt (Rodríguez & Inturias, 2018). Aus postkolonialer Sicht lässt sich eine fundamentale Kritik an der Ausrichtung internationaler Klimapolitik formulieren. Postkoloniale Perspektiven sind diverse Ansätze, die das Ziel verfolgen: „to invert, expose, transcend or deconstruct knowledges and practices associated with colonialism“ (Sidaway, 2000: 592). In Bezug auf die globale Aushandlung von Klimaschutz und Klimagerechtigkeit ermöglicht diese Perspektive eine kritische Prüfung der Orientierung an eurozentrischen und westlichen Ideen von Klima und Umwelt. Ein Beispiel dafür sind die gängigen Mechanismen, mittels derer natürlichen Ressourcen monetäre Werte zugewiesen werden (Bauriedl, 2018). Die Transformation dieses Vorgehens könnte eine radikale Demokratisierung globaler (Klimaschutz-)Politik bedeuten (Mousie, 2012), wodurch diverse Perspektiven anerkannt würden, was wiederum die Voraussetzung für die Realisierung von Klimagerechtigkeit darstellt.

22  Machtsensible Geographische Bildung

291

Infobox 22.1: Green Grabbing

Green Grabbing bezeichnet die Aneignung von Land und Ressourcen mit dem vordergründigen Zweck, die Umwelt zu schützen. Der Begriff schließt an die Debatte um Land Grabbing an und bezeichnet die großflächige Landnahme internationaler Unternehmen im Globalen Süden zum Anbau von Biotreibstoffen und erneuerbaren Ressourcen. Diese Flächen, insbesondere in vielen afrikanischen Ländern, gehören offiziell dem Staat und werden von Bauern und Bäuerinnen nach Gewohnheitsrecht bewirtschaftet. Die Bauern und Bäuerinnen haben meist nur geringe Möglichkeiten, ihre Nutzungsrechte wiederzugewinnen, was eine zunehmende Prekarisierung ihrer Existenz bedeutet, denn durch den Verlust an Flächen wird die Ernährungssicherung erschwert. Zugleich bietet die Arbeit auf den neu entstandenen Plantagen nur geringe Löhne.

Infobox 22.2: Klimagerechtigkeit

Klimagerechtigkeit ist ein ethisch-normativ begründetes Konzept, welches die ungleiche Verantwortung für und Betroffenheit durch den anthropogenen Klimawandel kritisiert. Während die Hauptverursacher der globalen Erwärmung die Industrieländer im Globalen Norden sind, sind Menschen im Globalen Süden heute von den Auswirkungen der Klimaveränderung bereits durch längere Dürreperioden, Hitze und andere extreme Wetterereignisse stärker betroffen. Klimagerechtigkeit setzt an dieser Stelle an. Es geht darum, die besondere Verantwortung der Industrienationen für die Veränderung des Klimas zu benennen. Das bedeutet auch die Kritik der wirtschaftlichen und politischen Strukturen, die diese Ungerechtigkeit zulassen und die Forderung von Entschädigungen für die Menschen im Globalen Süden. Dabei sind diese Forderungen sehr unterschiedlich: Während Nationalstaaten wie Indien oder China die Forderung nach Klimagerechtigkeit mit wirtschaftlichen Entwicklungen begründen, verbinden indigene Communitys in Südamerika die Forderung nach Klimagerechtigkeit mit einer fundamentalen Kritik an den bestehenden Verhältnissen.

Weiterführende Leseempfehlung Bauriedl, S. (2018). Klimawandel und internationale Klimapolitik im Nord-Süd-Verhältnis. In C. Meyer, A. Eberth, & B. Warner (Hrsg.), Diercke – Klimawandel im Unterricht: Bewusstseinsbildung für eine nachhaltige Entwicklung (S. 182–189). Braunschweig: Westermann. Problemorientierte Fragestellungen Die „Fridays for Future“-Aktivistin Vanessa Nakate aus Uganda setzt sich für mehr Klimagerechtigkeit ein.

292

B. Schröder und F. Kübler

• Wie hängen Auswirkungen des Klimawandels in Uganda mit Lebensweisen und Handlungen von Menschen in Deutschland zusammen? • Warum twittert Vanessa auch auf Deutsch?

22.2 Fachdidaktischer Bezug: Machtsensible geographische Bildung Die fachdidaktische Grundlage des Bausteins bilden machtsensible Konzepte geographischer Bildung (Schröder, 2016). Diese greifen auf theoretische Perspektiven der Rassismuskritik und der Kritischen Weißseinsforschung zurück. Ein machtsensibler Geographieunterricht ermöglicht es Schüler*innen, sich der eigenen Eingebundenheit in eine durch Macht- und Ungleichheitsverhältnisse strukturierte Welt bewusst zu werden. Und zwar auch dann, wenn sie nicht bewusst-intendiert machtvoll handeln. Es geht um Formen von Macht, die sich in Wahrnehmung, Denken, Sprechen und Handeln niederschlagen. Das kann bei Äußerungen der Fall sein, die zwar nicht rassistisch intendiert sind, die aber dennoch rassismusrelevante Auswirkungen haben. Es können aber auch – wie im vorgestellten Unterrichtsbaustein – Handlungen sein, die entlang eines ­Machtgefälles stattfinden. Solche Formen von Machtausübung sind so weit normalisiert, dass sie häufig verkannt werden. Machtsensibilität bezeichnet zwei Denkbewegungen: erstens Bewusstwerdung und zweitens Selbstreflexion. Das bedeutet: anderes Wissen anzuerkennen, problematische Auswirkungen von vermeintlich „normalen“, „unproblematischen“ oder „guten“ Deutungs- und Handlungsmustern zu erkennen und das eigene Sprechen und Handeln vor diesem Hintergrund zu reflektieren und zu verändern (Schröder, 2016: 23). Diese zweifache Denkbewegung bezieht sich sowohl auf die Ebene individueller Agency als auch auf strukturelle Gegebenheiten. Der machtsensible Ansatz lässt sich mit einer reflexiven Geographiedidaktik vereinbaren, zu deren Zielen es gehört, „Schüler*innen unterschiedliche Raumkonzepte (Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der DGfG, 2002: 8) zu vermitteln und dadurch zu einem reflektierten Blick auf die eigenen Wahrnehmungen von und Verflechtungen mit dem ‚Anderen‘ zu kommen“ (Schröder & Carstensen-Egwoum, 2020: 351, eigene Hervorh.). Der Unterrichtsbaustein thematisiert Raumkonstruktionen durch Handeln bzw. das „alltägliche Geographie-Machen“ (Werlen, 1999). Dem Prinzip der Lebensweltorientierung folgend, rückt der Unterrichtsbaustein Fragen danach in den Blick, wie die Schüler*innen durch ihr alltägliches Geographie-Machen die Welt auf sich beziehen und mit welchen Auswirkungen sie die Welt zugleich gestalten (Wardenga, 2002). Unter machtsensibler Zielsetzung wird das alltägliche Geographie-Machen reflexiv eingeholt, bewusst gemacht und kritisch hinterfragt (Schröder, 2016). Im Sinne der Handlungsorientierung wird der kritisch-reflexive Ansatz durch emanzipatorische pädagogische Ansätze ergänzt, um den Schüler*innen alternative Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

22  Machtsensible Geographische Bildung

293

In Bezug auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit Fragen globaler Klimawandelfolgen und Klimagerechtigkeit sowie die transformative Zielsetzung knüpft der Unterrichtsbaustein zudem an die Diskussionen um „transformative Bildung“ an. Unter diesem Schlagwort werden disziplinübergreifend Konzepte der schulischen und außerschulischen Bildung diskutiert, die zu einer sozialökologischen Transformation beitragen können. So spricht beispielsweise das UN-Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ von „transformativer Bildung“ (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017). Die vorgestellten fachdidaktischen Ansätze und Konzepte eint ihr kritisch-reflexives und transformatives Interesse. Schüler*innen sollen Reflexions- und Handlungsangebote für epochaltypische Schlüsselprobleme und komplex strukturierte globale Zusammenhänge gemacht werden, in die ihr alltagsweltliches Handeln unweigerlich eingebettet ist. Alltagssituationen und -probleme sollen durch die Anwendung fachlicher Konzepte und Methoden analysierbar, reflektiebar und gestaltbar werden (Jekel & Pichler, 2017: 6). Dieser Anspruch lässt sich gut mit der Perspektive einer postkolonialen politischen Ökologie vereinbaren, die komplexe, translokale Mensch-Umwelt-Beziehungen in den Blick rückt und nach deren Einbettung in Machtverhältnisse fragt. Weiterführende Leseempfehlung Schröder, B. & Carstensen-Egwuom, I. (2020). „More than a single story“: Analysen und Vorschläge zum Einstieg in den Geographieunterricht. In: Fereidooni, K. & N. Simon (Hrsg.), Rassismuskritische Fachdidaktiken. Theoretische Reflexionen und fachdidaktische Entwürfe rassismuskritischer Unterrichtsplanung (S. 349–375). Wiesbaden: Springer VS. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Transformative Bildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, geographiedidaktische Raumkonzepte

22.3 Unterrichtsbaustein: Ein Mystery zum Thema Klimagerechtigkeit Der Unterrichtsbaustein und die Unterrichtsmaterialien im digitalen Materialanhang ermöglichen es Schüler*innen, das eigene Handeln hinsichtlich seiner Einbettung in globale politökonomische Machtverhältnisse sowie seiner translokalen Folgen zu reflektieren. Lebenswelten und Handlungsmöglichkeiten der Schüler*innen in Deutschland werden durch ein Mystery in ihren relationalen Bezügen zu Lebenswelten und Handlungsmöglichkeiten von Menschen in Uganda thematisiert. Das im digitalen Materialanhang vorgeschlagene Mystery (M1) zu Klimawandelfolgen in Uganda verdeutlicht die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel als Ursache für die Gefährdung von Ernährungssicherheit und Konflikte um Land

294

B. Schröder und F. Kübler

in Uganda (Aufgabe 1–3). Ernährungssicherheit und Landkonflikte werden sowohl im Zusammenhang mit direkten Klimawandelfolgen aufgegriffen als auch im Zusammenhang mit europäischen Klimaschutzmaßnahmen, die dazu beitragen, den Druck auf die Ressource Land in Uganda zusätzlich zu erhöhen. Das Mystery verdeutlicht anhand des Beispiels von privaten Ausgleichszahlungen für individuelle CO2-Emissionen, wie die Klimakrise zu neuen Politiken führt. Diese tragen im Fall von Emissionszertifikatehandel dazu bei, Wald im Globalen Süden als Kohlenstoffsenken für den übermäßigen Treibhausgasausstoß in Europa zu definieren und zu kommodifizieren (vgl. Bauriedl, 2018: 184 ff.). Dabei wird implizit auch die Frage der eigenen Einbettung in diese Zusammenhänge aufgeworfen (Aufgabe 4). Das vorgeschlagene Mystery thematisiert somit aus einer problemorientierten Perspektive anhand des Beispiels Uganda regional differenzierende Folgen des Klimawandels, Green Grabbing sowie den daraus entstehenden Verlust an Landnutzungsrechten und Ernährungssouveränität im Globalen Süden. Diese Verbindungen lassen sich auch mit dem Konzept der imperialen Lebensweise (Brand & Wissen, 2017) beschreiben. Dies richtet den Blick zurück auf den Globalen Norden. Denn die politische und gesellschaftliche Akzeptanz, Treibhausgasemissionen zu externalisieren und zu kompensieren, versetzt Industrieländer in die Lage, nicht nachhaltige Wirtschaftsformen und Konsummuster fortzuführen und zugleich ökologisch korrekt zu erscheinen, ohne schnelle oder radikale Lösungen für ihre „Überemission“ finden zu müssen. (Bauriedl, 2018: 188) Infobox 22.3: Imperiale Lebensweise

Imperiale Lebensweise: Dieser Begriff geht auf die Arbeit der Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen zurück. Er verweist auf die „Produktions-, Distributions- und Konsumnormen, die tief in die politischen, ökonomischen und kulturellen Alltagsstrukturen und -praxen der Bevölkerung im Globalen Norden und zunehmend auch in den Schwellenländern des Globalen Südens eingelassen sind“ (Brand & Wissen, 2017: 44). Das bedeutet, dass sowohl der Alltag von Menschen als auch die gesellschaftlichen Strukturen in den Blick genommen werden und so diese Lebensweise im Kontext der kapitalistischen Verhältnisse analysiert wird. Dadurch werden Konsumpraktiken und -möglichkeiten kritisiert, die im Globalen Norden Teil des dominanten Konzeptes eines „guten Lebens“ sind, de facto jedoch nur durch die Externalisierung von Umweltschäden und die Ausbeutung ökologischer und sozialer Ressourcen im Globalen Süden realisiert werden können. Für die meisten Menschen im Globalen Norden ist es selbstverständlich, dass sie Anspruch auf seltene, umkämpfte Rohstoffe, z. B. für Smartphones, haben und ihr Bedarf an Konsumgütern durch billige Arbeitskräfte im Globalen Süden befriedigt wird (Bauriedl, 2018: 187). Alternativen zum gängigen Konsumanspruch (z. B. Vegetarismus) werden von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt (ebd.).

22  Machtsensible Geographische Bildung

295

Zur Bewertung des im Mystery dargestellten Wirkungsgefüges wird im digitalen Materialanhang das fachliche Konzept der Klimagerechtigkeit (M3) angeboten. Dadurch sollen die Schüler*innen Fragen von Verantwortung für den Klimawandel aus globalgeschichtlicher Perspektive diskutieren können (Aufgabe 5 und 6). Denn als Bewertungsfolie ermöglicht es Klimagerechtigkeit, die höhere Vulnerabilität von Ländern des Globalen Südens gegenüber dem Klimawandel in Relation zur historisch weitaus größeren Verantwortung des Globalen Nordens zu betrachten. Zusätzlich kann die im Mystery thematisierte Nutzung von Wald im Globalen Süden als Kohlenstoffsenke für die Emissionen des Globalen Nordens kritisch hinterfragt werden. Dadurch, dass im Unterrichtsmaterial die translokalen Verflechtungen und Wechselwirkungen in strukturelle Machtverhältnisse eingebettet thematisiert werden, soll verdeutlicht werden, dass sich diese Machtgefälle und ihre materiellen Ausprägungen nicht auf individueller Ebene z. B. durch nachhaltigen Konsum beheben lassen. Fragen von Klimagerechtigkeit müssen als komplexe gesellschaftliche Gemengelagen gedacht werden. Damit soll auch einer „vorschnelle[n] ‚Handlungsorientierung‘“ (Schröder & Carstensen-Egwuom, 2020: 367) im Sinne einer individuellen Lösbarkeit durch verändertes Handeln der Schüler*innen entgegengewirkt werden. Denn dies spricht Schüler*innen eine große Handlungsmacht zu und bürdet ihnen gleichzeitig eine hohe individuelle Verantwortung auf, die kaum einlösbar erscheint. Gleichwohl ist es aus emanzipatorischer Perspektive wichtig, Schüler*innen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Denn ist „die Kluft zwischen der gewünschten Systemveränderung und den eigenen Handlungsmöglichkeiten zu groß, [können] zynische und fatalistische Haltungen unterstützt werden“ (Leiprecht, 2009: 254). Wir verstehen es im Anschluss an Castro Varela und Jagusch (2009: 276) daher als Teil emanzipatorischer Bildung, Schüler*innen darin zu unterstützen, selbstbewusst und selbstbestimmt gesellschaftlich und politisch zu partizipieren. Vor diesem Hintergrund stellen wir im Anschluss an das Mystery in M4 des Materialanhangs die ugandische „Fridays for Future“-Aktivistin Vanessa Nakate vor, die sich für mehr Klimagerechtigkeit einsetzt (Aufgabe 7). Sie ist als FFF-Aktivistin international bekannt und kann als empowerndes Vorbild für die Schüler*innen wirken. In ihren Ideen und Forderungen lassen sich gleichzeitig konkrete gesellschaftspolitische Handlungs- und Artikulationsmöglichkeiten für Menschen im Globalen Norden finden. Auf diese Weise sollen Schüler*innen vielfältige kollektive Handlungsmöglichkeiten kennenlernen. Der Geographieunterricht riskiert dann nicht, lediglich im gesellschaftlichen Commons Sense bereits weit verbreitete individuelle Handlungsangebote wie z. B. nachhaltigen Konsum zu wiederholen. Vielmehr werden Lernenden neue, nicht eurozentrische Perspektiven eröffnet und das Spektrum an Handlungsmöglichkeiten kann erweitert werden. Damit löst das Unterrichtsmaterial gleichzeitig das Prinzip der Multiperspektivität sowie einen emanzipatorischen Anspruch ein.

296

B. Schröder und F. Kübler

Beitrag zum fachlichen Lernen Am Beispiel von Uganda bewerten die Schüler*innen Auswirkungen von Klimawandel und Klimapolitik auf den Globalen Süden in Bezug auf Klimagerechtigkeit. Sie setzen sich dabei kritisch mit translokalen Auswirkungen von Handlungsmustern auseinander, die anschlussfähig an ihre Lebenswelten sind und weithin als umweltbewusst gelten. Mit Vanessa Nakate lernen sie eine Aktivistin aus dem Globalen Süden kennen, die sich für mehr Klimagerechtigkeit einsetzt, und überlegen, was sie selbst zu mehr Klimagerechtigkeit beitragen können. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S17 „das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen […] beschreiben und analysieren“ (DGfG, 2020: 15) Durch das Mystery wird diese Kompetenz gefördert, indem räumliche Wechselwirkung zwischen globalen politökonomischen Strukturen und lokalen Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt erkannt werden. Die Schüler*innen reflektieren zudem, dass sie durch ihr Handeln unwillkürlich Teil des globalen Wirkungsgefüges aus Politik, Ökonomie und Ökologie werden. • Beurteilung/Bewertung: S8 „geographisch relevante Sachverhalte und Prozesse […] in Hinblick auf diese Normen und Werte bewerten“ (ebd.: 25) Die Schüler*innen können Stellung zu den räumlich differenzierenden Auswirkungen des Klimawandels nehmen und deren politische und gesellschaftliche Bearbeitung mithilfe des Konzepts Klimagerechtigkeit reflektieren und beurteilen. Durch die Formulierung dieses normativ begründeten Urteils wird zugleich die Urteils- und Argumentationskompetenz gefördert. Klassenstufe und Differenzierung 9. und 10. Jahrgangsstufe Zur Differenzierung für die Oberstufe kann der Schwierigkeitsgrad des Mysterys dadurch erhöht werden, dass der „Tipp zur Bearbeitung des Mysterys“ (s. Kopiervorlage) weggelassen wird. Auf diese Weise entfällt die Unterstützung zur thematischen Gruppierung der Kärtchen. Zudem können Schüler*innen sich beispielsweise anhand der vorgeschlagenen Materialien (Podcast, Online-Lernlandschaft, Interview, s. u.) intensiver mit dem Konzept von Klimagerechtigkeit und zusätzlich auch mit dem Konzept der imperialen Lebensweise auseinandersetzen. In eigener Recherche können sie sich über weitere Akteur*innen informieren, die sich für mehr Klimagerechtigkeit einsetzen. Dabei kann es sowohl um Akteur*innen in Deutschland als auch in Afrika gehen (als Ausgangspunkt können hier ebenfalls die Tipps (s. u.) genutzt werden).

22  Machtsensible Geographische Bildung

297

Infobox 22.4: Tipps für Lehrer*innen

Eine dekoloniale und rassismuskritische Perspektive auf die Klimakrise: BUNDjugend (Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.) 2021 (Hrsg.): Kolonialismus & Klimakrise – Über 500 Jahre Widerstand. https:// www.bundjugend.de/wp-content/uploads/Kolonialismus_und_Klimakriseueber_500_Jahre_Widerstand.pdf Online-Lernlandschaft zum Thema Klimagerechtigkeit: https://blog.infoe. de/2018/10/20/lernlandschaft-klimagerechtigkeit/ Podcast „Umweltrassismus: Warum die Klimabewegung so weiß wirkt“ (Episode 5 des Podcasts Mit freundlichen Grüßen) https://soundcloud.com/ leftstylemag/mit-freundlichen-grusen-5-umweltrassismus-warum-die-klimabewegung-so-weis-wirkt Afrikanische Umwelt- und Klimaaktivist:innen im Porträt:  Ugochukwu, Nnaemeka (2020): 7 Top African Environmental and Climate Activists Fighting for a Sustainable Future. In: Eco Warrior Princess. https://ecowarriorprincess. net/2020/03/7-top-african-environmental-climate-activists-sustainable/ Interview mit der Berliner Aktivistin für Umwelt- und Klimagerechtigkeit, Rebecca Abena Kennedy-Asante. „Fridays for Past, Present, and Future: Rebecca Abena Kennedy-Asante erklärt, warum die Klimakrise jetzt schon vor allem Schwarze, Indigene und Menschen of Colour trifft“. In: ak: analyse & kritik (2019). https://www.akweb.de/bewegung/fridays-for-past-present-and-future/

Räumlicher Bezug Karlsruhe, Deutschland, Kikonda Forest Reserve, Uganda, Ostafrika Konzeptorientierung Deutschland: Maßstabsebene (global), Raumkonzept (konstruierter Raum) Österreich: Interessen, Konflikte und Macht, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Kontingenz Schweiz: Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.1)

22.4 Transfer Mithilfe dieses Ansatzes lassen sich komplexe Mensch-Umwelt-Fragen bearbeiten, die globale politökonomische Machtverhältnisse, lebensweltliches Handeln der Schüler*innen, globale Schlüsselprobleme und Gerechtigkeitsfragen betreffen, wie die Externalisierung von Umweltkosten in den Globalen Süden (Rohstoffextraktion; Müllexport; Fast-FashionIndustrie). Auch die Themen Landwirtschaft und Entwicklung, Ernährungssicherheit und -souveränität können auf eine solche Weise in ihren translokalen, multikausalen Zusammenhängen kritisch betrachtet werden (z. B. Mystery von Tillmann & Kersting, 2017).

298

B. Schröder und F. Kübler

Die Grenzen des vorgestellten Ansatzes liegen in der Gefahr von Entmutigung und Frustration der Schüler*innen, da die komplexen Probleme nicht durch individuelles Handeln oder Verhaltensanpassung gelöst werden können. Der Unterrichtsbaustein zielt auf „ein geduldiges, langsames, im Bewusstsein der eigenen Begrenztheit operierendes Lernen“ (Schröder & Carstensen-Egwuom, 2020: 367). Gleichzeitig sollte bedacht werden, dass westliche Perspektiven und Wissensbestände reflektiert werden, um Menschen im Globalen Süden nicht als Opfer erscheinen zu lassen, deren Handlungsfähigkeit und Widerstände ausgeblendet werden. Verweise auf andere Kapitel • Eberth, A. & Lippert, S.: Inklusion. Postkolonialismus – Othering. Band 2, Kapitel 13. • Fögele, J. & Hoffmann, K. W.: Wissenschaftsorientierung. Klimawandel. Band 1, Kapitel 20. • Pettig, F. & Raschke, N.: Transformative Bildung. Zukunftsforschung und Megatrends – Ernährung. Band 2, Kapitel 24. • Scholten, N., Nöthen, E. & Sprenger, S.: Sprachbewusster Umgang mit Bildern. Klimawandel – Auswirkungen des Klimawandels. Band 1, Kapitel 21.

Literatur Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der DGfG. (2002). Grundsätze und Empfehlungen für die Lehrplanarbeit im Schulfach Geographie. Hrsg. V. Gesellschaft für Geographie (DGfG). Bonn. Backhouse, M., & Tittor, A. (2019). Für eine intersektionale Perspektive auf globale sozial-ökologische Ungleichheiten. In K. Dörre, H. Rosa, K. Becker, S. Bose, & B. Seyd (Hrsg.), Große Transformation? Zur Zukunft moderner Gesellschaften (S. 297–309). Springer Fachmedien Wiesbaden. Bauriedl, S. (2018). Klimawandel und internationale Klimapolitik im Nord-Süd-Verhältnis. In C. Meyer, A. Eberth, & B. Warner (Hrsg.), Diercke – Klimawandel im Unterricht. Bewusstseinsbildung für eine nachhaltige Entwicklung (S. 182–189). Westermann. Brand, U., & Wissen, M. (2017). Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. Oekom. Castro Varela, M., & Jagusch, B. (2009). Möglichkeitsräume und Widerstandsstrategien: Überlegungen zu einer geschlechtergerechten und antirassistischen Jugendarbeit. In. W. Scharathow & R. Leiprecht (Hrsg.), Rassismuskritik. Band 2: Rassismuskritische Bildungsarbeit (S. 266– 282). Wochenschau-Verl. (Reihe Politik und Bildung, 48). DGfG (Deutsche Gesellschaft für Geographie e. V.) (Hrsg.) (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss mit Aufgabenbeispielen. 10. Auflage. https:// geographie.de/wpcontent/uploads/2020/09/Bildungsstandards_Geographie_2020_Web.pdf. Zugegriffen: 8. Nov. 2022. Fairhead, J., Leach, M., & Scoones, I. (2012). Green Grabbing: A new appropriation of nature? Journal of Peasant Studies, 39(2), 237–261. https://doi.org/10.1080/03066150.2012.671770 Fisher, S. (2015). The emerging geographies of climate justice. The Geographical Journal, 181(1), 73–82. https://doi.org/10.1111/geoj.12078

22  Machtsensible Geographische Bildung

299

Harvey, D. (2015). Seventeen contradictions and the end of capitalism. Paperback ed. Profile Books. Jekel, T., & Pichler, H. (2017). Vom GW-Unterrichten zum Unterrichten mit geographischen und ökonomischen Konzepten. Zu den neuen Basiskonzepten im österreichischen GW-Lehrplan AHS Sek II. GW-Unterricht, 147(3), 5–15. http://austriaca.at/0xc1aa500e%200x0036c89d.pdf. Leiprecht, R. (2009). Pluralismus unausweichlich? Zur Verbindung von Interkulturalität und Rassismuskritik in der Jugendarbeit. In W. Scharathow & R. Leiprecht (Hrsg.), Rassismuskritik. Band 2: Rassismuskritische Bildungsarbeit (S. 244–265). Wochenschau-Verl. (Reihe Politik und Bildung, 48). Mattissek, A., & Sakdapolrak, P. (2016). Gesellschaft und Umwelt. In T. Freytag, H. Gebhardt, U. Gerhard, & D. Wastl-Walter (Hrsg.), Humangeographie kompakt (S. 13–37). Springer. Mousie, J. (2012). Global environmental justice and postcolonial critique. Environmental Philosophy, 9(2), 21–46. http://www.jstor.org/stable/26169756. Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung. (2017). Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm. Hg. v. Bundesministerium für Bildung und Forschung. Berlin. https://www.bne-portal.de/files/ Nationaler_Aktionsplan_Bildung_f%c3%bcr_nachhaltige_Entwicklung_neu.pdf. Zugegriffen: 7. Febr. 2021. Rodríguez, I., & Inturias, M. L. (2018). Conflict transformation in indigenous peoples’ territories: Doing environmental justice with a ‘decolonial turn’. Development Studies Research, 5(1), 90–105. https://doi.org/10.1080/21665095.2018.1486220 Schröder, B. (2016). Machtsensible geographiedidaktische Konzepte des interkulturellen Lernens – Potenziale einer postkolonialen Perspektive. GW-Unterricht, 144, 15–28. Schröder, B., & Carstensen-Egwuom, I. (2020). ‚More than a single story‘: Analysen und Vorschläge zum Einstieg in den Geographieunterricht. In K. Fereidooni & N.Simon (Hrsg.), Rassismuskritische Fachdidaktiken. Theoretische Reflexionen und fachdidaktische Entwürfe rassismuskritischer Unterrichtsplanung (S.  349–375). Springer VS (Pädagogische Professionalität und Migrationsdiskurse). Sen, A. (2011). The idea of justice. Belknap Press of Harvard University Press. Sidaway, J. D. (2000). Postcolonial geographies: An exploratory essay. Progress in Human Geography, 24(4), 591–612. https://doi.org/10.1191/030913200100189120 Tillmann, A., & Kersting, P. (2017). Landwirtschaft und Entwicklung in einer sich vernetzenden Welt – Translokale Zusammenhänge mit einem Mystery entschlüsseln. Hg. v. AFRASO. http:// www.afraso.org/en/content/landwirtschaft-und-entwicklung-einer-sich-vernetzenden-welt. Zugegriffen: 7. Febr. 2021. Wardenga, U. (2002). Räume der Geographie – zu Raumbegriffen im Geographieunterricht. geographie heute, 23(200), 8–11. Werlen, B. (1999). Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen. Band 1: Zur Ontologie von Gesellschaft und Raum. 2., völlig überarb. Aufl. Steiner (Erdkundliches Wissen, 116).

Handlungsorientierte Sozialgeographie Raumwirksamkeit von Energieträgern und Energienutzung

23

Andreas Keil und Miriam Kuckuck

 Teaser  Mit dem vorliegenden Beitrag wird deutlich, dass die handlungs-

orientierte Sozialgeographie ein fachlich und fachdidaktisch (s. „Raumkonzepte“ in Abschn. 12.2, Band 2) prägendes geographisches Paradigma geworden ist. In fachlicher Sicht wird am Beispiel des Rheinischen Braunkohlereviers die Raumwirksamkeit des durch die Energiewende ausgelösten Strukturwandels bearbeitet, indem die Schüler*innen die handelnden Akteure und die sich aus dem Konflikt ergebenen Probleme analysieren.

23.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Energieträger – Energiewende Energieträger und deren -Nutzung sind raumwirksam geworden, da die Industrialisierung seit dem 19. Jahrhundert in großem Ausmaß zur Nutzung fossiler Energieträger und zur klimaschädlichen Emission beigetragen hat. Grundlegend verändert wurde die Energienutzung in Deutschland durch das „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ (EEG, in erster Fassung verabschiedet im Jahr 2000), mit dem im Sinne internationaler Klimaabkommen die Reduzierung des CO2-Ausstoßes angestrebt wird. Die Zielsetzung des EEG besteht

A. Keil (*) · M. Kuckuck  Institut für Geographie und Sachunterricht, Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Kuckuck  E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_23

301

302

A. Keil und M. Kuckuck

darin, „im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und den Beitrag Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung deutlich zu erhöhen“ (EEG 2000: 305, zit. in Kühne & Weber, 2018: 4). In diesem Sinne empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung (WBGU) eine „Energiewende zur Nachhaltigkeit“ (WBGU, 2003), die sich aus vier Hauptbestandteilen zusammensetzt und deren Umsetzung bis heute schon weit vorangeschritten ist: Erstens wird die „starke Minderung der Nutzung fossiler Energieträger“ (ebd.: 2) empfohlen. So wurde im Jahr 2020 das Kohleausstiegsgesetz beschlossen, mit dem schrittweise die Kohleverstromung in Deutschland reduziert und im Jahr 2038 enden soll (Zaspel-Heisters, 2020: 3). Dementsprechend wird es zu einer umfassenden räumlichen Umstrukturierung der Gebiete des Braunkohletagebaus kommen. Als zweiten Bestandteil nennt der WBGU ein „Auslaufen der Nutzung nuklearer Energieträger“ (WBGU, 2003: 2). Der Ausstieg aus der Kernenergie erfolgt in Deutschland bis Ende 2022 und ist vor allem mit dem Sicherheitsaspekt, den Ewigkeitskosten und den hohen Kosten für den Neubau von Kernkraftwerken zu begründen (vgl. Keil et al., 2020). Drittens wird ein „erheblicher Auf- und Ausbau neuer erneuerbarer Energieträger“ (WBGU, 2003: 2) gefordert. Diese Umstellung auf erneuerbare Energien erfolgt kontinuierlich und ist an den aktuellen Daten zur Stromerzeugung deutlich erkennbar (s. Abb. 23.1). In Abhängig-

in Mrd. kWh.

Stromerzeugung in Deutschland von 2005 bis 2020**

700 600 500 400 300 200 100 0

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020** Braunkohle

Steinkohle

Kernenergie

Erdgas

Mineralöle

Erneuerbare Energien

Übrige Energieträger

** vorläufig, teilweise geschätzt

Abb. 23.1   Stromerzeugung aus konventionellen und erneuerbaren Energien. (Eigene Darstellung nach: Bundesverband der Energie- & Wasserwirtschaft e. V., 2020)

23  Handlungsorientierte Sozialgeographie

303

keit von den naturräumlichen Voraussetzungen werden zunehmend die Möglichkeiten der Energiegewinnung durch Sonneneinstrahlung, Wind, Biomasse und Wasserkraft genutzt und entsprechende Anlagen sind raumprägend geworden. Als vierten Bestandteil einer „Energiewende zur Nachhaltigkeit“ spricht der WBGU die „Steigerung der Energieproduktivität“ (WBGU, 2003: 2) an. So sind beispielsweise die Stromentstehungskosten für Windenergie (Onshore) und Braunkohle etwa gleich groß (vgl. Fraunhofer Institut, 2018). Doch die Kosten für die Umwelt liegen bei der Braunkohle bei 20,81 Cent/kWh, bei der Onshore-Windkraft dagegen nur bei 0,28 Cent/ kWh (Umweltbundesamt, 2019: 18). Der Braunkohleausstieg bis zum Jahr 2038 wird im Sinne eines Strukturwandels neue Prozesse des Bewertens und Handelns von Akteuren im Raum bedingen, die mit dem vorgelegten fachdidaktischen Ansatz (s. u.) bearbeitet werden sollen. Der Braunkohletagebau sowie der Ausstieg daraus haben in der Vergangenheit und werden vermutlich auch in der Zukunft verschiedene Problemfelder aufrufen. So haben Prozesse der Umsiedlung, der Landschaftsdegradierung, der Umweltbelastung, des Arbeitsplatzabbaus etc. zu einigen Konflikten geführt. Im Überblick zeigt sich, dass die Energiewende eine große Raumwirksamkeit bedingt, mit der das Mensch-Umwelt-System als geographisches Basiskonzept auf den verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen mit den entsprechenden Systemkomponenten aufgegriffen werden kann. Weiterführende Leseempfehlung Venjakob, J. (2020). Zukunftsfeld Energie – Die Energiewende aus geographischer Perspektive. Praxis Geographie 11(20), 4–9. Problemorientierte Fragestellungen • Inwiefern sind die Handlungen der Akteure im Rheinischen Braunkohlerevier raumwirksam? • Welche Intentionen verfolgen die Akteure und mithilfe welcher Handlungen setzen sie diese um?

23.2 Fachdidaktischer Bezug: Handlungstheoretische Sozialgeographie Die handlungsorientierte Sozialgeographie (Werlen, 1995) wirkt in aktuelle geographiedidaktische Debatten hinein, wobei das Handeln der Menschen unter seinen jeweiligen sozial-kulturellen und physisch-materiellen Bedingungen in den Fokus rückt. Nicht mehr die räumlichen Begebenheiten beeinflussen das Handeln der Menschen, sondern die menschlichen Handlungen werden in den Mittelpunkt des Interesses gestellt und wie diese im Alltag „Geographie machen“ bzw. wie eine Regionalisierung der Alltagswelt durch menschliches Handeln erfolgt (Freytag & Mössner, 2016). In Anlehnung

304

A. Keil und M. Kuckuck

an Giddens und die von ihm entwickelte Strukturationstheorie (Giddens, 1988) geht Werlen davon aus, dass Handlungen auf Individuen zurückzuführen sind, welche handeln und denken können, wodurch Handlungen in ökonomische, soziale und kulturelle Zusammenhänge eingebunden sind. Durch Handlungen machen Menschen also alltäglich Geographie und nehmen Regionalisierungen vor, um räumliche Ordnungen herzustellen. Dabei sind die Menschen und ihre Handlungen immer in ihrem Kontext zu sehen, je nach Verortung im sozialen Raum folgen menschliche Handlungen bestimmten Normen und Werten. Die Handlungen werden demnach nicht nur selbst gewählt, sondern größtenteils unter gesellschaftlich auferlegten Umständen erbracht. Dies führt dazu, dass nicht alle Menschen über die gleichen Ressourcen (z. B. Macht, Gestaltungspotenzial) (Abb. 23.2) verfügen (Werlen & Lippuner, 2020: 707).

Soziopolische Instuonen/ gesellschaliche Spielregeln

Individuelle Biographie des Akteurs/ Normen, Ziele, Charisma

Räumlich gebundene Strukturen, Ressourcen, Macht

Akteur

Interessen

Individuelle Wahrnehmung des Akteurs

Raumkonstrukon Kommunikaon des Akteurs

+

Handlungen des Akteurs

Abb. 23.2   Bedingungen von Handlungen von Akteuren. (Quelle: eigene Darstellung, verändert nach Kuckuck, 2014: 31 und Reuber, 2001: 80)

23  Handlungsorientierte Sozialgeographie

305

Menschen üben Handlungen aus, um eigene Interessen, Vorstellungen und Ziele zu erfüllen oder bestehende Situationen zu bewahren. In der Forschung wird danach gefragt, was Individuen tun, und folgend, welche räumlichen Bedingungen bzw. Konsequenzen sich daraus ergeben und wie sie die Welt auf sich beziehen. Die Handlungen der Akteure in den Fokus der Betrachtung zu setzen, ermöglicht für den Geographieunterricht, unterschiedliche Themenkomplexe (z.  B. Standortentscheidungen von Unternehmen, Einfluss von Lebensstilen auf Warenströme, Raumwirksamkeit von Energieträgern) in Wert zu setzen. Im vorliegenden Beitrag liegt der Fokus auf den Handlungen von Akteuren im Bereich Wirtschaft (Energieversorgung) und Politik (räumliche Aneignung). Die handlungsorientierte Sozialgeographie kann dabei als Schablone dienen, um Themen im Geographieunterricht wissenschaftlich und unter Berücksichtigung des Beutelbachers Konsens (Wehling, 1977) kontrovers und vielperspektivisch zu untersuchen und um über Handlungen des alltäglichen Regionalisierens zu reflektieren. Mit diesen Bezügen kann Unterricht wissenschaftspropädeutisch wirksam werden. Die Auseinandersetzung mit Raum als Produkt von Handlungen und Verhalten (und auch Sprache) findet sich auch in zwei der vier Raumkonzepte für den Geographieunterricht wieder: der Wahrnehmungsraum und der Raum als Element von Kommunikation und Handlung (Wardenga, 2002). Die handlungsorientierte Sozialgeographie als didaktisches Prinzip im Geographieunterricht ermöglicht, die Handlungen der verschiedenen Akteure auf deren Raumwirksamkeit von Energieträgern und Energienutzen in ihrer Komplexität zu thematisieren. Weiterführende Leseempfehlung Werlen, B. (2002). Handlungsorientierte Sozialgeographie. Eine neue geographische Ordnung der Dinge. geographie heute 200, 12–15. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Raumkonzepte, Komplexität, Argumentation/Kommunikation

23.3 Unterrichtsbaustein: Handlungsorientierte Sozialgeographie am Beispiel des Rheinischen Braunkohlereviers Um die Raumwirksamkeit von Energieträgern und Energienutzung aus Perspektive der handlungsorientierten Sozialgeographie im Geographieunterricht der Sekundarstufe II zu betrachten, ist eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den beteiligten Akteuren von Bedeutung. Daher stehen die Akteure und ihre Handlungen im Fokus dieser Unterrichtseinheit, die von den Schüler*innen bewertet werden sollen. Am Beispiel des Rheinischen Braunkohlereviers sollen die Schüler*innen die Handlungen der Akteure untersuchen und bewerten.

306

A. Keil und M. Kuckuck

Die leitende Fragestellung des Unterrichtsbausteins lautet: Inwiefern sind die Handlungen der Akteure im Rheinischen Braunkohlerevier raumwirksam? Welche Intentionen verfolgen die Akteure und mithilfe welcher Handlungen setzen sie diese um? Die Schüler*innen der Sekundarstufe II sollen im Rahmen dieses Unterrichtsbausteins in Gruppenarbeit zu ihrem jeweiligen Akteur die Handlungen, bezogen auf die Maßstabsebene und auf die Zeitachse, recherchieren und festhalten. Eine Übersicht der Aufgliederung der Akteure ist Tab. 23.1 zu entnehmen. Die Schüler*innen können sich zunächst mit ihrem Akteur auseinandersetzen, indem sie diesen beschreiben (s. Abb. 23.3) und anschließend die Handlungen des Akteurs allgemein erfassen (s. Abb. 23.4). Anschließend soll eine differenzierte Betrachtung der Handlungen der Akteure erfolgen, indem in Anlehnung an Tabelle 23.1 die Schüler*innen Informationen recherchieren. Dadurch können zeitliche Entwicklungen, Prozesse und Veränderungen sowie globale Verflechtungen aufgezeigt werden. Beispielsweise wird durch diese differenzierte Betrachtung deutlich, dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) in der Vergangenheit (z. B. Wechsel der politischen Mehrheiten) andere Intentionen und damit Handlungen verfolgt hat als gegenwärtig. Die Schüler*innen erfahren dadurch, welche Kontexte und Bedingungen sich von global bis lokal bzw. von lokal bis global auswirken können (z. B. Wechsel der Landesregierung, Pariser Klimaabkommen usw.). Um die Handlungen der Akteure bewerten zu können, müssen diese komplexen Verflechtungen differenziert betrachtet werden. Dazu sollen sie im Internet nach Informationen recherchieren. Die Quellen müssen ebenso kritisch hinterfragt werden (vgl. Kap. 21, Band 2). Die Schüler*innen erfahren, dass Meinungsbildungsprozesse sehr komplex sind und nicht nur eine Referenz als Quelle herangezogen werden kann, sondern sich diese nur mit mehreren Quellen (Homepages, lokale, regionale und bundesweite Medienartikel, Interviewaussagen etc.) erschließen und verstehen lassen. Am Ende der Einheit sollen die Schüler*innen zu einer detaillierten Bewertung der Raumwirksamkeit der Handlungen kommen. Beitrag zum fachlichen Lernen Mithilfe der handlungsorientierten Sozialgeographie und des räumlichen Bezugs zum Braunkohletagebau im Rheinischen Revier erfahren die Schüler*innen die Raumwirksamkeit von Energieträgern und Energienutzung. Der Energiemix in Deutschland kann am Beispiel des sich verändernden Anteils der Braunkohle vertieft werden (s. Abb. 23.1). Die Auswirkungen des Tagebaus zeigen sich deutlich in den Handlungen der Akteure und im Raum. Die Verbindung von Handlungen und räumlichen Bezügen wird hier sehr deutlich. Kompetenzorientierung Beurteilung/Bewertung: S. 7 „geographisch relevante Werte und Normen (z. B. Menschenrechte, Naturschutz, Nachhaltigkeit) nennen“ (DGfG, 2020: 25); S. 8 „geographisch relevante Sachverhalte und Prozesse (z. B. Flussregulierung, Tourismus,

lokal

lokal

lokal

Maßstabsebene



Kohlekommission



lokal

Bürger*inneninitiativen lokal



Anwohner*innen

Kommune

Landesregierung

Bundesregierung

EU

UN

Politik

Zulieferbetriebe

RWE

Unternehmen

regional

regional

regional

regional

regional

national

national

national

national

national

EU

EU

EU

EU

EU

global

global

global

global

global

Vergangenheit Gegenwart

Vergangenheit Gegenwart

Vergangenheit Gegenwart

Vergangenheit Gegenwart

Vergangenheit Gegenwart

Tab. 23.1  Übersichtstabelle der Akteure und ihrer Handlungen auf der Maßstabs- und Zeitebene (Eigene Darstellung)

Zukunft

Zukunft

Zukunft

Zukunft

Zukunft

23  Handlungsorientierte Sozialgeographie 307

308

A. Keil und M. Kuckuck

Akteur: ___________________________________________________ Beschreibung des Akteurs: (Wer ist der Akteur? Welche Macht hat er? Inwiefern ist er involviert? Welche

Ressourcen/Ausstaung hat er? Von wem wird er unterstützt? Wie ist er in das globale Geflecht eingebunden?)

__________________________________________________________ __________________________________________________________ __________________________________________________________ __________________________________________________________ __________________________________________________________ Wie handelt der Akteur? Wie wird er durch sein Handeln raumwirksam?

Handlungen des Akteurs Abb. 23.3   Arbeitsblatt zur Beschreibung des Akteurs. (Eigene Darstellung)

Akteur: ___________________________________________________ Handlungen des Akteurs: (Wie handelt der Akteur? Welche Meinung vertri er? Wie wirken sich seine

Handlungen auf den Raum aus? Wie hat er in der Vergangenheit gehandelt? Wie handelt er derweil? Was sind seine Zukunspläne? Inwiefern hat sich sein Handeln verändert? Welche Auswirkungen hat das Handeln? )

__________________________________________________________ __________________________________________________________ __________________________________________________________ __________________________________________________________ __________________________________________________________ __________________________________________________________

Abb. 23.4   Arbeitsblatt zur Beschreibung der Handlungen des Akteurs. (Eigene Darstellung)

23  Handlungsorientierte Sozialgeographie

309

globale Ordnungen, Entwicklungshilfe/wirtschaftliche Zusammenarbeit, Ressourcennutzung) in Hinblick auf diese Normen und Werte bewerten“ (ebd.) Um die Handlungen der Akteure im Unterricht zu thematisieren, wird vor allem der Kompetenzbereich Beurteilung/Bewertung angesprochen. Im Sinne der Teilkompetenz B4 sollen die Schüler*innen die „Fähigkeit [erwerben,] ausgewählte geographisch/geowissenschaftlich relevante Sachverhalte/Prozesse unter Einbeziehung fachbasierter und fachübergreifender Werte und Normen [… zu] bewerten“ (DGFG, 2020: 25). Unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit sollen die Schüler*innen die „Eingriffe des Menschen in die Natur und Umwelt […] nach ihrer ökologischen, sozialen/politischen und wirtschaftlichen Verträglichkeit […] bewerten können“ (ebd.: 24). Neben den Kompetenzbereichen der Deutschen Gesellschaft für Geographie werden in diesem Beitrag auch Kompetenzen der Kultusministerkonferenz (KMK) zur „Bildung in der digitalen Welt“ (KMK, 2017) angesprochen. Im Kompetenzbereich 1 „Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren“ sollen die Schüler*innen (1.2.1) Informationen und Daten analysieren, interpretieren und kritisch bewerten sowie in (1.2.2) Informationsquellen analysieren und ebenfalls kritisch bewerten (ebd.: 16). Darüber hinaus sollen die Schüler*innen befähigt werden (2.5), an Gesellschaft aktiv teilzuhaben (ebd.: 17). Im ausgewählten Unterrichtsbaustein bewerten die Schüler*innen auf Basis der handlungsorientierten Sozialgeographie die Handlungen verschiedener Akteure im Konflikt zum Abbau der Braunkohle im Rheinischen Braunkohlerevier auf der Grundlage von selbst recherchierten und analysierten Zeitungsberichten und weiteren journalistischen Materialien (wie TV-Sendungen, Video-Spots etc.). Klassenstufe und Differenzierung Der Unterrichtsbaustein kann in der Sekundarstufe II eingesetzt werden. Beispielsweise wird im Kernlehrplan (Sek II) in NRW in einem spezifischen Inhaltsfeld zum Thema Energie die Bedeutung von „Energieträger[n] und deren Nutzung als Auslöser für räumliche Prozesse und politische Auseinandersetzungen“ (MSW, 2014: 17) betont. Der vorgelegte Baustein ist jedoch flexibel auch in der Sekundarstufe I einsetzbar, beispielsweise werden in NRW die passenden Inhaltsfelder 4 (Aufbau und Dynamik der Erde) und 5 (Wetter, Klima und Klimawandel) (MSB, 2020) genannt. Je nach Schwerpunktsetzung (Sek I oder Sek II) und Bereitstellung der Materialien können diese individuell eingesetzt werden, indem die Schüler*innen (der Sek I) beispielsweise von der Lehrkraft Linktipps zur Verfügung gestellt bekommen und die Aufgabe erhalten, aus vorgegebenen Internetseiten oder dem Schulbuch Informationen zu sammeln, während die Sekundarstufe-II-Schüler*innen diese nicht erhalten und selbstständig recherchieren müssen. Des Weiteren könnte für die Sekundarstufe I die Anzahl der Akteure reduziert werden. Räumlicher Bezug Rheinisches Braunkohlerevier

310

A. Keil und M. Kuckuck

Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System), Raumkonzepte (wahrgenommener Raum, konstruierter Raum) Österreich: Raumkonstruktion und Raumkonzepte, Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Interessen, Konflikte und Macht, Mensch-Umwelt-Beziehungen Schweiz:  natürliche Grundlagen der Erde untersuchen (1.4), Mensch-UmweltBeziehungen analysieren (3.1d)

23.4 Transfer Der hier vorgestellte Ansatz ist auf andere Raumbeispiele sowie auf andere raumwirksame Fragestellungen der Energiewende anwendbar. Übergeordnet ist ein Transfer auf zahlreiche problemorientierte Fragestellungen möglich, die komplexe zukünftige Raumentwicklungen thematisieren (z. B. Globalisierung, Verstädterung, Migration, Klimawandel). Denn die Geographie stellt ein wichtiges Fach für die Umsetzung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) dar (vgl. Keil, 2019). Im Sinne einer Handlungs- und Gestaltungsorientierung wird ausdrücklich angestrebt, dass das Fach Geographie „[…] zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) der Agenda 2030 bei[trägt]“ (DGfG, 2020: 7). Das heißt, dass dieser Ansatz dazu beitragen kann, besonders relevante Zusammenhänge der SDGs auf allen geographischen Maßstabsebenen und in ihrer zeitlichen Entwicklung zu erschließen und zu verstehen. Die Nutzung des Ansatzes der handlungsorientierten Sozialgeographie lässt sich somit in die Bildungskonzeption BNE mit ihren besonderen Kompetenzmodellen, Prinzipien und Methoden gut integrieren. Verweise auf andere Kapitel • Budke, A., Kuckuck, M. & Engelen, E.: Argumentation. Raumnutzungskonflikte – Windkraft. Band 2, Kapitel 21. • Jahnke, H. & Bohle, J.: Raumkonzepte. Grenzen – Europas Grenzen. Band 2, Kapitel 12.

Literatur Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (2020). Stromerzeugung aus konventionellen und erneuerbaren Energien. https://www.bdew.de/media/documents/20210322_D_ Stromerzeugung1991-2020.pdf. Zugegriffen: 23. Apr. 2021. Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGFG). (Hrsg.). (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss, mit Aufgabenbeispielen. https://geographie.de/wpcontent/uploads/2020/09/Bildungsstandards_Geographie_2020_Web.pdf. Zugegriffen: 4. Jan. 2021.

23  Handlungsorientierte Sozialgeographie

311

Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). (2000). Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG) sowie zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes und des Mineralölsteuergesetzes. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2000 Teil I Nr. 13 (S. 305–309). https:// www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl100s0305. pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl100s0305. pdf%27%5D__1610037781799. Zugegriffen: 7. Jan. 2021. Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (Hrsg.). (2018). Stromgestehungskosten Erneuerbare Energien. März 2018. https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/ publications/studies/DE2018_ISE_Studie_Stromgestehungskosten_Erneuerbare_Energien.pdf. Zugegriffen: 25. Jan. 2021. Freytag, T., & Mössner, S. (2016). Mensch und Gesellschaft. In T. Freytag, H. Gebhardt, U. Gerhard, & D. Wastl-Walter (Hrsg.), Humangeographie kompakt (S. 67–88). Springer Spektrum. Giddens, A. (1988). Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Campus. Keil, A. (2019). Agenda 2030 und BNE – Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Perspektiven für das Fach Geographie. Praxis Geographie, 6(19), 4–9. Keil, A., Kuckuck, M., & Meintz, N. (2020). Kernenergie in Deutschland und seinen Anrainerstaaten. Praxis Geographie, 11(20), 34–40. Kuckuck, M. (2014). Konflikte im Raum. Verständnis von gesellschaftlichen Diskursen durch Argumentation im Geographieunterricht. Geographiedidaktische Forschungen, 54. MV-Verlag. Kühne, O., & Weber, F. (Hrsg.). (2018). Bausteine der Energiewende. Springer. Kultusminister Konferenz (KMK). (Hrsg.). (2017). Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/ Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf. Zugegriffen: 4. Jan. 2021. Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (MSB). (2020). Kernlehrplan für die Sekundarstufe I, Realschule in Nordrhein-Westfalen. Erdkunde. https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplan/232/rs_ek_klp_3301_2020_07_01.pdf. Zugegriffen: 9. Jan. 2021. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (MSW). (2014). Kernlehrplan für die Sekundarstufe II Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Geographie. https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_SII/ek/KLP_GOSt_ Geographie.pdf. Zugegriffen: 9. Jan. 2021. Reuber, P. (2001). Möglichkeiten und Grenzen einer handlungsorientierten Politischen Geographie. In P. Reuber & G. Wolkersdorfer (Hrsg.), Politische Geographie. Handlungsorientierte Ansätze und Critical Geopolitics (S. 77–92). UTB. Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.). (2019). Methodenkonvention 3.0 zur Ermittlung von Umweltkosten – Kostensätze. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/ publikationen/2019-02-11_methodenkonvention-3-0_kostensaetze_korr.pdf. Zugegriffen: 25. Jan. 2021. Wardenga, U. (2002). Alte und neue Raumkonzepte für den Geographieunterricht. geographie heute, 200, 8–11. Wehling, H.-G. (1977). Konsens à la Beutelsbach? Nachlese zu einem Expertengespräch. In S. Schiele & H. Schneider (Hrsg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung (S. 173–184). Ernst Klett. https://www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens. Zugegriffen: 22. Jan. 2021.

312

A. Keil und M. Kuckuck

Werlen, B. (1995). Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen: Zur Ontologie von Gesellschaft und Raum. Franz Steiner Verlag. Werlen, B., & Lippuner, R. (2020). Sozialgeographie. In H. Gebhardt, R. Glaser, U. Radtke, P. Reuber, & A. Vött (Hrsg.), Geographie: Physische Geographie und Humangeographie (S. 699– 725). Springer. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung (WBGU). (2003). Welt im Wandel: Energiewende zur Nachhaltigkeit. Springer. Zaspel-Heisters, I. (2020). Kohleausstieg in Deutschland (BBSR-Analysen KOMPAKT 10/2020).

Lernen am außerschulischen Lernort Ökologische und gesellschaftliche Herausforderungen der Ressourcennutzung am Beispiel des Braunkohlebergbaus

24

Hanna Janßen und Nicole Raschke



Teaser  Lernen an außerschulischen Lernorten ermöglicht es, handlungsund schüler*innenorientierten Unterricht zu gestalten. Die Lernenden entdecken und begreifen lebensweltliche, komplexe Zusammenhänge unmittelbar und vielfältig. Die Chancen des außerschulischen Lernens werden ausgehend vom Begriff Ressource und der Implikation im Hinblick auf unterschiedliche sozioökonomische und ökologische Entwicklungen am Beispiel des Lausitzer Braunkohlereviers aufgezeigt und begründet sowie in einem Unterrichtsbeispiel konkretisiert.

24.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Strukturwandel – Braunkohleabbau Mit der Nutzung von Ressourcen, die in spezifische soziohistorische und räumliche Rahmenbedingungen eingebettet ist, sind starke ökologische Effekte und weitreichende Auswirkungen in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur verbunden

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_24.

H. Janßen · N. Raschke (*)  Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland E-Mail: [email protected] H. Janßen  E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_24

313

314

H. Janßen und N. Raschke

(vgl. Infobox 24.1). Der Begriff natürliche Ressourcen bezeichnet Naturelemente, die ohne menschliches Zutun vorhanden sind und durch Bedeutungszuschreibung als für die menschliche Nutzung wertvoll angesehen werden (Schneckener et al., 2014). Zu unterscheiden sind energetische und nichtenergetische sowie erneuerbare und erschöpfbare Ressourcen (Mildner et al., 2011: 11). Ressourcen sind räumlich betrachtet unterschiedlich verteilt und verstärken ungleichmäßige räumliche Entwicklungen. Die wirtschaftsräumlichen Muster gehen mit Investitionen in standortgebundene Infrastrukturen (z. B. Fabriken, Aufbereitungsanlagen, Verkehrswege etc.) einher. Auf verschiedenen Maßstabsebenen sind damit Prozesse eines gesellschaftlichen Strukturwandels verbunden. Wenn sich ökonomische Verwertungsbedingungen ändern, können Entwertungsprozesse und gesellschaftliche Transformationen die Folge sein (Harvey, 2005, zitiert nach Schneider & Thomi, 2016). Komplexe Herausforderungen im Zusammenhang mit einem ressourceninduzierten Strukturwandel können exemplarisch im Lausitzer Braunkohlerevier nachvollzogen werden. Dieses gehört neben dem Rheinischen, dem Helmstedter und dem Mitteldeutschen Revier zu den derzeit noch vier aktiven Braunkohlelagerstätten in Deutschland (Brühne & Tempel, 2015). Nach einer Phase extensiver Braunkohleförderung in der DDR – die Braunkohle war der wichtigste Energieträger des Landes – stellten Anfang der 1990er-Jahre aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen 31 von 39 Großtagebauen in Ostdeutschland die Förderung ein (Lintz & Wirth, 2015). Tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen folgten, da nur ein geringer Anteil der Arbeitsplätze im Bereich Sanierung die Verluste kompensieren konnte und zudem durch Abwanderung ein extremer Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen war (Gäbler et al., 2014). Die ökologischen Folgen, welche durch erhebliche Eingriffe in den Gebietswasserhaushalt, zum Beispiel durch Umverlegung von Fließgewässern und Entwässerung grundwasserführender Deckgebirgsschichten, entstehen, umfassen in der Lausitz eine beeinträchtigte Gesamtfläche von 3880 m2 (= 1,1 % der Fläche Deutschlands) (Drebenstedt et al., 2014: 2). Die Flutung der Tagebaurestlöcher und die Entwicklung künstlicher Seen stellen hohe planerische und technische Anforderungen in einer von Wassermangel geprägten Region. Zusätzlich sind Wasserbehandlungsmaßnahmen notwendig, um die Gewässergüte zu sichern. Außerdem müssen Böschungen stabilisiert und der Wasserhaushalt wiederhergestellt werden. Im Zusammenhang mit dem Wiederanstieg des Grundwassers auf vorbergbauliches Niveau werden weitere bauliche Maßnahmen, wie Hausanhebungen oder Auffüllung von Kellern, notwendig. Hinzu kommt, dass in der Nähe der Tagebaue Industrieinfrastrukturen (z. B. Kokereien, Gaswerke, Brikettfabriken, Kraftwerke) entstanden sind, deren ökologische Altlasten zu Schadstoffkontaminationen des Bodens und des Grundwassers führen. Diese Flächen müssen revitalisiert werden (Lintz & Wirth, 2015). Erst nach der Herstellung der Oberflächen und deren Sicherung, Dekontamination und Reliefgestaltung erfolgt die Rekultivierung. Neben einer intensiven forstwirtschaftlichen Nutzung entwickeln großräumige Regionalplanungen neue Nutzflächen für Industrie, Gewerbe und Touris-

24  Lernen am außerschulischen Lernort

315

mus. Besonders die Verbindung von Braunkohlesanierung und Tourismusförderung wird als regional bedeutsame Entwicklung eingeschätzt (Drebenstedt et al., 2014). Die Betrachtung der ökologischen, aber auch der gesellschaftlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit einem regionalspezifischen, ressourceninduzierten Strukturwandel im Geographieunterricht ermöglicht, komplexe Zusammenhänge von Mensch-Umwelt-Interaktionen darzustellen. Dabei geht es insbesondere um die Relevanz von Rohstoffen, die Folgen des Abbaus und der Verarbeitung sowie die damit verbundenen ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen in ihrer prozesshaften Dynamik. Besonderes Potenzial liegt dabei in der exemplarischen Betrachtung der Thematik im Rahmen außerschulischen Lernens. Infobox 24.1: Ressourcenbezogene Diskurse in den Geowissenschaften

• Finanzwirtschaftlicher Diskurs: Diskussion natürlicher Ressourcen als Anlageobjekte zur Gewinnung maximaler Profite, bspw. Möglichkeiten und Grenzen des „Land Grabbing“ • Entwicklungsdiskurs: Betrachtung sozialer, politischer und ökonomischer Wirkungen natürlicher Ressourcen in den Herkunftsregionen • Umwelt- und Klimadiskurs: neben Ursachenanalyse auch Auseinandersetzung mit den räumlich differenzierten und zunehmend spürbaren Folgen des Klimawandels und dem gesellschaftlichen Umgang mit der Natur • Knappheits- und Nachhaltigkeitsdiskurs: Betrachtung inter- und intragenerationeller Gerechtigkeit als leitendes Postulat und die Zusammenführung von Entwicklungsund Umweltdiskursen (nach Schneider & Thomi, 2016)

Weiterführende Leseempfehlung • Drebenstedt, C. & Kuyumcu, M. (Hrsg.) (2014). Braunkohlesanierung. Grundlagen, Geotechnik, Wasserwirtschaft, Brachflächen, Rekultivierung, Vermarktung. Springer Vieweg. • Sauerborn, P. & Brühne, T. (2020). Didaktik des außerschulischen Lernens (4. unveränderte Aufl.). Schneider Verlag Hohengehren GmbH. Problemorientierte Fragestellung Welche ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen und Chancen sind mit dem Abbau von Braunkohle und der Rekultivierung ehemaliger Abbaugebiete verbunden?

316

H. Janßen und N. Raschke

24.2 Fachdidaktischer Bezug: Außerschulische Lernorte Das fachdidaktische Prinzip fokussiert Lernen am außerschulischen Lernort und bezieht insbesondere fächerübergreifende Aspekte sowie didaktische Implikationen des Lernens an unterschiedlichen Arten außerschulischer Lernorte mit ein. Insofern werden Schulen als Teil einer komplexen Lernlandschaft verstanden, in welcher außerschulisches Lernen eine notwendige Erweiterung schulischen Unterrichts darstellt (Bleckmann & Durdel, 2009). Infobox 24.2: Definition außerschulische Lernorte

• • • • •

Ein außerschulischer Lernort kann definiert werden als „topographisch bestimmbare Lokalität jenseits des Schulhauses oder Schulgeländes, die über ein Potenzial für schulisch intendiertes und unterrichtlich geplantes Lernen verfügt“. (Kuske-Janßen et al., 2020: 21)

Außerschulische Lernorte bieten unterschiedliche Potenziale für die unterrichtliche Nutzung. Die Öffnung der Institution Schule ermöglicht das Durchbrechen bestehender unterrichtlicher Routinen und eröffnet neue Lernwege und pädagogische Angebote (Karpa et al., 2015). Weiterhin gilt dies als Chance, Lebensweltbezüge in unterrichtliche Settings einzubinden (Kuske-Janßen et al., 2020). Das Bildungskonzept fördert das regionale Lernen (Schockemöhle, 2009) und somit die Wahrnehmung gesellschaftlicher Partizipationsmöglichkeiten, d. h. eine aktive Mitgestaltung der regionalen Lebenswelt. In diesem Zusammenhang ist außerschulisches Lernen auch anschlussfähig an nachhaltigkeitsbezogene Debatten gesellschaftlicher Transformation sowie an mündigkeitsorientierte Bildungskonzepte im Zusammenhang mit Spatial/Activist Citizenship (vgl. Band 1, Kapitel 27). Neben Primärerfahrungen und originalen Begegnungen (Sauerborn & Brühne, 2020) bieten außerschulische Lernorte vielfältige Zugänge zu fächerübergreifenden Lerninhalten, indem in authentischen Kontexten konkrete Problem- bzw. Fragestellungen aufgeworfen werden (Kuske-Janßen et al., 2020). Lernorte mit einem geringeren Lebensweltbezug, z. B. Forschungsinstitute oder Produktionsbetriebe, bieten zudem lernförderliche Möglichkeiten für wissenschafts- oder berufsorientierte Lernprozesse (ebd.). Demgegenüber stehen Herausforderungen, denen es zu begegnen gilt. Über organisatorische Aspekte (Niederhauser & Rhyn, 2004) hinaus, werden auch Herausforderungen bei der Vereinbarung mit curricularen Vorgaben genannt (Karpa et al., 2015). Eine stärkere Orientierung auf Kompetenzen und Verankerung von außerschulischem Lernen im fächerübergreifenden Unterricht kann dem entgegenstehen. Darüber hinaus kann ein nur unzureichend vorbereiteter Lernortbesuch zur kognitiven Überforderung der Schüler*innen führen. Um dem zu begegnen, sind die inhaltliche und räumliche Vorbereitung ebenso wie die systematisierende und auf Inhalt und Lernprozess reflektierende Nachbereitung außerschulischer Lernortbesuche notwendig (u. a. ebd.).

24  Lernen am außerschulischen Lernort

317

Kontextualität (Authentizität) schwach kontextualisiert: Es gibt kaum Bezug zur Umgebung. (z. B. Ägyptisches Museum in Berlin).

stark kontextualisiert: Thema des Lernortes gliedert sich in die Umgebung ein. (z. B. Tagebaumuseum in Tagbaugebiet). Grad der Didaktisierung

schwach didaktisiert: Schüler*innen erschließen sich Inhalte eigenständig (z. B. Wald ohne Lehrpfad).

stark didaktisiert: Inhalte sind didaktisch aufgearbeitet (z. B. Museum mit Erklärtafeln, Führungen).

Abb. 24.1   Die Dimensionen „Kontextualität (Authentizität)“ und „Grad der Didaktisierung“. (Eigene Abbildung nach Kuske-Janßen et al., 2020)

Zentral für eine lernförderliche Einbindung außerschulischer Lernorte sind die klassifizierenden Dimensionen „Kontextualität  (Authentizität)“ und „Grad der Didaktisierung“, welche Auskunft über das Handeln der Lehrperson und die Einbindung in den Unterricht geben (s. Abb. 24.1) (Kuske-Janßen et al., 2020). Dabei eignen sich stark didaktisierte Lernorte eher für Arbeitsexkursionen und schwach didaktisierte Lernorte eher für konstruktivistische Exkursionen (vgl. Band 2, Kapitel 8). Birkenhauer (1995) folgend ist die Eignung außerschulischer Lernorte an spezifische Anforderungen gebunden, die es zu prüfen gilt: Authentizität, Überschaubarkeit, Prägnanz, Anmutungsqualität und Strukturiertheit. In Abhängigkeit des didaktischen Ortes ergeben sich unterschiedliche konzeptionelle und methodische Konsequenzen. Zu Beginn einer Unterrichtseinheit können Fragen aufgeworfen und eine gemeinsame Wissens- oder Erfahrungsbasis geschaffen werden. Innerhalb der Einheit können Fachinhalte erarbeitet und Kompetenzen gefördert werden. Zum Abschluss einer Lerneinheit kann der Lernortbesuch zur Zusammenfassung von Lerninhalten dienen oder diese lokal verorten und anwenden (Favre & Metzger, 2019). Weiterführende Leseempfehlung Pospiech, G., Niethammer, M., Wieser, D. & Kuhlemann, F.-M. (Hrsg.). (2020). Begegnungen mit der Wirklichkeit. Chancen für fächerübergreifendes Lernen an außerschulischen Lernorten (1. Aufl.). hep Verlag AG.

318

H. Janßen und N. Raschke

Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Bildung für nachhaltige Entwicklung, Exkursionsdidaktik, regionales Lernen, Spatial Citizenship, Activist Citizenship, Kompetenzorientierung, fächerübergreifendes Lernen

24.3 Unterrichtsbaustein: Ökologische und gesellschaftliche Folgen des Abbaus von Braunkohle am außerschulischen Lernort untersuchen Im Unterrichtsbeispiel entwickeln die Schüler*innen ein umfassendes Verständnis von Mensch-Umwelt-Beziehungen am regionalen Beispiel des Abbaus von Braunkohle und den damit verbundenen ökologischen und gesellschaftlichen Folgen durch die Einbindung außerschulischer Lernorte. Neben der kognitiven Erfassung der Komplexität des Lerngegenstandes geht es auch um die kritische Auseinandersetzung mit regionalpolitischen Entscheidungen im Hinblick auf eine ökologisch verträgliche und zukunftsfähige Entwicklung von Bergbaufolgelandschaften. Hierfür wird ein didaktischer Dreischritt vorgeschlagen, der im Sinne eines inhaltlichen bzw. regionalen Transfers auch für andere ressourcenbezogene Themen und damit zusammenhängende außerschulische Lernorte fruchtbar gemacht werden kann. Die Tab. 24.1 stellt Möglichkeiten der Lernortbesuche zu einem bestimmten Themenbereich dar, welche einen didaktisch sinnvollen Zugang zur komplexen Fragestellung bieten. Dabei fokussieren die ausgewählten Lernorte das regional-thematische Beispiel Kohlegewinnung in der Lausitz, die alle einen starken regionalen Bezug und authentische Kontextualität aufweisen. Im digitalen Materialanhang werden Lerngelegenheiten eines Lernortes (Material 1 Außerschulischer Lernort – konkret – Energiefabrik Knappenrode) vertieft sowie beispielhafte Lernorte für eine Übertragung auf das Ruhrgebiet dargestellt (Material 2 Außerschulische Lernorte – Übertragung Ruhrgebiet). Zentrale Elemente des Unterrichtsbeispiels sind ausgewählte außerschulische Lernorte, die Herkunft, Abbau/Verarbeitung und Folgen des Rohstoffabbaus im Sinne der Basiskonzepte Struktur, Funktion, Prozess adressieren. So haben Lernende die Möglichkeit, konkrete, anschauliche und unmittelbare Erfahrungen mit dem Lerngegenstand zu machen, was in Bezug auf die Komplexität, den Abstraktionsgehalt und die räumliche Dimensionierung des Themas als notwendig erscheint. 1. Entstehung und Vorkommen von Kohle (Struktur): Der erste Schritt beinhaltet eine physisch-geographische Perspektive auf die Thematik, in dem den Fragestellungen der regionalen Verteilung und der Begründung dieser spezifischen Verteilung nachgegangen wird. 2. Abbau und Verwendung der Ressource (Funktion): Ausgehend von der unterschiedlichen regionalen Verteilung wird im zweiten Schritt die Inwertsetzung durch Menschen hinsichtlich des Abbaus und der Verwendung thematisiert. Die am

24  Lernen am außerschulischen Lernort

319

Tab. 24.1  Mögliche Lernorte zur Bearbeitung der Fragestellung im Basiskonzept StrukturFunktion-Prozesse. (Eigene Darstellung, Lernortbilder s. Abb. 24.2) Lernorte (mit Beispielen in der Lausitz)

Methodischer Zugriff

Struktur • Entstehung und Eigenschaften der Kohle: Merkmale, Vorkommen, Lagerung Ausstellungen zur Kohle (z. B. Tertiärwald in der Energiefabrik Knappenrode)

Selbstständiges Arbeiten mit Arbeitsmaterialien

Kohlegrube (z. B. Tagebau Nochten)

Gespräch mit Fachleuten (ggf. geleitet durch Fragen der Lernenden), Führung

Funktion • Abbau: Prozess, Aufwand, Folgen • Verwendung und Nutzungsmöglichkeiten: Wärmegewinnung, Stromgewinnung Kohlegrube (z. B. Tagebau Nochten)

Führung

Industrielle Denkmäler (z. B. Schaufelradbagger 1452 Hagenwerder)

Selbstständiges Erkunden

Historische Industriestädte (z. B. Energiefabrik Knappenrode)

Selbstständiges Erkunden, Führung, Prozesszeichnung

Prozess mit besonderem Fokus auf den sozialen und ökonomischen Herausforderungen • Ökonomische Folgen (ökonomischer Strukturwandel): Braunkohle und verarbeitende Industrie, Strukturwandel durch Wegfall von Arbeitsplätzen • Soziale Folgen (sozialer Strukturwandel): Traditionen des Bergbaus im Wandel, Verschwinden von Dörfern durch Abbau und Rekultivierung (Überflutung) Kraftwerke (z. B. Besucherzentrum Schwarze Pumpe)

Podiumsdiskussion/Interviews mit Arbeiter*innen, Kraftwerkgegner*innen

Archive (z. B. Archiv der verschwundenen Orte Forst/Lausitz)

Zeitzeugengespräch, Recherche, Vergleiche mit historischen Karten

Historische Industriestandorte (z. B. Energiefabrik Knappenrode)

Interviews im Dorf Knappenrode, Führung

Prozess mit besonderem Fokus auf ökologische Herausforderungen • Folgen während des Abbaus • Folgen, Herausforderungen und Chancen von Renaturierung/Rekultivierung: Trockenheit, Rutschungen Abraumhalde (z. B. Besichtigungsplattform am Erkundung, Beschreibung der Umgebung, Tagebau Reichwalde) Kartierung Renaturierte Seen mit Herausforderungen (z. B. Bärwalder See)

Erkundung Uferrutschung

Renaturierte/Rekultivierte Landschaft mit Ausstellung (z. B. Findlingspark Nochten)

Rallye, Führung, Experimente (z. B. Wasserproben)

320

H. Janßen und N. Raschke

Abb. 24.2   Lernorte in der Lausitz (von oben links nach unten rechts): Findlingspark Nochten, Bärwalder See und Kraftwerk Boxberg, Abraumhalde Reichwalde, Energiefabrik Knappenrode. (Eigene Fotos: Hanna Janßen)

regionalen Beispiel herausgearbeitete Mensch-Umwelt-Beziehung weist darüber hinaus Bezüge zu Folgen des Abbaus auf. 3. Ökologische und gesellschaftliche Folgen (Prozess): Schließlich werden die komplexen ökologischen und gesellschaftlichen Folgen des Strukturwandels in Bergbauregionen in den Blick genommen. Dieser dritte Schritt stellt den inhaltlichen Kern der Auseinandersetzung mit der leitenden Fragestellung dar. Dabei werden die Folgen des Abbaus sowie die Herausforderungen der Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften in einen Zusammenhang gesetzt (für beispielhafte Lernorte s. Tab. 24.1). Darüber hinaus eignen sich auch andere Basiskonzepte wie zum Beispiel die Raumkonzepte (vgl. digitalen Materialanhang).

24  Lernen am außerschulischen Lernort

321

Der Lernortbesuch sollte durch das Aufwerfen der zentralen Fragestellung „Welche ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen und Chancen sind mit dem Abbau von Braunkohle und der Rekultivierung ehemaliger Abbaugebiete verbunden?“ vorbereitet werden. Darüber hinaus ist eine methodische (z. B. für Interviews oder Expertengespräche) und organisatorische Vorbereitung (z. B. Ablauf des Tages und Anfahrt) sinnvoll, um eine kognitive Überforderung der Lernenden zu vermeiden. Die Lernortbesuche können in Kooperation mit anderen Unterrichtsfächern durchgeführt werden. Besonders geeignet sind die Fächer Physik, Biologie, Chemie, Politik und Ethik. Im Anschluss an den Lernortbesuch müssen die unterschiedlichen Themen wieder zusammengeführt und die Fragestellung beantwortet werden. Für die Beantwortung der Fragestellung eignet sich eine Strukturierung anhand des Nachhaltigkeitsvierecks (Ökologie, Soziales, Politik, Ökologie). Aus der Problematisierung können Handlungsoptionen zur ökologischen und sozialen Gestaltung der Region nach dem Kohleausstieg abgeleitet werden. Beitrag zum fachlichen Lernen Die Schüler*innen erhalten durch den Unterrichtsbaustein einen Einblick in die Bedeutung und Gewinnung von Rohstoffen, deren Inwertsetzung und die ökologischen und sozialen Folgen des Abbaus in der Lausitz. Sie erkennen den Strukturwandel in der Region und werden sich dessen bewusst. Im Anschluss entwickeln die Schüler*innen Handlungsoptionen für die Gestaltung der Region. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S12 „den Ablauf von humangeographischen Prozessen in Räumen (z. B. Strukturwandel, Verstädterung, wirtschaftliche Globalisierung) beschreiben und erklären“ (DGfG, 2020: 14); S18 „Auswirkungen der Nutzung und Gestaltung von Räumen (z. B. Rodung, Gewässerbelastung, Bodenerosion, Naturrisiken, Klimawandel, Wassermangel, Bodenversalzung) erläutern“ (ebd.: 15) • Beurteilung/Bewertung: S2 „geographische Kenntnisse und die o. g. Kriterien anwenden, um ausgewählte, geographisch relevante Sachverhalte, Ereignisse, Herausforderungen und Risiken (z. B. Migration, Hochwasser, Entwicklungshilfe, Flächennutzungskonflikte, Konflikte beim Zusammentreffen von Kulturen, Bürgerkriege, Ressourcenkonflikte) zu beurteilen“ (ebd.: 24) • Handlung: S8 „sind bereit, fachlich fundiert raumpolitische Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen und daran zu partizipieren (z. B. Planungsvorschläge an den Gemeinderat, Beteiligung an der Lokalen Agenda des Heimatortes)“ (ebd.: 28) Klassenstufe und Differenzierung Die Lernortbesuche richten sich an Schüler*innen ab der Klassenstufe 7. Die Lernorte bieten unterschiedliche Möglichkeiten der Verarbeitungstiefe und methodischen Gestaltung an. Das Konzept kann an verschiedene Altersstufen und Interessenlagen der Schüler*innen angepasst werden. Um unterschiedliche Interessen der Schüler*innen ein-

322

H. Janßen und N. Raschke

zubeziehen oder auch eigene Untersuchungsschwerpunkte durch die Schüler*innen festlegen zu lassen, eignet sich das selbstständige Erkunden am Lernort. Räumlicher Bezug Braunkohlegebiet in der Lausitz mit unterschiedlichen Standorten, Übertragung auf Lernorte im Ruhrgebiet (s. Onlinematerial) Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System), Systemkomponenten (Struktur, Funktion, Prozess), Raumkonzepte (Raum als Container, Beziehungsraum, wahrgenommener Raum, konstruierter Raum). Österreich: Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Interessen, Konflikte und Macht, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz: Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren (3.1)

24.4 Transfer Die beschriebenen Unterrichtsbeispiele für außerschulisches Lernen bieten vielfältige Transfermöglichkeiten. Fachlich-inhaltlich kann das Konzept auf andere Ressourcen/ Rohstoffe übertragen oder ein Schwerpunkt auf die Folgen der Transformation (z. B. Arbeitslosigkeit) gelegt werden. Methodisch bieten sich an den Lernorten vielfältige Möglichkeiten. Beispielweise können exkursionsdidaktische Methoden stärker einbezogen werden oder Museen und Ausstellungen eine nachgeordnete Rolle spielen. Der räumliche Transfer bietet sich in Kombination mit dem oben genannten Dreischritt (Vorkommen, Abbau/Verarbeitung, Folgen) auch in anderen Bergbauregionen (z. B. Ruhrgebiet, Erzgebirge) oder auch mit Blick auf globale bzw. glokale Verflechtungen an. Verweise auf andere Kapitel • Brendel, N. & Mohring, K.: Partizipation. Digitalisierung – Virtualität. Band 2, Kapitel 27. • Budke, A., Kuckuck, M. & Engelen, E.: Argumentation. Raumnutzungskonflikte – Windkraft. Band 2, Kapitel 21. • Fögele, J., Mehren, R. & Rempfler, A.: Systemkompetenz. Planetare Belastungsgrenzen – Stickstoff. Band 1, Kapitel 17. • Hemmer, I., Hemmer, M., Müller, M. X.: Interessensorientierung. Landwirtschaft – Ökologischer Landbau. Band 1, Kapitel 14. • Meurel, M., Lindau, A.-K., Hemmer, M.: Exkursionsdidaktik. Stadtentwicklung – Gentrifizierung. Band 2, Kapitel 8.

24  Lernen am außerschulischen Lernort

323

Literatur Birkenhauer, J. (1995). Außerschulische Lernorte. In J. Birkenhauer (Hrsg.), Außerschulische Lernorte. HGD-Symposium Benediktbeuern 1993 (S. 9–16). Selbstverlag des Hochschulverbandes für Geographie und ihre Didaktik (HGD). Bleckmann, P., & Durdel, A. (Hrsg.). (2009). Lokale Bildungslandschaften. Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen (1. Aufl.). VS Verlag. Brühne, T., & Tempel, M. (2015). Urlaub am Baggersee? Bergbaufolgelandschaften im Lausitzer Braunkohlerevier. Praxis Geographie, 1(2015), 10–14. Deutsche Gesellschaft für Geographie e. V. (Hrsg.). (2020). Bildungsstandardsim Fach Geographiefür den MittlerenSchulabschluss. Mit Aufgabenbeispielen. (10. Aufl.). Deutsche Gesellschaft für Geographie e.V. Bonn. Drebenstedt, C., Kuyumucu, M., & Pietsch, T. (2014). Einführung. In C. Drebenstedt & M. Kuyumcu (Hrsg.), Braunkohlesanierung. Grundlagen, Geotechnik, Wasserwirtschaft, Brachflächen, Rekultivierung, Vermarktung (S. 1–5). Springer Vieweg. Favre, P. & Metzger, S. (2019). Außerschulische Lernorte nutzen. In P. Labudde (Hrsg.), Fachdidaktik Naturwissenschaft 1.–9. Schuljahr (S. 167–182, 3. erweiterte und aktualisierte Aufl.). Haupt Verlag. Gäbler, S., Kluge, J., Lehmann, R., & Rösel, F. (2014). Mehr als nur Kohle? Die Wirtschafts- und Industrieregion Lausitz. Teil 2: Wachstumsprojektion und Zukunftsperspektiven bis 2030. ifo Dresden berichtet, 21(3), 15–26. Harvey, D. (2005). Spaces of neoliberalization. Towards a theoryof of uneven geographical development. Hettner-Lecture Stuttgart. Karpa, D., Lübbecke, G., & Adam, B. (2015). Außerschulische Lernorte. Theoretische Grundlagen und praktische Beispiele. In D. Karpa, G. Lübbecke, & B. Adam (Hrsg.), Außerschulische Lernorte: Theorie, Praxis und Erforschung außerschulischer Lerngelegenheiten (S. 11–28). Prolog-Verlag. Kuske-Janßen, W., Niethammer M., Pospiech, G., Wieser, D., Wils, J.-T., & Wilsdorf, R. (2020). Außerschulische Lernorte – Theoretische Grundlagen und Forschungsstand. In Pospiech, G., Niethammer, M., Wieser, D. & Kuhlemann, F.-M. (Hrsg.). Begegnungen mit der Wirklichkeit. Chancen für fächerübergreifendes Lernen an außerschulischen Lernorten (S. 21–49, 1. Aufl.). Hep Verlag AG. Lintz, G. & Wirth, P. (2015). Koordination als Lernprozess – Braunkohlesanierung und Tourismusentwicklung im Lausitzer Seenland. In H. Karl (Hrsg.), Koordination raumwirksamer Politik. Mehr Effizienz und Wirksamkeit von Politik durch abgestimmte Arbeitsteilung (S. 214–237). Forschungsbericht der Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Mildner, S., Richter, S., & Lauster, G. (2011). Einleitung: Konkurrenz + Knappheit = Konflikt? In S. Mildner (Hrsg.), Konfliktrisiko Rohstoffe? Herausforderungen und Chancen im Umgang mit knappen Ressourcen (S. 9–17). SWP. Niederhauser, R., & Rhyn, H. (Hrsg.). (2004). Lernen ausserhalb der Schule. www.mal.ch – ein Marktplatz für ausserschulisches Lernen. Haupt Verlag. Sauerborn, P. & Brühne, T. (2020). Didaktik des außerschulischen Lernens (4. unveränderte Aufl.). Schneider Verlag Hohengehren GmbH. Schneckener, U. (2014). Kontexte von Securitization. Knappheit, Überfluss und Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen. In U. Schneckener, A. von Scheliha, A. Lienkamp & B. Klagge (Hrsg.), Wettstreit um Ressourcen – Konflikte um Klima, Wasser, Boden (Neue Ausg., S. 11–30). Oekom Verlag.

324

H. Janßen und N. Raschke

Schneider, H., & Thomi, W. (2016). Ressourceninduzierter Strukturwandel. Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie, 60(1–2), 1–8. Schockemöhle, J. (2009). Außerschulisches regionales Lernen als Bildungsstrategie für eine nachhaltige Entwicklung: Entwicklung und Evaluierung des Konzeptes „Regionales Lernen 21+“ (1. Aufl.). Hochschulverband für Geographie.

Mit Mental Maps und subjektivem Kartieren Raumwahrnehmung reflektieren

25

Ein Einstieg in das Thema nachhaltige Stadtentwicklung Jan Hiller und Stephan Schuler

 Teaser  Mental Maps und subjektive Karten sind hilfreiche Werkzeuge,

um sich im Geographieunterricht mit der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung von Räumen auseinanderzusetzen. Die Stadt als Lernort und Lerngegenstand der BNE eignet sich dafür besonders gut, da hier unterschiedliche Nachhaltigkeitsprobleme und Zielkonflikte im eigenen Lebensumfeld erfahrbar werden. Das Wahrnehmen und Bewerten des städtischen Lebensraums mit Fokus auf Stadtgrün dient hier als Einstieg für die spätere Entwicklung von Gestaltungsideen im Sinne der nachhaltigen Stadtentwicklung.

25.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Nachhaltige Stadtentwicklung – Stadtgrün Städte spielen als Lernort und Lerngegenstand in der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) eine wichtige Rolle. Bei vielen globalen und lokalen Nachhaltigkeitsproblemen werden in Städten sowohl Ursachen als auch Auswirkungen für die Lernenden direkt im eigenen Lebensumfeld sichtbar und konkret erfahrbar. Städte ermöglichen dabei nicht nur eine intensive Auseinandersetzung mit den Problemlagen, sondern ebenso mit den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 (www.bmz.de/de/

J. Hiller (*) · S. Schuler  Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Ludwigsburg, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Schuler  E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_25

325

326

J. Hiller und S. Schuler

agenda-2030), wobei insbesondere technologische, planerische und politische Lösungsansätze sowie individuelle und gesellschaftliche Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten deutlich werden können. Der WBGU spricht von der „transformativen Kraft der Städte“ auf dem Weg zu einer nachhaltigen Weltgesellschaft und definiert dafür einen „normativen Kompass“ (WBGU, 2016: 142 f.) mit den drei Dimensionen (1) Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, (2) Sicherstellung substanzieller, ökonomischer und politischer Teilhabe und (3) Förderung der Eigenart einer Stadt. In der Schnittmenge dieser Dimensionen lassen sich Themenfelder mit stadtplanerischem Schwerpunkt verorten, die auch in der Raumwahrnehmung von Jugendlichen eine Rolle spielen, z. B. die Nutzung innerstädtischer Freiflächen, Konflikte zwischen ökonomischer und soziokultureller Raumnutzung oder die Konkurrenz zwischen Verkehrsflächen und Grünflächen. Exemplarisch soll dies hier am Thema Stadtgrün vertieft werden, da urbane Grünflächen vielfältige Funktionen für Stadtgesellschaft und Stadtökologie ausüben (BMUB, 2017, s. Abb. 25.1). Aus der stadtökologischen Perspektive (Breuste & Endlicher, 2020) lassen sich die Funktionen von Stadtgrün mithilfe des Konzepts der Ökosystemdienstleistungen als Mensch-Umwelt-Beziehungen modellieren (s. Abb. 25.2). Demnach werden die Funktionen von den Stadtbewohner*innen bewusst oder unbewusst wahrgenommen bzw. genutzt und können monetär sowie nichtmonetär bewertet werden. Das Konzept beinhaltet zum einen verschiedene Ökosystemfunktionen (z. B. kühle, unbelastete Luft aus Frei- und Erholungsflächen) und zum anderen Werte und Entscheidungen zur Landnutzung in der Stadt (z. B. Erholung in Stadtparks). Wenngleich an diesem Konzept u. a. die anthropozentrische Perspektive kritisiert werden kann (Haase, 2017), bildet es einen pragmatischen unterrichtlichen Rahmen, um stadtökologische Themen mit dem Aspekt Raumwahrnehmung und -bewertung zu verknüpfen. Die reflexive Auseinandersetzung damit, wie Menschen Stadtgrün im eigenen Lebensfeld wahrnehmen und welche Nutzungs- und Interessenkonflikte hier bestehen, öffnet den Blick für eine intensivere fachliche Auseinandersetzung mit Ökosystemdienstleistungen und Funktionen von Stadtgrün. Auf dieser Grundlage ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, um auf der Planungsebene an einem konkreten Raumbeispiel partizipative Formen der Stadtentwicklung aufzugreifen. Durch die Entwicklung von Lösungs-, Planungs- und Gestaltungsideen können Zukunftsthemen wie die nachhaltige Entwicklung einer Stadt als Bottom-up-Prozess greifbar werden. Für den Geographieunterricht bietet ein fachlich strukturierter Zugang zum Thema „Nachhaltige Stadtentwicklung und Stadtökologie“ eine besondere Chance, weil dabei Mensch-Umwelt-Beziehungen analysiert, Urteilsfähigkeit anhand konkreter Problemstellungen geschult und damit die Bereitschaft für zukünftiges Handeln in gesellschaftlich relevanten Bereichen angebahnt werden können (Hiller et al., 2019). Weiterführende Leseempfehlung Geographische Rundschau (2017): Heft 5 – Natur in der Stadt. Darin insbes. Haase (2017).

25  Mit Mental Maps und subjektivem Kartieren …

LUFTQUALITÄT Filterung von Staub und gasförmigen Luftverunreinigungen

327

VERKEHRSFÜHRUNG gliedernde Elemente in Verkehrsräumen

MIKROKLIMA Begrenzung von Temperaturextremen, Erhöhen der relativen Luftfeuchte

IMMOBILIENWERT Nähe zu Parks und Grünflächen steigert Immobilienwert

LÄRMSCHUTZ Schallminderung insbesondere durch Hecken und Bäume

LEBENSQUALITÄT Grünflächen sind Treffpunkt für Sport und Spiel, Naturerfahrung etc.

WINDSCHUTZ Reduzierung der Windgeschwindigkeiten

IDENTIFIKATION Erhöhung der Identifikation der Bewohner mit ihrem Wohnumfeld

ERHOLUNG Ästhetische und psychologische Funktionen

BIODIVERSITÄT Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen

C O 2- H AU S H A L T Fixierung von CO2 in Pflanzensubstanz (Laub und Holz) RAUMWIRKUNG nachhaltige, attraktive Gestaltung von Straßen, Wohnvierteln und Plätzen

STRAHLUNG Absorbierung von Strahlung

WASSERMANAGEMENT temporäre Wasserspeicherung und Entlastung der Kanalisation insbesondere bei Starkregen

LUFTFEUCHTIGKEIT Erhöhung der Luftfeuchtigkeit

Abb. 25.1   Funktionen von Stadtgrün. (Eigene Darstellung auf der Basis von Pixabay; nach Stiftung Grüne Stadt, 2014: 8, https://www.die-gruene-stadt.de/baeume-in-der-stadt.pdfx)

STADTNATUR

naturnah und gestaltet, privat und öffentlich Wälder, Gewässer, Äcker, Parks, Hausgärten, Kleingärten, Friedhöfe, Straßen- und Bahnränder, begrünte Gebäude, Brachen u. v. a. Biologische Vielfalt Bestandteile, Strukturen, Prozesse, Funkonen

Stadtentwicklung, grüne Infrastruktur Nutzung, Unterhaltung, Ausbau

GESELLSCHAFTLICHE BEDEUTUNG Ökosystemdienstleistungen z. B. Temperaturregulaon

Nutzen

z. B. weniger Hitzestress, gesundheitliche Belastung

Werte

z. B. größeres Wohlbefinden, geringere Gesundheitskosten

sozialer Kontext, Ethik, Recht, Ökonomie, Technik

Private und öffentliche Entscheidungen Bewertung von Ökosystemdienstleistungen

Abb. 25.2   Gesellschaftliche Bedeutung von Stadtnatur. (Nach Breuste & Endlicher, 2020: 648)

328

J. Hiller und S. Schuler

Problemorientierte Fragestellungen • Wie nehmen Menschen ihre Innenstadt bzw. ihr Stadtquartier wahr? Welche Orte werden als besonders positiv bzw. negativ bewertet? Welche Rolle spielen dabei die Natur- und Grünflächen der Stadt? • Wie können die identifizierten Probleme im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung überwunden werden?

25.2 Fachdidaktischer Bezug: Mental Maps/Subjektive Karten Von den Lernenden selbst gezeichnete Mental Maps und subjektive Karten sind etablierte Werkzeuge, um sich im Geographieunterricht mit der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung von Räumen – wie z. B. Stadtquartieren oder Innenstädten – zu beschäftigen. Sie bieten zunächst einen fruchtbaren Moment der Selbstreflexion. Beim Vergleich mit den Darstellungen der anderen Schüler*innen unterstützen sie aber auch die Kommunikation über unterschiedliche Raumwahrnehmungen und -bewertungen. Einen umfassenden Überblick über Mental Maps als Forschungsfeld der Wahrnehmungsgeographie bietet Weichhart (2018). Mental Maps sind demnach „1. individuelle und kollektive Vorstellungsinhalte über bestimmte räumliche Gegebenheiten; 2. die symbolische Darstellung dieser Vorstellungsinhalte in Kartenform“ (ebd.: 174). Er betont, dass sie nicht nur räumliche Strukturen und Lagerelationen umfassen, sondern auch Bewertungen und sinnbezogene Rauminformationen. Im Geographieunterricht werden Mental Maps dagegen oft nur in Zusammenhang mit topographischem Lernen eingesetzt und dann als subjektiv verzerrte, mentale Repräsentationen eines objektiv gegebenen Raumes verstanden, die durch Unterricht korrigiert werden sollten (vgl. Rinschede & Siegmund, 2020: 63). Dagegen wird hier eine Sichtweise vertreten, bei der Mental Maps als Visualisierung der alltags- und handlungsrelevanten Raumwahrnehmung und Raumdeutung einer Person aufgefasst und als Konstruktionsleistung des Einzelnen wertgeschätzt werden. Das Ziel der Arbeit mit Mental Maps liegt dabei nicht in der Behebung von vermeintlichen Fehlern, sondern darin, die eigene, subjektive Raumwahrnehmung zu reflektieren und in der Lerngruppe einen Kommunikationsprozess über raumbezogene Themenstellungen zu erreichen (Thierer, 2013). Ein solches Verständnis zeigt sich u. a. auch bei Daum (2011: 28) oder Hasse (2011), die deshalb lieber von „subjektiven Kartographien“ bzw. „subjektiven Karten“ als von „Mental Maps“ sprechen. Mit Blick auf die Basiskonzepte der Geographie widmet sich dieser fachdidaktische Zugang explizit dem Raumkonzept der Wahrnehmungsgeographie, bei dem Räume als Kategorie der Sinneswahrnehmung gesehen werden, „mit deren Hilfe Individuen und Institutionen ihre Wahrnehmungen einordnen und so Welt in ihren Handlungen ‚räumlich‘ differenzieren“ (Wardenga 2020: 8). Damit verknüpft ist auch die Frage, welche Bedeutung(en) ein Ort bzw. Raum für eine Person hat, wie dieser bewertet wird und welche Folgen dies für das Handeln im Raum hat (Dickel & Scharvogel, 2013: 61).

25  Mit Mental Maps und subjektivem Kartieren …

329

Neben Mental Maps bieten sich weitere Unterrichtsmethoden an, um im städtischen Raum Bedeutungszuschreibungen und Raumbewertungen zu erschließen. Ein einfaches Beispiel ist die „Nadelmethode“ (Ohl, 2007). Hier geht es darum, mit farbigen Pinnnadeln oder Klebepunkten auf einem (digitalen oder analogen) Stadtplan zu markieren, wo sich persönliche Wohlfühl- oder Problemorte befinden (s. Abb. 25.4) – entweder im Klassenraum oder im Rahmen einer Kartierung vor Ort. Aus Sicht der BNE ist der auf Fachwissen und Problemverständnis zielende Kompetenzbereich „Erkennen“ untrennbar mit den Kompetenzbereichen „Bewerten“ und „Handeln“ verknüpft (KMK & BMZ, 2021). Beim Themenfeld „Nachhaltigkeit in der Stadt“ bietet es sich insofern an, den Einstieg alltagsnah und reflexiv über Mental Maps und subjektive Karten anzugehen und mit der Raumwahrnehmung und -bewertung im eigenen Lebensumfeld einzusteigen. Dabei ergeben sich spannende Einblicke in die Lebenswelt der Jugendlichen. So kann ein asphaltierter Platz als monotone sommerlicher Hitzeinsel oder als Skategelände wahrgenommen werden, eine angelegte Grünfläche als „Oase der Ruhe“ oder als abweisende „Betreten-verboten-Zone“, während Durchgangsstraßen und andere Verkehrsflächen meist durchgängig als Problemorte gelten. Ausgehend von einem solchen Einstieg können dann stadtökologische Probleme aus dem Lebensumfeld der Schüler*innen identifiziert und als Fallbeispiele für den nachfolgenden Unterricht genutzt werden. Im Idealfall mündet ein solcher Unterricht in eine Planungsaufgabe, bei der Gestaltungsvorschläge zur Problemlösung erarbeitet werden. Weiterführende Leseempfehlung Gryl, I. (Hrsg.) (2016): Diercke – Reflexive Kartenarbeit. Methoden und Aufgaben. Braunschweig: Westermann. Darin v. a. die Kapitel „Reflexive Kartenarbeit“, „Mental Maps“ und „Subjektives Kartographieren“. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Bildung für nachhaltige Entwicklung, Spatial Citizenship, Mapping, Basiskonzepte/ Geoconcepts

25.3 Unterrichtsbausteine: Raumwahrnehmungen und Raumbewertungen reflektieren lernen Die hier skizzierten Unterrichtsbausteine 1 und 2 können aufeinanderfolgend oder je einzeln unterrichtet werden. Sie sind als Einstiegssequenz in eine Unterrichtseinheit zum Thema „Nachhaltige Stadtentwicklung“ mit Schwerpunkt Stadtgrün konzipiert, die mit Baustein 3 weitergeführt wird. Der Zeitbedarf liegt bei etwa ein bis zwei Doppelstunden für die Bausteine 1 und 2. Baustein 3 kann individuell ausgedehnt werden und wird hier nur grob skizziert.

330

J. Hiller und S. Schuler

Baustein 1: Raumwahrnehmung reflektieren durch Mental Maps In dieser einführenden Phase erstellen die Schüler*innen eine Mental Map zu einem ihnen bekannten Gebiet (z. B. Innenstadt, Stadtquartier rund um die Schule, …), in dem auch bedeutsame Grünflächen liegen. Sie erhalten eine fast leere Kartengrundlage, in der als Orientierungsraster drei bis vier allgemein bekannte Einzelelemente eingetragen sind, z. B. Marktplatz, Schloss, Schule, Bahnhof (vgl. Abb. 25.3). Diese Vorstrukturierung legt den Raumausschnitt fest und ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit der Mental Maps. Dabei muss betont werden, dass es nicht um eine möglichst korrekte, sondern um eine subjektive Karte geht, die die eigene Raumvorstellung zeigt. Lücken und Verzerrungen sind sogar erwünscht! Der Arbeitsauftrag lautet: „Zeichne eine Karte von XY, in der alle Orte und Bereiche enthalten sind, die für dich bedeutsam sind. Gestalte dazu eine Legende mit Kartenzeichen und Farben. Nummeriere deine besonderen Orte in der Karte und schreibe in der Legende hinter der Nummer auf, weshalb dir der Ort wichtig ist (3–4 Worte).“ Bei der Auswertung werden die Karten der Schüler*innen miteinander verglichen, z. B. zunächst in Gruppenarbeit, dann im Plenum – oder gleich in einem GalleryWalk. Sinnvolle Reflexionsfragen lauten: „Worin unterscheiden sich unsere Raumwahrnehmungen – und welche Gemeinsamkeiten gibt es?“, „Wodurch entstehen die Wahrnehmungsunterschiede?“, „Welche alltäglichen Bedeutungen besitzen bestimmte

Abb. 25.3   Beispiel für eine Mental Map der Ludwigsburger Innenstadt, die mit dem o. g. Arbeitsauftrag erstellt wurde. (Klasse 8, eigene Darstellung)

25  Mit Mental Maps und subjektivem Kartieren …

331

Ort für unterschiedliche Personen?“, „Welche möglichen Handlungsfolgen sind damit verbunden?“. Das Thema Stadtgrün kann hier bereits angesprochen werden. Als Erweiterung kann es sehr lohnend sein, wenn die Lehrperson vorab drei bis vier Mental Maps von anderen Personengruppen erstellen lässt, z. B. Rentner*innen, Eltern mit Kleinkindern etc., diese abschließend präsentiert und Unterschiede zur Raumwahrnehmung der Jugendlichen herausarbeiten lässt. Baustein 2: Subjektive Wahrnehmung von Problemorten und positiven Beispielräumen Nach der offen erhobenen Raumwahrnehmung in Baustein 1 wird nun eine Raumbewertung mit der Nadelmethode (Ohl, 2007) vorgenommen. Die Schüler*innen erhalten einen Stadtplan und sollen darin Orte in zwei einfachen Kategorien bewerten: „a) Problemorte: Diese Orte bewerte ich negativ.“ und „b) Wohlfühlorte: Diese Orte bewerte ich positiv.“ Problemorte werden mit roten, Wohlfühlorte mit grünen Klebepunkten oder Pinnadeln markiert. Jede*r überlegt zunächst an einer eigenen leeren Karte und markiert die Orte dann auf einer Gemeinschaftskarte der ganzen Klasse. Als Hilfsmittel für die Orientierung kann neben der Karte ggf. ein Luftbild oder Schrägluftbild des Raumes mitgegeben werden. Hilfreich ist auch der Einsatz digitaler Karten. Dafür kann z. B. das Tool uMap (https://umap.openstreetmap.de/) genutzt werden, mit dem Ortsmarken in einer von der Lehrperson vorbereiteten Open-Street-Map-Karte gesetzt und begründet werden können (vgl. Abb. 25.4). Auswertungsschritt 1: Nach der individuellen Bearbeitung erfolgt eine vergleichende Auswertung in der Kleingruppe und anschließend eine Sammlung interessanter Ergebnisse im Plenum. Die Reflexionsfragen dafür sind: „Welche Orte werden von verschiedenen Personen unterschiedlich bewertet? Weshalb?“, „Welche Orte erscheinen durchgängig als Problemorte/Wohlfühlorte? Weshalb?“, „Auf welchen Normen und Werten beruhen diese Bewertungen?“, „Was haben viele Problemorte/Wohlfühlorte gemeinsam?“. Die letzte Frage kann zu einer Kategorisierung häufig auftretender Problem- und Wohlfühlorte führen (z. B. Grünflächen, Verkehrsbelastung, Shopping, …), die zum nächsten Schritt überleitet. Auswertungsschritt 2: Die Aufmerksamkeit wird nun auf das Thema Stadtgrün gelenkt. Die Schüler*innen beschäftigen sich mit folgenden Reflexionsfragen: „Wie werden Grünflächen und andere naturnahe Orte bewertet?“, „Welche Bedeutung und Funktion haben sie für mich, für uns, für andere Personen, für die Stadt insgesamt?“, „Welche bekannten stadtökologischen Probleme wurden eventuell nicht genannt? Weshalb?“. Im Anschluss können auch die Mental Maps nochmals hinzugezogen und mit folgenden Fragen untersucht werden: „Welche Natur- und Grünflächen (Gewässer, Stadtgrün, Parks, …) habe ich/haben wir eingezeichnet? Welche nicht? Weshalb nicht?“ Baustein 3 als Weiterführung: Planungsprojekt „Mehr Grün im Stadtquartier“ Im Anschluss an die Bausteine 1 und 2 kann der Unterricht mit einem Planungsprojekt zur nachhaltigen Stadtentwicklung mit dem Fokus Stadtökologie fortgesetzt werden. Zunächst setzen sich die Schüler*innen ausgehend von z. T. interessengesteuerten Unterschieden der subjektiven Raumwahrnehmung mit den konfligierenden Zielen der Stadt-

332

J. Hiller und S. Schuler

Abb. 25.4   Nadelmethode, bei der 20 Lernende jeweils mehrere Problemorte (rot) und Wohlfühlorte (grün) in Ludwigsburg markiert haben. Die digitale Umsetzung mit uMaps ermöglicht es, bei Klick auf die Marker eine Begründung zu lesen. (Eigene Darstellung auf Basis von https://umap.osm.ch/de/, ODbL 1.0)

planung auseinander (Flächenkonkurrenz Grün/Mobilität/Wohnen etc.). Im nächsten Schritt wählen sie einige der in Baustein 2 identifizierten Problemorte aus, die sich für ein Stadtgrün-Planungsprojekt eignen. Nach einer Phase der Wissensvermittlung zu Stadtökologie und nachhaltiger Stadtentwicklung beginnt die kreative Planungsaufgabe (vgl. Schuler, 2015), an deren Ende die Schüler*innen ihre Planungsvorschläge in einer Karte visualisieren. In arbeitsteiliger Gruppenarbeit kann so ein mehrere Problemorte umfassendes Projekt „Mehr Grün im Stadtquartier“ umgesetzt werden. Beitrag zum fachlichen Lernen Durch die Reflexion der subjektiven Raumwahrnehmung und der individuellen Bewertung von städtischen Wohlfühl- und Problemorten bei sich und anderen können die Lernenden erkennen, dass es bei der Stadtplanung Zielharmonien und -konflikte

25  Mit Mental Maps und subjektivem Kartieren …

333

gibt. Daraus lässt sich ableiten, dass die Analyse und Bearbeitung von Nachhaltigkeitsproblemen in der Stadt mehrperspektivisch und mehrdimensional erfolgen muss. Eine in diesem Sinne reflektierte Problemsicht dient als Einstieg in eine hier nicht näher ausgeführte fachliche Vertiefung zum Thema Stadtgrün, die den mehrdimensionalen Ansatz der Ökosystemdienstleistungen aufgreifen kann. Im Idealfall entsteht ausgehend von der Raum- und Problemwahrnehmung so ein Spannungsbogen, der zur Entwicklung von problemlösenden Planungsideen und Visionen der Schüler*innen führt und so einen Beitrag zu einer nachhaltigen, auf Partizipation ausgerichteten Stadtentwicklung leisten kann. Kompetenzorientierung • Fachwissen: S.  17, S.  20 auf Grundlage der subjektiven Wahrnehmung der Nutzung und Gestaltung urbaner Räume mögliche, ökologisch und sozial sinnvolle Maßnahmen zur nachhaltigen Entwicklung von Städten/Quartieren erläutern; S. 22 „geographische Fragestellungen an einen konkreten Raum [Stadt/Stadtquartier] richten (DGfG 2020: 15); S. 23 „zur Beantwortung dieser Fragestellungen Strukturen und Prozesse […] analysieren“ (ebd.: 16) • Räumliche Orientierung: S. 15 „anhand von […] Mental Maps […] erläutern, dass Räume stets selektiv und subjektiv wahrgenommen werden […]“ (ebd.: 18) • Beurteilung/Bewertung: S. 1 „[…] Kriterien des Beurteilens [hier: ökologische und soziale Aspekte einer nachhaltigen Stadt- bzw. Quartiersentwicklung] nennen“ (ebd.: 24) und für eigene Analysen anwenden; S. 8 urbane Problemräume im Hinblick auf Normen und Werte der Nachhaltigkeit bewerten Im Zentrum des Beitrags stehen als zu vermittelnde Kompetenzen die Reflexion subjektiver Raumwahrnehmungen durch Mental Maps sowie die Bewertung städtischer Flächen mithilfe der Nadelmethode. Klassenstufe und Differenzierung Der Unterrichtsbaustein ist durch leichte Anpassungen sehr breit von Klasse 5 bis 10 einsetzbar. In der Unterstufe sollte aber genügend Zeit für das Arbeiten mit Karten und Luftbildern eingeplant werden. Es können mehrere Differenzierungsformen miteinander kombiniert werden (Differenzierungsformen nach Arndt et al., 2021): • Differenzierung durch Ergebnisoffenheit (Bausteine 1, 2 und 3): Dasselbe Material inkl. der Arbeitsaufträge ist für die Bearbeitung auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus vorgesehen. • Differenzierung durch Unterstützungsangebote (insbes. Baustein 2): Durch das gezielte Angebot von Lernhilfen (z. B. Hilfekarten und Schrägluftbilder für die Orientierung, Arbeitsblätter mit Reflexionsfragen) kann das Anforderungsniveau an die Fähigkeiten der Lernenden angepasst werden. • Differenzierung über kooperative Aufgabenformen (Reflexionsphasen und Baustein 3): Im Sinne einer positiven Abhängigkeit sind die Gruppenmitglieder so miteinander verbunden, dass sie nur gemeinsam erfolgreich sein können.

334

J. Hiller und S. Schuler

Räumlicher Bezug Lokal: Stadtquartier, Umfeld Schule, Innenstadt, kleinere Gemeinden mit Grünanlagen oder Naherholungsflächen Konzeptorientierung Deutschland: Mensch-Umwelt-System (menschliches (Teil-)System, natürliches (Teil-) System), Nachhaltigkeitsviereck (Ökologie), Maßstabsebene (lokal), Raumkonzepte (wahrgenommener Raum) Österreich: Raumkonstruktion und Raumkonzepte, Maßstäblichkeit, Wahrnehmung und Darstellung, Nachhaltigkeit und Lebensqualität, Mensch-Umwelt-Beziehungen, Geoökosysteme Schweiz: Lebensweisen und Lebensräume charakterisieren (2.3), Mensch-UmweltBeziehungen analysieren (3.3), sich in Räumen orientieren (4.1)

25.4 Transfer Im Kontext der nachhaltigen Stadtentwicklung kann der Ansatz auf andere Nachhaltigkeitsthemen übertragen werden wie z. B. auf Problemorte für Mobilität in der Stadt oder die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit in verschiedenen Wohnquartieren. Sinnvoll ist auch ein Einsatz am Beginn eines Projekts zur Untersuchung der Lebensqualität bzw. Lebenswirklichkeit von Jugendlichen in einem Stadtteil (vgl. Ohl, 2007). Der Ansatz kann auch mit der konstruktivistischen Exkursionsdidaktik kombiniert werden (Ohl & Neeb, 2012). Im Anschluss an Baustein 1 können durch eine Spurensuche oder durch subjektives Kartieren vor Ort Problem- und Wohlfühlorte identifiziert und in eine Karte eingetragen werden. Hier sollte die jeweilige Bewertung in zwei bis drei Stichworten auch gleich begründet werden. Verweise auf andere Kapitel • Fögele, J. & Mehren, R.: Basiskonzepte. Stadtentwicklung – Transformation von Städten. Band 2, Kapitel 4. • Kanwischer, D. & Lauffenburger, M.: Didaktisches Strukturgitter. Raumplanung – Bürger*innenbeteiligung. Band 2, Kapitel 10. • Meurel, M., Lindau, A.-K. & Hemmer, M.: Exkursionsdidaktik. Stadtentwicklung – Gentrifizierung. Band 2, Kapitel 8. • Schreiber, V.: Kritisches Kartieren. Stadtentwicklung – Ungleichheit in Städten. Band 2, Kapitel 6. • Schulze, U. & Pokraka, J.: Spatial Citizenship. Geovisualisierung – Webmapping. Band 1, Kapitel 27.

25  Mit Mental Maps und subjektivem Kartieren …

335

Literatur Arndt, K., Lenz, T., & Stengelin, M. (2021). Differenzierung im Geographieunterricht – Eine wichtige Voraussetzung für individuellen Lernerfolg. Geographie heute, 42(351), 2–13. BMUB – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. (2017). Weißbuch Stadtgrün – Grün in der Stadt – Für eine lebenswerte Zukunft. BMUB. Breuste, J., & Endlicher, W., et al. (2020). Stadtökologie. In H. Gebhardt (Hrsg.), Geographie. Physische Geographie und Humangeographie (3. Aufl., S. 644–651). Springer. Daum, E. (2011). Subjektive Kartographien und Subjektives Kartographieren – Ein Überblick. In E. Daum & J. Hasse (Hrsg.), Subjektive Kartographie. Beispiele und sozialräumliche Praxis (S. 11–41). BIS: Oldenburg. Dickel, M., & Scharvogel, M. (2013). Räumliches Denken im Geographieunterricht. In D. Kanwischer (Hrsg.), Geographiedidaktik. Ein Arbeitsbuch zur Gestaltung des Geographieunterrichts (S. 57–68). Borntraeger. Gryl, I. (Hrsg.). (2016D). Diercke – Reflexive Kartenarbeit. Methoden und Aufgaben. Westermann. Haase, D. (2017). Natur und Mensch in der Stadt – Eine facettenreiche Koexistenz. Geographische Rundschau, 69(5), 4–9. Hasse, J. (2011). Karten diesseits objektivistischer Ansprüche. Bericht einer explorativen Studie. In E. Daum & J. Hasse (Hrsg.), Subjektive Kartographie. Beispiele und sozialräumliche Praxis (S. 59–86). Oldenburg. Hiller, J., Lude, A., & Schuler, S. (2019). ExpeditioN Stadt. Didaktisches Handbuch zur Gestaltung von digitalen Rallyes und Lehrpfaden zur nachhaltigen Stadtentwicklung mit Umsetzungsbeispielen aus Ludwigsburg. PH Ludwigsburg. KMK & BMZ. (Hrsg.). (2021 im Erscheinen). Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung, Teilausgabe Geographie. Neubearbeitung. https://ges.engagement-global.de/ publikationen.html. Zugegriffen: 15. Jan. 2021. Ohl, U. (2007). Mit Stecknadel, Kamera und Interviewleitfaden. Schüler erforschen die Lebensqualität in ihrem Stadtteil. Praxis Geographie, 37(3), 8–13. Ohl, U., & Neeb, K. (2012). Exkursionsdidaktik: Methodenvielfalt im Spektrum von Kognitivismus und Konstruktivismus. In J.-B. Haversath (Hrsg.), Geographiedidaktik (S. 259– 288). Westermann. Rinschede, G., & Siegmund, A. (2020). Geographiedidaktik (4. Aufl.). Schöningh. Schuler, S. (2015). Problemlösen durch Planen und Entscheiden im Geographieunterricht. Geographie aktuell und Schule, 39(225), 25–37. Thierer, A. (2013). Der methodische Umgang mit Mental Maps im Geographieunterricht. Geographie und Schule, 35(201), 18–24. Wardenga, U. (2002). Alte und neue Raumkonzepte fürden Geographieunterricht. geographie heute, 200, 8–11. WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. (2016). Der Umzug der Menschheit – Die transformative Kraft der Städte. WBGU. Weichhart, P. (2018). Entwicklungslinien der Sozialgeographie (2. Aufl.). Steiner.

Spatial Thinking Räumliche Orientierung auf der Erde mit Globus, Karte und digitalen Geomedien

26

Uwe Schulze und Rieke Ammoneit



Teaser  Räumliche Orientierung ist alltagsrelevant. Sie ist ein Alleinstellungsmerkmal des Schulfachs Geographie. Orientierung mittels Globus, Karte und digitalen Geomedien zu erlernen, ist ein zentraler Bestandteil geographischer Bildung. Nachfolgend wird der Ansatz des räumlichen Denkens zur Förderung von Orientierungskompetenz vorgestellt. Am Beispiel von Orientierung im Nahraum wird gezeigt, wie Schüler*innen unterschiedliche räumliche Referenzsysteme zur Positions- und Distanzbestimmung nutzen können.

26.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Räumliche Orientierung – Hilfsmittel der Orientierung Dem Wortsinn nach bedeutet orientieren, sich selbst nach Osten (gen Orient) auszurichten, und umfassender das Ausrichten von Medien, z. B. Karten, nach den Himmelsrichtungen (Stegmaier, 2008). Zur Orientierung helfen natürliche Gegebenheiten wie der Sonnenstand, die Sterne, das Magnetfeld der Erde und „Wetterseiten“ an Bäumen sowie technische Hilfsmittel, z. B. Koordinaten in Karten, der Kompass und GPS-basierte Navigationssysteme. Räumliche Orientierungsraster wie das Gradnetz der Erde ermöglichen es, sich selbst bzw. räumliche Objekte und Phänomene in ihrer Lageposition, d. h.

U. Schulze (*)  Institut für Humangeographie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] R. Ammoneit  Abteilungen für Transferforschung und Biologiedidaktik, IPN, Kiel, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_26

337

338

U. Schulze und R. Ammoneit

dem Standort, zu verorten. Zur absoluten Positionsbestimmung auf der Erde werden Koordinatensysteme mit Angabe von geographischer Länge und Breite in Winkeleinheiten sowie in metrischen Einheiten (z. B. UTM-Gitter) genutzt. Es gibt auch Systeme zur relativen Lagebestimmung wie die Kilometerangaben entlang von Autobahnen, die einen bestimmten Standort (z. B. KM 143,5) relativ zu einem festen Startpunkt beschreiben. Die Entwicklung von Orientierungshilfen und der ihnen zugrunde liegenden mathematischen, physikalischen und technischen Konzepte ist mit der Kartographie, der Geodäsie und dem Feld der Geoinformations- und Kommunikationstechnologie verbunden. Eine Karte wird allgemein als „stark verkleinertes, in der Projektion Regeln der Mathematik gehorchendes, generalisierendes Modell eines Ausschnitts der Erdoberfläche“ betrachtet (Wardenga, 2012). Zur Orientierung im Gelände werden topographische Karten genutzt, die einen Ausschnitt der Erdoberfläche (Relief, physische Gegebenheiten) abbilden. Thematische Karten, die alle anderen Kategorien abstrakter räumlicher Informationen visualisieren, dienen zur relationalen Orientierung basierend auf Klassifizierungen, Regionalisierungen und Zonierungen (z.  B. Klima, Wirtschaft, Einwohnerdichte). Papiergedruckte Karten speichern und visualisieren räumliche Informationen maßstabsgebunden statisch. Die Digitalisierung flexibilisiert die Informationsdarstellung. Das bedeutet, in webbasierten Karten (z. B. OpenStreetMap) ändern sich dargestellte Inhalte dynamisch in Abhängigkeit der gewählten Zoomstufe. Während analoge Karten feste räumliche Referenzsysteme aufweisen, ermöglicht die Arbeit mit Geoinformationssystemen (kurz GIS) eine zweckgebundene Auswahl von Projektionen und Koordinatensystemen, was vertieftes Fachwissen erfordert. „Ein Globus präsentiert ein maßstabgebundenes und strukturiertes Modell eines Himmelskörpers (bzw. der scheinbaren Himmelskugel) in seiner unverzerrten dreidimensionalen Ganzheit“ (Riedl, 2000: 17). Er wird zu repräsentativen und didaktischen Zwecken (z. B. Konstruktion eines Gradnetzes) eingesetzt. Neben dem klassischen Globus gibt es auch digitale Globen (z. B. Google Earth®, NASA World Wind), die ein dynamisches und animiertes Arbeiten mit Maßstab und Karteninhalten am Computer ermöglichen. Diese virtuellen Hypergloben unterscheiden sich von taktilen Hypergloben, die ein digitales Bild auf einen materiellen Globuskörper werfen (Riedl, 2010). Digitale Geomedien als Kulturtechnik, z. B. Karten als Teil sozialer Medien, virtuelle Globen und webbasierte GIS, revolutionieren die räumliche Orientierung: Sie setzen uns unmittelbar ins Zentrum der Karte, geben Koordinaten automatisiert an und bieten stets aktuelle Raum(lage)bezüge sowie Inhalte. Dadurch wird Orientierung zwar erheblich erleichtert. Allerdings sind damit auch veränderte technische, reflexive, argumentative und partizipatorische Kompetenzen für die aktive und mündige Nutzung dieser digitalen Möglichkeiten verbunden (Schulze et al., 2020). Weiterführende Leseempfehlung Hüttermann, A., Kirchner, P., Schuler, S. & Drieling, K. (2012): Räumliche Orientierung. Braunschweig: Westermann. Problemorientierte Fragestellung Wie kann ich meinen Standort mit digitalen Geomedien bestimmen, um mich räumlich zu orientieren?

26  Spatial Thinking

339

26.2 Fachdidaktischer Bezug: Spatial Thinking Wie auch das logisch-mathematische und sprachlich-linguistische Denken ist das räumliche Denken ein eigenständiger kognitiver Fähigkeitsbereich des Menschen, dessen Ausprägung mit Erfahrungswissen im Sozialisationsprozess sowie im fachlichen Kontext einhergeht. Räumlich denken zu können, lässt sich im Lehr-/Lerngeschehen fördern (NRC, 2006). Als Konzept im Sinne von Spatial Thinking (s. Infobox 26.1) ist räumliches Denken für alle Fächer relevant, die sich mit der Beobachtung, Beschreibung, Analyse und Erklärung von räumlichen Objekten und deren raum-zeitlichen Zuständen, Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten in unterschiedlichen Größenordnungen, d. h. von der subatomaren bis extragalaktischen Dimension, beschäftigen (Sinton, 2013). In der Geographie, die sich mit den „Wechselbeziehungen zwischen Natur und Gesellschaft in Räumen verschiedener Art und Größe“ beschäftigt (DGfG, 2020: 5), wird räumliches Denken als Fähigkeitsbereich immer dann angesprochen, wenn über die Eigenschaften, Lagebeziehungen und Wechselwirkungen geographischer Objekte, Phänomene/Sachverhalte und Ereignisse problemorientiert gedacht, gesprochen, gelernt und geforscht wird. Formalisiert als Konzeptwissen (Spatial Knowledge), dient es der sprachlichen und bildhaften/grafischen Beschreibung und Veranschaulichung, Analyse und (De-)Konstruktion von Raum mittels spezifischer Grundformen, sogenannten räumlichen Entitäten (Golledge, 2002): • der Ort als Bedeutungsträger einer gegenüber anderen räumlichen Objekten und Phänomenen eindeutig bestimm- und abgrenzbaren abstrakten Identität (place-based identity) • Standort im Sinne von räumliche Lage/Position im Raum (location) • Größe/Größenordnung des identifizierten räumlichen Phänomens (magnitude) • Zeit (time) Aus diesen vier Grundformen lassen sich räumlich komplexere Konzepte ableiten wie z. B. Distanz/Entfernung, Richtung, Verbindung, Verteilung, Muster, Hierarchie, Region (Golledge, et al., 2008). Bei den einfachen und komplexen räumlichen Konzepten handelt es sich um theoretische Konstrukte, die „mentales Operieren mit Lagebeziehungen zwischen oder innerhalb von Objekten oder Sachverhalten“ als eine dementsprechend modellhaft-konstruierende gedankliche Leistung ermöglichen (Köck, 2005: 62). Im Geographieunterricht kann räumliches Denken zur Dekonstruktion nicht nur absoluter, sondern auch relationaler Raumbezüge nutzbar gemacht werden (→ Raumkonzepte) (vgl. Dickel & Scharvogel, 2013). Dabei hilft es der beschreibenden Abstraktion und Strukturierung räumlichen Wissens (AFB I). Bei der Arbeit mit digitalen Geomedien unterstützt räumliches Denken deren technische und inhaltliche Formatierung. Darüber hinaus sollten im Kontext räumlicher Orientierung auf unterschiedlichen Maßstabsebenen und damit verbundenen geographischen Denk- und Handlungsprozessen bei Schüler*innen auch gezielt höhere kognitive Anforderungsbereiche (AFB II und III) angesprochen werden (s. Lindau, 2012).

340

U. Schulze und R. Ammoneit

Infobox 26.1: Spatial Thinking

Räumliches Denken ist weder ein fachdidaktischer Ansatz der Geographie, noch existiert ein einheitliches Begriffsverständnis zu Spatial Thinking. Häufig synonym benutzte Begriffe sind Spatial Literacy, Spatial Ability, Spatial Cognition und Spatial Intelligence (NRC, 2006). Im deutschsprachigen Raum finden Begriffe wie räumliche Intelligenz, Raumvorstellung(svermögen) und Raumverständnis Verwendung, wie sie in der Psychologie und den Neurowissenschaften, aus Sicht des psychometrischen Kognitions- bzw. Intelligenzbegriffs und im Sinne der Entwicklung und Nutzung räumlicher Fähigkeiten, z. B. räumliche Wahrnehmung, räumliche Beziehungen, mentale Rotation/Vorstellungsvermögen, verstanden werden (Köck, 2005; Rinschede, 2007). Der Ansatz des Spatial Thinking hat im angloamerikanischen Kontext der sogenannten „GIS Education“ in K-12 seit Mitte der 2000er-Jahre an Bedeutung gewonnen und ist hierbei mit der geoinformationsbasierten Beschreibung, Verarbeitung, Analyse und Präsentation räumlicher Problem- und Fragestellungen verbunden. Spatial Thinking als Konzept wird in diesem Kontext als das Zusammenspiel dreier Dimensionen definiert: i) das Wissen über räumliche Elemente/Entitäten (Concepts of Space), ii) die Fertigkeiten und Fähigkeiten zur internalen und externalen Repräsentation von Raum (Tools of Representation) sowie iii) das räumliche Denken im engeren Sinne (Processes of Reasoning). Dimensionen und Elemente des fächerübergreifenden Spatial-Thinking-Ansatzes. Concepts of Space Tools of Representation Processes of Reasoning Space, space–time, object/field, place Primitives of identity: object, container, boundary, shape, texture Primitive spatial relations: static [location (distance, direction, distribution); connection]; dynamic [motion, flow, force, intersection/collision]

Internal (“distinguishing and encoding spatial features”) • Figure/ground; shape; size; texture; color • Mental images (a controversial notion) External • Geometry: point, line, polygon; • Mathematical models • Visualizations: maps; graphs; diagrams; charts • Language

Extracting spatial structures (internal, external) • boundary; pattern; cluster; center; path; surface; network; sequence; hierarchy; region Performing spatial transformations (internal, external) • perspective; rotation; 3D > 2D; scale; interpolation; generalization Drawing functional inferences (internal, external) • spatial correlation; spatial dependence; heterogeneity; extrapolation; prediction; causation

Quelle: NRC (2006); Übersicht in Anlehnung an TeachSpatial.org, s. http:// teachspatial.org/elements-of-spatial-thinking/ (03.08.2021).

26  Spatial Thinking

341

Weiterführende Leseempfehlung Uhlenwinkel, A. (2014). Geographical concept: Place. In M. Rolfes & Uhlenwinkel, A. (Hrsg.) Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht (S. 182–188). Bildungshaus Schulbuchverlage. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Basiskonzepte/Geoconcepts, Raumkonzepte, kognitive Karten/subjektive Karten

26.3 Unterrichtsbaustein: Räumliche Orientierung mit digitalen Orientierungsrastern Zielstellung Vor dem Hintergrund der originären fachlichen Bedeutung räumlicher Orientierung adressiert der Unterrichtsbaustein (s. Infobox 26.2) die Arbeit mit unterschiedlichen digitalen Orientierungsrastern unter Bezugnahme auf die Konzepte Standort (Position/ Lage) und räumliche Distanz. Fachliche Erläuterung Mit dem Standort wird die konkrete Lage eines räumlichen Objektes bzw. Phänomens angegeben, entweder als absolute Position auf der Erde (Winkelangabe, geographische Länge und Breite) oder relativ in Bezug auf ein anderes (geo-)referenzierbares Objekt (davor, dahinter, nördlich, östlich, rechts davon usw.). Die Positionsangabe kann dabei nur auf das Objekt/Phänomen selbst bezogen sein oder den Standort des Individuums in diesem Kontext miteinbeziehen. Als räumliche Distanz wird die Entfernung zwischen zwei eindeutig voneinander abgrenzbaren räumlichen Objekten/Phänomenen bezeichnet. Entfernung kann als symmetrischer Abstand (Intervall) entweder in einem Koordinatensystem definiert sein, z. B. zwischen zwei Koordinatenpunkten, oder als Strecke. Die Entfernungsangabe kann aber auch nichtsymmetrisch, d. h. relativ erfolgen, z. B. in der Aussage: „Von hier aus südlich, sieben Häuser hinter der nächsten Kreuzung rechts“. Zur erfolgreichen räumlichen Orientierung ist hierbei die korrekte Interpretation dieser Angabe notwendig. Digitale Geomedien, die der Logik der Computersprache unterliegen, können automatisiert nur absolute/symmetrische Angaben „verstehen“ bzw. digital verarbeiten. Im Unterrichtsgeschehen in der Sekundarstufe 1 wird zur Arbeit mit Positionen auf der Erde standardmäßig das Gradnetz der Erde mit geographischen Koordinaten eingeführt und in höheren Klassenstufen im Rahmen der Kartenarbeit angewendet. Dabei werden Entfernungen gewöhnlich nicht in Winkeldifferenzen, sondern metrisch (per Meter, Kilometer) berechnet. Der Unterrichtsbaustein verwendet neben dem Gradnetz der Erde zwei alternative räumliche Referenzsysteme, die erst durch die Geoinformationstechnologie in digitalen Geomedien virtuell erzeugt werden und die Ermittlung von Standorten und Entfernungen ohne Koordinatenbezug einfach wie auch nützlich gestalten:

342

U. Schulze und R. Ammoneit

• Open Location Code alias „Plus-Codes“: In Google Maps® werden neben geographischen Koordinaten in Dezimalgrad für jeden (Stand-)Ort standardmäßig auch Positionen in Form von Rasterzellen angegeben, die aus einer Kombination von Buchstaben, Ziffern und ggf. einem Ortsnamen bestehen. Das Rastersystem hat eine Ausdehnung von ca. 100 × 100 km (global) bis ca. 14 × 14 m (lokal). Es ermöglicht vor allem dort genaue Standortangaben, wo es keine festen Adressen gibt, wie in Slums, an Stränden, in der Wildnis etc. Aber auch für das Suchen und Finden von bestimmten Orten im Alltag, wofür die Nutzung von geographischen Koordinaten zu kompliziert wäre, ist es hilfreich, zum Beipiel für Treffpunkte auf Festivals oder Seiteneingänge an Gebäuden für Lieferdienste. Bei einem außerschulischen Besuch in Berlin könnte sich eine Schulklasse so z. B. ihre Pizzas an den Standort ‚G965 + CQ Berlin‘ liefern lassen. (Anmerkung: Suchen Sie alternativ in Google Maps® nach N52°30′39.9" E13°21′34.0".) • what3words: Auch dieses Rastersystem gibt räumliche Positionen nicht in geographischen Koordinaten an, sondern kodiert diese als eine „Dreiwort-Adresse“. In unserem Beispiel der hungrigen Klasse in Berlin würde der Lieferdienst die Pizzas also hierhin bringen: ///aktueller.rotwein.langer. Der Web-Dienst  what3words nutzt ein digitales Rasternetz von 3 × 3 m zur einfachen, aber präzisen Positionsbestimmung weltweit. Die Dreiwort-Adressen sind nur mittels App bzw. im Webbrowser zu dekodieren, s. https://what3words.com. Sozialform Der Unterrichtsbaustein kann von den Schüler*innen einzeln oder paarweise durchgeführt werden. Eine teilweise Bearbeitung der Vorbereitung als Hausaufgabe ist möglich. Materialien und Hilfsmittel • PC, Laptop, Tablet, Internetzugang, aktueller Internetbrowser • Apps: Google Maps® oder https://plus.codes/map, https://what3words.com, zusätzlich ggf. auch https://routing.openstreetmap.de/ • Papier, Lineal und Bleistift zum Zeichnen einer Tabelle (siehe Tab. 26.1) Infobox 26.2: Durchführung des Unterrichtsbausteins

Schritt 1 – Erinnern und Schreiben (Papier): Die Schüler*innen überlegen sich für eine Kartierung des eigenen Schulwegs mindestens fünf markante Orte entlang des Weges. Zur positiven kognitiven Verankerung sollten in jedem Fall der Startpunkt („zu Hause“) sowie der Zielpunkt („Schule“) genannt sein. Weitere Orte könnten Angst-/Meidungsorte (z. B. „gefährliche“ Straßenabschnitte), Lieblingsorte (z. B. Einkaufsmarkt für Snacks) und andere individuell bedeutungsvolle Orte sein. Jeder Ort soll zuerst prägnant charakterisiert werden: „Was ist dort?“ und „Warum ist es für mich bedeutsam?“ Die Orte werden in der ersten Spalte der Tab. 26.1 eingetragen. Die farbliche Markierung des jeweils aktuellen Standortes der Schüler*innen hilft bei der Bearbeitung der Aufgabe im Folgenden.

26  Spatial Thinking

343

Schritt 2 – Suchen und Klicken (Computer/Tablet): Die in der Tabelle verzeichneten Orte werden im Sinne eines Standorts in den digitalen Karten-Apps nacheinander gesucht, um so die jeweilige Positionsangabe zu ermitteln. Im Ergebnis sollten folgende Positionsangaben in der Tabelle eingetragen sein: Adresse oder Straßenname/-kreuzung; Koordinaten (geographische Länge/Breite); Plus-Codes, what3words. Im Anschluss wird, ausgehend vom farblich markierten Ort („Schule“ bzw. „zu Hause“), in der Tabelle die Entfernung zu mindestens einem anderen Ort in der Tabelle mithilfe der unterschiedlichen Apps ermittelt und notiert. Dabei sind alle verfügbaren Distanzangaben innerhalb der Apps für unterschiedliche Transportmodi/Routen, unter Angabe von Zeit und Entfernung, möglich, z. B. für Fußgänger*innen, Nutzung ÖPNV, Autonutzung. Schritt 3 – Reflektieren und Diskutieren (Lerngruppe): Nachdem die Schüler*innen alle Werte in der Tabelle vorliegen haben, können diese gegenüberstellend beschrieben und miteinander verglichen werden. Die Reflexion erfolgt im Kontext der hier zugrunde liegenden Kompetenzorientierung in Bezug auf folgende Primärziele: Schüler*innen erkennen, dass es verschiedene Möglichkeiten zur Bestimmung/Angabe von Standorten für räumliche Orientierung im Alltagsgeschehen gibt, und können deren Nützlichkeit bewerten; sie wissen, dass es neben dem Gradnetz der Erde alternative virtuelle Orientierungsraster gibt, die technisch verstanden sein wollen, um sie sicher bedienen und als Orientierungshilfen einsetzen zu können. Die Lehrkraft unterstützt das Schüler*innengespräch durch folgende Leitfragen: Welche Positionsangabe ist zur Orientierung auf dem Schulweg gut geeignet, welche eher nicht? Welche Entfernungseinheiten können gewählt werden und wann sind sie sinnvoll für die Messung von Distanzen (z. B. Strecke in Meter vs. Gehminuten)? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben die benutzten Apps, welche würdet ihr euren Eltern und Freunden empfehlen? Begründet! Wie funktioniert die digitale Berechnung der Entfernung zwischen zwei Standorten, welche Vermutung habt ihr?

Tab. 26.1  Vorlage Ergebnistabelle zur Positions- und Distanzangabe markanter Orte entlang des Schulwegs Nr 1 2 3 4 5 …

Markanter Ort/Standort

Adresse

Geographische Koordinaten

Plus-Code

what3words

Distanz

344

U. Schulze und R. Ammoneit

Beitrag zum fachlichen Lernen Eine zentrale Fertigkeit im Umgang mit Karten und Plänen im fachlichen Lerngeschehen ist die adäquate Nutzung des ihnen jeweils zugrunde liegenden räumlichen Referenzsystems bzw. Orientierungsrasters zur Lagebestimmung geographischer Objekte und Phänomene. Der Unterrichtsbaustein leistet einen Beitrag zu Befähigung von Schüler*innen, neben dem Gradnetz der Erde auch solche räumlichen Orientierungsraster nutzen zu können, die nur virtuell in digitalen Karten und Globen existieren. Die Arbeit erfolgt anhand von individuellen Kartierungen der Schulwege der Schüler*innen, wobei gleichzeitig die reflexive Auseinandersetzung mit Lieblings- und Meidungsorten im Nahraum, als Aspekt sozialräumlicher Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, adressiert wird. Kompetenzorientierung • Räumliche Orientierung: S2 kennen neben dem Gradnetz der Erde alternative virtuelle Orientierungsraster, können verschiedene räumliche Referenzsysteme vergleichen sowie Vor- und Nachteile diskutieren; S3 kennen und nutzen die räumlichen Grundformen Standort sowie räumliche Distanz zur Beschreibung der Lage und Lagebeziehung geographischer Objekte; S4 kennen verschiedene Maße, um räumliche Distanzen zu berechnen; S11 können ihren Standort im Realraum bestimmen; S13 können sich mittels Orientierungshilfen im Realraum bewegen. • Beurteilung/Bewertung: S2 können eigenes Orientierungsverhalten beschreiben und Schwierigkeiten reflektieren. Klassenstufe und Differenzierung • Klasse 5 bis 7: Der Baustein wird durch die Lehrkraft schrittweise angeleitet durchgeführt. • Klasse 8 bis 10: Der Baustein kann von Schüler*innen eigenständig im Unterricht oder zu Hause durchgeführt werden, aber auch im Gelände, sofern mobile Endgeräte vorhanden sind. • Abiturstufe: Die Liste der Orte kann erweitert bzw. auch themenzentriert variiert werden, z. B. Bestimmung der durchschnittlichen Entfernung zu Bäckereien, ausgehend vom aktuellen Standort. Räumlicher Bezug Lokal: Nahraum Schule, Wohnquartier, Schuleinzugsbiet Konzeptorientierung Deutschland: Maßstabsebenen (lokal, regional, national, international, global), Raumkonzepte (Raum als Container, Beziehungsraum, wahrgenommener Raum, konstruierter Raum) Österreich: Raumkonstruktion und Raumkonzepte, Wahrnehmung und Darstellung Schweiz: sich in Räumen orientieren (4.1–4.3)

26  Spatial Thinking

345

26.4 Transfer Ansätze des Spatial Thinking sind sowohl für die umfassende Vermittlung von Orientierungs- und Methodenkompetenz als auch zur Erschließung von fachwissenschaftlichen Inhalten geeignet. Die Standort- bzw. Distanzbestimmung kann dabei nicht nur für die Orientierung im Nahraum genutzt werden, um den Umgang mit Referenzsystemen und räumlichen Distanzen zu schulen, sondern lässt sich auf die folgenden Kompetenzbereiche übertragen: • Kartenkompetenz: meine absolute Position (Standort) in unterschiedlichen Karten anhand der fachlichen Auseinandersetzung mit Naturrisiken wie Vulkanismus analysieren. • Systemkompetenz: meine relative Position in einem System anhand der fachlichen Auseinandersetzung mit z. B. Tektonik, Klimawandel, einem urbanen System feststellen. • Medienkompetenz: die eigene absolute Position in Bezug auf einen anderen Ort bzw. ein Ereignis oder Phänomen anhand der fachlichen Auseinandersetzung mit Naturrisiken wie Erdbeben (Position Epizentrum) oder Hochwasser diskutieren. • Reflexion: meine Position in Bezug auf einen anderen Ort anhand der fachlichen Auseinandersetzung mit Angsträumen in der Stadt reflektieren. Verweise auf andere Kapitel • Hiller, J. & Schuler, S.: Mental Maps/Subjektive Karten. Nachhaltige Stadtentwicklung – Stadtgrün. Band 1, Kap. 25. • Kanwischer, D.: Reflexion. Infomationssektor – Geographien der Information. Band 2, Kap. 26. • Mönter, L. & Peter, C.: Haptische Modelle. Wasserhaushalt – Hochwasser und Hochwasserschutz. Band 1, Kap. 10. • Schreiber, V.: Kritisches Kartieren. Stadtentwicklung – Ungleichheit in Städten. Band 2, Kap. 6.

Literatur Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG). (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. Dickel, M., & Scharvogel, M. (2013). Räumliches Denken im Geographieunterricht. In D. Kanwischer (Hrsg.), Geographiedidaktik. Ein Arbeitsbuch zur Gestaltung des Geographieunterrichts. Borntraeger. Golledge, R. (2002). The nature of geographic knowledge. Annals of the Association of American Geographers, 92(1), 1–14. Golledge, R., Marsh, M., & Battersby, S. (2008). Matching geographical concepts with geographic educational needs. Geographical Research, 46(1), 85–98.

346

U. Schulze und R. Ammoneit

Köck, H. (2005). Räumliches Denken. Praxis Geographie, 7–8(2005), 62–64. Lindau, A. (2012). Der Kompetenzbereich „Räumliche Orientierung“ im Geographieunterricht – Ergebnisse einer Beobachtungsstudie. In Hüttermann, A., Kirchner, P., Schuler, S. & K. Drieling (Hrsg), Räumliche Orientierung (S. 42–53). Westermann. National Research Council (NRC). (2006). Learning to think spatially. The National Academies Press. https://doi.org/10.17226/11019. Riedl, A. (2000). Virtuelle Globen in der Geovisualisierung. Untersuchungen zum Einsatz von Multimediatechniken in der Geokommunikation. Wiener Schriften z. Geogr. u. Kartogr., 13, 158. Riedl, A. (2010). Entwicklungsgeschichte digitaler Globen. Der Globusfreund 57/58. Wien, Internat. Coronelli‐Ges. für Globen u. Instrumentenkunde. Rinschede, G. (2007). Geographiedidaktik. Verlag Ferdinand Schöningh. Schulze, U., Kanwischer, D., Gryl, I., & Budke, A. (2020). Mündigkeit und digitale Geomedien – Implementation eines digitalen Fachkonzepts in der geographischen Lehrkräftebildung. AGIT – Journal für Angewandte Geoinformatik, 6–2020, 114–123. Sinton, D. (2013). The People’s Guide to Spatial Thinking. National Council for Geographic Education. Stegmaier, W. (2008). Philosophie der Orientierung. de Gruyter. Wardenga, U. (2012). Kartenkonstruktion und Kartengebrauch im Spannungsfeld von Kartentheorie und Kartenkritik. In Hüttermann, A., Kirchner, P., Schuler, S. & K. Drieling (Hrsg), Räumliche Orientierung. (S. 134–143). Westermann.

Spatial Citizenship Mapping und Visualisierung geographischer Informationen

27

Uwe Schulze und Jana Pokraka



Teaser Web-Mapping und Geovisualisierung als etablierte Formen im Umgang mit Geoinformationen im Internet verändern auch den Zugang zur Kartenarbeit im Unterricht. Nachfolgend wird daher aufgezeigt, wie einfache digitale Kartenskizzen im Unterricht eingesetzt werden können. Ausgehend vom Bildungskonzept Spatial Citizenship als fachdidaktisches Prinzip wird skizziert, wie Schüler*innen eine kritische Perspektive im Produktionsprozess digitaler Karten vermittelt werden kann.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_27.

U. Schulze (*)  Institut für Humangeographie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] J. Pokraka  Institut für Geographie/Institut für Sachunterricht, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0_27

347

348

U. Schulze und J. Pokraka

27.1 Fachwissenschaftliche Grundlage: Geovisualisierung – Web-Mapping Sowohl das Web-Mapping als technische Realisierung von Kartendiensten im Internet als auch die damit verbundenen kommunikativen Handlungspraktiken interaktiver Web-2.0-Kartographie sind Ausdrucksformen digitaler Geomedien als Kulturtechnik (vgl. Kanwischer, 2014). Als Erkenntnisobjekt stehen digitale Karten im Mittelpunkt des Anwendung- und Forschungsfeldes der Geokommunikation sowie der sozialwissenschaftlichen Kartographie-, GIS- und Geoweb-Forschung (Glasze 2014). Web-Karten sind weder nur das „digitale Pendant“ zu Papierkarten, noch sind sie lediglich die Fortführung der Kartographie mit digitalen Mitteln. Vielmehr sind sie die Schnittstelle der multimedialen und dynamischen Visualisierung und Kommunikation räumlicher Informationen unter Zugriff auf globale Geodateninfrastrukturen sowie damit verknüpfter Methoden der Geoinformationsverarbeitung. Über einen Webbrowser können weltweit flächendeckende Grundlagenkarten (Basemaps) aufgerufen und durch Ergänzung ortsbezogener Informationen (Geodaten) sowie von Text, Bild, Sound und Video etc. auch virtuell annotiert, verändert und rekonfiguriert werden (Mash-up-Prinzip). Beim Web-Mapping werden Anwender*innen zu „Prosumenten“, was die Auflösung des traditionellen Verständnisses von Kartenproduzenten vs. -konsumenten widerspiegelt. In Kombination mit den Basisfunktionen im Umgang mit Geoinformationen (s. Infobox 27.1) sind webbasierte Kartendienste zum Produktivwerkzeug der Verbreitung individueller Ortskenntnisse durch Nutzer*innen jenseits der streng formal-analytischen Anwendung von GIS und Kartographie als Fachdisziplin geworden (Boeckler, 2014). In dieser Lesart der Neogeography (Turner, 2006) ist das Schlagwort Volunteered Geographic Information (VGI) bedeutsam, das die Produktion und Kommunikation von Geoinformationen im Web 2.0 durch Freiwillige beschreibt (Goodchild, 2007). Durch mobile Datenerhebung, die Digitalisierung von Papierkarten sowie von Luftund Satellitenbildern werden ortsbezogene Informationen gesammelt bzw. „kartiert“. VGI spielt für die Produktion geographischen Wissens auch durch Crowdsourcing z. B. im Rahmen von Bürgerwissenschaften (Citizen Science) und der Katastrophenbekämpfung (Crisis Mapping) eine Rolle. Das vermutlich bekannteste VGI-Projekt ist OpenStreetMap, das seit mehr als 15 Jahren an einer digitalen Weltkarte arbeitet. Infobox 27.1: Basisfunktionalität von Web-Mapping-Anwendungen

• Einfache Benutzeroberfläche, sog. Graphical User Interface (GUI) • Flächendeckende, blattschnittfreie Darstellung der Erdoberfläche mittels unterschiedlicher Basiskarten wie topographische Informationen, Satellitenbilder/ Luftbilder, Produkte kommerzieller Kartendienste wie Google Maps®, Bing Maps, ESRI • Unmittelbarer Koordinatenbezug z. B. entlang des Mauszeigers oder am Kartenmittelpunkt

27  Spatial Citizenship

349

• Überlagerung unterschiedlicher Datenebenen (Overlay, Layerkontrolle) • Dynamische und interaktive Kartennavigation mittels Adresssuche, Ortssuche, Zoom, Pan und dadurch unmittelbarer globaler Raumbezug sowie Einbettung und Kontextualisierung betrachteter Orte, Phänome, Strukturen und Prozesse • Erstellung (Zeichnen) von Punkten, Linien, Flächen, Beschriftung; Arbeit mit Symbolen, Farben, Schraffuren und Legende, Setzen einfacher Marker als Points of Interest (POI) • Einbettung/Verlinkung multimedialer Inhalte, wie z. B. Webseiten, Fotos, Videos, Sounds • Analytische Basisfunktionen wie Messen von Entfernungen/Distanzen, geometrische Parameter von erzeugten Geoobjekten, Richtung, ZentroidBerechnung, Heatmaps • Beliebiges Speichern und Weiterarbeiten, Datenimport und -export unterschiedlicher Datenformate, z. B. CSV, Shapefiles, JPEG, KML/KMZ, GPS • Erstellen von Weblinks zum Teilen z. B. in sozialen Medien und per E-Mail • Anleitungen mittels Video-Tutorials, Dokumentation und FAQs (vgl. Hennig & Vogler, 2011)

Abb. 27.1   Visualisierung der weltweiten länderspezifischen Lebenserwartung in Jahren im Verhältnis zum Pro-Kopf-Einkommen. (Quelle: Gapminder World Poster 2019. CC, based on a free chart from www.gapminder.org (Zugriff 17.02.2021))

Abb. 27.2   Choroplethenkarte des weltweiten länderspezifischen Pro-Kopf-Einkommens 2019 in fünf Klassen als Overlay mit der Basemap „National Geographic Style“. (Quelle: World Development Indicators. This dataset is classified as Public under the Access to Information Classification Policy. © 2021 The World Bank Group, All Rights Reserved. Screenshot von https://databank.worldbank.org/reports.aspx?source=2&series=NY.GDP.PCAP.CD&country=# advancedDownloadOptions (Zugriff 17.07.2021))

350 U. Schulze und J. Pokraka

27  Spatial Citizenship

351

Durch die enormen Kapazitäten der Datenverarbeitung im Internet bieten Web-MappingPlattformen vielfältige Möglichkeiten zur Geovisualisierung. Damit sind Techniken und Methoden gemeint, die „einen interaktiven, visuellen Zugang zu (meist) multidimensionalen räumlichen Daten ermöglichen“ (Traun et  al., 2013: 9). Im Sinne des visuellen Denkens geht es dabei um die zielgerichtete Überführung komplexer Informationen in ein für Menschen interpretierbares „Daten-Bild“  zur Exploration, Synthese und Analyse von Geodaten mittels unterschiedlicher Repräsentationsformen, z. B. Tabelle, Kartogramm (2-D, 3-D) und Fly-throughs in virtueller Realität (De Lange 2013). Auch zeitliche Dynamiken räumlicher Sachverhalte können abgebildet werden (4-D). Die Plattform Gapminder.org ist eine im Bildungskontext sehr lohnenswerte Anwendung zur interaktiven Visualisierung von Statistiken zur globalen Entwicklung (Abb. 27.1). Auch Datenportale wie Worldbank.org bieten mittlerweile standardmäßig einfache Geovisualisierungen (Abb. 27.2). In Deutschland halten z. B. die Geoportale der Bundesländer vielfältige raumbezogene Informationen parat, die über Geodatenviewer dargestellt, aber auch weiterverarbeitet werden können. Demgegenüber komplexer, aber auch leistungsfähiger sind Plattformen wie ArcGIS Online (ESRI), die eine Fülle professioneller Tools zur individuellen Aufbereitung, Analyse und Präsentation von Geodaten bereitstellen. Weiterführende Leseempfehlung Glasze, G. (2014). Sozialwissenschaftliche Kartographie-, GIS- und Geoweb-Forschung. Kartographische Nachrichten 64(3), 123–129. https://doi.org/10.1007/BF03544141. Problemorientierte Fragestellung Wie lassen sich räumliche Sachverhalte mittels einfacher Kartenskizzen visualisieren?

27.2 Fachdidaktischer Bezug: Spatial Citizenship Der Bildungsansatz Spatial Citizenship zielt auf die Befähigung des Individuums zur Beteiligung an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen mittels digitaler Geomedien ab (Gryl & Jekel, 2012; Schulze et al., 2015). Als fachdidaktisches Prinzip gewendet, versteht Spatial Citizenship die Arbeit mit bzw. die Erstellung von räumlichen Repräsentationen, wie bspw. digitale Karten, nicht als Selbstzweck. Der Fokus liegt vielmehr auf der sozialen Einbettung ihrer Nutzung und Produktion in jeweils spezifische Kontexte der Kommunikation räumlichen Wissens (Pokraka et al., 2017). Spatial Citizenship Education ist an der Schnittstelle von politischer Bildung und kritischreflexiver, mündiger Raumaneignung verortet. In Bezug auf politische Bildung greift Spatial Citizenship auf ein Verständnis veränderter Partizipationsgewohnheiten von Akteur*innen zurück, welche durch ein Engagement in informellen, webbasierten und globalen Kontexten gekennzeichnet sind (Bennett et al., 2009). Partizipation und Beteiligung erfolgt z. B. über globale Aktionsformen, etwa im Rahmen von „Fridays for Future“, der „#metoo“-Bewegung

352

U. Schulze und J. Pokraka

oder „#Blacklivesmatter“, die zwar im physisch-materiellen Raum wirken, deren Unterstützungsnetzwerke aber weit über die physische Vernetzung hinausgehen und im Web 2.0 verstärkt werden. An dieser Stelle deutet sich die in Spatial Citizenship angelegte Verankerung von politischer und räumlicher Domäne als Kernelement an. Das heißt: Während im Bereich der politischen Bildung räumliche Bezüge deutlich vernachlässigt werden und geographische Bildungsansätze Raum teils als rein administrative Einheit betrachten (vgl. z. B. Bednarz & Bednarz, 2015), greift Spatial Citizenship relationale Raumkonzepte auf und erlaubt eine kritische Betrachtung machtbezogener Implikationen räumlicher Konstruktionen sowie ein reflexives, politisiertes Verständnis von räumlichen Aneignungsprozessen (vgl. Elwood & Mitchell, 2013; Gordon et al., 2016). Handlungsmacht wird auf Basis von Prozessen politischer und normativer bzw. produktiv-konsumptiver räumlicher Regionalisierung erlangt (Werlen, 1995, 1997), wobei räumliche Repräsentationen im Zentrum der sozialen Produktion von Raum stehen (Lefebvre, 1993) und über die Kommunikation räumlicher Bedeutungszuweisung die (Re-)Konstruktion von Raum beeinflussen. Für Bildung zu Spatial Citizenship ergeben sich daraus drei zentrale Kompetenzbereiche: • Die technisch-methodische Dimension bezieht sich auf Kompetenzen der Geoinformationsverarbeitung im Hinblick auf alltagsbezogene Geomedien. Sie zielt auf ein Bewusstsein zur kreativen Anwendung vielfältiger, multimedialer Mapping-Tools ab und auf Prozesse der Prosumption räumlicher Repräsentationsformen. • Der Bereich Reflexion/Reflexivität fördert das Bewusstsein über Einflüsse digitaler Geomedien auf alltägliche Handlungen. Dies reicht über „klassische“ Fähigkeiten des Kartenlesens hinaus und fordert zum Nachdenken über alternative räumliche Konstruktionen und Kommunikation heraus. Dies umfasst u. a. Fragen der Datensicherheit und Privatsphäre von Nutzer*innen sowie Gefahren der Überwachung durch Tracking. • Die Dimension der geomedialen Kommunikation und Partizipation umfasst pragmatische und strategische Fähigkeiten, alternative räumliche Konstruktionen adressatenorientiert zu kommunizieren, argumentativ zu unterstützen und mit ihnen in interaktive und nichtlineare Aushandlungsprozesse zu treten. Diese Kompetenzen sollen Schüler*innen befähigen, geomedienbasierte Ausdrucksformen eigener räumlicher Narrative zu entwickeln, dominierende gesellschaftlich-räumliche Diskurse zu hinterfragen, Bedeutungszuschreibungen und Nutzungsszenarien von Geomedien herauszufordern und alternative Perspektiven und Haltungen als mündige Bürger*innen zu entwickeln (Schulze et al., 2015). Weiterführende Leseempfehlung • Jekel, T., Gryl, I., & A. Oberrauch (2015). Education for Spatial Citizenship: Versuch einer Einordnung. GW Unterricht, 137, 5–13. Online verfügbar unter: http://www.gwunterricht.at/images/pdf/gwu_137_05_13_jekel_gryl_oberrauch.pdf.

27  Spatial Citizenship

353

• Crampton, J. W. (2010). Mapping: A critical introduction to cartography and GIS. Wiley-Blackwell. Bezug zu weiteren fachdidaktischen Ansätzen Spatial Thinking, reflexive Geomedienkompetenz, mündigkeitsorientierte Bildung

27.3 Unterrichtsbaustein: Stadtgrün mittels digitaler Karten erfassen und bewerten Zielsetzung und thematischer Bezug Der Unterrichtsbaustein skizziert den Einsatz der Web-Mapping-Anwendung Scribble Maps zur Erstellung einfacher Kartenskizzen. Das Beispiel adressiert das Themenfeld „Urbanisierung und Stadt“ (Stadtplanung, Bauen und Wohnen). Es folgt der Fragestellung, welche unterschiedlichen Nutzungstypen von Grünflächen im städtischen Raum existieren und welche Qualität im Sinne der Erreichbarkeit und Zugänglichkeit aus Sicht der Schüler*innen bestehen. Die Schüler*innen lernen, Aspekte der Qualität von Stadtgrün mittels einfacher Web-Karten zu erfassen und zu visualisieren, um ihre individuelle Raumwahrnehmungen sichtbar zu machen und Dritten gegenüber zu kommunizieren. Die hiermit verbundenen Vorteile von Web-Mapping gegenüber der Arbeit mit Papierkarten können Infobox 27.1 entnommen werden. Arbeits-/Sozialform: Im Sinne von Peer Learning (Stroot & Westphal, 2018) können und sollen sich die Schüler*innen gegenseitig unterstützen. Der Unterrichtsbaustein sollte idealerweise in Partnerarbeit durchgeführt werden. Eine Bearbeitung der Vorbereitung sowie der Datenerfassung als Hausaufgabe ist möglich. Durchführung Vorbereitung: Nach der thematischen Einführung durch die Lehrkraft überlegen sich die Schüler*innen einen lohnenswerten(!) Raumausschnitt im Nahraum zur Kartierung (Wo wird kartiert?). Zudem halten sie mittels Brainstormings auf einem Blatt Papier mögliche Nutzungstypen von Grünflächen und deren Eigenschaften fest, die sie kennen bzw. im Tab. 27.1  Vorlage Kartierung von Nutzungstypen von Grünflächen Objektnummer

Art/Typ Grünfläche, einzelnes Objekt

Nutzungsmöglich- Zugang keit

Sonstige Anmerkungen

1

Stadtpark

Chillen, Skaten, Erholung

Langer Weg von zuhause

2 3 …

Öffentlich, frei, jederzeit

354

U. Schulze und J. Pokraka

Kartierungsbereich erwarten (Was wird kartiert?). Dieser Schritt kann ggf. im Klassenverband erfolgen, um vergleichbare Kartierungskategorien zu entwickeln (s. Tab. 27.1). Die nachfolgenden Schritte von der Datenerfassung bis zur Kommunikation der Ergebnisse können je nach Klassenstufe entweder frontal demonstriert oder durch Ausprobieren durch die Schüler*innen selbst erschlossen werden. Hinweise zur technischen Durchführung der Lerneinheit mit Scribble Maps befinden sich im digitalen Materialanhang dieses Beitrags. Datenerfassung: Die Datenerfassung erfolgt mithilfe des Mapping-Tools Scribble Maps (www.scribblemaps.com). In der Voreinstellung ist das Basiskarten-Set von Google gesetzt. Die Schüler*innen erfassen auf dieser oder einer anderen gewählten Kartengrundlage (z. B. OpenStreetMap) Grünflächen entweder als flächenhafte Objekte (z. B. Wiese), als linienförmige Objekte (z. B. Hecke) oder als punktförmige Einzelobjekte (z. B. Baum). Alle erfassten Geoobjekte sollten zwingend hinsichtlich der erkenntnisleitenden Merkmale beschrieben werden, um die bloßen geometrischen Raumbezüge mit Sachinformationen zu verbinden. In diesem Beispiel folgt die Beschreibung der aufgeworfenen Fragestellung, nämlich: i) Art/Typ der Grünfläche/des Einzelobjekts, ii) Nutzungsmöglichkeit, d. h. Spielen, Erholung, Abhängen etc., sowie iii) Zugänglichkeit, d. h. öffentlich/privat, frei/nicht frei, Eintritt, Öffnungszeiten etc. Speicherung: Spätestens wenn die Kartierung abgeschlossen ist, besser aber bereits zu Beginn der Arbeit, müssen alle erzeugten Informationen auf der Scribble Maps-Plattform gespeichert werden. Ergebnispräsentation: Scribble Maps ist primär nicht darauf ausgelegt, Karteninhalte auszudrucken oder als Bild zu speichern, was in einer passablen Form ohnehin nur in der Pro-Version möglich wäre. Dies ist aber kein Nachteil, denn der Mehrwert von WebMapping liegt eben gerade in der digitalen Bereitstellung und Verarbeitung räumlicher Inhalte. Hierin entfaltet sich das volle Potenzial von Web-Mapping als multi- und hypermediale Geomedienanwendung im Unterricht. Dementsprechend sollten die produzierten Web-Karten mit dem Ziel der Reflexion und des Perspektivwechsels unterschiedlicher subjektiver Raumwahrnehmungen und (Karten-)Konstruktionen innerhalb des Klasse auch digital verglichen werden. Spannend ist nicht nur die Diskussion der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kartenskizzen, sondern auch die Frage danach, welche Muster, Strukturen und Zusammenhänge der räumlichen Verteilung von unterschiedlichen Grünflächen sich ergeben. Kommunikation: In Scribble Maps stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur medialen Verbreitung der erzeugten Web-Karten zur Verfügung. Im Sinne der Adressatenorientierung reicht für das Teilen im Freundeskreis und der Familie der angebotene Social-Media-Weblink. Für Online-Communities kann eine Web-Map z. B. als Teil eines Facebook-Posts Verwendung finden. Anderen Adressatengruppen, z. B. lokale politische Akteur*innen, sollte der Weblink als Teil einer formalen E-Mail mit Erläuterungstext gesendet werden.

27  Spatial Citizenship

355

Infobox 27.2: Ablauf des Unterrichtsbausteins im Überblick

1. Vorbereitung: • Thematische und problemgenerierende Einführung durch die Lehrkraft • Wahl des zu kartierenden Raumausschnitts • Festlegung der Kategorien von Nutzungstypen von Grünflächen (s. Tab. 27.1) 2. Datenerfassung • Erfassung und Kartierung der relevanten räumlichen Objekte mittels Scribble Maps anhand der zuvor festgehaltenen Kategorien/Kriterien (s. Tab. 27.1) 3. Speicherung • Sicherung der erstellten digitalen Karten in Scribble Maps 4. Ergebnispräsentation • Vergleich der individuellen Karten der Schüler*innen • Analyse zu möglichen räumlichen Strukturen, Verteilung und Mustern von Elementen • Diskussion und Reflexion der erzeugten Karten und räumlichen Repräsentationen 5. Kommunikation • Verbreitung der Karten über Weblinks (z. B. Social Media, Schulhomepage, E-Mail)

Beitrag zum fachlichen Lernen Das Unterrichtsbeispiel trägt zum aktiven, kontextbasierten und authentischen Umgang mit digitalen Geomedien im fachlichen Lehr-/Lerngeschehen bei. Neben der Unterrichtsarbeit mit webbasierten Karten als digitale Speicher räumlicher Informationen steht die reflexive Auseinandersetzung mit digitalen räumlichen Repräsentationen und eigenen Raumkonstruktionen der Schüler*innen im Fokus. Das fachliche Lernen adressiert gleichzeitig generische Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien, insbesondere das kooperative Produzieren und Präsentieren digitaler Inhalte sowie das Analysieren und Bewerten medialer Formate und Wirkungen in einer digital geprägten Welt. Kompetenzorientierung • Räumliche Orientierung: S9 „aufgabengeleitet einfache Kartierungen durchführen“ (DGfG 2020: 18) • Erkenntnisgewinnung/Methoden: S6 „geographisch relevante Informationen aus analogen, digitalen und hybriden Informationsquellen sowie aus eigener Informationsgewinnung strukturieren und bedeutsame Einsichten herausarbeiten“ (ebd.: 21); S. 8 „die gewonnenen Informationen in andere Formen der Darstellung

356

U. Schulze und J. Pokraka

(z. B. Zahlen in Karten oder Diagramme, Fotos, Texte, Links u. v. m. in multimediale geographische Darstellungsformen) umwandeln“ (ebd.) • Beurteilung/Bewertung: S3 „aus klassischen und modernen Informationsquellen (z. B. Schulbuch, Zeitung, Atlas, Internet) sowie aus eigener Geländearbeit gewonnene Informationen hinsichtlich ihres generellen Erklärungswertes und ihrer Bedeutung für die Fragestellung beurteilen“ (ebd.: 24) Klassenstufe und Differenzierung Der Unterrichtsbaustein ist im Hinblick auf die Verortungen in den AFB II (Transfer) bzw. AFB III (Reflexion/Problemlösung) in den Jahrgangsstufen 9 und 10 der Sekundarstufe I und darüber verortet. Neben einer Durchführung im Präsenz- oder Distanzunterricht ist auch eine Implementierung als Projekttag im Kontext des forschenden Lernens möglich.

Tab. 27.2  Auswahl, Vor- und Nachteile von Web-Mapping-Tools, die sich nach Erfahrungen des Autors/der Autorin dieses Beitrags für den potenziellen Unterrichtseinsatz gut eignen Anwendung

Beschreibung

Vorteile

Nachteile

Scribble Maps https://www. scribblemaps. com/

Web-Mapping-Tool zur individuellen und kollektiven Annotation von Basiskarten auf der Grundlage unterschiedlicher Kartenprodukte, z. B. Google Maps®, OpenStreetMap, ESRI

- erweiterte - e infache, intuitive Funktionen nur mit Kartenerstellung - niederschwelliges Teilen Pro-Account möglich von Kartendaten über - englischsprachige Weblinks Menüs, aber regional - Multimedialität deutschsprachige - v ielfältige GrundKarteninhalte funktionen ohne - kein Registrierung nutzbar Layermanagement (Export und Import individueller Kartenlayer)

uMap http://umap. openstreetmap. fr/de/

Web-Mapping-Tool zur individuellen und kollektiven Annotation von ausschließlich OpenStreetMapBasiskarten

- z war einfache, gleichzeitig aber weniger intuitive Kartenerstellung - Multimedialität - k eine Registrierung notwendig

Google My Maps https://www. google.com/ maps/d/

-N  utzung nur unter - einfache, intuitive Web-Mapping-Tool Registrierung Kartenerstellung zur individuellen und kollektiven Annotation auf - niederschwelliges Teilen mittels GoogleAccount möglich von Kartendaten in der Basis der KartentechnoGoogle-Logik logie von Google - Layermanagement möglich

- Datenexport wenig intuitiv - fehlende alternative Kartenprodukte wie bspw. hochauflösende Satellitenbilder

(Fortsetzung)

27  Spatial Citizenship

357

Tab. 27.2   (Fortsetzung)

Anwendung

Beschreibung

Vorteile

Nachteile

ArcGIS Survey123 https:// survey123. arcgis.com/

- Erstellung von - niederschwellige Web-Tool zur Erstellung Umfragen nur über Möglichkeit der von Umfragen und zur einen ArcGIS ProDatenerhebung, wobei Erhebung räumlicher Account möglich Grundlagenwissen im Informationen. Teil der (in D, A & CH über Bereich EDV und Geoumfangreichen ArcGISOnline-Plattform von ESRI informationsverarbeitung das School Bundle von ESRI kostenfrei hilfreich sind zur professionellen Geoerhältlich) -U  mfragetools mit unterinformationsverarbeitung schiedlichen Funktionen - Geodaten können nur über das können lerngruppenspezifisch erstellt werden Umfragetool und nicht über eine -E  rfassung von Daten Basiskarte einmittels eines Datengegeben werden modells - Quantifizierbare Attribut- - Datenexport wenig intuitiv und über informationen, die Social Media nur analysiert und gefiltert über Umwege mögwerden können lich - v ielfältige Kartengestaltungsmöglichkeiten nach der Datenerhebung

Neben der im Unterrichtsbaustein verwendeten Scribble Maps-Anwendung stehen weitere Web-Mapping-Tools zum potenziellen Unterrichtseinsatz zur Verfügung, die jeweils unterschiedliche Möglichkeiten sowie Vor- und Nachteile für den schulischen Einsatz mit sich bringen (s. Tab. 27.2). So eignet sich beispielsweise das Tool ArcGIS Survey123 durch die Einfachheit in der Datenerfassung bereits für niedrigere Jahrgangsstufen bis hin zum Einsatz in der Grundschule. Ebenso könnte, falls den Schüler*innen keine Tablets zur Datenerfassung zur Verfügung stehen, die Datenaufnahme mithilfe ausgedruckter Handkarten erfolgen und die gesammelten Daten im Nachgang zum Beispiel im Computerraum digitalisiert werden. Räumlicher Bezug Nahraum Schule, Wohnumfeld/Wohnquartier, Stadtteil Konzeptorientierung Deutschland: Systemkomponente (Struktur), Maßstabsebenen (lokal, regional, national, international, global), Raumkonzepte (wahrgenommener Raum, konstruierter Raum) Österreich: Raumkonstruktion und Raumkonzepte, Maßstäblichkeit, Wahrnehmung und Darstellung Schweiz: sich in Räumen orientieren (4.1a)

358

U. Schulze und J. Pokraka

27.4 Transfer Auch für die Arbeit mit digitalen Karten, zumal wenn diese selbst produziert werden, gilt die kritische Perspektive der (De-)Konstruktion von Karten und anderen geomedialen räumlichen Repräsentationen (s. Beitrag „Reflexivität, Dekonstruktion, Geomedienkompetenz“). Daher sollte die Ergebnispräsentation der erstellten Scribble Maps-Karten der Schüler*innen neben den angedeuteten Analyseaspekten auch von der Frage begleitet werden, was durch die Schüler*innen jeweils wie und warum kartiert wurde bzw. was nicht kartiert und somit weggelassen wurde. Damit verbunden bietet sich für die Verbreitung der erstellen Web-Karten die Erarbeitung einer kurzen textlichen Erläuterung an, die zum einen die Motivation, das Ziel und das Vorgehen der jeweiligen Kartierung und zum anderen die Ergebnisse im Kontext der „Vollständigkeit“ der erhobenen und visualisierten räumlichen Informationen und Sachverhalte beschreibt. Der Unterrichtsbaustein lässt sich beliebig auf andere geographische Themenbereiche übertragen, zu denen ein lokaler Ortsbezug im Lehr-/Lerngeschehen hergestellt werden kann. Ebenso ist die Anknüpfung an den fächerübergreifenden Bereich „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) / Globales Lernen“ (KMK/BMZ, 2016) lohnenswert. Der Fokus des Einsatzes von Web-Mapping-Anwendungen als Erkenntnisinstrument aus Sicht des Geographieunterrichts liegt dann im Anschluss an die BNE-Kompetenzfelder „Erkennen“ auf (1) Informationsbeschaffung und -verarbeitung, im Bereich „Bewerten“ auf (5) Perspektivwechsel und Empathie sowie im Bereich „Handeln“ auf (11) Partizipation und Mitgestaltung. Als Problemzentrierung und Kontextbezug (Aktualität, Authentizität, Alltagsbezug) können insbesondere folgende Bereiche interessant sein: Umweltverschmutzung und Müll, Verkehr und Mobilität, Konsum und Nachhaltigkeit sowie Armut und Verdrängung. Verweise auf andere Kapitel • Meyer, C. & Mittrach, S.: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Welthandel – Textilindustrie. Band 2, Kap. 20. • Schrüfer, G. & Eberth, A.: Globales Lernen. Verstädterung – Megacities. Band 2, Kap. 5.

Literatur Bednarz, S., & Bednarz, R. (2015). Brave new world: Citizenship in geospatially enriched environments. GI_Forum. Journal for Geographic Information Science, 1, 230–240. Bennett, W., Wells, C., & Rank, A. (2009). Young citizens and civic learning: Two paradigms of citizenship in the digital age. Citizenship Studies, 13(2), 105–120. Boeckler, M. (2014). Digitale Geographien. Neogeographie, Ortsmedien und der Ort der Geographie im digitalen Zeitalter. Geographische Rundschau, 66(6), 4–10. De Lange, N. (20133). Geoinformatik. Springer.

27  Spatial Citizenship

359

Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG). (2020). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. Elwood, S., & Mitchell, K. (2013). Another politics is possible. Neogeographies, visual spatial tactics, and political formation. Cartographica, 48(4), 275–292. Goodchild, M. F. (2007). Citizens as sensors. GeoJournal, 69, 211–221. Gordon, E., Elwood, S., & Mitchell, K. (2016). Critical spatial learning: Participatory mapping, spatial histories and youth civic engagement. Children’s Geographies, 14(5), 1–15. Gryl, I., & Jekel, T. (2012). Re-centering GI in secondary education: Towards a Spatial Citizenship approach. Cartographica, 47, 18–28. Hennig, S., & Vogler, R. (2011). WebMapping: Der Einsatz von digitalen, interaktiven Karten in Schule und Bildung. GW-UNTERRICHT, 123, 86–99. Kanwischer, D. (2014). Digitale Geomedien und Gesellschaft. Zum veränderten Status geographischen Wissens in der Bildung. Geographische Rundschau, 66(6), 12–17. Kultusministerkonferenz (KMK) & Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). (2016). Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (2. (aktualisierte und erweiterte) Aufl.). Lefebvre, H. (1993). The production of space. Blackwell. Pokraka, J., Gryl, I., Schulze, U., Kanwischer, D., & T. Jekel (2017). Learning and teaching with geospatial technologies: Theoretical background and practical application. In L. Leite, u. a. (Hrsg.), contextualizing teaching to improve learning: The case of science and geography (S. 223–244).New York: Nova Science Publishers, Inc. Schulze, U., Gryl, I., & Kanwischer, D. (2015). Spatial Citizenship education and digital geomedia: Composing competences for teacher education and training. Journal of Geography in Higher Education, 39(3), 369–385. Stroot, T., & Westphal, M. (2018). Peer Learning als Element einer diversitysensiblen, inklusiven Bildung und Entwicklung an Hochschulen – Einführung in die Thematik. In T. Stroot & M. Westphal (Hrsg.), Peer Learning an Hochschulen. Elemente einer diversitysensiblen, inklusiven Bildung (S. 9–20). Klinkhardt. Traun, C., Jekel, T., Loidl, M., Vogler, R., Ferber, N., & Gryl, I. (2013). Neue Forschungsansätze der Kartographie und ihr Potential für den Unterricht. GW-Unterricht, 129(2013), 5–17. Turner, A. (2006). Introduction to Neogeography. O'Reilly Media Werlen, B. (1995). Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen. Band 1: Zur Ontologie von Gesellschaft und Raum. Franz Steiner. Werlen, B. (1997). Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen. Band 2: Globalisierung, Region und Regionalisierung. Franz Steiner.

Stichwortverzeichnis

A Agribusiness, 240 Aktualität, 229, 230 Aktualitätsprinzip, 229, 230 Alltagsvorstellung, 85, 88, 90 App, 150, 151 Arbeitsexkursion, 174, 175 außerschulischer Lernort, 316–318 außerschulisches Lernen, 315, 316, 322

B Bewertung, 303, 305, 306, 309 Bild, 271, 274, 275, 278, 284, 285 Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), 180, 181, 293, 310, 325, 329 Biostratigraphie, 32 Boden, 56 Bodenerosion, 56, 60 Bodengefährdung, 56, 60

C Concept Map, 95, 99, 101–105 Conceptual Change, 85, 90, 92

D Demokratie, 265, 266 Denitrifikation, 218 Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, 170 Deutungsmuster, 67 didaktische Rekonstruktion, 86 digitale Karte, 348, 351, 355, 358 Distanz, 339, 345

Donut-Ökonomie, 195, 196, 198, 200, 201, 208

E Echtfarbenbild, 111, 112 elementarer Stickstoff, 214 El Niño, 108, 110, 112, 114–116 emanzipatorisch, 289, 292, 295 emanzipatorischer Bildungsprozess, 79 Emissionszertifikatehandel, 294 Energiewende, 301–303, 310 ENSO, 108 epistemologische Überzeugung, 20, 22 Erde, 145, 146, 148–152 Erkenntnisfigur, 67 Erkenntnisinteresse des Fachs, 19, 22, 24, 25 Erkenntnisweg, 19, 22, 24, 26 Ernährung, 185, 186 Eruption, 44, 45, 51 Essentialismus, 70 Ethik, 184 Evidenz, 257, 261, 265 Exkursion, 174, 175, 179, 181 Exkursionsdidaktik, 175 Experiment, 58–63 Exposition, 51

F fächerübergreifendes Lernen, 316, 318 fachliches Konzept zur Geographie, 21, 22 Fakten, 262, 263, 265, 266 faktische Komplexität, 98, 100, 105 Falschfarbenbild, 111, 113

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 I. Gryl et al. (Hrsg.), Geographiedidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65730-0

361

362 Fernerkundung, 108, 110, 112, 117 Fridays for Future, 263

G Gefahr, 44, 45, 49, 51 Gefährdung, 224, 228, 231, 233–235 Gegenstandsbereich des Fachs, 19, 22, 24, 25 genetischer Blick, 70 Geoinformation, 348, 352 Geologie, 31, 32 Geovisualisierung, 348, 351 geschlossener Betriebskreislauf, 169 geschlossener Stickstoffkreislauf, 212 Gletscher, 131, 132, 134, 138, 140 Gletscherrückzug, 132–134, 138, 140 Golfstromzirkulation, 95–104 Green Grabbing, 290, 294

H Handlung, 303–309 handlungsorientierte Sozialgeographie, 301, 303, 305, 306, 309, 310 Handlungsorientierung, 292 Hazard-Forschung, 68 Hochwasser, 119–121, 123–128 Hochwasserschutz, 119, 121, 123, 125–128

I imperiale Lebensweise, 294 Information, 146, 147, 149–151 Interesse, 168, 170, 171, 173, 174, 179–181 IPCC, 254, 255, 266

K Kartenauswertung, 131, 134, 135, 138, 140, 141 Kartenauswertungskompetenz, 135 Katastrophe, 45, 49 Kernfusion, 85 Klimagerechtigkeit, 290, 295 Klimaleugner, 261 Klimamodell, 260 Klimaschutz, 271, 272, 281, 285

Stichwortverzeichnis Klimawandel, 97, 98, 102, 103, 157–164, 254– 259, 261, 262, 266, 268, 271–273, 281, 284, 285 Klimawandelbildung, 159, 160, 163, 164 kollektives Gedächtnis, 70 Kompetenzentwicklung, 159, 160 Komplexität, 254, 256, 258 Konsum, 183, 185, 191, 192 Kontroversität, 254–256, 258, 263 Konzeptveränderung, 86, 90 Kreislaufwirtschaft, 175

L Landwirtschaft, 168, 171, 172, 175, 179, 180 landwirtschaftliche Intensivregion, 240 Lebensmittel, 183, 185, 186, 188 Lebensraum, 224, 225, 228, 231, 233–235 Lebensweltbezug, 316 Lebensweltorientierung, 292 Lokalität, 160 Ludwigsburger Kompetenzstrukturmodell, 131, 135

M machtsensibel, 292 machtsensibler Geographieunterricht, 292 Machtverhältnisse, 69 magmatisches Gestein, 32 Makroperspektive, 70 Medien, 147–149, 151, 152 Medienbildung, 147, 149 Mediendidaktik, 145–150, 152 Mensch-Umwelt-Beziehung, 157, 160, 162–164, 168, 180, 318, 320, 322 Mensch-Umwelt-System, 224, 231 Mental Map, 325, 328–331, 333 metakognitives Lernen, 19, 21, 23 metamorphes Gestein, 32 Metareflexion, 88, 90 Mikrofossilien, 32 Mikroperspektive, 70 Modell, 119, 121–125, 127 Modellierer, 122 Modellierung, 125 Mythos, 261, 262

Stichwortverzeichnis N nachhaltige Stadtentwicklung, 326, 328, 329, 331, 334 Nachhaltigkeit, 183, 185, 192, 228, 231, 233, 235, 302, 303, 309, 310 naturdeterministische Sichtweise, 69 Naturereignis, 68 Naturgefahr, 67 NDVI, 111, 113–115 norddeutsches Vereisungsgebiet, 32

O ökologischer Landbau, 169, 170, 174, 175, 180 Ökosystem, 224, 225, 228, 232 Ökosystemdienstleistung, 224, 225, 227, 231 Ökozone, 157, 158, 162–164 Optik, 69 Orientierungsraster, 337, 341, 343, 344

P Paläontologie, 32 partizipativ, 160 Pazifischer Feuerring, 49, 51 Perspektivenwechsel, 67, 69, 78, 79 Perspektivierung, 70 Planet, 145, 146, 148–151 planetare Belastungsgrenze, 196, 197, 207, 208, 218 planetarische Zirkulation, 108 Planungsaufgabe, 329, 332 Plattentektonik, 44 politische Ökologie, 289 Position, 339, 341, 345 Positionalität, 79 positivistische Wissensordnung, 69 postkolonial, 290, 293 Primärerfahrung, 316 Problemgehalt, 67 Produktion, 183, 184, 188, 189, 191 Proxy, 32

Q Quellenbewusstsein, 95, 97–99, 103, 105

363 R Raumkonzept, 328, 339, 344 räumliche Distanz, 341, 344, 345 räumliche Orientierung, 337–339, 341, 343 räumliches Denken, 337, 339 Raumwahrnehmung, 326, 328–332 reaktiver Stickstoff, 213, 214, 219 realweltlich, 160 reflexiv, 160 reflexive Geographiedidaktik, 292 Reflexivität, 69 Relevanz des Fachs, 19, 21, 22, 24, 29 Repräsentation, 70, 351, 352, 355, 358 Ressource, 313–315, 318, 322 Ressourcennutzung, 313 Risiko, 45, 49 Rückkopplung, 213, 220

S Satellitenbild, 110–117 Satellitendaten, 111, 113, 117 Scaffolding, 271, 275, 278, 281, 285 Schauspiel, 149–151 Schüler*inneninteresse, 168, 171, 173, 180 Schüler*innenvorstellung, 85, 86, 88 Sedimentgestein, 32 Situiertheit, 79 soziale Ungleichheit, 69 Sozialkatastrophe, 67 Spatial Citizenship, 348, 351, 352 Spatial Thinking, 339, 340 Sprache, 274 Spurenfossilien, 32 Stadtgrün, 326, 329, 331, 333 Stadtökologie, 326, 331, 332 Standort, 339, 341, 343–345 Statistik, 198 statistischer Forschungskreislauf, 199, 202, 203 Stickstofffixierung, 218 Stickstoffsenke, 215 Story Map, 48, 51, 52 Strukturwandel, 239, 313–315, 319–321 subjektive Karte, 325, 328–330 subjektive Theorie, 84 Symptom, 241 Syndromkonzept, 241, 244–246, 248

364 Systemkompetenz, 98, 100, 101, 103, 105 Systemkonzept, 241

T Tierwohl, 184, 189, 191 transformative Bildung, 293

U unsicheres Wissen, 97, 98, 100, 103, 105 Unterscheidung von Tatsache und Meinung, 257, 262

V vernetztes Denken, 97, 98, 105 Visual Analytics, 195, 198 visuell-explorative Datenanalyse, 202, 203 Vulnerabilität, 51, 70–72

Stichwortverzeichnis W Wahrnehmungsgeographie, 328 Wahrnehmungsmuster, 67 Walker-Zirkulation, 108, 115, 116 Wasserkreislauf, 120–122 Web-Karte, 348, 353, 354, 358 Web-Mapping, 348, 351, 353, 354, 356–358 Weltbild, 69 Wert, 187–189 Werte-Bildung, 187, 192 Winderosion, 56, 57, 60–63 Wirklichkeitsausschnitt, 70 Wirkungsgefüge, 157, 158, 162, 163, 241 Wissenschaftsorientierung, 254, 256–258, 267, 268