Genetisierung der Zeugung: Eine Diskurs- und Metaphernanalyse reproduktionsgenetischer Zukünfte [1. Aufl.] 9783839405796

Dieser Band fokussiert die Zukunft der Gen- und Reproduktionstechnologien, wie sie sich in befürwortenden biowissenschaf

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Genetisierung der Zeugung: Eine Diskurs- und Metaphernanalyse reproduktionsgenetischer Zukünfte [1. Aufl.]
 9783839405796

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1 Körper und ihre Produktion als Labor- und Diskurspraxen
1.1 Die diskursive Einführung neuer (Gesundheits-)Technologien als Erschließung von Denkräumen
1.2 Untersuchung neuer Denkbarkeiten
1.2.1 Ordentliche und unordentliche Diskurse: Foucault und Jäger
1.2.2 Mythos der Metapher: Weinrich, Lakoff/Johnson und Link
1.2.3 Spezielle ‚Ausfällungen‘ im Methodencocktail
2 Das Neue in disziplinierter Reproduktion
2.1 Disziplinierte Reproduktion
2.2 Die Reproduktion des Neuen
3 Die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien als Zukunft der Zeugung in Publikumsmedien von 1995-2003
3.1 Zeugung im deutschen Diskurs der Jahrtausendwende
3.1.1 Hervorbringungskontext: Politikdebatte und Printmedien
3.1.2 Funktion des Experten und Experten-Symbole
3.1.3 Diskursstränge und Metaphern
3.2 Szenarien der Zukunft reproduktiver Technologien
3.2.1 Selbstbestimmung: Rechte und Pflichten
3.2.2 Selbstbestimmung: Befreiung und Gleichstellung
3.2.3 Fremdbestimmung: Biodeterminismus in NRGT
3.2.4 Fremdbestimmung: Sozialdeterminismus/Technikdeterminismus
3.3 Schlüsselproblematiken im Kontext von Gesundheit/Krankheit
3.3.1 Infertilität
3.3.2 Risiko
3.3.3 Gentherapie zwischen Eugenik und Krankenschein
3.3.4 Krankheit, Gesundheit und Ermöglichung
3.4 Reproduktionsgenetische Texttechniken
3.4.1 Definitionen als sprachliches Dispositiv
3.4.2 Personifikationen und Metonymien
3.4.3 Biologische Hintergrundmetaphern
3.4.4 Metaphern an der Schwelle zu einer neuen Zeit
4 Gesundheitsbegriffe und Reproduktion
4.1 Gesundheits-/Krankheitskonzepte nach 1945
4.1.1 Lokale und globale Differenzen: Die Beispiele USA-BRD
4.1.2 Lokale Krankheitsbegriffe und die Medikalisierung
4.1.3 Funktionen von Krankheits-/Gesundheitsbegriffen: von Medizin zu Public Health
4.2 Reprogenetische Gesundheiten und Geschlechter
4.2.1 Liebe als Brückenkopf für Neue Gen- und Reproduktionstechnologien
4.2.2 Gleichgültiges Gen-Geschlecht gegen fixiertes Hormongeschlecht
4.3 Krankheiten, Gesundheiten und Ermöglichungen in Szenarien der Reprogenetik
4.3.1 Krankheit im Defizitdenken: Infertilität als Krankheit
4.3.2 Krankheit im Defizitdenken: Genetische Krankheit
4.3.3 Risiko
4.3.4 Genetische Prävention und Gesundheitsförderung?
4.3.5 Wohlbefinden, Lebenschancen und Zukunftsaussichten
4.3.6 Infertilität als Ermöglichung – ‚Identity shaping‘/Selbstverwirklichung der Eltern
5 Kriterien für integrative Gesundheit und Re-Generation
5.1 Architektur der reprogenetischen Gegenstände
5.2 Leiden im Parlament der Dinge
Anhang
I. Häufig verwendete Akronyme
II. Zeittafel 1995-2003
III. Verteilung der Szenarien
IV. Quellen: Medienmaterial und ‚Expertenbücher‘ aus der Makroanalyse
V. Quellen: Material der Mikroanalyse
Literatur

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Bettina Bock von Wülfingen Genetisierung der Zeugung

Dr. Bettina Bock v. Wülfingen (Dipl. Biol.) ist Wissenschaftstheoretikerin der Life Sciences mit dem Schwerpunkt Geschlecht und Reproduktion. Nach diversen Forschungsaufenthalten in den USA, England und Österreich ist sie als Postdoktorandin mit ihrem Habilitationsprojekt »Modellbildung in den Lebenswissenschaften« am Graduiertenkolleg »Geschlecht als Wissenskategorie« an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelt. Sie ist u.a. Mitherausgeberin des Sammelbandes »Materialität denken? Studien zur technologischen Verkörperung« (transcript 2005).

Bettina Bock von Wülfingen

Genetisierung der Zeugung Eine Diskurs- und Metaphernanalyse reproduktionsgenetischer Zukünfte

Diese Dissertation wurde in verschiedenen Phasen gefördert durch Stipendien der Hans-Böckler-Stiftung, der EU und des Staates Österreich. Finanzierung der Publikation: Förderprämie der Hans-Böckler-Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Angelika Saupe, Bremen Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-579-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung

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1

Körper und ihre Produktion als Labor- und Diskurspraxen

19

1.1

Die diskursive Einführung neuer (Gesundheits-)Technologien als Erschließung von Denkräumen

19

1.2 Untersuchung neuer Denkbarkeiten 1.2.1 Ordentliche und unordentliche Diskurse: Foucault und Jäger 1.2.2 Mythos der Metapher: Weinrich, Lakoff/Johnson und Link 1.2.3 Spezielle ‚Ausfällungen‘ im Methodencocktail

23

2

Das Neue in disziplinierter Reproduktion

55

2.1

Disziplinierte Reproduktion

58

2.2

Die Reproduktion des Neuen

62

3

Die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien als Zukunft der Zeugung in Publikumsmedien von 1995-2003

77

3.1 Zeugung im deutschen Diskurs der Jahrtausendwende 3.1.1 Hervorbringungskontext: Politikdebatte und Printmedien 3.1.2 Funktion des Experten und Experten-Symbole 3.1.3 Diskursstränge und Metaphern

26 37 42

77 80 101 105

3.2 Szenarien der Zukunft reproduktiver Technologien 3.2.1 Selbstbestimmung: Rechte und Pflichten 3.2.2 Selbstbestimmung: Befreiung und Gleichstellung 3.2.3 Fremdbestimmung: Biodeterminismus in NRGT 3.2.4 Fremdbestimmung: Sozialdeterminismus/Technikdeterminismus

110

3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4

151

Schlüsselproblematiken im Kontext von Gesundheit/Krankheit Infertilität Risiko Gentherapie zwischen Eugenik und Krankenschein Krankheit, Gesundheit und Ermöglichung

117 128 136 144 151 156 157 160

3.4 Reproduktionsgenetische Texttechniken 3.4.1 Definitionen als sprachliches Dispositiv 3.4.2 Personifikationen und Metonymien 3.4.3 Biologische Hintergrundmetaphern 3.4.4 Metaphern an der Schwelle zu einer neuen Zeit

168

4

227

Gesundheitsbegriffe und Reproduktion

169 176 182 201

4.1 Gesundheits-/Krankheitskonzepte nach 1945 4.1.1 Lokale und globale Differenzen: Die Beispiele USA-BRD 4.1.2 Lokale Krankheitsbegriffe und die Medikalisierung 4.1.3 Funktionen von Krankheits-/Gesundheitsbegriffen: von Medizin zu Public Health

228

4.2 Reprogenetische Gesundheiten und Geschlechter 4.2.1 Liebe als Brückenkopf für Neue Gen- und Reproduktionstechnologien 4.2.2 Gleichgültiges Gen-Geschlecht gegen fixiertes Hormongeschlecht

259

4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6

Krankheiten, Gesundheiten und Ermöglichungen in Szenarien der Reprogenetik Krankheit im Defizitdenken: Infertilität als Krankheit Krankheit im Defizitdenken: Genetische Krankheit Risiko Genetische Prävention und Gesundheitsförderung? Wohlbefinden, Lebenschancen und Zukunftsaussichten Infertilität als Ermöglichung – ‚Identity shaping‘/Selbstverwirklichung der Eltern

230 241 245

261 265 271 271 287 291 293 295 296

5

Kriterien für integrative Gesundheit und Re-Generation

303

5.1

Architektur der reprogenetischen Gegenstände

306

5.2

Leiden im Parlament der Dinge

316

Anhang

325

I.

Häufig verwendete Akronyme

325

II.

Zeittafel 1995-2003

326

III.

Verteilung der Szenarien

332

IV.

Quellen: Medienmaterial und ‚Expertenbücher‘ aus der Makroanalyse

335

V.

Quellen: Material der Mikroanalyse

340

Literatur

343

Abstract

This dissertation analyses a very recent ‚phenomenon‘, the geneticisation of human conception using discourse analysis (following Foucault) and applying an analysis of metaphors (following Weinrich). The geneticisation of conception is analysed as a clash of international, mainly US-American, scenarios of genetics, biomedicine and reproductive medicine with local, very different scenarios and contexts in reputable German print media between 1995-2003. The study shows that the geneticisation concept amalgamates two former reproductive discourses which up to now have been analysed separately, namely fertilisation technology aimed at ‚healing‘ infertility, and contraceptive technology aimed at the prevention of pregnancy. Both are merged together in the normalisation of infertility and laboratory reproduction as standard reproductive techniques. I show that this discursive linking of antinatal and pronatal technologies with genetics is of central importance for a shift in the notions of health and illness which is simultaneously taking place. Whereas abjected bodies (Butler) are depathologised as potential parents through the geneticisation of conception, and integrated into the discourse of the wish to have a child, the level of genetic control of the envisioned (and thereby bodily present) child moves on to the embryo. Additionally, the concept of health-promising features of the child (genetic equipment of the embryo) shifts over the time period analysed from 1995-2003. There is a move from healing concepts towards genetic health resources and further to the free choice of genes. Current analysis on discourse about new genetic reproductive technologies finds the categories risk (Beck), responsibility and choice to be prominent. This study, in contrast, shows that in todays public experts‘ future fictions, the human procreation as standard-

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ised laboratory conception revolves around categories that have received little attention so far: love, empowerment and suffering. This change of objects central to the needs-discourse within new genetic and reproductive technologies as well as the accompanying shift of the health and illness notion point to the necessity of creating active, socially inclusive measures and tools for dealing with the wish to have a child as a political issue. Starting with these findings, this dissertation analyses and offers categories for the assessment of new reproductive health measures within changing public health-systems under the condition of altered concepts of the human and gender.

8

Einleitung

Biomedizinische Fiktionen von der menschlichen Zukunft wirken performativ1, Utopien haben Teil an der Wirklichkeitskonstruktion – dies ist eine der zentralen Thesen dieser Arbeit. Noch werden wenige der in diesem Buch diskutierten reproduktiven Technologien – an verschiedenen Orten der Welt – in der vorgestellten Weise angewandt. Manche sind weit jenseits des technisch Möglichen, oder technisch möglich aber als gesundheitlich zu gefährlich oder ethisch nicht vertretbar eingestuft. Andere waren dies bis vor einigen Jahren und gehören heute zum medizinischen Standardrepertoire aufwendigerer Reproduktionsverfahren am Menschen. Wieder andere fallen unter gesetzliche Regelungen, meist zum Schutz des Embryos, wie in der BRD und Großbritannien, die sie verbieten. Die Klonierung des Menschen, als derzeit umstrittenste, von einzelnen propagierte ‚Fortpflanzungsmethode‘, ist in manchen Ländern nicht reguliert, in manchen verboten, während in suprastaatlichen Entitäten wie den USA, der UN oder der EU fortwährende Auseinandersetzungen über rechtsverbindliche Verbote herrschen. Dieses Buch handelt allerdings weniger von den faktischen oder ethischen Möglichkeiten und medizinischen Unmöglichkeiten der besprochenen reproduktiven und genetischen Technologien. Dazu liegt bereits umfangreiches Material vor, erstellt im Auftrag verschiedener Enquête-Kommissionen, von Ethik-Räten und -Beiräten der verschiedenen Staaten, von feministischen und gen-kritischen Organisationen,2 und immer in dem Versuch, mit den sich ändernden technischen Daten und wissenschaftlichen Vorstößen Schritt zu halten. Sie handelt nicht von technischen Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten 1 Vgl. Brandt 2004: 8. 2 Für Deutschland sei beispielsweise hingewiesen auf Kollek et al. 2004; Schneider 2002; Feuerstein et al. 2002; Kollek 2000 sowie zahlreiche Beiträge in den Zeitschriften BioSkop und dem Gen-ethischen Informations-Dienst; vgl. Kap. 2. 9

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

und ihrer Beurteilung, von biotechnischer Realisierbarkeit oder von den wichtigen Daten über individuelle Gesundheitsrisiken, sondern von faktenschaffenden Visionen und Fiktionen des Gebrauchs. Noch wesentlicher vielleicht handelt sie auch von den Weltbildern, die die wissenschaftlichen Träumereien einschleusen und derer sie zu ihrer Umsetzung bedürfen. Vielfach heißt es, insbesondere in Deutschland, die ethisch-soziale Auseinandersetzung um neue Technologien würde stets erst im Nachhinein geführt3 – in der vorliegenden Studie wird davon ausgegangen, dass solche technologischen Veränderungen ‚sich‘ lange im Voraus ankündigen. Es wird versucht, Aufmerksamkeit zu schaffen und Material zu bieten für die Diskussion diskursiver Verschiebungen, die Anteile der jeweiligen Technologien darstellen.4 Ausgegangen wird von der Position Philippe Ariès‘, es seien nicht die Technologien selbst, ihre Existenz und Verfügbarkeit, die über ihre Anwendung (und die Art ihrer Anwendung) entschieden, sondern die Denkbarkeit ihrer Anwendung. So werden in der vorliegenden Analyse genau solche Veränderungen von Denkweisen über Anwendung und Nutzen der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien für die Förderung von Gesundheit vorgestellt. Bewusst wurden dazu solche Texte (in bestimmten deutschen Printmedien im Zeitraum von 1995-2003) einer Analyse unterzogen, die sich technikoptimistisch gegen jede rechtliche Regulierung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien wenden oder gar von einem neuen Zeitalter der reinen Labor-Reproduktion des Menschen künden. Als diskursive Anknüpfungspunkte verwenden sie in vielfältiger Weise Freiheitsdiskurse und andere emanzipatorische Bezüge, die aus anderen (internationalen) Kontexten stammen und sich mit den lokalen deutschen (diskursiven) Bedingungen auseinandersetzen. Auf diese Weise brechen sie, als eine Auseinandersetzung des ‚Globalen‘ mit dem Lokalen, mit bisherigen Diskursverläufen in der BRD und besetzen diskursive Nischen, deren (sozial- und gesundheits-)politische Bedeutung bisher möglicherweise unterschätzt wurde. Der Naturwissenschaftsforscherin Donna Haraway5 und einer Strategie der Queer Theory folgend werden in dieser Untersuchung in den als wissenschaftliche Fakten präsentierten biowissenschaftlichen Erzählungen nicht nur Risiken für einen demokratischen Umgang mit Technologie ausgemacht, sondern auch solche diskursiven Stränge herausgearbeitet, die verwendbar sind für die Entwicklung emanzipatorischer (diskursiver) Strategien. Im bisher weitgehend üblichen Begründungshorizont Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien spielt der Gesundheitsbegriff vor allem in dreierlei Weise eine Rolle: In Bezug auf die Gesundheit des zukünftigen Kindes, bei dem monogenetische oder chromosomale Krankheiten vermieden werden sol3 Z.B. Samerski 2002. 4 Winner 1999. 5 Haraway 1995. 10

EINLEITUNG

len; in Bezug auf die Gesundheit der Eltern, deren Infertilität behoben werden soll, oder in Bezug auf beides, indem Eltern eine Veranlagung für bestimmte Krankheiten tragen und ihnen ermöglicht werden soll, gemeinsam ein Kind zu zeugen, das diese Veranlagung nicht trägt. In diesem Sinne genetischpräventiver Maßnahmen der Medizin einerseits und reproduktiver Gesundheit andererseits werden diese Belange auch in der Public Health-Literatur gefasst.6 Zugleich wird im Zusammenhang Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien7 (wie Präimplantationsdiagnostik, Klonierung, Intrazytoplasmatischer Spermieninjektion, Eizellspende u.a.) die Frage mit neuer Schärfe diskutiert, welche Fortpflanzungswünsche und ‚ernsthaften‘ Erkrankungen oder ‚Abweichungen‘ die Einführung von Technologien rechtfertigen, die ethisch in hohem Maße umstritten sind.8 Wie bereits mit forcierten Sterilisationsprogrammen und marktwirtschaftlich regulierten Schwangerschaftsverhütungspräparaten wird, wie Hannah Ahrendt formulierte, die politische Frage gestellt „wer die Welt bevölkern soll und wer nicht“9 bzw. diesmal eher, nicht wer, sondern welche Gene in der Welt verhandelt werden und wie. Reproduktive Freiheit und Autonomie sind dabei zentrale Kategorien, die sich auch in der Verwendung der Begriffe Technologie versus Technik spiegeln: In neuen Gen- und Reproduktionstechnologien verbinden sich reproduktionsmedizinische Verfahren und Medizin als Handlungssystem mit einer Genetik, die zu ‚Big Science‘ geworden ist.10 Mit der in diesem Buch durchgängigen Verwendung des Begriffes Technologie wird unterstrichen, dass es sich im Gegensatz zu Techniken (auch reproduktiven Techniken), die von Individuen erstellt, angewandt und ‚technisch beherrscht‘ werden könnten, um einen verwobenen Komplex von Wissenschaft, Wirtschaft und Anwendung handelt, der sich dem umfassenden Überblick des Individuums entzieht.11 Der hohe Stellenwert der Felder Reproduktion und Sexualität in der Gesellschaft ist seit inzwischen weit über zwei Jahrhunderten zentral für zahlreiche naturwissenschaftlich angelegte Disziplinen wie Biologie und Medizin (und damit seit deren Entstehung).12 ‚Wie Menschen reproduzieren‘ ist eine Frage, bei der sich, wie bei kaum einer anderen, die Biographien von Men6 7 8 9

Schwartz et al. 2002. Zu diesem Begriff siehe Kap. 2.2. Vgl. Duwell/Mieth 2000. Arendt 1977: 191. Im Sinne der Lesbarkeit wurden sämtliche Zitate (also auch jene der Quellentexte, in denen sich beide Rechtschreibungen finden) in diesem Buch der reformierten Rechtschreibung (von 2005) angepasst. In fast allen Fällen betrifft dies die Schreibweise des Scharfen S als Doppeltes S. Ich habe darauf geachtet, dass dadurch in keinem Zitat eine Inhaltsverfälschung auftrat. 10 Rose 2000; De la Solla Price 1963. 11 Vgl. Clarke 1998. 12 Foucault 1999. 11

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

schen, Geschichten menschlicher Geschlechter im Sinne von Genealogien, die Geschlechter im Sinne der normativen Zweigeschlechtlichkeit und das Menschengeschlecht in notwendig geglaubter Unterscheidung von Technofakten einerseits und von Natur andererseits, sowie Zukunft und verwaltete Gesellschaft in nationalen und supranationalen Kontexten in einem kontinuierlichen Prozess der Verflechtung bewegen.13 Die Frage der Reproduktion des menschlichen Körpers, auf welche Weise und mit welchen Zielen, ist also eine über Gesundheitsdefinitionen hinaus weisende zentrale Frage – nicht nur für Politik und Wirtschaft, sondern auch für betroffene Individuen. Dass mit ihrer jeweiligen Beantwortung Umwertungen moralisch-ethischer Art einhergehen, die auch die Stigmatisierung oder Entstigmatisierung gesellschaftlicher Gruppen bzw. (sexueller) Verhaltensweisen beinhalten, zeichnet sich ab. Insofern ist es auch für das individuelle Gesundheitserleben zentral, wenn die vorliegende Untersuchung einen Wandel der ‚Reproduktionsgesundheit‘ diagnostizieren kann, womit sich zudem vorausschauend sozial- und gesundheitspolitische Veränderungen und Risiken prognostizieren lassen. Debatten um die Begriffsbildung von ‚Krankheit‘ und ‚Gesundheit‘, die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vor allem international durch Publikationen der World Health Organization angeregt waren, berühren im Kern gesundheitswissenschaftliche wie auch sozialpolitische Fragestellungen. Die Vorstellung davon, was ‚noch gesund‘ oder ‚schon krank‘ ist (und umgekehrt), verschiebt sich kontinuierlich entlang einer fluiden (oder „turbulenten“)14 Trennlinie der Begriffsbedeutung. In der vorliegenden diskurstheoretisch eingebetteten (und somit auch historisierenden) Analyse wird diese Verschiebung in Bezug auf Reproduktion in Zusammenhang gesetzt mit den aktuellen Veränderungen des Begriffs von Reproduktionsgesundheit. Dies geschieht zu einer Zeit, da in der BRD – mit zehn bis 20 Jahren Verzögerung gegenüber Großbritannien oder den USA – eine ‚Gesundheitskrise‘ zugespitzt wird,15 die wenig Antezedenzen in der Vehemenz der Auseinandersetzung um ein den folgenschweren Entscheidungen zugrunde liegendes Menschenbild in der Bundesrepublik hat. Gesamtziel meiner Untersuchung ist es, zu zeigen, ob bzw. in welcher Weise seit etwa Ende der 1990er Jahre diskursive Veränderungen eintreten, die im Gegensatz zu früheren Jahren Sterilität normalisieren,16 in wieweit also der Sterilitätsbegriff einen Wandel vollzieht. Besonders im Blick stand zu 13 14 15 16

12

Siehe zu sämtlichen Begriffsklärungen Kap. 2. Weber/Bath 2003. Raspe 2002; Wulfhorst 2002. Eine sich materialisierende Parallele zeigt sich etwa in der massiven Verbreitung (auch reversibler) sterilisierender Methoden bei gleichzeitiger Aufweichung des Sterilitätsbegriffs und Normalisierung der klinischen Befruchtung.

EINLEITUNG

Beginn der Studie die Darstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren als potentielle AnwenderInnen von Neuen Reproduktionstechnologien. Wie sich im Verlauf der Analyse zeigte, sind sie bei weitem nicht die einzigen ‚verworfenen‘ Körper,17 die in diesen Diskurs integriert werden (s. Kapitel 3). Die untersuchten Debatten und Auseinandersetzungen bieten weitreichendes Material für die Fragen, welche Argumente und Praktiken unterschiedliche Bedeutungen von ‚Gesundheitsgerechtigkeit‘ in sich tragen und welche Kriterien für eine ‚emanzipatorische‘ menschliche Zeugung und Fortpflanzung der Zukunft eine Rolle spielen müssen. Die Zugangsweise zu den in diesem Band untersuchten Texten ist von verschiedenen disziplinären und transdisziplinären Ansätzen geprägt, deren Überschneidung in zentralen Punkten der Betrachtung von Normierungsprozessen liegt. Dies sind die Herangehensweisen bestimmter Zweige der geschlechtertheoretischen Naturwissenschaftsanalyse bzw. der Feminist Science Studies,18 von Gender in Public Health-Ansätzen,19 von Science and Technology Studies20 sowie auch besonders Ansätze der Untersuchung von Diskursen der körperlichen und geistigen Gesundheit in Queer Studies21 und Disability Studies.22 Trotz des zentralen gender-kritischen Ansatzes liegt der Fokus meiner Untersuchung auf einer Sichtweise auf die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien, die aus Perspektive der Actor-Network-Theory23 als eine Studie der Vorbereitung der Einführung einer Technologie (der generellen menschlichen Laborreproduktion) in Deutschland betrachtet werden könnte. Actor-Network-Theory hat ihre Wurzeln, ähnlich wie die gendertheoretische Naturwissenschaftsanalyse, in der Kritik der asymmetrischen Betrachtung einerseits der Natur und andererseits des Gesellschaftlichen.24 Naturwissenschaften sollten demnach nicht mehr als autonome institutionalisierte Handlungsfelder mit privilegiertem Wissen betrachtet werden, sondern als Bereiche der Gesellschaft selbst. Auf diese Weise können Naturwissenschaften ebenso ‚symmetrisch‘ behandelt werden wie Bildung, Recht, Familie etc.25 Allerdings werden in der Actor-Network-Theory, anders als in der vorliegenden Analyse, solche Netzwerke der Beziehungen zwischen Technologien, Praxen, Politiken und Akteuren als Netzwerke angesehen, innerhalb derer einzelne untersuchte, dis17 Butler 1993. 18 Siehe z.B. als Überblick über verschiedene Felder Schiebinger 1999, speziell zum Komplex Reproduktion und Geschlecht: Fausto-Sterling 2000. 19 Vgl. z.B. Kuhlmann/Kolip (2005); Kolander et al. (1999) zur Übersicht. 20 Siehe speziell zu neuen Medizintechnologien Brown/Webster 2004. 21 Siehe z.B. Halperin 2003; Jagose 2001; Butler 1993. 22 Siehe z.B. McRuer 2003; Smith 2004; Silvers et al. 1999. 23 Vgl. Callon 1986. 24 Merton 1942; Merton 1977. 25 Callon/Latour 1992; Callon/Law 1995. 13

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

krete Teilbereiche als kontingente Effekte betrachtet werden, die bestimmten Zielen dienen, während andere ausgeblendet werden. Untersucht wird also, welches Beziehungsnetzwerk ein einzelner Akteur zu seiner Hervorbringung oder Existenz benötigt. Aus der Perspektive der Actor-Network-Theory ließe sich sagen, dass die vorliegende Arbeit zeigt, wie Anwenderinnen und Anwender von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien konfiguriert werden.26 Im Kontrast zur Actor-Network-Theory soll jedoch die Veränderung diskursiver Formationen betrachtet werden. Anders als in der Actor-NetworkTheory gibt es in dem vorliegenden Buch keine Akteure im Stil der systematischen Netzwerkbetrachtung – sondern diskursive Ereignisse und Neukonstellationen diskursiver Gegenstände innerhalb eines von ihnen geteilten Machtfeldes (innerhalb dessen sich auch potentielle AnwenderInnen wie auch BiologInnen und Technologien bewegen). Diese Perspektivenwahl ist der Annahme geschuldet, dass es solche Denkungsweisen über Reproduktion, Krankheit und Gesundheit sind, die in einer Weise verschoben werden, dass sie voraussichtlich mittelfristig auch Praxen des öffentlichen Gesundheitswesens in Deutschland verändern werden bzw. dass das Gesundheitswesen und anhängige Politiken auf solche diskursiven Verschiebungen werden reagieren müssen. Als geeigneter konzeptioneller Ansatz dient daher das Konzept der Gouvernementalität bei Foucault, das die Art der Begegnungen verschiedener Objekte innerhalb gemeinsamer Machtfelder beschreibt (siehe genauer Kapitel 1.2). Die Arbeit lässt sich damit einordnen in frühere historische Arbeiten zur sogenannten Medikalisierung (zur Frage des Begriffs der Medikalisierung siehe Kapitel 2). Im Unterschied zu jenen Arbeiten, die mit einer Geschichte der Medikalisierung im Sinne der Entstehung eines Medizinsystems meist im 18. Jahrhundert ansetzen, kann die vorliegende Arbeit als Analyse einer sehr rezenten Diskursgeschichte verstanden werden,27 die, indem sie auch gegenwärtige Tendenzen begleitet, intendiert, Interventionen in die angesprochenen Verschiebungen zu ermöglichen. Für den theoretischen und methodischen Hintergrund wird auf den philosophischen Diskursbegriff von Michel Foucault zurückgegriffen. Der Begriff Diskurs umfasst demnach nicht allein das Sprechen von, zu oder über etwas, sondern das gesamte Ensemble der Wissensproduktion wie Institutionen, Regelungen, Verfahren der Wissenserstellung, Ein- und Ausschlüsse von Wissen oder autoritatives Sprechen. Der biomedizinische Diskurs ‚Menschliches Leben‘ umfasst entsprechend z.B. ebenso Visualisierungstechnologien wie Ultraschallbilder oder intrauterine Kameras, (wissenschaftliche) Praxis in Kran-

26 Woolgar 1991. 27 Hughes/Söderqvist 1999. 14

EINLEITUNG

kenhäusern (Universitätskliniken), Abbildungen in populärmedizinischen Veröffentlichungen, oder Lehrbuchtexte, wie auch Expertisen für den Bundestag. Da nur ein Segment eines Diskurses untersucht wird (biomedizinischer Diskurs in bestimmten Texten), kann der Diskurs-Begriff eingeschränkt beschrieben werden als „eine artikulatorische Praxis […], die soziale Verhältnisse konstituiert und organisiert“.28 Die für die Analyse verwendete Unterscheidung von Diskurs und Diskursstrang folgt den Begrifflichkeiten Siegfried Jägers (vgl. Kapitel 1.2: ‚Methodik‘). Um, wie weiter oben dargestellt, die jüngsten diskursiven Verschiebungen des Gesundheitsbegriffs in Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien herauszuarbeiten, wurden Texte in deutschen Publikumsmedien von 1995 bis 2003 untersucht, die den Angaben nach von Experten und Expertinnen auf dem Gebiet der Gen- und Reproduktionstechnologie stammen. Eine Foucaults ‚Archäologie‘ folgende qualitative Analyse von Texten zur Reproduktionsfähigkeit bzw. Reproduktionsunfähigkeit, wurde also an solchen Medienbeiträgen vorgenommen, die als Äußerungen von BiomedizinerInnen markiert sind. Beobachtet wurden Veränderungen in der Darstellungsweise von Neuen Reproduktionstechnologien im Zusammenhang mit In-/Fertilität. Zusätzlich zu der Diskursanalyse (bzw. zugleich als Teil derselben zu verstehen) wurde das Hilfsmittel der Metaphernanalyse verwendet, um Kontexte zu erkennen, die so sehr an der Oberfläche liegen, dass sie nicht explizit werden.29 Verwendet wird dabei ein umfassendes Konzept der Metapher nach Harald Weinrich, das darauf angelegt ist, sowohl eine synchrone (zeitgleich parallele Verwendung von Begrifflichkeiten in unterschiedlichen sozialen Feldern) als auch eine historisierende ‚diachrone‘ Untersuchung zu ermöglichen.30 Verschiedene Metaphernbegriffe werden entsprechend ausführlich in Kapitel 1.2 erläutert. Als drittes methodisches Mittel wurde im Zuge der Texterschließung eine Analyse der Handlungsschemata nach Fritz Schütze ausgeführt (s. auch hierzu Kapitel 1.2).31 Die vorliegende Arbeit ist in fünf aufeinander aufbauende Abschnitte unterteilt: Kapitel 1 dient der Darstellung des methodischen Repertoires, Kapitel 2 beschreibt die Situierung des analysierten Geschehens in historische und zeitgenössische Diskurszusammenhänge. In Kapitel 3 werden die Ergebnisse der Analysen des Untersuchungsmaterials präsentiert, Kapitel 4 dient dem Abgleich dieser Ergebnisse mit Verschiebungen des Gesundheits-/Krankheitsbegriffs in medizinischer und Public Health-Literatur und der Diskussion besonderer Kategorien wie Gesundheit und Geschlecht. In Kapitel 5 werden die wesentlichen Stränge der Untersuchung nochmals zusammenfassend verbun28 29 30 31

Jäger 1993: 17f. Vgl. Foucault 1981. Weinrich 1958. Schütze et al. 1993. 15

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

den und in einem Ausblick für die (gesundheits-)politische Diskussion aufbereitet. Die Inhalte und Ziele der einzelnen Kapitel verlaufen genauer gesagt wie folgt: Das Methodikkapitel 1 ist unterteilt in eine Einführung in die Forschungsthese und den konzeptionellen Hintergrund der ‚Denkbarkeit‘ einerseits (Kapitel 1.1) und der Darstellung des Methodenrepertoires andererseits. Entsprechend der multiperspektivischen Fragestellung der vorliegenden Arbeit war die Entwicklung eines speziell darauf ausgerichteten methodischen ‚Werkzeugkastens‘ bedeutsam. Wie viele andere Arbeiten in dem Feld ‚Geschlecht und Gesundheit‘ weist auch diese Arbeit zusätzlich weit über die Fachgrenzen von Public Health hinaus und soll ebenso für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen innerhalb oder außerhalb von Public Health, deren Hintergründe eher in der Medizin oder Pflege, Public Management, Feministischer Forschung, Gender Studies, Wissenschaftstheorie und -philosophie oder Biologiegeschichte liegen, Anregung und Material bieten. Umso wichtiger ist eine genaue Darlegung der speziell entwickelten Methodik, der daher viel Raum gegeben wird. Für das Publikum mit anderem als wissenschaftlichem Interesse wird dieses Buch auch ohne die Lektüre des Methodenkapitels 1.2 hinreichend schlüssig sein. In diesem Fall empfehle ich, den Abschnitt zu „Erkenntniszielen“ und „Begriffsdefinitionen“ der Diskursanalyse darin zu überfliegen, um zumindest einen Eindruck vom methodischen Konzept zu erhalten, das die Ergebnisdarstellung in den späteren Kapiteln prägt. Doch die Herangehensweise dieser Untersuchung ist nicht nur vor dem Hintergrund verschiedener Disziplinen entstanden, auch die Hintergründe der untersuchten Diskursstränge und Materialien entstammen den verschiedensten internationalen (populär-)wissenschaftlichen, journalistischen und politischen Kontexten. Jene Texte richten sich also an ein breites Publikum und setzen keinerlei Fachverstand voraus. Aus diesem Grund und entsprechend der Fragestellung meiner Analyse ist es nicht so sehr relevant, was bestimmte (biologische oder technische) Begriffe in dem jeweiligen Kontext des Autors ‚wirklich‘ meinen, sondern an welche Deutungen im Allgemeinverständnis appelliert wird, welche Assoziationen geweckt werden, so dass sich ein logisches Diskursgebäude in der Notwendigkeitsbegründung der Anwendung bestimmter Technologien aufbaut, das nahtlos an bereits bestehende populäre Diskurse anschließen kann. Das zweite Kapitel legt den Rahmen fest, innerhalb dessen die in diesem Buch aufgezeigten Ergebnisse als einerseits Teil einer Wissenschafts- und Kulturgeschichte verstanden und andererseits als eine diskursive Formation des ‚Neuen‘ in Frage gestellt werden können. So dient der erste Teil der Erläuterung des historischen Hintergrundes, der überhaupt die heutige naturwissenschaftliche Einbettung Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien erklär16

EINLEITUNG

lich macht und vor allem die Prozesse der ‚Disziplinierung‘ und ‚Normalisierung‘ beschreibt. Der zweite Teil untersucht den historischen und diskursiven Moment, an dem jener Umbruch stattgefunden hat, der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien im Verhältnis zum bisher Bekannten – diversen aktuellen Analysen nach – eine neue Qualität verleihe. Im dritten Kapitel werden die Ergebnisse der Diskurs- und Metaphernanalyse vorgestellt. Es erfolgt zunächst eine Übersicht über das Medienmaterial im Untersuchungszeitraum von 1995 bis 2003 und der wesentlichen Züge der Ergebnisse in Kapitel 3.1. Als Hervorbringungskontext der technologie-optimistischen Diskursstränge zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien wird in Kapitel 3.1.1 die politische Debatte um Reproduktionstechnologien und Stammzellforschung in Deutschland beschrieben, im Rahmen derer einzelne politische und wissenschaftliche Ereignisse sich in die Produktion von Medienereignissen wiederum einschreiben und umgekehrt. In Kapitel 3.1.2 wird, da speziell solche Texte zur genaueren Analyse ausgewählt wurden, die medial als Auffassungen genetischer- oder reproduktionsmedizinischer Experten präsentiert wurden, der Begriff des Experten eingeführt und seine diskursive Funktion auf der Basis des Untersuchungsmaterials analysiert. Das Kapitel 3.1.3 bietet eine Übersicht über die Verläufe der Diskursstränge und über die Metaphern. Kapitel 3.2 stellt ausführlich die etwa zwei Dutzend ineinander verwobenen und einander widersprechenden und dennoch voneinander abhängigen Diskursstränge in dem Untersuchungsmaterial vor. Kapitel 3.3 ist der Darstellung wesentlicher, darin auftauchender und auf neuartige Weise besetzter Kategorien gewidmet. Es sind dies Infertilität, Risiko, Gentherapie und der Komplex Krankheit/Gesundheit/Ermöglichung. Die in den Medienbeiträgen ausgemachten ‚Texttechniken‘ (zum Beispiel das Neudefinieren umstrittener Gegenstände) werden in Kapitel 3.4.1 vorgestellt. In Kapitel 4 werden die in Kapitel 3 dargestellten Ergebnisse thematisch diskutiert und kontextualisiert mit einem besonderen Fokus auf Veränderungen des Gesundheits-/Krankheitsbegriffs. Diese werden in Kapitel 4 und 5 in einen Vergleich gesetzt mit aktuellen Gesundheits-/Krankheitsbegriffen der Medizin- und Public Health-Literatur, um Parallelen und Abweichungen festzustellen. Auf diese Weise werden schließlich Aspekte möglicher ‚emanzipatorischer‘ Gesundheitsbegriffe erarbeitet, die einerseits in den reproduktionsbiologisch-genetischen Darstellungen enthalten sind, bzw. es wird auf solche Gesundheitsvorstellungen bzw. damit verknüpfte Kategorien hingewiesen, die in manchen aktuellen Gesundheitsbegriffen oder emanzipatorischen Konzepten enthalten sind, welche Parallelen mit problematischen Aspekten von Gesundheitsbegriffen im Untersuchungsmaterial aufweisen. Auf diese Weise sollen für die Darstellung in Kapitel 5 schließlich Kriterien für emanzipatorische Gesundheitsbegriffe herausgearbeitet werden und 17

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Schlussfolgerungen für eine nachhaltige Praxis als Anspruch an gesundheitsund sozialpolitische Entscheidungsträger im Umgang mit Reproduktion und so genannter Infertilität gezogen werden. Im Folgenden stelle ich zunächst die Forschungsthese und ihren Hintergrund dar, bevor ich anschließend auf die Methodik eingehe.

18

1 Körper und ihre Produktion als Labor- und Diskurspraxen

1.1

Die diskursive Einführung neuer (Gesundheits-)Technologien als Erschließung von Denkräumen

Wer einen diskurstheoretischen Ansatz wählt, um verwobene multidimensionale gesellschaftlich-technologisch-körperliche Prozesse zu untersuchen, wird spätestens in der schriftlichen Präsentation von Ergebnissen mit den Grenzen der Moderne konfrontiert: zweidimensionales Papier und eine einzige konventionelle Leserichtung nötigen zu simplifizierenden Kausalketten, die auch eine zeitliche Richtung nahe legen und einen Zielpunkt, auf den der Text hinauszulaufen scheint. Die Komplexität diskursiver Machtfelder, in denen – zumal nicht nur menschliche, sondern sprachliche, technische oder zelluläre – Handelnde Wirkungen erzeugen und zugleich Ursachen darstellen und selbst zwischen Objekt- und Subjektposition pendeln, verlangt zahlreiche Geschichten des Krankheits- und Gesundheitsbegriffs in Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien zu entwerfen, je nachdem, welcher Teil des Feldes beleuchtet wird. Diejenige Geschichte, die in diesem Werk von mir gewählt ist, stellt insofern einen Kompromiss dar zwischen moderner Zweidimensionalität (des Papiers), Unilinearität des konventionellen Erzählstrangs und dem Versuch, durch sprachliche Hinweise und Brüche im Text (beispielsweise durch eingeschobene ‚Szenarien‘, die dem Diskursiven Raum geben sollen) die Komplexität der Vorgänge einzuholen und ihre Prozesshaftigkeit und kausalen Ambivalenzen hervorzuheben. Mit dem Entstehen neuer Technologien verändern sich Diskurse, indem sie neue Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in bereits existierende Stränge einbeziehen. Doch Technologie wird nicht aus sich selbst heraus zur Akteu19

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

rin. Technologien beschränken und ermöglichen, verzögern oder beschleunigen, oder bringen Brüche in das bestehende Diskursgefüge im integrierten Wechselspiel mit demselben. Mit Philippe Ariès lässt sich sagen, dass eine Technologie nur breiter angewendet werden kann, wenn ihre Vorstellbarkeit (pensabilité) hergestellt ist. So gab es beispielsweise Kondome seit einer langen Zeit in Europa, bis sie nach stärkeren Verschiebungen familiärer Wertvorstellungen im Zuge der Industrialisierung erst Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend häufiger als Mittel zur Schwangerschaftsverhütung eingesetzt wurden. Insofern lassen sich in den von mir untersuchten Diskurssträngen Ansätze zu Verschiebungen der Denkbarkeit miteinander verkoppelter Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien betrachten. Die der Arbeit vorausgehende These war, dass mit dieser diskursiven Veränderung inzwischen zwei unterschiedliche reproduktionsmedizinische Diskursstränge auftreten. Es kommt dann zu dem althergebrachten (entlang der modernen Kernfamilie strukturierten) Diskursstrang ‚Reproduktionsmedizin als Hilfestellung für das unter Sterilität leidende heterosexuelle Ehepaar‘ ein weiterer hinzu. Nämlich ein liberalerer, pragmatischer: ‚Reproduktionsmedizin zur genetisch gesunden Fortpflanzung jedweder Menschen ungeachtet von biologischem Geschlecht und Neigungen‘. Eine solche Verschiebung des Konzeptes der Sterilität sähe sich eingebettet in gen- und reproduktionstechnologische Neuerungen, deren bereits in manchen Staaten breiter werdende Anwendung unter starker marktwirtschaftlich-rechtlicher Regulierung einem Normierungsprozess unterliegt. Ähnlich früheren Technologieeinführungen wurde auch im Rahmen der vorliegenden Fragestellung von einem gleichzeitigen Normalisierungsprozess ausgegangen. Hintergrund wären etwa erweiterte technische Möglichkeiten genereller künstlicher Befruchtung wie z.B. die Befruchtung zuvor eingefrorener Eizellen (durch die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion, kurz ICSI), die als koppelbar mit Einlagerungen auf Ei- oder Spermienbanken oder Präimplantationsdiagnostik (PID) gedacht würden, erweitert um Technologien, die zur Zeit da diese Arbeit verfasst wird noch lange nicht zur Verfügung stehen, wie etwa die bereits angesprochene Gentherapie. Neue Gen- und Reproduktionstechnologien vermitteln vielfältige Auseinandersetzungen um Körperautonomie unter Verschiebung bisher statisch wirkender Kategorien wie Geschlecht, Fertilität, körperliche Unversehrtheit, Risiko und Verantwortung. Die Annahme ist naheliegend, dass ohne beispielsweise die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion der Diskurs Neuer Reproduktions- und Gentechnologien als kombinierter Standard, der die ‚Zeugung zu Hause‘ (oder ‚DIY-Zeugung‘)1 ablösen könnte, keinen Sinn ma1 Sämtliche Formen der Befruchtung, die nicht im Labor stattfinden, sollen im Folgenden als Do-It-Yourself (DIY-Zeugungen) bezeichnet werden. Dies impliziert sowohl die Zeugung im Akt des Beischlafs als auch Befruchtungen unter zu Hil20

KÖRPER UND IHRE PRODUKTION

chen würde. Denn gerade erst durch ICSI ist es möglich, wieder aufgetaute Eizellen zu befruchten. Durch das Einfrieren verlieren die Eizellen die Fähigkeit, Spermien chemisch den Weg zu weisen und die Fusion zwischen Eizelle und Spermium einzuleiten. Nachdem nun bei ICSI ein Spermium ‚einfach‘ in die Eizelle injiziert werden kann, wird diese Fähigkeit nicht mehr benötigt. Dabei sind auch Neue Gen- und Reproduktionstechnologien eingebettet in und materialisierende Anteile von Diskursen. Projizierte Zukünfte und Erwartungen an Machbarkeit beschleunigen Technologien und gebündelte Hoffnungen möglicher NutzerInnen sind ihnen vorauseilende Anteile in dem diskursiven Feld zwischen Vergangenheiten und späteren Gegenwarten. Durch Vorgänge der Pathologisierung und Entpathologisierung werden die gesellschaftlich zentralen Begriffe Gesundheit und Krankheit in Hinsicht auf Reproduktion beeinflusst. Ein historisches Beispiel hierfür ist der Menstruationszyklus: ein bestimmter Menstruationsrhythmus wird entsprechend der durchschnittlichen Zyklusdauer (westeuropäischer Frauen) als gesund definiert. Das unregelmäßige Ausbleiben von Menstruation dagegen wurde (etwa seit Einführung der Hormonverhütungspräparate) pathologisiert, indem – meist ohne Messung des Hormonstatus – von einer Verhärtung der Eierstöcke ausgegangen wurde. Damit wurde häufig ‚Unregelmäßigkeit der Menstruation‘ mit Infertilität gleichgesetzt und mit Hormonpräparaten behandelt. Diese verursachen Abbruchblutungen in Zeitabständen, die mit – als normal definierten – Durchschnittswerten übereinstimmen. In der Veränderung der Bedeutungen der Begriffe Gesundheit und Krankheit in Hinsicht auf Reproduktion spiegeln sich die Interessen verschiedener AkteurInnen, durch deren Auseinandersetzungen diskursiv neue Gegenstände hervorgebracht werden, während andere in den Hintergrund treten. Nachdem die gleichgeschlechtliche Liebe Ende des 20. Jahrhunderts als Krankheitsbild ‚Homosexualität‘ entwickelt wurde, wird sie derzeit in einigen Ländern (in einem zum obigen Beispiel umgekehrten Vorgang) entpathologisiert.2 Als zentral in diesem Prozess erweisen sich aktuell die Möglichkeiten der sog. künstlichen Befruchtung und Technologien wie Klonierungsverfahren, die gegenüber der Zeugung ohne äußeren Eingriff als gesellschaftliche Normalität durchgesetzt werden. Die nationale wie internationale Steuerung der menschlichen Reproduktion, Fertilität und Infertilität wird in den öffentlichen Haushalten der postindustriellen und industriellen Länder in hohem Maße berücksichtigt. Verschiefenahme technischer oder sonstiger Mittel ohne Anwesenheit medizinischen Fachpersonals, wie beispielsweise bei lesbischen Hausbefruchtungen mittels gespendeter Spermien. 2 Ein für das Gesundheitswesen wie für Betroffene gleichermaßen bedeutsamer Schritt war die zehnte Revision der International Classification of Diseases der WHO, in der 1991 die Diagnose Homosexualität aufgegeben wurde. 21

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

bungen der Fassung des Begriffs der Reproduktionsgesundheit spiegeln sich in der öffentlichen und politischen Problematisierung der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems und damit in Forderungen an die Gesundheitsversorgung. Bis etwa Mitte der 1990er Jahre gab es in der BRD stets separate Äußerungen in öffentlichen Medien und auch in wissenschaftlichen Publikationen zu Bevölkerungsteilen (der Weltbevölkerung, bzw. jener innerhalb eines Staates), deren Fortpflanzung zu problematisieren sei (Diskurs ‚Überbevölkerung‘, Diskurs ‚Behinderung‘) und andererseits zu solchen Bevölkerungsgruppen, deren Fehlen von Fortpflanzung als zu lösendes Problem dargestellt wurde (Diskurs ‚Aussterbende Industrienationen‘, Diskurs ‚Rente‘, Diskurs ‚Infertilität als Krankheit‘, ‚Laborzeugung als Lösung‘). Es zeigten sich also bisher pro- und antinatalistische Diskurse voneinander getrennt. In einzelnen Aussagen von Biowissenschaftlern bzw. Bioethikern treten seit etwa 1998 erstmals öffentlich anti- und pronatalistische Vorstellungen gemeinsam auf. In solchen Äußerungen von Biowissenschaftlern wird deutlich, dass von manchen Autoren3 angestrebt wird, eine ‚gewöhnliche‘, medizinisch nicht kontrollierte Befruchtung nicht mehr stattfinden zu lassen. Eine somit vorgeschlagene Jugend-Sterilisation als Standard entspricht einer ‚antinatalistischen‘ Haltung. Als Zeugungsalternative aber wird statt der unkontrollierten Zeugung die ausschließliche Befruchtung in vitro und nach Prä-Implantations-Diagnostik (z.B. Djerassi 1999) vorgeschlagen; auch die Humanklonierung sei innerhalb von 20 Jahren gesellschaftlich akzeptiert und durchführbar – beides gemeinhin als ‚pronatalistisch‘ bezeichnete Verfahren. Diese und weitere Methoden der künstlichen Embryonenherstellung werden neuerdings vereinzelt im deutschsprachigen diskursiven Feld als emanzipativ für Frauen bzw. Lesben und Schwule dargestellt (z.B. Dahl 1999). Im Zuge dieser Argumentation wird ein Infertilitätsbegriff verwendet, der auch auf alleinstehende Personen übertragbar wäre bzw. auf jegliche Personen unabhängig von Versuchen der Zeugung durch herkömmlichen Geschlechtsverkehr. Von gesundheitswissenschaftlicher Relevanz ist nicht nur die damit verbundene Frage nach den Kriterien der Gesundheitsversorgung. Als einschneidendere Problematik bedeutet eine derartige Erweiterung des Sterilitätsbegriffs und die damit sich normalisierende klinische ‚Behandlung‘ durch In-Vitro-Fertilisation (IVF) eine Zunahme der Anwendung zytologischer, chromosomaler und genetischer Tests (bereits durch die heutigen Verfahrenswege, erst recht allerdings bei möglicher Einführung der Prä-Implantations-Diagnostik). Dies tangiert Fragen nach einem ‚Recht auf ein gesundes Kind‘, den ‚Maßstab‘ von Gesundheit (oder auch von ‚Normalität‘), sowie Vorstellungen über ‚Gesund3 An dieser Stelle, wie an manchen folgenden, wurde die männliche Form gewählt, da die bisherige Erhebung zeigt, dass (bisher ausschließlich) Männer sich auf diesem Diskursfeld bewegen. 22

KÖRPER UND IHRE PRODUKTION

heitsverantwortung‘ bzw. ‚Pflicht zur Gesundheit‘. Anhand der Frage der Zukunft der Zeugung werden in bisher kaum da gewesener Weise zentrale Aspekte des menschlichen Körpers, von seinem Wesen und seiner Reproduktion in Verhandlung gebracht. Im Phänomen der labortechnischen Zeugung verbinden sich geschlechtertheoretische und gesundheitsbegriffliche – also auch politische – Phänomene. Die Plattform für ihre Veränderung bietet die Produktwerdung4 menschlichen biotischen Materials, vor allem aber auch von non-materiell scheinenden Konzepten wie ‚Risiko‘, ‚Hoffnung‘ und ‚Ermöglichung‘. Diesem Vorgang gehen in Europa diskurs-historische Etappen der diskursiven Produktion von Geschlecht und Sexualität voraus, die für die heutigen Vorstellungen von Reproduktion und Reproduktionsgesundheit wie für ihre wirtschaftliche Bedeutung relevant sind. Diese Hintergründe werden in Kapitel 2 vor allem mittels der Perspektiven der AutorInnen Adele Clarke, Michel Foucault, George Canguilhelm und Ulrich Beck diskutiert und gemeinsam mit den wesentlichen, in den untersuchten Diskurssträngen zu einem neuen Gefüge verbundenen Kategorien wie Kinderwunsch, Reproduktion und Neue Gen- und Reproduktionstechnologien zusammengebracht. Um diese Diskursstränge herauszuarbeiten, wurden in qualitativer Textanalyse Texte zur Reproduktionsfähigkeit bzw. Reproduktionsunfähigkeit in deutschsprachigen Medien untersucht, bei denen es sich laut ihren HerausgeberInnen bzw. RedakteurInnen um Äußerungen von BiomedizinerInnen handelt. Beobachtet wurden Veränderungen in der Darstellungsweise von sog. Neuen Reproduktionstechnologien im Zusammenhang mit In-/Fertilität seit etwa Mitte der 1990er Jahre. Das methodische Vorgehen hierfür behandelt der nächste Abschnitt.

1.2

Untersuchung neuer Denkbarkeiten

Für die Untersuchung der Verschiebung von Vorstellungen von Reproduktionsgesundheit wurde eine Analyse medialer Aussagen von BiomedizinerInnen seit 1995 angefertigt,5 die besonders Gesundheitsbegriffe im Blick hatte. Dazu wurde die Diskursanalyse nach Foucault, unter Zuhilfenahme von Link und Jäger (s.w.u.: 1.2.1) mit der Metaphernanalyse nach Weinrich, mit Link 4 „Werdung“ im Sinne von Genese; „Produkt“ im Sinne von marktwirtschaftlicher Handelsware und Konsumartikel. 5 Eine intensive Auseinandersetzung mit den ‚Neuen Reproduktionstechnologien‘ wie Klonierung begann etwa 1997 mit der „Reproduktion“ des genetisch identischen Schafs Dolly (Graumann 2002a, Graumann 2002b). In der Recherche wird bis 1995 zurückgegriffen, um Graumanns Angabe zu prüfen und einen Kontrast zwischen aktuellem und vormals dominantem Diskurs herstellen zu können. 23

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

und Lakoff/Johnsson (s. 1.2.2) kombiniert und ansatzweise durch handlungstheoretisch/konversationsanalytische Techniken zur Erschließung des Textes (siehe ebenfalls 1.2.2) unterstützt. Ergebnisse aus den jeweiligen Methodenanwendungen werden einander gegenübergestellt, so dass ein vielseitiges Analyseergebnis entsteht. Es werden also die Vorteile der Triangulation6 genutzt, dabei jedoch das Methodenrepertoire auf überwiegend zwei Methoden (Diskurs- und Metaphernanalyse) beschränkt. Öffentliche Kommunikationen von Personen, die sich beruflich als ReproduktionsmedizinerInnen, als Ethiker in biomedizinischen-pharmazeutischen Betrieben oder etwa als akademische Naturwissenschaftler zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien äußern, verweisen zurück auf miteinander geteilte diskursive Hintergründe, nach denen Leben und allen anhängigen körperlichen Prozesse (und somit auch Gesundheit und Krankheit) ausschließlich als natürlich, also physiologisch-technisch erklär- und deutbar gelten. Diese Diskurse der Biologie und Medizin waren größtenteils bestimmend für das moderne Verständnis von Körpervorgängen und (reproduktiver) Gesundheit. Die vor allem in den entsprechenden Lehr- und Praxisinstitutionen herausgebildeten und tradierten Diskurse von hoher Wirkmächtigkeit im Körperdiskurs7 werden also weiter getragen und transformiert durch jene, die in diesem Feld tätig sind und denen ein gewisser Expertenstatus zugewiesen wird, von dem wiederum die Wirkmächtigkeit und Materialisierbarkeit diskursiver Verschiebungen profitiert. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen und bereits gezeigt worden, dass Medienberichte, die sich maßgeblich auf Hoffnung weckende Darstellungen von BiomedizinerInnen stützen, darauf hinwirken, die Denkbarkeit („pensabilité“ nach Ariès)8 und rechtliche wie technische Realisierbarkeit dieser Technologien in der Gesellschaft zu erhöhen.9 Die recherchierten Berichte und Zukunftsvisionen sind daher nicht als Realitätsabbildung oder Wunschvorstellungen Einzelner zu lesen. Vielmehr werden sie betrachtet als ein in einem Beziehungsgeflecht zwischen Biomedizin, Wirtschaft, Politik, Technologie und verschiedenen anderen Sektoren der Gesellschaft entstandener Diskurs, der sich als Wissen präsentiert und die Bedeutungen der zu untersuchenden Kategorien in Zusammenhang mit Fortpflanzungsgesundheit prozesshaft verändert. Es wird davon ausgegangen, dass diese neuen Bedeutungen schließlich gesellschaftlich als wahr angenommen und zu neuem allgemein verbreitetem Wissen werden.

6 7 8 9

Vgl. Flick 2000: 309ff. Vgl. Foucault 2002. Ariès 1978. Vgl. Brown 1998.

24

KÖRPER UND IHRE PRODUKTION

Diese, dem Foucaultschen10 Diskursbegriff folgende Analyse der Art und Weise von Wissensproduktion, bezeichne ich als Diskursanalyse. Aus Essays und Interviews von bio- und reproduktionsmedizinisch Tätigen, die sich für den verstärkten Einsatz Neuer Reproduktionstechnologien aussprechen (publiziert in der BRD in Magazinen zwischen 1995 und 2003 sollen also Verschiebungen anhand der Argumentationslinien bzw. ‚Diskursstränge‘ herausgearbeitet werden, indem am Text selbst Handlungsschemata (mit Schütze) und Metaphern (nach Weinich) untersucht werden. Wenn sich auch bei den hier angeführten Methodikern Übereinstimmungen in dem zugrunde liegenden Theoriekonzept zeigen, und sie sich der über den individualisierten Text auf gesellschaftlich-historische Verhältnisse hinausweisenden Analyse verpflichtet sehen und dies wesentliche Vorteile ihrer Kombination und Anwendung für das vorliegende Vorhaben bietet, so stellt sich dennoch das Problem, dass ihre erkenntnistheoretischen Ansätze an entscheidenden Punkten voneinander abweichen. So ist für Foucault, Jäger, Schütze und Weinrich beispielsweise das Verhältnis zwischen Realität, gesprochenem Text und darin enthaltenen Diskurssträngen oder Bildern sowie die Position des Autors verschieden und im Abgleich mit diskursadäquaten Begriffen zu diskutieren (siehe 1.2.1, 1.2.2 und vor allem 1.2.3). Unterschiede und verwirrende Begriffsüberschneidungen ergeben sich bei den verschiedenen Methodendarstellungen auch in Hinsicht auf die Bezeichnungen der Analyseebenen bei unterschiedlicher Analysetiefe oder Materialbreite. So scheint es, als bestünde für Schütze die ‚Mikroanalyse‘ in dem, was bei Jäger die ‚Makroanalyse‘11 ist. Die formalen Anteile der Jägerschen ‚Mikroanalyse‘ fehlen dagegen bei Schütze. Aspekte von Schützes Handlungsschemata tauchen meines Erachtens wiederum in den tätigkeitstheoretischen Beschreibungen von Jäger auf. Um solche Verwirrungen zu vermeiden, soll im Folgenden für die unterschiedlichen Analysevorgänge und Analysetiefen eine eigene Begrifflichkeit verwendet werden: Die explorative Erhebung des Magazin- und Zeitungsmaterials ergab ein umfangreiches Materialkorpus, das zusätzlich mit Gesetzestexten, weiteren Arbeiten wie Tagungsberichten, Theaterstücken und Buchwerken einiger der ArtikelautorInnen und ähnlichem Hintergrundmaterial für die Makroanalyse angereichert und verwendet wurde. Viele Beiträge, die in deutschen Medien zu Reproduktionstechnologien erscheinen, sind in hohem Maße von US-amerikanischen, australischen oder britischen Verhältnissen geprägt. Die öffentliche Rede über neuere Reproduktionsverfahren ist dort an Breite weiter fortgeschritten, so dass im Rahmen der Makroanalyse ebenfalls geklärt wird, dass angelsächsische Beiträge im unter-

10 Foucault 1997b. 11 Jäger 1993: 187ff. 25

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

suchten Material oft zitiert, oder übersetzt werden – wenn auch Veröffentlichungen in der BRD durch spezielle lokale Bedingungen veranlasst werden. Sofern die verschiedenen Diskurshintergründe (US-amerikanisch, australisch, britisch und deutsch) voneinander separierbare Fragestellungen aufwerfen, wird dies im Zuge der Makroanalyse diskutiert. Grundsätzlich aber wird die Darstellung dieser Entwicklungen durch BiomedizinerInnen vor dem deutschen historischen und kulturtheoretischen Hintergrund analysiert. Den theoretischen Rahmen der Vermittlung von oft bereits als ‚global‘ bezeichneten Diskursen und Strategien (wie ‚der‘ ‚reduktionistische Naturalismus‘ oder ‚angelsächsischer Utilitarismus‘) mit lokalen Praxen und Diskursfragmenten (wie ‚Diskussion des Bundestages zum Embryonenschutzgesetz‘ oder ‚Interview zu PID in der Zeitschrift Stern‘) bietet Foucaults „In Verteidigung der Gesellschaft“ („Il faut défendre la societé“)12 (siehe Kapitel 1.2.3). Ebenfalls zur Makroanalyse wird von mir die Untersuchung des „nichtsprachlichen Kontextes“ wie auch des „sprachlich-diskursiven Kontextes“ (Jäger) gezählt, also etwa der diskursive Hintergrund der Zeitschriften, der HerausgeberInnen, ihrer Netzwerke einerseits und andererseits die Einbettung von Artikeln in ihre direkte Artikelumgebung oder in diskursrelevante Hintergründe der AutorInnen. Aus dem Magazin- und Zeitungstextkorpus – eingegrenzt auf die Jahre 1995-2003 – wurden einige Dutzend Beiträge ausgewählt, um in der Mikroanalyse auf Diskursstränge (siehe zu diesem Begriff Kapitel 1.2.1) untersucht zu werden. Die tiefergehende Analyse ausgewählter Artikel dieses Korpus wiederum für die Analyse von Metaphern und Handlungsschemata wird als Feinanalyse bezeichnet (siehe dazu die Bearbeitung des Textes generell nach Jäger in 1.2.1 unter Diskursstränge nach Jäger sowie 1.2.2. zu Metaphern und 1.2.3 zu Metaphern und Handlungsschemata, speziell Handlungsschemata als Instrumente einer diskursiven Formation).

1.2.1 Ordentliche und unordentliche Diskurse: Foucault und Jäger In der ersten Auseinandersetzung mit dem Material war zu erahnen, dass es bei der Diskussion Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien in Publikumsmedien und vor dem fachlichen reproduktions- und biomedizinischen Hintergrund nicht allein um leicht entscheidbare Fragen des Ortes oder des Zeitpunktes von medizinischen Entdeckungen – wie der Möglichkeit der Klonierung – oder der Artikulation von Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppierungen ginge. Sondern in dem spezifisch gewählten Zeitraum zeigen sich Brüche mit herkömmlichen Aussagen zu bestimmten Objekten (wie etwa zu Menschen, beispielsweise älteren Menschen, deren reproduktive Interessen 12 Foucault 1997a. 26

KÖRPER UND IHRE PRODUKTION

in dem Feld der Gen- und Reproduktionstechnologien bisher nicht wahrgenommen worden waren). Diese Brüche, so zeigte sich, würden mit bestimmten Strategien legitimiert, untermauert und vertieft und es sollte Teil der Arbeit sein, zu klären, mit welchen solchen Strategien hier verfahren würde. Bereits eine oberflächliche Betrachtung einer Auswahl von Texten machte deutlich, dass teleologische Konzepte und eine reduktionistisch-universalistische, wie auch durch institutionelle Hintergründe legitimierte Herangehensweise an „Wissen“ und an menschliche Interessen Strategien darstellten, mit denen die vorliegende Untersuchung umzugehen hätte. Es war daher nahe liegend, in der Wahl der Methodik so zu verfahren, dass solche Strategien zum Gegenstand der Betrachtung werden können. Als eines der wesentlichen Erkenntnisinteressen der Diskursanalyse beschreibt Michel Foucault, sie habe genau diese „Infragestellung der Teleologien und Totalisierungen zum Ziel“,13 als eine Methode der Analyse von Brüchen und Diskontinuitäten, die produktiv für (diskursive) Neuerungen sind. Dabei geht es zentral um die Bedingungen des Auftretens solcher Brüche.14 Während Foucaults Diskursanalyse den theoretisch-methodischen Begriffsrahmen spannt, auf dem die vorliegende Analyse sich darstellt (siehe genauer 1.2.1), ist von Foucault die dafür notwendige erschließungspraktische Umgehensweise mit den Texten selbst offen gelassen worden. Hiermit haben sich nur wenige AutorInnen in aller Klarheit befasst. So haben sich in der frühen französischen Rezeption bereits in den 1960er Jahren Michel Pêcheux15, wie Foucault ebenfalls ein Althusser Schüler, und in der deutschen Bearbeitung von Diskursanalyse Siegfried Jäger um ein genaueres Konzept der Arbeit am Text selbst bemüht. In enger methodentheoretischer Anlehnung an Foucault verwende ich einige Schritte der Aufbereitung der Texte von Jäger ebenso wie den – von mir dann jedoch selbstständig gedeuteten – Begriff der „Diskursstränge“ (siehe weiter unten in diesem Kapitel). Jürgen Link führte mit dem Begriff der Kollektivsymbolik einen Begriff auf der Folie der Diskursanalyse ein, dessen ich mich bediene, um das Verständnis der Verbindung zwischen Diskurs und Metapher, Mythos oder Bild zu erleichtern (siehe 1.2.2).

Foucaults Diskursanalyse Theorien und Methodiken der Diskursanalyse sind in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland und international zahlreich angewendet worden und zum Teil in verschiedenen Disziplinen im Methodenkanon etabliert. Die Verständnisse dessen, was unter Diskurs bzw. Diskursanalyse zu fassen ist, sind 13 Foucault 1981: 28. 14 Ebd.: 33. 15 Pêcheux 1969. 27

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

dabei jedoch sehr unterschiedlich. Dabei lassen sich vor allem der französische und der englischsprachige Kontext unterscheiden: Unter discourse analysis wird im Angelsächsischen eine linguistisch orientierte Herangehensweise verstanden, während die französische Diskursanalyse (analyse du discours) sich in Anlehnung an Foucault etablierte. Im deutschsprachigen Raum wiederum prägte Habermas ein sozialethisches Verständnis von Diskurs. Innerhalb der Soziologie beginnt sich die Foucaultsche Diskursanalyse zu etablieren, die bisher vor allem in den Kulturwissenschaften, der Genderforschung und den Queer Studies ihre Produktivität beweisen konnte. In diesen verschiedenen Konzeptionen von der Linguistik bis zu den Gender Studies ist im Wesentlichen ‚Diskurs‘ als in sich zu untersuchende von bestimmten Subjekten ‚geäußerte Sprache‘ zu unterscheiden von einem im foucaultschen Sinne gefassten Diskurs als einem von bestimmten ‚Formationsbedingungen‘ geprägten Raum, in dem neue ‚Gegenstände‘ entstehen und sich Möglichkeiten von Verständnisweisen entwickeln können, die wiederum andere Diskurse hervorbringen können (siehe zu der Beschreibung dieser Begriffe die nächsten Seiten). Anders als in der linguistischen Untersuchung von Sprache als einer Repräsentation von dahinter bzw. zugrunde liegenden realen Gegenständen wie auch gesellschaftlichen Zuständen, die die Sprache mal besser, mal schlechter abzubilden vermag, geht der Foucaultsche Ansatz davon aus, dass Gegenstände im Diskurs selbst erst hervorgebracht werden, ihm also nicht vorausgehen.16 Diese grundsätzliche epistemologische Position (die auch klar ‚Gegenstände‘ von ‚Dingen‘ unterscheidet, siehe im weiteren Text) ist von der methodischen Herangehensweise nicht eigentlich trennbar. Begrifflich werden mit „Diskurstheorie [...] wissenschaftliche Unternehmungen bezeichnet, denen es um die systematische Ausarbeitung des Stellenwertes von Diskursen im Prozess der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion geht“, und stattdessen als Diskursanalyse die „forschungspraktische methodische Umsetzung, [...] die empirische Untersuchung von Diskursen“.17 Foucault selbst verweist auf L’archéologie du Savoir (1969, auf deutsch erstmals 1973: Archäo16 Meines Erachtens sind Diskurs und Materialität bei Foucault untrennbar voneinander, auch wenn er vielfach dahingehend verstanden wurde, als gäbe es bei ihm keine relevante (wirkmächtige) Materialität. Statt anzunehmen, nur der Diskurs sei wirksam, gehe ich von einer materiegebundenen Diskursivität aus, wie sie etwa von Karen Barad (2005) plausibel gemacht wird. ‚Materialität des Diskurses‘ reicht bei Foucault in Archäologie des Wissens von der Druckerschwärze auf Papier bis zu Institutionen der Medizin oder des Rechts (beispielsweise, vgl. Foucault 1981: 145ff. und Foucault 1997b: 37ff.). ‚Materialisierungen des Diskurses‘ wiederum werden unter anderem plastisch in In Verteidigung der Gesellschaft veröffentlicht wurde), insbesondere in dem letzten Abschnitt über „BioMacht“ (frz. „bio-pouvoir“). 17 Keller et al. 2001: 15. 28

KÖRPER UND IHRE PRODUKTION

logie des Wissens) als eben den Text, in dem er den Status großer diskursiver Einheiten beschreibt und „mit welchen Methoden, welchen Instrumenten man sie ausmachen, gliedern, analysieren und beschreiben kann.“18 Obwohl fast sämtliche von Foucaults Veröffentlichungen nach 1969 der in der Archäologie des Wissens dargestellten und begriffskonzeptionell ausgefeilten Diskurstheorie folgen und mit der Tauglichkeit des Begriffsinstrumentariums experimentieren, ist, wie zuvor bereits erwähnt, die eigentliche Vorgehensweise am Textkorpus bzw. am einzelnen Text (abgesehen von Foucaults Nennung umfangreicher oft institutioneller, wissenschaftsdisziplinärer Archive, die seinen Analysen zugrunde lagen) von Foucault selbst nicht beschrieben worden. Die Andeutungen in Archäologie des Wissens legen die Verwendung verschiedener sprachanalytischer Instrumente am Einzeltext nahe. Im Gegensatz zur linguistischen Herangehensweise dienen sie jedoch nicht der formalen Analyse der Sprachstruktur oder der Bedeutungen, um von dieser Ebene aus gesellschaftliche Phänomene darzustellen, sondern um Formationslogiken und Bedingungen, mit denen der Diskurs das Entstehen von bestimmten Gegenständen (und das Vergessen oder Übersehen anderer Gegenstände) ermöglicht herauszuarbeiten.

Erkenntnisziele der Diskursanalyse So richtet sich das Erkenntnisinteresse der Diskursanalyse auch nicht – wie in akteurzentrierten Untersuchungen – darauf, herauszuschälen, was bestimmte Autoren eigentlich oder wirklich meinten oder welche hintergründigen Bedeutungen ihre Äußerungen enthielten. Stattdessen sei das Ziel, „die Regeln zu finden, mit denen sie eine bestimmte Anzahl von Begriffen und Theoremen gebildet hatten, denen man in ihren Texten begegnen kann.“19 Es geht also darum, „die Beziehungen zu definieren, die an der Oberfläche der Diskurse liegen; [...] sichtbar zu machen, was nur insofern unsichtbar ist, als es allzu sehr an der Oberfläche der Dinge liegt.“20 Diskursanalysen reihen sich daher in ein Projekt der ‚Archäologie des Wissens‘ ein, in der Archäologie zu verstehen sei als „eine Form der Analyse [...] die nicht ganz Geschichtsschreibung [...] und auch keine Epistemologie wäre, das heißt eine interne Analyse der Struktur der Wissenschaft.“21 Dabei weist Foucault auf eine weitere Bedeutung von Archäologie hin, nämlich auf die Beschreibung des Archivs: „Unter Archiv verstehe ich die Gesamtheit der tatsächlich geäußerten Diskurse; und diese Gesamtheit von Diskursen wird nicht lediglich als eine Gesamtheit von Ereignissen betrachtet, [...] sondern auch als eine Gesamtheit, die weiterhin funktioniert, sich im Laufe der Ge18 19 20 21

Foucault 2001b: 1007. Foucault 2001b: 1006. Foucault 2001a: 981. Foucault 2001b: 1006. 29

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

schichte transformiert, anderen Diskursen die Möglichkeit des Auftretens gibt.“22

Begriffsdefinitionen In welchem Verhältnis steht der Diskurs zum von mir ausgewählten Materialkorpus, dieser wiederum zum Einzeltext, zu einzelnen Äußerungen und zu ihrem Entstehungskontext vor dem Hintergrund einer Diskursanalyse? Ich möchte den von mir gewählten gesamten Materialkorpus als einen – zeitlich begrenzten – Ausschnitt eines Archivs betrachten, und zwar als einen, in dem (zunächst oberflächlich betrachtet) Populärdarstellung und wissenschaftlicher Diskurs der Biologie, der Evolutionsbiologie, der Reproduktionstechnologie und der Reproduktionsmedizin eins ist. In Kapitel 4 werde ich darlegen, dass weite Bereiche dieses Fundus sich als ‚reprogenetischer Diskurs‘23 bezeichnen lassen können, also als aus der relativ jungen wissenschaftlichen Disziplin heraus entwickelt, die an der Schnittstelle von Reproduktionsbiologie/-medizin und Reproduktionsgenetik entstand. Zentral in Foucaults Diskurstheorie ist der Begriff der Aussage in Unterscheidung zu ‚Äußerung‘ und ‚diskursivem Ereignis‘. Beide, die Aussage und das diskursive Ereignis, bilden quasi die kleinsten Einheiten innerhalb diskursiver Formationen: „Bevor man in aller Gewissheit mit einer Wissenschaft oder mit Romanen, mit politischen Reden oder dem Werke eines Autors oder gar einem Buch zu tun hat, ist das Material, das man in seiner ursprünglichen Neutralität zu behandeln hat, eine Fülle von Ereignissen im Raum des Diskurses im allgemeinen. So erscheint das Vorhaben einer reinen Beschreibung der diskursiven Ereignisse als Horizont für die Untersuchung der sich darin bildenden Einheiten.“ (Foucault 1981: 41; Hervorhebung im Original)

Um solche Aussagen in den diskursiven Ereignissen (z.B. Texten oder Textstücken, die sich einem bestimmten sujet widmen, wobei ein Text zahlreiche diskursive Ereignisse enthalten kann) überhaupt betrachten zu können, müssten sie zunächst aus „unmittelbaren Formen der Kontinuität einmal suspendiert“24 werden, das heißt, aus vertrauten Einteilungen und „Gesamtheiten, die die Geschichte anbietet“25 und „die sich als natürliche, unmittelbare und universelle Einheiten geben“26, gelöst werden. Foucault nennt dies, sie „entknüpfen [...], um zu erfahren, ob man sie legitimerweise rekomponieren kann; um 22 23 24 25 26 30

Foucault 2001a: 981. So auch bei Silver 1998. Foucault 1981: 41. Ebd. Ebd.: 45.

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zu erfahren, ob man daraus nicht andere rekonstruieren muss; um sie in einen allgemeineren Raum zu stellen, der, indem er ihre scheinbare Vertrautheit auflöst, erlaubt, ihre Theorie zu bilden.“27 Äußerungen werden bei Foucault auch von ihren SprecherInnen gelöst, denn sie werden als in einem Machtfeld und nicht von Individuen hervorgebracht gedacht und werden damit zu Aussagen. Es ist also die Einbettung von Äußerungen in ihren sozial-historischen Kontext, die sie zu Aussagen macht, die in der Lage sind, machtvolle, auch materialisierende Wirkungen zu entfalten. Bereits auf dieser, von mir als Mikroebene bezeichneten Ebene lässt sich die Brauchbarkeit der Kopplung von Diskursanalyse mit dem Analysekonzept der ‚Medikalisierung‘ verdeutlichen (vgl. Kapitel 2). Indem Aussagen zunächst (!) als von Sprechenden losgelöst betrachtet werden, wird nicht etwa das ‚sprechende Subjekt‘ als nicht-existent behauptet, sondern „beiseite geschoben“28, um dahinter liegende Regeln und Formationen erkennen zu können. Die Beschreibung des diskursiven Ereignisses ermöglicht so, die Frage zu beantworten, wie es kommt, „dass eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle“.29 Die Aussage wird so im diskursiven Feld, das das diskursive Ereignis birgt, untersucht. Das diskursive Feld besteht aus den Bedingungen der Existenz der Aussage, in ihren Grenzen und Korrelationen mit anderen Aussagen und sollte bereits auf der Ebene des einzelnen diskursiven Ereignisses erkennbar sein. Eine Äußerung, selbst schon ein Satz wird dann zu einer Aussage, „wenn er als eine Gesamtheit von Zeichen, [...] aber auf der Ebene ihrer Existenz betrachtet“30 wird, also stets vor dem diskursiven Feld, was der Aussage die Ereignishaftigkeit gibt. Auf diese Weise sollen „Beziehungen der Aussagen untereinander (selbst wenn diese Beziehungen dem Bewusstsein des Autors entgehen“) ebenso wie „Beziehungen zwischen so aufgestellten Gruppen von Aussagen“ herausgestellt werden.31 Mit diesem Beziehungsgefüge lässt sich dann möglicherweise ein diskursives Formationssystem herausstellen: Die Analyse der Aussagen in „ihrer Koexistenz, ihrer Abfolge, ihres wechselseitigen Funktionierens, ihrer reziproken Determination, ihrer unabhängigen oder korrelativen Transformation“32 ermöglicht zu überprüfen, ob es dieselben Existenzbedingungen sind, dem diese Aussagen unterliegen.

27 28 29 30 31 32

Ebd.: 41. Foucault 2001b: 1036. Foucault 1981: 42. Foucault 2001a: 990. Foucault 1981: 44. Foucault 1981: 45. 31

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Denn „eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“33 wiederum bilden den Diskurs. Eine diskursive Formation ist das Gesetz, dem Aussagen (Zeichenfolgen) mit ihnen zuweisbaren Existenzmodalitäten unterliegen.34 Solche Gesetze sind die standardisierten, normierten Regularien der Laborsprachen ebenso wie nicht verschriftlichte, durch iterative Praxis und Ausschlüsse akzeptierte Sprechweisen. Plausible Beispiele diskursiver Formationssysteme lieferte Foucault mit seinen zahlreichen Untersuchungen wissenschaftsdisziplinärer Diskurse, wie beispielsweise in Die Geburt der Klinik.35 Darin wird beschrieben, unter welchen Bedingungen bestimmte (Geistes-)Krankheiten in einem sich herausbildenden medizinischen, disziplinären und institutionellen Regelsystem (das strukturierte, wer – medizinisch – zu sprechen autorisiert war und unter welchen gesetzten Bedingungen dies zu geschehen hatte) als neue Gegenstände entstanden. Als „Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“ ließe sich so vom „klinischen Diskurs, von dem ökonomischen Diskurs, von dem Diskurs der Naturgeschichte, vom psychiatrischen Diskurs sprechen“.36 Der Diskurs in diesem Sinne ist zwar (zumindest kurzfristig und für ein bestimmtes soziales Feld) stabil, dabei jedoch weder statisch, noch an einzelne Subjekte gebunden. Er zeichnet sich sowohl durch die (überindividuellen) im Diskurs gültigen Regeln, als auch durch die diskursive Praxis aus: „Ich will nicht unterhalb des Diskurses das Denken der Menschen erforschen, sondern ich versuche, den Diskurs in seiner manifesten Existenz zu erfassen, als eine Praxis, die Regeln gehorcht. Regeln der Formation, der Existenz, der Koexistenz, Systeme des Funktionierens usw. Diese Praxis, in ihrer Konsistenz und nahezu in ihrer Materialität, ist es, die ich beschreibe. [...] Man muss eine historische Analyse der Transformation des Diskurses vornehmen, ohne auf das Denken der Menschen, ihre Wahrnehmungsweisen, ihre Gewohnheiten, die Einflüsse, denen sie ausgesetzt waren, usw. zu rekurrieren.“ (Foucault 2001a: 982)37

Um einzugrenzen, was mit Diskurs gemeint ist, liefert Foucault zunächst mehrere Negativbeschreibungen: So handle es sich nicht um eine Gesamtheit von Aussagen, deren Gemeinsamkeit ist, sich auf dasselbe Objekt zu beziehen, denn dieses Objekt wird meist gerade durch den Diskurs transformiert. Stattdessen handelt es sich eher um den Raum, „in dem verschiedene Objekte sich profilieren und ständig sich transformieren“38. Ebenfalls wird die Vorstellung verworfen, Aussagen desselben Diskurses zeichneten sich durch einen 33 34 35 36 37 38 32

Foucault 1981: 156. Foucault 1981: 156ff. Foucault 2002. Foucault 1981: 156. Über Archäologie des Wissens. Foucault 1981: 50.

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bestimmten konstanten Charakter der Äußerung, wie etwa gleiches Vokabular oder ähnlichen Metapherngebrauch aus39 und auch ein System der permanenten und kohärenten Begriffe, die darin enthalten seien oder eine Hartnäckigkeit von Themen als Gruppierung von Aussagen zu Diskursen wird abgelehnt.40 Nachdem diese Clusterungen nicht zu beschreiben vermögen, was Foucault beispielsweise in Die Ordnung der Dinge als produktive Brüche und diskursive Transformationen dargestellt und untersucht hatte, schlägt er projektskizzenhaft vor, Diskurse als Eröffnungen von Möglichkeiten zu sehen „bereits existierende Themen wiederzubeleben, entgegengesetzte Strategien hervorzurufen, unvereinbaren Interessen einen Platz einzuräumen, verschiedene Parteien mit einem Spiel determinierter Begriffe zu spielen zu erlauben“41. Somit sind Aussagen in einem gemeinsamen Diskurs „[e]ine Ordnung in ihrer sukzessiven Erscheinung, Korrelation in ihrer Gleichzeitigkeit, bestimmbare Positionen in einem gemeinsamen Raum, ein reziprokes Funktionieren, verbundene und hierarchisierte Transformationen“42. Mit einer diskursiven Formation hätte man es zu tun, wenn man „in einer bestimmten Zahl von Aussagen ein ähnliches System der Streuung beschreiben könnte, [...] man bei den Objekten, den Typen der Äußerung, den Begriffen, den thematischen Entscheidungen eine Regelmäßigkeit (eine Ordnung, Korrelationen, Positionen und Abläufe, Transformationen) definieren könnte.“43 Zu den Formationsregeln des Diskurses gehört die Formation der Gegenstände, die in Diskursen hervorgebracht werden. In der vorliegenden Analyse spreche ich stattdessen zunächst in Kapitel 2 von Kategorien, um im Zuge der Untersuchung der Diskursstränge (dieser Begriff wird in 1.2.2 eingeführt) sich herauskristallisierende Gegenstände zu betrachten. Als Beispiele für Gegenstände des medizinischen Diskurses nennt Foucault „Verletzungen des zentralen Nervensystems, intellektuelle oder motorische Adaptationsmängel, Kriminalität.“44 Als Bedingungen der Existenz von Gegenständen als Objekte des Diskurses schlägt Foucault vor, Gegenstände auf drei Untersuchungsebenen zu beschreiben: Dazu gehören zunächst die „Oberflächen ihres Auftauchens“ (das soziale Umfeld, im Rahmen dessen etwas als ‚besonders‘ oder ‚herausstellenswert‘ zu einer bestimmten Zeit erscheint),45 die Instanzen der Abgrenzung der Gegenstände (beispielsweise die Medizin) und ihre Spezifikationsraster, also die konzeptionelle Grundlage, auf der sie erscheinen (für verschiedene Wahnsinnsarten seien dies im 19. Jahr39 Denn dies gelte bestenfalls für ihren Hervorbringungskontext, vgl. Foucault 1981: 51. 40 Vgl. Foucault 1981: 54. 41 Ebd.: 56. 42 Ebd.: 58. 43 Ebd. 44 Ebd.: 62. 45 Foucault 1981: 62. 33

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hundert etwa die Konzeptionen der ‚Seele‘, des ‚Körpers‘, des ‚Lebens‘ und die Geschichte der Individuen als lineare Phasenfolge gewesen).46 Dabei charakterisiert sich ein Diskurs eben nicht durch die Bevorzugung bestimmter Objekte, sondern „durch die Art, seine [...] Gegenstände zu gestalten.“ Dabei kann er „gleichzeitig oder nacheinander sich einander ausschließende Gegenstände hervorbringen [...], ohne dass er sich selbst verändern müsste.“47 Gegenstände existieren nicht allein unter ausschließlich textuell-sprachlichen Bedingungen, sondern „unter den positiven Bedingungen eines komplexen Bündels von Beziehungen. [...] Diese Beziehungen werden zwischen Institutionen, ökonomischen und gesellschaftlichen Prozessen, Verhaltensformen, Normsystemen, Techniken [...] hergestellt. [...] Sie bestimmen nicht seine innere Konstitution, sondern das, was ihm gestattet, in Erscheinung zu treten.“48

Repräsentation oder Diskurs Aus den oben beschriebenen Ansätzen ergibt sich ein Bruch mit einer methodischen Herangehensweise, die von einer der Sprache vorausgehenden, durch Sprache repräsentierten Realität ausgeht, und es ergibt sich – scheinbar – auch ein Bruch mit positivem Wissen. Wie weiter oben dargestellt, gehört es zum wesentlichen Teil der Analyse, zunächst Aussagen aus vertrauten Natürlichkeiten (gerade auch aus solchen, die wissenschaftlich hervorgebracht sind) herauszuschälen, da nichts so authentisch ist, wie es scheint.49 Wir sind umgeben von diskursiv hervorgebrachten Gegenständen und die Macht des Diskurses funktioniert gerade durch die gegenseitige Reproduktion von Wissen, da „es keine Machtbeziehungen gibt, ohne dass sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert“50. Das Wissen schaffende Erkenntnissubjekt ist also selbst eingebunden in die komplexe strategische Situation, die man mit dem Begriff Macht belegt hat. Während man sich konventionell auf eine Position außerhalb der zu beschreibenden Realität zurückziehen kann und dabei einen unberührten Beobachterstatus einnimmt, ohne auf das beschreibende System Einfluss zu nehmen, ist für Diskursanalysierende die zwangsläufige Konsequenz der Diskurstheorie, dass man selbst von innerhalb des untersuchten Macht-Wissens spricht und dabei selbst zu reflektieren hat, dass die untersuchten Objekte Produkte der eigenen Macht-Wissen-Konstellationen und als solche historisch zeitlich bedingt sind. Daraus ergeben sich, gerade in transdisziplinären Kontexten – vor deren Hintergrund die vorliegende Untersuchung entstanden ist – 46 47 48 49 50 34

Ebd.: 64. Ebd.: 67. Ebd.: 68. Foucault 1981. Foucault 1999: 39.

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Vorbehalte von verschiedenen Seiten: Einerseits, wie soll eine unter solchen Einschränkungen entstandene Methodik ihre Ergebnisse behaupten als welche, die Aussagen über Gesellschaft, Gesundheit, Krankheit und Reproduktion machen und die diese treffender beschreiben würden, als andere Theorien und Methodiken da sie doch die eigenen Ergebnisse als im gleichen MachtWissen-Komplex diskursiv hervorgebracht bezeichnen und hinterfragen muss.51 Zugleich wird es in den ‚eigenen Reihen‘ scheinbar abgelehnt, ein griffiges Methodenrepertoire zu erstellen und zwar wegen eines Vorbehalts gegenüber der ‚Methode an sich‘ als einem modernistischen Anliegen, das zu einer poststrukturalistischen Haltung im Widerspruch stünde – mit diesem Anliegen wird dann die „‚moderne Soziologie‘ [...] verdächtigt, dem rationalistischen und sich der Dinge bemächtigenden Willen zur Wahrheit dienstbar zu sein“52. Die Lösung der Problematik der Hinterfragung universeller Wahrheit, bei dem gleichzeitigen Versuch eine Wahrheit vor der anderen zu ‚behaupten‘, liegt für eine weiterführende Methodik in der gegenseitigen Integration erkenntnistheoretischer Konzepte empirischer Forschung mit diskursanalytischer Theorie und Methodik: „Praktisch unterliegt auch den materialen Analysen Foucaults eine reflektierbare und einheitliche Systematik in der empirisch-analytischen Vorgehensweise, die sich rekonstruieren ließe (Diaz-Bone 1999). Auch für die konstruktivistische und nachpositivistische Sozialforschung gilt, dass eine Methodologie als Set von Grundhaltungen, Strategien, Reflexionsformen und konkreten Techniken erarbeitet werden muss, soll die Diskursanalyse die Aufnahme in den sozialwissenschaftlichen Methodenkanon erfahren. Im Gegensatz zu einer empiristisch-naiven Sozialforschung, die einfach von einer vorgegebenen Objektivität ausginge und diese schematisch beschreiben zu können glaubte, kann eine konstruktivistische Sozialforschung nicht auf die Methodologie verzichten (etwa indem stattdessen Sozialforschung zur subjektiven Kunstlehre erklärt würde). Die Lösung für den Wegfall der ‚sicheren empirischen Basis’ [hier gilt es allerdings den Begriff des Empirischen – als offenbar mit Statistik gleichzusetzen – in Frage zu stellen; B.v.W.] kann nur die Zunahme an methodologischer Komplexität sein, die die wissenschaftliche Reflexion der Rekonstruktion des Objekts durch die Forschungspraxis mit sich bringt und die den holistischen Zusammenhang zwischen Diskurstheorie, Forschungspraxis und (unterstelltem) Diskurs in vertretbarer Weise, d.h. mit Bezug auf unter Diskursanalytikern geteilten Standards, herstellt.“ (Diaz-Bone 2003)53

51 Diskursanalyse wird gelegentlich als Repräsentation von de-konstruktivistischer Methodik mit dem Beliebigkeitsvorwurf der Postmoderne konfrontiert (vgl. Williams 1999). 52 Diaz-Bone 2003, Frank 1983. 53 Vgl. Frank 1983. 35

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Diskursstränge nach Jäger Jäger (1993) bietet für die Frage nach der möglichen Herausbildung eines bisher noch nicht aufgetretenen Diskursstranges (s.w.u.) innerhalb von verflochtenen Diskursfeldern, insbesondere innerhalb von sog. Spezialdiskursen (dieser Begriff stammt von Link und bezeichnet z.B. wissenschaftliche Diskurse), ein fundiertes Begriffskompendium zur Scheidung der verschiedenen Ebenen im Zuge der Materialanalyse. Nachdem zudem Foucaults Angaben über seine Art und Weise der Materialerhebung sehr begrenzt sind, bin ich daher nach Jägers Interpretation und Leitfaden der Materialgenerierung zur Foucaultschen Diskursanalyse vorgegangen. Es ergaben sich also als an die vorliegende Fragestellung adaptierte Analyseschritte nach Jäger zunächst die Definition der Fragestellungen und von zu untersuchenden Kategorien; die Charakterisierung des Sektors (hier Medien), in dem der zu untersuchende Diskurs in Erscheinung tritt; die Recherche und geordnete Erfassung des Materials (Materialaufbereitung); die Makroanalyse als Untersuchung des Materials auf die definierten Kategorien; Erarbeitung von Diskurssträngen; die Feinanalyse sich als typisch erweisender Texte und Erarbeitung einer Gesamtaussage über die sich in dem untersuchten Sektor präsentierenden Diskursstränge zu den jeweiligen Kategorien. Die Makro-, Mikro- und Feinanalyse am einzelnen Text stellte sich wie folgt dar: 1) Analyse des Diskursfragments (mit 10 Einzelschritten, u.a. Darstellung von (stilistischen) Auffälligkeiten und Analyse der sprachlichen Handlungen Absatz- oder Satzweise bzw. Analyse der Handlungsschemata (s.w.u. und Kapitel 1.2.3); 2) Analyse des sprachlich-diskursiven Kontextes (Charakterisierung des Heftes, der Zeitschrift, historische Anspielungen); 3) Analyse des nichtsprachlichen Kontextes des Textes (in Hinsicht auf den Autor, die HerausgeberInnen des Magazins, deren (diskursive) Verortung. 4) Feinanalyse des Diskursfragments (v.a. Untersuchung von Kollektivsymbolen (nach Link) bzw. Metaphern (nach Weinrich) und Handlungsschemata nach Schütze). 5) Systematische Darstellung des Diskursfragments; Einordnung vorgefundener Diskurselemente, die mit in anderen Diskursfragmenten gefundenen Diskurselementen übereinstimmen, in Diskursstränge. Diese Vorgehensweise der Materialgenerierung ist also an Jäger angelehnt. Vor allem der Begriff der Diskursstränge stammt von Jäger. Diese Begriffswahl soll ermöglichen, die Ebene, die die generierten Ergebnisse vor einem diskurstheoretischen Hintergrund einnähmen, bis zum Zeitpunkt ihrer gemeinsamen Diskussion (in Kapitel 4) offen zu lassen. Denn Diskurs, diskursives Ereignis oder Gegenstand sind bei Foucault eng definierte Konzepte, während der Diskursstrang bei Jäger vor allem in das Bild eines Diskurs36

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gewebes eingebettet ist, in dem zudem der Umfang von Diskurssträngen unterschiedliche Ausmaße haben kann. Trotz dieser allein begrifflichen Entlehnungen von Jäger wurde dennoch methodentheoretisch eng an die Foucaultschen Interpretationen angelehnt vorgegangen. An manchen Stellen sind die für die Analyse ausgewählten Texte (solche also, die sich in der ersten Annäherung an das Material als besonders aussagekräftig und repräsentativ erwiesen) zusätzlich auf sog. Handlungsschemata hin untersucht worden. Dieser Begriff ist dem stark sprechakttheoretisch ausgerichteten Instrument der Konversationsanalyse nach Schütze54 entnommen. Die Handlungsschemata werden jedoch in der vorliegenden Arbeit als Instrumente des Diskurses verstanden, die spezifisch für bestimmte Diskursstränge sind und systematisch auftauchen – ohne sie ließe sich nicht zwischen verschiedenen diskursiven Ebenen ‚übersetzen‘. Nähere Ausführungen hierzu finden sich in Kapitel 1.2.3. Die Analyse der Metaphern stellte ein wesentliches Instrument der Arbeit am Text dar. Sie wird daher im nächsten Abschnitt genauer behandelt. Anschließend wird die Kompabilität dieser spezifischen Analyse von Metaphern und Handlungsschemata mit der Diskursanalyse diskutiert.

1.2.2 Mythos der Metapher: Weinrich, Lakoff/Johnson und Link In der vorliegenden Analyse biomedizin-wissenschaftlicher Kommunikationen stellen sich Mythen (nach Roland Barthes „Natürlichkeit, die der Wirklichkeit [...] unaufhörlich verliehen“55 werde und auch mit der Biologin und Wissenschaftsforscherin Donna Haraway stehen sie für „Naturalisierungen“56) und Metaphern als das wesentliche Element der Vermittlung von verständlichen und glaubwürdigen Fakten dar. Eine gegenseitige Integration von Forschungsgegenstand (die Produktion von wissenschaftlichen Tatsachen und Denkbarkeiten) und eine ausführliche Auseinandersetzung mit einer Methodik, die sensibel ist für Produktion von performativer Selbstverständlichkeit, von über-historischer Objektivität57 war also auch für die Mikroanalyse unab54 55 56 57

Schütze et al. 1993. Barthes 1964: 7. Haraway 1995. Mit Haraway (1991) wird Objektivität in der vorliegenden Untersuchung nicht als unmöglich ausgeschlossen, sondern relational betrachtet, also als notwendig ‚situiert‘, jeweils lokal und historisch definiert. Sie entsteht in allen Arten material-semiotischer Interaktionen, bei denen Bedeutungen und ‚Über-Setzungen‘ ausgetauscht werden (Haraway 1991: 188). Der inter-individuelle Charakter von Objektivität wird zwar auch in Sozial- und Humanwissenschaften stets hervorgehoben (vgl. z.B. Lamnek 1980: 104), im wissenschaftsalltäglichen Sprechen allerdings wird sie meines Erachtens überwiegend mit non-relationaler ‚Wahr37

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dinglich. Die Methode der Metaphernanalyse bietet sich, wie im Weiteren ausgeführt wird, an, sowohl sinnverstärkende oder -verschiebende Übertragungen sichtbar werden zu lassen, als auch, Limitationen und Erweiterungen durch die in den Metaphern liegenden Deutungsgrenzen nachzuvollziehen. Metaphern werden oft, so zum Teil auch in der Linguistik, für eine Frage allein der Sprache gehalten und es wird vorausgesetzt, es gäbe statt der Metapher den „akademisch gereinigte[n] Begriff“58. Mit Foucault wiederum lässt sich diese ursprünglich wissenschaftliche, inzwischen populäre Grundannahme, bzw. die Absonderung des spezifischen akademischen Sprachduktus, bereits als disziplinäre und disziplinierende Diskursstrategie verstehen.59 Innerhalb auch der naturwissenschaftlichen Disziplinen dagegen wächst die Akzeptanz der Vorstellung, dass Wissenschaft sich Metaphern – und anderer Modelle bediene und dies auch nützlich sei.60 Unter Modell kann dabei eine Metapher gemeint sein, die – meist entlehnt aus nicht-naturwissenschaftlichem Kontext – zahlreiche Annahmen über das Verhalten oder Wesen verschiedener Einheiten innerhalb eines größeren naturwissenschaftlichen Kontextes auf den die Metapher sich bezieht, mit sich trägt.61 Metaphern enthalten Hinweise auf Analogien, auf Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen zwei Systemen und haben so auch heuristischen Wert – sie können explikativ sein und können zum Erkenntnisgewinn beitragen.62 Es ist insofern anzunehmen, dass in den untersuchten Texten auch solche wissenschaftsgenerierten, einem internen Sprachduktus folgenden Analogiebildungen zu finden sind, für die in den Naturwissenschaften der Begriff des Modells üblich ist. Solche ließen sich mit Jürgen Nieraad als ‚erkenntnispraktische‘ Interpretationen, die per Konvention keine ontologischen Folgen hätten, von solchen unterscheiden, die ‚seinsverbindlich‘ seien, ontologischen Anspruch enthielten und somit ‚Weltmodellen‘ und ‚Handlungsanweisungen‘ entsprächen.63 Nicht kanonisierte eher populäre und akzidentiell in Texten verwendete Metaphern werden erwartungsgemäß eher zur zweiten Kategorie gehören. Demnach ließe sich aus Metaphern nicht nur nach Lakoff/Johnson erschließen, wie jemand denkt, sondern auch, wie jemand handelt, der in bestimmten Bildern denkt.64

58 59 60 61 62 63 64

38

heit‘ synonym gehandelt. Somit wird die Frage, ob inter-individuelle Übereinstimmung besteht sehr viel stärker an das Objekt, denn an die darüber Verhandelnden gebunden. Lakoff/Johnson 1998: 33. Foucault 1997a, Foucault 2002. Wahrig 1992/93. Haraway 1995. Wahrig 1992/93. Nieraad 1977. Nieraad 1977: 26. Nieraad untersuchte dies an den aus der Biologie entlehnten Metaphern des Nationalsozialismus wie Blut oder Rasse.

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Die Wissenschaftstheoretikerin Smilla Ebeling kommt für ihre Metaphernanalyse biologischer Texte – nach eingehender Diskussion verschiedener Positionen, die für eine strikte Unterscheidung oder In-Eins-Legung von Metapher und Modell bzw. Analogie plädieren – zu dem Schluss, dass eine solche Trennung der Begriffe wegen der oft unterschiedlichen Verwendung von Metaphern empirisch kaum möglich und nicht sinnvoll ist.65 Sowohl Harald Weinrichs breiter Metaphernvorstellung,66 als auch George Lakoff’s Metaphors we live by (auf deutsch Leben in Metaphern, 1998)67 und Nieraads Bildgesegnet und Bildverflucht68 folgend, gehe ich davon aus, dass das menschliche Denken und Handeln von Metaphern bestimmt ist und umgekehrt, dass also unser „alltägliches Konzeptsystem […] im Kern und grundsätzlich metaphorisch“69 ist. Lakoff/Johnsons weitreichender Analyse kollektiv geteilter Metaphorik der heutigen postindustriellen abendländischen Gesellschaften zufolge sind Metaphern nicht zufällig und letzten Endes wirkungslos, sondern sie bestimmen soziale Realitäten, indem sie „Orientierung geben für unser zukünftiges Handeln.“70 Für die von mir untersuchten bio- und reproduktionsmedizinischen Texte in populären Magazinen bedeutet dies, dass einerseits eine Analyse der Metaphern hilft, die die Diskurse prägenden Hintergrundverständnisse und (auch erkenntnisleitenden) Konzeptionen, die der Forschung und Entwicklung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien zu Grunde liegen, zu klären. Zugleich muss ich davon ausgehen, dass der vorgefundene Metapherngebrauch als sich materialisierende diskursive Strategie die Diskursstränge durchzieht. Auch Weinrich schafft ein Verständnis für den umfassenden und oft subtilen Gebrauch von Metaphern. Er verwendet Metapher „dem Sprachgebrauch der modernen Metaphernforschung folgend, in seiner weitesten Bedeutung für alle Formen des sprachlichen Bildes“.71 Wie Ferdinand de Saussure unterscheidet Weinrich diachrone Untersuchungen von Metaphern, also ihre historischen Verläufe, und synchrone, also „auf sprachinterne Zusammenhänge mit anderen Metaphern hin, die deskripitv-systematisch dargestellt werden“, denn Metaphern bilden ein „Bildfeld“.72 So kann am Beispiel des Bildfeldes der Münze gezeigt werden, wie ‚prägen‘ und viele andere metaphorische Begriffe es aufspannen.

65 66 67 68 69 70 71 72

Ebeling 2002. Weinrich 1958. Weinrich 1968, Weinrich 1976. Lakoff/Johnson 1998: 33. Nieraad 1977. Lakoff/Johnson 1998: 11. Lakoff/Johnson 1998: 179, Hervorhebung B.v.W. Weinrich 1958. Weinrich 1958: 510f. 39

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Der sinngebende Gebrauch von Metaphern sei nur dadurch möglich, dass Bildfelder, in denen sich bestimmte Metaphern bewegen, innerhalb der Kulturgemeinschaft, die weit sprachüberschreitend gefasst sein kann, als ‚objektive‘ geistige Gebilde vorhanden sind.73 Weinrich unterstellt, dass im subjektiven Sprechakt (bzw. im Schreibakt) das Bildfeld vergegenwärtigt und ebenso mit gemeint wird, wie es von Lesenden mit verstanden wird. Es wird also auf diese Weise das Textmaterial auch auf hintergründige, nicht auf den ersten Blick sich erschließende Wirkungen und Inhalte befragt und sich so dem in den Texten enthaltenen Weltbild sowie dem des Zielpublikums, genähert. Wenn auch Lakoff/Johnsons und Weinrichs Metaphernkonzept sich eignet, Metaphern umfassend zu verstehen und als solche zu erkennen, ist ein zu Grunde liegender (vor allem bei Lakoff/Johnson phänomenologischer) handlungstheoretischer und subjektorientierter, Ansatz nicht mit der Analyse von Texten auf der Ebene der Strategien des Diskurses zu vereinbaren (vgl. zu dieser Problematik auch Kapitel 1.2.3): Anders als in einer diskursanalytischen Deutung wird – ähnlich der Konversationsanalyse – nach Lakoff und Johnson ein geschriebener Text als eine „Ein-Parteien-Argumentation“ verstanden, in der die zu überzeugende Partei als idealisiertes Gegenüber gedacht wird. Mögliche Einwände werden dann antizipiert und in den eigenen Konstruktionen berücksichtigt und auch mit Metaphern beantwortet. Weinrich seinerseits bezieht sich in seinem Konzept von Sprache auf Ferdinand de Saussure und unterteilt Sprache entsprechend in die Bereiche ‚langue‘ und ‚parole‘. So gehören Metaphern der sprachlichen Welt im Sinne von ‚langue‘ an. Diese wird definiert als ein „objektiver strukturierter Sprachbesitz einer Gemeinschaft“.74 Ihr steht der individuelle ‚Sprechakt‘ (‚parole‘) gegenüber. Besonders die Betonung, Metaphern seien „unverwechselbare, geistige und materiale Gebilde der Sprache (langue)“ unterscheidet sich von einer Foucault folgenden Konzeption. Letztere betont, dass Diskurse erst die Gegenstände hervorbringen, von denen sie sprechen,75 wobei kulturelle (diskursive) Praxen nicht von Sprache getrennt gedacht werden können, sondern

73 Weinrich 1958, Weinrich 1980. Insofern ist notwendig, dass Metaphern auf bestimmte Weise beim ‚Verstehen‘ konstruiert werden, ähnlich wie es der Foucaultsche Autorbegriff anzeigt, nach dem die LeserInnenschaft SchöpferIn von Aussagen in Texten ist. „Explanans“ (Elemente, die die Erklärung beisteuern) explananda (Elemente, die erklärt werden) fallen zusammen in dem/r BeobachterIn, die sowohl „explanans“ und Teil des „explanandums“ zugleich ist. Mit Barthes‘ Mythen des Alltags (Barthes 1964) lässt sich verdeutlichen, dass es das „Dritte“, nämlich das Zeichen ist, was dies ermöglicht: Denn die Beobachterin und der Beobachter haben Anteil an der Produktion in der Verbindung von Bedeutendem und Bedeutetem in dem Zeichen (Barthes 1964: 90f: z.B. „die Rose“, „Leidenschaft“ und „die verleidenschaftlichte Rose“). 74 Weinrich 1958: 509. 75 Foucault 1981, vgl. Kap. 1.2.3. 40

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durch sie hindurch wirken – und umgekehrt. Bedeutungen entstehen also im Gebrauch von Begriffen, in der Interaktion, sie haften den Worten nicht an.76 Anders formuliert wird, wie Jürgen Link und Ursula Link-Heer bemerken, in ‚langue‘ „ein virtuelles Potential sprachlich korrekter Äußerungen, deren Grenze rein sprachlich gedacht ist“ ausgemacht. Der Begriff der diskursiven Formationen dagegen bedeutet „eine erhebliche Einengung [...] auf das je historisch-kulturell Sagbare, das eine Unmenge sprachlich korrekt sagbarer Bildungen faktisch ausschließt.“77 Link/Link-Heer schlagen ihrerseits eine Analyse der ‚Kollektivsymbole‘ vor, ein Begriff, mit dem sie einerseits den klassischen, missverständlich auf bestimmte linguistische Theorietraditionen verweisenden Metaphernbegriff zurücklassen und andererseits den Schwerpunkt auf besonders definierte (symbolische und allegorische) Bilder legen. Diese Eingrenzung adoptiere ich nicht, sondern bleibe bei der eingangs beschriebenen weiten Fassung von Metaphern und folge zudem Weinrich in der Untersuchung von Bildfeldern. Allerdings übernehme ich von Link/Link-Heer die Art und Weise der Einbettung, in der der Metaphernbegriff in der vorliegenden Studie verstanden werden soll: Die Integration von Sprache und Kultur ergibt sich durch eine Qualität des Diskursbegriffs, nämlich aus seiner „Bindung an historisch-spezifische (diskursive wie nicht diskursive) Praktiken, die ein Feld von Ermöglichungsbedingungen für Aussagen (das Sagbare wie das Nicht-Sagbare) bereitstellen. Danach sind es die Diskurse, die (historisch-soziale) Gegenstände als solche erst bilden“78 – und somit also auch die Funktionalität von Metaphern in entsprechenden diskursiven Grenzen. Für meine Analyse von Diskurssträngen in Texten mit internationalem Hintergrund ist bedeutsam, dass zwischen Link/Link-Heer und Weinrich hinsichtlich der sprachlichen Übertragbarkeit von Bildern innerhalb von kulturellen Grenzen Einigkeit besteht. Zwar ist der zentrale Textkorpus deutschsprachig, die darin untersuchten Texte wurden zum Teil jedoch ins Deutsche übersetzt, so dass ihr Hervorbringungskontext Untersuchungen in der Makroanalyse von Material notwendig macht, das in Englisch verfasst ist. Für Weinrichs Metaphernvorstellung wäre dies wegen der Anordnung von Metaphern in Bildfeldern unproblematisch, die „wohl kaum jemals Allgemeinbesitz der Menschheit, aber auch nicht exklusiver Besitz einer Einzelsprache (Muttersprache), sondern eines Kulturkreises“79 seien. „Ein Wort prägen z.B. lässt sich in diverse europäische Sprachen übersetzen mit gleichen Worten. [...] Auch eine neu geschaffene Metapher kann bedenkenlos in ei76 77 78 79

Vgl. Foucault 2001a. Link/Link-Heer 1994: 54. Ebd. Weinrich 1958: 519. 41

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

ne unserer Nachbarsprachen übersetzt werden, denn ich kann sicher sein, dass sie dort in das Bildfeld integriert wird, in das sie gehört. Metaphern sind folglich besser übersetzbar als Worte. Theater ist nicht gleich teatro aber Welttheater ist Teatro del mundo. Die Inhalte sind verschieden, aber die metaphorische Analogiestiftung ist identisch. Das Abendland ist eine Bildfeldgemeinschaft.“ (Weinrich 1958: 519)

Dass das Auffinden einer Metapher in einem gleichen Bildfeld sowohl in der einen wie auch in der anderen Sprache innerhalb eines spezifischen Diskurshorizonts möglich sein sollte, begründen Link/Link-Heer ihrerseits damit, dass „eine (als Diskurssystem aufgefasste) Kultur bzw. konkret ein Kollektivsymbolsystem sowohl mehrere Sprachen übergreifen wie in der gleichen Sprache mehrfach wechseln können.“80 Denn der Hintergrund ist, dass „die je konkreten synchronen Systeme von Kollektivsymbolen der historischen Kulturen allererst das definieren, was die Sprachen z.B. unter „Raum“ und „Zeit“ verstehen – allgemeiner gesagt: dass diese Systeme wesentlich die Evolution der Semantik mitbestimmen.“81 In diesem Abschnitt wurde bereits ein Widerspruch zwischen Konzepten von Sprache in der von mir verwendeten Metaphernanalyse angesprochen. Wie mein Vorgehen diese und ähnliche Herausforderungen des heterogenen Methodenrepertoires löst, erhellt der folgende Abschnitt.

1.2.3 Spezielle ‚Ausfällungen‘ im Methodencocktail In meiner Analyse werden verschiedene Methodikansätze verwendet, die unterschiedlichen, z.T miteinander unvereinbaren Theorietraditionen angehören. So handelt es sich bei der Methodik Michel Foucaults und ihrer Anhänger Sigfrid Jäger und Jürgen Link um poststrukturalistische antisubjektivistische Ansätze, die sich ihrerseits voneinander unterscheiden. Dem stehen mikrosoziologische Ansätze gegenüber wie jener der Konversationsanalyse, der die Idee der Handlungsschemata entnommen ist. Sie ist stark akteurzentriert und zielt darauf, die eigentlichen Interessen des Autors82 zu kennen. Die Metaphernanalyse nach Weinrich ihrerseits trennt entgegen Foucaultscher diskurstheoretischer Vorstellungen Sprache im individuellen (‚subjektiven‘) Sprechakt von einer ‚objektiven‘ Sprache. Sämtliche dieser methodischen Ansätze wurden daher für die vorliegende Arbeit aus ihrem Herkunftskontext diskursanalytisch zweckentfremdet und der Foucaultschen Analyseweise unterworfen – also nicht integriert, sondern als Werkzeuge der Analyse von diskursiven Techniken neu gedeutet. 80 Link/Link-Heer 1994: 54. 81 Ebd. 82 Im Weiteren wird Autor als maskulin gesetzt, da es um die Diskursfigur „der Autor“, den Texten Foucaults folgend, geht und nicht um Personen. 42

KÖRPER UND IHRE PRODUKTION

Zur Erleichterung des Verständnisses soll daher im Folgenden erläutert werden, was unter den jeweiligen Begrifflichkeiten aus diskursanalytischer Perspektive in dieser Arbeit zu verstehen ist und welche Relevanz die Einheiten für meine Arbeit der Diskursanalyse haben. So sind das Verhältnis der Funktion des Autors zum Makrodiskurs bzw. zum Hervorbringungskontext und zum diskursiven Feld zu klären, das Verständnis der Handlungsschemata, das Verhältnis der ‚Dinge‘ zu den ‚Gegenständen‘, die Scheidung von Diskurs, Diskursstrang, Interdiskurs, Spezialdiskurs und Transdiskurs sowie das Binnenproblem der Foucaultschen Analyse: die Möglichkeit des Gegendiskurses.

Autor und Hervorbringungskontext Die Position des Autors in der Diskursanalyse unterscheidet sich sehr von ihrem Verständnis in subjektphilosophischen Ansätzen der Soziologie. Als handelndes Agens wird nicht der Autor verstanden, sondern der Diskurs, der ‚durch den Autor hindurch‘ wirkt, sich seiner bedient. Die Konzentration auf den Autor als handelndes Subjekt verfehlt die Ebene des Makrosozialen, auf der der Diskurs über die lokale Ebene hinaus seine Wirkung entfaltet. Die Methodik der Diskursanalyse (genauer, die Archäologie) „definiert Typen und Regeln von diskursiven Praktiken, die individuelle Werke durchqueren, die sie mitunter völlig bestimmen und sie beherrschen […]. Die Instanz des schöpferischen Subjekts als raison d’être eines Werkes und Prinzip seiner Einheit sind ihm fremd“.83 Diese Auffassung bringt den Autor nicht zum kompletten Verschwinden, sondern verschiebt die Betrachtung auf seine Funktion. Diese Perspektive verändert die Art und Weise, nach ihm zu fragen. Sie stärkt die Position der LeserInnen von Texten,84 indem sie zugesteht, dass nicht der Autor ‚den Sinn hineinschreibt‘, sondern er durch seine Autorfunktion lediglich einen Raum öffnet85 und ihn zugleich begrenzt: „Der Autor […] ist ein Funktionsprinzip, […] mit dem man die freie Handhabung von Fiktion behindert.“86 Er ist „das Prinzip der Ökonomie in der Verbreitung des Sinns. […] Es ist ein bestimmtes funktionelles Prinzip, durch das man der freien Zirkulation, der freien Manipulation, der freien Komposition, Dekomposition und Rekomposition der Fiktion Fesseln anlegt.“87 Diese Fesseln sind jedoch produktiv, neue Verhältnisse hervorbringend: Die „Autorfunktion“ selbst, so Foucault, würde insofern interessant, „wenn sie einerseits als Legitimation der Relevanz von diskursiven Ereignissen zu sehen“88 sei, und andererseits, wenn die Figur des 83 84 85 86 87 88

Foucault 1981: 199. Ernst 2002. Foucault 2001b: 1008 Foucualt 2000: 228. Foucault 2001b: 1019f, Fußnote 15. Foucault 2001b: 1015f. 43

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Autors „die Möglichkeit und Formationsregeln anderer Texte“ schaffe – er nennt sie dann „Diskursivitätsbegründer“.89 Das einzige in der Diskursanalyse demnach denkbare Verständnis der Frage „Wer spricht?“ könne in der Situiertheit des Sprechers und des diskursiven Aktes selbst liegen: „Wer in der Menge aller sprechenden Individuen verfügt begründet über diese Art von Sprache? Wer ist ihr Inhaber? Wer erhält von ihr seine Einzigartigkeit, sein Prestige, und umgekehrt: Von wem erhält sie wenn nicht ihre Garantie, so wenigstens ihren Wahrheitsanspruch? Welches Statut haben die Individuen, die […] das reglementäre oder traditionelle, juristisch definierte oder spontan akzeptierte Recht besitzen, einen solchen Diskurs vorzubringen? Der Status des Arztes umfasst Kriterien des Wissens und der Kompetenz; Institutionen, Systeme, pädagogische Normen; gesetzliche Bedingungen, die ein Recht auf die Anwendung und das Ausprobieren des Wissens geben, allerdings nicht ohne ihnen Grenzen zu setzen.“ (Foucault 1981: 75.)

Die materielle Existenz eines Autors wird dabei nicht abgestritten,90 jedoch geht es bei der Frage danach, von welchem Ort aus Aussagen artikuliert werden, nicht um den Autor selbst, sondern um seine Position im Diskurs. „Das System der Materialität, dem die Aussagen notwendig gehorchen, gehört also mehr der Institution zu als der räumlich-zeitlichen Lokalisierung; es definiert Möglichkeiten der Re-Inskription und der Transkription (aber auch Schwellen und Grenzen) mehr als begrenzte und vergängliche Individualitäten.“91 So müsse man auch die institutionellen Plätze beschreiben, „von denen aus der Arzt seine Rede hält und wo diese ihren legitimen Ursprung und Anwendungspunkt findet“.92 Als Beispiele werden (zur Archäologie medizinischer Diskurse)‚ das Krankenhaus‘, ‚das Labor‘ und ‚die Bibliothek‘ genannt. Für die vorliegende Analyse betrifft das beschriebene Verhältnis des Autors im Diskursgefüge vor allem die Makroanalyse, wie sie in Kapitel 3.1 wiedergegeben ist: Was ist jenen Autoren eigen, die legitimiert sind, sich in den untersuchten Medien auf bestimmte Weise zu den Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien zu äußern, aus welcher Position heraus – die sie legitimiert – äußern sie sich? Welche Funktion dagegen üben jene aus, die zitiert, aber ‚verworfen‘ werden? Was zeichnet die Institutionen der Zeitschriften und Magazine aus, in denen diese Diskursstränge auftauchen und was jene, in de89 Ebd. 1022. Gemeint sind beispielsweise Cuvier, Marx oder Freud. Der Anspruch an den Diskursivitätsbegründer ist, dass er nicht nur bestimmte, nachgeahmte Formationsregeln des Diskurses geprägt hat, sondern auch entsprechende Abgrenzungs- und Gegenreaktionen. 90 Foucault 1981: 75ff. 91 Ebd.: 150, Hervorhebungen M.F. 92 Ebd.: 76. 44

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nen sie nicht zu finden sind? Welche Diskurse oder Diskursstränge speisen und durchlaufen wiederum die Texte der diskursiv ‚privilegierten‘ Autoren? Wie sieht das „Feld der Stabilisierung“ aus, in den sich die Aussagen einbetten, von dem sie sich jedoch auch abheben? Denn eine diskursive Aussage ist zahlreichen Bedingungen und Grenzen unterworfen, nämlich „denjenigen, die ihr durch die Gesamtheit der anderen Aussagen auferlegt sind, unter denen sie auftaucht, durch das Gebiet, in dem man sie benutzen oder anwenden kann, durch die Rolle oder Funktion, die sie zu spielen hat“.93 So sei z.B. die Aussage von Kopernikus, dass die Erde rund sei, vor und nach Darwin nicht dieselbe, man müsse also „die Organisation des Feldes der Aussagen beschreiben, in dem sie auftauchen und zirkulieren.“94 Diese Ebene der Analyse findet sich vor allem in Kapitel 4 (z. T. auch in Kapitel 3.2 bei den jeweiligen Diskurssträngen). In der vorliegenden Arbeit wird, um die Funktion der TextautorInnen oder InterviewpartnerInnen im untersuchten Diskursgefüge hervorzuheben, im Folgenden der Begriff ‚Figur‘ bzw. ‚Autorfigur‘ gewählt. Dieser Begriff ist einerseits als Anspielung auf jenen der Diskursfigur zu verstehen, den Foucault in Die Ordnung des Diskurses verwendet, um systematisch auftretende diskursive Objekte zu bezeichnen, die in spezifischer Weise inszeniert werden. Der Begriff ermöglicht durch seine Nähe zum Begriff der ‚Roman-‘ oder ‚Comicfigur‘ die Assoziation von Fiktionalität, die ermöglichen soll, im Sinne der wissenschaftlichen Reproduzierbarkeit und Kenntlichmachung von Aussagen und Zitaten, Namen der Figuren (Autoren) zu verwenden, ohne auf ihre individuelle Persönlichkeit abzuheben.

Handlungsschemata als Instrumente einer diskursiven Formation Von Fritz Schütze übernommen ist die Idee der Handlungsschemata, die in der Feinanalyse der Texte der genauen Texterschließung diente. Einhergehend mit der Findung von Titeln für jeden Absatz wurde ebenso verfahren, indem jedem Absatz zugeschrieben wurde, welche ‚Handlung an der LeserIn‘ er erbringt. Wie andere Techniken der Texterschließung werden die Handlungsschemata nicht in der Darstellung aufgeführt (denn der Schwerpunkt liegt auf der Diskurs- und Metaphernanalyse, wozu die Texterschließung verhilft). Da die Handlungsschemata allerdings einen weitreichenden Beitrag zum Thema der Expertenfunktion der Autorfiguren (3.1.2) lieferten, werden sie in diesem Abschnitt erklärt und in 3.1.2 abschließend kurz angeführt. Die Analyse auf Handlungsschemata unterstellt in einer subjekt-psychologischen Perspektive der/m AutorIn eine Intention und zeigt, auf welche Art er/sie Arbeit leistet an den Zuhörenden, bzw. LeserInnen. So beschreiben 93 Ebd.: 151. 94 Ebd.: 83. 45

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Schütze et. al. die Arbeit beispielsweise von Zeitungsredakteuren und -autoren als alltäglich intentional: „Journalisten tun während des Artikelschreibens all das, was Menschen auch im Alltagsleben bei schriftlichen und mündlichen Kommunikationsvorgängen aller Art tun: nämlich anklagen, sich entschuldigen, bitten, kritisieren, sich distanzieren, loben – dies als kommunikative Handlungsschemata verschiedenster Art.“95 Ziel der wissenschaftlichen Analyse der Handlungsschemata sei es „dass sich die Rezipientin bzw. der Rezipient verdeutlicht, welche Handlungsabsichten die Artikelschreiberin bzw. der Artikelschreiber mit dem Verfassen des Artikels über die Berichts- und Verständlichmachungsfunktion hinaus verfolgt“.96 Diese Betrachtung des Autors ist, wie bereits angeführt, mit der Foucaultschen Diskursanalyse nicht vereinbar, die sich für die ‚Psychologie‘ des schreibenden Individuums nicht interessiert und sie als eher hinderlich darstellt, da stattdessen in der Diskursanalyse die Frage zentral ist, wie auf makrosoziologischer Ebene diskursive Räume eröffnet (und geschlossen) werden. Zudem ist für die Foucaultsche Diskursanalyse gerade die Unterscheidung von Autorfunktionen, von also solchen in bestimmten, durch den Diskurs verwendeten Positionen von in dieser Weise nicht diskursiv Privilegierten, zentral. So besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen der Diskursfunktion eines Journalisten und ‚Menschen im Alltag‘. Denn in der Analyse diskursiver Formationen wird vor allem der institutionelle Hintergrund, die Position von welcher aus jemand spricht und dazu legitimiert wird, hervorgehoben. Das Verhältnis Journalist und LeserIn werden in diesem Analyseverständnis als Subjekt-Objekt einander gegenübergestellt, wenn der Fokus darauf liegt, wie „Handlungsschemata des Artikelschreibers in uns unbewusst und unkontrolliert weiter[wirken]“.97 In der Diskursanalyse nach Foucault dagegen wird weder subjektiv intentional gehandelt, noch ein Unbewusstes vorausgesetzt, sondern wahrscheinlicher ist, dass dieses selbst zum Gegenstand einer Analyse von Diskurs oder Dispositiv wird. Als ‚feinmechanisches‘ Werkzeug für die Diskursanalyse auf der Ebene des Einzeltextes, wird diese analysetechnisch ausgefeilte Idee, zumindest der Begriff der Handlungsschemata, dennoch aufgenommen und im Sinne der „französischen“ Diskursanalyse umgewendet: In der vorliegenden Arbeit sollen Handlungsschemata also nicht als „Beweise“ der verborgenen Intentionen des Autors betrachtet werden, sondern auf der Ebene des „Textes“ verbleiben. Sie sollen als Mechanismen verstanden werden, mittels derer sich bestimmte Autorfunktionen diskursiv vermitteln, wie etwa ein Expertenstatus. Sie sollen zeigen, was (jenseits von Metaphern und der Autorität von bekannten Katego95 Schütze et al. 1993: 304. 96 Ebd.: 305. 97 Ebd. 46

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rien) die Aussagen trägt. Ihre Analyse eröffnet für die Produktion des Textes durch die LeserInnen, welche Diskurstechniken (Formationsregeln) seine Prozesshaftigkeit und Beweglichkeit in der Translation zwischen den diskursiven Ebenen ausmachen, ohne die das Erschließen neuer diskursiver Räume nicht möglich wäre oder anders ausfallen würde. Diese Herangehensweise wird von Foucaults Beschreibungen von Aussageformen in der Archäologie des Wissens unterstützt: „Qualitative Beschreibungen, biographische Erzählungen, Auffinden, Interpretation und Zerlegen der Zeichen, Analogieschlüsse, Deduktion, statistische Schätzungen, experimentelle Überprüfungen und andere Formen von Aussagen sind das, was man im 19. Jahrhundert im Diskurs der Ärzte finden kann. Welche Verkettung, welche Notwendigkeit besteht zwischen ihnen? Warum diese und keine anderen? Man müsste das Gesetz all dieser verschiedenen Äußerungen und den Ort von dem sie kommen, finden.“ (Foucault 1981: 75)

Dieses Analysewerkzeug soll also in der vorliegenden Arbeit der Untersuchung der Organisation des Feldes der Aussagen Teil sein, in denen die Gegenstände auftauchen und zirkulieren und die die „diversen rhetorischen Schemata, mittels derer man Aussagegruppen kombinieren kann, [umfasst] (wie [also auch] sich die einen Beschreibungen, Deduktionen, Definitionen, deren Folge die Architektur eines Textes charakterisiert, mit den anderen verketten)“98.

Dinge und Gegenstände Ähnlich dem in dieser vorliegenden Arbeit ebenfalls gelegentlich herangezogenen französischen Wissenschaftstheoretiker Bruno Latour unterscheidet Foucault zwischen den ‚Dingen‘ und den ‚Gegenständen‘. Im Parlament der Dinge99 beschreibt Latour die Dinge als jene Entitäten, die im Gegensatz zu den ‚Gegen-Ständen‘ (oder frz. ob-jets) alles das enthalten, was sie zugleich hervorbringt und ausmacht: Soziale Verhältnisse, Meinungen, Politik, Natur und vieles mehr. Er geht davon aus, die Moderne habe Gegenstände (beispielsweise Technofakte) erzeugt, die eine Existenz jenseits von beispielsweise politischen Interessen führen. Er plädiert daher dafür, Gegenstände wieder stärker mit ihrem ‚Hervorbringungskontext‘ zu Dingen sich vermengen zu lassen. Die Operation Foucaults dagegen ist entgegengesetzt: Die diskursiven Gegenstände sollen von ihrem Hervorbringungskontext und der Situiertheit in der Erfahrungswelt zunächst getrennt betrachtet werden, um sie überhaupt ausfindig machen zu können. Auf diese Weise würde die Diskursanalyse er98 Ebd.: 83f. 99 Latour 2001, weiter ausgeführt in Latour 2005a und 2005b. 47

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

reichen, dass die „sehr starke Umklammerung der Wörter und der Dinge sich lockern und eine Gesamtheit von der diskursiven Praxis eigenen Regeln sich ablösen“100. So würden die Praktiken erkennbar, „die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“101. Ähnlich Latour beschreibt Foucault die Existenzbedingungen der Gegenstände als ein komplexes Bündel von Beziehungen zwischen „Institutionen, ökonomischen und gesellschaftlichen Prozessen, Verhaltensformen, Normsystemen, Techniken, Klassifikationstypen und Charakterisierungsweisen“ und hebt hervor, dass diese Beziehungen „im Gegenstand nicht präsent [sind]. Sie bestimmen nicht seine innere Konstitution, sondern das, was ihm gestattet, in Erscheinung zu treten“102. Die Bedingungen des historischen Erscheinens der Gegenstände stehen dabei im Mittelpunkt,103 das „[E]ntgegenwärtigen“104 der Dinge. Anders als Latour legt also Foucault den Fokus auf die Entwirrung der Verwirrung, die dieses komplexe Beziehungs-Bündel um die Gegenstände herum bilden, durch die der Gegenstand als solcher kaum erkennbar sei. Mit der Aussage, dass Praktiken systematisch die Gegenstände hervorbringen, von denen sie sprechen, weist Foucault eine vermeintliche Existenznotwendigkeit oder ontologische Essenz zurück und eröffnet somit Handlungsperspektiven, den sie hervorbringenden Kontext zu modifizieren, so dass andere Gegenstände Räume zu ihrer Entstehung finden. Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass wenig nach materiellen Fakten oder beispielsweise technischen Machbarkeiten im Widerspruch zu Äußerungen in den untersuchten Texten zu fragen ist. Solche Untersuchungen können sehr erkenntniserweiternd sein, haben jedoch mit dem Dilemma der Kurzlebigkeit bei beschleunigter Technologieentwicklung zu kämpfen. Auch liegen solche Untersuchungen zu unterschiedlichen Zeiträumen bereits vor. Stattdessen wird in dieser Analyse als existent, ernst zu nehmen und materiell realitätsverändernd erachtet, was diskursiv präsent ist. Dies stimmt überein mit der von Philippe Ariès bereits zitierten Auffassung, dass vor allem die Vorstellbarkeit der reproduktiven Technologien ihre Anwendung bedinge.

Diskursstrang und Diskurs; Trans-, Inter- und Spezialdiskurs Wie in 1.2.1 bereits eingeführt, soll der bei Jäger diffus gehaltene Begriff des Diskursstrangs in der vorliegenden Arbeit verwendet werden, um zu verdeutlichen, dass zunächst bis zum Abschluss der Interpretation der Ergebnisse in Kapitel 4 unklar bleibt, ob es legitim wäre, Foucaults Begriff ‚Diskurs‘ für die interpretierten Strukturen zu verwenden. Diskursstränge sind Einheiten, die 100 101 102 103 104 48

Foucault 1981: 74. Ebd. Ebd. Foucault 1981: 72. Ebd.

KÖRPER UND IHRE PRODUKTION

deutlich Teil von Diskursen sind, ihr Gewebe ausmachen und zugleich sich separieren und untereinander voneinander scheiden lassen. Nachdem es nach Foucault kein Jenseits des Diskurses geben kann, und entsprechend der Auswahl des Analysematerials für die Mikroanalyse die vorliegenden Texte einen Teil ihres Hintergrunds in biologischer oder medizinischer Wissenschaft und Praxis haben, war als Arbeitshypothese anzunehmen, dass die untersuchten Texte (grob) als Diskursstränge einem biomedizinischen Diskurs zuzuordnen seien, wie er vor allem von Foucault mit Bezug auf die diskursiven Hintergründe des wissenschaftlich-technischen 19. Jahrhunderts beschrieben worden war. Insofern scheint der Begriff Diskursstrang auf jeden Fall anwendbar. Die Abscheidung eines Diskurses als eigenständiger allerdings wird von Foucault selbst genau, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten beschrieben: „Eine diskursive Formation wird individualisiert werden, wenn man das Formationssystem der verschiedenen sich darin entfaltenden Strategien definieren kann; …wenn man zeigen kann, wie sie sich alle (trotz ihrer manchmal extremen Unterschiedlichkeit, trotz ihrer Verstreuung in der Zeit) vom selben Mechanismus von Relationen ableiten.105 Solche Gruppierungen von Aussagen müssen „beschrieben werden als systematisch unterschiedene Weisen, Diskursobjekte106 zu behandeln (sie abzugrenzen, sie erneut zu gruppieren oder sie zu trennen, sie zu verketten und sich voneinander ableiten zu lassen), Äußerungsformen zur Verfügung zu stellen […]. Diese Optionen sind keine Keime von Diskursen […]; es sind regulierte Weisen […], Diskursmöglichkeiten anzuwenden“107. Anspruchsvoller dagegen erscheint die Beschreibung der Bedingung für einen Diskurs an anderer Stelle: Ein solcher zeichne sich ab „wenn man zeigen kann, wie irgendein Gegenstand des in Frage stehenden Diskurses darin seinen Platz und das Gesetz seines Erscheinens findet; wenn man zeigen kann, dass er gleichzeitig oder nacheinander sich einander ausschließende Gegenstände hervorbringen kann, ohne dass er sich selbst verändern müsste.“108 Entsprechend führt Foucault einen Begriff ein, der mit dieser Beschreibung, die die Generation von Widerspruch betont, in Einklang steht: den Begriff des ‚Diskursivitätsbegründers‘. Werke von Diskursivitätsbegründern täten mehr, als ein „Terrain für bestimmte Ähnlichkeiten und Analogien“109 zu erschließen (wie dies nach Foucaults Beispiel Ann Radcliffe mit dem Schauerroman des 19. Jahrhunderts täte, deren Stil sich weitere Autoren anschließen konnten) sondern sie eröffneten auch das Terrain für Unterschiede und schaff-

105 106 107 108 109

Ebd.: 100. Bei Foucault ein anderes Wort für diskursive Gegenstände. Ebd.: 102. Ebd.: 67 Ebd. 49

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

ten „die Möglichkeit und Formationsregeln anderer Texte“110. „Sagt man, dass Freud die Psychoanalyse begründet hat, so heißt dies nicht (so heißt dies nicht einfach), dass man den Libidobegriff oder die Technik der Traumdeutung bei Karl Abraham oder Melanie Klein wieder findet, sondern dass Freud eine Reihe von Differenzen zu seinen Texten, seinen Begriffen, seinen Hypothesen möglich machte, die allesamt aus dem psychoanalytischen Diskurs entspringen.“111 Es ergibt sich somit die Herausforderung, einen eigenständigen Diskurs von ‚Anwendungsmöglichkeiten‘ anderer Diskurse zu unterscheiden. Letzten Endes scheint es, als ließen sich – Foucaults Beschreibungen nach – Diskurse im zeitlichen Nachhinein durch (implizite) Referenzen ausfindig machen: „Sehr schematisch formuliert heißt das: das Werk dieser Begründer situiert sich nicht im Verhältnis zur Wissenschaft und in dem Raum, den sie umreißt, sondern die Wissenschaft oder die Diskursivität beziehen sich auf ihr Werk als primäre Koordinaten“112 (wobei der Name des Diskursivitätsbegründers nicht auftauchen muss). Insofern erschweren ‚postmoderne‘ Arbeitsund Publikationsformen es, solche quasi monolithischen „Diskursivitätsbegründer“ auszumachen. Zunehmend wird interdisziplinär, oft anonymisiert und in Arbeitsgruppen Wissen generiert und dies in sich beschleunigendem Tempo. Der Unterschied in der Bezeichnung einer Formation als Teil eines bereits vorhandenen und beschriebenen Diskurses versus eines noch nicht erfassten Diskurses bestünde in der vorliegenden Arbeit zu sehr rezenten Aussagen in der Absehbarkeit einer möglichen diskursiven Richtungsänderung, die vom Diskurs generiert würde und zuvor noch nicht absehbar war, da dieser „diskursive“ Raum noch nicht eröffnet schien. Skepsis erscheint allerdings angebracht gegenüber einer vermeintlich eindeutigen Trennbarkeit unterschiedlicher, beispielsweise „älterer“ von „jüngeren“ Diskursen, will man nicht behaupten, Diskurse generierten sich allein aus sich selbst heraus. Zusätzlich bewegen sich die in der vorliegenden Studie untersuchten Texte in einem diskursiven Zwischenfeld der Überschneidung von Wissenschaft und Öffentlichkeit (sofern diese sich heute überhaupt noch trennen lassen bzw. getrennt gedacht werden sollten; vgl. Kapitel 5). Wenn von dieser Position aus sich von der Generierung „einer Theorie, einer Tradition, einer Disziplin, innerhalb derer dann andere Bücher und andere Autoren ihrerseits Platz finden

110 Foucault 2001b: 1022. 111 Ebd.: 1023. Seine weiteren Beispiele an dieser Stelle stammen sämtlich aus dem Bereich der Wissenschaft, doch findet sich der Begriff Diskurs auch in Anwendung für literarische Aussageformationen (siehe weiter oben und vgl. Link 1999). 112 Foucault 2001b: 1025. 50

KÖRPER UND IHRE PRODUKTION

können“113 sprechen ließe, bietet Foucault den Begriff der „‚transdiskursiven‘ Position“114 an. Speziell für die Situation allerdings, dass ein Diskurs zwischen besonderen Wissensbereichen ausgemacht werden kann, und mit weiteren Charakteristika ausgestattet ist, verwendet Link den Begriff „Interdiskurs“. Diese besonderen Qualitäten treffen, so zeigt bereits die erste Exploration des Untersuchungsmaterials, deutlich auf die analysierten Texte zu, die Wissen aus besonderen Bereichen in die Öffentlichkeit tragen. Sie erfüllen die Bedingung „Spezialwissen überbrückende, integrative Funktionen“ zu bedienen.115 Zum besseren Verständnis des Linkschen Terminus ‚Interdiskurs‘ soll hier auch der ebenfalls von ihm stammende Begriff ‚Spezialdiskurs‘ eingeführt werden, da beide sich durch ihre Gegensätzlichkeit leichter erklären lassen und er im Weiteren für die vorliegende Arbeit (trotz kritischer Infragestellung der Möglichkeit der eindeutigen Trennung besonders in weiten Bereichen der Biowissenschaften!) Anwendung finden können. Spezialdiskurse zeichnen sich folgendermaßen aus: Sie „tendieren gerade aufgrund der Spezialität ihres Wissens, die unter modernen Bedingungen zudem stets mehr oder weniger mit technischer Operationalität gekoppelt ist, zum Vorherrschen der Denotation und der Eindeutigkeit (klare Definitionen, Operationalisierbarkeit usw.)“116, während Interdiskurse dagegen sich durch das „Vorherrschen der Konnotation und Mehrdeutigkeit“117 auszeichnen. Sie enthalten vielfach „‚elementar-literarische‘“118 Formen wie „Kollektivsymbole, stereotype Figuren (z.B. Charaktere) und Narrationsschemata (z.B. Mythen)“119. Ob sich anhand des vorliegenden Untersuchungsmaterials tatsächlich eine Differenz zwischen den vielfach rezitierten Begriffen Spezial- und Interdiskurs unterstützen lässt, wird unter anderem in Kapitel 3.4.3 angesprochen. Näheres zu Kollektivsymbolen, Metaphern und Mythen findet sich in Kapitel 1.2.2.

Diskurs und Gegendiskurs Foucaults Darstellungen des Diskurses aus der Zeit vor etwa 1969 und aus den Jahren danach unterscheiden sich in einem Aspekt, der soziale Bewegungen tangiert, die für die vorliegende Analyse relevant sind. Im Wesentlichen ergibt sich diese Unterschiedlichkeit durch eine Verschiebung der Betrachtung von Macht seit etwa dem Band Der Wille zum Wissen (La volonté de savoir, 1975). Während Foucault zuvor vor allem eine repressive juridischstaatliche Macht untersuchte, die Gehorsam verlangte, wandte er sich nun 113 114 115 116 117 118 119

Ebd.: 1021. Ebd. Link 1999: 155. Ebd. Ebd. Ebd.: 154. Ebd. 51

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

sehr viel subtiler angelegten sogenannten „rhizomatischen“ (Deleuze/Guattari) Machtverhältnissen zu. Diese entstehen durch die gegenseitig sich reproduzierenden Verknüpfungen von Wissen und Macht, die jenseits des Diskurses Widerstand leistende Subjekte unmöglich erscheinen lassen. Zuvor noch, in dem Band Die Ordnung der Dinge120, der im Original als Les Mots et les Choses 1966 erschien121, ebenso wie in Wahnsinn und Gesellschaft (seine Dissertationsschrift die ursprünglich 1961 als Histoire de la Folie122 erschien) gibt es einen Bereich der Freiheit, der außerhalb der Macht des dominanten Diskurses liegt. In Wahnsinn und Gesellschaft ist es der Wahnsinn, der sich der Macht entzieht und sich statt in Form eines aus sich selbst hervorgehenden Diskurses ausschließlich körperlich manifestiert (etwa in Tobausbrüchen), während in Die Ordnung der Dinge die Literatur einen ‚Gegendiskurs‘ gegenüber den Wissenschaften darzustellen vermag, der somit ebenfalls nicht in das Feld des dominanten Diskurses einzuordnen ist. (Foucault wählt allerdings eine bestimmte Form der Literatur aus, die als dem ‚Wahnsinn‘ nah gedacht wird.) In Der Wille zum Wissen (La volonté de savoir, 1975) dagegen liegt „Widerstand niemals außerhalb der Macht“123. Dies erklärt sich in Sexualität und Wahrheit (Histoire de la sexualité, 1976) durch die Hervorbringung von Subjekten (siehe oben), als Bestandteil eines machtvollen Diskurses und im Zuge von Disziplinierungen, die zu Selbstdisziplinierungen werden. Nur in Anerkennung ihres individuellen, durch den Diskurs zugewiesenen Subjektstatus können sich widerständige Bewegungen als solche bezeichnen und an den Diskurs appellieren, wollen sie innerhalb des diskursiven (regelhaften) Formationssystems als Gegenbewegung erkannt werden. In In Verteidigung der Gesellschaft (mit dem Originaltitel Il faut defendre la Societé, ein Kurs, gehalten 1975-1976) expliziert Foucault, wie die Subjektivierungen durch Herrschende die Beherrschten als Subjekte hervorbringen, die ihrerseits sich dadurch innerhalb dieses Machtfeldes bewegen. Ihr Widerstand findet daher als ein Widerstand der so hervorgebrachten ‚Gegen-Identitäten‘ (jener, die von der Norm abweichen) statt, der – sollte ihr Kampf erfolgreich sein – wiederum Kämpfe von Individuen, die als abweichende Subjekte verhandelt werden, hervorbrächte. Problematisiert wird also die Akzeptanz der Identitätsbildung innerhalb einer durch den Diskurs angebotenen Subjektformation, aus der heraus Widerstand sich zwangsläufig innerhalb des vorherrschenden diskursiven Feldes bewegt. Dieses Verständnis von Identität und Gegen-Diskurs wird in Bezug auf die Problematik der Medikalisierung in Kapitel 4 und 5 aufgenommen.

120 121 122 123 52

Foucault 1974. Foucault 1966. Foucault 1999. Foucault 1999: 116.

KÖRPER UND IHRE PRODUKTION

Das nächste Kapitel beschreibt historische Hintergründe zentraler diskursiver Elemente der heutigen kombinierten Gen- und Reproduktionstechnologien etwa seit dem Zweiten Weltkrieg. Daran schließen im dritten Kapitel die Ergebnisse meiner Analyse des Auftauchens kombinierter Gen- und Reproduktionstechnologien als ‚wissenschaftlich‘ denkbare Option in Deutschland seit 1996 an.

53

2 Das Neue in disziplinierter Reproduktion

Ausgangspunkt dieser Untersuchung war die Überraschung, dass in Deutschen Medien ein Phänomen aufzutauchen schien, das zwischen einem sonst entweder antinatalen oder pronatalen, in jedem Fall Verantwortung als zentrale Kategorie enthaltenden Diskurs, Infertilität, Sexualität, Pronatalität und Selektion miteinander zu vermitteln vermag. Es bezieht sich dabei nun vor allem auf positive Werte und befreiungstheoretische Hintergründe. Was geschieht dabei mit dem Begriffspaar Gesundheit/Krankheit, das in den bisherigen heilungsorientierten Diskurssträngen zu Infertilität oder ‚erblichen Krankheiten‘ zentral war? Wie kann es sein, dass die Kategorie der im pronatalen Kontext als stark emotional belastend erscheinenden und oft tabuisierten Infertilität zu einer wünschenswerten Sterilität gerät? Diese Arbeit folgt mit Ariès und Foucault der Ausgangsthese, dass neue Denkbarkeiten entstehen, indem bisher vertraute Diskursstränge miteinander auf neuartige Weise verknüpft werden. Demnach gibt es die Überlappungen dieser Begriffe, die anteiligen Bindeglieder in den Bedeutungsfeldern zu suchen, die die Übersetzung zwischen ihnen ermöglichen, so dass ein neues Begriffsgefüge, ein neuer Raum der Denkbarkeiten zwischen ihnen aufgespannt werden kann. Darum wird im Folgenden zunächst beleuchtet, wie zentrale Kategorien, die in der ersten Durchsicht des Materials als Schlüsselkategorien auszumachen waren, bis zum Auftauchen der von mir behaupteten Neuverkopplung kontextualisiert waren, in welche vertrauten Diskursstränge sie eingebettet waren und welche institutionellen Hintergründe und diskursiven Ereignisse ihnen Raum und die bis in die 1990er Jahre hinein vertraute Bedeutung gaben. Für das Aufspannen der Hintergrundfolie, die die Neuartigkeit der vorgefundenen aktuellen Diskursstränge vermittelt, soll an dieser Stelle ein Einblick in den Verlauf der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts genügen. Darüber hinaus reichende Rückblicke werden zum Teil vorgenommen, sofern sie erklärungsbedürftig 55

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

erscheinen und heutige diachrone Zusammenhänge zwischen den Begriffen plausibel machen und sofern sie an der Verschiebung des Krankheits-/Gesundheitsbegriffs im Zusammenhang mit dem Verständnis von Reproduktion zentral beteiligt zu sein scheinen. Dabei soll nicht versucht werden, die für die vorliegende Arbeit maßgeblichen Kategorien universal zu definieren, sondern sie in (für verschiedene Situationen aktuelle) Verhältnisse zueinander zu positionieren. Sie werden auf diese Weise relational beschrieben, was einen Vergleich mit ihrer möglichen Neuformation in den untersuchten Diskurssträngen ermöglicht. Die Entwicklungen bis hin zu den heute bekannten Reproduktionstechnologien und den mit ihnen entfalteten Diskursen können je nach disziplinärer Perspektive als mindestens vier, wenn nicht weit mehr unterschiedliche Narrationen dargestellt werden. Die Sicht der Genetik auf maßgebliche historische Marksteine, Wahrheiten und Semantiken weicht stark ab von jener, die die Reproduktionsmedizin, die Gynäkologie oder die ursprünglich ebenfalls beteiligte Veterinärmedizin (re)konstruieren würde. Eine interdisziplinäre Perspektive auf herkömmliche und ‚Neue‘ Reproduktionstechnologien, die zudem ihren konstitutiven Charakter in Hinsicht auf Geschlecht und Sexualität ins Zentrum stellen, bieten Ansätze der Gender in Science Studies und der feministischen und historischen Forschung zu oder in der Medizin und vor allem Public Health, auf die sich daher dieses Kapitel in kritischem Abgleich vorwiegend stützt. Etwa wiederum vier wesentliche diskursive Umbrüche, die in verschiedenen Geschichtsschreibungen heutiger Gen- und Reproduktionstechnologien im 20. Jahrhundert ausgemacht werden, sollen im Folgenden angeschnitten werden. Entsprechend ihrem jeweils spezifischen Kern, um den herum die Veränderungen stattfinden, werden diese in den folgenden Unterkapiteln einerseits disziplinen- und innovationsgeschichtlich betrachtet, andererseits in Hinsicht auf das Verhältnis von Natur und Technik zueinander und drittens in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen Individuum und Regierung. Es soll nicht behauptet werden, diese verschiedenen Betrachtungsweisen ließen sich in eine unilineare zeitliche Abfolge im Zusammenhang mit bestimmten historischen Ereignissen bringen; ausreichend konsistent für einen zusammenfassenden Überblick erscheint jedoch vorab eine Unterteilung in folgende Etappen, die anschließend – in anderer Aufteilung – detaillierter beschrieben werden sollen: Erstens der Übergang zu einer staatlich und suprastaatlich geförderten Institutionalisierung der Forschung der zuvor zersplitterten und verpönten „illegitimate science“1 der Reproduktionswissenschaften etwa bis etwa zu den 1960er Jahren. 1 Clarke 1998: 233ff. 56

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

Zweitens: Eine Biometrisierung und Informatisierung des Lebens (als eine Veränderung im Natur-Technik-Mensch-Verhältnis) zeigt sich zwar bereits lange zuvor in der eugenisch orientierten Herangehensweise an ‚Erbkrankheiten‘ als gesamtgesellschaftliches Problem der ‚Volksgesundheit‘. Mit der Abwendung der Familienplanungsberatungen vom Bevölkerungsganzen hin zum individuellen Subjekt, das vermeintlich eine Wiederholung der Geburt eines ‚erbkranken‘ Kindes vermeiden möchte, etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, stellt sich ein neuer statistischer Bezug auf das Individuum her: Dieser statistische Bezug wird durch einen sich neu entwickelnden Begriff von individuellem Risiko möglich, das zunehmend Bedeutung in reproduktiven Fragen seit etwa den 1960er Jahren erhält. Durch – drittens – die fachliche Verbindung von Reproduktionsmedizin und Humangenetik (als Teil von Präventionsmedizin) ebenfalls seit den 1960er Jahren erhält die Molekularisierung2 (im Sinne von Genetisierung nach der Hochphase der Hormonforschung in dem Feld der Reproduktion) auch in der menschlichen Reproduktion Einzug und erfordert bzw. ermöglicht im Verlauf der 1990er Jahre eine zunehmende Privatisierung genetischen Biomaterials. Schließlich erhält, viertens, ein sich veränderndes Verhältnis zwischen Arzt oder Ärztin und Patient oder Patientin etwa seit Beginn der 1980er Jahre in die Reproduktionsmedizin Einzug, indem die ärztliche Klientel in ihrer Entscheidungsfindung nicht mehr gerichtet, sondern vermeintlich nur durch Aufklärung und Information beraten wird. Dieser Anspruch wird in der Versorgungsforschung und Medizin inzwischen unter dem Begriff shared decision-making (SDM) bzw. Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) diskutiert. Die ‚informierte Zustimmung‘ lässt dabei aus dem als autonom eigenverantwortlich handelnden Subjekt, nämlich dem Klienten oder der Klientin und der (dennoch durch entsprechende Gerichtsentscheidungen) verantwortlichen Ärztin bzw. dem Arzt ein teils gegeneinander, teils kooperativ entscheidendes Team werden. Diese letzte Wendung lässt sich am besten in soziologischen Untersuchungen des Verhältnisses zwischen Individuum und Staat in der sogenannten Postmoderne ausmachen und geht einher mit einer ‚Sozialisierung‘ (s.u.) der Fragen der Humanreproduktions- und Humangentechnologien. Es soll im Folgenden zunächst der disziplinengeschichtliche Ansatz beschrieben werden (2.1). Im Anschluss diskutiere ich jene Begriffe, die sich in der aktuellen Literatur zu den beteiligten Themengebieten ebenso wie in der Vorabrecherche als Schlüsselbegriffe erwiesen, gemeinsam mit der Frage, was von verschiedenen Autorinnen als ‚neu‘ an Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien gesehen bzw. umstritten wird (2.2).

2 Molekularisierung: Begriff nach Gilbert 1996. 57

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

2.1

Disziplinierte Reproduktion

Die Public Health-Historikerin Adele Clarke beschreibt, wie sich aus einem zunächst noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Bereichen der Entwicklungsbiologie, Medizin, Agrarwissenschaft und Viehzucht sehr verstreuten kaum anerkannten Forschungsfeld bis zu den 1940er Jahren eine neue akademische Disziplin (als kanonisierte Subdisziplin der Fächer Medizin, Biologie und Agrarwissenschaft) entwickelte, die in den unterschiedlichen Feldern unterschiedliche Namen, aber gleiche Inhalte trägt.3 Von Clarke wird sie als Reproduktionswissenschaften („reproductive sciences“) gefaßt.4 Einen ähnlichen Verlauf der Disziplinenentwicklung beschreibt Anne Fausto-Sterling mit einem Schwerpunkt auf der mit dem akademischen Interesse an der menschlichen Reproduktion wachsenden Sexualisierung der menschlichen Körper (in zwei Geschlechter).5 Nachdem zunächst Großbritannien und andere europäische Länder in reproduktionsrelevanter Forschung maßgeblich waren, fand dieses aus vor allem säkular-religiösen Gründen verpönte Feld6 Akzeptanz als Fach durch staatliche Unterstützung zunächst vor allem in den USA. Hieran beteiligt war ein starkes Interesse der Geburtenkontrollbewegung (unter anderem angeleitet durch Margaret Sanger), die eugenische Bewegung, die Sexualforschung, die Bevölkerungspolitik und die frühe Pharmazie.7 Mehrere große Forschungszentren konkurrierten und koalierten bereits in den 1940er Jahren in den USA in diesem Forschungsvorhaben, durch massive Forschungsförderung unterstützt von unter anderem der damals gegründeten Rockefeller Foundation, die wiederum bis heute großteils vom Senat gefördert ist. Das National Research Council Committee for Research in Problems of Sex förderte nicht nur finanziell, sondern trug auch zu Prestige und Legitimität bei. In den 1960er Jahren waren erste Produkte dieser Forschung, wie unter anderem ‚Hormon-Ersatz-Therapie‘ für Frauen in der Menopause, die schwangerschaftsverhütende Pille oder die Spirale. Öffentliche Programme und Institutionen (unter anderem die entsprechend gegründete International Planned Parenthood Federation, die Rockefeller Foundation etc.) bezogen sich vornehmlich auf Anti-Konzeption. (Rasches) Bevölkerungswachstum wurde als eine der (internationalen) politischen Schlüsselfragen ausgemacht und mit der Gründung verschiedener, nationaler und supranationaler Institutionen der Familienplanung adressiert.8 Reproduktive Technologien wurden vor allem verstanden als Technologien zur Verhinderung der Reproduktion. 3 4 5 6 7 8

Clarke 1998. Clarke 1998: xiii. Fausto-Sterling 2000. Clarke 1998: 237ff. Clarke 1998; Fausto-Sterling 2000. Davis 1991.

58

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

Der Schwerpunkt des Interesses lag in der Bevölkerung, in einer staatlichen Regulierung von Leben als politisch relevantem Phänomen, dessen sich bereits seit etwa zwei Jahrhunderten statistisch angenommen wurde und das Sexualität als wesentliches Ziel der Disziplinierung sah.9 Weitab der Reproduktionswissenschaften der Biologie, der Agrarwissenschaften oder der Medizin bewegte sich bis in die 1960er Jahre die Humangenetik, eine weitere Disziplin der Biologie. Diese konnte bis dahin, in Form der Eheberatungen so genannte Erbkrankheiten nicht verhindern, sondern lediglich von Heirat oder gemeinsamer Zeugung abraten.10 Die Denkbarkeit einer Überschneidung oder eines Zusammengehens dieses, dem eigenen Anspruch nach prädikativen Faches mit der Medizin wurde erst möglich, indem letztere der Genetik entgegenkam. Dies geschah mit dem Risikofaktorenkonzept einer neu entstehenden Präventivmedizin und in manchen Konzepten der Versorgungsforschung.11 Die Aufnahme von genetischer Beratung in den ärztlichen Aufgabenbereich wurde 1962 von der WHO empfohlen.12 Infertilität dagegen wurde für die WHO erst im Verlauf der 1970er Jahre zu einem kritischen Thema (siehe genauer hierzu Kapitel 4). Die Erforschung der Schwangerschaftsbeförderung bezog bis in die 1970er Jahre ihr Wissen überwiegend von agrarwissenschaftlicher Seite und wenig aus der Gynäkologie, so dass sich weiterhin unterschiedliche Forschungsverläufe zeigten. Bis in die 1990er Jahre verblieben antinatale und pronatale Fragen in verschiedenen (akademischen und politischen) Welten. Dies spiegelt sich in der akademischen Literatur zu Frauengesundheit und der feministischen Literatur zu Reproduktionstechnologien – im Sinne von einerseits Technologien der Bevölkerungskontrolle, Diagnostik und Schwangerschaftsverhütung und andererseits getrennt davon der Zeugungstechnologien. So ist das Phänomen der Normalisierung von Unfruchtbarkeit (bzw. künstlichen Befruchtung), während zugleich Fruchtbarkeit als lästig und unreguliert erscheint oder gar pathologisiert wird, bisher noch wenig an die Öffentlichkeit getreten und hat entsprechend noch wenig Beachtung gefunden. Ein Teil des untersuchten Phänomens zeigt sich allenfalls in der Kritik der Spezialisierung bzw. ‚Klinisierung‘ (künstlicher) Befruchtung, die in Texten

9 Foucault 1999. 10 Sofern dieses nicht bei entsprechender Gesetzeslage und entsprechendem medizinischen Kontext wie während des Nationalsozialismus oder in auch späteren Sterilisationsprogrammen in Europa oder den USA oder der sog. Dritten Welt erzwungen wurde. Die Humangenetik der zweiten Jahrhunderthälfte, vertreten durch verschiedene Fachverbände, war sehr bemüht, sich von jeglichen Bezügen zu der Handhabung eugenischer Gesetze des Dritten Reichs zu distanzieren (s. u.a. Samerski 2002). 11 Samerski 2002. 12 World Health Organization 1969. 59

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

zur Legalisierung lesbisch-schwuler Elternschaft auftritt.13 Dabei wird die Illegalisierung von (mechanischer oder künstlicher) Befruchtung, die durch nicht zugelassene Mediziner oder Laien durchgeführt wird, festgelegt. Der biomedizinische Diskurs wird dabei nicht untersucht und die Arbeiten gehen eher am Rande auf dieses Phänomen ein. Über reine Technikdarstellung hinausgehende Arbeiten zu Einzelbereichen biomedizinischer Reproduktionsnormierung liegen als feministisch orientierte Arbeiten vor, wobei jedoch der gesundheitspolitische Zusammenhang wenig beleuchtet wird. Ein solcher Zusammenhang wird in dem Bestreben, Befruchtung zu einem ‚operativen‘ Vorgang werden zu lassen, wofür generelle Infertilität Voraussetzung sein muss, deutlich.14 Mehrere frühere feministische Sammelbände suggerierten bereits eine inhaltliche Verbindung zwischen Anti- und Pronatalismus.15 Wichterich erkennt zwar, dass die menschliche Fortpflanzung global zunehmend „qualitativ und quantitativ“ normiert werde16, stützt sich jedoch überwiegend auf Belege für eine für den Norden und den Süden zu unterscheidende Bevölkerungspolitik. Für Stanworth liegt der Zusammenhang zwischen anti- und pronatalen Techniken17 (die sie wie Hofmann beide unter ‚Reproduktionstechnologie‘ fasst)18, darin, dass sie in den Reproduktionsprozess intervenieren. Diesem Stanworthschen Ansatz folgt ausdrücklich Giselind Berg in der Untersuchung der „Symbiose von Gentechnik und Reproduktionsmedizin“19, wobei sie sich mit Technologien wie der Präimplantationsdiagnostik und der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion und ihren Folgen als pronatale Techniken, die mit Selektion verkoppelt sind, befasst. Auch Beck-Gernsheim weist auf eine solche Verbindung hin, führt sie jedoch – dem Schwerpunkt der Analyse der „Risikodramaturgie“20 geschuldet – nicht weiter aus. Geschichtlich untersucht findet ein Zusammenhang zwischen moderner Geburtenkontrolle und Eugenik bei Bergmann Beachtung21 und ein solcher zwischen wirtschaftlichnationalistischen Interessen und Geburtenkontrolle oder Eugenik bei Dienel,22 Trallori23 und Gordon24. eine Analyse der Möglichkeit der gekoppelten An-

13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 60

Z.B. Arnup 1994. Vgl. Kap. 3.2 und 3.3 sowie 4.3.4. Wichterich 1994a, Pauritsch 1988, Arditti et al. 1984. Wichterich 1994b: 36. Stanworth 1987. Hofmann 1999. Berg 2002: 23. Beck-Gernsheim1999. Bergmann 1992. Dienel 1995. Trallori 1990. Gordon 1990.

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

wendung zeugungsverhindernder und zeugungsfördernder Technologien fehlt jedoch. Veränderungen von Begriffen (u.a. durch die Einführung neuer Techniken selbst), die dem Feld der ‚Reproduktionsgesundheit‘ angehören, bzw. ihre Konstruktion und Neuformulierung, wurden bereits diskutiert: Hierzu gehören die Analyse von Verschiebungen des Schwangerschafts-, des Lebensbegriffes und des Selbsterlebens durch medizinische Visualisierungstechniken (z.B. Duden,25 Martin26), Überbevölkerung, Schwangerschaft als Epidemie (z.B. Browner/Press,27 Heim/Schaz,28 Richter29), Auflösung des Konzeptes von Frau/Mutter und Aufwertung des Genoms/Fötus (z.B. Hubbard,30 Kollek,31 Treusch-Dieter32). Besonders poststrukturalistische Arbeiten befassen sich mit der Konstruktion der Kategorien Infertitilität (als Krankheit), Kinderwunsch und dem Diskurs rund um die In Vitro Fertilisation (IVF). Sie betrachten, auf welche Weise und in welchen sozialen Kontexten dieser spezifische Untersuchungsgegenstand biomedizinisch konstruiert wird/wurde: Die Sterilität als Krankheit, IVF als wünschenswerte Normalität oder Rettung wurden z.B. von Marsh/Ronner,33 Franklin,34 Beck-Gernsheim,35 Hubbard,36 Schuller37 bearbeitet. Der Fokus dieser Arbeiten entspricht dem Stand der feministischen Diskussion und der reproduktionsmedizinischen Technologie der 1990er Jahre: die Arbeiten beziehen sich im Wesentlichen auf die Pathologisierung der Frau, die Ausblendung der gesundheitlichen Risiken der IVF und auf die Konstruktion von infertilen Paaren als Zielgruppe von IVF. Die Darstellung von Lesben und Schwulen als Zielgruppe für pronatale Reproduktions-Hochtechnologie von biomedizinischer Seite zeigt sich fast zeitgleich zum zuvor beschriebenen Prozess der Normalisierung von Sterilität und Laborzeugung seit den späten 1990er Jahren in deutschsprachigen Medien. Auf diese jüngst öffentlich werdende Empathie mit Homosexuellen durch VertreterInnen der Biomedizin und das damit scheinbar reklamierbare ‚Recht auf ein Kind‘ wurde in einem Artikel hingewiesen,38 und auch in ande-

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Duden 1994. Martin 1989. Browner/Press 1995. Heim/Schaz 1994. Richter 1994. Hubbard 1995. Kollek 1996. Treusch-Dieter 1996. Marsh/Ronner 1996. Franklin 1990. Beck-Gernsheim 1991. Hubbard 1995. Schuller 1993. BioSkop 2000. 61

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

ren nicht-akademischen Medien,39 sie ist aber nicht tiefergehend analysiert worden. Eine erste und bisher einzige Erschließung des Diskurses um neue Reproduktionstechnologien der letzten Jahre in bundesdeutschen Printmedien wurde von Graumann40 unternommen. Ihre Analyse richtete sich auf den Diskurs der Printmedien, in denen sie als Akteure vor allem WissenschaftsredakteurInnen betrachtete. Ihre analytische Fragestellung konzentrierte sich auf die Darstellung und Begründung ethisch-moralischer Aspekte durch die entsprechenden Autorinnen und Autoren. Jenseits der Studien, die entweder eugenische Maßnahmen der Bevölkerungskontrolle in den Blick nehmen und jenen, die sich mit Kinderwunsch, Sterilität und Laborzeugung als Lösungsangebot auseinandersetzen, gibt es wenige Werke, die beides integriert betrachten. Diese werden in Kapitel 2.2 behandelt, da ihr Schwerpunkt bereits auf dem ‚neuen‘ genetisch-statistischen Paradigma mit der Genetik als reproduktiver Leitdisziplin (enthalten in beiden reproduktionstechnischen Anwendungsrichtungen, also sowohl der antinatalen, wie auch der pronatalen) liegt und damit auch auf ‚neuen‘ Begrifflichkeiten in reproduktionsmedizinischen Diskursen. Getrennt von Fragen um Schwangerschaftsverhütungstechniken und deren Risiken bzw. von feministischen Analysen der Laborzeugungstechnologien verläuft ein zunehmend Zuwachs findender Strang von Analysen des Systems der Humangenetischen Beratung. Auch diese Studien werden wegen ihres Fokus auf eine statistische Genetik und entsprechende Hervorhebung des Begriffs der Entscheidung der Beratenen in 2.2 behandelt.

2.2

Die Reproduktion des Neuen

Neue Technologien, die in reproduktive Prozesse eingreifen, verändern und vermitteln auf vielfältige Weise Auseinandersetzungen um Körperautonomie unter Verschiebung bisher statisch wirkender Kategorien wie Geschlecht, Fertilität, körperliche Unversehrtheit, Risiko und Verantwortung. Zugleich konstituieren sie sich allein durch Veränderungen der Denkbarkeiten, über jene diskursiven Verschiebungen und Konstanten, die ihr spezifisches Entstehen möglich gemacht haben. Wie Technologie geformt und gestaltet ist und welche entsprechenden Qualitäten sie in den Nutzerinnen und Nutzern anspricht und herausfordert ist Teil jeder diskursiven Neuformation, die mit der Einführung vorher nicht gekannter Technologien einhergeht – die Technologie ist Teil ihres sie gestaltenden Diskurses.41 Neue reproduktive und genetische 39 Vgl. Kapitel 3.1. 40 Graumann 2002a, Graumann 2002b. 41 MacKenzie/Wajcman 1999. S.a. im selben Band: Winner 1999. 62

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

Technologien vertiefen bereits zuvor vorhandene diskursive Risse zu neuen diskursiven Strängen, Möglichkeiten, Wahrheiten, Undenkbarkeiten und Denkbarkeiten und entstehen zugleich neu in dem jeweiligen sozialen Kontext, in dem sie gesellschaftlich eingeführt werden.42 Allen Diskussionen um das ‚Neue‘ an Neuen Reproduktionstechnologien, die in diesem Abschnitt zusammengefasst werden, ist gemeinsam, dass sie bereits reproduktive Technologien behandeln, deren begleitende Politik nicht mehr die Bevölkerung (bzw. deren Gesundheit) primär im Blick hat, sondern das zu beratende oder mit Technologie und expertenhaftem Sachverstand zu versorgende Individuum (mit der Ausnahme des Bandes von Heidi Hofmann, der eine Analyse älterer feministischer Arbeiten aus einer der jüngeren Verschiebungen bewussten Perspektive darstellt). Dabei wird die gentechnische Gemeinsamkeit entweder hervorgehoben, um zu markieren, dass genetische Technologien längst Teil der Reproduktionstechnologien geworden sind und dies partiell lediglich aus politischen Gründen geleugnet werde,43 oder weil mit der humangenetischen Beratung und Ausweitung der gentechnischen Kompetenzen in das pronatale Feld der Begriff der Entscheidung und Wahlmöglichkeit in die reproduktiven Fragen als zentrale Kategorie Einzug hält.44 Neue Reproduktive Technologien, so bezeichnet seit etwa den 1970er Jahren und zunehmend in den 1990ern, sind dem Vernehmen nach auf sehr grundsätzliche Weise anders als bisher da gewesene. Eine Unterscheidung, die international häufig angestrengt wird, ist jene zwischen den antinatalen Technologien (zur Verhinderung von Konzeption oder Geburt: alt) und den pronatalen (zur Beförderung von Schwangerschaft und Geburt: neu).45 Dieser eher technikzentrierten Perspektive fehlt der von anderen Autorinnen hervorgehobene Blick auf die in beiden Technologieabteilungen integrierte Genetik als ein gesellschaftliches Ereignis, das von bestimmten diskursiven Neuformationen begleitet ist. Demnach wäre die Genetisierung der neue Anteil an der Reproduktion.

42 Von der Techniksoziologin Svetlana Paunova stammt die zugespitzte Formulierung (im Vortrag am 10.11.2005, IAS-STS Graz), Technologien, würden in neuen kulturellen (staatlichen) Settings neu geschaffen, wie z.B. westeuropäische Wasser- und Abwassersysteme bei ihrer Einführung in Bulgarien Ende des 20. Jahrhunderts. Inspiriert war dieser Hinweis von der NutzerInnenperspektive die Trevor Pinch in der Beschreibung der Einführung von Technologien einnimmt, nach der Technologie oft in neuen Settings auf von der Designer-Seite nicht antizipierte Weise verwendet, angeeignet und in neue Diskurse eingebettet wird (Pinch 1996). 43 Hofmann 1999. 44 Davis 2001, Maura 2001. 45 Gupta 1991. 63

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Allerdings schon der Begriff der Reproduktion ist ‚natürlich‘ keineswegs selbstverständlich. Er lässt sich historisieren und Analysen sehen häufig bereits im achtzehnten Jahrhundert die Hintergründe. Sie werden unter anderem in der Mathematisierbarkeit von Biomaterialien ausgemacht, die deren Zugänglichkeit für die wertschöpfenden Technologien der Moderne ermöglichten bis hin zur heute wiederum als definitorisch ‚neu‘ wahrgenommenen konzeptionellen und praktischen Einswerdung zuvor (in der Moderne) getrennt gedachter Natur und Technik in der sogenannten Postmoderne oder in der Technoscience.46 Die früheste Nennung des ‚neuen‘ Begriffs Reproduktion findet die Kulturhistorikerin Ludmilla Jordanova in einem Kommentar über Buffons Werk der Naturgeschichte. In dieser würde er, so John Wesley 1782 (nach Jordanova) den Begriff Generation (Er-/Zeugung) durch Reproduction ersetzen und den Menschen nicht nur mit Tieren, sondern sogar mit Kraut und Gemüse gleichstellen.47 Der Schöpfungsprozess, in dem Menschen Geschöpfe Gottes waren, wird zu einem, der Menschen als biotische Akteure ins Zentrum stellt. Dabei weist Jordanova auf die Parallele des Begriffes der Reproduktion in der damaligen Möbelindustrie (‚reproduction furniture‘) hin die es üblich machte, ‚Kinder haben‘ konzeptionell mit ‚kopieren nach Vorlage‘ zu verbinden. Sie geht davon aus, dass der Begriff auf diese Weise vom Umgangssprachlichen ins Öffentliche und Wissenschaftliche gewandert sei.48 Nach Duden seien dann Medizin, Demographie und Politische Wissenschaften daran beteiligt gewesen, zur Mitte des 19. Jahrhunderts den Begriff der Reproduktion jenem der (industriellen) Produktion als quasi häusliche Entsprechung zur Seite zu stellen.49 Mit der Historisierung von Natur in Naturgeschichte oder Evolution statt einer einfachen Neuschöpfung, sowie mit der Vorstellung von der steten Umwandlung von Materie in Form von Energie entsprechend der Gesetze der Thermodynamik wurden Maschinen und atmende Wesen mit den gleichen Begrifflichkeiten und Konzepten erfassbar50, jedoch in überzeitlichen Gesetzen naturwissenschaftlich mathematisierbar. Die Maschine des 20. Jahrhunderts, der Computer, wurde wiederum zum

46 Mit dem Begriff Technoscience wird das Zusammengehen von Forschung und Technologieentwicklung bzw. die Infragestellung der idealisierten Vorstellung von einer dem Anwendungsbereich des Sozialen fernen Grundlagenforschung betont: Vgl. Latour 1987. Zum Teil wird damit zugleich der suggerierte große Bruch zwischen den Epochen, sowie die Moderne als bereits verlassenes diskursive Etappe in Frage gestellt und dabei auf Konstanten bis heute und kleinere Diskontinuitäten selbst bereits vormoderner Diskurse Bezug genommen. Vgl. Latour 1998, Haraway 1999 sowie Weber 2003. 47 „[...] in order to level man not only with the beasts that perish, but with nettles or onions“ (Jordanova 1995: 372). 48 Vgl. Sohn-Rethel 1970. 49 Duden 1987. 50 Sarasin/Tanner 1998; Keller 1998. 64

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

Modell des Verstehens, indem (so z.B. nach den Kybernetik- und Biologietheoretikerinnen Hayles, Keller, Haraway und Kay)51 durch den vermittelnden Begriff der Information Kybernetik mit Systemtheorie und Biologie (Genetik) in Einklang gebracht wurden. Das Gen seinerseits wurde um die Wende in das 20. Jahrhundert als Arbeitsbegriff für ein wiederholt beobachtbares Phänomen bereits in seinem Ursprung spirituell bedeutungsvoll von ‚Genesis‘ abgeleitet. Es sollten damit die kleinsten ‚atomaren‘ kausalen Einheiten bezeichnet werden als black box, die die Mendelschen Beobachtungen der differenzierten und doch regulären Merkmals-Vererbungen stellvertreten sollten.52 Bald wurde ‚das Gen‘ (wie von kritischen NaturwissenschaftlerInnen und von feministischer Seite oft betont wird, im Kontrast zu seiner ‚ursprünglichen‘ Einführung als Denkmodell für möglicherweise vielschichtige und komplexe Phänomene) in einer materiell gedachten Ursache-Wirkungs-Einbahnstraße konzipiert, bis es schließlich ebenfalls als in Wahrscheinlichkeiten mathematisierbares Phänomen in kybernetisches Netzwerkdenken gefasst wurde.53 Das ‚Neue‘, der „qualitative Sprung“54 nun an den – mal als postmoderne Technologien mal als Technoscience bezeichneten – Phänomenen seit den 1980er Jahren ist für Weber die Möglichkeit zum Design und zur Produktion von lebendigen Organismen.55 Eine zuvor lediglich konzeptionell und modellhaft in Anwendung gebrachte Kybernetik, die Biotisches in kybernetischen Paradigmen und Kybernetisches mit biotischen Paradigmen vermittelt über Systemtheorie verstand,56 fusionierte nun mit den Life Sciences zur gegenseitigen Produktion in z.B. Biotechnologien. Entsprechend weist Saupe darauf hin, dass wiederum das Technische in seiner Gestaltung biotische Züge annimmt.57 Clarke fokussiert in ihrer Unterscheidung des Neuen im Gegensatz zu Weber auf eher politisch-ökonomische Prozesse. So sei es in der Moderne in gynäkologischen und agrarwissenschaftlichen Zeugungsforschungen ebenso wie in den Erforschungen der verschiedensten reproduktionsrelevanten Phasen des Menschen (vor allem der Frau) durch Reproduktionswissenschaften und Medizin überwiegend um Kontrolle über diese Prozesse entsprechend fordistischer Rationalisierungskonzepte gegangen, „including the production and (re)distribution of new goods, technologies, and health care services, that facilitate such control“58. „In sharp contrast, postmodern approaches to repro51 52 53 54 55 56 57

Keller 1998, Hayles 1999, Kay 2000a, Haraway 1981. Kay 2000b; Johannsen 1913. Keller 1998. Weber 2003: 45. Weber 2003: 47. Keller 1998. … und damit eine als ontologisch notwendig fehlverstandene Trennung zwischen beiden Sphären ad absurdum führt, vgl. Saupe 2002. 58 Clarke 1998: 10. 65

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

duction are centered on transformation of reproductive bodies and processes“59 – bei dieser Transformation würden körperliche Prozesse und dabei Materialien „redesigned“ und flexibilisiert, aus ihrem Kontext herausgenommen und in neue Kontexte gebracht. Dabei sei das wirtschaftliche Ziel, neue Marktnischen für so erarbeitete reproduktive Dienstleistungen zu finden. Die Unterscheidung zwischen menschlichem und nicht-menschlichem ist dabei (wie oben bereits angeführt) auch in dieser Reproduktionsforschung und Genetik von abnehmender Bedeutung.60 Eine ähnliche, sich jedoch auf Deleuze/Guattari stützende Analyse des vergleichsweise Besonderen der neueren Biotechnologien findet sich bei der Philosophin Luciana Parisi.61 Für die Biologin Silja Samerski, als eine Vertreterin der Analytikerinnen, die sich mit dem Thema der Genetischen Beratungen in Interviewstudien auseinandersetzt, ist das ‚Neue‘ der letzten Jahrzehnte ein Körpermanagementdiskurs, in dem Entscheidung eine zentrale Kategorie unter neuer Definition darstellt. Von seiner Bedeutung des Verfügens und Bestimmens verschiebe sich der Begriff seit den 1970er Jahren mit dem Einzug systemtheoretisch gefärbter Entscheidungstheorien hin zu einer Wahl zwischen Möglichkeiten.62 Dieser Begriff der Möglichkeiten, die nur unter Zuhilfenahme fachlicher Information selbstbestimmt wahrnehmbar sind, profitiert vom Begriff des Risikos, der jenen (zumal weit weniger gesellschaftlich verbreiteten) der Gefahr abgelöst hat. Durch das gesellschaftlich allgegenwärtige Konzept eines (statistischen) Risikos stehen sich Wunsch und Risiko in der zu treffenden ‚Wahl‘ gegenüber. Biometrie, Mathematisierbarkeit lebendiger Materialität63, genauer das Risikofaktorenmodell der Präventionsmedizin und Humangenetik sowie das biometrische Paradigma eines Risikofaktorenmodells und ein ausreichend glaubwürdiges bzw. durchgesetztes Konzept des Gens als einer zukunftsrelevanten, determinierenden Entität, treffen in der Begegnung zwischen Individuum und dem öffentlichen Gesundheitssystem zusammen. Die Begriffskette dieser Art von Management, das an Konzepte der Dienstleistung angelehnt ist, enthält nach Samerski und anderen Analytikerinnen der Humangenetischen Beratung als notwendige Komponenten: eine beratene Person, die autonom und selbstständig entscheidet (also selbstbestimmt agiert); einen Berater in Form eines Experten, bzw. eine Beraterin in Form einer Expertin; von einer beratenden Person gegebene Information, die nicht wie früher dazu dient, ab- oder zuzuraten, sondern non-direktiv (s.u.) sein soll und zu einer ‚informierten Zustimmung‘ bzw. informierten Entscheidung führen kann. Die ‚informierte Entscheidung‘ oder informed consent wird als eine Errungen59 60 61 62 63 66

Ebd., Hervorhebung im Original. Clarke 1998. Parisi 2005. Samerski 2002. van der Ploeg 2004.

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

schaft der Patienten- und Patientinnenemanzipation und zugleich rechtliche Absicherung in der Medizin bezeichnet, die seit den späten 1950er Jahren in der medizinischen Ethik diskutiert und juristisch in den USA mit einer ansteigenden Zahl von Folgefällen 1957 mit einer Gerichtsentscheidung eingeführt wurde (siehe auch weiter unten).64 Darin begegnen sich in der Reproduktionsmedizin Wunsch und Risiko als zu vemittelndes Gegensatzpaar, das die „gute Hoffnung“ (Barbara Duden) der Schwangerschaft abgelöst hat – und eben die resultierende Entscheidung. Analysen, die auf Interviews mit Beratenen oder auf Beobachtungen der Beratungssitzungen basieren, legen nahe, dass (mit unterschiedlichem Schwerpunkt) aufgrund der Beratungssituation und/oder des gesellschaftlichen Kontextes die Möglichkeit einer ‚freien‘ Entscheidung nicht bestünde.65 Stärker auf die produktiven Faktoren in den besprochenen medizinischen Technologien verweisend, spricht die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim auch von Chancen in der Molekularbiologie, die zwangsläufig Entscheidungsdilemmata entstehen ließen.66 Solche „paradoxes of choice“ der reproduktiven Technologien, die sowohl neue Kontrollmöglichkeiten, aber auch emanzipatorische Öffnungen bieten könnten, sieht die Autorin Robin Gregg.67 Ebenfalls zu solch widersprüchlichen Ergebnissen der Analysen der choice, stärker aber auf präimplantive Möglichkeiten der Selektion bestimmter Eigenschaften des Nachwuchses bezogen, kommen auch die Theoretikerin in christlicher Ethik, Ryan Maura68 sowie die ebenfalls US-amerikanische Rechtsprofessorin Dena Davis.69 Beide kontrastieren, als einen Aspekt, der in ‚choice-studies‘ an vor allem präimplantiven Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien seit etwa der Jahrtausendwende zunehmend reflektiert wird, die Wahlmöglichkeiten der potentiellen Eltern mit ethischen Bedenken in Hinsicht auf die Interessen des potentiellen Kindes. Verschiedene soziologische Analysen beziehen sich in ihren Betrachtungen des Neuen seit den beiden letzten Jahrzehnten vor der Jahrtausendwende beispielhaft gelegentlich auch auf Gesundheitsmanagement und die ‚Neue Genetik‘, so auch die des Soziologen Ulrich Beck.70 Die Kette der Kategorien enthält bei Beck nicht nur das zwangsläufige Risiko (von dem die ‚neue‘ selbstreflexive Gesellschaft immerhin kritisch Kenntnis nimmt, das aber weiterhin der Motor des Handelns ist), sondern das Wissen darüber (vermittelt von Experten, die somit sowohl Produzenten als auch Profiteure von Risiko, 64 Faden 1991. 65 Siehe z.B. Rapp 1999 und Rapp 1991, Smith et al. 2000, Zuuren et al. 1997, Lippman-Hand/Fraser 1979. 66 Beck-Gernsheim 1995a. 67 Gregg 1995. 68 Maura 2001. 69 Davis 2001. 70 Beck 2000. 67

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

also von einem fiktionalen Faktor der Zukunft sind). Mit dem Wissen wiederum entsteht Verantwortung, diesem entsprechend eine Entscheidung zu treffen.71 Mit dem Konzept des embeddings/disembeddings zeigen Beck und Giddens,72 wie die Neuanordnung der Kategorien ‚verantwortliches und freies Individuum‘ im Verhältnis zur Gesellschaft die Loslösung des Individuums (Giddens: disembedding) aus jedem Kontext mit sich bringt und in einem globalisierten, standardisierten (beispielsweise) medizinischen Kontext des Risikos sich wieder eingebettet (embedded) findet. Diese Betrachtung wird auch in gendertheoretischen Analysen des Übergangs zum Begriff der Reproduktion gestützt. So bemerkt die Anthropologin Marilyn Strathern, dass wir zu einer heute gebräuchlichen Vorstellung kämen, nach der die Reproduktion von Personen selbst in einer non-relationalen Weise verhandelt würde.73 Für die spezifische Regierungsform in einer Zeit neoliberaler Umgestaltung, die weniger von ‚strafendem‘ Kontrollieren (auch der Reproduktion und Gesundheit) als vom ‚Beraten‘ und individuellen Entscheiden in einem Dienstleistungsstaat voller Wahlmöglichkeiten geprägt ist, fand Foucault den Begriff der Gouvernementalität.74 Diese begriffliche Mischform aus Denkweise und Regierung umfasst das oben beschriebene komplexe Verhältnis einer doppelten Fremd- und Selbstführung. Bei der Gouvernementalität sind die ‚Beherrschten‘75 – ein Begriff, der für frühere Konzepte passender ist – durch ihre Nachfrage von und Zustimmung zur Beherrschung ihrer selbst an dieser beteiligt und dieses Verhältnis bestätigt sich im gegenseitigen Wechsel. Erziehung zur Selbstführung ist ein vielfach propagiertes (meist emanzipatorisch verstandenes) ‚Gesundheitsziel‘ im öffentlichen Gesundheitswesen der Gouvernementalität.76 Auch die Verantwortung für Krankheit nahm seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts neue Züge an. War sie zuvor noch primär als ein Phänomen gefasst, auf das mit dem Schwerpunkt auf Infektionen durch vor allem seit Ende des 20. Jahrhunderts staatlich und betrieblich propagierte Maßnahmen wie der Hygiene von außen beizukommen war, ver71 72 73 74 75 76

68

Beck 2000. Beck et al. 1994; Giddens 1991, Beck 1992. Strathern 1991. Foucault 2004. Eher ließe sich von den ‚Selbst-Beherrschten‘ sprechen. So artikuliert beispielsweise der Bundesverband Managed Care e.V. (BRD): „Das professionell unterstützte System der Selbstführung PASS setzt die Entwicklung des Bürgers vom Objekt zum Subjekt im Gesundheitswesen voraus.“ (Es bezieht sich im Weiteren unter anderem auf salutogenetische Konzepte: BMC e.V. 2003). Nach einem der ersten Texte zum Ziel der non-direktiven Humangenetischen Beratung in Deutschland soll diese eine „selbstverantwortliche Entscheidung“ (Reif/Baitsch 1986) und an anderer Stelle „selbstverantwortliche Familienplanung“ (Murken/Cleve 1994) implizieren (beide zit. in Samerski 2002: 39).

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

schiebt sie sich im Risikofaktorenmodell der Medizin zu einem Phänomen, auf deren (zumal innere) Anlagen Bürgerinnen und Bürger eigenverantwortlich Einfluss nehmen können: So fand auch in der (internationalen) Gesundheitspolitik eine Wende von der Betrachtung der Bevölkerung und deren gesundheitlicher Regulierung durch Recht und Gesetz im national-regionalen Maßstab hin zur Fokussierung auf das Individuum statt (in den USA bereits mit der vor allem ökonomischen ‚Gesundheitskrise‘ der 1960er Jahre).77 Grundlagen hierfür lassen sich mit der Medizinphilosophie Georges Canguilhelms bereits im 19. Jahrhundert sehen.78 Canguilhelm weist auf, wie bereits im Frankreich des 19. Jahrhunderts von Auguste Comte und Claude Bernard eine Vorstellung von Gesundheit eingeführt wird, bei der Gesundheit und Krankheit sich nicht mehr als qualitative Unterschiede gegenüberstehen. Stattdessen sei mit dem Aufkommen der Physiologie nach abweichenden Werten in pathologischen Erscheinungen gesucht worden, um Rückschlüsse auf die Normalität zu erhalten (so bei Bernard). Das Normale und das Pathologische (dann gleichzusetzen mit gesund, respektive krank) seien somit als qualitativ identisch verstanden worden und ließen sich lediglich in den Größen quantifizierbarer Phänomene unterscheiden.79 Typische, beispielsweise ernährungsphysiologische Tests der Folgezeit lassen sich als Grundsteine dafür verstehen, dass Gesundheit nach der zwischenzeitlichen Hochphase von Infektions- und Hygienekonzepten später als ein durch innere (abweichende) Werte stets Gefährdetes betrachtet werden konnte, das durch entsprechendes Verhalten zu steuern war.80 Die Kontrolle der Einhaltung dessen, was über Gesundheitsedukation zu lernen ist, wird schließlich in der individualisierten Gesellschaft nicht mehr staatlich oder betrieblich von außen organisiert, sondern zur Instanz werden eigenverantwortliche Bürgerinnen und Bürger. Gesundheit obliegt ihrem eigenen Interesse, während Gesundheitssysteme durch Einsparungen saniert werden. Die Entstehung von Krankheit allerdings wird entgesellschaftet und allzu oft in einem Fehlverhalten der Betroffenen begründet gesehen und gesellschafts- wie berufsbedingte Erkrankungsrisiken vernachlässigt.81 Meilensteine in der Schaffung des autonomen, selbstverantwortlichen Patienten wa77 Wulfhorst 2002. 78 Canguilhelm 1974. 79 Canguilhelm erklärt dies über das Phänomen des Determinismus, dessen Einführung in die medizinische Begriffswelt in Frankreich sich Bernard rühmte: Um bestimmte Elemente in ein Vergleichs- oder ein Abhängigkeitsverhältnis zueinander zu bringen, sei zunächst deren Homogenität festgestellt worden. So sei schließlich in diesem Denken Realität mit Quantität gleichsetzbar (ebd.: 71). 80 Canguilhelm selbst betont die hohe Varianz biologischer und physiologischer Werte in Bevölkerungen, die eine Verwendung physiologischer Werte zur Beschreibung von Krankheiten hinfällig werden lassen (ebd.: 121). 81 Kühn 2001. 69

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

ren die Deklaration der Patientenrechte und die Einführung des informed consent, die meist als emanzipatorische Akte gefeiert,82 gelegentlich jedoch auch kritischer beurteilt werden.83 Problematisch gesehen wird unter anderem, dass Verantwortung sich in das Individuum verlagert, während das Medizinsystem jedoch weiterhin in den herkömmlichen ausschließenden Praxen reguliert wird, die expertenhafte Beratung erforderlich machen. Dabei eröffnen zugleich humangenetische Ergebnisse neue Sphären des (verantwortlichen) Handelns durch neue Typen von Risiken. Mit einer (vor allem in der vermittelten Wahrnehmung beständig) zunehmenden Zahl von Krankheiten, für die ein genetisches Potential ermittelbar ist, werden die Grenzen zwischen gesund und krank verschoben, weil mit einer zusätzlichen Kategorie (ähnlich wie mit herkömmlichen, stets enger werdenden akzeptablen Blutspiegelwerten, beispielsweise für Cholesterin) solche Personen betroffen werden, die sich selbst als gesund wahrnehmen.84 So verschieden also die Betrachtungen dessen ausfallen, was das Neue an der Zeit nach Ende des Kalten Krieges, der Zeit nach den Dichotomien der Biologie versus Kybernetik, seit den 1980er Jahren, seit Ende der Moderne oder seit Ende der reinen Kontrollgesellschaft sein möge, scheint es eine Einhelligkeit darüber zu geben, dass es sich qualitativ vom bisherigen unterscheidet. Die Soziologin Anne Kerr fasst in ihrer Kritik des Diskurses des Neuen, des „definitive break“85 in der „new genetics era“86 die Position des ‚genetischen‘ Patienten und der Patientin im Medizin- und Gesundheitssystem zusammen, wie sie von Kollegen und Kolleginnen dargestellt wurde: so läge nach Paul Rabinow die neue Qualität in der bereits beschriebenen Betonung der prädiktiven Genetik, der individuellen Wahlmöglichkeit (choice) und der Entscheidung.87 Das hierarchische Verhältnis zwischen PatientenInnen und medizinischer Expertise würde sich in Richtung der Kooperation verlagern (als Beispiel dient u.a. gemeinsames Fundraising für die Erforschung und Behandlung bestimmter Krankheiten). Dabei würde in der Ära der ‚Patientenrechte‘ zunehmend strittig, was als Expertise und was als Krankheit gelte.88 Währenddessen fände zugleich eine zunehmende Betonung des Einbezugs der Öffentlichkeit in die politischen Entscheidungsfindungen zu Genetik statt,89 die – auch in Bezug auf Neue Gen- und Reproduktionstechnologien – entsprechend unterschiedlich pessimistischer oder optimistischer Einschätzungen

82 83 84 85 86 87 88 89 70

Z.B. Annas/Healey 1974, Reif/Beitsch 1986. Z.B. Rothman 1991. Beck-Gernsheim 1995a. Kerr 2003: 210. Ebd.: 209. Rabinow 1999a, Rabinow 1999b, Rose 1999, Rose 2001. Rabeharisoa/Callon 2002, Rabinow 1996. Barns et al. 2000, Kerr/Cunningham-Burley 2000.

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

mal als Sozialisierung90, mal als Demokratisierung91 bezeichnet wird. Anne Kerr dagegen weist auf die auffällige Übereinstimmung zwischen der Betonung des Transformativen, des epochal Verändernden in ‚Neuen‘ Humangentechnologien in ihrer öffentlichen Repräsentation durch Forschungsnetzwerke und ExpertenInnen und seinen Darstellungen in (kritischen) Analysen zur gegenwärtigen Situation hin. Wie verschiedene andere, die sich aus feministischer Perspektive mit den ‚Neuen‘ Gen- und Reproduktionstechnologien befassen, betont Kerr Widersprüche, wie jenen zwischen dem Begriff der Wahl und dem Verantwortungsempfinden von Patientinnen und weist auf die Kontinuität hin, dass der vermeintlich ‚mündige Bürger‘ weiterhin kaum Einfluss auf die eigentlichen Forschungsfragen habe.92 Wie von Clarke bereits festgestellt (s.o.), spricht im Gegensatz zum Diskurs des epochalen Umbruchs nichts gegen eine gegenseitig befördernde Koexistenz von modernen und postmodernen Konzepten im System der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien. Phänomene wie das Medizinsystem standen zunächst im Zuge der Professionalisierung (als notwendiger Hintergrund für die Medikalisierung)93 unter bevormundenden und kontrollierenden und später eher auf der Wissensvermittlung des Risikos beruhenden Vorzeichen. Das Phänomen der Medikalisierung, von der Gesundheitswissenschaftlerin Petra Kolip differenziert in einzelne Aspekte der Normierung, Pathologisierung und Regulierung,94 wurde in historischen Arbeiten als Prozess im Zuge der Herausbildung der Medizin als Disziplin im Staatswesen seit Mitte des 18. Jahrhunderts beschrieben.95 Es lässt sich auch für das 20. Jahrhundert beschreiben96 und sich auch zur Zeit in der BRD nach der Jahrtausendwende mit zunehmender Deutlichkeit auf immer neue medizinische ‚Grenzwerte‘ bzw. ‚Normwerte‘ oder ‚Idealwerte‘97 und ‚Risikogruppen‘ beziehen. Im Kontrast zu Untersuchungen, die eine Verantwortlichkeit für Prozesse der Medikalisierung ausschließlich bei Institutionen, denen das Individuum ausgeliefert ist, sehen, enthält der Begriff der Medikalisierung nach Kolip für eine Diskursanalyse weitreichende Aspekte: Ähnlich dem Prinzip der Gouvernementalität und Biopolitik bei Foucault wird die ‚aktive Bürgerin‘ und ‚mündige Patientin‘ in diesem Analysekonzept in das gemeinsame Machtfeld integriert, wobei 90 91 92 93 94 95

Kerr 2003. Clarke 1998. Kerr 2003. Kolip 2000a: 13. Kolip 2000a: 18ff. Foucault 1972, Foucault 1999, Foucault 2002, Goubert 1982, Goubert 1980, Göckenjan 1985. vgl. Loetz 1993, Wahrig/Sohn 2003, Frevert 1995. 96 Illich 1995. 97 Dieser in Deutschland relativ junge Begriff könnte bereits eine Andeutung der ‚selbstverantwortlichen‘ Verfolgung eines Positivideals statt der Kontrolle über das Risiko darstellen. 71

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Frauen oftmals selbst den Wunsch nach Medikalisierung äußern. Als Hintergrund hierfür wird genannt: der Wunsch nach Bestätigung und Normalität; fehlende Rituale, Suche nach Sicherheit, Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Weiblichkeitsbilder und das Abgeben von Verantwortung.98 Die zentrale Perspektive der vorliegenden Arbeit allerdings liegt auf dem Gesundheits-/Krankheitsbegriff. In der zuvor beschriebenen Diskussion des Neuen, in der auch die von mir verwendeten Analysematerialien zu lokalisieren sind, bzw. überhaupt in den Arbeiten zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien, wird in den Untersuchungen mit wenigen Ausnahmen der Krankheitsbegriff fast ausschließlich auf das Risiko- und VerantwortungsParadigma konzentriert und selten breiter aufgefächert. (Eine Ausnahme stellt Rapps Beschreibung dar, wie Beratene mit lateinamerikanischem Hintergrund in den USA oft der pessimistischen Expertinnen-Einschätzung in der Beratung über beispielsweise Down Syndrom nicht folgten.)99 Nach Samerskis Analyse der Humangenetischen Beratung in Deutschland um die Jahrtausendwende werde Gesundheit darin zum individuell angepassten Funktionieren innerhalb vorgegebener Lebensbedingungen; Kontrolle und Führung durch Autoritäten seien in diesem Denkstil durch die Stimulation zur flexiblen Selbststeuerung und zum Selbst-Management verdrängt worden.100 Eine Veränderung wird somit nicht primär an der Konzeption von Gesundheit ausgemacht, sondern an der Frage, wer für ihre Herstellung Zuständigkeit erhält. Eine andere Perspektive nimmt Beck-Gernsheim ein, indem sie zeigt, wie ein industrieller Gesundheitsbegriff die Einführung von Gentechnologie ins Medizin- und Gesundheitssystem als Türöffner ermöglicht. So sei mit dem Verlust des gängigen Glaubens an ein Leben nach dem Tod das Leben vor dem Tod in einer Weise aufgewertet worden, die Gesundheit zum obersten Ziel macht. In der Industrialisierung wird aus Gesundheit als Geschenk Gottes ein Ziel und eine Pflicht des Bürgers, schließlich auf die Spitze getrieben im Dritten Reich.101 Dieser Gesundheitsbegriff werde, so Beck-Gernsheim, zur Einführung von Humangentechnologie, der die Bevölkerungen zunächst (spätestens mit Blick auf die historischen Erfahrungen mit Eugenik) skeptisch oder widerständig gegenüberstehen, als ‚Brückenkopf‘102 verwendet. Nach Beck-Gernsheim sei Gesundheit, oder präziser das Versprechen von Gesund98 99 100 101 102

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Kolip 2000a, 28ff. Rapp 1999. Samerski 2002: 20. Sachse 1990. Weingart 1989. Der Begriff des Brückenkopfes zur Einführung von neuen Technologien folgt dem Technologieforscher Peter Weingart, dabei entspräche der Brückenkopf einem vertrauten Wert eines gesellschaftlichen Systems, der als Punkt dient, von dem aus eine Technologie expandieren kann. Als Beispiel dienen Strategien aus der Zeit der Kolonialisierung, an lokale Traditionen anzuknüpfen.

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

heit, das magische Wort, mit dem Zustimmung erlangt werde, „[it] opens doors, [...] brings public support and money“103. Neben dem industriellen Gesundheitsbegriff ist Verantwortung in der individualisierten Gesellschaft für Beck-Gernsheim die Schlüsselkategorie, die die Verbindung von privatöffentlicher Gesundheit mit Genetik verbindet: Verantwortung gegenüber Gesellschaft, Familie und dem ungeborenen Kind; vor allem aber die Verantwortung über den eigenen „life course“104 der Gesundheit, die genetische Tests als präventive Maßnahme notwendig mache und die eigenverantwortliches, den Testergebnissen entsprechendes Handeln erwarten lässt. In dem Wechselspiel zwischen Gesundheit und Genetik macht sie bereits seit den beginnenden 1990er Jahren in angelsächsischen Medien eine sich andeutende Veränderung wiederum des Gesundheitsbegriffs durch Genetik aus: Mit den Genen und angekündigter ‚Gentherapie‘ ginge es nicht nur darum, einen „bad-functioning body into a well-functioning one“105 zu verändern, sondern „[to] make a wellfunctioning body even better, faster, stronger and more beautiful“106. Solche Perspektiven scheinen vor dem lokalen deutschen Hintergrund weit entfernt. Dem aktuellen Stand der medizinischen Möglichkeiten und der Regulierung im Gesundheitssystem nach ist in der BRD derzeit die häufigste Anwendung genetischer Beratung auf das prospektive Kind im Verlauf der Schwangerschaft bezogen, wenn auch die genetische Beratung einer/s Erwachsenen möglich und (selten) in Anspruch genommen wird. Jörg Schmidtke (den ich hier als Repräsentant der gegenwärtigen deutschen Public HealthSicht auf so genannte genetische Erkrankungen anführe), leistet eine skeptische Zusammenfassung von der Determiniertheit von Krankheit durch genetische Dispositionen.107 In der üblichen Unterscheidung von genomischen (wie das dreifache statt zweifache Vorliegen eines Chromosoms), monogenetischen, polygenetischen und multifakoriellen Erkrankungen (auch gesellschaftlich beeinflussten also) sei selbst bei den monogenetischen „Störungen“108, die grundsätzlich den Mendelschen Regeln folgten, nicht gegeben, dass sie sich überhaupt phänotypisch ausdrückten bzw. welchen Schweregrad ihr Ausdruck (wegen „variabler Expressivität“109) annehme. Er geht von etwa 400 solchen monogenetischen ‚Abweichungen‘ aus, wovon er die häufigsten (die meisten darunter weit entfernt davon, letal oder nicht behandelbar zu sein) auf eine Fallzahl von 1:20 Geburten summiert. Für polygenetische Faktoren und multifaktorielle Erkrankungen (beispielsweise nach Schmidtke Phä103 104 105 106 107 108 109

Beck-Gernsheim 2000: 125. Ebd. 132. Ebd. 127. Ebd. 127. Schmidtke 2000. Ebd.: 40. Ebd. 73

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

nomene von Gicht über Bluthochdruck bis Kurzsichtigkeit) wird der Begriff des Grenzwerts insofern relevant, als das „genetische Risiko“110 nicht-genetischen Faktoren gegenübergestellt wird, die als beeinflussbar betrachtet werden. Da es in Hinsicht auf beispielsweise Blutdruck, Körpergewicht oder Blutzucker „zwischen den ‚Normalen‘ und Kranken Übergänge gibt, müssen Grenzwerte festgelegt werden“.111 Diese transformieren einen quantitativen in einen qualitativen Parameter (vgl. in diesem Kapitel weiter vorn die Darlegung Canguilhelms; Schmidtke schlägt statt eines fixen Grenzwerts einen Grenzbereich vor, innerhalb dessen der Einzelfall gründlich abzuwägen sei). Humangenetische Analysen und Beratungen sind in der BRD, wie bereits erwähnt, vor allem Teil der Betreuung der Schwangerschaft bzw. der ‚Familienplanungsberatung‘. Auch im Rahmen des ‚Neugeborenen Screenings gemäß der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres‘ stattfindende Screenings enthalten ebenfalls genetische Untersuchungen.112 Leistungen der medizinischen Schwangerenvorsorge zur „Früherkennung von Risikoschwangerschaften und Risikogeburten“ wird durch die Mutterschaftsrichtlinien geregelt.113 Sowohl als medizinisch als auch inzwischen als soziologisch relevant gesehen wird die Unterscheidung zwischen invasiven und non-invasiven Verfahren der Diagnostik: Bei Amniozentese und Chorionbiopsie wird in einem körperlichen Eingriff Zellmaterial fötalen Ursprungs entnommen. Die non-invasiven Verfahren wie Ultraschall und der MSAFP-Test (die Untersuchung auf ein fetales Protein im mütterlichen Blutserum, ‚Triple-Test‘) werden mit jährlich deutlich steigender aber von Ort zu Ort unterschiedlicher Häufigkeit114 und fast grundsätzlich ohne Einholung der Zustimmung der Patientin vorgenommen. Berger et al. stellen in ihrer Untersuchung in Österreich fest115, dass der MSAFP-Test bei Frauen ab 35 Jahren eine nahezu einhundertprozentige Anwendungshäufigkeit hat. Selten gab es einen expliziten consent der Patientin. Interviews zeigten, dass die Blutabnahme für den Test von Frauen nicht als ‚Eingriff‘, der ihre Zu110 Ebd. 111 Ebd.: 39. Dieser legitimiert wiederum im System der Öffentlichen Gesundheit einen Eingriff und erklärt sich somit über die Systemgebundenheit der medizinischen Profession (Hervorhebung im Original). 112 Das Screening soll der Früherkennung von Krankheiten dienen, die „eine normale körperliche oder geistige Entwicklung des Kindes in nicht geringfügigem Maße gefährden“ (Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung 2005). 113 Mutterschafts-Richtlinien gemäß § 92 Abs.1 Nr. 4 SGB: Für die MutterschaftsRichtlinien ist zuständig der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, darin speziell der Arbeitsausschuss „Familienplanung“ (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung 2003). 114 Hennen et al. 2000: nach Zahlen der kassenärztlichen Vereinigung. 115 Berger et al. 2006. 74

DAS NEUE IN DISZIPLINIERTER REPRODUKTION

stimmung erfordern würde, wahrgenommen wird. Das Phänomen der Übereinstimmung dieser Einschätzung sowohl bei den MedizinerInnen als auch bei den Patientinnen wird von Berger et al. als Indikator für die Erosion der PatientInnenautonomie und des informed consent durch normalisierte, immer abstraktere Praxen gesehen. Um Pränataldiagnostik wird es in meiner weiteren Darstellung allerdings nicht weiter gehen, da der in dem untersuchten Material zur Debatte gebrachte Prozess jener der Zeugung und nicht jener der Schwangerschaft ist. Eine Untersuchung u.a. des Genoms im Zuge der Zeugung und damit vor der Schwangerschaft, die sog. Präimplantationsdiagnostik würde eine Laborzeugung zur Voraussetzung haben und ist in Deutschland grundsätzlich aufgrund des Embryonenschutzgesetzes von 1991 nicht legal. Tatsächlich scheinen die Krankheitsvorstellungen der ‚Neuen Genetik‘ demnach im Deutschen System wenig Neues zu enthalten, auch wenn die Rolle der Bürgerin oder des Bürgers als PatientIn sich verändert hätte: Infertilität ist (dem Vernehmen nach) ein labortechnisch lösbares und zu lösendes Problem; ‚genetische Krankheiten‘ sind zu vermeiden. Darin geht es um den ärztlichen Heilungsauftrag und Risikovermeidung – dem Wunsch steht das negative Risiko, das Wissen um ‚Gefahr‘ gegenüber (vgl. Beck weiter vorn) – nicht aber Möglichkeiten, die ohne ‚genetische Gefahr‘ als Mittel der Kontrolle existieren könnten. Die bisher kaum erhellte Frage, welche veränderten Konnotationen das Individuum-Gesundheit-Verhältnis enthält, wenn stattdessen weniger drohende Risiken, sondern stärker emanzipatorische Züge auch in Hinsicht auf die Anwendung der Technologien ins Zentrum des Diskurses der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien rücken, und ob die bisherigen soziologischen Analysen auch in solcherart verschobenen Diskursen weiterhin tragen, soll nun in den folgenden Kapiteln beleuchtet werden.

75

3 Die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien als Zukunft der Zeugung in Publikumsmedien von 1995-2003

3.1

Zeugung im deutschen Diskurs der Jahrtausendwende

Für diese Untersuchung werden unterschiedliche Materialien in der Makroanalyse verwendet: Populärwissenschaftliche Werke zur Zukunft der menschlichen Fortpflanzung, Berichte politischer Gremien zu den Auseinandersetzungen um die Rechtslage zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien seit 1995 sowie deutsche Printmedien (sog. Qualitätsmagazine und ‚seriöse Zeitungen‘), die einen Überblick über die Diskursverläufe zum Thema der Reproduktionstechnologien und Humangenetik in Deutschland bieten. Die Philosophin Sigrid Graumann gab in ihrer Medienanalyse zur Ethikdebatte um Klonierung an1, die Auseinandersetzung um Neue Reproduktions- und Gentechnologien und insbesondere Klonierung begänne im deutssprachigen Raum im Jahr 1997 mit ‚Dolly‘. Entsprechend wird für meine Untersuchung der Vorsicht halber 1995 als Beginn des Untersuchungszeitraums angesetzt, um in der Makroanalyse mit den Vorjahren kontrastieren zu können. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt im Weiteren auf der Mikroanalyse und damit auf dem Zeitungs- und Magazinmaterial. Nach einem grundsätzlichen Überblick2 über die Verteilung der Diskursstränge in den verschie1 Graumann 2002b. 2 Eine Übersicht war für den Makrodiskurs notwendig. Medienanalysen über verschiedene Themen in der Auseinandersetzung mit Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien sind in den vergangenen Jahren mehrfach unternommen worden (siehe z.B. Graumann, 2002b, Jäger et al. 1997). Da es sich bei der vorliegenden 77

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

denen Printmedien sind Beiträge nach folgenden Kriterien für die Mikroanalyse ausgewählt worden: Unter den deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen werden jene 15 Printmedien von höchster Auflage ausgesucht (als einem Bereich der breiteren Öffentlichkeit, von dem aus nachhaltige künftige Diskursverschiebungen erwartbar sind), die eine sowohl politisch als auch naturwissenschaftlich interessierte LeserInnenschaft ansprechen (da somit zu erwarten wäre, dass diese Medien auch vom politischen Sektor wahrgenommen werden, bzw. mit diesem im Austausch stehen und somit eine höhere Relevanz für gesundheitspolitische Entscheidungen und rechtliche Regulierungen haben).3 Ein zweites Kriterium bestand darin, dass die gesuchten Beiträge den Umfang einer schlichten Pressemeldung überschreiten sollten, als Maßwert diente eine Länge von mindestens 500 Wörtern. Zusätzlich werden die Wissenschaftsmagazine mit höchster Auflage im deutschsprachigen Raum, wie Bild der Wissenschaft, Spektrum der Wissenschaft und Geo untersucht, da auch darin Artikel zu Neuen Reproduktions- und Gentechnologien in ausreichender Länge zu erwarten sind. Auf diese Weise ergab sich mittels Schlagwortsuche in den Datenbanken der Zeitschriften, bzw. der Lektüre der Printausgaben nach den Schlagworten ‚Reproduktionstechnologie‘, ‚Befruchtung‘, ‚IVF‘, ‚Zeugung‘, ‚Infertilität‘, ‚Unfruchtbarkeit‘, ‚Kinderwunsch‘ und ‚Klonierung‘ ein Korpus von insgesamt weit über 1000 Beiträgen im Untersuchungszeitraum von 1995-2003. Hierauf wiederum wurde das dritte Kriterium angewandt, nämlich dass sie als ‚von Bio- und ReproduktionsmedizinerInnen verfasst‘ markiert sind. Es sind also solche Medien-Beiträge ausgewählt worUntersuchung keinesfalls um eine Medienanalyse im üblichen Sinne handelt, sondern der Blick sich auf Neuformationen von Gegenständen durch spezifische Darstellungsweisen Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien richtet (nämlich auf solche, die sie explizit als breiter oder gar grundsätzlich anzuwenden sinnvoll erachten und sie mit emanzipatorischen Aspekten verknüpfen), waren Artikel nicht für die Mikroanalyse zu verwenden, die solchen Strängen keinen, oder wenig Raum lassen. Wie zu anderen gesellschaftlich scharf diskutierten Themen gehören auch Neue Reproduktions- und Gentechnologien zu jenen Medienthemen, die in manchen Zeitungen und Zeitschriften in vielfacher Weise implizit in Artikeln eine Fürsprache erhielten (durch Bildsprache, Unterschlagungen von Informationen, Hervorhebungen spezieller gesundheitsrelevanter Daten etc.). Meine Auswahl galt jedoch expliziten Argumentationssträngen von wenigstens einigen zusammenhängenden Sätzen, die es ermöglichten eine Rekonstruktion der Verknüpfung diskursiver Gegenstände auszumachen. Der Unterschied allerdings zwischen verschiedenen Medien in eben dieser Politik, Expertenfiguren für Neue Reproduktions- und Gentechnologien sprechen zu lassen (womit einem ansonsten vor dem deutschen Hintergrund eher ‚unseriös‘ erscheinenden allzu liberalen Diskursstrang Ausdrucksmöglichkeit gegeben wird, die sonst wenig bestünde), oder sie nicht sprechen zu lassen, ist – wie oben ausgeführt – nicht zu unterschätzen als ein wesentliches Element verschiedener Funktionen des Makrodiskurses als Einbettung und Produzent verschiedener Stränge. 3 Institut für Demoskopie Allensbach 1996. 78

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

den, die in den Medien als Auffassungen von WissenschaftlerInnen auf dem Gebiet der Reproduktionstechnologie, Biologie allgemein bzw. der Genetik im Besonderen präsentiert werden. Die Beiträge werden dadurch als Expertisen-Texte besonders hervorgehoben (siehe 3.1.2 zur ‚Funktion des Experten‘ und Beschreibung der institutionellen Einbettung der Autorfiguren entsprechend der eigenen und medialen Inszenierung). Das vierte und letzte Auswahlkriterium ist inhaltlicher Art: Entsprechend der Fragestellung dieser Untersuchung (in welcher Weise sich der Krankheits-/Gesundheitsbegriff im Zuge der Einführung Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien verändert), werden solche Beiträge ausgewählt, über die sich im deutschsprachigen Raum ein positives Bild der Zukunft der menschlichen Zeugung unter Hinzuziehung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien zeichnet, die also für einen breiteren Zugang zu diesen Technologien (durch Gesetzesänderungen, Forschungsförderung oder andere staatliche unterstützende Maßnahmen) plädieren. Wie sich in der Makroanalyse zeigte, gibt überschnitt sich die Auswahl nach den letzten beiden Auswahlkriterien, da es bis auf wenige Ausnahmen4 jene Diskursfiguren sind, die die Funktion des ‚bio- oder medizin-wissenschaftlichen Autors‘ erfüllen, die sich explizit liberal zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien äußerten – bzw. denen diese Position zugestanden wurde (die sich also in dieser Weise äußern durften). Es sollte durch diesen spezifischen Fokus auf bestimmte Autorfiguren ein Diskurssegment ausgemacht werden, das seinen institutionellen Hintergrund zum Teil in der biobzw. reproduktionsmedizinischen Laborpraxis hat und somit in den Medien als Scharnier der Translation zwischen diskursiven Ebenen und Institutionen dient. Es ließe sich einwenden, dass eine solche Scharnierfunktion zwischen Spezialdiskurs und dem öffentlichen Diskurs auch von naturwissenschaftlich promovierten Wissenschaftsredakteuren angenommen werden könnte. Dies ist in der vorliegenden Untersuchung nicht der Fall, da ihre wissenschaftliche Disziplin einerseits selten derart nah am Sujet liegt – eine Distanz, die sich durch die Ausbildung zum Redakteur zeitlich oft in hohem Maß erhöht. Zudem ist ihre diskursive Funktion die des (eingeweihten aber distanzierten) Redakteurs und nicht des Wissenschaftlers. Vor allem aber ist es ihnen aus ihrer Funktion heraus zumindest in den untersuchten Zeitungen und Magazinen nicht erlaubt, in eindeutiger (liberaler) Weise Stellung zu beziehen, wie es die naturwissenschaftlich inszenierten Autorfiguren tun (dürfen). So zeigte sich, dass die über diese Autorfiguren eingeleiteten Beiträge die einzigen sind, die auf weiter Strecke und ohne hinterfragende Interjektionen einen liberalen Diskursstrang zu Neuen Reproduktions- und Gentechnologien verfolgen. Sol4 Wie etwa ein Beitrag des Ethikers Peter Singer und jene, in die Auswahl der vorliegenden Analyse eingegangenen Beiträge des bei der Firma Advanced Cell Technology tätigen Ethikers Ronald M. Green. 79

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

che Beiträge boten also hinreichendes Material, das Auftreten und Verflechten alter und neuer Gegenstände und diskursiver Techniken im Feld der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien zu betrachten und sie in der Mikroanalyse auf Diskursstränge zu untersuchen. Zusätzlich wurde eine größere Zahl daraus einer Feinanalyse unterzogen (siehe hierzu genauer weiter unten).5 Bevor auf diese besondere Gruppe der mikroanalysierten Artikel eingegangen wird, soll im folgenden ihre medialdiskursive institutionelle Umgebung beschrieben werden, die ihnen Raum gibt. Für die folgende Makroanalyse wurden, wie zuvor angedeutet, zusätzlich zu diesem Magazin- und Zeitungskorpus von über 1000 Beiträgen zur Einbettung in die kontemporär dominanten Diskursstränge im deutschsprachigen Raum auch Gesetzestexte, Richtlinien oder Diskussionspapiere nationaler wie supranationaler Institutionen (wie z.B. Ärztekammer, Bundestag, WHO etc.) herangezogen. Zusätzlich wurden Texte, Bücher und Vorträge, die von Vermittlern der Diskursstränge, also besonderen Autorfiguren verfasst sind, analysiert.

3.1.1 Hervorbringungskontext: Politikdebatte und Printmedien6 Politikdebatte Abgesehen von wissenschaftlichen und politischen Meldungen aus dem Ausland (s.w.u.) fand die Medienauseinandersetzung zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien bis 2003 in gegenseitiger Durchdringung mit Debatten politischer Gremien, vor allem des Bundestages statt. Den Hintergrund bildeten dabei Auseinandersetzungen um politische Entscheidungen vor allem in Hinsicht auf Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik und Humanklonierung. In diesem wissenschafts- und sozialpolitischen Rahmen, diesen mit gestaltend, entstanden die für die Mikroanalyse ausgewählten Texte. Zur Erleichterung der Übersicht sind die zwischen 1995 und 2003 medial diskutierten wissenschaftlichen, politischen und medialen Ereignisse im Feld der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien in der Zeitleiste im Anhang zusammengefasst.

5 Kriterium der Auswahl für die Feinanalyse war, dass der Beitrag besonders repräsentativ für einen Diskursstrang oder (als Kontrast) ein besonders seltener Aspekt eingebracht wird, eine Diskursfigur mit mehreren Beiträgen im Korpus der Mikroanalyse enthalten ist, oder der Beitrag sich sehr ausdrücklich und über eine große Textlänge hinweg mit der Zukunft der menschlichen Zeugung befasst. 6 Die zitierten Medienbeiträge für diese Analyse des Makrodiskurses sind in der Literaturliste im Anhang wiedergegeben. 80

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Trotz durchgängiger, oft konflikthafter Diskussionen um grundlegende Fragen der rechtlichen Regelung der neuen Biotechnologien am Menschen wie Präimplantationsdiagnostik, Forschung an menschlichen Stammzellen und Klonierung des Menschen gibt es wenige rechtsverbindliche Entscheidungen in der Zeit von 1995-2003: Die einzige rechtliche Veränderung seit dem InKraft-Treten des Embryonenschutzgesetzes 1991 bis heute ist die Erlaubnis des Importes von Stammzellen unter bestimmten Bedingungen (in Kraft getreten am 1. Juli 2002). Der Prozess bis zu dieser Entscheidung sowie alle weiteren Auseinandersetzungen um Genpatentierung, Präimplantationsdiagnostik und Klonierung fand unter intensivem Austausch mit und unter Begleitung durch die Medien (auf jeweils sehr unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Schwerpunkten, s.u.) statt. Vor allem die Autorfigur Klaus Diedrich7 plädierte seit 1995, die Bundesärztekammer im Jahr 2000 und Verbände der Reproduktionsmedizin im Jahr 2001 für eine Zulassung von PID. Einen entsprechenden Antrag reichte die FDP im Bundestag im Jahr 2000 (und nochmals in 2005) ein. Zur vermeintlich durch das Embryonenschutzgesetz nicht ausreichend oder zu restriktiv geklärten Regelung der genetischen und reproduktionstechnologischen Problemfelder beauftragte die Bundeskonferenz der Gesundheitsministerien der Länder 1999 den Bundestag, Bestimmungen zu finden, die fortan als Forderung nach einem ‚Fortpflanzungsmedizingesetz‘ auftauchen. Dieses gibt es bis heute nicht, da der Bundestag in fast sämtlichen Fragen das Embryonenschutzgesetz als ausreichend qualifizierte. Dominiert wird die BiotechnologieFrage im Kontext von Humanembryonen zwischen 2000 und 2002 von einem vermeintlichen Regelungsbedarf der Stammzellforschung: Das Embryonenschutzgesetz lässt hier eine Lücke, die sich dahingehend verstehen ließe, dass die Arbeit an nicht in Deutschland entstandenen Embryonen legal sei. Der Stammzellforscher Oliver Brüstle aus Bonn forderte in dieser Frage Klärung durch einen Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahr 2000. Diese Stammzellfrage steuert weitere Impulse zur Debatte über den Status von Embryonen, wie sie auch die Reproduktionsthemen tangiert, bei. (Die ‚Stammzelldebatte‘ wird im Folgenden jedoch nur angeschnitten, wenn sie ausdrücklich im Zusammenhang mit reproduktionsgesundheitlichen oder reproduktiven Fragen diskutiert wird.) Zur Beratung des Bundestages in sämtlichen Angelegenheiten der Humanbiotechnologie wurde im März 2000 eine Enquête-Kommssion Recht und Ethik der modernen Medizin eingesetzt, die über die Kompetenzen des bereits bestehenden Ethik-Beirats des Bundesgesundheitsministeriums, der auf dessen Beratung beschränkt war, hinausgeht. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der seit Dezember 2000 vielfach mit seiner Warnung vor einer „Politik der ideologischen Scheu7 Vgl. zum Begriff der Autorfigur Kap. 1.2.3. 81

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

klappen“8 in Hinsicht auf Biotechnologien wie Stammzellforschung, die nicht nur „unrealistisch“9, sondern auch „unverantwortlich“10 sei, zitiert wird, berief am 2. Mai 2001 seinerseits unter Protest aus den Reihen der Nicht-Regierungsparteien einen Nationalen Ethikrat, der dem Kanzleramt untersteht. Diese Akte und die Vorfelder der jeweils in den Gremien produzierten Entscheidungen, generierten größeres Medieninteresse für die jeweiligen spezifischen Themen mit entsprechendem feedback wiederum in der Politik. Als politisches Ereignis wenig medial wahrgenommen ist ein Ereignis im Bundestag, das mehrere Diskursstränge betrifft, die in der vorliegenden Analyse der ausgewählten Artikel auszumachen waren (siehe Kapitel 3.2): Der Meinungsbildungsprozess der Bundestagsmitglieder resultierte im Februar 2002 in einer Entscheidung von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen sich (in einem gemeinsamen Antrag) gegen das Klonen von Menschen generell auszusprechen. Explizit wird darin die Unterscheidung von sogenanntem ‚reproduktiven‘ und ‚therapeutischem‘ Klonen abgelehnt. Diese Entscheidung hat auch im Herbst 2002 Bestand in der Debatte um die Positionierung in Gremien der EU und der UN wider die Klonierung. In den Medien bildet sich diese Positionierung ebenfalls, indem in den Zeitungen Die Zeit11 und Süddeutsche Zeitung überwiegend von Klonierung (ohne adjektivischer Unterscheidung) gesprochen wird, während das Magazin Der Spiegel12 vor allem Experten der Biologie und Medizin eine solche Unterscheidung zitieren lässt (siehe weiter unten). Zitate von Experten der Reproduktionsmedizin und Biologie verweisen in den meisten Fällen der analysierten Beiträge auf die internationale Unterschiedlichkeit der gesetzlichen Regelungen von Humanbiotechnologie, insbesondere im reproduktiven Bereich. Überwiegend wird Deutschland im internationalen Vergleich zutreffend als das oder ein Land mit (den) striktesten gesetzlichen Grenzen für die Forschung an und Anwendung von Neuen Gen- und Reproduktionstechniken dargestellt. Weitere Makroanalyseergebnisse zu reproduktionsmedizinischen Diskurssträngen in der Bundesrepublik vor allem in Hinsicht auf Unterschiede in den Hintergründen ethischer Positionierungen, insofern sie auch gesundheitspolitische Entscheidungen in reproduktionstechnologischen Fragen betreffen, sind in Kapitel 4.1 beispielhaft im Kontrast zu der diskursiven Situation in den USA dargestellt.

8 Schröder 2000. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 Im Folgenden Zeit 12 Im Folgenden Spiegel 82

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Die Zeitungen und Magazine als institutioneller Hervorbringungskontext Aus den etwa 15 deutschsprachigen Nachrichtenzeitschriften von höchster Auflage13 wurden vier Tages- und Wochenzeitungen bzw. -zeitschriften herausgearbeitet als jene Medien, die Artikel von ausreichender Länge (über etwa 500 Wörter) enthalten, die über eine bloße Meldung hinausgehen und die zudem das Kriterium erfüllen, sich für Neue Reproduktions- und Gentechnologien aussprechende Beiträge zu enthalten, welche als Interviews mit bzw. als ‚Originalbeiträge‘ von bio- oder reproduktionsmedizinisch Tätigen markiert sind: Spiegel, Focus, Zeit und die Süddeutsche Zeitung. Für die Mikroanalyse (deren Ergebnisse in Kapitel 3.2 vorgestellt werden) ließen sich 38 Beiträge auswählen, die auch die zuvor genannten inhaltlichen Kriterien erfüllen, die sich also mit der Zukunft der menschlichen Zeugung auseinandersetzen und in denen zugleich eine Lockerung gesetzlicher Regelungen angestrebt wird bzw. in denen sich positiv zu den Möglichkeiten von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien geäußert wird.14 Diese wurden also auf bestimmte Diskursstränge hin untersucht. 20 Artikel hiervon wiederum wurden der Feinanalyse unterzogen, bilden also die wesentliche Basis für die Darstellung von Metaphern in Kapitel 3.4.2 bis 3.4.4.15 Die Auswahl des Untersuchungszeitraums erwies sich als sinnvoll. Es ergab sich, dass tatsächlich im Jahrgang 1995 kein Beitrag, der meinen Auswahlkriterien entsprochen hätte, zu finden war, dafür allerdings im Jahrgang 1996 ein Beitrag, so dass tatsächlich die untersuchten Diskursstränge, anders als es Graumanns Angaben entsprochen hätte, bereits vor der ersten Meldung über Dollys Geburt ihren Anfang nehmen. Die Anzahl der Beiträge, die den Kriterien der Auswahl für die Mikroanalyse entsprechen, nimmt von diesem Jahr an kontinuierlich zu (drei in 1997, fünf in 1998, sechs in 1999, sieben in 2000; 2001 finden sich fünf, 2002 jedoch gleich acht Beiträge dieser Art, dagegen 2003 nur drei). Die Häufung von sechs, bzw. sieben Beiträgen in 1999/2000 und acht in 2002 entsprechen dem allgemein vermehrten Auftreten von Beiträgen zu Neuen Reproduktions- und Gentechnologien im Zuge der Debatten zum ‚Fortpflanzungsmedizingesetz‘ auf Bundes- und Europa-Ebene bzw. von Bei13 S.o., Institut für Demoskopie Allensbach 1996. 14 Etwa zwei Drittel des gesamten Materials, dass sich mit der Verschlagwortung Klonierung, IVF, Reproduktionstechnologien etc. finden ließ, behandelte das Thema der Stammzellforschung. 15 Die Liste des Mikroanalyse-Materials findet sich im Anhang. Gegenstand der Feinanalysen waren die Texte Antinori 2001, Baker 1999, Comhaire 2002, Diedrich 2003, Djerassi 1999a, Djerassi 2000b, Green 1999, Geen 2002, Hamer 2002, Hughes 2002, Hughes 2000, Katzorke 2003, Reich 2000, Silver 1998b, Silver 2000, Solter 2002, Stock 1998, Stock 2000a, Stock 2000c, Wilmut 1997. Sie sind in der Liste des Analysematerials am Ende dieses Bandes mit * markiert. 83

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

trägen zu dem Versuch der Vereinten Nationen, einen Konsens über ein Klonverbot zu erreichen. Vor allem im Jahr 2002 schlugen sich zusätzlich mehrfach Meldungen über Vorhaben der Klonierung oder über vermeintlich gelungene Klonierungen in einem erhöhten Interesse von Redaktionen an Neuen Reproduktions- und Gentechnologien nieder. Die Artikel, auf die die Kriterien der Mikroanalyse zutreffen, sind in auffälliger Zahl (zwölf) im Magazin Der Spiegel vertreten. Weitere acht finden sich im Untersuchungszeitraum im Focus. Die Zeit enthält vier, ebenso, wie die Tageszeitung Süddeutsche Zeitung. Unter den populärwissenschaftlichen Magazinen ist vor allem das Spektrum der Wissenschaft (mit sieben Beiträgen) herausragend, Geo enthält dagegen lediglich einen Beitrag. Zusätzlich wurden Einzelfunde, einer in dem feministischen Magazin Emma und einer in dem philosophischen Fachblatt Ethica zur Analyse hinzugezogen. Die Einbettung dieser Stränge im Profil der Medien sowie ihre diskursive Umgebung wird im Folgenden als Hervorbringungskontext dargestellt. Eine Übersicht stellt zunächst grobe Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Medien vor, darauf folgend werden Diskursverläufe nach Medium einzeln aufgezeigt. Grundsätzlich sind seit etwa 1998 Neue Gen- und Reproduktionstechnologien in Printmedien jeder Art täglich präsent. Je nach Publikum lassen sich im Makrodikurs die unterschiedlichsten Veranlassungen für Artikelsetzungen (‚trigger‘) ausmachen. Die sich als Alternative zur Bild-Zeitung gebende Boulevardzeitung Hamburger Morgenpost zum Beispiel füllte am 18. Juli 2003 eine gesamte Seite mit der Meldung, „Ein Gen-Baby für Madonna“16: Die Sängerin wolle wegen ihres fortgeschrittenen Alters von einem Dr. Jaruslav Marik ein Verfahren anwenden lassen, bei dem sie ihr Genmaterial in eine Spenderinneneizelle injizieren ließe, das dann mit Guy Richies Spermium (per ICSI) ‚befruchtet‘ würde. Dass es genau diese Technik ist, die wegen der Vermischung des Genoms zweier Personen in der Keimbahn als Keimbahnmanipulation für kritische Schlagzeilen in naturwissenschaftlichen Zeitschriften und darüber hinaus sorgte (s.w.u.), findet erwartungsgemäß auf der bunten Seite keine Erwähnung. So wie in der Boulevardpresse die Politikprozesse zu Neuen Reproduktions- und Gentechnologien eher wenig verfolgt werden, dienen Einzelereignisse aus der Popwelt selten als trigger für Berichte zu Neuen Reproduktions- und Gentechnologien in den sich seriös gebenden Zeitungen und Magazinen. Die untersuchten Tages- und Wochenzeitungen sowie die Magazine teilen dagegen ähnliche trigger, die jeweils Beiträge in unterschiedlichen Mengen und Längen provozieren. Hierzu gehören einerseits politische Ereignisse, wie die Entscheidung in Großbritannien 1996, die Aufbewahrungszeit von einge16 Hamburger Morgenpost 2003. 84

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frorenen Embryonen zu begrenzen, oder eine Entscheidung der RheinlandPfälzischen Bioethikkommission im Jahr 1999, Präimplantations-Diagnostik als rechtlich und ethisch zulässig zu betrachten, oder die verschiedenen Ereignisse in den Jahren 2000 bis 2002, die Versuche darstellten, mit der aus verschiedenen Sektoren stammenden Forderung nach einem das Embryonenschutzgesetz erneuernden ‚Fortpflanzungsmedizingesetz‘ nachzukommen. Während die Monatsmagazine Geo und Spektrum der Wissenschaft diese politischen Ereignisse augenscheinlich kaum, die Zeit und die Süddeutsche Zeitung sie dagegen oft im Detail und mit Gastbeiträgen verfolgte, sind dies keine Ereignisse, die im Spiegel ausführlichere Beiträge generieren. Stärker wirken die verschiedenen Ankündigungen der Produktion eines Humanklons im Spiegel wie durch Richard Seed 1998, die von Severino Antinori ausgerichtete Pressekonferenz 2001 in Rom und die konkretere Ankündigung einer Klongeburt Ende 2002 sowie die Ankündigung einer eben solchen Geburt durch die Sekte der RaelianerInnen ebenfalls Ende 2002. In mehreren Printmedien, so dem Geo, der Süddeutschen Zeitung und der Zeit nahm 2003 – vor allem zu Jahresbeginn – eine im Unterschied zu zuvor offener ablehnende (verurteilende, fast enervierte) Haltung gegenüber ‚DNA-Kontrolle‘ oder Eingriffen am Embryo und dem Klonierungsthema zu.17 Abgesehen von Spektrum der Wissenschaft gibt es offenbar einen impliziten Konsens, sich gegenüber Klonierung und Eingriffen in die Keimbahn kritisch zu äußern. Unklarer werden die Positionen in Hinsicht auf PID, wenn einer ablehnenden Haltung vor allem die (seelischen und gesundheitlichen) Interessen der potentiellen Mutter gegenübergestellt werden (wie in der Süddeutschen Zeitung) oder die Sorgen von Ärzten, die für die Fälle von Mehrlingen infolge von IVF Sorge zu tragen haben (wie im Spiegel). Besonders in der Süddeutschen Zeitung gibt es hierzu Veränderungen in den Positionen und differenzierte Beiträge auch zur Frage des Kinderwunsches (s.u.). Entsprechend verhandeln sämtliche der untersuchten Magazine und Zeitungen (abgesehen von Spektrum der Wissenschaft und Geo – letzteres, weil es ohnehin kaum Beiträge zum Thema enthält – die gleichen Autorfiguren als Anti-Helden der Klonierung (Richard Seed, Severino Antinori und die Sekte 17 Siehe z.B. die Entwicklung in der Zeit: Bartens, Werner (2003): Es schwingt der Genkode, es vibriert die DNA. Ihre Religion ist die Wissenschaft: Eine Begegnung der dritten Art mit deutschen Mitgliedern der ufogläubigen Klon-Sekte der Raelisten. Die Zeit 2, 2003; Jessen, Jens (2003): Ist uns ein Klonkindl geboren? Gentechnik auf schiefer Ebene. Die Zeit 2, 2003. Mit für Die Zeit ungewöhnlich eindeutiger Ablehnung und christlicher Haltung: „Was in der langen Debatte um Gefahren und Chancen der Gentechnik bisher nur als düstere Möglichkeit galt, scheint Wirklichkeit zu werden: dass sich der Mensch an Gottes Stelle setzen und zum Schöpfer seiner selbst aufschwingen könnte“ heißt es in Lütkehaus, Ludger (2003): Philosophische Hilfestellungen (81. Folge): Eva II, mutmaßliches Klon-Baby. Die Zeit 3, 2003. 85

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

der RaelianerInnen) und stellen ihnen (und anderen nicht dem ethischen Minimalkonsens konformen Positionen) ‚Stimmen des Ausgleichs‘ gegenüber. Diese sind je nach den Zeitschriften jeweils unterschiedliche Figuren, die öfter innerhalb des Mediums wiederholt in dieser Funktion auftreten. Abgesehen von Übereinstimmungen und Besonderheiten der textlichen Diskursproduktion zeichnen sich vor allem die an wissenschaftlich Interessierte gerichteten Monatshefte Geo und Spektrum der Wissenschaft sowie zusätzlich die Wochenzeitung Spiegel durch häufige Infografiken und Infogramme aus, die in ihrer zwangsläufig reduktionistischen Einfachheit leichte Nachvollziehbarkeit und Fehlerfreiheit verschiedener zellbiotechnischer Verfahren suggerieren. In Hinsicht auf die Bilderwelt ist den Tages- und Wochenzeitungen wie Magazinen gemeinsam, dass sie allzu häufig (auch wenn es in dem Beitrag inhaltlich nicht um ICSI geht) eine mikrofotographische Darstellung einer mit einer Pipette gehaltenen Eizelle zeigen, die von einer zweiten (vermeintlich ein Spermium enthaltenden) Pipettennadel angestochen wird, was möglicherweise metaphorisch als ‚Befruchtungsakt‘ verstanden wird. Ebenfalls häufig findet sich in Abbildungen die Farbe ‚grün‘ für ‚künstlich‘ (auch assoziierbar mit chemisch oder giftig (wie in ‚giftgrün‘) oder mit Außerirdischen, die filmisch oft als grünliche Wesen dargestellt sind). So hält etwa der zur Zukunft der Laborzeugung publizierende Physiker Gregory Stock in einem im Spiegel abgebildeten Foto zu einem Interview ein Laborglas vor sich, das eine leuchtend grüne Flüssigkeit enthält, die er eingehend zu betrachten scheint18 und in der Zeit krabbeln in einem Bild auf einer Titelseite aus einem Reagenzglas vor grünbeschienem Hintergrund diverse gleich gestaltete Babys19. Auch wenn mehrere der untersuchten Medien gemeinsame wissenschaftliche oder politische Ereignisse teilen, unterscheiden sie sich doch stark in der Gewichtung derselben, wie in der folgenden Darstellung der Behandlung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien in den einzelnen Zeitungen und Magazinen deutlich wird. Zunächst werden die populär-naturwissenschaftlichen Magazine (Geo, Spektrum der Wissenschaft, Bild der Wissenschaft, wobei letzteres im Gegensatz zu den vorigen kein Analysematerial enthält) behandelt und anschließend die Nachrichtenmagazine und Zeitungen Frankfurter Rundschau, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Stern (die kaum Untersuchungsmaterial für die Mikroanalyse enthalten), sowie Zeit, Süddeutsche Zeitung, Focus und Spiegel, die reich an Untersuchungsmaterial entsprechend den Auswahlkriterien sind.

18 Stock 2000a. 19 Laguna Design, Science Photo Library, Agentur Focus in Leicht 2001. 86

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Das aufwendige Monatsmagazin Geo wendet sich dem Format nach an wohl situierte ‚EntdeckerInnen‘ mit wissenschaftlichem Interesse und Liebe zur Natur, ohne dabei ökologisch aufzutreten. Fotos stehen den Schriftbeiträgen an Umfang und Bedeutung in den Artikeln in nichts nach oder dominieren sie. So gleicht einer der insgesamt sechs darin zum Thema der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien erschienenen Beiträge einer Fotoreportage aus dem Biolabor.20 Mit dem Bildbegleittext zu Embryonen in einer Petrischale „In einer Glasschale, eingehüllt in nährende Tropfen, schwimmen ein Dutzend potentielle Menschen“ positioniert sich der Artikel im Feld der Kritik an der Forschung an Embryonen, deren ethischer Status in der typischen Formel ‚potentielle Menschen‘ hervorgehoben wird. Das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik wird anhand des „Erbleidens“21 Duchenne-Muskeldystrophie erklärt und diese „Selektion als Alternative zur Abtreibung“ als „vertrackt“ beschrieben: „Denn PID läutet eine neue Ära der Eugenik“ ein.22 Hiermit wird die Position des Reproduktionsmediziners Marc Hughes – eines ihrer „glühendsten Verfechter“ stark austariert, wonach „künftig die meisten Leute die IVF-Technik nicht wählen werden, weil sie ein Fruchtbarkeitsproblem haben, sondern wegen der Möglichkeit, Embryonen genetisch zu selektieren.“23 Ebenfalls 1996 erschien ein Beitrag, der die Möglichkeiten von Gentests (auch am Embryo) relativiert.24 Umfangreiches Thema wurde Reproduktionstechnologie erst wieder mit gleich drei Beiträgen im Jahr 2002: Inzwischen befasst sich Geo damit, wie „die künstliche Befruchtung zu einer weit verbreiteten Form der Fortpflanzung geworden“ sei.25 Eine umfangreiche Reportage zum Klonen befasst sich vor allem mit technisch-biologischen Schwierigkeiten der Verfahren und behandelt auch die Klonierung von Tieren bedrohter Tierarten.26 In 2003 wird, wie in einigen anderen Zeitungen und Magazinen auch, in Geo der Ton mit einem Beitrag von Andrea Böhm über die Verbreitung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien in Kalifornien27 kritischer, der ähnlich bereits zwei Jahre zuvor in der Süddeutschen Zeitung erschienen war. Diese Reportage bietet das Umfeld zu einem Interview mit Thomas Katzorke, der Präimplantationsdiagnostik als notwendig beschreibt.28 Mit Zwischenüberschriften wie „Mit jedem gescheiterten Versuch wächst der Druck, beim nächsten Mal mehr zu riskieren“;29 „Sind Eltern, die bei der Ein20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

Dickman/Volz 1996. Ebd. 53. Ebd. 60. Ebd. 60. Fischer 1996. Geo 2002. Sparmann 2002. Böhm/Berman 2003. Geo 2003. Böhm/Berman 2003: 136. 87

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

schulung ihres Kindes in Pension gehen, das Fundament einer glücklichen Familie?“30; „Was im Tierversuch nur einmal geklappt hat, wird garantiert auch an einer Frau ausprobiert“31 sowie daran anschließend einem Beitrag zu vor allem gesellschaftlichen und psychosomatischen Aspekten von Infertilität setzt Geo ein massives Gegengewicht.32 Zugleich weist der Beitrag von Andrea Böhm umfangreich auf vermeintliche Geschlechter-Progressivität hin: „Eizellen unversehrt einfrieren und wieder auftauen zu können, wäre eine Revolution für die Frauen. […] Kalifornien gewährt wie kein anderer Ort einen Blick in die Anfänge dieser neuen Welt. Immer schon toleranter für Lebens- und Geschäftsformen aller Art, hat sich hier die gesellschaftliche Avantgarde der künstlichen Reproduktion niedergelassen: schwule und lesbische Paare, die inzwischen eine lukrative Zielgruppe der Kinderwunsch-Industrie geworden sind.“33 Das ebenfalls monatlich erscheinende Spektrum der Wissenschaft dagegen positioniert insgesamt neun Beiträge von verschiedenen Wissenschaftlern aus dem Bereich der Molekularbiologie bis Medizin, von denen fünf sich durch Zukunftsfiktionen oder Begründungen von Forderungen an den Gesetzgeber für Relativierungen bisheriger ethischer Grenzziehungen in Deutschland aussprechen (vgl. die Literaturliste der Mikroanalyse im Anhang) und weitreichende medizinische und gesundheitliche Möglichkeiten durch Neue Gen- und Reproduktionstechnologien prophezeien34. Sie zeichnen sich durch eine starke Tendenz zum Gen- und zugleich Sozialdeterminismus aus und werden nicht durch abschwächende oder kritisierende Beiträge ausgewogen. Der Versuch einer ersten Humanklonierung durch Advanced Cell Technology (ACT) wird durch einen biotechnisch gehaltenen Beitrag von Wissenschaftlern der ACT präsentiert. Daran schließt die ethische Begründung des Vorsitzenden des Ethikrats von ACT, Ronald M. Green an, warum Klonierung von Humanembryonen zu medizinischem Zwecke vertretbar sei, die auch rein technisch mit Klonierung zur Reproduktion nicht verglichen werden könne.35 Dieselbe Person, in anderer Autorfigur, nämlich nicht als offensichtlicher Angehöriger von ACT, hatte 1999 ebenfalls in Spektrum der Wissenschaft in „Mein Kind ist mein Zwilling“36 umfangreich die Vorteile reproduktiver Klonierung begründet. Anders als im Spektrum der Wissenschaft ist in Bild der Wissenschaft, zumindest zwischen 1995 und 2003, das Format der Originalbeiträge oder In30 31 32 33 34 35 36 88

Ebd. 139. Ebd. Brettin 2003. Böhm/Berman 2003: 150. Green 1999, Hamer 2002. Cibelli et al. 2002, Green 2002. Green 1999.

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terviews mit WissenschaftlerInnen nicht enthalten. Bild der Wissenschaft nimmt in dem untersuchten Zeitraum einer kritische Haltung zu Neuen Reproduktions- und Gentechnologien ein. Die Frankfurter Rundschau zeigte sich als eine Tageszeitung mit Gastbeiträgen und Interviews, deren Länge eine für meine Analysen notwendige inhaltliche Tiefe enthalten. Allerdings erfüllten diese nicht das inhaltliche Kriterium, nämlich sich in irgendeiner Weise positiv zu Neuen Reproduktionsund Gentechnologien auszusprechen. Stattdessen enthalten die Jahrgänge 1995-2003 eine Fülle philosophisch und politisch kritischer Texte, auch Originalbeiträge von WissenschaftlerInnen zu Neuen Reproduktions- und Gentechnologien. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wiederum, die ebenfalls das Kriterium der hohen Auflage sowie der inhaltlichen Tiefe und Artikellänge erfüllt, befassen sich ausschließlich (Bio-) Wissenschaftler der Zeitung selbst, die also als Fachjournalisten Risiken oder politisch, wissenschaftliche Veränderungen diskutieren, mit Neuen Reproduktions- und Gentechnologien, nicht aber geladene Gäste der medizinischen oder biologischen Fachrichtung. Die Artikel zeigen sich explizit ausgewogen in ihrer Haltung, obwohl sie dem allgemeinen Konsens folgen, sich gegenüber Klonierung kritisch zu äußern. Auf diese Weise entstand beispielsweise mit „Klonen – ein Lotteriespiel mit dem Leben“37 ein Titel, der den Begriff der Lotterie, ansonsten verwendet von naturwissenschaftlichen Autorfiguren speziell im Spiegel und in Bezug auf die ‚natürliche Zeugung‘ (s. Kapitel 3.1.3) diesmal gegen das wissenschaftliche Vorhaben wendet. Der Stern wiederum, der vom Konzept her den anderen Nachrichtenmagazinen Focus und Spiegel ähnelt, befasst sich kaum mit Neuen Reproduktions- und Gentechnologien. Sehr viel mehr Material bietet dagegen die Wochenzeitung Die Zeit. Sie gibt sich seriös, kenntnisreich und (wissenschafts-)kritisch. Ihr Fokus liegt auf dem politisch interessierten Leser. Indem in ihr öfter als vergleichsweise üblich die Mitanbieter unter den Medien zitiert werden, geriert sie sich damit als auch medienkritisch reflektierende ‚Meta-Zeitung‘. Die Artikel im Feld der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien sind oft detailreich und exakt in der Bezeichnung von Titeln oder Techniken und sind in der Rubrik „Wissen“ untergebracht. Etwa 60 Beiträge zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien sind in der Zeit zwischen 1995 und 2003 erschienen, die über Kurzmeldungen hinausgehen. Auch in diesem Fall häufen sie sich in 2000-2002 stark. Entsprechend den politischen Debatten unterscheidet auch die Zeit in der Diskussion der Klonierung in 2000 bis 2002 nicht zwischen ‚therapeutischer‘ oder ‚reproduktiver‘ Klonierung. Die Beiträge sind vor allem in 2000 und 37 Müller-Jung 2002. 89

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

2001 durch verschiedene Ankündigungen des reproduktiven Klonens, vor allem aber durch verschiedene bundespolitische Ereignisse im Zusammenhang mit den Versuchen, gesetzliche Regelungen zur Fortpflanzungsmedizin zu finden, angeregt. Grundsätzlich sind es eher politische Ereignisse, die als Anlässe der Artikel angeführt werden, oft auch solche der Lokalpolitik. Im Vergleich zu anderen Printmedien (abgesehen von der Süddeutschen Zeitung) fällt auf, dass häufig auch Negativmeldungen aus der Biomedizin für weitergehende Recherche und Beiträge sorgen.38 Auch beispielsweise der Nachweis Jacques Cohens, dass sein Verfahren der Einspritzung von gespendetem Eizellplasma in in-vitro fertilisierte Eizellen zu einer veränderten Zellzusammensetzung in den entstehenden Kindern führt und damit einer Keimbahntherapie gleichkäme (da die Körperzellen der Kinder die Erbmasse in den Mitochondrien der Spenderin zusätzlich enthalten), bedingte in der Zeit einen vergleichsweise langen und ausführlich recherchierten Artikel.39 Ebenfalls vergleichsweise häufig werden Beiträge ohne offensichtlich gegebenen Anlass integriert, wie z.B. der mehrere Zeitungsseiten umfassende Artikel „… Kindermacher“ von Andrea Böhm 200140, den sie ähnlich in Geo verfasst hat; eine ebenfalls sehr lange Übersicht über schwul-lesbische Reproduktionsweisen41 oder eine lange und ansonsten seltene Übersicht über die Unterschiedlichkeit der Rechtslagen in den verschiedenen europäischen Ländern, über unerfüllte Sehnsüchte im „Fortpflanzungstourismus“ und die europäische Politik.42 Die Zeit gibt jenseits der deutschen Klonierungsdebatte reproduktiven Laborzeugungsvorstellungen wenig Raum. Wenn dies geschieht, werden die Themen vor allem durch Gäste in Artikeln und Interviews zu gesellschaftspolitischen Hintergründen von oder mit Ethik- oder Rechts-Theoretikern oder Soziologen verhandelt.43 So wird beispielsweise Jürgen Habermas mehrfach bemüht,44 Wolfgang van den Daele45 – damals am Wissenschaftszentrum Berlin und Mitglied des Nationalen Ethikrats – ist zu Gast mit einem langen Beitrag und auch deutsche Naturwissenschaftler wie beispielsweise Hubert Markl und Jens Reich (beide eher liberal gegenüber der Genforschung, jedoch in den Beiträgen eindeutig gegen Keimbahntherapie und Klonierung positioniert) 38 39 40 41 42 43 44

Siehe z.B. Stolze 2002. Bahnsen 2001. Böhm 2001. Kirbach/Spiewack 2004. Spiewak 2002. Vgl. Nussbaum 2002; Günther 2000 und Die Zeit 2001. Z.B. Assheuer/Jessen 2002. Dieses Interview begleitet im „Feuilleton“ einen Aufmacher in der Rubrik „Wissen“: Fritz-Vannahme 2002: „Moral aus der Retorte. In Europa tobt der Streit um die Nutzung von Embryonen. Trotz aller Gegensätze entstehen in dieser Debatte Grundzüge einer gemeinsamen Ethik.“ 45 van den Daele 2002. 90

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

werden als Stimme des Ausgleichs, wenn nicht als Stimme der Vernunft gegenüber den Anti-Helden angeführt. Auf diese Weise wird die Debatte um Neue Gen- und Reproduktionstechnologien in der Zeit vor allem auf gesellschaftspolitischer Ebene geführt, wobei medizinangelehnte Fragen und somit die in diesem Zusammenhang andernorts viel diskutierten krankheits- oder gesundheitsrelevanten Aspekte wenig Raum haben. Umso hintergründiger und gar erkenntnistheoretischer wird der Fall der beiden gehörlosen Lesben bearbeitet, die sich einen gehörlosen Samenspender für ihr gewünschtes Kind suchten (s. auch die Süddeutsche Zeitung zu dem Fall).46 Der Umgang mit dem Paar ist im Text nostrifizierend, LeserInnen werden an die Position des Paares herangeführt und eine ethische Beurteilung ihres Handelns offen gelassen. Mit mehrfachen Zitaten und Verweis auf die Disability Studies endet der Beitrag unter anderem mit der Quintessenz „Leid ist subjektiv. Was der eine als Behinderung versteht, sieht der andere als Lebensstil.“47 Die Tageszeitung Süddeutsche Zeitung zeigt sich seriös und zudem konservativ in dem journalistischen Ethos, Kommentar und Bericht streng zu trennen. So finden sich Beiträge, die sich klarer positionieren und bei anderen Zeitungen oder Zeitschriften unter gewöhnlichen Berichten zu finden wären, stets nur auf der Meinungsseite.48 Die insgesamt weniger mit politischer Information denn zu Ereignissen Positionen einholenden Beiträge zu Reproduktionstechnologien und -politik streuen sich über die verschiedensten Sektionen, die die Zeitung bietet. Die wenigsten Beiträge finden sich unter „Umwelt, Wissenschaft, Technik“, da sie sich über Felder erstrecken wie „Nachrichten“, „Lokale Seiten (München)“, „Meinungsseite“, „Themen“, „Literatur“ oder „Gesellschaft“. Auf diese Weise sind es nicht wie beispielsweise im Spiegel etwa 4 Redakteure, die als Verfasser der Themen jeweils erscheinen, sondern über 20 verschiedene. Dennoch wird ein generell ausgewogener, gegenüber Biologie und Medizin neutraler bis wohlwollender, jedoch gegenüber reproduktionsmedizinischen Praktikern kritischer Ton durchgehalten, der nur in einem Beitrag den journalistisch konservativen Stil mit dem Begriff „Babymacher“ verlässt.49 Auffällig ist vor allem im Vergleich zur Zeit die Orientierung auf Naturwissenschaften als Orientierungspunkt bei zugleich kritischer Haltung. Referenten der Beurteilung biologisch-technischer, aber auch moralischer Fragen sind fast ausschließlich zu dem entsprechenden Thema arbeitende etablierte Biologen und Mediziner. Stets handelte es sich um männliche Wissenschaftler 46 Spiewack/Viciano 2002. 47 Ebd. 48 So beispielsweise der Bericht-Beitrag der Süddeutsche Zeitung über die im Jahr 2000 vom Bundesgesundheitsministerium ausgerichtete Tagung zur Gen- und Reproduktionstechnologien: Wormer 2000. 49 Sticht 2002. 91

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

in den untersuchten Artikeln, ebenso wie fast durchgängig auch in den anderen untersuchten Medien (bis auf einen Gastbeitrag, an dem die Molekularbiologin Regine Kollek beteiligt war. Der Beitrag bezog sich auf ihre Funktion als Ethik-Beirätin am Ministerium für Gesundheit). Anders als in der Zeit werden nicht MoralphilosophInnen oder andere GeisteswissenschaftlerInnen als Stimmen des Ausgleichs gerufen, sondern der Ausgleich wird innerhalb der Artikel durch Auffassungen deutscher BiologInnen oder MedizinerInnen zu Ereignissen oder Positionen meist aus dem Ausland gesucht (z.B. Heribert Kentenich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe). Dennoch finden sich hier, im Gegensatz zur Zeit (die sich vor allem auf geisteswissenschaftliche Interviews zum Thema stützt) und zum Spiegel (der zurückhaltende Kommentare von anderen Naturwissenschaftlern als Ausgleich verwendet), diverse Beiträge von Molekularbiologen, die sich teils stark von jenen abheben, die für lockerere Gesetze für die Genund Embryonenforschung sprechen. So richtet sich der britische Molekularbiologe Steven Rose in „Wir sollten die Gene einfach abschaffen“ scharf gegen jede Form des Gendeterminismus und plädiert für eine ganzheitliche Betrachtung des Zellmaterials (zugleich unterstützt er eine sozialdeterministische Betrachtungsweise der Zukunft der Klonierung, indem er eine „egozentrische Welt“ anführt (vgl. Kapitel 3.2).50 In ähnlicher Weise erhält der Münchner Molekularbiologe Eckard Wolf Gelegenheit, sich und die „seriöse“ Forschung von „unverantwortlichen“ KlonforscherInnen zu distanzieren.51 Sowohl Artikel aus naturwissenschaftlichen Zeitschriften als auch Berichte von Tagungen bieten Anlässe zu Beiträgen in der Süddeutschen Zeitung. Naturwissenschaftliche Artikel werden dabei in akademischer Manier wiederauffindbar zitiert. Vergleichsweise häufiger als in Vergleichszeitungen werden Positionen der christlichen Kirchen angeführt. Entsprechend diesem christlichen Publikumsbezug wird in den Beiträgen der Süddeutschen Zeitung in den Aussagen der Antihelden der Klonierung (auch hier die Sekte der Raelianer, Richard Seed und Severino Antinori)52 stärker als in allen anderen Magazinen und Zeitungen auf deren Bibelbezüge fokussiert. Dadurch wird erst durch diese Beiträge die Parallele zwischen jenen Autorfiguren deutlich, die in ihrer Behauptung, den (bzw. einen) göttlichen Schöpfungsakt zu wiederholen, liegt. Zusätzlich diskreditiert die Süddeutsche Zeitung auch eine deutsche Klonierungs-Antifigur in dem Reproduktionsmediziner Werner Gehring.53 Vor allem durch die eingeholten Zitate von deutschen Akademikern der Naturwissenschaften oder von Medizinern wird eine gegenüber sämtlichen neueren reproduktiven Technologien (IVF und ICSI bzw. Klonierung) bzw. 50 51 52 53 92

Rubner 2001. Wormer 2001. Süddeutsche Zeitung 1998a. Ebenso in: Süddeutsche Zeitung 1998b, Kohl 2002. Wormer 1997.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Eingriffen am Embryo problematisierende Haltung aufrecht gehalten. So wird u.a. der DFG-Präsident Ludwig Winnaker als Vertreter einer Position gegen die Klonierung in Deutschland befragt,54 nicht aber in seiner gegenüber Präimplantationsdiagnostik positiven Haltung. Die Position gegenüber IVF schwächt sich im Laufe der Zeit ab: Im Kontrast zu allen anderen Magazinen und Zeitungen wird von der Süddeutschen Zeitung noch in 1996 und 1997 die Herkunft des Kinderwunsches als solcher problematisiert55 bzw. auf die Problematik der Lösung eines gesellschaftlichen Problems an der einzelnen Frau – dies lässt der Journalist Martin Lindner den Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universität Leipzig, Elmar Brähler, aussprechen56 – und auf das Ausbleiben der Diskussion von Alternativen hingewiesen57. Ab dem Jahr 2000 dagegen wird ‚Kinderwunsch‘ eher in nostrifizierender und empathischer Weise verhandelt und einzelne Frauen oder Paare mit ihrem Weg zum Kind vorgestellt.58 Die Beiträge sind zum Teil nicht detailreich in Hinsicht auf politische oder naturwissenschaftliche Bezüge, verweisen oft jedoch kenntnisreich und vorausschauend auf in anderen Medien häufig erst Jahre später diskutierte Problematiken.59 Wie in der Zeit wird der Fall der beiden gehörlosen Lesben bearbeitet; auch in der Süddeutschen Zeitung werden sie durch eine sich in Gehörlosenkultur kundig zeigende Expertin nostrifiziert, auch hier ist ein Biologe („Humangenetiker Ingo Hansmann von der Universität Halle“) Referent für den Anwendungsbereich Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien: „Das Wichtigste ist doch, dass die Kinder Liebe, Geborgenheit und Förderung bekommen [...]. Schließlich betreiben alle Menschen Selektion, wenn sie sich einen Partner suchen, mit dem sie Kinder bekommen wollen.“60 Auffällig ist in beiden Fällen, dass die Gleichgeschlechtlichkeit des Paares in keiner Weise problematisiert wird, allein die Auswahl des besonderen Samenspenders ist durchgängiges Thema in beiden Artikeln. Wie in den meisten anderen Medien wird Gesundheit und Krankheit vor allem in Hinsicht auf Stammzellenforschung behandelt, aber auch – und damit genauer in das Thema der vorliegenden Arbeit fallend – vor allem in der Süddeutschen Zeitung in Bezug auf gesundheitliche Risiken im Zusammenhang mit IVF (für die Mutter), mit ICSI (für die Mutter und das entstehende Kind) und Klonen (für das Kind). Zusätzlich lässt vor allem die Süddeutsche Zeitung in ihren Spalten Behaup-

54 55 56 57 58 59

Süddeutsche Zeitung 2000. Ermert 1997. Lindner 1999. Ermert 1997. Kahlweit 2000, Sticht 2002. So u.a. auf das zu vermutende Infertilitätsrisiko bei ICSI-Kindern, die unter Befruchtung durch immotile Spermien entstanden (Rögener 1998, Koch 1999). 60 Berndt 2002. 93

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

tungen von Gesundheitsvorteilen von Klonierung diskutieren, die sich auf die Idee des Klons als „Ersatzteillager“ (Werner Gehring, s.o.) beziehen. So distanziert sich Craig Venter, der seine Freunde mit „you look healthy“ begrüsst und dem es den eigenen Angaben nach in seiner Arbeit darum geht, die „Gesundheit der Weltbevölkerung zu verbessern“,61 in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung mit aller Selbstverständlichkeit von einer solchen Phantasie. Er lehnt es zugleich unter Hinweis darauf, „die Leute“ hätten „ja keine Ahnung, was ein Klon ist“,62 ab, sich auf ein Verbot der Klonierung einzulassen: „Sollte man es bestrafen, Zwillinge zu haben? Es gibt keinen Grund, warum man überhaupt klonen muss. Aber mit der Bestrafung – dann muss man auch das Kinderkriegen bestrafen.“63 Unter weit über 40 Beiträgen im wöchentlichen, eher auf wirtschaftliche Fragen orientierten Magazin Focus zu Themen der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien fanden sich sieben Interviews, die als naturwissenschaftliche Expertensicht markiert sind und für die Notwendigkeit oder Vorteile Neuer Reproduktiver Technologien sprechen bzw. die Unvermeidbarkeit ihrer Verbreitung ankündigen. Sie sind fast ausschließlich in der Rubrik „Forschung und Technik“ angesiedelt. Wenige Beiträge darunter überschreiten eine Magazinseite. Die allgemein kurzen Artikel sind anonymisiert und von skandalisierendem Stil. Die Wirkung der Ausgewogenheit der Positionen wird grundsätzlich durch Gegenüberstellungen von verschiedenen Autorfiguren erhalten. Die weit überwiegende Zahl der Beiträge befasst sich mit Klonierung, die dem offenbaren journalistischen Konsens entsprechend abgelehnt wird. Die Wahl der Titel, Zwischenüber- und Bildunterschriften adressiert Ängste, wie z.B.: „Gene statt Gefühle: Schreckensvisionen im Film“ (zu Gattaca, 1997, woraus ein Bild in dem Artikel „Erstes Klon-Baby in 5 Jahren“,64 als eye catcher dient), oder „Alptraum im Schafspelz“65, der Beitrag zur Geburt von Dolly. Als Stimme der kritischen wissenschaftlichen Vernunft wird hierzu Herbert Jäckle, Direktor am Max Planck Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, zitiert. Ähnlich dramatisierend wird (auch hier, allerdings mehrfach) der Anti-Held Richard Seed angeführt.66 Während Klonierung (menschlicher Embryonen) in dem „Klonreport Teil II“ deutlich als „Horror“ markiert wird, werden in genetischen Veränderungen in geklonten Tieren medizinische Vorteile dargestellt.67 Auch die Behandlung von Unfruchtbarkeit durch IVF wird eindeutig positiv belegt, so in einer Reportage 61 62 63 64 65 66 67 94

Zielke 2001. Ebd. Ebd. Sanides 2000. Focus 1997a. Sanides 1998, Miltner/Sanides 1998. Bartholomäus 1998.

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von 1996 über Elizabeth Carr, das erste IVF-Kind in den USA im Alter von 15 Jahren. Dieser Beitrag wird von einer Infobox begleitet mit dem Titel: „Unfruchtbar: diese Methoden können helfen“.68 Der einzige weitere die Länge einer Seite überschreitende Beitrag aus dem Zeitraum zwischen 1995 und 2003 zu Neuen Reproduktionstechnologien befasst sich weniger mit der Rolle der Frau und gesundheitlichen Risiken der Technologien als mit dem Dienstleistungs- und Handelsgutcharakter der entsprechenden Angebote.69 Das Hamburgische, eher linksliberale LeserInnen mit politischem Interesse ansprechende Wochenmagazin Der Spiegel bietet umfangreiches Material zum Thema der Neuen Reproduktiven Technologien. Es wird überwiegend recherchiert von einem Stamm von weniger als einem Dutzend Journalisten in dem Ressort Wissenschaft unter der Leitung des Physikers Johann Grolle. Der Stil, auch in den untersuchten, auf reproduktive Technologien bezogenen Beiträgen, ist tendenziell aggressiv mit Abundanz kriegerischer Metaphern. Im Spiegel werden auch in den Hausartikeln thementypische Metaphern verwendet, wie sie in anderen Medien vor allem in Gastbeiträgen oder Interviews mit Naturwissenschaftlern oder Medizinern zu finden sind und in Kapitel 3.2 besprochen werden, wie solche des epochalen Umbruchs („Medizin des anbrechenden Jahrhunderts“, „herandämmernden Genzeitalters“)70 oder der Naturkolonialisierung („Datenberge als Goldgrube“)71. Referenzen in diesen Beiträgen, sowohl technologischer Möglichkeiten als auch der Stimmen des Ausgleichs, sind in den Beiträgen dieses Themenfeldes fast ausschließlich naturwissenschaftliche Expertisen. Während Themen der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien in den Jahren 19951999 nur vereinzelt im Spiegel behandelt wurden, stieg die Anzahl der Beiträge ab dem Jahr 2000 sofort auf Dutzende, oft mehrseitige Beiträge. Oft wurden mehrere Artikel zu einem in sich vielfältigen Themenkomplex zusammengefasst, wie z.B. in der mehrteiligen Serie: „Die Welt im 21. Jahrhundert. Teil 1: Medizin von morgen.“ In Teil 1.1 „Das entschlüsselte Genom – neue Waffen gegen die Krankheit“ werden in vier verschiedenen Beiträgen (ein Artikel, zwei Reportagen und ein Interview) weitreichende medizinische Möglichkeiten der Gentechnologie dargestellt.72 So folgen auf eine Beschreibung der angekündigten ‚individualisierten Behandlung‘ durch Tests mit Genchips, die in Bezug auf die offensive Marktstrategie der Firma des Humangenom Sequenzierers Craig Venter, Celera Genomics, von „brachialer Maschinengewalt“73, „Überraschungsangriff“74 und mehrfach von „Blitzkrieg“75 spricht, 68 69 70 71 72 73

Ebd. 129. Viciano 2003. Grolle 2000: beide 174. Ebd. 175. Grolle 2000. Ebd.: 174. 95

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

drei weitere inhaltlich ähnlich gelagerte Beiträge. Dies ist zunächst ein Beitrag über eine deutsche Firma, die bioinformatische Software für Biologie und Medizin entwickelt76 und ein (unkommentierter) Gastbeitrag von Gregory Stock, in dem unter anderem ein „Recht auf verbesserte Gene“ künftiger Kinder vorgeschlagen wird77 – visuell begleitet vom zuvor bereits beschriebenen ikonenhaft Wissenschaftlichkeit und Zukunftsvision (Science Fiction) verbindenden Portrait des Wissenschaftlers, in dem er versonnen eine grüne Flüssigkeit in einem Laborglas betrachtet. Der Themenkomplex in diesem Heft wird abgeschlossen durch einen Beitrag zur Verbindung von Pharmakogenetik und Gentestverfahren, in dem nochmals ‚individualisierte Medizin‘ angekündigt wird.78 Ein weiterer derartiger Themenkomplex, dieses Mal mit drei Beiträgen über In-vitro-Fertilisation, findet sich im Spiegel 4/2000. Dabei wird Laborzeugung normalisiert und viel Raum für die Argumentation zur vermeintlichen Notwendigkeit von Präimplantationsdiagnostik geschaffen. Der Komplex startet mit einem, wiederum metaphernreichen, umfassend einführenden Beitrag (mit „Babymacher“ und „biologische Uhr der Frau“ bereits im Titel),79 in dem als Motoren der Reproduktionstechnologieanwendung einerseits die „Fruchtbarkeitspriester“80 und „Virtuosen der Pipette“81 selbst, andererseits die zunehmend späte Mutterschaft ausgemacht werden. In Interviewsegmenten mit den sich generell für Präimplantationsdiagnostik aussprechenden Reproduktionsmedizinern Thomas Katzorke und Klaus Diedrich wird in lakonischem Stil die Verantwortung von Frauen für diesen Trend der ‚hausgemachten Unfruchtbarkeit‘ hervorgehoben.82 Als Kontrast der Abgrenzung dienen einerseits der „Hasadeur“83 Severino Antinori, andererseits die Stimmen des Ausgleichs Manfred Stauber, Universitiätsfrauenklinik München; Walter Schuh, Universitäts-Frauenklinik Freiburg, und Anke Rohde, Universitätsklinik Bonn, Abteilung Gynäkologische Psychosomatik. Schuh warnt vor einer genetischen ‚Perfektionierung‘; er darf einwenden, dass sich die Fixierung auf die Reproduktionsmedizin und das ungezeugte Kind destruktiv

74 75 76 77 78 79 80 81 82

Ebd.: 174. Ebd.: 174. Bahnsen 2000b. Stock 2000a. Berndt 2000. Blech et al. 2002. Ebd.: 71. Ebd.: 73. „Geradezu spöttisch beschreibt Mediziner Katzorke seine Klientel: ‚Sie, Anfang 40, Akademikerin, die in ihrem Beruf alles erreicht hat, sucht ihm, dem zehn Jahre älteren und im Stress seiner Karriere leicht erschlafften Zweit- oder DrittPartner, das späte Glück zu schenken. ‘“ Ebd.: 73. 83 Ebd.: 73. 96

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auf die partnerschaftliche und individuelle Lebensqualität auswirke und mit Rohdes Kommentar, dass die Entwicklung alternativer Perspektiven zum Leben mit Kind Teil der Behandlung von Beginn an sein müsse, schließt der Beitrag ab. Der dritte Beitrag dieses Komplexes stellt ein Plädoyer für Präimplantationsdiagnostik dar, indem zwei Mediziner aus Nürnberg (der Geburtsmediziner Axel Feige, Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe des Nürnberger Klinikums Süd sowie der Leiter der Kinderklinik Helfried Gröbe am selben Klinikum) die Frühchenproblematik schildern, die durch das Einsetzen mehrerer Embryonen und die Entwicklung von Mehrlingen bei In-vitro-Fertilisation entstünde.84 Föten im Uterus als übliche ‚Mehrlingsreduktion‘ töten bzw. mit verschiedensten Behinderungen durch Frühgeburten umgehen zu müssen, sei keine adäquate Alternative. In diese beiden Beiträge eingebettet findet sich ein Interview mit Carl Djerassi, der als Chemiker, Erfinder der ‚Anti-BabyPille‘ und Schriftsteller vorgestellt wird und sich in dem Interview ebenso wie in seinen verschiedenen öffentlichen Darstellungen für eine Generalisierung von Sterilisierung im Pubertätsalter nach Verwahrung der Gameten in Eizellund Samenbanken, Laborzeugung und dabei integrierter Genselektion ausspricht.85 Etwas ausgewogener zeigt sich ein Komplex im Jahr 2001, der sich mit der Forderung nach der Möglichkeit, Embryonen einfrieren zu dürfen, befasst. Dabei wird die in anderen Medien wenig behandelte Idee, die der Vorsitzende des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren, Michael Thaele, in Deutschland einbringt, vorgestellt, nämlich ‚überzählige‘ Embryonen zur Adoption freizugeben, wie es zum Teil in den USA geschieht.86 Dabei wird Thaele nostrifizierend in Opposition zur embryonenverbrauchenden Forschung gesetzt, Fortpflanzungsmediziner seien keine Zulieferindustrie. Als Stimmen des Ausgleichs werden diesmal zusätzlich zu medizinnahen Fachpersonen (einer Medizinethikerin im Nationalen Ethikrat, Christiane Woopen, und dem Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe) auch medizinferne Positionen herangezogen wie jene von Bernd Wacker, Terre des Hommes, und von der Adoptionsforscherin Christine Swientek. Darin eingebettet kontrastiert das Interview „Das ist ein Riesengeschäft“87 mit JörgDietrich Hoppe als Gegner solcher Ideen, Thaeles Vorstoß.

84 Nach dem Embryonenschutzgesetz dürfen bis zu drei Embryonen eingesetzt und Embryonen nicht ‚verworfen‘ werden. Um die Wahrscheinlichkeit der Schwangerschaft zu erhöhen, werden in Deutschland daher meist alle gezeugten Embryonen in die Gebärmutter eingebracht. 85 Blech/Traufetter 2002. 86 Grolle/Lakotta 2001. 87 Der Spiegel 2001. 97

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Im Gegensatz zu diffuseren Haltungen in anderen Medien setzt das Magazin Der Spiegel nach In-vitro-Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik und ICSI die Grenze des moralisch Vertretbaren erst, dann aber umso eindeutiger als Kontrast, bei der ‚reproduktiven‘ Klonierung. Dabei werden die Vorhaben der Anti-Helden Severino Antinori und Richard Seed als der Tabubruch inszeniert.88 Dieser Beitrag ist gefolgt von einem Interview mit Severino Antinori,89 das sich von anderen, beispielsweise dem Interview mit Antinori in der Zeit90 insofern stark unterscheidet, als man sich in dem Beitrag jeglicher distanzierend-spöttischer oder kontrastierender Interjektionen enthält. Der vielfach in diesem speziellen Klonkontext verwendete Begriff der „Babymacher“, übersetzt mit „Praktiker aus der Reproduktionsmedizin“91 und jener des „Tabubruchs“92 markieren Machbarkeit und Verwerflichkeit zugleich. Die Argumentation der Autorfigur Antinori verwendend wird dennoch davon gesprochen, Klonierung sei für einige Paare die einzige Chance auf ein ‚echtes‘ eigenes Baby.93 Im Jahr 2003 wendet sich der Spiegel vor allem reproduktiven Möglichkeiten durch die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien zu wie z.B. in „Hellblau oder lieber Rosa? In Belgien können Eltern das Geschlecht ihres Kindes vorherbestimmen lassen“94 (mit Monika Feuerlein vom Gen-ethischen Netzwerk in Berlin als Stimme des Ausgleichs gegen die Interviewsegmente mit dem Fortpflanzungsmediziner Frank Comhair zu dieser Art des ‚family balancing‘) oder dem Report „Sperma für die Heimwerkerin“95. Letzterer handelt von der Londoner Internet-Samenbank „Man Not Included“ (MNI), die als Zielgruppe lesbische Frauen angebe und Spendersperma per Post auch in Deutschland vertreiben wolle. Darin wird die harsche Gegen-Position des Münchner CSU-Landtagsabgeordneten Ludwig Spaenle jener von Bündnis 90 /Die Grünen-PolitikerInnen und „Homo-Gruppen“ gegenübergestellt, die diesen Vertrieb begrüßten. Die Münchner Stadträtin Lydia Dietrich (Bündnis 90/ Die Grünen) etwa sähe darin „einen Schritt zu mehr Gleichberechtigung“.96 Mit der Betonung der Möglichkeit des ‚wirklich eigenen‘ Kindes für verschiedene gesellschaftliche Gruppen und in der humangenetischen Technologie besetzt das Magazin Der Spiegel thematisch stärker als die Vergleichsmedien mehrere Aspekte der in Kapitel 3.2 vorgestellten Diskursstränge.

88 89 90 91 92 93 94 95 96 98

Bethke et al. 2001. Trautfetter/Wüst 2001. Keller 2002. Bethke et al. 2001: 205. Ebd.: 204f. Ebd.: 205. Bredow 2003. Neumann 2003. Ebd.

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Die Präsenz dieser Themen im öffentlichen Diskurs erhöht sich dadurch zusätzlich, dass die Redaktion des Spiegel die Schlüsselartikel zu Neuen Genund Reproduktionstechnologien im Bündel wieder anbietet in Form von Dossiers: So werden 15 Beiträge von 2000 bis 2002 im Spiegel-Dossier „Wissenschaft – Reproduktionsmedizin“ und weitere acht aus den Jahren von 2001 bis 2003 im Spiegel-Dossier „Wissenschaft – Gentechnik“ erneut angeboten und dadurch nach vergangenem Erscheinen durch die neue Umgebungsgestaltung aktualisiert.97 Auch die Bildersprache im Spiegel ist offensiv und im Magazinstil scheinbar auf ‚Tabubruch‘ bedacht. Im Vergleich zu anderen nicht-naturwissenschaftlichen Magazinen und Zeitungen sind häufig Beiträge zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien von Infografiken begleitet, die durch ihre Simplizität ebenfalls fehlerfreie Machbarkeit und einfache Nachvollziehbarkeit suggerieren.98 Das plakative Überschreiten des ‚Üblichen‘ im Bild lässt sich besonders anhand eines Medienvergleichs der Darstellung der Autorfigur Craig Venter, als einer der führenden Wissenschaftler mit seiner Firma Celera Genomics im Human Genome Project beschreiben. In verschiedenen Medien wird ein Foto Craig Venters verwendet, das von Ron Edmonds (Associated Press) auf einer Pressekonferenz zur Präsentation der Entzifferung des menschlichen Genoms am 12.02.2001 erstellt worden war: es zeigt Venters Schatten vor einer ‚Genkarte‘ des Menschen99 in schwarz-weiß und erinnert an die Selbstinszenierung Hitchcocks in seinen Krimis.

Abbildung 1: Craig Venter in SF Chronicle, 2001 97 http://www.spiegel.de/dossiers/wissenschaft/, zuletzt gesehen am 28.11.2005. 98 Z.B. Bethke et al. 2002: 204. 99 Z.B. Abate 2001. 99

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Ein etwas älteres, vielfarbiges Motiv ist Craig Venter vor einem Plasmid (einer bunten, runden sog. Karte eines Bakteriengenoms). Es ist die zweite, vom gewöhnlichen Porträt abweichende Darstellungsform, die seit 1997 häufiger zitiert wird.100

Abbildung 2:

Craig Venter in Forbes, 2001

Hieran anknüpfend zeigt der Spiegel in dem mehrere Einzelartikel umfassenden Themenschwerpunkt „Das entschlüsselte Genom – neue Waffen gegen die Krankheit“ Venter nicht vor, sondern in einer Bakterienplasmidkarte: Da sein Kopf das Zentrum der Karte überdeckt, die von hinten beleuchtet ist, umgibt sie als Strahlenkranz seinen Kopf wie ein goldroter Heiligenschein in einer mittelalterlichen Ikone.101

100 Edmonds, Ron in: Herper 2001. 101 Usher in: Grolle 2000: 176. 100

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Abbildung 3: Craig Venter in ‚Der Spiegel‘, 2000

3.1.2 Funktion des Experten und Experten-Symbole Die Unterscheidung zwischen Laien von mit besonderem Wissen ausgestatteten ‚geweihten‘ Experten,102 die eine Ausbildung und damit ein Gelöbnis vollziehen, den inneren Regularien ihrer Disziplin entsprechend wissenschaftlich vorzugehen, ist eins der wesentlichen Fundamente der – damit auch produktiven – modernen Wissenschaft und Medizin.103 Auch nicht-professionelle Personen können als ExpertInnen betrachtet werden,104 in der vorliegenden Untersuchung soll jedoch in Hinsicht auf die diskursive Rolle der Autorfiguren der Expertenbegriff wie zuvor beschrieben verwendet werden. Experten, speziell auch Experten der Genetik, erfüllen in diesem Sinne eine wesentliche soziale und wissenschaftliche Rolle als Interpreten von Wissen, indem sie ihre Autorität formulieren, konstruieren und reproduzieren.105 Als Spezialisten sind sie „educators, surveillors and story tellers, whose role is to reinforce and legitimate a genetic order, required for the common

102 103 104 105

Kuhn 1973. Foucault 2002. Davison et al. 1991, Calnan 1987. Ettorre 1999. 101

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

good.“106 Innerhalb des Gesundheitssystems der Risikogesellschaft (nach Beck, vgl. Kapitel 2) kommt ihnen die Aufgabe zu, als routinierte Berater Risikowissen innerhalb von Gesellschaften und Familien in reproduktive Wahlmöglichkeiten zu übersetzen.107 Im Wechselverhältnis mit den ‚nach Medikalisierung ansuchenden‘ KlientInnen108 erfüllen sie das Bedürfnis nach Normalität (die von hierzu gesellschaftlich als kompetent definierter Seite innerhalb definierter Maßstäbe zu bestätigen ist) und nach Ritual (durch beispielsweise Gespräche der genetischen Beratung als Teil der Verantwortungsübernahme im Zuge der anzutretenden Elternschaft). Ein wesentlicher Anteil dieser Experte-Laie-Unterscheidung ist die Abscheidung des Sozialen vom Naturwissenschaftlichen in einer beständigen Zurückweisung jedweder Einmischung anderer sozialer Instanzen (wie Religion oder Politik) in das Experten-Handeln, die der Aufrechterhaltung der professionellen Dominanz dient. Zugleich ist ihre Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Umfeld notwendig, wenn der Fortbestand der genetischen Wissenschaft gesichert sein soll. Es sei sogar, so Elisabetz Ettorre in ihrer Untersuchung der Darstellung reproduktionsgenetischen Wissens durch biomedizinische Experten in Interviews,109 eine ihrer wesentlichen Tätigkeiten als Experten, dem gesellschaftlichen Umfeld gegenüber den (alleinigen) Besitz genetischen Wissens zu beanspruchen, indem sie über mögliche gesundheitliche Vorteile der Genetik beraten. Um die Dominanz über spezifische (gesellschaftliche) Problemfelder inne zu behalten oder zu erwerben, müssen sie weit über die Problemlagen gerade zu behandelnder PatientInnen (oder genetischer Fragestellungen) hinaus schauen und agieren. Ihre Kompetenzsicherung erfordert insofern eine Verschiebung von einer praktischen hin zu einer theoretischen, spekulativen Wissenschaft.110 Die gesellschaftliche Sicherung der Kompetenz durch das Beanspruchen von Wissensbesitz und die Scheidung des Sozialen vom Naturwissenschaftlichen sind nach Ettorre normative Mittel, die genetische Experten im Rahmen eines strategischen Komplexes anwenden und die im Vergleich mit den Ergebnissen der vorliegenden Analyse in Kapitel 4 angesprochen werden. Eine große Zahl der am Material benannten Handlungsschemata, die Gegenstand der Feinanalyse waren, verweisen auf den Expertenduktus und die Zurückweisung von Urteilen, die nicht von naturwissenschaftlichen Experten stammen. Es wurden abschnittsweise 80 verschiedene, jedoch öfter als mindestens drei mal im Gesamtkorpus auftretende Handlungsschemata ausgemacht, von denen etwa die Hälfte dem Expertenduktus zuzuordnen sind bzw. die nur aus 106 107 108 109 110 102

Ebd.: 555. Ebd.: Samerski 2002. Vgl. Kolip 2000b. Ettorre 1999: 549. Vgl. Jonson 1996: 11.

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dem Expertenstatus heraus denkbar sind. Hierzu gehören ‚Disqualifizierungen‘ wie „alles Quatsch“111 oder „das ganze Gerede“112, die meistens mit ‚Selbstqualifizierungen‘, oft mit ‚Entkräftigung‘, gelegentlich auch mit ‚Kollegenschelte‘ einhergehen. Auch ‚Normalisierung‘ (die Anrufung des „normalen Gang[s] der Natur“,113 insbesondere der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien) sind dem zuzuordnen, wie auch die Biologisierung („wir sind Marionetten unserer Hormonchemie“)114. Besonders die joviale Geste der ‚Einweihung‘ z.B. in das, was ‚wirklich‘ in den Laboratorien der Welt geschieht und das oft der ‚Einweihung‘ vorausgehende ‚Vertrauen wecken durch den Duktus des Bedenkens‘ arbeiten mit der vermeintlichen Unwissenheit und scheinbar daraus gespeisten Besorgnis der LeserIn.115 Zu den Symbolen des genetischen oder medizinischen Experten gehört nach Anne Honers Untersuchung von Filmen von Fortpflanzungskliniken116 der naturwissenschaftlich weiße oder medizinisch grüne Kittel, wie er sich medial auf Fotos auch im für die vorliegende Untersuchung verwendeten Material abgebildet findet,117 ebenso, wie die Nennung eines Doktortitels oder der Professur. Im untersuchten Material findet sich als wesentliche Insignie der wissenschaftlichen Autorität der Hinweis auf den institutionellen akademischen Hintergrund. Die Autorfiguren sind „Direktor am Freiburger MaxPlanck-Instiut für Immunologie und Pionier von Klontechniken“,118 „Professor für Molekularbiologie an der Princeton-University“,119 „Direktor am MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie“120 oder arbeiten „an der Wayne State University in Detroit“,121 unabhängig davon, ob sie für diese Institutionen sprechen oder in ihrer Funktion als Buchautoren. Eher selten werden sie über ihren Beruf („Belgischer Arzt“,122 „Bonner „Frauenarzt“123), oder über wissenschaftliche Taten eingeführt: „Er entdeckte als Chemiker 1951 Norethindron […]“124, „entwickelte […] die PID“125 oder „entwickelte 1993 an 111 112 113 114 115

116 117 118 119 120 121 122 123 124

Wilmut 1997: 220. Antinori 2001: 208. Hughes 2000. Reich 2000. Weitere, häufige Handlungsschemata, die jedoch nicht direkt auf den Expertenstatus verweisen, sind Nostrifizierungen, also die Vertrautmachungen mit z.B. verschiedensten Menschen mit Kinderwunsch, wie auch mit den Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien. Honer 1994. Z.B. in Stock 2000a. Über Davor Solter in Klein 1998. Über Lee Silver in Petermann/Paul 1998. Über Herbert Jäckle in Focus 1997b. Bahnsen 2000b. Über Frank Comhaire in Focus 2002. Über Hans van der Ven in Lakotta 2001. Über Carl Djerassi in Metzger 1996. 103

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Mäusen die erste verlässliche Methode, Kerne aus einer Zelle in die andere zu transferieren“126. Ausnahmen stellen die Präsentationen jener WissenschaftlerInnen dar, die offenbar nicht in den Kanon der ‚seriösen‘ wissenschaftlichen Autorfiguren aufzunehmen sind, wie (die einzige Frau unter den Autorfiguren) Brigitte Bosselier, die im Zuge ihres Klonvorhabens als Sektenmitglied vorgestellt wird, aber nicht als französische Biochemikerin, die einen Lehrstuhl in den USA innehat.127 Häufig werden die Autorfiguren aus Biologie oder Medizin für einen Eigenbeitrag oder ein Interview in den Medien qualifiziert, indem sie als Autor eines populärwissenschaftlichen Buches vorgestellt werden. So z.B. Steven Rose, der sich kritisch zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien äußert, mit Darwins gefährliche Erben – Biologie jenseits der egoistischen Gene128 in der Süddeutschen Zeitung129. Dies trifft auch für die Autorfiguren zu, über die sich die untersuchten Diskursstränge (vgl. Mikroanalyse in Kapitel 3.2) artikulieren. So entstand ein Interview mit James Watson in der Süddeutschen Zeitung130 aus Anlass seines jüngsten Buches (Ich suchte eine Freundin)131; Robin Baker wird in Focus als „Biologe und Autor, Manchaster“132 vorgestellt, der das Buch Sex in the future: the reproductive revolution and how it will change us133 verfasste, der Molekularbiologe Lee Silver als Buchautor von Das geklonte Paradies (1998)134 und von mehreren weiteren, sämtlich US-amerikanischen der insgesamt 18 verschiedenen Autorfiguren werden populärwissenschaftliche Bücher im Text oder in einer separaten Infobox genannt. In Kapitel 1.2.3 war der Begriff der Autorfigur eingeführt worden, um hervorzuheben, dass es sich um Träger diskursiver Aussagen handelt, die auf spezifische Weise (beispielsweise als Experte) inszeniert werden. Die Herstellung der Autorfigur in den untersuchten Beiträgen geht Hand in Hand mit der Selbstherstellung der Autorfiguren durch die Inszenierung ihrer selbst in Büchern (und Danksagungen darin), Biographien, Live-Auftritten oder ähnlichem, in denen stets einerseits der wissenschaftliche Hintergrund hervorgehoben wird, zugleich jedoch auch eine familiäre ‚Allerweltspersönlichkeit‘ 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 104

Über Mark Hughes in Bahnsen 2000a. Über Davor Solter in Epping 2002. Focus 2000. Rose 2000. Rubner 2001. Fischer 1996. Watson 2001a. Focus 1999. Im Original 1999: Baker 2000. Silver 2000, Silver 1998a.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

vorgestellt wird. So beschreibt Lee Silver die in seinem Buch Das geklonte Paradies135 vertretenen Ansichten über die Normalität einer sterilen Gesellschaft der Zukunft, die sich im Labor fortpflanzt, durch entsprechende Verweise in der Danksagung als Ergebnisse u.a. seiner Mitgliedschaft in der Arbeitsgruppe für Neue Reproduktionstechnologien (Task Force on New Reproductive Technologies), die in den achtziger Jahren von der New Jersey Bioethics Commission eingerichtet worden war 136 sowie auch der Seminare zu Gen- und Reproduktionstechnologien, die er in Princeton abgehalten habe. Zudem werden seine Zukunftsvisionen eingebettet als Ideen, die „sich aus jahrelangen Diskussionen mit zahlreichen Freunden, Kollegen und Studenten entwickelt“137 hätten, die er – auch wegen verblassender Erinnerungen – nicht sämtlich nennen könne. Auch die lange Liste bekannter akademischer Referenzen, die ihn durch Korrekturlesen unterstützt hätten, dabei unter anderem auch in der Gesundheitsforschung bekannte feministische Autorinnen wir Emily Martin,138 verleihen den Inhalten des Bandes eine über die Einzelperson weit hinausweisende Relevanz. Weitere Autorfiguren,139 wie beispielsweise Robin Baker, dessen Werk „Sex im 21. Jahrhundert“140 sich ebenfalls ausschließlich mit der „Trennung von Sex und Fortpflanzung“141 durch eine generalisierte Sterilität befasst, verorten ihre Texte zumindest zu einem Teil ausdrücklich in der Akademie. Baker tut dies in seiner Danksagung, die am Beginn des Bandes steht, indem er sich bei seiner „School of Biological Sciences an der Universität Manchester“ dafür entschuldigt, dass er für seine Autorschaft des Buches seine Verpflichtungen an der Universität hatte aufgeben müssen.

3.1.3 Diskursstränge und Metaphern Wie eingangs beschrieben war die sich schließlich bestätigende These eines fundamental neuen Diskursansatzes zur menschlichen Reproduktion Ausgangspunkt meiner Analyse (vgl. Kapitel 2). Bis Mitte der 1990er Jahre erschienen Ideen zu menschlicher Reproduktion und zu reproduktiven Technologien separat in zwei verschiedenen Diskursfeldern in allgemeiner ebenso wie in spezieller wissenschaftlicher Fachliteratur im deutschsprachigen Raum, wie sie in Abbildung 4 gefasst sind:

135 136 137 138 139

Silver 1998a. Ebd.: 387. Ebd.: 388. Ebd.: 386ff. Siehe u.a. Stock 2000b, Stock 1993, Djerassi 1979, Djerassi 2000a; Djerassi 2003. 140 Baker 2000. 141 Ebd.: 15. 105

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Antinatal: Problematisierung der Fortpflanzung bestimmter Bevölkerungen:

Pronatal: v.a. in Bezug auf postindustrielle Länder:

Æ Überbevölkerung Æ ‚Genetische Krankheit‘/ Belastung

Æ Überaltererung/Renten Æ Leiden an Infertilität

Abbildung 4: Reproduktionsmedizinische Diskurse im deutschsprachigen Raum bis Mitte der 1990er. Einerseits gab es Vorstellungen über Teile der globalen Bevölkerung, deren Reproduktion es zu problematisieren galt (Diskurs Überbevölkerung, Diskurs genetisch vererbbare Krankheiten) und auf der anderen Seite Vorstellungen über unzureichende Reproduktion als ein zu lösendes Problem (Aussterben der Bevölkerungen in den post-industriellen Ländern, Rentendiskurs, Infertilität als Krankheit und Leid usw.). Anti- und pronatale Themen erschienen also als streng separate Fragen. Diskurse der Reproduktionsmedizin befassten sich im Wesentlichen mit dem Individuum, also mit der Prävention ‚genetischer Krankheit‘ im noch nicht Geborenen (etwa als ‚Heilung des Keims eines Patienten‘) und mit der Hilfe für Paare, die an Infertilität leiden. Dies sind also vor allem heilungsorientierte Vorstellungen. Von 1996 an beginnt sich in dem im Folgenden vorgestellten Material eine Veränderung abzuzeichnen. In manchen Texten und Interviews gehen pro- und antinatale Konzepte Verbindungen ein: In solchen Darstellungen werden Unfruchtbarkeit und Laborzeugung als Standard für jede/n – also nicht nur beispielsweise für gleichgeschlechtliche Paare, die bis dahin wenig Berücksichtigung in reproduktionsmedizinischen Diskursen fanden, nun aber einbezogen werden – und als vorteilhaft gegenüber der willkürlichen DIY-Zeugung außerhalb der Labore beschrieben. Gegenüber den früheren leidensorientierten Diskurssträngen, deren Zielkonzept ‚Heilung‘ war, lässt sich nun die Zielvorstellung beschreiben als ‚glückliche Unfruchtbare mit genetischer Wahlfreiheit (choice)‘. Es vermengen sich ‚Zeugung jenseits von sex und gender‘ mit ‚gesundheitsversprechenden Genen‘ wie sich in den Szenarien in 3.2.2 andeutet und in dem Szenario ‚Infertilität als Standard‘, Kapitel 3.3.1 explizit vorgestellt wird: „einige Frauen werden das begrüßen“142: Heterosexualität wäre zur Fortpflanzung überflüssig, indem „jede einen Klon ihrer Partnerin austrägt“143. „Weil [mit neuen Gen- und Reproduktionstechnologien] die Fortpflanzung gesichert ist, gibt es auch keinen Grund, warum sich Männer ihre Samenleiter und Frauen ihre

142 Silver 1998b: 145. 143 Green 1999: 64. 106

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Eileiter nicht blockieren lassen sollten.“144 Dann „werden wir die freien Plätze eines neuen Chromosoms mit künstlichen Genen [...] anreichern“,145 „die traditionelle Fortpflanzung wird allmählich verschwinden“146. In Auseinandersetzung mit dem Material fand sich nicht nur dieser ‚postsex/gender‘ Diskursstrang, sondern ein verflochtenes Netzwerk voller Widersprüche und Überschneidungen, die als dialektisch voneinander abhängig erscheinen. Aus den Diskurssträngen lässt sich ersehen, dass zentrale Kategorien in dem untersuchten Material einerseits (romantische) Liebe, andererseits Vorstellungen der bürgerlichen Aufklärung wie Emanzipation und Verantwortung sind. Immer verhandeln die Szenarien Befreiung im Sinne von Selbstbestimmung durch Technologie bzw. Freiheit oder Unfreiheit des Menschen im Verhältnis zum eigenen Körper und Technologie. So sind sämtliche Stränge einteilbar in eine deterministische (sozial- oder bio-deterministische) Haltung bzw. eine Haltung, die von der Selbstbestimmung des Menschen ausgeht (siehe Kapitel 3.2). Entscheidend in den neueren Diskurssträngen ist eine Tendenz, die sich aus Texten ab etwa 1998 ablesen lässt: in dem hier untersuchten Material geht es immer weniger um Heilung bei der Anwendung von neuen Reproduktionsund Gentechnologien, sondern um Befreiung von Zwängen, um ‚Ermöglichung‘. Die Szenarien der Selbstbestimmung widmen sich vielfach Anliegen von ‚Gleichberechtigung‘. Das heißt zunächst zusammenfassend, es liegt eine Fürsprache emanzipatorischer Bewegungen vor (beispielsweise für Frauen, Ältere, sog. Homosexuelle etc.). Dabei lässt sich jedoch für jeden Fall zeigen, dass elliptisch biologisierend argumentiert wird, indem – ohne dies begründend einzuführen – eine biologische Grundlage für Diskriminierungen oder vermeintliche körperliche Probleme oder Einschränkungen vorausgesetzt wird (d.h. möglicherweise als sozial zu deutende Diskriminierung z.B. auf der Basis des Geschlechts oder der Hautfarbe werden nicht als sozial, sondern als durch die biologischen Differenzen verursacht betrachtet). Der Einsatz Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien erhält nur unter dieser Voraussetzung der Biologisierung solcher Unbill eine plausible Konnotation als Einsatz von ‚Befreiungstechnologien‘ (siehe Kapitel 3.2). In den Szenarien sind in Bezug auf Gesundheit und Krankheit Verschiebungen auszumachen, die sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Anwendungsbreite Neuer Reproduktions- und Gentechnologien aufzeigen. Etwa vier Anwendungsbereiche von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien lassen sich ausmachen, die als Hinweise auf das ‚zu Behandelnde‘ zu lesen sind. Demnach weitet sich der Einsatzbereich aus von einem reinen Hei144 Baker 1999: 163. 145 Stock 1998. 146 Ebd. 107

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

lungseinsatz im Sinne der Idee der genetischen Prävention und Förderung von Wohlbefinden hin zu schließlich einer generellen freien Wahl der genetischen Merkmale. Sehr bedingt lässt sich dies auch in einer zeitlichen Abfolge wieder finden (siehe Kapitel 3.3.4). Innerhalb des Kontextes Gesundheit/Krankheit werden als Schlüsselthemen in den untersuchten Texten die Kategorien Infertilität, Risiko und der ethische Status von Gentherapie behandelt (siehe Kapitel 3.3.1-3.3.4). Die Analyse des Metapherngebrauchs (Kapitel 3.4) belegt den Eindruck, dass ‚Unfreiheit durch naturgegebene Bedingungen‘ und ‚Befreiung durch Neue Reproduktions- und Gentechnologien‘ zentrale Sujets sind. Die Wahl der Metaphern spiegelt allerdings nicht nur die bereits diskutierten Verhandlungen von Freiheit und Unfreiheit, sondern verweist auf vermeintlich extreme Auswirkungen, die Neue Gen- und Reproduktionstechnologien auf den Menschen und die Gesellschaft der Zukunft hätten. Mit verschiedensten, optimistischen Bildern des Neuen werden gesellschaftlich-biologische Veränderungen und Möglichkeiten, mit denen die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien assoziiert werden, belegt (siehe Kapitel 3.4). Viele der diskutierten Metaphern, insbesondere biologische ‚Hintergrundmetaphern‘, sind bereits von anderen AutorInnen, allerdings in anderen Kontexten, herausgearbeitet worden, andere sind spezifisch für das vorliegende Material. Mit dieser Massivität allerdings bisher kaum je aufgetreten, verweist in dem untersuchten Material der Metapherngebrauch auf eine Art Aufbruch in eine zweite Neuzeit, entsprechend einer Francis Baconschen Reise in neue Kolonien (siehe Kapitel 3.4.4). Der Texttypus bringt es mit sich, dass die untersuchten Diskursstränge sehr bildhaft und reich sind an Metaphern, denn im Wesentlichen handelt es sich um bewusste Fiktion, um Zukunftsdarstellungen. Zugleich sind die Texte voller Bemühen, dem Lese-Publikum durch handwerkliche Sprache, die ein technisches Basisverständnis einfachster Mechanik nicht übersteigt, nahe zu kommen. Die in den Texten gefundenen und zunächst aus dem Kontext entfernten Metaphern ließen sich in etwa den folgenden übergeordneten Themenfeldern zuordnen: Zeit-Raum, Raum, Zeit, Grenzen von Zeit und Raum, Bewegung in Zeit und Raum, Finanzwesen, Handel, Handwerk, echt/unecht, DNA, Information, Buch, Kopie. Die Rekontextualisierung der so in Themenfeldern zusammengeführten Metaphern zeigte, dass entsprechend dem Bedeutungsumfeld, aus dem die Metaphern den Texten entnommen waren, sie sich in drei zeitliche Zonen einteilen ließen: einen ersten Zeit-Raum (im Folgenden ZeitRaum)147, der vor der Anwendung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien liegt; des Wei147 Diese Schreibweise wird gewählt, um zu verdeutlichen, dass Zeit in allen dazugehörigen Metaphern sich als Raum darstellt bzw. es unklar bleibt, ob der räumliche oder zeitliche Aspekt überwiegt. 108

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

teren der Moment der Ermöglichungen durch Technologien, der Entscheidung für oder wider sie bzw. für oder wider rechtliche Lockerungen, für oder wider ihres Einsatzes; und drittens der ZeitRaum der Zukunft, also nach diesem zeitlichen Übergang, in dem sie Einsatz fänden. Für den ersten stehen Metaphern des unkontrollierbaren Gefährlichen. Für den ZeitRaum jenseits der Metaphern des Übergangs oder Übertritts stehen solche Metaphern des handlungspraktischen ‚Im-Griff-Habens‘. In Abbildung 5 werden diese drei Etappen dargestellt. Der größte Anteil der Metaphern ließ sich auf dieser ZeitRaum Achse ansiedeln (siehe 3.4.4).

ZeitRaum 1:

ZeitRaum 2:

ZeitRaum 3:

Vor der generellen Anwendung von NRGT

Moment der Entscheidung für oder wider NRGT

Genereller Einsatz von NRGT

Abbildung 5: Drei ZeitRäume der Einführung von NRGT in der untersuchten Metaphernwelt Um die Metaphern nicht wiederholte Male zu zitieren, erfolgt ihre Interpretation (entgegen der generellen Ergebnisdiskussion in Kapitel 4) bereits in Kapitel 3.4. Zusätzlich zu dem reinen Metapherngebrauch ließen sich ‚Texttechniken‘ ausmachen, die die Bedeutung umstrittener oder rechtlich zentraler Begriffe verschieben. Kategorien, die den Ergebnissen der Diskurs- und der Metaphernanalyse nach in den untersuchten diskursiven Fragmenten solchen Neudeutungen oder Ambivalenzen unterliegen, waren Krankheit/Gesundheit bzw. die Notwendigkeit des Eingriffs mit Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien sowie Infertilität, Eugenik und der Begriff des Embryo.

109

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

3.2

Szenarien der Zukunft reproduktiver Technologien

Die Vielfalt der Ergebnisse der Diskursanalyse an den 38 aus dem größeren Gesamtkorpus ausgewählten Texten weicht weit von der Ausgangshypothese ab: nach dieser würde es lediglich einen neuen ‚post-gender‘ Diskurs, in dem gleichgeschlechtliche Paare eine prominente Rolle einnehmen, geben. Er käme zu den bis in die Mitte der 1990er Jahre weithin bekannten Argumentationen hinzu, die einerseits sich für die Fortpflanzungsmöglichkeiten heterosexueller Paare einsetzten und andererseits an die Verantwortung des Individuums gegenüber der Gesellschaft appellierten, ‚krankmachende‘ Gene nicht weiter zu vererben (vgl. Kapitel 2). Im Zuge der Analyse ließ sich im Kontrast dazu ein dichtes Netz generieren von 20 verschiedenen, aber auch sich überschneidenden Szenarien (Diskurssträngen), die sich manchmal widersprechen, oft aber auch voneinander abhängig sind. Die Überschneidungen werden in der anschließenden Darstellung deutlich, in der sich manche Zitate in mehreren Szenarien wiederfinden können. Sie unterstützen dann mit einer Äußerung mehrere Aussagen.148 Fast immer, mit nur wenigen Ausnahmen, verhandeln die analysierten Texte und so auch die aus ihnen erarbeiteten Szenarien ‚Befreiung‘ im Sinne von Selbstbestimmung durch Technologie bzw. die Freiheit oder Unfreiheit des Menschen an sich im Verhältnis zu seinem Körper und zur Technologie. Die Szenarien, die Laborzeugung als Standard denkbar erscheinen lassen, können also unter den übergeordneten Ideen zusammengefasst werden, wie in Abbildung 6 angegeben:

Selbstbestimmung:

Pflichten Verantwortung Gleichberechtigung Emanzipation

Fremdbestimmung:

Biodeterminismus Sozial- und Technikdeterminismus

Abbildung 6: Übersicht über die Szenarien

148 Vgl. Foucault zu Äußerung und Aussage in Kap. 1.2.1. 110

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Es ließen sich in den Diskursfragmenten unterschiedliche Argumentationen aufgliedern, die sämtlich die Frage behandeln, ob oder warum nicht der Mensch Einfluss auf Technologieentwicklung (und im speziellen auf die Entwicklung und den Einsatz von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien) nehmen kann. Dabei unterschieden sich Haltungen der Selbstbestimmung (‚Ja, der Mensch kann über sein Schicksal, das seiner Kinder und das der Gesellschaft mit bestimmen und ist für die Folgen seines Nicht-/Handelns verantwortlich!‘) von jenen, die Einflussnahme als unüberwindlich schwierig oder wenigstens sehr unplausibel wirken lassen, da entweder Technologie sich selbst entfaltet (und uns gar beherrsche: Technikdeterminismus) oder der Mensch ebenso wie die Neuen Reproduktions- und Gentechnologien Produkte der (bio)chemischen Natur oder Evolution (und nicht so sehr menschlichen Willens losgelöst von einer sich selbst entfaltenden Evolution) seien. Die Diskursstränge sind jedoch stark ineinander verwoben und voneinander abhängig. Insofern stellen die Szenarien künstliche Trennungen zwischen offensichtlich gemeinsam denkbaren und nur scheinbar einander widersprechenden Werten dar (vgl. Kapitel 4), die der Interpretationsleistung während der Analysen geschuldet sind und das Verständnis meiner Beschreibungen in der Darstellung erleichtern sollen. Durch die Einteilung der Szenarien in normative Kategorien wie Selbstbestimmung oder Verantwortung wird in diesem Abschnitt eine vorausgreifende Begriffsausführung notwendig. Eine Übersicht sämtlicher Themen bzw. Szenarien und wie sie in Vorstellungen der bürgerlichen Neuzeit von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung eingeordnet sind, zeigt Abbildung 7.

3.2.1 Selbstbestimmung: Rechte und Pflichten Individuelle Verantwortung und Pflichten: Menschliches Wohl und Fortschritt sind Eins-Szenario Genetisch glücklich und gesund-Szenario Gute Gene aus Verantwortung fürs Kind-Szenario Gute Gene aus Liebe zum teuren Kind-Szenario Ansprüche und Rechte: Kinderwunsch aus Liebe (resultiert in Anspruch)-Szenario Recht auf Gleichbehandlung der Liebe-Szenario 3.2.2 Selbstbestimmung: Befreiung und Gleichstellung Reproduktion als Menschenrecht-Szenario Befreiung von (eigener) Natur-Szenario Befreiung der Frau-Szenario Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare/Singles-Szenario Gleichstellung mit ‚Reichen‘-Szenario

111

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

3.2.3 Fremdbestimmung: Biodeterminismus in NRGT Der Mensch als Tier-Szenario Liebe ist Chemie-Szenario (zu Geschlechterverhältnis und Nachwuchs) Macht und Diskriminierung als genetisch bedingt-Szenario Natur macht Technik-Szenario 3.2.4 Fremdbestimmung: Sozialdeterminismus/Technikdeterminismus Technologie macht sich selbst-Szenario Mächtige AnwenderInnen-Szenario Globalisierung setzt sich durch-Szenario Expertenprophetie-Szenario Abbildung 7: Reproduktionstechnologische Diskursstränge der Jahrtausendwende als Szenarien der Selbstbestimmung und Fremdbestimmung Es lassen sich in den vorliegenden Strängen verschiedene Bezüge auf historische ‚emanzipatorische‘ oder liberale Konzepte ausmachen, die bedeutsam für die abschließende Diskussion der enthaltenen Gesundheits-/Krankheitsbegriffe sein werden. Die emanzipatorische Werte stehen deterministischen Vorstellungen gegenüber und führen vor, wie sie sich dialektisch bedingen:149 Entsprechend einem Konzept der unbedingten (einfach aus der Natur eindeutig ableitbaren) Kausalgesetze entsprechend der späteren Lesarten der Theorien Newtons und Humes150 wird der Mensch, sein Wesen und seine Krankheiten als nur aus diesen Naturgesetzen heraus erklärbar betrachtet.151 Ein freier Wille, der autonomen Entscheidungen darüber zu Grunde läge, welcher 149 Holz 1997/98. 150 Hume 1986. Vgl. die Verwendung Newtonscher und Humescher Konzepte bei La Mettrie (Rosenfield 1941). Die Integration von Vorstellungen über das Wesen des menschlichen Geistes wurden erst in der Herausbildung der Wissenschaften vom Menschen in Biologie und Medizin in ein mechanistisches Körperkonzept ebenfalls mechanistisch konzipiert. 151 Es sei bereits an dieser Stelle auf die in Kapitel 4 ausgeführte Interpretation Foucaults hingewiesen, dass Biologismus als ein Konzept der Biomacht und Biopolitik seine Ursprünge in emanzipatorischen Bewegungen hatte. Demnach hätten Nachfahren unterworfener Gruppen (vor allem Normannen) spät nach der neuerlichen Besetzung der Britischen Insel, so wie auch die bürgerlichen Bewegungen in Frankreich, die sich gegen den Adel wandten, ihren Widerstand gegen den jeweiligen Souverän über ihre Rasse (ursprünglich konzipiert als quasi Sprachgemeinschaft, später Blutlinie) begründet. Es sei im 19. Jahrhundert dieses Konzept als Staatsrassismus und Biopolitik im Sinne einer Verwaltung von Leben und Volkskörper, der zum Vorteile des Gemeinwohles vom ‚Fremden‘ und ‚Degenerierten‘ rein zu halten sei, auf den Feind im Inneren gerichtet worden (Foucault 1997a). 112

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Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Kind man sich beugen sollte und welche Gene ein potentielles Kind haben sollte, wären demnach konsequenterweise nicht denkbar. Und doch wird andererseits Freiheit, überwiegend im Sinne von Autonomie oder Selbstbestimmung, angerufen, wie sie Kant einführte, um dennoch eben ein solches moralisches Handeln denkbar zu machen.152 In den vorliegenden Szenarien wird diese Autonomie nötig, um über die paradoxerweise vorhersagbar eindeutig und unausweichlich wirkenden Naturgewalten moralisch folgsam oder im Sinne der eigenen Emanzipation zu bestimmen. Deutlich wird auch, dass traditionelle Problemstellungen in Freiheitsdiskursen in den vorliegenden Strängen auf bestimmte Weise verknüpft werden, während andere vertraute Verknüpfungen nicht hergestellt werden. Es wäre zu erwarten gewesen, dass entsprechend dem Kontext der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien, eingebettet in die seit den 1950er Jahren herrschenden Diskussionen um das Verhältnis von Individuum zu Medizin und Gesellschaft bzw. umgekehrt der Medizin zum Individuum, zum ‚mündigen Bürger‘ durch den informed consent Selbstbestimmung in Bezug auf den Behandlungsprozess oder in Hinsicht auf das ‚Arzt-Patient‘Verhältnis angesprochen würde. Stattdessen finden sich in den vorliegenden Texten keinerlei Bezüge auf Diskussionen der PatientInnenautonomie im Verhältnis zum medizinischen Prozess, auch wenn sich die enthaltenen Freiheitsforderungen implizit darauf berufen mögen. Die traditionellen Kategorien in Selbstbestimmungsdiskussionen in Hinsicht auf Medizin, wie Körper/Natur, Technologie, Individuum und Gesellschaft werden in den untersuchten Texten angeordnet in den Verhältnissen. x Individuum zu Gesellschaft (Pflicht gegenüber Gesellschaft und aufzuhebende Begrenzungen durch Gesellschaft); x Individuum zu Natur (Begrenzungen des Individuums durch Natur gelte es zu überwinden) und Individuum zu Technologie (Technologie könne das Individuum aus den ersteren beiden Verhältnissen lösen). Der Befreiung im Sinne von Selbstbestimmung durch Technologie bzw. die Unfreiheit des Menschen an sich im Verhältnis zu seinem Körper steht dabei x das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft, der gegenüber es legitimerweise Ansprüche auf Technologie zu entwickeln hat, gegenüber. Vertraute Verknüpfungen im herkömmlichen Selbstbestimmungsdiskurs in Bezug auf Technologie und Medizin, die nicht hergestellt werden, sind x das Individuum als freies Wesen durch Gesellschaft und x Ansprüche des Individuums an Technologie (Medizin), sowie x Ansprüche der Gesellschaft an Technologie und Medizin. Wie der erste Teil dieser Liste zeigt, kommt der Selbstbestimmungsaspekt also im Wesentlichen im Verhältnis zum eigenen Körper und der Natur zum 152 Tarnas 2001: 240f. 113

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Tragen. Dies entspräche der intensiven voraufklärerischen Auseinandersetzung mit den ‚Gewalten der Natur‘, wie etwa in den Vorläufern des Englischen Empirismus zu erkennen. Technische Utopien des 16. und frühen 17. Jahrhunderts (wie beispielsweise Nova Atlantis von Francis Bacon, siehe Kapitel 3.4.4) kündeten vom Ausgang des Menschen aus seiner naturgebundenen Unfreiheit durch neue Technologien, welche Natur beherrschbar erscheinen ließen. Emanzipatorische Konzepte, die das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft skizzieren dagegen knüpfen in den vorliegenden Texten an eine Kantische Tradition von Emanzipationskonzepten an, beziehen daraus jedoch lediglich jene Aspekte, die eine Gegenüberstellung des Individuums zur Gesellschaft bedeuten: nämlich Verantwortung und Pflichten des Individuums gegenüber der Gesellschaft (wie in Kapitel 2 in Zusammenhang mit dem Begriff des genetischen Risikos diskutiert), nicht aber durch Gesellschaft. In dem Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung“153 erklärt Kant nicht nur Aufklärung als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (nicht aus Mangel an Verstand, sondern der „Entschließung und des Mutes [...], sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen“)154, sondern beschreibt ein zweigespaltenes Verhältnis des Individuums zu Gesellschaft, in dem der über ein rein liberales Selbstbestimmungskonzept hinausgehende Aspekt der Verpflichtung enthalten ist: Demnach kämen Bürger in ihrer jeweiligen privaten Funktion vor, könnten jedoch auch eine öffentliche Rolle als Gelehrte annehmen. In letzterer sei es ihnen möglich und erlaubt, Pflichten zu debattieren und zu beschließen, die auch für sie selbst wiederum dann verbindlich seien. So gelte es, als öffentliche Person zu debattieren und räsonnieren, als Privatperson allerdings zu gehorchen: „Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räsoniert nicht! Der Offizier sagt: räsoniert nicht, sondern exerziert! Der Finanzrat: räsoniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: räsoniert nicht, sondern glaubt ! (Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: räsoniert, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; aber gehorcht!) Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich? Welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? – Ich antworte: der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muss jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand 153 Kant 1974, Original 1783. 154 Kant 1974: 9. 114

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als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht.“ (Kant 1783: A 484f; Hervorhebung im Original)

Kant hebt also in diesem Teil seiner Beschreibung des aufklärerischen Ansatzes den Aspekt des Funktionierens von Gesellschaft durch das sich Einpassen der ‚privaten‘ Individuen in das Gesamtgefüge hervor. Der Aspekt des kantischen Aufklärungsbegriffs, der in den vorliegenden Szenarien nicht aufgegriffen wird, jedoch für das Verständnis seines Konzepts in jener Zeit unerlässlich scheint, ist jener der Befreiung des Individuums aus seiner Unmündigkeit durch Gesellschaft, denn es brauche einen Austausch von kritischen Gedanken in der Öffentlichkeit.155 In den vorliegenden Szenarien treten verschiedene Freiheitsbegriffe auf. Für die potentiellen PatientInnen gilt der letztere Kantische in Hinsicht auf die Einsicht in Verantwortung als Begriff von Autonomie. Das sogenannte genetische Risiko setzt den PatientInnen Normen und Grenzen. Dagegen entspricht im Verhältnis von Naturwissenschaft und Technologieentwicklung zur Gesellschaft in den vorliegenden Szenarien am ehesten ein liberaler Diskurs im Sinne John Stuart Mills von 1861, der Freiheit im Sinne privater Freiheit von gesellschaftlicher Einmischung begreift und das Konzept des Utilitarismus stark macht.156 Obwohl der Jahrgang 2002 jener mit der größten Zahl an gefundenen Artikeln ist,157 in denen optimistische Haltungen und Affirmationen der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien als Standardrepertoire für die menschliche Fortpflanzung dargestellt werden, zeigte sich der häufigste Bezug auf ‚Rechte und Pflichten‘ (3.2.1) 1998, 1999 und 2002 mit je sechs Nennungen von Artikeln, die solche Bezüge enthielten.158 Zwischen 1998 und 2002 ist eine leichte Verschiebung von der Argumentation über Pflichten und Schuld (die gemeinhin zu erwartenden Diskursstränge, wie sie durchweg in den 1990ern in biomedizinischen Diskursen Westeuropas und vor allem der USA bekannt waren, vgl. Kapitel 2) hin zu positiv besetzten Werten zu erkennen. Während in den im Kapitel 3.2.1 unter ‚Individuelle Verantwortung und Pflichten‘ erfassten Diskurssträngen Pflichten eine große Rolle spielen und diese vor allem 1998 (in vier Beiträgen), 2000 und 2001 (in je drei Beiträgen) Nennung fin-

155 Demnach wären auch in Hinsicht auf die Technologien ebenso wie in Hinsicht auf Gesundheitsbegriffe öffentliche Auseinandersetzungen zu ihrer Bestimmung zu führen, dies entspricht jedoch nicht dem Konzept des Selbstbestimmungsbegriffs, wie er in den folgenden Szenarien zu finden ist. 156 Mill 1912. 157 Vgl. die Tabelle sowie die Listen in Anhang. 158 Hier sind auch Doppelnennungen möglich, da die Szenarien in Kap. 3.2.1 ‚Rechte und Pflichten‘ zusammen gefasst wurden. Verschiedene Textstellen in selben Artikeln wurden als einfache Nennung gezählt. 115

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

den, gewinnt eine ganz andere Kategorie, die der Liebe, ab 1999 argumentativ an Bedeutung und hält sie bis 2002 (in je vier Artikeln). Emanzipatorische Diskurse, die auf die Kategorie der Freiheit anspielen (Menschenrechte, Befreiung von eigener Natur, Gleichstellung) finden von 1998 bis 2001 kontinuierlich zahlreiche Nennung, mit Höhepunkten in 1998 und 2000 (je acht, in 1999 und 2001 je sechs) und fallen dann im Verhältnis zur Anzahl der insgesamt pro Jahrgang gefundenen Artikel stark ab. Menschenrechte werden in den untersuchten Diskurssträngen 2001 ‚entdeckt‘ (in gleich 3 Beiträgen) und werden 2002 und 2003 ebenfalls noch in je einem Artikel angesprochen. ‚Dis-organisierte Infertilität‘, also die Loslösung eines Anspruchs auf Infertilitätsbehandlung von einem medizinisch-organischen Befund bzw. die Erwähnung von Lesben und Schwulen als möglicher Klientel für Neue Reproduktions- und Gentechnologien fällt besonders 1999 mit drei Artikeln und 2000 mit zwei Beiträgen auf (ansonsten gibt es nur eine erste Nennung 1998 und eine weitere 2002). Besonders prominent und kontinuierlich zeigt sich unter den emanzipatorischen Diskurssträngen (bzw. unter allen in ‚Selbstbestimmung‘) der Strang ‚Befreiung von der (eigenen) Natur‘ (er hält sich von 1998 bis 2002 beständig mit je zwei oder drei Artikelnennungen pro Jahr) und gehört zu den ersten vier Diskurssträngen, die 1996 (in einem Beitrag von Carl Djerassi) überhaupt auftauchen: diese vier sind jene im Sinne eines Befreiungsdiskurses wegweisenden Stränge zu ‚genetischer Verbesserung‘ (des eigenen Kindes) bzw. zur ‚Befreiung von der eigenen Natur‘ (der Frau). Unter den deterministischen Diskurssträngen ragen jene heraus, die eine Erklärung für den ‚Erfolg‘ zukünftiger Gentechnologien und Reproduktionsweisen bieten: So wird einerseits die Natur als Motor für Neue Reproduktions- und Gentechnologien gesehen (in 12 Artikeln) und andererseits die AnwenderInnen (PatientInnen oder KonsumentInnen, in 11 Beiträgen und weit vor ‚Globalisierung‘ oder der sich selbst in die Welt bringenden Technologie). Eine weitergehende Interpretation und Diskussion dieser Szenarien erfolgt nach ihrer Vorstellung in Kapitel 4. Im Folgenden werden die Diskursstränge als Szenarien einzeln vorgestellt.159 Sie stellen nicht meine Position dar (auch wenn sie natürlich aus meiner Textinterpretation entstanden sind), sondern verdeutlichen Diskursstränge in dem Material als Darstellungen einer jetzigen oder zukünftigen Realität. Die in den Texten ausgemachten Zitate wurden z.T. unterschiedlichen Szenarien und somit mehrfach zugeordnet, da auch den Szenarien teils voneinander abhängige Kategorien und Konzepte zu Grunde liegen. Insofern sind partiell Mehrfachnennungen einzelner Zitate möglich. Die überwiegende Zahl 159 Die Szenarien werden als aus dem analysierten Textmaterial zusammengestellte ‚stories‘ vom übrigen Text durch Einschub und durch einen zusätzlich anderen Schrifttyp abgesetzt. 116

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

dieser Szenarien sind selbsterklärend und werden darum nicht durch Erläuterungen eingeführt, während manchen erläuternde Zusammenfassungen vorausgeschickt werden. Die in den Abschnitten 3.2.1 und 3.2.2 angeführten Szenarien sind jene der Selbstbestimmung. Sie sind solche, die davon ausgehen, dass der Mensch einen breiten Spielraum an Handlungsmöglichkeiten hat, der durch Gesetze zum Schutz anderer Individuen und der Gesellschaft eingeschränkt wird. Sie beschreiben, was das Individuum angesichts seiner bestimmten Beziehungen zu anderen Menschen tun sollte und von der Gesellschaft erwarten darf (3.2.1) und was im Sinne der Freiheit durch Neue Reproduktions- und Gentechnologien möglich sei und getan werden könne (3.2.2).

3.2.1 Selbstbestimmung: Rechte und Pflichten Der Diskursstrang ‚Rechte und Pflichten‘ bezieht sich auf humanistische Werte, die auf das Wohlergehen des Menschen als Individuum ebenso wie als Genus und daran geknüpft auf den Fortschritt der Menschheit gerichtet sind, dem der Mensch ebenfalls aus Mitmenschlichkeit (utilitär) verpflichtet ist. Als ein wesentlicher Wert vermittelt Liebe (Menschenliebe, romantische Liebe zwischen SexualpartnerInnen und Liebe zum Kind) zwischen der Verantwortung der Menschen gegenüber ihren Mitmenschen und den Rechten und Ansprüchen, die Menschen gegenüber ihren Mitmenschen, der Gesellschaft legitimerweise erheben können.160 Im Gegensatz zu den Szenarien unter 3.2.2 (insbesondere dem Reproduktion als Menschenrecht-Szenario) wird in den in diesem Abschnitt dargestellten Szenarien nicht verhandelt, welche emanzipatorischen Möglichkeiten Neue Reproduktions- und Gentechnologien bergen, sondern es werden gesellschaftliche Voraussetzungen beschrieben: Die Szenarien zu Rechten und Pflichten in diesem Kapitel stellen also dar, in welchem Verhältnis Individuen zur Gesellschaft bzw. ihren Kindern stehen und welche Verantwortlichkeiten und Ansprüche dadurch in Hinsicht auf Neue Reproduktions- und Gentechnologien gegenseitig erwachsen. 160 Die im Folgenden beschriebenen Szenarien werden durch folgende AutorInnen artikuliert (dies wird in Tabelle 2 im Anhang in einer Übersicht zusammengestellt): Menschliches Wohl und Fortschritt sind Eins-Szenario: vertreten durch Green 2002, Stock 1998, Stock 2000a. Genetisch glücklich und gesundSzenario: Diedrich 2003, Green 2002, Rosenthal 2001, Solter 1998, Stock 1998, Stock 2000a, Watson 2001b. Gute Gene aus Verantwortung fürs KindSzenario: Djerassi 1996, Green 1999, Reich 1999, Rosenthal 2001, Stock 1998, Stock 2000a. Gute Gene aus Liebe zum teuren Kind-Szenario: Djerassi 1996, Reich 1999, Stock 2000a. Kinderwunsch aus Liebe (resultiert in Anspruch): Boisselier 2000, Djerassi 1998, Djerassi 2000, Djerassi 2002, Green 1999. Recht auf Gleichbehandlung der Liebe-Szenario: Antinori 2001, Antinori 2002, Dahl 1999, Green 1999, Hamer 2002, Katzorke 2003, Silver 1998b. 117

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Individuelle Verantwortung und Pflichten Im argumentativen Zentrum dieses Diskursstrangs steht ‚Verantwortung‘. Hier werden BürgerInnen, begrifflich enthalten in einer Sammelkategorie (‚Menschheit‘, ‚Gesellschaft‘ oder ‚wir‘) anderen Individuen (potentiellen PatientInnen, eigenem Nachwuchs) gegenübergestellt, denen sie die Förderung Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien schulden. Die Argumentation ist jeweils insofern elliptisch, als das Verhältnis zwischen Individuum und der es verpflichtenden Einheit (Menschheit, PatientIn, etc.) nicht ausgeführt wird und Rahmenbedingungen der Verantwortlichkeit nicht geklärt werden. Ein Fortschritt in Medizin oder Gesundheit, wie auch das Wohl des Kindes kann nach diesen Szenarien jeweils nur über die jeweils angesprochene, zu fördernde Technologie erreicht werden – eine Alternative erscheint nicht denkbar. Wer Technologien verzögert, setzt die Güter Fortschritt und Gesundheit aufs Spiel. Menschliches Wohl und Fortschritt sind Eins-Szenario Die Verbesserung der Lebensbedingungen des Menschen ist im Wesentlichen bedingt durch wissenschaftlichen Fortschritt. Ein Verbot dagegen beispielsweise von Humanklonierungstechnologien „würde nur nützliche Forschung blockieren […]”.161 Was „fortschrittlich” ist, wird sich zwangsläufig seinen Weg bahnen – neuere Reproduktionstechnologien werden sich also ohnehin durchsetzen, so dass, wer ihre Durchsetzung behindern will, sich als Feind der Forschung generell zeigt oder sie gar aufs Spiel setzt.162 Die voranschreitenden Entwicklungen stellen Ansprüche an den Menschen, der sich ihnen fügen und ihnen dienen sollte. Mit den bereits entwickelten Technologien ist der Weg einmal beschritten worden und es gibt weder ein Zurück, noch ein Halten. Die Kräfte dieser Technologien sind vom homo faber entfesselt und der „beschleunigte Fortschritt verlangt die verantwortungsvolle Handhabung der neuen Kräfte – nicht ihr Verbot”163, schließlich haben wir „all die Milliarden an Forschungsgeldern zur Enträtselung unserer Biologie nicht zur Befriedigung schöngeistiger Neugierde ausgegeben”164, sondern um die

161 „[...] während es weniger verantwortungsvolle Personen nicht davon abhielte, das reproduktive Klonen überall dort zu probieren, wo die gesetzlichen Bestimmungen das erlauben“ (Green 2002: 24). 162 „Man muss schon den wissenschaftlichen Fortschritt an sich stoppen, um die Verfügbarkeit fortgeschrittener Reproduktionstechniken zu verhindern“ (Stock 2000a: 192). 163 Stock 1998. 164 Stock 2000a: 190. 118

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN „Gesundheit der Weltbevölkerung [zu] verbessern”165. „Wir schulden es den kommenden Generationen, die Methoden heute vorsichtig zu erproben, […]”166 und man „wird es […] als zunehmend unverantwortlich ansehen, ein Kind ohne genetischen Eingriff zur Welt zu bringen”.167

Genetisch glücklich und gesund-Szenario Neue Reproduktionstechnologien und Gentherapie oder ‚Genmedizin’ zu entwickeln, ergibt sich aus der Verantwortung der Gesellschaft gegenüber potentiellen Patienten. Denn die Verbindung von Ethik und Genetik spitzt sich im Wesentlichen auf eine Frage zu: „Wie soll man mit Ungleichheit umgehen und mit den Unglücklichen, deren Gene kein sinnvolles Leben zulassen?”168 Krankheiten, ebenso wie emotionale Belastung (die vor allem aus genetischer Unterschiedlichkeit und genetisch bedingten Krankheiten oder fehlenden Schutzfaktoren entsteht) sind Konditionen, die im Genom verankert sind. Die Forschung an NRT/Gentherapie geschieht insofern aus der akzeptierten Verantwortung heraus, vor Unglück und Krankheiten zu bewahren und letzten Endes Menschenleben zu retten. Immer wieder stellen sich dem Fortschritt insbesondere in Deutschland „Unkenntnis, irrationale Ängste vor der Gentechnik und ideologische Verbohrtheit”169 in den Weg, der Heilung und Prävention ermöglicht. Die Entwicklung von Gentherapie jedoch sollte gefördert werden, denn wer „würde ernsthaft die Möglichkeit ablehnen, Krebs zu verhindern?”170 Oder, dass „jemand zum Beispiel eine Therapie gegen Alzheimer mit menschlichen embryonalen Stammzellen entwickelt. Solche Versuche sind sogar nötig; denn nur Stammzellen, die von einem Patienten direkt abstammen, liefern auch Gewebe, das immunkompatibel mit dem Patienten ist”171. Die „ideologische Verbohrtheit”172,

165 Venter 2001. 166 Stock 2000a: 192. 167 Stock 1998. „Wenn sich diese Technik auf breiter Basis durchsetzt, wird sie sehr schnell universell werden. Man wird es dann als zunehmend unverantwortlich ansehen, ein Kind ohne genetischen Eingriff zur Welt zu bringen“ (Stock 1998) 168 Watson (2001b) auf die Frage der Süddeutsche Zeitung „Was hat Ihrer Meinung nach Ethik mit Genetik zu tun?“ 169 „Noch Ende der 1980er Jahre konnten diese neuen Protein-Medikamente in Deutschland nicht hergestellt werden. Unkenntnis, irrationale Ängste vor der Gentechnik und ideologische Verbohrtheit […]“ (Rosenthal 2001: 85). 170 Stock 1998. 171 Solter 2002: 22. 172 Rosenthal 2001: 85. 119

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

mit dem der Embryo geschützt werden soll, trifft, wie wir also an der Stammzellforschung sehen, lebensrettende Forschung grundsätzlich. Wenn die Risiken im Fall der Eizellspende zu reproduktiven Zwecken „in Kauf genommen werden, […] warum sollen sie dann nicht auch vertretbar sein, wenn es um die Förderung medizinischer Forschungen geht, die Menschenleben retten könnten?”173 Und stimmt „es wirklich, dass die Verwendung aktivierter Eier174 für lebensrettende Therapien einem […] denkbaren Missbrauch Vorschub leistet? Trifft nicht eher das Gegenteil zu?”175 Schließlich wird das menschliche Lebensalter und damit die Achtung vor dem Menschen durch solche Technologien erhöht.176 Ohnehin wird Klonierung nicht zu verhindern sein, so dass es im Sinne der Gesundheit des durch Klonierung entstandenen Menschen in unserer Verantwortung liegt, Klonierung in einem medizinisch und zivil hoch entwickelten Land stattfinden zu lassen. Restriktionen der Klonierung von Menschen wären also in mehrfacher Hinsicht unverantwortlich. „Ein solches Verbot würde nur nützliche Forschung blockieren, während es weniger verantwortungsvolle Personen nicht davon abhielte, das reproduktive Klonen überall dort zu probieren, wo die gesetzlichen Bestimmungen das erlauben.”177 Man würde dann „die Forschung schlichtweg jenen Ländern überlassen, die in ethischen Fragen weniger zimperlich sind.”178 Nicht nur das Wohlergehen der zukünftigen, noch ungeborenen Menschen wird durch neue Gen- und Reproduktionstechnologien befördert und steht insofern auf dem Spiel, sondern auch das der Frau, die ein Kind austragen wird. Der bereits vielfach beschrittene notwendige Weg der IVF bringt Risiken mit sich, die es durch weiteren Technologieeinsatz zu mindern gilt. Präimplantationsdiagnostik in Deutschland nicht zuzulassen, bedeutet, sinnlose vielfache Strapazen der Frauen durch häufige Befruchtungsversuche und mögliche (auch für die Föten gefährliche) Mehrlingsgeburten zu verantworten. Durch PID dagegen kann man „mit einem einzigen ausgewählten Embryo

173 „Wenn die Risiken in diesem Fall in Kauf genommen werden [bei Eizellspende für reproduktive Zwecke], so fragten wir uns, warum sollen sie dann nicht auch vertretbar sein, wenn es um die Förderung medizinischer Forschungen geht, die Menschenleben retten könnten?“ (Green 2002: 23) 174 Aus Klonierung nach dem Verfahren von Advanced Cell Technology entstandenen Embryonen (vgl. Neudefinitionen, Kap. 3.4). 175 Green 2002: 21. 176 Green 2002: 21. 177 Green 2002: 24. 178 Stock 2000a: 192. 120

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

teilweise bessere Schwangerschaftsraten erzielen als mit drei nicht ausgewählten.179 Gleichzeitig würde das Mehrlingsrisiko vermindert.”180 Auch Eltern mit Anlagen für schwere genetischen Erkrankungen ist eine natürliche Zeugung nicht zuzumuten und auch eine Rückübertragung der befruchteten Eizelle ohne Auswahl des gesunden Embryos in einer solchen Belastungssituation nicht zu verantworten. Für die PID müsste jedoch eine einzelne totipotente Zelle aus dem Verband herausgelöst und untersucht werden. […] Doch da der Verbrauch einer einzelnen totipotenten Zelle nach dem in Deutschland seit 1990 gültigen Embryonenschutzgesetz verboten ist, kann […] [den Eltern] nicht geholfen werden.”181

Gute Gene aus Verantwortung fürs Kind-Szenario Eltern haben eine Verpflichtung gegenüber ihrem Kind, es vor Krankheiten und Widrigkeiten im Leben zu schützen. Solche Krankheiten und Widrigkeiten und damit die Qualität des Lebens sind in hohem Maße genetisch bedingt. Die

179 Nach deutschem Recht zum hier zitierten Zeitpunkt müssen sämtliche befruchteten Eizellen der Frau in den Uterus „zurückgesetzt“ werden, da ein „Verwerfen“ oder „Einfrieren“ nach Verschmelzung von Eizellkern und Spermienkern dem Embryonenschutzgesetz widerspricht. In der Balance zwischen Erfolgsaussichten und Mehrlingsrisiko sind es gemeinhin drei Eizellen, die befruchtet werden. 180 Diedrich 2003: 42. 181 „Betrachten wir ein typisches Beispiel. Angenommen, das erste Kind einer Familie leidet an einer schweren genetischen Erkrankung, für die es keine echte Therapie gibt, sodass es frühzeitig sterben wird. Die Mutter möchte nun ein zweites, aber gesundes Kind. Eine Schwangerschaft wurde bereits abgebrochen, weil die pränatale Diagnostik ergeben hatte, dass der Fetus die kranke Genversion trug. Die Eltern sind physisch und emotional stark belastet. Das Paar sieht nun in der In-vitro-Fertilisation in Kombination mit der PID die Möglichkeit, die künstlich befruchteten Eizellen zu testen, damit nur solche ohne die kranke Genversion reimplantiert und ausgetragen werden. Dies würde eine pränatale Diagnostik mit einem möglichen Schwangerschaftsabbruch zu einem viel späteren Zeitpunkt und den dann unvermeidlichen physischen und seelischen Belastungen für die Mutter vermeiden. Für die PID müsste jedoch eine einzelne totipotente Zelle aus dem Verband herausgelöst und untersucht werden. Diese eine Zelle würde durch den Gentest verbraucht. Das Keimbläschen selbst bliebe aber intakt und könnte sich später zu einem normalen Embryo entwickeln. Doch da der Verbrauch einer einzelnen totipotenten Zelle nach dem in Deutschland seit 1990 gültigen Embryonenschutzgesetz verboten ist, kann der Frau nicht geholfen werden. Sie muss entweder ein Kind adopterien, ganz auf ein Kind verzichten oder den Weg über Schwangerschaft ‚auf Probe‘ und pränatale Diagnostik gehen, immer mit dem Risiko eines verspäteten Abbruchs. Dies ist aus meiner Sicht einer Frau beziehungsweise einer Familie in einer solch speziellen Situation nicht zuzumuten.“ (Rosenthal 2001: 92) 121

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Auswahl von Embryonen oder Eingriffe in das Genom (Keimbahn- oder Gentherapie) sind wirksame Methoden, das Kind vor Krankheit zu bewahren. Es ist allerdings nicht nur Aufgabe der werdenden Eltern, das eigene Genom auf mögliche vererbbare Krankheiten zu überprüfen und gegebenenfalls deren Weitergabe an das Kind zu verhindern (bestimmte „elterliche Gene bleiben ihm [...] erspart”182 in diesem Fall). Zugleich gibt es zahllose Möglichkeiten (und damit die Verpflichtung), durch Hinzufügen von genetischem Material präventiv Sorge zu tragen und das Kind für die Härten des Lebens bestens auszustatten. Denn Gentechnik „erlaubt uns, die genetische Blaupause unserer Kinder zu korrigieren und ihnen einen schärferen Intellekt, einen robusteren Körper, erhöhte Widerstandskraft gegen Krankheiten oder ein längeres Leben mit auf den Weg zu geben.”183 „Nehmen wir einmal an, wir könnten ein Kind wirklich permanent gegen Krebs schützen, oder sein Leben entscheidend verlängern. Wenn ich als Kind dann feststellen müsste, dass meine Eltern oder meine Regierung mir das aus philosophischen Gründen verweigert hätten, dann wäre ich ziemlich wütend.”184 „Wenn sich diese Technik auf breiter Basis durchsetzt, wird sie sehr schnell universell werden. Man wird es dann als zunehmend unverantwortlich ansehen, ein Kind ohne genetischen Eingriff zur Welt zu bringen.”185 Entsprechend dem öffentlichen Konsens, dass das Genom unser Schicksal bestimmt und ein fehlender (präventiver oder additiver) Einsatz von Gentechnologie das Kind unverantwortbaren Härten aussetzt, wird aus individueller Schuld (und einem privaten Streit zwischen den Eltern und ihrem erwachsenen Kind) dann schnell eine juristische Angelegenheit. ‚Gerichtsverfahren wegen widerrechtlicher Geburt’186 oder ‚genetischer Unterlassung’, die erwachsene Kinder gegen ihre Eltern anstrengen, werden keine juristischen Ausnahmen bleiben.”187

182 183 184 185 186

Green 1999: 64. Stock 2000a: 192. Stock 1998. Stock 1998. In den USA waren bereits mehrere ‚wrongful life‘-Klagen angestrengt und bisher abgelehnt worden. So z.B. Saunders v. USA (Cal. 1995: http://laws.findlaw.com/9th/9356599.html); Sweeney v. Preston, 642 So. 2d 332 (Miss. 1994); Curlender v. Bio-Science Lab., 165 Cal. Rptr. 477 (Cal. Ct. App. 1980); and Turpin v. Sortini, 182 Cal. Rptr. 337 (Cal. 1982). Siehe Botkin 2003, ISLAT Working Group 1998. 187 Stock 2000a: 192. 122

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Gute Gene aus Liebe zum teuren Kind-Szenario Hinter der (öffentlichen) Pflicht und dem Pflichtgefühl, das eigene Kind in individueller Verantwortung genetisch gut präpariert auf das Leben vorzubereiten, steht die allen Menschen gemeinsame Liebe zu ihrem eigenen Kind. Diese besteht aus der Verbindung von Kinderwunsch, Wertschätzung des Kindes und damit einhergehendem Wunsch, in seine Zukunft zu investieren. Der Idee, im Labor Eigenschaften des Nachwuchses auszusuchen, unterliegt also ein „Gedanke, der bereits jetzt ununterbrochen verfolgt wird: Wir versuchen, unsere Kinder in die beste Schule zu schicken, ihnen alles zu schenken, was ihre Zukunftsaussichten verbessern könnte.”188 Denn natürlich „wollen alle Eltern für ihr Kind das Beste. Aus dieser Richtung wird der Druck kommen, Keimbahntherapien zuzulassen.”189 Gefahren lauern auf das zukünftige Kind allerdings nicht nur in der Keimbahn, sondern auch im Zeugungs- und Schwangerschaftsprozess. „Bei allen Risiken, die mit einer Schwangerschaft verbunden sind, bin ich dafür, einem Wunschkind die bestmögliche medizinische Kontrolle zu bieten.”190 Wer sein Kind liebt, verwendet also Gendiagnostik und Neue Reproduktions- und Gentechnologien im weitesten Sinne; der Grad der Anwendung dieser Technologien ist Maßstab für die Liebe zum eigenen Kind. Dabei folgt die starke Liebe zu dem Kind aus dem starken Kinderwunsch der Eltern und aus der Liebe zum Kind erwächst ihr verantwortliches Handeln.

Ansprüche und Rechte Unter ‚individuellen Pflichten‘ findet sich also ‚Verantwortung‘, die im Wesentlichen aus der Liebe zum Kind resultiert, welche die Eltern dazu bringt, in verantwortlicher Weise mit dessen genetischen Möglichkeiten umzugehen, also für eine gute genetische Ausstattung zu sorgen. Ansprüche wiederum, die Eltern an die Gesellschaft stellen können, ihnen Neue Reproduktion- und Klonierungstechnologien zur Verfügung zu stellen, erwachsen ebenfalls aus dieser Liebe. Zusätzlich ergeben sich jedoch auch aus der Liebe zwischen den Elternteilen Ansprüche, denn der Kinderwunsch der beiden resultiert aus dieser Liebe und ist daher zu erfüllen. Somit verbindet Liebe (im letztbeschriebenen Szenario gleichgesetzt mit einem aus ‚Wertschätzung‘ resultierenden Investitionswunsch, der als gesellschaftliche Norm vorgestellt wird) die Verantwortung der Eltern dem Kind gegenüber mit der Verantwortung der Ge-

188 Djerassi 1996: 135. 189 Reich 1999. 190 Djerassi 1996: 135. 123

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

sellschaft den Eltern gegenüber. Sie verbindet die diskursiven Stränge der Verantwortung mit jenen der Berechtigung (‚Ansprüche/Rechte‘). Zugleich leiten Diskursstränge der ‚Ansprüche/Rechte‘ zu Diskurssträngen über, in denen ‚Befreiung‘ oder ‚Gleichstellung‘ die zentralen Kategorien darstellen (Kapitel 3.2.2). Denn einerseits ist Menschenliebe (der künftigen Eltern zueinander, wie auch zum ‚Wunschkind‘) Legitimation vielfach (noch) umstrittener Neuer Reproduktions- und Gentechnologien und andererseits wird die ‚Materialisierung‘ dieser Liebe in Form des Kindes zum Gegenstand einer Auseinandersetzung um Gleichberechtigung oder Menschenrechte (in Hinsicht auf Möglichkeiten der Reproduktion).

Kinderwunsch aus Liebe (resultiert in Anspruch)-Szenario Natürlich gezeugte Kinder entstehen oft eher zufällig, dagegen sind die „im Labor entstandenen Kinder […] stets gewünscht: Sie werden […] mehr geliebt als natürlich gezeugte Kinder.”191 Während in leichtsinniger Jugend gezeugte Kinder oft nicht gewünschte Kinder sind, sind Paare, die erst in ihren späten 30ern einen gemeinsamen Kinderwunsch entwickeln, weitaus reifer und sich des reproduktiven Verfahrens bewusster. „Paare, egal ob Mann und Frau oder zwei Männer oder zwei Frauen, werden in diesem Alter ihre Kinder lieben, weil es innig erwünschte Babies sind”.192 Die durch Neue Reproduktions- und Gentechnologien (insbesondere ICSI) gegebene Möglichkeit der späten Zeugung ist somit Garantin einer glücklichen Kleinfamilie. Auch bei Eltern, die ein Klonkind zeugen möchten, ist es „Kindesliebe”,193 die sie dazu motiviert. Und dies ist, was vor allem die „Lebensqualität eines Kindes prägt, […] die Liebe und Hingabe, die es von seinen Eltern erhält.”194 Nicht unerheblich ist dabei die genetische Nähe zwischen Eltern und Kind, denn das Klonkind ist, anders als ein adoptiertes, ein Kind von eigenem Fleisch und Blut”195, das „Kind und seine Mutter, die zugleich identische Zwillinge sind, werden auf eine ganz neuartige Weise ein Herz und eine Seele sein”196 und daher besteht „Klonkindbedarf […] bei Menschen, die sonst

191 Djerassi 2002: 77. 192 Djerassi 2000b: 212. „Da geklonte Kinder in aller Regel ausgesprochene Wunschkinder sein dürften, wird es ihnen in dieser Hinsicht […] besonders gut gehen“ (Green 1999, 65). 193 Boisselier 2000: 14. 194 Green 1999: 65. 195 Green 1999: 64. 196 Green 1999: 65. 124

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

keine genetische ten.”197

Verwandtschaft

mit

ihrem

Kind

hät-

Recht auf Gleichbehandlung der Liebe-Szenario Ansprüche gegenüber der Gesellschaft, eine Materialisierung ihrer gemeinsamen Liebe im Kind verwirklichen zu dürfen, resultieren auch aus dem Recht auf Gleichberechtigung. Die Allgemeingültigkeit eines solchen Kinderwunsches als des Menschen innerste Eigenschaft resultiert in dem nicht zu beschneidenden „Recht einer Person auf biologischen Nachwuchs”.198 Die Unterlassung einer Gleichstellung aller Menschen in ihrem Zugang zu reproduktiven Möglichkeiten kommt einer solchen Beschneidung gleich. Menschen, die gemeinsam mit ihrem Partner oder mit ihrer Partnerin ein Kind bekommen möchten, haben, egal in welchen Geschlechterkonstellationen sie leben, eine leicht eingrenzbare Schwierigkeit. Wären die jeweiligen Gesetzgebungen zur künstlichen Befruchtung oder zur Klonierung des Menschen nicht so rigide, ließe sich allen Paaren leicht helfen. Denn „das einzige Problem, das sie haben, ist, dass sie von dem Menschen, den sie lieben, kein Kind bekommen können.”199 Wenn „es die einzige Möglichkeit ist, ein völlig verzweifeltes Paar glücklich zu machen”,200 sollte Klonierung erlaubt sein. Denn es ist eine „Verletzung der Menschenrechte […], wenn eine Frau über 50 kein Kind mehr bekommen darf!”201 Jeder „Versuch, die Fortpflanzung zu unterbinden, [ist] eine Verletzung der Bürgerrechte […]”.202 Und so darf es auch weder eine Diskriminierung des Alters, noch der Fortpflanzungsweise

197 Green 1999: 65. 198 „Spiegel: Aber begründet dieser allgemeine Kinderwunsch auch ein verbrieftes Recht auf Nachwuchs? Silver: „Zumindest in Amerika gibt es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, das Grundprinzip, dass das Recht einer Person auf biologischen Nachwuchs nicht beschnitten werden darf“ (Petermann/Paul 1998: 142). Im Folgenden plädiert Silver für eine generelle staatliche Kostenübernahme von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien, zumindest für sozialökonomisch niedrig gestellte Personen. 199 Dahl 1999: 312. 200 „Nur wenn es die einzige Möglichkeit ist, ein völlig verzweifeltes Paar glücklich zu machen, dann bin ich bereit, es auch zu tun.“ (Antinori 2001: 206) 201 Antinori 2002; auch: „Weil Kinderkriegen für mich Menschenrecht ist“ (Antinori 2002) und Antinori 2001: 206: „Ich halte es für ein absolutes Menschenrecht, Nachkommen zu haben.“ 202 Antinori 2002. 125

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

geben. Schließlich hat jedes „Paar […] das Recht, zu entscheiden, wann und wie es Kinder bekommen will”.203 Biologische Grenzen und das Leiden daran sind eine Ungerechtigkeit der Natur, die durch gesellschaftliche Maßnahmen im Sinne von Gleichberechtigung zu überwinden sind durch positive Regelung von Neuen Reproduktionsund Gentechnologien und Klonierung. Dies betrifft Beschränkungen des fortpflanzungsfähigen Alters204 (das gar zwischen den Geschlechtern ungleich und damit ungerecht verteilt ist) ebenso wie eine Diskriminierung von gleichgeschlechtlicher Liebe durch die Natur. Wenn es jedoch normal wird, sich in der Jugend sterilisieren zu lassen, um sich erst später im Leben mit den eigenen in Kühlbanken eingelagerten Eizellen und Spermien befruchten zu lassen, wird es eine gerechtere Welt der Fortpflanzung geben. „Nicht nur der Mann, auch die Frau wird dann bis ins Alter Kinder haben können – und zwar mit wem und wann sie will.”205 Gleichgeschlechtliche Paare, insbesondere Lesben, denen IVF mit heterologer Samenspende verwehrt wird, werden nicht nur von der Natur, sondern auch durch die Rechtslage in den meisten Ländern diskriminiert. Denn würde stets der medizinischen Indikation tatsächlich gefolgt, in dem Sinne, dass nur Personen, die selbst (organisch) nicht fortpflanzungsfähig sind, in den Genuss legaler Neuer Reproduktions- und Gentechnologien gelangen dürfen, müssten Frauen, deren Partner beispielsweise keine beweglichen Spermien produzieren, abgewiesen werden. „Insofern diese Frauen von einem anderen Partner schwanger werden könnten, hätten wir also strenggenommen das Recht, sowohl homosexuelle als auch heterosexuelle Frauen mangels medizinischer Indikation abzuweisen. Warum tun wir es im Falle heterosexueller Frauen nicht? Die einzig plausible Antwort darauf scheint zu sein, dass wir ihre Partnerschaft respektieren. Wir achten ihren Wunsch, ein eigenes Kind zu haben, ohne ihrem Partner ‚untreu’ werden zu müssen. Dasselbe gilt jedoch von der homosexuellen Frau. Auch sie wünscht sich ein eigenes Kind und möchte ihrer Partnerin nicht untreu werden. Im einen Fall eine ‚medizinische Indikation’ zu attestieren, im anderen dagegen nicht, ist daher in der Tat diskriminierend. Wenn wir bereit

203 Katzorke 2003: 149. 204 Mit der Antwort: „Jedes Paar hat das Recht, zu entscheiden, wann und wie es Kinder bekommen will“ reagierte Katzorke (2003: 149) auf die Frage von Geo, warum er (als Fortpflanzungsmediziner) „Frauen nicht einfach sagt, ihre biologische Uhr sei abgelaufen“ (Katzorke 2003: 149). 205 Djerassi 1998: 184. 126

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

wären, homosexuelle Partnerschaften genauso zu respektieren wie heterosexuelle, würden wir sehen, dass lesbische Frauen von der künstlichen Befruchtung in der gleichen Weise profitieren wie andere Frauen auch: Sie müssten ihre Beziehung nicht unnötig durch eine ‚Affäre’ belasten, brauchten keinen Mann als bloßes Mittel zum Zweck degradieren und könnten sich – da Samenspender routinemäßig auf HIV getestet werden – das Risiko einer Aidsinfektion ersparen.”206 Eine Klonierung hätte gegenüber der IVF zusätzlich den Vorteil, dass nicht etwa das Genom eines hinzu gezogenen Mannes, sondern allein der Partnerin oder das eigene „ausgetragen” werden könnte.207 „Lesben könnten [dann] Kinder bekommen wie ihre heterosexuellen Schwestern.”208 Die Verpflichtung der Gesellschaft, allen Menschen die Verwirklichung ihres Kinderwunsches zu gewähren, sei es als Ausdruck ihrer Liebe oder sei es „ein unbedingter biologischer Instinkt”209 oder einer Verquickung aus beidem, kann mehr bedeuten, als nur rechtliche Hürden zu beseitigen, damit „dass das Recht auf biologischen Nachwuchs nicht beschnitten wird.”210 Um genetische Diskriminierung zu verhindern, müssten Eltern von Seiten der gesellschaftlichen Solidargemeinschaft durch staatliche Kostenübernahme die Möglichkeit erhalten, in jedem Fall

206 Dahl 1999: 312. An keiner anderen Stelle im analysierten Material wurde eine mögliche ungerechtfertigte Diskriminierung von Lesben so ausführlich dargestellt. Dass Neue Reproduktions- und Gentechnologien oder Klonierung den Vorteil zeigten, gleichgeschlechtlichen Paaren Fortpflanzung zu ermöglichen, wird jedoch von mehreren Autoren explizit (Djerassi 1999a, Djerassi 2000b, Green 1999, Hamer 2002, Silver 1998b, Reich 2000, Stock 2000a) und von anderen implizit stark gemacht. Antinori dagegen (2001: 206) hält es zwar für ein „absolutes Menschenrecht Nachkommen zu haben“ (und sich von seinem Team klonen zu lassen), würde jedoch keine Lesben klonen: „Das würde ich nicht tun“ (Antinori 2001: 206). 207 Hervorhebung B.v.W. 208 Green 1999: 64; Hamer 2002 spielt diese geschlechtslose exkorporierte Zeugung der Zukunft durch: „Syd und Kayla riefen die Webseiten von ‚IGET‘ (Institut für gesellschaftlich-ethische Technik) auf und gaben die Spezifikation für ihr Wunschbaby ein. Da sowohl Syd als auch Kayla weiblichen Geschlechts waren, würden sie ein Baby klonen lassen und weil Syd besser aussah […] von Syds Genen ausgehen“ (Hamer 2002: 24). 209 Silver 1998b: 142. 210 „In den USA hat man ein Recht darauf, dass das Recht auf biologischen Nachwuchs nicht beschnitten wird. Sollte das dann für unfruchtbare Paare gemünzt werden? Bisher ist das in den USA ein privates Problem“ (Silver 1998b: 142). 127

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Embryonenauswahl und Gentherapien wahrnehmen zu können, um für ihre Wunschkinder hinreichend zu sorgen.211

Ob jemand der Reproduktion würdig bzw. für sie qualifiziert ist, entscheidet sich nach diesen Szenarien nicht mehr danach, ob jemand mit dem Partner oder der Partnerin ein – in gesellschaftlich definierter Weise – gesundes Paar darstellt, sondern danach, wie groß das Ausmaß der Liebe zwischen den potentiellen Eltern ist, da es Auskunft über das Maß an Liebe gibt, die dem Kind entgegengebracht werden wird. ‚Gesundheit‘ kommt dann insofern wieder ins Spiel, als die Eltern aufgrund ihrer großen Liebe dem Kind die besten Bedingungen verschaffen möchten.

3.2.2 Selbstbestimmung: Befreiung und Gleichstellung Ganz wesentlich ist in den neueren Diskurssträngen und zwar im Zeitverlauf zunehmend von 1998 bis 2003, dass es in dem untersuchten Material bei der Anwendung von neuen Reproduktions- und Gentechnologien immer weniger um Heilung geht (wie noch bis Mitte der 1990er überwiegend, vgl. Kapitel 2), sondern um Befreiung von Zwängen und um Ermöglichung.212 So ermöglicht in diesen Szenarien ICSI bzw. das Ablegen von Eizellen auf Eizellbanken für den späteren Gebrauch den Frauen berufliche Karriere. Es ermögliche ihnen (und es wird suggeriert, hierum sei es der Frauenbewegung im Wesentlichen gegangen), komplett ohne Männer zu leben. Es ermögliche, sich von körperlichen Vorgaben frei zu machen, sich also von der Natur zu emanzipieren: nämlich Frauen, ihre Gene in einem gemeinsamen Embryo zu vermengen und die ‚biologische Uhr auszutricksen‘, den Männern ermöglicht es einen eigenen Klon ohne Frauen und allen ermöglicht die Kopplung 211 Silver 1998b: 142 ff.; Silver ist der einzige Autor in dem von mir untersuchten Material, der explizit eine Kostenübernahme sämtlicher Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien von öffentlichen Kassen fordert. Impfungen dienen ihm als Beispiel. In anderen Texten wird lediglich angesprochen, dass „nur die Reichen“ „es“ sich werden leisten können, doch die Schlussfolgerungen offen gelassen. 212 Die im Folgenden beschriebenen Szenarien werden durch folgende AutorInnen artikuliert: Reproduktion als Menschenrecht-Szenario: Antinori 2001, Antinori 2002, Katzorke 2003, Rosenthal 2001, van der Ven 2001; Befreiung von (eigener) Natur-Szenario: Antinori 2002, Baker 1999, Hamer 2002, Djerassi 1996, Djerassi 1998, Djerassi 1999a, Djerassi 2000b, Djerassi 2002, Reich 2000, Rosenthal 2001, Silver 1998b, Silver 2000, Stock 1998, van der Ven 2001, Venter 2001; Befreiung der Frau-Szenario: Reich 2000, Silver 1998b (und siehe Djerassi in Befreiung von (eigener) Natur-Szenario; Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare/SinglesSzenario: Dahl 1999, Djerassi 1999a, Djerassi 2000, Green 1999, Hamer 2002, Reich 2000, Silver 1998b; Gleichstellung mit ‚Reichen‘-Szenario: Silver 1998b, Silver 2000, Stock 1998. 128

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

der neuen Gen und Reproduktionstechnologien, dem Nachwuchs Gene zu geben, die man selbst nicht hat. Allerdings sind die offenbar begrüßten jeweiligen emanzipatorischen Ansprüche (von Frau auf Karriere, von Singles und gleichgeschlechtlichen Paaren auf rechtliche Gleichstellung, von sozialökonomisch niedrig gestellten auf Gleichberechtigung im Zugang zu Medizintechnik; von Menschen mit körperlichen Gebrechen auf Nicht-Diskriminierung) in diesen Diskurssträngen stets biologisch begründet, wie der Vergleich der Emanzipations-Szenarien mit den biodeterministischen Szenarien, die ersteren die Grundlage bereiten, verdeutlichen wird.

Reproduktion als Menschenrecht-Szenario Neue Reproduktions- und Gentechnologien (und insbesondere Klonierung) sind die geeignete Methoden, um Menschen gegenüber ihren natürlichen Begrenzungen zu ihrem „Menschenrecht, Nachkommen zu haben”, zu verhelfen.213 Mit Neuen Reproduktions- und Gentechnologien stehen Möglichkeiten zur Verfügung, jedem Menschen zu jeder Zeit seines Lebens Nachwuchs zu bescheren – aus der eigentlichen Existenz dieser Technologie erwächst das ‚Menschenrecht’ des Zugangs zu ihnen. „[D]ie Medizin wäre grundsätzlich in der Lage, dieses Angebot zu machen, vorausgesetzt, die Gesellschaft will es überhaupt. Ob eine Patientin sich ihre Eizellen mit 30 einfrieren lässt, um sie mit 40 zurücksetzen zu lassen, wäre dann ihre eigene Entscheidung.”214 Insofern sind auch PID und Eizellspende in Deutschland zuzulassen, denn „[j]edes Paar hat das Recht, zu entscheiden, wann und wie es Kinder bekommen will.”215 Hieran werden Paare und Frauen durch die Natur, nun aber vor allem durch die Rechtslage gehindert. Obwohl es in Deutschland z.B. einen großen Bedarf an Eizellspende und PID gibt, kann wegen des Verbots von beidem dieser Bedarf nicht erfüllt werden.216 Das gilt auch für Frauen mit einer „schweren genetischen Erkrankung, für die es keine echte Therapie gibt. […] In Großbritannien könnte diesem Paar geholfen werden, da dort bis zum 14. Tag nach der Befruchtung auch die PID erlaubt ist.”217

213 Antinori 2001: 206. Siehe auch: „Weil Kinderkriegen für mich Menschenrecht ist“, Antinori 2002. 214 van der Ven 2001: 186. 215 Katzorke 2003:[0]: 149. 216 Er habe, so Katzorke, viele Anfragen, die er ablehnen muss, weil Eizellspende und PID verboten seien[0], aber „bei etwa jeder hundertsten Frau zwischen 30 und 40 sind die Eierstöcke vorzeitig erschöpft“ (Katzorke 2003: 149). 217 Rosenthal 2001: 92. 129

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Befreiung von (eigener) Natur-Szenario Trotz aller Hochtechnologien war der Mensch als organisches Wesen der Natur bisher weitgehend ausgeliefert. Die Wege, die die „würfelspielende Natur” in der Schaffung der einzelnen Menschen verfolgte, waren oft nicht nachvollziehbar, geschweige denn beeinflussbar. „[B]ei der altmodischen Form der stochastischen (durch Genomwürfeln bewerkstelligten) Zeugung”218 werden wünschenswerte und weniger wünschenswerte Merkmale höchst ungerecht auf die Menschen verteilt, so dass „der natürliche Prozess des genetischen Roulettes selbst höchst unfair ist.”219 Insofern geht es bei der Erforschung der Humanklonierung auch für reproduktive Zwecke „um die wissenschaftliche Erkenntnis und darum, der Menschheit zu helfen.”220 Bereits die Geburt des ersten „Retortenbabys” 1987 hatte einen „Wendepunkt markiert. Die Retortenzeugung war eine der Grundlagen dafür, dass in Zukunft Eltern in hohem Maße die genetische Ausstattung ihrer Kinder werden kontrollieren können”,221 und „[i]m Augenblick schaffen wir die Grundlagen, die künftige Generationen als konstitutiv begreifen werden.”222 Zahlreiche verschiedene Möglichkeiten der Fortpflanzung statt nur der einen, die die Natur bietet, werden in Zukunft möglich sein. Dies ermöglicht die freie Wahl „in einer Art „ReproduktionsRestaurant, weil unsere Nachfahren in der Lage sein werden, von einer Art ‚Speisekarte’ zu wählen, auf welche Weise sie Kinder bekommen wollen. Natürlich werden einige Menschen sich dazu entschließen, auf die ‚alte’ Art und Weise zu zeugen. Doch ich behaupte, dass sich die meisten Menschen per künstlicher Befruchtung im Reagenzglas, also In-Vitro-Fertilisation, reproduzieren werden.”223 Durch die Zeugung im Labor lassen sich einerseits zahlreiche natürlich verursachte Krankheiten verhindern und andererseits die biologischen Merkmale des Kindes frei auswählen. Bereits durch die „Entdeckung der Doppelhelix-Struktur des Erbmoleküls DNA durch James Watson und Francis Crick vor fast 50 Jahren war konzeptionell elegant […] die Tür zu einem völlig neuen Forschungszweig” geöffnet worden.” […] „Es hat 50 Jahre gedauert, bis wir durch die Tür, die Watson und Crick auf-

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Reich 2000: 206. Silver 2000: 147. Antinori 2002. Silver 1998b: 144. Stock 1998: „[…] – und für mich ist es ein großes Privileg dabei mitzuwirken“. Baker 1999: 163.

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gestoßen haben, hindurchgegangen sind.” Es wurde sogar in den Medien „die Entzifferung des menschlichen Genoms mit der Mondlandung, der Erfindung des Rades oder der Kernspaltung verglichen.”224 „Wir haben nun das genetische Material des Menschen aus dem Kern der Zelle herausgeholt, transparent und somit lesbar gemacht […].”225 „Die medizinische Anwendung der aus dem menschlichen Genom erwachsenden Kenntnisse wird die früheren gentechnischen Durchbrüche weit in den Schatten stellen. Die Medizin befindet sich gegenwärtig in einer Phase, die derjenigen der Elektroindustrie in den späten 70er Jahren ähnelt. Die Fortschritte der nächsten zwanzig Jahre werden immens sein. Die Ausbeutung des menschlichen Genoms verspricht mehrere tausend neue Angriffspunkte für die Medikamentenentwicklung. Hunderte neue Proteinwirkstoffe und therapeutische Antikörper könnten daraus in den nächsten zehn Jahren entwickelt werden: Nicht alte Hüte in den Verpackungen, sondern neue Medikamente mit effektiven Wirkweisen. Allein in der Krebsforschung rechne ich mit rund 200 bis 400 neuen molekularen Angriffspunkten, von denen bisher erst einige wenige entdeckt wurden.”226 „Die Kenntnis des genetischen Bauplans des Menschen im Kontext mit den Bauplänen anderer Organismen [ist] eine einzigartige Errungenschaft – vielleicht sogar ohne Parallele in der Wissenschaftsgeschichte. Die Konsequenzen für die Wissenschaft, speziell für Biologie und Medizin, vor allem aber auch für die Gesellschaft sind vielfältig, schwer wiegend und zum jetzigen Zeitpunkt nicht überschaubar. Nichts wird unser Leben in Zukunft mehr verändern als die Konsequenzen dieses Wissens.” So werden sich „im Zuge der Fortschritte der Genetik im 21. Jahrhundert zahlreiche Psychosen, Suchterkrankungen und unerwünschte Verhaltensweisen”227 beseitigen und die „Gesundheit der Weltbevölkerung [...] verbessern” lassen.228 Indem „sich Menschen frei aussuchen dürfen, welche Merkmale sie sich für ihre Kinder wünschen” wird es eine große Vielfalt an Charakteristika geben.229 „Wir fangen an, die Baupläne der Schöpfung zu ändern, auch

224 225 226 227 228 229

Rosenthal 2001: 84. Ebd. Rosenthal 2001: 85. Hamer 2002: 24-26. Venter 2001. Baker 1999: 163. 131

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

unsere eigenen. Wir werden zum Objekt unseres eigenen, bewussten Gestaltungswillens.”230 Mit Hilfe der Gen- und Reproduktionstechnologien können sich also der Erdenbürger und die Erdenbürgerin von den Gewalten der Natur emanzipieren, sich selbst und die Menschheit von Krankheiten befreien und über die genetische Ausstattung des Nachwuchses bestimmen. Dies gilt speziell für Frauen, als Menschen, die von Natur aus besonders von der natürlichen Notwendigkeit der menschlichen Fortpflanzung getroffen sind. So waren Frauen schon immer an ihrem Fortkommen durch ihre Natur gehindert, doch reproduktive Technologien machen das Durchbrechen dieser Naturbarrieren möglich.231 „Ohne die Pille wäre die Frauenbewegung nicht möglich gewesen”232 und auch künftige Technologieentwicklungen werden diese Befreiung der Frau von ihrer reproduktiven Natur erweitern. „[…] die Prognose für die Frauen sieht gar nicht so schlecht aus, gerade für die älteren. […] Sie können sich, was die Fortpflanzung betrifft, von der biologischen Uhr befreien.”233 Denn mit ICSI „können Frauen sich eine späte Mutterschaft ermöglichen”.234 „Frauen und Männer werden sich zwischen 20 und 30, wenn die Qualität ihrer Eier und Spermien noch gut ist, Keime entnehmen und einfrieren lassen. Nicht nur der Mann, auch die Frau wird dann bis ins Alter Kinder haben können – und zwar wann und mit wem sie will.”235

Befreiung der Frau-Szenario Die Befreiung von der eigenen Natur ist vor allem für Frauen bedeutsam, denn ihre Unfreiheit ist naturbedingt. Durch die Ungerechtigkeit der Natur waren Frauen unfrei in ihrer Alltags- und Lebensplanung. Die Pille jedoch hat bereits die Frauenbewegung, den Kampf für eine rechtliche Gleichstellung mit dem Mann, möglich gemacht.236 „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Frauen ihre Eizellen in speziellen Banken einlagern können, die ähnlich wie Samenbanken funktionieren. Und wenn sie in ihrem späteren Leben den Wunsch nach einem Kind verspüren, können sie sich aus ihrem Depot bedienen und ihre

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Stock 1998. Djerassi 1999a: 50 (siehe ‚Der Mensch als Tier-Szenario in 3.2.3). Djerassi 1996: 135; siehe auch 1999a: 50. Djerassi 1998: 183. Djerassi 1999a: 50. Djerassi 1998: 184. „Ohne die Pille wäre die Frauenbewegung nicht möglich gewesen“ (Djerassi 1996: 135).

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN Eier befruchten lassen.”237 „Frauen hätten einen Vorrat an gefrorenen Eiern und könnten diese genau dann befruchten lassen, wenn es ihre Karriere zulässt. Auf diese Weise könnten Frauen die biologische Uhr austricksen und das Kinderkriegen um fünf oder zehn Jahre verschieben – unter Umständen sogar, bis sie fast 50 sind.”238 „Egal ob mit 25 oder 50 Jahren -, müssen sie nur von der Bank abheben, was sie brauchen.”239 Bereits durch die Pille und am Sexualpartner vorbei erlangte „die Frau die Macht, allein und ohne sein Wissen die Folgen sexueller Kontakte zu kontrollieren.”240 Auch bei der Entwicklung von IVF wurden „[d]ie möglichen Auswirkungen der IVF auf die Rolle des Mannes […] damals nicht erkannt.”241 Doch die „Machtverhältnisse in der Fortpflanzung”242 wurden weitaus stärker noch durch ICSI ins Wanken gebracht. Denn im Wesentlichen ist es ihre Biologie, die Frauen an die Reproduktion bindet und so eine berufliche Karriere behindert.243 „Bisher verlangte die Frage nach Vereinbarkeit von Karriere und Kinderwunsch eher gesetzliche oder politische Antworten”, doch „[…] die Medizin wäre grundsätzlich in der Lage, [das] Angebot zu machen [dieses Problem zu lösen], vorausgesetzt, die Gesellschaft will es überhaupt. Ob eine Patientin sich ihre Eizellen mit 30 einfrieren lässt, um sie mit 40 zurücksetzen zu lassen, wäre dann ihre eigene Entscheidung.”244 Indem „sich die Befruchtung nunmehr vom Bett unters Mikroskop verlagert”,245 werden mittels der „aus Belgien [durch ICSI erfolgten] […] Frontalattacke auf die ungleichen Beziehungen der Geschlechter bei der Fortpflan-

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Baker 1999: 163. Djerassi 2002: 76. Djerassi 2000b: 210. Djerassi 1999a: 50. Djerassi 1999a: 50. Djerassi 1999a: 51. Vgl. 3.2.3 Liebe ist Chemie-Szenario. Die Frage des Redakteurs vom ‚Spiegel’ zum Einfrieren von Embryonen (van der Ven hatte „Baby Paul“ im Vorkernstadium eingefroren und erfolgreich „rückgesetzt“): „Bisher verlangte die Frage nach Vereinbarkeit von Karriere und Kinderwunsch eher gesellschaftliche oder politische Antworten. Lösen nun die Reproduktionsmediziner das Problem? Van der Ven: „Ich würde das nicht als Routinemethode propagieren wollen, aber die Medizin wäre grundsätzlich in der Lage, dieses Angebot zu machen, vorausgesetzt, die Gesellschaft will es überhaupt. Ob eine Patientin sich ihre Eizellen mit 30 einfrieren läßt, um sie mit 40 zurücksetzen zu lassen, wäre dann ihre eigene Entscheidung“ (van der Ven 2001, 186). 245 Djerassi 2000b: 210. 133

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG zung”246 „Frauen von den Zwängen ihrer biologischen Uhr befrei[t]”247 und „das Machtverhältnis zwischen Mann und Frau”248 verschoben. „Frauen werden nicht mehr auf Männer angewiesen sein, um sich fortzupflanzen”249 „[…] und einige Frauen werden das begrüßen.”250 „Wäre das tatsächlich gesellschaftlich und moralisch unerträglich” wenn auch die „Frustration vieler Frauen, als Gebärmaschinen instrumentalisiert zu werden, bald vorbei sein könnte?”251

Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare/Singles-Szenario Die geforderte und als legitim erachtete Fortpflanzung von nicht in heterosexuellen Paaren lebenden Personen252 kann und sollte durch die Neue Reproduktions- und Gentechnologien verwirklicht werden. Bedenken gegen gleichgeschlechtliche Elternschaft sind unbegründet und es gibt daher keine Rechtfertigung dafür, lesbischen Paaren den Zugang zur künstlichen Befruchtung zu verwehren.253 Ebenso wie die heterologe Insemination ist auch ICSI für gleichgeschlechtliche Paare nutzbar.254 Geschlecht und Alter von Eltern, die sich erst nach gesicherter Karriere, etwa in den späten 30ern für ein Kind entscheiden, sollte und kann, dank der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien, irrelevant sein – lediglich die Liebe zählt. „Paare, egal ob Mann und Frau oder zwei Männer oder zwei Frauen, werden in diesem Alter ihre Kinder lieben, weil es innig erwünschte Babys sind.”255 Auch Klonierung kommt nicht nur für Einzelpersonen und Paare mit fehlenden Gameten in Frage, Klonen ist für viele die einzige Fortpflanzungsmöglichkeit,256 denn es „besteht Klonkindbedarf bei Menschen, die sonst keine

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Djerassi 1999a: 50. Djerassi 1999a: 50. Djerassi 2000b: 210. „Spiegel: […] Frauen werden nicht länger auf Männer angewiesen sein, um sich fortzupflanzen … Silver: … und einige Frauen würden das begrüßen“ (Petermann/Rainer 1998 siehe Silver 1998b: 145). Silver 1998b: 145. Reich 2000: 206. Vgl. ‚Genetisch glücklich und gesund‘. Dahl 1999. Djerassi 2000b: 212, weiter: „So könnte ein stabiles Familienleben entstehen, eines, für das der Trauschein völlig unwichtig ist.“ Reich 2000: 206: „Unnötig hinzuzufügen, dass die Partner nicht unbedingt verschiedenen Geschlechts sein müssen wie bei der altmodischen […] Zeugung.“ Djerassi 2000b: 212. Green 1999: 63: „[…] wird jedoch der Arzt, der die Prozedur vornimmt, bestraft.“

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN genetische Verwandtschaft mit ihrem Kind hätten”.257 „Einige Frauen werden […] begrüßen”, nicht mehr auf Männer angewiesen zu sein”258. Lesbische Paare werden „eine große Gruppe potentieller Interessentinnen für Klonierungstechniken”259 darstellen, „[m]it Hilfe der Klonierung können beide Frauen die Männer gänzlich aus ihrer Beziehung heraushalten, indem jede einen Klon ihrer Partnerin austrägt”260 und dabei gleich von beiden die attraktivsten Merkmale genetisch zusammenstellen.261 Von Unterschieden und Privilegien in Geschlecht und Sexualität bliebe letzten Endes nach derartiger „Neukonstruktion der Geschlechter” bestenfalls die Trennung in „Schwert und Scheide” übrig.262

Gleichstellung mit ‚Reichen‘ -Szenario Verbote, die einzelne Länder gegen neuere Gen- und Reproduktionstechnologien aussprechen, privilegieren letzten Endes nur jene, die sich teure illegale Behandlungen oder weite Reisen leisten können. „Der einzige Effekt, den eine strikte gesetzliche Kontrolle haben könnte, wäre die Beschränkung auf die wohlhabende Klasse. Ich halte es für denkbar, dass es viel weniger öffentlichen Druck für ein Verbot solcher Fortpflanzungstechnik geben wird als das Verlangen nach Zugang für alle – Gentechnik auf Krankenschein.”263 Dies weckt „Angst, dass dabei die soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt”264: „In den USA ist die Freiheit des Einzelnen von überragender Bedeutung, es besteht Konsens darüber, dass Eltern ihr Geld dafür ausgeben dürfen, ihren Kindern die Vorteile aufwendiger medizinischer Versorgung oder elitärer Erziehung zu gewähren, auch wenn dies Kinder ärmerer Eltern benachteiligt. Wenn in einer Gesellschaft Eltern ihren Kindern bessere Lebensbedingungen kaufen dürfen,

257 Green 1999: 64. 258 Silver 1998b: 145. Petermann/Paul 1998: „Spiegel: Frauen werden nicht mehr auf Männer angewiesen sein... Silver: … und einige Frauen werden das begrüßen.“ 259 Green 1999: 64. 260 Green 1999: 64. 261 Hamer 2002: 24: „Da sowohl Syd als auch Kayla weiblichen Geschlechts waren, würden sie ein Baby klonen lassen und weil Syd besser aussah […] von Syds Genen auszugehen. […] [M]it einer Methode, die homologer Genaustausch hieße, würden in Syds Erbsubstanz die Gene für Kaylas dunklen Teint und makellose Zähne […] eingefügt werden.“ 262 Reich 2000: 206. 263 Stock 2000a: 190. 264 Silver 1998b: 145. 135

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

fehlt jede logische Basis für ein Verbot genetischer Verbesserung. In den meisten anderen westlichen Gesellschaften ist die soziale Gerechtigkeit in Politik und Gesetzgebung ausgeprägter als in den USA. In vielen europäischen Ländern erhalten alle Kinder ungeachtet elterlicher Vermögensverhältnisse eine weitgehend gleiche Gesundheitsversorgung und schulische Ausbildung. Unter diesen Voraussetzungen würden Genmanipulationen, die sich nur begüterte Eltern leisten können, als unmoralisch gelten, als unfair gegenüber den Kindern, die davon ausgeschlossen wären.” […] „Darf die Finanzkraft bestimmter Eltern ausschlaggebend sein? Oder soll gar der Staat kontrollierend eingreifen?”265 […] „Denkbar ist andererseits, dass der Wunsch europäischer Sozialdemokratien, alle Bürger gleichermaßen zu schützen, dazu führt, allen Bürgern mit Hilfe genetischer Manipulation eine bestimmte Grundausrüstung zu verschaffen […] – vergleichbar etwa Schutzimpfungen von Kindern, die in Europa, nicht aber in den USA durchgängig üblich sind.”266 Auch die Teilhabe an dem feministischen Privileg der Geschlechtergerechtigkeit durch ICSI wird vornehmlich etwas für die „Reichsten in den reichen Ländern” sein. Eine Unterstützung derer, die sich zunächst solche Technologien nicht leisten könnten, beträfe nur die ersten Jahre nach der Einführung beispielsweise von Gentherapien am Embryo, denn ähnlich wie bei den ersten Fernsehern, wird ein neu eingeführtes Produkt mit den Jahren günstiger. „Der teuerste Fernseher der Welt, den sich ein Milliardär in den sechziger Jahren kaufen konnte, ist nicht annähernd so gut wie der billigste heute. Für die frühen Nutzer ist es also sehr teuer, weil sie die Forschung und Entwicklung bezahlen müssen. Danach wird es billiger.”267

3.2.3 Fremdbestimmung: Biodeterminismus in NRGT In der Technikforschung, den Science and Technology Studies und der Konsumentenforschung herrscht meistens eine (jeweils unterschiedlich geartete) Vorstellung vor, nach der Technologien in einem Auseinandersetzungsprozess zwischen HerstellerInnen und AnwenderInnen sowie zwischen der Materie der Technologien selbst und den NutzerInnen entstehen. Im Gegensatz dazu beschreiben die folgenden Szenarien Technologien der Reproduktion als Resultate biotischer Prozesse, als von evolutiven Kräften sich selbsttätig 265 Silver 2000: 147. 266 Silver 2000: 147. 267 Stock 1998. 136

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(selbstorganisierend) in die Welt begebende Entitäten einerseits (3.2.3), oder als ein von der Technologie selbst betriebener Prozess, in den Menschen nicht wirksam eingreifen können, bzw. als Prozess, der von mächtigen Menschengruppen unsteuerbar vorangetrieben wird (3.2.4). Neue Reproduktionstechnologien und Genetik bieten sich in den biodeterministischen Szenarien als zwangsläufige Antwort auf biotische Prozesse, als naturgemäß hervorgebrachte Lösungen bisheriger Mängel der natürlichen Schöpfung an, in der ‚users needs‘ als körperlich-genetische Defekte nicht zu hinterfragen sind, da aus biologischen Mächten hervorgegangen, auf die wir bisher keinen Zugriff hatten. Die sozio- bzw. technik-deterministischen Szenarien ihrerseits beinhalten die logische Handlungskonsequenz, das SzenenPublikum müsse dafür plädieren, sich Technologie vorantreibenden Menschenmassen anzuschließen, um nicht überrollt zu werden, oder um nicht den Anschluss zu verpassen. Sowohl die bio- als auch die technik- bzw. sozio-deterministischen Szenarien verfolgen ein modernes teleologisches Fortschrittskonzept. Ihre Übereinstimmung liegt in ihrem ohne Einflussnahme des Menschen unabänderlich auf ein evolutives Ziel (biodeterministisch) Sich-hin-Entwickeln bzw. in der zwangsläufigen Entwicklung auf das Ziel der maximalen Entfaltung der technologischen Möglichkeiten hin, selbsttätig durch die Technologie und ohne Einwirken des Menschen.268

Biodeterminismus Der Biodeterminismus (oder Biologismus) ist in engem Zusammenhang mit aufklärerischen Werten zu sehen insofern, als in der Suche nach anderen Möglichkeiten der Welterklärung anstatt transzendentaler Phänomene (im Zuge der Emanzipation des ‚Bürgers‘ von den Religionen) naturalistische Argumente an Boden gewannen. Biologische Beschreibungen von Phänomenen unterscheiden sich von biologistischen insofern, als in letzteren eine „single motor force in history“,269 welche letzten Endes fast stets auf einen „genetic drive“270 zurückzuführen sei, angenommen wird. Mit den unten aufgeführten Szenarien soll nicht unterstellt werden, dass diesem Kriterium in allen ver268 Die im Weiteren beschriebenen Szenarien werden durch folgende AutorInnen artikuliert (s.a. Tabelle 2 im Anhang): Der Mensch als Tier-Szenario: vertreten durch Hamer 2002, Reich 1997, Reich 2000, Stock 2000c. Liebe ist ChemieSzenario: Antinori 2001, Baker 1999, Djerassi 1999a, Green 1999, Reich 2000, Silver 1998b, Watson 2001b. Macht und Diskriminierung resultiert aus genetischer Disposition-Szenario: Djerassi 1999a, Reich 1999, Rosenthal 2001, Watson 2001b. Natur macht Technik-Szenario: Djerassi 1999a, Green 1999, Green 2000, Hamer 2002, Hamer 2002, Hueghes 2000, Jäckle 1997, Reich 1997, Rosenthal 2001, Silver 1998b, Stock 2000, Watson 2001b, Wilmut 2002. 269 Porter 2000: 68f. 270 Ebd. 137

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

wendeten Zitaten entsprochen wird. Ihnen ist aber gemein, solche Annahmen (unter anderem durch oft komplette Ausblendung gesellschaftlicher Faktoren oder Handlungsmöglichkeiten) zu füttern. Dabei stellen die Szenarien der Fremdbestimmung durch die Biologie Voraussetzungen dar für die darauf aufbauenden emanzipatorischen Szenarien und machen in Hinsicht auf Neue Gen- und Reproduktionstechnologien nur Sinn in dieser Kombination. Die Fatalismus weckenden technikdeterministischen Szenarien dagegen sprechen für sich selbst. So ist das Der Mensch als Tier-Szenario Grundlage für die vermeintliche Notwendigkeit der Befreiung von diesem Zustand der Naturwillkür in der Genese des Nachwuchses (und dessen Eigenschaften),271 gleiches gilt für das Liebe ist Chemie-Szenario, das sich speziell mit der Naturgegebenheit eines für Frauen nachteiligen Geschlechterverhältnisses befasst und eine Notwendigkeit der ‚Befreiung der Frau‘ durch Neue Gen- und Reproduktionstechnologien erklärt.

Der Mensch als Tier-Szenario Der Mensch mag sich einbilden, sich von Tieren in besonderer Weise – speziell durch seine geistigen Leistungen und die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen und dadurch sein Verhalten selbst beeinflussen zu können – zu unterscheiden, doch wie seine weiteren Qualitäten ist auch dies nur Teil seines „für wandelnde Maschinen mit eingebauten Programm[s]”, mit dem die „Ameisen” „auf den Boulevards dieser Welt”272 sich täuschen lassen. Denn „der Unterschied in der biologischen Würde zwischen Schaf und Mensch ist in der Tat geringfügig, wenn man auf physiologischer oder genetischer Ebene diskutiert”.273 Ausschließlich durch „wie alle anderen Tiere, von Genen entfaltete Körperchemikalien gesteuert leben Menschen nicht nur ihr Sexualleben nur unter Einbildung eines freien Willens”.274 Wir sind folglich „Marionetten unse-

271 Vgl. in 3.2.2 Befreiung von (eigener) Natur-Szenario. 272 Reich 2000, 204. 273 Reich 1997. Jens Reich versucht in seinen Texten Kritik an biologistischen Argumentationszügen zu äußern, vollzieht dies jedoch selbst in Form von biologisch-deterministischen Darstellungen zwischenmenschlicher (gesellschaftlicher) Beziehungen („Wir sind Marionetten unserer Hormonchemie“ „unter Einbildung eines freien Willens“, Reich 2000: 204), und vermittelt dadurch eine ausgesprochen ambivalente Haltung zu der Frage, was den Menschen vom Tier unterscheidet (vgl. besonders Reich 2000). Im eben zitierten Text (Reich 1997) geht es nach der hypothetischen Setzung einer „biologischen Würde“ im Text später weiter: „Die Natur kennt aber keine Harmonie und keine innere Moral. Die Kriterien für die Gestaltung der Menschenwürde müssen aus ethischen Prinzipien jenseits der biologischen Verfassung kommen.“ 274 Reich 2000: 204. 138

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN rer Hormonchemie”.275 Dabei entfalten nicht nur die Gene ihre wesentliche Kraft. Sondern Menschen sind über die Meme, mögliche weitere vererbbare Zell- bzw. Molekülformationen, „ihren Vettern, den Schimpansen, sogar noch näher”.276 Durch den Vergleich mit anderen Tieren lassen sich die menschlichen DNA-Abschnitte feststellen, „die für typisch menschliche Eigenschaften wie Kognition, Intelligenz und Bewusstsein verantwortlich sind”277 und schließlich „waren im Zuge der Fortschritte der Genetik im 21. Jahrhundert zahlreiche Psychosen, Suchterkrankungen und unerwünschte Verhaltensweisen ausgemerzt worden”.278 Noch immer fällt es zwar schwer, herauszufinden „auf welche Weise Billionen möglicher Gen-Kombinationen zusammenwirken, um das gesamte Spektrum menschlicher Verhaltensweisen zu beeinflussen”,279 doch zumindest „die Wahrscheinlichkeit” der „Neigung, morgens zu verschlafen, eine Vorliebe für seltsame Speisen, ein Hang zu Magersucht” wird sich im 23. Jahrhundert aus der Genomkonstellation berechnen lassen. Da „Gene ungefähr für die Hälfte der Unterschiede bei den altmodischen IQTests verantwortlich” sind, wird sich ein „höchst einträglicher Markt für ‚kluge’ Gene” entwickeln. Altruistisch sein oder Alkoholiker werden oder nicht lässt sich, sobald die Forschung weit genug ist, genetisch steuern und es lassen sich „Erbfaktoren manipulieren” und durch „Glücksregler” die „Zufriedenheit […] steigern”.280 Auch ob „wir intelligent, schüchtern, gesellig, wagemutig oder neugierig sind, ist zu 25-75% ererbt” und so werden sich Gentests nutzen lassen „um Wesensmerkmale der Kinder auszuwählen”.281

Evolutive Macht und Liebe als Chemie im Geschlechterverhältnis-Szenario Die Liebe und Sexualität von und zwischen Menschen und auch das längerfristige Geschlechterverhältnis zwischen Mann und Frau entfalten sich auf der Grundlage biochemischer Prozesse und werden von Genen gesteuert. Als „Marionetten unserer Hormonchemie” werden wir einem „Drüsen- und Nervengewitter” ausgesetzt und was „wir als individuelles Erlebnis konstruieren, ist nichts als die

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Reich 2000: 204. Hamer 2002: 26. Ebd. Ebd. Ebd. Hamer 2002: 28. Stock 2000c: 123. 139

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG Erfüllung des vom Hormonspiegel Vorgeschriebenen”282. Im sexuellen Verkehr zwischen Mann und Frau zeigt sich ein evolutiv hergebrachtes ungleiches Kräfteverhältnis, mit den fatalen, ungerechten Auswirkungen für die Rolle der Frau und zum Nachteil ihrer beruflichen Karriere. Zwischen den Geschlechtern einer Spezies, so auch des Menschen, gibt es einen evolutiven Wettkampf. In diesem biologischen Wettkampf der Geschlechter ist die Frau dem Mann hoffnungslos unterlegen, welcher mit extremen generativen Kräften Unmengen von Spermien in einem gnadenlosen Akt natürlicher Willkür (es findet keine spezielle Auswahl der Spermien statt) einzelne, sorgfältig gewachsene, passiv ausgelieferte Eizellen überschwemmt. Denn seit „Urzeiten war der Mann Initiator der Fortpflanzung: Er paarte sich mit einer Frau, ließ Milliarden von Spermien […] in ihre Vagina strömen, von denen dann irgendeines in ihre Eizelle vordrang und sie befruchtete. Obwohl [also] der Mann eine eher unwesentliche Rolle bei der Fortpflanzung spielte, überragte seine reproduktive Macht die der Frau bei weitem: Er konnte beliebig viele Frauen schwängern, während sie von der Empfängnis an für Monate oder Jahre blockiert war.”283 Während also die Frau durch die sexuelle Tätigkeit des Mannes langfristig blockiert ist, unterliegt vor allem der Mann dem „beim Menschen biologisch betrachtet sehr ausgeprägt[en]” „Trieb zur Promiskuität”.284 Doch trotz der vielen Nachteile für die Frau kann sie sich den Fortpflanzungsvorgängen kaum entziehen. Denn dies erschwert ein angeborener Kinderwunsch: „[D]as ist der den meisten Menschen innewohnende grundlegende Instinkt, biologischen Nachwuchs haben zu wollen. […] Allerdings: Wir als Menschen können gegen diesen Instinkt auch angehen, wir haben die Wahl zu sagen, nein, wir wollen keine Kinder, andere Dinge sind uns wichtiger.”285 Ist schließlich ein Kind geboren, fehlen dem Mann biologisch die Möglichkeiten, sich dem Kind so liebevoll nah zu fühlen, dass er es auch hüten würde. Denn „Väter neigen dazu, sich aus dem Staub zu machen. Und Väter haben wenig Sinn für Babys, solange sie noch nicht mit dem Sprechen begonnen haben. Männer und Frauen sind nicht gleich […]. [F]ür die Liebe muss eine genetische Basis existieren und die ist bei Männern und Frauen verschieden”.286 So ist nicht nur die

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Reich 2000: 204. Djerassi 1999a: 50. Hervorhebungen B.v.W. Baker 1999: 165. Silver 1998b: 142. Watson 2001b.

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Frage des (biologischen) Kräfteverhältnisses, sondern auch die Frage der Aufgabenverteilungen eine notwendig genetische Veranlagung. Nachdem Männer aufgrund ihrer biologischen Hintergründe kaum anders können als promisk Frauen durch Schwangerschaften an ihrem Fortkommen zu hindern und zu blockieren und letztlich auch die „Aufzucht”287 den Händen „eines Weibchens bzw. einer Frau”288 zu überlassen, liegt es als einzige Konsequenz dieses Machtkampfes für die Frau nahe, Männer aus diesem Prozess der Reproduktion gänzlich auszuschließen.289 Doch allein oder gemeinsam nur mit anderen Frauen sollte eine Frau ein Kind ebenfalls nicht großziehen, denn das Kind braucht den Vater; es ist sogar für „die Entwicklung des Kindes […] absolut notwendig, dass Vater und Mutter das Kind aufziehen”.290

Soziale Macht und Diskriminierung als genetisch bedingt-Szenario Ungleiche Machtverhältnisse zwischen Menschen sowie negative Diskriminierung gehen ursächlich von jenen aus, die diese Diskriminierung erfahren. Denn Sexismus, Rassismus und andere Formen der negativen Diskriminierung beruhen auf körperlichen Abweichungen der diskriminierten, bis hin zu Krankheiten und auch letztere sind genetisch bedingt.291 „Die Benachteiligung von Menschen hat […] starke genetische Komponenten, angefangen vom Geschlecht, der Hautfarbe […]”.292 „Das bedeutet, dass ungefähr 100.000 genetisch fixierte Merkmale über die genetische Individualität eines Menschen entscheiden. Sie bestimmen unser Aussehen, aber auch alle unsere Veranlagungen und Neigungen zu Krankheiten. Diese Polymorphismen könnten aber auch das Tor zu genetischer Diskriminierung und Ausgrenzung öffnen.”293 Auch der Umgang der umgebenden Menschen mit Unterschieden in der phänotypischen Ausstattung anderer unterliegt

287 288 289 290 291

Green 1999: 63. Green 1999: 62. Djerassi 1999a und Green 1999. Antinori 2001: 206. Siehe oben: Während das Evolutive Macht und Liebe als Chemie im Geschlechterverhältnis-Szenario bei den Geschlechtern miteinander in Wettstreit stehende evolutive Interessen (an der Verbreitung des eigenen Genmaterials) annimmt, die der Mann (ebenso evolutiv begründet) besser durchsetzen könne, zeigt dieses Szenario, wie explizit Arbeitsverhältnisse, berufliche Vor- oder Nachteile und soziale Diskriminierungen als biologisch verursachte Problematiken entstünden. 292 Reich 1999. 293 Rosenthal 2001: 85. 141

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

biologischer Veranlagung. Besonders deutlich wird dies an der Akzeptanz schwerer Behinderungen. Augrund seiner genetischen Disposition ist der Mensch nicht in der Lage, „ein Baby zu lieben, das einen nicht einmal anblicken kann”,294 denn man „liebt Menschen, weil sie Menschen sind, nur dann strömt Liebe auf natürliche Weise. Das wird doch durch die Tatsache belegt, dass Frauen kein Kind mit Down Syndrom wollen. Sie fühlen, dass sie es nicht wollen.”295

Natur macht Technik-Szenario So wie die Natur Missstände schafft, indem sie auf ungerechte Weise Menschen mit unterschiedlichen Qualitäten ausstattet, so gibt sie uns auch die Möglichkeit an die Hand, für Gerechtigkeit zu sorgen und diese Ungerechtigkeiten auszugleichen. Doch es ist nicht nur möglich, sondern notwendig, die Biologie des Menschen zu verändern, schlicht weil die Verlängerung der biotischen Evolution, nämlich „die kulturelle Evolution uns die Macht gibt.”296 Schließlich ist auch „der Wunsch, dem eigenen Nachwuchs alle erdenklichen Vorteile mit auf den Weg zu geben”, also reprogenetische Technologien anzuwenden, ein natürlicher „Urtrieb im Menschen”297 und „wer sich gegen die menschliche Natur stellt, ist scheinheilig.”298 Damit unser Kind also nicht wegen seiner genetisch verursachten Mängel gehänselt wird, können wir ihm durch Auswahl der ‚besseren Gene’ „makellose Zähne”299, und einen „schlanken Körper” von perfekter Größe wachsen lassen300 und dafür sorgen, dass es nicht irgendwie gesell-

294 Watson 2001b. 295 Watson 2001b. 296 Stock (2000c: 125) auf die Frage des Focus-Redakteurs, warum es nötig sei, die menschliche Biologie zu verändern. 297 Silver 1998b: 144. „Spiegel: In Ihrem Buch bezeichnen Sie die Geburt des ersten Retortenbabys 1987 als, wir zitieren, „jenen Punkt in der Geschichte, an dem menschliche Wesen erstmals die Macht erlangten, ihr evolutionäres Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Silver: Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Datum einen Wendepunkt markiert. Die Retortenzeugung war eine der Grundlagen dafür, dass in Zukunft Eltern in hohem Maße die genetische Ausstattung ihrer Kinder werden kontrollieren können. Und auch das ist einer der Urtriebe im Menschen: der Wunsch, dem eigenen Nachwuchs alle erdenklichen Vorteile mit auf den Weg zu geben“ (Petermann/Paul 1998 bzw. Silver 1998b: 144). 298 Watson 2001b. 299 Hamer 2002: 24. 300 Ebd.: „Als spätere Körpergröße der erwachsenen Tochter wählten sie 1,80 Meter“. 142

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN schaftsauffällig wird,301 indem wir genetisch verhindern, dass es „drogenabhängig wird” oder anderen Gesundheitsgefahren ausgesetzt ist,302 so gibt die Natur uns die Möglichkeit, das „Risiko des Kindes an Schizophrenie zu erkranken”, durch die Wahl der richtigen Gene enorm zu vermindern303 auch die Lebenserwartung ist dann aufs Jahr genau einzustellen.304 Die genetische Ungerechtigkeit der Natur schafft auch auf der Ebene des Gesundheitssystems Druck, Neue Reproduktions- und Gentechnologien anzuwenden, denn mehr und mehr Gentests werden wohl möglich und „‚genetisch gesündere’ Personen wälzten dann Kosten und Verantwortung auf ‚genetisch belastetere’ Personen ab.”305 Auch das ungerechte biologisch bedingte Frau-Mann-Machtverhältnis wurde durch die Natur, die uns technologische Möglichkeiten an die Hand gibt, gemildert, indem (gerade zur rechten Zeit) „die moderne Reproduktionstechnik auf den Plan” trat306 und so ist auch die Trennung von „Sex und Fortpflanzung” ein unvermeidlicher Schritt der Evolution.”307 Da wir selbst Natur sind und letzten Endes nur tun, was die Natur selbst tut, lässt sich auch eine Zelle des Embryos (Blastomers) entnehmen, sei es für eine PID oder Klonierung, denn eben, „die Natur macht das ständig”.308

301 Hamer 2002: 26-27, 29. 302 Hamer 2002: 24ff. 303 Hamer 2002: 28. Da, so Hamer (2002: 28), die einzige Umweltwirkung, die Schizophrenie auslösen kann, ein Virus ist, ließe sich durch Impfung vorbeugen. Einzig Auslösemechanismen dieser ‚Erkrankung‘ sind also in dieser Sichtweise biotischer Natur, auch jene der Umwelt. 304 Hamer 2002: 29. 305 Rosenthal 2001: 91: „Prinzipiell könnten Lebens- und Krankenversicherungen auf die Idee kommen, Menschen auf Grund ihrer genetischen Profile in unterschiedliche Risikogruppen einzuteilen. Bei vielen Versicherungen ist das eigentlich durch die Erhebung umfangreicher Familien-Krankengeschichten bereits jetzt der Fall. Die Erhebung genetischer Profile würde die bereits gängige Praxis nur ergänzen. Kosten von Kranken- und Lebensversicherungen könnten dann, wie einige bereits heute fordern, ‚gerechter‘ verteilt werden, was eine Abkehr vom bisherigen Solidarprinzip bedeuten würde. ‚Genetisch gesündere‘ Personen wälzten dann Kosten und Verantwortung auf ‚genetisch belastetere‘ Personen ab. Unsere Gesellschaft spaltete sich dann immer weiter auf. Wenn wir das vermeiden wollen, müssen wir uns jetzt mit diesen Fragen auseinander setzen.“ Rosenthal spricht sich in diesem Artikel für eine soziale Verteilung der Möglichkeit, Neue Reproduktions- und Gentechnologien anzuwenden, aus. 306 Djerassi 1999a: 50. 307 Djerassi 2000b: 210. 308 Hueghes 2000: „Außerdem, und das ist mein Lieblingsargument –, die Natur macht das ständig: Wenn eineiige Zwillinge entstehen, zerfällt ein ganzer Embryo in zwei Teile, und beide wachsen zu gesunden Kindern heran. So ge143

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

„Klonen ist keine faustische Phantasmagorie, sondern eine weitverbreitete Form der spontanen Vermehrung von Lebewesen, nämlich die ungeschlechtliche. Sie ist bei einzelligen Organismen und bei Pflanzen ein normaler Vorgang”309 und so ist ein geklontes Kind, würde der Kern aus einer Körperzelle des Mannes in eine entkernte Eizelle seiner Frau eingeführt werden „ein praktisch identischer Zwilling seines Vaters.”310

3.2.4 Fremdbestimmung: Sozialdeterminismus/Technikdeterminismus Die Unaufhaltbarkeit technologischer Entwicklungen und Anwendungen auf dem Gebiet von Reproduktion und Zeugung kann biologisch-deterministisch vermittelt sein, wie oben gezeigt. Es ist dann die Evolution, die zwangsläufig zu zukünftigen technischen Entwicklungen führt. Zusätzlich zu biodeterministischen Diskurssträngen lassen sich mehrere Typen sozialdeterministischer Szenarien finden, die Eingriffsmöglichkeiten oder demokratische Mitbestimmung über Technologieentwicklung unrealistisch erscheinen lassen. In diesen werden im Wesentlichen drei Kräfte ausgemacht, die unabänderlich darüber entscheiden, dass labortechnologische Entwicklung und Anwendung auf dem Gebiet der Zeugung stattfindet. In keinem Fall ist eine dieser Kräfte in der Schar der Entwickler und Anbieter dieser Technologien zu finden, sondern die wirkmächtigen Entscheider sind: Die Technologie selbst, (finanzkräftige) AnwenderInnen bzw. „das Kapital“ – verschiedentlich finden sich diese in verschiedenen Konstellationen wieder in der „Zukunft“, die als selbsttätige Kraft erscheint.311 sehen, nimmt die Natur einen halben Embryo, wir nehmen bloß eine einzelne Zelle.“ 309 Reich 1997. 310 Green 1999: 64. Siehe auch Green (1999: 63): „Selbst eineiige Zwillinge (natürliche menschliche Klone) unterscheiden sich bis zu einem gewissen Grad in ihren körperlichen und geistigen Eigenschaften.“ Green (2002: 24): „Andere beunruhigt der Gedanke an mögliche indirekte negative Folgen. So verweisen sie auf potenzielle psychologische Risiken für die Kinder von Familien, bei denen ein Elternteil zugleich der genetische Zwilling eines Kindes ist.“ Jäckle (1997: 133) nennt Klonen „Basteln künstlicher Zwillinge“ und Wilmut (2002: 43): „Manche halten es für ethisch vertretbar, existierende Menschen zu klonen – etwa im Falle eines sterbenden Kindes. Bedenken bestehen allerdings, dass ein solches geklontes Wesen nicht als völlig eigenständiges Individuum – was es wäre – behandelt würde, sondern wahrscheinlich als die Wiedergeburt seines verstorbenen ‚genetischen Zwillings‘, mit all den dazugehörigen Erwartungen.“ 311 In 3.2.4 gefaßte Texte sind: Technologie macht sich selbst-Szenario: Djerassi 1999a, Reich 2000, Stock 1998, 2000a, Stock 2000c. Mächtige AnwenderInnen-Szenario: Antinori 2001, Djerassi 2000b, Djerassi 2002, Green 1999, 144

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Technologie macht sich selbst-Szenario „Die Kenntnis des genetischen Bauplans des Menschen im Kontext mit den Bauplänen anderer Organismen [ist] eine einzigartige Errungenschaft. […] Nichts wird unser Leben in Zukunft mehr verändern als die Konsequenzen dieses Wissens.” Der „Fortschritt überrollt uns”:312 Nachdem bereits die Verhütungs-Pille in die Welt kam,313 „trat [bald] die moderne Reproduktionstechnik auf den Plan”314 und „es gibt keinen Weg, den Geist wieder in die Flasche zurück zu befördern […]” und damit Klonen oder Keimbahneingriff zu verhindern oder zu verzögern.315 Bisherige Technologieentwicklungen ziehen unbremsbar künftige nach sich, so z.B. die Stammzelltherapie; wenn diese Therapie funktioniert, dann wird sie ohne das therapeutische Klonen nicht auskommen. Es ist kaum zu entscheiden, ob dieser schicksalhafte Prozess eine plötzliche Wendung mit fatalen Folgen ist oder Teil einer ebenso unbeeinflussbaren Entwicklung, ob man dies also „als Katastrophe sehen will, oder als folgerichtiges Ergebnis eines ohnehin schon ablaufenden Prozesses der zivilisatorischen Emanzipation.”316 Denn „jede Technologie, die eines Tages in […] Labors einsatzbereit ist und von […] wohlhabenden Menschen verlangt wird, ist unaufhaltbar.”317 Spätestens die voranschreitende kulturelle Evolution, Entwicklungen von Hilfsapparaturen für den Denk- und Wahrnehmungsapparat, wird uns nötigen, den Menschen physisch und physiologisch an diese Techniken anzupassen.318

Mächtige AnwenderInnen-Szenario Vor allem sind es potentielle AnwenderInnen, die die Einführung von reproduktiven Technologien vorantreiben, besonders indem sie Druck auf die Ärzteschaft ausüben. Gerade „Frauen wollen eine Ausbildung, eine Karriere, bevor sie Kinder haben, die Leute heiraten später. Doch

312 313 314 315 316 317 318

Hughes 2000, Katzorke 2003, Rosenthal 2001, Silver 1998b, Silver 2000, Stock 1998, Stock 2000a, Stock 2000c. Globalisierung setzt sich durchSzenario: Djerassi 2000b, Green 1999, Katzorke 2003, Rosenthal 2001, Silver 1998b, Wilmut 2001. Expertenprophetie-Szenario: Baker 1999, Djerassi 1998, Djerassi 1999a, Green 1999, Katzorke 2003, Rosenthal 2001, Silver 1998b, Stock 1998. Beides Stock 1998. Djerassi 1999a: 50. Djerassi 1999a: 50. Stock 2000a: 192. Reich 2000: 206 zu Keimbahntherapien u.a. Stock 2000a: 190. Stock 2000c: 125 145

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

unsere Biologie sieht vor, dass wir mit 18 Kinder bekommen. Immer mehr Paare werden daher in Zukunft medizinische Hilfe bei der Fortpflanzung benötigen.”319 So ist es mit der Alterung unserer Gesellschaft zu erklären, und dem gesteigerten „Wert”320, den ein Kind dadurch erhält, dass die „Reagenzglasbefruchtung […] aus dieser Welt nicht mehr wegzudenken” ist.321 Zusätzlich zu dem Verlangen potentieller Eltern nach (von ihrer Biologie) befreiter Wahl des Zeitpunkts der Elternschaft innerhalb ihrer Biographie, möchten sie natürlich auch das Kind gut auf das Leben vorbereiten. So wird „der übermächtige Wunsch, dem eigenen Kind Vorteile gegenüber seiner Umwelt zu verschaffen, kaum eindämmbar sein.”322 Eine wichtige Rolle bei der Einführung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien spielt auch der Ehrgeiz der Eltern, der künftigen AnwenderInnen. Der „Wunsch der Eltern, das bestmögliche Kind zu haben, wird die Fortpflanzung der Zukunft dominieren. Und genau das wird die Fortpflanzung im Labor bieten.”323 Auch die Präimplantationsdiagnostik wird auf Druck potentieller Eltern in 25 Jahren in Deutschland normal werden, besonders, „wenn Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen gestrichen werden”, denn wenn „die Paare selbst zahlen müssen, werden sie alles einfordern, was möglich ist.”324 Frauen „werden sich Embryonen, die genetische Defekte […] aufweisen, erst gar nicht einpflanzen lassen.”325 Dass die Präimplantationsdiagnostik in Deutschland nicht erlaubt ist, hat bereits heute Folgen. „Immerhin entsteht durch das Verbot ein regelrechter Fortpflanzungstourismus.”326 Auslöser der drängenden Nachfrage ist die reine Existenz technischer Produkte, und so werden immer „mehr Leute […] bei rasant steigenden Gentestangeboten der Versuchung nicht widerstehen und ihren Nachwuchs genetisch verbessern wollen” und werden „wir auf lange Sicht die Großzügigkeit haben, schwangeren Frauen das Recht auf Nicht-Wissen einzuräumen?”327 Denn auch die Umgebung der potentiellen AnwenderInnen wird es kaum nachvollziehen

319 320 321 322 323 324 325 326 327 146

Hughes 2000. Djerassi 2002: 77. Ebd. Silver 2000: 147. Djerassi 2002: 76. Katzorke 2003: 149. Djerassi 2000b: 212. Katzorke 2003: 149. Rosenthal 2001: 91.

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können, warum man Gentherapien am eigenen Kind gekoppelt an eine extrakorporale Befruchtung nicht anwenden wollte, sondern bei der ‚DIY-Zeugung’ bliebe. „Man wird es dann als zunehmend unverantwortlich ansehen, ein Kind ohne genetischen Eingriff zur Welt zu bringen. Die traditionelle Fortpflanzung wird allmählich verschwinden.”328 Privatwirtschaft oder gar der Staat allerdings werden kaum Motor dieser Entwicklung sein. Es wird nicht gesundheitspolitische Intentionen und Ziele geben, „den Genpool umzugestalten, aber Eltern werden ihren Nachfahren vielleicht Gene aufbessern wollen,”329 was zu einem „Verlangen nach Zugang für alle – Gentechnik auf Krankenschein” führen wird. Ohnehin haben sich KundInnen, AnwenderInnen von Technologie von jeher gegen jegliche Widrigkeiten durchgesetzt und die Einführung von diversen Technologien bewirkt, „jede Technologie, die eines Tages in […] Labors einsatzbereit ist und von […] wohlhabenden Menschen verlangt wird, ist unaufhaltbar. Die Frage ist nicht, ob Eltern diese fortgeschrittene Fortpflanzungstechnik benutzen werden, sondern wann, wo und wie offen sie das tun.”330 Es ist sehr schwer, angesichts solchen enormen Drucks von Seite der PatientInnen, auch ethisch noch heikle Technologien nicht anzuwenden. Soweit es möglich ist, gilt der Appell: „Wir Ärzte sollten bei der Beratung alles tun, damit es nicht zum Klonen kommt.”331 Aber letzten Endes bestimmt eben doch die Finanzmacht der potentiellen AnwenderInnen, ob und wann Humanklonierung, stattfindet. „Die Amerikaner werden bereit sein, für die modernen Fortpflanzungstechniken Geld zu zahlen. Deswegen wird Amerika das erste Land sein, in dem sich Menschen werden klonen lassen”332 denn hier herrscht eine

328 329 330 331 332

Stock 1998. Stock 2000c: 123-124. Stock 2000b: 190. Antinori 2001: 206. Petermann/Paul 1998 (bzw. Silver 1998b): 142: „Spiegel: In europäischen Ländern wie zum Beispiel in Großbritannien und in Deutschland ist das Klonen von Menschen gesetzlich verboten. […]. Silver: „Ich habe sowohl in den USA wie in Europa gelebt, beide sind grundverschieden. […] Die Grundeinstellung in diesem Land […] [den USA] lautet: Wenn du das Geld hast, etwas zu machen […] dann sollen sich die Leute einen Dreck darum scheren, was du tust. Die Amerikaner werden bereit sein, für die modernen Fortpflanzungstechniken Geld zu zahlen. Deswegen wird Amerika das erste Land sein, in dem sich Menschen werden klonen lassen.“ Auf europäische Rechtsprechung angesprochen: Im Gegensatz dazu herrsche eine „brutale Marktmentalität“ in Amerika. 147

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG entsprechende „brutale Marktmentalität”.333 So sind übermächtige anspruchsvolle Eltern und skrupellose Versicherungen als Teil des Marktes334 die Fortpflanzungsmächte von morgen. Es ist „in den USA in keinem Fall der Staat, [der] die Kontrolle dafür ausübt, vielmehr werden es die Eltern sein, die solche Technologien einsetzen.”335 Allerdings muss dies nicht in den USA selbst geschehen, „wahrscheinlicher ist, dass in einem Land mit schwacher staatlicher Kontrolle ein Paar mit verzweifeltem Kinderwunsch und ein skrupelloser ruhmsüchtiger Forscher sich zu einer fragwürdigen Pioniertat zusammentun.”336

Globalisierung setzt sich durch-Szenario Sind Technologien erst einmal in die Welt gekommen, sind sie unaufhaltsam. – „Kein Staat wird in der Lage sein, die biologischen Technologien zu kontrollieren. Ihre Anwendung wird von Individuen bestimmt, von Eltern […]”337 Die schnelle internationale Zugänglichkeit von Forschungsergebnissen und Anwendungsmöglichkeiten beschleunigen die Technologieentwicklung und nationale Grenzen überschreitende Nutzung. Zunächst hatten „[w]ir […] das genetische Material des Menschen aus dem Kern der Zelle herausgeholt, transparent und somit lesbar gemacht und ins Internet gestellt. Biologie, Informatik und Internet gehen hiermit eine neue Symbiose ein.”338 Ebenso stehen Behandlungswege und Praxen global bereit und lokale rechtliche Einschränkungen bedeuten einen Standortdefizit, das eine ganze Branche schädigt und nur mehr Aufwand für die zahlreichen, ausländischen Service genießenden PatientInnen bedeutet. „Bei etwa jeder hundertsten Frau zwischen 30 und 40 Jahren sind die Eierstöcke vorzeitig erschöpft, so dass sie nur noch durch eine in Deutschland verbotene Eizellspende schwanger werden könnten. Vereinzelt haben wir Paare mit schweren Erbkrankheiten, die ihre Embryonen deshalb mit der hierzulande ebenfalls untersagten Präimplantationsdiagnostik untersuchen lassen möchten […]. Die meisten haben sich schon im Internet informiert und wissen, dass es Behandlungsmöglichkeiten in anderen Ländern gibt […]. Immerhin

333 Silver 1998b: 142. 334 Silver 1998b: 145. 335 Silver 1998b: 145. Mit dem hier von Silver skizzierten Fatalismus wirbt er für eine generelle Finanzierung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien für sozialökonomisch schwächer gestellte durch staatliche Träger. 336 Green 1999: 62. 337 Silver 1998b: 145. 338 Rosenthal 2001: 85. 148

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entsteht durch das Verbot ein regelrechter Fortpflanzungstourismus.”339 Denn „Grenzen sind bei diesem Geschäft bedeutungslos.”340 Das gleiche gilt für die Gentherapie, wie auch Klonierung: „Die Amerikaner werden die ersten sein […],”341 sie „werden es als erste tun, sie sind ein Pioniervolk, und sie werden eine Menge Kliniken bauen, besonders, wenn es in Europa verboten wird, danach wird es vermutlich in Indonesien oder Malaysia losgehen, das sind die Länder, in denen jetzt schon mit Fortpflanzungskliniken eine Menge Geld verdient wird.”342 Oder, „[e}s wird in Kalifornien anfangen und dann auf andere westliche Industrieländer übergreifen.”343 Angesichts der Globalisierung sind lokale Verbote der Klonierung wie in Deutschland gefährlich und naiv. Denn um Kontrolle zu gewährleisten ist „zu hoffen, dass solche Forschungen unter den Augen der Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten, Kanada, Europa oder Japan stattfinden […].”344 Früher oder später wird sich die Gesellschaft ohnehin daran gewöhnen und eine zuvor ablehnende Haltung aufgeben. Dass man in Deutschland embryonale Stammzellen aus Embryonen nicht herstellen, aber aus dem Ausland einführen darf, zeigt nur, dass „[m]anchmal Gesellschaften eben etwas einfältige Regeln auf[stellen]. In Deutschland durfte zunächst auch keine Forschung zur Retortenbefruchtung gemacht werden, die Prozedur wurde in England entwickelt und wird heute in Deutschland überall benutzt.”345

Expertenprophetie-Szenario Das Expertenprophetie-Szenario beinhaltet verschiedene der zuvor bereits beschriebenen Aspekte des Determinismus in dem untersuchten Material, fokussiert dabei jedoch auf die prophetenhafte Aktivität der Expertenfigur als Element einerseits der Bestärkung der Bedeutung der ‚unaufhaltsamen Technologie‘ und zugleich der Beanspruchung des Wissens (vgl. Kapitel 3.1.2). „Was vorher Utopie war, ist bereits Realität” – das war bereits bei der IVF der Fall und kann sich allen Arten neuerer Fortpflanzungsmethoden, wie auch beim Klonen wiederholen.346 NRT „werden die Medizin radikal verän-

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Katzorke 2003: 149. Silver 1998b: 145. Silver 1998b: 145. Silver 1998b: 145. Djerassi 2000b: 211. Green 1999: 62. Wilmut 2001. Green 1999: 65. 149

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG dern”,347 davon mögen Leute überfordert sein, doch sie sind nicht „aus rationalen Gründen schockiert”, sondern weil „sich wirklich alles ändern wird”.348 In einer Art „Reproduktionsrestaurant” werden „unsere Nachfahren in der Lage sein […], von einer Art ‚Speisekarte’ zu wählen, auf welche Weise sie Kinder bekommen wollen. […] Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Frauen ihre Eizellen in speziellen Banken einlagern können, die ähnlich wie Samenbanken funktionieren […].”349 „Sex wird man nur noch aus Spaß, Liebe oder Lust machen, die Reproduktion findet unter dem Mikroskop statt.”350 Wie im ART-Theater wird die Zukunft „einfach” und von „Wollen” und „Können” bestimmt sein.351 „Die Herausforderung […] beginnt mit der genetischen Neugestaltung unserer eigenen Erbinformation.”352 So wird die „traditionelle Fortpflanzung […] verschwinden”, da es als unverantwortlich gesehen werden wird, in das Genmaterial einzugreifen.353 Anders als Pessimisten, die bei Klonkindern psychische Störungen fürchten, werden Klone positive „Aufmerksamkeit”, und die „Liebe der Mutter” erregen und entsprechen nach ein paar Generationen womöglich schon der „Familientradition”.354 Diese Zukunft ist unabänderlich, denn: „Kein Staat wird in der Lage sein, die biologischen Technologien zu kontrollieren”,355 denn „[w]enn die Paare selbst zahlen müssen, werden sie alles einfordern, was möglich ist”356 und so wird die „brutale Marktmentalität”357 zuschlagen.

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Rosenthal 2001: 87. Stock 1998. Baker 1999: 163. Djerassi 1998: 184. Djerassi 1999a: 50: Vorteile sog. assistierender Reproduktionstechnologien werden in diesem Beitrag von Djerassi durch zitieren seines ART-Theaters dargestellt, welches wiederum von ‚assistierter Reproduktion‘, insbesondere von ICSI handelt. Die Begriffe „einfach“, „wollen“, „können“ benutzt er dabei herausragend häufig. Stock 1998. Stock 1998. Green 1999: 65. Silver 1998b: 145. Katzorke 2003: 149. Silver 1998b: 142.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

3.3

Schlüsselproblematiken im Kontext von Gesundheit/Krankheit

Die Szenarien (oder Diskursstränge) der Selbst- oder Fremdbestimmung werden in den Artikeln, die sich für Neue Reproduktions- und Gentechnologien als ‚normale‘ Fortpflanzungsprozeduren aussprechen, von etwa fünf Schwerpunktthemen unterfüttert oder begleitet, an denen die wesentlichen diskursiven Veränderungen in Hinsicht auf (reproduktive) Gesundheit auszumachen sind. Dabei bilden Infertilität und Kinderwunsch einen Problemkomplex, der auf unterschiedlichste Weise diskursiv eingesetzt wird. Vor allem werden der Begriff Infertilität und seine dem Sinn nach synonymen Wendungen wie ‚unerfüllter Kinderwunsch‘ in andere Bezüge gesetzt, als es in Folge seines üblichen (auf junge heterosexuelle Paare bezogenen) Gebrauchs zu erwarten wäre. Stattdessen bewegt sich ‚unerfüllter Kinderwunsch‘ oft als unausgesprochener aber für selbstverständlich genommener und damit performativ wirkender ‚zu erfüllender Kinderwunsch‘ als notwendige Bedingung darauf aufbauender Gedankengebäude. Ein weiteres, inhaltlich an Vorstellungen von Genwirkungen angebundenes, zusammenhängendes Netz bilden die Kategorien Risiko; die Abgrenzung von Gentherapie von sog. Eugenik sowie zu guter Letzt das zentrale Thema Krankheit/Gesundheit oder Wohlbefinden bis hin zur Frage der (Lebens-)Chancen.

3.3.1 Infertilität 20 der 38 vorliegenden Texte von 1995-2003, in denen für einen breiteren Einsatz von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien bzw. eine Lockerung der Gesetzgebung votiert wird, sprechen sich für Neue Reproduktionsund Gentechnologie-Behandlungen gänzlich jenseits herkömmlicher Infertilitätskriterien aus.358 Von diesen sind es 15, die Infertilität als Standard für begrüßenswert oder historisch mittelfristig für absehbar halten.359 Zahlreiche der vorliegenden Textpassagen befassen sich explizit mit Infertilität bzw. Sterilität360 im Sinne der „Trennung von Sex und Fortpflan358 Dies sind Antinori 2001, Antinori 2002, Baker 1999, Dahl 1999, Djerassi 1996, Djerassi 1998, 1999A, Djerassi 1999b, Djerassi 2000b, Djerassi 2002, Green 1999, Hamer 2002; Katzorke 2003; Rosenthal 2001, Silver 1998b, Silver 2000, Stock 1998, Stock 2000a, Stock 2000c sowie mit Einschränkungen Hughes 2000. 359 Hierzu gehören Baker 1999, Djerassi 1996, Djerassi 1998, Djerassi 1999a, Djerassi 1999b, Djerassi 2000b, Djerassi 2002, Green 1999, Hamer 2002, Rosenthal 2001, Silver 1998b, Silver 2000, Stock 1998, Stock 2000a, Stock 2000c. 360 Wobei sich im Untersuchungsmaterial (unabhängig vom medizinischen Gebrauch der Begriffe) grundsätzlich auf den Begriff Infertilität bezogen wird, 151

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

zung“361 und somit mit Neuen Reproduktions- und Gentechnologien als daraus folgender Konsequenz. Genauer gesagt, beziehen sich zahlreiche der Texte auf eine ‚Überflüssigkeit‘ von DIY-Zeugungen, die aus dem Angebot der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien folgt. Andere entwickeln den Bedarf an Neuen Reproduktions- und Gentechnologien und Klonierung indirekt aus einem (anderweitig nicht erfüllbaren) Wunsch nach einem ‚EigenGen-Kind‘ (auch ggf. nach einem ersten Kind mit speziellen Krankheiten) und reihen sich damit in eher herkömmliche Heilungsvorstellungen ein. Hinweise auf Vorstellungen über Infertilität und darüber, in welchem Maß sie die körperliche ‚Funktionalität‘ verringert, also als Beeinträchtigung oder Krankheit zu betrachten ist, gehen aus zahlreichen der analysierten Texte also nicht explizit, sondern vermittelt über Aussagen zu Befruchtungsbehandlungen hervor.

Unerfüllbarer Kinderwunsch und NRGT als Lösung-Szenario In einem herkömmlichen, heilungsorientierten Sinne, nach dem Infertilität bzw. der unerfüllte Kinderwunsch eine Beeinträchtigung der körperlichen und seelischen Verfassung darstellt, weshalb eine Behandlung auch nach unkonventionellen Methoden gerechtfertigt sei, werden über bisherige Vorstellungen hinaus ältere heterosexuelle Paare, gleichgeschlechtliche Paare und solche mit so genannten schweren Erbkrankheiten als Zielgruppen ausgemacht. Da Infertilitätsbehandlungen heutzutage auch heterosexuellen Paaren zugestanden werden, die mit einem anderen Partner oder einer anderen Partnerin fertil wären, Infertilität also als ein an einem Paar und nicht der Einzelperson festzumachendes Phänomen362 verstanden wird, sind sie in jedem Fall einsetzbar, wenn Menschen das Problem haben, dass sie „von dem Menschen, den sie lieben kein Kind bekommen können”.363 Nachdem „wir [...] die Partnerschaft respektieren” und den Wunsch achten, nicht „ihrem Partner untreu werden zu müssen”364 akzeptiert

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wenn ein Paar oder eine Einzelperson ohne äußeren medizinischen Eingriff ‚unfruchtbar‘ ist (in den Texten gleichgesetzt behandelt mit dem Auftreten eines unerfüllten Kinderwunsches), während der Begriff der Sterilität fast ausschließlich für die Unfruchtbarkeit nach einem medizinischen Eingriff der Sterilisierung verwendet wird. Siehe genauer Kap. 4. Djerassi 2002: 76. So wird der Begriff auch als auf ein Paar bezogen unter anderem auch von der WHO (World Health Organization WHO/EURO 2001) in den überarbeiteten Definitionen von 1991 und 2001 verwendet: „Primary infertility: Means that the couple has never conceived, despite cohabitation and exposure to pregnancy for a period of 2 years.“ Dahl 1999: 312. Dahl 1999: 212.

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wird, kann diese Infertilitätsbeschreibung ebenso auf gleichgeschlechtliche Paare Anwendung finden. Infertilität ist auch bei weit über 60jährigen Frauen mit dem Mittel der Klonierung zu behandeln,365 und „wenn es die einzige Möglichkeit ist, ein völlig verzweifeltes Paar glücklich zu machen”366 muss Klonierung für alle heterosexuellen Paare möglich sein,367 denn „Kinderkriegen [ist ein] Menschenrecht”368. Grundsätzlich besteht „Klonkindbedarf [...] bei Menschen, die sonst keine genetische Verwandtschaft mit ihrem Kind hätten”,369 so werden auch lesbische Paare Interessentinnen für Klonierungstechniken sein.370 Klonierung wird eine Lösung für ein kommendes Menschheitsproblem der zunehmenden männlichen Sterilität, denn „was machen wir, wenn die Umweltverschmutzung so sehr zunimmt, dass die Männer keine Spermien mehr produzieren? Da hilft dann einzig das Klonen weiter”371. Zudem könnte „Klonen [...] in speziellen Fällen eventuell auch den Wunsch erbkranker Eltern nach gesunden Kindern erfüllen helfen.”372 Generell werden „immer mehr Paare [...] in Zukunft medizinische Hilfe bei der Fortpflanzung benötigen”,373 da immer mehr Frauen eine „Ausbildung, eine Karriere [anstreben], bevor sie Kinder haben”.374 So sind „bei etwa jeder hundertsten Frau zwischen 30 und 40 […] die Eierstöcke vorzeitig erschöpft”.375 Da aber PID und Eizellspende verboten sind, kann den entsprechenden Paaren in Deutschland nicht geholfen werden, obwohl doch „[j]edes Paar […] das Recht [hat,] zu entscheiden, wann und wie es Kinder bekommen will”.376 Jegliche Form der Anwendung reproduktiver Technologien ist also sowohl ein Mittel der Heilung, als auch der Herstellung von Fortpflanzungsfreiheit und -gerechtigkeit.

365 Vgl. beispielsweise Antinori 2002. 366 Antinori 2001: 206. 367 Lesbischen Paaren sollte nach Antinori (2001) keine Klonierung angeboten werden, da das Kind den Vater brauche. 368 Antinori 2002, vgl. Antinori 2001. 369 Green 1999: 64. 370 Green 1999: 64. 371 Antinori 2002. 372 Wilmut 2002: 43. Da Wilmut diese Aussage im Weiteren kritisch relativiert, geht sein Beitrag nicht in die Zählung der Texte ein, die sich für Klonierung als Fortpflanzungsmethode aussprechen. 373 Ebd. 374 Hughes 2000. 375 Katzorke 2003: 149. 376 Ebd. 153

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Infertilität als Standard-Szenario Weniger einem Defizitdenken verpflichtet, nach dem wie auch immer definierte Infertilität ein Anrecht auf eine ‚Behandlung’ zur (Wieder-)Herstellung einer notwendigen Körperfunktion begründet, sehen mehrere Autoren Sterilität eher als eine Grundnotwendigkeit künftiger Fortpflanzungsweisen. So wird in sieben Beiträgen zwischen 1995 und 2003 Infertilität als wünschenswerter Standard als direkte Folgerung aus dem Angebot der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien vorgeschlagen, das als verkoppeltes Gesamtkonzept von Spermien- und Eizelllagerung, Sterilisation und ICSI zu sehen sei. Der Begründungszusammenhang ist für Infertilität als Standard durchweg nicht heilungsbezogen, sondern fokussiert auf zuvor nicht da gewesene Möglichkeiten. Implizit für Infertilität als Standard sprechen jene Diskursstränge, in denen die sogenannte Gentherapie eine als zukünftig unerlässlich zu sehende Rolle spielt, denn diese ist, um Wirkung im zukünftigen Nachwuchs zu haben, nur entweder als Keimbahntherapie, gegen die sich die meisten Autoren verwehren (s.u.), oder als Behandlung der Eizelle, des Spermiums oder des Embryos denkbar.377 Eine solche ‚Behandlung’ ist jedoch nur in Verbindung mit IVF bzw. ICSI oder anderen kombinierten extrakorporalen Befruchtungstechniken anwendbar. „Weil damit [mit Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien] die Fortpflanzung gesichert ist, gibt es auch keinen Grund, warum sich Männer ihre Samenleiter und Frauen ihre Eileiter nicht blockieren lassen sollten”.378 Es ist eine „ideale Methode”379 der Fortpflanzung, wenn Männer sich sterilisieren lassen und später durch künstliche Befruchtung zuvor eingefrorener Eizellen und Spermien zeugen würden. Dies wird in Kürze reale Normalität sein, die lediglich im Lehrstück „Unbefleckte Empfängnis”380 geschauspielert ist.381 Sterilität gekoppelt mit IVF bedeutet eine selbstverständliche Fortpflanzung „ohne Zeitdruck”.382 IVF kann zum serienmäßigen Standard inklusive Präimplantations-Diagnostik werden und „Verhütungs-

377 Womit allerdings auch die Keimbahn der nächsten Generation mit betroffen wäre und die Unterscheidung ohnehin undeutlich. 378 Baker 1999: 163. 379 Djerassi 1996: 135. 380 „Immaculate misconception“ und „ICSI“ sind von Carl Djerassi verfaßte Lehrstücke zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien (Djerassi 2000a, Djerassi 2003, siehe Tabelle 2 im Anhang). 381 Djerassi 1998: 2000. 382 Djerassi 1999a. 154

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mittel [werden] total unnötig […]. Die Menschen werden ihre Spermien und Eier in einer Bank auf Eis legen und lassen sich anschließend sterilisieren.”383: Dies dient einerseits der „bestmögliche[n] medizinischen Kontrolle”,384 andererseits der „Trennung von Sexualität und Fortpflanzung”385 womit auch ungewollte Schwangerschaften hinfällig werden386 und „Geschlechtergerechtigkeit”387 geschaffen würde und auch Fortpflanzungsmöglichkeiten für gleichgeschlechtliche Paare388 gegeben sind. Zugriff auf das Genom ist wichtig, da Eltern ihren Kindern gute Gene mitgeben wollen,389 damit zum Erhalt der Gesundheit „Schutzgene[...]” nicht fehlen.390 Schließlich „werden wir anfangen, die freien Plätze eines neuen Chromosoms mit künstlichen Genen […] anzureichern […]. Verfeinerungen […,] therapeutische Aufrüstungen sind denkbar.”391 „Man wird es dann als zunehmend unverantwortlich ansehen, ein Kind ohne genetischen Eingriff zur Welt zu bringen. Die traditionelle Fortpflanzung wird allmählich verschwinden.”392 Gentechnik könnte dann als Behandlung nach Krankenschein gefordert werden393 und es wird zur breiten therapeutischen Anwendung am Menschen kommen.394 Im „Institut für gesellschaftlich-ethische Technik, IGET”395, werden derart häufig für gleichgeschlechtliche und andere Paare Genkombinationen zu einem Klonkind zusammengestellt, dass bereits üblicherweise gefragt wird, ob jemand „geklont oder geboren” sei.396

383 „Spiegel: Die In-Vitro-Befruchtung soll also zum Standard, der EmbryonenCheck serienmäßig werden? Djerassi: Oh, nicht nur das. […] Verhütungsmittel [werden] total unnötig […]. Die Menschen werden ihre Spermien und Eier in einer Bank auf Eis legen und lassen sich anschließend sterilisieren.“ Djerassi 2002: 76. 384 Djerassi 1996: 135. 385 Djerassi 2000: 210; Djerassi 2002: 76. 386 Baker 1999: 163. 387 Djerassi 2000b: 212. 388 Djerassi 2000b: 212. 389 Silver 1998b: 144. 390 Silver 2000: 146. 391 Stock 1998. 392 Ebd. 393 Stock 2000a: 190. 394 Stock 2000c: 123. 395 Hamer 2002: 27ff. Dieses Institut ist Teil der Science Fiction-Darstellung, die Hamer in dem zitierten Essay vorstellt. 396 Ebd.: 27. Dem Kontext nach ist diese Opposition so zu verstehen, dass ‚geboren‘ der Begriff für eine Genese eines Menschen ohne größere präimplantive Maßnahmen ist (im Sinne des englischen Begriffs ‚native‘, der auch für ‚eingeboren‘ verwendet wird), während ‚geklont‘ generell für ‚technisch verbes155

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

3.3.2 Risiko Der Begriff des ‚Risikos‘ spielt in reproduktionsmedizinischen Betrachtungen seit langem eine große Rolle und zwar in den meisten Fällen bezogen auf die Schwangerschaft bei Frauen über einem bestimmten Alter (das sich allerdings im Zeitverlauf senkte; im Wortverbund ‚Risikoschwangerschaft‘). Gemessen an der langen schwangerschaftsbezogenen Tradition dieses Begriffs vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts findet er in den untersuchten Texten vergleichsweise wenig Nennung. „[D]as Kinderkriegen [ist in] den späten dreißiger oder sogar frühen vierziger Jahren viel gefährlicher”397 wegen möglicher „genetischer Behinderungen”.398 Die „Fehlbildungsrate bei ICSI”399 und die häufig höhere Inzidenz von Mehrlingen bei IVF (die oft zu Frühgeburten führt) ist riskant und durch Präimplantationsdiagnostik vorzubeugen400; ebenso das Vererben von „Risikogene[n]”401 bzw. „Risikofaktoren”402, die die Entwicklung einer Krankheit begünstigen und durch eine frühe Anlage junger Gameten in Spermien- und Eizellbanken.403 Durch Klonierung bzw. Gentherapie sei das Vererben von „Risikogenen”404 bzw. „Risikofaktoren”405 zu vermeiden.

In einem Beitrag und dort nur an einer Stelle wird eine der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien als explizites Risiko bezeichnet, nämlich im Zu-

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sert‘ zu stehen scheint, und nicht zwangsläufig, aber auch, das Heranwachsen in einer Art Brutmaschine implizieren kann. Djerassi 2002: 76. Rosenthal 2001: 91. Diedrich 2003. Zur Zeit werden bis zu drei Embryonen übertragen, um eine Einnistung sicher zu stellen. Diedrich vertritt die Auffassung, wenn die Auswahl durch PID erlaubt wäre, bräuchte nur ein ausgewählter Embryo übertragen zu werden (Diedrich 2003). Green 1999: 64: „[…] wird einigen Paaren mit derselben Erbkrankheit in beiden Familien das Klonen als die weniger riskante Alternative erscheinen, wenn sie nicht das Risiko eingehen wollen, dass ein Kind zufällig die defekten Gene erbt. […] Ein geklontes Kind wird zwar dieselben Risikogene tragen wie der kernspendende Elternteil, sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach auch derselben Gesundheit erfreuen; […]“ (Hervorhebung B.v.W.). Reich 1999. Reich 1999, Green 1999. Reich zeichnet dieses Zukunftsszenario in großer Übereinstimmung mit seinen hier zitierten Kollegen, um sich am Ende seines Beitrages von solchen Vorstellungen zu distanzieren. Bis dahin jedoch ist die Argumentation auf mehreren Seiten durchgängig entsprechend der optimistischen Zukunftsvisionen zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien, so dass der Umschwung am Ende des Beitrags wenig Gegengewicht bietet. Green 1999: 64. Reich 1999.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

sammenhang mit mögliche Fehlbildungen und -geburten beim sog. reproduktiven Klonen, „weil niemand die Technik beherrscht“406. Es wäre also zu folgern, dass dies kein immanentes Problem der Klonierung sei, sondern dass es nur gelte, die Technik ausreichend zu erproben, wozu deren Legalisierung notwendig wäre.

3.3.3 Gentherapie zwischen Eugenik und Krankenschein Die ethische Abgrenzung dessen, was in Hinsicht auf genetische Eingriffe am Menschen als moralisch vertretbar betrachtet wird, wird im analysierten Diskursfeld teilweise explizit anhand unterschiedlicher Kriterien für Eugenik festgemacht, von der man sich (bis auf einen Fall)407 zu distanzieren sucht. So werden als eugenische Eingriffe einerseits solche betrachtet, bei denen die Keimbahn (und damit auch nachfolgende Generationen) von Gentherapien betroffen wäre.408 Nicht anhand der Frage, ob nur die genetische Ausstattung eines Individuums oder auch der nachfolgenden Generationen verändert werde, unterscheidet stattdessen eine andere Position, ob es statt um Krankheitsvermeidung (was nicht als eugenisch betrachtet wird) um ‚Verbesserung des Genoms‘ ginge.409, 410 Nach einer dritten Auffassung definiert sich Eugenik danach, ob die „Freiheit der Fortpflanzung“ eingeschränkt werde.411 Als ethisch unbedenklich oder bedenklich betrachtet werden (gentherapeutische) Behandlungen demnach meist je nach Eugenikdefinition (siehe im

406 Solter 2002: 23. 407 Bei Stock (2000a: 192) wird Eugenik als „Gespenst“ bezeichnet und stellt damit kein relevantes Hindernis dar. 408 Bahnsen (2000b bzw. Hughes 2000): „Zeit: Hoffen Sie auf Keimbahneingriffe? Hughes: Nein, das ist Eugenik. Sie verändern damit nicht nur einen Menschen, sondern auch all seine Nachkommen. Das ist undenkbar.“ Stock (2000a: 192): „Eingriffe in die menschliche Keimbahn lassen das Gespenst der Eugenik wieder auferstehen.“ 409 Z.B. Wilmut (2001): „Ich persönlich habe kein Problem damit, wenn man einen solchen Defekt [mittels Gentherapie und Klonierung] korrigiert, eine Krankheit, die eindeutig auf einem Defekt in einem einzelnen Gen beruht. Da könnte man sogar sagen, die Unterlassung wäre unmoralisch. […] Nervöser werde ich bei Leuten, die sagen: Wir tun noch ein Gen rein und das Kind wird viel intelligenter werden.“ Reich (1999): „Schließlich könnte man unabhängig von Krankheitsmerkmalen die Erbausstattung von Nachkommen verändern, womit wir bei der Eugenik wären“ (Hervorhebung von mir). Siehe ebenfalls: Hughes 2000, Wilmut 2002. 410 In der deutschsprachigen Auseinandersetzung mit der Geschichte von ‚Rassenhygiene‘ und NS-Biologie wird dagegen gemeinhin zwischen negativer Eugenik (vermeiden von ‚Krankheitsgenen‘) und positiver Eugenik (Förderung der Vererbung ‚gewünschter‘ Gene) unterschieden; vgl. z.B. Bäumer 1990. 411 „Es geht nicht – wie in der klassischen Eugenik – darum, die Freiheit der Fortpflanzung einzuschränken.“ (Silver 1998b: 145) 157

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Folgenden und Kapitel 4.3.3). Einer in den analysierten Texten zu findenden Position nach wird sich für den Einsatz öffentlicher Mittel für gentherapeutische Maßnahmen über die Vermeidung von Krankheit oder ‚Leiden‘ hinaus ausgesprochen, wobei unklar ist, ob zwischen Keimbahntherapie und somatischer Gentherapie unterschieden wird. So wird dabei davon ausgegangen, Eugenik stünde mit solchen Maßnahmen nicht in Zusammenhang, da es sich bei Gentherapien, die die Menschen zufriedener machten, nicht um Einschränkung der Reproduktion von Menschen handle. „Es geht nicht – wie in der klassischen Eugenik – darum, die Freiheit der Fortpflanzung einzuschränken, sondern darum, sie um neue Möglichkeiten zu erweitern.”412 Soziale Ungleichheit in Hinsicht auf den Zugang zu gentherapeutischen Maßnahmen ist ein gravierenderes ethisches Problem und dies ist die eigentliche moralische Frage, wenn es um Klonierung geht.413 Neue Fortpflanzungstechnologien könnten dazu genutzt werden, „Menschen glücklicher”414 zu machen (sowohl Eltern, wie auch deren Kinder, da letztere durch genetische Eingriffe bzw. Selektion gesünder, erfolgreicher und zufriedener seien).415 Zudem besteht Gesundheit in dem Nicht-Fehlen von „Schutzgene[n]” gegen beispielsweise AIDS oder Krebs.416 Entsprechend „sozialdemokratischer Politik” in manchen Ländern Europas sei denkbar, „allen Bürgern mit Hilfe genetischer Manipulation eine bestimmte Grundausrüstung zu verschaffen”.417

412 413 414 415 416 417

158

Silver 1998b: 145. Silver 1998b und 2000. Silver 1998b. Ebd. Silver 2000: 146. Vgl. Silver 2000: 147. – Mit einer gesundheitsökonomischen und sozialwirtschaftlichen Argumentation wird auch bei Rosenthal (2001) ein starker Druck in Richtung nicht krankheitsverhindernder sondern ‚genverbessernder‘ gentherapeutischer Maßnahmen verbunden: „Immer mehr Eltern werden bei rasant steigenden Gentestangeboten der Versuchung nicht widerstehen und ihren Nachwuchs genetisch verbessern wollen.“ (Rosenthal 2001: 91) Durch scheinbar leichter gesamtgesellschaftlich finanzierbare PID und Einsatz von Gentherapie sei womöglich eine zu erwartende Diskriminierung von Eltern, die ‚genetisch kranke‘ Kinder aufziehen, zu vermeiden: „Werden wir in Deutschland, werden Krankenkassen und der Staat auf lange Sicht in der Lage sein, Familien mit genetisch behinderten Kindern besonders zu unterstützen, soass deren Aufziehen nicht zu einer ökonomischen und sozialen Diskriminierung der betroffenen Familien führt?“ (Ebd.: 91f.) Auch Gregory Stock geht davon aus, es werde „Gentechnik auf Krankenschein“ (Stock 2000a: 190) geben. Im Gegensatz zu Silver stellt er einen direkten Bezug zu Eugenik her, geht jedoch, Keimbahntherapien (nicht nur zur Krankheitsverhinderung) befürwortend, darüber hinweg: „Eingriffe in die menschliche Keimbahn lassen das Gespenst der Eu-

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Einem anderen Diskursstrang nach ist Keimbahntherapie entgegen möglicher Bedenken in Hinsicht auf ‚Eugenik‘ lediglich legitim, wenn sie gegen Krankheit eingesetzt wird: „Schon wenn man diese nützlichen Anwendungen des Klonens nur in Erwägung zieht, kommen schwierige ethische Fragen auf. Das Gespenst der Eugenik erscheint wieder […]. Wenn wir Embryonen manipulieren können, um Krankheiten zu verhindern, werden wir dann nicht weitergehen und nach „Verbesserungen” der menschlichen Fähigkeiten streben?”418 Allerdings könnten durch klonierungsgestütze Gentherapie über Generationen vererbte Krankheiten endgültig beseitigt werden.419 Da eine ‚Gentherapie’ an einem Embryo sich auf sämtliche Körperzellen auswirken würde, umfasst diese auch die sog. Keimbahn und würde sich auch auf die Folgegenerationen auswirken. Bei dem Wunsch der Krankheitsvermeidung ist dies gerechtfertigt. „Klonen könnte in speziellen Fällen eventuell auch den Wunsch erbkranker Eltern nach gesunden Kindern erfüllen helfen. […] Wenn in Zukunft einmal ein betroffenes Paar einen gezeugten Embryo durch fortgeschrittene Formen der Gentherapie behandeln lassen wollte […], so würde man Zellkerne aus erfolgreich modifizierten embryonalen Zellen in ‚entkernte’ Eizellen transferieren, und daraus könnten nach Reimplantation Kinder entstehen, die von der fraglichen Krankheit vollkommen befreit wären.”420 „Ein starkes Argument gegen das Verbot [von Keimbahngentherapie] wäre zum Beispiel die Entwicklung einer erblichen Immunität gegen Malaria.”421 So kann man durch Gentherapie einen „wohldefinierten Defekt, der zu schwerer Krankheit führt, bei Nachkommen vermeiden […,] breiten Bevölkerungsschichten erbliche Immunität gegen Infektionskrankheiten vermitteln […,] Risikofaktoren, die die Entwicklung einer Krankheit begünstigen, vermindern.”422 Solange es um Krankheitsvermeidung geht, sind solche Eingriffe nicht als eugenische Maßnahmen zu betrachten.423

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genik wieder auferstehen, aber es ist kaum zu rechtfertigen, die Fortpflanzung zu etwas Heiligem zu erklären, das unberührt zu bleiben habe.“ (Stock 2000a: 192). Green 1999: 65. Ebd. Wilmut 2002: 43. Reich 1999, Hervorhebung B.v.W. Reich 1999. Reich 1999. 159

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Dagegen ist auch unter den Gentherapie befürwortenden Positionen jene zu finden, nach der zwar krankheitsvermeidende gentherapeutische Maßnahmen legitim sind, strikt aber als eugenisch betrachtet werden, wenn mehr als ein Individuum, bzw. mehr als eine Generation von der genetischen Maßnahme betroffen ist.424

3.3.4 Krankheit, Gesundheit und Ermöglichung Als Hinweise auf Begriffe der Krankheit und Gesundheit werden in diesem Kapitel all jene Zustände und (fiktiven) Möglichkeiten des Eingriffs und ihrer Ziele dargestellt, die in dem analysierten Diskursfeld zu finden sind. Dies entspricht einem Verständnis von ‚Krankheit‘ als einer Kategorie, die nur innerhalb eines Konzeptes dessen, was als normal oder anstrebenswert gilt, untersucht werden kann; zudem skizzieren die untersuchten Diskursstränge weit über die Behandlung oder Verhinderung von herkömmlichen medizinischen Vorstellungen von ‚Krankheit‘ hinaus reproduktionsgenetische Eingriffsmöglichkeiten und Behandlungsbedarfe (vgl. Kapitel 4.3). Die vorkommenden Diskursstränge, die im Folgenden wieder in Szenarien dargestellt werden, umfassen ein ‚Krankheit vermeiden‘ im gängigen medizinischen Sinne von Krankheit (Heilung und Beheben von Defekten) oder ‚Risikofaktoren‘ verringern (Prävention) bis hin zu einem umfassenderen Modell, das beispielsweise Sportlichkeit und Schönheit als genetisch bedingte Faktoren für eine höhere gesellschaftliche Anerkennung, mit deren Förderung Wohlbefinden und somit Gesundheit gefördert sei (Gesundheitsförderung und Wohlbefinden) impliziert. Zu guter Letzt sollen Neue Reproduktions- und Gentechnologien auch eingesetzt werden, um jenseits von Fragen der Gesundheit oder Krankheit die Merkmale des künftigen Kindes frei auswählen zu können, bzw. um quasi eine Designoptimierung des menschlichen Körpers zu erreichen (Freie Wahl der Merkmale). In den Szenarien sind die Qualitäten, die vermieden oder gefördert werden sollen, kursiv hervorgehoben. In dieser Einteilung nach ‚Gesundheitszielen‘ sind verschiedene der analysierten Texte mehrfach enthalten. Ihre Verteilung über den Zeitraum von 1995-2003 (Tabelle 1) zeigt, dass speziell die Betrachtungsweisen, nach denen der reproduktionsbiologisch-genetische Eingriff zur Förderung von körperlichen Qualitäten, die Gesundheit über Ressourcen wie Wohlbefinden durch Selbstbewusstsein stärken sollen, jüngeren Datums (seit 1998 und verstärkt ab 2000), sind, ebenso wie jene, die die freie Wahl der Merkmale des künftigen Kindes anstreben. Dagegen hält sich die Idee der Heilung schwerer 424 Siehe Hughes 2000 weiter oben, sowie: „Es gibt einen Unterschied zwischen dem Bestreben, ein Erbleiden zu vermeiden und dem Versuch, intelligente Kinder zu selektieren.“ (Hughes 2000) 160

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Krankheiten durch reproduktionsbiologische und genetische Maßnahmen durchgehend konstant und stabil seit 1996. 1995

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Prävention

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Tabelle 1: Verteilung der Szenarien von Krankheit bis Ermöglichung (3.3.4) über die Zeit von 1995-2003 (manche Artikel bedienen mehrere Szenarien)

Heilung und Beheben von Defekten Diesen Szenarien nach ist der wesentliche Beweggrund für Fertilitätsbehandlungen oder reproduktionsbiologische und genetische Eingriffe entweder, das Leiden der Eltern an nicht erfülltem Kinderwunsch ‚behandeln‘ zu wollen oder/und damit verbunden (meist schwere, erbliche) Krankheiten heilen oder vermeiden zu wollen, sei es, solche des Menschen als Gattungswesen, oder zugunsten des individuellen künftigen Kindes. Häufig ist dabei von ‚Gendefekten‘ die Rede, die behoben werden sollen, so dass ‚kaputt‘ und ‚krank‘ ein Begriffspaar bilden und ‚gesund‘ und ‚heil‘ ein anderes. Dem entspricht ein mechanistisch-medizinisches Konzept, in dem die Wiederherstellung oder Garantie körperlicher Funktionstüchtigkeit im Zentrum steht. Entsprechend sind es massive physische Beeinträchtigungen und starke Leiden, die in diesem Szenario reprogenetische Maßnahmen begründen. Auch diese Maßnahmen sind genau genommen, wie jene im darauf folgenden Szenario, präventiv, da am Genotyp ein zu erwartendes somatisches ‚Leiden‘ bzw. eine starke Normabweichung ausgemacht wird. Die ‚Behandlung‘ besteht im Einsatz von Befruchtungstechnologien und/oder von Gentherapie (auch gekoppelt mit reproduktiver Klonierung) oder dem ‚Verwerfen‘ des Embryos nach PID. Anders als im Prävention-Szenario (s.w.u.) richten sich die Eingriffe nicht gegen mögliche Infektionen oder genetische ‚Risikofaktoren‘ für Krankheiten, sondern gegen ‚schwere‘ Krankheiten, die familienerblich sind, bzw. bereits genetisch am Embryo identifizierbar erscheinen.

Kinderwunsch erfüllen-Szenario Durch Neue Reproduktions- und Gentechnologien kann Menschen zu Kindern verholfen werden, die sich sonst nicht reproduzieren könnten. „Die meisten Frauen werden […] in

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GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

ihren späten Dreißigern schwanger, assistierende Reproduktionstechniken werden möglich machen, sich sogar noch später einen Kinderwunsch zu erfüllen.” „[W]enn es die einzige Möglichkeit ist, ein völlig verzweifeltes Paar glücklich zu machen”,425 kann auch Klonierung zu Nachwuchs verhelfen. Für „Einzelpersonen und Paare mit fehlenden Gameten”, wie für alle, „die sonst keine genetische Verwandtschaft mit ihrem Kind hätten” ist Klonen „die einzige Fortpflanzungsmöglichkeit”426 und „lesbische Paare” könnten „eine große Gruppe potentieller Interessentinnen” stellen427. So genannte Infertilitätsbehandlungen müssten auch gleichgeschlechtlichen Paaren zur Verfügung stehen. Da es bei heterosexuellen Paaren auch häufig keine medizinische Indikation für eine heterologe Insemination gibt, sondern „das Problem, das sie haben, ist, dass sie von dem Menschen, den sie lieben kein Kind bekommen können”, (…) gilt „dasselbe […] jedoch von428 der homosexuellen Frau […]”. „[L]esbische Frauen [könnten] von der künstlichen Befruchtung in der gleichen Weise profitieren wie andere Frauen auch: Sie müssten ihre Beziehung nicht unnötig durch eine ‚Affäre’ belasten, brauchten keinen Mann als ‚Mittel zum Zweck’ degradieren und könnten sich […] das Risiko einer Aidsinfektion ersparen.”429

Genetische Krankheiten heilen-Szenario Neue Reproduktions- und Gentechnologien bringen gegenüber der DIY-Zeugung den Vorteil, so verkoppelt werden zu können, dass das Problem genetischer Krankheitsfaktoren gleich mit behandelt werden kann. So kann zwar mit IVF und ICSI das Nachwuchsproblem bei vielen Paaren gelöst werden, es sollte aber um PID ergänzt werden, um die Fehlbildungsrate des Embryos aufgrund der „Hintergrundrisiken, die die Paare mitbringen”430 wegen des oft höheren Alters der Hilfe Suchenden zu senken und ebenso das Risiko von Mehrlingsgeburten und damit von Frühgeburten zu vermindern.431 Wenn Neue Reproduktions- und Gentechnologien zur Standardzeugungsmethode werden, können „schwere Erbkrankheiten” verhindert werden432 und an-

425 426 427 428 429 430 431 432 162

Antinori 2001: 206. Green 1999: 64. Green 1999: 64. Fehler im Original. Alles Dahl 1999: 312. Diedrich 2003: 42. Diedrich 2003: 42. Djerassi 1999a: 51.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

gesichts all der „Risiken, die mit einer Schwangerschaft verbunden sind, […] einem Wunschkind die bestmögliche medizinische Kontrolle”433 geboten werden. Reiche Paare im Westen „wollen im Bett kein Kind mit einem Morbus Down zeugen” und da fast alle Frauen, die „das Kinderkriegen auf ihre späten dreißiger oder sogar frühen vierziger Jahr [vertagen, …] eine Fruchtwasseruntersuchung über sich ergehen [lassen], um genau zu wissen, ob das Kind eine Krankheit haben wird – […] [i]st es da nicht viel besser, den Test vorher zu machen?”434 Zwar wird es „Behinderungen […] auch mit der PID noch geben, die meisten entstehen durch Komplikationen bei der Geburt. Behinderungen durch Erbleiden wären oft nur früher zu erkennen”,435 als in der Fruchtwasseruntersuchung. „Schadhafte oder nicht benötigte Embryonen sollten wir aber auch vernichten.”436 Ein routinemäßiger Embryocheck wäre wünschenswert, denn bei IVF ist „nur einer von fünf Embryonen genetisch intakt.”437 Leidet beispielsweise bereits ein Kind einer Familie „an einer schweren genetischen Erkrankung, für die es keine echte Therapie gibt, sodass es frühzeitig sterben wird”438 suchen Eltern in IVF kombiniert mit der PID eine Möglichkeit, den Embryo so zu wählen, dass der Fetus die „kranke Genversion”439 nicht trägt. Die Weitergabe von „Risikogenen”,440 bei Paaren mit „derselben Erbkrankheit in beiden Familien”441 kann nicht nur durch PID, sondern auch durch Klonen verhindert werden, so dass das Kind nicht die „defekten Gene beider Elternteile erbt”442 und dem „Risiko einer Erbkrankheit”443 entgeht. So kann „Klonen in speziellen Fällen eventuell auch den Wunsch erbkranker Eltern nach gesunden Kindern erfüllen helfen.”444 Denn mittels Gentherapie kann der Austausch von „fehlerhaften Gensequenzen” am Klon vorgenommen werden, was „für Familien mit Erbkrankheiten”445 Hoffnung bringt, da es dem Kind „Krank-

433 434 435 436 437 438 439 440 441 442 443 444 445

Djerassi 1996: 135. Djerassi 2002: 76. Katzorke 2003: 149. Katzorke 2003: 149. Katzorke 2003: 149. Rosenthal 2001: 92. Rosenthal 2001: 92. Green 1999: 64. Ebd. Ebd. Ebd. Wilmut 2002: 43. Green 1999: 64. 163

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG heitsgene”446 erspart. „Auf diese Weise könnten über Generationen vererbte Krankheiten wie Tay-Sachs-Syndrom, cystische Fibrose (Mukoviszidose), Muskel-Dystrophie oder Huntington-Chorea (erblicher Veitstanz) vollständig aus Familienstammbäumen verschwinden.”447 „Gentherapeutische Maßnahmen könnten [also] intendiert werden bei […] einem wohldefinierten Defekt, der zu schwerer Krankheit führt”448. So könnten Kinder, bei deren Eltern die Krankheit kurierbar ist, „von der fraglichen Krankheit vollkommen befreit”449 sein. In Bezug auf „bestimmte Erbkrankheiten”450 sollte man kein Problem damit haben, „wenn man einen solchen Defekt korrigiert, eine Krankheit, die eindeutig auf einem Defekt in einem einzelnen Gen beruht. Da könnte man sogar sagen, die Unterlassung wäre unmoralisch”451. Dringlicher werden solche Eingriffe, zumal in Frage steht, ob „wir in Deutschland […], Krankenkassen und der Staat […] in der Lage sein [werden], Familien mit genetisch behinderten Kindern besonders zu unterstützen”452. Dagegen ist gut vorstellbar, dass Eltern ihren Kindern eine „Veranlagung genetisch ersparen” wollen, wie eine solche für Asthma.453 Auch müsste aber klar sein, „dass man nur im Fall einer sehr überzeugenden, durch hohen Leidensdruck motivierten medizinischen Indikation handeln sollte”454, genauer sollten „Eingriffe in das menschliche Genom […] allenfalls zur Verhütung oder Linderung menschlichen Leids, wenn es von solchem Ausmaß ist, dass selbstbestimmtes personales Leben in Freiheit und Würde unmöglich ist”455, dienen. Genauso gut könnten genetisch jedoch auch „unerwünschte Verhaltensweisen ausgemerzt”456 werden, so wie auch „alle klassischen Formen der Psychose”457 oder „Schizophrenie”458, zumindest nachdem sie ausdifferenziert sein wird in „genetische und solche, die von Viren ausgelöst wird.”459 Bei jenen Krankheiten, die auf ein „komplizier-

446 447 448 449 450 451 452 453 454 455 456 457 458 459 164

Ebd. Green 1999: 65. Reich 1999. Wilmut 2002: 88. Wilmut 2001. Wilmut 2001. Rosenthal 2001: 91. Silver 1998b: 142. Reich 1999. Reich 1997. Hamer 2002: 26. Hamer 2002: 28. Ebd. Ebd.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

tes Zusammenspiel genetischer und umweltbedingter Faktoren zurückzuführen”460 sind, lassen sich zumindest die genetischen Prädispositionen entfernen. Dies betrifft die „Krankheitsbilder […] manisch-depressive Erkrankungen, Zwangsneurosen und Hyperaktivität”461. Auch ließen sich die „Erbfaktoren altersabhängiger Krankheiten wie Krebs, Alzheimer, Diabetes”462 ausschalten. Allerdings gibt es auch Grenzfälle und Unklarheiten darüber, was außerhalb der Norm liegt. Bei einer Embryonenselektion gilt es zu entscheiden: „Ist das pathologisch, liegt eine Krankheit vor? Bei der Geschlechtswahl ist die Sache eindeutig: Das Geschlecht ist keine Krankheit, die Augenfarbe auch nicht. […] Wenn die Körpergröße weit außerhalb der normalen Variation liegt, geraten wir in eine Grauzone”463. In dieser „Grauzone [angesiedelt ist auch] Kurzsichtigkeit oder Fettleibigkeit [, beide können] eine medizinische oder eine kosmetische Indikation sein.”464

Prävention-Szenario Diesem Szenario nach können nicht nur (wie im vorigen) erbliche Krankheiten, deren Auftretenswahrscheinlichkeit beim künftigen Kind durch eine häufiges Auftreten in der Familie hoch ist, durch Selektion und Gentherapie verhindert werden. Stattdessen geht es im Folgenden um die Annahme, präventiv künftige Krankheitswahrscheinlichkeiten, die vor allem durch (bisher gewöhnliche) Anfälligkeit für bestimmte Infektionen sich begründen, aber auch genetische ‚Risikofaktoren‘, die die Wahrscheinlichkeit des Erwerbs einer Krankheit statistisch erhöhen, könnten durch reprogenetische Maßnahmen sowohl am Individuum, als auch in einer Gesamtbevölkerung verringert oder beseitigt werden. Grundsätzlich kann man sich bereits durch eine schlichte professionelle Insemination anders als bei der DIYZeugung „das HIV Risiko ersparen”. Vor allem aber durch gentherapeutische Maßnahmen ließe sich nicht familiengebunden, sondern „breiten Bevölkerungsschichten” erbliche Immunität gegen „schwere Infektionskrankheiten” vermitteln.465 „Ein starkes Argument […] wäre zum Beispiel die Entwicklung einer erblichen Immunität gegen Malaria.”466

460 461 462 463 464 465 466

Ebd. Ebd. Hamer 2002: 29. Hughes 2000. Reich 1999. Reich 1999. Reich 1999. 165

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Denkbar wäre, „allen Bürgern mit Hilfe genetischer Manipulation eine bestimmte Grundausrüstung zu verschaffen, […] vergleichbar467 den Schutzimpfungen. „468 Auch ließen sich „Risikofaktoren, die die Entwicklung einer Krankheit begünstigen, vermindern”469 und Gesundheit ließe sich dann bezeichnen als Nicht-Fehlen von „Schutzgene[n]” gegen Krebs oder AIDS.470 So wird man auch bei der PID „schon in absehbarer Zeit nicht nur auf erbliche Krankheiten testen, sondern auch auf genetische Anfälligkeiten für andere Leiden, bevor man sich zur Implantation entscheidet.”471 Es wäre „verlockend, [wenn dies am Erwachsenen gentherapeutisch nicht möglich wäre,] die erste Zelle des Embryos zu manipulieren”472 und dadurch den „Ausbruch verschiedener Altersleiden wie Alzheimer, Krebs oder Herzkrankheiten verzögern”473 zu können. Diverse „therapeutische Aufrüstungen sind denkbar”474, wie z.B. eine „Verstärkung des Immunsystems”475. So ließe sich auch „Krebs verhindern”476 und es würde der „Alterungsprozess verlangsamt”477. Nahe liegend ist, dass „Eltern ihrem Kind Gene mitgeben wollen, die der Entstehung von Asthma oder Übergewicht, […] vorbeugen sollen.”478

Gesundheitsförderung und Wohlbefinden Ein an gesundheitsförderlichen Ressourcen orientierter Ansatz lässt sich in das folgende Szenario deuten. Es behandelt weniger die Problematik von Krankheiten als viel eher die Frage, welche (vermeintlich) genetischen Voraussetzungen einer Person eine stabile Gesundheit und Wohlbefinden garantieren könnten. Mehrere Faktoren davon verbinden die Ressource ‚gesellschaftlicher Erfolg‘ mit ‚Gesundheit‘, bzw. umgekehrt. Eltern wollen ihren Kindern „alles schenken, was ihre Zukunftsaussichten verbessern könnte”;479 nun sind aber

467 Da Silver (2000) diese Vorstellbarkeit europäischen Sozialdemokraten unterstellt, ist hier wohl nicht eine technische sondern sozial- und gesundheitspolitische Vergleichbarkeit gemeint. 468 Silver 2000: 147. 469 Reich 1999. 470 Silver 2000: 146. 471 Stock 2000c: 123. 472 Ebd. 473 Ebd. 474 Stock 1998. 475 Ebd. 476 Ebd. 477 Ebd. 478 Silver 1998b: 144. 479 Djerassi 2002: 76. 166

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

etwa zur Hälfte „Erbfaktoren […] für Glück und Wohlbefinden”480 verantwortlich und wie ein „Glücksregler”481 einstellbar. Wie indem man seine Kinder auf gute Universitäten schickt, könnte man deren „Lebenschancen”482 verbessern, indem „Eltern ihren Kindern gute Gene mitgeben”483, wie z.B. solche, die die „Qualität des Gedächtnisses steuern”484. Eltern haben ein „mächtiges Verlangen […] ihren Kindern ein gesundes und erfolgreiches Leben zu sichern”485. Zusätzlich ließe sich die Lebenserwartung genetisch „mehr als verdoppeln – auf über 200 Jahre”.486 Allerdings: „Schwierig wird es, wenn […] Kinder mit schweren Benachteiligungen rechnen müssen, denen ihre Eltern keine genetischen Verbesserungen mit auf den Lebensweg gegeben haben.”487 Hier liegt in der Genetik die ethische Frage nahe, „[w]ie soll man mit Ungleichheit umgehen und wie mit den Unglücklichen, deren Gene kein sinnvolles Leben zulassen […], von dem man eine Zukunft erwarten kann [… wo jemand die Chance hat] einmal heiraten zu können, einmal als gleichberechtigt akzeptiert zu werden, sobald man einen Raum betritt.”488 So

480 481 482 483 484 485

Hamer 2002: 28. Ebd. Silver 1998b: 144. Ebd. Ebd. Silver 2000: 146. Vgl. auch Venter 2001: „Gesundheit ist der Schlüssel zu meinem Erfolg, ohne sie könnte ich den Stress nicht bewältigen. […] Darum geht es bei meiner Arbeit: Die Gesundheit der Weltbevölkerung zu verbessern.“ Gesundheit und Stressbewältigung oder Erfolg, also auch Leistungsfähigkeit (möglicherweise in betriebswirtschaftlich relevanter Weise) werden so in eins gesetzt. Craig Venter ist Inhaber von Celera Genomics und die Arbeit, auf die er sich bezieht, besteht darin, dass er eine der wesentlichen treibenden Kräfte im Human Genome Project ist. 486 Hamer 2002: 29. 487 Silver 2000: 147. 488 Watson 2001b: „SZ: Was hat ihrer Meinung nach Ethik mit Genetik zu tun? Watson: Wie soll man mit Ungleichheit umgehen und wie mit den Unglücklichen, deren Gene kein sinnvolles Leben zulassen? SZ: Was ist ein sinnvolles Leben? Watson: Ich nenne ein Leben sinnvoll, von dem man eine Zukunft erwarten kann. SZ: Ein Leben mit Chancen? Watson: Ja, eine Chance darauf, einmal heiraten zu können, einmal als gleichberechtigt akzeptiert zu werden, sobald man einen Raum betritt. Hitler sagte: Tötet alle, die diese Chance nicht besitzen. Ich meine, sie sollten gar nicht erst geboren werden. Das ist der Unterschied. Aber die Gesellschaft kommt damit nicht zurecht.“ Die Zusammenstellung dieses vermutlich (und dennoch bleibt dies unklar!) eher auf geistige und körperliche ‚Behinderung‘ bezogenen Zitats mit dem vorigen von Silver (2000) und dem nachfolgenden von Reich (1997) soll keinesfalls suggerieren, Silver oder Reich verträten eine vergleichbar extreme Position wie Watson in diesem Kontext. Sie soll dagegen verdeutlichen, von welch 167

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

sollten „Eingriffe in das menschliche Genom […] allenfalls zur Verhütung oder Linderung menschlichen Leids, wenn es von solchem Ausmaß ist, dass selbstbestimmtes personales Leben in Freiheit und Würde unmöglich ist,”489 dienen.

Freie Wahl der Merkmale-Szenario In diesem Szenario werden jenseits von Begriffen der Gesundheit, Krankheit oder des Wohlbefindens liegende Vorstellungen reprogenetischer Änderungsmöglichkeiten menschlicher Qualitäten zusammengeführt. Weniger als um das Wohlergehen des Kindes scheint die Zufriedenheit der Eltern das Ziel zu sein. „Gentests könnten so einfach – und so billig – sein, dass man sie nicht nur verwenden wird, um Krankheiten zu vermeiden, sondern um Wesensmerkmale der Kinder auszuwählen.”490 Die Geschlechtswahl des Kindes „ist Privatsache [der Eltern], da soll sich der Staat nicht einmischen.”491 „Menschen sollen frei aussuchen, welche Merkmale sie für ihre Kinder wünschen”492 und werden dies spätestens im Jahr 2250 auch wie selbstverständlich tun493.

3.4

Reproduktionsgenetische Texttechniken

Mittels Metaphern werden Bedeutungen konnotiert und Wertungen vorgenommen, die nicht deutlich hervortreten, sondern durch die Setzung von Metaphern in ihrem textlichen Umfeld entstehen. Metaphern verweisen einerseits

489 490 491 492 493 168

argumentativ unterschiedlichen Hintergründen aus dieser Diskursstrang der Biologie-Gebundenheit von modernen humanistischen Werten wie ‚Gleichberechtigung‘ oder neumoderner ‚(Lebens-)Chancen‘ zusammengesetzt werden kann. Im klaren Unterschied zu Watson stellt zudem Reich (1997) nicht die ‚Funktionalität‘ der Person („sinnvolles Leben“ führen, „heiraten zu können“, „als gleichberechtigt akzeptiert zu werden“ – was vielen auch körperlich durchschnittlich wenig ‚behinderten‘ Menschen häufig genug aus politischen, sozialen oder rechtlichen Gründen bereits verwehrt ist) in den Mittelpunkt, sondern das ‚menschliche Leid‘ dieser Person, das offenbar erkennbar sein muss. Fraglich ist dabei, in welchen Fällen genetische Veränderungen, die ein ‚selbstbestimmtes‘ Leben verunmöglichen könnten, zugleich möglich machen, das Leid einer Person (ausreichend) klar erkennen zu können, zumal dies auf genetischer Grundlage zu geschehen hätte. Reich 1997. Stock 2000c: 123. Comhaire 2002: 124. Baker 1999: 163. Vgl. Hamer 2002.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

auf ein alltägliches Konzeptsystem, nach dem gedacht und gehandelt wird494 und zusätzlich in den vorliegenden Fällen auf ein gemeinsames (reproduktions-)biologisches Konzeptsystem in einem Spezialdiskurs495 (vgl. Kapitel 1.2). Welche Metaphern dies in den untersuchten Texten sind, wird in Kapitel 3.4.3 vorgestellt. Zusätzlich handelt es sich bei den untersuchten diskursiven Ereignissen um Argumentationen, bei denen ein idealisiertes Gegenüber mitgedacht wird und Einwände antizipiert und bei der Konstruktion des Textes berücksichtigt werden. So verschieben sich textliche Bedeutungen auch durch auffällige Auseinandersetzungen. In den untersuchten Texten werden solche Auseinandersetzungen zu den Kategorien Embryo und Klon oder etwa in Kritik an anderen AutorInnen oder am Allgemeinverständnis geführt (siehe Kapitel 3.4.1). Da es im hieran anschließenden Kapitel 4 vor allem um Konsequenzen der vorgestellten Szenarien für Gesundheits- und Krankheitsbegriffe gehen soll, werden die ‚Texttechniken‘ (also Definitionen als sprachliches Dispositiv, Personifikationen, Metonymien und Metaphern) zum größten Teil bereits in diesem Kapitel diskutiert und in Kapitel 4 lediglich zusammenfassend wieder aufgenommen.

3.4.1 Definitionen als sprachliches Dispositiv Embryo, aktivierte Eizelle und die therapeutische Klonierung Um die gentechnologisch behandelte, in vitro befruchtete Einheit, die einer Frau dann wieder ‚eingesetzt‘ wird, zu beschreiben, wird an vielen Stellen in den untersuchten Texten der Begriff Embryo verwendet. Dies betrifft auch Klone, die in anderen Textsituationen (auch als heranwachsende Menschen) als solche Klone bezeichnet werden. In diesen Fällen wird ‚Embryo‘ ohne angenommenen Erklärungsbedarf verwendet und entsprechend ohne Erläuterungen seiner Wesensbeschaffenheit eingesetzt. In einigen Beiträgen dagegen werden Begriffsauseinandersetzungen um den ‚Embryo‘ geführt, die den Embryo in die Nähe der Begriffe ‚Leben‘ und ‚Mensch‘ und in Abgrenzung zu technisch hergestellten Klonen setzen, wie es das folgende Szenario verdeutlicht. Zwei der untersuchten Beiträge beziehen sich auf außerhalb der in der vorliegenden Mikroanalyse liegende diskursive Ereignisse, die im Zusammenhang mit dem 2001 von Advanced Cell Technology vorgenommenen (‚therapeutischen‘) Klonierungsversuch stehen. Dabei war Advanced Cell Technology, nach zwei verschiedenen Verfahren vorgegangen:496 einerseits wurden menschliche Eizellen u.a. elektrisch so stimuliert, dass es zu einer Zellteilung dieser Eizellen kam, was als künstlich einge494 Lakoff/Johnson 1998: 11. 495 Link 1999. 496 So deren Pressemitteilung 11/2001, in: Cibelli et al. 2002. 169

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

leitete Parthenogenese bezeichnet werden könnte. Diese Parthenogenese wird darin als ‚Aktivierung von Eizellen‘ bezeichnet. Ein anderes Verfahren – und dies war jenes, was zunächst als Klonierungserfolg publiziert wurde – folgte der Technik, wie sie bei der Klonierung, aus der Dolly hervorging, verwendet worden war: Sie läuft in der Mitteilung als „somatic cell nuclear transfer”, wobei die Eizelle entkernt wird und der Kern einer anderen (2n-)Zelle, in diesem Fall einer anderen Blastozystenzelle (bei Dolly dagegen handelte es sich um den Zellkern einer Hautzelle) eingeführt wurde. Es konnte jedoch von dem Forschungsteam nicht der Nachweis erbracht werden, dass es sich bei dem daraus entstandenen unregelmäßig geformten Zellgebilde tatsächlich um eine Blastozyste handelte, denn es wurde unterstellt, es hätten keine Kernteilungen mehr stattgefunden, sondern lediglich Fragmentierungen des Plasmas. Ziel war jedoch, letzten Endes durch den Kerntransfer aus Körperzellen in die Eizelle Embryonen zu schaffen, aus denen embryonale Stammzellen zu gewinnen seien. So taucht erstmals mit der Klonierung durch die Firma Advanced Cell Technology der Begriff ‚aktivierte Eizelle‘ im Zusammenhang mit therapeutischem Klonen auf und wird in Abgrenzung zu ‚Embryo‘ gesetzt. Doch auch die drei weiteren diskursiven Ereignisse, die eine Auseinandersetzung um den Begriff Embryo führen, tun dies im Zusammenhang mit (reproduktiver wie therapeutischer) Klonierung. „Ein Embryo lässt sich als ein amorpher Zellhaufen betrachten, […] aus dem Lebewesen entstehen können.”497 Eine ‚aktivierte Eizelle’ nach einem Kerntransfer dagegen ist kein Embryo, denn: „Sie kreieren kein neues Genom wie bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle”,498 es ist also „schon deshalb kein wirklicher Embryo, weil er nicht aus der Befruchtung eines Eis mit einem Spermium hervorgeht.”499 Es handelt sich also „um einen völlig neuen Typ von biologischer Einheit, den es nie zuvor in der Natur gegeben hat.”500 „[D]as Produkt kann sich nicht zu einem Lebewesen entwickeln.”501 Und selbst „wenn er [der Embryo] das latente Potential hat, sich zu einem echten menschlichen Wesen zu entwickeln, gilt dies doch nur sehr eingeschränkt.”502 Es kann auch der Standpunkt eingenommen werden, dass weder „eine entwicklungsfähige geklonte Eizelle ein

497 498 499 500 501 502 170

Katzorke 2003: 149. Solter 2002: 23. Green 2002: 17. Green 2002: 17. Solter 2002: 23. Green 2002: 17.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN Mensch”503 ist, noch das „Acht-Zell-Stadium nach den ersten drei Zellteilungen”504. Jenseits der Frage der Entwicklungsfähigkeit der Blastozyste zu einem Menschen gelten nämlich zusätzliche andere Kriterien: „Die Blastozyste hat keine Organe, kann unmöglich denken und fühlen und verfügt über keine der typisch menschlichen Eigenschaften.”505 „Obwohl das Gremium nachvollziehen konnte, warum manche Menschen diesen winzigen Organismus mit einem Embryo gleichsetzen, zog es selbst den Ausdruck ‚aktiviertes Ei’ vor. Dessen Eigenschaften, so die Quintessenz unserer Überlegungen, rechtfertigen kein Verbot seines Gebrauchs für Forschungen, die im Endeffekt das Leben von Kindern und Erwachsenen retten könnten.”506 Bereits wenn die Blastozyste nicht aus der „Verschmelzung von Ei- und Samenzelle [entsteht] und das Produkt […] sich nicht zu einem Lebewesen entwickeln” kann, „wäre [es] daher wohl auch nach heutiger Rechtslage in Deutschland möglich, solche Blastozysten für die Forschung zu gebrauchen.”507

Deutlich wird, dass ein Embryo – diesem Szenario nach – dann als solcher zu bezeichnen sei, wenn ein mehr als nur latentes Entwicklungspotential zu einem Lebewesen gegeben ist, was allerdings in vielen Fällen schwierig zu belegen, nachzuweisen oder zu widerlegen sein dürfte und sich zudem möglicherweise als eine Frage lediglich der biotechnischen Machbarkeit herausstellen wird. Die Schlüsselbegriffe in diesem Zusammenhang sind ‚Entwicklung‘ und ‚können‘ bzw. ‚Potential‘. Zu fragen wäre, ob das Kriterium dahingehend verstanden wird, ob ein Zellgebilde erst dann als Embryo bezeichnet werden dürfe, wenn es sich ‚aus sich selbst heraus‘ zu einem Lebewesen entwickeln könnte. Der Begriff der Entwicklung ebenso wie der des Potentials lassen die Deutung zu, dass lediglich die Anlage als gegeben anzunehmen wäre, die dann zur quasi autopoietischen Entfaltung kommt. Diese in der frühen Embryologie508 hervorgebrachten teleologischen (in Richtung auf die Entwick503 Yanagimachi 1998: 114. 504 Ebd. 505 Green 2002: 17. Zuvor heißt es: „Im Keimbläschen- oder BlastozystenStadium, wenn der geklonte Organismus üblicherweise zerlegt wird, um eine Stammzell-Linie daraus zu gewinnen, ist er nur ein hohlkugelförmiger Zellhaufen von der Größe eines Punktes am Ende dieses Satzes. (In diesem Stadium heften sich Embryonen normalerweise auch noch nicht an die Gebärmutterwand – was viele als den Beginn ihrer eigentlichen Embryonalentwicklung ansehen.)“ 506 Green 2002: 17. 507 Solter 2002: 23. 508 Saupe 2002, Trepl 1987. 171

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

lung hin zu einem biotisch sich selbst versorgenden Individuum) Termini erscheinen insofern nicht hilfreich zur Bestimmung eines Embryos, als es möglicherweise lediglich eine Frage der Zurverfügungstellung der notwendigen biochemisch-physikalischen Bedingungen sein mag, ob eine solche ‚Entwicklung‘ stattfindet oder nicht. Als weiteres Kriterium wird angeführt, ein Embryo müsse aus der Verschmelzung eines Eis mit einem Spermium hervorgehen und somit einerseits eine bereits bekannte ‚naturgegebene‘ biologische Einheit darstellen, und andererseits ‚neues‘, aus dieser Mischung hervorgehendes Genmaterial enthalten. Auffällig an dieser Beschreibung, die vom Ethikrat der Firma Advanced Cell Technology gegeben wurde,509 ist, dass nicht das Wesen der Blastozyste in ihrer momentanen Beschaffenheit, sondern ihr Ursprung hervorgehoben wird, um zu definieren, ob es sich bei ihr um einen Embryo handelt. Dies und die Beschreibung, es handle sich um „einen völlig neuen Typ von biologischer Einheit, den es nie zuvor in der Natur gegeben hat“510, erinnert an eine Differenzierung von ‚technisch‘ und ‚natürlich‘, nach der, kurz gefasst, nur Natur Natur ‚aus sich selbst heraus‘ hervorbringen kann und vom Menschen Geschaffenes als nicht-natürlich zu betrachten ist.511 Diese ontologische Darstellung folgt einer langen aristotelischen Tradition,512 deren moderne Fassung die Wissenschaftstheoretikerin Saupe in der Lebensphilosophie konzipiert sieht, aus der nicht nur kulturkonservative Gesellschaftstheorien und Gesellschaftskritiken erwachsen, sondern ebenso manche in der aufgeklärten Tradition der kritischen Theorie stehende Wissenschafts- und Zeitgeistanalysen.513 Mehrere der Autorfiguren, über die sich die vorgestellten Diskursstränge vermitteln, problematisieren genau dieses Dilemma in expertenhaftem Gestus, indem filmische Roboterfiguren in ihrer menschlichen, sensiblen Lebendigkeit (eine Lebendigkeit im „speziellen Sinne“514) vorgeführt werden und auf die Abwehr von Hybriden oder Chimären als irrationale Reaktion (von Laien) 509 Green 2002. 510 Ebd.: 18f. 511 Karafyllis versucht mit dem Begriff der ‚Biofakte‘, definiert als technisch generierte Wesen, die in ihrer Lebendigkeit nicht von anderen ‚Naturwesen‘ unterscheidbar sind, für genau solche Fälle der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien eine Lösung zu finden. Sie wählt eine Art Autogenese als ein Kriterium: Biofakte seien zwar auch wachsend, aber nicht das Resultat einer selbst unverursachten Ursache, denn sie „haben ja einen Urheber, einen zielsetzenden, planenden Konstrukteur“ (Karafyllis 2003: 16). Diese Unterscheidung scheint mir nicht unähnlich der von ACT vorgeschlagenen. Meines Erachtens bleibt die Frage zentral, nicht wie die Dinge voneinander in ihrer ontologischen Beschaffenheit zu unterscheiden sind, sondern zu welchem Zweck sie mal unterschieden werden (als ‚technisch‘ oder ‚natürlich‘) und wann nicht. 512 Grene 1974, Aristoteles 1995. 513 Saupe 2002: 50ff., Trepl 1987: 89ff. u. 224ff., Kluge 1985. 514 Silver 1998a: 35. 172

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

hingewiesen wird.515 Mit den inzwischen zahlreichen Arbeiten, die diese Differenzierung von ‚Menschengemachtem‘ versus ‚Natürlichem‘ als wenig hilfreich problematisieren,516 lässt sich bereits die binäre Opposition von Natur und Kultur/Technik hinterfragen, die dieser Problematik kulturgeschichtlich zu Grunde liegt.517 So wie im vorliegenden Fall die Unterscheidung von ‚natürlich‘ und ‚nicht-natürlich‘ dazu dienen soll, über den ethisch relevanten Status des Zellkörpers als menschlich oder nicht-menschlich zu entscheiden, zeigt bereits das Anführen von IVF-Kindern, aber auch bereits von Menschen, die aus homo- oder heterologen Inseminationen hervorgegangen sind, dass dieses Argument zu kurz greift. Das Kriterium der Verschmelzung zweier Keimzellen unterschiedlichen Genoms trifft zudem auch für parthenogenetisch sich fortpflanzende Tiere nicht zu, bei denen durchaus in der Fachliteratur von Embryonen gesprochen wird und ebenso nicht bei eineiigen Zwillingen. Das gespaltene Verhältnis vieler evolutionsbiologischer und zoologischer Autoren zu eingeschlechtlichen Fortpflanzungsweisen in der Tierwelt wurde von der Biologin Smilla Ebeling518 als eines beschrieben, nach dem parthenogenetische Fortpflanzung nicht ‚sein dürfe‘ und vielfach in der entsprechenden Literatur entweder verleugnet oder negativ konnotiert wird, u.a. deshalb, weil das vermeintliche Ausbleiben einer Neuzusammenstellung des Genoms in der neuen Generation zu einer ‚Verarmung‘ des Genpools der Populationen führen müsse. Eine Definition des Embryos als aus der Verschmelzung von Eizelle und Spermium hervorgehend wird also zoologisch, aber auch humanbiologisch, nicht als einzige Möglichkeit verstanden und ist vor diesem beschriebenen Hintergrund der Verleugnung parthenogenetischer (auch Vertebraten-)Entwicklung und möglicherweise einer androzentrischen Überbewertung der Rolle des Spermiums zu verstehen. Dieses mag in bestimmten Situationen oberflächlich betrachtet sinnvoll erscheinen, wenn wie im vorliegenden Fall, ein Klonembryo von einem ‚natürlichen‘ unterschieden werden soll. Dabei wird jedoch ‚Natürlichkeit‘ an Zweigeschlechtlichkeit (im biologischen Fachvokabular ‚Bisexualität‘) und ‚Heterosexualität‘ gekoppelt und einer vermeintlich reinen Vermehrung von Genmaterial519 als ‚unnatürlich‘ gegenübergestellt. ‚Natürlich‘ wäre demnach eine Rekombination, womit einer einseitigen evolutionistischen Haltung gefolgt wird, nach der Fortpflanzung einem Ziel der Genvermehrung in der nächsten Generation und der Genopti515 Silver 1998a, siehe auch Kap. 3.1.2. 516 Siehe z.B. Weber/Bath 2003 sowie zahlreiche internationale Werke der Science and Technology Studies; vgl. auch Kap. 2. 517 Vgl. Barad 2005, Haraway 1985, Latour 1998. 518 Ebeling 2002. 519 Vermeintlich, da es durch cross-overs und Gensprünge durchaus zu neuen Kombinationen kommt. 173

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

mierung durch Rekombination und Selektion folgt.520 Diese ebenfalls quasi teleologische Betrachtungsweise ist jedoch in Frage gestellt worden und es wurde gezeigt, dass selbst sinkende Fortpflanzungsraten sich als evolutionsbiologische Zeichen von ‚Adaptationserfolgen‘ und ‚Höherentwicklung‘ deuten lassen.521 Ebenfalls in der Wissenschaftsforschung bereits vielfach beschrieben und kritisiert ist das Rollenverhältnis, nach dem Spermien Eizellen aktivieren,522 wie es neuerlich der Begriff ‚aktivierte Eizelle‘ suggeriert, zumal wenn es heißt, dieser technische Vorgang verlaufe parallel zu jenem „wie es normalerweise das Spermium tut“523. Es ist gezeigt worden, dass das Bild der inaktiven Eizelle und des aktiven, letztere quasi animierenden Spermiums zwar einerseits insofern wissenschaftlich produktiv war, als es zu vielen Ergebnissen der Erforschung beispielsweise der akrosomalen Vorgänge bei der Befruchtung führte. Es erschwerte jedoch, solche Vorgänge vorzustellen, die von der Eizelle bzw. beiden Gameten ausgehende biochemisch-physikalische Prozesse betrafen, so dass die ebenfalls entscheidende Rolle der Eizelle und insbesondere der zona pellucida erst in den vergangenen Jahrzehnten deutlich wurde.524 Abgesehen von wissenschaftlich-laborempirischen Festlegungen, die ein tendenziöses Modell (‚die Eizelle wird aktiviert‘) mit sich bringt, kann die Bezeichnung der u.a. durch elektrische Reize zur Teilung angeregten Eizelle als ‚aktivierte‘ Eizelle auch missverständlich als Metapher gelesen werden: die an der Eizelle Forschenden entsprächen einem Geschlechterbias folgend dem ‚männlich-aktivatorischen Prinzip‘ und der Eizelle käme das ‚inaktive weibliche Prinzip‘ zu. In bestimmten anderen diskursiven Situationen wird, im Gegensatz zu der gerade beschriebenen Wortneuschöpfung der ‚aktivierten Eizelle‘, auf die Parallelität von ‚technischen‘ Klonvorgängen mit ‚natürlichen‘ eingegangen. Z.B. wird der Begriff ‚Zwilling‘ von Ronald M. Green (derselben Autorfigur, die namentlich für den Ethikbericht von ACT steht) nicht nur als Metapher in Bezug auf reproduktives Klonen verwendet, sondern auch als Beschreibung für das Wesen des Klons herangezogen.525 In einem Gutachten zur sogenannten reproduktiven Klonierung wird letztere als einer der häufigsten Reproduktionsvorgänge bei Organismen in der Natur beschrieben.526 In Abhängigkeit von der Entwicklungsfähigkeit (zu einem Lebewesen) der Klon-Blastozyste wird ihr Menschsein in dem vorliegenden Szenario ver520 Siehe u.a. Dawkins 1989. 521 Curtain 2006. 522 Martin 1999. So auch bei Miescher, Friedrich (1875): An W. His. In: Arbeiten I, 79f. Zit. in: Blumenberg 1983a: 395. 523 Wilmut 1997: 220. 524 Keller 1998, Tuana 1995. 525 Z.B. Green 1999. 526 Eser et al. 1997. 174

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handelt. Demnach ließe sich eine Bedeutungskette zusammenstellen, die von ‚Entwicklungspotential‘ zu ‚Embryo‘ und damit zum ‚Menschen‘ führt. Wie oben ausgeführt, ist die darin liegende – auch biologische – Logik brüchig und lässt sich, statt mit einem fachwissenschaftlich-biologischen Hintergrund eher mit dem religiösen Gebrauch des Begriffs ‚Embryo‘ erklären. Denn nach modernen christlichen Vorstellungen beginnt das menschliche Leben mit der Befruchtung der Eizelle, woraus sich die enge Kopplung bzw. daraus resultierende Gleichsetzung von ‚Embryo‘ und ‚Mensch‘ begründet.527 So lässt sich erklären, dass im vorliegenden Szenario die ‚Entlastung‘ der Klon-Blastoste von dem Terminus Embryo zugleich die Entlastung von ihrem ‚Menschsein‘ und damit verbundenen ethischen Problematiken bedeutet. Im Kontrast damit steht die Überzeugung des Japaners Yanamigachi, der vor einem nichtchristlichen Hintergrund zwar den Begriff ‚Embryo‘ meidet, aber auch eine Diskussion um eine mögliche Unterscheidung von ‚entwicklungsfähiger Blastozyste‘ und ‚Mensch‘ gar nicht erst führt. Dabei wird also Entwicklungspotential zum Menschen nicht als Problem gesehen und die damit in den anderen diskursiven Ereignissen auftauchende Kopplung an den Embryo unterlassen. Wie weiter oben dargelegt sind die (nur scheinbar) biologisch-fachtheoretischen Differenzierungen zwischen der Klon-Blastozyste und dem ‚Embryo‘ somit wenig dienlich, ethische Entscheidungen, die die konsumierende Verwendung solcher Zellkörper betreffen, zu erleichtern. Wie in Kapitel 3.1.1 dargelegt, hatte sich der Deutsche Bundestag in der Debatte um die Gesetzeslage zur Stammzellforschung seit 2001 mehrheitlich dafür ausgesprochen, die begriffliche Unterscheidung zwischen sogenannter reproduktiver und therapeutischer Klonierung nicht zu übernehmen, da sie von ihren biologisch-technischen Kapazitäten her nicht zu trennen seien. Dass die Unterscheidung therapeutischer und reproduktiver Klonierung verschwimmt, wenn sie überhaupt je möglich war, wird am deutlichsten bei der Vorstellung von Verfahren der sogenannten Gentherapie, wenn sie an Embryonen vorgenommen wird (es würde sich dann um ‚Keimbahntherapie‘ handeln). Sie wurde erstmals in dem für die vorliegende Untersuchung verwendeten Material 2001 vorgestellt528 und wird 2002 wie folgt beschrieben: „Wenn in Zukunft einmal ein betroffenes Paar einen gezeugten Embryo durch fortgeschrittene Formen der Gentherapie behandeln lassen wollte (und die gesetzlichen Regelungen des jeweiligen Landes es zuließen), so würde man Zellkerne aus erfolgreich modifizierten embryonalen Zellen in ‚entkernte‘ Eizellen transferieren, und daraus könnten nach Reimplantation Kinder entstehen, die von der fraglichen Krankheit vollkommen befreit wären.“ (Wilmut 2002: 43) 527 Duwell/Mieth 2000. 528 Rosenthal 2001. 175

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Dieses Verfahren wird wiederum im Zitat in Unterscheidung zur „Keimzelltherapie“ als „embryonale Soma-Gen-Therapie“ bezeichnet.529 Auch das Klonen heißt nicht immer Klonen. Antinori findet für diesen Vorgang den Begriff der ‚genetischen Reprogrammierung‘ („riprogrammazione genetica“), mit der Begründung, es würde sonst der Anschein erweckt, man spräche von einer Kopie,530 die zu identischen Menschen führe. Diese Angst sei unberechtigt, da der Zellkern des Partners in die Eizelle der Frau eingebracht werde, die zusätzlich das Genmaterial ihres Mitochondriums darin trüge.531 Ausführungen zur Metapher der Kopie für Klon finden sich in Kapitel 3.4.3. Die in dem vorliegenden Abschnitt aufgeführten Auseinandersetzungen um verschiedene Definitionen zeigen, wie sehr Vokabeln der Biologie in Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien politisch aufgeladen sind. Ob eine labortechnisch befruchtete Eizelle eine ‚aktivierte Eizelle‘, ein ‚amorpher Zellhaufen‘ oder ein ‚Embryo‘ ist, hat in den meisten Ländern weitreichende moralische und rechtliche Konsequenzen. Das diskursive Feld der Laborzeugungsakte durch reproduktionsgenetische Texttechniken neu zu besetzen ist für ReproduktionsbiologInnen in manchen ethischen und rechtlichen Kontexten – wie beispielsweise in der BRD – entscheidend für die Zukunft ihrer Projekte.

3.4.2 Personifikationen und Metonymien Konventionelle Metaphern (zum Begriff siehe Kapitel 1.2.2), Metonymien532 und Personifikationen teilen die Eigenschaft, dass ihre (meist nicht offensichtliche) Funktion und Wirkung letztlich darin besteht, durch eine gewisse Distanz zum Gegenstand einerseits eine Stellvertreterfunktion einzulösen, zudem diffus Gefühle zu wecken oder zu lenken und andererseits ein spezifisches Verstehen (unter Ausblendung anderer Vorstellungen, die eine andere Begriffswahl wecken könnte) hervorzurufen. Meine Intention in dieser Untersuchung lag nicht darin, auf den Gebrauch von Metaphern so hinzuweisen, als sollten sie vermieden werden (vgl. Kapitel

529 ... während gewöhnlich ‚somatische Gentherapie‘ von ‚Keimbahntherapie‘ unterschieden wird, wobei sich die naturwissenschaftliche Fachwelt zumindest in den entsprechenden Journalen bis etwa 2000 einig zu sein schien, dass eine Veränderung am Genom, die sich auf die Nachkommen vererbe, zu unterlassen sei, vgl. Kap. 3.1.1. 530 In anderen Texten wiederum häuft sich die Metapher der Kopie für Klon: Wilmut 2002, Bahnsen bzw. Wilmut 2001. 531 Trautfetter/Wüst 2001. 532 Die Verwendung eines in einer übergeordneten Begriffsgruppe vorkommenden Begriffs stellvertretend für die gesamte Gruppe, wie z.B. Brot für Nahrung (Weinrich 1980). 176

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

1.2.2). Stattdessen lag das Interesse auf der Frage, welche Metaphern im untersuchten Material Verwendung finden – und welche nicht.533 Der Texttypus bringt es mit sich, dass die von mir untersuchten Diskursstränge sehr bildhaft und reich sind an Metaphern, denn vielfach handelt es sich um bewusste Fiktion, um Beschreibungen von möglichen Zukünften. Zugleich sind die Texte voller Bemühen, dem Lese-Publikum nahe zu kommen und sich im Wortsinne begreiflich zu machen. Dies lässt sich in Beispielen vorab und in Übersicht des im Folgenden Ausgeführten beschreiben. Die begriffliche Annäherung an die Lesenden drückt sich einerseits in der auffällig häufigen Wahl handwerklicher Begrifflichkeiten aus, die eine überschaubare Welt assoziieren lassen, deren Technologien und Gerätschaften über den technischen Stand der Renaissance, also über einfachste Handhabung nicht hinausreichen. Andererseits beinhalten verwendete Personifikationen häufig Nostrifizierungen, indem ein/e kollektive/r AkteurIn als „wir“ zum handelnden Subjekt wird, oder indem ein Chemiker (in diesem Fall Carl Djerassi) sich mit der Anwenderin aber auch potentiellen Kritikerin eines Produktes (der „Frau“) identifizierend als „Mutter der Pille“ bezeichnet. Damit begegnet er einer wesentlichen Kritikinstanz – nämlich der Kirche – mit einer dem Schöpfungsmythos ähnlichen Darstellung der Entwicklung von Gen- und Reproduktionstechnologien. Dieser Sprachgebrauch wird nostrifiziert und ihm liegen in der vorliegenden Arbeit die meisten Personifikationen (3.4.2) zu Grunde, wie z.B. Zeugung „unter dem Mikroskop“ für „in einem komplexen Laborprozess“. Zusätzlich fällt ein den Diskurssträngen zu Grunde liegender, oberflächlich weniger eindeutiger Grundtenor auf. Die Übersicht über die Bereiche, aus denen eine große Zahl der konventionellen Metaphern in den untersuchten Texten stammen, zeigt eine hintergründige Allegorie, nach der die Menschheit sich auf einer gemeinsamen Reise befindet und eine mit nichts je zuvor vergleichbare, nicht mehr rückgängig zu machende, schwerwiegende Entscheidung für ihren weiteren Weg zu treffen hat (vgl. Kapitel 3.4.3).

Personifikationen Personifikationen stellen in dem vorliegenden Kontext eine stellvertretende Einsetzung von nicht-menschlichen Entitäten als handelnde Subjekte für verursachende Faktoren dar. Von Lakoff und Johnson (1998) werden Persnifikationen als ontologische Metaphern gefasst, die also etwas über das Wesen einer nicht-menschlichen Entität aussagen, indem ihr menschliche Merkmale

533 Ich folge Lakoff/Johnson (1998) in Hinsicht darauf, dass es kein metaphernfreies Sprechen gebe – zugleich werden jedoch bewusst oder unbewusst wertende Tendenzen in Metaphern gelegt, wodurch im Sinne der Konversationsanalyse sprachlich Arbeit verrichtet wird. 177

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

und Tätigkeiten zugeschrieben werden.534 In den vorliegenden Fällen verwiesen Personifikationen weitaus häufiger auf die Verursachung von etwas, zeichnen vermeintliche Kausalbeziehungen nach. Sie gehören vor allem sozial- bzw. technologie- oder biodeterministischen Szenarien an. Als verantwortlich handelnde Figuren treten dabei auf: die Natur, die Technologie sowie die Gesellschaft oder Wirtschaft. So gibt es beispielsweise den Akteurstatus Natur, wie in „vom Hormonspiegel vorgeschriebenes“ (Verhalten)535 oder Klonierungen, denn „die Natur macht das ständig“536. Wesentlich häufiger als ‚die Natur‘ ist, gemessen am Metapherngebrauch und im Widerspruch zum Befund der eigentlichen Diskursanalyse (s.o.) ‚die Gesellschaft‘ verantwortlich handelnde Akteurin. Einerseits lässt sich ‚die Gesellschaft‘ als das Gegenüber zu NaturwissenschaftlerInnen sehen, wenn es heißt, „die Gesellschaft sagt“537 und wenn es um eine ‚Einmischung‘538 gesellschaftlicher Kräfte in Entscheidungen über Neue Reproduktions- und Gentechnologien geht. In den meisten Fällen allerdings (und nicht unbedingt im Widerspruch damit) wird ‚die Gesellschaft‘ als ein – scheinbar NaturwissenschaftlerInnen ebenso wie nicht naturwissenschaftlich Tätige implizierendes ‚wir‘ – als verantwortlich für die Errungenschaften von Gen- und Reproduktionstechnologien gedacht: So heißt es, lasse „die Menschheit ihre Kindheit hinter sich“539, denn „wir Menschen übernehmen die Kontrolle über unsere eigene Evolution“540, weil „unsere kulturelle Evolution uns jetzt die Macht gibt, unsere Biologie zu verändern“541. In demselben auf Menschheit bezogenen Kontext heißt es „vielleicht werden wir sogar Eingriffe in die Keimbahn“542 unternehmen. Auch Eigenschaften dieser personifizierten Gesellschaft sind mehrfach zu finden, wie „die wachsamen Augen der Öffentlichkeit“543, und es wird erinnert an den berührbaren „wunden Punkt […] des Rechtssystems“544. Klargemacht wird allerdings auch, welche Verantwortlichkeiten keinesfalls in Frage kommen, sofern es um die Angst vor Eugenik als eines staatlich organisierten Prozesses geht, denn „Regierungen machen keine Babies“545.

534 535 536 537 538 539 540 541 542 543 544 545 178

Vgl. Lakoff/Johnson 1998: 44. Reich 2000, 204. Hughes 2000. Hughes 2000. Stock 1998: „Aber schon heute greift die Gesellschaft in die Entscheidungsfreiheit der Eltern ein […].“ Stock 2000a: 192. Stock 2000c: 125; Hervorhebung B.v.W. Ebd., Hervorhebung B.v.W. Stock 2000c: 123; Hervorhebung B.v.W. Stock 2000a: 192. Hughes 2000. Silver 1998b: 142.

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Auch für das Brechen mit gesetzlichen Regulierungen der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien lassen sich, den untersuchten Texten nach, neue Verantwortlichkeiten finden. Diese liegen im „Spiel von Angebot und Nachfrage“546 oder in der „Macht des Geldes“547. Letzten Endes werde „Der Markt […] sich der Wissenschaftler bedienen“548. Schwieriger zu lokalisieren sind gesellschaftlich kritische Potentiale oder gar (noch abstrakter) Argumentationen, wenn sie Angst erweckend geisterhaft daherkommen, und zwar besonders plakativ (mehrfach) als das „Gespenst der Eugenik“549, das die „glanzvollen Aussichten“550 verdüstert. Neben Natur und Gesellschaft ist auch Technologie in den untersuchten Texten eine verantwortlich handelnde Akteurin: „Die mächtigen Technologien“551 „nehmen uns ins Visier“552, „Technologien“ oder „[d]er Fortschritt“ „werden uns zwingen, über die Frage nachzudenken, was es […] heißt, ein Mensch zu sein“553. Nach der „technologische[n] Revolution“554, der „Revolution in der Genomforschung und Medizin“555, werden „Manipulationen […] unser Leben umgestalten“556. Die vorliegenden Personifikationen verkürzen differenzierte Problem- und Kausalverhältnisse zu einem ‚Wir‘ (ohnmächtigen WissenschaftlerInnen und BürgerInnen) versus autonom von diesem ‚Wir‘ losgelöst agierenden Größen wie der Natur, Technologie oder dem Markt. In Einklang stehend mit den Diskurssträngen des Determinismus bedienen sie eine Fatalisierung, die Unaufhaltsamkeit von Prozessen mit künftigen Folgen behauptet und suggerieren die Überflüssigkeit jeder demokratischen Struktur. Die Rolle des Technofetisch557, die diese Entitäten erhalten, indem sie behandelt werden, als wären sie belebt, wird in Kapitel 3.4.3 besprochen.

Metonymien Metonymien werden in dem von mir untersuchten Material vorwiegend in einer Weise verwendet, die bagatellisierend, ins Lächerliche ziehend oder exotisierend wirkt. So sind es gerade solche hypothetischen Personen, die in Frage kämen, jenseits der Legalität menschliche Klone erzeugen zu wollen, die 546 547 548 549 550 551 552 553 554 555 556 557

Silver 1998b 145. Ebd. Ebd. Stock 2000a: 192. Green 1999: 65. Stock 2000a: 190. Ebd. Ebd. Reich 2000: 204. Stock 2000c: 125. Ebd. Wahrig 2003. 179

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

auf diese Weise metonymisch beschrieben werden. So ist es z.B. ein „verrückter Milliardär“558 der der erste sein könnte, der einen Menschen durch Klonierung hervorbringt oder, die „Donald Trumps dieser Welt“559, „ein Saddam Hussein“560, der feststellen würde, dass er erst 25 Jahre bräuchte, um sich den Traum einer „perfekten Armee“561 zu erfüllen. Einen positiven, eher glaubhaft machenden, Vorstellbarkeit erzeugenden Bezug auf Personen, die eine Klonierung vornehmen wollen, gibt es allerdings ebenfalls, so in der Geschichte der beiden Frauen Syd und Kayla, die ein gemeinsames Kind klonen.562 Dabei steht Kayla (als fiktive Expertin für Verhaltensgenetik) stellvertretend für fachliches Wissen um Genetik und Reproduktionsbiologie und zugleich für selbstbewusste Zuversicht gegenüber des von ihnen (also dem Paar) gewählten Reproduktionsverfahrens, während Syd die unwissende Skeptikerin ist. Eine solche Rollenaufteilung stellt auch Lee Silver in Das geklonte Paradies vor. Cheryl, die theoretische Physikerin, stellt die entsprechenden Kontakte für das gemeinsame Reproduktionsvorhaben her, während die musische Partnerin Madeleine die Zweiflerin personifiziert.563 Ähnlich liegt in den untersuchten Darstellungen der Kontrast zwischen Personen, die dem Glauben anhängen, sie handelten verstandes- und gefühlsgelenkt einerseits und naturwissenschaftlichen SpezialistInnen andererseits, die um die Wirkungen der Körperchemie wissen, die das Handeln tatsächlich bestimmt: „der Humanbiologe“564 sieht es anders und betrachtet den Menschen eher als „wandelnde Maschine“565. Moralische Zweifel oder anderweitige Bedenken gegenüber sogenannter reproduktiver Klonierung scheinen sich lediglich auf Vorbehalte gegenüber „Supermenschen“566 zu beziehen, denn da sei „immer die Angst, einen ‚Übermenschen‘ zu schaffen“567. Als Ikonen und Meilensteine der Erfolge und der grundsätzlichen Sicherheit von Gen- und Repoduktionstechnologie werden häufig „Dolly“568 (z.B. in „[n]och vor einem Jahr, als die Nachricht vom Klonschaf Dolly um die Welt ging“569) und Louise Brown570 (das erste IVF-Kind als Garant eines normalen, 558 559 560 561 562 563 564 565 566 567 568 569 180

Hughes 2000. Green 1999: 63. Ebd. Ebd. Hamer 2002. Silver 1998a: 243-249. Reich 2000: 204. Ebd. Baker 1999: 163. Stock 2000c: 124. So zumindest bis zu ihrem verfrühten Ableben. Silver 1998b: 142.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

inzwischen hunderttausendfach wiederholten und früher doch als gefährlich betrachteten Vorgangs) genannt. Sie dienen explizit als Beispiele der Grenzen des jeweils Denkbaren, das dann doch kollektiv überwunden wird. Geremy Rifkin dagegen (ein Opfer eines Gentherapieversuchs in Pennsylvania, USA) steht für eine Ausnahme oder einen Unfall innerhalb ‚normaler‘ Prozessabläufe.571 Die Synekdoche, also die Form der Metonymie, bei der ein Teil für ein übergeordnetes Ganzes steht, wird auffällig oft im Bezug auf die extrakorporale Zeugung verwendet. Dabei erscheint der Zeugungsakt allein auf die Fusion von Ei- und Samenzelle reduziert. Verglichen wird als zentraler Unterschied zwischen der DIY-Zeugung und der extrakorporalen Zeugung der Ort, an dem diese Fusion stattfindet. So verlagert sich die Zeugung „vom Bett unter das Mikroskop“572 und die „Zeugung im Reagenzglas“573 ist bereits längst zu einer konventionellen Metapher geworden, wie sich auch in der Wendung „Reagenzglas-Zeugungen“574 oder „im Reagenzglas zeugen“575 zeigt. Mit diesem Focus auf den Ort der Zellverschmelzung werden vor- und nachgängige Prozeduren, die dem übergeordneten gesamten Zeugungsakt im Labor zugehören, wie z.B. die sog. Ernte von Eizellen oder Sperma ausgeblendet. Die Auswahl des Mikroskops als Ort der Zeugung (verstanden als Verschmelzung von Eizelle und Spermium) und anstatt etwa beispielsweise des Labors oder des Labortisches, hebt die Sichtbarmachung von bisher nicht Sichtbarem (bei der Zeugung ‚im Bett‘) durch diese neue Verortung hervor. Gerade der Kontrast ‚vom Bett unter das Mikroskop‘ (s.o.) stellt das Private (fast indiskret benannte) einer Art kritischen, spezialisierten Öffentlichkeit (dargestellt durch das Mikroskop) gegenüber. In dem Kontext, aus dem das Zitat „vom Bett unter das Mikroskop“ entnommen ist, erscheint das Mikroskop als der (ge)rechte Ort für eine Zeugung, das untransparente, private, also nicht öffentliche Bett dagegen als inadäquat. Im Zuge des pictorial und spatial turn der 1980er und vor allem 1990er Jahre576 ließe sich zusätzlich ein Anrecht der Öf570 571 572 573 574 575 576

Z.B. Djerassi 1999a: 50. Stock 2000a; 192. Djerassi 1999a: 52. Green 1999: 62. Green 2002: 21. Hughes 2000. Als zunächst pictorial, dann spatial turn, wurde eine Art kulturelle, auch kulturwissenschaftlich-soziologische Weise der Realitätswahrnehmung und -vermittlung bezeichnet, die vor allem durch die Entwicklungen der Bildmedien seit den 1980er Jahren geprägt war. Als ausschlaggebendes, globales ‚Großereignis‘ gilt beispielsweise der Irakkrieg Anfang der 1990er Jahre, der ‚ZuschauerInnen‘ international den Eindruck vermittelte, selbst bei nächtlichen Gefechten in Dunkelheit ‚life dabei‘ zu sein, als sogenannte Präzisionswaffen abgefeuert wurden. Satellitenbilder und wirtschaftliche Globalisierung ebenso wie die Entwicklung globalisierungskritischer Gruppen als Antwort auf eine 181

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

fentlichkeit auf Sichtbarkeit (Transparenz) auf dieses Zitat aufdeuten, mit der eine extrakorporale Zeugung (unter dem Mikroskop ebenso, wie im durchsichtigen Reagenzglas) als qualitätssicherndes Präzisionsgerät legitimiert würde.

3.4.3 Biologische Hintergrundmetaphern577 Erwartungsgemäß gibt es in den von mir untersuchten Texten zahlreiche Hintergrundmetaphern, die sich botanischen Zusammenhängen zuordnen lassen und die oft schon sogenannte notwendige Metaphern (also kaum mehr als solche auffallende und kaum ersetzbare) sind.578 Hierzu gehören solche aus dem Bereich der Frucht, die also den Embryo oder Fötus als Frucht fassen, wie „Einpflanzungschance eines ausgewählten Embryos“579, „Frucht einpflanzt“580, „in die Gebärmutter […] einpflanzen“581, „Fruchtwasser […]“582, „Fortpflanzung“583, „Befruchtung“584, „superintelligenten Sprössling“585 bis hin zur „Keimbahn“[…]586, „Familienstammbäume“587, „unreife Eier“588. Auch Wörter wie „abstammen“589, „Stammzellen“590 und „Stammzellen […] kultivieren“591 sind in dieses Feld der Botanik einzuordnen.

577

578 579 580 581 582 583 584 585 586 587 588 589 590 591 182

Globalisierung neoliberaler Arbeitsverhältnisse und der Flüchtlingspolitik trugen das ihrige zum spatial turn bei. Der Begriff spatial turn (geprägt im Anschluss an die Arbeiten Postmodern Geographies, 1989, und Thirdspace, 1996, des Geographen Edward Soja) zieht somit die Charakterisierung von Wirklichkeitsvermittlung an der Jahrtausendwende als einerseits sehr an ‚wahren‘ Filmen und Fotos orientiert und andererseits als ‚global‘ vermittelt in eins. Der biomedizinische Blick in das Innere und dessen Medialisierung wird vor allem von Ludmilla Jordanova (1998) und Barbara Duden (u.a. 1994 und 2005) verhandelt. Als Hintergrundmetaphern lassen sich solche bezeichnen, die „Elemente grundlegender Argumentationsmuster und Leitvorstellungen der Theorieentwicklung“ (Ebeling 2002: 203) sind. Der Begriff der ‚Hintergrundmetaphorik‘ wurde von Blumenberg (siehe u.a. Blumenberg 1998) eingeführt. Siehe Kap. 1.2.2. Diedrich 2003: 42. Reich 2000: 206. Wilmut 1997: 220. Katzorke 2003: 149, Djerassi 2000: 212. Hughes 2000, Katzorke 2003: 149, Reich 2000: 204, 206; Silver 1998b: 145, Stock 1998, Stock 2000a: 192. Antinori 2001: 208, Baker 1999: 163, Diedrich 2003: 42 etc. Hughes 2000. Hughes 2000, Silver 2000: 146, Stock 2000: 190, 191, 192; Stock 2000c: 123. Green 1999: 65. Stock 2000c: 123. Solter 2002: 23. Rosenthal 2001: 92, Solter 2002: 23. Solter 2002: 23.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Sowohl die im Folgenden dargestellten ‚Genom als Buch-Metaphern‘ und die Metaphern für DNA aus der Kybernetik lassen sich inzwischen als Hintergrundmetaphern, wenn auch nicht als notwendige Metaphern, bezeichnen. Deutlich wird allerdings, dass trotz aller Aktualität der Computerindustrie und Informationstechnologie und -forschung und trotz der Rede vom Tod des Buches in den von mir untersuchten Texten Metaphern aus dem Feld des gedruckten Buches über alle Maßen überwiegen. Dies entspricht den Ergebnissen der kritischen Analyse der Theorie Lily Kays durch Christina Brandt: Kay legte in der Untersuchung von Schrift- und Code-Bezügen in der Genetik seit den 1950ern den Fokus auf die Informationswissenschaften,592 während Brandt die Popularisierung der Schriftmetapher nicht in der Informatisierung (im Anschluss an Schrödinger 1943), sondern in der „Experimentalisierung des genetischen Codes“593 im Anschluss an Crick (1957) begründet sieht. Diese Auseinandersetzung wird im Folgenden weiter unten ausführlicher behandelt. Die Abundanz der Buch- und Schriftmetaphern kann als weiteres Indiz dafür gelesen werden, dass die untersuchten Diskursstränge rhetorische Nähe zur Renaissance und frühen Neuzeit (s.w.u.) herstellen. Dies verweist auf inhaltliche Parallelen zur (wirtschaftlichen) Expansion jener Zeit; auf entsprechende Denk- und Handlungsmuster, die nun dem Neuen der Reproduktionsgenetik zu Grunde liegen und die besonders in Kapitel 3.4.4 ausgeführt werden594 sowie auch auf den bereits angesprochenen nostrifizierenden Sprachgestus.

Krieg und Geschlechterverhältnis ‚Krieg‘ ist ein typisches Bildfeld, mit dessen Hilfe viele körperliche Prozesse, insbesondere in der Immunologie und Medizin verstanden und konzipiert werden und ist somit in Biologie-nahen Texten häufig zu finden.595 Eine starke Häufung von Kriegsmetaphern wäre zu erwarten gewesen als Lösungskonzept für die Willkür, der uns die Natur aussetzt und die tatsächlich metaphernreich dargestellt wird. Auch der sogenannte Geschlechterkampf, auf den immer wieder angespielt wird, hätte eine reiche Kriegsmetaphorik erwarten lassen. Stattdessen jedoch treten Kriegsmetaphern in den analysierten Texten extrem wenig auf. Denn ein für Frauen nachteiliges Geschlechterverhältnis wird als biologische Grundstruktur der Säugetiere ausgemacht und nicht als gesellschaftliches Problem dargestellt. Auf diese Weise wäre die Frau zwar im (biologischen) Wettstreit mit dem Mann zu sehen, primär aber Opfer ihrer eigenen Biologie, denn es ist nicht der Mann, der ihr irgendetwas verwehrt. Bes592 593 594 595

Kay 2000a. Brandt 2004: 15. Holz 1997/98. Keller 1998, Ebeling 2002. 183

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

tenfalls wird Krieg geführt gegen ein eben ungleiches, Frauen vermeintlich benachteiligendes Geschlechterverhältnis in der Reproduktion (der Vorstellung folgend, der Mann könne unbegrenzt viele Frauen schwängern, die Frau wäre jedoch mit einer Schwangerschaft bereits langfristig ‚blockiert‘). So wird durch Neue Reproduktions- und Gentechnologien, die „auf den Plan“596 trat, eine „Frontalattacke“597 (gegen das Geschlechterverhältnis) geführt. Dass erwartungsgemäß Krankheit als Ziel des Kampfes ausgemacht wird, geschieht selten, indem es „therapeutische Aufrüstungen“598 und „mehrere tausend neue Angriffspunkte“599 gibt, und auf der Gegenseite eine unterschiedlich starke „Durchschlagskraft genetischer Krankheitsfaktoren“600. Dafür gibt es ein ambivalent kriegerisches Verhältnis zu Technologie, die uns Menschen teilweise aktiv als Kontrahentin gegenübersteht, wenn uns der „Fortschritt […] an allen Fronten“601 überrollt und „die mächtigen Technologien […] uns selbst ins Visier“602 nehmen. Mittels ihrer wird jedoch auch eine Art Kolonialkrieg geführt, der Opfer bringt und Risiken birgt, aber hohen ideellen und materiellen Gewinn verheißt: So nahm Ian Wilmut, der Dolly durch Klonen erzeugt hatte, „weitergehende Klonierungsversuche in Angriff“603 und einige Staaten oder Institute werden „an vorderster Front der medizinischen Forschung“604 gesehen, denn schließlich sei die Entwicklung der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien gleichbedeutend „mit Eroberung des Weltraums“605; zudem verspreche „[d]ie Ausbeutung des menschlichen Genoms […] mehrere tausend neue Angriffspunkte für die Medikamentenentwicklung“606. Ursachen dafür, dass kriegerische Metaphern in den vorliegenden Texten verhältnismäßig selten sind, liegen möglicherweise einerseits in der großen Euphorie, mit der die Möglichkeiten der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien dargestellt werden und in dem Aufbruchcharakter und der besonderen Zielrichtung der Texte: es geht nicht um Krieg (beispielsweise gegen Krankheiten), sondern um Ermöglichung von nicht zwingend Notwendigem, aber doch scheinbar Wünschenswertem als einem großen Luxus der Zivilisation, um Freiheit und Liebe. Zugleich sind es natürliche Bedingungen selbst, wie die vermeintliche Kalkulierbarkeit genomisch-biotischer Prozesse, die als 596 597 598 599 600 601 602 603 604 605 606 184

Djerassi 1999a: 50. Ebd. Stock 1998. Rosenthal 2001: 85. Rosenthal 2001: 91. Stock 1998. Stock 2000a: 190. Wilmut 2002: 39. Green 2002: 24. Stock 1998. Rosenthal 2001: 85 (Hervorhebung B.v.W.).

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Ursache für die neuen Möglichkeiten gesehen werden und gegen die nicht zugleich mit Kriegsmetaphern ins Feld gezogen werden kann, sondern mit denen man sich eher als in einer den Schöpfungsplan erfüllenden Harmonie imaginiert. Die wesentlichen KontrahentInnen in dieser Denkungsweise sind SkeptikerInnen der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien, die der Umsetzung der ‚naturgewollten‘ Eingriffe im Wege zu stehen scheinen. Da aber unter den RezipientInnen dieser textlich verfassten Debatten in populären Magazinen (anders als in fachlichen Publikationen), möglicherweise insbesondere auch in Deutschland ein hoher Anteil an SkeptikerInnen der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien sein könnten, wäre auch in Bezug auf sie eine kriegerische Ausdrucksweise unpassend.

Das Gen Der Begriff des Gens steht stellvertretend für bestimmte DNA-Abschnitte. Er ist im Sinne Lily Kays als Metapher zu lesen607 und insofern, da kaum im biologischen Sprachgebrauch zu umgehen, als notwendige (Hintergrund-)metapher zu verstehen. Begriffshistorisch ist ‚Gen‘ der ‚DNA‘ vorgängig,608 denn ursprünglich meinte Gen die ‚genotypische‘ Grundlage eines ‚phänotypisch‘ ausgeprägten Merkmals. Das Denkmodell, wonach Gene und Phäne in ein rechnerisches Verhältnis zueinander gesetzt werden könnten, wie es von Johannsen aufgebracht worden war609 (weiterentwickelt und in der Vererbungsforschung als eindeutige 1:1-Kopplung verstanden wurde), sei mit den Kenntnissen aus dem Human-Genome-Project laut Evelyn Fox Keller verkompliziert und aus der Genforschung verabschiedet worden.610 In den vorliegenden Texten wird eben dieses Verständnis der eindeutigen und unbedingten Koppelung eines Gens mit einem spezifischen Merkmal jedoch weitgehend evoziert. Die Verwendung und Betrachtung von ‚Gen‘ als Metapher für eine Nachricht, Information oder über ein Merkmal oder als Index für etwas, dem eine biotische Basis und Materialität gegeben wird, oder andererseits als die gemeinte Krankheit selbst (s.u.) zeigt, wie schwer metaphorische von nicht-metaphorischer Rede abzugrenzen ist (vgl. Kapitel 1.2.2). So wird in den vorliegenden Texten aus der Recheneinheit geradezu eine biochemische ‚Ursprungsadresse‘ eines Körpermerkmals (im Sinne der ‚Genkartierung‘) oder ein Index für Merkmale, die dem Gen prädikativ assoziiert werden (s.u.). Selbst in jenen Fällen, in denen Gen nur als Begriff für eine Klassifizierungsweise dient, wird es, als solches in anderen diskursiven Kontexten sowie bei anderen Klassifizierungsweisen geschehen, leicht zu einem materialisierenden Fakt, der die Auswahl zwischen verschiedenen ‚Klassen‘ notwendig macht. 607 608 609 610

Kay 2000b. Johannsen 1913. Johannsen 1903, 1913. Keller 2001. 185

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Das Gen erfüllt damit die Funktion des Knotenpunktes in der Übersetzung611 zwischen verschiedenen Diskursen unterschiedlicher, z.B. biochemischer, biomathematischer, biophysikalischer und bioinformatischer Wissenschaften, wie auch zwischen den Biowissenschaften und dem populären Diskurs, zwischen denen es z.B. vermittels Science Fiction und Zeitungsfeuilletons oszilliert. Eine angemessene Bezeichnung für dieses Phänomen bietet der Begriff des „boundary object“ von Bowker und Star. Die Merkmale solcher boundary objects, ihre Fähigkeit, verschiedene soziale Welten zu verbinden, ihre Flexibilität und Konkretheit zugleich, treffen auf das Gen in den hier folgend dargestellten Begriffen zu. So werden boundary objects definiert als „scientific objects which both inhabit several intersecting social worlds and satisfy the informational requirements of each. Boundary objects are both plastic enough to adapt to local needs and constraints of the several parties employing them, yet robust enough to maintain a common identity across sites. They are weakly structured in common use, and become strongly structured in individual-site use. They may be abstract and concrete. They have different meanings in different social worlds but their structure is common enough to more than one world to make them recognizable means of translation. The creation and management of boundary objects is key in developing and maintaining coherence across intersecting social worlds.“ (Star/ Griesemer 1999)

Vielfache ontologische Beschreibungen säumen das Gen in den vorliegenden Texten, insbesondere in Form von Personifikationen. So sind Gene „verantwortlich“612 und „codieren“613, genauer, sie „codieren […] für Enzyme“614. Es gibt „defekte Gene“615, in denen „unangenehme Überraschungen […] lauern“616, auch gibt es „Krankheitsgene“617, „Risikogene“618, „kluge Gene“619 und „Verhaltensgene“620. In Form von Metaphern gibt es also diverse „Gendefekte“621, die darüber entscheiden, ob ein „Embryo genetisch intakt“622 oder „schadhaft“623 sei.

611 612 613 614 615 616 617 618 619 620 621 622 623 186

Vgl. Haraway 1991. Hamer 2002: 26. Hamer 2002: 27. Hamer 2002: 27. Green 1999: 64. Hamer 2002: 26. Green 1999: 64. Green 1999: 64. Hamer 2002: 27. Ebd. Hamer 2002: 29, Wilmut 2002: 41. Katzorke 2003, 149. Ebd.

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Auf diese Weise wird Genen durch eine Personifizierung eine Selbstständigkeit zugeschrieben, die den Blick auf menschliche, gesundheitliche Fakten schaffende Interpretationen verstellt. Parallel zu dem Vorgang einer solchen Naturalisierung – der Schicksalhaftigkeit und damit Unumgänglichkeit suggeriert – wird auch mit der Personifikation der Gene die Möglichkeit des Eingreifens in menschliche Deutungen durch die Autorität des aktiv handelnden Gens zu einem Kampf zwischen Gen und Mensch (Natur und Mensch) statt eines zwischen verschiedenen Weltverständnissen. Die Historikerin Bettina Wahrig verwendet für solche Technofakte, die den Schein der Selbstständigkeit erlangen „als wären sie belebt, als wären sie selbstständig“624 den Begriff des „Technofetisch“. Entsprechend der eindeutigen Zuschreibungen, mit denen sich die Aktivitäten von Genen beschreiben lassen, lässt sich ebenfalls viel mit diesen klar umrissenen Entitäten625, den Genen, tun. Man kann demnach „Gene mitgeben“626, das „Genom entschlüssel(n)“627, „genetische Impfstoffe“628 herstellen und zu „genetischer Verbesserung“629 beitragen, da der „genetische Eingriff“630 möglich sei, im Zuge der „genetische[n] Neugestaltung unserer eigenen Erbinformation“631. Auch könne man die „Passfähigkeit der Genome beider Partner (prüfen)“632 und dann die „genetische Ausstattung (des zukünftigen Kindes) kontrollieren“633 und eine „kranke Genversion“634 durch „Gentherapie: Korrektur […] von fehlerhaften Gensequenzen“635 beseitigen.

624 Wahrig 2003: 37, Hervorhebung im Original. So, wie der sog. Berliner Schlüssel (der das Betreten eines Hauses nur dann ermöglicht, wenn man zunächst die Haustür verschlossen hat), den sie aus einem klassischen Beispiel Latours entlehnt, der dieses Verschlussprinzip zwischen Konstrukteur (und seinem Menschenbild) und seine AnwenderInnen stellt und zu subversiven Akten seiner Überlistung animiert (Wahrig 2003: 38), steht das Gen in den vorliegenden Texten als Stellvertreter eines Menschenkonzepts zwischen dahinter unsichtbar gewordenen AkteurInnen und seinen ‚TrägerInnen‘. Diese Art der ‚autoritären‘ Verlebendigung steht nach Wahrig in einem Zusammenhang mit der ‚Entlebendigung‘ der Natur im mechanistischen Denken seit der frühen Neuzeit. Entlebendigung der Natur und Verlebendigung der Technik (vgl. Saupe 2002) bedingen sich insofern gegenseitig (Wahrig 2003: 33). 625 Lakoff/Johnson 1998: Zum Beispiel Berg oder Nebel als konkret umrissen konzipierte ‚Gegenstände‘. 626 Silver 1998b: 144. 627 Stock 2000c: 123. 628 Silver 2000: 147. 629 Ebd. 630 Stock 1998. 631 Stock 1998. 632 Reich 2000: 206. 633 Silver 1998b: 144. 634 Rosenthal 2001: 92. 635 Green 1999: 64. 187

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Das Gen wird häufig im Sinne von Information verwendet, steht also in dem vorliegenden analysierten Material in direktem Zusammenhang mit prädikativ angefügten Assoziationen der Information, seien sie nun als Informationen in Computerprogrammen oder als in Schrifttexten enthaltene Informationen zu lesen. So gibt es „genetische Information“636, „genetische Daten“637 und genetische „Nachrichten“638, und entsprechende „Proteine, die solche Nachrichten auswerten“639. So wurde das menschliche „Genom entschlüsselt“640, da die Biologie zur „Informationswissenschaft“641 geworden sei. Hernach begann ein „Rennen, diese Information zu interpretieren“642, in der Hoffnung der „genetische(n) Neugestaltung der Erbinformation“643. Spätestens Evelyn Fox Kellers Arbeit zeigte ausführlich, inwiefern auch die Metapher des ‚Gens als Information‘ als aus dem Feld der Kriegsmetaphern stammend zu sehen ist: Diesem Metapherngebrauch nach gibt es einen verschlüsselten Text, der ohne Erlaubnis bzw. ohne Schlüssel entziffert wird; eine geheime, auf ein Ziel und einen Zweck ausgerichtete Nachricht, die nicht für Menschen selbst bestimmt war und nun von ihnen abgefangen und versucht wird, lesbar zu machen.644 Von Keller wurde hierzu auf den historischen und politischen Kontext des Zweiten Weltkrieges verwiesen, vor dessen Hintergrund die Gen als InformationMetapher zu lesen und zu verstehen ist. Keller, insbesondere aber Lily Kay645 führten die zirkulären Wege vor, die Konzepte der frühesten Kybernetik in den 1940er Jahren in die Biologie nahmen, und von dort in die Kybernetik zurück, um später wieder Konzepte der Biologie zu beeinflussen. In die oben beschriebene und in den vorliegenden Texten vorzufindende Gen als Information-Metapher lässt sich jedoch meines Erachtens nicht zwangsläufig die Nähe zur Computertechnologie hineinlesen, denn ihr vorgelagert ist zunächst das Verständnis von ‚Gen als Text‘ mit Bedeutung. Dies lässt sich sowohl in dem Konzept ‚das Genom ist ein Buch‘ als auch in ‚das Genom ist ein Computerprogramm‘ wiederfinden. In dem Unterstreichen der Textwertigkeit von ‚Nachricht mit Bedeutung‘, die es zu ‚entschlüsseln‘ gilt, verliert sich der Bezug zur Kriegsmetaphorik dennoch nicht unbedingt, denn auch in vormodernen Kriegen wurden Nachrichten z.B. von Läufern überbracht, abgefangen, entschlüsselt, etc. Insofern ist in der Metapher ‚Gen als

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Rosenthal 2001: 84. Ebd. Hamer 2002: 28. Ebd. Stock 2000c: 123. Rosenthal 2001: 84. Stock 2000c: 123. Stock 1998. Keller 1998. Kay 2000a, siehe auch Trallori 1996a (Einleitung).

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Information‘ der Bezug zur Kybernetik nicht deutlicher als jener zum (ihr vorgängigen) Text.646 Besonders deutlich wird diese Ambivalenz zwischen Programm und Buchtext, die weiter unten genauer analysiert wird, in Rosenthal 2001: „Wir haben nun das genetische Material des Menschen aus dem Kern der Zelle herausgeholt, transparent und somit lesbar gemacht und ins Internet gestellt. Biologie, Informatik und Internet gehen hiermit eine neue Symbiose ein. Dieser Prozess ist keineswegs abgeschlossen. Wir verfügen jetzt über eine einzigartige, schier unüberschaubare Datenbank aus vier verschiedenen Buchstaben: einen Text aus drei Milliarden As, Gs, Cs und Ts. Syntax und Grammatik sind noch weitgehend unbekannt.“ (Rosenthal 2001: 91)

Für auffällig halte ich hier, dass statt ‚Zeichen‘ die Metapher „Buchstabe“ und statt ‚Programm‘ oder ‚Skript‘ der Begriff „Text“ gewählt wurde. Informatik wird hier zudem lediglich gesehen als eine Fachrichtung, in der (bereits publikationsfertiger) Text „ins Internet gestellt“ wird und nicht als eine solche, die sich mit der Programmierung und Bewältigung von großen Datenmengen und Prozessabläufen beschäftigt.

Lesen im Buch der Natur Näher an Assoziationen von Buchtexten heranrückende Metaphern wie der „Schreibfehler“647 finden sich in den untersuchten Texten und auch die „Buchstaben“648 („des Erbguts“) sind vertreten. Man arbeite noch an der „Entzifferung des menschlichen Genoms“649, und es seien „Syntax und Grammatik noch weitgehend unbekannt“650. Hierfür würden „zehntausende RNA-Abschriften (Transkripte)“651 benötigt. Hans Blumenberg beschreibt anhand der Arbeit von Friedrich Miescher zur Befruchtung in Die Lesbarkeit der Welt, wie der Denkschritt von einer maschinengeprägten Metaphernwelt der Physiologie des 19. Jahrhunderts vorstellbar ist, der notwendig war, um vom ‚Uhrwerk‘ zum ‚Sprachwerk‘ als Bildfeld in den zellulären Vorgängen der Zeugung zu gelangen.652 Zwar wurden mit Miescher Metaphern von Buch und Text bereits Ende des 19. Jahrhunderts in der Vererbungsphysiologie erstmals angeführt. Von einer breiteren innerwissenschaftlichen Öffentlichkeit aufgenommen wurden die Metaphern von in Buchstaben-Text enthaltener Information, die über den „Eng646 647 648 649 650 651 652

vgl. Latour 1998. Hughes 2000. Ebd. Rosenthal 2001: 84. Ebd. Rosenthal 2001: 85. Blumenberg 1983a: 396. 189

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pass“ der Geschlechtszellen von Individuum zu Individuum vererbt würden erst, als sie 1943 in den Dubliner Vorträgen von dem Physiker Erwin Schrödinger (What is life? The physical aspect of the cell)653 vorgetragen wurden. Darin beschreibt er die in allen Zellen enthaltenen Informationen als „Schlüsselschrift“654 und als eine Möglichkeit, das zeitgemäße Problem zu erklären, dass nicht sämtliche in adulten Zellen möglichen Molekülkonstellation in miniaturisierter Fassung in den Geschlechtszellen oder gar Chromosomen enthalten sein können. Ohne einen genaueren Zusammenhang zwischen Nukleinsäuren und Chromosomen zu kennen,655 versuchte er damit eine physikalische Herangehensweise an die Vererbung zu finden, indem er die Atome mit einem ‚Morse-Alphabet‘ analogisiert, das selbst, wenn es nur aus zwei Buchstaben bestünde, „in Vierergruppen bereits dreißig verschiedene Abwandlungen“656 ergäbe. In Schrödingers Metaphorik wird ebenfalls wie in den vorliegenden Texten (s.u.) die Vielseitigkeit von Aufzeichnung und Schrift deutlich, indem er Chromosomen sowohl als „zugleich Gesetzbuch und ausübende Gewalt“ als auch als „Plan des Architekten“ beschreibt.657 Wie Schrödinger verwandte auch Miescher die Metapher der Schrift als black box an jener Stelle, wo ihm der biochemische Vorgang unbekannt ist.658 Bei ihm erklärt sich der Griff nach der Schriftmetapher aus der Absage an die Idee, dass die Ei- und Samenzelle bzw. die Zelle generell „eine Vorratskammer zahlloser chemischer Stoffe, [...] deren jeder der Träger einer besonderen erblichen Eigenschaft sein soll“659, sein könnte. Während er zuvor einer letztlich „bloß mechanischen oder motorischen Auffassung“660 gefolgt war, die seiner Beschreibung des Befruchtungsvorgangs im Sinne von Schraubenfunktionen in Uhrwerken entsprach, stellt sich mit der Schriftmetapher der Vorgang flexibler dar: Der stereochemische Aufbau der verschiedenen chemischen Stoffe (bis hin also zu ihrer für Bindungen relevanten räumlichen Struktur) sei so komplex, dass „aller Reichtum und alle Mannigfaltigkeit erblicher Übertragungen ebenso gut darin ihren Ausdruck finden können als die Worte und Begriffe aller Sprachen in den 24-30 Buchstaben des Alphabets.“661

653 Schrödinger 1951. 654 Ebd.: 112. 655 Bekannt war lediglich, dass zwei Nukleinsäuretypen, benannt DNA und RNA in den Zellen vorkommen, nicht jedoch in welchem Verhältnis sie zueinander und den restlichen Zellinhalten stehen. 656 Ebd.: 88. 657 Ebd.: 377. 658 Blumenberg 1983a: 394. 659 Miescher, Friedrich (1875): An W. His. In: Arbeiten I, 79f. Zit. in: Blumenberg 1983a: 395. 660 Blumenberg 1983a: 396. 661 Miescher, Friedrich (1875): An W. His. In: Arbeiten I, 79f. Zit. in: Blumenberg 1983a: 395. 190

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Entgegen der geläufigen wissenschaftshistorischen Fassung Lily Kays, die Schrödinger als den ‚Begründer‘ des Erfolgs der Schriftmetapher in der Genetik und in den Kontext der Kybernetik setzt, bezeichnet Christina Brandt diese Auffassung als wissenschaftshistorischen Ursprungsmythos, dem sie eine integrierte historische Untersuchung von Theorie und Empirie entgegensetzt und damit die sich über lange Zeiträume und differenzierte Bewegungen zwischen Experimentalanordnung und sprachlichem Diskurs erstreckende Verwendung solcher Metaphoriken ausarbeitet. Erst indem die Schriftmetapher in Hinsicht auf das Verständnis von Leben durch den Quantenphysiker Schrödinger662 verwendet wurde und im Zuge jahrelanger wissenschaftlicher Diskussion in Arbeitsgruppen – schließlich durch Francis Crick 1953 wörtlich genommen – und mit der Suche nach einer korrekten mathematischen Korrelation663 der Nukleinsäurebasenpaare verbunden wurde,664 setzte sie sich rasch durch.665 Dabei wurde die Schriftmetapher für die DNA im gegenseitig beeinflussenden Wechsel mit den Experimentalanordnungen zunächst zu einer konstitutiven Ressource für diese Forschungsprogramme, bis sie schließlich ontologischen Status erhielten.666 Besonders nachdrücklich bringt die Gentechnologie die Schriftmetapher als Schreibmetapher seit spätestens Mitte der 1980er Jahre (mit dem Vorhaben der vollständigen Sequenzierung des RNAund DNA-Materials verschiedener Spezies) ins Spiel. So beschreibt der Molekularbiologe David Jackson zur Feier des 40sten Jahrestages des DNADoppelhelixmodells das Lesen, Schreiben, Kopieren und Editieren in einer Sprache als ein wesentliches Mittel, um eine Sprache perfekt zu beherrschen.667 Die Schriftmetapher in der Genetik fußt allerdings, wie sich ebenfalls an Schrödingers What is life? vorführen lässt, auf einer langen Metapherntradition: jener des ‚Buches der Natur‘ (wie auch weiter unten u.a. anhand des utopischen Werks Nova Atlantis von Francis Bacon ausgeführt wird). „Die große Enthüllung der Quantentheorie lag in der Entdeckung von Unstetigkeiten im Buch der Natur, und zwar gerade in einem Zusammenhang, in dem nach den bis dahin herrschenden Ansichten alles außer der Stetigkeit un-

662 ... und bedingt auch kurz zuvor durch Max Planck, so Blumenberg 1983a: 373. Die zu der Zeit zunehmenden Erkenntnisse über direkte Wirkungen von Nukleinsäuren dürften zur schließlich raschen Verbreitung der Schriftmetapher beigetragen haben. Im selben Jahr des Vortrags von Schrödinger erschien ein erster Artikel über beobachtbare Veränderungen an einer Zelle, der zellfremde Nukleinsäuren zugeführt worden waren (Avery et al. 1944). 663 Gamow 1954. 664 Crick 1958. 665 Brandt 2004: 14f. 666 Brandt 2004: 257ff., vgl. Chargaff 1970. 667 Jackson 1995: 358 und 364. 191

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sinnig erschien“668: Als Qualitäten dieses Buches der Natur beschreibt Blumenberg einerseits eben jene Stetigkeit. Da sei die Vorstellung der Natur als „eines Ganzen aus einem Wurf“669 das in sich begrenzt, überschaubar und abgeschlossen sei, die eine „Verführung zu Totalität“670 berge. Zugleich markiert die Metapher ein Paradoxon: „ein Buch sei die Natur zwar, aber ein in Hieroglyphen, in Chiffren, in mathematischen Formeln geschriebenes – das Paradox eines Buches, das sich dagegen verwahrt, Leser zu haben.“671 Natur erscheint also nicht als etwas Selbst-verständliches, sondern als etwas, das nur mit von Menschen gemachten Regeln erfahrbar wird, die wiederum allerdings in ihrer Bezeichnung zu natürlichen Gesetzen (Naturgesetzen) werden. Die Gesetze der Natur ihrerseits entsprechen spätestens seit der ausgehenden Renaissance (wie bei Francis Bacon, aber auch späteren Autoren der Neuzeit, s.w.u.) Gottes Willen. Insofern stimmen das Buch Gottes (die Bibel) und das Buch der Natur überein. Das Buch der Natur war insofern für Autoren, für die die Gesetze der Natur durch Gott und die Bibel vermittelt waren, ein zutiefst christliches Werk. Blumenberg weist auf eine Besonderheit des Vorgangs hin, in dem Schrödinger seinerseits sich – in einem säkulären wissenschaftlichen Feld – der Schriftmetapher bedient. „Zu beachten für die Genese dieses folgenreichen Einfalls [der Schriftmetapher für die ‚Vererbungsmoleküle‘] ist, dass Schrödinger sogar unabhängig von der Problematik des Genoms den alten metaphorischen Komplex gegenwärtig hat, in den ein neues unerwartetes Stück zu integrieren er eben im Begriff ist.“672 In den in der vorliegenden Arbeit vorgestellten und analysierten Texten wird mehrfach die Position eingenommen, im Sinne der Evolution oder im Sinne der Natur zu agieren, wenn kloniert, oder menschliche DNA für unterschiedliche Verfahren bearbeitet würde. ‚Wir‘ würden somit selbst zu Schöpfern.673 In der Verlängerung des Werks Gottes legitimiert sich so ‚unser‘ Handeln. Es bestätigt sich demnach in der vorliegenden Analyse populärwissenschaftlicher Darstellungen der Jahrtausendwende, was Christina Brandt für die Beschreibung der Textmetapher in naturwissenschaftlichen Arbeiten seit den 1930er Jahren feststellt: In der Schriftmetapher „schwingen kulturelle Implikationen mit, die tief verwurzelt sind in einer jahrhundertelangen abendländischen Tradition, in welcher

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Schrödinger 1951: 70, Hervorhebung B.v.W. Blumenberg 1986b: 18. Ebd. Ebd. Blumenberg 1983a: 372. Siehe z.B. Stock 1998 (Hervorhebung B.v.W.): „Wir fangen an, die Baupläne der Schöpfung zu ändern, auch unsere eigenen. [...] Die Wahrheit [...] ist, dass die Macht schon in unseren Händen liegt [...].“ Stock 2000c: „Weil unsere kulturelle Evolution uns jetzt die Macht gibt, unsere Biologie zu verändern...“ (Stock 1998: 125).

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der Schrift – mit ihren religiösen Assoziationen – ein hervorgehobener Platz in der Erfassung von Welt zukommt.“674 In der Darstellung der langen Tradition der Metapher ‚Buch der Natur‘ weist Blumenberg auf den ansatzweise totalitären Charakter hin, den die Metapher der Natur als Buch enthält und der in der Eigenschaft der (zeitlichen und räumlichen) Abgeschlossenheit des Textes liege.675 Damit schließt sich Blumenberg einem auch in den Literaturwissenschaften oft üblichen Verständnis von Text als einem nur auf eine bestimmte, vom Text selbst (dem Code) vorgegebenen Weise zu verstehenden Text an. LeserInnen und InterpreteurInnen des Textes hätten demnach keinen Anteil an einer (offenen) Gestaltung des Textes (wie sie etwa bei Foucault676 oder Barthes677 gedacht wird). Dies entspricht sowohl dem Verständnis des Codes, wie es von Crick678 geschaffen wurde, als eines nur in einer Richtung (von DNA zu RNA zu Protein) zu lesenden und zu übersetzenden Textes, als auch jenem Verständnis der Genwirkung, wie sie in den in der vorliegenden Arbeit analysierten Texten enthalten ist. Demnach wäre die DNA-Sequenz immer wirksam, Genwirkungen aus der molekularen Analyse der DNA eindeutig vorhersagbar (und auch Krankheiten oder körperliche Merkmale), selbst manche Wesenseigenschaften wären ebenfalls aus der Gensequenz heraus als einziger Ursache ‚ablesbar‘. Diese Vorstellung von einem ‚dogmatischen Gen‘679 wird von Blumenberg problematisiert, indem er darauf hinweist, dass Schrift auf diese Weise als „Vor-Schrift“ und „ante rem“680 verstanden würde bzw. als „Befehlstext für das lebendige Geschehen in Raum und Zeit“681. Der wesentliche epistemische Vorteil der Textmetapher liegt darin, in ihrer Eigenschaft sowohl für Flexibilität (Austauschbarkeit der Buchstaben) als auch für Konstanz (Vererbbarkeit) zu stehen. Betont wird bei der Schriftmetapher in der ‚dogmatischen‘ Deutung jedoch lediglich der Aspekt der Konstanz. Diese ‚Lesart‘ ist auch bei Schrödingers Bezug auf den ‚Leser der chromosomalen Schrift‘ angelegt: Dieser entspricht dem später so bezeichneten ‚Laplaceschen Dämon‘, einer Figur allwissender Intelligenz, die der Ma674 675 676 677 678 679

Brandt 2004: 21. Ähnlich Blumenberg 1983a: 380. Blumenberg 1983b: 18. Foucault 2001b. Barthes 1964. Crick 1958 (Verschriftlichung eines Vortrags von 1957). Duden 2005 mit Verweis auf Alexander von Schwerins Verwendung des Begriffs „dogmatisches Gen“ (in GID-Spezial 2000). 680 Beide Zitate Blumenberg 1983a: 381. 681 Blumenberg 1983a: 400. Hervorhebung im Original, denn es handelt sich um ein Zitat des Zoologen W. E. Ankel (1980: Dankrede nach Verleihung der Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am 29. April 1980. In: Natur und Museum: 279). 193

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thematiker Pierre-Simon Laplace 1814 zur Verbildlichung des (mechanistischen und deterministischen) Weltbildes der von Newtons und Keplers Gesetzen geprägten Physik seiner Zeit einführte.682 Diese Intelligenz müsse lediglich sämtliche in einem gegebenen Augenblick auf der Welt wirkenden Naturkräfte kennen, um jedes Geschehnis zu jeder Zeit voraussagen zu können. So könne sie auch aus dem chromosomalen Material „voraussagen, ob das Ei sich unter geeigneten Bedingungen zu einem schwarzen Hahn, einem gefleckten Huhn, zu einer Fliege oder einer Maispflanze, [...] einer Maus oder zu einem Weibe entwickeln werde.“683 Dagegen war in dem früheren Moment des Gebrauchs der Schriftmetaphorik bei Miescher zu Ende des 19. Jahrhunderts die Interaktion beider Aspekte hervorgehoben: „In der Tat, nicht in einer bestimmten Substanz kann das Rätsel der Befruchtung verborgen liegen; das lässt sich schon jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit behaupten. Nicht ein Teil, sondern das Ganze als solches ist wirksam, durch das Zusammenwirken aller seiner Teile“, so Miescher in seiner Diskussion des Wirkstoffes ‚Nuclein‘.684 Auf ein solches Zusammenwirken verweist bereits die vorausschauende Einschränkung „unter geeigneten Bedingungen“ Schrödingers, ebenso wie der auf statistischen Wahrscheinlichkeiten beruhende Risikobegriff der Reproduktionsgenetik, der Eindeutigkeiten ausschließt.685 Die Beschreibung der Nähe der DNA zum Buchtext, die durch den Molekularbiologen Robert Pollack über mehrere hundert Seiten gestreckt wird, kann dahingehend verstanden werden, dass sie auf die bedeutungsgebende Interpretation durch die LeserIn des genetischen Materials, seinem epigenetischen Umfeld verweist: Er beschreibt „DNA as a work of literature, a great historical text. But the metaphor of the chemical text is more than a vision: DNA is a long skinny assembly of atoms similar in function, if not form, to the letters of a book, strung out in one long line. The cells of our bodies do extract a multiplicity of meanings from the DNA text inside them […].“686 Dieser Text ist also nicht einfach zu lesen, sondern bedarf intensiver Interpretation, denn er kann verschiedene Bedeutungen haben, die je nach der Art des Übersetzungs-/Translations- und Lese-Prozesses entstünden.687 Blumenberg weist darauf hin, dass die Metapher der Schrift der Natur nicht nur gern in genetischer Euphorie angeführt wird, sondern auch von kritischer Seite: Als Schutzschrift, die „die Natur ihren Kreaturen gegen die Hyb682 Laplace 1995: 3ff. 683 Schrödinger 1951: 33f. 684 Miescher, Johann Friedrich (1874): Die Spermatozoen einiger Wirbelthiere: Ein Beitrag zur Histochemie. In: Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel, 6, 138-208. Zit. in: Blumenberg 1983a: 388f. 685 Samerski 2002: 106ff. 686 Pollack 1994: 5, Hervorhebung B.v.W. 687 Pollack 1994. 194

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ris von Theorie und Technik des Menschen ausgestellt hätte“.688 Er problematisiert jedoch mit Verweis auf den ‚Befehlstext‘ des ‚so musst Du sein‘689 die ‚Lesbarkeit der Natur‘-Metapher wegen der autoritären Züge der Textmetapher,690 die also, so ließe sich übersetzen, nahe legt, determiniert zu haben, wie die Welt sei.

Computerprogramm, Schrifttext oder Bauplan? Ein eindeutiger kybernetischer Bezug wird in den vorliegenden auf Metaphern analysierten Texten zweimal hergestellt. Einmal, wenn es heißt, dass unter gewissen Bedingungen „[d]as genetische Programm nicht mehr makellos funktionieren“691 könne, und man andererseits „den eingebrachten Zellkern reprogrammieren“692 könne. Auch die Feststellung, Gene würden „codieren“693, lässt sich u.U. als kybernetische Metapher lesen. Auch die Darstellung, Gene werden „eingeschaltet“694, bezieht sich auf eine Art Informationsmaschine (Computer), zugleich heißt es, Gene würden „umgeschrieben“695, was sowohl im Rahmen eines Buches als auch eines Programms geschehen kann. Statt der von ihrer Bedeutung her äquivalenten, oft synonym verwendeten Metapher DNA als Programm wird dagegen an einigen anderen Stellen vom „genetische(n) Bauplan“696 („des Menschen“ bzw. „der Schöpfung“) gesprochen. Unter allen möglichen Metaphern, die für die DNA stehen, wie Programm, Skript, Matrize, Matrix, Text etc. dürfte Bauplan die handlungspraktischste und bildhafteste sein. Während man in den analysierten Texten keinem Zell-Programmierer begegnete, gibt es entsprechend der BauplanMetapher allerdings „Gen-Ingenieure“697. Brandt geht, wie bereits zuvor angeführt, in ihrer Analyse der Zusammenhänge von metaphorischer Sprache und Experimentalsystemen davon aus, dass bisher der kybernetische Charakter der Genetik weitaus überschätzt und einseitig betrachtet worden sei. Stattdessen weist Brandt darauf hin, dass gerade der Unterschied zwischen Informationssystemen und Organismen bereits in frühen Analysen des Metapherngebrauchs der Genetik hervorgehoben und damit die Okkupation des Informationsbegriffs als ein Brückenschlag zwischen Informationstheorie und Biologie durch die Informationswissenschaften selbst eher zurückgewiesen worden 688 689 690 691 692 693 694 695 696 697

Blumenberg 1983a: 400. Ebd. Blumenberg 1983b: 17f. Rosenthal 2001: 93. Wilmut 2002: 39. Hamer 2002: 27. Hamer 2002: 26. Ebd. Rosenthal 2001: 87 etc.; Hamer 2002: 29. Hamer 2002: 28. 195

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sei.698 Auch Keller zeigt die Asymmetrie zwischen Kybernetik und Molekularbiologie, die im Laufe der Entwicklung beider zu einer größer werdenden Differenzierung geführt habe: Demnach hätten kybernetische Konzepte Organismusvorstellungen der älteren Physiologie aufgenommen (einschließlich entsprechender Vorstellungen von Rückkopplungsprozessen), während die Molekularbiologie Modelle mathematischer Maschinen verwendete, von denen die dann aktuelle Kybernetik bereits weit entfernt gewesen sei.699 Die Annahme der Dominanz des einen oder anderen Konzeptes (‚Information‘ oder ‚Schrift‘) innerhalb der Metaphernwelt der Genetik birgt allerdings weiterreichende Implikationen. Der kybernetische Begriff der Information wurde nach Norbert Wiener von dem Mathematiker Claude Shannon, dem Statistiker Ronald Aylmer Fisher und ihm selbst, Wiener, etwa zur gleichen Zeit und unabhängig voneinander entwickelt.700 Information wurde dabei im Rahmen von Wahrscheinlichkeitsfunktionen zu einer statistischen Größe. Information ist demnach eine universale Größe, deren Wert angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Nachricht aus einer bestimmten Anzahl von Möglichkeiten ausgewählt wird. Wiener betont, dass Information weder Materie noch Energie sei. Sie sei als reine Wahrscheinlichkeitsgröße frei von Bedeutung, Kontext oder Inhalt. Gerade diese „Entsemantisierung“701 hätte, so Brandt in ihrer Diskussion der Informationsmetapher in der Genetik, die erfolgreiche Karriere des kybernetischen Informationskonzeptes in der Beschreibung der Welt in den 1950er und 1960er Jahren ausgemacht. Zugleich sei dies Gegenstand der Kritik der Übertragungsversuche des Informationsbegriffs in die Biologie gewesen. Der Begriff der Metapher trifft für Information dann zudem lediglich zu, insofern er sich auf die Übertragung eines Begriffs von einem wissenschaftlichen Bereich auf den anderen bezieht. Die Metapher des Buchs dagegen erfüllt sowohl das Kriterium der Begriffsübertragung als auch jenes der Anschaulichkeit. Den Begriff des Codes auf Schrift und Buch zu beziehen, statt auf jenen der kybernetischen Information, bedeutet, auf umfangreiche wissenschaftshistorische und möglicherweise gar biblische Kontexte verweisen zu können,702 die die entsprechenden Bildfelder und der Metapherngebrauch nahe legen. Vor allem aber erlaubt dieser Bezug, sich näher mit der vermeintlich enthaltenen ‚Mitteilung‘, ihrer Bedeutung und Interpretation zu befassen.

698 Brandt 2004 mit Verweis u.a. auf Bar-Hillel 1971. 699 Keller 1998: 105ff. 700 Allerdings vermittelt über verschiedene wissenschaftliche Gesprächskreise, siehe Wiener 1965: 10ff. 701 Brandt 2004: 20f. 702 Vgl. Curtius 1948. 196

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Der Informations- und der Buchmetapher allerdings gemeinsam sind Anspielungen auf darin enthaltene Vorstellungen von Ewigkeit und der Überwindung von Sterblichkeit. Durch Wiener wurde Information mit Entropie (stark vereinfacht zu übersetzen mit ‚Zerfall‘, einem Zustand von hoher Wahrscheinlichkeit)703 insofern in Verbindung gebracht, als sie hoch unwahrscheinlich ist – und somit einem Zustand negativer Entropie entspräche. Die allem Zerfall Widerstand leistende, den zellulären Tod überdauernde Konstanz der Information der DNA bildet insofern die Brücke zu den religiösen Bezügen zum ‚Buch der Natur‘ bei Francis Bacon (s.w.u.), Richard Dawkins und anderen naturwissenschaftlichen Autoren, wie auch in den in der vorliegenden Untersuchung beschriebenen Texten (vgl. die Bezüge zu Raum und Zeit im Folgenden und in Kapitel 4.3.6).

Klon und Kopie Zahlreiche Metaphern beschreiben den Klon. Wenn ein Mensch mit dem gleichen DNA-Material zur Welt gebracht wird, wie es ein anderer Mensch trägt, dessen Zellkernmaterial für die Klonierung verwendet wurde, wird dieser Klon in den meisten vorliegenden Fällen als „identisch“704 bezeichnet. ‚Klon‘ stellt eine doppelte Metapher dar. Die erste metaphorische Wendung liegt bereits in der 1903 durch Webber geprägten Bezeichnung von Zellkulturen, die aus der selbstständigen asexuellen vegetativen Fortpflanzung als ‚clones‘705 hervorgehen, vor, wobei dieser Begriff zuvor in der landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung für die Produktion von Pflanzen aus Ablegern verwendet wurde. In einer zweiten Übertragung wurde dieser ‚Klon‘ (das Produkt einer Zellverdopplung durch Meiose und Mitose als Fortpflanzungsform von Bakterien bzw. Pilzen und vieler Pflanzen wie er später vielfach in der Biologie Verwendung fand) zum Produkt der Laborklonierung von Menschen. Im Zusammenhang mit der ‚reproduktiven‘ Klonierung stellt ‚Klon‘ eine Metapher für Menschen oder Tiere dar, die durch unterschiedlichste Prozesse unter Nutzung von Genmaterial eines bereits lebenden Menschen oder Tieres ‚gezeugt‘ wurden. So wird das vermeintliche ‚Identisch-Sein‘ des ‚Klons‘ mit der/m SpenderIn des Kernmaterials durch die Klon als Kopie-Metapher betont. Dabei wird Klonierung beschrieben als „Erzeugung identischer Kopien

703 Entropie ist eine Größe der Thermodynamik. Demnach stellt ‚Leben‘ einen negativ entropen Zustand dar, da ohne Zufuhr von Energie alles dem Zerfall entgegenstrebt. Leben ist im Sinne der Thermodynamik nur dadurch möglich, dass den Organismen ständig Energie (durch Sonne oder durch unter Energieaufwand metabolisierte Stoffe) zugeführt wird und sie somit keinen ‚Wärmetod‘ erleiden. 704 Djerassi 2000b: 212, Green 1999: 64, 65; Rosenthal 2001: 93, Silver 1998b: 143 etc. 705 Webber 1903. 197

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von Menschen“706, es entsteht also eine „exakte Kopie“707. Ebeling beschreibt, dass diese Metapher in der Evolutionsbiologie vielfach vertreten ist und stets in Verbindung mit dem Begriff ‚exakt‘.708 Bei Dawkins erscheint jeder Prozess der Neugenerierung von Nukleotidketten (‚Genmaterial‘) als Prozess des Kopierens von Papier: „A replicator is anything in the universe of which copies are made“.709 In der Verwendung der Metapher der Papierkopie liegen unterschiedliche Wertungen. Ebeling findet den Begriff Kopie vielfach im Synonym mit der Reproduktionsform der Parthenogenese. Dabei wird suggeriert, die Kopien würden von Kopie zu Kopie schlechter, und es wird die Sorge ausgesprochen, der Genpool dünne aus.710 In den vorliegenden Texten dagegen wird allein die Exaktheit des Kopierens hervorgehoben. Mehrere AutorInnen belegen, die Metaphern Kopie und Klon würden auf ‚Unendlichkeit‘ verweisen.711 Oft muss der ‚unsterbliche Text‘ der Bibel als Parallele für das Kopieren von Genmaterial herhalten, wie Pyper (1998) feststellt: So verwendet Pollack (1994) in Signs of life sechs englische Versionen des Bibeltextes Johannes 4:5, um das Phänomen der Allele zu demonstrieren und Dawkins weist auf die Fehlübersetzung des hebräischen Wortes ‚junge Frau‘ als ‚Jungfrau‘ in einer Version der Bibel hin, um die möglicherweise extremen Effekte nur kleiner Abweichungen zu verdeutlichen. Ebeling findet sogar bei einem Mediziner die Aussage, „im modernen Sinne stelle Jesus eine Klonierung Gottes dar, die mit dem Klonieren von Menschen eine Fortsetzung erfahren würde.“712 Zusammengefasst wird somit mit der Klonierung als Textkopie Zeit und Vergänglichkeit überwunden. Genetische Übereinstimmung schafft zugleich Liebe: Vermeintliches genetisch Identischsein und positiver Bezug zu einander werden durch ‚wie eins sein‘ als kausale Bedingungen gefasst: „Ein Kind und seine Mutter, die zugleich identische Zwillinge sind, werden auf eine ganz neuartige Weise ein Herz und eine Seele sein“713, der Klon sei ein „Kind von eigenem Fleisch und Blut“714. Es wird so die ‚Natürlichkeit‘ des Klonvorgangs und seines Produkts durch die Metapher ‚Klon als Zwilling‘ hervorgehoben. Dabei kann sowohl die Perfektion der identischen Abbildung hervorgehoben werden als auch die Sorge vor eben solcher Ähnlichkeit beschwichtigt werden. So heißt es bei706 707 708 709 710 711 712

Rosenthal 2001: 93. Antinori 2001: 208. Ebeling 2002: 269, s.a. 199. Dawkins 1982: 83f. Ebeling 2002: 269. Keller 1998, Ebeling 2002, Pyper 1998. Ebeling (2002: 247) zitiert Detlef Linke 1997: Am Anfang stand der Klon. http://www.heise.de/tp/deutsch/special/klon/2112/2.html. 713 Green 1999: 65. 714 Green 1999: 64. 198

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spielsweise, ein „identischer Zwilling kommt zeitversetzt zur Welt“715, oder „selbst eineiige Zwillinge (natürliche menschliche Klone) unterscheiden sich bis zu einem gewissen Grad in ihren körperlichen und geistigen Eigenschaften“716. Die ‚Natürlichkeit‘ des Klons und die Verwischung der Grenzen zwischen Klon und Nicht-Klon wird unter anderem durch ein Antinori-Zitat deutlich, in dem er die den Seinen ähnlichen Berufswege seiner Tochter darstellt: „fast als wäre sie ein Klon von mir“717, wobei die Möglichkeit des genetischen Kopierens von Verhalten impliziert wird.

Die Erbschaft Etwa halb so frequent wie die Metaphern aus dem Umfeld allein des Gens ist das Bildfeld der Erbschaft für DNA in den analysierten Texten vertreten. So geht es ein gutes Dutzend mal um das „Erbgut“718, vielfach „Erbkrankheit“719, das „Erbmolekül“720 sowie auch „Erbschäden“721, „Erbmasse“722 oder zu im Labor zu verderben drohende „Erbsubstanz“723. Es gibt in diesem Feld „Personen mit erwünschtem Erbgut“724, denn mit Erbgut kann man „ausgestattet“725 sein, und dann ist es gut, wenn es „hoch qualifiziertes Erbgut“726 ist, das eine „Garantie für Gesundheit, Glück und Erfolg“ enthält,727 welches Eltern ihren Kindern werden „aufbessern“728 wollen. Das Erbgut wird selten als Text konzipiert, wenn von den „Buchstaben des Erbgutes“729 die Rede ist oder es enthält „Schreibfehler“730, aber vor allem ist es eine Art Gefäß, das Eltern weitergeben, in das die „Eingriffsmöglichkeiten […] nahezu grenzenlos“731

715 716 717 718 719 720 721 722 723 724 725 726 727

728 729 730 731

Silver 1998b: 143. Green 1999: 63. Antinori 2001: 208. Green 1999: 62, Green 2002: 24, Hamer 2002: 26, Hughes 2000, Silver 2000: 146 etc. Z.B. Diedrich 2003: 42, Green 1999: 64; Green 2002: 23; Hughes 2000. Rosenthal 2001: 84. Green 2002: 24. Stock 1998b. „Die Zellen müssen wenige Tage nach ihrer Entnahme geklont werden, sonst verdirbt ihre Erbsubstanz“ (Wilmut 1997: 220). Green 2002: 24. Silver 2000: 147. Ebd. „[…] ein einziger Weltstaat, in dem jedes Kind von Geburt an mit dem gleichen hoch qualifizierten Erbgut ausgestattet ist, mit derselben Garantie für Gesundheit, Glück und Erfolg“ (Silver 2000: 147). Stock 2000c: 124. Hughes 2000. Hughes 2000. Silver 2000: 147. 199

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sind und worin „Abschnitte des menschlichen Erbguts dingfest gemacht“732 werden können. Besonders wenn es um das Verhältnis der Eltern zu den Kindern geht, erscheint das Erbe als geeignetes Bildfeld, als ein von den Eltern an die Kinder übergebener Reichtum, der über deren zukünftige Position in der Gesellschaft, ihr Schicksal entscheidet. Denn es gäbe das Risiko, „dass ein Kind zufällig die defekten Gene beider Elternteile erbt“733 und es dann auch selbst „für die Krankheitsgene wieder mischerbig“734 sein werde. Das individuelle „Erbe“ verknüpft Ontogenese und Phylogenese deutlich in dem Zitat:“Was aber gewiss eine Steigerung erfahren könnte, ist die Aufspaltung unseres Evolutionserbes: die Trennung der funktionellen Verschränkung von Sexualität und Reproduktion.“735 Das Konzept der menschlichen DNA als einer vorteilhaften oder weniger vorteilhaften ‚Mitgift‘ der Eltern im Sinne einer Kapitalanlage (wie es die Erbschaft darstellt) wird auch deutlich durch die Metapher der DNA als ‚Anlagen‘ die man ‚vergeuden‘ kann, so wie man ein wirtschaftliches Kapital verspielen oder ‚versaufen‘ kann. Entsprechend heißt es an anderer Stelle, dass zu befürchten sei, dass „[d]ie Gesellschaft sich aufspalte […] in genetisch Privilegierte und genetische Habenichtse.“736 Auch die „Ausstattung“ gehört in dieses Feld: auf sie können nämlich die Eltern der Kinder Einfluss nehmen737 und sie kann für die Kinder „vorteilhaft“ ausfallen.738 Die Einführung von Erbschaft als Begriff in der Biologie wird von HansJörg Rheinberger und Steffan Müller-Wille in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeordnet. Sie unterstützen damit den Beleg von López-Beltrán, dass die adjektivische Verwendung bereits lange üblich und bis in die Antike zurückverfolgt werden kann für erbliche Krankheiten. Der Begriff der Vererbung in der Biologie oder Medizin fände sich jedoch nicht vor 1830, sei zunächst von französischen Physiologen verwendet worden und breitete sich dann in den englischsprachigen Raum aus.739 Nach Ansicht von Rheinberger und Müller-Wille ist das späte Auftreten der Erbschaftsmetapher einerseits im Zusammenhang mit der Transformation der Wissenschaften um 1800 zu sehen und anderseits mit einem Vorgang verbunden, der auf die Dialektik des Lokal-globalen hinweist, die im folgenden Abschnitt eine zentrale Rolle einnehmen wird:

732 733 734 735 736 737 738 739 200

Hamer 2002: 26. Green 1999: 64. Ebd. Reich 2000: 204. Silver 1998b: 144. Reich 2000: 206, Silver 1998b: 144, Solter 2002: 23. Silver 2000: 146. López-Beltrán 2003.

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„It seems, rather, that the emergence of heredity occurred within an epistemic space that unfolded while people, objects, and their relationships were set into motion. This means that it was a condition for distinguishing between inherited and environmentally induced traits in organisms, for example, that organisms were actually removed from their natural and (agri-)cultural habitats.“ (Rheinberger/Müller-Wille 2003: 4)

Mit der einsetzenden Industrialisierung wurden demnach Menschen „mobilisiert“ und lokale Differenzen in der Migration erkennbar.740 Besonders deutlich werde dies von Kant unter Verwendung der Begriffe ‚anerben‘, ‚ererben‘, ‚vererben‘, ‚forterben‘ ausgeführt. So gäbe es zwischen Organismen und ihren ‚natürlichen Plätzen‘ eine Verbindung, indem die Umgebung ihnen ihren Charakter aufpräge. „It is only when this tie is dissolved to open up a variety of correlations between forms, places, and modes of transmission, that a need arises for a complex metaphor like heredity.“741 Mit einem weiteren Hinweis von Rheinberger und Müller-Wille lässt sich zudem ‚vererbbare Krankheit‘ und Armut (vgl. oben der Begriff ‚genetische Habenichtse‘) verbinden:742 Indem Zweckheiraten zur Landvermehrung noch um 1800 üblich waren, erscheint Landlosigkeit als ‚erbliche‘ Krankheit. Auf diese Weise wird das Bildfeld der Familienökonomie mit der Genetik gekoppelt. Begriffe der ‚genetischen Armut‘ für die geringe Diversität eines ‚Genpools‘ wie überhaupt ökonomische Metaphern bilden den durchgängigen Hintergrund für die Evolutionsbiologie.743 Die Verbindungen der Text- und Buchmetaphern mit jenen der Erbschaft ergeben einen metaphorischen Gesamtkontext, der auf die Verbindung der Zeitachse (der Tradierung im Text) mit den Geographien des Raums verweisen, wie sie folgenden Abschnitt behandelt wird.

3.4.4 Metaphern an der Schwelle zu einer neuen Zeit In diesem Abschnitt werden Metaphern besprochen, die über mehrere Beiträge verstreut bestimmte Bildfelder abstecken (wie zum Teil die bisher besprochenen Metaphern auch), die aber zusätzlich für den vorliegenden Texttypus und die historische Situation der Reproduktionsgenetik spezifisch zu sein scheinen, wie der Vergleich mit der Sekundärliteratur nahe legt. Wie bereits oben angeführt, lassen sich trotz der vielfachen Bezüge auf die ‚Befreiung‘ der Frau kaum Metaphern zu Sex/Gender oder Geschlechterkampf finden, was sich zum Teil mit dem romantisierenden Grundtenor der 740 741 742 743

Rheinberger/Müller-Wille 2003: 4-5. Rheinberger/Müller-Wille 2003: 5. Rheinberger/Müller-Wille 2003: 5-6. Vgl. Ebeling 2002: 163, 203, 213, 242. 201

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Liebesermöglichung durch Neue Reproduktions- und Gentechnologien erklären lässt. Dagegen aber lassen sich fast alle übrigen konventionellen Metaphern auf einer Raum/Zeit- oder Zeit/Raum-Achse anordnen, wie in Abbildung 8 dargestellt. Diese Achse wird einerseits begrenzt von Metaphern des Unkontrollierbaren und Gefährlichen (in der Abbildung mit zwei Metaphernbeispielen links744) und andererseits von handlungspraktischem ‚Im-Griff‘Haben (in der Abbildung rechts745). Der Übergang in die Entscheidungsphase, ob Neue Gen- und Reproduktionstechnologien verkoppelt werden, also z.B., ob PID oder Gentherapie als Standard oder auch Klonierung bei der Reproduktion angewendet werden soll, wird als eine ungewisse, aber viel versprechende Reise, eine Weggabelung mit Aussichten etc. beschrieben (Beispiele in der Abbildung mittig746). Genomwürfeln, Lotteriespiel – Zufälligkeit der Natur Aussichten – Weggabelung der Evolution Eingriff – Genetische Ausstattung kontrollieren Abbildung 8: Konventionelle Metaphern im Untersuchungsmaterial angeordnet auf einer Raum-Zeit- oder Zeit-Raum-Achse (‚Natur‘ ohne Eingriff/ Willkür der Natur): Punkt der Entscheidung über menschlichen Eingriff: Menschlicher Eingriff und Kontrolle über die genetische Ausstattung). Dabei ist immer wieder die Rede in Metaphern der „Wende“747, z.B. als „Übergang“748 (in eine andere Welt) bis hin zur „Revolution“749. Dabei geben die verwendeten Metaphern Einsicht in eine technik-euphorische Utopie, die einen dem Übergang zur historischen Neuzeit ähnelnden Aufbruch in eine 744 „Genomwürfeln“: Reich 2000: 206; „Lotteriespiel“: Ebd.; „Zufälligkeit der Natur“: Silver 2000: 147. 745 „Eingriff“: Hamer 2002: 26; Silver 2000: 146, 147; Stock 1998; Stock 2000a: 190, 192 etc. „Genetische Ausstattung kontrollieren“: Silver 1998b: 144. 746 „Aussichten“: Silver 2000: 146, Green 1999: 65. „Weggabelung“: Stock 2000a: 190. 747 „Wendepunkt“: Silver 1998b: 144. 748 Reich 2000: 206. 749 Stock 2000c: 125, Reich 2000: 204. 202

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neue Welt suggerieren. Neue reproduktionsgenetische Wissenschaft wird als ein Weg in diese neue Welt beschrieben, für den es sich zu entscheiden gilt. Die metaphorische Nähe zu Utopien am Übergang der Neuzeit, inspiriert unter anderem durch koloniale Entdeckungen, insbesondere Francis Bacons Nova Atlantis ist eindrücklich und wird unter ‚Raum‘ weiter unten ausgeführt. Auch die Janusgesichtigkeit dieses Vorgangs der Unterwerfung von Natur und zugleich Entfremdung wird oft angesprochen, aber zugleich beschwichtigt: So gibt es mehrfach z.B. das „Gespenst der Eugenik“750 (das glanzvolle Aussichten verdüstert751), oder „Horror Szenarien“752 aber all das ist nur ein „Signal“753 (s.w.u.), dass die „Revolution in der Genomforschung und Medizin die intimsten Aspekte unseres Lebens transformiert“754. Hier wird eine Art zweite Aufklärung ausgemacht, auf Natur scheint man sich einen endgültigen Zu-Griff zu erhoffen.755 Die Ambivalenz wird austariert, einerseits das ewig Währende und nie endende Vorteile zu versprechen und zugleich die entsprechenden Ängste einzudämmen. Die Raum/Zeit-Metaphorik wird im Folgenden ähnlich der obigen Abbildung eingeteilt in Metaphern der Unkontrollierbarkeit wie Schicksal, gefolgt von Raum, Raum/Zeit-Überschneidungen (Grenzen und Beschränkungen), Bewegung im Raum, und eindeutige Metaphern in Bezug auf Zeit. Handwerkliche Metaphern und solche der Bewältigung von Raum und Zeit fallen unter ‚Investieren in Zeit: Willkür begrenzen‘ und ‚Heimwerker-Metaphern: Zukunft im Griff‘. Metaphern, die Hinweise auf Ängste vor potentiellen Gefahren enthalten, finden sich unter ‚Aufklärungsfeindlichkeit: Bezwingung der Natur und Entfremdung‘.

Unkontrollierbarkeit (Schicksal) In den meisten Fällen beziehen sich Metaphern der Unkontrollierbarkeit in den untersuchten Texten auf biologische Umstände. So wird es etwa als „Albtraum“756 bezeichnet, ein todkrankes Kind zu haben, Verliebtheit oder sexuelle Regungen zeigen sich als „Nervengewitter“757 und es wird bemängelt, man könne nicht „kontrollieren, was beim Wachstum geschieht.“758 Willkür bei der DIY-Zeugung wird bildlich in „ungeplante Aufeinandertreffen von Spermium und Ei“759, „durch Genomwürfeln bewerkstelligte Zeugung“760, „Lotterie750 751 752 753 754 755 756 757 758 759

Stock 2000a: 192. Green 1999: 64. Djerassi 1999: 51, Green 1999: 63, Silver 1998b: 145: „Horror-Szenario“. Stock 2000c: 125. Ebd. Schneider 2003. Hughes 2000. Reich 2000: 204. Wilmut 1997: 220. Stock 2000a: 192. 203

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spiel“761 und „Genomwürfeln“762 ausgedrückt, bei der man der „Zufälligkeit der Natur“763 bzw. der „würfelspielende[n] Natur“764 unterworfen sei.765 Generell finden sich in den untersuchten Diskurssträngen Verweise auf das Schicksal im Zusammenhang mit fatalisierenden Bemerkungen oder gendeterministischen Szenarien, die bedeuten, dass Gene sich im Phänotyp auf unausweichliche und ganz bestimmte Weise umsetzen. In diesen Metaphern dagegen ist unklar, welches Ergebnis sich zeigen wird, nur, dass es nicht wünschenswert sei. Dem entsprechen die Befreiung von (eigener) Natur-Szenarien. Dies sei der Zustand, gegen den eine Lösung zu finden sei, so heißt es auch bei Dawkins: „We are built as gene machines [...] but we have the power to turn against our creators. We, alone on earth, can rebel against the tyranny of the selfish replicators.“766

Raum In dem untersuchten Material handelt der Bezug zu Raum weniger vom flächigen oder gefäßhaften Charakter von Raum, sondern weit häufiger von zeitlichen Räumen. Raum als Gefäß stellt vor allem zu hebende Schätze dar und flächiger Raum steht vorwiegend mit auszuschöpfenden Möglichkeiten in Zusammenhang. Als Metapher eines Raumes gigantischen Ausmaßes, der allumfassend aber auch unübersichtlich sein kann, dient die Welt. So steuerten Hormone oder Gene die „Gefühls- und Geisteswelt“767 und da, wo auf den Menschen als molekülgesteuertes Tier Bezug genommen wird, gibt es „Menschengewimmel auf den Boulevards der Welt“768. Eine sowohl zeitliche als auch räumliche Fläche enthält die Metapher „trat […] auf den Plan“769, die den Moment der Entwicklung bestimmter Reproduktionstechnologien als schicksalhaftes oder im ‚Schauspielplan vorgesehenes Auftreten‘ beschreibt.

760 761 762 763 764 765

766 767 768 769 204

Reich 2000: 206. Ebd. Ebd. Silver 2000: 147. Djerassi 1999a: 51. Ausserhalb des Bezuges auf Naturwillkür findet sich lediglich die Wendung „Medizinische Unfälle passieren“ (Hervorhebung B.v.W.) in Bezug auf die fehlgeschlagene Gentherapie an Jesse Gelsinger und andererseits „schlafende Hunde wecken“ in Bezug auf Gesellschaft. Dabei geht es um die Idee, rechtliche Regelungen in einer Situation rechtlicher Deregulierung von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien anbringen zu wollen. Dawkins 1989: 200f. Stock 2000c: 125. Reich 2000: 204. Djerassi 1999a: 50.

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Die DNA erhält einen gefäßartigen Charakter in der weit gebräuchlichen Metapher des Genpools, während eine andere Wendung, jene für Introns770 als „die freien Plätze des Chromosoms“771, die in dem entsprechenden Kontext gentherapeutisch durch wünschenswerte Gene ersetzt werden sollen, suggeriert, es gäbe funktionslose Leerstellen in der DNA, die wie leere Straßenbahnsitze auf eine sinnvolle Besetzung warteten.772 Fläche als Metapher wird in den untersuchten Texten vor allem verwendet, wenn es um die Verstärkung des Einsatzes der besprochenen Technologien geht, wie „Technik wird breitflächiger eingesetzt“773, das Aussuchen von Genen würde zu einem „breiten Einsatz“774 von Gentechnologie führen, oder umgekehrt, werde „Klonen keine weit verbreitete“775 Technologie werden. In Anlehnung an die Erschließung viel versprechender Ressourcen im Bergbau heißt es über pharmakogenetische Entwicklungen, es „stießen die Wissenschaftler auf eine Goldader“776. Nachdem Gold primär in Kolonien gehoben wurde, ist diese Darstellung genetischer ‚Entdeckungen‘ in einem Bildfeld mit der „Pioniertat“777 und dem „Pionier-Volk“778 (s.u.) zu sehen. Die InWert-Setzung genetischer Möglichkeiten wird entsprechend in der Metapher der „Ausbeutung des menschlichen Genoms“779 gefasst. Ebenfalls in die ‚Tiefe‘ weist der Satz „in den nächsten paar Jahrtausenden wird unsere Biologie tief greifend durch die technologischen Prozesse verwandelt werden.“780 Einer ganz anderen Logik als der der Ausbeutung von Naturressourcen folgt die serviceorientierte Vorstellung von der Wahl von Fortpflanzungsarten im Sinne eines „Reproduktionsrestaurant[s]“781, einem Raum also, in dem man bedient wird und eine Arbeit, die ebenso lästig wie genussvoll sein kann, nämlich das Kochen, an andere delegiert. In der Metapher ‚Weg im Raum‘, der eine zu wählende Möglichkeit beschreibt, die an eine andere Stelle, zu einer neuen ‚Situation‘ führt, ist einerseits in der Nähe zu dem Bildfeld der Bewegung im Raum (s.u.) zu sehen und 770 DNA-Abschnitte, die vermeintlich keine Proteine codieren und deren Funktion bisher als unklar anzusehen ist. 771 Stock 1998. 772 Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand zu Introns ist unklar, welche Bedeutung sie molekularbiologisch haben, d.h. es ist nicht ausgeschlossen, dass sie eine unerlässliche genetische Rolle spielen. 773 Djerassi 2000b: 211. 774 Stock 2000a: 192. 775 Stock 2000c: 125. 776 Hamer 2002: 26. 777 Green 1999: 62. 778 Silver 1998b: 145. 779 Rosenthal 2001: 85. 780 Stock 2000c: 125. 781 Baker 1999: 163. 205

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andererseits zum Zurücklegen von Zeit im Sinne eines zurückzulegenden Weges (s.u.). So heißt es über das bereits bestehende Wissen über Gentechnologien, „es gibt keinen Weg, den Geist wieder in die Flasche“782 zu befördern und zur Möglichkeit der Initiation der Klonierung „Wir brauchen einen anderen Weg, die mit den Fremdgenen verschmolzene Eizelle zur Teilung zu aktivieren“783; wie der Gebrauch der Wendungen „auf anderem Wege“784, „auf diesem Wege“785, „auf natürlichem Weg“786, „Umweg“787, erscheint die Verwendung von ‚Weg‘ als ‚Möglichkeit‘ als eine sehr gebräuchliche Metapher. Im Gegensatz dazu und in Zusammenhang mit der weiter oben angeführten „Goldader“ ist die Bewegung im Zeit-Raum auffallend häufig angeführt. Hierzu gehört der ‚Zukunftsweg‘ wie „Lebensweg“788 oder „Lebenslauf“789, „ein kleiner Schritt“790. Besonders unwiederbringliche Entscheidungsmöglichkeiten suggerieren die Metaphern „wir sind an der Weggabelung der Evolution“791, „Weg in die Zukunft“792, „in unbekannte Gewässer begeben“793, „diese Reise durchmessen“794; „unerreichbares Ziel“795. Die Assoziation mit Pionieren, die als Erste fremde Wege beschreiten und unbekannte, wilde Natur urbar machen, scheint dabei nahe zu liegen. So werden US-AmerikanerInnen als ein „Pionier-Volk“796 in Hinsicht auf die Anwendung von Klonierung und anderen Neue Reproduktions- und Gentechnologien bezeichnet, andererseits wird davor gewarnt, dass, sofern nicht Klonierung legalisiert würde, diese „fragwürdige Pioniertat“797 jenseits öffentlicher Kontrolle ohnehin stattfinden würde. Bereits in Zusammenhang mit den Diskurssträngen wurde angedeutet, dass sich Freiheitsdiskurse in den vorliegenden Szenarien abzeichnen, die sich unterschiedlichen historischen Situationen zuordnen lassen. Auf den Kontrast zwischen Anspielungen auf den Kantischen Aufklärungsbegriff, enthalten in Szenarien, die auf Pflichten und Verantwortung hinweisen und eher vorneuzeitlichen Vorstellungen vom mündigen Menschen, der sich durch empirische Naturerkenntnis von der (seiner eigenen) Natur emanzipiert (statt wie bei 782 783 784 785 786 787 788 789 790 791 792 793 794 795 796 797 206

Stock 2000a: 192. Wilmut 1997: 220. Green 1999: 64. Green 2002: 24. Djerassi 2000b: 211. Djerassi 1999a: 50. Silver 2000: 147. Hamer 2002: 24. Silver 2000: 146. Stock 2000a: 190. Silver 1998b: 145. Stock 2000a: 191. Reich 2000: 206. Green 1999: 64. Silver 1998b: 145. Green 1999: 62.

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Kant von politisch-sozialer Unfreiheit vermittels politischer Freiheit in Gesellschaft) wurde bereits in Kapitel 3.2 hingewiesen. Häufig wurde in der frühen Neuzeit das Projekt der Wissenschaft, die Befreiung durch Vernunft als Weg im Raum beschrieben. „Die Vernunft ist der Schritt, die Mehrung der Wissenschaft der Weg und die Wohlfahrt der Menschheit das Ziel“798 findet man bei Hobbes. Descartes beschreibt Kollegen, die seiner Ansicht nach nicht mit der richtigen Methodik arbeiten, als „Wanderer, welche die Hauptstrasse verlassen haben, um den Weg querfeldein abzukürzen, und verirrt zwischen Dornen und Abgründen stecken bleiben.“799 Besonders bei einem naturwissenschaftlich engagierten Politiker des beginnenden 17. Jahrhunderts, Francis Bacon, vereinigen sich technische Utopie und Euphorie angesichts der Projekte der Kolonialisierung einerseits und der wissenschaftlichen und politischen Neuerung andererseits. Bacon wird in manchen philosophiegeschichtlichen Ausführungen als Markstein des Beginns der Neuzeit gesetzt, insbesondere als Initiator der induktiven, empirischen Methode.800 Gerade allerdings Aspekte, die seine utopischen Werke mit der eben beschriebenen Metaphernwelt vergleichbar machen, veranlassen andere Autoren, so Störig in der Weltgeschichte der Philosophie801 und Helferich in der Geschichte der Philosophie802 dazu, ihn der Renaissance zuzuordnen. Idealerweise wird die Neuzeit als geprägt von einer reflexiven Geisteshaltung vorgestellt, so dass Mündigkeit als mit Verantwortung verbundenes Konzept zu sehen sei. In Hinsicht auf naturwissenschaftliche Projekte ist der Unterschied zur Einstellung Bacons im erkenntnistheoretischen Ansatz zu sehen: Auch Natur wäre gerade durch ihre physisch-empirische Erfahrbarkeit nur in den Grenzen der Wahrnehmung und Reflexion – und damit kaum ‚wirklich‘ – erkennbar (so etwa im englischen Empirismus bei Locke oder Hume)803 bzw. reflektierender Verstand und Natur würden als nicht zu trennen (so etwa bei Spinoza)804 verstanden. Statt dessen ist für Bacon das ‚richtige‘ Erkennen wie ein Spiegel der Welt möglich, wenn sich der Mensch nur des falschen Bewusstseins, nämlich der Vorurteile (idola) entledige.805 „In 798 Hobbes 1984: 37. 799 Descartes 1989: 29. 800 Tarnas 2001. Stattdessen schafft ihm Tarnas gemeinsam mit Descartes die Kategorie der „Philosophischen Revolution“ (Tarnas 2001: 342) und scheidet erst anschließend, überleitend zur Moderne, zwischen vormodernem „religiösem Eifer“ mit dem der „antike griechische Geist“ zur rationalen Erkenntnis leiten sollte und einer modernen, säkularen Welt (Tarnas 2001: 375ff.). 801 Störig 1997: 302ff. 802 Helferich 2001: 153ff. 803 Locke 1979; Hume 2000. 804 Spinoza 1986. 805 Bacon 2000. Wenn Natur nicht erkennbar sei, so sei dies bedingt durch „the way which is now in use. They [Autoren, die von der Nicht-Erkennbarkeit von Natur ausgingen] thereupon proceed to destroy the authority of sense and intel207

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dieser Ausführlichkeit, auch in dieser Leidenschaftlichkeit ist das falsche Bewusstsein in der bürgerlichen Philosophie kaum mehr verfolgt worden“.806 Eine ähnliche Verfehmung von dem Willen zu Erkenntnis und Bearbeitung der Natur (durch Genetik und Gentechnologie) in Opposition stehenden ‚irrationalen‘ Befürchtungen zeigen die Metaphern im Abschnitt weiter unten „Bezwingung der Natur und Entfremdung“. Parallelen zwischen den bereits beschriebenen Darstellungen der Erkennbarkeit des Wesens des Menschen (und vom individuellen Menschen, vgl. Kapitel 3.2.3) und seiner vermeintlich baldigen Befreiung von natürlicher Willkür allein durch Genetik und Gentechnologie (vgl. Kapitel 3.2.2) mit Bacons Ankündigung und Propagierung eines neuen naturwissenschaftlichen Zeitalters liegen zusätzlich vor allem in der Metapher der Reise oder des Weges für wissenschaftliche Erkenntnis. Wie auch andere utopische Autoren seiner Zeit – angeregt durch Columbus Entdeckungen in der ‚Neuen Welt‘ – galt es, auch die ‚geistige Welt‘ zu entdecken. Dadurch würde Naturwissenschaft dem Menschen in gleicher Weise materielle Erlösung bringen, wie am Ende der Zeit das Reich Gottes.807 Das Titelblatt der ersten Ausgabe der Darlegung Bacons dieser neuen Wissenschaft, das Novum Organum von 1620, wird von einem Schiff, dass durch die Säulen Herkules (Gibraltar) fährt, symbolhaft geschmückt.808 Mag der Weg in diese neue geistige Welt demnach auch beschwerlich und isolierend sein, verspricht die Reise doch schließlich die Entdeckung eines Reiches paradiesisch demokratischer Zustände, da diese Welt von Wissenschaftlern unter unverblendetem Verstand regiert wird.809 Nova Atlantis handelt von einer solchen idealen Gesellschaft. Sie lebt auf einer abgeschiedenen, vor Amerika liegenden Insel, die von einem Ich-Erzähler mit einer Gruppe von Männern aus Europa auf einem Schiff erreicht wird. Die Reise dorthin war beschwerlich und von ungünstigen Winden geprägt, doch sie werden nach anfänglichem Zögern willkommen geheißen, verpflegt und in die örtlichen Gepflogenheiten eingeführt. Die dortigen EinwohnerInnen nennen ihren demokratischen Inselstaat Bensalem. Regiert wird das christliche Bensalem von Naturwissenschaftlern (der Society of Salomon’s House).810 Durch die naturwissenschaftlichen Neuerungen der Society of Saloman’s House ist für physische Unversehrtheit aller auf der Insel Nova Atlantis (Bensalem) gesorgt: Es gibt diverseste Nahrungsmittel in unendlicher Fülle, die Society erforscht und produziert heilsame Früchte und Mittel, züchtet nicht nur, sondern erzeugt sogar bisher unbe-

806 807 808 809 810 208

lect; but we devise and provide assistance to them“ (Bacon 2000: XXXVIII, 40). Bloch 1977: 254. Tarnas 2001: 242. Helferich 2001: 152. Bacon 1993: 111, 118. Bacon 1993: Ebd.

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kannte Tiere und vor allem lebensverlängernde Präparate.811 Innerhalb der Allegorie Nova Atlantis enthalten ist eine weitere, kürzere Allegorie, die Entdeckung der Bibel einerseits als Anleitung für den Weg zum Wissen und andererseits als Resultat der Suche nach Wissen: In der Gründungsgeschichte von Bensalem (Nova Atlantis) heißt es, das Inselvolk habe des Nachts ein leuchtendes Kreuz auf dem Meer gesehen und sei dorthin hinausgerudert. Während alle anderen Boote sich dem Kreuz nicht weiter nähern konnten, konnte der Weise der Insel frei werden (‚unbound‘)812, nachdem er ein Gebet über die Ziele Gottes in den Gesetzen der Natur gesprochen hatte. Am Kreuz angelangt verwandelte sich dieses in eine Kiste, die das Alte und Neue Testament enthielt, sowie einen Brief von Apostel Bartholomäus darüber, dass er dieses Werk den Fluten anvertraut habe.813 Wie in dieser Allegorie legen auch die weiter oben vorgestellten Szenarien nahe, die Natur selbst (auch in Form der Evolution) gäbe uns die Mittel und damit auch den Auftrag, die Evolution selbst in die Hand zu nehmen (vgl. Kapitel 3.2.3 Natur macht Technik-Szenario). Bei Bacon ist naturwissenschaftliches Forschen der Weg zur Gotterkenntnis. Dies entspricht seinem deistischen Hintergrund, nach dem Gott zwar einmal die Welt geschaffen hat, anschließend jedoch keine Eingriffe mehr tätigt und so auch den Menschen sich selbst überlässt.814 Gott und Natur werden in diesem Konzept äquivalent gesetzt. Die Naturerkenntnis und das ‚Besiegen‘ ihrer selbst durch das Befolgen ihrer Gesetze, um das menschliche Wohlergehen zu befördern, ist demnach die Fortführung Gottes Werks, angelegt in den Gesetzen der Natur.815 Indem Gott lediglich als Anstoßgeber in diesem Konzept enthalten ist und sich des Weiteren nur in Natur suchen lässt, ermöglicht es den nächsten Schritt, dieses Konzept fortzuführen in evolutionärer Biologie, ohne dabei auf einen Gott zu verweisen.816 Natur steht dann für sich selbst und als Entität, die sowohl den Menschen hervorbringt, als auch von ihm die Erkenntnis und Fortschreibung ihrer selbst zu seinem Wohle verlangt. Ein ähnliches Bild der

811 Bacon 1993: 129-131. 812 Bacon 1993: 112. 813 Ebd. Der Autor des „The selfish gene“, Richard Dawkins, spricht in einem anderen Band von dem vererbten Genmaterial als einer „Familien-Bibel“ (Dawkins 1995: 39). 814 Tarnas 2001, 342. 815 Helferich 2001: 155. 816 Auf die Wandlung des Konzeptes eines Gottes von einem der Natur äußeren Gott als eines allkundigen ‚Leviathan‘ in der Frühgeschichte der Naturphilosophie bis hin zu einer zwischen und schließlich innerhalb der Moleküle wirkende Kraft in der Molekularbiologie entsprechend dem zum ‚Laplaceschen‘ und ‚Maxwellschen Dämon‘ wies Evelyn Fox Keller in Das Leben neu denken hin (Keller 1998: 65-104). 209

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religiösen Verweise vermitteln die Buch- und Text-Metaphern in Kapitel 3.4.3.

Raum/Zeit (Grenzen/Beschränkung) Auch auffällig oft dargestellte Hindernisse gentechnologischer Möglichkeiten werden mit räumlichen Metaphern – und zwar vor allem im Sinne von ‚Grenzen‘ oder ‚Schranken‘ – ausgedrückt bzw. ihre ‚Durchschreitung‘ durch darin findbare Öffnungen. So müsse darauf geachtet werden, das „Recht auf Nachwuchs nicht zu überschreiten“817, denn es würden „Begrenzungen von der Gesellschaft festgelegt“818 und „glanzvolle Aussichten“819 würden durch „das Gespenst der Eugenik verdüstert“820, doch, so heißt es, „Einschränkungen […] zielen bestimmt daneben“821 und es seien die „Eingriffsmöglichkeiten ins Erbgut […] grenzenlos“822, öffneten eine „Tür zu neuem Wissenschaftszweig“823 und ließen „genetische Durchbrüche“824 erwarten. Dabei werde ein „Wendepunkt markiert“825, ein „Übergang“826 in eine neue Zeit, der „Graben“827 schaffen werde „zwischen Generationen, die aufeinander folgen“828 bzw. zwischen „arm und reich“829, also eine „Spaltung der Menschheit“830. Gegen Gentechnologie vorgebrachte „Dammbruch-Argumente“831 seien „schwer abzuwägen“832. So wird nicht nur „die Gesellschaft“833 als Grenzen ziehend angesehen, sondern die ‚Natur‘ selbst, und so handeln Gentechnologien davon, „den normalen Gang der Natur zu durchbrechen“834; dafür müssten „Probleme beim Klonen […] ausgeräumt werden“835. Lange Zeit, so heißt es, blieb die „genetische Information der Zelle selbst […] verschlossen“836,

817 818 819 820 821 822 823 824 825 826 827 828 829 830 831 832 833 834 835

Silver 1998b: 142. Stock 1998. Green 1999: 65. Ebd. Stock 2000c: 125. Silver 2000: 147. Rosenthal 2001: 84. Rosenthal 2001: 85. Silver 1998b: 144. Reich 2000: 206. Stock 1998. Ebd. Ebd. Silver 1998b: 145. Green 2002: 21. Ebd. Hughes 2000, Stock 1998b. Hughes 2000. Green 1999: 62. Dolly war nur einer von 29 Versuchen, wobei die restlichen nicht geglückt waren, bzw. die Tiere früh verstarben. 836 Rosenthal 2001: 84. 210

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doch nun sei das „Genom entschlüsselt“837 und es seien bestimmte „Abschnitte des menschlichen Erbguts dingfest gemacht“838. Auch wenn ohne spezielle Behandlung der weibliche Körper für Neue Reproduktions- und Gentechnologien nicht genügend Eizellen produzierte, sei auch „dieses Hindernis […] überwindlich.“839 Auch die Überwindung von Raum bedeutet eine Bewältigung von Hindernis und diese wird vielfach mit Metaphern des (Fracht-)verkehrs dargestellt. Eine bereits notwendige Metapher ist die der „Boten-RNA“840, die in den untersuchten Texten ebenfalls Verwendung findet. Ähnlich gängig ist der Begriff der „sexuell übertragbar[en]“841 Krankheiten, die „Empfängnis“842, „Kinder […] empfangen“843, „Geschlechtsverkehr“844, „Transfer“845 des Embryos und „Fortschritt“846. Eher eine Besonderheit der vorliegenden Texte sind der Begriff der „Lieferung von Spermien“847 durch Männer, was in durch Carl Djerassi an Frauen gerichteten Texten die untergeordnete Rolle unterstreicht, die er darin Männern in der reproduktiven Zukunft im Verhältnis zu Frauen zuschreibt, und „Gen-Taxis“848, mit der Vektoren (spezielle Viren) gemeint sind, mit deren Hilfe Gentherapie vorgenommen wird. Dabei wird die Vorstellung geweckt, diese Vektoren brächten genetisches Material auf dafür vorgesehenen Wegen an einen präzisen, zu Beginn des Vorgangs angezeigten Ort (in der Zelle). Als Metaphern, die die in den analysierten Texten häufigen Bezüge auf zukunftsträchtige Erschließung von Möglichkeiten, die Bewältigung von zeitlicher und räumlicher Distanz zusammenbringen, stehen die Ausdrücke „Aussichten“849 oder „ferne[n] Zukunft“850. Der Satz „Wenn wir 100 oder 1000 Jahre in die Zukunft schauen – in evolutionären Zeiträumen kaum ein Augenblick – werden wir gewiss funktionale Verbindungen mit solchen Vorrichtun-

837 838 839 840 841 842 843 844 845 846 847 848 849 850

Stock 2000c: 123. Hamer 2002: 26. Green 1999: 62. Hamer 2002: 26. Baker 1999: 163. Green 2002: 21. Reich 2000: 206. Djerassi 1999a: 51. Hueghes 2000; Diedrich 2003: 42. Djerassi 1999a: 50, Hughes 2000, Green 1999: 62, Hamer 2002: 26: „Fortschritte“. Djerassi 1999a: 51. Green 1999: 64. Green 1999: 65, Silver 2000: 146. Green 1999: 65.

211

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

gen eingehen“851 zeigt durch die zeitliche ‚Greifbarkeit‘ eben diese Bewältigung an. Auch heißt es „Wir brauchen nicht so weit in die Ferne zu sehen“852. In dem vorliegenden Metaphernfeld verbinden sich die Wissenschaft als Weg im Raum mit der Überwindung vermeintlicher körperlicher Hindernisse. Der Körper wird dabei als Verkehrssystem betrachtet, das entsprechend nach überschaubaren Regeln funktionieren und verständlich sein sollte. Die Verkehrsmetapher wird innerhalb der Evolutionsbiologie auch für verschiedene Fortpflanzungsstrategien verwendet, wenn beispielsweise für Parthenogenese von ‚evolutionärer Sackgasse‘ gesprochen wird.853 Es lässt sich schließen, dass somit der individuelle Körper über ‚Verkehr‘ mit räumlich und zeitlich allgemeingültigen Gesetzen zu einem räumlich-zeitlich universalen Allgemeinkörper wird.

Zeit Mit Metaphern aus dem Bedeutungsfeld der Zeit werden in den analysierten Texten vor allem sowohl gesellschaftlich als auch biographisch (in biologischen Begriffen phylogenetisch und ontologisch) als zu überwindende, unnötig belastende Zeiten angesprochen. So geht es einerseits um den ‚fortschrittlichen‘ Bruch mit einer menschlichen Epoche ohne generelle Anwendungen von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien als Standard, eine „merkwürdige primitive Epoche“854 (in der Menschen nur 70 bis 80 Jahre leben, um schließlich an grauenvollen Krankheiten zu sterben), wonach stattdessen nun „die Menschheit ihre Kindheit hinter sich“855 lasse. Der Übergang in diese ‚bessere‘ Zukunft wird als unterschiedlich nah gesehen: „Wir brauchen nicht so weit in die Ferne zu sehen“856 heißt es einerseits und andererseits, „in 1000 Jahren könnten wir […] mit unseren hyperintelligenten Maschinen verschmelzen“857. Die Idee, dass sich jemand eine Armee aus Klonen erstellen könnte, sei dagegen „mittelalterliches Denken“858. Nachwuchs bekommen „im Jahr 2030“859 würde heißen, durch Klonen „den Zellkern zu reprogrammieren […] – seine Entwicklungsuhr auf den Anfang zurückdrehen“860. Häufige Anwendung findet bezogen auf die Individualentwicklung die Metapher der „biologische[n] Uhr“861 die (weiter) „tickt“862 und auch die Bezeichnung der 851 852 853 854 855 856 857 858 859 860 861 212

Stock 2000c: 125. Stock 2000c: 123. Ebeling 2002: 277. Stock 2000a: 192. Ebd. Stock 2000c: 123. Stock 2000c: 125. Silver 1998b: 143. Stock 2000c: 123. Wilmut 2002: 39. Djerassi 1999a: 50, Hamer 2002: 29.

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fiktiven Firma, die lebensverlängernde Gentherapien anbietet, „Methusalem AG“863 bezieht sich auf die Bewältigung von zeitlicher Begrenzung, ebenso wie die Metapher „Kinder aufschieben“864. Die starken Bezüge zur Unsterblichkeit in der Metapher von Klon und Kopie lassen sich in diesem Abschnitt verbinden mit einer biologisierten evolutionären Zeitvorstellung. Biologische Zeit und historische Zeit werden in den gerade zitierten Metaphern verbunden, wie die beiden Zeiten auch in Dawkins Genkonzept als Gen und Mem (kleinste Einheit in kultureller Evolution) im Genmaterial verschmelzen.865 Nur wenn Zeit genetisch ist, lässt sich die im nächsten Abschnitt dargestellte Vision umsetzen: Zeit materiell in Genen ökonomisch zu (ver)handeln.

Investieren in Zeit: Willkür begrenzen Zwischen drohendem unumkehrbarem Verfall im Zeitablauf und handwerklicher Bewältigung ‚natürlicher Willkür‘ stehen die Bildfelder des Finanzwesens. Sie handeln vom Schaffen von Möglichkeiten, die Gegenwart in die Zukunft zu retten, vom materiellen Transfer über Zeitdistanz, aber auch über räumliche Distanz. Letzterer Aspekt ist besonders beim „Knochenmarkspender“866 und „Zellspender“867 deutlich, während die materielle zeitliche ‚Überlieferung‘ am stärksten in der allgemein gebräuchlichen Metapher des „Erbgut[s]“868 zu erkennen ist. Als eine Art Mitgift verweist die Erbschaftsmetapher darauf, dass eine Generation verpflichtet ist, etwas an die nächste weiter zu geben, wobei es eine Frage des Ansehens der Familie, sowohl der Vererbenden, als auch der Erben ist, wie hoch oder respektabel diese Erbschaft gestaltet ist. Gleiches gilt für das genetische ‚Erbgut‘. In dem Bildfeld des Erbes wird die gesamte Menschheit zu einer Art erbberechtigter Geschwisterschar, wenn durch sozial-ökonomisch ungleichen Zugang zu Neuen Reproduktions- und Gentechnologien die „Aufspaltung unseres Evolutionserbes“869 prophezeit wird. Aus dem Münzwesen entnommen ist die Metapher des Prägens, bei der von einer gemeinsamen Prägevorlage ausgegangen wird, die unumgänglich zu Merkmalen führt, die bei jeweiligen Individuen später aufträten. In selteneren Fällen werden aus „Erfahrung und Umwelt“870 eine

862 863 864 865 866 867 868

Ebd. Ebd. Djerassi 1999a: 51. Dawkins 1989. Hughes 2000. Green 2002: 23. Green 1999: 62, Green 2002: 24, Hamer 2002: 26; Hughes 2000, Silver 2000: 146 etc. 869 Reich 2000: 204. 870 Hamer 2002: 24. 213

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Prägevorlage, die „die Persönlichkeit […] vielfältig prägen“871 würden, meistens dagegen handelt es sich um in der Natur der Person, speziell in der DNA liegende Faktoren, die als Prägevorlage dienen. So heißt es etwa der „Trieb zur Promiskuität ist beim Menschen biologisch betrachtet sehr ausgeprägt“872. Der Prozess der Entscheidung, welche Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien in Gebrauch genommen werden, wird im Sinne der Ökonomie interpretiert als „das klassische Spiel von Angebot und Nachfrage – so tickt Amerika“.873 Ebenso werden die körperlichen ‚Ressourcen‘ unter diesem Bildfeld betrachtet werden, das jenem des (Kolonial-)raums, der zu bergende Naturstoffe enthält, nahe steht. So können Eierstöcke wie Salzstöcke „erschöpft“874 sein. Wenn dagegen das Anlegen von menschlichen Biomaterialien als Ressourcen problematisiert wird, ist die Sprache vom „Ersatzteillager“875, so dass offensichtlich das Finanzwesen weit weniger entmenschlichend, sondern dagegen respektabel scheint, während der Bezug zu Maschinen eine kritische Perspektive impliziert. So wird durchaus das Anlegen von „Spermienbanken“876, bzw. geschlechtsübergreifenden „Reproduktionsbank[en]“877 oder „speziellen Banken“878 für Eizellen, wo man ein „Konto“879 eröffnet, in den vorliegenden Artikeln als sinnvolle ‚Investition‘ in die Zukunft angeregt, denn Menschen würden später „einfach von ihrer Bank ab[heben], was sie brauchen“880. Denn mit „hoch qualifizierte[m] Erbgut ausgestattet“881 sein, bedeute eine sichere „Garantie für Gesundheit, Glück und Erfolg.“882 Doch nicht nur gefüllte Konten, auch Schulden werden in die Zukunft eingebracht, so heißt es, „wir schulden es den kommenden Generationen, die Methoden [der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien] auszuprobieren“883, um technische Sicherheit in der Zukunft zu schaffen. So wird durch eine Ökonomisierung reproduktiven ‚Materials die natürliche Willkür‘ begrenzt. In den Ausführungen zur ökonomischen Metapher der Erbschaft wurde bereits deutlich, dass ihr historischer Hintergrund in einer erhöhten Anforderung an Mobilität zu sehen ist. In Verbindung mit dem Bildfeld ‚Investieren in Zeit‘ lässt sich sagen, dass die durch Mobilität entstandene Verunsicherung durch

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Ebd. Baker 1999: 163. Silver 1998b: 145. Katzorke 2003: 149. Green 1999: 65, Katzorke 2003: 149. Djerassi 2000b: 212. Djerassi 1999: 51; Djerassi 2000b: 211. Baker 1999: 163. Djerassi 2000b: 211. Djerassi 1999a: 51. Silver 2000: 147. Ebd. Stock 2000a: 192.

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eine vermeintlich klare genetische Zeitlinie wieder eingeholt wird. Sicherheit und Stabilität im diachronen ZeitRaum soll die Unsicherheiten im synchronen ZeitRaum ersetzen. Mit dem Metaphernfeld ‚Investieren in Zeit‘ wird eine Lösung für die zuvor konstatierte ‚natürliche Willkür‘ angeboten, die unerwünschte Vererbungen, Begrenztheit und Endlichkeit bedeute. Die zuvor beschriebenen ‚Wissenschaft als Weg‘-Metaphern und speziell Allegorien (zumindest bei Bacon explizit) schließen an die koloniale Raumerschließung der beginnenden Kolonialzeit seit Christopher Columbus‘ Reisen an. Gemeinsam mit der Perspektive der Überwindung von Zeit verhelfs der Gene ergibt sich ein Bild der ‚inneren‘ oder eher ‚molekularen Kolonisation‘ die offenbar mit der räumlichen Expansion im spatial turn884 einhergeht. Dabei vereinigen sich in der Buchmetapher beide Formen ‚ökonomischer Urbarmachung‘: Anderson führt aus, die Einführung des Buches stünde mit der Bildung von Nationen aus Kleinstaaten in enger Beziehung. Es habe die Ausweitung und Bildung größerer Märkte durch Standardisierung bewirkt, indem in einer Volkssprache (statt in Latein) verfasste Bücher zu stärkerer Vereinheitlichung von Sprache führten. Wenn auch unter imperialistischem Vorzeichen stehend, machte das Buch in der Volkssprache in emanzipatorischer Hinsicht den Zugang für zuvor Ausgeschlossene möglich.885 Das Gen als Text, der für ‚alle‘ nach international einheitlichen ‚Gensprachkonventionen‘ lesbar ist und inzwischen für diverse Spezies im internet zu finden ist, ist für die Expansion des Projekts der inneren Kolonisation eine weitreichende Grundlage. Naheliegenderweise stehen voneinander abwiechende lokale Regelungen einer Globalisierung entgegen und müssten – nach Lesart der Metaphern und Diskursstränge – durch universale Regelungen ersetzt werden. Wie an anderer Stelle bereits angeführt wurde, führt Foucault das historische Konzept der Biomacht auf die Diskurse von aufständischen Nachfahren von Gruppen zurück, die einem neuen von Eroberern geschaffenen System unterworfen waren, wie beispielsweise in England oder Frankreich im 17. Jahrhundert. Nach der bürgerlichen Revolution sei dieses Element gegen den inneren Feind im Staat und zu bevölkerungspolitischen Mitteln gewendet worden. Die Mittel der Staatsmacht richteten sich auf das Leben: Statt der Drohung mit dem Tode durch die souveräne Instanz entsteht die gouvernementale Regierungsform als Mischung aus Fremd- und Selbstführung etwa im 19. Jahrhundert.886 Für die Argumentation der Mobilmachung zur molekularen Kolonisation erscheint es passend, den inneren Feind im Genmaterial anzuführen: die Gefahr der in den eigenen Genen liegenden, ‚uns alle‘ bedrohenden Krankheiten. Die Mittel dazu und zur Überwindung der (eigenen) Natur werden im Folgenden beschrieben. 884 Soja 1989. 885 Anderson 2005. 886 Foucault 1997a, insbesondere 213ff. 215

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Heimwerker-Metaphern: Zukunft im Griff Der von ‚verrichten‘ abgeleitete Begriff des ‚Funktionierens‘,887 der heute eher für Maschinen verwendet wird und umgangssprachlich häufig als Metapher für entmenschlichtes, korrektes aber geistloses Handeln eingesetzt wird, wird in den vorliegenden Texten ebenso wie ähnliche Metaphern des Maschinenwesens auf Organe des menschlichen Körpers oder die DNA angewandt. So heißt es, unter bestimmten Umständen könne „das genetische Programm nicht mehr makellos funktionieren“888, in Zukunft könnten Geräte in das Gehirn implantiert werden, „um seine Funktion zu verbessern“889 und wir könnten schließlich „funktionale Verbindungen mit solchen Vorrichtungen eingehen“890. Aber auch durch genetische Variation ließe sich die „Feinabstimmung des Gehirns“ verbessern. Einerseits werden „Körper und Gehirn“891 als etwas gesehen, das wie anderes Material früher oder später „einfach abgenutzt“892 ist, andererseits wird die Vorstellung problematisiert, ein „Kind als Ersatzteillager zu zeugen“893. Wie im Sinne von Materialermüdung seien bei über 30jährigen häufiger „Eierstöcke vorzeitig erschöpft“894 und wie bei einem Benzinmotor fraglich, ob die „Embryonen (genetisch) intakt“895 seien. Wenn es heißt, „die Trennung der funktionellen Verschränkung von Sexualität und Reproduktion“896 könne sich in Zukunft ändern, kommt die scheinbar auf ein Ziel ausgerichtete ‚Bauweise‘ der entsprechenden biotischen Strukturen zum Ausdruck. Besonders im 19. Jahrhundert waren Metaphern des Funktionierens und der Übertragung von Maschinenallegorien in den Biowissenschaften abundant.897 Gen- und Reproduktionstechnologien als Hand-Werk Obwohl die Hand-Habung von Genmaterial stets nur durch Vermittlung chemischer Prozesse und inzwischen mit Hilfe von dafür entwickelten Maschinen vonstatten gehen kann, ist das Genom in den vorliegenden Texten scheinbar ‚zum Greifen nah‘ und ist infolge dessen (scheinbar) mit den bloßen Händen gestaltbar. So sind auch „Eingriffsmöglichkeiten ins menschliche Erbgut 887 Funktion: (lat.) 17. Jhd. Verrichtung, Abstractum zu fungƯ = verrichten: Kluge 1999. 888 Rosenthal 2001: 93. 889 Hamer 2002: 27. 890 Stock 2000c: 125. 891 Hamer 2002: 29. 892 Hamer 2002: 29. 893 Katzorke 2003: 149. 894 Katzorke 2003: 149. 895 Ebd. 896 Reich 2000: 204. 897 Sarasin 1998, Keller 1998. 216

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nahezu grenzenlos“898 und entsprechend häufig wird die Metapher „Eingriff“899 verwendet, um eine technische Veränderung des genetischen Materials, mehrfach der „Keimbahn“900 oder der „Erbmasse“901 zu beschreiben. Bei einer solchen „genetische[n] Manipulation“902, „Verbesserungsmanipulation“903 oder „Handhabung“904, die „unsere Biologie tief greifend verändert“905, sei es wichtig, dass die „Technik beherrscht“906 werde und eine „verantwortungsvolle Handhabung der neuen Kräfte“907 erlaubt werde. Statt einer Zeugung, der „Verschmelzung von Ei- und Samenzelle“908, die wie ein „Lotteriespiel […], das die Herstellung von Nachkommen“909 sei, könnte bald „Zeugung im Sinne der Herstellung einer befruchteten menschlichen Eizelle“910 üblich werden, also „Kinder [zu] produzieren“911 und dabei das „Baby zu entwerfen“912. Wenn die Qualitäten des „Kindes entworfen“913 werden, kann auch die „Passfähigkeit der Genome“914 der Eltern geprüft werden. Eine Firma, die sämtliche Neuen Reproduktions- und Gentechnologien inklusive Klonierung anbietet, könnte „IGET“915 heißen. Es ließe sich dann die „genetische Ausstattung […] kontrollieren“916. Statt einer Eizellbefruchtung könne ebenso nach der „Aktivierung von Eizellen“917, also Klonierung, mit der „sich genetische Kopien des Menschen herstellen“918 ließen, eine Befruchtung vollziehen lassen. Assoziationen eines solchen Embryos mit einer Haushaltseinrichtung einerseits bzw. einer Speise stellen die Bemerkungen her, es werde die „genetische Ausstattung des zukünftigen Kindes entworfen und bestellt, wie man eine Einbauküche entwirft“919, bzw. man könne sich 898 Silver 2000: 147. 899 Silver 2000: 147, Stock 1998, Stock 2000a: 190, 192; Stock 2000c: 123. 900 Hughes 2000, Silver 2000: 146, Stock 2000a: 190, 191, 192; Stock 2000c: 123, 125. 901 Stock 1998. 902 Silver 1998b: 142, 145. „Genmanipulation“: Stock 2000c: 125; „Keimbahnmanipulation“: Silver 2000: 147; Stock 2000a: 191. 903 Silver 2000: 147. 904 Stock 1998, Stock 2000c: 125. 905 Stock 2000c: 125. 906 Solter 2002: 23. 907 Stock 1998. 908 Katzorke 2003: 149. 909 Reich 2000: 206. 910 Reich 2000: 205. 911 Green 1999: 63. 912 Hamer 2002: 24. 913 Reich 2000, 206. 914 Reich 2000: 206. 915 Hamer 2002: 24. 916 Silver 1998b: 124. 917 Solter 2002: 23. 918 Wilmut 1997: 220. 919 Reich 2000: 206. 217

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Reproduktionsformen in Zukunft aussuchen wie von einer „Speisekarte“920 in einem „Reproduktionsrestaurant“921. Mit einer solchen Art, den „Nachwuchs herzustellen“922, ließe sich die „genetische Ausstattung kontrollieren“923, und wenn nach der Kontrolle spätestens im „Embryocheck“924 „das Produkt nicht den Qualitätsanforderungen“925 genügt, könne man mittels ‚Gentherapien‘ „Behinderung genetisch korrigieren“926. Die „Manipulation der menschlichen Biologie“ ließe sich aber, statt nur zu ‚korrigieren‘ auch zur „genetische[n] Verbesserung“927 einsetzen. Wolle man „Gene aufbessern“928 ließen sich auch gleich „genetische Kontrollen einbauen, die uns erlauben, die Gene abzuschalten“929, wenn die neuen Gene sich nicht bewähren. Allerdings, so heißt es auch, würden „Keimbahnmanipulationen […] nicht aus der Hand von klischeehaft durchgeknallten Wissenschaftlern in die Welt kommen, die eine neue Herrenrasse schaffen wollen.“930 So würden also „Manipulationen, die nicht nur unsere Physiologie, sondern auch unsere Gefühls- und Geisteswelt berühren, […] unser Leben umgestalten“.931

Aufklärungsfeindlichkeit: Bezwingung der Natur und Entfremdung Zahlreiche Metaphern in den untersuchten Texten machen deutlich, dass in der Diskussion um die Ziehung von Grenzen um Neue Reproduktions- und Gentechnologien eine Art Aufklärungsfeindlichkeit ausgemacht wird (siehe beispielsweise die Bemerkung, dass viele Menschen ohne jede Kompetenz sich in die Debatte einmischen würden). So wird Eugenik in zwei Zitaten als ein Gespenst bezeichnet (man sähe das „Gespenst der Eugenik wiederauferstehen“932 und das „Gespenst der Eugenik verdüstert glanzvolle Aussichten“933), wonach also KritikerInnen ‚Gespenster sehen‘, wenn sie eugenische Eingriffe (zur Auseinandersetzung und (Neu-)Definition des Begriffs Eugenik in den untersuchten Texten siehe Kapitel 3.3.3) fürchten. Ähnlich den voraus920 921 922 923 924 925 926

927 928 929 930 931 932 933 218

Baker 1999: 163. Baker 1999: 163. Silver 1998b: 145. Silver 1998b: 124. Katzorke 2003: 149. Reich 2000: 204. Silver 1998b: 145. Corrigere (lat.) ‚zurechtrichten, verbessern, in Ordnung bringen‘, regere (lat.) ‚gerade richten, lenken, leiten‘; zu einer vergleichsweise allgemeinen Bedeutung gehören ‚Regel, regulieren‘ (Kluge 1999). Silver 2000: 147. Stock 2000c: 124. Ebd. Stock 2000a: 190, Hervorhebungen B.v.W. Stock 2000c: 125. Stock 2000a: 192. Green 1999: 165.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

zuahnenden wissenschaftlich-technischen Errungenschaften, die der ersten Aufklärung folgten, seien demnach die Entwicklungen der Neuen Reproduktions- und Gentechnologien mit viel versprechenden Möglichkeiten verbunden, die scheinbar durch irrationale und unbegründete fortschrittsfeindliche Argumente ‚schlecht geredet‘ würden. Trotz der „Entzifferung des menschlichen Genoms werde es „[a]uch in Jahrhunderten […] den gläsernen Menschen nicht geben“934. Die Metapher des Horror-Szenarios dagegen unterstreicht die Wichtigkeit des gleichberechtigten Zugangs zu diesen Technologien. Ansonsten zeichne sich ein „Horror-Szenario“ ab „als letzte Konsequenz des kapitalistischen Systems: Die Macht des Geldes [werde] die Spaltung der Menschheit herbeiführen“935 und zwar „in genetisch Privilegierte und genetische Habenichtse“936. Diese kaum zu steigernde Dramatisierung findet sich eingebettet in eine Argumentation für die gesamtgesellschaftliche Kostenübernahme von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien für sozialökonomisch niedriger gestellte Klientel. Auch dient das ‚Horror-Szenario‘ der vorausnehmenden und mitfühlenden Sorge des ‚seriösen Experten‘: „Wenn jedoch einmal das ganze Genom entschlüsselt ist, lassen sich leicht HorrorSzenarien einer Genanalyse vor der Implantation des Embryos ausmalen.“937 Zugleich wird die wissenschaftliche Möglichkeit einer solchen – womöglich ‚effektiven‘ Genanalyse – impliziert, so dass auch jene Frauen (der Beitrag erschien in der feministischen Zeitschrift Emma), die dies für wünschenswert halten könnten, angesprochen werden. Die Metapher des Horror-Szenarios dient jedoch auch dazu, ‚überzogene Ängste‘ anzuprangern, indem statt des einen der zwei Deutungsanteile von ‚Horror-Szenario‘, nämlich jener, der nicht nur auf den Anteil einer möglichen Realität, die allerdings in der Zukunft liegen mag und dadurch fiktiv ist, verweist, sondern nur jener, der das Fiktive und Übertriebene bezeichnet, hervorgehoben wird: „Wenn erst das Klonen von Menschen möglich ist, warum sollte dann irgend jemand ein Kind auf diese Weise haben wollen? Vergessen wir die Horror-Szenarien […]: Diktatoren, die sich durch Klonen eine Armee von ‚perfekten Soldaten‘ beschaffen, oder größenwahnsinnige Milliardäre, die sich selbst in Hunderten von Exemplaren zu reproduzieren versuchen.“938 Wie das ‚Horror-Szenario‘ stammt auch die Metapher der „Katastrophe“939 aus dem Bedeutungsfeld des Spiels, genauer des Schauspiels, sie bezeichnete im antiken Griechenland die Wendung nach unten, den Zeitpunkt 934 935 936 937 938 939

Rosenthal 2001: 84. Silver 1998b: 145. Ebd. Djerassi 1999a: 51. Green 1999: 63. Gr. Katastrophe = ‚Umkehr, Umwendung‘; gr. kata- = ‚herab, hinab‘; gr. strephein = ‚wenden‘ = Wendung nach unten (Kluge 1999). 219

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

des Umschlagens der Handlung in der Tragödie. Wie das ‚Horror-Szenario‘ enthält die tragische Wendung der „Katastrophe“ eine im Wort- wie im übertragenen Sinne dramatische In-Szene-Setzung von Schrecklichem, die jedoch in einer gegenseitigen Übereinkunft zwischen jenen, die es vorführen und jenen, die es schaudernd bestaunen, nur gespielt wird. Wenn das HorrorSzenario ein Schauspiel ist, kann es dann real sein oder werden? So wird in Frage gestellt, „ob ich das als Katastrophe sehen will“940 wenn „Zeugung im Sinne der Herstellung einer befruchteten menschlichen Eizelle“941 vonstatten gehe oder „Frauen keine Kinder mehr empfangen“942 „müssen“943. Mit dem ‚Horror-Szenario‘ und der ‚Katastrophe‘ hat der Begriff ‚Eiertanz‘ („Im Ausland versteht man ohnehin nicht den Eiertanz944, der hierzulande um die PID aufgeführt wird.“945) gemein, dass er eine inszenierte groteske Übertreibung beschreibt, die zudem voller überflüssiger, alberner Bewegungen ist. Auch der Akt des Klonens ist, nach einem der Texte, nicht der Kategorie des materiell Realen zuzuordnen, sondern der der (dem Ursprung nach geisterhaften) Erscheinungen. Das Klonen ist demnach nämlich „eher ein symbolischer Akt als eine Bedrohung, ein Signal946, dass die Revolution in der Genomforschung und Medizin die intimsten Aspekte unseres Lebens transformiert“947. Das ‚Signal‘ enthält allerdings ähnlich wie das ‚Horror-Szenario‘ sowohl einen auf ‚reale Darstellung von Welt‘ wie auch auf ‚Fiktives‘ verweisenden Anteil. Denn in den industrialisierten, an genaueste Zeitabläufe und hierarchische Befehls-Strukturen gewöhnten Gesellschaften, wie jene der USA, Europa oder Japan, vor deren Hintergrund in dem vorliegenden Material über die „Revolution“ [in den] „intimste[n] Aspekten unseres Lebens“948 geschrieben wird, geht ein Signal mit einem Akt der Materialisierung einher, so wie das Weichensignal – mit dessen Umstellung zeitgleich die Gleise in eine andere Richtung eingestellt werden – diesen unbedingt und schicksalhaft verkoppelten Akt ankündigen. Den (bei KritikerInnen angenommenen) Entfremdungsängsten entgegengestellt werden Darstellungen der grundsätzlichen Verschiedenheit von ‚Natur‘ 940 941 942 943 944 945 946

Reich 2000: 206. Ebd. Ebd. Ebd. Kluge 1999. Katzorke 2003: 149. Signal: entlehnt aus frz. Signal m.; zu lat. Signum = Zeichen, Kennzeichen, Merkmal – Zeichen Wortfeld: Erscheinung, sprachhistorisch Mhd. und finnisch Erscheinung, Vorzeichen, Wahrsage, wunderbar, Versprechen, Zauber (Kluge 1999) 947 Stock 2000c: 125. 948 Ebd. 220

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

und Laborprodukt, wobei häufig zwischen ‚echt‘ und ‚nicht wirklich echt‘ unterschieden wird und somit die Unnachahmlichkeit und also der bleibend einzigartige Status von Natur hervorgehoben wird. Zwar handelt es sich dabei nicht um Metaphern im augenscheinlichen Sinne, die Unterscheidung allerdings von etwas, das unter menschlich-technischem Einwirken entstanden, jedoch organisch ist, von etwas, was ohne menschliche Einwirkung lebendig ist, als echt und unecht (bzw. in den vorliegenden Texten wird ‚künstlich“ synonym gesetzt mit ‚unecht‘) ist eine sehr grundlegendes binäres Denkmuster.949 In vielen Fällen wird damit die Unterscheidung zwischen der wilden, zu bändigenden Natur und der kontrollierbaren Technologie und ihren Produkten gezogen. In diesem Fall wird dazu entgegengesetzt hervorgehoben, dass ein Eingriff in die Natur nicht ‚wirklich‘ vorgenommen werde, eine Entmischung von Natur und Technologie (die dazu allerdings zuerst als eben tatsächlich bipolar voneinander getrennt gedacht werden müssen, was hier als selbstverständlich gegeben vorausgesetzt wird)950, die scheinbar die Grundpfeiler der Zivilisation ins Wanken bringen würde, fände nicht statt. Zudem ist der Versuch nahe liegend, moralisch problematisierte labortechnische Erzeugungen natürlicher Entitäten durch das Hervorheben möglicher grundlegender qualitativer Unterschiede zu entproblematisieren. So sei ein als Folge einer Klonierung entstandener Embryo „kein wirklicher Embryo“951, „[a]uch wenn er das latente Potential hat, sich zu einem echten menschlichen Wesen zu entwickeln“952. Auch wenn es „Sinn und Zweck der Medizin“953 sei, „den normalen Gang der Natur zu durchbrechen – und die steckt voll übler Überraschungen“954 – so enthält sie bei all ihrer Wildheit scheinbar wünschenswerte Anteile, die in dem ‚entworfenen Baby‘955 der Zukunft nachahmbar sein sollen, denn es „soll in der Lage sein, echte Gefühle zu empfinden“956. So wird im Gegensatz zu jenen Beschreibungen, die die essentielle Unterschiedslosigkeit technischer Reproduktionsverfahren und -ergebnisse von solchen des DIYs hervorheben (s.o.) hier das ‚natürliche‘ und beispielsweise „auf althergebrachte Weise [F]ortpflanzen“957 zu einer stabilen, ungefährdeten völlig ‚anderen‘ Konstante. Obwohl an einer Stelle die menschliche Liebe und Erotik als reine Chemie beschrieben wird,958 949 Vgl. Aristoteles 1995, Weber 2003, Saupe 2002, Ebeling 2002, Karafyllis 2003 und siehe Kap. 2. 950 Latour 1998. 951 Green 2002: 17. 952 Green 2002: 21. 953 Hughes 2000. 954 Ebd., Hervorhebung B.v.W. 955 Vgl. Hamer 2002: 24. 956 Hamer 2002: 28. 957 Silver 1998b: 142. 958 Reich 2000. 221

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

wird sie im selben Text doch als mittels ‚künstlicher‘ Imitationen erzeugte „Erregung und Entladung, […] [die] der natürlichen, im erotischen Erlebnis nicht gleich“959 käme, beschrieben. Bestenfalls handelte es sich um eine „chemische Gießkanne in sehr empfindlichem Systemgeschehen“960. Die Entwarnung, dass sich letzten Endes ohnehin die „designoptimierte“961 Natur gegen technische Plagiate durchsetzen würde, wird begründet mit Darstellungen eines unattraktiven Entromantisierungsprozesses. So sei nicht eigentlich an den breiten „Übergang in eine geschlechtslose sterile Cyberwelt“962 zu glauben, sondern, „dass die Cyberwelt nicht aufregender, sondern steriler wird“963, es sei „die Kälte des vollendeten technischen Vorgangs“964, der abschrecke. Das „natürliche Zusammenspiel von Sexualität und Fortpflanzung ist durch Millionen Jahre Evolution so weit designoptimiert, dass Engineering keine Chance auf weitere Optimierung haben“965 werde. Die radikale und scheinbar auf der Hand liegende selbstverständliche Dis-Homogenität von Natur und Technik findet in den untersuchten reproduktionstechnologischen Darstellungen ihren Ausdruck in der Frage, mit der wir in naher Zukunft konfrontiert würden, ob ein ‚gen-optimierter Mensch‘, also beispielsweise jemand mit einem zusätzlichem Chromosom, „mit natürlichen Menschen Nachkommen zeugen“966 könnte? Doch nur in den meisten Fällen ist ‚das Gewöhnliche‘, ‚Gängige‘, eben nicht ‚Unechte‘ der Natur zugeordnet. Ausnahmen sind solche Bemerkungen, die Neue Reproduktions- und Gentechnologien als etwas darstellen, was ‚nur natürlich‘ sei, und zudem brechen mit dieser Zweiteilung solche Begriffsverwendungen, in denen bereits technologische Neuerungen in Begriffspaare wie „klassische[…] Eugenik“967 oder Klonen als „Familientradition“968 gebettet werden, die die gesellschaftlich und historische verankerte Gleichsetzung von ‚normal‘, ‚üblich‘ und ‚echt‘ mit ‚natürlich‘ nutzen, wobei also der Anklang von ‚Natürlichkeit‘ auf das Technologische abfärben könnte.

Schlussfolgerungen Neue Gen- und Reproduktionstechnologien in den in diesem Kapitel vorgestellten Szenarien, wie eingangs beschrieben, in einer dialektisch zusammenhängenden Weise mit Befreiungsszenarien und zugleich deterministischen 959 960 961 962 963 964 965 966 967 968 222

Reich 2000: 204. Ebd. Reich 2000: 206. Ebd. Reich 2000: 204. Reich 2000: 206. Ebd. Stock 1998. Silver 1998b: 145. Green 1999: 65.

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

Konzepten begründet. Die Selbstbestimmungsszenarien begründen ein Recht darauf, von der Solidargemeinschaft Technologien zur Verfügung gestellt zu bekommen, die wiederum von Begrenzungen der (eigenen) Natur befreien. Diese Szenarien sind nur sinnvoll, wenn deterministisch vom ‚dogmatischen Gen‘ auszugehen ist, das in jedem Fall zur befürchteten Krankheit führt, oder wenn keinerlei gesellschaftliche, nicht-reproduktionsbiologische oder genetische Lösungen zu finden sind. Wirken manche Szenarien einander widersprüchlich, so lässt sich doch folgende Argumentationskette aus den aus ihnen extrahierten Thesen und Forderungen zusammenfassen:

Zur Zeugungs- und Befruchtungstechnologie und Infertilität: x Kinder mit eigenen Genen werden mehr geliebt (s. 3.3.1). x Ein Kind mit eigenen Genen ist ein wesentliches Lebensziel neben der Karriere und muss daher jedem ermöglicht werden (Reproduktion als Grundbedürfnis; Gerechtigkeit (s. 3.3.1, 4.2.5 u. 4.2.3). x Infertile Paare sind besonders gute Eltern durch Verantwortung und Liebe. Entsprechend folgt: x Infertilität erzeugt Leiden (s. 3.3.1, 3.3.4, 4.2.3). x Ein Kind zu bekommen ist Menschenrecht (s.o. 3.3.1, 4.2.5 u. 4.2.3). x Für Menschen deren einzige Fortpflanzungsmöglichkeit es wäre, sind alle reprogenetischen Möglichkeiten der Behandlungen angebracht, um ein Kind zu bekommen (s. 4.2.1). x Klonen und alle anderen Neuen Reproduktions- und Gentechnologien (NRGT) sollten wir jenen ermöglichen, die sonst keine Möglichkeit hätten, genetisch ihre Liebe (zueinander und fürs Kind) im Nachkommen zu manifestieren) (s. 3.2.1). x Gleicher Zugang für alle, gleiche Möglichkeiten: Alter, Geschlecht, Familienstand dürfen keine Rolle spielen bei der Entscheidung auf Zugang zu NRGT (s. u.a. 3.2.1). x Geschlechtliche Gleichberechtigung ist, gleichgeschlechtlichen Paaren jeden Weg zum genetisch mehr oder weniger eigenen Kind zu ermöglichen (s. 3.2.2). x Wahlmöglichkeit: Menschen sollten wählen können, wie sie reproduzieren (s. u.a. 3.2.1, 3.3.4). x Zugang, gleiche Möglichkeiten: Verbote von Gentherapie auch am Keimzellen etc. sorgen nur dafür, dass ‚die Reichen‘ diese Reproduktionstechnologien anwenden können – Zugang für alle auf Krankenschein sollte das Ziel sein (s. 3.2.2).

223

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Aus der Gleichberechtigung zum Zugang zu den ‚besten Möglichkeiten‘ wiederum folgt: x Generell infertil zu sein, ist anzuvisieren und die geeignete Fortpflanzungsweise ist generell jene im Labor. Dies erhöht die Sicherheit und Wahlmöglichkeit der Eltern in Hinsicht auf den Zeitpunkt der Reproduktion und auf das Genom des Kindes (Kontrolle und Selbstverwirklichung) (s. u.a. 3.3.4) x Gleichberechtigung und Wahlmöglichkeit (Choice): Wenn Frauen wählen können, sich nach erfolgreichem Karriereaufbau befruchten zu lassen, ist wahre Gleichberechtigung hergestellt (s. 3.2.2).

Zum Einsatz von Gentechnologie im Zusammenhang mit Befruchtung: x Risiko: Durch Neue Reproduktions- und Gentechnologien könnten zahlreiche gesundheitliche Risiken des Embryos verhindert werden (s. 3.2.1, 3.3.2). x Krankheit des Gens: Zahlreiche Krankheiten lassen sich eindeutig am Genom erkennen und Gene entscheiden darüber, ob jemand ein „sinnvolles Leben“ (life worth living, s.u.) leben kann, oder nicht leben sollte. Krankheit ist vor allem im Genom verankert (s. 3.2.1). x Eine genetische Krankheit bedeutet, dass etwas nicht in Takt ist, seine Funktion nicht erfüllt (s. 3.3.4). x Krankheit des Gens: Wer eine genetische Krankheit hat, leidet (s. 3.3.4). Die Anwesenheit bestimmter Gene entscheidet darüber, ob jemand leidet. Die beste Möglichkeit dieses Leiden zu verhindern, ist den entsprechenden Embryo nicht austragen zu lassen. Eine Belastung der Eltern mit einem (schwer) „behinderten“ Kind ist nicht zumutbar, auch sie leiden (s. 3.2.1, 3.3.1, z.T. auch 3.2.1). x Krankheit des Gens: Statt den Embryo zu verwerfen ist es gut die Krankheit/das Leiden für künftige Generationen am Embryo durch Gentherapie zu verhindern (s. 3.2.1). x Krankheit des Gens, Verbesserung: Eltern, die solche künftigen Möglichkeiten nicht wahrnähmen, würden unverantwortlich handeln (s. 3.2.1). x Krankheit des Gens: Um Krankheitsanfälligkeit (AIDS, Alzheimer etc.) vorzubeugen ist das Genom durch „Schutzgene“ zu verbessern. Gesundheit ist das Nicht-Fehlen von Schutzgenen (s. 3.3.4). Von Krankheitsheilung zu Wohlbefinden: x Das Wohlbefinden und die Gesundheit von Menschen lässt sich auf genetischem Wege durch Erhöhung ihrer Fitness, Fähigkeiten und Attraktivität steigern, denn dies macht sie (auch sozial) erfolgreicher. Erfolg macht gesund (s. 3.3.4). 224

ZUKUNFT DER ZEUGUNG IN PUBLIKUMSMEDIEN

x Gentherapie ist zu unterstützen, solange es keine Eugenik ist und das ist es in den seltensten Fällen (s. 3.3.3). x Gendiskriminierung: Leiden/Diskriminierung durch äußere Merkmale sollte durch genetischen Eingriff am Embryo bzw. Embryoselektion verhindert werden im Sinne des künftigen Menschen (u.a. 3.3.4 Gesundheitsförderung und Wohlbefinden). x Genetisches Wohlbefinden: Durch genetische Verbesserung sollte die Steigerung von Wohlbefinden und Lebenschancen des Kindes/entsprechenden Menschen gesteigert werden; bzw. Eltern geholfen werden, dies für ihr Kind zu tun (s. 3.3.4 Gesundheitsförderung und Wohlbefinden). x Befreiung von Natur, Eltern sollten genetische Ausstattung ihrer Kinder kontrollieren, frei auswählen können können (s. 3.2.2).

Regulierung: x Fragen, die NRGT betreffen, sollten universal und global positiv entschieden werden, lokal unterschiedliche Regelungen sind absurd (s. 3.2.4). x Regulierungen brauchen nicht diskutiert zu werden, denn der Determinismus in den Szenarien besagt, es gibt ohnehin keine Regelungsmöglichkeit, die ergiebig sei (s. 3.2.1 Biodeterminismus; s. 3.2.4 Sozialdeterminismus, AnwernderInnen handeln autonom). Einerseits bestätigt die Metaphernanalyse die vorgestellten Ergebnisse der Diskursanalyse: Das Gen ist das Molekül der Gesundheit und des ewigen Lebens (3.4.2). Menschen sind demnach schicksalhaft mit ihren Genen verkettet (3.4.3), die ihr Leben determinieren (3.4.4). Die Menschheit befände sich allerdings auf einer Reise, die, wenn der richtige Weg gewählt werde, zur Befreiung führe (3.4.4). Hinderlich sind besorgnistragende Laien, die nur die fachlich korrekten Bezeichungen verstehen müssten, um ihre Sorge abzulegen (vgl. Personifikationen in 3.4.2. und 3.4.1). Besonders in den Szenarien, die lokal unterschiedliche Regulierungen problematisieren, zeigen sich Überschneidungen mit den Metaphern der molekularen Kolonisation und Expansion (3.4.4). Wie der Techniksoziologe Nik Brown anhand von Xenotransplantation deutlich gemacht hat,969 wird die Kategorie Raum noch oft in Interpretationen unterschätzt. In den vorliegenden Szenarien nimmt diese Kategorie eine zentrale Stellung ein. Der starke Bezug auf Raum als Kategorie, der durchschritten und transzendiert wird und eng mit Zeit verknüpft wird, verweist auf den spatial turn der end1980/90er Jahre. Der Raum wird gefasst als ZeitRaum970. Das Metaphernfeld der Erbschaft deutet auf eine ökonomische diachrone Sicherung, so wie die Text- und Buchmetapher sowohl auf Ewig969 Brown 1998, Brown 2003. 970 Wie in 3.1.3 zur Verdeutlichung der Untrennbarkeit von Zeit und Raum als Kategorien der reprogenetischen Visionen eingeführt. 225

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

keit und Stabilität als auch auf Universalisierung und Expansion verweist. Der expandierende Raum wird also zugleich ‚innerlich‘, indem Genmaterial als das Molekül der Zeit ‚auszuschöpfen‘, zu verändern, zu lagern oder speichern ist. Parallelen sind erkennbar zwischen der Raumerschließung der Kolonialepoche einhergehend mit der ‚ersten‘ bürgerlichen Neuzeit einerseits und der Globalisierung, konkret der Globalisierung digitalisierter genetischer Daten, von Biomaterialien wie Spermien, Ei- und Stammzellen, ebenso wie transnationaler Bio-/Repro-/Pharma-Konzerne – von „Goldadern“971 der Patentierungsbranche ist da die Rede. Die Szenarien dieser Neuen Zeit welche Befreiung von der vermeintlichen Willkürherrschaft der despotischen Natur verkünden, enthalten zugleich emanzipatorische Bezüge – oder versuchen sie zu wecken. Hier ist es, wo Technologie aktiv wird, indem sie vorhandene Brüche in konventionellen Diskursen potenziert. Die Ergebnisse der Diskursanalyse (die allerdings in Kapitel 4 ausführlicher diskutiert werden) und der Metaphernanalyse zusammenfassend heißt dies zunächst: es findet sich auch nach den Ergebnissen der Metaphernanalyse in den vorliegenden Texten eine starke Fürsprache für emanzipatorische Bedarfe, allerdings unter jeweils einer – zuvor nicht erklärend eingeführten – Gleichsetzung jedweder Unbill mit vermeintlich biologischen Gegebenheiten, aus denen der neuzeitliche Aufbruch ‚uns‘ wird erretten können. Diese ‚Emanzipation‘ erscheint als Befreiung von quasi vorgenetischen Glaubensrichtungen (wie etwa jener der gesellschaftlichen Prägung), die Menschen irrational den gen- und reproduktionstechnologischen Neuerungen sich in den Weg stellen lassen. Der Metapherngebrauch in diesen biomedizinischen Populärdarstellungen bestätigt zugleich eine Verunsicherung von großem Ausmaß, die, wie aus den Diskurssträngen hervorgeht, herkömmliche Geschlechter- und Familienmuster betrifft.972 Dem Metapherngebrauch nach geht die Verunsicherung jedoch weit über die Frage künftiger zwischenmenschlicher Bindungen hinaus: Die aufgezeigten Diskursverschiebungen verursachen oder beschleunigen Instabilitäten, die bereits durch erweiterte Handlungsspielräume, die Neue Reproduktions- und Gentechnologien mit sich bringen, verursacht sein können – die Stellung des Menschen in der Welt bzw. gegenüber einer teleologisch waltenden natürlich-metaphysischen Instanz wird (so dem Metapherngebrauch nach) durch Neue Reproduktions- und Gentechnologien neu verhandelt und somit werde mit jedem staatlich-gesellschaftlichen regulatorischen Eingriff der Ausbruch des Menschen aus seiner (biologischen) Unmündigkeit gefährdet.

971 Hamer 2002, 26f. 972 … genetische Verwandtschaft allerdings nochmals als Konzept unterstreicht. 226

4 Gesundheitsbegriffe und Reproduktion

Im Folgenden werden die Ergebnisse aus Kapitel 3, speziell die Szenarien, kontextualisiert und dafür als zusätzliches Material aktuelle Krankheits-/Gesundheitsbegriffe herangezogen, wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg in Medizin und der dann neu entstehenden Fachrichtung Public Health diskutiert werden. Sie erlauben einen Vergleich mit Qualitäten und zentralen Kategorien, die in den untersuchten Texten im Zusammenhang mit Gesundheit aufscheinen. Bevor also Gesundheits- und Krankheitskonzepte der analysierten Szenarien diskutiert werden können (in Hinsicht auf Geschlechter in Kapitel 4.2 und auf unterschiedliche Gesundheits-/Krankheitskonzepte in Kapitel 4.3), müssen zunächst im nächsten Abschnitt verschiedene aktuelle Konzepte von Gesund-/und Krankheiten geklärt werden, und zwar in Hinsicht auf ihre historische Verortung ebenso wie in ihrem Kontrast als Effekte des Globalen und Lokalen. Es soll also zunächst in Kapitel 4.1 die Verortung von Krankheits/Gesundheitsbegriffen in ihren jeweiligen lokalen Kontexten geklärt werden. Dies geschieht anhand der Beispiele der USA und Deutschlands (Kapitel 4.1.1). Denn die untersuchten Texte entstanden häufig vor einem USamerikanischen Hintergrund und tragen entsprechende Diskursstränge in den lokalen deutschen Kontext ein, der von einer restriktiveren Politik zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien und unterschiedlichen kulturellen Verständnissen geprägt ist. Dabei zeigen sich zugleich Grenzen und Widerstände der Globalisierung, die in manchen der diskutierten Szenarien als notwendiger rechtlicher Universalismus verstanden wird. Anschließend (Kapitel 4.1.2) wird das Phänomen der Medikalisierung als einer Subjektivierungsweise1 innerhalb sozial- und rechtsstaatlicher Regulierung diskutiert, also als eines, das lokal und historisch spezifische Gesundheiten und Identitäten hervorbringt. In 1 Bührmann 1995. 227

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Kapitel 4.1.3 werden aktuelle Krankheits-/Gesundheitsbegriffe und ihre jeweiligen Ziele vorgestellt, die dem Vergleich mit den in dem analysierten Material enthaltenen Gesundheitsbegriffen dienen. Dies ermöglicht einen Trend der Verschiebung von Gegenständen (Kategorien) und Werten in Gesundheitskonzepten zu ermitteln, dem die untersuchten reproduktionsgenetischen Darstellungen folgen oder den sie produzieren. Es ermöglicht auch problematische Aspekte an aktuellen Gesundheits-/Krankheitsbegriffen auszumachen, die dazu einladen, sie auf eine deterministische oder antidemokratische Weise zu deuten. Solche Aspekte werden vor einem gender- und gesundheitstheoretischen Konzept im Ausblick in Kapitel 5 diskutiert.

4.1

Gesundheits-/Krankheitskonzepte nach 1945

Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Texte tragen in den deutschen Kontext Diskussionen ein, die unter dem Druck des Faktischen in den USA oder Australien, wo in mehreren Staaten verschiedene der in Deutschland nicht möglichen technologischen Anwendungen am Menschen seit langem legal und bereits Gang und Gäbe sind. Sie bringen also Ideen ein, die vor einem anderen kulturellen Hintergrund diskutiert wurden, als dem in Hinsicht auf reprogenetische Eingriffe restriktiven deutschen Kontext. Ein historisierender Überblick über Krankheits-/Gesundheitsbegriffe fällt insofern je nach betrachtetem lokalen Hintergrund unterschiedlich aus. Im Folgenden wird daher das in Kapitel 3 dargestellte Szenario der Globalisierung bzw. internationalen Konkurrenz verwendet, welches ein sowohl sozialdeterministisches aber auch auf der individuellen Autonomie des Subjekts fußendes ist. Es kann genutzt werden, die Konzeption der Gegensätze lokal-global und gesundkrank gemeinsam zu diskutieren. Wie im Methodenkonzept und in Kapitel 2 ausgeführt, kann ein zukunftsfähiger Gesundheitsbegriff aus gender- und Science and Technology Studies-Perspektive kein universaler, sondern nur ein lokaler sein, der situiert ist, das heißt, der begründet, an welchen Wertmaßstäben er messbar sein soll.2 Denn Wertmaßstäbe sind weltweit regional sehr unterschiedlich. Es wird oft darauf hingewiesen, dass Länder gesundheitsrelevante Entscheidungen auf der Grundlage lokaler kultureller Gegebenheiten treffen und treffen sollten.3 So entsteht in Hinsicht auf Reproduktionstechnologien durch gesetzliche Unterschiede, die in den vorliegenden Szenarien als anachronistisch kritisiert werden, „Pluralismus in Bewegung“.4

2 Vgl. Haraway 1991: Dadurch würde seine Übersetzbarkeit zwischen lokalen Kontexten und wissenschaftlichen Kulturen gewährleistet. 3 Walzer 1996, Walzer 1992; Nothelle-Wildfeuer 2002. 4 Zitiert und übersetzt nach Pennings 2004. 228

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Tatsächlich wurden bereits in den 1980er Jahren die unterschiedlichen Gesetzgebungen unter anderem zu Reproduktionstechnologien in unterschiedlichen Staaten der EU auf höchster Ebene problematisiert5 und in den 1990ern beschrieben, dass ‚Befruchtungstourismus‘6 zunehmen würde.7 Diskussionen innerhalb der EU über einheitliche Regelungen von Gesundheitssystemen und Gesetzeslagen zu Reproduktionstechnologie bewegten sich zunächst entsprechend der Vorstellung, dass es von Vorteil wäre, beispielsweise ‚Reproduktionstourismus‘ durch Gesetzesangleichungen zu unterbinden. Mittlerweile scheint sich jedoch die Position, den jeweiligen kulturellen Hintergründen entsprechend regionale Unterschiede in den Gesetzeslagen aufrecht zu erhalten und zu tolerieren, durchzusetzen. 8 Allerdings wird diese Beschreibung der lokalen Grundlage in solchen Diskussionen auf Staaten bezogen. Deren Regelungen mögen sich zwar international unterscheiden, innerhalb der Grenzen regeln sie jedoch trotz kultureller Diversität aufgrund der Verfasstheit des administrativen Apparats meist einheitlich. Dabei entsteht der Eindruck kultureller Übereinstimmung innerhalb nationaler Grenzen, so, als wären alle BürgerInnen des einen Staates auf gleiche Weise zu unterscheiden von allen BewohnerInnen des anderen – als wäre ein ethischer Konsens innerhalb der nationalen Grenzen gesichert. Bereits die Diskussion um die Möglichkeit eines ‚nationalen‘ oder ‚universalen‘ Gesundheitsbegriffs leitet zu der weiter unten diskutierten Vorstellung über, letzten Endes gäbe es „so viele Gesundheitsbegriffe, wie es Wertesysteme gibt“9 und die Notwendigkeit von Eingriffen und deren Einbettung im Gesundheitssystem ließe sich nur am Fall entscheiden.10 Auf die Auseinander5 Glover 1989. 6 Pennings mit Berufung auf Knoppers und LeBris 1991: „‚Procreative tourism‘ was first named by Knoppers and LeBris in 1991 to describe the practice of citizens exercising their personal reproductive choice in less restrictive states.“ Pennings 2004. In dem vorliegenden Untersuchungsmaterial verwendet Katzorke den Begriff „Fortpflanzungstourismus“ für ein seiner Ansicht nach durch liberalere Gesetzeslage zu lösendes Problem (Katzorke 2003). 7 Glover 1989. 8 Auf der sechsten deutsch-niederländischen Konferenz, unter dem Titel „Beginn und Ende des menschlichen Lebens“ vertrat der niederländische Außenminister in der Auseinandersetzung um Universalismus versus Kommunitarismus in seinem Vortrag die Position, dass kulturellen Unterschieden Rechnung getragen werden müsste, indem innerhalb Europas Bio- und Reproduktionstechnologien national reguliert werden müssten (van Aartsen 2002). Der damalige deutsche Außenminister Fischer plädierte für eine einheitliche und verbindliche Europa-Lösung (Fischer 2002). Im vorliegenden Untersuchungsmaterial erklärt Wilmut das Phänomen kulturell bedingt unterschiedlicher Regelungen am Beispiel der Haltung Japans zur Organtransplantation (Wilmut 2001). 9 Sandelowski 1981. 10 Ebd. 229

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

setzung über universale Gesundheits-/Krankheitsvorstellungen im Gegensatz zu subjektiven Gesundheitsbegriffen wird im Folgenden mehrfach zurückzukommen sein.

4.1.1 Lokale und globale Differenzen: Die Beispiele USA-BRD Besonders die Szenarien der Globalisierung (Kapitel 3.2.4) heben internationale rechtliche und kulturell historische Differenzen hervor. Anhand des in der vorliegenden Arbeit analysierten Materials lässt sich beispielhaft zeigen, wie vor allem US-amerikanische Positionen (vertreten durch zahlreiche der interviewten oder mit Essays aufgetretenen Autorfiguren) auf bundesdeutsche Problemdarstellungen und -hintergründe treffen (vertreten durch Fragestellungen der Interviewer, Themen der Essay-Anfragen, aber auch vertreten durch die bereits von den Autoren antizipierten potentiellen Interessen und Positionen deutscher LeserInnen). Die Konfrontation der gen-ethischen Kulturen vermittelt sich vor allem in den sozialdeterministischen Strängen. Dabei wird, ungeachtet der speziellen deutschen Situation, die diskursive Situation in den USA als sowohl in sich einheitlich als auch dominant für die Beurteilung der Zukunft der Zeugung vorgestellt. Die deutschen diskursiven Hintergründe werden als erklärungsbedürftige Abweichung von einem umfassenderen Standard gefasst.11 Diese performative Diskursstrategie entspricht den Beschreibungen der Installation hegemonialer Systeme durch Foucault in In Verteidigung der Gesellschaft (1997a). Solche seien historisch nach der Eroberung von Ländern jeweils erneut installiert worden und waren auf die Akzeptanz der mitgebrachten Sprache, Eichmuster und Gesetze angewiesen. So sei aufzeigbar, wie ab etwa dem 17. Jahrhundert in Europa eine juridisch-philosophische Konzeption12 des gegenseitigen Einverständnisses zwischen ‚Volk‘ und jeweiligem Souverän als Folgen des vorherigen Eroberungskrieges und Führungstechnik ‚enttarnt‘ und als Fortführung des Krieges aufgefasst worden seien. Die entscheidende Wendung in Foucaults Betrachtung zwei Jahre nach der Vorlesung In Verteidigung der Gesellschaft besteht darin, festzustellen, dass solche Systeminstallationen nach dem 19. Jahrhundert nicht einfach als Kriege, sondern als gouvernementale Systeme der Biomacht, einer Verbindung aus Fremd- und 11 Dies geschieht, so kritisiert Sheila Jasanoff (2005a), häufig auch in vergleichenden Analysen. Es werde darin oft vorausgesetzt, die Unterschiede zwischen dem deutschen und anderen spezifischen nationalen Hintergründen seien durch die Beschreibung allein des deutschen historischen Kontextes und der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus hinreichend geklärt. 12 Diese Vorstellung folgt Hobbes Konzept des Souveränen Staates, in dem die Menschen, wissend um die Gefahr, die von allen anderen Menschen in einem individualistischen Gegeneinander ausginge, ihre Macht über Leben und Tod an den Souverän übereignen (Hobbes 1984). 230

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Selbstführung, zu analysieren seien.13 Sie bedienen sich jedoch weiterhin der Mittel der hegemonialen Wertungen einer (vermeintlich) universalen Sprache und universaler Bedeutungen.14 Solche Strategien des Verschweigens oder Vergessens15 der lokalen Auseinandersetzungen können in der Analyse nur durchbrochen werden, indem beide Situationen aus ihren jeweiligen historisch-kulturellen Kontexten beleuchtet und verglichen werden. Zudem gilt es, Kategorien, wie reproductive choice oder reproductive rights, auf die sich in einigen Strängen bezogen wird, ebenso wie die jeweiligen geschlechteremanzipatorischen Anspielungen, auf ihren Gehalt im diskursiven Kontext zu prüfen. Auf diese Weise kann die systematische Anordnung der Gegenstände16 im diskursiven Kontext der Diskursstränge mit ihrer Anordnung in den Strängen selbst verglichen werden. Es soll dementsprechend in dem folgenden kurzen Exkurs in diesen Makrodiskurs versucht werden, beide konzeptionellen Hintergründe beispielhaft zu skizzieren, um Kontrast und Auswirkungen historisch-kultureller Unterschiede auf Gesundheitsentscheidungen, wie jene zu reproduktiven Fragen, zu verdeutlichen. Die Situation, die reproduktive Entscheidungen und das Gesundheitswesen in den USA prägt, wird häufig als utilitaristisch17 und zugleich puritanisch18 beschrieben.19 Im Widerstreit liegt somit der pragmatische Verzicht auf individuelle Bedürfnisse zugunsten der Mehrheit mit dem (puritanischen) Streben nach Glück (‚happiness‘) als konstitutionell geschützt und verankert20 und dem Erhalt christlicher Werte wie Familie und Ehe. Staatliche Beschränkungen des individuellen Strebens nach Glück (das vielfältige Formen haben kann) werden als illegitim betrachtet, das Schlagwort hierzu ist ‚privacy‘: Innerhalb privater Räume und Verträge dürfen Staat und Gesellschaft nicht intervenieren, hier dürfen Dinge geschehen, die von der Mehrheit nicht gebilligt werden (dies betrifft, so wie es in den USA diskutiert wird, vor allem Sexualität und Abtreibung)21. Was auch immer jemand sich finanziell leisten kann,

13 14 15 16 17 18 19 20 21

Foucault 2004. Siehe hierzu auch Anderson 2005. Anderson 2005: 200. Im Sinne von Foucault 1981. Lock 2001. Valerius 1999. Agamben 1998, Weber 2000, Beck-Gernsheim 2000. Maier/Herms 1987. ‚The right to privacy‘ spielte z.B. eine Schlüsselrolle in der Befragung des durch den US-Präsidenten vorgeschlagenen Kandidaten George Roberts für das US Supreme Court (das Bundesgereicht) im September 2005 durch die aktuellen RichterInnen, wobei vor allem die einzige weibliche Richterin Ginsberg kritische Fragen zu seiner möglichen Haltung zum Recht auf Abtreibung formulierte (Krauthammer 2005). „Right to privacy“ ist nicht in der Konstitution verankert, 231

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

muss auch ermöglicht sein, es sei denn, die Werte ‚happiness‘ oder ‚privacy‘ eines anderen Individuums wären dadurch gefährdet.22 Dies gilt auch für die Ausübung der zahlreichen (auch nicht-christlichen) Religionen in den USA. In diesem Sinne ist die oberste Priorität des Föderalstaates, Freiheit beschränkende Eingriffe der Gesellschaft oder Einzelner in die Interessen der Individuen zu verhindern. Ein unbeschränkter freier Markt (auch Arbeitsmarkt) ist insofern einem Solidarsystem, das bestimmte Steuern oder Zwangsbeiträge und eine zwangsweise Mitgliedschaft per Staatsangehörigkeit abverlangt, vorzuziehen, bzw. letzteres kaum denkbar.23 Eine der weitgehendsten föderalen Regulierungsversuche in Hinsicht auf den Zugang zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien wurde 2001 mit dem erneuten Versuch vorgenommen, ein Gesetz verabschieden zu lassen, das Krankenkassen jeder Art verpflichten würde, Kosten von Fertilitätsbehandlungen zu übernehmen. Dieser „Fair Access to Infertility Treatment and Hope (FAITH) Act“ wurde jedoch zur Überarbeitung in das Committee on Health, Education, Labor, and Pensions weitergereicht, wo er seither anhängig ist.24 Zudem verfügen manche Staaten Nordamerikas einerseits über große muslimische wie auch mitgliederstarke jüdische Gemeinden, deren Positionen zu Abtreibung bis reproduktivem Klonen sich in Hinsicht auf eine z.T. pragmatische Ethik von christlichen Positionen unterscheiden. So ist Abtreibung in der jüdischen Ethik insofern weit weniger problematisch als in der christlichen, da das Leben erst als mit der Geburt beginnend begriffen wird, andererseits wird „all das, was menschliches Leben schützt, verlängert, erzeugen hilft, und was der Gesundheit dienlich sein kann […] positiv bewertet und tendenziell unterstützt […]. Auch im christlichen Kontext umstrittene Felder wie die Forschung an embryonalen Stammzellen oder menschliches Klonen werden daher von jüdischen religiösen Autoritäten nicht prinzipiell abgelehnt oder sogar enthusiastisch befürwortet.“25 Die ethische Verhandlung und Regulierung von Neuen Gen- Reproduktionstechnologien wird für die USA vor allem beschrieben als „fehlend“.26 Die größtenteils privaten Forschungsinstitute verfügen über (eigene) Instanzen zur Bioethik; ProtagonistInnen in der Öffentlichkeit sind vor allem The President’s Council on Bioethics, vertreten durch den Biochemiker und Bioethiker Leon Kass. Dieser spricht sich gemeinsam mit Präsident Bush gegen Klonierung aus, was in den Medien gern durch die Position des Praktischen Ethikers

22 23 24 25 26

sondern wurde installiert durch eine positive Supreme Court-Entscheidung in einem Abtreibungsfall 1973 (Roe v. Wade). Weber 2000. Hierauf beziehen sich mehrere der Texte im Untersuchungsmaterial implizit (vgl. die sozialdeterministischen Diskursstränge in 3.2.3) und explizit Silver 2000. Library of Congress 2001. Prainsack 2005: 14. Peters 2004. vgl. Adamson 2002.

232

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Arthur Caplan konterkariert wird, der u.a. den Philosophen Kass und Krauthammer religiöse Gründe für deren vehemente Verteidigung des Embryos als Person und durch biblisches Vokabular getönte Klon-Ablehnung unterstellt.27 Während Leon Kass die Bauchethik („wisdom of repugnance“)28 des „common sense“ (Gemeingefühls)29 gegen Klonierung sprechen lässt, sind andererseits PatientInnen oder andere Betroffenengruppen, z.T. unterstützt durch pharmazeutische Unternehmen, vereinigt in der Lobby für die staatliche Unterstützung von Klonforschung,30 die derzeit zumindest an öffentlichen Instituten wegen des Klonbannes nicht gefördert wird. Das Verantwortungsargument in der Befürwortung von Klonierung zu verschiedenen Zwecken und im Sinne der Forschung zu Gesundheit und Wohl des Menschen (siehe Kapitel 3.2.1) wird auch von Caplan vorgebracht: „The flimsy case against cloning for cures is being brought to the White House, the Senate and the American people as if the opponents hold the moral high ground. They don’t. The sick and the dying do. The Senate must keep its moral priorities firmly in mind as the vote on banning therapeutic cloning draws close.“31 Feministische Positionen waren noch in den 1980er Jahren eindeutiger vertreten und eindeutiger auf eine befürchtete Ausbeutung des weiblichen Körpers bezogen32, spalteten sich jedoch bald in jeden Gebrauch der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien weiterhin ablehnende und liberalere feministische Positionen. Beckmann und Harvey begründen dies in ihrer historisierenden Übersicht damit, dass auch Frauen als Angehörige oder Patientinnen sich z.T. für Stammzellforschung oder Infertilitätsbehandlungen begannen einzusetzen,33 oder als Vorreiterinnen im praktischen Umgang mit Gentests am Embryo oder den Gameten fungieren, da sie unter anderem durch die Beratungssituation Hauptverantwortung für die Gesundheit ihrer Kinder auf sich nehmen.34 Ein starker liberal-feministischer Strang vertritt auch jeweils in Parlamenten die Position, dass Frauen zu verantwortlichen Entscheidungen in der Lage sind und dass Frauen in jedem Fall selbst entscheiden können müssen, ob und wann sie Kinder bekommen wollen.35 Auch Vertreterinnen der sozialistischen Radical Women (San Francisco), beziehen sich, nach ihren Positionen dazu, was ‚choice‘ in Fragen der Reproduktion meint, befragt, zunächst vor allem auf antinatale Techniken. Sie sehen den Begriff 27 28 29 30 31 32 33 34

Caplan 2002. Kass 1998. Ebd. Toner 2002. Caplan 2002. Beckman/Harvey 2005. Stevens 2002. Rapp 1988. Auch die ersten ausgebildeten Humangenetik-BeraterInnen in den USA waren in den 1980er Jahren vornehmlich Frauen (Rapp 1988). 35 Vgl. Haig 2001, Mackey 2000. 233

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

jedoch problemlos auf pronatale Techniken ausweitbar, denn es ginge darum, dass die Frau in jedem Fall frei zu entscheiden habe.36 Diese Haltung gleicht jenen liberal-feministischen Positionen in den Parlements-Debatten in Großbritannien, vertreten durch die Labor Party in den 1980er Jahren im Zuge der Einführung des Human Fertilisation and Embryology Act (HFE Act, 1990 parallel zum ESchG verabschiedet), wie sie von Charlotte Augst beschrieben werden.37 In einem solchen „Diskurs der Aufklärung“,38 nach dem Individuen frei entscheiden und individuell verantwortlich für ihr Handeln sind, wird ebenso davon ausgegangen, wie im Fall von Abtreibungen, dass Frauen jenseits rechtlicher Hürden ohnehin in der Weise handeln würden, wie sie es für unabdingbar hielten. So füttert der aufklärerische Diskursstrang des autonomen Subjekts einen sozialdeterministischen Strang der Unmöglichkeit sinnvoller Gesetzgebung.39 Mit diesem Argument wird jedoch auch mit emanzipatorischer Intention – und parallel zur Problematik der ‚backstreet abortion‘ – nach Integration von Singles und lesbischen Frauen in das medizinische Zeugungssystem gerufen.40 Augst skizziert dies als aktuellen Diskurs der Aufklärung, der den Rückzug des Staates und des Rechst aus (dann als solchen betrachteten) individuellen Entscheidungen fordert, als einen, nach dem die „Vergangenheit von Irrtümern, Irrationalität und dadurch Unfreiheit gekennzeichnet [war]. Moralische und religiöse Ansprüchlichkeiten stellten sich immer wieder (aber letztlich vergeblich) Vernunft und Humanismus in den Weg. Wir heute hingegen, ‚wir Modernen‘ (Baumann 1992), stehen auf der Seite der Rationalität und der Befreiung. Wir können den menschenverachtenden Irrationalismus der Vergangenheit

36 U.a. vortragende Frauenforscherin und Radical Women-Mitglied Anita O’Shea auf der Veranstaltung „Hasta la vista, Schwarzenegger“ zum Women’s Right Day, San Francisco 27.08.2005. 37 Augst 2001. Sie zitiert die Abgeordnete „Ms Harman“ mit den Worten: „We do not think that the state should, through Parliament and this Bill, dictate the circumstances in which people choose to have a child.“ (Augst 2001: 138, Hervorhebung B.v.W.: Augst erklärt auf derselben Seite, „im englischsprachigen Raum spricht man auch im Zusammenhang von Abtreibungsdebatten von ‚Pro Choice‘ Standpunkten“, es findet sich bei ihr jedoch kein Beleg dafür, dass das Schlagwort ‚pro choice‘ auf pronatale Techniken gemünzt in ihrem Untersuchgungsmaterial verwendet wurde. Parallelen zur Abtreibungsdebatte sind jedoch auch im feministischen wie konservativen US-Makrodiskurs augenfällig.) 38 Augst 2001: 149. 39 Vgl. Sozialdeterministische Stränge in Kap. 3.2.3. 40 „We must aim to bring such people into the system and not prohibit their receiving appropriate treatment.“ Mrs. Bottomley, 15. Mai 1990, Standing Committee B, Official Report: 156, zit. in Augst: 2001: 139. Mit fast gleichem Wortlaut zitiert Arnup eine Rednerin auf einer Konferenz der Royal Commission on New Reproductive Technologies (Kanada), Arnup 1994. 234

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

als solchen erkennen. [Es] gilt (…) diese dunklen und beharrlich rückwärtsgewandten Kräfte zu besiegen.“ (Augst 2001: 140)41

Der Diskurs der Aufklärung fuße in dem Konzept des emanzipierten Subjekts, das unter gegebenen Informationen zu rationalen und richtigen Entscheidungen fähig ist. In dem vorliegenden Analysematerial sind vor allem die auf Teilhaberechten begründenden Selbstbestimmungsszenarien42 in dieser Weise zu verstehen. Die Diskursstränge der ‚choice‘ und ‚informed consent‘, die in Medizin und Gesundheitswesen zentral sind, und einerseits Wahlmöglichkeit fordern und andererseits Verantwortung(sfähigkeit) dem Individuum zuweisen, sind ebenfalls in diesen ‚Diskurs der Aufklärung‘ (nach Augst) bzw. den ‚Diskurs der Befreiung‘ einzuordnen. Genauer ist es im vorliegenden Material der kantische Aufklärungsbegriff, der hier verwendet wird, wobei jedoch gerade die Öffentlichkeit als ein – so Kant – notwendiger Aspekt der Aufklärung, hier nun vom Subjekt isoliert wird.43 Zugleich scheint es dieser Hintergrund möglich zu machen, dass Bedürfnisse von (sich zu Interessengruppen zusammenschließenden) Individuen laut werden,44 wie sie vor einem zwar säkularisierten, aber (spätestens nach der Shoah) dennoch überwiegend katholisch und protestantisch geprägten Kontext kaum legitim zu äußern wären.45 Die zentralen Kategorien, deren Erfüllung mit rechtlichen, sozialen, auch medizinischen Maßnahmen zu erreichen

41 42 43 44

Sie zitiert und übersetzt hierzu Baumann 1991. Vgl. Kap. 3.2.2. Vgl. Kap. 3.2. 2002 wehrten Schwulenorganisationen das Vorhaben der Food & Drug Administration (FDA) ab, Spermienbanken zu untersagen, schwule Samenspender zu akzeptieren (Gay & Lesbian Review 2002) und das Magazin And Baby bedient seit 2002 den lesbischen Reproduktionsbedarf mit breitgefächerten Informationen (Lee 2002). Dies zeigen auch Medienpositionen in den USA zu dem gehörlosen Lesbenpaar, das sich Spermien mit 50%er Chance auf ein ebenfalls gehörloses Kind wünschte (bereits angesprochen in Kap. 3.1). Andererseits sind in den USA bereits seit Beginn der Pränatalen Diagnostik sog. wrongful birth und wrongful life suits in mehreren Staaten zulässig. ‚Wrongful birth‘-Klagen meinen solche, in denen Eltern sich durch die Geburt eines nicht lebensfähigen oder geistig oder körperlich behinderten Kindes durch zuständiges ärztliches Personal ‚geschädigt‘ sehen. ‚Wrongful life‘ meint Klagen des Kindes selbst. Gleiches gilt für die Niederlande, wo in mindestens einem Fall einem Kind Schadenersatz in einer ‚wrongful life‘-Klage zugesprochen wurde (Sheldon 2003). In Frankreich beschloss das Parlament zwar ‚wrongful birth‘ suits zuzulassen, ‚wrongful life‘ suits dagegen nicht. In der BRD liegen drei ‚wrongful birth‘-Rechtsfälle vor, wobei in einem Fall 1993 Eltern wegen vermeintlich verfehlter genetischer Beratung Recht gegeben wurde (Bundesgerichtshof 1994). In Österreich wurde 1999 grundsätzlich die Möglichkeit der ‚wrongful life‘-Klage des Kindes abgelehnt (Oberster Gerichtshof Österreich 1999). 45 Vgl. Wallace/Hilgers 1990. 235

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

seien, sind dabei ‚Freiheit‘ und ‚Zugang‘ (im Sinne von ‚access‘, ‚choice‘ und ‚chances‘). Dennoch ist der Umgang mit Reproduktionsfreiheit in den USA sehr widersprüchlich. Einerseits gibt es bis heute keine föderale Regulierungsbehörde oder –instanz für Fragen der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien, wie es sie in Australien oder England gibt. Manche US-Staaten erlauben viele denkbare Reproduktionshilfen bis hin zur Leihmutterschaft, andere haben keinerlei Regelung, also auch keine Begrenzungen, wieder andere sind sehr restriktiv.46 Ähnlich wie in Europa ergibt sich auch innerhalb der USA ein reger Grenzverkehr, um in anderen Staaten jene Dienste oder Technologien in Anspruch zu nehmen, die im anderen Staat nicht zugänglich sind.47 Föderal ebenso wenig abgesichert, aber auf staatlicher Ebene zunehmend rigide gestaltet, ist das Recht auf Abtreibung, das durch eine Grundsatzentscheidung des supreme court 1973 erstritten worden war.48 Seither wird in einer zunehmenden Zahl der US-Staaten zwar dieser Gerichtsentscheidung formal gefolgt, allerdings einschränkende rechtliche Auflagen gegeben, wie jene, der Ehemann bzw. bei Jugendlichen die Eltern, seien zu informieren und eine 48stündige Bedenkfrist einzuhalten.49 Der Begründungszusammenhang entspricht etwa christlicher Ethik in Hinsicht auf den Schutzwert des Embryos und die Werte der Familie.50 Pronataler Freizügigkeit im Zugang zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien steht insofern ein häufig paternalistischer Umgang mit antinatalen Techniken gegenüber: In Vierteln oder Gegenden mit einer hohen Rate sog. teenage-pregnancy werden behördlicherseits Langzeitverhütungsmittel unter großem Druck eingeführt, ansonsten häufig die Bewerbung oder der Zugang zu schwangerschaftsverhütenden Präparaten erschwert (oder illegalisiert) und Abtreibung verunmöglicht.51 Zum Teil wurde Bundesbehörden vorgeworfen, Anwenderinnen gezielt durch die Zurückhaltung positiver Berichte der Food and Drug Agency (FDA, US-Prüfstelle) über solche Präparate zu verunsichern.52 Entsprechend ergibt eine schlagwortartige Literatursuche zu ‚reproductive liberty‘ oder ‚reproductive choice‘ in Zeitschriften und Zeitschriftendatenbanken53 (mehr zu ‚choice‘ siehe weiter unten), dass darunter vor allem ein 46 47 48 49 50 51 52 53

Toner 2002. Pennings 2004. Benshoof 1993. Ebd.; Beckman/Harvey 1998, Russo/Denious 1998. Wallace/Hilgers 1990. Woodsong/Severy 2005. Sherman 2005. LexisNexis Academic und Contemporary Women’s Issues; in der Zeitschrift Advances in Conception ergibt die Suche nach dem Begriff ‚choice‘ für die Jahre 2000 bis 2005 ausschließlich Artikel zu Verhütungstechniken.

236

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Recht auf Abtreibung und Verhütung verstanden wird und diese weiterhin (bzw. wieder vermehrt) stark umkämpfte Themen sind. Der Kampf um Zugang zu pronatalen Reproduktionstechnologien (siehe in Kapitel 3.2.1 das Recht auf Gleichbehandlung der Liebe-Szenario, in Kapitel 3.2.2 Gute Gene aus Verantwortung fürs Kind-Szenario, Gute Gene aus Liebe zum teuren Kind-Szenario)54 ist zwar unter dem Begriff ‚choice‘ (Wahlfreiheit) präsent, und zwar noch unter der Clinton-Regierung anteilig stärker bis etwa zur Jahrtausendwende, spielt aber eine extrem untergeordnete und abnehmende (eher exotische) Rolle.55 Er ist mit Mühen im breiteren US-Medienspektrum als Thema erkennbar, im starken Kontrast zu seiner Präsentation in den vorliegenden Diskurssträngen. Als ‚Reproduktionstechnologien‘ werden gemeinhin vor allem (aber nicht nur) solche verstanden, die Reproduktion verhindern (antinatale Techniken) und entsprechend ‚reproductive rights‘ als Rechte, Schwangerschaften zu verhindern (im Gegensatz zum Gebrauch von ‚reproduktive Rechte‘ im vorliegenden Untersuchungsmaterial)56. Die Verwendung des Begriffs ‚reproductive choice‘ steht mit dem feministischen Gebrauch von ‚reproductive rights‘ oder ‚choice‘ im US-Kontext also in Kontrast und vernebelt den Ernst der aktuellen Problemlage in Hinsicht auf das Recht auf Abtreibung. Dies ist keinesfalls ein für allemal erstritten, so dass die Begriffe ‚pro choice‘ oder ‚reproductive rights‘ entlehnt und auf die nächsten reproduktiven Auseinandersetzungen übertragen werden könnte, wie die vorliegenden Diskursstränge zu verstehen wären. Die deutsche Situation steht besonders in Hinsicht auf den Umgang mit pronatalen Technologien mit dem zuvor beschriebenen US-Kontext in starkem Kontrast. Im Gegensatz zu anderen postindustriellen Ländern wie Großbritannien oder großen Teilen der USA sind in Deutschland bis weit nach der Jahrtausendwende Eizellspende, das Klonen oder Einfrieren eines menschlichen Embryos, sowie Präimplantationsdiagnostik durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verboten.57 Auch die heterologe Befruchtung durch Spenderspermien ist – geregelt durch die Bundesärztekammer, die die Aufsicht über die Einhaltung des ESchG durch ihre Mitglieder hat sowie im Solidarsystem durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen – sind verheirateten und damit heterosexuellen Paaren vorbehalten.58 Besonders Präimplantationsdiagnostik und vor allem sogenannte Keimbahntherapie wird in

54 55 56 57 58

Vgl. auch Kapitel 4.2.3 und 4.3 zu ‚pro choice‘ bzw. ‚choice‘. Ebd. Vgl. Kap. 3.3b1. Bundesgesetzblatt 1990. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung 2004. Ebenso in Österreich: Bundesgesetzblatt 2004. ‚Gleichgeschlechtliche Partnerschaften‘ (in Deutschland) sind rechtlich den ehelichen Partnerschaften in Hinsicht auf Fragen der Reproduktion nicht automatisch gleichgestellt. 237

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

den Medien gehandelt „like a hot potato“59 und Gentechnologie im Zusammenhang mit Reproduktion mit der Sorge betrachtet, manche dieser Technologien könnten als Schrittmacher zur Eugenik leiten60 – ein Argument, das im ethischen Diskurs in den USA kaum zu finden ist. Eine Meinungsumfrage in der BRD ergab im Vergleich zu den Ansichten von BürgerInnen Großbritanniens eine auch vorsichtigere oder ablehnendere Haltung gegen die Möglichkeit, mit einem ‚Microsorter‘ das Geschlecht des Kindes präkonzeptiv auszuwählen (6% antworteten, dass sie die Technik nutzen würden, wenn es möglich wäre; 92% lehnten es rundweg ab, während in der britischen Studie 21% sich dafür aussprachen, sie selbst nutzen zu wollen und 71% den Gedanken grundsätzlich ablehnten).61 Wie in den USA haben sich auch in Deutschland feministische Positionen zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien von den 1980er Jahren bis heute stark verändert. In den 1980er Jahren bestand eine fast durchgängige Ablehnung der Reproduktionstechnologien, allerdings vor unterschiedlichen Hintergründen in unterschiedlichen feministischen Ausrichtungen. Augst untersuchte auch Positionen von PolitikerInnen in den Debatten des Deutschen Bundestags um das Embryonenschutzgesetz bis 1990, die Unterschiede zu der Art der Argumentation um ähnliche Punkte in der Debatte um Stammzellregelungen im Bundestag um das Jahr 2000 aufweist.62 Augst findet bis 1990 neben den starken konservativen und christlichen Positionen auch „grünen Radikalfeminismus“63 als eine der technikkritischen Haltungen, die an der Formung des bis dato gültigen deutschen regulativen Hintergrund beteiligt waren: Von dieser Seite wurde der Widerspruch zwischen antinatalen international-bevölkerungspolitischen Interessen des Ministeriums für Zusammenarbeit einerseits und der Sorge um infertile deutsche Frauen andererseits problematisiert und eingebracht, es handle sich bei Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien um ein „reaktionäres familienpolitisches und immer auch eugenisches Projekt“.64 Hervorgehoben wurden nicht nur die Folgen für die einzelnen, betroffenen Frauen, sondern jene für die Frau als solche: IVF „führt nicht nur bei den betroffenen Frauen selbst zu einem Verlust des Selbstwertgefühls, sondern bedeutet für alle Frauen einen Angriff auf ihre physische Integrität“.65 Augst sieht diese Positionen als hergeleitet aus internationalen feministischen Positionen, vertreten von Gruppen wie etwa FIN59 60 61 62

Graumann 1999: 175. Jäger et al. 1997: 123. Dahl et al. 2003a; Dahl et al. 2003b. In der Debatte um Stammzellen ging es bei den Grünen weniger um patriarchale Ausbeutung des weiblichen Körpers als um marktstrategische Definitionen von biologischem Material (vgl. Kap. 2). 63 Augst 2001: 140. 64 Ebd: 141. 65 Bündnis 90/Die Grünen 1990: 4. 238

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

RRAGE (wie sie auch später z.T. wiederzufinden sind).66 Im Gegensatz zu von ihr als Darstellung der Realität bevorzugten liberalen, frei handelnden und entscheidenden Modell des Menschen sieht Augst in der Position von Bündnis 90/Die Grünen eine Weltsicht, in der Entscheidungen (vor allem von Frauen) von menschengemachten (patriarchalen) Strukturen prinzipiell vorgegeben und beschränkt seien.67 Auch in der grundsätzlich mit dem ‚grünen‘ Ansatz übereinstimmenden sozialdemokratisch-feministischen Haltung findet Augst kein ‚aufgeklärtes‘, autonom handelndes weibliches Subjekt: In besonderen Fällen wird IVF befürwortet, und zwar, wenn die langfristig mit einem Partner verbundene Frau für ihre Situation unverantwortlich und unschuldig ist, im Fall beispielsweise von Unfall oder Krankheit.68 Es scheint, als führten Konzepte des unversehrten (Natur-)Körpers, der der Technik entgegengesetzt wurde, zu einer Betrachtung auch von Infertilität, nach der (die aktuelle Rechtslage und den sozialdemokratischen IVFbefürwortenden Diskurs zusammengefasst) eine positive Besetzung von Reproduktionstechnologie nur gelingt, wenn sie ‚natürlich‘ ist, wenn sie eigentlich kaum benötigt wird; wenn also Menschen scheinbar jung, ‚gesund‘ und ‚ausreichend heterosexuell‘69 sind, um ‚natürlich‘ zu empfangen – aber aus irgendeinem Grund, einem kleinen unfairen Fehler der Natur, es nicht möglich ist – so dass Neue Gen- und Reproduktionstechnologien ‚Natur‘ helfen können, ihr Werk zu tun. Allgemein wurde in der IVF-kritischen Literatur der 1990er Jahre Frauen gegenüber, die durch Prozeduren der Neuen Gen und Reproduktionstechnologien gehen oder einen Kinderwunsch äußern, der nicht erfüllbar scheint, Skepsis formuliert. Es würden „Kinder eher aus Gründen der eigenen Vollständigkeit gewünscht“, und es werde in die Behandlung gegangen, da diese „Frauen und Paare den Weg der Manipulation statt den der Reflektion“70 wählen. Die Frauen würden ihre Sehnsucht nach einem in der Kindheit verlorenen 66 Vgl. Steinberg 1997, Mies/Shiva 1995. 67 Augst 2001: 142. Augst hält den Deutschen Feministinnen vor, in Großbritannien hätten Frauen „erfolgreich“ für freien Zugang zu Neuen Reproduktionstechnologien gestritten, nicht verheirateten Frauen sei die Behandlung in britischen Kliniken möglich und auch allein stehende Frauen seien nicht per se ausgeschlossen (Augst 2001: 143). Weniger bewertend sollte die Position von Bündnis 90/Die Grünen als situativ eingebettet im Deutschen Kontext der ausgehenden 1980er Jahre betrachtet werden, sie wird damit aus dem besonderen, zum seinerseits speziellen britischen unterschiedlichen politisch-sozialen Kontext heraus plausibel. 68 Vorgeführt von Augst am Beispiel der Position von Herta Däubler-Gmelin im Bundestag 1989 (Augst 2001: 142). 69 Damit ist an dieser Stelle eine starke Paarbindung mit Reproduktionsinteresse als Adjektiv gemeint, im Sinne der Gründung des Begriffs ‚heterosexuell‘ in Opposition zu anrüchig, ungebunden und kinderlos. 70 Jürgensen 1990: 59. 239

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Liebesobjekt stillen, Selbstbestätigung suchen oder das eigene Alter und Endlichkeit verleugnen. Die Mehrzahl der Frauen, die IVF für sich in Anspruch nähme, zeige „eine Art gelungenen Narzissmus, wobei das Ziel ist, handelnd und manipulierend etwas zu erreichen“.71, 72 Eher selten wurde, wie von der Krankenhaus-Pfarrerin Hildegard Düll, darauf hingewiesen, dass das Leiden an einem unerfüllten Kinderwunsch ein grundsätzlich gesellschaftliches (und gesellschaftlich induziertes) Problem sei: Die kritischen feministischen Diskursverläufe um Neue Gen- und Reproduktionstechnologien haben sich seither stark verändert. In insbesondere den politischen Prozess des Drucks zur Einführung von Präimplantationsdiagnostik reflektierenden Positionen seit Ende der 1990er Jahre zeigt sich der Diskurs inzwischen akademisch etabliert und setzt sich sehr viel konkreter mit den Technologien selbst, ihren jeweiligen körperlichen, technischen und sozialen Folgen und Risiken auseinander.73 Dabei stehen auch der internationale Markt und dominante ethische Diskurse im Mittelpunkt.74 In einer dritten ‚Welle‘ der vergangenen Jahre wurde Gouvernementalität im Sinne Foucaults stärker als Interpretationsfolie gewählt und AnwenderInnen dabei als im selben Machtfeld sich bewegend wahrgenommen.75 Es scheint, als gäbe es in beiden Ansätzen wenig Raum für die Anwenderinnen selbst oder als würden sie eher vorsichtig umschifft. So einerseits mit dem Fokus auf Technologie und ihre Risiken und Märkte (bei der die Anwenderin und ihr potentielles Kind als durch Technologie gefährdet erscheint, aber nicht ‚spricht‘) und andererseits als eingewoben in einer Fremd- und Selbstführung von Interessen anderer, die ihre eigenen werden.76 Sind damit auch Probleme der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien zwischen Individuum und Markt genau skizziert, wie sie in der akademischen Auseinandersetzung und in der Politikberatung von Bedeutung sind, findet sich dennoch ein Aspekt nicht (wieder), in dem die vorliegenden untersuchten Diskursstränge voraus sind: Das Leiden

71 Jürgensen 1990: 61. 72 An anderer Stelle berichtet Düll (1990: 76) Frauen, die sich nach dem Fortschritt eines Embryos erkundigen wollen „lauerten dem Chefarzt oder Laborleiter auf.“ Solche Berichte verschieben die Verantwortung in einer Weise, wie es in dem vorliegendem Szenario Mächtige Anwenderinnen (Kap. 3.2.4) geschieht. Auch Beck-Gernsheim berichtet vom „Unbehagen von Humangenetikern“ über eine wachsende Zahl an Frauen aus der gebildeten Mittelschicht, die sich „geradezu fordernd“ an die Ärzte mit dem Wunsch nach Pränataldiagnostik wenden würden (Beck-Gernsheim 1999). 73 Schneider 2002. 74 Kuhlmann/Kollek 2002, Beck-Gernsheim 2000, Gen-ethisches Netzwerk & Pichlhofer 1999, Manhart 1999. 75 Z.B. Graumann 1999, Naue 2005. 76 Mehr hierzu in den Abschnitten zur Wahlmöglichkeit in Kap. 5.1. 240

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

der Frauen, die eine Lösung für ihren Kinderwunsch suchen.77 Damit bildet sich eine Lücke zwischen ‚Leiden‘ und Ansprüchen einer zunehmenden Zahl von Frauen in einem gouvernementalen sozialpolitischen Gefüge, und dem kritischen feministischen Diskurs. Diese Lücke wird nun gefüllt von oft mitfühlendem appellativen Wortgebrauch im reproduktionsgenetischen Diskurs wie in Kinderwunschzentren und gynäkologischen Instituten. Jasanoff wie auch Beck-Gernsheim analysieren die restriktive, aber in Foucaults Begriffen auch produktive deutsche Situation78 als grundsätzlich bedingt durch die historische Erfahrung mit dem Regime des Nationalsozialismus und seiner Gesundheitspolitik der ‚Volkshygiene‘.79 Jasanoff betont, dass der andersartige Verlauf der Regulierung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien in den USA oder Großbritannien kaum allein durch die Abwesenheit solcher Erfahrungen begründet werden könne (zumal in den USA eugenische Maßnahmen bis mindestens weit in die 1950er Jahre angeordnet worden seien).80 Beide weisen auch auf die spezifischen Hintergründe hin, die die Situation der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien in den USA beeinflussen (s.o).

4.1.2 Lokale Krankheitsbegriffe und die Medikalisierung Aus kulturtheoretischer Sicht erscheint es plausibel, anzunehmen, dass in unterschiedlichem Maße als wichtig erachtet wird, ob eigengenetische Reproduktion zu gewährleisten ist, je nachdem, welchen gesellschaftlichen Stellenwert in verschiedenen kulturellen, religiösen, historischen, sozialen Bezügen Fertilität einnimmt. Dies gilt ebenso für die sozialen Bezüge die den Kontext der vorgestellten Szenarien stellen. Es ist davon auszugehen, dass der Stellenwert von ‚Leiden an Infertilität‘ oder der Stellenwert von ‚Handlungsmöglichkeiten‘, als biologische Größen diskutiert, begründet, dass eigengenetische Reproduktion zu gewährleisten sei. Häufig wird diese Frage über den Umweg des Gesundheits- oder Krankheitsbegriffs geklärt, so dass letzterer dazu dient, Behandlungsbedarf zu unterstreichen. Dies lässt die Subjektivität, die in Zuschreibungen an In-/Fertilität liegen, undeutlicher werden und gibt ihr einen quasi objektivierten Gehalt. In besonderem Maße gilt dies für Gesundheitsbegriffe, die aus einer biologischen Erklärung der Ziele oder Bedürfnisse des 77 Abgesehen von wenigen offenen, eine Entscheidungsrichtung nicht vorgebenden autonomen Beratungsangeboten in Deutschland (vgl. Kap. 5). 78 Die Philosophin Christine Hauskeller (2005) weist darauf hin, dass das Verbot der Produktion embryonaler Stammzellen in Deutschland (im Vergleich zur permissiven Situation in Grossbritannien) zu weitreichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fortschritten in der Arbeit mit adulten Stammzellen geführt habe. 79 Jasanoff 2005b, Beck-Gernsheim 2000. 80 Jasanoff 2005a. 241

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Menschen abgeleitet werden, da zusätzlich zu der Annahme eines (universalen und somit ahistorischen) überindividuellen Gesundheitsbegriffs dieser auch noch mit seiner Naturwüchsigkeit untermauert wird.81 Ein Beispiel hierfür ist der „biostatistische“ Ansatz, den der Wissenschaftsphilosoph Christopher Boorse82 entwickelte und den er, einem seiner Kommentatoren folgend, selbst als „naturalistisch“ bezeichnet (im Gegensatz zu „normativistischen“ Ansätzen). Eine solche Begründung von Gesundheit (Krankheit) aus einem universalen Naturzustand heraus liegt ebenfalls grundsätzlich medizinischen Krankheitsbegriffen zu Grunde, die Krankheit als „Funktionsbeeinträchtigung“ beschreiben,83 sowie auch einer Definition von Infertilität als Krankheit, bei der ein (evolutionsbiologisches) menschliches Reproduktionsinteresse hergeleitet werden muss, um die (für das Individuum unschädliche) Unfruchtbarkeit eines Individuums zu einer Krankheit einer menschlichen Population werden zu lassen (mehr hierzu in Kapitel 4.3.2 Genetische Krankheit).84 Nicht nur variieren Konzepte von Gesundheit/Krankheit historisch-kulturell, auch die Art und Weise, wie eine solche Begriffsdefinition zu finden sei, ist bereits von Disziplin zu Disziplin und unter verschiedenen Interessenlagen unterschiedlich. Deutlich wird, dass Definitionen von Gesundheit/Krankheit sich meist nach zu erreichenden (medizinisch gesundheitlichen, aber auch politischen) Zielen richten: „In the past the disease label has been used to try to accomplish a variety of personal and political agendas; it has been a very malleable concept. It has been manipulated to force ‚treatment‘, to deny reimbursement, to block entry into our country, to forbid marriage, to restrict freedom, to enforce morals, and to ‚medicalize‘ a variety of human conditions.“ (Clouser et al. 1997: 178)

Clouser et al. unterstreichen damit einerseits die gesellschaftspolitische Relevanz von Gesundheits- und Krankheitsbegriffen und andererseits den Bedarf einer objektivierenden Klärung, die sie durch ihre vermeintlich rationale Nachvollziehbarkeit für demokratiefähiger halten, als tendenziöse, situationsabhängige Anwendungen des Begriffs Krankheit. Die Verschiebungen der Bedeutung unterliegt jedoch nicht nur einer Medikalisierung sondern auch dem Tauziehen zwischen (emanzipatorischen) Ansprüchen auf Zugang zu bestimmten Einrichtungen oder gesellschaftlichen Leistungen einerseits und einer Medikalisierung andererseits. Denn es wird zwar zum einen die Ursache

81 Vgl. Biodeterminismus in Kap. 3.2.3 und in 4.3.2 Genetische Krankheit. 82 Boorse 1997. 83 Vgl. z.B.: „Any disturbance of structure or function of the body may be considered as disease. A disease is often associated with well-defined, characteristic structural changes.“ Crowley 1983: 4. 84 Hucklenbroich 2004. 242

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

für ein ‚zu behandelndes‘ Phänomen in den Körper eines Individuums hineingelegt (und damit gesellschaftliche Verantwortung abgewiesen), dieses aber zum anderen und damit gleichzeitig genutzt, um das Individuum von ‚Schuld‘ zu entlasten, denn es hat auf seine ‚innere Natur‘ zunächst keinen Zugriff.85 So beschreibt der Sozialethiker Brent Waters die Medikalisierung von Infertilität unter Rückgriff auf Michael Burguess‘ Medikalisierungsbegriff86 als eine „changing perception of a situation or set of circumstances from ‚individual misfortune or a community misfortune‘ to that of a ‚diagnosed condition‘. Thus medicalisation ‚confers legtimation of a problem, social resources for research into causes and treatment, and often a different configuration of responsibility.‘ (...) [T]he misfortune of childlessness is transformed into a problem of infertility. Infertility, unlike childlessness is a medical condition that can be ‚treated‘.“ (Waters 2001: 7)

Am Beispiel von Alkoholismus beschreiben Clouser et al. den (zweifelhaften, s.w.u.) Vorteil der Medikalisierung für das Individuum: „On the other hand, when it is important for the alcoholic to be freed from a burden of guilt and blame it is emphasized that alcoholism is a disease […] victimizing him, [thus] requiring expert medical treatment.“87 Foucault beschreibt, wie besonders körperpolitische Machtfelder funktionieren bzw. Diskurse als Gebilde, hervorgegangen aus der naturwissenschaftlichen Moderne, in denen die ‚medikalisierten‘ oder ‚pathologisierten‘ Individuen an dem Prozess der Medikalisierung teilhatten.88 Dies entspricht dem Weg, den moderne Demokratien den StaatsbürgerInnen anbieten, um mit einer spezifischen – bereits vorgegebenen oder herauszubildenden – Identität den Staat anzurufen, um Interessen durchzusetzen.89 In den USA zeigt sich dieser Vorgang plakativ an der in der Fußnote weiter oben schon angesprochenen Selbstzuschreibung von ‚Infertilen‘ als ‚behindert‘ (disabled): So folgten einer Gerichtsentscheidung von 1998, die erstmals Infertilit als ‚Behinderung‘ im Sinne des Americans with disability act (ADA)90 beschrieb, zahlreiche Klagen auf Finanzierung der Infertilitätsbehandlung durch den Arbeitgeber bzw. die entsprechenden (teils vom Arbeitgeber einzurichtenden) Versicherungen auf der Basis dieses Antidiskriminierungsgesetzes.91 Die Definition 85 Auch wenn Medikalisierung in der Post-Moderne vorwiegend für die Einführung und ‚(Selbst-)Verpflichtung‘ zur Anwendung immer neuer Präparate und Kuren ursächlich steht. 86 Burguess 1993. 87 Clouser et al. 1997: 178. 88 Foucault 1999, s.a. Foucault 1997a; s.a. Kolip 2000a. 89 Vgl. Foucault 1997a, vgl. Kelly 2002; Warner 1999, Hedges 1997; s.a. Bührmann 1995. 90 Congress of the United States of America 1990. 91 Sato 2001/2002. 243

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

von Infertilität als Behinderung wurde in dem Gerichtsentscheid über die Annahme betrieben, Fortpflanzung sei eine ‚major life activity‘ (grundlegende Lebensaktivität) entsprechend dem ADA wie Sehen, Hören, Sprechen, Atmen, Lernen und Arbeiten.92 Die Einordnung als ‚behindert‘ im Sinne des ADA soll also ermöglichen, gegen eine Verletzung des Antidiskriminierungsgesetzes, das wiederum für verschiedene Identitäten (in diesem Fall für ‚Behinderte‘) Schutz vorsieht, vorzugehen und ein Recht auf Gleichbehandlung, z.B. mit ‚Nicht-Behinderten‘ einzuklagen. Zusätzlich kann der Anspruch geltend gemacht werden, dass positive Gerichtsentscheide zu Gunsten anderer ‚Behinderten‘-Gruppen im Kampf um Ansprüche auf Hilfsmittel auch für diese Gruppe gelten müssen. Die Flexibilität solcher Identitäten in der Fluktuation zwischen Recht und Medizin ist ebenfalls gezeigt worden: So beschrieb kürzlich Cheryl Stults am Beispiel der Menopausentherapie in den USA, mit welchen Mechanismen und Kreisläufen medikalisierte ‚PatientInnen‘-Identitäten verstärkt werden bzw. sich verstärken, aber auch, wie sie innerhalb dieses Systems eine Entpathologisierung bewirken können.93 Eine weiteres, für Europa aber auch für die USA typisches Beispiel der (im entsprechenden Rechtssystem notwendigen) Selbstzuschreibung als ‚krank‘ zur Anrufung von oder Verteidigung vor dem Staat ist (historisch erstmalig in Preußen) die Konstruktion von Homosexualität (im damaligen Begriff „psychischer Hermaphroditismus“)94 und ihre ‚erfolgreiche‘ Übersetzung in das Medizin- und Staatswesen. Ähnliches lässt sich heute für Transsexualität auch in Deutschland weiterhin beschreiben.95 Diese aktive Beteiligung an der eigenen Stigmatisierung ist jedoch nur dann erfolgreich, wenn auf ein Konzept rekurriert werden kann, nach dem es keine sozialen Prozesse sind, die zu der gesellschaftlich-körperlichen ‚Abweichung‘ (die Leiden verursacht) führen, sondern es sich um körperliche Bedingungen handelt, so dass tatsächlich ‚normal‘ versus ‚pathologisch‘ als naturalisierte Bedingungen einander gegenüberstehen. Nur auf diese Weise entsteht die medizinische Relevanz, am Individuum (statt an gesellschaftlichen Bedingungen) anzusetzen.96 92 Ebd.: In den auf den Fall von 1998 Bragdon vs. Abbott folgenden Entscheidungen wurde die Setzung von Fortpflanzung als ‚major life activity‘ nicht gefolgt, die Klagen waren aus zusätzlichen Gründen nicht erfolgreich. 93 Stults 2005. Vgl. zur Medikalisierung der Menopause wie auch anderer „weiblicher Umbruchphasen“ in Deutschland: Kolip 2000b, Kuhlmann/Kolip 2005; Medikalisierung ‚männlicher Umbruchphasen‘ vgl. Wöllmann 2005. 94 Ulrichs 1994 (im Original 1864), vgl. auch Bock v. Wülfingen 2005a. 95 de Silva 2005. 96 de Silva 2005, Tucker 1998. Wie tief die Vorstellung von Normalität als einer biologischen Kategorie verankert ist zeigt Clarke 1998, 13: „Fletcher and colleagues (1981: 286) use the interesting term ‚normality studies‘ referring to investigations of the biology of nondiseased humans.“ 244

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

So haben notwendigerweise auch die ‚Kranken‘ an der Essentialisierung bzw. der biodeterministischen Fassung von ‚Krankheit‘ Anteil innerhalb des sozialen wie medizinischen (weiterhin modernen) Machtfeldes. Der Krankheitsbegriff bewegt sich so also im Austausch zwischen Individuum und Staat bzw. zwischen Emanzipation des Individuums und seiner Medikalisierung. Die zuvor in Kapitel 3 dargestellten und in ihren Anforderungen an Gesundheitsvorstellungen zusammengefassten Szenarien der Reproduktionsgenetik beziehen sich stark auf emanzipatorische Interessen von Individuen und vermitteln den Eindruck, sich auf entsprechende Gesundheitsbegriffe zu beziehen. Es sollen darum im Folgenden derzeit gängige, eher als emanzipativ beurteilte Krankheits-/Gesundheitsbegriffe diskutiert werden und daraus Kategorien eines „guten“ Krankheits-/Gesundheitsbegriffs gezogen werden (Kapitel 4.1.3). Die Aspekte derzeitiger Gesundheitsbegriffe werden auf Parallelen und Abweichungen mit den beschriebenen reprogenetischen Vorstellungen von emanzipativer (reproduktiver) Gesundheit untersucht. Auf diese Wiese werden die möglichen (in Kapitel 3.3.4 bereits anhand der Ergebnisse zu Gesundheitsbegriffen im Untersuchungsmaterial angedeuteten) Veränderungen des (reproduktiven) Gesundheitsbegriffs verdeutlicht. Zugleich wird dabei beobachtbar, an welchen der verschiedenen Gesundheitskonzepte sich die verschiedenen in Kapitel 3 dargestellten Szenarien (implizit) hauptsächlich orientieren (Kapitel 4.3). Anhand dessen kann und soll aufgezeigt werden, welche emanzipatorischen Hindernisse in unterschiedlichen Kategorien und Ansätzen von Gesundheitsbegriffen verborgen liegen oder welche weiterführend sind.

4.1.3 Funktionen von Krankheits-/Gesundheitsbegriffen: von Medizin zu Public Health Krankheit Innerhalb der Medizintheorie wird zur Beschreibung eines derzeit gängigen Krankheitsbegriffs vielfach auf den Medizinhistoriker Schipperges Bezug genommen, dessen biomedizinisches Konzept der Krankheitsentstehung wiederum grundsätzlich auf der Zellpathologie Virchows97 basiert. Das Verhältnis zwischen Krankem und Krankheit ist demnach eins, nach dem die oder der Kranke wenig Zugang zu ihrer/seiner Krankheit hat und durch Zugriffe von außen durch Experten sowohl diagnostiziert als auch – mit naturwissenschaftlichen Methoden – als Patient behandelt wird.98 Hierauf beruht das spätere Risikofaktorenkonzept99, das sich stärker mit heutigen sog. Zivilisationskrankheiten befasst. Die Verantwortung liegt dabei primär beim Individuum, 97 Virchow 1992. 98 Schipperges 1984. 99 Schäfer/Blohmke 1978. 245

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

durch Experten bestimmte Risikofaktoren zu meiden und dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung zu mindern. Der auf dem Risikofaktorenkonzept beruhende Präventionsgedanke geht davon aus, dass sowohl ungünstiges eigenes Verhalten als auch schädigende Faktoren von außen (Infektionen, Schadstoffe o.ä.) auf den Körper einwirken und dadurch Krankheit begünstigen. Sowohl diese äußeren wie auch die inneren Faktoren gelten als Risikofaktoren. Um ihnen vorzubeugen, werden drei Arten der präventiven Maßnahmen unterschieden, die an der noch nicht erkrankten Person ansetzen: Einerseits Hygiene und Schutzimpfungen, andererseits Verhaltensprävention am Individuum sowie Verhältnisprävention. Selbst wenn letztere, wie etwa das Thema Schadstoffexpositionen am Arbeitsplatz Überschneidungen mit einem systemisch orientierten Gesundheitskonzept zeigt, setzen diese Präventionsvorstellungen an der Verantwortung des Individuums an, das im Zentrum der ärztlichen Therapie steht. Voraussetzung also für dieses Konzept ist bereits ein autonomes und mündiges Individuum, wie es wiederum im – im Zuge der Auseinandersetzungen um PatientInnenautonomie errungenen – informed consent angesprochen und zu eigenverantwortlichen Entscheidungen aufgefordert wird. Auch in Deutschland wird das Festhalten an der Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen ‚gesund‘ und ‚krank‘ von rechtlichen Regulierungen von Leistungsansprüchen geprägt. Nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung hat die „Krankenversicherung [...] die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wieder herzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern“ (§ 1 Abs. 1 SGB V); ein Anspruch auf Behandlung besteht „wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern“ (§ 27 SGB V). Dabei bleiben darin Gesundheit und Krankheit undefinierte Begriffe, die durch die medizinische und rechtliche Praxis zu bestimmen sind. Mit dem „Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter (KGV)“ von 1883 war ‚Krankheit‘ (darin bereits erklärt als eine medizinische Regelwidrigkeit oder Arbeitsunfähigkeit) erstmals als Begründung auf Anspruch beschrieben und damit bis heute relevante versicherungsrechtliche Grundlagen geschaffen worden.100 Es wurde 1898 durch das Preußische Oberverwaltungsgericht konkretisiert, dass Krankheit ein Zustand sei, der ärztliche Behandlung notwendig mache. Die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung hänge von ärztlicher Feststellung ab. Damit wurde bereits mit der Einführung eines 100 Auch das derzeit in Deutschland gültige Sozialgesetzbuch versteht Gesundheit als die Abwesenheit von Krankheit und Krankheit als regelwidrigen Gesundheits- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Heilbehandlung erfordert oder zu Arbeitsunfähigkeit führt (Sozialgesetzbuch SGB V § 27, Kommentar, siehe Krauskopf 2005). 246

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

sozialrechtlichen Anspruchs auf Behandlung die Definitionsmacht über einen (allerdings nachvollziehbar darzustellenden) Bedarf der Ärzteschaft aufgebürdet.101 Die Funktion des Krankheitsbegriffs wird dementsprechend im Bereich der Medizin als Grenzmarkierung von Behandlungsrelevanz verteidigt, um beispielsweise ‚Optimierungsoperationen‘, auch gentechnische, als nicht in den Zuständigkeitsbereich der medizinischen Profession zugehörig zu definieren,102 oder umgekehrt wiederum den Handlungsbereich der Medizin (beispielsweise ins genetische hinein) zu erweitern.103 Dabei ist bereits problematisiert worden, dass Definitionen von Gesundheit/Krankheit als Scheidung zwischen dem Normalen und dem Pathologischen eine stark normative Komponente (wie weiter oben beschrieben) mit sich führen bzw. so vage sind, dass bereits diskutiert wurde, auf dieses Begriffspaar gänzlich zu verzichten104 oder Krankheit mit anderen Begriffen (z.B. „malady“ bei Clouser et al. 1997, die mit einem wiederum mit einem aus natürlichen Funktionen abgeleiteten Begriff von ‚harm‘ arbeiten) zu ersetzen. Auch in diesen Positionen wird jeweils davon ausgegangen, dass eine objektive Bestimmung des Krankheitsbegriffs bzw. seiner Entsprechung möglich sei (bzw. möglich sein müsse, um Gerechtigkeit herzustellen). So wird in Deutschland der Bedarf eines ‚klaren‘ Krankheits-/Gesundheitsbegriffs im Zusammenhang mit dem öffentlichen Gesundheitswesen und dem ärztlichen Ethos damit begründet, dass er die Frage beantworten helfen soll, wann medizinischer Handlungsbedarf legitimiert sei. Wie sich aber bei der genaueren Betrachtung des historischen Hintergrundes des Gesundheits-/ Krankheitsbegriffes zeigt, stellt sich der Begründungsverlauf – je nach Anschauung und disziplinärem Hintergrund der AutorInnen – meist umgekehrt dar: technologisch-medizinische Entwicklungen bringen ein neues Krankheitsphänomen hervor – bzw. eine neue Technologie, die ein Phänomen ‚behandlungsfähig‘ macht. Für dieses wird dann der Gesundheits-/Krankheitsbegriffe passfähig gemacht, nachdem zunächst seine „Failure to fit medical disease classification“105 festgestellt wird. So hieß es bereits 1982, „the concept of disease is primarily a technical medical concept“106. Und Boorse (1997) zitiert Kendell mit der Feststellung von 1975, die damals gegenwärtige Nosologie würde Krankheits-Entitäten wie Muscheln am Strand hinterlassen nach sukzessiven Wellen der medizinischen Wissenschaft. Und weiter:

101 102 103 104 105 106

Seffen 1982, Taupitz 1997. Breyer et al. 2002. Vgl. Lanzerath 2004. Siehe z.B. Wiesing/Werner 2002, im Gegensatz dazu Lanzerath 2004. Boors 1997. Ladd 1982: 33. 247

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

„Each of these waves of technology has added new diseases, and from each stage some have survived. A few, like senile pruritus and proctalgia fugax, are still individual symptoms. Others, like mirgraine and most psychiatric diseases, are clinical syndromes – Sydenham’s constellation of symptoms. Mitral stenosis and hydronephrosis are based on morbid anatomy, and tumours of all kinds on histopathology. Tuberculosis and syphilis are based on bacteriology and the concept of the etiological agent, porphyria on biochemistry, myasthenia gravis on physiological dysfunction, Down’s syndrome on chromosomal architecture, and so on.“ (Kendell, 1975: 307)107

Besonders Geschlechtlichkeit und Reproduktionsprozesse wurden in einer Verschiebung des Krankheitsbegriffs in medizinische Termini von Grenzwerten und Risiko übersetzbar und somit der zunehmenden ärztlichen Begleitung zugeführt. Anders als in der Verwendung des Medikalisierungsbegriffs bei Clouser et al. (s.o.) wird von der Gender-Forschung in Public Health nicht primär auf die Medikalisierung von (dann zu ihren Gunsten oder Ungunsten ‚kranken‘) Individuen (unter Herstellung neuer Identitäten) fokussiert, sondern auf die Medikalisierung von Lebensphasen und -prozessen; auf die Normierung, Pathologisierung und Regulierung von „Bereiche[n] des Umgangs mit dem Körper, die bis dahin dem oder der Einzelnen überlassen worden waren [und die dann] durch die professionelle Medizin übernommen werden“108 (vgl. Kapitel 2). Solche Vorgänge werden bezüglich der beteiligten Wissenschaft reflektiert als „Professionalisierungsstrategie“109 oder gentechnischpharmazeutische ‚Nischensuche in biotischen Prozessen‘.110 Zum Teil neu entstehende Disziplinen (wie die Reproduktionsgenetik) erreichen dabei ein ‚Behandlungsmonopol‘. Nicht die (gemessen an der steigenden Lebenserwartung in den letzten einhundert Jahren grundsätzlich oft erfolgreiche) medizinische Unterstützung wird dabei kritisiert, sondern die sich entwickelnde Definitionsmacht und Monopolstellung der jeweiligen Disziplinen, die eigenständigen Entscheidungen der potentiellen PatientInnen entgegenstehen. Aus Public Health-Sicht werden gesundheitliche Folgeprobleme (wie erhöhte Krebsraten unter Östrogenen beispielsweise), Stigmatisierung vermeintlicher Normabweichung und unverhältnismäßige Kosten kritisiert.111 Entsprechend der Verschiebungen medizinischen Handelns im 20. Jahrhundert, die Zivilisationsphänomene im Sinne von Risikofaktoren ins Zentrum der Behandlung rücken, seien rund um die Pubertät, Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und 107 „[…] that current nosology includes disease entities deposited like shells on a beach, by successive waves of medical science“ und weiteres s.o.: Kendell 1975: 307. 108 Kolip 2000a: 10. 109 Ebd.: 12. 110 Paraphrasiert nach Clarke 1998: 10ff. 111 Kolip 2000a: 11. 248

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Menopause „durch die Diagnostik und Therapie neue gesundheitliche Probleme [entstanden], für deren Beseitigung wiederum die Medizin zuständig ist“112, die in all diesen Bereichen inzwischen von der überwiegenden Zahl der Frauen für diese Phasen auch angesprochen wird. Gleiches gilt inzwischen auch für den männlichen Körper113 (für solche zwischen den Geschlechtern ohnehin) – nur für den Bereich der Zeugung steht diese durchgängige Problematisierung des ‚wilden‘ Vorgangs noch aus. Auch lässt sich zeigen, wie der Krankheits-/Gesundheitsbegriff der ärztlichen Praxis innerhalb gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Normen angepasst wird.114 In seinem Buchbeitrag A rebuttal of health („Rückschlag gegen Gesundheit“)115 ficht Christopher Boorse die Betonung des Gesundheitsbegriffs gegenüber dem Krankheitsbegriff seit den 1960er Jahren an. Es sei allein und vor allem die Physiologie, die (seiner Ansicht nach sinnvoller Weise) über den Krankheitsbegriff der Pathologie bestimmen müsse und würde und infolge beider resultiere ein auf statistischen Daten basierender Krankheits-/Gesundheitsbegriff. Nach der kritischen Untersuchung Canguilhelms lässt sich diese derzeit weitgehend dominante Fassung eines physiologisch quantitativen Krankheitsbegriffs u.a. auf den französischen Physiologen Claude Bernard zurückführen. Ihre Medikalisierungsaspekte, wie jene, dass die Norm- oder Idealwerte immer enger definiert werden, werden inzwischen auch von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen.116 Boorses Ansicht nach, die hier wegen ihres durch die plakative Analyse des (normativen) Widerspruchs zwischen den Konzepten Krankheit und Gesundheit hervortretenden Aspekts ausführlicher dargestellt wird, sei ein Gesundheitsbegriff für die Medizin wenig nützlich. Allein die Frage sei aufschlussreich, was behandelt werden solle, und dies ließe sich nach dem Modell der Abweichungen erkennen. In seinem Verständnis von ‚natürlich‘ und ‚gesund‘ bzw. ‚nichtpathologisch‘ wird die Parallele deutlich, dank derer er unter anderem den zuvor erwähnten Bioethiker Leon Kass, der sich in ethischen Entscheidungen quasi auf den ‚gesunden Menschenverstand‘ beruft, explizit in seinen Ausführungen gemeinsam mit in die Reihe der „Naturalisten“ (im Gegensatz zu „Normativisten“)117 stellt: In seiner „Biostatistischen Theorie“ (BST) erklärt Boorse sein Modell als eines, das auf „biologischer Funktion und statistischer Normalität“ beruht. Er unterstützt die Position, Gesundheit sei die Abwesenheit von Krankheit, und 112 Kolip 2000a: 11 mit Bezug auf Illich 1995. 113 Wöllmann 2005. 114 Horgan 1995: So sei die Kategorie der Homosexualität aufgrund politischer Auseinandersetzungen vom ICD (der International Classification of Diseases) gestrichen worden. 115 Boorse 1997. 116 Siehe z.B. zu ‚Cholesterinwerten‘ Blech 2005. 117 Boorse 1997: 6. 249

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

hält sie für übersetzbar in „normal versus pathologisch“, was er als das (weiterhin) grundlegende theoretische Konzept der westlichen Medizin beschreibt.118 Somit ist gesund mit normal und normal mit nicht-pathologisch und nicht-pathologisch mit ‚natürlich‘ gleichzusetzen. Die Relativität dessen, was als „biologische Funktion“, als ‚Ziel eines Organismus‘ gelten kann, ist ihm durchaus bewusst: „I suggested that different subfields of biology may use different goals as the focus of their function statements. But since physiology was the subfield on which somatic medicine relies, medical functional normality was presumably relative to the goals physiologists seem to assume, viz, individual survival and reproduction.“119 Es lässt sich also zusammenfassen, dass Physiologie individuelles Überleben und Fortpflanzung zum Ziel der Körperfunktionen setzt. Da Physiologie die Grundlage heutiger Medizin darstelle, sei dies also auch die Funktion, die in der Bekämpfung physiologischer Abweichungen herzustellen sei. Dass allerdings die Möglichkeit des Zugriffs auf und die Veränderung von zahlreichen physiologischen Werten bzw. deren ‚Behandlung‘ durch entsprechende Technologieentwicklung die medizinische Praxis direkt beeinflusst und prägt, bleibt unbeachtet. Damit formuliert die biostatistische Theorie ein Beispiel, wie „die biomedizinische Konzeption von Krankheit in ihrer ontologisierenden Wissensordnung die Konstruiertheit ihres Wissens [negiert].“120 In der Biologie ist allerdings ein teleologisches Verständnis von ‚Funktion‘ umstritten, denn es impliziert ein Ziel, zu dessen Gut ein Organ, Vorgang etc. ‚dient‘. Teleologische Aussagen sind in dem Fachgebiet, dass sich (zumindest dem Anspruch nach) lediglich der Beschreibung natürlicher Vorgänge widmet, zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichem Maß verpönt. Argumentiert wurde u.a., dass die Annahme von Zielen, auf die biotische Vorgänge zusteuerten, voraussetzen würde, dass Wirkungen vor ihren Ursachen bekannt wären (was dem mechanistischen Konzept widerspräche).121 Allerdings hat lange schon die Medizin einen positiven Gesundheitsbegriff erarbeitet, der mit einem älteren Gesundheits-Begriff der WHO (s.u.) kompatibel ist, wonach also Gesundheit mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit, und die eine subjektiv empfundene Gesundheit zumindest teilanerkennt: So formulierte der Deutsche Ärztetag 1994, Gesundheit sei „die aus der Einheit von subjektivem Wohlbefinden und individueller Belastbarkeit erwachsende körperliche, seelische und soziale Leistungsfähigkeit eines Men-

118 119 120 121

250

Ebd.: 7. Ebd.: 9. Hanses 2005, vgl. Hanses/Keil 2003; Canguilhelm1974. Der Biologe Pittendrigh (1958) führte daher den Begriff der teleonomen Prozesse für zelluläre Regelprozesse ein.

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

schen“.122 Welches Maß an Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit als ‚gesund‘ zu bezeichnen ist, ist auch hier also nicht der Subjektivität überlassen.

Gesundheit Aus aktuellen Public Health Handbüchern und Fachschriften123 lässt sich eine Kurzgeschichte des Gesundheitsbegriffs in den Gesundheitswissenschaften und in Public Health (und seit etwa den 1980er Jahren auch in einigen angrenzenden Feldern der Medizin, wie etwa der Sozialmedizin) ableiten.124 Diese beginnt überwiegend mit Definitionen von Gesundheit, die erstmals durch die neugegründete WHO direkt nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen und später modifiziert worden sind.125 Im Gegensatz zu dem naturwissenschaftlich orientierten Krankheitsbegriff ist die WHO-Definition von Gesundheit von Anfang an stark gesellschaftlich formuliert und erfuhr in den verschiedenen Fassungen von 1948, 1986 und 1998 weitreichende inhaltliche Veränderungen.126 Der Begriff Gesundheit wird in der Konstitution der Weltgesundheitsorganisation von 1948 definiert als: „>...@ ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Behinderung.“127 Gesundheit wird somit gesehen als nicht nur physische und psychische, sondern auch als soziale und sogar (sozial-)politische Anteile umfassend, als ‚bio-psycho-sozial‘. ‚Wohlbefinden‘ ist ein individuell-subjektiver Begriff, der sich mit einer vermeintlich objektiven Expertenansicht nicht zwangsläufig deckt. Nachdem diese Definition als in ihrer Verbindung von statisch („Zustand“; „vollständigen Wohlbefindens“) und zugleich utopisch (Gesundheit sei ein utopischer Zustand, der nie erreicht, aber immer prozesshaft ins Ziel genommen würde)128 kritisiert worden war, wurden auf der ersten internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Ottawa in der Ottawa-Charta

122 Bundesärztekammer 1994: 3. 123 Kuhlmann/Kolip 2005, Kolip 2002, Schwartz et al. 2002, Kolander et al. 1999. 124 Dies erfolgt ohne jeden Anspruch an Vollständigkeit, sondern in dem Sinne, wesentliche Züge verschiedener prägender Gesundheitsbegriffe deutlich zu machen. Beispielsweise wird unter den in der internationalen Public HealthLiteratur häufiger zitierten Konzepten in der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen auf das systemtheoretische Modell des Soziologen Parsons (Parsons 1996), das Stress-Coping-Modell von Lazarus (Lazarus 1993) oder das Hardiness-Konzept von Kobasa (Kobasa et al. 1982). 125 Kickbusch 1982. 126 Siehe Frischenschlager 1996. 127 World Health Organization 1998: 1. 128 Sandelowski 1981: 4, Dubos 1974. 251

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

zur Gesundheitsförderung (1986)129 folgende Konkretisierungen vorgenommen: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können. In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit ebenso betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden.“ (World Health Organization 1986)

Die Ottawa-Charta hat mit dem Begriff der Selbstbestimmung, der Vorstellung von der Verwirklichung von ‚Wünschen und Hoffnungen‘ einen aufklärerischen und an das puritanische Streben nach Glück als zu gewährleistendes Grundbedürfnis erinnernden Tenor. Der Begriff der Ressourcen dagegen wird als aus dem Salutogenese-Konzept130 des Stressforschers Aaron Antonovsky bezogen beschrieben, ebenso, wie die in der Gesundheitsdefinition von 1948 fehlende Blickrichtung auf die Faktoren für die Genese von Wohlbefinden. Dieses Konzept wurde von Antonovski in den 1970ern bis frühen 1980er Jahren entwickelt.131 Im Zuge der ‚Gesundheitskrise(n)‘ der Industrieländer (s.u.) führte die WHO im Weiteren Reformdebatten um Gesundheitsbegriffe, die zur Fassung neuer Gesundheitsstrategien führen und den Public Health-Politiken und -Diensten eine neue Richtung weisen sollten. 132 Das ‚Glossar Gesundheitsförderung‘ der WHO (1998) schließlich bezieht als neuen Begriff ‚Partizipation‘ in die Beschreibung von Gesundheitsförderung mit ein. Das Glossar dient dazu, die Übersetzbarkeit und gemeinsame 129 World Health Organization 1986. 130 „Gesundheitsentstehung“ im Kontrast zu „Pathogenese“, der Krankheitsentstehung. 131 Antonovsky 1979, Antonovsky 1989, Antonovsky 1991, Antonovsky 1997: Als historischer Hintergrund gelten Erfahrungen aus dem Dritten Reich (Antonovsky 1987), die die Frage aufwarfen, wie Menschen trotz extremster Lebenserfahrungen (er führte Befragungen von Überlebenden von Konzentrationslagern durch) gesundheitlich widerstehen und im Verlauf des Lebens psychische Gesundheit erhalten oder wiederherstellen konnten. 132 Kickbusch 1982. 252

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Verwendung von Begriffen von in dem Bereich der Gesundheitsförderung Tätigen zu erleichtern. An der kontinuierlichen Festlegung der Begriffe sollen die verschiedensten Akteure beteiligt sein. In dem Glossar133 wird Gesundheitsförderung mit Verweis auf die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung von 1986 und auf die Jakarta-Deklaration von 1997 definiert als: „ein komplexer sozialer und politischer Prozess; sie schließt nicht nur Handlungen und Aktivitäten ein, die auf die Stärkung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Individuen gerichtet sind, sondern auch solche, die darauf abzielen, soziale, ökonomische sowie Umweltbedingungen derart zu verändern, dass diese positiv auf individuelle und öffentliche Gesundheit wirken. Gesundheitsförderung ist der Prozess, die Menschen zu befähigen, ihre Kontrolle über die Determinanten von Gesundheit zu erhöhen und dadurch ihre Gesundheit zu verbessern. Aktive Beteiligung (Partizipation) ist essentiell, um Gesundheitsförderungsaktivitäten zu erhalten.“ (World Health Organization 1998)

Statt auf das Verhalten des Individuums richtet sich der Blick auf die Verhältnisse. Neue Begriffe gegenüber der Fassung von 1986 sind in diesem Gesundheitsbegriff zudem die ‚Kontrolle‘ (des Individuums über Gesundheitsdeterminanten) und der aus dem Empowerment-Diskurs entlehnte Begriff der ‚Partizipation‘. Die auf dem Salutogenese-Modell von Antonovsky fußende WHO-Gesundheitsdefinition wird zwar von WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen häufig als Leitidee für gesundheitsbezogene Forschung und Maßnahmen verwendet, es wird jedoch kritisiert, er sei nicht geeignet, um operationalisierbare und evaluierbare Handlungs- und Forschungskonzepte zu entwickeln.134 Umsetzungen des Salutogenese-Modells als Erforschung des Gesundens statt des Vermeidens von Krankheit hat nach der Gesundheitswissenschaftlerin Petra Kolip bis 1994 allzu wenig stattgefunden,135 nahm jedoch mit der Zeit dann offenbar zu (s.w.u.). Der Diskurs der ‚Krise der Gesundheitssysteme‘ in westlichen Industrieländern und den USA wird als Hintergrund für Wiederaufleben und Reformulierung des stärker sozialwissenschaftlich geprägten Public Health-Ansatzes seit etwa den 1960er Jahren verstanden.136 Der theoretische Leitgedanke für 133 World Health Organization 1998: 1-2. Das Glossar erfasst Erweiterungen der Darstellungen von Gesundheitsförderung von Ottawa, wie sie in Jakarta diskutiert wurden. 134 Wulfhorst 2002. 135 Kolip 1994: 15. 136 World Health Organization 1998: 4. Es wird daher beispielsweise von der WHO der heutige Public Health-Begriff als ‚New Public Health‘ von einer früheren Public Health (als Synonym für Sozial- und Präventivmedizin) in den USA unterscheiden, der vor allem auf staatlich-betriebliche Maßnahmen zur 253

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

gesundheitsbezogene Forschung und Maßnahmen ist dabei die WHO-Gesundheitsdefinition. Dies zeigt auch die Definition von Gesundheit des in den Gesundheitswissenschaften maßgeblichen Soziologen Hurrelmann, der einen psychosozialen Ansatz verfolgt:137 „Gesundheit setzt sich (…) aus physischen, psychischen und sozialen Anteilen zusammen, die sich wechselseitig beeinflussen. Gesundheit ist eng mit individuellen und kollektiven Wertvorstellungen verbunden, die sich in der persönlichen Lebensführung niederschlagen. Sie ist ein Balancezustand, der zu jedem lebensgeschichtlichen Zeitpunkt immer erneut hergestellt werden muss. Sie ist kein passiv erlebter Zustand des Wohlbefindens, wie die rein körperliche Fixierung des Begriffes in der klassischen Medizin nahe legt, sondern ein aktuelles Ergebnis der jeweils aktiv betriebenen Herstellung und Erhaltung der sozialen, psychischen und körperlichen Aktionsfähigkeit eines Menschen. Soziale, ökonomische, ökologische und kulturelle Lebensbedingungen bilden dabei den Rahmen für die Entwicklungsmöglichkeiten von Gesundheit.“ (Hurrelmann 1988: 17)

Die Vorstellungen eines Gesundheits-/Krankheitsbegriffs in Public Health lassen sich zusammenfassend auf den größten gemeinsamen Nenner bringen, wie er vor allem von Antonovski formuliert worden war und für die 1980er Jahre neu aufschien: Dass Gesundheit und Krankheit nicht voneinander trennbare Kategorien in Opposition darstellten, sondern ein dynamisches Kontinuum bildeten.138 In Unraveling the mystery of health verwendet Antonovsky eine Allegorie, um das Konzept der Salutogenese vom vorherrschenden medizinischen Handlungsmodell zu unterscheiden: „(...) my fundamental philosophical assumption is that the river is the stream of life. None walks the shore safely. Moreover, it is clear to me that much of the river is polluted, literally and figuratively. There are forks in the river that lead to gentle streams or to dangerous rapids and whirlpools. My work has been devoted to confronting the question: ‚Wherever one is in the stream – whose nature is determined by historical, socio-cultural, and physical environmental conditions – what shapens one’s ability to swim well?‘“ (Antonovsky 1987: 90)

Nach Antonovski unterscheiden sich Menschen je nach den Positionen die sie auf dem Gesundheits-Krankheitskontinuum zwischen den Extremen des körKrankheitsverhütung beruhte. New Public Health als Fach entspräche demnach in Deutschland einfach ‚Public Health‘ sowie den interdisziplinär gefassten Gesundheitswissenschaften. 137 Hurrelmann 1988; Hurrelmann/Laaser 1998. 138 Vgl. dazu z.B. das Salutogenesemodell von Antonovsky (ders.: 1987, 1989, 1997). 254

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

perlichen Wohlbefindens (health-ease) und des körperlichen Missempfindens (dis-ease) einnehmen, sowie durch ihr Kohärenzgefühl (sense of coherence, SOC). Dies enthält drei (messbare) Komponenten: Sense of comprehensibility (Gefühl der Verstehbarkeit), sense of manageability (Gefühl der Handhabbarkeit), sense of meaningfulness (Gefühl der Bedeutsamkeit). Zusätzlich verfügen Menschen über innere und äußere „Widerstandsressourcen“ (general resistance resources, GRR), das Kohärenzgefühl bleibt jedoch der wesentliche Gesundheitsfaktor in diesem Konzept. Es wird daher als notwendig erachtet, den medizinischen Krankheitsbegriff und die Betrachtung der Pathogenese um die Arbeit an der ‚Salutogenese‘, den Prozess des Gesundens, zu ergänzen.139 Antonovskys SalutogeneseKonzept liefert dabei die theoretische Grundlage für Konzepte der Gesundheitsförderung.140 Auch wenn die Umsetzung von Gesundheits- statt Krankheitsforschung trotz umgekehrter Intention oft fehlte, wie von Wulfhorst an der Verwendung des WHO-Gesundheitsbegriffs verdeutlicht wurde141, findet Antonovskys Salutogenese-Konzept zunehmende Verbreitung auch in der empirischen Forschung.142 Das Salutogenese-Konzept wurde besonders in der Forschung zur Subjektivität von Gesundheit stark gemacht,143 dennoch ist an dem Konzept Antonovskys auch Kritik geübt worden. Sie betrifft den Glauben an die Quantifiziertbarkeit von Gesundheit durch ExpertInnen144 sowie den Umstand, dass Faktoren der Salutogenese, wenn wenig ausgeprägt, als Negativ-Ressourcen, also als Risikofaktoren (quasi als Risiko des coherenceMangels), betrachtet werden können. Dies ist konzeptionell darin begründet, dass die Gesundheitsfaktoren als in der Person liegend und quantifizierbar betrachtet werden.145 Die Allegorie des Lebensflusses voller gefährlicher Strömungen legt zudem nahe, dass Gesundheit ein ständig und selbstverständlich bedrohter Zustand sei. Dies skizziert Gesundheit in einem dauerhaften Gefährdungsszenario, für das man mehr oder weniger gut präpariert ist, sofern der SOC als statisch und seine Herausbildung nicht als prozesshaft und kontinuierlich betrachtet wird.146 Eine ‚gute Gesundheit‘, die einfach gegeben ist, 139 140 141 142

143 144 145 146

Schwartz et al. 2002. Wydler et al. 2000. Wulfhorst 2002. Lindström und Lindström fanden allein zwischen 1992-2003 fast 500 Studien, die nicht nur konzeptionell, sondern empirisch mit Antonovskys Sense of Coherence arbeiten: Lindström/Lindström 2005. Faltermeier 1994. Antonovsky 1993. Hanses/Keil 2003. Dies wäre meines Erachtens möglich: Seine Thesen speisen sich aus zahlreichen Interviews mit Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Ergebnisse seiner Forschung belegen also auch, mit welchem weitreichenden Ausmaß geradezu subversiv gewachsene Ressourcen einem äußeren Zerstörungswillen Widerstand leisteten. Dies zu betonen, zeigt wie stark zunächst außerhalb der 255

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

ohne Arbeit zu fordern, sofern denn die soziale und politische Umgebung dies ermöglichen, ist darin nicht denkbar. Weitere wesentliche Modelle, auf die sich heute in Public Health bezogen wird, sind das bereits der ersten WHODefinition entsprechende bio-psycho-soziale Modell von Gesundheit des Mediziners George Engel, das „social, psychological, and behavioural dimensions of illness“147 integrieren sollte. Hierfür entwickelte er eine allerdings mechanistische Definition, nach der ein Organismus gesund ist, „wenn er glatt funktioniert, Bedürfnisse stillt, erfolgreich den Anforderungen und Ansprüchen der inneren und äußeren Umgebung entspricht, und seinem biologischen Schicksal, eingeschlossen Wachstum und Reproduktion, nachkommt.“148 Ebenfalls als eine Alternative zu Konzepten, die Krankheiten, statt das Individuum (den kranken Menschen), ins Zentrum stellen, ist das psychosomatische Konzept149 von Viktor von Weizsäcker entwickelt worden. Es legt den Schwerpunkt auf die biographisch-psychischen Befindlichkeiten und den Gesamtverlauf der Lebensgeschichte. Thure von Üxküll begründete die psychosomatische Medizin als Disziplin.150 Als ein letztes hier diskutiertes Grundkonzept sei jenes der Selbstwirksamkeit (self-efficacy) im Sinne von Albert Bandura genannt,151 das zumindest in der US-Public Health Forschung eine Rolle spielt.152 Es geht weit generalisierter als Antonovskys Konzept davon aus, dass Kompetenzen erlernbar sind, die hilfreich sind, stets im Leben gegebene Herausforderungen, schwierige Aufgaben oder Probleme zu bewältigen. Kolander bringt dieses

147 148 149 150 151 152 256

Individuen liegende politische Systeme, politische Stabilität und Mitbestimmung oder Diktaturen und Traumata auch die inneren Ressourcen und schließlich Gesundheit und Krankheit prägen. Der sense of coherence, sowie auch die Frage, ob das Leben zwangsläufig als ein turbulenter gefährlicher Fluss oder als ein lenkbarer (mitbestimmbarer) Kanal betrachtet wird, lassen sich als im Wechselverhältnis mit auch der politischen Umwelt entstehend beschreiben. Auf diese Weise ließe sich dann innerhalb eines Antonovskischen Ressourcenkonzeptes argumentieren, wie wichtig auch politische Beteiligung für Gesundheit ist, ohne dass der SOC zu einer rein in der Person liegenden Kapazität wird. Weiterreichende Perspektiven könnten sich also bei einer psychologischsoziologischen Betrachtung der Herausbildung des SOC ergeben (vgl. das Konzept von Kobasa et al. 1982), nach denen Widerstandsressourcen nicht als statisches Wesensmerkmal betrachtet werden, sondern als in fortdauernd dynamischer Entwicklung. Die für Gesundheit zu leistende Arbeit wäre in einem solchen Konzept eine stärker sozial-politische Arbeit, denn eine am Individuum. Verantwortung für den eigenen Körper müsste darin keinesfalls ausgeschlossen sein (vgl. Schubert 2005). Engel 1977: 129. Siehe auch Engel 1980. Engel 1976: 272. Adler et al.1990. von Üxküll 2003. Bandura 1977; Bandura 1986; Bandura 1993; Bandura 1994. Lyn/McLeroy 1986, Schunck/Carbonari 1984.

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Konzept stark in die US-amerikanische Frauengesundheitsforschung ein153 und erklärt es mit dem Motivationsmodell von Maslow.154 Demnach haben Menschen wenigstens fünf grundlegende Ziele, meistens als Grundbedürfnisse (basic needs) bezeichnet, gemein: physiologische Bedürfnisse, Sicherheit, Liebe, Achtung (esteem) und Selbstverwirklichung (self-actulisation). Unter letzterem, in der Hierarchie am höchsten anzusiedelnden ebenfalls aufklärerischen und universal gemeinten Konzept wird verstanden, dass jeder Mensch das Bedürfnis habe, alle Ziele zu erreichen, die man in der Lage sei, zu erreichen, also das Bedürfnis, nach Idealen, Erfolg oder Lebenserfüllung zu streben. Zusätzlich zu den bisher genannten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Gesundheitsbegriff hat die Frauengesundheitsforschung bzw. Gender & Health-Forschung hervorgehoben, dass kulturelle Einflüsse auf den Gesundheitsbegriff und den Umgang damit weitreichende Folgen haben können, wie das Phänomen der Verschreibung der gleichen Arzneimittel für alle Geschlechter, obwohl nur an Männern getestet, zeigte.155 Besonders aus der USamerikanischen Gesundheitsforschung geht die Forderung hervor, im Gesundheitsbegriff auch „ethnic, socioeconomic bias and geographic differences“ zu integrieren.156 Inzwischen gibt es auch in der BRD spezielle Frauengesundheitsberichte. 157 Gleiches gilt für die Einbeziehung der Auswirkung des sozialen Umfeldes oder sozialen Netzes als Gesundheitsfaktor in den Gesundheitsbegriff,158 so dass man zu einem sozial situierten Gesundheitsbegriff kommt, der „health needs“ in der „position in […] life cycle, […] family, and society“ betrachtet,159 so dass auch klar wird, dass Unterschiede auch der subjektiven Verständnisse von Gesundheit beispielsweise innerhalb von Geschlechtern bedeutsam sein können.160 Diese kurze Übersicht über Veränderungen des Gesundheitsbegriffs seit dem Zweiten Weltkrieg und vor allem der genauere Blick auf solche Vorschläge von Gesundheitsbegriffen, die mit emanzipatorischer Intention das Individuum mit seinen verschiedensten Interessen in Austausch mit seiner 153 154 155 156 157

Kolander et al. 1999. Maslow 1943. Public Health Service 1990, Kuhlmann/Kolip 2005. Kolander et al. 1999: 4. Dieser Anforderung kam bereits die US-Gesundheitsbehörde National Institute of Health nach in „new guidelines for research“: National Institute of Health 1994; Kuhlmann/Kolip 2005. 158 Kolip 1993. 159 Rosenfield 2004: 1. Siehe auch Kuhlmann/Kolip 2005. 160 „Recognizing that combining ‚all women‘ into any classification is fraught with difficulties, this book attempts to distinguish and point out the differences and individualities of women“ (Rosenfield 2004: 1). 257

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Umwelt ins Zentrum stellen, sollte zunächst den Kontrast zu einem rein medizinisch ausgerichteten Krankheitsbegriff aufgezeigt haben. Zudem verweist die Übersicht auf ein historisch nachvollziehbares Auftauchen bestimmter Kategorien, die sich von einer ersten Emphase des Autonomiebegriffs zu Partizipation und Teilhabe ‚sozialisieren‘. Auch lokale Tendenzen werden deutlich, wie die in den USA stärkere Betonung von Selbstverwirklichung, Erfolg und Lebenserfüllung. Zusammenfassend und im Kontrast zu den in Kapitel 3 vorgestellten und im Folgenden zu diskutierenden Gesundheitskonzepten in den untersuchten Szenarien lassen sich bei jüngeren Gesundheitsbegriffen, die jenseits allein medizinischer Kriterien entwickelt wurden, einige Eigenschaften hervorheben. So sind seit etwa den 1980er Jahren durch Ergebnisse aus der Stressforschung und der sozialwissenschaftlichen bzw. sozialepidemiologischen Medizinforschung und Präventionsforschung ‚krank werden‘ oder ‚gesund werden‘ bzw. ‚gesund bleiben‘ als dynamische Vorgänge beschrieben worden, die durch zahlreiche be- und entlastende, bzw. schützende Faktoren unterschiedlich ausfielen, welche sowohl innerhalb als auch außerhalb der Person lägen. Im Wesentlichen werden dafür drei (vier) Bedingungen vorgebracht: Dies sind soziale, wirtschaftliche, politische und ökologische Hintergründe; biographische- und Lebensstilfragen sowie die physisch-biologische Konstitution (die zum Teil in ‚biologisch-genetische‘ Gegebenheiten und medizinisch-technische Bedingungen unterteilt wird161). Bereits im WHO-Gesundheitsbegriff von 1948 steht die soziale Verantwortlichkeit gegenüber physischen, in der Person liegenden Faktoren an erster Stelle. Letzten Endes stehen der theoretische Krankheits-/Gesundheitsbegriff, klinische und pflegerische Praxis, Staat und Individuum in einem so engen Wechselverhältnis einer Bestimmung medizinisch-gesellschaftlichen Handlungsbedarfs, dass kaum zu unterscheiden ist (und entgegen der Medizin als Handlungswissenschaft für Fragen des Gesundheitswesens auch nicht zwangsläufig zu trennen sein muss), welche Anteile welchen vorgängig sind. Diese Feststellung bestärkt zugleich die Vorstellung von der praxisrelevanten Möglichkeit, auf theoretischem Weg durch gegenseitige Integration von Ansätzen der Public Health und Gender Forschung sowie durch Perspektiven der Science and Technology Studies Erweiterungsmöglichkeiten eines (reproduktiven) Gesundheitsbegriffs einzubringen, der (individuelle) Handlungsmöglichkeiten erweitert, ohne medikalisieren zu müssen. Dieser Suche nach sinnvollen Kategorien für eine demokratisierende Auseinandersetzung um einen Begriff reproduktiver Gesundheit im Zusammenhang mit Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien soll im Weiteren ge161 So z.B. Gutzwiller/Jeanneret 1999. 258

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

folgt werden, indem mögliche (‚therapeutische‘) Ziele der (begrifflichen, sozialen oder gesundheitlichen) Behandlung von Infertilität, wie sie in den von mir analysierten Texten dargestellt sind. Denn diese ‚Vorschläge‘ verbinden die Problematik unterschiedlicher historisch-kultureller Hintergründe mit vermeintlichen emanzipatorischen Interessen von Individuen, die in den vorliegenden Texten des Untersuchungsmaterials angesprochen werden.

4.2

Reprogenetische Gesundheiten und Geschlechter

In dem untersuchten Material werden vielfach emanzipatorische, auch feministische Argumentationen aufgegriffen und auch gleichgeschlechtliche Paare als Interessierte angeführt, deren Reproduktionswunsch nachzukommen sei. Durch die Neuen Technologien könne man Eizellen und Spermien, bzw. deren Anteile auf die vielfältigsten Weisen kombinieren, um einen Embryo bis zur Schwangerschaft zu bringen. In dem Liebesdiskursstrang (Kapitel 3.2.1 Kinderwunsch aus Liebe) wird ein bisher konventionelles (evolutionsbiologisches) Konzept des Kinderwunsches, das von einer PartnerInnenwahl nach biologischer fitness ausgeht, von einem neo-romantischen Konzept der Selektion ungeachtet der fitness abgelöst. In mehreren Darstellungen wird dies schlüssig innerhalb des Textes stringent durchgehalten, während sich bei einzelnen untersuchten Texten162 dieser Strang der romantischen Liebe mit einem der evolutiven Konkurrenz (der sowohl in den ursprünglichen Fassungen bei Darwin, wie auch beim evolutionsbiologischen Konzept des egoistischen Gens von Richard Dawkins mit der Idee der genetischen und“ somit auch reproduktiven Selektion fitness einhergeht) in widersprüchlicher Weise überkreuzt. Während in der weitestgehend konventionellen evolutions- und soziobiologischen Fassung für die Selektion von ReproduzentInnen die fitness dafür ausschlaggebend war, ob die ‚Investition‘ in einen Nachkommen mit dem potentiellen Partner oder der potentiellen Partnerin ein in biologisch-evolutivem Sinne ‚vielversprechendes‘ Unterfangen sei, der Nachwuchs also zur ‚erfolgreichen‘ Weiterverbreitung der in den Keimzellen enthaltenen Gene führen würde, was – der Theorie nach – an dem Habitus des Fortpflanzungspartners/ der Fortpflanzungspartnerin auszumachen versucht werde, ist in dem in der vorliegenden Arbeit präsentierten reprogenetischen Liebes-Diskursstrang ein fitness suggerierendes Erscheinungsbild oder Verhalten der potentiellen PartnerInnen nicht von Belang. Der Kinderwunsch, eine zentrale Kategorie moderner Reproduktionsvorstellungen, wird dabei von darwinistischen Theorien 162 Djerassi 1999a, b. 259

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

freigeschält und seine Position als link zwischen reproduzierenden Körpern und dem Reproduktionsziel durch Liebe verschoben, was Folgen für das Geschlechterverhältnis bedeutet. Die Ökonomien, denen zufolge Reproduktion aus der Reproduktionsnotwendigkeit heraus stattfindet, die die Gene in sich tragen, welche in vielen evolutionsbiologischen Darstellungen in der Konkurrenz zwischen den Geschlechtern um Ressourceninput (in den Nachwuchs) gipfelt, sind in der geschlechtsunabhängigen, hier diskutierten reprogenetischen Fassung außer Kraft gesetzt. In dieser neuen Konstruktion ist es nicht wirklich relevant, wessen Körper reproduzieren – es ist deren genetisches Material, das von der Willkür der Natur befreit werden soll und mehr noch das Resultat der Laborbehandlung, der Embryo. Dies gibt – innerhalb dieser diskursiven Stränge – den neuen Eltern und deren Körpern Freiheit, abweichend zu sein. Aufgenommen oder zumindest angesprochen werden dabei emanzipatorische Interessen von Gruppen, deren reproduktive Interessen gesellschaftlich bisher vernachlässigt oder denen zum Teil mit Widerwillen oder Abscheu begegnet wurde – von Älteren, Menschen mit sogenannten genetischen Behinderungen, gleichgeschlechtlichen Paaren oder Singles. So zeigt eine Interviewstudie in Finnland163, die in einem quasi-rechtsfreien Raum zu Neuen Reproduktions- und Gentechnologien entstand, so dass also die Interviewten nicht durch Rechtskodizes Vorgaben für ihre Antworten hatten, dass auch ReproduktionsmedizinerInnen (interviewt im Verlauf des Jahres 1993) solchen Vorbehalten anhingen. Sie sprachen einer Mutterschaft im höheren Alter den gesellschaftlichen Sinn ab und bevorzugten durchgängig, obwohl dem keine Regulierung entgegenstand, gleichgeschlechtlichem Kinderwunsch nicht nachzukommen. Sie begründeten zudem ihre Position, Single-Frauen seien nicht mit heterologer Insemination zu versorgen, mit der Annahme, sie wünsche sich aus Einsamkeit ein Kind, wie eine Spielzeugpuppe. Ihr SingleStatus wurde indirekt als ein Indikator für Probleme der geistigen Gesundheit gedeutet, der sie daran hindere, einen männlichen Partner zu finden.164 Auch Frauen, denen ihre Karriere wichtig zu sein scheint (die also womöglich auch daher sich erst spät für eine Kind entscheiden) stoßen bei ihnen (im Gegensatz zu den in den vorliegenden Diskurssträngen geäußerten Positionen) auf Abwehr – sie seien dann zu karriereorientiert und könnten wohl keine gute Mutter sein.165 Von mehreren ReproduktionsmedizinerInnen wurde der Eindruck geschildert, dass möglicherweise die Natur auf psychosomatische Weise bei Menschen von labiler geistiger Gesundheit, bei Drogensüchtigen oder Menschen von geringer „intellektueller Kapazität“ die Reproduktion durch Infertilität verhindere. Dies würde bedeuten, dass die Reproduktionsmedizin nur 163 Malin 2003. 164 Malin 2003: 303ff. 165 Malin 2003: 305. 260

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

dort eingreifen würde, wo es den zuvor gemachten Ausführungen nach nicht nötig sein sollte. Diese Ansicht entspricht einem Bild der Reproduktionsmedizin als ‚kleine Nachhilfe‘ für die Natur. Als reproduktions-würdig erscheinen im Gegensatz zu den Älteren, zu gleichgeschlechtlichen Paaren oder Menschen mit sog. erblichen Krankheiten auch – und besonders im deutschsprachigen Diskurs – solche Paare, die ‚von Natur aus‘ und (möglichst) ohne äußere Hilfe zu gesundem Nachwuchs kommen. Wie in Kapitel 4.1.2 beschrieben wurde, spielt dabei in Deutschland z.T. eine Gleichsetzung von ‚Naturbelassenheit‘, mit ‚Unversehrtheit‘ (auch durch medizinische Eingriffe) und menschlicher Authentizität in Hinsicht auf viele Fragen der Grenzdiskussion zwischen Krankheit und Gesundheit und in Hinsicht auf die Anwendbarkeit des ‚technisch Machbaren‘ eine zentrale Rolle.166 Durch die oft breite gesellschaftliche Abwertung reproduktiver Interessen bestimmter Gruppen klafft eine Lücke zwischen einerseits einer gesellschaftlichen Produktion eines vermeintlichen Nachwuchsbedarfes (und Kinderwunsches) und andererseits einer Individualisierung der Realisierung dessen. Diese Lücke wird zurzeit in Ländern wie in Deutschland vor allem von reproduktionstechnischen Angeboten ausgefüllt und empathisch gewendet.

4.2.1 Liebe als Brückenkopf für Neue Gen- und Reproduktionstechnologien In den untersuchten Diskurssträngen ergibt sich die Öffnung des Angebots Neuer Reproduktions- und Gentechnologien für ‚verworfene Körper‘ durch eine Umorientierung des reproduktionsmedizinischen Interesses von der Elterngeneration auf das Kind bzw. auf dessen genetische Ausstattung. Dabei verschiebt sich die Rolle von ‚Kinderwunsch‘. Der Kinderwunsch ist ein zentraler Begriff im Kontext von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien, wie auch Sarah Franklin in ihrer Arbeit über die „Konstruktion von Verzweiflung“ bei heterosexuellen Paaren festgestellt hat.167 In bisherigen reproduktionsbiologischen Darstellungen bis in die Mitte der 1990er Jahre, die problemlos in einigen hier diskutierten Diskurssträngen auch weiter bestehen können, jedoch offenbar z.T. überholt werden von einem Diskursstrang, der ‚Liebe‘ ins Zentrum stellt, bestand der biologische Kinderwunsch aus einer Kopplung von evolutionsbiologischer und reproduktionsmedizinischer Theorie (s. Abbildung 9):

166 Siehe z.B. Lanzerath 2004: 15. 167 Franklin 1990. 261

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Angeborener Sexualtrieb, Auswahl nach fitness (Kontrolle auf Körperebene)

Angeborener Drang, die eigenen Gene zu reproduzieren (Kopulation, Kindspflege)

Kind von nicht kontrollierter Gesundheit

Abbildung 9: Herkömmliche evolutionsbiologische Vorstellung vom Kinderwunsch, bzw. eher von Sexualität und Kindesliebe (u.a. nach Dawkins 1996).168 In diesem herkömmlichen Konzept ist es der angeborene ‚Sexualtrieb‘ der eine Auswahl nach biologischer fitness ermöglicht, denn es herrscht in evolutionsbiologischen Modellen die Vorstellung vor, dass physische ‚Schönheit‘ (im Sinne von Attraktivität gedacht) mit körperlicher Gesundheit korreliert.169 ‚Gesunde‘ Menschen wählen infolge dessen instinktiv körperlich (und damit untrennbar auch psychisch) ‚gesunde‘ Menschen zur Reproduktion. In der Lage zu sein, eine/n für eine im Sinne der Verbreitung der Gene passende/n ReproduktionspartnerIn zu erwählen (statt beispielsweise jemanden vom gleichen Geschlecht) ist Bestandteil dieser evolutiv gegebenen Auswahl auf der Individuenebene. In den in der vorliegenden Arbeit dargestellten Szenarien schiebt sich stattdessen in der Kausalkette ‚Liebe‘ vor die Entstehung eines expliziten Kinderwunsches, wie in Abbildung 10 dargestellt. Diese unterscheidet nicht nach (reproduktiver) fitness. Die Liebe zwischen zwei nicht weiter qualifizierten Menschen erweckt nach den in diesem Diskursstrang enthaltenen Vorstellungen zwangsläufig (wenn also die Liebe groß genug ist) den Wunsch, die gemeinsame Liebe in einem Kind zu materialisieren. Diese Liebe führt sie, selbst wenn sie zur DIY-Zeugung in der Lage wären, auch dazu, unter Einsatz von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien ein Kind zu zeugen. Denn wären sie nicht ohne äußere labortechnische Hilfe zur gemeinsamen Zeugung in der Lage, wäre der liebesgenerierte Kinderwunsch ausreichend, um jeden Weg zur Zeugung zu beschreiten. Und sofern sie in der Lage wären, ohne äußere technische Hilfe zu zeugen, würden sie dennoch eine extrakorporale Zeugung bevorzugen, da der Kinderwunsch Liebe zum noch ungezeugten

168 Im Original 1976: Dawkins 1989; Morris 1967; Die erste evolutionsbiologische Beschreibung und Definition sexueller Evolution stammt von Darwin, verfasst 1871 (Darwin 1981). 169 Vgl. z.B. Watson 2001b. 262

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Kind mit einschließt, die ihnen ein ausreichendes Verantwortungsgefühl gibt, sich um die ‚besten Gene‘ für dieses Kind der Liebe zu bemühen.170

Liebe zwischen zwei PartnerInnen von nicht weiter qualifizierter Ausstattung (qualifizieren muss sich ihr Genmaterial)

zwangsläufiger Kinderwunsch

(Recht auf) IVF, Clonierung etc.

Kind

zwangsläufige Liebe zum Resultat; ‚eigen Fleisch und Blut‘ (Kind)

verantwortliches Handeln gegenüber dem Kind Abbildung 10: Kinderwunsch, wie er sich als Resultat der Liebe und unabhängig von körperlicher fitness in den untersuchten Szenarien darstellt.171 In dieser auch geschlechtsunabhängigen Konstruktion der Verbindung von Kinderwunsch und Liebe ist es nicht wirklich relevant, wessen Körper reproduziert werden sollen – es ist deren genetisches Material, das von der Willkür der Natur befreit wird und mehr noch das Resultat der Laborbehandlung, der Embryo. Dies gibt – innerhalb dieser diskursiven Stränge – den neuen Eltern und deren Körpern Freiheit, abweichend zu sein. Gesundheitliche Fragen werden, abgesehen von Infertilität, nicht an der Elterngeneration, sondern am Embryo, bzw. anhand dessen Genmaterial diskutiert. So werden mit dem Szenario ‚Befreiung der Frau‘ (von Gebärzwängen, vgl. Kapitel 3.2.2) und der zentralen Kategorie „Liebe“ in den vorliegenden Diskurssträngen genau solche Phänomene zur Erklärung der Notwendigkeit der Anwendung von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien angeführt, die Teilen der Frauenbewegung in Europa von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts als Gegenargumente gegen ‚rationalistische‘ Fortpflanzungsplanung 170 Bei Djerassi wird im Zuge der Kopplung von Liebe zum Kind als Maß für die Anwendung von Laborzeugungsmethoden zunächst die (seiner Ansicht nach bestehende) Gleichsetzung des ‚natürlichen‘ Zeugungsakts als Akt der Liebe demontiert, übrig bleibt ein von Fortpflanzungsdruck befreiter Sexualakt als Akt der Liebe (Djerassi 1996: 135; Djerassi 1998, Djerassi 2002). 171 Möglicherweise fließt hier ein jüngerer evolutionsbiologischer und weniger auf dem physischen Äußeren basierender Vorschlag, reproduktive Bindung in Evolution zu denken, ein. Vgl. Miller 2001. 263

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

dienten. Wurde von jener Seite romantische Liebe als unvereinbar mit ‚genetischer Zuchtwahl‘ gedacht und der Missbrauch von Frauen als ‚Brutmaschinen‘ für das gesellschaftliche Ganze angeprangert,172 wird in den vorliegenden Diskurssträngen gerade romantische Liebe als Motor für eine sorgfältige Auswahl der Gene für den Nachwuchs und die Befreiung der Frau von körperlichen Zwängen (zunächst allerdings vor allem auf der Ebene ihrer reproduktiven Zeitbeschränkung) als Motiv für die Anwendung von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien angesehen. In seiner historischen Analyse der Liebesliteratur begründet Niklas Luhmann das Auftauchen der ‚intimen Liebe‘ aus den Flexibilisierungen der Neuzeit heraus. So erfülle die ‚intime Liebe‘ das Vakuum des Nahweltbedarfs, das im Zuge der Individualisierung der Neuzeit entstanden sei: „Liebe [...] wird gegen alle Tradition, die sie als gesellschaftliche Solidarität schlechthin in Anspruch genommen hatte, jetzt als unbegründbar und persönlich deklariert“.173 Diese Bewegung werde schon am 17. Jahrhundet deutlich erkennbar, verschärfe sich jedoch noch. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts seien es schließlich persönliche Eigenschaften, die man „hinnehmen, bewundern oder doch tolerieren“ könne, die aber dann den „Weltbezug des personalen Individuums“174 ausmachen. Wird dieser Weltbezug mitindividualisiert, ist es nicht mehr möglich, sich in eine Kommunikation in einem gemeinsamen Weltbezug zu begeben. Es würde nur noch zur Aufgabe, den Weltbezug des anderen zu bestätigen, was nicht möglich sei, da er individuell und speziell sei. ‚Unerklärliche‘ Liebe sei daraus die Lösung. Der besondere „Code der Liebe“175 ermögliche Kommunikation unter diesen Umständen dennoch, denn bei dem Code ginge es nicht um die Inhalte. „Ein besonderer ‚Code‘ für Liebe bildet sich, wenn alle Informationen dupliziert werden im Hinblick auf das, was sie in der allgemeinen, anonym konstituierten Welt, und das, was sie für Dich, für uns, für unsere Welt bedeuten.“176 Das Projekt der Reproduktion kann nur und muss in einem solchen Konzept, in der die scheinbar größtmögliche gesellschaftliche Entität das Paar darstellt, ein paarweises Projekt darstellen. „Es wird dann zur Bedingung für die Ausdifferenzierung einer gemeinsamen Privatwelt, dass jeder die Welt des anderen mittragen kann (obwohl er selbst darin höchst individuell erlebt), weil ihm darin eine Sonderstellung zugewiesen ist [...]. Trotz aller möglichen und sich durchaus abzeichnenden Diskrepanzen zwischen hochgetriebener Individualisierung und Nahweltbedarf [...] ist deshalb für beide Probleme ein gemeinsames Kommunikationsmedium entwickelt worden, und zwar unter Benutzung des semantischen 172 173 174 175 176 264

Porter 2000: 73ff. Luhmann 1994: 22, Hervorhebung B.v.W. Luhmann 1994: 24, Hervorhebung im Original. Luhmann 1994: 25. Ebd.

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Feldes der Liebe.177 Die Theorie eines Vakuums an Nahweltbedarf, das verstärkt im 18. Jahrhundert Ausdruck fand, wird gestützt durch Andersons Analyse der frühen Konstruktion von Nation, auf die Begriffe der Familie übertragen wurden.178 Universale Kategorien schaffen so Gemeinsamkeiten in der Individualisierung. Während allerdings ‚Nation‘ eher mit Diskursen der Biopolitik des 19. und 20. Jahrhunderts zu verbinden ist, ist die Kategorie der Liebe ein idealer Brückenkopf für Neue Gen- und Reproduktionstechnologien in einer globalisierten Gesellschaft des 21. Jarhhunderts. Insofern stehen Individualismus und Autonomie im Sinne des dis-embeddings mit der ‚intimen Liebe‘ in engem Zusammenhang und bieten einen geeigneten globalen Kontext für die Introduktion von Technologien der ‚Materialisierung von Liebe‘ in ‚gemeinsamen Genen‘. Die Entstehung des Kinderwunsches im Zuge der ‚intimen‘ Liebe der nun in ihren Merkmalen freieren Elternkörper wiederum wirkt nur auf den ersten Blick ‚sphärisch‘ und geistig. Denn die Materialisierung ihrer Liebe kann sich nicht in einer Ausstrahlung auf irgendwelche äußeren Elternschafts- oder Freundschaftsbeziehungen ausdrücken, sondern muss sich biologisieren, in Form des ‚Eigen-Gen-Kindes‘. Da die Analyse von Genomen ohne die Existenz entsprechender Phänotype gänzlich hinfällig wäre, wird deutlich, dass dem Körper des künftigen Kindes und seinen Qualitäten eine außerordentliche Bedeutung beigemessen wird. Dem Homunkulus179 gleich wird 1:1 das Genom auf das zukünftige menschliche Wesen projiziert – bzw. werden umgekehrt in den untersuchten und hier dargestellten Szenarien die Wunschqualitäten eines heranwachsenden Kindes als im Genom deutlich abgebildet gedacht. Phänotyp und Genotyp werden dabei eins, wie dies bereits in Kapitel 3.4.3 und 3.4.4 anhand der Metaphern des ‚dogmatischen Gens‘ und der ‚universalen Schrift‘ deutlich wurde. Dieser Befund steht in Kontrast zu früheren Theorien der Körpersoziologie vom ‚Verschwindenden der Körper‘ als Auswirkung der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien.180

4.2.2 Gleichgültiges Gen-Geschlecht gegen fixiertes Hormongeschlecht Dass eine genetisch orientierte Reproduktionsmedizin sich nun mit speziellen, bisher in Hinsicht auf ihre reproduktiven Interessen vernachlässigten Personenkreisen befasst, dürfte ursprünglich weniger durch eine Reflektion von 177 Luhmann 1994: 18. 178 Wie etwa ‚Vaterland‘, siehe Anderson 2005. 179 Noch um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert war die Vorstellung vorherrschend, dass in dem Spermium ein Mensch als winzige Figur mit allen Qualitäten vorzustellen sei, die lediglich ‚ausgebrütet‘ werde. Vgl. Keller 1998; Blumenberg 1983a. 180 Vgl. z.B. Trallori 1996b. 265

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

normativen Ansprüchen (‚Reproduktionsrechten‘) verursacht gewesen sein, sondern primär durch eine wissenschaftsimmanente – sowohl ‚experimentalsystemische‘181 wie theoretische – Verschiebung. Ins Zentrum der biologischen Betrachtung ist nämlich spätestens seit den 1990er Jahren die Vervielfältigung des Genoms (als Replikation gleichgesetzt mit Reproduktion) gerückt, nachdem zunächst die Außengrenzen von Individuen durch den Blick auf das Genom unsichtbar wurden.182 Es zeigt sich damit zugleich, dass sich hier die beteiligten Kategorien des beispielsweise körperlichen Geschlechts mit dem Blick auf die Bestandteile unterhalb des zellulären bzw. Gameten-Niveaus im Zuge ihrer Molekularisierung in einer Bedeutungskrise befinden.183 ‚Krise‘ ist dabei in Anlehnung an Foucaults Machtbegriff (1997) als durchaus produktiv zu verstehen, es kann Neues aus ihr hervorgehen und sie ermöglicht vorher nicht dagewesene Optionen des Eingreifens. Der Entwicklungsbiologe Scott Gilbert beschrieb, wie die Entwicklungsbiologie lange Zeit der Molekularisierung widerstand und schließlich doch die Trilogie ‚RNA, DNA, Protein‘ mit der entwicklungsbiologischen Dreifaltigkeit Entoderm, Mesoderm und Ektoderm (die drei sogenannten Keimblätter, also die verschiedenen Zellschichten, die in der ersten Differenzierungsphase des Embryos entstehen und sich zu verschiedenen Typen von Organen und Geweben entwickeln) in Einklang zu bringen hatte. Aufgrund der allgemeinen und gewinnträchtigen Popularität des Molekularen liegt es nahe, zu vermuten, dass es die Molekularisierung (der Übergang zu einer molekularbiologischen, insbesondere genetischen Darstellungs- und Untersuchungsweise)184 ist, die in einem Nebeneffekt phänotypische Körper und damit auch biologische Geschlechter – scheinbar – ins Wanken bringt. Die Vorstellung einer von Körpergeschlecht ‚befreiten‘ Reproduktion bzw. einer solchen, in der das Körpergeschlecht (ebenso wie Alter, ‚Behinderungen‘ etc.) keine Rolle mehr spielen soll, taucht in einer Phase der biologischen Disziplinen auf, in welcher repräsentative Stränge der Biologie sich tatsächlich immer weniger für biologische Körpergeschlechter, Männer und Frauen interessieren, sondern jegliches biologisches Geschlecht in gender aufgehen lassen.185 Als solche repräsentative oder hegemoniale Stränge lassen 181 182 183 184 185

266

Rheinberger 2001. Dies wird ausführlicher dargelegt in Bock v. Wülfingen 2005b. Vgl. auch Hirschauer 2004. Gilbert 1996. Für die vorliegende Argumentation ist es nützlich, die Sex-Gender-Unterscheidung zu verwenden, allerdings lediglich als Hilfsvokabular im Umgang mit Diskursen der Naturwissenschaften, die sich dabei jedoch zugleich selbst dekonstruieren. Denn wenn Geistes- und Sozialwissenschaften Gender als all das verstehen, was nicht ‚irgendwie‘ biologische, sondern gesellschaftliche Prägung ausmacht, ließe sich von naturwissenschaftlicher Seite sagen, Gender sei

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

sich im wesentlichen molekularbiologische und genetische, aber andererseits auch hormonelle Diskursstränge beschreiben. Dabei wird von den Disziplinen der Biologie eine aktuelle gesellschaftliche Geschlechterkrise durch ihre Forschung und Entwicklung mitgezeichnet, sie sind von ihr geprägt und treiben sie zugleich mit voran.186 Das Geschlecht wird in verschiedenen biologischen Disziplinen auf verschiedenste Weise verhandelt, so dass jede Disziplin ihre eigene Determinationstheorie von Geschlechtlichkeit dem biologischen Geschlecht hinzufügt. So kommt es zu einer Hierarchie des biologischen Geschlechts, das aufgeteilt ist in genetisches und chromosomales Geschlecht, das gonadale Geschlecht, das Homongeschlecht, das Hirngeschlecht, die Geschlechtsidentität, sexuelle Präferenz und viele mehr. Idealerweise wird angenommen, dass diese jeweiligen Geschlechtsdeterminationen sämtlich in dieselbe von zwei Richtungen weisen. Inzwischen wird jedoch bereits auch in biologisch-medizinischen Fächern zugestanden, dass bei einer nicht vernachlässigbaren Zahl von Menschen diese Determinanten einander widersprechen, so dass es nicht nur physisch/physiologisch erkennbare ‚Intersexe‘ (je nach Studie bis zu 4% der Menschen)187 gibt, sondern auch verschiedenste sexuelle Präferenzen und sexuelle Identitäten, die eine reine Zweigeschlechtlichkeit unterminieren. Auch diese Mischformen (die nur bedingt als ‚Mischformen‘ bezeichnet werden können, da von der Existenz von ‚Reinformen‘ des biologisch männlichen schon immer Sex gewesen, genauso wie es von de-/rekonstruktivistischer Seite heißt, Sex sei schon immer Gender gewesen. Beide Positionen wurden bereits in ihrer Ausschließlichkeit als missverständlich diskutiert, denn sie suggerieren, es gäbe eine Binarität zwischen einem rein materiellen, körperlichen, nicht kulturell bedingten Geschlecht (Sex) und einem rein kulturellen (Gender), die als untrennbar gesehen werden können bzw. da auch das Körpergeschlecht (Sex) als naturwissenschaftlich-medizinisch konstruiert zu betrachten sei. Das heißt, auch das Körpergeschlecht ist im Sinne Foucaults oder Haraways als institutionell und diskursiv, also auch u.a. als naturwissenschaftlich hervorgebracht zu verstehen, wobei allerdings der materielle Körper ebenso wie die Versuchsapparaturen sich als widerständig erweisen und die Deutungsmöglichkeiten begrenzen (Barad 2005). Mit den Begriffen Sex/Gender wird dennoch in diesem Unterkapitel argumentiert, weil die biologischen Konzepte Mann und Frau jeweils wieder in mehrere Ebenen zu unterteilen wären und dies in Hinsicht auf Geschlecht zunächst die schlichteste Unterteilung darstellt, auf die im Sinne des ‚Sichtbaren am toten Körper‘ und dessen, was nur der lebhafte Körper in seinen Bewegungen und Interaktionen zeigt, von Naturwissenschaften eingegangen wird. 186 Tatsächlich gehe ich nicht davon aus, dass ‚Gesellschaft‘ und ‚Wissenschaften‘, also auch Biologie, in ihrer diskursiven Vermischung klar trennbare Bereiche darstellen (etwa in eindeutig trennbare ‚Laborsprache‘ von ‚Umgangssprache‘). Sie sollen lediglich getrennt werden, um durch Fokussierung das Verständnis zu erleichtern und den Blick auf besondere Verfahren der Wissensproduktion zu lenken. 187 Vgl. Fausto-Sterling 2000. 267

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

oder weiblichen nicht ausgegangen werden kann) werden problemlos in ein naturalisierendes System integriert, in dem eine männlich-weiblich-Bipolarität aufrecht erhalten wird. Gene und Hormone sind dabei die zentralen Instanzen der Vergeschlechtlichung insofern, als nach biomedizinischen Vorstellungen Geschlechtsdetermination durch Gene und Geschlechtsdifferenzierung durch Hormone die Grundlage für alle weiteren biologisch vergeschlechtlichenden Schritte darstellen. So lässt sich sagen, dass heute Geschlechtsdetermination als der Vorgang, der bedingt durch Gene zum Körpergeschlecht (sex) führe, unterschieden wird von Geschlechtsdifferenzierung als bedingt durch Hormone, die vor allem zu Geschlechtsidentität und -verhalten/Sexualität (gender) führe und diese jeweils kausal zusammenhängende Begriffstrilogien bilden. Dass biologische Spezialfächer (wie die Reproduktionsgenetik) sich inzwischen offensichtlich empathisch auf ‚Homosexuelle‘ beziehen und das Körpergeschlecht in der Reproduktion ignorieren können, wird durch die scheinbare Demontage oder Krise der Geschlechter ermöglicht. Diese (scheinbare) Demontage in der Biologie zeichnet sich allerdings primär in der evolutiven und molekularbiologischen Vererbungsforschung ab. Dies betrifft den Diskursstrang des „Aussterbens“ des Y-Chromosoms und der viel beschriebenen Zunahme männlicher Infertilität,188 der zudem nahtlos an die Beschreibung des Männlichen in evolutionären Betrachtungen als reines Durchmischungsprinzip des ansonsten weiblichen Genpools, als erfrischendes Infektans ansonsten rein weiblich vererbter Genome, wie sie vor allem seit den etwa späten 1980er Jahren entwickelt wurden, anschließt.189 Dagegen wird in einer anderen Disziplin, der Endokrinologie (Hormonforschung), die inzwischen in Hinsicht auf die biologische Erklärung von Geschlecht zumindest in der Repräsentation in der Öffentlichkeit die Führung übernommen hat, Geschlecht umso stärker ontologisiert: Dies betrifft sämtliche Kategorien, die sich simplifizierend konzeptionell als gender fassen ließen, sämtliche Verhaltensweisen sowie auch Sexualität.190 Dies erklärt einerseits, wie eine quasi phänotypische Entgeschlechtlichung in der Reproduktionsbiologie bzw. über die Reproduktionsgenetik Einzug halten kann. Zugleich wird verständlich, warum andererseits trotz dieses Irrelevantwerdens des Habitus – des Physischen der Elternteile – in einzelnen Texten zugleich dennoch ein Geschlechterkrieg auf Ebene der Gameten vorgestellt werden kann: So wird beispielsweise beschrieben, die spätere Befruchtung zuvor eingefrorener Eizellen könne der Frau helfen, die ‚evolutive Unge188 Jones 2003, Graves 2005, Graves 2000. 189 Rose 1998 zit. in Neffe 1998, Jones 2003, Jones 1993, vgl. Dawkins 1989. 190 Roselli et al 2004, Roselli et al. 2002, Singh et al. 1999, Leveron/Sanders 1998, Reinisch/Sanders 1992. Siehe auch ausführlicher hierzu Bock v. Wülfingen 2005a. 268

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

rechtigkeit‘ wettzumachen, dass der Mann durch seine vielen Spermien mehr Gene in die nächsten Generation einbringen könne.191 An der Schnittstelle Krankheit/Geschlecht erscheint der konventionelle ‚Zeugungssex‘ (der DIYZeugung) als phänotypische Krankheit und ‚Befall der Eizelle‘ (so u.a. bei dem Evolutionsbiologen Michael Rose).192 So kann also mit jedem kontrollierten Akt der Laborzeugung einem solchen Krankheitsausbruch durch eine technisch hergeleitete ‚Infektion‘ oder – in diesem Diskurs weitaus gesünder, da frei von Spermien – Klonierung zuvorgekommen werden. In ihrer Arbeit über die Männlichkeitskrise, wie sie von der Biologie des ausgehenden 20. Jahrhunderts gespiegelt wurde, wird von der Biologin und Naturwissenschaftstheoretikerin Kerstin Palm die These zu vertreten, dass Natur und Materialität in Antwort auf diese Krise zunächst entweiblicht werden mussten (nachdem in der frühen Moderne die unbändige Natur noch eher weiblich konnotiert war und Kultur dazu als männlich in Opposition stand), um ins Zentrum der positivistisch-naturwissenschaftlichen Betrachtung und Operationalisierung rücken zu dürfen.193 Gesellschaft war als verweiblicht und vergeistigt angesehen, Männlichkeit in Abgrenzung auch zu ‚weibischen Männern‘ wurde naturgewachsene Materie. In Anlehnung daran lässt sich für die biologische ‚Männlichkeitskrise‘ der Jahrtausendwende folgendes Bild aus den zuvor vorgestellten Ergebnissen ableiten: Gene und Hormone sind weiterhin zentrale Instanzen der Vergeschlechtlichung, Hormone zeigen sich gegenwärtig allerdings seit etwa den 1980er Jahren dominant. Dies lässt sich einerseits wirtschaftlich mit dem momentanen Innovationsstau der Pharmakogenetik erklären, während Hormonpräparate zur Zeit insbesondere durch Testosteronverkaufe in Form von Gel, Pflastern, Zäpfchen und Spritzen einen zunehmend breiten Markt zu bedienen vermögen. Andererseits lässt sich eher kulturtheoretisch feststellen, dass Hormone bis Mitte der 1990er Jahre weiblich assoziiert waren, wie etwa durch die ‚Verhütungspille‘ und Menopausenpräpate der Östrogen-Gruppe. Nun scheint es so zu sein, dass Hormone durch das derzeitige ‚männliche‘ Leithormon Testosteron eine ‚Aufwertung‘ erfahren.194 Ein ähnliches Geschlechterverhältnis ließe sich zwischen Körpergeschlecht und Gender ausmachen. Zur Zeit reflektieren bzw. co-produzieren biologische Wissenschaften gesellschaftliche Umwälzungen, in denen das Männliche als sozial inkompetent und zudem als in der gegenwärtigen wirt191 192 193 194

Djerassi 1999a. Rose 1998. Palm 2002. Testosteron sollte allerdings nicht als ‚männliches Hormon‘ verstanden werden, auch wenn es sich so in Fachtexten findet: Bock v. Wülfingen 2005a, Fausto-Sterling 2000. 269

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

schaftlichen Produktionsweise und sogar Reproduktionsweise überflüssig problematisiert und ‚sozialpädagogisiert‘ wird, während die Genetik anhand der Entwicklungen des Y-Chromosoms das Aussterben des – ohnehin nur als parasitäre Zwischengeneration zur Durchmischung des Genpools angenommenen – Mannes konzipiert wird. Nachdem der Körper in einer medialisierten Dienstleistungsgesellschaft ohnehin an Relevanz verliert, darf Frau ihn nun gänzlich als Körpergeschlecht (Sex) übernehmen. So wird denkbar,195 dass Frauenpaare sich reprogenetisch fortpflanzen. Denn beim derzeitigen Stand der Technologieentwicklung würden von solchen Verschiebungen mittelfristig nur neue Zielgruppen für die Invitro-Fertilisation in Verbindung mit ICSI erschließbar sein, männliche Paare dagegen erschienen als Zielgruppe noch zur Zeit weniger einleuchtend (aber alles andere als von diesen Diskurssträngen ausgeschlossen). Die ‚soziale Inkompetenz‘ von Männlichkeit wird mit dem Leithormon Testosteron begründet und zugleich damit entlastet.196 Die Frau ihrerseits, die das nun irrelevant gewordene Körpergeschlecht vertreten darf, muss dies allerdings wiederum in zwei Geschlechtern tun, in Form von Gender, nämlich in Form von zwei – inhaltlich – hormonell bis ins letzte auszufüllenden polar einander gegenüberstehenden heterosexuellen Gendern.197 Für eine Befreiung von Geschlechternormierung ist also insofern wenig gewonnen. Während Körpergeschlechter sich möglicherweise freier bewegen können (und insgesamt stärker von ‚Weiblichkeit‘ eingenommen werden dürfen), wird eine heterosexuelle Binarität des Verhaltens und Begehrens verstärkt aufgedeutet, unabhängig vom Körpergeschlecht der Betroffenen. Zudem ergibt sich die Freisetzung des elterlichen Körpers lediglich aus einer Verschiebung, indem sich das reproduktionsgenetische Interesse auf den Genotyp und damit auch Phänotyp des Embryos verlagert. Wie bereits in den Kapiteln 3.4.3 und 3.4.4 angesprochen, stellt sich das Genmaterial, indem es der eindeutigen Projektion des zukünftigen Kindes dient, als 1:1 übersetzter Homunkulus dar. Dieser Aspekt spielt auch im folgenden Kapitel 4.3 eine zentrale Rolle: darin werden ‚genetische‘ Gesundheitsbegriffe vorgestellt, wie sie sich aus den in Kapitel 3 erarbeiteten Szenarien ergeben.

195 Im Sinne von Ariès 1978. 196 Entsprechend der naturalisierenden Pathologisierungen wie im Zusammenhang von Medikalisierung in 4.1.2 besprochen. 197 Siehe z.B. Singh et al. 1999, sowie die Science Fiction-Passagen im Untersuchungsmaterial, die die Beschreibungen der weiblichen Paare in der Reproduktion der Zukunft als musisch einerseits und naturwissenschaftlich begabt andererseits besetzen (Silver 1998a, Hamer 2002). 270

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

4.3

Krankheiten, Gesundheiten und Ermöglichungen in Szenarien der Reprogenetik

In Kapitel 4.1 wurde der Diskursstrang der Globalisierung unter beispielhafter Kontextualisierung der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien in den USA und der BRD diskutiert. Dabei wurde zugleich der Begriff ‚reproductive choice‘ für pronatale Technologien problematisiert. Auch wurde gezeigt, wie Medikalisierung und eine lokal bedingte Identitätsbildung miteinander verknüpft sind. Indem medizinische Krankheitsbegriffe mit seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelten Gesundheitsbegriffen kontrastiert wurden, wurde auf die wesentliche Differenz hingewiesen zwischen einer Inklusion gesellschaftlicher Bedingungen als Krankheits-/Gesundheitsfaktoren im Unterschied zu einem Krankheitsbegriff, der rein über in dem Individuum liegende Faktoren erklärt wird. In mehreren der somit angesprochenen Aspekte wurde deutlich, mit welchen Konsequenzen sich für den reproduktiven Gesundheitsbegriff relevante Konzepte in den USA zum Teil von der deutschen diskursiven Situation dahingehend unterscheiden, dass Autonomie, Individualität, Konkurrenz und Selbstverwirklichung stärker hervorgehoben werden. Nachdem in Kapitel 4.2 bereits als ein wesentliches Ergebnis der Analyse der Diskursstränge die Rolle von ‚Liebe‘ in der Öffnung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien für bisher ‚verworfene Körper‘ anhand der Molekularisierung erklärt wurde, werden auf der eben beschriebenen Grundlage im folgenden Abschnitt die unterschiedlichen in den untersuchten Szenarien enthaltenen Gesundheits-/Krankheitsbegriffe analysiert. Deutlich wird, dass eine diskursive Bewegung auszumachen ist von einem heilungsorientierten Herangehen an Infertilität und an ‚genetische Krankheiten‘ hin zu einem auf Wohlbefinden und Lebenschancen basierenden Konzept bis schließlich zu Angeboten, die kaum anders als ausschließlich der Identitätsstiftung der Eltern dienlich verstanden werden können. In den Szenarien ‚Kinderwunsch‘ erfüllen und ‚Genetische Krankheiten heilen‘ ist einerseits Leiden, z.B. an Kinderlosigkeit wegen einer eigenen Krankheit der Eltern, die andererseits nicht vererbt werden soll, oder die ihre gemeinsame Reproduktion verhindert, der Grund für eine Befruchtungsbehandlung. Die Darstellung einer solchen Betrachtung entsprechend einer Definition von Krankheit im Defizitdenken erfolgt in den folgenden Abschnitten.

4.3.1 Krankheit im Defizitdenken: Infertilität als Krankheit Die in diesem Abschnitt besprochenen Texte entwickeln den Bedarf an Neuen Reproduktions- und Gentechnologien und Klonierung indirekt aus einem Wunsch nach einem ‚Eigen-Gen-Kind‘, der notwendig und auf keine andere 271

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Weise erfüllbar scheint (auch ggf. nach einem ersten Kind mit speziellen Krankheiten). Sie reihen sich in ihrer Darstellung des Begründungshintergrundes zum Teil in herkömmliche Heilungsvorstellungen ein. Hinweise auf Vorstellungen über Infertilität und darüber, in welchem Maß sie die körperliche ‚Funktionalität‘ verringert, also als Beeinträchtigung oder Krankheit zu betrachten ist, gehen aus zahlreichen der analysierten Texte nicht explizit, sondern vermittelt über Aussagen zu Befruchtungsbehandlungen hervor. In einem herkömmlichen, heilungsorientierten Sinne, nach dem Infertilität bzw. der unerfüllte Kinderwunsch eine Beeinträchtigung der körperlichen und seelischen Verfassung darstellt, weshalb eine Behandlung auch nach unkonventionellen Methoden gerechtfertigt sei, werden über bisherige Vorstellungen hinaus ältere heterosexuelle Paare, gleichgeschlechtliche Paare und solche mit so genannten schweren Erbkrankheiten als Zielgruppen ausgemacht. Auch wenn Infertilität oder Sterilität nicht explizit erscheinen, lässt sich identifizieren, dass organische ‚Defizite‘ genannt werden und dass unter organischen Merkmalen das Wesentliche, das genannt wird, eine verminderte Keimzellenproduktion ist, welche in den Texten als behandlungsbedürftig angesprochen wird. Sie stellt zugleich eine derzeit geläufige, also insofern wohl als ‚unumstritten‘ anzusehende medizinische Indikation für eine Befruchtungsbehandlung dar, während andere in den Texten vorgestellte (potentielle) Zielgruppen sich schwieriger in konventionelle Vorstellungen von medizinischen Krankheitsindikationen integrieren. Nur selten also werden Infertilität, Sterilität oder Unfruchtbarkeit in den untersuchten Texten explizit benannt: ‚Infertilität‘ einmal als ein eher nicht durch Klonen zu behebendes Phänomen, da bereits Therapiemöglichkeiten als „konventionelle, allerdings nicht immer erfolgreiche Behandlung“198 bereit stünden. An anderer Stelle heißt es, ICSI sei die erfolgreichste Methode zur Behandlung „männlicher Unfruchtbarkeit“199, selbst wenn ein Mann mit ein bis drei Millionen Spermien im Ejakulat „praktisch zeugungsunfähig“ sei, genüge für ICSI ein einziges Spermium200 und mit der IVF hätten „vormals unfruchtbare Frauen“ bereits 300.000 Kinder geboren201. Es geht um Männer in einer Zukunft, in der sie (wegen der Umweltverschmutzung) keine Spermien mehr produzieren könnten, sollte also die „menschliche Rasse einmal unfruchtbar geworden sein“202. Es geht demnach vor allem um Einzelpersonen und Paare mit fehlenden Gameten (Sterilität), gegebenenfalls auch um Frauen oder Männer mit verschlossener Gametenpassage.

198 199 200 201 202 272

Wilmut: 2002. Djerassi 1998. Djerassi 1999a. Djerassi 1999a. Yanagimachi 1998.

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Nachdem innerhalb verschiedener Sterilitäts-/Infertilitätsformen allein bei der Frau die ovarielle und die tubare Sterilität mit je 30% Häufigkeit203 den größten Anteil medizinisch als organisch anerkannter Sterilitätsformen ausmachen (unabhängig davon, dass sie zum Teil psychisch-soziale Hintergründe haben können) und neben der Impotentia coeundi die Azoospermie oder Oligospermie (eine geringe Spermienzahl im Ejakulat) mit einer Häufigkeit von 4,4% bei infertilen Männern als eine wesentliche Sterilitätsursache angegeben wird204 – eine ‚Erkrankung der Spermien‘ als Ursache der Unfruchtbarkeit eines Paares gar mit 38%205 – ist somit in den Texten bereits ein großer Teil organischer Infertilität mit dem Fehlen von Keimzellen benannt. Häufiger denn als Beschreibung einer Indikation für eine Befruchtungsbehandlung finden sich in den vorliegenden Texten Begriffe aus dem Wortfeld der Infertilität dagegen im Zusammenhang mit operativ herbeigeführten Sterilisationen, nämlich im Zusammenhang mit der Möglichkeit, später eine Laborzeugung vornehmen zu lassen (s.w.u.). Beschreibungen ungewollter Eigen-Gen-Kinderlosigkeit finden sich statt unter Verwendung expliziter Infertilitäts- oder Sterilitätssynonyme weit häufiger in Form von eher diffusen und meist auf den Kinderwunsch verweisenden Zielgruppenbeschreibungen für Neue Reproduktions- und Gentechnologien, wie etwa die ‚Frau über 50‘, ‚Paare, die keine Kinder bekommen können‘ oder die ‚anders keine genetische Verwandtschaft mit ihrem Kind‘ hätten (wenn nicht durch Klonen), was entweder (meist) nicht weiter erklärt wird oder dem ‚organische Gründe‘ unterstellt werden und sei es in der Formulierung ‚wenn es die Natur nicht zulässt‘. In einem Fall dagegen gilt der unerfüllte Kinderwunsch explizit als ‚ohne medizinische Indikation‘ sowohl für heterosexuelle wie gleichgeschlechtliche Paare (da in vielen Fällen, in denen Fertilisierungsbehandlungen gestattet würden, beide mit anderen PartnerInnen durchaus fruchtbar sein könnten). In dieses Feld lassen sich also zusätzlich zur nicht weiter benannten organischen auch sämtliche Formen abklärbarer nicht-organischer Infertilität ebenso wie idiopathische (ungeklärte) Infertilität fassen. Infertilität als ein zu behandelndes Phänomen funktioniert in den untersuchten Diskurssträngen zusätzlich weniger als eine ‚Störung biologischer Organe‘ (die möglicherweise zu Leiden führt), wie andere genannte Aspekte, die in den gerade diskutierten Darstellungen einen Handlungsbedarf durch Reproduktionsgenetik und –medizin begründen, sondern durch Leid direkt, unabhängig davon, ob es mit einem biologischen ‚Defizit‘ assoziierbar sei. Dieses Leiden wird ebenfalls in ‚weichen‘, nicht-medizinischen Formulierungen ausgeführt, indem sich liebende Paare, die einen ‚Wunsch nach einem 203 Stauber/Weyerstahl 2005. 204 Deutsches IVF-Register 2004: 9. 205 Ebd. 273

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Kind‘ haben, speziell nach einem ‚eigenen‘ bzw. ‚gemeinsamen‘, darunter leiden, wenn dieser Wunsch nicht erfüllt werden kann. Nach den Szenarien in Kapitel 3.2.1 Ansprüche und Rechte-Szenario und 3.2.2 Reproduktion als Menschenrecht-Szenario sind sie ‚verzweifelt‘ oder ‚psychisch und emotional stark belastet‘. Auch ‚Leiden‘ unter körperlichen Umständen und Bedingungen weckt Assoziationen mit dem konventionellen medizinischen Krankheitsbegriff, auch wenn die Behandlung seelischen Leidens über körperliche Eingriffe umstritten ist (s.w.u.). In den vorliegenden Diskurssträngen entsteht dieses Leiden in einer Kopplung der diskursiven Gegenstände ‚Liebe‘, ‚fehlendes Eigen-Gen-Kind‘ mit ‚Leid‘ als Resultat, wie weiter unten ausgeführt wird.

Medizinischer Infertilitätsbegriff Die Klärung, bei welchen Formen konventioneller Infertilität oder unerfüllten Kinderwunsches medizinisches Eingreifen angebracht ist, ist besonders für das ärztliche Selbstverständnis relevant, wie auch darüber hinaus für Leistungen des Gesundheitssystems und erhält damit eine normative Bedeutung.206 Meist besteht ein Konsens darüber, dass ein Krankheitswert darin zu sehen ist, um ein medizinisches Eingreifen zu legitimieren. Als Wissenschaft von der Krankheit bietet die Medizintheorie unterschiedliche Krankheitsbegriffe, in deren Konzeptionen Infertilität (oder der unerfüllte Kinderwunsch als Lebenseinschränkung) sich weniger leicht einfügt als in Krankheitsbegriffe, die umfassender sind, wie jene, die vielfach der Public Health Literatur zugrunde liegen und sich stark auf ein biopsychosoziales Lebensmodell richten oder den Begriff des Wohlbefindens stark machen.207 In der ärztlichen Abwägung gelten, zumindest unter Maßgabe des Solidarsystems, als relevant für den individuell zu entscheidenden Fall, ob eine Behandlung notwendig, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist.208 Diese, eher eine akute Situation beantwortende, denn auf langfristige Gesundheitsförderung ausgerichtete Fragestellung entspricht einem zurzeit eher pragmatisch auf die Erhaltung oder Wiederherstellung von Lebensfunktionen ausgerichteten medizinischen Krankheitsbegriff.209 In der medizinischen Fachliteratur wird Infertilität als ein übergeordneter Begriff verwendet, der die Unmöglichkeit, eine Schwangerschaft auszutragen, meint. Dagegen wird Sterilität primär auf ein Fehlen von Gameten bzw. deren fehlenden Transport zum Uterus bezogen.210 Häufig werden jedoch auch beide Begriffe synonym verwendet. Im Deutschen ist der Begriff Unfruchtbar206 207 208 209 210 274

Lanzerath 2004. Vgl. WHO-Gesundheitsbegriffe in 4.1.1. Raspe 2002. Ebd.; Wiesing/Werner 2002. Bühling 2003: 38.

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

keit als synonym zu Infertilität zu verstehen. Ihre Häufigkeit wurde noch von der World Health Organization 1975 mit 5% im weltweiten Durchschnitt der Paare angegeben (bei unverhütetem Geschlechtsverkehr des Paares innerhalb von zwei Jahren), mit dem Hinweis, dass sie in besonderen Regionen der Welt (Teilen Afrikas u.a.) bei 30% oder höher liegen könne.211 Derzeit wird bereits die Infertilitätsrate bei US-amerikanischen Paaren mit 19% angegeben.212 Wegen starker Abweichungen in der begrifflichen Verwendung bei der Untersuchung wird in der klinischen Praxis die Befundung nach WHOKriterien befürwortet.213 Abgesehen von dem Bemühen international vergleichbarer Begriffsangebote wurde von der WHO der ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) erstellt, der in den meisten Ländern weltweit zur Codierung von Befunden dient, welche z.T. rechtlich (zumindest in Deutschland durch das Sozialgesetzbuch V) angeordnet wurde. Begriffliche Fassungen von Infertilität, die sich nicht auf deren Ätiologie beziehen, sondern auf die Frage, welcher Befund überhaupt eine Abklärung verlangen würde, bezeichnen Infertilität etwa als ein ‚Ausbleiben einer Schwangerschaft bei einem Paar‘ nach einer bestimmten Zeit ungeschützten Geschlechtsverkehrs. Dabei wird ebenso wie in der Definition der WHO (siehe im Folgenden) das Paar als Patient betrachtet.214 Die für das medizinische Eingreifen relevante Zeitspanne dieses Ausbleibens unterlag in den letzten Jahren größeren Verschiebungen, so gehen deutsche Lehrbücher der Gynäkologie der 1980er Jahre von einem ‚ein- bis zweijährigen‘ erfolglosen Zeugungsbemühen des Paares aus, während eine feministische Kritikerin der IVF-Praxis bereits in 1996 für Österreich konstatierte,215 der Trend gehe dahin, den Zeitraum von zwei auf ein Jahr zu senken und dem Paar bald lediglich eine halbjährige Schonfrist zu gönnen. 216 Auch innerhalb der WHO scheint ein entsprechender Wandel der Vorstellungen festzustellen zu sein. So geht eben in den öffentlichen Angaben auf aktuellen Webseiten das Department of Reproductive Health and Research (RHR) der WHO aktuell von einem Jahr aus217, während frühere Angaben sich auf einen zweijährigen Zeit211 World Health Organization 1975. 212 National Institute of Child Health and Human Development (NICD) (2002): Wobei Paare, die um Fertilitätsbehandlung nachsuchen und solche, die in der gynäkologischen Untersuchung angeben, seit über einem Jahr trotz Geschlechtsverkehrs ohne Verhütungspräparate nicht schwanger geworden zu sein, addiert werden. 213 Dunzinger et al.1998. 214 Stauber/Weyerstahl 2005. 215 Winkler 1996. 216 Z.B. Stegner: 69ff. 217 World Health Organization/Department of Reproductive Health and Research (RHR) 1997. 275

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

raum beziehen, wie z.B., wenn die WHO-South East Asia Region (WHOSEAR), auf WHO-Daten von 1991 rekurrierend, darauf hinweist: „The difficulties of measuring infertility are compounded by its multiple definitions. The World Health Organization (WHO), using a two-year reference period, defines primary infertility as the lack of conception despite cohabitation and exposure to pregnancy.“218 In einem 2001 von der WHO wiederaufgelegten WHO-Dokument von 1991 heißt es zu „Primary infertility“: „Means that the couple has never conceived, despite cohabitation and exposure to pregnancy for a period of 2 years.“219 Dass von Stauber und Weyerstahl 2005 wiederum zwei Jahre als relevanten Zeitraum einer Nicht-Erfüllung des Kinderwunsches trotz Kohabitation angeben220 zeigt, dass keineswegs ein eindeutiger Trend auszumachen ist oder dass womöglich auch eine Sensibilität für die Infragestellung sofortiger medizinischer Lösungen in der Ärzteschaft besteht. Denn an einer solchen Verschiebung sind unterschiedliche Akteure beteiligt, so berichtet die Medizinpsychologin Davies-Osterkamp davon, dass Beobachtungen aus den Kinderwunschsprechstunden und gynäkologischen Praxen deutlich machten, dass die ärztliche Hilfe von Paaren zunehmend früher gesucht werde, was in Nordamerika bereits in den 1980er Jahren beobachtet wurde.221 In der psychologischen Fachliteratur hat sich der Begriff der ‚Infertilitäts-Krise‘ etabliert,222 ebenso wie das sich ‚Fixieren‘ des Kinderwunsches.223 Beides wird unter anderem als bedingt durch die Existenz immer weiterer Technologien betrachtet, die immer neue Versuchsanordnungen, den Kinderwunsch doch noch zu erfüllen, bzw. einem gesellschaftlichen Druck ‚es nicht aufzugeben‘ zu folgen, nach sich ziehen:224 „Zu reden ist […] auch von der Not, die durch die In-Vitro-Fertilisation verschlimmert wird oder gar nicht erst entsteht.“225 Zugleich wird unter Ärzten in der BRD auch in der Ärztekammer um das Selbstverständnis des Arztes und mögliche Einkommensquellen gerungen226, was sich vielfach durch die Interessen der zunehmend privatisierten Krankenhäuser mitbegründet,227 und sich auch in der Anwendung von Neuen Reproduktions- und Gentechnologien zeigen dürfte.

218 219 220 221 222 223 224 225

World Health Organization/Regional Office for South East Asia 1997. World Health Organization, WHO/EURO 2001. Stauber/Weyerstahl 2005. Davies-Osterkamp 1990. Siehe auch Aral/Cates 1983. Menning 1977. Maier/Herms 1987. Stauber 1986. Davies-Osterkamp 1990: 50; Berger et al. 2006. Beck-Gernsheim zitiert Jaques Testart „Testart 1988, 18-29“, die weiterführende Literaturangabe fehlt. Beck-Gernsheim 1991: 71. 226 Nicklas-Faust, Jeanne; Lanzerath, Dirk in: Nationaler Ethikrat 2004: 14ff. 227 Propping, Peter. in: Nationaler Ethikrat: 2004: 13. 276

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

In jedem Fall zumindest wird die Infertilität auf das Paar bezogen. In einem Dokument der WHO von 1975 wird darüber hinaus allerdings berichtet, dass der Begriff Infertilität z.T. auf ganze Populationen bezogen wird, entsprechend einem evolutionsbiologischen Konzept der Fruchtbarkeit bestimmter Populationen und ‚Infertilität‘ insofern (miss)verstanden werden könne.228 Bedeutungsvoll für Sterilität als Krankheit ist tatsächlich in medizintheoretischer Hinsicht der Aspekt des Überindividuellen, wie er in Konzepten aufscheint, auf die in den oben vorgestellten Szenarien angespielt wird, u.a. wenn es heißt, die ‚menschliche Rasse‘ könne aufgrund von umweltbedingter Sterilität aussterben. Der Fortbestand des Menschen erscheint als nicht erklärungsbedürftiger Selbstzweck, als ein kollektives Ziel, das möglicherweise auch unterschwellig sich in dem zu erfüllenden Kinderwunsch (bzw. eher EigenGen-Kinderwunsch) findet, denn diese Notwendigkeit entbehrt in den entsprechend analysierten Texten jedes Begründungskontextes jenseits der Liebe der PartnerInnen untereinander und entspräche somit etwa einer Leistung, die von einem Paar gegenüber der Gesellschaft zu erbringen wäre und wobei das Paar insofern zu unterstützen sei. Im Gegensatz zu dem individualisierten Leiden im in Kapitel 3 beschriebenen reprogenetischen oder reproduktionsmedizinischen Diskurs wird im Medizinischen Diskurs Infertilität zu einer Krankheit. Ihr fehlen zahlreiche sonstige Kriterien des Krankheitsbegriffs, was kompensiert wird durch die Einführung eines überindividuellen Interesses an Reproduktion zu einer Krankheit, so dass ihre Qualifizierung als Krankheit gelingt. So findet der Medizintheoretiker Hucklenbroich, der nach der Jahrtausendwende eins der wenigen größeren deutschen Forschungsprojekte zum Krankheitsbegriff leitet, nach intensiver Diskussion und Verwerfung anderer (insbesondere statistischer) Krankheitsbegriffe, als Krankheitskriterien – krank und pathologisch gleichsetzend – folgende Definition: „Ein Lebensprozess ist pathologisch, wenn er unbehandelt sofort oder in absehbarer Zeit zum (vorzeitigen) Tod des Betroffenen führt oder die zu erwartende Lebensdauer des Betroffenen signifikant verkürzt“229, wenn er „mit Leiden im Sinne von körperlichen oder seelischen Schmerzen, Missempfindungen oder sonstigen Beschwerden verbunden ist und ein bestimmter, individuell variierbarer Schwellenwert hinsichtlich Intensität, Dauer oder Häufigkeit überschritten ist.“ Mit diesen beiden Kriterien sind zunächst letale oder lebensbedrohende Prozesse, sowie solche, die als sehr belastend empfunden werden, genannt. Als zusätzliches Kriterium für Lebensprozesse, die nicht unbedingt letal seien oder als belastend empfunden würden, soll auch etwa für selbstschädliche Verhaltensweisen oder Enzymstörungen beispielsweise das Kriterium dienen, dass ein Prozess pathologisch sei, wenn „er eine (vorübergehen-

228 World Health Organization 1975. 229 Alle folgenden Zitate aus: Hucklenbroich 2004. 277

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

de oder dauernde) gesundheitliche Verschlechterung darstellt bzw. herbeiführt und es (nach bestem medizinischem Wissen) alternative Verlaufsformen gibt, bei denen diese Verschlechterung nicht eintritt. Nach diesen Ausführungen stellt Hucklenbroich fest, dass speziell für verschiedene Formen der Reproduktionsunfähigkeit „Sterilität/Infertilität (‚Impotentia generandi‘), Impotentia coeundi, (ungewollte) Kinderlosigkeit“ weitere Kriterien herangezogen werden müssen, um sie als Krankheitsformen (pathologische Prozesse) beschreiben zu können, da die Reproduktionsunfähigkeit alle anderen Kriterien nicht erfülle: „Das Fehlen der Fähigkeit zur Fortpflanzung ist weder lebensbedrohlich noch notwendig mit subjektivem Leiden verbunden. Eine isolierte Infertilität ist weder gefährlich noch schmerzhaft. Andererseits kann es bei betroffenen Paaren oder Einzelpersonen zu beträchtlichem sekundären Leidensdruck kommen. Fortpflanzungsfähigkeit besitzt schon biologisch einen Sonderstatus, als Vorbedingung der Evolution, deren Betätigung aber den beteiligten Individuen biologisch keinen Vorteil bringt. Schon im Tierreich ist es so, dass die Fortpflanzung für die Erhaltung der Art unabdingbar ist, dass sie aber für die Elterntiere oft erhebliche Risiken und Mühen mit sich bringt. Bei manchen Insekten und Spinnentieren werden z.B. die Männchen gleich nach der Kopulation von dem befruchteten Weibchen verspeist. Für viele Frauen ist die Schwangerschaft mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden. Diese Sonderstellung scheint von den großen Organ- und Funktionssystemen des menschlichen Organismus nur dem Reproduktionssystem zuzukommen. Bei allen anderen Systemen, selbst dem Wahrnehmungs- und Kognitionssystem, steht der Nutzen für den Erhalt von Leben und Gesundheit des Individuums ganz im Vordergrund. Nur die das Sozialverhalten ermöglichenden und stützenden Teilsysteme von ZNS, Psyche und Verhalten können auch auf ihren überindividuellen Nutzen hin bewertet werden (siehe das fünfte Krankheitskriterium).“ (Hucklenbroich 2004)

Hucklenbroich schlussfolgert daraus: „Es macht daher Sinn, den Focus der Betrachtung von den Einzelindividuen weg und hin zur Gattung zu verlegen: Der primäre Bezugspunkt bei Infertilität ist danach nicht das Individuum, sondern die biologische Gemeinschaft bzw. die Spezies Mensch.“ (ebd.)

Entsprechend entwickelte Kriterien sind: Ein Lebensprozess sei pathologisch, wenn „1. er die Unfähigkeit zur biologischen Reproduktion beinhaltet oder zur Folge hat, 2. es alternative natürliche Verläufe gibt, bei denen keine solche Unfähigkeit auftritt,

278

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

3. die betroffenen Individuen die Reproduktion bzw. Reproduktionsfähigkeit wünschen.“230 Deutlich wird, dass das wesentliche Kriterium, Kriterium 1, keine begründende Erklärung des krankheitsspezifischen Faktors enthält, sondern deklarativ verfährt. Innerhalb mechanistischer medizinischer Konzepte, die eine Krankheitsvorstellung ansprechen, nach der im Vergleich ein anderer Verlauf (ein ‚funktionierender‘ Verlauf nämlich) denkbar ist, erscheinen solche Infertilitätsphänomene, die auf einer verminderten Keimzellenproduktion beruhen (wie in den Darstellungen in den analysierten Texten), besonders plausibel, selbst wenn andere hier genannte Krankheitskriterien nicht in Frage kommen und man von dem extra eingeführten Definitionskriterium absieht. Zusätzlich erhält die Leidensvorstellung Plausibilität, denn auch andere körperliche ‚Abweichungen‘ von einem Wunschbild, von einer identitären Vorstellung, können starkes Leiden verursachen, das sich möglicherweise auch in das von Hucklenbroich genannte zweite Kriterium für den Krankheitsbegriff fügen ließe (wofür er aber, weil er seelisches Leiden darin nicht meinte, ein fünftes Kriterium findet). Dies betrifft insbesondere körperliche Erscheinungen, die von gesellschaftlichem Druck und Normabweichungsstigmatisierung begleitet sind. Auch vor der Entscheidung für die kosmetischen Chirurgie wird in solchen Fällen problematisiert, ob die Therapie eine chirurgische oder psychologische sein sollte.231 Anders als alle anderen medizinischen Krankheiten wird also der Krankheitswert von Infertilität evolutionsbiologisch begründet. Dadurch wird zugleich eine menschliche Gemeinschaft mit einem bestimmten zu erreichenden Reproduktionsziel als Prämisse gewählt.232 De facto verläuft einer Setzung von Fertilität als ‚Gesundheitsziel‘ die gesundheitspolitische Arbeit der WHO (vor allem des WHO-Human Reproduction Programme) und anderer transnationaler politischer Organisationen zuwider, welche als kollektives Ziel ‚gesunder‘ Fortpflanzungsraten individuelle Fortpflanzungsinteressen und individuelle reproduktive Gesundheit mit der überindividuellen Makroebene eher in Richtung einer Verringerung von Reproduktionsraten verbin230 Und weiter wird erklärt: „Die zweite Teilklausel ist deshalb erforderlich, um entwicklungs- und altersbedingte Phasen der Infertilität (vor der Pubertät, nach der Menopause) auszuklammern. Die dritte Teilklausel erscheint deswegen sinnvoll, um nicht Menschen als krank bezeichnen zu müssen, die eine Fortpflanzung gar nicht wünschen. Grundsätzlich könnte man hier aber auch diskutieren, ob der Krankheitswert von Infertilität nicht von den Wünschen und Willen der betreffenden Individuen unabhängig sein sollte.“ (Hucklenbroich 2004) 231 Davis 1995, Raspe 2002. 232 Dies lässt Konzepte der Gesundheit eines ‚Gesellschaftskörpers‘ aufscheinen, wie er bereits in der frühen Neuzeit sich bei Hobbes (1984) beschrieben findet und auch in späteren Jahrhunderten staatlichen Hygienekonzepten zu Grunde lag. 279

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

den.233 Damit wird deutlich, dass eine medizinische Definition von Infertilität als Krankheit, die überindividuelle Interessen einführen muss, um plausibel zu werden, zwangsläufig in ein stark umstrittenes politisches Feld mit Nähe zur Bevölkerungspolitik gerät. Unter dieser Voraussetzung eines solch unterschwellig einfließenden überindividuellen, kollektiven Leidensbegriffs betrachtet, erscheint auch die in den obigen Diskurssträngen dargestellte Infertilität als ein Leiden der Gesellschaft an nicht reproduktionsfähigen Mitgliedern, deren Liebe unerfüllt bleibt. Umso mehr erklärt sich das Fehlen der Notwendigkeit, in den vorliegenden Szenarien Infertilität bzw. ausbleibende Reproduktion von einer organischen Kausalbegründung am Individuum aus zu beschreiben. Ein gesellschaftliches Interesse an der Erfüllung des in Reproduktion gipfelnden individuellen Liebessehnens erscheint somit selbstverständlich aus der Vergesellschaftung des Reproduktionsinteresses heraus. Im Folgenden sollen daher zwei Aspekte genauer diskutiert werden: einerseits der liebesbedingte Kinderwunsch (Leiden) und andererseits der evolutionistische Reproduktionsbegriff.

Infertilität: Verzweiflung, Leiden und Liebe „Sterilität wird meist erst dann zu einem Problem, wenn ihre Folgen bemerkt werden, wenn also der Wunsch nach einem Kind, aber keine Schwangerschaft entsteht. Bis dahin verursacht sie kein Leiden, in den meisten Fällen auch keine Beschwerden, die Frauen fühlen sich nicht krank. Das Leiden an der Sterilität ist nicht ein Leiden an diesem Symptom, sondern ein Leiden daran, dass ein Wunsch sich nicht erfüllen lässt, der eigene Körper als versagend erlebt wird, Zweifel aufkommen bezüglich des Selbstwertes.“ (Davies-Osterkamp 1990: 52)

Dass zwischen Liebe, Kinderwunsch und Leiden eine enge (kausale) Verbindung besteht, scheint so selbstverständlich, dass sie auch im kritischen Bezug auf Infertilität sich niederschlägt: Von einem Kinderwunsch loszulassen, würde heißen, sich den „Gefühlen des leidvollen Verzichts auf ein geliebtes Wesen zu stellen“.234 Die britischen Anthropologin Sarah Franklin235 untersuchte und erklärte die diskursive Erzeugung von Leiden an Kinderwunsch. An zentraler Stelle steht bei ihr die Konstruktion der Verzweiflung (oder Hoffnungslosigkeit: desperateness). Anders als nach jenen Ergebnissen von Franklin zur herkömmlichen Konzeption von Kinderwunsch steht im vorliegenden Untersu-

233 Vgl. Schultz 1994. 234 Davies-Osterkamp 1990: 54. 235 Franklin 1990. 280

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

chungsmaterial an erster Stelle ‚Liebe‘,236 die als quasi unerfüllte Liebe zu Leid führt und eine integrative Wirkung für eine Öffnung des Begriffs des Kinderwunsch-Leidens für darin bisher nicht integrierte Körper bietet. Franklin hat 1990 aus unterschiedlichen Quellen von den Populärmedien bis zu politischen Schriften drei Diskurse zu Infertilität herausgearbeitet: erstens den Diskurs „Sozialer Verlust“, zweitens den Diskurs „Biologie als Schicksal“ und drittens den Diskurs „Medizin als Hoffnung“. In den vorliegenden Diskurssträngen werden sie in veränderter Form auf den Kinderwunsch angewandt, der hier zum ‚Liebes-Leiden‘ wird. Der Diskurs Sozialer Verlust erscheint in den jüngeren vorliegenden Szenarien wie im älteren von Franklin untersuchten Material in ähnlicher Form. Es wird bei sich liebenden Menschen (als Paar) ein Leidensdruck konstruiert, keine Kernfamilie gründen zu können. In dem von Franklin untersuchten Diskurs ‚Sozialer Verlust‘ konzentrierte sich die Kernfamilie noch auf das VaterMutter-Kind-Schema, während in den vorliegenden Szenarien nicht die Heterosexualität im Zentrum zu stehen scheint, sondern der Wunsch, mit dem/der Geliebten eine Gemeinschaft zu gründen, deren Bande auf genetischer Verwandtschaft (über das Kind) beruht. Dabei ist dieser Kinderwunsch nach dem Eigen-Gen-Wunschkind in beiden Fällen ein „natürlicher“. So wird im BioSkop festgestellt, dass es in biomedizinischen Kreisen häufig heiße, der Wunsch zum genetischen Kind sei nicht krankhaft, sondern normal, und dass eine Frau ein genetisches Kind eher akzeptiere, als ein adoptiertes sei ebenso normal.237 Diese Argumentationsweise wird aufrecht erhalten, obwohl in Bezug auf die elterliche Akzeptanz keinerlei Unterschied festgestellt werden konnte.238 Ähnlich äußert sich der Gynäkologe und Fortpflanzungsmediziner Freimut Leidenberger, der Autor zahlreicher medizinischer Universitätslehrbücher ist, in einer hier beispielhaft zitierten Stellungnahme: „Handlungsmaxime für die Sterilitätsbehandlung ist der natürliche Kinderwunsch eines Paares. Die diagnostische Unterscheidung zwischen natürlichem und krankhaftem Kinderwunsch ist wegen der fließenden Übergänge dieser Anteile in der Praxis schwierig. Natürlicher Kinderwunsch entwickelt sich aus einer Paarbeziehung. Es ist ein Wunsch, das Kind als Drittes in seiner Entwicklung zu erleben und zu lieben. Krankhafter (neurotischer) Kinderwunsch will das Kind nicht um seiner selbst willen, sondern als funktionales Objekt für eigene, ungelöste Probleme. Es ist Auffassung der Behandelnden, dass ein solcher Wunsch in seiner krankhaften Bedeutung dem Paar bewusst gemacht werden muss, ggf. ist also die Behandlung abzulehnen,

236 Vgl. 3.2.1 Gute Gene aus Liebe zum teuren Kind-Szenario, sowie 3.2.1 Kinderwunsch aus Liebe (resultiert in Anspruch). 237 BioSkop 2000. 238 Siehe u.a. Golombok 1999. 281

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

um das Kind vor solchem Missbrauch zu schützen.“ (Leidenberger, zit. in Schuller 1993)239

Diese Definition des Kinderwunsches als Wunsch nach einem Dritten, hervorgehend aus einer Paarbeziehung, ist meines Erachtens fragwürdig. Was passiert beispielsweise, wenn eine schwangere Frau sich von dem/der PartnerIn trennt, erlischt dann auch automatisch ihr Kinderwunsch? Und was ist ein potentielles, noch unbekanntes Kind in „seiner selbst“, um dessen Willen es gewünscht sein soll? Und: Welche Art von Wunsch kann ein genetisch nicht von den Eltern abstammendes Adoptivkind nicht erfüllen? Der eigentliche Hintergrund des ‚natürlichen‘ Kinderwunsches, wird aus weiteren Sätzen aus der zitierten Stellungnahme deutlich. Der persönliche Kinderwunsch wird darin zum staatlichen Kinderwunsch: „Die Initiatoren des Instituts [für Hormon- und Fortpflanzungsforschung; B.v.W.] fassen die Arbeit der dort tätigen Wissenschaftler und ihre eigene wissenschaftliche und klinisch-wissenschaftliche Tätigkeit als Beitrag zu einem Forschungszweig auf, dessen jetzige und künftige Bedeutung spätestens dann offenbar wird, wenn man sich die weltweiten politischen und sozialen Konsequenzen der Überbevölkerung einerseits und der Zunahme ungewollter Kinderlosigkeit andererseits vergegenwärtigt.“240 Der Diskurs Biologie als Schicksal expliziert, sowohl Franklins Untersuchung nach, wie im vorliegenden Material, das Angebot von Seiten der Biomedizin, Infertilität auf technischem Wege zu heilen. War nach Franklins Ergebnissen Heterosexualität zum Fortpflanzungszwecke im untersuchten Diskurs evolutives Schicksal und Infertilität naturgegeben und damit ebenfalls schicksalhaft, so wird in den vorliegenden Strängen die Natürlichkeit von Klonierung betont und die Befruchtung in vitro und im biologisch-medizinischen Hintergrunddiskurs genetische Selektion durch behandelnde SpezialistInnen als evolutives Schicksal dargestellt: In Schul- und Universitätslehrbüchern wird der menschliche Eingriff in das Genmaterial gern als Vorgang beschrieben, wie ihn die Natur seit Jahrmillionen betreibt und damit Evolution ermöglicht.241 Ebenso wird in einer Stellungnahme für den Rat für Forschung, Technik und Innovation von einigen renommierten Biologen zunächst einmal klargestellt, dass Klonen bereits bei den einfachsten Bakterien der übliche Vermehrungsmechanismus sei.242 Und zuletzt sei ohnehin die Evolution selbst

239 Freimut Leidenberger in der Stellungnahme des Fachbereichs Medizin der Universität Hamburg zur Angliederung des Instituts für Hormon für Fortpflanzungsforschung in Hamburg (IHF gGmbH) an die Hamburger Universität Ende 1991. 240 Leidenberger zit. in Schuller 1993. 241 Z.B. Hoff et al. 1999. 242 Eser et al. 1997. 282

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

verantwortlich für ihre jetzige Übernahme durch SpezialistInnen (vgl. Kapitel 3.2.3 Natur macht Technik-Szenario). Diese Replikation des Genmaterials und die Zellteilung dieser Bakterien ist jedoch mit dem technischen Klonen – wie bereits in Kapitel 3 beschrieben – kaum zu vergleichen. Dennoch erfüllt die Gleichsetzung von ‚Natur‘ mit ‚evolutivem Schicksal‘ den Sinn der Autorisierung von höchster Instanz: der ‚Natur‘ selbst. Mit dem Diskurs Medizin als Hoffnung tritt die Repromedizin als einzige Rettung auf, die sich anbietet, Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch das Leitziel Kernfamilie zu ermöglichen. Wenn man von der Adoptionsmöglichkeit absieht, trifft diese Darstellung als „einzige Lösung“ zumindest bei manchen heterosexuellen Paaren zu, deren Eigen-Gen-Kinderwunsch durch die Unfruchtbarkeit der Frau wegen organischer Schäden unerfüllt bleibt. Nun aber stellt sich die Reproduktionsmedizin auch als die Heilsverkündung für den lesbisch-schwulen Kinderwunsch vor. Der Erlösungsdiskurs betreffs dieser Zielgruppe, ist ein Konstrukt, das von medizinischer Seite etwas umständlicher zu begründen ist, da die gemeinsame ‚Unfruchtbarkeit‘ dieser Paare schwerlich als eine individuelle organische Infertilität definiert werden kann. So wurden trotz verschiedener statistischer und sozialpolitischer Hindernisse bereits 2004 im Mikrozensus in Deutschland 11500 ‚biologische‘ Kinder allein von gemeinsam lebenden gleichgeschlechtlichen Paaren als bei ihnen lebend angegeben, die in den meisten Fällen ohne reproduktionsmedizinische Hilfe gezeugt wurden.243 Zudem werden von der herkömmlichen Kleinfamilie abweichende Familienvorstellungen offenbar inzwischen denkbarer und leichter praktizierbar. So gründen sich seit etwa Ende der 1990er Jahre international und inzwischen auch in Deutschland zunehmend Gruppen und Kontaktbörsen, mittels derer sich Lesben- und Schwulenpaare unter anderem gar zur Gründung von Vier-Eltern-Familien und der Zeugung von Eigen-GenKindern vereinigen.244 Insofern wird deutlich, dass eher soziale denn ‚körperliche‘ Hindernisse den Reproduktionswunsch dieser Gruppe eingrenz(t)en.

243 Statistisches Bundesamt 2005: 3.1.3, VIII C. Bereits ohne die Problematik einzubeziehen, dass Sozialhilfe erhaltende Partnerschaften sich häufig nicht als in einem Haushalt lebend zu erkennen geben dürften (da sie sonst unterhaltspflichtig werden könnten), schätzt das Statistische Bundesamt, dass nicht 56000 gleichgeschlechtliche Paare in gemeinsamen Haushalten leben, sondern etwa die dreifache Menge, so dass sich auch die Kinderzahl in solchen Haushalten entsprechend erhöht. Hinzu kämen Kinder, die bei alleinerziehenden und nicht in Partnerschaft lebenden Lesben und Schwulen leben. 244 So z.B. das LGBT Parenting Network (als Teil der Family Service Association, FSA, Toronto: www.fsatoronto.com/); die family pride coalition aus Washington: www.Familypride.org oder der LSVD Landesverband Berlin-Brandenburg e.V.: www.queerfamily.de; queer & kids am Rat und Tat Zentrum, Bremen: www.ratundtat-bremen.de. S.a. Kämper/Lähnemann 2001, Sullivan 2000, Berger et al. 2000. 283

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

In den reprogenetischen Szenarien wird Leiden in zweierlei Problembereichen eingesetzt. Einerseits in Hinsicht auf das Leiden an ungewünschter Kinderlosigkeit, andererseits jedoch auch in Hinsicht auf Krankheiten oder Behinderungen des potentiellen Kindes, vor denen es geschützt werden solle. In beiden Fällen werden die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien als Lösung angeboten. Die individuellen und kulturellen Konzepte von Leiden sind divers. Leiden stellte Untersuchungen in der US-Bevölkerung nach eine wesentliche Kategorie dar, nach der Individuen befinden, ob medizinische Technologien zum Einsatz kommen sollten oder nicht.245 Dies gilt insbesondere für (vermeintlich) genetische oder chromosomale Krankheiten: So fände man bei liberalen und nicht-gläubigen die Position, Leiden müsste auf jeden Fall vermieden werden und eine damit begründete starke Unterstützung Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien. Die jüdische und ebenfalls unter Liberalen zu findende Position dagegen sei, ebenfalls die des Leiden Verhinderns, dabei jedoch Selektion und technologische Risiken hinterfragend. Unter christlichen Positionen dagegen fände sich deutliche Ablehnung des Leiden Verhinderns in der Augustinischen und der Irenäischen Tradition.246 Nach der irenäischen, einer eher selteneren Glaubensrichtung, schuf Gott eine Welt, in der das Böse und Leiden unvermeidbar ist, es sei von Gott geschaffen, den Menschen auf seinem Weg zum Guten zu erziehen. Aus dieser Position heraus erscheint Leiden als ein pädagogisches Element, das nicht eliminiert werden dürfe. Sowohl in der katholischen, wie in der lutherischen und calvinistischen Tradition, Augustinus folgend (und wiederbelebt durch Schleiermacher), findet sich weit häufiger die Vorstellung von Leiden als mitzuerleidendes Leiden Jesu. Das grundsätzliche Gute im Menschen sei durch den Sündenfall korrumpiert worden. Jesus wurde gesandt als Erlöser von dieser Schuld, dessen Leiden am Kreuz Menschen dennoch verantwortlich mitzutragen haben. Leiden sei eine Bestrafung für die Erbsünde, die alle Kinder Adams ereile. So fände sich in den USA nach Evans vor allem bei ProtestantInnen eine Gegenerzählung247 zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien, nach der das Leiden auf sich genommen werden müsse, man müsse etwas ‚durch-leiden‘ (mit Gott). Zudem lehre die Anwesenheit von Leiden in der Gesellschaft Mitgefühl. Offensichtlich wird dagegen in den reprogenetischen Szenarien Leiden als zu Vermeidendes grundsätzlich vorausgesetzt. Ähnlich wie dort suggeriert wird, die ‚Behandlung am Gen‘ (oder Selektion) sei ein Leiden ersparendes Mittel, wird in der zitierten Interviewstudie wenig deutlich, dass die Gleichsetzung von ‚Leiden Mindern‘ und ‚Anwenden von Neuen Gen- und Repro-

245 Evans 2006, Evans 2005. 246 Vgl. zu den Hintergründen Weber 2000, Hick 1970. 247 „Counter narratives“ (Evans 2005). 284

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

duktionstechnologien‘ eine unüberprüfte reprogenetische Konstruktion darstellt. In der medizinkritischen Literatur erhält Leiden eine subversive Position. Ivan Illich erinnerte insofern an den Konstruktionscharakter von Leiden und Nicht-Leiden, da es in Zeiten von kürzerer Lebenserwartung, aber mit der Vorstellung von einem späteren ewigen Leben, einen weit weniger überwindlichen Charakter trage, als heute.248 Eine der meistzitierten feministischen deutschen Autorinnen zu Reproduktionstechnologien, Elisabeth Beck-Gernsheim, verteidigt Leiden mit Bezug auf historische Argumente: „Even more so, it has been said that only s/he who has emptied the cup of suffering may expect salvation. As Novalis put it 200 years ago, illness and disease ‚are years of apprenticeship to the art of life and to emotional development‘. The romantic poet, who died of tuberculosis at the age of 29, knew well enough that ‚suffering can petrify‘, but he also knew that ‚the one who flees from suffering has given up love‘. And Schopenhauer concludes his famous chapter ‚On the Theory of Abnegating the Will to Live‘ with a frequently quoted sentence by the cologne Dominican Master Eckhard: ‚The speediest beast carrying you to perfection is suffering‘. […] Studies from social history, social psychology and sociology draw similar conclusions. ‚What can no longer be expected from the world beyond is now […] projected to this world: immunity from troubles and impairment, from sickness and suffering – all in all, happiness and immortality‘.“249 (Beck-Gernsheim 2000: 123f.)

Eine ähnliche Position findet sich bereits in Nietzsches Medizinkritik: „Und was die Krankheit angeht: würden wir nicht fast zu fragen versucht sein, ob sie uns überhaupt entbehrlich ist? (...) Erst der große Schmerz, jener lange langsame Schmerz, der sich Zeit nimmt, in dem wir gleichsam wie mit grünem Holze verbrannt werden, zwingt uns Philosophen, in unsere letzte Tiefe zu steigen und alles Vertrauen, alles Gutmütige, Verschleiernde, Milde, Mittlere, wohinein wir vielleicht vordem unsere Menschlichkeit gesetzt haben, von uns zu tun. Ich zweifle, ob ein solcher Schmerz ‚verbessert‘ –; aber ich weiß, dass er uns vertieft.“ (Nietzsche 1982: 13f.)

Auch wenn Nietzsche darauf aufbauend letzten Endes die individuellen subjektiven Ausprägungen von Leiden betont und Konzepte einer „NormalGesundheit“ ablehnt250, lässt sich aus gesundheitswissenschaftlicher Perspek248 Illich 1995. 249 Beck-Gernsheim 2000 zitiert Mergner, U. Mönkberg-Tun, E. Ziegler, G. (1990): Gesundheit und Interesse. Zur Fremdbestimmung von Selbstbestimmung im Umgang mit Gesundheit. Psychosozial 2, 18. 250 Nietzsche 1982: 135, davor: „Es kommt auf dein Ziel, deinen Horizont, deine Kräfte, deine Antriebe, deine Irrtümer [...] an, um zu bestimmen, was selbst für 285

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

tive ein Durch-Leiden als Ziel in Frage stellen, denn Leiden kann stets weiteres Leiden und größere Beeinträchtigungen nach sich ziehen und ist eine ernst zu nehmende Wahrnehmung, die Gesundheitshandeln erforderlich machen würde. Ryan Mauras Übersicht über Interviewstudien mit Frauen, die an einem unerfüllten Kinderwunsch leiden, macht zudem sehr deutlich, dass nicht von der Hand zu weisen ist, dass diese sich für ihr Leiden eine akzeptable Lösung durchaus wünschen und ein Durch-Leiden nicht als eine solche Lösung sehen.251 Leiden, und dies gilt auch für eine notwendige Selbstreflexion in der medizinkritischen Literatur, wird entsprechend religiösen und sonstigen kulturellen Hintergründen unterschiedlich betrachtet und als unterschiedlich akzeptabel gesehen. Die Hegemonie einzelner Konzepte zum Umgang mit Leiden dürfen kaum als überkulturell voraussetzbar gesehen werden. Leiden muss also kontextgebunden gesehen werden. Ähnliches gilt für den Kinderwunsch und seine Verbindung mit Leiden. Selbst wenn ein Leiden an unerfülltem Kinderwunsch, wie weiter oben vorgeführt, als eine Konstruktion betrachtet werden kann, bedeutet dies nicht, ein manifestes Leiden daran negieren zu müssen. Auf den immer wieder beschriebenen sozialen Druck, den Frauen erleben und der einen großen Anteil in ihrem Kinderwunsch-Leiden ausmacht,252 hinzuweisen bedeutet nicht, seine Materialisierung in den Frauen bis hin zu physischem Ausdruck zu verleugnen. Das Leiden ist vorhanden, es ist nicht von der Hand zu weisen mit dem Hinweis auf seinen Konstruktionscharakter. Eine Konsequenz daraus könnte statt dessen sein, das Leiden an Infertilität tatsächlich als ein überindividuelles zu betrachten: nämlich als ein gesellschaftliches Phänomen, dass in den sozialen Kontext wieder eingebettet werden müsste. Dies betrifft nicht nur die Situation der Nicht-Schwangeren mit Kinderwunsch bzw. von allen Personen, die an unerfülltem Kinderwunsch leiden, wie auch für die Situation der Personen (in erster Linie Frauen) ausgesetzt sind, über Risiken und Verantwortung in der Diagnostik von möglichen Erkrankungen am Kind entscheiden zu sollen. Auch hier wird die Verantwortung für ein gesellschaftliches Problem an die potentiellen Eltern (vor allem die Mutter) delegiert und über eine vermeintliche PatientInnenautonomie trotz der Eingebundenheit in Gesetze und Normen (sowohl ihrer selbst, wie auch der ÄrtztInnen) eine bei ihnen liegende Verantwortung konstruiert. Auch hier leiden Menschen, vor ihren Entscheidungen unter dem Druck der Entscheidung und oft nach ihren Entscheidungen an den Konsequenzen. Eine gesellschaftliche Einbettung dieser Situationen in eine kollektive Verantwortung für Fragen von Kinderwunsch und

Deinen Leib Gesundheit zu bedeuten habe. Somit gibt es unzählige Gesundheiten des Leibes [...].“ 251 Maura 2001: 68ff. 252 Ebd. sowie Düll 1990. 286

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

die Entscheidungen im Umgang mit Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien erscheint unerlässlich.

4.3.2 Krankheit im Defizitdenken: Genetische Krankheit In den Szenarien ‚Kinderwunsch erfüllen‘ und ‚Genetische Krankheiten heilen‘ ist einerseits Leiden entweder an Kinderlosigkeit wegen einer eigenen Krankheit der Eltern – die nicht vererbt werden soll, oder die ihre gemeinsame Reproduktion verhindert, der Grund für eine Befruchtungsbehandlung. Andererseits sind es (oft damit verbunden) meist schwere, erbliche Krankheiten, die es am Genom zu heilen oder vermeiden zu gilt, sei es, solche des Menschen als Gattungswesen, oder zugunsten des individuellen künftigen Kindes. Entsprechend sind es massive physische Beeinträchtigungen und starke Leiden, die in diesem Szenario reprogenetische Maßnahmen begründen. Auch diese Maßnahmen sind genau genommen, wie jenes Szenario das unter Prävention gefasst ist, präventiv, da am Genotyp ein zu erwartendes somatisches ‚Leiden‘ bzw. eine starke Normabweichung ausgemacht wird. Die ‚Behandlung‘ besteht im Einsatz von Befruchtungstechnologien und/oder von Gentherapie (auch gekoppelt mit reproduktiver Klonierung) oder dem ‚Verwerfen‘ des Embryos nach PID. Anders als im Szenario Prävention richten sich die Eingriffe nicht gegen mögliche Infektionen oder genetische ‚Risikofaktoren‘ für Krankheiten, sondern gegen ‚schwere‘ Krankheiten, die familienerblich sind bzw. bereits genetisch am Embryo identifizierbar erscheinen. Mit der Formulierung, es ginge darum, genau zu wissen, ob das Kind eine Krankheit haben werde, wird deutlich, dass ihre Erkennbarkeit für hundertprozentig sicher gilt und von der Überzeugung ausgegangen wird, das mit dem ‚Gendefekt‘ eine Erkrankung verbunden sei, sie also zwingend ausbreche. Die gemeinten Krankheiten werden jedoch kaum je klar benannt, sondern tauchen auf im Sinne von „schweren Erbkrankheiten“, „Behinderungen“, „Behinderungen durch Erbleiden“, „erbkrank“ „schwere genetische Erkrankung, für die es keine echte Therapie gibt“ (so dass sie zu frühem Tod führt), „Krankheit, die eindeutig auf einem Defekt in einem einzelnen Gen beruht“. Besonders wird mit adjektivischen Zusätzen wie „bestimmte Erbkrankheiten“, die „fragliche Erbkrankheit“ offen gehalten, um welche möglichen Krankheiten es gehen könnte. Die einzige, konventionell als chromosomal bezeichnete ‚Krankheit‘, die klar benannt wird, ist in diesen Szenarien das sogenannte Morbus Down-Syndrom. Zusätzlich heißt es, ein genetischer Eingriff sei dann denkbar, wenn ein personales Leben in ‚Freiheit und Würde‘ für die betroffene gentragende Person nicht denkbar sei.253 Die Nennung bis heute in ihrer Existenz stark umstrittener genetischer Prädispositionen für „klassische Psy253 Watson 2001b, siehe Kap. 3.3.4. 287

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chosen“, depressive Erkrankungen, Zwangneurosen und Hyperaktivität als genetische Indikatoren für eine ‚Genbehandlung‘ stellt mit einem einzigen Text eine Ausnahme dar. Den zu vermeidenden ‚Erbkrankheiten‘ stehen als ihre genetische Voraussetzung gegenüber: „schadhafte Embryonen“ (versus „genetisch intakt“), Krankheitsgene, Gendefekte, kranke Genversion, schadhafte Gene und fehlerhafte Gensequenzen.254 In diesen Fällen wird ‚Gen‘ betrachtet wie eine infizierende, klar begrenzte Einheit,255 die es aus dem Genmaterial (des Individuums oder einer größeren gesellschaftlichen Einheit) zu entfernen gilt. Diesem Konzept entspricht ein qualitativer statt gradueller oder statistischer, also quantitativer Krankheitsbegriff. Ähnlich einem Infektionskonzept als wesentlicher Grundlage von Krankheit wird – wie im frühen Ägypten – der dem Körper fremde ‚Wurm‘256 oder der Krankheitserreger zu Zeiten Pasteurs, ein ‚krankes Gen‘ als klar lokalisierbar gedacht, verbunden mit dem entsprechenden „Optimismus der Infektionstheorien“257. Auffällig häufig wird in diesen Szenarien ‚nicht-gesundes Genom‘ als ‚defekt‘ oder ‚fehlerhaft‘ (z.B. mit dem Begriff „Genfehler“) bezeichnet, so dass ‚kaputt‘ und ‚krank‘ ein Begriffspaar bilden und ‚gesund‘ und ‚heil‘ ein anderes. Dem entspricht ein mechanistisch-medizinisches Konzept, bei dem die Wiederherstellung oder Garantie körperlicher Funktionstüchtigkeit im Zentrum steht. Die Maschine, die hier als Modell der Gen-Körper-Interaktion gilt, ist zwar möglicherweise – wie es für Texte zur Genetik typisch wäre – eine kybernetische258, der ‚Maschinenschaden‘ ist allerdings als so wohldefinierbar zu betrachten, dass ebenso eine Newtonsche Maschine, bei der etwa ein leicht ersetzbares Zahnrad ausfällt, als Modell in Frage kommt. Entsprechend einer frühkybernetischen,259 mechanischen Rechenmaschine, die im Wesentlichen auf der 0/1-Unterscheidung basiert, ist bei diesem Gen nur ein Ja/Nein-Befund (Gen defekt oder nicht) möglich. Folgerichtig ist der Defekt keine herabgesetzte Regelungs- oder Steuerungsfähigkeit, sondern der maximal denkbare ‚Maschinenschaden‘. Auch hier zeichnet sich unausweichliche Schicksalhaftigkeit des ‚dogmatischen Gens‘ (s.w.u.) ab, das keinen Spielraum lässt für weitere, womöglich soziale Faktoren. Eher seltene Fälle des sicheren Auftretens einer sich im Genmaterial abzeichnenden schweren ‚genetischen‘ Krankheit erscheinen als stets lauernde Gefahr.

254 255 256 257 258

Siehe 3.3.4 Heilung und Beheben von Defekten. So auch nach Beck-Gernsheims Analyse (1999). Sigerist 1931. Canguilhelm 1974: 19. Wie etwa bei Gottschicks Gesundheitsbegriff als „Leben bei erhaltender Regelungs- und Steuerungsfähigkeit“ der eher bei Normabweichungen am Hormonsystem Anwendung findet. 259 Dies entspräche einer Kybernetik 1. Ordnung, im Gegensatz zu einer selbstorganisierten Kybernetik 2. Ordnung (Weber 2003). 288

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In diesen ‚reparatur-‘ bzw. heilungsorientierten Strängen wird, wenn nicht verfrühter Tod angenommen wird, stets die „Schwere“ der zu behebenden sog. Erbkrankheiten hervorgehoben (ohne zu beschreiben, wonach sich „Schwere“ misst) oder alternativ (schweres) Leiden als Maßstab des Eingriffs genannt. Dieser Ansatz der ethischen Legitimation reproduktionstechnologischen Eingreifens kommt dem konventionellen modernen ärztlichen Handlungsauftrag, wie er im medizinischen Krankheitsbegriff gefasst ist, am nächsten. So diffus die „genetischen Krankheiten“ auch dargestellt werden, umso präziser und unabwendbarer scheint die Genwirkung mit eben solchen schweren, leidverursachenden Krankheiten kausal verbindbar zu sein. ‚Gen‘ wird hier behandelt, als wäre es eine eindeutig definierbare Einheit, mit eindeutig definierbaren Krankheiten, die – durch ein entsprechendes Gen ausgelöst – entweder auftreten, oder nicht auftreten. Zugleich allerdings besteht innerhalb der Fachwissenschaft der Genetik selbst inzwischen die Vorstellung, dass das ‚Gen‘ durchaus keine wissenschaftliche Tatsache (im Fleckschen Sinne) sei,260 denn die Denotation für ‚Gen‘ ist nicht präzise, sondern dass es sich von vornherein um eine fachwissenschaftliche Hypothese handele – ‚Gen‘ sei all jenes, was man ‚Gen‘ nennt.261 In dem im Frühjahr 2005 abgeschlossenen Projekt Das Alltagsgen unter der Leitung von Barbara Duden wurden „Funktionen im Hof von Gen im Allgemeinsprachlichen“262 untersucht. Ausgangspunkt des Projekts war, dass trotz der seit den 1990er Jahren weiterreichenden Erkenntnis innerhalb des genetischen Faches selbst, der Begriff des Gens sich umgangssprachlich verselbstständigt habe, in genau jenem Moment (etwa in den 1980er Jahren), da dem ‚Gen‘ noch von Genetikern die Potenz zugeschrieben wurde, unidirektional bestimmte Phänomene eindeutig zu codieren, so dass (entsprechend dem Mendelschen Konzept) ein Gen für ein Merkmal stünde. Sämtliche Aspekte bzw. Funktionen, die als Ergebnisse des beschriebenen Projekts, dem Gen im Alltagssprachlichen zugeschrieben werden, lassen sich ebenfalls in den in der vorliegenden Untersuchung zusammengefassten Experten-Szenarien wieder finden: Diese Funktionen, die im Folgenden kurz ausgeführt werden, sind im Wesentlichen das Fiktionale, das Omenhafte, das Substantielle und das Apodiktische (der Befehlsmodus). Hierfür gibt es mehrere Deutungsmöglichkeiten: Der Übergang zwischen ‚Labor‘ (und Fachsprache) und der Öffentlichkeit (und der Umgangssprache) sind nicht so klar zu trennen, wie in dem beschriebenen Projekt angenommen wird, bzw. der Unterschied zwischen beiden definiert sich darüber, wer die Adressierten sind. So wird, wie die hier 260 Keller 2001, Keller 1998. Die unterstellte Relevanz dieses Befundes in Hinsicht auf die Genetisierung der Lebenswelt wird allerdings auch in Frage gestellt (s.w.u). 261 Samerski 2002. 262 Duden 2005, Duden/Samerski 2006. 289

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vorliegenden Texte und der Makrodiskurs nahe legen, möglicherweise ein Labordiskurs zu einem öffentlichen, umgangssprachlichen Diskurs, sobald sich FachwissenschaftlerInnen an die Öffentlichkeit wenden. In diesem Zwischenfeld bewegen sich die in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Texte. Zudem beziehen sich Untersuchungen, die davon ausgehen, innerwissenschaftlich sei der Glaube an Gene als ‚Fakten‘ überholt, vorwiegend auf die Genetik. Während des in der vorliegenden Arbeit betrachteten Untersuchungszeitraums, in dem die fachwissenschaftliche Verschiebung des Verständnisses von Gen als eines bloßen Modells stattfand, verschob sich allerdings auch das Feld der molekularen Genetik: Neue Fächer entstanden, die Aufgabenbereiche der Genetik übernahmen und stärker praxisorientiert waren, wie die Psychogenetik, Reproduktionsgenetik oder Molekularbiologie. Die ‚umgangssprachliche‘ Vorstellung dessen, was ein Gen umfasst, wird insofern nicht mehr allein von der Genetik oder genetischen Molekularbiologie bestimmt, deren Inhalte zunehmend theoretischer (informationeller) Art war. So mögen andere Fächer, die seither in hohem Maße suggerieren, kompetente Aussagen über das Gen leisten zu können, durchaus dem Gen die Funktionen zuschreiben, die sich ebenfalls im Umgangssprachlichen finden. In den vorliegenden Szenarien findet sich eine starke Überschneidung von ‚Labor‘ und ‚öffentlicher‘ Rede. Mag die Unterscheidung von ‚Interdiskurs‘ und ‚Spezialdiskurs‘ wie nach Linke (vgl. Kapitel 1.2.3) in manchen Fällen heuristisch bedeutsam sein, lösen sich beide zunehmend in Interdisziplinarität und Privatisierung von Forschung (und damit größerem Bedarf, an die Öffentlichkeit heranzutreten) sowie Beschleunigung von Interaktionen auf. Zugleich lässt sich zeigen, dass die gleichen Autoren in verschiedenen Autorfiguren vorkommen und somit zwischen Labor und Öffentlichkeit wechseln. Meines Erachtens wird auch dadurch eine Unterscheidbarkeit unklarer, da ich nicht davon ausgehe, dass eine Autorfigur ihre zweite Existenz als andere Autorfigur vollständig ablegen könnte.263 Der phantasmatische Charakter des Gens (das Fiktionale, das sich durch seine hohe ‚Medienpräsenz‘ zeigen lässt), wie er von Duden, Samerski und auch Brandt herausgearbeitet wurde, ist vielfach in den weiter oben dargelegten Szenarien zu finden (siehe insbesondere Djerassis Ausführungen und mediale Verarbeitung von ICSI ein einem Theaterstück oder jene Science Fiction-Darstellung durch Dean Hamer („Ein fiktives Paar spielt Babybauen im Jahr 2250“).264 Dabei ist das Gen nicht mehr auf die Ordnung der Vergangenheit (im Sinne beispielsweise von Familienstammbäumen) gerichtet, sondern

263 Und würde möglicherweise eher dem Versuch der Behauptung objektiver Trennbarkeit von Fachdiskurs und Populärdiskurs unterliegen, wie er von Ettorre (1999) als ein diskursives Mittel angeführt wurde. 264 Hamer 2002. 290

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auf Zeichen einer Zukunft (Omen)265, als Verweis auf die (phänotypischen) Eigenschaften eines Körpers, dessen Existenz in der Zukunft liegt. Zugleich wird dem Gen ein substantieller Gehalt zugeschrieben, so dass Erwartungen des (gesundheitlichen) Fortschritts daran geknüpft werden können.266 Solche Darstellungen vereinigen zudem den Heilungsoptimismus des Infektionsmodells (s.o.) mit utopischen Aspekten der Überwindung der Natur (im Sinne Bacons, siehe Kapitel 3.4.4). Der substanzielle Gehalt des Gens und der Aspekt des Apodiktischen, demnach das Gen keine Widerrede duldet und genau jenen Befehl ausführen lässt, den es ausgibt,267 sind die Funktionen des Gens, die sich in dem hier beschriebenen „Krankheitsgen“ wieder finden lassen. Die Deutungsrichtung in dieser Darstellung von Lesbarkeit wird demnach verstanden als nur vom Text ausgehend in Richtung der LeserIn, nicht als ein Akt der LeserIn selbst oder beider.268 Ganz explizit verbindet der Begriff ‚genetisch behindert‘269 das somatische mit dem Gen, so dass – im Gegensatz zu dem in der Körpersoziologie der End-1990er Jahre vielfach konstatierten ‚Verschwinden des Körpers‘ hinter dem Genom – das genetische und der Körper in eins fallen.

4.3.3 Risiko Der Begriff des Risikos ist vielfach als zentrale Kategorie der Neuen Genund Reproduktionstechnologien analysiert worden und soll in der vorliegenden Arbeit daher noch angesprochen werden.270 Es hat sich allerdings gezeigt, dass in den untersuchten reprogenetischen Szenarien der Begriff des Risikos als ein Begriff der Bedrohung optimistischeren Begründungszenarien für die Anwendung Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien weicht: der Liebe, der Freiheit und der individuellen Selbstverwirklichung (im Kind, s.u.), sowie dem Leiden an Kinderwunsch, das emanzipatorisch empathisch inszeniert nach Lösung verlangt, oder des Wunsches, das Kind nicht leiden zu lassen. In den wenigen Aussagen, die Risiko als Begründungshorizont für die Anwendung Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien anführen, entspricht der Gebrauch der Kategorie Risiko den bisherigen Ergebnissen der feministischen Forschung: Bei Frauen ab einem gewissen Alter stelle sich eine ‚Risikoschwangerschaft‘ ein, sowie, es bestehe ein Risiko der Vererbung gewisser Faktoren oder Krankheiten. Neu allerdings erscheint die Begründung der 265 Lock 2001. 266 Keller 1998. 267 Vgl. Duden/Samerski 2006. Auch die Vorstellung des Gens als Information enthält diesen Befehlsmodus (vgl. Kay 2000a, Kay 2000b). 268 Vgl. zur Problematisierung dieser Verwendung des ‚autoritären Buchs der Natur‘ Kap 3.4.3 Biologische Hintergrundmetaphern und Kap. 4. 269 Siehe Kap. 3. 270 Siehe z.B. Michie et al. 2005, Samerski 2002, Novas/Rose 2000, Rapp 1999. 291

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Notwendigkeit, Präimplantationsdiagnostik einzuführen, durch technische Risiken: Die „Fehlbildungsrate bei ICSI“271 und die häufig höhere Inzidenz von Mehrlingen bei IVF (die oft zu Frühgeburten führt) ist riskant und durch Präimplantationsdiagnostik vorzubeugen272 (vgl. Kapitel 3.3.2). Steht noch der herkömmlichen Begriff der Gefahr im Feld eines bald eintreffenden schädlichen Ereignisses, lassen sich an einen auf statistischer Wahrscheinlichkeit beruhenden Risikobegriff darüber hinaus weitreichende Regulierungen, Verantwortlichkeiten und Praktiken knüpfen werden können.273 Die Art der Präsentation des Risikos entspricht jener der permanenten Bedrohung, der jeder Mensch ausgeliefert ist. Diese böte für die Inszenierung der Notwendigkeit humangenetischer Maßnahmen den existenznotwendigen Hintergrund, wie Beck-Gernsheim am Gen als ‚Feind im Inneren‘ analysierte.274 Von einem entsprechenden statistischen Wahrscheinlichkeitsbegriff geht auch das Risikofaktorenmodell der Prävention aus. Hier lässt sich zudem eine mögliche Problematik in Verständnissen des Gesundheitsbegriffs von Antonovksky deutlich machen, nach dem Gesundheit sich stets in Gefahr befindet und hart zu erarbeiten ist: „None walks the sore safely“.275 Die diskursive Parallele liegt allein in der statischen Konzeption von Ressourcen. Vorgegebene Faktoren (im sense of coherence und weiteren Schutzfaktoren) würden ausmachen, wie gut jemand mit diesen Gefahren im Leben zurecht käme. Ein ‚Vorbeugen‘ vor derartigen Lebensrisiken, indem das potentielle Kind mit vorteilhaften genetischen ‚Ressourcen‘ ausgestattet wird, läge nahe (vgl. Kap. 3.3.2). Gesundheitsbegriffe, die mit körperlichen Anlagen als Indikatoren für künftige Gesundheit arbeiten, begünstigen die Suche nach solchen Faktoren mit Mitteln, die das nicht-spürbare ‚erkennbar‘ machen sollen. Wenn in den reprogenetischen Szenarien der Risikobegriff weniger häufig angeführt wird, als im humangenetischen Diskurs bekannt, bedeutet dies keinesfalls, dass von der Vorstellung von einer von Genen ausgehenden Bedrohung abgelassen würde.276 Stattdessen tauchen Gene eher als solche auf, die mit Sicherheit verschiedene Effekte verursachen. Dadurch erübrigt sich der Risikobegriff der Wahrscheinlichkeit, wie er in der Humangenetik verwendet wird, in den vorliegenden Szenarien.

271 Diedrich 2003. 272 Zur Zeit werden bis zu drei Embryonen übertragen, um eine Einnistung sicher zu stellen. Diedrich vertritt die Auffassung, wenn die Auswahl durch PID erlaubt wäre, bräuchte nur ein ausgewählter Embryo übertragen zu werden (Diedrich 2003). 273 Novas/Rose 2000. 274 Beck-Gernheim 1999. 275 Antonovsky 1987: 90. 276 Samerski 2002: 106ff. 292

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4.3.4 Genetische Prävention und Gesundheitsförderung? Das Szenario der reproduktionsmedizinischen Prävention (Kapitel 3.3.4) befasst sich mit vermeintlich möglichen genetischen Maßnahmen gegen schwere Infektionskrankheiten, Malaria, AIDS, aber auch gegen Risikofaktoren, die die Entwicklung einer Krankheit begünstigen wie Krebs, Alzheimer, Herzkrankheiten, Asthma oder Übergewicht. Abgesehen von diesen gentechnischen Operationen wird als Präventionsmaßnahme gegen HIV ‚professionelle Insemination‘ statt konventionellen Geschlechtsverkehrs vorgeschlagen. Hier wird offenbar auf eine Prävention gesundheitlicher Schädigung im Sinne der Verhinderung eines personengebundenen Risikos zurückgegriffen.277 Hervorgehoben wird dabei, dass es sich um Maßnahmen handele, die nicht familiengebunden seien, sondern breite Bevölkerungsschichten beträfen. Besonders deutlich wird dieser Bezug zur Prävention mit dem Begriff der „Risikofaktoren, die die Entwicklung einer Krankheit begünstigen“278 und der Vorstellung von ‚genetischen Impfungen‘ (gegen schwere Infektionskrankheiten, Malaria, AIDS). Mit der Idee, diese ‚präventiven Maßnahmen‘ als erblich anzulegen (bzw. „an der ersten Zelle des Embryos“279), wird deutlich, dass es sich in jenen Fällen um (generalisierte) Keimbahntherapie handeln müsste. Der Gedanke der Prävention – beispielsweise durch Impfung – ist auch historisch im Zusammenhang mit statistischer Erhebung von Krankheitsdaten umfassender Bevölkerungen zu denken, wie sie im Zuge der Blatterninokulation erstmals in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts durch den Naturforscher Charles-Marie de La Condamine280 durchgeführt wurde. Prävention legitimiert sich insofern über das individuelle ärztliche Handeln hinaus gesundheitswirtschaftlich als ein Bestandteil öffentlicher Gesundheit. Ein als medizinischer Eingriff zu wertender Schritt wird dabei nicht mehr durch mit Sicherheit bereits stattfindendes oder voraussehbares (wie oben wegen der als eindeutig angenommenen Genwirkung) körperlich-seelisches Leid bzw. durch körperliche Disfunktionalität begründet, sondern über die Möglichkeit einer Ansteckung. Jenseits von Impfungen allerdings, die ihren Sinn zusätzlich in der Verringerung der Ausbreitung ansteckender Krankheiten darstellen, wird in den vorliegenden Szenarien auch Alzheimer oder Übergewicht als ein solches Anwendungsfeld von vermeintlich möglichem ‚genetischen Schutz‘ genannt. Dies entspricht nicht einem qualitativen Konzept von Krankheit, sondern einem quantitativen, wie nach Bernard oder heute Boorse. Der Genwirkung wird dabei zwar nicht zwangsläufig eine 1:1-Übersetzung in Krankheit 277 278 279 280

Vgl. Schäfer/Blohmke 1978. Reich 1999. Stock 2000a: 191. Pollmeier 2005. Vgl. als Überblick zur historischen Einführung der Statistik in ‚Bevölkerungsgesundheit‘: Rusnock 2002. 293

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unterstellt, wie bei dem weiter oben diskutierten Begriff der qualitativen ‚genetischen Krankheit‘. Die präventive Wirkung allerdings wird als durch den genetischen Eingriff auf jeden Fall wirksam suggeriert. Wenn darüber hinausgehend eine nicht auf bestimmte Krankheiten zielgerichtete Stärkung des Immunsystems durch vermeintlich denkbare genetische Eingriffe konzipiert wird, könnte dies als hergeleitet von einem an Gesundheitsressourcen orientierten Ansatz im Sinne der Gesundheitsförderung gelesen werden, wie sie 1986 in der Ottawa-Charta festgehalten wurde. Dabei muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Förderung von Gesundheitsressourcen in einschlägigen Ansätzen zwar unterschiedlich diskutiert wird (abzielend einerseits auf veränderbares Gesundheitsverhalten und andererseits auf Veränderung der – gesellschaftlichen – Lebensverhältnisse), in allen Fällen jedoch als ein Konzept verhandelt wird, bei dem es um die Interaktion mit der Umwelt geht, sei es in Form von Zugang zu einer nicht-toxischen Umwelt, der Ernährung oder dem Zugang zu Ressourcen wie der Bildung, die die Herausbildung von Handlungsfähigkeit betreffen. In den meisten Konzepten zielt insofern Gesundheitsförderung gerade nicht darauf ab, die Stärkung von Ressourcen als eine im Inneren der Individuen mögliche Stärkung oder als zu erbringende Anpassung gegenüber der Umwelt zu sehen, sondern umgekehrt, die (soziale) Lebenswelt den Bedürfnissen der Individuen gerechter zu gestalten und somit politisch-soziales Handeln als Gesundheitsfaktor zu integrieren. Die Überschneidung allerdings der Vorstellung des Einsatzes ‚genetischer Schutzfaktoren‘ oder genetischer Stärkung von Immunität liegt vor allem in der immer wieder angesprochenen Chancengleichheit und sozialen Gerechtigkeit, unter anderem gespiegelt in Formulierungen, es könnten „breite Schichten“ oder „alle Bürger“ mit solchen Attributen ausgestattet werden. Angesprochen wird in den Szenarien also soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit im Zugang zu bestimmten gesundheitsfördernden Ressourcen, welches zugleich zentrale Prinzipien der Gesundheitsförderung sind.281 Die Formulierung, es sei das „Fehlen“ solcher Gene, das beseitigt werde, um Gesundheit sicher zu stellen (denn Gesundheit sei als das Nicht-Fehlen von Schutzgenen zu sehen), wird dem Defizitmodell des medizinischen Krankheitsbegriffs Tribut gezollt. In diesem Sinne kann das Ressourcenmodell als Kehrseite des Defizitmodells (wie bereits in Kapitel 4.1.4 angedeutet) verstanden werden, indem das Nicht-Fehlen von Ressourcen anzustreben und ihr Fehlen als (quantifizierbares und in der Person liegendes) Defizit darstellbar ist. Auch das Leiden unter Diskriminierung wegen auffälliger oder als Abweichung markierter Merkmale wäre in den reprogenetischen Szenarien ei281 Eine solche Position für eine gleiche Berechtigung auf förderliche körperliche Anlagen findet sich als emanzipatorischer Ansatz historisch auch in der Sozialdemokratie der Weimarer Republik: Dieckhofer/Kaspari 1986. 294

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nes, das insofern genetisch bedingt sei, als es ‚genetisch heilbar‘ sei – Diskriminierung wäre insofern kein gesellschaftliches Phänomen im Zusammenhang mit Machtverhältnissen. Die Beseitigung von solchen ‚genetischen‘ Merkmalen würde ein Beitrag zum Wohlbefinden leisten.

4.3.5 Wohlbefinden, Lebenschancen und Zukunftsaussichten In den Szenarien, die in Kapitel 3.3.4 ‚Gesundheitsförderung und Wohlbefinden‘ dargestellt sind, wird der wenig präzise Begriff der „Lebenschancen“ eingeführt, die durch Gesundheit und Erfolg garantiert werden, welche auf „gute Gene“ zurückgingen (beispielsweise durch gute Gedächtnisleistung oder Sportlichkeit). Hohe Lebenserwartung, Glück und Wohlbefinden ließen sich durch gentechnologisch-reproduktionsmedizinischen Einsatz bei dem Kind wohlwollender Eltern ermöglichen. Als Alternative wird ein Bild ‚schwerer Benachteiligung‘ gezeichnet. Die auf diese Weise beschriebenen Ansprüche an seelisch-körperliche Zustände entsprechen einem Gesundheitsbegriff, wie er seit der Beschreibung durch die Weltgesundheitsorganisation von 1946 vielfach auch heute noch in Lehrbüchern der Medizin zu finden ist,282 nachdem „Gesundheit [...] ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“ ist. Beschreibungen oder Definitionen von Gesundheit legen immer auch nahe, wer oder welche Profession kompetent sei, entsprechend der Definition eine Diagnose über das Befinden zu stellen, oder welchen Institutionen der normative Inhalt der Gesundheitsdefinition gilt. Bei einem Schwerpunkt auf ‚Wohlbefinden‘ einer Person wird Gesundheit zu etwas nur subjektiv Wahrnehmbaren, über das bestenfalls die Person selbst, nicht aber Ärzte kompetent wären, Auskunft zu geben. In den vorliegenden Strängen wiederum wird stattdessen Wohlbefinden (und darüber Gesundheit) zu einer genetischen Frage und damit dem Bereich der medizinischen Genetik zuteilbar. Die Herstellung des Wohlbefindens einer Person war jedoch auch in der Definition durch die WHO eher weniger als ärztliche Anweisung denn als normative Aussage, die sich an politische Akteure richtet, zu verstehen. Faktoren des Wohlbefindens im Konzept der WHO, wie z.B. ‚Teilhabe‘ fanden entsprechend Aufnahme in verschiedenen nationalen Gesetzestexten und so auch in der BRD z.B. im SGB IX (§84 zum Eingliederungsmanagement) und V (§20 zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz). Dort wird in Absatz 1 zu Prävention „Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen“ zum Ziel gesetzt.283 So kann die Verwendung dieses und ähnlicher Begriffe in den reprogenetischen Szenarien als ein Versuch gelesen werden, 282 Z.B. Böcker et al. 2004: 5; Riede et al. 2004: 2. 283 Krauskopf 2005. 295

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

genetische Handlungsspielräume über das Verhältnis zwischen reprogenetische Behandlung ansuchenden Personen und Reprogenetik hinaus in den normativ politischen Raum hinein zu erweitern. Unabhängig davon, ob Glück und Wohlbefinden (und damit Gesundheitsverbesserung) durch einen nicht krankheitsgebundenen genetischen Eingriff gesichert werden könnte, würde ein solcher Eingriff unter die Maßnahmen fallen, die, da es sich um über ‚Krankheitsbehebung am Gen‘ hinausgehende handelt, für manche der zitierten Szenarien als eugenisch zu bezeichnen wären. Gemeint ist dabei die Vorstellung, das Genom nicht an einen ‚gesunden Normalzustand‘ anzupassen, sondern es darüber hinausgehend ‚verbessern‘ zu wollen (was nicht eigentlich dem meistgebräuchlichen Eugenikbegriff entspricht). Tatsächlich allerdings scheint sich hier das Dilemma der Beurteilung von Krankheit oder Gesundheit (bzw. Wohlbefinden) anhand statistischer Normwerte versus ‚optimale Natürlichkeit‘ abzuzeichnen. Nach aktuellen medizinischen Krankheitskriterien gilt als krank, was nach bestem medizinischen Wissen ‚naturgemäß‘ als optimaler bekannt ist (was ohne menschlichen Eingriff „von selbst optimaler in der Natur vorkommen“ kann, so beispielsweise Hucklenbroich 2004). Ein Funktionsdefizit ist demnach als solches erkennbar und zu behandeln, wenn es für die Lebensfunktionen einer Person nachteilige Auswirkungen hat und zugleich beim Menschen Erfahrungen einer optimaleren Funktion im Naturzustand bestehen. Auf diese Weise wird vermieden, einen rein statistischen Vergleich – wie etwa nach Christopher Boorse – mit einer Bezugspopulation zu wählen, deren körperliche Funktionen möglicherweise ebenfalls ‚suboptimal‘ im Verhältnis zum natürlich beim Menschen zu erwartenden sind.

4.3.6 Infertilität als Ermöglichung – ‚Identity shaping‘/Selbstverwirklichung der Eltern Die Vorstellungen der Infertilität als Standard sind gebunden an die Voraussetzung, dass Paare sich in Zukunft eher von der Möglichkeit der Do-ityourself-Zeugung und damit auch von ihrer grundsätzlichen Fertilität verabschieden. Dieses Konzept der grundsätzlichen Infertilität284 und Schwangerschaft durch einen speziellen Eingriff kommt der ‚Schwangerschaft zum Anschalten‘ nahe wie sie im Zusammenhang mit der Entwicklung der ‚Immunkontrazeption‘ in den 1980er Jahren von supranationalen Institutionen wie u.a. der WHO auf den Weg der technischen Konzipierung gebracht wurde. Dabei wird der weibliche oder männliche Körper gegen bestimmte körpereigene Stoffe ‚geimpft‘, die vornehmlich während der Ei- oder Spermienreifung 284 Vor allem vorgestellt von Djerassi 1996 und 1998. 296

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oder nach der Befruchtung auftreten.285 Erträumt wird dabei, dass diese Methode dauerhaft sterilisiert, bis die Immunisierung durch einen äußeren Eingriff aufgehoben wird.286 Infertilität als Standard entpathologisiert Infertilität (als Abweichung) und versetzt in der überwiegenden Zahl der vorliegenden Szenarien zugleich gleichgeschlechtliche Paare und Singles in dieselbe Situation wie heterosexuelle: Sie bedürfen scheinbar dem Zugang zu Reproduktionstechnologien, wie es dann dem Standard entspräche. Das identitäre Konzept der Homosexualität als überhaupt einer Sexualität (wie der heterosexuellen), die zu einer Paarbildung und dem Wunsch nach einer Kleinfamiliengründung, entsprechend dem Kernfamilienmodell des 19.-20. Jahrhunderts führt,287 wird in diesen Szenarien bestärkt. Die vorliegenden reprogenetischen Szenarien stellen Konzepte der ‚freien‘ Bestimmung der Eigenschaften des potentiellen Kindes über die Eigenschaften des genetischen Materials, bzw. seiner SpenderInnen vor. Dies korreliert mit identitären Ansprüchen heutiger Eltern in spe: Sie zeigen sich in ihren Interessen durchaus divers, an ihre eigene Identität gebunden und nicht zwangsläufig gesellschaftlich einheitlichen, sondern den Normvorstellungen ihrer direkten Umgebung angepasst, die sich allerdings dem übergeordneten Konzept der ‚Ähnlichkeit‘ zu fügen scheinen. So verdeutlicht die öffentlich gewordene Suche des tauben Lesbenpaares in den USA nach einem Samenspender, der eine 50%ige Chance auf ein zweites, ebenfalls taubes Kind ermöglichen sollte,288 dass Paare möglicherweise die Ansprüche an die Merkmale ihrer Kinder eher aus ihrem direkten sozialen Kontext beziehen und diese nicht zwangsläufig mit durchschnittlichen, scheinbar gesellschaftsübergreifenden Normvorstellungen übereinstimmen müssen. Dieser Eindruck wird durch die Interviewstudie mit Eltern, die Kinder durch heterologe Befruchtung zeugten, unterstützt, deren wesentliches Interesse darin lag, dass das Kind den Eltern oder Mitgliedern der näheren Verwandtschaft ähnlich sehen möge.289 Allerdings zeigten diese sich unter dem Druck der Sorge, dass das Kind Stigmatisierungen erleiden würde, wenn es als nicht vollständig eigengenetisches erwiesen wäre. Somit scheint das Bedürfnis nicht dahingehend gelagert zu sein, ein ‚optimales Wunderkind‘ zu zeugen, sondern eine von der nächsten Umgebung auferlegte ‚Normalität‘ der Ähnlichkeitserwartung zu erfüllen.290 Dies entspricht den Interview-Ergebnissen mit Anwenderinnen von 285 Zu den damit verbundenen Risiken, insbesondere der bevölkerungspolitischen Verwendung, siehe Richter 1996. 286 Vgl. Richter 1996. 287 Hark 1993. 288 Vgl. Kap. 3.1.1. 289 Beckera et al. 2005. 290 In den verschiedenen Arten und Weisen, wie diese Eltern in den entsprechenden Gesprächen und im Umgang mit dem Kind diese Erwartungen unterwan297

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ästhetischer Chirurgie, denen zufolge es nicht um eine Verstärkung von ‚Schönheits-Aspekten‘ ginge, sondern im Gegenteil der Versuch der Beseitigung vermeintlicher Makel im Sinne eines passing Vorrang hätte vor positivem Auffallen.291 Zahlreiche der vorgestellten Szenarien in den Kapiteln 3.2.1, 3.2.2 und 3.3.4 gehen in Hinsicht auf die Bestimmung der Qualitäten des künftigen Kindes über Konzepte im Sinne der mendelschen Regeln weit hinaus und suggerieren292 Gene als die wesentlichen, wenn nicht einzigen Faktoren, die über Eigenschaften wie (körperliche wie geistige) Gesundheit, Wohlbefinden und gesellschaftlichen Erfolg des potentiellen Kindes entscheiden. Anders als biologische Erklärungen vermitteln biologistische Konzepte die Dominanz der Prägung durch ausschließlich naturwissenschaftlich erklärbare Faktoren. Die Vermittlung gesellschaftlicher Umstände in molekular nachweisbare Körperzustände, die Kopplung des Sozialen mit der biotischen Materie wird im Biologismus (ebenso wie in materielle Widerständikeiten verleugnenden Fassungen des Sozialdeterminismus) kaum denkbar. Biologischer Determinismus bzw. Gendeterminismus bilden die Grundlage des Konzepts der Heilung durch die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien. Die „Risikodramaturgie“ dieser Technologien wäre ohne Biodeterminismus ihres wirksamsten Mittels entledigt. Insgesamt scheint es, als wären Infertilität oder möglicherweise erbliche Krankheiten nicht das Wesentliche, worum es in den Szenarien geht, sondern als dienten sie wiederum lediglich dern, schöpfen Beckera et al. (2005) Optimismus für eine weniger genetisierte Zukunft von Verwandtschaftsverhältnissen. 291 Davis 1995. Das Konzept der Selbstverwirklichung der Eltern, das hier angesprochen scheint, indem sie über den größtmöglichen Einfluss auf die Eigenschaften des Kindes größtmöglichen Einfluss auf ihr eigenes Leben gewännen, kann parallel gedeutet werden zu Gesundheitsbegriffen mit Einfluss überwiegend in den USA, die das Erreichen von Lebenszielen und Selbstverwirklichung als entscheidenden Aspekt sehen. In dieser Hinsicht wird Maslow (1943) z.T. gedeutet (vgl. Kolander 1999). 292 Wie auch von Lemke festgestellt wurde, zeigt sich Gendeterminismus etwa seit dem Human Genome Project in komplexerer Weise und dennoch präsent: genetische Wirkungen werden als multifaktoriell vorgestellt (Lemke 2002), allerdings wird sich auf verschiedene genetische Faktoren bezogen. Zudem wird wenig mit zusätzlichen gesellschaftlichen Wirkungen auf Verhalten, geschweige denn auf Zelle und Genom in Verbindung gebracht. In der vorliegenden Arbeit soll nicht unterstellt werden, dass Biologismus überall dort auftäte, wo biologisch argumentiert werde, im Gegenteil. Herausgestellt werden soll, was wesentliche Eigenschaften des untersuchten und in den vorgestellten Szenarien ausgemachten Biologismus ist. Es kann auch in der vorliegenden Präsentation schwerlich den einzelnen Autoren jeweils Biologismus unterstellt werden, angesichts der kurzen, vom Kontext gelösten Passagen. Als Autorfiguren allerdings, die im Verhältnis stehen mit LeserInnen und dem Makrodiskurs, deren Aussagen im Gefüge der Szenarien aufgehen, vermitteln sie gen- bzw. biodeterministische Vorstellungen. 298

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

als Brückenköpfe für die neuerliche Implementation von biologischem Determinismus, der Wertesysteme zu Gunsten genetischer Weltdeutungen verschiebt. Dies scheint der Hintergrund, so Ettorre, vor dem auch die Debatte um den Eugenik-Begriff in den vorliegenden Szenarien geführt wird: Im Rahmen des Expertendiskurs wird versucht auch das Feld der ‚Bioethik‘ zu besetzen in Hinsicht auf die Erweiterung von Handlungskompetenzen und auf die Separierung gesellschaftlicher Zugriffe auf naturwissenschaftliches Agieren. Die globale Expansion macht die Infragestellung lokaler Geschichten zu Vererbungsforschung im sozialen Kontext notwendig (vgl. ‚Gespenst der Eugenik‘ u.ä. in Kapitel 3.3.3 und 3.4.1). Das Wachhalten eines Begriffs der Eugenik scheint also zumindest im deutschsprachigen lokalen Kontext als ein bedeutsames Hindernis ausgemacht zu werden und verdient insofern im Folgenden eine kurze Erläuterung in Verbindung mit dem zentralen Konzept des biologischen Determinismus. Für eine wirkungsvolle kritische Auseinandersetzung scheint eine beiderseitige Begriffsklärung notwendig: sowohl des biologischen Verständnisses von Eugenik, als auch des genkritischen Verständnisses von Eugenik, das oft ohne erläuternde Definition als selbsterklärend eingeführt wird. Hierauf weist auch Graumann hin. Die engagierten Diskussionen um Eugenik führten oft nicht weit, wegen ungeklärter begrifflicher Differenzen.293 Graumann erklärt zunächst den biologischen Begriff von Eugenik zurückgehend auf Francis Galton294: Dieser meinte mit Eugenik eine materielle Veränderung im Sinne der Verbesserung des Genpools.295 Dabei sollten die Verbreitung von Anlagen, die negative Effekte auf die Gesamtbevölkerung hätten, eingeschränkt werden (negative Eugenik) und die Verbreitung von Anlagen mit förderlichen Effekten für die Gesamtbevölkerung gefördert werden (positive Eugenik). Zentral ist also die Vorstellung von einer materiellen Veränderbarkeit von ganzen Bevölkerungen durch die Auswahl nach reproduktionswürdigen Anlagen. Zudem ist dieser Begriff normativ, indem von der ‚Güte‘ von Eigenschaften gesprochen wird. In den hier vorliegenden Szenarien wurden drei verschiedene (biologische) Konzepte von Eugenik vorgestellt (vgl. Kapitel 3.3.3), wenn Eingriffe in das Genmaterial zur Verbesserung der Lebensbedingungen des potentiellen Kindes diskutiert werden: Einerseits, Eugenik sei ausschließlich dann gegeben, wenn Reproduktion eingeschränkt werde. Und darum ginge es gerade bei Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien nicht. Dies entspräche dem Begriff der negativen Eugenik bei Galton. Zweitens, in allen Fällen von ‚Keimbahntherapie‘, die nicht eine Heilung von Krankheit 293 Graumann 1999. 294 Galton 1883. 295 Hier in modernen Begriffen, Gene waren erst durch Johannsen Jahrzehnte später so benannt. 299

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

zum Ziele habe, könne man von Eugenik sprechen. Dies entspräche eher der positiven Eugenik bei Galton. Drittens wird vorgeschlagen, Eugenik sei immer dann gegeben, wenn mehr als ein Individuum von der genetischen Veränderung betroffen sei. Dies entspricht am ehesten dem Galtonschen Begriff, da explizit die Ebene der Bevölkerung angesprochen wird, was in den beiden vorigen Beschreibungen nur implizit über den Begriff der Keimbahntherapie geschieht. Keiner dieser Begriffe spricht den normativen Charakter des Eugenikbegriffs an, nach dem es möglich sei, einen Konsens über wünschenswerte Eigenschaften herzustellen. Dagegen ist allen Konzepten – jenem von Galton wie auch den in den Szenarien angebotenen – die Vorstellung gemeinsam, eine sichere Wirkung eines genetischen Eingriffs sei insofern zu erwarten, als er einen sicheren somatischen Ausdruck dieses Eingriffs ergäbe. Sowohl der normative als auch der materielle Charakter des Galtonschen Eugenikbegriffs finden sich also in den Szenarien wieder. Im Gegensatz dazu werde, so Graumann, Eugenik in genkritischen Diskursen aus historischer oder sozio-kultureller Perspektive gefasst, die sich vom vorigen Konzept stark unterscheiden: So handele es sich darin bei Eugenik um ein soziales Projekt, wobei die biologische Wissenschaft eine entscheidende Rolle gespielt habe, jedoch Wissenschaft, Ideologie und Demographie einen zusammenwirkenden Komplex der Eugenik gebildet hätten.296 Bezug genommen wird also auf die historische Erfahrung der Gewalttaten und Verbrechen in der Geschichte insbesondere des Nationalsozialismus, die Kontinuitäten zeige. In sozio-kultureller Perspektive zeige sich Eugenik als ein sozio-kulturelles Phänomen der Regulation durch Wissenschaft, Politik und Massenbewusstsein297, oder entsprechend des Govermentalitäts-Ansatzes als ein Ergebnis von Selbst- und Fremdführung.298 Im Kontakt zwischen deutschen und angelsächsischen Diskursen um Neue Gen- und Reproduktionstechnologien – wie im vorliegenden Material – kommt es so häufiger zu Missverständnissen, wenn von den jeweiligen Parteien vorausgesetzt wird, der eigene Eugenikbegriff sei eindeutig und werde von der anderen Seite geteilt. Es scheint allerdings, als gäbe es Argumente dafür, der Begriffsprägung durch Galton folgend, einen materiellen und normativen Eugenikbegriff vorauszusetzen, ebenso, wie es höchst naheliegend ist, das Gewaltprojekt der Eugenik des Nationalsozialismus und insbesondere die entsprechenden Weltkonzepte als Beschreibung von Eugenik zu Grunde zu legen. Dies bedeutet, dass genkritische Diskurse zunächst vorschützen müssten, dahingehend verstanden zu werden, sie würden in der Warnung vor der Gefahr der Eugenik dem Glauben an die Möglichkeit einer Eugenik im Sinne eines materiellen 296 Meier-Seethaler 1997. 297 Z.B. bei Beck-Gernsheim 1991. 298 Ein Beispiel hierfür ist ein Text von Graumann selbst: Graumann 1999. 300

GESUNDHEITSBEGRIFFE UND REPRODUKTION

Projektes nach Galton anhängen.299 Dies eröffnet die Möglichkeit, sich direkt auf die Gefahr durch das zu Grunde liegende Weltkonzept einer Eugenik zu beziehen: also auf das Bild des Menschen als vor allem von vorgegebenen Anlagen (Genen) geprägt und daher genetisch ‚optimierbar‘ und zweitens auf das angebliche Fehlen der Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Verhandlung darüber, was wünschenswerte menschliche Eigenschaften seien. Auf diese Weise gerieten biologischer und genetischer Determinismus in das Zentrum der Debatten um Eugenik. Nicht erst technische Pläne und Taten der Umsetzung genetischer Selektionsnormen sollten Besorgnis erregen, sondern jeder Ansatz des Determinismus. Allein bereits im Diskurs, nicht erst in dem Akt in der Petrischale liegt Gewalt.300

299 Hierauf weist eines der Zitate in den Szenarien hin: Behinderungen würde es immer geben, hier bestünde keine Sorge (Katzorke 2003). Siehe als ein weiteres Beispiel von Missverständnissen die öffentliche Anhörung der EnquêteKommission des Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, wiedergegeben in Klinkhammer 2000. 300 Vgl. Naue 2005, Butler 1998, Foucault 1997a: 213ff. 301

5 Kriterien für integrative Gesundheit und Re-Generation

Die Untersuchung der reproduktionsgenetischen Diskursstränge von 19952003 zeigt das Auftauchen und Funktionieren der Genetisierung der Zeugung sowie damit zusammenhängende Aspekte wie Ansprüche an Gesundheit. Bisher getrennt gedachte und analysierte Phänomene, nämlich Befruchtungstechnologie zur Heilung von Infertilität und Technologien zur Verhütung von Schwangerschaft in einer Normalisierung von Infertilität und Laborreproduktion werden dabei zusammengeführt. Diese derzeit vor allem diskursive Verbindung von antinatalen und pronatalen Technologien mit Genetik resultiert in den untersuchten Diskurssträngen in einer Veränderung des Gesundheitsbegriffs im Zeitverlauf: Je ‚normaler‘ das labortechnische Angebot der Zeugung (schließlich als Standard vorgestellt) erscheint, umso weniger steht Heilung im Zentrum des Zeugungsszenarios, sondern Wohlbefinden und freie Wahl der Gene. Eine solche Veränderung lässt sich für den Verlauf von 19952003 skizzieren, nach der Infertilität schließlich als wünschenswert erscheint.1 In der Genetisierung der Zeugung zeigen sich nicht nur Differenzen im Zeitverlauf, sondern auch zwischen räumlichen Sphären: Interessen an universalglobalen Märkten, an eben solchen Regelungen und Gesundheitsverständnissen widersprechen den Unterschiedlichkeiten lokaler Konzepte und Auseinandersetzungen. Deutlich wird dies im untersuchten Material von 1995-2003 anhand des Aufeinandertreffens liberaler internationaler, vor allem USamerikanischer Diskursstränge der Genetik, Reproduktions- und Biomedizin mit lokalen, davon sehr unterschiedlichen Diskurssträngen und -bedingungen in den deutschsprachigen Medien. Vermittelt wird die Genetisierung der Zeugung durch Experten der Reproduktion und Genetik. Sie ordnet bisherige, für 1 Vgl. Kap. 3.2 und speziell Kap. 3.3.4. 303

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Zeugung und Fortpflanzung relevante Kategorien in einer neuen Architektur der Gegenstände an.

Liebe, Leiden und Identität im Zentrum des Zeugungswunschs Bisherige Studien über Diskurse der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien machten, meist ausgehend von Theorien über die Risikogesellschaft2, die Kategorien Verantwortung und Wahlmöglichkeit im diskursiven Zentrum aus. Die vorliegende Studie verweist stattdessen auf drei andere bisher wenig beachtete Kategorien, die neuerdings zentral werden: Liebe, Leiden und Identität. Vermittelt werden diese über Szenarien, die sich in oft utopischem Befreiungsgestus in der Auseinandersetzung zwischen Selbst- und Fremdbestimmung bewegen. Dabei wird der Faktor der Fremdbestimmung vor allem in den Kräften der Natur gesehen, von denen der Mensch sich mittels der Genund Reproduktionstechnologien befreien könne. Anhand zahlreicher inhaltlicher Bezüge und insbesondere des Metapherngebrauchs lässt sich eine Nähe zu religiöser vorneuzeitlicher Wissenschaftseuphorie in der Ankündigung einer ‚Neuen Zeit‘ ausmachen, wie sie in Kapitel 3.4.4 beispielhaft anhand von u.a. Bacons Nova Atlantis diskutiert wird. Der raumzeitliche Übergang, der in den Diskurssträngen ausgemacht wird, ist jener ‚Schritt‘ von der Genetik als Leseübung hin zu der Big Science3 des ‚Schreibens‘ des Menschen in der Verbindung von Gentechnologie und Reproduktionsbiologie. Lee Silver nennt diese Verbindung Reprogenetik und suggeriert eine zukunftsfähige Disziplin.4 Zwar gilt die Überwindung der Natur durch genetische und reproduktive Technologien für alle (auch bisher ‚verworfene Körper‘5, sowie auch für Singles), deren reproduktivem Interesse scheinbar Grenzen gesetzt werden: einerseits von der Natur, andererseits von der Gesellschaft, die bestimmte Reproduktionswünsche nicht unterstützt. Hervorgehoben wird allerdings die Befreiung der Frau. Die Problematik der sich in spätere Lebensphasen herauszögernden Schwangerschaften wird nicht als ein soziales und politisches Phänomen verstanden, sondern als eines, das nach ‚geschlechtlicher Gleichberechtigung‘ durch Neue Gen- und Reproduktionstechnologien verlangt. Die Verschiebungen des Gesundheitsbegriffs werden in Abschnitt 5.1 zusammengefasst. Liebe als mit Autonomie im reprogenetischen Diskurs verflochtene Kategorie, sowie die neue Konstellation von Gegenständen in Szenarien der Reprogenetik werden im selben Abschnitt behandelt. Die zweite zentrale Kategorie der reprogenetischen Szenarien, Leiden, wird in Unterkapitel 5.2 nochmals aufgenommen. Sie wird dort, gegenüber sich auf eine ‚ideale

2 3 4 5

Beck 1992. De la Solla Price 1963. Silver 1998a. Im Sinne Butlers: Butler 1993.

304

INTEGRATIVE GESUNDHEIT UND RE-GENERATION

Natur‘ beziehenden Ansätzen verstanden als ‚soziales‘ Leiden als subjektives Kriterium für Körperpolitiken stark gemacht.

Der Expertenstatus im Hervorbringungskontext Die diese Diskursstränge artikulierenden Autorfiguren qualifizieren sich für ihr Auftreten in den untersuchten sog. Qualitätsmagazinen und Zeitungen durch ihren Expertenstatus. Dieser wird markiert durch ihren akademischen Titel und vor allem institutionellen, fast immer universitären Hintergrund, der sie selbst als in der akademischen Wahrheitsproduktion akzeptierte Fachpersonen im Feld der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien ausweist. Als zusätzliches Merkmal präsentieren sich fast alle von ihnen als Verfasser populärwissenschaftlicher Werke und somit als Übersetzer zwischen diskursiven Ebenen, die eingeladen werden, in dem entsprechenden Medium (auffällig häufig dem Magazin Der Spiegel) jene Äußerungen vorzubringen, die der Rolle des unparteiischen ‚seriösen‘ Journalisten nicht zustehen und die häufig einen zeitlichen Zusammenhang mit politischen Initiativen zur ‚Liberalisierung‘ der deutschen Gesetzeslage zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien aufweisen. Als diskursiver Technik bedienen sich die Autorfiguren häufig innerhalb der Medientexte, wie auch der populärwissenschaftlichen Bücher des Genres des Science Fiction. Ähnlich wie Metaphern unterstellt Christina Brandt in ihrer Metaphernanalyse in der Virusforschung dem Genre des Science Fiction eine performative Bedeutung: „Liegt doch auch das Charakteristikum der Science Fiction weit weniger in einem nur phantastischen Entwurf von Zukunftsszenarien als vielmehr in ihrer Eigenart, in fiktiver Weise zu entfalten, was zu einer bestimmten Zeit im wissenschaftlichen Diskurs als Möglichkeit denk- und vorstellbar ist.“6 So wird die Denkbarkeit,7 die für den Gebrauch von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologie als einziger Fortpflanzungsform grundlegend ist, durch iterative Performanz der expert fiction auch im Publikum verschoben. Zugleich profitiert die Expertenfigur von der diskursiven Allianz von Risiko und Experte: „To the extent that nature becomes industrialized and traditions become optional, new types of uncertainties arise which, following Giddens […], I shall refer to as ‚manufactured uncertainties‘. These types of internal risks and dangers presume a threefold participation of scientific experts, in the roles of producers, analysts and profiteers from risk definitions. Under these conditions, many attempts to confine and control risks turn into a broadening of the uncertainties and dangers.“ (Beck 2000: 216)

6 Brandt 2004: 8. 7 Ariès 1978. 305

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Im Zuge der Versuche von Begriffsdefinitionen wie jener des Status des Embryos (‚aktivierte Eizelle‘) oder des Begriffs der Eugenik äußern sich die Autorfiguren weit über ihre fachlichen Kompetenzen hinaus. Nach Elisabetz Ettorres Untersuchung der ‚storytellers‘ in reproductive genetics entspricht dies der Notwendigkeit, ihre Handlungsfelder auf den Bereich des Bioethischen auszuweiten und somit in entsprechend umstrittenen Fragen den definitorischen Zugriff wiederum auf zu sichern den eigenen Tätigkeitsbereich.8

5.1

Architektur der reprogenetischen Gegenstände

Die als Szenarien gefassten, aus den Texten extrahierten Diskursstränge enthalten verschiedene Krankheits- und Gesundheitsbegriffe, die auf die dringende Notwendigkeit eines aktiven politischen, nichtpathologisierenden und nicht naturalisierenden Umgangs mit dem Phänomen Kinderwunsch verweisen. Ihnen liegt eine Dialektik von Selbstbestimmung und Determinismus zu Grunde: Da der Mensch als genetisch, biologisch oder chemisch determiniert zu sehen sei, könne es für jedwede Körperfragen keine gesellschaftliche Lösung geben. Stattdessen sei genetisch-medizinische Technologie das einzige Mittel, das zur Selbstbestimmung verhelfen könne. Da der Mensch über diese Technologien nun als Gabe der Natur verfüge, hat er die Verpflichtung – in Erfüllung seines evolutiven Auftrags (von der Natur) – von diesen Befreiungstechnologien Gebrauch zu machen und sie zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise löst sich das in der Einführung in Kapitel 3.2 angesprochene Paradoxon der gleichzeitigen Existenz eines Kantischen Pflichtbegriffs mit dem Determinismus in den er eingebettet präsentiert wird. In diesem Konzept ist auch das Einverständnis in Pflicht von der Natur vorgegeben. Auch der dort verhandelte Autonomiebegriff, wird von demjenigen entkoppelt, wie er mit Kant eingeführt wurde: nämlich dass erst Gesellschaft den Austritt aus der Unfreiheit ermöglicht, indem Menschen über Pflichten öffentlich verhandeln, statt sie als gegeben hinnehmen zu müssen. In den vorliegenden Szenarien wird Autonomie als Erklärungs- und Legitimationskonzept von Freiheit obsolet und eher hinderlich.9 Auch eine Abnahme des Gendeterminismus über die Zeit, wie sie nach Kellers These um 2000 erwartbar gewesen wäre, lässt sich dabei an dem vorliegenden populärwissenschaftlichen Material nicht feststellen.10 Eine solche war von Keller aus ihren Untersuchungen, die eher auf

8 Ettorre 1999. 9 Vgl. Kap. 3.2. 10 Vergleich Kap. 3.2.3. sowie die Tabellen I und II zu Ergebnissen aus den einzelnen Diskurssträngen im Zeitverlauf. 306

INTEGRATIVE GESUNDHEIT UND RE-GENERATION

Fachartikeln basieren, geschlossen worden11 und stünde im Zusammenhang mit den eher ernüchternden Erkenntnissen zur genetischen Codierung aus dem Human Genome Project, dessen erste Gesamtergebnisse 2001 publiziert wurden. Lemke argumentiert, er erkenne lediglich eine „Transformation oder Modifikation des genetischen Determinismus“,12 indem in einem komplexeren Modell argumentiert werde. Dies lässt sich aus den Untersuchungen der Szenarien der ‚Populärgenetik‘ heraus ansatzweise bestätigen, indem sich zunehmend im Zeitverlauf Einschränkungen über die Komplexität der Genkonstellationen, die ein bestimmtes Merkmal (dennoch) determinieren, gemacht werden. Es lassen sich in Hinsicht auf den für diese Arbeit zentralen Gesundheitsund Krankheitsbegriff vier verschiedene Konzepte ausmachen, die sich chronologisch von einem heilungsorientierten medizinischen Begriff von Krankheit (entlang der Vorstellung von ‚Dysfunktionen‘)13 hin zu Aspekten der Prävention und Gesundheitsförderung14 sowie von Wohlbefinden und Lebenschancen15 bis zum Konzept der freien Wahl der Merkmale des Kindes16 im Sinne der Selbstverwirklichung der Eltern bewegen. Diese Verschiebung des Gesundheitsbegriffs geht unter einer Verschiebung der Konstellation bisher im Umgang mit Reproduktionstechnologien vertrauter Gegenstände17 einher, die im Verhältnis zueinander neu gewichtet und positioniert werden. Unter den neuerdings ins diskursive Zentrum rückenden Kategorien werden im Folgenden zunächst die zentralen Kategorien Liebe und Identität kontextualisiert. Im Weiteren werden verschiedene Konstellationen der in den Szenarien hervorgehobenen Kategorien Wahlmöglichkeit, Zugang, Autonomie und Natur im Zusammenhang mit Zeugung und Gesundheit diskutiert.

Liebe und Identität Nach der internationalen Verbreitung des Begriffs des autonomen Subjekts spätestens seit dem 19. Jahrhundert stellt auch die intime Liebe, Luhmanns Analysen folgend, inzwischen ein entsprechend globales Konzept dar. Denn sie füllt die Lücke des „Nahweltbedarfs“, die immer unwahrscheinlichere Identitäten und entsprechend unwahrscheinlichere herkömmliche solidarische Liebe im Zuge der Individualisierung und Flexibilisierung von Bindungen in

11 12 13 14 15 16 17

Keller 2001. Lemke 2002: 401. Vgl. Kap. 4.3.2. Vgl. Kap. 4.3.4. Vgl. Kap. 4.3.5. Vgl. Kap. 4.3.6. Im Sinne von Foucaults Archäologie: Foucault 1981. 307

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Neuzeit und Moderne schufen.18 Entsprechend eignet sich Liebe als Brückenkopfstrategie der Einführung Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien.19 Liebe und Identität sind über den Kinderwunsch eng verbunden. Die Identität der Eltern stellt eine zunehmend relevanter werdende Kategorie in Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien dar.20 Statt mit einem Diskurs der Bedrohung und Bestrafung (wegen der begangenen Verantwortungslosigkeit, keine Kontrolle über das Genmaterial des Kindes ausgeübt zu haben) wird zum Teil im vorliegenden Material suggeriert, die Eltern könnten via des Genmaterials frei entscheiden, über welche Qualitäten das spätere Kind verfüge. Dies korreliert mit offensichtlichen identitären Ansprüchen heutiger Eltern in spe: Sie zeigen sich in ihren Interessen durchaus divers, an ihre eigene Identität gebunden und nicht zwangsläufig gesellschaftlich einheitlichen, sondern den Normvorstellungen ihrer direkten Umgebung angepasst. Diese scheinen sich allerdings dem übergeordneten Konzept der ‚Ähnlichkeit‘ zu fügen.21 Zugleich erweist sich Identität als eine problematische Kategorie im Zuge der Subjektivierungsweisen,22 die den Zugang zu medizinischen Technologien bestimmen. So werden durch derzeitige sozial- oder standesrechtliche Beschränkungen neue ‚kranke‘ Identitäten hervorgebracht wie in den USA jene der ‚disabled‘ infertiles. Auch diese Art der Identitätskonstruktion wird in den vorliegenden Szenarien verwendet, indem Infertilität als Krankheit, wenn nicht Behinderung verhandelt wird, und entsprechend auf Gleichbehandlung mit anderen Krankheitsphänomenen gepocht wird. Auch in anderer Hinsicht profitieren identitätsorientierte ‚emanzipatorische‘ Diskursstränge im vorliegenden Material von früheren Pathologisierungen und Ausschlüssen von Körpern durch ein evolutionistisch-naturalistisches Konzept der reproduktiven Gesundheit in Medizin. Indem solche Stränge gleichgeschlechtlichen Paaren, Singles, Älteren, und weiteren Gruppen, die im üblichen medizinischen Diskurs zur Reproduktion kaum in Frage kamen, Verständnis und technische Mittel für ihren ‚liebesgenerierten‘ Reproduktionswunsch anbieten, überbrücken sie eine Kluft, die durch Pathologisierung, Individualisierung und gesellschaftliche Ausschlüsse gewachsen ist.23 In Hinsicht auf gleichgeschlechtliche Paare wiederum, da in den vorliegenden Strängen vor allem Paare angesprochen werden, wird identitätsverstärkend ihre Sexualität scheinbar anerkannt. Dies geschieht nur scheinbar, da die Mo18 19 20 21 22

Luhmann 1994: insbesondere 18 und 24ff. Weingart 1989, vgl. Kap. 2.2 und 4.2.1. Vgl. 4.3.6. Kap. 4.3.6. Ausgearbeitet in Hinsicht auf die Geschlechterkrise am Ende des 20. Jahrhunderts durch Bührmann 1995 mit Bezug auf Foucault. 23 Vgl. Kap. 4.1.1 und 4.1.2. 308

INTEGRATIVE GESUNDHEIT UND RE-GENERATION

lekularisierung des diskutierten Zeugungsdiskurses den Hintergrund für diese Art der Geschlechterkrise bildet: Die Körper der potentiellen Eltern und ihre jeweiligen Eigenschaften (inklusive ihres Geschlechts) treten in den Hintergrund, während das Genmaterial ihres wie auch immer entstandenen Embryos der genetischen Analyse und ‚Therapie‘ übergeben wird.

Genetisierung als Expansion: Molekulare Kolonisation und Globalisierung Die vor allem Liebe rekrutierenden Diskursstränge scheinen sich tatsächlich für sämtliche der Körper kaum zu interessieren. Zumindest für jene Szenarien also, die die Kategorie Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und dem Kind und damit also die direkten somatischen Effekte der Zeugung nicht verwenden, scheint dieser Vorgang treffend mit Genetisierung der Zeugung bezeichnet. Der Genetisierung der Zeugung liegt ein grundsätzlich anderes epistemisches System (jenes der Genetik) zu Grunde als etwa dem ebenfalls plausiblen Konzept der Medikalisierung. Einerseits trifft für wesentliche Verschiebungen in den Diskurssträngen von Verantwortung und Heilung hin zu Liebe, Identität und Ermöglichung das Kriterium der Pathologisierung nicht zu. Andererseits ist zudem Gegenstand der (Human-)Medizin der Mensch und sein Funktionieren. Wird in der Genetisierung der Zeugung der Zugang zum Genmaterial und zu möglichen daraus zu entwickelnden Produkten gesucht, kann sie sich allerdings der Medikalisierung der Zeugung bedienen, wie einige der Stränge zeigen. So zeigt sich Medikalisierung meines Erachtens in dem überwiegenden Teil der Szenarien als ein Mittel zur Genetisierung, welche wiederum Diskurse der Medikalisierung bedient. Verständlich wird diese Einengung aus der Tatsache, dass die meisten der Autorfiguren molekularbiologische Kontexte artikulieren. Eingangs zu dieser Arbeit wurde die Beschreibung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien im Verhältnis zu herkömmlichen Reproduktionstechnologien – Adele Clarke folgend – dahingehend unterschieden, dass Reproduktionstechnologien im Wesentlichen auf die Kontrolle des Körpers und seiner Organe abzielten. Dagegen bestünde das Neue in sogenannten Neuen Reproduktions- und Gentechnologien in der Modifikation des Körpers zur Erschließung neuer Marktnischen für immer wieder veränderte pharmazeutische Produkte oder Techniken. Besonders von der Genetikerin Abby Lippmann wurde das ‚mining‘24 der Eizellen zur Schaffung von Stammzellen beschrieben und beides fügt sich in das Bild einer molekularen Kolonialepoche, der Überwindung von ZeitRaum in einer Art Aufbruch in eine zweite Neuzeit, wie im Kapitel 3.4.4 anhand der Metaphernanalyse erarbeitet wurde. Diese Überwindung betrifft ebenso auch körperliche Grenzen und Geschlecht wie bereits beschrieben. Im Zuge dieser in24 Lippmann 2002: 35. 309

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

ternationalen Expansion ist diskursiv bedeutsam, was Anderson als „charakteristische Amnesien“25 bezeichnet: „Das Wesen der Nation [geformt aus früheren Kleinstaaten] ist, dass alle einzelnen vieles gemeinsam und dass sie alle vieles vergessen haben.“26 So müssten regionale Konzepte und Wahrheiten im Zuge einer universalen Expansion verdrängt werden. Oder, wie Foucault es archäologisch ausdrückt: ‚schichtenweise überdeckt‘ werden. Jede Eroberung und jede neu installierte Regierung schaffe ihr entsprechendes Regelwesen (in Hinsicht auf Währung, Sprache, Recht etc.).27 Ihr Erfolg hängt davon ab, ob sie vorherige lokale Geschichte, die Zweifel an der Legitimität des jeweils aktuellen Systems aufkommen lassen könnten, durch neue Wahrheiten zu verdrängen vermögen. Die entsprechende historische (als lokal konstruierte) Erfahrung im Zusammenhang mit Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien stellt die Phase des Deutschen Nationalsozialismus dar, wie durch die engagierten Debatten über den Eugenikbegriff und den Versuch seiner Schmälerung in den vorliegenden Szenarien deutlich wird.28 Wahlfreiheit oder Auswahl, Zugang und reproduktive Freiheit bekommen in der molekularen Kolonisierung eine gänzlich neue Konnotation: Das Subjekt, von dem die Rede ist, wenn es um die Anwendung der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien geht, könnte womöglich, statt des zu behandelnden Paares, jenes sein, das die Behandlung durchführt bzw. über die reproduktiven Biomaterialien bzw. das Genmaterial verfügt. In seinem Buch Nemesis der Medizin erklärte Illich, dass, je mehr Fähigkeiten zur Regeneration oder zur Heilung man an SpezialistInnen abgebe, auch die Verfügung über diesen Umgang und letztlich auch die Entscheidung über diese Verfügung (zumindest für die Zukunft) abgegeben werde. Hier mag teils ein idealisiertes Konzept des autonomen (männlichen, nicht Hilfe suchenden) Subjekts in Auseinandersetzung mit „Naturgewalten“ im Hintergrund am Werke sein. Dennoch ist das Problem der Ent-Eignung bis hin zu patentrechtlichen Fragen in der Zukunft der menschlichen Reproduktion durchaus relevant. Denn die Frage wird sein, inwieweit der Zugang selbst zu den eigenen (reproduktiven) Körpermaterialien privatisiert, erschwert oder ermöglicht wird. In der molekularen Kolonisation sind ‚Determinismus der Natur‘ und ‚Autonomie‘ die scheinbar widersprüchlichen Begriffe, zwischen denen Neue Reproduktions- und Gentechnologien vermitteln müssen.

25 26 27 28

Anderson 2005: 205. Anderson 2005: 200. Foucault 1997a. Vgl. Kap. 3.4.1.

310

INTEGRATIVE GESUNDHEIT UND RE-GENERATION

Natur, Autonomie und Gesundheit An verschiedenen Knotenpunkten der Diskussion Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien wird implizit der Stellenwert von Natur verhandelt. Dies gilt einerseits für einen auf einer idealen Körperfunktion, die sich auf die ‚typische Natur‘ einer Spezies bezieht, beruhenden Gesundheits-/Krankheitsbegriff. Wiederum tritt sie auf, wenn der Mensch sich vermittels Neuer Genund Reproduktionstechnologien von seiner Natur (von der er determiniert sei) befreien solle. Zudem erhält sie wiederum diskursiven Einzug, indem Neue Gen- und Reproduktionstechnologien von auf Natur beruhenden (!) sozialen Stigmatisierungen befreien soll. Zu guter Letzt wird sie auch von KritikerInnen Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien (wenn auch inzwischen weitaus seltener und vorsichtiger als bis in die 1990er Jahre und manchmal auch nur noch durch missverständliche Formulierungen) zum Schutze vor denselben angeführt.29 Das Gen nimmt in den Konzepten des autonomen Individuums eine zentrale Position ein, wieder als in Opposition zu denken zu anderen Arten der individuellen Prägung. Dies gilt nicht nur für die in den Szenarien beschriebenen Diskursstränge, die für eine marktwirtschaftliche ‚Freigabe‘ des menschlichen Embryos und Genoms plädieren, sondern ebenso für jene, die Bürgerinnen und Bürger vor dem Eingriff durch die Reprogenetik in ihre genetische Substanz schützen wollen: So versucht beispielsweise der Europarat seit einer Erklärung zu den Menschenrechten 1998 in einem ersten völkerrechtlichen Text, der „Entschließung zum Klonen von Menschen“, den BürgerInnen seiner Mitgliedstaaten30 ein „Recht auf genetische Identität“31 zu sichern. Dabei vermengt sich ein starker Glaube an die Faktizität des Genetischen mit bürgerlichen Konzepten in einer Weise, die nicht unplausibel erscheinen lässt, entsprechend auch an ein „Recht auf genetisch eigene Kinder“ zu appellieren. Die Philosophin Sigrid Graumann findet in ihrer Analyse des öffentlichen bioethischen und genkritisch intendierten Diskurses zu Gentherapie32 ähnliche Naturalisierungen wie einerseits das Argument, die ‚Zufälligkeit‘ des menschlichen Genoms sei naturgegebener Zustand und damit ein Recht des Genoms, das zu erhalten sei33 und andererseits all jene, die biologisch-bioethisch zu argumentieren suchen, indem sie zu Bedenken geben, der menschliche Genpool 29 Vgl. Kap. 4.1.2. 30 Es handelt sich um 46 Staaten im Unterschied zu den derzeit 26 Mitgliedstaaten der EU (die jedoch zugleich Mitglied im Europarat sind). 31 Europäisches Parlament 1998. 32 Graumann 2000. 33 Catenhusen/Neumeister 1990; wobei Graumann argumentiert, dass die Tatsache, dass das Genom bisher physisch nicht änderbar war, kein in sich selbst guter Grund sei, dass es moralisch unveränderbar wäre, auch wenn die Beweislast bei jenen liegt, die die Änderung herbeiführen wollen. Mit Verweis auf: Wimmer 1989. 311

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

könnte durch Gentherapie verarmen.34 Allen solchen wirft sie Alex Maurons Argument vor, sie sähen in dem menschlichen Genom eine „collective soul of mankind, the human essence, in which we all participate“.35 Man könne solche Positionen beschuldigen, nicht nur nicht aufrechthaltbar zu sein sondern auch „eugenic thinking“ zu befördern.36 Gleichzeitig führen ausgerechnet manche der reprogenetischen Szenarien, im Gegensatz zu solchen, die unter Berufung auf Natur Ausschlüsse propagieren, vor, wie „Denaturalisierung“37 funktioniert, indem sämtliche bisherigen evolutionsbiologischen Selbstverständlichkeiten von ‚gesunder‘ Biologie durchbrochen werden und die bisher ‚Anderen‘ mit geringem ‚Status‘ ihres reproduktiven Interesses (welcher maßgeblich dafür ist, ob eine Gesellschaft es für behandlungsbedürftig befindet)38 wie Ältere oder Singles in den Szenarien lautstark als Menschen mit körperlichem und partizipativem Begehren auftreten.

Bedürfnisse und Gesundheit So wird mit der Frage nach Gesundheit und Krankheit nichts geringeres diskutiert, als das Wesen des Menschen: Bei der Frage von Infertilität und ebenso bei der Frage von ‚genetischen Krankheiten‘ ist die grundlegende Unterscheidung, anhand welcher Kategorien die Unterscheidung zwischen Gesundheit/Krankheit gemacht werden soll. Wie bereits in Kapitel 4 angesprochen wurde, sind die Resultate unterschiedlich ‚demokratiefähig‘. Damit ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass sie in unterschiedlichem Maße einerseits die betroffene Person zu Wort kommen lassen und in unterschiedlichem Maße Gesellschaft als Umfeld und Phänomen der Konstruktion von persönlichen Leiden einbeziehen. Als Maßstab für Behandlungsbedarf in der Medizin wird oft die Kategorie ‚Bedürfnis‘ vorgeschlagen. Die Diskussion um ‚Bedürfnisse‘ als Basis eines Krankheitsbegriffs verläuft ambivalent, mal auch ideelle Bedürfnisse einbeziehend mal nicht, aber immer entlang der Behauptung, sie seien objektivierbar.39 Im Zuge der sogenannten deutschen Gesundheitskrise wird sie neuerlich 34 Wobei allerdings dominante genetische ‚Defekte‘ in den meisten Fällen durch neue (spontane) Mutationen entstünden, also durch Gentherapie ohnehin nicht zu verhindern wären (Davis 1992: 361-363). 35 Mauron 1993. 36 Graumann 2000, Graumann schließt ihren Gedankengang an dieser Stelle. Meiner aus anderen Passagen geschlossenen Interpretation nach bezieht sie sich auf die in solchen Konzepten liegenden normativen Gehalt, der damit in ‚Natur‘, bzw. ‚Gene‘ gelegt wird, die zugleich als der essentielle Kern menschlichen Wesens betrachtet würden. 37 Haraway 1995. 38 Raspe 2002: 33. 39 Vgl. 4.1.3. 312

INTEGRATIVE GESUNDHEIT UND RE-GENERATION

aufgeworfen.40 In der Debatte wird zu Grunde gelegt, dass selbst, wenn das im Verlauf des 18. Jahrhundert zunehmend kreierte und akzeptierte Bedürfnis nach Liebe oder der ‚Selbstverwirklichung‘ unterschiedlich ausfällt, alle Menschen davorliegend Bedürfnisse zu befriedigen haben, die aus ihrer biologischen ‚Natur‘ hervorgehen. Der Charakter dieser ‚speziestypischen‘ Natur des Menschen wird über biowissenschaftliche, insbesondere evolutionsbiologische und physiologische Erkenntnisse definiert. Auf diese Weise soll mittels eines naturwissenschaftlich soliden, universalen und objektivierbaren Begriffs die wohlfahrtsstaatliche Gerechtigkeit hergestellt werden, notwendige (lebensverlängernde oder lebensrettende) von weniger notwendigen (‚nur‘ die Lebensqualität verbessernden) Maßnahmen unterscheiden zu können.41 Mit der Entscheidung, den Krankheitsbegriff entlang der – seinem gesellschaftlichen Wesen scheinbar vorgängigen – physiologischen Bedürfnisse zu beschreiben, wird ein ärztliches Handeln festgelegt, nach dem der Mensch in seinen (vermeintlich) biotischen Funktionen (wieder) und ausschließlich über der Physiologie entlehnten Methoden herzustellen sei. In differenzierteren Darstellungen von Bedürfnissen ist darauf hingewiesen worden, dass an erster Stelle ihr Status und ihre Relevanz darüber entschieden, wo sie in der Behandlungshierarchie einzuordnen seien.42 Das bedeutet bei Infertilität ebenso wie z.B. bei ‚Alterskrankheiten‘, die extrem normativ belegt sind, dass es sich vor allem um gesellschaftliche Problemfelder handelt, die nicht allein mittels medizinzentrierter Methodologie verstanden werden können, sondern soziale Begleitforschung notwendig machen.43 Die diskutierten Gesundheitsbegriffe, die seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt wurden, zeigen, dass es nicht notwendig ist, eine absolute, universale Größe eines idealen Naturzustandes anzurufen, um zwischen gesund und krank zu unterscheiden und damit Behandlungsbedürftigkeit zu begründen. Hierzu gehören Gesundheitsbegriffe, die Lebenschancen und subjektive Kategorien wie Wohlbefinden ins Zentrum stellen und die sich in einigen der analysierten reproduktionsgenetischen Texte wiederfinden. Der Vergleich zwischen den Positionen in den untersuchten Szenarien und den verschiedenen In Kapitel 4 diskutierten Krankheits-/Gesundheitsbegriffen zeigt, dass besonders in Hinsicht auf seltene monogenetische Phänomene auf den funktional-biomedizinischen Krankheits-/Gesundheitsbegriff rekurriert wird. Dies betrifft vor allem das Konzept vermeintlich eindeutig erkennbarer ‚genetischer Krankheiten‘, die zwangsläufig zu Leiden führten und eine Stö40 Vgl. Breyer et al. 2002. 41 Siehe z.B. Daniels 1999. 42 Raspe 2002: 33. Der Artikel spricht sich entsprechend dafür aus, Priorisierung anhand demokratischer Aushandlungsprozesse stattfinden zu lassen, also nicht entlang expertengeleiteter Entscheidungen der Medizin. 43 Sankar et al. 2004, Soo-Jin Lee et al. 2001. 313

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

rung einer Funktion darstellten. Zusätzlich findet sich der Verweis auf das Risikofaktorenmodell, indem Faktoren, die zu einer Krankheitsentwicklung (als ausschließlich genetische gedacht) beitragen können, ‚ausgeschaltet‘ werden sollen. Aber auch das Ressourcenmodell lässt sich in dieser Richtung verdreht wiederfinden, wozu es meiner Ansicht nach dadurch einlädt, dass es die Ressourcen zu Qualitäten werden lässt, die der Person eigen sind: Durch Gene ließen sich physisch-psychische Qualitäten einer Person dahingehend ändern, dass sie in der Interaktion mit dem sozialen Umfeld liegende gesundheitsfördernde Bedingungen (Sozialkontakte, Erfolg im Durchsetzen der eigenen Ziele etc.) leichter erschließen könnten.44 Der Vergleich zwischen den analysierten Szenarien und verschiedenen gebräuchlichen Gesundheitsbegriffen zeigt, dass solche Gesundheitskonzepte sozial problematisch werden können, die zentral bestimmte, moderne Kategorien als Idealvorstellungen angeben und dazu verleiten, diese auf eine individualistische und dem Wettbewerbsdenken verhaftete Weise zu diskutieren: dazu gehören Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung. Die Art und Weise der Verwendung emanzipatorischer Konzepte in den analysierten reprogenetischen Diskurssträngen macht Ambivalenzen deutlich, die sich bereits in der Zweischneidigkeit des bürgerlich-aufklärerischen Impetus‘ der Neuzeit verortet zeigt. So sind sämtliche jüngeren Gesundheitsbegriffe von einem Konzept der Autonomie geprägt, das ohne weitere Ausführungen, die es als eine Autonomie in Abhängigkeit von Kontexten auszeichnet, verstanden werden kann als eine isolierende Konkurrenzbeziehung.

Autonomie, Freiheit, Konkurrenz Fast sämtliche der in Kapitel 3 vorgestellten Szenarien beziehen sich auf freiheitliche Werte wie Selbstbestimmung, Freiheit und Wahlmöglichkeiten. In den jeweiligen Kontexten in den älteren der Stränge verbinden sie sich mit ‚Verantwortung‘ in einer Weise, die zugleich jegliche Autonomie zunichte macht: Eltern, die solche Möglichkeiten des vermeintlich gesundheitsförderlichen genetischen Eingriffs nicht wahrnehmen, handeln unverantwortlich: Aus den Möglichkeiten werden notwendige Zwänge.45 Die „Freiheit, etwas zu tun“ wird zu einer Unfreiheit, etwas zu unterlassen und die Wahlfreiheit besteht nicht.46 Denn der Bezug auf aus der bürgerlichen Aufklärung hervorgehende, in der Moderne gefestigte Werte ist allerorten insbesondere in rechtlichen Regelungen bis hin zu internationalen Abkommen zu finden, wie auch in den verschiedenen WHO-Gesundheitsbegriffen, die wie der informed consent, ein singuläres freies, nicht in einem diskursiven Gewebe eingebundenes Indi44 Vgl. 4.3.3 und den Abschluss dieses Kapitels. 45 Vgl. Beck-Gernsheim 1991. 46 Vgl. die Unterscheidung von ‚freedom from‘ und ‚freedom to‘ bei Erich Fromm 1994. 314

INTEGRATIVE GESUNDHEIT UND RE-GENERATION

viduum und Subjekt konstruieren. Es kann in Folge dessen auch als einerseits in der alleinigen – wettbewerblichen und nicht unterstützenden – Auseinandersetzung mit seiner Umwelt gedacht (das Kind, das durch gute Gene gewappnet ‚an den Start‘ geht) und zudem als voll alleinverantwortlich konzipiert werden (die Eltern, die die Entscheidung im Zuge ihrer Wahlfreiheit zu treffen haben). Diese modernen Konzepte arbeiten mit verschiedensten Dichotomien von frei versus unfrei (wobei insbesondere unter Freiheit nicht die Freiheit verstanden wird, sich zu vernetzen, sondern jene, spezielle Charakteristika und möglichst ausgeprägte Individualität zu erlangen), öffentlich versus privat u.ä.m.47 Dass dabei die Gesellschaft in Opposition zum Individuum gesetzt wird, bedeutet unter anderem auch, dass das eigenständige, gesellschaftlich undurchdrungene Individuum als eigenverantwortlich für seine Gesundheit verstanden werden kann, die es selbst herzustellen hat48 (dem wiederum argumentiert trotz seines aufklärerischen Wortgebrauchs der WHOGesundheitsbegriff von 1986 entgegen: er ist strikt aufklärerisch und dabei „unmodern“). Unter anderem Marion Young49 kritisierte die Tendenz, die in ihrem Ursprungskontext anders konzipierte Vorstellung von Autonomie als Freiheit von Fremdbestimmung als eine ‚Selbst-Suffizienz‘, eine disrelationale Unabhängigkeit von anderen Menschen, sozialen Kontakten oder Hilfe zu verstehen. Sowohl das Annehmen von Fürsorge oder Pflege als auch das Angebot oder ein solcher Austausch erscheinen dann als im Gegensatz zu Autonomie stehend. So wird aus verschiedenen neuzeitlich angelegten Möglichkeiten des Verständnisses von Autonomie in solchen Gesundheitskonzepten, die ein Individuum als gesund und damit autonom vorstellen, wenn es frei von jeder Unterstützung walten kann, das Verständnis einer disrelationalen Autonomie und diese normativ zum Ziel gesetzt. Entsprechend findet sich ein solches Individuum als von jeglichen Kontexten losgelöst (vgl. disembedding bei Giddens)50, was zugleich die erfolgreiche Karriere der intimen Liebe begründet: von einem umfassenden Begriff für Solidarität wandelt sie sich zu einem Begriff für ein vertraulich-geständiges Zweierverhältnis, welches das seit der Neuzeit entstandene Vakuum des Nähebedarfs ersetzt.51 Ein auf Solidarität basierender Liebesbegriff wird damit unplausibel und ‚unmodern‘, statt dessen fördert dieses Verständnis ein exklusorisches Paarmodell als quasi größte gesellschaftliche Einheit sowie ein risikozentriertes Gesundheitshandeln, das humangenetisch und medizinisch beantwortet wird.

47 48 49 50 51

Latour 1998. Kühn 2001. Young 1987. Giddens 1991. Luhmann 1994. 315

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

5.2

Leiden im Parlament der Dinge

Die Kategorie Leiden wird neben Liebe in den reproduktionsgenetischen Zeugungsszenarien als eine Schlüsselkategorie gehandelt. Zusätzlich fanden sich, zunehmend in den jüngeren Texten, Parallelen mit solchen Gesundheitsbegriffen, die auf Teilhabe und Gleichstellung in Hinsicht auf Gesundheitschancen und Wohlbefinden abzielen. In Kapitel 4.1.1 wurde ausgeführt, dass in Bezug auf diese Kategorie eine Diskrepanz zwischen feministischer Kritik an Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien und einem empathischen Bezug auf Menschen mit Kinderwunsch besteht.

Wahlmöglichkeit und Leiden Der kritische feministische Bezug auf die Rolle von AnwenderInnen und denen Verhältnis zu Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien wird seit etwa Ende der 1990er Jahre auch in der BRD zunehmend über das Konzept der Gouvernementalität diskutiert. Eins der wesentlichen, ursprünglich emanzipatorisch-feministischen Argumente, das in den erarbeiteten Szenarien angeführt wird, ist die Kategorie der Wahlfreiheit (choice). Nicht nur wird Wahlfreiheit in Hinsicht auf die Nutzung von präimplantiven Gentests von feministischer Kritik in Frage gestellt. Auch von jener feministischen Seite, die sich mit Infertilität bzw. Maßnahmen zur Herstellung von Fruchtbarkeit befasst hat (und in Kapitel 4.3 ausgeführt wurde) wird hervorgehoben, dass Frauen keinerlei Wahlfreiheit empfinden – sie wählen nicht zwischen ‚wilder Zeugung‘ (DIY-Zeugung) und Laborzeugung, sondern sie sehen sich unter (gesellschaftlichem) Druck, Kontrolle über ihre vermeintlich weiblich-grundlegenden Körperfunktionen herzustellen, die sie nicht haben.52 Auch in Hinsicht auf die Frage nach der ‚Gesundheit‘ des Kindes wird dieser gouvernementale Aspekt, der wenig Wahlmöglichkeiten offen lässt, betont:53 „If a person will not adhere to these norms, he or she will suffer the consequences. S/he will not be explicitly punished or sent to prison, but may lose his or her job, income and social status. ‚In the individualized society, the individual must […] learn, on pain of permanent disadvantage, to conceive of himself or herself as the centre of action, as the planning office with respect to his/her own biography, abilities, orientations, relationships and so on.“ (Beck-Gernsheim 2000: 123.)

Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass die untersuchten Szenarien von einem reinen ‚Krankheiten heilen‘ abweichen hin zur (vermeintlich möglichen) freien Auswahl des Genmaterials des Kindes. Graumann zeigt auf 52 Maura 2001. 53 Vgl. Kap. 4.1.2. 316

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(und die vorliegenden Ergebnisse bestätigen dies), dass ‚gesund‘ und ‚krank‘ in den Diskursen Neuer Gen- und Reproduktionstechnologien in ‚wünschenswert‘ und ‚unwünschenswert‘ aufgehen und unter dem Aspekt der Gouvernementalität zu betrachten sind: „[…] sick and healthy, or rather desirable and undesirable are aimed, together with the new medical techniques (the future availability of germ line gene ‚therapy‘ and the already available prenatal genetic diagnosis) at the disciplining of individuals with respect to their decisions about reproduction and at the regulation of the quality of the gene pool. And precisely this is eugenics as a socio-cultural project which is carried out by means of supposedly ‚autonomous‘ individual decisions. The controversial and emotionally loaded discussion of germ-line gene ‚therapy‘ and of geneand biotechnology in general can be interpreted as an expression of the fact that the issue has to do with a hotly contested field of the ‚biopower‘ or rather of ‚biopolitics‘: As Foucault points out, power and resistance against power always occur together. The ‚emotional‘ voices in the public debate which argue against germ-line gene therapy which recourse to its ‚eugenic character‘ would in this case be reflexes of resistance to an indirect heteronomy in decisions regarding reproduction.“ (Graumann 1999: 182)

Dieser Analyse Graumanns ist für die Untersuchung der in der vorliegenden Arbeit diskutierten Szenarien ein entscheidender Aspekt hinzuzufügen. Eine Betrachtung der „regluation of the quality of the gene pool“ (s.o.) erweist sich als produktiv in der Untersuchung der Auseinandersetzung zwischen Staat und Individuum, wie es die sozial und standesrechtlichen Regelungen rund um die gesundheitliche Betreuung von Reproduktion nahe legen. Im Vergleich dazu erscheint der Normalisierungscharakter dieser Technologien in den untersuchten Szenarien als eher sekundär oder hintergründiger, denn als einer der „abzielt auf“ (s.o.) Normalisierung oder Regulierung. Er findet diskursive Verwendung in der molekularen Kolonisierung, indem körperlichen Einheiten immer neue Kunststücke abgerungen werden, womit neue biowirtschaftliche ‚Nischen‘ eröffnet werden. Zwischen diesen Phänomenen, einem bevölkerungspolitisch anmutendem Druck der Kräfte in einem Machtfeld einerseits und jenem durch marktwirtschaftliche Interessen reprogenetischer Institutionen erzeugen andererseits ist aus heuristischen Gründen (ohne ihre Kopplung zu verleugnen) zu unterscheiden. Bei der erstgenannten Konstellation begegnen sich Staat und ‚technologisches Reproduktionssystem‘54 einerseits und Individuum andererseits im Entscheidungs- und Interessenkonflikt in der gouvernementalen Fremd- und Selbstführung. Im Kontrast dazu formulieren mehrere der reprogenetischen Szenarien die liberale Zurückweisung des 54 Alle in Biowissenschaft und Medizin an Laborproduktion beteiligte Parteien und Apparaturen. 317

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Staates und seiner demokratisch legitimen Funktion der Kontrolle der Technologien. Gouvernementaler Staat und ‚technologisches Reproduktionssystem‘ treten damit nicht in Allianz sondern Gegnerschaft zueinander auf, wodurch sich die Perspektive gegenüber früheren Analysen verschiebt: Weniger wird der Kontrollaspekt, und sei es durch ökonomische Bedingungen im sozialen Gefüge, die ein Ineinandergreifen von Fremd- und Selbstführung bedingen, direkt in den Szenarien verwendet. Sondern Kategorien, die auch das Individuum in Gegnerschaft zu Staat und Gesellschaft bringen können, werden hervorgehoben: Liebe und Leiden, wenn sie nicht anerkannt werden, als legitime Argumente für eine gesellschaftliche Unterstützung. Der entsprechend den reproduktionspolitischen Veränderungen sinnvolle Wechsel der kritischen feministischen Betrachtungen von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien hin zu dem Konzept der Gouvernementalität hat auf das Leiden bisher wenig Augenmerk gerichtet. Auf diese Weise wird riskiert, das Feld des solidarischen und verständnisvollen Umgangs mit Frauen und Männern mit eigengenetischem Reproduktionswunsch liberalfeministischen und reproduktionsgenetischen Zugangsweisen zu überlassen. Im Gegensatz zu einem naturalistischen Begründungshorizont für medizinische Eingriffe eröffnet die Kategorie Leiden Perspektiven für die Unterschiedlichkeit individueller Gesundheitsvorstellungen. Es ist mehrfach dargelegt worden, dass innerhalb der Beschreibung von Krankheit über biologische (Grund-)Bedürfnisse Infertilität eindeutig eine Krankheit darstelle (offenbar ausreichenden gesellschaftlichen Status besitzt), was über das ‚Reproduktionsinteresse‘ der Spezies und ihre organischen Möglichkeiten begründet wird. Der Wunsch nach eigengenetischem Nachwuchs gleichgeschlechtlicher oder älterer Paare oder Singles würde nicht darunter fallen. Auch zahlreiche ‚genetische Krankheiten‘, wie sie in den untersuchten Szenarien benannt werden, wären als (zu behandelnde) Krankheit zu betrachten, unabhängig vom Befinden ihrer TrägerIn. Ein ähnliches Bild zeichnet sich ab, wenn die Gesundheit/Krankheit-Unterscheidung entlang von ‚Gefährdung‘ (harm) getroffen wird, wie von Clouser et al. vorgeschlagen.55 Nicht mehr objektivierbar sind dagegen die Beurteilungen, wenn ‚Leiden‘ ins Zentrum der Krankheitsdefinition und ‚Leiden mindern‘ als Handlungsziel gesetzt wird, wie von Maura vorgeschlagen.56 Leiden subjektiviert Krankheit in hohem Maße, denn es kann gelitten werden, ohne physiologische Grundlage; es ist aber auch möglich, in einem physiologisch bedrohlichen Zustand zu sein, ohne zu leiden. Dies ist ohne Zweifel keine Expertendefinition, sondern eine, die nur vom Individuum aus getroffen werden kann. Die Einführung von Leiden als zentraler Kategorie eines Krankheitsbegriffs kann somit auch in Hinsicht auf das ‚life

55 Clouser et al. 1997. 56 Maura 2001. 318

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worth living-Problem‘ zu Infragestellungen von Ansichten von ‚Gesunden‘ über vermeintlich leidvolle ‚chromosomale‘ oder ‚genetische Krankheiten‘ verleiten. Zusätzlich zu der Funktion von Leiden als legitimatorischer Kategorie im Solidarsystem wird angeführt, dass es auch in der Bewertung von Technologie zu Rate gezogen werden müsse: In die Verwendungsfrage einer Medizin-Technologie müsse auch das hippokratische Gebot „Füge kein Leiden zu“ eine Rolle spielen. Damit wird der Blick auf Behandlungsfolgen gelenkt, die wie auch Raspe bemerkt, mit den ursprünglichen Bedürfnissen (Leidenslinderung) abzuwägen sind.57 Maura geht es jedoch nicht um das Abwägen von Bedürfnissen und möglichen Folgen, sondern um die Frage der Ersetzbarkeit von ‚Behandlung‘ durch ‚Fürsorge‘; von invasiven Eingriffen durch ‚care‘ womit wiederum die Frage der interdisziplinären Lösungsansätze und Erstangebote im Gesundheitswesen angesprochen ist. In der Demokratietheorie ebenso wie in zahlreichen der zitierten Gesundheitsbegriffe ist ‚Teilhabe‘ eine wesentliche Kategorie, die mit den Werten von ‚Zugang‘, ‚gleichen Möglichkeiten‘ einhergeht. Entlang einem entsprechenden Ansatz zu Möglichkeiten/Fähigkeiten (‚capabilities‘) entwickelte die Ethikerin Martha Nussbaum einen Ansatz der Verteilungsgerechtigkeit,58 der von Möglichkeiten der sozialen Partizipation (vgl. WHO-Gesundheitsbegriff von 1989) ausgeht. Von unter Infertilität leidenden Frauen wird vielfach angebracht, dass sie vor allem in ihrer gesellschaftlich ähnlich situierten Umgebung junger Eltern, aber auch im größeren gesellschaftlichen Zusammenhang unter der fehlenden Möglichkeit, sich als Mutter partizipativ einzubringen, leiden.59 Ein Lebenskonzept oder Lebensplan stellt sich als nicht entfaltbar, ein komplexes Wunschgefüge sich als nicht verwirklichbar heraus. Adoption, so wurde ebenfalls von Maura ausgeführt, für eine Alternative zu halten, verkennt die Dominanz des gesellschaftlichen Konzepts der ‚Mutter‘ (bzw. ‚Mutternatur‘) als einer, die aus ihrem eigenen Körper heraus wachsen lässt und nährt und so die Kontrolle über ihre ureigenste Biologie beweist. Diese gesellschaftlich zugewiesene Grundfertigkeit nicht vollbringen zu können, macht nach vielfacher Darstellung von Betroffenen das Leiden unter dem Kontrollverlust aus. Wenn die verschiedenen Ansätze der feministischen Forschung zu Infertilität und Reproduktionstechnolgie miteinanander quer gelesen werden, ergibt sich einerseits das Bild der Konstruktion von Infertilität und Leiden und zugleich der drängenden Präsenz von Leiden bei den Betroffenen. Auch wenn, wie in der vorliegenden Arbeit, die Theorie verfolgt wird, der Ursprung vieler Leiden an ‚körperlichen‘ Bedingungen läge in gesellschaftlichen Konstruktionen, wie etwa die Position, das Geschlecht entspräche einer material57 Raspe 2002: 34. 58 Nussbaum 1999. 59 Maura 2001, vgl. Kap. 4.3.1. 319

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

sozialen Konstruktion, die unter anderem dazu führt, dass manche Menschen sich gezwungen sehen, ihr Geschlecht konform anders- oder eingeschlechtlich anzupassen,60 müssten diese Leiden ernst genommen werden. Beim ‚sexchange‘ kann die Notwendigkeit des Eingriffs als durch soziale Konstruktion des Geschlechts verursacht gesehen werden, ohne Leiden und Materialität zu leugnen. Das gesellschaftliche Leiden materialisiert sich bis hin zu physiologisch-hormonell messbarem Leiden.61 Unabhängig davon, wie weit man Theorien des Konstruktivismus folgt, sprechen dennoch infertile Frauen von ihrem Leiden (und alle sprechen von sozialem Druck). Der Kinderwunsch mag sozial generiert sein, aber er ist. Dies würde auch für den unerfüllten eigengenetischen Kinderwunsch, unabhängig von Geschlecht, Familienstand oder Alter gelten. Die reprogenetischen Szenarien legen nahe, die wesentlichen Subjekte der Auseinandersetzung wären die Trias Eltern-Genom-Kind und in ihnen verorte sich das Leiden, nicht aber in Technologie und Gesellschaft. Stattdessen fordern sowohl die zuvor beschriebenen Gesundheitsbegriffe (zumindest ab dem WHO-Begriff von 1986 bzw. der Gender in Health-Forschung), ebenso wie die feministische Analyse von Medizin und Science and Technology Studies, die Dichotomien solcher Konzepte aufzuheben und die Politik, die den technologischen Artefakten (wie ‚Krankheit‘, oder ‚Genom‘, wie auch in verschiedenen Laborpraxen etc.) immanent ist, zur Kenntnis zu nehmen. Das Leiden in Gesellschaft und Technologie im Kontext mit Körper zu verorten, würde mit Latour bedeuten, die „Gegen-Stände“ wieder zu „Dingen“ werden zu lassen (mit Verweis auf Heidegger), indem Öffentlichkeit, das „Parlament“, gemeinsam mit sog. Artefakten zu einem „Parlament der Dinge“ wird.62 Manche der derzeitigen bio-psycho-sozialen Gesundheitskonzepte ähneln dieser Vorstellung dem Anspruch nach, auch wenn zum Teil in die jeweiligen Faktoren unterteilt wird. Bereits einer der grundlegenden Texte der Science and Technology Studies hat eine dem Parlament der Dinge ähnliche Position zur Kernaussage: Langdon Winner argumentierte, dass das Politische an Technologie nicht einfach darin bestünde, wie die sozialen Verhältnisse oder die Regierungsform unter der beispielsweise Gentechnologie verwendet wird, gestaltet sei (eine der Positionen in den sozialdeterministischen Szenarien, Kapitel 3), sondern dass Politik in den Techniken selbst läge. Was ein bestimmtes Artefakt oder eine Technologie ermögliche, wie vielfältig oder 60 Vgl. Lindemann 1993. 61 Am einfachsten zu exemplifizieren ist dies an intersexuellen oder transsexuellen Personen, deren Ausschluss aus den zwei Geschlechtern beispielsweise durch entsprechend markierte Toilettenanlagen oder auch durch das schwierige Verhältnis des medizinischen Systems zu ‚abweichenden‘ Geschlechtern zu gesundheitlichen Störungen wie beispielsweise Nierenschäden und weiteren, oft verschleppten Erkrankungen führen kann (vgl. Lindemann 1993). 62 Latour 2001. 320

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einschränkend sie einsetzbar sei oder welche Ausschlüsse sie verursache, seien die wesentlichen politischen Aspekte, die in ihrer sozialen Materialität verortet lägen.63 Auch Donna Haraway64 und Karen Barad65 vertreten eine solche Position, wonach Artefakte und darin enthaltene politische Ziele oder soziale Strategien nicht voneinander zu trennen sind. Das heißt die Brückenköpfe66 der Einführung dieser Technologien, nämlich Liebe und Leiden sind auch in ihnen selbst enthalten. Das miteinander Verschränken all dieser Ergebnisse bedeutet, dass der Kinderwunsch und das Leiden als gesellschaftliche Phänomene zu verstehen sind, die als solche zu ‚behandeln‘ sind. Eine Re-Kollektivierung des Kinderwunschproblems aus dem Individualisierten heraus zurück ins Soziale (ins Parlament der Dinge67) würde die Verbindung herstellen zwischen den verschiedenen, sowohl feministischen Kritiken, wie auch entsprechenden, auf das Soziale in Gesundheit fokussierenden gesundheitstheoretischen Ansätzen. Leiden als sozial-materialisierte Bedingungen anzuerkennen, hieße ein material-semiotisches Phänomen68 in volle gesellschaftliche Verantwortung zu nehmen. Es hieße damit zugleich, die Lücke zwischen dem Leiden von Menschen an Infertilität und dem Verständnis desselben als Konstruktion zu schließen und somit auch einen demokratischen Diskussionsraum zu eröffnen, der bisher reprogenetischen Fachpersonen überlassen war. Leiden anzuerkennen, bedeutet allerdings keinesfalls zwangsläufig stets medizinische Lösungen zu unterstützen. Diesen mögen die Begrenztheit ökonomischer Ressourcen im Weg stehen,69 auch wenn grundsätzlich die Legitimation bisheriger staatlicher Ressourcenallokation ebenfalls zu diskutieren ist. Dennoch würden nicht sämtliche leidensbedingt notwendig erscheinende medizinische Behandlungen möglich sein. Sowohl in der Entscheidung gegen die Einführung einer Technologie als auch gegen ihre breite Anwendung sind Regulative und Begründungen notwendig, da die Forderungen nach bestimmten Technologien auf konstitutionellen Rechten basierten, erinnert van den Daele. ‚Gesundheit‘ stünde in der Wertehierarchie in Deutschland an erster Stelle. Individuelle Ansprüche leiten sich von dem Grundrecht ab, technische Möglichkeiten im Sinne des Schutzes der Gesundheit zu nutzen.70 Wenn also gesellschaftlich einer solchen Verteilungsgerechtigkeit von Mitteln für das ‚Mindern von Leiden‘ und zur ‚Befähigung zur Teilhabe‘ aus praktischen oder moralischen Gründen Grenzen gezogen werden, so schlägt 63 64 65 66 67 68 69 70

Winner 1999. Haraway 1999. Barad 2005. Weingart 1989. Latour 2001. Haraway 1999. Raspe 2002. van den Daele 1989: 212. 321

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Ryan Maura vor, hätte das soziale Gefüge, das solche Entscheidungen trifft, „to teach people how to live with integrity [...] within those limits. If we are to acknowledge limits (either moral or practical) to what we may do to relieve the suffering associated with infertility, then we must articulate a compassionate spirituality for the infertile.“71 Ein soziales und solidarisches embedding anzubieten, heißt, gesellschaftliche Verantwortung in dem Schaffen von Bedarf anzuerkennen. Es hieße nicht zwangsläufig, universale medizinische Antworten für ‚natürliche‘ Bedingungen bereitzustellen, sondern diese individuell zu diskutieren. Aus dieser Perspektive bietet sich zugleich ein Ausweg für die medikalisierenden Subjektivierungsweisen, nach der im Solidarsystem der Zugang zur Linderung von Leiden nur über Medizin und also nur durch die Angehörigkeit zu einer Gruppe mit einer bestimmten Krankheit möglich ist. Zusammenfassend zeigt es sich als nötig, eine Strategie des empowerment aufzuzeigen, „wie Bedeutungen und Körper gemacht werden, nicht um Bedeutung und Körper zu verleugnen, sondern [damit wir] in Bedeutungen und Körpern leben können, die eine Zukunft haben“.72 Anstatt objektivierte, natürliche Bedingungen als Argumente gegen Technologie oder für bestimmte Gesundheiten ins Feld zu führen, müssten Gesundheit, Zeugungswunsch und Leiden als material-semiotisches Verhältnis in gesellschaftlicher Verantwortung betrachtet werden. Von Judith Lorber und Lisa Jean Moore wird bereits von einigen Erfolgen, die auf Veränderungen in Hinsicht auf einen integrativen, nicht diskriminatorischen und nicht medikalisierenden Gesundheitsbegriff verweisen, hingewiesen. So hätte die Frauengesundheitsbewegung sowohl die ‚Patientenrechtsbewegung‘ inspiriert und auch zum Men’s Health Movement geführt, so dass inzwischen in vielen Bereichen eine Infragestellung allein medizinischer Definitionsmacht aufzeigbar ist und ebenso eine Sensibilisierung von ÄrztInnen, pflegerischem und medizinischem Personal für geschlechtliche Rollen und ihren Effekt auf Gesundheit.73 Die Tatsache, dass inzwischen PatientInnen als idealerweise ebenbürtige PartnerInnen in der Interaktion mit ÄrztInnen betrachten werden, die aufgerufen würden, ‚Expertenwissen‘ zu erwerben, wird begrüßt, allerdings mit dem Hinweis aus der feministischen Praxis, dass die Verantwortung für eine gelungene Kommunikation auch bei der Ärzteschaft liegen müsse. ‚Zeit‘ zur Beschreibung der eigenen Erfahrung des gesundheitlichen Anliegens wird dabei als ein kritisches Element gesehen,74 da ein von Person zu Person unterschiedlicher subjektiver Gesundheitsbegriff 71 72 73 74

Maura 2001: 11. Haraway 1991: 185. Lorber/Moore 2002: 137ff. Candib 1988.

322

INTEGRATIVE GESUNDHEIT UND RE-GENERATION

unterstützt wird.75 Zugleich darf ein Recht auf Gesundheit und Mitbestimmung nicht dahingehend verstanden werden, dass Verantwortung wiederum abgegeben werde und somit die Idee unterstützt wird, Medizin sei stets die anzurufende Institution76 – denn andere Wege verlangen die Bereitschaft, die eigene Rolle in der Schaffung von Gesundheit und Geschlecht (!) zu betrachten. Auch Ansätze zur Veränderung institutionalisierten Expertenwissens werden von Lorber und Moore als erfolgreich eingeschätzt, so etwa die Erarbeitung eines Curriculums „to improve and integrate the care of women patients, heighten physicians‘ awareness of the psychological aspects of women’s treatment, improve the physicians‘ understanding of the differences and unique qualities of women’s health“77, das zur Institutionalisierung von Women’s Health beigetragen haben dürfte, ebenso, wie in Deutschland zahlreiche zunächst verstreute Initiativen zur Frauengesundheitsforschung führten. Auch eine Erweiterung und Differenzierung des geschlechtlichen Spektrums und entlang anderer Kategorien wie Status oder Alter sind in diesen Betrachtungsweisen inzwischen vermerkbar. Doch Fragen der reproduktiven Gesundheit und der Kontrolle der eigenen biotischen Ressourcen weisen weit über Medizin als Wissens- und Handlungssystem und anderer akademische Felder hinaus. So sind weitere Eingriffsebenen das politisch rechtliche System (in Hinsicht beispielsweise auf das Sozialgesetzbuch), das Gesundheitsversorgungssystem, autonome alternative Angebote sowie die Integration von Gesellschaft in Technologie.78 Die Unterstützung und längerfristige Sicherung bereits bestehender alternativer Beratungsinstitutionen für reproduktive Fragen im Solidarsystem ist eine staatliche Aufgabe, die einen weitreichenden Beitrag zu einem gesellschaftlich verantwortlichen Umgang mit den historischen Lasten des Reproduktionsdrucks beitragen kann. Solche Institutionen, die nicht nur von der Verwendung der Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien abraten, sondern sich dem Zeugungswunsch und Leiden ernsthaft widmen, sind häufig aus der Frauengesundheitsbewegung hervorgegangen und bestehen bereits an mehreren Orten in der BRD,79 wie beispielsweise die unabhängige Beratungsstelle CARA in Bremen. Öffentliche, für Geschlechterthemen sensibilisierte 75 76 77 78

Sandelowski 1981, Lorber/Moore 2002. Illich 1995. Wallis 1994. Gewöhnlich heißt es, Technologie müsse in Gesellschaft integriert werde, also politisch eingebettet werden. Dieser Anspruch lässt sich mit Barads, Latours und Haraways Konzept, wonach Gesellschaft in Technologie eingeschrieben ist bzw. viel eher mit Technologie bereits materiell-semiotisch einen Komplext bildet, in den Anspruch wenden, diese Untrennbarkeit anzuerkennen und gesellschaftspolitische Verantwortlichkeiten daran zu knüpfen. Damit entstünden ‚Parlamente der Dinge‘, politisierte Technologien. 79 Beck-Gernsheim 1999. 323

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Gesundheitseinrichtungen im Aufgabenbereich des öffentlichen Gesundheitsdienstes wären ebenso zu begrüßen. Allerdings wird kritisch darauf hingewiesen, dass die Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes als einst ‚dritte Säule‘ des Gesundheitssystems und einziger Bereich, in dem der Staat direkten Einfluss auf Gesundheitspolitik nehmen kann, in den vergangenen fünfzig Jahren bedenklich an Bedeutung verloren habe.80 Denkbar wären etwa für die zunehmend als gesellschaftliche Geschlechter-Fragen problematisierten Felder wie Hormontherapien, sogenannte Schönheitsoperationen, Geschlechtsoperationen, ebenso wie für den Kinderwunsch und die Vor- und Nachsorge jeweiliger Entscheidungen interdisziplinäre ‚gender walk in centres‘. Integriert werden müsste dabei auch ein Betreuungsdienst, an den sich Personen wenden könnten, die sich gegen eine medizinische Weiterbehandlung eines nicht realisierten Zeugungswunsches entscheiden – sie werden bisher an keiner Stelle im Versorgungssystem aufgefangen. In Hinsicht auf das problematische Verhältnis privatwirtschaftlicher Interessen in Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien zu den Interessen von (potentiellen) PatientInnen wurde von manchen Autorinnen darauf hingewiesen, dass bereits auf der Ebene der Schaffung neuer Technologien die Öffentlichkeit einbezogen werden muss.81 In manchen europäischen Ländern hat es hierzu bereits vorbildhafte Ansätze gegeben: „Denmark and Holland have made some of the most energetic attempts to improve the ‚science‘ and ‚society‘ relationship, by increasing the democratic shaping of new technology by developing new institutions, such as consensus forums and constructive technology assessment. While it would be unwise to suggest that there were no problems with these initiatives they have fostered a high level of scepticism on the part of the public about new technologies, but this scepticism comes together with a strong level of trust in the government. By contrast German and British government’s command much weaker levels of public trust. Thus the Conservative government’s reiterated claim that it was guided by science in the management of the ‚mad cow crisis‘ produced only derision.“ (Rose 2000: 71)

So könnten auf all diesen verschiedenen Ebenen eines möglichen re-embeddings, von der Entwicklung von Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien bis hin zu ihren Anwendungen und Alternativen, Bedeutungen und Körper, in denen sich leben lässt, in integrativ-partizipativem Sinne konstruiert werden.

80 Hurrelmann 2000: 41. 81 Kerr 2003, Rose 2000: 71; Beck-Gernsheim 2000, Beck-Gernsheim 1999. 324

Anhang

I. Häufig verwendete Akronyme ACT Advanced Cell Technology BST biostatistische Theorie DIY-Zeugung Do-It-Yourself-Zeugung: Für die vorliegende Arbeit entwickelter Sammelbegriff für sämtliche Formen der Zeugung, die keine Eingriff durch hierfür ausgebildete ExpertInnen notwendig machen. Damit werden Zeugungen durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr, die Verwendung und vaginale Einführung von Spendersamen (aus dem Bekanntenkreis oder von – allerdings bereits den staatlich- medizinischen Regularien unterliegenden – Spermienbanken) zur Zeugung in privaten Zusammenhängen zusammengefasst als möglicherweise bald ‚widerständige Praxen‘ im Kontrast zu ‚Laborzeugungen‘, bei denen die eigene Handhabe und Handlungsspielräume durch kulturelle, marktwirtschaftliche, medizinische und rechtliche übergeordnete Praxen eingegrenzt werden. ICSI Intrazytoplasmatische Spermien-Injektion (intracytoplasmatic sperm in-jection) IVF In-Vitro-Fertilisation NRGT Neue Reproduktions- und Gentechnologien (auch Neue Gen- und Reproduktionstechnologien) SOC Sense of Coherence PID Präimplantationsdiagnostik WHO World Health Organization

325

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

II.

Zeittafel 1995-20031

1978 1978 1991 – Jan.

Das erste Kind, das durch IVF-gezeugt wurde, wird geboren (Louise Brown). In Kalifornien eröffnet eine der ersten Spermienbanken mit Samenspendern nach Kundenwunsch. In der BRD tritt das Embryonenschutzgesetz tritt in Kraft.

1995

Erstmals Ärzte wegen Embryodiebstahls angeklagt (Kalifornien). 1995 Der Fall eines Ehepaares wird öffentlich gemacht, welches den Repro-duktionsmediziner Klaus Diedrich (Lübeck) um PID bat. Dieses Ansinnen war von der Ethik-Kommission der Universitätsklinik Lübeck unter Hinweis auf das Embryonenschutzgesetz zurückgewiesen worden. 1995 – Juli Die Schafe Megan und Moran werden am Roslin-Institute bei Edinburgh (Schottland) geboren als Klone eines selben Embryos. 1996 In Großbritannien werden 3000 befruchtete Eizellen vernichtet, da die Lagerung über eine bestimmte Frist verboten ist. 1996 IVF kostet in den USA $ US 8000 und PID $ 10.000. 1996 Fa. Growing Generations wird in Beverly Hills mit dem Angebot der künstlichen Befruchtung und Leihmuttervermittlung ausschließlich für gleichgeschlechtliche Paare gegründet. 1997 – Jan. Das Anti Discrimination Tribunal of Queensland, Australien spricht einer Frau $ A 7500 Entschädigung zu, weil ihr eine Klinik für Reproduktionsmedizin eine künstliche Befruchtung mit Spendersamen verweigerte. 1997 Klaus Diedrich (s.o.) beantragt neuerlich, PID durchführen zu dürfen. 1997 – März Klon ‚Dolly the Sheep‘, ein aus Körperzellen erwachsenes Schaf wird geboren, seine Bekanntgabe erfolgte im Februar 2997, 8 Monate nach der Geburt (am Roslin Institute, Schottland). 1997 Dollys Geburt veranlasst US-Präsident Clinton, die USGesetze von einer 18 köpfigen nationalen Ethikkomission prüfen zu lassen; RedakteurInnen der Emma freuen sich über neuen Weg zu männerloser Gesellschaft (Spiegel 10/1997). 1997 – Mai Emma Ort, das erste Kind, das aus einer Technik des Reproduktionsforschers Jacques Cohen am St.-Barnabas-Institut für Reproduktionsmedizin und -forschung in Lexington, New Jer1 Erstellt aus dem Material für die Makroanalyse, im Wesentlichen aus Die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, der Frankfurter Rundschau unter Abgleich mit vor allem Materialien des Deutschen Bundestages, von Human Reproduction, Science und Deutsches Ärzteblatt. 326

ANHANG

sey entstanden ist, wird geboren. Die Technik besteht darin, vermeintlich nicht mehr reproduktionsfähigen Eizellen Eizellplasma von Spenderinnen einzuführen. 1998 Symposium Engineering the human germline findet an der Universität Los Angeles auf Einladung von Gregory Stock statt. Gäste u.a. Daniel Koshland (früherer Herausgeber von Science), Mario Capecchi (Erfinder der Knock-out-Maus), Leroy Hood (Konstrukteur der ersten Sequenziermaschinen), French Anderson (Pionier der Gentherapie) und James Watson. Bis dahin galt als Konsens auch unter Wissenschaftlern, dass die Keimzellen Tabu seien. Unter anderem werden Ideen der genetischen ‚Verbesserung‘, Erhöhung von Widerstandsfähigkeit gegen Schnupfen, HIV, vorzeitiges Altern, diskutiert. (Zeit 22, 2000) 1998 ICSI – bzw. Einfrieren, Wiederauftauen und Befruchten von Eizellen in Atlanta praktiziert. 1998 BRD: Der schwule Schlagerstar Patrick Lindner durfte adoptieren. 1998 In dem Buch Das geklonte Paradies prägt der Biowissenschaftler Lee Silver den Begriff der „reprogenetische Methoden“, der zuvor lediglich in Medien als Kurzform auftrat. 1999 – Juni Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder (BRD) fordert das Bundesgesundheitsministerium auf, einen Entwurf eines ‚Fortpflanzungsmedizingesetzes‘ vorzulegen. 1999 Die Rheinland-Pfälzische Bioethik-Kommssion argumentiert 1999 befürwortend für PID. 1999 – Sept. Der 18jährige Jesse Gelsinger aus Arizona stirbt nach einem Gentherapieversuch an der University of Pennsylvania in Philadelphia, bei der Adenoviren als Vehikel eines OrnithinTranscarbamylase-Gens verwendet wurden. 2000 – März Die Enquete-Kommission des Bundestages Recht und Ethik der modernen Medizin wird eingesetzt. 2000 – Mai Deutsche und japanische Genforscher geben bekannt, sie hätten das menschliche Chromosom Nummer 21 entschlüsselt. 2000 – Aug. In Großbritannien wird ein Bericht von Experten der Biologie und Medizin über die Notwendigkeit der embryonalen Stammzellforschung für die Gewebezucht, veröffentlicht, der unter der Leitung des höchsten britischen Gesundheitsbeamten, Liam Donaldson, verfasst worden war. 2000 – Sept. Die FDP beantragt im Bundestag ein Fortpflanzungsmedizingesetz zur rechtlichen (befürwortenden) Regelung von PID. 2000 Über 400 klinische Testreihen zur Gentherapie mit mehr als 3000 PatientInnen sind seit 1990 durchgeführt worden, davon über 70% in den USA, nach Auskunft des Paul-Ehrlich-

327

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Instituts bei FFM sind 37 Gentherapiestudien in Deutschland beantragt worden seit 1994. 2000 Ärzte vom Hospital Necker in Paris berichten, sie hätten mit gentechnisch veränderten Stammzellen aus dem Rückenmark zwei Babys mit severe combined immune deficiency dauerhaft geheilt. 2000 – Mai Das Bundesministerium für Gesundheit unter Andrea Fischer lädt GegnerInnen und BefürworterInnen zum Symposium Fortpflanzungsmedizin in Deutschland. 2000 – Mai Genforscher French Anderson von der University of Southern California, der einer der ersten in der Gentherapieforschung war, vertritt in Medien die Auffassung dass es, abgesehen von ein paar Anekdoten, keinerlei Hinweise auf irgendein funktionierendes gentherapeutisches Verfahren gäbe. 2000 – Aug. Der Stammzellforscher Oliver Brüstle beantragt bei der DFG die Forschung an importierten menschlichen Stammzellen. Im Folgenden wird die DFG mehrfach von Angehörigen des Deutschen Bundestages gebeten, Entscheidungen über solche Forschung bis zur Schaffung einer entsprechenden Gesetzesgrundlage durch den Bundestag zum Import von Stammzellen (erfolgt 2002) auszusetzen. Die DFG kommt dem nach: Sie entscheidet den Antrag positiv, sperrt jedoch zunächst die Fördermittel. 2000 – Dez. In einem Artikel in Die Woche warnt Bundeskanzler Gerhard Schröder vor „ideologischen Scheuklappen“ in der Politik zu Biotechnologien. 2001 – Jan. In Großbritannien genehmigt das Unterhaus das Klonen zu therapeutischen Zwecken. 2001 – Mai Bundeskanzler Gerhard Schröder beruft den Nationalen Ethikrat, der dem Kanzleramt untersteht. 2001 – März Eine Tagung einer internationalen Gruppe von Fortpflanzungsmedizinern mit dem Ziel, Menschen zu klonen, findet in Rom statt. 2001 Weltweit arbeiten etwa 50 Gruppen an der Klonierung von Tieren. In Hinsicht auf Effizienz ist bei allen Stillstand erreicht. 2001 – März Jacques Testart bestätigt in einer Veröffentlichung in Human Reproduction, dass in Zellen von Kindern, für deren Zeugung er Spenderinnen-Eizellplasma in die Eizelle der Mutter injeziert hatte, deren mitochondriales Erbgut aufwiesen. Die USAmerikanischen Bioethiker Erik Parens und Eric Juengst reagieren in Science, dass dies als eine erbliche Genveränderung des Menschen ein ethischer Übertritt sei. 2001 – Mai Unter regem Medieninteresse reist der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement gemeinsam u.a. mit dem Bonner 328

ANHANG

Stammzellforscher Oliver Brüstle zur Erörterung des Einkaufs von Stammzellen nach Haifa. 2001 – Mai Veröffentlichung des Forderungskatalogs des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands, u.a.: Ungewollte Kinderlosigkeit per Gesetz zur Krankheit erklären, Recht auf künstlich gezeugten Nachwuchs für Unverheiratete, Eizellspenden erlauben, auch bei 50jährigen als Empfängerinnen, Einfrieren von Embryonen und sog. therapeutisches Klonen erlauben. 2001 – Juni Der Präsident des Max-Planck-Instituts und früherer DFGPräsident Hubert Markl spricht sich in einer Grundsatzrede für die Forschung an embryonalen Stammzellen aus. 2001 – Aug. Der Amerikaner Zavos Panayiotis, der in Kentucky ein Center for Reproductive Medicine & IVF betreibt, die Französin Brigitte Bosselier, Leiterin der Firma Clonaid (die Firma steht unter Leitung der Raelianer, die glauben, der Mensch sei das Klonprodukt von Außerirdischen) und Severino Antinori stellten vor der National Academy of Sciences am 7. August 2001 ihre Klonierungsprojekte vor. (Zeit 50/2002) 2001 – Okt. ‚A-Part‘, ein weltweiter Verband von Reproduktionskliniken (Präsident ist Wilfried Feichtinger aus Wien, und Vizepräsident ist Severino Antinori) hält eine Konferenz zur reproduktiven Klonierung in Monaco ab. 2001 – Okt Der vermeintlich erste menschliche Klon ist mit Genmaterial aus einer adulten Zelle (Fa. ACT, USA). erzeugt worden. Wissenschaftlich wurde er jedoch nicht anerkannt. 2001 – 27.11. Die Enquête-Kommission Recht und Ethik in der modernen Medizin legt ihren Bericht dem Bundestag vor, in dem sie sich ablehnend zur sog. therapeutischen Klonierung äußert, da sie einen Einstieg in die sog. reproduktive Klonierung darstellen könne. 2001 – 29.11. Der Nationale Ethikrat spricht sich mehrheitlich für einen zeitlich befristeten Import von embryonalen Stammzellen unter strikten Auflagen aus. 2001 2001 gab es laut Deutschem IVF Register 75.000 IVF-Behandlungen, die Schwangerschaftsrate lag bei 25 Prozent, die Fehlbildungsrate bei den geborenen Kindern bei 2,5 %. Die Fehlbildungsrate lag bei ICSI bei 3,4 %. 2002 – Jan. Der Bundestag beschließt die Möglichkeit des Imports embryonaler Stammzellen. Das Gesetz muss allerdings nochmals überarbeitet werden. 2002 – Feb. Die Enquete-Kommission des Bundestages hat sich gegen eine Zulassung der Präimplantations-Diagnostik ausgesprochen. 2002 – Apr. Mit großer Mehrheit verabschiedet der Bundestag das Stammzellen-Gesetz . 329

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Die Entquête-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin des Bundestages hat in seiner Mehrheit gegen die Zulassung von Präimplantationsdiagnostik gestimmt (Abschlussbericht). 2002 – Juli BRD: Stammzellenimportgesetz tritt in Kraft: Import von embryonalen Stammzellen ist erlaubt zu Forschungszwecken unter strengen Auflagen. 2002 – Juli Ein belgischer Gynäkologe verwendet erstmals in Europa Microsorter zur Geschlechtswahl (Gewichtsbestimmung der Spermien). In den USA wurde bereits Anfang 1996 ein Mädchen nach MicroSort geboren. 2002 – Sept. Erster von 2 Leukämiefällen durch Gentherapie mit Retrovieren in Paris am Necker-Hospital. In Deutschland werden fast alle von 16 laufenden Versuchen eingefroren. Über zwei neue klinische Prüfungen wollen das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen und die Kommission für somatische Gentherapie (KSG) beraten. 2002 – 26.12. Ein Raelianer (Claude Vorilhon) meldet die – später nicht bestätigbare – Geburt von Klonkind Eve. 2003 – 17.01. Die Fraktionen der SPD, Grünen und Union im Bundestag haben sich auf einen Gruppenantrag für ein Klonierungsverbot geeinigt, das zwischen sog. therapeutischem und reproduktivem Klonen nicht unterscheidet. 2003 – 23.01. Der Nationale Ethikrat entscheidet mehrheitlich für eine Zulassung von Präimplantationsdiagnostik unter engen Restriktionen. 2003 – Mai Die Neue Enquête-Kommission des Bundestages, diesmal mit dem Titel Ethik und Recht der modernen Medizin konstituiert sich (eingesetzt durch den Bundestag im Februar). Vorsitzender: René Röspel (SPD), Hubert Hippe (CDU) wird Stellvertreter. 2003 Klinikärzte behandeln bereits erste PatientInnen mit adulten Stammzellen – Herzchirurg Gustav Steinhoff in Rostock, die Kardiologen Andreas Zeiher in Frankfurt und Bodo-Eckehard Strauer in Düsseldorf behandeln Herzinfarkte mit Stammzellen aus dem Knochenmark. 2003 Ein Team russischer Wissenschaftler um Wladimir Koslow behauptet therapeutisches Klonen bereits einzusetzen. 2003 Hans Schöler hat mit dem Versuch, Mäuse-Eizellen künstlich aus embryonalen Stammzellen zu produzieren, erstmals Erfolg. 2003 Die Londoner Internet Samenbank Man Not Included (MNI) kündigt an in Berlin und München Filialen zu eröffnen. 2002 – Mai

330

ANHANG

2003 – Nov.

Die Vereinten Nationen vertagen Entscheidung über weltweites Klonverbot um 2 Jahre, weil man sich mit 79 zu 80 Stimmen zwischen zwei Anträgen nicht entscheiden konnte. 2003 – 03.12. Der EU-Ministerrat hat in der hierfür angesetzten Sitzung keine Direktiven zur Stammzellforschung entscheiden können. Im November hatte zuvor das EU-Parlament für eine Förderung von Forschung an Stammzellen und Embryonen entschieden.

331

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

III.

Verteilung der Szenarien

Tabelle 1: Verteilung der Einzelfunde zu den Diskurssträngen sind nach Jahren erfasst. In den vertikalen Summenbildungen sind Doppelnennungen von Artikeln möglich. Mehrfache verschiedene Textstellen in selben Artikeln wurden für diese Tabelle als eins gezählt. 1995 3.2.1 Menschl. Wohl + Fortschritt sind eins 3.2.1 Genetisch glücklich und gesund 3.2.1 Gute Gene aus Verantwortung fürs Kind 3.2.1 Gute Gene aus Liebe zum teuren Kind 3.2.1 Kinderwunsch aus Liebe 3.2.1 Recht auf Gleichbehandlung der Liebe

1996

1997

1

Ȉ 3.2.1 1 bis 6: 3.2.2 Reproduktion als Menschenrecht 3.2.2 Befreiung von (eigener) Natur 3.2.2 Befreiung der Frau

2

2

1

1

1

1

1

1

1

2

1998 6

1999 6

Ȉ 3.2.2 3.2.3 Der Mensch als Tier 3.2.3 Liebe ist Chemie

2000 5

3

2

3

1

2

1

2

1

3

2

1999 6

2000 8

2 1995

1996 2

1997

1998 8

3

1

2

1995

1996

Ȉ 3.2.3: 3.2.4 Technologie macht sich selbst 3.2.4 Mächtige AnwenderInnen 3.2.4 Globalisierung

2003

1

Ȉ 3

1 1

7 6 3 5

2 1

2

1

7

2001 4

2002 6

2003 2

Ȉ 31

3

1

1

5

3

3

15 6 7

1

3 2001 6

2 1

2002

1

1

3.2.3 Macht / Diskriminierung 3.2.3 Natur macht Technik

2002 5

2003 1

Ȉ 36 4

1 2

7

2

4 12

2

1

2

3

2

3

1997 3

1998 2

1999 7

2000 6

2001 6

2002 4

2003

Ȉ 28

1

1

3

2

1

4

2

1

1

11

1

1

1

2

1

6

3

3

1

1

8

3.2.4 Zukunft

332

1

1

3.2.2 Gleichstellung gleichgeschl./Singles 3.2.2 Gleichstellung mit Reichen

2001

2 1

1997

2000 1

1

1996 2

1999

1

1

1995

Ȉ 3.2.4: Anzahl Artikel gesamt

1998

1995

1996

1997

1998 7

1999 6

2000 8

2001 5

2002 1

2003 3

Ȉ 22

0

1

3

5

6

7

5

8

3

38

ANHANG

Tabelle 2: Liste der untersuchten Veröffentlichungen in ihrer Verteilung auf die Diskursstränge nach Jahren gereiht. 3.2.1 Menschliches Wohl und Fortschritt sind Eins-Szenario: Stock 1998 Stock 2000a Green 2002

Gute Gene aus Liebe zum teuren KindSzenario: Djerassi 1996 Reich 1999 Stock 2000a

Genetisch glücklich und gesundSzenario: Solter 1998 Stock 1998 Stock 2000a Rosenthal 2001 Watson 2001 Green 2002 Diedrich 2003

Kinderwunsch aus Liebe (resultiert in Anspruch): Djerassi 1998 Green 1999 Djerassi 2000 Boisselier 2002 Djerassi 2002

Gute Gene aus Verantwortung fürs Kind-Szenario: Djerassi 1996 Stock 1998 Green 1999 Reich 1999 Stock 2000a Rosenthal 2001

Recht auf Gleichbehandlung der LiebeSzenario: Silver 1998 Dahl 1999 Green 1999 Antinori 2001 Antinori 2002 Hamer 2002 Katzorke 2003

3.2.2 Reproduktion als MenschenrechtSzenario: Antinori 2001 Rosenthal 2001 van der Ven 2001 Antinori 2002 Katzorke 2003

Befreiung der Frau-Szenario: Djerassi 1996 Djerassi 1998 Silver 1998 Djerassi 1999a Djerassi 2000 Reich 2000

Befreiung von (eigener) Natur-Szenario: Djerassi 1996 Djerassi 1998 Silver 1998 Stock 1998 Baker 1999 Djerassi 1999a Djerassi 2000 Reich 2000 Silver 2000 Rosenthal 2001 van Ven 2001 Ventre 2001

Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare/Singles-Szenario: Silver 1998 Dahl 1999 Djerassi 1999a Green 1999 Djerassi 2000 Reich 2000 Hamer 2002

Gleichstellung mit ‚Reichen‘-Szenario: Silver 1998

333

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG Antinori 2002 Djerassi 2002 Hamer 2002

Stock 1998 Silver 2000

3.2.3 Der Mensch als Tier-Szenario: Reich 1997 Reich 2000 Stock 2000b Hamer 2002

Macht und Diskriminierung als genetisch bedingt: Djerassi 1999a Reich 1999 Rosenthal 2001 Watson 2001

Liebe ist Chemie-Szenario: Silver 1998 Baker 1999 Djerassi 1999a Green 1999 Reich 2000 Antinori 2001 Watson 2001

Natur macht Technik-Szenario: Jäckle 1997 Reich 1997 Silver 1998 Djerassi 1999a Green 1999 Green 2000, Hueghes 2000 Stock 2000 Rosenthal 2001 Hamer 2002 Watson 2001 Hamer 2002 Wilmut 2002.

3.2.4 Technologie macht sich selbst-Szenario: Stock 1998 Djerassi 1999a Reich 2000 Reich 2000a Reich 2000b

Globalisierung setzt sich durch-Szenario: Silver 1998 Green 1999 Djerassi 2000 Rosenthal 2001 Wilmut 2001 Katzorke 2003

Mächtige AnwenderInnen: Silver 1998 Stock 1998 Green 1999 Djerassi 2000 Hughes 2000 Silver 2000 Stock 2000a Stock 2000b Antinori 2001 Rosenthal 2001 Djerassi 2002 Katzorke 2003

Expertenprophetie-Szenario: Djerassi 1998 Silver 1998 Stock 1998 Baker 1999 Djerassi 1999a Green 1999 Rosenthal 2001 Katzorke 2003

334

ANHANG

IV.

Quellen: Medienmaterial und ‚Expertenbücher‘ aus der Makroanalyse2

Abate, Tom (2001): Murky gene pool. Unexpected shallowness of map won‘t simplify developments of drugs. SF Chronicle, 13.02.2001 Assheuer, Thomas; Jessen, Jens (2002): Auf schiefer Ebene. Vor der Bundestagsdebatte: Ein Gespräch mit Jürgen Habermas über Gefahren der Gentechnik und neue Menschenbilder. Die Zeit 5, 2002. Bahnsen, Ullrich (2000): „Wir siegen auf jeden Fall“. In drei Jahren stieg eine Heidelberger Firma zum BeinaheGlobal-Player auf. Ihr Geschäft: Bioinformatik. Pharmakonzerne reißen sich um die Genomsoftware. Der Spiegel 15, S. 184-187. Bahnsen, Ulrich (2000): „Wunderbare Kräfte“. Mark Hughes hat ein Retortenbaby erzeugt – es soll einem kranken Bruder Knochenmark spenden. Die Zeit 39, Header: Bioethik [Interview]. Bahnsen, Ulrich (2000b): „Wunderbare Kräfte“. Mark Hughes hat ein Retortenbaby erzeugt – es soll einem kranken Bruder Knochenmark spenden. Die Zeit 39, Bahnsen, Ulrich (2001): Drei Eltern im Ei. Wie nach Jahren die „Genkinder“ zum zweiten Mal für Furore sorgen. Die Zeit 20. Baker, Robin (2000): Sex im 21. Jahrhundert: Der Urtrieb und die moderne Technik. München: Limes. Bartens, Werner (2003): Es schwingt der Genkode, es vibriert die DNA. Ihre Religion ist die Wissenschaft: Eine Begegnung der dritten Art mit deutschen Mitgliedern der ufogläubigen Klon-Sekte der Raelisten. Die Zeit 2. Bartholomäus, Ulrike (1998): Klonreport Teil I – Medizin aus dem Euter. Ein Jahr nach Dolly: Forscher klonen Nutztiere, pflanzen ihnen menschliche Gene ein und verwenden sie als Arzneiproduzenten. Focus 8, S. 129-133. Berndt, Christina (2000): Passender Handschuh. Warum schlagen Pillen so unterschiedlich an? Die Pharmaforscher werden neue Arzneien entwickeln – maßgeschneidert nach dem Erbgut dessen, der sie nimmt. Der Spiegel 15, S. 196198. Berndt, Christina (2002): Der Wunsch nach dem fehlenden Sinn. In den USA hat sich ein lesbisches, gehörloses Paar mittels Samenspende seine große Sehnsucht erfüllt: ebenfalls gehörlose Kinder. Süddeutsche Zeitung 93. Bethke, Philip; Lakotta, Beate; Traufetter, Gerald (2001): Tabubruch der Babymacher: Mit seiner Ankündigung, einen Menschen zu klonen, sorgt der italienische Frauenarzt Severino Antinori für Empörung. Im Spiegel-Gespräch gibt er erstmals seine genauen Pläne preis. Auch andere Mediziner träumen bereits von der Erschaffung eines Kunstmenschen. Der Spiegel 6, S. 204-205. Blech, Jörg; Lakotta, Beate; Noack Hans-Joachim (2002): Babys auf Rezept. Jedes 80. Kind in Deutschland kommt heute aus der Petrischale. Die einst verteufelte künstliche Fortpflanzung ist zum globalen Geschäft geworden. Und die „Retortenkinder“ gedeihen prächtig. Nur an einem scheitern die Babymacher bisher – die biologische Uhr der Frau zu stoppen. Der Spiegel 4, S. 70-80. Blech, Jörg; Traufetter, Gerald (2002): „Laborbabys werden mehr geliebt.“ Der Chemiker und Schriftsteller Carl Djerassi über den Erfolg der Anti-BabyPille, die Trennung von Sex und Fortpflanzung und die Zukunft des Kinderkriegens. Der Spiegel 4, S. 76-77.

2 An dieser Stelle findet lediglich jenes Material Eingang, das nicht nur bearbeitet, sondern auch im vorliegenden Text ausdrücklich zitiert wurde. 335

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Böhm, Andrea (2001): … Kindermacher. Wo ein Wille zum Baby ist, ist auch ein Weg. Amerika führt vor, was eugenische Raffinese ist. Elitestudentinnen als Eizellen-Verkäuferinnen, Tote als Samenspender – Reise durch die Fortpflanzungsfabriken Kaliforniens. Die Zeit 41. Böhm, Andrea/Berman, Nina (Fotos) (2003): Die Baby-Macher. Geo 8, S. 130-152. Bredow, Rafaela von (2003): Hellblau oder lieber Rosa? In Belgien können Eltern das Geschlecht ihres Kindes vorherbestimmen lassen – die erste Wunschtochter Europas ist bereits geboren. Der Spiegel 26, S. 132-133. Brettin, Michael (2003): Woran es liegt, wenn der Kindersegen ausbleibt. Geo 8, S. 153-155. Cibelli, Jose B.; Lanza, Robert P.; West, Michael D. (2002): Die ersten geklonten menschlichen Embryonen. Spektrum der Wissenschaft 1, S. 12-17. Der Spiegel (2001): „Das ist ein Riesengeschäft“ – Der Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe über Leihmütter, Embryonenadoption und die Motive der Babymacher. Der Spiegel 26, S. 210-211. Dickman, Steven; Volz, Wolfgang (Fotos) (1996): Menschen nach Maß? Rubriktitel „Embryonen-Selektion“. Geo 11, S. 46-64. Djerassi, Carl (1979): The politics of contraception. New York: Norton. Djerassi, Carl (2000a): Immaculate misconception. Sex in the age of mechanical reproduction. London: Imperial College Press. Djerassi, Carl (2003): ICSI. Sex im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. Weinheim: Deutscher Theaterverlag. Die Zeit (2001): Der neue Zeit-Kulturbrief. Die Zeit 1. Epping, Bernhard (2002): „‚Lieber gleich die ganze Wahrheit sagen.‘ Davor Solter, Direktor am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Pionier von Klontechniken, kommentiert die Arbeiten der Forscher bei Advanced Cell Technology.“ Spektrum der Wissenschaft 1, S. 22-23. Ermert, Monika (1997): Der übermächtige Wunsch nach Kindern. Netzwerk für Biomedizinische Ethik diskutiert Probleme der künstlichen Befruchtung. Süddeutsche Zeitung 18. Fischer, Ernst Peter (1996): Die Qual der Wahl. Genetische Tests bescheren mannigfache Informationen. Was aber anfangen damit? Geo 11, S. 180. Focus (1997a): Alptraum im Schafspelz. Focus 51, S. 132. Focus (1997b): „Lektion gelernt“. Focus 51, S. 132-133. Focus (1999): „‚Der Mensch wird seine Reproduktion bald voll steuern.‘ Der Biologe Robin Baker entwirft ein Szenario für den Sex der Zukunft: Babys nach Maß und häufiger Partnerwechsel werden 2100 zur Norm.“ Focus 22, S. 163. Focus (2000): „Klonen ist ein Schritt zur Erlösung.“ Focus 3, S. 14. Focus (2002): „Ich verstehe, wenn man ein Ungleichgewicht korrigieren will.“ Ein Arzt in Belgien lässt Paare das Geschlecht ihres Kindes wählen. Focus 38, S. 124. Fritz-Vannahme, Joachim (2002): Moral aus der Retorte. In Europa tobt der Streit um die Nutzung von Embryonen. Trotz aller Gegensätze entstehen in dieser Debatte Grundzüge einer gemeinsamen Ethik. Die Zeit 5: Geo (2002): Wunschkinder. Wie die künstliche Befruchtung zu einer weit verbreiteten Form der Fortpflanzung geworden ist – Statistische Daten zum Thema. Geo 4, S. 212. Geo (2003): Brauchen wir neue Gesetze für die Fortpflanzungs-Medizin? Die deutschen Vorschriften für die Retortenzeugung zählen zu den strengsten weltweit. Sie sind notwendig für den Schutz des keimenden Lebens, sagen die einen. Sie schränken die Therapiefreiheit unnötig ein, sagen die anderen. Geo 8, S. 149. 336

ANHANG

Green, Ronald M. (1999): Mein Kind ist mein Zwilling. Spektrum Spezial 4, S. 6265. Grolle, Johann (2000): Craig Venter – der Herr der Gene. Der Spiegel 15, S. 173182. Green, Ronald M. (2002): Die Ethik des Klonens. Ein Gremium von Ethikern, Juristen und Fortpflanzungsbiologen hat im Auftrag von Advanced Cell Technology die fünf wesentlichen moralischen Fragen durchleuchtet, die das therapeutische Klonen aufwirft. Spektrum der Wissenschaft 1, S. 17-24. Grolle, Johann; Lakotta, Beate (2001): Heerscharen auf Eis. Deutsche Reproduktionsmediziner fordern, Eizellspenden und das Einfrieren von Embryonen zu erlauben. So könnte es bald Zigtausende herrenlose Embryonen geben. Auch dafür haben die Ärzte schon ein Patentrezept: die Adoption. Der Spiegel 26, S. 208-211. Günther, Klaus (2000): Heiliges Erschauern. Über die Heraufkunft einer neuen Wissenschaftsreligion und ihre Gefahren. Die Zeit 27. Hamburger Morgenpost (2003): Ein Gen-Baby für Madonna. Schwangerschaft mit 44 Jahren: Die Spender-Eizelle stammt von einer jungen Frau. Hamburger Morgenpost 165, S. 29. Herper, Matthew (2001): Celera’s new deal: good news, bad news. In: Forbes, 07.10.2001. Jessen, Jens (2003): Ist uns ein Klonkindl geboren? Gentechnik auf schiefer Ebene. Die Zeit 2. Kahlweit, Cathrin (2000): Das Kürzel für die letzte Hoffnung. Hinter den Buchstaben IVF verbirgt sich nicht nur die künstliche Befruchtung, sondern auch die Qual von Paaren, deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Süddeutsche Zeitung 172. Keller, Christoph (2002): Ihr Kinderlein kommet. Dieser Tage soll das angeblich erste geklonte Kind auf die Welt kommen. Sein Schöpfer ist der italienische Gynäkologe Severino Antinori. Der Professor sieht sich als verkannter Wohltäter. Die Zeit 50. Kirbach, Roland; Spiewack, Martin (2004): Wenn die Eltern schwul sind. Homosexuelle Paare wünschen sich immer häufiger ein Kind. Aber der Wunsch ist schwer zu erfüllen: Wie kommen Lesben zu einem Samenspender? Und Schwule zu einer Mutter? Noch dazu, wenn die Gesetze sie benachteiligen und sie sich selber fragen, ob ihre Kinder mit den neuen Lebensentwürfen zurechtkommen. Die Zeit 2. Klein, Stefan (1998): ‚Heuchlerische Empörung‘. Professor David Solter über die Proteste gegen das Züchten menschlicher Stammzellen. Der Spiegel 48, S. 274-275. Koch, Klaus (1999): Ganz der Vater. Eine Methode der künstlichen Befruchtung lässt auch manche Nachkommen unfruchtbar werden. Süddeutsche Zeitung 158. Kohl, Christine (2002): Selbst ernannter Schöpfer. Der Reproduktionsmediziner Severino Antinori bezeichnet sich als gläubigen Katholiken und kann die Kritik an seinen Experimenten nicht verstehen. Süddeutsche Zeitung 275. Lakotta, Beate (2001): Kind in der Warteschleife. Der Bonner Frauenarzt Hans van der Ven über Lagerfristen für Eizellen, Mediziner als Karrierehelfer und das neue Problem „alte Mutter“. Der Spiegel 4, S. 186. Leicht, Robert (2001): Mein ist die Moral? Nein. Wider den Fundamentalismus in der Bioethik. Die Zeit 23. Lindner, Martin (1999): Belastendes Warten auf ein Kind. Ärzte raten häufig vorschnell zur künstlichen Befruchtung. Süddeutsche Zeitung 56. 337

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Lütkehaus, Ludger (2003): Philosophische Hilfestellungen (81. Folge): Eva II, mutmaßliches Klon-Baby. Die Zeit 3. Metzger, Dagmar (1996): „Nur Wunschkinder.“ Carl Djerassi, der Entdecker des Pillen-Hormons, fordert neue Verhütungsmittel. Focus 50, S. 135. Miltner, Frank; Sanides, Silvia (1998): Klonreport Teil II – Hoffnung und Horror. Weltweit setzen sich Forscher für das Klonen von Embryos ein – auch in Deutschland, wo diese Versuche verboten sind, Focus 8, S. 134-138. Müller-Jung, Joachim (2002): Klonen – ein Lotteriespiel mit dem Leben. Böse Überraschungen bei der Reprogrammierung der Gene – wenige Embryonen nehmen die erste Hürde. Frankfurter Allgemeine Zeitung 116. Neumann, Conny (2003): Sperma für die Heimwerkerin. Ein britisches Unternehmen will von Berlin und München aus deutsche Lesben mit Spendersamen versorgen – Union und Kirche laufen Sturm. Der Spiegel 29, S. 130. Nussbaum, Martha (2002): Schöne gute Welt. Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn einige ihrer Mitglieder gentechnisch optimiert werden – und andere nicht? Die Zeit 14. Petermann, Jürgen; Paul, Rainer (1998): „Gefährlicher als die Bombe“. SpiegelGespräch mit dem Molekularbiologen Lee Silver über das Clonen von Menschen und die genetische Zweiklassengesellschaft der Zukunft. Der Spiegel 29; S. 142-145. Rögener, Wiebke (1998): Der zweieiige Einling. Süddeutsche Zeitung, 23. Rose, Steven (2000): Darwins gefährliche Erben – Biologie jenseits der egoistischen Gene. München: Beck. Rubner, Jeanne (2001): „Wir sollten den Begriff der Gene einfach abschaffen.“ Warum denn das? Ganz einfach: So wichtig, wie alle denken, ist unser Erbmaterial nun auch wieder nicht. Ein Interview mit dem Molekularbiologen Steven Rose. Süddeutsche Zeitung 69. Sanides, Silvia (1998): Vor dem Tabu-Bruch. Focus 3, S. 196-197. Sanides, Silvia (2000): „Erstes Klon-Baby in fünf Jahren“. Der amerikanische Vordenker Gregory Stock prophezeit eine rasante genetische Fortentwicklung des Menschen. Focus 52; S. 123-125. Sparmann, Anke (2002): Die zweite Schöpfung. Geo 2, S. 62-80. Schröder, Gerhard (2000): Der neue Mensch. Die Woche 20.12.2000. Silver, Lee (1998a): Das geklonte Paradies. München: Droemersche Verlagsanstalt. Silver, Lee (2000): Eingriff in die Keimbahn. Der amerikanische Molekularbiologe Lee Silver über den Fortschritt der Gentechnik und die Zukunft der Menschheit. Der Spiegel 1, S. 146-147. Spiewack, Martin; Viciano, Astrid (2002): Wunschkind. Sie sind lesbisch, sie sind taub – und wollten Kinder, die nicht hören können. Ein tauber Samenspender machte es möglich. Der Fall wirft Fragen auf, was Eltern wünschen und dürfen und was Behinderung ist. Die Zeit 18. Spiewak, Martin (2002): Schwanger um jeden Preis. Im Ausland kaufen deutsche Paare Eizellen und lassen Embryonen testen. Fortpflanzungsouristen umgehen die strengen deutschen Gesetze. Die Zeit 20. Sticht, Christina (2002): Die Babymacher vom Venusberg. Fast jedes zehnte Paar in Deutschland bleibt ungewollt kinderlos – an der Universität Bonn wird eine neue Befruchtungs-Methode erprobt. Süddeutsche Zeitung 162 (16.07.2002). Stock, Gregory (1993): Metaman. The Merging of Humans and Machines into a Global Superorganism. New York: Simon/Schuster. Stock, Gregory (2000a): Der Geist aus der Flasche. Soll die Gesellschaft die Entwicklung zur Genmanipulation stoppen – oder haben die Kinder von morgen nicht sogar ein Recht auf verbesserte Gene? Der Biophysiker Gregory Stock 338

ANHANG

über eine Zukunft, in der der Mensch Herrscher über die Evolution sein wird. Der Spiegel 15, S. 190-192. Stock, Gregory (2000b): Engineering the human germline: An exploration of the science and ethics of altering the genes we pass to our children. Oxford: Oxford University Press. Stolze, Cornelia (2002): Die Tragik der „Wunderheilung“. Kaum hat die Gentherapie erste Erfolge zu verzeichnen, zeigen sich ihre Risiken. Zwei Kinder sind an Leukämie erkrankt. Die Zeit. 5. Süddeutsche Zeitung (1998a): US-Forscher will Menschen klonen. [Übertitel: „Erster Schritt, wie Gott zu werden“]. Süddeutsche Zeitung 5 (08.01.1998). Ebenso in: Süddeutsche Zeitung (1998): Clinton will Klonen von Menschen verbieten. Süddeutsche Zeitung 6. Süddeutsche Zeitung (1998b): Clinton will Klonen von Menschen verbieten. Süddeutsche Zeitung 6. Süddeutsche Zeitung (2000): „Auf Heilversprechen lasse ich mich nicht ein.“ Weltweit bemüht man sich nach den Worten von Ernst-Ludwig Winnacker um ethisch weniger problematische Alternativen zum Klonen. Süddeutsche Zeitung 189. Trautfetter, Gerald; Wüst, Christian (2001): „‚Menschenrecht auf Kinder‘. Fortpflanzungsmediziner Severino Antinori über seine umstrittenen Klonexperimente mit kinderlosen Paaren.“ Der Spiegel 6, S. 206-208. van den Daele, Wolfgang (2002): Zeugung auf Probe. Die nächste Bioethikdebatte: Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist Selektion, aber sie führt nicht zur Diskriminierung Behinderter. Die ZeiT 48. Viciano Gofferje, Astrid (2003): Babys auf Bestellung. In den Fortpflanzungskliniken herrscht Eizellenmangel. Die Grenzen zwischen Medizin und Handel verwischen. Focus 36, S. 75-78. Watson, James (2001a): Genes, Girls and Gamow – after the Double Helix. New York: Alfred A. Knopf. Wormer, Holger (1997): Ein Ersatzteillager namens Klon. Süddeutsche Zeitung 232. Wormer, Holger (2000): Fortpflanzung per Gesetz. Süddeutsche Zeitung 122. Wormer, Holger (2001): „Ein Mensch ist mehr als die Summe seiner Gene.“ Zur Lage der Reproduktionsmedizin: Ein Gespräch mit dem Münchner Molekularbiologen Eckhard Wolf. Süddeutsche Zeitung 57, 16. Zielke, Anne (2001): „... Entschuldigung, Dr. Venter.“ Süddeutsche Zeitung 69.

339

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

V.

Quellen: Material der Mikroanalyse3

Antinori, Severino (2001) in: Trautfetter, Gerald; Wüst, Christian (2001): „‚Menschenrecht auf Kinder‘. Fortpflanzungsmediziner Severino Antinori über seine umstrittenen Klonexperimente mit kinderlosen Paaren.“ Der Spiegel 6, 2001, 206-208. Header: Wissenschaft und Technik (Spiegel-Gespräch).* Antinori, Severino (2002) in: Keller, Christoph (2002): „Ihr Kinderlein kommet. Dieser Tage soll das angeblich erste geklonte Kind auf die Welt kommen. Sein Schöpfer ist der italienische Gynäkologe Severino Antinori. Der Professor sieht sich als verkannter Wohltäter.“ Zeit 50 [Interviewfragmente in Text]. Baker, Robin (1999) in: Focus (1999): „‚Der Mensch wird seine Reproduktion bald voll steuern.‘ Der Biologe Robin Baker entwirft ein Szenario für den Sex der Zukunft: Babys nach Maß und häufiger Partnerwechsel werden 2100 zur Norm.“ Focus 22; S. 163 [Interview].* Boisselier, Brigitte (2000) in: Focus (2000): „‚Klonen ist ein Schritt zur Erlösung.‘“ Focus 3, S. 14 [Interview mit Brigitte Boisselier]. Comhaire, Frank (2002) in: Focus (2002): „‚Ich verstehe, wenn man ein Ungleichgewicht korrigieren will.‘ Ein Arzt in Belgien lässt Paare das Geschlecht ihres Kindes wählen.“ Focus 38, S. 124 [Interview mit Frank Comhaire].* Dahl, Edgar (1999) in: Dahl, Edgar (1999): Sollten lesbische Paare Zugang zur künststlichen Befruchtung haben? Ethica 7, S. 307-313 [Essay]. Diedrich, Klaus (2003) in: Schubert, Frank (2003): „‚Die Mehrlinge sind das größte Problem‘ – Klaus Diedrich nimmt Stellung zur deutschen Reproduktionsmedizin und den Gefahren, die aus der künstlichen Befruchtung für das Kind erwachsen.“ Spektrum der Wissenschaft (Dez.) 12, S. 42 [Interview].* Djerassi, Carl (1996) in: Metzger, Dagmar (1996): „‚Nur Wunschkinder. Carl Djerassi, der Entdecker des Pillen-Hormons, fordert neue Verhütungsmittel.“ Focus 50, S. 135. Header: Forschung und Technik [Interview]. Djerassi, Carl (1998) in: Neffe, Jürgen (1998): „‚Ich will meine Gefühle pur‘. Der Chemiker Carl Djerassi über die Potenzpille Viagra, die Zukunft von Sex und Fortpflanzung und seine Romane aus der Welt der Wissenschaft.“ Der Spiegel 24, S. 182-184. Header: Wissenschaft und Technik (Biotechnik); Wissenschaft (Spiegel-Gespräch) [Interview]. Djerassi, Carl (1999a) in: Djerassi, Carl (1999): Der entmachtete Mann. EMMA 5, S. 50-51 [Essay].* Djerassi, Carl (1999b) in: Djerassi, Carl (1999): „Der entmachtete Mann. Die Reproduktionsmedizin macht Frauen unabhängiger vom starken Geschlecht. Ein Essay über Sex im Zeitalter der technisierten Fortpflanzung.“ Die Zeit 27, [Essay]. Djerassi, Carl (2000b) in: Thimm, Katja; Traufetter, Gerald (2000): „‚Küss die Hand, gnädiges Ei‘. Weltweit wurden schon mehr als 300 000 Retortenkinder geboren. Dass künstliche Befruchtung künftig zur Regel wird, prophezeit Carl Djerassi, der Erfinder der Antibabypille: Frauen könnten in Zukunft das Kinderkriegen auf die Zeit nach der Karriere verschieben.“ Der Spiegel 48, S. 210-212. Header: Titel. Fortpflanzung [Interview].* Djerassi, Carl (2002) in: Blech, Jörg; Traufetter, Gerald (2002): „‚Laborbabys werden mehr geliebt‘. Der Chemiker und Schriftsteller Carl Djerassi über den Er3 Handlungsschemata und Metaphern waren expliziter Gegenstand der Feinanalyse. Hierzu sind aus dieser Liste 20 maßgebliche Artikel ausgewählt worden (hier mit * markiert; vgl. 1.2 und 3.1). 340

ANHANG

folg der Anti-Baby-Pille, die Trennung von Sex und Fortpflanzung und die Zukunft des Kinderkriegens.“ Der Spiegel 4, S. 76-77. Header: Titel [Interview]. Green, Ronald M. (1999) in: Green, Ronald M. (1999): Mein Kind ist mein Zwilling. Spektrum Spezial 4, S. 62-65. Header: Retortenkinder nach Maß [Essay].* Green, Ronald M. (2002) in: Green, Ronald M. (2002): „Die Ethik des Klonens. Ein Gremium von Ethikern, Juristen und Fortpflanzungsbiologen hat im Auftrag von Advanced Cell Technology die fünf wesentlichen moralischen Fragen durchleuchtet, die das therapeutische Klonen aufwirft.“ Spektrum der Wissenschaft 1, S. 17-24. Header: Aktuell – Spezial – Bioethik [Essay].* Hamer, Dean (2002) in: Hamer, Dean (2002): „Das Wunschkind aus dem Genbaukasten. Noch weiß niemand genau, welche praktischen Perspektiven die Genetik des Verhaltens eröffnen wird. Doch ein provokanter Blick in die ferne Zukunft ist erlaubt. Ein fiktives Paar spielt Babybauen im Jahr 2250.“ Header: Reproduktion. Spektrum der Wissenschaft 4, Dossier: Gene, Klone, Fortpflanzung, S. 24-29. Header: Zeugung und Verhütung [Essay].* Hughes, Mark (2000) in: Bahnsen, Ulrich (2000a): „Wunderbare Kräfte“. Mark Hughes hat ein Retortenbaby erzeugt – es soll einem kranken Bruder Knochenmark spenden. Die Zeit 39, Header: Bioethik [Interview].* Jäckle, Herbert (1997) in: Focus (1997): „Lektion gelernt“. Focus 51, S. 132-133 [Interview mit Herbert Jäckle]. Katzorke, Thomas (2003) in: Paetsch, Martin (2003): Brauchen wir neue Gesetze für die Fortpflanzungs-Medizin? Die deutschen Vorschriften für die Retortenzeugung zählen zu den strengsten weltweit. Sie sind notwendig für den Schutz des keimenden Lebens, sagen die einen. Sie schränken die Therapiefreiheit unnötig ein, sagen die anderen. Geo 8, S. 149 [Interview mit Thomas Katzorke].* Reich, Jens (1997) in: Reich, Jens (1997): Die Natur klont alle Tage – aber der Mensch darf das nicht. Dem Menschen sind enge Grenzen beim Eingriff in das Erbgut zu setzen. Die Zeit 11, [Essay]. Reich, Jens (1999) in: Süddeutsche Zeitung (1999): Gentherapie gegen individuelles Leid. Jens Reich über die Möglichkeiten und die Grenzen medizinischer Behandlungen, die in das Erbgut eingreifen. Süddeutsche Zeitung 212, V2/7, 14.7.1999. Header: Umwelt, Wissenschaft, Technik. Reich, Jens (2000) in: Reich, Jens (2000): Erotik in der Cyberwelt. Läßt sich das sexuelle Vergnügen steigern? Kommt Genetic Engineering groß in Mode? Der Berliner Molekularbiologe Jens Reich über die Möglichkeiten, mit technischen Hilfsmitteln die menschliche Fortpflanzung immer weiter vom traditionellen Zeugungsakt zu entkoppeln. Der Spiegel 48, S. 204-206. Header: Titel [Essay].* Rosenthal, André (2001) in: Rosenthal, André (2001): Molekulare Medizin – Möglichkeiten und Grenzen. Moderne reproduktionsmedizinische Verfahren und die Entzifferung des menschlichen Bauplans bergen neue Chancen für die Diagnostik und Therapie komplexer Erkrankungen – und neue Risiken. Spektrum der Wissenschaft 9, S. 84-93. Header: Forschung und Gesellschaft [Essay].* Silver, Lee (1998b) in: Petermann, Jürgen; Paul, Rainer (1998): „Gefährlicher als die Bombe“. Der Spiegel-Gespräch mit dem Molekularbiologen Lee Silver über das Clonen von Menschen und die genetische Zweiklassengesellschaft der Zukunft. Header: Wissenschaft (Gentechnik). Der Spiegel 29, S. 142-145. Header: Wissenschaft und Technik (Biotechnik).* 341

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

Silver, Lee (2000) in: Silver, Lee (2000): „Eingriff in die Keimbahn. Der amerikanische Molekularbiologe Lee Silver über den Fortschritt der Gentechnik und die Zukunft der Menschheit.“ Der Spiegel 1, S. 146-147. Header: Wissenschaft und Technik (Biotechnik), [Essay].* Solter, Davor (1998) in: Klein, Stefan (1998): „‚Heuchlerische Empörung‘. Professor David Solter über die Proteste gegen das Züchten menschlicher Stammzellen.“ Der Spiegel 48, S. 274-275. Header: Wissenschaft [Interview]. Solter, Davor (2002) in: Epping, Bernhard (2002): „‚Lieber gleich die ganze Wahrheit sagen.‘ Davor Solter, Direktor am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Pionier von Klontechniken, kommentiert die Arbeiten der Forscher bei Advanced Cell Technology.“ Spektrum der Wissenschaft 1, S. 22-23. Header: Aktuell – Spezial [Interview].* Stock, Gregory (1998) in: Süddeutsche Zeitung (1998): „Klon der Angst. Der Segen der Gen-Technik – Ein Gespräch mit dem Wissenschaftler Gregory Stock.“ Süddeutsche Zeitung 11.4.1998.* Stock, Gregory (2000a) in: Stock, Gregory (2000): „Der Geist aus der Flasche. Soll die Gesellschaft die Entwicklung zur Genmanipulation stoppen – oder haben die Kinder von morgen nicht sogar ein Recht auf verbesserte Gene? Der Biophysiker Gregory Stock über eine Zukunft, in der der Mensch Herrscher über die Evolution sein wird.“ Der Spiegel 15, S. 190-192. Header: Serie: Die Welt im 21. Jahrhundert. 1. Medizin von morgen, 1.1 Das entschlüsselte Genom – neue Waffen gegen die Krankheit [Essay].* Stock, Gregory (2000c) in: Sanides, Silvia (2000): „Erstes Klon-Baby in fünf Jahren“. Der amerikanische Vordenker Gregory Stock prophezeit eine rasante genetische Fortentwicklung des Menschen. Focus 52, S. 123-125 [Interview].* van der Ven, Hans (2001) in: Lakotta, Beate (2001): Kind in der Warteschleife. Der Bonner Frauenartzt Hans van der Ven über Lagerfristen für Eizellen, Mediziner als Karrierehelfer und das neue Problem „alte Mutter“. Der Spiegel 4, S. 186. Header: Wissenschaft und Technik. Medizin [Interview]. Venter, Craig (2001) in: Süddeutsche Zeitung: „… Entschuldigung, Dr. Venter.“ Süddeutsche Zeitung 69, S. 46. Header: Magazin [Interview]. Watson, James D. (2001b) in: Süddeutsche Zeitung: „Ich suchte eine Freundin. Doch was er fand, war die Struktur der Gene. Ein Gespräch mit James D. Watson, dem Albert Einstein der Biologie.“ Süddeutsche Zeitung 125, S. 28, Header: Magazin. Wilmut, Ian (1997) in: Der Spiegel (1997): „Die Angst ist berechtigt.“ Interview mit dem Embryologen Ian Wilmut über das Klon-Schaf „Dolly“ und die Zukunft seines Verfahrens. Der Spiegel 10, S. 220. Header: Titel [Interview].* Wilmut, Ian (2001) in: Bahnsen, Ulrich (2001): „Das ist ein Traum, ein Albtraum“. Der britische Klonforscher Ian Wilmut, Vater von Dolly, hofft auf die Forschung an Embryonen und warnt vor geklonten Menschen. Die Zeit 11, Header: Reproduktionsmedizin [Interview]. Wilmut, Ian (2002) in: Wilmut, Ian (2002): „Klonen für medizinische Zwecke.“ Spektrum der Wissenschaften Dossier Gene, Klone, Fortpflanzung 4, Header: Reproduktion [Essay]. Wilmut, Ian (2003) in: Thielicke, Robert (2003): Lotterie am Lebensbeginn. Pünktlich zur deutschen Debatte provoziert Dolly-Schöpfer Ian Wilmut mit Thesen zur Klonforschung. Focus 10.11. 42, S. 130-131 [Interview]. Yanamigachi, Ryozo (1998) in: Bahnsen, Ulrich (1998): „Bleibt beim Sex“. Ryozo Yanagimachi will keine Menschen klonen, aber künstliche Organe produzieren. Focus 32, S. 114 [Interview]. 342

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1 Bei jenen Literaturangaben, bei denen es im textlichen Zusammenhang relevant schien, ist das Jahr der Erstherausgabe angefügt. 343

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

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Danksagung

Mit dieser Arbeit hatte ich das große Glück, stets und an international verschiedenen Orten auf offene Türen, beste Infrastruktur und freundlichste Einbettung zählen zu können: Meine Erstbetreuerin, Prof. Petra Kolip, bot umstandlos den institutionellen Hintergrund von Anfang an. Über ihre Unterstützung des Projekts und all meiner internationalen Ausflüge, ihre durchgehend kompetente und ansteckend pragmatisch-zielgerichtete Betreuung bin ich sehr dankbar. Des Weiteren Prof. Bettina Wahrig als Betreuerin zu gewinnen, bedeutete herzlichen Spaß an metaphorischer Assoziation, reichhaltiger historischer Inspiration, praktischer Unterstützung und anregender Kolloquien, für die ich mich bedanke. Das grundlegende Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung verdanke ich den damaligen Stipendiatinnen Dr. Esther Burkert für den nachdrücklichen Tip, sowie dem politischen Engagement von Franziska Bruder und Inken Grell im damaligen Auswahlausschuss. Danke. Für wundervolle gemeinsame Jahre in unserem Büro im Zentrum für feministische Studien in Bremen bin ich an dieser Stelle froh, Adrian de Silva danken zu können, sowie Dr. Konstanze Plett LL.M. für ein offenes Arbeitsklima. Die Projektgruppe Queer Studies, die ProFeTiN (speziell Corinna Bath, Dr. Jutta Weber, Dr. Angelika Saupe und Dr. Yvonne Bauer) und das Kolloquium Gender in Health waren mir während des Entstehens dieser Arbeit wertvolle Horte solidarischer Freundschaft, lebendiger Debatten sowie Quellen der Inspiration. Auch meinem supervisor an der Science and Technology Studies Unit (SATSU) in York (GB), Prof. Andrew Webster, sei Dank für seinen unkomplizierten Idealismus, bewundernswerte Didaktik, kompetente Anregung und Unterstützung. Meine Zeit dort als Marie Curie Fellow hatte ich das Glück mit den erfrischend offenen und ehrlichen KollegInnen Kadri Simm, PhD. und Sakari Tamminem zu teilen, denen ich für wunderbare Erinnerungen 367

GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

danke. Prof. Adele Clarke gilt mein herzlicher Dank für ihre spontane Unterstützung meines Besuchs an der University of California in San Francisco, für interessante Gespräche und Networking. In Graz am Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society danke ich allen KollegInnen, speziell Prof. Christine Wächter, Dr. Günter Getzinger und Dr. Bernhard Wieser und meinen Co-fellows (insbesondere Dr. Ericka Johnson, Michelle McGowan und Svetlana Paunova) für eine ungemein engagierte und entspannte Atmosphäre, die den Abschluss der Arbeit erleichterte. Dr. Nadja Grbic, die mir Zimmer und freundliches Zu Hause bot, danke ich ebenso für unschätzbare akademische wie auch touristische Hinweise. Besonderer Dank gilt meinem interdisziplinären Korrekturteam, das mir entscheidende ‚letzte Hilfe‘ gab: Dies sind vor allem Dr. Angelika Saupe, die meinen Werdegang schon so lange freundschaftlich begleitet und deren liebenswürdige Art der Kritik mir ungemein wertvoll ist, sowie Ute Müller und Niels Dresing. Meinen Dank richte ich auch an meine Eltern Regina und Ernst sowie meinen Bruder Christoph für die Möglichkeit, einen kritischen Geist zu entwickeln. Ich danke Therese Joensson für ihren Mut und Ulrike Bendrat für ihre liebevolle Freundschaft.

Graz/Bremen 2006

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Acknowledgements

Throughout this thesis I have been lucky to always meet open doors, have access to best academic infrastructure, and to be embedded in very friendly environments: My main supervisor, Prof. Petra Kolip, promptly offered an institutional home from the very beginning. I am very grateful for her support of the project and all of my international excursions, and her continual competent supervision with an infectiual pragmatic approach. Also to work with Prof. Bettina Wahrig as supervisor meant a cheerful joy with metaphorical associations, rich historical inspiration, practical support and exciting collquia for all of which I am grateful. My receipt of a fellowship by the Hans-Böckler-Foundation was due to the former fellows Dr. Esther Burkert, who encouraged me to apply, and Franziska Bruder and Inken Grell in the selection committee. Thank you. I am also happy to have the opportunity to thank Adrian de Silva for wonderful years shared in our office at the Centre for Feminist Studies in Bremen, and Dr. Konstanze Plett LL.M. for an atmosphere of openness. The Project Group Queer Studies, the ProFeTiN (especially Corinna Bath, Dr. Jutta Weber, Dr. Angelika Saupe and Dr. Yvonne Bauer) as well as the colloquium Gender in Health were a valuable source of solidarity, friendship, lively debates and inspiration throughout my work on this thesis. I also thank my supervisor Prof. Andrew Webster at the Science and Technology Studies Unit (SATSU) in York for his down-to-earth idealism, admirable didactics, theoretically inspirational discussiones and great support. I was lucky to share my time there as a Marie Curie fellow with the marvellously open and honest colleagues Dr. Kadri Simm and Sakari Tamminem, both of whom I thank for wonderful memories. I also offer my sincere gratitude to Prof. Adele Clarke, for her spontaneous support of my visit at the University of California in San Francisco, for interesting discussions and for her

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GENETISIERUNG DER ZEUGUNG

networking. I am glad to thank all the colleagues in Graz at the Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society (especially Prof. Christine Wächter, Dr. Günter Getzinger, Dr. Bernhard Wieser) and my cofellows (particularly Dr. Ericka Johnson, Michelle McGowan and Svetlana Paunova) for an exquisitely committed, critical and relaxed atmosphere which helped finishing the project. To Dr. Nadja Grbic, who offered me space and a friendly home, I extend my gratitude for priceless academic and local knowledge. My special thanks go to my interdisciplinary team for thesis-revision, which offered ‚final aid‘. Above all Dr. Angelika Saupe, who has accompanied my academic work for such a long time already and whose kind ways of critiquing my ideas and long sentences has been invaluable to me; and Ute Müller and my Niels Dresing. I also extend my thanks to my parents Regina and Ernst and my brother Christoph for fostering critical thinking. I thank Therese Joensson for her courage and Ulrike Bendrat for her affectionate friendship.

Graz/Bremen 2006

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»Körper« bei transcript Petra Eisele, Elke Gaugele (Hg.) TechnoNaturen Zur Verschränkung von Design, Körper und Technologie

Claudia C. Ebner Kleidung verändert Mode im Zeichen der Cultural Studies

April 2007, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-451-5

März 2007, ca. 240 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-618-2

Anne Waldschmidt, Werner Schneider (Hg.) Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld

Gabriele Brandstetter, Gabriele Klein (Hg.) Methoden der Tanzwissenschaft Modellanalysen zu Pina Bauschs »Sacre du Printemps«

April 2007, ca. 260 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-486-7

Franz Bockrath, Bernhard Boschert, Elk Franke (Hg.) Körperliche Erkenntnis Formen reflexiver Erfahrung April 2007, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-227-6

Markus Dederich Körper, Kultur und Behinderung Eine Einführung in die Disability Studies April 2007, ca. 180 Seiten, kart., ca. 17,80 €, ISBN: 978-3-89942-641-0

Sabine Sörgel Dancing Postcolonialism The National Dance Theatre Company of Jamaica März 2007, ca. 200 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-642-7

Februar 2007, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-558-1

Evelyn Lu Yen Roloff Die SARS-Krise in Hongkong Zur Regierung von Sicherheit in der Global City Februar 2007, ca. 160 Seiten, kart., ca. 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-612-0

Patrick S. Föhl, Stefanie Erdrich, Hartmut John, Karin Maaß (Hg.) Das barrierefreie Museum Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch Februar 2007, ca. 450 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-576-5

Bettina Bock von Wülfingen Genetisierung der Zeugung Eine Diskurs- und Metaphernanalyse reproduktionsgenetischer Zukünfte Februar 2007, 368 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-579-6

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

»Körper« bei transcript Yvonne Volkart Fluide Subjekte Anpassung und Widerspenstigkeit in der Medienkunst 2006, 302 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-585-7

Robert Gugutzer (Hg.) body turn Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports 2006, 370 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 978-3-89942-470-6

Antje Krause-Wahl, Heike Oehlschlägel, Serjoscha Wiemer (Hg.) Affekte Analysen ästhetischmedialer Prozesse. 2006, 196 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-459-1

Karl-Heinrich Bette, Uwe Schimank Die Dopingfalle Soziologische Betrachtungen 2006, 276 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-537-6

Gerald Siegmund Abwesenheit Eine performative Ästhetik des Tanzes. William Forsythe, Jérôme Bel, Xavier Le Roy, Meg Stuart 2006, 504 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-478-2

Antje Stache (Hg.) Das Harte und das Weiche Körper – Erfahrung – Konstruktion 2006, 208 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-428-7

Johann S. Ach, Arnd Pollmann (Hg.) no body is perfect Baumaßnahmen am menschlichen Körper. Bioethische und ästhetische Aufrisse 2006, 358 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-427-0

Stefanie Richter Essstörung Eine fallrekonstruktive Studie anhand erzählter Lebensgeschichten betroffener Frauen 2006, 496 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-464-5

Christa Brüstle, Nadia Ghattas, Clemens Risi, Sabine Schouten (Hg.) Aus dem Takt Rhythmus in Kunst, Kultur und Natur 2005, 342 Seiten, kart., mit DVD, 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-292-4

Gabriele Alex, Sabine Klocke-Daffa (Hg.) Sex and the Body Ethnologische Perspektiven zu Sexualität, Körper und Geschlecht 2005, 156 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN: 978-3-89942-282-5

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

»Körper« bei transcript Heike Hartung (Hg.) Alter und Geschlecht Repräsentationen, Geschichten und Theorien des Alter(n)s 2005, 286 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-349-5

Claudia Franziska Bruner KörperSpuren Zur Dekonstruktion von Körper und Behinderung in biografischen Erzählungen von Frauen 2005, 314 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-298-6

Marcus Termeer Verkörperungen des Waldes Eine Körper-, Geschlechterund Herrschaftsgeschichte 2005, 644 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-388-4

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de