Generation Y: Wie eine kreative Generation heute Grenzen verschiebt
 9783110481617, 9783110479553

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Referate
Face to Face (Theatrale Installation)
Laudatio
Eröffnung der Globart Academy
Why? Why? Y!
Die Klugheit der Vielen
Schadet Bloggen der Karriere?
Flüchtlinge Willkommen Österreich
Sozialer Wandel und Die Generation Y
„Vertrauen“ – Die Währung der Zukunft?
Etwas Unternehmen - Wie Innovation Gelingt
Hochschulbildung für Flüchtlinge Wie Man Das Bildungssystem Hackt und Die Bildungsinstitution Der Zukunft Baut
Redefining Meat
Die Zukunft der Arbeit Zwischen Digitalisierung und Generation Y
Wer Wagt, Bewegt Sich - Von Der Innovation Als Lebensart
Genese und Gerede Zur Generation Y und Z Provokationen, Paradoxien und Positive Intergenerative Energien
Ausstellung
„Ich Male Keine Körper“. Thean Chie Chan Im Museumkrems
Referentinnen & Referenten
Impressum

Citation preview

GENERATION Y

GENERATION Y Wie eine kreative Generation heute Grenzen verschiebt GLOBART (Hg.)

VORWORT

Die Welt steht an der Schwelle zu großen Veränderungen und wir verwirrt davor. Jetzt ist es wichtiger denn je, dass auch junge Menschen politisch werden. „Wir sind diejenigen, die ohne Angst einfach hingehen und machen. Wir sind diejenigen, die verstehen, dass Regeln veränderbar sind. Wir kommen direkt aus dem Leben, sehen die Welt um uns herum und beginnen, Fragen zu stellen: Warum ist das so?“, schreibt Marina Weisband in ihrem Buch „Wir nennen es Politik“ als eine der Generation Y-Zugehörige. Marina Weisband war eine der vielen Vortragenden der GLOBART ACADEMY 2015 und gehört zur Generation Y, für die Glück wichtiger ist als Geld, für die Beruf und Familie zusammengehört, die Probleme nicht delegiert, sondern Lösungen sucht. Vertreter dieser Generation sind als Taktiker und Traumtänzer, Abenteurer und Angsthasen verschrien. Dabei sind sie die am besten ausgebildete Generation. „Wir sind nicht faul. Wir wollen arbeiten. Nur anders. Mehr im Einklang mit unseren Bedürfnissen. Wir suchen Sinn, Selbstverwirklichung und Zeit für Familie und Freunde“, so Kerstin Bund in ihrem Bestseller über die „um die Dreißigjährigen“. Diese Generation wollten wir im Rahmen der GLOBART ACADEMY besser kennenlernen und uns mit ihr austauschen. Sie hat viel zu sagen. Ihre Visionen, wie das Leben gelingen kann, wie wir kollektive Solidarität zeigen, sollen uns begeistern und Mut machen. Von ihrem Optimismus haben wir uns anstecken lassen. Es war eine Academy, die alle, die dabei sein konnten durch ihren Geist, die vielen Ideen und das Engagement unglaublich beflügelt hat. Lassen auch Sie sich inspirieren, holen Sie sich Ideen und stellen Sie, wie unsere Hoffnungsträger, die Welt auch mal auf den Kopf. Ein großes Danke an alle, die diese intensiven Tage mitgestaltet und die nun vorliegende Publikation aus der Denkwerkstatt für Zukunftsthemen ermöglicht haben!

Prof. Heidemarie Dobner Dr. Wilfried Stadler Generalsekretärin Präsident

INHALT REFERATE 9

FACE TO FACE Hans Hoffer

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ERÖFFNUNG DER GLOBART ACADEMY Herwig Kempinger

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WHY? WHY? Y! Yulian Ide

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DIE KLUGHEIT DER VIELEN Marina Weisband

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SCHADET BLOGGEN DER KARRIERE? Florian Freistetter

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FLÜCHTLINGE WILLKOMMEN ÖSTERREICH David Zistl

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SOZIALER WANDEL UND DIE GENERATION Y Elisabeth Hahnke

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VERTRAUEN – DIE WÄHRUNG DER ZUKUNFT? Philipp Harnoncourt

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ETWAS UNTERNEHMEN - WIE INNOVATION GELINGT Manfred Reichl

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HOCHSCHULBILDUNG FÜR FLÜCHTLINGE Markus Kreßler

53

REDEFINING MEAT Mark Post

58

DIE ZUKUNFT DER ARBEIT ZWISCHEN DIGITALISIERUNG UND GENERATION Y Max Neufeind

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WER WAGT, BEWEGT SICH - VON DER INNOVATION ALS LEBENSART André Heller im Gespräch mit Christine Lemke-Matwey

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GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z Stephan A. Jansen

AUSSTELLUNG 118

ICH MALE KEINE KÖRPER - THEAN CHIE CHAN IM MUSEUMKREMS Tobias G. Natter

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REFERENTINNEN & REFERENTEN

128 IMPRESSUM



FACE TO FACE (THEATRALE INSTALLATION) HANS HOFFER

VON ANGESICHT ZU ANGESICHT / ZWEI AUDITORIEN SIND EINANDER GEGENÜBERGESTELLT / MAN KÖNNTE AUCH SAGEN GEGENEINANDER GESTELLT / ODER AUCH EINANDER ZUGEWANDT / GETRENNT DURCH EINEN BÜHNENVORHANG / DIE ERWARTUNG WIRD ENTTÄUSCHT / DER VORHANG FÄLLT / EINE GENERATION BLICKT AUF DIE ANDERE / SPIEGEL IM SPIEGEL / EIN UNENDLICHER RAUM / SCHNITT / AUF EINER BEKANNTEN GRIECHISCHEN INSEL / NAHE DER TÜRKEI / UFERPROMENADE / SUNDOWNER / EITELKEITSPARADEN MUSIK ECT. / MENSCHENBILDER / MENSCHEN DIE UM IHR DASEIN RINGEN / WERDEN VON MENSCHEN BETRACHTET / DIE NICHT WISSEN / WAS SIE MIT IHREM DASEIN ANFANGEN SOLLEN / LEBENSTHEATER / ILLUSION-0 / FACE TO FACE / EXISTENZIELLE NOT / GELANGWEILTE FLANEURE / FLÜCHTLING UND TOURIST / ZWEI FORMEN DES REISENS DIE UNTERSCHIEDLICHER NICHT SEIN KÖNNTEN / JEDER WEISS VOM ANDEREN / DANK DER ZEITGLEICHEN OMNIPRÄSENZ DER MEDIEN / JEDER ERKENNT DIE SITUATION DES ANDEREN / AUGE IN AUGE ERBARMUNGSLOS / OHNE KONSEQUENZ / SCHNITT / VON ANGESICHT ZU ANGESICHT / DIE ERSTE WELT / DIE DRITTE WELT / DIE WELT DER FRAU / DIE WELT DES MANNES / DIE WELT DER JUNGEN / DIE WELT DER ALTEN / DIE WELT DES GELDES / DIE WELT DER SCHÖNEN / DIE WELT DER ARMEN / DIE WELT DER REICHEN / DIE WELT DER JUDEN / DIE WELT DER CHRISTEN / DIE WELT DES ISLAM / USW... ICH DENKE / ES IST KEIN GEHEIMNIS / WIR HABEN NUR DIESE / DIESE EINE, EINZIGARTIGE WELT ZUR VERFÜGUNG / FÜR ALLE / UND ALLES, WAS WIR HABEN / IST / DIESE EINE, EINZIGARTIGE WELT / DAS OFTMALS VERZWEIFELTE RINGEN UM DIE ALLZU GÜNSTIGSTEN POSITIONEN AUF DIESEM LEBENSSPIELFELD / ZWISCHEN EINZELNEN MENSCHEN / ÜBER SOZIALE GRUPPIERUNGEN / BIS HIN ZU RELIGIONEN UND STAATEN / IST WESENTLICHER TEIL UNSERER DASEINSBEWÄLTIGUNG / DAS RICHTIGE MASS IM AUGE ZU BEHALTEN UND NICHT ZU LASTEN DER ANDEREN ZU ÜBERSCHREITEN / DIE WAHRNEHMUNG FÜR DAS STÄNDIGE BEMÜHEN DER ANDEREN ZU SCHÄRFEN / UND DAS JEWEILS ANDERE IN UNS SELBST ZU ERKENNEN / IST UNERLÄSSLICH / IST DAS

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FACE TO FACE

WICHTIGSTE GESETZ UNSERES ZUSAMMENLEBENS / NICHT ICH UND DIE ANDEREN / NICHT ICH UND ICH / SONDERN ICH IM ANDEREN UND DIE ANDEREN IN MIR / VON ANGESICHT ZU ANGESICHT / MIT DER GESCHICHTE / VON UNSEREN EIGENEN KLEINEN UND DEN GROSSEN EREIGNISSEN DER WELTGESCHICHTE / UND DEREN MEDIALEM ECHO / WIRD OFT IM EINEN WIE IM ANDEREN FALLE ALS ÜBERFORDERUNG VERSTANDEN / DIESES VIS-À-VIS BEINHALTET JEDOCH IMMER DIE AUFFORDERUNG ZUM LERNEN / JA “LERNEN“ WIR GESCHICHTE, UM AUS UNSERER GESCHICHTE ZU LERNEN / WAS WÄRE AMERIKA OHNE DIE GROSSE EINWANDERUNGSBEWEGUNG AUS DEM DAMALS GEPEINIGTEN UND NOTLEIDENDEN EUROPA / NOMADEN WIR / GESTERN UND MORGEN / VÖLKERWANDERZEIT / UNENDLICH MOTIVIERTE FLÜCHTENDE VON HEUTE WERDEN MIT LEIDENSCHAFTLICHER KREATIVITÄT DAS ZUKÜNFTIGE BILD PRÄGEN / OLD EUROPE / WILLKOMMEN AN BORD / DIE MÜDE GALEERE / SIE MACHT WIEDER FAHRT / HART AM WIND / IN EINE UNBESTIMMTE ZUKUNFT / FACE TO FACE / ICH UND DIE NATUR / EIN DRINGENDER VERWEIS / WIR/ WIR / DIE WIR DEMSELBEN WERDEN UND VERGEHEN AUSGESETZT SIND / WIR / DIE WIR UNS UNZWEIFELHAFT ALS TEIL DER NATUR BEGREIFEN MÜSSEN / WIR / WIR SIND BRÜDER UND SCHWESTERN / DER BÄUME / AUCH WENN DIESE UNS UM EIN VIELFACHES ÜBERLEBEN KÖNNEN / EWIGES / WERDEN UND VERGEHEN / STAUB / ERDE / WIR / ANGESICHTS DER GRÖSSTEN DEMÜTIGUNG DIE UNS AUFERLEGT WIRD / DEM EIGENEN STERBEN UND DEM UNAUSWEICHLICHEN EIGENEN TOD / RELATIVIEREN MANCH MONSTRÖSE LEBENSTRÄUME/ DAS LEBEN / EIN MATCHBALL / BALANCE MIT HOHEM RISIKO / LEBEN/ LEBEN / VERLETZLICH UND KOSTBAR / LEBEN UND TOD / BEHUTSAMDASEIN / FACE TO FACE / ICH UND DU / WIR UND DIE ANDEREN / FÜR DIE WIR DIE ANDEREN SEIN MÖGEN / FACE TO FACE / WIR UND GOTT / GOTT DER TEILCHEN / GOTT UND DIE WELT / DIE EINE / DIE UNS ALLEN GEHÖRT / SELTSAMES RAUMSCHIFF / DAS UNS DURCH DEN KOSMOS TRÄGT / WOLKENGLEICH / FACE TO FACE / BETRACHTEN WIR ES / MIT RUHIGEM NEUGIERIGEM BLICK UNSER GEGENÜBER / OHNE DIE ERWARTUNG, DASS ES UNS GLEICHT / UNSER SPIEGELBILD IST VERSCHIEDEN VON UNS / WIE WIR WISSEN UND DOCH NICHT ERKENNEN /

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HANS HOFFER

KULTIVIEREN WIR DIESEN SUBJEKTIVEN BLICK AUS DER RICHTIGEN DISTANZ / VON ANGESICHT ZU ANGESICHT / ERKENNEN WIR / WIE NAHE WIR EINANDER KOMMEN DÜRFEN / OHNE EINANDER ZU VERLETZEN / SONDERN IM GEGENTEIL / EIN GEFÜHL DER WÄRME / SICHERHEIT / UND GEBORGENHEIT ENTSTEHEN ZU LASSEN / FACE TO FACE / ICH UND DU / WIR UND DIE ANDEREN / DIE ANDEREN UND DIE GANZE WELT / NEHMEN WIR EINANDER WAHR / UM ZU ERKENNEN / BLICKEN WIR EINANDER AN / UM ZU VERSTEHEN / DIESE AUSSERORDENTLICHE QUALITÄT / DIESE BESONDERE MENSCHLICHE RESOURCE / ALS ALLEINIGE CHANCE / IN DER KÄLTE DES DASEINS / IN DER ÖDNIS EINER VORWIEGEND MATERIELL ORIENTIERTEN WELT / OHNE JEGLICHE POESIE / MIT WÜRDE / ZU EXISTIEREN / UND IN UNSERER RÄTSELHAFTEN AUSGESETZTHEIT IN DER UNENDLICHEN WEITE DES UNIVERSUMS ZU BESTEHEN / ICH UND DU / DU UND……….

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LAUDATIO

HEIDEMARIE DOBNER

Wir zeichnen einen der erfolgreichsten Künstler unserer Zeit aus: TINO SEHGAL. Eigentlich hat er bereits alle großen Auszeichnungen bekommen, die sich ein Künstler nur wünschen kann: 2013 war er für den Turner Prize nominiert, im selben Jahr wurde er bei der Biennale in Venedig mit dem goldenen Löwen ausgezeichnet. Heute werden wir ihn mit dem GLOBART AWARD auszeichnen. Eine Auszeichnung, die nicht nur seine künstlerische Arbeit im Blick hat, sondern auch dessen gesellschaftspolitische Dimension. Tino Sehgal, 1976 als Sohn eines Inders und einer Deutschen in London geboren, verbrachte seine Kindheit in Deutschland. In Essen und Berlin studierte er Tanz und Volkswirtschaftslehre. Einar Schleef und Christoph Schlingensief wurden zu dieser Zeit seine Lehrmeister, die Castorf-Volksbühne seine Alma Mater. Tanz faszinierte ihn, aber immer wieder auch die menschliche Kommunikation jenseits aller Konventionsschablonen. Für seine Kunst wollte er nicht ans Theater, er suchte freie Räume, die nicht vom Konsum und von Produktivität bestimmt sind - das Museum. ER WILL DER WELT KEINE NEUEN OBJEKTE HINZUFÜGEN Sehgal besteht seit Jahren konsequent darauf, der Welt keine neuen Objekte hinzufügen zu wollen. Er hat seine Logik auf vielen Podien, bei Biennalen, Kunstmessen und Ausstellungen, wie zuletzt im Martin-Gropius-Bau in Berlin, erläutert: Die permanente Produktion von Waren hält die Marktwirtschaft am Laufen, zerstört aber die Umwelt und verhindert schließlich weiteren Fortschritt. Produktion ist kein Zukunftsmodell, lautet sein Credo. Sehgal schafft stattdessen Wertschöpfung ohne bleibende Produkte. Er kreiert Erlebnisse, Begegnungen zwischen Menschen, hinterfragt Traditionen, stellt immer wieder die Sinnfrage des Daseins. Die Suche nach dem wirklich Wichtigen im Leben, nach Wahrhaftigkeit, das Streben, die Welt nicht zu zerstören, sondern sie ein wenig besser der Nachwelt zu hinterlassen, treibt ihn an und verbindet Tino Sehgal mit der Generation Why, macht ihn zu ihrem Vorbild. Als wir uns in den letzten Monaten im Rahmen der Konzeptionsphase der GLOBART ACADEMY intensiv mit dem Thema befassten, wurde mir klar, dass in der Kunstwelt

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Heidemarie Dobner

niemand so sehr für diese Ideale steht, wie Tino Sehgal. Diese Generation, die oft als Verweigerer, Taktiker, Traumtänzer, Angsthasen, Abenteuer verstanden wird. Dabei sind sie Getriebene vom Glauben an das Glück. Yulian Ide schrieb in seinem ZEIT-Artikel1: “Wir sind mit der paradoxen Gewissheit aufgewachsen, dass alles möglich ist und wir trotzdem zurückstecken müssen, damit die Zukunft besser wird. Das macht uns aber nicht unglücklich, sondern zu kreativen Menschen mit ganz neuen Berufsmodellen und Vorstellungen.” Wie diese Generation agiert und reagiert, erleben wir eben jetzt in der Flüchtlingsdebatte. Es war ihr Engagement, das ein Umdenken in der Gesellschaft bewirkte und letztlich auch die Politik beeindruckte und zum Handeln bewegte. Diese Generation ist unser Hoffnungsträger. Sie möchten wir mit Ihrer Auszeichnung ermutigen, Ihrem Beispiel zu folgen. Ihre künstlerische Arbeit bewegt und begeistert mich seit vielen Jahren. Tino Sehgal ist mir zum ersten Mal in einem ZEIT-Artikel2 von Tobias Timm 2010 begegnet, in dem über seine Arbeit im Guggenheim Museum in einer so großartigen Weise geschrieben wurde, die mich begeisterte und neugierig machte. Ich zitiere: “Das Guggenheim Museum in New York, einer der meistfotografierten Bauten, feiert sein 50-jähriges Jubiläum. Zum Abschluss darf Tino Sehgal, ein 34-jähriger Künstler aus Berlin, die komplette Rotunde des berühmten Hauses bespielen. Eine große Ehre. Umso erstaunlicher, dass der junge Künstler die einzigartige Chance scheinbar nicht ergriffen hat: das Museum ist leer. Sehgal hat nichts an die Wände gehängt, auch keine Skulpturen aufgestellt oder Videohöhlen gebaut. Die Besucher - oft Touristen, die rasch ein paar Sehenswürdigkeiten abhaken wollen - suchen hastigen Schritts nach der Kunst. Und laufen nicht selten an ihr vorbei. Die gelungene Ausstellung von Sehgals flüchtigem Werk bedeutet einen Bruch mit der Guggenheim-Kultur des vergangenen Jahrzehnts, als das Museum zum globalen Unternehmen wurde und man in New York Motorräder von BMW und Kleider von Armani zeigte. Damals wunderten sich viele was sich nicht alles in einem Kunstmuseum ausstellen lässt. Jetzt aber verlassen die Besucher das Guggenheim mit dem Wissen, dass die Kunst noch viel mehr kann, als sie ihr bisher zugetraut haben. Sie erheitert und irritiert, beschämt und erhitzt, klärt auf, ohne belehrend zu sein. und sie bringt uns zum Laufen.” Das nächste Mal möchte ich dabei sein und so eine Arbeit erleben, war mein gefasster Vorsatz. Diese Begegnung hat dann erstmals in London in der Turbinenhalle der Tate 1  DIE ZEIT, Yulian Ide, „Hoffnungslose Optimisten“, 01.01.2015 2  DIE ZEIT, TobiasTimm, „Fordschritt und Fortschritt“, 04.02.2010, Nr. 6

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Laudatio

Modern stattgefunden. In dieser riesigen Halle waren viele Menschen, alt, jung, aus vielen unterschiedlichen Kulturen. Anfangs war nicht zu erkennen, was da nun passieren würde. Man nahm einzig einen Raum voller Ruhe und Entspanntheit wahr. Doch plötzlich entstand Bewegung, schwarmartiges Laufen, begleitet von Sprache, Gesang, Summen und Unterbrechungen. In der persönlichen Begegnung mit einem der Interpreten, der den Text des Liedes nochmals vorgesprochen hat und bei einer späteren Begegnung seine eigene Geschichte erzählte und uns Besucher damit vom Beteiligten zum Betroffenen machte. Ein Erlebnis, von dem die Briten bis heute schwärmen. Die so philosophische wie massive Aufführung widmete sich dem Prinzip der Schwarmintelligenz und dem Verhältnis des Individuums zur Masse. Keine Objekte, keine Filme, keine Fotos, kein Programm, kein Katalog, kein Archiv: Wenn Tino Sehgals Kunstaufführungen beendet sind, gibt es sie nur noch in der Erinnerung. Diese Erinnerung war auch bei mir nachhaltig. Meine Gedanken kreisten um diese Zitate, die angesprochenen Themen, wurden zum Zwiegespräch mit meinem Leben und führten zu dem Ergebnis im Rilkschen Sinn: “Du musst Dein Leben ändern.” Martin Buber beschrieb es als dialogische Beziehung zwischen ICH und DU. Tino Sehgal hat mit seinen immateriellen Kunstwerken und ihren grenzüberschreitenden Wirkungen radikal die Kulturszene verändert. Seine Interventionen waren im MoMA, im Guggenheim, in der Tate Modern, auf der Biennale di Venezia und im Martin-Gropius-Bau zu sehen und laufen noch bis Ende des Jahres im Stedelijk Museum, wo ein Jahresprojekt stattfindet, das jeden Monat eine neue Arbeit vorstellt. SEINER KUNST MUSS MAN BEGEGNEN, SIE IST NICHT ÜBERALL VERFÜGBAR, DAS MACHT SIE KOSTBAR Alles entsteht nach mündlichen Anweisungen, ist angewiesen auf Menschen, die mit ihm ein lebendiges, soziales Kunstwerk schaffen, Partituren folgend und vielleicht so spielerisch vertanzt, wie einst der greise Amerikaner Merce Cunningham die fragmentarischen, experimentellen Töne seines Gefährten John Cage in Körperbild-Sprache übersetzte. “Von wegen, meine Arbeit sei immateriell”, widerspricht Sehgal einer gängigen Behauptung in den Medien quer über den Erdball. “Die Körper, Stimmen, Partituren sind doch Material, und was für welches!”

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Heidemarie Dobner

Es sind Momente, die zur “Sozialen Plastik” werden. “Wahrhaftigkeit geschieht”, sagt Tino Sehgal, “sie lässt sich nicht herstellen.” Für Wahrhaftigkeit, immaterielle Werte, für die Begegnung von Menschen setzt sich auch GLOBART – die Denkwerkstatt für Zukunftsthemen – seit vielen Jahren ein. Lieber Tino Sehgal, Sie sind Vorbild und Hoffnungsträger dieser Generation. Ihr Beispiel macht Mut, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Danke, dass Sie diese Würdigung annehmen und heute hier sind.

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ERÖFFNUNG DER GLOBART ACADEMY HERWIG KEMPINGER

Wenn wir von der absurden Situation ausgehen, dass jemand im Raum nicht weiß, was die Secession ist, sage ich’s kurz: Die Secession ist die älteste unabhängige Institution weltweit, die sich ausschließlich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt. Sie wurde vor 117 Jahren von Gustav Klimt und einigen Freunden gegründet und wird seit 117 Jahren von Künstlern geleitet und programmiert. Als ich hörte, dass heuer Tino Sehgal den Preis von GLOBART erhält, habe ich seltsamerweise als Erstes an Dave Hickey gedacht. Dave Hickey ist ein US-amerikanischer Kunstkritiker und -denker, den ich sehr schätze. Er hat vor einigen Jahren einen Essay publiziert mit dem wunderbaren Titel „Pirates and Farmers“. Darin schreibt er, dass man die Menschheit grosso modo einteilen kann in „Pirates and Farmers“: in die, die Grenzen überschreiten und die, die Grenzen ziehen. Wenn man sich überlegt, wer der nächste Verwandte von Kunst ist, wird allgemein angenommen, dass es Kultur sei, wobei ich der Meinung bin – und das behaupte ich jetzt einfach – dass Kultur eindeutig Farmer-Territorium ist. Ich finde, der direkte Verwandte der Kunst ist die Wissenschaft. Da wie dort geht es darum, neue Wege zu gehen, neue Antworten auf alte Fragen zu finden, sich auf neues Territorium vorzuwagen oder auch Bekanntes aus neuen Perspektiven zu betrachten und so zu gültigen Lösungen zu gelangen. Beide sind in ihren Auswirkungen auf das Leben oft nur sehr mittelbar, von einem utilitaristischen Standpunkt aus betrachtet. Und der scheint ja traurigerweise zur Ultima Ratio unserer Gesellschaft geworden zu sein. Ich kann mich gut erinnern, dass nach der Mondlandung viele Menschen gesagt haben: „Und, was haben wir jetzt davon? Das war unglaublich teuer, jetzt ist ein Mensch am Mond gestanden, aber was bringt uns das?“ Ich habe immer die Meinung vertreten, dass das wichtigste Resultat dieses wunderbare Foto von der Erde war, das vom Mond aus aufgenommen wurde. Jeder Mensch, der das gesehen hat, hat ein völlig neues Bewusstsein davon bekommen, wo wir leben und welches Leben wir hier fristen in Relation zu einer unbegreiflichen Grösse. Niemand hat das besser vorhergesehen als Buckminster Fuller in seinem 1968 erschienen Buch „Operating Manual for Spaceship Earth“, das ich jedem, der es nicht kennt, ans Herz legen möchte. Oder auch wenn ich an den Augenblick denke, als man als Kind zum ersten Mal in ein Mikroskop geschaut und entdeckt hat, dass es einen Mikrokosmos gibt: Auch dieser unglaubliche Eindruck zeitigt kein unmittelbares Ergebnis in dieser Sekunde. Oft sind es aber gerade diese scheinbar folgenlosen Erlebnisse, die Entscheidungen, die wir viele

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Herwig Kempinger

Jahre später in unserem Leben treffen, nachhaltig beeinflussen. Und das meist ohne dass uns diese Tatsache überhaupt bewusst wird. So ist es auch im Bereich der Kunst. Im 20. Jahrhundert kann man ganz kurz gesagt schön nachvollziehen, wie die frühen Provokationen der Expressionisten, Dadaisten oder Surrealisten die gesellschaftlichen Codes und Moralvorstellungen für immer verändert haben. Oder Andy Warhols Filme, die den Zeitbegriff von Film und Kino gesprengt haben, bis dann Ende der 1960er Jahre performative Formen sehr präsent geworden sind, bei denen eine direkte Interaktion von Künstlern und Publikum im Zentrum gestanden ist. Eines wäre ohne das andere nicht denkbar gewesen, obwohl es ursprünglich vielleicht gar nicht intendiert war. Ich finde überaus erfreulich, dass Tino Sehgal den Globart Award erhält, weil GLOBART eine Initiative ist, die sich diesen kritischen Diskurs zwischen den Disziplinen Wissenschaft und Kunst auf die Fahnen geschrieben hat. Genau darum sollte es in unserer Gesellschaft sinnvollerweise gehen – was leider viel zu selten der Fall ist. Ich gratuliere Tino Sehgal dazu sehr herzlich und möchte ans Ende noch ein Zitat von Robert Filliou stellen, weil es sehr schön beschreibt, was Kunst tatsächlich ist. Er hat gesagt „Art is, what makes life more interesting than art.“

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WHY? WHY? Y! YULIAN IDE

Zu meinem zehnten Geburtstag habe ich einen Brief an mein dreißigjähriges Ich geschrieben. Den Brief habe ich dann am Rande meines Heimatdorfes verbuddelt und niemandem davon erzählt, was zugegebenermaßen etwas dumm war. Inzwischen steht dort eine Reihenhaussiedlung und ich habe keine große Hoffnung, den Brief noch jemals zu lesen. Aber ich erinnere mich noch an ein paar Dinge, die ich mir selbst dringend auf den Weg geben wollte. Lebensziele zum Beispiel, denn ich dachte damals, mit dreißig sei das Leben ja quasi schon vorbei. Zumindest sei es aber absehbar, ob ich diese Lebensziele erreichen könnte. Meine drei Ziele waren, dass in meinem Heimatdorf eine Straße nach mir benannt würde, dass irgendwann mal ein Buch von mir in den Buchhandlungen stünde und dass mein Name in hundert Jahren in irgendeinem Geschichtsbuch stünde. Ziemlich hochgesteckte Ziele. Wie kam ich bloß auf so einen Schmarrn? Ich bin 1987 geboren und bin damit Teil der Generation Y. Die Soziologen sind sich nicht so ganz einig, wer dieser Generation überhaupt angehört: wenn man in den Achtzigern geboren ist, ist man aber ziemlich sicher gemeint. Über uns erscheinen Artikel, wir sind das Thema in Talkshows und überhaupt wird sehr viel über uns geredet und berichtet. „Wer seid ihr eigentlich?“ fragt dann irgendwer in diesen Generationendebatten – nur um uns dann selbst zu erzählen, wer wir sind. Aus all diesen höchst widersprüchlichen Generation-Y-Artikeln lassen sich einige besonders hartnäckige Behauptungen herausdestillieren: wir sind besser ausgebildet als alle Generationen vor uns. Weil wir das wissen, sind wir auch selbstbewusster als alle Generation vor uns und reisen lieber ein halbes Jahr durch Südostasien, als uns an einen vermeintlich sicheren nine-to-five-Job zu binden. Wir sind irre gut vernetzt, weil wir ein halbes Dutzend Social-Media-Kanäle bespielen, sowieso sind wir die Ureinwohner des Internets. In einer Studie liest man, wir seien gierig, egozentrisch und verschwenderisch. Einem anderen Artikel zufolge sind wir verträumt, unsicher und orientierungslos. Offenbar scheint es da einige Missverständnisse zu geben. Ziemlich sicher ist aber: wir sind verdammt wenige, denn in den Achtzigern sind gerade mal 13 Prozent der österreichischen Bevölkerung geboren, gegenüber 17 Prozent in den Sechzigern. Zahlenmäßig gibt es in Österreich also mehr Leute aus der Steiermark als aus den Achtzigern. Gäbe es eine Generation-Y-Partei, dann würde sie schlechter abschneiden als die FPÖ bei der letzten Nationalratswahl. Obwohl es per definitionem um eine Alterskohorte gehen müsste, wird bei all diesen

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Yulian Ide

Generation-Y-Debattenartikeln selten wirklich über diese 13 Prozent geredet, noch seltener reden die 13 Prozent selbst. Einige Angehörige der Generation Y werden allein deshalb ausgeschlossen, weil sie nicht erwähnt werden. Wenn jemand heute der Generation Y unterstellt, verwöhnt und anmaßend zu sein, dann ist das so verallgemeinernd, dass schlichtweg nicht alle gemeint sein können. All die offensichtlich nicht-verwöhnten Angehörigen niedriger sozialer Milieus oder Personen mit einem niedrigen Bildungsabschluss werden in den Debatten gar nicht mitgedacht. Genauso wenig Migranten, Menschen mit Behinderung, Leute die fernab von Großstädten leben oder Leute mit Lebenskonzepten abseits des Mainstream. Wenn über „die Generation“ geredet oder geschrieben wird, sind meistens autochthone, urbane, gebildete, nicht-beeinträchtigte Vertreter aus einem bürgerlichen Milieu gemeint. Generationendebatten sind deshalb häufig nicht bloß inhaltlich substanzlos, sondern auch elitär. Der Blick von innen heraus, also die Generation als Gesamtheit ihrer Mitglieder zu betrachten, hat offenkundige Schwachpunkte. Vielleicht sollte man die Generation deshalb von außen betrachten, also als eine Gruppe von Leuten, die eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort verbracht hat. Zurück zu meinem Brief an mich selbst. Warum glaubt ein Zehnjähriger, dass mal eine Straße nach ihm benannt werden könnte? Mal abgesehen von dem natürlichen Größenwahnsinn Heranwachsender hat das vielleicht mit den Neunzigern zu tun. Den Neunzigern wohnte tatsächlich eine Stimmung des Aufbruchs inne. Wir Ypsiloner sind kurz vor der Wende geboren, etwa zu unserer Schulzeit beginnt das Internet die Welt zu verändern, der liberale Geist der 68er ist bereits fester Grundsatz unserer Erziehung. „Du bist was ganz Besonderes“ und „Dir stehen alle Türen offen“ sind die Mantren unserer Kindheit. Vielleicht waren die Neunziger eine gute Zeit für große Träume. Die Neunziger klingen noch nach Veränderung, dann klingt plötzlich alles nach Krise. Wann genau ist das passiert? Vielleicht war es im Jahr 2000, als die erste PISA-Studie die Bildungskrise einleitete und sich förmlich das ganze Land darüber echauffierte, wie unerhört dumm der Nachwuchs ist. Vielleicht in dem darauffolgenden Jahrzehnt, in dem gleichzeitig mit uns die Bologna-Reform an den österreichischen und deutschen Hochschulen ankam - mit ihr Anwesenheitspflichten, Regelstudienzeiten, Studienverlaufspläne und andere Unwörter, die fähig sind, Träume zu zerstören. Es könnte auch die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 gewesen sein, als wir das Erreichen von Träumen gegen das Vermeiden von Albträumen eintauschten. Irak-Krise, Bankenkrise, Eurokrise, Atom-Krise, Klimakrise, Flüchtlingskrise, seit unserer frühen Jugend wimmelt es von Krisen. Es läge nahe, zu schlussfolgern, die prägenden Jahre der Ypsiloner seien eine schlechtere oder

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Why? Why? Y!

schwierigere Zeit waren, als die Jahrzehnte davor oder danach. Es ist aber vermutlich anders: ich glaube, dass unsere Welt im Prinzip eine bessere ist, als die, in der unsere Eltern aufgewachsen sind. Unser Umgang mit den Ereignissen in der Welt ist lediglich ein anderer. Als meine Mutter zwölf war, ist sie zum ersten Mal einer Türkin begegnet. Sie erinnert sich nicht mehr an den Namen ihrer Mitschülerin, denn sie haben nie miteinander gesprochen. Ich war ungefähr genauso alt, als ich in der Schule eine Libanesin kennenlernte. Wir blieben bis zum Abitur beste Freunde. Nach der Hauptschule hätte meine Mutter gern das Abitur gemacht und in einer großen Stadt studiert. Ihre ältere Schwester bezahlte ihr die Busfahrkarte in die nächstgrößere Stadt. So konnte sie immerhin noch einen Realschulabschluss machen. Die Eltern eines Freundes hatten für das Studium ihrer drei Kinder hingegen Geld zurück gelegt. Dieser entschied sich aber gegen das BWL-Studium, ging zurück auf’s Land und machte eine Lehre zum Reiseverkehrskaufmann. Sein geringerer Verdienst war ihm egal, die Ellenbogenmentalität an der Uni nicht. Meine Eltern waren neunundzwanzig, als sie darüber nachdachten, ein Haus zu bauen. Eine ebenfalls neunundzwanzigjährige Freundin hat mir gerade erzählt, dass sie mit ihren zwei Mitbewohnern in eine größere WG zieht, damit noch zwei weitere Freunde einziehen können. Sie findet es schön, nach einem anstrengenden Arbeitstag nicht mehr ihre Wohnung verlassen zu müssen, um ihre Freunde zu treffen. Außerdem empfindet sie eine Wohnung für sich allein als Platzverschwendung, obwohl sie sie sich leisten könnte. In unserem Alter hatten unsere Eltern bereits ein Haus gebaut, ein Auto gekauft und ein Bäumchen gepflanzt. Wir sind froh, wenn das Praktikantengehalt für die Miete reicht, haben einen Account auf einer Carsharingplattform und betreiben Guerilla Gardening. Wenn wir uns mit Ende zwanzig zwischen Aushilfsjob und Praktikum hin- und herhangeln, sind es häufig unsere Eltern, die mit Ratlosigkeit und etwas Spott unsere Generation beobachten: „Ihr habt die große Auswahl, ihr müsst bloß zugreifen“, heißt es da häufig. Nicht ohne vorwurfsvoll hinterher zu schieben: „In eurem Alter wären wir glücklich gewesen über solche Möglichkeiten.“ Ich glaube, genau da liegt der Denkfehler, der zu vielen Generationendebatten anregt. Wir wollen im weitesten Sinne ‚gut‘ sein, genau wie alle Generationen vor uns. Aber was als ‚gut‘ empfunden wird, verändert sich. Auf unserer Werteskala rangiert der Fahrer eines großen Autos wahrscheinlich irgendwo zwischen Umweltverschmutzer und Bewegungsmuffel, vor zwanzig oder vierzig Jahren taugte der Sportwagen noch

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Yulian Ide

zum neidvoll betrachteten Statussymbol. Andersrum gilt jemand mit einem niedrigen Gehalt für uns nicht als Versager. Ist die Arbeit sinnstiftend? Ist sie zumindest persönlich erfüllend? Dann steht sie für uns nicht im Gegensatz zu einem geglückten Lebensentwurf. Uns Ypsilonern wurde von unseren Eltern der sprichwörtliche Topf Gold versprochen, der am Ende des Regenbogens auf uns wartet. Dass unser Interesse häufig dem Regenbogen selbst gilt, ist unser Glück: den Topf voll Gold gibt es nämlich wahrscheinlich gar nicht. Auf viele von uns wartet keine große Erbschaft oder der Chefsessel des Familienunternehmens. Es ist nicht mal sicher, dass wir eine Rente bekommen. Wir sind mit der paradoxen Gewissheit aufgewachsen, dass alles möglich ist und wir trotzdem zurückstecken müssen, damit die Zukunft besser wird. Ein Freund hat mir kürzlich von dem sogenannten Buddenbrooks Prinzip erzählt: Die erste Generation schuftet, die zweite Generation verwaltet, die dritte verprasst. Über die vierte Generation kann uns der Roman nichts verraten, deshalb soll es im Folgenden um diese Generation gehen. Dabei soll nicht der Fehler multipliziert werden, allein über die Generation Y zu schreiben und berichten. Vertreter der Generation Y, die in den letzten Monaten und Jahren mit unterschiedlichen besonders zukunftsweisenden Ideen zu unserer Gesellschaft beigetragen haben, werden selbst das Wort ergreifen.

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DIE KLUGHEIT DER VIELEN MARINA WEISBAND

Ich bin in die Politik gegangen, weil ich es faszinierend fand, welche Veränderungen im System möglich sind. Ich bleibe politisch aktiv, weil ich verstanden habe, wie notwendig sie sind. Am Anfang fremdelte ich mit der Politik überhaupt. Nicht, dass es Gründe gegeben hätte, mich aktiv auf Distanz zu halten. Ich sah mich vielmehr gar nicht mit der Frage konfrontiert, ob ich mich involvieren soll. Es gab diese starre Grenze: Es gab Politiker, zu denen gehörte ich ja offensichtlich nicht, und es gab Bürger. Bürger wählen, bestenfalls, und das war es auch. Ich hatte andere Gedanken im Kopf. Dass ich irgendwie verantwortlich für die Zukunft von Deutschland sein soll, kam mir nicht in den Sinn. Bis zum ersten Mal, als ich wählen war. Meine Theaterregisseurin hatte mich davon überzeugt, das zu tun. Das Wählen selbst war ein seltsam unzeremonieller Akt. Entgegen meiner Erwartungen hatte die Schule, in der die Wahlurne stand, keine roten Teppiche und keine Männer in Anzügen. Es war einfach eine Schule, mit jungen, fröhlichen Wahlhelfern, die große Zettel verteilten. Ich nahm einen solchen Zettel, ging in eine Kabine und machte ein Kreuz. Nachdem ich den Stimmzettel eingeworfen hatte, schloss ich die Augen. Jetzt habe ich also die deutsche Politik beeinflusst. Niemand hat überprüft, ob ich mich mit dem Thema befasst hatte. Niemand hat die Motive hinter meiner Wahl kontrolliert. Man hat mich einfach ins Land gelassen und ich durfte Einfluss auf die hiesige Politik nehmen. Man vertraute mir. Das war ein fantastisches Gefühl. Wenn man mir so sehr vertraut, dachte ich, will ich mich dieses Vertrauens als würdig erweisen. Das war der Moment, in dem ich diese magische Grenze überschritt. Am selben Tag, am Sonntag, druckte ich ein Mitgliedsformular der Piratenpartei aus, füllte es aus und sandte es ab. „Ich bin jetzt in einer Partei“, sagte ich zu meiner Mutter am Telefon. Sie schüttelte den Kopf über mich. Die Piratenpartei war mir damals gerade so sympathisch, weil sie sich nicht nur mit den Themen befasst hat, die demnächst so auf uns zu kommen (von denen Netzpolitik, Datenschutz und Grenzen sich bereits als hochaktuell erwiesen haben, bedingungsloses Grundeinkommen kommt noch). Sondern vor allem, weil sie auch das System in Frage gestellt hat, wie Entscheidungen getroffen werden. Da war immer von Beteiligung die Rede, und am Anfang hatte die Partei auch vor, das in den eigenen Strukturen schon mal auszuprobieren.

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Marina Weisband

Aber ist Basisdemokratie immer gut? Daran habe ich berechtigte Zweifel. Basisdemokratie ist am Ende eine Demokratie der wenigen Aktiven, die Zeit dafür haben. Oft fragte in Diskussionen unter Piraten: „Wir reden die ganze Zeit über Freiheit. Meine Großmutter möchte in Ruhe ihre Rente genießen. Sie braucht das Gefühl zu wissen, dass jemand mit mehr Ahnung als sie für sie sorgt. Sie möchte nicht die ganze Zeit über alles entscheiden. Welche Freiheit bieten wir ihr an?“ Deshalb war es für mich besonders spannend, mit neuen Ansätzen zu experimentieren, die weder rein repräsentativ, noch rein basisdemokratisch sind. Die dem Umstand Rechnung tragen, dass Menschen nicht nur politische Wesen sind, sondern auch Jobs, Kinder und Hobbys haben. Diesen Ansatz versprach Liquid Democracy, ein Ansatz der bereits seit 2003 immer im Gespräch ist. Leider bekam die Piratenpartei Deutschland – im Gegensatz zu ihrem österreichischen Pendant – es letzten Endes nicht hin, dieses System intern verbindlich auszuprobieren. An dieser Stelle atmeten viele deutsche Parteien erleichtert auf und meinten, dass dieses System ja dann irrelevant sei. Aber so einfach ist es nicht. Ich saß letzten Monat auf dem Balkon mit meiner Mutter und wir sprachen über aktuelle Probleme der Politik. Über die Ukraine-Krise, über die wahrscheinlich bevorstehende Wirtschaftskrise und über die Konkurrenzfähigkeit europäischer Länder in der neuen Wirtschaft der Information. In diesem Gespräch fragte ich sie: „Wenn du wohlmeinender Diktator wärest, was würdest du ändern, um das Land zukunftsfähig zu machen?“ Sie dachte darüber nach. Sehr lange. Drei Tage später rief sie mich an und sagte: „Ich würde all die klügsten Köpfe aus dem Silicon Valley und von überall versammeln und sie bitten, mir eine Software zu schreiben, die zumindest ausrechnet, welche finanziellen und sozialen Faktoren mit welchen zusammenhängen.“ Das ist eine anspruchsvolle und unrealistische Aufgabe. Sie trifft aber einen wichtigen Kern. Durch die Globalisierung wird die Welt nicht einfacher. Eine Kleiderspende in München beeinflusst die Textilwirtschaft in Ghana. Der Entwurf eines einfachen Modells für einen 3D-Drucker kann tausende Arbeitsplätze kosten. Um unter solchen Umständen eine sinnvolle und langfristige Steuerungspolitik zu machen, muss man ein Genie sein. Mindestens. Deshalb verlegt sich Politik leider auch mehr und mehr darauf, Entscheidungen in demokratisch nicht legitimierte Expertenrunden auszulagern. Im schlimmsten Fall sind das auch noch Vertreter einer bestimmten Lobby, deren Interessen dann unhinterfragt

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Die Klugheit der Vielen

durchgesetzt werden. Nicht aus Boshaftigkeit – sondern aus der Unmöglichkeit eines Überblicks. Eine weitsichtige Politik ist so kaum möglich. Zumal wir mitten in gravierenden Veränderungen der Gesellschaft, Technik und Arbeitswelt stehen, die nicht vorhergesehen werden können. Die Lösung? Nicht Software, sondern Menschen. Denn wer könnte mehr Ahnung von den Entwicklungen einer Branche haben, als die Menschen, die darin beschäftigt sind? Wer hat mehr Ahnung von den Auswirkungen von Familienpolitik als Eltern? Das Ziel muss es jetzt sein, ein demokratisches System zu schaffen, das klüger ist als seine einzelnen Bestandteile. Schauen wir uns dazu an, wie das Gehirn funktioniert. Es ist im Prinzip eine Ansammlung von ziemlich dummen Zellen, die nur zwei Zustände kennen: ein und aus. Unsere Nervenzellen sind allerdings ganz besonders angeordnet – in einem Netzwerk. Die Arbeit dieses Netzwerks aus vielen, vielen Zellen ermöglicht uns komplexe Gefühle wie Liebe, Gedanken über den Sinn des Lebens und die Erkundung der Welt. Was wir möchten, ist also ein System mit möglichst vielen Elementen, die möglichst klug zueinander angeordnet sind. Zunächst mal heißt das, demokratische Partizipation muss allen offen stehen. Zweitens heißt es aber, dass nicht jeder gezwungen werden kann, gleich an allen Entscheidungen zu partizipieren. Menschen haben unterschiedliche spezielle Kenntnisgebiete, Betroffenheiten und Kapazitäten. Das System der Liquid Democracy schlägt hier vor, dass jeder Beteiligte eine Stimme hat und sie entweder selbst benutzen, oder weitergeben kann. An irgendjemanden, der sich besser mit einem Thema auskennt, aber vertrauenswürdig ist. Nehmen wir an, ich muss meine Stimme zu einer ökonomischen Frage geben. Wenn ich sie nicht beantworten kann, frage ich meinen Kumpel, der Ökonom ist, wie er abstimmen wird. In besonders schwierigen Fällen wird der seinen Professor fragen. Weil ich meinem Freund vertraue, und er wiederum dem Professor, übernehme ich die Ansicht des Professors. Dieser Prozess wird transparent gemacht, indem ich meine Stimme einfach direkt meinem Kumpel übertrage, und der unsere beiden Stimmen seinem Professor. Der Professor stimmt in dieser speziellen Frage mit drei Stimmen ab – die ihm jederzeit entzogen werden können. Im Gegensatz zu direkter Demokratie, die eher wie ein wilder Haufen funktioniert, bildet sich hier also ein Netzwerk aus Menschen, das, genau wie das Gehirn, aus dickeren und dünneren Knotenpunkten besteht. Die einflussreichsten Knoten sind die subjektiv als vertrauenswürdig eingestuften Experten. Und dadurch, dass Stimmen stets zurückgezogen und neu delegiert werden können, ist das Netzwerk stets im Wandel. Es ist ein hoch anpassungsfähiges Modell, das viel mehr Menschen aktiviert als bisher. Durch die verschiedene Verteilung von Stimmgewichten ist das Netzwerk intelligenter, als die

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Summe seiner Komponenten. In der repräsentativen Demokratie sind wir gezwungen, unsere Stimme zu delegieren, und zwar nur an bestimmte Menschen. Das machen wir durch Wahlen. Und haben wir gewählt, bleibt die Stimme eine feste Zeit in der Hand des Adressaten. In der liquiden Demokratie kann ich mich in einem Bereich, für den ich meine Stimme delegiert habe, jederzeit doch entscheiden, eine bestimmte Abstimmung selbst zu treffen, wenn sie mich unmittelbar betrifft. Dadurch bekomme ich das Gefühl, selbst entscheiden zu können. Ich werde eventuell politisch aktiviert und bin dadurch auch bereit, mehr Verantwortung zu tragen. Hierdurch werden zwei Konzepte massiv angegriffen: die Rolle des Politikers und die Rolle des Wählers. Die alte Verteilung sieht so aus, dass Politiker alles wissen und für alles verantwortlich sind. Sie wurden in kurzen Pressekonferenzen als perfekt sortierte, kompetente Menschen in gutsitzenden Anzügen gezeigt, die über alles die Kontrolle haben. Proportional dazu wuchs auch die Wut der Bevölkerung, wenn Dinge nicht gut liefen. Wenn man völlige Kontrolle hat, muss es ja Boshaftigkeit sein, weshalb Dinge gegen die Interessen der Bürger passieren. Letztere hingegen wurden gesehen und sahen sich selbst eher als passive Konsumenten von Politik, die sich alle paar Jahre zur Wahl und während gelegentlicher Skandale mal berufen fühlten, an Demokratie teilzunehmen. Im schlimmsten Fall nehmen sie dabei dieselbe Rolle ein, die sie auch als Konsumenten haben: bequem auf dem Sofa sitzend sehen sie sich Parteien wie Produkte an, die ihnen zusagen oder nicht. An der Gestaltung der Produkte haben sie dabei keinen Anteil, nur an deren Erwerb. Beide Rollen weichen in einer komplexeren Welt auf. Bürger übernehmen weit mehr Verantwortung für ihre unmittelbare Umgebung und für die Ausrichtung von Politik. Berufspolitiker werden durch ihre Erfahrung und Expertise eher zu Dienstleistern. Das ist genau das „fließende“ an der liquiden Demokratie: der fließende Übergang zwischen Bürger und Politiker. Eine fließende Verantwortungsübertragung kann mit der Komplexität der heutigen Welt viel besser fertig werden als starre Rollenbilder. Und wo es keine magische Grenze zu überschreiten gibt, ist auch die Beteiligung viel höher. Das bedeutet weniger Einfluss für Lobbyisten, eine größere Legitimation von Gesetzen und langfristigere Politik. Um unsere neue Rolle aber zu begreifen, brauchen wir vor allem eines: sehr viel politische Bildung. Bildung ist das, was zwischen Bevormundung und Mündigkeit steht. Aus vielen wirtschaftlichen Gründen, aber auch aus dieser demokratischen Überlegung heraus, ist es jetzt unsere Aufgabe, unseren Kindern beizubringen, Verantwortung

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für ihre Handlungen zu tragen, Kompromisse auszuhandeln, sich als Gestalter ihrer Umgebung zu verstehen und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen stets zu berücksichtigen. Wo diese Kompetenzen fehlen, sehen wir zurzeit in Bereichen, wo direkt demokratische Abstimmungen zum Tragen kommen. Bürger stimmen gegen Atomkraft – aber gegen Windkraftanlagen in ihrer Gegend gibt es dann auch erfolgreiche Volksbegehren. Außerdem beschwert man sich dann, dass der Strom teurer wird. Diese „Nicht-in-meinem-Vorgarten-Politik“ verhindert nachhaltige Entwicklung für die Zukunft. Auch die Neigung zu Populismus, die gerade in schwierigen Zeiten immer wieder aufflammt, kann durch nichts anderes als durch Bildung bekämpft werden. Keine Institution bereitet Menschen so sehr auf soziale Rollen vor, wie die Schule. Doch gerade Regelschulen sind dahingehend noch verbesserungswürdig. Sie sind – trotz vieler lobenswerter Projekte hier und da – nach wie vor sehr autoritäre Systeme, in denen Lehrer Entscheidungen treffen, mit denen Schüler zu leben haben. Bis wir 18 sind, melden wir uns und fragen, ob wir auf Klo gehen dürfen. Und danach – zack! – sollen wir über unser Parlament entscheiden. Dieser Sprung ist zu groß. Und – genau weil ich meinem eigenen Ratschlag folge – habe ich mir ein Stück dieser Verantwortung angenommen. Mit freundlicher Unterstützung der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung leite ich bei politik-digital e.V. das Projekt „aula – Schule gemeinsam gestalten“, das es Schülern ermöglicht, unter Einsatz liquider Demokratie eigene Ideen rund um den schulischen Bereich einzubringen, zu diskutieren, abzustimmen und zu verwirklichen. Dabei soll schon bei Kindern ab 11 Jahren ein Gefühl für die eigene Gestaltungskraft über ihre Umgebung geweckt werden, sie sollen lernen, Kompromisse auszuhandeln und andere von ihren Ideen zu überzeugen und sich mit demokratischen Prozessen und ihren Folgen arrangieren. Konkret bedeutet es, dass jeder Schüler Zugang zu einer Software bekommt, die der Strukturierung und der Protokollierung des Prozesses dienen soll. Die eigentliche Arbeit findet zu großen Teilen offline statt. Nachdem Ideen online gestellt wurden, werden sie im Klassenraum diskutiert, Gegenvorschläge werden entwickelt und gruppiert. Nach einer Überprüfung der Schulleitung geht eine Idee dann in die Abstimmung. Als Schüler kann ich selbst darüber abstimmen – oder meine Stimme eben übertragen. Dabei reflektiere ich also nicht nur, was ich möchte, sondern auch, was ich kann, was ich nicht kann, und wem meiner Klassenkameraden ich was zutraue. Am Ende steht eine Entscheidung – von der Wandfarbe der Klassenzimmer, über das Schulfest, bis zur Unterbringung von Flüchtlingen in der Turnhalle – die von den Schülern eigenverantwortlich (wenn auch nicht ohne Hilfe) umgesetzt wird. Die Schulkonferenz verpflichtet sich dabei freiwillig, die Entscheidungen des Systems mitzutragen.

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Das Projekt wird im Schuljahr 2016/2017 an mehreren Schulen in Deutschland pilotiert. An seinem Ziel stehen die Entwicklung einer offenen Software und eines kostenlosen unterrichtsbegleitenden Leitfadens zur Didaktik, die von jeder Schule und jedem Lehrer nach Belieben angewendet werden können. So ein System kann dann auch leicht auf Jugendzentren, Gemeinden und andere Organisationen übertragen werden. Es ist mein fester Glaube, dass Projekte wie diese unverzichtbar sind, wenn es unser Ziel ist, mündige Bürger und eine starke Demokratie hervorzubringen. Denn das ist kein Selbstzweck. In der Zukunft werden wir darauf angewiesen sein. Die Alternative wären Populismus und eine Reihe kurzsichtiger Entscheidungen, an denen sich einige wenige bereichern können, ehe das Gesamtsystem kippt. Dabei ist es gleich, ob wir exakt das System Liquid Democracy benutzen oder wie wir es konkret an unsere Parlamente anbinden. Der Grundgedanke besteht darin, dass eine moderne Gesellschaft so wenig von einer Einzelperson zu steuern ist, wie ein Segelschiff. Die Zukunft wird ein koordinierter Aufwand sein. Und gerade jetzt haben wir auch die technischen Möglichkeiten, diese Koordination herzustellen, so wie wir es vor 30 Jahren noch nicht gekonnt hätten. Das Wichtige ist, keine Angst zu haben. Sowohl beim Zulassen einer größeren Beteiligung durch scheinbar weniger gebildete Menschen. Als auch beim Ergreifen der eigenen Verantwortung, beim Wechsel der eigenen Rolle. Wie beim Springen über einen Bach gehört Mut dazu, diese magische Linie zwischen Bürger und Politiker zu überspringen – aber im Nachhinein erscheint es einem ganz leicht. Darum will ich diese Linie verwischen, bis sie irgendwann nicht mehr da ist.

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SCHADET BLOGGEN DER KARRIERE? FLORIAN FREISTETTER

Schadet Bloggen der Karriere? Eigentlich eine ziemlich seltsame Frage. Entweder man betreibt das Bloggen als Beruf, dann kann diese Tätigkeit selbstverständlich nicht für die eigene Karriere schädlich sein, oder aber man schreibt ein Blog in der Freizeit, als Hobby. Und Hobbys sind doch ganz normal – wieso sollten sie der Karriere schaden können? Ein Blog zu schreiben unterscheidet sich aber in einigen wichtigen Dingen deutlich von einem normalen Hobby. Ein Blog ist eigentlich ganz harmlos. Ursprünglich war es einfach nur ein öffentliches Online-Tagebuch („Weblog“). Und für diesen Zweck wird es heute immer noch oft eingesetzt. Die Leserschaft solcher persönlichen Blogs ist überschaubar und das Bloggen in diesem Fall ein Hobby wie jedes andere. Es gibt aber mittlerweile auch Blogs, die völlig anders ausgerichtet sind: Ihre Autoren nutzen sie zur Öffentlichkeitsarbeit oder als journalistisches Medium. Blogs werden für PR-Zwecke verwendet oder zur Berichterstattung über Nischenthemen, die in klassischen Zeitungen und Magazinen keinen Platz finden. Blogs können von Wissenschaftlern zur Kommunikation und Diskussion mit Kollegen benutzt werden oder werden von jungen Autoren als alternativer Publikationskanal verwendet. Blogs sind so vielfältig wie die Menschen, die sie schreiben. Und eigentlich sollte es kein Problem darstellen, wenn man so ein Blog in seiner Freizeit betreibt. In der Realität kann das aber durchaus vorkommen. Zumindest dann, wenn man mit seinem Hobby Erfolg hat. Bei Bloggen ist das im Allgemeinen dann der Fall, wenn es von vielen Leuten gelesen wird (natürlich gibt es auch noch andere Indikatoren, durch die der Erfolg eines Blogs definiert werden kann; die Größe der Leserschaft ist aber mit Sicherheit der direkteste Maßstab). Wer in seiner Freizeit gerne spazieren geht, Bücher liest oder Briefmarken sammelt, tut das meistens ohne dabei große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen. Wer erfolgreich bloggt, wird sichtbar. Und genau hier fangen die Probleme an. Hobbys zu haben ist kein Problem für die Karriere. In vielen Berufen empfiehlt es sich allerdings, seine Freizeit nicht allzu offensichtlich und öffentlich zu begehen. Zum Beispiel, wenn man eine Karriere in der Wissenschaft anstrebt. Wer nach dem Studium den klassischen Weg gehen und eine Professur an einer Universität erlangen will, muss vor allem eines tun: sich um seine Publikationsliste kümmern. Mit der Zahl der Fachpublikationen steht und fällt die Karriere. Sie wird herangezogen,

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wenn es daran geht, Projektanträge zu bewerten oder wenn man sich für eine neue Stelle bewirbt, und wirkt sich unter Umständen sogar auf das der Forschungseinrichtung zugeteilte Budget aus. „Publish or Perish“ ist das Motto, das die Zustände prägnant zusammenfasst: Publiziere oder verliere. Das gilt vor allem für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wer seine Karriere noch vor sich hat und vor hat, eine solche zu machen, kann es sich nicht leisten, die Publikationsliste zu vernachlässigen. Im Jahr 2012 schrieben die Professoren einer astronomischen Forschungseinrichtung in den USA einen offenen Brief an ihre Studenten in dem sie erklärten, was von ihnen erwartet wurde: „We have received some questions about how many hours a graduate student is expected to work. There is no easy answer, as what matters is your productivity, particularly in the form of good scientific papers. However, if you informally canvass the faculty (those people for whose jobs you came here to train), most will tell you that they worked 80-100 hours/week in graduate school.“ 80 bis 100 Stunden pro Woche sollten Diplomanden und Doktoranden also auf jeden Fall arbeiten (natürlich ohne entsprechende Bezahlung für all die Überstunden). Diese Zeit soll zur Produktion wissenschaftlicher Facharbeiten genutzt werden. Nur dann hat man Chancen auf eine gute Karriere, wie im Brief weiter ausgeführt wird: „The people who will get the best jobs are the type of people who always get the best jobs, those with a truly exceptional level of dedication to science, who seize ownership of their research and careers, and who fix problems instead of blaming others for them. If you find yourself thinking about astronomy and wanting to work on your research most of your waking hours, then academic research may in fact be the best career choice for you.“ Unter „außergewöhnlicher Hingabe an die Wissenschaft“ versteht man hier anscheinend die totale Selbstaufopferung. Wer sein Leben nicht voll und ganz der Arbeit widmet, wird keinen guten Job bekommen. Wer Dinge tut, die nicht der Produktion wissenschaftlicher Fachartikel dienen, schadet seiner Karriere. Für ein Privatleben oder gar ein Familienleben oder auch nur Hobbys bleibt jungen Wissenschaftlern kaum Zeit. Auf jeden Fall werden sich immer genug finden, die bereit sind, all das zu vernachlässigen, um eine der wenigen Dauerstellen im Universitätsbetrieb zu bekommen. Und wer bei diesem Konkurrenzkampf nicht mitmacht, wird zurück gelassen. Natürlich ist es trotzdem noch möglich, ein paar Hobbys zu pflegen. Bloggen kann hier allerdings gefährlich werden. Denn die Tatsache, dass man seine Zeit nicht voll und

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schadet bloggen der karriere?

ganz der Forschung widmet, sollte man nicht unbedingt allzu öffentlich machen. Sonst könnte es einem so ergehen wie Jonathan Eisen, Professor für Mikrobiologie an der University of California, Davis. Ein Projektantrag den Eisen im Jahr 2012 eingereicht hatte, wurde abgelehnt. In der Begründung dafür hieß es: „Eisen seems to be the only team member with this expertise, and may not have the bandwidth to coordinate this on such a large project alone, especially given his high time commitment to his blog.” Die Gutachter hatten also festgestellt, dass Eisen in seiner Freizeit ein Blog betreibt. Und damit festgestellt, dass Eisen sich so etwas wie „Freizeit“ überhaupt leistet. Was anscheinend ausreichend war, um ihm die Fördergelder nicht zu gewähren. Nur wer sich voll und ganz auf die Forschung einlässt, könne auch gefördert werden... Das, was in der Wissenschaft gilt, gilt sicher auch für viele andere Karrierewege. Wer voran kommen will, muss Zeit und Energie investieren. Und wer sich neben der Arbeit noch Freizeit leistet, sollte dabei zumindest von den Vorgesetzten nicht gesehen werden. Bloggen ist in diesem Fall leider tatsächlich ein denkbar schlechtes Hobby. Wer regelmäßig Texte im Internet publiziert, ist nicht nur sichtbar, sondern auch öffentlich angreifbar. Bloggen schadet so also tatsächlich der Karriere. Aber solche klassischen Karrieren sind immer mehr die Ausnahme. Die wenigstens Studenten arbeiten sich von Diplom und Doktorat über die Habilitation bis zur Professur nach oben. Die wenigsten Arbeitnehmer bleiben jahrzehntelang im selben Beruf und derselben Firma um konstant in den dortigen Hierarchien aufzusteigen. Menschen wechseln die Berufe und sogar die Berufsfelder viel öfter als früher. Angestellte werden Freiberufler, Selbstständige wechseln in ein Anstellungsverhältnis und manche ständig zwischen beidem hin und her. Im Arbeitsleben muss man heute flexibler, lernfähiger und offener sein, um Erfolg zu haben. Und bei dieser neuen Art der Karriere sind Blogs nicht nur nicht schädlich, sondern äußerst hilfreich! Wer bloggt, lernt nicht einfach nur zu schreiben. Wer bloggt, lernt eigene Ideen für andere interessant und lesenswert aufzubereiten und fremde Gedanken verständlich darzustellen. Wer bloggt, hat die Möglichkeit, auf eine Art und Weise zu publizieren und sich mit Themen zu beschäftigen, die mit den klassischen Wegen der Veröffentlichung nicht möglich waren. Es ist nicht mehr nötig, sich an den Bedürfnissen eines Marktes zu orientieren – man kann sich seine eigene Nische suchen und wird im globalen Netz sein

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Publikum finden. Wer bloggt, kann so zu einem Experten werden und Kompetenzen sammeln, die anders nicht zu erlangen wären. Wer bloggt, ist viel direkter der Kritik seines Publikums ausgesetzt. Im Gegensatz zu journalistischen Publikationen in klassischen Zeitungen oder dem Verfassen von Büchern kommt das Feedback in einem Blog sofort und direkt. Die Leserinnen und Leser können miteinander und mit dem Autor diskutieren. Der unmittelbare Kontakt mit der Öffentlichkeit trainiert die Kommunikationsfähigkeit und es entstehen dabei oft Ideen, die anderswo nicht entstanden wären. Das Wichtigste aber ist: Wer bloggt, kann sein eigenes Netzwerk massiv erweitern! Je erfolgreicher das Blog und je vielfältiger die Themen, desto vielfältiger werden auch die Leserinnen und Leser sein. Ein Blog ist ein hervorragender Weg, Menschen kennenzulernen, die man anders nie kennengelernt hätte; ein Weg, Kontakte zu Menschen außerhalb des üblichen Umfelds zu knüpfen und das eigene Netzwerk in ganz neue Bereiche auszuweiten. Wer ein erfolgreiches und oftgelesenes Blog betreibt und die Kommunikation mit der Leserschaft nicht ignoriert, wird durch die so geknüpften Kontakte völlig neue Möglichkeiten für völlig neue Karrieren vorfinden. Bloggen schadet der Karriere. Manchmal. Aber die Karrieren, die durch das Bloggen beschädigt werden können, sind vielleicht auch die Karrieren, die man sowieso nicht anstreben sollte.

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FLÜCHTLINGE WILLKOMMEN ÖSTERREICH DAVID ZISTL

Die Zahl der Flüchtlinge in Österreich ist in den vergangenen 18 Monaten kontinuierlich gewachsen und die weltpolitische Lage lässt auch für die kommende Zeit einen Anstieg der Schutzsuchenden erwarten. Diese Menschen müssen ausreichend versorgt werden, brauchen adäquate Unterkünfte und wollen in ihren Integrationsbemühungen unterstützt werden. Passiert das nicht, sind Flüchtlinge direkt von Armut gefährdet. Staatliche Einrichtungen greifen auf Massenquartiere zurück, in denen kaum Raum für Privatsphäre und Gelegenheit für soziale Kontakte mit bereits in Österreich Lebenden ist. Laut Angaben des BMI fehlen zur Zeit rund 31.000 Wohnplätze für geflüchtete Menschen. Daher will Flüchtlinge Willkommen einen Beitrag in der Flüchtlingsunterbringung leisten. Der Verein „Bildungsinitiative Österreich – viel mehr für Alle“ hat es sich mit seinem Projekt Flüchtlinge Willkommen zum Ziel gesetzt, privat zur Verfügung gestellten Wohnraum an geflüchtete Menschen zu vermitteln und die so entstandenen Wohngemeinschaften professionell zu begleiten. Beiden Gruppen, den geflüchteten Menschen und den UnterkunftgeberInnen, erwachsen gegenseitige Vorteile aus dieser Beziehung und diese ermächtigen sie zum Handeln und Gestalten. Die bisherigen Erfahrungen mit 140 Vermittlungen österreichweit waren überwiegend positiv und das Medieninteresse ist groß. Mit der im Oktober 2015 gestarteten Kampagne „Flüchtende 1000x Willkommmen“ hat sich das Projektteam gemeinsam mit den KooperationspartnerInnen Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) und VereinRespekt.net vorgenommen, österreichweit 1000 geflüchtete Menschen in Privathaushalte unterzubringen. Dabei stehen die Struktur und der Teamaufbau ebenso wie die genaue Dokumentation der Vermittlungs- und Nachbetreuungsaktivitäten im Mittelpunkt. Aktive Öffentlichkeitsarbeit und das Ausbauen von Netzwerken, insbesondere mit Gemeinden österreichweit, werden dafür sorgen, dass Integration langfristig gelingt. Flüchtlinge Willkommen Österreich zielt darauf ab, geflüchtete Menschen in die österreichische Gesellschaft zu integrieren und durch den gegenseitigen Austausch Vorurteile abzubauen. Indem geflüchtete Personen ins Zentrum der Gesellschaft gerückt werden, können soziale Netzwerke aufgebaut werden und auch das Erlernen der deutschen Sprache wird gefördert.

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DAVID ZISTL

Aktuell sind die Massenunterkünfte für AsylwerberInnen überfüllt, häufig in menschenunwürdigen Zuständen, und oftmals befinden sie sich an weit abgelegen Orten. Auch Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte haben es am Wohnungsmarkt nicht viel einfacher und finden nach ihrer Anerkennung nur schwer eine Wohnung. Auf staatlicher Seite werden Alternativen zu Massenunterkünften vergeblich in alten Kasernen oder Pensionen gesucht und gleichzeitig werden Berichte über die Überfüllung vom Erstaufnahmezentrum Traiskirchen verfasst. Österreich könne den Zulauf von Flüchtlingen nicht bewältigen, heißt es. Österreich kann es doch, sagt die Initiative „Flüchtlinge Willkommen“. Wenn der Staat nicht handelt, muss es eben die Gesellschaft tun. Deshalb möchte die Initiative private Wohnräume an Flüchtlinge vermitteln. AsylwerberInnen, Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte sowie Geduldete und Illegalisierte sollen diese Möglichkeit erhalten. WIE FUNKTIONIERT DIE PLATTFORM? Zuerst melden sich Wohngemeinschaften oder Familien, die ein freies Zimmer zur Verfügung haben, auf der Plattform www.fluechtlinge-willkommen.at an. Im nächsten Schritt setzen wir uns mit den Menschen, die sich angemeldet haben, in Verbindung und klären dabei offene Fragen und die Finanzierung des Zimmers ab. Wir unterstützen bei Ideen zur Finanzierung des Zimmers. Vor allem Mikrospenden sind in diesem Fall vielversprechend und funktionieren erfahrungsgemäß einfach und erfolgreich. Außerdem melden sich einige SpenderInnen auf der Plattform an, die auch bereit sind, einen Beitrag zur Miete eines Zimmers zu leisten. Ist die Finanzierung abgeschlossen, stellen wir den Kontakt mit Hilfe von NGOs zu geflüchteten Menschen her. Zudem besteht die Möglichkeit, dass sich Flüchtlinge direkt über die Plattform anmelden können. Wir stehen bereits mit zahlreichen NGOs in ganz Österreich in Kontakt. Wir fungieren somit als Vermittler und stellen den Kontakt zwischen Menschen mit Fluchterfahrung und der österreichischen Gesellschaft her. Ende Jänner 2015 hat der erste Asylwerber ein WG-Zimmer in Wien bezogen. Bisher konnten österreichweit bereits 250 geflüchtete Personen in WGs untergebracht werden. Täglich gehen neue Anmeldungen ein, die Anzahl erhöht sich monatlich. Eine Pensionistin aus Wien, eine Studenten-WG aus Graz und eine Familie aus Salzburg – sie alle wollen mitmachen.

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SOZIALER WANDEL UND DIE GENERATION Y ELISABETH HAHNKE

Wir zetteln keine großen Revolutionen an, wir gehen nicht auf die Straße. Wir sind nicht laut und schrill in dem was wir verändern wollen. Wir sind leise. Super leise. Denn wir setzen weder bei politischer Gerechtigkeit noch beim freien Markt und auch nicht bei der Wohlfahrtspflege an. Wir nehmen unseren Ausgangspunkt nicht bei unseren Institutionen, nicht bei der Moral als gesellschaftlichen Wert und auch nicht bei der Mystifizierung klassischer Bildung. Und dennoch wollen wir Zugänge schaffen. Zugänge zu Bildung, Geld, Wohlstand, zu Netzwerken, Ideen und politischer Mitbestimmung. Wir wollen Lösungen für den Klimawandel finden und für die Arbeitslosigkeit. Wir wollen mithelfen eine Welt zu kreieren in der jeder seinen Platz hat, seine Rechte und diese auch nutzen kann, sein Dach über dem Kopf und eine gute Handvoll Träume im Gepäck, sowie den Mut, diese lebendig werden zu lassen. Im Großen wie im Kleinen wollen wir gesellschaftlichen Wandel, nur ist unser Zugang zu Veränderung etwas anders als was davor an Strategien zur Opposition und zum kulturellen Hacking bestehender Strukturen da war. Denn wir haben große Demut vor der Komplexität dieser Welt, der Vernetzung und dem undurchschaubaren Zusammenspiel unserer Systeme. Anstatt Karriere in bestehenden Systemen zu machen, um dann etwas ändern zu können, setzen wir bei uns an, bei uns selbst und unserer sozialunternehmerischen Raffinesse. Und das ist in dieser Ausprägung vielleicht neu. In meiner Generation zieht sich ein neues Menschenbild durch. Wir nehmen uns als kraftvolle Mitspieler wahr und glauben daran, dass wir uns selbst verändern müssen, um das in der Welt hervorzubringen, was wir uns wünschen. Wir brechen aus bestehenden Strukturen aus und gründen Unternehmen die nicht Gewinnmaximierung zum Ziel haben sondern die Lösung eines spezifischen sozialen Problems. Wir nehmen uns selbst in die Verantwortung, ganz persönlich und nah. Wenn wir nicht selbst ausdrücken und leben, was wir in dieser Welt erfahren möchten, dann wird es nicht greifen. Bei ROCK YOUR LIFE! haben wir bewusst einen Ansatz gewählt, der die Veränderung des Lebens von Einzelnen inspiriert. Wir verändern damit keine bildungspolitischen Programme und man mag uns das vorwerfen. Wir sind da pragmatisch. Wenn wir einige tausend Schüler aus benachteiligten Verhältnissen erreichen und ihnen Mut machen können, an sich zu glauben und sie erfahren, was sie selbst für eine Kraft in sich tragen, und wenn wir ihnen Unterstützung darin geben, ihre eigenen Träume zu realisieren, dann sind wir wirksam. Bei ROCK YOUR LIFE! machen wir Studierende und Schüler fit durch Mentoring auf eine zweijährige Reise miteinander zu gehen. Beide können ganz individuell

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aufeinander eingehen. Der eine Schüler braucht einfach nur jemanden an der Seite, der wirklich für ihn da ist, die andere will die Erfahrung, dass sie jemandem vertrauen kann und noch ein anderer Mentee will ganz praktische Begleitung in allen Fragen rund um die Berufsorientierung. Bei einem Mentoring-Paar ging es darum für das Mädchen eine Zahnspange zu beantragen, weil die Eltern sich nicht durch den deutschen Versicherungs- und Antragsstellungswust durchkämpfen konnten. Bei einem anderen Tandem ging es wiederum darum, dass eigene Selbstbewusstsein aufzubauen und immer und immer wieder kleine Erfolgserlebnisse bewusst wahrzunehmen. Veränderungsprozesse die greifen sollen, müssen den einzelnen Menschen mit seinen Bedürfnissen und seiner momentanen Situation in den Blick kriegen. In meiner Generation nehmen wir uns eher Teilausschnitte der Realität, bearbeiten sie und gehen immer vom Individuum aus – zu allererst von uns selbst. So ist diese Generation anders als es medial diskutiert wird – vielleicht die politischste, die es je gegeben hat, weil sie den Versuch unternimmt im Kleinen zu leben, was sie sich im Großen wünscht. Als Bildungs- und Sozialunternehmerin setze ich mich mit den Chancen zu sozialer Veränderung auseinander. In meiner Tätigkeit als Coach und Trainerin geht es stattdessen immer um die Möglichkeiten persönlicher Veränderung. Wie sind diese beiden Ebenen miteinander verschränkt? Wie bedingen sie sich? Wie blockieren sie oder verstärken sie sich? Aus meiner Perspektive müssen wir auch immer den persönlichen Wandel im Blick haben, wenn wir uns um sozialen Wandel kümmern. Der folgende Text ist eine (mehr poetische) Auseinandersetzung mit dem Wunsch, „die“ Welt zu verändern und zu verbessern. Viele Menschen haben den Wunsch an einer „besseren“ Welt mitzuwirken, die einschließt anstatt ausgrenzt, die ermöglicht anstatt begrenzt, und die es jedem Menschen erlaubt, in Freiheit und Sicherheit zu leben. Oft überfordert uns dieses wichtige Anliegen. Wir opfern uns entweder selbst durch all unser Engagement auf oder wir hören damit auf etwas zu tun, was einen positiven Unterschied machen könnte, weil wir uns zu klein fühlen und es sowieso keinen Sinn zu haben scheint. Ich denke, dass wir die Perspektive auf unser Engagement und unseren Einflussbereich ändern dürfen. Ich kann immer eine Welt verändern – und das ist meine! Ich kann nicht das Bildungssystem in Deutschland verändern – und jeder Ausruf, dass die neuen Social Entrepreneurs genau das tun würden, ist ein Hohn für jeden, der in diesem Bereich arbeitet und immer wieder gegen Windmühlen kämpft. Aber ich kann es tausenden von Schülern ermöglichen, einen Mentor an die Seite gestellt zu bekommen. Ich kann nicht die Flüchtlingskrise ändern, aber ich kann als Anhöhrungsbegleiterin ein paar Menschen auf ihren Asylantrag vorbereiten. Ich kann auch nicht das Lohndumping im Einzelhandel oder im Service beenden, aber ich kann in jedem Restaurant und an jeder Kasse ordentlich Trinkgeld geben. Das ist der Einfluss den ich

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Sozialer Wandel und die Generation Y

habe und diesen nutze ich! Und wer weiß, was geschieht, wenn wir mehr werden? Wenn Sie sich auch inspirieren lassen möchten ihre Welt zu verändern, dann ist der folgende Text bestimmt richtig für Sie. CHANGE YOURSELF, CHANGE THE WORLD 12 Worte, 12 Gedanken, 12 Minuten Wach auf und hinein, in die, die du wirklich bist. Steh auf. In voller Größe. Und eigne dir deine Träume an. Setz um, was du dir versprochen hast. Weil du es dir versprochen hast. Nicht weil es besser aussieht, nicht auf Grund von Erwartungen, Status oder einer Ideologie von einer besseren Welt. Welche Welt willst du ändern, wenn nicht deine? 1. ERWACHEN

Wach auf und hinein, in die, die du wirklich bist. Schließlich ist es Frühling. Schüttle die Schleier alter Gedanken und unangenehmer Gefühle von dir ab, die sich im Laufe deines Lebens, wie ein Mantel um dich gelegt haben. Wer bin ich ohne meine kulturelle Prägung, minus der Erwartungen meiner Eltern, ohne die Angst es nicht zu schaffen? Was bleibt dann von mir übrig, wenn ich ganz bei mir angekommen bin? Was von dem was ich jetzt denke, fühle und gestalte bleibt, und was geht – einfach weil es nicht zu mir gehört? Und… was mache ich dann in dieser Welt? 2. VERANTWORTEN In „Verantworten“ steckt die Antwort auf deine wichtigsten Fragen. Du fragst: Wer bin ich? Was kann ich schon tun, um die Welt zu verändern? Und wo beginnen? Wo enden? Und mit wem? Wieso sollte mich „die Welt“ überhaupt interessieren? Hab ich ein Helfersyndrom, bin ich verrückt? Sollte ich mich nicht lieber einreihen und mitmarschieren auf den vorgefertigten Karrierewegen? CEO? CFO? E.Commerce? Innovative Product Management? Vielleicht. Antworte. Verantworten bedeutet, dass du antwortest. Wem? Dem Leben. Dir selbst. Welche Frage ruft dich? Welche Frage stellt dein Leben an dich? Welche Frage bringt alles in dir zum Schwingen? Antworte. Meine Frage ist: Wie können wir die Welt verändern, indem wir uns selbst verändern? Wo ist die Schnittmenge zwischen mir und der Welt, wie ich sie wahrnehme? Meine Antwort ist: Ich will bedingungslos das sein, was ich in der Welt verändern will. Mein Leben ist dann meine Antwort. 3. VISION Mach die Frage, die du dir stellst zu deiner Vision. Da draußen gibt es keinen Sinn. Lass

dich nicht täuschen. Sinn entsteht in dir. Weil du entschieden an etwas glaubst, an eine Möglichkeit, dass wir …fülle die Lücke… nachhaltig wirtschaften, uns unabhängig

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von unserer Herkunft entfalten, Kleider tauschen anstatt neu zu kaufen, krumme Karotten retten, nur noch 300 Dinge besitzen anstatt 10.000…fülle die Lücke. Woran glaubst du? Welche Möglichkeit will sich durch dich realisieren? Was bringst du in die Welt? Damit sie…schöner, lebenswerter, inklusiver, friedvoller…wird? 4. BEGINNEN Nur ein Schritt. Kannst du ihn gehen? Du bist deine Vision. Du bist die Möglichkeit, die Realität wird. Ist das genug? Das ist mehr, mehr, mehr, mehr als genug. Warte nicht bis ganz München Kleider tauscht, tausche Kleider. Warte nicht bis 10.000 Schüler ihr Potential umarmen und entfalten, mach es selbst. Warte nicht bis deine Familie nachhaltig konsumiert, beginne jetzt. Denn dann machst du uns allen eine Tür auf, dir zu folgen. Und das ist leichter für uns, als wenn wir sie selbst finden und öffnen müssten. 5. MACHEN Mach! Mach…dich selbstständig. Mach…dir Raum für dein Engagement neben deinem Beruf. Mach…den Anruf. Mach…die Finanzierungsplanung. Mach…ein Angebot. Mach…Lust mit dir zu arbeiten. Mach…deine Website. Mach…die Weiterbildung zum Mentor. Mach…die Rechtsberatung für Flüchtlinge. Mach…die Excel Tabelle, um deine Aufgaben zu organisieren. Mach…dein Herz auf. Mach…es mit absoluter Entschiedenheit. 6. OHNMACHT Oh Gott, du willst die Welt verändern. Und was machst du? Du machst…den Anruf. Du machst….die Finanzierungsplanung. Du machst…das Engagement neben deinem Beruf. Du machst…die F* Excel Tabelle in deiner 100 Quadratmeter Altbauwohnung! Es ist nicht genug. Ukraine. Syrien. Fukushima. Und… Dresden. Und was mach ich? Ich koche mit Flüchtlingen. Ich unterstütze Schüler dabei ihr Potential zu entfalten. Ich kaufe beim Bauern. Ich trage grün. Oh Gott. Es ist nie genug. Mein Wirken ist nie ausreichend. Ich bin…nicht genug. Ohnmacht. 7. ANNEHMEN Du kannst nicht die Welt verändern. Punkt. Also warum versuchst du es? Sie überschwemmt dich mit ihren Problemen, die andere kreiert haben. Sie überhäuft dich mit Hilferufen, zu denen du keine Antwort hast, die du nicht verantworten kannst. Bleib jetzt dran. Mach dich nicht klein. Du kannst die Welt nicht verändern. Punkt. Aber du kannst DEINE Welt verändern! Ausrufezeichen. Du darfst DEINE Welt verändern. Du hast das Recht dazu, DEINE Welt zu einem Ort zu machen, der leuchtet und einlädt etwas anders zu tun. Ein Ort der mich vielleicht einlädt, zu leuchten und auch meine Welt zu verändern, zu einer, in der es liebevoll, friedvoll, freudvoll ist. Und was geschieht, wenn wir mehr werden? Verändern wir dann doch die Welt…?

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Sozialer Wandel und die Generation Y

8. GEGENWÄRTIGKEIT Lass dich nicht von kollektiven Gedankenströmungen einfangen, die dich mitreißen und gedanklich in Krisengebieten auswerfen, wo du mit leeren Händen stehst und NICHTS tun kannst. Hör auf über den Zustand der Welt oder den Zustand deines Lebens zu schimpfen. Was soll Gutes…Neues von dort kommen? Lass dich nicht von der Angst antreiben, sondern von deiner Vision. Kämpfe nicht gegen ein Problem, sondern erschaffe etwas Neues. Atme. Sei da. Komm zu dir zurück. Geh in deine Kraft. Du bist gerade nicht in Syrien und deswegen kannst du dort nichts machen. Nimm wahr was ist. Und wenn du jemanden in Syrien kennst und er dich bittet, Geld für Medikamente zu schicken, schick Geld für Medikamente… und für Kleidung… und Zigaretten… und Spielzeug für die Kinder. Nimm deinen Einflussbereich wahr und fülle diesen vollkommen aus. Erweitere ihn Schritt für Schritt. Aber steige nicht in den Einflussbereich eines anderen und schimpfe und fuhrwerke da panisch herum. Da, wo du bist, mach den berühmten positiven Unterschied. Das ist mehr als genug. 9. VERÄNDERN Wenn du das machst, veränderst du deine Welt und alle die Teil von ihr sind. Und ohne es zu merken, verändert deine Welt dich. 10. WAHRHAFTIGKEIT Du bist angekommen. Bei dir selbst. Du lebst deine Vision. Du entfaltest dein Potential. Du schärfst deinen Blick für deine Welt. Du bist wach. Du bist wirklich da. Du erfährst deine Wirkung tausendfach. Du weißt, dass du mehr bist als deine Gedanken und Gefühle. Du entscheidest dich jeden Tag für dich, für dieses mehr in dir selbst. Du hältst dich nicht zurück. Wie könntest du auch? 11. GRÖSSE Das ist deine Größe. Du veränderst etwas in dir, und deine Welt ändert sich mit. Du lässt z.B. die Idee los, nichts zu können, klein zu sein, keinen Einfluss zu haben. Sie verschwindet aus deinem System. Und plötzlich erkennst du, was du wirklich bewirken möchtest und beginnst. Du machst…das Engagement neben deinem Beruf. Du machst…die Mentorenausbildung. Du machst…die Rechtsberatung für einen Flüchtling. Und dein Mentee fühlt sich sicherer, weiß, dass du da bist um ihn durch das deutsche bürokratische Chaos zu navigieren. Der Asylantrag geht durch. Du veränderst etwas in dir, und eine Welt ändert sich mit. 12. LIEBE Vielen Dank.

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„VERTRAUEN“ – DIE WÄHRUNG DER ZUKUNFT? PHILIPP HARNONCOURT

Eine Währung, die Zukunft haben will, muss wertbeständig sein und allgemeines Vertrauen genießen. Ob das Vertrauen selbst in der Zukunft frei konvertierbare Währung sein wird, muss sich erst erweisen. Jedenfalls aber ist das wünschenswert und vielleicht auch erreichbar! 1. WAS HEISST UND WAS IST „VERTRAUEN“? 1.1 Das Wort „Vertrauen“ ist etymologisch mit Treue (im Sinn von Beständigkeit) verwandt. Diese ist vom Empfänger und vom Geber des Vertrauens zu erwarten. Treue sollte prinzipiell auf Gegenseitigkeit beruhen. Das deutsche Wort „trauen“ / „sich trauen“ gehört zur Wortgruppe um „treu“ – d. h. stark, fest, dick, dicht, wahr1. In anderen Sprachen gibt es auch andere etymologische

Zusammenhänge. „Wir trauen uns“ ist eine neue Redewendung, eine Äußerung der Zuversicht, dass Ehe und Familie gelingen werden …

1.2 Vertrauen2 ist kein Gegenstand, sondern eine subjektive Überzeugung. Diese beruht einerseits auf einer allgemeinen Ur-Erfahrung und ist andererseits eine unerlässliche Voraussetzung für jedes gelingende Zusammenleben aller höheren Lebewesen, die mit Bewusstsein und Freiheit ausgestattet sind: also bei Menschen und bei Engeln. Es handelt sich dabei um ein bewusstes und frei gewährtes Loslassen des „Ich“ und aller eigensüchtigen Interessen auf ein „Du“ hin zugunsten eines gemeinsamen „Wir“ im Hinblick auf individuelle und soziale Lebensqualität. Ein solches Vertrauen kommt in der Redewendung „sich verlassen auf“ sehr treffend zum Ausdruck. Es ist auch die Grundlage und der Grundvollzug für die drei sogenannten Göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Tiefenpsychologie geht heute davon aus, dass der Vorgang jeder Geburt ein warmes, geborgenes und glückliches Leben, das von vertrauten Herztönen und Stimmen begleitet ist, gewaltsam beendet. Das Hinausgestoßenwerden in Kälte und Fremde erzeugt unbewusste Todesangst und zugleich ein existenzielles Verlangen nach neuer Wärme und Geborgenheit. Neu erfahrenes Angenommensein ist der einzige Ausweg aus existenzbedrohender Angst und bewirkt Vertrauen. Umgekehrt ist das Schüren von 1  Google, Wikipedia. 2  Diese Darlegungen sind Ergebnis meiner eigenen Überlegung und Erfahrung, sie sind als Anregungen zur Diskussion gedacht.

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„Vertrauen“ – die Währung der Zukunft?

Angst die wirksamste und gefährlichste Weise, Vertrauen zu zerstören und zugleich Ichsucht zu wecken und Gewalt zu legitimieren. Solche Ichsucht umfasst in der Regel ein hemmungsloses Streben nach Besitz, Geltung und Genuss ohne Rücksicht auf andere Menschen. Bei Säugetieren und Vögeln (das sind Warmblüter), aber ebenso auch bei Unmündigen gibt es dem bewusst gewährten Vertrauen ähnliche Instinkte, die unbewusst das gelingende, individuelle und gemeinsame Leben ermöglichen. In beängstigenden Situationen wie Gefahr, Unsicherheit und Unwissenheit ist Vertrauen in gute und warme Arme absolut überlebenswichtig! In weiterem Sinn ist Vertrauen auch ein Loslassen eines kleineren oder auch größeren kollektiven, aber in gewisser Hinsicht beschränkten „Wir“ zugunsten eines übergeordneten „Wir“. Dafür gibt es eine Reihe verschiedener Spielarten: • Ich vertraue dir (das ist das Grundmuster jedes Vertrauens); • ich vertraue euch; • wir vertrauen dir; • wir vertrauen euch; … und das in je größeren Zusammenhängen. Vertrauen ist prinzipiell ein Beziehungs-Verhalten zwischen Vertrauengeber und Vertrauennehmer. Diese beiden können sowohl einzelne Individuen wie auch Gruppen, Kollektive oder auch Institutionen sein. Es wird aber mit guten Gründen auch von einem gesunden Selbst-Vertrauen gesprochen, ohne das – sei es weil es fehlt oder weil es überentwickelt ist – reifes menschliches Leben nicht gelingen kann; auch das gilt sowohl individuell wie auch kollektiv (z.B. für Sport-Mannschaften, Firmen, oder Ähnlichem). Man kann sich gewissermaßen selbst gegenübertreten, mit sich selbst in Beziehung treten. Voraussetzungen für jegliches Vertrauen sind: beim Vertrauennehmer eine beständige Vertrauenswürdigkeit, die Kompetenz, Wohlwollen und Redlichkeit umfasst, und beim Vertrauengeber eine ebenso beständige Vertrauensbereitschaft. Geber und Nehmer des Vertrauens sollten frei sein einerseits von Leichtgläubigkeit und andererseits von Misstrauen. Um krisenfestes Vertrauen entstehen zu lassen, müssen Vertrauenswürdigkeit und Vertrauensbereitschaft als stark und beständig erlebt worden sein. Auch das stärkste Vertrauen kann enttäuscht werden, und zwar sowohl beim Nehmer wie auch beim Geber des Vertrauens. Enttäuschtes Vertrauen hat katastrophale und weitreichende Folgen, und nicht selten erweist sich eine Wiederherstellung als

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unmöglich. Es ist daher notwendig, sich vor leichtfertiger Gutgläubigkeit zu hüten, ohne aber deshalb ein grundlegendes Misstrauen zu entwickeln. Es ist aber auch notwendig, dass Geber wie Nehmer ihr Vertrauen aufmerksam pflegen und einander von Zeit zu Zeit auch glaubwürdig kundtun. Bei gleichrangigen Partnern des Vertrauens ist umfassende Gegenseitigkeit zu fordern. Eine weitere Form ist das Vertrauen gegenüber Gesetzmäßigkeiten und Gegebenheiten der Natur: Regelmäßige Wiederkehr in den Kreisläufen der Jahreszeiten, Mondphasen, Tag/Nacht-Rhythmen; Festigkeit von Eis, Haltbarkeit von Holz oder Stein; Sauberkeit von Quellen, Genießbarkeit von Pflanzen und Früchten usw., und gegenüber manchen Produkten: ich vertraue der Festigkeit des Kletterseils oder der Brücke, der Genauigkeit der Uhr oder der Waage, der Kraft des Treibstoffs, der Funktionstüchtigkeit von Maschinen und Fahrzeugen, von Medikamenten, medizinischen Geräten und Behandlungen. Das Vertrauen gegenüber Fabrikaten ist mitbestimmt durch die Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit der Erfinder, Konstrukteure und Produzenten. Diese Reihe kann jeder und jede für sich weiter verfolgen. Eine wichtige und logische Konsequenz aus dem Vertrauen ist das Anvertrauen, also sich selbst, eine andere Person oder eine Sache in andere, vielleicht besser geeignete Hände legen. Nur wem ich vertraue, kann ich mich selbst, jemand anderen oder etwas auch anvertrauen: zum Beispiel mich selbst einem Arzt, einem Seelenführer oder einem Anwalt; meine Kinder der Schule; mein Eigentum einer Institution oder einem Treuhänder. Jedem Träger von Verantwortung ist jemand oder etwas anvertraut. Aus dem Begriff der „Ver-Antwortung“ ergibt sich, dass es auch eine Rechenschafts-Pflicht gibt: gegenüber dem Geber des Vertrauens, gegenüber gesetzlicher Ordnung, gegenüber sich selbst und letztlich gegenüber Gott, der als mein bzw. unser Schöpfer die Schöpfung dem nach seinem Bild geschaffenen Menschen anvertraut hat3 . 2. VERRÄTERISCHE UND MEHRDEUTIGE REDENSARTEN (ANREGUNGEN ZUM WEITERDENKEN) • •

„Trau - schau wem!“ Sei nicht leichtfertig oder unbedacht im Schenken und Annehmen von Vertrauen. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Diese gegenwärtig geltende Maxime ist eine Bankrott-Erklärung gegenüber dem Vertrauen und der Humanität! In einer heilen Gesellschaft müsste genau das Gegenteil gelten: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!“

3 Es lohnt sich, die ersten Kapitel des Buches Genesis unter diesem Aspekt zu lesen!

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„Vertrauen“ – die Währung der Zukunft?

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„… blind vertrauen …“ ist der Anfang des Paradieses! Oder der Anfang des Untergangs. „Die Wählerinnen und Wähler haben uns ihr Vertrauen geschenkt!“ sagen die Wahlgewinner. „Die drüben sind jetzt an die Macht gekommen!“ sagen die Verlierer und wollen damit ausdrücken: Vertraut ihnen nicht, denn sie werden ihre Macht missbrauchen und euch unterdrücken! „Das Vertrauen verspielen …“ Das kann der Vertrauennehmer, aber auch der Vertrauengeber. „Wer sich auf jemanden verlässt, der ist schon verlassen.“ Ein beschämendes Zeugnis eines allgemeinen Misstrauens. „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Verspieltes Vertrauen ist sehr schwer wiederherzustellen.

3. VERTRAUEN IM RELIGIÖSEN GLAUBEN4 - EINE NICHT ZU BEZWINGENDE ZUVERSICHT GEGENÜBER GOTT 3.1 Vertrauen in der Bibel (eine kleine Auswahl von Texten) Besonders häufig und abwechslungsreich sind Zeugnisse des Vertrauens im Buch der Psalmen. • Behüte mich, Gott, denn ich vertraue dir! (Ps 16,1); • Der König vertraut auf den Herrn; die Huld des Höchsten lässt ihn nicht wanken. (Ps

21,8); In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist! (Ps 31,6), zitiert von Jesus am Zu dir, Herr, erheb ich meine Seele. Mein Gott, auf dich Kreuz (Lk 23,46);° vertraue ich! (Ps 25,1)5 • An ihm freut sich unser Herz, wir vertrauen seinem heiligen Namen. (Ps 33,21); • Vertrau ihm, Volk Gottes, zu jeder Zeit, denn er ist unsere Zuflucht! (Ps 62,9); • Haus Israel, vertrau auf den Herrn, er ist Helfer und Schild! Das wird 3 Mal wiederholt! (Ps 115,9-11); • Die sind Vertraute des Herrn, die ihn fürchten. (Ps 25,14). Der Apostel Paulus sieht seiner Hinrichtung gefasst entgegen, denn wir wollten unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzen, sondern auf Gott. (2Kor 1,9). In den Evangelien ist immer wieder die Rede vom Herrn, der sein Vermögen seinen



4 Hier wird nur die jüdisch-christliche Tradition ins Auge gefasst. Dieselbe Untersuchung kann an allen heiligen Schriften vorgenommen werden. 5 Zitiert als Incipit im Lied GL 142

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Dienern anvertraut und sie später zur Rechenschaft zieht, wie sie mit dem anvertrauten Gut umgegangen sind. 3.2. Vertrauen im Kirchenlied6 Von sehr vielen Liedern und einzelnen Strophen seien vier besonders bemerkenswerte herausgegriffen. • Zu dir, o Gott erheben wir die Seele mit Vertrauen. - Zitat aus Ps 25 (GL 142); • Darum auf Gott will hoffen ich / auf mein Verdienst nicht bauen. Auf ihn will ich verlassen mich / und seiner Güte trauen. … Martin Luther 1524 (GL 277); Hoffnung • Meine und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht! Jacques Berthier, Taizé (GL 365) • Voll Vertrauen gehe ich den Weg mit dir, mein Gott / getragen von dem Traum, der Leben heißt. Am Ende dieses Weges bist du selber dann das Ziel, du, der du das Leben bist. Denn ich kann dir, o Gott, / mein Leben anvertraun; / ich kann mit dir, o Gott, / mein Leben wagen. Hans Waltersdorfer 1983, Haus der Stille 4. DIE AKTUALITÄT DER VERTRAUENSFRAGE • Am 24. 9. 2015 ging die schockierende Nachricht durch die Welt, dass im führenden deutschen Autokonzern VW in betrügerischer Absicht Motoren hergestellt worden sind, die auf dem Messstand falsche Abgaswerte ausweisen. Der Vorstand hat diese Meldung umgehend bestätigt und sich für verantwortlich erklärt. Das Vertrauen in deutsche Redlichkeit7 ist dadurch weltweit nachhaltig beschädigt •

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worden. Wiederholte Umfragen zeigen ein ständig abnehmendes Vertrauen gegenüber Politikern und politischen Parteien und damit auch gegenüber der Politik ganz allgemein. Katastrophale Vertrauensverluste sind im Bankwesen festzustellen. Das traditionell starke Vertrauen gegenüber der katholischen Kirche als Institution hat durch bekannt gewordene Missbrauchs-Affären von Priestern (und weiteren Verantwortungsträgern) großen Schaden erlitten.

6 Beispiele aus dem neuen katholischen Gesangbuch Gotteslob (2013) 7 Man denke an den moralischen Appell im bekannten deutschen Volkslied: „Üb immer Treu und Redlichkeit!“ – Am 2. 12. 2015 erklärte Wolfgang Porsche als Sprecher der Mehrheitseigentümer: „Es geht jetzt darum, verlorenes Vertrauen der Kunden, in der Öffentlichkeit und an den Kapitalmärkten zurückzugewinnen!“ (Presseaussendung vom 3. 12. 2015).

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„Vertrauen“ – die Währung der Zukunft?



Gegenüber angewandter Wissenschaft, besonders Medizin und Genetik, wächst ein kritisches Beobachten. Generell fällt allerdings auf, dass es einzelnen Personen, wie zum Beispiel Albert Schweitzer, Mahatma Gandhi, Mutter Teresa, Angela Merkel und Papst Franziskus, durch überzeugend authentisches Auftreten erstaunlich schnell gelingt, Vertrauen zu wecken. Als vertrauenswürdig gelten vor allem Ärzte, das Rote Kreuz, die Feuerwehr, die Caritas und viele NGOs, um nur einige zu nennen. In einer heilen und lebenswerten Gesellschaft müsste – wie der Titel verspricht – Vertrauen die Währung der Zukunft sein. Auf dieses Ziel hin müssen Geber und Nehmer des Vertrauens beharrlich unterwegs sein!

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ETWAS UNTERNEHMEN - WIE INNOVATION GELINGT MANFRED REICHL

Innovation ist etwas zutiefst Menschliches, unergründlich wie das Wesen des menschlichen Individuums, unerschöpflich wie die menschliche Gier nach Neuem („Neu-gierde“) und unendlich kreativ wie die ewige Evolution, die mit Hilfe von Mutationen neue Arten und eine Anpassung an sich verändernde Lebensumstände ermöglicht. Wenn ich an Innovation und ihre Bedeutung für die Menschheit denke, kommt mir immer wieder jene unvergleichliche Szene in „2001 – Odyssee im Weltraum“ in den Sinn, in der Stanley Kubrik zeigte, wie sich menschliche Innovation von der natürlichen Evolution abgekoppelt hat, wie der Mensch also gleichsam zum Menschen wurde – indem einer unserer Vorfahren entdeckte, wie er einen Knochen für die Jagd einsetzen konnte, also begann Werkzeuge zu nutzen. Seit diesem Augenblick eines „göttlichen Funkens“ ist viel entdeckt und erfunden worden, überliefert durch Sprache, Schriften und Zeichnungen, verbreitet mündlich, durch den Buchdruck, den Handel oder das Internet. Und wir Menschen (er)finden immer mehr und in immer kürzeren Intervallen, denn Innovation multipliziert, ja, potenziert sich. Moderne Wissenschaftler beginnen auf einem bereits unvorstellbar hohen Berg von akkumuliertem Wissen mit unmittelbarem Zugriff auf dieses Wissen durch persönliche und elektronische Vernetzung. Und trotzdem kratzen wir Menschen in vielen Aspekten immer noch an der Oberfläche – wie auch der führende Molekularbiologe Josef Penninger beim Verständnis von lebenden Organismen und deren Krankheiten. Wir sind also auch heute – und werden es immer sein – „still confused, but on a higher level“. Die Felder für Innovation sind unendlich, nicht nur in der Wissenschaft, bei Produkten, Dienstleistungen oder der Kommunikation, sondern etwa auch bei Methoden, Geld zu verdienen (Geschäftsmodellen) oder in der Kunst und Literatur. Der menschliche Antrieb, Neues zu (er)finden und die noch unerforschten oder noch ungedachten Bereiche zu erobern, resultiert nicht nur aus unserer Neu-Gier, sondern auch aus Not, Gefahr, aus unserem Ehrgeiz, besser als andere zu sein (also aus Wettbewerb), oder aus unserem Willen nach den Sternen zu greifen (also „moonshot thinking“, das der amerikanischen Kultur entspricht und das die traditionsbeladene und eher ängstliche europäische Denkweise nicht so richtig zustande bringt).

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Etwas unternehmen - Wie Innovation gelingt

Wenn wir uns fragen, wie Innovation gelingt, müssen wir uns zunächst über die Bedeutung der Nützlichkeit von Innovationen klar werden. Sind auch kuriose aber erfolg- und nutzlose Erfindungen wie etwa die „Spaghettigabel im drehbaren Antrieb“, die „Duschmaschine für Fische“ oder Karl Valentins berühmter pelzverbrämter „Winterzahnstocher“ gelungene Innovationen? Ich glaube nicht, denn gelungene Innovationen oder Entdeckungen müssen meines Erachtens den Menschen helfen, das Leben zu erleichtern oder zu verschönern. Sie sollen also einen (zumindest latenten) Bedarf ansprechen. Eine Innovation, die gelingen soll, muss deshalb früher oder später auch in nützlicher Form eingesetzt, also meist kommerziell genutzt werden – wie das Rad, der Webstuhl, die Elektrizität, Materialkombinationen, Maschinenkomponenten, Bedienungsoberflächen, biochemische Substanzen oder soziale Netze. Ich behaupte also, dass Innovation nur dann gelingt, wenn ihr Nutzen den Menschen zugutekommt und/oder wenn sie als Baustein oder Anregung für weitere Innovationen dient. Die Zeiten, in denen Innovation als Lust an der Erkenntnis oder für metaphysischen Lohn betrieben wurde, sind – wenn es sie jemals gab – spätestens seit der Aufklärung, die durch rationales Denken alle Strukturen, die den Fortschritt behindern, überwinden wollte, vorbei. Damit also Innovation gelingt – damit sie nicht nur interessant, lustig, schön oder künstlerisch bleibt – muss also jemand etwas unternehmen. Dieser Jemand muss die Innovation aktiv nutzen, um mit ihr das Leben der Menschen angenehmer oder schöner zu machen; er muss etwa auf ihrer Basis Produkte entwerfen, diese bekannt machen, fertigen und vertreiben. Damit dieser Jemand auch ein Interesse an der Nutzung und Verbreitung einer Innovation hat, muss er einen persönlichen Vorteil daraus haben, entweder ein kommerzielles Interesse oder zumindest eine persönliche Befriedigung. Das Gelingen von Innovation hat also stark mit individuellen oder kollektiven Interessen zur Nutzung und Verbreitung der auf ihr basierenden Produkte zu tun. Wie kurz erwähnt, stimuliert der Ehrgeiz, besser als ein anderer zu sein, also Wettbewerb, gelungene Innovation besonders. Wettbewerb ist nichts Neues – es gibt ihn so lange Menschen denken können: zwischen einzelnen Menschen, zwischen Gruppen von Menschen, zwischen Imperien, ausgelebt in Spielen, Kämpfen, Macht, Schönheit, Protz oder Geschäft. Man kann Wettbewerb also durchaus als eine Charakteristik des Menschseins, als einen Aspekt der Natur des Menschen bezeichnen. Nach der Ablöse des regional begrenzten Handwerks durch die Industrie im 19. und 20. Jahrhundert, und durch immer bessere Transport- und Kommunikationsinfrastrukturen entwickelte sich zunehmend ein überregionaler Wettbewerb als Treiber von Innovation. Das „Besser-als-der-andere-sein-zu wollen-oder-müssen“ wird damit seit etwa 200 Jahren ein

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zunehmend wichtiger Innovationstreiber. Das Gelingen von Innovation war und ist also größtenteils durch geschäftliche Interessen getrieben. Seit dem 18. Jahrhundert sorgen staatliche Privilegien, später Patente, für den (vorübergehenden) kommerziellen Schutz von Erfindungen, damit der Erfinder die Vorteile aus einer Innovation zum eigenen Wohl und – nach Adam Smiths Logik der unsichtbaren Hand – auch für den Staat nutzbar machen kann. Entgegen einem häufigen Irrtum, fördern Patente weitere Innovationen, in dem sie Neuerungen (die sonst länger geheim gehalten werden würden, damit sie niemand kopieren kann) publik machen und gleichzeitig ihre kommerzielle Nutzung für einen akzeptablen Zeitraum schützen. Konsequenterweise war die meines Erachtens innovativste Zeit der Menschheit das 19. Jahrhundert, gleichzeitig jene Zeit, in der die europäischen Staaten ihre Industrie durch Patente zu schützen begannen, um Innovationen zu stimulieren und damit (nach Adam Smith) den Wohlstand seiner Bürger auszubauen. Übrigens ist all dies nicht neu: Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. vergab die süditalienisch-griechische Stadt Sybaris einjährige Schutzrechte (also Patente) für Kochrezepte, um den besten Köchen eine Kommerzialisierung ihrer Speiseninnovationen zu ermöglichen und damit den damaligen „Tourismus“ anzuregen. Damit Innovation gelingt, muss also jemand etwas unternehmen. Innovatoren sind also Unternehmer – und umgekehrt: Unternehmer sind Innovatoren und müssen solche sein. Die Frage nach dem Gelingen von Innovation ist demnach untrennbar mit Unternehmertum verbunden. Heute stehen Innovatoren und Unternehmen im globalen Wettbewerb um die kommerzielle Nutzung ihrer Erfindungen und Entwicklungen. Jener Staat, der die innovativeren Unternehmer und Unternehmen hat, erzielt den höheren Wohlstandszuwachs, indem er mehr und bessere Arbeitsplätze generieren, höhere Steuern pro Einwohner erzielen und damit seine – auch sozialen – Aufgaben am besten erfüllen kann. Innovation und Unternehmertum sind demnach etwas höchst Soziales: Ganz im Sinne Adam Smiths unsichtbarer Hand zeigen sich privates Unternehmertum und die dadurch verbreiteten Innovationen auch im gesellschaftlichen und sozialen Bereich, in der Medizin, in der Bildung oder in der Kranken-, Kinder- und Altenbetreuung. Und die modernsten Innovationen (etwa die Elektronik und das Smartphone) erleichtern gerade auch in diesen sozialen Umgebungen die Arbeit besonders. Modernes Unternehmertum ist damit die sozialste Tätigkeit überhaupt, indem sie Wohlstand verbessert, das Leben – auch das der Hilfsbedürftigsten – erleichtert und die Gesellschaft über Steuern aus der Kommerzialisierung ihrer Innovationen finanziert.

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Etwas unternehmen - Wie Innovation gelingt

Etwas zu unternehmen – und daher Innovation zum Gelingen zu bringen – bedeutet aber immer auch Risiko zu übernehmen: sich dem Wettbewerb zu stellen, auf die Gefahr hin, dass dieser vielleicht schneller oder besser ist; Zeit oder Geld in die Entwicklung einer Innovation zu investieren, auch wenn diese misslingen kann. Es gibt deshalb eine ganz natürliche Logik: kein Wohlstand ohne gelungene Innovationen, kein Gelingen von Innovationen ohne Unternehmer, keine Unternehmer ohne Risiko, kein Risiko ohne Misserfolge, keine Misserfolge ohne Aufstehen und nochmals Versuchen. Das bewusste Eingehen eines kalkulierten Risikos und das „Get up and try again!“ ist daher ein Kern für das Gelingen von Innovation! Damit Innovation gelingt, müssen wir – neben dem Stimulieren von Wettbewerb und Unternehmertum – die Bereitschaft zum „Übernehmen von Risiko“ kollektiv anerkennen und honorieren. Jemanden dafür zu bestrafen, dass er eine Innovation in den Sand gesetzt hat und dabei in Konkurs gegangen ist, verhindert die Bereitschaft Risiko einzugehen ebenso wie die kollektive Verachtung für Menschen, die „es nicht geschafft“ haben! Dabei können wir von den US-Amerikanern lernen, in deren kollektivem Bewusstsein noch immer die Eroberung ihres unendlichen Landes verankert ist: Auch Erobern ist Innovation und bedeutet Risiko eingehen. Deshalb sind die Amerikaner auch risikofreudiger und unternehmerischer als die Europäer und lassen auch Moonshot Thinking wie die Mondlandung oder globale Produkt-Roll-Outs wie Facebook oder Google, gelingen. Wie kann man das Gelingen von Innovation stimulieren? Dazu können wir auch das spielerische Entdecken von Kindern beobachten: Wenn Kindern von Beginn an bei allem geholfen wird, erhalten sie nie die Chance, etwas eigenständig zu entdecken; sie werden auch als Erwachsene nicht kreativ und innovativ sein. Wenn Kindern jedes Risiko genommen wird, etwa beim Radfahren hinzufallen, ins Wasser zu springen oder im Schmutz zu spielen, werden sie bequem; sie werden dann auch als Erwachsene jedes Risiko vermeiden. Denn wenn Kinder etwas lernen, dann versuchen sie es immer wieder: Sie werden hinfallen und wieder aufstehen! Etwas immer wieder zu versuchen und dabei das Risiko einzugehen, dass etwas nicht gelingt, gehört zum Leben – gerade auch bei Innovatoren und Unternehmern! Diese Denkrichtung muss sich durch die ganze Ausbildungsphase hindurch ziehen: Motivieren, etwas wieder zu versuchen, und nicht bestrafen, weil es am Anfang nicht gleich geklappt hat! Unsere heutige Welt ist global ausgerichtet, also globalisiert. Und das ist sehr gut so, denn dies bringt den meisten Menschen auf unserer Welt – neben viel häufiger zitierten, doch insgesamt weniger bedeutsamen Nachteilen – überwiegend Vorteile (auch wenn die Skeptiker dies nicht glauben wollen). In dieser globalisierten Welt muss auch ein

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einzelner Staat innovativ bleiben, sowohl bezüglich seiner Politik- und Verwaltungsstrukturen und rechtlichen Rahmenbedingungen als auch bezüglich der Stimulierung seiner Bürger zu Innovation und Unternehmertum. Er darf seinem Bürger nicht alles aus der Hand nehmen und muss durch rechtliche Rahmenbedingungen und Incentivierungen das Eingehen von Risikos, das Unternehmerisch-Sein und das Zueinander-im-Wettbewerb-Stehen honorieren – oder zumindest nicht behindern. Als europäische und vor allem österreichische Gesellschaft müssen wir uns fragen, ob wir nicht zu vorsichtig, zu Risiko-avers geworden sind und ob wir uns zu sehr scheuen, jene Faktoren, die Innovation gelingen lassen und damit unseren Wohlstand steigern, nämlich Wettbewerb, Unternehmertum und Risikobereitschaft, beim Namen zu nennen. Denn wenn wir zu vorsichtig werden, Unternehmer zu sehr schröpfen und Angst vor der eigenen Courage haben, dann gelingt Innovation nicht – und unser Wohlstand gerät in Gefahr.

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HOCHSCHULBILDUNG FÜR FLÜCHTLINGE WIE MAN DAS BILDUNGSSYSTEM HACKT UND DIE BILDUNGSINSTITUTION DER ZUKUNFT BAUT. MARKUS KRESSLER

Immer mehr Menschen sind aktuell gezwungen, ihre Heimatländer aufgrund von Kriegen und Unruhen zu verlassen. Laut UNHCR befinden sich seit 2015 weltweit etwa 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im vergangen Jahr wurden alleine in Deutschland 476.649 Asylanträge gestellt. Im neuen Jahr wird diese Zahl stetig wachsen. Viele von dieser Menschen sind gebildet, haben bereits ein Studium angefangen oder stehen noch am Startpunkt ihrer beruflichen Bildung. Doch in Deutschland angekommen sind sie zum Nichtstun verdammt: Ohne genehmigten Asylantrag, ohne Aufenthaltserlaubnis, ohne Arbeitsgenehmigung, ohne die nötigen Einkünfte sind ihnen fast alle Wege zu einer sinnvollen Tätigkeit verschlossen- Die Bearbeitung dauert meist Monate. Diesen Eindruck gewann auch ich bei meiner Arbeit in der psychosozialen Beratung in Berlin. Jeder, mit dem ich gesprochen habe, möchte etwas tun, möchte sich nützlich machen, die Sprache lernen oder arbeiten. Nichts zu tun ist in ihrer Situation eine zusätzliche Belastung. Sie fühlen sich, als steckten sie fest und gewissermaßen tun sie das auch. Sie können nur noch eingeschränkt selbst über ihr Leben bestimmen. Gleichzeitig beschäftigte ich mich gemeinsam mit Vincent Zimmer im Sommer 2014 mit neuen innovativen Lernkonzepten. Mithilfe modernster Technologien und unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse zu Lernmethoden, hatte er ein Konzept für eine Universität 2.0 entworfen. Wir trafen einander auf einer Konferenz und erkannten sofort das Potenzial, beide Bereiche miteinander zu verknüpfen. Die Idee von Kiron Open Higher Education war geboren. START IM OKTOBER Heute, ein Jahr später, steht Kiron Open Higher Education in den Startlöchern. Die ersten Kurse sind im Oktober gestartet. Kiron berücksichtigt hierbei alle Hürden, mit denen Flüchtlinge aktuell konfrontiert werden. Das Studium bei Kiron ist gebührenfrei, unbürokratisch und standortungebunden. Der wichtigste Vorteil liegt jedoch woanders: Kiron bietet seinen Studierenden die Möglichkeit, sofort mit Kursen zu beginnen. Anders als bei der Ausübung eines Berufes oder einer rechtmäßigen Immatrikulation an einer deutschen Hochschule, muss keine Aufenthaltsgenehmigung, keine Hochschulzugangsberechtigung, kein Sprachzertifikat, keine Duldung nachgewiesen werden. Mit all diesen Formularen haben die Studierenden bis zu ihrem Abschluss Zeit. Für

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den Anfang genügt ein Nachweis der Identität und des Status eines Asylsuchenden. Für Flüchtlinge bedeutet dies einen wichtigen Zeitpuffer einerseits, sowie die Möglichkeit, diese Zeit nicht untätig verstreichen zu müssen. Das System der Uni basiert dabei auf „blended learning”: Einer Mischung aus Onlineund Präsenzstudium. Das erste Jahr folgt dem Konzept eines „Studium Generale”, in dem die Studierenden eine interdisziplinäre Grundbildung aus einem breit aufgestellten Themenpool absolvieren. Dieses Grundstudium wird online über Massive Open Online Courses (MOOCs) absolviert. Kiron hat hierfür Partnerschaften mit den weltweit führenden Anbietern amerikanischer Eliteuniversitäten abgeschlossen und die bestehenden Online-Kurse unter Berücksichtigung der neuesten E-Learning-Technologien modifiziert. Im zweiten Jahr spezialisieren sich die Studierenden in Vorbereitung auf das dritte Studienjahr thematisch. Im dritten Jahr schließt an das virtuelle Studium ein Präsenzstudium an einer der Partnerhochschulen der Kiron University an. Hier erhalten die Studierenden dann einen Doppelabschluss. Beim Wechsel an die Partneruniversität werden auch jene Dokumente fällig, die diese fordern, beispielsweise Sprachnachweise und die landesübliche Hochschulzugangsberechtigung. Neben den Onlinekursen bietet Kiron daher auch Sprach- und Vorbereitungskurse sowie weitere Maßnahmen wie psychosoziale Beratung an, die speziell auf die aktuelle Situation der Flüchtlinge zugeschnitten sind. Darüber hinaus werden Buddy- und Mentoringprogramme, sowie Verlinkungen zu lokalen Unternehmen für die Studierende zur Verfügung gestellt. Selbst für die nötige Hardware und einen Internetzugang wird bei Bedarf in Form von sogenannten „Study Hubs“ gesorgt. Was die Anerkennung der geleisteten Kurse angeht, verpflichtet sich Kiron zur Gewährleistung eines zum Angebot der Partnerschule äquivalenten Grundstudiums im Umfang vom 120 ECTS. Besonderen Wert legt die Kiron zudem auf soziale Inklusionsinnovationen während ihres Online-Studiums. So sollen Flüchtlinge durch ein Tutorenkonzept an den Partneruniversitäten ermächtigt werden, selber als Lehrkräfte für Kiron und an den Partneruniversitäten mitzuwirken. KONTAKT DURCH MENTORENSYSTEM Durch ein Mentorensystem haben Flüchtlinge zudem dauerhaften Kontakt zu Einheimischen, mit denen sie beruflich sowie privat einen Austausch auf Augenhöhe führen können. Darüberhinaus haben die Gründer kürzlich das Nutzungsrecht für einen eigenen Campus in Berlin, der früher als Ausbildungszentrum der FDJ fungiert hat, bekommen können. Hier wollen sie zeigen, dass ein Online-Studium alles andere bedeutet als studieren in Isolation. Mit Einführungswochen in wissenschaftlichem Arbeiten, kulturellen Veranstaltungen, Workshops, Seminaren und Arbeitsräumen für studentische Initiativen wollen sie einen Ort der Begegnung schaffen, an dem sie ihre Vision der Universität skizzieren.

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Hochschulbildung für Flüchtlinge

Hinter den beiden Gründern steht mittlerweile ein über 300-köpfiges Team aus Angestellten, Ehrenamtlichen, Social Entrepreneurs, Wissenschaftlern, Partnern aus Wirtschaft und Politik und auch aus Geflüchteten selber. Für Politik und Flüchtlingshilfe ist das Thema besonders interessant, denn alle sind sich einig, dass Bildung eine essentielle Voraussetzung für eine gelungene Integration darstellt. Bedenkt man, dass mehr als die Hälfte der Flüchtlinge in Deutschland jünger als 25 ist, wird deutlich, welch positiv Auswirkung eine umfassende Bildung dieser Gruppe auf die Gesellschaft insgesamt haben kann. Bisher haben über 15.000 Menschen Interesse an einem Studium bei Kiron angemeldet. Umso wichtiger war es den Gründern, eine langfristige Finanzierung zu sichern. Für den Start wurde im Rahmen der erfolgreichsten Social- Crowdfundingkampagne Europas xy. Dadurch startete im Oktober 2015 das erste Pilotsemester mit 1.250 Studierende.. Bisher haben sich 23 Universitäten zur Aufnahme von Flüchtlingen im dritten Jahr verpflichtet und insgesamt sei man mit über 130 weiteren im Gespräch, beschreibt Vincent Zimmer den aktuellen Stand. Kiron rechnet pro Studierenden mit Kosten von etwa 1200 bis 1600 Euro für alle drei Studienjahre. Die Summe ist dank der frei zugänglichen Onlinekurse wesentlich geringer als ein durchschnittlicher Studienplatz an einer deutschen Hochschule den Staat momentan kostet. Darüber hinaus ermöglicht eine umfassende Partnerschaft mit der Schöpflin Stiftung, die für den Ausbau von Kiron insgesamt 1,5 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre zur Verfügung stellt, für die kommenden beiden Semester 5.000 weitere Studienplätze.

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REDEFINING MEAT MARK POST

This is a story about creating meat for consumption from stem cell technology that finds its origin in medical research. You might wonder why we would do such a complicated thing when we have domesticated animals like cows that do a perfect job at providing meat for us. Well, not so perfect. In fact, livestock meat production and in particular beef comes at a great expense. Ken Cook from the environmental working group in the US, summarizes the impact meat consumption has on the planet, both in land mass (70% of arable land), water usage (15000 ltr/kg beef), energy consumption and green house gas emission (15% of all emission is due to livestock). On the other hand, biological Anthropologist Richard Wrangham from Harvard University makes a compelling historical argument that we are “a species designed to love meat”. That may explain why it is so difficult to become vegetarian. Globally, the number of vegetarians is even declining as indicated by the rise in the “human trophic level” in Asia. The human trophic level (HTL) indicates your place in the food-chain. A plant has an HTL of 1, an animal that eats plants 2, and an animal that eats animals that eats plants has HTL 3. If you eat animals that eat plants you are wasting a lot of food, because the food is partly used to sustain the animal itself. In Europe our HTL is 2.3 indicating that 30% of our proteins comes from animals that eat plants. India and China are gradually creeping up to that level, mostly because of increasing welfare: The human trophic level is linearly related to the gross domestic product of a country. Now that we are sensitized to the problem, let’s think logically about solutions. We can all become vegetarians, but we have seen that the global trend is in the reverse direction. Being vegetarian is perfectly compatible with a healthy and productive life. But how likely is it that we follow our common sense? I for one, who by now know much more about the adverse effects of beef production, am still happily eating meat, although less than I used to. The real question however is not if can convert to vegetarianism but if we can convince the middle class in the emerging economies in Asia to NOT follow the classical path that we have followed: As soon as we had more money to spend we started eating more meat. That is why the WHO is predicting a 70% increase in meat demand for 2050. Maybe we can produce meat in a different way. Meat is muscle and our muscles have specific stem cells, which can only become muscle or fat cells. You can take a small muscle biopsy from a cow through a needle, extract the stem cells and let them produce meat outside of the cow’s body. The stem cells can multiply, so from one cell you grow 100 trillion cells, which equates with 10,000 kg of meat, the equivalent of 300 cows.

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REDeFINING MEAT

After extraction, you provide the cells with the conditions to multiply, basically through sufficient nutrition and a surface to grow on. After you have accumulated sufficient cell numbers, you want to make tissue out of them. These cells are smart and can form muscle again when given the appropriate environment, which consists of a temporary gel structure to hold a large number of cells together and anchor points to which the cells attach. As a first step towards muscle formation the cells merge, thus forming a primitive muscle fiber. The attachment to fixed anchor points allows them to develop tension when they start to contract, which they also do spontaneously. We let them grow around a central hub of gel so that they grab each other and like a true ouroboros thus providing flexible, yet fixed, anchor-points. The contraction and tension that is being developed is the most important stimulus for protein synthesis. After this maturation, that takes about 3 weeks, the muscle fibers are similar to the fibers that one finds in a regular muscle. Ten thousand of these fibers are then packed together to form a patty, thus shaping a hamburger. We produced the world’s first hamburger from stem cells as a so-called “Proof of Principle”, to show that one can produce an edible hamburger with this technology. We presented this hamburger in a hybrid between a cooking show and a press conference in August 2013, in London. An unusual step for a scientist, but we felt that we needed to convey the message that the technology is ready to produce meat through cell culture, but also that we have an upcoming meat crisis and that we should start thinking about alternatives. The hamburger was cooked and tasted by two independent journalists/food writers. They said it tasted like meat, but was still lacking fat. The texture was good. A proof of principle is not a product yet: for instance, the hamburger cost € 250.000. In order to make a product, one needs to show that it can be efficiently produced, at least more efficiently than a cow; the production needs to be sustainable, meaning that it requires resources of seemingly unlimited availability and finally the product really mimics meat, after all “we are a species designed to love meat”. How do we go about these requirements? Well, by having the cell culture conditions completely under control, we eventually achieve efficiency. We can optimize the nutrition (a.k.a. medium) and tremendously increase the number of cells that we can grow in a ml of medium by moving from 2D to 3D culture. Finally we can change the feed to for instance proteins and sugars from salt-water algae, which are in unlimited supply. Scaling up cell production to a 25,000 ltr bioreactor adds another layer of efficiency. Such a reactor would feed 10,000 people for a year with meat. A preliminary LCA study from the university of Oxford has indicated that by culturing

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beef this way and by using algae sugars and proteins for feed we can reduce land and fresh water usage by 90% and energy by 60%, the latter depending on where in the world one cultures meat. Sustainability is another big requirement. The current prototype still has some animal derived components that need to be eliminated. First and foremost, the cell culture medium is enriched with serum, a blood derived product, traditionally harvested from fetal calves. If, by culturing beef we can reduce the global cattle herd, we will not have sufficient serum to grow cells. Fortunately, there are a lot of serum-fee media on the market and for some cells they work very well. Finally, how can we get the muscle fibers to be exactly the same as the ones from a steak? The three aspects that need to be covered are taste, texture and color. The tasters commented that the texture was good. Meat is not only skeletal muscle; other tissue will be present as well, most notably fat tissue. Fat tissue can be cultured from mesenchymal stem cells through a specific adipogenic protocol. We have succeeded in adapting the existing methodology to grow fat cells from stem cells to one that is compatible with food production. But then… are we going to eat it? Or is the fear of the Frankenburger too big? Is there some other reluctance to eat this new type of meat in spite of its appreciable advantages? What are the factors that determine this reservation, commonly expressed as “yuck” against cultured beef? First, it is unknown. We do not understand how it is being made and what it exactly is. This is an interesting paradox. In Holland we have a sausage called the “frikandel”. Many people eat it, without knowing what is in it and most people do not want to know. There are numerous stories that organs, eyes, utters etc. are part of this “frikandel”. Yet people eat it, because other people do and do not get sick. This illustrates that we are perfectly willing to eat foods which composition of mode of manufacturing we do not know as long as it is perceived as safe. Overcoming this hurdle takes early adopters, of which there are many, and time will do the rest. The second problem is that cultured beef might feel as if we are losing control over our food production. A natural system, the cow, has evolved over 1,5 million years and is checked by nature; people cannot mess with it too much. In cultured beef, manufacturers can put anything in this product, either by mistake or as deliberate effort to reduce cost and improve profit. This is a classical example of how the technology itself is confused with its implementation in society: We immediately associate the technology with large multinationals and factories in low wage countries. To illustrate the separation of technology and implementation, we have developed two stories. One is a DYI setting where you can grow your own meat in a kitchen appliance and have much more control of meat production than is currently available (unless you keep your own cows). The other, more realistic, is that you keep a little farm in a neighborhood in, say, Vienna, where you hold a couple of animals that can be attended, petted and fed by

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primary school kids. Once in a while you harvest some stem cells from these animals and you grow meat for the neighborhood in a barn adjacent to the farm. Families can visit the barn on Sundays. This way one would have full control over meat production, the production would be local and consumers learn the origin of meat. Food is emotion and safety, tradition and control may not be the only factors. Taste and the idea that meat is nutritiously wholesome are obviously important and perhaps heritage, dominance of other species, hunter instincts, cowboy romanticism are still playing a role. A laboratory environment is very different and is associated with qualities such as complex, experimental and dangerous. One of the truly surprising outcomes of the presentation in London was that in Britain 68% of the general public stated that they were in favor of starting to culture meat. An earlier survey in the Netherlands taught us that 52% wants to try cultured beef. As consumers we are apparently pretty adventurous and willing to take risks with new products that are perceived as better for food security, environment and animals. Once we have taken away the fear of the unknown we can become more playful and start thinking about the possibilities of cultured meat. Designers form the Next Nature movement came up with new products based on cultured beef. They range from completely different shapes to colorful balls that are fun for kids or the ultimate fast food in valuable proteins: The meat shake. More importantly, you can create health foods out of meat, by lowering fat content, and increasing omega3 fatty acids. For the product to gain widespread acceptance, it needs to taste good and needs to be price-competitive if not cheap. Together with one of the largest suppliers of stem cells for medical applications, a preliminary calculation was done based on a stepwise model to finally culture bovine skeletal muscle stem cells in a 25,000 ltr bioreactor, with an optimal cell-to-volume ratio. Given our numbers of 50 doublings per cell and a cell density in the proliferative phase of the culture of 5 million cells per ml fluid, the model predicts a cost price of $65/kg. This is still high, but is based on technology that has existed for 20 years and is amenable to improvements that increase efficiency. With further improvement in technology, automation and recycling it is expected that this price will come further in the years to follow. I think that not too long from now we will be able to eat cultured beef or other meats. I have not touched too much on the animal welfare issues, but when this will hit the market I am sure that the ethical aspects will eventually drive the consumer towards

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cultured meat, so that we can start eating meat with a relieved conscience, also knowing that we contributed to preserving the environment.

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DIE ZUKUNFT DER ARBEIT ZWISCHEN DIGITALISIERUNG UND GENERATION Y MAX NEUFEIND

I. EINLEITUNG Unsere Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Globalisierung, Alterung der Gesellschaft, Pluralisierung von Lebensmodellen, Migration und Digitalisierung sind nur einige Stichworte, mit denen dieser Wandel grob umrissen werden kann. Versucht man vorherzusagen, wie die Arbeitswelt der kommenden Generation aussehen wird, so sind insbesonders zwei Entwicklungen in den Blick zu nehmen: Zum einen die rasante technologische Evolution, die massive Auswirkungen darauf haben wird, was wir arbeiten, wie wir arbeiten, wo wir arbeiten und mit wem wir arbeiten. Zum anderen die Ansprüche der heute jungen Generation, die, je nachdem wie sie artikuliert und durchgesetzt werden, einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf haben werden, wie die technischen Möglichkeiten in reale Arbeitswelten übersetzt werden. II. ARBEIT IM DIGITALEN STRUKTURWANDEL Technologie verändert seit jeher wie wir arbeiten. Ob Dampfmaschine, mechanischer Webstuhl, Fließband oder Personal Computer: technologische Umbrüche haben immer auch einen Umbruch der Gestaltung und Organisation von Arbeit nach sich gezogen. Blickt man auf das 20. Jahrhundert zurück, so ist – zumindest in westlichen Industrieländern – als Folge der technologischen Entwicklung ein deutlicher Rückgang von manuellen und kognitiven Routine-Tätigkeiten zu beobachten, während kognitive, interpersonale und manuelle Nicht-Routine-Tätigkeiten an Bedeutung gewinnen. Wir haben heute weniger Fließbandarbeiter und Büroschreibkräfte, dafür aber mehr Psychotherapeuten, Investmentbanker und Pflegekräfte. Diese Entwicklung wird durch den jüngsten technologischen Umbruch, der sich mit Digitalisierung überschreiben lässt und dessen transformative Kraft gerade erst erkennbar wird, an Geschwindigkeit gewinnen und unsere Arbeitswelt in ihrer Struktur verändern. Digitale Technologien sind vom Geek-Gadget zum Treiber fundamentaler Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft geworden. Auch wenn wir dazu neigen, die Singularität unserer Gegenwart zu überschätzen, unterschätzen wir momentan in sicher gleichem Maße die Auswirkungen nicht-linearer Veränderung durch globale Vernetzung, Supercomputer und Robotik. Basisinnovationen, wie rasant steigende Rechenleistung, mobiles Internet, Big Data, humanoide Roboter oder additive Fertigungsverfahren (3D-Druck), werden in immer neuen Formen kombiniert und in Anwendungen wie Industrie 4.0, Crowdworking, On-Demand-Plattformen oder automatisierte Wissensarbeit übersetzt. Die ersten Anlagen einer hochautomatisierten und auf cyber-physikalischen Systemen

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aufbauenden Industrie 4.0 stehen schon. Crowdworking, also die internetvermittelte Vergabe von Arbeitspaketen an eine Vielzahl von Selbständigen, ist zwar noch ein Nischenphänomen, besitzt aber ein hohes Wachstumspotenzial. On-Demand-Plattformen, auf denen Reinigungs-, Pflege-, Ernährung- oder Unterkunftsdienstleistungen gehandelt werden, gewinnen trotz starker gesetzgeberischer Vorbehalte an Bedeutung. Automatisierte Wissensarbeit, bei der Algorithmen Aufgaben übernehmen, die komplexe Analysen, Kreativität und Urteilskraft verlangen, wird unser Arbeits- und Privatleben in den kommenden Jahren deutlich verändern. Natürlich hatte auch die industrielle Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts gewaltige Auswirkungen auf die Gesellschaften Europas. Diese haben sich jedoch über viele Jahrzehnte hinweg entfaltet. Betrachtet man nur das vergangene Jahrzehnt, so ist eine zuvor ungekannte Schnelligkeit der technologischen Transformation zu beobachten. Diese Schnelligkeit bedeutet, dass wir zunehmend in einer „don’t know“-Gesellschaft leben, wie der britische Soziologie Anthony Giddens es formuliert. Niemand kann ernsthaft voraussagen, wie unsere Arbeitswelt in zehn oder gar zwanzig Jahren aussehen wird. Selbst wenn wir die technologische Entwicklung vorhersagen könnten – etwa im Sinne von Moore’s Law, demzufolge sich die Rechenkapazität alle 18 Monate verdoppelt – so bliebe das technologisch Mögliche zu einem beträchtlichen Maße von dem entkoppelt, was ökonomisch, kulturell oder politisch tatsächlich umsetzbar wäre. Es lassen sich jedoch, wenn man die transformativen Kräfte von heute in die Zukunft projiziert, durchaus Szenarien skizzieren – einige hoffnungsvoll, andere eher besorgniserregend. Manche mehr und manche weniger wahrscheinlich. Der Möglichkeitsraum der kommenden zwanzig Jahre lässt sich mit den folgenden acht Szenarien umreißen: 1. Keynes’ Traum: Die technologisch ermöglichten Produktivitätssteigerungen werden in substantielle Arbeitszeitverkürzung übersetzt. 2. Ende der Mühsal: Alle physisch und psychisch belastende Tätigkeiten werden von Robotern und Algorithmen übernommen. 3. Moderne Diener: On-Demand-Plattformen werden zum primären Marktplatz für Dienstleistungen im Bereich Transport, Ernährung, Reinigung, Pflege. 4. Granulare Arbeiter: Dienstleistungen etablierter Professionen werden über Crowdworking-Plattformen vergeben. 5. Aufstieg der Roboter: Roboter und cyber-physikalische Systeme übernehmen den größten Teil der Produktionsarbeit. 6. Fräulein Algorithmus: Durch die Kombination von Big Data, Cloud Computing und Sprecherkennung wird für den Großteil einfacherer Wissensarbeiten menschliches Zutun überflüssig.

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7. Makers-Bewegung: Additive Fertigungsverfahren wie 3D-Druck und die allgemeine Verfügbarkeit von Bauplänen für fast jedes Produkt verlagern die Produktion in die Privathaushalte. 8. Winner-Takes-All: Für viele Produkte und Dienstleistungen werden fast alle Gewinne durch wenige Anbieter erzielt, die Einkommensdisparitäten steigen exponentiell. Welche dieser Szenarien zum Tragen kommen, wird auch davon abhängen, inwiefern es der heute jungen Generation gelingt, ihre Ansprüche an Arbeit durchzusetzen. III. WANDEL DER ANSPRÜCHE(?) Die Generation, die in den kommenden zwei Jahrzehnten die Entwicklung unserer Arbeitswelt bestimmten wird, also die Generation der heute 15 bis 35-Jährigen, ist eines der beliebtesten Objekte für Zeitdiagnosen. Mal ist von der „Me-Me-Me-Generation“ die Rede (TIME Magazine), mal von einer Generation, die zugleich „faul und schlau“ sei (DIE ZEIT). Einig sind sich die Kommentatoren darin, dass man es hier im Vergleich zu vorherigen Generationen mit ganz anderen Ansprüchen an Arbeit zu tun habe. Dem möchte ich fünf Thesen zur Generation Y gegenüberstellen: 1. Die Ansprüche an Arbeit der heute unter 35-Jährigen stellen keinen fundamentalen

Bruch zu den Ansprüchen ihrer Elterngeneration dar. Führungskultur, Autonomie und Sinnerleben in der Arbeit mögen wichtiger geworden sein, die wichtigsten Faktoren bei Arbeitgeberwahl sind jedoch auch für die heutigen Studierenden Jobsicherheit und Gehalt, gefragt nach den attraktivsten Branchen für die berufliche Zukunft nennen sie am häufigsten den öffentlichen Dienst1.

2. Wo sich Ansprüche ändern, entsprechen sie größtenteils veränderten Lebenslagen und Belastungssituationen. Der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten und einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben wird insbesondere von denen geäußert, die familiäre Pflichten haben, Überstunden machen oder unter hohem Termindruck und mit Multi-Tasking-Aufgaben arbeiten2. 3. Ansprüche werden dort artikuliert, wo sie verwirklicht werden können. In einer Befragung von Wissensarbeitern, also Angestellten und Beamten mit Fach- bzw. Hochschulabschluss, die als Fach- oder Führungskraft tätig sind, sagten 88%, der 1  Ernst & Young Studentenstudie, 2014. 2  Studie „Gewünschte und erlebte Arbeitsqualität“ des Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015.

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Job müsse zur Lebenssituation passen, 82%, der Job solle mehr Zeit für Familie, Lebenspartner oder Freunde lassen und immerhin 42%, dass ein sinnvoller Job, der zum Gemeinwohl beiträgt, wichtiger sei als das Gehalt3. 4. Es gibt keine homogene Generation Y. Die vorliegende Empirie lässt es kaum zu, von einer homogenen Generation Y zu sprechen. Die Analysen von Prof. Peter Kruse legen sogar die These nahe, dass die Generation Y in zwei voneinander unabhängige Kohorten zerfällt, deren Werte inkompatibel sind. Auf der einen Seite das Modell „Kreative Autonomie“ mit Hang zu Selbstentwicklung, Gestaltungsfreiheit, Eigenständigkeit und Kreativität sowie einer Ablehnung von Instrumentalisierung, Pflichterfüllung, Fremdbestimmung und Anonymität. Auf der anderen Seite das Modell „Klassische Karriere“ mit klarer Orientierung an Aufstiegschancen und Sicherheit sowie hoher Zielorientierung und Diszipliniertheit 5. Ansprüche sind Folge (und teilweise auch Ursache) einer veränderten Arbeitsbeziehung. Nicht nur der Arbeitsinhalt, auch die Beziehung zwischen Organisationen und Mitarbeitern befindet sich in einem Wandel. Tauschten sie früher Geld gegen Zeit (auf juristischer Ebene) sowie Arbeitsplatzsicherheit gegen harte Arbeit und Loyalität (auf der Ebene des psychologischen Vertrags), so lautet der Tausch heute: Geld und Ziele gegen Zeit und Zielerreichung (auf juristischer Ebene) sowie Beschäftigungsfähigkeit gegen Commitment zur Aufgabe (auf der Ebene des psychologischen Vertrags). Zudem ist eine Subjektivierung von Arbeit im zweifachen Sinne zu beobachten: Der Mitarbeiter hat subjektive Erwartung an die Organisation. Er verlangt Selbstverwirklichung, Autonomie und Anerkennung. Zugleich verlangt die Organisation auch eine subjektive Leistung, nämlich Kreativität, Selbstkontrolle, zum Teil auch Emotionen. Die vermeintlich neuen Ansprüche der sogenannten Generation Y sind zum großen Teil Ausdruck dieser veränderten Arbeitsbeziehung. Im Rahmen unseres Workshops bei der GLOBART Academy 2015 haben die Teilnehmer vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen reflektiert, welche Sorgen und Hoffnungen sie persönlich mit dem Wandel der Arbeitswelt verbindet. Dabei hat sich eine Gegenüberstellung ergeben, welche die Ambivalenz der möglichen Entwicklungspfade unserer Arbeitswelt recht gut deutlich macht:

3  Forsa-Studie zu Wünschen deutscher Berufstätiger im Auftrag der XING AG, 2014.

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HOFFNUNG, DASS DIESE ASPEKTE AN BEDEUTUNG VERLIEREN • Macht und Dominanz • Leistungsdruck • Geld als Identifikation und Maßstab

HOFFNUNG, DASS DIESE ASPEKTE AN BEDEUTUNG GEWINNEN • Sinn in der Arbeit • Mensch im Mittelpunkt • Chancen für alle • Miteinander • Nachhaltigkeit • Freude bei der Arbeit

SORGE, DASS DIESE ASPEKTE AN BEDEUTUNG VERLIEREN • Akzeptanz von vielfältigen Berufsbildern und Lebenswegen • Menschlichkeit • Freiheit des Individuums • Sicherheit

SORGE, DASS DIESE ASPEKTE AN BEDEUTUNG GEWINNEN • Selbstausbeutung • Egoismus • Flexibilität • Anonymität

EIN GESPRÄCH MIT ANDRÉ HELLER CHRISTINE LEMKE-MATWEY

WER WAGT, BEWEGT SICH - VON DER INNOVATION ALS LEBENSART ANDRÉ HELLER IM GESPRÄCH MIT CHRISTINE LEMKE-MATWEY

André Heller (zum Publikum): Bevor wir anfangen, muss ich eine medizinische Kleinwarnung aussprechen, nur damit Sie nicht erschrecken. Es wird nicht passieren, aber seit ein paar Wochen springt mir gelegentlich der dritte Halswirbel heraus, und wenn er herausspringt, drückt er auf einen Nerv, den Nerv für den Gleichgewichtssinn. Und wenn das passiert, passiert Folgendes ... Heller springt auf, das Mikrofon fällt herunter, er gestikuliert wild. Nach ungefähr einer Minute wird das wieder besser, ich schaue nur blässer aus als vorher und rede etwa 17 Minuten Unsinn, aber dann fange ich mich wieder. Christine Lemke-Matwey: Was mich beruhigt, ist, dass sich diese 17 Minuten eklatant von dem unterscheiden werden, was Sie vorher und nachher gesagt haben. Heller: Da kann man nicht so sicher sein (lacht). Also, was tun wir? Lemke-Matwey: Wir sprechen über André Heller. Ich denke, man kann mit André Heller letztlich und im erweiterten, seriösen, tieferen Sinn immer nur über André Heller sprechen. Wir tun das im Kontext von Globart 2015, einer Akademie, die sich mit dem Generationenbegriff beschäftigt, insbesondere mit dem der Generation Y. Das sind die heute jungen Leute, mit denen Globart hier zwei Tage lang in einen lebendigen Dialog tritt. Jetzt sitzen wir beide hier auf dem Podium, lieber André Heller, sichtbar nicht der Generation Y zugehörig, und ich würde gerne von Ihnen wissen: Wann haben Sie sich zuletzt jung gefühlt? Heller: Ich habe einen 27-jährigen Sohn, der unter dem Namen Left Boy ein internationaler Hip Hop Star ist. Wir leben zusammen, in Wien und in Marokko, und ich komme durch ihn sehr viel mit jungen Komponisten, Textern, Dichtern und Fotografen zusammen. Wenn ich meinem Sohn und seinen Freunden zuhöre, bin ich mir manchmal nicht sicher, ob ich der Älteste in der Runde bin. Wir hören auch viel Musik zusammen, und ich propagiere immer, dass es eine Musikgeschichte gibt, im 19., 18., 17., 16., 15. Jahrhundert und so weiter, wo vieles beeindruckender und herzzerreißender klingt als heute. Dann sagen die, ja, da hast Du Recht, oder nein, das stimmt nicht – also ich bin verbunden mit jungen Leuten. Ich glaube ja, dass es eine Krankheit ist von vielen Intellektuellen und Künstlern, überhaupt von schöpferischen Menschen, dass sie ab einem bestimmten Alter aufhören, neugierig zu sein. So ab 35, das ist meine Beobachtung, beginnt eine Verlangsamung der Weltneugier.

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Lemke-Matwey: Wann hat die bei Ihnen eingesetzt? Heller: Ich werde immer neugieriger, ohne Übertreibung. Und zwar aus einem ganz simplen Grund: Ein Hauptmitarbeiter von uns allen ist ja der Tod. Der Tod sagt, Du hast nicht unbegrenzt Zeit, nütze die, die Du noch hast. Das heißt, ich muss mit jedem Tag, mit jeder Stunde in meinem Leben so umgehen, dass es meinem Plan zuträglich ist, der da lautet: der Polarität der Welt auf den Grund gehen. Das heißt, ich habe heute viel mehr Abschiede von Situationen, Gewohnheiten und Denkmustern als früher – und viel mehr Aufbrüche als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Lemke-Matwey: Und das geht den Jungen heute ab? Oder was meinen Sie, wenn Sie sagen, Sie seien unter lauter Endzwanzigern möglicherweise nicht der Älteste? Heller: Jung, alt ... Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich besonders jung war. Die Hilde Spiel, die bedeutende Essayistin und Schriftstellerin, das muss man hier vielleicht erklären, hat einmal über mich gesagt, ich sei mit den Füßen immer im raschelnden Laub gestanden. Das tue ich heute, denke ich, nicht mehr. Aber Jungsein war für mich insofern nichts Attraktives, weil ich nicht wusste, was ich wissen wollte, weil ich nicht ausgeschaut habe, wie ich gerne ausgeschaut hätte ... Lemke-Matwey: Wie hätten Sie denn gerne ausgesehen? Heller: Ich hätte gerne ein Gesicht gehabt, das ein bestimmtes Wissen ausdrückt, eine Grandezza, eine Eleganz der Taten und Gedanken. Lemke-Matwey: Also das Gesicht von heute! Heller: Vielen Dank. Wir haben ja ausgemacht, dass Sie für jede dieser Bemerkungen 200 Euro bekommen (lacht). Nein, ich war, wie man in Wien sagt, ein rachitisches Knochenbouquet, was ganz Mageres. Ich hatte immer das Gefühl, es dauert noch mindestens 30 Jahre, bis ich einigermaßen eine Ähnlichkeit habe mit dem, der ich gerne wäre. Erfahrungen machen, die einen verändern, das braucht man, um sich zu verändern, man braucht viele, viele Dinge, die man gehört, gesehen, gefühlt, geliebt hat. Man braucht ein hohes Maß an Irrtümern, Sackgassen, aus denen man wieder zurückgeht, das hat alles keinerlei Achtung in dieser Welt. Wenn man den Kindern sagen würde, ihr dürft‘s euch irren, dann hätten wir andere Politiker, wenn die erwachsen sind. Es gilt als anrüchig, heute etwas anderes zu denken als gestern. Wenn zu mir einer sagt, bleiben Sie bitte, wie Sie sind, dann schick ich ihm meinen Anwalt. Lemke-Matwey: Demnach wäre das Alte an den Jungen die abgeschlossene Identität beziehungsweise das Streben danach. Heller: Das Eingefrorensein in einem Spezialinteresse, ja. Ich finde, die Welt ist viel zu großartig, um sich ein Leben lang einem Spezialinteresse hinzugeben. Je älter ich

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werde, desto mehr merke ich, was ich noch nicht beobachtet oder befühlt habe oder bemerkt habe, wie sehr das anders ist als ich es bin. Man fährt ja wohin, damit man das Fremde sieht und nicht damit man sich selber begegnet. Ich bin für das Aufbrechen, für eine Art von Raserei, für Expeditionen. Lemke-Matwey: Was sind die Voraussetzungen für ein solches Leben? Begabung, Fantasie, die richtige Familie – was braucht es dafür? Heller: Ich sitze hier nicht als Missionar und sage anderen, wie das Leben geht. Ich kann nur erzählen, wie es bei mir war. Ich habe sehr gefremdelt als Kind in Österreich in meiner Familie. Dieses Fremdsein hatte damit zu tun, dass diese Familie auf einen bestimmten Ton gestimmt war, der mir sehr fremd war. Alles im Leben ist ein musikalisches Phänomen. Sie kommen zur Tür herein und haben eine Schwingung und eine Melodie. Ich habe eine Schwingung und eine Melodie, und wenn das miteinander harmoniert, dann sind wir uns sympathisch. Wenn es Katzenmusik ist, dann wird es nix mit uns zwei. Oder wenn es grandios ist, dann kann eine Liebesgeschichte entstehen. So ist es mit allen Dingen. Lemke-Matwey: Auch mit der Familie. Heller: Ja, und das war bei mir Katzenmusik, vom ersten Augenblick an. Und man denkt sich, wieso bin ich dort Kind, wo ich zutiefst spüre, dass ich nicht dorthin gehöre? Lemke-Matwey: Haben Sie das irgendwann auflösen können? Heller: Wissen Sie, man sucht sich Probleme, Abgründe, Gletscherspalten aus, bevor man in diese Welt kommt, und dann vergisst man, dass man sich das als Lernstoff sozusagen gebucht hat, und steht fassungslos davor. Wie kann dieser Vater mit dieser Grausamkeit, mit dieser vollkommenen Lieblosigkeit der sein, der für mich zuständig ist? Wie kann diese Mutter mit dieser Furcht vor dem Vater, mit dieser Verzagtheit, dass jedes Wort, das sie sagt, falsch sein könnte, die sein, die ich bräuchte als Ermutigung? Ich bin erst sehr viel später draufgekommen, dass ich mich noch einmal ohne Vater und ohne Mutter selber in die Welt bringen musste. Lemke-Matwey: Wann war das? Heller: Da war ich 46. Ich glaube, das kennt jeder hier im Raum, was der Doderer einmal gesagt hat: Die Kindheit wird einem als Kübel übergestürzt, und dann rinnt sie ein ganzes Leben an einem herunter. Ich glaube nicht, dass wir uns diese Ausrede dauerhaft leisten können. Ich war großen Grausamkeiten ausgesetzt als Kind, aber ich kann nicht ununterbrochen darüber jammern, dass es Schuldige im Damals gibt. Irgendwann muss man die Verantwortung für sein Leben übernehmen, und dann gibt es keine Schuldigen mehr.

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Lemke-Matwey: Haben Sie Ihrem Vater verziehen, konnten Sie den Jesuiten verzeihen, bei denen Sie aufs Internat gegangen sind und die Ihnen ebenfalls übel mitgespielt haben? Heller: Ich musste erst einmal begreifen, was geschehen war. Mein Vater stammte aus einer sehr wohlhabenden jüdischen Familie, wir waren Schokoladenfabrikanten, mit Fabriken in Wien, in Belfast, in Lissabon, in Turin, Buenos Aires und in New York, ein Weltimperium. Mein Vater konvertierte und wurde Katholik, ein Erzkatholik, und als dann der Hitler kam und sagte, es interessiert mich nicht, wozu du dich entschieden hast, du bist und bleibst ein Jud‘, da war er fassungslos. Es folgten Haft, Flucht, Emigration, lauter verrückte, narrische Geschichten, über die selten geredet wird, weil sie Schlaglichter werfen auf etwas, das nicht angenehm ist. Vater war auch ein glühender Austrofaschist, wobei er die Arbeiter in seinen Fabriken verachtet hat. Als Kind musste ich den Arbeiterkindern zu Weihnachten immer die Geschenke übergeben. Schau ihnen nicht in die Augen, sagte mein Vater, das sind die Verwünscher. Und bei den Jesuiten, bei denen ich war, im Kollegium Kalksburg in Wien, ist mir dann wieder dieser Dünkel begegnet, wir sind etwas Besseres. So bin ich aufgewachsen. Lemke-Matwey: Trotzdem waren es privilegierte Verhältnisse, in die Sie hinein geboren wurden. Heller: Wenn Sie es privilegiert nennen, dass die Familie Heller Millionen dafür ausgab, den Otto von Habsburg an die Macht zu putschen, vergeblich natürlich, nur das Geld war am Ende verschwunden; wenn Sie es privilegiert nennen, dass ausgerechnet der Mussolini meinen Vater aus der Gestapo-Haft in Wien befreit hat, der ja bis zur unseligen Rom-Berlin Achse als Schutzpatron Österreiches galt. Woraufhin der Vater erst nach Paris geflüchtet ist und dann nach London, wo er den Krieg über in die Exilregierung vom de Gaulle eintrat und der Verbindungsoffizier war zwischen de Gaulle und dem Weißen Haus. Und weil er eine furchtbare Flugangst hatte auf diesen transatlantischen Flügen, nahm er Drogen und war nach dem Krieg schwer opiumsüchtig. Und dieser schwer opiumsüchtige Mann, der meine Mutter zwang, sie ein zweites Mal zu heiraten, nachdem er sich von ihr als Arierin hatte scheiden lassen, sicherheitshalber und um das Schokoladenimperium zu retten, kriegt nach dem Krieg ein zweites Kind: mich. Und ich erlebe ihn nur als jemand, der mit den Engeln redet. Der Erzengel Michael lässt dir sagen, du musst Kardinal werden. Das war ganz ganz ernst, und ich habe mir als Vier- oder Fünfjähriger gedacht, was redet der da? Dann hat er mir vom Tischler einen Altar bauen lassen, es wurden Messgewänder angefertigt, und ein Freund von mir musste ministrieren. So wie andere Kinder Klavier gespielt haben, habe ich zuhause Messen gelesen. Wenn wir Gäste hatten, bin ich nach dem Essen erschienen und mein Vater sagte, mein Sohn wird Sie jetzt segnen. Dann hab ich gesegnet und bin hinterher sammeln gegangen mit einem Körberl für die armen Heidenkinder. Von dem

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Geld hab ich mir dann meine Schundheftln gekauft. Das war eine große Genugtuung. Lemke-Matwey: Für Außenstehende klingt das zwar verrückt, aber auch lustig. Für Sie war es eine Bürde, von der Sie sich dann befreit haben. Heller: Eines Tages habe ich mir gedacht, ich gebe diesem Mann jetzt keine Schuld mehr, und ich gebe auch dem Eingeschüchtertsein meiner Mutter keine Schuld mehr. Mein Vater hat mir in unvergesslicher Weise gezeigt, wie es nicht geht – und dafür bin ich ihm dankbar. Unvergesslich starke Eindrücke sind unbezahlbar. So habe ich mich noch einmal auf die Welt gebracht. Mit den Jesuiten bin ich eh versöhnt, seit es den neuen Papst gibt. Das war für mich zunächst ein Schock, dass dieser Gewitter- und Revolutionsmensch ein Jesuit ist. Aber es gilt eben: Nie was man will, immer was wird – das Motto meines lieben innigen Freundes Carry Hauser für mich. Einer der gescheitesten Sätze, der mit je anvertraut wurde. Lemke-Matwey: Aber war diese familiäre Katzenmusik nicht auch ein fabelhafter Nährboden für Ihre Kunst, für das, was Sie als Sänger, als Dichter, als Theatermensch hervorgebracht haben? Auch und gerade vor Ihrem 46. Jahr? Heller: Es gibt zwei große theatralische Einflüsse für meine Art zu denken. Das eine ist der Ferdinand Raimund, der österreichische Shakespeare, oder wie ich immer sage Shakespeare durch Palmkatzerl dividiert. Das andere ist schon das Katholische. Das wird Ihnen als deutsche Kunst- und Musikkritikerin nicht so präsent sein, aber es gibt etwas in Österreich, das würde ich die österreichische Ministrantenkunst nennen. Da zählt der Hermann Nitsch dazu, der Walter Pichler, der Peter Turrini. Das sind Leute, die als Kinder von unverständlichen Geheimnissen geprägt wurden. Ich habe sehr lange der Sprache vertraut, ich habe alles wörtlich genommen. Wenn die Jesuiten mir erzählt haben, wir essen den Leib des Herrn, wir trinken das Blut des Herrn, dann glaubte ich mich im Epizentrum eines faszinierenden Kannibalismus. Ich habe auch Heiligenbilder gesammelt, das war ja etwas Schönes. Irgendwann habe ich mich erkundigt, was haben diese Leute eigentlich getan, um heilig zu werden – und da kamen die schauerlichsten Geschichten zum Vorschein. Die wurden gevierteilt, die mussten sich den Löwen zum Fraß vorwerfen, die wurden mit Pfeilen durchbohrt. Da war klar: Heiliger werde ich nicht (lacht). Andererseits waren Heilige wichtig, man musste schließlich zu jemandem beten. Und so habe ich mir meine Privatheiligen geschaffen, ganz ganz wichtige Verbündete. Der heilige Hugo von Hofmannsthal, der heilige Rousseau, der Maler, der heilige Franz Schubert. Zu denen habe ich gebetet und plötzlich hat mir das Beten in der Kirche Spaß gemacht. Das waren meine Herzensbrüder. Lemke-Matwey: Haben Sie sich den anderen Ministrantenkünstlern zugehörig gefühlt? Haben Sie sich zu Ihrer Generation bekannt, der nach dem Krieg Geborenen? War das für Sie ein Stück Identität?

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Heller: Identität war am Anfang ziemlich schwierig, weil mir niemand erzählt hat, wer ich bin und woher ich komme. Das ganze Jüdische war ein Tabu in der Familie. Als mein Vater starb, war ich 12 und konnte nicht weinen. Ich war im Internat, in Kalksburg, und meine Mutter hatte eine weiße Renault Floride und fährt die Allee hoch, auf mich zu, und als ich das schneeweiße Auto kommen sah, wusste ich, der Papi ist tot. Dieses Bild werde ich nie vergessen. Und ich konnte nicht weinen, das war entsetzlich peinlich. Beim Pius XII., der ebenfalls 1958 gestorben war, hab ich auch schon nicht weinen können, obwohl man vom Präfekten ein Malzzuckerl bekommen hat, wenn man gut geweint hat. Weswegen ich das erzähle: Nach dem Tod meines Vaters bin ich aufs Internat in Bad Aussee gekommen, das war in Österreich die letzte Nazi-Enklave. Und da hat der Wilhelm Höttl, der dort Direktor war, ein ehemaliger Adjudant des SS-Schergen Ernst Kaltenbrunner, zur Klasse gesagt, das ist der Heller, ein neuer Schüler, setzt‘s euch nicht neben ihn, in seinen Adern fließt böses Blut. Das war mein Erweckungserlebnis über das Jüdische, eine Augenblickspolitisierung, mit 15. Von da an war vieles anders, ich habe mich auch politisch von der Familie abgewandt. Später bin ich dann über den Bruno Kreisky zur Sozialdemokratie gekommen, aber das ist eine andere Geschichte. Lemke-Matwey: Sie haben vor einiger Zeit einmal gesagt, Sie seien aus der Kunst ausgetreten – so wie man aus einer Partei austritt oder aus der Kirche. Halten Sie es nirgends aus? Heller: Ich war nie Mitglied einer politischen Partei. Obwohl die Politik Anfang der Siebzigerjahre schon wichtig war, die Reformen, die auf den Weg gebracht werden mussten, Frauenrechte, die Situation der Homosexuellen, was an den Universitäten los war und anderes, auch Kulturpolitisches. Von dieser Bewegung Teil zu sein, darauf war ich schon stolz. Und was die Kunst betrifft: So viele Menschen, die ich liebe, die ich verehre, von denen ich etwas gelernt habe, sind da Mitglied. Dann habe ich aber gemerkt, so wie ich das angehen möchte, dass ich dem folge, was meine Seele als Bedürfnis anmeldet, das war ganz oft nicht „in“ oder gefragt oder erlaubt. Ich habe mich für Bereiche interessiert, für die sich niemand interessiert hat zum damaligen Zeitpunkt. Ich fand in den Manifesten der Surrealisten und der Dadaisten zum Beispiel eine große Bewunderung für den Zirkus und das Varieté, auch etwa zu Fred Astaire, Charlie Chaplin oder dem Größten der Größten Buster Keaton. Aber als ich gesagt habe, dann setzen wir das doch um, dann machen wir doch einen Zirkus oder ein Varieté, galt das beim Feuilleton sofort als Afterkunst. Also wieso sollte man es überhaupt Kunst nennen? Das ist doch völlig uninteressant, dann heißt‘s halt nur Zirkus. Interessant ist: Welche Energie hat etwas? Macht es mich fähiger oder schüchtert es mich ein, gibt es mir eine Ermutigung, eine Inspiration oder nicht? Der Kunstbetrieb ist ziemlich ähnlich organisiert wie die katholische Kirche lange Zeit organisiert war und sich jetzt

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gerade hoffentlich reformiert. Es gab Kunstpäpste, -kardinale, Beichtväter, es gab ein Fußvolk und Kerzlweiber und alles, was dazu gehört. Lemke-Matwey: Da kennt man sich aus. Heller: Da kennt man sich aus, aber da muss man dann auch um Erlaubnis fragen. Das ist doch vollkommen unmöglich! Als ich jung war, war zum Beispiel Geschichtenerzählen bei den Kritikern nicht en Vogue. Lemke-Matwey: Heute auch. Heller: Ich bin und bleibe aber ein G‘schichtljud‘. Mich interessiert über alle Maßen, was der Joseph Roth gedacht hat und wie er‘s mir erzählt. Ich gehe zu den Rabbis und möchte ihnen zuhören und in die Augen schauen und einen Zauber spüren. Der Erste, der dieses totale Tabu damals in meiner Generation gebrochen hat, war der Handke mit seinem Buch „Wunschloses Unglück“. Lemke-Matwey: ... in dem er den Selbstmord seiner Mutter thematisiert .. Heller: Der wollte die Geschichte seiner Mutter erzählen, und dafür bin ich ihm dankbar. Denn dann konnte ich auch, sozusagen erlaubterweise, meine Geschichten erzählen, die so sehr anders waren und sind. Sie haben vorhin gefragt, ob ich mich meiner Generation zugehörig gefühlt habe. Ich war so etwas wie der letzte Restposten aus dem jüdischen Großbürgertum, alle anderen wichtigen Schriftsteller und Künstler kamen aus völlig anderen sozialen Umfeldern. So etwas wie ich war unter den ganz Jungen derart außenseiterisch und rar, weil die jüdischen Emigranten nie eingeladen wurden, nach Österreich zurückzukehren und somit auch deren Söhne und Töchter bitter fehlten. Erst in den Achtziger Jahren hat der Bundeskanzler Vranitzky erstmals öffentlich gesagt, wir würden uns freuen, wenn die Vertriebenen, die durch die Gnade der Engel überlebt haben, zurückkämen in ihre ehemalige Heimat. Das muss man sich einmal vorstellen! Die Ausrottung des Großbürgertums war einer der großen Triumphe Adolf Hitlers. Das Großbürgertum, die Zeitungsverleger, die Mäzene, die Industriellen, die waren alle weg. Und das bedeutete auch, dass es die zweite und dritte Garnitur nach dem Krieg sehr viel leichter hatte, hierzulande eine große Nummer zu werden, als davor oder gar vor 1918. Das ist bis heute eine der Wunden Österreichs. Lemke-Matwey: Was meinen Sie mit zweiter oder dritter Garnitur? Heller: Weniger Begabte und Mutige, weniger rauschhaft Experimente einfordernde Wesen. Lemke-Matwey: Wie Sie das gerne tun? Heller: Nein, nicht missverstehen, ich bin nicht die größenwahsnige Antwort auf alles,

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was uns fehlt. Ich bin nur ein winziger Splitter aus diesem alten Holz, der zufällig hierher geraten ist, weil mein Vater meine Mutter und mich in Paris, wo er lebte, nicht haben wollte. Lemke-Matwey: Hat man Ihnen Ihren großbürgerlichen Stallgeruch in den politisierten Sechziger- und Siebzigerjahren nicht übel genommen? Heller: Ich habe mir Jahrzehnte lang anhören müssen, dass ich im entscheidenden Augenblick immer Geld hatte. Dabei hatte ich im entscheidenden Augenblick oft gar kein Geld. Als mein Vater starb, gingen wir bankrott, und das war letztlich zumindest sehr gut für mich. Ich wusste einfach, wenn ich einmal eine Radierung vom Klee besitzen möchte, dann muss ich arbeiten. Das war ein Schutzengel, der dafür gesorgt hat, dass das Geld eben nicht da war. Vieles hätte ich sicher nicht getan, wenn ich reich gewesen wäre. Lemke-Matwey: Wie wichtig ist Ihnen Geld heute? Heller: Sehr wichtig, als Produktionsmittel. Wenn man meine Fantasie hat und nicht mit dem Staat paktiert, indem man sich subventionieren lässt oder subventionieren lassen muss, dann ist es wichtig, dass man selber in der Lage ist, Geld zu verdienen oder Menschen so zu bezaubern, dass sie auf die Karte setzen. Darüber habe ich mich oft mit dem Peter Zadek oder dem Luc Bondy gestritten: Ihr seid‘s schon mutig, hab ich denen gesagt, aber wenn dieses oder jenes Experiment platzt, dann habt ihr die Garantie, dass es trotzdem weitergeht. Wenn ich mein gesamtes Vermögen verpfände und den Schmuck meiner Mutter dazu, um meine Hybris eines riesigen Feuertheaterbildes in Lissabon am Hafen verwirklicht zu sehen über Stunden, und das geht schief, was passiert ist, dann bin ich bankrott und meine Mutter auch. Das ist der Unterschied. Lemke-Matwey: Das eine ist das totale Risiko und das andere nur ein schnödes Als ob? Heller: Das will ich damit nicht sagen. Aber ich weiß, dass es in mir etwas ganz Erpresserisches gibt. Ich sitze hier und rede mit Ihnen, und plötzlich meldet sich da oben etwas an. Etwas, das getan werden will. Es sagt, tu mich, Du wirst staunen, profitieren, Du wirst eine Angst überwinden und Dich in einer großen Gefahr kennenlernen. Ich bin ein notorischer Angstmensch, der sich immer in Situationen, für die er meint, nicht gemacht zu sein, bewähren muss. Dabei ist mir im Leben nichts zugemutet worden, was ich nicht bewältigen konnte. Ich muss nur darauf achten, dass ich in einer Mindestform bin und bleibe, ich darf mich nicht unterhöhlen. Viele Menschen, die ich sehr lieb habe, haben alles getan, um sich zu unterhöhlen. Sie waren ihre eigenen Termiten, mit Alkohol, mit Drogen. Ich war selbst stark drogengefährdet, deshalb habe ich auch aufgehört zu singen. Ich konnte ohne Drogen nicht auftreten, einfach weil es nicht

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möglich ist, sich 80 mal im Jahr das Herz aufzureißen. Ich wollte die Leute erschüttern, verwirren, verstören, was immer. Normalerweise singt man, weil man besonders traurig ist oder besonders gut aufgelegt. Aber man singt nicht, weil es 20.15 Uhr ist und die Leut‘ Geld für ein Eintrittsbillett bezahlt haben. Das war mir als Motivation nie genug. Also musste ich mir eine Euphorie verschaffen, und die kam über Drogen. Die habe ich dann vom einen Tag auf den anderen beiseite getan – und dann war es mit dem Singen vorbei. Lemke-Matwey: Sie haben Geschichten erzählt, als das Geschichtenerzählen tabu war, Sie haben Zirkus gemacht, als Zirkus als Unterhaltung galt, Sie haben aufgehört zu singen, als es mit der Karriere am besten lief – Sie waren immer „anders“ und immer erfolgreich. Wie geht das? Heller: Richter Erfolg ist nur etwas, aus dem ich verändert hervorgehe und das mich woanders hinstellt. Ich habe viele Projekte abgebrochen, als sie sehr erfolgreich waren. Warum? Weil ich den Erfolg nicht routinemäßig hinnehmen kann. Die Menschen hier im Saal schenken uns zwei Stunden ihres Lebens, indem sie uns zuhören. Das ist ein unglaublicher Einsatz, und jede Sekunde könnte es passieren, dass sie dabei sterben. Mir ist das übrigens öfter passiert, vier oder fünf Mal, dass vor meinen Augen jemand tot umgefallen ist, während einer Vorstellung, aber (zum Publikum) Sie müssen sich jetzt nicht fürchten ... Es ist jedenfalls eine ungeheure Verantwortung, für das, was man tut, zu werben: Kommen Sie zu mir, zu „Afrika! Afrika!“ oder zu den „Begnadeten Körpern“ - und Sie werden es nicht bereuen. Vielleicht aber doch und vielleicht geht alles schief? Ich hatte viele Erfolge, ich hatte aber auch pompöse Misserfolge. Lemke-Matwey: Sie spielen auf die Eröffnungsgala zur Fußball-WM 2006 in Berlin an. Heller: Wir hatten alles, von Jessye Norman bis Bob Dylan, das Berliner Olympiastadion, Peter Gabriel und Brian Eno haben die Musik geschrieben, ich habe opulente Bilder erfunden, wir haben geprobt, tausende Mitwirkende, alles war fertig, die Fifa wollte das größte Fernsehereignis aller Zeiten veranstalten – und da lädt mich dieser grandiose Gangster Sepp Blatter vor und sagt, wir machen das nicht. Die Brasilianer wollen im Stadion auf dem Rasen trainieren, und das ist wichtiger, hier geht’s um Fußball. Und Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen, sagte er, wir zahlen das alles. Dann hat die Fifa, glaube ich, 17 Millionen Euro dafür ausgegeben, dass das Ganze nicht stattfindet. Lemke-Matwey: Verzweifeln Sie in einem solchen Augenblick? Heller: Für mich war das eine Schändung von Menschen. Als wäre das, was wir an Liebe, an Genauigkeit, an Tiefe für dieses Projekt eingesetzt haben, je mit Geld zu bezahlen. Man kann nicht Carlos Kleiber dirigieren hören und an Gagen denken…

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Lemke-Matwey: Oh, Kleiber selbst konnte das aber sehr gut! Heller: Mag sein, er hat ja auch für Autos dirigiert, aber ich weigere mich. Leute wie der Blatter können es, die meinen, für Geld sei alles zu haben. Ist es aber nicht. Nie was man will, immer was wird. Lemke-Matwey: Das ist jetzt ein bisschen ein holzhammerartiger Übergang, aber gilt das Carry-Hauser-Motto auch für die aktuelle politische Situation in Europa? Heller: Sehen Sie, da kommen wir an den Anfang unseres Gesprächs zurück, denn das bespreche ich sehr oft mit meinem Sohn. Ich glaube, es wird nie wieder etwas sein wie noch vor zwei oder drei Jahren. Ich komme aus einer Generation, die das Privileg genoss, keinen Krieg erlebt zu haben, jedenfalls nicht in unmittelbarer Nähe im eigenen Land. Jetzt werden wir berührt von Krieg, manche sagen, wir befänden uns im Krieg, Europa befände sich im Krieg, und es gilt wirklich, wie Schiller im „Don Carlos“ schreibt: Die schönen Tage von Aranjuez sind vorüber. Und auch die Generation meines Sohnes, die das Apolitische so ausgelebt hat, wie selten eine vor ihr, fühlt sich angefasst. Einer seiner Freunde hat kürzlich gesagt, er hätte nie gedacht, dass diese wilde Jugend so früh vorbei sein wird. Was jetzt geschieht, stimmt unsere Gesellschaft auf einen anderen Ton, und wir müssen lernen, nicht nur anders zu reden, sondern uns auch anders zu verhalten. Sonst wird alles krachen. Lemke-Matwey: Sie leben seit vielen Jahren nicht nur in Wien und am Gardasee, sondern auch in Afrika, in Marokko. Was sehen Sie, was wir Nur-Europäer nicht sehen? Heller: Ich finde manche Debatten bei uns von einer Naivität, die herzzerreißend ist. Zu glauben, dass man Menschen aus Ländern, die keine Perspektive haben, kein Wasser, keine Arbeitsplätze, dafür aber eine vergiftete Umwelt, und die unter Regierungsbeteiligung von großen Firmen bis zum Äußersten ausgebeutet werden, dass man denen sagen kann, verreckt zuhause und dann ist das Problem gelöst, das ist hirnrissig. Wer zuhause zwei Prozent Überlebenschance hat und in Europa fünf, der macht sich auf den Weg, und sei dieser auch noch so gefährlich. Das alles geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem die ganz heftigen Gründe noch gar nicht ganz heftig eingesetzt haben, nämlich der Klimawandel. Wir werden Millionen Klimaflüchtlinge bekommen. Sich vorzustellen, wir könnten Zäune bauen und in Marokko Lager errichten, in denen sich 30 Millionen Menschen gegenseitig auffressen – das ist von einer unfassbaren Dummheit und Borniertheit. Der Ilja Trojanov hat ein Buch geschrieben, das ich Ihnen allen ans Herz lege, das heißt „Der überflüssige Mensch“, 80 Seiten. Darin führt er schlüssig den Beweis, dass wir in einem Krieg des Kapitals gegen die Armen leben, der in eine Phase eingetreten ist, in der die Erbarmungslosigkeit galoppiert. Bisher hatten wir das Gefühl, solange wir zahlen, können wir uns die Not irgendwie vom Leib halten. Insofern halte ich es für einen ganz wichtigen Erlebnismoment, so schrecklich das klingt,

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dass die Not jetzt bis zu uns vorgedrungen ist. Und dass sie sich nicht abwimmeln lässt, sondern sagt: Schau mich an! Mich gibt es, ich bin wahr, ich bin das Ergebnis Eurer Sorglosigkeit und Ignoranz. Das wird unglaubliche Konsequenzen für unsere Kinder und Enkel haben. Lemke-Matwey: Sie sagen, wir müssen angesichts dieser Umwälzungen lernen, uns anders zu verhalten. Wie verhalten Sie sich, was tut André Heller? Heller: Das klingt jetzt absurd, aber ich habe mir in meinem Leben mühsam ein Mitgefühl erworben, einfach, weil ich selbst mit einer gewissen Härte getreten worden bin. Und jetzt habe ich dieses Mitgefühl endlich und merke, ich brauche etwas Anderes. Ich brauche eine kühle Sicht der Dinge und ein Engagement, das ich selbst umzusetzen in der Lage bin. Aber ich kann mich nicht ununterbrochen krank machen mit meinem Mitgefühl, das bringt mich um. Ein Chirurg kann nicht operieren, wenn er Mitgefühl mit dem Patienten hat, der muss sich konzentrieren auf das, was er tut. Und wir müssen jetzt Dinge tun. Meine kleine winzige Entscheidung bestand vor sieben Jahren darin, dass ich in Afrika Arbeitsplätze geschaffen habe. Das waren zeitweise 200, 300 und sind jetzt permanent etwa 50. Lemke-Matwey: Marokko gilt als eines der Nadelöhre in Nordafrika für die Flüchtlingsströme nach Europa. Heller: Was die Flüchtlinge derzeit erleben, wenn sie nach Ungarn kommen, das ist sozusagen die äußerste, radikalste, unmenschlichste Form von Nicht-Gastfreundschaft. Für deren Kultur ist das eine so tiefe Barbarei, dass wir uns das nicht vorstellen können. Ich habe in Marokko, am Fuße des Atlas, wo ich lebe, 16 angestellte Gärtner, die alle in der näheren Umgebung wohnen. Wenn ich spazieren gehe, muss ich Umwege nehmen, nur damit ich bei denen nicht vorbeikomme und permanent eingeladen werde. Sofort kommen die mit Blumen, einem Brot, mit Honig, Butter ... Anders geht es dort nicht. Einmal wollte ich meinen Blutdruck messen und das Gerät war hin. Dann sagt einer meiner Mitarbeiter, wir fahren nach Marrakesch, mein Vater hat ein Blutdruckmessgerät. Um zwei Uhr morgens kamen wir in Marrakesch an, und die Mutter im Nachtgewand in der Tür sagt, wir mögen doch bitte zehn Minuten im Auto warten. Nach zehn Minuten stand drinnen ein Tee, da standen Kekse, und meine Frau hat als Geschenk ein Kleid bekommen, das war nämlich eine Berberfamilie. Bei den Berbern wird immer derjenige beschenkt, der kommt, nicht derjenige, der einlädt. Das ist dort die Normalität. Und ich schäme mich, wie wir mit diesen großartigen Menschen umgehen. Die Syrer sind eines der großen Kulturvölker der wesentlichen Weltgeschichte! Wenn der IS sagt, wir zerstören eure Vergangenheit, wir massakrieren den Mozart, wir töten Brahms und Scarlatti und Charles Ives, wir töten alles, was unsere Vorstellung von Qualität ausmacht, dann ist das eine direkte Kriegserklärung

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gegen Sie und mich und jeden in diesem Raum! Das Kloster, in dem wir hier sitzen, wollen die in die Luft sprengen, und sie werden es im Ernstfall tun. Und dass unsere Zivilisation das nicht als radikale Kampfansage begreift, eine Kampfansage, die teilweise ärger ist als die der Nazis, das verstehe ich nicht. Wir trödeln, statt dass wir uns zusammentun. Hier geht es um alles, was uns je Ermutigung, Kraft, Schönheit und sinnliche Erfahrung gegeben hat. Die wollen das Tanzen vom Nurejew vernichten und die Töne der Maria Callas. Das sind die Zeiten, in denen wir hier und jetzt und heute leben. Lemke-Matwey: Wären das nicht auch die Zeiten, in denen Sie wieder eintreten müssten in die Kunst, um Sie zu verteidigen und alles, was sie repräsentiert? Oder geht es vorrangig ums Tun, ganz handgreiflich, um Hilfe für die Flüchtlinge, um Sprachunterricht, Geld und ein Dach überm Kopf? Heller: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Im Grunde haben wir seit 1945 auf einer Insel der Seligen gelebt, allen Verwerfungen zum Trotz. Natürlich gibt es in Österreich und Europa grobe Ungerechtigkeiten und arme Leute, und die Schere geht weiter auseinander. Trotzdem war es ein Traum, dieses Leben, und aus diesem Traum müssen wir aufwachen. Jeder sollte sich fragen: Was kann ich tun? Jeder kann irgendetwas tun. Das muss nichts Großartiges sein, da gibt es viele kleine wichtige Arbeiten. Am Ende wird es riesige Umwälzungen geben, auf allen Gebieten, auch in der Politik. Österreich wird doch heute schon von Herrn Strache regiert, einfach, weil die beiden Regierungsparteien nur den zynischen Strache-Populismus im Kopf haben. So kann man ein Land aber nicht achtbar regieren. Ich kann nicht „Jupiter-Sinfonie“ denken und Roberto Blanco spielen. Die katholische Kirche zeigt uns doch, wie es geht! Was dieser neue Papst macht, ich muss das noch einmal betonen, gehört für mich zum Erstaunlichsten, was ich je erlebt habe. Der sagt alles, was man sich immer schon gedacht hat! Bis zu einem gewissen Grad schafft er sogar das Papsttum ab, indem er die eigene Unfehlbarkeit in Frage stellt. Und plötzlich steht die Beichte nicht mehr für Sünde und Schuld, sondern für Verzeihen, Gnade und Ermutigung. Lemke-Matwey: Versöhnt Sie das mit den Katholiken? Heller: Nein, aber, und deswegen erzähle ich das, es versöhnt mich mit der Hoffnung, dass sich alles lernend verwandeln kann. Die Jesuiten, wie ich sie im Internat erlebt habe, das war für mich die katholische Waffen-SS – und plötzlich bringen die einen wie den Franziskus hervor! Man kann sich ändern. Eine Gesellschaft kann sich ändern. Wenn sie sich dem Stillstand und dem Kleinmut verweigert. Und, das ist sicher das Entscheidendste: Es muss sich unsere auf permanente Gewinnmaximierung und Gier ausgerichtete Kapitalismushaltung ändern. Wir müssen teilen lernen, damit nicht Millionen Menschen krepieren, und wir nicht in Nöte kommen, die wir uns

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noch überhaupt nicht ausmalen können. Wir müssen weniger nachdenken, über das, was ist, als vielmehr vorausdenken. Und da spielt die Fantasie, die viel geschmähte, mit einem Mal eine gigantische Rolle! Man muss Fantasien entwickeln, wie man Probleme löst. Man muss sich mit den Kreativen verbünden. Es gibt für niemanden eine Ausrede. Lemke-Matwey: Was bedeuten die aktuellen Ereignisse, von der Flüchtlingsproblematik mit ihren Schicksalen und Geschichten bis zur österreichischen Innenpolitik, für Ihre Arbeit, ganz konkret? Heller: Alles, was mich erwischt, was mir ans Herz greift, bedeutet etwas für meine Arbeit. Ich bin sicher in diese Welt gekommen, weil ich die Polarität studieren wollte, also das, was diese Welt zu bieten hat. Aber die Ausmaße an Polarität, die ich jetzt erlebe, das ist schon ein Hardcore-Studium. Das wird alles verändern, jeden von uns hier im Raum, alles. Oder wir werden alle verenden, das ist es, glaube ich, was die Alternative wäre. Lemke-Matwey: Sagen Sie das mit Wehmut, mit Furcht, mit Melancholie? Heller: Wir werden andere Freuden entwickeln müssen. Eine ganz wichtige Freude wird das Teilen sein. So lange ich das Teilen als eine Strafe empfinde, als Verlust, bringe ich mich um diese Freude. Wir werden realisieren, dass wir alle spirituelle Wesen in einem menschlichen Körper auf der Suche nach menschlichen Erfahrungen sind. Das heißt: Es ist niemand mehr oder weniger wert als der andere, es gibt nur unterschiedliche Grade an Bewusstsein. Dieses Wissen provoziert Respekt. Ich dagegen bin zur Respektlosigkeit ja regelrecht erzogen worden. Es war ganz wichtig, dass es ein Oben gibt und ein Unten, und dass die 2000 Arbeiter in der Heller-Fabrik die „Verwünscher“ sind, obwohl wir unseren Luxus zuhause von deren Leistung bezahlt haben. Früher habe ich ununterbrochen bewertet, das war eine große Spezialität von mir. Das ist in Österreich die Karl-Kraus-Tradition, man sagt etwas Schreckliches über einen anderen und schon ist man der Held, solange es gut formuliert ist – nicht wissen wollend, dass diese negative Energie natürlich zurückkommt, und dann wundert man sich. Das muss dringend aufhören, das Bewerten, das sich besser vorkommen, das Ego. Dann kann man auch eines lernen, was ich jahrzehntelang nicht gekonnt habe, nämlich Dankbarkeit. Wir haben so viele Privilegien, immer noch, und haben jeden Grund dankbar zu sein. Ein geschnitzter Centaur aus dem Barock, eine Aufnahme mit der Cathy Berberian, eine Aufführung vom „Woyzeck“ mit oder ohne Musik von Alban Berg, das bringt unseren Tag zum Leuchten. Freuden wird es immer geben, nur werden sie notgedrungen weniger idiotisch sein als die, die man uns bislang als Freuden verkauft hat. Lemke-Matwey: André Heller, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z PROVOKATIONEN, PARADOXIEN UND POSITIVE INTERGENERATIVE ENERGIEN BILDUNG & ARBEIT, FAMILIE & BEZIEHUNG, KONSUM & MEDIEN, POLITIK & ENGAGEMENT STEPHAN A. JANSEN

DAS ANREGENDE NACH DER AUFREGUNG Was für eine Aufregung?! Was für eine Aufregung haben wir generationsübergreifend da in den letzten Jahren erlebt – mit dieser vermeintlich neuen Generation – je nach Studie und Definition irgendwann geboren zwischen 1985 und 2000, also gut 1,8 Milliarden Menschen weltweit? Es mutete manchmal an, wie die Gespräche auf dem Pausenhof eines Gymnasiums oder in der Uni-Mensa, wo ein Jahrgang über den darunter lauthals lästerte und heimlich schwärmte – und der dann aber zurück. Ob nun Y oder Z, wo je nach AutorIn, auch nur fünf Jahre Unterschied lagen, irgendwie wirkt die Aufregung fünf Jahre nach dem Aufkommen nicht sonderlich anregend – und dennoch scheint gerade danach eine differenzierte Analyse wertvoll, an Punkten, die eben gerade nicht aufregend zu sein scheinen. War es ein typischer Erregungszyklus der Verlagshäuser und insbesondere der Medien, deren Aufgabe es ist, nicht die Normalität, sondern die Abweichungen von ihr zu beschreiben, so dass man die Abweichung als das Normale denkt? War es ein typischer Wissenschaftsmarketing-Ansatz, im Design neuer Bücher und Drittmittelprojekte, so dass die Generation Y noch nicht differenziert analysiert wurde, als die Generation Z – vermutlich für zeitgleich – schon als das nächste große Ding auszurufen? Ein typischer Prognose-Ansatz für Konsum- und Arbeitsmarktforscher? Ein typischer Referenzpunkt der Unterstellung generationaler Gruppen oder Projektionen von Sorgen wie gleichermaßen eigenen Wünschen und Hoffnungen, nur diesmal mit Ansagen aus der Generation selbst, um nicht wie zuvor die Deutungshoheit über die sich missverstanden fühlenden früheren Generationen anderen zu überlassen? Neben den verlässlichen Shell-Jugendstudien (hier die beiden Erhebungen 16 im Jahr 2010 und 17 im Jahr 2015) reihten sich nach unzähligen und immer wieder rezitierten Artikeln vorrangig der Wochen- und Monatsmagazine mit den Überschriften „Generation Weichei“ (FAZ), „Kuschelkohorte“ (ManagerMagazin) oder „Wollen die noch arbeiten?“ (Die ZEIT) wiederum unzählige Bücher in nahezu allen Verlagshäusern ein, deren Überschriften einen schon überdrüssig werden ließen: „Was wollt Ihr eigentlich?“ (Haller 2015) als Frage auf die Jahre zuvor bereits gegebenen Antworten der Generation selbst „Wer wir sind und was wir wollen“ (Riederle 2013) mit der Antwort „Glück schlägt Geld: Was wir wirklich wollen“ (Bund 2014), Mütter und Führungskräfte beschreiben

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die Generation „Ohne uns“, die das Leistungsdenken nicht mehr will (Kosser 2014), während andere die aus Studien abgeleitete höhere Angepasstheit der Generation dann aufwertend beschreiben als „Die heimlichen Revolutionäre“ (Hurrelmann/Albrecht 2014), die etwas zu wollen scheinen, was aber noch heimlich ist. Unheimlich, das alles. Insgesamt wird schon an den hier nur auszugsweise zitierten Titeln deutlich, worum es geht: um das Wollen. Und das Wollen-Wollen hat etwas mit Sinnsuche zu tun und der entlarvenden Frage nach dem Warum, wofür das Englisch ausgesprochene Y als „why“ eben steht. Das alles ist im Coming of Age-Alter durchaus angemessen und bei den Generationen darüber, die über die Generation so schreiben, vermutlich durch die Prekarisierung der Arbeit, der Familie, der Beziehungen, der Altersvorsorgen und eben auch die Prekarisierung des Sinns genauso ein Thema, ihr Thema. Im 21. Jahrhundert ist ein Coming of Age vermutlich und sinnvollerweise bis zur individuellen Jahrhundertwende verlängert worden. Mit dem vermeintlich sicheren Gespür für die Inszenierung des Übernächsten wird dann zugleich über die „Generation Z“ geschrieben, trickreich von Beratungshäusern und trendbewussten Professoren mit einer neuen Geburtenjahrgangsdefinition versehen (Ernst & Young 2014, Scholz 2014). Aber die Pubertät fängt eben sowohl früher an wie sie später endet. Und sie ist nicht mehr so schlimm. Was für eine Anregung?! Was für eine Aufregung war das nur? Und dann lesen wir auf einmal in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Arbeiten mit der Generation Weichei – kein Problem!“ (16. Januar 2016, S. C2). Überhaupt wird klarer, dass doch eher konjunkturelle, demographische und damit arbeitsmarktliche ebenso wie bildungssystemische, medienkompetenz- und nutzungsbezogene Entwicklungen und eben gerade ein generationsübergreifender Wertewandel erkennbar werden. Damit könnte als Anregung aus dieser Aufregung vor allem ein soziologisch unaufgeregter Blick eine neue Sichtachse auf die Beziehung zwischen den Generationen und deren Potential für gesellschaftliche Veränderung und Gestaltung leisten. Denn bei aller analytischer Scheingenauigkeit und Differenzhoffnung könnten vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in einigen entwickelten Ländern die Sinnerosionen sowohl der Großeltern wie der Enkel eine neue Omni-Potenz entwickeln. Was für eine Argumentation? Für einen kurzen, kritischen wie konstruktiven Beitrag in einem Herausgeberband erfolgt angesichts der Flut an selbstähnlichen Beiträgen eine abkürzende, hoffentlich kurzweilige Agenda, die wir uns in diesem Rahmen und in dieser Distanz zur Aufregung vornehmen können:

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1. Eine kurze Kritik der Generationsbeschreibungen und deren An- und Aufregungswerte. 2. Eine sehr kurze Rekonstruktion der Kontexte der Sozialisation dieser Generation mit ihren Gegen- und Rückenwinden. 3. Eine noch verkürztere Darstellung der Statistiken und ihre Widersprüche über die Generation.  4. Einige knackig-kurze Thesen zum Potential der Intergenerativität. Diese Argumentation ist nicht in erster Linie wissenschaftlicher, sondern essayistischer, und zugegebenermaßen auch von der Diskussion enttäuschter Natur, die aus verschiedenen Vorträgen seit 2012 (u.a. auch bei der Globart Academy), Radio-, Fernseh- und Presse-Interviews (im Print: Jansen 2013, 2015, 2015a) und als Hochschullehrer und Universitätsgründer für den studienberichtigten und überzuversichtlichen Teil der Generation entstanden – mit einer Erkenntnis der tatsächlich zauberhaften Eigenwilligkeit von Schwererziehbaren, zu denen sich die Bohème der Generation X und der 1968er auch schon immer selbst zugehörig wähnte. Der ironische Ton, den Aristoteles Wissenschaftlern zum Überleben anempfahl, ist hier ab und an nicht zu leise herauszuhören. ÜBER DIE GENESE DES GENERALISIERENDEN DER GENERATIONSBESCHREIBUNG „Was haben ein Blondinenwitz, eine Gruppenarbeit an der Uni und ein Generation Y Artikel gemeinsam? Richtig… sie alle leben von Pauschalurteilen.“

Blog-Eintrag von Christoph Fellinger 2014

Kritik und Kritiker der Kritiken Früher dachten Eltern und Kinder, dass man trefflich zwischen den Generationen streiten kann. Heute wissen wir, dass wir auch trefflich über die Methode und Zweckmäßigkeit von Generationenbeschreibung streiten kann. Der streitbare Saarbrücker Personalmanagement-Professor Christian Scholz hat in seinem trendigen Buch zur etwas jahrgangsverrückten Generation Z gleich eine Kritik an die Kritiker des Generationskonzeptes als Überschrift verpackt: „Warum uns das Konzept `Generation´ weiter hilft: trotz Kritikern, die Schubladen zumachen, bevor sie offen sind“ (Scholz 2014, S. 14). Das ist insofern interessant, als es wie bei allen guten Schränken darum geht, die Organisation auf die Zweckmäßigkeit zu prüfen, ob normale Türen, Kleiderstangen oder Schubladen opportun sind – und was bei den Schubladen drauf steht. Wie der Schrank der Einstellungen der Gesamtgesellschaft zusammengestellt ist,

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weiß jeder in seiner Komplexität eines komplexitätsreduzierenden am besten begehbaren Kleiderschrankes. Meinungsforschungsinstitute auf aller Welt versuchen Einstellungsveränderungen festzustellen und bedienen sich unterschiedlicher Methoden und auch Schubladen. Das für die USA renommierte Pew Research Center hat im September 2015 eine interessante Studie vorgestellt über „The Whys and Hows of Generations Research“, in denen zu wesentlichen Themen relevant angesehene Differenzen in den Einstellungen zwischen demographischen und politischen Gruppen herausgearbeitet werden. Dabei wird unterschieden in „life cycle effects (age effects)“, „period effects“ und „cohort effects“ (Pew 2015, S. 4). Während Lebenszyklus-Effekte klassische Analysen einer Generation sind, stellen Periodeneffekte auf besondere Ereignisse wie Mondlandung, Kriege, Krisen, Terror, Technologie wie aktuell Daten- und Kommunikationstechnologie (als Beispiele des letzten Jahrhunderts) oder auch regierungsverantwortliches Personal etc. eine Lebensperiodenanalyse über alle Generationen ab. Die Kohorteneffekte hingegen versuchen eine Verbindung, wie diese Perioden-Effekte in den unterschiedlichen Lebenszyklen unterschiedliche Konsequenzen haben. Alternative Analyseeinheiten im Vergleich Der Begriff der Generation und auch die Methode der Analyse einer Generation ist nicht in allen Ländern üblich gewesen. Während in England und Frankreich eher schichten- bzw. klassenbezogene Analysen dominierten (also vertikal zumeist nach formalen Bildungsabschlüssen hierarchisierend mit Blick auf Eliten), sind in derzeit gut 15 Ländern auch Milieu-Studien generationsübergreifend die „Soziale Lage (Schichten)“ mit der „Grundorientierung“ verbindend (also einstellungsbezogen clusternd mit Blick auf Zugehörigkeiten und Veränderungen z.B. von Konsumverhalten etc.). Die Generation als Analyseeinheit entspricht demgegenüber einer zeitlichen Sortierung im Sinne einer chronologisch-biographischen Beobachtung. Generelle Einwände gegen Generalisierung und deren Rückwände Es folgte eine kurze Übersicht der Ein- und Rückwände der Kritik an Generationen-Beschreibungen: (1) Stereotypisierung: Im Sinne einer kommunikativen Verabredung sind verkürzende Etikettierungen so praktisch wie problematisch. Tiefendifferenzierungen innerhalb der Altersjahrgangsbetrachtungen nach Ländern, nach Politik- und Wirtschaftsregimen, nach Religionen und auch nach der Betroffenheit von als prägend wahrgenommenen Ereignissen für die sozialen Schichten etc. zeigen auf, dass eine Generalisierung allenfalls ein Durchschnittswert sein könnte, was bei Beschreibungen von individualistischen Gesellschaften nicht durchgängig tauglich zu sein scheint.

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(2) Medialisierung: Medien und Verlage haben ein kaufmännisches Interesse an Generationsbeschreibungen. Der faktische Ursprung der globalen Generationsbeschreibung kam mit der seit den 1950er Jahren üblichen Generationszuschreibungen, hatte aber erst 1991 eine faktische Generation aus dem gleichnamigen Roman von Douglas Coupland seinen Ursprung, der neun Jahre im Deutschen sein Pendant mit der „Generation Golf“ von Florian Illies fand. Es sind also zwei vor allem publizistische Erfindungen, die durchaus einträglich waren. Medien aus dem klassischen Nachrichten-Segment haben die bereits beschriebene Funktion, nicht etwa Information nachzurichten oder die aktuelle Lage normal zu beschreiben, sondern die Abweichungen von Normalität als „News“ anzubieten. Informationen sind mit Gregory Bateson definierbar als Unterschiede (zum bisher Bekannten, zur Normalität), die einen Unterschied machen (Änderung von Einstellungen, Wahlverhalten oder konkreten Handlungen). Daher sind Generationsbeschreibungen durch Medien in zweierlei Verdacht: (1) keine Beschreibung der Normalität einer Generation, sondern deren Abweichung zu bisherigen (eben auch schon abweichenden) Generationsbeschreibungen. Dies erklärt, warum eigentlich seit den 1968er und deren besonderen Abweichung in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus (als eine sehr kleine so motivierte Gruppe in der Generation) nicht so schrecklich viel passiert ist. (2) Keine Beschreibung der Dynamik der Unterschiede innerhalb von Alterskohorten (z.B. die pirouettenhaften Baby-Boomers etc.). Zusammenfassend kann durch die Medien eine drastische wie dramaturgische Übertreibung von Kleinigkeiten sowie von als prägend wahrgenommenen Persönlichkeiten einer Bohème vermutet werden, die dann generalisiert wird. Beschleuniger sind dabei sowohl akademische Jung-JournalistInnen und seit den 1968er spätestens geübte und medienaffine BWLerInnen, SoziologInnen, Kultur-, Medien- und PolitikwissenschaftlerInnen. (3) Historisierung: In einer Längsschnitt-Analyse werden die Trennlinien nochmals nachgezogen. Das Erinnerbare der medialisierten Abnormalität wird nochmals nachgezeichnet. Die Generalisierung des Habitus-Extrems einer sich dies leisten könnenden Bohème wird daraufhin geprüft, ob sie wenigstens einige sanfte Umschwünge mit zeitlichem Verzug von gut fünf Jahren zeitigte. Rückwände, die das alles so halbwegs doch stabilisieren sollten, sind in den sehr gewundenen Einführungen von einigen Werken zu finden, die bei der Adressierungen der Kritiken im wesentlichen die eigene Empirie und die marketingorientierte Grundlogik, häufig ohne die eingängigen kulturwissenschaftlichen Debatten aufzugreifen, beibehalten: „Generell (sic!) wird somit angesichts der klaren Vorteile, die bei korrektem Umgang offenkundig sind, die Sinnhaftigkeit des Generationenkonzeptes zur Komplexitätsreduktion und zur Analyseschärfung kaum bestritten“ (Scholz 2014, S. 19).

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Fazit: Fehlende Intra-Generationsdifferenz und Inter-Generationsidentität Als Fazit kann festgehalten werden, dass die überraschend vielen Beiträge zur empirischen oder anekdotisch beschreibenden Generationsdarstellung – zumindest von einigen Wissenschaftlern – die Kritik selbst aufgreifen und offenbar in Ermangelung der (methodologischen) Alternativen oder in der Nachfragebereitschaft von Medien und Verlagen trotzdem weitermachen. Der Erfolg der Generationsbeschreibungen wird vermutlich das Phänomen selbst so erfolgreich und gleichzeitig folgenlos verwässern: ob nun die Generation Praktikum, also die Phase, die Volkswirte als Sucharbeitslosigkeit sogar arbeitslos definieren, und die durch eine Generation Mindestlohn ohnehin nicht mehr möglich ist, oder die Generation Porn, von einer sich im praktischen Sexualverhalten kaum unterscheidenden Jugend, oder die Generation Smartphone, die das eher bei den neugierigen und suchtanfälligen Eltern abgeschaut haben könnte. Freuen wir uns auf Big Data, die diesem Spuk ein Ende bereiten könnte, und vermutlich den nächsten begründet. Denn für Datenauswertung braucht es eine Theorie, wie Albert Einstein schon einige Generationen zuvor anführte. Drei Erkenntnisse sollten für die nächsten Thesen aus dieser Diskussion herausgestellt werden: (1) Notwendigkeit der Intra-Generationsdifferenz: Der Soziologe M. Reiner Lepsius und Erfinder der sogenannten „sozialmoralischen Milieus“ formulierte in einem sammelnden Reflexionsband über die Generationenforschung im Jahr 2005 präzise: „Generation ist häufig nur eine Zuschreibung und man muss schon genau bestimmen, über welche Prozesse die Relevanz und die Funktionen die Zuschreibung tatsächlich erfolgte.“ „Vielleicht [ist der Begriff der Generation] zweckmäßig bei der Analyse von kulturellen Eliten“ (Lepsius 2005, S. 51). Wie immer diese Kulturen und die Eliten bewertet werden, zeigt sich, dass auch bei den hier im Interesse stehenden Generationen vor allem die digitale Technologiekompetenz eine neue Aufladung zu produzieren scheint, wie auch der Schwesterbegriff der „Digital Natives“ nahezulegen scheint. Wie auch in allen anderen Generationen zeigt sich innerhalb der Alterskohorten ein zumeist bildungsbzw. herkunftsabhängiger Differenzierungsbedarf, wie sich am Beispiel der Digitalisierung in der „digital divide“-Problematik zeigt, also der digitalen Spaltung im Sinne von Zugang und Nutzungskompetenz der Medien. Sogar die angekündigte Demokratisierung der Bildung hat durch die kostenlose Bereitstellung von Massive Open Online Courses (MOOCs) zu einer Verstärkung der „digital divide“ geführt (Hansen / Reich 2015). (2) Potential der Inter-Generationsidentität: Generationsidentitäten scheinen sich nicht immanent, sondern in Abgrenzung zu den vorherigen zu entwickeln. Das klingt praktisch und führt zu interessanten Kurvenverläufen trotz Stichpunkt-Analysen alle 5 Jahre

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oder aller Generationen, klassischerweise mit 15 Jahren angenommen. Aber viel praktischer klingt doch die Frage, was zwischen den Generationen eine Gemeinsamkeit ausbildet – vorausgesetzt, dass man gesellschaftliche Generationsverträge und nationalstaatliche Solidargemeinschaften noch als interessant empfindet. In demographisch auffällig beeinflussten Demokratien steckt hier ein besonderes Moment der Mehrheiten für generationsspezifische Belange. (3) Vernachlässigung der biographischen Generations-Dynamik: Abschließend fällt auf, dass die Generationen mit einander verglichen werden – und dies offenbar zeitstabil. Bei der sogenannten Kohortenthese kann aber angenommen werden, dass auch die Generation X und sogar die Boomers heute Ihre Arbeits-, Familien-, Medien- oder Ernährungsverhalten angepasst haben und sehnsüchtig und gar neidisch die neuen Generationen, denen sie diese Bedürfnisse und sogar deren Befriedigung ermöglicht haben. Die in der Sharing Economy sozialisierten und gar als nachhaltiger beschriebenen Generationen werden bei Familiengründung vielleicht sogar wieder das Eigentum schätzen, nur, dass sie deutlich früher an Lebensstandards gewohnt waren, als die früheren Generationen noch keinen Zugang dazu hatten. 68er könnten ja heute auch nur noch Abziehbilder ihrer Jugend sein, nachdem sie zwischendurch alles wie die Generation X durchgezogen haben. Und die medizinischen Fortschritte haben vor allem einen wesentlich relevanteren und auch sozialversicherungsbedeutsamen Bedarf aufgezeigt: wir müssen uns mit dem biographischen Ende der Kohorten beschäftigen, was sich auf wundervolle Weise hinauszögert und zu einer neuen Form der entspannt-demonstrativen Rebellen-Rentnerschaft führt, die vielleicht noch mehr die demographischen Pilz-Länder beherrscht, als wir das von Pyramiden-Ländern gewohnt waren, wo es im Alter immer dünner wurde. Die Geflüchtetenmigration wird – so sind sich die meisten Ökonomen sicher – die „Überalterung“, wie das neue geschenkte Lebensdrittel wertend genannt wird, auch in Deutschland nicht kompensieren. Irgendwie mutet diese Generationsanalyse so an, dass nach einigen Generationen der Durchführung und der Kritik ein neuer methodischer Mix erforderlich wäre, der die systematisch limitierten Ansätze verbindet und dann sogar etwas leiser und vorsichtiger formuliert.

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ÜBER DIE GEGEN- UND RÜCKENWINDE FÜR WINDIGE GENERATIONSBESCHREIBUNGEN „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes [...]. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ Aristoteles „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten soll.“ Sokrates „Überhaupt, die Jüngeren stellen sich den Älteren gleich und treten gegen sie auf, in Wort und Tat.“

Platon

Früher war alles besser... sogar man selbst... Das neue Griechenland wird für einige der jüngeren Kohorten erst ein mediales, dann ein finanziell spürbares Phänomen sein. Und die Griechen wussten schon um die 400 Jahre vor Christus nur das Präziseste über die Jugend zu sagen. Wie auch das wohl markenseitig verlässlich zeitgemäße TIME-Magazin, dass ähnlich wie in Deutschland das Generationsbeschreibungswochenmagazin DIE ZEIT diese Thema regel- und gleichmäßig und sogar mittelmäßig für titelfähig empfindet, wie die beiden Cover belegen könnten:

Abb. 1. TIME-Magazine: Titelbilder zu Generationen Juli 1990 und Mai 2013

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Wenn also die zeitlosen griechischen Philosophen und das amerikanische Zeitgeist-Magazin recht haben, dann ist es mit der Jugend erfreulicherweise alles fein und gleich. Dann wäre es aber tatsächlich interessanter, wenn wir nicht auf die Jugendphase schauen, sondern auf die gesellschaftlichen Kontinentalplattenverschiebungen, die so nachhaltig wie eben kaum beobachtbar sind – zumindest für Forscher, die nur auf Generationen und das in fünf Jahre und auf Selbstauskünfte der die Befragungen kennenden und sozial erwünscht antwortenden Generationen setzen. So ändern wir den Blick ein wenig weg von den Generationen und hin zu den spezifischen Veränderungen, die auf bestimmte Milieus, bestimmte Schichten mit Blick auf Sozialisationen und Selbstverständlichkeiten einen Einfluss haben könnten. Zur zeitlichen Genese zweier Generationen X und Y Das Gerede von der „Generation Y“ kennen wir wohl seit 1993, also seit deren Einschulung. In einem Artikel beschrieb die Fachzeitschrift Advertising Age seinerzeit maximal zwölf Jahre alte Jugendliche und verlieh ihnen damit den Status einer neuen Generation. Basis dafür war eine Publikation des Historiker William Strauss und des Ökonomen wie Demografen Neil Howe aus dem Jahr, die eine eigene Theorie erzeugen sollte (Strauss/Howe 1991). Sie prägten darin – und zwar exakt im gleichen Jahr wie Douglas Coupland sein Generation X veröffentlichte – den Begriff der „Millennials“, einer der vielen Synonyme. Für den amerikanischen Diskurs war das – im Verhältnis zu Deutschland – verhältnismäßig neu, in Generationen zu denken. Und dann ging es los – bis heute. Gegenwinde (1) „Generation Generationsungerechtigkeit“: Versprecher beim Versprechen Wir kennen das familiäre wie sozialstaatliches Versprechen: „Du sollst es besser haben als wir!“ In der Regel geht dies einher mit dem überparteilichen Grundsatz „Aufstieg durch Bildung“. Auch wenn nun das Gerede vom „Akademisierungswahn“ in der doch jahrzehntelang vergleichsweise geringen Akademiker-Quoten am Altersjahrgang bei einem deutsch-uniquen, also weltweit nicht imitiertem beruflichen Ausbildungswesen nun erstmals entgegensteuert, war zugegebenermaßen das Versprechen schon früher entlarvt: als Versprecher. Während die Nachkriegsgenerationen vordergründig eine Aufbau- und letztlich doch sehr durchgängige Wachstumsphase ermöglicht haben, war es hintergründig doch eine unfassbare staatliche und ökologische Verschuldung. Entscheidungen zulasten der nächsten bzw. ungeborenen, vor allem nicht-wahlberechtigten Generation waren die Auslöser der Nachhaltigkeitsdiskussion seit der 1960er Jahre, aber nun wird es ernster und hoffnungsfroher: Schuldenbremsen und Energiewenden. Es werden noch einige Wenden kommen, ob nun Mobilitäts-, Wasser-, Landwirtschafts-, Sicherheits- oder

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Gesundheitswenden. Die Kredite der vergangenen Lebensweisen müssen zurückgezahlt, am besten mittels technologischer und sozialer Innovationen, die wir heute noch nicht kennen können. Verzicht wäre zumindest unattraktiv, gerade aufgrund der Ungeübtheit in allen Nachkriegsgenerationen. Es wird sich zeigen, wie diese Generationen eine neue Form der Generationsgerechtigkeit mit neuen Formen des Engagements erreicht – in Zeiten, in denen sie bildungsbeschleunigt faktisch so früh in den Arbeitsmarkt kommt wie noch nie zuvor und aufgrund des noch nicht demographisch und maschinenrenditeseitig angepassten Generationsvertrags so lange und so produktiv arbeiten müsste wie keine Generation vor ihr. Gerade die Digitalisierung wird die Zukunft der menschlichen Arbeit nicht nur zu dem vielbeschworenen Rennen gegen die Maschine und dem Algorithmus (Brynjolfsson/ McAfee 2011) neu definieren, ebenso wie die Frage der Solidargemeinschaft mit einem seit langem auch aufgrund mangelnder Daten noch bestehenden Generationenvertrag, der es auf der Demographie-Wippe der jüngeren Generation nicht mehr ermöglicht, die Beine auf den Boden zu bekommen, so viel sitzen auf der anderen Seite. Wenn nun bestimmte Gruppen einer Generation von der algorithmisierbaren Arbeit ausgeschlossen sind, wenn nun bestimmte Gruppen einer Generation die individual-datenbasierten Versicherungstarifierung – ob Auto-, Kranken- oder Lebensversicherung – vorziehen können, dann wird es schon auf nur einer Seite der Wippe wackelig. (2) „Normalität der Katastrophe“: Die Sicherheit der Unsicherheit Der US-Amerikaner Charles Perrow hat in seinem instruktiven Analysen zur Katastrophenforschung (1992 und 2007) über die Normalität der unvermeidbaren Risiken von Technologie, Natur, Wirtschaft und Terrorismus geschrieben. Jede Generation hatte ihre Kriege und nun Krisen. Meist eine. Die Alterskohorten, die ihre Jugend zur Jahrtausendwende feierte, kannte die Illusion von Internet-Gründungen (New Economy Krise), die Illusion der Sicherheit (9/11), die kriegerischen Interventionen in Afghanistan und im Irak, die nochmalige Illusion der Atomenergie 2011 (Fukushima), die von 2007 bis heute bestehende Immobilien-, Finanzmarkt- und Staatsfinanzierungskrise (Kalifornien, Süd-Europa), vielfache Sozio-Technikrisiken (Flugzeug-, Kreuzfahrtschiffs, Zugunglücke etc.), die nun auch akzeptierte, aber noch nicht wirklich veränderbare anthropozentrische Klimaveränderung und mit den Frühwarnzeichen des Arabischen Frühlings ein Flüchtlingsherbst 2015, der noch einige Saisons und einige Generationen die Konsequenzen aus den religiös-fundamentalisch-politischen Gemengelagen der Weltpolitik beschäftigen wird – kulturell, psychologisch und finanziell. Und dabei noch nicht einmal über den Konkurrenzdruck seitens China gesprochen, der mit Wachstumsraten, die mit Wachstumsraten eine Weltbeherrschung darstellen könnte, bis man bei dem sich manchmal wegziehenden Smog in den ostchinesischen

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Städten die doch wieder sinkenden Wachstumsraten eines bis dahin kaum gekannten Staatskapitalismus sowie den nun wieder steigenden Wachstumsraten der bis dahin auferlegten Ein-Kind-Politik bei der Familienplanung. Zusammengefasst: Die weltweiten, technologischen, nationalstaatlichen, globalökonomischen, politisch wie zeitlich unlösbar scheinenden Herausforderungen der Energie, der Demographie, des Terrors, der Bildung, des Wassers und der natürlichen Ressourcen schaffen eine neue Normalität. Aber auch eine, die demütig macht, was in einer Generation – oder besser: in einem wirksamen Leben – überhaupt gegenzusteuern wäre. Es schien idealtypisch in den letzten Jahren nur noch zwei Optionen der Bohème zu geben: ein ökologisch-soziales Unternehmertum des „Trotzdem-Anpackens“ – oder zumindest ein Praktikum. Oder eine strategische Ignoranz und Reaktanz vor diesen Komplexitäten und dem individualisierenden Rückzug in die immer gleich unterschiedlichen Cafés, den Strickstuben und Konditoreien mit promoviertem Personal, oder den veganen Manufakturen und ähnlichem Lifestyle in den jeweils in der Gentrifizierungsentwicklung ähnlich lokalisierten Zukunftskiezen der Großstädte des vielzitierten Neo-Biedermeiers. Die anderen machten übrigens einfach weiter wie bisher, gründeten nicht notwendige Internetfirmen, die woanders abgeschaut wurden (wie Ende 1999) oder studierten BWL oder Lehramt oder Mediendesign und Eventmanagement, wie schon früher. Aber eigentlich könnte diese Generation das alles beklemmend und apokalyptisch finden. In den Statistiken über die Zuversicht dieser Jahrgänge findet sich das nicht – was eben für die Normalität spricht. (3) Eltern-Beobachtung: Überkonsum, Überstunden, Überarbeitung, Überbetreuung, Überdruss der Ehe Kerstin Bund, Jahrgang 1982, seit 2009 Autorin der Wochenzeitung DIE ZEIT in Hamburg und München hat 2014 ihr Generationsbuch veröffentlicht und weiß, was ihre Generation, vielleicht aber auch eher ihre Freunde wirklich wollen. Selbst wollte sie zwei Studienfächer, Aufbaustudium und Waisenhaus-Arbeit in Guatemala und schreibt dann so: „An unseren Eltern haben wir gesehen, was herauskommt, wenn der Beruf das Privatleben dominiert: abwesende Väter, hohe Scheidungsraten, ein Herzinfarkt mit 50“ (Bund 2014, S. 87). Als ZEIT-Abonnent weiß man über diese gesellschaftlichen Phänomene Bescheid, über die zahlreichen abenteuerlich kaschierten Konsumhilfen im ZEIT-Magazin, über Wohlfühliges in der Z-Beilage, aber eben auch über die Burnout-Entwicklung, die „Generation Praktikum“ und die Geheimnisse langer Beziehungen wie eben auch Yoga statt Jesus. Willkommen im Wollen der Besserung im Gleichen unserer Zeit. Es ist eine faktische, aber irgendwie immer paradox oder zumindest unehrlich anmutende Thematisierung der Kollateralschäden von Karrieren und Konsum, obwohl die letzten 15 Jahrgänge – auch der JournalistInnen – trotz tatsächlich auch jenseits der Zeit in den

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Geschäftsmodell-suchenden Medien prekäreren Arbeitsverhältnissen – eigentlich nicht wirklich etwas signifikant anderes gemacht haben. Zur Kampfansage der ebenfalls von Medien fast mehr als von Gewerkschaften getriebenen Work-Life-Inbalance kommen wir noch... Und wir haben es mit einer neuen Unehrlichkeit zu tun, so vermutet man, wenn man die elterliche Sozialisation dieser Jahrgänge anschaut. Denn diese Kinder sind nun die Landeplätze für die Helikopter-Eltern (ob in den internationalen Ausführungen der asiatischen Tiger oder US-amerikanischen Soccer Mom und nun auch immer mehr Väter), die insbesondere ihre Ängste, dass ihre Kinder es aufgrund der Doppel-Promotionen, Doppel-Verdiener-Haushalte mit aufgrund der Logistik-Nebenjobs doppelt so großen SUVs es doch nicht besser haben könnten als sie. So werden an deutschen Universitäten endlich Elternabende angeboten und bei LinkedIn oder Google „Bring in your parents days“. Denn, was für die 68er mit ihren Eltern und Kindern unvorstellbar war, ist für diese Generationen nach anhaltendem Trend der Shell-Jugendstudien die Normalität: Harmonie mit den Eltern (Shell 2015, S. 52ff.). 40 Prozent aller Jugendlichen kommen mit ihren Eltern bestens aus. Für 87 Prozent der Oberschicht und knapp 80 Prozent der (oberen) Mittelschicht sind die Eltern ein Vorbild. Dies geht so weit, dass sie ihre eigenen Kinder ungefähr so erziehen wollen, wie sie selbst erzogen wurden (ebd., S. 53ff.). Nur so angestrengt leben wie die helikopterierenden Eltern möchte man wohl lieber nicht, daher auch der geringer ausgeprägte Kinderwunsch. Der Kalauer könnte natürlich auch stimmen, nachdem die Eltern sich heimlich fragen, ob sie nicht doch auch lieber anti-autoritär durch ihre Kinder erzogen werden wollen... (4) Fazit der Gegenwinde: Entwicklung hin zu Gesellschaftsspielen und Resilienzfähigkeit Die Gegenwinde dieser Jahrgänge, die seit der Jahrtausendwende ihre Jugend verbringen, könnten als stürmisch wahrgenommen werden. Zwei Vermutungen können angeführt werden: Erstens besteht zumindest für die Bohème das Narrativ, dass das „Einfach-Weiter-SoSpiel“ und vor allem das „Höher-Schneller-Weiter-Spiel“ der Eltern- und Vorgängergenerationen nicht mehr wirklich gespielt werden sollte. Und dies in Harmonie, Empathie bis hin zum Mitleid mit ihren Eltern, die das noch spielen mussten, in der Angst vor dem Verlieren, um ihnen ganz neue Spiele, deren Ausgänge noch unklar sind, überhaupt zu ermöglichen. Es geht wohl – zumindest in der Erzählung, die bis zur Autohypnose gehen kann – um Gesellschaftsspiele, die sinnstiftender und mit Freunden in guter Stimmung zu spielen sind. Diese Erzählung ist aber nicht selten im Verdacht, ein sogenannter performativer Widerspruch zu sein, denn die Leistungsbereitschaft gerade dieser Neu-Spieler ist schon auch atemberaubend. Und dann gibt es einige aus der

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frischen Mittelschicht, die aufgrund auch wegfallender Mitspieler der Oberschicht mit gleicher Energie die Aufstiegshoffnung sich erarbeiten wollen. Und es gibt die Unterschicht, die eine signifikant niedrige Harmonie mit den Eltern erlebt (Shell 2015, S. 45). Zweitens könnten sich die Kompetenz-Erwartungen verschieben: Statt Karrierefähigkeit wird die Resilienzfähigkeit, also die Widerstandsfähigkeit, von kleineren und größeren Krisen zentraler. Die angenommene Überbetreuung von Mittel- und Oberschichtskindern wird mit Zusatzbetreuung von Coaches, Psychologen und sonstigen Lebensberatern flankiert, so dass man tatsächlich als älterer Jahrgang staunen kann, welche Übungen in der Selbstfürsorge und Reflexion beherrscht werden. Und dies ist nicht zwingend kritisch beobachtet, sondern tatsächlich als ein Phänomen, dass einige der Eltern sich das erst selbst mühsam erarbeiten mussten. Rückenwinde (1) Demographie und Bildung: Wissensdurst und Bildungshunger trotz und wegen Bulimie Die Generation Y soll in 2023 ca. 75% der weltweiten Belegschaft ausmachen, was lediglich ein statistische Normalität ist, wenn es keine Rücknahme der Vorruhestände etc. gibt. Der Treiber der Arbeitsmärkte ist die Demographie. Deutschland war seit Mitte 2000er Jahre Demographie-Weltmeister gleich in mehreren Disziplinen: (1) Frühester Einsatz der Bevölkerungsschrumpfung, (2) höchster Anteil von Kinderlosen an einem Jahrgang und (3) stärkste Kompensation der Schrumpfung durch Zuwanderung (Jansen/Priddat/Stehr 2005, Einleitung). Die damalige Bundesministerin Edelgard Bulmahn (SPD) konnte man zu der bemerkenswerten Einführung der Exzellenz-Initiative im deutschen Universitätssystem und im Beginne der europäisch vereinheitlichen Bologna-Reform und deren konsekutiven Abschluss-Strukturen mit dem bemerkenswerten Ausspruch zitieren, nach dem wir „nicht gleichzeitig weniger, älter und noch dümmer werden“ dürften. An den ersten beiden Faktoren kann man nicht wirklich etwas ändern bzw. es dauert einige Zeit. Aber die Demographie und die Bildungsnachfrage haben eben auch die Erwartungen auf Beschäftigung (ohne Praktikumshysterie) auf den Arbeitsmärkten verändert – einhergehend mit der Prekarisierung der Arbeit durch die Unternehmen und die verständliche Antwort der Illoyalität der MitarbeiterInnen gegenüber diesen Unternehmen. So lässt sich ein Rückenwind erkennen, denn sie werden gebraucht. Aber eben auch einem schnelleren Zukehren des Rückens, denn langweiliges und lernarmes Arbeiten brauchen sie nicht. In Deutschland ist die Zahl der Erwerbsfähigen im Jahr 2008 bei 50 Millionen gelegen, die sich nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes prognostisch im Jahr 2035 auf knapp 40 Millionen und in 2060 auf 33 Millionen absenken könnte – so vor der Geflüchteten-Krise kalkuliert. Damit einhergehend ist bei aller Prekarisierung der

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Arbeit ist die Zuversicht beruflich erfolgreich zu sein mit 91 Prozent unvergleichbar hoch, die Angst vor Arbeitslosigkeit bei den 17- bis 27-Jährigen auf 25 Prozent abgesunken, wenngleich die Altersvorsorge prokrastiniert wird, oder präziser formuliert: 38 Prozent haben es bereits geregelt (vgl. Hurrelmann / Karch 2013 für das Versorgungswerk MetallRente). In Österreich ist die Tendenz vergleichbar: So ist hier die Zahl der Erwerbstätigen 2013 mit 4,61 Millionen bereits um 8 Prozent im Vergleich zum Jahr 2001 gesunken. Die Prognosen für 2050 liegt bei 4,23 Millionen Erwerbstätigen (-15 Prozent). Dann werden unter 1 Millionen Kinder unter 15 Jahren (-25 Prozent im Vergleich zu 2001) aufwachsen. Seit 2013 gibt es mehr Pensionierungen als neue Erwerbstätige bzw. Zuwanderung. Die Wirkungen der Geflüchteten in beiden Ländern werden nun Gegenstand vieler Vermutungen, Problematisierungen und Potential-Hoffnungen. Neu ist aber etwas Überraschendes: Bildung wurde spätestens in den 2000er Jahren zur „Quengelware“, manchmal – sogar in Deutschland – zur Markenware, wie früher die Süssigkeiten an der Supermarkt-Kasse. Und das trotz der Quälereien der eher sinkenden Attraktivität und nicht beabsichtigen Bologna-Reformfolgen für die Studierenden-Jahrgänge seit 1999. Es ist unklar, ob das eine tatsächlich gelungene Indoktrinierung der Eltern war, mit den immer gleichen Kalendersprüchen: „Investition in die Bildung hat die höchste Rendite“ oder „Bildung kann Dir keiner nehmen!“, „Qualifizierung ist die ultimative Versicherung“. Und irgendwie ging es bei der Bohème weniger um das Lernen, sondern um dessen Signale, also formale Abschlüsse, und – bei entsprechendem Hintergrund – um das Sammeln von Bildungsmarken, von guten Internaten bis zu Oxbridge- und US-Ivy League-Brands, was in Deutschland nur in der Elite eine Distinktion über das Ausland war. Dazu kam die Umstellung der Verweildauern an den weiterführenden Schulen von neun auf acht Jahren. Zweimalige Beschleunigungen führten sowohl zum schlechtklingenden Bonmot „Bulimie-Lernen“ im aktiven Wortschatz der gesamten Szene und damit zu mehr und längeren Bildungszeiten als gedacht – und das zu Recht. Beide Reformen waren halbherzige und halbgare deutsche Kopien vermeintlicher und unvergleichbarer globaler Standards auf Basis halbgarer internationaler Vergleichsstudien, die ihren Niederschlag im „PISA-Schock“ haben, den diese Altersjahrgänge in Gänze abzuwerten schienen. Eingesparte Jahre von Gymnasium und Bachelor im Vergleich zum Alt-Abitur und Alt-Diplom und Magister haben nun zu dem geführt, was nicht beabsichtigt aber begrüßenswert ist: steigende Bildungsbeteiligung in Deutschland, wenngleich das für nahezu alle OECD-Länder gilt. Das Leninische Credo „Lernen, lernen und nochmals lernen“ ist vor 100 Jahren für diese Jahrgänge beschrieben – und meist sogar leistungsbereit freiwillig, nur aus Angst zu den 20 Prozent Bildungsverlierern zu gehören, eine

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Eigenschaft, die aber in Deutschland herkunftsabhängig vererbt wird, da die frühkindlichen und schulischen Bildungssysteme dies nicht zu entkoppeln verstehen. Von taktierenden Strebern auf den Gymnasium wird nun gesprochen, dass nunmehr mit Blick auf die Quantität die wahre Hauptschule geworden ist - und dies selbst bei den Problemkindern schlechthin: Jungen. (Hurrelmann/Albrecht 2014, S. 53; Shell 2015, S. 69). (2) Digitalisierung von Gesellschaft: Net Kids mit zeitgemäßen relevanterem Wissen? „Digital Natives“ sollen in der Mediennutzung überlegen sein, so der Allgemeinplatz zu denjenigen Jahrgängen, die quasi mit dem Internet-Browser (Web 1.0) geboren sind und dann in die zeitgleiche Pubertät der Sozialen Netzwerken (Web 2.0) gerieten, aus der wir im Jahr 2016 generationsübergreifend nicht hinaus sind. Es war der US-Autor und Präsident der „Alliance for Converging Technologies“ Don Tapscott, der fünf Jahre nach dem ersten Internet-Browser über die „Netkids“ schrieb, den Kids, die nicht nur auf Augenhöhe, sondern oft darüber liegen – als Nutzer und Entwickler. Michael Haller hat der Mediennutzung gleich eine eigene Analyse gewidmet – die aber kaum zu überraschen vermochten. Was als Hochschullehrer vielmehr überrascht ist, dass die Mediennutzung nicht nur die vermuteten Kompetenzgewinne bringt, sondern tatsächlich auch einige Defizite dort erzeugt, wo es Potentiale gegeben hätte. Wenn Scholz über die „Digital Naives“ ätzt, dann sind einige der Thesen durchaus diskutabel, aber sicherlich auch hoffnungslos im Bildungskanon des letzten Jahrhunderts verwoben (vgl. Scholz 1994, S. 125ff.): Texten statt schreiben (Fähigkeit der Erstellung vom komplexeren und plastischeren Argumenen), suchen statt wissen (Recherchekompetenz jenseits von Google), mitteilen statt mitdenken (Präferenz für die (videobasierte) Vermittlung von Wissen gegenüber dem Denken), anwenden statt verstehen und entwickeln (App-Nutzung statt Programmierungsfähigkeiten und tiefere Standard-Software-Kenntnisse). Und das nunmehr Generationsübergreifende dieser Qualitäten zeigt eher beeindruckende Lernkurven der Silver Ager – oder präziser: Silver Surfer – als von den Kids. Die Ergebnisse der Studie von den „privilegierten“ Teilnehmern der Generationen Y und Z von Michael Haller führt dann auch zu irritierenden Schlussfolgerungen: Weil die Jahrgänge im Älterwerden nicht vermehrt, sondern vermindert zu Print-Tageszeitungen greifen, werden als Gründe unberücksichtigte Interessen und Informationswünsche angeführt, während das Fernsehen das „Crossover“ von analog zu digital zu gelingen scheine (vgl. Zusammenfassung S. 282f.). Demokratietheoretisch wie medienwissenschaftlich ist der „trap effect“ hinreichend belegt (vgl. Schönbach 2008), der gerade die zuverlässige Überraschung im Sinne des passiven Information über etwas, über was man sich nicht informieren würde, was einem also nicht aus seinem homophilen, gleichlaufenden Schwarm an Facebook-Freunden empfohlen würde. So ist man

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als Hochschullehrer immer wieder aufs Neue fasziniert, welches Tiefenwissen auf Nebenschauplätzen mit welchem Unwissen auf tagespolitischen und bildungsbürgerlichen Allgemeinplätzen kombiniert werden kann. Grundsätzlich könnte die sinkende Aufmerksamkeitsspanne durch gewischte Informationen eben auch zu Verwischungen des zu Wissenden und – noch kritischer – zu Verweigerungen des systemisch Komplexeren führen. Aber wenn das Interesse an etwas geweckt wurde, dann wiederum ist die Eigenenergie und das Genialische dieser Net-Kids spürbar, was auch den Älteren Respekt abverlangt, was man „in diesem Alter“ schon könne – mit etwas peinlich berührten Blick auf die eigenen Geniemomente eher unauffällige Jugend. Trotz allen Relativierungen der Digital-Kompetenz kommt ein warmer Rückenwind zu den Eliten und Nerds des Digitalen, um die Normalität des Nativen als Denkrichtung für klassische Industrien und Dienstleistungen anzuwenden. In der Neugier und Faszination dessen, was uns da im Silicon Valley begegnet, wird in Berlin und London gesucht. Es könnte auch eine Überschätzung der Generation sein, es ist auf jeden Fall eine bildungsabhängige Bohème, die sich in die App-Programmierungen und irgendwie auch nicht wirklich relevanten Start Ups für einige Semester engagieren. (3) Vermögensnachfolge: „Patek Philippeisierung“ als arbeitsloses Einkommen Die Generationen seien ihres eigenes Glückes Schmied, so liest man ab und an (Hurrelmann 2014, S. 231). Das wäre irgendwie auch anzunehmen, wenn neue Spiele gespielt werden sollen. Dennoch zeigt sich, dass diese Generationen noch lange von dem Helikopter versorgt werden, den der Ökonom Milton Friedman schon als Metapher erfand, um die Geldmengensteigerung zu erklären. Die Unterstützung von den Eltern geht doch etwas über Ausbildung und Studium hinaus, was auch etwas die Harmonie erklären könnte – in beide Richtungen. Die faktische Ein- bis Zweikinder-Politik insbesondere der Mittelschicht ermöglicht eine nachhaltige und umfangreiche Unterhaltszahlung für die Glückschmiede-Ausbildungen, meist gleich mehrere. Nur das letzte Fünftel der Gesellschaft schafft es nicht, ihre Kinder entsprechend zu fördern – so wenig wie nie zuvor. Der Generationsvertrag im Privaten gelingt, anders als im staatlichen Sozialstaatsmodell – und hier nicht selten nun über zwei Generationsgrenzen hinweg, da die Großeltern in ihren geschenkten Jahren des letzten Lebensdrittels noch ordentlich immateriell und materiell den Enkeln schenken. Die Kinder des letzten Fünftel verlieren hier das zweite mal im Vergleich. Armut ist in Deutschland vererblich – sowohl in Form von Bildung wie Vermögensbildung. Apropos Vererben: Der Soziologe Thomas Druyen hat diese Goldkinder seit 2007 ausführlicher analysiert. Wir haben nun in Deutschland eine Vermögenskultur zu lernen, durch das erstmalige Vererben ohne kriegs- bzw. inflationsbedingte Entwertungen. Diese neue Vermögenskultur ist vor allem im Nachwuchs, also der Erbengeneration spürbar.

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Das Deutsche Institut für Altersversorgung veröffentlicht wiederholt die Prognosen über die Vererbungen in den kommenden zehn Jahren. Die Zahl summiert sich auf 2,6 Billionen Euro, also ungefähr ein Viertel des Gesamtvermögens des Landes. Dies allerdings wie meist im wettbewerblichen Kapitalismus ungleich, was die Anfangsausstattungen der nächsten Spieler des nächsten Kapitalismus erheblich ungleichgewichtet. Fünf Prozent einer Kohorte erhalten ein Drittel der Erbschaften Erben sind heute zwischen 40 bis 65 Jahre alt, was an dem bereits erwähnten Lebensdrittel-Geschenk der Vererbenden liegt. Das ist also in der Regel keine Starthilfe der nächsten Generation, sondern nachholende Altersvorsorge der nächsten Rentner-Generation und ggf. dann die Starthilfe der übernächsten Generation. Es ist wohl eine „Patek Philippeisierung“ der Familie im Gange, wie die Werbung die Hedonisten der älteren Jahrgänge noch immer glauben machen will, dass man das zu viele Geld für eine eben nicht smarte Uhr ausgeben darf, weil die Söhne und Töchter bzw. die Enkel diese ja noch auftragen dürfen. Und wenn das Gesamtvermögen an die nächste Generation wie die Uhr weitergeht, wenn das letzte Stündlein geschlagen hat, dann könnte sich zeigen, dass die nächste bzw. übernächste Generation dies annimmt, aber sie eben auch anders tickt. Und hier entsteht eine spannende Forschungsfrage, wie diese Generation mit ihren eigenem Gesellschaftsspiel und dem arbeitslosem Einkommen zivilgesellschaftlich und philanthropisch umgeht. In Deutschland zeigt sich, dass es anders wird, als die Stiftungen von 80+ Patriarchen – und dabei liegen sie nicht zu weit auseinander: Die letzten Jahrgänge, die in dem PISA-Schock und der „Hochschul-Bolognese“ sozialisiert wurden, sehen vor allem – und dies durchaus im Einklang mit der globalen Forschung – eine Vermögensbildung für ihr Ehrenamt oder frühere Spenden: die „Ermöglichung der Empowerments“, also die Hilfe zur Selbsthilfe – durch Bildungsangebote. So z.B. RockYourLife eine Initiative von sich selbst als so privilegiert ansehenden Studierenden, dass sie als Coach ehrenamtlich und gut qualifiziert Hauptschüler über diese Schnittstellen des herkunftsabhängigen Bildungs- und Arbeitsmarktsystem hinweg helfen. Oder die KIRON University mit Online-Studiengängen für Flüchtlingen. Und nun kommt das Geld, der Erbe, das Vermögen hinzu, dass man in einer solchen Engagement- und Förderlogik des Empowerments durchaus mögen kann. Während in Mädchenzimmer bis heute das Einhorn nicht wegzudenken ist, betreiben die Jungs über 14 und unter 30 ein Spiel, das uns einen ambivalenten Vorgeschmack auf die neue Welt der Vermögenskultur gibt: 123 Unicorns, wie die jungen, aber bereits milliardenschweren Start Ups heissen, gab es zum Jahreswechsel 2015/2016 – also nicht mehr so selten, wie der Tiername andeutet. 86 davon aus den USA, viele aus dem Silicon Valley, viele aus Stanford. Und hier ist der Google-Co-Gründer Larry Page oder auch der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg auf einem neuen Weg unterwegs, den man auch als „hacked philanthropy“ bezeichnen könnte: google.org als philanthropischer

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Stephan A. Jansen

Investor innerhalb des Alphabet-Konstruktes und nicht etwa als ausgelagerte Unternehmensstiftung oder die Spende zur Geburt von Zuckerbergs Tochter mit dem vielsagenden Namen Max, über 99 Prozent der Anteile von Zuckerberg an Facebook, was zum Ankündigungszeitpunkt ein Vermögen von luftigen 45 Mrd. Dollar Wert entsprochen hatte. Die „Chan Zuckerberg Initiative“ geht es wohl um Bildung: „advancing human potential“ und „promoting equality“ – also durch Versprechen nationalstaatlicher Art. Die Ankündigung war so lang wie unscharf und angesichts des siebenseitigen Briefes an seine eintägige Tochter literarisch anregend. Aber auch hier: Keine Stiftung, kein Non-Profit, sondern eine normale Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wie alle anderen Facebook-Gründungen auch. Angesichts des jugendlichen Alters der Eltern kann die Aussage von Chan und Zuckerberg zumindest in dem Erwartungshorizont akzeptiert werden: Sie seien „geduldige Philanthropen [...] und investieren in Dinge, die erst in zehn, 20 oder 50 Jahren konkrete Resultate zeigen.“ (Oberndorfer 2015). Und so sind wir in Deutschland mit dem Phantomschmerz Zivildienst mit bildungssensiblen AkademikerInnen in eine neue Sozialunternehmerwelle gekommen (Jansen et al. 2013) und unter den kalifornischen Jung-Milliardären eine neue Unternehmensgründungswelle scheinbar philanthropisch und unverdächtig nahe am Geschäftsmodell. Die materielle Grundsicherung (insbesondere der breiteren Mittelschicht) sowie ausgesuchte relative und relevante Kompetenzvorteile dieser Generation führen zu stärkeren gesellschaftlichen Engagements in früheren Jahren, die eher der Vorsorge durch Empowerment gelten könnten als der Nachsorge von vermögenden Patriarchen in deren häufig noch wirksamkeitssteigerungsfähigen Stiftungen. (4) Fazit der Rückenwinde: Arbeitnehmermärkte und neue Existenzängste Die Jahrgänge der letzten beiden Generationen haben die Erkenntnis gewonnen, dass Arbeitsmärkte sich in zweierlei Hinsicht geändert haben: Erstens: Arbeitgeber sind unsicherer und prekärer geworden, was sie nicht nur selbst, sondern an ihren Eltern erfahren haben. Zweitens: Qualifizierte Arbeitnehmer brauchen keine Angst mehr zu haben, weil sie durch ihre Beschäftigungsbefähigung und der Demographie an der Beschäftigung nicht mehr vorbeikommen. So lässt sich erklären, dass die Einschätzung des Arbeitsmarktes als „gesellschaftliche Prioritäten“, wie sie die Shell-Jugendstudie abfragt, im Fünfjahresvergleich von knapp 80 Prozent Relevanz auf 37 Prozent in 2015 absackte, während Bildung/Wissenschaft und soziale Sicherheit und Umwelt sowie Innere Sicherheit z.T. deutlich zulegen konnten (Shell 2015, S. 171 bzw. 2015a, S. 4). Arbeitsmärkte haben sich von stabilen Arbeitgebermärkten zu instabileren Arbeitnehmermärkten entwickelt, was Auswirkungen auf Forderungen, Förderungen und Loyalitäten haben wird (siehe die Diskussion im weiteren Verlauf). Eine zweite Erkenntnis, zumindest aus den materiellen Versorgtheiten und den

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GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z

immateriellen Bedürfnissen und deren Sorgen um Nichterfüllung, die die selbsterklärten Generationsversteher beschreiben, könnte man auf folgende Formel zuspitzen: Die Existenzängste verschieben sich vom Materiellen zum Sinnlichen. Sinnsucher, Warumfrager, Feedbackwünscher scheinen diese Jahrgänge zu sein. Nicht unsympathisch, nicht selten auch eine Haltung, die sich ältere schon gewünscht hätten. ÜBER STATISTIKEN UND DEREN DYNAMISCHE INTERPRETATION UND WIDERSPRÜCHE „Generation Y wählerisch wie eine Diva beim Dorftanztee“ Eva Buchholz und Klaus Werle 2011 Intra-generationale Tiefen-Differenzierung Wie eingangs beschrieben, ist eine Generation vor allem eine Genese einer Konstruktion. Hier sollen und können nur drei Tiefendifferenzierungen stehen – zwei deutsche und eine US-amerikanische, um zu zeigen, wie normal diese Jahrgänge doch sein könnten: (1) Deutschland: Shell-Jugendstudie 2015. Die Wertetypen Die 17. Studie seit dem Jahr 1953 basiert auf 2558 von Infratest durchgeführten Interviews zwischen Januar und März 2015 mit Menschen zwischen 12 und 25 Jahren – also Geburtenjahrgängen 1990 bis 2003. In der tieferen Analyse von sogenannten „Wertetypen“ zeigen sich im Vergleich zu den vier früheren Erhebungen zwei Tendenzen: MaterialistInnen verlieren gegen MacherInnen und Frauen bleiben idealistischer (vgl. Abb. 2).

Abb. 2 Typologie nach Shell (zusammengestellt nach Shell 2015a, S. 1) In der Abbildung 3 der Tiefenanalyse der Wertetypen zeigen sich wiederum die

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Stephan A. Jansen

Einstellungen von besonderer Relevanz mit einer hohen Ausprägung. Dabei verdeutlicht sich, dass Fleiß und Ehrgeiz tatsächlich über alle Wertetypen hinweg die stärkste Ausprägung aufweisen und die stärkste Differenzierung sich bei den Lebensstandard-Erwartungen sowie dem Anstieg im sozialen Engagement zeigt. So können Selbstbeschreibungen und medial aufgeregte Fremdbeschreibungen von Leistungsverweigerern schon einmal auseinanderfallen, wie in der Folge eben nahezu alles wieder in sich zusammenfällt, wenn wir uns die Mühe machen, einzelne Aspekte konzentriert übereinanderlegen.

Abb. 3 Relevante Motivationen innerhalb der Wertetypen nach Shell (zusammengestellt nach Shell 2015a, S. 1) (2) Deutschland: Haller 2015. Vier Lebensstile In einer Erhebung von 1037 Befragten mit mittlerer Reife („gehobene Stichprobe“) zwischen 23 und 35 Jahren wurde mittels einer Clusteranalyse auf Basis von 47 Fragen eine Typologie vorgestellt, die eine etwas andere Ausrichtung auf Lebensstile aufzeigt (Haller 2015, S. 155ff.): Lebensstil-Typen

Anteil

Charakteristika.

Unterhaltungs- und konsumorientiert

24,3%

Hedonisten Gewisse Tüchtigkeit im Beruf, aber starke Spaßorientierung Frauen aus alten Altersgruppen dominierend Relative geringste Akademikerquote

Kulturell und künstlerisch stark interessiert

27,3%

Post-Materialisten Intellektuell, höchste Akademikerquote, eher männlich, älter Eher großstädtisch, an gehobener und Hochkultur interessierte Öko- und umweltbewusst

Fitnessbewusst/familien- und berufsorientiert

23,3%

Leistungsorientierte Übernahme des Lebensstils von Älteren, vor allem Eltern Wertetradiert Eher männlich, älter, grossstädtisch

Unauffällige, Häusliche und Zurückgezogene

19,1%

Introvertierte Eher männlich, älter, ländlich Keine Bildungsspezifität

Abb. 4 Lebensstil-Typen (zusammengestellt nach Haller 2015, S. 156-158) (3) USA: Valentine/Powers 2013. Die Lifestyle Segmentierung

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GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z

Basierend auf den US-Zahlen sind der Generation Y 56 Millionen Menschen zuzuordnen, wenn man wie in dieser zitierten Studie die Alterskohorten 1982 bis 1995 heranzieht. Anders als in Deutschland ist damit diese Gruppe vergleichbar groß wie die Baby Boomers. In der US-amerikanischen Literatur ist sie mehr als dreimal häufiger behandelt als die Generation X es war. Daher interessiert hier vor allem die Kaufkraft, und nicht, wie in Deutschland, der Arbeitsmarkt (vgl. Valentine/Powers 2013, S. 597f.). Damit zeigen sich auch die vielzahligen, eher marketing-orientierten Studien der USA, während in Deutschland die personalpolitischen Themen zu überwiegen scheinen. Auf einer Basis von 121 College-Studierenden ist keine Repräsentativität gegeben, aber ein Einblick in die Normalität der Generation – und die Sensibilisierung der Autoren, dass der Marketing-Mix für diese Typen eben auch differenzieren muss. Die Analyse der psychographischen Marktsegementierung wird anhand der in Stanford 1983 entwickelten VALS-Methode durchgeführt („Values and Lifestyles“), hier in der reduzierten Version (VALS 2): Dabei lässt sich eine grundsätzliche Typologisierung über die Werte- und Lifestyle-Typen wie folgt vornehmen:

Abb. 5: VALS-Typologie von Werten, Ressourcen, Orientierung und Charakteristika (Valentine/Powers 2013, S. 599)

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Stephan A. Jansen

Nach der eigenen Auswertung der Daten ergab sich folgende Verteilung: VALS-Typen Anteil Einkommen Frauen

Charakteristika.

Erfahrene

59%

30-49.000$

63%

1. Starke Selbstdarstellungswünsche, 2. Enthusiastische und impulsive Käufer, 3. Leicht begeisterungsfähig, jedoch sprunghaft, 4. Suche nach Abwechslung, Spannung, Ausgefallenem, Risiko, 5. Verfügbares Einkommen für Mode, Entertainment, Socialising.

Strebende

24%

15-29.000$

46%

1. Imagebewusstsein, 2. Leistungsgetrieben, 3. Meinung und Anerkennung Dritter ist wichtig, 4. Erfolg in einkommensschwächeren Gruppe über Geld definiert, 5. Produkte bevorzugt, die gewünschten Reichtum spiegeln.

Überflieger

9%

40-74.999$

64%

1. Wunsch nach Anerkennung, 2. Zielorientierter Lebensstil, 3. tiefes Pflichtgefühl Karriere und Familie, 4. Politisch konservativ, 5. Autoritäten und Status Quo respektiert, 6. Stabilität, Übereinstimmung und Konsens wichtiger als Risiko.

Abb. 6: VALS-Typologie der Generation Y (zusammengestellt nach Valentine/Powers 2013, S. 600ff) Und wenn wir uns diese US-Typologien der psychographischen Segmentierungen und empirischen Verteilungen veranschaulichen, dann zeigt sich einerseits erneut die Normalität und die inter-generativ gültige Wirklichkeit für einige Eigenschaften innerhalb der USA, sie zeigt aber andererseits auch die Unterschiede zu der deutsche Gruppe der Post-Materialisten auf. Letzteres könnte aber mehr an der konsumorientierten Typologie der Entwicklungsphase in den 1980er Jahre liegen als an den befragten Menschen. Tiefenanalyse aus verschiedenen Studien der Jahre 2000 bis 2015 Was ist zu dieser Generation nicht alles geforscht worden, mit was für Samples, was für Frage- und Interviewmethoden? Zur Arbeit und Führung, zu Familie und Beziehungen, zum Konsum, zur politischen Einstellung, zum Engagement und mit besonderer Inbrunst – für die „Digital Natives“ angemessen – den Medienkonsum. Es ist ein Festival der Meinungsforschungen und mitunter trivial anmutenden Forschungsdesigns. Die standardisierten Interviews dieser Forschungsdienstleister exekutieren erprobte

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GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z

Fragebögen und von Führungskräfteverbänden, Wirtschaftsprüfungen, Versorgungswerken, Personalvermittlern bis hin zum Ausbildungsbetrieb McDonald´s sind alle Interessiertheiten der Fragenden erkennbar. Folgende Übersicht ist ein Versuch aus einigen der unzähligen Studien themenzentrierte Ergebniszusammenstellungen vorzunehmen. Die auch in den USA starke Publikationsneigung zu dieser Generation führte zu dem Versuch, auch ausgewählte amerikanische Studien anzuführen. Auffällig in den Forschungsdesigns ist, dass kaum mit Kontrollgruppen gearbeitet wird. Weiterhin auffällig ist, dass es wenig bis keine Korrelationsanalysen gibt, sondern univariate Analysen durchgeführt werden, mit nicht immer nachvollziehbaren Cluster-Bildungen für die sehr beliebten Typologisierungen. Der Umgang mit dem, in der empirischen Sozialforschung gängigsten Problem der „sozialen Erwünschtheit“ von Antworten im aktuellen Zeitgeist lässt auch noch zu wünschen übrig. Und genau diese Soziale Erwünschtheit selbst wird als eine Beschreibung dieser Generation herangezogen (vgl. Hurrelmann/Albrecht 2014, S. 167). Die Sozialen Netzwerken haben eine „like“-, Positivierungs- und Selbstoffenbarungs-Kultur geschaffen, die die Netzwerker selbst nicht mehr glauben. Aber auch sonst sind einige Auffälligkeiten in den Studien-Ergebnissen eher an der kategorialen Problematik der Antwortoptionen festzumachen, als es die Einzelaussage vermuten lässt. Dies wird auch daran deutlich, dass widersprüchliche Aussagen kaum verprobt bzw. thematisiert werden. Diese Tabelle soll als Anregung für eine Diskussion sowohl der vermuteten Besonderheiten wie auch dem Potential für weiterführende Thesen einer hier interessierenden intergenerativen Energie dienen: ZUSCHREIBUNG

AUSSAGE

BELEG

JAHR

LAND

Shell 2010/2015a, 2

20102015

D

ARBEIT Typologie

37% Durchstarter (hohes Einkommen, Leistungswahrnehmung, höchste Überstundenbereitschaft) 18% Distanzierte (Einkommen normal, kein Leistungsgefühl, geregelte Arbeitszeiten nicht wichtig) 18% Idealisten (geringe Einkommenserwartung, höchste Leistungswahrnehmung, geringste Überstundenbereitschaft) 27% Bodenständige (hohes Einkommen, geringe Leistungsgefühl, geregelte Arbeitszeiten zentral)

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2558 12-25-Jährige

Stephan A. Jansen

Work-Life-Balance

2006/ 2014

Work-Life-Balance wichtigster Faktor Arbeitgeberwahl: 38,6% in 2006 auf mehr als 50% in 2014

Trendence-Beratung:

Zur Vereinbarkeit von Kind und Berufsleben: 83% Reduktion der Arbeitszeit 57% Verzicht auf Aufstiegschancen 45% Verzicht höheres Gehalt 37% Wechsel Beruf

Haller 2015, S. 210

1015 23-35-Jährige (mittlere Reife), 1/3 Hamburg, 1/3 Schleswig-Holstein, 1/3 Baden-Württemberg und Berlin

2015

59% abnehmendes Aufstiegs- und Führungsinteresse 11% wachsendes Interesse

Deutscher Führungskräfteverband

2012

Fachkarrieren attraktiver als Führungskarrieren, insbesondere in Deutschland.

Deloitte 2015

2015

Wichtiger als Einkommen: 63% Sinnstiftende Tätigkeit 59% Angenehmes Arbeitsklima 51% Arbeitssicherheit

Haller 2015, S. 200

2015

Materielle Abhängigkeit

Mit Mitte der 20er Jahre der Kinderbiographien: 50% Lebenshaltungskostenvon Eltern bzw. wohnen bei Eltern. Über 30-Jährige: 15% Lebenshaltungskosten und weitere Unterstützung. Folge der materiellen Verflechtung: sehr intensive Bindung zwischen den Generationen.

Swartz et. al (2011)

Heirat

57% Männer: Eigene Familie wichtig (2010: 71%) 70% Frauen: Eigene Familie wichtig (2010: 81%)

Shell 2010/2015

2015

D

Kinderwunsch

29% 45% 18%

haben Kinder, 15 Prozentpunkte noch ohne Kinder, wollen welche. ohne Kinder, wollen keine.

Haller 2015, 41

20142015

D

64%

noch ohne Kinder, wollen welche (2010: 69%)

Führung

23.000 examensnahe Studierende Wirtschafts-/-ingenieur-wissenschaften

D

D

D D

Umfrage von 300 Personalverantwortlichen

7.806 nach 1982 Geborene in 29 Ländern

D

Interesse an leitender Position: 29% der jungen und formal dafür qualifizierten Frauen 46% der jungen und formal dafür qualifizierten Männer Schlusslicht im internationalen Vergleich. Erwartungen

D

FAMILIE / BEZIEHUNG

Shell 2010/2015a, 2

USA

2015 D

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GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z

Vergleich

Generationale Präferenz 2009 52 % Elternschaft ist „eine der wichtigsten Dinge im Leben“. 30 % Erfolgreiche Heirat und Partnerschaft

Pew Research 2010

1997 2009

USA

Bakewell/Mitchell 2003

2002

USA

Noble/Haytko/ Phillips 2009

2008

USA

Generationale Präferenz 1997: Nur 7 Prozentpunkte höhere Einschätzung der Elternschaft. KONSUM Präferenzen

33% „Recreational quality seekers“: Qualitätsorientierte Zeitinvestitionen im Konsum, hohe Marken Loyalität 16% „Recreational discount seekers“: Engagierte Schlussverkaufskäufer, geringe Markenorientierung, 16% „Shopping and fashion uninterested“ Zeitsensible Konsumenten 14% „Trend setting loyals“: sehr modisch orientiert, mixend, nicht marken- und preisfixiert. 21% „Confused time/money conserving“ Überforderung durch zu hohe Produktvielfalt, Preis schlägt Qualität Fazit: Stärkere Tendenz in höhere Qualitäts- und Preissegment und Vereinfachung des Geschäftsdesigns und Zahlungsvorgänge.   Treiber des Kaufverhaltens: Sozialisation, Unsicherheitsreduktion, Reaktanz, Selbstdiskrepanz und das Gefühl des Erfüllens und der Verbundenheit. Hohes Wert- und Markenbewusstsein, hohes Konsumentenwissen, hohe Loyalität.

Studie der erwachsenen Generation Y-Frauen als Käuferinnen

Studie zu US-College-Studierenden (18-22)

Konsum im Vergleich zu Studien der Generation X Vergleichsweise stärker als „gewonnene Freiheit“ und als „Akt der Selbstfindung“ wahrgenommen.   Mix von Zugehörigkeits- und Individualisierungskonsum im Vergleich zur Peer-Gruppe. Marken spiegeln diesen Mix wider. POLITIK /GESELLSCHAFT Interesse an Politik Themen

Interessenanstieg 30% 2002, 35% 2006, 36% 2010 auf 41% 2015 Zufriedenheitsanstieg Demokratie seit 2006 77% West und 54% Ost (2015) 72% Beteiligung an Wahlen „Bürgerpflicht“ Wichtigste Themen Kinder/Familie (55%), Bildung/Wissenschaft (46%), Soziale Sicherung/Rente (42%), Arbeitsmarkt (37%) und Umweltschutz (34%) Zuwanderung Ablehnung gegen Zuwanderung sinkt von 58% 2006 auf 2015 37% Zunahme besonders stark bei bildungsfernen Schichten, noch immer männlich.

100

Shell 2010/2015a, 4f.

D

Stephan A. Jansen

MEDIEN Typologie

Haller 2015, 100

2015

D

20% Der Analoge Liest >3 Tage Zeitung. Eher männlich, älter, höchste Bildung 25% Der Digitale 2/3 studiert, städtisch, sportlich, geringe Familien-/ Nachbarschaftsinteraktion, 41% zusätzlich Print und 60% zusätzlich Tablets 7% Abstinenzler kein Print, keine Online-News, Fernsehen, gleiche Hardware, aber für interpersonale Kommunikation und Shoppen), 2/3 weiblich, formal geringer gebildet, geringe Sozialkontakte. Rest: Kein Clusterung möglich (Inkonsistenz)

Haller 2015, 101-104

2015

D

39%: Sich kritisch geben und sich nichts auf alles einlassen. 32%: Sich kritisch geben und trotzdem aber mit dabei sein. 26%: Sich eher kritisch geben und dabei sein. 3%: Die Kritik am Internet ablehnen.

Shell 2015a, 3

34% oft für andere aktiv (39% in 2010, 33% in 2006) 38% gelegentlich für andere aktiv (41% in 2010, 42% in 2006) 28% nie für andere aktiv (20% in 2010, 25% in 2006). Rückgang bei Gymnasiasten/Studierenden: G8 und Bologna.

Shell 2015, 193ff.

2006, 2010, 2015

D

2013

D

Was ist wichtig im Leben? (Auszug) 69% Gute Freunde haben 64% Gesundheit 58% Sicherer Arbeitsplatz 34% Zeit für mich selber 15% Gutes Aussehen 19% Sich viel leisten zu können 14% Soziales Engagement (letzter Rang)

McDonald´s 2013, S. 15. Allensbach Archiv,

2015

D

49% 42% 39% 37% 33%

Shell 2015, S. 194

Selbstzuordnung: (1 = trifft voll zu | 4 = trifft überhaupt nicht zu) Die News Junkies: 1,87 Die Souveränen: 2,18 Die Spezialisten: 2,32

Kritische Nutzung

ZIVILGESELLSCHAFT/ EHRENAMT Engagement

Engagementfelder (oft bzw. gelegentlich)

Interessen von Jugendlichen Freizeitgestaltung für Jugendliche Hilfsbedürftige ältere Menschen Umwelt- und Tierschutz Besseres Zusammenleben mit Migranten 33% Sozial schwache Menschen

3000 15-24-Jährige

D

101

GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z

Empathie

College Studierende sind 40% weniger empathisch als die Generationen 1979 - stärkster Rückgang seit 10 Jahren

Konrath et al. 2011

Zuversicht hinsichtlich persönlicher Zukunft: 2015: 61%, 2010: 59%, 2006: 50, 2006, 56%

Shell 2015a, S. 1

2015

D

Gestiegene Zuversicht in den USA in allen Bereichen: Wirtschaftlich, Arbeitsmarkt, Familie, Technologie

Pew Research 2010

2009

USA

21% Die Unbesorgten In allen Bereichen eher wenig besorgt.

Shell 2015, S. 96

2015

D

USA

Meta-Analyse von 71 Analysen und 13737 Teilnehmern University of Michigan

SOZIALER AUFSTIEG / ZUVERSICHT Optimismus persönliche Zukunft

Sorgentypen

27% Die Gesellschaftsbesorgten Sorgen um soziale und ökologische Entwicklung (Umwelt, Klima, Krieg, Wirtschaft, Terror) 22% Die Schicksalsbesorgten Sorgen um körperliche Unversehrtheit, Diebstahl, Gesundheit 19% Die Lebensweltbesorgten Sorgen um sozioökonomische Lebenswelt (Wirtschaft, Armut)

Zwei Studien 1028 Teilnehmer über 18- und 1815 über 16-Jährige

Erhebung im März 2015 nach Charlie Hebdo-Anschlag

Aufstiegsorientierung

48% Wichtig bis sehr wichtig, mehr zu erreichen als die Eltern. 35% Zuversichtlich, dass sie das erreichen werden.

McDonalds´s 2013, S. 26.

D

„Statusfatalismus“

21% aller sehen keine Aufstiegsmöglichkeit auch bei Anstrengung 29% aller mit Migrationshintergrund sehen keine Aufstiegsmöglichkeit 39% aller mit sozioökonomisch niedrigen Status ohne Aufstiegshoffnung 35% der Fatalisten glauben, dass Leistung sich nicht lohnt, 34% sind unsicher

McDonalds´s 2013, S. 24, 27.

D

Abb. 7: Studien-Übersicht (Eigene Zusammenstellung) Provokative Paradoxien zur Generation – oder besser: der Studien über sie. Die eher widerspruchsfreien Analysen werden anhand der obigen Kategorien nochmals auf Widersprüchlichkeit oder eben sich selbst bedingende Paradoxien quergebürstet und manch „überraschender“ Befund zu erklären versucht: (1) Arbeit: Arbeit und Leben wird wieder unterschieden – in einer Generation der professionell-privat konvergenten Mediennutzung Die vermutete Faulheit dieser Generation war vermutlich eine mediale Aufmerksamkeitsgeburt. Im Kern könnte dieser rasante Wechsel der medial erfundenen „Generation Praktikum“ zu der medial erfundenen „Generation Weichei“ bis hin zur „Generation

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Stephan A. Jansen

Altersarmut“ (Hurrelmann/Karch 2013) auch Zeit- und Wohlstandsneid der älteren Beobachter sein. Denn eine Entwarnung gleich vorweg: Die Studien haben sich hier erstaunlich widersprochen. Die typischen deutschen Tugenden des Fleisses sind auch in diesen Altersjahrgängen zu sehen: die Lebensläufe strotzen weiterhin von Leistungsinszenierung, Kompetenzsimulation und dem Wirksamkeits-Willen – und eben auch einer bildungsabschlussbezogenen Disziplin. Und ein Beleg aus der generational ja auch relevanten Drogenszene: Jede Generation nimmt die Drogen, die sie verdienen. Waren es früher Cannabis und andere Drogen, um endlich runter zu kommen, dann waren es in den vergangenen zehn Jahren Kokain und vor allem Ritalin, um noch leistungsfähiger zu sein. „Neuro enhancement“ als herkunftsabhängige Leistungssteigerungsfinanzierung, wenn es mit dem Fleiß allein nicht mehr langt. Die Droge der nächsten Generation könnte schlicht Gesundheit, Entzug aus der Führungsarbeit hin zur überstunden-gestaltenden Fachkarriere und die Work-Life-Balance werden. Wenn man über Burn Out, Sinnkrisen, Scheidungsquoten, Restrukturierungsorgien etc. nicht nur liest, sondern sie bei den Eltern erleben konnte, könnte das sogar nachvollziehbar sein. Dass das in Deutschland besonders ausgeprägt ist, wie die Deloitte-Studien belegen, kann eben auch daran liegen, dass es sich diese Trends nun mittlerweile bis zu 80% der Alterskohorten leisten können. Weiterhin zeigt sich, dass die Komplexität und Nicht-Kausalität der Führungsaufgaben für die Generation erkennbarer wird, auch weil sie sich selbst ja kennt: Eine Führungsposition im Zeitalter kontrollierbarer Arbeit war nicht nur eine Autorität, sondern auch ein Privileg. Heute ist es eher das Gegenteil: Wissensarbeit ist zumeist nicht kontrollierbar und vom Privileg nun zur Dienstleistung für das Team geworden. Und: Die Gehaltsdifferenzen zwischen Fach- und Führungskarrieren sind geschmolzen, die Zeit-Differenzen hingegen gehen zu Lasten der Führungskarrieren auseinander. Drei Beobachtungen können nebeneinander gelegt werden: (1) Bildungsneugier steigt – von Akademikern und Handwerkern gleichermaßen als „Akademisierungswahn“ beschrieben. Diese starke Bildungsorientierung dient damit vermutlich weniger dem eben als unproblematischer wahrgenommenen Arbeitsmarkt als der eigenen Multioptionalität für die Suche nach der eigenen Arbeit. Das Erleben von formalen Glasdecken des Aufstiegs wegen bildungsabschlussorientierten Karriere-Wegen ist dies unterstützend – zum Leitwesen der Haupt- und Berufsschule der dualen Ausbildung, was ein letzter Wink mit dem Zaunpfahl für die wahrgenommene Qualität dieser eingezäunten Bildungsareal ist – und welche Grenzen diese aufweisen. (2) Die stetige Technologisierung nimmt einen neuen Schwung durch die digitale Maschinisierung und Algorithmisierung der Arbeit, was gerade die Generation versteht. Das von den Autoren Brynjolfsson und McAfee beschworene „race against the machine“ sei auch in kreativen „white collar jobs“ und im Bereich der Dienstleistungen ist in der Konsequenz tatsächlich

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GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z

noch nicht einzuschätzen und so ist Bildung eine rationale Priorität auch bei guten Arbeitsmärkten. (3) Änderung des Arbeitsbegriffs: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind ja erklärende Beschreibungen des Gebens und Nehmens. Arbeit könnte – auch durch diese Entlastungen des Wiederholenden – neu definiert werden: selbstbestimmter in Raum, Zeit und Inhalten. In den letzten fünf Jahren wurden derart viele Konferenzen, Tagungen und Bücher zu den Folgen für die Personalentwicklung und die Führung für diese Generation auf die Aufmerksamkeits-Märkte geworfen, dass einem Angst und Bange werden konnte, ob in den Abteilungen noch jemand wirklich arbeitet. Von der Positionierung der Arbeitgeber-Marke und der Ansprache, über die Personalentwicklung bis hin zu Flexibilisierungen von Raum-, Zeit- und Vergütungs-Konzepten. Ob „Work Life Balance-Häuser“, die „Feelgood-Manager“ und die ganze „Incentive-Industrie“, die zeitgeistige Anreize für die Arbeit entwickeln sollen, wurden hier alle Register gezogen. Und 2016 gab es dann endlich Entwarnung: „Arbeiten mit der Generation Weichei – kein Problem!“ (FAZ, 16.01.2016, S. C2). Paradoxien der Arbeit 1. Das Arbeits- und Bildungswille-Paradox: Leistungsbereitschaft ist hoch – mit dem Willen, die Leistungsbereitschaft selbst zu begrenzen. 2. Das Führungs-Paradox der Selbstführung: Führungswille ist gegeben (insbesondere in der unteren Mittelschicht) – aber mit Wunsch nach Selbstführung. Und die Generation weiß über ihre eigene Nichtführbarkeit, so dass auch dies ein Argument gegen die Aufstiegslogiken sein kann. Studien belegen im übrigen, dass das Führungsverhalten in Start Ups dieser Generation demzufolge oft noch machiavellistischer, narzisstischer und subklinisch psychopathischer ist als die, der von ihnen kritisierten Chefs („Dunkle Triade der Persönlichkeit“ Kramer et al. 2011). 3. Das Selbständigkeitsparadox des Feedbacks: Der Arbeitnehmer lässt sich seine Arbeit nicht mehr gern geben, sondern nimmt sie sich – mit Selbstgestaltung und Freiräumen, aber fortwährendem Bedarf eines (von Eltern und den engmaschigen Prüfungskontexten so gewohnten) Feedbacks. Das verändert auch die Führung von Mitarbeitern dieser Generation: sie wird direkter, individueller und aufwändiger (im Sinne des „Chefs als Trainer“, vgl. Hurrelmann/Albrecht 2015, S. 75). 4. Das Work-Life-Balance-Paradox der selbst entschiedenen örtlichen und zeitlichen Entgrenzung: Es soll eine Balance von Arbeit und Leben geachtet werden, wo sich die Arbeit wie auch das Leben örtlich wie zeitlich vor allem durch die von der Generation habitualisierten Kommunikationstechnologie entgrenzt hat. Es ist eben eine bewegliche Balance, die individuell begrenzt wird – und zwar am liebsten durch den Mitarbeiter selbst. 5. Das Loyalitäts-Paradox: Sie fordert eine enge Bindung zum Arbeitgeber, möchte mehr wissen und fragen, und ist unzufrieden, wenn die Antworten nicht überzeugen ist eine gesunkene Frustrationstoleranz zu beobachten, was die Arbeitgeber frustriert (vgl. auch Rump/Eiler 2013, S. 207). Auch Google hatte 2015 nur noch Verweildauern von durchschnittlich gut einem Jahr. 6. Das Sicherheits- und Innovations-Paradox: Die Renaissance der Laufbahn im Öffentlichen Dienst wird zur Innovation der Sicherheit für die eine Gruppe der Generation und die Sicherheit der Innovation wird der andere Attraktor für die andere Gruppe, ob in Start Ups oder in branchenregelverändernden Unternehmen.

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(2) Familie/Beziehung: Unterstützt selbständig aufgewachsen, mit konservativer und pragmatischer Familiensehnsucht, die nicht gelebt wird. Hubschraubereinsätze haben diese Generationen offenbar andauernd erlebt. Wie immer zeigt sich die Dominanz eines solchen Trends in seinem Gegentrend: In den USA macht nun eine „free range kids“-Bewegung Furore, die ihren Kindern wieder etwas allein zutrauen will, z.B. den Weg zur Schule und zurück – ganz ohne SUV. Dabei ist Familienleben das, was diese Jahrgänge – über alle Studien hinweg – wirklich will, aber aus Zeitnot und Multioptionalität irgendwie auch nicht hinbekommt. Die Generation bleibt länger im Elternhaus und wird bis Mitte 30 substanziell finanziell unterstützt.   Das Generationsspezifische kommt aus der Genese der Unterschiede zur Elterngeneration: beide Generationen leben die Juvenilisierung, von Mode, Musik, Technik, Tanzclubs, Sozialen Netzwerken bis hin zum Erziehungsstil gibt es allerdings kaum mehr Unterschiede – zumindest keine dramatisierten. Die Pubertät verliert den Schrecken, die Nesthockerei ist kein provinzieller Defekt. Paradoxien der Familie und Beziehung 1. Das Paradox der Familiensehnsucht: Das Familienbild ist so konservativ wie pragmatisch genau im Gegenteil. Keine politischen Debatten mehr über verquaste familienpolitischen Debatten, sondern Online-Dating und Tinder – aufgrund der Zeitnot. Die Individualität bei Beziehungswunsch schuf „Freundschaften plus“ oder „mixed Singles: Mingles“. Unverbindliche Bindungen – mit der Konsequenz. Deswegen steigt der Kinderwunsch weiter schneller als der Heiratswunsch, das Ende der Beziehung wird beim Anfang einkalkuliert. Vor allem bildungsstarke Frauen müssen sich darauf einstellen, weil es die Partner nicht gibt: denn sie haben sich für Beruf und Familie entschieden, während die Männer sich entweder gegen die Bildung oder aber für Beruf und Karriere entschieden haben, und damit die Arbeitsteilungsnotwendigkeit mit den Partnerinnen nicht unterstützen. 2. Das Unterstützungs-Paradox der Autonomie: Die Altersgruppen leben länger bei den Eltern und von den Eltern – zur Autonomiestärkung! “Parental assistance in early adulthood promotes progress toward autonomy and self-reliance” (Swartz et al., 414ff.). 3. Das Mobilitäts-Paradox der reisenden Stillstands: Studienorte von Minder- und gerade Volljährigenwerden immer stärker um die Waschmaschine der Mama gewählt. Arbeitgeber finden weniger Bereitschaften für Auslandseinsätze. Dafür sind die Urlaube immer exotischer – und die Weltreise Standard der Humboldtschen (hier: Alexander) Selbsterforschung.

(3) Konsum: Das Materielle der Anti-Materialisten „Willst Du nicht ein Auto kaufen?“, fragt mich meine Mutter. Genauso gut hätte meine Mutter fragen können, ob ich ein Pony auf meinen Balkon stellen will.“ Miriam Olbrisch, 2016 80 Prozent der Generation geht es konsumptiv gut. Sie hat alles, sie bekommt alles – und das unmittelbar, weltweit, nächsten Tag im Briefkasten. Das Durchschnittsalter eines Neuwagenkäufers ist 53, immerhin ca. 10 Jahre jünger als das Durchschnittsalter des

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ZDF-Zuschauers. Autos, Fernseher, Uhren, Designer-Möbel, Kunst, Stereoanlage? Das waren Statussymbole, es sind in dieser Generation eher merkwürdige „single devices“ – Einfunktionsanwendungen, also genau das Gegenteil von einem smarten Produkt. Es schwingt nicht selten dieser Neid durch, wenn man diese Generation anschaut, die sich in der Bohème als Nicht-Materialistisch mit gewissem Gestus der Überlegenheit beschreibt, den Normcore (die demonstrativ unprätentiöse Normalität) feiert, Nachhaltigkeit und Post-Wachstumsökonomie, Sharing-Economy spannend findet, all das ohne die Hintergründe genau wissen zu wollen oder sie wissentlich verdrängend akzeptiert. Altersgenossin Olbrisch beschreibt genau: Biologisch, regionale, vermutlich vegane Lebensmittel, Vintage-Möbel, Second Hand umgenäht, Biobohnen in Mühlen für den Filterkaffee, Reisen, am besten selbstwirksam ökologisch mit dem Rad um die Welt und ein Film darüber drehen („Pedal the World“), wo in den dies zeigenden OpenAir-Kinos der Großstädte die Fahrradständer – wie eigentlich auch sonst – überquellen. So sind die demonstrativen Statussymbole der großstädtischen Akademiker. Wirkt irgendwie sympathisch, so ein bisschen 1970er-mässig, nur die Dia-Abende sind eben jetzt auf Instagramm zum Langweilen für noch viel mehr. Das sind die Geschichten über die vermeintliche neue Konsumgeneration der Berufsanfänger Ende 20. Geschichten ändern sich. Das Marketing ändert sich. Der Handel um die Ecke nicht. Was für die Familie der Edeka- oder BVG-Spot ist (Werbeagentur-Normalität des Viralen-Marketing ohne Relevanz der 2010er Jahre) wird in der neuen Generation wieder einmal variiert – nicht anbiedernd, cooler, düsterer, und irgendwie doch ein bisschen im 1990er-Style. Für die ebenfalls wiedergekommenen Sneakers – die in allen letzten Generationen und bis heute generationsübergreifend (insbesondere von Rentnern) gern getragen werden das Beispiel: Der 75-sekündige Online-Werbefilm für Adidas Originals mit dem Titel „Your Future Is Not Mine“ bittet acht für 40-Jährige kaum bekannte Künstler – wie die Lifestyle-Bloggerin Aleali May, den NBA-Spieler und Rapper Iman Shumpert, den Sänger und DJ Kyu Steed sowie den Künstler Design Butler – auf den Laufsteg der Post-Post-Moderne. Zu dem eigens für die Kampagne aufgenommen Song mit dem so individuellen Titel „I‘m Never Gonna Fall In Line“ von Daisy HamelBuffa laufen die Protagonisten durch düstere urbane Szenerien, also mit brennenden Autos, durch die Kanalisation, abgeholzten Wälder, vernebelten Lagerhallen und über nächtliche Märkte. Sie gehen entschlossenen und – ironischerweise entgegen dem Song-Titel – wahnsinnig geradlinig durch Menschen in Elektro-Rollstühlen, die sich ungesund ernähren, durch ein Virtual-Reality-Bordell und eine roboterähnlich anmutende Gruppe von Mädchen mit Selfiesticks – bis zu einem Tor in die Utopiewelt. Und dann kommt das Wort „Future“ mit den drei Streifen durchgestrichen... Diese virale Unlustigkeiten, mit community-basierten Prominenzen und Referenzen und sonstige Konsum-Hilfen sind nun angesagt. Und die Schuhe am besten mit verlustbringenden Start Ups, die sie einem nach Hause bringen. Connectivity, Community

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und Convenience sind das Vitamin C des Konsums. Und der Einzelhandel leidet an Skorbut, wird immer seniorer, hat dadurch ein seriöses Problem der eigenen Erlebbarkeit seiner Präsenznotwendigkeit, was zu einem neuen Handel von akademischen Gründern in Großstädten führt – mit kuratiertem Shopping, was für promovierte VerkäuferInnen auch echt oft sehr liebevoll und verlustvoll gemacht ist. Paradoxien des Konsums 1. Das Paradox der Anti-Materialistischen: Digitale Güter sind auch Konsum mit obsessiver Natur und verbrauchen Ressourcen. Flatrates, Streamings etc. sind maßlose Entwertung der Wertigkeiten – und haben durch Sofortverfügbarkeit den Verlust der Vorfreude zur Folge. Die moralisierenden Hinweise auf den fehlenden Eigentumswunsch in jungen Jahren ist bei Budget-Restriktion führt mit dem Sharing Economy zu einer nochmals gesteigerten Materialistenkultur – nur ohne Pflegenotwendigkeit und Verantwortlichkeit. Das Kultur-Paradox des Konsums: Das „consumer capital“, also das angelernte Differenzierungsvermögen von 2. Design, Designern jeglicher Produktgattungen übersteigt das des Kunstsammlers. Shopping wird zur Kulturform wie der Museumsbesuch. Das Komplexitäts- und Qualitätsparadoxon: Die Generation braucht, so die Studien, einfache Laden- und Web3. site-Designs, um sich zurechtzufinden, möchte dabei individualisiert mit höherer Qualität versorgt werden – mit gewisser Abkehr von der Preissensibilität. Normales darf mit feinen Unterschieden perfekt sein und daher auch teuer. Die Generation hat den „kuratierten Konsum“ erfunden. Das Paradox der Identität: Konsum wird zur Identitätsbildung und deren Experimenten genutzt. Dabei wird 4. auf eine komplexe Mischung von Doppel-Abgrenzungen von Gruppenzugehörigkeit (in Differenz zu anderen Gruppen) und Individualität (in Differenz zur eigenen Gruppe) sowohl in Produkten wie auch Marken gesetzt.

(4) Politik und Gesellschaft: Die heimlichen Revolutionäre ohne Zeit für Revolutionen Die pragmatische Generation wurde immer wieder als unpolitisch beschrieben. Die Kategorien und Dimension der Politischen wird jedoch in den Vorstellungen der früheren Generationen beobachtet und bewertet: so sieht man Wahlbeteiligungen, Demonstrationsbereitschaften und auch normale Debatten immer weiter sinkend. Wutbürger sind senior. Die Junioren hingegen erfinden andere Formen des Politischen. Und die Statistiken belegen bei den Selbstangaben ein nachhaltig seit zehn Jahren wieder steigendes Interesse an Politik – mit wechselnden Themen, was angesichts der Katastrophen auch verständlich ist. Aber die Globalisierung, das medial vermittelte Versagen der bisherigen Institutionen, das Unattraktive der Lokalpolitik zeigen eine tatsächlich nachvollziehbare Erkenntnis: Die Komplexität für die globalen Herausforderungen ist zu hoch (und setzt viel Einarbeitung voraus, was nach Hochschullehrer-Auskunft und deren häufig die Intelligenz auch beleidigenden Prüfungen nicht angenommen werden kann). Die Kreativität für die lokalen Herausforderungen hingegen ist zu unterfordernd (und setzt viel Zugeständnisse des Status Quo voraus). Die Jugendparteien stöhnen, die ASTEN der Universitäten auch – Nachwuchsmangel. Der Nachwuchs hingegen lamentiert genau nicht in diesen Gremien, will keinen Fraktionszwang, demonstriert nicht auf den Straßen für das schlechte Gewissen bei ohnehin

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gesehener Wirkungslosigkeit – noch nicht mal ernsthaft im Netz. Die Bohème und die Macher dieser Jahrgänge packt es einfach an – vor Ort oder bei größeren Themen gleich mit einem Sozialunternehmen (vgl. zur Analyse der deutschen Szene Jansen et al. 2013). Es ist eine engere Form der Politik, nämlich die des direkt vor Ort Machbaren oder die der unternehmerischen Non-Government-Organisation. Und sie ist insofern unpolitisch, als dass die Politik jahrzehntelang dominierendes Koordinatensystem „rechts/links“ nicht mehr relevant ist (Hurrelmann/Albrecht 2014, S. 123). Paradoxien des Politischen 1. Das Paradox des Vorrübergehenden der kollektiven Verbindlichkeiten: Die Generation spürt die Volatilität der (medial immer monothematischer) Erregungszyklen. Sie spürt die Unsicherheit von Allem auch Sicherheitsstiftenden. Die Politik als Herstellung von kollektiv verbindlichen Entscheidungen wird reflektiert auf die Kollektive (Weltgesellschaft, nationalstaatlich, föderal, regional, lokal, Interessengruppen). 2. Das Paradox der praktischen Politik: Politik redet und ist langsam in der Umsetzung. Dafür haben diese Altersgruppen keine Zeit. Daher wird Konsum politisch, werden Praktika politisch, verschwimmen Ehrenamt und politische Arbeit in Sozialunternehmensgründungen. 3. Das Projekt-Paradox des Politischen: Das befristete Engagement für eine konkrete Lösung in einem konkreten Anwendungskreis ist die Form statt eine unbefristete Diskussion an nicht konkreten Debatten. Es geht nicht um Argumente für Willensbildung, sondern um Prototypen-Bildung für Argumente des bewiesen Besseren. Und dann ist es auch – im wahrsten Sinne des Wortes – wieder gut. 4. Die Bindungs-Paradoxie der Themen: Wertvorstellungen und Parteibindung passen nicht mehr aufeinander. So wie die Unterschiede in den Volksparteien erodieren, die politischen Ränder von Piraten bis AfD auch wechselbar ist, gibt es wie in der Musik sehr stimmungswechselnde Einschätzungen. Der Wahlomat ist nicht mehr überraschend, wenn am Ende überraschende Parteien herauskommen. Bindung erzeugen nicht mehr Personen, Programm oder Parteien, sondern Themen – so dass das ganze politische Spektrum bei verschiedenen Themen unterschiedlich bespielt wird. 5. Das Präsenz-Paradox des politischen Aufstiegs: Politische Karrieren brauchen für den vertikalen Aufstieg Sitzfleisch im Regionalen. Diese Alterskohorten wollen nicht unbedingt Sitzen und Aufsteigen. Das rein digitale Engagement schafft aber weder Karrieren von Personal noch von nachhaltigen Prozessen. WikiLeaks ist vergleichsweise trocken geworden, Arabische Frühlinge schaffen es nicht in den Herbst, die Erregungs- und Protestzyklen sind vor lauter Hashtags nichts wie eine kleine Haschzigarette: kurze Beruhigung durch Voting, aber eben auch ohne Relevanz. Wenn man die Beschreibung der digitalen Politik aus der Generation selbst liest, dann bleibt auch das unpolitisch harmlos (z.B. Riederle 2013, S. 229ff.)

(5) Medien: Die Naivität der Nativen - Nutzer-Kompetenz des Netzwerkens ohne Entwicklung Diese Alterskohorten werden tatsächlich deswegen als Digital Natives bezeichnet, weil man darin das größte Differenzierungsmoment zu den vorhergehenden Generationen sieht. Nun sind Natives, also die Ersteinwohner der Digitalen Welt, wie alle Eingeborenen zumeist nicht so weit herumgekommen. Die Fremdbeschreibung der älteren Generationen wurde von der beschriebenen Generation selbst aufgenommen – nicht immer berechtigt. 25 Prozent der Generation sind tatsächlich digital, was ungefähr mit der digital interessierten Gruppe der Frühpensionäre zusammenpassen könnte. Die Vordenker dieser Generation formulieren steil: „Für Euch bedeuten digitale Medien

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Arbeit, für uns bedeuten sie Leben“ (Riederle 2013, S. 95). Die intergenerative Zeitvernichtung in der Deutschen Bahn an privaten WhatsApp-Nachrichten auf Dienstreisen spricht bei den Silberlingen irgendwie eine andere Sprache. Die Verwechselung der digitalen Arbeit und des digitalen Lebens mit dem analogen Sein, wird einem in jedem Meeting, in jeder Mobilitäts- und Wartezone deutlich. Die Däumlinge sind faktisch süchtig, wie so viele ihrer Eltern auch. Die Suchtberichte reagieren nun langsam auf das hundertfache Streicheln der Neugier-Sofort-Bedienung. Die Sozialen Netzwerke sind tatsächlich Gruppendruck-Arenen für die jüngere Generation von Mobbing bis hin zu der Unausweichlichkeit von anhänglicheren Telefonbüchern alter Generationen. Sie sind ironisierte wie gepflegte Verweilstationen mit Retweet-Funktion des immer Gleichen. Die Langeweile wird zugegeben – seit Langem. Freundschaften in Sozialen Netzwerken sind die Umstellung von Beziehung auf Kontakt – deswegen zwischen 300 bis 600 durchschnittlich pro Mitglied (Hurrelmann/Albrecht 2014, S. 156). Dies wird auch damit erklärt, weil die Städte und Praktikums- wie Arbeitsplätze mehr gewechselt werden, und man ein unabhängiges Netzwerk benötige (Parment 2012 S. 97). Paradoxien der Medien 1. Das Kompetenz-Paradox: Die Konsumption von digitalen Medien und Spielen in der Generation ist signifikant höher, und höher als die Kompetenz der Produktion, d.h. Programmierung im Vergleich zu früheren Altersgruppen. Die „Natives“ sind naiver in der Produktion der Infrastrukturen als in der Zuschreibung. Aber der Wissens- und Kompetenz-Erwerbung ist vielfältiger, spielerischer. 2. Das Paradox der Erreichbarkeit: Die Kultur der Nicht-Antwort in diesem Überfluss von Kanälen und Kommunikationsangeboten schafft eine gewisse Entspanntheit in der Generation und irritiert noch alte Email- und Briefschreiber. 3. Das Paradox der Medien-Optionalität: Die Medien nehmen das Geheimnis, sie nehmen die Option der Nicht-Teilnahme durch den Gruppendruck. Erste Hinweise auf die Generation Z geben Entwarnung: Sie wird als zweitgeborene Generation der Natives wieder beweglicher und disponiert in den Medien nach der eigenen Leidenschaft für Haptik und Kognition:Vinyl und Stream, Buch und Blog, College-Block und Tablet. 4. Das Neugier-Paradoxie: Auf der ständigen Suche nach dem Neuen wird das tatsächlich Neue übersehen. Algorithmen, Facebook-Freunde und Twitter-Follower sind in Selbstähnlichkeitskreisen der Information. Der Kenntnisstand von Nachrichtenlagen von Print-Zeitungen darf nicht vorausgesetzt werden. 5. Das Peer-Pressure-Paradox: Man ist kritisch zu den Inhalten von Sozialen Netzwerken und reproduziert das Kritisierte, man ist alternativlos und reflexiv, man ist süchtig und weiss darum. Man ist in einer Gruppe von Peers, in der man oft deswegen nicht sein will.

(6) Zivilgesellschaft und Engagement: Bei den Sinnsuchern nimmt Ehrenamt und Empathie ab. Eine Vokabel machte in diesen Altersgenerationen Karriere: der Sinn. „Wir suchen alle nach Sinn. In allem. Und überall. Ich habe Gefühl, dass das Hinterfragen und unsere Sinnsuche unsere größte Stärke ist – und gleichzeitig unsere größtes Problem“, so der gut inszenierte Studienabbrecher Paul Ben in seinem Blog (vgl. http://anti-uni.com/ generation-y-11-staerken-und-schwaechen/). Das war etwas, was sich diese Generation auch gern selbst auf die Fahnen schrieb, und nicht selten den in den älteren

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Jahrgängen täglich zuckenden Nerv der Sinnlosigkeit traf. Und dann ergänzte Paul Ben noch: „Unsere Schwäche: Manchmal hinterfragen wir zu viel oder kennen unsere eigenen Grundwerte noch nicht.“ Die Generation stimmt in ihren Kommentaren darauf dem zu und ruft auf: Less talking, more action!! Und ohne Selbstironie: „Also nicht so lange nach dem Sinn suchen, sondern mutig dem Leben einen Sinn geben.“ Nur will das mit der Action und dem mutigen Sinngeben noch nicht so recht klappen, wenn die Zahlen der Studien mit Blick auf Ehrenamt und Soziales Engagement stimmen – und die sind eindeutig: sie sinken. In der McDonald´s-Studie ist „Soziales Engagement“ sogar auf dem letzten Rang der Engagementfelder zu finden (siehe Übersicht). Und dann wird direkt noch die Empathie-Forschung angeworfen – auch wenn sich hier die Sinnfrage auch stellen mag: In einer Studie der University of Michigan am Institute for Social Research fanden die Forscher heraus, dass die Studierenden heute 40 % weniger empathisch seien als noch 1979 (Konrath et al. 2011). In den USA wird bereits geätzt, dass im gleichen Maße, in dem die Kommunikationstechnologien eine Vernetzungsmöglichkeit herstellen, desto weniger übersetzt sich das in tatsächliche Bedürfnisse, sich mit anderen zu beschäftigten. Das wäre nochmals – ganz die Generationszuschreibung – zu hinterfragen: Wie passt das zusammen? Wie macht das Sinn? Paradoxien des zivilgesellschaftlichen Engagements 1. Das Zeit-Paradox des Engagements: Die Generation wurde durch alle bildungspolitischen Reformen faktisch die Chance des Engagements genommen. G8 mit Ganztagsschulen,Wegfall des Zivildienstes, Bologna-Reform mit verkürzten Bildungs- und Prüfungszyklen und Wechsel der Hochschulstandorte zwischen Bachelor und Master. 2. Das Werte-Paradox: Die Sinnfrage ist zumeist eine reflexive und keine progressive. Die Ohnmacht vor systemischer Komplexität von Problemen führt oft zu Verdrängung. Die Normalität der Katastrophe lässt am alten Wertekanon zweifeln, ohne ein eigenen zu entwickeln, weil eine der Werte Harmonie ist. 3. Das Such-Paradox: Diese Alterskohorten suchen nach Sinn und verunmöglichen das Finden. Pablo Picasso antworte auf die Frage, wo er seine Motive der Bilder suche: „Ich suche nicht, ich finde.“ Das Künstler-Duo Fischli und Weiss titelte ihr Fragenbuch nicht ohne Grund: „Findet mich das Glück?“ Die Generation ist nicht selten, bevor sie gefunden werden konnte, schon wieder weg – auf der Suche. 4. Das Wirksamkeitsparadox der Medienarbeit: Die Alterskohorten werden beschrieben als die, die für sich keine Verantwortung mehr sehen, das Gemeinwesen mitzugestalten und öffentliche Aufgaben zu übernehmen – und machen es doch: durch eine beeindruckende Nutzung ihrer „Kommandozentrale der heimlichen Revolution“, die nicht heimlich ist, sondern eben medial (vgl. Hurrelmann/Albrecht 2014, S. 206f.). Diese Generation hat es – wie wohl keine zuvor – geschafft, etablierte Medien für sich einzunehmen und neue Medien zu etablieren. Deswegen ist diese Generationsdebatte auch weniger in den Eltern-Kind-Diskussionen zu Hause, sondern in den Verlagshäusern mit zunehmend kindlicheren Redakteuren.

(7) Zuversicht/Optimismus: Die Normalität der Katastrophe und die sorglosen Besorgten. In allen Studien – ob in Deutschland wie in den USA – zeigt sich ein Optimismus und Zuversicht gerade in dieser krisenerprobten Generation ausgeprägt. Und in allen

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Studien ist das Wundern darüber nicht zu verkennen. Bei der Typologisierung der Sorgenden zeigen sich jedoch klare Differenzierungen nach der sogenannten „sozialer Distanz“ zu dem Anlass des Sorgens: Persönlich wirken – bis auf die mit gut einem Fünftel der Statusfatalisten – die Aussichten rosig. Die gesellschaftlichen Aussichten hingegen durchaus wolkig. Die Statusfatalisten, die nicht mehr an die Selbstwirksamkeit ihrer Leistung glauben, kann einem wirklich Sorgen bereiten – und sollte zu Aktionen führen. Gerade das ist auch ein Engagement-Schwerpunkt des „empowerments“ der Generation selbst. Die Jugend-Forscher Hurrelmann und Albrecht sehen in dieser beeindruckenden Resilienzfähigkeit sehr egoistische und selbstfürsorgliche wie selbstdisziplinarische Taktiken (vgl. S. 178ff.). Es wird ein „psychischer Verteidigungswall“, eine „Psychoökonomie“, beschrieben, die dafür sorgt, dass „die Missstände nicht zu sehr auf die Befindlichkeit durchschlagen“ (ebd., S. 179). Auch die psychische Begleitung, Drogen und anderweitige ablenkende Aktivitätsüberlastung sind bei den Privilegierten Strategien der zwingenden Zuversicht. Weiterhin sind die Eltern „Bündnispartner“. Und es gibt eine Leidenschaft neben dem ventilierenden Komasaufen für die Selbstoptimierung – und dies im beruhigenden Ausdauersport, Yoga, Zen und asiatischen Kampfsportarten. Mit den entsprechenden Apps und SmartWatches werden hier Selbstdisziplinierungen und Selbstachtsamkeiten gepflegt, die die Breite der älteren Generation schlicht neidisch machen kann. 5 THESEN ZUR INTER- UND REGENERATIVEN ENERGIE FÜR GESELLSCHAFT. „Your Future Is Not Mine“ Titel der Adidas Originals Kampagne 2016 „Kein Grund für einen Generationenkonflikt“ Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht 2014, S. 208 Redete man früher über Generationen, dann redet man üblicherweise über Konflikte. Nun irgendwie nicht – zumindest nicht so offenherzig. So die Daten aller Jugendstudien. Ist es eine Taktik von überforderten Eltern und den Kindern mit einer neuen finanziell auch ein- wie erträglichen psycho-ökonomischen Bündnisfähigkeit? Die andere These ist, dass es eben „intergenerative Wahrheiten“ gäbe (vgl. Deal 2007): 1. All generations have similar values. 2. Everyone wants respect. 3. Leaders must be trustworthy. 4. People want leaders who are credible and trustworthy. 5. Internal politics is a problem at any age. 6. No one really likes change. 7. Loyalty depends on the context rather than the generation. 8. It is as easy to retain a young person as it is to retain an older one. 9. Everyone wants to learn. 10. Almost everyone wants a coach.

Diese Wahrheiten sind in der Tat so allgemein, dass sie nicht falsch sein können. Welche Erklärungen könnten das Potential von Konflikten und Koalitionen der Generationen leisten? Die meisten Analysen suchen nach den Dimensionen der Einzigartigkeit

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der Generationen, also den Differenzen zu den vorherigen, was auch als Frage nach komplementären Fähigkeiten gestellt werden könnte:

Abb. 8: Pew Research Center 2010, S. 5 (1) Überraschende Konfliktfreiheit Eltern erzogen die Kinder in einer demokratischen Geläutertheit. Die Kinder finden das gut. Nur bei der auch durch die Eltern zu verantwortenden Generationsungerechtigkeit Klima gibt es leichte Erwärmungen, aber noch weniger als zwei Grad. Der SUV zum Kindergarten und sein Verbrauch... Ungeachtet des Sprit-Verbrauchs ist auch die Shell-Jugendstudie beeindruckt von der Orientierung der Generation an ihren Eltern: „so harmonisch wie wohl nie“ (Hurrelmann/Albrecht 2014, S. 209). Aber sie wollen auch Dinge anders machen; wirtschaftliche, soziale und kulturelle Veränderungen erwirken, wegen der neuen Herausforderungen. Nur eben pragmatisch und unpolitisch, also konfliktfrei. Und da die Eltern die Klassiker-Frage der Generation X-Bewerbungsgesprächen „Wo sehen Sie sich in den nächsten fünf Jahren“ nun auch nicht mehr wissen und wissen können, arrangiert sich diese gemeinsame Beweglichkeit sehr gut (ebd. S. 210). Appeasement heisst dieser Nicht-Angriffspakt in der internationalen Politikwissenschaft. Und international wird es tatsächlich anders diskutiert als im Wohlfahrtskapitalismus Deutschlands ohne Jugendarbeitslosigkeit: nämlich, ob diese Strategie dieser Generation noch die richtige ist. (2) Weniger überraschende Klippen „Young, gifted and held back: The world’s young are an oppressed minority. Unleash them Economist 2016 Wenn die nach 1985 Geborenen immer weniger Konflikte mit den älteren Generationen haben, wie sieht es umgekehrt aus? Die Generation X, der ab 1965 Geborenen, sollen nach der Analyse einiger Autoren der Studien – wie Ernst & Young 2013 – sehr

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ähnliche Einstellungen aufweisen wie die Jüngeren. Aber sie ziehen aber völlig andere Konsequenzen daraus (vgl. Scholz 2014, S. 80). Die Generation X sieht die Probleme der jüngeren Generation noch mehr als sie selbst und nicht die negativen Erfahrungen und verstärkt im besten Falle die der Generation X zugeschriebenen Verbissenheit bis hin zur Resignation – und wundert sich über diese leichtfüßig anmutende Resilienz sowie den Pragmatismus ohne Bissigkeit. Die Optimisten hoffen nun, dass sich die Generation X davon anstecken lässt. Realisten hingegen müssen wohl darauf verweisen, dass die Generation X entweder noch in der Rush Hour-Phase des Lebens befinden, wie Psychologen das Zusammenfallen von Karriere und ihren Brüchen, Kindern und ihren Ausbrüchen, Immobilienabzahlungen sowie Eltern-Pflege bezeichnen; eine Phase, in der die Beschwerde noch ihren Platz findet, aber nur in Krisenfällen und Burn Out ein wirklicher Pragmatismus ist. Die These wäre: hier ist wenig Konflikt, aber auch nur wenig inter-generative Energie zu spüren, allenfalls in auch harmonischeren Arbeitsbeziehungen. Die Baby-Boomer hingegen sind ein anderes Kaliber: diese Glückskinder der gestalteten Befreiung von allem (ob braun oder etabliert) haben von den VW-Bus-Zeiten der durchgerauchten Festival-Touren bis hin zu durchaus justiziablen Jugendsünden bis zum Erreichen der dritten Lebensphase einiges erlebt. Vor allem ein rhetorisch geschicktes Abwenden von den eigenen Idealen und die Reichtumsschere zum ersten mal ordentlich öffnen lassen. Sie bestimmen nicht nur die Vermögensseite des Landes, die Aufsichtsräte, das Verbandswesen und auch die Politik. Sie sind, wie der ordentliche Hochschullehrer Christian Scholz ätzt, über gewisse Bearbeitungen und Honorierungen des Hochschulsystems nun auch nahezu vollständig zu Honorar-Professoren geworden. In nicht wenigen Organisationen werden die Altersgrenzen für Ämter von den älteren Vertretern nach oben angepasst – medizinischer Fortschritt, machtpolitischer Rückschritt für die jüngeren Generationen. Viele dieser Vertreter sahen über diese Peinlichkeiten, aber auch über die systemischen Gerontologien natürlich hinweg – ist ja auch konfliktfrei irgendwann Geschichte. Sie kennen diese greisen Herren ja auch vom Balkon der Muppet Show als durchaus amüsante Waldorf und Statler, die über die Jungen lästern (ebd., S. 84). Es ist nun von den Barbies und Kens der Business Schools die Rede, wie Thomas Sattelberger, umtriebiger und nicht harmonischer Denker der Baby Boomer-Generation das nennt. Nun hat der Barbie-Produzent gerade rundliche und kleinere Ausführungen im Angebot aufgenommen. Männer brauchen hier auch noch etwas länger – Ken sieht immer noch super-smart aus. Und schaut man richtig in die intra-generationale Tiefe der Baby Boomer, dass sind die nicht zur Geld-Elite gehörenden VertreterInnen „resignative Idealisten“, die sich ebenfalls von den neuen Jungen anstecken lassen, und weniger arbeiten, nicht nur in Stuttgarter demonstrieren, sondern sogar wieder an pragmatischen Projekten arbeiten, wie auch das Ehrenamt z.B. bei der Caritas oder bei der Flüchtlingshilfe zu sehen ist. Scholz spricht vom „Z-Virus“ (ebd., S. 85).

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Und was ist nun international anders? Der Economist hat im Januar 2016 einige Überraschungen aufbereitet: die Weltjugend formiert eine global gemeinsame Kultur, hat weltweit die historisch beste Ausbildung genossen – und teilt die gleichen Beschwerden. Überall sei es zu schwer, einen Job und einen Platz zum Leben zu finden sowie der immer länger und komplizierter werdende Weg zum Erwachsenwerden. Arbeitsmärkte, Immobilienmärkte, Stadtplanung werden dominiert von den älteren Generationen, so dass sich in einigen Länder wie Kuala Lumpur Bezeichnungen wie „homeless generation“ einbürgern. Die Migrationspolitik der im Grundsatz mobileren Generation wird gerade in entwickelten Ländern stimmungsmäßig sehr gemaßregelt. In Chinas „hukou-System“ wird wie – einem UN-Bericht zufolge – in 80 anderen Ländern die nationale Migration von ländlichen in städtische Regionen unterbunden. In den USA wählten von den 18 bis 34-Jährigen ein Fünftel; bei den über 65-Jährigen waren es 65% - und die beschweren sich dann auch noch bei den Entscheidungen zu ihren Gunsten über die Politikverdrossenheit der Jugend. Die (alters)klassenfeindliche Zusammenfassung vom Economist lässt aufhorchen (ebd.): „The young are an oppressed minority—albeit an unusual one—in the straightforward sense that governments are systematically preventing them from reaching their potential.“ Dazu kommt, dass in Mittel-Einkommens-Nationen über 25% und in reichen Staaten 15% der jüngeren Generationen NEETs (not in education, employment or training) seien (Economist 2016a). Auch wenn die intergenerationalen Transfers noch vordergründig von den Älteren zu den Jüngeren laufen, zeigt sich vor allem in den reichen Nationen, dass die Ausgaben für Pensionen, Pflegeausgaben und den Schuldendienst für die eingegangenen Staatsverschuldungen die Ausgaben der Jüngeren übertreffen. Dies gilt auch für Deutschland, Australien, Japan, Slowenien und Ungarn (ebd.). Nun kommt es zu zwei Lagern der Auseinandersetzung: (1) Das libertäre „generational equity“-Lager, die die staatliche Umverteilung von der jüngeren Generation auf die älteren Generationen nicht akzeptiert, ungeachtet der Fragen der Umstellungskosten. (2) Das „generational interdependence“-Lager, die an dem Solidarmodell festhält, ungeachtet der Produktivitätswetten, die damit abgeschlossen werden, in demographisch schrumpfenden Ländern das Solidarsystem aufrechtzuerhalten. (vgl. auch Hurrelmann/ Albrecht 2014, S. 210f.). In Deutschland ist die Entsolidarisierung in Ansätzen bereits erkennbar, z.B. die privaten Altersversorgungen, um der statistisch absehbaren Altersarmut der jüngeren Generationen entgegenzuwirken. Die datenbasierten Tarifierungen von Versicherungen (beginnend mit KfZ und Krankenkassen) wird wohl ebenfalls Handlungsbedarfe auslösen. Und in dieser Zeit wird die Post-Wachstumsökonomie zur Hoffnung, nach der die Generationen ihren Wohlstand als geliehenes Erbe von ihren Kindern betrachten sollen. Nachhaltigkeit wäre wie beim klugen Förster anders als beim Holzhändler: nur soviel fällen, wie nachwachsen wird. Und nicht soviel verkaufen, wie da ist.

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Dennoch ist eines klar – und das auch den jungen Generationen: Der alte Generationenvertrag funktioniert nur im Modell des Überzahlspiels der Jungen gegenüber den Alten. Das Älterwerden und Mehrwerden der Älteren bei sinkenden Geburtenraten zwingt zum Beraten über die Geburt eines neuen Vertrages. Die Kompromiss-Bereitschaft der Jungen ist da, die Erwartungen an die Älteren aber auch. Nur sind Vorruhestandsregelungen dann irgendwie noch in der Vorruhe vor dem nächsten Sturm. (4) Überraschende Kooperationen – am besten rasch! Also versuchen wir es mit überraschenden Bündnissen. Die Chancen sind da. Die Bereitschaften auch – in Segmenten der intragenerationalen Gruppen. Wir stehen am Beginn einer neuen Ära der inter-generationalen Energie des Ehrenamtes, der Philanthropie, der pragmatischen Projektarbeit. 1.

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Die wirklich Vermögenden spenden in Stiftungen wie noch nie. Die USA sind hier Vorreiter, aber auch in Deutschland, Österreich und Schweiz bekommen ihre „Giving Pledge“. Die „Unternehmerische Philanthropie“, wie ich sie nenne, wird zur fünften Gewalt der Nationen. Legitimitäten werden diskutiert werden, aber eines ist auch sicher, um mit Richard Branson zu sprechen: Unternehmer sehen gesellschaftliche Problem anders. Das Ehrenamt wird in zwei Generationen wieder möglich und ermöglicht werden müssen: Studierenden und Rebellen-Rentner. die Studierenden in den als relevanzlos wahrgenommenen Studienarbeiten und den (Vor) Ruheständler mit Erfahrung, Netzwerken und Kapital wird sich von der Vermögensanlage auf das Weiter-Arbeiten fokussieren. Wir reden über 2,5 Millionen Studierende und ca. 8 Millionen rüstige Rentner ohne Lust auf Schrebergarten und Seniorenteller. Ob die nicht mehr resignierten Generation X-Gruppen nach der Rush Hour oder die reflexiven, ehemals rebellischen Baby Boomer-Gruppen, alle sind irgendwie doch begeistert, berührt und auch infiziert von dem pragmatischen, konfliktfreien und experimentellen Weltenbessern. Sozialunternehmen, Stiftungen, Unternehmensstiftungen und Corporate Social Responsibility-Abteilungen, Wohlfahrtsverbände und staatliche Einrichtungen werden überraschende Hybride für pragmatische Projekte bilden. Junioren können mit senioreren Vertretern es einmal ausprobieren, wo man allein immer scheiterte.

Da entsteht eine intergenerative und damit regenerative Energie aus der Zivilgesellschaft, die einen Generationenvertrag bilden kann, der nicht auf einseitigen Verzicht basiert, sondern auf gemeinsame Gewinne. Und die jüngere Generation probiert da gerade einiges aus – darüber muss man nicht lächeln, sondern mit ihnen.

Prof. Dr. Stephan A. Jansen Visiting Scholar Stanford University. Head of the Center for Philanthropy & Civil Society | PhiCS an der Karlshochschule, Karlsruhe. Gründungspräsident der Zeppelin Universität (bis September 2014). Kolumnist des Monatsmagazins brand eins.

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GENESE UND GEREDE ZUR GENERATION Y UND Z

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Stephan A. Jansen

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„ICH MALE KEINE KÖRPER“. THEAN CHIE CHAN IM MUSEUMKREMS TOBIAS G. NATTER

Angesicht der Verwüstungen jeder Art war der Neubeginn für die bildende Kunst in Österreich nach 1945 schwierig. Über das Schlagwort von der Stunde Null ließe sich viel diskutieren. Der zu gehende Weg war jedenfalls mit Mühen beladen. Und doch konnte mitunter der äußeren Not auch etwas Vorteilhaftes innewohnen. Dort wo es keinen Kunstmarkt gab, war es für die KünstlerIn auch sinnlos, auf einen solchen zu schielen. Jede Rücksichtnahme darauf wäre verfehlt gewesen und hätte doch nur ins Leere gezielt. Rückblickend beschreiben viele KünstlerInnen diese Zeit trotz aller Einschränkungen auch als eine Zeit großer Freiheiten. Wenn es keinen Sinn macht, sich dem Markt anzupassen, warum dann nicht das tun, was einen im Innersten beschäftigt? Von dieser Unbekümmertheit scheint heute in einer eng vernetzten Welt mit eingespielten Akteuren, florierender Galerieszene, ausgeklügelten Vermarktungsmechanismen und globalisierter Perspektive nicht viel übrig geblieben zu sein. Die Sorge um solche Verlust scheint mir auch mit dem selbstgewählten Ziel von GLOBART einherzugehen, zu deren Leitlinien „Nicht maßloses Wachstum und Konsum“ sondern „Qualität statt Masse“ zählt. Bei Thean Chie Chan stellt sich der Eindruck ein, er habe sich diese Gelassenheit bewahrt. Dabei ist es ganz und gar nicht so, dass Chan ein unbekümmerter Mensch wäre. Aber sein Werk - so will mir scheinen - kommt ohne dieses Schielen auf Vermarktbarkeit voran. Aus einer chinesischen Familie stammend kam Chan 1992 als Kunststudent nach Wien. Hier konnte er in direkter Konfrontation mit der Kunstszene Europas und ihren reichen historischen und zeitgenössischen Spielarten sich erproben. Ob allerdings ausschließlich abendländisch-klassischen Kriterien zur Beschreibung seiner künstlerischen Entwicklung als Entwicklungsgang von These, Antithese und Synthese adäquat sind, daran hege ich erhebliche Zweifel. Das Ost-West-Spannungsfeld in seiner Kunst ist jedenfalls geblieben. Eine kulturelle Zwischenstellung auch. An seinem künstlerischen Werk mag vieles auffallen. Erwähnenswert scheinen mir drei Aspekte im Besonderen. Zunächst ist da die Sparsamkeit im Koloristischen. Chan, der als Person allen Extremen abhold ist, operiert als Maler paradoxerweise im Spannungsfeld jener beiden Farben oder richtiger Nicht-Farben, die als Schwarz und Weiß am weitesten auseinander liegen. Grau, als unendliche Variante der beiden Pole, wird oft als Unfarbe mißverstanden, dabei völlig jene reiche Tradition negierend, die was den europäischen Konnex anlangt, einen Bogen von den Grisaille-Malereien des Mittelalters bis

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Tobias G. NAtter

zur zeitgenössischen Malerei spannt, wo Maler wie Gerhard Richter in seinen „Abmalungen“ oft beiläufige Motive in Grau und Weiß auf die Leinwand bringt, die immer auf einer Schattenwirkung beruhen. Zum zweiten fällt das Serielle seiner Arbeit ins Auge. Es ist nicht immer ganz klar, wo und wie Repetition, Verdichtung und Komprimierung ineinandergreifen, die Konsequenz der Reihe ist aber unübersehbar. Variation und Vertiefung durchdringen sich, Bildsujets mutieren in der Wiederholung und treten in ihrer Austauschbarkeit als Serie doch gegenüber der Darstellung zurück. Und als drittens ist die Maske zu nennen, das konstante Motiv und der zentrale Gegenstand von Chans Wiederholungen. Spätestens seit seiner erfolgreichen Ausstellung „Inzwischen“ im Jahr 2003 in der Galerie Krinzinger beschäftige Chan sich mit dem menschlichen Antlitz, dem Kopf und Schädelformen. In einem universellen Sinn steht die Maske für etwas, um das Gesicht zu be- oder verdecken. Diese Eigenschaften einer Maske haben in der Kultur- und Kunstgeschichte nicht nur in Europa eine lange Tradition mit unzähligen Ausprägungen. Und bei Chan? Gibt es für ihm überhaupt ein Dahinter? Und geht es um vermeintlich Verborgenes? Oder ist es einfach nur so, wie Chan behauptet: „Ich male keine Körper“. Nach eigener Aussage spielt das „nicht komplett sein“ eine große Rolle. Näher betrachtet scheint von daher auch die spannende Umkehrung von Reduktion und Reichtum zu resultieren. So wie es passieren kann, dass die Annäherung an die Welt von Ritus und Maske auf Papier im Miniaturhaften gelingt, die bruchlos in die Großformate der mächtigen Leinwandbilder springt. Die Maske wird zur Chiffre, wie in einer Sternennacht, wo das einzelne Gestirn leuchtet und unabhängig von der Sichtbarkeit der anderen nie alleine ist. Ein unablässiges Pendeln zwischen dem Uniform und dem Einzigartigen, zwischen dem Individuellen und dem Austauschbaren. Greifbar wird mühsames Belauern von Leinwand und Papier, die Konzentration eines Zen-Meisters, Erschöpfung und Neubeginn. Ziel von Chans weit ausholenden Umkreisungen scheint mir letztlich immer wieder das „dazwischen“ zu sein. Mit der Ausstellung im museumkrems wird es nun möglich sein, sein Werk in einem breit angelegten Überblick präsentieren zu können. Vierzig Gemälde und einhundert Zeichnungen und Überarbeitungen mögen dem Publikum einen Einblick vemitteln. Wenn „Mythen Riten Maskenspiele“ als Ausstellung nun im Rahmen der 18. GLOBART ACADEMY Wirklichkeit wird, gebührt dafür vielen Dank. Zuallererst natürlich dem Künstler. Ihm sei herzlich gedankt. Mein Dank geht aber auch die Katalogautoren Karl-Heinz Roschitz und Peter Weiermair, der sich schon früher ausführlicher mit dem Schaffen von Thean Chie Chan beschäftigt hat. Dr. Ursula Krinzinger von Galerie Krinzinger und Krinzinger Projekte, die selbst immer wieder in Asien unterwegs ist um

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„Ich male keine Körper“. Thean Chie Chan im museumkrems

sich ein Bild der dortigen Kunst zu machen, sei für wichtige Anregungen, Ratschläge und die Vermittlung hilfreicher Kontakte gedankt. Für die Unterstützung des Ausstellunsprojektes danke ich Herrn Mag. Hermann Dikowitsch, Leiter der Abteilung Kultur im Amt der Niederösterreichischen Landesregierung und Dr. Franz Schönfellner, dem Direktor des museumkrems. Ihnen und ihren Teams, die uns bei Aufbau und Umsetzung der Ausstellung unterstützend zur Hand gingen, sei ebenfalls herzlich gedankt. Schließlich danke ich Prof. Heidemarie Dobner, der Generalsekretärin von GLOBART. Bei ihr als Veranstalterin der Ausstellung im Rahmen des GLOBART Festivals liefen die vielen Fäden der Ausstellungsplanung und -organisation zusammen. Ihr sei herzlich dafür gedankt. Wenn die Ausstellung nun in den Räumen des Dominikanerklosters in Krems Gastfreundschaft gefunden hat, sei abschließend auf Egon Schiele verwiesen, der vor ziemlich genau hundert Jahren 1913 in die Wachau kam, um Stein an der Donau zu malen. Schiele fertigte damals vor Ort zwei Gemäldeskizzen an. Im Atelier folgten zwei Ausarbeitungen auf Leinwand. Einem Bildbetrachter erklärt er: „Natürlich werden Örtlichkeiten nicht mehr berücksichtigt, sondern nach meiner Erinnerung (nach den Studien die ich mitbrachte) - noch vieles anders komponiert.“ Wichtig war ihm die „Vision“ - nicht die Wirklichkeit. Ähnlich hält es wohl auch Thean Chie Chan. Seine Vision ist das „dazwischen sein“. „Ich male keine Körper“. Auch wenn wir keine sehen, verlassen sollten wir uns nicht darauf.

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MASKENSPIEL II „PURGATORIO“ Mischtechnik auf Leinwand 200 X 160 cm, 2014

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„Ich male keine Körper“. Thean Chie Chan im museumkrems

RITUELLES ZENTRUM I-IV Tusche auf Papier 30 X 40 cm, 2014 Credit: Klaus Pichler

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REFERENTINNEN & REFERENTEN THEAN CHIE CHAN Geboren in Penang, Malaysia, lebt und arbeitet in Wien. Studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien in der Meisterklasse Attersee, Diplom und Magisterium mit Auszeichnung. Verbindet asiatisches Denken und Philosophieren mit europäischer Maltradition. Zu seinen bedeutendsten Einzelausstellungen zählen „Marco Polo“ (1999, anlässlich der Aufführung der gleichnamigen Oper) im Wiener Theater Odeon, in der Galerie Krinzinger (2003-2005), Entwürfe zu den Melodramen „Leonard und Blandine“ und „Medea“ anlässlich deren Aufführungen in Stift Altenburg (2014 und 2015). HEIDEMARIE DOBNER 1956 geboren in Melk, lebt in Wien. Kulturmanagerin, Projektleitung zahlreicher Ur- und Erstaufführungen, Management der Österreichischen Kammersymphoniker, seit 2004 Generalsekretärin von GLOBART, Vorstandsmitglied der GLOBART Privatstiftung. FLORIAN FREISTETTER Astronom, Blogger, Buchautor und Podcaster. Arbeitete am Institut für Astronomie der Universität Wien, an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg. Seit 2011 Wissenschaftsautor. Freistetters Wissenschafts-Blog ist das erfolgreichste deutschsprachige Wissenschaftsblog. Seit November 2014 führt er auch einen Blog auf derStandard.at. 2013 wurde ein Asteroid nach seinem Namen benannt. Sein Buch “Der Komet im Cocktailglas” wurde 2014 Wissenschaftsbuch des Jahres. ELISABETH HAHNKE Gründerin des Sozialunternehmens ROCK YOUR LIFE!, einem Mentoring Netzwerk in Deutschland und der Schweiz mit 45 Standorten und über 1800 aktiven Mentoring-Beziehungen zwischen Hauptschülern und Studierenden. Coach, Trainerin und Ausbildnerin. Engagiert sich aktiv bei ROCK YOUR LIFE! in den Bereichen Strategie, Seminarkonzeption, Aus- und Weiterbildung und Qualität. Gründete 2015 das Programm Bildungsrocker. PHILIPP HARNONCOURT Katholischer Theologe und Priester. Gründete 1963 an der heutigen Kunstuniversität Graz die Abteilung Kirchenmusik. Von 1972 bis 1998 Vorstand des Instituts für Liturgiewissenschaft, Christliche Kunst und Hymnologie an der Universität Graz. Seine

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REFERENTINNEN & REFERENTEN

Forschungsschwerpunkte, Kalenderfragen und Hymnologie, waren ein wichtiger Beitrag der nachkonziliaren Liturgiereform. 550 Publikationen. Seit 1986 im Vorstand der ökumenischen Stiftung „Pro Oriente“. ANDRÉ HELLER 1947 in Wien geboren. Zählt zu den erfolgreichsten Multimediakünstlern der Welt. Seine Verwirklichungen umfassen Gartenkunstwerke, Wunderkammern, Prosaveröffentlichungen, Prozessionen, Erneuerung von Zirkus und Varieté, Millionen an verkauften Schallplatten als Chansonnier eigener Lieder, große fliegende und schwimmende Skulpturen, den avantgardistischen Vergnügungspark Luna Luna, Filme, Feuerspektakel und Labyrinthe sowie Theaterstücke und Shows, die vom Broadway bis zum Wiener Burgtheater, von Indien bis China, von Südamerika bis Afrika ihr Publikum fanden. HANS HOFFER Arbeitet übergreifend als Szenograph, Regisseur und Architekt, entwirft Bühnenbilder, Installationen und Objekte, Autor interdisziplinärer Projekte. Inszenierte 2001 zur Eröffnung des Kulturmonats “linz.kunst” die “Visualisierte Linzer Klangwolke”. Gestaltete die Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums Wien. Von 2012 bis 2014 Leiter des Wiener Max Reinhardt Seminars. YULIAN IDE 1987 in Friesland geboren. Studierte an der Freien Universität Berlin Niederlandistik, Hispanistik und Politikwissenschaften. Jobbte neben seinem Studium in einem Call Center, Sex Shop, Bekleidungsgeschäft, der Küche eines Hostels, dem Belgischen Konsulat, dem Tresen eines Klubs. Absolvierte den Masterstudiengang Angewandte Literaturwissenschaft an der Freien Universität, veröffentlichte Texte bei Zeit Online und dem Superior Magazine. Schreibt wöchentlich die Nachtleben-Kolumne „0 Uhr 30“ für die BerlinBerlin-Seite der Berliner Zeitung, arbeitet in der Nachrichtenredaktion der Deutschen Welle. STEPHAN A. JANSEN Studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann Wirtschaftswissenschaft an der Universität Witten/Herdecke, der Keizai University Tokyo und der New York University. Von 2003 bis 2014 Gründungspräsident der Zeppelin Universität (ZU) in Friedrichshafen. Inhaber des Lehrstuhls für Strategische Organisation & Finanzierung (SOFI) und Direktor des Civil Society Centers (CiSoC). Mitglied in Beiräten und Beraterkreisen von Politik, Stiftungen, Bildungseinrichtungen. Ab 2016 Inhaber des Lehrstuhls für Philanthropy and Civil Society (PHICS)” an der Karlshochschule Karlsruhe.

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REFERENTINNEN & REFERENTEN

HERWIG KEMPINGER 1957 in Steyr geboren. Studierte an der Universität für angewandte Kunst Wien. 1984 bis 1994 Lektor für Medienkunst an derselben. Erhielt 1987 den „outstanding artist award”, 1992 den Österreichischen Kunstpreis, 2006 den Landeskulturpreis für Fotografie in Oberösterreich und 2010 den Preis der Stadt Wien für bildende Kunst. Seit 2013 Präsident der Secession. MARKUS KRESSLER 1990 in Jena geboren, lebt in Berlin. Auslandsaufenthalt an der San Diego State University. Bachelor of Sciences in Psychologie mit Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie und dem Nebenfach BWL an der Universität Mannheim. Masterstudium in Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie sowie Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Education Manager der kiron.university, einer online Universität für Flüchtlinge. CHRISTINE LEMKE-MATWEY Studierte Germanistik, Philosophie, Theater- und Musikwissenschaften in Köln und München, arbeitete an Theatern in Bonn, Wien, Hamburg, Bregenz und Chur. Musikjournalistin für den Bayerischen Rundfunk, den WDR, die Süddeutsche Zeitung. 2000 Musikredakteurin des Berliner Tagesspiegel, seit 2012 Redakteurin im Feuilleton der ZEIT. Inszenierte 2003 am Tiroler Landestheater Innsbruck Malins Heimkehr, ihre erste Oper. Schrieb für Charlotte Seithers „One Woman Opera“ das Libretto. 2012 erschien bei C.H. Beck, von ihr mitverfasst, „Mein Leben mit Wagner“ von Christian Thielemann. TOBIAS G. NATTER Kunsthistoriker. Studium in Innsbruck, München und Wien. Langjährige Tätigkeit an der Österreichischen Galerie Belvedere, Wien, zuletzt als Chefkurator. Internationaler Gastkurator unter anderem für das Jüdische Museum Wien, Tate Liverpool, Schirn Frankfurt und Neue Galerie New York. Direktor des vorarlbergmuseum (2006-11), Direktor des Leopoldmuseum (2011-13). Seit 2013 selbstständig als Natter Fine Arts, Wien. Umfangreiche Publikationstätigkeit, Ausstellungsmacher und Gutachter. MAX NEUFEIND Arbeitspsychologe, beschäftigt sich mit Fragen zur Zukunft der Arbeit. Bis 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Organisations- und Arbeitswissenschaften der ETH Zürich. Tätig für den Berliner Think Tank „Das Progressive Zentrum“ sowie als Referent im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Mitglied von Think Tank 30, dem jungen Think Tank des Club of Rome.

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REFERENTINNEN & REFERENTEN

MARK POST Schloss sein Studium an der Universität Utrecht 1989 mit einem PhD in Lungenpharmakologie ab. Arbeitete am KNAW Interuniversity Cardiology Institute of the Netherlands. Assistenzprofessor in Medizin an der Harvard Medical School und als Dozent in Medizin und Physiologie und der Dartmouth Medical School. Seit Jänner 2004 Vizedekan für biomedizinische Technologie und Vorsitzender für Physiologie an der Universität Maastricht. MANFRED REICHL Wirtschaftsingenieur und Jurist. Studierte in Graz, Stanford und am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Tätigkeiten bei Hewlett Packard und Roland Berger Strategy Consultants. Baute eigene Beteiligungsgruppe im Pharma-, Engineeringund Internetbereich auf. Agiert als Senior Adviser für Klaus Schwab/World Economic Forum und bei der UBS Investment Bank. Aufsichtsrat in verschiedenen Unternehmen, Lehrbeauftragter für „Globalisierung“ an der WU Wien tätig. MARINA WEISBAND 1987 in Kiew geboren. Zog 1994 nach Deutschland, wo sie 2006 ein Psychologiestudium in Münster begann. Trat 2009 der Piratenpartei bei, später deren Geschäftsführerin. Setzt sich für die Vermittlung demokratischer Werte an Kinder und Jugendliche ein. Nach dem Verzicht auf ihre zweite Legislaturperiode als Parteispitze schloss sie ihr Studium 2013 als Diplom-Psychologin ab und veröffentlichte ihr erstes Buch, „Wir nennen es Politik“. DAVID ZISTL Studiert Politikwissenschaften in Wien, arbeitet ehrenamtlich bei “PROSA-Projekt Schule für ALLE“ mit. Dieses Projekt bereitet AsylwerberInnen extern auf den Pflichtschulabschluss vor. Mitorganisator der Langen Nächte der Menschenrechte, deren Einnahmen PROSA zugute kommen. Initiator von „Flüchtlinge Willkommen“.

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IMPRESSUM Herausgegeben von GLOBART - Denkwerkstatt für Zukunftsthemen Präsident: Prof. Dr. Wilfried Stadler Redaktion: Prof. Heidemarie Dobner, Anna-Maria Natlacen Künstler der Academy: Hans Hoffer, Arthur Zimmermann, Serge Zimmermann, Chiara Wollner, Dinah Ramharter, David Fray, Thean Chie Chan Der Herausgeber dankt den Sponsoren: Niederösterreichische Landesregierung, Bundeskanzleramt - Sektion Kunst, Lebensministerium, ecoplus - die Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreichs, Raiffeisenbankengruppe NÖ-Wien, Arbeiterkammer Niederösterreich, Wirtschaftskammer Niederösterreich

Layout, Covergestaltung und Satz: Jonathan Mayer Lektorat: Anna-Maria Natlacen Library of Congress Cataloging-in-Publication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb. de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

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IMPRESSUM

Dieses Buch ist auch als E-Book (ISBN PDF 978-3-11-048161-7; ISBN EPUB 9783-11-047969-0) erschienen. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Austria ISSN 1611-7468 ISBN 978-3-11-047955-3 9 8 7 6 5 4 3 2 1

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