Generation Golf: Die Diagnose als Symptom: Produktionsprinzipien und Plausibilitäten in der Populärliteratur [1. Aufl.] 9783839408803

Dieses Buch rekonstruiert die Frontstellungen und Abgrenzungen, denen ein populärer Text wie »Generation Golf« seinen Id

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Generation Golf: Die Diagnose als Symptom: Produktionsprinzipien und Plausibilitäten in der Populärliteratur [1. Aufl.]
 9783839408803

Table of contents :
INHALT
Dankwort
Abkürzungen
Einleitung und Methodeninstrumentarium
Über die Schwierigkeit, populäre Literatur zu beschreiben, die das Alltägliche beschreibt
Entwicklung eines Werkzeugkastens: grobe und feine Werkzeuge
Vorbemerkung
In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Oder: der neue (alte) Geist des Kapitalismus
Diskurse als soziale Praxis – Ideologie – Hegemonie
Texte als Ausdruck von Diskursen
Texte als Teilnahme am sprachlichen Markt
Texte als Produkt des Habitus und als Element des literarischen Feldes
Auf dem Weg zu einem Analyseraster
Ein multiperspektivischer Blick auf Generation Golf
Rekonstruktion historischer feldinterner Kämpfe und Effekte: Streifzüge durch die Geschichte der Populärliteratur
Mögliche Definitionen von Populärkultur
Ästhetik
Quantität
Pessimistische Kulturkritik und optimistische Affirmation
Subversion und Protest
Das Populäre und die Literatur: historische Rekonstruktion einer Transformation des literarisch „Sagbaren“
Frühphase: ästhetischer Protest der Avantgarde
Spiel mit der Allodoxie
Kulturindustrielle Integration
Auf dem Weg nach 1968
Popliteratur nach 1968: der Sound der Berliner Republik
Theorie und Kritik der Populärliteratur: Verflachungs-, Sampling- und Archivthesen
Positionen und Positionierungen: Stellung und Stellungnahmen im literarischen Feld
Generation Golf im Zeichen feldinterner Strukturprinzipien
Autorhabitus und feldinterne Autorposition
Strukturprinzip externe Hierarchisierung: ökonomischer Erfolg, Verlagswahl, Ausstattung
Strukturprinzip interne Hierarchisierung: Generation Golf als konsekrierte Preisträger-Literatur
Das Aussagensystem Generation Golf
Eigene und fremde Stellungnahmen
Die Wahl des Realitätsbezugs aus dem Raum aller Realitätsbezüge: Sampling
Die Wahl des Gegenstandes aus dem Raum aller Gegenstände: die Generationendebatte
Die Wahl der Gattung aus dem Raum aller Gattungen: der essayistisch-autobiographische Genre-Mix
Die Wahl des Stils aus dem Raum aller Stile: glossenhafte Ironie
Der Sozialraum Generation Golf
Schritt 1: Typologie
Schritt 2: Kontextualisierung
Fazit: zwischen exklusiver Differenzbetonung und inklusivem Identitätsangebot
Transit
Generation Golf und der politische Korrektheitsdiskurs
Political Correctness: Skizze der Geburt eines Mythos und kommunikativen Jokers
Exkurs: Diskurskoalitionen
Exkurs: Zum Anteil des (flexiblen) Normalismus an Generation Golf
Das Konzept „Normalismus“
Generation Golf als Dokument und Element flexibler Normalisierungsstrategien: Interdependenz von Gaußoiden
Schluss: die Fäden verbinden
Generation Golf im Schnittpunkt gesellschaftlicher Großerzählungen
Fazit
Literatur

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Tom Karasek Generation Golf: Die Diagnose als Symptom

2008-07-07 14-23-04 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02af183335454408|(S.

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Tom Karasek (Dr. phil.) lehrte Sprachwissenschaft an der Universität Siegen. Seine Forschungsschwerpunkte und Interessen liegen in der Diskursanalyse und in der politischen Kommunikation.

2008-07-07 14-23-04 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02af183335454408|(S.

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Tom Karasek Generation Golf: Die Diagnose als Symptom. Produktionsprinzipien und Plausibilitäten in der Populärliteratur

2008-07-07 14-23-04 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02af183335454408|(S.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Tom Karasek Lektorat & Satz: Tom Karasek Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-880-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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INHALT Dankwort

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Abkürzungen

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Einleitung und Methodeninstrumentarium Über die Schwierigkeit, populäre Literatur zu beschreiben, die das Alltägliche beschreibt Entwicklung eines Werkzeugkastens: grobe und feine Werkzeuge Vorbemerkung In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Oder: der neue (alte) Geist des Kapitalismus Diskurse als soziale Praxis – Ideologie – Hegemonie Texte als Ausdruck von Diskursen Texte als Teilnahme am sprachlichen Markt Texte als Produkt des Habitus und als Element des literarischen Feldes Auf dem Weg zu einem Analyseraster Ein multiperspektivischer Blick auf Generation Golf Rekonstruktion historischer feldinterner Kämpfe und Effekte: Streifzüge durch die Geschichte der Populärliteratur Mögliche Definitionen von Populärkultur Ästhetik Quantität Pessimistische Kulturkritik und optimistische Affirmation Subversion und Protest Das Populäre und die Literatur: historische Rekonstruktion einer Transformation des literarisch „Sagbaren“ Frühphase: ästhetischer Protest der Avantgarde Spiel mit der Allodoxie Kulturindustrielle Integration Auf dem Weg nach 1968 Popliteratur nach 1968: der Sound der Berliner Republik Theorie und Kritik der Populärliteratur: Verflachungs-, Sampling- und Archivthesen

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Positionen und Positionierungen: Stellung und Stellungnahmen im literarischen Feld Generation Golf im Zeichen feldinterner Strukturprinzipien Autorhabitus und feldinterne Autorposition Strukturprinzip externe Hierarchisierung: ökonomischer Erfolg, Verlagswahl, Ausstattung Strukturprinzip interne Hierarchisierung: Generation Golf als konsekrierte Preisträger-Literatur Das Aussagensystem Generation Golf Eigene und fremde Stellungnahmen Die Wahl des Realitätsbezugs aus dem Raum aller Realitätsbezüge: Sampling Die Wahl des Gegenstandes aus dem Raum aller Gegenstände: die Generationendebatte Die Wahl der Gattung aus dem Raum aller Gattungen: der essayistisch-autobiographische Genre-Mix Die Wahl des Stils aus dem Raum aller Stile: glossenhafte Ironie Der Sozialraum Generation Golf Schritt 1: Typologie Schritt 2: Kontextualisierung Fazit: zwischen exklusiver Differenzbetonung und inklusivem Identitätsangebot Transit Generation Golf und der politische Korrektheitsdiskurs Political Correctness: Skizze der Geburt eines Mythos und kommunikativen Jokers Exkurs: Diskurskoalitionen Exkurs: Zum Anteil des (flexiblen) Normalismus an Generation Golf Das Konzept „Normalismus“ Generation Golf als Dokument und Element flexibler Normalisierungsstrategien: Interdependenz von Gaußoiden Schluss: die Fäden verbinden Generation Golf im Schnittpunkt gesellschaftlicher Großerzählungen Fazit Literatur

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DANKWORT „Jene, die nur leben wollen und die Leben lediglich in der größten Freiheit, in der Jagd nach dem Glück, in der ausschließlichen Befriedigung ihrer Wünsche oder ihrer Instinkte, in der sofortigen Nutzung der Reichtümer der Welt sehen [...], werden immer unglücklich sein.“ (Perec 1984: 56)

Eine Dissertation stellt immer eine kollaborative Arbeit dar, selbst wenn sie im abgeschiedenen Kämmerlein verfasst wurde. Danken möchte ich daher Clemens Knobloch und Georg Bollenbeck für die Ermutigung, diese Arbeit überhaupt in Angriff zu nehmen, für die Betreuung und das profunde Überblickswissen, von dem ich bei Fragen stets zehren konnte. Ferner danke ich Clemens Knobloch auch für die psychologische Betreuung in Zeiten von Unsicherheit und akuter Desorientierung. Meiner Lebensgefährtin Anne März danke ich für das liebevolle Erdulden von Hektik, Unausstehlichkeit, Panik- und Wutanfällen sowie allen anderen negativen Begleitumständen – erstaunlich, wohin sich Papier- und Bücherstapel in einer Wohnung verirren können. Hans und Brigitte März danke ich für das Korrekturlesen, den temporären Verzicht auf monatliche Mieteinkünfte und die profunden Kenntnisse die Stadt Schlitz und deren Bewohner betreffend. Thomas Meyer bin ich für die Beantwortung z.T. sehr spezieller soziologischer Fragen zu tiefem Dank verpflichtet. Ronald Hartz danke ich für das Expertenwissen die kritische Theorie betreffend und für hilfreiche Unterstützung in letzter Minute. Gerhard Kaiser danke ich für telefonischen Beistand. Ferner danke ich meinem sozialen Umfeld. Es hat mir nicht nur beim Korrigieren verquerer Bandwurmsätze mit störrischer Interpunktion geholfen, sondern auch den Verfall meines körperlichen Erscheinungsbildes und die Belastung bestehender Sozialbeziehungen ertragen. Ich danke hier besonders Frank „Bausatz“ Böhm für die sehr gründlichen Korrekturen in letzter Minute sowie Uta Liebeskind für die genaue und reflektierte Lektüre. Für das Titelfoto hat Benjamin Karl dankenswerterweise seine Spielzeugkiste zur Verfügung gestellt. Ich danke ferner dem deutschen Bildungssystem, welches während meiner Zeit als Student noch ein relativ hohes Maß an Freiheit gewährte und in dem die Begriffe „Akkreditierung“ oder „unternehmerische Hochschule“ noch unbekannt waren. Dank gebührt schließlich meinen Eltern für die entbehrungsreiche finanzielle Unterstützung in Zeiten des Studiums. Sie werfen in Gesprächen zwar nach wie vor meine Fächerkombination beharrlich durcheinander, doch wäre ohne sie das vorliegende Vorhaben niemals möglich geworden. Ihnen sei daher diese Arbeit gewidmet.

ABKÜRZUNGEN x x x x x

GG: Illies, Florian (2001): Generation Golf. Frankfurt, S. Fischer Taschenbuchverlag AZU: Illies, Florian (2002): Anleitung zum Unschuldigsein. Frankfurt, S. Fischer Taschenbuchverlag GG2: Illies, Florian (2005): Generation Golf zwei. München, Goldmann OG: Illies, Florian (2006): Ortsgespräch. München, Karl Blessing Verlag GefH1-10: Gramsci, Antonio (1991ff): Gefängnishefte 1-10, hgg. von Bochmann, Klaus/Haug, Wolfgang-Fritz. Hamburg, Argument Verlag

Persönliche Informationen über den Autor Florian Illies sind zum einen öffentlich zugänglichen Quellen entnommen, zum anderen einer persönlichen Email, die mit Illies 2005 zitiert werden soll und dem Autor dieser Zeilen vorliegt.

EINLEITUNG

UND

METHODENINSTRUMENTARIUM

Über die Schwierigkeit, populäre Literatur zu beschreiben, die das Alltägliche beschreibt 1999 erschien im Berliner Argon-Verlag ein Buch mit dem Titel Generation Golf. In acht durch Playmobil-Illustrationen leitmotivisch aneinander gehefteten Kapiteln berichtete der Journalist Florian Illies über seine Kindheit, über Markenprodukte und den Zeitgeist. Aus dem Gefühl, gemeinsam mit vielen anderen eine typische Sozialisation erlebt zu haben, die sich mit dem VW Golf auf den kleinsten gemeinsamen (konsumistischen) Nenner zurückführen ließ, leitete er die Bezeichnung für eine ganze Generation ab. Das Buch verkaufte sich sensationell und es war eingebettet in z.T. hysterisch geführte Debatten über eine „neue Literatur“, über „Hedonismus“, „Materialismus“, „Wertewandel“ oder die Notwendigkeit von Benimmregeln für Schüler. Aber auch Martin Walsers Paulskirchenrede, die Frage, ob bei den Grünen die „Realos“ das Sagen haben sollten und/oder ob Nato-Einsätze im Kosovo notwendig seien, hatte offenbar etwas mit dieser Generation zu tun. Der Text schien an alles anschlussfähig zu sein, so wie auch alles an den Text anschlussfähig zu sein schien. Generation Golf wurde in Folge sogar Gegenstand empirischer Untersuchungen und bürgerte sich als Schlagwort ein – noch zwischen Januar 2006 und Januar 2007 wurde diese Generation in der überregionalen deutschen Presse etwa 126-mal erwähnt. 1 Was ist hier geschehen? Mit dem Beginn der 90er Jahre scheint sich, wenn man dem Diskursrauschen der Feuilletons folgt, eine neue Form der Literatur etabliert zu haben, die nach kurzer Zeit wieder aus der medienöffentlichen Wahrnehmung verschwand (wobei sich kein „Ende“ datieren lässt). Diese Literatur zeichnete sich durch engen Zeitgeistbezug aus, durch die Beschreibung der popkulturellen und konsumistischen Umwelt, durch ein literarisch ausgedrücktes Zugehörigkeitsgefühl zu einer Generation, einem Milieu, einer „Szene“ und/oder einem Lebensstil. Zugleich drückte diese Literatur auch ein Abgrenzungsbedürfnis aus. Zum einen gegenüber der „Masse“, zum anderen gegenüber einem zentralen Feindbild: den 68ern, ihren Werten und allem, was mit ihnen in Verbindung stand oder mit ihnen in Verbindung gebracht werden konnte – allen voran natürlich das, was gemeinhin (auch heute) als politische Korrektheit oder „Gutmenschentum“ diffamiert wird. Im gleichen Zeitraum erlebte Deutschland die erste rot-grüne Regierungskoalition, die „new economy“ drehte ihre Pirouetten und stürzte ein, es wurde der Politikstil der „neuen Mitte“ etabliert, Martin Walser hielt seine 1

Die Zahl ist dem Online-Archiv Genios (www.genios.de) entnommen. Recherchezeitraum: 1. Januar 2006 bis 1. Januar 2007. Volltextsuche mit „Generation Golf“.

12 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

folgenschwere Rede in der Paulskirche, die von vielen als Bekenntnis zur „Normalität“ Deutschlands aufgefasst wurde, und schließlich war Deutschland erstmalig nach 1945 in einen Angriffskrieg involviert. Diese selektiven Ereignisse verdeutlichen, dass literarischer Wandel mit einem gesamtgesellschaftlichen Wandel und einem Mentalitätswandel einhergeht. Ohne bereits hier allzu tief in medientheoretische Fragestellungen eintauchen zu wollen, kann davon ausgegangen werden, dass trotz der gewachsenen Konkurrenz mit anderen Medien nach wie vor literarische Texte den Ort markieren, an dem (bewusst oder unbewusst) gesellschaftliche Veränderungen verarbeitet und reflektiert werden. (Vgl. Bollenbeck/Kaiser 2004: 633) Was Aufmerksamkeit erheischen will und überhaupt bekannt und diskutiert werden will, muss trotz dieser Konkurrenz erst das Medium „Text“ und die entsprechenden Multiplikatorfaktoren, etwa in Form von Feuilletondebatten, passiert haben. Die übergeordnete abstrakte Frage dieser Arbeit ist somit zunächst allgemein literatursoziologischer Art: In welchem Zusammenhang stehen gesellschaftlicher Wandel und literarischer Wandel bzw. gesellschaftliche Bedingungen und literarische Produktion? Diese Frage bildet den Grund, der dabei hilft, Generation Golf in einen literatursoziologischen Gesamtzusammenhang einzuordnen. Denn tatsächlich steht der geneigte Interpret bzw. die geneigte Interpretin vor der Frage, wie er oder sie einen Text wie Generation Golf analysieren möchte, ohne den Wandel zur „new economy“, die Rede Walsers, die „neue Mitte“ und andere Faktoren mit zu bedenken. Sie scheinen „irgendwie“ mit dem Inhalt des Textes und mit dessen Erfolg verbunden zu sein. So taucht Martin Walsers Rede auch in Generation Golf auf. Was bedeutet das im Kontext von Generation Golf? Was bedeutete diese Rede damals? Diesem „Irgendwie“ muss nachgegangen werden, was bedeutet, den in Generation Golf ausgelegten Verweisen so weit es möglich ist zu folgen. Wenn dieser Wandel von Gesellschaft und Mentalitäten, der sich innerhalb dieses Zeitfensters vollzog und sich darüber hinaus bis heute vollzieht, mitbedacht werden muss, so muss er jedoch auf einen „Begriff“ gebracht werden, der als Einstiegspunkt für eine solcherart „holistische“ Textanalyse dienen kann. Es muss vermieden werden, der banalen Einsicht aufzusitzen, dass Gesellschaften (und deren Literatur) sich im Laufe der Zeit „nun mal ändern“. Es muss jedoch ebenso vermieden werden, diesen Wandel in all seinen Details selbst rekonstruieren zu müssen. In diesem Fall bewährt sich das Prinzip, auf den Schultern von Riesen zu stehen (Robert K. Merton), Gesellschaftsdiagnosen zu sammeln und zu verwenden, um eine literarische Gesellschafts- und Generationendiagnose, eben Generation Golf, bearbeiten zu können. Für den Wandel von Gesellschaft und Mentalitäten bieten sich zahlreiche wissenschaftliche Diagnosebegriffe an, welche die Frage zu beantworten versuchen, in welcher Welt und in welcher Zeit wir gegenwärtig leben – sei es die „Globalisierung“, die „Postmoderne“, der „Postfordismus“ oder einer der zahlreichen Bindestrich-Gesellschaftsbegriffe. Diese Frage kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht allumfassend beantwortet werden. Stattdessen soll auf eine Beobachtung zurückgegriffen werden, von der ausgegangen werden darf, dass sie weitgehend unstrittig sein dürfte. Der erste Riese, dessen Schultern beansprucht werden, ist in diesem Fall Carl Schmitt und der Begriff des Politischen. Er soll an dieser Stelle Pate stehen für den Begriff des Wandels, der sich folgendermaßen skizzieren lässt: Die Ökonomie wird

EINLEITUNG UND METHODENINSTRUMENTARIUM | 13

unhinterfragbares Zentralgebiet (Carl Schmitt), das direkt und mittelbar alle politischen Prozesse und gesellschaftlichen Veränderungen überformt. Immer mehr lebensweltliche Bereiche werden mit ökonomischer Rationalität durchdrungen und, wie es Jürgen Habermas nannte, „kolonialisiert“. (Vgl. Habermas 1997) Mentalitäten werden durch das Erleben dieses Wandels beeinflusst, Handlungen von Akteuren neu ausgerichtet, was schließlich auch Auswirkungen auf die Produktion von Literatur hat, gar haben muss. Es ist dieser Wandel, unter dessen Einwirken sich im literarisch-journalistischen Diskurs das Phänomen „Popliteratur“ formierte. 2 Durch ihre Verfahren, ihren engen Bezug zum Zeitgeist, ihre Oberflächen- und Realitätsbeschreibung und nicht zuletzt durch den Anspruch ihrer Vertreter, „Barometer“ dieses Zeitgeistes zu sein und die Gegenwart als Ganzes zu „durchschauen“, sind die in diesem Zeitfenster entstandenen Texte besonders eng an diesen Wandel angekoppelt. Doch verdeutlicht bereits das eingangs erwähnte Miss- und Unverständnis des gepflegten Feuilletons gegenüber diesen Texten, dass diese offenbar trotz oder gerade wegen ihres Realitäts- und Zeitgeistbezugs nicht mit den gleichen analytischen Kategorien beurteilt werden konnten wie zuvor (was sowohl für die feuilletonistische Kritik als auch die wissenschaftliche Rezeption gilt). „Ohnehin ist immer der Dumme, wer auf diese Art von Literatur zu große interpretatorische Mühe verwendet [...]“, urteilte Joachim Rohloff in der Zeitschrift Literatur Konkret. (Rohloff 2001: 5) In der Tat bieten diese Texte etwa für eine rein textimmanente Analyse kaum Ansatzpunkte. Erst über die kulturellen Kontexte, in denen diese Texte sich bewegen, auf die sie verweisen und deren Material sie anwenden, lässt sich ihr Sinn entschlüsseln. Für die Frage, wie sich diese Literatur mit dem beobachtbaren Gesellschafts- und Mentalitätswandel in Beziehung setzen lässt, wurde hier mit Generation Golf ein bereits „kanonischer“ Vertreter ausgewählt. Es handelt sich dabei um einen besonders erfolgreichen, vieldiskutierten Text, dessen Titel bis heute geflügeltes Wort geblieben ist. Florian Illies’ Generation Golf versteht sich als Barometer für die gesellschaftliche Realität und hat sich das Aufsammeln von Realitätseindrücken zum Ziel gesetzt. Der Text deckt so ein breites Themenspektrum ab, das beispielsweise beim ironischen Pop-Zitat beginnt, in eine Bewertung unterschiedlicher Lebensstile überleitet und in Reflexionen über das Zeitgeschehen mündet. Der Autor versucht dabei, durch einen mikroskopischen Blick auf die Nichtigkeiten des Alltags, d.h. gerade durch den Verzicht auf die Darstellung großer Zusammenhänge, eben jenen sichtbar zu machen: die Faktoren, die seine Generation als Generation Golf kennzeichnen, die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, die seine Generation als solche adressierbar machen und von anderen Generationen unterscheiden. Es handelt sich somit um einen Text, der selbst den Anspruch verfolgte, Zeitdiagnose zu sein, und durch das Aufsammeln von Realitätsfragmenten und mikroskopischen Details beabsichtigte, den Blick für das „Ganze“ zu schärfen. Dabei steht nicht im Vordergrund, ob Generation Golf Popliteratur 2

Um Missverständnissen vorzubeugen muss natürlich bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass damit nicht deren „Entstehung“ gemeint ist, sondern eine (in Folge zu beschreibende) Position im literarisch-journalistischen Diskurs, die gern „Popliteratur“ genannt wurde – ungeachtet ihrer (ja durchaus heterogenen) textuellen Beschaffenheit.

14 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

„ist“ oder nicht (tatsächlich wird sich ein Abschnitt damit befassen, was mit dieser Bezeichnung gemeint sein könnte). Ebenso wenig soll festgestellt werden, ob Generation Golf als Dokument des Zeitgeistes „richtig“ lag oder nicht. Die grundsätzliche Frage ist, unter welchen Bedingungen ein Text wie Generation Golf möglich und erfolgreich werden konnte und welche Produktionsprinzipien diesem Text zugrunde liegen: Welche Strategien gelangten dabei zur Anwendung, in welchen Kontexten bewegte sich der Text, welches Material griff er auf (und welches nicht), weshalb wurden gerade diese Strategien gewählt, weshalb konnten sie ihre Wirkung erzielen? Wie lässt sich die Wahl der Strategien und Prinzipien schließlich als Teil eines Gesellschafts- und Mentalitätswandels verstehen, wie er oben beschrieben wurde? Dies bedeutet, den Text nicht nur als die gesellschaftliche Diagnose zu begreifen, als die er selbst auftritt und als die er rezipiert wurde, sondern als Symptom eines gesellschaftlichen Wandels, der diesen Text überhaupt erst möglich und zirkulationsfähig machte. Eine Textanalyse, deren Gegenstand mehr über dessen Kontexte als über dessen Inhalt definiert ist und selbst Aussagen über diese Kontexte trifft, profitiert von einem kulturwissenschaftlich-interdisziplinären Theorie- und Methodenimport und von einer Kombination dieser vielfältigen analytischen Werkzeuge. Demzufolge soll zunächst ein Werkzeugkasten entwickelt werden, der genügend Instrumente zur Bearbeitung dieser Frage an die Hand gibt. Dort sollen Bausteine der kritischen Diskursanalyse, der Theorie des literarischen Feldes, des sprachlichen Marktes und nicht zuletzt Elemente der Theorie der Aufmerksamkeitsökonomie diskutiert, miteinander in einen Zusammenhang gebracht und für die Analyse des Textes aufbereitet werden. Ziel ist hierbei, einen Zugriff auf Generation Golf und dessen Entstehungskontext sowie dessen Ermöglichungsbedingungen im Sinne eines umfassenderen, kulturwissenschaftlichen 3 , konsequent strukturalistischen Zugangs zu gewinnen. Auf der einen Seite soll es so möglich werden, den Text und seine zahlreichen Kontexte „holistisch“ zu betrachten, zugleich soll trotz dieser theoretischen Sättigung der Text als solcher nicht aus den Augen verloren werden. Der Methodenmix schließt daher im besten Sinne klassische literaturwissenschaftliche Fragen wie die Wahl der Gattung oder der stilistischen Verfahren mit ein. Sie werden einerseits detailliert und nah am Text verfolgt, andererseits den Perspektiven der übergeordneten theoretischen Stränge angepasst sowie mit den gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozessen in Beziehung gesetzt, welche auch die Logik des literarischen Diskurses und die möglichen/unmöglichen literarischen Strategien überformen und so nicht zuletzt sowohl Generation Golf als Text als auch dessen Erfolg möglich gemacht haben. Dieser Wechsel von Mikro- und Makrooptik erfordert zum einen eine 3

Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass der Begriff „Kulturwissenschaften“ vor allem durch seine Spannweite an Methoden und Gegenständen als offener „Such- und Reflexionsbegriff“ (Bollenbeck/Kaiser 2004: 631) fungiert, mit dem sich nach wie vor keine feste analytische Programmatik verbinden lässt, der jedoch den Blick für neue (interdisziplinäre) wissenschaftliche Fragestellungen schärfen kann. Ein Text wie Generation Golf, der Dokument eines „Zeitgeistes“ ist, ihn zugleich selbst zu dokumentieren beabsichtigt und dessen Titel auch heute noch polyvalent einsetzbares Schlagwort ist, bietet sich daher an, aus dieser Perspektive betrachtet zu werden.

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eingehende theoretische Fundierung, zum anderen macht die Analyse von Details auch das häufige, belegende Zitieren von Textstellen erforderlich. Dabei besteht sicherlich die Gefahr, dass der Analyseverlauf durch den Wechsel der Optiken und das Verfolgen mehrerer aufeinander bezogener Theoriestränge an den kontextuellen Rändern „ausfranst“. Allerdings soll gerade dadurch deutlich werden, dass ein Text wie Generation Golf letztendlich erst durch diese kontextuellen Ränder und durch die Einbettung in und Beziehung zu einem verflochtenen Diskursnetzwerk erfassbar ist – gerade weil es sich um ein Dokument handelt, welches sowohl eng am (diskursiven) „Zeitgeist“ konzipiert wurde als auch an dessen Prägung beteiligt war. Kurz: Ein Text, der selbst Diskursmix ist, macht es erforderlich, mit einem Methodenmix analysiert zu werden. Als Einstiegspunkt und -formel für die einzelnen Analyseschritte werden diskurstheoretische Fragestellungen und die Theorie des literarischen Feldes dienen, wie sie im Zuge der Entwicklung des analytischen Werkzeugkastens ausgearbeitet werden. Wie einleitend deutlich wurde, bewegte Generation Golf sich in einem literarischen Kontext, der als Popliteratur apostrophiert wurde. Während nicht die Fragestellung im Vordergrund steht, ob der Text sich diesem Phänomen zweifelsfrei zuordnen lässt, lässt sich die Vehemenz, mit der auch Generation Golf diskutiert wurde, dann besser nachvollziehen, wenn man die kulturellen Kämpfe, Frontlinien und Strategien historisch rekonstruiert, welche das Phänomen Popliteratur möglich gemacht haben. Diese Kämpfe verweisen letztendlich auf dominante Strukturprinzipien der kulturellen Produktion insgesamt: auf das Verhältnis zwischen Geld und Kunst, auf das Verhältnis zwischen Massenkultur und Hochkultur (bzw. darauf, überhaupt in diesen Kategorien zu denken), auf das Verhältnis zwischen Kunst und Politik, auf die Frage, ob und wie gesellschaftskritisch kulturelle Produkte sein können, sein sollten oder sein dürfen. Dieser Rekonstruktion widmet sich das Kapitel Rekonstruktion historischer feldinterner Kämpfe und Effekte, der mit einer Darstellung des hier favorisierten diskurstheoretischen Literaturbegriffs abschließt, der für die weitere Analyse relevant sein wird. Die folgenden Kapitel bauen auf diesem Literaturbegriff auf. In ihnen wird rekonstruiert, aus welcher Position bzw. aus welcher diskursiven „Warte“ Autor und Text zum Adressaten „sprechen“, welche Pfade und Erfolge der Autor mit Generation Golf und anderen Diskursbeiträgen innerhalb des literarischen „Betriebs“ verfolgte bzw. erzielte und wie Autor und Werk ihrerseits, etwa durch Kritiker und Rezensenten, beurteilt wurden. Diese „äußere“ Aussagenstruktur steht wiederum in Relation zur „inneren“ Aussagestruktur von Generation Golf. Sie lässt sich im Sinne einer Wahl aus verfügbaren Möglichkeiten definieren. Die Kapitel Die Wahl des Realitätsbezugs aus dem Raum aller Realitätsbezüge bis Die Wahl des Stils aus dem Raum aller Stile stellen dar, welches diskursive Material aufgenommen wurde, mit welchen Verfahren es bearbeitet wurde, welchen Status Material und Verfahren im Rahmen des gesamten Literatur- und Kulturbetriebs genießen und in welcher Beziehung sie zur hier verfolgten Fragestellung und zum umklammernden Theoriezusammenhang stehen. Dies beinhaltet detaillierte Analysen zur Frage der Wahl von Realitätsbezug und Gegenstand, zur Wahl der Gattung und zur Wahl des Stils. Das Kapitel Der Sozialraum Generation Golf präzisiert die Frage nach dem Verhältnis der „inneren“ und „äußeren“ Struktur von Generation Golf. Zum einen wird Generation Golf als Abbild und Beschreibung einer, nicht

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als Widerspiegelung der Sozialwelt aufgefasst, zum anderen lässt diese sich zu realen Beschreibungen der gesellschaftlichen Realität und des gesellschaftlichen Wandels in Beziehung setzen (deren Konzepte wiederum selbst gesellschaftlichem Wandel unterworfen sind bzw. sich als dessen Folge auffassen lassen können). 4 Schließlich analysiert das darauf folgende Kapitel eine der wichtigsten Strategien, mit denen Generation Golf auf dem Spielfeld gesellschaftlicher Beschreibungen Erfolge verbuchen und Zustimmung gewinnen konnte, indem an das bekannte Deutungsmuster der political correctness angeknüpft wurde. Dem schließt sich ein Exkurs an, der die abschließende Zusammenführung der gewählten Perspektiven vorbereitet: Der gesellschaftliche Wandel, dessen Dokument und Element Generation Golf zugleich ist, wird in Generation Golf im Sinne einer allgemeinen „Normalisierung“ oder einer „Korrektur von Irrwegen“ ausbuchstabiert. Damit verweist Generation Golf auf ein grundsätzliches neuzeitliches Phänomen und Ordnungsprinzip westlicher Gesellschaften, deren gegenwärtige Transformation in der politischen Kommunikation und in den Massenmedien als natürlicher, „normaler“ Prozess dargestellt wird (vgl. Link 2006).

Entwicklung eines Werkzeugkastens: grobe und feine Werkzeuge Vorbemerkung Der auf den ersten Blick unscheinbare Text Generation Golf erweckt den Eindruck, dem Interpreten kaum Fragen aufzuwerfen, fungiert er doch als ein sofort verständliches Dokument des Zeitgeistes. Gerade dies führt jedoch die Schwierigkeit einer Analyse vor, denn der Text muss, um als Dokument eines so ephemeren Phänomens zu funktionieren und als solches erkannt zu werden, über weitreichende Referenzen verfügen, die an die Beurteilungskategorien des Rezipienten appellieren, die wiederum selbst am Zeitgeist geschärft worden sind. Alle diese Spuren zu verfolgen, käme einer Rekonstruktion des Zeitgeistes selbst gleich, daher wird im Folgenden mit einer Reihe axiomatischer Aussagen ein analytischer Werkzeugkasten5 erarbeitet, mit dem es gelingen soll, die zentralen Fragen zu bearbeiten: Warum hat dieser Text „funktioniert“, wie lässt er sich als Folge eines allgemeinen gesellschaftlichen Wandels verstehen, was hat diesen Wandel genau ausgemacht und in welcher Relation steht der Text zu diesem Wandel? Dabei müssen drei Prämissen bedacht werden:

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Dies geschieht nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Generation Golf nicht nur geflügeltes Wort, sondern auch Gegenstand der empirischen Sozialforschung wurde. Generation Golf wurde dabei als Beispiel für die These herangezogen, Literatur könne gesamtgesellschaftlichen Wandel, in diesem Fall den Wertewandel vom Materialismus zum Postmaterialismus und wieder zurück, besser und schneller diagnostizieren als die „behäbige“ Soziologie. Ein Wort zur Frage der „Objektivität“: Muss wirklich darauf hingewiesen werden, dass jede hermeneutische Textanalyse mit einer selektiven Sichtweise einhergeht und daher niemals erschöpfend oder absolut objektiv sein kann, da sie zwangsläufig durch die Wahl der Analysemethoden und das Aufwerfen der Fragen motiviert ist?

EINLEITUNG UND METHODENINSTRUMENTARIUM | 17

1. Aus der Sicht manch eines Literaturwissenschaftlers mag die theoretische Aufmerksamkeit, die Generation Golf gewidmet wird, als „Aufwertung“ eines Textes wirken, der literaturwissenschaftlich und -historisch betrachtet über geringe Relevanz und Ergiebigkeit verfügt. Das Stigmawort „Trivialliteratur“ ist dann schnell zur Hand. Dieser letztendlich „ästhetizistischen“ Haltung soll hier mit den Worten des Germanisten Jost Schneider widersprochen werden: „Die meisten Menschen finden Löwen ästhetischer als Spinnen. Für den Biologen ist dies, zumindest im Rahmen seiner Berufstätigkeit, ohne Belang. Vor seinem wissenschaftlichen Auge sind alle Gattungen und Arten gleich. Das von Literaturkritikern und Literaturpädagogen ausgearbeitete Qualitätsgefälle zwischen wertvollen und wertlosen Texten darf höchstens ein Gegenstand seiner Darstellung werden, aber niemals die Auswahl der Gegenstände oder die Methodik der Analyse beeinflussen.“ (Schneider 2004: 17) Obwohl also Generation Golf diesem ästhetischen Blick wahrscheinlich nicht genügen kann (und auch nicht genügen will!), muss diesem Text die gleiche, wenn nicht sogar aufgrund des Erfolgs eine größere Aufmerksamkeit gewidmet werden, als den Texten, die üblicherweise Gegenstand literaturwissenschaftlichen Interesses werden. 6 2. Es wird, entgegen den Vorwürfen, die häufig etwa gegen die Literatursoziologie bzw. gegen ein Zerrbild derselben ins Feld geführt wurden, kein „psychologisches Profil“ des Autors erstellt, das dazu dienen soll, ihn zu „entlarven“ oder zu „überführen“. Dies schließt jedoch nicht aus, den Autor sozialstrukturell zu verorten. Der Verzicht auf diese Informationen würde bedeuten, der (im Laufe der folgenden Abschnitte erläuterten) Illusion „aufzusitzen“, die sozialräumliche Position des Autors und dessen Werk ließen sich voneinander trennen. 3. Dennoch wird der Autor nicht als determinierter „Erfüllungsgehilfe“ von Klasseninteressen aufgefasst, sondern als Akteur, der durch seinen Habitus, durch die Struktur des literarischen (bzw. insgesamt kulturellen) Feldes sowie den sich aus diesen Parametern ergebenden Grenzen in seinen Möglichkeiten eingeschränkt wird. Um es mit den Worten des Kunsthistorikers Arnold Hausers auszudrücken: „[...] so wie kein Bewußtsein an sich, sondern nur ein Bewußtsein von etwas, das Bewußtsein eines Seins denkbar ist, läßt sich auch keine freischwebende, sich selbst bewegende und an sich selbst sich entzündende künstlerische Spontaneität vorstellen, sondern nur eine, die von einer fremden, materiellen Realität affiziert, bedingt und begrenzt ist.“ (Hauser 1988: 21)

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Ein ästhetizistischer Blick wäre hier nicht nur unergiebig, es entspräche auch nicht der Intention der hier verwendeten Theorien, die gerade gegen einen derartigen Blick gerichtet sind. So wie sich guter und schlechter Geschmack nie voneinander trennen lässt, so lässt sich auch „gute“ und „schlechte“ Literatur, welche diese Geschmäcker bedienen soll, nicht trennen: Geschmack ist unteilbar. Die Unterteilung in „gute“ und „schlechte“ Literatur für „gute“ und „schlechte“ Geschmäcker sagt wenig über die so klassifizierte Literatur, dafür jedoch sehr viel über die gesellschaftlich etablierten, mit den Mitteln der Pädagogik verankerten Beurteilungskategorien aus. (Vgl. Bourdieu 1987: 756)

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In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Oder: der neue (alte) Geist des Kapitalismus „Ist ein Gebiet einmal zum Zentralgebiet geworden, so werden die Probleme der anderen Gebiete von dort aus gelöst und gelten nur noch als Probleme zweiten Ranges, deren Lösung sich von selber ergibt, wenn nur die Probleme des Zentralgebiets gelöst sind.“ (Schmitt 1963: 65)

Nach Carl Schmitt bezeichnet der Begriff „Zentralgebiet“ den Sachverhalt, auf den sich eine zwischen zwei verschiedenen Systemen existierende Freund/Feind-Unterscheidung zurückführen lässt. Das „Zentralgebiet“ ist somit auch der Ort, an dem die fundamentale Entscheidung getroffen wird, was in einer Gesellschaft möglich und erwünscht ist und was im Gegenzug unmöglich und unerwünscht ist und damit zum feindlichen System oder Prinzip gehört. Das Zentralgebiet hat sich innerhalb des 19. und 20. Jahrhunderts immer mehr auf die Ökonomie verlagert. Lässt man die letzten Jahrzehnte Revue passieren, ohne durch Wandlungsrhetorik 7 das Konstante aus den Augen zu verlieren, dann lässt sich fraglos eine weltweite Intensivierung, Ausdehnung und Differenzierung dieses zentralen Prinzips diagnostizieren, an dem sich Kollektive und zunehmend auch Individuen ausrichten bzw. ausrichten müssen. Bei aller bekundeten und bewiesenen Pluralität gilt heute in Deutschland jede Entscheidung gegen dieses Zentralgebiet, d.h. etwa gegen die „wirtschaftliche Vernunft“ in all ihren Schattierungen, als Kriterium, um aus dem öffentlichen Diskurs verbannt zu werden. Wen dieses Urteil trifft, wird so oftmals marginalisiert oder als „polemischer Populist“ aus dem Diskurs ausgeschlossen. (Vgl. Knobloch 2007) Dieses Zentralgebiet kann mit verschiedenen Termini erschlossen werden, etwa mit einer der zahlreichen Bindestrich-Gesellschaften (Erlebnis-, Risiko-, Wissens- oder Netzwerk-Gesellschaft) oder mit Begriffen wie „Postfordismus“ oder „Neoliberalismus“. Gerade letzterem haftet das Stigma eines austauschbaren Schlagworts an 8 , welches als „master term“ (Kenneth 7

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Die (triviale) Erkenntnis, dass Gesellschaften sich „verändern“, sollte nicht, wie es etwa in soziologischen Enstrukturierungs-, Pluralisierungs- und Differenzierungstheorien beobachtbar ist, dazu verleiten, den Blick für konstant gebliebene oder verschärfte Ungleichheiten zu verlieren. „Wandel“ und „Veränderung“ sind innerhalb der massenmedialen Reformrhetorik zu einem Wert sui generis geworden, der Element einer Ideologie ist, für die er zugleich als Legitimation auftritt: „‘Change’ in today’s management terminology, is often represented as an unalloyed good. Indeed, it has become a matter of serious criticism to accuse an institution or individual of being incapable of adjusting to ‘change’ or of failing to grasp its multifarious ‘opportunities’.“ (Du Gay 2000: 136) Beispielhaft für die Kritik an diesem Wort ist eine nach allen Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie geführte und schnell abgeflaute „Debatte“, in deren Verlauf der Begriff „Neoliberalismus“ als billiges Schlagwort vergangenheitsfixierter Linker zu diskreditieren versucht wurde. (Vgl. Mikfeld 2007) Obgleich es der Überzeugungskraft linker Kritik durchaus schaden kann, alles und jeden als „neoliberal“ zu verunglimpfen, zeigt der Begriff zweierlei: Er ist (im Sinne der Begriffsgeschichte) erstens in der Lage, heterogene kritische Perspektiven in

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Burke), beispielsweise als Gegenformel zur dominierenden Deregulierungsund Flexibilisierungsrhetorik und als kompakte Kritikformel für Sachverhalte und Akteure verwendet wird. Häufig wird dabei jedoch nicht hervorgehoben, was das spezifisch Neue ist oder worin die genaue Verbindung zum Liberalismus besteht, welcher selbst aus verschiedenen Einzelströmungen zusammengesetzt ist. Schließlich nährt dieser Begriff durch den Fokus auf einzelne Akteure den Kult um wirkmächtige „Mega-Subjekte“ und suggeriert eine ideologische Geschlossenheit, die bei einem genaueren Blick auf die entsprechenden Diskurse, Akteure und Institutionen nicht feststellbar ist. Eher handelt es sich dabei um ein Netzwerk „arbeitsteilig und betriebsförmig organisierte[r] Ideologieproduktion“ (Candeias 2004: 76), in dem durchaus Dissens und auch Konkurrenz herrschen (vgl. exemplarisch Walpen 2004), das jedoch bei aller Differenz und Pluralität der konkreten Schritte ein insgesamt kohärentes Programm verfolgt. Eine Aufgabe der folgenden Analyse wird es somit sein, die grundlegenden Elemente dieses Programms herauszuarbeiten und die Textanalyse immer wieder mit ihnen in Beziehung zu setzen. Nicht aus Zensurgründen 9 soll daher im Folgenden, wenn es syntaktisch möglich ist, der inhaltlich sowohl präzisere als auch zugleich weiträumigere Begriff „new capitalism“ (Fairclough 2003: 4) verwendet werden, wenn diese Relation hergestellt wird – jener bezeichnet die Umsetzung einer anpassungsfähigen Programmatik, entlang derer die Verhältnisse zwischen und der Zusammenhang von Individuen, Gesellschaft, Ökonomie und Politik neu geordnet werden sollen, kurz: den „neuen Geist des Kapitalismus“. (Vgl. Boltanski/Chiapello 2003) Diese Weiträumigkeit hat somit zur Folge, dass für die Elemente dieser Programmatik – und seien sie dabei noch so gebrochen – jede Form des sozialen Handelns ein potenzielles Einflussgebiet darstellt: Alle Gebiete, die noch nach anderen bzw. ihren eigenen Regeln funktionieren, werden so den Regeln des Zentralgebiets untergeordnet.

Diskurse als soziale Praxis – Ideologie – Hegemonie Soziales Handeln findet im Rahmen von historisch gewachsenen sozialen Strukturen statt, welche das Spektrum möglicher Handlungen definieren, von denen jedoch auf Grundlage variabler Regeln und Machtverhältnisse nur eine Teilmenge realisiert wird. Folgt man der Grundannahme der Diskurstheorie,

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einem Begriff zu kondensieren und stellt somit ein diskursives „Veränderungspotenzial“ bereit, indem er Gegner benennbar macht, Fronten schafft usw. Zweitens funktioniert dieser Begriff nach wie vor als Kritikformel. Er verfügt über ein enormes polemisches Potenzial, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass es erheblicher rhetorischer Klimmzüge bedarf, um sich öffentlich dazu zu bekennen, „neoliberal“ zu sein – eine dieser Verrenkungen ist eben jener Bekenntniszwang. Trotz der Versuche einiger Akteure, sich des Begriffs ebenso ironisch zu bemächtigen, wie es dem Wirtschaftsteil der großen Zeitungen und den Vorstandsetagen mit Franz Münteferings „Heuschrecke“ gelang, ist der Vorwurf, „neoliberal“ zu sein, nach wie vor eine rhetorische Kampfansage, die den Gegner zur Reaktion zwingt. Jede Äußerung entspricht einem Angebot auf dem sprachlichen Markt. Will ein Anbieter Erfolg haben, muss er die erwartbaren Reaktionen der Rezipienten vorwegnehmen und seinen Text entlang dieser erwarteten Reaktionen „zensieren“ bzw. „euphemisieren“, um die implizit verlangte Form zu wahren. (Vgl. Bourdieu 1990: 117ff)

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dann lässt sich auch Sprache als soziale Handlung begreifen, mit der die „ideelle[n] und symbolische[n] Konstrukte in der sozialen Welt aktualisiert und ‚realisiert‘“ (Donati 2001: 147) werden. Die Einflusssphäre des „new capitalism“ beschränkt sich somit etwa nicht auf die sozialen Handlungen, mit denen eine bestimmten Produktionsform und Wirtschaftsordnung installiert werden soll (etwa Lobbyarbeit, Gründung von Institutionen usw.), vielmehr stellt der Diskurs den Ort dar, an dem sich der „new capitalism“ artikuliert bzw. von dem die Umgestaltung des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs ausgeht und in dem sie sich niederschlägt. Als Zentralgebiet stellt jener den dominanten Diskurs dar, dessen Regeln, Aussagen und Grundannahmen andere Diskurse transformieren, strukturieren oder „kolonialisieren“ (Jürgen Habermas). Das Zentralgebiet nimmt damit eine hegemoniale Rolle in der Ordnung des Diskurses ein und operiert dabei im Modus der „Problematisierung“ (Opitz 2004: 54), d.h. über das Formulieren von Diagnosen, Problemfällen, und Fragen. Damit wird zunehmend reguliert, was öffentlich sagbar ist, wozu Stellung genommen werden kann und muss und was im Gegenzug irrelevant erscheint und mit Nichtbeachtung oder andere Maßnahmen sanktioniert wird. Dies ist insbesondere in der auf Macht und Zustimmung angelegten Kommunikation ökonomischer und politischer Eliten der Fall. Unterstützt durch die zunehmende Verlags- und Medienkonzentration überformt der dominante Diskurs (mit unterschiedlicher Intensität und Ausprägung) die Massenmedien in ihrer Gesamtheit und hierbei besonders die Diskurse populärer „Stichwortgeber“ an der Schnittstelle von Belletristik und Journalistik, die mit ihren aus Soziologie, Biographie und Zeugenaussagen komponierten und auf unmittelbare Zustimmung ausgelegten Texten zur Lage der Nation Stellung nehmen. (Vgl. Bourdieu 1999: 248) Die Wirkmächtigkeit dieses dominanten Diskurses erklärt sich ferner durch die Tatsache, dass Diskurse materielle Konsequenzen haben (so wie es beispielsweise von Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ demonstriert wurde). Sie sind in der Lage, durch die Bereitstellung von Möglichkeiten (selten durch direkte Verbote und Zwänge), die in Gesetzen, Verordnungen oder „Zielvereinbarungen“ ausgedrückt werden, das Denken und Handeln von Subjekten im Sinne des Diskurses zu steuern. Dies bedeutet nicht, dass die materielle Realität einer Idee untergeordnet ist, oder dass Diskurse abgekoppelt von den realen Handlungen ihrer menschlichen Träger wirksam sein könnten – insofern wäre etwa der kritischen Bemerkung Terry Eagletons (1997: 17) zuzustimmen, dass Diskurse allein keine Regierungen stürzen und keine Paläste stürmen können. Vielmehr wird damit ausgedrückt, dass es – analog etwa zur Aussage Wittgensteins, die Welt sei Gesamtheit der (sprachlich fassbaren) Tatsachen und nicht der Dinge – letztendlich nur einen diskursiven Zugang zur materiellen Realität gibt. Allgemein lassen sich Diskurse entlang des von Norman Fairclough (2003: 26ff) entwickelten analytischen Dreischritts – „genre“, „discourse“, „style“ – in dreifacher Hinsicht als soziale Praxis klassifizieren: 1. Diskurse finden im Rahmen eines diskursiven Interaktionstyps (genre) statt. Analog zur Vielfalt sozialer Interaktion existieren zahlreiche Arten diskursiver Interaktion – Reden, Interviews, Werbung usw. Diese Interaktionstypen sind, so wie jede Form sozialen Handelns, historisch entstanden und konventionalisiert. Der Gebrauch eines Genres drückt dabei

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eine soziale Relation aus, die im Verhältnis zwischen der Wahl des Genres und anderen sozialen Handlungen und Sachverhalten begründet liegt. 2. Diskurse beinhalten die Repräsentation der materiellen Welt (discourse): In Diskursen deuten Akteure ihr Verhältnis zur sie umgebenden Welt, jene wird im Gegenzug durch Diskurse erzeugt und „handhabbar“ gemacht. Diskurse sind damit sowohl deskriptiv als auch produktiv. Obwohl Diskurse selten rein sind und weder ausschließlich aus den sie konstituierenden Elementen zusammengesetzt sind noch jemals alle von ihnen enthalten, lassen sie sich als ein stabiles Aussagensystem definieren, welches nach historisch variablen Regeln funktioniert und dessen Aussagen von einem Großteil der Diskursteilnehmer geteilt werden. Als Handlungselement beinhalten sie sowohl die Auswahl als auch den Ausschluss der im Diskurs repräsentierten bzw. nicht repräsentierten Sachverhalte, eine (noch genauer zu definierende) Art und Weise, wie die ausgewählten Sachverhalte repräsentiert werden und eine damit hergestellte Relation zu anderen Diskursen und deren Teilnehmern. 3. Diskurse wirken auf die körperliche Hexis ein, indem sie persönliche Identitäten hervorbringen, verhandeln und die Verortung der vorgeführten sozialen Akteure als auch die Bandbreite legitimer Identitätsbilder demonstrieren (style). Kurz: Diskurse stehen in einer dialektischen Beziehung zur Sozialwelt. Beide sind sowohl sozialer als auch – bezogen auf die Sozialwelt – strukturierender Natur. Die materiellen Konsequenzen von Diskursen entsprechen der Kernaussage des Thomas-Theorems 10 , sie machen die Welt überhaupt erst fassbar, zugleich sind sie Produkt dieser materiellen Welt und können ohne sie nicht existieren. Sie spielen die Hauptrolle bei der soziokulturellen Reproduktion von Kollektiven und Subjekten, sie erzeugen Glaubens- und Wissenssysteme, die Identität der Menschen und damit die Fülle sozialer Beziehungen. Damit lassen sich in dominanten Diskursen auch die dominierenden, d.h. hegemonialen Ideologien einer Gesellschaft ablesen. Die Definition des Ideologiebegriffs kann an dieser Stelle nur einige wenige seiner Facetten erfassen. Eine mögliche Definition lautet: Ideologien beinhalten eine Sichtweise auf die Welt, mit der Machtverhältnisse aufrechterhalten oder kritisiert werden können. Ideologien als systematische Sichtweise auf die Welt umfassen in ihren Annahmen und Aussagen in der Regel (vgl. Eagleton 1993: 76ff) Elemente der Vereinheitlichung, ohne dabei jedoch völlig geschlossen oder lückenlos zu sein. Auch wenn einem Gegner einer bestimmten Ideologie dieselbe absurd erscheinen mag, so ist sie dennoch nicht sinnlos, da sie in der Lage ist, menschliches Handeln zu organisieren. Ideologien müssen für ihre Träger ein wahres Element enthalten, wollte man Menschen nicht zu willenlosen Opfern eines falschen Bewusstseins degradieren. Damit Ideologien funktionieren, müssen sie rationalisierungsfähig sein, etwa durch wissenschaftliche Erkenntnisse. Sie neigen dazu, partikulare als universelle Ansichten auszugeben und tendieren dazu, ihre Annahmen an der Realität und am gesunden Menschenverstand zu entwickeln und damit zu na10 „Wenn Menschen eine Gegebenheit als real ansehen, dann werden sie so handeln, als sei sie real, und insofern kommt es zu realen Konsequenzen (einer möglicherweise rational nicht gegebenen Tatsache).“ (W.I. Thomas und D.S. Thomas 1928)

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turalisieren: Gesellschaften, die auf Grundlage einer oder mehrerer Ideologien eingerichtet sind, entwickelt an sich selbst eine Ideologie, die dementsprechend „natürlich“ zu ihrem Zustand passt. Damit Ideologien hegemonial werden und bleiben können, müssen ihre Elemente und Annahmen nicht nur im obigen Sinne wahre Elemente und individuell ausfüllbare Lücken und Auswege bereithalten, vielmehr sind sie von der aktiven Mitarbeit der Akteure abhängig, insbesondere von der Mitarbeit der Intellektuellen. Jene sind in der Definition Antonio Gramscis nicht ausschließlich mit akademisch gebildeten Intellektuellen oder einer besonderen Klasse oder Schicht gleichzusetzen, vielmehr werden damit all jene Akteure bezeichnet, welche die hegemoniale Ideologie auf unterschiedlichen Ebenen stützen, artikulieren und so einen „spontanen Konsens“ (Gramsci 1996: 1497ff), verstanden als Nexus alltäglicher Erfahrungen und Erwartungen, organisieren. Jede Klasse oder Schicht verfügt in diesem Sinne über eigene Intellektuelle. Obwohl jeder Akteur folglich die Funktion eines Intellektuellen übernehmen kann, gelingt dies nicht jedem. Welchen Status ein Intellektueller hat, hängt einerseits von horizontalen und vertikalen Sozialstrukturmerkmalen ab. Andererseits tritt jeder Akteur in eine präkonstruierte Gesellschaft ein, die über ein historisch gewachsenes Verständnis von Intellektualität verfügt. 11 Findet sich auf unterer Ebene das Verwaltungspersonal (Beamte, Lehrer usw.), so nehmen die schöpferisch Tätigen die höchste Stufe ein: Wissenschaftler, Schriftsteller und – auf die heutige Zeit umgelegt – prominente „Stichwortgeber“, die sich zur Lage der Nation äußern oder Probleme definieren und aufgreifen, d.h. Diskurse prägen.

Texte als Ausdruck von Diskursen Kristallisationspunkt von Diskursen sowie (auch aus Rezipientensicht) die kleinste bedeutungstragende Einheit (vgl. Donati 2001: 153) sind Texte im weitesten Sinne, d.h. jede Form textuell (etwa durch Transkription mündlicher Kommunikation) realisierbarer Semiose. Sie sind damit Analysegegenstand der Diskurstheorie. Auch Texte sind eine Form möglichen sozialen Handelns und damit wie jeder soziale Tatbestand Produkt des dialektischen Zusammenspiels sozialer Strukturen und sozialer Akteure. Sie sind somit in allen Aspekten sozial überdeterminiert: Texte sind Ergebnis des Denkens und der Tätigkeit eines Agenten (eines Autors, Urhebers, Sprechers usw.), der in einer bestimmbaren Relation zur Welt, zu anderen Akteuren und zu existierenden Diskursen steht. Ein Text ist Produkt von Wissen im allgemeinen Sinne, welches von Diskursen abhängig ist, auf die der Text bezogen ist, an denen er teilnimmt und die er durch seine Teilnahme in ihrer Existenz akzeptiert und aufrecht erhält. Texte sind somit stets auch überindividuell. Die Produktion, Distribution und Rezeption von Texten unterliegt historisch gewachsenen Regeln – im allgemeinen Sinne der Ordnung des Diskurses, welche die Bandbreite des Sagbaren definiert. Texte enthalten dabei sowohl intentional gewählte als auch dem Produzenten unbewusste Elemente. Die Ausgestaltung von Texten unterliegt weiteren Einschränkungen: Situation und Kontext, grammatikalische Möglichkeiten und andere Textualitätsmerk-

11 Gramsci nennt hier beispielsweise das Intellektuellenkonzept des Geistlichen (Gramsci 1996: 513ff), welches überzeitlich und relativ stabil ist.

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male, soziale Konventionen und/oder habituelle Eigenschaften und Kompetenzen des Textproduzenten. Texte verfügen hierbei in abstrakter sowie konkreter Hinsicht eine Funktion. In abstrakter Hinsicht verfügt ein Text über eine ideelle, interpersonelle und textuelle Funktion: Texte repräsentieren Elemente der materiellen und nicht-materiellen Welt (Soziales, Mentales). Sie verknüpfen soziale Relationen, Ansichten, Wünsche und Wertvorstellungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern durch Produktion und Verknüpfung von Texten bzw. durch die Texturierung sozialer Handlungen. Konkreter auf einzelne Texte bezogen bedeutet dies, dass sich, analog zur Klassifikation von Diskursen als soziale Handlung, auch auf Ebene von Texten drei konstitutive Elemente konkretisieren lassen – „action“, „representation“, „identification“. (Vgl. Fairclough 2003: 26ff) 12 Jene sind Elemente, mit denen ein Text Sinn erzeugt: 1. Texte enthalten ein Handlungselement, etwa indem sie über einen Sachverhalt Auskunft geben. Der Umstand, dass ein Text Informationen vermittelt, impliziert bereits zahlreiche soziale Relationen: Eine Trennung zwischen denjenigen, die Informationen übermitteln und denjenigen, die sie (passiv) aufnehmen. Informationen werden wiederum auf eine bestimmte Art und Weise vermittelt, was ebenfalls eine soziale Relation verdeutlicht, etwa dann, wenn ein ernstes Thema Gegenstand einer ironischen Darstellung wird. Die darin erkennbare soziale Relation bestünde etwa darin, dass der Produzent, anders als viele anderen, offenbar in der Lage ist, sich über „den Ernst des Lebens“ hinwegzusetzen. 2. Texte repräsentieren Elemente der materiellen Welt sowie soziale Relationen und Denkprozesse. In ihnen werden etwa Sachverhalte dargestellt, Aussagen über soziale Akteure getroffen, eigenes oder fremdes Denken vorgeführt, thematisiert oder anderweitig behandelt. 3. Wenn Texte Aussagen über die Welt treffen, dann nehmen sie eine Identifikation vor, indem sie etwas bezeichnen, benennen, feststellen, anzweifeln, für wahrscheinlich oder unwahrscheinlich halten usw. Zwischen den Elementen der beiden genannten Dreischritte herrschen vielfältige Verbindungen. Zum einen sind beide aufeinander bezogen: „Genres“, „discourses“ und „styles“ stellen auf Ebene des sozialen Handelns Elemente der Ordnung des Diskurses dar und sind stabilisierte Formen konkreter Handlungen, Repräsentations- und Identifikationsleistungen. Beispielsweise lassen sich bestimmte Formen einer textuell realisierten Handlung einem Genre zuordnen, doch sind Texte in der Regel aus Elementen mehrerer Genres zusammengesetzt bzw. das Produkt einer Verkettung von Genres, in denen Elemente eines Genres in ein weiteres übertragen und dabei auf eine bestimmte Art und Weise modifiziert werden. Der in diesem Text repräsentierte Ausschnitt der Welt lässt sich gleichermaßen einem bestimmten Diskurs zuordnen, ebenso wie sich die im Text getroffene Identifikation als Implementierung eines Stils verstehen lässt. Dabei bleibt festzuhalten, dass Texte sich ferner dadurch bestimmen lassen, dass sie prinzipiell eine Form mittelbarer 12 Hierbei bliebt festzuhalten, dass es sich, wie Norman Fairclough hervorhebt, um eine rein analytische Trennung der einzelnen Elemente handelt, die in der Realität nicht in dieser Reinheit aufzufinden ist. De facto seien alle Elemente dialektisch aufeinander bezogen. (Fairclough 2003: 28f)

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Kommunikation darstellen und somit texturiertes oder texturierbares soziales Handeln miteinander verknüpfen. Hier lassen sich zwei Beispiele anführen. 1. Journalisten verknüpfen in einem Artikel zahlreiche Text- und damit Interaktionstypen: Interviews, Agenturmeldungen, Dokumente oder Aussagen anderer Artikel. Diese sind ihrerseits ebenfalls aus verschiedenen Quellen zusammengesetzt und werden entsprechend dieser Übertragung modifiziert. 2. An der Produktion eines Buches ist zum einen der Autor beteiligt, der etwa in seinem Buch auf andere Texte und Diskurse verweist und so prospektiv die Folgekommunikation der Rezipienten kalkuliert, zum anderen der Rezipient, der das Buch liest, mit anderen darüber spricht oder gar eine Rezension verfasst. Zum anderen lassen sich die genannten Elemente der Sinnerzeugung an eine Vielzahl soziologischer Theorien anschließen: Handlungen enthalten ein Verhältnis zu anderen Akteuren und damit immer auch ein Machtverhältnis. Repräsentationen stellen das Produkt von Wissen dar, zugleich sind sie Ausdruck von Kontrolle über das Repräsentierte. Identifikationen verdeutlichen das eigene ethisch-moralische Selbstverständnis. So wirft beispielsweise die Identifikation eines Sachverhalts zugleich die Frage auf, aufgrund welcher habituellen Grundlage sie entstanden ist, welche soziale Relation darin enthalten ist und wie sich dies textuell niederschlägt. In diesem Zusammenhang sind drei eng miteinander verknüpfte Theorien besonders relevant: die Habitustheorie, die Theorie des literarischen Feldes und die Theorie des sprachlichen Marktes. Im Hinblick auf die Habitus- und Feldtheorie lassen sich weitere Aussagen über den Text und dessen Autor treffen.

Texte als Teilnahme am sprachlichen Markt Texte im Sinne einer sozialen Handlung lassen sich als sprachlicher Tausch verstehen, der auf einem sprachlichen Markt stattfindet. Erst dieser Markt ist der Ort, an dem der Sinn von sprachlichen Handlungen überhaupt realisiert werden kann. Weder sind Sprechen und Schreiben bloße Techniken der Informationsvermittlung noch ist Sprache unabhängig von ihrer Verwendung auf dem sprachlichen Markt zu begreifen – so wie jede soziale Handlung sind Sprechen und Schreiben keine „actes gratuits“. (Bourdieu 1998a: 140) Sie dienen nicht bloß der Informationsverbreitung, sie beinhalten einen ökonomischen Tausch, da sich in ihnen der sprachliche Reichtum des Sprechers ablesen lässt, was diesem symbolische Profite verschafft. Sprache ist gemäß Karl Bühlers Sprachtheorie (Bühler 1982) Kundgabemittel, mit dem ein Sender aus einer bestimmten Position Signale an Empfänger in einer bestimmten Position übermittelt, um ihnen etwas über die Dinge mitzuteilen. Sprachliche Handlungen sind damit Stellungnahmen im wahrsten Sinne des Wortes, mit denen Relationen zur umgebenden Welt, zu anderen Akteuren und anderen Aussagen markiert werden. Erst auf dem sprachlichen Markt erhält eine Äußerung Sinn und Wert, nicht in dem Sinne, dass Äußerungen mit bestehender Bedeutung nachträglich (von einem wie auch immer legitimierten „Gremium“) „bewertet“ werden, vielmehr ergeben sich Sinn und Wert erst dadurch, dass sie in Relation zu anderen Äußerungen gesetzt und be-

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lohnt, zensiert oder sanktioniert werden. Sprachliche Handlungen müssen somit, um erfolgreich zu sein, auf die Bedingungen zugeschnitten werden, die auf dem sprachlichen Markt herrschen. Sie werden so an den erwarteten Reaktionen der Empfänger ausgerichtet, was dazu führt, dass das theoretisch völlig freie Ausdrucksstreben gemildert bzw. zensiert werden muss, was sich beispielsweise an Höflichkeitsformen oder besonderen stilistischen „Verrenkungen“ (etwa in Zeitungen) ablesen lässt: „man akzeptiert, sich akzeptabel zu machen“. (Bourdieu 1990: 57) 13 An dieser Stelle soll somit einer Sprachtheorie der Vorzug gegeben werden, die davon ausgeht, dass der größte Teil sprachlich vermittelten Sinns „von außen“ bzw. durch den Sprachgebrauch gebildet wird. Damit wird zugleich einer Perspektive der Vorzug gegeben, die davon ausgeht, dass keine Äußerung „unschuldig“ ist, d.h. von bestehenden Machtverhältnissen abgekoppelt werden kann. Sprechen und Schreiben werden hier verstanden als das abstrakte und äußerst ungleich verteilte Recht, überhaupt sprechen zu dürfen und gehört zu werden, in dem Sinne, dass zwar jeder über das abstrakte Recht auf freie (Meinungs)Äußerung verfügt, dass aber die wenigsten frei auf die semantischen Bestände, Themen und Verbreitungskanäle zugreifen können. Die nahezu universelle Sprech- und Schreibfähigkeit ist also nicht identisch mit der Realisierungsmöglichkeit dieser Fähigkeiten: Menschen können durchaus Meinungen äußern, aber ohne eine legitime Sprachkompetenz, die etwa von Bildungseinrichtungen vergeben wird und auf deren Standards die wenigsten Menschen Einfluss haben, werden sie nicht „gehört“ bzw. gelangen sie nicht an die Positionen, an denen „gesprochen“ wird. Diese Asymmetrie lässt sich etwa besonders deutlich in der politischen Kommunikation feststellen. (Vgl. Bourdieu 1987: 719ff) Vielmehr beinhaltet die Produktion von Bedeutungen auf dem sprachlichen Markt, dass Bezeichnungen für das damit Bezeichnete durchgesetzt werden, die von anderen Menschen verwendet und damit anerkannt werden (müssen). Die geäußerte These, die materielle Welt sei nur diskursiv zu erschließen, kann hier aktualisiert werden: In der Schaffung von Bezeichnungen liegt die Macht, Dinge zu erschaffen, sie von den Menschen auf eine bestimmte Art und Weise sehen zu lassen. Sprache stellt somit das „Medium par Excellence des Traums von der absoluten Macht“ (Bourdieu 1990: 17) dar. Diese Kraft, wie sie etwa in der Sprechakttheorie Austins oder Searles diagnostiziert wurde, entfaltet sich allerdings erst, wenn die sozialen Bedingungen dafür gegeben sind, d.h. die passenden sozialen Verhältnisse und deren allgemeine Anerkennung, die den sprechenden Akteuren die Macht dazu verleihen, allein durch Äußerungen andere Ak-

13 Dies schließt, wie im weiteren Verlauf deutlich wird, auch kontrollierten Nonkonformismus, Regelbrüche oder Skandale mit ein. Tatsächlich bedeutet die Orientierung am sprachlichen Markt, dass Produzenten das produzieren, was in ihrem jeweiligen Areal des Marktes, z.B. innerhalb der Hochkultur, zu einem bestimmten Zeitpunkt Gewinn verspricht. Die Ausrichtung an den erwartbaren Rezipientenreaktionen kann daher auf zahlreichen Arten erfolgen: in Form einer Zensur und Abmilderung, in Form von Vorwegnahme von Kritik, die damit ausgehebelt oder gar produktiv für die eigenen Zwecke genutzt werden kann, schließlich in Form eines bewusst in Kauf genommenen Skandals. Ein zeitgenössisches Beispiel stellt, obwohl sicherlich nicht ausschließlich darauf reduzierbar, die Diskussion über die von Günther Grass in seiner Autobiographie „Beim Häuten der Zwiebel“ enthüllte SS-Vergangenheit dar.

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teure handeln oder etwas erkennen zu lassen – und sei es die Existenz einer Generation und/oder eines Selbstbildes.

Texte als Produkt des Habitus und als Element des literarischen Feldes Die Theorie des sprachlichen Marktes lässt sich im Hinblick auf die dort aktiven Akteure und das genaue Teilgebiet des Marktes weiter konkretisieren. Ersteres erfordert, einen Blick auf den Habitus des Akteurs zu werfen, letzteres markiert den Ort, an dem die Äußerungen stattfinden und an dem aus einem Subjekt ein Akteur wird, der der gesellschaftlich gültigen Definition des „Autors“ genügt: das literarische Feld. Beides lässt sich auf die Theorie des Zentralgebiets rückbeziehen. Der Autor ist, wie im Folgenden dargestellt wird, grundsätzlich ein sozial überdeterminierter Akteur mit habituell erworbenen Dispositionen, d.h. habituell gewonnenen Beurteilungskategorien, die ihn zu bestimmten Handlungen, Sichtweisen und Äußerungen bezüglich der ihn umgebenden Welt und anderen sozialen Akteuren verleiten. Innerhalb des sozialen Raumes, der ein Ensemble von Relationen darstellt, nimmt der Akteur eine Position ein. Diese Position ist ein Standpunkt, eine Sichtweise, zu der man erst von einem anderen Punkt im sozialen Raum, d.h. im Zuge der Ableistung der eigenen sozialen Laufbahn, kommen musste. Dieser Punkt beinhaltet eine Perspektive, d.h. Beurteilungskategorien, deren Beschaffenheit von der eingenommenen Position sowie der Position bedingt ist, von der man zu ihr gelangt ist. Diese Beurteilungskategorien sind damit Produkt der Sozialisation, die im Wesentlichen von der mitgebrachten und erworbenen Kapitalausstattung und -struktur und den gesellschaftlich gültigen Regeln und Möglichkeiten abhängt, diese Ausstattung gewinnbringend für sich einzusetzen und einen „Aneignungssinn“ für lohnenswerte Handlungen auszuprägen. Indem Akteure auf Grundlage des Habitus handeln, übersetzen sie ihre habituellen Dispositionen in Praktiken und damit in differenzielle Merkmale, in Unterscheidungen und Abgrenzungen. Handlungen als Produkt des Habitus tendieren somit dazu, die Bedingungen zu reproduzieren, aus denen sie entstanden sind. Die relative Festigkeit der Sozialstruktur lässt sich somit anhand der Tendenz zur Reproduktion und der Möglichkeit erklären, nicht materiell gebundene Kapitalien wie soziales oder kulturelles Kapital an Nachkommen zu vererben (etwa durch das Ermöglichen hoher Bildungsabschlüsse). Abstrakt gesprochen stellen Handlungen damit das Produkt von an der Welt erworbenen Vorstellungen über diese Welt dar. Der Stoff, aus dem Vorstellungen erzeugt werden, ist Sprache. Sprache und Diskurse zu regulieren bedeutet somit, Vorstellungen und die Voraussetzungen für das Ausbilden von Vorstellungen zu regulieren, damit Ansichten, Wünsche oder Taktiken zu beeinflussen oder zu erzeugen und somit reale Handlungen mit realen (materiellen) Folgen auszulösen. Auf die Theorie eines gesellschaftlichen Zentralgebiets zurückkommend ließe sich daher sagen: Die dominanten Regeln des Raumes orientieren sich immer stärker an der Ökonomie des „new capitalism“, durch deren Erleben Vorstellungen und Handlungen modifiziert werden. Die Modifikation des menschlichen Verhaltens entlang der Zwänge des „new capitalism“ vollzieht sich somit auch auf Ebene der Modifikation

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des Habitus und der Beurteilungskategorien, so dass sich durchaus von der Produktion eines „neokapitalistischen Habitus“ sprechen ließe. 14 Autoren sind Teilnehmer des literarischen Feldes, deren Teilnahme bereits selbst Produkt einer habituell geprägten Wahl darstellt und dadurch bereits erste Aussagen über diesen Habitus zulässt, etwa das Selbstverständnis, sich als „Autor“ zu begreifen, öffentlich zu einem Thema sprechen zu wollen oder die Unterstellung einer daran interessierten Öffentlichkeit. Dass diese Äußerungen wertvoll genug sind, von einem Verlag veröffentlicht zu werden, verdeutlicht wiederum den Zustand des literarischen Feldes. Dort erfüllen Verlage die Filterfunktion des „Gatekeepers“ (White 1950), d.h. indem sie Texte verlegen oder nicht verlegen, regulieren sie mittelbar den Textfluss und die Taktiken der Textproduzenten. Das literarische Feld lässt sich definieren als „Feld von Kräften, die sich auf all jene, die in es eintreten, und in unterschiedlicher Weise gemäß der von ihnen besetzten Stellen auswirken, und zur gleichen Zeit ein Feld der Konkurrenzkämpfe, die nach Veränderung oder Bewahrung dieses Kräftefeldes streben“. (Bourdieu 1997c: 34) Diese Definition lässt sich im Hinblick auf weitere Merkmale des literarischen Feldes konkretisieren. Das literarische Feld verfügt über historisch entstandene Regeln, die den verschiedenen Teilnehmern (Autoren, Verlegern, Rezensenten usw.) Chancen eröffnen, aber auch besondere Anforderungen auferlegen. Obwohl das literarische Feld im Laufe der Geschichte eine umfassende Autonomie errichten konnte und über geringe institutionelle Verankerung verfügt, da es etwa keine Institution für verbindliche literarische Normen oder Schiedsstellen beinhaltet, unterliegt dieser besondere sprachliche Markt bestimmten Regeln. Er ist sozial überdeterminiert und steht in einem homologen Verhältnis zu anderen Feldern und zum sozialen Raum im Allgemeinen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass keine interessenlosen Handlungen denkbar sind. Dies trifft damit auch auf die allgemein künstlerische bzw. literarische Produktion zu, wie auch immer jene konkret beschaffen sein mag. Auch der Teilnehmer auf dem literarischen Feld ist daher jemand, der nicht einfach aus sich heraus schöpft 15 , sondern der ein bestimmtes Interesse verfolgt. Literarisch tätig zu werden heißt zunächst, sich gegenüber einer Öffentlichkeit und anderen Autoren zu erkennen zu geben, d.h. eine Position einzunehmen, sich selbst einen Platz zu geben und andere auf ihre Plätze zu verweisen – ob künstlerisch, politisch oder intellektuell. Kunst und Literatur sind evokativ, sie verfolgen eine Aufgabe, sind immer Ausdruck, der innerhalb einer gesellschaftlichen Ordnung stattfindet. Jeder Akteur, der als Autor in das literarische Feld tritt, wird zwangsläufig zum Operator oder Multiplikator einer oder mehrerer Ideologien. 16 Diese Positionierung vollzieht sich 14 So existieren Studien, die eine „neoliberale Gouvernementalität“, d.h. eine Regulation von Akteursperspektiven durch diskursive und/oder kulturelle Praktiken diagnostizieren. (Bröckling 2007, Opitz 2004) 15 Diese Vorstellung sei „nur die mehr oder weniger psychologisierende Projektion der Behandlung, die man den Texten angedeihen lässt, der Annäherungen, die man vornimmt, der Merkmale, die man für wichtig hält, der Kontinuitäten, die man zulässt oder der Ausschlüsse, die man vornimmt“ (Foucault 1969: 1017), d.h. ein Blick auf Literatur und Autorschaft, der im literarischen Feld entwickelt und durchgesetzt wurde. 16 An dieser Stelle lohnen sich einige Kommentare zum Verhältnis zwischen Literatur und Ideologie. Obgleich der ideologische Gehalt an manifesten Äußerun-

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einerseits vor dem Hintergrund des sprachlichen Habitus des Autors und den „strategischen Möglichkeiten“ (Michel Foucault), die sich einem Autor zu einem Zeitpunkt im literarischen Feld eröffnen. Diese Möglichkeiten werden durch die Beschaffenheit des literarischen Feldes selbst definiert, d.h. den Relationen zu anderen Werken und Autoren oder dem Status bestimmter Stile und Themen, für die man sich entscheiden kann oder die man ablehnt. Eine grundlegende Beschaffenheit des literarischen Feldes besteht darin, dass es, einschließlich der teilnehmenden Akteure, im Feld der Macht beheimatet ist. Waren Autoren in der Vergangenheit direkt vom Wohlwollen anderer abhängig, so ist deren Abhängigkeit im Lauf der Geschichte eine strukturelle geworden. Sei es die Abhängigkeit von Verkaufszahlen, das Urteil von Journalisten, die Zugehörigkeit zu Salons oder „Zirkeln“, eine staatliche Anstellung, sei es schließlich die Existenz einer durch die Bildungsexpansion produzierten „intellektuellen Reservearmee“, die sich aufgrund gestiegener Konkurrenz unter Wert verkaufen musste und auf (meist journalistische) Nebentätigkeiten angewiesen war – all diese Elemente führten im Laufe der Geschichte des Feldes zu einem impliziten, aber systematischen Pakt mit der Macht und der herrschenden Ideologie, der bis heute wirksam ist. Dieser Pakt bewirkt, dass trotz nahezu vollständiger Autonomie die Teilnehmer des literarischen Feldes die Position der „beherrschten Herrschenden“ einnehmen und durch diese widersprüchliche Position einen widersprüchlichen Habitus ausprägen, der oftmals zu ebenso widersprüchlichen Stellungnahmen führt. In der vorherrschenden Definition von Autorschaft sind Autoren etwa zur Gesellschaftskritik ermächtigt, sie dürfen sich jedoch nicht allzu deutlich äußern. Autoren können für die Schwachen Partei ergreifen, doch unterliegen sie dem Ideal des literarischen Feldes, Distanz zu wahren – der literarische und publizistische Diskurs hält dafür die passenden Bezeichnungen bereit, sei es „Tendenzkunst“ oder Literatur von und für „Gutmenschen“. Diese Anforderung legt sich als implizite Regel auf alle Akteure des literarischen Feldes und wird von ihnen in Abhängigkeit der eigenen Feldposition unterschiedlich ausgefüllt – sei es in Form totaler künstlerischer Distanz, sei es in direkter Verachtung von Klassen oder der Provinz, sei es in Form einer (ironischcharmanten) Verteidigung und Würdigung derselben, die gerade dadurch einen herablassenden Charakter erhält und die Beurteilungskategorien offenbart, mit denen das so Verteidigte gesehen wird. All dies, insbesondere die demonstrative Herablassung, lässt sich dabei, erneut in Abgängigkeit der ei-

gen wie etwa direkten Parteinahmen am deutlichsten sein dürfte, können selbst nüchterne Feststellungen oder unergründbar hermetische Texte ideologische Komponenten enthalten. Aus der Erforschung massenmedialer Kommunikation ist bekannt, dass konstative Sprache, mit der vermeintlich bloß das „Faktische“ dargestellt wird, performativ eingesetzt werden kann: „This form of report is what we might call ‘hortatory report’: descriptions with a covert prescriptive intent, aimed at getting people to act in certain ways on the basis of representations of what is“. (Fairclough 2003: 96) Auch ein hermetischer Text mag keinen offensichtlichen Anhaltspunkt für Ideologien bieten, doch spiegeln sich in ihm ideologische Annahmen über das Wesen von Autorschaft und das Verhältnis zur Gesellschaft, etwa in Form von Charisma, ästhetischer Konzeption oder Distanz zur Realität. Dass Texte somit grundlegend ideologischer Natur sind (wenn auch graduell unterschiedlich), sollte allerdings nicht dazu verleiten, „alles“ gleichermaßen als „ideologisch“ abzukanzeln. (Vgl. dazu Eagleton 1993)

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genen Position, durch den Autor auch taktisch für die eigenen Ziele und Interessen nutzen. Das Interesse, das hinter einer Stellungnahme im literarischen Feld liegt, besteht darin, symbolische oder materielle Profite zu akkumulieren. Das Verfolgen dieses Interesses vollzieht sich dabei unter den Regeln und Möglichkeiten, die das literarische Feld zu einem Zeitpunkt bietet. Das literarische Feld verfügt über zwei dominante vertikale Strukturmerkmale: zum einen die interne und externe Hierarchie, d.h. den Erfolg eines Teilnehmers im literarischen Feld (intern) und den weltlichen Erfolg auf dem Buchmarkt (extern). Zum anderen wird das literarische Feld anhand der sozialen und kulturellen Qualität des Publikums strukturiert. Hier stehen sich am kommerziell erfolglosen Pol arrivierte oder häretische Avantgarde und am erfolgreichen Pol die bürgerliche oder massenkompatible Literatur respektive deren Leserschaft gegenüber. Betrachtet man das Strukturmerkmal der internen Hierarchie, so lässt sich die dominante Regel, die im Zuge der Autonomiegewinnung ausgebildet wurde und die von Konsekrationsinstanzen 17 aufrechterhalten wird, als „umgekehrte Ökonomie“ definieren. Jene bezeichnet die Paradoxie und den zentralen Konflikt innerhalb des literarischen Feldes und des Feldes der Kulturproduktion insgesamt: das Verhältnis zwischen Kunst und Geld bzw. l’art pour l’art und (ökonomisch erfolgreicher) Massenliteratur. Innerhalb dieser Ökonomie genießen Werke einen hohen literarischen bzw. künstlerischen Status, die kommerziell keinen oder wenig Erfolg haben, was sich leicht an den Vorstellungen über verkannte Genies oder in Vergessenheit geratene „literarische Perlen“ ablesen lässt. Dies schließt die Paradoxie ein, dass sich Akteure diese ökonomische Erfolglosigkeit ökonomisch erlauben können müssen und führt dazu, dass entsprechend risikofreudige Verleger zur Wahrung der Bilanzen einen verwertbaren Katalog mit erfolgreichen Klassikern in der Hinterhand bewahren. Wie auch der soziale Raum im Allgemeinen ist das literarische Feld von einem zentralen Konflikt über die Bewahrung oder die Veränderung dieser Regel gekennzeichnet. Die Taktiken, die von den beteiligten Akteuren (Autoren, Verlegern usw.) dazu aufgebracht werden, hängen davon ab, an welchem der zwei Extrempole (exemplarisch: l’art pour l’art vs. Groschenroman) sich die jeweiligen Akteure befinden. Für welche Taktik sich die Teilnehmer dabei auch entscheiden, stets teilen sie den im Laufe der Geschichte des literarischen Feldes entwickelten kollektiven Glauben daran, dass die Literatur Teilnahme und Verteidigung, d.h. den persönlichen Einsatz, auch wert ist und ermöglichen so erst die Existenz des Feldes.

17 Dies schließt die Kanonisierung bestimmter Autoren, Werke und Stile mit ein, welche etwa im Schulunterricht vermittelt werden und so den Status offizieller Kultur erhalten und auf Rezipientenseite zur Ausbildung von Wahrnehmungskategorien und entsprechenden Äußerungen führen. Damit lassen sich sowohl souveräner Umgang mit der offiziellen Kultur als auch Demut und Bildungsbeflissenheit erklären. Ersteres zeichnet einen bürgerlichen Habitus aus, der auf die offizielle Kultur passt, da es im Wesentlichen die bürgerliche oder dazu aufgewertete Kultur ist, die für würdig befunden wurde, in die Lehrpläne aufgenommen zu werden. Letzteres zeichnet einen kleinbürgerlichen Habitus aus und führt dazu, dass Werke und Autoren als wichtig eingestuft werden (meist ohne genau beziffern zu können, weshalb), selbst wenn sie nicht den eigenen literarischen Vorlieben entsprechen.

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Während die avantgardistische, ökonomisch erfolglose Literatur insgesamt als auch feldintern über die höchste Reputation verfügt und unter den Bedingungen der „umgekehrten Ökonomie“ produziert wird, besteht die Anforderung an die bürgerliche Massenliteratur darin, ein möglichst breites Publikum zu gewinnen, ohne dabei das Stigma der bloßen Trivialliteratur zu tragen. Sie muss sich, wie jede Äußerung auf einem sprachlichen Markt, an den Erwartungen der Rezipienten und an den herrschenden Produktionsregeln orientieren. Eine der o.g. Filterfunktionen, denen Produzenten und Verleger an diesem Pol des literarischen Feldes ausgesetzt sind, stellt die Notwendigkeit dar, den Anforderungen der Aufmerksamkeitsökonomie (Franck 1998) zu genügen, um überhaupt von einem breiten Publikum wahrgenommen zu werden, während am avantgardistischen Pol des literarischen Feldes die Aufmerksamkeit weniger ausgewählter Subjekte die größte, um im ökonomischen Sprachgebrauch zu verleiben, „Aufmerksamkeitsdividende“ liefert. Die Möglichkeiten sind dabei vielfältig und ebenfalls vom Zustand des literarischen Feldes sowie der gesamtgesellschaftlichen Diskurse abhängig. Skandale 18 stellen eine (bewährte) Taktik dar, ebenso die Anschlussfähigkeit an aktuelle Debatten und besonders Einsicht erzwingende Ausdrucksformen und Themen. Mit Antonio Gramsci sprechend ist eine an diesen Anforderungen ausgerichtete Literatur dann besonders erfolgreich, wenn sie einen „spontanen Konsens“ erzeugt und sich am „Alltagsverstand“ orientiert, jener widersprüchlichen Zusammenstellung aus Theorien und Begriffen, mit der das Verständnis von Normalität gebildet wird. Eine derartige Literatur operiert somit mit Elementen, die alle „irgendwie“ kennen, die nicht mehr reflektiert zu werden brauchen, die dem common sense entsprechen und dadurch an die hegemonialen Ideologien angeschlossen sind. Werden üblicherweise eher die avantgardistischen oder großen bürgerlichen Autoren den Intellektuellen zugeordnet, so bietet das Intellektuellenkonzept Gramscis die Möglichkeit, auch die Autoren von Massenliteratur als organischen Intellektuelle 19 aufzufassen, 18 Dabei sollte nicht unterschlagen werden, dass diese Anforderung gleichermaßen die avantgardistische Literatur betrifft, dort nur anders implementiert wird. Auch die avantgardistische Literatur braucht von Zeit zu Zeit ihre Skandale, doch handelt es sich dabei um Skandale, die innerhalb des literarischen Feldes an den Regeln des avantgardistischen Pols gemessen werden und meistens nur für die entsprechenden Rezipienten relevant sind. Diese Skandale können jedoch auch durch massenmediale Verbreitung den Status eines allgemeinen Literaturskandals erlangen, der auch die Diskurse der Rezipienten des entgegengesetzten Pols prägt. Ein Beispiel stellt die Vorenthaltung des Heinrich HeinePreises für Peter Handke dar: Ein Konflikt, der nur für einen bestimmten Teil des literarischen Feldes und der Rezipienten relevant war, wurde durch Multiplikatoreffekte kurzzeitig zu einer gesamtgesellschaftlichen Debatte, von der sich selbst diejenigen nicht entziehen konnten, die über keinerlei Zugang zur Literatur Handkes verfügten. Dies verdeutlicht, dass das Hochkulturschema, mag es noch so häufig „besiegt“ erscheinen, nach wie vor subkutan fortbesteht. 19 Dass dies nicht weit hergeholt ist und sich Gramscis Intellektuellenkonzept breit anwenden lässt, zeigt etwa die Charakterisierung Jürgen Klinsmanns im Sinne des o.g. Intellektuellenkonzepts. Klinsmanns Motivationstechniken strahlen die kühle Rationalität des Managements aus, mit dem den Kunden, d.h. dem „Fan“, ein überzeugendes Produkt geboten werden soll. Es überrascht kaum, dass diese neuen Techniken im Gewand der dominierenden Reformrhetorik vorgetragen werden: „Wir müssen alte Rituale und Gewohnheiten hinterfragen. Und zwar

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die – ob bewusst oder unbewusst – Elemente der Alltagsideologie (re)artikulieren. Wie stark diese Elemente vertreten sind, lässt sich anhand der Brechungsleistung des literarischen Feldes und der Homologie von literarischer Produktion und Konsumtion verdeutlichen. So besagt das Konzept der Brechung, dass äußere Effekte nicht direkt in das literarische Feld übertragen, sondern in die dort herrschende Logik überführt werden. Die Art und Weise, wie viel Widerstand das künstlerisch-literarische Feld äußeren Einflüssen bietet bzw. wie sehr mit Literatur auf die Außenwelt eingewirkt wird, verdeutlicht den Grad der Autonomie des Feldes. Ein guter Indikator hierfür sind Sanktionen oder Sanktionsversuche feldinterner (Autoren, Verleger, Mäzene) und feldexterner (Politik, Öffentlichkeit, Preisrichter) Akteure oder Institutionen. Strukturelle Veränderungen des literarischen Feldes sind dabei aufgrund der ausgeprägten Autonomie insgesamt sehr unwahrscheinlich und vollziehen sich nur im Zuge gesamtgesellschaftlicher Umwälzungen. Die im Zuge des „new capitalism“ betriebene gesellschaftliche Neuausrichtung mit ihrer Kapitalisierung von Bildung und Medien kann hierbei als Indikator für einen konstanten Autonomieverlust aufgefasst werden: Verlagskonzentration, Gewinnorientierung und Konkurrenz tendieren dazu, Abhängigkeiten zu verstärken und den o.g. Filter immer stärker zu verengen. Gleichzeitig existiert eine Homologie zwischen literarischer Produktion und der Rezeption von Literatur, d.h. eine Homologie zwischen dem Raum aller literarischen Werke und dem sozialen Raum, in dem die Rezipienten entsprechend ihrer Kapitalstruktur und Herkunft eine Position einnehmen. Dies erzeugt den Effekt, dass Rezipienten lesen, was geschrieben wird und Produzenten schreiben, was gelesen wird, ohne dass es dabei zu einer Verständigung 20 zwischen beiden Parteien kommen müsste: „Eine strukturelle und funktionelle Homologie zwischen dem Raum der Autoren und dem Raum der Konsumenten [...] und die Korrespondenz zwischen der gesellschaftlichen Struktur der Produktionsräume und den mentalen Strukturen, die Autoren, Kritiker und Konsumenten auf die (ihrerseits nach diesen Strukturen organisierten) Produkte anwenden, liegt jener Koinzidenz zugrunde, die sich zwischen den verschiedenen Kategorien angebotener Werke und den Erwartungen der verschiedenen Publikumskategorien ergibt.“ (Bourdieu 1999: 262) Kurz: Brechung und Homologie stellen Indikatoren für den Zusammenhang zwischen Literatur und Gesellschaft dar, wobei als vermittelnde Scharniere Position und Disposition (Habitus) der beteiligten Akteure fungieren.

Auf dem Weg zu einem Analyseraster Die verarbeiteten theoretischen Überlegungen lassen sich nun in Folge als Analyseraster für Generation Golf verwenden. Generation Golf wird dabei als Text verstanden, der sich wie jeder Text als soziales Handeln auffassen andauernd – nicht nur im Fußball. Das ist doch nichts Schlimmes. Reform ist kein Prozess, der in Episoden stattfindet. Das Reformieren muss zu einem permanenten Zustand werden – nicht nur vor der Weltmeisterschaft, auch danach.“ (Vgl. Jaenicke 2006: 21) 20 Diese Verständigung kann jedoch in einigen Fällen durchaus gelingen. Populäroder Fortsetzungsromane bieten den Rezipienten die Möglichkeit, die weitere Ausgestaltung des Produkts direkt zu beeinflussen.

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lässt. Generation Golf ist sowohl Teilnehmer von Diskursen als auch aus Elementen verschiedener Diskurse und aus Verweisen auf andere Diskurse zusammengesetzt. Verstanden als Handlung und als Teilnehmer von Diskursen steht der Text notwendigerweise in einer Relation zu bestehenden sozialen Strukturen und zu den Fragen nach Hegemonie und Ideologie. Aus dem doppelten und aufeinander bezogenen Dreischritt von genre, discourse, style sowie action, identification, representation lässt sich ein Analyseverfahren entwickeln, das den Text als Schnittpunkt zweier Relationen definiert. Der Text verfügt dabei über eine externe und eine interne Relation (vgl. Fairclough 2003: 35ff), die in der Analyse miteinander in Beziehung gesetzt werden. Für beide stehen analytische Verfahren bereit. Externe Relationen markieren die Beziehung des Textes zu anderen sozialen Handlungen bzw. zu sozialen Strukturen insgesamt. Die Analyse externer Relationen umfasst u.a. die Frage, wie ein Text im Sinne des o.g. Dreischritts funktioniert und in welche intertextuellen Relationen er eingebettet ist: Welche Diskurse werden verarbeitet oder inkorporiert? Wem lassen sich die orchestrierten Stimmen und Stellungnahmen zuordnen? Wie wird mit Differenz verfahren, d.h. wessen Stimmen werden im Text mit welchen Mitteln wiedergegeben? Welche Handlungen oder sozialen Akteure werden auf welche Art und Weise repräsentiert? Welche Grundannahmen werden durch das Geäußerte vorausgesetzt, universalisiert oder ausgespart und welchen Akteuren, Diskursen oder Ideologien lassen sie sich zuordnen? Verfährt der Text dabei dialogisch und lässt er Gegensemantik zu? Wie explizit werden diese Annahmen textuell realisiert? Welchen Zweck erfüllen die so rekontextualisierten Elemente innerhalb des Textes? Die internen Relationen eines Textes stellen die konkrete sprachliche Implementierung dar, an der sich die o.g. Fragen ablesen lassen. Sie lassen sich aufteilen in paradigmatische und syntagmatische Relationen. Während syntagmatische Relationen horizontal und durch Kombinatorik definiert sind, sind paradigmatische Relationen vertikal definiert und bauen auf Wahl und Austauschbarkeit auf, d.h. sie verdeutlichen Relationen zwischen den im Text vorhandenen und konkurrierenden, sowie den denkbaren, aber nicht implementierten Alternativen. Diese Relationen können sich auf mehreren Ebenen niederschlagen – etwa auf der semantischen, grammatischen, lexikalischen, diskursiven oder stilistischen Ebene. Dadurch, dass es sich um eine Frage der Auswahl handelt, können diese Relationen auch aus ideologietheoretischer Perspektive relevant sein. Syntagmatische Relationen umfassen im Wesentlichen Fragen der Semantik, Grammatik und Lexik, die auf vielfältige Weise mit den o.g. externen Relationen verknüpft werden können. So verfügen Ideologien etwa über eine legitimatorische und rationalisierende Funktion, die sich auf textueller Ebene anhand grammatikalischer, semantischer und lexikalischer Relationen und Eigenschaften ablesen lässt. Die in einer Kausalbegründung ablesbare semantische Relation kann je nach konkreter Implementierung eine legitimatorische Funktion erfüllen und damit zur Verteidigung ideologischer Grundannahmen dienen. Die mit diesem Verfahren operierende Analyse lässt sich unter der Berücksichtigung dreier Prämissen weiter konkretisieren: 1. Die erste Prämisse besagt, dass der Modus des gesellschaftlichen Zentralgebiets „Ökonomie“ sich vom Ideal gerechter Verteilung und einem Partizipationsangebot entfernt hat und entlang der ideologischen Grundan-

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nahmen des „new capitalism“ zum neokapitalistischen Standortdarwinismus umgewandelt wurde, der den Erfolgreichsten exklusive Gewinne verspricht: the winner takes it all. 2. Die zweite Prämisse besagt, dass damit, vermittelt über die Ordnung des Diskurses, das Denken und Handeln von Menschen entlang dieser Grundannahmen mittelbar umfassend neu organisiert wird und dass diese Neuordnung bisher sehr erfolgreich war. (siehe Bröckling 2007, Bröckling u.a. 2004) 3. Die dritte und letzte Prämisse besagt schließlich, dass der Prozess der gesamtgesellschaftlichen Neuausrichtung zu neuen Taktiken und Möglichkeiten innerhalb des literarischen Feldes geführt hat. Wie die einzelnen Analyseschritte miteinander verbunden sind lässt sich folgendermaßen schematisieren: Konkret bedeutet dies auf Ebene des Diskurses, dass bei der Analyse von Generation Golf stets auf die ideologischen Annahmen des „new capitalism“ zurückzukommen sein wird, dessen Programm trotz aller Pluralität und der Tatsache, dass es sich nicht auf einzelne Akteure zurückführen lässt, kohärent und damit als Ganzes beschreibbar ist. Dies beinhaltet auch, die Analyse von Generation Golf mit dem massenmedialen Reform- oder Flexibilisierungsdiskurs zu kontextualisieren, in dem dieses Programm ausgedrückt wird. Zugleich lässt sich damit der Autor Florian Illies aus ideologietheoretischer Perspektive als „organischer Intellektueller“ klassifizieren, der durch seine Denkarbeit an der Verbreitung der Ideologie des „new capitalism“ indirekt mitwirkt, freilich ohne dafür einen „Auftrag“ erhalten zu haben oder es aktiv zu „wollen“. Dies lässt sich, ohne zu weit vorzugreifen, auf Ebene des Textes nachweisen: Generation Golf repräsentiert beispielsweise soziale Akteure in Form unpolitischer, konsumorientierter Hedonisten und verfügt beispielsweise über intertextuelle Bezüge zur Werbung. Generation Golf reproduziert damit einen Blick auf die Gesellschaft, der sich in diskursiver „Nähe“ zur Programmatik des „new capitalism“ befindet. Generation Golf ist schließlich eine Äußerung auf dem sprachlichen Markt, die den dortigen Zensurbedingungen unterliegt und mit hohen ökonomischen und symbolischen Profiten verbunden war. Die Art und Weise, wie und aus welcher Perspektive in Generation Golf soziale Akteure repräsentiert werden lässt, sich dabei oftmals als „Strategie der Herablassung“ (Bourdieu 1990: 46) definieren. Als Äußerung unterliegt Generation Golf den habituellen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Autors. Der Autor als Person ist für die Analyse sowohl relevant als auch irrelevant. Irrelevant sind dessen persönliche Motive, die sich allenfalls in Interviews rekonstruieren lassen und auch dort von der feldinternen Regel der Selbstinszenierung als Autor überlagert werden. Der Autor als Person ist jedoch gleichzeitig relevant, da er sich einer sozialräumlichen Position und Disposition zuordnen lässt. Dies lässt sowohl interpretatorische Schlüsse über dessen Aussagen als auch über die existierenden Regeln des literarischen Feldes zu, innerhalb dessen sich ihm aufgrund dieser Position und seines Habitus Taktiken und Möglichkeiten eröffnen. Im Gegenzug definieren diese Möglichkeiten auch die Grenzen, die der Autor nicht überschreiten kann. Innerhalb des literarischen Feldes nimmt Generation Golf eine Position am bürgerlich-ökonomischen Pol ein, wo sie als „Schnittstellenliteratur mit

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Stichwortgeberfunktion“ zwischen Belletristik und Journalistik steht. Als Teil einer literarischen Entwicklung, die mit dem Etikett „Popliteratur“ versehen wurde, verdeutlicht Generation Golf eine kurzzeitige Verschiebung innerhalb des literarischen Feldes und damit auch die darin herrschenden Regeln und Kämpfe, die entlang des Verhältnisses „Geld vs. Kunst“ strukturiert sind.

Ein multiperspektivischer Blick auf Generation Golf Vorab Das literarische Feld lässt sich als kollektiv getragenes Spiel definieren, welches nur durch den Einsatz der beteiligten Spieler existiert, die an den Wert des Spiels selbst, an die Einsätze und die Gewinne glauben und sie anerkennen. Dies gilt gerade für den (vermeintlichen) Akt der Negation, der darin besteht, die Regeln des Spiels, d.h. die Einsätze und die Bedingungen für einen Sieg, etwa durch die strategische Wahl literarischer Gestaltungsmittel oder durch den Kampf gegen andere Mitspieler, zu den eigenen Gunsten verändern zu wollen. Nichts drückt den Glauben an den Wert des Spiels deutlicher aus als die Leidenschaftlichkeit, mit der die Regeln (und die mit ihr in Verbindung gebrachten Akteure, Werke und Stile) aus „enttäuschter Liebe“ abgelehnt oder angegriffen werden. In den bisherigen Ausführungen wurde deutlich, dass das literarische Feld ein Ort der Kämpfe ist, bei dem Fronten verschoben, Koalitionen gebildet, Positionen eingenommen und zugewiesen bzw. wieder verlassen werden (müssen). Der Sinn einer Äußerung innerhalb des literarischen Feldes lässt sich daher erst dann verstehen, wenn sie als Äußerung in einem strukturierten Raum aufgefasst wird, der durch diesen historischen Konflikt entstanden ist. Selbiges gilt für Äußerungen von Charakteren innerhalb eines Textes, in dem die Konfiguration verschiedener sozialer Akteure das literarische Abbild eines sozialen Raumes erstellt, in dem wiederum durch Äußerungen Positionen eingenommen und Relationen ausgedrückt werden. (Vgl. Pinto 1997: 25ff) Das komplexe Relationsgefüge, in das ein Text wie Generation Golf eingebettet ist, wird unter Berücksichtigung des zuvor vorgestellten Theorierahmens durch die Kombination zweier analytischer Optiken, einer „äußerlichen“ Makro- und einer „innerlichen“ Mikroperspektive, inspiziert. 21 Schließlich wird Generation Golf als Äußerung ernst genommen, die, wie alle Äußerungen, die auf dem sprachlichen Markt getätigt werden, über evokative Kraft verfügt. Dieser Blick widmet sich der Frage, welche Elemente, Repertoires, Story-Lines und/oder Repräsentationsformen in Generation Golf miteinander montiert werden und welchen (potenziell ideologisch geprägten) Realitätsmodellen und -vorstellungen sie sich zuordnen lassen.

Makroperspektive Die Makroperspektive nimmt den durch historische Kämpfe erzeugten und weiter umkämpften Zustand des literarischen Feldes sowie dessen ebenso entstandene und umkämpfte Relation zur umgebenden Gesellschaft in den 21 Die Trennung ist dabei nur eine analytische und organisierende. Die äußerliche Makroperspektive ist ein globaler Blick, mit dem für die Analyse von Generation Golf relevante Entwicklungslinien rekonstruiert werden. Dies beinhaltet auch einen Blick auf Themen und Stile, die in Wirklichkeit im „Inneren“ des Feldes beheimatet sind.

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Blick. Das literarische Feld wird dabei abstrakt als mehrdimensionales Koordinatensystem definiert, in dem die Äußerung Generation Golf durch die Beschaffenheit des Textes, den Zustand des Feldes, die Äußerungen anderer Feldteilnehmer und nicht zuletzt durch den Zustand der Gesellschaft positioniert ist. Betrachtet man das literarische Feld und dessen Relation zur Gesellschaft als Ganzes, lässt sich, wie eingangs beschrieben wurde, ein tendenzieller Verlust von Autonomie diagnostizieren, der sich durch den generellen Machtgewinn der Ökonomie auf kulturelle Produktions-, Distributions- und Konsekrationsmittel (Verlagskonzentrationen, Ökonomisierung des Bildungssystems, Sponsoring, Mäzene usw.) erklären lässt. Durch diesen Machtgewinn werden die „strategischen Möglichkeiten“ aller Beteiligten modifiziert. Dies bedeutet, dass sich die Regeln verändern, nach denen Autoren beachtet (oder nicht beachtet) werden oder nach denen sie sich selbst „zensieren“, um auf dem gewandelten sprachlichen Markt ihr Produkt absetzen zu können. 22 Diese Ökonomisierung der Kultur, verstanden als Autonomieverlust der Kulturproduzenten, nicht als kulturpessimistisches Lamento über das Verschwinden der Idealvorstellung von Autorschaft (der Autor als unbezahlbarer „Luxusarbeiter“ (Flaubert zit. n. Bourdieu 1999: 135)), steht wiederum in einem engen Verhältnis zur Kulturalisierung von Ökonomie und Politik. Kulturalistische Ökonomie lässt sich etwa in der kulturellen Aufladung ökonomischer Produktion und entsprechenden Führungstechniken beobachten, die das Sinn-, Symbol- und Selbstverwirklichungsbedürfnis der Subjekte im Sinne einer Produktivitäts- und Gewinnmaximierung ausschöpfen. (Vgl. Opitz 2004: 173) Analog dazu lässt sich beobachten, dass politische Macht und Einflussnahme auf Subjekte zunehmend über die Regulation kultureller Kontexte realisiert wird, an denen Handelnde sich orientieren. Verschiedene Formen dieser kulturalistisch aufgeladenen Kommunikation, etwa Kampagnen des Typs „Du bist Deutschland“, aber auch das breite Spektrum der Selbstplanungs- und Generationenliteratur, sind so mit einer impliziten Obligation verknüpft – etwa, sich anzupassen, leistungsbewusst zu sein, keinen überholten Ideologien anzuhängen usw. Die Ökonomisierung der Kultur und Kulturalisierung der Ökonomie verweisen auf ein weiteres dominantes Strukturparadigma innerhalb des literarischen Feldes bzw. insgesamt des Feldes der Kulturproduktion: auf das Verhältnis zwischen Kultur und Geld. Dieses Verhältnis wird ausgedrückt im Kampf zwischen ökonomisch erfolgreicher Unterhaltung und der ökonomisch erfolglosen aber hochgeschätzten, „ernsthaften“ Avantgarde, wobei die Erfolge, Niederlagen und die jeweils verfolgten Taktiken in der Geschichte des literarischen Feldes je nach dessen „Zustand“ changieren. Im Rahmen dieses Verhältnisses markiert die bloße Existenz und der Erfolg von Generation Golf und vergleichbarer Literatur eine temporäre Verschiebung der Kräfte, die sich im Windschatten der Abwicklung der NS-Vergangenheit Deutschlands, der Euphorie über die Erfolge der new economy sowie des dritten Weges vollzog. Diese Verschiebung bildet ihrerseits eine neue Ausgangslage für künftige feldinterne Konflikte und Taktiken. 22 Pierre Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von prototypischen Erfolgsschriftstellern, die als „kulturelles trojanisches Pferd“ agieren, das „den Markt, die Mode, den Staat, die Politik, den Journalismus in das Feld der Kulturproduktion Einzug halten lässt.“ (Bourdieu 1999: 533)

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Ein entscheidender Teil des literarischen und publizistischen Diskurses, in dem dieses Verhältnis verarbeitet und thematisiert wurde und der zur Entstehungszeit von Generation Golf die Peripetie erreichte (oder beinahe überschritt), stellt die Diskussion über „Popliteratur“, Populärliteratur und „Popliteraten“ dar. Gegenstand der Analyse wird es daher zunächst sein, die Entwicklung des „Populären“ innerhalb des literarischen Feldes anhand des schillernden Begriffs „Popliteratur“, unter dessen Banner sich zahlreiche feldinterne Kämpfe abgespielt haben, in groben Zügen nachzuzeichnen. Hierzu wird es notwendig sein, die Genese der Ordnungskategorie Pop zu untersuchen. Dabei ist es aus dieser Makroperspektive zunächst unerheblich (und ob der formalen wie inhaltlichen Varianz der unter dem Gattungsbegriff „Popliteratur“ gefassten Texte ohnehin schwierig zu entscheiden), ob Generation Golf tatsächlich (etwa aufgrund stilistischer Eigenschaften) Popliteratur wirklich ist oder die früheren Formen der Popliteratur wirklich ästhetisch befriedigender sind als ihre späteren Adepten. Dies hieße, das „Spiel“ um den Gegenstand Popkultur und -literatur „mitzuspielen“ und die dafür mobilisierten ästhetischen Beurteilungskategorien mitzutragen, die etwa den Nobilitierungsversuchen der Popliteratur zugrunde liegen. Entscheidend ist somit vielmehr, dass Popliteratur ein Etikett darstellt(e), mit dem bestimmte Positionen und Äußerungen im literarischen Feld belegt wurden und das auf die fundamentale Opposition (Geld vs. Kunst, Unterhaltung vs. Ernsthaftigkeit) verweist, durch die das Feld strukturiert wird.

Mikroperspektive Die Mikroperspektive beleuchtet die in der konkreten Äußerung beobachtbaren (habituellen) Wahl- und Ausschlussverfahren des Autors, d.h. die Wahl aus den „strategischen Möglichkeiten“. Im Wesentlichen bedeutet dies, literaturwissenschaftliche Analysekategorien literatursoziologisch entlang der Theorie des literarischen Feldes auszurichten. Im Sinne des literarischen Felds als Koordinatensystem werfen diese Kategorien zunächst die Frage nach Position und Habitus des Autors auf. Beides lässt sich – sofern beobachtbar – in der Sozialisation des Autors, seiner Kapitalausstattung oder der durch ihn erworbenen Aufmerksamkeit ablesen (Preise, Rezensionen, materielle Profite). Als Äußerung auf einem sprachlichen Markt stellt Generation Golf eine Entscheidung für ein Thema, eine Gattung und einen Stil aus dem Raum aller verfügbaren Themen, Gattungen und Stile dar, deren Wert und Bedeutung selbst Produkt des feldinternen Kampfes ist. Diese Wahl ermöglicht gleichzeitig weitere Aussagen über die habituelle Perspektive des Autors. So lässt etwa die Wahl eines attraktiven Stils aus dem Raum aller möglichen Stile, etwa der Ironie, gemeinsam mit dem Wissen über die (auch sozialstrukturelle) Relation zwischen der Position des Autors und der Position des Ironisierten, den Schluss zu, dass man es mit einem distanzierten und potenziell herablassenden 23 Habitus sowie mit dem Versuch zu tun hat, rasch feldintern 23 Dabei darf die „Herablassung“ nicht als persönliche Arroganz des Autors missverstanden werden. Ob der Autor Florian Illies wirklich arrogant ist, wie es Rezensenten und Interviewer unterstellten (beides gehört natürlich zum journalistischen Handwerk), ist nicht nur unergründbar, sondern für die vorliegende Analyse irrelevant. Erneut muss darauf hingewiesen werden, dass die vorliegende Analyse einen psychologisierenden Blick vermeiden will (wobei es zu den kul-

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aufzusteigen, wobei dieser Versuch wiederum durch Zuspruch oder Kritik befördert oder angegriffen wird. Unter der Prämisse, dass jede Teilnahme im literarischen Feld der Maximierung der künstlerischen oder materiellen Profite dient, wird zudem sichtbar, welche Themen, Stile und Gattungen zu einem Zeitpunkt im literarischen Feld honoriert werden, d.h. welche Äußerungen zu einem bestimmten Zeitpunkt und auf eine bestimmte Art und Weise zu einem Thema akzeptabel und zirkulationsfähig sind und welche nicht, was wiederum Aussagen über den gesellschaftlichen Zustand zulässt, in dem solche Aussagen akzeptiert und verbreitet werden. Vorausgreifend gesprochen: Eine Geschichte wie Generation Golf, die den Erfolg der Bessergestellten auf Kosten der Unterlegenen zelebriert und dafür Zustimmung erfährt, die sich nicht zuletzt an den Kassen der Buchhandlungen ablesen lässt 24 , verdeutlicht die gesellschaftliche Akzeptanz und Zirkulationsfähigkeit von Konkurrenzdenken, Gewinnerattitüde bzw. einer Ideologie der „neuen Bürgerlichkeit“. (Vgl. von Lucke 2006)

Evokationsfähigkeit Jede Äußerung, sei es in oraler oder schriftlicher Kommunikation, verfügt über ein in sozialer Macht verankertes Evokationsvermögen, d.h. die Fähigkeit, den Rezipienten buchstäblich etwas auf eine bestimmte Art und Weise sehen zu lassen. Hier lassen sich ebenfalls zwei analytische Perspektiven trennen. Die erste beinhaltet, Generation Golf zunächst als Text mit literarischem Anspruch ernst zu nehmen, der ein Vexierbild von Aufstiegs- und Erfolgsgeschichten präsentiert, Elemente der Realität stilisiert und auch als literarischer Text wahrgenommen, kritisiert oder verteidigt wurde. Andererseits muss Generation Golf genauso als Aussage über die Realität ernst genommen werden, die trotz des literarischen Modus einen Wahrheitsanspruch besitzt, der sich in der „Werkintention“ (Bürger 1974: 12) und den im Text enthaltenen „Stimuli“ und „Wirkungsmitteln“ (ebd.) sowie anhand der Zustimtivierten Illusionen des literarischen Feldes und des literarischen und wissenschaftlichen Diskurses gehört, davon überzeugt zu sein, von der Persönlichkeit eines Autors absehen zu können). Vielmehr bezeichnet „Herablassung“ hier den Akt, aus einer höheren, distanzierten Warte nach „unten“ zu sprechen. Dies kann durchaus mit demonstrativer Arroganz einhergehen, kann jedoch genauso gut mit Verklärung oder gar demonstrativer Wertschätzung verbunden sein. Herablassung liegt somit in der Relation zwischen der eigenen Position und der im wahrsten Sinne durch sprachliche Handlung ausgedrückten Stellungnahme vor. 24 Ohne zu weit in die Unübersichtlichkeit der Rezipientenforschung zu geraten, stellt die wahrscheinlichste Erklärung für den Kauf eines Buches, nicht zuletzt wegen der prinzipiellen Homologie von literarischer Produktion und Konsumtion, in der Tat das Interesse und die Zustimmung des Rezipienten dar. Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass Generation Golf von habituell an Bestsellerlisten ausgerichteten „Alleslesern“, von Informationseliten oder von enttäuschten Lesern gekauft und gelesen wurde, die sich gerade nicht mit dem gebotenen Generationenbild identifizieren, aber immerhin „mitreden“ wollten. Alle haben jedoch gemeinsam, dass sie sich auf das „Spiel“ einlassen und die enthaltenen Aussagen zumindest soweit ernst nehmen, dass sie sich mit ihnen beschäftigen und sie ablehnen können. Die Akzeptanz und Zirkulationsfähigkeit bleibt also trotz dieses möglichen Einwands gewahrt, zumal Generation Golf die erste Hürde, die darüber entscheidet, d.h. die verlegerische, bereits im Vorfeld genommen hat und es dadurch unwahrscheinlich ist, dass Generation Golf ein allzu großes verlegerisches Risiko darstellte.

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mung und Ablehnung der (vermeintlichen) Generationsgenossen erkennen lässt. Die hier zu verfolgende Frage wäre somit, aus welchen theoretischen Annahmen sich dieser Blick speist und welchen (potenziell ideologischen) Positionen er sich zuordnen lässt.

REKONSTRUKTION HISTORISCHER FELDINTERNER KÄMPFE UND EFFEKTE: STREIFZÜGE DURCH DIE GESCHICHTE DER POPULÄRLITERATUR Die folgenden Abschnitte beleuchten einen dominanten Kampf innerhalb des literarischen bzw. allgemein kulturellen Feldes, in dem Generation Golf angesiedelt ist und der einen entscheidenden Schlüssel für das Verständnis von Generation Golf (und dessen Erfolg) liefert: Die Rede ist vom allgemeinen „Kampf“ um Populärkultur und –literatur, dessen Frontlinien sich insbesondere in der zur Entstehungszeit von Generation Golf aktiven Diskussion über „Popliteratur“ und „Popliteraten“ ablesen lassen. Begibt man sich auf einen Streifzug durch die Geschichte der Popkultur und -literatur, betritt man eine besonders heftig umkämpfte Arena, in der die grundlegende Opposition des literarischen oder kulturellen Feldes verhandelt wird. Diese Opposition und der kollektiv geteilte Glaube an das Feld lassen sich an den Handlungen und Urteilen ablesen, mit denen Popliteratur kritisiert oder verteidigt wurde. Aus diesen Urteilen lassen sich zwei dichotome Positionen gewinnen, welche Populärliteratur mal verdammen, mal gegen die Verdammung verteidigen – letzteres ist dabei oft mit dem Versuch einer Aufwertung verbunden, d.h. mit dem Verweis auf das elitäre Kulturverständnis des Feuilletons. Dies wird häufig mit dem Hinweis ergänzt, es handle sich bei Popliteratur um eine Provokation, um eine Kritik der Meinungsmacht der 68er-Generation, die selbst mal dissident gewesen sei, sich nun jedoch auf der Position der Mahner und Kritiker ausruhe. Die Spannweite der Beurteilung reicht dabei vom vernichtenden Urteil, Popliteratur zelebriere „Herrenmenschentum“ (Rohloff 2001: 4) bis zur Feststellung, Popliteratur sei harmlose Gegenwartsdiagnose. (Vgl. Schumacher 2003a, Baßler 2002) Die Dichotomie ist klar: Auf der einen Seite steht die kulturkritische, um Literarizität bemühte, mahnende Altherrenliteratur der „dankbare[n] Hüter des Auschwitz-Komplexes“, deren Distinktionswert bewiesen wird. Auf der anderen Seite steht, lässt man sich auf diese Gegenüberstellung ein, die umso glanzvollere, frische und realistischere, da nicht zwanghaft literarische Textproduktion der „neuen Archivisten“, dank derer „deutsche Literatur seit einigen Jahren wieder richtig Spaß machen“ könne. (Baßler 2002: 183ff) Diese Spreizung lässt sich nicht angemessen verstehen, ohne den dominanten Konflikt zwischen Unterhaltung und Ernsthaftigkeit oder zwischen Geld und Kunst zu verstehen, der letztendlich alle Felder der kulturellen Produktion strukturiert. Die Vorsilbe „Pop“ liefert hier den Punkt, an dem sich diese Spaltung beobachten lässt. Dieselbe Spreizung der Urteile findet sich in ähnlicher Form auch in der (akademischen) Theorie der Popkultur, die (sehr grob ausgedrückt) Pop und das Populäre entweder optimistisch als Befreiung

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oder pessimistisch als Betrug wertet. Diese dominante Opposition wird hier im Folgenden nachgezeichnet. Dabei müssen drei Prämissen bedacht werden: 1. Aussagen über Gegenstände und Sachverhalte sind Stellungnahmen, also Positionierungen. Allgemein bekannt ist seit der Kritik der Wertfreiheit in den Wissenschaften, dass jede Form wissenschaftlicher Erkenntnis von impliziten Werturteilen durchzogen ist und sich gar nicht anders denken lässt, ohne sich dabei auf eine „Seite“ zu schlagen. Das Spiel um Populärkultur und -literatur verfügt hierbei über zwei dominante Pole. Dennoch soll versucht werden, sich nicht an der Ab- oder Aufwertung zu beteiligen, hieße dies doch, sich die Regeln zu eigen zu machen, die hier erklärt werden sollen, auch wenn allein mit der Entscheidung für den Analysegegenstand Popliteratur das Spielfeld, auf dem um den Gegenstand gekämpft wird, bereits betreten wurde. 2. Eng daran gekoppelt – bezogen auf den neuzeitlichen feldinternen Kampf zwischen Popliteratur und „Mahnerliteratur“ – ist die Aussage der „Verteidiger“ des Populären, dass der oftmals unterstellte feindliche Reflex gegenüber dem (vermeintlichen) Konservatismus zahlreicher Popliteraten lediglich Folge einer Provokation sei, der die Kritiker, unfähig zwischen (selbstinszenierter) Person und (ironischem) Werk zu trennen, „aufsitz[en]“. (Baßler 2002: 124) Letztendlich wird somit die Frage gestellt, ob das Geschriebene auch wirklich so gemeint war, d.h. ob dem inkriminierten Texten eine realistische Beschreibungsabsicht zugrunde lag. Es wird dabei, obwohl diese Fragen nach dem Wahrheitsgehalt letztendlich nicht beantwortbar sind, zugunsten der kritisierten Autoren entschieden. Hier soll somit nicht versucht werden die „wahre Intention“ des Autors Florian Illies zu rekonstruieren – im Vordergrund der Untersuchung steht das Ensemble von Stellungnahmen, ungeachtet der Frage, wie ernst es der Autor mit ihnen meinte. Es wird also die Frage verfolgt, was es feldintern und -extern bedeutet, mit „den“ 68ern, Feministinnen oder Konsum- und Modeversagern (ob ernst oder ironisch) abzurechnen bzw. warum genau diese Strategie so attraktiv war und noch immer ist und weshalb gerade sie und nicht andere Gegner auserkoren wurden, die ein ebenso dankbares Ziel hätten abgeben können. 3. Auch wenn damit trotz aller Distanzierungsversuche an den dominanten Beurteilungskategorien des literarischen wie kulturellen Feldes mitgewirkt wird, so soll im weiteren Verlauf einer eher pessimistischen Lesart der Popkultur bzw. aller Kulturgegenstände der Vorzug gegeben werden, ohne dabei in einen negativen „Adornismus“ zu verfallen, der angesichts der Popsozialisation eines Großteils der jüngeren Bevölkerung, einschließlich des Autors dieser Zeilen, ohnehin völlig unrealistisch und unglaubwürdig wäre. Es soll somit in den folgenden Abschnitten keine Verfallsgeschichte einer einst glorreichen Populärkultur gezeichnet werden. Vor dem Hintergrund der Kulturalisierung der Ökonomie und der Ökonomisierung der Kultur scheint eine emanzipatorische Wirkung der Popkultur, die, wie deutlich werden wird, von einigen Zweigen der Cultural Studies und den damit zusammenhängenden intellektuellen Milieus nach wie vor als realistische oder gar eingetretene Option vertreten wird, mehr und mehr fraglich. Diese Diagnose gibt den (kritischen) Rahmen vor, an dem die Stationen der Populärkultur – mit dem Fokus auf den neuzeitlichen Konflikt um Popliteratur – jeweils gemessen werden.

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Die Darstellung der Populärkultur und der mit ihr und um sie ausgetragenen Kämpfe ist dabei sowohl vollständig als auch unvollständig. Unvollständig ist sie, weil naturgemäß nicht alle Schattierungen des schillernden Themas wiedergegeben werden können, welches sich gerade durch seine betriebsmäßig organisierte Expansivität und ein sorgsam gehütetes Geheimwissen über den Underground auszeichnet. Die Darstellung ist in einem anderen Sinne jedoch vollständig, indem sie auf einen dominanten Konflikt rekurriert, der die kulturelle Produktion in ihrer Totalität betrifft.

Mögliche Definitionen von Populärkultur Als Einstieg in den neuzeitlichen Konflikt zwischen legitimer und populärer Kultur, der Debatte um Popliteratur, dient eine Rede Martin Büssers (1998). In dieser Rede hebt der Herausgeber der popkulturellen Testcard-Reihe hervor, Pop solle durch diese Buchserie weder auf- noch abgewertet werden. Weder wolle man ihr Dissidenzpotenzial in den höchsten Tönen loben, noch wolle man kulturkritisch-adornistisch die Massenkultur verdammen oder sie zu sehr intellektualisieren. Doch wie man es dreht und wendet, bleibt Büsser in der Verteidigungs- und Aufwertungshaltung, die er zunächst vehement von sich weist: Als wäre es nicht genug, klischeehaft gegen eine Hochkultur (und deren Konsumenten) zu poltern, welche ohnehin eine Karikatur ihrer selbst sei (es folgt der obligatorische Hinweis auf die Langeweile Martin Walsers), wird die kritische Theorie mit einem Verweis, selbst Adorno habe einst das Verb „entarten“ verwendet, vollständig entartikuliert, während alle materialistisch argumentierenden Linken als „Dogmatiker“ entlarvt werden, die von Kultur ohnehin keine Ahnung hätten und sich maximal auf „Brecht, Eisler und Degenhart“ einigen könnten. (Vgl. Büsser 1998) Die bessere Welt käme mit solchen kulturellen Vorlieben nicht zustande, mit dem Aufklärungspotenzial der Popkultur, welche vermeintlich allein daran beteiligt war, uns Informationen über „die Bronx“ (ebd.) zukommen zu lassen, allerdings schon. Angesichts der Übermacht der neokapitalistischen Ökonomie ähnelt dies dem romantischen Entwurf einer wirkmächtigen Kultur als Korrektiv aller gesellschaftlichen Folgekosten der Ökonomie. Pop und Populärkultur – wie definiert man sie also, ohne Objektsprache und Metasprache miteinander zu vermischen, wie es etwa geschieht, wenn, um einen der zahlreichen Erklärungsversuche „der“ Popkultur heranzuziehen, Popkultur als ein Spannungsfeld aus „Polyvalenz“, „Postmodernität“, „Polykontextualität“ und „Pynchon“ (vgl. Bonz 2001: 11) konzeptualisiert wird und der eigentliche Gegenstand so mehr verschleiert als erhellt wird? Eine praktikable Heuristik für die Beschreibung bieten ästhetisch-qualitative, quantitative und soziopolitische Perspektiven und Fragestellungen, die im Folgenden diskutiert werden sollen. (Vgl. Grossberg 1999: 223)

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Ästhetik Popkultur wird aus einer ästhetisch-qualitativen Perspektive als alltagsbezogener und körperbetonter 1 Gegenentwurf zur elitären und aufgrund des Zwangs zur distanzierten Aneignungsweise als körperfeindlich empfundenen Hochkultur definiert. (Vgl. Mayer 2001: 514f) Jene wird wiederum mit dem Verweis auf den distanzierten Anspruch und die ästhetische Professionalität – ob in Musik, Film, Literatur – als Hochkultur legitimiert. Eine weitere Form der Legitimierung stellt darüber hinaus die „Bildung“ dar, die der Hochkultur zugesprochen wird und insbesondere in Deutschland durch den Verweis auf einen der letzten großen Ursprungsmythen – Deutschland als (im Verfall begriffene) Bildungsnation – so überzeugend wirkt. Die bildende Funktion der Hochkultur wird (etwa in Form von Kanonisierung) innerhalb der Bildungssysteme fortgeschrieben, was zu schulisch erworbenen Beurteilungskategorien führt: Gebildet ist, wer die legitime Hochkultur kennt, die legitime Hochkultur kennt, wer gebildet ist, und wahrlich gebildet ist, wem diese Fragen kein Kopfzerbrechen bereiten und der sich in beiden Sphären bewegt. (Vgl. Bourdieu 1973, 1987) Allerdings verkennt diese ästhetisch-qualitative Sicht auf der einen Seite, dass Anspruch (wie im Folgenden ersichtlich wird) eine soziale Kategorie und eine historisch entstandene Regel innerhalb des Feldes kultureller Produktion darstellt. Auf der anderen Seite werden aus der Perspektive der legitimen Kultur die Anforderungen unterschätzt, die in der Sphäre des Populären herrschen. Ob Pop- oder Hochkultur – wer an einem der Pole reüssieren will, muss gleichermaßen spezielle Fähigkeiten beherrschen, die in der Regel eine lange Einübungszeit voraussetzen. (Vgl. Frith 1992: 175) Selbiges gilt für die Rezipienten, die auch innerhalb der Populärkultur über ein „populärkulturelle[s] Kapital“ (Fiske 1987: 313) verfügen müssen, um Anspielungen und Adaptionen aus der Hochkultur nachvollziehen zu können. Popkultur und Hochkultur definieren sich somit insgesamt wechselseitig. Nicht nur, dass sie beide aufeinander bezogen sind, vielmehr werden beide durch die Existenz des Gegenbildes modifiziert. Popkultur strukturiert die Hochkultur, indem sie ihr als Negativbild dient, von dem sich die Hochkultur zu unterscheiden hat, so dass dieselbe dadurch verändert wird. Dies lässt sich auch gemäß der hier verwendeten Feldtheorie als feldinterner Positionierungskampf innerhalb des kulturellen Feldes auffassen und verweist so auf die dort herrschende dominante Opposition. Aufgrund dieser Positionierungskämpfe ist auch die Trennung zwischen Pop- und Hochkultur keine Unterteilung, die über die intrinsischen Eigenschaften der Kulturgüter getroffen wird. Elemente aus der Popkultur können ungeachtet ihres Inhalts oder ihrer Form mühelos in die Sphäre der Hochkultur gelangen, wenn die Beschaffenheit des Feldes und die „Konsekrationsinstanzen“ (Bourdieu 1999: 356) dies ermöglichen. Das führt dazu, dass die Bedeutung eines Kulturprodukts sich im Laufe der Zeit signifikant verändern kann.

1

Die im weiteren Verlauf verdeutlichte körperliche Komponente der Popkultur steckt bereits lautmalerisch im Verb „to pop“ – Pop sei das, was knallt. (Vgl. Hermand 1971: 13)

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Quantität Mit dieser Unterscheidung wird auch die Frage nach den quantitativen Verhältnissen zwischen den Konsumenten der Hoch- und Popkultur aufgestellt. Aus der Perspektive der Hochkultur sinkt der Wert der Populärkultur nicht nur wegen ästhetischer Eigenschaften, die eine distanzierte und zum Selbstzweck gewordene Aneignung der Werke verhindern (sofern sie nicht durch o.g. Instanzen aufgewertet werden), vielmehr wird ihr Wert entlang der Seltenheit der Güter, des exklusiven Zugriffs und der Relation des Konsumenten zum Werk und zu anderen Konsumenten des Werks (und deren Zahl) bemessen. Popkultur ist also dann „wertlos“, wenn sie zu körperlich oder karnevalesk ist, ohne dass dies als überhöhtes Stilelement dient, oder wenn sich auf sie die Aufmerksamkeit von Akteuren richtet, die schlichtweg zu zahlreich sind oder als degoutant gelten. Dass das eine Grund für das andere ist, verweist einerseits prinzipiell auf eine „zeitlose Soziodizee“ (Bourdieu 1987: 731), d.h. auf die bürgerliche Furcht vor Nivellierung durch die schiere Existenz hemmungsloser Massen (siehe etwa le Bon 1982). Zugleich führt dies eine grundlegende herrschende Beurteilungskategorie für die existierende soziale Welt vor: herausragende Persönlichkeiten und Kopfarbeiter auf der einen, graue Masse und Handarbeiter auf der anderen Seite. Andererseits zeigt sich, dass Kulturgüter, die in der Aufmerksamkeitsökonomie erfolgreich sein wollen, nicht nur eine bestimmte Quantität an Zuwendung benötigen, sondern auch eine bestimmte Qualität, die sich an der Qualität der Aufmerksamen messen lässt. Oder anders: Wer will schon, dass das eigene Lieblingswerk von Akteuren geschätzt wird, mit denen man selbst nichts zu tun haben möchte? Diese quantitative Perspektive nimmt die Etymologie des Begriffes Pop (aus dem lateinischen populus stammend) wörtlich und fasst Popkultur als volkstümliche bzw. Massenkultur auf (im Sinne einer populären und daher verbreiteten Kultur). Sie orientiert sich letztendlich an den externen Relationen eines Kulturguts, d.h. an Marktindikatoren oder „Aufmerksamkeitsdividenden“ (in Anlehnung an Georg Francks ökonomische Terminologie; vgl. Franck 1998) wie Verkaufszahlen oder Einschaltquoten, kann jedoch nicht erklären, was Konsumenten mit ihren Kulturprodukten eigentlich verbinden. Damit entgehen dieser Perspektive die verschiedenen Aneignungsformen der Konsumenten, etwa die kultische Verehrung des aus quantitativer Sicht Unpopulären, und die Gründe für die Auf- und Abwertungsbewegungen, denen Kulturgüter innerhalb des Feldes kultureller Produktion ausgesetzt sind. Zudem setzt diese Deutungsform alle Popformate gleich, ohne die fundamentalen Unterschiede zu beachten, die (um einen besonders drastischen Kontrast zu wählen) z.B. zwischen der Volksmusik und dem Heavy Metal herrschen. Beide gelten so als Massenkultur, die sich gleichermaßen gut verkauft. Mit dem Begriff Massenkultur gelangt man zudem in die soziopolitische Dimension der Deutung von Popkultur, die sich oft entlang der Gegensatzpaare Masse vs. Individuum, egalitär vs. distinguierend, Rebellion vs. Affirmation, Oberfläche vs. Tiefe, Körper vs. Geist, authentisch vs. gekünstelt sowie noch weiterer Gegensätze bewegt. So betrachtet wird die Populärkultur oft als Kleinkultur definiert, als Kultur en miniature (vgl. Bourdieu 1987: 513-519), die deshalb als illegitime Kultur gilt, weil die prinzipielle Unterscheidung zwischen der Hoch- und

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Trivialkultur (s.o.) anhand der sozialen Qualität der Konsumenten sowie anhand ihrer habituell unterschiedlichen Zugänge zu den Kulturgütern getroffen wird. Dies ist Produkt der Autonomie des künstlerischen Feldes, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bekräftigt wurde. (Vgl. Frith 1999: 201f, Bourdieu 1999: 187f) Durch diese Autonomie entstand zugleich die o.g. Differenzierung der Konsumenten. 2 Hierbei muss festgehalten werden, dass die Unterscheidung und Abgrenzung durch den Konsum von Kulturgegenständen keine Strategie darstellt, über die nur das Bürgertum verfügt. Zwar ist wahre Distinktion tatsächlich nur den Privilegierten vergönnt, die in allen Bereichen des Lebens ästhetische Kategorien anlegen können, Abgrenzungen über die Wahl der richtigen Kulturprodukte finden jedoch auch und gerade in der Popkultur statt, die zwischen den verschiedenen Formen des Mainstreams und des Undergrounds unterscheidet und dabei die grundlegende Ordnungskategorie (minderwertige) Masse vs. (herausragendes) Individuum reproduziert und ggf. auf die Geschlechterachse überträgt – der Mainstream, als minderwertigeres Produkt der Popkultur, wird so „weiblich“, der Underground, als hochwertigeres Produkt, dagegen „männlich“. (Vgl. Frith 1999: 206)

Pessimistische Kulturkritik und optimistische Affirmation Die Trennung zwischen illegitimer Kleinkultur und legitimer Kultur und (im Bereich der so betrachtet insgesamt „illegitimen“ Popkultur) zwischen Mainstream und Underground führt zu den politischen Implikationen der Definition von Popkultur. Popkultur kann dabei als Element und Austragungsort von Macht verstanden werden. Hierbei existiert eine Fundamentalopposition zwischen einer optimistischen und pessimistischen Lesart der Popkultur sowie eine Zwischenposition, die bestrebt ist, die gegensätzlichen politischen Theorien miteinander zu verbinden. Die Fundamentalopposition ist dabei eng an die Grundannahmen der kritischen Theorie der Frankfurter Schule gekoppelt. Die optimistische Sichtweise operiert dabei mit der These, Kulturkritik sei elitär und fasse den Konsumenten lediglich als Betrogenen (vgl. Frith 1999: 194f) auf. Die pessimistische Sichtweise befasst sich größtenteils mit der Organisationsform der Massenproduktion und der Psychologie des Massenkonsums. Hierbei muss zum einen festgehalten werden, dass die optimistische Lesart in einigen Bereichen der Cultural Studies zu einer Affir2

Frith geht dabei, in Abgrenzung etwa zu Pierre Bourdieu, von klassenübergreifenden Kulturgütern aus (deren Möglichkeit Pierre Bourdieu jedoch nicht geleugnet hat). Doch auch vordergründig klassenübergreifende Kulturgüter lassen sich zur Distinktion instrumentalisieren. Ein Akademiker, der Rockmusik schätzt, unterscheidet sich durch seinen Zugang wie durch seine objektive Position von anderen Konsumenten. Seine Rockmusik signalisiert z.B. eine ironische oder bilderstürmerische Unangepasstheit, die bei durchschnittlichen Konsumenten nicht vorhanden ist. Auch dies verdeutlicht die Tatsache, dass die Bedeutung eines Kulturguts wesentlich von der Aneignungsweise abhängt. Ein besonders eindeutiges und mithin befremdlich bis unfreiwillig komisch wirkendes Beispiel für diesen Effekt stellt der im Mai 2006 am Frankfurter Institut für Sozialforschung stattgefundene Bob Dylan-Kongress dar, in dessen Rahmen die politische Relevanz Bob Dylans von Politikwissenschaftlern und Soziologen diskutiert wurde. Kaum eine Praxisform ist distinguierender als „ernsthaftes Spielen“.

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mation tendiert, welche bis zur Umkehrung der Kulturkritik reicht und in jeder Form der Populärkultur, selbst in den passiven Formen des Berieseltwerdens, ein Zeichen des Widerstandes zu erkennen glaubt. So beschreibt der britische Kulturwissenschaftler John Fiske (1993: 3-35) in seiner Untersuchung, wie amerikanische Obdachlose die Kulturgüter, die man in adornistischer Diktion als Massenbetrug definieren würde (der Film Stirb langsam und Hustler-Magazine), gezielt „gegen den Strich“ lesen und leitet daraus ab, dass selbst diese Gegenstände das Potenzial für Protest besäßen: „The hero’s ‘silent’ plea to the villains in Die Hard not to fire the second rocket at the disabled police vehicle and the shelter’s banning of pornography are examples of the same knowledge (of ‘good’ ethical values) being put into discourse: so cheering the villains’ rejection of the plea and reading Hustler under the covers of Life are moments of resistance to the power of that knowledge and to its application.“ (Ders.: 18, Hervorhebung von T.K.)

Innerhalb dieser konkreten Situation scheint das Resistenzpotenzial gegenüber der Institution „Obdachlosenasyl“ klar zu sein, ebenso die subjektive Befriedigung, welche die geschilderten Obdachlosen bei der symbolischen Bestrafung verhasster Akteure und anderer Institutionen wie der Polizei empfinden. Doch bleibt diese Strafe eben rein symbolisch und (siehe weiter unten) folgenlos. An der Situation der Obdachlosigkeit ändert sich auch durch das Lesen von Hustler und einen gegen den Strich gesehenen Film nichts, im Gegenteil: Sie wird ggf. bloß erträglicher. Auf den Punkt gebracht wird dieser Einwand in Jost Hermands Polemik, Leslie Fiedler und „die“ Postmoderne betreffend: „Diese Gruppen wollten seit dem Siegeszug der New Yorker Pop Art endlich am Samstagnachmittag mit einer Coke und einem Hotdog einem Baseball Game zusehen und sich außerdem an Comix, Western, Ratespielen, Situation Comedies, Krimis oder Pornos delektieren, ohne dabei ein ‚schlechtes Gewissen‘ zu haben.“ (Hermand 2004: 60)

Zum anderen muss auch hinzugefügt werden, dass der Vorwurf des Elitismus auch durch einer einseitige, oft Anekdoten (etwa über die Ablehnung von Jazz und Popkultur) produzierende Exegese der kulturkritischen Schriften Adornos bzw. Horkheimers zurückzuführen ist, die mitnichten „alle Formen tonal-klingender Musik schärfstens verurteilte[n] und nur den dissonanten, rätselhaft-verhässlichten Ausdruck der totalen Vereinzelung gelten ließ[en].“ (Hermand 2006: 201) Die These, Adorno habe das Massenhafte als das Schlechte denunziert (vgl. Frith 1999: 193 oder Dörner 2000: 67ff), das Unverkäufliche gefeiert bzw. durch den Fokus auf absolut hermetisch-geschlossene Kulturgegenstände letztendlich den bürgerlichen Distinktionstraum und Massenekel bedient 3 , ist zumindest in dieser Schärfe nicht haltbar und aufgrund der lockeren argumentativen Verfügung über „die“ angeblich doch nicht betrogenen Massen bereits selbst ideologisch vorbelastet. Hier ist sicher 3

So etwa bei Hermand: „Immer wieder wird hier, wie in Adornos Minima Moralia, nur das ‚beschädigte‘ eurozentrisch-bürgerliche Ich bedauert, während die in aller Welt tatsächlich Unterdrückten, Verarmten, Behinderten, Ausgebeuteten und Rechtlosen kaum beachtet werden.“ (Hermand 2004: 55)

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nicht der Ort, der gescholtenen kritischen Theorie zu neuem Glanz zu verhelfen. Gerade die im weiteren Verlauf an Beispielen explizierten Schnittstellen von Popkultur und der Hegemonie des „new capitalism“ lassen das, was als Pessimismus Adornos bezeichnet wurde und wird, etwa die Absorptionsfähigkeit kultureller Dissidenz betreffend, im neuen bzw. (je nach Standpunkt) im „alten“ Licht erscheinen. So war sich Adorno des bürgerlichen Elitismus sicher bewusst, der darin besteht, das Massenhafte und Warenförmige als Verfall zu brandmarken. Solche Urteile kommen jedoch daher, dass man als Kulturkritiker entweder die (bürgerlichen) Kulturideale zugrunde legt oder sich als distanzierter, ideologiekritischer Beobachter wähnt, sei es als konservativer Bewahrer alter Ideale wie „Geist, Leben, Individuum“ (Adorno 1977a: 16), sei es als linker Kritiker, der Kulturschaffenden mit hohem intellektuellen Aufwand bürgerlichen Konservatismus unterstellen will. In beiden Fällen wird dabei aus der Warte des (potenziell: zynischen) überlegenen Philosophen argumentiert, in beiden Fällen liegt der Sicherheit des Urteils die gesellschaftliche Teilung in geistige und körperliche Arbeit zugrunde. Kulturkritik, die elitär gegen die Vermarktung der Kultur ins Feld zieht, „verfährt [so] nach dem Schema der reaktionären Sozialkritiker, die das schaffende gegen das raffende Kapital ausspielen“ (ders.: 19), während auch die Kritik am kulturellen „Luxus, Snobismus [oder] highbrow“ (ebd.) dieser Verdinglichung verhaftet bleibt. Wenig überzeugend ist schließlich das oft vorgetragene Argument, die kritische Theorie sähe den Konsumenten als hilflosen Betrogenen, welcher der Übermacht der Kulturindustrie nichts entgegenzusetzen habe. Zum einen hob Adorno selbst hervor, dass erst die Massenproduktion zur Autonomie der Kunst führte. Zum anderen sah Adorno wie manche Theoretiker aus dem Umfeld der Cultural Studies (Lawrence Grossberg, Stuart Hall) die Möglichkeit, eine Massenkultur etablieren zu können, die tatsächlich von Massen hergestellt wird und nicht für Massen am Reißbrett konzipiert wird. So zeigten bereits die zur Lebzeit Adornos am Frankfurter Institut für Sozialforschung durchgeführten empirischen Studien, dass Konsumenten mitnichten jede vorgesetzte Trivialität einfach hinnehmen: „Was also die Kulturindustrie den Menschen in ihrer Freizeit vorsetzt, das wird [...] zwar konsumiert und akzeptiert, aber mit einer Art von Vorbehalt, Ähnlich wie auch Naive Theaterereignisse oder Filme nicht einfach als wirklich hinnehmen.“ (Adorno 1977b: 655) 4 Das Bild des hörigen Fernsehzuschauers, der von Fernsehserien zum Passivsein gezwungen wird, ist für die heutige Zeit sicherlich nicht aufrecht zu erhalten. So expliziert Andreas Dörner (2001) in seiner Studie Politainment (ebenfalls in Abgrenzung zu den Thesen Adornos), dass die als flach und trivial bezeichneten Seifenopern und Fernsehserien durchaus erstrebenswerte Bilder transportieren (wobei gerade die oft als „politisch korrekt“ diffamierte Lindenstraße zu gewollt politisch sei): Zivilcourage, politische Partizipation und Agitation bis hin zur Subversion sowie die Toleranz gegenüber Minoritäten. Ferner seien etwa die oft kritisierten politischen Talkshows durchaus inklusiv, da sie daran beteiligt seien, Politik überhaupt sichtbar und 4

Allein aus hegemonieheoretischer Perspektive dürfte es unwahrscheinlich sein, dass ein derartiger massenmedialer Betrug bruchlos funktionieren könnte, da zur Gewinnung und Aufrechterhaltung von Hegemonie Differenz (unter dem Schirm eines allgemeinen Konsenses) notwendige Bedingung ist.

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erfahrbar zu machen und Anschlusskommunikation zu ermöglichen. Das Gegenteil der Verdummungsthese sei also der Fall – Fernsehen erziehe nicht zum Passivsein, sondern durchaus zur Aktivität. (Vgl. auch Dörner 2000: 72) Dieser „Kritik der Kritik“ entgehen jedoch zwei entscheidende Elemente. Zum einen, dass die o.g. Werte auf einen anderen Modus der Subjektkonstitution verweisen, zum anderen (daran angeschlossen) der gesamte DiskursMacht-Komplex, in den die Erzeugnisse der Massenmedien eingebunden sind. Schematisch (vgl. Opitz 2004: 92ff): In der fordistischen Epoche galten Subjekt und Subjektivität als potenzieller Störfaktor, der unter Kontrolle gehalten werden musste. Dementsprechend fokussierten die in jener Zeit entstandenen Schriften zur Kulturindustrie die passiven, betrogenen Subjekte. Der heutige Modus von Subjektivität lässt sich unschwer an den Anrufungen ablesen, „aktiv“ zu werden oder sich „aktivieren“ zu lassen. Subjektivität und Eigensinn werden somit nicht als Fehlerquelle, sondern als zu aktivierende Ressource betrachtet. Die o.g. positiven Eigenschaften, so sehr sie auch einen Freiheitsgewinn gegenüber dem Idealtypus des passiven Betrogenen darstellen, lassen sich somit durchaus als die in der Ökonomie geforderten soft skills denken, mit denen Subjekte effizienter kontrolliert bzw. zur Selbstkontrolle angehalten werden können, als durch einen „kulturindustriellen Leviathan“. Schließlich entgeht dieser eher optimistischen Sichtweise, wie sehr die Produkte der Kulturindustrie in die Grenzen des Sag-, Denk- und Verhandelbaren eingebunden sind. Die Frage, die hierbei zu stellen wäre, könnte lauten: Was wird in den zur Aktivität anleitenden Produkten verhandelt bzw. was kann dort verhandelt werden und was nicht? Sicherlich konnte die Auseinandersetzung um die kritische Theorie hier nur bruchstückhaft wiedergegeben werden, genauso evident dürfte es sein, dass die häufig kritisierte Perspektive eines allwissenden Philosophen, der angibt zu wissen, was für die Allgemeinheit „gut“ sei, mehr als nur problematisch ist und der Illusion eines vollends distanzierten Blicks aufsitzt. Interesselos kann jedoch auch die Kritik der kritischen Theorie nicht sein, die in ihrem Optimismus darüber, dass die Kulturindustrie ja immerhin Handlungsorientierung und Entlastung ermögliche, nicht mehr entschieden genug nach deren integrativer Funktion fragt. Diese Frage dürfte heutzutage vor dem Hintergrund kulturalistischer Gesellschaftstheorien und kulturalisierter Ökonomie aktueller denn je sein.

Subversion und Protest Die Zwischenposition versucht diesem kulturkritischen Dilemma zu entgehen und sieht in der Popkultur den Ort, an dem sich verschiedene politische Möglichkeiten realisieren lassen, so dass die Popkultur zunächst politisch indifferent erscheint und sich sowohl emanzipativ als auch repressiv nutzen lässt. Ausgehend von den Theorien Stuart Halls definiert Lawrence Grossberg Popkultur als Ort von Kämpfen, durch die Gruppen und Identitäten geschaffen werden. (Vgl. Grossberg 1999: 215-237) Popkultur sei eine „Arena von Zustimmung und Widerstand“ (Hall 1981, zit. nach Grossberg 2000a: 57), die sowohl den Ort als auch den Einsatz im Kampf für oder gegen die Kultur der Mächtigen darstelle. In Nähe zu Bourdieus Gesellschaftstheorie fasst Grossberg Popkultur als Mittel auf, sein Alltagsleben zu artikulieren, je nach Beschaffenheit der Möglichkeiten, die sich einem habituell geprägten Geschmack zu einem bestimmten Zeitpunkt bieten. Popkultur werde so wie

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jeder Teil von Gesellschaft aktiv durch Akteure erzeugt: Der popkulturelle Idealtyp, der Star, entsteht erst dann, wenn sich die Augen der Vielen auf ihn oder sie richten. (Vgl. Franck 1998: 167) Diese Konflikttheorie distanziert sich somit davon, Popkultur per se als Befreiung oder als bloßen Betrug zu betrachten. Sie interessiert sich für die Affekte, die durch Popkultur geweckt werden, wertet jene jedoch nicht als bloßes „Vergnügtsein“ (Horkheimer/Adorno) ab. Der als einseitig empfundenen Kulturkritik wird dabei prinzipiell entgegengehalten, die Popkultur zu sehr zu intellektualisieren und sie so ihrer tatsächlichen Bedeutung zu berauben. Denn einem Großteil der Bevölkerung 5 bedeute Pop sehr viel: Angesichts der Emphase, welche Popkonsumenten für ihre Lieblingsprodukte empfinden, sei es vermessen, sie bloß als Betrogene zu diskreditieren, denen das „Wahre“ oder „Echte“ vorenthalten wird. (Vgl. Grossberg 1999: 224f) Gegen die Stigmatisierung der Affekte, die nicht so irrational und unergründbar seien, wie es ein Teil der Wissenschaft annehme, spreche zudem die Tatsache, dass die Energie, Leidenschaft und Zuversicht, die aus der Popkultur entnommen werden kann, im Sinne der Theorie des Empowerments als Handlungsanleitung für die Selbstbestimmung des eigenen Lebens verstanden werden kann. Affekte, eine schwierig zu operationalisierende Einheit, werden hierbei als nicht-libidinöse Besetzung von Dingen und Praktiken aufgefasst, die einem Akteur keine dauerhafte Befriedigung verschaffen und dadurch sowohl Stabilität als auch Beweglichkeit ermöglichen. Stabilität entstehe durch affektive Bindung zu bestimmten Produkten und Praktiken (im Idealfall als Fan), Bewegung durch die permanenten Verschiebungen und Veränderungen der angebotenen und konkurrierenden Praktiken. Menschen definieren Teile ihrer Identität durch Popkultur, erholen sich mit ihr und gewinnen Zuversicht durch sie – und dabei potenziell die Fähigkeit, Kritik zu Artikulieren und die Fähigkeit, die Intentionen der Medienproduzenten durch eigene Aneignungsweisen zu durchkreuzen. So bestand die Hoffnung, sie für sozialistische Bewegungen zu nutzen, um über das Vehikel Popkultur die unmittelbaren Probleme der Menschen thematisieren können und um sie dort aufzusuchen, „[...] wo sie berührt, gepiesackt, bewegt und frustriert werden und angewidert sind [...].“ (Hall, zit. n. Grossberg 1999: 226) Doch paradoxerweise sei es gerade die neue Rechte, welche die Möglichkeiten der Popkultur für sich genutzt habe. Mit ihrer Ausstrahlungskraft eigne Popkultur sich dazu, als Mittel zur Herstellung und Bewahrung diskursiver Hegemonie eingesetzt zu werden. Wenn Menschen einen Teil ihrer Identität durch Popkultur gewinnen, so bestehe die Gefahr, dass jene ihre prinzipiell vorhandene Fähigkeit zur Progression verliert. Die Ermunterung, sich über das Politische Gedanken zu machen und in das Politische zu investieren – all die Möglichkeiten wurden, so Grossberg, aktiv aus der Popkultur getilgt, während es progressive Kräfte versäumt hätten, sich

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Hier muss hinzugefügt werden, dass dies nur für Industrienationen gilt. Diese global-sized village mit ihrer egalitären popkulturell-konsumistischen Community wie sie etwa Marshall McLuhan beschrieb und welche einst z.B. auch die Techno-Szene für sich beanspruchte (vgl. Holert/Terkessidis 1996: 8) fasste Jost Hermand bereits 1971 als ideologische Unterfütterung eines popkulturellen Marketings auf – zu einem Zeitpunkt also, als globalisierte Werbekampagnen und Leitbilder wie Nike noch nicht in dem Maße wie heute für sich beanspruchten, weltweite Identifikationsfigur zu sein. (Vgl. Hermand 1971: 174)

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aus dem Reich der Theorie in die Sphäre des Populären zu begeben. (Ders.: 65-74) Die Subversion, die Pop theoretisch bieten könnte, verschwindet in diesem Bild somit. Zum einen unterliegt dieses Potenzial dem Dilemma, dass jede Form der Popkultur, sei sie nun dissident oder angepasst, immer in einem kapitalistischen Rahmen stattfindet. Jedes radikale Werk, will es nicht ausschließlich die Konsumenten bedienen, die solcherlei „Aufklärung“ eigentlich nicht nötig hätten, muss massenhaft produziert und verkauft werden, um die darin enthaltene Kritik wirkungsvoll verbreiten zu können. (Vgl. Gurk 1996: 21) Getreu der Aufmerksamkeitsökonomie gilt: Was nicht massenhaft verbreitet ist, und dies geschieht in der Regel über Massenmedien, existiert nicht. „Sein ist Wahrgenommenwerden.“ (Franck 1998: 178 in Anlehnung an den Empiristen George Berkeley) Zum anderen lässt sich beobachten, dass die Autonomie kultureller Produktion tendenziell eher sinkt als steigt und dass für die Kulturindustrie, welche gezwungen ist, ihre Produkte zu erneuern und Innovationen zu bieten, ein defizitärer Underground das Gegenstück zu industriellen Forschungslabors darstellt. Dort werden neue Verfahren erprobt und Prototypen entwickelt, die im Falle des Markt- und Aufmerksamkeitserfolgs in den Mainstream aufgenommen werden können (vgl. Gurk 1996: 24-34), inklusive kontrollierter künstlerischer Empörung und symbolischer Proteste. Diese „Politisierung von Konsum“ (Frith 1996, zit. n. Klein 1999: 124) überrascht nicht angesichts der im Zuge des Postfordismus beobachtbaren Tertiarisierung der Produktion, die von Diagnosebegriffen wie Wissens- oder Informationsgesellschaft bzw. Consumer Society und Consumer Citizenship flankiert wird und in der passgenau zur Theorie, Politik sei als Markt modelliert (vgl. Downs 1968), marktgerechte politische Partizipation ohne übermäßige Investition in Aussicht gestellt wird. Die Beispiele für diese Vereinnahmung sind zahlreich: ein zum „feuchten Traum der Aufsichtsräte von Entertainmentkonzernen [transformiertes] Lollapalooza-Festival“ (Holert/Terkessidis 1996: 6), die warenförmige Nutzbarmachung einer weißen, postmodern-ironischen und konsumbewussten „Slacker-Bewegung“ (dies.: 7), die in einem „staatsförmigen Mainstream“ aufgegangene Love-Parade 6 , schließlich die Umwandlung der radikalfeministischen Riot-Grrrl-Bewegung, die eine Alternative zur „christlichen, kapitalistischen Lebensweise“ (Baldauf/Weingartner 1998: 26) suchte, deren ästhetischen Restbestände in Form der bewusst antifeministischen GegenGegenbewegung des „Girlies“ verarbeitet wurden. (Vgl. Holert/Terkessidis 1996: 8) Allerdings soll dies nicht bedeuten, potenziell kritikfähige oder konkret kritische Popkultur sei durch Vermarktung „verunreinigt“ worden. Der Mythos vom subversiven Pop kann selbst wiederum als Distinktionsversuch des gebildeten Mittelstands aufgefasst werden, der sich rebellische Gesten zu geringen Kosten zu verschaffen sucht. (Vgl. Klein 1999: 125f) Was Klein anhand der Auseinandersetzung um das kritische Potenzial der Technoszene diagnostiziert, überträgt Simon Frith auf die Analyse der Popmusik insgesamt: 6

Gabriele Klein (1999: 72ff) stellte diesbezüglich etwa durch Interviews fest, dass diese Techno-Bewegung sich de facto an kleinbürgerlichen Idealen orientiert: Politik sei nicht von Interesse, das Ideal sei das „Eigenheim im Grünen“.

50 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM „This sort of romanticism, still deeply implicated in the production and consumption of Anglo-American pop music, has always been tied up historically and ideologically with the figure of the African, a figure not just of white fear but also of white desire for two sorts of reasons: first, as the shocking, exotic, primitive other of bourgeois respectibility (hence the long history of white bohemian fascination with black music, a fascination which could easily be coded as rebellion, symbolized by the weirdly racist idea of the White Negro). Second, as ‘nature’ as opposed to ‘culture’, a means of access to the pre-social, to ‘innocence’ (defined against the civilized, the sophisticated, the rational, the controlled – this is the recurring theme of white pop criticism). [...] White boys just want to have fun.“ (Frith 1992: 180f)

Ähnlich argumentiert auch Douglas Kellner, wenn er den allzu affirmativen Zweigen der Cultural Studies einen „Fetischismus des Widerstands“ (Kellner 1995: 33) unterstellt. Die Unterteilung in eine wilde, ungezügelte und körperliche Popkultur und der zu überwindenden, geistig-distanzierten Hochkultur wird somit weiter fortgeschrieben. Gilt für den privilegierten geistigen Arbeiter der Körper als etwas, zu dem man einen souverän distanziertes und potenziell verschämtes Verhältnis an den Tag legt, so ist mit der demonstrativen Umkehrung nichts „gewonnen“. Adorno bezeichnete dies in seiner Minima Moralia liebenswert-aphorisierend als „amor intellectualis zum Küchenpersonal“ (2001 [1951]: 35): Der Versuch der Aufwertung verdeutlicht, mit welchen Kategorien gemessen wurde, die nun nur mit einem anderen Vorzeichen versehen werden. Es ist ein radical chic, der doch nur offenbart, das hier ein Gegenstand rehabilitiert werden soll, sich jedoch weder etwas am scholastic bias noch am Verhältnis zwischen dem Status des Beobachters und dem Status des Beobachteten ändert: „Der Kult der Unterklassenkultur [...] ist genauso eine Form von Essentialismus wie der Klassenrassismus, der die Praktiken dieser Klassen auf Barbarei reduziert – und dessen falsch radikale Umkehrung jener Kult oft nur ist [...].“ (Bourdieu 1998: 214) Diese Trennung zu überwinden, ohne die zu ihr gehörenden Beurteilungskategorien selbst anwenden zu müssen, bestünde etwa darin, die biologische Gleichheit aller menschlichen Körper zugrunde zu legen. Zöge man dann den geistigen Bedeutungsüberschuss ab, den Intellektuelle in ihre Kulturgüter einführen und der ihnen in Form des Decodierens genau jene körperliche Freude und Zufriedenheit verschafft, welche zuerst durch Distanz negiert wird, so bliebe etwas übrig, das alle Konsumenten miteinander verbindet: die Affektion – das körperliche Empfinden von Freude beim Genuss eines wie auch immer gearteten schönen Gegenstands. (Vgl. Frith 1999: 210f) * Die ästhetische Definition der Popkultur verdeutlicht, dass jedes kulturelle Produkt ungeachtet seiner im „Phänomensinn“ (Panofsky 1980) beobachtbaren Eigenschaften aufgewertet und vereinnahmt werden kann, während die quantitative Perspektive die unterschiedlichen ästhetischen Eigenschaften und die verschiedenen Aneignungsweisen nicht erklären kann. Die radikale Orientierung an der Kulturkritik der Frankfurter Schule fasst Konsumenten als Opfer auf, denen popkulturelle Rebellion vorgegaukelt wird, um sie letzt-

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endlich zu integrieren und produktiver zu machen, während die allzu optimistische Lesart den Machtcharakter der Massenkultur unterschlägt und selbst im passiven Konsum der „zu Tode Amüsierten“ (Neil Postman) ein Dissidenzpotenzial zu erkennen glaubt. Die mittlere Position trägt den Sichtweisen beider Pole Rechnung und fasst die Popkultur als prinzipiell offene Arena für politische Betätigung auf. Der dabei mobilisierte Gedanke des Empowerments durch Popkultur ist jedoch sowohl ideologisch offen als auch kompatibel zur grundlegenden Konzeption des „new capitalism“. Empowerment stellt letztendlich einen Appell an die Eigenverantwortung dar, einem zentralen Dogma neokapitalistischer Reformrhetorik, und dient dazu, sich nicht machtlos zu fühlen und die eigenen Stärken produktiv zu nutzen. Die grundlegenden Machtasymmetrien bleiben jedoch weiter bestehen, was insbesondere dann sichtbar wird, wenn sich Akteure weigern, sich angemessen zu empowern und so zu „Neinsagern“, „Verweigerern“ und „Miesmachern“ werden. Alle Aussagen zeichnen sich zudem dadurch aus, dass sie innerhalb des „Spiels“ stattfinden. Sie verdeutlichen in der Auf- und Abwertung bestimmter Praktiken den Ernst, mit der die Kulturgegenstände gesehen werden und damit eine der elementaren Regeln des Feldes der Kulturproduktion selbst. Kulturproduktion ist zudem die Suche nach Profiten, ob in der materiellen oder der Aufmerksamkeitsökonomie: Wer sich darauf einlässt, will seine Position verbessern und von den anderen wahrgenommen werden. Am intellektuellen Pol sind dies die Wenigen, am kommerziellen Pol die Vielen, auf die es ankommt. Aussagen aller Beteiligten sind so in das Spiel eingeschrieben, wobei grundsätzlich gilt: „Man wertet, überschätzt oder vernachlässigt Kunstrichtungen und künstlerische Schöpfungen der Vergangenheit je nach den Zielsetzungen und Wertmaßstäben der eigenen Gegenwart.“ (Hauser 1988: 259) – wozu auch die eigenen Taktiken und Erfolgsaussichten innerhalb des Feldes zählen. Keine der Perspektiven kann das Phänomen Popkultur hinreichend erfassen, die bisherigen Erklärungsstränge erhellen jedoch die Feldeffekte und Kämpfe, in denen Popliteratur möglich und erfolgreich wurde. Erst vor dem Hintergrund dieser verschiedenen Perspektiven kann dieser Effekt nachvollzogen werden.

Das Populäre und die Literatur: historische Rekonstruktion einer Transformation des literarisch „Sagbaren“ „Die Legende von dem einzigartigen historischen Beruf der Jugend ist überhaupt eine Erfindung der romantisch-naturalistischen Kunstperioden und war zuvor unbekannt.“ (Hauser 1988: 133)

Wenn Popkultur als Befreiung, Betrug oder abstraktes Potenzial definiert werden kann, liegt es nahe, ähnliche Kategorien auch an die Popliteratur anzulegen, die sich popkultureller Verfahren bedient. Eine Unterscheidung, die in den feldinternen Auf- und Abwertungsbestrebungen dabei häufig getroffen wird, ist die Unterteilung in eine rebellische Frühform von Popliteratur und eine „verflachte“ Spätform. (Vgl. exemplarisch Gansel/Neumeister 2003:

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185) Ebenso lässt sich die für die Popkultur typische Trennung von Mainstream und Underground feststellen (vgl. Ernst 2001: 67), in der gemäß der Regeln der umgekehrten Ökonomie (vgl. Bourdieu 1999: 227-283) der Underground als unabhängig aufgefasst wird, da er sich vermeintlich einer direkten ökonomischen Verwertbarkeit entzieht, während der ökonomisch erfolgreiche Mainstream bloß Massenware bleibt, die von den „Uneingeweihten“ konsumiert wird. Die fundamentale Opposition zwischen Unterhaltung und Ernsthaftigkeit, von letzterer fühlen sich die Ernsten ernsthaft unterhalten, bzw. zwischen Geld und Kunst, wird in der Sphäre der Populärliteratur insgesamt und insbesondere in der Popliteratur homolog wiederholt: „[...] mit der legitimen hat die Gegen-Kultur gemeinsam, dass sie ihre Prinzipien unausgesprochen läßt [...], und sie vermag ebenfalls Distinktionsfunktionen zu erfüllen, indem sie fast allen die Distinktionsspiele, die erlesenen Posen und andere äußere Zeichen inneren Reichtums zugänglich macht, die bisher zur Domäne der Intellektuellen gehörten.“ (Bourdieu 1987: 583f)

Betrachtet man die ästhetisch-qualitative Dimension, so fallen zwar erhebliche formale Unterschiede 7 zwischen den frühen Texten der Popliteratur und ihren späteren Vertretern auf, als Äußerung innerhalb der dominanten Opposition des Feldes sind sie jedoch vergleichbar. Zwar ist der formale Unterschied z.B. zwischen den Texten Rolf-Dieter Brinkmanns und jenen von Florian Illies, Benjamin von Stuckrad-Barre oder Benjamin Lebert erheblich, die eingenommenen Positionen und ausgedrückten Relationen sind jedoch ähnlich: Überwindung oder Geringschätzung des Hochkulturschemas, Desinteresse an literarischen, ästhetischen und politischen Normen. Dass, um es vereinfacht zu sagen, etwa Thomas Meineckes unter dem Banner der Popliteratur durchgeführten Ausflüge in die Gender Studies und verschiedene Identitätstheorien (Tomboy und Hellblau) „gut“ seien, die Post-KiepenheuerLiteratur dagegen flach (vgl. Gansel/Neumeister 2003: 185), lässt sich damit erklären, dass die intellektuelle Popliteratur und jene, die sich stilistisch an ihren frühen Formen orientiert, nun selbst Teil der „Suhrkamp-Kultur“ (Ernst 2001: 67) geworden ist, die in der Frühphase der Popliteratur als der viel zu

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Formale Unterschiede zwischen Texten aus verschiedenen Epochen überraschen angesichts der kulturellen Veränderungen nicht. Obwohl sich abhängig vom Zustand der Gesellschaft und des Feldes „Konjunkturen“ der Stile und Themen feststellen lassen, gibt es keinen mechanischen Zusammenhang, der dazu führt, dass textuelle Gestaltungsmittel mit dem Entwicklungsstand der Gesellschaft Schritt halten müssten. Legt man die Homologie von Produktion und Konsumtion zugrunde, so liegt nach wie vor eine Trennung zwischen funktionalistischer und distinguierter Lektüre vor, d.h. die durchschnittliche Form der Aneignung von Literatur orientiert sich an Zwecken wie Unterhaltung, Bildung oder Informationsbeschaffung. Zweckfreie Lektüre findet bei entsprechend gebildetem und daher seltenem Publikum statt. Daher überrascht es nicht, wenn der Großteil literarischer Produktion auch heute im weitesten Sinne literarischrealistisch verfährt, da ein realistischer Stil sich den literarischen Beurteilungskategorien am wenigsten widersetzt und eine leichte Aneignungsweise ermöglicht.

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seriöse Fluchtpunkt galt (allen bekundeten Abneigungen gegenüber dem Hochkulturschema und ewig gültiger Weltliteratur zum Trotz). 8 In den folgenden Abschnitten wird die Geschichte der Popliteratur in ihren wesentlichen Zügen anhand einiger prägnanter Stationen skizziert. Ein Erklärungsansatz dafür, weshalb Texte wie Generation Golf (und ähnliche) sowohl in der Geld- als auch in der Aufmerksamkeitsökonomie erfolgreich waren, lässt sich den Traditions- und Konfliktlinien entnehmen, an die ein Text wie Generation Golf angebunden ist, sowie dem diskursiven Klima, in das er eingebettet war. Generation Golf stellt einen Punkt im literarischen Feld dar und steht zu jenem, seiner Geschichte, den darin ausgetragenen Kämpfen und den kämpfenden Akteuren sowie feldexternen Einflüssen in einer beschreibbaren Relation. Dieses Relationsgefüge ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

Frühphase: ästhetischer Protest der Avantgarde Obwohl Popliteratur meist mit Literatur jüngeren Datums, etwa der Literatur der 90er Jahre, in Verbindung gebracht wird, lässt sich der Beginn der frühen Popliteratur auf die 60er Jahre datieren, während sich die ästhetischen Wurzeln bis in die Zeit des Dadaismus zurückverfolgen lassen. Die frühe Popliteratur entstand im Umfeld der Popart und der amerikanischen Beatgeneration der 60er Jahre und orientierte sich an einem ästhetischen und moralischen Nonkonformismus. Als (für das damalige Verständnis) aggressive und obszöne Negation stellte etwa J.D. Salingers Der Fänger im Roggen ein anti-konformistisches Statement zum politischen Klima der McCarthy-Ära dar. Autoren wie Allen Ginsberg, Jack Kerouac oder William Burroughs führten Erschütterungen des bürgerlichen Selbstverständnisses herbei, indem sie explizite Sex- und Drogenerfahrungen thematisierten. (Vgl. Kramer 2003: 33f) Dabei wurden avantgardistische literarische Techniken verwendet, etwa die Technik des Cut Up 9 , die in zeitgenössischer Popkultur mittlerweile omnipräsent ist (z.B. in schnell geschnittenen und montierten Videoclips). Die ursprüngliche Radikalität dieser Technik wurde jedoch gemildert und gebrochen (ein Hinweis auf das Integrationspotenzial

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So ließe sich auch erneut auf das bereits erwähnte „popkulturelle Viereck“, in dem die ins Hermetische neigende Literatur Pynchons einen Eckpunkt darstellt, zurückommen, wenn es heißt, bei Pynchon habe „die Sprachartistik der P. [Postmoderne] einen Grad von Komplexität angenommen, der den großen Werken der literarischen Moderne (Don Passos, Döblin, Musil u.a.) nicht nachsteht“. (Schnell 2001: 425) Die gegen die Hochkultur ins Feld geführte postmoderne Literatur ist somit in den Höhenregionen gelandet, die zuvor bekämpft werden sollten. Konsequenterweise mokieren sich etwa Kritiker darüber, von Pynchons neuestem Werk Against the day (2006) pro Stunde maximal 18 Seiten zu schaffen. (Vgl. Müller 2006: 14) Das Cut-Up – Verfahren verfügt über eine lange Tradition, die bis in die Zeit des Dadaismus zurückreicht, und kann in verschiedenen Varianten durchgeführt werden. Diese Technik verwendet das Prinzip des Zufalls und der Improvisation, mit dem Ziel, die Linearität eines Textes oder eines anderen Materials aufzubrechen. So werden etwa gedruckte Textpassagen in ihre Bestandteile zerschnitten und rekombiniert, grammatikalische und inhaltliche Brüche werden dabei mit spontanen Improvisationen gefüllt. Paradigmatisches Beispiel für diese Technik ist etwa William S. Burroughs Naked Lunch.

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der modernen Kulturindustrie). Autoren- und Werknamen sollen hier dabei nicht im Sinne genialistischer Begründer oder Erneuerer verwendet werden. Vielmehr sollen sie als Marker innerhalb eines diskursiven Möglichkeitsraums verstanden werden, in dem virtuell angelegte und bereits mögliche Bewegungen, Positionierungen und/oder Stile umgesetzt wurden, die den Teilnehmern des Feldes als spontane Eruptionen künstlerischer Revolten erscheinen: „Künstlerische Kühnheiten, Neues oder Revolutionäres sind überhaupt nur denkbar, wenn sie innerhalb des bestehenden Systems des Möglichen in Form struktureller Lücken virtuell bereits existieren, die darauf zu warten scheinen, als potentielle Entwicklungslinien, als Wege möglicher Erneuerung entdeckt zu werden.“ (Bourdieu 1999: 372)

Dieser Möglichkeitsraum lässt sich grob umreißen, wenn man sich das Klima der 50er und 60er Jahre in den USA vor Augen hält: eine fordistisch organisierte Nachkriegsgesellschaft, geprägt von antikommunistischer Paranoia, in der für die geburtenstarken Jahrgänge erstmals die Früchte und Freiheiten kapitalistischer Produktion in Reichweite zu geraten schienen, welche bis dahin nur versprochen, aber selten eingelöst worden waren. In der Kulturindustrie, dem kulturellen Gegenentwurf zur verfemten Staatskunst des real existierenden Sozialismus, fand diese Generation dann sowohl die kapitalistischen Verheißungen als auch das Medium, um die eigenen Forderungen zu artikulieren. Die diskursive Ordnung wurde damit so weit modifiziert, dass innerhalb des literarischen bzw. kulturellen Feldes neue Taktiken möglich wurden, für die zu dem Zeitpunkt bereits ältere Autoren wie Kerouac, Ginsberg oder Burroughs neue „Formationsregeln“ (Foucault 1969: 1022) bereitstellten – danach konnte bzw. musste man nicht mehr (ausschließlich) so schreiben wie bisher. Feldtheoretisch lässt sich dies als gelungener Versuch auffassen, die Regeln des literarischen Feldes zumindest teilweise umzustoßen, die eigenen Regeln zu installieren 10 , d.h. den Zwang zum hohen Ton (Wahl der Themen und Stile), zur Reinheit (Homogenität der gewählten Gestaltungsmittel) und zur Distanz zu überwinden. Diese Regeln lassen sich als implizite Pflicht zur Zensur der eigenen Äußerungen verstehen, Popliteratur versprach dahingehend Freiheit, auch die Freiheit vor Verschlüsselung, die aus habitueller Rezipientensicht oftmals als bewusst in den Text implantierte Tiefgründigkeit wahrgenommen wird (was die Produktion hermetisch-kryptischer Texte wie Naked Lunch nicht ausschloss). Diese Künstlichkeit ist es, die von der frühen und späten Popliteratur als mangelnde Lebensnähe bezeichnet wurde: die Diskrepanz zwischen dem, was die etablierte Literatur durch ihr Evokationsvermögen sehen lässt und den tatsächlichen Vorstellungen von Realität auf Seiten des Lesers bzw. des popliterarisch verfahrenden Autors, der in dieser Logik einem vernachlässigten Realitätsbereich literarisch Geltung zu verschaffen sucht. Die Wahl der Gestaltungsmittel, d.h. der Sprechweisen, Orte und Darsteller der etablierten Hochkultur sei daher unrealistisch, lebensfern und (sozial) selektiv.

10 Dies schloss Gerichtsverfahren ein, mit denen die Freigabe der zunächst zensierten Texte erwirkt wurde.

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Der Fokus auf Lebensnähe stellt damit einen Verstoß gegen die zentrale Regel der Zweckfreiheit künstlerisch-literarischer Produktion dar und wirkt auf den ersten Blick anschlussfähig an die Programmatik des Naturalismus: zum einen als überzeitliche Darstellungsform, mit der die Realität durch Verwendung bestimmter Stoffe und Stilmittel abgebildet wird, zum anderen als literarische Epoche. (Vgl. Cowen 1973) Ersteres verweist auf die Tatsache, dass naturalistische Verfahren für den Großteil habitueller Geschmäcker nach wie vor die universelle Repräsentationsform darstellen, da sie aufgrund mimetischer Qualität eine Funktion aufweisen, die eben darin besteht, einen (deshalb nicht notwendigerweise realistischen) Sachverhalt abzubilden, d.h. etwas zu sagen. (Vgl. Bourdieu 1987: 81-85) 11 Der Blick auf den Naturalismus als Epoche verdeutlicht das grundlegende Dilemma kultureller Produktion mit wie auch immer geartetem sozialkritischem Impetus, der dem künstlerischen bzw. literarischen Gegenstand meist bloß „äußerlich“ bleibt. (Vgl. Bürger 1974: 123ff) Wie im vorangegangenen Kapitel am Kontrast zwischen pessimistischer Kulturkritik und optimistischer Subversionshoffnung angedeutet, besteht eine unauflösbare Spannung zwischen einer ästhetischen Totalverweigerung und einer naturalistischen Subversionsstrategie. Idealtypisch bedeutet dies, das rein ästhetischer Protest sich konkreten Aussagen verweigert und – neben der Tendenz zur kulturindustriellen Inklusion – damit Gefahr läuft, bloß eine Elite zu bedienen, indem die habituellen Beurteilungskategorien der Mehrheit ausgeschlossen werden. Allzu deutlicher Protest, bei dem naturalistisch-realistische Darstellungen überwiegen, verletzen im Gegenzug elementare Grundregeln des literarischen Feldes und verspielen den Zuspruch feldinterner Stichwortgeber und Meinungsführer sowie jener Konsumenten, die sich habituell an einem literarischen Ideal orientieren, das sie zwar selbst nicht (immer) interessiert, das sie jedoch als das legitime anerkennen. Pointiert ausgedrückt: Ästhetische Bilderstürmerei ist von den durchschnittlichen Beurteilungskategorien der Rezipienten oft so weit entfernt, dass sie als Beleidigung des guten Geschmacks angesehen wird. Im Gegenzug wird aufgrund feldinterner Regeln allzu direkte Parteinahme als unästhetisch, platt oder polemisch empfunden. Dieses prinzipielle Dilemma lässt sich anhand des Vergleichs der frühen popliterarischen und naturalistischen Programmatik explizieren. Mit dem Naturalismus als Epoche teilt die frühe und späte Popliteratur die Suche nach Authentizität, die sich in der Wahl authentischer Sprache (inklusive der Verwendung von Ellipsen oder Soziolekten), Orte und Charaktere ausdrückte. In beiden Fällen herrschte oftmals eine Suche nach Härte und Authentizität der Stürmer und Dränger vor. In beiden Fällen galt es, Gelehrten- (Naturalismus) bzw. Höhenkammliteratur (Popliteratur) zu überwinden, und beide verfügten über ein pessimistisches Welt- und Naturbild mit einer starken Tendenz zum Nihilismus (exemplarisch: Alan Ginsbergs apokalyptisches Gedicht Howl). 12 11 Ein Blick in aktuelle und vergangene Bestsellerlisten dürfte verdeutlichen, dass sich unter den Bestsellern der letzten Jahre kaum ästhetische Formexperimente finden lassen und die naturalistisch-realistischen Darstellungsformen dominieren. 12 Einige Ausführungen zur angeschnittenen Programmatik des Naturalismus: Natürlich soll hier weder die Parallele zwischen früher Popliteratur und Naturalismus überstrapaziert, noch eine Apologetik des literaturhistorisch vernachlässigten Naturalismus abgehalten werden. Ebenso wenig soll unterschlagen werden, dass der Naturalismus, wie wohl alle epochalen Ismen, sprung- und wechselhaft

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Mit der Parallelisierung zweier Bewegungen, auf der einen Seite der Naturalismus, auf der anderen Popart, Pop- und Beatliteratur, lässt sich das zentrale Dilemma künstlerisch-literarischer Subversion oder Sozialkritik verdeutlichen. Der Naturalismus litt unter dem Dilemma, dass er sich letztendlich nicht so recht zwischen distanziert-szientistischer Beschreibung und Parteinahme entscheiden konnte und eher Mitleid mit den von ihm porträtierten gefallenen Figuren zeigte. Auch aus Sicht der aufkeimenden Sozialdemokratie war er zu unentschlossen und mit formalen Experimenten beschäftigt, welche mit den an hehren Literaturidealen orientierten Beurteilungskategorien der arbeitenden Bevölkerung kollidierten, während der Naturalismus aus Sicht des Bürgertums bloß „Rinnsteinkunst“ (vgl. Mahal 1982: 164ff) darstellte. Ähnliches lässt sich über die künstlerisch-literarische Avantgarde im Klima der Popart und Beatliteratur feststellen. Einen Orientierungspunkt bietet dabei Peter Bürgers Theorie der Avantgarde (1974), wenn man sie von ihrem allzu kulturkritischen Gehalt reinigt. Wie jede Avantgarde betätigte sich auch die Beatgeneration als Vorkämpfer für die Etablierung neuer Feldregeln. Diese Feldregeln sind Produkt eines langwierigen Autonomieprozesses des Feldes der Kulturproduktion. Die Stationen dieses Prozesses 13 lassen sich folgendermaßen zusammenfassen (vgl. Bourdieu 1999: 83-227): Kunstproduzenten und herrschende Schichten unterlagen gleichermaßen (bedingt durch die Industrialisierung) den strukturellen Zwängen des Marktes. Damit war und z.T. völlig disparate Stile und Inhalte unter seinem Banner vereinte. Die Differenzen sind zahlreich, doch, wie im weiteren Verlauf deutlich werden wird, für das Verständnis der frühen und späten Popliteratur wichtig. Sie lassen sich auf die folgenden kontrastierenden Elemente zusammenfassen: Naturalismus und frühe Popliteratur verfügten beide über den Drang, Darsteller abzubilden, die in der legitimen Literatur unterrepräsentiert waren. Das Gegenstück zu der im Naturalismus abgebildeten kleinbürgerlichen Durchschnittlichkeit fehlt indes in der frühen Popliteratur, die sich auf die Erfahrungen der Beat-Generation stützte und den „langweiligen Durchschnitt“ gerade nicht zeigen wollte. In der frühen Popliteratur tauchen die „kleinen Leute“ allenfalls (in Deutschland etwa bei Rolf-Dieter Brinkmann) als spießbürgerliche Negativfolie auf (vgl. Baßler 2002: 164f), während in der Spielart der 90er Jahre, wie im weiteren Verlauf deutlich werden wird, die Sphäre des „einfachen Lebens“ allenfalls ironisch thematisiert wurde. Wo der Naturalismus die Lösung in kollektiver Aktion sah, vor deren Konsequenzen die eigenen Vertreter allerdings selbst zurückschreckten oder die sie nur bekenntnishaft vertraten (vgl. Mahal 1982: 136ff, Lukács 1945a: 462), zelebrierte die frühe und späte Popliteratur das Individuum: in Form zynischer Misanthropie wie etwa im Falle Rolf-Dieter Brinkmanns, in ironisch-ernsten Verteidigungen der Gewinner des Ellenbogenkampfes bzw. in charmanten Geschichten über das Scheitern an Überfluss, „Medienfraß“ (Seeßlen 2001: 7) und anderen zivilisatorischen Errungenschaften (was allerdings in allen Fällen literarische Zirkelbildung nicht ausschloss). Auf einen programmatischen Nenner gebracht: Wo der Naturalismus auf der Suche nach Naturwahrheit (Lukács 1945b: 455) war, suchte die frühe Popliteratur nach authentischem Lebensgefühl. 13 Diese Prozesse wurden am Vorbild des kulturellen Marktes Frankreichs entwickelt. In seiner Kritik zu den Regeln der Kunst merkte Hans-Edwin Friedrich (2001) an, dass sich die Erkenntnisse daher schlecht über diesen nationalen Raum generalisieren ließen. Mag die Entwicklung der feldinternen Regeln tatsächlich nationalspezifisch abgelaufen sein, so dürfte das gegenwärtige „Endprodukt“, etwa das Prinzip der umgekehrten Ökonomie, zumindest für den Raum westlicher Industrienationen universelle Gültigkeit beanspruchen.

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verbunden war eine Verbesserung der allgemeinen Bildung, die sowohl auf der Produktions- als auch der Konsumtionsseite zur Expansion des Marktes für Kulturgüter führte. Aushandlungsort dieses Marktes waren etwa (in Frankreich) Salons, in denen reiche Käufer, um ihr kulturelles Kapital bemüht, mit Kulturschaffenden zusammentrafen. Durch Konkurrenzverhältnisse, zusätzlich befeuert durch einen Journalismus, der die legitime von der illegitimen Kunst schied, bildete sich letztendlich ein eigenes Feld. Neuankömmlingen aus der „intellektuellen Reservearmee“ (Bourdieu 1999: 98) war es nur durch die Umkehr der Ökonomie und durch den bereits aus der Romantik bekannten Kampf gegen die Philister vergönnt, selbst Fuß im Feld zu fassen. Diese grundlegende Verneinung (einer politischen Stellungnahme, einer deutlichen Aussage, eines offensiv angestrebten ökonomischen Erfolgs usw.) avancierte zur dominanten Regel, die sich in Folge bis heute als implizite Anforderung an alle Teilnehmer richtet, die zwar nicht befolgt werden muss, zu der jedoch alle Teilnehmer eine Stellung einnehmen müssen. Nun lässt sich jedoch auch mit Peter Bürger sprechen, dass AvantgardeBewegungen durch die künstlerischen Autonomie auch diese implizite Regel kannten und ihrem avantgardistischen Streben dadurch gerecht zu werden versuchten, dass sie diese Regel zu brechen versuchten, indem sie sich das Ziel setzten, Kunst wieder in die gesellschaftliche Praxis zu integrieren und den Status des elitären Künstlers abzulegen. Bürger stellt hierbei die These von der Folgenlosigkeit der Avantgarde auf. Lässt man den darin enthaltenen kulturkritischen und gegen Unterhaltung gerichteten Fatalismus unbeachtet, lässt sich in der Tat die Frage stellen, wie viel vom radikalen Gestus der Avantgarde übrig blieb. Dies lässt sich an zwei dominanten Widersprüchen der Avantgarde-Bewegungen explizieren: dem Spiel mit der Allodoxie und dem Problem der kulturindustriellen Integration.

Spiel mit der Allodoxie Stilmittel der Avantgarde appellieren an Rezipienten, denen die Regeln des künstlerischen oder literarischen Feldes bekannt sind. Zugleich führt die Avantgarde die Beurteilungskategorien der Mehrheit bewusst in die Irre, die habituell auf legitime Kunstideale fixiert ist, um die bürgerliche Erbauung am Kunstwerk als die kollektiv geteilte Illusion zu demaskieren, die sie de facto ja auch ist. Ein Beispiel aus der bildenden Kunst stellen Marcel Duchamps Readymades dar (Alltagsgegenstände, etwa die berühmten Urinale, werden auf ein Podest gehoben und zur Kunst erklärt), literarisch lassen sich die hier behandelten Experimente der Beatgeneration dazu zählen. Das damit ausgedrückte Versprechen, Kunst so wieder ins alltägliche Leben zu integrieren, Elitismus und Spezialistenwissen zu überwinden, erweist sich dabei aber als trügerisch. Gerade Duchamps Readymades demonstrieren, bei gleichzeitiger „doppelt-ironischer“ Brechung, die reinste Form der charismatischen Ideologie und die Macht zur Konsekration, mit der ein Kunstwerk als Produkt eines genialistischen Schöpfers ausgewiesen wird: Duchamp, einer Künstlerfamilie entstammend, verfügte über genügend künstlerisches Wissen sowie Fähigkeiten, um sich die Freiheit erlauben zu können, Kunst künstlerisch negieren zu können. (Vgl. Bourdieu 1999: 222f, 273f, 391ff) War es auch dem ungeschulten Betrachter zuvor möglich, über seinen Phänomensinn und gelernte Kategorien selbst im Abstrakten noch eine (potenziell ablehnenswerte) künstlerische Leistung zu erkennen, so führt das un-

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kommentierte Spiel mit diesen Kategorien oft bruchlos zur Verärgerung des Betrachters, der vorgeführt wird und sich genauso vorgeführt fühlt. Man muss hierbei nicht so weit gehen und wie Georg Lukács Avantgarde-Bewegungen als bloß bürgerlichen Protest abkanzeln, allerdings ist es legitim zu bezweifeln, ob dieses Spiel mit den Beurteilungskategorien jemals zur Revidierung derselben geführt hat.

Kulturindustrielle Integration Nachdem, so Bürger, die radikalen und mit Ismen belegten AvantgardeBewegungen alle gescheitert seien, sei deren Radikalität als Schablone übrig geblieben, die neuere Avantgarde-Bewegungen zwar anwenden könnten, die sich jedoch leicht kulturindustriell integrieren lasse: „In der spätkapitalistischen Gesellschaft werden Intentionen der historischen Avantgardebewegung mit umgekehrten Vorzeichen verwirklicht.“ (Bürger 1974: 73) Popart wurde in den Kunstbetrieb integriert, „die Institution Kunst [besteht] als von der Lebenspraxis abgehobene weiter.“ (Ders.: 78) Dies lässt sich auch daran erkennen, dass den Verfechtern der Popart (Duchamp, Warhol) die eigenen dadaistischen Wurzeln bereits zu künstlerisch erschienen und der Tätigkeit des „Freien Sammlers“ im Weg standen, was der Literaturwissenschaftler Jost Hermand genüsslich damit kommentierte, dass die Popart für konkreten Protest wohl zu „verschwittert“ sei und keinen Kampf, sondern „wohlhonoriertes Allotria treiben“ wolle. (Hermand 1971: 64) Dem ließe sich die Beobachtung hinzufügen, dass die Bestände dissidenter Kultur längst distinktive Zeichen geworden sind, die sich marktgerecht verwerten lassen und den Lebensstil der jungen Eliten treffen. Ein Beispiel stellt etwa David Brooks’ Porträt der Bobos (Brooks 2001) dar, jener lebensstilistischen Bricolage aus Antiquitätenhandel, kapitalbasiertem, d.h. im „Krisenfall“ leicht in den Autoritarismus driftenden Liberalismus, gegenkulturellem Gestus und politischer neuer Mitte.

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Auf dem Weg nach 1968 „All jenen, die im Sinne linksliberaler Kulturkonzepte einer hohen Kunst für jedermann oder eines mittelständischen Stellvertreteranspruchs in Sachen Kultur gegen diese ‚Verflachung ins Konsumistische‘ opponierten, hielten die Verteidiger dieser neuen Medienkultur geradezu unentwegt das Leitbild einer demokratischen Selbstregulierung entgegen, die sich aus dem freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte ergebe und deren verschiedene Ausprägungen nicht dem hochgestochenen Anspruch einer bestimmten Elite unterworfen werden dürften.“ (Hermand 2006: 195)

Leslie A. Fiedlers Cross the border, close the gap, eines der Manifeste der Popart und Pop-Avantgarde, welches erstmals 1968 im Playboy veröffentlicht wurde, stellt einen weiteren Marker in der Transformation des kulturellen Möglichkeitsraumes dar. In diesem Manifest wurde der Begriff Popliteratur erstmals erwähnt und ein Teil des Programms definiert, welches sowohl für die Popliteratur der 1968er Jahre als auch für deren zeitgenössische Form gilt: der Versuch, den Gegensatz zwischen Hoch- und Trivialkultur zu überbrücken (oder zu ignorieren), damit auch ein Versuch, den Gegensatz zwischen den Klassen und Generationen sowie den Rationalismus innerhalb der Kulturproduktion zu überwinden – mehr Körper, mehr Lebensgefühl müsse her. In der Popart, etwa den bereits erwähnten Readymades, sah Fiedler den Prototypen für eine neue Kunst, welche sich dazu nutzen ließe, die Grenze zwischen der Hoch- und Trivialkultur durch den Bezug auf Alltagsmaterialien zu überbrücken. Dieser Schritt steht ganz im Zeichen einer postmodernen Programmatik mit ihren Eckpunkten „Vielfalt und Differenz des gegebenen Materials“, „Doppelcodierung“ und „Vernunftkritik“. In der Logik dieses Programms ist der Künstler kein genialistischer Schöpfer, sondern ein Akteur, der vorhandenes Material (z.B. Werbebotschaften, Zeitungsartikel usw.) aufgreift, kombiniert und umcodiert. Was für die bildende Kunst gelten sollte, wurde auch als Programm für eine neue Literatur angesehen, die mit den gleichen Mitteln die Unterteilung in „wertvolle“ und „wertlose“ Literatur überbrücken sollte. Durch den Alltagsbezug der Popart und Popliteratur sollte es möglich werden, Kunstwerke genießen zu können, ohne über ein Insider- und Spezialistenwissen verfügen zu müssen. (Vgl. Ernst 2001: 22ff) Gleichzeitig wurde erwogen, durch die von Leslie A. Fiedler vorgeschlagene Doppelcodierung von Texten und Kunstwerken gleichermaßen den gebildeten und „durchschnittlichen“ Konsumenten zu bedienen. (Vgl. Jung 2002: 23) Diese Doppelcodierung lässt sich als Programm verstehen: Für den „Wissenden“ und „Gebildeten“ bietet ein doppelcodiertes Werk vielfältige Bezüge und Bedeutungen, während die „durchschnittlichen“ Konsumenten nicht durch übertriebene Hermetik und Verweigerung „überfordert“ werden, sondern die Unterhaltung geliefert bekommen, die sie (legitimerweise!) verlangen. (Vgl. Jung 2002: 23) Grundsätzlich umfasst diese Programmatik eine Kritik des Rationalismus: Lebens-

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gefühl, Körper (daher die Vulgarität, die vom irritierten Publikum als Pornographie empfunden wurde) und Authentizität drücken buchstäblich Roland Barthes „Lust am Text“ aus. Die deutschsprachige Popliteratur um 1968 orientierte sich jedoch kaum explizit an postmodernen Positionen, vielmehr entsprach das künstlerische Ideal zu Beginn der 60er Jahre einem kritischen, eingreifenden Realismus, wobei die Kritik der snobistischen E-Kultur und der manipulierenden Kulturindustrie sowie die Aufarbeitung der bisher vernachlässigten Werke, insbesondere auch die des Naturalismus, die Grundlage darstellte. So dominierten zunächst neorealistische bzw. neonaturalistische Dokumentationen des Alltagslebens. Die dabei beteiligten Protagonisten lesen sich wie das hypothetische Who is Who popliterarischer Ablehnung ernsthafter Gutmenschen-, Mahner- oder „Literatur-Literatur“ (siehe weiter unten): Günter Grass, Martin Walser, Heinrich Böll, Günter Wallraff oder Liedermacher wie Franz-Josef Degenhart. 14 Den neonaturalistischen Studien blieb jedoch der massenhafte Erfolg verwehrt, ebenso den Studentenbewegungen, die als Reaktion auf die großen Koalition (1966-1969) politische Aufklärung mit klassenkämpferischen Gestus betrieben und sich dabei kulturell an Brecht oder Hanns Eisler orientierten (siehe dazu erneut die einleitenden Worte Martin Büssers). Diejenigen, die es aus der Perspektive der kämpferischen Linken zu befreien galt, waren eher am Reihenhaus als an der Revolution orientiert. Während die politischen Bestrebungen bald abflauten, traten jene Protagonisten auf den Plan, denen eher an der Erfüllung der persönlichen Freiheiten gelegen war, welche (auch die eigene) materielle Prosperität versprach. Sie übten sich in betonter Lockerheit, statt sich am „blutlosen Begriffsfetischismus“ (RolfDieter Brinkmann, zit. n. Hermand 2006: 215) der kritischen Linken zu beteiligen. Als literarischer Wortführer der postmodernen Strömung und als Vorbild der wenigen, die sich in Deutschland mit Fiedlers Thesen explizit befassten, kann der Autor Rolf Dieter Brinkmann angesehen werden, dessen Literatur Alltagsbeobachtungen, Popcodes und Obszönitäten zusammenführte und so das implizite Programm Fiedlers realisierte. So beschreibt Moritz Baßler in seiner Studie Der deutsche Poproman (2002: 164ff), wie Rolf-Dieter Brinkmann sich als Prototyp der 1968er Popliteratur lesen lässt, dessen Aufzählungen aus der Sphäre der Warenwelt einen inventarischen Charakter vermitteln, welcher für die Popliteratur typisch sei. Dabei wurde jedoch, anders als in der späteren Popliteratur der 90er Jahre, dieses Inventar zur Kritik der Warenwelt verwendet, doch hatte dies etwa mit naturalistischer Aufklärungsarbeit wenig gemeinsam. Vielmehr bediente sich Brinkmann eines gegen-gegenkulturellen Affekts, der in seinem Nihilismus so weit ging, dass die Geißelung des spießigen WiederaufbauDeutschlands sich tendenziell zur reaktionären Kulturkritik verschob, deren Wurzeln bis in die Romantik reichen. Nun lässt sich Brinkmann sicher keine antisemitische oder antiwestliche Einstellung oder Sympathie mit den Positionen Spenglers oder den Rembrandtdeutschen unterstellen, ebenso 14 Ähnlich argumentiert Andreas Dörner, wenn er den zeitgenössischen Unterhaltungsserien und Politiktalkshows einen feel-good factor attestiert, während neonaturalistisch-pessimistische und kulturkritische Studien der 70er mit ihrem feel-bad factor (Dörner 2001: 223) die Stimmung vermiesten.

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wenig eine Sehnsucht nach vormodernen Zuständen. Brinkmanns wütende Texte waren sicherlich kein Aufruf, zur Scholle zurückzukehren; der Modus, in dem die Kritik vorgetragen wurde, bleibt jedoch zweifelhaft: Literatur über das „entsetzliche politische Geschwätz“, die „Schrott-Zivilisation“ und die „Kloake“ aus „Gehupe! Idioten! Menschen!“ (Rolf Dieter Brinkmann, zit. n. Ernst 2001: 36f) sind von einem Elitismus á la Nietzsche oder y Gasset nicht weit entfernt. Analog zur konservativen Kulturkritik Spenglers und der Rembrandtdeutschen wird auch hier ein „Verdammungsurteil“ (Stern 1963) ausgesprochen, welches sich gegen den von Konsum und Wohlstand verblendeten Spießbürger und die mit ihm assoziierten Produkte und Praktiken richtet, die es nach Rolf Dieter Brinkmann „zusammen[zu]ficken“ (Brinkmann, zit. n. Baßler 2002: 164) gelte – was zugegebenermaßen eine ganz eigene Interpretation des Negativismus der kritischen Theorie darstellt. Der Affekt richtet sich somit gegen die Durchschnittlichkeit, nicht jedoch gegen die (fordistischen) Zwänge, die zu dieser Durchschnittlichkeit führen. Der Konsumzwang wird aus der Perspektive des zynischen Wissenden entlarvt, Mitleid oder gar Solidarität mit jenen, die offenbar unwissend darin gefangen sind, wird nicht gezeigt. Auch hier lässt sich auf die Polemik Jost Hermands zurückkommen: „Und so landet denn dieser Schocker-Pop oft in einer seltsamen Affirmation alles Minderen, Primitiven, Dreckigen oder kraß Sexuellen [...]. Wie stark man damit nach ‚rechts‘ umkippt, geht am deutlichsten aus folgender Äußerung Brinkmanns hervor: ‚Der Lustfeindlichkeit und Unsinnlichkeit, die sich in überanstrengter Reflexion darlegt und die besonders häufig dort sich zeigt, wo mit dialektischer Methode die Spontaneität künstlerischer Tätigkeit manipuliert werden möchte, wird [bei uns] durch ein Desinteresse begegnet, die ‚großen Dinge‘ zu verarbeiten, zu erklären, zu interpretieren.‘“ (Hermand 1971: 104f) 15

Spontaneität, Lebensgefühl und Lust (am Text) – die gegen elitäres Literaturverständnis und kleinbürgerliche Spießigkeit vorgebrachten Kategorien lassen sich so leicht auch als die alten, urromantischen Ideale dandyhaften Dichtertums lesen. Grundsätzlich lässt sich somit, wenn man Jost Hermands Ausführungen folgen will, die frühe Popliteratur als eine Literatur charakterisieren, die protestieren wollte, sich jedoch nicht mit historischen Zusammenhängen befassen mochte. Sie setzte auf Spontaneität, Sensibilität und nicht zuletzt auf eine als notwendig erachtete Härte und Vulgarität (vgl. Hermand 1971: 105ff), um nicht durch politische Orientierungen eingeengt zu werden. Diese Schockeffekte bezeichnete Hermand daher als „nackte[n], bloßgelegte[n] Kapitalismus, der nichts anderes als das egoistische Sichausleben kennt.“ (Ders.: 99) 15 So betrachtet ähnelt Brinkmann durchaus wieder der historischen Vorlage des resignativ-affirmativen Naturalismus, wenn er den „jetzt erreichten Stand technisierter Umwelt“ als „natürliche Umwelt“ (Rolf Dieter Brinkmann, zit. n. Hecken 2003: 46, Hervorhebung von T.K.) akzeptiert. Auf der einen Seite wird eine Ablehnung einer Literatur deutlich, die sich geistigen Luftschlössern hingibt und sich nicht des Materials annimmt, das die „technisierte Umwelt“ bereitstellt, auf der anderen Seite bleibt (siehe weiter unten) die Ablehnung der Suche nach Ursachen – eben den „großen Dingen“ (und potenziellen Auswegen).

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An dieser Stelle lässt sich erneut Peter Bürgers Frage einwerfen, wie folgenreich Doppelcodierung und Schockeffekte in kritischer Absicht sind. Prominentes Beispiel für einen zeitgenössischen erfolgreich doppelcodierten Text ist etwa Umberto Ecos Der Name der Rose: Im Windschatten eines mittelalterlichen Kriminalromans folgt dieser Text in seiner zweiten Codierung einer postmodernen Programmatik (vgl. Schnell 2000: 425) aus Anspielungen, Zitaten und Reflexionen über Geschichte und Philosophie (diese Programmatik wurde zusätzlich in einer Nachschrift zum Roman ausgearbeitet). Gleichzeitig wird der Kontrast zwischen highbrow und lowbrow dabei verschleiert, um dadurch paradoxerweise umso effektiver entschleiert zu werden, da so die habituell unterschiedlichen Aneignungsweisen vorgeführt werden, mit denen ein Werk zur E- oder U-Kultur erklärt wird. An den Verhältnissen zwischen den unterschiedlichen Lesertypen ändert sich nichts, wenn Der Name der Rose für Intellektuelle, die einen habituell unterschiedlichen Bezug zum Text haben, eine völlig andere Bedeutung gewinnt als für den „durchschnittlichen Konsumenten“. Vielmehr wird in beiden Fällen ein schlechtes Gewissen beruhigt: das des Intellektuellen, dem beim Kauf eines Topsellers „für alle“ mulmig werden könnte, und das des durchschnittlichen Konsumenten, der durch den Kauf der als „anspruchsvoll“, aber „massenkompatibel“ geltenden Literatur sich und seinem Intellekt etwas Gutes zu tun meint, wodurch er jedoch die ihm unterstellte Unterlegenheit gerade erst beweist (siehe dazu Bourdieu 1987: 500-585). Lust am Text, gegenkultureller Affekt, gewollte Obszönität, Ausrichtung an Alltagsgeschichten bei gleichzeitiger Ablehnung der großen Fragen – eine an diesen Idealen ausgerichtete Literatur bot mit ihrem rebellischen Gestus Potenziale für marktgerecht verwertbares Abgrenzungsbedürfnis (gerade vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden Krise des fordistischen Akkumulationsregimes und den damit zusammenhängenden Formen kulturellen Lebens) und distinktiv-spielerische Dandy-Posen bei gleichzeitiger politischer Folgenlosigkeit. So schrieb etwa der Urheber des popliterarischen Manifests, Leslie A. Fiedler, privater Drogenkonsum sei für das herrschende System wesentlich gefährlicher als all die „Wichtigtuereien“ (Fiedler, zit. n. Hermand 1971: 125) politischer Bewegungen. Hier bietet sich abschließend erneut die Polemik Jost Hermands an: „Denn im Rahmen einer weitgehend auf Genuß und Profit bedachten Gesellschaft sind gerade die ‚avantgardistischen‘ Jugendlichen die idealen Trendsetter der Industrie, die von den Werbezeichnern zu wahren Halbgöttern erhoben werden. Man versucht daher unermüdlich, diese ‚jugendlichen Rebellen‘ [...] von allen entscheidenden politischen und gesellschaftlichen Fragen fernzuhalten [...].“ (Hermand 1971: 145ff)

* Die Frage, ob Avantgardebewegungen und die avantgardistischen Pop-Bewegungen folgenlos waren, hängt davon ab, was man sich unter „Folgen“ vorstellt und wie „hoch“ man dabei die Messlatte setzt. Hier lässt sich auf die einleitende Rede Martin Büssers zurückverweisen. Wenn man Folgen abstrakt mit ästhetischen oder kulturellen Auswirkungen gleichsetzt, sind die Folgen nahezu unübersehbar und allgegenwärtig. Kaum eine Werbung, die

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im weitesten Sinne Jugendlichkeit und Lifestyle transportieren möchte, kommt ohne das notwendige Quantum kultureller Dissidenz herum, ebenso wie allerlei Film- und Videoclipproduktionen, die mit Cut-Up oder Nichtlinearität operieren. Auch wenn im o.g. Urteil Hermands tendenziell die „schlechte Laune“ des Kulturpessimisten mitschwingt, der überall Entpolitisierung oder kulturelle Reaktion wittert, liefert die zitierte Polemik doch ein recht hellsichtiges, wenn auch mittlerweile anachronistisches Bild dissidenter kultureller Bewegungen. Denn längst sind popkulturelle und dissidente Ideale zu unhinterfragbaren Anforderungen der modernen Arbeitswelt geworden, die von den o.g. Werbezeichnern und Trendsettern gar nicht mehr aufbereitet werden müssen. Legt man allerdings das Ideal der älteren cultural studies zugrunde, hier sei an Stuart Halls Hoffnung auf die Realisierung des Sozialismus vermittelt über das Vehikel „Popkultur“ erinnert, dürfte die Antwort ernüchternd sein. Hier lässt sich erneut Jost Hermand (1971: 174ff) als (polemischer) Fürsprecher heranziehen, der die Kämpfe innerhalb der modernen Literatur als einen Kampf an fünf Fronten beschrieb und sich in einem Rundumschlag gegen bloßen Krawall, der spießbürgerliche Reaktionen provoziert, gegen Feingeister, Pop-Manager, illusorische Schwärmer, gewalttätige Stürmer und Dränger sowie gegen jene wandte, die Kultur per se als bourgeois empfinden. Zwar habe die Popkultur aufgezeigt, wie snobistisch die Vorstellung einer verbindlichen Hochkultur ist, die ästhetischen Proteste hätten sich jedoch als unergiebig erwiesen: Der Kulturindustrie sei es gelungen, die popkulturelle Rebellion zum Geschäft zu instrumentalisieren, Pop-Rebellen hätten ignoriert, dass mit hippieskem let go oder Krawall keine gesellschaftlichen Veränderungen erzielt werden können, solange die ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt nicht angetastet werden. Kulturpessimisten hätten wiederum missachtet, dass (auch die bürgerliche) Kultur eine Quelle für Protest darstellen kann. Vernünftig sei ein Weg, bei dem es gelingt, Literatur zu schaffen, die – und hier lässt sich ein Bogen zum naturalistischen Programm zurückspannen – soziologisch korrekte Befunde und Analysen bieten kann, zugleich aber weder im Elfenbeinturm bleibt noch sich der völligen „Verpopung“ (ders.: 5) hingibt. Angesichts der produktiven Zurichtung der Popkultur innerhalb der neokapitalistischen Produktionsweise, in der Arbeitswelt und Management mit dem Sound der Popkultur schwingen, dürfte deutlich geworden sein, dass die Popkultur und -avantgarde sicher nicht der erhoffte Wegbereiter für Emanzipation oder den „Sozialismus“ (Stuart Hall) geworden ist. Spätere Kapitel werden zeigen, wie sehr sich die o.g. Potenziale in den 90er Jahren ins Gegenteil verkehrt haben und welche Form von soziologisch vermeintlich korrekten Befunden und Analysen literarisch unter dem Banner des Protests gegen Spießigkeit und Hochkultur bzw. unter dem Banner von Generationen-, Milieu- oder Zielgruppenliteratur segelten – und damit wiederum selbst als soziologischer Befund lesbar werden.

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Popliteratur nach 1968: der Sound der Berliner Republik „Auch Pop ist stolz ein Deutscher zu sein.“ (Jacob 2001b: 22)

Die „späte“ Popliteratur nach 1968, die im Folgenden betrachtet wird, d.h. die Popliteratur der späten 90er Jahre und der Jahrtausendwende, ist eingebettet in eine neue diskursive Hegemonie entlang der Grundannahmen des „new capitalism“ und der spezifisch deutschen Suche nach „Normalität“. Da beides Gegenstand späterer Kapitel ist, soll an dieser Stelle die Evokationskraft von Schlüsselwörtern (vgl. Nothdurft 1996: 378f) genutzt werden, mit denen sich das „Diskursgewimmel“ dieser Zeit einleitend zusammenfassen lässt. Ohne natürlich den Anspruch auf Vollständigkeit zu verfolgen sind dies Begriffe und Wortfelder rund um die Schlüsselwörter „Globalisierung“, „Reformen“ bzw. „Veränderung“ und „Wandel“, „neue Verantwortung“ bzw. „neue Rolle Deutschlands“, „dritter Weg“, „new economy“ oder „Berliner Republik“. Jene gediehen in einem Klima, in dem etwa die erste Regierungsbeteiligung der Grünen mit den ersten kriegerischen Handlungen Deutschlands nach 1945 zusammenfiel und dabei mit dem Motto „Nie wieder Auschwitz!“ legitimiert wurde. Potenziellen Kritikern wurde so der Boden unter den Füßen weggezogen, und Martin Walser rief – dahingestellt, wodurch motiviert und ob „richtig“ oder „falsch“ verstanden – in der Paulskirche (endgültig) die neue deutsche Normalität aus. Es sollte dabei bereits an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass die mit den o.g. Schlüsselwörtern assoziierte Politik keine Erfindung der neunziger Jahre darstellt, sondern – diskursiv glanzvoller und symbolaufgeladener – einen Weg fortsetzt, der in Deutschland spätestens mit der Ära Kohl und in Großbritannien etwa mit der Ära Thatcher eingeleitet worden war. So ist der Weg der Popliteratur nach 1968 bis in die jüngste Vergangenheit durch Integration und Entskandalisierung gekennzeichnet. Einige Autoren der frühen Popliteratur (exemplarisch: Peter Handke) wurden als etablierte Avantgarde in den hochkulturellen Pol des literarischen Feldes integriert, andere erfüllten die Funktion der aufstrebenden Avantgarde, inklusive kommerzieller Erfolglosigkeit (ablesbar etwa am clochardhaften Leben Jörg Fausers). Die avantgardistische Popliteratur und das, was sie zum Symbol einer (post)modernen Erneuerung machte, blieb dabei größtenteils den gewählten Methoden treu, allerdings verlor sie an Schärfe und wurde in den Literaturbetrieb eingegliedert. Der Transit in die 90er Jahre und die Jahrtausendwende lässt sich zusammenfassen als Prozess der Subjektivierung, des Einzelgängertums, der Übersensibilität oder des Rückzugs in die intellektuellen Reservate poststrukturalistischer Philosophie. (Vgl. Hermand 2006: 216ff) Zwar gründeten sich neue Bewegungen wie z.B. die Wiener Gruppe um Friederike Mayröcker und Ernst Jandl oder die um die Satirezeitschrift Titanic entstandene Neue Frankfurter Schule, doch blieb die Verwehrung gegen jedwede realistische und damit konkret gesellschaftskritische Aktivität bestehen. Auch der Wortwitz experimenteller Prosa oder die Respektlosigkeit der Satirezeitschrift Titanic blieben letztendlich in dem Sinne folgenlos, als dass es problemlos gelang, diese Eigenschaften abzuschwächen und z.B. in Form von Mediensatiren wie TV Total oder der Harald Schmidt Show für ein

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breiteres Publikum nutzbar zu machen. Auch die Kultur des politischen Happenings, welches in den 60er Jahren durch zahlreiche Kommunen gepflegt wurde, konnte so in den gehobenen medialen Mainstream aufgenommen werden (siehe etwa die Aktionskunst Christoph Schlingensiefs). Mit den 90er Jahren wurde Popliteratur zusammen mit der Popkultur insgesamt bereits selbst historisch. Durch die sogenannte Poplinke (verkörpert etwa durch das Magazin Spex) erhielt die Popkultur ihre intellektuelle Weihe und ihre theoretische Untermauerung. Die Frage nach der gesellschaftlichen Kritikfähigkeit von Pop wurde dort von popsozialisierten Autoren auf einem akademischen Niveau diskutiert, in der Hoffnung, die subversive Kraft der Popkultur zur Gesellschaftskritik nutzen zu können. (Vgl. Ernst 2001: 57f) In diesem Rahmen erschienen auch Studien über konservativ-reaktionäre bis chauvinistisch-sexistische (etwa Dornbusch/Killguss 2005, Dornbusch 2002) Tendenzen innerhalb der Popkultur und den Sound der „Neuen Mitte“. (Büsser 2001) 16 Es lässt sich dabei durchaus von einer Renationalisierung des Pop-Marktes und einer nationalen Imprägnierung entsprechender Diskurse ausgehen: Dass Deutschland wieder etwas „ist“ und auch in der Popkultur wieder etwas „sein“ müsse, avancierte zum common sense entsprechender Diskursgemeinschaften und wurde auch von der Poplinken zum Ausdruck gebracht: So forderte das Magazin Spex bereits 1989 eine „Rückbesinnung auf das deutsche Lied“. (Spex 9/1989, zit. n. Jacob 2000: 31) Die Zeit nach 1989 markierte damit einen Wendepunkt, der jedoch über eine lange Vorbereitungszeit verfügte, in der Begriffe wie „kritisch“ oder „politisch“, insbesondere Kunst und Literatur betreffend, zu Negativvokabeln wurden: Kritiker des Wiedervereinigungsprozesses wurden entweder verrissen, so sie aus dem Westen stammten (Günter Grass’ Ein weites Feld), oder im Rahmen des Suche nach Enthüllungsgeschichten über Stasi-Mitarbeiter potenziell als stalinistische Betonköpfe diffamiert, so sie aus dem Osten stammten (siehe etwa die in den überregionalen Zeitungen dokumentierte Hysterie um Christa Wolfs Was bleibt). Hofiert wurde dagegen die zynisch-melancholische, an der Normativität des Faktischen orientierte Bejahung des Anschlusses der DDR an den Westen. (Vgl. Hermand 2006: 267283) Die neue Popliteratur passte dabei gut zum neuen Selbstbewusstsein der Berliner Republik, deren politische Diskurse von internationaler Verantwortung oder einer neuen Rolle geprägt waren, und erreichte so auch die großen, bürgerlichen Printmedien, die sich ihrerseits mit eigenen Jugendmagazinen und Sonderbeilagen (etwa den Berliner Seiten der FAZ unter der Leitung von Florian Illies) ein frischeres Image zu verschaffen suchten, wobei nicht nur die Autoren und Autorinnen „verjüngt“ wurden, sondern auch die Inhalte und die politische Orientierung. Gemeinsam mit dem ideologischen Ballast wurde auch der Zwang abgeworfen, der bereits erwähnten „Suhrkamp-Kultur“ genügen zu müssen. Eine Literatur ohne Belehrung, ohne Korrektheit, Historizität – das käme doch auch den „stressgeschüttelte[n] Leser[n]“ zugute,

16 Dass dabei durch die Beschäftigung der Gegenstand selbst geadelt wird, ebenso wie derjenige, der sich seiner annimmt, sollte nicht unerwähnt bleiben. Ebenso wenig die Tatsache, dass diese Adelung potenziell eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Feuilleton, Musikzeitschriften und Plattenfirmen darstellt, die Positions- und Prestigegewinne ermöglicht.

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die dies, zieht man die Stimmen des Buchhandels heran, auch „mehr und mehr zu goutieren“ wüssten. (Trojan 2001: 4) So sprach etwa Frank Schirrmacher (FAZ) vom Ende der deutschen Nachkriegsliteratur, jedoch nicht, um von überholten ästhetischen Idealen Abschied zu nehmen, sondern um die Weichen für eine Neudefinition von Kultur zu stellen. Dabei karikierte Schirrmacher die bisherige Literatur als geschichtsversessen und die Autoren als ideologische (und an den Nerven zerrende) Mahner, um das als „links“ empfundene Projekt Nachkriegsliteratur ad acta legen zu können. (Vgl. Harder 2001: 15f) Auch die ZEIT sprach sich für eine neue Literatur „ohne Last, ohne Begrenzung und Verpflichtung“ (Radisch 1994, zit. n. Harder 2001: ebd.) aus – ein Topos, der zum Standardinventar aller Kämpfer gegen die politische Korrektheit gehört und hier pikanterweise aus der Feder einer Person floss, die dann, als die so herbeigesehnte neue Literatur offensichtlich ins Affirmative kippte, selbst zu den radikalsten Kritikerinnen des „Beschreibungsfetischismus“ (Radisch 2000, zit. n. Jung 2002: 42) wurde. Deutlich wird somit, wie Popliteratur „integraler Bestandteil der nationalen Selbstdarstellung und neuer Selbstbilder“ (Jacob 2001: 12) wurde, die auch durch Konsekrationsakte unterstützt wurde (Literaturpreise, die den offiziösen Charakter verstärken, Nutzung der deutschen Popkultur und -literatur als kulturelles Exportgut durch die Goethe-Institute): „Gerade das Bedürfnis der wiedervereinigten Deutschen, sich als jung, modern und zivilgesellschaftlich darzustellen, bewirkte eine starke Aufwertung der Popkultur und damit auch das Entstehen von Popliteratur.“ (Ebd.) International markierte die Mitte der 90er Jahre zudem die Ankunft der Popliteratur im Milieu der Reichen und Erfolgreichen. Der Leser erhielt einen Einblick in die Grausamkeit und Emotionslosigkeit der ökonomischen Eliten (American Psycho von Bret Easton Ellis, 1991 erschienen) oder in den antirationalistischen und anti-emanzipativen Nihilismus der oberen Mittelschichten (Elementarteilchen von Michel Houellebecq, 1994 erschienen). Letzteres lässt sich als Dokument neokapitalistischer Diskurse lesen und nimmt Deutungsmuster vorweg, die auch für die Analyse von Generation Golf zentral sind. Dort werden in einem ersten Schritt die desintegrierenden Folgen, welche die Politik der Deregulierung für die Subjekte, das Zusammenleben von Männern und Frauen bzw. das Familienleben insgesamt nach sich ziehen, beweint und die Warenförmigkeit von Sex und Emotion beklagt. In einem zweiten Schritt werden diese Effekte aber „dem Feminismus“, den Emanzipationserfolgen der Frauen oder global „den 68ern“ in die Schuhe geschoben. Dies stellt, wie auch im weiteren Verlauf deutlich werden wird, eine typische Makro-Opposition dar, in der die bedauerte Hegemonie des neokapitalistischen Subjektivitätsbildes oder -angebots, dem man nun Folge zu leisten hat, als Folge des Hegemoniestrebens des diskursiven Gegners aufgefasst wird. Der Protagonist in Elementarteilchen, der sich vor einer Sexökonomie ekelt, in der die einen zu viel, die anderen dafür (wie er selbst) schlechten, seltenen oder überhaupt keinen Sex haben können, identifiziert dies als Auswirkungen der Emanzipation und des Kampfes um sexuelle Befreiung (vgl. Angermüller 2004) – statt, wie es nahe zu liegen scheint, dieses Verhältnis zwischen Überfluss und Mangel und den sexuellen Leistungsimperativ als das Merkmal neokapitalistischer Gesellschaften zu erkennen, das sich auf allen Ebenen, auch der Sexökonomie, beobachten lässt.

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Nicht zuletzt wurde Popliteratur auch als Weg aus der viel beklagten Krise des Buchhandels aufgenommen, für die u.a. auch das Hochkulturschema der Rezensionen der großen Printmedien verantwortlich gemacht wurde. (Vgl. Lohmann 1995: 42-49) Mithin kann man hierbei zu dem Schluss gelangen, dass die Marke „Popliteratur“ als Euphemismus für „Unterhaltung“ ins Feld geführt wurde, um ein neue Zielgruppe anzusprechen, die, was die Struktur der Kapitalsorten und das Alter betrifft, „zwischen den Stühlen“ saß: Einerseits wollte diese Zielgruppe nicht das Gefühl haben, „Trivialliteratur“ zu lesen. Andererseits wirkte die gehobene Unterhaltung der meist älteren Autoren und Autorinnen tendenziell „miefig“. Schließlich war auch der Ausweg in hochkulturelle Reservate versperrt – aus Abneigung gegenüber „adornistischer“ Formstrenge, aus Desinteresse oder mangels kulturellen Kapitals. „Popliteratur“ wurde so zum Chiffre für Aufgeschlossenheit und Modernität, „Unterhaltung“ wirkte dagegen latent verknöchert. Eine stärkere Zielgruppenorientierung und -segmentierung, unterstützt durch soziologisches Wissen aus den SINUS-Milieus (vgl. Buchmarkt 2/1998: 64), welche auch für die zum Mainstream der Soziologie avancierte Lebensstilforschung genutzt wurden, erschien als Ausweg aus der Krise, wobei Popliteratur und das Thema Pop zwar eine wichtige Rolle spielten, jedoch nicht die wichtigste und mit Sicherheit nicht die einzige. Wie das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Schroth 2001a: 25ff) zeigt, hatten in Zeiten der „new economy“ und darüber hinaus insbesondere Ratgeber Konjunktur, etwa auch jene, die zum richtigen Management des Lebens anleiten und die „innere Landnahme“ (Candeias 2004: 201) des „new capitalism“, d.h. die Ausweitung der Tausch- und Marktlogik auf die Psyche der Subjekte, fortschreiben. 17 Dass Popliteratur nur einen kleinen Teil des literarischen Spektrums abdeckte, zeigt etwa ein Blick auf die Listen der Autoren des Jahres. Die vom Magazin Buchmarkt, einer Fachzeitschrift für den deutschen Buchhandel, gewählten Autoren des Jahres sind unverdächtig, Pop-Avancen erkennen zu lassen und bewegen sich im Rahmen klassischer Unterhaltungsliteratur. In der Liste der 3 Autoren bzw. Autorinnen des Jahres tauchen zwischen 1995 und 2003 Namen wie Peter Hoeg, Rüdiger Safranski, Jostein Gaarder, Donna Leon, Umberto Eco sowie (mehrmals) Henning Mankell und Joanne K. Rowling auf. Betrachtet man Titel und geschaltete Werbung des Börsenblatts 17 Als bekanntes und mehrfach aufgelegtes wie überarbeitetes Handbuch kann etwa Simplify your life (Küstenmacher 2004) angesehen werden. Simplify your life wendet sich gegen den „schnöden Konsum“ und dockt so an den „postmateriell geschulten Alltagsverstand“ (Candeias 2004: 238) an, der quer steht zum allgegenwärtigen Zwang, sich als Unternehmer zu begreifen. Der emanzipativ besetzte Postmaterialismus wird vor allem im Appell an zivilgesellschaftliches Engagement aktiviert, d.h. im Appell an das Gewissen und an die weit verbreitete Überzeugung, man könne nicht alles mit Geld regeln und müsse gewissermaßen auch aus spontaner Überzeugung und ohne monetäre Gegenleistung handeln – ob in der Kindererziehung, der Betreuung von Alten und Kranken oder anderen Aufgaben, die somit auf das Individuum abgewälzt werden. Damit fallen Postmaterialismus und „Gürtel-enger-schnallen-Reformpolitik“ elegant zusammen. Wie Candeias (ebd.) überzeugend darlegt, ist dies ein Appell, der sich vor allem an schlecht ausgebildete Frauen und an jene richtet, die finanziell auf Magerkost gesetzt sind oder denen dies in naher Zukunft drohen könnte.

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für den deutschen Buchhandel, so zeigt sich auch dort, dass Popliteratur keine überproportionale Resonanz erzielte: Titelgeschichten und Werbung 18 bewegen sich im klassischen Unterhaltungs- und Spannungsschema, auch die Artikel kreisen um die für den Buchhandel relevanten Themen Wachstum, Internet, Buchpreisbindung und Ladengestaltung. 19 Autorenlesungen, Events wie die lit.Cologne 20 und Nischenorientierung sollten zwar aus der Krise helfen und den „lesenden Hoffnungsträger[n]“ (Völker-Sieber 1999: 115) 21 , also jungen Kunden, das „Kulturgut Buch“ (Buchmarkt 8/2000: 214) schmackhaft machen, in der Regel zahlten sich diese und vergleichbare Großveranstaltungen, z.B. kostspielige Lesungen, und der Aufbau literarischer „Stars“ (Görner 2001: 189) jedoch nicht aus. (Vgl. Buchmarkt 2/1999: 63) Mit der Suche nach Authentizität und der Orientierung an der „Generation X“ (Völker-Sieber 1999: 114) wurde das literarische Spektrum erweitert, und die Verlage brüteten bereits über Viva und MTV (ebd.), um weitere Käuferschichten zu erschließen. Popliteratur, die solcherart eng am Zeiteist konzipiert wurde, war kurzzeitig sehr erfolgreich 22 , verschwand durch diese Nähe jedoch auch schnell aus der öffentlichen Wahrnehmung bzw. wurde in den normalen Literaturbetrieb eingegliedert und verlor damit ihren exzeptionellen Status. 23 Die wechselvolle Konjunktur erfolgreicher 18 Die erste Werbung für die Hardcover-Ausgabe von Generation Golf wurde etwa einmalig in Heft 11 vom 8.2.2000 geschaltet und im selben Jahr nicht wiederholt. 19 Untersucht wurden die Ausgaben der Jahrgänge 2000 bis 2005, dabei jeweils die Titelseite und die auf deren Rückseite geschaltete Werbung. Über die Erhebungsmethoden des Magazins Buchmarkt können keine Aussagen getroffen werden. 20 Einer der Hauptorganisatoren der lit.Cologne war der damalige Lektor des Kiepenheuer Verlags, Reiner Osnowski. Ein großer Teil der späten Popliteratur erschien in diesem Verlag, so dass sich auch das Schlagwort der „KiepenheuerLiteratur“ etablierte. Wozu bedürfe es eines Mülleimers in der Stube des Autors, wenn es doch den Kiepenheuer gäbe, feixte daher etwa die Literatur Konkret im Jahr 2001. 21 Als großer Hoffnungsträger wird auch hier der Kiepenheuer-Verlag genannt. Man müsse als Buchhandel zudem immerzu „spaßig“ und „speziell“ (Buchmarkt 4/2001: 194) bleiben. 22 Dabei zeigen die Bestsellerlisten, beispielsweise die des Spiegels (Generation Golf belegte dort im Zeitraum zwischen Januar 2000 und Dezember 2001 im Jahresdurchschnitt den 8. Platz), eklatante methodische Schwächen, da sie Datenlöcher in den Erhebungen zuließen (vgl. Volks 2001: 33ff) sowie Genres willkürlich vermengten oder ausließen. Insgesamt seien gerade die SpiegelBestsellerlisten zweifelhaft, wie es ein Buchhändler im Magazin Buchmarkt (4/99: 36f) beschreibt: „Die SPIEGEL-Bestsellerlisten entsprechen nicht den Erhebungen über die meistverkauften Titel im eigenen Haus. [...] Was laut SPIEGEL-Bestsellerliste läuft und läuft, geht in diesem Warenhaus allzuoft überhaupt nicht. [...] Ganze Warengruppen fehlen in den SPIEGEL-Listen. [...] Anderen Titeln wiederum gelingt der Sprung auf die Bestsellerlisten viel zu schnell nur weil die Autoren [...] große, eingeführte Namen sind [...].“ 23 Eine besonders eindrucksvolle Variante der Verknüpfung von Popkultur, Literatur und Lifestyle demonstriert Kolja Mensings Lesereise zu dessen Buch Wie komme ich hier raus? (2002). Das Buch, das neben den Erinnerungen an die Provinz das Problem der Mobilität zum Thema hat, wurde passenderweise in einer Mini-Niederlassung vorgestellt, so dass der Mini vom literarischen Image

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Themen verdeutlicht die im Zuge der Rückkehr zur old economy im Buchandel (vgl. Gollhardt 2002: 8) verbundene Neuausrichtung populärer Belleristik bzw. populärer Sachbücher: Zu jener Zeit führte diese Neuausrichtung zu Aufmerksamkeits- und Feldgewinnen literarischer Erinnerungskultur mit den Themen Flucht, Vertreibung oder Luftkrieg (als prägnantes Beispiel wäre hier Jörg Friedrichs Der Brand zu nennen), gegenwärtig scheinen neben Dauerbrennern, wie etwa den Biographien wichtiger Persönlichkeiten, die klassische Belletristik sowie Ratgeber zur Meisterung persönlicher (etwa: fiskalischer oder gesundheitlicher) Krisen Konjunktur zu haben, ebenso Standortdiagnosen und Wertedebatten (gerade im Zuge Franz Münteferings Kapitalismuskritik im Frühjahr 2005). Mit den feldinternen Positionsgewinnen von Autoren, die über einen ähnlichen Kollektivhabitus verfügten, begann eine neue Form der Popliteratur: Junge aufstrebende urbane Journalisten wie Florian Illies, Benjamin von Stuckrad-Barre, Alexander von Schönburg, Maxim Biller u.a. produzierten Literatur, die oft auszugsweise in Zeitungen gedruckt und dort von anderen Popliteraten kommentiert wurde. 24 Dies entspricht der von Pierre Bourdieu (1998b) beschriebenen zirkulären Zirkulation innerhalb des journalistischen Feldes. Nachrichten werden an der erwartbaren Aufmerksamkeitsdividende ausgerichtet, was andere Journalisten zum Trittbrettfahren verleitet. Die von Journalisten verfasste Erfolgsliteratur operierte mit ähnlichen Methoden: Erlebnisse aus der Medienwelt wurden zu Geschichten, die ihrerseits in den Medien (z.B. von schreibenden Kollegen) aufgegriffen, kommentiert und ggf. erneut in Geschichten verarbeitet wurden. Ein Beispiel dafür ist der Roman Livealbum von Benjamin von Stuckrad-Barre, in dem Erlebnisse einer Lesereise selbst wieder literarisch verarbeitet werden. Diese Zirkulation fand auch auf personeller Ebene statt: Florian Illies, Leiter der Berliner Seiten der FAZ, ließ Benjamin von Stuckrad-Barre, den Poptheoretiker Diedrich Diederichsen und Christoph Schlingensief für sich schreiben, Akteure, die dann auch in Generation Golf thematisiert wurden. Akzeptiert man die verbreitete These eines conservative backlash, der die westlichen Gesellschaften trotz oder gerade wegen der Regierungsbeteiligung von sozialdemokratischen und ökologisch orientierten Parteien (spätestens) nach 1998 ergriff und der sich in zeitgemäß artikulierten Neuauflagen alter Tugenden, Moral- und Politikvorstellungen (charismatische Führung, Vaterlandsliebe, Autoritätssehnsucht usw.) ausdrückt, lässt sich etwa das Urteil der Jungen Freiheit gut nachvollziehen, die hinter den Generationenbüchern und Konsumgeschichten den Siegeszug rechter Erneuerer sah. (Vgl. Ernst 2001: 70f, 73ff) Die Popliteratur dieser Zeit spielte mit Konsumerfahrungen und der Beschreibung von Lebensstilen und verkörperte so den Idealtypus eines Habitus, der zu den Anforderungen des „new capitalism“ passt: angepasst, konsum- und aufstiegsorientiert, auf persönliche Freiheit bedacht, dabei allenfalls in einem zivilgesellschaftlichen Sinne solidarisch, ggf. gepaart mit einem einwandsimmunen Mitleid mit den vollends Verelendeten (etwa der dritten Welt) und/oder zynischer Gewinner-Attitüde. profitierte, dem Buch dagegen ein Lifestyle-Element hinzugefügt werden konnte. 24 Diese Literatur verfügte etwa mit dem Band Tristesse Royale und dessen Urhebern, dem sogenannten „popkulturellen Quintett“ (von Stuckrad-Barre, Bessing, Nickel, Kracht, von Schönburg), sowohl über ein inoffizielles Programm als auch über eine inoffizielle Keimzelle. (Vgl. Bessing u.a. 2001)

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Diese Literatur zeichnete sich durch das unreflektierte Sampling des Alltags aus, griff jedoch implizit auch die frühen postmodernen Orientierungen auf: Das Ende der Geschichte und das Ende der Ideologien wurde nicht mehr nach eingehender Lektüre postmoderner Theoretiker verkündet, vielmehr stellte die Abkehr vom Historismus und von alten Idealen den common sense dar, was dazu führte, dass diese Popliteratur „nicht mehr wütender Protest gegen die Verhältnisse, sondern angenehmer Begleitsound zur Berliner Republik“ (ders.: 74) wurde. Die alleinige Orientierung an Verkaufbarkeit und Unbekümmertheit führte letztendlich zu einer Literatur, die zur Karikatur ihrer selbst wurde. Während der Begleitsound zur Berliner Republik zusammen mit den Sonderbeilagen der Printmedien verschwand und später in ironisch-versnobten Ratgebern für abstiegsbedrohte und „jammernde“ Mittelschichten der Marke Die Kunst des stilvollen Verarmens (von Schönburg 2006) reaktiviert wurde, orientierte sich der popliterarische Untergrund mit Poetry Slams oder dem Social Beat an seinen dadaistischen Wurzeln. Die Battles des Poetry Slams 25 und der Social Beat 26 verdeutlichen jedoch, wie sich individuelles Dissidenzund Abgrenzungsstreben gemeinsam mit Ideologien des „new capitalism“ ausdrücken kann: Von der Unterstellung allgemeiner Chancengleichheit (im Battle darf jedermann mitmachen), der direkten Beurteilung, dem individuellen Wettkampf, der Mobilisierung aller verfügbaren Skills, der Suche nach der unobjektivierbaren Ausstrahlung und nicht zuletzt der Gewinnmaximierung durch den alleinigen Gewinner ist es nicht weit zu den Anforderungen des Marktes, der ebenso die totale Verausgabung einfordert. Persönliches Ausdrucksstreben mit emanzipativem Anstrich trifft hier auf die neokapitalistische Leistungs- und Arbeitsideologie, wobei die kulturindustriell gebrochenen Formen dieser Wettkämpfe, etwa TV-Castingshows, sicher die massenmedial erfolgreichsten Kämpfe im Schnittpunkt von Markt, Popkultur und Emanzipationspose darstellen. Begleitet wurde dies von Projekten, die sich der Techniken des lange Zeit bereits existierenden, aber erst zur Hochphase der „dot.com“-Euphorie der „new economy“ popularisierten World Wide Webs bedienten und darin einen Weg sahen, „nicht mehr Karasek lesen [zu] müssen“, nicht mehr den „Rituale[n] des Bleistifts“ folgen zu müssen, um endlich „Literatur und Leben“ zu verbinden bzw. dem existierenden Medium „WWW“ gerecht zu werden (Thomas Hettche, zit. n. Börsenblatt 52/1999: 8) – was indes nicht daran hinderte, die im Netz ausgestellten Texte dann gedruckt in den klassischen „Aufschreibesystemen“ (Friedrich Kittler) zu bündeln. 27 25 Dabei sind auch die Poetry Slams sowohl im Zentrum der klassischen Hochkultur als auch in der Vermarktung angelangt. Die deutsche Meisterschaft der nach allen Regeln der Eventkultur aufgezogenen Slams wurde im Goethe-Feierjahr 1999 in Weimar abgehalten. (Vgl. Porombka 2001: 38) Als Gegenveranstaltung geplant verdeutlichen sie, wie sehr die etablierte und die Gegenkultur wechselseitig aufeinander bezogen sind. 26 Mit social ist alltäglich, keineswegs sozial oder gar sozialistisch gemeint. (Vgl. Stahl 2003: 263) 27 Hier ist sicher nicht der Ort, um die Kontroverse um die Theorien Kittlers um einen weiteren Beitrag zu bereichern. Einige Anmerkungen sollten jedoch erlaubt sein. Kittlers Thesen lauten grob vereinfacht wie folgt: Die „Hardware“ der Aufschreibesysteme (der Buchdruck, das WWW usw.) ist „eigenständig“ und „beseelt“ und zwingt dem Produzenten letztendlich die Inhalte und Schreib-

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Eine Weiterentwicklung der Popliteratur fand ferner in Form von Migrantenliteratur statt (als Beispiel sind Vladimir Kaminer oder Feridun Zaimoglu zu nennen) – Trash, der sich u.a. die direkte Wiedergabe der Alltagskommunikation zum Ziel gesetzt hatte, inklusive ihrer Fehlleistungen und Ellipsen. Ob damit die Situation von in Deutschland lebenden Migranten tatsächlich erfasst wurde und nicht eher die Bedürfnisse einer lüsternen Leserschaft bedient wurden, ist etwa angesichts Zaimoglus Geschmackspräferenz für das Rotlicht- und Untergrundmilieu zwar fraglich, es wurde jedoch ein Wirklichkeitsausschnitt in die Literatur eingeführt, der bisher missachtet worden war. Doch auch hier zeigen sich deutliche Anzeichen der kulturindustriellen Eingemeindung, etwa wenn der Unterhalter Kaya Yanar am Fun Freitag (Titel eines Sat1-Senderkonzepts für den Freitag Abend) nicht zum Stahlbad (Adorno), sondern zum doppelbödig-ironischen Spiel mit Klischees über Migranten einlädt. * Grundsätzlich lässt sich somit festhalten, dass sich der Sound der Berliner Republik als Transformation des literarischen Feldes und der darin herrschenden Konkurrenzverhältnisse verstehen lässt, die zu kurzfristigen feldinternen Positionsgewinnen bestimmter literarischer Äußerungen führte, darüber hinaus aber trotz des temporären Charakters zu einer dauerhaften Schwächung des hochkulturellen Pols beitrug. Damit wurde zum einen die diskursiv mit diesem Pol in Verbindung gebrachte (aber von den anvisierten Autorinnen und Autoren sicher nicht zwangsläufig immer eingelöste) politische Programmatik getroffen, d.h. die Vorstellung einer durchgängig „irgendwie linken“ Hochkultur. Zum anderen wurde letztendlich der lange währende Prozess zur Zielgruppenausrichtung und kultureller Kommerzialisierung fortgesetzt. Diese Transformation, mag man sie nun kulturkritisch als Verflachung betrauern oder als Befreiung von der Gatekeeper-Funktion elitärer Autoren feiern, fällt zusammen mit zentralen politischen Neuausrichtungen (siehe die einleitend erwähnten Schlagwörter) bzw. mit der Fortführung einer in den 70er Jahren begonnenen Politik. Deren Effekte wurden in die Logik des literarischen Feldes „gebrochen“, was durch feldexterne Prozesse (etwa die Medienkonzentration in wenigen Händen) unterstützt wurde (die wiederum ebenfalls als Produkt dieser Politik angesehen werden können).

strategien auf. Medien sind Umwälzesysteme von Wörtern, ohne hermeneutisch erschließbaren Sinn und ohne produzierende Subjekte. Die Analogie zwischen diesen Grundannahmen und der These der Netzliteraten, man müsse sich des neuen „Mediums“ (oder eben „Aufschreibesystems“) bedienen, das einem neue Strategien ermögliche/nahe lege, dürfte unmittelbar einleuchtend sein. Ebenso deutlich, wenn auch aus einer ideologiekritischen Perspektive betrachtet, die sich auf die (aus der o.g. Sichtweise: mythische) Kategorie des Sinns stützt, dürfte die Verstrickung dieser bleistiftlosen Literatur in den bisher beschriebenen Diskurs rund um literarische Dissidenz und feldinterne Positionsgewinne sein. Auch der „modernistische“ Einwurf, man müsse den neuen Möglichkeiten gerecht werden, kann sich somit als Versuch lesen lassen, feldinterne Positionsgewinne zu erzielen, indem man sich als „modern“ und „auf der Höhe der Zeit“ stilisiert.

72 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

Theorie und Kritik der Populärliteratur: Verflachungs-, Sampling- und Archivthesen Die Perspektive, aus der Popliteratur in wissenschaftlicher Theorie und feuilletonistisch-hochkultureller Kritik oftmals betrachtet wurde, operiert mit dem Begriff der Oberfläche. Einerseits wird der Begriff gegen die vergeistigte und elitäre Suche nach Tiefe ins Feld geführt, d.h. gegen den Hauptmodus, unter dem legitime Literatur bzw. Kultur produziert und rezipiert wird. Oberflächlichkeit im nicht-pejorativen Sinne wird als Spiel mit den Codes des Alltäglichen oder als Befreiung vom Hochkulturschema angesehen. Andererseits fungiert der Begriff als Stigmawort, mit dem Popliteratur als reine Affirmation abgekanzelt werden kann. Im Folgenden sollen die in den bisherigen Abschnitten begonnenen Stränge entlang dominanter Theorien und Kritikformen zusammengeführt werden. Die Kritik der Oberfläche wird exemplarisch in Literatur Konkret (2001), einem jährlich zur Frankfurter Buchmesse erscheinenden Sonderheft des Magazins Konkret, geleistet. Dort wird Popliteratur kulturkritisch als Literatur des „nationalen Rebirthings“ (Literatur Konkret 2001: 3) beschrieben, als eine Literatur, der angesichts mangelnder realer politischer Partizipation nur die „Devotion vor dem Kassenbon“ übrig bleibt. (Ebd.) Ganz von der Hand weisen lässt sich vor allem der nationalbewusste Impetus nicht, führt man sich die Sehnsucht vor, die in Aussagen wie „Die junge Deutsche Literatur gilt wieder was.“ (Becker/Janetzki 2000: 7) steckt. Die Popliteratur wird insgesamt durch ihre (ironische oder tatsächliche) Fixierung auf die Warenwelt und die für die Warenproduktion notwendige gesellschaftliche Teilung als besonders affirmative Form der Literatur aufgefasst, die selbst ihren eigenen Warencharakter als Zeichen einer Befreiung feiert. Der wohlwollende 28 Blick auf die Popliteratur, mit einer ähnlich dissidenten Verve vorgetragen wie sie die untersuchte Literatur auszeichnet, lässt sich theoretisch in die zuvor beschriebene Auseinandersetzung mit der kritischen Theorie und dem ihr entgegengebrachten Elitismusvorwurf einordnen. Diese Kritik konzentriert sich auf die formalen Qualitäten dieser Literatur und stellt fest, wie Popliteratur mit der Reproduzierbarkeit und Modifizierbarkeit von Zeichen (vgl. Schäfer 2003: 17) spielt oder den Alltag archiviert. Der Fokus auf die Lesbarkeit dieser Texte und die Tatsache, dass endlich eine Literatur von ihren Rezipienten untereinander empfohlen wird (vgl. Baßler 2002: 10) 29 und nicht von Kulturredaktionen großer Magazine und Zeitungen oder anderen Literaturexperten, wird als ein schleichendes Wegbrechen des herrschenden Hochkulturschemas empfunden. So spricht der Literaturwissenschaftler Jörgen Schäfer die Popliteratur vom Vorwurf frei, aufgrund zeitlicher Überlappung und hoher Verkaufszahl28 Ohne zu sehr in wissenschaftstheoretische Fragestellungen zu gelangen, wird der Terminus „wohlwollend“ bewusst gewählt. In der Wahl des Gegenstandes und der Methode sind immer auch die Zwänge und Interessen des wissenschaftlichen Feldes eingeschrieben (vgl. Bourdieu 1974), etwa der Versuch, einen Gegenstand oder Wissenschaftszweig aufzuwerten oder herabzuziehen. 29 Wie wichtig die persönliche Empfehlung für den Erfolg eines Buches ist, lässt sich etwa das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel in jährlichen Umfragen bestätigen. 57% aller Buchkäufer gaben im Erscheinungsjahr der Taschenbuchausgabe von Generation Golf an, sich aufgrund einer persönlichen Empfehlung für den Kauf eines Buches entschieden zu haben. (Vgl. Schroth 2001b: 31)

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en das Spiegelbild der „new economy“ zu sein. Verkaufszahlen allein machten noch keine Popliteratur, andernfalls müssten Harry Potter und auch die ca. 300.000 Brecht-Titel, die Jahr für Jahr verkauft werden (vgl. Roeder 2006), dazu gerechnet werden. Auch dem Vorwurf, Popliteratur sei ein Zeichen des Qualitätsverfalls, schließt Schäfer sich nicht an. Vielmehr sei die Ablehnung, welche die Popliteratur (z.B. die Texte von Benjamin von Stuckrad-Barre) manchmal erfahren, vergleichbar mit der Ablehnung, die ihrerseits heute hochgeschätzte Vertreter der E-Kultur in den 60er Jahren erfahren mussten (z.B. Peter Handke). Die neue Popliteratur sei in der Postmoderne angekommen, indem sie das Buch als einen und nicht den Datenspeicher von Kultur auffasse und so auch bei der Überwindung der Kluft zwischen der hohen und niedrigen Kultur helfe – ein Verweis auf die bereits erwähnten Thesen des amerikanischen Literaturkritikers Leslie A. Fiedler. Letztendlich seien also die Kritiker nicht in der Lage, das, was sie geringschätzig als oberflächliche Massenware bezeichnen, zu verstehen. Die Popliteratur sei ein Zeichen dafür, dass die Dichotomie zwischen der Hochund Trivialkultur durch das nivellierende „Spannungsschema“ (Schulze 1992, zit. n. Schäfer 2003: 13) ersetzt wurde. Im Gegensatz zum alten Bild des Schriftstellers, der genialistisch aus sich selbst schöpft, zeige die Popliteratur auch die Abhängigkeit des Autors von einem konkreten Material, in diesem Fall die Abhängigkeit von den Produkten der Industriegesellschaft und von deren Massenkultur. Mithin betreibt Popliteratur ein Recycling der Realität: Sie zeichnet sich durch einen besonderen Wirklichkeitsbezug aus, mit dem Ziel, die Wirklichkeit eines bestimmten Zeitpunkts in einem fotografischen Schnappschuss festzuhalten. (Vgl. Schäfer 2003: 7-14) Diese Form der Literatur entfernt sich vermeintlich vom Gegensatz, der zwischen der Hochkultur und der Trivialkultur herrscht und deutet das Massenhafte in etwas Positives um, was exemplarisch von Rainald Goetz und seinem Abfall für Alle geleistet wurde. (Vgl. Schumacher 2003b: 158-172) Eine vergleichbare Argumentation wird von Moritz Baßler in Der deutsche Pop-Roman (2002) verfolgt. Popliteratur sei eine groß angelegte Sammeltätigkeit, die mit mikroskopischer Genauigkeit den Alltag einer Zeit einfangen wolle. Auch hier wird gegen das existierende (oder aber das unterstellte) Hochkulturschema argumentiert und das literarische Idealbild als Elitismus entlarvt, der sich gegen Unterhaltung und Realitätssinn gerichtet habe und bei näheren Blicken seinen eigenen Ansprüchen nicht genügen könne. Oder, wie es ein Protagonist der Popliteratur selbst aussagte: „Und lass uns nicht darüber nachdenken, ob es Literatur ist oder nicht. Das können andere tun. Wenn es Literatur ist, dann umso besser. Wenn nicht, dann ist es auch scheißegal“. (Lebert 1999, zit. n. Ernst 2001: 77) All die genannten Erklärungs- und Verteidigungsansätze verfügen jedoch aus feldtheoretischer, ideologietheoretischer und -kritischer sowie aus literatur- und diskurstheoretischer Perspektive über miteinander verflochtene Probleme. Diese werden in den nun folgenden Abschnitten bearbeitet.

74 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

Populärliterarischer Realitätssinn und der Reiz der Oberflächenbeschreibung Fasst man die wohlwollenden Ausführungen zur Popliteratur zusammen, so lassen sich daraus zwei Grundannahmen ableiten: (a) Popliteratur richtet sich gegen den Elitismus der Hochkultur, insbesondere weil sie sich (b) stärker an der Lebensrealität der Rezipienten bzw. dem „wahren Leben“ orientiert. Bereits benannt und daher an dieser Stelle nur kurz hervorzuheben ist die Tatsache, dass Populärliteratur und insbesondere der angeschlossene Popliteraturdiskurs mit einem essentialistischen Literaturbegriff in das feldinterne Spiel um Aufwertung und Verteidigung eingebunden sind. In der Populärliteratur werden die gleichen Teilungsprinzipien aufgestellt, gegen die sie selbst ankämpft: gegen eine Literatur, deren Klasse nur der entsprechend Gebildete erkennen kann, und gegen willkürliche Bevorzugung literarischer Darstellungsmittel. So definiert Moritz Baßler das Sampling des Alltags u.a. als sublimes Spiel mit mehrfach gebrochener (ironisierter) Ironie (vgl. Baßler 2002: 124f), die nur der Verknöcherte nicht zu erkennen vermag. Die (vermeintliche) rebellische Ader und egalitäre Einstellung, die der Popliteratur zugesprochen wird, verliert sich jedoch wieder, wenn man sie feldtheoretisch betrachtet. Auch Popliteratur ist nicht für alle da, auch sie setzt darauf, dass bestehende Unterteilungen gewahrt bleiben, z.B. zwischen den Konsumenten, die in der Lage sind, dieses feinsinnige Spiel mit Ironie zu durchschauen und jenen, die gewissermaßen auf ihren literarischen „Phänomensinn“ (Erwin Panofsky) zurückgeworfen werden oder aufgrund des unterstellten Elitismus bequem als schlecht gelaunte Kulturkritiker entlarvt werden können. Dass das Spiel der „umgekehrten Ökonomie“ auch in der Populärliteratur und der passenden Theoriebildung mitgespielt wird, verdeutlichen Aussagen aus der Warte des intellektuellen Pols der Popliteratur. Sie sei durch ihren zu großen Erfolg gescheitert (vgl. Gansel/Neumeister 2003: 185f), ohnehin gäbe es gutes und schlechtes Cut-Up (die Schnitte des Musikfernsehens seien entweder schlechtes oder gar kein Cut-Up), die frühe Popliteratur sei dissident, die späte flach und es gäbe coolen (den eigenen) und uncoolen Pop (den im wahrsten Sinne des Wortes populären Massengeschmack), womit implizit auch die entsprechenden Konsumenten gemeint sind. (Vgl. dies.: 183-197; Ullmaier 2003: 133-149) Doch bedeutet dies nicht (nur), dass es eine etablierte intellektuelle Populärliteratur gibt, die sich mit dem ganzen „Ernst der Sache“ gegen aufstrebende Nachzügler zur Wehr setzt: Gerade am ökonomischen Pol, d.h. der späten Popliteratur, welche vermeintlich so nah am Leben ist, möchte man nicht alle Konsumenten bedienen. Damit wird die Abneigung gegenüber den ästhetisch Unterlegenen, die gemäß der beschriebenen Dissidenzlogik und durch die Aufwertung des Alltags und der Alltagskultur eigentlich überwunden werden sollte, erneut reproduziert: „In dieser ‚Neuen Mitte‘ haben bestimmte Erscheinungen der Popkultur mittlerweile die gleiche Funktion wie in der alten Mitte die Erzeugnisse der Hochkultur: Sie dienen der Ab- und Ausgrenzung.“ (Terkessidis 2000) Ein Beispiel findet sich in der Polemik der Zeitschrift Literatur Konkret über Benjamin von Stuckrad-Barre: „‚Aber wenn der Golffahrer schon damit anfängt, die gleiche Musik wie ich zu hören, wäre es ja nicht abwegig, daß wir auch sonst etwas gemeinsam haben, und deshalb wende ich mich dann von dieser Musik ab. Denn für den Lebensstil des Golf-

REKONSTRUKTION FELDINTERNER KÄMPFE UND EFFEKTE | 75 fahrers möchte ich mich nicht entscheiden müssen, also für Kenwood-Aufkleber und Mobiltelefone am Gürtel. Das lehnt man ja ab. Kategorisch.‘ Es könnte seiner Literatur dasselbe geschehen, wie dem Mobiltelefon und Hugo Boss, Calvin Klein, BMW und Marlboro lights. Wenn zu viele sie [Stuckrad-Barres Literatur] goutieren, wird sie degoutant. [...] Wenn er also einmal einen Falschen beim Gutfinden seiner Bücher erwischte, wenn einmal vorm Fitneßcenter ein Golf GTI geparkt stünde und auf der Hutablage fände sich ein Band Stuckrad-Barre, könnte er nicht sagen, wie schön, daß diese ausgezeichnete Literatur jetzt endlich einmal Erfolg hat, sondern müßte sich abwenden, kategorisch. Und damit wäre der Aristokratenpop wohl erledigt.“ (Rohloff 2001: 31f)

Ästhetizismus und Abneigung gegenüber den (allzu großen) Massen – sollte sich also „alles ändern, damit sich nichts ändert“? (di Lampedusa 2003: 33) Nun kann jedoch (legitimerweise) eingeworfen werden, dass Literatur ja nicht immer kritisch sein müsse (exemplarisch: Baßler 2002: 185) oder dass mit der Popliteratur gar nicht der Anspruch verbunden war, literarische Egalität zu erzielen. Gleichwohl wird so der Kampf um Anerkennung und Profite umso durchsichtiger, der u.a. damit geführt wurde, eine Karikatur der als highbrow klassifizierten Literatur zum dämonischen Gegner zu erhöhen (gern wurde dafür die Dyade Walser – Grass genannt, damit auch wirklich jeder die Feindbilder erkennen konnte). Nicht nur, dass damit die etablierte Literatur per se als politisierte, historistische Mahner- und Kritikerliteratur dargestellt wurde, vielmehr ist es aus ideologiekritischer Perspektive problematisch, dass zunächst überhaupt eine politisierte Literatur unterstellt wird, von deren unterstellten Idealen es abzurücken gelte. Kurz: Was es diskursiv bedeutet, die o.g. Ideale zu unterstellen und dann deren Überwindung zu fordern, an welche ideologischen Positionen diese Überwindung geknüpft ist, wird in diesem theoretischen Modell überhaupt nicht hinterfragt! Ähnlich problematisch ist der Anspruch, realistischer als die zu überwindende Literatur sein zu wollen, d.h. dem Lebensgefühl der Rezipienten zu entsprechen. Die kanonischen Vertreter zeigen, dass es dabei zu einer deutlichen Präferenz der oberen Mittelschichten kommt, und trotz des Realitätsanspruchs finden keinerlei Solidarisierungen mit den (vermeintlich) trivialen Stilen und Inhalten statt, welche realistischerweise zu denen gehören, die am effektivsten aus der literarischen Wahrnehmung ausgeschlossenen werden: Popliteratur zieht nicht für die Aufwertung von Bastei Lübbe ins Feld. Sie erhebt auch nicht das Wort für Inhalte, welche die etablierte Literatur sträflich vernachlässigt, die jedoch zur Realität der meisten Menschen gehören, insbesondere was die Sphäre der Produktion anbelangt. 30 Sicher sind Dinge 30 Die Sphäre der Arbeitswelt gehört nach wie vor zu den in der Literatur unterrepräsentierten Sujets. Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur: Zum einen lässt sich davon ausgehen, dass die Beurteilungskategorien der meisten Leser an den legitimen Beurteilungskategorien ausgerichtet sein dürften. Auch diejenigen, deren Arbeitswelt in der Literatur unterrepräsentiert ist, wollen diese daher in der Regel nicht literarisch vorgespiegelt bekommen (siehe u.a. die Ablehnung des Naturalismus durch weite Teile der Arbeiterbewegung). Die Arbeitswelt und Literatur von Arbeitern oder nicht-professionellen Autoren ist zum anderen innerhalb der legitimen Hochkultur wenig angesehen (trotz punktueller Erfolge im Zuge der neonaturalistischen Studien in den 1960er und 1970er Jahren). Bis heute bleiben die Bereiche der Arbeitswelt aus der Belletristik ausgeschlossen.

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wie die Harald Schmidt-Show, der Einkauf in der Edelboutique oder der Besuch eines Fitnesscenters (alles Themen, die etwa in Generation Golf diskutiert werden) in dem Sinne real, als dass sie Phänomene beschreiben, die in der Realität existieren und vielen Menschen bekannt sind. Sicher sind sie auch realistischer als das Szenario, sich morgens zu einem Insekt verwandelt vorzufinden. Gleichwohl setzt diese Form des Realismus dem „kulturalistischen Irrtum“ (Eagleton 1993: 49) auf, der darin besteht, in der Aufzählung und Beschreibung dieser Phänomene und Praktiken bereits das Funktionieren der Gesellschaft ablesen zu können. Nun könnte auch dieses Argument mit dem o.g. Einwand abgewehrt werden, Literatur müsse und könne ja nicht jeden bedienen. Doch auch dieses Realitätsargument ist aus der gleichen ideologiekritischen Perspektive problematisch, wird auch hier nicht danach gefragt, was da eigentlich als Realität repräsentiert wird und in welcher diskursiven Nähe bzw. Diskurskoalition man sich dadurch befindet. Man muss kein schlecht gelaunter 31 Kulturkritiker sein, um in der Forderung nach Spaß und Oberflächenreiz, der Dominanz des „Gerade.Eben.Jetzt“ (Schumacher 2003a), der Abkehr von Kritik und Historismus (unerheblich, ob bisher real in der Literatur praktiziert oder bloß unterstellt) bzw. der Abkehr von der Suche des „Wege[s] ins Andere, Bessere“ (Hermand 2004: 14) die ideologische Grundausrüstung des „new capitalism“ zu identifizieren. Schematisch: Die Ausrichtung an der Gegenwart korrespondiert mit der Zeitökonomie des „new capitalism“, in der aufgrund von Konkurrenzdruck und Beschleunigung das Jetzt dominiert und Vergangenheit und Gegenwart im Reformdauerlauf als „Gegenwart minus“ bzw. „Gegenwart plus“ (Altvater/Mahnkopf 1996, zit. n. Candeias 2004: 135) am Status quo gemessen werden. Hier kann auf die grundlegende Kompatibilität zu den hinlänglich bekannten Endzeit-Topoi (Ende der Ideologien, der Geschichte, der Klassen Die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse dürfte jedoch genug Anschauungsmaterial für neonaturalistische Studien anbieten, die gegenwärtig allenfalls von einer narrativen Soziologie (Schultheis/Schulze 2005, Bourdieu 2005) oder den üblichen, unter „Gutmenschenverdacht“ stehenden Autoren produziert werden. (Grass/Dahn/Strasser 2004) Es wäre zu fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, die Technik des „trojanischen Pferdes“ (Bourdieu 1999: 533) auch in kritischer Absicht zu verwenden – wenn der Bedarf nach einem „großen“ Wenderoman so hoch war, dürfte der „große“ ALG2-Roman längst überfällig sein. 31 Dieses Urteil ist sowohl desartikulierende Unterstellung als auch symptomatisch dafür, wie kritische Positionen systematisch als „humorlos“ oder „nicht entspannt genug“ dargestellt werden. Distinktiver Humor eignet sich vorzüglich dazu, jede noch so widersprüchliche Position einnehmen und verteidigen zu können sowie jede Form der Kritik an sich abprallen zu lassen. Daher wird Gesellschaftskritikern oft vorgeworfen, sie seien nicht humorvoll genug, wie es etwa Günther Grass in einem gemeinsamen Interview mit Pierre Bourdieu in der ZEIT (Grass/Bourdieu 1999) beklagte. Dem gegenüber steht jedoch eine feldintern und in der Öffentlichkeit durchaus geschätzte Wertschätzung von Gesellschaftskritikern – solange diese eben nicht aus der eigenen Gesellschaft stammen: „Aber nur, wenn er von draußen kommt, von dort, wo Zensur herrscht, wo Bücher sowohl erwartet als auch gefürchtet werden, darf der Schriftsteller die Sprache des Enthüllens und Veränderns im Munde führen; dann klopft man ihm auf die Schulter und beglückwünscht ihn zu seiner Courage. Einer aus den eigenen Reihen, der von Enthüllen und Verändern spricht, gilt dagegen als hoffnungsloser Anachronismus.“ (Baier 1993: 106)

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usw.) und deren sozialwissenschaftlichen Apologeten (Beck 1986, Schulze 2005) verwiesen werden. Es wurde zudem deutlich, dass der Reiz an der Tiefe eine letztendlich mythische Kategorie darstellt und zum Teil zurecht als „intellektuell überheblich“ (Hermand 2004: 28) kritisiert werden kann, da selten die gesellschaftlichen Teilungen reflektiert werden, die diesen Anspruchsposen zugrunde liegen. Dennoch korrespondiert der Verzicht auf Tiefe etwa mit dem Sensualismus der Werbeindustrie und der allgemeinen Tendenz, soziale Phänomene als kulturelle zu begreifen, d.h. etwa Ungleichheit als bloße (und potenziell positiv zu bewertende) Unterschiedlichkeit zu behandeln, während sozialstrukturelle oder habituelle Gründe als unergründbare Blackbox aufgefasst werden, über deren Funktionieren man ob der allgemeinen gesellschaftlichen Komplexität und Unübersichtlichkeit keine genaueren Aussagen treffen kann. Um erneut mit Jost Hermand zu sprechen: Seit der Autonomie der Kunst und Literatur „mussten sie [Künstler/Autoren] sich – falls sie eine ‚eingreifende‘ Rolle spielen wollten – entscheiden, mit den Alpha-Wölfen der sich im Besitz der Macht befindlichen [...] Regierungssysteme zu heulen oder sich den jeweiligen philodemokratischen Protestbewegungen anzuschließen. Und daran hat sich bis heute [...] wenig oder nichts geändert.“ (Hermand 2004: 11)

Die Entscheidung läuft dabei in der auf Oberflächenbeschreibung gepolten Literatur (ob gewollt oder ungewollt) auf einen Pakt mit dem Bestehenden hinaus. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die als tief bzw. tiefgründig empfundene Literatur zwangsläufig zu der Sorte gehört, die sich ausschließlich für das einsetzt, „was vorne liegt“. (Ders.: 36, in Anlehnung an Ernst Bloch) In der Tat sieht Hermand in der sogenannten E-Kultur allenfalls Reste eines kritischen Potenzials. Ebenso wenig ist mit der Orientierung am Künftigen, Besseren eine Rückkehr in die „gute alte Zeit“ politischer Literatur verbunden. Deutlich wird somit, dass alle der o.g. Kritikpunkte mit der gültigen Definition von „Literatur“ und dem präferierten wissenschaftlichen „Denkstil“ (Ludwig Fleck) zusammenhängen. Neben der letztendlich moralischen Frage, ob und wofür sich Kunst und Literatur einzusetzen haben, ist hierbei sicherlich entscheidend, ob Wissenschaft Ideologiekritik zu leisten habe oder nicht. Verzichtet man auf Ideologiekritik, hat auch die Frage danach, ob Literatur und Kunst kritisch zu sein haben oder mit soziologisch korrekten Analysen die bessere Welt vorwegzunehmen haben (wie es Hermand nahe legt), wenig Sinn. Die Frage nach den Gründen für oder gegen Ideologiekritik kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Erst recht kann hier nicht entschieden werden, welche Sichtweise nun die „bessere“ ist. Hier wurde mit der Wahl der Methoden ein Ansatz favorisiert, mit dem die Verstrickung einer derartigen Literatur in den Diskurs-Macht-Komplex und die Anbindung an entsprechende ideologische Positionen analysiert wird. Dies geschieht einerseits um „überall die Effekte der herrschenden Ideologie aufzudecken“ (Haug 1985: 76), andererseits, um herauszuarbeiten, weshalb diese Spielart der Populärliteratur und gerade ein Text wie Generation Golf so gut funktionieren, d.h. (bis heute) Aufmerksamkeit akkumulieren konnte. Im Folgenden wird zum einen die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Popliteratur beschrieben sowie der Versuch unternommen, aus ideologiekritischer und literaturtheoretischer Perspektive die Frage zu beantworten, weshalb die späte Popliteratur so gut funktionieren konnte. Dis-

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kutiert wird dabei die bereits erwähnte Theorie, wonach der spezifische Modus der Popliteratur der des Samplings und Archivierens sei (Baßler 2002 in Anlehnung an Boris Groys Kulturarchivtheorie), sowie, nicht ausschließlich kontrastiv, eine Literaturtheorie, welche jede Form von Literatur als Applikation bestehender diskursiver Bestände betrachtet. Literatur verfügt so notwendigerweise über eine ideologische Grundierung (exemplarisch: Link 1983).

Samplingtheorie Zunächst wäre festzustellen, dass das Archivieren und Sammeln nicht unbedingt ein neues Phänomen darstellt, da z.B. auch Döblins Berlin Alexanderplatz diese Funktion übernommen hat. Neben diesem Vergleich liefert Helmut Böttiger eine gelungene Polemik auf die Archivierungsthese Baßlers: „Sie [die Popliteraten] haben den alten Gegensatz zwischen Ich und Welt hinter sich gelassen und schreiben einfach auf, was ist. Eine ausschlaggebende Bedeutung hat dabei die Nennung von Markennamen – ja, wenn man Baßlers Buch konkret zusammenfassen wollte, dann so: Tauchen in einem literarischen Text Markennamen auf, ist er gut; fehlen sie, ist er schlecht.“ (Böttiger 2004: 280)

Nun ist dieses Urteil durch und durch boshaft, doch fällt die Bilanz für die Literatur ohne Markennamen bei Baßler tatsächlich tendenziell negativ aus. Zum Grundgedanken des Konsumistischen Manifests (Norbert Bolz), d.h. zur These, Konsumismus und Markenbewusstsein besäßen bereits zivilisatorische Kraft, ist es da nicht weit, wenn es heißt: „Die Kultur der Marken, der Medien und des Pop ist uns nun einmal aufgegeben, so oder so. Zwischen bedinungsloser Bejahung und heftiger Kritik [...] läßt sich ein breites Spektrum von Möglichkeiten denken, wie man sich zu ihrer Allpräsenz verhalten kann. Die Attitüde ihrer bloßen Verachtung jedoch, das hat die Beschäftigung mit Peter Handke und Wolfgang Hilbig gezeigt, führt unweigerlich – und nicht zuletzt in literarischer Hinsicht – in äußerst zwielichtige Konstellationen.“ (Baßler 2002: 182f, Hervorhebung von T.K.)

Kritik ist in dieser Variante somit nur noch im Rahmen möglich, den die Consumer Society vorgibt. Alles, was (siehe Hermand) mehr will, gilt (zumal in der Literatur) als mythisch und potenziell einem Geniekult geschuldet, der auf der Suche nach einer Tiefe ist, die sich mangels eines archimedischen Punktes außerhalb der „kulturellen Enzyklopädie“ (ders.: 185) nicht finden ließe. Zweierlei dürfte dabei deutlich geworden sein: Zum einen dürfte evident sein, dass eine derartige nicht-materialistische Sichtweise, obgleich erkenntnistheoretisch sicherlich „wasserdicht“, Ideologiekritik weitgehend ausschließt. Zum anderen verweist dies erneut (wie auch Baßler festhält) auf die bereits erwähnte Frage nach dem Sinn von Literatur, nach ihrem gesamtgesellschaftlichen Zweck und ob sie Vehikel für Ideologiekritik sein kann und soll. Schematisch gilt: Auf der einen Seite steht die spielerische Literatur mit Markennamen, die sammelt, katalogisiert, archiviert, seriell aufzählt, bekannte Muster aus Werbung und Massenmedien ohne parodistische Intention wiederholt oder pragmatisch appliziert (etwa: Bebilderung einer Treffens mit

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Freunden mit dem Slogan einer Kartoffelchips-Werbung) und dabei stets auf dem Boden des Realismus bleibt. (Vgl. Baßler 2002: 94-135) Auf der anderen Seite steht die Altherrenliteratur ohne Markennamen (zumindest nicht als tragendes Element), die durch ihr Insistieren auf die Verwaltung der deutschen Vergangenheit, ihren Antikonsumismus und ihr Literatur-sein-Wollen automatisch etwas mythisch-Verstocktes, Skandalöses und potenziell Rechtskonservatives erhält: „Shopping macht frei!“ lautet dabei die inkriminierte Passage aus Wolfgang Hilbigs Roman Das Provisorium. (Baßler 2002: 180) Ganz von der Hand zu weisen ist somit Böttigers These nicht, wenn man bedenkt, dass das popliterarische Assoziationslaufband (Popkultur, Markennamen) gutgeheißen und die Begeisterung der meist jungen Leserschaft für diese nicht-narrativen Katalogtexte als Beweis für Medienkompetenz gehandelt wird (Baßler 2002: 187), der brutale Zynismus Hilbigs jedoch für bare Münze genommen und mit der gleichen Bestürzung kommentiert wird, die sonst den dauerempörten Gutmenschen in die Schuhe geschoben wird. „Shopping macht frei“ ist dabei genauso zynisch und aus der Warte des Konsumkritikers gerufen wie Brinkmanns Forderung, alles Kleinbürgerliche radikal „zusammen[zu]ficken“ (siehe weiter oben). Es sollte hierbei hervorgehoben werden, dass hier nicht versucht wird, einen der beteiligten Protagonisten (Hilbig, Baßler, Brinkmann) herabzuziehen oder aufzuwerten. Dass Hilbigs o.g. Satz zweifelhaft ist, weil er Konsumismus mit Naziterror gleichsetzt und damit recht „billig“ auf Entrüstung setzt, dürfte evident sein (ein Skandal blieb jedoch aus). Was jedoch deutlich wird, ist, dass im hinlänglich beschriebenen symbolischen Kampf (auch um Positionsgewinne im wissenschaftlichen Feld) Partei für die Popliteratur, inklusive ihre ideologische Grundierung ergriffen wird (indem die Ideologiefrage als letztendlich unentscheidbar definiert wird): Hilbigs Bildsprache sei „penetrant“ (Baßler 2002: 176), die katalogisierende Abfertigung der Unästhetischen und Lebensstilversager werde jedoch von Stuckrad-Barre „mit zuverlässiger Sicherheit [ge]meistert“ (ders. 2002: 106) und sei ohnehin nur Spiel mit den Elementen des kulturellen Archivs. Die Archivierungsthese kann somit nur eine Seite des Phänomens Popliteratur überzeugend abbilden. Deutlich ist, dass, wie eine Rezension zu Baßlers Studie feststellt, „Archivierung eben kein neutrales Unternehmen ist, sondern als kulturelle Praxis der Selektion und Speicherung von Sprache selbst direkten Anteil hat an der Formung der sprachlichen Wirklichkeit.“ (Werkmeister 2003: 472) Warum sie also funktioniert und wie sie in den Macht-Diskurs-Komplex eingebunden ist, der darüber befindet, was zu einem Thema öffentlich sagbar ist und zustimmungsfähig ist, stellt die andere Seite dar, die im Folgenden betrachtet wird. 32

Durchschleusung und Zirkulationsfähigkeit Dem Gegenstand Popliteratur und dem vorliegenden Vertreter Generation Golf scheint ein Zugang gemäß des entwickelten Werkzeugkastens eher gerecht zu werden, als sich erkenntnistheoretisch auf die sichere Seite zu schla32 Dem ließe sich hinzufügen, dass das verbindende Merkmal sowohl der frühen als auch der späten Popliteratur, das (an den popkulturellen Charts geübte) Auflisten und ranking, ein zentrales Element eines hegemonialen normalistischen Dispositivs (Jürgen Link) darstellt.

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gen und die Frage nach der Ideologie und dem Verhältnis zwischen Text und Gesellschaftsstruktur als unergründbar aufzufassen. Um diesen Zusammenhang prägnanter werden zu lassen, werden im Folgenden einige Ergänzungen entlang einer materialistischen Diskurstheorie vorgenommen, wie sie etwa Jürgen Link (1980, 1983) vorgeschlagen hat. 33 Dabei gilt, um mögliche Irritation von vornherein auszuräumen, dass eine materialistische Sicht eingenommen werden kann, ohne dabei zwangsläufig ein politisches Programm zu verfechten. Mag der Materialismus vielleicht als ein allzu „rostiges“ Instrument gelten, so ist er nach wie vor ein nützliches Werkzeug – mit dieser Erklärung wäre bereits der Boden der elementaren Literatur (siehe weiter unten) betreten. Diese materialistische Sicht lässt sich axiomatisch folgendermaßen definieren: 1. Ausgangspunkt ist die sogenannte elementare Soziokultur bzw. die elementar soziokulturelle Praxis. Damit gemeint ist die Tatsache, dass die den Menschen umgebende Welt und die darin existierenden Praxisformen nicht-natürlichen Ursprungs sind und durch menschliches Handeln geformt wurden. Sie sind dadurch zwangsläufig Produkt von Machtverhältnissen und den sie legitimierenden oder ermöglichenden Ideologien. Zur elementaren Soziokultur, die in Generation Golf verarbeitet wird, gehört etwa das Fitness-Studio. Der Besuch dient der Erhaltung des Körpers, ist damit etwa auf ein ideologisch vorbelastetes Ideal von Gesundheit und Employability bezogen. 2. In komplexen, funktional-differenzierten Gesellschaften existieren zahlreiche voneinander gesonderte Praktiken, in denen Menschen sich bewegen. Dies im Alltag diskursiv zu überbrücken, d.h. die einzelnen Praktiken und darin existierenden Diskursformen zu überbrücken, zu integrieren bzw. die nicht existierende Totalität zumindest imaginär abzubilden, ist Aufgabe des Interdiskurses. Jener operiert mit elementar-literarischen Diskursformen, elementarer Literatur. Ein Politiker, der in einer Ansprache von schweren „wirtschaftlichen Stürmen“, „Diagnosen“ und von „entgleisenden Lokomotiven“ spricht, verwendet elementar-literarische Diskursformen in pragmatischer Absicht, etwa zur Persuasion. 3. Elementar-literarische Diskursformen sind dabei auf das Material der elementaren Soziokultur bezogen, welches im Zuge metaphorischer Übertragung oder symbolischer Repräsentation in einer Praxisform zweckhaft appliziert wird, wobei die applizierten Elemente austauschbar sind (statt „entgleisende Lokomotive“ wäre beilspielsweise auch „lahmendes Zugpferd“ für die Bebilderung ökonomischer Themen möglich). Dieses Ver33 Ein ähnlich materialistisch und ideologiekritisch verankertes Verfahren wurde im Rahmen der Cultural Studies etwa von Douglas Kellner (1995) vorgestellt, welches innerhalb der hier entwickelten Systematik eher zur kritischen Theorie reicht, ohne jedoch deren Elitismen zu übernehmen. So adressiert Kellner alle Schwächen einer allzu optimistischen Sichtweise auf das Populäre durch die Verortung der Texte in einem historischen Makro-Kontext, durch die Inklusion einer ökonomischen Perspektive (Texte müssen die Markthürden überwinden, was sich auf ihre Beschaffenheit auswirkt), durch die Annahme relativ fester ideologischer Fronten, durch genaue sprachliche Analyse und schließlich durch die Annahme, Texte seien nach wie vor Mittel der Verführung, mit denen Identitätsbilder geformt und manipuliert werden können.

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fahren neigt zur Bildung systematischer Bildbrüche und umfasst auf höchster Ebene Kollektivsymbole, d.h. Symbole, die nicht nur in einigen Diskursen auftauchen, sondern sich durch alle Diskurse bewegen und ein synchrones System kollektiver Symbole bilden. Dieses System dient der gesamtgesellschaftlichen Integration der einzelnen Teilbereiche einer Gesellschaft und ist damit besonders ideologisch aufgeladen. 4. Auch die sogenannte institutionelle Literatur, also das, was gemeinhin als Literatur gilt, funktioniert nach diesem Prinzip des Aufgreifens und Applizierens, wobei die pragmatische Verankerung im Gegensatz zur elementaren Literatur rein diskursiver, literarischer Art ist, etwa wenn ein Element der Narration innerhalb eines literarischen Textes durch ein elementar-literarisches Element bebildert oder ausgedrückt wird. So ließe sich sagen: Sennetts flexibler Mensch wird in Generation Golf etwa als der multitaskingfähige Besucher des Fitness-Studios abgebildet, der auf dem Laufband steht und gleichzeitig die Börsenkurse verfolgt. (GG: 93) Weitere Beispiele wären die in Generation Golf entlang von Lebensstilelementen (also Produktvorlieben im weitesten Sinne) getroffenen Typisierungen (Neubau- vs. Altbaubewohner, Brigitte- vs. Amica-Leserin usw.). 5. Institutionell-literarische Diskurse können wiederum selbst pragmatisch appliziert werden. In diesem Sinne könnte etwa der Titel Generation Golf verstanden werden, mit dem sich Akteure selbst verorten können bzw. mit dem Akteure andere Akteure verorten. Denkbar wäre etwa ein hypothetisches Urteil über einen jüngeren, aufstrebenden Autor mit den Worten: „Ein echter Angehöriger der Generation Golf.“ 6. Literarische Diskurse und Verfahren verfügen stets über eine soziale Funktion. Die bisherige Auseinandersetzung mit der Theorie des literarischen Feldes und des Kampfes zwischen Geld und Kunst hat demonstriert, dass literarische Diskurse und Verfahren in einen Kampf um kulturelle Vorherrschaft eingebunden sind und dass die Qualität literarischer Darstellungen an der sozialen Qualität der Produzenten und Konsumenten gemessen wird. Es gilt somit zusammenfassend: „Keine institutionalisierte Literatur ohne eine historisch spezifische elementare Literatur als Basis [...].“ (Link 1983: 35) Jede Literatur braucht damit die elementare Literatur, d.h. die Elemente, die aus der elementaren Soziokultur entnommen werden. Dies ähnelt aus einer Makroperspektive betrachtet durchaus Bourdieus Konzept der Brechung, in dem Elemente äußerer Felder (hier mit elementarer Soziokultur zu substituieren) in die Logik des literarischen Feldes und damit in die Literatur selbst übertragen werden. Diese Analogie liegt umso näher, als dass Jürgen Link in seiner oben skizzierten Diskurstheorie Literatur als kontinuierlichen Prozess des Durchschleusens versteht, in dem die Elemente der elementaren Soziokultur aufgegriffen, bearbeitet, transformiert und appliziert werden. Bisher nicht in dieser Betrachtung enthalten sind (a) die Person des Autors und (b) der Erfolg des von ihm verfassten Textes. (a) Die bereits angesprochene These, Autorschaft sei eine diskursive Funktion, die je nach Ordnung des Diskurses einigen zukommt und anderen nicht, kann dadurch erweitert werden, dass der Autor als „Strukturbündel“ (Link/Link-Heer 1980: 356) betrachtet wird, das durch seine eigene Position zur Welt und zu ihren Diskursen in einer bestimmten Relation steht. Hier er-

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gibt sich erneut ein Anknüpfungspunkt an Pierre Bourdieus Habitustheorie: So wie der Habitus einer Grammatik des möglichen Handelns gleicht, so definieren die Strukturen, Diskurse und Symbole eine Grammatik des möglichen Schreibens. (Vgl. Dörner/Vogt 1994: 34) Autoren verfügen somit über einen ideologischen Horizont: Aus der Perspektive der Habitustheorie betrachtet verfügen Autoren über habituelle Grenzen des Gehirns, welche auch ihre Taktiken bestimmen, denen sie im literarischen Feld nachgehen (d.h. ob sie sich für den avantgardistischen oder den ökonomischen Pol entscheiden). Aus der Perspektive einer materialistischen Diskurstheorie sind bereits die Materialien, die der Autor durchschleust, ideologisch vorbelastet. Deren Verarbeitung und Applikation verläuft innerhalb der Grenzen des Sagbaren. „Kunstwerke sind Sedimente von Erfahrungen und richten sich, wie alle Kulturleistungen, auf praktische Ziele.“ (Hauser 1988: 5) So erfüllen auch Texte stets eine soziale Funktion und sind zugleich immer Vehikel für Ideologeme. Wenn auch klar sein dürfte, dass der ideologische Gehalt nicht immer ergründbar sein dürfte, wie es Dörner/Vogt (1994: 38) feststellen, so dürfte ebenso klar sein, dass dies eher für hermetisch-kryptische Texte 34 zutrifft und sich Texte, deren sozio-historischer Kontext bekannt ist und die nicht übermäßig verfremdet sind, durchaus auf ihre gesellschaftliche Funktion und damit auch ihren ideologischen Gehalt befragen lassen. (b) In Folge der skizzierten Literatur- bzw. Diskurstheorie und anknüpfend an den entwickelten Werkzeugkasten lässt sich der Erfolg von Literatur erneut in einigen Axiomen zusammenfassen: Erfolg im literarischen Feld ist geschenkte Aufmerksamkeit von Seiten der Akteure, um die es geht. Erfolg am ökonomischen Pol des literarischen Feldes hat, wer Zustimmung bzw. Aufmerksamkeit in Form zahlreicher gekaufter Bücher und ggf. in Form häufiger Medienpräsenz (Interviews, Kommentare, Rezensionen usw.) erhält. Die Wahl derer, um die es geht, ist am ökonomischen Pol des literarischen Feldes weniger selektiv als am avantgardistischen, deutlich wurde jedoch (siehe weiter oben), dass nicht die Aufmerksamkeit aller gewünscht ist. Zustimmung und Aufmerksamkeit erhält, wer Zustimmungsfähiges und Zirkulationsfähiges produziert, was allgemein abhängig ist von herrschenden Machtverhältnissen, Ideologien, Konventionen und der Struktur des literarischen Feldes. Wer um massenhafte Zustimmung bemüht ist, muss sich in den Bahnen bewegen, die dies ermöglichen. Er oder sie wird somit zustimmungsfähiges Material durchschleusen, das zur Erfahrungswelt und ideologischen Grundausstattung der intendierten Adressaten passt. Dies dürfte sich auch mit Hilfe der Feldtheorie erläutern lassen: Texte sind stets auf das soziale Feld bezogen, in dem sie rezipiert werden und an deren Anforderungen und Zwängen die Textproduktion ausgerichtet ist, woraus sich implizite Regeln ergeben, was den intendierten Rezipienten „zugemutet“ werden kann und 34 In den vorherigen Abschnitten wurde zudem deutlich, wie sehr auch kryptische, unverständliche Texte eine soziale Funktion ausüben können, die notwendigerweise ideologisch vorbelastet ist. Bereits benannt wurde die Distinktion und die Fähigkeit zur Repräsentation legitimer Kultur. Jürgen Link und Ursula LinkHeer nennen in ihrem Literatursoziologischen Propädeutikum (1980: 139ff) ferner die Funktion der Praktiken-Integration (Literatur ermöglicht einen Blick auf gesamtgesellschaftliche Totalität), der Autosatisfaktion (Eskapismus im weitesten Sinne), der Stimulierung der Produktivkräfte (durch vorgestellte Welten) und der psychische Reproduktion (Unterhaltung, Entspannung).

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was nicht. So wie im philosophischen Diskurs ein nobler, distinguierter Ton herrscht (vgl. Bourdieu 1976), so dürfte Generation Golf den Ton der „neuen Bürgerlichkeit“, dessen Beschaffenheit im Folgenden auszuarbeiten ist, anpeilen. Die höchste Form von Zustimmung dürfte dann erreicht sein, wenn sich „primäre Konkulturalität“ (Link/Link-Heer 1980: 173) einstellt, d.h. wenn die in einem Text transportierten Ideologeme mit denen der Rezipienten und deren Selbstverständnis übereinstimmen – das heißt feldtheoretisch gesprochen: Wenn die beteiligten habituellen Horizonte (des Produzenten und des Rezipienten) zur Deckung gelangen (was, um Missverständnissen vorzubeugen, nicht mit Gadamers Horizontverschmelzung gleichzusetzen ist). Im Falle von Generation Golf liefe dies etwa auf ein (fiktives) Begeisterungsurteil aus: „Ja! So ist es!“ Jede Gesellschaft verfügt zu einem Zeitpunkt ihrer Existenz über machtbasierte Grenzen des Sagbaren bzw. über für die Allgemeinheit gültige (und ideologisch grundierte) Deutungsmuster sowie über einen begrenzten Vorrat an Bildern, mit denen sich Gesagtes illustrieren lässt und dem stets ein soziales Kräfteverhältnis und eine soziale Perspektive zugrunde liegt. Werden bestehende Deutungsmuster appliziert bzw. in konkreten Kulturerzeugnissen inszeniert und durch einen habituell geschulten Verstand erkannt, so werden sie im Akt des Erkennens bestätigt und damit reproduziert. Dies gilt vor allem für Massenmedien. Es dürfte unzweifelhaft sein, dass allgemeingültige Aussagen heutzutage vor allem durch die ideologischen Grundannahmen des Zentralgebiets „new capitalism“ geprägt sind. Zirkulationsfähig sind beispielsweise Tiraden gegen die (vermeintlichen) Blockaden von Gewerkschaften, kaum zirkulationsfähig (zumindest außerhalb entsprechender Organe) etwa die Forderung nach stärkeren Gewerkschaften. 35 Massenhaft zustimmungsfähige Äußerungen im literarischen Feld tun daher gut daran, die o.g. Deutungsmuster anzusprechen. Für den Fall Generation Golf lassen sich hier einige dieser Muster und Topoi vorwegnehmen, etwa Themen wie Leistungs- und Konsumbewusstsein, Distanz gegenüber politischen Ritualen (Parteiprogramme, Demonstrationen usw.) oder latente Gewerkschaftsfeindlichkeit. 36 Letztendlich verdeutlichen diese Punkte (und der Erfolg von Texten wie Generation Golf), dass (materialistisch gesprochen) ein funktionales Verhältnis zwischen Basis und Überbau existiert, das sich im Akt des Durchschleusens, d.h. der Selektion und Transformation des vorhandenen Materials, beobachten lässt. Erneut lässt sich in diesem Kontext auf ein erhellendes Urteil des Kunsthistorikers Arnold Hauser zurückkommen: 35 Davon unabhängig und zudem schwer zu klären ist die Frage, ob Produzenten und Rezipienten auch wirklich an den Inhalt der herrschenden Beurteilungskategorien glauben – entscheidend ist, dass sie erkannt und verwendet werden. 36 Nun dürfte der entscheidende Einwand gegen eine derartige Theorie sicherlich derjenige sein, dass sie kritische, dissidente oder gefährliche Äußerungen de facto ausschließt und so bruchlos zurück in den Kulturpessimismus Adornos und in die totale Verweigerung zurückführt, während alles Erfolgreiche zwangsläufig als affirmativ und ideologisch betrachtet wird. Dies teilweise entkräftend könnte jedoch festgestellt werden, dass nichts gesagt wird, was sich nicht sagen lässt, und dass Kritik und gefährliche Äußerungen massenhaft verbreitet werden können, wenn entsprechende kollektive Deutungsmuster und (etwa im literarischen Feld) die kritischen Plätze virtuell bereits existieren, die nur durch Personen und Aussagen ausgefüllt werden müssen.

84 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM „Es besteht zwischen den Ordnungen der Gesellschaft und der Kunst eine unverkennbare Korrelation, wonach einer Veränderung auf der einen Seite eine auf der anderen entspricht. Die Veränderungen hängen jedoch miteinander durchaus nicht immer und nie restlos als Ursache und Wirkung zusammen. [...] Das [...] entsprechende Gesetz läßt sich im allgemeingültigsten so formulieren, daß nicht alles in jeder sozialgeschichtlichen Lage und unter allen denkbaren gesellschaftlichen Bedingungen möglich ist [...]. Denn wenn man auch nur soviel weiß, daß jede gesellschaftliche Konstellation eine bestimmte Anzahl von künstlerischen Formen zuläßt, während sie andere ausschließt, ist man bereits im Besitze eines wichtigen begrifflichen Schlüssels [...].“ (Hauser 1988: 25)

Dieses Verhältnis wird im Folgenden Teil die Analyse des Textes Generation Golf leiten, in der sowohl die entwickelten Werkzeuge als auch die geschilderten Erkenntnisse zur Popkultur und -literatur, mit ihren Kämpfen, Frontlinien und Theorien zum Einsatz kommen. Die tiefere Analyse wird zeigen, ob und wie sich Generation Golf als Produkt des neuen Geistes des Kapitalismus lesen lässt, d.h. ob und wie sich die in Generation Golf getroffenen Diagnosen letztendlich selbst als symptomatisch für die Bedingungen denken lassen, unter denen der Text entstand und die ihn erst möglich machten.

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN: STELLUNG UND STELLUNGNAHMEN IM LITERARISCHEN FELD In seiner 1969 erschienenen Schrift „Was ist ein Autor?“ stellte Michel Foucault die Frage nach den Wesensmerkmalen von Autorschaft und räumte dabei mit bisherigen Vorstellungen auf, insbesondere was die Romantisierung des schöpferischen Autorensubjekts, aber auch, was die Historizität der Kategorien Autor oder Werk anbelangt. Der Zweck war hierbei nicht, wie es auch heute noch nachgesagt wird, ein weiteres mal den „Tod des Autors“ zu feiern, noch sollte der Eindruck erweckt werden, er müsse „rehabilitiert“ werden. Vielmehr warf Foucault die (abstrakten) Fragen auf, wie ein Subjekt in der Ordnung des Diskurses (als Autor) erscheinen kann, welchen Platz es darin einnimmt und welche Funktion es darin ausüben kann, indem es Produktionsregeln befolgt, die vom Kräfteverhältnis innerhalb der diskursiven Ordnung vorgegeben oder nahegelegt werden. Während an dieser Stelle die Evidenz Foucaults Beobachtungen nicht weiter kritisch diskutiert werden soll, eignen sich diese Fragen jedoch als Dach, unter dem die weiteren Analyseschritte entlang des entwickelten methodischen Instrumentariums (dem Dreigespann genre, discourse und style) versammelt werden können. Zuvor wurden die Bedingungen beschrieben, unter denen ein Text wie Generation Golf entstehen und auch erfolgreich sein konnte, und es wurden die Diskurse und Frontlinien benannt, an die dieser Text angekoppelt ist. Nun lässt sich im Sinne Foucaults der Ort spezifizieren, an dem Generation Golf innerhalb des literarischen Diskurses, d.h. innerhalb des literarischen Feldes, angesiedelt ist. Als vieldimensionales Koordinatensystem entscheiden im literarischen Feld zahlreiche miteinander zusammenwirkende Merkmale über die Position einer Äußerung (eben einer Stellungnahme von einem Standpunkt aus) und die dadurch ausgedrückten und eingegangenen Relationen zu anderen Werken, Autoren und zu den Rezipienten. (Vgl. Bourdieu 1999: 365) Diese Koordinaten sollen hier aufgeteilt werden in habituelle, feldinterne und diskursive Merkmale, wobei die getroffenen Unterscheidungen allein operationaler Natur sind und keine absoluten Kriterien darstellen, sondern immer an den bestehenden Verhältnissen des literarischen Feldes gemessen werden müssen. Darüber hinaus lassen sie sich nicht immer genau trennen, sie sind aufgrund allgemeiner Homologie der Felder interdependent. Grob skizziert: Eine kapitalbasierte Position im sozialen Feld bewirkt eine habituelle Ausstattung und einen Aneignungssinn, beide bewirken grundlegende Einstellungen, sprachliche Taktiken, die Wahrscheinlichkeit, einen Stil, einen Gegenstand oder ein Genre aus dem Raum des Möglichen zu wählen usw. Die habituellen Merkmale eines Autors sind schwer zu operationalisieren: Weder sind alle Informationen, die als Indikatoren für einen Habitus herangezogen werden könnten, zugänglich, noch kann man sich auf die eige-

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nen Aussagen des Autors verlassen, da dieser als Feldteilnehmer immer bestrebt sein dürfte, ein bestimmtes Bild von sich zu zeichnen. So bleibt die Rekonstruktion des Habitus sicherlich lückenhaft und unbefriedigend. Sie soll im Folgenden auf Grundlage der Informationen vorgenommen werden, die frei zugänglich sind. Im Wesentlichen sind dies Informationen über die sozialräumliche Position des Autors. Mit ihnen soll verdeutlicht werden, von welcher Warte aus der verfasste Text spricht. Dies schließt konzeptionell weitere biographische Details – soweit verfügbar – ein, etwa die soziale Herkunft oder die Kapitalausstattung. Zwei Prämissen sind dabei zu beachten: 1. Zum einen lässt sich diese Kategorie, wie im Folgenden deutlich werden wird, oftmals schlecht von den diskursiven Merkmalen trennen: Die Ausstattung mit kulturellem Kapital lässt sich einerseits an den objektiven Eigenschaften des Autorsubjekts ablesen (am deutlichsten am Bildungsgrad). Sie lässt sich andererseits aber auch an sprachlichen Eigenschaften des Textes beobachten. Dies betrifft insbesondere die Stil- und Wortwahl. Mit ihr geht ein Autor eine Relation zu seinem Gegenstand und den Rezipienten ein, und er entwirft ein Bild von sich selbst, etwa indem er sich dadurch als gebildet und geistreich zu verstehen gibt. Tatsächlich lassen sich die habituellen Merkmale eines Autors mit dem Begriff der posture belegen, der Pose, Haltung oder Rolle, die ein Autor innerhalb des Feldes einnimmt und in der sich das Ethos des Autors zeigt – sowohl verbal-diskursiv (was man schreibt, wie man schreibt) als auch nonverbal (Selbstinszenierung in Interviews usw.; vgl. Meizoz 2005: 177ff). Vor diesem Hintergrund ist es schwer zu vermeiden, dass sich die Analyse habitueller Eigenschaften z.T. quer durch die folgenden Abschnitte erstreckt. 2. Zum anderen gelangt diese Betrachtung schnell in den Verdacht, ein psychologisches Profil des Autors anzufertigen bzw. widerspiegelungstheoretisch zu argumentieren, insbesondere dann, wenn auf die Homologie zwischen Autorhabitus, Wahl der (literarischen) Möglichkeiten und Position im literarischen Feld hingewiesen wird. Für diesen Fall gilt, dass das Autorsubjekt im Folgenden sowohl als relevant als auch irrelevant gelten wird. Irrelevant ist die Subjektivität des Autors, die triviale Frage danach, was der Autor wollte oder wirklich meinte (letzteres wird allerdings in einem folgenden Kapitel aus der Perspektie der Ironietheorie thematisiert). Dies ist nicht eruierbar und hier nicht von Interesse. Relevant ist das Autorsubjekt aus mehreren Gründen: Grundsätzlich soll hier nicht einer unkritischen, rein werkimmanenten Literaturinterpretation das Wort geredet werden (auch wenn diese sicherlich in Reinform realiter nicht betrieben wird und hier nur als idealtypischer literaturwissenschaftlicher Gegenentwurf herangezogen wird). Das literaturwissenschaftliche Unbehagen vor dem Materialismus und dem Autorsubjekt, insbesondere was das Verhältnis zwischen sozialräumlicher Position und textuellen Merkmalen anbelangt, ist der kollektiv (und auch machtbasiert) durchgesetzte Modus legitimer Literaturaneignung, mit der oft die (auch ideologische) Position ausgeblendet wird, aus der ein Text verfasst wurde und auf die er aufgrund der Homologie der Felder auch bezogen ist. Schließlich verweist (im Sinne Foucaults Theorie der Autorfunktion) allein die Tatsache, dass ein Text einem Autoren zugeordnet wird, auf ihn als Person (und insbesondere gilt dies na-

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türlich für Texte, die autobiographisch sind oder autobiographische Elemente enthalten). Nun mag Bourdieus Literaturtheorie in einigen Fällen durchaus an einen Münchhausen-Trick erinnern: Aus dem Blickwinkel dieser Theorie haben die Kritiker Bourdieus Unrecht, weil sie in einem Beurteilungsmodus gefangen sind, den erst Bourdieu „erkannt“ hat – und so wird die Kritik an Bourdieus Theorie mit derselben erklärt, so dass die Theorie weiterhin Gültigkeit besitzt, eben weil sie kritisiert wird (die Kritiker Bourdieus stellen sich jedoch nicht besser, da sie die Existenz eines objektiven „Außen“ präsupponieren, aus dem sie ihre Analysen betreiben). Dieses Problem soll zwar im Auge behalten, aber nicht weiter diskutiert werden: Der Zusammenhang zwischen Habitus und Text soll aufgrund der textuellen Merkmale und der Wahl eines entsprechenden Genres (Autobiographie bzw. autobiograpische Elemente) axiomatisch zugrundegelegt werden. Es sollte schließlich die (triviale) Einsicht bedacht werden, dass Florian Illies nicht Thomas Pynchon ist, d.h. kein sich selbst der Beschreibung entziehender Mann ohne Eigenschaften und kein Autor, dessen Texte übermäßig verfremdet sind und bei denen es schwieriger wäre, zwischen Textmerkmalen und Habitus Bezüge herzustellen. 1 Zu den feldinternen Merkmalen sollen die Faktoren gezählt werden, die nicht unmittelbar mit der Beschaffenheit des Textes selbst zu tun haben, etwa die Wahl des Verlages, die Anzahl der verkaufen Einheiten, die Anzahl und Qualität verliehener Preise (deren Geschichte, Renomee, andere Preisträger, Relation zu anderen Preisen usw.). Die Wahl eines Verlages ist ein Indikator dafür, welchem der dominanten Pole sich eine literarische Äußerung zuordnen lässt (oder lassen soll), ebenso die Höhe der Auflage. Die Auszeichnung mit einem Preis verstärkt diesen Effekt, kann aber zugleich auch den Status des Preises selbst tangieren, etwa indem er an Akteure vergeben wird, die in einem auffälligen Gegensatz zu den bisher Nobilitierten stehen, was den Preis als Indikator für eine bestimmte Qualität oder Richtung modifiziert. Als Bindeglied zwischen machtbasierten Konsekrationsinstanzen und literarischer Produktion fungiert der Preis in seiner Funktion als Belohnung auch als Indikator dafür, welche literarischen Äußerungen am jeweiligen Pol des Feldes sowie im Feld insgesamt bevorzugt werden und welche nicht. All dies wirkt sich schließlich, um das komplexe Gefüge der Beziehungen aufzudecken, auf die Taktiken anderer Feldteilnehmer aus, die auf der Grundlage von Habitus und der homolog zugeordneten Position im literarischen Feld positioniert sind und Relationen zu den Äußerungen und Auszeichnungen anderer eingehen. Autor, Text und Rezipienten sind in ein komplexes Aussagensystem eingebunden, dessen Wirken den Text im literarischen Feld positioniert. Diese Kategorie soll unterteilt werden in literarische und nicht-literarische Aussagen. Letztere umfassen etwa Paratexte (vgl. Genette 2001), also das „Beiwerk zum Buch“ wie Interviews, Rezensionen, Werbung, Klappentext. Festzuhalten ist hierbei, dass diese Aussagen natürlich in diesem Rahmen nicht erschöpfend, sondern nur exemplarisch vorgestellt werden können. Ferner sollen zu dieser Kategorie andere Aussagen des Autors herangezogen wer1

Allerdings ließe sich der Zusammenhang gleichermaßen am avantgardistischen Pol feststellen: Pynchons Unnahbarkeit dürfte etwa die effizienteste Form der Selbstdarstellung sein.

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den, die nicht unmittelbar etwas mit Generation Golf zu tun haben, wohl aber geeignet sein könnten, etwa einen Stilduktus oder eine Neigung festzustellen. Dies schließt etwa die vom Autor verfassten Zeitungstexte mit ein. Unter die literarischen Aussagen fallen zum einen andere Texte des Autors, deren Position und Beschaffenheit allerdings bloß holzschnittartig umrissen werden soll, um etwa eine Laufbahn innerhalb des Feldes bzw. die Veränderung des Feldes selbst verdeutlichen zu können. Im Vordergrund steht allerdings der hier untersuchte Erstbeitrag im Literarischen Feld, Generation Golf. Einen weiterer Beitrag zur Frage, wo sich Generation Golf im literarischen Feld bzw. im literarischen Diskurs verorten lässt, leistet die Betrachtung der klassisch literaturwissenschaftlichen Kategorien, also aus feldtheoretischer Perspektive: die Wahl der strategischen Möglichkeiten eines Autors. Das literarische Feld bietet ein begrenztes Universum der Möglichkeiten, aus denen ein Autor gemäß seiner Position und der Konstellation der Kräfte „frei“ auswählen kann. (Vgl. Bourdieu 1999: 374ff) Jene umfasst die (habituelle) Wahl eines Gegenstands aus dem Raum aller möglichen Gegenstände, die Wahl einer Gattung aus dem Raum aller Gattungen und die Wahl eines Stils aus dem Raum aller verfügbaren Stile. Alle Elemente verfügen über eine feldinterne und feldexterne Hierarchie. Entlang des entwickelten Instrumentariums lassen sich diese Wahlen in die Kategorien genre, discourse und style bzw. action, representation und identification übertragen (siehe Methodenteil). Diese drei Kategorien können dabei im Zuge der folgenden Analyse nicht linear abgeschritten werden, da sie dialektisch aufeinander bezogen sind: Etwas zu repräsentieren bedeutet auch, dies auf eine (für das Repräsentierte etwa typische) Art und Weise zu tun (etwa mit einem typischen Stil). Wenn also die folgenden Schritte linear wirken mögen, so muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass eine vollständige Trennung der Ebenen kaum handhabbar wäre und zu umfassenden Redundanzen führen würde. Die einzelnen Elemente erstrecken sich somit quer über alle folgenden Kapitel.

Generation Golf im Zeichen feldinterner Strukturprinzipien Autorhabitus und feldinterne Autorposition Realisierung einer kapitalbasierten Laufbahn Florian Illies 2 wurde am 4. Mai 1971 als jüngstes von vier Kindern in der hessischen Kleinstadt Schlitz geboren. Der früh verstorbene Vater war Professor für Biologie und Leiter des Max-Planck-Instituts für Gewässerforschung. Damit nahm Florian Illies innerhalb der provinziellen Gemeinschaft von vornherein eine herausragende Position ein: „[...] man merkt eben, dass er ein privilegiertes Leben geführt hat. Sein Vater [...] galt als der ungekrönte König von Schlitz. [...] Als wir ein Märchen einstudiert haben, war es völlig klar, dass Florian den Part des Königs übernehmen musste, etwas anderes 2

Die Informationen zur Person stammen größtenteils aus öffentlich zugänglichen Quellen (etwa aus dem Munzinger-Archiv), zum anderen sind sie einer persönlichen E-Mail entnommen, die dem Autor dieser Zeilen vorliegt. Wenn auf Informationen dieser E-Mail zurückgegriffen wird, wird mit Illies 2005 zitiert.

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wäre gar nicht infrage gekommen“ (Stern 34/2006: 127), berichtete eine ehemalige Lehrerin in einem Interview, welches im Zusammenhang mit dem Erscheinen von Florian Illies’ letztem Buch Ortsgespräch geführt wurde. Ein befragter Altersgenosse gibt zu: „Befreundet seien sie alle nicht gewesen mit dem ‚rich kid‘.“ (Lottmann 2006: 154) Illies schrieb als Jugendlicher für die Schülerzeitung sowie für die Lokalzeitung und studierte nach einem Zeitungsvolontariat Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie in Bonn; zudem studierte er ein Jahr an der Eliteuniversität Oxford. Sozialisation, künstlerische Selbstkonzeption (siehe weiter unten) und soziale Laufbahn dürften beim Entwurf von Generation Golf behilflich gewesen sein. In der Tat lassen sich in Generation Golf nicht nur Hinweise auf kunsthistorisches Wissen finden. Die habituelle Befähigung eines jeden, sich selbst und seinen Gegenüber sozialstrukturell aufgrund präferierter Praktiken und sichtbarer Zeichen zu verorten, dürfte bei Florian Illies – ohne dies allerdings überzubewerten – von der kunstgeschichtlich geschulten Beobachtungsgabe und der Fähigkeit zur Unterscheidung künstlerischer Stile geprägt sein. 3 Florian Illies studierte in Oxford Geschmacksgeschichte, das ganze Studium war ausgerichtet an der Frage, wie sich Geschmack historisch wandelt (und sich daher das Wechselspiel aus Vergessen und Neuentdeckung von Künstlern und Werken ergibt), wie sich Geschmack und Kennerschaft ausbilden und in welcher Relation das ästhetische Ideal, also ebenfalls eine geschmackliche Präferenz, zur Persönlichkeit des Künstlers steht. Die Verfügbarkeit des im Studium erworbenen institutionalisierten kulturellen Kapitals erklärt auch die Herausgeberschaft des Magazins Monopol, welches Illies’ formaler Qualifikation entspricht und sich, reduktionistisch gesprochen, darauf spezialisiert hat, anderen Geschmack beizubringen, Künstler wieder neu zu entdecken und für Geldanlagen notwendiges Bewertungswissen zu vermitteln. Ab 1991 arbeitete Illies als freier Mitarbeiter für die FAZ, 1997 trat er der Redaktion bei und erhielt 1999 im Alter von 28 Jahren die Leitung über die neu gegründeten Berliner Seiten, eine der zahlreichen redaktionellen Neugründungen des deutschen Zeitungsmarktes zur Zeit des Börsenbooms der „new economy“. Wirft man einen genaueren Blick auf Generation Golf, so wird deutlich, dass sich weite Teile des Textes auf diese journalistische Tätigkeit zurückführen lassen. So beinhaltet Generation Golf oftmals kaum veränderte Bruchstücke aus bereits bestehenden Artikeln und Kommentaren. 4 3

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Allerdings wäre es auch möglich, sich hier dem Urteil Karl Kraus’ anzuschließen, wonach ein Journalist derjenige ist, „der das, was der Leser sich ohnehin schon gedacht hat, in einer Form ausspricht, in der es eben doch nicht jeder Kommis imstande wäre.“ (Kraus 1986: 117) Einige Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit: „Die Frage ‚Wer mit wem?‘ wird täglich neu gestellt und jeden zweiten Tag neu beantwortet.“ (Illies 1995b) vs. „Wer mit wem und warum? Das ist die einzige Frage in den Daily Soaps, sie wird täglich neu gestellt und an jedem zweiten Tag neu beantwortet.“ (GG: 128) „So wie man sich im achtzehnten Jahrhundert für Verspätungen mit dem Hinweis entschuldigte, man habe noch einen Roman zu Ende lesen müssen, und sich über Romanfiguren unterhielt wie über gute Bekannte, so haben diese Funktion heute die täglichen ‚Vorabendserien‘ übernommen.“ (Illies 1997c) vs. „So wie man sich im achtzehnten Jahrhundert für Verspätungen mit

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Die Berliner Seiten wandten sich explizit an das „kultivierte [Berliner] Bürgertum[.]“ (Illies 2002d), doch endete der Höhenflug der Berliner Seiten zeitnah mit dem Crash des neuen Marktes. Illies, durch einen großzügigen Vorschuss 5 für für Generation Golf zwei finanziell abgesichert, kündigte freiwillig und rettete damit zwei Kollegen den Arbeitsplatz. Zusammen mit seiner Frau Amelie von Heydebreck, Tochter des Bankiers Tessen von Heydebreck (u.a. Vorstandsmitglied der Deutschen Bank), gründete er im April 2004 das Kunst- und Lifestylemagazin Monopol – Magazin für Kunst und Leben. Jenes selektiert allein durch den Kaufpreis von 7,50 Euro bereits die Käuferschaft und adressiert vor allem diejenigen, denen das kulturelle Gegenstück zum ökonomischen Kapital fehlt, und die distinktions- und repräsentationsförderndes Überblickswissen in Kunstgeschichte und Stilistik benötigen sowie entsprechende Belehrungen akzeptieren. Es handelt sich dabei also um jenen Teil der Generation Golf, der als neoaristokratischer „Starnberger-See-Düsseldorf-Bonn-Berlin[..]-Teil[.]“ (GG: 159) klassifiziert wurde und in dem „zuviel Geld“ auf „zu wenig Geschmack“ trifft (bei gleichzeitigem Wissen über die Notwendigkeit standesgemäßer Distinktion): „‚Es ist im Idealfall jene Mischung, die sich bei einer Vernissage findet.‘ Und von Heydebreck sekundiert: Gespräche im Freundeskreis hätten gezeigt, dass es viele Anwälte, Unternehmensberater oder eben Zahnärzte gebe, die den Kulturteil der Tageszeitungen gar nicht erst lesen, weil sie Angst hätten, sie wüssten zu wenig. ‚Genau die möchten wir mit unserem Magazin erreichen.‘ Weshalb es auch, in einer Auflage von 10000 Exemplaren, in der Business-Class der Lufthansa ausliegt.“ (Tillmann 2004) „Erreichen Sie in Monopol – Magazin für Kunst und Leben punktgenau eine besonders interessante sowie aufgeschlossene Zielgruppe: sehr gebildete, einkommensstarke Frauen und Männer im Alter von 30 bis 55 Jahren mit Sinn für Kunst und Ästhetik. Mit der neuartigen Themenmischung aus Kunst * Design * Werbung * Mode mit großen Bildstrecken sowie Reportagen und einer ästhetisch hochwertigen Umsetzung bieten wir ein ideales Umfeld für Anzeigen.“ (Mediadaten www.monopolmagazin.de)

Dass es dem Magazin für Kunst und Leben nicht um die Erfüllung des Befreiungsanspruches der Popart geht, d.h. um den Versuch, Kunst in das All-

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dem Hinweis entschuldigte, man habe noch einen Roman zu Ende lesen müssen, und sich über Romanfiguren unterhielt wie über gute Bekannte, so haben diese Funktion bei uns die täglichen ‚Vorabendserien‘ übernommen.“ (GG: 127) „Heike Makatsch ist fünfundzwanzig Jahre alt und hat einen Mund, der den Eindruck vermittelt, sie habe in ihrer Kindheit ständig Nutella vom Messer abgeleckt.“ (Illies 1997d) vs. „[...] allen voran Heike Makatsch, deren wunderbarer Mund immer so aussieht, als hätte sie früher zu oft Nutella vom Messer abgeleckt.“ (GG: 127). Die Passage über Verona Feldbusch als unfreiwillige Kulturkritikerin (GG: 132) entspricht beinahe wörtlich der Glosse „Die Überleiterin“ (Illies 1999d), der Exkurs über den Stabilo-Stift entspricht der Glosse „Der Filzstift“ (Illies 1999e). Der Betrag belief sich nach unbestätigten Angaben auf 750.000 DM. (Vgl. Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 84/2001: 9)

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tagsleben zu integrieren und aus den elitären und distinguierenden Museen zu befreien, dürfte aufgrund des Preises und der o.g. Selbstpositionierung deutlich geworden sein. Viel eher hat man es mit der bekannten Sorte EdelÄsthetizismus eines frühen Hugo von Hofmannsthal – „Es führt von der Poesie kein direkter Weg ins Leben, aus dem Leben keiner in die Poesie“ (Hugo von Hofmannsthal zit. n. Wunberg 2000: 276) – zu tun. Diese Pose ist selbstverständlich doppelbödig: Einerseits soll mit Monopol vom Ästhetizismus der Distinguierten abgewichen werden, indem praktisch verwertbares Orientierungswissen vermittelt wird. Andererseits besteht dieser praktische Zweck für den Konsumenten darin, dazu befähigt zu werden, eben jene ästhetische Haltung einnehmen zu können, zu der man ohne Überblickswissen (noch) nicht befähigt ist. Damit fügt sich das an dieser Form des Ästhetizismus ausgerichtete Magazin Monopol, dessen Name die Anzeichen bildungsbürgerlicher Kunstüberhöhung trägt, in die Reihe jener journalistischen Hochglanzprodukte ein, die sich am Gestus des New Yorker und ähnlichen, an Bildung und Besitz ausgerichteten Magazinen orientieren (hier wären etwa ähnlich gelagerte Magazine wie Cicero 6 , Dummy oder das Projekt Der Freund zu nennen). Dass es dabei zu personellen Überschneidungen zwischen (ehemaligen) Popliteratur-Autoren und Redakteuren der Berliner Seiten kommt, ist dem feldinternen Beziehungs- und Möglichkeitsnetzwerk und der strukturellen Ähnlichkeit der Anforderungen geschuldet, die auf allen Teilnehmern des journalistischen Feldes lasten (was nebenbei bemerkt den friktionsarmen Wechsel einzelner Journalisten zwischen politisch und inhaltlich vermeintlich inkompatiblen Blättern erklärt). Ganz und gar despektierlich wird diese feldinterne Endogamie im Satiremagazin Titanic kommentiert: „Erstaunlicherweise kommen fast alle schon jetzt sehr erfolgreichen Hauptstadtblätter ohne Inhalt aus, nicht jedoch ohne Pop-Autoren – jedes Magazin braucht schließlich seinen sympathischen Springinsfeld, um sich von der Konkurrenz abheben und auch kontrovers fiedelnde Meinungen ins fröhliche Arschgeigenkonzert einspeisen zu können: Cicero hat den Kaminer, Monopol hat Christian Kracht und Dummy immerhin den bereits in Abwicklung befindlichen und von der FAZ vorsorglich für tot erklärten Benjaminvonstucki-Barre abgekriegt.“ (Schmitt 2004)

Resümierend kann festgehalten werden, dass die Ausstattung mit Kapitalien und die abgeleisteten Stationen der sozialen Laufbahn insgesamt nahezu dem Ideal einer geglückten bildungsbürgerlichen Laufbahn entsprechen. An deren folgender Rekonstruktion wird erkennbar, dass hier ein Habitus zu sich selbst fand – Florian Illies wurde, was er aufgrund seiner Kapitalausstattung bereits war. Die in einer privilegierten Ausgangsposition angelegte Laufbahn wurde – mit einem kleinen Knick nach dem Scheitern der Berliner Seiten – realisiert: ein erfolgreiches Studium eines ökonomisch schwer verwertbaren Faches (ganz im Gegensatz zur naturwissenschaftlichen Bildung des Vaters), ein Aufenthalt in einer der angesehendsten Universitäten der Welt (Oxford, 6

Monopol wurde im Jahr 2006 vom Ringier-Verlag übernommen, der auch das Magazin Cicero herausgibt: „Der Titel ergänze sich mit ‚Cicero‘ in hervorragender Weise, sagte Manfred Werfeli, CEO von Ringier. Beide Magazine zielten ‚auf das Premium-Marktsegment mit hoher Kaufkraft‘ im Leser- wie im Anzeigenmarkt.“ (Hanfeld 2006: 36)

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Studium bei Francis Haskell, einem renommierten kulturgeschichtlich arbeitenden Wissenschaftler), Kontakt zu und Umgang mit „opinion leaders“ (Frank Schirrmacher, der von Illies auch als wichtiger Einfluss genannt wird), ein bruchloser Übergang in eine leitende Position bei einer der wichtigsten meinungsbildenden Zeitungen Deutschlands, Erfolg am ökonomischen Pol des literarischen Feldes (und Aggregation von Aufmerksamkeit bis hin zum Status eines massenmedialen Stichwortgebers), Einbindung in ein attraktives Diskursnetz im Umfeld von Generationen-, Demographie- und Reformdiskursen, Besetzen der attraktiven Position des Tastemakers an der Schnittstelle von Geld, Aufmerksamkeit und ästhetischem Lebensentwurf (und damit Erfüllung des archetypischen bildungsbürgerlichen Traumes) durch die Leitung eines elitären Kunstmagazins und schließlich (darüber hinaus) eine aus all dem resultierende Kreditwürdigkeit (etwa bei Verlegern und Kritikern), d.h. eine symbolische Machtbasis für die Produktion weiterer Texte und für die Möglichkeit, massenmedial und feldintern in Erscheinung treten zu können, wo andere (ohne entsprechende Bonität) längst an der Eingangstür abgewiesen worden wären. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Kontext auch die Maximierung des eigenen ökonomischen wie des besonders in den oberen Rängen der gesellschaftlichen Hierarchie monopolisierten sozialen Kapitals durch das Einheiraten in eine traditionsreiche großbürgerliche Familie. (Vgl. Hartmann 2004) Müßig darauf hinzuweisen, dass hier keine intentionale Partnerwahl unterstellt wird: Neben der Vorstrukturierung sozialer Kontaktchancen ist es jener habituelle (und damit von Bildungsgrad und Klassenzugehörigkeit abhängige) Aneignungssinn, der als Detektor in Fragen der Partnerwahl für jene empirisch nachweisbare Endogamie (der Heiratsmarkt ist nach unten durch Abgrenzungsprozesse und nach oben durch soziale Schließung begrenzt) innerhalb der Klassen sorgt, mit der die soziologischen Destratifizierungsdiagnosen eindrucksvoll widerlegt werden. (Vgl. Wirth 2000, Teckenberg 2000) Der hier vorliegende Fall des sozialen Aufstiegs durch Heirat trübt dieses Urteil nicht: „Der Geschmack paart die Dinge und Menschen, die zueinander passen, die aufeinander abgestimmt sind, und macht sie einander verwandt“, heisst es bei Bourdieu (1987: 374, Hervorhebung von T.K.), was auf eine Komplementarität (vgl. Teckenberg 2000, 134f) der Ressourcenausstattung zwischen Partnern hinweist, mit der etwa eigene oder die Lücken des Partners ausgeglichen werden – und das möglicherweise auch im Sinne einer neubürgerlichen, nicht-intentionalen, da habituellen rational choiceOrientierung, wie sie auch in Generation Golf dargestellt wird: Man wählt denjenigen aus und bleibt bei dem, „bei dem man weiß, was man hat.“ (GG: 173)

Künstlerisch-ästhetische Selbstkonzeption durch Vorbilder und Vorreiter Vorab Neben der Positionierung durch objektive Merkmale, wie der Kapitalausstattung oder feldinterner Parameter wie Verlagswahl und Auflagenhöhe, wird ein Autor auch durch die von ihm gewählte Selbstdarstellung positioniert. Während die diskursive Seite dieser posture (Stil, eigene Texte) in einem späteren Abschnitt behandelt wird, sollen an dieser Stelle die literarischen

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und/oder künstlerischen Vorbilder genannt werden, auf die sich der Autor beruft oder denen er sich verpflichtet fühlt. Damit kann ein Blick auf die ästhetische Selbstkonzeption des Autors geworfen werden. Diese eigene ästhetische Selbstkonzeption (vgl. Illies 2005) enthält als Vorbilder Enzensbergers Kursbuch, die Zeitschrift Twen, Hermann von Wedderkopps Der Querschnitt und Frank Schirrmacher in Person. Sie liefert somit auf den ersten Blick ein disparates Bild, werden doch hier die kulturellen und politischen Kristallisationspunkte der in Generation Golf und auch in Interviews gern geschmähten 68er-Bewegung (Kursbuch und Twen) als Einfluss genannt. Dies überrascht aber auch nur dann, wenn man tiefenpsychologisch einen reaktionären Habitus unterstellt, der zwanghaft alles ablehnen müsste, was von „den“ 68ern stammt (womit sich jeder Kunsthistoriker blamieren würde) – dies ist vollkommen unrealistisch. 7 Statt dessen wäre zu untersuchen, welche Laufbahn die genannten Einflüsse hinter sich haben, wo die genannten Einflüsse heute in der Hierarchie des kulturellen Feldes stehen, wo, von wem und mit wem sie ausgedrückt, gedeutet oder umgedeutet werden. Da dies allein Material für eine eigene Arbeit liefern würde und die Einflüsse dieser ästhetischen Selbstkonzeption insgesamt nicht überbewertet werden sollen, werden sie daher mit einer gröberen Optik betrachtet. In allen genannten Fällen hat man es (wenn man die Person Schirrmachers als Förderer außen vor lässt) mit Einflüssen zu tun, die Um- bzw. (je nach Perspektive) Abwertungen hinter sich haben, welche auf den Wandel des kulturellen Feldes und den gesamtgesellschaftlichen Wandel bezogen sind. Für die Einordnung dieser Einflüsse in die Hierarchie und die Geschichte des literarischen/kulturellen Feldes soll im Folgenden ein Blick auf deren Wertung, Umwertung und kontextuelle Einbettung geworfen werden. Welchen Positionswert haben diese Einflüsse? Welchen Weg haben sie feldintern hinter sich? In welcher Relation stehen sie zu anderen Positionen? Welche Deutungen rufen sie hervor und wie lassen sich die genannten Faktoren mit dem Feldwert von Generation Golf kontextualisieren? Wertungen Das Magazin Twen gilt als stilistischer Vorreiter zeitgenössischer LifestyleMagazine (artifizielles Layout mit großformatigen Fotos, Spiele mit Textsatz, Schrifttyp und -größe usw.) und aufgrund von Freizügigkeit als Indikator für die mit „68“ verbundene Emanzipation und Progressivität. Zugleich lässt es sich als Resonanzkörper eines zur Zeit der 68er-Bewegung in den Startlöchern befindenden Hedonismus und Konsumismus auffassen und damit als Indikator für jene „Wandlung im Überbau“ (Kondylis 1991: 234), mit der sich Lebensstil und Kultur an die veränderten Produktionsformen anpassten. So lässt sich Panajotis Kondylis mit dem Blick auf das artifizielle Layout von Twen deuten, wenn er schreibt, dass „die Mechanismen des Massenkonsums die Bedingungen geschaffen haben, unter denen die 7

Anzumerken wäre hier etwa das in der ersten Ausgabe von Monopol (1/2004) erschienene wohlwollende Interview mit Uschi Obermaier. Neben der Tatsache, dass ein Interview mit sanft alternden Diven die aufmerksamkeitsökonomische Dividende garantiert, stellen Ikonen wie Obermaier, pars pro toto für den lebensstilistisch-hedonistischen und unpolitischen „Arm“ der 68er-Bewegung stehend, ein heutzutage leicht absorptionsfähiges Bild dar.

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geistigen Produkte der alten, vor allem aber der postmodernen Avantgarde mit einigen Abstrichen und Vulgarisierungen Eingang in die Denk- und Wahrnehmungsgewohnheiten breiter Massen haben finden können. Massenkonsum läuft über massive Werbung, über Reklame und Plakate, also über Bilder und Graphiken, auf denen sich die avantgardistischen Einfälle, Konzepte oder Stereotypen in den Dienst des Marktes stellen lassen. Eine Gesellschaft, die ständig schnelle und wirksame Suggestion in Bild und Wort benötigt, kann auf die assoziative und assoziierende, knappe und emphatische Ausdrucksweise kaum verzichten.“ (Kondylis 1991: 240f, Hervorhebungen von T.K.) Das Kursbuch, einst politisch radikales Blatt und Organ der APO, nun im Besitz der Holtzbrinck-Gruppe, hat längst politische Kurskorrekturen vorgenommen und wird – so der gegenwärtige Herausgheber Tilman Spengler – als „Forschungs- und Entwicklungsabteilung“ für neue journalistische Formen verstanden. 8 Dies spiegelt sich auch in der Themenwahl und den Titeln wider: 1966 wurde der „Katechismus zur deutschen Frage“ aufgestellt, und in den darauf folgenden Ausgaben wurden Themen von Sprachkritik über Poststrukturalismus bis hin zur „Neue[n] Mathematik“ (8/1967) aufgegriffen. In der Spätphase der „Forschungsabteilung“ (s.o.) widmete sich das Kursbuch den zirkulationsfähigen Topoi, die besonders für die Adressaten relevant sein dürften: „Die Erben-Gesellschaft“ (135/1999), „Schluss mit der Moral“ (136/1999), „Berlin Metropole“ (137/1999), „Die neuen Eliten“ (139/2000), „Die Neidgesellschaft“ (143/2001), „Die 30jährigen“ (154/2003) usw. Das Kursbuch zur Phase Enzensbergers markiert jenen Bruch im literarischen Feld, mit dem die Gruppe 47 abgelöst bzw. entmachtet wurde, die bis dahin das Verhältnis zwischen den Feldern Politik und Literatur organisiert hatte. Die bis dahin tonangebende Gruppe 47 erhielt Konkurrenz durch die Studentenbewegung, und das gruppeninterne Gefüge erhielt vor dem Hintergrund der Frage, ob und wie sich Literatur vor den Karren der Politik spannen lässt oder lassen soll, und aufgrund der habituell und biographisch heterogenen Gruppenstruktur erste Risse – gerade weil die impliziten Regeln der Gruppe und des literarischen Feldes insgesamt im Zuge der gruppeninternen und -externen Auseinandersetzung mit und um die Studentenbewegung nun ausformuliert und zur Disposition gestellt wurden, d.h. die grundlegende Frage, was Literatur ist und was sie sein soll. (Vgl. Gilcher-Holtey 2004, Cofalla 2005) In diesem Zusammenhang sind Akteure wie Peter Handke, Hans-Magnus Enzensberger und Günther Grass (neben anderen wie etwa Martin Walser) entscheidend. Handke fokussierte sich auf die Beschreibungsimpotenz der Sprache, aufgrund derer sich Politisches und Gesellschaftskritisches nicht direkt abbilden ließe und orientierte sich mit dieser an Wittgenstein geschulten Sprachkritik eher an formaler, künstlerischer Dissidenz. Anders als Enzensberger blieb er gegenüber der Studentenbewegung recht distanziert. Enzensberger leistete mit dem Kursbuch eine ähnlich gelagerte Absage an das Projekt einer politisch motivierten Literatur wie sie bisher die Gruppe 47 betrieben hatte (deren Literatur zu dieser Zeit längst Kassenschlager geworden war) und an die alleinige Fixierung auf die Verarbeitung des Nationalsozialismus – selbst die kritischste Literatur oder ästhetisch widerständige Kunst könne ihm zufolge keinen gesellschaftlichen Einfluss erlangen. En8

Siehe http://www.goethe.de/wis/buv/thm/de174733.htm [Stand: April 2007]

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zensbergers Energien verschoben sich daher in Richtung realer politischer Agitation (auch wenn er den politischen Radikalismus rasch ablegte). Mit Handke, Enzensberger und Grass standen sich also zwei prototypische Formen eines intellektuellen Habitus gegenüber: Handke und Enzensberger verkörperten den Typus einer neuen Linken mit dem Anspruch auf individuelle Befreiung und einem eingreifenden intellektuellen Habitus, Grass stand für den arrivierten Kritiker und allgemeinen Intellektuellen, wie ihn die Gruppe 47 pflegte. Schließlich bleibt Wedderkopps Querschnitt, ein Organ, das dem Realismus der neuen Sachlichkeit zuzuordnen ist – jener latent affirmativen Stilrichtung, die konzeptuell an Massenproduktion, Standardisierung und neuen Freizeitformen orientiert war. Die in der neuen Sachlichkeit ästhetisierten Errungenschaften wie „der Gebrauch des Telefons und des Telegrafen, die Mitgliedschaft im vornehmen Tennisklub, die Freude am eigenen Auto, an den neuen Formen der Mode sowie den Vorzügen des ‚neuen Wohnens‘“ (Hermand 2006: 95) standen dabei nicht allen offen, zumal die betont unkünstlerische Stillosigkeit, die sich nur für Design und Gebrauchswert interessierte, alsbald selbst zum Stil ernannt wurde, der (bis heute) distinktionstaugliche Kühle vermittelt. Jost Hermand spricht in seiner Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts in diesem Fall von einer Phase des „Börsenhumanismus“ (ders.: 105), in dem die neue Sachlichkeit künstlerischer Ausdruck jener liberalen Vorstellung war, allein schon mit Wirtschaftswachstum und Massenkonsum die Befreiung des Menschen herbeizuführen. Umwertungen Alle genannten Einflüsse haben gemeinsam, dass sie über ein hohes Prestige verfügen und somit symbolische Profite ermöglichen: Vorbilder gestatten es, sich allein durch ihr bloßes Benennen und die damit verbundene Evokation deren Wert symbolisch anzueignen und einen Zusammenhang zwischen ihnen, sich selbst und der eigenen Produktion zu erzeugen (dies ähnelt auch der Vorbildfunktion, die in peritextuellen Widmungen und Danksagungen enthalten ist). Alle genannten Einflüsse sind in die Geschichte von Emanzipation, Progressivität und (maßvoller) Dissidenz (Kursbuch) eingebunden, deren Wert sich in Richtung Design und Lifestyle bzw. einer allgemeinen LuxusOrientierung verschoben hat (Twen, neue Sachlichkeit). Aus der Perspektive der Selbstdarstellung und -verortung eines Autors wäre zudem hinzuzufügen, dass eine derartige Präferenzstruktur das eigene institutionalisierte kulturelle Kapital ausweist und somit anzeigt, wie sehr man in allen Stilen und Geschmäckern beheimatet ist. Aus argumentativer Perspektive betrachtet ist schließlich nichts wirkungsvoller, als sich der radikalen Frühform der Ressourcen zu bedienen, deren einstige Vertreter in Generation Golf zum Gegner erkoren wurden und deren Progressivität man lobend erwähnt, während man den Verlust ihrer politischen Durchschlagskraft oder der stilistischen Vorreiterrolle latent kulturkritisch mit dem Hinweis betrauern kann, in der Gegenwart sei all dies nicht mehr möglich. Gerade vor dem Hintergrund der Diskurse im Umfeld der neuen Bürgerlichkeit, in denen Topoi wie die anhaltende Meinungshoheit der 68er und deren bis heute „lähmender“ oder „schädlicher“ Einfluss eine zentrale Rolle

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spielen, ist es vorteilhaft, den Nimbus der vergangenen politischen Radikalität der inkriminierten Gruppe anzuzapfen. Dies liefert einen Baustein für die Klärung der Frage, weshalb die „68er“ allgemein den argumentativen Drehund Angelpunkt des neobürgerlichen Diskurses darstellen, der sich (exemplarisch) von Paul Noltes Generation Reform 9 über Florian Illies Generation Golf bis zum Extremfall der von der Jungen Freiheit beworbenen Wir 89er 10 - Generation (Bubik 1995), der rechtskonservativen Variante von Claus Leggewies Die 89er, erstreckt. Darüber hinaus zehren auch die an den Generationendiskurs angeschlossenen Diskurse – allen voran der neoliberale Diskurs – vom Nimbus der radikalen Erneuerung und des Revolutionären. Das Trittbrettfahren auf vergangenen Energien kann dabei helfen, auf dem meinungsbildenden Parkett zu reüssieren und öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Dies liegt zum einen darin begründet, dass „68“ einen der letzten kollektiven Mythen und temporalen Zäsuren darstellt. Zum anderen spielen die Positionen ehemaliger 68er auch heute noch öffentlich eine gewichtige Rolle, wenn auch nicht in der unterstellten Stärke und erst recht nicht in Form des populären Zerrbildes einer gefährlichen Meinungsführerschaft ehemaliger Protofaschisten, wie es etwa Richard Herzinger (1996), Konrad Adam in der WELT 11 oder jüngst Götz Aly (2008) beschreiben. So drückt es auch Florian Illies in Generation Golf zwei aus, wenn er hervorhebt: „Ja, es sind die Anfangsjahre der 68er, die uns zeigen können, dass noch nicht Hopfen und Malz verloren ist.“ (GG2: 219f) Die Denkfigur, sich die Radikalität der 68er zu eigen zu machen, um deren Nachwirkungen zu überwinden, zehrt dabei insbesondere von jenen frühen Radikalen, die vermeintlich (oder real) im Laufe der Vollendung ihrer biologischen und sozialen Laufbahn die Wende zum Konservativen mitgemacht haben und umso vehementer diffamieren, was sie einst vertreten haben. 9

Dieses Buch war zeitweise bei der Bundeszentrale für politische Bildung als subventioniertes Exemplar verfügbar, was die institutionelle Verankerung der enthaltenen Thesen untermauert: „Gegen die ängstliche Verteidigung von Besitzständen ebenso wie gegen die Leichtigkeit der Spaßgesellschaft artikuliert sich hier die wache intellektuelle Stimme einer Generation Reform.“ (Klappentext Nolte 2004) vs. „[...] die Politik [wird] zurzeit fast ausschließlich von Menschen verantwortet [...], die gewohnt sind, Besitzstände fortzuschreiben und mehr zu verteilen, als eigentlich da ist.“ (GG2: 218) 10 „Eine neue Generation ist im Kommen: die 89er. Die Ideologien und Utopien der 68er Generation lehnen sie ab. Die Ewigbetroffenen, die Nationalallergiker und die FeministInnen gehen ihnen auf die Nerven. Sie wollen nicht ‚politisch korrekt‘ denken, sondern tabufrei diskutieren.“ (Bubik 1995, Klappentext) Bis hierher scheint das Konzept mit dem von Generation Golf und ähnlich gelagerten Texten übereinzustimmen, doch wird die Schwelle zum rechten Rand übertreten, wenn es da heisst: „In den Medien wird viel über die ‚Neue Rechte‘ geschrieben. Hier kommen sie selbst zu Wort: Männer und Frauen zwischen 19 und 29 – junge Konservative, Nationalliberale, demokratische Rechte.“ (Ebd.) 11 Klappern gehört dabei sicherlich zum Handwerk in der Aufmerksamkeitsökonomie, vor allem wenn Skandalisierung und Entrüstung mit einkalkuliert werden und das eigene Profil geschärft wird. Darüber hinaus wird angezeigt, was heutzutage selbst für die Springerpresse sanktionsfrei sagbar ist, wenn es angesichts der Umbenennung der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße (Berlin) heißt: „Wie soll man solche Leute [die 68er-Bewegung, verkörpert von Dutschke] nennen? Am besten wohl National-Sozialisten, wahlweise mit oder ohne Bindestrich.“ (Adam 2007, Hervorhebung von T.K.)

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Martin Walser ist auf diese Position notorisch fixiert und wird in diesem Sinne auch in Generation Golf mit einem Hinweis auf die Paulskirchen-Rede erwähnt. Auch Enzensberger (das o.g. Vorbild) passt insofern in dieses Schema, als dass er als Seismograph aktueller politisch-kultureller Strömungen souverän die entsprechenden Klaviaturen zu spielen vermag: von der pazifistischen Grundhaltung, im vierten Kursbuch (1966) in einem Brief an den Verteidigungsminister dokumentiert, und von der mehrteiligen Kritik der „Berliner Gemeinplätze“ (Kursbuch 11, 12, 15/1968) hin zur Stellungnahme für den Irak-Krieg und zur Beschwörung eines neuen Nationalbewusstseins, das nur von einem „penetrant[en] Nölen“ (Enzensberger 2000: 3) und von „Neurotiker[n]“ (ders.: 4) gestört werde: Alle hätten es, Deutschland solle in dieser Frage keine Sonderrolle spielen und endlich normal werden. In seiner Dankesrede für den verliehenen Heinrich-Heine Preis12 , der laut Satzung an jene verliehen wird, „die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern“, ließ Enzensberger den Sound der Berliner Republik erklingen und demonstrierte so die Bandbreite des öffentlich Sag- und Zustimmungsfähigen. Tatsächlich aktivierte er dabei (wie Walser) die zentralen Register des Reform- sowie des politischen Korrektheitsdiskurses: Deutschland leide unter „schuldbewusstsein“, unter einem durch das „sogenannte [sic] Sozialbudget“ geschürten Sozialneid auf den „Zweiturlaub“, den „wir“ – gemeint können nur jene wenigen sein, die sich selbigen leisten können 13 – nur noch „betroffen“ genießen könnten. Das Wort „sozial“ sei „ein einziges Mantra der Umverteilung“, ohnehin sei doch jedermann reicher geworden (die Spreizung zwischen Millionären und Geringverdienern wird verschwiegen), man könne sich mit „gute[r] Laune“ krankschreiben lassen, die „Staatsquote“ sei zu hoch (wobei Enzensberger dieselbe mit der Steuerquote verwechselt) und die Ostdeutschen zu undankbar für geschenkte Wiederaufbau-Milliarden. Schließlich schwingt Enzensberger sich in seiner Rede dazu auf, den vermeintlichen Moralismuszwang für das Phänomen verantwortlich zu machen, das er „‚Neger klatschen‘“ nennt: „Man hört von Neonazis und Polizisten, die in andere Richtungen blicken, wenn die 12 Die Tatsache, dass der Heinrich Heine-Preis einen der prestigeträchtigsten Preise im literarischen Feld darstellt, lässt zum einen die aufgeführten Aussagen Enzensbergers stärker hervorstechen, zum anderen demonstriert es den sich wandelnden Positionswert literarischer Preise, der davon abhängt, wer ihn unter welchen Umständen erhält oder nicht erhält. Dies verdeutlicht darüber hinaus einmal mehr die Schnittstelle zwischen Politik und (institutionalisierter) Literatur (deren Skandalträchtigkeit selbstverständlich nur die entsprechend kapitalausgestattete Öffentlichkeit tangiert). Wie dicht dieses Verhältnis zwischen Literatur, Politik und den Grenzen des Sagbaren ist, wurde im Jahr 2006 anlässlich der gescheiterten Verleihung des Heinrich Heine-Preises an Peter Handke deutlich, der durch sein Handeln gegen ein Stück bundesdeutsches Selbstverständnis verstieß, indem er die alleinige Verantwortlichkeit Slobodan Miloševiüs an Gewalttaten im Kosovo-Krieg leugnete (die der internationale Gerichtshof freilich niemals nachweisen konnte). 13 „Wer fährt schnatternd in den Zweit-, Dritt- und Vierturlaub, wer fährt nicht? Wer kann nicht fahren, weil er kein Geld hat? Wer will nicht fahren, weil er das für Schwachsinn hält? Wer zahlt die hohen Steuern und Abgaben bis knapp unter 50 Prozent, wer holt sich durch legale und illegale Tricks die Steuern der andern in die eigene Tasche? Welche Literatur schweigt dazu, welche lügt, welche sagt die Wahrheit?“ (Rügemer 1999)

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irregeleitete Jugend auf die Idee kommt ‚Neger zu klatschen‘. [...] Wie, wenn an der Menschenliebe, mit der wir es zu tun haben, etwas Beängstigendes wäre? Könnte es nicht sein, daß ihr nicht jeder gewachsen ist, daß die nimmersatte Moral so manches Gemüt überfordert?“ (Enzensberger 1998) Dies wird vom Spiegel-Autor Andreas Smoltczyk in einem durchaus klassenrassistischen Tonfall damit kommentiert, die Rede sei „geschrieben aus Unmut über moralische Überdüngung“ und tendenziell auch von einer Angst motiviert, dass „das Volk, der große Lümmel, zur Bestie wird“ (Smoltczyk, zit. n. Rügemer 1999) und sich etwa neidvoll über die „etwa anderthalb Mark“ (ebd.) hermachen könnte, die ein Buchstabe aus der Feder Enzensbergers zu jener Zeit auf dem Literaturmarkt erzielte.

Strukturprinzip externe Hierarchisierung: ökonomischer Erfolg, Verlagswahl, Ausstattung In diesem Abschnitt werden einige Elemente der wesentlichen Strukturprinzipien des literarischen Feldes behandelt: die der „externen“ und die der „internen Hierarchisierung“. (Bourdieu 1999: 345) Die externe Hierarchisierung umfasst den weltlichen Erfolg, den ein Kulturprodukt erzielt. Jener lässt sich etwa an der Wahl des Verlages, der Auflagenhöhe, der Ausstattung des Textträgers und der Verfügbarkeit von Folgeprodukten (beides verdeutlicht das Vertrauen des Verlegers in das betreute Produkt) oder der Wahl des Literaturagenten ablesen. Die interne Hierarchie, die in einem Verhältnis zur externen steht, markiert den feldinternen Erfolg und die Zuordnung zu einem der Teilfelder und Pole innerhalb des Gesamtfelds. Hier dient als Indikator etwa die Ausstattung mit einem Literaturpreis sowie dessen – historisch wechselhafte – Bedeutung. In beiden Fällen fungieren die genannten Elemente als Merkmale, die Generation Golf und Florian Illies innerhalb des Feldes positionieren. Die Genealogie der erschienenen Texte beginnt im Jahr 2000 mit Generation Golf. Die gebundene Erstausgabe erschien im Argon-Verlag (Holtzbrinck), welcher im Jahr 2004 abgewickelt wurde und nun ausschließlich Hörbücher produziert. Anleitung zum Unschuldigsein erschien 2001 (ebenfalls gebunden) bei Argon, nachdem es zuvor auszugsweise in der FAZ veröffentlicht wurde. In beiden Fällen wurden die Taschenbuchausgaben beim Fischer Taschenbuchverlag aufgelegt, darüber hinaus erschienen im Jahr 2005 Sondereditionen mit modifiziertem Titelblatt. Generation Golf zwei markiert zusammen mit dem gewährten Vorschuss von 750.000 DM den Wechsel zur Verlagsgruppe Random House. So erschien Generation Golf zwei (2003) bei Blessing (Bertelsmann, Random House) als gebundene Erstausgabe und als Paperback, später dann als Taschenbuch bei Goldmann (ebenfalls Bertelsmann, Random House). Auch das im Jahr 2006 veröffentlichte Ortsgespräch erschien bei Blessing, erst im Januar 2008 erschien die dazugehörige Taschenbuchausgabe. Alle Texte erschienen zudem als Hörbuch in verschiedenen Varianten (auf CD, einige sogar noch auf Kassette), darüber hinaus ließen sich sogar Generation GolfKühlschrankmagnete käuflich erwerben. Florian Illies arbeitete mit der Literaturagentur Eggers & Landwehr zusammen, von der anzunehmen ist, dass sie den Kontakt zu den entsprechenden Verlagen hergestellt hat. Dass ein Großteil der erfolgreichen Literatur mittlerweile über die Vermittlungsleistungen von Agenturen produziert wird,

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welche die Auswahl zirkulationsfähiger Texte für die Verlage präselektieren, dürfte bekannt sein. Die Wahl einer erfolgreichen Literaturagentur ist somit entscheidendes Kriterium für Erfolg im literarischen Feld (und das sicher nicht nur am ökonomischen Pol). Als besonders einflussreiche und auf ökonomischen Erfolg gepolte Agentur steht Eggers & Landwehr daher an jener Stelle, an der sich Literatur und (ökonomische) Macht treffen und erfolgreiche Bestseller hergestellt werden (können). Darüber hinaus ist diese Agentur in das popliterarisch-popkulturelle und meinungsbildende Netzwerk eingebunden: Sie ist selbst ein junges Produkt der „new economy“ und der Berliner Republik (Mitte der 90er Jahre in Berlin gegründet) und sie betreut(e) zahlreiche Popautoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Florian Illies oder Benjamin Lebert, aber auch die Sängerin der Deutschpop-Band Zweiraumwohnung (Inga Humpe) und darüber hinaus Autoren wie Christoph Schlingensief, Frank Schirrmacher, Claus Leggewie, Bernhard Bueb (Lob der Disziplin) oder erfolgreiche Ratgeberautoren wie Dietrich Grönemeyer. Von Generation Golf wurden nach eigenen Angaben des Autors (Illies 2005) ca. 700.000 Exemplare verkauft. Es belegte über einen Zeitraum von mehr als 60 Wochen (zwischen Anfang 2000 und Ende 2001) in der SpiegelBestsellerliste 14 durchschnittlich den 8. Platz und konkurrierte damit mit der noch erfolgreicheren Geschichte eines Deutschen (Sebastian Haffner), die über das gesamte Jahr 2001 den ersten Platz nicht verließ. Dieser Erfolg ließ sich jedoch nicht wiederholen. So verkaufte sich nach Angaben des BlessingVerlags Generation Golf zwei ca. 250.000-mal. Auch die Positionierung in der Spiegel-Bestsellerliste sank von Publikation zu Publikation: 60 Wochen für Generation Golf, mehr als 30 Wochen für Anleitung zum Unschuldigsein, 13 für Generation Golf zwei, 5 Wochen im Falle von Ortsgespräch (beginnend ab Erscheinung im August 2006: 15, 7, 9, 10, 13). Auch diese Platzierung verdeutlicht die wechselhaften Themenkonjunkturen innerhalb des literarischen Feldes, in dem die populären Plätze nicht immer mit den gleichen Strategien besetzt werden können. Konnte mit der Generationenrhetorik noch ein zugkräftiges Thema aktiviert werden, scheiterte Illies mit dem Versuch, das Thema „Provinz“ und „Heimat“ zu etablieren, obwohl jenes (siehe unten) durchaus auf massenhafte Zustimmung angelegt ist. Dem gegenüber steht etwa eine Publikation wie Peter Hahnes „Schluss mit Lustig“, die ein thematisches Dreigespann mit Aufmerksamkeitsgarantie abhandelt: Werte, Moral, Bildung. Im November 2004 veröffentlicht, befand es sich 2005 und – nach Unterbrechungen – noch bis Ende 2006 und Anfang 2007 im unteren Drittel der Spiegel-Bestsellerliste (etwa Platz 14 von 20, Heft 47/2006). Allein die sinkende Auflagenhöhe reflektiert daher den tendenziellen Statusverlust, dem der Autor mit dem Zusammenbruch der „new economy“, dem Verlust der Berliner Seiten und der Diffusion des popliterarischjournalistischen Netzwerks ausgesetzt war. 15 14 In der Rubrik Sachbuch. 15 Es lässt sich für Generation Golf zudem der Prozess einer Entwertung beobachten, die besonders Literatur mit kurzen Produktionszyklen kennzeichnet und die im Extremfall dazu führen kann, dass der Wert eines Buchtitels nach einer Phase hoher Verkaufszahlen unter den eigenen Materialwert sinkt (siehe dazu Bourdieu 1999: 228-235). Dass der Wert von Generation Golf und der Folgeprodukte (Hörbücher usw.) abgenommen hat und es sich, um mit der empirischen Buchmarktforschung zu sprechen, kaum als Besitzbuch (vgl. Escarpit

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Strukturprinzip interne Hierarchisierung: Generation Golf als konsekrierte Preisträger-Literatur Über die Bedeutung von Kulturpreisen als Schnittstelle zwischen Macht und Kultur Das literarische oder allgemein kulturelle Feld ist grundsätzlich gegenüber anderen Feldern, etwa gegenüber dem politischen Feld, autonom. Es verfügt insgesamt über einen niedrigen Institutionalisierungsgrad: Weder feldintern noch feldextern existieren wirklich verbindliche Institutionen oder „Schlichtungsstellen“, in denen der Bereich des literarisch Sagbaren definiert oder kodifiziert wird. Dass es dennoch zu Wechselwirkungen zwischen Politik und Literatur kommt, wurde bereits festgehalten. Dies sind zum einen ökonomische Faktoren: Wenn in der Aufmerksamkeitsökonomie das Sein durch das Wahrgenommenwerden definiert wird (Franck 1998 in Anlehnung an Berkeley), so kann literarisch nur derjenige „existieren“, der die entsprechende ökonomische Macht im Rücken weiß (etwa in Form großer Verlage, einer meinungsbildenden Zeitung und ggf. einem journalistischen „Brotberuf“ usw.). Ferner lassen sich indirekt durch eine besondere Form der Kulturförderung und durch das Besetzen entsprechender Gremien in Konsekrationsinstanzen Effekte im literarischen bzw. kulturellen Feld erzielen. Eine dieser Schnittstellen zwischen politisch-ökonomischer Macht und literarischer bzw. kultureller Produktion stellen Literaturpreise dar. Mit der Zuteilung eines Preises bekennt sich der Preisverleiher zur preiswürdigen Literatur. Der ausgezeichnete Text und der Autor werden dadurch in die Kontinuität bisheriger Preisträger und in die hinter dem Preis stehende Programmatik eingefügt. Dies ist auch mit einer Obligation auf Seiten des Preisverleihers verbunden, der sich so hinter den Preisträger stellt und potenziell für die Verleihung des Preises angreifbar macht. Literaturpreise werden in der Regel von Gremien vergeben, deren Mitglieder nach einem bestimmten Schema zusammengesetzt sind, was den Bereich des literarisch Preiswürdigen weiter einschränkt. Da Literaturpreise einen Teil des öffentlichen kulturellen Lebens darstellen, werden die Jurys in der Regel mit Personen besetzt, die (in welcher Form auch immer) über Reputation verfügen: Personen, die aus dem öffentlichen Leben stammen und/oder die im literarischen Feld eine mehr oder minder gewichtige Rolle spielen (Verleger, Kritiker, Feuilletonredakteure, Wissenschaftler usw.). Hinzu kommt, falls ein Preisgeld gezahlt wird, der Sponsor (Mäzene, Unternehmen, Bankdirektoren usw.). Dabei ist auch der repräsentative Gehalt einer entsprechend inszenierten Preisverleihung nicht zu unterschätzen, von dem alle beteiligten Seiten profitieren: der ausgezeichnete Autor, die Preisverleiher und nicht zuletzt die mit entsprechenden Kapitalien ausgestatteten Gäste, die damit ausweisen können, Träger legitimer Kultur zu sein. 1961) bezeichnen lässt, verdeutlicht eine Recherche beim Online-Buchhändler Amazon. Alle Varianten (auch die Neuauflagen aus dem Jahr 2004/2005) sind durch einen rapiden Preisverfall gekennzeichnet, der bei gebrauchten Ausgaben die Schwelle des Materialpreises unterschreitet (Generation Golf ist im Februar 2007 gebraucht ab 1 Cent als Taschenbuchausgabe und ab 45 Cent als gebundene Variante verfügbar). Ein weiterer Indikator dürfte zudem sein, dass Generation Golf längst im bargain basement der Supermärkte angelangt ist.

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Diese Schnittstelle aus Literatur und Politik ist umso dichter und die Preisvergabe dabei umso weniger wagemutig (dafür jedoch umso offiziöser), je höher der Preis in der Hierarchie aller Preise liegt. Gerade die besonders wertvollen Preise sind eng an das politisch-kulturelle Selbstverständnis einer Nation gekoppelt, das sich tendenziell in der Preisvergabe offenbart – dies lässt sich an der bereits thematisierten Debatte um die gescheiterte Vergabe des Heinrich-Heine-Preises an Peter Handke erkennen und umgekehrt an der Gewährung des Preises an Hans-Magnus Enzensberger. Wie dicht dieses Verhältnis von Preisvergabe und politischer Großwetterlage schließlich ausfallen kann, wird in der Vergabe von Literaturpreisen an politische Akteure deutlich, deren Beiträge zum literarischen Feld, sollten diese nicht größtenteils von professionellen Autoren geschrieben worden sein, äußerst schmal ausfallen dürften. So wurde etwa auch Richard von Weizsäcker 1991 – noch während der Amtszeit – für seine Reden mit dem Heinrich-Heine-Preis ausgezeichnet. Literaturpreise sind zudem Teil des komplexen Beziehungsnetzwerks, das durch das Zusammenwirken aller Akteure des literarischen Feldes (Verleger, Autoren, Feuilletonredakteure, Mäzene usw.) wechselseitig erzeugt wird. Die Zwänge und Möglichkeiten, die auf den Akteuren lasten bzw. sich jenen bieten, lassen dabei von der romantischen Vorstellung abrücken, dass preiswürdige Autoren von einer Jury potenziell zufällig oder nach langer geheimer Beobachtung „entdeckt“ werden. Preisverdächtige Autoren sind in dieses Netzwerk des Literaturbetriebs eingebunden, verfügen über soziales Kapital, werden an den entscheidenden Stellen vorgeschlagen oder ins Gespräch gebracht usw. Zum einen ist das implizit hinter der o.g. romantischen Vorstellung stehende Bild des Autors, dessen geistiges Produkt nur durch Zufall den Entdeckern in die Hände fällt, die typische feldinterne Sichtweise, die erst im Zuge der Genese des Feldes entstanden ist. Zum anderen wird diese Vorstellung durch die Tatsache entkräftet, dass Literaturpreise oftmals kumulieren bzw. dass Preisträger weitere Preise anziehen, ohne dass damit notwendigerweise herausragende literarische Leistungen verbunden sein müssen – dass der eine zehn Preise erhält und der andere keinen, bedeutet also nicht, dass der Preisgekrönte zehn wertvolle Beiträge geleistet hat und der andere keinen einzigen. Diese Konsekrationsakte, mit denen der Bereich der legitimen Kultur markiert wird (manchmal mit einer Aufnahme in einen entsprechenden Literaturkanon verbunden), sind dann besonders eindeutig, wenn der ausgezeichnete Autor über keinerlei aktuelle Publikationen mehr verfügt und/oder (ggf. nachträglich) für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird. Die Hierarchie und Bekanntheit der zahlreichen existierenden Preise lässt sich dabei nicht anhand des gewährten Preisgeldes ermitteln. Der feldintern nicht besonders reputierte und feldextern nicht sonderlich bekannte JosephBreitbach-Preis verfügt mit 120.000 Euro über ein hohes Preisgeld. Dem gegenüber steht der nur mit 40.000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis, der als der wichtigste deutsche Literaturpreis gilt. Dass sich die Hierarchie der Preise nicht anhand des Preisgeldes ermitteln lässt, führt einmal mehr die grundsätzliche Wertstruktur des literarischen Feldes vor – erst kommt die Kunst und dann das Geld, und falls Geld für literarische „Leistungen“ gezahlt wird, dann immer nur „unter Vorbehalt“ in Form nachträglicher Gratifikationen. Nur am Rand des ökonomischen Pols, gerade aus diesem Grund als „trivial“ bezeichnet, wird das letztendlich bestehende „Angestelltenverhältnis“ unum-

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wunden zugegeben. 16 Diese kollektiv geteilte Illusion wird kaum durch die Existenz entsprechender Ratgeberliteratur erschüttert, die interessierten Autoren die Anlaufstellen für literarische Preise vermittelt (exemplarisch Tieger 2002), kultivieren doch auch diese Publikationen den Eindruck, Förderungen und Preise seien bloß Unterstützung für das noch unfertige Werk und kein „Lohn“ für geleistete (Lohn)Arbeit.

Über die Position des Ernst-Robert-Curtius-Förderpreises in der Hierarchie aller Preise Florian Illies erhielt für seine essayistische Arbeit in der FAZ im Jahr 1999 den mit 4000 Euro dotierten Ernst-Robert-Curtius-Förderpreis für Essayistik und reiht sich damit in die Riege von Preisträgern ein, deren Wort durch den Preis offiziell bestätigt wurde und dadurch an Gewicht gewinnt. Darüber hinaus wurde er im selben Jahr mit dem (erstmals verliehenen) Sonderpreis „Hauptstadt Berlin“ (Axel-Springer-Preis für junge Journalisten) ausgezeichnet und im Jahr 2003 gemeinsam mit Till Schweiger mit dem hessischen Kulturpreis (überreicht durch Roland Koch). 17 Gewonnene Preise nehmen Einfluss auf die Positionierung innerhalb des literarischen Feldes, verbessern die Kapitalausstattung und den Zugang zu feldinternen Ressourcen und erzeugen Anschlusseffekte etwa in Form von Einladungen zu Fernsehshows 18 , Interviews oder Rezensionen, die ohne den Preis vielleicht kürzer ausgefallen oder gar nicht vorgenommen worden wä16 (Scheinbare) Abweichungen wie im folgenden Beispiel bestätigen dabei die Regel, da die „Entschuldigung“ für das Geldverdienen gleich mitgeliefert wird: „Jeder Tastenschlag auf dem Olivetti bringt Geld. Ein Buchstabe Enzensberger wird auf dem Essay-Markt zur Zeit mit etwa anderthalb Mark notiert. Das erreicht in Deutschland kein anderer Dichter und ist auch keine Schande“, so der Spiegel-Autor Alexander Smoltczyk (zit. n. Rügemer 1999, Hervorhebung von T.K.) anlässlich der Vergabe des Heinrich-Heine-Preises an Enzensberger. 17 Wie etwa der Axel-Springer-Preis feldintern positioniert ist, welche Aussagen er belohnt und welche nicht, dürfte anhand der verlegerischen Bindung zum Springer-Konzern und Teilen der Jury (u.a. der Apologet des Neoliberalismus Gabor Steingart und der Rechtsintellektuelle Arnulf Baring) evident sein, ebenso die Schnittstelle zwischen Politik und preiswürdigen Kandidaten im Falle des hessischen Kulturpreises. Roland Koch zeigte sich nach eigenen Angaben von Generation Golf und Generation Golf zwei zutiefst beeindruckt und fühlte sich, wenn schon nicht biographisch, so zumindest im Geiste dieser Generation zugehörig. Hierzu ließe sich mit einem Blick auf die erste Roland KochBiographie boshaft vermerken, dass so zusammenwuchs, was zusammen gehörte: „1968, das ist für Koch die Zahl des Bösen, in der sich alles ballt, was ihn je verletzte.“ (Schumacher 2004) Dies färbte offenbar auch auf Florian Illies ab, der zu Protokoll gab: „Koch wählen heißt ziemlich mutig sein“. (Ebd.) 18 Es verwundert kaum, dass der „Erzieher“ (GG: 121) der Generation Golf, Harald Schmidt, zugleich auch das Podium für sie und deren schreibenden Teil lieferte: Produzenten, Adressaten und Gegenstand von Generation Golf und ähnlich gelagerten Generationenbüchern entsprechen der Zielgruppe der Harald Schmidt-Show, die wiederum selbst in den Büchern verarbeitet wird (siehe die bereits erwähnte zirkuläre Zirkulation). So waren etwa Florian Illies oder Benjamin von Stuckrad-Barre bei Harald Schmidt mehrfach Gäste. Florian Illies wurde dem Publikum etwa im Februar 2006 (Sendung 75 vom 2.2.2006) wieder ins Gedächtnis gebracht, ohne dass eine aktuelle Publikation oder ein anderer Anlass vorlag (Ortsgespräch erschien im August 2006, Monopol existierte zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren).

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ren. Darüber hinaus eignen sie sich als Verkaufsargument, auf das in der Regel (und so auch im Falle von Generation Golf) peritextuell hingewiesen wird. Die hier zu stellende Frage lautet daher: Wo lässt sich dieser Preis innerhalb des literarischen bzw. kulturellen Feldes verorten? Um diese Positionsbestimmung vornehmen zu können, wurde hier zu einer Heuristik gegriffen, denn die Position und damit der feldinterne Wert eines Literatur- oder Kulturpreises lässt sich, wie aufgrund der bisherigen Ausführungen deutlich wurde, nur indirekt ermitteln. Einige allgemeine Indikatoren: Ist es ein allgemeiner Literaturpreis oder bezieht er sich nur auf eine Textsorte (was weniger feldinterne Reputation nach sich ziehen dürfte als ein allgemein ausgerichteter Preis, der den Preisträger für dessen Gesamtkonzeption würdigt)? Können nur bestimmte Adressaten mit diesem Preis bedacht werden? Ist es ein öffentlicher oder privater Preis und wer ist Sponsor des Preisgeldes? Als weitere Indikatoren dienen hier im Folgenden: (a) das Renommee der Jury-Mitglieder (die Reputation der Jury überträgt sich auf den Empfänger), (b) die Medienresonanz und die Anschlusskommunikation im Umfeld der Preisvergabe (wichtige Preise werden breiter diskutiert), (c) die Reputation bisheriger Preisträger (wichtige Preisträger sind Garanten für Prestige, eine Einordnung in die Reihe der bisherigen Preisträger setzt Neuzugänge mit den bisherigen gleich bzw. macht sie vergleichbar). (d) Schließlich – aber nicht zentral, da oftmals dehnbare Satzungsprosa darstellend 19 – ist auch der Anspruch des Preises relevant (der Ausgezeichnete steht für eine Programmatik, die dessen Texte erfüllen bzw. angeblich erfüllen und die sich am Status des Namenspatrons bemisst). Zusammensetzung der Jury und Medienecho Die ersten beiden Punkte lassen sich relativ kompakt beantworten. Betrachtet man die Akteure, die den Curtius-Preis für Essayistik und dessen Förderpreis vergeben, stellt man fest, dass man es eher mit einem Preis mittlerer Reputation zu tun hat. Der Ernst-Robert-Curtius-Preis stellt eine rein „Bonner“ Veranstaltung dar. Er trägt den Namen des berühmten Bonner Romanisten und seine Jury setzt sich im Wesentlichen aus Personen zusammen, die in das Bonner kulturelle Milieu oder in den Bonner Hochschulbetrieb eingegliedert sind bzw. waren. Zur Jury gehören: der Bonner Politikwissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Bergsdorf 20 , die Vertreterin der Leiterin der Bonner Volkshochschule, der Filialleiter der Buchhandlung Bouvier in Bonn und der Geschäftsführer 19 Was für die Zeit des Nationalsozialismus ganz besonders gilt, lässt sich auch heute vielfach beobachten: „Literaturpreise sind besonders sensible Seismographen für literaturpolitische Entwicklungen. Vor allem läßt sich an ihnen studieren, wie der Anspruch der Preise durch die Vergabepraxis immer wieder dementiert wird.“ (Kortländer 1998, Klappentext) 20 Anzumerken ist, dass mit Wolfgang Bergsdorf auch ein Teil des politischen Milieus der alten „Bonner Republik“ in der Jury vertreten ist. Wolfgang Bergsdorf war zwischen 1982-1993 Leiter der Abteilung Inland im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und zwischen 1993-1998 Leiter der Abteilung Kultur und Medien des Bundesinnenministeriums. Diese Position stellte eine Schaltstelle für die Kulturpolitik der Kohl-Regierung und damit eine Schnittstelle zwischen kulturellem und politischem Feld dar.

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des Bouvier-Verlags (nun zu Thalia gehörend), der Leiter der aspekteRedaktion des ZDF, der Vertreter des Rektors der Universität Bonn (und nicht der Rektor selbst!) und schließlich der Leiter des Ressorts Kulturelles Wort und Literatur beim Deutschlandfunk, der ebenfalls Mitglied in der Jury für den aspekte-Literaturpreis ist. Während der Preis von Personen des öffentlichen Lebens überreicht wird, ist in der Jury auch die Stimme des Filialleiters und des Besitzers der ehemals preisverleihenden Buchhandlung vertreten, deren neuer Besitzer nun die Thalia-Holding ist (anders als etwa der Georg-Büchner-Preis, der von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verliehen wird und dessen Preisgeld vollständig aus öffentlicher Hand stammt). Es handelt sich somit um einen privaten Preis, dessen Jury größtenteils öffentlich ist und der öffentlich verliehen wird – auch diese Tatsache senkt dessen Reputation. Auch die Medienresonanz 21 in den größeren meinungsbildenden Tageszeitungen (FAZ, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau) fällt eher dürftig aus und verstärkt den Eindruck, es im Falle des Hauptpreises insgesamt mit einem mittleren Preis und im Falle des Förderpreises mit einem randständigen (Trost)Preis zu tun zu haben. In der Frankfurter Rundschau wird die Vergabe des Förderpreises überhaupt nicht erwähnt, die Vergabe des Hauptpreises nur bei jenen Preisträgern und Preisträgerinnen, die bereits vollständig etabliert sind (beispielsweis Hans-Magnus Enzensberger, Brigitte Hamann, Rüdiger Safranski), doch auch hier übersteigt die Länge des Beitrags nie das Maß einer Randnotiz. Selbiges lässt sich (auf einem quantitativ zwar relativ höheren, absolut jedoch nach wie vor marginalen Niveau) auch für die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung feststellen. Sogar die Auszeichnung des eigenen Redakteurs, der zu jenem Zeitpunkt bereits zwei Jahre für die Redaktion tätig war, ist in der FAZ nur eine Randnotiz und in der Süddeutschen Zeitung gar nur einen Nebensatz wert. Programmatik des Preises, Renommee bisheriger Preisträger und Einbindung in die Kontinuität des Preises Durch die feldinterne Bedeutung eines Literatur- oder Kulturpreises lässt sich (zumindest) eine Teilkoordinate für die Position des damit Ausgezeichneten, hier Florian Illies, ermitteln. Preise leisten, wie ihre Träger und alle anderen Teilnehmer des Feldes, im Laufe der Zeit eine Laufbahn ab, in der sie je nach „Konjunktur“ andere Positionen besetzen. Diese Laufbahn soll mit der Vergabe des Förderpreises an Florian Illies (1999) sowohl auf der Zeitachse nach links (in die Vergangenheit) als auch nach rechts (in die Zukunft, von 1999 aus) mituntersucht werden. Als erstes wird dabei der Preis selbst und dessen Programmatik in den Blick genommen, danach das Renommee der Preisträger (vor und nach 1999), deren gegenwärtige Positionierung sowie deren Einbindung in virulente Diskurse. Der Ernst-Robert-Curtius-Preis wird seit 1984 vergeben und wurde gestiftet „um die in Deutschland lange vernachlässigte europäische Literaturgat21 Es wurde eine Volltextsuche in den Archiven der genannten Zeitungen vorgenommen, wobei der Suchzeitraum durch die in der Datenbank erfassten Zeitungsjahrgänge begrenzt wurde (das so nutzbare Archiv der Frankfurter Allgemeinen Zeitung reicht etwa bis in das Jahr 1993 zurück).

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tung des Essay zu fördern und auch, um Brücken zu schlagen zwischen Literatur und Wissenschaft einerseits und dem breiten Publikum wie der Politik andererseits.“ Er verfolgt zudem das Ziel, die „Völkerverständigung“ zu fördern (Satzung des Preises auf www.curtiuspreis.de). Er ist dabei in einen Hauptpreis und einen Förderpreis für besonders junge Autorinnen und Autoren (unter 40) aufgeteilt. Beide Faktoren senken tendenziell die Reputation des Preises: Er ist an eine bestimmte Textsorte gebunden und auf einen bestimmten Adressatenkreis beschränkt (einen Preis für das „Lebenswerk“ gibt es somit nicht). Der Wert des Preises lässt sich ferner durch die Programmatik des Preises, anhand des Status des Namenspatrons bzw. der durch seinen Namen aufgerufenen Konnotationen und durch die Relation zwischen diesen Faktoren und dem Preisträger ermitteln. An dieser Stelle kann natürlich nicht die vollständige Hierarchie der Namensgeber verarbeitet werden, daher sollen die bisher exemplarisch genannten Preise herangezogen werden (der BreitbachPreis als relativ unbekannter hochdotierter Preis, die bekannten Großpreise Büchner- und Heine-Preis und der hier untersuchte Curtius-(Förder)-Preis). 22 Verglichen mit Heinrich Heine oder Georg Büchner verfügt bereits der Namensgeber Curtius über weniger Prestige und Bekanntheit, was durch den höheren Institutionalisierungsgrad durch Kanonisierung (Heine und Büchner) verdeutlicht wird (Curtius dürfte interessiertem Publikum noch bekannt sein, der Publizist Breitbach in der Regel nicht). Die Frage nach der Position des Namensgebers, d.h. die Frage nach den mit ihm verbundenen Konnotationen, ist schwierig zu operationalisieren. Besonders schwierig ist dies etwa bei Heinrich Heine und Georg Büchner: Wofür ein Autor feldintern steht wird innerhalb des Feldes zum jeweiligen Zeitpunkt ausgehandelt bzw. ist Produkt der Bewertungskämpfe, die innerhalb des Feldes ausgetragen werden. Wie ein Autor bewertet wird, ob und wofür er als Namenspatron eingesetzt wird und welche Werte mit ihm diskursiv verknüpft werden, ist Teil politischer Kämpfe. Bis etwa die Universität Düsseldorf nach Heinrich Heine benannt werden konnte, vergingen mehr als zwanzig Jahre Streit. Schiller, neben Goethe das Sinnbild für „Deutsche Kultur“, lässt sich zwar berechtigterweise als Vorbote des Marxismus lesen (vgl. Bollenbeck 2005) und wurde auch als Freiheitsheld in der deutschen Arbeiterbewegung gefeiert. Auf der anderen Seite konnte er auch als Held der Deutschenbewegung von der Rechten bis hin zum Nationalsozialismus besetzt werden. Ein direkter Vergleich des Stellenwerts von Autoren innerhalb des kulturellen bzw. literarischen Feldes – womit, um es zu wiederholen, kein ästhetisches „Urteil“ gemeint ist – ist somit auf der einen Seite ein recht zwiespältiges Unterfangen, da nicht geklärt werden kann, welchen „Wert“ ein Autor „wirklich“ hat, und würde voraussetzen, das gesamte Gefüge literarischer Produktion sowohl synchron als auch diachron zu überblicken. Auf der anderen Seite würde der Verzicht auf diesen Vergleich bedeuten, dass eine Dimension der Bedeutung eines Preises entgeht, dessen Namensgeber ja nicht zufällig für diesen Preis gewählt wurde und dessen Leben, Wirken und (z.T. 22 Anzumerken ist, dass gerade bei bekannten und kanonisierten Autoren zahlreiche Preise in verschiedenen Variationen existieren: so werden etwa zahlreiche Goethe-Preise verliehen (die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt, der GoethePreis der Stadt Frankfurt, die Goethe Medaille des Goethe-Instituts usw.).

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regional spezifische) Bedeutung (etwa Curtius’ Verwurzelung in Bonn) mit diesem Preis auf die Preisträger übergeht (siehe erneut oben zur Frage der Verleihung des Heine-Preises an Peter Handke). Kurz gesagt: Dass etwa Arnulf Baring jemals den Heinrich-Heine-Preis und damit dessen „Nimbus“ erhält, dürfte mindestens fraglich sein und würde eine feldinterne Um- oder Neubewertung des Preises oder des Empfängers voraussetzen. Trotz dieser Bedenken soll ein direkter Vergleich der Positionswerte der Namensgeber gewagt werden. Denn vergleicht man die philosophische Konzeption der betreffenden Akteure, wird deutlich, wie sehr sich der Status eines Heine und Büchner, beides politische Vormärzliteraten, Exilanten, Materialisten und Anti-Idealisten, von dem eines Curtius unterscheidet. Besonders deutlich dürfte dieses Verhältnis zum einen in Curtius Stellungnahmen zum Nationalsozialismus sowie in der Kontroverse um Ernst-Robert Curtius und Karl Mannheim werden. Der Romanist Ernst-Robert Curtius lässt sich insgesamt als liberalkonservativer (aber nicht nationalistischer oder gar nationalsozialistischer) Literaturkenner und -kritiker klassifizieren. Bestens untermauern lässt sich diese Klassifikation an seiner Schrift „Deutscher Geist in Gefahr“ (1932). Sie lässt sich als letztendlich zaghafte, da unpolitische Kritik des Nationalsozialismus lesen, die sich auf das übliche Repertoire der konservativen Kulturkritik beschränkte. Einige Beispiele veranschaulichen dies: Es herrsche die „Not des Geistes“ (Curtius 1932: 8), einst habe es eine große Kultur gegeben, die jedoch Opfer der exakten Wissenschaften wurde (ders.: 12), kulturell sei daher nur noch Epigonentum und Rückwärtsorientierung möglich (ders.: 13) und das einzige, was gegen „Sprecherchöre und Stoßtrupps“ (ders.: 16) sowie gleichermaßen gegen „sozialistische[n] Kulturhaß“ (ders.: 24) helfen könne, sei eine Rückkehr zur Einheit von Nation und Bildung, wie sie etwa Hofmannsthal verkörpert habe. Curtius gab im selben Atemzug auch die Antwort darauf, wer an dieser Verflachung von Kultur und Bildung, ablesbar an Überfüllung und „Verschulung“ der Universitäten (ders.: 72f), Schuld trug: „Die parlamentarische Parteienherrschaft und Ämterbesetzung hat das Ergebnis gehabt, dem Aufstieg der Unbegabten [...] Tür und Tor zu öffnen. Die dringlichste Universitätsreform würde darin bestehen, dieses Tor wieder zu schließen und die Zulassung zur Universität zu erschweren. Das würde keinen Pfennig kosten.“ (Ders.: 73) – wie so oft sind es die Allzuvielen, welche die Hochkultur der Wenigen verunreinigen. 23 Darüber hinaus aufschlussreich ist auch Curtius’ Rolle als Kritiker Karl Mannheims im Speziellen und der Soziologie sowie Wissenssoziologie im 23 Zur weiteren Rolle der Romanistik während des Nationalsozialismus im Allgemeinen und der Rolle Curtius’ im Besonderen ist nach wie vor Michael Nerlichs Polemik aus dem Jahr 1972 lesenswert. Dort skizziert er den fruchtbaren bürgerlichen Grund innerhalb der Romanistik, auf dem die nationalsozialistische Ideologie leicht gedeihen konnte. Gerade Curtius hat sich dabei, so Nerlich, mit seinem „Völkerpsychologismus“ (Nerlich 1972: 279) hervorgetan. Dazu gehört auch die in Curtius’ Literaturanalysen beobachtbare Schwäche für „edelkonservative und z.T. reaktionäre Autoren“ (ders.: 281). „Es gibt einen Mythos, eine Ernst-Robert-Curtius-Legende: 1932, so etwa lautet sie, [...] schleuderte [er] den Nationalsozialisten sein ‚J’accuse‘ entgegen.“ (Ders.: 283) Curtius’ Antiparlamentarismus und die Tendenz zur Übernahme antisemitischer Argumentationsweisen (vgl. ders.: 286f) sprechen, neben den o.g. Belegstellen, eine deutliche Sprache.

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Allgemeinen. Während die Wissenssoziologie die Perspektivabhängigkeit für jedes Denken und Wissen betonte 24 (und somit etwa wegweisend für die in der Diskurstheorie fokussierte Kopplung von Wissen und Macht war), stellte Curtius einen Vertreter der „Autonomie des Geistes“ (Mannheim 1970 [1929]: 618) dar, der Mannheims Überlegungen als bloße „TendenzSoziologie“ (Curtius 1929: 432) diffamierte. Schematisch standen sich also eine nüchterne Soziologie und eine idealistische Philosophie und Philologie gegenüber. Dies muss im Hinterkopf behalten werden, wenn die Position des Curtius-Preises innerhalb des literarischen/kulturellen Feldes ermittelt werden soll. Wiewohl es problematisch wäre, von einem „konservativen Preis“ zu sprechen, so muss hervorgehoben werden, dass das, was der Preis durch den Namensgeber und dessen Rang konnotiert, immer auch auf den Preis und die Preisträger übergeht: ein liberal-konservativer, betont weltmännischer Gestus. Als Denkfigur zur weiteren Erläuterung der Position des Preises kann Bourdieus Unterscheidung zwischen jungen und alten Positionen innerhalb des sozialen Raumes und seiner einzelnen Felder herangezogen werden (vgl. Bourdieu 1999: 245f am Beispiel der Malerei): Ältere Teilnehmer des Feldes sind diejenigen, die selbst etabliert sind, die sich den etablierten Formen der Produktion unterwerfen oder ihnen habituell entsprechen, häufig mit (wichtigen und großen) Preisen gratifiziert werden und sich den Anforderungen dieser Preise beugen (dabei aber nicht notwendigerweise biologisch alt sein müssen). Dem gegenüber stehen die jüngeren Teilnehmer, die in ihrem Habitus die Negativfolie zum älteren Typus darstellen (avantgardistische Formen, Abwesenheit von Preisen usw.). Die einen sind durch das Alter ihrer Formensprache und den Habitus des „Künstlerfossils“ gewissermaßen „doppelt alt“ (ders.: 245), die anderen dadurch „doppelt jung“ (ebd.). „Dieselben Regelmäßigkeiten lassen sich bei den Schriftstellern betrachten“ (ders.: 247), wobei es leicht ist, in den „Literaturdinosauriern“ Grass oder Walser das Gegenstück zum o.g. Künstlerfossil, das mit wichtigen Preisen ausgezeichnet wird, zu identifizieren. Abstrahiert man von dem o.g. Maximalkontrast zwischen jugendlichwilder Avantgarde und den maßvollen Etablierten, so lässt sich die Unterteilung des Ernst-Robert-Curtius-Preises analog vornehmen: Dem älteren Hauptpreis, in dem die etablierten Speerspitzen des Feuilletons und etablierte intellektuelle Erfolgsautoren versammelt sind (Rüdiger Safranski, Hans-Magnus Enzensberger, Brigitte Hamann, Peter Sloterdijk usw.), steht ein jüngerer Förderpreis (für auch entsprechend jüngere Autoren) gegenüber. Jene sind natürlich (auch aufgrund des Preises selbst) weit von einer sich der Ökonomie entziehenden Avantgarde entfernt, leisten jedoch im Kontext des Preises die Funktion eines Testbeckens: Förderpreise können insgesamt an riskantere Preisträger vergeben werden, deren Aussagen vielleicht noch nicht ganz reif sind für den Hauptpreis (gerade wenn es sich insgesamt um einen weniger bekannten Preis handelt). 24 Es sollte die Partikularität „des jeweiligen Aspektes aller Standorte und aller Parteien mit wissenschaftlichen Methoden genau zu bestimmen“ versucht werden. (Mannheim 1970 [1929]: 619) Freilich hielt dies Karl Mannheim nicht davon ab, die Existenz der „freischwebenden Intelligenz“ anzunehmen, die von derlei Überlegungen selbstverständlich ausgeklammert blieb.

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Obwohl die Bezeichnung „Förderpreis“ auch frappierend an einen schulischen Förderunterricht erinnert, den in der Regel ja nicht die besonders begabten Schüler erhalten, fungiert er hier auch als Bestätigung für Aussagen, die (vor allem vor dem Hintergrund der Programmatik des Preises) als wegweisend empfunden werden. Sie wirken als in die Zukunft gerichtete Aussagen, die bereits in der Gegenwart honoriert werden müssen, die etwas aussprechen, wovon in Zukunft noch die Rede sein wird – auch weil damit den in der Regel zum Zeitpunkt der Preisvergabe über wenig Gratifikationen verfügenden Autoren ein Sprungbrett für weitere Karrierechancen und weitere literarische Äußerungen geboten wird (und damit auch Gelegenheit, weitere Preise anzusammeln). Die These, die hier verfolgt werden soll, lautet dabei, dass sich in der Vergabepraxis des Förderpreises die zu einem Punkt virulenten Diskurse und damit die politischen Bedingungen einer Zeit ablesen lassen. Die jüngsten Förderpreise zwischen 1999 und 2007 lassen dabei zum einen eine Tendenz erkennen, da sich die Aussagen dieser Preisträger mehr oder minder eindeutig den selben Diskursen (Demographie- und Generationendiskurs, Reformdiskurs) zuordnen lassen. Zum anderen drängt sich der Eindruck auf, dass der politische Effekt, der zur Zeit der „new economy“ und der Berliner Republik in das literarische Feld gebrochen wurde, auch an der Vergabe des Förderpreises ablesbar ist. Die Förderpreisträger ähneln sich insgesamt: Es sind gemäß Satzung „junge“ Autoren, sie sind in der Regel akademisch gebildet, ein guter Teil auch promoviert, dabei meist aus den Geisteswissenschaften stammend und in einer aussichtsreichen Position als aufstrebender Journalist in einer der großen meinungsbildenden Organe (Spiegel, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Welt am Sonntag). Es lassen sich vor allem im Hinblick auf die Äußerungen und Äußerungsformen der Preisträger in den letzten Jahren (1999-2007) deutlichere Kontinuitäten feststellen als in den Jahren davor. Überblickt man die Förderpreisträger zwischen 1986 und 1998 und verfolgt deren Laufbahnen, so hat man es mit einem wesentlich breiteren Themenspektrum zu tun, welches von den Preisträgern, ihrem Engagement (zur Zeit der Preisverleihung und darüber hinaus) sowie ihren Publikationen abgedeckt wird: von der Judaistik (Verena Lenzen, Preisträgerin 1990) über formal experimentelle Prosa (Thomas Hettche, Preisträger 1994) und Medienkritik (der 1988 ausgezeichnete Sartre-Biograph Walter von Rossum veröffentlichte 2004 Meine Sonntage mit Sabine Christiansen) bis zur Thematisierung von Antisemitismus und Rassismus (Doron Rabinovici, Preisträger 1997). Die Texte und Stellungnahmen der Förderpreisträger der letzten Jahre sind dagegen meist solche, die „auf Geschichte und Journalismus herumreiten [und] etwas von Biographie und Soziologie haben, vom Tagebuch und vom Abenteuerroman, von filmischem Aufbau und von einer Zeugenaussage vor Gericht“ (Laffont 1974, zit. n. Bourdieu 1999: 248) und dadurch besonders Einsicht erzwingend sind: „Sie liegen nie ganz daneben – nur immer ein bisschen.“ (Misik 2007 über den Preisträger Ulf Poschardt) Die Kontinuität der letzten Jahre und der Bruch zur Zeit der „new economy“ lassen sich verdeutlichen, wenn man die Diskurse rekonstruiert, in welche die Aussagen der Preisträger eingebunden waren und/oder noch sind.

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Dies kann natürlich nicht erschöpfend und nicht für alle Förderpreisträger gelten, würde dies doch bedeuten, den Diskurs zu reproduzieren statt ihn zu rekonstruieren. So knapp diese Rekonstruktion auch ausfallen muss und so sehr sie möglicherweise den Anschein einer kriminologischen Indiziensammlung erweckt, so deutlich lässt sich eine Linie erkennen, die mit hegemonialen gesellschaftlichen Diskursen zusammenfällt. Ein Schritt zurück (Exkurs): Rekonstruktion der Dimensionen des Demographiediskurses Grundlegende Denkfigur und Argumentationsfolie ist oftmals die ursprünglich kritische Spitze Ulrich Becks, der in der „vollmobile[n] SingleGesellschaft“ (Beck 1986: 198) den Endpunkt kapitalistischer Entwicklung und Nutzbarmachung der Subjekte sah. Der Demographie-Diskurs, benachbart mit dem Reform- und Generationendiskurs, ist ein zentrales Element des neoliberalen Diskurses. Er ist dabei sehr erfolgreich, da er Topoi umwälzt, die sich kaum kritisieren lassen und die bereits in den Interdiskurs eingegangen sind, allenthaben publizistisch aufbereitet werden (siehe Schirrmacher 2004, 2006) und dem semantischen Fundus ehemals dissidenter oder „alternativer“ Strömungen entnommen wurden. Dieser Diskurs setzt auf das Schlagwort der „Generationengerechtigkeit“, auf das urökologische Motiv des „Vorsorgens“ und der Nachhaltigkeit, auf das ausgeglichene Geben und Nehmen zwischen Jung und Alt und natürlich auf die „Chancengleichheit“. Im Zuge dieses Diskurses und den damit durchgesetzten sozialpolitischen Entscheidungen (etwa die Privatisierung der Rentensysteme) wird, mit der o.g. kritischen Aussage Becks im Rücken, oftmals die Rückkehr zu klassischen Familienbildern immer häufiger als Option diskutiert (freilich richten sich die damit verbundenen Anrufung in der Regel an jene Frauen, deren Qualifikation im Produktionsprozess nicht dringend benötigt wird). Diskursiviert wird dies zum einen mit dem idealtypischen Bild des egoistischen Singles, des Defizitwesens oder der sich im Gebärstreik (ein aufgrund des Gewerkschafts-Frames besonders ridikülisierendes Schlagwort) befindenden Karrierefrau, zum anderen (oder zugleich) mit Stellungnahmen gegen „die 68er“, deren Lebensformen an dieser Entwicklung – siehe: „Beziehungskiste und Lebensabschnittspartner“ (GG: 168) – Schuld seien. In den meisten Fällen bleibt die Tatsache unbeleuchtet, dass diese Lebensform klassenspezifische und ökonomische 26 Ursachen und Ausprägungen aufweist und in den (meist auf dem Arbeitsmarkt ausgetragenen) Vielfrontenkampf der Geschlechter eingebunden ist (Männer vs. Frauen, qualifizierte Aufsteiger/innen vs. unqualifizierte Deklassierte). Der Diskurs, in dem dieser Kampf ausgetragen wird, ist dabei hochgradig paradox, ebenso wie die sozialpolitischen Reaktionen auf das Dilemma des flexiblen Menschen: Auf der einen Seite erschallt der Ruf nach mehr Kindern 25 Etwas damit Vergleichbares hat etwa der Soziologe Bernd Kittlaus mit seinem Portal www.single-generation.de geleistet. 26 So skizziert Mario Candeias (2004: 232ff), wie die Befreiung der Frau aus der Hausfrauenehe (im Zuge des Endes fordistischer Produktion) insgesamt zur Senkung der Löhne führte, die ehemals für eine ganze Normalfamilie reichten. Dies lasse sich am leichtesten an der Frage ablesen, denen Paare heute begegnen, wenn sie über ihre knappe Kasse klagen: „Arbeitet ihre Frau/Partnerin denn nicht?“ (ders.: 233)

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und die Geißelung der egoistischen Karriere-Frauen (exemplarisch: Hermann 2006, Gaschke 2005), auf der anderen Seite wächst die Abneigung gegenüber einem allzu fertilen Prekariat, dessen Nachwuchs als Problem wahrgenommen wird, welches sich auf „Rütli-Schulen“ den Weg bahnt. Auf der einen Seite werden entsprechende Gesetze erlassen, die einen Elternurlaub für beide Elternteile ermöglichen, die ehe-ähnliche Partnerschaften aufwerten, eine Grundrente für geleistete Hausarbeit in Aussicht stellen und eine kürzere Arbeitszeit ermöglichen, bei der der Lohnverlust durch eine zusätzliche Sicherung teilweise kompensiert wird. Auf der anderen Seite drücken sich diese Gesetze gleichzeitig mit (massenmedialen) Appellen aus, zurück zu subsidarischen Prinzipien zu gelangen, nicht alles mit Geld lösen zu wollen, als Bürger(in) auch kostenlos „Verantwortung“ zu übernehmen (für Probleme, die ohne „Reformen“ meist gar nicht existieren würden). Sie treffen dabei auf einen „postmateriell geschulten Alltagsverstand und [auf] das Begehren nach individuelleren Formen der Selbstverwirklichung, nach Stärkung der Eigeninitiative [...] und mehr ‚Gemeinschaftlichkeit‘ in kleinen, lokalen Nachbarschaften.“ (Candeias 2004: 238f) Die als Lösung revitalisierten klassischen Familienbilder, die oftmals nicht zur Lebensrealität des flexiblen Menschen passen und sich daher nicht alle leisten können, betonen entweder mehr oder minder ungeniert den Rückweg in die Hausfrauenehe (für diejenigen, die es sich erlauben können) oder heben auf bessere Betreuungsmöglichkeiten und steuerliche Vergünstigungen für Betreuungskosten ab. Im letzteren Fall überschneiden sich die Argumente mit dem Fördern und Fordern des Workfare-Regimes und der Etablierung eines Niedriglohnsektors, so dass im Extremfall die auf den Niedriglohnjob angewiesene (Haus- bzw. Ehe-)Frau oder alleinerziehende Mutter – jenes „Ziel ideologischer Zuschreibungen“ (Candeias 2004: 236) – bei der (möglicherweise ebenfalls alleinerziehenden) Akademikerin den Haushalt führt und/oder die Kinderbetreuung übernimmt. Die literarischen Zeugnisse finden sich dazu etwa bei Benjamin von Stuckrad-Barre, der in diesem Sinne (aufgrund seines Gespürs für den Stand dieses Diskurses) in Tristesse Royale die Ehe als Rebellion gegen die 68erRebellion hervorhebt (vgl. Bessing u.a. 2001: 48), in Houellebecqs Antifeminismus oder in Generation Golf, wo das (sozialstrukturell selektive) Problem zwar treffend beschrieben wird, die sozioökonomischen Ursachen und die Lösung jedoch wie zuvor beschrieben präsentiert werden: „Männer wie Frauen werden nun berufsbedingt in andere Städte versetzt, die Frauen ziehen nicht mehr automatisch mit, wenn der Freund umzieht. Die Frauen wissen, daß sie sich nehmen können, was sie wollen [...].“ (GG: 173) „Die erste wirkliche Scheidungskindergeneration sehnt sich eher danach, einen Partner fürs Leben zu finden. Beziehungskiste und Lebensabschnittspartner sind Worte der älteren Generation [...].“ (GG: 168) „Denn jetzt wollen wir alle erst mal heiraten [...]. Und egal, ob die Frauen im Bauchnabel gepierct sind und der Gatte der vierundzwanzigste Sexualpartner ist – die Braut trägt Weiß und Schleier. Und vielleicht gibt es später auch viele kleine Kinder. Aber dann bitte mit Kindermädchen.“ (GG: 160) „‚Ich glaube nämlich an die arbeitsteilige Gesellschaft; und für Autoreparaturen [oder eben Reproduktionsaufgaben] gibt es Leute wie dich, Tausende von Leuten

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN | 111 wie dich [...]. Und es gibt Leute wie mich, die Leute wie dich bezahlen [...]‘. [...] So in etwa ist die Haltung unserer Generation.“ (GG: 159) „Wir nennen das eher Outsourcing.“ (GG: 158, Hervorhebung von T.K.)

Die Figur des „egoistischen, vollmobilen Singles“ ist in Generarion Golf zum einen wahrscheinlicher Adressat und Identifikationsfigur, in dessen attraktiven Lebensstil sich Rezipienten leicht wiederfinden können (oder wollen). Zum anderen ist diese Figur das Ziel ironisch-kulturkritischer Verfallsdiagnosen. Generation Golf skizziert die Probleme des flexiblen Menschen und des Verlustes von Bindungen, die in ihrer alten Form nicht mehr eingegangen werden können: Es herrscht die Zeit der Hyperflexibilität und der gesellschaftlichen Desintegration, die Ursachen dafür werden (wie bei Houellebeqc) den „68ern“ angelastet. Das Paradies scheint verloren, den klassisch bürgerlichen Lebensentwürfen wird nostalgisch nachgetrauert, doch können diese allenfalls punktuell (durch Rückgriff auf klassische Lebensentwürfe, durch Delegation von Reproduktionsarbeit an andere, die dafür bestimmt zu sein scheinen) oder in Form einer Bürger-Mimikry als Fassade und Selbsttäuschung aufrechterhalten werden. Die Sicherheiten, die diese Entwürfe einst versprachen, können damit nicht zurückerlangt werden. Wieder ein Schritt nach vorne: Die Einbindung der Preisträger in den Demographiediskurs Diesen Diskurs im Hinterkopf behaltend klärt sich auch rasch die Einbindung der letzten Förderpreisträger, wenn man sich chronologisch rückwärts bewegt. Die Förderpreisträger der letzten Jahre lassen sich alle der einen oder anderen Dimension des oben skizzierten Diskurses zuordnen. Dabei muss vorgeschaltet werden, dass diese Indiziensammlung nicht bezweckt, die entsprechenden Autoren zu verunglimpfen, indem Aussagen gesucht werden, die in diesem Kontext „negativ“ ausgelegt werden können. 27 Der Zweck der Unternehmung ist es, die enge Bindung der Preisträger an den politischen Mainstream (zum Zeitpunkt der Preisvergabe, zuvor und darüber hinaus) und an das politisch Sagbare abzuprüfen, zu zeigen, wie dieses Aussprechen dessen, was ohnehin allenthaben umgewälzt wird, als preiswürdig (und eo ipso: als mutig, siehe der Topos der „unbequemen Wahrheit“ im Abschnitt „politische Korrektheit“) angesehen wird. Die 2007 mit dem Förderpreis ausgezeichnete Journalistin (FAZ, Die Zeit, Süddeutsche Zeitung) Felicitas von Lovenberg, ist in ihrer Kritik des Singles als „borstige[s] Einzeltierchen“ (von Lovenberg 2006) bei gleichzeitiger Betrauerung des Liebesverlustes in der Neuzeit (freilich ohne soziolgogische Ursachenforschung) in diesem Diskurs beheimatet.

27 So könnte etwa auch der Förderpreisträger 1992, Jörg Lau, erwähnt werden, der etwa in Udo Di Fabios „Kultur der Freiheit“ einen modernen, revolutionären Konservatismus sah, der rechts von der Mitte wieder einen Gesellschaftsentwurf etablieren könne, mit dem sich der Vitalitätsverlust der deutschen Gesellschaft wieder auffangen ließe. (Vgl. Lau 2006) Dabei reartikuliert auch Lau die Versatzstücke des gegenwärtigen Demographiediskurses (mit nationalen Zwischentönen), wenn er fragt: „Warum sollten sich Migranten aus einer vitalen Herkunftskultur in eine Gesellschaft integrieren, die durch ihren Zeugungs- und Gebärstreik ersichtlich macht, das sie nicht an sich selbst glaubt?“ (ders.: 71)

112 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

Der 2005 mit dem Förderpreis bedachte Historiker Thomas Speckmann (u.a. FAZ, Die Welt) steckt etwa in seiner Rezension zu Sabine Bodes Buch „Die deutsche Krankheit – German Angst“, einem Kompendium über Reformunlust und Besitzstandswahrer, vollständig im problematisierenden Reformdiskurs, wenn er, der Autorin beipflichtend, den Deutschen „noch immer viel zu viel ‚German Angst‘“ attestiert und den „deutsche[n] Patient[en]“ für „noch lange nicht genesen“ hält. (Speckmann 2007) Adriano Sack, 2003 mit dem Förderpreis ausgezeichnet, Journalist (Der Spiegel, Leiter des Kulturressorts bei der Welt am Sonntag) und nun freischaffender Autor, verfasste wie Florian Illies zwei Generationenbücher, wobei sich Ähnlichkeiten im gewählten Titel und sogar der Titelgestaltung auffinden lassen: „Heimreise. Ein Besuch bei unseren schwer erziehbaren Eltern“ (Sack 2005). Dieser Nachfolgeband von „Elternabend. Über unsere schwer erziehbaren Mütter und Väter“ (Sack 2004) verfügt nicht nur über einen Titel aus dem semantischen Feld der Automobilität, sondern auch über eine dazu in pragmatischer Relation stehende Titelgestaltung (abgebildet ist in diesem Fall kein VW Golf, sondern ein VW Käfer). Auch der Inhalt bewegt sich im Fahrwasser ironischer 68er-Betrachtung und Generationenrhetorik: „Dabei zeigt sich, dass es ihn doch noch gibt, den schon häufig totgesagten Generationenkonflikt. Während aber früher die Frontverläufe für beide Seiten abgesteckt waren, lauern heute die Gefahren überall, denn die Alten wollen ihre Kinder in der hohen Kunst der Selbstverwirklichung überbieten.“ (Klappentext zu Heimreise) Die Preisträgerin aus dem Jahr 2001, Christiane Florin (u.a. Rheinischer Merkur), spricht sich für das klassische Familienglück aus, da alle anderen Lebensformen, empirischen Untersuchungen zufolge, weniger Glücksmomente böten (vgl. Florin 2004). Sie prognostiziert feixend das Aussterben der Linken, die aus Gründen der „Selbstverwirklichung“ ihre Gene nicht weitertrügen. (Vgl. dies. u.a. 2001) Im Jahr 2000 erhält Ulf Poschardt den Förderpreis. Poschardt, im Netzwerk des intellektuellen feuilletonistischen Popkulturdiskurses verankert, promovierte bei Diedrich Diederichsen (der selbst in dieses Netzwerk eingebunden ist) über die Kulturgeschichte des DJs (DJ Culture, Poschardt 1995) und arbeitete für das Magazin Tempo und das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Er war Mitglied der Chefredaktion der Welt am Sonntag, schrieb gelegentlich für die Zeit und die Weltwoche, war Herausgeber des HochglanzBoulevardmagazins Vanity Fair, das sich an die „neue Leistungselite Deutschlands“ (Pressemitteilung Vanity Fair) richtet, und ist gegenwärtig stellvertretender Chefredakteur der Welt am Sonntag. Es handelt sich hier um einen der exponiertesten Vertreter einer neokonservativen Bewegung. Die Verlaufslinien des aufmerksamkeitsökonomisch ausgeschlachteten (und angesichts der Herausgebertätigkeit sicherlich auch: lancierten) Diskurses um Poschardts (vermeintliche) konservative „Wende“ lassen sich kaum überblicken und sind selbst Teil des rotierenden Informationsrades aus Provokation, Kritik und Gegenkritik. Im Wesentlichen verbreitete Poschardt in seinen Manifesten – exemplarisch: „Wir müssen reden“ (Poschardt 2005a) – die bekannten Elemente des Reformdiskurses, inklusive der Umcodierung von Reformkonformismus zur wahren revolutionären Gesinnung und der Ridikülisierung von (linker) Kritik zum altbackenen Spießertum. Betrachtet man das dabei mobilisierte semantische Inventar, so drängt sich stellenweise allerdings der Eindruck einer Realsatire auf – in der Tat hätte vieles von einem

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„Pressesprecher des Arbeitgeberverbandes nicht simpler formuliert werden können.“ (Misik 2007) Dass dieses Inventar dazu diente, einen Journalisten, der, feldtheoretisch gesprochen, einst „halb linksunten“ eingestiegen war und „rechtsoben“ wieder herauskommen wollte, für die Zwänge der (Aufmerksamkeits)Ökonomie aufzuhübschen, dürfte angesichts der folgenden Beispiele als sicheres Urteil gelten: „Deutschland braucht Wachstum“, „Umverteilungsansprüche und Staatsseligkeit“, „linke Bedenkenträgerei“, „reaktionäre[.] Gewerkschaftskader“, „Risiken und Chancen“, „[Zusammenhang] zwischen Elitenförderung und sozialer Gerechtigkeit“ (Poschardt 2005a) „Versteht man Pop und seine Sehnsucht nach ungebremstem Freiheitsdrang essenzialistisch (und nicht phänomenologisch), dann gibt es für seine Anhänger nur eine Wahlempfehlung: die FDP. Die Skepsis der Liberalen gegenüber Bürokratie und Staat, Kollektiven und überkommenen Traditionen ist popkompatibel. Anders als die von Angela Merkel erfolgreich liberalisierte Volkspartei CDU hat die FDP keine Angst vor dissidenten Positionen. Sie steht für eine sich ausdifferenzierende Gesellschaft und damit für mehr Polarisierung. Sie steht für einen Kapitalismus mit mehr Chancen für alle – der freilich auch mehr Risiken birgt. So wird beiläufig das no risk, no fun der Popkultur bedient.“ (Poschard 2005b)

Das Aussagensystem Generation Golf Eigene und fremde Stellungnahmen Als öffentliche Person wird Florian Illies gleich in mehrfacher Hinsicht durch die eigenen Stellungnahmen positioniert (und damit in das System von Beziehungen zwischen sich selbst, den restlichen Feldteilnehmern, dem gewählten Gegenstand usw. eingefügt): als Akteur, der gewissermaßen die Zielvorgaben seines Arbeitgebers zu erfüllen hat und auch erfüllt, und so in einer besonderen Relation zu den Lesern der Zeitung und zu anderen Zeitungen und deren Lesern steht, darüber hinaus als Akteur, der über Stil, Wortwahl, Argumentationsweisen und Bezüge implizit Auskunft über die eigene Position gibt. An dieser Stelle ist es unvermeidbar, dass Rückschlüsse auf Kapitalausstattung, Habitus und Laufbahn gezogen werden: Die sozialräumliche Position, die von Umfang und Struktur verfügbarer Kapitalien definiert wird, ist der Ort, von dem man die umgebende Welt und die darin enthaltenen Akteure sieht. Durch die Interdependenz von Position und Habitus ist somit eine bestimmte Sichtweise auf die Welt zwangsläufige Folge. Diese weiteren Koordinaten helfen somit dabei, die Frage zu klären, aus welcher Warte der Text Generation Golf „spricht“ – auch aufgrund der Tatsache, dass es nach Angaben des Autors zwischen literarischer und journalistischer Produktion in diesem Fall keinen Unterschied gibt.

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Literarische Stellungnahmen des Autors: von der Generationenbeschreibung zum Ortsgespräch Die literarischen Stellungnahmen des Autors (über Generation Golf hinaus) sollen an dieser Stelle nur gestreift werden, da sie bereits Gegenstand des vorherigen Kapitels waren und sich Referenzen auf sie quer durch vergangene und folgende Kapitel erstrecken. Florian Illies bekleidet, verfolgt man dessen literarische Stellungnahmen, die typische Position der „Kurzzeit-Schriftsteller: das heißt Journalisten, die ihre gewöhnliche Tätigkeit in Schriften zu ‚aktuellen Themen‘ fortsetzen, ‚bekannte Persönlichkeiten‘, die in Essays oder autobiographischen Erzählungen und Berichten ‚Zeugnis‘ ablegen [...]“ (Bourdieu 1999: 232) – immer am Zeitgeschehen ausgerichtet, ökonomisch erfolgreich, ggf. mit einem „Gütesiegel“ (Bourdieu 1990: 51) konsekriert und zugleich außerhalb der Sphäre trivialer Massenliteratur angesiedelt. Autoren dieses Typus „springen“ aufgrund der feldinternen Position auf Diskurse auf 28 , die bereits aufmerksamkeitsrelevant sind oder von denen zu erwarten ist, dass sie es noch werden könnten (was Irrtümer 29 mit einschließt). Es wurde festgestellt, dass der Autor im Zuge seiner sozialen Laufbahn wurde, was er ohnehin bereits war. Analog dazu lässt sich feststellen, dass der Autor die Position im literarischen Feld ausfüllte, die aufgrund seines Habitus und des Zustandes des Feldes erreichbar wurde: In dieser Zeit wurde der feldexterne (ökonomische und politische) Wandel in die Logik des literarischen Feldes gebrochen, wurden dadurch neue und bestehende Konkurrenzverhältnisse (schematisch: zwischen linker, piefiger Altherrenliteratur und moderner, jugendlicher Literatur) befeuert, dadurch neue literarische Taktiken möglich, was eine Konvergenz dieses neuen literarischen Angebots mit einer neuen verlegerischen Nachfrage bewirkte. 28 Dies schließt die Problematik mit ein, dass ein Text ggf. mit der heißen Nadel gestrickt werden muss, damit er noch im offenen Zeitfenster erscheinen kann. Dies liefert eine weitere Erklärung dafür, weshalb es bei der Produktion von Generation Golf „schnell“ gehen musste, so dass auf bereits bestehende Texte (siehe weiter oben) zurückgegriffen wurde. 29 So hätte Ortsgespräch durchaus mehr Erfolg haben können: Im Zuge des weiteren Auseinanderbrechens konsensualer Ressourcen, mit denen sich die auseinanderstrebenden Interessen überbrücken ließen, bleiben oftmals nur noch primordiale und/oder traditionale Codes (vgl. Giesen 1999) übrig, die sich etwa in gouvernementalen Anrufungen an die Nation („Du bist Deutschland!“) oder eben im Besingen von Provinz und Regionalität (Ortsgespräch) ihren Weg bahnen. Das Schema könnte hierbei lauten: Wenn sich kein konsensualer Schirm mehr finden lässt, unter dem sich divergierende Identitäten sammeln lassen, bleibt als letzter Rest oftmals nur noch die Heimat (bzw. Trauer über deren Verlust) übrig. Ortsgespräch funktionierte jedoch aus vielfältigen Gründen nicht: Die Struktur des Feldes begünstigte andere Aussagen, und obwohl ein ähnlicher Diskurs mit „nationalen Anrufungen“ existierte, bot sich für Florian Illies kein diskursives Vehikel, wie es bei den bisherigen Publikationen der Fall war. Hinzu kam der Verlust des privilegierten Zugangs zu den diskursiven Schaltstellen, obwohl sicherlich noch Austauschbeziehungen existieren – davon zeugt der eine oder andere Artikel, den Florian Illies auch nach dem Verlassen der FAZRedaktion noch in seinem Stammblatt publizieren konnte. Die Generationendebatte war medial vorbereitet worden und stellte ein „gemachtes Nest“ dar, in dem nur Platz genommen werden musste. Dies bot die anvisierte „Provinzdebatte“ nicht.

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Dies hängt auch damit zusammen, dass für Illies die etablierten Bastionen literarischer Produktion schwer einzunehmen waren und aus Gründen des eigenen habituellen Aneignungssinns auch ohnehin nicht in Frage kamen. Allerdings bot sich aufgrund der begünstigten Startposition an einer exponierten Stelle innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie die Möglichkeit, zur ökonomisch erfolgreichen Literatur in ihrer bürgerlichen Variante vorzustoßen – dorthin also, wo Geld, Aufmerksamkeit und Anerkennung in Form von Preisen winken, man als Autor jedoch nicht bzw. nicht so stark dem Vorwurf der Trivialität ausgesetzt ist wie jene Autoren, die bei vergleichbaren Verkaufszahlen über weniger kulturelles Kapital und feldinternes Prestige verfügen. Als Vehikel bot sich dabei die im Feld freigewordene, freilich nicht selbst gewählte, sondern von Rezensenten meist halb im Dementi – es sei ja eigentlich keine Popliteratur, aber... – zugewiesene Lücke, die vom Dissidenzmythos ihrer längst in der intellektuellen Avantgarde angekommenen Frühform zehrte und deren aufmerksamkeitsökonomisches Kapital sich auf bzw. kurz vor der Peripetie befand. 30 Unterstützt wurde dies zum anderen durch die Zugehörigkeit zum journalistischen Feld. Jenes ist Gradmesser des literarischen Lebens und reguliert die Zugehörigkeit von Autoren zum einen oder anderen Pol oder zum Feld (durch Rezensionen, Debatten usw.) insgesamt. Das journalistische Feld ist zudem Produzent, Austragungsort und Indikator zirkulierender Diskurse, was es erneut erleichtert, im literarischen Feld in Erscheinung zu treten. Dies führt dazu, dass sich solche Autoren meist in bestehende oder aufgrund ihrer aus der Zugehörigkeit zum journalistischen Feld hervorgehenden „Ortungsfähigkeit“ für Erfolg versprechende Diskurse auf (vermeintlich) „in der Luft liegende“ Debatten beziehen (oder sie gerade dadurch konstruieren) – schließlich sind sie es, die unmittelbar an einer der Schaltzentralen des sprachlichen Marktes residieren, die den gesellschaftlichen Informationsfluss umwälzen. Was schließlich für alle Produzenten auf dem sprachlichen Markt gilt, gilt für Journalisten und journalistische Autoren im besonderen Maße: Sie nehmen die Rezeptionsbedingungen für ihre eigene Produktion vorweg und machen sich so „akzeptabel“. (Vgl. Bourdieu 1990: 57) Dieser Logik folgt die gesamte literarische Produktion: Generation Golf markiert den Eintritt eines Trittbrettfahrers in das literarische Feld, der aufmerksamkeitsökonomisch eine sichere Investition tätigte. Anleitung zum Unschuldigsein spielte auf der Klaviatur der Debatte um political correctness (insbesondere Illies 2001f). Generation Golf zwei ist Folge feldinterner Kreditwürdigkeit und markiert das krisenbedingte Umschwenken von konsumistischer Heiterkeit zum neobürgerlichen Lamento über die blockierte Gesellschaft, gepaart mit Exkursen in den Moraldiskurs („Sekundärtugenden“). Den letzten Effekt dieser Kreditwürdigkeit stellt die Möglichkeit (oder vertragliche Obligation) des Wiedereintritts in das Feld nach relativ langer Absenz dar. Ortsgespräch markiert dabei den (allerdings gescheiterten) Versuch, sich erneut als Stichwortgeber zu betätigen. 30 Dies verweist auf den Zusammenhang zwischen Rückzugs- und Aufstiegsbewegungen: Die einen besetzen eine attraktive Position und zehren dabei von den Beständen einer dissidenten Avantgarde, jene führt einen Rückzug durch, indem sie auf die von den Aufsteigern gestörte Reinheit hinweist, was sich im Falle der Unterscheidung von später und früher Popliteratur im Urteil äußert, das, was Stuckrad-Barre, Florian Illies und andere Autoren produzierten, sei Etikettenschwindel und hätte gar nichts mit den frühen Formen gemeinsam.

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* In allen genannten Fällen hat man es mit literarisierten Herablassungen zu tun (siehe dazu auch Wahl und Bedeutung der Gattung, deren Relevanz in einem späteren Abschnitt beleuchtet wird), die auf verschiedenen Ebenen implementiert wurden. Diese erste Herablassung liegt in der Fähigkeit und Berufung, über das Wesen einer ganzen Alterskohorte zu sprechen (Generation Golf und Generation Golf zwei), als harmlose Alltagsbeschreibungen getarnte Stellungnahmen über den Zustand Deutschlands abzugeben (Anleitung zum Unschuldigsein) und die eigene Kritiklosigkeit zur „wahren Dissidenz“ umzucodieren oder als Großstädter die Provinz „neu“ zu entdecken (Ortsgespräch). Diese Form der Herablassung entspricht zudem der für „genres of governance“ (vgl. Fairclough 2003: 32f) typischen Eigenschaft, verschiedene Skalen aufeinander zu beziehen, d.h. das Lokale, Subjektive, Individuelle (eigene Kindheitserinnerungen aus der Provinz, Alltagsbeobachtungen usw.) mit dem Blick auf große gesellschaftlichen Zusammenhänge kurzzuschließen (Generationenverhältnisse, große Fragen des politischen Systems, eine gesamtgesellschaftliche Diagnose usw.).

Nichtliterarische Stellungnahmen des Autors: Selbstverortung des Autors im Subfeld der konservativen journalistischen Intelligenz In Folge wird deutlich, dass die eingenommenen Positionen und die gewählten Perspektiven den Autor in der Taxonomie der Felder in die Position der konservativen Intelligenz rücken lassen, die oft betont naiv auftritt. Zwei Fragen müssen daher geklärt werden: Was zeichnet „den“ Konservatismus aus und was zeichnet diese spezifische Form von Intellektualität aus? Für beide Fragen bietet sich jeweils ein theoretisches Konzept an. Für die Frage nach dem „Wesen“ des Konservatismus sind zwei Prämissen zu beachten: zum einen die Tatsache, dass an dieser Stelle sicherlich nicht alle Dimensionen „des“ Konservatismus aufgegriffen werden können, zum anderen muss hervorgehoben werden, dass die Bezeichnung „konservativ“ an dieser Stelle nicht als Diffamierungsvokabel fehlinterpretiert werden sollte, mit der der Autor überführt werden soll. Hinzu kommt, dass der Autor die Frage nach dem Wesen des Konservatismus (mehrfach) selbst (vgl. insbesondere Illies 1999a, 2003a) thematisiert und der Vorwurf oder das Adelsprädikat Konservatismus (je nach Position) von heterogenen Akteuren im Mund geführt wird. Im neoliberal gefärbten Globalisierungs- und Reformdiskurs werden etwa die Positionen von Gewerkschaften regelmäßig mit den Attributen des Altkonservativen belegt oder gar als nationalistisch codiert, wenn ihnen vorgeworfen wird, sich nicht der Realität zu stellen, in der Vergangenheit zu leben oder nicht über den nationalen Gartenzaun zu blicken. Andererseits gilt der Konservatismus im besten Sinne als altmodisch und damit als Begriff mit besonderer „Reflexionstiefe“ (Hacke 2005: 11) oder als heroischer Widerstand im Meer des politisch korrekten Establishments. Sich zum Konservatismus zu bekennen, wird so als Zeichen von Progressivität verstanden (wie das als „mutig“ geltende Bekenntnis zu Roland Koch, siehe weiter oben). Am besten ließe sich daher auf Friedrich Christian Delius’ Lehrbuch Konservativ in 30 Tagen verweisen, in dem hervorgehoben wird, dass man

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sich kein „allzu konservatives Bild vom Konservativen“ (Delius 1988: 7) machen und es schon gar nicht mit Rückwärtsgewandtheit oder völliger ideologischer Geschlossenheit verwechseln sollte. Ganz im Gegenteil zeichnet den Konservatismus eine umfassende Beweglichkeit aus: Den Zustand der Welt zu konservieren, die nicht zuletzt aufgrund der eigenen privilegierten Position darin konservierenswert ist, verlangt oft nach tiefgreifender Veränderung (hier sei zum einen an den bereits zitierten Satz diLampedusas 31 erinnert, zum anderen an die täglich im massenmedialen Sperrfeuer angemahnten Reformen). Die Bezeichnung „konservative Intelligenz“ soll dabei als Alternative für den von Pierre Bourdieu für diesen Typus gewählten Terminus „Rechtsintellektuelle“ (Bourdieu 1999: 353) verwendet werden, da jener zum einen diffamierende Konnotationen enthält, zum anderen eine ähnliche, aber eben nicht identische sozialräumliche Position bezeichnet, die hier erklärt werden soll: Florian Illies, um in der ternären Logik politischer Orientierung zu verbleiben (Links, Mitte, Rechts), ist nicht rechts und verweigert sich konsequent, sich einem dieser Pole zuordnen zu lassen und die Existenz dieser Pole überhaupt anzuerkennen – beides typische Eigenschaften für Akteure in dieser Position und Zeichen des (habituellen) Wunsches, als Autor oder Journalist unverortbar zu sein. Ebenso wenig bekleidet er die Position oder Funktion eines Intellektuellen im klassischen Sinne. Hierfür lässt sich das breit angelegte Intellektuellenkonzept Gramcis fruchtbar nutzen, in dem all diejenigen als Intellektuelle aufgefasst werden, welche die Funktion bekleiden, „die gesellschaftliche Hegemonie einer Gruppe und ihre staatliche Herrschaft zu organisieren.“ (GefH4, §49: 513524) Jede gesellschaftliche Gruppe hat dabei „ihre“ Intellektuellen, die diese Organisationsarbeit für diese Gruppe durchführen. Gramsci unterscheidet ferner zwischen den traditionellen und den organischen Intellektuellen. Der traditionelle Intellektuelle kommt dem geläufigen Bild des Intellektuellen nahe. Gramsci fasst ihn als professionellen Intellektuellen aus Kunst und Wissenschaft auf, der unabhängig von der eigenen sozialen Herkunft für die hegemonialen Klassen arbeitet und deren Interessen vertritt. Dem gegenüber steht der organische Intellektuelle, der die o.g. Funktion des Bindeglieds ausfüllt. Damit lässt sich auch die Position Florian Illies’ definieren: er lässt sich als Organisator der Ideologien des oberen Mittelstandes auffassen, deren Vertreter zur Macht drängen (dass man dabei durchaus von der Zugehörigkeit zu einem losen Netzwerk ähnlich operierender Intellektueller sprechen kann, wurde bereits anhand der Vergabepolitik der Literaturpreise deutlich). Die bisher bearbeiteten Faktoren wie Kapitalausstattung, Habitus, Laufbahn und Zugehörigkeit zur jungen Speerspitze des bürgerlichen Journalismus dürften diese getroffene Zugehörigkeit rechtfertigen. Über den Typus des Rechtsintellektuellen stellte Pierre Bourdieu fest: „Da sie selbst durch Positionen und Werdegang den Kreuzungspunkt entgegengesetzter und einander widersprechender politischer Intentionen verkörpern, können sie gegenüber jeder politischen Position von einer anderen Position aus Stellung beziehen, den Linken vorwerfen, dass sie nicht über die konsequente Haltung der

31 „Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist.“ (di Lampedusa 2003: 33)

118 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM Rechten verfüge, und der Rechten, es fehle ihr an der hochherzigen Intelligenz der Linken.“ (Bourdieu 1999: 440f)

Eine ähnlich widersprüchliche Position (ein intellektueller Habitus, zugleich eine beherrschte Stellung im Feld der Macht) trifft jenen Typus konservativer Intelligenz, wie ihn etwa die FAZ anzieht, kultiviert und verkörpert. Diese Position ist befähigt, trotz (oder gerade wegen) der allgegenwärtigen Überzeugung, es gäbe kein lechts und rinks mehr (Ernst Jandl), an zwei Fronten zu kämpfen: gegen „die Linke“ (und das, was mit ihr assoziiert werden kann), gegen intellektuelle Kritik am Konservatismus und zugleich gegen den naiven Konservatismus der Reaktion. Die Taktiken sind dabei gekennzeichnet durch liberalen Freimut, freischwebende Ironie und intellektuelle Brillanz. Zugleich sind sie geprägt durch z.T. demonstrative, dabei jedoch „wissende“ Naivität (um nicht mit den „weltfremden“ und „geschwätzigen Intellektuellen“ verwechselt werden zu können), gefolgt von einer Betonung des Pragmatismus und einer Ablehnung „fruchtloser“ Diskussionen und „fauler Kompromisse“. Diese Elemente werden von den jeweiligen Vertretern als Beweis für ihre eigeme Neutralität, Sachlichkeit und Ideologieferne ins Feld geführt. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn dieser intelligente Konservatismus mit sich selbst ins Gericht geht, konservative Positionen attackiert und/oder wenn dessen Vertreter „auf Strategien zurückgreifen, die darin bestehen, den ‚Intellektuellen‘ ihre eigenen Waffen, wie Logik und Gesellschaftskritik, zu entwinden, ihnen zu sagen, was sie zu sagen hätten, wüßten sie, was sprechen heißt, und die bestrittenen Thesen durch aggressiv konsequentes Verfolgen bis in ihre letzten Konsequenzen hinein ad absurdum zu führen.“ (Bourdieu 1999: 440) 32 Dieser Typus des intelligenten Konservatismus ist befugt, „Lektionen in politischem Realismus und gesundem Menschenverstand“ (ebd.) zu erteilen und erfüllt damit den ideologischen Tatbestand, sich selbst zum Vertreter einer bodenständigen Vernunft, Vertreter der Gegenposition jedoch zu verblendeten Ideologen zu erklären. Damit verfügt dieser Typus der konservativen Intelligenz über die Fähigkeiten, dem Gegner vorzuwerfen, er hätte sowohl zu wenig als auch zugleich zu viel „Herz“ (Eagleton 1993: 11): Wo der diskursive Gegner sich in weitreichende Argumentationen begibt, wird er als verkopft, unspontan und eben kalt und herzlos vorgeführt. 33 Fasst man die bisherigen Ausführungen zum Konservatismus zusammen, so wird deutlich, dass er im Folgenden im Sinne einer Teilnahme am konservativen Diskurs verstanden wird. Jener wird wiederum (mit Foucault) als regelhafte, trotz aller o.g. Pluralität stabile sprachliche Praxis definiert, in der die für diesen Diskurs typischen Repräsentationen von Sachverhalten immer wieder aktualisiert werden. Dabei ist es erneut irrelevant, ob der Autor im 32 Kein Wunder also, dass die Ridikülisierung des ideologischen Gegners in Generation Golf genau so verfährt: konsequente Emanzipation führt in letzter Konsequenz zur Sehnsucht nach alten Rollenvorstellungen, soziale Gleichbehandlung führt zur Sehnsucht nach Ungleichheit usw. (siehe das Kapitel „politische Korrektheit“) 33 So verwundert es kaum, dass in Generation Golf den auserkorenen Feindbildern zum einen unterstellt wird, sie seien ideologisch verbohrt („Krötentragen“), also zu ernst, zum anderen aber auch, sie seien zu albern (Demonstrationen, „alberne“ Kleidung usw.).

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„tiefsten Inneren“ konservativ ist: Als Journalist für eine konservative Zeitung nimmt er als Textproduzent bereits die Rezeptionserwartungen der Leserschaft vorweg 34 , welche die Zeitung kauft und ihre Existenz erst möglich macht. Dass dies so ist, verdeutlicht der bruchlose Wechsel von Journalisten von einem zum anderen Pol des journalistischen Feldes, ohne sich dabei verbiegen zu müssen. Wie dies funktionieren kann, führte u.a. Ulf Poschardt vor, der mit jedem Positionswechsel im journalistischen Feld auch die eigenen Stellungnahmen modifizierte: Ohne Reputation diente der linke Rand der Mitte als Einstieg, aufgewertet und zirkulationsfähiger der rechte Rand der Mitte als vorläufige Endposition. Klagte Poschardt noch über den neoliberalen Anteil an Generation Golf (vgl. Poschardt 2000) 35 , ist er nun derjenige, der vorzugsweise über die Wonnen der „sozialen Hängematte“ doziert. (Vgl. Poschardt 2005a) Diese Teilnahme lässt sich an den Stellungnahmen des Autors im journalistischen Feld explizieren, von denen einige hier ausgewählt wurden, so sie geeignet erschienen (Untersuchungszeitraum: die vom Autor für die FAZ verfassten Artikel zwischen 1993-2006). Die folgenden Ausführungen geben darüber hinaus auf der einen Seite einen Ausblick auf die Diskurskoalition des konservativen Diskurses mit dem vielfältig schattierten neoliberalen Diskurs 36 , auf der anderen Seite werden Überschneidungen bei der Sachverhaltsrepräsentation zwischen den Beiträgen für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Generation Golf sichtbar. Ferner lassen sich vergleichbar gelagerte Aussagen epitextuell nachweisen. Einige Elemente sind für den konservativen Diskurs bereits Legion: zum einen Stellungnahmen gegen die vermeintlich grassierende und lähmende political correctness (Beispiele dazu folgen in einem späteren Abschnitt), zum anderen (oftmals im selben Atemzug) gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen als teure ideologische Belehrungsanstalt, die regelmäßig verspätet und dann auch noch inkonsequent auf mediale Trends setzt. Einige Kostproben 34 Dies wird durch den Autor Florian Illies in Anleitung zum Unschuldigsein wiederum selbst thematisiert und im Rahmen seiner Geschichte des Schuldbewusstseins zur Komikerzeugung verwendet: „‚Wie schon in seinem ersten Buch, so redet Illies auch in Anleitung zum Unschuldigsein nur über sich selbst und seinen Kleiderschrank‘ – das ist die Zeile, die ich dann befürchte, und natürlich habe ich auch sogleich ein schlechtes Gewissen dafür, dass ich inzwischen so verdorben bin, dass ich beim Verfassen meines Buches bereits die Öffentlichkeitswirkung mit bedenke.“ (AZU: 190) 35 „Statt der DKP-nahen Postboten müssten nun neoliberale Investmentbroker an ihren Karrieren gehindert werden. Ihre Helfershelfer in Literatur und Kunst müssen überwacht werden. Dazu fordert die Liebe zum Gemeinwohl auf. Der Rechtsstaat muss handeln: Die Staatsfeinde der rheinischen Demokratie gehören aus dem Kapital- und Warenverkehr gezogen.“ (Poschardt 2000) 36 Dabei operiert der Autor mit Denormalisierungsszenarien, wie sie für den neoliberalen Reformdiskurs und den konservativen Kulturpessimismus typisch sind. (Vgl. Karasek 2007) Diese Engführungen lesen sich dann so: „Deutschland, ein Schauermärchen. Jeden Tag werfen wir in diesen Tagen angstvoll den Blick in ein neues schwarzes Loch, in eine neue schwarze Kasse, in eine neue Krise. Erst das Bildungssystem, dann das Gesundheitssystem, jetzt das Rentensystem: Alles scheint zur Zeit am Ende.“ (Illies 2002b: 37) Oder es ist von der „schlichten Wahrheit[..]“ die Rede, also „daß das Gesundheitssystem am Ende ist, das Rentensystem auch, und daß wir die Schulden des Staates werden zahlen müssen.“ (Illies 2003e: 17)

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aus dem Inventar des Konservatismus, mit dem die vermeintliche Allmacht der Linken zurückgewiesen wird, sollen genannt werden: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen verschwende den eigenen „Haushaltsüberschuß“, sei „öffentlich-rechtliche[s] Schmiergeldsyndikat[.]“, nerve mit ideologischer Belehrung unter Ausschluss der Öffentlichkeit (Küppersbusch), statt quotenstarke Unterhaltung („Wetten, daß..“ 37 ) zu liefern. Es müsse jede Randgruppe bedienen: von „Alterssexualität“ bis zur „Ausländerbeauftragten“ und „sechs Afrikaner[n] in Lederkluft“, die ihren „Asyl-Rap aus Meerbusch“ vortragen bzw. „vorhopsen“ (Illies 1993a: 34) dürften. Die „öffentlich-rechtlichen Anstalten“ seien das „deutsche Konsenssystem“ (Illies 2002c: 33), welches sich erst für die Einspielung der Aktienkurse erwärmen konnte, als die „new economy“ schon längst am Boden lag. Die Glücksspirale im Ersten sei „Ausbund an öffentlich-rechtlicher Betulichkeit“, das Gegenstück im Privatfernsehen dagegen „moderne[.] Unterhaltungsshow“ (Illies 1996c: 26); Political Correctness drohe dabei an allen Ecken, werde aber glücklicherweise endlich bekämpft: „Bemerkenswert ist vielmehr, daß [...] endlich auch die letzten Dämme der political correctness gebrochen werden.“ (Illies 1996b: 26); „Kontinuitätsverdacht und Identitätswahn“; „Es gibt, so ging die linke Lehre, keinen wirklichen Bruch, nur lange Linien, von Preußen zu Hitler, von Bismarck zu Kohl, von Ernst Jünger zu Botho Strauß.“ (Illies 2001h: 41); „Nicht länger müssen Caspar David Friedrich und Böcklin nun dafür büßen, auch von Hitler gemocht worden zu sein [...].“ (Illies 2001i: 25)

Dazu gehört auch die Zurückweisung der Kategorien links und rechts. Kostbar ist hierbei das Gespräch zwischen Günter Gaus und Florian Illies (anlässlich des Erscheinens von Generation Golf zwei), das hier ausnahmsweise (da die zu den Generationenbüchern zirkulierenden Paratexte in einem späteren Abschnitt zentral behandelt werden) als Beispiel herangezogen werden soll: „Illies: ‚Es ist spannend. Wir erleben ja auch die Auflösung der Begriffe links und rechts...‘ Gaus: ‚...überhaupt nicht.‘ Illies: ‚Doch.‘“ (Illies 2003e: 17)

Noch deutlicher wird die oben skizzierte chiastische Aussagenstruktur (zugleich links und rechts, naiv und intelligent usw.), wenn man die eigenen Stellungnahmen des Autors miteinander in Beziehung setzt. Auf der einen Seite stehen etwa die Ausführungen des Autors zur Frage des kontrovers diskutierten Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses und zur Frage der Umbenennung Brandenburgs in Preußen. In beiden Fällen hat der Autor ent-

37 Dieser Vorwurf der Belehrung ist sicher nicht neu: „Das öffentlich-rechtlich verfaßte Fernsehen [...] lebt zudem von einem offiziösen Wahrheits- und Zurechtweisungsnimbus“ heißt es bei Delius (1988: 52), den FAZ-Duktus zitierend. Verwundert es, wenn „Wetten, daß...“ in Generation Golf als angenehme Unterhaltung präsentiert wird, Küppersbusch dagegen in der inventarisierenden Beschreibung eines 68er-Kindes auftaucht? „Überall lagen alte Zeit-Ausgaben herum, mit gelbem Textmarker angestrichene Artikel über Friedrich Küppersbusch [...].“ (GG: 51)

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schieden dafür votiert. Auf der anderen Seite stehen die Themen Pazifismus im Speziellen und Demonstrationen im Allgemeinen. In der Diskussion um das Für oder Wider des Neuaufbaus des Berliner Stadtschlosses werden den Akteuren, die sich für einen rationalen Kompromiss aussprachen, meist die Position der unterkühlten, herzlosen Rationalisten zugewiesen, wofür etwa geschickterweise Richard Sennett als Gewährsmann herangezogen wird, der wahrlich nicht den Typus des betriebswirtschaftlichen Hardliners verkörpert. (Vgl. Illies 2002e) Selbst das Argument der enormen Kosten wird, entgegen des an anderer Stelle selbst vorgetragenen Lamentos über leere Staatskassen, letztendlich als kleinkariert zurückgewiesen – die schönen Dinge kosteten eben auch etwas, ein weltmännisches Hauptstadtgefühl sei eben nicht umsonst zu haben, „im Windkanal flachgeschliffene[.]“ (ebd.) Bauten gäbe es doch genug und diese Verteidigung der Ästhetik vor der ökonomischen Rationalität sei natürlich alles andere als „naiv“. (Ebd.) Die Kritiker sind somit – siehe die Aussage Eagletons – völlig emotionslos und viel zu rational. Wenn es notwendig erscheint, können sie jedoch zugleich als zu beherzte Moralisten vorgeführt werden. Im Umkehrschluss gilt für Florian Illies, die meiste Zeit auf der Seite der Ästheten zu stehen, wenn es jedoch notwendig wird, die Position des Vernünftigen einzunehmen, der den Gegner ob seines Moralismus zurechtweist: 38 „Und wenn Berlin, mitten in seinem historischen Herzen, eines nicht braucht, dann einen unverbindlichen Kompromiss.“ (Illies 2000a: BS1); „Die Kompromißseligkeit der alten Bundesrepublik mit ihrer Unkultur der Bedenkenträgervereinigung ‚Ältestenrat‘ hat sich hier auf geradezu groteske Weise mit der milden Toleranz des Runden Tisches vermählt.“ (Illies2000b: BS1); „Berliner Bedenkenträger“ (ebd.); „Denn es wäre die Befreiung der Ästhetik aus der Umklammerung der Moral.“ (Illies 2002f); „Gebäude für den Globalisierungsdiskurs“ (Illies 2002g: BS1), „Urbanistik“ (Illies 2002e: BS1) und „demokratisches Bauen“ (ebd.) vs. Ästhetik und Vermeidung von „Unschönheit“ (ebd.).

Das in diesem Disput vom damaligen Berliner Kultursenator Thomas Flierl (PDS) vorgeschlagene „Gebäude für den Globalisierungsdiskurs“ (s.o.) kann in diesem Kontext nur als die o.g. absurde Konsequenz übermäßiger Reflexion erscheinen, und die eingangs erwähnte Naivität kommt zum Tragen, wenn es im Zuge der Aufzählung weiterer Gründe für die Neuerrichtung des Stadtschlosses ironisch-rabulistisch heißt: „Schloßhaß ist Selbsthaß“ und „Wer dies eine Floskel nennt, weiß nicht, was Floskeln sind.“ (Illies 2002h: 30) Ein ähnliches Bekenntnis zu mehr Herz gilt sowohl für die Institution Kirche, die sich wieder auf Mythos und „Liturgie“ besinnen solle und nicht immer nur „auf den Applaus der Konsensgesellschaft“ (Illies 2002b: 37, Hervorhebung von T.K.) hoffen solle, als auch für das Bekenntnis Florian Illies’

38 Dass erst die Ästhetik kommt und dann die Politik, sich diese Frage etwa im Falle der Preußen-Debatte gar verbietet, wird auch in den ironisch-alliterationsreichen Ausführungen zu Alfred Hrdlickas Wiener Mahnmal gegen Krieg und Faschismus deutlich: „seine muskelstarke Meißel-Mystik ist zwar gut gemeint, aber wohl kein sonderlich entscheidender Beitrag zur zeitgenössischen Skulptur.“ (Illies 1994a: 28, Hervorhebung von T.K.)

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zur Umbenennung Brandenburgs zu Preußen, womit sich endlich „Kräfte für einen Neuanfang“ (Illies 2002i: 45) schöpfen ließen. Dem Gegenüber stehen Ausführungen zu den im Zuge des Irak-Krieges aufkeimenden Friedensdemonstrationen. Neben der Ridikülisierung „der“ Demonstranten durch Ironie und dem reflexhaften (und damit klischeehaften) Einstreuen von Anführungszeichen und Attributen („sogenannte“ 39 ), kehren die Kategorien nun mit umgekehrter Gewichtung wieder zurück. Im Wesentlichen wird hier das despektierliche Bild des pazifistischen Dauerdemonstranten und romantisch-rousseauistischen Gutmenschen gezeichnet, dessen Demonstrationskultur mehr an Folklore erinnert. Die empfundenen Überlegenheitsgefühle kann der Autor dabei schwer zurückhalten, wenn er süffisant auf die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft hinweist, in der auch die intoleranten (rigorosen) Nostalgiker ihre Meinung vertreten dürfen und ein Grundrecht in Anspruch nehmen können, das, um in der Logik des unten genannten Beispiels zu bleiben, bei „uns“ und woanders ggf. militärisch hat durchgesetzt oder verteidigt werden müssen: „Auf jeden Fall durften die Nostalgiker unter den Demonstranten noch einmal wacker Golfkriegsplakate mit der Forderung ‚Kein Blut für Öl‘ hochhalten. So bekam man gestern noch einmal den moralischen Rigorismus des ‚Nie wieder Krieg‘ vorgeführt, der wie ein ‚Grüß Gott‘ jedem neuen Krisenherd reflexartig zugerufen wird, ganz gleich, ob es um den Nato-Doppelbeschluß, den Kosovo oder islamische Terroristen geht.“ (Illies 2001g: 25) 40

Diese despektierliche Beschreibung von Demonstranten steht nun erneut im Widerspruch zur eigenen Selbstverortung im Kontext des Erscheinens von Ortsgespräch: Dort verwendet der Autor die zum Klischee herabgesunkenen semantischen Bestände der Friedens- und Ökobewegung, wenn er über die „unglaubliche Beschleunigung des Lebens“, die Glanzlosigkeit von „Coffee to go“ und „andere[.] Accessoires dieses auf Geschwindigkeit und Effizienz

39 Dass Demonstranten gern in „sogenannte“ oder gar „selbsternannte“ Demonstranten umbenannt werden, um sie zu ridikülisieren und zu delegitimieren, gehört zum Standardrepertoire (nicht nur) des konservativen Journalismus. Dass gerade die FAZ sich darin übt, stellte Friedrich Delius süffisant fest, als er, einen Jahrgang FAZ überblickend, die typische Beschreibung für Pazifisten zusammenfasste: „Sogenannte Demonstranten“, „Sogenannte Friedensbewegung“ (Delius 1988: 128) 40 Ferner heißt es: „Die erste Rednerin wetterte gegen die wirtschaftlichen Interessen, die die Bundeswehr in Afghanistan verfolge. Auch der nächste wollte den Terrorismus durch Beseitigung von Armut und Elend in der dritten Welt beenden, als wären die Anschläge gegen die USA nicht die Werke irrer Snobs. [...] Und zugleich negiert dieses planlose ‚Nie wieder Krieg‘, daß der Kommunismus auch durch das Wettrüsten zusammenbrach und das Nazi-Regime durch eine militärische Niederwerfung.“ (Illies 2001g: 25) Passend notierte Delius in seinem fiktiven Lehrbuch, was die FAZ unter „Naiven“ versteht: „Naive: Aber Rüstungskosten und Entwicklungshilfe in eine erwartungsvolle Beziehung zu bringen, beeindruckt Naive fast immer.“ (Delius 1988: 182); „Friedenssehnsucht, naive: [...] dominiert hier die naive Friedenssehnsucht einer Generation, die von Bedrohungen, die es in dieser Welt gibt, aus Bequemlichkeit nichts wissen will.“ (Ders.: 180)

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getrimmten Lebens“ klagt und sich und seinen Lesern die „Entschleunigung“ eines einfachen provinziellen Lebens als Option anbietet. (Illies 2006b: 38) Dass diese Verquickung von Rationalismus, Irrationalismus und Kulturkritik 41 fatal an die vor dem ersten Weltkrieg schwehlende (bildungs)bürgerliche Stürmer- und Dränger-Sehnsucht nach dem befreienden Knall ähnelt (den freilich andere herbeizuführen haben), stellte Günter Gaus im oben erwähnten Interview anlässlich des Erscheinens von Generation Golf zwei fest. Das einfache Leben, welches Ortsgespräch ästhetisiert, steht in einem Ansteckungsverhältnis zu den Effekten der Anforderungen einer neoliberalen Programmatik, die in der Suche nach „Entschleunigung“ auftaucht – und dies ist trotz der christlich-esoterischen und z.T. antikapitalistischen Konnotation (vgl. Reheis 2004, 2005) in dreifacher und sozial selektiver Weise der Fall: „Entschleunigung“ ist einerseits wie eh und je distinktionstaugliche Askese, zugleich aber auch Element von SelbstmanagementTechniken (siehe Küstenmachers „Simplify your life“) und Bestandteil jener Anrufungen an die unteren Ränge der Gesellschaften, sich mit einem einfacheren Leben zu bescheiden, weniger zu konsumieren, weniger materialistisch zu sein usw. (siehe etwa Alexander von Schönburgs Die Kunst des stilvollen Verarmens, wo stellvertretend am Beispiel der Verarmung der oberen Mittelschichten die Bedrohung vorgeführt wird, die in neoliberal reformierten Gesellschaften jeden betreffen kann). Die Sehnsucht nach der unschuldigen Provinz stellt dabei keine allzu neue Reaktion dar, sondern erinnert an die ideologische Grundierung der Wandervogel-Bewegung und Lebensreform, die beide auf die Widersprüche der kapitalistischen Moderne mit Fluchtbewegungen in die Natur reagierten. Dass sich der Autor tendenziell in Widersprüche verstrickt, wenn er Manufactum in Generation Golf zum Label arrivierter 68er-Snobs erklärt, die sich ihren Reichtum nicht zu zeigen trauen (GG: 149f), nun jedoch selbst als Beispiel für die allgegenwärtige Sehnsucht nach dem Echten und Wahren anführt (vgl. Illies 2006a), ist eine Pointe, die nicht vorenthalten werden soll.

41 Als typischer Indikator von Kulturkritik soll hier verstanden werden: die Sehnsucht nach dem Wahren und Echten, die Kritik der gegenwärtigen Kommunikationsverhältnisse und deren Geschwindigkeit und die Verfügung über den Kollektivsingular „Mensch“. (Vgl. Christians 2001: 347f) Ironische Anekdoten über Fluch und Segen des technischen Fortschritts und das Verzweifeln an den Absurditäten des Alltags sind letztendlich in allen Büchern präsent, etwa die Tücken der Mülltrennung (GG: 140, AZU: 11-21) oder die Tücken moderner Kommunikation (GG: 147, AZU: 197, GG2: 191, OG: 42f) – dies sind zum einen zentrale Topoi der Kulturkritik (Verlust des Echten, Wahren), zum anderen leidlich bekannte Klagen: „Stimmen Sie dem technischen Fortschritt im großen und ganzen zu und kritisieren Sie ihn im kleinen. Beides kostet nichts“, schrieb F.C. Delius (1988: 72) über diese stereotype Mischung aus Kulturkritik und Fortschrittsbejahung. An gleicher Stelle lautet ein Sample aus der FAZ: „Telefonanrufe sind zu unverbindlich und zu vergänglich.“ (Ders.: 69) Dem gegenüber steht ein vergleichbar gelagertes Beispiel in Generation Golf zwei: „Die Unverbindlichkeit des Handys ist verführerisch, die Möglichkeit zur Dauerkommunikation trügerisch: Sagen jedenfalls tut man so gut wie nichts.“ (GG2: 191)

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Stellungnahmen in Feld und Raum I: Generation Golf als komplexes Zeichen – materielle und peritextuelle Merkmale Neben den Kriterien des Habitus, der Wahl der strategischen Möglichkeiten (siehe weiter unten) und der feldinternen und -externen Hierarchie ist die Positionierung eines Autors und seiner Texte maßgeblich von den Zuschreibungen der anderen Feldteilnehmer bestimmt. Ihre Aussagen, die aus ihrer Position herrührenden Beurteilungskategorien sowie die Relation zwischen der eigenen Position und der des beurteilten Gegenstands gehören zum komplexen Beziehungsgeflecht, durch das ein Teilnehmer im literarischen Feld mitsamt seiner Texte verortet wird. „Ein wichtiges Medium zur kommunikativen Regelung dieser Formationsprozesse sind die von Gérard Genette so benannten und detailliert analysierten ‚Paratexte‘.“ (Dörner/Vogt 1994: 151) Dieses „Beiwerk zum Buch“ wurde von Genette vielfältig untergliedert. Genette unterscheidet dabei u.a. zwischen zum materiellen Träger gehörenden Peritexten (Beispiel: Klappentext) und davon losgelösten Epitexten (Beispiel: Interview des Autors, Rezensionen). Schließlich wirken sich auch Gestaltung und Ausstattung des Buches auf dessen Charakter als komplexes Zeichen aus. Die Akribie Genettes verdeutlicht, dass sich allein durch die Analyse der Peritexte bzw. Paratexte umfangreiche Studien anfertigen lassen. Hier sollen daher nur einige zentrale Elemente abgehandelt werden, die sich im Kontext der bisherigen Analyse als nützlich erweisen. Materielle Merkmale Gebundene, großformatige Bücher signalisieren auf der Produktionsseite verlegerisches Vertrauen in die Investition, denn sie sind teurer, schwieriger zu verkaufen und sozial selektiv an ein seltenes Publikum gerichtet, das bereit ist, gebundene Bücher zu erwerben. Auf der Rezeptionsseite stehen sie für mehr Exklusivität und Ansehen. In der Regel gelangen nur gebundene Bücher und/oder legitime Klassiker in den Status, distinktiv-dekoratives Besitzbuch (Robert Escarpit) zu sein. Ganz besonders gilt dies natürlich für Enzyklopädien und Kunstbücher – wie die „Schirmer-&-Mosel-Bildbändchen“ (GG: 185), die in Generation Golf erwähnt werden. Im Gegenzug kann es viele Gründe geben, einen Text (ausschließlich/zusätzlich) als Taschenbuch aufzulegen. Auf der einen Seite stehen Bedenken oder Defizite: zu wenig verlegerisches Vertrauen in den Wert des Textes, ein zu riskanter Text, der Text spricht Käufer an, die in der Regel keine gebundenen Bücher kaufen usw. Auf der anderen Seite signalisiert die Auflage als Taschenbuch sowohl eine Trivialisierung (durch Vermassung) als auch einen Klassikerstatus und die damit ausgedrückte Notwendigkeit, möglichst günstig einem breiten Publikum zugänglich gemacht zu werden. Wie bereits deutlich wurde, wurden bei allen publizierten Texten von Generation Golf bis Ortsgespräch sämtliche Produktlinien (Hardcover, Taschenbuch, Hörbuch usw.) verwertet bzw. bedient. So verdeutlicht diese Vollausstattung erneut das in das Produkt gesetzte Vertrauen und die maximale Zielgruppenorientierung: Käufer aus den oberen Mittelschichten, die zum gebundenen Buch greifen, daneben Käufer erfolgreicher „Klassiker“

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(Werbeanzeige für Generation Golf im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 85/2001, Einband) und „Bestseller-Käufer“. 42 Peritextuelle Merkmale Die Analyse peritextueller Merkmale lässt sich am leichtesten durch lineares Abschreiten einiger relevanter Merkmale bewältigen (vom Titelblatt bis zum Klappentext). Die hier behandelten peritextuellen Merkmale liefern dabei unterstützende Hinweise für bisherige/künftige Analyseschritte, etwa was die Fragen des Stils, der Selbst- und Fremddarstellung des Autors, der Relation zwischen Autor, Gegenstand und Publikum usw. anbelangt. Gemäß Genette verfügt ein Buchtitel über vier zentrale Funktionen: zu identifizieren, den Inhalt zu bezeichnen, den Text in ein günstiges Licht zu setzen und zu verführen. Neben den ersten beiden Funktionen stechen hier, vor allem vor dem Hintergrund der Einbindung in den zu jener Zeit besonders virulenten Generationendiskurs, die Aufwertungs- und Verführungsfunktion hervor. Immerhin kann der Autor es sich erlauben, einen „großen“ Titel (Aussagen über eine ganze „Generation“) zu wählen, der mit einem Untertitel („Eine Inspektion“) kombiniert wird, der zusätzlich Objektivität und Realismus verheißt. Der „Waschzettel“ im Inneren des Buches enthält eine aus verschiedenen Kapiteln montierte und durch neue Formulierungen ergänzte Zusammenfassung des Textes. Darüber hinaus findet sich dort (zumindest in der hier verwendeten Taschenbuchausgabe) ein Hinweis auf den Arbeitgeber des Autors (FAZ) als auch die Information, dass der Rezipient es hier mit PreisträgerLiteratur zu tun hat, was zur Rezeptionslenkung beiträgt (so dies dem Leser noch nicht bekannt war und er das Buch nicht bereits auch aus diesen Gründen erworben hat). Die im Inhaltsverzeichnis aufgelisteten Zwischentitel erfüllen in mehrerlei Hinsicht eine narrative Funktion (vgl. Genette 2002: 281ff): Sie suggerieren Geschlossenheit durch Auflistungen, sie sind dem bereits genannten Leitmotiv untergeordnet, sie signalisieren Konstanz, da sie in der Regel über eine aus der klassischen Rhetorik stammende Dreierstruktur verfügen (exemplarisch: „Kindheit. Schulzeit. Playmobil.“). Schließlich unterstreichen die Zwischentitel aufgrund ihrer Länge den allgemein um Ironie bemühten Charakter der Erzählung (lange Zwischentitel lassen sich vor allem bei einem kurzen, einem ernsten oder bei Abwesenheit eines Titels als Ironie-Indikator deuten, vgl. Genette 2001: 287ff): „Ich bin nicht müde. Ich will nicht nach Hause. Wann können wir endlich weiterfahren? Vorabendserien. Ewige gute Laune. Weiterfahren, egal wohin.“ Das beigefügte, angesichts der beabsichtigten Textwirkung hoch selektive Register (welches etwa zweimal „Achselhaare“, aber kein einziges mal „Tschernobyl“ enthält), unterstreicht den archivarischen und um Realismus bemühten Charakter. Dem schließt sich ein Dankwort an den Literaturagenten Matthias Landwehr und an Helmut Kohl an. Die Nennung Helmut Kohls erfüllt zum einen eine ironische Funktion. Darüber hinaus dürften, beide Adressaten des Dankwortes betreffend, Genettes Thesen über die generelle Funktion von 42 Dass dies relevant ist, wird dadurch ersichtlich, dass ganze Gattungen ausschließlich als Taschenbuch oder gebundenes Buch aufgelegt werden.

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Dankworten zutreffen. Grundsätzlich dienen alle Zueignungen der Zurschaustellung der Beziehung zum Zugeeigneten. (Vgl. ders.: 132) Bei der Thematisierung persönlicher Beziehungen wird etwa das Zeichen von Freundschaft vermittelt, handelt es sich um öffentliche Personen, lässt sich von einer intellektuellen, künstlerischen oder politischen Beziehung ausgehen. Es gilt daher: „Erwähnt man als Auftakt oder Schlußtakt eines Werkes eine Person oder eine Sache als vorrangingen Adressaten, so wird sie zwangsläufig als eine Art idealer Inspirator einbezogen und auf die eine oder andere Weise angerufen, wie einst der Sänger die Muse anrief. ‚Für Soundso‘ enthält immer ein gewisses ‚Durch Soundso‘.“ (Ders.: 133)

Die Rolle des Ermöglichers füllen die so Zugeeigneten auf unterschiedliche Art und Weise aus: Matthias Landwehr spielte durch die Leitung einer großen Literaturagentur die Rolle des feldinternen Ermöglichers, dem steht die ironisch-unironische politische Beziehung zwischen dem Autor und Helmut Kohl gegenüber, wird doch in Generation Golf mehrfach darauf hingewiesen, wie sehr die Politik Helmut Kohls ein ruhiges Leben voller Prosperität, Zufriedenheit und Kapitalakkumulation ermöglichte. Dies setzt sich unter negativen Vorzeichen auch in Generation Golf zwei fort: Auch hier gilt, dass die drohenden Statusverluste für die eigene Generation, neben den üblichen Schuldigen (Gewerkschaften, Besitzstandswahrern usw.), vor allem Helmut Kohl anzulasten seien – auch hier lässt sich somit wie oben von einem „Durch Soundso“ sprechen. Schließlich wird, was damit einen Transit in die Sphäre der Epitexte eröffnet, Generation Golf auf dem Klappentext als Beitrag eines um Wahrheit kämpfenden „Diskurspartisans“ positioniert, was sich an den zitierten Rezensionen ablesen lässt, die als Adelsprädikat den Klappentext schmücken. Generation Golf sei demzufolge skandalös, ein Stück Wahrheit und es sei „kein Wunder, daß über kaum ein Buch mehr geredet wird.“ (Süddeutsche Zeitung) Selbiges gilt etwa auch für das, verglichen mit den restlichen Publikationen und dem dazugehörigen medialen Echo, wahrlich zahme Buch Ortsgespräch: „Gäbe es unter den deutschen Literaturpreisen einen für Frechheit, dann müsste ihn Florian Illies erhalten.“ (OG: Klappentext, Hervorhebung von T.K.) 43

43 Dem wäre mit der notwendigen Polemik hinzuzufügen, dass mit der o.g. „Frechheit“ auch das Sampling der gleichen Anekdoten gemeint sein könnte. Einige Beispiele für wiederkehrende Elemente: das Problem der „Tennispassivität“ (GG: 75f vs. OG: 39), das Problem der langsam fahrenden und (sozial)räumlich behindernden Traktoren (GG: 48 vs. OG: 173ff), das Problem der falschen Benzinmarke (GG: 47 vs. OG: 185), das Problem des KassettenAufnehmens (GG: 23 vs. OG: 188), das Problem des politischen Korrektheitszwangs (GG: 174ff vs. OG: 25), das Problem der „Trübsinnigen Vorspeise Mozarella mit Tomate“ (OG: 72 vs. GG: 38) usw. Dass sich der Eindruck aufdrängt, der Autor montiere stets ähnliche Versatzstücke, wird noch deutlicher, wenn man sich die wahrscheinliche Produktionsweise von Generation Golf vor Augen führt (siehe weiter oben).

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Stellungnahmen in Feld und Raum II: epitextuelle Merkmale Unter Epitexten werden die Texte verstanden, die inhaltlich mit dem Ursprungstext verbunden sind, aber durch den sozialen Raum zirkulieren – im vorliegenden Fall sind dies Interviews mit dem Autor und Rezensionen. Aus der Betrachtung der Epitexte im Umfeld von Generation Golf (und den anderen Texten) lassen sich zweierlei Rückschlüsse ziehen: 1. Interviews können im Wesentlichen unter dem Aspekt der Selbstdarstellung und -positionierung des Autors betrachtet werden. 2. Lob oder Verriss durch Rezensenten weisen dem Gegenstand einen Ort innerhalb des Feldes zu. Die in Rezensionen getroffenen Aussagen darüber, wie der Text wahrgenommen wurde, lassen zudem Rückschlüsse auf die anvisierten Rezipienten zu, was insbesondere vor dem Hintergrund der Diskussion über Populärliteratur als auch hinsichtlich des in Generation Golf abgebildeten Sozialraums relevant ist. Sowohl die Selbstdarstellung des Autors als auch der Entwurf des Rezipienten lassen sich in der Wahl der strategischen Möglichkeiten, insbesondere in der Wahl des Stils aus dem Raum aller verfügbaren Stile, ablesen. Selbstdarstellung in Interviews Trotz sinkender feldinterner Relevanz verfügte Florian Illies über die Möglichkeit, zum Zeitpunkt einer Publikation (inklusive Monopol) in den wichtigen meinungsbildenden Zeitungen und Zeitschriften zu erscheinen. In Interviews hat der Autor die Gelegenheit, sich selbst darzustellen. Dies wird gerade dadurch deutlich, dass Interviews in der Regel autorisiert werden und somit selten Aussagen veröffentlicht werden, die für den Interviewten untragbar wären. Die Aussagen in einem Interview verdeutlichen, wie der Interviewte gesehen werden will, d.h. welche Position er einnehmen will (was natürlich in Kauf genommene Skandalisierung, bewusste Missverständnisse usw. mit einschließt). In den Interviews, die anlässlich des Erscheinens der literarischen Texte und des Magazins Monopol geführt wurden (von denen einige hier exemplarisch vorgestellt werden), lassen sich im Wesentlichen die kommunikativen Verfahren und semantischen Ressourcen auffinden, die bereits als Merkmal eines besonderen Typus konservativer Intelligenz erkannt wurden, 44 also das Bestreben, sich nicht auf eine bestimmte Position festnageln zu lassen, diametral entgegengesetzte Standpunkte gleichzeitig einzunehmen, zwischen Rationalität und Naivität zu pendeln, Einfachheit und Pragmatismus hervorzuheben (und zugleich einfache und in dieser Hinsicht „pragmatische“ Fragen als „unsachlich“ und „unreflektiert“ abzuwehren) oder zwischen Geständnis und Dementi zu changieren. Dass dies auch in Rezensionen (siehe unten) so wahrgenommen wurde, verdeutlichen Aussagen des folgenden Typs: „Doch vielleicht geht man dem Golffahrer Illies hier nur auf den Leim, 44 Dem wäre hinzuzufügen, dass es sich bei den im Folgenden aufgeführten Strategien zum Teil auch um typische Anforderungen des literarischen und journalistischen Feldes handelt, die in verschiedenen Intensitätsgraden auf allen Feldteilnehmern lasten.

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und es handelt sich tatsächlich um clever ausgeklügelte Provokation.“ (Weckesser 2001: 97) Auch in den Rechtfertigungen und Erklärungen des Autors offenbart sich, dass Generation Golf in zahlreichen Fällen missverstanden oder gerade dadurch richtig verstanden wurde. Der Tenor lautet dabei: So war das nicht gemeint bzw. So will ich ja gar nicht verstanden werden. Teil dieser Strategie ist es zunächst, die offensichtlichen Motive zu leugnen: „Eigentlich soll das Buch zeigen, dass es schrecklich ist, wenn man seine Existenz über Werbesprüche und Labels in den Jacketts definiert.“ (Illies/Heise 2000c: 30; Hervorhebung von T.K.) „Heise: ‚Schwimmen Sie da nicht nur auf einer Modewelle mit?‘ Illies: ‚In Ihren Beispielen erinnern sich Altväter an eine andere Zeit‘.“ (Ebd.) Auf die Frage, ob Generation Golf durch die Wahl der Generationendebatte nicht bloß Trittbrettfahren auf dem Zeitgeist sei: „Das Zeitgeistige ist bedauerlicherweise etwas in Verruf geraten.“ (Ebd.) Auf die Frage, ob Ortsgespräch ein Zeichen für neues Heimatgefühl sei: das habe mit der „Patriotismusdebatte wenig zu tun.“ (Illies 2006b: 38)

Die Provokation, die im verallgemeinernden Wir liegt, wird vom Autor als Gegengewicht gegen das eitle Ich (Illies 2003a: 150) und als „provokante Verführung“ (Illies 2002d) bezeichnet und damit entkräftet. 45 Eine provokante Kritik an der eigenen Polemik gegen die political correctness wird dagegen selbst als polemisch zurückgewiesen: „Das ist polemisch und führt uns nicht weiter.“ (Ebd.) Auch der oft geäußerte Vorwurf, Generation Golf sei Dokument eines jugendlichen Konservatismus, prallt am Autor ab: „Das finden vielleicht gewisse Feuilletonisten oder Frau Engelen-Kefer. Haben Sie noch mehr Beschimpfungen parat?“ (Illies 2003a: 150) Zudem wird der Vorwurf, Generation Golf sei unkritisch und affirmativ, zurückgewiesen und zur bewussten Strategie für die Ermöglichung politischen Handelns erklärt, ohne jedoch Anhaltspunkte zu geben, die sich politisch deuten ließen und mit denen sich der Autor dingfest machen ließe (ders.: 151): „Ich finde, die besten Ärzte sind die, die mir meine Befunde so eindringlich beschreiben, dass ich den Weg zur Heilung selbst herleiten kann.“ (Illies 2003a: 151, Hervorhebung von T.K.) Die Frage nach der neokonservativen Einstellung bleibt somit de facto unbeantwortet, zugleich werden jedoch mit der Kritik der Gewerkschaften und der Kritik des linksliberalen Feuilletons alle argumentativen Gegner des Konservatismus genannt und attackiert („gewisse Feuilletonisten“ ist nur die noblere Variante der billigen Diffamierungsformel „sogenannte Feuilletonisten“). Die Frage wird also beantwortet, indem sie nicht beantwortet wird. Der Autor, der in seinen Erzählungen durchgängig andere Menschen klassifiziert,

45 Wer beim Gebrauch des „Wir“ eitel ist und wer nicht, bestimmt dabei stets der Autor. Der Gebrauch des „Wir“ sei Zeichen von Zurückhaltung, die er im Laufe seiner Redaktionsarbeit gelernt habe. (Vgl. Illies 2003a: 150) Franz-Josef Wagner, seines Zeichens Verbalbrutalist der Bildzeitung, der sich in einem anderen Kontext ebenfalls das Recht herausnimmt, von einem „Wir“ zu sprechen, wirft Illies dagegen vor, „selbstgerecht“ die eigene Wertung zu generalisieren. (Illies 2001e: BS 1)

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verwehrt sich selbst jedweder Klassifikation 46 und Stellungnahme, ganz im Sinne der wichtigsten Regel des literarischen Feldes, stets Distanz gegenüber den Anforderungen der Politik und der Moral zu wahren, sich (z.B. durch eindeutige Stellungnahmen oder Lösungsvorschläge) nicht einordnen zu lassen (vgl. Bourdieu 1999: 117f, 127), was sich sowohl auf Ebene der Sachverhaltsdarstellung in Generation Golf als auch auf der Ebene von Gattung (ein Genre-Mix aus Autobiographie, Glosse und Bericht) und Stil beobachten lässt (Ironie bis zum Selbstdementi). 47 In den genannten Beispielen lässt sich folglich erkennen, wie in der Selbstdarstellung des Autors zwei Prinzipien zur Deckung kommen. Das erste Prinzip ist das der selbst auferlegten ästhetische Konzeption: „Ich fühle mich als journalistischer Beobachter. Und da ich Bücher schreibe, fühle ich mich auch als Autor. Aber der Unterschied zwischen meinem Journalismus und meinen Büchern ist für mich nicht so groß. Er ist gespeist aus der selben Lust, durch Beobachtung die Gegenwart oder die Vergangenheit zu beschreiben.“ (Illies 2005, Hervorhebungen von T.K.) Das zweite Prinzip ist die in den o.g. Stellungnahmen beobachtbare Abneigung vor Fremdklassifizierung, mit der sich eine weitere These Bourdieus bewahrheitet: „Die Menschen mögen es im allgemeinen nicht, als Objekte aufgefaßt zu werden, und die Journalisten mögen es weniger als irgendeiner.“ (Bourdieu 1998b: 20f) Ganz besonders gilt dies natürlich, wie in der o.g. Frage nach jugendlichem Konservatismus deutlich wurde, für die Verortung innerhalb des politischen Spektrums, was sowohl den Hang zur Naivität als auch das Privileg auf Rationalität und Bodenständigkeit verdeutlicht, worüber Akteure in dieser Position verfügen. Bereits aus dem Umkreis der Stichwortgeber des dritten Weges (Anthony Giddens) bekannt ist die Diagnose, links und rechts hätten sich als politische Orientierungsanzeige verbraucht: „Die in Deutschland anstehenden Fragen brauchen Antworten, die mit links und rechts nichts mehr zu tun haben.“ (Illies 2003b: 25) Diese Aussage ist kompatibel mit der Neudefinition des Politischen in Zeiten des „new capitalism“ oder, wenn man so will, mit den typischen Wahlslogans der neuen/modernen/liberalen Konservativen: Nicht links, nicht rechts, vernünftig sein – so lautet die Devise. Mit den Variationen dieses Mottos lässt sich die politische Linke polemisch kritisieren, zugleich der Vorwurf des Konservatismus selbst als „konservativ“ zurückweisen. Rhetorische Gegner werden so einerseits semantisch enteignet und andererseits auf dem eigenen Feld geschlagen, indem sie als das vorgeführt werden, was sie selbst attackieren (siehe weiter oben: den Intellektuellen die Waffen der Kritik entreißen). „Neukonservatismus“ – was solle das sein? „Wir können mit diesem Begriff wenig anfangen. Was wir tun, ist, die Realitäten mit gesundem Men46 Den darin liegenden Widerspruch nutzt Illies auch produktiv. Auf die Selektivität der Wahrnehmung angesprochen (die auch in den Rezensionen thematisiert wird), antwortete der Autor etwa: „[...] ich maße mir nicht an, die DDR-Jugend zu analysieren.“ In dieser Antwort wird die Anmaßung dem Fragenden unterstellt, der eigene blinde Fleck, der ja nicht nur die DDR, sondern praktisch auch jede Minderheit völlig außen vor lässt, geradewegs zur respektvollen Zurückhaltung umcodiert. 47 Pierre Bourdieu (1999: 157) explizierte diese Unverortbarkeit an Flaubert, der das Ziel des distanzierten Schriftstellers folgendermaßen zusammenfasste: „Das Mittelmäßige gut (be)schreiben.“

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schenverstand wahrzunehmen.“ (Illies 2004a, Hervorhebungen von T.K.), verkündete Illies in einem Interview anlässlich der ersten Ausgabe von Monopol. „Diskurshoheit?“ – „So ein kompliziertes Wort wollte ich nicht in den Mund nehmen.“ (Ebd.) Zu dieser Betonung des Einfachen gehört sowohl die eigene unsoziologische und latent romantische Einstellung in Fragen von Kunst und Kultur (siehe die Dominanz des Ästhetischen und Schönen vor dem Politischen) als auch die Zurückweisung des Akademischen und Angestrengten: „‚Monopol‘ ist nicht akademisch und keine anstrengende Pflichtlektüre.“, „Uns geht es nicht um Ideologien, sondern um Qualität.“ Es ginge um „Schönheit“ und nicht um „Soziologie“ oder „Geschichtsaufarbeitung“ (ebd.), zudem wolle man keine „Documenta-Kunst“: „Schönheit und Sinnlichkeit sind vielleicht die neue Avantgarde.“ (Ebd.) Dieser geradezu „klassische“ Ästhetizismus ist in mehrfacher Hinsicht ambivalent: Zum einen steckt dahinter der Wunsch, aus dem Ghetto der Abstraktion („Documenta-Kunst“) zu entkommen, welches sich die modernen Eliten und die junge Intelligenz im Nachkriegsdeutschland sukzessive als distinktives Refugium geschaffen haben. (Vgl. Hermand 2006: 197ff) Insofern deckt sich die Zurückweisung des Abstrakten durchaus mit den Befreiungsversuchen, wie sie am Beispiel der Populärliteratur und der Avantgarde expliziert wurden. Zum anderen bleibt dieser Demokratisierungsimpetus letztendlich folgenlos, da er sich ausschließlich an begüterte Schichten richtet, denen nur das notwendige kulturelle Kapital für einen standesgemäßen Auftritt fehlt. Darüber hinaus entspricht die Ablehnung des „Soziologismus“ und des „Historismus“ (siehe die Diskussionen um Preußen und das Stadtschloss) sowohl dem typischen Deutungsmodus der reinen, kantianischen Ästhetik (die den „Mann von Welt“ auszeichnet), wie sie Pierre Bourdieu (1987) zu genüge beschrieben hat, als auch dem anti-kantianischen Gegenstück, welches auf die Funktion des Kunstwerks verweist: „Schönheit“ ist die Beurteilungskategorie derer, die nicht über das nötige Wissen verfügen, um sich legitim zu Kunst zu äußern. Auffällig ist die Präferenz für das Biedermeierliche und Wilhelministische, mindestens „problematisch“ die Forderung, Ästhetik von den jeweiligen sozialen und historischen Konnotationen zu befreien und unbefangen zu betrachten – ließen sich so nicht auch Albert Speers Entwürfe für Germania „ganz unbefangen“ schön finden? Erneut wird also durch eine chiastische Aussagenstruktur eine widersprüchliche Position eingenommen: vorwärts und rückwärts gewandt, demokratisch und zugleich elitär, auf überkommene ästhetische Beurteilungskategorien zurückgreifend (was „schön“ ist, das erkennt der Mann von Welt, und er erklärt es dann anderen) und zugleich ein souveränes Spiel mit der Naivität („Schönheit“) spielend, die doch sonst als Stigmawort verwendet wird. Durch dieses Spiel mit der Einfachheit, die nicht mit jener der wahrhaftig Naiven verwechselt werden dürfe (siehe Rezensionen), sind letztendlich die Generationenbücher, Anleitung zum Unschuldigsein und auch Ortsgespräch gekennzeichnet – Einfachheit wird als Auszeichnung und, ohne den romantischen Gehalt darin zu erkennen, als unverstellter Zugang zum wahren Wesen „der Dinge“ herausgekehrt: „[...] es geht darum, diese Empirie, diese Wirklichkeitserfassung auch einmal in Worte umzusetzen und aufzuschreiben. Es geht um diese Erfahrungsstufe, die man

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN | 131 gerne sofort überwindet, um zur Reflexion zu kommen.“ (Illies 2002d, Hervorhebungen von T.K.) „Ich finde es arrogant und falsch gegenüber dem Leser, wenn man ihm die eigene Meinung aufzwängt. Da halte ich mich lieber zurück und gehe mit dem Vorwurf um, ich sei oberflächlich.“ (Ebd.) „Soziologen“ hätten sich bereits genügend mit dem Verfall der Provinz befasst, Florian Illies ginge es um „diese Gefühle sozusagen“ und darum, „Heimatfilme im Kopf eines jeden Lesers anzustoßen.“ (Illies 2006a)

Anschlussfähig an diese Demonstration von Bodenständigkeit ist letztendlich auch der Verweis auf den Zwang zur politischen Korrektheit, die sich als Abneigung gegenüber ungewollter Belehrung oder Furcht vor anonymen Zwängen äußert. Stellvertretend für den Zwang zur Reflexion steht (wie so oft) Günter Grass, der als „unglaubliche Nervensäge“ (ebd.) bezeichnet wird, die den bodenständigen Lebenserfahrungen von „Tanten und Onkels“ 48 (Hervorhebung von T.K.) nichts entgegenzusetzen habe. (Ebd.) Sowohl das Feindbild Günter Grass, welches zuvor durch die SS-Vergangenheit völlig desavouiert worden war, als auch strategisch eingesetzte Umgangssprache garantieren hier maximale Zustimmung und setzen auf eine (den Adressaten unterstellte) Abneigung gegenüber Intellektualismus und Reflexion – ein Intellektueller macht sich so demonstrativ zum Komplizen der Antiintellektuellen, mit deren Beurteilungskategorien er „spielt“. Der o.g. anonyme Zwang ließe sich etwa am „dogmatischen Unterton“ und der „komplette[n] Ideologisierung des Lebens“ (Illies 2000d) erkennen, der man im Alltag allgegenwärtig ausgesetzt sei. * Diese Geringschätzung von Reflexion, implizit als „Soziologismus“ oder „Historismus“ gebrandmarkt, lässt sich durch die Position im literarischen Feld und die eingegangenen Konkurrenzbeziehungen erklären. Da die Sphären der vermeintlich überangestrengten Reflexion bereits durch ältere konkurrierende Autoren und die „üblichen Verdächtigen“ besetzt sind, bleibt als Ausweg und Kritikformel entweder die demonstrative Negation dieser Werte (die Not zur Tugend machen) oder aber die Besinnung auf deren (vermeintliche) „reine Form“ (und damit eine Umdefinierung dieser Werte). Dass diese Betonung von Einfachheit eine weitere Form der Herablassung, ein weiteres „sich-gemein-Machen“ darstellt, welches u.a. mit dem Klischee des intellektuellenfeindlichen Durchschnittsbürgers spielt und so um Nähe und Zustimmung buhlt, dürfte evident sein. Diese Abweisung des Akademischen und Angestrengten (siehe oben, vgl. auch der folgende Abschnitt) wird üblicherweise, und Florian Illies ist hier keine Ausnahme, von Akademikern geleistet, die so zum einen signalisieren, zur Nestbeschmutzung legitimiert zu sein, und zum anderen durch ihre demonstrative Herablassung jene Bodenhaftung suggerieren können, 48 Solcherlei beabsichtigte Fehlleistungen stellen ein Stilmittel dar, mit dem sprachlich Überlegene Nähe zum Adressaten herzustellen bzw. darzustellen versuchen.

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über die die „abgehobenen Intellektuellen“ aus Sicht der „Normalbevölkerung“, deren unterstellte Perspektive so zum eigenen Vorteil benutzt wird, nicht verfügen. Dies trifft gerade Geisteswissenschaftler, die ihr Refugium im Journalismus oder Medienberufen, d.h. in den beherrschten Stellungen des intellektuellen Feldes, gefunden haben: „Das aus enttäuschter Liebe erwachsende Ressentiment treibt dazu, die herrschende Sicht bloß umzukehren und zu verteufeln, was diese vergöttert“, schrieb Bourdieu (1999: 307) die journalistische Intellektuellenschelte betreffend. Dies ist, wie Adorno in Minima Moralia aphoristisch festhielt, Produkt von Konkurrenzbeziehungen, die dazu führten, dass sich die Intelligenz gegenseitig die „abscheulichsten Seiten“ (Adorno 2001 [1951]: 34) zeige und dazu tendiere, das einfache Leben und die Provinz (siehe Ortsgespräch) zu verklären, deren brutale Konkurrenzbedingungen sie aus ihrer privilegierten Position nicht erkenne oder nicht erkennen wolle. So lässt sich mit Adorno festhalten: „Die Glorifizierung der prächtigen underdogs läuft auf die des prächtigen Systems heraus, das sie dazu macht. Berechtigte Schuldgefühle derer, die von der physischen Arbeit ausgenommen sind, sollten nicht zur Ausrede werden für die ‚Idiotie des Landlebens‘.“ (Ebd.) Rezensionen Rezensionen verdeutlichen, wie ein Text im journalistischen Feld aufgenommen wurde und welche Beurteilungskategorien dabei zugrunde lagen (je nach Position der Zeitung oder Zeitschrift, für die der Rezensent schreibt). In Rezensionen offenbaren sich zudem die grundlegenden Beurteilungskategorien innerhalb des Feldes, die je nach Perspektive nur mit verschiedenen Vorzeichen (positiv oder negativ) versehen werden. (Vgl. Bourdieu 1987: 370f, dort am Beispiel von Theaterkritiken) Darüber hinaus üben Rezensionen eine Steuerungsfunktion aus: einmal, indem sie die Rezeptionserwartung der Leserschaft lenken, ein anderes mal, indem sie dem rezensierten Text Aufmerksamkeit widmen und ihn so überhaupt für einen Großteil potenzieller Leser in Erscheinung treten lassen. Dabei sollte beachtet werden, dass je nach Position des rezensierenden Organs die Formen der Beurteilung mal eindeutiger, mal impliziter Natur sind. Insbesondere die als „Qualitätszeitungen“ rubrizierten Presseorgane tragen gegenüber ihrer Leserschaft eine besondere Verpflichtung: Ihre Leser nehmen sich selbst als gebildet wahr, wissen sich daher selbst eine Meinung zu bilden und stehen allzu eindeutigen Belehrungen in der Regel kritisch gegenüber. Rezensionen in diesen Zeitungen tendieren daher manchmal dazu, dem Zweck der eigenen Textsorte nicht gerecht zu werden, so dass „ungeübte Leser“ oftmals ratlos vor einer Kritik stehen und nicht zweifelsfrei feststellen können, ob das Rezensierte nun positiv oder negativ rezensiert wurde. Obwohl bisher deutlich wurde, dass Florian Illies von einem sukzessiven feldinternen Statusverlust betroffen war, reichte der Aufmerksamkeitskredit bei jeder Publikation dafür, um als öffentliche Person in Erscheinung zu treten. Auch die letzte Veröffentlichung Ortsgespräch war durch jene massenmediale Omnipräsenz gekennzeichnet, die auch die vorherigen Publikationen auszeichnete. Dass die Aufmerksamkeitsmaschinerie, die der Autor Florian Illies im Falle der „Konstruktion“ des Autors Benjamin Lebert (Crazy) schmäht (Illies 1999b: 41), gut geschmiert war und ist, verdeutlicht die Tatsache, dass zu allen Publikationen die meisten relevanten überregionalen Zei-

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tungen Rezensionen und meist auch ein Interview boten. Selbiges gilt für Wochenzeitungen und -zeitschriften oder gar das Radio (Deutschlandfunk). Auch Regionalzeitungen und deutschsprachige Zeitungen aus dem Ausland (Der Standard und die Berner Zeitung) rezensierten bisher stets alle Texte. Anleitung zum Unschuldigsein erschien teilweise als Vorabdruck in der FAZ (ein als Essay bezeichnetes Kapitel auch im Spiegel), Ortsgespräch trotz gelöster Zugehörigkeit in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Dabei stellt die Tatsache, dass die meisten Rezensionen eher negativ ausfielen, kein Hindernis dar, um feldintern Erfolg zu haben, ganz im Gegenteil: Was der eine (etwa auf Grundlage der Linie der Zeitung, für die er schreibt) verreißt, kann für den Leser der im Feld diametral entgegengesetzten Zeitung genau jene Adelung darstellen, die über Kauf oder Nichtkauf entscheidet. In beiden Fällen offenbaren sich die Beurteilungskategorien des jeweiligen Rezensenten, die dominanten Beurteilungskategorien des ganzen Feldes und dessen spezifische Aufmerksamkeitsarithmetik: einmal in Form von Lobpreisungen dessen, was leicht erreichbar ist, was einem nahe steht und stehen soll, einmal in Form der Geißelung dessen, was ohnehin uneinholbar ist oder aber fern bleiben soll. (Vgl. Franck 1998: 109) Bereits bei Generation Golf sind sich die Rezensenten meist einig: Bemängelt werden die Selektivität des Blickes, die Anmaßung der Verallgemeinerung, die mangelnden sprachlichen Fähigkeiten, das Aufblasen eines längst erledigten Gegners sowie die Simplizität von Erinnerungsprosa im Allgemeinen. Gleichzeitig wird sowohl eine gewisse Evidenz der Beobachtungen eingestanden als auch die Problematik der doppelten ironischen Distanzierung erkannt: „Wer jünger als 45 ist, der entkommt der Jugendlichkeitsfalle nur dadurch, dass er sich für alt erklärt.“ (Seidl 2000: 17); „Das nervt – und doch nötigt es Respekt ab.“ (Ebd.) „Dafür [die Generationsgenossen; T.K.] gab es bislang jedenfalls einen guten Begriff. Man nannte sie Langweiler.“ (Knipphals 2000: 13); „Wer es in allen Punkten ernst nimmt, ist ihm auf den Leim gegangen.“ (Ebd.) „Über früher lachen ist wie an den Fußsohlen kitzeln.“ (Mensing 2000: 15) „‚Weißt Du noch?‘ Das funktioniert immer.“ (Eidlhuber 2000) Generation Golf sei eher „Horx-mäßig amüsant“ und sozial selektiv: „westlich und akademisch.“ (Bartels 2000: 83)

Anleitung zum Unschuldigsein wird von den meisten Rezensenten als allzu durchsichtiger Versuch erkannt, im Fahrwasser der political correctness Aufmerksamkeitsprofite zu akkumulieren. Exemplarisch soll hier das Urteil Walter van Rossums (ebenfalls Träger des Ernst-Robert Curtius Förderpreises) stehen, der angesichts der in Anleitung zum Unschuldigsein zelebrierten Sehnsucht nach Unbefangenheit in Fragen von Ausländerwitzen festhielt: 49 Der Fokus lag im Wesentlichen (aber nicht ausschließlich) auf den Rezensionen der folgenden Zeitungen und Zeitschriften: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, taz, Die Welt, Der Spiegel, Focus, Die Zeit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nimmt dabei eine Sonderstellung ein, da in ihr zwar Vorabdrucke und Interviews, nicht aber Rezensionen publiziert wurden (mit Ausnahme von Ortsgespräch, welches erschien, nachdem Florian Illies die Redaktion der FAZ bereits verlassen hatte).

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„Da marschieren zu viele Heimatvertriebene gegen rastalockige Kariben. Und das war noch nie lustig.“ (van Rossum 2002) Allein die Redakteure der WELT konnten sich explizit dafür erwärmen, wohl wissend, dass sich der Kampf gegen den Korrektheitszwang leicht an den bundesdeutschen Reformdiskurs ankoppeln lässt: „Einer der Gründe für dauerhaft schlechtes Gewissen ist nämlich die versteckte DIN-Ideologie einer Gleichheit, die uns in der ausgiebigen Feier des Mittelmaßes alle Unterschiede vergessen lässt.“ (Nickel 2001) Implizit lässt sich der Vorabdruck von Anleitung zum Unschuldigsein in der FAZ und im Spiegel als Bestätigung des Ausgesagten auffassen. Im Falle des Spiegels knüpft das als Essay bezeichnete Kapitel aus Anleitung zum Unschuldigsein (Illies 2001f: 103-119) nahtlos an die vergangenen Aussagen Enzensbergers an („blockierte Republik“, „verkrampftes Nationalgefühl“ usw.). Generation Golf zwei markiert den Höhepunkt der Intensität negativer Rezensionen, wobei im Wesentlichen die gleichen Kritikpunkte angeführt werden, die auch für das Erstlingswerk genannt wurden: ärmlicher Humor, ein trotz (oder gerade wegen) des Krisenlamentos affirmativer Charakter, mangelnde sprachliche Fähigkeiten, die simple „identifikationserzwingende“ (Amend 2003) Schreibe voller „hingestreuter Signalwörter“ (Knipphals 2003: 15) oder die erneute Stigmatisierung „der“ 68er und „der“ Gewerkschaften. Schließlich dürfte die Existenz von Parodien (Schmitt 2003, Seidler 2003), die aber auch invertierte Huldigungen darstellen, diesen Eindruck verstärken. Davon abweichend wird in mehreren Fällen der Verlust des ursprünglichen Charmes (exemplarisch: Gutsch 2003) betrauert – diese Beurteilung leitet, wie weiter unten deutlicher werden wird, bereits über zur Frage nach den dominanten Beurteilungskategorien des literarischen Feldes insgesamt. Es sind gerade die wenigen positiven Urteile, welche die allgemeinen Maßstäbe des Feldes verdeutlichen: Was das bürgerliche Feuilleton als verkopft oder unspontan bezeichnen würde, kann für das linksliberale Gegenstück intelligent oder reflektiert sein; was auf der linken Seite als naiv bezeichnet wird, fasst die rechte Seite als leicht oder unbekümmert auf. (Vgl. Bourdieu 1987: 367-373) Erneut lässt sich also auf das demonstrative Spiel mit Naivität und Intellektualität zurückkommen, welches von den rezensierenden Organen mitgespielt wird. Die Rezensionen folgen letztendlich alle dem o.g. Muster: Die Frankfurter Rundschau hob in ihrer ansonsten eher unschlüssigen Rezension zu Generation Golf den „spitzbübischen Charme[.]“ (Schröder 2000, 23) hervor, ein anderes mal wird Generation Golf zwei wegen seiner Lustigkeit von jedweder Kritik freigesprochen (vgl. Holstein 2003), dann wieder etwa in der FAZ durchgängig gelobt (vgl. Enzensberger 2003: 42), wären da nicht die gelegentlichen Ausflüge in die Tagespolitik, welche die Rezensentin Illies als einziges Manko ankreidet. Besonders deutlich wird dieses Spiel mit der Naivität in den Rezensionen zu Ortsgespräch. Insgesamt bleiben die Rezensionen weitgehend negativ: Die Welt urteilt, Illies sei „Autor patinierter Provinznostalgieprosa“. (Wagner 2006) Es wird die Überheblichkeit dieser Heimkehrer-Geschichte bemängelt, die Flachheit und Unglaubwürdigkeit der Charaktere oder die Verklärung der Provinz. Selbst die FAZ kann unter der vordergründig lobenden Rezension die negative Kritik nur schlecht kaschieren und beurteilt Ortsgespräch als „hermetisch dahinplätschernd[..]“ und die Akteure als konturlos. (Reents 2006: 52)

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Doch gerade hier wird der argumentative Dreh zur Aufwertung der ansonsten als Stigma geltenden Naivität vollzogen: Die Sicht sei in diesem Buch zwar „seltsam kunstvoll verengend[..]“, doch sei die Naivität in Wahrheit viel „abgründiger [...] als mancher meinen wird.“ (Ebd.) Eine Rezension im Spiegel führt dies fort, kritisiert die Unglaubwürdigkeit der Akteure – „Alle lieben sich. Alle sind rührend einfältig [...]“ (Lottmann 2006: 154) – und die Blindheit vor Verfall und Vergreisung der Provinz, wendet dies aber ins Positive: „Früher hätte man es als Kitsch abgewehrt, aber das wird diesmal nicht gehen: Dazu ist das Buch zu gut geschrieben.“ (Ebd.) Dies schließt ironische Überhöhungen natürlich nicht aus: „Wohl dem Volk, das solch einen Dichter sein Eigen nennen darf, noch dazu den Autor von ‚Generation Golf‘ und ‚Generation Golf zwei‘.“ (Ebd.) Wie passen diese Aussagen nun zusammen? Was sich in diesen Rezensionen herausschält, ist die Fähigkeit (und Notwendigkeit!), die Grenzen zwischen Leichtigkeit und Trivialität innerhalb des Feldes nach Bedarf zu verschieben. Dies stellt eine oftmals notwendige Fähigkeit für Akteure innerhalb des literarischen Feldes dar, die manchmal gezwungen sind, die Regeln bei Bedarf umzudrehen und so etwas wie „tiefgründige Naivität“ und „unpeinlichen Kitsch“ zu entdecken, um positiv auszuzeichnen, was den Idealen des Feldes eigentlich widerspricht. * Ortsgespräch thematisiert die Rückkehr zur Einfachheit, zu den aus der Romantik bekannten Kategorien des Echten, Wahren, Natürlichen, auf die nur der „Mann von Welt“ zurückgreifen kann, ohne dafür als naiv zu gelten. Dabei wird nur schlecht kaschiert, mit welchen Beurteilungskategorien trotz aller Wertschätzung zum Tragen kommen: Eine im Akt des Bekenntnisses als „Landei“ (Illies zit. n. Hochreither 2006) erkennbare Scham (man müsse sich nach der Lektüre von Ortsgespräch nicht mehr für dreistellige Telefonnummern und die Herkunft aus der Provinz schämen, vgl. Mangold 2006) trifft auf den „von allen Konservatismen gepflegten Kult des ‚guten Volks‘.“ (Bourdieu 1990: 109) Das Banale zu ästhetisieren und dafür massenmediale Zustimmung zu erhalten ist nur demjenigen vergönnt, der über eine überlegene Position und die überlegene Sprache verfügt, der zurück- und herabblicken kann und daraus sprachliche und monetäre Profite erzielen kann, da ihn seine sichere Position zur Umkehrung der Beurteilungskategorien ermächtigt: vom elaborierten Kunstmagazin Monopol, den kalkweißen Wänden urbaner Galerien, die den Hintergrund für die in einsamer Stille hängenden Exponate bilden, hin zum simple life der Fachwerkhausidylle der Provinz mit ihren vitalen Bewohnern. Dass diese Herablassung (verstanden als „Sprechen von oben“) auch als solche verstanden wurde, zeigten die Rezensionen. Der Stern (vgl. Hochreither 2006) montierte Porträts der Provinzbevölkerung, die durch ihre sichtbar suggestive Machart bereits bildlich einen Kontrast zum ebenfalls abgebildeten Autor herstellen: ein Elektroinstallateur im Blaumann und eine Kosmetikerin vor kleinbürgerlichem Chic mit Yorkshire Terriern trifft dort auf ein Bild des Autors, der bei Ausnutzung der Schärfentiefe dabei gezeigt wird, wie er, an einer Mauer lehnend, mit einem verklärt-kühlen Blick in die Ferne schaut. Ein ähnliches Bild zeichnet die Rezension im Spiegel (Lott-

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mann 2006: 154), die den Autoren dabei zeigt, wie er vor urbaner Szenerie zufrieden-sinnierend gen Himmel blickt. Zielgruppe Der feldinterne Wert eines literarischen Textes wird, neben den bisher genannten Kriterien, auch an der sozialen Qualität des Publikums gemessen (zweite vertikale Achse des literarischen Feldes). Obwohl sich keine genauen Angaben über die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Leserschaft feststellen lassen, da dies umfangreiche und methodisch problematische rezeptionstheoretische Studien erfordern würde, lässt sich dies über den Umweg der Rezensionen ermitteln – wie wurde Generation Golf wahrgenommen? Generation Golf sei Literatur für eine „privilegierte Gruppe“ (Weckesser 2000: 39), für die „kleinbürgerlich-bürgerliche Schicht“ (Drescher 2003: 15), zeichne die „Kinderwelt einer Elite“ (Leitgeb 2001: 26) und sei „westlich und akademisch“ (Bartels 2000: 83); „Um Werber und Jurastudenten ging es, um niemanden sonst [...].“ (Friebe 2003)

Dies stimmt mit der Diagnose Thomas Jungs (vgl. Jung 2002: 48) überein, die unter dem Label Popliteratur geführten Texte richteten sich aufgrund der Beschreibung von Urbanität und jugendlicher Lebensstile an etwa 30jährige, medienaffine und stilbewusste Besserverdiener – an diejenigen also, die auch in Generation Golf abgebildet werden. Dass diese Zuordnung realistisch ist und sich auf Generation Golf übertragen lässt, lässt sich von den Rezensionen und dem bisher Gesagten ableiten. Die Position dieser Zielgruppe ist, das lässt sich aus den Rezensionen entnehmen, widersprüchlich. Dies verdeutlicht ferner das bereits skizzierte Paradoxon der „tiefgründigen Naivität“. Deutlich wurde, dass Texte auf ein Feld bezogen sind, auf dem sie rezipiert werden, und dass sie daher eigens für die Beurteilungskategorien dieses Felds komponiert werden. Popliteratur im Allgemeinen und Generation Golf im Speziellen sind dabei auf maximale Übereinstimmung angelehnt, es stellt sich im Idealfall somit das ein, was an anderer Stelle „primäre Konkulturalität“ genannt wurde. Dies lässt Schlüsse über die Rezipienten (im o.g. Sinne) zu, über die aus guten Gründen gemutmaßt werden kann, dass sie zwischen den Stühlen sitzen, jünger sind als die klassischen Leser des hochkulturellen Feuilletons sowie, verglichen mit ihren Altersgenossen, besser mit ökonomischem und kulturellem Kapital ausgestattet sind. Dieser widersprüchlichen Position entspricht die Literatur, die daher weder zu ernst und belehrend noch zu trivial sein darf. * „Einer der wesentlichen Charakterzüge dieses konservativen Erlebens und Denkens scheint uns das Sichklammern an das unmittelbar Vorhandene, praktisch Konkrete zu sein. [...] Konkret zu erleben, konkret zu denken, bedeutet [...] eine besondere Verhaltungsweise [...] – eine radikale Abneigung gegen jedes ‚Mögliche‘ und ‚Spekulative‘“. (Mannheim 1984: 111) Karl Mannheim lässt sich nicht nur für die Frage nach den Eigenschaften des Begriffs „Generation“, sondern auch für die Frage nach den Wesensmerkmalen des Konservatismus (Mannheim 1925 [1984]) als Gewährsmann gewinnen,

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dessen Hellsichtigkeit die in Generation Golf zum Produktionsprinzip erkorene, aber auch in den Selbstdarstellungstechniken des Autors (siehe oben) erkennbare Suche nach Einfachheit, konkretem Zugang, Ideologieferne usw. zu erklären hilft. Sicherlich müssen die Entstehungsbedingungen dieser Typologie mitreflektiert werden (siehe dazu das Vorwort der Herausgeber in der hier zitierten Ausgabe). Sie selbst muss als Ganzes, insbesondere die paarige Gegenüberstellung von progressiv vs. konservativ, mit der nötigen Distanz betrachtet werden. Sie gibt jedoch eine hilfreiche Denkfigur zur Hand, die sich mit den Generationenbüchern und den Stellungnahmen des Autors als Feldteilnehmer verbinden lässt. Der Konservative geht, siehe das einführende Zitat, von Beobachtungen einzelner Phänomene aus. (Ders.: 112) Auch der konservative Veränderungswille bezieht sich stets darauf, „ein anderes Konkretes“ (ebd.) an die Stelle des bisher Konkreten zu setzen, statt sich um die tiefer liegende „Struktur der Welt“ (ebd.) zu kümmern, die das Konkrete möglich macht. Dies entspricht dem in den Generationenbüchern und den Stellungnahmen des Autors (siehe oben) sichtbaren Konkretismus, der Suche nach einfachem Zugang zu den Dingen, dem unsystemischen Denken, von dem letztendlich alle Publikationen von Generation Golf bis Ortsgespräch zehren und das in Generation Golf als Wesensmerkmal der Generationsgenossen identifiziert wird. (GG: 20) Karl Mannheim bemühte in diesem Zusammenhang ein Gleichnis: Wollten Konservative ein Haus als Totalität betrachten, so würden sie es von allen Seiten betrachten und daraus ihre Schlüsse ziehen. Ein Progressiver griffe zum Grundriss und würde daraus das Haus ableiten. (Vgl. Mannheim 1984: 120) Dies entspricht dem Modus, in dem Generation Golf (auch den eigenen Angaben des Autors zufolge) konstruiert wurde: Statt einen Grundriss zu liefern, sollte Partikulares von allen Seiten beobachtet werden. Auch der in Generation Golf zwei beobachtbare Veränderungswunsch bleibt diesem Austausch des Konkreten verhaftet – nicht das Prinzip, das die Generationsgenossen in die Krise gestürzt hat, wird Gegenstand der Analyse, sondern ein konkreter Feind, der nur ausgetauscht werden müsse, um wieder auf die Überholspur zu gelangen. Die 68er haben es verbockt, „andere müssen den Job machen.“ (Illies 2003a: 151) Es entspricht dem konservativen Denken, in Gefahrenfällen ein „Gegensystem“ (Mannheim 1925 [1984]: 25) aufzustellen, um zu korrigieren, was falsch gelaufen ist. Dies wird in Generation Golf durch den Aufbau von Feindbildern und durch die normalistische Repräsentation der Geschichte implementiert, die vom Weg abgekommen sei und nun endlich wieder auf die richtige Gerade einschwenke. Dieses Geschichtsbild verweist auf das Zeiterlebnis des Konservativen: „Der Progressive erlebt die jeweilige Gegenwart als den Anfang der Zukunft, während der Konservative die Gegenwart als die letzte Etappe der Vergangenheit erlebt.“ (Mannheim 1925 [1984]: 121) Dies entspricht auch der Repräsentation der Gegenwart in Generation Golf: Sie ist Produkt zurückliegender historischer Prozesse (und potenziell: Verfehlungen), deren Nachwirkungen Schritt für Schritt abgebaut wurden und ggf. noch werden, bevor die Gegenwart ohne Aussicht auf Neues kontinuiert wird – was auf die bereits arg strapaziert Fermate verweist, die Generation Golf abschließt: „Veränderungen wird die Zukunft kaum bringen.“ (GG: 197)

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Die Wahl des Realitätsbezugs aus dem Raum aller Realitätsbezüge: Sampling Die heterogenen Texte, die als Popliteratur 50 rubriziert wurden zeichnen sich durch einen vergleichbaren Realitätsbezug aus, der als Archivierung und/oder Sampling bezeichnet wurde. Diese Literatur sammelt Zitate aus der Alltagskultur und nutzt sie in vielen Variationen als Steinbruch für eigene Ideen. Sie greift über Begriffe, Szenen und Themen die Ästhetik der Alltagswelt und Popkultur auf oder schmückt sich gelegentlich mit Bezeichnungen wie Album oder Remix (hier wären die Texte von Benjamin von Stuckrad-Barre zu nennen), dies hat jedoch (im Unterschied zur frühen Popliteratur) selten stilistische Folgen. 51 Ziel ist eher, ein authentisches Lebensgefühl zu vermitteln bzw. es anzusprechen und durch Assoziationen das Kopfnicken zu erheischen, indem ein Katalog „identifikationserzwingende[r]“ (Arend 2003) Elemente montiert wird, was leicht in einen „Beschreibungsfetischismus“ (Radisch 2000, zit. n. Jung 2002: 42) abgleiten könne, dem jede sinnhafte Verankerung fehlt: Soap Operas, MTV, Techno, Nutella – all diese Elemente sind (was durch einen Selbstversuch leicht überprüfbar ist) austauschbar bzw. auch anders rekombinierbar. Daher erinnern die Aufzählungen in zahlreichen Passagen an ein Namedropping, das an die Identifikationsbereitschaft des Lesers appellieren soll, letztendlich jedoch nichts zur Beschreibung der typischen Generationserfahrungen beiträgt: Dass in kapitalistischen Gesellschaften jedes Subjekt eine Konsumentenbiographie mit sich führt, dürfte für die wenigsten eine überraschende Erkenntnis darstellen. 52 Übrig bleiben Archivierungsbemühungen, um festzuhalten, was es immer so gab:

50 Zu dieser eigentümlichen Rubrizierung gehört, dass sie oftmals (vor allem ex post) im Dementi vorgetragen wurde (auch durch die so bezeichneten Autoren selbst): Popliteratur seien die Texte wie Generation Golf ja streng genommen nicht und schon gar nicht seien Autoren wie Florian Illies Popliteraten – was freilich nicht daran hinderte, diese Bezeichnungen immer wieder (etwa in Rezensionen) ins Spiel zu bringen. 51 Ein prägnantes Beispiel ist Judith Hermann (Sommerhaus, später). Sie wurde als Popliteratin klassifiziert und bringt auch die typischen Merkmale mit (Jugendlichkeit, eine journalistische Ausbildung), ihr Stil entspricht jedoch eher einem schulisch und journalistisch geprägten Realismus. 52 Tatsächlich dürfte diesbezüglich etwa George Perec mit Die Dinge (1984 [1965]) alles Notwendige zur Konsumgesellschaft gesagt haben: Auch dort werden die konsumistischen Möglichkeiten fleißig inventarisiert und zum Stilmittel erhoben. Die Art und Weise, wie die Protagonisten in Perecs Erzählung die Konsumgegenstände zum Fetisch erheben und all ihre Ansichten und Überlegungen von ihnen ableiten, führt auch das Urteil ad absurdum, die Generation Golf mit den Jahrgängen zwischen 1970 und 1975 sei erstmalig konsumistisch sozialisiert worden. Ein gravierender Unterschied sollte dabei natürlich nicht verschwiegen werden: die Protagonisten in Perecs Erzählung suchen nach langen Jahren der Sehnsucht nach „den Dingen“ den Ausweg aus dem Konsumzwang. Zwar scheitern sie und fügen sich dem Schicksal, ein langweiliges, intensitätsloses Leben mit Einbauküche und Lohnarbeit zu führen. Eines haben sie jedoch der Generation Golf voraus: Was die Generation Golf als Sieg über die Miesmacher empfindet, empfinden die Protagonisten bei Perec als „Mahlzeit, [die] ganz einfach geschmacklos sein [wird].“ (Perec 1984: 129)

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN | 139 „Im Sommer gab es übrigens immer noch eine Steigerungsform von Cola. Das war das Colaeis. [...] Dann konnte man das Eis rausschieben, wie bei der edleren Variante, Ed von Schleck, deren rot-weiße Farbmischung leider immer ein wenig aussah wie Blendax Anti-Belag. (GG: 70, Hervorhebungen von T.K.) „Katja hatte aber auch immer Tierposter über dem Bett hängen, sie kamen aus dem Medi & Zini-Heft, das man in der Apotheke bekam, wenn man Hustensaft abholte. Auf der Rückseite wurde einem erklärt, warum man sich zweimal am Tag die Zähne putzen mußte und wie Grippeviren wirken. Dafür liefen die beiden Knirpse Medi und Zini fröhlich durch Därme und Mundhöhlen, aber das fanden wir nicht ganz so spannend. Ebensowenig wie die Junior-Hefte, die es beim Optiker gab.“ (GG: 32f, Hervorhebungen von T.K.)

Damit wurde erneut durch die Wahl eines Verfahrens, welches sich auf dem Höhepunkt massenmedialer Aufmerksamkeit befand, ein lohnenswerter Weg im Feld eingeschlagen, der die schnelle Realisierung von Profiten versprach: „‚Weißt Du noch?‘ Das funktioniert immer.“ (Eidlhuber 2000)

Die Wahl des Gegenstandes aus dem Raum aller Gegenstände: die Generationendebatte „My Generation – das sagt sich leicht, gender, class, race scheinen jedenfalls außer Mode zu sein. [...] Er [der Generationenbegriff; T.K.] verspricht eine Zugehörigkeit, die nichts kostet.“ (Reinecke 2005: 15)

Stephan Gärtner und Oliver Nagel, Autoren des Satiremagazins Titanic, parodierten in der (aus anderen Gründen leider zensierten) Juniausgabe des Jahres 2000 die Generation Golf und beschrieben mit einer vergleichbaren Mischung aus Emphase und Wehmut das Lebensgefühl der Generation Lauch, die sich daran erinnert, im VW Golf gesessen und Lauchbrötchen gegessen zu haben. Was hier komisch wirkt und die Selektivität von Generation Golf demonstriert, verweist jedoch auf grundsätzliche Probleme, die der Generationenbegriff als soziologische Kategorie mit sich bringt: Wie lassen sich Generationen definieren? Wie lässt sich ein Zusammenhang zwischen heterogenen Subjekten gleichen oder vergleichbaren Alters herstellen? Wie legt man die Grenze fest, gemäß derer ein Subjekt die Generationengrenze knapp verfehlt (und somit noch aufgenommen werden kann) oder knapp passiert (und somit ausgeschlossen wird)? Das theoretische Modell, auf das dabei nach wie vor am häufigsten verwiesen wird, und das Florian Illies nach kurzer Beschäftigung zugunsten der Dokumentierung und Verallgemeinerung seiner eigenen Erfahrungen aufgegeben hat 53 , findet sich in Karl Mannheims kanonischem Text Das Problem der Generationen (1928). Da die Generationen53 Der Autor gibt an, sich mit Helmut Schelsky und Karl Mannheim beschäftigt zu haben, hebt jedoch erneut den Erkenntnisgewinn der unsoziologisch-naiven Methode hervor. Die genannten Autoren seien langweilig, die eigenen Erfahrungen dagegen treffsicher(er) und ohnehin sei dies ein Entgegenkommen an die Leser, die eine unsoziologische Beschreibung zu goutieren wüssten, denn: „Offenbar wollen das viele.“ (Illies 2002e)

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problematik einen ganzen Forschungszweig bildet, dessen Komplexität hier nicht wiedergegeben werden kann, soll jener Text als Einstiegspunkt für die Frage nach der Definition des Generationenbegriffs dienen. Die genannten Fragen richten sich somit an den Generationenbegriff als solchen, der sowohl als soziologischer Analysebegriff für die Unterscheidung von gesellschaftlichen Großgruppen, langfristigen Veränderungsprozessen und Identitätsentwürfen als auch – dem Wesen des Gegenstands geschuldet: nicht immer trennscharf – als Geschichtsbegriff mit historisch wechselhaften Konnotationen und Konjunkturen aufgefasst werden kann. Daran schließt sich die Frage an, welche Folgen die Wahl des Generationenbegriffs innerhalb des literarischen/kulturellen Feldes hatte. Also: Was bedeutet(e) es, im literarischen, kulturellen oder journalistischen Feld den Begriff „Generation“ im Munde zu führen? Wie lässt sich dessen Ubiquität erklären? Hier spielt zum einen erneut die Frage nach den aufmerksamkeitsökonomischen Gewinnen eine Rolle, die sich durch die Verwendung des Begriffs und der durch ihn geweckten Konnotationen ergeben. Zum anderen stellt sich die Frage nach dem Status der Diskurse, in denen der Generationenbegriff als Deutungsmuster aufgerufen wird. Gerade in Form des ökologisch konnotierten Kompositums und master terms (Kenneth Burke) „Generationengerechtigkeit“, unter dessen Banner gegenwärtig sowohl Hegemonieansprüche geltend gemacht werden als auch die gesamte Lebenswelt entlang einer neoliberalen Agenda transformiert wird, wird deutlich, dass der Generationenbegriff Teil der gegenwärtigen epistemischen Struktur ist (was dessen Omnipräsenz etwa in Ratgebern aller Art erklärt). Er wirkt damit sowohl indikativ als auch produktiv. Was dies bedeutet, wird im folgenden Abschnitt deutlicher.

Der Generationenbegriff In seiner Theorie des Generationenbegriffs unterschied Karl Mannheim zunächst zwischen zwei Lagebegriffen: der sozialen Lage und der Generationslage. Beide Koordinaten stellen die objektiven Möglichkeiten (und Zwänge) dar, die sich einem Individuum zu einem Zeitpunkt innerhalb einer Gesellschaft bieten und von denen man sich nicht befreien kann. Neben einer Ähnlichkeit der Chancen und Einstellungen durch Klassenzugehörigkeit (soziale Lage), stehen benachbarte Geburtsjahrgänge in einem ähnlichen Verhältnis zu den gesellschaftlichen Ereignissen, Problemen und Möglichkeiten (Kriege, ökonomische Krisen, schwer wiegende technische Errungenschaften), mit denen sie zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Gesellschaft umgehen müssen und die sich in dieser Art und Weise nur ihnen stellen. Sie bilden so eine Generationslagerung. Die einzelnen Individuen einer Generationslagerung können über Großereignisse (Polarerlebnisse), die durch die historisch bedingten Zwänge und Möglichkeiten definiert sind, miteinander in Verbindung stehen und einen Generationszusammenhang bilden. Dies bedeutet nicht, dass Angehörige eines Generationszusammenhangs das Polarereignis auf die gleiche Art und Weise wahrnehmen – ein Generationszusammenhang ist in einzelne Generationseinheiten unterteilt, d.h. einzelne Gruppen, die das Geschehen auf unterschiedliche Art und Weise interpretieren. Die 68er-Generation bildet durch die Geburt in den 1940er Jahren eine Generationslagerung, wohingegen nur die politisch aktiven und/oder studierenden Angehörigen einen Generationszusammenhang bildeten, der wieder-

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um in einige Generationseinheiten aufgeteilt war (eine davon war der politische Arm der 68er-Bewegung). Dieser politische Generationenbegriff dominierte etwa in Deutschland den Großteil des 20. Jahrhunderts, welches durch zahlreiche Schnittlinien und Umbrüche meist kriegerischer Natur gekennzeichnet war und so das Generationenbewusstsein der entsprechenden Jahrgänge prägte. Für das 20. Jahrhundert lassen sich so im Wesentlichen drei politisch motivierte Generationen definieren (vgl. Herbert 2003: 96ff): 1. Die Generation der zwischen 1900 und 1910 geborenen Bürgersöhne, welche die Erfahrungen des ersten Weltkrieges aus Literatur und Erzählungen kannten und sich im Zuge tatsächlicher oder befürchteter sozialer Deklassierung zum Hauptträger der späteren NS-Diktatur entwickelten. 2. Die Generation der Jahrgänge zwischen 1925 und 1935, deren Vertreter mit den frühen Erfahrungen in den nationalsozialistischen Jugendorganisationen (HJ, BDM) zwar positive Erinnerungen verbinden, sich nach 1945 jedoch in ihrem Idealismus missbraucht sahen und nach der Extremerfahrung des Krieges (daher z.B. auch die Bezeichnung „Flakhelfergeneration“) gegenüber allen Kollektivismen und Utopien gemäß Helmut Schelsky eine skeptische (weniger ideologisch ausgedrückt: eine enttäuschte) Haltung einnahmen. Die von Helmut Schelsky fokussierte Generation konzentrierte sich auf die eigene Prosperität und war durch eine deutliche Westbindung sowie einen Hang zum Praktischen, Pragmatischen und Reformerischen gekennzeichnet. Sie legte damit den Grundstein zur politischen Stabilisierung und Pazifisierung Deutschlands, verblieb jedoch in ihren gelernten Werthaltungen (Disziplin, Ordnung, Pflichterfüllung). 54 3. Damit lässt sich die heftige Kollision mit der Generation erklären, die in den 1940er und 1950er Jahren geboren wurde (die 68er), deren politisch aktiver Teil zwar zahlenmäßig keine relevante Gruppe darstellte, der jedoch als Katalysator für die virtuell bereits vollzogene „Anpassung im Überbau“ fungierte und so der Zeit einen Stempel aufdrückte. Legt man diesen Generationenbegriff Karl Mannheims zugrunde, ließe sich Generation Golf allenfalls als Dokument eines Vertreters einer Generationseinheit verstehen, der seine Sicht auf die Welt im ironischen Modus generalisiert und damit auf die anderen Generationseinheiten ausdehnt. Doch verdeutlicht die auffällige Absenz gesellschaftlicher Großereignisse in Generation Golf (die deutsche Wiedervereinigung ist wenige Zeilen wert und thematisiert bloß die Stillosigkeit der Ostdeutschen), dass der Generationenbegriff eine andere Bedeutung trägt. Dies verweist auf die Tatsache, dass der Begriff 54 Die vermeintliche Ideologielosigkeit, die der Erzähler der Generation Golf u.a. mit dem impliziten Rückgriff auf Helmut Schelsky attestiert (GG: 185), lässt sich daher nicht mit der Nüchternheit der skeptischen Generation vergleichen (die ideologischen Konnotationen dieser Diagnose aus der Warte des NSDAPMitglieds Schelsky sollen hier nicht weiter verfolgt werden). War jene eine Reaktion auf die Extremerfahrungen des Krieges, fehlt ein vergleichbares Erlebnis hier völlig. Kollektivismen und Ideologien werden von der Generation Golf nicht aus Furcht vor Missbrauch oder fatalen Konsequenzen abgelehnt, sondern aus der Überzeugung, dass die menschliche Entwicklung im weitesten ihren Zenit erreicht habe und Ideologien „als solche“ verschwunden seien.

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Generation sowohl in den wissenschaftlichen als auch in öffentlichen Diskursen weitgehend die ursprünglich politische Konnotation verloren hat. In der Publizistik avancierte der Begriff seit den 90er Jahren zu einem polyvalent anschlussfähigen Modewort, mit so vielfältigen wie nichtssagenden Analogien, worüber Publikationen 55 über die Generation Golf, @, X, Ally, Käfer, Mami, XTC, Kick, Soap, Emotion, Plus oder über die gierige oder vergessene Generation Aufschluss geben. Im wissenschaftlichen Diskurs wird mit einem pluralisierten Generationenbegriff operiert, der als Stichwortgeber für wissenschaftliche Fragestellungen fungiert, mit denen sich langfristige gesellschaftliche Wandlungsprozesse abbilden lassen. (Vgl. Lange 1999: 86) Kulturalisierte Generationenbegriffe orientieren sich etwa an technischen Gerätegenerationen wie „ChipGenerationen“ (Hörisch 1997, zit. n. Zinnecker 2003: 51), an massenmedialen, konsumistischen und technologischen Sozialisationsinstanzen (vgl. Bude 2000) und/oder an ästhetischen und lebensstilistischen Merkmalen; darüber hinaus wurden etwa neue Familienstrukturen wie die multilokale Mehrgenerationenfamilie 56 (Bertram 2000) oder soziale Sicherungssysteme (Leisering 2000a) als generationenprägende Instanzen in den Blick genommen. Trotz der Versuche, auch späteren Generationen eine griffige Bezeichnung und eine politische Stoßrichtung zuzuschreiben (hier wären z.B. die 78er zu nennen) 57 , gilt die Generation der 68er als letztes politisch motiviertes Generationenbild. Dies trifft mutmaßlich auch deshalb zu, weil der geringe Teil der 68er-Generation, der den vielzitierten „Marsch durch die Institutionen“ tatsächlich geschafft hat, in der Lage war, sich dementsprechend zu definieren und ggf. durch entsprechende Studien, etwa durch die Shell-Studie, welche turnusmäßig die Entpolitisierung, Entideologisierung und damit (auch wieder bedrohlich werdende) Normalisierung der jüngeren Generationen diagnostiziert, bestätigen zu lassen. Dies sollte dennoch keinen Anlass liefern, von einer totalen Deutungshoheit der 68er auszugehen, die Generation Golf oder der politische Korrektheitsdiskurs notwendigerweise unterstellen müssen, um auf dem Aufmerksamkeitsparkett wahrgenommen zu werden. 58 Die medienpolitische Stigmatisierung der 68er-Generation nahm mit deren Eintritt in ein machtfähiges Alter ihren Anfang, und damit ungefähr zu jenem Zeitpunkt, als mit Helmut Kohl die „geistig-moralische Wende“ eingeläutet wurde. Mit der Prominenz 55 Die genannten Beispiele stellen eine Selektion erschienener Titel dar, die nach Eingabe des Suchbegriffs „Generation“ beim Onlinebuchhändler Amazon geliefert werden. 56 Dieses Familienmodell widerspricht zeitgenössischen Individualisierungstheoremen, indem es die räumlich verteilten Familienangehörigen als Unterstützungsnetzwerk konzeptualisiert, welches gar zu stärkerer Solidarität neige als Familien unter einem Dach. 57 Der Begriff 78er-Generation wurde vom Journalisten Reinhard Mohr geprägt und bezeichnet die Generation, die nach den 68ern geboren wurde und (anders als ihre Vorgänger) keine radikalen politischen Veränderungen anstrebte. Sie setzte sich eher für reformistische Ziele, z.B. den Umweltschutz ein. 58 Bezeichnenderweise stellte der Hirte aller Unkorrekten, Henryk M. Broder, einmal hellsichtig fest, das Gezeter über die Dominanz der Korrekten sei Zeichen argumentativer Schwäche und werde daher nur von „losern“ benötigt, die sich sonst keinerlei Aufmerksamkeit verschaffen könnten – was freilich Broder, bedacht um den eigenen Feldwert, selbst zu keiner Zeit abgehalten hat, gegen das vermeintlich omnipräsente Gutmenschentum zu poltern.

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der rotgrünen Regierungskoalition wurde die Abwertung des 68er-Habitus durch seine eigenen Träger fortgeführt – durch Läuterungs- und/oder Relativierungsbekundungen, mit denen die zur Macht gelangten Vertreter der 68erGeneration versicherten, „dazugelernt“ zu haben oder nun „normal(er)“ und „pragmatisch“ geworden zu sein (den Höhepunkt stellt Götz Alys um Aufmerksamkeit buhlende Schmähkritik „Unser Kampf“ dar). 59 Generation Golf stellt einen typischen, mittlerweile durch wissenschaftliche Konsekration (vgl. Klein 2003) und den Einzug in die Alltagssprache kanonisierten Vertreter eines Generationenbildes dar, welches sich an diesem kulturalisierten Generationenbegriff orientiert. Dass ein derartiger Begriff in seiner temporalen Struktur wesentlich weniger trennscharf ist als der politisch konnotierte Begriff Mannheims, verdeutlichen im Falle von Generation Golf die Inklusions- und Exklusionsbedingungen für Angehörige bestimmter Kohorten. Die linksalternativen Lindenstraßenbewohner erfüllen das Kriterium, innerhalb des Zeitfensters zwischen 1965 und 1975 geboren worden zu sein, können jedoch aufgrund ihrer politischen Überzeugung und ihres Lebenswandels nicht in die Generation Golf integriert werden (GG: 129), Harald Schmidt wird jedoch trotz wesentlich höheren Alters gar zum Mentor der Generation erkoren. Wo es für die einen nicht mal reicht, aufgrund ihres Alters aufgenommen zu werden, wird ein anderer zum Mentor erklärt, obwohl er nicht mal die Mindestvoraussetzung (das passende Alter) erfüllt. Auch das erste Kapitel, das wehmütig das Schülerleben in der hessischen Provinz beschreibt, zeigt nichts, was ausschließlich auf den Jahrgang zwischen 1965 und 1975 zutreffen würde. Viel eher gilt, was Matthias Kamann in seiner Rezension in der WELT vom 19. Februar 2000 feststellte: „Das Buch [...] handelt [...] nicht von spezifischen Generationenerfahrungen, sondern allgemein von bürgerlicher Kindheit in westdeutscher Provinz. Dies gilt auch für Illies’ These, die achtziger Jahre waren mit Sicherheit das langweiligste Jahrzehnt dieses Jahrhunderts [...]. Bürgerliche Kindheit, so sie gelingt, ist immer langweilig.“ (Kamann 2000) Wie die o.g. Versuche, nach der Generation der 68er ein verbindendes Generationenbild zu entwerfen, kann somit auch Generation Golf kein klares Profil einer Generation zeichnen. Letztendlich verdeutlicht Generation Golf das grundsätzliche Dilemma zeitgenössischer Generationenentwürfe: Zum einen machen es wachsende gesellschaftliche Komplexität, auseinanderdriftende Interessen und nicht zuletzt eine gesteigerte Geschwindigkeit immer schwieriger, eine konsensuale Klammer zu schaffen, mit der sich eine Generation als solche konstituieren könnte. 60 Das gemeinsame Bewusstsein, welches Heinz Bude (2000) als

59 Zugleich ließ sich jedoch bei Bedarf auch vom Radikalitätsnimbus vergangener Zeiten zehren. Dieser konnte vor allem der jüngeren politischen Konkurrenz (aus den eigenen Reihen) kritisch entgegenhalten werden: Joschka Fischer bezeichnete sich in einem Interview nach seinem Rückzug von der politischen Bühne so etwa als den „letzten Rock’n’Roller der deutschen Politik.“ (Vgl. König u.a. 2005) 60 Der Generationenbegriff suggeriert jedoch in seiner alltäglichen Verwendung durch seine auf den ersten Blick simple temporale Struktur zunächst den Eindruck geteilter Interessen durch gemeinsames Alter und gemeinsames Erleben von Großereignissen oder Sozialisationsinstanzen. Er blendet jedoch die klassenspezifischen Interessen aus, die durchaus quer zur Altersstruktur liegen (siehe weiter unten). Es dürfte evident sein, dass die Interessen der dienstleistenden

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Voraussetzung für eine identitätsprägende kulturelle Generation ansieht, rückt dadurch immer weiter in die Ferne, ganz abgesehen von der Tatsache, dass mit dem Konzept der kulturellen Generation jener „kulturalistische[.] Irrtum“ (Eagleton 1993: 49) begangen wird, der in der Überschätzung von Soap Operas, Computerspielen und anderen Medienerfahrungen prägendere Kräfte sieht als in Klassenzugehörigkeit und anderen objektiven sozialstrukturellen Faktoren. Schließlich müsste für dieses gemeinsame Bewusstsein die verbindende Klammer so allgemein gefasst sein, dass der temporale Sinngehalt von „Generation“ völlig nebensächlich wird und die Generation allenfalls kurzfristig, ad hoc und/oder ohne besondere Obligation für ihre Angehörigen existiert und sich in letzter Konsequenz aus beliebigen Mitgliedern rekrutieren könnte, solange jene etwa nur genug (und das Richtige) fernsehen, Musik hören und die gleichen Urlaubsorte wählen. Zum anderen wird nicht zuletzt durch Generation Golf selbst deutlich, dass kulturalisierte Generationenbegriffe, die sich auf Konsum- und Medienerfahrungen bzw. auf Lebensstilmerkmale konzentrieren, letztendlich zu Milieubeschreibungen tendieren, die sich nicht für eine ganze Kohorte generalisieren lassen, dafür jedoch um ihre vertikale Dimension erleichtert wurden. Zweifelsfrei müssten die Landwirte (GG: 48), die in Generation Golf als Mitschüler ausgewiesen werden, auch Generationsgenossen darstellen – doch auch sie gehören nicht dazu, erscheinen vollkommen fremd, werden sozialstrukturell überholt, auf Distanz gehalten und fortan mit keinem Wort mehr erwähnt. So fasst der (auch in Generation Golf zitierte) Soziologe Heinz Bude unter dem Terminus „kulturelle Generation“ jene Akteure, die sich durch einen bestimmten Lebensstil, Umgang und/oder Adoleszenz mit technischen Geräten und Medien auszeichnen und über ein gemeinsames Bewusstsein verfügen, welches jedoch allenfalls, wie oben beschrieben, temporär aufblitzt, etwa wenn bestimmte Gesten, Musikstücke und Signalwörter genannt werden: „Man fühlt sich [dann; T.K.] unter sich, obwohl man nach sozialdemographischen Kriterien nichts anderes als das ungefähre Alter teilt. Es stellt sich dann ein spontanes ‚Wir-Gefühl‘ ohne spontanes ‚Wir-Handeln‘ ein.“ (Bude 2000: 33) Dass damit letztendlich habituelle und damit klassenspezifische „Verständigung“ beschrieben wird, die etwa im Falle weit auseinander liegender Klassenzugehörigkeiten allein statistisch selten sein dürfte, sollte evident sein: Beispielhaft wäre hier die geringe Wahrscheinlichkeit und die Beschaffenheit (Ort, Zeit, Art des Kontakts) eines Zusammentreffens der in Generation Golf beschriebenen „Vulgärversionen“ mit den legitimeren Vertretern der Generation (dass das Ausprägen eines gemeinsamen Bewusstseins, d.h. einer gemeinsamen Identität, unter diesen Bedingungen schwierig bis unmöglich sein dürfte, wird Gegenstand eines späteren Abschnitts).

Der Zusammenhang von „Jugend“ und „Generation“ – Der Generationenbegriff als Indikator und Faktor In Generation Golf wird der Konflikt zwischen der gleichnamigen Generation und den als „Zwischengeneration“ (GG: 59) titulierten 68ern hervorgehoben, wobei es zugleich zur Verbrüderung mit den noch älteren Generationen „Vulgärversion“ (GG: 157) der Generation Golf sich nicht mit denen des „Starnberger-See-Düsseldorf-Berlin[..]-Bonn-Teil[s]“ (GG: 159) decken.

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kommt (es gäbe keinerlei ödipalen Konflikte mehr; GG: 59f) – ganz wie es Karl Mannheim diagnostizierte, als er, ex negativo von einer hypothetischen Gesellschaft ohne Generationen ausgehend, induktiv feststellte, dass sich in der „Kontinuierlichkeit im Generationenwechsel“ (Mannheim 1925 [1970]: 540) nicht die auf einer Zeitachse weit voneinander entfernten Generationen wechselseitig beeinflussen (und ggf. bekämpfen), sondern diejenigen, die einander näher stehen. Im Umfeld von Generation Golf zwei lautet die Aussage „Selbst Lord Dahrendorf sagt heute, die 68er müssen weg, andere müssen den Job machen.“ (Illies 2003a: 151) und „Heute merkt man, dass ausgerechnet diejenigen, die einst predigten ‚Wir haben die Welt nur von unseren Kindern geborgt‘, bei den Renten und Gesundheitskosten fast bedenkenlos auf Kosten der jüngeren Generation leben.“ (Ebd., Hervorhebung von T.K.) In beiden Fällen werden (explizit und implizit) die konnotationsreichen und miteinander auf vielfache Weise verknüpften Signalwörter „Jugend“ und „Generation“ dazu verwendet, den eigenen Machtanspruch geltend zu machen. Auf der einen Seite wird versucht, sich unter dem Banner der „Generation“ als Kollektiv zu konstituieren, auf der anderen Seite soll mit dem Verweis auf die (eigene) Jugend der eigene Macht- und Ressourcenanspruch legitimiert werden. Von der „Jugend“ zur „Generation“ – „Jugend“ und „junge Generation“ als Objekt von Anrufungen Vor 1925, jenem Zeitpunkt, zu dem Karl Mannheim seine ersten soziologischen Untersuchungen zur Generationenthematik durchführte, dominierte eine biologistische und ahistorische Konzeption von „Generation“ (die es als soziologischen Analysebegriff noch nicht gab) und „Jugend“. Um 1900 stellte Jugend einen „Entschluss“ und eine „Haltung“ dar (vgl. Trommler 1985: 15), war „heiliger Wille“ (Stambolis 2003: 9) und vom realen biologischen Alter unabhängiges Zeichen des Vitalismus (siehe etwa die WandervogelBewegung). An diesem Vitalismus waren sowohl die Hoffnungen der Sozialisten und Kommunisten geknüpft („Jugend“ als Triebkraft auf dem Weg zur Revolution) als auch die der biologisch argumentierenden Kulturpessimisten (Langbehn, Nordau und der Komplex der konservativ-revolutionären Rembrandtdeutschen), die in „der Jugend“ den rettenden Heilsbringer sahen – was im Nationalsozialismus in den Schlachtruf „Macht Platz ihr Alten!“ (dies.: 13) mündete. In der Tat waren die Begriffe „Jugend“ bzw. „jugendliche Generation“ 1930 so aufgeladen, dass sie „Klasse“ zu verdrängen drohten, und so war der Jugendkult sowohl Surrogat für reales politisches Handeln als auch Vehikel der politischen Beeinflussung. Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es sich in der Überschätzung der Jugend um ein bürgerliches Phänomen handelte: Gerade in bürgerlichen Schichten wurde, im Windschatten der aufkeimenden Psychoanalyse und der Professionalisierung der Pädagogik, das politische Zeitgeschehen häufig in einem ästhetisierten Vater-Sohn-Konflikt sublimiert. (Vgl. Trommler 1985: 46) Von dieser mythischen Konnotation ist der Jugendbegriff mittlerweile weit entfernt: Zum einen trat an Stelle des Begriffs „Jugend“ der Begriff der „Generation“, zum anderen wurde der Begriff „Jugend“ zum Verkaufsargument im Zuge von Moden (Nahrung, Kleidung, Einrichtung usw.) umcodiert.

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Gleichwohl schwingt die Hoffnung auf „die Jugend“ auch nach 1945 und bis heute in zahlreichen Diskursen mit: Die Gruppe 47 sah in ihr die Hoffnung auf einen „Ausgleich“ begründet, und im Zuge der Politik des „dritten Weges“ diente sie (bis heute) sowohl zur Unterscheidung von „moderner“ (junger) und „unmoderner“ (alter) Politik („junge Wilde“) als auch als Vehikel politischer Ansprachen an die Jugend mit Mitteln der Jugend (oder damit, was für jugendlich gehalten wird) – hier sei an politische Events der Wegbereiter des dritten Weges (Tony Blair, Gerhard Schröder) erinnert. Andererseits sind solche Formen symbolischer Politik auch geeignet die – um im Bild des Vitalismus zu bleiben – jugendlichen Energien effizient an der Sphäre handfester politischer Entscheidungen vorbeizulenken. Dies schließt an eine bekannte Erkenntnis der empirischen Politikwissenschaft an (vgl. Hoffmann-Lange 1998: 178ff), wonach Jugendliche sich gegenwärtig (trotz empirisch beobachtbarer Zurückhaltung, vgl. Bock/Reinhardt 2002) nicht zwangsläufig weniger politisch engagieren (auch wenn dies die bereits erwähnten Shellstudien suggerieren), sondern anders: Zum einen unterscheidet sich der (vermeintliche) Rückgang politischer Partizipation nicht von jenem, der sich auch bei der Erwachsenenpopulation feststellen lässt (vgl. Gille u.a. 1998: 173), zum anderen haben sich (abseits basaler Partizipationsformen wie etwa Bundestagswahlen) die politischen Beteiligungsformen bei Jugendlichen gewandelt, die Interessen dabei von den klassischen Organisationen (Parteien, Verbände) zu „Neuen Sozialen Bewegungen“ verschoben. Jene sind durch eher netzwerkartige, kurzfristige sowie ziel- und projektorientierte Beteiligungsformen und weniger bindende Organisationsstrukturen gekennzeichnet (was als Assoziationsform den Flexibilitätsanforderungen des „new capitalism“ besser entspricht als langfristige feste Bindungen an Parteien und andere Organisationen). Mit steigendem Alter und höherem sozialen Status steigt zudem das Interesse an „der“ Politik wieder (vgl. Bock/Reinhardt 2002: 782f) – was einen Hinweis darauf gibt, dass von politischer Partizipation weitgehend jene ausgeschlossen werden (bzw. durch Nichtrepräsentierung indirekt zum Selbstausschluss angeleitet werden), die auch wenig von der Politik zu erwarten haben. Darüber hinaus gerät „Jugend“ in den Fokus verschiedener Diskurse, die sie sowohl als Hoffnung als auch als Problem wahrnehmen: Hoffnungen werden an die Jugend herangetragen, wenn sie bzw. ihr „Humankapital“ zur Rettung in Zeiten der Informationstechnologien stilisiert wird. Als problematisch gilt Jugend vor allem aus der Perspektive des konservativen Kulturpessimismus, dessen Vertreter im selben Atemzug nach „hartem Durchgreifen“ oder dem Ende der „68er-Kuschelpädagogik“ rufen – womit erneut der Anschluss an die in Generation Golf dominierende Makroopposition hergestellt wäre. Schließlich verschmelzen beide Begriffe im alarmistischen Generationendiskurs, dessen ökologisches Motiv (Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit) nicht zuletzt dadurch so plausibel und einwandsimmun ist, weil es an das quasi-natürliche „Vorrecht der Jugend“ appelliert, der man nicht den Weg verbauen dürfe Der Generationenbegriff als Indikator und Faktor Historisch wurde der Generationenbegriff im Wesentlichen immer dann aktiviert, um auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren und/oder er wurde von gesellschaftlichen Gruppen im Munde geführt, die (möglicherweise

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unter Ausnutzung dieser gesellschaftlichen Veränderungen) nach Hegemonie streben. Es wurde deutlich, dass diesem Generationenbegriff zunächst der Begriff „Jugend“ als diskursives Vehikel vorausging und dass jenes trotz des Verlusts der mythischen Konnotationen nach wie vor – gerade, wenn Ältere es stellvertretend für Jüngere im Munde führen – zur Legitimierung von Machtansprüchen verwendet werden kann. Dabei wird argumentativ auf die „Berufung“ der Jugend zurückgegriffen, die prädisponiert sei, die Positionen und Ressourcen der Älteren (jetzt oder in naher Zukunft) zu übernehmen, so dass sich jene nicht den jüngeren Nachzüglern in den Weg stellen dürften. Diese neuzeitliche „Anrufung der Jugend“ ist nach wie vor attraktiv: Wer könnte etwas dagegen haben, dass die jüngeren Generationen ihrer natürlichen Bestimmung nachkommen, an die entsprechenden Stellen nachzurücken und den überfälligen Austausch vorzunehmen (es sei dabei an etwa an das eingangs erwähnten Zitat „macht Platz ihr Alten“ erinnert)? Allerdings versammeln sich unter diesem begrifflichen Banner heutzutage keine Jahrgänge, sondern einzelne Akteure mit heterogener Altersstruktur, die diesen Begriff lediglich (ob bewusst oder unbewusst) als einwandsimmunes Transportmittel verwenden, um ihre (partikularen) klassenspezifischen Interessen geltend zu machen und sie als allgemeine Interessen der ganzen Generation auszuweisen, wie es das Dilemma des kulturalistischen Generationenbegriffs (siehe oben) bereits nahe legt. Die Tatsache, dass es sich beim Generationenbegriff sowohl um einen Emanzipationsbegriff handelt, den Akteure buchstäblich als Fahnenwort vor sich hertragen und den der Leser als Identifikationsangebot unterbreitet bekommt, als auch um einen Analyse- und Geschichtsbegriff, mit dem ein realer Sachverhalt bezeichnet wird, der für manche über eine mehr oder minder hohe Evidenz verfügt, verdeutlicht, dass man es mit einem Begriff zu tun hat, der sowohl als Indikator als auch als Faktor für historische und soziale Prozesse zu verstehen ist. Auf der einen Seite wird er (nicht nur) in Generation Golf verwendet, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Akteuren festzustellen. Auf der anderen Seite wird der Generationenbegriff im Mund geführt, um Ansprüche geltend zu machen, ein Identitätsbild zu zeichnen, eine Gruppe zu konstruieren, deren Erwartungen zu formen und deren Einstellungen und Handlungen zu beeinflussen. Damit ist nicht gemeint, dass Rezipienten von Generation Golf nach der Lektüre in Scharen mit dem Bekenntnis auf den Lippen, Generation Golf zu sein, die Tore der Macht erstürmen, sondern vielmehr, dass diese Generationenrhetorik bereits bestehende Ansprüche jener Akteure zu bedienen und zu legitimieren verhilft, auf die (auch) Generation Golf als Text im sozialen Raum objektiv auch bezogen ist – spontanes Kopfnicken beim Nennen von Schlagwörtern wie „Generationengerechtigkeit“ ist dabei die Folge. An dieser Stelle sind in Fragen des Verhältnisses von Sprache und Geschichte die Überlegungen Reinhart Kosellecks hilfreich. Dass es sich im Falle des Begriffs „Generation“ um einen Geschichtsbegriff handelt, dürfte auf mehreren Ebenen deutlich werden: x x

Er ermöglicht die subjektive Abbildung eines Geschichtsausschnitts (was zugleich durch die Wahl des Genres „Autobiographie“ bereits angelegt ist). Er markiert ein Segment auf der Zeitachse und ermöglicht damit zugleich die Abgrenzung von anderen Segmenten.

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x

Er verfügt über einen Bewegungsvektor, der als Rückblick in die Vergangenheit gerichtet ist (als Erinnerung, hier in Form einer Autobiographie), der zugleich aber auch in die (nahe) Zukunft gerichtet ist (als Legitimation für Ansprüche).

Zwei Prämissen Kosellecks sollen hier beachtet werden: zum einen, dass Sprache sowohl Indikator als auch Faktor sozialer Tatbestände ist, zum anderen, dass sich unsere Geschichtsschreibung und Vorstellung von Geschichte nur sprachlich erfassen lässt (gleichwohl natürlich das sprachliche Abbild der Geschichte nicht mit realen Handlungen identisch ist): „Sprache ist sowohl rezeptiv wie produktiv, sie registriert und sie ist zugleich ein Faktor der Wahrnehmung, der Erkenntnis und des Wissens.“ (Koselleck 2006: 62) „Geschichte ex post existiert für uns nur, indem sie auf-, ab- und umgeschrieben wird. Was immer an vorsprachlichen Voraussetzungen in die Geschichte eingeht oder in sie eingegangen ist, die Realität der vergangenen Geschichten, ist nur in ihren sprachlichen Gestaltungen präsent.“ (Ders.: 54)

Mit der Feststellung der Existenz einer (neuen) Generation wird diese so gleichzeitig hergestellt – und damit auch der Machtanspruch geltend gemacht, der womöglich aufgrund der Zersplitterung der Einzelinteressen ohne den übergreifenden Generationenbegriff nicht so leicht hätte angemeldet werden können. Der Generationenbegriff simuliert Einigkeit, indem er eine einfache Zugehörigkeit qua Geburtsdatum verspricht und im konkreten Fall von Generation Golf gar die Tür für Ältere offen lässt. Tatsächlich erfüllt der Generationenbegriff im Allgemeinen und das Etikett Generation Golf im Speziellen alle Kriterien eines Geschichtsbegriffs mit einer für ihn typischen Begriffsgeschichte: 1. Es wird aufgeschrieben: Aufschreiben stellt den Versuch dar, Kontinuität oder Wandel anzuzeigen, wozu Elemente ausgewählt werden, die „aufschreibenswert“ erscheinen. Auf Generation Golf trifft beides zu: zum einen die Kontinuität des eigenen Lebens im Sinne des vielfach zitierten Credos „Veränderungen wird die Zukunft kaum bringen“ (GG: 197), zum anderen der Wandel, der im Anspruch auf (kulturelle) Hegemonie sichtbar wird. 2. Es wird abgeschrieben in dem Sinne, dass tradierte und „standardisierte“ Bestandteile der Geschichtsschreibung in Generation Golf mitgeliefert werden (Nationalsozialismus, Kriegsschuld usw.). 3. Es wird umgeschrieben, indem Elemente der Geschichte neu bewertet bzw. völlig ausgeblendet werden (Tschernobyl, Beginn der „Reformpolitik“ des „new capitalism“ mit der Proklamierung der geistig-moralischen Wende 61 usw.). 61 Diese Wende beinhaltete bekanntlich den Anstieg der Arbeitslosigkeit, die Intensivierung der Umverteilung von unten nach oben und die Steigerung der Chancenungleichheit im Bildungssystem. (Vgl. Geißler 2002: 96f, 347) Diese Zeit wird in Generation Golf zur guten alten Zeit verklärt, in der für jeden gesorgt war und soziopolitische Veränderungen mit niedrigem Tempo abliefen. Geschichte solchermaßen umzuschreiben kann letztendlich nur als ideologisch motivierte Verdrehung der Realität aufgefasst werden. (Vgl. Küttler 2001: 428)

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All dies vollzieht sich aus der Perspektive eines Beteiligten, der auf der Gewinnerseite dieser Entwicklung stand, wobei man entweder von einer Personenidentität von Autor und Erzähler ausgehen kann (wofür es aufgrund der Gattung, dem Verhältnis zwischen Autorhabitus und Repräsentationsweisen sowie eigenen Aussagen des Autors gute Gründe gibt) oder von einem Erzähler, der relativ zu den restlichen im Text repräsentierten Akteuren in einer übergeordneten Position steht (und so über Überblickswissen verfügt). Als Geschichtsbegriff ist der Generationenbegriff sozial-egalitär und kann von jedermann genutzt werden (was die weiter oben skizzierte Flut der Generationenetiketten eindrucksvoll beweist). Er ist zudem abstrakt genug, um verschiedene Gruppen zu integrieren (was dem Generationenbegriff durch die o.g. automatische Zugehörigkeit vorzüglich gelingt). Schließlich ist der Generationenbegriff ideologietauglich (er ermöglicht Vorgriffe auf die Zukunft im Sinne der ideologischen Position des Trägers dieses Begriffs; im konkreten Fall Generation Golf ist dies die Aussicht auf zukünftige Prosperität und ein ewiges Leben auf der Zielgeraden). Das Verhältnis zwischen Begriffen und ihrer Bedeutung ist historisch variabel, wofür Reinhart Koselleck vier mögliche Szenarien definiert (ders. 2006: 62ff): 1. Der unwahrscheinlichste Fall ist, dass Bedeutung und der dadurch bezeichnete Sachverhalt identisch bleiben. 2. Der Sachverhalt ändert sich, die Bedeutung bleibt gleich, die Sprache passt nicht mehr zur Wirklichkeit und man benötigt andere Begriffe, um die Wirklichkeit zu erfassen. 3. Die Bedeutung ändert sich, aber der Sachverhalt bleibt gleich. Auch hier bedarf es neuer Ausdrucksformen. 4. Sachverhalt und Begriff entwickeln sich völlig auseinander. Es soll dabei gar nicht der Versuch unternommen werden, im Falle des Begriffs „Generation“ zu entscheiden, ob sich der Sachverhalt oder der Begriff verändert hat – deutlich wird ein Bedeutungswandel und das Auseinanderklaffen zwischen Sachverhalt und Bedeutung (Punkt 2/3): „Generation“ als Vokabel bleibt bestehen und wird im Alltagsverständnis mit „Alterskohorte“ gleichgesetzt, zugleich wird jedoch sowohl im öffentlichen als auch im wissenschaftlichen Diskurs vom politisch konnotierten Begriff Karl Mannheims abgerückt. An dessen Stelle treten (siehe oben) Milieus, Technik-Generationen bzw. kulturalisierte Generationenbegriffe, die von ihren Trägern im Sinne eines „Erwartungsbegriffs“ (ders. 2006: 68) dazu verwendet werden, Ansprüche geltend zu machen – „Begriffe werden zu Vorgriffen.“ (Ders. 2006: 37) Und: „Jeder Grundbegriff enthält verschieden tief gestaffelte Anteile vergangener Bedeutungen sowie verschieden gewichtete Zukunftserwartungen. Damit generieren diese Begriffe, gleichsam immanent sprachlich, unbeschadet ihres Realitätsgehaltes, zeitliche Bewegungs- und Veränderungspotentiale.“ (Ders. 2006: 68) Diese Grundbegriffe sind in der Regel Ismen, doch trifft diese These an dieser Stelle für den Generationenbegriff (und andere Begriffe aus dem emanzipatorischen Repertoire, die im Kontext von Generation Golf verwendet wurden) gleichermaßen zu. Die Verwendung des Generationenbegriffs verdeutlicht insgesamt, wie begriffliche Ressourcen für die Bezeichnung gemeinsam geteilter Erfahrun-

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gen miteinander konkurrieren und dabei bestehende Begriffe durch „weichere“, kulturalistische Varianten ersetzt werden (hier sei an das einleitende Zitat erinnert): Begriffe wie „Klasse“ oder „Schicht“ treten als Bezeichnung für die Gemeinsamkeit von Erfahrungen zugunsten von Begriffen wie „Generation“ in den Hintergrund. Diese Begriffe sind – wie auch der omnipräsente Identitätsbegriff (siehe weiter unten) – massendemokratische Bewegungsbegriffe, Schlüsselbegriffe für politisches Denken, die im Gegensatz zu den (abstrakteren, ideologie- und utopietauglichen) Sattelzeitbegriffen wie „Freiheit“, „Fortschritt“ oder „Bürger“ stehen. Durch die Wahl dieses Generationenbegriffs ist Generation Golf so auch an die entsprechenden sozio-politischen (Diagnose-)Diskurse angekoppelt, in denen dieses Schlüsselwort verwendet wird und in denen es ggf. etablierte Begriffe zu ergänzen oder zu ersetzen beginnt. * Begriffe als „Indikator“ und „Faktor“ eröffnen Möglichkeiten und schließen zugleich andere aus. Wie Koselleck (2006: 45) darstellt, konnte etwa im Frankreich der Aufklärung der Begriff des Bürgers produktiv als Polemik gegen den Adel verwendet werden. Werden Begriffe ersetzt und/oder in ihrem Sinn modifiziert, geht dies mit dem Gewinn neuer/anderer und dem Verlust bestehender Möglichkeiten einher. So können durch einen Begriff wie „Generation“ Konflikte neu/anders prozessiert werden als bisher (siehe das Beispiel Generationengerechtigkeit vs. soziale Gerechtigkeit) oder neue/andere „Ziele“ für polemische Entgegensetzungen „entdeckt“ werden. Der Generationenbegriff ist zudem im doppelten Sinne ein Exklusivität signalisierender Begriff: zum einen durch seine naturalisierende Komponente (Zugang durch passendes Alter), zum anderen durch seine kulturalistische Komponente (Zugang durch gemeinsam geteilte Erfahrungen). Dieser Begriff kann schließlich als „asymmetrischer Gegenbegriff“ zwecks Abgrenzung gegenüber einer Gruppe verwendet werden, die ebenfalls als Generation „ansprechbar“ ist: gegen die 68er. Diese Abgrenzung gelingt dadurch noch besser, indem in Generation Golf auf einen plausiblen Beschleunigungs- und Unübersichtlichkeitstopos verwiesen wird – die wenigen Jahre, die zwischen der Generation Golf und den 68er-Generationen liegen, seien schon ausreichend, um zwischen beiden Generationen einen Graben des Unverständnisses aufklaffen zu lassen. Die Tatsache, dass Begriffe wie „Klasse“ oder „Schicht“ als begriffliche Ressource verschwinden und durch andere, partikularistische und kulturalisierte Begriffe ergänzt oder ganz ersetzt werden („Generation“ ersetzt z.B. „Schicht“), verdeutlicht somit auch, dass ein totalisierender Blick auf die Gesamtgesellschaft marginalisiert zu werden droht – und mit diesen Begriffen schwinden auch die Veränderungspotenziale, die an sie gebunden sind. Diese Entwicklung steht so im Zusammenhang mit der These vom Ende der Geschichte, der Ideologien und der Utopien – und damit im Zusammenhang mit dem „new capitalism“, der sich selbst durch entsprechende politische Entscheidungen unter den semantisch neu aufgeladenen Begriffen „Freiheit“ und „Fortschritt“ zur einzigen Utopie und Systemalternative erklärt hat, die sich (gegenwärtig) denken lässt.

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„Generation“ als interdiskursives Schlagwort in der Aufmerksamkeitsökonomie: Die „Generationengerechtigkeit“ und der Demographiediskurs Sich auf den Generationenbegriff einzulassen bzw. an den Diskursen teilzunehmen, in denen der Begriff Teil des Spiels ist, stellte insbesondere gegen Mitte und Ende der 90er Jahre, aber auch nach dem Abflauen der massenmedialen Etikettierungswut mit Generationenbegriffen, einen nahezu garantierten return on investment dar. Davon zeugen nicht nur die zurückliegenden, sondern auch zeitgenössische Publikationen. Die Bandbreite reicht dabei vom nahenden oder sich bereits im vollen Gange befindenden „Krieg der Generationen“ bis hin zur „neuen Solidarität“ zwischen Jung und Alt, wobei besonders überzeugungskräftige Beiträge beides gleichzeitig diagnostizieren – hier sei etwa an Frank Schirrmachers „Das Methusalem-Komplott“ (2004) erinnert oder an die ewige Wiederkehr alarmistischer Berichterstattungen und Titelgeschichten des Spiegels (17.5.2001: „Raum ohne Volk“; 5.1.2004: „Der letzte Deutsche“; 6.3.2006: „Jeder für sich. Wie der Kindermangel eine Gesellschaft von Egoisten schafft“). Der Erfolg von Generation Golf lässt sich somit allein schon durch diese Omnipräsenz von Generationendebatten erklären. Er erklärt sich jedoch auch aus der Tatsache, dass der Generationenbegriff gemeinsam mit den an ihn angrenzenden Begriffen zum polyvalent einsetzbaren Deutungsmuster innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie avanciert ist. Er ist Teil eines verflochtenen Diskursnetzwerks, in dem die Begriffe „Generation“, „Generationengerechtigkeit“ und angeschlossene Begriffe interdiskursive Schlagwörter mit enormer Plausibilität und Einwandsimmunität darstellen (von der die beiden Generationenbücher gleichermaßen profitierten). Dieser Begriff ist somit in zahlreichen gesellschaftlich relevanten Diskursen, die sich in ihm schneiden, „zu Hause“: im Demographiediskurs, in massenmedialen, zur Skandalisierung neigenden „Wertedebatten“, im Globalisierungs- und Reformdiskurs, im biopolitischen Diskurs usw.62 Letzterer wurde bereits in seinen Grundzügen skizziert. Auch ersterer soll hier als Indikator für die Plausibilität von Generation Golf nutzbar gemacht werden. Dafür muss verdeutlicht werden, wie dieser Diskurs funktioniert. Im Demographiediskurs treffen sich zahlreiche verschiedene Interessen: die Renditeinteressen der Versicherungswirtschaft, die Interessen der Kritiker des Sozialstaats und die Interessen politischer Akteure, die als Reformer auftreten und Haushaltskürzungen durchsetzen wollen. Die Kritiker des Sozialstaats können dabei unter dem Fahnenwort „Generationengerechtigkeit“ bequem den Sozialstaat als ganzes kritisieren: Er sei prinzipiell dysfunktional und lade dazu ein, maximale Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit einzustreichen. Dies sei Folge des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage auf 62 Tatsächlich lässt sich diese Verflechtung leicht mit einer Assoziationskette verdeutlichen, mit der sich ein Prototyp für einen regelkonformen Beitrag zu diesem Diskursnetz konstruieren ließe: vom Kampf der Generationen um Ressourcen führt der Weg leicht zur Notwendigkeit von Reformen in Form von Privatisierungen und Kürzungen. Von dort aus lässt sich zum biopolitischen „Handlungsbedarf“ und zu „fehlenden Werten“ bei Jugendlichen überleiten, denen durch 68er-Kuschelpädagogik die Chancen geraubt wurden, im globalen Wettbewerb gegen vitalere und pädagogisch weniger „zimperliche“ Konkurrenten zu bestehen.

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dem politischen Markt: Wähler träten als Politiknachfrager mit entsprechenden Forderungen auf, welche von den vom Wählervotum abhängigen Politikanbietern auch erfüllt würden: „die Bürger ließen sich gern immer neue Wohltaten versprechen und Geschenke machen“ (Bundespräsident Horst Köhler vor dem Arbeitgeberforum am 15.3.2005), lautet dabei die standardisierte Formel. 63 In allen Fällen wird dabei auf das besonders plausible, der Umweltbewegung entlehnte Argument der Nachhaltigkeit und der Vorsorge zurückgegriffen – die Furcht, den Nachkommen durch saueren Regen nur kahle Landschaften zu hinterlassen wurde zur Furcht transformiert, selbst im Alter arm sein zu können und das Sozialsystem dauerhaft zu ruinieren. In der Tat wird in beiden Generationenbüchern gleich mehrfach darauf hingewiesen, dass sich die ökologischen Horrorszenarien nicht bewahrheitet hätten, dafür nun jedoch neue Probleme gerade auch im Sinne des Demographiediskurses drohten, welche die Generationsgenossen und erst recht noch jüngere Generationen auszubaden hätten. An diese Diagnose sind therapeutische Maßnahmen und Maßregelungen angeschlossen, die etwa im mediopolitischen Diskursen kommuniziert werden: An die Älteren geht der Vorwurf, nicht genügend Kinder gezeugt zu haben, wobei oft die intentionale Entscheidung im Sinne einer rationalen Gewinnmaximierung unterstellt wird (vgl. Leisering 2000a: 70ff): Sparen durch Kinderlosigkeit und Abwälzen der Kosten für die eigenen Rentenzahlungen auf eine schmaler bemessene Basis, der dann die „Chancen“ fehlen, selbst – wie es so schön heißt – „vorzusorgen“. An die Jüngeren geht ein ähnlich gelagerter Vorwurf, meist unterstützt durch politische Forderungen, das Handeln der Subjekte, deren Kinderlosigkeit mehr oder minder Effekt jener Anpassung an die Marktbedingungen ist, die allenthalben eingefordert wird, durch fiskalische „Anreize“ oder „Sanktionen“ zu regulieren. Der Begriff der „Chance“, Schlagwort des neoliberalen „Power Speak“ (vgl. Kaufmann 2006), der im massenmedialen Reformdiskurs Rationalität und Egalität suggeriert, deutet dabei bereits an, welche semantische Verschiebung (nicht nur) der Begriff Generationengerechtigkeit erfahren hat: Das egalitäre Recht auf Lohnersatz im Alter wird sukzessive zur individuel63 Das Konzept des politischen Marktes und die Modellierung der Politik als Tauschakt wurde maßgeblich von Anthony Downs (1968) vertreten. Der Begriff Nachfragemarkt suggeriert, dass tatsächlich ein Nachfrager die Politik „erhält“, die er sich als „Kunde“ wünscht. Wie Pierre Bourdieu (1987: 719-726) verdeutlichte, geht einem politischen Angebot jedoch keine politische Nachfrage voraus. Der politische Anbieter reagiert nicht auf Nachfrager, vielmehr steht einem Nachfrager nur eine begrenzte Anzahl ideologischer Produkte zur Verfügung – er muss nehmen, was ihm angeboten wird. Die eigene politische Meinung kann nur an diesem Angebot ausgerichtet werden, welches nie vollständig abbildet, was sich politisch denken ließe. Was eine legitime politische Frage ist, wird somit durch das Wechselspiel der Anbieter im Feld der Ideologieproduktion definiert. Was politisch denk- und massenmedial ohne Sanktionen kommunizierbar ist, wird dabei institutionell (etwa im Bildungssystem), durch die Struktur des journalistischen Feldes und der dort herrschenden Eigentumsverhältnisse sowie interdiskursiv (legitime Politik der Mitte vs. illegitime Politik radikaler Ränder) abgesichert. Wenn sich die Generation Golf also damit schmückt, die politischen Anbieter zu mehr Stil erzogen zu haben (GG: 121), so drückt dies vielmehr aus, wie „anerzogen“ die Beurteilungskategorien der Generationsgenossen sind.

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len Möglichkeit zur Gewinnmaximierung transformiert, die jeder zu ergreifen hat, wobei – ganz im Sinne der Wettbewerbsrhetorik – niemand in seinen „Chancen“ (d.h. Marktzugängen) eingeschränkt werden dürfe. So zitierte die Süddeutsche Zeitung vom 28. Februar 2007 etwa Klaus Hurrelmann, einen der Autoren der Shell-Jugendstudie 2006, unter dem an Peter Gross’ Multioptionsgesellschaft angelehnten Titel „Generation Option“: „Das Potential, das diese Generation durch ihre Möglichkeiten hat, ist ungeheuer hoch. Das kann eine Generation sein, die eine sehr hohe Gestaltungschance hat.“ (Hervorhebungen von T.K.) 64 In Generation Golf war die Aussicht auf Gewinnmaximierung garantiert: Nicht nur, dass den repräsentierten Akteuren hohe Erbschaften zustanden, sie verfügten auch über genügend selbst akkumulierte Kapitalien. (GG: 191f) Generation Golf zwei markiert den Punkt, an dem Aktien von „EM.TV oder Intershop“ (GG: 192) gemeinsam mit der „new economy“ untergehen und alles andere als „profitträchtig“ (ebd.) sind, wodurch als Reaktion härtere Bandagen gegen all jene aufgezogen werden, die dem Griff nach Positionen und Ressourcen im Wege stehen und auch im massenmedialen Reformdiskurs als Verhinderer der überfälligen Erneuerung entlarvt werden: blockierende 68er, Gewerkschaften mit selbstverständlich überzogenen Lohnforderungen, träges Dienstleistungspersonal (vgl. insbesondere GG2: 224ff), mit dem im wahrsten Sinne des Wortes „kein Staat“ zu machen ist. Die Plausibilität und aufmerksamkeitsökonomische Durchschlagskraft erklärt sich somit aus dem Faktum, dass in den Generationenbüchern ein omnipräsentes Deutungsmuster mit seinen interdiskursiven Schlagwörtern gesampelt wird bzw. bekannte und selbst schon standardisierte Versatzstücke dieses Diskurses durchgeschleust werden. Dabei trägt die Verwendung des Generationenbegriffs und die Partizipation an dem entsprechenden Diskursnetz paradoxerweise zur Enthistorisierung der Erzählung bei, obwohl ein Geschichtlichkeit suggerierender Begriff verwendet wird: Gesellschaftliche (und damit immer auch: machtbasierte) Zusammenhänge werden zu temporalen, externen Effekten eines „Wandels“ erklärt, dem sich die heutigen Generationen „in Zeiten wie diesen“ nun mal stellen müssten, und der weniger intensiv wäre, hätten die älteren Generationen nicht so viele „Fehler“ begangen. * Im bereits zitierten Gespräch zwischen Günter Gaus und Florian Illies stellte Günter Gaus angesichts des Erscheinens von Generation Golf zwei die These auf, der Kulturpessimismus der Generation Golf erinnere ihn an die jugendliche Anspannung im Vorfeld des ersten Weltkrieges (natürlich mit anderen Intentionen!). Man kann diese Einschätzung tendenziell teilen, wenn man die Blindheit vor den Klassenverhältnissen jener Generation reflektiert, die sich „Stahlgewitter“ wünschte, und mit dem ähnlich gelagerten Kulturpessimismus vergleicht, wie er in Generation Golf und Generation Golf zwei kulti64 Dabei sollte nicht unterschlagen werden, dass die Frage, welche Generation wieviel vom „Kuchen“ erhält, wie groß jener insgesamt sein wird und welche Generation Vor- oder Nachteile trägt, über eine gewisse Evidenz verfügt und zu politischen Konflikten führt. Auf der anderen Seite wird aufgrund der Schwäche des Generationenbegriffs jedoch unterschlagen, dass quer zur Zugehörigkeit zu einer Generation primär die Klassenzugehörigkeit über die „Chancen“ entscheidet, seinen Anteil des o.g. „Kuchens“ zu erhalten.

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viert wird. Sicherlich – das Argument der Generationengerechtigkeit scheint nachvollziehbar zu sein: Dass Arbeitslosigkeit und (Sinn)Krise nun diejenigen treffen, die bisher davon verschont geblieben sind und die nun auch Opfer der drastischen Entwertung ihrer eigenen Bildungszertifikate werden, kann als typische Belastung einer Generation verstanden werden (wenn man sich auf die Generationenrhetorik einlässt). Doch wird dieser Horizont der Generationenbücher nie überschritten, wenn die eigene Krise gegen die Älteren, vor allem die 68er, ins Feld geführt wird. Damit folgt Generation Golf letztendlich einer Diagnose wie der folgenden: „Die Aussage ist klar: Die Alten von heute zerstören unsere Arbeitsplätze und verfrühstücken damit unser Klein-Häuschen von Morgen. [...] Die wahren Gerechtigkeitsprobleme spielen sich nicht zwischen, sondern innerhalb der Generationen ab, nicht zwischen alt und jung, sondern zwischen arm und reich. Intra- nicht intergenerationell geht die Schere auf – mit zunehmender Tendenz.“ (von Lucke 2003: 1056f, Hervorhebung von T.K.)

Die Wahl der Gattung aus dem Raum aller Gattungen: der essayistisch-autobiographische Genre-Mix „Am Anfang stand ein simpler autobiographischer Befund. [...] Das Anmaßende dieses Buches ist dann gewesen, meine eigene Geschichte zu erzählen und zu behaupten, dass das jetzt die Geschichte der Generation oder einer Masse ist.“ (Illies 2002d, Hervorhebung von T.K.)

Ein Text wie Generation Golf stellt den Betrachter trotz oder gerade aufgrund seiner Durchsichtigkeit vor ein Problem: Womit hat man es im Falle von Generation Golf eigentlich zu tun? Ist es ein populärwissenschaftlicher Text? Ist es eine Autobiographie? Ist es Belletristik? Es stellt sich also aus literaturwissenschaftlicher Perspektive die Frage der Gattung, aus textlinguistischer Perspektive die Frage der Textsorte und aus der Perspektive des hier verwendeten diskursanalytischen Frameworks die Frage des Genres. Zwei miteinander verknüpfte Fragen werden diesen Abschnitt leiten: Zum einen wird Genre als beschreib- und analysierbare Eigenschaft des Textes gewertet. Zum anderen wird genre auch als Wahl innerhalb einer Bandbreite verfügbarer Alternativen betrachtet, die feldintern über unterschiedliche Positionswerte verfügen und die der Autor aufgrund von Habitus (nichtintentional), Strategie (intentional) und eigener feldinterner Position auswählt. Durch diese Wahl geht der Autor zahlreiche (potenziell spannungsreiche) Relationen ein, die sich durch das Verhältnis zwischen subjektiver und objektiver Position, dem Positionswert des gewählten Genres, dessen Geschichte im Rahmen der Gesamtgeschichte des Feldes sowie anderen Vertretern des Genres ergeben.

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Genealogie, Theorie und feldinterne Relevanz der Autobiographie und des autobiographischen Schreibens Für die weitere Bestimmung des Feldwerts von Generation Golf lässt sich die Geschichte und Theorie der Autobiographie nutzen. Dabei müssen vier miteinander zusammenhängende Prämissen bedacht werden: 1. Es wird zu heuristischen Zwecken auf die Theorie und Geschichte der Autobiographie zurückgegriffen. Obwohl hinreichend überprüft werden muss, ob Generation Golf autobiographisch genannt werden kann, soll weder durch das Abarbeiten eines Kriterienkatalogs völlig zweifelsfrei festgestellt werden, ob sich Generation Golf mit den Gattungstheorien zur Deckung bringen lässt, noch soll (und kann) ein lückenloser Überblick über den Stand der Autobiographietheorie und -forschung insgesamt gegeben werden (jener findet sich etwa bei Wagner-Egelhaaf 2000). Ausgangspunkt ist vielmehr die Relation der Herablassung, die durch die Verwendung einer autobiographischen Form als „Träger“ eingegangen wird. 2. Damit gelangt man zur zweiten Prämisse: Es muss zwischen der tradierten, mit vielen Obligationen verbundenen Gattung und dem autobiographischen Verfahren unterschieden werden. (Vgl. Finck 1999) Als Verfahren ist autobiographisches Schreiben in der Tat demokratisiert und pluralisiert worden: Zum einen erfuhr es etwa in Form von „oral history“ und Zeitzeugenberichten eine Aufwertung; das damit verbundene Überschreiten der Mediengrenzen sorgte für eine zusätzliche Differenzierung. Zum anderen steht es prinzipiell jedermann jederzeit zur Verfügung, wobei die Chancen auf Aufmerksamkeitsprofite von der feldinternen Position und den Zugangsbedingungen abhängen. Als tradierte Gattung unterliegt die Autobiographie strengen Zugangsbedingungen und Obligationen, die sich nach wie vor mit Hilfe einiger kanonischer Vertreter der frühen Autobiographietheorie erklären lassen. Selbst wenn es sich dabei um z.T. veraltete Texte handelt, die in zeitgenössischen Autobiographietheorien mehr oder minder nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden, so lassen sich auch aus diesen frühen Ausführungen Erkenntnisse gewinnen, die den heutigen feldinternen Positionswert der Autobiographie zu bestimmen helfen (siehe unten). 3. Generation Golf ist kein Beim Häuten der Zwiebel (Günter Grass). Ersteres ist autobiographisches Schreiben, das produktionsseitig nur als Transportvehikel verwendet wurde, um rezeptionsseitig eine Katalysatorfunktion auszuüben (siehe unten), letzteres ist eine (klassische) Autobiographie mit all den an sie geknüpften Erwartungen. Die Anforderungen und (Rezipienten)Erwartungen, die an klassische Autobiographien gestellt werden, schwingen jedoch (trotz o.g. „Demokratisierung“ und „Pluralisierung“) auch beim autobiographischen Verfahren mit, auch wenn man zwischen diesen beiden Formen differenziert – insbesondere wenn damit feldinterne Positions- und Aufmerksamkeitsgewinne erzielt werden. 4. Von all dem unbeschadet bleibt die Feststellung, dass sich prinzipiell jedes Schreiben letztendlich als autobiographisch auffassen lässt, wenn es einer eindeutig definierten Autorfunktion zugeordnet werden kann, und dass autobiographische Texte durch ihre Personenidentität von Figur, Erzähler und Autor die Frage nach dem Produzenten des Textes umso deut-

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licher in den Vordergrund stellen. (Vgl. Wagner-Egelhaaf 2000: 9; Stüssel 2006: 19) Autobiographisches und literarisches Schreiben lassen sich daher schwer trennen – auch Autobiographien werden im Fiktionalitätsmodus der „Autofiktion“ (Wagner-Egelhaaf 2000: 5) verfasst. „Wer schreibt, schreibt stets nolens volens über sich selbst, auch wenn Fiktionalitätssignale überwiegen und literarische Pakte geschlossen werden. Und: Wer autobiographisch schreibt, schreibt stets nolens volens literarisch-fiktional, auch wenn autobiographische Pakte geschlossen werden.“ (Stüssel 2006: 19) So verfügt der Erzähler in Generation Golf über die Fähigkeit, die Gedanken der Figuren zu lesen und innere Vorgänge anderer ironisch zu kommentieren, was üblicherweise den auktorialen Erzähler auszeichnet (und dadurch den Rahmen des autobiographischen Schreibens überschreitet): „Komisch, dachte Bernd, Fernseher und Freundinnen kommen und gehen, die alten Fernbedienungen aber bleiben.“ (GG: 108) Überblickt man nun die einzelnen Stationen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Gattung Autobiographie, so lässt sich ableiten, welche Anforderungen die Zugehörigkeit zu dieser Gattung nach sich zieht. Es handelt sich um eine noch junge „soziale Wissensform“ (Alheit/Brandt 2006: 15), die als Indikator einer „autonomen Subjektwerdung“ (Schneider 1993: 251) des Bürgertums aufgefasst wird (vgl. auch Marholz 1919): vormoderne, unpersönliche Dokumente, welche den Status von Klerus und Adel über die Zeit dokumentieren, bilden den Ausgangspunkt für Literarisierungs-, Demokratisierungs- und Pluralisierungsschübe, die mit der Geburt des Bürgertums und der Entwicklung des Buchdrucks in Zusammenhang stehen. Die Genealogie der Autobiographie lässt sich mit einigen groben Pinselstrichen wie folgt skizzieren: 1. Formelhafte, didaktisch und religiös motivierte Berichte (Rechtfertigung vor und Suche nach Gott), die im 15. und 16. Jahrhundert noch halböffentlichen Status besaßen. 2. Klassisch-moderne Autobiographien des 18. und 19. Jahrhunderts, die im Modus der Innerlichkeit verfasst wurden und – vor allem in Deutschland – die Bildung der eigenen Persönlichkeit dokumentierten. 3. Postmoderne Formen der Autobiographie (sprachliche Verdichtung, Überschreiten der Mediengrenzen durch die Wahl besserer „Speicherformate“ wie Ton- und Bilddokumente usw.), welche in der Regel nicht (mehr) als Autobiographien ausgewiesen werden. (Vgl. Paulsen 1991: 8) Die Entwicklung lässt sich auch als Abfolge verschiedener Codes und Modi der Erinnerung klassifizieren: vom religiösen Code im 18. Jahrhundert (Bekenntnis vor Gott), über den familialen Code im 19. Jahrhundert (psychoanalytisch gefärbtes Bekenntnis der Beziehung zu den Familienmitgliedern), hin zum Leitwert Identität im 20. Jahrhundert. Und: von den Dokumenten innerer Verworfenheit, über ein herausragendes Datum innerhalb der Familie, hin zur zufälligen Erinnerung, die im 20. Jahrhundert den Anstoß zur Fixierung eigener Gedanken darstellt. (Vgl. Schneider 1986, 1993) Auf der anderen Seite, und damit das o.g. optimistische Bild ergänzend und korrigierend, lässt sich die Verbreitung der (zur Entstehungszeit der Gattung sehr ähnlichen) Autobiographien als Zeichen um sich greifender

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Disziplinierungstechniken auslegen: Bekenntnisschriften, die ursprünglich auf klösterliche Buß- und Bekenntnissakramente zurückgehen, breiteten sich erst über den Pietismus und dann über die Pädagogik und die Psychologie (etwa als Diagnosekriterium und Therapieform) als neue Technik der Adressierung einzelner Subjekte und als Technik der „Vermessung des Raumes der Subjektivitäten“ (Schneider 1986: 23) über die Gesellschaft aus. Was auf der einen Seite als Entdeckung von Innerlichkeit erscheint, wird auf der anderen Seite als Zeichen einer Selbstnormalisierung durch permanente Selbstreflexion aufgefasst. Für welche der beiden Interpretationen man sich entscheiden mag: In beiden Fällen handelt es sich um eine typisch männliche Tradition. Es waren und sind in der Regel Männer, die Autobiographien verfassen und feldintern Erfolg und Beachtung erfahren. Auch im theoretischen Umfeld werden meist die Autobiographien „großer Männer“ thematisiert: Augustinus, Rousseau, Goethe (vgl. Wagner-Egelhaaf 2000: 94), Marcel Proust, Walter Benjamin und Jean-Paul Sartre. (Vgl. Schneider 1986) Dies deckt sich mit der Tatsache, dass die frühe Autobiographieforschung ihren Gegenstand zum Wesensmerkmal des menschlichen Selbstbewusstseins und zum Element des entwickelten Okzidents überhöhte, das nur den „überlegenen Menschen“ (Misch 1949 [1907]: 47) auszeichne. Diese Überhöhung lässt sich auch dadurch erklären, dass die Ich-Reflexion ein ohnehin ubiquitäres Deutungsmuster des 18. und 19. Jahrhunderts darstellte und sich in der Autobiographieforschung schablonenhaft anwenden ließ. (Vgl. Schneider 1993: 263) Wer somit eine Autobiographie verfasste, nahm sich ein Recht, über das nicht jeder verfügte – sowohl im gesellschaftlichen als auch im globalen Maßstab (vgl. Gusdorf 1956: 122ff): Er verfügte über das Bedürfnis nach Selbstreflexion und Externalisierung, er hielt sich für würdig, berufen und künstlerisch dazu befähigt (vgl. Glagau 1903), sein exzeptionelles Leben zu dokumentieren. Es sind in diesem Bild also stets wichtige Persönlichkeiten, die ihr Leben für die Nachwelt festhalten wollen und die Darstellung ggf. korrigieren, um auch so gesehen zu werden, wie sie sich selbst sehen (was die These unterstreicht, Autobiographien würden oftmals verfasst, um sich an der Geschichte zu „rächen“). Die großen Autobiographien folgen nach wie vor dem o.g. Ideal, welches am Beispiel der frühen Autobiographietheorie herausgearbeitet wurde, was ein Blick auf die resonanzreichen Autobiographien der letzten Jahre bestätigen dürfte. Dies verdeutlicht das paradigmatische Beispiel, Günter Grass’ Beim Häuten der Zwiebel: Feldintern sind es meist ältere Männer aus der kulturellen, politischen oder wirtschaftlichen Prominenz, die befähigt und legitimiert sind, ihre Erinnerungen zu dokumentieren und mit dem Zeitgeschehen in Verbindung zu bringen (die Gegenwart kommentierend, das eigene Leben als beispielhaft oder abweichend herausstellend usw.). Der feldinterne Affront, der im Falle von Generation Golf in der Wahl autobiographischer Elemente implizit liegt (und den der Autor ja auch zugibt), liegt somit in der Verwendung einer anforderungs- und konnotationsreichen Gattung bzw. eines daran angelehnten autobiographischen Verfahrens. Generation Golf vermittelt dem Rezipienten: Ein feldintern und -extern eher wenig bekannter junger Akteur hält sein Leben für interessant und außergewöhnlich genug, um es abzubilden und als beispielhaft für eine ganze Generation herauszustellen, deren Abbild so (vor den vermeintlich überkriti-

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schen Blicken der 68er) korrigiert 65 und für die Nachwelt festgehalten wird. Dass das Außergewöhnliche der eigenen Person in diesem Fall darin besteht, durchschnittlich und normal zu sein bzw. es (endlich) geworden zu sein, stellt einen weiteren, allerdings für den Sinn des Textes konstitutiven Bruch mit den Anforderungen der Autobiographie dar, wird doch die eigene (vor allem politisch-ideologische) Normalität als außergewöhnliches Merkmal einer Generation hervorgehoben, die von Unnormalen (womit in der Regel 68er gemeint sind) umgeben ist. Ein Kriterium der Autobiographie erfüllt Generation Golf jedoch bruchlos: Es ist eine männlich-bürgerliche Sichtweise, die den Blick nach „unten“ zwar wagt, der aber durchaus mit Ekel verbunden ist und dabei Weiblichkeit sowie weibliche Perspektiven in der Regel ironisiert.

Autobiographisches Schreiben mit Katalysatorfunktion Die zentrale Frage bei dieser Form der Erinnerungsliteratur ist, ob es sich um eine Autobiographie handelt oder um eine Erzählung, die mit autobiographischen Elementen angereichert ist. Zu diesem Zweck soll an dieser Stelle exemplarisch (siehe Prämisse 1) Philippe Lejeunes linguistische Theorie der Autobiographie herangezogen werden (zu deren Insuffizienzen siehe Prämisse 4). Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass Generation Golf sowohl dem Code als auch dem Erinnerungsmodus entspricht, nach dem (gemäß Schneider 1986/1993) zeitgenössische Autobiographien funktionieren. Der Code ist der einer (auf ein Kollektiv ausgedehnten) Identitätssuche – „Wer bin ich?“ bzw. „Wer sind wir?“ Der Erinnerungsmodus ist zufälliger Natur – der zufällige Befund, ein ähnliches Leben wie andere zu führen (vgl. Illies 2002d), die zufällige, alltägliche Erinnerung an ein Ereignis, das den Einstieg in die mäandernde Erzählung bildet: „Mir geht es gut. Es ist Samstag Abend, ich sitze in der warmen Wanne, im Schaum schwimmt das braune Seeräuberschiff von Playmobil.“ (GG: 9) Philippe Lejeune definiert die Autobiographie als „[...] rückblickende Prosaerzählung einer tatsächlichen Person über ihre eigene Existenz, wenn sie den Nachdruck auf ihr persönliches Leben und insbesondere auf die Geschichte ihrer Persönlichkeit legt.“ (Lejeune 1994: 14) Dabei grenzt Lejeune die Autobiographie z.B. von den Memoiren ab, in denen weniger das eigene Leben, sondern der gesellschaftliche Zusammenhang im Vordergrund steht. Dies ähnelt der frühen Diagnose Georg Mischs, welcher die Memoiren als Dokument eines Ich-Erzählers definiert, der lediglich passiv erlebender Augenzeuge und Chronist herausragender Zeitereignisse sei, während es sich bei Autobiographien um Selbstdokumente herausragender Glanzgestalten handele. (Vgl. Misch 1907: 50) Diese strikte Trennung lässt sich jedoch nicht aufrechterhalten, da letztendlich in jede Autobiographie auch explizite oder implizite Aussagen zum gesellschaftlichen Geschehen einfließen. (Vgl. Wagner-Egelhaaf 2000: 7) Trotz der Erwartungen, die der Leser an eine Autobiographie stellt, ist jene keine wahrheitsgetreue Abbildung der eigenen Lebenserfahrungen, sondern ein subjektiver und konstruierter Rückblick (dies.: 2), der in manchen Fällen geschönt wird (vgl. Roy 1998: 154) und in dem Erinnerungslücken durch Er65 Die Impertinenz, mit der dabei der längst erledigte Gegner 68 zum Dreh- und Angelpunkt der eigenen Erfahrungen und Ausführungen gemacht wird, lässt dabei durchaus auch das o.g. Motiv der Rache an der Geschichte vermuten.

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fahrungen aus zweiter Hand (vgl. Wagner-Egelhaaf 2000: 42) oder durch Erfindungen (Ereignisse, die stattgefunden haben könnten) geschlossen werden. (Vgl. Holdenried 2000: 31) Eines der zwei wichtigsten Erkennungsmerkmale einer Autobiographie ist nach Lejeune die Namensidentität zwischen Autor, Erzähler und Figur. Auf textuelle Verfahren könne man sich bei der Frage, ob man es mit einer Autobiographie zu tun habe oder nicht, kaum verlassen – tatsächlich können und wurden alle Verfahren, die man gemeinhin als typisch autobiographische Verfahren identifizieren würde, in anderen Gattungen (etwa in Romanen) nachgeahmt. Obwohl also die Übereinstimmung des Erzählers mit der grammatischen Person des Protagonisten für die Klassifikation eines Textes als Autobiographie wichtig und auch typisch ist – wenn der Protagonist zugleich der Ich-Erzähler ist, handle es sich um eine klassische Autobiographie. (Vgl. Lejeune 1994: 18) Die hinreichenden Bedingungen sind damit jedoch noch nicht erfüllt. Eine Autobiographie müsse klar als solche erkennbar sein, was, so Lejeune, durch den autobiographischen Pakt zwischen Autor und Leser ermöglicht werde. Der Autor verpflichtet sich auf die o.g. Namensidentität, er gibt Hinweise auf sie, die sich mit vertretbarem Aufwand verifizieren lassen. Die Möglichkeiten, diesen Pakt zu beschließen, sind vielfältig und können mehr oder minder direkt („Dies ist eine Autobiographie“, Wahl eines entsprechenden Titels oder Untertitels usw.) oder implizit erfolgen, z.B. durch die Ansprache des Lesers. Doch lassen sich auch Texte zu Autobiographien zählen, die diese Übereinstimmung indirekt, z.B. durch das Verweisen auf Namen oder familiäre Verhältnisse herstellen. (Vgl. Holdenried 2000: 43) In allen Fällen seien Fälschungen möglich, die jedoch, so Lejeune, selten seien. Dieser autobiographische Pakt wird in Generation Golf tatsächlich geschlossen. Zwar hebt der Erzähler (anders als es der Autor z.B. epitextuell mehrfach tut) die Personenidentität zwischen Autorname und Erzähler nicht explizit im Sinne der Aussage „Das ist meine Autobiographie“ hervor, doch verweist er durchgängig als Icherzähler auf sich selbst und auf real existierende Personen des Herkunftsortes des Autors, deren Namen nur leicht abgewandelt werden 66 , sowie auf die eigenen familiären Verhältnisse (Geschwister, Besuch von Tanten usw.). So wird an einer Stelle die Namensidentität explizit: „weil Torwart Illies ‚einen eigentlich harmlosen Distanzschuß durch die Arme gleiten ließ‘.“ (GG: 67) In zwei weiteren Fällen gibt sich der Erzähler gerade im Akt der ironischen Distanzierung vom Wahrheits- und Wahrhaftigkeitsanspruch der Autobiographie auch als Autor zu erkennen: „Als ich im Straßengraben saß [...], wußte ich noch nicht, daß man einmal meine ganze Generation nach diesem Fahrzeug benennen würde.“ (GG: 52)

66 Das Konstruktionsprinzip ist dabei von Generation Golf bis Ortsgespräch identisch. Es basiert auf einer recht schalen Namenskomik und verstößt dabei gegen eines der (un)geschriebenen Gesetze des Glossenschreibens (vgl. Linden/Bleher 2000: 121), mit Namenskomik sparsam umzugehen und besser ganz auf sie zu verzichten. Dazu nur zwei Beispiele: aus dem Besitzer der örtlichen Gärtnerei, Herrn „Sauer“, wurde der Friedhofsgärtner „Süß“ (OG: 122), aus Vornamen wurden Nachnamen – aus dem Mitarbeiter des limnologischen Instituts in Schlitz, Dr. Jörg Brehm, seines Zeichens Angestellter des Institutsleiters Prof. Illies, wurde so „Herr Dr. Jörg“. (GG: 75f)

160 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM „[...] manche von uns schreiben schon mit 28 Jahren ein Buch über ihre eigene Kindheit, im eitlen Glauben, daran lasse sich die Geschichte einer ganzen Generation erzählen.“ (GG: 197)

Schließlich wird etwa auch der eigene Bruder, zu einem Zeitpunkt, als die Namensidentität zwischen Erzähler und Autor bereits geklärt wurde, als „Philosoph“ (GG: 189) bezeichnet – und tatsächlich handelt es sich beim älteren Bruder des Autors um den Philosophen Christian Illies. Die Tatsache, dass die Generation im Vordergrund steht und auch der Autor es selbst nahe legt (gleichwohl man den feldinternen Zwang zur Selbstdarstellung als Autor nicht unterschätzen darf), verdeutlicht, dass das autobiographische Schreiben lediglich den Rahmen bildet, um (ganz im Sinne des impliziten Programms der zeitgenössischen Popliteratur) das Zeitgeschehen und die unreflektierte Realität (bzw. das, was dafür gehalten wird) einzufangen und dem Leser ein Identifikationsangebot zu machen (etwa durch das häufige Erwähnen von Produkten und Slogans). Das reale Leben der Person Florian Illies wird hier zwar thematisiert (siehe der o.g. Pakt), es steht für den Leser jedoch nicht im Vordergrund. Vielmehr ermöglicht das autobiographische Verfahren zum einen, vermittelt über das maximalkonnektive Schlagwort „Generation“, an bestehende Diskurse anzudocken. Zum anderen verfügt es über eine Katalysatorfunktion, die beim Leser Selbsterkenntnisprozesse auslösen soll, indem ihm wiederholt ins Gedächtnis gerufen wird, was er ohnehin bereits kennt.

Generation Golf als Genre-Mix „Versuche, einen Roman zu schreiben. Du vermagst es nicht? Dann versuch es mit einem Theaterstück. Du kannst es nicht? Dann mach eine Aufstellung der Börsenbaissen in New York. Versuch, versuch alles. Und wenn es gar nichts geworden ist, dann sag, es sei ein Essay.“ (Tucholsky 1931 [1998]: 147)

Mit den Worten Bourdieus wurde bereits darauf hingewiesen, dass Generation Golf sich einer Gesamtmenge an Texten zuordnen lässt, die Elemente aus Soziologie, Geschichtsschreibung und Unterhaltung beinhalten und sich in der Regel journalistischen Erfolgsautoren zuordnen lassen. Ferner wurde ausgearbeitet, dass der Text Generation Golf zum einen ein Konglomerat bereits existierender Texte darstellt, die angereichert, umrahmt und/oder modifiziert wurden. Diese Elemente lassen sich ihrerseits, da zuvor in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckt und nicht als Vorabdruck von Generation Golf gekennzeichnet, eigenen Gattungen, etwa der Glosse, dem Essay oder dem Kommentar zuordnen und rufen ihrerseits die typischerweise mit ihnen verbundenen Stile und Repräsentationsformen auf (so etwa die für Ironie und Glosse konstitutive Vermischung von Stilebenen; vgl. Sandig 2006: 304ff, 490-513). Zum anderen ist Generation Golf Schnittpunkt zahlreicher Diskurse, deren Elemente aufgegriffen, durchgeschleust und appliziert werden. Generation Golf präsentiert sich dabei als subjektive, assoziative, den roten Faden durch Vor- und Rückverweise sowie Themendopplungen recht locker spin-

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nende Sammlung kurzer Textpassagen , denen leitmotivisch Slogans aus der VW-Werbung vorgestellt sind. Trotz des Versuchs, dadurch den Eindruck in sich geschlossener Kapitel zu vermitteln, überschreitet die Erzählung meist deren Rahmen – die Erzählung hätte sich damit durchaus auch anders gliedern lassen, ohne die Kohärenz des Textes zu gefährden. Dies gilt etwa insbesondere für die Topoi „Stil. Kleidung. Wohnen. Essen“ (Kapitel 4; GG: 99123), die sich letztendlich in nahezu allen Kapiteln wiederfinden lassen. Mit anderen Worten: Ein Text wie Generation Golf ist hochgradig interdiskursiv und aufgrund seiner intertextuellen Konfiguration und dem Aufrufen verschiedener Diskurse ein vielfältig verschlungener Genre-Mix. (Vgl. Fairclough 2003: 65-86) Dieser Mix ist bereits dadurch angelegt, dass als diskursives Vehikel eine autobiographische Erzählung verwendet und dabei mit einer essayistischen Form verknüpft wurde. Ohne an dieser Stelle allzu tief in die terminologischen Schlachten der problematischen Gattungstheorie einzutauchen (dies ist Gegenstand bereits lange zurückliegender Debatten, vgl. Adorno 1958, Haas 1969, Bachmann 1969) und ohne dabei endgültig klären zu wollen, ob Generation Golf ein Essay ist 68 , wird doch in der Übersicht der Anspruch der essayistischen Form in Generation Golf deutlich: Generation Golf will einfach sein, strebt keinen Totalitätsanspruch an, ist unsoziologisch und unwissenschaftlich (und will es sein), ist ein Versuch, der die Identifikationsbereitschaft des Lesers einfordert (und damit dessen Mitarbeit), strebt an, die Realität so zu nehmen, wie sie „ist“, will gerade dadurch tiefere Einsichten gewinnen und zum Kern der Sache gelangen (und unterstellt, dies besser zu können als die Soziologie), will also durch Subjektivität den Kern des Objektiven erfassen. Damit erfüllt Generation Golf (zumindest) die Programmatik des Essayismus, der wiederum aufgrund seiner ungenauen Definition und Verwendungsweise, seines assoziativen, subjektiven und unsystematischen Charakters sowie aufgrund fehlender thematischer Beschränkungen bereits selbst hochgradig interdiskursiv ausgelegt ist. 69 Der Mix umfasst im Falle von Generation Golf autobiographischnarrative, essayistische und glossenhafte Elemente, eingestreute Werbeslogans (die entweder dem Erzähler oder den repräsentierten Akteuren in den Mund gelegt werden oder als Anspielung im Text auftauchen), Zitate thematisch einschlägiger Texte, verschieden texturierte (und ausgeblendete) Stim-

67 Bis auf das erste Kapitel ist keines länger als 40 Seiten. Die einzelnen Kapitel sind dabei in mehrere Passagen unterteilt, die selten länger als 3 Seiten sind, deren Textsatz wiederum mit ca. 1400 Zeichen pro Seite (inklusive Leerzeichen) recht großzügig ausgelegt ist. 68 Als Form im Fluss könne der Essayismus durchaus den gemeinhin als obligatorisch betrachteten knappen Umfang überschreiten und als Paradigma auch einen so ausufernden Text wie Musils Mann ohne Eigenschaften überformen. (Vgl. Bachmann 1969: 10) 69 Die Frage, ob Generation Golf nun Element einer Befreiung von ideologischen Totalitätsansprüchen einer auf Tiefgründigkeit schielenden Wissenschaft ist, eine mutige „Ketzerei“, die durch Offenheit und Assoziation aufdeckt, was wissenschaftlich betrachtet sonst unentdeckt geblieben wäre (vgl. Adorno 1958: 33), oder ob nicht eher Adornos Kritik an der Beliebigkeit des Essayismus und der „Prämissen-Schriftstellerei“ (ders.: 12) zutrifft, die durch ihre Abneigung gegenüber Tiefgründigkeit in „versierte Oberflächlichkeit“ (ebd.) umschlägt, soll hier nicht geklärt und jedem Leser selbst überlassen werden.

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men repräsentierter Akteure sowie ein Sammelsurium verschiedener Anspielungen auf andere Autoren. * Es wurde deutlich, dass die Texte, die Mitte bis Ende der 90er Jahre als Popliteratur rubriziert wurden, als Zeichen einer Suche nach Authentizität und Lebensnähe gesehen werden können und die sich damit der Programmatik ihrer dissidenten, avantgardistischen Frühformen bedienten (Kunst müsse wieder zurück ins alltägliche Leben). Daher verwundert es nicht, dass sich das autobiographische Schreiben mit seinem Anspruch der Selbstdarstellung und seinen Kriterien der Wirklichkeit, Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Authentizität (vgl. Wagner-Egelhaaf 2000: 1ff) so oft anbot und (zumindest den resonanzreichen Teil) der späten Popliteratur dominierte. Denn worüber schreibt ein Teilnehmer des literarischen Feldes, der in diese feldinterne Lücke mit den o.g. Anforderungen stößt? Über das, was er oder sie am besten kennt – und das ist neben der Konsumwelt das eigene Selbst: „Popliteraten schreiben nämlich [...] von sich selbst, nicht von großen Lebensentwürfen oder von Reibungen zwischen Biographie und Gesellschaft, keine Familienromane und Anklagen, sondern übers alltägliche Detail, von den Hier-und-JetztEmpfindungen, von Zahnpasta und Kater-Kopfschmerzen. Sie schreiben [...] von der Warenwelt, in der wir leben [...].“ (Seeßlen 2001: 6) Autobiographisches Schreiben stellt(e) somit die Möglichkeit für neue Autoren dar, in das literarische Feld einzusteigen und – durch die Anbindung an omnipräsente (politisch-kulturelle) Normalisierungs- und Generationendebatten – rasch Feldgewinne zu akkumulieren. Schließlich lässt sich das autobiographische Verfahren und das Generationenbild auch als Kampfansage verstehen, die darin besteht, als Generation Positionen und Ressourcen zu beanspruchen und sich dabei das Recht herauszunehmen, ein prestigereiches Verfahren zu wählen und damit die klassischen Vertreter dieser Verfahren anzugreifen. Dass dies feldintern überhaupt möglich wurde, verdeutlicht den Wandel feldinterner Regeln und Verhältnisse. Es ließe sich jedoch spekulativ auch dadurch erklären, dass mit der Unterordnung aller Lebensbereiche unter die Zwänge des Zentralgebiets und nicht zuletzt auch durch das Alter ihrer Vertreter, die klassischen kulturellen Eliten, die typischerweise auf Autobiographien abonniert sind, mitsamt den typischen Eigenschaften ihrer Position schwinden und den ökonomischen Eliten das Feld überlassen. Diese Überlegung ließe sich auch mit der Beobachtung zur Deckung bringen, dass es im neoliberalen Zeitalter außerhalb der Sphäre der Ökonomie, welche legitime Elitebilder absorbiert, immer schwieriger wird, sich als Elite zu konstituieren: Die klassischen Eliten verschwinden zunehmend, ihre Positionen können durch Jüngere nicht (bzw. nicht glaubwürdig) besetzt werden.

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Die Wahl des Stils aus dem Raum aller Stile: glossenhafte Ironie „Witzigkeit ist manchmal Witzarmut, die ohne Hemmung sprudelt.“ (Karl Kraus)

Generation Golf ist ein durchgängig ironischer Text (siehe unten). Ironie ist, bei aller oftmals mit ihr verbundenen Komik, ein ernstes Thema. Ironie potenziert die Schwierigkeit der Frage nach dem Sinn von Texten, Handlungen und Einstellungen. In der wissenschaftlichen Reflexion war und ist Ironie ein ephemerer, besonders schwierig zu greifender Gegenstand. An dieser Stelle kann und soll somit keine vollständige Darstellung dieses Phänomens erfolgen. Nicht behandelt wird somit eine vollständige Übersicht über die Geschichte der Ironie, wie man sie bei Japp (1983) und Lapp (1992: 18ff) findet, eine erschöpfende Definition des Ironischen und seiner Verfahren oder deren vollständige Überprüfung am gewählten Text Generation Golf. Repräsentative Beispiele sollen in diesem Fall genügen, um die o.g. Feststellung untermauern zu können. Ironie wird im Folgenden abstrakt gesprochen als eine Art des mündlichen oder schriftlichen Sprachgebrauchs verstanden, gleichwohl Ironie nicht auf Sprache beschränkt ist: Ironie begegnet einem auch als Haltung einer Person, d.h. in Form eines ironischen Habitus eines von allen Nöten und Zwängen distanzierten Subjekts und/oder in Form einer „postmodernen Ironie“, wobei die genannten Formen der Ironie in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen, sich beinhalten und bedingen können. Vor diesem Hintergrund soll die Frage nach der Ernsthaftigkeit von Generation Golf gar nicht beantwortet werden. Die Frage also, ob Florian Illies es persönlich wirklich so meinte, wie er es sagte und schrieb, ist nicht nur unlösbar, sondern aus der hier gewählten Perspektive auch kaum relevant: Entscheidend ist, dass eine Äußerung wie Generation Golf feldintern in dieser Beschaffenheit in Erscheinung treten und erfolgreich sein konnte, entscheidend ist der stilistische Sinn, während die Stilwirkung (d.h. ob Rezipienten den Text etwa als „lustig“ empfanden) nicht betrachtet werden kann. Im Folgenden wird im Anschluss an diese grobe und keinesfalls Vollständigkeit beanspruchende Unterteilung zunächst von der Ironie als (beschreibbarem) Stil die Rede sein. Dabei wird auf den entwickelten Werkzeugkasten zurückgegriffen und dessen Stilbegriff präzisiert: Was ist Stil, wie lassen sich Ironie und Komik erfassen und in welchem Verhältnis stehen sie zu eingeübten journalistischen Stilmitteln – eine Frage, die aufgrund der Komposition des Textes aus bestehenden Glossen und/oder Kommentaren sowie aufgrund der sozialen Herkunft des Autors relevant ist. Ferner wird im Sinne des ironischen Habitus die Rede von einer Ironie sein, die sich als Rückzugsmöglichkeit durch totale Distanzierung verstehen lässt. Schließlich wird die Rede sein von der feldinternen Relevanz dieser Wahl. Über die Wahl des Stils positioniert sich ein Autor im Feld und damit in einem dichten Beziehungsgeflecht. Einige dieser Bahnen sollen verfolgt werden: Die Wahl eines Stils ist die Wahl aus einem Raum verfügbarer Alternativen, welche durch ihre eigene Geschichte und ihrer Vertreter hierarchisch geordnet sind. Durch die Wahl geht der Autor eine Relation ein zwischen seiner eigenen Position, dem Wert des Stils auf der Skala aller Stile,

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den typischen Vertretern des Stils und den Rezipienten, auf die dieser Stil typischerweise bezogen ist. Die Wahl des Stils drückt ferner Relationen zwischen dem Autor, dem Stil selbst und dem mit diesem Stil repräsentierten Sachverhalt aus, woraus die Frage erwächst, wer aus welcher Position wen ironisiert (und wen nicht) und wie sich dies bezüglich des hier verfolgten Theoriezusammenhangs interpretieren lässt.

Über den Stilbegriff Im Folgenden soll auf einen holistischen, handlungs- und rezipientenorientierten Stilbegriff zurückgegriffen werden. Wer einen Stil (ob intentional oder unbewusst) verwendet, handelt auf eine bestimmte Art und Weise und verfolgt mit seiner Handlung ein Ziel. Stil lässt sich als eine „sozial relevante (bedeutsame) Art der Handlungsdurchführung“ (Sandig 2006: 9) definieren, als das sozial bedeutsame „wie“ des Sprachgebrauchs, als nie abwesende und immer verfügbare, zweckorientierte Wahl aus einem Bestand an Alternativen, wobei die Wahl nicht unbedingt intentional erfolgen muss, sondern oftmals (je nach Situation, bestehenden Konventionen oder der Position der Interagierenden) automatisch abläuft. Eine intentionale Wahl des Stils ist dabei auch mit einer intendierten Wirkung verbunden, die jedoch aufgrund des Risikos, dass ein Stil rezipientenseitig nicht erkannt wird, nicht unbedingt erreicht werden muss. Damit wird bereits das Feld des Ironischen betreten, denn diese Unsicherheit gilt insbesondere für diesen schwierig zu deutenden Stil, dessen Signale, die aufgrund des Paradoxons des Ironischen nicht unbedingt in einem Text präsent sein müssen, aufgrund unterschiedlicher Kompetenzniveaus und rezipientenseitiger Einstellungen nicht immer richtig erkannt werden. (Vgl. Sandig 2006: 31) Stil ist holistisch. Er ist etwas, das sich nicht auf das Wirken einzelner Elemente zurückführen oder beschränken lässt. Er ist Produkt vielfältiger textinterner und -externer Relationen. Erst durch das Zusammenwirken von (je nach Stilabsicht verschieden gewichteten) stilrelevanten Elementen, die alle Ebenen der sprachlichen und außersprachlichen Eigenschaften überlagern, und durch die Tätigkeit des Rezipienten, der auf Grundlage seiner (habituell begrenzten) Stilkompetenz und seines Weltwissens den (virtuell) im Text angelegten Stil (ggf. auch gegen den Strich) rekonstruiert, entsteht Stil: „Die Stilstruktur wird gebildet durch Bündel miteinander vorkommender (kookkurierender) Merkmale, die auf verschiedenen Ebenen der Sprachstruktur und im Bereich parasprachlicher Phänomene bzw. anderer Zeichentypen [...] zu beschreiben sind. [...] Eine Stilstruktur wird in Schrifttexten produzierend und rezipierend schrittweise, als Prozess aufgebaut [...].“ (Dies..: 67) Auf Grundlage dieser Stildefinition lassen sich Verfahren typisieren, mit denen Ironie und Komik erzeugt wird, für die bestimmte soziale Handlungen und/oder Gattungen mehr oder minder typisch sind und die sich durch alle sprachlichen Ebenen erstrecken. So kann Ironie und Komik durch eine bestimmte Lexik, Themenwahl, Kohäsion und Themenentfaltung oder Interaktionsmodalität und dem Zusammenwirken dieser Ebenen signalisiert werden. Darauf wird zurückzukommen sein. Über die Wahl des Stils wird jedoch auch die subjektive Haltung des Sprechers/Schreibers zu textinternen und -externen Sachverhalten sichtbar. Er vermittelt seine Identität, er zeigt, wie er sich sieht und gesehen werden will: „Styles are the discoursal aspect of ways of being, identities.“ (Fairclough 2003: 159); „using language as a resource for self-identifying.“

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(Ders.: 26) Gerade für einen Text wie Generation Golf, der sowohl die Differenz zwischen den repräsentierten Akteuren betont als auch dadurch zugleich einen Korridor für die Identifikation des Lesers und die Identitätsbestimmung des Autors offen hält, gilt, dass „[...] jeder Sprecherschreiber mit seinen Äußerungen auch zu erkennen [gibt], welcher sozialen Gruppe er zugeordnet werden möchte bzw. welcher er auf keinen Fall zugehören will; der Autor von Einwegkommunikation entwirft zusätzlich ein Bild von seinem Zielpublikum, eine Art ‚recipient design‘. Beides tut er mit einer Reihe von Stilisierungen, die in unterschiedlichen sprachlichen Dimensionen operieren [...].“ (Holly 2001: 428) Nicht zuletzt auch sind Stile dialektisch mit Genres und Diskursen verbunden, in dem Sinne, dass die Teilnahme an ihnen und das Aufgreifen von Elementen eines Diskurses häufig stilistische Folgen hat (Diskurse beinhalten so bestimmte Stile), so wie bestimmte Stile auf einen bestimmten Diskurs verweisen. Stile können dabei je nach Verhältnis zwischen dem gewählten Stil und dem Sinngehalt auch Ideologien transportieren und/oder Element von Sozialtechnologien sein, wie es etwa Norman Fairclough am Beispiel der „conversationalization“ und der dabei zu beobachtenden Mischung von Genres und den für sie typischen Stilen verdeutlichte. (Vgl. Fairclough 2003, 1995)

Dimensionen von Ironie und Komik in Generation Golf Die paradoxale Grundstruktur des Ironischen in Generation Golf Generation Golf hebt noch im letzten Satz die eigene Wirkungsabsicht, die Geschichte einer ganzen Generation abzubilden, in einem ironischen Dementi auf. Zahlreiche Rezensionen wiesen darauf hin, Generation Golf sei fehlinterpretiert worden: Jene, die nicht verstanden hätten, dass man es hier mit Uneigentlichkeit zu tun habe, seien dem Text (und dem scherzenden Autor) „auf den Leim“ (Knipphals 2000: 13; Weckesser 2001: 97) gegangen. Auch der Autor selbst ließ kaum eine Gelegenheit aus, sich vom wörtlichen Verständnis seiner eigenen Texte zu distanzieren und/oder die Deutung seines Interviewpartners oder abwesender Rezensenten zu korrigieren (was diesen gegenüber Polemik und Frechheit einschloss und als Teil von Selbstdarstellungs- und Selbststilisierungsstrategien verstanden werden kann). Als paradigmatisch kann das folgende Beispiel angesehen werden: „Ich beschreibe ja keineswegs den Geisteszustand von mir und meinesgleichen im Jahr 2000.“ (Illies 2002d, Hervorhebung von T.K.) Autor und Text wurden offenbar anders verstanden, als es intendiert und im Text denotiert war. Damit wurde (nicht nur auf Ebene der Sprache) das Feld des Ironischen betreten. Die Ironie stellt sowohl den Interpreten eines ironischen Textes als auch den Theoretiker der Ironie vor Probleme. Nach wie vor gilt die in diesem Zusammenhang oft verwendete Erkenntnis Friedrich Schlegels, mit der Ironie sei nicht zu scherzen. Die Ursache dieses Problems liegt in der paradoxalen Struktur des Ironischen. In der geläufigen Definition des Ironischen sagt der Ironiker das Gegenteil dessen, was er meint. Das klassische Beispiel ist das Tadeln durch Lob und das Loben durch Tadel. Diese Form lässt sich auch in Generation Golf auffinden: Die Bildungspolitik der SPD wird etwa als „schöne Idee“ (GG: 87) bezeichnet, obwohl die darauf folgende Beschreibung hart mit ihr ins Ge-

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richt geht. Herabwürdigende Worte über einen Automechaniker werden einleitend als „schöne Worte“ (GG: 159) bezeichnet, obwohl sie natürlich gar nicht schön sind. Doch Ironie als bloßes Gegenteil des Gemeinten ist zu eng gefasst. Ironie meint nicht immer nur das Gegenteil, sondern etwas anderes (vgl. Japp 1983: 38), das aber dennoch als das verstanden und erkannt werden soll, was es eigentlich nicht ist. Der Ironiker verfolgt dabei ein Ziel. Zu diesem Zweck sagt oder schreibt er A, er meint damit jedoch sowohl A als auch B, wobei A nicht nur ein Ersatz für B darstellt: Das Ironische sagt sowohl etwas darüber aus, was ursprünglich gemeint war, als auch darüber, was anstelle des Gemeinten gesagt wurde. Indem die Ironie verbirgt, was sie sagen will, es dadurch aber dennoch sagt, stellt sie die Frage nach dem Status gesicherten Wissens: Wann ist etwas ironisch gemeint und wann nicht? Wenn etwas als ironisch identifiziert wurde, was könnte dann wirklich gemeint sein? Es bedarf daher eines Rezipienten, der über genügend Wissen verfügt, dieses Spiel nachzuvollziehen (ders.: 31, 38-45, 314; siehe oben: Rekonstruktion des Stils durch den Rezipienten), was insbesondere im Falle von Mehrfachadressierung und heterogenen Wissensständen problematisch werden kann. Das Erkennen von Ironie kann mit Ironiesignalen erleichtert werden, die sich jedoch kaum systematisiert beschreiben lassen, da de facto alles zum Ironiesignal werden kann. (Vgl. Lapp 1992: 29ff) Ein mit Ironiesignalen gespickter Text, der alles daran setzt, als ironisch wahrgenommen zu werden, kann gerade dadurch gänzlich unironisch wirken, wobei erschwerend hinzukommt, dass genau dieser Effekt wiederum selbst in ironischer Absicht bewusst verfolgt werden kann (ein ironischer Text, der so sehr mit klassischen Ironiesignalen gespickt ist, dass er das Ironisieren ironisiert). Ironie kann dabei in zwei Varianten auftauchen: als verbale „Stellenironie“ (Japp 1983: 42) und als „Fiktionsironie“ (ebd.) – erstere bezeichnet intentional eingesetzte ironische Sequenzen (in Rede und Schrift), letztere einen durchgängigen ironischen Stil, der sich nicht an einzelnen Merkmalen festmachen lässt. Der Übergangsbereich ist der „von einer zu vernachlässigenden Quantität zu einer unsichtbaren Qualität.“ (Ders.: 43) Generation Golf ist, bei allen Vorbehalten gegenüber einer derartigen, schwer objektivierbaren Zuordnung, in diesem Grenzbereich angesiedelt. Weite Teile von Generation Golf entsprechen der Fiktionsironie, da sie den Wahrheitsstatus des Abgebildeten durch die Absurdität der dargestellten Sachverhalte und durch Übertreibung von vornherein untergraben. Dass dem Erzähler etwa durch den Anblick eines Golfs die Liebe zu einer Frau bewusst wurde (GG: 53f), hat sich aller Wahrscheinlichkeit eben nicht „so“ ereignet 70 und trägt auch im Sinne der o.g. A/B-Formel einen Bedeutungsüberschuss in sich, mit dem also etwas anderes ausgesagt werden soll. Erzeugung von Komik in Generation Golf Anders als die Fiktionsironie, deren ironischer Gehalt im Idealfall nicht oder nur als Ganzes und durchschimmernd bemerkt wird, ist Stellenironie durch den Charakter der Plötzlichkeit charakterisiert, mit dem (wie etwa auch in 70 Es sind ferner etwa all diese eindeutig übertriebenen Zurschaustellungen des eigenen Konsumismus, absurde Szenen wie das kultische Verehren von Hemden (GG: 139) usw., die diese Aussage rechtfertigen.

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Witzen) Komik erzeugt wird. Generation Golf folgt dabei den (durch Erfahrung eingeübten) journalistischen Verfahren der Erzeugung von Komik, wie sie etwa auch in entsprechenden journalistischen Handbüchern (Hoppe 2000, Linden/Bleher 2000) aufgeführt werden, und bedient sich punktuell glossenhafter Verfahren. Die Glosse ist eine journalistische Kurzform eines satirischen Kommentars. Jener ist thematisch offen (alles kann glossiert werden) und soll einen bekannten Sachverhalt durch Komik bloßstellen. Im Sinne des holistischen Stilbegriffs lassen sich komplexe Kombinationen zahlreicher (grundlegender wie textstilistischer) Verfahren feststellen, die für das Glossenhafte typisch sind und auf verschiedenen sprachlichen Ebenen das komplexe Stilmuster des „Komisierens“ implementieren. (Vgl. Sandig 2006: 490ff, 512f) Die Glosse ist dabei auf der unterneutralen Stilebene angesiedelt, aufgrund ihrer sprachlichen Vielfalt schwer erlernbar, kaum regelgeleitet und daher durch Unikalität gekennzeichnet. Ihre Interaktionsmodalität ist (auch aufgrund der Verwendung der Ironie im Sinne eines Bedeutungsüberschusses) unernst. Einige Beispiele sollen hier genannt werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit (sowohl was die Bandbreite der insgesamt aus dem Bereich des Komisierens abgedeckten Verfahren als auch was die Menge der dafür herangezogenen Beispiele anbelangt). Zwar kumulieren diese Beispiele besonders an den Stellen, die bereits als eingebettete Zeitungsartikel erkannt wurden, sie sind jedoch nicht exklusiv auf diese Stellen beschränkt (wobei es für den Leser, der dies nicht weiß, ohnehin keinen Unterschied macht). Dabei wird mehrfach der Rand des aggressiven Stils (vgl. Sandig 2006: 281ff) gestreift, etwa wenn Akteure verunglimpft und typisiert werden und damit stilistische Übertretungen stattfinden (vgl. Linden/Bleher: 80): „alte[.] Hollandradfahrerin“ (GG: 58), „Latzhosenträger“ (GG: 179), „Liegeradfahrer“ (GG: 164) usw. Gegner und Tabus werden dabei erst aufgebaut, um sie dann attackieren zu können. Dominant sind „Fantasiespiele“ (Sandig 2006: 513) bzw. ad absurdum führende Konsequenzen. (Vgl. Hoppe 2000: 158) Ausgehend von Einzelbeobachtungen werden mit Assoziationsschritten irreale Szenarien aufgebaut: Doktorarbeiten von 68ern werden so für das Waldsterben verantwortlich gemacht (GG: 170), die Schließung eines Tennisplatzes sorgt für häufigere Seitensprünge gelangweilter Arztgattinnen (GG: 75f), ein Stift wird Sinnbild und Ursache der Zerstörung deutscher Schriftkultur, die Existenz von Doppelnamen und Abkürzungen wird als Grund für das Erlahmen der Berliner Republik angeführt. Ein wichtiges Verfahren ist dabei das Konstruieren von Zusammenhängen, etwa indem (wie soeben beschrieben) Nebensächliches relevant gemacht wird oder indem mit satirischen Reihungen Ungleichwertiges vergleichbar gemacht wird. Die folgende Aufzählung und Gleichsetzung kultureller Vorlieben von 68ern ist dabei zugleich hierarchisch abgestuft, um den komischen Effekt zu maximieren – Höherwertiges wird zuerst genannt und dabei zugleich mehrfach mit dem Banalen gleichgesetzt. Dabei gilt: (politisches) „Kabarett“ mit „Dieter Hildebrandt“ > 71 „Hanns Dieter Hüsch“ > „Mad“ > „Otto-Waalkes-Zitate“ vs. „Wir reden ja auch nicht mehr andauernd über Dick und Doof oder Clever und Smart.“ (GG: 179) Der komische Effekt entsteht an dieser Stelle dadurch, dass zunächst in einer hierarchisch geordneten 71 Lies: „größer als“ bzw. „seriöser als“

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Aufzählung Vergleichbares (Kabarett und Kabarettisten) mit Unvergleichbarem (Mad, Otto Waalkes) gemeinsam genannt wird und diese satirische Reihung in einem zweiten Schritt mit einer weiteren satirischen Reihung (Dick und Doof, Clever und Smart) gleichgesetzt wird, wobei zwischen beiden verglichenen Reihungen große Niveauunterschiede bestehen. Komische Effekte lassen sich ferner in unbewiesenen, verrätselten oder pathetisch überhöhten Einstiegsformeln für Textpassagen oder Kapitel aufspüren: „Die Vorgängergeneration hat, wenn ich mich recht erinnere, den lieben langen Tag lang demonstriert.“ (GG: 153, Hervorhebung von T.K.) Ein weiteres dominantes Verfahren der Erzeugung von Komik spielt sich auf der Ebene der Beschreibung von Personen ab, indem personen-, gruppenoder zeittypische Rede aufgegriffen wird (bzw. eine ridikülisierende, stereotypische Vorstellung derselben): Das stereotyp gezeichnete, friedensbewegte Kind zeigt seine Humorlosigkeit im Ausspruch „‚Du, da kann ich echt nichts anfangen mit.‘“ (GG: 14), 68er werden ridikülisiert, indem ihnen attestiert wird, im Diminutiv zu sprechen („auf ein Bierchen“, GG: 143). Die Sprache der 80er Jahre sei durch Adjektivkonstruktionen mit dem Suffix „-mäßig“ geprägt gewesen, wobei solcherlei Konstruktionen nach der ursprünglichen Definition (GG: 43) rückverweisend zu komischen Zwecken verwendet werden. Ein daran angeschlossenes Verfahren ist das Verspotten von Personen durch Überhöhung: Frauen werden grundsätzlich Damen 72 genannt, Ehefrauen gelten als „rechtschaffen“ (GG: 94), Hausfrauen als „redlich[.]“ (GG: 116), Verona Feldbusch wird zur „Hohepriesterin der Continuity“, die Neil Postmans Kulturkritik „kongenial“ und mit „messianische[m] Charakter“ (GG: 132) umgesetzt habe. Ein weiteres Verfahren taucht in den zahlreichen Varianten der Übertreibung auf (etwa kombiniert mit satirischen Reihungen), die dazu verwendet wird, die Vorgängergenerationen sowie ästhetisch Unterprivilegierte zu ridikülisieren und zu karikieren: Vertreter der 68er-Generation vereinen daher sämtliche Stereotype in einer Person (ungebügelte Hemden, animalische, aber durch vermeintlichen „Nacktheitszwang“ zugleich auch biedere Sexualität, selbstgedrehte Zigaretten, Besitz eines Liegerades, lange Bärte), ein einfaches Schwarzweißposter kostet den Besitzer den absurden Fantasiebetrag von 680 Mark. (GG: 106) Als Steigerungsform dominiert „unglaublich“ (passim, mindestens 17 Fälle) wobei die Spannweite vom unglaublich heißen Badezimmer (GG: 9) über eine „unglaubliche Umständlichkeit“ (GG: 23) bis zum unglaublichen Begriff „Steuermoral“ (GG: 190) reicht. Eine ähnlich häufige Verwendung erfährt zum einen das Attribut „albern“ (passim, mindestens 13 Fälle), zum anderen die Modalpartikel „übrigens“ (passim, mindestens 12 Fälle). Ersteres taucht überproportional häufig zusammen mit der (stigmatisierenden) Beschreibung des diskursiven Gegners „68“ und seiner Merkmale auf, darüber hinaus in Form von Selbstironie und in Funktion einer polyvalent einsetzbaren Formel zur Komikerzeugung: „alberne Linksradikale“ (GG: 175), „alberne [...] SDAJ“ (GG: 176), „albern[e]“ Werte der 68er (GG 155, dort zwei mal 72 F.C. Delius, der Kritiker des konservativen Journalismus, hielt dazu in seinem Lehrbuch fest: „Wo immer es um Frauen und ihre Rechte geht, ist milde Ironie angebracht.“ (Delius 1988: 35) Dass Generation Golf im Stilduktus dazu kompatibel ist, zeigt die Häufigkeit, mit der Frauen in Generation Golf Ziel dieser „milden Ironie“ werden und folgerichtig als „Damen“ bezeichnet werden (GG: 26, 56, 59, 116, 138, 166, 171 usw.).

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hintereinander). Letzteres signalisiert die Lakonie und Überlegenheit des Erzählers und wird vorzugsweise in Kommentaren verwendet, die Ansichten repräsentierter oder abwesender Akteure korrigieren: Was als bekannt erscheint, wird so in einem beiläufigen Kommentar als unwahr entlarvt. Komik erzeugt ferner das Verfahren des „Necken[s] des Lesers“ (Sandig 2006: 513) durch Behauptung und Rückzug: „Wenn man die achtziger Jahre in einem Satz zusammenfassen will, was natürlich nicht geht, dann könnte man sagen [...].“ (GG: 37f) Zu diesem Verfahren lässt sich die ironische Selbstaufhebung zählen (GG: 197) oder das Nennen absurder Details wie „Ein Satzende, das sich übrigens viel besser auf Fang Schuei reimt als auf Feng Shui.“ (GG: 115) Verschiedene Grade des Pathos dienen der Erzeugung von Komik, etwa indem das Repertoire des diskursiven Gegners mit Banalem verknüpft wird: Der Erzähler drückt sich vor dem Joggen und nennt dies „Freiheit und Selbstbestimmung“ (GG: 68), er will Tennis spielen und fasst dies als „Emanzipationsbewegung“ (GG: 75) auf, die Abwesenheit einer Überzeugung wird zur „Geisteshaltung“ (GG: 193) aufgeblasen. Ähnliches Pathos zeichnet die Verwendung hochgestochener Diagnosebegriffe für banale Sachverhalte aus: Joggen wird „Paradigmenwechsel“ (GG: 71), Filzstifte zur „Revolution“ (GG: 151, dabei auch der o.g. Gruppe zuzuordnen), Musikfernsehen zum „Weltzusammenhang“ (GG: 133), DJs werden zu „Sinnstiftern“ (GG: 134) oder Individualsportarten zum neuen „Leitmedium“. (GG: 75) Hinzu kommt eine breite Palette stilistischer Neologismen bzw. Okkasionalismen, die einmalig und gewissermaßen aus der „Not“, Komik erzeugen zu wollen (oder zu müssen), gebildet werden – ein Stilmittel, das sich übrigens zu den eingeübten journalistischen Verfahren zählen lässt, die aus Zeitdruck und aus Gründen der Sprachverknappung entstandenen sind und darüber hinaus überproportional häufig in besonders persuasiven Texten anzutreffen sind, die mit auffälligen Wortneuschöpfungen gesättigt sind. (Vgl. Elsen 2004: 21, 102ff) Sie werden sowohl für die Charakterisierung der Generation und des Erzählers verwendet als auch dafür, den argumentativen Gegner zu diskreditieren: Der „Austauschschülerwahnsinn“ (GG: 34) charakterisiert die Bildungspolitik der Sozialdemokratie, der „anthroposophischesoterische[.]-Kiefernholztraum“ (GG: 113) die Weltferne der Friedens- und Umweltbewegung. Der Erzähler reagiert im Sportunterricht auf seine eigene „Laufunwilligkeit“ (GG: 67) mit „Laufvermeidungsstrategien“ (GG: 68), will den „Belohnungskreislauf“ (GG: 68) durchbrechen, wird (im Falle einer ad absurdum geführten Konsequenz, s.o.) zur „Tennispassivität“ (GG: 76) verurteilt, derweil die ganze Generation beim Anblick von Altbauten mit einem „Pawlowsche[n]-Einmietreflex“ (GG: 116) reagiert. Das entsprechende Gegenstück zum Neuen dieser Wortschöpfungen stellen etwa anachronistische Adverbien wie „gottlob“ (GG: 23, 56, 171) oder kapriziöse Formulierungen wie „um des Seelenheils seiner Kinder willen“ (GG: 75f), „der ärztlichen Autorität hohnsprechend“ (GG: 74) oder „Das Wissen um die Grauen des Nationalsozialismus [...]“ (GG: 175, Hervorhebung von T.K.) dar. 73 Ferner lassen sich dazu Modaladverbien wie „solcher73 An dieser Stelle lässt sich, unterstützt durch die einleitende Humorkritik Karl Kraus’, zum einen der Bogen zur Problematik der Gattungswahl schlagen. Zum anderen zur Ernüchterung der Generationsgenossen, die gemäß Generation Golf alle Ideologien abgelegt hätten und „es“ nun besser wüssten, wobei „es“ von der

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maßen“ (GG: 18, 77) zählen. Hypotaxe mit doppelter Verneinung (GG: 60f) im Wechselspiel mit Ellipsen wie „Ich am Steuer“ (GG: 51) tragen schließlich zur Dynamisierung der Satzlängen und zum stilistischen Sinn bei. (Vgl. Sandig 2006: 512) Häufige Verwendung erfahren zudem auch Wortspiele, z.B. Spiele mit dem Klang einzelner Begriffe: „liebe[r] Gott“ vs. „liebe[r] Golf“ (GG: 19), „La Boum“ vs. „Bumm“ (GG: 31), „dolce vita“ vs. „deutsche Nordsee“ (GG: 85), „Auto“ vs. „Outfit“ (GG: 190), „Ich und mein Magnum“ vs. „Ich und mein Magnum cum laude.“ (GG: 178f) Letzteres wird durch die Modifikation eines Werbeslogans noch zusätzlich mit Komik gewürzt, wobei jene für den Genre-Mix konstitutiv sind – sie werden modifiziert (siehe vorheriges Beispiel), oftmals unvermittelt eingebettet, bilden die Pointe einer Textpassage oder eines Kapitels und/oder werden (allerdings seltener) Akteuren in den Mund gelegt: „obwohl wir immer dafür plädierten, daß viel eher Bifi mitmüsse“ (GG: 21) vs. „Bifi muss mit“ (Originalslogan von Unilever Foods). Auf gleicher Ebene angesiedelt sind Alliterationen wie „Adjektiv-Annex“ (GG: 43), „weinrote Wolljackets“ (GG: 24), „unglaubliche Umständlichkeit“ (GG: 23), „Kreta oder Krefeld“ (GG: 168) – letzteres erhöht den komischen Effekt durch gleichzeitige Nennung und Kontrastierung des Unvergleichbaren (Land > Stadt, Urlaubsziel > Arbeiterstadt). Ergänzt wird dieses komische Element durch die Verwendung von Jargon und Dialekt: Begriffe wie „Ratzefummel“ (GG: 14), „EtepeteteLederoberfläche“ (ebd.), „Filzer“ (GG: 15, 21) und Fehlleistungen wie „Mottos“ (GG: 140), „Onkels“ (GG: 144) 74 oder „Vanillemilchs“ (GG: 18) simulieren so Jugendsprache und sorgen durch die Übertragung aus dem mündlichen in den schriftlichen Kanal für Komik und Lockerheit. (Vgl. Sandig 2006: 120f) Selbiges geschieht durch Dialekt 75 – „Bizzel“ statt Kohlensäure (GG: 35, 70), „dotzte“ (GG: 32). All die genannten Stilelemente implementieren das Heben und Senken der Stilebene, wie es für das Glossenhafte typisch ist: Hohes erscheint neben Niedrigem, Komplexes neben Einfachem, Wissen über Kunst, Wissenschaft und Literatur wechselt sich mit Wissen über Gossip und „Partynudel[n]“ (GG: 56) ab usw. Der Gegner (in der Regel: „68“) soll schließlich durch diese Verfahren auf dem eigenen Feld geschlagen werden. Zum einen, indem in einem Akt selbstironisch-pessimistischer Kulturkritik erwartbare und/oder bekannte Urteile des diskursiven Gegners vorweggenommen und dessen Begriffe (siehe oben) verwendet werden: Denn auch die Generation Golf beklagt die „Tyrannei der frühen Eventkultur“ (GG: 37), auch sie beklagt die sich ewig im Kreis drehende „Kulturindustrie“ (GG: 187) und eine abgeschmackte Politik, Unverkrampftheit in Fragen des Nationalgefühls bis hin zur Einsicht reicht, der saure Regen könne angesichts nach wie vor existierender Wälder so schlimm schon nicht gewesen sein: „auf zwei linken Barockbeinen kommt er [der Essay; T.K.] einhergewankt. [...] Diese faden Klischees, die fertig gestanzt aus den Maschinen fallen: ‚das Wissen um‘ [...], ‚wir wissen heute‘.“ (Tucholsky 1931 [1998]: 144, Hervorhebungen von T.K.) 74 Hier sei an die Selbstdarstellungsstrategien des Autors erinnert, der sich in Interviews auch durch solcherlei bewusst eingestreute Fehlleistungen als „bodenständig“ stilisiert. 75 Es ist gerade die Verwendung des Dialekts, die in Rezensionen zu Ortsgespräch zum Zeichen des Muts stilisiert wurde. (Vgl. etwa Lottmann 2006: 154)

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die nur von Technokraten und Medienprofis bevölkert wird. (GG: 120ff) Schließlich beklagt sie ihr aus all dem hervorgehendes „intellektuelle[s] Dilemma“. (GG: 181) Zum anderen, indem suggeriert wird, das Wirken des diskursiven Gegners hätte genau zu den Folgen geführt, die dadurch eigentlich hätten vermieden werden sollen.

Ironischer Stil als Technik der Distanzierung und Selbstdarstellung Die einleitend erwähnte Problematik der Fehlinterpretation und die Selbstdarstellungstaktiken des Autors sowie der hier verwendete handlungsorientierte Stilbegriff verdeutlichen, dass die Wahl des ironischen, glossierenden Stils eine Möglichkeit bietet, sich selbst vom Geschriebenen und damit vor Verpflichtungen zu distanzieren, sich selbst zu stilisieren und das eigene feldinterne und öffentliche Wahrgenommenwerden zu lenken. Einige Varianten dieses Lenkungsversuchs wurden bereits deutlich, so dass an dieser Stelle untermauert und ergänzt werden kann, was bereits in den vorherigen Abschnitten herausgearbeitet worden ist: Es wurde deutlich, wie sich der Autor durch die Wahl des Gegenstands und der Gattung (bzw. der für diese Gattung typischen Verfahren) und durch eigene (literarische und nichtliterarische) Aussagen zu einem Akteur stilisiert, der Wichtiges zum Zeitgeschehen zu sagen hat, der sich dem Rezipienten als Welterklärer und Alltagsdeuter anbietet, der dabei über den Niederungen politischer Kategorien und intellektualistischer Reflexion steht und dadurch sowohl das Privileg auf Sachlichkeit (und Polemik) als auch das Privileg auf Einfachheit (und „Tiefe“) beanspruchen darf, der schließlich unablässig andere klassifiziert, sich selbst jedoch aller Klassifikation entzieht. Aufgrund der Wahl des autobiographischen Verfahrens und eigener Aussagen des Autors soll hier im Folgenden von einer weitgehenden Personenidentität von Autor und Erzähler ausgegangen werden, was dazu führt, dass immer zwei Perspektiven auf Techniken der Selbststilisierung zur Deckung gebracht werden (als Erzähler innerhalb von Generation Golf und außerhalb als Teilnehmer des literarischen und journalistischen Feldes). Distanzierung durch Fremddarstellungen Wie später deutlich werden wird, lässt sich Generation Golf als Abbild (nicht: Widerspiegelung!) eines sozialen Raumes verstehen, der mit einer Hierarchie versehen ist und dessen Akteure Beziehungen eingehen. Die Art und Weise, wie in Generation Golf soziokulturelle Differenz repräsentiert wird, gibt dabei nicht nur einen Hinweis darauf, wessen Sichtweise einen dominanten Status erhält und wessen Sichtweise ausgespart bleibt: Die Art und Weise, wie der Erzähler (in Personenidentität mit dem Autor) bestimmte andere Teilnehmer dieses Raumes und deren Praktiken beschreibt, verdeutlicht die Relation zu diesen Teilnehmern und zeigt, wie sich der Beschreibende als vornehm und distanziert stilisiert. Diese Distanzwahrung ist bereits in der durchgängig eingehaltenen Ironie sowie in der Absicht des Textes, das Porträt einer ganzen Generation zu zeichnen, angelegt. Zum einen wird die Distanzwahrung zu den unteren und unästhetischen Rängen des in Generation Golf repräsentierten Sozialraums als hervorstechende Eigenschaft der Generationsgenossen selbst herausge-

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stellt – mit den vielzitierten „Vulgärversionen“ (GG: 157) wolle man nicht gemeinsam gesehen werden und das Vulgäre, Billige, Unraffinierte sei den Generationsgenossen ein Graus. Diese Distanz und Abneigung zeigt sich darüber hinaus sowohl an den Stellen, an denen der Erzähler explizit auf sich selbst als Icherzähler verweist, als auch dort, wo er (immer ironisch) kommentiert, berichtet, sich erinnert und vor allem: die Überzeugungen anderer korrigiert und entlarvt. Er weist sich so gegenüber den restlichen Generationsgenossen als überlegen 76 aus. Obwohl auch der Erzähler Gegenstand von Komik wird und in peinlichen Situationen abgebildet wird (siehe unten), dominiert die Ridikülisierung der anderen und der Ausdruck des Unbehagens, das den Erzähler beschleicht, wenn er an die „einfachen Leute“ denkt. Mit „Bernd“ (GG: 104) etwa, dessen Stillosigkeit den Geschmack des Erzählers beleidigt, will der Erzähler nichts zu tun haben: Er streitet dessen Kenntnis ab, verkehrt nur „zähneknirschend“ (ebd.) mit ihm – „da hieß es Zähne zusammenbeißen.“ (Ebd.) Von dieser Beleidigung des Auges verschafft sich der Erzähler dann Erleichterung: „Da denke ich doch lieber an Stephanie.“ (GG: 109, Hervorhebung von T.K.) Distanzierung durch Selbstdarstellungen Die in Generation Golf beobachtbaren Verfahren der Selbstdarstellung lassen sich entlang zweier Bedürfnisse scheiden: dem Bedürfnis, Distanz zu wahren und dem „Bedürfnis, zu brillieren“ (Holly 2001: 424), welches stellenweise bei aller Betonung von Lockerheit und Unbekümmertheit aufblitzt. Die Wahrung der Distanz beinhaltet dabei sowohl die eigene Unverortbarkeit als auch die Distanz vor den anderen (siehe oben). In beiden Fällen lassen sich Parallelen zu den Selbstdarstellungstaktiken des Autors als Feldteilnehmer feststellen, wie sie bereits zuvor genannt wurden. Beide Fälle lassen sich mit der Strukturierung des literarisch abgebildeten und realen sozialen Raumes verknüpfen, dessen Beschaffenheit in einem späteren Abschnitt rekonstruiert wird. Das Bedürfnis, zu brillieren, lässt sich daran ablesen, was der Erzähler (und damit der Autor) über sich wissen lässt: seine Art, mit Sprache umzugehen, die Orte, an denen er gewesen ist und über die er berichtet, die Dinge, Praktiken, Theorien und Autoren, die er kennt und/oder „besitzt“. Es äußert sich in der Zurschaustellung des gesamten inneren Reichtums, mit dem sich der Autor als Teilnehmer des journalistischen Feldes zu erkennen gibt und mit dem er sich – in Personenidentität mit dem Erzähler von Generation Golf – zum Wanderer zwischen den Welten erhebt, der in allen Feldern von Kunst und Kultur beheimatet ist, der sowohl das Mondäne als auch das Banale kennt (und zu verbinden weiß!) und der schließlich über eine Wortgewandtheit verfügt, die ihn sowohl zur Wahrung des hohen Tons (siehe weiter unten) als auch zu Polemik und Komik befähigt. In beiden Fällen ist der Autor bestrebt, sich selbst als wortgewandt, gewitzt, welterfahren und unverkrampft 76 Diese Überlegenheit drückt sich auch in typischen Kohäsionsmitteln aus, mit denen die thematisch unterschiedlichen Textpassagen miteinander zu einem Kapitel verknüpft werden. Neben der Funktion, Mündlichkeit und Lockerheit zu signalisieren, lassen sie sich auch dazu verwenden, die eigene Überlegenheit und Autorität im ironischen Modus auszudrücken: „Nun gut“ (GG: 48) oder „Aber nun wollen wir mal nicht so sein“ (GG: 112) sagt die Autorität, wenn sie menschlich und nah wirken will, d.h. sich herablässt.

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zu stilisieren, zugleich aber auch den Anforderungen nachzukommen, die implizit an einen Preisträger gestellt werden. Nicht zuletzt muss er auch den Erwartungen der Rezipienten gerecht werden, die jene „Frische“ und „Frechheit“ erwarten, die durch epi- und peritextuelle Merkmale angekündigt wurde. Diese Selbstdarstellung gelingt zum einen dadurch, sich mit der Ironie eines tradierten, aber wenig standardisierten, in der feldinternen Hierarchie aller Stile (auch deshalb) angesehenen Verfahrens zu bedienen. Jenes kann nur durch Übung erlernt werden, ist Produktionsprinzip für originelle Texte und ist, wenn richtig beherrscht, Nachweis für die Zugehörigkeit zur Riege erfahrener, wortgewandter Journalisten. Nicht zuletzt ist Ironie als Stil auch auf den Rezipienten bezogen, der würdig und erfahren genug ist, das ironische Spiel zu durchschauen und zu goutieren. Eine Variante, den inneren sprachlichen Reichtum zu verdeutlichen, besteht darin, seine Belesenheit, d.h. sein eigenes kulturelles Kapital, durch lakonisch eingestreute intertextuelle Verweise – Zitate, Einschübe, Analogien – unter Beweis zu stellen, die den Sachverhalt zwar illustrieren, jedoch nicht für dessen Verständnis unbedingt notwendig wären und von denen nicht immer ausgegangen werden kann, dass der Rezipient sie „auflösen“ kann. Dies gelingt besonders durch Verschwendung, d.h. durch symbolische Zerstörung des Reichtums, in diesem Fall durch die spielerische Kontextualisierung des Hohen mit dem Banalen (ein Stilgefälle, das für das Ironische und insbesondere das Glossierende konstitutiv ist). Dass dabei in Generation Golf ein vergleichbarer Stilduktus herrscht wie in den journalistischen Beiträgen des Autors, dürfte zum einen daran liegen, dass (wie es der Autor selbst hervorhob) kein Unterschied zwischen journalistischer und literarischer Tätigkeit besteht und in diesem Sinne der Stil verwendet wurde, der auch sonst „funktionierte“ bzw. zu dem der Autor als Journalist aufgrund der Rezipientenerwartung verpflichtet war (und dem er so habituell-automatisch folgte). Zum anderen wurde bereits deutlich, dass Teile von Generation Golf tatsächlich umgearbeitete journalistische Beiträge darstellen, deren Stilduktus übernommen wurde. Einige Beispiele (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): „Vielleicht könnte es Mark Twain [...]“ (Illies 1994b: N5), „Schlagfertigkeit, sagt Mark Twain...“ (Illies 1995a: 32); „Bevor Dostojewski [...]“ (Illies 1995b: 26); „Der alte Wilhelm Raabe erzählte [...]“ (Illies 1995a: 32); „Im Jahre 1985 sprach der Germanist Albrecht Schöne davon [...]“ (Illies 1996a: 32); „[...] wie Büchner sagen würde [...]“ (ebd.); „Montaigne hat 1580 [...]“ (ebd.); „[...] das wußte schon Oscar Wilde“ (Illies 1996b: 28); „[...] sprach der weise Kurt Tucholsky“ (Illies 1997a: BS2); „[...] wie wir von Georg Lukács gelernt haben“ (Illies 1997b: 34); „Vermeer hat, glaube ich, sonntags immer gemalt“ (Illies 1997a: BS2); „Als gelernte Nietzscheanerin wußte sie [...]“ (Illies 1999c: 50) vs. „Uns winkt [...] das Wort ‚Öffentlicher Personennahverkehr‘ zu, das Mark Twain sicherlich in die Sammlung seiner deutschenWorte [...] aufgenommen hätte.“ (GG: 58); „Man kombinierte Bunt zu Bunt und dazu dann Jeans, und Hans-MagnusEnzensberger schrieb: [...]“ (GG: 28); „Vor ein paar Jahren erschien ein an und für

174 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM sich kluges Buch [...]. Johannes Goebel und Christoph Clermont formulierten in ihrem Kompendium [...]“ (GG: 60); „Nicht richtig ist es, der These von Douglas Coupland [...] zu widersprechen [...]“ (GG: 60f); „[...] der Schein bestimmt das Bewusstsein“ (GG: 72); „Die Fragebögen sind so easy, daß sie Marcel Proust auch nicht nur einmal ausgefüllt hätte.“ (GG: 94); „[...] wie Diedrich Diederichsen uns erklärt“ (GG: 134); „[...] wie man sie aus den Romanen von Fontane kennt“ (GG: 160); „Wir verstanden [...] doch instinktiv, was Niklas Luhmann meinte, als er sagte [...]“ (GG: 163); „skeptische[.] Generation [N. Schelsky; T.K.]“ (GG: 185); „[...] weil man noch Sprüche von Rosa Luxemburg kennt [...]“ (GG: 193); „im Glücklichsein sind wir ganz gut“ (GG: 192) 77

Der souveräne Umgang mit Autoren, Werken und Theorien wird darüber hinaus deutlich, wenn man sich die Analogieschritte vor Augen führt, in denen diese Hinweise auftauchen: Die Wege führen von Wilhelm Raabe zu Jürgen von der Lippes Sendung Wat is (Illies 1995a: 32), von Nietzsche zu Wetten, dass… (Illies 1999c: 50), von bunten Hosen zu Enzensberger und von Frauenzeitschriften zu Marcel Prousts Fragebogen, dessen Kenntnis und ostentative Huldigung den wohl sichersten und notwendigsten Zugehörigkeitsnachweis zur Sphäre von Distinktion, Hochkultur und savoir-vivre darstellt (nicht ohne Grund ist die Fülle an Ratgebern, die sich auf Proust stützen und das gehobene Publikum adressieren, kaum noch zu überblicken). Diese Selbststilisierung wird ergänzt durch weitere Rückgriffe auf den o.g. inneren Schatz, aus dem einzelne Dukaten in Form eingestreuten kunsthistorischen Wissens entnommen werden. Einige Beispiele: Die Peinlichkeit, nach einem Abendessen das Gästebuch der Gastgeber signieren zu müssen (ohnehin Sinnbild des eigenen Status), wird stilistisch mit dem Hinweis gewürzt, dies sei vergleichbar mit Gästebucheinträgen der „CDU-Frauenunion“ beim Besuch von „Paula-Modersohn-Becker-Ausstellungen“. (GG: 46) Einem kunsthistorisch unbeleckten Akteur wie „Bernd“ werden sporadisch aufblitzende „ikonographische Gedanken“ unterstellt (GG: 101), Keith Haring wird zum Sinnbild stilloser Mittelschichten (GG: 101), und ein Filzstift wird Zeichen „manierierte[r] Dürre“. (GG: 151) All dies dient zum einen dazu, Komik zu erzeugen, indem Stilebenen periodisch gehoben und gesenkt, Topoi vermischt, Hochkultur-Frames neben Banalem eröffnet und Zusammenhänge hergestellt werden und/oder indem Unvergleichbares verglichen wird (wie es für das Ironische und Glossierende typisch ist). Zum anderen zeigt der Erzähler in Personenidentität mit dem Autor an, wie sehr er den repräsentierten Akteuren und Situationen überlegen ist – eine Überlegenheit, die bereits durch die Position des selten am Geschehen beteiligten Kommentators angelegt ist, der kaum über sich selbst spricht und meistens generalisiert (man, wir). Schließlich stilisiert er sich selbst als kunsthistorisch bewandert: Die Kontextualisierung eines Abendessens mit der Expressionistin Paula Modersohn-Becker stellt eine sehr untypische Wahl dar, die auch anders hätte ausfallen können, wenn die (ob habituellautomatisierte oder intentionale) Stilabsicht eine andere gewesen wäre – weder die Peinlichkeit der Situation noch die Stillosigkeit anderer Akteure hätte mit kunsthistorischen Vergleichen bebildert werden müssen! 77 Diese Wendung ist Christoph Peters’ Roman „Stadt Land Fluß“ entlehnt, welcher von Florian Illies rezensiert wurde: „Er behauptet auch: ‚Im Glücklichsein war ich nie besonders gut [...]‘.“ (Illies 1999f: V)

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Diese Form der Zurschaustellung des inneren Reichtums korrespondiert mit der Zurschaustellung des äußeren, weltlichen Reichtums, der sich in Hinweisen auf Status, familiäre Zusammenhänge, beschriebene Orte, Dinge und Praktiken äußert sowie gleichzeitig den Abstand zu den anderen Akteuren verdeutlicht, die in Generation Golf repräsentiert werden. Die Signale zur Zugehörigkeit zu den höheren Sphären des klassischen Bürgertums sind dabei kaum zu übersehen: elterlicher Urlaub in der Toskana, väterliche Vorliebe für Bach, Cellounterricht für den älteren Bruder, eine allgemeine bürgerliche Askese (Weißwein bzw., noch asketischer, Tee statt Bier; GG: 43f), Verfügung über zwei Autos (die der Erzähler beide ohne Konsequenzen zu Schrott fahren kann), das Berichten über Arbeitsessen in noch jungen Jahren, Zugehörigkeit zum Bonner „Edelstudenten-Milieu“ (im Hofgarten herumliegen, mit dem Auto zur Universität fahren), eine (nach einigen Verirrungen) standesgemäße Partnerwahl und eine allgemeine Auszeichnung durch Geschmack und Manieren. Auch wenn dem Erzähler das bürgerliche Korsett stellenweise zu eng erscheint und er in Anekdoten über die eigene Jugend die billigen Genüsse herbeisehnt (Kinderschokolade, Nutella, Cola), so bleibt er gegenüber den allzu trivialen Vergnügungen und Absurditäten 78 der consumer society stets distanziert: Man findet eben keine Stelle, an der sich der Erzähler dazu bekennt, selbst auf der Loveparade mitzutanzen, die er kommentiert. Er selbst liest keine Frauen- und Männerzeitschriften, vielmehr kommentiert er nur das tragische Bild, das die Leser dieser Produkte abgeben, wobei er sich generös dazu „herablässt“, anderen zuzustimmen, wenn sie diese Magazine kommentieren – „Das verblüffendste an dieser Feststellung [eines anderen eines der Magazine betreffend; T.K.] ist dabei, daß sie stimmt.“ (GG: 96) Schließlich scheint der Erzähler, wenn man von der Beschreibung seiner Jugendjahre absieht, vom Selbstverbesserungsdrang seiner Generationsgenossen nicht betroffen zu sein: Er selbst steht nicht auf dem Laufband, seine Wohnungseinrichtung wird nicht zum Gegenstand gemacht, dafür umso mehr die der anderen, was bis zur Kategorisierung (GG: 104ff) und zur lakonisch-ironischen Korrektur der Ansichten dieser Akteure reicht (siehe oben: „übrigens“): „Und solchen Damen darf man dann nicht mit Späßen kommen. Wenn ich ihnen zu erklären versuchte [...]“. (GG: 116, Hervorhebungen von T.K.)

78 Das Glossieren der Absurditäten des Alltags gehört zu einem lang eingeübten Verfahren des Journalismus. Stereotyp sind dabei Witze über die Befremdlichkeit der Warenpalette der Konsumgesellschaft oder Geschichten über den richtigen (oder demonstrativ falschen) Umgang mit Abfall und/oder über dessen „Wesen“. In Generation Golf kommt dieses Prinzip etwa dann zur Anwendung, wenn über die Anzahl der Wassermarken (GG: 153) und über den richtigen Umgang mit Müll (GG: 140) philosophiert wird, oder dann, wenn das absurde Bild eines Gastgeberpaars gezeichnet wird, das den Erzähler dazu drängt, ein Gästebuch zu unterschreiben, was als Ausgangspunkt für Assoziationsketten über das Wesen der Dienstleistungsgesellschaft genutzt wird. (GG: 46) Dies ist die Sorte Komik, auf der schließlich der rasch nach Generation Golf produzierte Band Anleitung zum Unschuldigsein aufbaute – trotz der Tatsache, dass es, wie Walter van Rossum in einer Rezension genüsslich festhielt, bereits „Myriaden von Mülltrennwitzen“ (van Rossum 2002) gab.

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Distanzierung durch Selbstironie Ironie ist unsystematisch und paradox und dadurch sowohl schwierig zu erlernen als auch schwierig zu erkennen. Ironie steht nicht jedem zur Verfügung, setzt in Form der „Charakterironie“ (Japp 1983: 43) eine (allerdings nie gänzlich erreichbare) Distanz zur ganzen Welt bzw. mindestens zum Ironisierten voraus. Diese Einstellung zur Welt ist auch deshalb so attraktiv, weil sie sich mit der bürgerlichen Vorstellung des freien, bedingungslosen Individuums trifft. Mit Ironie lässt sich sagen, was sonst ungesagt bleiben müsste – sowohl im explorativen Sinne als auch im defensiven Sinne, verstanden als sichere Rückzugsmöglichkeit, die der Ironiker jederzeit aufsuchen kann. Die Ironie stellt die sichere Bastion vor potenziellen Kritikern dar, verleiht die Ironie doch die Möglichkeit, die Kritik der Kritiker gegen diese selbst zu wenden, ihnen das „Problem“ der richtigen Deutung zu überlassen, sie dazu zu bringen, sich selbst der Schmach auszusetzen und „unmöglich“ zu machen. Nicht zuletzt beinhaltet die Literaturgeschichte eine Reihe hochgeschätzter Ironiker wie Thomas Mann oder Robert Musil. All diese Eigenschaften prädestinieren die Ironie dazu, in der Hierarchie aller Stile eine exponierte Stelle einzunehmen. Wer im literarischen bzw. journalistischen Feld die Ironie wählt, kann daher nur gewinnen. Selbst wenn es sich in den Augen von Kritikern von Generation Golf um eine dürftige Form von Ironie handelt, die sich mit stereotypisierten 68ern oder Verona Feldbusch (GG: 132) sehr leichte Ziele aussucht – feldintern ist Generation Golf durch die Wahl eines ironischen Stils im Vorteil: Es ist ein hoch bewerteter Stil, der vor Kritik bewahrt und so maximale Distanz bei minimalen Kosten ermöglicht. Ironie lässt sich schwer von der Person des Ironikers trennen. Obwohl nicht jeder, der ironisch verfährt, ein vollständig über den Dingen stehender Ironiker sein muss, ist ein besonderer Zugang zur umgebenden Welt Voraussetzung für jeden, der ironisch sein will. Ironie ist zwar ein Freiraum, doch ist Ironie kein bedingungsloses Verfahren. Weder steht es jedem zur Verfügung, noch kann es jederzeit angewendet werden – es taucht der Ironiker „selten oder nie in der Rolle des Arbeitenden, Politisierenden oder Liebenden, sondern immer in der Rolle dessen [auf], der redet oder schreibt.“ (Japp 1983: 23) Es gibt also „ausgesprochen kontraironische Situationen [...]“ (ders.: 26) – vor allem dann, wenn die Sphäre der Notwendigkeit tangiert wird. Obwohl der Ironiker die reale Wirklichkeit benötigt, um über sie hinauszuweisen, betrachtet er sie unter Vorbehalt und ist in der Lage, Distanz zu wahren. Durchgängige Ironie kann somit als Zeichen dafür angesehen werden, nichts ernst zu nehmen bzw. nichts ernst nehmen zu müssen. Auf diese Form mangelnden Ernstes und der Negation der Wirklichkeit konzentrierte sich auch die Kritik der Ironie. (Vgl. ders.: 16) Ohnehin seien sowohl Generation Golf als auch Generation Golf zwei als Selbstanklage zu verstehen, wie es die Saarbrücker Zeitung vom 12. August 2003 angesichts des Erscheinens des zweiten Teils über den Autor schrieb: „Und weiter, mit typisch lakonischem Witz: ‚Erstmal watsche ich mich selbst.‘ [Illies]“ Tatsächlich nutzt der Autor zahlreiche Gelegenheiten, sich als Icherzähler (rückblickend) von außen zu betrachten und der Ironie und Komik auszusetzen. So zeichnet er sich häufig als eher jämmerliche Figur, die modische Verirrungen beging (GG: 30), auf Fotos lächerlich aussah (GG: 50), nicht

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richtig Autofahren (GG: 52) konnte und als „protestantischer Junge vom Lande“ Freude an den einfachsten Dingen empfand. Was hier als Understatement wirkt, kann auch als weiteres Zeichen von Selbststilisierung und -distanzierung verstanden werden. Selbstironie ist die höchste und reinste Form der Ironie (vgl. Weinrich 1970: 66) und die höchste Form der Selbstdistanzierung. Der Ironiker verlässt sich selbst, um sich von außen zu beobachten, zu verspotten oder zu kritisieren. Selbstironie ist so ebenfalls eine sprachliche Herablassung: Der Selbstironische macht sich demonstrativ gemein, indem er sich kleiner macht, als er ist, wodurch er umso deutlicher vorführt, dass er das verkleinerte oder anderweitig verzerrte Bild seiner selbst aus einer privilegierten Position heraus entwirft. Selbstironie wird so Zeichen wahrer Größe. Selbstironie ist zudem feldintern hoch bewertet, weil sie eine attraktive Position verheißt: Über sich selbst zu lachen nimmt alle möglichen Einwände vorweg, entzieht dem potenziellen Kritiker den Boden unter den Füßen und verschafft eine unbestimmbare Position. Nicht ohne Grund gehört es zum Standardrepertoire der konservativen Intelligenz, insbesondere linken Kritikern nachzusagen, sie seien humorlos und nähmen sich und ihren Gegenstand zu ernst (dies ist auch integraler Bestandteil der Inversionsstrategien im politischen Korrektheitsdiskurs). 79 Nichts nimmt der Ironiker ernst – nicht mal sich selbst. Gemäß dieser Ironie ist der Autor ganz nah am Geschehen und zugleich distanziert, was auf eine der Grundregeln des literarischen Feldes verweist, die auch für ökonomisch erfolgreiche Autoren gilt: auf den Zwang, stets Distanz gegenüber den Anforderungen der Politik und der Moral zu wahren, sich (z.B. durch eindeutige Stellungnahmen oder Lösungsvorschläge) nicht einordnen zu lassen. (Bourdieu 1999: 117f, 127) * Ironie ist „ein Versuch zur Versprachlichung der Welt in einer gleichzeitigen Gegenrede. Und insofern verweist die Ironie auf mögliche Welten.“ (Japp 1983: 18) Der Ironiker sucht die Verbesserung, will durch die Gegenrede über den bezeichneten Zustand hinaus. Dies deckt sich zunächst mit dem Anspruch, den Florian Illies für sich reklamierte: Er habe es anders gemeint, er wolle nicht belehren, sondern lediglich Anstöße geben. (Vgl. Illies 2003a) Doch wäre es übertrieben, ihn dadurch zum Ironiker zu erklären. Denn tatsächlich verweist, bei aller Selbstironie, die in Generation Golf (und Generation Golf zwei) geboten wurde, nichts auf die o.g. möglichen Welten. Es werden Gegner stigmatisiert, es wird geradewegs betont, dass aus der Falle der Konsumgesellschaft kein Weg hinausführe und keine Ideologie mehr denkbar wäre. Wo der Ironiker die Welt und ihre Struktur gerade damit durchdringt, dass er in der Lage ist, ihr eine Gegenrede entgegenzuhalten, fehlt dies in Ge79 Dass dies auch ideologisch motiviert sein kann, zeigt ein Gespräch zwischen Günter Grass und Pierre Bourdieu. Letzterer gab bezüglich der ihm unterstellten Humorlosigkeit zu Protokoll: „Da ist sie, die große Macht konservativer Revolutionen, ‚fortschrittlicher‘ Restaurationen. Selbst Ihr Argument [Soziologen seien humorlos; T.K.] kann so ausgelegt werden. Man sagt uns, wir hätten keinen Witz. Aber die Zeiten sind nicht witzig! Es gibt nichts, über das man lachen könnte.“ (Bourdieu/Grass 1999, Hervorhebung von T.K.)

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neration Golf und den Selbststilisierungsbemühungen des Autors. Es werden weder implizite, noch explizite „Streckenvorschläge“ (Heidemann 2003) gegeben. Ein klärender Blick in den „Rückspiegel“ (Behrens 2003: 52) findet nicht statt. Und insofern bleibt die Struktur dessen, was durch Ironie kritisiert werden sollte – die eigene Oberflächlichkeit, die Flachheit der Sozialbeziehungen usw. – im Dunkeln. Sie wird, siehe die Ausführungen zur konservativen Intelligenz, als etwas Festes und Konkretes begriffen, das lediglich ausgetauscht oder ertragen werden müsse. 80 Dass der Autor sich weder in Interviews, noch in seinen eigenen Texten dazu aufraffen kann, das von ihm (ob gekonnt oder nicht, sei hier dahingestellt) Ironisierte in einen größeren theoretischen Zusammenhang zu bringen, ist zum einen der eingenommenen Position geschuldet. Zum anderen verweist dies auf die grundlegende Wahlfreiheit des Stils und dessen ideologische Grundierung: Der Ironiker ist nicht unschuldig, er muss sich entscheiden, wie er mit der negativen Kraft der Ironie umgehen will, wen oder was er mit ihr treffen will. (Vgl. Schnell 1989: 174) Diese Wahl ist auch aus ideologiekritischer Perspektive bedeutsam: Die Ironie als Waffe zur Kritik hätte in Generation Golf durchaus andere und anderes treffen können, traf jedoch im besonderen Maße (auch durch Selbstironie und Inversion) 68er und mit ihnen assoziierte Wertvorstellungen. Ein entsprechend strukturiertes Gegenstück, mit dem etwa das Erleben der neoliberalen Wende dokumentiert wird, also die Politik der 80er Jahre, die in Generation Golf als ereignislos und langweilig definiert werden, aber viel eher als Ursache für den dann in Generation Golf zwei diagnostizierten „Schlammassel“ in Frage gekommen wären, steht noch aus. Schließlich lässt sich in der Struktur der Ironie von Generation Golf ein Phänomen beobachten, das zwar bereits selbst zum latent schalen Schlagwort der postmodernen Ironie 81 geronnen ist, hier jedoch als passende Denkfigur herangezogen werden soll: Es ist eine Denkweise und Haltung, die angesichts allseits eingeforderter Flexibilität am besten zur gegenwärtigen Realität zu passen scheint. An dieser Stelle lässt sich dabei der Bogen zum größeren Theorierahmen schlagen, der hier verfolgt wird. Denn je unsicherer die Gegenwart durch das wird, was im Zuge des „new capitalism“ gemeinhin als „Auflösung von Sicherheiten“ apostrophiert wird, desto unwahrscheinlicher wird es, sich dauerhaft auf Überzeugungen zu stützen. „Je weniger selbstverständlich die Identität ist, um so mehr wird der Ironie zugetraut. Wo eine substantielle Identität nicht länger problemlos zu haben ist, gibt es den indirekten Weg der Ironie als einen möglichen Ausweg.“ (Japp 1983: 25) 80 Das durch Ironie Kritisierte nicht durchdrungen zu haben, wird dann in Generation Golf zwei durch Simplifizierung erneut ironisch gebrochen (GG2: 56) – Helmut Kohl war’s! 81 So etwa bei Jedediah Purdys „Das Elend der Ironie“ (2002), einer kommunitaristischen Kritik des postmodern-ironischen Zeitalters. Zwar gibt Jedediah Purdy durch seinen Lobgesang auf die Landwirtschaft und die „gute Handarbeit“ ein denkbar einfaches Ziel für Polemik ab, die Kritik, die Florian Illies in einer Rezension äußerte, überzeugt jedoch nicht, da es sich bei Purdy beinahe um einen Wiedergänger Illies’ handelt könnte – die Diagnosen, die in Generation Golf im doppelt-ironischen Modus verarbeitet werden, tauchen hier schließlich ebenfalls auf. Einige Beispiele: Politik sei nur Show (Purdy 2002: 9f vs. GG: 121f), die Fernsehwelt oberflächlich (Purdy 2002: 23 vs. GG: 123f), die Ironie sicherer Hafen vor Enttäuschungen (Purdy 2002: 27 vs. GG: 195).

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Der Sozialraum Generation Golf Texte oder Diskursfragmente verfügen über vielfältige interne und externe Relationen. Diese Unterscheidung soll im Folgenden zum einen aus der Perspektive des literarischen Feldes, zum anderen aus diskursiver Perspektive ausgefüllt werden. Auf der einen Seite konstruiert bzw. repräsentiert Generation Golf (im Sinne der Evokationsfähigkeit von Texten) einen eigenen sozialen Raum, der mit verschiedenen Akteuren und deren sozialen Laufbahnen und Praktiken bevölkert ist und zwischen denen Spaltungen und Konfliktlinien aufklaffen. Dieses Abbild ist, gerade in einem Text, der diesen Wahrheitsanspruch selbst äußert und dessen Autor dies persönlich bekräftigt, mit einem Wahrheits- und Realitätsanspruch versehen, der an bestimmte Formen realer gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen angekoppelt ist. Zum anderen gilt, dass Generation Golf aufgrund der Fähigkeit, zu benennen, sowie aufgrund des Status, selbst indirekt zur „offiziellen Literatur“ ernannt worden zu sein, über eine performative Seite verfügt. Durch die Macht zur Repräsentation ist Generation Golf somit an der Durchsetzung und Verbreitung einer Vorstellung über die soziale Welt beteiligt – was auch erklärt, weshalb Generation Golf (aber auch ähnlich gelagerte Texte) oftmals einem Manifest gleichen, mit dem der Entdecker sowohl seinesgleichen (positiv) als auch die Gegenseite (negativ) auf eine bestimmte Sichtweise einschwört. Erster Schritt wird es daher sein, die internen Relationen des sozialen Raumes zu untersuchen, wie er in Generation Golf zwischen den Buchdeckeln aufgespannt wurde, d.h. aus den abgebildeten Habitus- und Praxisformen eine Typologie zu entwickeln, auch wenn jene stellenweise grob ausfällt und sich (wie im weiteren Verlauf deutlich werden wird) solcherart typische Praktiken und Einstellungen durchaus vermischen. Daraus lässt sich ein grundlegendes Ensemble der Positionen und Relationen (und damit das der Konflikte, Distanzierungen usw.) entwickeln. In einem zweiten Schritt wird dieses Modell mit Beschreibungen des realen sozialen Raumes kontextualisiert. Die Art und Weise, wie soziale Akteure innerhalb der Miniatur dieses Sozialraums positioniert werden, und die Relation zwischen dieser literarischen Miniatur und dem realen Sozialraum lässt wiederum aus diskurstheoretischer Perspektive (und damit in einem dritten Schritt) die Frage zu, wie innerhalb von Generation Golf mit Differenz verfahren wird, wessen Stimmen dort prominent sind, wie Akteure und Stimmen ins Licht gesetzt werden, wessen Stimmen vollständig ausgeblendet oder gar verfälscht werden und wie somit (im Sinne klassischer Ideologietheorie) partikulare Sichtweisen generalisiert werden. Dabei werden zwei Prämissen unterstellt: 1. Zum einen stellt dieses Verfahren keinen Versuch dar, der Widerspiegelungstheorie mit einem Taschenspielertrick zu neuen Ehren zu verhelfen. Sinn ist es nicht, dem Autor die Pflicht zu unterstellen, ein besonders realistisches Bild des sozialen Raumes abbilden zu müssen, noch geht es darum, zu kritisieren, ob das gezeichnete Bild empirisch korrekt ist oder nicht. Entlang des vorgestellten Modells, Literatur sei allgemein ein Prozess des Durchschleusens von Materialien, die im konkreten Fall von Generation Golf maximale „Verallgemeinerungsprofite“ (Bourdieu 1998a: 154) ansammeln sollen, wird gefragt, was es bedeutet ein (im Fol-

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genden beschriebenes) Gesellschaftsbild zu zeichnen – auch vor dem Hintergrund der Position des Autors im sozialen und literarischen Feld. 2. Desweiteren ist es an dieser Stelle nicht möglich, aber auch nicht relevant, alle Zuordnungen von Praktiken zu konkret existierenden Milieus mit empirischen Daten zu belegen. Dieser Verzicht geschieht nicht aus Bequemlichkeit und sollte nicht zur Annahme verleiten, es würde aus der Warte des allwissenden Sozialingenieurs ein privilegierter Blick auf die Struktur der Gesellschaft beansprucht. Wo es sinnvoll erscheint, wird diese Zuordnung auf Grundlage aktueller empirischer Daten (vgl. WeberMenges 2004) vorgenommen, ansonsten wird auf einige Grundannahmen zurückgegriffen, die von Pierre Bourdieu in seinem Hauptwerk (Die feinen Unterschiede) und darüber hinaus entwickelt wurden und von denen ausgegangen wird, dass deren kritische Diskussion an dieser Stelle keinen Erkenntnisgewinn bieten würde. Es wird somit beispielsweise kein empirischer Nachweis für die These geliefert, die Distanz vor der Zweckhaftigkeit sei typische Eigenschaft eines bürgerlichen Habitus. Letztendlich muss hervorgehoben werden, dass die Selbstbeschreibung der Gesellschaft in Form der soziologischen Lebensstil- und Milieuforschung (etwa Schulze 2005) selbst innerhalb von Generation Golf (mehr oder minder implizit) thematisiert wird.

Schritt 1: Typologie Insgesamt wird in Generation Golf ein recht differenzierter Sozialraum mit eindeutiger Hierarchie, Inklusions- und Exklusionsprozessen sowie vielfältigen Beziehungen repräsentiert. Die Spaltungen sind dabei vielfältiger Natur. Sie erstrecken sich zwischen den einzelnen in Generation Golf abgebildeten Milieus und innerhalb derselben sowie zwischen den zu den Generationsgenossen gehörenden Akteuren (die selbst hierarchisch strukturiert und über verschiedene Milieus verteilt sind) und den Ausgeschlossenen (ebenfalls im Sozialraum verteilt). Die genannten Oppositionen lassen sich in zahlreichen Fällen, insbesondere ablesbar in der Stilistik, zusätzlich entlang der Geschlechterachse strukturieren, wobei die weiblichen Akteure regelmäßig Opfer von Ridikülisierungen werden. Bis auf den dominanten Konflikt mit „den“ fundamental andersartigen 68ern, die in der Logik von Generation Golf ohnehin nicht „dazu“ gehören können, sind alle Spaltungen konsumistischer Natur, so dass es durchaus möglich ist, dass Akteure, die in das Zeitfenster der Geburtsjahrgänge zwischen 1965 und 1975 passen, aufgrund falscher Praktiken ausgeschlossen werden und im Gegenzug ältere oder jüngere Akteure aufgrund passender Praktiken eingeschlossen werden (auf diese Paradoxie wird in Generation Golf mehrfach hingewiesen). Da die Wahl der Praktiken eng an habituelle Präferenzen gekoppelt ist, liegt es nahe, den in Generation Golf entwickelten Sozialraum gemäß der Kapitalausstattung und -struktur zu ordnen, die diesen Präferenzen zugrunde liegen. Es lassen sich dominante, wenn auch aufgrund der Literarizität der Vorlage nicht immer trennscharfe Milieus identifizieren, die mal mehr, mal weniger konkret modelliert werden. Sie sollen im Folgenden entlang der Hierarchie von unten nach oben beschrieben werden, wobei an dieser Stelle zunächst eine Beschreibung des Habitus gewählt wurde, der diesen Praktiken zugrunde liegt.

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Alter und neuer Habitus der Notwendigkeit Am unteren Rand der Skala rangieren Akteure mit durchgängig schlechter Kapitalausstattung. Ihre Ausstattung mit ökonomischem und kulturellem Kapital lässt sich eindeutig an ihren Geschmackspräferenzen ablesen, was auch ihren Mangel an symbolischem Kapital erklärt. Ebenso verfügen diese Akteure über wenig soziales Kapital, wird doch der Verkehr mit ihnen seitens der etablierten Generationsgenossen gemieden. Ein Exemplarisches Beispiel wird in Form des Bauernsohnes „Ingo“ (GG: 47) vorgeführt, andere Beispiele lassen sich als illustratives Nebenpersonal klassifizieren, welches einer starken Typisierung ausgesetzt wird und sich in sozial ältere und jüngere Fraktionen unterteilen lässt: Das Nebenpersonal, bestehend aus „KFZMechaniker[n]“ (GG: 38), „LKW-Fahrer[n]“ (GG: 27) oder „Müllsortierer[n]“ (GG: 140) steht dabei für die älteren Formen. Die Reihe generischer Dienstleister, welche die Buchseiten bevölkern, etwa Angestellte eines Solariums, symbolisieren eine sozial jüngere, ausführende Dienstleistungsschicht. Letztere wird implizit aufgrund ihrer Geschmackspräferenz bei Frauenzeitschriften zur „Assi-Variante“ (GG: 95) der Generation Golf erklärt und ridikülisiert (lassen sich vom Umfang der Zeitschrift blenden, sind nicht in der Lage einen Fahrplan zu lesen usw.). Diese Angestellten stellen sinnbildlich Generationsangehörige zweiter Klasse dar – „Vulgärversionen“ (GG: 157), die zwar vordergründig der Generation ähneln, jedoch unter Kapitalarmut leiden und bei Praktiken leicht zur allodoxen Maßlosigkeit neigen, wo der Kultivierte mit entsprechender Kapitalausstattung sich zu bremsen weiß. Von den an sich distinguierenden, aber auch schnell degoutant wirkenden Eigenschaften, besitzen sie zu viele, von den distinguierenden (Stil, sicheres Auftreten) zu wenige. Wenn Pierre Bourdieu die Frage nach dem Unterschied zwischen Ungezwungenheit und Unverfrorenheit stellt (1987: 311-322) und in der Antwort einen der Modi der bürgerlichen Distanz vor dem allzu Zweckmäßigen identifiziert, so stellen die o.g. „Vulgärversion“ und der Landwirt „Ingo“ in der Tat die unverfrorene Variante der Generationsgenossen dar, die aus tendenziell klassenrassistischer Perspektive 82 betrachtet wird. In beiden Fällen wird auf Formlosigkeit 83 und direkte Körperlichkeit verwiesen: Die Angestellten des Solariums 82 Es sei hier erneut daran erinnert, dass diese Perspektive nicht notwendigerweise die Meinung des Autors abbilden muss. Im Gefüge der abgebildeten Akteure stellen die hier portätierten Akteure jedoch sicherlich eine der am stärksten stigmatisierten Akteure dar. 83 Das Prinzip „Form vor Funktion“ stellt in Pierre Bourdieus Theoriegebäude ein zentrales Prinzip dar, mit dem die Unterschiede zwischen an sich unteilbaren (vgl. Bourdieu 1987: 756) Geschmacksformen und damit zwischen den Klassen organisiert werden. Die Unterteilung der Geschmäcker wird entlang dieses Prinzips homolog zur Unterteilung der Gesellschaft umgesetzt, jene damit tendenziell naturalisiert. Zu deutliche Funktion und mangelnde Distanz und Distanzierungsfähigkeit verweisen auf die Sphäre der Notwendigkeit, also auf die unteren sozialen Ränge, und delegitimieren die betreffende Praxis. Formvollendung und Distanz verweisen auf die Entbundenheit von weltlichen Zwängen und damit auf die höheren sozialen Ränge. Besonders signifikant ist dieses Prinzip in Fragen der Körperlichkeit (Essen, Reden, Lachen, körperliches Erscheinungsbild). Essen: hier stehen sich etwa Etikette, Dekoration und nobles Geschirr (formvollendetes Essen) und Schmatzen (formlos, zu sehr an die Funktion des Sattwerdens erinnernd) gegenüber. Reden: gewählter Ausdruck (formvollendet) vs. freimütiges Sprechen „wie einem der Schnabel gewachsen ist“

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seien zu blond, zu sehr gebräunt, zu lustig und zu sehr an Ratgebern orientiert, sie verfügen somit in allen Bereichen über zu wenig Distanz. Ferner werden diese Angestellten vom Erzähler mit einer Analogie auf den vulgären Status der Verdauungsorgane herabgezogen (also auf den Bereich des Körpers, der besondere Distanz erfordert). Im Solarium gesehen zu werden, also am Arbeitsplatz dieser Angestellten, sei vergleichbar mit dem Kauf einer „Riesenpackung Klopapier“ (GG: 158), eines Produkts also, dem bereits das Odeur der Körperlichkeit anhaftet und das alle Beobachter unmissverständlich an seinen Zweck erinnert. Landwirte, pars pro toto durch „Ingo“ dargestellt, wissen im Gegenzug nicht zwischen öffentlicher und privater Sphäre zu unterscheiden und tauchen mit „T-Shirts zu Trainingshosen“ (GG: 48) beim Klassentreffen auf. Wie vulgär-körperlich schließlich das subalterne Nebenpersonal empfunden wird, zeigt der klassenrassistische Blick auf die einfach gestrickten „Lokalpatrioten“ (GG: 39), in dem der unverhohlene Ekel des Erzählers zum Ausdruck kommt, wenn er ironisch-biologistisch von „Männchen“, „Weibchen“ und „regelmäßige[m]“ bzw. eben häufigem „Paarungsakt“ spricht (GG: 39) und dabei nicht vergisst, als Chiffre für den proletarischen Status der so beschriebenen Akteure den Genuss von „Bier“ (ebd.) hervorzuheben. Auch in diesen Fällen lässt sich somit die Distanzlosigkeit der vorgeführten Akteure und die Distanzierung von ihnen seitens der etablierten Generationsgenossen wiederfinden.

Formen des mittleren Geschmacks und des allodoxen Aneignungssinns am Rande der Legitimitätszone Akteure, die in der sozialstrukturellen Hierarchie über den Akteuren des o.g. Typs stehen, verfügen über durchschnittliches bis überdurchschnittliches ökonomisches Kapital, allerdings über wenig kulturelles und symbolisches Kapital. Diesen Generationsgenossen wird insgesamt sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet. Zwar befindet sich dieser Typ tendenziell noch im Rahmen dessen, was die Generation erlaubt, Habitus und Praxisformen lassen sie jedoch wie Generationsgenossen zweiter Wahl wirken. Illegitimer mittlerer Geschmack Am unteren Rand und mit durchschnittlicher Ausstattung mit ökonomischem Kapital stehen Akteure, deren habituelle Praxis ganz und gar von ehr-geiziger Strebsamkeit und Anpassung gekennzeichnet ist. Die Person „Rüdiger“ und (formlos). Lachen: vornehmes, mildes, kontrolliertes Lachen (formvollendet) vs. lautstarkes, unkontrolliertes Lachen (formlos). Körperliches Erscheinungsbild: formvollendeter Körper, weder zu trainiert noch zu schlaff, weder zu braun noch zu blass (formvollendet) vs. überdeutliche Bräune, Fettleibigkeit (konnotiert Maßlosigkeit, also mangelnde Distanz) oder übermäßiger Trainingsgrad (zu angestrengt). Funktion ist es, den Körper als Instrument aufzufassen, das bewusst (mit einem beabsichtigten Zweck) durch Sport gestählt wird, Form ist es, den Zweck des Sports zu verschleiern oder in die Zukunft zu projizieren (Schutz vor dem Altern usw.). Dieses Prinzip erklärt somit, weshalb die zu Gebräunten oder zu Gestählten in Generation Golf als Fluchtpunkt gelten und die Generationsgenossen Sportarten erst dann praktizieren, wenn sie nicht mehr „Mittel zum Zweck“ (GG: 70) sind oder nicht mehr „etwas unangenehm Körperliches“ (GG: 71) haben.

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die von ihr zugleich abgeleitete „Rüdiger-Fraktion“ demonstrieren diesen Habitus recht deutlich, was sich an folgenden Parametern ablesen lässt: Orientierung an Rationalität, Technik und Naturwissenschaften (populärwissenschaftliche Magazine, Homecomputer, Mathematik- und Physikleistungskurs), Besitz eines Aktenkoffers als Signal für geschäftlich-technokratische Professionalität, kleinbürgerliche Wertetriade (Ordnung: ordentlich aufgeräumter Koffer; Pünktlichkeit: piepsende Uhr; Fleiß und Pflichterfüllung: Erfolge im Mathematikunterricht), dabei kaum symbolisches Kapital (erhält vom Erzähler Schallplatten zweiter Wahl zum Dank für das Abschreibenlassen von Hausaufgaben, legt wenig Wert auf Äußerlichkeiten, hat keine Freundin). Neben diesem deutlichen Hang zu einer habituellen Ernsthaftigkeit lässt sich jedoch auch eine kleinbürgerliche Aufstiegssehnsucht erkennen, sinnbildlich verkörpert in der kindlichen Begeisterung der „Rüdiger-Fraktion“ für „Play-Big-Figuren“, die mit „Robotermenschen und Astronauten“ (GG: 20) die utopische, bessere Zukunft vorwegnehmen und im wahrsten Sinne des Wortes „Großsein“ spielen. Doch zeigt die Diskrepanz zwischen der formalen Qualifikation dieser Akteure und ihrer im Text vorweggenommenen sozialen Laufbahn, dass diese Aufstiegssehnsucht genauso Science Fiction ist wie die o.g. Figuren, d.h. ein Symbol für den hoffnungslosen Versuch, Höheres anzustreben, wo doch klar zu sein scheint, dass die „Rüdiger-Fraktion“ im Ablauf ihrer sozialen Laufbahn wird was sie (virtuell) bereits in jungen Jahren ist. Denn trotz guter Leistungen und begehrter Fähigkeiten (siehe o.g. Leistungskurse) müssen sich „alle Rüdigers“ (GG: 13) mit Berufen mit geringem symbolischen Wert und latentem Krämer-Image begnügen („Versicherungsmakler“, „Bankkaufmann“), was auf der einen Seite die Entwertung von Bildungsabschlüssen anzeigt (Abitur in Naturwissenschaften führt nicht mehr zu einem Hochschulstudium) und auf der anderen Seite auf einen von Allodoxie geprägten Aneignungssinn 84 schließen lässt, der mit übertriebenem Ernst stets das Falsche anstrebt und im Erwachsenenalter gewissermaßen zu sich selbst kommt, schmückt sich dieser Habitus doch mit den Surrogaten einer Existenz, die doch nur den eigenen Status widerspiegeln (sie lasen damals schon, d.h. auch später noch, populärwissenschaftliche Zeitschriften). Dem gegenüber stehen die Generationsgenossen (siehe weiter unten), die wissen, was zählt und zielsicher auf „Traditionsbewußtsein, Geschichtspflege, Konservatismus“ (GG: 20) setzen. Ein ähnliches Dilemma zeichnet etwa die Personen „Andreas“ oder „Holger“ aus. Ersterer führt durch seine „windschnittig[e]“ (GG: 65) Frisur sein von aktiver Anpassung an den Leistungsimperativ gekennzeichnetes Wesen vor, letzterer die auf ihn übertragene konsumistische Unsicherheit der Eltern durch Vorlieben eines early adopters, der sich für den falschen Videostandard entscheidet und der nach einer kurzen 84 Die Allodoxie umfasst habituelle Fehldeutungen, die einen Akteur aufgrund seiner Deutungskategorien von etwas überzeugt sein lassen, das objektiv betrachtet nicht der Fall ist. So glaubt der Konsument populärwissenschaftlicher Zeitschriften, ihm würde das Identische geboten, was auch in echten wissenschaftlichen Magazinen erscheint, nur eben zum halben intellektuellen (und monetären) Preis. Der Aneignungssinn lässt sich wiederum als habitueller Detektor definieren, der seinen Besitzer Dinge, Orte und Praktiken ansteuern lässt, andere dafür nicht (zum Konzept des Aneignungssinns ausführlich: Bourdieu 1987).

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Erwähnung vom Erzähler und der Erzählung vergessen wird: „Ein fast tragischer Fall. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.“ (GG: 104) In beiden Fällen lässt sich von einem fehlgeleiteten Aneignungssinn sprechen, der viel investiert und doch nur „alberne Bronzemedaillen“ (GG: 65) erhält. Das weibliche Gegenstück wäre in diesem Fall „Katja“ oder (noch eine Stufe tiefer) „Nicole“ – beide schaffen es kaum, sich den einfachsten Formen peinlicher Konsumvorlieben zu entziehen. Erstere kann, ähnlich wie „Andreas“, die Erfolge für die eigenen Anstrengungen nicht akkumulieren (zweiter Platz bei Sportwettkämpfen, in denen nur zwei Mannschaften antreten), letztere wird dabei auf das Klischee eines negativ konnotierten ostdeutschen Habitus herabgezogen – wer in Jugendjahren bereits aussieht, als stamme er aus einer „sächsisch-anhaltischen Kleinstadt“, dem gestehen die Generationsgenossen keine „große[n] Chancen“ (GG: 30) zu. Am unteren Rand der Legitimitätszone: männlicher, ökonomisch geprägter mittlerer Geschmack Der Umfang, welcher der Beschreibung eines ökonomisch besser gestellten, dadurch aber widersprüchlichen und entlarvenden Habitus gewidmet wird (GG: 104-109), rechtfertigt ebenso dessen detailliertere Beschreibung. Dass sich eine Person wie „Bernd“ von den o.g. Habitusformen tendenziell unterscheidet, äußert sich vor allem in den Signalen einer besseren Ausstattung mit ökonomischem Kapital: Besitz eines Neubaus am Stadtrand, Beschäftigung einer Putzfrau, eine Sammlung elektronischer Geräte (mehrere Fernseher, eine große Stereoanlage, ein Laptop), eigene Sportgeräte und häufige Dienstreisen, die auf eine leitende Position schließen lassen, sowie einen Hang zur stillosen Verschwendung (überteuerter Kunstdruck). Kulturelles und symbolisches Kapital bleiben jedoch knapp, was auf das Herkunftsmilieu schließen lässt, in dem dieser aufgestiegene Habitus generiert wurde und dessen Kernbestandteile lediglich auf eine ökonomisch höhere Stufe gehoben wurden – und damit auf einen ebenso allodoxen Aneignungssinn. Der technokratische Kitsch der „schwarze[n] Ledergarnitur“ (GG: 106), des durchgängigen Fliesenbodens (ebd.) und der betont jugendlichen Lampen in Form eines „Gummibärchens“ (GG: 107) wird von Bernd mit „Modernität verwechselt“ (GG: 106, Hervorhebung von T.K.), das Surrogat für das Original gehalten (siehe weiter oben). Sein Sinn für Ordnung, „Rum liegt hier nichts“ (GG: 107), seine praktische und pflegeleichte Wohnungseinrichtung, die sich leicht reinigen lässt, erinnern an die kleinbürgerliche Betonung der Sauberkeit (Bourdieu 1987: 382f) sowie an das Notwendigkeitsprinzip, unter dessen Einfluss dieser Geschmack möglicherweise generiert wurde. Demzufolge häufen sich die Widersprüche, mit denen dieser Habitus umzugehen hat und die zwischen kleinbürgerlicher Ungezwungenheit und dem von Peinlichkeitsgefühlen geplagten schlechten Gewissen oszillieren, das durch die nagende Furch ausgelöst wird, sich möglicherweise nicht standesgemäß zu verhalten. Die Triade Kennen, Erkennen und Anerkennen hilft hier analytisch weiter, wenn es darum geht, diese Paradoxie am Beispiel der urbürgerlichen Kulturgegenstände (Literatur und Musik) zu explizieren: Bernds „Alibibücher“ (GG: 107) zeigen, dass er die legitime Hochkultur kennt und ihren Wert anerkennt, es jedoch nur zu Gesten guten Willens reicht (er liest sie nicht, gibt

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aber vor, sie lesen zu wollen) und er sich lieber den billigen Vergnügungen (stundenlanges Fernsehen, Computerspiele) hingibt. Sein Musikkonsum reproduziert zwar die bürgerliche Überhöhung der Musik, doch entlarvt er sich durch seine funktionalistische Aneignungsweise (Entspannung, Eskapismus): „Die Musik ist sozusagen die geistigste der Künste des Geistes, und die Liebe zur Musik ist eine Gewähr für ‚Geistigkeit‘.“ (Bourdieu 1993: 147) Bernds wöchentlich vergrößerte CD-Sammlung und sein passiver Genuss, der seitens des Erzählers als illegitim erkannt wird – „Er sagt tatsächlich ‚gönnt‘“ (GG: 108) –, entlarven ihn als Kleinbürger, der gegenüber der Kultur besonders devot ist und aufgrund seines eher quantitativen Zugangs (zumindest im Musikkonsum) zur typisch kleinbürgerlichen kulturellen Schatzbildung neigt. (Vgl. Bourdieu 1987: 517f) Dies führt auch zu den hilflosen Gesten, mit denen Bernd die eigene Existenz ästhetisch aufzuwerten versucht: das „müde Gemütlichkeitsfunken“ (GG: 107) versprühende saisonale Blumengesteck, das zum kleinbürgerlichen Standard gehört und ausgewählt wird, da es zum Selbstverständnis gehört, „etwas“ Dekoration müsse sein, das „große Schwarzweißposter mit frühstückenden Arbeitern auf einem Hochhausgerüst in New York“ (GG: 106), das mit seinem Preis von „680 Mark“ (ebd.) nur die kostpieligere Variante billigen Kitsches ist und die kleinbürgerliche Vorliebe für mittelmäßige Kunstfotographie und für das „sozial Pittoreske“ (Bourdieu 1987: 108) verkörpert. Dies wird noch deutlicher, wenn der Erzähler wissen lässt, welche Alternativen Bernd sonst gewählt hätte: am liebsten die alten Poster von „Duran Duran“ (GG: 106) oder Hochglanzerotik in Form des „[...] Schwarzweißphoto[s] einer blonden Frau mit weißer Corsage“ (ebd.), die Frivolität und Ästhetik kombinieren soll und aufgrund der demonstrativen Lockerheit, zu der sich dieser Habitus bekennen muss, weil er gemeinhin als verklemmt gilt, bloß eben jene Verklemmtheit verdeutlicht, die hinter diesem Zwang steckt. Dieser vulgäre Midas, um elementar-literarisch zu sprechen, wird von den höher gestellten Generationsgenossen im nicht-monetären Sinne als billig empfunden. Ökonomisch durchaus erfolgreich, wird alles, was dieser Habitus berührt und besitzt, illegitim und entlarvend – Unverfrorenheit (gelbe Krawatte, Sportkleidung zu Badelatschen am Wochenende) statt echte Ungezwungenheit, simple Freizeitbeschäftigungen statt Sinn für Kultur, billige Lust (camoufliert unter einfacher Ästhetisierung) statt Sinn für Erotik, infantile Nahrungsmittelvorlieben (Cerealien, ungenutzte Edel-Küchengeräte) statt Gourmet-Sinn (oder zumindest Gourmet-Mimikry), Talmi statt Glanz. Zum Kernbereich tendierend: weiblicher, kulturell geprägter mittlerer Geschmack Stephanie, die als die ältere Schwester des Erzählers eingeführt wird, entspricht dem weiblichen Gegenstück zu Bernd, mit dem Unterschied, dass zu einer latent geringeren ökonomischen Ausstattung (Altbauwohnung, Wohnen zur Miete) höheres kulturelles und symbolisches Kapital tritt (Besitz gefüllter Bücherregale). Dies führt zu einem habituellen Aneignungssinn, der zielsicherer die standesgemäßen Elemente herausgreift und der sich des distinguierenden Wertes einer Antiquität bewusst ist (GG: 115), mit dem die sowohl kostengünstige als auch wenig individuelle Ikea-Massenware kaschiert und auch der angepeilte Lebensstil vorweggenommen, prä-intendiert werden

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kann. Dazu passt auch die Mimikry höherwertiger Gourmet-Orientierung in Form offen sichtbarer Kochutensilien. (GG: 118) Dass sie noch nicht in den teuren „Garpa-Teakholzmöbeln“ sitzen kann (ebd.), die ihr in Aussicht gestellt werden, zeigt sich in einer ähnlichen Vorliebe für die „ärmlichen Ersatzmittel[.] schicker Objekte“ (Bourdieu 1987: 108), die auch Bernds „mittleren Ästhetizismus“ (ders.: 109) dominierten, hier jedoch aufgrund besserer Ausstattung mit kulturellem Kapital etwas treffsicherer ausgewählt wurden: „getrocknete Blumen“ (GG: 115) und „Poster mit bunten Haustüren“ (GG: 118) gepaart mit einem Sinn für die kostengünstigen Formen des Genusses (Wellness-Orientierung).

Habitus der Verfeinerung Kernbereich des Legitimen: neues Bürgertum in Wartestellung und der Zwang zum Genuss Der pronominal adressierte Kernbereich der legitimen Generationsgenossen, das Wir oder Man, verfügt über eine umfassende Kapitalausstattung und einen distinguierten Habitus, der durch das Erleben materieller und kultureller Prosperität ausgebildet wurde. Die Indikatoren deuten dabei auf eine Herkunft aus den oberen Mittelschichten hin: elterlicher Besitz von Wohneigentum („Geruch vom gemähtem Gras“, GG: 10), „Pelikan“ statt „Geha“ (GG: 23), alle besitzen „mindestens drei verschiedene Swatch-Uhren“ (GG: 27) und einen „Scout-Ranzen“ (GG: 12), Kinder werden mit dem Zweitwagen von der Schule abgeholt (GG: 46), ein bereits in Jugendjahren ausgeprägter Sinn für das Unpraktische und damit Zwecklose (GG: 22), meist akademische Bildung (GG: 179) und/oder ein entsprechender Beruf in den In-Berufen rund um Medien und Werbung auf dem Niveau mittlerer Führungspositionen (GG: 71) usw. Auch dieser Habitus kommt im Zuge seiner sozialen Laufbahn zu sich selbst, doch wird tendenziell deutlich, dass sich trotz der guten Startpositionen für die Generationsgenossen die Widersprüche häufen, die nicht zum „Starnberger-See-Düsseldorf-Berlin[..]-Bonn-Teil[.]“ (GG: 159) gehören, wobei nicht immer deutlich wird, wer nun zu diesem Teil gehört, von dem „ja ohnehin die ganze Zeit“ (ebd.) die Rede sei. Die Ausstattung mit Kapitalien aller Sorten ist aufgrund der beschriebenen Praktiken und Produkte klar überdurchschnittlich. Indikatoren für die freie Verfügbarkeit über ökonomisches Kapital sind etwa die (oft „handgenähte[n]“, GG: 141) Schuhe für „349 Mark“ (GG: 148), die Finanzierung einer Putzfrau und eines Appartements bereits während des Studiums und auch später (GG: 156ff) und eine multioptionale Wahlmöglichkeit (siehe Gross 1994), die zur allein ästhetischen Orientierung in Konsumfragen befähigt. Komplettiert wird dieses Bild durch den Besitz von Aktienpaketen (GG: 190) und einem früh zur Vollendung gelangten Habitus (an ein Geschäftsessen gemahnende Treffen mit Gleichaltrigen, GG: 45f; tägliches Essen außer Haus mit 22 Jahren, steuerlich absetzbare Geschäftsessen mit 28 Jahren, GG: 143f) sowie durch die Fähigkeit, ein neobürgerliches Leben zu führen und im wahrsten Sinne des Wortes Dienst-Leistungen anderer in Anspruch nehmen zu können. Gemeinsam mit der Verfügbarkeit kulturellen Kapitals, ablesbar an akademischer Bildung und dem Sinn für distinguierende Praktiken und Produkte

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(Antiquitäten, Altbauwohnung), strahlt dieser Teil der Generation zudem umfassendes symbolisches Kapital aus, das sich auch auf die angeeigneten Praktiken und Produkte überträgt, wobei der dadurch geäußerte Machtanspruch unübersehbar ist. War zuvor die Rede vom vulgären Midas, so hat man es hier mit der edlen Variante zu tun, die tatsächlich auf Berührung vergoldet, was auf einen legitimen Aneignungssinn schließen lässt. Alles, was diese Generationsgenossen berühren, wird durch diese Berührung geadelt, was erneut verdeutlicht, wie sehr der Wert eines Gegenstands davon abhängt, wer sich dessen auf welche Art und Weise bemächtigt. Mit diesem Habitus des Trendsetters ist es erst die Generation Golf, die das Interesse für Autos, Sport und Fitness nobilitiert. Sie ist es, die etwa in allen konsumistischen Fragen Beschlüsse (GG: 147) fasst, denen andere zu folgen haben oder „Absolution“ (GG: 117) bei Stilbrüchen erteilt oder vorenthält (es lassen sich zahlreiche weitere Beispiele für diesen impliziten Machtanspruch finden). Was die Generationsgenossen zweiter Wahl falsch machen, macht der legitime Teil richtig. Symbolisches Kapital drückt sich schließlich in einem latent irrationalen, neuromantischen Moment aus. Bei aller materialistisch-hedonistischen Einstellung wird eben nicht nur „schnöde konsumiert“, vielmehr verfügt dieser Teil der Generation, im Gegensatz zu den allzu rationalistischen Generationsgenossen zweiter Wahl und erst recht im Gegensatz zu den Ausgeschlossenen, einen nicht objektivierbaren, im Wesen dieser Generationsgenossen verankerten ästhetischen Sinn für Stil, Herz und die letzten Enklaven eines bürgerlichen Individualismus – etwa für die demonstrative Verschwendung (Sinn für das Zwecklose, Ästhetisierung der präferierten Produkte inklusive des Banalen wie „Mineralwasser“, GG: 153), für den Glanz vergangener Epochen (Biedermeier), für „Sinnlichkeit“ (GG: 151) in Zeiten der Technokratie (Schreiben mit dem Edel-Füllfederhalter, kulturpessimistisches Betrauern des Statusverlusts von Liebesbriefen, Abneigung gegenüber der Technikbegeisterung der niederen Generationsgenossen): „Uns gefiel einfach auf Anhieb der an sich sinnlose Vorgang, daß man bei neugekauften Hemden immer zunächst eine Unmenge von Nadeln und Pappstücken entfernen muß, bevor man es entfalten kann. Nadeln-Entfernen hat etwas von einer feierlichen, ritualhaften Vorbereitung [...].“ (GG: 139, Hervorhebung von T.K.)

Insbesondere die Distanz vor Körperlichkeit weist auf einen distinguierten, neobürgerlichen Habitus hin: die Distanz vor den billigen Genüssen bei gleichzeitiger Fähigkeit, sie aufzugeben, ohne dabei vulgär zu wirken; die Distanz vor der Körperlichkeit, allen voran ausgedrückt in der Präferenz für mäßig anstrengende und individualistische Sportarten (kein Mannschaftssport, siehe GG: 90f) sowie in der Abneigung gegenüber den ästhetisch niederen Formen von Nacktheit und Sexualität („Schlampen auf den Covern von Coupé“, GG: 96; „Erregungspotenzial [einer] Fleischfachverkäuferin aus Schweinfurt“, GG: 97, Hervorhebungen von T.K.). Wie sehr dabei der Erzähler diesem wohlhabenden Zweig der Generationsgenossen zugehört, wurde bereits am Beispiel der Selbststilisierung verdeutlicht. Damit nähern sich diese saturierten Generationsgenossen jener Beschreibung des Bürgertums an, wie sie Thorstein Veblen in seiner Theorie der fei-

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nen Leute festhielt. 85 Die Zurschaustellung des eigenen Geschmacks und die Betonung der guten Manieren dient dem Ausdruck habitueller Vornehmheit, „denn eine gute Erziehung verlangt Zeit, Hingabe und Geld und kann deshalb nicht von jenen Leuten bewerkstelligt werden, die ihre Zeit und Energie für Arbeit brauchen.“ (Veblen 1956: 62) Dazu gehört auch die Pflege des guten Geschmacks, „denn es gehört nun zu [den] Obliegenheiten, genau zwischen edlen und gemeinsamen Konsumgütern zu unterscheiden. So wird [man] zum Kenner der verschiedenen verdienstlichen Speisen und Getränke, der Kleidung und Architektur, der Waffen, Spiele, Tänze und Narkotika“ (ders.: 82) – etwa dann, wenn der Wert von San Pellegrino, teuren Hemden, der Architektur der Gründerzeit oder der distinguierenden, individuellen Sportarten ohne mannschaftliche Konkurrenz- und Dominanzverhältnisse (Tennis, Skifahren, Snowboarden) hochgehalten wird. Wenn schließlich dieser Teil der Generation sich Dienstpersonal hält, „so liegt der unmittelbare Grund offensichtlich darin, daß die Arbeit den Familienmitgliedern trotz moderner Einrichtungen zu lästig ist. Sie haben 1. zu viele ‚gesellschaftliche Verpflichtungen‘, und 2. ist ihnen die Arbeit zu schwer und zu mühselig“ (ders.: 76), so dass die Generationsgenossen zum „Outsourcing“ (GG: 158) greifen. In beiden skizzierten, nicht immer trennscharfen Fällen, d.h. den betuchten und weniger betuchten Varianten des legitimen Geschmacks, eröffnen sich jedoch Widersprüche, die zum einen der Widersprüchlichkeit der Position und Laufbahn, denen diese Akteure unterliegen (siehe weiter unten), zum anderen den Widersprüchen der gesellschaftlichen Verhältnisse geschuldet sind, die auf der einen Seite zu mehr Freiheit und Eigenverantwortung erziehen, auf der anderen Seite aber die dafür notwendigen Ressourcen und Sicherheiten austrocknen bzw. nicht zu finanzieren bereit sind (siehe weiter unten). Sowohl die weniger vermögenden Generationsgenossen, die sich allenfalls Reproduktionen des legitimen Stils (H&M statt Boss) erlauben können, als auch die betuchteren, sind trotz bzw. gerade aufgrund ihrer bekundeten ästhetischen Einstellung in ästhetischen Fragen unsicher, was dadurch erkennbar wird, dass stilistische Brüche und Abweichungen nicht verziehen werden und stilistische Abweichler mit Ignoranz gestraft werden. (GG: 193) In der Tat kann sich dieser Teil der Generation es sich „nicht leisten, billige Sachen zu kaufen“ (GG: 140) oder das ästhetische Mindestmaß (Ikeamöbel, ein Anzug von H&M, VW Golf) zu unterschreiten. Am wohlhabenderen Pol wird dies daran liegen, etwa beruflich auf symbolisches Kapital angewiesen zu sein bzw. die in der habituellen Startposition bereits determinierte Laufbahn standesgemäß erfüllen zu müssen, am entgegengesetzten Pol herrscht die Furcht gesellschaftlicher Aufsteiger vor, die in Gefahr geraten könnten, billig und unästhetisch zu wirken: „Der Eintritt des Kleinbürgers in dieses Spiel der Distinktion und Unterscheidung ist demgegenüber nicht zuletzt durch die Furcht gekennzeichnet, anhand von Kleidung

85 Diese Theorie ist eher von literarischer denn soziologischer Qualität, da Veblen etwa von gewollter Distinktion und festen Qualitätsurteilen ausging sowie den distinguierenden Wert der Askese nicht erkannte. Es soll damit zudem nicht in die gleiche Falle getappt werden, in die auch Kritiker der Habitustheorie Pierre Bourdieus getreten sind, die in Bourdieus Theoriegebäude einen Abglanz der Theorie der feinen Leute zu erkennen geglaubt haben.

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN | 189 oder Mobiliar [...] dem Geschmack der anderen sichere Hinweise auf den eigenen Geschmack zu liefern und sich so deren Klassifizierungen auszusetzen.“ (Bourdieu 1987: 107)

Dekadenz und Prätention Bei tendenziell vergleichbarer Kapitalausstattung stehen die Generationsgenossen dennoch im Gegensatz zum klassischen Bürgertum, das in Generation Golf in Form von Ärzten, Arztgattinnen, deren Kindern sowie neureichen „Fleischereigroßhandelserben“ (GG: 144) vorgeführt wird. 86 In der Tat kann die Generation Golf sich nur punktuell bei einigen Restbeständen klassisch bürgerlicher Werte und Praktiken (siehe weiter unten) bedienen, da jene als spießige und dekadente Fassaden entlarvt worden sind (was deutlich macht, wie sehr der Blick der Generationsgenossen, trotz aller Ablehnung des Gedankenguts, von der Ideenwelt der verhassten 68er geprägt ist, deren erkämpfte Freiheitsgewinne in Konsumismus und Sexualmoral undankbar eingestrichen werden). Alles an diesem alten Bürgertum erscheint falsch, wie die vom Erzähler als Sinnbild für das Bürgertum beschriebene Tänzerin, die sich bei näherer Betrachtung als Mann entpuppt (GG: 37): die prinzipielle Wahl für das Teure, selbst wenn es qualitativ schlechter ist als das Billige (GG: 17), der offensive Umgang mit den eigenen Distinktionsbemühungen (GG: 37), der Kauf sinnloser Kleidung (GG: 37), die altbürgerliche Bigotterie („weiße Musterhäuser“ vs. „Seitensprungfrequenz“, GG: 76). Auch hier ist der Habitus in den Augen der Generationsgenossen zu direkt, nicht distanziert genug, was zum einen an den sicherlich durchlässiger gewordenen Zugehörigkeitscodes liegt, in denen solcherlei fixistische Grenzen unglaubwürdiger werden, was zum anderen aber auch die tendenzielle (ökonomische) Unterlegenheit widerspiegelt, die dazu führt, dass das (von den Generationsgenossen geforderte) Understatement aus Mangel zum Dogma erhoben und ästhetisiert wird. Darüber hinaus (siehe weiter unten) stellt der offensive, bürgerliche Geschmack einen Ausschlag auf der Skala des Normalen dar und verstößt gegen das Gebot, in Ermangelung anderer Orientierungsmöglichkeiten die Durchschnittlichkeit zu stilisieren.

Schritt 2: Kontextualisierung Gesellschaftliche Selbstbeschreibung Bisher nicht betrachtet wurde die Frage, welchen realen sozialen Entitäten sich die in diesem Sozialraum abgebildeten Akteure zuordnen lassen. Für diese Zuordnung bieten sich die in der Einführungsliteratur der Soziologie breit diskutierten Modelle sozialer Stratifikation an, von denen einige ihrer Elemente im Folgenden am Beispiel des in Generation Golf gezeichneten Sozialraums durchgespielt werden sollen. Doch wird bei der Gegenüberstellung dieser Modelle mit dem oben skizzierten Sozialraum schnell deutlich, dass sich weniger feste Zuordnungen zu bestimmten Elementen sozialstruktu-

86 Sollte es wirklich nötig sein, darauf hinzuweisen, dass auch an dieser Stelle zwecks Komikerzeugung die Abneigung des Erzählers mit dem Lexem „Fleisch“ codiert wird, ebenso wie die Abneigung vor den allzu „fleischlichen“ Genüssen der subalternen Generationsgenossen (siehe weiter oben)?

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reller Paradigmen (Klassen-, Schichten- und Lebensstilbezeichnungen) 87 treffen lassen, sondern Generation Golf sich viel eher als ironisch überzeichnetes Spiel mit den Modellen selbst auffassen lässt. Die in Generation Golf abgebildete Sozialstruktur führt dabei deutlich den kulturalistischen Blick der Lebensstil- und Milieuforschung vor, der die Selbstbeschreibung der (deutschen) Gesellschaft seit Mitte der 1980er Jahre und bis zur Jahrtausendwende dominierte. 88 Für diesen Blick griff die Soziologie etwa auf die Messmethoden des SINUS-Instituts zurück, das „für die Zielgruppenoptimierung [in] der Produktentwicklung, dem Marketing und der Kommunikationsplanung“ (SINUS 2005, zit. n. Geißler 2006: 110) arbeitet und die deutsche Gesellschaft gemäß der Einstellung gegenüber Arbeit, Freizeit, Konsum und Partnerschaft in Subkulturen unterteilt. In diesem Bild existieren die alten Modelle wie Klasse und Schicht nicht mehr bzw. nur noch an als Restbestand (auf den Sozialraum innerhalb Generation Golf übertragen wären dies etwa die zur permanenten Reproduktion der eigenen Klasse tendierenden Landwirte). Die Analyse des binnenliterarischen Sozialraums führte vor, dass sich die beschriebenen Akteure lediglich durch die Wahl und Aneignungsweise ihrer Praktiken und Produkte unterscheiden, während klassisch vertikale sozialstrukturelle Parameter wie das Einkommen kaum eine Rolle zu spielen scheinen, da sich (fast) alle (fast) alles leisten können (und dass es einige nicht können, wird als unvermeidlich hingenommen). Sozialstrukturelle Differenzen werden somit insgesamt als reine Geschmacksdifferenzen aufgefasst, deren Ursprung nicht weiter erläutert wird und die als Produkt einer intentionalen Wahl dargestellt werden. Ganz im Sinne einer aus der Marktforschung stammenden Soziologie, welche die Menschen als „Menue-Kompositeure“, „Möglichkeitsmanager“ und „Katalogblätterer“ (Schulze 1993, zit. n. Meyer 2001: 263) konzipiert oder sie in den unzähligen Wahlmöglichkeiten der Multioptionsgesellschaft verschwinden sieht (Gross 1994), erscheint auch der literarische Sozialraum wie eine Gesellschaft, in der die krassen Formen von Ungleichheit durch Individualisierung und Pluralisierung verschwunden sind, während prinzipielle Ungleichheit für die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Arbeitsteilung in Kauf genommen wird: „Alles war schön bunt, aber wir wußten doch, daß es für jedes Klötzchen auch das richtige Plätzchen gab.“ (GG: 61, Hervorhebung von T.K.) Statt einer „Gesellschaftsbildung durch Not“ (Schulze 1993, zit. n. Meyer 2001: 263) gilt dabei die „Gesellschaftsbildung durch Überfluss“ (ebd.), in der die Akteure zur bricolage befähigt sind: „[...] befreit von finanziellen und ästhetischen Abgrenzungsschlachten gegen die Älteren, hatten wir ausreichen Zeit, uns unseren eigenen Stil zu basteln.“ (GG: 144, Hervorhebung von T.K.)

87 Hier ist zugleich nicht der Ort, die verschiedenen Vor- und Nachteile oder die methodischen Schwächen dieser Modelle zu diskutieren. 88 Die wechselhaften Konjunkturen verschiedener Sozialstrukturmodelle lassen sich daran ablesen, dass diese kulturalistischen Ansätze im Zuge von Massenarbeitslosigkeit, Reformpolitik und eklatant sichtbarer Ungleichheit gegenwärtig durch eher vertikal orientierte Paradigmen ergänzt bzw. ersetzt wird, wobei weniger das tradierte Klassen- und Schichtenkonzept, sondern eher ein systemtheoretisch unterfüttertes Inklusions- und Exklusionskonzept zum Tragen kommt (siehe dazu: Kronauer 1997, Leisering 2000b, Vogel 2005).

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Dabei ist es zunächst unerheblich, dass die in Generation Golf gezeichneten Lebensstilprofile sich kaum bzw. nur grob in das reale Raster der SINUSMilieus einfügen lassen. Tatsächlich lässt sich etwa eine Person wie „Bernd“ aufgrund der beschriebenen Praktiken und Präferenzen sowohl dem Milieu B3 („Konsum-Materialisten“) als auch tendenziell den Milieus B2 („Bürgerliche Mitte“) und Teilen von BC3 („Hedonisten“) zuordnen. Der betuchtere Teil der Generation Golf ließe sich dagegen aufgrund der Sehnsucht nach bürgerlichen Werten, der „Erfolgs-Ethik“ bei „ausgeprägte[n] Exklusivitätsansprüche[n]“ der Schnittmenge der Milieus A12 („Konservative“) und B1 („Etablierte“) zuordnen. (SINUS 2005, zit. n. Geißler 2006: 111) Abstrahiert man jedoch von diesen z.T. überlappenden und widersprüchlichen Milieus, so bleibt als gemeinsame Achse für die Generation Golf die dominante materialistische Einstellung übrig, die sich u.a. auch in einer unpolitischen Werthaltung ausdrückt (bei gleichzeitig demonstrativer, ideologisch motivierter Zurschaustellung von Ideologieferne). Diese beiden Grundzüge sollen am Beispiel der zum Kernbereich des Legitimen gehörenden Habitusformen überprüft werden – wessen Bild wird dort gezeichnet und wie sehr deckt es sich mit der Realität? In diesem Zusammenhang lässt sich auf das Urteil des Soziologen Markus Klein (2003: 99-115) zurückkommen, der auf Grundlage des sogenannten Ingelhart-Indexes (einer in der empirischen Sozialforschung bekannten Skala zur Ermittlung von Werthaltungen) für die in Generation Golf beschriebene Alterskohorte eine Verschiebung der Werthaltung diagnostizierte, die konträr zu der Erwartung verlief, jüngere Generationen hätten aufgrund allgemein gewachsener Prosperität einen eher postmaterialistischen Habitus ausgeprägt. Klein deutet dies als Trendwende, die größtenteils den Unsicherheiten des Arbeitsmarktes und der Entwertung der Bildungszertifikate geschuldet sei. Doch ist diese Methode, wie er auch selbst bemerkt, umstritten, da mit ihr keine langfristigen Werthaltungen, sondern womöglich nur die Einstellung zum Tagesgeschehen erfasst werden. Die ideologische Fundierung dieser Studie ist zudem aufgrund der Nähe zu Maslows Bedürfnispyramide und den in ihrem Sinne naturalisierten Begriffen wie „Motivation“ oder „Selbstverwirklichung“ zweifelhaft (zur Kritik behavioristischen Vokabulars siehe Bourdieu 1974: 22f; zur weiteren methodischen Kritik siehe Bürklin 1994: 579-606; ders. 1996: 517-536). Dem bliebe grundsätzlich hinzuzufügen, dass in derartigen empirischen Studien, die mit Meinungsumfragen oder Interviews arbeiten, zum einen die objektiven Bedingungen der Befragten ausgeklammert werden, die so auf Fragen und Probleme reagieren müssen, die sich ihnen in dieser Art gar nicht stellen und auf die sie eine (möglicherweise sozial erwünschte) Antwort geben. (Vgl. Bourdieu 1993: 212-224) Zum anderen dürfte evident sein, dass sich solcherlei Untersuchungen für politische Zwecke anbieten: Politik, die im Modus des „Problematisierens“ verfährt, sieht sich durch solcherlei (vermeintlich „nüchterne“) Feststellungen in ihren Problemdiagnosen bestätigt, so dass mit der Rückkehr zum Materialismus zugleich die Rückkehr zur oft angemahnten (wirtschaftlichen) „Vernunft“ und „Normalität“ diskursiviert werden kann.

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Widersprüche Generation Golf zeichnet einen binnenliterarischen sozialen Raum, dessen dominante und zum Kernbereich des Legitimen gehörende Akteure im Wesentlichen durch zwei grundlegende Werthaltungen gekennzeichnet sind: einer materialistischen Einstellung gepaart mit einer Abwendung von der Politik. Dieses innere Bild lässt sich mit dem realen Bild der Gesellschaft kontextualisieren, auch wenn es nicht möglich sein sollte, die in Generation Golf dargestellten Akteure gezielt einzelnen Milieus zuzuordnen (weil es etwa ohnehin nie beabsichtigt war, mit Generation Golf ein realistisches Bild der Gesellschaft zu zeichnen). Gefragt werden kann jedoch, wer tatsächlich im oben beschriebenen Sinne materialistisch ist, wer tatsächlich unpolitisch ist und ob beide Werthaltungen tatsächlich zugleich jene treffen, die in Generation Golf beschrieben werden. Aus diesem Vergleich lassen sich zentrale Widersprüche des „new capitalism“ entnehmen: zum einen die Tendenz, dass der „new capitalism“ zahlreichen Akteure widersprüchliche Anforderungen auferlegt, denen dann mit einer ebenso widersprüchlichen Werthaltung begegnet wird, zum anderen die Tatsache, dass der „new capitalism“ für eine tendenzielle politische Entartikulierung bestimmter Akteure sorgt. Neue Bürgerlichkeit light: Die Generation Golf und das neue Kleinbürgertum Der weniger wohlhabende Teil der legitimen Generationsangehörigen ähnelt einem jüngeren, besser gebildeten Kleinbürgertum, das zum sozialen Bluff neigt und durch die eigene Strebsamkeit (bei gleichzeitiger Konsumorientierung) zu einem Erfüllungsgehilfen eines Managements wird, das die ökonomischen Ziele nicht mehr im Sinne einer tayloristisch-fordistischen Arbeitsorganisation mit festen Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit durchsetzt, sondern auf Selbstverwirklichung und Eigenleistung setzt. Dies drückt sich im Lebensstil aus. Der neue Kleinbürger distanziert sich vom Moralismus und Antikonsumismus des traditionellen Kleinbürgertums, mit dem er nichts zu tun haben will, und gönnt sich demonstrativ etwas bzw. muss dies sogar, da er (z.B. die von den Eltern verordnete) bescheidene Einstellung erst überwinden muss, um die soziale Leiter heraufzuklettern. Diese Bescheidenheit ist der in Generation Golf beklagte „ewige[.] Entschuldigungskomplex“ (GG: 148), der die Generationsgenossen zunächst noch dazu zwingt, den Kauf teurer Markenprodukte mit deren längerer Haltbarkeit zu rechtfertigen. (Ebd.) Neben der Verbesserung der eigenen Einstellung zum Konsum ist auch der Körper bzw. die eigene Person Gegenstand der Optimierung oder der Therapie. Alles, was dieser neue Kleinbürger ist und was er sein will, muss er durch verbissene Anstrengung erreichen. Daher sind alle seine Strategien immer auf das Selbst bezogen. Nicht zum klassischen Kleinbürgertum zu gehören bedeutet dabei auch, sich keiner Klasse zugeordnet zu fühlen. In seiner Furcht, negativ aufzufallen, ist dieser neue Kleinbürger besonders empfänglich für das Angebot der Ratgeber, wie sie auch in Generation Golf in Form von Fit For Fun oder Men's Health erscheinen. Sie liefern das Rüstzeug für die Selbstverbesserung, die mit wissenschaftlichen Daten und Methoden, etwa den unvermeidlichen „Kalorientabellen“ (GG: 185), unterfüttert wird und die wiederum bei der Ausrichtung an der Norm behilflich sind, wozu insbesondere die Wahrung des eigenen körperlichen Erscheinungsbildes gehört, was dann in Generation Golf aus der Warte des Kulturpessimisten anhand

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des traurigen Bildes des eitlen Generationsgenossen vorgeführt wird, der „beim Liebesspiel“ (GG: 196) die Frisur und den Körper kontrolliert. Dabei sorgt die demonstrative Offenheit der neuen Kleinbürger (Konsum, Körper) für eine z.T. widersprüchliche Wertorientierung, die in ähnlicher Form auch für die beschriebenen Generationsgenossen zutrifft. Von kleinbürgerlicher Moral und Sparsamkeit entfernt, ist das neue Kleinbürgertum trotz bekundeter Offenheit dennoch restriktiv, vor allem was das Abweichen von der (ästhetischen) Norm anbelangt. Dies liegt vor allem daran, dass sie ihre eigene und angestrebte Position dem Befolgen der Norm verdankt, z.B. auch einer Bildung, die sich allein an ökonomischer Verwertbarkeit orientiert: „[...] unser Hauptfach hieß Karriere.“ (GG: 178) Daher nähert sich das neue Kleinbürgertum, und die in Generation Golf beschriebenen Akteure sind ihm auch hier wieder sehr ähnlich, einem aufgeklärten Konservatismus an, in dem sich die Argumente der Werbung mit der Bejahung liberalkonservativer Werte verbinden, so dass sich ihre Werthaltung auf die Begriffe Leistung (Arbeit an sich selbst), Teilhabe (Bedürfnisbefriedigung, Selbststilisierung) und „Sekundärtugenden“ reduzieren lassen. Für diesen aufgeklärten Konservatismus ließe sich ein (hypothetisches) Sinnbild finden, das sich am Verfahren der hier diskutierten literarischen Vorlage orientiert: das Cicero-Magazin auf dem Nachttisch, die Bob DylanSammlung im Regal und ein erdgasbetriebener BMW in der Garage. Realpolitisch: die im Zuge der Bundestagswahlen 2005 ins Gespräch gebrachte und mittlerweile lokal realisierte Koalition von Konservativen und Grünen. Kern beider Beispiele ist die liberale, tolerante und offene Einstellung, die nicht mit altkonservativer Rückständigkeit in Verbindung gebracht werden möchte – solange dabei einige „Regeln“ befolgt werden (wie sehr diese Verbindung aus Regeln und Freiheit dem intellektuellen Fundament des „new capitalism“ entspricht, wird Gegenstand späterer Abschnitte). Neue Bürgerlichkeit Diese widersprüchliche Werthaltung zeichnet insbesondere jenen Teil der Generation Golf aus, der als luxusverwöhnt und neoaristokratisch beschrieben wird. In ihm treffen ostentative Liberalität und altbürgerliche Rigidität zusammen: Hausmädchen, getrennte Betten und eine Hochzeit in Weiß treffen auf lockere Sexualmoral und maßvolle Dissidenz. (GG: 160) Es ist ein Habitus, der eklektisch zusammenführt, was bisher getrennt blieb. Er zeigt sich progressiv und wertkonservativ zugleich, vor allem indem er Wertkonservatismus als Progressivität versteht, als Korrektur der Effekte, die durch „die 68er“ verursacht worden sind. Diese Verbindung repräsentiert somit einen Habitus, der massenmedial als neue Bürgerlichkeit apostrophiert und in turnusmäßig wiederkehrenden Leitartikeln über die Rückkehr von Benimm, Etikette und härterer Pädagogik diskursiviert wird, oftmals flankiert mit Forderungen nach oder Diagnosen von „Schließungen“ (etwa in Form von Berichten über die Vorzüge von Privatschulen und anderen Einrichtungen, mit denen die ersehnte Klassensegregation umgesetzt werden kann). So beklagte Reinhard Mohr, der zuvor durch die „Entdeckung“ der pragmatischen 78er-Generation zum massenmedialen Stichwortgeber avanciert war, im Spiegel unter dem Titel „Nobel statt Nabel“ die „um sich greifende[.] Verlotterung“. (Mohr 2003: 124) Jene sei – ein Urteil, das in diesem Kontext möglicherweise schon zu Ermüdungserscheinun-

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gen führen könnte – Nachwirkung einer „68er-Libertinage“ (ebd.) und einer von „68“ ausgegangenen Zerstörung von Sekundärtugenden. Es erklärt sich beinahe von selbst, dass solcherlei Werte- und Moraldiskurse aufgrund der Fähigkeit, bestehende Diskurse zu bündeln und real empfundene Benachteiligungs- und Verzweiflungsgefühle zu kanalisieren, besonders resonanzfähig und einwandsimmun sind und deshalb ungebrochene Attraktivität genießen. So titelte etwa auch der Focus in Heft 2/2007 mal wieder: „Etikette, Benimm und Stil“ – und wer könnte schon öffentlich von sich behaupten, Benimm und Etikette seien ihm/ihr unwichtig? Dabei führt auch diese Kritik widersprüchliche Elemente zusammen. Sie kommt oft im Gewand linker Kritik daher, wenn sie etwa den Konsum- oder „Modeterror“ (Mohr 2003: 124) und andere Formen von Entfremdung und sozialer Ungleichheit kritisiert. Die Positionen der 68er werden dabei invertiert: Jugendliche hätten etwa Probleme auf dem Arbeitsmarkt, weil ihnen eine an 68er-Idealen orientierte Bildungspolitik nicht die notwendigen Sekundärtugenden beigebracht habe, die ursprünglich anvisierte Befreiung durch neue Erziehungsformen kippe so in ihr Gegenteil. Was unter dem Schlagwort „neue Bürgerlichkeit“ zusammengefasst wird, basiert somit schließlich auf vielfältigen Denormalisierungsdiagnosen: Es müsse eine Korrektur vorgenommen werden, um die allenthalben beobachtbaren Desintegrationserscheinungen aufzuhalten, die letztendlich auch den „Standort D“ ins Hintertreffen geraten lassen könnten. Was sich bereits literarisch bei Houellebecq oder am Beispiel des Generationen- und Demographiediskurses beobachten ließ, lässt sich auch hier feststellen: Gesellschaftliche Desintegrationserscheinungen, die letztendlich Auswirkungen der Politik des „new capitalism“ sind, die auf Flexibilität und rücksichtslose Konkurrenz setzt, werden ursächlich dem leicht ridikülisierbaren Feindbild „68“ zugewiesen, Interessenkonflikte dabei zu Wertekonflikten umcodiert. Dass dabei oftmals das Bildungssystem in den Fokus rückt, lässt sich zum einen mit dem nach wie vor ungebrochen akzeptierten Gründungsmythos „Deutschland als Bildungs- und Kulturnation“ erklären (was auch erklären dürfte, warum kaum einer dieser Berichte ohne einen Verweis auf den PISA-Schock auskommt). Zum anderen stellt das Bildungssystem den Treffpunkt für solcherlei Moral- und Wertediskurse dar, weil es eine der wichtigsten Produktionsstätten von Subjekten darstellt. Wie Jürgen Link in seiner Studie zum Normalismus (vgl. Link 2006) verdeutlichte, wirkt das Bildungssystem wie ein gesamtgesellschaftliches Galtonsieb, d.h. es stellt eine institutionell verankerte „Sortierstation“ dar, welche die heterogenen Subjekte nach zuvor gewählten Kriterien ordnet, beurteilt und ihnen damit legitime Laufbahnen und Positionen zuweist. Die Paradoxie des neubürgerlichen Habitus und die Sehnsucht nach einer Rückkehr konservativer Werte lässt sich damit erklären, dass diese Sortierfunktion durch die Bildungsexpansion, die maßgeblich durch die 68er erstritten 89 worden war, nachhaltig gestört wurde: Statt eine Normalverteilung zu produzieren, d.h. die Menge höherer Bildungszertifikate knapp zu halten, wurde sie ausgeweitet. In Folge drängten „Leute in das Schulsystem, die nicht über die von ihm stillschweigend vorausgesetzten, sozial ausgebildeten 89 Einschränkend kann man sagen, dass die 68er bloß etwas anstießen, das ohnehin für den Fortbestand und die Ausweitung der kapitalistischen Akkumulation notwendig war.

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN | 195

Prädispositionen verfüg[t]en; Leute vor allem, die durch ihre Zahl erst die Bildungstitel und dann auch noch die Stellen entwerteten, die sie dank dieser Titel [bekamen].“ (Bourdieu 1993: 255) Die Rückbesinnung auf Werte, Leistungsbewusstsein und Etikette sowie der widersprüchliche neubürgerliche Habitus verweisen somit auf eine Gesellschaftsschicht, die Schwierigkeiten hat, die Gewinne auf dem Markt zu realisieren, die ihr durch Herkunft und Bildung vermeintlich zustehen, die Probleme dabei hat, ihren Habitus zu kontinuieren. Die Folgen sind kulturelle Stilisierung und Distinktion, ggf. unterstützt durch Rückgriffe auf das bürgerliche Repertoire. Dieser Versuch, Distanz zu wahren, Schließungen und gesellschaftliche Formen eines Numerus Clausus durchzusetzen, drückt sich ggf. realpolitisch in Forderungen nach Werten, Kopfnoten, geschlechtlich getrennten Schulen usw. aus. Diese Verbindung von Freiheit mit einem unhinterfragbaren Minimalkonsens entspricht letztendlich der Regulationsform des „new capitalism“ und damit dem neoliberalen Dogma des freien Marktes, der nur durch wenige einfache, allerdings unhinterfragbare Regeln flankiert und damit funktionstüchtig gehalten werden soll. * Dass es kein neuartiges Phänomen darstellt, Verfallsdiagnosen mit der Forderung nach der Rückkehr zu festen Werten zu verbinden, zeigt ein Blick auf die Vordenker und Adepten der konservativen Revolution. In den kulturkritischen und -pessimistischen Diagnosen, die sich auch in Generation Golf beobachten lassen, lässt sich jene Form des (spezifisch deutschen?) cultural despair entdecken, den Fritz Stern (1963) als Vorbereitung für den Nationalsozialismus identifiziert hat. Damals wie heute wurden desintegrierende Tendenzen als Werteverfall gebrandmarkt, dem durch Rückkehr zu besseren Prinzipien beigekommen werden müsse. Die Orte, an denen der „Hebel“ ansetzen sollte, war dabei oftmals das Bildungssystem (so etwa bei Lagarde) und die gesellschaftliche Reproduktion (in Form von Sozialeugenik). Sicherlich ist mit der neuen Bürgerlichkeit keine Renationalisierung im Sinne der konservativen Revolution verbunden, was angesichts omnipräsenter Globalisierungs- und Freiheitsrhetorik auch kaum gelingen könnte. Auch Kampagnen wie „Du Bist Deutschland“ können allenfalls einen „Nationalismus light“ ansprechen oder, wie es in Generation Golf heißt, „[ein] paar patriotische Gefühle“ (GG: 176) bedienen. Von dieser Einschränkung unbeschadet bleiben jedoch die Aussagen zeitgenössischer Diagnostiker, die die Probleme des „Standorts D“ (auch) darauf zurückführen, dass immer nur die „Falschen“ Kinder bekämen 90 – und die damit die urbürgerliche „wahnhafte Vorstellung von der großen Zahl, der Überschwemmung durch die große Zahl, an die Wand mal[en].“ (Bourdieu 1993: 255)

90 Etwa Daniel Bahr (FDP-Bundesvorstand), in einem Interview mit der Bild am Sonntag am 23.1. 2005.

196 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

Materialismus und Entpolitisierung Während es schwierig sein dürfte, die in Generation Golf beschriebenen Akteure tatsächlich konkreten SINUS-Milieus zuzuordnen, bietet es sich (auch aufgrund der zwei dominanten Wertorientierungen) an, die Generationsgenossen konkreten Berufsgruppen zuzuordnen. (Vgl. Weber-Menges 2004, siehe Tabelle 1) Der o.g. Kernbereich des Legitimen lässt sich dahingehend in vielfacher Hinsicht dem Habitus von mittleren bis höheren Angestellten zuordnen, doch eröffnen sich zahlreiche Widersprüche, die zum einen dem fehlenden (und nicht beabsichtigten) soziologischen Blick des Autors, zum anderen aber auch einem populären und damit besonders anschluss- und zustimmungsfähigen Missverständnis geschuldet sind. Tabelle 1: Werthaltung nach beruflichem Status (verglichen mit Aussagen in Generation Golf) Dimension „Jeder, der sich anstrengt, kann sich hocharbeiten.“ (Weber-Menges 2004: 300) „Man hat das Gefühl, man muß nur Ausdauer haben, dann kommt früher oder später jeder in Daniel’s Bar oder in den Fasan [Edel-Restaurant in Gute Zeiten, schlechte Zeiten; T.K.].“ (GG: 130) „Ich leiste mir hin und wieder einen Luxus.“ (WeberMenges 2004: 300) „Aber gerade dort, wo Stil purer Luxus ist, wird er für uns besonders interessant.“ (GG: 152) Luxus/Repräsentativität/Eleganz steht beim Autokauf im Vordergrund. (Vgl. Weber-Menges 2004: 312) „Wie schnell ist er? Ist er schön?“ (GG: 169) „Wichtig war von Anfang an, dass man nicht mehr darauf achtete, dass man möglichst günstig einkaufte, sondern dass man möglichst schön einkaufte.“ (GG: 144) Sparsamkeit/geringer Verbrauch steht beim Autokauf im Vordergrund. (Vgl. Weber-Menges 2004: 312) Möbel werden vorzugsweise bei Ikea gekauft. (Vgl. Weber-Menges 2004: 337) „Irgendwohin [gemeint ist IKEA; T.K.] muß man ja schließlich fahren mit seinem Golf.“ (GG: 110) CDU-Wähler (vgl. Weber-Menges 2004: 282) SPD-Wähler (ebd.) Grüne (ebd.) „[Wir] finde[n] die Entscheidung zwischen einer grünen und einer blauen Barbour-Jacke schwieriger als die zwischen CDU und SPD.“ (GG: 155) „Ich vertraue voll auf meine Leistungsfähigkeit. Die Politik ist mir egal.“ (Weber-Menges 2004: 289) „Niemand hat so recht bemerkt, wie nahe wir in der Entideologisierung und Entpolitisierung den Werten der skeptischen Generation sind.“ (GG: 185)

UA

MA

HA

5,7%

72,7%

77,7%

38,9%

91,6%

98,8%

1,0%

15,3%

22,8%

75,8%

23,1%

10,3%

21,7%

12,2%

4,0%

13,3% 60% 4,8%

35,3% 37,6% 16,8%

41,5% 26,8% 12,9%

53,7%

14,6%

8,7%

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN | 197 4,4% 33,5% 27,7% Joggen (vgl. Weber-Menges 2004: 282) 21,8% 41,1% Ski Alpin (ebd.) 9,7% 13,4% Surfen (ebd.) „[…] nie sah man einen gestressten Jungmanager vom Laufband im Fitnessstudio steigen, nie eine Grafikerin das Joggen im Park abbrechen […].“ (GG: 71) „Es waren beides Sportarten, die nur mit dem nötigen Kleingeld zu bestreiten waren: Skifahren und Surfen.“ (GG: 84) Legende: UA = Un- und Angelernte, MA = mittlere Angestellte, HA = höhere Angestellte

Auf der einen Seite werden Generationsgenossen mit eindeutiger Luxusorientierung vorgeführt, auf der anderen Seite sollen jene das Möbelhaus Ikea zum bevorzugten wochenendlichen Ausflugsziel gemacht haben. (GG: 109f) Tatsächlich erweckt diese Diskrepanz den Eindruck, dass Ikea nur aus Gründen der Aufmerksamkeitsökonomie ausgewählt wurde, d.h. um eine Marke zu präsentieren, die sofort erkannt und zugeordnet werden kann (was die durch den Text angestrebte Identifikation erleichtern dürfte). Selbiges dürfte auch für McDonalds, Kinderschokolade und andere im Text erwähnten Marken oder für die zum Zeitpunkt des Erscheinens nicht lange zurückliegende Loveparade gelten. Mit den genannten Beispielen ließen sich somit kostengünstige Aktualitätsgewinne auf das Aufmerksamkeitskonto buchen. Auch die demonstrativ unpolitische Einstellung der Generation Golf entspricht, wenn man weiterhin den höheren Angestellten als Prototypen aller Generationsgenossen zugrundelegt, nicht der Realität (siehe Tabelle). 91 Betrachtet man das politische Interesse generell, so lässt sich pointiert zusammenfassen: Wer von der Politik die Erfüllung eigener Interessen zu erwarten hat, ist auch überdurchschnittlich politisch interessiert, während diejenigen, die im öffentlichen Diskurs als „Problem“ wahrgenommen werden (un- und angelernte Arbeiter, Arbeitslose), sich selbst aus jeder politischen Beteiligung ausschließen: „Wie aus den qualitativen Interviews hervorging, hatten vor allem Un- und Angelernte bzw. Facharbeiter darüber hinaus nicht nur besonders häufig politische Ohnmachtsgefühle, sondern sagten auch oft, dass sie ‚von der großen Politik keine Ahnung hätten‘ bzw. beklagten, dass sie politische Prozesse nicht richtig durchschauen würden [...].“ (Weber-Menges 2004: 290, Hervorhebung im Original)

Nicht die luxusverwöhnten Generationsgenossen sind somit desillusioniert, sondern diejenigen, die im Hintergrund für die Generation Golf die unangenehmen Arbeiten verrichten und deren Existenz Gegenstand selbstironischsnobistischer Belustigung wird: „Eigentlich ist nur die Tatsache lästig, daß niemand weiß, was man anschließend mit den zahlreichen Nadeln und Pappteilen tun soll und ob man sie in den Müll werfen darf oder ob sich dann arme Müllsortierer die Finger daran stechen und an unserem Snobismus verbluten.“ (GG: 140, Hervorhebung von T.K.) Dem wäre hinzuzufügen: „Man 91 Diese Zuordnung wird mehr oder minder auch durch die selektive Repräsentation von Akteuren erreicht: „egal ob Journalist, Student oder Werbegrafiker“ (GG: 151) zielt auf jene höheren Mittelschichten ab, um die es geht.

198 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

fragt sich ja manchmal, was Müllmänner und Glasentsorger ab halb acht so machen, aber gut.“ (Illies 2001b) In den exemplarisch beschriebenen Lebensstilen treffen somit gegensätzliche Eigenschaften aufeinander, so dass der Erzähler zwar treffsichere, aber chiastisch strukturierte Diagnosen treffen kann. Es wird so oftmals das Richtige für die falschen und das Falsche für die richtigen Akteure diagnostiziert. Dabei sollten die Fälle, in denen eine halbwegs dem Stand der Lebensstilforschung entsprechende Beschreibung geleistet wurde, nicht als exzeptionelle Beschreibungskunst fehlinterpretiert werden, gehört es doch insgesamt zu den Fähigkeiten eines jeden Habitus, sich und seinesgleichen, und damit auch die anderen, zu erkennen. Anders ausgedrückt: Lebensstilmerkmale und Wertorientierungen, die recht genau das Leben der (neuen) Kleinbürger oder sogar der un- und angelernten Arbeiter abbilden, werden als Spezialfall einer Generation präsentiert, deren Lebensstil insgesamt dem mondänen Leben einer Angestelltenelite entspricht. Kleinbürgerliche Eigenschaften (Fleiß, Selbstverbesserung, Zwanghaftigkeit) und sogar Einstellungen der Arbeiterschaft (Abneigung gegenüber großer Politik) werden mit einer Luxusorientierung der Oberschichten verbunden und erzeugen so das diffuse, maximal-inklusive Bild, das mit der wohlklingenden Bezeichnung Generation Golf versehen wurde und in dem sich daher jeder punktuell wiederfinden kann.

Fazit: zwischen exklusiver Differenzbetonung und inklusivem Identitätsangebot Vorab Texte sind nie bloß alleiniges Produkt eines Autors, der seine Gedanken schriftlich fixiert. In jedem Text lassen sich dialogische Obertöne, „echoes and reverberations of other utterances“ (Bachtin 1986: 91) auffinden. Texte verknüpfen und texturieren so Elemente, die an anderer Stelle bereits „gesagt“ worden sind. Dies kann mehr oder minder explizit geschehen: in Form von Intertextualität und/oder in Form mitschwingender Grundannahmen, die im Text nicht weiter diskutiert werden. (Vgl. Fairclough 2003: 39ff) Ersteres lässt sich als Zeichen von Dialogizität verstehen. Ein Textproduzent bringt verschiedene Stimmen zusammen, lässt sie zu Wort kommen, öffnet seinen Text für andere Sichtweisen. Die An- oder Abwesenheit von Stimmen in einem Text, die Art und Weise, wie sie wiedergegeben und/oder gerahmt werden, ist aus ideologiekritischer Perspektive relevant: Stimmen, und damit die Positionen und Perspektiven jener Akteure, die mit ihnen verbunden sind, können verfälscht, benachteiligt oder gänzlich ausgeblendet werden, Diskutier- und Kritisierbares kann verallgemeinert werden. All dies steht wiederum in Relation zur Position und Perspektive des Textproduzenten, der diese Verknüpfungsleistung bewerkstelligt. 92 92 Dies steht im Gegensatz zu Julia Kristevas Intertextualitätstheorie, in der die Existenz und Wirkungsabsicht des schreibenden Subjekts eine untergeordnete Rolle spielt. Julia Kristeva fasst Texte prinzipiell als „Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes.“ (Kristeva 1972: 348) Der Produzent des Textes tritt dabei hinter das Prinzip der Intertextualität.

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN | 199

Generation Golf ist ein Text, der einen differenzierten Sozialraum zeichnet, über und mit verschiedene(n) Akteure(n) spricht und der durch Identifikations- und Abgrenzungsangebote das Bild einer gesamten Generation abbilden soll. Damit rückt die Frage in den Vordergrund, wie in Generation Golf durch die Konfiguration verschiedener Stimmen und/oder Verallgemeinerungen mit soziokultureller Differenz verfahren wird. Norman Fairclough (2003: 41f) unterschied fünf verschiedene „generische“ Szenarien, mit denen Differenz textuell realisiert wird. Diese Szenarien kommen in der Regel nicht in Reinform vor, werden meist miteinander kombiniert und lassen sich zudem nicht immer genau voneinander unterscheiden. Sie lassen sich graduell nach ihrer Offenheit gegenüber anderen Stimmen und Ansichten strukturieren – beginnend bei der vollständigen Akzeptanz von Differenz und anderen Sichtweisen „as in ‚dialogue‘ in the richest sense of term“ (ebd.), bis zur effektiven Unterdrückung verschiedener Sichtweisen durch die Annahme und Unterstellung eines Konsenses. In Generation Golf dominieren zwei Szenarien, die innerhalb dieser Gleitzone liegen: zum einen die Betonung von Differenz im Sinne von „an accentuation of difference, conflict, polemic, a struggle over meaning, norms, power“, zum anderen der Versuch, real existierende Differenz unter einem identitätsstiftenden Merkmal im Sinne eines „bracketing of difference, a focus on commonality, solidarity“ (ders.: 42) zu überbrücken.

Formen der Differenzbetonung: Die Ästhetisierung des Ressentiments Für einen Text, der die Absicht hat, das Bild einer ganzen Generation zu zeichnen und damit einen kollektiven Identitätsentwurf zu leisten (siehe unten), ist die Betonung soziokultureller Differenz konstitutiv, nicht zuletzt auch vor der Tatsache, dass ein Differenz- und Distinktionsbewusstsein ja auch zum Merkmal dieser Generation erklärt wurde. Die Struktur des in Generation Golf repräsentierten sozialen Raumes und die Ridikülisierung des dominanten Gegners „68“ lassen zwei dominante Konfliktlinien erkennen. Der Konflikt um die legitimen Repräsentationsformen und Deutungen vollzieht sich zum einen innerhalb der Generation, zum anderen spielt er sich zwischen der Generation und den diskursiven Gegnern ab. Die Akzentuierung von Differenz innerhalb der Generation Golf vollzieht sich entlang der sozialen Hierarchie und der Kontrastierung der Stile und Praktiken. Die Differenzen zwischen den einzelnen typisierten Vertretern eines Stils oder Habitus werden dabei gemäß einer Protagonist-AntagonistStruktur betont, die etwa in der Gegenüberstellung von „Altbaubewohner[n]“ vs. „Neubaubewohner[n]“ (GG: 104ff) und deren habituellen Eigenschaften auf mehreren Seiten detailliert durchdekliniert wird. Neben diesen eindeutigen Gegenüberstellungen ist der Text immer wieder durch den Aufbau von Kontrasten innerhalb der Gruppe der Generationsgenossen gekennzeichnet. Je weiter dabei die beschriebenen Akteure und Praktiken von der Zone legitimer Praktiken entfernt sind, d.h. auch: Je tiefer sie in der sozialen Hierarchie liegen, desto stärker sind sie in der Regel der Polemik, der ridikülisierenden Beschreibung und/oder der Generalisierung ausgesetzt und desto kürzer ist ihre Verweildauer innerhalb der Erzählung. Während der Akteur „Bernd“ noch zu Wort kommt, bleiben Landwirte und die vielzitierten „Vulgärversionen“ stumm.

200 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

Abgesehen von der o.g. Gegenüberstellung, in der die Person „Bernd“ auf Kosten von „Stephanie“ den Kürzeren zieht, ist Generation Golf ferner durch die Privilegierung männlicher Sichtweisen gekennzeichnet. So sehr die Ironie über allem schwebt und so oft auch Männer und der Erzähler selbst Gegenstand ironischer Betrachtung und Peinlichkeitsbekundungen werden: Es sind überproportional häufig Frauen oder mit Weiblichkeit konnotierte Verhaltensweisen, die der Komik ausgesetzt werden. Dass Frauen dabei meist „Damen“ genannt werden, sie somit zu ironischen Zwecken überhöht werden, um sie tief fallen zu lassen, wurde bereits verdeutlicht. Einige Beispiele: Mehrere Seiten konzentrieren sich darauf, weibliche Kritikerinnen zu stigmatisieren. (GG: 56-59) Die Auswirkungen eines 68er-Habitus bei Kindern und Jugendlichen werden ausschließlich mit weiblichen Beispielen illustriert. (GG: 25f) Die Absurdität von Lifestyle- und Ratgebermagazinen wird, obwohl hier auch männliche Leser der Komik ausgesetzt werden, schließlich doch mit dem Stereotyp der einfach gestrickten Leserin von Frauenzeitschriften zur Pointe gebracht. (GG: 95) Damit wird in Generation Golf schließlich ein männlich-dominanter Blick realisiert, der tendenziell bereits in der Wahl des autobiographischen Verfahrens und dem Prinzip der Generationenbeschreibung (Generationen sind in der Regel männlich) angelegt ist und der auch in Rezensionen angekreidet wurde. Schließlich kommen Akteure in Generation Golf selten wirklich selbst zu Wort, es sei denn in Form von gruppen- oder personenspezifischer Rede, mit der die anvisierten Akteure der Komik ausgesetzt werden: Es wird (von „oben“) über Akteure, nicht mit Akteuren gesprochen. 93 Die Tatsache, dass innerhalb der Generationsgenossen Spaltungen und Abgrenzungen verlaufen, täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass die dominante Form der Differenzbetonung in der Gegenüberstellung zwischen Generationsgenossen und omnipotenten „68ern“ besteht. Sie stellen das eindeutige Feindbild dar, dessen Deutungshoheit und Macht angegriffen werden soll.

Formen der Konsensbetonung Die Feindschaft der Generationsgenossen zu 68ern ist ein Element des Versuchs, das Bild einer geschlossenen Generation zu zeichnen und eine kollektive Identität zu konstruieren. Diese Feindschaft wird unterstellt, indem die 68er als dämonisierter, zwanghafter Gegner repräsentiert werden, gegen den sich die Generationsgenossen leicht positionieren können und dessen Darstellung ohne jede Form von Zwischentönen auskommt: Vom Stereotyp abweichende, positiv gezeichnete oder akzeptable 68er tauchen in Generation Golf nicht auf. Sie können sich lediglich akzeptabel machen, indem sie alle mit ih-

93 Dabei werden zahlreiche Stimmen ausgeschlossen, die zumindest in rudimentärer Form hätten repräsentiert werden müssen, wollte man dem Anspruch eines realistischen Generationenbildes gerecht werden. Was für ihn als Landei gegolten habe, sei überraschenderweise auch für Generationsgenossen aus der Großstadt zutreffend, so Florian Illies in einem Interview. (Vgl. Illies 2002d) Sicherlich ist es nicht Aufgabe des Autors, jeder nur denkbaren Minderheit angemessenen Raum innerhalb der Erzählung zu verschaffen. Die Absenz von Migranten (und von Fremdenfeindlichkeit!) bleibt dennoch auffällig. Spätestens nach dem Verlassen der Provinz hätte der Erzähler oder eine seiner Figuren Kontakt zu Migranten haben und dies in irgendeiner Form erwähnen können.

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN | 201

nen verbundenen Eigenschaften ablegen und sich an der Generation Golf orientieren. Zu diesem Identitätsentwurf gehört die gemeinsame Ansprache, die mit Beobachtungen des Icherzählers eingeleitet wird und in einem weiteren Schritt zu „Man“ und „Wir“ generalisiert wird. Unter diesem Dach werden die real existierenden und sogar betonten Differenzen innerhalb der Generation durch gemeinsam geteilte Überzeugungen und Praktiken überbrückt, die Generation so durch gemeinsame Werte vereinheitlicht. Dies sind im Wesentlichen geteilte Konsumerfahrungen, eine geteilte Mediensozialisation und eine grundlegende Ideologie- und Theorieferne. Flexible Grenzziehungen und Mindeststandards geben dabei die Orientierung vor und wirken maximalinklusiv. Auch hier wird eine Homogenität unterstellt: Vom einigkeitsstiftenden Muster abweichende Generationsgenossen werden dabei zum einen ridikülisiert, zum anderen aus der Erzählung ausgeschlossen – ein Gegenentwurf zu den Generationsgenossen, der immerhin denkbar wäre, wird nicht repräsentiert. Der mögliche Sonderfall eines politisch engagierten, konsumkritischen und nicht distinktionsbewussten Generationsgenossen, der auch noch positiv dargestellt wird und mit sich selbst zufrieden ist, existiert in der Logik des Generationenbildes nicht.

Die Generation Golf: ein unmöglicher Identitätsentwurf Generation Golf zeichnet das Bild eines Wir, die Wirkungsabsicht des Textes ist die, den Rezipienten ein Wir erkennen zu lassen und sich damit zu identifizieren, d.h. das Identitätsangebot (mehr oder minder affektiv und spontan) anzunehmen. Für den Historiker Lutz Niethammer ist „[...] Identität mittlerweile ein Allerweltswort für jedweden Kontext geworden.“ (Niethammer 2000: 34), ein „inhaltsarmer Reduktionsbegriff“ (ebd.) Jean-Claude Kaufmann beklagt, dass derjenige, der den Identitätsbegriff im Munde führt, einen hohen Preis zu zahlen hat, der darin besteht, dass man einen Begriff verwendet, „ohne sich allzu viele Gedanken darüber zu machen, worum es geht.“ (Vgl. Kaufmann 2005: 37) Zugleich notiert Kaufmann, dass der Identitätsbegriff sowohl inner- als auch außerwissenschaftlich als neues Paradigma und/oder neue Bezeichnung für bereits anders benannte Sachverhalte verwendet wird: Subjekte stellen ihre Identität aktiv her, Identität steht oft synonym für Kultur, Nation oder Religion, politische Programme verfügen über Identität und nicht zuletzt ist jedes große Unternehmen bestrebt, ein attraktives Image und eine eigene Identität aufzubauen. Schließlich werden, so Thomas Meyer, in einem „Identitäts-Wahn“ (Meyer 1998), vor allem durch die Auseinandersetzung mit den Stichworten Samuel Huntingtons 94 , politische Prozesse und Probleme zu Fragen kultureller Unterschiede umcodiert: „Soziale und ökonomische Verhältnisse, die viele Menschen empören, werden als Folge des Verfalls kultureller Identität oder der vorsätzlichen Vermengung von Kulturen hingestellt.“ (Ders.: 26, Hervorhebung von T.K.) Kurz: Wer den Identitätsbegriff verwenden will, ist noch viel mehr als üblicherweise dazu gezwungen, seine Wortwahl zu reflektieren und auszu-

94 Samuel Huntington wird in Generation Golf zwei als Theoretiker vorgeführt, den man erst belächelt habe, dessen Thesen einem jedoch nach dem 11. September 2001 die Augen geöffnet hätten. (GG2: 105)

202 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

weisen, welche der existierenden Identitätsdefinitionen er/sie verwenden will. Dies kann im gegebenen Rahmen nur rudimentär geschehen. Identität lässt sich zunächst als persönliche Identität definieren, als etwas, das einzelne Subjekte auszeichnet (Individualität, Singularität). Zugleich leben Subjekte in einer durch Kommunikation und Interaktion geprägten Welt, in deren Austauschprozesse sie eingebunden sind. Sie verfügen so auch über eine soziale Identität – mehrfache Rollenidentitäten, Zugehörigkeiten zu Gruppen und Kollektiven. Das Verhältnis dieser zwei Identitäten lässt sich als hierarchisch-reziprok definieren: Es ist hierarchisch, indem Identität vom Bewusstsein eines sich selbst für einzigartig haltenden Subjekts ausgeht, darüber hinaus aber bis hin zur Identifikation dieses Subjekts mit der abstrakten Menschheit als ganzes reicht. (Vgl. Brewer/Schneider 1990: 171) Das Zugehörigkeitsempfinden zu einer kollektiven Identität reicht dabei „von einer dumpfen Ahnung bis zur klaren Erkenntnis und sprachlichen Artikulation.“ (Bader 1991: 125) Es ist reziprok, da beide Identitätstypen wechselseitig voneinander abhängen und in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen: Gesellschaftliche Prozesse wirken auf die persönliche Identität der Akteure ein, jene formen wiederum gesellschaftliche Prozesse. (Vgl. Berger/Luckmann 2004: 185) Der Gegensatz zwischen persönlicher und kollektiver Identität ist somit ein rein analytischer. Beide lassen sich nicht-essentialistisch als ein (lebenslanger) diskursiver und sozialer Konstruktionsprozess definieren. Sowohl individuelle als auch kollektive Identität sind nicht etwas Statisches, das man „besitzt“, sondern ein permanenter Entwurf, der an die Umwelt angepasst wird und im Gegenzug durch sie beeinflusst wird. 95 Identität und Differenz sind so zwei Seiten ein und derselben Medaille: in Anlehnung an Derridas Konzept der différance/différence, ist in der Identität als Prozess, Erzählung und Diskurs immer die Position des Anderen enthalten. Die Grenze zwischen dem (vermeintlich) mit sich selbst Identischen und dem Anderen ist so im permanenten Fluss, ohne die Möglichkeit, auf ein festes Zentrum zurückzugreifen. So wie in der Verwendung der Sprache als Mittel der Semiose ein Schnitt gemacht werden muss, um Bedeutung zu konstituieren, so muss in Ermangelung eines festen Zentrums für die eigene Identität eine ebenso willkürliche Grenze gezogen werden, d.h. der Unterschied muss gemacht werden. (Vgl. Hall 1994: 73ff) 96

95 Neben der Tatsache, dass in diesem Konstruktionsprozess Medien eine prägende Rolle spielen (vgl. Krotz 2003) und jene oft zum Austragungsort und Spielball von Kontroversen werden, ist es diese Konstruktionsfähigkeit als solche, durch die gezielte Identitätspolitik im Sinne einer gouvernementalen Identitätsregulation (vgl. Foucault 2006, Bröckling u.a. 2000) wirksam werden kann. Durch Regulation kultureller Kontexte kann so mittelbar das Verhalten von Individuen und Kollektiven reguliert werden, die sich an diesen Kontexten orientieren. Auf Ebene der Massenmedien sind dies etwa Identitätskampagnen wie „Du bist Deutschland“, mit denen durch Appelle an den Einzelnen (denn es heißt nicht: „Wir sind Deutschland“) ein kollektives Identitätsbild im Sinne einer „Gemeinschaft ohne Solidarität“ (Holly 2007) konstruiert werden soll (was nichts über die Wirksamkeit dieses Versuchs aussagt). 96 Stuart Hall betont in seiner Identitätstheorie jedoch auch nachdrücklich, sich nicht allzu sehr auf das „verfeinerte[.] akademische[.] Spiel“ (Hall 1994: 76) einzulassen, das sich um Jaques Derridas Zeichentheorie rankt. Es solle produktiv und emanzipativ genutzt werden, statt jedwede Verantwortlichkeit von vorn-

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Generation Golf lässt sich als Versuch verstehen, ein kollektiv tragbares Identitätsbild zu konstruieren und beim Rezipienten die o.g. „dumpfe Ahnung“ zu wecken. Dazu werden Differenzen gebündelt und als Inklusionsund Exklusionsmerkmale genutzt. Der Soziologe Bernhard Giesen systematisierte die verschiedenen Varianten dieser Bündelung von Differenzen zu identitätsprägenden Unterschieden in drei Codes. 97 Angesichts der Komplexität des Themas soll an dieser Stelle nicht der Versuch unternommen werden, die Konstruktionsprinzipien, die in Generation Golf in rudimentärer Form zu beobachten sind, einem dieser Codes zuzuordnen. In Folge sollen daher nur die abstrakten Prinzipien bedacht werden, die allen Codes zugrunde liegen: die Konstruktion eines Innen- und Außenbereichs, Modi der Aufrechterhaltung von Grenzen, Regeln für die Expansion des Innenraums bzw. Inkorporierung von Außenstehenden. Für diese Konstruktionsleistung ist rudimentärer Konsens zwischen den Mitgliedern der Gruppe nötig. In Generation Golf wird der Innenraum durch Zugehörigkeit zu einer Kohorte und durch gemeinsam geteilte Sozialisation und Werte gegen den Außenraum abgegrenzt. Die Grenze zum Außen orientiert sich zum einen an diesen Faktoren, zum anderen an der Existenz diametral entgegengesetzter Feindbilder, die ein gegenteiliges Prinzip vertreten und verkörpern. Dies entspricht einer „konstruktiven Strategie“ (Wodak 1998: 76) 98 , mit der ein bisher nicht existierendes Identitätsbild etabliert werden soll. Die o.g. Feindbilder werden etwa mit Rechtfertigungsstrategien und Strategien der Demontage und Destruktion angegriffen: indem politische und kulturelle Verfehlungen mit Hilfe einer „Sündenbock-Strategie“ (dies.: 79) dem Wirken dieses Feindes zugeschrieben und „irreale Szenarios“ (ebd.) aufgebaut werden, in denen sich das (schädliche) Wirken des diskursiven Gegners beobachten lässt. Schließlich wird durch systematische „Abwertung der GegnerInnen/Bestimmter Säulen der Identität“ (dies.: 92) der diskursive Gegner attackiert, etwa durch herabsetzende Personennamen und andere Formen der Stigmatisierung. Diese Feindbilder bleiben allerdings integrierbar, sie müssen sich dafür kathartischen Reinigungsritualen und Pädagogisierungen unterziehen, um ihre schlechten Eigenschaften abzulegen: Wer dazu gehören will, muss sich wandeln und beugen, „Lektionen in Lebenskunde“ (GG: 82) lernen, die richtigen Produkte besitzen, sich fit machen, den Gedankenspeck abtrainieren

herein durch den Hinweis auf das freie Spiel der Signifikanten von sich zu weisen. (Vgl. auch Eagleton 1997) 97 Primordiale Codes treffen die Differenzierung zwischen Innen und Außen an quasi-biologischen Eigenschaften wie Geschlecht oder Ethnizität. Die Grenzen sind dabei rigide, Fremde können nur durch exzeptionelle Zeremonien und Rituale aufgenommen werden. Traditionale Codes treffen die Unterscheidung auf Grundlage gemeinsamer Erinnerungen an die Vergangenheit. Außenstehende können durch langsames „Einleben“ Teil dieser Gemeinschaft werden. Die Angehörigen einer universalistisch codierten Gemeinschaft orientieren sich an einem gemeinsam geteilten, transzendenten Ideal. Außenstehende können durch Pädagogisierung Einlass zur Gruppe gewinnen. (Vgl. Giesen 1999: 24-69) 98 Das von Wodak u.a. definierte Identitätskonzept und die Strategien zur Aufrechterhaltung der Innen-Außen-Differenzierung wurden am Beispiel der „österreichischen Identität“ entwickelt, nichtsdestotrotz lassen sich die grundlegenden Verfahren auch für den Fall Generation Golf nutzen.

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sowie „öffentlich Abbitte“ (GG: 120) leisten und darauf hoffen, dass die Generation Golf „Absolution“ erteilt. (GG: 117) Die Art und Weise, wie hier das Bild einer zusammenhängenden Generation gezeichnet wird, verdeutlicht jedoch, dass es sich um einen paradoxalen Identitätsentwurf handelt. Die Konstruktion des Innenraums und dessen Abgrenzung gegenüber dem Außen geschieht ausgerechnet auf Grundlage von Kriterien, die zu allgemeinverbindlich und zu durchschnittlich sind (IKEA, H&M, VW Golf), um sie zur Konstruktion einer Gruppe zu verwenden, die sich von anderen abgrenzen lässt. Weder ist die Generation Golf die einzige oder erste Generation, die durch Medien und Konsumerfahrungen sozialisiert wurde, noch reicht der gemeinsam geteilte Feind „68“ als Differenzierungskriterium aus. Jener ist als Feind und Opfer von Ridikülisierungen und Schuldzuweisungen bereits Teil des Interdiskurses geworden: Dass „die“ 68er ablehnenswert sind, stellt den seltenen Fall eines übergreifenden Minimalkonsenses dar. 99 Paradox ist dieses Identitätsbild, weil es einen Zusammenhang zwischen Subjekten suggeriert, deren hervorstechendstes Merkmal jedoch die Differenz- und Konkurrenzorientierung darstellt. Obwohl in Generation Golf die Ansprache mit dem Personalpronom Wir vorherrscht und das Bild dieses Wir gezeichnet werden soll, bleibt kein Zweifel daran, dass für diese Generation ein Wir nicht zu haben ist und die Generationsgenossen in Zeiten des „new capitalism“ schlecht beraten wären, sich auf ein Wir zu verlassen. Tatsächlich wird auch in Generation Golf beklagt, dass „wahre“ Identität im Sinne eines einzigartigen Subjekts gegenwärtig nicht mehr zu haben sei. Es gäbe letztendlich keinen Ort außerhalb der consumer society. Immer wenn man bestrebt sei, eine Enklave des Individualismus für sich zu sichern, bemerke man, dass bereits schon viele andere auf die gleiche Idee gekommen sind – man könne immer nur „zusammen mit ganz vielen anderen gemeinsam individualistisch“ (GG: 90) sein. Genau dieses Phänomen der unmöglichen Identität wird, gemeinsam mit der Unmöglichkeit, die Gesellschaft zu „durchschauen“, paradoxerweise zu einem der hervorstechenden Merkmale der eigenen (kollektiven) Identität erklärt. Was als identitätsstiftende Kraft somit übrig bleibt, sind die Konsensfiktionen der Konsumgesellschaft.

Transit Der Fokus auf Konsumentenprofile, die Betonung von Differenz und Distanz gegenüber den stilistisch Benachteiligten bei gleichzeitigem Versuch, eine verbindende Klammer zwischen den legitimen Generationsgenossen über die richtigen Praktiken und Konsumvorlieben zu finden, die Betonung der eigenen Normalität und die Arbeit an derselben, schließlich die Ästhetisierung der Waren als einzige Möglichkeit, dem gesellschaftlichen Leben Sinn abzutrotzen – all dies weist darauf hin, dass es einen funktionalen Zusammenhang zwischen der Macht eines neuen kapitalistischen Geistes, den o.g. Phänomenen sowie deren literarischer Verarbeitung gibt.

99 Dies lässt sich wohl am besten an der Existenz von Verteidigungsschriften für die 68er Generation erkennen, die oft dazu gezwungen sind, das ansonsten in einem anderen ideologischen Zusammenhang verwendete Motiv „Es war nicht alles schlecht“ zu variieren.

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Jede epistemische Struktur verfügt über einen für sie typischen, historisch bedingten Modus der Konstitution von Subjekten und größeren gesellschaftlichen Entitäten, mit dem die Formation von Begriffen bzw. diskursiven Ressourcen – und damit die möglichen Redeweisen über diese Entitäten und die Wahrheitswerte dieser Redeweisen – definiert und begrenzt wird. Dieser Modus hat sich (zumindest in Deutschland) so weit von vertikalen Paradigmen entfernt und den pluralistisch-kulturalistischen Beschreibungsformen zugewandt, dass sowohl öffentlich als auch zunehmend wissenschaftsintern diese klassischen Paradigmen an die Grenze 100 des Sagbaren stoßen, was dann evident wird, wenn man sich öffentliche politische Diskurse vor Augen führt, in denen gesellschaftliche Probleme wie Armut und Exklusion diskutiert werden: „Ich teile unsere Gesellschaft nicht in Schichten auf. Das stigmatisiert die, die schwächer sind.“ (Franz Müntefering 2006) Wurde somit fachintern das unkritische Lebensstilkonzept über Bord geworfen oder ergänzt (siehe oben), so übt es im öffentlichen Diskurs nach wie vor eine erhebliche Anziehungskraft aus, das mit dem subjektiven Erleben der Akteure – aufmerksamkeitsökonomisch: der Akteure, um die es geht – vordergründig besser zur Deckung kommt als die pessimistischen (also realistischen) und feste Grenzen auflegenden Klassen- und Schichtenmodelle – wer will schon Teil einer „engstirnigen“ Klasse sein, wenn ihm/ihr erfolgreich suggeriert werden kann, Individualität und Zugehörigkeit lasse sich durch ein Auto, einen Urlaub oder ein neues Sofa gewinnen? Die gesellschaftliche Selbstbeschreibung aus kultureller Warte passt dabei auf den neuen, ebenso kulturellen Politikstil, der im ideologischen Dunstkreis aus new labour, neuer Mitte und den sozialwissenschaftlichen Stichwortgebern (Anthony Giddens, Ulrich Beck) entwickelt wurde und von konsensueller Zusammenarbeit, Appell an die Eigenverantwortung und Akzeptanz sowie der Förderung kosmopolitischer Lebensweisen und -stile gekennzeichnet ist. Mit ihm ist es gelungen, zuvor gegnerische Gruppen und Forderungen entweder zu marginalisieren oder zu integrieren – etwa den Wunsch nach mehr Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung. Die Abbildung gesellschaftlicher Akteure als wahlfreie Performer kommt dabei zum einen dem Selbstverständnis einer Nation zugute, die sich als moderner, zukunftstauglicher Standort präsentieren will. Zudem verfügt sie über einen Wahrheitswert, indem sie auch dem Selbstverständnis einiger privilegierter Akteure entspricht, die soweit von den Chancen dieses neuen Kapitalismus profitierten, dass sie tatsächlich das Leben eines von ökonomischen Zwängen befreiten, multioptionalen Katalogblätterers leben können – „in den höheren Etagen der Schichtungshierarchie lebt (und forscht) es sich angenehmer, wenn man davon ausgeht, das ärgerliche Problem der sozialen Gerechtigkeit sei weitgehend gelöst.“ (Geißler 2006: 119) Damit passt der in Generation Golf literarisch durchgeschleuste Blick sehr gut zum Selbstverständnis der zum Erscheinen noch nicht besonders al100 Diese Einschränkung muss getroffen werden, da ja nach wie vor der Klassenund Schichtenbegriff aktiv thematisiert wird und werden kann. Zu einer vollständigen Entartikulierung dieser Paradigmen ist es somit (noch) nicht gekommen, auch wenn (um mit Gramsci zu sprechen) die am Klassenbegriff orientierte Soziologie diskursive Rückzugsgefechte austrägt, und dass obwohl nach wie vor die klassisch vertikalen Ungleichheiten und die Selbstverortung in Klassen und Schichten in den Köpfen der Menschen präsent ist und dies auch empirisch belegt wurde. (Vgl. Geißler 2006: 116ff)

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ten Berliner Republik, was auch die zuteil gewordene Aufmerksamkeit erklären dürfte. In Generation Golf wird das Bild einer Gesellschaft gezeichnet, das so aussieht, wie sich die Gesellschaft und ihre Eliten gern selbst sähen, und das auch für das Selbstverständnis jüngerer Mittelschichten attraktiv ist – und damit potenziell auch für die Konsumenten von Generation Golf, die sich in den geschilderten Praxisformen auf wundersame Weise wiederzufinden glauben, da sie dieses Bild habituell bereits verinnerlicht haben: „Der Neoliberalismus ist bereits dem Denken der dominierten sozialen Gruppen eingeschrieben. Seine Ideologie [...] ist so wirksam, weil sie zivilgesellschaftlich durch eine ‚Kultur des Marktes‘ unterfüttert wird.“ (Candeias 2004: 201) Anders ausgedrückt: Dieses Bild ist auf dem sprachlichen Markt besonders attraktiv und verspricht reichhaltige Aufmerksamkeits- und Zustimmungsgewinne, insbesondere innerhalb der sozialen Felder, auf die ein Text wie Generation Golf bezogen ist und dessen – an gesellschaftlichen Bedingungen geschärfte – Beurteilungskategorien er bedient. In dieses Bild passt auch die Repräsentation des Politischen in Generation Golf: Politik wird zum einen als bloßer „Zuschauersport“ (Edelman 2005: 4) repräsentiert, dessen Vertreter letztendlich ununterscheidbar sind, so dass man sich von der Politik abwendet. Echte Politik findet in diesem Bild überhaupt nicht mehr statt. Realistisch ist in diesem Bild, dass die Abwendung vom Politischen tatsächlich stattfindet (was sich in sinkenden Wahlbeteiligungen ablesen lässt), dass der symbolische Gehalt des Politischen steigt (siehe erneut: Edelman 2005) und dass sich die Grenzen des politisch Sagbaren so verengt haben, dass selbst ein Akteur wie George Soros, der seinen Besitz der Politik des „new capitalism“ verdankt, konstatiert, der „Marktfundamentalismus [sei] inzwischen so mächtig, dass alle politischen Kräfte, die sich ihm zu widersetzen wagen, kurzerhand als sentimental, unlogisch oder naiv gebrandmarkt werden.“ (Soros 1998: 27) Unrealistisch ist jedoch die Annahme (siehe oben), dass es die saturierten Generationsgenossen sind, die sich von Wahlen abwenden. Was im folgenden Verlauf noch deutlicher wird, ist die Tatsache, dass dieses Bild der unattraktiven und bloß schwachen Politik, die nur noch symbolisch verfährt, der Modus ist, mit dem Akteure politisch entartikuliert werden können und politische Macht ausgeübt werden kann: „Nicht die Politik wird entmachtet, vielmehr nimmt sie innerhalb eines veränderten Verhältnisses von Politik und Ökonomie neue Formen an. Diese Formen der Politik werden von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen und politischen Blöcken gemeinsam durchgesetzt.“ (Candeias 2004: 157) Dass jedoch dieses multioptionale Konsumleben nicht friktionsfrei bleibt, zeigt der in Generation Golf sichtbare Selbstoptimierungs-, Flexibilitäts- und damit verbundene Abgrenzungsdruck, der auf den Akteuren lastet, dem wiederum ein reales Pendant gegenüber steht. Schematisch: Der neue Kapitalismus fordert die ganze Arbeitskraft, die sich inklusive ihres psychischen Haushalts in die Produktion einzubringen hat und – im Rahmen der gewährten und etwa in betrieblichen Leitlinien codierten Freiheiten – normal zu funktionieren hat, und sei es auch nur in Form einer Fassadennormalität, die sich in Generation Golf an der Erfolgs-Mimikry derjenigen ablesen lässt, die den Charakter von Leistung, Erfolg und Business-Einstellung mit Surrogaten wie dem Anzug von H&M (statt von Boss) vorgaukeln. Dabei kommt es aufgrund gestiegener und forcierter Konkurrenz zu Dominanz- und Abgrenzungsbestrebungen, deren Härte angesichts der Auflösung klassischer Sinn-

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ressourcen über den Warenkonsum, seine Ästhetisierung und nicht zuletzt auch durch maßvolle (konsumistische) Dissidenz aufgefangen wird: „Nicht die Kirchen, sondern die Konsumtempel sind der Ort moderner Religiösität.“ (Bolz 2002: 115) „Die Sinnproduktion des ungebremsten Konsums verläuft dabei über die Ästhetisierung der Waren. Dieser Prozess wird keineswegs einfach von außen, durch Kapital, Werbeindustrie und Medien vorgegeben, sondern verläuft als Aneignungsprozess vorm Hintergrund herrschender kultureller Werte wie gegenkultureller Vorstellungen, die selbst warenästhetisch umgeformt werden. [...] Dieser Konsumismus gewinnt desto mehr Raum, je mehr (politisch konstruierte) ökonomische Sachzwänge die Konkurrenz in der Gesellschaft verschärfen, besitzindividualistisches Handeln fördern und damit soziales und sozialkritisches Engagement in die Defensive drängen [...].“ (Candeias 2004: 201f, Hervorhebung von T.K.)

Damit passt ein solches Verhalten zu zentralen ideologischen Annahmen, die den Diskurs des „new capitalism“ fundieren. Der Diskurs des „new capitalism“ grenzt dabei an andere, mit ihm verwandte bzw. auf ihn bezogene Diskurse, deren Elemente in Generation Golf ebenfalls repräsentiert werden. Zentral für die feldinterne Wirksamkeit eines Textes wie Generation Golf ist dessen Ankopplung an die Struktur des politischen Korrektheitsdiskurses.

Generation Golf und der politische Korrektheitsdiskurs „Wird hier nicht ein altlinkes ‚Gutmenschentum‘ als Pappkamerad aufgebaut, dem gegenüber die Generation Golf sich als Fraktion der Provokateure profilieren kann?“ (Kamman 2002)

Die Junge Freiheit bewirbt sich selbst damit. Hans-Magnus Enzensberger wird dafür gelobt, gegen die allgegenwärtige „moralische Überdüngung“ (Smoltczyk, zit. n. Rügemer 1999) anzukämpfen. Martin Walser schien zeitweise seit seiner Paulskirchenrede vollständig davon absorbiert zu sein. Die Klage darüber, ihm werde der Mund verboten, erschien dann im Spiegel. Im Jahr 2006 verbannte das öffentlich-rechtliche Fernsehen den Fernsehfilm Wut ins Spätprogramm. Der Film erzählt die Geschichte einer bildungsbürgerlichen Familie, die in einen Konflikt mit einem türkischstämmigen Jugendlichen und dessen Familie gerät, der in einer gewalttätigen Katastrophe endet. Die Entscheidung, den Film zu verschieben, erntete sowohl die Kritik, dies sei ein Einknicken vor Denkverboten (so Edmund Stoiber), als auch die Kritik, diese Verschiebung könne suggerieren, der Migrationsdiskurs sei von Tabus und Denkverboten geprägt. (Vgl. von Festenberg 2006: 122) Im Jahr 2001 druckte der Spiegel eine Passage aus Florian Illies Anleitung zum Unschuldigsein (AZU: 103ff) unter der Überschrift „Essay“ ab. Dort wurde im Modus ironischer Überzeichnung der Leser aufgrund der vermeintlich lang eingeübten Zurückhaltung zu einer befreienden Übersprungshandlung animiert, welche darin besteht, beim Lieblingsitaliener in

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Uniform aufzutauchen und alle drei Strophen des Deutschlandliedes vorzutragen. (Vgl. Illies 2001f: 102) All dies sind nur selektive Beispiele für ein paradoxes Phänomen, welches in Folge als „politischer Korrektheitsdiskurs“ bezeichnet werden soll. In den folgenden Abschnitten wird untersucht, über welche Regeln dieser Diskurs verfügt, wie er an andere Diskurse angekoppelt ist und wie Generation Golf sich als Teilnehmer und Verwerter dieses Diskurses auffassen lässt. Denn auch wenn in Generation Golf nie expressis verbis auf die politische Korrektheit hingewiesen wird, so folgt die Struktur der Argumentation dem (noch zu beschreibenden) Korrektheitsmuster, während dabei vor allem jene Feindbilder entartikuliert werden, die auch im Korrektheitsdiskurs meist den Gegner darstellen. Generation Golf betritt den Boden des politischen Korrektheitsdiskurses, indem es die typischen Elemente dieses Diskurses aufgreift und durchschleust. Der Text übernimmt dabei Argumentationsformen dieses Korrektheitsdiskurses und ist selbst Teilnehmer dieses Diskurses. Auch der Autor Florian Illies ließ schließlich kaum eine Gelegenheit aus, sich etwa in Interviews im Sinne des (noch genauer zu beschreibenden) Korrektheitsmusters zu positionieren und sich als Rebell und Sprachrohr unbequemer Wahrheiten zu gerieren, welche endlich (natürlich auch mit Hilfe der eigenen Texte) ausgesprochen wurden und weiter umgesetzt werden müssten. Generation Golf ist so, auch durch Rezensionen und die angestoßene massenmediale Diskussion über Existenz und Wesen dieser Generation, in den Diskurs über Korrektheit und Unkorrektheit gänzlich eingebettet.

Political Correctness: Skizze der Geburt eines Mythos und kommunikativen Jokers Amerikanischer Ursprung Die allgemeinen Ursprünge des Korrektheitsdiskurses liegen in ironischen Selbstbeschreibungen der politischen Linken, mit der diejenigen belegt wurden, die absolute Linientreue erwarteten. (Vgl. Wilson 1995: 4) Der Ort, an dem politische Korrektheit zu einem allgemeinen „Problem“ erkoren wurde, ist die amerikanische Universität zu Beginn der 90er Jahre. Zu jener Zeit wurden amerikanische Universitäten, oftmals mit massenmedialer, personeller und finanzieller Unterstützung durch konservative Kräfte, zum Hort der political correctness und eines „linken McCarthyismus“ stilisiert, dem es gelungen sei, seine Sprachregeln und umgekehrten Diskriminierungen gesamtgesellschaftlich auf allen Feldern zu etablieren. Damit sei letztendlich die Aufhebung der Meinungsfreiheit und die Eliminierung politischer Alternativen verbunden. Für amerikanische Universitäten lassen sich typische Basiserzählungen und Zerrbilder identifizieren, von denen exemplarisch drei genannt werden sollen und von denen angenommen werden darf, dass sie sich (in z.T. abgeschwächter Form) auch auf deutsche Verhältnisse übertragen lassen und (ganz, teilweise oder variiert) zu beinahe einwandsimmunen Einsichten des common sense geworden sind (auch weil sie real empfundene Benachteiligungsgefühle und/oder einen schichtspezifischen Antiintellektualismus zu kanalisieren imstande sind):

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1. Die Geschichte des benachteiligten Mannes, der etwa bei Personalentscheidungen aufgrund von Quoten und positiver Diskriminierung systematisch zugunsten von Frauen übergangen wird. 2. Die Geschichte über ethnische und soziale Minderheiten, die in großer Zahl die öffentlichen Einrichtungen (in den USA insbesondere Universitäten) erstürmen und dabei in der Lage sind, jede Kritik daran als rassistisch zu brandmarken. 101 3. Ein typisches Beispiel für den amerikanischen Korrektheitsdiskurs, dem in vergleichbarer Intensität kein deutsches oder europäisches Gegenstück entspricht, ist die Geschichte über die Dominanz linker und liberaler Professoren. Ihnen sei es gelungen, Studierende in Dekonstruktion, Marxismus, Feminismus und kulturellen Partikularismen zu indoktrinieren und zugleich die Pflege der Klassiker als „reaktionär“ zu brandmarken. 102 Ähnliches lässt sich in zahlreichen Mythen feststellen, die sich um den vermeintlich hegemonialen Rang des politisch korrekten Deutungsmusters ranken, etwa dass es unmöglich sei, über kriminelle Minderheiten zu berichten (in den USA insbesondere über Afroamerikaner, in Deutschland etwa besonders über muslimische Migranten, siehe das einleitende Beispiel), da jene aufgrund ihrer gesellschaftlichen Benachteiligung a priori als unschuldig und gar moralisch überlegen gelten und entsprechende Berichte von empörten Sachwaltern umgehend als rassistisch klassifiziert würden. Der Hinweis, jemand oder etwas sei politisch korrekt, avancierte in den 90er Jahren zu einer polyvalent einsetzbaren Letztbegründung, mit der ein beliebiger Gegner oder Sachverhalt delegitimiert werden konnte, ohne dass es dafür besonderer Argumente bedurfte. Dies richtete sich in den USA vor allem gegen die liberals, wodurch in Folge liberal zu einem Stigmawort avancierte, das insbesondere gegen die amerikanische Medienlandschaft und gegen „liberal Hollywood“ gerichtet wurde. Allein das Stigma, politisch korrekt zu sein, suggerierte dabei bereits Verblendung, Denkschablone, blinde Ideologie, moralischen Stalinismus. Der damit bezeichnete Gegner fiel so aus der Bandbreite legitimer Diskussionspartner aus. Nicht zuletzt wurde politically incorrect zu einem Schlüsselwort innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie und zu einem Verkaufsargument für Bücher, Zeitungen und andere Medien (so etwa die gleichnamige amerikanische Fernsehsendung). Dabei erhielten nicht nur Konservative eine 101 „Conservatives have created the legend of the lonely white male Ph. D. who, like some kind of Marlboro Man, wanders the frontiers of academia, seeking any work he can find [...], while women and minorities race up magic path to the top.“ (Wilson 1995: 136) 102 Gerade dieses Beispiel ist Anhaltspunkt für die These, es im Korrektheitsdiskurs an amerikanischen Universitäten eher mit einer „conservative correctness“ zu tun zu haben, welche wiederum in der „fiscal correctness“, und damit in der von Nützlichkeitserwägungen geleiteten Restrukturierung des Bildungssystems, begründet liege. (Wilson 1995: 163) Die o.g. Attacken ließen sich schließlich auf die Struktur des Bildungssystems zurückführen, welches den Studierenden als Kunden betrachtet und dem es bei einem Preis von 30.000 Dollar und mehr pro Semester nicht zuzumuten sei, sich mit den o.g., potenziell nutzlosen Themen auseinandersetzen zu müssen – vor allem dann nicht, wenn aufgrund angestrebter Karrieren der Abschluss an einer ganz bestimmten Universität zwingend erforderlich ist.

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Legitimationsgrundlage für jede (potenziell reaktionäre, fremden- oder frauenfeindliche) Äußerung: Political correctness bot sich geradezu an, ironisiert zu werden, und stellte aufgrund der Attraktivität von Tabubruch und Rückzug einen dankbaren Gegenstand dar, mit dem sich auch außerhalb der o.g. Kreise Aufmerksamkeitsgewinne erzielen ließen.

Politische Korrektheit in Deutschland Mitte der 90er Jahre wurde der politische Korrektheitsdiskurs nach Deutschland importiert. (Vgl. Huhnke 1997: 270ff) Sein Siegeszug begann vor allem in konservativen Medien (federführend war hier etwa die FAZ) und konservativen Kreisen und wurde vor allem von den Rechtsextremen dankbar aufgenommen. Unter dem Banner der nicht bewiesenen Behauptung, in Deutschland herrsche (wie in den USA) ein bereits im Kindergarten eingeübtes Sprech- und Denkverbot, wurden schließlich die (alten) ideologischen Kämpfe neu ausgefochten, die ihren Ursprung zu weiten Teilen in den 60er und 70er Jahren haben. (Vgl. Dietzsch/Maegerle 1996) Stellten „die“ 68er bereits in Fragen der Demographie und der Generationenverhältnisse den Fixpunkt dar, so sind sie und all das, was sie tatsächlich repräsentieren (und was ihnen nur zugeschrieben wird), auch im Korrektheitsdiskurs der argumentative Dreh- und Angelpunkt – und so, was kaum überraschen dürfte, auch in Generation Golf. Darüber hinaus avancierte das Spiel mit der politischen Korrektheit (ähnlich wie in den USA) zu einem lohnenswerten Verfahren in der Aufmerksamkeitsökonomie, welches bis heute sowohl in ernsthafter als auch komischer und ironischer Absicht Verwendung findet, ohne dass dabei notwendigerweise Korrektheit und Unkorrektheit expressis verbis thematisiert werden müssten. Beispielhaft ist hier der Satiriker, der ein tendenziell bereits gekipptes Tabu demonstrativ bricht und sich in Folge ironisch-verschreckt die Hand vor den Mund hält (perfektioniert wurde dies in Deutschland etwa von Harald Schmidt). Die Beschaffenheit des politischen Korrektheitsdiskurses (siehe unten) hilft auch dabei, die bereits thematisierten Renationalisierungstendenzen besser zu verstehen, die sich in der Popkultur und der Popliteratur in der Zeit der Schlagwörter „new economy“ und Berliner Republik beobachten ließen (und von denen man annehmen darf, dass sie auch gegenwärtig nachwirken). Dass sich die politische Unkorrektheit, die einigen exponierten Vertretern der Popliteratur nachgesagt wurde (siehe Literatur Konkret 2001), und der aus frühen Avantgardebewegungen geliehene Dissidenzmythos in der Forderung nach „neuer“, „unbekümmerter“ Literatur trafen, ist somit kein Zufall. Es gehörte zum Standardrepertoire und stellte ein beliebtes Verkaufsargument dar. Oftmals wurde, flankiert durch den kollektiv geteilten Ursprungsmythos der „Kulturnation Deutschland“, die internationale Unterlegenheit deutschsprachiger Pop-Produkte erst unterstellt, um dann umso legitimierter zu sein, die Förderung derselben anzumahnen. In der Popliteratur lassen sich ähnliche Tendenzen abbilden: Wenn es heißt, „junge“ und vor allem „deutsche“ Literatur gelte wieder etwas (Becker/Janetzki 2000: 7), so impliziert dies, dass sie bisher nichts galt, dass sie potenziell von Gegnern behindert wurde. Daher gerieten überproportional häufig typischerweise zwei Gegner in das Visier: ein unterstelltes, vermeintlich aufgezwungenes und früh eingeübtes schlechtes Gewissen (in Fragen von Geschichte, Konsum, Politik usw.) und eine Riege älterer, vermeintlich

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omnipotenter Literaturdinosaurier, die den Jüngeren durch ihre Definitionshoheit über legitime Literatur Steine in den Weg gelegt und darüber hinaus das schlechte Gewissen mitkonstruiert haben. * Der Kampf um political correctness spielt sich insgesamt im Schnittpunkt von Politik und Sprache ab. Es ist ein Kampf um politische und kulturelle Hegemonie, um die Grenzen des Sagbaren, und damit kein neuartiges Phänomen: Sprachkritik wie Dolf Sternbergers „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“, Victor Klemperers „Lingua Tertii Imperii“, aber auch jüngste Beispiele wie die „Bibel in gerechter Sprache“ verweisen auf den allgemeinen Kampf um die gültigen Repräsentationsformen. Dass die alleinige Veränderung des Sprachgebrauchs jedoch noch keine Veränderung der gesellschaftlichen Realität nach sich zieht, auch deshalb, weil die Ersatzbegriffe nach und nach die negative Konnotation des ursprünglichen Begriffs erben, steht auf einem anderen Blatt: Die Wortneuschöpfungskette von Neger zu Schwarzer zu Afroamerikaner hatte trotz der in diesem Sinne „korrekten“ Umbenennung keine realpolitischen Folgen – an der Benachteiligung der Schwarzen hat sich in den USA kaum etwas verändert, selbiges gilt in Deutschland etwa für Sinti und Roma, seit sie nicht mehr öffentlich „Zigeuner“ genannt werden (dürfen). Dennoch kann trotz dieser berechtigten Kritik festgehalten werden, dass das, was von den Unkorrekten als Meinungsterror diffamiert wird, Teil einer (nicht nur sprachlichen) Demokratisierung ist, die etwa durch Abbau von Höflichkeitsfloskeln auch Standesdünkel reduziert hat. Insofern verwundert es nicht, dass die Kämpfer gegen Korrektheit, die für sich „freies Sprechen“ beanspruchen und den Raum des Sagbaren angeblich erweitern wollen, oft im selben Atemzug nach Werten, Moral und Etikette rufen, d.h. wieder für festere, allerdings andere Sprachgrenzen plädieren. Es wird sich zeigen, dass dies der Anschlussfähigkeit und Polyvalenz des Korrektheitsmusters geschuldet ist (ob man sich nun explizit auf Korrektheit und Unkorrektheit bezieht oder sich nur die Strategien des Musters zueigen macht). Ob die Diskussion über angemessenes Sprechen und angemessene Begriffe tatsächlich einen Minimalkonsens und ein „zivilisatorisches Minimum“ (Wengeler 2002: 12) aufrecht zu erhalten hilft, oder ob letzteres nur ein Ideal darstellt, das im öffentlichen Diskurs zwar hochgehalten wird, dessen Anspruch aber selten umsetzt wird, soll hier nicht geklärt werden. Dieses Minimum und dieser Konsens verkörpern den Ast, an dem mit unterschiedlicher Intensität (etwa durch Nationalkonservative und Rechtsextreme) und Intention (Selbstdarstellung, Erzeugung von Aufmerksamkeit, politische Zwecke usw.) von den Unkorrekten gesägt wird, die damit in letzter Konsequenz (ob gewollt oder nicht) auch die Ideale aufklärerischer Projekte – etwa die Gleichheit aller Menschen – diskursiv untergraben.

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Politische Korrektheit I: Dimensionen einer attraktiven Deutungs- und Legitimierungsformel und deren Verwendung als Entartikulierungsformel in Generation Golf Drei Geschichten Auch Generation Golf klopft im ironischen Modus Variationen von Erzählungen ab, die für den Korrektheitsdiskurs typisch sind und von denen hier (aus Gründen der Symmetrie zu den amerikanischen Mythen der Korrektheit) ebenfalls drei genannt werden sollen: 1. Die Erzählung von der Umweltverschmutzung, die ja angesichts bestehender Wälder nicht so schlimm gewesen sein könne. (GG: 169) 2. Die Erzählung von der erreichten Gleichberechtigung, die bereits dazu neige, in die Benachteiligung von Männern umzukippen: „Mittlerweile sind längst die Frauen in der Offensive“ (GG: 172), Männer werden in „Ratlosigkeit“ (GG: 173) zurückgelassen. 3. Die Erzählung des gebrochenen Verhältnisses zur deutschen Nation, dem wohl zentralen Mythos des Korrektheitsdiskurses: Nicht nur, dass die Generationsgenossen der permanenten Indoktrinierung ausgesetzt sind (GG: 174ff), kaum dass die Generation Golf leiseste patriotische Gefühle hegt, wird sie von „albernen Linksradikalen“ (GG: 176) ausgepfiffen. Der Bezug auf die politische Korrektheit ist im Text nie explizit. Die Struktur des Korrektheitsmusters, dessen typisches Repertoire sowie die Selbstdarstellungen des Autors verdeutlichen jedoch die Relevanz des Korrektheitsmusters für das Verständnis von Generation Golf. Das Repertoire des politischen Korrektheitsdiskurses Eine überzeugende Theorie über die Regeln des politischen Korrektheitsdiskurses in Deutschland wurde von Marc-Fabian Erdl (2004) vorgestellt. Auf die politische Korrektheit zu verweisen oder sich ihrer Themen zu bedienen funktioniere als argumentative Strategie vor allem deshalb so gut, weil sich mit passenden Repertoire-Elementen bereits vorhandenes Wissen beim Rezipienten aktivieren lasse. Diese Repertoire-Elemente umfassen Begriffe oder Redewendungen (aber auch kanonische Texte), mit denen Gegenstände, Themen und Konventionen der außerliterarischen Welt beschrieben werden. Sie werden wie ein „Köder“ vom Rezipienten erkannt und rufen dessen Wissen über dieses Element auf. Die Nachricht, die sich dieser Repertoire-Elemente bedient, wird mit dem Wissen des Lesers über diese Repertoire-Elemente angereichert. Eine passende Analogie aus der Popkultur wäre das Sample (ders.: 258), ein kurzer Klangschnipsel aus einem anderen Musikstück, der vom Hörer erkannt und zugeordnet werden kann und die Aufnahme des Musikstücks, das dieses Sample verwendet, in eine bestimmte Richtung lenken kann. In der Debatte um die politische Korrektheit dominieren Verweise auf Elemente, die unzweifelhaft negativ konnotiert sind. Beiträge zum politischen Korrektheitsdiskurs schmücken sich so häufig mit Hinweisen auf

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George Orwells „1984“, allgemein abgelehnten Ismen (Stalinismus, Nationalsozialismus) oder Begriffen wie Denkverbot, Tabu, Schere im Kopf (ders.: 263ff) und rufen rezipientenseitig entsprechende Konnotationen auf. Den Gegner auf dem eigenen Feld schlagen Vor allem die konservative und rechtsextreme Kritik der Korrektheit zehrt dabei zusätzlich vom Effekt, den diskursiven Gegner auf dem eigenen Feld zu schlagen und die Verhältnisse dadurch umzukehren, indem sie sich auf dessen Werte, Vorbilder und Begriffe stützt. So wäre es durchaus denkbar, dass Rechtsextreme sich in Falle von Verboten und Einschränkungen über Nazi-Methoden empören. 103 Auf einer anderen Ebene angesiedelt wären hypothetische Aussagen von Managern mit Millioneneinkommen, die sich über „Gewerkschaftsbonzen“ echauffieren. Sich des Repertoires des Gegners zu bedienen kann dabei bis zur semantischen Enteignung führen. Jene ist nicht exklusiv auf Rechtskonservative und -extreme beschränkt, sie lässt sich auch im massenmedial ausgetragenen Reformdiskurs und/oder im neoliberalen Diskurs beobachten. Insbesondere das Vokabular und Repertoire emanzipativer Gruppen wird so von den entsprechenden Akteuren aufgesogen und für die eigenen Zwecke nutzbar gemacht: Radikale „Reformer“ des Sozialstaats gemahnen angesichts der Tatsache, dass man die Sozial- und Rentensysteme nur von den Kindern geborgt habe, zur Nachhaltigkeit und ggf. zu Aufstand und Revolution. Prominente Stichwortgeber geißeln die unsozialen Folgen des Sozialstaats, der nur verhindere, was er in Aussicht stellt, oder stellen Gewerkschaften als monopolkapitalistisches Kartell dar. 104 So verwundert es kaum, dass in Generation Golf der diskursive Gegner auf sein eigenes Feld gezogen und dort mit den eigenen Begriffen vernichtend geschlagen werden soll. Der Erzähler entwendet seinem Gegner so etwa den Slogan der Studentenbewegung Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren, um jenen gegen ihn verwenden zu können und um seiner Argumentation Nachdruck zu verleihen, die sich selbst progressiv wähnenden 68er seien die wahrhaft Angepassten und Rückständigen: „[...] Schluß mit dem Muff von zwanzig alternativen Jahren“. (GG: 181) Zum einen geschieht dies durch die (der Komik dienlichen) Zweckentfremdung emanzipativ konnotierter Begrif-

103 Eine ähnliche Strategie stellt etwa das Bilden von „Gegenschlagwörtern“ wie „Inländerhass“ (Pörksen 2005: 140f) dar. 104 Dies entspricht auch einem dominanten, ideologisch motivierten Prinzip journalistischer Symbolproduktion. (Vgl. Link 1978: 120ff, 168ff) Nichts demontiert so etwa das Bild der freiheitsliebenden 68er stärker, als ihnen Bürgerlichkeit, Borniertheit und Zugeknöpftheit zu attestieren. In der Tat kommen entsprechende Berichte in den Massenmedien (und auch Generation Golf), so nicht darauf hingewiesen wird, heute sei alles viel extremer, stets (und nicht ohne Häme) auf dieses Prinzip zurück. In Generation Golf wird so antiautoritäre Erziehung in Form eines Witzes als ziemlich autoritärer Zwang entlarvt, den das so erzogene Kind wollen muss. (GG: 68) Auch der gesamte Habitus der 68er wird als ideologisch motivierte, zwanghafte Selbstkasteiung dargestellt, die recht wenig mit Freiheitssehnsucht und Ungezwungenheit zu tun hat. Den „Endsieg“ über die 1968er – um in der Diktion der Kritikschrift zu bleiben – bildet folgerichtig Götz Alys um Aufmerksamkeit buhlende Streitschrift „Unser Kampf“.

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fe und Symbole des angepeilten Gegners: Tennisspielen wird zur „Emanzipationsbewegung“ (GG: 75) erklärt, das Vermeiden des Dauerlaufs zum „Woodstock-Erlebnis[..]“ (GG: 68), Fahnenwörter wie „Freiheit“ (ebd.), „Selbstbestimmung“ (ebd.), „Paradigmenwechsel“ (GG: 71) oder gar „Kulturindustrie“ (GG: 187) werden ironisch einverleibt und so neutralisiert. Zum anderen geschieht dies durch die Karikatur des diskursiven Gegners, dessen Werte in ihr Gegenteil verkehrt werden und ihm so den Boden unter den Füßen entziehen. Diese Inversion wird noch genauer beschrieben – eine Kostprobe bieten die folgenden Beispiele. (1) Die Pädagogisierung der infantilen Pädagogen Die ernsten 68er, die sich in der Logik von Generation Golf so lange als Erzieher betätigt haben, werden mit Hilfe entsprechender Frames als unreif und kindlich entlarvt. Es dominiert dabei das Bild des trotzigen Kindes (hier sei erneut auf die häufige Verwendung des Attributs „albern“ und auf andere Techniken des Komisierens verwiesen) – „trotzig auf einer veralteten Evolutionsstufe [...] verharren“. (GG: 138) Die Folge: Erziehung durch die Generation Golf, die „Lektion[en]“ (GG: 91) erteilt, sich „erzieherische Erfolge“ (GG: 121) zuschreibt oder die 68er-Generation dazu bringt, öffentlich „Abbitte“ (ebd.) zu leisten. Hervorzuheben ist, dass dem diskursiven Gegner das (vermeintlich) kindliche Verhalten als Zeichen mangelnden Ernstes ausgelegt wird, die Fähigkeit der Generationsgenossen, „ewig jung“ (GG: 45) bleiben zu wollen und auch die infantilsten Genüsse wie Vorabendserien (GG: 123ff) zu goutieren, als Zeichen geistiger Beweglichkeit und eines liberalen anything goes gewertet werden – und als Zeichen dafür, noch nicht „fertig“ zu sein, sich immer wieder auf Neues einlassen zu können. (2) Der heuchlerische Antikonsumismus Während die Generation Golf ästhetische Mindeststandards setzt (GG: 145), die auch mit günstigen Surrogaten erreicht werden können, und so Standesdünkel abzubauen hilft, wird der Antikonsumismus der 68er als Ursache für das Fortbestehen unsichtbarer Klassenschranken entlarvt – der distinktionsbewusste „Alt-68er“ (GG: 149) kaufe bei Manufactum und entzöge sich so der Zuortbarkeit: „Und der große Vorteil des Korkenziehers für 298 Mark ist ja dann, daß nur Eingeweihte wissen, wie teuer er war [...].“ (GG: 150, Hervorhebung von T.K.) Dies stellt eine Variation des auch im Korrektheitsdiskurs populären Bildes des saturierten 68ers („Toskana-Fraktion“) und/oder des Antikapitalisten dar, der Wasser predigt und selbst Wein trinkt. (3) Der Moralismus des Antimoralisten und das Anwachsen von Intoleranz durch zu viel Toleranz Bestand die Leistung des diskursiven Gegners „68“ darin, bestehende Dogmen und Moralvorstellungen gestürzt und dafür lockere Umgangsformen etabliert zu haben, so wird dieser Gegner umso eindeutiger ridikülisiert, indem ihm eine vergleichbare moralinsaure Dauerempörung unterstellt wird, die er doch zuvor selbst bekämpft hat: Immer wird auch gegen das Faktische und demokratisch Legitimierte demonstriert (GG: 163), immer wird jemand oder etwas aus willkürlichen „Gründen“ (GG: 193) abgelehnt, wo die Gene-

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rationsgenossen milde Ironie und damit Toleranz walten lassen. (GG: 193) So ist auch der einstige Urheber dadaistischer Späße heute auch der Urheber jener „Spaßfeindlichkeit“ (GG: 159), die nun von den Generationsgenossen bekämpft werden müsse. (4) Das simple Weltbild des Theoretikers Eng mit diesem Moralismus, dieser Intoleranz, aber auch mit dem o.g. Standesdünkel und der Pädagogisierung verbunden, ist die Demontage jenes Zerrbildes, sämtliche 68er seien „überreflektierte Theoretiker“, bzw. des Intellektualismus insgesamt. Dass die ironische Distanz zu Theorie und Intellektualität, diese ostentativ zur Schau gestellte Bodenhaftung, leichte Zustimmungsgewinne bei minimalen Kosten garantiert, wurde bereits festgestellt. Mit dem o.g. Moralismus und der Intoleranz hängt zusammen, dass dem einstigen Kämpfer gegen starre und formelhafte Denkformen rückblickend selbst Formelhaftigkeit und Starre in Form eines wahrhaft simplen Weltbildes unterstellt wird, welches sich aus Rousseauismus, Antikapitalismus und Antiimperialismus zusammensetzt: „Man glaubte an das Gute im Menschen und an das Böse im Amerikaner.“ (GG: 188) Mit dem o.g. Standesdünkel und der Pädagogisierung hängt zusammen, dass den überreflektierten Theoretikern unterstellt wird, sie seien weit von der Realität entfernt, maßten sich aber Aussagen über sie an: Gabriela Wischeropp, Autorin des Magazins Psychologie heute, gilt daher aufgrund ihrer vermeintlich fehlgeleiteten theoretischen Reflexionen über das Wesen von Golffahrern als „fundamental weltfremd“ (GG: 57) und wird der „analytischen und beobachterischen Unterklasse“ (ebd.) zugewiesen, womit Weltfremdheit und die Notwendigkeit der Erziehung miteinander gekoppelt werden. Schließlich spricht der Erzähler kontinuierlich anderen Quellen jedweden Durchblick ab, den er und seine Generation aufgrund von Theorieferne, konkreter Erfahrung und gesundem Menschenverstand für sich beanspruchen können. Schematisch: „Wie alle schönen Ideen der sozialdemokratischen Schulpolitik, die wir an uns ausprobieren lassen mußten, bestand sie nicht den Wirklichkeitstest.“ (GG: 87f) 105 Dies gelingt ferner durch ironische Spitzen gegen die Figur des Theoretikers, der als absurd gekleidete Gestalt karikiert wird (GG: 193ff), mit der Ironisierung des Papierverbrauchs all jener „Hausarbeiten, Magisterarbeiten, Doktorarbeiten“ (GG: 170) der 70er Jahre und/oder mit der Korrektur der Ansichten anderer Akteure, insbesondere jener, die sich fachlich mit der Existenz oder Nichtexistenz jener Gruppe auseinandersetzten, die hier als Generation Golf vorgeführt wird – was der Soziologe Heinz Bude, der sich mit einer Studie über die 68er-Generation habilitierte, mit dem Begriff Generation Berlin bezeichnet, sei Produkt selektiver Wahrnehmung, da nur für „Autoren, Journalisten und Geisteswissenschaftler[.]“ (GG: 191) zutreffend. Es wurde jedoch bereits deutlich, dass dies den Erzähler nicht daran hindert, theoretisches Wissen anzuzapfen und die Kenntnis soziologischer Texte und Großtheorien zur Schau zu stellen.

105 Nichts ist stärker ideologisch aufgeladen als der Kampf um die legitime Deutung der Wirklichkeit, daher ist kaum etwas ideologischer als die Behauptung, man sei (im Gegensatz zum diskursiven Gegner) „wirklichkeitsorientiert“.

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Politische Korrektheit II: Die Struktur des Korrektheitsmusters und dessen Einschreibung in Generation Golf Als dominanter diskursiver Gegner der Generation Golf tauchen das nebulöse Bild „68“ und die damit in Verbindung gebrachten Gruppen auf. Dieser Gegner und ihm nahestehende Personen und Praktiken werden nach den Regeln des Korrektheitsdiskurses attackiert. Diese Regeln lassen sich in vier nicht immer trennscharfe und daher interdependente Glieder aufteilen: Polyfunktionalität, Plausibilität, Charme und Legitimation durch Distanzierung. (Vgl. Erdl 2004: 289-359) Nicht zuletzt ist der politische Korrektheitsdiskurs durch ein Resonanzkalkül (ders.: 336) gekennzeichnet: dass man sich dafür entschließt, in den politischen Korrektheitsdiskurs einzusteigen, etwa indem man explizit die grassierende Korrektheit geißelt oder indem man typische Narrationen (siehe oben) verarbeitet und damit implizit die Zugehörigkeit zu diesem Diskurs herstellt, stellt eine bewusste Wahl dar. Die persönlichen Motive, die zu dieser Wahl führen, mögen unobjektivierbar sein. Sicher ist jedoch, dass die Wahl vermeintlich unkorrekter Äußerungen, ob sie nun ironisiert und euphemisiert werden oder nicht, in der Aufmerksamkeitsökonomie einfache Gewinne bei niedrigen Kosten garantiert: Der Unkorrekte erhält sowohl die Zustimmung anderer Unkorrekter als auch die Aufmerksamkeit der Empörten, und dies nicht zuletzt dadurch, dass sich seine Attacken gegen dankbare Opfer richten, die sich geradezu als Ziel anbieten. Neben einer Skizze der ersten drei Elemente und ihrer Relevanz für die Analyse von Generation Golf, soll vor allem das letzte Element für ein genaueres Verständnis des untersuchten Textes gewonnen werden. Polyfunktionalität Der politische Korrektheitsdiskurs lässt sich überall ankoppeln. Tatsächlich demonstriert Erdl leitmotivisch und nicht ohne Genuss, wie selbst die absurdesten Sachverhalte (etwa Figuren aus Kindercomics) als Zeichen von Korrektheit oder Unkorrektheit entlarvt werden können. Das Korrektheitsmuster kann, was allein Erdls Leitmotiv immer wieder verdeutlicht, stets von kleinen Themen an große Themen angekoppelt werden. Verwender des Korrektheitsmusters wähnen sich, vor allem bei explizitem Bezug, Teil einer großen, von den Unkorrekten meist nicht näher benannten Mehrheit zu sein, die vom allgegenwärtigen Korrektheitszwang enerviert ist. Der Unkorrekte will dabei zurück, für ihn stellen die momentan geltenden Sprachregeln die Abweichung vom Normalfall dar, den es wieder zu rekonstruieren gilt. Obwohl der Korrektheitsdiskurs vor allem von konservativer Seite verwendet wird (siehe weiter oben), um den linken oder liberalen Gegner zu treffen, fasst Erdl ihn als ideologisch offen, nicht aber als ideologielos auf. Diese Fähigkeit, vom Kleinen zum Großen zu gelangen, zeichnet auch Generation Golf aus, gehört geradewegs zum Konstruktionsprinzip des Textes, welches als solches auch durch den Autor bestätigt wurde: Von den Alltagsbeobachtungen soll das Bild einer ganzen Generation gezeichnet werden, wobei immer wieder auch große ideologische Fragen und Frontlinien in den Blick geraten. Die Polyfunktionalität des Korrektheitsmusters zeigt sich in Generation Golf in der selbst für das Korrektheitsmuster stereotypen Behauptung, 68er hätten gebügelte Hemden unter generellen Ideologieverdacht ge-

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stellt, die Generationsgenossen seien daher potenziell mutige Tabubrecher, die nicht nur gebügelte Hemden tragen, sondern sie auch noch von anderen bügeln lassen. (GG: 139) Diese Tabubrecher werden zudem immer wieder als große Mehrheit bezeichnet, was ggf. unterfüttert wird mit Statistiken und dem Rückgriff auf maximal streuende Teilpopulationen wie z.B. die Gesamtheit aller Zuschauer von Soap-Operas („8 Millionen“, GG: 127). 106 Plausibilität Der politische Korrektheitsdiskurs ist hochgradig plausibel, weil (durch dessen Polyfunktionalität) mit ihm immer wieder neue Themen (auch rückwirkend!) erschlossen werden können (vgl. Erdl 2004: 301) und an das allgemein-gesellschaftliche Diskursrauschen angeschlossen werden kann, in dem Fragen der Moral, Politik, Kultur usw. umgewälzt werden. Bisher „freischwebende“ Themen werden durch die Erschließung durch das Korrektheitsmuster konkretisiert und zu ideologischen Zwecken nutzbar gemacht. Es ist diese Plausibilität, die auch Generation Golf auszeichnet: die Eigenschaft, an zahlreiche virulente Diskurse angekoppelt zu sein, sich aus einem vielfach verschlungenen Diskursnetzwerk zu bedienen. Charme Die Attraktivität des Korrektheitsdiskurses erklärt sich im Wesentlichen dadurch, dass der Unkorrekte sich als Abweichler positioniert, dabei im Sinne der Polyfunktionalität zu Attacken und Kämpfen an allen Fronten befähigt ist, sich dabei aber gleichzeitig als Unterlegener positioniert, der trotz allem noch einen „prima Sinn für Humor“ (Erdl 2004: 320) behält. Generation Golf war gerade dadurch so erfolgreich (sowohl in der Real- als auch in der Aufmerksamkeitsökonomie): Mit seinem Text zehrte der Autor vom Charme des Abweichlers, der selbst davon überrascht war, wie viel Staub er mit ein wenig Witzigkeit feldintern aufgewirbelt hat, der sich jedoch bei kritischen Fragen missverstanden fühlte, dies jedoch immer wieder mit einem weiteren Witz selbst thematisieren und gewinnbringend nutzen konnte. * Die im Falle von Generation Golf vielleicht wichtigste Regel des Korrektheitsdiskurses beinhaltet die Fähigkeit der politisch Unkorrekten, „Frei- und Schutzräume“ (Erdl 2004: 321) aufzusuchen. Sie stellen eine at106 So bezieht sich der Autor auf eine „AG Hochschulforschung“, um die Entsolidarisierung unter Studierenden zu beweisen. (GG: 146) Eine Quelle wird in Generation Golf nicht angegeben, anzunehmen ist, dass es sich dabei um das Studierendensurvey der Universität Konstanz handelt, welches seit Anfang der 80er Jahre im Auftrag des BMBF durchgeführt wird. Doch lassen sich die Pauschalaussagen, die in Generation Golf zitiert werden (Abnahme der Solidarität, ausschließliche Karriereorientierung bei Studierenden) nicht aufrechterhalten. Die Daten des 7. Studierendensurveys (vgl. Bargel 2001) zeigen, dass das Konkurrenzbewusstsein unter Studierenden seit Mitte der 90er Jahre insgesamt sogar nachgelassen hat. (Ders.: 228) Hohe Konkurrenz zeichnet vor allem die Rechtsund Wirtschaftswissenschaften sowie die Medizin aus, geisteswissenschaftliche Fächer dagegen verfügen über das beste Klima. (Ebd.) Dies deckt sich auch mit den Daten des 8. Studierendensurveys. (Vgl. Bargel 2003: 61)

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traktive Position an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Perspektive außerhalb des der politischen Korrektheit bezichtigten Diskurses und innerhalb desselben (als Betroffener) dar. Die in diesem Fall wichtigsten Verfahren, um an diese attraktive Position zu gelangen, sind Inversionsbehauptungen und Uneigentlichkeit (wobei es dem durchgängig fehlenden Ernst von Generation Golf geschuldet ist, dass sich beide immer wieder überlappen, etwa indem Inversionsbehauptungen im uneigentlichen Modus vorgetragen werden, dabei jedoch gleichermaßen ihren Zweck erfüllen). Jargon der Uneigentlichkeit Wichtigstes Mittel in diesem Wechselspiel aus Distanz und Nähe ist der „Jargon der Uneigentlichkeit“. (Ders.: 333) Der politisch Unkorrekte verfügt über eine Ironie, die ihn als Sprecher oder Schreiber immer gewinnen lässt, während der Kritiker nur verlieren kann, der im Zweifelsfall einfach der Humorlosigkeit bezichtigt werden kann, auch weil sich die Kritik des Kritikers wiederum selbst zur Erzeugung von Komik nutzbar machen lässt: „Alles gar nicht ‚so‘ gemeint, und dennoch ganz ernst und ganz komisch, wie man es gerade braucht.“ (Ebd.) Dies konvergiert mit der freischwebenden Ironie des Erzählers, denn natürlich ist auch Generation Golf nie „so“ gemeint. Zwei Beispiele sollen als Illustration genügen: „rechtskonservativ“ (GG: 163) wolle der Erzähler nicht sein (siehe unten), womit der Nachweis erbracht wäre und sich im Folgenden alles äußern lässt, was einem antizipierten Kritiker rechtskonservativ vorkommen könnte, aber (die Distanzierung verdeutlicht es) ja gar nicht so gemeint ist. Somit ließe sich auch der folgende eindeutige Sexismus als Ironie auslegen: „Die Frauen wissen, daß sie sich nehmen können, was sie wollen, weil sie von Sharon Stone gelernt haben, daß man nur die Beine richtig übereinanderschlagen muß.“ (GG: 173). Zum einen wird die zitierte Szene aus dem Film Basic Instinct euphemisiert, indem das Entblößen des Intimbereichs hinter der Formulierung „die Beine richtig übereinanderschlagen“ verborgen wird („die Beine richtig übereinanderschlagen“ ist dabei nur die vornehmere Variante von „sich hochschlafen“). Zum anderen ist der Sexismus ist hier so eindeutig, dass eine feministische Kritik daran zwangsläufig Gefahr liefe, humorlos zu wirken. 107 Inversionsbehauptungen Im Korrektheitsdiskurs wird das Bild eines mächtigen und omnipräsenten Gegners gezeichnet, der zwar über „Definitionsmacht“ (Erdl 2004: 322), aber nicht über entsprechendes „Definitionsrecht“ (ebd.) verfügt und so als Unterdrücker auftritt, der (potenziell heuchlerische) Normen aufgestellt hat und damit gewissermaßen deren Übertretung, mindestens jedoch schädliche „Nebenwirkungen“ provoziert hat, die diese Regeln nach sich ziehen. Wenn diese Übertretung also stattfindet, und im Fall von Generation Golf wird an zahlreichen Stellen darauf hingewiesen, dann ist in der Logik des Korrektheits107 Es wäre anzumerken, dass diese Leugnung der nach wie vor bestehenden Ungleichheiten letztendlich einem „moderne[n] Sexismus“ (Endrikat 2003: 122, Hervorhebung im Original) entspricht. Jener artikuliert sich oftmals gemeinsam mit der Ablehnung von Frauenquoten und der Konzeption der Männer als Opfer von Frauen, die sich mittlerweile „alles erlauben“ (GG: 172) dürften.

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musters derjenige für die Übertretung verantwortlich, der diese ungerechte Norm aufgestellt hat, nicht derjenige, der sie übertritt. Für die von den definitionsmächtigen Akteuren durchgesetzten Regeln gibt es in Generation Golf zahlreiche Bezeichnungen: die „Moralhoheit“ (GG: 177), die „Latzhosen-Moral“ (GG: 155), die „verlogene[.] Sprache“ (ebd.) usw. Im Sinne des Inversionsmusters untergraben sich diese Regeln paradoxerweise selbst: Das, was mit ihnen erzielt werden soll, kann nicht oder nicht ganz erreicht werden. Generation Golf kritisiert so die eigenen potenziellen Kritiker bereits im Vorfeld: Mit Hilfe der aus dem Korrektheitsdiskurs entnommenen Inversion wird die Empörung kritischer Stimmen antizipiert und die eigene Argumentation so organisiert, dass diese Empörung letztendlich dem Wirken der Empörten zugeschrieben werden kann, die durch ihr eigenes Handeln für all das gesorgt haben, was sie der Generation Golf ankreiden könnten. 108 Als Urheber dieser Regeln werden in Generation Golf im Wesentlichen 68er und tendenziell auch jene identifiziert, die gewissermaßen durch das 68er-Gedankengut kontaminiert wurden und entweder nur Teile einer (in Generation Golf nie ausformulierten) Programmatik vertreten (Friedensbewegung, Umweltbewegung usw.) oder zur Mimikry neigen und sich, wie der Erzähler hämisch festhält, ab und an eine Gesinnung „ausleihen“. (GG: 164) Sie bieten sich als einfaches Ziel geradezu an: „[...] Positionen, die erklärtermaßen marginal sind und schon deshalb weitgehend gefahrlos ridikülisiert werden können, [können] gleichzeitig unverdrossen als bedrohlich geschildert werden.“ (Erdl 2004: 270f) 109 Ihnen wird unterstellt, maximal-wirksame Verhaltensregeln durchgesetzt zu haben, wobei der konkrete Beweis nicht erbracht zu werden braucht: Zeitpunkte, konkrete Akteure und/oder stattgefundene Kämpfe im Zuge der Etablierung der vermeintlich existierenden Regeln werden nicht genannt. Statt dessen wird deren Bekanntheit unterstellt und damit das Einverständnis des Rezipienten eingeholt: Daher ist es für den Erzähler „befreiend“ (GG: 154), dass man alles, wofür 68 sinnbildlich steht, „öffentlich albern nennen konnte“ (ebd.), was eine jahrzehntelang währende Meinungsdiktatur und die Existenz eines schlagkräftigen Erzwingungsstabes unterstellt, der das Tragen eines gebügelten Hemdes mit schweren Sanktionen belegen konnte: „Lange durfte man das [die Tatsache, dass man ein gepflegtes Äußeres schätzte] natürlich nicht laut sagen.“ (GG: 139)

108 Dieses Prinzip wenden auch massenmedial omnipräsente Stichwortgeber an, die dies aus der Position des Nestbeschmutzers tun (welche sie wiederum aufgrund ihrer widersprüchlichen Kapitalstruktur und Laufbahn einzunehmen gezwungen sind), der umso berechtigter ist, seinesgleichen den Spiegel vorzuhalten. 109 Die in Generation Golf so zum Feind erkorenen 68er und deren Adepten werden daher maßlos karikiert und lassen sich kaum ernst nehmen: sie vereinen alle nur erdenklichen Klischees des ungewaschenen und triebhaften Hippies, dessen Nachfahren (oder Nachahmer) den gleichen Habitus pflegen, an Reform-Unis studieren, Ente fahren und durch Unordnung auffallen. (GG: 51) Dem gegenüber stehen die sauberen, gepflegten Generationsgenossen und die aus dem Werbe-Utopia entsprungenen Mütter, die mit dem gepflegten Golf zum Einkaufen in die Stadt fahren (GG: 47). Stillosigkeit, Chaos, Unsauberkeit und Verblendung auf Seiten des Gegners, Sinn für Ästhetik, Gelassenheit, Ordnung und Sauberkeit auf Seiten der Generation Golf.

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Das Inversionsmuster lässt sich etwa im Verhältnis der Generationsgenossen zur deutschen Geschichte beobachten. Geschichte wird dabei auf eine Art und Weise repräsentiert, die alle potenziellen Kritiker auf den Plan rufen muss: Sie ist für die Generation Golf zum einen im positiven Sinne vorbei, zum anderen bloßes Reservoir aus Traditionen, Stilen und Praktiken, auf das man aus Orientierungslosigkeit und Distinktionswünschen zurückgreift. Sie wird dabei im Wesentlichen aus einer ästhetischen Perspektive betrachtet und als Verfallsgeschichte modelliert, die, ausgehend von einer Peripetie in der Gründerzeit, durch zahlreiche Versündigungen und „Stuckabschlagprämie[n]“ (GG: 117) eine Nivellierung nach unten bewirkte: schmucklose Fassaden, niedrige Decken, Kiefernholzmöbel, PVC-Fußböden und isolierte Fenster ersetzen Stuck, luftige Räume, Biedermeier-Tischchen, Parkettböden und Sprossenfenster. (GG: 113-118) Weitere Gedanken macht sich die Generation nicht. Sie will sie sich nicht machen, erst recht nicht über die Frage, woher der Reichtum der Gründerzeit stammte oder ob ein klassizistischpompöser Stil durch die Nationalsozialisten nicht einige Schrammen abbekommen hat. (GG: 117) 110 Der Hauptvorwurf gegen die Geschichte und die auffälligste Form der Inversion findet sich daher erwartungsgemäß im Umgang der Generation Golf mit dem Nationalsozialismus. Hier (GG: 174-177) wird die mögliche Kritik vorweggenommen, gegen den Kritiker gewendet und im Sinne der Inversion dessen Wirken zugeschrieben. Zunächst wird das Feld bereitet, indem die Kritik der anonymen „Kritiker“ (GG: 174) und dann „Gemeinschaftskundelehrer“ (ebd.) vorweggenommen wird, die einen aufgrund der „unverkrampft[en]“ (ebd.) Sicht auf die deutsche Vergangenheit kritisieren könnten. Dabei werden, der generellen Taktik des Korrektheitsmusters entsprechend, Urheber und Folgen im Dunkeln oder bewusst nebulös gehalten – „Geschichtsvergessenheit, [...] Ignoranz oder Schlimmeres“. (Ebd., Hervorhebung von T.K.) In einem weiteren Schritt wird das zu übertretende Dogma aufgebaut: Man sei indoktriniert worden, habe permanent Lehrfilme und Paul Celans Todesfuge behandelt, habe den Keim des schlechten Gewissens, also die aus dem Korrektheitsdiskurs bekannte Denkschablone, „implantiert“ (GG: 175) bekommen – wie könne man da also rechtskonservativ sein? Es wirkt geradezu formelhaft, wenn der Erzähler die vermeintliche Schere im Kopf (immerzu an den Nationalsozialismus denken zu müssen), die zu einem merkwürdigen (ebd.) Geschichtsbild geführt habe, als Produkt der besorgten Pädagogen entlarvt, sich dann mit dem Verweis auf Martin Walsers Paulskirchenrede über diese Schere hinwegsetzt und dabei zugleich ironisch mit der Horrorvorstellung aller Konservativen kokettieren kann, welche die christlichen Werte davonschwimmen sehen: „Das Wissen um die Grauen des Nationalsozialismus sind [sic!] mit solchem Nachdruck in das Hirn eines jedes Mitgliedes [sic!] der Generation Golf implantiert worden, daß wir bis heute eher die acht Gründe aufzählen können, die zum Ende der Weimarer Republik führten, als die Zehn Gebote. Die Generation Golf verstand sehr

110 Siehe dazu auch das Verhältnis des Autors zur Frage Ästhetik vs. Politik.

POSITIONEN UND POSITIONIERUNGEN | 221 gut, was Martin Walser meinte, als er von der ‚Dauerrepräsentation unserer Schande‘ redete [...].“ (GG: 175, Hervorhebung von T.K.) 111

Mit seiner Paulskirchenrede nahm Martin Walser, der als prominentes Beispiel für die Überwindung dieser kollektiven Schere im Kopf gilt, sich das Recht, das zu sagen, „was auch mal gesagt werden musste“, aber angeblich lange Zeit nicht gesagt werden durfte. Die Generation Golf pflichtet ihm jedoch nur stillschweigend bei, denn sie weiß, dass sie sich besser zurückhalten sollte, da sie sich (wie Walser) ansonsten ebenfalls den Angriffen der Korrekten aussetzen könnte, ist doch die nationalsozialistische Vergangenheit ein Terrain, das noch immer von den politisch Korrekten beherrscht wird, welche die Träger abweichender Gedanken unbarmherzig sanktionieren. Dies entspricht der vielfach geäußerten Erleichterung, die mit Walsers Paulskirchenrede in Verbindung gebracht wurde – jener habe laut ausgesprochen, was „die Mehrheit der Deutschen seit langem empfindet.“ (Seher 1998, zit. n. Erdl 2004: 236) Die Generation Golf pflichtet den politisch unkorrekten Ausführungen Walsers bei und verdoppelt dessen Unkorrektheit noch, indem sie die angeblichen Gefahren reflektiert, denen der Unkorrekte ausgesetzt ist. Sie entscheidet sich daher lieber für ein stillschweigendes Einverständnis, damit sie sich nicht selbst die Finger schmutzig zu machen braucht: „Die Finger weg, das ist bei manchen Fragen die einzig richtige, professionelle Haltung.“ (Harald Schmidt; GG: 175) Falls also die o.g. Kritiker einen negativen Eindruck gewinnen sollten, so läge dies allein an dieser Übersättigung, die zum Gegenteil des Intendierten geführt habe: Ignoranz statt historisches Bewusstsein, Fixierung auf Hitler 112 statt Verständnis der Zusammenhänge und in Folge eine Unwissenheit auf allen anderen Feldern – von der restlichen Geschichte Deutschlands und der Welt bis zu den zehn Geboten. (GG: 174ff) Letzteres koppelt an die mögliche Kritik des bestürzten Konservativen an und verdeutlicht so, dass es aufgrund des Wirkens der 68er noch nicht mal für den Neokonservatismus reiche, den jene der Generation gern unterstellen. Allein die Tatsache, dass der Erzähler sein Wissen über den Nationalsozialismus dabei erst als unproblematisch und ausreichend empfindet, danach jedoch das mangelnde Wissen beklagt, zeigt, dass die Generation Golf trotz bekundeter Lockerheit eben nicht normal mit dem Nationalsozialismus umgehen kann – was allein schon im Verweis auf 111 Ob der Autor bewusst oder unbewusst auf die Formulierung „Das Wissen um“ zurückgriff, kann nicht geklärt werden. Es soll allerdings nicht vorenthalten werden, dass diese Formulierung als Element der Sprache des Unmenschen klassifiziert wurde, der nicht etwas weiß, sondern das Wissen immer nur umzirkelt und nie tieferes Verständnis erlangt, dies jedoch nicht merkt, sondern für sich selbst umfassendes Wissen beansprucht: „Die nichts Bestimmtes und nichts auf bestimmte Weise wissen, machen uns doch weis, sie seien nur umso tiefer eingeweiht. Sie sind nicht Unmenschen, von der gewaltsam tätigen, sondern eher von einer um jeden Preis untätigen, lasterhaft geschämigen, zugleich verblasen hochmütigen und hochmütig verblasenen Art.“ (Sternberger 1970 [1957]: 157, Hervorhebung von T.K.) 112 Dabei wird erneut mit einer Figur gespielt, die zur Kritik des deutschen Selbstverständnisses verwendet wird, das da heißt: Hitler war’s! (Heer 2005) Dass dem Erzähler und der Generation nur „verführerische Demagogie“ (GG: 174) statt „bereitwillige Kooperation“ einfällt, muss Kritiker geradezu auf den Plan rufen und schiebt ihnen gerade dadurch den schwarzen Peter zu.

222 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM

Roman Herzogs „Unverkrampftheit“ deutlich wird, die bereits selbst als Zeichen einer tiefgehenden Verkrampfung betrachtet werden muss. 113 Um einen vielleicht schiefen Vergleich zu bemühen: der Protagonist des Hollywood-Streifens The Sixth Sense wird darüber verrückt, überall Geister toter Menschen zu erblicken. Auch in Generation Golf sind die bezwungenen und noch bestehenden Hürden und Hemmungen auf das allgegenwärtige Wirken und Nachwirken von 68ern und vergleichbaren Mächten zurückzuführen, die mitsamt der Intensität der von ihnen vertretenen Werte ins Maßlose und lächerlich-Stereotype überhöht werden. Die Formel ist dabei immer gleich: Erst wird die Existenz eines Zwangs unterstellt, dann wird beschrieben, dass die Generationsgenossen endlich den Mut zusammengenommen haben, den Zwang zu überwinden. In Folge werden dabei ggf. auftretende schädliche Nebenwirkungen betrauert und ebenfalls den Mächten angelastet, welche die Generationsgenossen zur Übertretung und Übertreibung gezwungen haben. So wird etwa die Existenz einer allgegenwärtig spürbaren antikonsumistischen Gesinnung, eines „Entschuldigungskomplex[es]“ (GG: 148), unterstellt. Dieser Zwang wird mehrfach gebrochen, indem die eigene Konsumfixierung vorgeführt wird (etwa durch das Nennen von Marken, Produkten usw.). Die Ärmlichkeit dieser Konsumfixierung wird dann wiederum Gegenstand ironischer Belustigung (man denke an die völlig überzeichnete Szene, in der die Generationsgenossen als vollends oberflächliche Konsumfetischisten karikiert werden, die ihre Hemden wie Kultgegenstände anbeten und sich danach nur kurz Gedanken darüber machen, ob die weggeworfenen Nadeln den „Müllsortierer“ (GG: 140) stechen könnten). Diese absurde Szene bricht den möglichen Vorwurf des Konsumfetischismus, indem er ironisch gebrochen bereits vorweggenommen und im Sinne des o.g. Inversionsmusters dem Wirken des Gegners angelastet wird. Was hier exemplarisch am Beispiel des Verhältnisses der Generationsgenossen zur deutschen Geschichte und zum Konsumismus verdeutlicht wurde, lässt sich in Generation Golf auch auf anderen Feldern beobachten: Zwang zum Umweltschutz animiert erst recht dazu, das Gaspedal durchzutreten, Zwang zur Reflexion und Tiefe sorgt erst für die (auch selbst) beklagte Oberflächlichkeit, Zwang zur (schulischen) Gleichheit sorgte erst für die eigene Ignoranz, zu viel Emanzipation sorgte für eine Rückkehr zur bürgerlichen Sexualmoral (und provoziert antifeministische Witze) usw. Ein letztes prägnantes Beispiel stellt eine bedrohlich in Szene gesetzte Demonstration dar (GG: 163ff), an der alle inkriminierten Akteure beteiligt 113 Dass die schulische Indoktrinierung zudem so effizient nicht gewesen sein kann, verdeutlichen wiederkehrende empirische Untersuchungen, die den Wissensstand der deutschen Bevölkerung überprüfen. Die Ergebnisse müssen sicherlich aufgrund des Faktors der sozialen Erwünschtheit (und Unerwünschtheit), aber auch aufgrund des politisch- wie aufmerksamkeitsökonomisch verwertbaren Skandalisierungspotenzials mit der nötigen Skepsis und Vorsicht betrachtet werden. Trotz dieser Einschränkung lässt sich festhalten, dass das Empfinden, zu viel über den Nationalsozialismus belehrt zu werden, meistens nicht von einem überdurchschnittlichen Wissen begleitet wird. Zwei Drittel der 14bis 18-jährigen Deutschen konnten etwa zur Erscheinungszeit von Generation Golf mit dem Begriff Holocaust nichts anfangen. (Vgl. Holzbach 2000) 23 Prozent aller Deutschen wussten nicht, dass Auschwitz ein Konzentrationslager war. Lediglich 49 Prozent aller Deutschen konnte die Zahl der ermordeten Juden halbwegs korrekt schätzen. (Vgl. Ringelberg-Kern 2005)

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sind: Liegeradfahrer, Zigarettenselbstdreher und Feministinnen. Allein deren Anwesenheit sorgt beim Erzähler schon für Unwohlsein und für die Befürchtung, sich durch eine abweichende Meinung als rechtskonservativ zu entlarven und so in Ungnade zu fallen, was den Erzähler zu Reflexionen über den Unsinn von Lichterketten anleitet, deren demonstrative Ablehnung und Geringschätzung Standardelement des Korrektheitsdiskurses ist. (Vgl. Erdl 2004: 333) An Stellen wie diesen nimmt der Erzähler, pars pro toto für die ganze Generation stehend, dabei die paradoxe Position zwischen Defensive und Offensive ein, die ihn zu Attacke und Rückzug befähigt: Er ist sowohl allen genannten Gruppen überlegen, kann sogar großherzig über deren Verfehlungen hinwegsehen, ist im Zweifelsfall aber auch der Unterlegene, Gejagte, Getriebene. Für all diese Taktiken aus Vor- und Rückwärtsbewegungen gilt letztendlich der folgende Satz: „Ein als legitime ‚Verteidigung‘ konzipiertes Handeln und Verhalten ist das beste Image, das ein Angriff haben kann.“ (Erdl 2004: 328) Dies stellt eine attraktive Position innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie dar, die zentrale Aufmerksamkeitsressourcen in sich vereint: die des (falsch verstandenen) Opfers, die des tabubrecherischen Täters, die des distanzierten Ironikers, die des Diskursverknüpfers und -verknappers und/oder die des Stichwortgebers. Generation Golf vereinte all diese Eigenschaften zum richtigen Zeitpunkt. * Damit lässt sich zum Anfang des Abschnittes zurückkehren: Ist der Gegner ein übergroßer Pappkamerad? In der Tat lässt sich feststellen, dass in Generation Golf vor allem mit den 68ern ein überdimensionaler Gegner aufgebaut wurde, der nach allen Regeln der Kunst mit Ironie und dem demonstrativen Verstoß gegen vermeintlich politisch korrekte Gebote demontiert wurde. Der Erfolg von Generation Golf lässt sich schließlich auch damit erklären, dass durch das Aufgreifen typischer Repertoire-Elemente des Korrektheitsdiskurses auch dessen Vorzüge, Struktur und Regeln mit übernommen wurden. Nicht zuletzt folgt auch der Autor bei öffentlichen Stellungnahmen dem Korrektheitsmuster, um sich zu stilisieren: immer gewitzt, immer ironisch, dabei oft missverstanden, was so die Erlaubnis zur Gegenpolemik erteilt. Ein letztes Beispiel für das Wechselspiel aus Überhöhung und Ridikülisierung, Vorpreschen und Rückzug, soll an dieser Stelle genannt werden: Geschichte sei, so Florian Illies, „moralische Instanz“ (Illies 2002d) geworden, Deutschland habe „ausreichend Planstellen [...] im Bereich Rassismus-Watching“ (ebd., Hervorhebung von T.K.) und verfüge über Sprachregelungen, die dem Land ein „humorfreies Klima“ (ebd.) beschert hätten, in dem man gezwungen werde, „Sinti und Roma“, statt „Zigeuner“ zu sagen. All dies gehört zum Standardrepertoire der Unkorrekten: 1. Die einwandsimmune Vorstellung einer „unschuldigen“ Sprache, deren bewusste Veränderung den betroffenen Gruppen auch nichts nütze. 2. Die Geschichte als „Dämon“, der die Deutschen zur Demut erzieht. 3. Die Vorstellung einer sich verselbständigten, an ihrem Erhalt interessierten Belehrungsinfrastruktur, die das Datenmaterial für die Entrüstung des Gutmenschen liefert und deren Akteure für den Erhalt der eigenen Rele-

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vanz den Rassismus immer wieder „neu“ zu entdecken scheinen. Letzteres wird hier abgebildet in der äußerst pejorativen Figur des staatlich alimentierten Kostgängers, dessen Aufgabe mit einem populären Sprachmix (Rassismus-Watching > People-Watching usw.) der Komik ausgesetzt wird. Dass sich dies mit einer ideologisch motivierten Programmatik verbinden lässt, in diesem Fall: Das Ende aller Ideologien in Aussicht zu stellen, wird im Akt eines demonstrativen Lobs jener Akteure geleistet, die zuvor implizit noch als aufgeregte Ideologen „entlarvt“ worden waren (und auch in Generation Golf das dankbare Feindbild abgeben): „Ich beschreibe ja keineswegs den Geisteszustand von mir und meinesgleichen im Jahr 2000. Es ist ein retrospektiver Blick auf die Naivität der damaligen Zeit. Es ist ein Kunstgriff: Ich schreibe dieses Buch von der Hinterbank des Golfs, weil ich vorne noch nicht sitzen durfte. Heute bin ich eher neidisch auf die ‚Suhrkamp-Kultur‘, die Auseinandersetzung um Franz Josef Strauß, diese gesellschaftliche Polarisierung, die den Einzelnen viel eher dazu herausgefordert hat, eine Stellung zu haben. In dem Buch mache ich mich zum Beispiel sehr über Günter Wallraff lustig. Rückblickend habe ich einen ganz anderen Respekt davor. Heute gibt es doch nur noch Titanic-Redakteure, die bei Rudolf Scharping anrufen und sagen, sie seien Tony Blair.“ (Illies 2002d)

Exkurs: Diskurskoalitionen An dieser Stelle kann der Bogen zum hier verfolgten größeren Theorierahmen zurückgeschlagen werden. Trotz ideologischer Offenheit des Korrektheitsmusters (siehe oben) soll hier die These aufgestellt werden, dass der politische Korrektheitsdiskurs und der Diskurs des „new capitalism“, zumindest in seiner zynisch-populistischen Variante, die von massenmedialen Stichwortgebern verbreitet wird, sich als Bündnisgenossen auffassen lassen. Im Folgenden soll überprüft werden, ob und wie sich der politische Korrektheitsdiskurs und der neokapitalistische Diskurs (in seinen vielfältigen Erscheinungsformen, etwa als Reform- oder Globalisierungsdiskurs) in einer Diskurskoalition befinden und sich etwa Überlappungen in der in der story line (vgl. Keller 2004: 64), grundlegenden Argumentationsstrategien und/ oder Selbstinszenierungsstrategien feststellen lassen.114 Die ähnliche story line lautet im Falle des neokapitalistischen Diskurses ungefähr: Die als starr bezeichneten Regeln und Institutionen, etwa die des Arbeitsrechts oder der Sozial- und Gesundheitssysteme, müssen einer „Überprüfung“ unterzogen werden. „Reformen“ durchführen, das bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem: „schlank“ und „beweglich“ werden, „Freiheit“ gewinnen, gar „Revolutionen“ und „Revolten“ (gegen Gewerkschaften, „gelähmte“ Gesellschaftsteile usw.) anzuzetteln.

114 An dieser fortgeschrittenen Stelle ist es eigentlich müßig, darauf hinzuweisen, dass der Autor Florian Illies hier nicht zum Vordenker aller „Reformer“ stilisiert wird (was ohnehin eine Rolle wäre, die viel zu festgelegt und damit leicht zu attackieren wäre). Hier sollen vielmehr weitere Fäden des komplexen Diskursnetzwerks verfolgt werden, in dem Generation Golf eingebettet ist, dessen Fundus aufgegriffen, durchgeschleust und appliziert wurde.

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Politisch korrekt sind in dieser Logik jene Gruppen, die wegen ihrer Ideologie uneinsichtig gegenüber den Entscheidungen sind, die aufgrund von Sachzwanglogik „nun mal“ getroffen werden müssten. Sie verstoßen damit (etwa in Form von Umweltbewegungen, Gewerkschaften usw.) gegen eines der wichtigsten Axiome des „new capitalism“, wonach jede Form des staatlichen Handelns, so es nicht dem Erhalt der Marktordnung dient, als kontraproduktiv und in letzter Konsequenz als freiheitsberaubend gilt. 115 Damit werden auch Förder- und Ausgleichsmaßnahmen, also letztendlich gezielte Ungleichbehandlungen, welche als politisch korrekt aufgefasst werden können, delegitimiert (Quotenregelungen für Minderheiten, Subventionen usw.). Die Erzählung von der Kraft, die Gutes will und Böses schafft, gehört dabei zum Standardrepertoire dieses Diskurses: Die Antidiskriminierung erzeugt Diskriminierung, der Sozialstaat die Armut usw. 116 Stichwortgeber aus ökonomischen Expertenkreisen beanspruchen so etwa für sich, die „harten“ und „unbequemen“ Wahrheiten auszusprechen, die lange Zeit 117 durch die Übermacht des politischen Gegners nicht ausgesprochen werden konnten und die spiegelbildlich zu den harten Reformen stehen, deren Notwendigkeit zumeist im selben Atemzug mitgenannt wird. Die dominanten Figuren sind dabei wie im Korrektheitsdiskurs die des Querdenkers und die des Diskurspartisanen: Ersterer vereint widersprüchliche Stellungnahmen (ein hypothetisches Beispiel wäre die Verquickung von Ökologie und Neoliberalismus, die freilich nicht ohne den Hinweis auf die „Irrtümer“ der „Ökologiebewegung“ auskäme), letzterer stilisiert sich selbst als lebenslang (etwa für den freien Markt) kämpfenden Don Quijote und versucht so, von den Sympathien zu zehren, die dem Unterlegenen, der einen gerechten Kampf führt, in der Regel unterstellt werden. Beide lehnen sich diskursiv gegen die vermeintlich dominanten ideologischen Mächte (Gewerkschaften, Politik, Bürokratie usw.) und deren ideologisch motivierte „Denkblockaden“ auf und erhalten dafür Aufmerksamkeit und Zustimmung – davon zeugen etwa Bestsellerlisten oder Gästelisten wich115 Dies betrifft, wie bereits erwähnt wurde, die populistische Variante dieses Diskurses. Als ideologisches Programm ist der „new capitalism“ natürlich sehr wandlungsfähig, so dass er sich meistens mit diesen Bewegungen ausdrückt. Anders ausgedrückt: Der Erfolg dieser Programmatik besteht darin, dass sie sich, zumindest außerhalb der populistischen Sphäre (Talkshows, Reformaufrufe von Managern usw.) gerade nicht ausschließlich auf „mehr Markt, weniger Staat“ und Tiraden gegen „Blockierer“ beschränkt (siehe Abschnitt „Schluss: Die Fäden verbinden“). 116 Dies kulminiert etwa in der zynischen Vorstellung, in einer reinen Marktgesellschaft ohne Antidiskriminierungsgesetze seien diskriminierte Gruppen in der Lage (besser: gezwungen), ihre Arbeitskraft billiger anzubieten, was ihnen so in the long run sogar Vorteile böte. Diskriminierung würde so durch das Wechselspiel aus Angebot und Nachfrage verschwinden. (Vgl. Candeias 2004: 90-95) Wie anschlussfähig diese Denkweise an den politischen Korrektheitsdiskurs ist, verdeutlicht die Unterstellung der „Unkorrekten“, die als benachteiligt geltenden Gruppen (Frauen, Migranten, Behinderte usw.) seien nicht benachteiligt, sondern (aufgrund von Förderprogrammen usw.) gar im Vorteil. 117 Daher dominieren im öffentlichen Reformdiskurs insbesondere in konservativen Medien Zeitnarrationen in Form einer Verfallsgeschichte: Deutschland sei vom Weg abgekommen, habe einen Verrat an der ökonomischen und politischen Vernunft begangen und müsse nun auf den richtigen Weg zurückgebracht werden. (Vgl. Karasek 2007)

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tiger politischer Talkshows wie Sabine Christiansen (siehe auch: Hanfeld 2007, van Rossum 2004). Der Querdenker und Diskurspartisan ist zudem derjenige, der den herrschenden „schlechten“ Konsens attackiert, der von den dominanten Kräften aufrecht erhalten wird und nun überwunden werden soll: Im Korrektheitsdiskurs wird damit die Rückkehr zum „freien Sprechen“ verbunden, im Diskurs des „new capitalism“ werden diese sprachlichen Kraftakte in reformerischen Blut-Schweiß-Tränen-Narrationen eingefordert – man müsse sich in Fragen richtiger Reformen einig sein und dürfe auf bestehende konsensuale Vorstellungen und Pfründe keine Rücksicht nehmen. Beides verdeutlicht die paradoxale Struktur dieser Strategien: Konsens wird in beiden Fällen sowohl Gegenstand der Überwindung als auch erstrebenswertes Ziel. 118 Die Figur des Querdenkers und Diskurspartisanen verfügt dabei über die Fähigkeit, zwischen aufmerksamkeitsrelevanten Themen zu changieren und sie metaphorisch, assoziativ und/oder symbolisch 119 zu koppeln: von den Attacken gegen den grassierenden Neid der Neidgesellschaft über lahmende Gewerkschaften bis zum Schlussstrich, der in der deutschen Geschichtsschreibung auch aus globaler Standortlogik endlich gezogen werden müsse. Beispielhaft dafür ist etwa die Diagnose des ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel: „Unsere Erbsünde lähmt das Land. [...] Es ist der deutsche Schuldkomplex, der uns lähmt. Er verhindert auch die nötigen Reformen [...].“ (Henkel 2003, Hervorhebung von T.K.) Hans-Olaf Henkel hebt den Schuldkomplex hervor – die Generation Golf den „Entschuldigungskomplex“. (GG: 148) Der harte Reformer ermahnt dazu Ideologielosigkeit, Sachlichkeit und Pragmatismus walten zu lassen, anstatt sich in „Denkblockaden“ und ideologisch motivierten, auf ein Ziel ausgerich118 In diesem Nexus befindet sich auch der Autor Florian Illies, wenn er über das „lähmende Konsensgefüge unserer Gesellschaft“ (Illies 2003a: 151) klagt und zugleich eine neue Einigkeit unter seinen Generationsgenossen einfordert, die sich zur Überwindung dieses Konsenses engagieren sollten (wozu Generation Golf zwei, so Illies, einen Beitrag leisten wolle). 119 Für diese Kopplungen eignen sich, wie Jürgen Link überzeugend festgestellt hat, Symbole aus dem Bildbereichen Mobilität, Gebäude oder Organismus (vgl. Link 1978, 184ff), welche in typischen Diskussionen wie „Auto vs. Bahn“ ideologisch wuchern können. (Vgl. ders.: 191f) In solchen Gegenüberstellungen gerinnen durch Konnotationen zum einen ideologische Gegensätze (Auto=Privateigentum=Westen, Bahn=öffentlich-kollektiv=Osten). Zum anderen werden sie so zum Sinnbild für politische Lähmung. Um im o.g. Bild zu bleiben: Wenn man schon auf Autobahnen behindert wird, wie soll dann der Standort Deutschland gerettet werden (ein Motiv, das maßgeblich für den Erfolg der Kampagne Du bist Deutschland verantwortlich war, oder, wenn man so will, für deren Penetranz)? Dass dies in Generation Golf thematisiert und entsprechend bebildert wird, überrascht somit nicht, lassen sich damit leicht ideologische Positionen und Gegensätze auf den Punkt bringen und Gewinne auf dem Konto für Komik einstreichen. Dies ist der Grund, warum in Generation Golf das sozialistisch wirkende Akronym „ÖPNV“ kritisiert und als Behinderung der Berliner Republik entlarvt wird. Dies ist auch der Grund, warum ausgerechnet das „Krötentragen“ (GG: 169) und das dadurch erzwungene Drosseln des Tempos als Symbol für den Verlust von Freiheit, Karriere und „Vorwärtskommen“ verwendet wird. F.C. Delius hat dies hellsichtig als typisches Verfahren der konservativen Presse entlarvt: „Zeigen Sie auf, wie alles mit allem zusammenhängt, etwa Gleichmacherei und Staatsfeindlichkeit durch Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen!“ (Delius 1988: 73)

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teten Großprojekten (sei es im Umweltschutz, im Bildungssystem oder im Sozialsystem) zu verausgaben, und weist den Weg in eine rationalere Zeit. Generation Golf dokumentiert wiederum die (vermeintliche) Entideologisierung, die Zufriedenheit mit dem Erreichten und das Einschwenken in den richtigen Weg, der temporär (von 68ern) unterbrochen worden war. Letzteres verweist auf das Streben der „Unkorrekten“, auf das Niveau eines bereits erlebten, besseren (diskursiven) Zustands zurückzukehren. Dieser Wunsch besteht im politischen Korrektheitsdiskurs darin, auf den früheren Stand des „freien Sprechens“ zurückzukommen, der noch nicht durch Korrektheit „kontaminiert“ war. (Vgl. Erdl 2004: 299) Ein vergleichbares Bild liefert eine der dominanten Narrationen des Reformdiskurses, welche in wenigen Zügen skizziert lautet (vgl. Karasek 2007): Deutschland sei in den letzten Jahrzehnten vom rechten Weg abgekommen. Es habe seine Ideale Verraten, wobei dieser Verrat meist mit rollenden VW-Käfern und anderen Synonymen für den Ursprungsmythos „Wirtschaftswunderzeit“ bebildert wird, habe sich ausgeruht und „Geschenke“ machen lassen und sei darüber „satt“ geworden (siehe auch: Kreft 2001 zum dominanten Bild der „satten Mitte“ in der „Qualitätspresse“). Nun müsse durch eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Prinzipien wieder auf den rechten Weg zurückgefunden werden. Während diese Rückkehr zum richtigen Weg im Sinne einer „Normalisierung“ Gegenstand des folgenden Abschnitts wird, kann hier das Bild des Ausruhens und des zur Faulheit erziehenden gesamtgesellschaftlichen Luxus’ am Beispiel der in Generation Golf aufgegriffenen kohlschen Formel des „Freizeitpark[s] Deutschland“ (GG: 112) expliziert werden. „Freizeitpark Deutschland“ diente zum einen dazu, Arbeitslose der Faulheit zu bezichtigen. Zum anderen wurde es durch die Diagnose des zur „Sattheit“ erziehenden „Vollkasko-Staates“ möglich, „Reformprogramme“ diskursiv zu flankieren. Das dabei verwendete Muster ist auch heute noch aktuell: Bürger hätten zu lange das Funktionieren des Staates als selbstverständlich vorausgesetzt, seien zu lange von der „Härte der Realität“ beschützt worden und würden nun, da sie zu lange „verschont“ wurden, Opfer des „Reformstaus“. Dies ähnelt dem Bild, das in Generation Golf metonymisch (das Ikea-Kinderparadies steht pars pro toto für ganz Deutschland) gezeichnet wird: „Ein riesiger Glaskasten, mit bunten Kugeln gefüllt, durch die man sich stundenlang durchwühlen kann, ohne daß man sich weh tut und ohne daß man irgendwo ankommt.“ (GG: 112) „Wenn man nicht mehr mag, geht man zur Frau an der Pforte des Paradieses. Sie geht dann zu ihrem Mikrophon und sagt, daß man abgeholt werden möchte. [...] Man spielt darin, solange es Spaß macht, und wenn man nicht mehr mag, sagt man es, und schon wird man abgeholt. Wir hatten verstanden.“ (GG: 188f)

Dieses Bild des „Freizeitparks Deutschland“ wird jedoch auch im Sinne des o.g. Inversionsmusters zur Kritik möglicher Kritiker verwendet: Dass die Generation Golf heute so unbekümmert sei, liege daran, dass sie saturiert und behütet aufgewachsen sei, dass sie eine „Heieapopeia-Jugend“ (Joschka Fischer, zit. n. GG2: 207) erleben durfte – nun dürfe sich niemand über die vermeintliche Oberflächlichkeit und Konsumfixierung der Generationsgenossen beschweren, sie habe sie schließlich nur übernommen, weil sie ihr lang genug vorgelebt worden war. Dies wird in Generation Golf implizit in allerlei

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ironischen Selbstdistanzierungen kritisiert und in Generation Golf zwei explizit zur Selbstanklage verwendet. (GG2: 49f, 56) Doch ist diese Kritik des Staates, der es allen Recht machen will, eine paradoxe Verbindung aus Akzeptanz und Ablehnung der Spaßgesellschaft, die in Generation Golf diagnostiziert und gefeiert, zugleich in einem zweiten Schritt (sowohl in Generation Golf als auch in Generation Golf zwei) verdammt und in Form invertierter Kritik gegen den Kritiker gewendet wird.

Exkurs: Zum Anteil des (flexiblen) Normalismus an Generation Golf Wenn die Generationsgenossen in permanenter Furcht leben, sich durch den falschen Geschmack zu diskreditieren, wenn sie die Körperpflege (Sauberkeit, Attraktivität) zur Arbeit erklären, der sie mit Ratgebern und Statistiken Herr zu werden versuchen, wenn sie schließlich verkrampft hervorheben, ein besonders unverkrampftes Verhältnis zur deutschen Vergangenheit zu haben, wird deutlich, dass sich Generation Golf in vielfacher Hinsicht als Dokument des Normalismus lesen lässt. Dadurch, dass diese Techniken und Taktiken – also: normal zu sein, keine absurden Auswüchse (vulgo: Ideologien) in die eine (nach links) oder andere (nach rechts) Richtung zu wagen – zugleich zentrale Elemente der diskursiv vermittelten Programmatik des „new capitalism“ darstellen, wird auch die Frage nach dem Anteil der normalistischen Codierung innerhalb Generation Golf für die hier betriebene Analyse relevant. Der erste Schritt dieser Analyse wird darin bestehen einen klärenden Blick auf das theoretische und terminologische Instrumentarium des Normalismus zu werfen. Dies bietet die Grundlage für eine Analyse des durch Generation Golf repräsentierten Sozialraums entlang der Theorie des Normalismus. In einem dritten Schritt kann diese Analyse produktiv für die Frage genutzt werden, ob und wie sich Generation Golf als Dokument eines gesellschaftlichen Wertewandels deuten lässt, der sich in den ideologischen Bahnen des „new capitalism“ vollzieht.

Das Konzept „Normalismus“ Flexibler Normalismus, Protonormalismus, Normalitätsgrenzen Dieses auf Jürgen Link (in Anlehnung an Foucault und Durkheim) zurückgehende Konzept (vgl. Link 2006) bietet eine Theorie und Genealogie von Normalität, d.h. es wird die Frage bearbeitet, was unter der Kategorie „normal“ zu verstehen ist, wie diese Kategorie historisch entstanden ist und modifiziert wurde und wie sich diese Kategorie analytisch fassen lässt, ohne tautologisch zu argumentieren und Normalität als das zu definieren, was „eben normal“ ist. Eine analytische Grundlage stellt dabei die Unterscheidung von und das Verhältnis zwischen Normalität und Normativität dar. Beide beschreiben ein System von Grenzen. Die Normativität umfasst feste, binär codierte Grenzen, als Analogie lässt sich etwa die Unterscheidung zwischen innen und außen, gesund oder krank heranziehen. Dem gegenüber steht das System des Normalismus, in dem die Zugehörigkeit durch Vergleiche getroffen wird, in dem normal ist, was alle anderen

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machen und/oder was sozial machbar ist (d.h. ohne Sanktionen „durchgeht“). Demnach kann normal sein, was normativ, etwa durch Gesetze, verboten ist. Normal zu sein bedeutet in diesem Fall, so zu sein, wie alle anderen auch sind bzw. wie die meisten anderen auch sind. Normalität ist somit eine flexible Kategorie, denn was einst normal war, ist es heute nicht mehr und umgekehrt. Normalität verfügt über ein prognostisches Element, d.h. sie legt bestimmte Handlungsmöglichkeiten nahe, die sich im Rahmen des Normalen bewegen und definiert so die Marschrichtung, in die sich mitunter ganze Gesellschaften bewegen. Ersichtlich wird somit, dass das Normale einen Toleranzbereich und eine Spannweite darstellt, die über gleitende Grenzen verfügt, hinter denen der Bereich des Unnormalen liegt. Dieser Bereich des Normalen und die daraus resultierenden Strategien ist mit anderen Normalbereichen und den dortigen Strategien interdependent, so dass sich verschiedene Normalbereiche wechselseitig einpendeln: Wenn eine Praxis in einem Bereich normal/unnormal ist kann dies dazu führen, dass eine andere Praxis dadurch ebenfalls normal/unnormal wird, d.h. wer etwa harte Bildungspolitik (Zucht und Ordnung) favorisiert, weil er davon überzeugt ist, liberale Erziehungsmethoden seien gegen die „Natur“ der in Wirklichkeit sehr autoritätsbedürftigen Jugend (und damit „unnormal“), wird wahrscheinlich auch gegen die Legalisierung weicher Drogen vorgehen. Die Spannweite des Normalen lässt sich idealtypisch als Gaußkurve bzw. Normalverteilung zeichnen, die sich in Richtung Null- und Unendlichkeitswert der X-Achse asymptotisch annähert, auf der Y-Achse am Scheitelpunkt über einen Maximalwert verfügt und in der zwei (verschiebbare) Grenzwerte in Form von Senkrechten die Normalitätszone eingrenzen. Hinter diesen Grenzen erstreckt sich die denormalisierte Zone, deren Vertreter mehr oder minder über Seltenheitswert verfügen. Auf Handlungsebene lassen sich analog zur Unterscheidung von Normalismus und Normativität zwei Strategien unterscheiden, die jedoch selten in reiner Form, sondern meist gemischt auftreten: zum einen die Strategie des flexiblen Normalismus, die den Bereich des Normalen homöostatisch, d.h. in permanenter Wechselwirkung zur Umwelt, einstellt und dabei tendenziell expansiv verfährt, indem Elemente jenseits der Normalitätsgrenze eingemeindet, angepasst und handhabbar gemacht werden (siehe dazu die bereits geführte Diskussion um die kulturindustrielle Inklusion dissidenter, also in normalistischer Diktion: nicht normaler kultureller Praktiken). Flexibel normalistische Gesellschaften können so, durchaus auch im Sinne einer SystemUmwelt-Dualität, besser auf Veränderungen reagieren. Dem gegenüber stehen fixistisch-protonormalistische Strategien, die eng an die Normativität gekoppelt sind und dazu tendieren, den Bereich des Normalen schmal und die Grenzen fest zu halten. Trotz flexibler und verschiebbarer Grenzen werden jedoch Mechanismen benötigt, mit denen sie sich symbolisch und diskursiv markieren lassen. Jene Grenze lässt sich, wie Jürgen Link am Beispiel des Kinsey-Reports, einer der wichtigsten Stationen der Entkopplung von Normalität und Normativität, demonstriert, etwa an Goffmanns Konzept der „Stigmagrenze“ (Goffmann 1986) explizieren. Dies ist eine protonormalistische Konzeption, die sich gegen den Protonormalismus anführen lässt: Stigmagrenzen markieren in Goffmanns Terminologie die Unterscheidung zwischen aktualer und virtualer Identität, d.h. den Eigenschaften, die von einem Akteur erwartet werden und den tatsächlichen Eigenschaften. Stigmatisierte verfügen in diesem Sinne

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über bestimmte sichtbare oder auch unsichtbare Eigenschaften, die sie so andersartig erscheinen lassen, dass man nicht mit ihnen verkehren kann oder will. Doch die Tatsache, dass Akteure sich (etwa in Rollenspielen) in diese stigmatisierten (und damit unnormalen) Akteure versetzen und sie mimen können, legt den Schluss nahe, dass das Unnormale durchaus in den Bereich des Normalen integriert werden kann (chiastische Integration über die Normalitätsgrenze) und demnach keine festen Normalitätsgrenzen existieren können, hinter denen das unobjektivierbare „Andere“ liegen könnte. Der flexible Normalismus zieht dabei seine Grenzen nicht normativ. Tatsächlich neigt der flexible Normalismus dazu, auch die Normen normalistisch zu regulieren. Gerade im ideologischen Fahrwasser des „new capitalism“ und der entsprechenden Akkumulations- und Regulationsform wäre es höchst unnormal, an festen Grenzen festhalten zu wollen, während es im Gegenzug sehr normal ist, die Normen den Gegebenheiten anzupassen (zur Kopplung des „new capitalism“ mit dem flexiblen Normalismus siehe weiter unten). Das entsprechende ideologische Gegenstück stellt etwa der Reformdiskurs dar, mit dem permanente Umbauarbeiten und Neujustierungen legitimiert werden.

Die Produktion des Normalen Die Produktion dieser Normalitätszone lässt sich als Ablauf einiger grundlegender Schritte abbilden: Basis ist der Blick auf eine zunächst chaotisch erscheinende Gesamtmenge, die durch Abstraktion und Ausblendung individueller Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit als Ansammlung atomistischer Normalmonaden definiert wird. Die einzelnen Atome dieser Gesamtmenge werden durch das Zugrundelegen von Kategorien bzw. Merkmalen (und deren Kombination und Rekombination) vergleichbar gemacht, d.h. verdatet und so zu einem Kollektiv-Gegenstand konstruiert. Diese Kombination und Rekombination geht mit der Ausklammerung von Unterschieden einher, die das Bild der Normalverteilung stören könnten, so dass tendenziell von einem Willen zur Normalverteilung 120 ausgegangen werden muss. Die Einteilung der so ermittelten Daten erzeugt die Möglichkeit, aufgrund von Häufigkeits- und Seltenheitswerten die Bandbreite und Grade des Normalen zu definieren, wobei die Ränder zu den (seltenen) Unnormalen versetzt werden können und Elemente des Unnormalen im Laufe der Zeit in den Bereich des Normalen eingemeindet werden können. Die so definierte Normalität verfügt dabei in zweifacher Hinsicht über einen produktiven Faktor: Zum einen definiert diese Normalität latent den 120 Dies sagt nichts über die (mangelnde?) Validität der Methoden der empirischen Sozialforschung aus. Dieser Wille zur Normalverteilung basiert auf mathematisch völlig korrekten Modellen, doch stellen eben jene Modelle immer mehr dar als reine und vor allem unschuldige Mathematik, da sie stets für einen gesellschaftlich relevanten Zweck verwendet werden. Die Standardabweichung ist etwa ein Methodenbaustein, der zur Etablierung von Grenzwerten verwendet wird. Selbst wenn aus Ergebnissen (auch mit methodischen Kniffen) keine Gaußverteilung ermittelt werden kann, so tendiert die Empirie dazu (auch aufgrund einer langen Tradition triadischer Gleichgewichtserzählungen), die Ergebnisse (meist entlang einer politischen Agenda) gemäß einer Gleichgewichtsoder Mittelwertlogik zu diskursivieren. (Vgl. Link 2006: 340ff) Tatsächlich ist die Mitte stets der Ort, an den alle (politisch, hierarchisch usw.) streben. (Vgl. Link 1991, Link 2006: 419ff)

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wissenschaftlichen Blick auf den Gegenstand, der (mit dem Vermerk der Vorläufigkeit) oftmals ins normalistische Raster gepresst wird, zum anderen gewinnt die Normalität den Charakter der self fullfilling prophecy, wenn Akteure beim Blick auf die Normal- und Durchschnittswerte Handlungsbedarf sehen und sich am Normal-, d.h. Durchschnittswert orientieren, sich entsprechend verhalten und ihn so reproduzieren. So könnte etwa durch die o.g. Methode das Normalgewicht ermittelt und mit einem anderen Normalbereich, etwa der Alterserwartung, kombiniert werden. Publizistisch aufgearbeitet, mit Expertenwissen angereichert sowie passend visualisiert durch Diagramme und Leitfäden (vgl. Link 2001) könnte dies Akteure zur Überprüfung des Gewichts anleiten und ggf. den o.g. Handlungsbedarf signalisieren, der dann mit ebenso „normalen“ Mitteln der Gewichtsanpassung (etwa: Sport und Diät statt radikale Fastenkuren) umgesetzt wird. Der flexible Normalismus stellt somit ein wirksames Mittel dar, mit der Subjekte im Rahmen einer gouvernementalen Identitätsregulation zur Selbstanpassung ohne Zwang angehalten werden können. (Vgl. Bröckling u.a. 2000)

Allgegenwärtigkeit des Normalismus Massenmedial besonders wirksam sind jedoch die normalistischen Narrationen, die den (sicher nicht nur auf Deutschland beschränkten) Globalisierungsund Reformdiskurs prägen. In der Tat sind die massenmedialen Reformaufrufe meist mit Objektivität suggerierenden Mess- und Vergleichswerten gesättigt, sei es in Form internationaler Rankings, die Deutschland im internationalen Wettbewerb auf einer Konkurrenzachse und damit einem Normalitätsniveau verorten, sei es in Form „magischer“, aber nichtsdestotrotz willkürlicher Grenzen, die im Zuge des „neuen Konstitutionalismus“ eingezogen wurden, um der Politik des Neoliberalismus eine Legitimationsgrundlage für „Handlungsbedarf“ zu geben (etwa die Maastricht-Kriterien). Alarmwerte auf einer dieser Skalen, codiert als „Zurückbleiben“, „Hinterherhinken“ oder als ungebremstes Zurasen auf die Stigmagrenze, signalisieren politischen Handlungsbedarf und legitimieren so Reformen, deren Endprodukt als das utopische Projekt einer allgemeinen „Weltnormalität“ modelliert wird. Dabei ist der Normalismus kein Produkt des Kapitalismus, vielmehr sind Normalismus und Kapitalismus eine Symbiose eingegangen: Der kapitalistische Konkurrenz- und Anpassungsimperativ leitete keinen direkten Normalisierungsprozess ein, vielmehr wurde die Entwicklung des Kapitalismus durch normalistische Verfahren gestützt bzw. (meist in Form von Versicherungen) kompensiert, die dann eine Verdatung der Bevölkerung notwendig machten. Die Entwicklung des Kapitalismus und des flexiblen Normalismus ist allerdings interdependent, in dem Sinne, dass es das eine ohne das andere nicht gäbe. Der Siegeszug des flexiblen Normalismus demonstriert dies: In der Tat entspricht der flexible Normalismus wesentlich besser den Anforderungen eines postfordistischen Akkumulations- und Regulationssystems. Wichtige Meilensteine auf dem Weg zum heutigen flexiblen Normalismus (siehe Kinsey-Report) fallen zeitlich zusammen mit der Krise des fordistischen Akkumulationsregimes und den sich darauf im Weltmaßstab vollziehenden ökonomischen und politischen Reaktionen. 121 121 Diese Reaktionen sollen aus Platzgründen nur grob aufgeführt werden: Aufgabe der Goldparität, Aufbau einer internationalen Schuldenökomomie, Kapitalisierung und forcierte Technisierung der Produktion und insgesamt eine damit ver-

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Die tayloristisch-fordistische Ära war noch durch protonormalistische Grenzen gekennzeichnet, was sich u.a. an einem festen Rollenmodell (inklusive Repressionen), festen (korporatistischen) Zugehörigkeiten sowie einer Tendenz zur Begrenzung individuellen Verhaltens am Arbeitsplatz (wo Subjektivität als auszumerzende Fehlerquelle galt) und in der Freizeit (wo standardisierte Waren aus Massenproduktion konsumiert wurden) ablesen lässt. Dem gegenüber steht heute ein postfordistisches Akkumulations- und Regulationssystem, welches in vielen Bereichen klassische Rollenmodelle aufgelöst hat, den Bereich des Normalen (insbesondere in der Sexualmoral) ausgedehnt hat, flexible, temporäre und plurale Zugehörigkeiten zulässt und gar einfordert (daher dominiert in entsprechenden Diskursen die Netzwerksemantik), am Arbeitsplatz auf die vollständige Ausnutzung individueller Fähigkeiten setzt (bis hin zur Tolerierung oder Adaption dissidenter Praktiken), keine feste Grenzen mehr zwischen Arbeit und Freizeit zieht und (schein)individuellen Konsum (etwa: Produktion auf Kundenwunsch, Nischenmodelle) ermöglicht. Protonormalistische Begrenzungen lassen sich als (nicht immer geglückter) Versuch auffassen, Subjekte von außen zu normalisieren und im Sinne eines dauerhaften Funktionierens zu normieren, dem gegenüber steht im flexiblen Normalismus die (wesentlich leistungsfähigere) Anleitung zur Selbstnormalisierung im Sinne einer gouvernementalen Regulation der Subjekte, die mit allerlei „Anrufungen“ oder Richtlinien, Standards und Zielvorgaben „aktiviert“ werden sollen. (Vgl. Bröckling 2000) Die Nähe zur gesellschaftlichen Selbstbeschreibung in Form von Lebensstilen ist hier evident, auch hier zieht die neue Regulationsform neue Selbstbeschreibungstechniken nach sich, die besser zu ihr passen. Ebenso evident dürfte die Tatsache sein, dass es im Zuge der Produktion von Unsicherheiten und Widersprüchen zum gegenläufigen Wiedererstarken protonormalistischer Strategien (etwa: law & order, harte Drogenpolitik, Rückbesinnung auf alte Werte usw.) sowie zur Suche nach verloren gegangenen Intensitäten (Grenzerlebnisse, große Entwürfe) kommt, da der flexible Normalismus die klassischen Ressourcen für teleologische, totalisierende und identitätsbildende Intensitäten, aus denen die Menschen Sinn beziehen können, nivelliert hat. * Es wurde deutlich, dass sich der flexible Normalismus als diskursives Dispositiv verstehen lässt, d.h. als eine „materielle und ideelle Infrastruktur“ aus „Maßnahmenbündel[n], Regelwerke[n] und Artefakte[n], durch die ein Diskurs (re-)produziert wird und Effekte erzeugt“ (Keller 2004: 55), die zur Konstitution von Wahrheit und Gegenständen bzw. Vergegenständlichungen führt. Dieses Dispositiv überformt die ganze (westliche) Kultur. Der flexible Normalismus ist dabei sowohl das Produkt unserer Kultur als auch deren Produktionsschema. Es wird von den Subjekten als Deutungsgrundlage für die Welt appliziert, was dieses Deutungsschema wiederum reproduziert. Dies funktioniert deshalb so bruchlos, da der Normalismus zur interdiskursiven Ressource geworden ist, mit der sich die vereinzelten und aufgesplitterten Diskurse überbrücken lassen und sich kohärenter Sinn erzeugen lässt. Der Normalismus ist dabei in typische Formen der Narration und Symbundene Transformation des gesellschaftlichen Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit. (Vgl. Candeias 2004)

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bolik eingebettet, die sich quer durch die Diskurse (auch die der Wissenschaft) ziehen. Auf Seiten der Symbolsprache dominieren Symbole mit besonders starker pragmatischer Verankerung, zum Beispiel technische Vehikel (Fahrzeuge aller Art) oder technische Mobilität (Fahrzeugoperationen wie Bremsen, Gasgeben, Zusammenstoßen usw.). 122 Typisch normalistische Narrationen in Massenmedien (siehe das Beispiel Frauenzeitschriften: Link 2001) bilden das Leben als kurvenreiche Fahrt entlang der Normalitätsgrenzen und persönlicher Statusparameter ab. Ferner dominieren Gleichgewichtsgeschichten, in denen Protagonisten zwischen oppositionellen Orientierungsmarkern das Gleichgewicht zu halten suchen. Indem sie eine normal-range legitimer Praktiken und Identitätsbilder vorstellen, halten sie implizit zur Selbstverortung, -vergewisserung und -normalisierung an.

Generation Golf als Dokument und Element flexibler Normalisierungsstrategien: Interdependenz von Gaußoiden Dass mit Generation Golf praktisch bereits durch Titel, Untertitel und den Buchumschlag (ein abgekapselter Normalbereich in Form eines Aquariums mit einem Spielzeugauto darin) die Sphäre des Normalismus betreten wird, stellt ein sicherlich anekdotisches, aber umso eingängigeres Beispiel für die Dominanz des normalistischen Dispositivs dar, welches sich auch an einer scheinbar trivialen Stelle vergegenständlicht: in der Anfertigung eines Generationenporträts mit Hilfe des Kollektivsymbols „Auto“, noch dazu mit dem Fahrzeug für Normalmonaden, dem durch massenhafte Produktion durchschnittlichsten Modell, und schließlich in der Benennung der Generationenanalyse mit Hilfe der in einer pragmatischen Relation zum Autosymbol stehenden Vehikeloperation „Inspektion“, mit der das normale Funktionieren fest- und sichergestellt wird. 123 Die Eingängigkeit und Zustimmungsfähigkeit des verwendeten Leitmotivs „Auto“ erklärt sich dabei aus der tiefen pragmatischen Verankerung des Automobils, das in Symbolform für nahezu jeden Rezipienten verfügbar ist und als Kollektivsymbol für Werte wie „Freiheit“ oder „Privateigentum“ steht (was die in Generation Golf bekundete ironische Abneigung gegenüber dem glanzlosen „ÖPNV“ erklärt, der als Negativfolie die entgegengesetzten Werte konnotiert). Daher erklärt sich die interdiskursive Funktion von Fahrzeug- und Mobilitätssymbolen, mit denen etwa politische Denormalisierungen als „Reformstau“ codiert werden, dessen notwendige Auflösung dann umso selbstverständlicher akzeptiert wird (dass es wieder „voran“ gehen müsse, gilt sowohl auf der Autobahn als auch in der Politik). 122 Zur Typologie und Konstruktionslogik von Kollektivsymbolen siehe Link 1975, 1978, 1984. 123 Damit erfolgt die Konstruktion des Titels auf Grundlage der gleichen, typischerweise im Journalismus geltenden Regeln der Symbolproduktion (vgl. Link 1978: 43f), die solcherlei Großerzählungen über Generationen oder auch über den status quo der Nation mit Hilfe kollektiver Technik- oder Organismussymbole bebildern. Anekdotisch formuliert: wo das Fahrzeug Generation Golf der „Inspektion“ unterzogen wird, ist es sonst etwa der „Patient Deutschland“, der „therapiert“ wird (siehe Bode u.a. 2002).

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Es verwundert daher kaum, dass zentrale Stationen von Generation Golf, die mannigfaltigen Schilderungen von Differenz sowie zahlreiche Argumentationsformen auf dem Symbolreservoir von „Mobilität“ basieren. Generation Golf, insbesondere Generation Golf zwei, wird als nicht normale Fahrt abgebildet – als Reise durch bekannte Bahnen mit bekanntem Ausgang bei gleichzeitigem Management von Risikozonen, in diesem Fall: der Unterscheidung richtiger und falscher Konsumentscheidungen, dem Management von lohnenswerten und zu vermeidenden Sozialbeziehungen sowie dem Verbleiben innerhalb des konsumistischen Toleranzbereichs. Diese Fahrt wird mit einem durch die Ortschaft rollenden Cabrio vorweggenommen und beginnt erst richtig mit einem Überholvorgang eines ohnehin lahmenden Vehikels (GG: 48), gerät dann durch das regelkonforme Abbiegen in einer Prüfungssituation auf die richtige Spur (GG: 50), führt dann aufgrund der (durchaus als Abweichung von der Normalität deutbaren) Überschätzung der eigenen Fähigkeiten zweimal zum Crash (GG: 52), bis endlich die geradlinige Fahrt beginnt. Während dieser Fahrt wird die gesamte Republik auf ein höheres Mobilitätsniveau gehoben: Waren in den 80er Jahren ICE-Züge noch seltene Attraktionen (GG: 38), so wird jetzt der „Start in die Berliner Republik“ (GG: 59) vorbereitet, der nur noch von ideologisch motivierten Hemmnissen gebremst werden kann 124 – jene sind es, die dazu zwingen könnten, „das Tempo zu drosseln“. (GG: 169) Mit der Auseinandersetzung mit „den 68ern“ (siehe weiter unten) und der damit verbundenen Betonung der Differenz befindet sich Generation Golf schließlich im Zentrum des deutschen Normalitätsdiskurses, in dem die „Bewältigung der Bewältigung“ (Herrmann 1983, zit. n. Leggewie 1987: 214), d.h. die Normalisierung all dessen, was „die 68er“ übertrieben haben, verhandelt wird. Generation Golf lässt sich somit insgesamt als Dokument einer historisch-politischen Normalisierung verstehen, lässt sich jedoch trotz der Dominanz dieses Konflikts nicht ausschließlich darauf reduzieren. Generation Golf reflektiert darüber hinaus die beobachtbare Tendenz zur subjektiven Selbstnormalisierung und -vergewisserung. Als Geschichte des subjektiven Prozesses des „Normalwerdens“ führt Generation Golf zahlreiche aufeinander bezogene Normalfelder vor, in denen Orientierungsmarker die Eckpunkte des Generationenselbstverständnisses darstellen, während die ebenso abgebildeten Stigmagrenzen (Konsumversager, Gutmenschen usw.) den Bereich der Denormalisierung markieren. Zum anderen entspricht der Aufbau auch aufgrund der autobiographischen Methode einer Fahrt auf der Normalismuskurve, die auf der einen Seite die explorativen Ausflüge des Erzählers über dessen subjektiven Grenzen thematisiert (siehe oben), auf der anderen Seite über ein prognostisches Element verfügt, mit dem der Werdegang der Generationsgenossen im Sinne dieser Normalisierung vorweggenommen wird. Schließlich demonstriert Generation Golf mit dem tendenziellen Rückgriff auf die Werte der Vorvorgängergeneration im Sinne einer Bewältigung 124 Es entspricht der o.g. Regel zur Erzeugung tragfähiger Kollektivsymbole, dass diese mit dem Wirken von Gewerkschaften in Verbindung gebrachten Hemmnisse in Generation Golf mit Fahrrädern und verrosteten Autos, d.h. den Insignien mangelnder Mobilität bzw. des drohenden Mobilitätsverlustes, bebildert werden (so wie auch massenmedial von stotternden Konjunkturmotoren, Bremsaktionen oder aufzubrechenden „Verkrustungen“, insbesondere denen des Sozialstaats, die Rede ist).

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der Bewältigung das Wiedererstarken protonormalistischer Strategien, mit denen der Sinnverlust angesichts allumfassender Flexibilität aufgefangen werden soll. Damit korrespondiert auch die beobachtbare Sehnsucht und Suche nach (kulturellen) Intensitäten, deren Verlust latent kulturpessimistisch im Sinne von Verflachung, Nivellierung und ewiger Wiederkehr des Gleichen beweint, jedoch mangels verfügbarer Mittel entweder mit altbügerlichen Surrogaten oder mit der Aufwertung des Massenhaften und Banalen aufgefangen wird (bei gleichzeitiger Zurschaustellung ironischer Hilflosigkeit). 125 Gemäß der verwendeten Unterscheidung interner und externer textueller Relationen stellt dies jedoch nur die innere, semantische Dimension der Verarbeitung der normalistischen Topik und Logik dar, die bis zur Adaption normalistischer Terminologie (Miminum, Maximum, Optimum, Spektrum, Spannweite usw.) reicht. Gemäß der These, dass Subjekte zunehmend über die Regulation kultureller Kontexte – d.h. im allerweitesten Sinne: durch Texte – zur Selbstnormalisierung angehalten werden, verfügt Generation Golf auch über einen externe, pragmatische Dimension des Normalismus. Generation Golf ist so nicht nur Dokument des flexiblen Normalismus, welches zahlreiche Formen der Normalisierung abbildet, sondern auch ein Element des flexiblen Normalismus, das zur Selbstnormalisierung des Rezipienten anleitet. Durch die Applikation und Durchschleusung besonders attraktiver, zirkulationsfähiger und zustimmungspflichtiger semantischer Bestände wird dem Rezipienten ein Normalbereich mit Orientierungsmarkern demonstriert, in dem er sich selbst verorten kann und in dem ihm ein attraktives Identitätsangebot unterbreitet wird. Generation Golf reiht sich so in die Gesamtmenge identitätsregulierender Texte ein, mit denen der Bereich legitimer, konsensualer Identitätsbilder definiert wird. Die Formung legitimer Identitätsbilder durch Texte vollzieht sich nicht auf Anordnung anonymer Drahtzieher und Auftraggeber. Solcherlei Dokumente schleusen die Elemente literarisch durch, die in sich fortwährend ausdifferenzierenden Gesellschaften für eine breite Mehrheit konsensfähig sind. Für die Generationsgenossen bleiben daher nur noch Konsumismus, Hedonismus, Normalismus sowie eine Hand voll großväterlicher Werte als Schirm übrig, unter dem sich plurale Identitäten versammeln lassen. Generation Golf ist dabei derartig normalistisch gesättigt, dass man durchaus von einem normalistischen Verfahren ausgehen kann. Dabei werden Bestandteile der Erzählung, ja auch die Erzählung als Ganzes, als Gaußkurve abgebildet und zu einem Ensemble interdependenter Gaußoide verwoben. Schematisch: Generation Golf beschreibt das Normalwerden, Normalsein und das Normalbleiben. Bevor im Folgenden dieses verworrene Bild aufeinander bezogener Kurven geklärt wird, sei ein die Komplexität erläuterndes Beispiel angeführt: Generation Golf beschreibt insgesamt eine Biographie im 125 Der dabei stattfindende Rückgriff auf die „rousseauistischen“ Werte der 68er stellt ironisch-polemisches „Trittbrettfahren“ dar, das es erlaubt, den potenziellen Gegnern die argumentativen Waffen zu entreißen. Fast alles, was in den Augen der zugrunde gelegten Klischeefigur „linker Gutmensch“ kritikwürdig erscheint, wird so bedient: die „Tyrannei der frühen Eventkultur“ (GG: 37), die Selbstbeschreibung als „Fanatiker des Allgemeinindividualismus“ (GG: 91), die „Häppchengesellschaft“ (GG: 132), die kulturpessimistische Trauer über Fitnesszwang und Bulimie (ebd.) oder die allgemeine Verflachung von Stilen (GG: 116), Sinnressourcen (GG: 121, 133, 181, 187) und Sozialbeziehungen (GG: 191, 193).

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Sinne eines Weges in die konsumistische, historische und ideologische Normalität. Die in den einzelnen Elementen aufgespannten Normalbereiche werden dabei aufeinander bezogen, so dass Abweichungen abgebildeter Akteure auf einer Skala meist mit Abweichungen auf anderen Skalen zusammenhängen, was in Folge zu stereotypen Assoziationsschritten führt: Politischer Extremismus (d.h. Extremismus im Rahmen des in Generation Golf aufgespannten politischen Normalfelds) geht so einher mit Abweichungen in Lebensstil und -praxis und wird ggf. zusätzlich auf die soziale Hierarchieachse übertragen – Karikaturen (Liegeradfahrer, Gutmenschen, Ökos usw.) sind das Ergebnis.

Biographische Gaußkurve Aus einer Makroperspektive evoziert Generation Golf das Bild einer Biographie einer Generation und eines Erzählers, die im Sinne eines zu-sich-selbstKommens im Wesentlichen durch einen Prozess der Normalisierung gekennzeichnet ist. Diese Normalisierung umfasst auf Ebene der Einstellungen und Praktiken eine konsumistische, politisch-historische und moralische Normalisierung (siehe weiter unten). Sie lässt sich als eine Fahrt entlang der Normalitätskurve und als Versuch beschreiben, als Homöostat innerhalb normaler (konsumistischer, lebensstilistischer, politischer) Statusparameter zu verbleiben (siehe weiter unten). Zugleich beinhaltet diese Normalisierung im wahrsten Sinne des Wortes eine weitere Kurvenfahrt in Form eines sozialen (vertikalen) Aufstiegs entlang der sozialen Laufbahn, im Zuge dessen man wird, was man ist (Pierre Bourdieu), höhere „Evolutionsstufe[n]“ (GG: 138) erklimmt und sich zugleich auch horizontal bewegt (Land > Stadt). Damit verbunden ist in der Regel eine Expansion und Transformation des konsumistischen Normalbereichs und -spielraums, der jedoch zugleich in entscheidenden Stilfragen (siehe weiter unten) protonormalistisch eingeschränkt wird. Die Fahrt entlang der Normalitätskurve verfügt dabei (für alle in Generation Golf beschriebenen Akteure) über ein prospektives Element – es ist bereits klar, wohin sie führt, solange man sich normal verhält und an seiner Normalität arbeitet (siehe weiter unten). So lässt sich der Ausgangspunkt des Normalisierungsprozesses, die Phase von Kindheit und Adoleszenz, in Fragen des Konsumismus bildlich gesprochen als abgeflachte Kurve auffassen, d.h. als „Tristesse der Achtziger“, die in gesellschaftspolitischer Hinsicht aufgrund der Konstanz von CDURegierung, Prosperität, weltweiter Entspannung, (vermeintlicher) Ereignisarmut („ereignisarme Zeiten“; GG: 22) und ewiger Wiederkehr einer Geraden gleicht. (GG: 16) Die Erzählung beginnt daher auch mit einem schmalen Normalitätsbereich, d.h. einer allumfassenden Übersichtlichkeit in Form begrenzter Handlungsoptionen, eindeutiger Orientierungsmarker in Form leichter Zuordnung konsumistischer Praktiken zu ihren entsprechenden Milieus oder geringer Stildifferenz (in der Regel haben alle das Gleiche: nur farblich unterschiedliche Rucksäcke, gleiche Turnschuhe, ununterscheidbare Markenjeans usw.). Zugleich sind die Toleranzbereiche schmal, die Ausschlusskriterien in Form von Stigmagrenzen recht eindeutig, etwa faktische Stigmata der „Gehandikapten“ (GG: 17) oder eindeutige konsumistische Fehlgriffe wie die „Moonwashed-Jeans in der sogenannten Röhrenform“. (GG: 29) Selbige wird im Sinne eines unerhörten Ausschlags auf der normalistischen Stilskala passend-

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erweise als der „ultimativ größte anzunehmende ästhetische Unfall“ (ebd.) abgebildet, d.h. als völlige Denormalisierung, die zum einen auf die sozialgeographische Achse übertragen wird (auf tiefere soziale Schichten und DDR-Bürger, die diese Hosen tragen), zum anderen zur Demonstration ironischer Geringschätzung gegenüber den Grünen und der Anti-Atomkraftbewegung genutzt wird. Die Forderung, das Gebrechen „tunlichst [zu] verstecken“ (GG: 17), und die Tatsache, dass die Opfer stilistischer Grenzüberschreitungen buchstäblich aus der Erzählung herausfallen und nicht nur für den Erzähler „gestorben“ (GG: 30) sind, sondern in der Tat kein einziges Mal mehr erwähnt und sowohl horizontal (geographisch) als auch vertikal (innerhalb des sozialen Raums) an den Rand verbannt werden, gibt einen frühen Vorgeschmack auf die Furcht der Generationsgenossen vor einem stilistisch-konsumistischen drop-out, der die persönliche Katastrophe bedeuten könnte (siehe weiter unten). Trotz Gleichförmigkeit zeichnen sich zu diesem Zeitpunkt jedoch erste Brüche ab: Zum einen lässt sich eine – wenn auch zaghafte – Verbreiterung des konsumistischen Normalbereichs beobachten, zum anderen eine Tendenz zur Überwindung äußerlicher Fremdnormierung. Ersteres lässt sich in der langsamen Zunahme von Stilen und Praktiken ablesen: Erst verfügen alle Kinder über die gleiche schulische Ausrüstung, dann pluralisiert sich das Angebot und fächert sich zu einem ersten Praktikenspektrum mit Durchschnittswerten und verabscheuenswerten Extremen an den Rändern auf (dazu gehören etwa die stilistischen Restbestände eines 68er-Nonkonformismus). Die Überwindung äußerlicher Fremdnormalisierung vollzieht sich ebenfalls in einem konsumistischen Rahmen und ist zunächst im Wesentlichen gegen einen elterlichen Sinn für das Praktische und Nützliche gerichtet. Doch sind die ersten Experimente noch zaghaft, mangels eindeutiger Orientierungsmarker und -marken – „Es gab kein H&M weit und breit und kein GAP“ (GG: 25) – noch ungerichtet und dadurch von temporären Stilverirrungen gekennzeichnet. Diese Tendenz zur (Schein-)Expansion und zum Wechsel von Fremdnormalisierung und -bestimmung zur Selbstnormalisierung begleitet im Folgenden das Aufwachsen der Generation Golf und lässt sich schematisch an einigen Stationen ablesen: etwa in der eigenen automobilen Evolution, die mit der Überwindung von Fremdbestimmung einher geht (Abbiegen wo man darf, nicht wo man soll; GG: 50). Ablesbar ist diese Tendenz ferner in der Expansion und Individualisierung konsumistischer Möglichkeiten, die sich in Aufzählungen verfügbarer Produktpaletten, Marken und Moden äußert und etwa bis hin zur bricolage und zur Ästhetisierung des Banalen reicht, d.h. die an den wesentlichen Eckdaten gemessen wird, mit denen auch SINUSMilieus verortet werden (Kleidung, Nahrung, Wohnungseinrichtung, Freizeitgestaltung, Lifestyle). Die biographische Normalisierung umfasst insgesamt ein Zurückdrängen aller protonormalistischen Grenzen, die als Einengungen durch die Eltern oder das soziale Umfeld wahrgenommen werden und parallel dazu eine Herauslösung aus Kollektivismen, die gleichermaßen als Begrenzung empfunden werden. Neben der Einengung durch Fremdnormalisierung, siehe die Vermessung durch den Schularzt (GG: 79ff), ideologisch motivierten

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schulischen Projekten (GG: 34, 87ff) 126 und der Überwindung von Kollektivismen (etwa im Sport: GG: 71f), vollzieht sich das Abschütteln aller Grenzen und Schranken vor allem konsumistisch – nicht nur im Rahmen der Verbreiterung des Waren- und Praktikenangebots, sondern im Zuge eines Prozesses, in dem vormals einengend-kollektivistische, zweckgerichtete Praktiken warenästhetisch-individuell umgeformt werden: vom aufgezwungenen, sinnlos kreisförmigen „Dauerlauf“, der „immer bloß Mittel zum Zweck“ (GG: 70) blieb, hin zum freiwilligen, werbeästhetisch und distinktiv aufgeladenen „Selbstzweck“. (Ebd.) Kurz: konsumistisches let go statt Konsummuffelei, Überwindung des zweckorientierten Konsums und des ideologisch fundierten Nichtkonsums. Das bedeutet auch: die Fassadennormalität aufgeben, die etwa im demonstrativen Konsum gesunder, vernünftiger Nahrungsmittel (GG: 18) oder fair gehandelter Produkte (GG: 149f) ausgedrückt wird, seinen Frieden machen mit der konsumistischen „Sofortbefriedigung“ (GG: 68), wozu auch gehört, Konsumentscheidungen nicht mehr rational zu rechtfertigen, Dienstleistungen anderer Menschen selbstbewusst in Anspruch zu nehmen und den eigenen Wohlstand zu präsentieren. Die Überwindung dieser Grenzen wird dabei im Modus des Entschleierns, Gestehens und Bekennens vorgetragen: „Es wirkte befreiend, daß man endlich den gesamten Bestand an Werten und Worten der 68er-Generation [...] auch öffentlich albern nennen konnte.“ (GG: 155, Hervorhebung von T.K.) Dies ist auf der einen Seite Zeichen eines demonstrativen, um Distinktion bemühten Konsums: Wo im Falle der 68er der Kauf bei Manufactum noch aus Scham vor dem eigenen Wohlstand geschieht, denn man sieht den Waren ihren Preis nicht an (GG: 149f), geht es den Generationsgenossen gerade um die Sichtbarkeit des Wertes. Analog zu den Entwürfen des neokonservativen Stichwortgebers Norbert Bolz, dessen Konsumistisches Manifest (2002) den ungebremsten Massenkonsum als höchste zivilisatorische Errungenschaft preist, wird in Generation Golf die Distinktionssehnsucht der Generationsgenossen letztendlich als konsumistische Demokratisierung präsentiert, an der jedermann teilhaben könne (etwa, indem zu billigeren Surrogaten gegriffen wird) und für die kein Geheimwissen mehr aufgewendet werden müsse. Diese Erlösung vom elterlichen „Entschuldigungskomplex“ (GG: 148) in konsumistischen Fragen vollzieht sich vor allem in der Sphäre der Marken, Markenprodukte und Werbung – so wie es auch Norbert Bolz ausdrückt, wenn er die Diagnose aufstellt, Werbung strukturiere mittlerweile jedwedes Erleben der Sozialwelt und sei die Befreiung vom schlechten Gewissen einer rousseauistischen Kulturkritik. (Vgl. Bolz 2002: 121) Darüber hinaus bieten diese Geständnisse aber auch ein Hinweis auf die von Michel Foucault diagnostizierte Bekenntniskultur und den Zwang zur Selbstthematisierung und -analyse, mit der sich Subjekte ihrer Normalität vergewissern, vor deren Verlust sie sich fürchten (siehe weiter unten). Letzteres initiiert auch die Normalisierung der politisch-ideologischen (darin auch: historischen) und moralischen Orientierung. Das bedeutet (in Kurvenlogik) ein Einschwenken in eine Konstante und den Verzicht auf hef126 Dass auf der einen Seite die von den 68ern (mit)erstrittene Bildungsreform und -expansion als Verflachung wahrgenommen wird (GG: 87ff), auf der anderen Seite jedoch sowohl Autorität herbeigesehnt als auch der Weg des geringsten (schulischen) Widerstandes gegangen wird: siehe folgender Abschnitt.

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tige Ausschläge auf der politischen, ideologischen und moralischen Intensitätsskala bzw. ein Ausgleichen derselben (mehr dazu im folgenden Abschnitt). Die typischen Praktiken beinhalten hier: in allen Bereichen Ruhe zu bewahren, keine „Energieverluste[.]“ (GG: 44) im Elternkonflikt zu riskieren, lieber „am Rhein entlang[zu]spazieren“ (GG: 164) statt sich „in den dritten Weltkrieg so hineinzusteigern“ (ebd.), sich nicht zu „empören“ (GG: 193), sondern in „Gänsefüßchen“ (ebd.) zu denken. Häufig wird dabei durch den Rückgriff auf Statistiken selbst wieder normalistisch argumentiert: wenn auf anonymes – „so sagen 56 Prozent“ (GG: 169) – wie zuortbares Datenmaterial – „AG-Hochschulforschung“ (GG: 146) – verwiesen wird, wenn der Durchschnitt, das „Gros“ (GG: 191) oder die „autoritätsabhängige Mehrheit“ (GG: 79) als Argumentationshilfe gegen die links und rechts vom Scheitelpunkt der Normalitätskurve liegende „unrepräsentative Minderheit“ (GG: 191) oder die „kleine[.] Gruppe“ (ebd.) ins Feld geführt wird. Zur Generation zu gehören, das bedeutet, trotz hervorgehobenem Individualismus und allgemeiner Distinktionssehnsucht, durchschnittlich zu sein. Das bedeutet, zu sein, wie alle anderen sind, zu denken, „wie auch alle anderen“ (GG: 126), und zu besitzen, was die (vermeintliche) Mehrheit besitzt. Das bedeutet schließlich im Sinne Maslows Bedürfnispyramide, erst die basalen, normalen Bedürfnisse wie „Arbeitsstelle“ und „Familienplanung“ (GG: 191) abzudecken, bevor man sich in ideologische Luftschlösser begibt (auf deren Besuch man dann konsequenterweise gleich verzichtet). All dies führt dazu, in den bereits genannten konsumistischen Eckdaten keine singulären Ausschläge in ein wie auch immer geartetes Extrem zu wagen und sich aus dem gleichförmigen Pool aus Ikea, VW-Produktpalette und Boss-Anzug zu bedienen, was die anfänglich diagnostizierte Expansion des Normalbereichs wieder relativiert, der so in Form von ästhetischen Mindeststandards wieder mit eingezogenen Stigmagrenzen eingeschränkt wird. Selbiges gilt für die Expansion normaler, d.h. tolerabler Verhaltensweisen, deren Bandbreite und Unübersichtlichkeit wieder künstlich durch Selbstbeschränkungen an den Rändern terminiert wird. Die Freiheiten der Konsumgesellschaft drohen, da sie feste Orientierungsmöglichkeiten verwischt haben, also wieder protonormalistisch umzukippen (siehe weiter unten), so dass etwa Elemente des altbürgerlichen Habitus mitsamt seiner Sexualmoral wieder attraktiv werden. Dementsprechend werden auch die eigenen Expeditionen am Rand des konsumistischen Normalbereichs vom Erzähler als Abweichung codiert und in der Regel schnell aufgegeben: Das „Spektrum des Geduldeten“ (GG: 101) ist schmal, und bereits in Jugendjahren tut man gut daran, stilistische Experimente „besser im Kleiderschrank verkümmern zu lassen.“ (GG: 30) Auch die Suche nach Intensitäten verläuft angesichts der kulturellen „Endlosschleife“ (GG: 133) normal, indem ritualisierte Grenzerfahrungen (Loveparade, Ecstasy, hemmungslose Sentimentalität beim Anschauen kitschiger Filme) in die Normalitätszone integriert werden, solange sie im Sinne einer kurzfristigen Eruption temporär bleiben und sich danach die Normalität wieder einstellt – es wäre dabei geradezu unnormal, sich der marktförmig angebotenen Entgrenzung nicht zu bedienen: „Alle haben sich lieb, sind zehn Stunden gemeinsam exzessiv und sind am Montag wieder brave Staatsbürger.“ (GG: 166)

240 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM „Drei Stunden lang muß man nicht erwachsen sein. Am Ende des Abends trocknen sie dann ihre Tränen ab, und sie gehen am nächsten Morgen ins Büro, als sei nichts gewesen.“ (GG: 194)

In diesem Sinne ist es auch zu verstehen, weshalb etwa die konsumistische Beschränkung durch die Eltern geradewegs zu Übersprungshandlungen (Cola, Nutella, Wettkampf um die teuersten Schuhe, Exploration der stilistischen Möglichkeiten) verleitet, deren Intensität sich mit steigendem Alter und steigender Erfahrung nach „überstürzten [konsumistischen] Ereignissen“ (GG: 153) dann „allmählich zu stabilisieren“ (GG: 143) beginnt – ein normalistisches Einpendeln, bei dem die Ausschläge auf der Skala zu Beginn heftiger sind und dann im Laufe der Zeit bis zur Geraden abflachen. Die Normalisierung der Suche nach Intensitäten führt jedoch ein Paradoxon vor, welches sich in ähnlicher Form bereits im Abschnitt „Zwischen exklusiver Differenzbetonung und inklusivem Identitätsangebot“ beobachten ließ. Bereits dort wurde deutlich, dass es aufgrund des Verlusts klassischer Sinnressourcen zu Kompensationshandlungen durch Warenästhetisierungen kommt. Dies kann an dieser Stelle normalistisch ergänzt werden: Mangels echter Intensitäten erklären die Generationsgenossen die Durchschnittlichkeit (siehe die oben beschriebene normalistische Konsumentenbiographie) und Systemkonformität zum Außergewöhnlichen, zum exzeptionellen Ereignis, mithin gar zur Systemalternative. Angepasstheit wird so zur (zumindest potenziellen) Dissidenz erklärt und in Generation Golf zwei folglich konsequent zu Ende gedacht und ausformuliert: „[...] so entschieden wir uns zunächst, weiter mit Desinteresse an der Politik die Revolution immer wahrscheinlicher zu machen und bestellten uns noch jeder ein Glas Prosecco.“ (GG2: 230) Insgesamt betrachtet zeigt sich, dass die Generationsgenossen über ein recht teleologisches, an Agustes Comtes Drei-Stadien-Gesetz angelehntes Normalitätsempfinden verfügen. In normalistischer Kurvenlogik ausgedrückt bedeutet dies, dass die Generationsgenossen nach einer mehr oder minder rasanten Steigung einen dauerhaft normalen Zustand, d.h. eine auf der X-Achse gen Unendlich reichende (Ziel)Gerade erreicht haben, die nun im Wesentlichen gehalten wird (bzw. die in naher Zukunft noch einen kleinen monetären Schritt nach oben macht und dann gehalten wird): „Veränderung wird die Zukunft kaum bringen.“ (GG: 197) und „Ich will so bleiben wie ich bin.“ (GG: 188) Von einem niedrigeren (etwa: konsumistischen, politischen) Normalitätsniveau ausgehend wurde also ein höheres erreicht und zum Ende jedweder Entwicklung erklärt. Dass diese Vorstellung gesellschaftlicher Konstanz anschlussfähig ist an die Erzählung vom Ende der Geschichte und dem Ende der Ideologien, soll, da Gegenstand späterer Kapitel, hier nur erwähnt und nicht weiter ausformuliert werden. Ebenso erwähnt werden sollte die Tatsache, wie sehr diese Vorstellung quer zum Veränderungsimperativ des „new capitalism“ steht, dessen desintegrierende und denormalisierende Auswirkungen, die zur „Absenkung der Kurve“ führen, dann in Generation Golf zwei voller Unverständnis kulturpessimistisch beweint werden, sobald sie einen selbst betreffen. In dem Zusammenhang wird auch aus Gründen maximaler Anschlussund Zustimmungsfähigkeit kein an den Verfall des Abendlandes erinnernder Topos zwischen Globalisierungsängsten (im Wesentlichen: der ironischunironisch diagnostizierte Verfall durch das Wirken generischer Feinde wie

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etwa Indern und Chinesen) und vermeintlich drohender Islamisierung ausgelassen (exemplarisch: GG2: 240ff; zur gegenwärtigen öffentlichen Diskussion siehe Steingart 2006). Zusätzlich wird in Ermangelung von Erkenntnisgewinnen nun mit Ausfällen der härteren Art gegen diejenigen vorgegangen, die den eigenen Wohlstandsverlust vermeintlich verschuldet haben: zum einen „Helmut Kohl“ und dessen „Aussitzen“ (GG2: 56), zum anderen „[...] die deutschen Gewerkschaften, diese[.] inzwischen merkwürdigste[.] Verkörperung von selbstgefälligem Besitzstandswahrertum der 68er-Generation.“ (GG2: 224) Wo in Generation Golf noch der Egoismus zum „Gemeinschaftserlebnis“ (GG: 196) ausgerufen wurde, wird nun, wo der eigene Besitzstand in Gefahr zu geraten droht, implizit und gegen die Logik des Selbsterhalts die Solidarität eingefordert und der Wortschatz der gesellschaftlichen Reformer angezapft (im Sinne von „Generationengerechtigkeit“ und des Gebots, nicht unsolidarisch auf Kosten der jüngeren Generationen den „Karren gegen die Wand zu fahren“). Dass sich just diese Anschuldigung mit zentralen Argumentationen des massenmedialen Globalisierungs- und Reformdiskurses deckt, zu dessen Hauptverfahren das Erzählen einer Verfallsgeschichte des Verharrens unflexibler Egoisten gehört, die öffentlich maximal zustimmungsfähig ist und kaum noch anders sagbar ist, stellt die letzte Überlappung dar, die an dieser Stelle hervorgehoben werden sollte (zum Diskurs über vermeintlich konservative Gewerkschaften siehe etwa Candeias 2004: 203ff). Im Folgenden soll daher der o.g. Ausschlag auf der Skala des politisch-moralisch Normalen untersucht werden.

Ideologische Gaußkurve Der Normalitätsdiskurs ist spätestens seit 1989 zu einem der Leitdiskurse in Deutschland geworden. Er setzt dabei auf die Überwindung normativer Grenzen: als Zeichen der Vernunft, als Überwindung und Ende aller Ideologien. Letzteres stellt dabei einen zentralen Baustein für das ideologische Gefüge des „new capitalism“ dar. Die historischen Zäsuren in der Normalitätsgeschichte der deutschen Nation lassen sich hierbei auf die Jahre 1945, 1968 und 1989 (als politische wie normalistische Wende) datieren. Alle Daten stellen, um im Bild des Normalismus und dessen Kurvenlogik zu verbleiben, Ausschläge auf einer nationalen ideologischen Normalitätsskala dar. In öffentlichen Diskursen dominiert dabei die Forderung, nicht mehr einem politisch korrekten, normativen Geschichtsbild anzuhängen, sondern (wie alle anderen Nationen auch) ein entspanntes Verhältnis zur eigenen Nation zu gewinnen – das sei etwa angesichts der Gnade der späten Geburt und dem Abflachen der ideologischen Kurve normal (auch die Kampagne „Du bist Deutschland“ lässt sich so deuten). Auch die Überwindung all dessen, was nebulös mit „1968“ in Verbindung gebracht wird, reiht sich in den Normalismusdiskurs ein: 1968, der Ausreißer auf der Skala der damals herrschenden Protonormalität (etwa in Fragen der Sexualmoral), gilt in dieser Logik als unnormale Abweichung, die heutzutage als überwunden gilt bzw. deren ideologische, eben unnormale Restbestände und -effekte zu überwinden sind, weil sie die heutigen Bedingungen zur Normalitätsproduktion stören. Einige bekannte Denkfiguren sollen hier noch mal genannt werden (ohne Vollständigkeits- und Wahrheitsanspruch): dass die Gleichberechtigung von Frauen überzogen wurde und zum Zerfall familiärer Strukturen geführt hat

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(für den öffentlichen Diskurs exemplarisch: Herman 2006), dass das egalitäre und latent antiautoritäre Schulsystem zum Verlust der Konkurrenzfähigkeit geführt hat, dass die Versteifung auf den Nationalsozialismus zur allgegenwärtigen Lähmung geführt hat, dass zu viel Toleranz anomische Auswirkungen nach sich gezogen hat und die Sekundärtugenden verdrängt hat 127 und dass schließlich gerade „die 68er“ kaum nachhaltig denken, sich auf Posten ausruhen und die Republik blockieren, mit anderen Worten: ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. So lässt sich leicht nachvollziehen, weshalb das Feindbild „1968“ im normalistischen Diskurs so attraktiv ist, lassen sich etwa notwendige Reformen oder Probleme auch als Verarbeitung der von den 1968ern übertriebenen, unterlassenen oder inkonsequent durchgeführten Handlungen codieren, wodurch sich nun, um weiterhin im normalistischen Bildbereich zu bleiben, allerhand Druck angestaut und Handlungsbedarf ergeben hat. Dabei lassen sich zwei dominante, miteinander interdependente Widersprüche erkennen: Gerade die gegenwärtig als protonormalistischer Bremsblock codierte 68er-Generation lässt sich als (die letzte?) Generation auffassen, die protonormalistische Grenzen (siehe Sexualmoral) umgestürzt hat. Widersprüchlich an diesem Bild des Bremsblocks ist zudem, dass nicht beachtet wird, wie sehr die heutige Flexibilitäts- und Deregulierungsrhetorik diskursiv von den Ideologemen der 68er-Generation zehrt, wenn es um Freiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Selbstbestimmung, Nachhaltigkeit, Eigenverantwortlichkeit, lebenslanges Lernen oder allgemein das Zerschlagen von wie auch immer gearteten (ökonomischen, regulativen) Fesseln geht, und wie sehr gerade die 68er-Generation der consumer society zum Sieg verholfen hat, obwohl sie doch (siehe Generation Golf) heutzutage oft als konsummuffeliges Gegenbild diskursiviert wird. Dass die kulturellen Umwälzungen der 60er und 70er Jahre auch ein Element der Verbreiterung des Massenkonsums waren, wurde bereits im Zuge der Analyse der popkulturellen Erneuerung angedeutet und lässt sich hier erneut präzisieren. Wurde zuvor auf Jost Hermand zurückgegriffen, soll hier mit Panajotis Kondylis ein Gewährsmann vom entgegengesetzten Pol des politischen Spektrums befragt werden: „Nimmt man darüber hinaus ihre [die der Kulturrevolutionäre; T.K.] einzelnen Forderungen unter die Lupe und übersetzt sie in die objektive Sprache der konkreten Anwendung unter den gegebenen Umständen, so muß man feststellen, daß sie allesamt der inneren Logik der massenhaft konsumierenden Massendemorkatie unterworfen waren.“ (Kondylis 1991: 234) „Die Massenproduktion von Konsumgütern – und zwar als Massenproduktion – mußte steigen, um Bedürfnisse zu befriedigen, die eben durch die Kulturrevolution geweckt oder verbreitet wurden.“ (Ebd.)

Trotz gelegentlicher Polemik spricht Kondylis hier einen Punkt an, der auch in der Theorie des Postfordismus und des neuen kapitalistischen Geistes ver127 Was erklärt, warum heute „die Jugend“ und die Empfänger von Transferleistungen häufig als „ungezogene Mängelwesen“ repräsentiert werden, die unter der zurückliegenden Politik der 68er leiden und durch Pädagogisierung auf den „richtigen Weg“ zurückgebracht werden müssen. So fußt das Workfare-Regime auf der Annahme, Arbeitslosen müsse die Arbeit wieder „beigebracht“ werden.

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handelt wird: Das, was gern als „die Wirren der 60er Jahre“ (Delius 1988: 217, den Stilduktus der FAZ zitierend) bezeichnet wird, lässt sich durchaus als (notwendige) Anpassung an die Transformation des Kapitalismus verstehen, dessen fordistisch-tayloristische Produktionsweise an die Grenzen gelangt war (sichtbar etwa in fallenden Profitraten, Überakkumulation und kaum steigerbarer Produktivität). Es soll hier gar nicht entschieden werden, welche Entwicklung ursächlich war und welche die Folge (anzunehmen ist ohnehin, dass beide Entwicklungen interdependent sind): Eine Steigerung des Konsums und der Wechsel zur vielgepriesenen flexiblen Dienstleistungsökonomie, welche die Bandbreite der Waren theoretisch ins Unendliche ausweitet, konnte mit der klassischen Regulationsweise, d.h. etwa der klassischen Arbeitsteilung, der klassischen Konsumweise und nicht zuletzt mit festen bürgerlichen Werten und Moralvorstellungen nicht gelingen. Wurde zuvor mit Jost Hermand (und anderen) bezogen auf die Avantgarde-Kultur auf deren kulturindustrielle Inklusion und auf die Profitraten steigernde Marktsegmentierung hingewiesen, kann dies nun mit der Diagnose von der ideologischen Absorptionsfähigkeit des modernen Kapitalismus ergänzt werden. Was Kondylis (siehe unten) genüsslich polemisiert, entspricht in weiten Teilen den Möglichkeiten, die sich der Generation Golf heute aufgrund der Kämpfe der verhassten 68er bieten (wenn man an dieser Stelle von der wieder gegenläufigen Tendenz zur protonormalistischen Einzäunung und dem beobachtbaren conservative backlash absieht): „[...] aus der wilden kulturrevolutionären Verachtung der guten Manieren wurde das spontane Duzen, der offene Ton, das freie Vokabular, das Küssen und die Umarmung als Begrüßungsformen, aus der kulturrevolutionären ostentativen Vernachlässigung der Kleidung wurde die modische Vorliebe für den offenen Kragen und das Räuberzivil, aus den kulturrevolutionären Orgien wurde die wachsende Selbstverständlichkeit des Ehebruchs, der getrennte Urlaub oder der Partnertausch. Solche Verhaltensweisen bildeten gleichsam eine Domesitizierung der Kulturrevolution vor allem für den Gebrauch einer mittleren Schicht, die über gesteigerte Konsummöglichkeiten verfügt und sich ansonsten bemüht, Nonchalance mit Schick zu verbinden, durch genauere Kenntnis der Weinmarken Verfeinerung an den Tag zu legen, auf exotischen Reisen das ‚Abenteuer‘ durch die Vermittlung von Agenturen zu erleben oder auf gesicherter Existenzbasis ökologisches Bewußtsein zu entwickeln.“ (Kondylis 1991: 237)

Dass die Generation Golf also Spaß und Körperlichkeit zelebrieren kann (GG: 165), auch den „vierundzwanzigste[n] Sexualpartner“ (GG: 160) gefahrlos heiraten kann, ihren eigenen Stil ausleben kann (allerdings kein Räuberzivil) und sich dem konsumistischen let go sowie einer Distinktion hingeben kann, die zuvor nur den wenigsten vergönnt war, lässt sich als Produkt einer notwendigen Anpassung an neue kapitalistische Produktionsformen deuten: als kulturelle Revolution, die als „Anpassungsbewegung auf dem Wege zur reifen Massendemokratie“ (Kondylis 1991: 234) eine „fällige Wandlung im Überbau“ (ebd.) vornahm. Wenn somit heute und in Generation Golf die „Wirren der 60er Jahre“ (s.o.) als antikonsumistischer Affekt diskursiviert werden, so führt dies zum einen in die Irre, zum anderen verweist dieser zentrale Widerspruch letztlich auf die ideologische Indifferenz des „new capitalism“ und auf dessen Fähig-

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keit, die eigenen Forderungen mühelos gemeinsam mit sogar dissidenten Diskursen zu reartikulieren, solange die grundlegenden Fragen der Ressourcen- und Arbeitsteilung nicht angetastet werden. Freiheit und Zwang werden dabei kombiniert. Nur zwei Beispiele sollen dies holzschnittartig verdeutlichen: Der Wunsch der Frauen nach Gleichberechtigung traf sich mit dem Wunsch der Produktion nach billigeren Arbeitskräften (qua Konkurrenz mit Männern) und führte mittelbar zur Realisierung eines Niedriglohnsegments, das in Form von Dienstleistern die Reproduktionsarbeit der nun arbeitenden Frauen übernimmt. Neue Spaltungen (zwischen und innerhalb von Geschlechtergrenzen) sind die Folge. Der Preis für den Wunsch nach Freiheit und Eigenverantwortung ist der Zwang zur Eigenverantwortung, der den Wunsch der Produktion nach flexiblen, sich selbst marktförmig anpassenden Arbeitskräften befriedigt. In beiden Fällen werden anomische Auswirkungen protonormalistisch durch Rückgriffe auf konservative Werte flankiert und diskursiv „den 68ern“ in die Schuhe geschoben (wie es am Beispiel Michel Houellebecqs Elementarteilchen verdeutlicht wurde). 128 Somit verwundert es nicht, dass Generation Golf dieses attraktive Deutungsmuster aufgreift und dabei auch den soeben geschilderten Widerspruch übernimmt. In allen Fällen werden die Vertreter der 68er-Generation oder ideologisch kompatible Generationsgenossen als protonormalistische Begrenzer mit ebenso engem Horizont („ideologische[.] Verbohrung“; GG: 138) dargestellt. Im vorherigen Abschnitt wurde vor allem das Bild der konsumverweigernden 68er-Generation mit „Entschuldigungskomplex“ (GG: 144) gezeichnet, deren Bild nun widersprüchlich erscheinen muss. Darüber hinaus wird die 68er-Generation vor allem in allgemein ideologischer Hinsicht in Form einer normalistischen „Delle“ bzw. als Ausschlag des Pendels repräsentiert, was bereits im eigens für sie bereitgestellten Etikett „Zwischengeneration“ (GG: 59) 129 anklingt. Seien es „Atomkriegsängste“ (GG: 19), permanente Demonstrationen über den „lieben langen Tag“ (GG: 163), übertriebene Gleichberechtigung der Geschlechter, überzogene Flexibilisierung der Sexualmoral, unrealistische Überzeugungen und Prognosen der Friedens- und Umweltbewegung oder andere Formen ideologisch motivierter „Ausbrüche“ (etwa die panische Fixierung auf die nationalsozialistische Vergangenheit): Sie alle werden normalistisch im Sinne einer Gleichgewichtslogik codiert, bei der die goldene Mitte den Punkt der höchsten Gravitation 128 Dass das Wechselspiel aus Freiheit und Repression dabei sozial selektiv ist, äußert sich im normalistischen Netz aus Kontrollen, Sanktionen und Appellen an Sekundärtugenden (Ordnung, Pünktlichkeit, Manieren), mit denen insbesondere Abhängige der reformierten sozialen Transfersysteme konfrontiert werden. Auch der öffentliche Appell, die überzogene Gleichberechtigung wieder auf ein „gesundes Maß“ zu beschränken, richtet sich meist an die Frauen, deren Fähigkeiten im Produktionsprozess nicht so dringend benötigt werden, während für die Trägerinnen begehrter Kompetenzen ein breites Spektrum ausgleichender Dienstleistungen bereitsteht, die, was den Kreis schließt, in der Regel von schlechter ausgebildeten Frauen erbracht werden (müssen). 129 Dieser Begriff wurde ursprünglich von Karl Mannheim geprägt, bezeichnet jedoch, anders als in diesem Kontext verwendet, die zwischen zwei Umbrüchen lebende Generation, die dadurch – um an ein populäres Bild des aktuellen Generationen- und Demographiediskurses anzuknüpfen – gewissermaßen „zerrieben“ wird.

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darstellt und die Randbereiche ins Absurde, Gefährliche oder Widersprüchliche tendierende Pendelschläge darstellen (siehe weiter unten). Besonders auffällig ist dies natürlich in der Sphäre des Politischen, in der mit der typischen Links-Mitte-Rechts – Skala operiert wird, auf der die Generationsgenossen die diskursiv besonders attraktiven mittigen Plätze besetzen und sich damit im Kernbereich legitimer politischer Vorstellungen befinden. Die Grundlage für diese ideologische Gaußkurve mit linken und rechten Grenzwerten stellt die Verdatung politischer Gruppierungen und Akteure gemäß der virtuellen Parameter „Rechtsheit“ und „Linksheit“ dar (vgl. Link 1991), womit eine demokratische Mitte, gefährliche Randzonen und schließlich jenseitige Extreme definiert werden können. 130 So hat der Erzähler auf der einen Seite Angst, als „rechtskonservativ“ (GG: 164) zu gelten, der gegenteilige Pol wird von den „albernen Linksradikalen“ (GG: 176) besetzt. Was bleibt sind „ein paar patriotische Gefühle“ (ebd.) und die Unfähigkeit, zwischen CDU und SPD unterscheiden zu können (GG: 155), welche beide als ideologisch plurale Volkspartei die Mitte repräsentieren. Dieser Prozess der ideologisch-moralischen Normalisierung zur neuen Mitte wird dabei mit dem eigenen Reifeprozess gekoppelt – mit Gerhard Schröders Wahl zum Bundeskanzler beginnt die Adoleszenz („erwachsen werden“, GG: 176), ebenso wie die ideologischen Ausschläge in die eine oder andere Richtung als infantile Albernheit (passim) oder übertrieben Ernsthaftigkeit (passim) codiert werden, denen heutzutage nur versprengte „Idealisten“ (GG: 177) anhängen, also jene, denen man so vorwerfen kann, zu viel und gleichzeitig zu wenig Herz (vgl. Eagleton 1993: 11) zu besitzen. Mitte sein, das bedeutet auch, die „Schieflage“ (GG: 175) im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu begradigen, wofür intertextuell die für ein solches Unterfangen mittlerweile typischen diskursiven Ressourcen herangezogen werden: Roman Herzogs Antrittsrede („unverkrampft“, GG: 174) und Martin Walsers Paulskirchenrede. (GG: 175) Mitte sein, das bedeutet auch, die Programmatik der neuen Mitte zu erfüllen, die Ausdehnung der Dienstleistungsökonomie zu nutzen und zur Normalität von Konkurrenz und Ungleichheit zu gelangen. Deren Unabwendbarkeit wird (siehe oben) selbst wieder normalistisch mit Statistiken untermauert (GG: 146), was das „Outsourcing“ (GG: 158) der eigenen (Reprodukti130 Hinzugefügt werden sollte, dass zwischen der diskursiven Mitteposition und ihrem realpolitischen Gehalt unterschieden werden muss, d.h. etwa zwischen dem Bekenntnis, Mitte zu sein, und den realen politischen Positionen dieser Mitte. Was einst jenseits der Mitte lag, wurde eingemeindet (expansive Tendenz des flexiblen Normalismus), was heute jenseits der Normalitätsgrenze liegt, war einst normal. Realpolitisch umfasst die neue Mitte aufgrund von Pragmatismus, der bloßen Unterscheidung zwischen „richtiger“ und „falscher“ Politik und dem latenten Ansteckungsverhältnis neokapitalistischer Programmatik zu konservativen Wertvorstellungen eher eine Verschiebung zum Konservatismus, der jedoch als ideologisches Normalwerden diskursiviert wird, während punktuell erfolgreiche Gegenbewegungen als irrationaler „Linksruck“ gelten (der in der normalistischen Logik zugleich auf die temporale Achse gelegt wird und deshalb zugleich „in die Vergangenheit“ führt). Auf diese Weise wird es möglich, eine in diesem Sinne tatsächlich eher nach „rechts“ driftende politische Großwetterlage dennoch als „Linksdrift“ darzustellen, was insbesondere konservativen Medien die aufmerksamkeitsökonomisch lukrative Möglichkeit eröffnet, in das „Spiel“ um politische Korrektheit einzusteigen, den „gefährlichen Aufstieg der Linken“ zu geißeln usw.

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ons)Aufgaben an externe Dienstleister mit einschließt, seien es „PizzaServices“ (GG: 46), „Hunde-Ausführdienste“ (ebd.), „Kindermädchen“ (GG: 160), „Putzfrauen“ (GG: 158) oder Dienstleister, die „einem Gästebucheinträge“ (GG: 46) liefern. Wenn also mit der ideologischen Normalisierung das Pendel, um in der Bildsprache zu bleiben, angestoßen wurde, um wieder zurück ins Lot zu finden, so wurde es, was die Auseinandersetzung um die neue Bürgerlichkeit (siehe oben) gezeigt hat, zu hart angestoßen, so dass es nun in einigen Fällen in das entgegengesetzte Extrem ausschlägt. Damit erfüllen sich zwei miteinander interdependente Tendenzen: zum einen die Tatsache, dass der flexible Normalismus dazu neigt, seine eigenen Existenzgrundlagen zu flexibilisieren, was zum anderen auf Ebene realer Produktionsbedingungen die Ausblendung sämtlicher Reproduktionskosten aus betriebs- und volkswirtschaftlichen Kalkulationen beinhaltet. (Vgl. Candeias 2004: 235f) Die Reaktion darauf, das oben erwähnte harte Ausschlagen des Pendels 131 , sind protonormalistische Taktiken in Form altbürgerlicher Werte (Sexualmoral, Dresscodes, Sekundärtugenden, getrennte Schlafzimmer). Die wenigen, die es sich leisten können, bedienen sich, wie es die Generation Golf vormacht, auf dem erwähnten Dienstleistungsmarkt, während eine wachsende Zahl durch Doppelbelastungen ausgezehrt, prekarisiert und in die Frustration getrieben wird (vgl. Heitmeyer 2007), was in massenmedial besonders Aufmerksamkeit erheischenden Berichten über diese anomischen Effekte (vom Abschneiden beim normalistischen Bildungsranking des PISA-Tests bis zum Verlust von Sekundärtugenden und der Zunahme von Gewalttätigkeiten) als elterliches und/oder persönliches Versagen codiert wird. Es verwundert trotz des oben beschriebenen Widerspruchs (eine antinormative Bewegung wird als protonormalistischer Bremsblock modelliert) insgesamt nicht, dass die in Generation Golf vielgescholtenen „68er“ und deren Verhaltensweisen zum gegenwärtigen Stand erreichter Normalisierung als unnormal codiert werden. Deutlich wurde, dass der flexible Normalismus seine eigenen Grenzen ebenfalls normalistisch reguliert und dass das Festhalten an festen Normen und Vorstellungen, seien jene noch so dissident oder auf Utopie und Veränderung ausgelegt, in Zeiten rationalistischen Sachzwangs und ubiquitärer Verdatung und Vermessung aller Lebensbereiche immer weiter in die Sphäre des Unnormalen rückt.

Konsumistische Gaußkurve Augenfälligster Indikator für die Tatsache, dass Generation Golf ein Dokument des flexiblen Normalismus darstellt, ist die Taktik, konsumistische Normalbereiche zu konstruieren, Akteure darin zu verorten und stilistische Stigmagrenzen zu einzuziehen. Jene werden damit gleichsam durch die Kopplung an andere Normalbereiche (die sozialräumliche Position der abgebildeten Akteure, deren politische Orientierung usw.) zu hierarchischen Grenzen, deren eigene Überschreitung der Erzähler gemeinsam mit seinen Generationsgenossen fürchtet, deren fremde Überschreitung schamhaft kommentiert wird, wenn sie nahestehende Personen trifft (siehe die Person „Bernd“), und die im Falle des Feindbildes „68“ diffamierend wird.

131 Schematisch: Zu viel Nacktheit der 68er führt zur Zugeknöpftheit der Generationsgenossen. (GG: 167)

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Konsumistische Normalbereiche werden dabei im Wesentlichen durch binäre (diametral gegensätzliche) oder ternäre Orientierungsmarker und popliterarisch-katalogisierende Verfahren implementiert. Orientierungsmarker flankieren den konsumistischen Toleranzbereich im Sinne von Minimalanforderungen, Optimum und Maximalwert bzw. -abweichung, d.h. Praktiken, die mindestens erfüllt bzw. nicht weiter übertrieben werden dürfen. Hinter beiden dieser (Stigma)Grenzen, die erneut wieder sozialstrukturelle und ggf. auch politisch-ideologische Grenzen (siehe oben) sind, liegt die Zone der Denormalisierung, die in einigen Fällen tatsächlich ein nicht integrierbares, fundamental Anderes enthält, oftmals jedoch integrierbare Praktiken bereithält, die durch entsprechende Transformation in den Normalbereich re-intergiert werden können. Wie bereits deutlich wurde stellt die Orientierung an der Quantität eine grundlegende Dimension des flexiblen Normalismus dar, und ebenso verhält es sich bei der Konstruktion des konsumistischen Normalbereichs. Normal sind in dieser Logik Dinge und Praktiken, wenn sie alle besitzen bzw. durchführen oder wenn die Zahl der Konsumenten hoch genug und damit nicht marginalisierungsfähig 132 ist, nicht etwa, weil die konsumistischen Grenzen potenziell ideologisch, protonormalistisch-normativ vorgegeben wurden (die oben bereits angeführten Beispiele verdeutlichen, wie sozial selektiv der adressierte „allgemeine Konsument“ tatsächlich ist). In frühen Jahren und bei entsprechend schmalen Toleranzbereichen und Produktpaletten markieren etwa „Scout-Ranzen“ (GG: 12) oder „SwatchUhren“ (GG: 27) die Mindestanforderung, denen alle gerecht werden (müssen) und offenkundige Stigmata (etwa Zahnspangen, Brillen, stillose Hosen, siehe oben) die Grenzen. Im Laufe der Expansion verfügbarer Optionen steigt die Toleranz gegenüber Abweichungen bis zur friedvollen „Ignoranz“ (GG: 193), d.h. bis zu jener zynischen „Friedlichkeit der Existenz, die vom Markt ausgeht.“ (Bolz 2002: 16) Doch so wie im flexiblen Normalismus nach wie vor Schranken gesetzt werden müssen, so gelten auch hier Grenzen, deren konsumistische Fundierung sich verbreitert hat. Senkte sich der Daumen früher „aus bestimmten [d.h. ideologischen] Gründen“ (ebd.), so sind es nun konsumistische Mindestanforderungen, die über den Eintritt in die Kernzone des Legitimen entscheiden: das „Spektrum des Geduldeten“ (GG: 101), „strikteste Trennlinie[n]“ und „fundamentale[.] Unterschied[e]“ (GG: 137), „grundlegendste Dinge des menschlichen Zusammenlebens“ (GG: 178), konsumistische „Sünden“, für die „keine Absolution“ (GG: 117) erteilt werden. Jedes Stigma, wozu auch der eigene soziale Status (ebenfalls im Sinne einer binären Minimum-Maximum-Logik: vom Bauern bis zum mittleren Händler) gehört, kann dabei toleriert werden, solange man im konsumistischen Normalbereich verbleibt:

132 Dieser quantitative Maßstab gilt selbst im Falle des sprunghaft und ohne treibendes Agens expandierten konsumistischen Normalbereichs (wie er in Generation Golf beschrieben wird) und der damit verbundenen Expansion von Optionen – mit dem Unterschied, dass nun kleinere Werte über Inklusion und Exklusion entscheiden bzw. der Übergang graduell erfolgt. Bildlich gesprochen: der Anzug von Boss ist optimal, nach unten orientiert reicht auch ein Surrogat von H&M, doch kann beides durch graduelle Veränderungen (etwa einen zu deutlich sichtbaren Markennamen) aus dem Toleranzbereich rutschen, so wie es etwa den zu protzigen „Neureichen“ (GG: 144) ergeht.

248 | GENERATION GOLF: DIE DIAGNOSE ALS SYMPTOM „Die richtige Kleidung kann alles wettmachen. Die schlechte Haut, die bäuerische Herkunft, die schlechte Examensnote. Hauptsache, man ist richtig gekleidet.“ (GG: 149) „Und dabei hatten wir nichts gegen Fleischereigroßhandelserben. Wenn sie nur stilvoll gekleidet waren.“ (GG: 145, Hervorhebung von T.K.)

Im Sinne einer Kurvenlogik liegen diese Grenzen etwa im optimierten Erscheinungsbild gemäß des business-dresscodes (nebst billigerer Surrogate), im Fahren eines durchschnittlichen Fahrzeugs, das den „kleinste[n] gemeinsame[n] Nenner“ (GG: 56) verkörpert, und im weder unter- noch übertrainierten oder -gebräunten Körper, der (siehe unten) in all seinen Funktionen zur Normalform dressiert wird. Die Schwierigkeit, die sich für die Generationsgenossen dabei ergibt, liegt in der Paradoxie der breiten Toleranzbereiche: Im Zeitalter des flexiblen Normalismus und des konsumistischen (almost) anything goes wird es zunehmend schwierig, den distinktiven Konsum zu organisieren, auf den die Generationsgenossen aufgrund ihrer habituellen Präferenzen und ihrer sozialstrukturellen Position angewiesen sind (siehe die Konstruktion des Sozialraums), wenn sie das Ziel des stildistinktiven „Gesamtkunstwerk[s]“ (GG: 153) erreichen wollen. Denn alles ist, um im Bild zu bleiben, gleichermaßen normal, solange es genügend andere tun. Mit anderen Worten: Die Generationsgenossen stehen vor dem Dilemma, auf der einen Seite aufgrund eines breiten Normalitätsspektrums nicht hervorstechen zu können (es jedoch zu müssen, um im „Spiel“ zu bleiben), während sie es auf der anderen Seite nicht wagen können, die eingezogenen Normalitätsgrenzen deutlich zu überschreiten. „Hervorstechen ohne hervorstechend zu sein“, so könnte die paradoxe Devise der Generationsgenossen lauten, und dies wird an mehreren Beispielen deutlich. So darf etwa die Wohnungseinrichtung weder über zu viel noch über zu wenig Herz verfügen. Sie darf weder zur kleinbürgerlichen Mystik „Feng Shui“ (GG: 115) noch zur kalten Technokratie neigen, wie sie die Person „Bernd“ (GG: 104ff) auszeichnet, die konsequenterweise im Stakkatostil als zu durchschnittliche „Normalmonade ohne Eigenschaften“ gezeichnet wird: „Bernds Wohnung liegt in der Neubausiedlung am Rande der Stadt. Zwei Zimmer, Küche, Bad.“ (GG: 105, Hervorhebung von T.K.) Und schon gar nicht darf der Stil der Vorgängergeneration übernommen werden, der bereits jenseits der Normalitätsgrenze (siehe unten) liegt. Auch andere konsumistische Normalbereiche folgen der ternären oder binären Logik, wie sie etwa in der Klassifikation der Generationsgenossen in „Altbaubewohner und Neubaubewohner“ (GG: 104) ausgedrückt wird. Jenseits der Minimalgrenze liegen diejenigen, die nichts (GG: 86f) oder zu wenig (GG: 92) in ihr äußeres Erscheinungsbild investieren, die Zone zwischen Minimum und durchschnittlichem Optimum vertreten jene, für die das morgendliche Laufen obligatorisch ist (GG: 70) oder die sorgsam mit ihren Ressourcen umgehen und denen man ihr Streben, in der Waage zu bleiben, nicht anmerkt. So entfaltet sich eine normalistische Kurve, die bei den Akteuren ihr Optimum erreicht, die „ein Optimum an Vergnügen mit einen Minimum an Kraftaufwand“ (GG: 90) verbinden, die trainieren, ohne ihr Angestrengtsein zu offenbaren (GG: 71), sowie schlank und gebräunt sind, ohne beim Erwerb dieser Eigenschaften gesehen zu werden (GG: 157f; siehe weiter unten). Diese Eigenschaften werden dabei auch auf die soziale Achse übertragen und mit

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dem Verweis auf „Jungmanager[.]“ oder „Grafikerin[nen]“ (GG: 71) den in der oberen Mitte rangierenden sozialen Rängen zugeordnet, die für das distinktive Paradigma der im Wesen des Subjekts liegenden, nicht erworbenen, sondern natürlichen Qualitäten, empfänglich sind. Zwar wird die Multitaskingfähigkeit der schwitzenden, deutlich an ihrem Körper arbeitenden (GG: 93) Generationsgenossen als „Ideal“ (ebd.) hervorgehoben, doch tendieren sie, in Kurvenlogik gesprochen, mehr zu den Maximalwerten, zum „Olymp“. (GG: 89) Als Orientierungsmarker dienen ihnen unerreichbare Supermodels (GG: 91) und eine Ratgeberliteratur, die durch Gegenüberstellung von „überraschend gut“ und „Assi-Variante“ (GG: 95) ebenfalls wieder einen mit ihren jeweiligen Lesern korrespondierenden Normalbereich markiert. Sozialräumlich lassen sie sich, siehe das Beispiel „Bernd“, dem angedichtet wird, beim Trainieren auf dem Hometrainer die Börsenkurse zu verfolgen, durch ihre bissige Strebsamkeit den mittleren sozialräumlichen Rängen zuordnen. Das Ende und die nahende Grenze wird dann mit jenen „Vulgärversion[en]“ (GG: 157) erreicht, die bereits an der Grenze des guten Geschmacks oder knapp dahinter stehen, nach wie vor jedoch integrierbar sind, da sie legitime Praktiken bloß übertreiben. Dies unterscheidet sie vom fundamental Anderen, das jenseits der Minimum- und Maximumgrenzen liegt. Diese Zone beinhaltet die mit diesen Praktiken in Verbindung gebrachten Akteure, die sich nicht in den Normalbereich integrieren lassen, zu den Feinden gehören und daher verachtet werden: „feindliche[.] Generation“ (GG: 179), „die Vorgängergeneration verachtete man [...]“ (GG: 117), „Neureiche [...] straften wir von Anfang an mit Verachtung [...]“ (GG: 144), „Wir hatten erstmals ein paar patriotische Gefühle und verachteten die albernen Linksradikalen [...]“ (GG: 176), „ich verachtete [die SDAJ]“ (GG: 177). Diese Grenze wird dabei semantisch hart markiert. Die Spannweite des dabei aufgewendeten Ideologievokabulars ist so breit wie diffamierend und beinhaltet Stigmawörter und gar Antimiranda, diffamierende Neologismen, Generalisierungen oder Territorien, Krankheit und Gefahr konnotierende Kollektivsymbolik. Die damit markierten Grenzen riegeln dabei, auf die soziale Achse übertragen, sowohl den Blick nach unten als auch den Blick auf Augenhöhe oder gar nach oben ab, wobei – wenig überraschend – die Stigmatisierung des 68er-Habitus dominiert. Jener ist auch das Kriterium, das über Inklusion und Exklusion entscheidet und abgelegt werden muss, um in den Normalbereich integriert zu werden. Beispiele dafür sind etwa Joschka Fischer (GG: 91), Gerhard Schröder (GG: 121) oder Harald Schmidt (GG: 122), die sukzessive die Insignien ihrer 68er-Existenz abgelegt haben. Der Blick nach unten, auf die „Vulgärversionen“ (GG: 157), auf die aus der Erzählung getilgten Konsumversager und auf die sozialstrukturell, geographisch und intellektuell Zurückgebliebenen (Territorialsymbolik) wurde bereits skizziert (siehe oben) und beinhaltet eine bisweilen harsche Stigmatisierung der unteren sozialen Ränge, die einen Höhepunkt im Falle der Opelfahrer erreicht, die als proletarisierte „Kinderschänder und Haustyrannen“ (GG: 28) den Bodensatz des in Generation Golf abgebildeten Sozialraums bilden. 133 133 Beide Begriffe („Kinderschänder“, „Haustyrannen“), ungeachtet der Frage, ob es sich um eine ironische Steigerungsform handelt, können als Antimiranda klassifiziert werden, da deren negative Konnotation (anders als bei Fahnen- und

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Da das Feindbild „68“ einen archimedischen Punkt der Erzählung darstellt, verwundert es kaum, dass die Grenze zu ihnen besonders einprägsam und vielfältig markiert wird. Sie sind die fundamental Anderen, bei denen „auch kein gutes Zureden mehr [hilft]“ (GG: 158), die verbohrt (GG: 138) und trotzig sind, die einen „nicht verstehen“ (GG: 160) und mit deren ideologischen Beständen nun im Sinne eines harten Schnitts „Schluß“ sei. (GG: 181) Die Grenze stellen etwa Territorialsymbole her, mit denen die Vertreter der 68er-Generation symbolisch auf Distanz gehalten werden, etwa die als 68er-Adepten geltenden linksalternativen Bewohner der Lindenstraße, die „strafversetzt“ (GG: 130) gehören und mit denen man „nichts zu tun“ (ebd.) haben wolle. Eng daran angelehnt ist (siehe oben) das Repertoire kollektiver Mobilitäts- und Organismussymbolik, die diskursübergreifend ankoppelbar ist. Ersteres schließt die Karikatur des 68er-Habitus mit mangelnder Beweglichkeit kurz, letzteres mit Krankheiten (und damit mit dem impliziten Aufruf, diese Krankheiten zu heilen). Auf der einen Seite verdeutlichen etwa rostige und langsame Fahrzeuge (GG: 51, 57), fehlgeleitete Starts (GG: 59) oder erzwungene Bremsmanöver (GG: 169) die Unbeweglichkeit des diskursiven Gegners und reartikulieren so das im massenmedialen Reformdiskurs zirkulierende Grundmotiv des unbeweglichen und engstirnigen Blockierers. Auf der anderen Seite stehen etwa Neologismen wie „Austauschschülerwahnsinn“ (GG: 34), psychoanalytisch-pädagogisierende Urteile wie „Entschuldigungskomplex“ (GG: 148), „Beschäftigungstherapie“ (GG: 177), „Schwererziehbare“ (GG: 149) sowie die Zeichen des körperlichen Verfalls wie Fettleibigkeit, Blässe (GG: 86f) und Alter (passim), mit denen die Grenze festgelegt wird. Komplettiert wird dieses Bild des fundamental Anderen mit entindividualisierenden Generalisierungen wie „berndsche Schlichtheit“ (GG: 118), „Latzhosenträger, BH-lose Frauen“ oder „Reinhard Meys“. (GG: 181) Dabei befinden sich die so identifizierten Vertreter der denormalisierten Zone sozialräumlich auf mindestens gleicher Höhe mit den Generationsgenossen, was sowohl deren Verortung im Manufactum-Milieu als auch die eigene Aussicht auf reichhaltige Erbschaft von dieser Generation (GG: 149, 192) verdeutlicht. Letztendlich gehören auch die vielzitierten, offenkundig distinktionsbemühten Neureichen (GG: 145) zur ausgeschlossenen Gruppe, doch auch hier gilt wie bei den o.g. „Vulgärversionen“, dass eine Reintegration in den Normalbereich möglich ist, während dies nicht für die 68er und deren Nachfolger gilt. Die Konstruktion eines Stiltypus, mit dem Positionen innerhalb des Normalbereichs besetzt werden, vollzieht sich dabei gemäß jenes katalogisierenden Verfahrens, welches in den eher enzyklopädischen Spielarten der Popliteratur (vgl. Baßler 2002: 106f) üblich ist und welches im Wesentlichen ein serielles Aufzählen von Produkten und Praktiken umfasst, die mit Beurteilungen und Folgehypothesen ergänzt werden. Dabei ist es unerheblich, ob eine realistische Beschreibungsabsicht eines in der Erzählung vorhandenen Charakters verfolgt wird und jener tatsächlich über die aufgezählten Eigenschaften verfügt – Ziel ist das Wecken von Assoziationen, ist die Konstruktion eines (virtuellen, generischen) Stilprofils. Stigmawörtern) nicht durch den Gebrauch einer ideologischen Gruppe begründet ist, sondern die Verdichtung eines gesamtgesellschaftlichen Wertesystems darstellt und allgemein als ablehnenswert gilt. (Vgl. Girnth 2002: 53)

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Moritz Baßler verdeutlicht seine Archivthese anhand zweier Beispiele aus Benjamin von Stuckrad-Barres Soloalbum, das sich als Katalog der Umwelt interpretieren lässt, in dem Stationen der Adoleszenz, Musik- und Fernsehvorlieben, Genussmittel, Erfahrungen von Mobilität (Fahrräder, Autos usw.) und Mutmaßungen über andere Akteure (etwa über das Sexualleben oder über habituelle Einstellungen) verzeichnet sind. Dieses Verfahren ist im Wesentlichen (bis hin zur semantischen Ebene) auch in Generation Golf beobachtbar, was an zwei Beispielen deutlich wird: „Als Nachthemd dient ihr treu ein zerschlissenes ‚Abi 1987‘-T-Shirt“, „lauter Armbändchen aus Ecuador“, „ihr Fahrrad ist ganz alt“ (Benjamin von Stuckrad-Barre, zit.n. Baßler 2002: 106) „Ich schätze mal: Theologe, eine fette Frau mit unrasierten Beinen [...]“, „der Fahrradkorb hinten ist voll mit lauter Frischundgesund“, „Sein Bart ist nicht besonders ehrgeizig konturiert. Einfach wachsen lassen, tolle Sache.“, „hat keine Lust auf Sex und riecht nach Gemüserülps […]“ (Benjamin von Stuckrad-Barre, zit.n. Baßler 2002: 107) vs. „Die Dame, die dies [eine Studie über die Milieuzugehörigkeit von Golffahrern; T.K.] schrieb, heißt Gabriela Wischeropp, und das sagt ja im Grunde schon alles. Sie ist höchstwahrscheinlich in dem Alter, wo man aufhört, danach zu fragen, also 48, fährt immer morgens mit dem Rad in die Redaktion, kauft vorher auf dem Wochenmarkt Cherry-Tomaten und liest abends Bücher über emotionale Intelligenz und die Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. [...] Wahrscheinlich war Gabriela Wischeropp auch Mitinitiatorin des Autofastens Trier [...].“ (GG: 57f) „Mit im Wagen saß Franziska, sie war unglaubliche 24 und studierte, was für uns damals ungefähr so viel bedeutete wie: kennt die Welt, Hasch und Bars in Monte Carlo. Aber wenn ich es recht bedenke, war sie doch keine rechte Generationsgenossin. Nicht nur, weil sie bloß Dortmund kannte, den Schuhladen Hush-Puppies und die Kneipen in Bielefeld, sondern auch, weil sie eine rote Ente fuhr, in der es aussah wie im Flur eine Siebziger-Jahre-WG. Überall lagen alte ZEIT-Ausgaben herum, mit gelbem Textmarker angestrichene Artikel über Friedrich Küppersbusch aus dem Stadtmagazin PRINZ, verschiedene, mit allen Hundertwassern gewaschene Umhängetücher, Haarbänder aus geknüddeltem roten Samt und eine Strandmatte mit grünem Rand, die nach Sonnenschutzfaktor 20 roch und nach belgischer Nordseeküste. An der Heckscheibe prangte eine zerrissene Kette, die für amnesty international warb, sowie ein Aufkleber ihrer nordrhein-westfälischen Reformuni, den sie wahrscheinlich direkt über den Abi-84-Sticker geklebt hatte.“ (GG: 51, Hervorhebungen von T.K.)

Im ersten von Baßler ausgewählten Beispiel wird die Karikatur einer alternativ angehauchten 68er-Tochter gezeichnet, im zweiten ein ebenso verächtliches Zerrbild alternder, rad- und busfahrender Gutmenschen. Im direkten Vergleich der beiden Beispiele mit den in Generation Golf angefertigten Katalogen fällt auf, wie sehr sich die aufgezählten Produkte und die Opfer gleichen, die mit diesem Katalog der Häme preisgegebenen werden sollen. So-

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wohl in den Beispielen aus Soloalbum als auch in Generation Golf wird der typische Assoziationsschritt (siehe weiter oben) begangen, der die Verächtlichmachung der 68er mit den Insignien mangelnder Mobilität und piefiger Religiosität bebildert: Autofasten des Bistums Trier, Hollandrad und Alterungserscheinungen (Generation Golf) vs. Theologe, Trekking-Rad, sexuelle Frustration (Soloalbum). Auch das Stilprofil „68er-Tochter“ sampelt in beiden Fällen ähnliche Accessoires: Abitur-Sticker und Haarbänder (Generation Golf) vs. Abitur-T-Shirt und Armbänder aus Ecuador (Soloalbum). Dass Baßler dieses katalogisierende Verfahren als geschickten Balanceakt zwischen Originalität und (latent zum Klischee neigender) Plausibilität auffasst (vgl. ders.: 106) und Benjamin von Stuckrad-Barre meisterliche Beherrschung dieses Aktes attestiert (ebd.), sei als subjektives Qualitätsurteil gegönnt. Berechtigte, aber hier nicht entscheidende Frage ist dabei zunächst, ob die Konstruktion literarischer Charaktere durch Aneinanderreihung typischerweise mit diesen Charakteren assoziierter Praktiken und Besitztümer ein neues literarisches Verfahren darstellt (vgl. Georges Perecs Die Dinge). Es handelt sich hierbei, wie deutlich wurde, um ästhetisiertes Ressentiment, d.h. um aneinandergereihte Vor-Urteile im wahrsten Sinne des Wortes, die darin bestehen, sich ein vorgefertigtes Bild des anderen machen (dies gehört seit je her zur Strategie der Werbeindustrie, deren Logik auch von solcherlei Literatur verwendet wurde). Entscheidender ist eher die Tatsache, dass dieser enzyklopädische Stil lediglich imaginiert und schriftlich fixiert, was jeder Akteur habituell bereits mit sich führt (und was zudem die Grundlage für die Existenz der Werbeindustrie und ihrer Zielgruppenorientierung darstellt) und ohne das Subjekte nicht in der Lage wären, sinnvoll reziprok zu handeln (zur psychologischen Fundierung vgl. Kelly 1963): die Fähigkeit, von der Position des Gegenüber auf dessen Präferenz zu schließen (und umgekehrt), den anderen mit Mitteln zu klassifizieren, deren Beschaffenheit und Verfügbarkeit von der eigenen Position, der Relation zum anderen und (im globaleren Sinne) dem Stand des Kampfes um die Deutungs- und Klassifikationshoheit abhängt (vgl. Bourdieu 1987: 373ff, dort am Beispiel der Partnerwahl). Dieser Fähigkeit liegt der Habitus als ein vollständiger sozialer Sinn zugrunde: er ist Detektor für lohnenswerte (und statusgemäße) Dinge, Orte oder Praktiken, Detektor für die eigene Position sowie Detektor für die Position und nicht zuletzt auch den Habitus der (spezifischen wie auch generalisierten) anderen. Mit anderen Worten: es verwundert kaum, dass etwa Florian Illies (oder eben auch Benjamin von Stuckrad-Barre) echte oder imaginierte Lebensstile treffend beschreiben kann, da dies ohnehin zur habituellen Praxis eines jeden gehört, mit Ausnahme der ungleich verteilten Fähigkeit und Berufung zur schriftlichen Fixierung dieser Klassifikationsleistungen. Dass sich Autoren dazu berufen fühlen und dafür Zustimmung in Form von geschenkter Aufmerksamkeit erhalten, ist dem Zustand des sozialen Raumes und (damit zusammenhängend) des literarischen Feldes geschuldet.

Die Tendenz zur Selbstnormalisierung und die Furcht vor dem drop-out Die Selbstnormalisierung der Generationsgenossen überformt alle bisher genannten Dimensionen (körperliches Erscheinungsbild, konsumistische Praktiken, ideologische Position) und die dazu aufgebrachten Techniken. Auch hier lässt sich ein Normalbereich mit Minimum-Optimum-Maximum-Logik

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postulieren, d.h. eine Bandbreite normaler Selbstnormalisierungsbestrebungen, die vom Fitnesscenter über den Konsum von Ratgebern bis hin zum Ohrenanlegen (GG: 77) und zur Psychotherapie (GG: 185) reichen. Deutlich wird ebenfalls die expansive Tendenz des Normalismus, wodurch einst unnormale Praktiken gemeinsam mit ihrer warenästhetischen Überformung (siehe oben am Beispiel des Dauerlaufs) normal wurden und die gleichzeitig den Wandel von äußerlicher Fremdnormalisierung (durch elterliche Vorgaben, durch schmale Toleranzbereiche, durch ein schmales konsumistisches Spektrum) zur Selbstnormalisierung verdeutlicht. Im vorherigen Abschnitt wurden vielfältige Normalbereiche beschrieben, im Folgenden soll eine weitere Dimension des normalistischen Dispositivs erläutert werden, der die Generationsgenossen Folge leisten: die Tendenz zur Selbstnormalisierung und Homöostase. Die Grundfrage, die sich die Generationsgenossen stellen, lautet daher nicht (nur), wie es der Erzähler nahe legt, „Was bringt mit das?“ (GG: 196), sondern: Bin ich noch normal? Und so zeigt die Art und Weise, wie die Grenzen zur denormalisierten Zone gezogen werden, wie sehr sich die dargestellten Akteure vor dem drop out fürchten. Denn mit der Übertretung der Grenzen ist der Verlust der Außenwirkung, die soziale Deklassierung und die Assoziation mit missliebigen Gruppen verbunden. In allen bisher genannten Eckdaten zur Verortung innerhalb eines Milieus ist daher eine Tendenz zur aktiven Aufrechterhaltung des Normalzustands zu beobachten. Da die meisten Elemente dieser Selbstnormalisierung bereits angesprochen worden sind, soll dies aus Gründen der Vermeidung von Redundanz im Folgenden zusammenfassend schematisiert werden. Außenwirkung, Lifestyle und Geständnisse Die Generationsgenossen sind bestrebt, das Gleichgewicht aus standardisierter Durchschnittlichkeit und notwendiger (Schein)Abweichung aufrecht zu halten: durch gezielten Vergleich mit negativen Orientierungsmarkern (auf keinen Fall den Stil des Feindbildes 68 übernehmen), durch Orientierung an den Vorlieben der Mehrheit und durch planvolles Handeln (Planung der Wohnung, Ergänzung der Wohnung mit Accessoires aus der Gründerzeit zur Maximierung der Außenwirkung). Ziel ist die „kontrolliert gewagt[e]“ (GG: 95) Existenz, wobei ehemalige Stigmata warenästhetisch (etwa durch Markenbrillen oder Kontaktlinsen) aufgehoben werden können. (GG: 81) Zur Wahrung der Außenwirkung dienen wechselseitige Vergewisserungen der Normalität auf kollektiver und subjektiver Ebene. Die gemeinsam geteilte Normalität wird dabei etwa durch gemeinsam gefällte Beschlüsse über richtige/falsche Praktiken und individuell-reziprokes Austarieren der konsumistischen Normalitätszone bekräftigt: „Stolz erzählten wir uns am Telefon, wenn wir unser selbstverdientes Geld wieder in ein neues Paar Boss-Schuhe gesteckt hatten. Dabei erwähnten wir auch jeweils, das [sic] es schon recht teuer sei, 299 Mark, als wir damit anfingen, inzwischen sogar 349 Mark [...].“ (GG: 148, Hervorhebung von T.K.) Unterstützt wird diese Selbstvergewisserung der Normalität durch Geständnisse und Outings: „Lange durfte man das [das Tragen gebügelter Hemden; T.K.] natürlich nicht laut sagen“ (GG: 139), „Zuerst hieß es, mit leichtem Understatement ‚Habe ein bißchen nachgeholfen‘. Dann wurde es [Sonnenbaden; T.K.] bald völlig salonfähig [...]“ (GG: 157), „[...] weil ich damals

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Angst hatte, das sei zumindest rechtskonservativ [...].“ (GG: 164, Hervorhebung von T.K.) Das Bestreben, normal zu bleiben, äußert sich schließlich im Erhalt des legitimen äußeren Erscheinungsbildes, was die eigene Kontrolle und das Management der Normalitätsgrenzen durch deren temporäre Überschreitung durch Intensitätserlebnisse wie die Love-Parade (GG: 166) mit einschließt: Halten des „Idealgewicht[s]“ (GG: 91), Optimierung des Trainingsgrads (GG: 90), Aufrechterhaltung des sozial erwünschten jugendlichen Habitus, mit dem im neoliberalen Diskurs (vgl. Sennett 1998) eine Beweglichkeit auf allen subjektbezogenen Achsen (sozial-vertikal, horizontal-geographisch, ideologisch) verbunden wird. Ferner: Selbstkontrolle im Spiegel (etwa GG: 30, 50, 93, 140, 196) und auf Bildern, Konsultieren von Ratgebern (GG: 92ff, 118ff, 196f), Selbstanalyse in Form von Skalen, Rankings und Therapien (GG: 185). Als symptomatisch lässt sich dabei folgende Aussage werten: „[...] der Zierrat [...] ist hygienischer Schlichtheit gewichen. Von Nivea ist auch das Haarwaschmittel. Und zwar immer das für normales Haar.“ (GG: 119, Hervorhebungen von T.K.) Politisch-ideologisch Normalisierung Die Generationsgenossen sind bestrebt, sich auch politisch-ideologisch zu normalisieren: Die deutsche Nation sei „normal“ geworden, ideologische Ausschläge auf der Intensitätsskala, wie sie etwa durch die 68er oder die Friedens- und Umweltbewegung erzeugt wurden, sollen so ausgebügelt werden. Die sich normalisierenden Generationsgenossen orientieren sich dabei an Extremwerten (rechtskonservativ vs. linksradikal) und verorten sich selbst in der einzig legitimen politischen Mittelzone. Auch hier vergewissert sich die Generation der eigenen politisch-ideologischen Normalität durch äußerliche Bestätigung, etwa durch Verweis auf Intellektuelle wie Helmut Schelsky, durch Orientierung an Vorbildern wie Harald Schmidt, Roman Herzog und Martin Walser oder durch den Hinweis auf die eigene Zugehörigkeit zu statistischen Mehrheiten. Die eigene Normalität wird schließlich auch in der Orientierung an legitimen Formen politischer Rituale ausgedrückt: Eigene politische Stellungnahmen werden im Zeitalter (vermeintlicher) Entideologisierung im Sinne einer konsumistischen und medienlogischen Überformung des Politischen ausgedrückt. Die Generationsgenossen treten so als Konsumenten politischer Markenprodukte auf und sind sich dieses Konsumentenverhältnisses bewusst. Politik ist in diesem Bild allein medial erfahrbar (was an populäre medientheoretische Diskurse anknüpft), Wahlen sind „Kauf“ einer Interessenvertretung, politische Positionen werden am persönlichen Nutzwert gemessen: Interesse an der „Werbungskostenpauschale“ oder „anderen Spesenrechnungen“ (GG: 122), „nachfrageorientierte [politische] Ästhetik“ (GG: 120), „Auch das rote Aids-Schleifchen heftete man sich vor allem deshalb ans Revers, weil es so gut auf der dunkelgrünen Barbour-Jacke aussah.“ (GG: 165) Management von Risikozonen und Vermeidungsstrategien Schließlich ist die Generation Golf zur Wahrung ihrer (paradoxalen) Identität bestrebt, Stigmatisierte zu meiden und einen allgemein distanzierten Habitus aufrecht zu erhalten. Dies geschieht durch das Management von Intensitätser-

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lebnissen, denen man sich nur kontrolliert hingeben kann, sowie durch fest terminierte, protonormalistische Grenzen, die aus klassisch-bürgerlichen Werten und Moralvorstellungen abgeleitet werden. Das Management von Risikozonen und -situationen schließt dabei politisch-ideologische Konflikte mit ein, die durch Neutralität oder „Ignoranz“ (GG: 193) zum Schutz vor (sinnlosen) „Energieverlusten“ (GG: 44) vermieden werden. Welche Folgen solche drop-outs hätten, d.h. die falsche Kleidung zu besitzen, der falschen Ideologie anzuhängen oder einen un- oder übertrainierten Körper zu haben, bleibt dagegen meist vage. Im Vordergrund steht – quer zum geständnishaften Duktus sowie zur Distinktionssehnsucht –die Furcht, sich den Blicken anderer Akteure auszusetzen und sich damit wie auch immer zu entlarven sowie (damit verbunden) die Furcht vor sozialer Deklassierung. Letzteres lässt sich leicht am sozialen Status und erzählerischen Schicksal derjenigen ablesen, die vom Kernbereich legitimer Praktiken abweichen. Die Existenz der Generationsgenossen ist die eines (normalistischen) looking-glass-self (Charles Horton Cooley). So entscheiden in letzter Instanz – was ja der flexible, durch Verdatung und Durchschnittsbildung konstruierte Normalismus nahe legt – die mehrheitlichen anderen (in ihrer Funktion als Schiedsrichter und Orientierungsmarker) über das eigene Denken und Handeln. Neben der Strukturierung der Sozialkontakte der Generationsgenossen gemäß konsumistischer Präferenzen (Entgleisungen und Übertreibungen führen, siehe oben, zum Meiden oder zum Abbruch der Kontakte) entscheidet die Illusion, die man den anderen vorspielt: „noch wichtiger [als die richtige Kleidermarke] war, daß alle anderen dachten, daß man beim Aufhängen Joop- oder Kookai-Schriftzüge sehen könnte.“ (GG: 145, Hervorhebung von T.K.) Das Solarium zu besuchen ist, da es alle tun, normal und erlaubt, nicht jedoch, dabei von anderen gesehen zu werden. (GG: 158) Die Taschen von Joop werden verwendet, um beim Umzug den anderen seine Klasse zu demonstrieren (GG: 145), die Kreditkarte wird gezückt, um den anderen die eigene monetäre Freiheit vorzuführen und ggf. vorzugaukeln, da man mehr kaufe, als man eigentlich bezahlen könne. (Ebd.) In politischen Fragen dienen die Orientierungsmarker an den Rändern und die Furcht vor bzw. die geständnishafte Abarbeitung an ihnen als Leitfaden für die eigene politische Gesinnung (d.h. Mitte zu sein wie alle anderen). Schließlich tendiert auch die Selbstnormalisierung der Generationsgenossen zur Normalisierung. Dies bedeutet zum einen, dass die Selbstjustierung zur Normalität wird: Körperpflege und -modellierung wird selbstverständlich (GG: 70f), Teil der (Reproduktions)Arbeitszeit (GG: 119) und damit normal. Dem Gang zum Therapeuten (GG: 185) haftet zwar noch etwas Befremdliches an, doch zeigt der Verweis auf amerikanische Verhältnisse, d.h. auf eine Nation, der man gemäß normalistischer Logik durch weltweite Vormachtstellung ein höheres Normalitätsniveau134 attestieren kann, dass auch die Therapie gewöhnliche und notwendige Reaktion auf die gesellschaftlichen Umstände und damit normal ist. Zum anderen ist auch der Weg zur Normalität normalistisch überformt. Die Selbstjustierung (etwa die des Körpers) darf nicht verbissen übertrieben 134 Die massenmedialen Hinweise (in politischen Magazinen, Talkshows, Kommentaren usw.) darauf, dass die Vereinigten Staaten von Amerika weltweite Trendsetter und in entscheidenden Fragen „weiter“ seien, sind Legion.

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werden. Auch hier ist der Blick von Außen wichtig: Entscheidend sind mittrainierende Generationsgenossen im panoptisch-bespiegelten Fitness-Studio, Rankings in Zeitschriften (die erneut normalistisch-hierarchisch gegliedert sind), Orientierungsmarker (nach unten: untere soziale Ränge und Ältere; nach oben: Supermodels, Schauspieler usw.), ergänzt durch den Blick auf den inneren Spiegel, den inneren Schirm, auf dem die Akteure permanent ihre Betriebsparameter kontrollieren. Auf der einen Seite ist die in Generation Golf beschriebene Selbstjustierung der eigenen Äußerlichkeit (vor dem Spiegel, auf Fotos, in den eigenen Gedanken) ein geradezu penetrantes Leitmotiv (siehe oben) und ein all zu deutlicher Versuch, eine kulturpessimistisch angehauchte Karikatur eines mit Edelfäule durchsetzten Yuppietums zu zeichnen, an der sich doch vor allem der Gegner „68“ abarbeiten soll. Auf der anderen Seite wäre es falsch, dies nur als Suche nach feldinterner Zustimmung und Aufmerksamkeit aufzufassen. Tatsächlich verdeutlicht die vollständige Außenorientierung der Generationsgenossen das bereits beschriebene, sozialstrukturell bedingte wie selektive „Sein-für-den-Anderen“ (Bourdieu 1987: 331) und die damit verbundene, zumindest ambivalente Einstellung der Generationsgenossen gegenüber den denormalisierenden Konsequenzen, die ein falsches Signal an die anderen nach sich ziehen könnte. Zwar löst die Furcht vor der Denormalisierung, bei all den protonormalistischen und neokonservativen Tendenzen, auf die hier zu genüge hingewiesen wurde, keine Suche nach wahrlich reaktionärer Härte aus, zur selbstsicheren und bis zur Ignoranz toleranten Trendsetterexistenz, die den Generationsangehörigen attestiert wird, ist es jedoch ebenfalls weit. Denn wie bereits deutlich wurde sind die Generationsgenossen in nahezu allen Fragen unsicher: Sie fürchten sich vor den „lange fragenden Blicken“ der „umbarmherzigen Generationsgenossen“ (GG: 148) und der Intoleranz in Stilfragen. (Ebd.) Ihre Lockerheit (bei gleichzeitigem Druck, im Normalbereich zu verbleiben) lässt sich eher als Hinweis darauf deuten, dass hier eine gesellschaftliche Gruppe (es ist hier unerheblich, ob man nun die Stratifikationstermini Klasse, Milieu oder Schicht verwendet) beschrieben wird, die auf diese Form von Handlungssicherheit und Erwartbarkeit angewiesen ist, der jedoch die Machtmittel fehlen, das eigene Wahrgenommenwerden selbst zu definieren und die daher von den äußeren Blicken und den nach außen gerichteten eigenen symbolischen Qualitäten abhängt und von ihnen (wie auch den eigenen Blicken, etwa denen auf die unteren gesellschaftlichen Ränge) oftmals peinlich berührt ist. Doch auch dieser Mangel wird warenästhetisch umgeformt, die symbolischen Anpassungsleistungen als hervorstechendes Merkmal präsentiert, der (systemstabilisierende) Zwang zum Konformismus als Freiheit und Angekommensein (in der Normalität) umcodiert. Wenn also der Erzähler aussagt, die Generationsgenossen seien davon überzeugt, durch ihren Konsum ihre Klassenzugehörigkeit (GG: 145) zu präsentieren, so ist dies kaum Zeichen prophetischen Weitblicks: Zum einen spiegelt sich darin eine besonders populäre und Zustimmung erzwingende gesellschaftliche (und subjektive) Selbstbeschreibungsmethode des Entstehungskontextes, zum anderen stellt dies bloß die (symbolische) Hälfte dar, mit der die Realität der Vorstellungen und die Vorstellungen über die Realität (vgl. Bourdieu 1987: 752ff) miteinander verbunden sind. Wie bereits deutlich wurde, sind die Fähigkeiten, „die auf eine Veränderung der Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien der sozialen Welt und

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darin auf eine Veränderung der sozialen Welt selbst abzielen“ (Bourdieu 1987: 755), machtbasiert und umkämpft. Dominante Vorstellungen über die Realität verweisen auf die Dominanz derer, die Vorstellungen setzen können. Das in Generation Golf evozierte Bild der Charaktere gemäß dominanter Dispositive (hier: des Normalitätsdispositivs mit all den in den oberen Abschnitten ausgearbeiteten Dimensionen) ist damit das herrschende Bild, das sich von „oben“ von den dargestellten Charakteren gemacht wird.

Schlussfolgerungen Wurde zu Beginn von einem normalistischen Verfahren der Textproduktion ausgegangen, so lässt sich jenes nun (auch auf Grundlage der Unterteilung in textinterne und -externe Relationen) präzisieren. Idealtypisch umfasst das Verfahren auf der semantischen (textinternen) Ebene aus einer Makroperspektive betrachtet die Modellierung der Erzählung als Geschichte einer Normalisierung (biographische Normalisierung), wie sie schließlich auch die kapitalistische Normalerzählung darstellt: eine Fahrt durch den sozialen Raum entlang der sozialen Laufbahn, verbunden mit vertikaler (innerhalb dieser Erzählung: in der Regel nach oben) und horizontaler Mobilität. Im Detail beinhaltet das Verfahren das Aufspannen mehrdimensionaler, aufeinander bezogener Normalbereiche auf Grundlage eines Kriteriums (Konsumvorlieben, politische Orientierung usw.) mit binärer oder ternärer Polarität, d.h. mit Rändern und Durchschnittswerten, die mit Orientierungsmarkern im Sinne eines Maximal-, Minimal- bzw. Positiv- oder Negativwerts flankiert werden, wobei insgesamt die Tendenz beobachtbar ist, protonormalistische Grenzen einzuziehen. Diese Werte werden dann auf andere Achsen bezogen, im Falle des Bezugs auf die soziale Hierarchie etwa in Form von Distinktion gegenüber und Exklusion von stilistischen Randbereichen und den sie verkörpernden Akteuren (siehe auch der Umgang mit Differenz). 135 Die innerhalb dieser Normalbereiche angesiedelten Akteure vergewissern sich dabei permanent ihrer Normalität und arbeiten an sich selbst, um in keinem der Normalbereiche Opfer eines drop-outs zu werden. Auf der pragmatischen Ebene bietet Generation Golf durch die Abbildung von Normalräumen mit maximaler Orientierung an Zielgruppen, Zeitgeist und öffentlichen Diskursen dem Leser eine Möglichkeit, sich innerhalb der Grenzen zu verorten, die durch ihre Polarität (siehe vorheriger Absatz) so beschaffen sind, dass sich beinahe jeder in einer der genannten Dimensionen wiederfindet. So ist Generation Golf nicht nur Dokument einer Normalisierung, sondern auch Element, das zur Normalisierung anhalten soll. Dies ist auch dem Umstand zu verdanken, dass sich Generation Golf in Diskurskoalition mit anderen Diskursen befindet, in denen ebenfalls die Normalisierung Deutschlands eingefordert wird, insbesondere in Auseinandersetzung mit dem längst besiegten Feind „68“ und den mit ihm zusammenhängenden „Zwängen“ (historische und politische Korrektheit). Dieser Feind wird sowohl in öffentlichen Diskursen als auch in Generation Golf als auszubügeln135 Dabei ließe sich selbst für den Platz, der den verschiedenen Akteuren in der Erzählung eingeräumt wird, eine Normalverteilung konstruieren, sind es doch die subalternen Klassen und Schichten, die aufgrund ihrer stilistischen Defizite frühzeitig aus der Erzählung „herausfallen“ und nicht mehr erwähnt werden, während dem Kernbereich des Legitimen, um den es ja geht, der größte Platz eingeräumt wird.

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de „Delle“ oder als historisch einmaliger „Unfall“ modelliert. Dabei kommt es zu allerhand Outings und Geständnissen, die als Ausgangspunkt für die Forderung nach einem „Weg zurück“ fungieren. Jürgen Link (2006) führte in diesem Zusammenhang Roman Herzogs „Ruck-Rede“ an. Auch die in Generation Golf exemplarisch verarbeitete Walser-Rede (GG: 175) sowie Roman Herzogs Antrittsrede („unverkrampft“, GG: 174) lassen sich als Bekenntnis zur Normalität verstehen. Schließlich lässt sich damit auch Generation Golf (vor allem aufgrund der angestoßenen Diskussionen) als Dokument und Element des gesellschaftlichen Normalitätsverständnisses verstehen. Dass sich mehr oder minder exponierte Persönlichkeiten zu Bekenntnissen dieser Art berufen fühlen, liegt neben dem Wunsch, Aufmerksamkeitsgewinne einzustreichen, auch in der Zuspitzung der Spannung zwischen einem flexiblen Normalismus und einer beobachtbaren Tendenz zum protonormalistischen „Umkippen“. Die Rückkehr zur Normalität ist dabei eng an den Globalisierungs- und Reformdiskurs gekoppelt. Dieser Zusammenhang soll hier mit drei ausgewählten, jedoch zentralen Argumentationsformen verdeutlicht werden: (a) die Forderung nach allumfassender Gültigkeit des Leistungsprinzips, (b) die Forderung nach Flexibilität und (c) die Verortung dieser Forderungen gemäß normalistischer Logik in der demokratischen (neuen) Mitte. Ersteres macht im Vorfeld, um Leistungen messen zu können, einen Katalog aus Verdatungen und Skalen notwendig, die aufeinander bezogen werden und die damit zugleich Hürden, Grenzen oder Sollwerte erzeugen, an denen dann reales politisches Handeln ausgerichtet wird – vom Uniranking bis zu den Maastricht-Kriterien. Die Flexibilität einfordernde Deregulierungsrhetorik arbeitet dagegen am Abbau allzu fester, also protonormalistischer Grenzen, und fordert etwa mehr Wagnis und Beweglichkeit ein. Dies stellt aus regulationstheoretischer Perspektive die typische Logik der postfordistische Produktionsweise dar, an die der flexible Normalismus angekoppelt ist: Ein System aus flexibler Produktion, individuellen Leistungsmessungen, Sollwerten und anderen Messmethoden (Gesundheit, Motivation usw.) übt einen Zwang auf die Akteure aus, sich – wie in Generation Golf beschrieben – permanent der eigenen Betriebsparameter zu versichern. Politisch wird dieser Prozess durch die Mitte aufrechterhalten, welche die entscheidenden Kurven im Auge behält und flexibel-normalistisch mit richtigen Maßnahmen reagiert, statt linke oder rechte Politik zu betreiben. Diese Mitte ist der Durchschnitt, die ideologisch pluralistische Volkspartei, zu der die Mehrheiten streben und die an den Rändern von aus der Normalitätszone fallenden Extremen bedroht wird. Normal werden heißt, wie es auch in Generation Golf beobachtbar ist, den ideologischen Ballast (inklusive belastender Sozialstaatsmodelle) abzuwerfen und (auch aus einer internationalen Perspektive) eine normale Nation zu werden, die sich dem Wettbewerb stellt oder Reformen durchführt, bei denen andere schon „weiter“ sind. Dabei kommt es zu zahlreichen Aporien, da diese Flexibilisierung alle stabilen Grundlagen gesellschaftlicher Reproduktion gleich mitflexibilisiert, was zum beobachtbaren Wiedererstarken protonormalistischer Taktiken (etwa in Fragen der Sexualmoral, der Kindererziehung usw.) führt, mit denen die Desintegration aufgehalten werden soll, die jedoch nicht in alter Reinform, sondern nur punktuell übernommen werden können: Als fester Orientierungsmarker taugt etwa der Katholizismus in Form konfessionell gebunde-

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ner Schulen durchaus, wird damit doch Strenge und Disziplin konnotiert. (GG: 79) Auf „Kirchentage[n]“ (GG: 190) die bessere Welt herbeizusehnen und dabei politische und ökonomische Forderungen aufzustellen, stellt jedoch erneut einen unnormalen Ausschlag auf der ideologischen Intensitätsskala dar, der tunlichst vermieden werden sollte. Schließlich wird so das Bild eines gleichermaßen labilen und stabilen Zustands gezeichnet, der aktive Stabilisierung erfordert und vor hereinbrechenden Störungen bewahrt werden muss: Das Ende der Fahnenstange scheint erreicht, nun muss, um in der Symbolsprache des flexiblen Normalismus zu bleiben, das Fahrzeug nach dem holprigen Passieren störender Dellen, d.h. nach dem Überwinden von Geschichte und Ideologie, auf der (Ziel)Geraden gehalten werden.

Schluss: die Fäden verbinden Generation Golf im Schnittpunkt gesellschaftlicher Großerzählungen Es lässt sich von der Existenz einer pluralen, ideologisch nicht geschlossenen und (weltweit) arbeitsteilig organisierten, aber dennoch auch kohärenten Programmatik ausgehen, die auf unterschiedliche Art und Weise ausgefüllt und diskursiviert werden kann. Diese Programmatik wurde als „new capitalism“ bezeichnet – als „neuer Geist“ des Kapitalismus, als Folge einer Überformung aller gesellschaftlichen Bereiche durch das Zentralgebiet Ökonomie. Im Zuge der Durchsetzung dieser Programmatik werden westliche Gesellschaften, ihre Teilfelder bzw. Subsysteme und deren Zusammenhang umfassend neu organisiert. Werte werden dabei (permanent) umgewertet. Das Denken und Handeln von Subjekten wird auf vielfältige Weise durch die Verknüpfung von (Sach)Zwängen mit subjektseitiger Komplizenschaft (durch greifbare Vorteile) neu reguliert. Damit werden die Weichen für die Reproduktion der gesellschaftlichen Bedingungen dieser Programmatik gestellt, für das Zusammenfallen von Vorstellungen über die Realität mit der Realität selbst und damit schließlich für eine Reproduktion der so geschaffenen Realität durch das daran orientierte Handeln der Akteure. Diese Programmatik wird mit (aufeinander bezogenen) diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken realisiert. Diskurse lassen sich als Menge regelbasierter Aussagen definieren, mit denen die Umwelt, die in ihr stattfindenden Prozesse, ihre Struktur sowie mentale Prozesse des Denkens, Glaubens und/oder Fühlens perspektivisch (je nach Position der Träger des Diskurses innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Gefüges) repräsentiert werden. Diskurse sind dabei sowohl deskriptiv als auch prospektiv, weil mit ihnen nicht nur Sichtweisen auf die Welt wiedergegeben werden, sondern auch Projektionen über zukünftige oder wünschbare Zustände. Diskurse existieren dabei nicht ohne ihre personellen Träger, die Relationen zwischen Diskursen lassen sich so in Relationen zwischen Akteuren übersetzen, die miteinander in Konflikt stehen, Koalitionen eingehen usw. (Vgl. Fairclough 2003: 124) Auch literarische Texte sind Teil historischer Diskursformationen, und da literarische Texte Elemente der Soziokultur sowie intertextuelle Elemente aufgreifen, durchschleusen und re-integrieren, stehen sie immer in Wechselwirkung mit dem gegenwärtigen Stand der diskursiven Kämpfe. Trotz der

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Tatsache, dass der literarische Diskurs einen abgeschlossenen Spezialdiskurs darstellt, steht er somit in Wechselwirkung mit hegemonialen Diskursen 136 , wenn deren Bestände, Repertoires, Symbole usw. Teil des Interdiskurses geworden sind und in Folge u.a. im literarischen Diskurs verarbeitet und (mehr oder minder verfremdet) zur Applikationsvorlage werden, die wiederum durch den Rezipienten selektiv aufgegriffen werden kann. Was wird nun in Generation Golf auf welche Art und Weise repräsentiert? Was sieht der Adressat, wenn er Generation Golf in den Händen hält und liest? Er/sie sieht Akteure, die sich körperlich und geistig optimieren und miteinander konkurrieren. Er/sie sieht eine gesellschaftliche Realität, die unübersichtlich und zusammenhanglos wirkt, die nicht mehr als Totalität durchschaut werden kann. In dieser Welt hat etwa Politik nur noch Unterhaltungswert, feste Beziehungen zwischen Akteuren sind einem leicht umknüpfbaren Netzwerk gewichen. Konflikte und Probleme sind in dieser Realität nahezu verschwunden und zur Restgröße geronnen. Fast alle Möglichkeiten und Laufbahnen sind für (fast) jeden erreichbar. Schließlich ist diese gesellschaftliche Realität stabil, es scheint unwahrscheinlich, dass sie sich noch signifikant verändern kann. Das Handeln der Akteure in Generation Golf, die Repräsentation der gesellschaftlichen Realität (Geschichte, Politik, Ideologieproduktion, Formen der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung), schließlich die Tatsache, dass ein Text wie Generation Golf möglich wurde und primär-konkulturell mit den Beurteilungskategorien einer breiten Leserschaft übereinstimmen konnte, die wiederum selbst das Produkt der Erfahrung der gesellschaftlichen Realität sind – all dies verdeutlicht, dass Generation Golf auf diese Programmatik bezogen ist, auf sie und die Diskurse passt, in denen diese Programmatik verarbeitet und modifiziert wird. Dies ist zum einen der vielfältig schattierte Diskurs des „new capitalism“, zum anderen der Postmoderne-Diskurs. Obwohl in beiden Diskursen das Ende aller großen Geschichten und Ideologien diagnostiziert wird, sind diese Diskurse selbst zu zwei dominanten Großerzählungen der Gegenwart geworden, die in vielfältiger Weise aufeinander bezogen sind. Es sind dominante Großerzählungen, die als solche kaum noch explizit gemacht werden und somit völlig fraglos wirken, deren Chiffren Teil des Interdiskurses geworden und habitualisiert worden sind und daher subkutan im Denken der meisten Menschen eingeschrieben sind. Das Zusammenspiel dieser beiden Großerzählungen und die Art und Weise, wie sie in Generation Golf repräsentiert und texturiert werden, dient

136 Dies bedeutet jedoch nicht, dass z.B. erfolgreiche Literatur zwangsläufig besonders „affirmativ“ auf diese Diskurse bezogen sein müsste. Elementare Soziokultur und Interdiskurs stellen nur das Material bereit, welches unterschiedlich verarbeitet werden kann. Dies lässt sich am Beispiel des normalistischen Dispositivs verdeutlichen: im Normalismus besteht die Funktion von Literatur darin, das herrschende normalistische Dispositiv zu vermitteln und zu einer Applikationsvorlage zu machen. Diese Vermittlungsleistung drückt sich etwa in typischen Denormalisierungsnarrationen oder in einer normalistischen Kollektivsymbolik aus. (Vgl. Link 2006: 41) Für den Diskurs-Macht-Komplex „new capitalism“, der selbst wiederum mit dem o.g. normalistischen Dispositiv verbunden ist, könnten dies etwa verschieden ausgefüllte Konkurrenz- oder Entfremdungsgeschichten sein, Geschichten über die Unübersichtlichkeit der Welt, über das Problem, nicht mehr zu wissen, wo einem der Kopf steht usw.

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als Richtschnur für den Ausblick, mit dem die bisherige Textanalyse in einen größeren theoretischen Zusammenhang eingefügt werden kann. Angesichts des Umfangs dieser Großerzählungen kann zwar keine vollständige Rekonstruktion ihrer Regeln und Repertoires geleistet werden, dennoch sollen beide, gerade aufgrund ihres schlagwortartigen Charakters, im Hinblick auf die Relevanz für die hier verfolgte Analyse erläutert werden.

Generation Golf und der Diskurs des „new capitalism“ Obgleich sich keine ideologische Geschlossenheit zugrunde legen lässt, lassen sich Übereinstimmung in den Grundaxiomen zwischen den verschiedenen Definitionen des „new capitalism“ feststellen: x x

Die Ökonomie wird als eigenständiger gesellschaftlichen Bereich angesehen, der nicht durch ineffiziente politische Einflussnahme gestört werden darf. Markt- und Tauschprozesse gelten als die Prinzipien, mit denen die beste Form gesellschaftlicher Organisation erreicht werden kann, zu der die Menschheit fähig ist. (Vgl. Giddens 1999: 23ff; Herkommer 2004: 50; Bourdieu 2004a: 51)

Historisch lassen sich die Anfänge des „new capitalism“ in der widersprüchlichen Allianz von wirtschaftlichem Liberalismus und politischem Konservatismus in der Ära Thatcher, Reagan oder Kohl verorten. Widersprüchlich ist diese Allianz, weil sie langfristig die eigene Existenzgrundlage zu unterminieren droht: „Wenn man den Individualismus und die Eigeninitiative des einzelnen auf wirtschaftlichen Gebiet befürwortet, hat es keinen Sinn, diese Eigenschaften nicht auch auf andere Bereiche, einschließlich jenes der Familie, zu übertragen.“ (Giddens 1997: 69) Oder deutlicher: „Einerseits soll die überlieferte Wertordnung erhalten werden, die selber schon eine Mischung liberaler und konservativer Elemente darstellt, andererseits soll eine beschleunigte Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft betrieben werden, deren negative Folgen wiederum von der konservativen Kulturkritik vehement beklagt werden.“ (Herkommer 2004: 126f) Mit dem Neoliberalismus wird dieser politische Konservatismus (und damit z.B. das klassische Familienbild) scheinbar zugunsten einer reinen Marktorientierung aufgegeben (Herkommer 2004: 124, 136), die auch durch den dritten Weg nicht beseitigt wurde. 137

137 Letztendlich werden auch in Anthony Giddens drittem Weg bestehende gesellschaftliche Praktiken gemäß einer Marktlogik remodelliert. Was Giddens selbst als Alternative zu einer neoliberalen Programmatik vorstellte, ist letztendlich deren vollständige Umsetzung. Das Programm des dritten Weges beinhaltet (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Planung und „Pflichten“ (Giddens 1999: 81), effiziente Verwaltung (ders.: 90, 132), Belebung der Zivilgesellschaft und der „Gemeinschaft“ (ders.: 95), Einführung von „Zeit-Dollars“, „DiensteKonten“ (ebd.) und „Elternschaftsverträgen“ (ders.: 116), Wettbewerbsfähigkeit und effizienter Umgang mit Humankapital. (Ebd.) Insgesamt sei es die staatliche Vorsorge, welche die Arbeitslosigkeit hervorriefe. (Ders.: 126) Gerade Gutscheinsysteme sind Kernbestandteil neoliberaler ökonomischer Theorien. Mit ihnen sollen auch die gesellschaftlich notwendigen Aufgaben, für die sich keine Regulierung über das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage erzeugen lässt

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Diese Marktorientierung bedeutet jedoch mehr als einen bloßen ökonomischen Umbruch. Vielmehr handelt es sich um eine „organisierende Ideologie“ (Gramsci, zit. n. Candeias 2004: 74) mit dem Ziel, eine neue Lebensweise zu etablieren, die gesamte Gesellschaft einer grundlegenden Umbaumaßnahme zu unterziehen und insgesamt einen neuen Menschen zu formen. Informationsdefizit und Ineffizienz des Kollektivismus vs. höhere Rationalität von Marktprozessen Eine der wichtigsten theoretischen Grundlagen der Theorie des „new capitalism“ liegt in der Skepsis gegenüber kollektiven Organisationsformen. Sie ist dem klassischen Liberalismus Adam Smiths entlehnt, der jedoch um seine moralische Komponente erleichtert wurde: Was diesen klassischen Liberalismus vom Liberalismus des „new capitalism“ unterscheidet, ist sein ausdrücklich aufklärerischer Charakter, mit dem der Weg aus der Ständeordnung gewiesen wurde (auch wenn sich „der“ klassische Liberalismus nicht auf wenige Namen oder eine einzige Grundlinie reduzieren lässt und sich die angelsächsische Variante von der kontinental-französischen Variante in ihren Zielen unterscheidet). Der Neoliberalismus stützt sich dagegen auf ökonomische Befreiung und verfügt über ideologisch vorbelastete Theoretiker wie etwa Friedrich August von Hayek, der zur Durchsetzung ökonomischer Freiheit auch eine „beschränkte nicht-demokratische Regierung“ (Hayek 1988, zit. n. Candeias 2004: 99) in Kauf genommen hätte. Kollektive Güter werden aufgrund des sogenannten Free-RiderProblems 138 durch die Akteure ausgezehrt und langfristig gesehen zerstört. Während einzelne Individuen ihre Umwelt kennen und auf Grundlage verfügbarer Informationen für sich die besten Wahlen treffen, stehen Kollektive (Verbände, Lobby-Gruppen, schließlich der ganze politische Apparat) vor dem Problem, niemals über alle notwendigen Informationen für ihre Entscheidungen zu verfügen. Es komme so zu Fehlentscheidungen. Insbesondere Sozial- und Rentensysteme seien Opfer dieser Prozesse: Zum einen fordern sie Akteure dazu auf, so viel wie möglich aus ihnen „herauszuholen“, zum anderen treffen sie aus Informationsmangel die „falschen Entscheidungen“. (Vgl. Candeias 2004: 77ff) Beide Male produzieren sie im Extremfall das Gegenteil des Angestrebten. Dies führt zur aus den Massenmedien bekannten Darstellung des Sozialsystems als Kraft, die Gutes will und Böses schafft: Menschen sind demnach nicht in der Lage, das Gute auch aktiv zu wollen (vgl. Gortz 1989: 185), sie können sich nicht auf kollektive Ziele einigen und neigen dazu, ihre egoistischen Ziele auf Kosten anderer zu verfolgen.

(Erziehung, Pflege, Ökologie), einer künstlich geschaffenen Marktlogik unterworfen werden. (Vgl. Candeias 2004: 96) 138 Die Theorie des Trittbrettfahrerverhaltens besagt, dass es bei frei zugänglichen kollektiven Gütern zur Übernutzung und Zerstörung der Güter kommt, da es für Akteure rational und nutzenmaximierend ist, bei minimalen Kosten soviel wie möglich von diesem Gut in Anspruch zu nehmen. Bei Gütern, von denen niemand ausgeschlossen werden kann, ist es für Akteure dagegen rational, die Kosten dafür abzulehnen, da sie auch dann in den Genuss dieses Guts kommen. Dies sind Güter, die auf freiwilliger Basis nicht finanzierbar sind (etwa die Landesverteidigung), so dass es etwa ohne staatlichen Zwang (in Form von Steuern) zu einer Unterversorgung mit diesen Gütern käme.

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Dieser Logik folgt auch die Repräsentation kollektiver Organisationsformen in Generation Golf. Sie werden als ineffizient entlarvt und von den repräsentierten Akteuren abgelehnt, zudem wird auf die negativen Nebeneffekte hingewiesen, die aus Informationsmangel bzw. Mangel an Realitätsbewusstsein eingetreten seien. Im Laufe dieser Untersuchung wurde mehrfach deutlich, dass in diesem Zusammenhang meist auf die von „68ern“ durchgesetzten oder mit ihnen in Verbindung gebrachten „Eingriffe“ in den bisherigen Ablauf der Dinge hingewiesen wird, die stets das Gegenteil des anvisierten Ziels bewirkt hätten. Das SPD-Projekt Gesamtschule erreichte so etwa nicht das intendierte Ergebnis (Verbesserung der Chancen für Bildungsferne), da während ihrer Konzeption nicht die richtigen Informationen bedacht wurden, die Entscheidung vielmehr aus ideologischen Gründen getroffen wurde. Nun sei das Gegenteil des Intendierten eingetreten: Aus „Siegerurkunden“ wurden durch massenhafte Vergabe und mangelnde Konkurrenz „Verliererurkunden“. (GG: 87) Die Folge war weniger Bildung für alle, die Lähmung der eigenen Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sowie das Absinken der Gesamtleistung. (GG: 87ff) Schließlich fand eine Fluchtbewegung der Bessergestellten statt, was die angestrebte „soziale Durchmischung“ wieder aufhob und bei den Absolventen den Wunsch erzeugte, die eigenen Nachkommen dieser Schulform nicht aussetzen zu wollen. Kurz: Alles wurde ins Gegenteil verkehrt. Solchen schädlichen Eingriffen stehen Marktprozesse und Marktakteure gegenüber, die in Generation Golf zum einen im Sinne eines trickle-downEffekts für wahre konsumistische Nivellierung sorgen: Erst verfügen nur Manager über ein Handy, dann haben es alle (GG: 147), teure Markenprodukte können mit billigeren, optisch kaum unterscheidbaren Surrogaten ersetzt werden. Marktprozesse sind zum anderen daran beteiligt, die chaotische Umwelt zu ordnen: Obwohl auch die Warenwelt latent als chaotisch wahrgenommen wird, gibt sie vor allem in Form großer Marken (H&M, IKEA usw.) Orientierung. Zudem verfügt die consumer society über pazifizierende Kraft, indem sie für einen (scheinbar) ideologiefreien Minimalkonsens sorgt. Friktionen innerhalb der Gesellschaft (Demonstrationen, Empörungen, Intoleranz) werden so ausgeglichen und absorbiert. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass etwa Intoleranz und Vorurteile im Marktfrieden verschwinden – dies hieße, der Konsensfiktion der Konsumgesellschaft aufzusitzen und wird auch von den repräsentierten Generationsgenossen erkannt. Nicht die innere Motivation und Überzeugung zählt dabei, sondern das Ergebnis: Ob jemand intolerant ist, bleibt in der Marktgesellschaft solange irrelevant und Teil der Privatsphäre, solange sich dies nicht in entsprechenden Handlungen oder Äußerungen entlädt – und auch in diesem Fall bleiben „die weiten Arme der Ironie“. (GG: 193) Dieser Marktfrieden (vgl. Bolz 2002) wird dabei von den repräsentierten Generationsgenossen zwar tendenziell als unbefriedigend und entindividualisierend empfunden (was das Problem einschließt, kein festes Identitätsbild von sich zeichnen zu können), in der Auseinandersetzung mit dem diskursiven Gegner „68“ und im Sinne der bekundeten eigenen Theorie- und Ideologieferne jedoch als einzig möglicher Kompromiss akzeptiert.

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Ungleichheit, Spielregeln, Anreizsysteme Im Denken des „new capitalism“ ist Ungleichheit notwendiger Bestandteil für die evolutionäre Entwicklung von Gesellschaften und wird nicht als „Systemversagen“ betrachtet. Die Notwendigkeit von Ungleichheit wird mit Hilfe der Denkfigur eines hypothetischen Urzustandes untermauert. In diesem Urzustand treffen Akteure mit zufälligen Fähigkeiten und dem gleichen Besitzrecht (aber keinem gleichen Besitz!) aufeinander, um individuell-nutzenmaximierend Verträge zu schließen bzw. Tauschakte einzugehen. Richtige Verhaltensweisen werden über das Preissystem belohnt, falsche Verhaltensweisen sanktioniert. Marktteilnehmer erhalten durch die Erfahrung der effizienteren Lebensführung anderer Anreize, ihr Verhalten entsprechend zu regulieren (durch Nachahmung der Erfolgreichen, durch alternative Handlungen usw.). In Folge setzen sich die besten Verhaltensformen durch, die gesellschaftliche Ordnung wird evolutionär weiterentwickelt. Eingriffe in diese Marktordnung sorgen aus Informationsmangel für suboptimale Märkte im Sinne der o.g. Trittbrettfahrerproblematik, die durch das Tausch- und Preissystem nicht entstanden wären. Sie erzeugen dadurch „Fehlanreize“ (Candeias 2004: 90) 139 zu falschen Verhaltensformen, die durch ein Preissystem sanktioniert worden wären. Für die Dinge, auf die sich eigennützige Marktteilnehmer aufgrund divergierender Interessen nicht einigen können, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt jedoch notwendig sind (siehe die o.g. Unterversorgung durch das Trittbrettfahrerproblem), müssen Regeln etabliert werden. Diese Regeln halten mit wenigen Verboten Besitzrecht und Vertragsfreiheit aufrecht, sie verhindern Desintegrationserscheinungen, die beim „Kampf aller gegen alle“ auftreten würden, sie geben darüber hinaus Orientierungssicherheit und senken so die gesamtgesellschaftliche Komplexität. Da jene Regeln auf demokratischem Wege zu Fall gebracht werden könnten, werden sie im Denken des „new capitalism“ als etwas Externes konzeptualisiert: im Sinne eines Leviathans oder einer Konstitution. (Vgl. Candeias 2004: 86ff, vgl. Buchanan 1984) Dieser Leviathan muss schwach genug sein, um die Marktbedingungen nicht zu stören und zugleich stark genug sein, um Störer der Marktbedingungen zu bekämpfen. Paradoxerweise untergräbt dabei die reine Marktgesellschaft tendenziell die Bedingungen, die sie erst möglich machen: Konkurrenz und Ungleichheit kann zu Gewalt der Unterlegenen führen, Frauen, die ihre Interessen verfolgen, bringen scheinbar die Reproduktion der Gesellschaft in Gefahr. Die Gesellschaft wird so durch Desintegrationserscheinungen bedroht, die sich marktfähig kaum lösen lassen und so politischen „Handlungsbedarf“ signalisieren, zugleich werden politische Ausgleichsmechanismen als dysfunktional betrachtet. Das Paradoxon dieses schwachen und zugleich starken Staates findet seine Entsprechung in der paradoxalen Verbindung des (almost) anything goes mit klassisch-bürgerlichen Wertvorstellungen: (beinahe) grenzenlose Freiheit verbindet sich so mit Härte gegen Abweichler (bis 139 Der Begriff „Fehlanreiz“ verdeutlicht, wie sehr ökonomisches Denken einem behavioristischen Menschenbild (im Sinne eines simplen Reiz-ReaktionsAutomaten) verhaftet ist. „Fehlanreize“ gehören zum begrifflichen Repertoire, das von entsprechenden Stichwortgebern, ökonomischen oder politischen Eliten in öffentlicher Kommunikation verwendet wird, um Wissenschaftlichkeit und Rationalität zu suggerieren. (Vgl. Bourdieu 2003b: 141ff)

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zu deren Einhegung), Fördern trifft auf Fordern, Freizügigkeit wird mit Werte- und Kommunitarismusdiskursen flankiert, Freiheitsgewinne 140 werden mit restaurativen Tendenzen verbunden. Das Gegenstück zum populären Sinnbild „Laptop und Lederhosen“ (Edmund Stoiber zit. n. Candeias 2004: 260) stellt in Generation Golf etwa die gepiercte, sexuell sehr erfahrene Generationsgenossin dar, die zugleich ein bürgerliches Leben anstrebt. Diese paradoxale Situation erzeugt Unsicherheit, Instabilität und Furcht vor einem als anonym empfundenen Risiko und stört so das psychophysische Gleichgewicht: Wahre Muße scheint mangels Zeit nicht mehr möglich und wird besonders in den auch von Generation Golf adressierten gehobenen Mittelschichten durch Konsum, Ästhetisierung der Konsumgüter und Selbststilisierung kompensiert, die alltäglich erfahrene Rohheit und Absurdität wird so durch genussvolle Gegenmittel ausgeglichen. (Vgl. Candeias 2001: 169, Bourdieu 1987: 573ff, Jehle 2001: 312) Die Logik aus (gesellschaftlich notwendiger) Akzeptanz von Ungleichheit, dem Zusammenspiel aus Freiheit und festen Spielregeln im Sinne des (almost) anything goes und der Zurschaustellung von „Markterfolgen“ durch Distinktion und Distanzwahrung zu den Unterlegenen lässt sich auch in Generation Golf beobachten. Das Zusammenspiel dieser Elemente wird dabei auch als gesamtgesellschaftliche Normalisierung und Korrektur temporärer Irrwege aufgefasst. Die Akzeptanz von Ungleichheit rückt mit der Adoleszenz der Generationsgenossen und der Verbreiterung konsumistischer Möglichkeiten in den Vordergrund. Adoleszenzerfahrungen werden dabei als Investitionsabfolge modelliert, die gelingen oder scheitern kann. Dabei lassen sich in Generation Golf nicht nur im repräsentierten Sozialraum Distanzierungs- und Fluchtbewegungen feststellen, sondern auch eine insgesamt geringe und generische Repräsentation unterlegener Akteure. Die gesellschaftliche Stratifikation wird als notwendige Ordnung anerkannt, auf die sich immer wieder zurückkommen lässt – „für jedes Klötzchen auch das richtige Plätzchen.“ (GG: 61) Die Kultur des Marktes gibt dabei die notwendigen Anreize und Distinktionsfolien vor, um das „bessere“ und „effizientere“ eigene Leben angemessen zu repräsentieren sowie die Distanz zu den Erfolgloseren und das eigene Ressentiment ästhetisch aufzuladen (und damit zu legitimieren). Sie ist zugleich letzter Rückzugsort und Sinnressource, deren Künstlichkeit und Scheinbefriedigung kulturkritisch betrauert, nichtsdestotrotz jedoch akzeptiert wird.

140 Realen Freiheitsgewinnen stehen im „new capitalism“ Freiheitsverluste und neue Konfliktlinien gegenüber. So sind mit der Verbesserung der Ausbildung für Frauen und deren Erfolgen im Arbeitsleben reale Emanzipationsgewinne verbunden, Konflikte und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verlieren in einigen Fällen an Intensität. Zugleich eröffnen sich jedoch neue Konfliktlinien innerhalb der Geschlechtergrenzen, etwa zwischen gut ausgebildeten und schlechter ausgebildeten Frauen. Guten Arbeitsbedingungen, Verdiensten und Emanzipationsgewinnen auf der einen Seite stehen schlechte Arbeitsbedingungen, Prekarität und/oder überkommene Geschlechterrollen auf der anderen Seite gegenüber – und dabei tendenziell mit Duldung und Legitimation durch die Gewinnerinnen. (Vgl. Candeias 2004: 167) So ist es auch zu verstehen, dass die erfolgreichen Generationsgenossinnen in ihrem neobürgerlichen Lebensentwurf auf die Arbeit von „Kindermädchen“ (GG: 160) zurückgreifen – und somit andere Frauen für sich arbeiten lassen.

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Dabei wurde deutlich, dass die Generationsgenossen eine Existenz zwischen Freiheit und Zwang erleben: Grenzenlosen konsumistischen Möglichkeiten stehen konsumistische Mindeststandards und eine Furcht vor dem eigenen Ungenügen gegenüber. Wer die Freiheit der Wahl genießen will, muss erst durch körperliche und geistige Selbstoptimierungsprozesse (siehe unten) das „Nadelöhr“ passieren, das den Zutritt in die höheren gesellschaftlichen Sphären reguliert. Die wachsende Schwierigkeit, den eigenen Habitus zu kontinuieren und die symbolische Differenz zu den weniger Erfolgreichen aufrecht zu erhalten, sowie die Erfahrung gesellschaftlicher Desintegration werden zum einen dem diskursiven Gegner angelastet, zum anderen durch bürgerliche Werte und feste Regeln zu sublimieren versucht. Ökonomisierung des Selbst, Selbstoptimierung Im Zuge der Politik des „new capitalism“ werden ökonomische Prinzipien auf Bereiche des Lebens ausgedehnt, die bisher nach eigener Logik operierten. Bestehende Prozesse werden als Marktprozesse remodelliert, Diskurse werden durch den hegemonialen ökonomischen Diskurs und dessen Repertoire „kolonialisiert“ (Jürgen Habermas), ökonomische Repertoires (Lexeme, Symbole usw.) erhalten interdiskursiven Status. Diese „Ausweitung der ökonomischen Kampfzone“ (in Anlehnung an Michel Houellebecqs Ausweitung der Kampfzone) führt zur Ökonomisierung des Selbst und schließlich zur Vereinzelung in Form von Selbstorganisation (ohne Eigensinn), Selbstvermarktung, Selbstproduktion und Self-Investment. (Vgl. Herkommer 2004: 137ff) Im Zuge dessen wird Versagen zum persönlichen Schicksal, indem es als Folge fehlender Anstrengung bzw. falscher oder mangelnder Investitionen definiert wird (womit auch Investitionen in bestimmte Konsumgüter verbunden sind). Dieses Eindringen der Ökonomie in die persönliche Lebensgestaltung tritt als Zwang zur Selbstoptimierung in Form geistiger und körperlicher Fitness auf. In öffentlicher Globalisierungs-, Wettbewerbs- und Reformrhetorik wird dies dementsprechend mit interdiskursiver Sport- und Fitnessmetaphorik aufgeladen und als Ensemble aufeinander bezogener sportlicher Wettkämpfe und Verschlankungsprozesse abgebildet: Subjekte, Standorte, Nationen – sie alle laufen ewig um die Wette. Das sinnbildliche Gegenstück zum sich dauerhaft drehenden Reformlaufband, das in politischen Diskursen angemahnt wird, ist in Generation Golf das Laufband im Fitness-Center und der darauf trainierende Läufer, der sich selbst, die anderen Läufer und seine wichtigsten Betriebsparameter (Börsenkurse usw.) im Blick hat. (GG: 93) Wer ewig laufen muss, nie stehen bleiben darf und kein festes Ziel verfolgen kann, weil auch die Ziele vor einem davonlaufen, verliert dadurch feste Sicherheiten und eine verlässliche Zukunftsplanung. Beides resultiert in einer ewig „jugendlichen“ Lebensweise im Sinne einer ewig währenden geistigen und körperlichen Beweglichkeit. Diese Flexibilität beinhaltet auch, in der sich permanent transformierenden und umknüpfenden „Netzwerkgesellschaft“ zum sich selbst readressierenden Datenpaket zu werden, von Netzknoten zu Netzknoten zu springen und dabei interoperabel zu bleiben. (Vgl. Kaufmann 2004: 182ff in Anlehnung an Manuel Castells) Auch die Generation Golf ist gezwungen, alle subjektbezogenen Faktoren zu optimieren: zum einen im Sinne einer Steigerung der Gesamtleistung oder der Anpassung an die Zwänge der bestehenden Verhältnisse, zum ande-

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ren im Sinne eines normalistischen Einpendelns. Letzteres betrifft vor allem die ideologisch-politische Optimierung, die in der Darstellung des role models Joschka Fischers sinnbildlich mit der Optimierung und Normalisierung des Körperbildes zusammenfällt: Joschka Fischer verschlankt Körper und Geist zugleich, er verliert nicht nur überflüssige Körperfettvorräte, sondern erleichtert sich auch überflüssiger „Denkvorräte“. (Negt 2004: 19) Von der Regulation der Sozialbeziehungen, bis zu Körperbild, Partnerschaft 141 und der eigenen Sexualität 142 werden alle Lebensbereiche einer Planung und Kosten-Nutzen-Kontrolle unterzogen und ggf. in Form von Geständnissen, Outings oder Orientierung an Ratgebern mit Normen und Sollzuständen abgeglichen. Als interoperabler Konnektor konzipiert, können sich die Generationsgenossen dadurch immer wieder neu produzieren, was sich in ihrer selbst bekundeten ewigen Infantilität und der Fähigkeit zur konsumistischen Neuausrichtung äußert: Man bleibe ewig das Kind auf der Verpackung für Kinderschokolade (GG: 45), die Kindheit werde ewig verlängert (GG: 60) und trotz eines bürgerlichen Lebens bleibe man ewig infantil. (GG: 169)

141 Die Erkenntnis, dass auch Liebe und Partnerschaft einer eigenen Ökonomie unterliegen, lässt sich auch empirisch nachweisen. (Vgl. Illouz 2003) Die gesellschaftlich legitime Art, Liebe und Romantik zu empfinden, ist stets mit dem Konsum für diesen Zweck geeigneter Produkte (an bestimmten Orten) verbunden (Kino, Restaurant, Konzerte). Gesellschaftlich legitim zu lieben wird so klassenspezifisch. Auch aus dieser Perspektive erscheint die Verbürgerlichung des Liebeslebens der Generation Golf als logische Folge (GG: 168): Sie ist in allen Bereichen des Lebens zur Rationalität und Distanzwahrung gezwungen. Die Generationsgenossen sind zur Wahrung ihrer Position zum einen gezwungen, sich auch von den libidinösen Praktiken der unter ihnen liegenden Gesellschaftsschichten zu distanzieren, zugleich können sie es sich nicht erlauben, den Bereich legitimer Praktiken zu verlassen. Die Generationsgenossen bleiben so im Spannungsfeld aus Planung, Freiheitssehnsüchten, Abgrenzungsstrategien und versperrten Möglichkeiten. 142 Sexualität habe Klassencharakter: „Die Lust in uns repräsentiert Herrschaft über uns. Sich der Lust zu unterwerfen repräsentiert Unterklasse und Ungesundheit.“ (Haug 1986, zit.n. Haug 2003: 186) Dieser Klassencharakter bleibt im modernen Kapitalismus bestehen, lediglich die Vorzeichen ändern sich. Im „new capitalism“ erhält Sexualität einen sportiven Charakter und wird Gegenstand von Verdatung und flexibler Normalisierung. (Vgl. Link 2006) Dass allzu freizügige Sexualität die Unterklasse repräsentiert, gilt dabei noch immer, lediglich die bürgerliche Regulation der Sexualität wechselt von der Unterdrückung zum Management. Wurde zuvor Sexualität unterdrückt und die Überwindung dieser Unterdrückung (z.B. von den 68ern) als Befreiung empfunden, so ist die neue Sexualität permanent verfügbar und hat selbst Warenform angenommen – als „lean sexuality“ (Haug 2003: 187), als deregulierte Neosexualität. (Vgl. Sigusch 2005) Dieser Logik folgt die Repräsentation der Sexualität auch in Generation Golf, die trotz eines eigenen Kapitels (GG: 161-183) sehr zaghaft ausformuliert wurde: Der Sexualität der Unterschichten haftet, der Position geschuldet, aus der die Beschreibung durchgeführt wurde, etwas Obszönes und Proletarisches an – „Sexualstellungen“, „Paarungsakt“, „Weibchen“. (GG: 39) Das Sexualleben der saturierten Generation Golf ist dagegen – bei aller Toleranz gegenüber Explorationen an den Rändern der sexuellen Normalitätszone – klinisch sauber und wird Management- und Kontrollprozessen unterzogen (Bräune, Fitness, Kontaktanzeigen, temporäre Übertretungen der sexuellen Normalitätsgrenzen auf der Love-Parade um „aufzutanken“).

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Dieser Typus ist nicht nur besonders kompatibel zu den permanent wechselnden Anforderungen, die an ihn gestellt werden, sondern auch Idealtypus des spielerisch-begeisterten Konsumenten, an den sich als „Zielscheibe“ (Portis/van Treeck 2001: 563) immer wieder neue Waren absetzen lassen (was nicht mit der mangelnden Reife verwechselt werden darf, die dem diskursiven Gegner unterstellt wird). Die bislang getrennten Sphären von Arbeit und Freizeit beginnen aufgrund der Ausweitung ökonomischer Rationalität und Planung auf private Lebensbereiche für die Generationsgenossen zu verschwimmen – Arbeit wird Freizeit, Freizeit wird Arbeit. Damit ist jedoch keine Kritik an den Ursachen dieser Grenzverwischung verbunden. Generation Golf schließt vielmehr direkt an die Diagnosen des „Zukunftsforschers“ Matthias Horx an, die von Florian Illies auch zur Unterfütterung der These verwendet werden, die Generation lebe mittlerweile neoaristokratisch. (GG: 160) 143 Zentrale Werte dieser postfordistischen Ökonomie sind dabei der „Ideenwelt der 68er“ (Boltanski/Chiapello 2003: 144) entliehen: Hierarchien wurden (scheinbar) verflacht, Führungstechniken wurden kooperativer und weniger autoritär, Arbeitsformen wurden pluralisiert (Projektarbeit, Teamwork). In der postfordistischen Ökonomie wird Subjektivität nicht mehr als zu begrenzender Störfaktor, sondern als Ressource begriffen. Diesen realen Freiheitsgewinnen stehen dabei jedoch neue Formen einer gouvernementalen Regulation von Subjekten gegenüber. Der „Ausbeutungsgrad“ (Robinson 1969, zit. n. Veerkamp 2004: 88) kann so auf Basis von indirekten Führungstechniken und Anrufungen (etwa in Form von Leitlinien wie „Kunden-“ oder „Dienstleistungsorientierung“) erhöht werden, Arbeitskräfte können in ihrer gesamten Subjektivität besser kontrolliert werden. Diese Kontrolle vollzieht sich durch das Gewähren und Erzwingen von Freiheit – Fremdkontrolle wird so zur Selbstkontrolle. (Vgl. Opitz 2004, Bröckling u.a. 2000) Dieser Mix aus Freiheit und Zwang bei gleichzeitig verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit ist das Spannungsfeld, in dem sich die repräsentierten Generationsgenossen bewegen (müssen). Entpolitisierungstendenzen Die Politik des „new capitalism“ schöpft ihre Legitimierung durch den Verweis auf die ökonomische Notwendigkeit und Alternativlosigkeit politischer Entscheidungen. Die Grenzen des Sag- und Machbaren werden von einem rein ökonomischen Sehepunkt aus gesetzt und medienöffentlich in gleichförmigen, über die politischen Pole des journalistischen Feldes übergreifenden Narrationen, Begriffsbeständen und Deutungsmustern diskursiviert und somit als allgemeingültige Konsensfiktion etabliert. „Maßnahmen“ oder „Handlungsbedarf“ erklären sich so von selbst und können kaum oder nur bei Kalkulation möglicher Konsequenzen öffentlich angezweifelt werden. Durch die Einengung dessen, was sich öffentlich sagen lässt, ohne sich sprichwörtlich „unmöglich“ zu machen, werden Subjekte schließlich entpolitisiert, poli143 Horx ist einer der vielen Diagnostiker, welche die Welt im „Wissenszeitalter“ angekommen sehen. (Horx 2001, zit. n. Ebermann 2001: 36) In diesem Zeitalter würden Job und Freizeit gleichermaßen „zum Thrill, zur Herausforderung“. (Ebd.) Horx nimmt so eine Sichtweise für voll, die eine postfordistische Ökonomie von sich selbst entwirft, um funktionieren zu können.

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tische Alternativen aus dem Bereich des rational Verhandelbaren und ggf. aus dem legitimen Bild der „Mitte“ herausgedrängt. Zum einen wird Politik (oftmals auch arbeitsteilig organisiert) dabei angesichts wachsender Komplexität der Umwelt zur nüchternen Expertenfrage, die ggf. ihre intellektuelle Unterfütterung aus dem Repertoire postmoderner Diagnosen erhält (Vielfalt, Dezentrierung, Unmöglichkeit eines totalisierenden Blicks usw.; siehe weiter unten). Zum anderen wird der so einsetzende Bedeutungsverlust des Politischen durch Stilisierung der Politik oder das Aufblühen des Irrationalismus und Mystizismus aufgefangen. (Vgl. Herkommer 2004: 17) Die Repräsentation des Politischen orientiert sich in Generation Golf an dieser Gegenüberstellung. Zum einen wird Politik als zu komplex befunden: Weder könne man die politischen Prozesse durchschauen (GG: 121f), noch könne man sich angesichts gesellschaftlicher Komplexität zu den simpelsten politischen Stellungnahmen aufraffen – man könne weder „für“ noch „gegen etwas“ sein. (GG: 164f) Zum anderen bleibt in Folge dieser Komplexität und der eigenen Ideologieferne ein bloß ästhetischer Zugang zum Politischen: Politik wird als Marke konsumierbar, politische Differenzen in Form- und Stildifferenzen übersetzt (was dem gleichen Verfahren entspricht, mit dem auch soziale Differenzen zu Stildifferenzen übersetzt werden). In der Akzeptanz der politischen Inszenierungen bleiben die Generationsgenossen schließlich einem „aufgeklärte[n] falsche[n] Bewußtsein“ (Sloterdijk, zit. n. Eagleton 1993: 37) verhaftet: Sie wissen, dass Politik für sie als Nachfrager stilisiert und inszeniert wird, und indem sie es wissen und sich nicht nur daran orientieren, sondern auch noch kritisch überprüfen, ob die Inszenierung als Inszenierung gelungen ist oder nicht, laufen sie nicht Gefahr, sich selbst als Betrogene wahrzunehmen. (GG: 120f) Dies entspricht einer Distanzierungsform, die sich auch als postmoderne Ironie apostrophieren lässt (siehe weiter unten). Die Konzeption einer politischen Ordnung als ästhetische Ordnung lässt sich dabei bis zu Carl Schmitt zurückverfolgen. Dessen Hauptwerk, Der Begriff des Politischen, operiert mit einem künstlerischen Formbegriff und lässt sich so als Produkt eines ästhetischen Kompositionsprinzips auffassen. (Vgl. Bürger 1986) In Schmitts politischer Theorie tritt ein außeralltäglicher, schöpferischer Mensch der chaotischen Realität gegenüber, und setzt durch Entscheidungen gültige Normen. Dies sei der „bürgerliche Traum freier Tathandlung“ (ders.: 173) und ein Abglanz einer romantischen „ästhetische[n] Opposition gegen die bürgerliche Gesellschaft.“ (Ders.: 174) Kurz: „Das Skandalon der Schriften Carl Schmitts scheint [...] darin zu liegen, daß er aus diesem [ästhetischen; T.K.] Weltverständnis heraus eine politische Theorie entwirft.“ (Ebd.) Jene sei schließlich eine irrational fundierte aber gleichzeitig rational konzipierte Opposition zur liberal-bürgerlichen Demokratie und eine Reaktion auf das Unbehagen an der Kultur. Es ließe sich damit die Frage stellen, ob in Generation Golf hinter der ironischen Akzeptanz inszenierter Politik nicht auch die Sehnsucht nach einem wahrhaftig ästhetischen, „großen“ Politikentwurf steckt, wie es auch in den Aussagen des Autors Florian Illies über die gegenwärtige „politische Flachheit“ anklang. Dass diese Sehnsucht allerdings auch massenmedial verwertet und bedient wird, etwa wenn aufgrund vermeintlicher „Politikverdrossenheit“ statt nüchterner Technokraten politische Mega-Subjekte mit „Visionen“ und „Charisma“ herbeigesehnt werden, denen es gelingen könnte,

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die notwendigen Reformen auch zu einem ästhetisch ansprechenden Projekt aufzuwerten, sollte dabei nicht unerwähnt bleiben.

Generation Golf und der Postmoderne-Diskurs Vorab Die Kritik des postmodernen Diskurses fand ihren (ironischen) Höhepunkt in einem akademischen Scherz mit der Bezeichnung „Die Grenzen überschreiten. Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation“ (Sokal/Bricmont 1999: 262-310). Jene Parodie der Postmoderne bestritt wortgewaltig die Existenz einer realen Außenwelt, betrachtete die Zahl pi in ihrer „Historizität“ und vereinte zahlreiche Kritikpunkte, die als „eleganter Unsinn“ bezeichnet wurden, vor allem kryptische Sätze sowie unnötige und oft falsche Nutzung komplexer mathematischer und physikalischer Theorien (Chaostheorie, Quantenmechanik, nichteuklidische Geometrie usw.). 144 Damit sollte jedoch weniger wissenschaftliche als politische Kritik ausgeübt werden. Sokal und Bricmont fassten zentrale Elemente postmodernen Denkens als akademischen Radikalismus auf, der in Ermangelung echter Feindbilder entstanden sei. Diese Kritik wurde von Terry Eagleton (1997) anschaulich konkretisiert. Eagleton 145 definiert die Postmoderne insgesamt als „[...] eine intellektuelle Strömung, die misstrauisch ist gegenüber den klassischen Begriffen von Wahrheit, Vernunft, Identität, Objektivität, von universalem Fortschritt oder Emanzipation, von singulären Rahmenkonzepten, ‚großen Erzählungen‘ oder letzten Erklärungsprinzipien.“ (Ders.: VII) Diese Definition soll den folgenden Abschnitten zugrunde liegen, auch wenn Eagletons Polemik den diskursiven Gegner z.T. dämonisiert und sich das dabei vermittelte Zerrbild der radikal-relativistischen DenkerInnen, die jedes realpolitische Engagement als gefährliche Diskursabschließung von sich weisen, keinesfalls halten lässt. In Folge soll daher nicht die Dämonisierung „des“ postmodernen Denkens im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Applikation seiner Repertoires, die um ihren kritischen Gehalt erleichtert worden sind, sowie deren Anschlussfähigkeit an Denkweisen, die der eigentlichen Intention widersprechen. Nach Terry Eagleton ist der Grund für diese Entwicklung im Scheitern der totalen Theorien des Sozialismus zu sehen, was zur Skepsis gegenüber ganzheitlichen und großen Theorien führte. In Folge nahmen die Geistes- und Sozialwissenschaften immer mehr Abstand von den großen Fragen und konzentrierten sich auf die vielfältigen Rand- und Teilbereiche. Mangels einer real existierenden Alternative zum Kapitalismus und der Wirkungslosigkeit von Protesten sei ein geistiges Klima entstanden, das im Feld der Wissenschaft einen „Kult der Ambiguität“ (ders.: 6) begünstigt habe, durch den die 144 Dass es sich bei dieser (berechtigten) Kritik nicht bloß um Polemik gegen „Franzosentheorien“ handelt, verdeutlicht die Aussage, relativistisches Denken sei durchaus ein nützliches Korrektiv an einem naiven Modernismus. (Vgl. Sokal/Bricmont 1999: 230) 145 Auch Terry Eagleton hebt die Erkenntnisgewinne hervor, die durch die Postmoderne erzielt werden konnten. Sie habe sich um all jene Dinge gekümmert (etwa die Geschlechterthematik und die Randbereiche der Gesellschaft), bei denen die klassische Linke oftmals mit den gleichen Kategorien dachte wie ihre Gegner. (Vgl. Eagleton 1997: 32ff, 129)

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bisher (auch) auf politischem Wege kanalisierte Energien nun stärker gegen kulturelle Ziele gerichtet wurden. Die eigene Machtlosigkeit sei so mit der Beschäftigung mit der Psychoanalyse oder der Dekonstruktion von Texten kompensiert worden. Beides seien radikale Tätigkeiten ohne politische Relevanz. (Ders.: 22ff) Wie Eagleton hervorhebt, wurden bei dieser Neuorientierung jedoch zentrale Begriffe (z.B. Produktionsverhältnisse oder Klasse) und Konzepte aufgegeben – und damit Begriffe, ohne die sich die bestehenden Verhältnisse kaum in ihrer Totalität beschreiben lassen. Relevanz und Anschlussfähigkeit Die Kontroverse um den postmodernen Diskurs und seine Attraktivität für mystisch-nihilistische und neoliberale Positionen mag auf den ersten Blick als Schattenboxen mit einem längst erloschenen oder verarbeiteten Konflikt erscheinen, mit dem sich vor allem die kritische Theorie im Laufe der 1980er Jahre im Zuge der Postmodernismusdebatte (Habermas 1985, 1988) hinreichend beschäftigt hat. In der Tat scheint der postmoderne Diskurs als solcher kaum noch in den entsprechenden gesellschaftlichen Feldern (Öffentlichkeit, Wissenschaft usw.) verhandelt zu werden. (Vgl. als ein letzter Überblick: Merkur 545/595) Der Postmoderne-Begriff scheint somit tatsächlich „seine Konjunktur [...] hinter sich zu haben.“ (Schnell 2000: 424) Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass sich postmoderne Theorien, anders als in Frankreich, in Deutschland ohnehin nicht umfassend etabliert haben. Zum anderen wurde der Postmoderne-Begriff als Diagnosebegriff selbst historisch und durch andere Begriffe wie „Globalisierung“ ersetzt. (Vgl. Grossberg 2000a: 287, Herkommer 2004: 121) Als (letzte?) Großtheorie etablierte sich über die Fächergrenzen hinweg die Systemtheorie, die einen hegemonialen Status erhielt, dabei jedoch eine „Verlagerung der kulturellen Dominanz auf andere Intellektuellengruppen, andere Objekte, Thematisierungsweisen und Diskussionsstile“ (Demirovic 2001: 7) auslöste. Karl-Heinz Bohrer drückte es in seinem Überblick zum „Stand“ des Postmodernismus bissiger aus: „Luhmann wurde wichtiger als die Frankfurter Schule und die Geschichtsphilosophie alter Sorte hat sich ein wenig drapiert. Geschichtswissenschaft aber triumphiert in erhabener Naivität.“ (Bohrer 1998: 805) Dennoch ist die theoretische Auseinandersetzung mit „dem“ postmodernen Diskurs nach wie vor lohnenswert. In Übereinstimmung mit Frederic Jameson wird hier die These vertreten, dass der Postmodernismus prinzipiell die kulturelle Logik des (späten) Kapitalismus darstellt (in Anlehnung an Jameson 1986), als attraktives Deutungsmuster und Selbstbeschreibungsformel der Gesamtgesellschaft fungiert und so selbst interdiskursiv geworden ist. Es lässt sich davon ausgehen, dass einige grundlegende Repräsentationsformen und Repertoires postmodernen Denkens (siehe unten) Einzug in den common sense gehalten haben und nicht zuletzt auch zur Charakterisierungsformel für ein empirisch nachweisbares postmodernes Milieu geworden sind. (Vgl. etwa Vester u.a. 2001: 49) Als Teil des common sense und des Standardrepertoires öffentlich ausgetragener Standort- oder Reformdebatten sind so auch postmoderne Bestände daran beteiligt, die Grenzen des (öffentlich) Sagbaren mitzustrukturieren. Wer in öffentlichen Debatten leicht Zustimmung erhalten will, ist bereits seit längerem gut beraten, sich nicht als Fürsprecher groß angelegter aufkläre-

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rischer oder utopischer Projekte zu entlarven oder etwa in soziologischen Fragen Klassen- oder Schichtkonzepte zu vertreten. Die Grenze des (öffentlich) Sagbaren wird nicht (nur) in der aktiven Verhandlung von Begriffen und Sichtweisen deutlich, sondern gerade in den Fällen kollektiven Schweigens, mit dem ein gesamtgesellschaftlicher Konsens unterstellt wird – und dies ist gerade bei den „verrückte[n] Extreme[n]“ (Bourdieu 2003a: 89) wie Klassen- und Schichtenmodellen der Fall. Wer sich auf sie stützt, gibt ein leichtes Ziel für Ridikülisierungen ab (wie es in Generation Golf am Beispiel verbohrter Alt-68er vorgeführt wird) und kann ggf. als gefährlicher, intoleranter Einenger des Pluralismus aus dem Kreis der politischen Mitte ausgeschlossen werden. Der postmoderne Diskurs und der Diskurs des „new capitalism“ schneiden sich somit in der Betonung der Differenz und der (vermeintlichen) Ideologielosigkeit. In der Betonung von Differenz und Pluralismus werden im „new capitalism“ Ungleichheit und Unterschiedlichkeit miteinander verschmolzen: Dass die einen wenig, die anderen viel besitzen, gilt so nicht als Zeichen von Ungleichheit, sondern eben nur als Zeichen von Vielfalt. Im postmodernen Denken, wie es hier mit Eagleton definiert wurde, ist Differenz und Pluralismus Schutz vor festgelegten Wichtigkeitshierarchien und Diskursabschließungen. (Vgl. Eagleton 1997: 124, 160) In beiden Verwendungsweisen zehrt der Begriff Differenz von einer emanzipativen Konnotation – wer könnte schon etwas gegen Vielfalt einzuwenden haben? 146 Im postmodernen Denken wird mit dieser Zurückweisung von Wichtigkeitshierarchien schließlich eine Skepsis gegenüber Universalien oder letzten Ursachen ausgedrückt: Universalien seien eine Bevorzugung einer Sichtweise und damit potenziell ideologisch. 147 Auch in diesem Fall stellt die postmoderne Programmatik ein attraktives Deutungsmuster für den politischen Diskurs des „new capitalism“ bereit: Die Unmöglichkeit einer großen, totalisierenden Erzählung triff dort auf den expliziten oder impliziten Hinweis, ein totalisierender Blick auf die großen Zusammenhänge sei aufgrund wachsender Komplexität der Welt unmöglich und potenziell gefährliche, längst überwunden geglaubte Ideologie. Dass solcherlei Debatten allerdings selektiv mit postmodernen Repertoires verfahren und dabei die kritischen Intentionen ihrer Urheber unterlaufen, wird spätestens dann deutlich, wenn zwar auf das Ende der großen Er146 Daher werden in öffentlichen Debatten Argumente, die sich gegen diese Definition des Pluralen richten und den Wert von Gleichbehandlung hervorheben, oftmals als gefährliche, marxistisch inspirierte Gleichmacherei denunziert. Sie koppeln so an eine Entindividualisierungs- und Verlustangst an, die bereits von Marx selbst als „kleinbürgerlich“ bezeichnet worden war. Unter Gleichheit verstand der Marxismus viel eher die Möglichkeit, sich gemäß seiner Bedürfnisse und Fähigkeiten entfalten zu können. (Vgl. Steinitz 2001: 852, Mainfroy 2001: 843) Dies schließt jedoch nicht aus, dass Stichwortgeber, je nach dem, was gerade erforderlich scheint, auch den Wert der Gleichbehandlung hochhalten können, etwa wenn es darum geht, Fördermaßnahmen für die Beseitigung von Ungleichheit mit dem Argument abzulehnen, jene seien eine willkürliche Bevorzugung (also Ungleichbehandlung). 147 Es werde dabei allerdings, so Eagleton in einem argumentativen Akt, der tendenziell an Münchhausens Befreiungsversuche aus dem Sumpf erinnert, selten bedacht, dass gerade die bedinungslose Wertschätzung des Pluralen, Diskontinuierlichen und Partikularen selbst wieder eine Bevorzugung und Abschließung darstellt. (Vgl. Eagleton 1997: 38f)

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zählungen und Geschichte(n) verwiesen wird, einige Großerzählungen (wie die bereits skizzierte Großerzählung des „new capitalism“ selbst) dabei jedoch ausgespart werden. Ebenso ausgespart wird die Tatsache, dass das „Ende aller Erzählungen“ selbst die dominante „Großerzählung“ geworden ist. Sie nützt zum einen jenen, für die Geschichte tatsächlich „vorbei“ ist und die an ihrer Veränderung wenig Interesse haben dürften. Zum anderen ist diese Großerzählung ein Projekt, an dessen Realisierung sowohl politische als auch „anonyme“ und „akronyme“ Akteure aktiv mitarbeiten. (Robinson/Harris 2000: 31 zit. n. Krysmanski 2004: 179) 148 Wie anschlussfähig der postmoderne Diskurs für den „new capitalism“ ist, wurde von Terry Eagleton folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Ihre Gereiztheit [gemeint sind postmoderne Vordenker; T.K.] angesichts von Konzepten wie ‚Wahrheit‘ hat die Bischöfe alarmiert und die Firmenchefs entzückt; ebenso hat ihre zwanghafte Gewohnheit, Wörter wie ‚Realität‘ in Anführungszeichen zu setzen, den rechtschaffenen Bürger im Kreise seiner Familie verstört, die Werbeagenturen dagegen begeistert.“ (Eagleton 1997: 38)

Nach Eagleton ist es also die Logik des Marktes, die eine Theorie des Pluralen und Diskontinuierlichen begünstigt. All die subversiven Strategien der Postmoderne (Ironie, das Spiel mit Frivolität und Obszönität) lassen sich mit Methoden des Marketings vergleichen: „Die schöne neue hyperreale Welt, in der der Postmodernismus schwelgt, ist in Wahrheit das Resultat freier Marktkräfte.“ (Larrain 1994, zit. n. Reitz 2004: 713f) Die Ablehnung von Ganzheit, Universalien und letzten Begründungen produziert die Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit, diesen „Grundakkord postmoderner Verfassung“ (ThürmerRohr 2004: 470), der auch die Grundlage von Dauerreformen und Sachzwanglogik darstellt und nicht zuletzt auch die Selbstabmeldung einer Schicht innerhalb feuilletonistischer Debatten markiert, die einst auf die politische Meinung kritisch einzuwirken versucht hat und sich nun weitgehend darauf beschränkt, die offiziösen Reformanrufungen zu wiederholen. Generation Golf lässt sich in Folge der bisherigen Erläuterungen als Dokument verstehen, in dem Elemente postmodernen Denkens appliziert werden, die bereits Teil des common sense und des Interdiskurses geworden sind und so über eine starke Plausibilität und Zustimmungsfähigkeit verfügen. Es ist die Geschichte vom Ende der Geschichte, die Geschichte von der Unüber148 Mario Candeias (2004: 259, ergänzend: Walpen 2004) verdeutlichte zudem am Beispiel Francis Fukuyamas Das Ende der Geschichte, dass dies mit Techniken des agenda settings und oftmals im Auftrag einschlägiger Thinktanks geschieht. Jener Schlüsseltext, dem besonders viel Aufmerksamkeit zuteil wurde und die konservative Spielart des postmodernen Diskurses maßgeblich beeinflusste, wurde „von der Olin-Stiftung finanziert, in der Zeitschrift The National Interest, die ihrerseits eine Million US-Dollar Zuwendung von Olin erhält, veröffentlicht, herausgegeben von Irving Kristol, der den Olin-Lehrstuhl an der New York University Graduate School of Business inne hat. Letzterer veröffentlichte zeitgleich Repliken zum Text – eine von ihm selbst, eine weitere von Alan Bloom, sowie eine von Samuel Huntington, der seinerseits 1,4 Mio. US-Dollar für sein Olin-Institute for Strategic Studies in Harvard erhält. Diese künstliche wissenschaftliche Debatte wurde von befreundeten Journalisten der New York Times, der Washington Post und im Time Magazine kommentiert. Auf diese Weise werden Bestseller produziert.“

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sichtlichkeit der Welt und nicht zuletzt die Geschichte einer postmodernen Ironie – „Die Zeiten verschwimmen, die Stile auch, nichts ist unmöglich in Deutschland, Toyota-Land.“ (GG: 187, Hervorhebung von T.K.) Die Wertschätzung des Pluralismus und die Paradoxie der „Endzeit“ Die Dominanz des Pluralismus und das Ende von Geschichte und Ideologie sind zentrale Elemente der postmodernen Großerzählung, welche angesichts ihrer Ubiquität über wenig Erklärungsbedarf verfügen. Dass Geschichte und Ideologien auf eine nebulöse Art und Wiese „beendet“ sind, ist mittlerweile als Deutungsmuster (etwa in der massenmedialen Öffentlichkeit) so zweifelsfrei etabliert, dass dieses Ende nur noch in den seltensten Fällen explizit ausgerufen werden muss. Sich auf dieses Muster zu beziehen stellt somit eine sichere Investition dar, da sich realiter kaum plausibel dagegen argumentieren lässt. 149 Somit verfügt Generation Golf mit diesem postmodernen Deutungsmuster über eine entscheidende Plausibilitätsressource. Wie bereits deutlich wurde folgt die Darstellung des Sozialraums in Generation Golf den Paradigmen einer aus der Marktforschung stammenden Lebensstilforschung und damit einer postmodernen „Freude über die bunte Vielfalt“. (Geißler 1996, zit. n. Meyer 2001: 265) In diesem Bild sind gesellschaftliche Ungleichheiten in Stildifferenzen überführt worden. Soziale Ungleichheit gerät so aus dem Blick und/oder wird letztendlich als unvermeidbar akzeptiert. Dies stellt einen der großen „Endpunkte“ dar, die auch in Generation Golf repräsentiert werden. Generation Golf zeichnet so das Bild einer Gesellschaft, das sowohl dem Selbstverständnis dieser Gesellschaft entspricht als auch ein attraktives Identitätsbild darstellt, in dem sich einige wenige vollständig wiederfinden können und breite Mehrheiten wiederfinden wollen. Beides erhöht die Zustimmungsfähigkeit und ist an einen postmodernen Alltagsverstand angekoppelt. Der zweite, allerdings paradoxale Endpunkt, wird mit dem Ende der Geschichte erreicht. Das Geschichtsbild in Generation Golf ist zweigeteilt. Geschichte ist zum einen tatsächlich beendet: Ideologische „Irrfahrten“ der 68er-Generation wurden nach und nach ausgeglichen, mit alten ideologischen Entwürfen sei nun „Schluß“ (GG: 181), der „Neuanfang“ (GG: 59) wird mit der Berliner Republik gewagt. Neue ideologische Entwürfe lassen sich aufgrund der Dominanz der consumer society nicht denken, das Maximum an Freiheit scheint durchgesetzt worden zu sein (wobei eine Restgröße übrig bleibt, die als unveränderlich akzeptiert wird). Geschichte ist somit an einen 149 Mit der Vorsilbe „post“ wird der Unterschied zwischen klassischer Moderne und Postmoderne semantisch markiert: die Moderne ist beendet, die Gegenwart ist zur Postmoderne geworden, zwischen beiden liegt ein Schnitt. Obwohl etwa in massenmedialen Reformdebatten selten explizit auf ein postmodernes Zeitalter hingewiesen wird, gehört dieser semantische Schnitt zur politischen Rhetorik, mit der Reformen legitimiert werden können: aufgeworfene Fragen müssten nun angesichts (vermeintlich) völlig neuartiger Bedingungen „neu“ oder „zeitgemäß“ entschieden werden. Im Globalisierungsdiskurs lässt sich dies etwa an konventionalisierten Engführungen beobachten, mit denen das Setting für das Einfordern von Reformen vorbereitet wird. Zwei hypothetische Beispiele wären etwa: „Im Zeitalter der Globalisierung“ oder „Vor dem Hintergrund der Globalisierung“

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Endpunkt gelangt, Fortschritt lässt sich nur noch als Produktzyklus begreifen: Man glaube an das „Bessere des Neuen“. (GG: 181) Zugleich wurde in der Auseinandersetzung mit dem diskursiven Gegner deutlich, dass Geschichte nicht einfach vorbei ist, sondern trotz bzw. gerade wegen der Fluchtbewegungen und Distanzierungen der Generationsgenossen den Dreh- und Angelpunkt ihrer eigenen Selbstdefinition darstellt. Die Vergangenheit ist für die Generation Golf sowohl Gegner, Dämon und mahnendes schlechtes Gewissen als auch Fetischobjekt. Alles, was die Generationsgenossen tun und was sie sind, ist mit den Vorgängergenerationen verbunden. Geschichte ist so beendet und ewig zugleich: Wie das in Generation Golf gezeichnete Bild des Generationsangehörigen, der auf dem Laufband trainiert und dabei nicht von der Stelle kommt, schreitet Geschichte in permanenter Erneuerung voran, ohne dass sich signifikant etwas verändert. Die Generationsgenossen nehmen dies als Dauerrotation von Produktpaletten wahr, die daraus resultierende mangelnde Befriedigung wird mit Rückgriffen auf die Bestände der Vergangenheit und durch einen ewig retrospektiven Blick auszugleichen versucht. Damit drückt Generation Golf ein zentrales postmodernes Dilemma aus: Auf das Konzept einer historischen Sichtweise zu verzichten bedeutet, bei aller berechtigten Kritik gegenüber einem all zu generalisierenden Historismus, dass Geschichte letztendlich nicht beendet, sondern ewig ist. (Vgl. Eagleton 1997: 39ff) Für die in Generation Golf als Ideologen und Utopisten bezeichneten „68er“ bestand in diesem Sinne die Hoffnung, dass die Geschichte in einem besseren Zustand tatsächlich zum Ende kommen und „fertig“ werden könnte (auch wenn der Utopismus der 68er-Generation in Generation Golf zur Ridikülisierung ins Maßlose überhöht wird und jene homogener dargestellt wird, als sie realistischerweise jemals hätte sein können). Die Generation Golf ist dagegen nie fertig – weder können sich ihre Mitglieder jemals auf eine feste Position verlassen, noch können sie davon ausgehen, dass sich die Geschichte jemals signifikant verändert. Paradoxerweise ist die Generation Golf letztendlich im wahrsten Sinne des Wortes geschichtsfixierter als die Generationen, denen sie diese Fixierung vorwirft. Unübersichtlichkeit und Realitätsverlust Die in Generation Golf beschriebene Welt ist eine unübersichtliche Welt, die durch undurchschaubare Vielfalt, unerklärliche Zusammenhänge und fehlende Zukunftsperspektiven gekennzeichnet ist. Die großen Fragen, die sich mit den Produktionsverhältnissen, der Frage von Freiheit und Unterdrückung, der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern oder der Ungleichheit zwischen den Generationen befassen, werden entweder als gelöst betrachtet oder aufgrund der Komplexität der Welt als nicht lösbar akzeptiert. In dieser Welt gibt es außerhalb permanenter technischer Erneuerung kein Ziel, kein „Sollen“. Für die Generationsgenossen liegt das Funktionieren der Gesellschaft im Dunkeln, sie wirkt wie ein „riesige[s] schwarze[s] Loch“ (Baudrillard 1982, zit. n. Portis/van Treeck 2001: 563), das sich nicht beschreiben lässt, da es keinen Punkt zulässt, der „außerhalb“ liegt, sondern jeden Beobachter wieder hineinzieht. Nicht nur, dass dies den Generationsgenossen in Form von selbst zugegebener Theorie- und Ideologieferne in den Mund gelegt wird, auch die Abfolge der in Generation Golf repräsentierten Geschehnisse – so banal sie

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angesichts der Fixierung auf das Wachstum von Produktpaletten erscheinen mögen – wird keiner ursächlichen Kraft zugeordnet. Die einzige Gesellschaftstheorie, die in Generation Golf explizit genannt und deren Kenntnis den Generationsgenossen als zumindest sinngemäß verstandenes Credo unterstellt wird (GG: 163), ist Niklas Luhmanns Systemtheorie, deren Deutungsmuster am Beispiel der Medienwelt (implizit) und politischer Agitation (explizit) zur Anwendung kommen. Dabei wird mit dem lockeren Anschluss an Luhmann nicht nur eine im wissenschaftlichen und journalistischen Feld attraktive Großtheorie angesprochen, deren Kenntnis den Nachweis von Nüchternheit, Ideologieferne und generellem „Durchblick“ darstellt, ohne dass man dabei Gefahr liefe, einer gesellschaftlich verzerrten Optik bezichtigt zu werden. 150 Sie stellt zugleich eine Schnittstelle zum postmodernen Denken dar, da sich auch mit ihr die Skepsis gegenüber Letztbegründungen und großen Erzählungen ausdrücken lässt. Mit dem expliziten Verweis auf diese Großtheorie wird in Generation Golf sowohl die Kurzsichtigkeit des diskursiven Gegners als auch die Unmöglichkeit eines theoretischen Überblickswissens, mithin also anderen Großtheorien, „bewiesen“: Man könne angesichts der Komplexität der Welt keinen sicheren Standpunkt einnehmen, könne nicht mehr „für oder gegen etwas Bestimmtes sein“ (GG: 163), was in Folge die Motive der diskursiven Gegner (gemäß des oben skizzierten postmodernen Paradigmas) ins Reich der Ideologien verschiebt. Die demonstrierenden älteren Generationen werden gemäß der Diagnose Luhmanns „Dagegensein ist eine Form des Dabeiseins“ (ebd.) in den Blick genommen und damit delegitimiert: Demonstranten dienen in diesem Bild nur der Feineinstellung der Gesellschaft und stabilisieren so das System, statt es zu stürzen. (Vgl. Reese-Schäfer 1999: 27ff) Dies variiert das aus dem politischen Korrektheitsdiskurs bekannte Inversionsmuster – der Dauerdemonstrant und Gutmensch, der durch die Kritik das Kritisierte indirekt stützt. Schließlich wird die Existenz einer greifbaren Realität insgesamt in Frage gestellt. Ein unvoreingenommener Blick auf die Realität sei nicht möglich: Sie sei ein vollständig medial vermittelter „Weltzusammenhang“ (GG: 133), die Grenzen zwischen der medial vermittelten und der realen Welt seien flüchtig und ununterscheidbar. Das mediale Abbild beginne schließlich die reale Welt zu dominieren: Medien könnten „jeden Teil der anderen Wirklichkeit einfach in ihre Wirklichkeit herüberholen“ (ebd.), Realität und deren Abbild kämen dabei immer mehr zur Deckung, so dass es nunmehr bloß Darstellungen der Realität gäbe, welche aufeinander bezogen sind und zwischen denen die Generationsgenossen hin- und herpendeln. Die reale Welt beginne sich so an ihrer eigenen Darstellung auszurichten und mit ihr zu verschmel150 An dieser Stelle kann und soll weder entschieden werden, ob Luhmanns Systemtheorie bloß Legitimation des Bestehenden ist oder nicht, noch soll diskutiert werden, wie zulässig diese Frage angesichts des Erfolgs des systemtheoretischen Denkens ist. Dass die Systemtheorie zumindest wertkonservativ verwendet werden kann und in konservativen Kreisen resonanzfähig ist, zeigt etwa Luhmanns „zynische Gegnerschaft zum Wohlfahrtsstaat, die sich fast immer mit anzüglichen Bemerkungen gegen Schwache äußerte, und seine beharrliche Kritik am Moralismus derjenigen, die in entsprechenden Medienkampagnen als Gutmenschen und politisch Korrekte diskreditiert werden [...].“ (Demirovic 2001: 9)

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zen. So wird Politik, von der man weiß, dass sie nur für die Medien gemacht wird, auch mit diesen Kriterien gemessen, nicht mehr an einer „realen“ Politik, die in diesem Bild gar nicht mehr existiert. (GG: 120f) In diesem Bild ist die mediale Welt die reale Welt, da es „hinter“ ihr nichts anderes mehr gibt. 151 Auch das eigene Leben gleiche so etwa immer mehr einer Fernsehserie. (GG: 126) Dieser Gedanke der bloß simulierten Welt, in Generation Golf sinnigerweise mit der Analogie der „drei Leben aus den Computerspielen“ (GG: 127) bebildern, knüpft so an Elemente einer postmodernen Medientheorie an, etwa an Jean Baudrillards Simulations- und Virtualitätstheorien. (Vgl. Berressem 2001: 50f) Die Vorstellung einer bloß medial vermittelten, unübersichtlichen Welt stellt ein Modernität und Kritikfähigkeit suggerierendes und insgesamt zustimmungspflichtiges Deutungsmuster dar. Die an (trivialisierten) postmodernen Theorien angelehnten Chiffren sind dabei besonders in den Sphären zirkulationsfähig, in denen es darauf ankommt, sowohl Ideologieferne, Nüchternheit und Aufgeklärtheit als auch Offenheit (für Neues) und Modernität für sich zu beanspruchen. Dies macht sie nutzbar für „Reformer“, massenmediale Stichwortgeber und/oder „Medienintellektuelle“ 152 – der Gedanke, dass man in einer permanent Bilder produzierenden „Mediengesellschaft“ lebt, die einem den Kopf verdreht, lässt sich kaum leugnen und wird, was den Kreis schließt, selbst oft Gegenstand massenmedial ausgetragener Kontroversen über den Einfluss der Medien auf die Gesellschaft. Damit rekurriert Generation Golf auf ein plausibles und zustimmungspflichtiges Deutungsmuster, das zugleich den gesamtgesellschaftlich attraktiven Habitus des postmodernen Performers repräsentiert, dessen Phänotyp wiederum auch Adressat von Generation Golf ist. Auch dies dürfte den Erfolg und die Zustimmung maßgeblich mitbestimmt haben. Postmoderne Ironie Auch Ironie ist für das postmoderne Denken relevant: Tatsächlich wurde die Postmoderne als „Wiederentdeckung“ der Ironie aufgefasst, die gegen den „protestantischen Anflug“ eines „Jürgen Habermas“ (Bohrer 1998: 796) ins Feld geführt wurde. Diese Ironie lässt sich etwa in einer „Ironie der Unverständlichkeit“ (Schumacher 2000) beobachten, die einen Argumentationsgang und Schreibstil auszeichnet, der als unverständlicher „Derridadaismus“ (Geoffrey Hartmann, zit. n. Schumacher 2000: 285) kritisiert wurde. Wahre Ironie sei jedoch, so Karl-Heinz Bohrer (1998: 806), auch durch die Postmoderne nicht möglich geworden. Sie sei letztendlich „ein kommunitaristischer Spaß [geblieben], in dem Relevanzen, Bedeutungen und Diffe151 Die Vermutung, dass die mediale Welt schneller und genauer sei als das, was sie abbildet, wurde auch von Florian Illies im Zuge der Bundestagswahl 2002 geäußert: „Während andernorts die Hochrechnungen noch heftig schwankten, lief dort [in der Lindenstraße; T.K.] bereits die Serie mit der Variante des Siegers Schröder. Die Fiktion erfand an diesem Abend die realistischste Wirklichkeit.“ (Illies 2002a: 43) 152 Dieser Begriff bezeichnet Intellektuelle, welche über wenig „spezifisches Kapital“ verfügen und sich als „Philosophen für Nichtphilosophen“ oder „Soziologen für Nichtsoziologen“ den Medien anbieten und als Zustimmungsaggergator fungieren. (Vgl. Bourdieu 1998b: 89ff)

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renzen aufgehoben werden und damit die diskursive Kraft der Ironie selbst.“ (Ebd.) 153 Was in Generation Golf als Habitus des distanziert-Wissenden vorgeführt wird, der alles in Anführungszeichen zu denken vermag, stellt somit erneut eine Applikation eines postmodernen Chiffres dar, mit dem spielerische Leichtigkeit und Distanz suggeriert wird, in letzter Konsequenz jedoch ein „Belustigtsein“ dargestellt wird, mit dem die Generationsgenossen sich auf die Anforderungen des „new capitalism“ einstellen.

Fazit Was in Generation Golf als Diagnose auftritt lässt sich als symptomatisch für einen gesellschaftlichen Wandel ansehen, der einen Text wie Generation Golf und dessen Erfolg erst möglich machte. Generation Golf verdeutlicht dabei in mehrfacher Hinsicht den Wandel des literarischen bzw. kulturellen Feldes. Die Auseinandersetzung um die späte Popliteratur lässt sich als Fortführung und Folge eines Prozesses auffassen, der bereits in den 1960er Jahren losgetreten worden war und dessen Konfliktlinien in dieser Auseinandersetzung übernommen wurden. In den 1960er Jahren intensivierte sich der Konflikt zwischen „hoher“ und „niedriger“ Literatur und/oder „Massenkultur“ und „elitärer Kultur“ und damit ein Konflikt, der letztendlich eines der wichtigsten Strukturprinzipien des literarischen bzw. kulturellen Feldes tangiert. Dieser Konflikt wurde letztendlich nicht gelöst, sondern im Rahmen der Ausdifferenzierung und Zielgruppenorientierung der Massenkultur auch innerhalb derselben fortgeführt. Kulturelle Dissidenz wurde dabei als Verkaufsargument und Erprobungsfeld neuer Produkte in den Kulturbetrieb integriert oder sogar zur neuen Hochkultur umbewertet und damit distinktionstauglich. Dieser Prozess der Transformation der Kultur lässt sich als Folge einer gewandelten gesellschaftlichen Regulationsform ansehen. Mit den 60er Jahren gelangte die fordistische Produktion in ihre Krise, die entsprechenden An153 Ob allerdings, wie es Bohrer an gleicher Stelle vorschlägt, Richard Rortys „liberale Ironikerin“ tatsächlich einen Ausweg aus dem Dilemma der postmodernen Ironie weist, ist diskussionswürdig. Diese Figur, die sich immer wieder auf ein neues, nicht-diskursabschließendes Vokabular einlassen kann und damit langfristig das utopische Projekt menschlicher Solidarität eher durchsetzen könne als die „Metaphysiker“ mit festen moralischen Werten, lässt sich letztendlich als Apologetik des klassisch-bürgerlichen Liberalismus und der Zivilgesellschaft lesen: „[...] a consensus that the point of social organization is to let everybody have a chance at self-creation to the best of his or her abilities.“ (Rorty 1989: 84) Für die realpolitische Umsetzung sei, so Rorty, ein politisches System notwendig, das ein Gleichgewicht hält und philosophische und religiöse Grundsätze aus der Politik verbannt. (Vgl. Rorty 1988: 94) Die Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und/oder nach den Produktionsverhältnissen können in dieser Logik somit nicht mehr gestellt werden, da sie notwendigerweise auf metaphysische Konzepte von Subjektivität und Rationalität zurückgreifen müssten. Damit grenzt diese Form des postmodernen Liberalismus sowohl an neoliberale Forderungen des schlanken Staates an, der nur Aufgaben übernimmt, die er auch lösen kann, als auch an das daran angrenzende Bild des starken Staates, der die eigene Schlankheit und das Bekämpfen metaphysischer, potenziell gefährlicher und das Gleichgewicht störender Grundsätze aus der Politik ggf. mit Polizeigewalt durchsetzen muss. (Vgl. Negri/Hardt 2003: 88ff)

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passungsleistungen in Folge des Wandels der Gesellschaft zur massenhaft konsumierenden Massendemokratie wurden von kulturellen Anpassungsleistungen begleitet. Der Anpassung der „Basis“ folgte die Anpassung des „Überbaus“ (vgl. Kondylis 1991: 234), den gegenwärtigen Endpunkt stellen einst dissidente Praktiken und/oder Forderungen der Gegenkultur dar, die sich nun zunehmend als Anforderungen innerhalb der Arbeitswelt an die Subjekte richten oder zu Werbezwecken verwendet werden. Dieser Basiskonflikt zwischen Hoch- und Trivialkultur und/oder zwischen Dissidenz und Konformität lieferte das Spannungsfeld, durch das jene Literatur, die als neuzeitliche Popliteratur rubriziert wurde, in das literarische Feld eintreten konnte. Mit dem Gestus kultureller Dissidenz, der den avantgardistischen Frühformen entliehen wurde, und der Rückkopplung an diesen Basiskonflikt, gelangten Autoren und damit Stellungnahmen in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit, die bisher wenig(er) beachtet worden waren. Sie richteten sich dabei gegen ähnliche Ziele wie bereits die avantgardistischen Frühformen der Popliteratur – gegen Literatur mit Ewigkeitswert, gegen eine Literatur (oder Kultur im Allgemeinen), die vermeintlich von Mahnern und Kritikern „beherrscht“ würde, was verdeutlicht, dass es sich um einen grundsätzlichen Kampf um kulturelle Hegemonie handelte, in dessen Verlauf insbesondere mit „den 68ern“ und mit allem, was mit ihnen in Verbindung gebracht werden konnte, „aufgeräumt“ wurde. Der Erfolg innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie währte jedoch nicht lange: Eng am Zeitgeist und am Stand der zeitgenössischen Diskurse ausgerichtet, stand diese Literatur vor dem Dilemma, gerade wegen ihrer bekundeten Aktualität schnell anachronistisch zu werden und aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verschwinden. Dies wurde hier am Beispiel von Generation Golf herausgearbeitet, und auch ein Blick in die Bestsellerlisten und die Feuilletons der meinungsführenden Zeitungen dürfte dieses Urteil bestätigen. Dieses kurzzeitige Aufflackern innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie lässt sich auch als Brechungsleistung des literarischen/kulturellen Feldes auffassen: Das literarische Feld überträgt Veränderungsprozesse der anderen Felder in die eigene Logik, was die Strategien seiner Teilnehmer modifiziert und so zur Produktion neuer literarischer „Phänotypen“ führt. Je gravierender diese Veränderungen sind, umso stärker sind die Auswirkungen auf das Feld. Der kurzzeitige Erfolg der späten Popliteratur lässt sich durch die o.g. Rückkopplung an einen grundsätzlichen kulturellen Konflikt und durch die Fortführung eines gesellschaftlichen Wandels erklären, der in den 1960er Jahren begann und sich in Folge bis heute fortsetzte (was sich etwa in den sozialwissenschaftlichen Thesen über die Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Lebensformen ablesen lässt). Durch diesen grundsätzlichen Wandel und durch die Tatsache, dass zwischen den 90er Jahren und der Jahrtausendwende mit der Berliner Republik, der „new economy“, dem „dritten Weg“ und daran angeschlossenen Diskursen zahlreiche Kristallisationspunkte existierten, deren Auswirkungen in das literarische Feld gebrochen wurden, wurde Popliteratur kurzfristig besonders erfolgreich. Schematisch: Je mehr im Zuge der Neuausrichtung der Gesellschaft entlang der Programmatik des „new capitalism“ Unübersichtlichkeit und Unsicherheit wachsen, desto unwahrscheinlicher wird Literatur, die sich (vermeintlich) mit „großen“ oder „ewigen“ Themen befasst und desto attraktiver wird in Folge die Oberflächenbeschreibung. Was oft als eine „Krise der Literatur“ rubriziert wird, lässt sich so als Effekt der o.g. „Anpassung im

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Überbau“ lesen – wie kann unter den Bedingungen permanenten Wandels und permanenter Flexibilität Literatur mit „Ewigkeitswert“ produziert werden (ob sie diesen Wert nun hat oder nicht, ist eine andere Frage)? Generation Golf betrat diese feldinterne Lücke zu einem aufmerksamkeitsökonomisch günstigen Punkt aus einer ebenso günstigen Position, die im Rahmen dieser Arbeit rekonstruiert wurde. Die Parameter beinhalten eine vollendete, kapitalbasierte soziale Laufbahn, einen entsprechenden Habitus, eine Position als konsekrierter Journalist an einer diskursiven Schaltstelle und die Einbindung in das Diskurs- und Möglichkeitsnetzwerk, in dem sich Journalisten dieser Ranghöhe bewegen. Als Teilnehmer des literarischen und journalistischen Feldes verfügte Florian Illies über eine Selbstdarstellungstaktik, die zwischen ostentativer Nähe zum Rezipienten (durch Identifikationsangebote wie eben Generation Golf) und ironischer Unverortbarkeit oszillierte (durch Ironie, durch die Kombination aus Attacke, Wertschätzung und Rückzug). Diese Position und diese Selbstdarstellungstaktiken beinhalteten systematische sprachlich-kommunikative Herablassungen im Sinne eines Sprechens „von oben“, was sich in Generation Golf etwa an der Wahl der Mittel, des Gegenstandes und/oder der generalisierenden Ansprache ablesen lässt – ein anderer erklärt mir, wie ich meine eigene Welt zu sehen habe. Mit diesen Mitteln ließ sich maximale Zustimmung erreichen: In einem Mix aus Unterhaltung, Soziologie, Geschichte und Essay wurde Zustimmungsfähiges serviert und nicht zuletzt durch die Wahl des politischen Korrektheitsmusters, der Inversion und durch die Einbindung in den o.g. Basiskonflikt des Feldes die attraktive Position des Rebellen und Regelbrechers eingenommen, der weniger attackiert, sondern sich vielmehr gegen dominante Kräfte verteidigt. Das Produktionsprinzip von Generation Golf verdeutlicht so den interdiskursiven Charakter jedweder Literatur, wobei als interdiskursiv vereinfacht die semantischen Bestände, story lines, Deutungsmuster und andere Elemente verstanden werden, die jeden Akteur tendenziell zum Nicken bringen können. Was in Generation Golf verarbeitet wurde, dürfte beinahe allen bekannt gewesen sein und konnte von vielen völlig, von den meisten zumindest teilweise bestätigt werden. 154 Wollte man es auf eine griffige Formel reduzieren, so ließe sich Generation Golf als semantische Lumpensammlung bezeichnen. Ausgehend von einer exponierten Position an einer diskursiven Schaltzentrale vermochte Florian Illies alle tagesaktuellen diskursiven und semantischen Bestände zu sammeln, die Klaviatur zirkulationsfähiger Topoi zu spielen und die Elemente durchzuschleusen, deren Zustimmungsfähigkeit gesichert war. Generation Golf verknüpfte dabei maximal-plausible und zustimmungsfähige semantische Bestände: von naiven Kindheitserinnerungen über die Ankopplung an eine sich bereits im vollen Gange befindende und bis heute öffentlich diskutierte Generationendebatte bis hin zur Ansprache eines subkutan wirkenden kollektiven Fatalismus und Pessimismus, mit dem an die 154 Die Tatsache, dass die Rezensionen zu Generation Golf meist negativ ausfielen, steht dazu nicht im Widerspruch. Zum einen folgen Rezensionen der Aufmerksamkeitsarithmetik, die innerhalb des journalistischen Feldes gilt und die etwa auch aus Gründen feldinterner Konkurrenz zu negativen Rezensionen von Generation Golf führte. Zum anderen hoben auch negative Kritiken stets hervor, dass ja „etwas“ an der Geschichte „dran“ sei. Oft genug wurde das o.g. Produktionsprinzip erkannt, damit jedoch auch anerkannt.

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Großerzählungen der Postmoderne und des „new capitalism“ angeschlossen werden konnte. Durchgeschleust wurde ferner ein in den breiten (oberen) Mittelschichten verankertes Distinktions- und Distanzbedürfnis, das populäre Zerrbild eines politischen Systems, welches arbeitsteilig in Medienprofis und Technokraten unterteilt ist und über keine ideologischen Differenzen mehr verfügt, ein geradezu „volkstümlich-kleinbürgerlicher“ Pragmatismus, der in seiner Ablehnung von Theorien und Ideologien auf die Normativität des Faktischen setzt und schließlich ein Gesellschaftsbild, das einer der zustimmungspflichtigsten gesellschaftlichen Selbstbeschreibungsformen ähnelt und dabei einen Teilausschnitt repräsentiert, in dem sich einige tatsächlich wiederfinden können und viele andere wiederfinden wollen. Schließlich teilt Generation Golf seine grundlegende story line mit dem gesamtgesellschaftlich dominierenden normalistischen Dispositiv, das sowohl Produkt von als auch Produktionsschema für die westlichen Kulturen und die in ihr lebenden Subjekte ist. Generation Golf zeichnet die gesellschaftliche Entwicklungskurve literarisch nach – inklusive der Tendenz, in einigen Bereichen wieder protonormalistisch „umzukippen“. Generation Golf verfügte so über die entscheidenden semantischen Bestände, mit denen es möglich war, auch den (potenziellen) Kritiker oder den nicht-Zustimmenden in die Logik der in Generation Golf repräsentierten Sichtweise hineinzuziehen. Dies gelang insbesondere dadurch, dass mit der Wahl des politischen Korrektheitsmusters nicht nur ein Verfahren gewählt wurde, das insgesamt besonders attraktiv ist, sondern das auch den anvisierten Gegner „68“ auf dessen eigenem Feld „schlägt“. Dieser Feind bietet sich als leichtes Ridikülisierungsopfer an: Er ist in den stereotypen Formen, wie sie in Generation Golf beschrieben werden, zweifelsfrei bereits lange „erledigt“, und er stellt schließlich auch den Gegner dar, an dem sich auch massenmedial ausgetragene Reformdiskurse abarbeiten. Die durchgeschleusten semantischen Bestände bedienen dabei auf Seiten des Rezipienten ein Deutungsmuster, das seinerseits durch hegemoniale Diskurse geprägt wurde. Dieses Deutungsmuster ist letztendlich die Grundlage, mit der die reale Welt diskursiv erzeugt wird, was für die kraftvolle Evidenz sorgt, über die der Diskurs des „new capitalism“ verfügt. Diese (scheinbare) Evidenz überträgt sich so auch auf Generation Golf. Man kann sich ihr kaum entziehen, ohne in Gefilde zu geraten, in denen man leicht des Intellektualismus bezichtigt werden könnte. Die Generationsgenossen werden als „karriereorientiert“ beschrieben? Ja, muss man das denn „heutzutage“ nicht sein? Würde die Gesellschaft nicht tatsächlich ein wenig besser funktionieren, wenn man auf gemeinsam geteilte Tugenden und Werte zurückgriffe? Haben „es“ die 68er nicht wirklich ein wenig „übertrieben“ und müsste man nicht tatsächlich, wie übrigens auch „alle anderen“, zur Normalität gelangen? Man sieht doch „heutzutage“, wohin „es“ im Standortwettbewerb führen kann – wobei „es“ variabel ausgefüllt werden kann mit Vorstellungen über Erziehung, Geschichte, das Verhältnis zur Warenwelt usw. Alle diese Fragen können öffentlich kaum anders als mit „Ja“ beantwortet werden bzw. sie gewinnen ihre Evidenz dadurch, dass sie auf diese Weise gestellt werden und zur Disposition stehen. Der Verlust der feldinternen und -externen Aufmerksamkeit, der Florian Illies nach seinem Erstlingsbeitrag traf, weist darauf hin, dass sich die o.g. feldinterne Lücke schloss und sie sich mit den bisherigen Erfolgsrezepten nicht mehr (so leicht) besetzen ließ. Florian Illies’ feldinterner Erfolg lässt

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sich dabei in doppelter Hinsicht als fallende Linie konzeptualisieren: Zum einen sanken Verkaufszahlen und Aufmerksamkeit, zum anderen die Konsensfähigkeit der nach Generation Golf aufgegriffenen Bestände. Generation Golf beinhaltete noch ein Identifikationsangebot und einen (wenn auch unmöglichen) Identitätsentwurf, Generation Golf zwei stellte bereits das Dokument der Identitätskrise dar, in dem jedoch trotz der Erfahrung des Scheiterns noch die Hoffnung ausgedrückt wurde, jüngere Generationen könnten sich noch Enklaven des Protests sichern, wenn man selbst schon zu träge dazu sei. Mit Ortsgespräch wurde bezeichnenderweise nicht nur der Wechsel vom inklusiven „Wir“ zum exklusiven „Ich“ vollzogen, sondern bildlich gesprochen im wahrsten Sinne des Wortes der Boden des kollektiv Zustimmungsfähigen 155 erreicht: Die Konsensfiktionen der consumer society wurden vernutzt, auch der Import bürgerlicher Werte funktionierte nicht, und so blieb die Provinz und die Heimat „übrig“ – nicht als realer Ort, sondern als vager mentaler Sehnsuchtsort und als Entschleunigungsoase. (Vgl. Illies 2006a, Illies 2006b) 156 Im Rahmen dieser Arbeit wurde dabei deutlich, dass sich diese wehmütige Rückkehr zur Heimat zum einen unter dem Eindruck des sich immer stärker verengenden „stahlharten Gehäuses“ (Max Weber) vollzog – wo sich keine Gemeinsamkeiten denken lassen, bleibt die Heimat als Rettungsanker übrig. Zum anderen vollzog sich auch diese Rückkehr zur Heimat zu einem Zeitpunkt, an dem der Stand der Diskurse für diese Rückkehr günstig zu sein schien: Patriotismusdebatten und gouvernementale Anrufungen wie die Kampagne „Du Bist Deutschland“ stellten den Hintergrund dar, vor dem Ortsgespräch gut hätte funktionieren können. Die Tatsache, dass Ortsgespräch keine breite Diskussion anstoßen konnte, kann dabei zum einen auf den Verlust des journalistischen Netzwerks zurückgeführt werden. Zum anderen verweist dies möglicherweise darauf, dass mittlerweile selbst der Verweis auf die „Heimat“ nicht über die inklusive Kraft verfügt, die mit ihr in Verbindung gebracht wird. Insofern kann der Aufmerksamkeitsverlust, der die Texte wie Generation Golf (zwei), Ortsgespräch oder die alltagsbezogene Popliteratur ereilte, bei aller Kritik, die sich an diese Texte richten lässt, auch bedauert werden: Sie 155 So verdeutlicht das Verschwinden von Generation Golf und ähnlichen Texten, die gegen die „68er“ und gegen all das gerichtet waren, was mit ihnen in Verbindung gebracht wurde, dass es zu jener Zeit in dieser Hinsicht noch etwas zu verhandeln gab – selbst wenn der auserkorene Gegner zum Zeitpunkt des Erscheinens von Generation Golf weitgehend diskursiv „besiegt“ war und nur noch dessen Restbestände abgewickelt wurden (u.a. durch die eigenen Angehörigen). Damit ließe sich auch die Aufregung erklären, mit der Generation Golf feldintern aufgenommen wurde. Heutzutage auf die Konsumfixierung und Leistungsoptimiertung explizit hinzuweisen, könnte feldintern keinen Entrüstungssturm produzieren – dass beides notwendige Eigenschaften sind, gilt mittlerweile so uneingeschränkt, dass darüber geschwiegen werden kann. 156 Dabei sollte angemerkt werden, dass auch im Falle von Ortsgespräch die Klaviatur der Unkorrektheit gespielt wird, wenn Heimat erst als „verbotener Begriff“ (Illies 2006a) herausgestellt wird, den man sich nun wagemutig zu verwenden traue. „Heimat“ verfügt darüber hinaus in Deutschland eine besondere Konnotation (ablesbar an der Existenz von „Heimatvertriebenen“), die sich außerhalb der deutschen Sprache nicht in vergleichbarer Form auffinden lässt. „Heimat“ ist somit nicht so universell, wie es Florian Illies in einem Interview angibt. (Vgl. Illies 2006b: 38)

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waren Texte, die zur Identifikation einluden, die gerade auch durch ihre Abgrenzung für einige ein Zugehörigkeitsgefühl transportieren und vermitteln sollten. Ihr Verschwinden verdeutlicht, dass es gegenwärtig etwa mit Konsum- und Pop-Geschichten oder gar mit Appellen an das Heimatgefühl unmöglich zu sein scheint, sich (literarisch) auf ein minimales Ziel zu verständigen bzw. ähnlich gelagerte Debatten loszutreten wie dies zuvor der Fall war. Was sich in Zukunft außerhalb von Reformimperativen als Ressource für solcherlei Debatten anbietet, bleibt offen.

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ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften

Birgit Althans, Kathrin Audem, Beate Binder, Moritz Ege, Alexa Färber (Hg.)

Kreativität. Eine Rückrufaktion Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2008 März 2008, 138 Seiten, kart., 8,50 € ISSN 9783-9331

ZFK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent: Neben innovativen und qualitativ hochwertigen Ansätzen besonders jüngerer Forscher und Forscherinnen steht eine Masse oberflächlicher Antragsprosa und zeitgeistiger Wissensproduktion – zugleich ist das Werk einer ganzen Generation interdisziplinärer Pioniere noch wenig erschlossen. In dieser Situation soll die Zeitschrift für Kulturwissenschaften eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über Kultur und die Kulturwissenschaften bieten. Die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur, historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus kann so mit klugen interdisziplinären Forschungsansätzen fruchtbar über die Rolle von Geschichte und Gedächtnis, von Erneuerung und Verstetigung, von Selbststeuerung und ökonomischer Umwälzung im Bereich der Kulturproduktion und der naturwissenschaftlichen Produktion von Wissen diskutiert werden. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften lässt gerade auch jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die aktuelle fächerübergreifende Ansätze entwickeln.

Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen die Ausgaben Fremde Dinge (1/2007), Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft (2/2007) und Kreativität. Eine Rückrufaktion (1/2008) vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected] www.transcript-verlag.de

Lettre Ute Gerhard, Walter Grünzweig, Christof Hamann (Hg.) Amerika und die deutschsprachige Literatur nach 1848 Migration – kultureller Austausch – frühe Globalisierung

Vittoria Borsò das andere denken, schreiben, sehen Schriften zur romanistischen Kulturwissenschaft (hg. von Heike Brohm, Vera Elisabeth Gerling, Björn Goldammer und Beatrice Schuchardt)

Dezember 2008, ca. 320 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-966-4

Juni 2008, 304 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-821-6

Eva Erdmann Vom Klein-Sein Perspektiven der Kindheit in Literatur und Film

Monika Leipelt-Tsai Aggression in lyrischer Dichtung Georg Heym – Gottfried Benn – Else Lasker-Schüler

September 2008, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-583-3

Tom Karasek Generation Golf: Die Diagnose als Symptom Produktionsprinzipien und Plausibilitäten in der Populärliteratur

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Fernand Hörner Die Behauptung des Dandys Eine Archäologie

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März 2008, 356 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-913-8

Manuela Günter Im Vorhof der Kunst Mediengeschichten der Literatur im 19. Jahrhundert

Anja K. Johannsen Kisten, Krypten, Labyrinthe Raumfigurationen in der Gegenwartsliteratur: W.G. Sebald, Anne Duden, Herta Müller

Juli 2008, 382 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-824-7

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Lettre Stefan Tigges (Hg.) Dramatische Transformationen Zu gegenwärtigen Schreibund Aufführungsstrategien im deutschsprachigen Theater Februar 2008, 386 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-512-3

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Ulrike Bergermann, Elisabeth Strowick (Hg.) Weiterlesen Literatur und Wissen 2007, 332 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-606-9

Christina Burbaum Vom Nutzen der Poesie Zur biografischen und kommunikativen Aneignung von Gedichten. Eine empirische Studie 2007, 374 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN: 978-3-89942-770-7

Stefan Hofer Die Ökologie der Literatur Eine systemtheoretische Annäherung. Mit einer Studie zu Werken Peter Handkes 2007, 322 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-753-0

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Céline Kaiser Rhetorik der Entartung Max Nordau und die Sprache der Verletzung 2007, 242 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-672-4

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Vittoria Borsò, Heike Brohm (Hg.) Transkulturation Literarische und mediale Grenzräume im deutsch-italienischen Kulturkontakt 2007, 272 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-520-8

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Lettre Thomas von Steinaecker Literarische Foto-Texte Zur Funktion der Fotografien in den Texten Rolf Dieter Brinkmanns, Alexander Kluges und W.G. Sebalds 2007, 346 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-654-0

Sibel Vurgun Voyages sans retour Migration, Interkulturalität und Rückkehr in der frankophonen Literatur 2007, 322 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-560-4

Thomas Gann Gehirn und Züchtung Gottfried Benns psychiatrische Poetik 1910-1933/34 2007, 240 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-651-9

Peter Rehberg lachen lesen Zur Komik der Moderne bei Kafka 2007, 296 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-577-2

Volker Georg Hummel Die narrative Performanz des Gehens Peter Handkes »Mein Jahr in der Niemandsbucht« und »Der Bildverlust« als Spaziergängertexte 2007, 220 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-637-3

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