Die Wiederbelebung des Stundengebets in den Gemeinden ist seit dem 2. Vatikanischen Konzil nur selten gelungen. Warum? D
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German Pages 350 [351] Year 2013
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Achim Budde
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Gemeinsame Tagzeiten
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Praktische Theologie heute Herausgegeben von Gottfried Bitter Kristian Fechtner Ottmar Fuchs Albert Gerhards Thomas Klie Helga Kohler-Spiegel Isabelle Noth Ulrike Wagner-Rau
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Band 96
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Achim Budde
Gemeinsame Tagzeiten
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Motivation – Organisation – Gestaltung
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Alle Rechte vorbehalten © 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Reproduktionsvorlage: Corrigenda, Daniela Kranemann, Erfurt Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany ISBN 978-3-17-020561-1 E -Book-F ormate: pdf: ISBN 978-3-17-026432-8
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INHALT Vorwort ..................................................................................................................... 7 Einleitung ................................................................................................................. 9 (A) Motivation ........................................................................................................ 13 I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet ................................................................ 13 1. Geschöpflichkeit ............................................................................................ 14 2. Zeitlichkeit .................................................................................................... 35 II. Die Kirche – Beten in Gemeinschaft .................................................................. 48 1. Gemeinschaftlichkeit ..................................................................................... 50 2. Kirchlichkeit .................................................................................................. 67 III. Die Welt – Gemeinsam im Dienst ..................................................................... 78 1. Öffentlichkeit ................................................................................................ 79 2. Verantwortlichkeit ......................................................................................... 88 (B) Organisation ..................................................................................................... 97 I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens .......................................................... 98 1. Gebetszeiten .................................................................................................. 99 2. Mitvollzug ................................................................................................... 114 II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft ...................................................... 128 1. Rahmenbedingungen ................................................................................... 130 2. Gemeinsames Handeln ................................................................................ 153 III. Die Welt – Präsenz des Auftrags ...................................................................... 188 1. Das Stundengebet im öffentlichen Raum ..................................................... 188 2. Die Öffentlichkeit im Stundengebet ............................................................ 193 (C) Gestaltung ...................................................................................................... 197 I. Das pastoral-liturgische Konzept ...................................................................... 200 1. Grundentscheidungen ................................................................................. 200 2. Ein Modell konzentrischer Kreise ................................................................ 207
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II. Der Gottesdienst ............................................................................................. 1. Hymnus ...................................................................................................... 2. Psalmodie .................................................................................................... 3. Lesung ......................................................................................................... 4. Bittgebet ......................................................................................................
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Inhalt
III. Die Liturgie-Hefte ........................................................................................... 1. Aufbau und Grafik ...................................................................................... 2. Die Revision ................................................................................................ 3. Finanzierung ............................................................................................... 4. Dokumentation ...........................................................................................
267 268 270 273 275
Epilog: Chronik eines neuen Anlaufs .................................................................... 293 Literaturverzeichnis ............................................................................................... 307 Quellen .................................................................................................................. 307 Sekundärliteratur ................................................................................................... 316
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Register ................................................................................................................. 347
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Vorwort Ich hätte nie gedacht, dass es auch mir passieren könnte, die Überarbeitung eines fast fertigen Buches noch einmal jahrelang zu verzögern. Der Berufs- und Branchenwechsel in die Bildungsarbeit der Burg Rothenfels hat die erste Verzögerung mit sich gebracht, und um diese tut es mir nicht leid. Aber dann wurde der Anspruch, nach einer längeren Pause wenigstens die meisten offenen Fragen noch abzuarbeiten, immer größer. Die Liste mit Hinweisen, denen nachzugehen mir lohnend erschien, wurde länger, die Zeit, die ich dafür hätte freischaufeln müssen, mehr. Zusätzlich wurden immer häufiger einzelne Ergebnisse dieser Studie in anderen Formaten von mir abgefragt: kleinere und größere Aufsätze, ein Lehrbrief und vielerlei Vorträge und Referate. Vieles davon schien mir dringlicher, zumal die Vernetzung der dadurch gewonnenen Partner zur »Initiative Ökumenisches Stundengebet« konkrete und rasche Früchte trug. Nun erscheint das Buch doch nur als leichte Überarbeitung jener Fassung, mit der ich 2008 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn habilitiert wurde: Das Manuskript wurde mehrfach Korrektur gelesen; die Anmerkungen wurden vermehrt und präzisiert; der Schlussteil schließlich wurde gänzlich neu geschrieben und um eine bis heute fortgeführte Chronik des aus der Studie erwachsenen Projekts ergänzt. Weitere vertiefende Forschungen, das zeigte sich bei dieser Arbeit, hätten die Argumentation zwar verdichtet, aber nicht mehr wesentlich verändert. Ich übergebe das Buch daher nun der Öffentlichkeit in einer Gestalt, die an vielen Stellen zur Vertiefung anregt, aber den Hauptgedanken hoffentlich schlüssig darzulegen vermag. Ich danke an dieser Stelle allen, die zum Gelingen und zur Fertigstellung beigetragen haben, zunächst meinen akademischen Lehrern: Es ist bereits das zweite Buch, das in dieser Konstellation entstand. Der Erstgutachter Prof. Dr. Albert Gerhards hat mich ermutigt, der Arbeit trotz des überwiegend historischen Quellenmaterials eine liturgie-praktische Ausrichtung und eine systematische Ordnung zu geben – und dadurch das Zusammenspiel der Disziplinen in der Liturgiewissenschaft exemplarisch umzusetzen. Prof. Dr. Georg Schöllgen, an dessen Lehrstuhl ich fast zehn Jahre lang als Assistent arbeiten durfte, hat mein methodisches Handwerkszeug zur Analyse und Kommentierung der Quellen geschärft. Beide haben mir die Freiheit gelassen, der Fährte jener Ausgangsidee zu folgen, die mir reizvoll und vielversprechend erschien. Ein neuer Faktor in der Konstellation war und ist Burg Rothenfels: Sie bot mir eine inspirierende Szenerie für die Beschäftigung mit liturgischen Themen und viele Möglichkeiten, in der Praxis neue Erfahrungen zum Thema dieser Studie zu machen. Zudem räumte sie mir gute Rahmenbedingungen, Arbeitszeit und Sachmittel ein, um meine wissenschaftliche Arbeit fortzuführen. Ohne diese Infrastruktur wäre
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Vorwort
das Manuskript wohl weitere Jahre liegengeblieben. Dafür möchte ich mich aufrichtig bedanken. Für die technische Einrichtung des Typoskripts danke ich Daniela Kranemann, die meine Dateien mit gewohnter Akribie in einen druckfähigen Zustand versetzte. Auch Liane Kaiser, Sarah Pelzer und Michael Böhm haben zur Fertigstellung beigetragen. Dem Verlag W. Kohlhammer und besonders Herrn Florian Specker danke ich für die Geduld und die sorgfältige Bearbeitung. Ein weiterer Dank gilt dem Erzbistum Köln für einen großzügigen Druckkostenzuschuss zur Publikation dieser Arbeit, der ohne Verfallsdatum Gültigkeit behielt. Auch mein heutiges Heimatbistum Würzburg war so freundlich, sich noch an den Kosten zu beteiligen. Schließlich möchte ich summarisch all jene nennen, die über die Themen dieses Buches wach und interessiert mit mir diskutiert haben, sowie all jene, die mit mir – sei es im Bonner Mittagsgebet, auf Burg Rothenfels, auf Kirchen- und Katholikentagen, in der »Initiative Ökumenisches Stundengebet« oder bei vielen anderen Gelegenheiten – Stundengebet gefeiert und das tiefere Anliegen dieser Studie haben Wirklichkeit werden lassen. Widmen möchte ich dieses Buch meiner Frau Elisabeth von Lochner und unserer Tochter Helena: für die Nachsicht, wenn ich länger, als es gut ist, im Büro statt bei der Familie war, und für die Liebe, die jenseits aller Arbeit mein Leben trägt und beflügelt.
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Achim Budde Burg Rothenfels, 31.10./1.11.2012
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Einleitung »We need to discover and create a truly ›cathedral‹ office, not necessarily by reconstructing what was done at Jerusalem or Antioch or wherever in the fourth century, but by using the insights provided by historical study in order to establish the essentials of our pattern of daily prayer and spirituality, and then express these in forms appropriate to our own age.«1
Mit diesem Zitat ist im Grunde das Programm aufgestellt, das die vorliegende Studie umsetzen möchte: die wissenschaftliche Grundlegung für eine Wiederbelebung der in Gemeinschaft gefeierten Tagzeitenliturgie. Die Bedeutung des täglichen gemeinsamen Betens für die Identität christlicher Gemeinden ist seit langem erkannt und anerkannt. Durch den anhaltenden Personal- und Priestermangel hat sich die Lage verschärft, und es herrscht weitgehend Konsens, dass der Erosion des liturgischen Lebens im Alltag nur durch die Verbreitung von Gottesdienstformen, die keiner professionellen Leitung bedürfen, Einhalt geboten werden kann. Die Bemühungen führten jedoch bislang nicht zu einer breiteren Etablierung gemeindlicher Tagzeiten2. Um zu verstehen, woran der reale Vollzug scheitert und welche Modifikationen mehr Erfolg versprächen, muss laut Bradshaw zunächst die Vergangenheit analysiert werden. Wie aber dann die historischen Einsichten sinnvoll für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden können, darüber herrscht kein methodischer Konsens, dem man sich einfach anschließen könnte. Die vorliegende Arbeit möchte daher in dieser Frage eine neue Methode verfolgen und zur Diskussion stellen. Proprium der zugrundegelegten Vorgehensweise ist die Einbeziehung pragmatischer und organisatorischer Fragen in die Analyse. Die Forschung ist bislang eng auf die Gestalt der Tagzeiten und den dahinter stehenden theologischen Sinn fokussiert; außer Betracht bleiben hingegen weitgehend die praktischen Rahmenbedingungen und die technischen Hintergründe liturgischer Organisation. Welche liturgische Gestalt jedoch unter ganz konkreten Bedingungen angemessen und auch praktikabel ist, lässt sich – so die Arbeitshypothese – nur herausfinden, wenn diese Themen in die Analyse einbezogen werden. Organisation und Praktikabilität werden daher im Folgenden neben der theologischen und spirituellen Motivation als der zweite maßgebliche Faktor für die liturgische Gestalt gemeinsam gefeierter Tagzeiten etabliert. In diesem Faktor wird der passende methodische Schlüssel erkannt, um das hinter der Liturgie stehende Anliegen zu verstehen und auf dieser Basis umgekehrt den Gottesdienst und seine Gestaltung neu auf veränderte Bedingungen abzustimmen.
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Bradshaw, Daily Prayer (1983) 153f. Vgl. das nach wie vor gültige Urteil von Fuchs, Stundengebet (1993) 9 oder Gerhards, Tagzeitenbuch (1999) 127.
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Einleitung
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Aufbau und Themenspektrum Aus dem neuen, zweigleisigen Erklärungsmodell der liturgischen Gestalt ergibt sich die Gliederung der Arbeit: Unter der Überschrift (A) »Motivation« wird systematisiert, was Christen als Einzelne, als Glaubensgemeinschaft und mit Blick auf die ganze Schöpfung zur Feier der Tagzeiten motiviert. Aus den fundamentalen liturgie-theologischen Kategorien wie Geschöpflichkeit, Zeitlichkeit, Gemeinschaftlichkeit etc. werden die pastoral-liturgischen Maximen abgeleitet, die der liturgischen Praxis zugrunde liegen. In Teil (B) »Organisation« werden erstmals auch die praktischen Rahmenbedingungen in ihren Auswirkungen auf die Tagzeitenliturgie analysiert, z. B. finanzielle und personelle Ausstattung, Gebäudemanagement, Zuschnitt der liturgischen Dienste, Schulung der Liturgen, die rituelle Kompetenz der Teilnehmer und ihre Vermittlung, überregionale Standardisierung etc. Erst der dritte Teil (C) widmet sich dann der konkreten liturgischen »Gestaltung« und versucht unter Berücksichtigung beider in den vorangehenden Teilen behandelten Faktoren sinnvolle Lösungen für den heutigen realen Vollzug der einzelnen liturgischen Elemente abzuleiten. Hier wird in einigen Fragen begründet vom derzeitigen Mainstream der Liturgiewissenschaft abgewichen. So ist dieser Teil zugleich das Ergebnis-Kapitel der vorliegenden Arbeit. Methodik und Verarbeitung des Materials Die Untersuchung ist den neueren Ansätzen einer integrativen Liturgiewissenschaft verpflichtet3, die mit einer Kombination aus historischen, systematischund praktisch-theologischen Methoden arbeitet. Historische Paradigmen der Umsetzung eines theologischen Anliegens erhalten so Relevanz für die heutige Praxis. Dafür sind nicht allein die damalige Theologie und Theorie des täglichen Gebetes und Gottesdienstes von Interesse, sondern die ›Geschichte des angebeteten Gottes‹ im umfassenden Sinn4, d. h. so, wie sie das Leben, Denken und Fühlen der Christen tatsächlich bestimmt hat. Die Auswertung der Quellen erfolgt dementsprechend im Sinne einer »Gemeindegeschichte« mit dem Fokus auf der religiösen, disziplinären und organisatorischen Lebenswirklichkeit in den Gemeinden und ihren konkreten Gottesdienststätten5. Statt dann histo3
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Vgl. Gerhards / Osterholt-Kootz, Standortbestimmung (1992); Gerhards / Odenthal, Liturgiewissenschaft (2000); eine Zuordnung der Disziplinen im Zuge einer ökumenisch geweiteten Liturgiewissenschaft bietet Lurz, Feier (1998) 35–47. Zum heutigen Fragen- und Methodenspektrum der Kirchengeschichte vgl. Holzem, Geschichte (2000) bes. 93f. 100–103. Vgl. Schöllgen, Kirchengeschichte (1990) 210 und ebd. 213: »Auf viele dieser Fragestellungen hin wird man die Texte, die ja zum größten Teil primär theologisch interessiert sind, gegen den Strich lesen müssen«.
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Einleitung
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rische Vorbilder direkt auf die Gegenwart zu applizieren, soll die Klärung des Verhältnisses von Motivation, Organisation und Gestaltung helfen, Lösungen für die heutigen Probleme zu finden: Welches Movens führte unter welchen pragmatischen Bedingungen zu welcher liturgischen Gestalt? Und wie müsste dann hier und heute die Liturgie gestaltet werden, um das (ebenfalls veränderliche) theologische Anliegen unter den aktuell gegebenen Bedingungen in eine geistlich fruchtbare Praxis umzusetzen? So wird das untersuchte Material in jedem einzelnen Kapitel mit den Fragen und Problemen heutiger Praxis in Beziehung gesetzt. Die wichtigsten Referenzgrößen sind dabei zunächst die Spätantike, in der die Feier der Tagzeiten aus bestimmten Motiven heraus entwickelt wurde und ihre in der Geschichte dominierende Form erhielt. Dann sind erst wieder aus dem Zeitalter der Reformation umfangreichere, konkret motivierte Versuche dokumentiert, eine – vor allem in der anglikanischen Kirche auch erfolgreiche – Wiederbelebung von Gemeinde-Tagzeiten zu unternehmen. Schließlich geben gegenwärtige Konzepte und Erfahrungen Aufschluss über die heute entscheidenden Bedingungen und Ziele. Die Auswertung dieser Zeugnisse wurde begleitet von der Etablierung eines täglichen Stundengebets im Bonner Münster, das ehrenamtlich durchgeführt wird und sich an eine differenzierte Teilnehmerschaft richtet. Die gegenseitige Durchdringung und Befruchtung von wissenschaftlicher Aufarbeitung und gottesdienstlicher Praxis bestimmt denn auch die Überlegungen im letzten Teil der Arbeit. Neu ist an dieser Aufarbeitung also vor allem die Fragerichtung und die aus ihr resultierende Systematik des Stoffs: Die Quellen werden hier nicht – wie in Studien zur Geschichte der Tagzeiten weithin üblich – in ihrer chronologischen Abfolge jeweils im Zusammenhang referiert und kommentiert; vielmehr wird die Analyse der Quellen und ihrer einzelnen Aspekte kleinteilig auf die systematisch definierten Kapitel verteilt6. Eingrenzung des Programms Wer den Bereich der Tagzeitenliturgie umfassend aufarbeiten möchte, kann leicht ein ganzes Gelehrtenleben auf höchstem fachlichen Niveau damit zubringen. Die vorliegende Studie muss sich dagegen auf ein klar umgrenztes Thema beschränken, wenn wenige Jahre und wenige hundert Seiten zu ihrer Fertigstellung genügen sollen: (1) Zunächst einmal wäre es vermessen, die großen, kontrovers diskutierten Probleme der stark auf die Ursprünge der liturgischen Gestalt konzentrierten
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Eine gewisse Fußnotenredundanz lässt sich bei dieser Vorgehensweise nicht vermeiden. Der Ertrag, der durch die Herstellung neuer Zusammenhänge erreicht wird, wiegt diese aber auf.
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Einleitung
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Stundengebetsforschung in diesem Rahmen nebenbei lösen zu wollen. Hier kann und will die vorliegende Studie nicht die Fortführung der die Diskussion dominierenden Debatten sein, sondern zieht es vor, ihre Schlüsse zurückhaltend und nur aus einigermaßen gesicherten, ›konsensfähigen‹ Daten zu ziehen. Entsprechend muss auch kein Forschungsüberblick im klassischen Sinn dieser Studie vorangestellt werden; denn ihre spezielle Fragestellung ist so bislang noch nicht behandelt worden, und die einschlägigen Standardwerke7 sind demnach nicht als Vorgeschichte der folgenden Untersuchung aufzufassen. (2) Dann gibt es thematische Eingrenzungen: Es geht um Gemeinde-Tagzeiten. Die monastische Stundenliturgie wird deshalb nur insofern aufgegriffen, als sie sich auf die Feier der Gemeinden ausgewirkt hat8; die private Rezitation der Kleriker bleibt unberücksichtigt. Es soll ferner um die Motive derjenigen gehen, die Tagzeitenliturgien geformt haben. Bei der Quellenarbeit stehen daher jene oben genannten Epochen im Vordergrund, in denen Tagzeiten eingerichtet oder reformiert wurden. Kontinuität und langsamer Verfall in den Perioden dazwischen stehen demgegenüber im Hintergrund. Es soll schließlich drittens um eine Analyse und um Lösungsansätze der heutigen pastoral-liturgischen Probleme im deutschsprachigen Raum gehen. Unsere hiesige kirchliche und gesellschaftliche Situation gibt daher die Perspektive vor, aus der heraus die Erfahrungen anderer gesichtet und aufgearbeitet werden. So findet die Situation in Deutschland eine stärkere Berücksichtigung als die anderer Kulturräume; und die abendländische Tradition wird stärker herangezogen als die der ostkirchlichen Riten.
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Zu nennen sind nach Bäumer, Brevier (1895) bzw. Bréviarie (1905) vor allem: Goltzen, Gottesdienst (1956); Salmon, Stundengebet (1965); Bradshaw, Daily Prayer (1983); Taft, Hours (1986); Guiver, Company (2001); Ringseisen, Gemeinde (2002); Woolfenden, Prayer (2004); Lumma, Liturgie (2011); der entsprechende Abschnitt bei Meßner, Einführung (2001) 223–295. Zu der Reihe der Standardwerke zählen außerdem die Sammelbände von Klöckener / Rennings (Hrsg.), Stundengebet (1989) sowie Klöckener / Bürki (Hrsg.), Tagzeitenliturgie (2004). Die Fülle der insgesamt erschienenen Literatur dokumentiert in dem erstgenannten Sammelband Klöckener, Bibilographie (1989) mit bereits damals rund 850 Einträgen. Die Summe des Lebenswerkes von Angelus Häußling, die dieser seit einiger Zeit zu ziehen in Aussicht stellt, kann für unsere Zwecke weder abgewartet noch ersetzt werden. Sie soll im Sammelwerk »Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft« als Band 6,2 mit dem Titel »Die Liturgie der Tagzeiten« erscheinen; vgl. z. B. Häußling, Passionsmitfeier (1999) 145 Anm. 1. In dem Sammelband Häußling, Tagzeitenliturgie (2012) ist eine vorläufige Bilanz gezogen. Das »Offizium der lateinischen Kirche ist noch in seiner ersten Phase so gründlich in die Hände des Mönchtums übergegangen« – so Zerfaß, Schriftlesung (1968) 2 –, dass zwar noch diese Ablösephase selbst, kaum jedoch die mittelalterliche Weiterentwicklung des monastischen Offiziums für das Thema der Gemeindetagzeiten Relevanz besitzt.
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(A) Motivation David Holeton charakterisierte die inzwischen vollendete Reform des Book of Common Prayer folgendermaßen: »Jetzt aber wurde zum ersten Mal seit der Reformation die Grundfrage gestellt: Zu welchem Nutzen oder mit welchen Zielen sollte das Tagzeitengebet bestimmt sein, und auf welcher Grundlage sollte es gestaltet sein?«1 Die Frage nach dem theologischen Movens soll auch in dieser Studie das erste große Themenfeld sein, auf dessen Grundlage dann über die organisatorischen Bedingungen und über Konsequenzen für die liturgische Gestaltung in der Praxis reflektiert wird. Historisch und logisch ist der Ausgangspunkt dafür der einzelne Christ, die einzelne Christin: ihr Glaube, ihre Interpretamente der sie umgebenden Wirklichkeit, ihr Verhältnis zu Gott. Aus diesen Faktoren leitet sich die zunächst private Gebetspraxis ab. Erst auf deren Grundlage hat sich dann sekundär, wo immer es technisch möglich war, auch der gemeinsame Vollzug entwickelt – aus Motiven heraus, die als theologisches Plus über die Begründung des Privatgebets hinausgehen. Schließlich tritt als dritte Ebene der Auftrag der Glaubensgemeinschaft gegenüber ihrer Außenwelt hinzu. Der Unterscheidung dieser drei Ebenen entspricht die Kapitelaufteilung des ersten Teils.
I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet
Vor über 40 Jahren beschrieb Dorothee Sölle den gesellschaftlichen Stellenwert des Gebetes folgendermaßen: »Beten gilt dem gegenwärtigen nachchristlichen Bewußtsein als Ersatzhandlung [...] dessen, der zu wirksamem Handeln nicht fähig oder nicht willens ist.«2 Und obwohl das ausgehende 20. Jahrhundert als eine seiner »echten Überraschungen«3 auch eine neue Wende zum Religiösen brachte, ist die Krise des Gebetes dadurch keineswegs überwunden oder auch nur gemildert worden. Vielmehr schlägt sich die neue Religiosität vielfach in Vorstellungen nieder, die entweder kein personales oder kein wirkmächtiges oder kein hinreichend transzendentes Gottesbild kennen und deshalb zwar Kontemplation und Meditation, aber kein Gebet im klassischen Sinne für sinnvoll erachten. Die Beantwortung der »schöpfungstheologischen ›Gretchenfrage‹: Wie hältst Du es mit dem Gebet?«4 fällt dann negativ aus. Warum also beten? 1 2
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Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 220. Sölle, Glauben (1968) 109. Schilson, Gottesdienst (1991) 57. Kehl, Schöpfung (2006) 32.
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(A) Motivation
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Diese Frage steht heute wieder so dringlich und grundsätzlich im Raum, wie sie sich bereits den ersten christlichen Apologeten stellte. Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, inwiefern die christlichen Grundinterpretamente der Wirklichkeit – sie nämlich erstens als Schöpfung und zweitens als Heilszeit zu verstehen – den einzelnen Christen zum Gebet, zu Anbetung, Lobpreis und Bitte motivieren, und warum sie schließlich zu dem Anspruch führen, jeder Christ und jede Christin solle häufig und intensiv beten. Nach Karl Rahner ist und bleibt das Gebet jedes einzelnen Christen die theologisch entscheidende Ebene – auch für das gemeinsame und das gottesdienstliche Gebet5. Für die liturgia horarum spiegelt sich diese Priorität auch in der historischen Entwicklung wider: Tägliches Gebet wurde den Gläubigen als Basis ihrer christlichen Existenz zunächst im privaten Vollzug, erst später auch in Gemeinschaft anempfohlen. Die Frage, welchen Sinn die Tagzeitenliturgie für das Gebetsleben des Einzelnen entfalten kann, ist deshalb nicht allein durch die Untersuchung liturgischer Zeugnisse zu beantworten. Denn jener Sinn, den das private Gebet im Alltag des Einzelnen erfüllt, wird gewissermaßen in den Gottesdienst mitgenommen. Dort wird er zwar um neue Aspekte ergänzt, bleibt aber weiterhin in Kraft: Dasselbe Movens, das die einzelnen Gläubigen überhaupt zum Beten antreibt, soll dann auch bei der Teilnahme am gemeinsamen Gebet zur Geltung kommen können. Es bleibt daher ein wichtiger Maßstab für Organisation und Gestaltung des täglichen Gottesdienstes.
1. Geschöpflichkeit Die erste grundlegende Voraussetzung christlichen Betens ist der Schöpferglaube. Weder ist es beweisbar noch allgemein anerkannt, dass die den Menschen umgebende Welt eine geschaffene ist. ›Geschöpflichkeit‹ ist formal nur ein Interpretament dieser Wirklichkeit – ein Interpretament allerdings mit Konsequenzen für das Selbstbild und das eigene Verhalten. Bereits die frühchristlichen Apologeten errichten ihre Vorstellungen vom Gebet auf der Basis dieser gläubigen Voraussetzung: Der Christ deutet die gesamte wahrnehmbare Wirklichkeit und seine eigene geistig-leibliche Existenz als von Gott geschaffen. Daraus leiten sich die Praxis und der Inhalt des Gebets als christlicher Grundhaltung ab. Ein Passus aus der Apologie des Märtyrers Justin kann diesen Vorgang exemplarisch deutlich machen:
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»Daß wir nicht gottlos sind, da wir doch den Schöpfer dieses Alls verehren und, wie wir gelehrt worden sind, behaupten, daß er keiner Schlacht-, Trank- und Räucheropfer bedarf, und die wir ihn bei allem, was wir zu uns nehmen, durch Gebet und Danksagungswort,
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Vgl. Rahner, Thesen (1962) bes. 480f. 486. 490.
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I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet
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soviel wir können, lobpreisen, indem wir als die seiner allein würdige Ehrung nicht die kennen lernten, das von ihm zur Nahrung geschaffene durch Feuer zu verzehren, sondern die, es uns und den Bedürftigen zugute kommen zu lassen, ihm aber zum Danke in Worten Huldigungen und Gesänge emporzusenden für unsere Erschaffung und für alle Mittel zu unserem Wohlsein, für die Mannigfaltigkeit der Arten und für den Wechsel der Jahreszeiten, und die wir Bitten emporsenden, daß wir wieder in Unvergänglichkeit erstehen durch den Glauben an ihn – welcher Vernünftige wird das nicht einräumen?«6
In diesem langen Satz ist eine ganze schöpfungstheologische Grundlegung des Gebets enthalten. Die Anerkennung des Schöpfers steht am Anfang, und damit auch die Anerkennung und Bejahung der eigenen Geschöpflichkeit und Endlichkeit. Aus dieser Verhältnisbestimmung ergibt sich die Verehrung als der angemessene Modus der Kommunikation mit dem transzendenten Gott. Da das Werk des Schöpfers in jüdisch-christlicher Tradition als gut angesehen wird, ist ihm dafür, inklusive der eigenen Erschaffung, Dank zu sagen. Aus der Bejahung der Schöpfung leitet sich auch ab, dass die physikalischen Rahmenbedingungen des menschlichen Lebens als wertvolles Geschenk dankbar angenommen werden. Dass die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme von Gott eingerichtet wurde, erfährt seine gebührende Würdigung deshalb nicht in der Vernichtung von Nahrungsmitteln in Form von Opfern, sondern darin, sie ihrer natürlichen Bestimmung zuzuführen, indem man sie isst und anderen davon zu essen abgibt. Die Gabe, die der Mensch seinem Schöpfer dafür zuteil werden lässt, ist hingegen keine Materie, sondern das Gebet7: der Dank für die Gaben der Schöpfung, von denen der Mensch leben kann, für den Reichtum der Natur insgesamt und für Naturabläufe wie den Jahreskreis. Schließlich wird in der Bitte um Auferstehung und Unvergänglichkeit die eschatologische Vollendung als Zielvorstellung vor Augen geführt. Und die abschließende rhetorische Frage setzt voraus, dass all dies der Vernunft des Menschen entspricht. Formal ist dabei zu beachten, dass das Gebet als dankende Antwort und Bitte nicht nur inhaltlich aus dem Schöpfertum Gottes abgeleitet ist, sondern auch selbst die menschliche Geschöpflichkeit durch die Vollzugsform des Gesangs bejaht8, in dem Geistigkeit und Körperlichkeit miteinander verbunden sind.
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Just. apol. 1, 13 (PTS 38, 50 Marcovich; dt. BKV2 12, 77 Rauschen). Dieser Gedanke ist bereits bei Tertullian voll entfaltet: Die bei Mal 1, 11 angekündigten universalen Opfer seien die Gebete und Lobopfer der Christen: Sic itaque sacrificia spiritalia laudis designantur; vgl. Tert. adv. Iud. 5 (CCL 2, 1351, 43f Kroymann; dt. BKV2 7, 313 Kellner); ähnlich Tert. orat. 27f (CCL 1, 273 Diercks; dt. BKV2 7, 271 Kellner). Da die Argumentation des Justin darauf abzielt, Gott den geschuldeten Dank anstelle der im Heidentum üblichen Opfer und πομπαί »in Worten« darzubringen, kann ein bildliches Verständnis auch der ὕμνοι nicht ausgeschlossen werden. Da der Gesang als solcher aber im Christentum dieser Zeit sicher belegt ist, dürfte diese Praxis für den Autor und seine Leser eine selbstverständliche Assoziation gewesen sein. In einer ganz ähnlichen Äußerung Tertullians wird dieselbe gedankliche Verbindung ebenfalls hergestellt, hier allerdings im direkten An-
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(A) Motivation
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Gebet und Leiblichkeit Die einzelnen bei Justin aufscheinenden Facetten bedürfen einer eingehenderen Reflexion. Aus der Überzeugung, dass die Welt erstens von Gott geschaffen und zweitens gut ist, erwächst der Dank für die eigene Körperlichkeit und die durch sie bedingten Vorgänge: Es ist gut, dass der Mensch essen muss und kann9, es ist gut, dass er abends einschläft und morgens aufwacht, dass die Sonne aufund untergeht. Diese Überzeugung teilen auch liturgische Texte, sobald sie in der schriftlichen Überlieferung fassbar werden. Das Abendgebet, das die äthiopische Fassung der Traditio Apostolica bewahrt hat, nimmt den natürlichen Lauf des Tages und das Schwinden des Lichtes am Abend zum Anlass, die Erleuchtung durch das unvergängliche Licht, Jesus Christus, zu thematisieren. Aber es ist nicht nur die spirituelle Ebene, für die sich der Beter interessiert; und mit der geistlichen Überhöhung des physikalischen Phänomens ist keine Abwertung des geschöpflichen Lichtes verbunden. Im Gegenteil: Das Erleben des Lichtes am Tag wird im Rahmen einer Mahlfeier als Sättigung bezeichnet und damit zu den notwendigen ›Lebensmitteln‹ gezählt, die Gottes Schöpfung für den Menschen bereithält10. Von Anfang an waren deshalb die erwähnten natürlichen – besser: geschöpflichen – Abläufe auch beliebte Anlässe zum Gebet11. Aber bereits Justin deutet an, dass die Schöpfung nicht nur hinreichend Grund zum Gebet bietet, sondern auch dessen Modus vorgibt: Die Danksagung des Geschöpfes an seinen Schöpfer hat zwingend eine leibliche Komponente, über deren konkrete Gestalt auch in anderen frühen Zeugnissen klare Vorstellungen herrschen: (1) Das betrifft zunächst die Körperhaltung: Für das Gebet wird von den ältesten Zeugnissen an das aufrechte Stehen als angemessene Haltung vorausgesetzt,
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schluss an die Beschreibung des gemeinsamen Gesangs von Christen als Opfer: »Wir sind die wahren Anbeter und die wahren Priester, welche, im Geiste betend, im Geiste das Gebet als eine Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen, die er nämlich verlangt, die er für sich vorgesehen hat [...] dieses Opfer müssen wir mit dem Pomp guter Werke unter Psalmen- und Hymnengesang zum Altar Gottes hinführen, und es wird von Gott alles für uns erlangen«; vgl. Tert. orat. 28, 3f (CCL 1, 273 Diercks; dt. BKV2 7, 271 Kellner). Noch Nicet. Remesian. psalm. 7 (237, 10f Turner; dt. 14 Dohmes) beruft sich auf den Opfercharakter des Gesangs, um ihn gegen Kritiker zu verteidigen: »Siehe das vorzüglichere, siehe das geistliche Opfer, das größer ist als alle Schlachtopfer« (ecce praestantius, ecce sacrificium spiritale, maius omnibus sacrificiis uictimarum). Er zitiert zum Beweis dafür u. a. Ps 69 (68), 31f: »Ich will den Namen Gottes rühmen im Lied, in meinem Danklied ihn preisen. Das gefällt dem Herrn mehr als ein Opferstier, mehr als Rinder mit Hörnern und Klauen.« Vgl. z. B. Theod. Mops. cat. hom. 11, 14 (dt. FC 17, 2, 313f Bruns): »Wenn nun für den Bestand der Natur in dieser Welt manche Dinge vom Schöpfer als nötig bestimmt werden, dann ist die Bitte um diese Dinge gerechtfertigt und ihr Gebrauch nicht schändlich.« Äth. Trad. Apost. 36 (75–77 Duensing) = Botte Nr. 25. Vgl. Kapitel B.I.1 ›Gebetszeiten‹ (S. 99–114).
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und zwar im Privaten wie im Gottesdienst12. Ebenfalls von frühester Zeit an wird betont, dass die äußere Körperhaltung Ausdruck einer inneren Haltung ist. So bevorzugt Origenes die stehende Haltung mit erhobenem Blick und ausgestreckten Armen, weil man dadurch »gleichsam das Abbild der besonderen Beschaffenheit, die der Seele während des Gebetes geziemt, auch am Körper trägt«13. Clemens von Alexandrien hatte das »Streben des Geistes empor in die geistige Welt« sogar noch zusätzlich dadurch unterstreichen wollen, dass sich der Beter auf seine Fußspitzen stellt14. Etwa gleichzeitig argumentieren allerdings Tertullian und Cyprian im Westen in die genaue Gegenrichtung – hin zu einer größeren Zurückhaltung und Selbstbescheidung: Die Hände sollten nicht zu hoch erhoben, nicht zu weit ausgestreckt und der Blick nicht zu zuversichtlich zum Himmel gerichtet werden15. Mit Tertullian16 im Westen und Origenes17 im Osten beginnt zugleich die Reihe derer, die auch das Niederwerfen, die Kniebeuge oder die Verneigung als Zeichen der Demut im Gebet propagieren – eine Haltung, die später im Gottesdienst zur Steigerung der Ehrfurcht immer stärker eingesetzt wird18. An solcherlei gegenläufigen Deutungen zeigte sich schon damals die Bedingtheit des körpersprachlichen Vokabulars, das heute in einem durch die Astrophysik revolutionierten Weltbild zum Teil als Symbolgeschehen neu begründet werden muss und kann19. Besonders Tertullian ist sichtlich bemüht, die Körperhaltung auch zur Abgrenzung gegenüber seiner heidnischen, ›götzendienerischen‹ Umwelt zu nutzen: Bräuche wie das Ablegen des Überwurfs (der Pänula) vor dem Gebet sind seiner Meinung nach schon allein »darum zu unterdrücken, weil sie uns den Heiden
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Vgl. z. B. Just. apol. 1, 67, 5 (PTS 38, 129 Marcovich; dt. BKV2 12, 136 Rauschen); Mart. Polyc. 7, 3 (12 Obán; dt. BKV2 14, 300 Rauschen); Cypr. domin. orat. 4. 31 (CSEL 3, 1, 268, 19; 289, 11 Hartel; dt. BKV2 34, 168. 191 Baer); syr. Didask. 12 (CSCO 407 / Syr. 179, 144, 5–7 Vööbus; dt. 68 Achelis / Flemming). Orig. or. 31, 2 (GCS Orig. 2, 396, 12–14 Koetschau; dt. BKV2 48, 139 Koetschau); ähnlich Orig. or. 8, 2 (GCS Orig. 2, 317 Koetschau; dt. BKV2 48, 33 Koetschau). Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 40, 1 (GCS Clem. 3, 30 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 46 Stählin). Vgl. Tert. orat. 17, 1 (CCL 1, 266 Diercks; dt. BKV2 7, 260 Kellner) mit der grundsätzlichen Befürwortung des Aufblicks bei Tert. apol. 30, 4 (CCL 1, 141 Dekkers; dt. 127 BKV2 24, 127 Kellner); Cypr. domin. orat. 6 (CSEL 3, 1, 269f Hartel; dt. BKV2 34, 170 Baer). Vgl. Tert. orat. 23 (CCL 1, 271f Diercks; dt. BKV2 7, 268f Kellner); zu Ehepaaren beim häuslichen Gebet vgl. Tert. uxor. 2, 9 (CCL 1, 393f Kroymann; dt. BKV2 7, 84 Kellner). Vgl. Orig. or. 31, 3 (GCS Orig. 2, 396f Koetschau; dt. BKV2 48, 139f Koetschau). Vgl. Eger. itin. 24, 6; 25, 4 (228f. 236f Röwekamp); Const. Apost. 8, 37, 4; 39, 1 (SC 336, 248. 252 Metzger; dt. BKV2 5, 70f Storf); zu Cäsarius vgl. die zahlreichen Belege bei Berg, Cäsarius (1994) 137–140. Vgl. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 55. 101f. Die ›himmlische Liturgie‹ als Bezugsgröße des Gottesdienstes und seiner Symbolsprache behandelt ausführlich Odenthal, Ritual (2002) 47– 70. 187f. 202. 209. 220.
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gleichmachen«20; und wenn sich einige Christen nach dem Gebet zu setzen pflegen, dann ist ihm wiederum die Nähe zur heidnischen Praxis Grund genug, von dieser Sitte Abstand zu nehmen: Denn »da die Heiden ebenso handeln, [...] so verdient es gerade deswegen getadelt zu werden, weil es bei den Götzenbildern so gehalten wird.«21 Als später die gesellschaftlichen Gepflogenheiten für die Kirche längst kein Feindbild mehr sein mussten, konnte Cäsarius von Arles Elemente der gottesdienstlichen Körpersprache genau umgekehrt aus den profanen Parallelen positiv im Sinne der Überbietung ableiten: »Wir erbitten eine irdische Sache von einem irdischen Menschen, und fast bis zur Erde verneigen wir uns demütig; aber vor Gott, von dem wir um Nachlass der Sünden und ewige Ruhe bitten, geruhen wir nicht einmal unsere Häupter zu neigen.«22 Gemeinsam ist beiden Argumentationsrichtungen, dass sie der äußeren Haltung eine innere Bedeutung beimessen und dass diese zum Gebet passen muss23. Das konkrete körpersprachliche Vokabular kann dabei kultur- und kontextbedingt variieren. (2) Eine weitere Facette der Leiblichkeit ist die Gebetsrichtung; auch diese hat eine theologische Bedeutung. Vom Aufblick der Augen zum Himmel war bereits die Rede. Schon früh wird die Ausrichtung auf Gott jedoch exklusiv mit der Himmelsrichtung des Ostens in Verbindung gebracht24, der als Ort des Paradieses und der Wiederkunft Christi gilt25, so dass Franz Joseph Dölger von einer »Gleichung Osten = Himmel«26 sprechen kann. Liturgie und Kirchenbau sind stark von dieser Anschauung geprägt27. In der hohen Bedeutung, die die 20 21 22 23
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Tert. orat. 15, 1 (CCL 1, 265 Diercks; dt. BKV2 7, 259 Kellner). Tert. orat. 16, 5 (CCL 1, 266 Diercks; dt. BKV2 7, 260 Kellner). Caes. Arelat. serm. 77, 3 (CCL 103, 320 Morin). So betont etwa Gessel, Theologie (1975) 128 zum Knien bei Origenes, dass es »zugleich körperlich und übertragen geistig verstanden« wird. Vgl. für das 3. Jahrhundert u. a. Clem. Alex. strom. 7, 43, 6 (GCS Clem. 3, 32f Stählin; dt. BKV2 2, 20, 49 Stählin); für Orig. or. 32 (GCS Orig. 2, 400f Koetschau; dt. BKV2 48, 145 Koetschau) ist die Ostung im Konfliktfall ausdrücklich wichtiger als der Blickkontakt zum Himmel; Tert. apol. 16, 9f (CCL 1, 116 Dekkers; dt. BKV2 24, 85f Kellner); syr. Didask. 12 (CSCO 407 / Syr. 179, 144, 8–11 Vööbus; dt. 68, 20–23 Achelis / Flemming); zum Ganzen vgl. Wallraff, Christus (2001) 60–88; Dölger, Sol Salutis (1925). Vgl. Gen 2, 8. Das Paradies wird seinerseits als Wohnsitz Gottes vorgestellt; vgl. Jub. 8, 19 (372f Berger). Die Verbindung der Gebetsrichtung mit dem Paradies ist durch Const. Apost. 2, 57, 3 (SC 320, 312, 9–12 Metzger; dt. 101 Boxler), Bas. Caes. Spir. 27, 66 (SC 17bis, 236 Pruche; dt. FC 12, 279 Sieben) und Cyr. / Joh. Hier. cat. mystag. 1, 9 (SC 126, 98, 3f Piédagnel; dt. FC 7, 107 Röwekamp) bezeugt. Zur Wiederkunft Christi vgl. Dölger, Sol Salutis (1925) 198–217. Vgl. Dölger, Sol Salutis (1925) 222. Vgl. Budde, Basilios (2004) 258–260 zu äg. Bas. 21 (146f Budde). Zur Diskussion um die heutige Ausrichtung des Gottesdienstes vgl. Gerhards, Ausrichtung (2001); Versus orientem (2002).
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Autoren der körpersprachlichen Ebene durchgängig beimessen, wird deutlich, dass das Gebet, obwohl es in erster Linie ein innerer Vorgang ist, sich nicht von seinen dinglichen Rahmenbedingungen frei machen kann. In der Körperhaltung, mehr noch in der Ausrichtung, muss sich der Beter in und gegenüber der ihn umgebenden Welt positionieren. (3) Noch ungleich deutlicher öffnet sich der Blick des Beters auf sein konkretes und unmittelbares Umfeld bei der Frage nach der Wahl des Ortes. Natürlich gilt prinzipiell die ganze Welt als zum Gebet geeignet: »Jeder Ort, wo wir an Gott denken, und jede Zeit ist sonach heilig«28. Wenigstens dem Gnostiker traut Clemens von Alexandrien durchaus zu, auch tatsächlich unter allen Umständen sein Gebet beizubehalten, »mag er nun einen Spaziergang machen oder in Gesellschaft sein oder ausruhen oder lesen oder ein verständiges Werk beginnen«29. Bereits Origenes nimmt allerdings gewisse Abstufungen vor, wenn er davor warnt, im eigenen Haus, also gewissermaßen unter den Bedingungen der freien Platzwahl, an einer Stelle zu beten, an der bereits einmal »gegen Sitte und Gesetz gefrevelt«, »gegen die Vernunft gehandelt« oder auch der »gestattete eheliche Umgang« vollzogen worden sei 30 . Ebenso möchte auch Tertullian die ›Schicklichkeit‹ des Ortes in die Auswahl einbezogen wissen31, während später Theodor von Mopsuestia stärker auf die Ruhe und die Flucht vor Ablenkung abzielt, wenn er die Abgeschiedenheit des Gebetsortes aus dem Neuen Testament ableitet32. Hinter all diesen Überlegungen steht offenbar die Einsicht, dass jeder Mensch mit seinem Aufenthaltsort und seinem Umfeld in Beziehung steht. Selbst das zurückgezogene Privatgebet zuhause wird durch Geräusche aus der Nachbarschaft oder durch die Vertrautheit mit dem Raum vom setting beeinflusst. Und wenn sich ein Gebet im Notfall auch irgendwo, rein gedanklich und von anderen unbemerkt vollziehen lässt, so kann doch der Einfluss einer ›gebetsfeindlichen‹ Umgebung allenfalls überwunden, nicht jedoch ausgeblendet werden. Der menschliche Körper und sein räumliches Umfeld sind stets im Gebet präsent33 – sei es mit positivem oder negativem Vorzeichen. Ein zum Beten geeigneter Raum kann deshalb wie das Instrument eines Geigers als eine Art Verlängerung des menschlichen Körpers aufgefasst werden34. 28
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Clem. Alex. strom. 7, 43, 1 (GCS Clem. 3, 32 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 49 Stählin). Vgl. auch Orig. or. 31, 4 (GCS Orig. 2, 397, 19f Koetschau; dt. BKV2 48, 141 Koetschau) oder den Verweis auf Notlagen wie das Gebet der Apostel im Kerker bei Tert. orat. 24 (CCL 1, 272 Diercks; dt. BKV2 7, 269 Kellner). Clem. Alex. strom. 7, 49, 7 (GCS Clem. 3, 37 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 55 Stählin). Orig. or. 31, 4 (GCS Orig. 2, 398 Koetschau; dt. BKV2 48, 141 Koetschau). Vgl. Tert. orat. 24 (CCL 1, 272 Diercks; dt. BKV2 7, 269 Kellner). Vgl. Theod. Mops. cat. hom. 11, 2.6 (dt. FC 17, 2, 300f. 304f Bruns). Vgl. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 34f. Vgl. Guiver, Company (2001) 37.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Körperlichkeit des Menschen sein Gebet immer begleitet. Vor diesem Hintergrund ist wohl auch das folgende Zugeständnis zu verstehen, das Origenes seinen Lesern macht: »Wenn die Verhältnisse es nicht erlauben, daß wir uns zurückziehen und das schuldige Gebet darbringen – dann ist es statthaft zu beten, auch ohne daß wir uns (äußerlich) den Anschein davon geben«35. Im Notfall kann die körperliche Ebene einmal zurückgestellt werden; der Geist trägt in diesem Fall den Vorgang allein. Ohne Not gilt jedoch nach dem Zeugnis der Väter: Das Geschöpf betet ganz; der Körper betet mit. Gebet und Gottesbegegnung Die selbstverständliche Berücksichtigung der Leiblichkeit für das Gebet soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Frühzeit der Schwerpunkt der Reflexion ganz auf dem inneren Vorgang lag: auf der Begegnung der gläubigen Seele mit Gott. So ermuntert bereits der 2. Clemensbrief unter Verweis auf Jes 29, 13 LXX zur Verehrung Gottes mit den Lippen, dem Herzen und dem Verstand36. Besonders Clemens von Alexandrien entfaltet dann – erstmals in der christlichen Literatur – eine ganze Gebetstheologie, in deren Zentrum seine bereits in der Antike ›klassisch‹ gewordene Definition von Gebet steht: »Es ist also das Gebet, um diesen kühnen Ausdruck zu wagen, ein Gespräch (ὁμιλία) mit Gott. Wenn wir daher nur flüsternd und, selbst ohne die Lippen zu öffnen, schweigend zu ihm sprechen, so rufen wir laut zu ihm in unserem Herzen; denn Gott hört ununterbrochen die innere Stimme unseres Herzens.«37 Diese Definition macht deutlich, dass der ganz intime Kontakt zu Gott die entscheidende Ebene des Gebetslebens ist. Und er ist von seiner Gattung her freies Sprechen mit Gott38. Ὁμιλία ist der gewöhnliche Umgang, die Unterhaltung – keine Förmlichkeit, kein kultischer Akt und keine pure Pflichterfüllung. Das Entscheidende ist vielmehr, »mit Gott in Verkehr zu kommen«, und dieser »Zugang (πρόσοδος) zu Gott«39 ist direkt und braucht keine Vermittlung. Da Gott in die Seele des
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Orig. or. 31, 2 (GCS Orig. 2, 396 Koetschau; dt. BKV2 48, 139 Koetschau). Vgl 2 Clem. 3, 4f (242f Wengst); ähnlich 2 Clem. 9, 10 (250f Wengst). Vgl. Jes 29, 13 LXX: »Dieses Volk nähert sich mir, mit ihren Lippen ehren sie mich, ihr Herz aber hält es weit von mir fern«. Die Stelle wird bereits neutestamentlich in Mk 7, 6 und Mt 15, 8 zitiert; ebenso 1 Clem. 15, 2 (42f Fischer). Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 39, 6 (GCS Clem. 3, 30 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 45f Stählin); dazu Viller / Rahner, Aszese (1939) 71. In der Betonung des Extremfalls »selbst ohne die Lippen zu öffnen« kommt auch hier die Selbstverständlichkeit des normalerweise stimmhaft vollzogenen Gebets zum Ausdruck. Clem. Alex. strom. 7, 42, 1 (GCS Clem. 3, 31 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 48 Stählin). Auch Orig. or. 10, 2 (GCS Orig. 2, 320, 12–14 Koetschau; dt. BKV2 48, 37 Koetschau) spricht
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Menschen unmittelbare Einsicht hat, muss der Klang der menschlichen Stimme nicht erst über die Schallwellen durch die Luft zu ihm dringen40, sondern bereits das gedachte Wort wird von ihm verstanden41, ja selbst unsprachliche Empfindungen wie das in Röm 8, 26 erwähnte »Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können«42. Diesen Gedanken greift später Augustinus in seinem Brief an Proba wieder auf: »Ferne sei vom Gebete vieles Reden [...]. Denn dieses Geschäft wird meistens besser mit Seufzern als mit Worten, besser mit Weinen als mit Reden betrieben.«43 Das innere Gebet ist dabei ebenso schöpfungstheologisch grundgelegt wie der äußere Vollzug durch Gesten, Stimme, Haltung und Ausrichtung. Denn die Möglichkeit, den Dank für die Schöpfung zu denken und zum Ausdruck zu bringen, ist wiederum dem Schöpfer selbst geschuldet: Dieser hat den Menschen mit einer Vernunft ausgestattet, die ihn zur bewussten Anbetung befähigt und ihn darum auch verpflichtet, die kognitive Dimension des Gebets zu verwirklichen. Diesen gedanklichen Bogen schlägt das Abendgebet der Apostolischen Konstitutionen: »Gott der Väter und Herr der Barmherzigkeit, der du durch deine Weisheit den Menschen, das vernunftbegabte Wesen, geschaffen hast [...]. Segne deine Diener durch Christus, [...] durch den dir auch die würdige Anbetung geschuldet wird von jeder vernunftbegabten und heiligen Natur«44. Ein nur äußerlich vollzogenes Gebet wird daher der Geschöpflichkeit des leib-geistigen Menschen und dem Anspruch einer dementsprechenden Verehrung ebenso wenig gerecht wie ein rein innerlich vollzogenes Gebet. Das Gebet soll vielmehr immer den ganzen Menschen umfassen: seinen Geist und seinen Leib. Ähnlich wie im Notfall die leibliche Komponente des Gebets entfallen kann, so muss es im Einzelfall auch nicht von Schaden sein, das Gebet um der kontinuierlichen Übung willen einmal der Gewohnheit folgend nur äußerlich zu vollziehen45 – darauf hat George Guiver mit Recht aufmerksam gemacht46. Die Vollform allerdings liegt vor, wenn der Mensch alle Facetten seiner Ge-
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von der »Vermischung« (ἀνακραθῆναι) mit dem Geist Gottes als dem Ideal, das durch das Gebet in der rechten Gesinnung auch geschult werden soll. Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 37 (GCS Clem. 3, 28f Stählin; dt. BKV2 2, 20, 43f Stählin). Besonders anschaulich fragt Tert. orat. 17, 4 (CCL 1, 266f Diercks; BKV2 7, 261 Kellner), wie denn sonst das Gebet Jonas aus dem Bauch des Walfisches hätte zu Gott dringen können. Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 43, 4 (GCS Clem. 3, 32 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 49 Stählin). Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 49, 7 (GCS Clem. 3, 37 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 55f Stählin). Aug. ep. 130 ad Prob. 10, 20 (CSEL 44, 62, 14; 62, 18–63, 1 Goldbacher; dt. BKV2 30, 27 Hoffmann). Const. Apost. 8, 37, 5f (SC 336, 248. 250 Metzger). Gedankenlose Kreuzzeichen belegt und akzeptiert Joh. Chrys. in act. Apost. hom. 10, 5 (PG 60, 91). Vgl. Guiver, Company (2001) 26. 36.
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schöpflichkeit in den Lobpreis Gottes einbezieht. Auf Dauer kann das Gebet hinter diesem Anspruch nicht zurückbleiben, ohne dadurch seinen Sinn zu verfehlen. Die Stimme erheben 47
Mit seiner Stimme verleiht der Mensch sich selbst und seiner ganzen Persönlichkeit den individuellsten Ausdruck, den er hat48: Sie ist unverwechselbar und kriminologisch genauso eindeutig dem Individuum zuzuordnen wie ein Fingerabdruck. Neben den direkt zur Erzeugung der Stimme notwendigen Organen (Atmungssystem, Kehlkopf, Rachen-, Mund- und Nasenraum) wird auch das Ohr und letztlich der gesamte Körper beim Sprechen und Singen in Schwingungen versetzt; zudem wird der Klang, den man sich selbst äußern hört, auch von der Umwelt mitgeprägt49. Martin Luther hat diesem anthropologischen Proprium spirituelle Bedeutung beigemessen: »Den Menschen aber ist allein vor den anderen Creaturen die Stimme mit der rede gegeben, das er solt künnen und wissen, Gott mit gesengen und Worten zugleich zu loben (ut sciret, se Deum laudare oportere verbo et Musica)«50. Das vernehmliche Sprechen war bereits für das Privatgebet in der Antike die selbstverständlich vorausgesetzte Vollzugsweise: Ausnahmen davon müssen in der Traditio Apostolica für die mitten am Tag, also unter Umständen in der Öffentlichkeit verrichteten Gebete eigens eingeräumt werden51, während der Topos des Nachahmens der Stimme Christi oder der nächtliche Rückzug vor dem Ehepartner in ein anderes Zimmer den Einsatz der menschlichen Stimme als Normalfall implizieren52. Auch der Gesang gehört von den frühesten Zeugnissen an zum selbstverständlichen Lebensvollzug des Christen53. Dass dem Gesang gegenüber der 47 48 49
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Zu den physiologischen Grundlagen vgl. Willa, Singen (2005) 64–70. Vgl. Reich, Evangelium (1997) 17. 35. Vgl. Willa, Singen (2005) 69: »Mit Hilfe des Gehörs und der Körpervibration baut der Sprechende bzw. Singende, z. T. ergänzt durch visuelle und affektive Informationen, ein ›stimmliches Körperschema‹ auf, d. h. eine durch die Stimme vermittelte Vorstellung und Empfindung seines Körpers.« So Martin Luther in der Vorrede zu Georg Rhau, Symphoniae iucundae (Wittenberg 1538) in der Übersetzung von Johann Walter aus dem Jahr 1564; hrsg. v. Blankenburg, Johann Walter (1991) 443. Vgl. sah. Trad. Apost. 62 (36f Till / Leipoldt) = Botte Nr. 41, s. a. o. S. 20 Anm. 38. Vgl. sah. Trad. Apost. 62 (38f Till / Leipoldt) = Botte Nr. 41. Dies zeigt sich in zahlreichen frühen Quellen, die sich auf den privaten Gesang ebenso beziehen können wie auf den gemeinschaftlichen; vgl. Just. apol. 1, 13 (PTS 38, 50 Marcovich; dt. BKV2 12, 77 Rauschen); Plin. ep. 10, 96 (40f Guyot / Klein). Fischer, Väter (1956) 138 sieht auch in der Metapher des Chores bei Ignatius einen Reflex liturgischer Praxis; vgl. Ign. Eph. 4, 1f (144 Fischer); Ign. Rom. 2, 2 (184 Fischer). Auch Clem. Alex. paidag. 3, 12, 101 (GCS
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Sprache eine ungleich stärkere Fähigkeit eignet, Emotionen zum Ausdruck zu bringen, liegt in der frühkindlichen Entwicklung begründet: Das Singen geht unmittelbar aus dem Lallen und dem Schreien hervor. Während die Übernahme der durch Konventionen definierten Sprache für das Kind das Aufgeben seiner eigenen Ausdrucksformen bedeutet, lebt in der unmittelbaren Modulation der Stimme durch Gesang die ursprüngliche Direktheit der Selbstäußerung fort. In der ganz dem eigenen Körper und dem eigenen Empfinden zuzuordnenden stimmlichen Äußerung kann deshalb die Persönlichkeit des Singenden besonders intensiv zum Ausdruck kommen54. Neben seiner physischen tritt deshalb auch seine seelische Konstitution wahrnehmbar in Erscheinung. Aber bereits in dem zitierten Diktum Luthers wird deutlich, dass nicht nur die physische und auch nicht nur die emotionale Komponente bedeutsam ist, sondern gerade die Kombination dieser beiden Facetten mit dem Wort55. Schon Augustinus hatte davor gewarnt, sich den Gefühlen, die der Gesang auslösen kann, einfach hinzugeben. Der Text sei schließlich das Entscheidende56. Es ist dies genau jene Logos-Bezogenheit, deren Bedeutung Papst Benedikt XVI. noch als Joseph Ratzinger eindringlich betont hat57: Die emotionale Kraft der Musik ist im Gottesdienst dem Inhalt dienend untergeordnet. Unter dieser Voraussetzung allerdings vermag Musik »die Tiefendimension des Humanum zu erreichen«58 und die kognitive Ebene zu übersteigen. Dadurch ist sie besonders geeignet, auch die Kommunikation mit dem transzendenten Gott symbolisch zum Ausdruck zu bringen: »Der Singende ist sich bewußt, daß er das Geheimnis Gottes nie adäquat in Worte fassen kann; deshalb singt er. Der Jubilus der gregorianischen Alleluja-Antiphonen ist letztlich nichts anderes als eine Verlautung apophatischer, d. h. wortloser, ›negativer‹ Theologie: Gott ist unaussprechlich, und doch können wir nicht schweigen; also müssen wir singen.«59 Mit den Worten Christa Reichs sei zusammengefasst, warum im Gebet der selbst vollzogene Gesang der Geschöpflichkeit des Menschen in ein-
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12 = Clem. 1, 291f Stählin; dt. BKV2 2, 8, 221–223 Stählin) erwähnt den Gesang der Christen, nennt sie einen »Chor des Friedens« und beendet seine Schrift mit dem Aufruf: »Lasst uns vereint dem Gott des Friedens psallieren!« Zum Ganzen vgl. Franz, Alte Kirche (2000). Vgl. Willa, Singen (2005) 62f. Dass diese Offenheit verletzlich macht, ist zugleich der wichtigste Grund für die Singhemmungen vieler Menschen in Gemeinschaft; vgl. ebd. 93f. Singen ist jedoch grundsätzlich dem Menschen so sehr gemäß, dass es bei regelmäßiger Praxis sogar positive Wirkungen auf die Konzentrationsfähigkeit, auf die physische Leistungsfähigkeit, auf das Sozialverhalten und die Lebenszufriedenheit insgesamt entfaltet; vgl. Willa, Singen (2005) 79. 84. 89f. So auch Adamek, Lied (1987) 186. 194. Vgl. Aug. conf. 10, 33, 50 (CCL 27, 182 Verheijen; dt. 565–567 Bernhart). Vgl. Ratzinger, Geist (2000) 128–131. Gerhards, Kirchenmusik (2000) 103. Gerhards, Singen (1993) 512.
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zigartiger Weise entspricht: »Im Hymnus, im Lobgesang, erfährt der Mensch etwas von seiner Bestimmung: aufrecht zu stehen, frei zu atmen und mit Stimme, Denken, Fühlen, Wollen und Sein hinzuweisen auf Den, der ihn gemacht hat – und dies alles zusammen mit dem Menschen neben ihm. Im gesungenen Lob leuchtet eine Wahrheit auf, die auf andere Weise wohl nicht ›erkannt‹ werden kann.«60 Wie von Gott selbst nur apophatisch gesprochen werden kann, so auch von der künftigen, erlösten Existenz. Auch diese wird als Gemeinschaft im Gesang vorgestellt; und so kann der irdische Gesang auch als Vorgriff auf die Vollendung verstanden werden. Beispielsweise schildert Cyprian die künftige Herrlichkeit in ähnlicher Weise als ›Jubeln‹ wie das Jubeln und Frohlocken der Christen in Vorfreude darauf61. Später schwärmt Bischof Nicetas von Remesiana62 davon, wie die singende Gemeinde den Engeln verbunden sei: »Der Gesang macht es möglich, mit Gott in unmittelbaren Kontakt zu treten. [...] Ebenso wie die Engel vor Gott ihren nie endenden Lobgesang darbringen, so befindet sich derjenige unmittelbar im Kontakt mit Gott, der den Dienst an den Psalmen in rechter Art und Weise (›digna fide et devotione‹) ausführt.«63 Die Legende, der heilige Ignatius habe antiphonische Hymnen nach dem Vorbild der Chöre der Engel eingeführt64, erhält von dieser Denkweise her ihre Plausibilität65. Im Gesang bestimmter Hymnen vereinen sich die irdischen Kreaturen mit den himmlischen so konkret, dass z. B. der Anspruch erhoben wurde, der Gesang der drei Jünglinge aus Daniel 3 müsse weltweit in jeder Kirche öffentlich gesungen werden – und Kleriker, die dies versäumten, seien ihres Amtes zu entheben66. Das Singen der Christen auf Erden ist in der antiken Vorstellungswelt eine »Chorprobe für den Himmel«67. Fazit: Um alle Ebenen der menschlichen Persönlichkeit – die physische, die emotionale und die kognitive Ebene, zugleich aber auch sein direktes räumli60 61
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Reich, Evangelium (1997) 27. Vgl. Cypr. Demetr. 20. 26 (CSEL 3, 1, 365, 18; 370, 22. 24 Hartel; dt. BKV2 34, 222. 227 Baer). Die Widrigkeiten der Gegenwart werden froh ertragen: exultant semper in Domino et laetantur et gaudent in Deo; zur künftigen Herrlichkeit heißt es: exultabimus semper [...] laetantes semper. Vgl. Nicet. Remesian. psalm. 10 (238f Turner; dt. 16 Dohmes), der seiner zur nächtlichen Wache versammelten Gemeinde ihre Verbundenheit mit den Engeln bewusst macht (angelis esse coniunctum), »die bekanntlich ohne Schlaf, ohne anderweitige Inanspruchnahme unaufhörlich Gott im Himmel singen und den Heiland preisen«. Rist, Plädoyer (2001) 50. Vgl. Socrat. h. e. 6, 8, 11 (GCS NF 1, 326 Hansen; engl. NPNF 2, 2, 144 Zenos); Leitner, Volksgesang (1906) 98. Vgl. dazu Messana, Chant (1998) 141. Vgl. Conc. Toletan. (4, 633) c. 14 (197 Vives). Meßner, Liturgiewissenschaft (1998) 273 Anm. 53.
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ches Umfeld und seine Hoffnung – in das Gebet einzubeziehen, ist der eigene Gesang in seiner Verbindung von Text, Musik und Körpereinsatz so etwas wie der natürliche Modus des Gebets. Nicht umsonst beginnt das Stundengebet täglich mit Psalm 95 (94): »Kommt, lasst uns jubeln vor dem Herrn und zujauchzen dem Fels unseres Heiles! Lasst uns mit Lob seinem Angesicht nahen, vor ihm jauchzen mit Liedern!«68 Gebet und Gebot Angesichts der zahllosen späteren Vorschriften zum Umfang und zur Vollzugsform des Gebets ist festzuhalten, dass Beten aus christlicher Sicht nicht die formale Erfüllung einer willkürlich auferlegten Pflicht ist, sondern dem Wesen des Menschen als Geschöpf Gottes entspricht. Es ist gewissermaßen ein ganz ›natürlicher‹ Vorgang, wenn der Mensch zu seinem Schöpfer betet und dabei dessen Gegenwart wahrnimmt. Die Begegnung mit Gott tut ihm gut und hilft ihm, zu sich selbst zu kommen69. Der Mensch spürt im Gebet – so die Theorie –, dass es seiner geschöpflichen Konstitution und Bestimmung entspricht, den Grund seines Daseins auch zum Fundament seines Lebensvollzugs zu machen. Dass das Gebet von Anfang an trotzdem auch den Charakter der Verpflichtung trägt, ist also aus der Geschöpflichkeit des Menschen abgeleitet, z. B. bei Origenes: »Da wir nun das über allen stehende Geschöpf und Gebilde Gottes sind, so sind wir zu alledem schuldig, ihm eine bestimmte Gesinnung zu bewahren und dazu die Liebe ›aus ganzem Herzen und aus ganzer Kraft und aus ganzem Denken‹; wenn wir dies nicht vollbringen, so bleiben wir Schuldner Gottes und sündig gegen den Herrn.«70 Tertullian versteht die Vaterunser-Bitte »Geheiligt werde dein Name« als universalen Anspruch, der eigentlich alle Menschen betrifft, also an das Menschsein als solches gebunden ist: »Offenbar geziemt es sich, daß Gott an jedem Orte und zu jeder Zeit von jedem Menschen gepriesen werde, um des schuldigen Andenkens seiner Wohltaten willen.«71 Damit ist zugleich klar, dass das Gebet auch Gegenstand von Vorschriften wird, die allerdings mit der Zeit an Strenge und vor allem an Konkretion spürbar zunehmen – vom reinen Faktum hin zur immer präziseren Ausgestaltung im Einzelnen. Die Didache weist noch recht allgemein darauf hin, dass die rechte Weise des Betens, wie auch alles sonstigen Handelns, ganz grundsätzlich
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Zur Eröffnung des täglichen Gebets in Christentum und Judentum mit diesem Psalm vgl. Gerhards / Kranemann, Einführung (2006) 191. Nach Evagr. Pont. pract. 15 (SC 171, 536 Guillaumont / Guillaumont) fixiert das Gebet umherschweifende Gedanken, und die Psalmodie beruhigt, wenn man erregt und aufgewühlt ist. Orig. or. 28, 3 (GCS Orig. 2, 376, 22–26 Koetschau; dt. BKV2 48, 112 Koetschau). Tert. orat. 3, 2 (CCL 1, 259 Diercks; dt. BKV2 7, 251 Kellner).
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aus dem Evangelium ableitbar ist72. Schon im 3. Jahrhundert aber werden die Vorstellungen eines angemessenen Gebetes auch inhaltlich präzisiert73, bei Cyprian wird mit dem Vaterunser sogar ein konkreter Wortlaut zwingend vorgeschrieben: »Anders zu beten, als er gelehrt hat, wäre daher nicht nur Unwissenheit, sondern auch ein Vergehen«74. Hier hat sich die Technik der Persolvierung eines ›objektiv‹ geeigneten Gebetstextes bereits von der Frage nach dem ›subjektiven‹, inneren Wort des Betenden etabliert. Unter den ägyptischen Mönchen wird der Gedanke der Pflichterfüllung zugespitzt: »Wenn uns Gott unsere Nachlässigkeiten in den Gebeten und unsere Zerstreuung beim Psallieren anrechnet, dann können wir nicht gerettet werden.«75 Wie sehr sich dann im lateinischen Frühmittelalter die Mentalität in dieser Frage weiter verändern sollte, zeigt sich in Klosterregeln, die Beten und Psallieren als Strafleistung auferlegen: »Im Vordergund frühmittelalterlichen Denkens steht Gebet nicht in erster Linie als Ausdruck einer persönlichen Beziehung zu Gott. Diese ist ein Produkt der Vorstellung einer individuellen Gottesnähe von Einzelnen, die sich erst wieder in der Neuzeit verbreitet.«76 Solange der seelische Vorgang aber noch als entscheidend angesehen wurde, ergab sich das Problem, dass ein vorgegebenes Pensum die jeweilige innere Verfassung des Einzelnen nicht mehr verlässlich zu treffen oder zu prägen vermag. So wird die disziplinarische Aufforderung zur gedanklichen Aufmerksamkeit und zum inne-
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Vgl. Did. 15, 4 (134f Schöllgen). Dieselbe Dringlichkeit und dasselbe Verb, mit denen sie die Gebetsvorschrift des Herrn in Sachen Vaterunser wiedergibt, kann sie auch für ganz andere Anordnungen wie die Fastenvorschriften ihres Adressaten an die Täuflinge benutzen (κελεύω); vgl. Did. 7, 4; 8, 2 (118f Schöllgen); zu dem insgesamt recht freien Umgang der Didache mit biblischen Vorlagen vgl. Schöllgen, Didache (1992) 33–36. Vgl. besonders Tert. orat. 1, 1f (CCL 1, 257 Diercks; dt. BKV2 7, 248 Kellner): Jesus Christus hat uns »eine neue Gebetsform vorgeschrieben [...]. So besteht denn auch die von Christus angeordnete Art zu beten aus drei Dingen: aus dem Worte, weil es ausgesprochen wird, aus dem Geiste, wodurch es so viel Kraft hat, und aus dem Gedanken, womit es gelehrt wird.« Ebenso Tert. orat. 9, 3 (CCL 1, 263 Diercks; dt. BKV2 7, 256 Kellner): »Gott allein war imstande, zu lehren, in welcher Weise er gebeten sein wollte. Von ihm selbst ist also der religiöse Dienst des Gebetes angeordnet und durch seinen Geist beseelt«. Cypr. domin. orat. 2 (CSEL 3, 1, 268 Hartel; dt. BKV2 34, 167f Baer). Vgl. auch den Beginn des Kapitels: »Unter seinen übrigen heilsamen Mahnungen und göttlichen Vorschriften, mit denen er für das Heil seines Volkes Sorge trägt, hat er selbst uns auch die richtige Fassung für unser Gebet angegeben, hat er selbst uns gemahnt und unterwiesen, um was wir flehen sollen. Er, der uns das Leben verlieh, hat uns auch gelehrt, zu beten, mit der gleichen Güte eben, in der er uns auch schon alles übrige zu geben und zu gewähren die Gnade hatte, damit wir um so leichter erhört werden, wenn wir mit der Bitte und dem Gebete zum Vater sprechen, das der Sohn gelehrt hat.« Vgl. Apophthegm. Patr. 11, 35 (SC 474, 152 Guy; dt. Nr. 299 Miller). Muschiol, Famula Dei (1994) 168.
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ren Mitvollzug der vorgegebenen Gebete zu einer ständigen Begleiterin solcher Gebetsanordnungen77. Aus dem Interesse an einer schlüssigen Ausgestaltung des Gebetslebens entwickelten sich im Lauf der Jahrhunderte immer klarere Vorstellungen davon, was im Einzelnen wann gebetet werden solle. Teilweise werden diese Vorstellungen als himmlische Offenbarung angesehen, etwa wenn die Anzahl von zwölf Psalmen oder Gebeten in jeder Hore von einem Engel mitgeteilt worden sein soll78. Im Mönchtum kann das Gebet als asketische Leistung charakterisiert werden, etwa wenn Melania ihre Schwestern dazu anhält, sich durch umfangreiche Gebetsleistungen Gewalt anzutun, um dafür einmal himmlischen Lohn zu erhalten79. Einer unangenehmen Pflicht brav nachzukommen und sich dies als gute Tat anrechnen zu dürfen, wurde so bereits in der Antike zu einer Triebfeder des regelmäßigen Gebets nach kirchlichen Vorgaben: Cäsarius von Arles betont mit Blick auf den täglichen Gottesdienstbesuch in der Fastenzeit, dass durch das Nachlassen der Disziplin verloren gehe (perdere), was durch den Besuch zuvor erworben worden war (acquirere)80. Der Verdienstgedanke nahm mit der Zeit einen höheren Stellenwert ein als das seelische Geschehen zwischen dem einzelnen Geschöpf und seinem Schöpfer. Besonders die oftmals dargestellte81, aber noch immer zu wenig erforschte82 Entwicklung von den Gemeinde-Tagzeiten über das monastische Offizium zum priesterlichen Privatgebet hat das Gebet in seinem Kern zur Absolvierung eines Pensums werden lassen, dessen erstes Motiv die Pflichterfüllung war. Luthers Kritik an dem »Missbrauch«, Gottesdienst und Gebet »als ein Werk« zu verrichten, um damit Gottes Gnade zu erwerben83, trifft präzise diese Entwicklung, die bereits in der Antike vom ursprünglich persönlichen Gespräch mit Gott über die Pflichterfüllung zum Verdienstgedan-
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Orig. or. 30, 3 (GCS Orig. 2, 394f Koetschau; dt. BKV2 48, 137 Koetschau) legt Wert auf das eigene Durchdenken der inhaltlichen Anregungen, die z. B. das Vaterunser gibt: »Da wir nun, um Gott mit Verständnis bitten zu können, daß wir ›nicht in Versuchung geraten‹, und ›von dem Bösen erlöst werden‹, diese Worte sorgfältiger geprüft und bei uns selbst erwogen haben.« Vgl. Joh. Cassian. inst. 2, 4 (SC 109, 64 Guy; dt. 132 Frank); Vit. Pachom. 22 (PL 73, 243). Vgl. Geront. vit. Melan. 46 (SC 90, 214 Gorce; dt. BKV2 5, 476f Krottenthaler). Vgl. Caes. Arelat. serm. 202, 5 (CCL 104, 816f Morin; dt. nach 93 Berg): »Und deshalb müsst ihr so handeln, dass ihr nicht durch das Versäumnis eines Tages verliert, was ihr in der ganzen Fastenzeit gesammelt habt. So ist es aber, die ganze Fastenzeit zu fasten, zu beten und zu psallieren, aber zur Passion des Herrn, das heißt an Parasceve, der Kirche fernzubleiben«. Vgl. Gerhards, Bendicam (1989) mit Literatur. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 264. Vgl. Martin Luther, Von ordenung gottis diensts ynn der gemeyne (WA 12, 35); vgl. Odenthal, Ordinatio (2005) 10f.
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ken führte: »deyn eynig ursach (zu betten) ist die. das dyr das unnd ßovill zcu beten auffgelegt ist«84. Über den Wert eines nur formal in den Kategorien des Gehorsams motivierten Gebets lässt sich ebenso trefflich streiten wie über den spirituellen Erfolg aller Versuche, die vermisste innerliche Beteiligung mit den Mitteln der Disziplin künstlich herzustellen. Dass allerdings ein Mensch, der sich als Geschöpf Gottes versteht, nicht anders kann als seinen Schöpfer zu preisen, bleibt der sachlich richtige Gehalt des vehementen biblischen und patristischen Anspruchs an alle Christen, das ganze Leben und die ganze Person durch das Gebet zu Gott zu prägen. Gebet und Ethos Die biblische Schöpfungserzählung möchte nicht nur die Existenz des Menschen verstehen, sondern auch sein sündiges Verhalten, das in offensichtlichem Widerspruch zu seiner geschöpflichen Bestimmung steht: Adam übertritt die ihm von Gott gesetzten Grenzen (Gen 2, 15–17; 3, 4–6) und Kain nimmt ausgerechnet die Verehrung Gottes zum Anlass für die erste Gewalttat unter Menschen (Gen 4, 3–8). Der Gehorsam gegenüber Gott und die Überwindung der Sünde sind demgegenüber die wichtigsten Pflichten des gläubigen Christen. Im Abendgottesdienst der Apostolischen Konstitutionen kommt folgerichtig auch eine ethische Komponente zur Sprache: »Du hast den Tag für die Werke des Lichtes und die Nacht zur Ruhe unserer Schwäche geschaffen«85. Dabei rechnet das entsprechende Morgengebet auch die Fähigkeit zum ethischen Handeln dem Erlösungswerk Gottes zu: »der du uns das Sein durch Christus gegeben und das Gutsein durch denselben geschenkt hast.«86 Hier wird gutes Handeln zur schöpfungsgemäßen Pflicht erhoben, aber zugleich jede Eigenleistung des Menschen der Gnade zugerechnet und dadurch zum Anlass für Preis und Dank. Insgesamt impliziert das Bittgebet nach der Überzeugung der Alten Kirche auch einen Lebensvollzug, der im Sinne dessen ist, was Gott mit seiner Schöpfung vorhat. Für Aphrahat z. B. ist das Vaterunser vornehmlich ein »Kompendium christlicher Ethik«87, und nach Gregor von Nyssa ist ein »reines, erhabenes Leben« geradezu die Vorbereitung dafür, Gott im Gebet »Vater« nennen zu dürfen88. 84 85 86
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Martin Luther, Sermon von den guten Werken (WA 9, 265). Const. Apost. 8, 37, 2 (SC 336, 248, 5f Metzger; dt. BKV2 5, 69 Storf). Const. Apost. 8, 38 (SC 336, 252, 21f Metzger; dt. BKV2 5, 71 Storf). Bruns, Theodor (1995) 240 mit Bezug auf Theod. Mops. cat. hom. 11, 1 (dt. FC 17, 2, 299 Bruns). Vgl. Greg. Nyss. or. dom. 2, 3 (GNO 7, 2, 25, 9–11 Callahan; dt. BKV2 56, 107 Weiß).
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Bereits in früherer Zeit galt dieser Zusammenhang89 – manchmal sogar indirekt: Laut der Didaskalie bleibt das Gebet von Witwen unwirksam, wenn es aus Almosen Unwürdiger finanziert wurde90. Auch Tertullian und Cyprian betonen, dass das Gebet begleitet vom »Pomp« bzw. den Früchten und dem Verdienst guter Werke vor Gott getragen werden muss, um Erhörung zu finden91. Andererseits aber unterstützt das Gebet den Menschen auch bei der Erfüllung dieses Anspruchs92; denn ein stetiger und enger Umgang mit Gott übt auf den Menschen einen guten Einfluss aus, ganz ähnlich wie auch unter den Menschen der Umgang mit Anständigen auf das eigene Verhalten positiv abfärbt. Man soll sich deshalb ruhig immerzu von Gott beobachtet fühlen93, und darf auch das Gelingen der eigenen guten Werke und die Freiheit von der Sünde selbst zum Gegenstand des Bittgebets machen94. Denn letztlich ist der Mensch von Gottes Gnade so abhängig, dass er seinen tugendhaften Wandel nicht aus eigener Kraft gewährleisten kann. Dies betont selbst Theodor von Mopsuestia, dem die Freiheit des menschlichen Willens zum Guten oder Bösen bei seiner Auslegung der Vaterunserbitte ›Dein Wille geschehe‹ theologisch sehr wichtig ist95: »Da wir [...] lernen sollen, daß wir ohne Gottes Hilfe nichts zu vollenden vermögen, hat er uns dies notwendigerweise in Form eines Gebetes überliefert«96. 89
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Laut syr. Didask. 11 (CSCO 407 / Syr. 179, 139, 10–20 Vööbus; dt. 65f Achelis / Flemming) wird kein Gebet erhört, solange man Streit mit dem Bruder hat. Vgl. syr. Didask. 18 (CSCO 407 / Syr. 179, 180–182 Vööbus; dt. 89f Achelis / Flemming). Vgl. Tert. orat. 28 (CCL 1, 273 Diercks; dt. BKV2 7, 271 Kellner); Cypr. domin. orat. 32f (CSEL 3, 1, 290 Hartel; dt. BKV2 34, 192f Baer). Wie Beten vor der Sünde schützt, macht Orig. or. 12, 1 (GCS Orig. 2, 324 Koetschau; BKV2 48, 43 Koetschau) anschaulich: »Denn von der Seele des Betenden geht gleichsam ein Geschoß aus, durch die Erkenntnis und Vernunft oder durch den Glauben des Frommen, um die Gott feindlichen Geister, welche uns mit den Fesseln der Sünde umschlingen wollen, durch die geschlagenen Wunden niederzuwerfen und zu vernichten«. Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 35, 4 (GCS Clem. 3, 27 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 42 Stählin). Auch Orig. or. 8, 2 (GCS Orig. 2, 317, 20–22 Koetschau; BKV2 48, 33f Koetschau) betont die fromme Stimmung, in die das Beten versetzt: »Geschieht dies aber häufig, so wissen die anhaltenden Beter durch die Erfahrung, von wie vielen Sünden dies abhält und zu wie viel wohlgelungenen Taten es führt.« Ähnlich später Theod. Mops. cat. hom. 11, 2 (dt. FC 17, 2, 300 Bruns). Um Freiheit von Sünde in der Nacht und die Bewahrung in Frömmigkeit bitten z. B. die Abend- und Morgengebete der Const. Apost. 8, 37, 2 ; 39, 3 (SC 336, 248, 12f; 252, 9f Metzger; dt. BKV2 5, 70. 72 Storf); die Reg. Ben. praef. 4 (SC 181, 414 de Vogüé / Neufville; dt. 63 Lambert; Kommentar bei Puzicha, Benediktusregel [2002] 51) empfiehlt, vor jedem guten Werk um sein Gelingen zu beten; nach dem Beten des Psalms soll nach Caes. Arelat. serm. 76, 1 (CCL 103, 316 Morin; dt. 145 Berg) jeder Gott bitten, »auf daß er das, was er aus dem Munde an Worten ausgesprochen hat, mit der Hilfe Gottes im Werke auszuführen vermöge«. Vgl. Bruns, Theodor (1995) 243. Theod. Mops. cat. hom. 11, 13 (dt. FC 17, 2, 311 Bruns).
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Aus denselben theologischen Überzeugungen erwächst auch die immer dominanter werdende Übung, Gott im täglichen Gebet um Vergebung für begangene Sünden zu bitten. Seit dem 4. Jahrhundert ist diese in besonderer Weise mit der persönlichen Tagesbilanz am Abend und mit dem Sprechen von Psalm 141 (140) verbunden, der laut Johannes Chrysostomos nicht wegen der Bezüge zur Tageszeit, sondern aufgrund seiner sündenvergebenden Wirkung jeden Tag eines jeden Christen beschließen soll97. Beten wirkt Starke Motive zum Beten sind immer die persönliche Not und die Hoffnung auf Erhörung konkreter Anliegen gewesen. Dass Beten wirkt und sinnvoll ist, wurde von keinem unserer frühchristlichen Autoren bezweifelt98, im Ernstfall auch gegen Zweifler verteidigt. Die mit dem Bittgebet verbundenen logischen Probleme wurden allerdings auf sehr unterschiedlich transparente Weise thematisiert. Die Apostolischen Konstitutionen lassen es mit einem lapidaren Hinweis aus dem Munde Petri genug sein: »Gib dich bei deinem Beten nicht der Unruhe darüber hin, ob es erhört werde oder nicht; denn der Herr sprach zu mir, Petrus, auf dem Meere: ›Kleingläubiger, warum zweifelst du?‹«99 Eine Antwort auf Anfragen ist dies ebenso wenig wie Trost im Falle ausgebliebener Erhörungen. Clemens von Alexandrien möchte hingegen seinen Lesern eine Erklärung für das Phänomen des unerhörten Gebets geben, und führt aus diesem Grund die Kategorie der Würdigkeit ein100: Wenn der Bittende des Erbetenen unwürdig ist, verweigert ihm Gott die Erfüllung, ganz wie er umgekehrt dem ›Gnostiker‹ sogar das zuteil werden lässt, worum er gar nicht gebeten hat. Warum man aber ohne einen Zusammenhang von Gebet und Erhörung bzw. Hilfe überhaupt noch Gott um etwas bitten solle, begründet Clemens lediglich mit einem kurzen Hinweis auf das Dankgebet und das Gebet für den Nächsten101. Wenn er dem Gnostiker pauschal die Erfüllung aller Anliegen zusichert, so setzt er dabei offenbar voraus, dass Gnostiker nur um Dinge beten, die sie auch zu erhalten 97
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Vgl. Joh. Chrys. in Ps. 141 (140) expos. 1 (PG 55, 427); dazu Leeb, Gesänge (1970) 150; Taft, Theologie (2002) 78. Bereits früheste Autoren bezeugen die Erfahrung erhörter Gebete; vgl. Ign. Polyc. 7, 1 (222 Fischer): »Da die Kirche zu Antiochien in Syrien, wie mir mitgeteilt wurde, auf euer Gebet hin Frieden genießt, [...].« Tert. apol. 30, 4f (CCL 1, 141 Dekkers; dt. BKV2 7, 127 Kellner) wirbt geradezu beim Kaiser für die Wirkmacht der christlichen Gebete zu dessen eigenen Gunsten. Const. Apost. 7, 11 (SC 336, 38 Metzger; dt. BKV1 226 Boxler). Auch nach der syrischen Fassung von Aristid. apol. 16, 1 (21f Goodspeed; dt. BKV2 12, 51 Julius) bitten Christen Gott nur um Dinge, »die ihm wohlanstehen zu geben und ihnen zu empfangen.« Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 41, 4–6 (GCS Clem. 3, 31 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 47 Stählin).
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würdig sind – während er es umgekehrt für schädlich hält, um das Falsche zu beten102. Die Lösung besteht nach dieser Logik darin, nicht zu wünschen, wessen man nicht würdig ist: Kein weltlicher Vorteil sei ein angemessener Gegenstand des Gebets, sondern allein die geistlichen Güter, »das, was der Seele dient«103. Origenes104 verweist zunächst auf die Empirie erfahrener Gebetserhörungen105 und animiert seine Adressaten zum Gebet aufgrund der verlässlichen Zusage Christi, dass jeder Bittende empfange106. Mit Clemens teilt er die Überzeugung, dass es unziemlich sei, Gott um irdische Güter zu bitten: Das ›Plappern‹ aus Mt 6, 7 meine genau jenes Bitten um vergängliche Güter, die dem unvergänglichen Gott fremd seien107. Jeder Gegenwarts- und Lebensbezug des Bittgebets wird damit im Grunde abgelehnt. Tertullian bleibt in dieser Frage wesentlich bodenständiger: Er akzeptiert, dass es legitime Gebetsanliegen gibt, »welche je nach der bedrängten Lage (pro circumstantia) eines jeden erbeten werden«108 – auch solche, für die es im jesuanischen Mustergebet, dem ›Vaterunser‹, keine Vorbild-Formulierung gibt, und die deshalb auf jenes Fundament noch zusätzlich aufgebaut werden dürften. Auch Augustinus nimmt in dieser nordafrikanischen Tradition die Sorgen der Menschen um irdische Güter ernst, allerdings nur, soweit sie direkt Leib und Leben betreffen: »Verlange von ihm nichts als vollständige körperliche Gesundheit! Denn diese darf man nicht gering schätzen, weil man sie notwendig zum Leben braucht«109. Seine Kurzformel für legitime Gebetsanliegen ist »glückseliges Leben«, worunter er leibliche und seelische Unversehrtheit subsumiert, aber auch die gegenseitige Freundschaft und Zuneigung mit anderen Menschen; letztlich sollen alle Wünsche auf
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Clem. Alex. strom. 7, 44, 1 (GCS Clem. 3, 33 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 50 Stählin). Löhr, Argumente (1999) 91. Nicht eingegangen wird hier auf die philosophische Auseinandersetzung mit dem Sinn des Bittgebets. ›Feinde des Gebets‹ hatten mit der Vorsehung Gottes argumentiert: Wenn ohnehin bereits feststehe, was geschieht, dann könne das Beten doch prinzipiell nichts mehr bewirken. Origenes löst dieses Problem durch einen Verweis auf den freien Willen: Dass Gott schon vorher wusste, wer sich einmal in Freiheit wozu entscheiden würde, sei nicht die Ursache für diese Entscheidungen; vgl. Orig. or. 5. 6 (GCS Orig. 2, 308–315 Koetschau; dt. BKV2 48, 21–31 Koetschau); Löhr, Argumente (1999) 90; Gessel, Theologie (1975) 149– 171. Diese Zurückweisung eines Einwandes ist im hiesigen Zusammenhang der Erhellung positiver Motivation zum Gebet nicht relevant. Vgl. Orig. or. 13, 3 (GCS Orig. 2, 327, 4–6 Koetschau; dt. BKV2 48, 46 Koetschau). Vgl. Orig. or. 10, 2 (GCS Orig. 2, 321, 7–9 Koetschau; dt. BKV2 48, 38 Koetschau) mit Verweis auf Mt 7, 7f und Lk 11,9f. Vgl. Orig. or. 21, 1 (GCS Orig. 2, 345, 3–7 Koetschau; dt. BKV2 48, 70 Koetschau). Tert. orat. 10 (CCL 1, 263 Diercks; dt. BKV2 7, 257 Kellner). Aug. ep. 130 ad Prob. 3, 7 (CSEL 44, 48, 9–11 Goldbacher; dt. BKV2 30, 17 Hoffmann).
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solch ein im spirituellen Sinn »glückseliges Leben« (beata vita) ausgerichtet sein110. Eine zentrale Wirkung entfaltet das Gebet auch im Innern des Betenden. Schon Tertullian hatte festgestellt: »Es stellt zwar nicht den Engel des Morgentaues in die Mitte der Feuerflammen, es stopft nicht den Rachen der Löwen, es bringt nicht den Hungernden das Mittagsbrot der Feldarbeiter hinüber, auch wird das Gefühl des Leidens nicht durch eine gesendete Gnade abgewendet, wohl aber rüstet es leidende, fühlende und Schmerz empfindende Wesen mit der Kraft zu dulden aus.«111 Augustinus nun fordert im Falle unerhörter Bitten strikte Ergebenheit in das Schicksal112. Eine Gebetserhörung in äußeren Fragen sei schließlich – anders als bei Clemens – keineswegs ein sicheres Zeichen dafür, dass Gott einem wohlgesonnen ist. Er nennt Beispiele, in denen Gott Unwürdigen ihre Bitten gewährte, etwa dem Teufel die Versuchung Ijobs (Ijob 1, 12) oder den Dämonen ihre Einfahrt in die Schweineherde (Mt 8, 31f; Lk 8, 32). Bleibe eine Bitte unerfüllt, so sei das irdische Leiden zumeist nützlich für den Bittenden, schule ihn in Geduld und bewahre ihn vor Selbstüberhebung. Wie im Falle des Apostels Paulus, dessen wiederholte Bitte um Befreiung von dem Stachel in seinem Fleisch unerhört blieb, so könne sich gerade darin »die Kraft in der Schwachheit« erweisen. Er zieht die Schlussfolgerung: »Wenn sich also etwas ereignet, was unserer Gebetsmeinung widerspricht, so müssen wir es geduldig tragen, für alles Dank sagen und nicht zweifeln, daß das notwendig gewesen sei, was in Gottes, nicht in unserem Willen gelegen war.«113 Die Frage nach dem Sinn und der Wirksamkeit des Bittgebets hat die Christen seit der Antike nicht wieder losgelassen, und viele damals gefundene Antworten können heute kaum mehr befriedigen. Die Annahme eines Gottes, der alle Gebetsanliegen erfüllen könnte, wenn er nur wollte, würde Gott unter die innerweltlichen Kausalitäten zählen, erklärte außerdem die gesamte Wirklichkeit für gottgewollt und führte somit unmittelbar in die Theodizeefrage, während der Verzicht auf die Wirkmacht bzw. Allmacht Gottes weite Teile der jüdisch-christlichen Erzähltradition zu subjektiven Empfindungen Einzelner machte114. Da Gottes Macht offenbar darauf angewiesen bleibt, dass sein Geist 110
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Aug. ep. 130 ad Prob. 4, 9; 6, 13; 7, 14 (CSEL 44, 50. 54f Goldbacher; dt. BKV2 30, 18. 21f Hoffmann); ebd. 9, 18 (CSEL 44, 60 Goldbacher; dt. BKV2 30, 26 Hoffmann) definiert er den sonst zwischen gelungenem Diesseits und Jenseits changierenden Begriff als »das glückselige Leben, das kein anderes als das ewige ist«. Tert. orat. 29, 1 (CCL 1, 274 Diercks; dt. BKV2 7, 272 Kellner). Ähnlich sieht auch Orig. or. 10, 1 (GCS Orig. 2, 319, 20–32 Koetschau; dt. BKV2 48, 36f Koetschau) eine Wirkung darin, bereits »vor Beginn des Betens alle Unzufriedenheit gegenüber der Vorsehung« abzulegen. Vgl. Aug. ep. 130 ad Prob. 14, 25f (CSEL 44, 68–71 Goldbacher; dt. BKV2 30, 31–33 Hoffmann). Aug. ep. 130 ad Prob. 14, 26 (CSEL 44, 71 Goldbacher; dt. BKV2 30, 33 Hoffmann). Vgl. zu diesem Fragenkomplex die Darstellung bei Werbick, Gebetsglaube (2001) 107–119.
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in den Menschen »die Bereitschaft weckt, ihm zu dienen«115, ist das Legitimationsproblem des Bittgebets auf logischer Ebene nicht befriedigend zu lösen116. Jürgen Werbick betont denn auch, dass es der Theologie nicht darum gehen könne, die Praxis des Gebets logisch zu begründen, sondern allein darum, die Frage »argumentativ offen zu halten, also hinreichend gute Gründe dafür ins Feld zu führen, dass die Argumente gegen die Vereinbarkeit von Gottesglauben und geschichtlicher Leiderfahrung nicht zwingend sind« und dass deshalb Gebete an den allmächtigen Gott »weiterhin als rational verantwortbar gelten dürfen«117. Ausstehende Vollendung Gegenüber der Logik von Sachaussagen wird das Gebet heute stärker in seiner Eigentümlichkeit als Sprachhandlung wahrgenommen und bewertet118. Weder geht es dabei um Mitteilung von Informationen an Gott oder andere, noch um die Erhöhung von Wahrscheinlichkeiten, dass dieses oder jenes Ereignis eintreffen oder ausbleiben möge. Es geht im Kern darum, die eigene Person und Situation gegenüber Gott zu positionieren. Der Beter nimmt die Heilsgeschichte »als seine eigene Lebensgeschichte an: Das Gebet ist der existentielle Ort der Menschwerdung des Menschen, der sich in der Geschichte Gottes mit der Welt wiederfindet.«119 Der Beter wünscht sich selbst und die ganze Welt in Einklang mit dem Heilsplan Gottes und wird von daher an allem leiden, was dieser Vollendung entgegensteht: »Die je konkrete, geschichtliche Situation mit ihrer Heillosigkeit, ihren Ängsten und Dunkelheiten kommt im gottesdienstlichen Gebet vor allem im Modus der Bitte vor: sie möge endgültig (eschatologisch) in die Situation der heilen Existenz überführt werden.«120 Dabei geht es im Gebet niemals nur um die Erlangung von Vorteil oder um das eigene Wohlergehen, sondern immer um das Gute und Nützliche mit Blick auf das Ganze: auf die Vollendung, zu der Gott seine gesamte Schöpfung führen will. Dies ist auch der tiefere Grund, warum jede Fürbitte eine Überprüfung des eigenen Verhaltens impliziert. Eben nicht nur das Gebet, sondern der gesamte Lebensvollzug soll dem Willen Gottes und damit dem Weg zur eigenen und universalen Vollendung dienend zugeordnet sein. Indem der Betende die 115 116 117 118
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Werbick, Gebetsglaube (2001) 114. Vgl. Werbick, Gebetsglaube (2001) 119–121. Werbick, Gebetsglaube (2001) 116f. Vgl. Werbick, Gebetsglaube (2001) 108: »Die Rede von Gottes überlegener Macht ist [...] Bitt- und Klagegebetssprache. Und man wird dann zu Recht geltend machen, dass die Rechenschaft über die Glaubensrede vom Allmächtigen den sprachpragmatischen Gebetssinn dieser Rede nicht ignorieren sollte.« Meßner, Einführung (2001) 229f. Meßner, Einführung (2001) 231.
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Geschichte Gottes als seine eigene anerkennt, erkennt er auch das Ziel, auf das die noch ausstehende Heilsgeschichte hinlaufen soll, als sein eigenes an. So weist das Gebet letztlich immer über die konkrete Lebenssituation hinaus: auf die Zukunft, in der die Schöpfung im vereinten und unaufhörlichen Lobpreis Gottes zu sich selbst gefunden haben wird, aber auch auf diejenigen Glieder der (sichtbaren und unsichtbaren) Schöpfung, die bereits heute in diesen Lobpreis einstimmen. Das Gebet lässt, bildhaft ausgedrückt, in eine geistige Verbindung zu den Engeln eintreten, deren ewigen Lobpreis man im Gebet laut Tertullian schon für die Zeit der künftigen, himmlischen Existenz einübt121. Für den Alexandriner Clemens geschieht die Verbindung mit der himmlischen Welt bereits in der Gegenwart bei jedem Gebet, das der Einzelne spricht: »Dadurch vereiniget er sich mit dem göttlichen Reigen (χορός), dem er infolge seines ununterbrochenen Gedenkens eingegliedert ist zu dem unvergeßlichen Schauen«122. Origenes greift den Gedanken auf und entwickelt eine regelrechte Gebetsangelologie: Die Engel, die Christus dienen, und auch die Schutzengel jedes Einzelnen beten mit den Gläubigen und wirken nach Kräften an der Erfüllung ihrer Anliegen und am Wachstum der Kirche insgesamt mit123. So wird deutlich, dass das Gebet des Einzelnen mit der unsichtbaren Schöpfung in Beziehung steht und dass ihm zugleich auch eine Dynamik auf die Einbindung der ganzen Menschheit innewohnt. Ausblick: der Geschöpflichkeit Sinn geben Ein Kernmotiv zu beten ist für den Christen die Überzeugung, Geschöpf Gottes zu sein. Diese Deutung der Wirklichkeit hat Konsequenzen für Praxis und Gehalt des Gebets, die für alle weiteren Überlegungen zur technischen Organisation die Grundlage bilden. • Zunächst hat die Tagzeitenliturgie heute die Rolle einer ›Schule des Betens‹124 zu erfüllen. Denn die heutigen Probleme gemeinsamen täglichen Gebets hängen zu einem großen Teil damit zusammen, dass das private Gebet nicht mehr die selbstverständliche Grundlage dafür bildet: »In nahezu allen Gemeinden geht nicht nur die Zahl der Gottesdienstbesucher zurück, sondern es wird auch weniger gebetet. [...] Selbst bei engagierten Christen kommen in den Fa-
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So sieht es Tert. orat. 3, 3 (CCL 1, 259 Diercks; dt. BKV2 7, 251 Kellner): »Seine aus Engeln bestehende Umgebung hört nicht auf, ihm zuzurufen: Heilig, heilig, heilig! Demgemäß erlernen wir, – die zukünftigen Genossen der Engel, wenn wir es verdienen – schon hier auf Erden jenen Lobruf zu Gott und die Obliegenheit in der künftigen Verklärung.« Clem. Alex. strom. 7, 49, 4 (GCS Clem. 3, 37 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 55 Stählin). Vgl. Orig. or. 11, 1. 3. 5 (GCS Orig. 2, 321–324 Koetschau; dt. BKV2 48, 39–43 Koetschau). Taft, Hours (1986) 367–373.
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milien und auch im eigenen persönlichen Beten Morgen- und Abendgebet und erst recht der Angelus kaum noch vor.«125 Ohne das Fundament, aus dem die Tagzeitenliturgie einmal erwachsen ist, verschieben sich die Parameter ihrer Funktionalität. Sie muss in verstäktem Maße jene Vollzüge überhaupt erst bekanntmachen und einüben, die früher einmal vorausgesetzt werden konnten. • Gebet umfasst Leib und Geist. Die körperliche Komponente des Gebets ist keine Nebensache, die einfachen Gemütern vielleicht hilfreich, für den geübten Beter aber nicht mehr notwendig wäre. Vielmehr ist die Leiblichkeit des Gebets aus der Leiblichkeit des Menschen als Geschöpf Gottes abgeleitet und deshalb ein unverzichtbarer, letztlich auch unvermeidlicher Aspekt des Gebets. Weil der Mensch sowohl seinen Verstand als auch seinen Leib als von Gott geschaffen und als ›gut‹ ansieht, umfasst ein vollständiger Lobpreis, der diesem Schöpfer angemessen ist, immer beides. Neuere Überlegungen zur Liturgie als ästhetisches Geschehen zeigen auf, dass die beiden Ebenen nicht getrennt voneinander anzusprechen sind, sondern ineinandergreifen. Josef Wohlmuth weist darauf hin, dass die Liturgie gerade durch ihre plastischen, akustischen und gestischen Elemente Widerfahrnisse möglich macht, deren ästhetischer Sinngehalt im Gegensatz zum rein kognitiven unabschließbar bleibt: »So provoziert sie auf ihre Weise einen Erkenntnisprozeß, der nicht beim abgeschlossenen Wissen endet, sondern immer wieder zur noch intensiveren Wahrnehmung zurückkehren lässt.«126 Sinnlichkeit kann somit helfen, die Innerlichkeit des Gebets auch unter heutigen Bedingungen zu ermöglichen. • So wie das Gebet äußerlich und innerlich vollzogen werden muss, so soll auch der gesamte Lebensvollzug in Gedanken, Worten und Werken dem Willen des Schöpfers entsprechen. Die Verantwortung für die Schöpfung, das Leiden an allem Unrecht, die Solidarität mit den Armen und Schwachen und der ehrliche Wille, der eigenen geschöpflichen Bestimmung im Handeln gerecht zu werden, sind daher untrennbar mit dem Lobpreis dieses Schöpfers verbunden. Dies muss auch inhaltlich im Gebet seinen Ausdruck finden.
2. Zeitlichkeit Neben der Geschöpflichkeit kann die Zeitlichkeit der Welt als ein zweiter Grundparameter christlicher Sinndeutung gelten. Dabei wird die Zeit selbst als ein Teil der Schöpfung angesehen, als geschaffene Zeit127. Die Schöpfung ist 125
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So die durch statistisches Material untermauerte Darstellung bei Zekorn, Heiliger Rest (2005) 9. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 35. Augustinus betont den Widersinn der Frage, was Gott vor der Erschaffung der Welt getan habe; vgl. Aug. conf. 11, 13, 15 (CCL 27, 200–202 Verheijen; dt. 625–627 Bernhart).
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dabei nicht der bereitgestellte Rahmen, innerhalb dessen sich Zeit dann eigenständig abspielt, sondern sie nimmt selbst eine Entwicklung von einem Anfang auf ein Ende zu128. Die Zeit ihrerseits läuft nicht unabhängig von der Schöpfung vor und nach ihr weiter; sondern mit der Erschaffung des Kosmos beginnt die Zeit, und mit seinem Ende endet auch sie. Beides – Schöpfung und Zeit – sind endliche, geschaffene Größen, die der Unendlichkeit und Ewigkeit des transzendenten Gottes gegenüberstehen. Bereits für Cäsarius von Arles ist diese Überzeugung Grund genug, täglich zu beten: »Auch am Werktag soll man sich Zeit nehmen zu Gebet und frommer Lesung, weil auch die Wochentage von Gott geschaffen sind.«129 Die gegenseitige Verschränkung von Schöpfung und Zeit zeigt sich deutlich in der Wahrnehmung ablaufender Zeit als eines eminent kosmischen Phänomens: Es sind die Rhythmen der Sonne, der Erde, des Mondes und der Gestirne, die die Zeit im Empfinden der Menschen strukturieren. Die markanten Wendezeiten sind – ähnlich wie andere Facetten der Geschöpflichkeit (Nahrungsaufnahme, Schlaf 130) – bereits früh auch zum Anlass für das Gebet genommen worden und bestimmen bis heute den Duktus der Tagzeitenliturgie. Dabei erfahren sowohl die inneren, biologischen Rhythmen des Menschen als auch die äußeren, kosmischen Zyklen eine theologische Deutung: Vor dem Einschlafen wird des eigenen Todes gedacht131, anlässlich des Erwachens der Auferstehung. Die auf- und untergehende Sonne wird auf Christus gedeutet132. Diese für Jahrhunderte prägenden Interpretationen der natürlichen Zeitmarken sind allerdings unter den Bedingungen der modernen Lebenswelt dem Risiko der Entfremdung ausgesetzt133.
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Vgl. Ratzinger, Geist (2000) 24 unter Verweis auf P. Teilhard de Chardin. Vgl. Caes. Arelat. serm. 54, 1 (CCL 103, 236 Morin): quia omnes dies deus fecit; dazu Berg, Cäsarius (1994) 129. Vgl. o. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Gebet und Leiblichkeit‹ (S. 16–20). Vgl. Maas-Ewerd, Komplet (1989) 436–440; Kunze, Frieden (2006) 82–100. Morgengebete mit einer dominanten Licht-Metaphorik bietet z. B. Test. Dom. 1, 26 (51–57 Rahmani; engl. 32–34 Sperry-White), die allerdings vermutlich nicht täglich, sondern nur an Festtagen vorgesehen waren; vgl. White, Daily Prayer (2002) 145. Hanke, Kathedralritus (2002) 191. 494f stellt fest, dass die Gebete der antiken Konstantinopolitaner KathedralHoren nicht christologisch-soteriologisch ausgerichtet waren. Zur antiken Lichtsymbolik der Vesper insgesamt vgl. Taft, Beyond (1997) 172–180. Zur christlichen Übernahme und Umdeutung der Sonnenverehrung in der Antike vgl. Wallraff, Christus (2001). Einen aktualisierenden Überblick über Licht- und Christussymbolik von Morgen- und Abendlob bietet Ringseisen, Gemeinde (2002) 46–75. Vgl. Häußling, Wege (2004) 59.
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Erfüllte Zeit Welche Haltung der Mensch gegenüber der Zeit einnimmt, hängt stark davon ab, welche Vorstellung er von ihr hat. In unserer Gesellschaft dominiert eine lineare Vorstellung gleichförmig ablaufender Zeit134, die sich messen und in gleich große Maßeinheiten aufteilen lässt135. Diese auch abstrakt existierende Zeit wird dann – gewissermaßen sekundär – mit Ereignissen und Tätigkeiten gefüllt. Die tägliche Lebens- und Arbeitsorganisation in der modernen Industriegesellschaft basiert weitenteils auf einem Zeitmanagement, das die Zeit weltweit synchronisiert und nach einheitlichen Standards quantifiziert. Angestellte oder Arbeiter verkaufen ihre Zeit gegen Lohn und Gehalt und füllen sie dafür mit ebenso quantifizierbarer Wertschöpfung (Zeit ist Geld); die Wirtschaft basiert auf komplexen und exakt terminierten Produktionsprozessen, die just in time miteinander verschränkt werden; selbst die Freizeitkultur ist von Dienstleistungen in vordefinierten Zeitformaten geprägt: »Die verplante, von immer mehr und in immer kürzeren Abständen zu erbringenden Leistungen, von immer rascher aufeinander folgenden Informationen und Terminen angefüllte Zeit wird damit für weite Bereiche des modernen Lebens typisch.«136 Dass die Tage im Jahreskreis länger und kürzer werden, wird demgegenüber nur noch blass wahrgenommen137; und das Zeitgefühl des Einzelnen spielt bei diesen Vorgängen kaum eine Rolle. Diese Denkweise wird zwar weithin akzeptiert, ist aber alles andere als selbstverständlich. So verweist Hans Bernhard Meyer auf vorindustrielle Gesellschaften und vor allem auch auf Kinder, deren Zeiterleben ganz und gar davon abhängig ist, was gerade geschieht138. Auch Erwachsene erleben es freilich, dass die Zeit wie im Flug vergeht, wenn es schön ist, und sich unerträglich in die Länge zieht, wenn man sich langweilt oder auf ein unangenehmes Ereignis warten muss. Man ist aber geneigt, diese Empfindung als Ausnahme anzusehen und sich über ihren Kontrast zur chronometrischen Zeit zu wundern. Gegenüber diesem, in seiner Zuspitzung verhältnismäßig jungen Phänomen ist die christlich-jüdische Erzähltradition ursprünglich von einem anderen Empfinden getragen: »In Übereinstimmung mit dem allgemeinen altorientalischen Zeiterleben wird dagegen im alten Israel Zeit als ein sinnerfülltes Geschehen, als ›gefüllte Zeit‹ erfahren. Zeit ist also immer schon mit einem bestimmten Inhalt identisch; der Inhalt des Geschehens macht die Zeit aus, und ohne ein
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Vgl. Kehl, Eschatologie (1986) 95. Vgl. Meyer, Zeit (1981) 201. Meyer, Zeit (1981) 195f. Vgl. Meyer, Zeit (1981) 202. Vgl. Meyer, Zeit (1981) 194f.
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bestimmtes Geschehen gibt es überhaupt kein Zeiterlebnis.«139 Franz Rosenzweig fasste die Differenz zwischen der gefüllten und der rinnenden Zeit in folgende Worte: »Ein solches stehendes Jetzt heißt man zum Unterschied vom Augenblick: Stunde. [...] Nur der Glockenschlag, nicht das Ticken des Pendels stiftet die Stunde«140. Durch die Erinnerung an solche, für die Gruppe identitätstiftenden Ereignisse entstand im kollektiven Gedächtnis Israels »eine zusammenhängende Reihe von ›gefüllten Zeiten‹, also auch eine lineare Zeitstrecke; aber diese wurde nicht verstanden als nachträgliche Füllung einer zunächst leeren, formalen ›Zeitlinie‹, sondern als Zusammenfügung heilsbedeutsamer Geschehnisse zu einer einheitlichen Heilsgeschichte.«141 Aus dieser Auffassung folgt als Konsequenz das preisende Gedenken solcherart erfüllter ›Stunden‹ der Geschichte der Menschheit, Israels und der Kirche im Gebet und im Gottesdienst142, das neben der verbalen auch andere ästhetische Ausdrucksformen annehmen kann143. Aber Gebet und Gottesdienst gedenken nicht nur erfüllter Stunden, sie sind – wenigstens im Idealfall – selbst erfüllte Zeit, die den Alltag unterbricht und mit ihm kontrastiert144. Denn im Gebet wie im Gottesdienst tritt der Mensch aus der Vorläufigkeit der vergehenden Zeit in die Endgültigkeit eines Lebens mit Gott ein145. Diese Eigenschaft hat das Gebet nicht zusätzlich und unabhängig von seinem Gedächtnis-Charakter, sondern es ist gerade das Gedenken erfüllter Zeiten der Gottesbegegnung in der Geschichte des Gottesvolkes, das dem Einzelnen im Augenblick des Gebetes jenen Bezugsrahmen bereitstellt, der »dem Lauf der Zeit Sinn und eine unumkehrbare Orientierung gibt«146. In der Gegenwart Gottes kann der Gläubige deshalb auch seine eigene Lebenszeit und -geschichte in diesen Rahmen einbetten und so als sinnvoll erfahren. Zeiten des Gebets sind deshalb auch selbst Heilszeit und somit ein integraler Bestandteil jener universalen Heilsgeschichte, der das betende Gedenken gilt147. An dieser Stelle treffen sich die Kategorien der Geschöpflichkeit und der Zeitlichkeit: Weil die Gottesbegegnung im Gebet und im Lobpreis der geschöpflichen Bestimmung des Menschen entspricht148, zielt die Heilsgeschichte auf die bewusst vollzogene Anbetung Gottes durch alle vernunftbegabten Geschöpfe ab. Jede
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Kehl, Eschatologie (1986) 95. Rosenzweig, Stern (1921) 322f (Nr. 305). Kehl, Eschatologie (1986) 99. Vgl. Hoping, Gedenken (2000) 186. Vgl. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 91. Vgl. Hoping, Gedenken (2000) 184. Vgl. Meyer, Zeit (1981) 209 oder auch Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 84. Meyer, Zeit (1981) 209. Am Beispiel des Eucharistiegebets erläutert bei Budde, Basilios-Anaphora (2004) 548–550. S. o. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Gebet und Gottesbegegnung‹ (S. 20–22).
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I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet
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Kontaktaufnahme mit Gott ist somit eine wichtige und zielführende ›Sternstunde‹ der Heilsgeschichte. Befristete Zeit Es klang bereits an, dass das betende Gedenken nicht nur der Vergangenheit gilt, sondern ebenso der verheißenen Zukunft: Die Wiederkehr Christi als das Ende der Zeiten zählt zu den prominentesten Heilsereignissen überhaupt und wird deshalb auch in sämtlichen Eucharistiegebeten149 und in zahlreichen anderen Orationen ›kommemoriert‹, obwohl sie noch gar nicht stattgefunden hat. Die gegenwärtige Heilszeit der Kirche ist zwischen Jesu erstem Erscheinen in Niedrigkeit und seinem zweiten Erscheinen in Herrlichkeit aufgespannt150, und die Hoffnung der Kirche richtet sich auf das Ende. Beide Dimensionen des aramäischen Wortspiels ›Maranatha‹ – das anamnetische »Unser Herr kam.« und das epikletische »Unser Herr, komm!« – bestimmen das Zeitverständnis des Gebetes und der Liturgie. Ähnlich wie der Gläubige die empirische Wirklichkeit als Schöpfung und somit als begrenzt und endlich interpretiert, deutet er also auch die Zeit, die er erlebt, als von Gott begrenzte, als endliche, als befristete Zeit. Er stellt sich damit nicht nur sachlich gegen das moderne Zeitbewusstsein einer ziellos offenen Zeit, sondern bejaht ausdrücklich diese eschatologische Begrenzung der Welt151 und lässt von ihr auch seine gegenwärtige Existenz bestimmen. Diese proleptische Struktur des Denkens vom Ende her spiegelt sich im Leben jedes Einzelnen wider, in dessen Tod seine je »individuelle Geschichte ihr Ziel und ihr Ende findet«152. Dieser unausweichliche Tod, zu dem sich der Mensch in irgendeiner Weise reflex verhalten muss153, strahlt in jeden Augenblick des Lebens vor und verleiht ihm – mit den Worten Medard Kehls – den Ernst und das Gewicht der Einmaligkeit: »Die Geschichte des Menschen ist befristet, ihr Entscheidungs- und Handlungsspielraum dehnt sich nicht einfachhin endlos aus. Dadurch sind Entscheidungen, Handlungen, Situationen nicht beliebig wiederholbar oder revidierbar [...]. Insofern verleiht die Tatsache des Todes bzw. des Sterbenmüssens jedem Handeln (dem Tun wie dem Unterlassen) seine unwiderrufliche Bedeutung«154. Es ist also gerade die Zeitauffas-
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Für eine Übersicht zur ostkirchlichen Überlieferung vgl. Budde, Basilios-Anaphora (2004) 383–388. Vgl. Meyer, Zeit (1981) 209; Hoping, Gedenken (2000) 186. Vgl. Hoping, Gedenken (2000) 182. Kehl, Eschatologie (1986) 163. Dies gilt unabhängig davon, ob das Erscheinen Christi als Ende aller Geschichte oder als bereits im Sterben jedes Einzelnen geschehend vorgestellt wird. Vgl. Kehl, Eschatologie (1986) 255. Kehl, Eschatologie (1986) 260.
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sung, aus der der Gläubige den Ernst jedes Augenblicks und damit auch seine Verantwortung für die Gestaltung seines Lebens, sein Ethos ableitet155. Vollendete Zeit Da es die Begrenzung der Lebenszeit ist, die in ihrem Verlauf dem Menschen die Würde des zur Freiheit berufenen Subjekts verleiht, kann das Leben diese Qualität erst dann ganz erlangen, wenn das Ende auch tatsächlich eintritt: Vollendung ist ohne den Tod nicht zu erreichen156. Der Glaube, dass auch Gottes Sohn den Tod nicht umgangen, sondern durchlitten hat und genau darin seine Erhöhung erfuhr, bekennt, dass auch Leiden und Tod Momente der Gottesbegegnung werden157 und wie die Wundmale Christi in der verklärten, neuen Wirklichkeit aufgehoben sein können. In dieser Sicht bleibt das Leben ohne den Tod bruchstückhaft und vorläufig; es muss eben nicht nur gelebt, sondern auch vollendet werden. Und das eigene Altern und Sterben sind schmerzliche, aber aus dem christlichen Glauben heraus letztlich sinnvolle Schritte auf diesem Weg. Die jenseits der Zeitlichkeit erwartete Vollendung des Menschen aber »hat etwas mit der Zeit zu tun: Sie ist durch die Zeit konstituiert. In ihr ist all das, was je in der Zerissenheit irdischer Zeit als aktuale Gegenwart gelebt wurde, eingebracht und gesammelt. Die verklärte Zeit eines Menschen ist die Gesamtsumme seiner zeitlich-irdischen Existenz. Sie ist die Ernte der Zeit, sie ist gesammelte Zeit.«158 Diese Überzeugung eröffnet die Möglichkeit, in allen Augenblicken des Lebens – in ihrem Verrinnen und in ihrem unumkehrbaren Lauf auf ein Ende zu – Sinn zu erkennen und mit der eigenen Geschöpflichkeit zugleich die eigene Zeitlichkeit gutzuheißen. Aus all dem folgt der Anspruch, zu jeder Zeit der eigenen geschöpflichen Bestimmung gerecht zu werden, also aus der Verbindung mit Gott heraus im Sinne seines Heilswillens zu leben. Konkret bedeutet dies: beständiges Gebet und beständiges Handeln nach Gottes gutem Willen. Kairos ohne Unterlass? Für das Gebet und die Liturgie ergibt sich aus diesem Anspruch eine Schwierigkeit: Einerseits sollen sie durch die Begegnung mit Gott den Alltag unterbre-
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Vgl. Meyer, Zeit (1981) 198. Vgl. Greshake, Tod (2001) 73: »Ohne Tod, d. h. ohne Ende der zeitlichen Existenz, bliebe menschliches Leben ein stets wiederholbares Spiel, ohne letzten Ernst, eine ewige LangeWeile« (Abkürzungen aufgelöst). Auch ein sündenfreies Leben im Paradies hätte daher in irgendeiner Weise ein »Ende der Zeit« finden müssen (ebd.). Vgl. Kehl, Eschatologie (1986) 234. Kehl, Eschatologie (1986) 250.
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chen159, andererseits sollen sie ihn vollständig durchdringen. Einerseits sind sie besondere Stunden erfüllter, besonders ›qualifizierter‹ Zeit160, andererseits sind sie ganz dem Chronos zugeordnet, weil jedem Augenblick des Lebens die im Gottesdienst gefeierte Bedeutung innewohnt. Wenn sich durch alle Äußerungen jener Jahrhunderte, in denen sich das tägliche Privatgebet und die Tagzeitenliturgie formierten, wie ein roter Faden das paulinische Motiv des Betens ohne Unterlass zieht161, dann hat dabei eine je nach Autor und Kontext recht unterschiedliche Auslegung erfahren, was man genau unter unablässigem Gebet zu verstehen habe. Die neutestamentlichen Belege des Motivs geben keine Auskunft darüber, wie sie konkret zu verstehen sind: »Unablässig denke ich an euch in allen meinen Gebeten« (Röm 1, 9); »unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens« (1 Thess 1, 2f); »Darum danken wir Gott unablässig« (1 Thess 2, 13); »Betet ohne Unterlass!« (1 Thess 5, 17); »Ich danke Gott [...] bei Tag und bei Nacht in meinen Gebeten, in denen ich unablässig an dich denke.« (2 Tim 1, 3). In solchen Aussagen sollte durch ἀδιαλείπτως kaum wirklich jede Unterbrechung oder geistige Ablenkung ausgeschlossen werden162. Frühe christliche Literatur greift die Wendung auf, ohne über die präzise Bedeutung zu reflektieren163. Offenbar konnte allgemein ein Verständnis vorausgesetzt werden, das nicht durch Überlegungen zur Machbarkeit beeinträchtigt wurde. Das Gleiche gilt für ähnliche Redewendungen, die in vergleichbaren Kontexten die Ernst- und Dauerhaftigkeit des Gebetseifers zum Ausdruck bringen, ohne im wörtlichen Sinn umsetzbar zu sein: So heißt es, die Christen brächten »Tag und Nacht« im Gebet zu ihrem Gott oder mit Lesungen zu164; Polykarp zieht sich mit einigen Gefährten auf ein Landgut zurück, »ohne Tag und Nacht etwas anderes zu tun als zu beten«165; laut Aristides füllen die Christen mit dem 159 160 161
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Vgl. Hoping, Gedenken (2000) 184. Vgl. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 9. Bald ist es die beständige Versuchung, der durch ebenso beständiges Gebet zu begegnen sei – vgl. lat. Trad. Apost. 41 (308f Geerlings) –, bald sind es die täglich begangenen Sünden, die eine tägliche Bitte um Nachlass voraussetzen – vgl. Cypr. domin. orat. 22 (CSEL 3, 1, 283, 19f Hartel; dt. BKV2 34, 184 Baer). Ähnliches dürfte für πάντοτε in Lk 18, 1 und für ἐν παντὶ καιρῷ in Lk 21, 36 und Eph 6, 18 gelten. Vgl. Ign. Polyc. 1, 3 (216f Fischer). Vgl. Mart. Pion. 11, 7 (172 Hilhorst; dt. BKV2 14, 355 Rauschen); Mart. Cypr. 1, 2 (208 Bastiaensen; dt. BKV2 14, 366 Rauschen); Cypr. Demetr. 20 (CSEL 3, 1, 366, 2 Hartel; dt. BKV2 34, 222 Baer); Cypr. domin. orat. 12 (CSEL 3, 1, 275, 18f Hartel; dt. BKV2 34, 176 Baer). Mart. Polyc. 5, 1 (10 Orbán; dt. BKV2 14, 299 Rauschen). Ein ähnliches Idealbild entwirft Herm. sim. 9, 11, 7 (320f Leutzsch) von den Jungfrauen in einem seiner Gleichnisse: »Denn die Jungfrauen [...] machten überhaupt nichts, außer zu beten. Auch ich betete ununterbrochen mit ihnen«; ähnlich auch Herm. sim. 11, 8 (320f Leutzsch).
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Gebet ihre Lebenszeit aus166, und die Didaskalie geht sogar von ununterbrochenem Sprechen des Gebetes aus167. Diese Beispiele machen klar, dass die Stetigkeit des Gebets zunächst ein Topos war, der im weitesten Sinne die Intensität des Gebets zum Ausdruck bringen sollte, ohne dass jemand auf die Idee kam, sich daran zu stören, dass dies im wörtlichen Sinne kaum ausführbar war. Begriffliche Klärung Während also Tertullian und Cyprian im Westen noch einfach den biblischen Topos in seinem übertragenen Verständnis weiterverwenden, beginnen ihre Zeitgenossen Clemens und Origenes im Osten, das unablässige Gebet tatsächlich als permanente Grundhaltung aufzufassen und über die praktische Umsetzung zu reflektieren. Clemens traut es wenigstens dem Gnostiker durchaus zu, auch tatsächlich eine spirituelle Existenz zu führen, die ihn in jedem einzelnen Augenblick seines Lebens mit Gott in Kontakt stehen lässt168. Er hält dies für ein besonders reifes Stadium des Christseins, in dem sich der Gläubige in gewisser Weise bereits von der irdischen Welt gelöst und mit der himmlischen vereinigt hat. Origenes betont demgegenüber, dass ein so verstandenes Gebet vom dem, was man gewöhnlich unter Gebet versteht, zu unterscheiden sei169. Für ihn können auch konkretes Handeln, die Befolgung der Gebote Gottes und ein tugendhaftes und frommes Leben insgesamt den Charakter des Gebetes annehmen; denn »nur so können wir das Gebot: ›Betet ohne Unterlaß‹ als ausführbar verstehen«170. Neben diesem ›Gebet im weiteren Sinne‹ steht dann das ›Gebet im engeren Sinne‹, worunter Origenes jene sprachlichen und gedanklichen Äußerungen versteht, die gewöhnlich mit dem Wort ›Gebet‹ gemeint sind. Indem nun die im konkreten Gebet explizit gemachte Gottesbeziehung auf eine innere Grundhaltung ausstrahlt, die auch alle sonstigen Handlungen des Menschen durchdringt, kann das gesamte Leben zum ›Gebet‹ werden. Durch diese Umdefinition wird das paulinische Gebot für Origenes auch dann erfüllbar, wenn der Lebensvollzug nicht durchgängig von jener Konzentration und Ausdrücklichkeit im Gespräch mit Gott geprägt ist, die zu besonderen Zeiten möglich und auch geboten sind.
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Vgl. die syrische Fassung von Aristid. apol. 16, 1 (22 Goodspeed; dt. BKV2 12, 51 Julius). Vgl. syr. Didask. 7 (CSCO 401 / Syr. 175, 86, 5–7 Vööbus; dt. 34 Achelis / Flemming). Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 35, 3–6; 40, 3; 49, 4 (GCS Clem. 3, 27f. 30. 37 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 42. 46. 55 Stählin). Vgl. Orig. or. 12, 2 (GCS Orig. 2, 324f Koetschau; dt. BKV2 48, 43f Koetschau); Gessel, Theologie (1975) 245f. Orig. or. 12, 2 (GCS Orig. 2, 325, 1f Koetschau; dt. BKV 48, 43 Koetschau).
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I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet
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Wir finden diese Ansicht in pointierter Sprache bei Aphrahat wieder: »Begnüg dich nicht mit dem ›Vergib mir!‹, sondern erquicke die Zerschlagenen, besuch die Kranken, versorg die Armen! Das ist Gebet.«171 Wörtliche Umsetzung durch Spezialisten Eine entgegengesetzte Möglichkeit, den hehren Anspruch des immerwährenden Gebetes umzusetzen, wurde später im Mönchtum verfolgt. Hier wurde – anders als bei Origenes – kein qualitativer oder formaler Unterschied zwischen dem chronisch vollzogenen Gebet und konkreten Gebetszeiten gesehen. Stattdessen wurde der Weg gewählt, die Formen des expliziten Gebets quantitativ auf möglichst die gesamte Lebenszeit auszudehnen. Johannes Cassian berichtet seinen eigenen Mönchen nicht ohne Bewunderung, dass die ägyptischen Mönche zwischen den gemeinsamen Gebetszeiten und dem Rest des Tages in der Sache keinen Unterschied sehen: Sie kennen unter der Woche keine besonderen Gebetszeiten, weil sie ständig beten; den ganzen Tag über verbinden sie Psalmen- und Schriftbetrachtung sowie Bitten und Gebete so mit ihrer Handarbeit, dass sie niemals ganz damit aufhören, und »verharren so den ganzen Tag in jenen Gebetsdiensten, die wir zu bestimmten Zeiten halten«172. Die Messalianer (Euchichten) verfolgten das Ziel eines im wörtlichen Sinne immerwährenden Gebets173 und standen im Ruf, aus diesem Grund Arbeit zu meiden und den Schlaf zu suchen. Nach der Erinnerung der Apophthegmata Patrum hielt ihnen Abba Lukios dies als Inkonsequenz vor und verwies auf seine eigene Praxis, erstens so einfache Handarbeiten zu verrichten, dass er auch währenddessen beten könne, und zweitens einen Teil des damit verdienten Geldes als Almosen jemandem abzugeben, der als Gegenleistung dafür während der Stunden seines Schlafes stellvertretend für ihn bete: »Und durch die Gnade Gottes wird so von mir das unablässige Beten erfüllt.«174 Das Prinzip der Stellvertretung führte im Frühmit171
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Aphr. demonstr. 4, 14 (dt. FC 5, 1, 150 Bruns). Wenig später stellt er klar, dass über diese Haltung das explizite Gebet keineswegs vergessen werden soll, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf das Gebot Jesu, allezeit zu beten nach Lk 18, 1; vgl. Aphr. demonstr. 4, 16 (dt. FC 5, 1, 152 Bruns). Der Gedanke findet sich auch bei Theod. Mops. cat. hom. 11, 3. 5 (dt. FC 17, 2, 302. 304 Bruns). Joh. Cassian. inst. 3, 2 (SC 109, 92 Guy; dt. 146 Frank [Kursivierung A. B.]). Cassian rechnet seinen Mönchen vor, dass das ständige Gebet mehr Wert habe als jenes, das nur in bestimmten Zeitabschnitten verrichtet wird. Vgl. auch Apophthegm. Patr. 12, 6 (SC 474, 210– 212 Guy; dt. Nr. 198 Miller): Auf den stolzen Bericht eines Abtes, nun auch Terz, Sext und Non zu feiern, erwidert Bischof Ephiphanios von Kypros: »Offensichtlich vernachlässigt ihr die übrigen Stunden des Tages, indem ihr vom Gebete ablaßt. Der wahre Mönch hat unaufhörlich Gebet und Psalmengesang im Herzen.« Vgl. Dassmann, Kirchengeschichte 2, 2 (1999) 172f. Apophthegm. Patr. 12, 10 (SC 474, 214 Guy; dt. Nr. 446 Miller).
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telalter zu der Idee, eine solche laus perennis durch abwechselnden Dienst zweier Mönchschöre zu organisieren175. Hier wird jener Unterschied im Denken deutlich, den Alexander Schmemann folgendermaßen zugespitzt hat: Nach der einen Auffassung könne jede einzelne menschliche Handlung zum Gebet werden, nach der anderen werde das Gebet zur einzigen Handlung des Menschen176. Die Mönche sind allerdings weder die einzigen noch die ersten, die eine besondere Verantwortung für das umfangreiche Gebet getragen haben. Bereits in 1 Tim 5, 5 wird den Witwen ein inständiges und beharrliches Gebet »bei Tag und Nacht« als ihr Proprium attestiert, und Polycarp von Smyrna bringt dies mit 1 Thess 5, 17 in Verbindung, wenn er es als die besondere Aufgabe der Witwen ansieht, »ohne Unterlass für alle zu beten«177. In der kirchlichen Situation, die die Didaskalie voraussetzt, werden die Witwen dann in bislang unbekannter Strenge auf dieses Ideal verpflichtet. Die Witwen übernehmen hier eine Stellvertreterfunktion für die gesamte Gemeinde, deren Glieder weitenteils durch ihre beruflichen Tätigkeiten an der Umsetzung des beständigen Gebets gehindert sind. Die Witwe solle »sich nicht um irgend etwas anderes kümmern, als daß sie für die Geber und für die ganze Kirche bete«178; »zu beten und zu bitten«179 ist »ihr eigentlicher Beruf«180. Offenbar hat sich die Praxis herausgebildet, Witwen dadurch zu unterhalten, dass man sie für ihr Gebet bezahlt181. Für diesen Auftrag sind sie als diejenigen Gemeindemitglieder, die zuwenig Geld und zuviel Zeit haben, in besonderer Weise prädestiniert. Dem Didaskalisten mag eine derartige Beschäftigung der Witwen zudem geeignet erscheinen, sie von seelsorglichen Tätigkeiten abzuhalten, die im Zuge der Professionalisierung verstärkt den (männlichen) Amtsträgern vorbehalten bleiben sollten182. Auf jeden Fall haben wir es mit dem Phänomen zu tun, dass das unablässige Gebet der Kirche einer speziellen Gruppe übertragen183, der paulinische Anspruch für die übrigen Christen dagegen nicht mehr erhoben wird. Eine solche
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Zur frühesten Belegung solcher Schicht-Beter bei der Gründung eines Klosters in Agaunum im Jahr 515 vgl. Muschiol, Famula Dei (1994) 130. Vgl. Schmeman, Introduction (1966) 107. Taft, Theologie (2002) 80 spricht vom Leben des Mönchs mit Gott als einer »unilateralen Existenz«. Vgl. Polyc. Phil. 4, 3 (252f Fischer). Syr. Didask. 15 (CSCO 407 / Syr. 179, 158, 5–7 Vööbus; dt. 76f Achelis / Flemming). Syr. Didask. 15 (CSCO 407 / Syr. 179, 162, 8 Vööbus; dt. 78 Achelis / Flemming). Achelis / Flemming, Didaskalia (1904) 277. Vgl. Syr. Didask. 18 (CSCO 407 / Syr. 179, 179f Vööbus; dt. 89 Achelis / Flemming). Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 171f. Noch Aug. ep. 130 ad Prob. 1, 1; 16, 29 (CSEL 44, 40f. 74f Goldbacher; dt. BKV2 30, 11. 35f Hoffmann) betrachtet es als das besondere Geschäft der Witwen, sich intensiver als die übrigen Christen dem Gebet zu verschreiben. Zum Gebetsdienst der Witwen nach dem Test. Dom. vgl. White, Daily Prayer (2002) 42–89.
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I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet
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Interpretation des Diktums wendet es nicht auf den einzelnen Gläubigen, sondern auf die Gemeinschaft an und hält es deshalb für ausreichend, wenn in der Kirche insgesamt ohne Unterlass gebetet wird. Es muss dann nicht jeder Einzelne tun. Anspruch an alle Es gibt bei alledem Indizien dafür, dass die besondere Verantwortung für das unablässige Gebet diesen Gruppen nicht aufgrund ihres Standes, sondern eher aufgrund ihrer Zeitressourcen zuerkannt wurde: Die Witwen sind allein aufgrund ihrer Lebenssituation auch für zeitraubende Beschäftigungen frei, und die Mönche verfolgen die Idee des unablässigen und expliziten Gebetes nur insofern ihr Lebensstil ähnliche Freiräume bereitstellt. Paul Bradshaw verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Pachomius das immerwährende Gebet durch häufiges punktuelles Privatgebet ersetzte, weil immerwährendes Gebet in klösterlichen Gemeinschaften, in denen gearbeitet wurde, nicht möglich war184. Auch dort kann letztlich niemand seine Lebenszeit vollständig im Gebet verbringen. Wenn der Anspruch des unablässigen Gebetes dann dennoch erfüllbar sein soll, muss entweder der Terminus ›Gebet‹ so interpretiert werden, dass damit auch Tätigkeiten gemeint sein können, die kein bewusstes Gebet implizieren, oder der Ausdruck ›ohne Unterlass‹ wird nicht wörtlich, sondern im Sinne von ›so viel und so intensiv wie möglich‹ verstanden. In gewissem Sinne haben sich beide Varianten zugleich durchgesetzt: Sowohl soll das Leben insgesamt und auch unausdrücklich vom Kontakt mit Gott durchdrungen sein185; gleichzeitig aber soll das ausdrückliche Gebet möglichst häufig und umfangreich betrieben werden186. Mit dieser Doppelstrategie konnte der Anspruch als von allen Christen erfüllbar gerettet und eine sinnvolle Zuordnung der beiden Gebetsarten erreicht werden, in der das punktuelle, explizite Gebet als Kristallisation und Belebung des ständigen, impliziten Gebets ver-
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Auf der Basis von Van der Mensbrugghe, Prayer-time (1957) 438f und Veilleux, Cénobitisme (1968) 276–323 vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 95 und Hanke, Kathedralritus (2002) 293. Vgl. z. B. Aug. ep. 130 ad Prob. 9, 18 (CSEL 44, 60 Goldbacher; dt. BKV2 30, 25f Hoffmann). Vgl. z. B. was Caes. Arelat. serm. 100, 4 (CCL 103, 409 Morin; dt. 128 Berg) seinen Gläubigen empfiehlt: »Einen geistlichen Sabbat beobachten jene, die sich den irdischen Arbeiten so mäßig widmen, daß sie, wenn auch nicht beständig, so doch häufig der Lesung und dem Gebet obliegen nach dem Wort des Apostels ›Achte auf Lesung und Lehre‹ (1 Tim 4, 13) und wiederum ›Betet ohne Unterlaß!‹ (1 Thess 5, 17). Die so handeln, feiern jeden Tag (cotidie) einen geistlichen Sabbat.«
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standen wird: »Das Stundengebet absolviert nicht vom ständigen Gebet, sondern ist ein Mittel dazu.«187 Cyprian verweist auf die eschatologische Komponente, die jeden Christen betrifft und die von Tertullian bereits grundsätzlich herangezogen wurde188, um auch die Unaufhörlichkeit des Gebets zu begründen: »Durch Gottes Gnade geistig neugeschaffen und wiedergeboren, wollen wir uns in dem üben, was wir sein werden! Da wir im Himmelreich, durch keine Nacht gestört, nur Tag haben werden, so laßt uns des Nachts ebenso wie am hellen Tage wachen; und da wir einst immerdar beten und Gott danken werden, so wollen wir auch hier unablässig beten und Dank sagen!«189 Gerade die Unaufhörlichkeit des Gebets ist demnach auch Ausdruck für die Überwindung der Zeitlichkeit in der vollendeten Existenz. Und Ansätze, die helfen, dieser Vorstellung näherzukommen, sind deshalb so etwas wie ein diesseitiger Vorgeschmack darauf. Ausblick: Der Zeitlichkeit Sinn geben Welches sind die entscheidenden Maximen, die bei der Organisation und Gestaltung der Tagzeiten beachtet werden müssen, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre eigene Zeitlichkeit als sinnvoll und den Lauf der Geschichte als heilvoll erfahren können? Entscheidend ist dafür die ambivalente Zwischenstellung der ›Stundenliturgie‹ zwischen Kairos und Chronos: einerseits ganz der chronischen Durchdringung des Lebens zugeordnet zu sein, andererseits aber den Alltag selbst auch zu unterbrechen, um ihn durch die Anamnese und die Feier des Heilshandelns Gottes auf das Überzeitliche auszurichten. Der Alltagsgottesdienst schlägt die Brücke vom Kairos zum Chronos. Hans Bernhard Meyer legt Wert darauf, beiden Kategorien, die die Zeiterfahrung des Menschen bestimmen, Sinn abzugewinnen – also dem Fluss der Zeit ebenso wie der Qualität der Zeit, ihrem Verrinnen ebenso wie ihrem Inhalt190. Daraus ergeben sich mehrere Einsichten, die an die folgenden Teile dieser Studie weiterzureichen sind. • Die wichtigste Maxime, die sich aus diesen Überlegungen ableiten lässt, ist die Alltäglichkeit. Um dem Tagzeitengottesdienst eine relevante und chronische Ausstrahlung auf den Lebensvollzug im Alltag zu verleihen, reicht es nicht hin, einmal in der Woche oder gar nur zu besonderen Anlässen im Kirchenjahr die Gemeinde zur Feier des Stundengebets zu versammeln. Ergänzend zum Wochenrhythmus mit der Feier des Herrentages und dem Jahreskreis mit seinen Festen ist der Tagzeitengottesdienst so etwas wie der tägliche Basis-Zyklus 187 188
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Verheul, Spiritualität (1989) 200. Vgl. o. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Ausstehende Vollendung‹ (S. 33f). Cypr. domin. orat. 36 (CSEL 3, 1, 294, 10–14 Hartel; dt. BKV2 34, 197 Baer). Vgl. Meyer, Zeit (1981) 203.
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I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet
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kirchlicher Liturgie191. Tagzeiten sollen helfen, den Alltag zu bewältigen, und müssen deshalb möglichst als alltägliches Angebot im Leben der Gläubigen präsent sein. Alle organisatorischen Überlegungen haben von diesem Anspruch her ihren Ausgang zu nehmen: Statt aufwändige Gottesdienste zu feiern, die so viele Ressourcen schlucken, dass sie sich nur ab und zu bewältigen lassen, ist es dieser Funktion der Tagzeiten angemessener, die liturgische Gestalt ganz darauf abzustimmen, was eine Gemeinde ohne großen Aufwand oft – am besten täglich – leisten kann192. Diese Alltäglichkeit ist auch unabhängig von der tatsächlichen Teilnahmefrequenz einzelner Gläubiger bedeutsam; denn nicht erst der tägliche Kirchgang, sondern schon der täglich vernommene Ruf dazu kann den entscheidenden inneren Vorgang auslösen: sich Gott mitten im Alltag ins Gedächtnis zu rufen. Nur wer das Stundengebet als Möglichkeit seines Alltags wahrnimmt, schafft vielleicht irgendwann den Sprung vom punktuellen Bewusst-Machen zum chronischen Bewusst-Sein. • Mit der Alltäglichkeit hängt eng die Maxime der Regelmäßigkeit zusammen: Zeiten, an denen Stundengebet stattfindet, müssen dem Lebensrhythmus der Menschen entsprechen und deshalb ebenso stark wie diese Rhythmen ritualisiert sein. In einer Verflechtung psychischer und sozialer Faktoren sind die Wach- und Schlafperioden des Menschen sowie seine Essenszeiten stärker als alles andere internalisiert: Hans Bernhard Meyer berichtet von Experimenten, in denen von der Außenwelt abgeschnittene Versuchspersonen ihre Schlaf- und Essenszeiten über mehrere Wochen hinweg minutiös einhielten, während sie sich über die Gesamtdauer ihrer Abgeschiedenheit um mehr als ein Drittel verschätzten193. Eine dem Menschen angemessene Zeitorganisation wird auf diese stabilen Rhythmen Rücksicht nehmen: »Die stets gleiche, periodisch wieder-
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Dass diese Funktion heute in der katholischen Kirche weithin von der Feier der Eucharistie übernommen wird, ist in diesem Sinne ebenso problematisch wie wenn umgekehrt die Tagzeiten in der anglikanischen Kirche bis ins 19. Jahrhundert hinein für viele die übliche liturgische Vollzugsform auch des Sonntags gewesen sind; vgl. Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 217. Praßl, Gott (2000) 353 moniert, dass das 1998 erschienene Katholische Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz das Stundengebet in die Rubrik »Sonntag« einordnet, weil es als Ersatz für die sonntägliche Eucharistie dienen kann: »Das Stundengebet mag eine notwendige Ausweichmöglichkeit für die sonntägliche Versammlung einer Gemeinde sein; darin besteht jedoch nicht seine Grundfunktion und primäre Bedeutung.« Rau, Vesper (1988) 91 berichtet von Vespern an Sonn- und Feiertagen in der Münsteraner Martini-Gemeinde: Jeder einzelne Gottesdienst wird von einer Gruppe der Gemeinde (Schwesternkonvente, Kantorenkreis, Kirchenmusiker etc.) vorbereitet. Eine tägliche Durchführung ist unter diesen Umständen undenkbar; schon für die wöchentliche Feier bilden die Schwestern die »unverzichtbare ›Kerngruppe‹«. Meyer, Zeit (1981) 193f.
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kehrende Feier wird auf eine entsprechende Disposition der Feiernden rechnen können.«194 • Die Maxime der heilsamen Unterbrechung schließlich versucht, den Menschen und seine geschöpfliche Konstitution auch gegen die moderne Zeitnivellierung zu verteidigen: Das Stundengebet will jene kosmischen Zeitmarken des Morgens und des Abends, an denen jeder Mensch intuitiv wahrnimmt, dass die Zeit vergeht, bewusst begehen. Zugleich möchte es das unbemerkte Verrinnen der Zeit im Tageslauf unterbrechen. Diese Option für die natürlichen Rhythmen und gegen ihre industriegesellschaftliche Auflösung kann unter den Bedingungen der modernen Arbeitswelt ein neues Empfinden für das Geschenk der die Arbeit unterbrechenden Frei-Zeit bewirken, »die der Gottesdienst nicht ›ausnützt‹, sondern schafft!«195 Als Fazit lässt sich festhalten: Das Stundengebet hat dann eine sinnvolle Zeitstruktur, wenn es als menschengerechte und naturgemäße Unterbrechung der linearen Zeit doch ganz auf diese ausgerichtet bleibt. Tagzeiten sind das »kleine Fest«, das seine Umklammerung durch den Alltag nicht leugnet, sondern heilsam aufgreift.
II. Die Kirche – Beten in Gemeinschaft II. Die Kirche – Beten in Gemeinschaft
Die Beschäftigung mit dem Thema ›Versammlung‹ steht zunächst vor dem erstaunlichen Phänomen, dass die Kategorie der physischen Zusammenkunft für das alltägliche Beten in den ersten Jahrhunderten keine maßgebliche Rolle spielte, ja zum Teil sogar ausdrücklich als belanglos galt. So betont Clemens von Alexandrien, der Gebetsversammlungen und auch gemeinsame Ausdrucksformen im Gebet ausdrücklich kennt196, dass es für den entscheidenden spirituellen Vorgang gänzlich bedeutungslos sei, ob er allein oder zu mehreren vollzogen werde: »Deshalb schaut sich der Gnostiker nicht nach einem bestimmten Platz oder einem auserlesenen Heiligtum und auch nicht nach bestimmten Festen und nach Tagen um, sondern er verehrt Gott sein ganzes Leben lang an jedem Ort, mag er nun für sich allein sein oder einige bei sich haben, die in gleicher Weise wie er gläubig geworden sind«197. Clemens legt vor allem auf die Innerlichkeit und die Stetigkeit des Gebetes wert. Gruppendynamik ist ihm
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Vgl. Meyer, Zeit (1981) 194. Als Beispiel für diesen Zusammenhang verweist Meyer, Zeit (1981) 194 auf den Sonntagsgottesdienst, der die Sonntagsruhe ausgelöst hat. Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 40, 1 (GCS Clem. 3, 30 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 46 Stählin) mit dem Verweis auf gemeinsam gesprochene Schlussworte von Gebeten. Clem. Alex. strom. 7, 35, 3 (GCS Clem. 3, 27 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 42 Stählin).
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II. Die Kirche – Beten in Gemeinschaft
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demgegenüber sekundär, ja sie kann dem Gnostiker sogar gefährlich werden: Er darf nur mit solch anständigen (ἐπιεικής) Menschen zusammen beten, die er auch in ihrem Handeln unterstützen dürfte, sonst könnte das Gebet deren ethische Verfehlungen begünstigen198. Noch Aphrahat kann sich im 4. Jahrhundert über das Gebet äußern, ohne sich für den Aspekt der Gemeinschaft überhaupt zu interessieren199, und möchte sogar das klassiche Wo-zwei-oder-Drei des Matthäusevangeliums nicht als Hinweis auf die Gebetsgemeinschaft unter Gläubigen verstanden wissen: Vielmehr sei doch bereits jeder einzelne Beter stets zu dritt, weil Christus in ihm wohne und Gott in Christus200. Die Überzeugung, dass ›Beten in Gemeinschaft‹ doch auch physisches Beisammensein impliziert, hat sich in der Geschichte der Alltagsspiritualität erst mit der Zeit, dafür aber gründlich durchgesetzt. Clemens und Aphrahat sei deshalb eine Aussage des Cäsarius von Arles gegenübergestellt, der sich später zu der biblischen Aufforderung äußerte, zum Beten in die Kammer zu gehen (Mt 6, 6), und dabei geradezu spiegelbildlich zu Aphrahat nun das Gebot zur Einsamkeit abwehrt. Dabei macht sich Cäsarius – anders als z. B. noch Origenes201 – erst gar nicht mehr die Mühe, diese Aussage zu spiritualisieren, sondern kann schlicht konstatieren, dass ein wörtliches Verständnis allein aufgrund der kirchlichen Praxis doch gar nicht möglich sei: »Fürwahr, ihr wißt es selbst, daß auch dieses Wort dem Buchstaben nach nicht erfüllt werden kann: denn wir selbst und das ganze Volk beten nicht nur in unseren Kammern, sondern kommen auch öffentlich in der Kirche zusammen«202. Dass die Versammlung also am Ende doch zu dem Grundmodus kirchlichen Lebens schlechthin geworden ist, fand seine treibende Kraft nicht in erster Linie im Gebet. Man kann deshalb von einer ›doppelten Wurzel‹ der Tagzeitenliturgie sprechen: Auf der einen Seite entwickelt sich die Praxis täglicher Gebete des einzelnen Gläubigen, die von physischem Beisammensein unabhängig ist und letztlich auch bleibt. Auf der anderen Seite etablieren sich tägliche Zusammenkünfte, deren Sinn zunächst gar nicht vorrangig im Gebet, sondern in der Katechese gesehen wurde203. Erst aus der Verbindung von beidem, die sich seit dem 4. Jahrhundert vollzog, entsteht jenes System täglicher Gottesdienste, das heute 198 199
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Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 49, 2f (GCS Clem. 3, 36f Stählin; dt. BKV2 2, 20, 55 Stählin). Vgl. Bruns, Aphrahat (1991) 136: »Der monastische Ansatz, das heißt der Gedanke des einzelnen (ihidaya), ist bei Aphrahat so beherrschend, daß das ritualisierte Gebet der ecclesia orans gar nicht in den Blickpunkt des theologischen Interesses gerückt wird.« Vgl. Aphr. demonstr. 4, 11 (dt. FC 5, 1, 146f Bruns). Orig. or. 19f (GCS Orig. 2, 341–345 Koetschau; dt. BKV2 48, 66–70 Koetschau) hatte den Gehalt des Verses auf die Frage der Ruhmsucht im öffentlichen Gebet fokussiert und sah in der »Kammer« die innere Freiheit davon, die auch die Teilnahme am gemeinsamen Gebet begleiten solle. Caes. Arelat. serm. 146, 3 (CCL 103, 600f Morin; dt. 140f Berg). Vgl. in Kapitel A.II.1 den Abschnitt ›Kompetente Unterweisung‹ (S. 54–56).
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(A) Motivation
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mit dem Begriff ›Tagzeitenliturgie‹ benannt wird. Im Folgenden sollen die Motive aufgezeigt werden, aus denen heraus ein solcher Gottesdienst 1. mit Blick auf die konkret versammelten Menschen und die direkte Kommunikation zwischen ihnen ein spiritueller Gewinn sein kann. Im nächsten Kapitel wird dann 2. dargestellt, warum und inwiefern die Kategorie physischer Zusammenkunft auch für die Kirche selbst als geistliche Gemeinschaft und für ihr alltägliches Gebetsleben theologische Bedeutsamkeit erhält.
1. Gemeinschaftlichkeit In dem Brief, durch den der Statthalter Plinius Kaiser Trajan um Rückendeckung für sein Umgehen mit Christen bat, wird es als deren einziges Vergehen dargestellt, dass sie »an einem bestimmten Tag vor Sonnenaufgang sich zu versammeln pflegten«204. Diese auf Zeugenaussagen gestützte Darstellung lässt erahnen, wie sehr die Identität der frühen Christen dadurch geprägt war, dass sie sich trafen: Immer wieder mussten sie sich wegen ihrer Zusammenkünfte gegen staatlichen Argwohn zu Wehr setzen205 oder Vorurteile und Gerüchte über ihre vermeintlich konspirativen, inzestuösen oder gar kannibalistischen Sitzungen ausräumen206. Davon ablassen konnten und wollten sie aber dennoch nicht, denn die persönliche Begegnung war der entscheidende Modus, in dem sich das Leben der jungen Gemeinschaft abspielte, und das Gastmahl galt von Anfang an als der Normalfall christlicher Gemeinschaftspflege: »Der geeigenete Ort für Kontakte war sicher nicht die Vorlesung, auch nicht der Straßenvortrag, sondern war und ist im Orient und im östlichen Mittelmeerraum (bis heute) das Mahl«207. Im Diognetbrief finden wir diese Auffassung – wiederum in apologetischer Absicht – bestätigt: »Ihren Tisch bieten sie allen als gemeinsam an, aber nicht ihr Bett«208. Und auch Tertullian leugnet nicht, dass die Christen, wenn sie beisammen sitzen, miteinander essen und reden; aber er betont, dass dies alles in gesitteten Bahnen vonstatten geht und eingerahmt wird von Gebet und Gesang: »So sättigen sie sich wie Leute, die nicht vergessen, daß sie auch in der Nacht Gott anbeten müssen; so unterhalten sie sich wie Leute, die wissen, daß Gott es 204 205
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Plin. ep. 10, 96 (40f Guyot / Klein). So möchte z. B. Tertullian die staatlichen Vorbehalte gegenüber den christlichen Versammlungen mit dem Hinweis auf deren Harmlosigkeit entkräften; vgl. Tert. apol. 39, 21 (CCL 1, 153 Dekkers; dt. BKV2 24, 146 Kellner): »Versammelt sind wir genau das, was wir zerstreut, alle miteinander das, was die einzelnen sind«. Vgl. Dölger, Sacramentum (1934); vgl. auch Jungmann, Gottesdienst (1957) 12. Berger, Theologiegeschichte (1995) 9f. Diogn. 5, 7 (318 Wengst).
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hört.«209 Wie oft solche Treffen stattgefunden haben, ist vollkommen unklar und dürfte sich wohl auch von Gemeinde zu Gemeinde unterschieden haben, weil es stark von der Zahl potenter und spendabler Gastgeber in den Reihen der Gläubigen abhängig war. Die im Rahmen der Traditio Apostolica nur auf Äthiopisch überlieferte Schilderung eines solchen Mahles210 gibt jedenfalls über die Häufigeit keine Informationen preis. Stattdessen legt sie Wert darauf, dass alle Gäste für ihren Gastgeber beten und weist damit auf eine gewiss nicht unerhebliche Motivation hin, Raum und Speisen für die Gemeindeversammlung zur Verfügung zu stellen211. Außer den Gastmählern können auch Zusammenkünfte aus ganz anderen Anlässen einberufen werden: So richtet Ignatius von Antiochien den Vorschlag an Polykarp von Smyrna, »eine Gott gar wohlgefällige Versammlung«212 zur Wahl eines Gesandten abzuhalten; Tertullian berichtet davon, dass auf den Versammlungen Gericht gehalten wurde – dessen schwerstes Urteil wiederum im Ausschluss »von der Gemeinschaft des Gebetes, der Zusammenkünfte und des gesamten heiligen Verkehrs«213 bestand. Die Märtyrerakten des Apollonius setzen voraus, dass man sich am Jahrestag seines Todes am Grab versammelte, um seiner zu gedenken – unter anderem durch ihre Verlesung214. Häufig wird der Ruf zur Zusammenkunft auch dämonologisch begründet: Gemeinsam ist man stärker im Kampf gegen den Teufel215. Gegenseitige Stärkung Für die Versammlungen der frühen Christengemeinden war das gemeinsame Gebet also nur ein Motiv unter anderen. Unter den zahlreichen Appellen zur Versammlung finden sich daher manche, die ausdrücklich auf Gebet und Gottesdienst – darunter besonders auf die Eucharistie – hinweisen216, und manche,
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Tert. apol. 39, 18 (CCL 1, 152f Dekkers; dt. BKV2 24, 146 Kellner). Vgl. äth. Trad. Apost. 36 (75–79 Duensing) = Botte Nr. 25f. Vgl. sah. Trad. Apost. 27 (26f Till / Leipoldt): »Der Essende soll jedesmal, wenn man ißt, dessen gedenken, der ihn eingeladen hat, denn deshalb hat er sie (ja) gebeten, unter sein Dach zu kommen.« Parallele in lat. Trad. Apost. 27 (280f Geerlings). Ign. Polyc. 7, 2 (222f Fischer). Tert. apol. 39, 4 (CCL 1, 150 Dekkers; dt. BKV2 24, 142 Kellner). Vgl. Mart. Apollon. 47 (TU 15, 2, 128 Klette; dt. BKV2 14, 327f Rauschen). Vgl. Ign. Philad. 6, 2 (198 Fischer) oder Ign. Eph. 13, 1 (152 Fischer). Noch bei Cäsarius von Arles taucht dieses Motiv wieder auf; vgl. Berg, Cäsarius (1994) 144 Anm. 36 mit Verweis auf u. a. Caes. Arelat. serm. 80, 2 (CCL 103, 329 Morin): Clamemus et nos psallendo vel orando in ecclesia, ut adversarius noster diabolus vel ipso sancti clamore confusus abscedat. Vgl. z. B. Did. 4, 14 (114f Schöllgen); Ign. Eph. 4, 3; 13, 1; 20, 2 (146; 152f; 158–161 Wengst); 1 Clem. 34, 5–8 (66 Fischer); 2 Clem. 17, 3 (262f Wengst).
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denen ein solcher Bezug fehlt217. Aber gerade als in der Didache zum ersten Mal der Aufruf zur täglichen Zusammenkunft ertönt, bleibt in der dazugehörigen Begründung das Motiv des Betens unerwähnt: »Suche Tag für Tag das Angesicht der Heiligen auf, damit du dich auf ihre Worte stützt.«218 Gebetet wurde nach den Vorstellungen des Didachisten offenbar ohnehin täglich; und man war daran gewöhnt, es auch alleine zu tun219. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass man nicht bei jeder Zusammenkunft unter Gläubigen selbstverständlich auch gebetet hätte. Aber die eigentliche Triebkraft, dass nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern möglichst an jedem einzelnen Tag eine Begegnung mit Glaubensgenossen stattfindet, lag doch – soweit es die Quellen reflektieren – nicht vornehmlich im Gebet begründet. Dominanter scheinen jene spirituellen Vorgänge gewesen zu sein, die – anders als das Gebet als solches – tatsächlich zwingend an die direkte Kommunikation von Menschen gebunden sind. In diesem Sinne ist es hilfreich, noch einmal die frühesten Zeugen dieser Entwicklung genauer in Augenschein zu nehmen. Die Didache erhofft sich von einer täglichen Begegnung unter Heiligen (= Christen), dass man durch die Worte, die dort fallen, Halt und Ruhe finde (ἐπαναπαύομαι)220, und stellt sich an anderer Stelle den Austausch als eine Art gemeinsamer Suche nach dem rechten Verhalten vor: »Versammelt euch zahlreich (πυκνῶς), suchend nach dem, was euren Seelen not tut.«221 Bleibt auch unklar, ob man sich nun ›zahlreich‹ oder ›oft‹ versammeln solle222, klar ist, dass im Ergebnis die eigene Seele mit Blick auf das Gericht des Herrn von solch »kollektiver Anstrengung«223 profitieren kann. Dass das konkrete Sozialgefüge dabei eine Rolle spielt, ergibt sich auch aus der Forderung, ethische Verfehlungen vor der Gemeinschaft zu bekennen224. Der je eigene Lebenswandel geht auch insofern alle etwas an, als bereits die Suche nach dem Weg zur Vollkommenheit von der Gemeinschaft getragen war. Um in seinem alltäglichen Leben als Christ zurechtzukommen, braucht der einzelne Gläubige den direkten Aus-
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Vgl. z. B. Hebr 10, 25; Did. 16, 2 (136f Schöllgen); Ign. Polyc. 4, 2 (218f Fischer). Did. 4, 2 (108f Schöllgen). Vgl. Did. 8, 2f (118–121 Schöllgen). Vgl. Did. 4, 2 (108f Schöllgen). Did. 16, 2 (136f Schöllgen). Vgl. Wengst, Schriften (1984) 89 Anm. 127. Wengst, Schriften (1984) 89 Anm. 128. Vgl. Did. 4, 14 (114f Schöllgen): »In der Gemeinde bekenne deine Übertretungen, und komme nicht mit schlechtem Gewissen zu deinem Gebet«; ähnlich Barn. 19, 12 (190f Wengst). Ob »zum Gebet kommen« das räumliche Hingehen zu einem gemeinsamen Gebetsort impliziert, bleibt unklar. Es könnte auch einfach als »mit dem Gebet anfangen« zu verstehen sein; 1 Clem. 29, 1 (60f Fischer) benutzt προσέρχομαι im Sinne von »zu Gott hintreten« ohne jede topographische Konnotation.
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tausch mit seinen Glaubensgenossen. In dieser Begegnung erfährt er Stärkung, Orientierung und innere Ruhe. Einen ähnlichen Befund, dass sich nämlich die Anforderungen eines christlichen Lebenswandels nur durch Kommunikation eruieren lassen, bietet wiederum Ignatius in seinem Brief an die Magnesier: »Und versucht nicht, euch für euch allein etwas als vernünftig erscheinen zu lassen, sondern zusammen (gebe es) ein Gebet, ein Flehen, ein Sinn, eine Hoffnung in Liebe [...]. Strömt alle zusammen als zu einem Tempel Gottes«225. Offenbar erweist sich nur in der Gemeinschaft, was ›vernünftig‹ ist, und diese Objektivierung der individuellen Frömmigkeit scheint einer der Gründe zu sein, warum Ignatius Versammlungen für so wichtig hält. Genauso sieht es der Barnabasbrief: »Verkriecht euch nicht in euch selbst und sondert euch nicht ab, als wäret ihr schon gerechtfertigt, sondern kommt zusammen und sucht miteinander nach dem gemeinsamen Nutzen! Die Schrift sagt nämlich: Wehe den nur für sich Verständigen und nur nach ihrem eigenen Urteil Kundigen!«226 Verständigkeit und Urteilskraft werden hier als Früchte der Gemeinschaft vorgestellt. Deshalb kann der Barnabasbrief die oben bereits aus der Didache zitierte Aufforderung, täglich die Heiligen um ihres Wortes willen aufzusuchen, zu dem Auftrag an alle seine Leser erweitern, sie mögen auch selbst andere ermahnen und dafür Sorge tragen, »jemanden durch das Wort zu retten«227. Dies ist noch keine amtliche Unterweisung von oben nach unten, sondern eine breit angelegte Beschäftigung aller mit dem Wort Gottes und ihre aktive Einbindung in eine auferbauende Kommunikation unter allen228. Diese Kommunikation bedurfte in den ersten Jahrhunderten nicht zwingend der amtlichen Ordnung. Zumindest stehen solche autoritativen Zuständigkeiten noch in der Darstellung Tertullians nicht im Mittelpunkt: Die Gläubigen »kommen zusammen zur Erforschung und Erwägung der göttlichen Schriften«, nähren dadurch ihren Glauben, schöpfen Hoffnung und stärken ihre sittliche Disziplin229. Und selbst die Didaskalie, die gewiss nicht ämterfeindlich eingestellt ist, empfiehlt jedem, der es sich leisten kann, tagsüber nicht arbeiten zu müssen, seine Zeit im Alltag mit Hausbesuchen anderer gläubiger Christen zu verbringen: »Denke mit ihnen nach und unterrichte dich über die lebendigen Worte.«230 Der persönliche Austausch über das Wort Gottes und
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Ign. Magn. 7, 1f (166f Fischer). Barn. 4, 10f (146 Wengst) mit LXX-Zitat von Jes 5, 21. Barn. 19, 10 (190f Wengst). Vorgrimler, Liturgie (1999) 42 hat darauf hingewiesen, dass die Liturgie und die Kirche insgesamt bei der Verständigung der einzelnen, vom Geist erfüllten Gläubigen ihren Anfang nimmt, beim »Überschritt vom ›sensus fidei‹ in den ›consensus fidelium‹«. Vgl. Tert. apol. 39, 3 (CCL 1, 150 Dekkers; dt. BKV2 24, 142 Kellner). Syr. Didask. 2 (CSCO 401 / Syr. 175, 17, 8–10 Vööbus; dt. 5 Achelis / Flemming).
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seine Bedeutung für den eigenen Lebensvollzug gilt hier als die große Chance jeder zwischenmenschlichen Begegnung unter Christen, dergegenüber private Schriftlektüre eindeutig eine Notlösung ist231. Martin Luther hat dies später so ausgedrückt: »Das ist das zweite Mysterium, daß es in der Kirche nicht genügt, wenn Bücher geschrieben und gelesen werden, sondern es muß gesprochen und gehört werden. Deshalb hat Christus nämlich nichts geschrieben, sondern alles gesprochen; die Apostel haben wenig geschrieben und das meiste gesprochen [...]. Der Dienst des Neuen Bundes ist nicht auf steinernen und toten Tafeln dargestellt, sondern steht auf dem Klang der lebenden Stimme.«232 Kompetente Unterweisung Die erwähnte Notlösung der privaten Lektüre kann die Didaskalie wohlweislich nur den Reichen in der Gemeinde empfehlen; schließlich sind Bücher in der damaligen Zeit ein Vermögen wert233. Der Arme hingegen, der tagsüber arbeiten geht, muss damit vorliebnehmen, »über die Worte des Herrn nachzusinnen«234. Cyprian von Karthago, der offenbar Gemeinden im Blick hat, in denen der Privatbesitz biblischer Bücher nicht sehr weit verbreitet ist235, sieht in der Verlesung des Wortes Gottes bereits einen hinreichenden Grund, täglich zur Kirche zu kommen236. Jedenfalls bietet die Kirche unter seiner Führung dies
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So sieht es auch die sah. Trad. Apost. 62 (36f Till / Leipoldt) = Botte Nr. 41: »Wenn es ein Tag ist, an dem keine Lehre stattfindet und jeder in seinem Haus ist, so nehme er ein heiliges Buch und lese in ihm das genügende Maß, (wie) es ihm gut scheint, daß er Nutzen habe.« Ähnlich Can. Hippol. (4. Jh.) c. 27 (PO 31, 2, 394–397 Coquin; dt. 217 Riedel). Noch die Apostolischen Konstitutionen laden in diesem Kontext ausdrücklich dazu ein, sich auch zu ganz wenigen zusammenzutun: »Wenn es nicht möglich ist, in einem Hause oder in einer Kirche sich zu versammeln, so psalliere, lese, bete jeder für sich oder auch zwei oder drei miteinander. Denn der Herr sagt: ›Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen‹«; Const. Apost. 8, 34, 10 (SC 336, 244 Metzger; dt. BKV2 5, 68 Storf). Martin Luther, Operatio in Ps 18 (17) (WA 5, 537); dt. von Söhngen, Musik (1967) 82f. Vgl. Bradshaw, Cathedral (1990) 126. Syr. Didask. 2 (CSCO 401 / Syr. 175, 17, 5 Vööbus; dt. 5 Achelis / Flemming). Noch um 400 begründet Nicetas von Remesiana die Aufmerksamkeit des Gläubigen auf die Lesung in der Kirche damit, dass nicht jeder solche Lesungen zuhause zur Hand hätte (non semper eam quilibet paratam potest habere); vgl. Nicet. Remesian. psalm. 14 (241 Turner; dt. 76 Dohmes). Cyprian setzt einen Märtyrer (Bekenner) nach seiner Freilassung zum Lektor ein und betont in diesem Zusammenhang: »Von der Stimme, die den Herrn bekannt hat, soll man täglich die Worte des Herrn vernehmen.«; vgl. Cypr. ep. 39, 4, 1 (CCL 3 B, 190, 67f Diercks; dt. BKV2 60, 128 Baer).
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bereits jeden Tag an und betreibt einigen personellen und baulichen Aufwand dafür237. War die Verlesung von Texten, die nicht jedes Gemeindeglied besitzen kann, schon immer ein Grund gewesen, sich zu ›Lesezirkeln‹ zu versammeln238, und gilt besonders das regelmäßige Hören des Wortes Gottes zunehmend auch als notwendig für das Heil der Seele239, so tritt doch auch in steigendem Maße das Element einer von Amtsträgern begleiteten und geleiteten Verkündigung zu der gegenseitigen Ermahnung hinzu. So sieht etwa der 2. Clemensbrief – gerade im Kontext der Verantwortung der Gläubigen füreinander – in besonderer Weise die Presbyter damit betraut, die Gläubigen zu einer besseren Lebensführung zurechtzuweisen und ihren Verstand zu prägen (νουθετέω)240. In der Folgezeit dominiert die pastorale Führung der Gläubigen durch Amtsträger immer stärker auch die Ausgestaltung der Zusammenkünfte und erreicht gewissermaßen in dem durch die sog. Traditio Apostolica dokumentierten Konzept einen ersten Höhepunkt. Diese Kirchenordnung kommt im Rahmen ihrer Anordnungen zum mehrmals täglichen Privatgebet auch auf morgendliche Versammlungen zu sprechen, die sie »Lehre« (καθήγησις) nennt241, und deren tägliche Durchführung sicherzustellen sie wenige Kapitel zuvor den
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Den Lektoren werden bereits Gehälter bezahlt und die erhöhte und gut sichtbare LeseVorrichtung lässt auf eine spezifische Einrichtung des Versammlungsraumes schließen; vgl. Cypr. ep. 38, 2, 1; 39, 4. 5 (CCL 3B, 184f. 190f Diercks; dt. BKV2 60, 124. 128f Baer). In 2 Clem. 19, 1 (264f Wengst) kommt die Situation der Verlesung des Briefes vor der offenbar versammelten Gemeinde explizit zur Sprache; dazu Leutzsch, Hirt (1998) 122: »Ganz oder in Ausschnitten wurde der Text in den christlichen Öffentlichkeitsbereichen der gottesdienstlichen Versammlung, des Katechumenenunterrichtes und des Hauses tradiert«. Ganz allgemein ist wohl die Überlieferung der frühchristlichen Literatur und die Entstehung regelrechter Textkorpora einschließlich etwa des paulinischen in hohem Maße einer auf Verlesung von Briefen basierenden Kommunikationsstruktur geschuldet – wenngleich die Paulinen selbst ihre ›liturgische‹ Verlesung noch nicht voraussetzen; vgl. Thraede, Friedenskuß (1972) 508f. Aus diesem Grund erlaubt syr. Didask. 10 (CSCO 401 / Syr. 175, 119 Vööbus; dt. 54 Achelis / Flemming) Heiden bereits vor ihrer Taufe »das Wort [zu] hören, damit sie nicht gänzlich zugrunde gehen«. Vgl. 2 Clem. 17, 3 (260f Wengst). Vgl. sah. Trad. Apost. 62 (34–37 Till / Leipoldt) = Botte Nr. 41. Der Text selbst, dessen älteste Fassung in diesem Passus die sahidische ist, spricht von καθήγησις (Lehre), was mit seiner Grundbedeutung ›Wegweisung‹, ›Anleitung‹ etwas autoritativer formuliert als die von κατηχέω (entgegentönen, verkündigen) abgeleitete ›κατήχησις‹ aus Const. Apost. 8, 32, 18 (SC 336, 240, 56 Metzger), die Botte statt des direkt überlieferten griechischen Lehnwortes im Koptischen in seinen Text übernommen hat; vgl. Botte, Tradition (1963) 88. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 70 weist darauf hin, dass bei Origenes ähnliche tägliche Versammlungen wie in der Trad. Apost. belegt sind.
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Klerikern vorgeschrieben hat242. Warum eine solche Unterweisung durch Diakone oder Presbyter dem privaten Gebet unbedingt vorzuziehen sei, begründet der Text seinem Leser damit, »dass Gott es ist, den er im Lehrenden sprechen hört«243. Dieser Vorgang ist für die Zusammenkunft offenbar so charakteristisch, dass die Kirche selbst nicht etwa als ›Gebetshaus‹ beschrieben wird, sondern als »der Ort, an dem man lehrt«244. Der Hintergrund für diese starke Stellung der amtlichen Verkündigung ist die für die damalige Zeit innovative Pneumatologie der Traditio Apostolica, die die Übertragung spezifischer Geistesgaben erstmals an einzelne kirchliche Ämter bindet, und die für die Zukunft prägend werden sollte245. Im weiteren Verlauf des bereits zitierten Kapitels wird die dahinterstehende Denkweise deutlich; es sei deshalb hier ein längerer Passus wiedergegeben: »Dann wird es dem Redner gegeben werden, zu verkünden, was jedem nützt, und du wirst (Dinge) hören, an die du nicht denkst, und wirst gefördert werden von dem, was dir der heilige Geist geben wird durch den Lehrenden. So wird dein Glaube fest werden über dem, was du hörtest. Man wird dir aber auch an jener Stätte sagen, was du in deinem Hause tun sollst. Deshalb also sei jeder eifrig, in die Kirche zu gehen, die Stätte, an der der heilige Geist blüht.«246 Die Versammlung findet demnach vor allem um der Unterweisung willen statt, die eine echte Gottesbegegnung ist. Der Geist teilt den Gläubigen exklusiv durch die Amtsträger etwas mit, was sie ohne diese Vermittlung nicht erfahren könnten247. So wird der Glaube gestärkt und der Alltag durch klare Instruktionen erleichtert. Dass nach dem Lehrvortrag dann auch gebetet wird, kommt nur beiläufig zur Sprache und stellt sichtlich nicht das Hauptmotiv zur Teilnahme dar. Denn beten kann man auch alleine, eine geistgewirkte Verkündigung aber gibt es nur in der Kirche.
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Hier wird die Lehrtätigkeit mit r`kn (informieren, wissen lassen) beschrieben; vgl. sah. Trad. Apost. 60, 4 (34 Till / Leipoldt) = Botte Nr. 39. Sah. Trad. Apost. 62 (34 Till / Leipoldt) = Botte Nr. 41. Eine ganz ähnlich Fassung des Aufrufs findet sich sah. Trad. Apost. 57 (32f Till /Leipoldt) und ist auch in der lateinischen Fassung überliefert; vgl. lat. Trad. Apost. 35 (292f Geerlings). Sah. Trad. Apost. 62 (36 Till / Leipoldt): ok` drns~ qaw l{fry“. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 70 identifiziert diese Versammlungen mit denjenigen in Trad. Apost. 15. 18. 19, in deren Rahmen die Taufanwärter vorgestellt und die Katechumenen unterrichtet werden. Damit ist ein weiterer Faktor erkannt, der zu deren Charakter als regelrechte Lehrveranstaltung beigetragen hat. Vgl. Dünzl, Pneuma (2000) 223–227. Sah. Trad. Apost. 62 (36f Till / Leipoldt) = Botte Nr. 41. Dies gilt offenbar unbeschadet der Tatsache, dass das Amt eines solchen Lehrers von Klerikern oder Laien ausgeübt werden kann; vgl. sah. Trad. Apost. 44 (14f Till / Leipoldt) = Botte Nr. 19.
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Hören des Wortes Das Element der Schriftlesung hätte sich eigentlich – anders als die direkte gegenseitige Auferbauung von Christ zu Christ durch gemeinsames Nachdenken und anders als die erwähnten häuslichen Gastmähler – auch nach der Konstantinischen Wende leicht als Bestandteil täglicher Versammlungen halten können: Es ließ sich ohne Weiteres den Erfordernissen größerer Ritualisierung anpassen, die der Transfer der Versammlungen aus dem privaten in den öffentlichen Raum mit sich brachte, und es fand im Rahmen des Sonntagsgottesdienstes ohnehin allgemeine Verbreitung und eine praktikable Form. Dennoch ist die Lesung kein fester Bestandteil des ab dem 4. Jahrhundert entstehenden kathedralen Tagzeiten-Gottesdienstes248, sondern nur sporadisch belegt. So zählen etwa die ägyptischen Canones des Hippolyt weiterhin die Lesung bzw. das Wort Gottes neben Psalmen und Gebet zu den Kernvollzügen der täglichen Versammlungen249. Allerdings kann dies einem ägyptischen Sonderweg250 oder auch in seiner konkreten Formulierung der literarischen Verwandtschaft mit der Traditio Apostolica geschuldet sein. In Nordafrika lobt Augustinus die Ameise Gottes, die emsig jeden Tag zur Kirche eilt und dort, außer zu beten und zu singen, auch die Lesung hört und über das Gehörte nachdenkt251; die berühmte Schilderung, wie seine Mutter Monika jeden Morgen und Abend (bis die, mane et vespere) in die Kirche kommt, um Gott in seinen sermones zu hören, dürfte dieses Bild bestätigen252. In der Fläche des kirchlichen Lebens scheinen die Gemeinden aber im Rahmen der Tagzeiten das Wort Gottes nicht an allen, sondern nur an besonderen Tagen gehört zu haben: Entweder wurden an Festtagen die jeweils thematisch passenden Lesungen vorgetragen 253 , oder man
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Vgl. Zerfaß, Schriftlesung (1968) 4–55; Röwekamp, Egeria (2000) 78; Taft, Hours (1986) 32f; Guiver, Company (2001) 70. 80. Hinweise auf Lesungen im Westen – vgl. Jungmann, Erbe (1960) 185–191 – hält Bradshaw, Daily Prayer (1983) 121 inklusive Cäsarius für nicht repräsentativ. Can. Hippol. (4. Jh.) c. 21 (PO 31, 2, 386f Coquin; dt. 214 Riedel) ordnet deshalb auch die tägliche Anwesenheit von Lektoren an; vgl. auch die Erwähnung des Wortes Gottes in c. 26 (394f Coquin; dt. 217 Riedel). Die Can. Hippol. bezeugen provinzialägyptischen Brauch; vgl. Brakmann, Kanones (1979). Zahlreiche weitere Belege für tägliche Gottesdienste mit Lesung in Äypten bietet Quecke, Stundengebet (1970) 10f. Für Alexandrien sind abendliche Werktagsgottesdienste mit Lesungen auch durch Athanas. fug. 24 (SC 56, 234 Szymusiak; engl. NPNF 2. Ser. 4, 263 Atkinson / Robertson) und Athanas. hist. Arian. 81, 6 (2, 1, 229, 21 Opitz; dt. BGL 65, 283f Portmann) belegt; vgl. Taft, Hours (1986) 34. Vgl. Aug. in Ps. 66 enarr. 3 (CCL 39, 860 Dekkers / Fraipont); dazu Jungmann, Erbe (1960) 200f. Vgl. Aug. conf. 5, 9, 17 (CCL 27, 66 Verheijen; dt. 221 Bernhart). Diese Form des ›kerygmatischen‹ Schriftgebrauchs wurde in Jerusalem für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres entwickelt, gelangte aber auch dort nur vereinzelt in die Tagzeiten.
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machte die Gläubigen in eigenen, nächtlichen Lesegottesdiensten mit größeren Textmengen der Bibel vertraut254. Erst Cäsarius von Arles macht sich im 6. Jahrhundert, angeregt durch die monastische Ordnung255, wieder für mehr Lesungen und sogar Predigten in den Gemeinde-Tagzeiten stark256. Er führt an seiner Kathedrale die kleinen Horen Terz, Sext und Non ein257, die wahrscheinlich täglich Lesungen enthielten258, und er predigt selbst auch in werktäglichen Morgen- und Abendgottesdiensten259. In seiner Vita wird berichtet, er habe häufig den Gläubigen in Matutin und Vesper auch Predigten vorlesen lassen, »damit es niemanden gebe, der sich durch Unwissenheit (ignorantia) herausreden könne«260. Diese erste große Offensive zur häufigeren Verlesung und Auslegung der Heiligen Schrift in den Gemeinde-Tagzeiten ist also klar von einer Neuentdeckung der didaktischen Funktion der Schriftlesung als Motiv zur Teilnahme getragen: Das ganze Kirchenvolk soll seine Kenntnis des Wortes Gottes vertiefen, und der Klerus ist dafür verantwortlich, dass der Gottesdienst diese Funktion auch erfüllt. Es sollte genau diese – die didaktische – Funktion sein, die die Reformatoren veranlasste, das Element der Bibellesung in den Tagzeiten grundsätzlich
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So las man in der Sonntagsvigil das Evangelium der Auferstehung (und womöglich Teile der Passion), um den Gehalt des Sonntags auch emotional erlebbar zu machen; vgl. Eger. itin. 24, 10 (232f Röwekamp). Erst seit dem 5. Jahrhundert fließt das aus anderen Gottesdienstformen bekannte Element der Lesung breiter in die Ordnung des Stundengebets ein und gewinnt in den östlichen Riten bis heute nur begrenzte Relevanz; vgl. Zerfaß, Schriftlesung (1968) 104–106. 113f. 177. So berichtet der Historiker Sokrates im frühen 5. Jh. von Schriftauslegungen durch Presbyter und Bischöfe in den kappadokischen Abendgottesdiensten des Samstags und des Sonntags und am Mittwoch und Freitag in der alexandrinischen Kirche; vgl. Socrat. h. e. 5, 22, 45. 55 (GCS NF 1, 301f Hansen; engl. NPNF 2, 2, 132 Zenos – der Text gibt keinen Anlass, ihn wie Zenos nur auf Mittwoch und Freitag der Karwoche zu beziehen); vgl. auch Zerfaß, Schriftlesung (1968) 43f. Im Westen wirbt um das Jahr 400 Nicet. Remesian. vigil. 3 (307 Turner; engl. 57 Walsh) für den Besuch von Nachtgottesdiensten an Sams- und Sonntagen, die zwischen den Gesängen auch Lesungen enthielten; vgl. Nicet. Remesian. psalm. 12 (239 Turner; dt. 16f Dohmes). Bradshaw, Daily Prayer (1983) 140. 148 verweist auf die Magisterregel. Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 84–88; Jungmann, Erbe (1960) 180. Caes. Arelat. serm. 72, 1 (CCL 103, 303 Morin) erwartet, dass die Gläubigen regelmäßig zur Morgenhore (vigilia) erscheinen; nach Caes. Arelat. serm. 196, 4 (CCL 103, 793 Morin) sollen die Gläubigen das ganze Jahr über in die Kirche kommen, um die Lesungen zu hören (Nam licet per totum annum deo propitio lectiones divinas frequenter et fideliter audiatis). Vgl. Beck, Care (1950) 349. Zum Stundengebet bei Cäsarius insgesamt vgl. ebd. 107–125. Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 343 mit 332 und 359 (Nr. 68b), der davon ausgeht, dass der Klerus an der Kathedrale diese Horen nach derselben Ordnung abhielt, die für die Klöster des Cäsarius belegt ist. Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 178. Vit. Caes. 1, 59 (481 Krusch; dt. 178 Berg).
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aufzuwerten und in einem völlig neuen Ausmaß zur Geltung zu bringen. Im Hintergrund stand die neue theologische Dignität der Heiligen Schrift und ihre daraus abgeleitete neue Wertschätzung auch in der volkssprachigen Verkündigung – hatte doch Martin Luther das Verschweigen des Wortes Gottes an erster Stelle unter die drei großen Missbräuche des herkömmlichen kirchlichen Gottesdienstes gezählt261. Für ihn war es nun das erklärte Ziel der Tagzeiten, dass die Gläubigen durch tägliche Übung in der Schrift kundig würden262. Es solle deshalb keine Versammlung ohne Predigt des Wortes Gottes geben 263 . Er schlägt vor, dass man morgens und abends je eine Stunde lang die Bibel lese, ein Buch nach dem anderen, sie auslege und im Anschluss Gott danke und ihn lobe und bitte. Dem hehren Anspruch folgt aber sogleich das Eingeständnis, dass man dieses Programm wohl nicht von allen Gläubigen erwarten könne; wichtig sei es vor allem für jene, die sich in der Ausbildung zum Seelsorger und Prediger befänden. Durch diese Fokussierung auf ihre didaktische Funktionalität264 wurden die Tagzeiten im Luthertum zu einer liturgischen Fortsetzung des Bibelunterrichts bzw. in ihrer Zuspitzung sogar des Lateinunterrichts265. Auch die klugen und behutsamen Reformanweisungen Johannes Bugenhagens konnten nicht verhindern, dass ein dergestalt verzweckter und verschulter Gottesdienst auf lange Sicht keine Gläubigen mehr zur Teilnahme motivieren konnte266. Im britischen Königreich muss indes die Entdeckung der volkssprachigen Bibel eine solche Neugier und Faszination bei den Menschen ausgelöst haben, dass sie sich aus eigenem Antrieb in den Kirchen versammelten, um sich gegenseitig daraus vorzulesen267. Solche Erfahrungen fanden ihren Niederschlag in der Tagzeitenliturgie des Book of Common Prayer, das nun nach dem Vorbild neu entstandener Kirchenordnungen deutscher Provenienz den alt- und neutestamentlichen Lesungen einen zentralen Stellenwert im Morning und Evening Prayer einräumte. In Bahnlesung wurde in diesen Gottesdiensten jedes Jahr die
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Vgl. Martin Luther, Von ordenung gottis diensts ynn der gemeyne (WA 12, 35). Ebd. 36. Zur Relativierung und Differenzierung dieses Anspruchs vgl. Odenthal, Ordinatio (2005) 10–13. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 191. Vgl. Martin Luther, Deudsche Messe und ordnung Gottis diensts (WA 19, 80); dazu Odenthal, Ordinatio (2005) 13f. Vgl. die Darstellung bei Goltzen, Gottesdienst (1956) 195–207. Nicht einmal an den Gelehrtenschulen und theologischen Seminaren selbst, auf die der erneuerte Tagzeitengottesdienst zugeschnitten war, hat er sich gehalten; vgl. ebd. 198. Heinrich VIII. hatte im Jahr 1538 den Pfarrklerus angeordnet, in jeder Kirche ein englischsprachiges Exemplar der Bibel bereitzuhalten; vgl. Rosman, Churches (2003) 34f.
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ganze Bibel verlesen268, und zwar so, dass der narrative Zusammenhang sich nur bei täglichem Besuch von Morgen- und Abendgottesdienst wahrnehmen ließ. Die Motivation der Gläubigen zur Teilnahme an diesen Gottesdiensten war offenbar deutlich größer und stabiler als im Land der Reformation. Nun hatten aber auch die anglikanischen Tagzeiten den großen Vorteil, dass die nachhaltige Aufwertung ihrer musikalischen Gestalt auf die Dauer ein zusätzliches Motiv zur Teilnahme bot. Das technische Argument der ›Zugänglichkeit‹ des Bibeltextes ist heute obsolet, da jeder sich für wenige Euro im Kaffee-Geschäft mit einem Exemplar versorgen und zuhause darin lesen kann. Die katholische Reform des Stundenbuches hat dementsprechend zwar das Streben der Reformation nach reicheren und volkssprachigen Bibel-Lesungen grundsätzlich aufgegriffen269, an der Stelle der überlieferten Capitula die Verwendung längerer Texte ermöglicht und für die Feier mit der Gemeinde sogar ausdrücklich empfohlen270; sie zielt jedoch auf eine andere Begründung ab: Die Schriftlesung wird nun explizit als »echte Verkündigung des Wortes Gottes«271 aufgefasst, worin die kommunikative Dimension stärker betont wird als die informative. Diese Diktion ist in der jüngeren Diskussion hinterfragt worden272, weil die Capitula des Stundengebets eine von der anamnetischen Wortverkündigung und der didaktischen Bibellektüre unterschiedene, dritte Funktion haben, die als ›meditative‹ bezeichnet wurde273. Tatsächlich aber konnte die Schriftlesung in der breiten Tradition der Tagzeitenliturgie in durchaus unterschiedlicher Funktion zum Einsatz kommen und nahm daher auch in Gestaltung, Umfang und Auswahl der Texte unterschiedliche Formen an. Sie kann deshalb wohl im Einzelfall, nicht jedoch pauschal als Verkündigung aufgefasst werden. Für alle drei möglichen Funktionen der Lesung gilt jedoch ein Aspekt, den Georg Braulik unter dem Schlagwort »Rezeptionsästhetik« aus der Gattung der Bibeltexte selbst abgeleitet hat: Die kanonischen Texte der Bibel verlangen als Heilige Schriften einer Glaubensgemeinschaft nach einer Rezeption nicht so sehr durch den Einzelnen in privater Lektüre, sondern durch die zum Gottesdienst versammelte Rezeptionsgemeinschaft274. »Für uns ist heute der wichtigste Traditionsort, an dem die Schriften der Bibel und speziell die alttestamentli-
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Vgl. die Monatstafeln mit den Lesungen im Book of Common Prayer (1662) xxi–xxxii. Die Bibel wurde nicht vollständig, aber doch in weiten Teilen und überwiegend in ihrer kanonischen Reihenfolge verlesen. Vgl. Taft, Hours (1986) 313. Vgl. AES 46. 140. Vgl. AES 45. Vgl. Zerfaß, Schriftlesung (1968) 178–181. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 292. Vgl. Braulik, Rezeptionsästhetik (2003) 39.
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chen Psalmen gelesen, gehört, gebetet und dabei mit unserer Situation korreliert werden, sicher die Liturgie.«275 Erst die Rezeption, die selbst ein schöpferischer Akt ist, macht die Bibel zur Anrede Gottes276. Dieser Vorgang hat auch eine diachrone Dimension, wenn eine Gruppe von Gläubigen sich mit jenen identifiziert, die die verlesenen Texte gepflegt oder gar hervorgebracht haben, und deshalb auch den in diesem Prozess angelegten Modus einhält, sie in Gemeinschaft zu verlesen. Vereinte Stimmen Während die Schriftlesung nach der Konstantinischen Wende nur vereinzelt zu den Motiven für den alltäglichen Kirchbesuch zählte, gehört der Gemeindegesang – zwar nicht unangefochten, aber doch klar – zu den Gewinnern jener Entwicklung, die aus den existentiell bedeutsamen Zusammenkünften engagierter Außenseiter attraktive Veranstaltungen für ein breites Publikum machen sollte277. Gesungen hatten die Christen schon immer278. Der Gesang von Psalmen, Cantica, Antiphonen oder Hymnen ist von den ersten Zeugnissen einer öffentlichen Tagzeitenliturgie im 4. Jahrhundert an immer wieder belegt279. Zuweilen wird in den Quellen gefordert oder vorausgesetzt, dass die Gesänge von der ganzen Gemeinde gesungen werden280. Gerade in der Startphase sind wir darüber unterrichtet, welch starke Bemühungen einzelne Bischöfe in diese Richtung unternommen haben. Manchmal kommen in den Schilderungen die Motive zum Vorschein, warum ihnen der Gesang so wichtig war und warum er so gut angekommen ist. So beschreibt 275 276 277 278 279
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Braulik, Rezeptionsästhetik (2003) 41. Vgl. Braulik, Rezeptionsästhetik (2003) 39. Vgl. Guiver, Company (2001) 52. Vgl. Franz, Alte Kirche (2000) 1–11 mit den einschlägigen Quellentexten. Vgl. Eger. itin. 24 passim (224–235 Röwekamp); Aug. in Ps. 66 enarr. 3 (CCL 39, 860 Dekkers / Fraipont); Ambros. in Ps. 119 (118) expos. 19, 32 (CSEL 62, 438f Petschenig); Paulin. Mediolan. vit. Ambros. 13 (68 Pellegrino; dt. 44 Opelt); Aug. in Ps. 50 (49) enarr. 23 (CCL 38, 593 Dekkers / Fraipont). Die Terminologie ist dabei nicht völlig geklärt; mit »Hymnen« können auch Psalmen gemeint sein, unter »Antiphonen« dürften in der Frühzeit keine Leit- bzw. Kehrverse zu den Psalmen, sondern eigenständige, auch nichtbiblische Gesänge verstanden worden sein; vgl. Hucke, Entwicklung (1953) 150 Anm. 13; 157–165. Die heutige Bedeutung der Begriffe darf jedenfalls nicht vorausgesetzt werden; vgl. Franz, Alte Kirche (2000) 3. Die einschlägigen Quellen zu den frühesten Zeugnissen gottesdienstlichen Gesangs allgemein ebd. 1–28 und bei Leitner, Volksgesang (1906) 82–103. Vgl. z. B. Hilar. in Ps. 119 (118) tract. 5 (He), 14; 7 (Zain), 4 (CSEL 22, 408. 421 Zingerle); in Ps. 66 (65) tract. 4 (CSEL 22, 251 Zingerle); Nicet. Remesian. psalm. 2 (233, 12f Turner; dt. 10 Dohmes): conlaudo eos, qui etiam sono vocis glorificant Deum; vgl. dazu insgesamt Leitner, Volksgesang (1906) 107–118 mit weiteren Quellenangaben. Auch der Cod. Iust. 1, 3, 41 (42), 25 (28 Krueger) setzt voraus, dass Gläubige zur Psalmodie in die Kirche kamen.
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und befürwortet Basilius von Cäsarea den wechselchörigen Gesang aller Anwesenden, »wobei sie die Schriftworte meditieren und sich durch deren Anwendung innerlich stärken«281. Der Gehalt der (Psalm-) Texte wird also intensiver wahrgenommen und bereitwilliger aufgenommen, wenn man sie selbst singt. Gerade die Technik des abwechselnden Singens erfordert einen hohen Grad an Aufmerksamkeit für das Geschehen als Ganzes, die wenigstens zum Teil auch dem gesungenen Inhalt zugutekommt. Nicetas von Remesiana bezeichnet deshalb kurze Zeit später den Psalmengesang als Arzneitrank, »der durch seine Melodie süß sein solle im Geschmack und doch durch seine Kraft auch wirksam zur Heilung der Wunden.«282 Selbst bittere Botschaften ließen sich durch süße Melodien schmackhaft machen, wenn man sie nur häufiger wiederhole. Diese ›didaktische‹ und zugleich ›unifizierende‹283 Funktion des Singens bestimmte den gesamten Wettstreit der Orthodoxie mit den Arianern um die populäreren Lieder284. Neben diese kognitive tritt eine emotionale Wirkung des Singens, die vom Text der Gesänge unabhängig auftreten kann. Diese Facette finden wir durch Augustinus bereits für die Frühzeit des Gemeindegesangs dokumentiert. Augustinus berichtet, wie Ambrosius während der Belagerung in der Basilica Portiana vor den Toren Mailands seiner Gemeinde den Hymnen- und Psalmengesang nach dem Brauch der Ostkirche beibrachte, um die aufgewühlten und verängstigten Gemüter zu beruhigen285. Seine eigene Reaktion auf diese Form, mit Herz und Stimme miteinander zu singen (concinentes vocibus et cordibus)286, beschreibt er wie folgt: »Wie weinte ich bei den Hymnen und Gesängen auf dich, mächtig bewegt vom Wohllaut dieser Lieder Deiner Kirche! Die Weisen drangen an mein Ohr, und die Wahrheit flößte sich ins Herz, und fromminniges Gefühl wallte über: die Tränen flossen, und mir war wohl bei ihnen.«287 Er
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Bas. Caes. ep. 207, 3 (2, 186 Courtonne; dt. BGL 3, 143 Hauschild). Nicet. Remesian. psalm. 5 (235f Turner; dt. nach 13 Dohmes). Vgl. Willa, Singen (2005) 94–96: Im Gegensatz zum Miteinanderreden setzt das gemeinsame Singen die Bereitschaft voraus, sich vorgegebenen, gemeinsamen Äußerungen anzuschließen und eine abweichende eigene Meinung unter Umständen zurückzustellen. Bereits Ign. Eph. 4, 1f (144 Fischer); Ign. Rom. 2, 2 (184 Fischer) wählte das Bild des Chorgesang, um die Eintracht unter den Gläubigen auszudrücken. Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 118–126. Vgl. Aug. conf. 9, 7, 15 (CCL 27, 141f Verheijen; dt. 447 Bernhart); zu den Vorgängen vgl. Franz, Alte Kirche (2000) 12–20; Leitner, Volksgesang 115f. 125. Mit den »Brüdern«, denen Augustinus den Gesang zuschreibt, müssen nach Leeb, Psalmodie (1967) 91. 97 alle Christen gemeint sein, weil Ambrosius’ Motivation, durch den Gesang das Volk zu beruhigen, nur bei einer Vollzugsweise mit Gemeindebeteiligung sinnvoll ist. Vgl. auch Ambr. ep. 75a, 34 (CSEL 82, 3, 105 Zelzer); ausgewertet bei Franz, Tagzeitenliturgie (1992) 76. Aug. conf. 9, 6, 14 (CCL 27, 141 Verheijen; dt. 447 Bernhart).
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führt die Einführung der ostkirchlichen Singweise in Mailand insgesamt auf die Absicht zurück, den Kummer (taedium) des Volkes zu vertreiben288. Aus Nordafrika berichtet er, dass die Mehrheitskirche der Donatisten offenbar noch weitaus volkstümlichere Melodien pflegte, und ermuntert seine eigene Kirche zu mehr Engagement auf dem Feld des Gemeindegesangs, dessen emotionale Wirkung er für pastoral zuträglich hält289. Die heute individualpsychologisch erklärbare »emotionsausgleichende Wirkung«, die Augustinus selbst erlebt hat, verursacht das Singen u. a. durch eine tiefere und ruhigere Atmung290 sowie durch den Abbau kognitiver Wahrnehmungsstörungen, »indem es eine immer wiederkehrende gedankliche Beschäftigung mit negativen Gefühlen unterbricht. Erfahrungsgemäß kann man nicht gleichzeitig grüblerischen Gedanken nachgehen und singen.«291 Es fällt auf, dass auch Nicetas den gemeinsamen Psalmengesang nicht etwa deswegen schätzt, weil er Gefühle zum Ausdruck bringen könnte, sondern im Gegenteil, weil er auf unterschiedlich disponierte Menschen eine jeweils gegenläufige Wirkung ausübt: »Den Traurigen tröstet der Psalm, den Fröhlichen mäßigt er, den Zornigen besänftigt er, den Armen erquickt er, den Reichen ruft er zur Besinnung.«292 Offenbar werden die Gefühle durch den Gesang nicht verstärkt, sondern ausgeglichen. Über diese an den Emotionen des Einzelnen ausgerichtete Funktion der Musik, im Gottesdienst die »Anwältin des Subjektiven«293 zu sein, hat das gemeinsame Singen aber auch Auswirkungen auf die Gemeinschaft als ganze. So ist bei jedem Teilnehmer eine positive Positionierung gegenüber den übrigen Versammelten notwendig, damit er sich und seine Persönlichkeit so ungeschützt zum Ausdruck bringen kann und will, wie es die gesangliche Äußerung verlangt294. Karl Adamek sieht die humanen und gruppendynamischen Chancen darin liegen, »daß Nähe und Tiefe der gefühlsmäßigen Beziehungen in einer Gruppe hergestellt wird, daß man gegenseitig bis in die feinsten Verästelungen auszudrücken bereit ist, wie man zum Beispiel mit den Alltagsproble288 289
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Vgl. Aug. conf. 9, 7, 15 (CCL 27, 142, 11f Verheijen; dt. 447 Bernhart). Vgl. Aug. ep. 55 ad Januar. 18, 34 (CSEL 34, 208f Goldbacher; dt. BKV2 29 [Aug. 9], 249f Hoffmann); Aug. conf. 10, 33, 50 (CCL 27, 182 Verheijen; dt. 565–567 Bernhart). Die pastorale Dimension als Motiv für die Pflege gottesdienstlicher Musik bei den Kirchenvätern als grundsätzlich anachronistisch abzutun, ist vor dem Hintergrund dieser Äußerungen zumindest übertrieben; vgl. die bei Willa, Singen (2005) 127 wiedergegebene Position Philippe Bernards. Rist, Plädoyer (2001) 49 vermutet auch bei Nicetas von Remesiana missionarische Motive, durch den Psalmengesang »Tiefenschichten der menschlichen Seele« anzurühren. Vgl. Willa, Singen (2005) 71. Willa, Singen (2005) 83. Vgl. Nicet. Remesian. psalm. 5 (235 Turner; dt. nach 12 Dohmes). Gerhards / Kranemann, Einführung (2006) 193. Vgl. Ratzinger, Geist (2000) 121: In der Kirchenmusik werden »alle Möglichkeiten der bloßen Rationalität überschritten.« Vgl. Willa, Singen (2005) 93f.
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men fertig wird oder wie man etwas Schönes erlebt oder mit welcher Haltung man im Leben steht«295. In der Tat fordert und fördert gemeinsames Singen nicht nur eine erhöhte Aufmerksamkeit auf den Inhalt, sondern vor allem auch aufeinander. Bischof Nicetas von Remesiana, der vor dem Jahr 400 den Psalmen- und Hymnengesang in seinem Bistum einführen will, sieht die Einheit, die unter den Singenden entsteht, pneumatologisch begründet, indem er den Geist (Hauch, Atem) Gottes, der im Menschen wohnt und unter ihnen Einheit schafft, mit dem Atem beim Singen in Verbindung bringt296. Nicetas legt Wert darauf, dass erstens alle mitsingen und dabei zweitens darauf achten, dass ihre Stimme mit denen der anderen harmoniert. Sie sollen nicht höher und nicht tiefer, nicht schneller und nicht langsamer, nicht lauter und nicht leiser singen als die anderen, »sondern ein jeder sei bemüht, seine Stimme in den Klang des miteinander singenden Chores einzufügen« 297 . Nicetas ermuntert also seine Gläubigen, die kommunikative Dimension des gemeinsamen Singens zu erkennen und ihre Chancen zu nutzen. Er berührt damit einen Punkt, der von der Liturgiewissenschaft erst in jüngerer Zeit in seiner vollen, auch theologischen Bedeutung reflektiert wurde: »Durch Singen wird Kirche auferbaut. Die singende Gemeinde ist auf ganz besondere Weise Kirche [...]. Im Singen als Wesensbestandteil liturgischen Feierns sind die kommunikativen Dimensionen des Gottesdienstes in verdichteter Form präsent. Der einzelne Mensch artikuliert sich und erfährt sich zugleich als Teil einer Gemeinschaft. Dadurch konstituiert sich die liturgische Versammlung als Subjekt – nicht im Sinne einer Überperson, sondern als dialogische Gemeinschaft von Individuen. Dazu ist die Befähigung zum Aufeinander-Hören und Miteinander-Handeln vonnöten.« 298 Es dürften nicht zuletzt diese Zusammenhänge sein, die, wenn wir sie zu Recht für anthropologische Konstanten halten, bereits in der Antike für die Beliebtheit und die Förderung des Gemeindegesangs mit den Ausschlag gaben und wegen derer sich sogar Konzilien zu kirchenrechtlichen Bestimmungen veranlasst sahen, konkrete Gesänge aufgrund ihrer emotionalen Wirkung in allen Kirchen »mit großer Gemütsbewegung« (cum grandi affectu) singen zu lassen299. Gesang
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Adamek, Lied (1987) 193. Vgl. Messana, Chant (1988) 142–144; vgl. auch Senjak, Niceta (1975) 111. Ähnlich betrachtete bereits Ambros. in Ps. 1 enarr. 9 (PL 14, 969) beim Volksgesang den Heiligen Geist selbst als Musiker. Vgl. Nicet. Remesian. psalm. 13 (239f Turner; dt. nach 17 Dohmes). Gerhards, Singen (1994) 512, vgl. auch 510: Es »geschieht durch Singen das Einüben einer kommunikativen Existenz. Singen im Gottesdienst ist gemeinschaftliches Tun, das nur unter Wahrnehmen des Anderen gelingt: der mitsingenden Menschen und des Adressaten des Gesangs, Gott«. Vgl. Conc. Vas. (529) c. 3 (CCL 148 A, 79 de Clercq).
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konnte auch ohne handlungsbegleitende Funktion »um des Singens selbst willen«300 in den Gottesdienst aufgenommen werden. Ausblick: Communio durch Kommunikation Was ist es, das Menschen veranlasst, sich im Alltag zum Gebet zu versammeln? Motive, die die Teilnahme an sakramentalen Liturgien bestimmen, scheiden für die Tagzeiten aus: Hier wird nichts »gespendet«. Am Ende dieses Abschnitts sollen die Hauptmotive noch einmal zusammenfassend mit Blick auf die heutigen pastoralen Anforderungen beleuchtet werden. • Erstaunlicherweise war das früheste Motiv für das tägliche Beieinandersein der Christen nicht das Gebet, sondern die gegenseitige Stärkung im Gespräch über den Glauben und seine ethischen Konsequenzen. Diese Form der spirituellen Stärkung ist allerdings an bestimmte soziologische Voraussetzungen gebunden. Sie setzt ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und das Interesse voraus, sich über sehr persönliche Dinge miteinander auszutauschen. Heute kommt diese Dimension christlicher Gemeinschaft vor allem in Glaubensgesprächskreisen, in Gottesdiensten für vertraute und geschlossene Gruppen wie zum Beispiel auf Firmfreizeiten zur Entfaltung. Dabei wird vorausgesetzt, dass man sich kennt. Ob Formen des persönlichen Glaubensgesprächs und Glaubenszeugnisses in einem gottesdienstlichen Rahmen angemessen sind, hängt deshalb stark davon ab, welcher Grad an Öffentlichkeit besteht. In einem städtischen Umfeld kann diese Intimität auch unter den Bedingungen einer wieder schrumpfenden Volkskirche kaum mehr entstehen; denn die soziologischen Verschiebungen der Konstantinischen Wende werden nicht einfach zurückgespult: Die Gottesdienste werden zwar wieder kleiner, aber deswegen nicht zwingend auch privater. Die Menschen kennen sich nicht besser, nur weil sie weniger sind. In vielen Kontexten wird deshalb die »Kirche in ihrer kleinsten Konkretion« die geformten Akte ihres Glaubensausdrucks nicht eigenständig entwickeln können301. Der Halt und die gegenseitige Stärkung, die im frühen Christentum offensichtlich ein starkes Motiv zur Versammlung waren, können und müssen vielmehr auch ohne privaten Austausch vermittelt werden. Dafür ist es nötig, die nichtkognitiven kommunikativen Strukturen des Gottesdienstes zur Entfaltung zu bringen, dh. durch gemeinsames Handeln und eine Schärfung der gegenseitigen Wahrnehmung die gottesdienstliche Gemeinschaft stärker spürbar zu machen. • Einen Text vorgelesen zu bekommen, ist etwas ganz anderes als ihn selbst zu lesen. Der Vorleser interpretiert den Text und bringt damit auch sein eigenes
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Leeb, Gesänge (1970) 170. Dies hatte Vorgrimler, Liturgie (1999) 42f vorgeschlagen.
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Verhältnis zu ihm zum Ausdruck; er gibt preis, dass die verlesenen Worte für ihn Bedeutung haben; er tritt zu den versammelten Zuhörern in Kontakt und versucht, ihr Gehör zu finden; die Zuhörer sind direkt angesprochen. Die gottesdienstliche Lesung hat deshalb immer ein kommunikatives Plus gegenüber der Privatlektüre. Außerdem hat die Verlesung des Wortes Gottes im Tagzeitengottesdienst vor allem durch monastischen und reformatorischen Einfluss einen theologischen Stellenwert erhalten, aufgrund dessen ein Verzicht auf dieses Element kaum noch denkbar wäre: »Es läßt sich kaum noch vermitteln, daß nicht in jeder Feier der Liturgie das Wort Gottes verkündigt wird.«302 Paul Bradshaw hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass Form und Gehalt der Schriftlesung davon abhängen, welche Funktion die Lesung im Gottesdienst gegenüber seinen Teilnehmern erfüllt – und dass über diese Frage zu wenig nachgedacht wird303. Gerade die didaktische Funktion, die für die Mönche, für Cäsarius, aber auch für die Reformation im Vordergrund stand, ist heute nicht per se das zentrale theologische Movens. Es ist somit als Aufgabe an spätere Kapitel weiterzureichen, darüber zu reflektieren, welchen Sinn das Hören des Wortes Gottes für die zu den Tagzeiten versammelten Menschen haben kann, und wie diese Funktion dann zu erfüllen ist. • Ein Motiv, das besondere Aufmerksamkeit verdient, ist das gemeinsame Singen im Gottesdienst. Schließlich war es dieses Element, das die Tagzeiten unter volkskirchlichen Bedingungen mehr und mehr zu dominieren begann und nicht unwesentlich zu ihrer Etablierung in der Spätantike beigetragen hat. Da in unserer Gegenwart die Mehrheit der Bevölkerung zwar gerne singt, es sich aber in der Öffentlichkeit nicht traut304, kann es ein objektiv feststellbares seelisches Bedürfnis heutiger Menschen stillen, wenn man geschützte Räume schafft, in denen sich die Freude am Erheben der eigenen Stimme ohne die sonst üblichen Ängste ausleben lässt305. Es ist allerdings nicht leicht, die dafür notwendige Voraussetzung zu schaffen: eine Atmosphäre, in der sich der einzelne Teilnehmer stimmlich entfalten kann, ohne überfordert zu sein. In einer von zunehmender Vereinzelung geprägten Gesellschaft 306 böte jedoch gerade das Erlebnis gemeinsamen Singens als eine nicht kongnitive und doch sehr intensive 302 303 304
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Schnitker, Morgen- und Abendlob (1994) 273. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 152f. Vgl. Willa, Singen (2005) 97 mit Verweis auf eine Umfrage von 1988: »Aufhorchen lässt, dass nahezu die Hälfte der Befragten von traumatischen Erlebnissen mit dem Singen in ihrer Kindheit berichten, die ihnen als Erwachsene den Zugang mit Singen erschweren oder verunmöglichen. [...] Gleichzeitig beklagen viele den Mangel an Gelegenheiten zum Singen in der Gesellschaft.« Vgl. Willa, Singen (2005) 100f. 106f. Vgl. Willa, Singen (2005) 55: »In den Kulturen westlicher Prägung stellt sich das Singen gegen den Trend zu Individualismus und Konsumismus gerade auch im Bereich der Musik. Wer singt, tritt aus einem passiven, rezeptiven Verhalten aus und wird handelndes Subjekt.«
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und authentische Form von Interaktion eine große Chance, die Menschen im Alltag den Halt einer Gemeinschaft spüren zu lassen. • Was beim Singen – vor allem beim Wechselgesang – besonders stark zum Tragen kommt, ist auch mit Blick auf die übrigen Vollzüge des Tagzeitengottesdienstes ein wichtiges Proprium gegenüber dem privaten Gebet: die Verwiesenheit der Anwesenden aufeinander. George Guiver bevorzugt aus diesem Grund die Einrichtung liturgischer Rollenbücher vor »all-inclusive«-Lösungen307, in denen jeder den gesamten Text vor Augen hat: So sind alle von den anderen Rollenträgern abhängig, da nur diese wissen, wie es weitergeht. In ägyptischen Klöstern waren Psalterien in Gebrauch, die für jeden der beiden Chöre immer nur jeweils den zweiten Vers enthielten, und die erst beim abwechselnden Gesang den vollen Psalmtext ergaben308. Die gegenseitige Verwiesenheit wird hier in der Tat besonders deutlich. Sie besteht aber auch auf der Ebene der praktischen Umsetzung; denn ohne dass die liturgischen Dienste und die Gemeinde als Ganze ihre jeweiligen Partien auch ausführen, kann der Gottesdienst nicht fortschreiten. Anders als beim privaten Gebet nach dem Brevier – und anders als bei einer Frontal-Andacht zum passiven Zuhören – macht ein Gottesdienst mit verteilten Zuständigkeiten deutlich, dass sich in einer Gemeinschaft von Individuen das Gelingen nicht zentral herstellen lässt. Zugleich wird intuitiv erfahrbar, dass der jeweils eigene Beitrag für das Ganze bedeutsam ist und dass in der Versammlung mehr und reichere Ausdrucksformen möglich sind als allein.
2. Kirchlichkeit Dass Christen einander im Gebet verbunden sind, erfahren in der Antike bereits die Taufbewerber gleich zu Beginn ihres Christseins; denn ihr Beten und Fasten wird von den bereits Getauften solidarisch mitvollzogen309. Allgemein gilt, dass die Gemeinschaft der Heiligen sich gegenseitig in ihr Gebet einschließt. Das paulinische Diktum »Bittet für alle Heiligen!«310 – gemeint sind alle Christen – findet so seine Aufnahme bereits bei Polycarp von Smyrna, der sowohl die Philipper brieflich dazu aufruft311, als auch selbst im Gebet neben den persönlichen Freunden zugleich »der ganzen katholischen Kirche auf dem
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Vgl. Guiver, Company (2001) 205. Vgl. Zanetti, Manuscripts (1995) 69: »a splendid sence of economy«. Vgl. z. B. Just. apol. 1, 61, 2 (PTS 38, 118, 6f Marcovich; dt. BKV2 12, 129 Rauschen); ähnlich Did. 7, 4 (118f Schöllgen). Eph 6, 18. Vgl. Polyc. Eph. 12, 3 (262–265 Fischer).
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weiten Erdenrund« gedenkt312. Ignatius von Antiochien ruft seine Adressaten auf, für ihn selbst oder auch für die Kirche in Syrien zu beten313. Diese Form der Gemeinschaft ist von der topographischen Zerstreuung der Betroffenen vollkommen unabhängig. Ja, es entsteht geradezu der Anspruch, dass jedes christliche Gebet eine universale Verbundenheit zum Ausdruck bringen muss. Cyprian von Karthago leitet aus der 1. Person Plural im Wortlaut des Vaterunsers ab, dass Christen niemals für sich allein beten sollen, vielmehr sei ihr Gebet prinzipiell »öffentlich« (publica oratio) und gelte demnach dem gesamten Volk Gottes, »weil wir alle eins sind«314. Cyprian untermauert diese Ansicht mit den Beispielen der drei Jünglinge, die im Feuerofen wie aus einem Munde sangen (Dan 3, 51), und der Apostel, die nach der Auffahrt Christi einmütig im Gebet verharrten (Apg 1, 14)315. Die Wahl dieser Beispiele, deren Protagonisten ja räumlich beieinander waren, deutet darauf hin, dass Cyprian hier auch reale Versammlungen mit im Blick hat; allerdings weist die Verbundenheit aller Christen doch auf jeden Fall weit darüber hinaus. Ähnliches gilt noch für das bekannte Diktum des Ambrosius über die Kirche: »sie betet gemeinsam (in commune orat)«316, das im Kontext seiner Fortführung durch »gemeinsam wirkt sie, gemeinsam wird sie geprüft« gerade nicht als christologische Fundierung der Versammlung317, sondern der spirituellen Verbundenheit anzusehen ist. Jedes Gebet eines einzelnen Christen ist auch ohne räumliches Beisammensein Teil eines gemeinschaftlichen Projekts und in diesem Sinne kirchlich: »Jeder Gläubige ist eine kleine Kirche«318. Die Bedeutung der Versammlung für das Gebet Auf einer anderen Schiene theologischer Reflexion bringt bereits der Hebräerbrief die Versammlung der Gläubigen mit der Wiederkunft Christi und dem
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Dies wird explizit durch seine Martyriumsakten für den Augenblick seiner Verhaftung bezeugt, in dem er sich noch eigens Zeit für dieses Gebet ausbedungen habe; vgl. Mart. Polyc. 8, 1 (14 Orbán; BKV2 14, 300 Rauschen). Vgl. Ign. Eph. 1, 2; 21, 2 (142f. 160f Fischer); Magn. 14 (170f Fischer); Rom. 8, 3; 9, 1 (190f Fischer). Cypr. domin. orat. 8 (CSEL 3, 1, 271, 9–11 Hartel; dt. BKV2 34, 171 Baer): publica est nobis et communis oratio, et quando oramus, non pro uno sed pro populo toto oramus, quia totus populus unum sumus. Cypr. domin. orat. 8 (CSEL 3, 1, 271f Hartel; dt. BKV2 34, 171f Baer). Ambros. off. 1, 29, 142 (CCL 15, 51, 50 Testard; dt. nach BKV2 32, 79 Niederhuber). So Martimort, Handbuch (1963) 91 mit Anm. 21. Guiver, Company (2001) 39–41 überträgt dieses Zitat von Petrus Damiani nach McNulty, Peter (1959) 64 aus dem dortigen Kontext des Sakramentenempfangs auf das private Gebet.
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Gericht in Verbindung319. Die Didache entfaltet den Gedanken der ständigen Wachsamkeit auf das Ende, und sieht in der Versammlung auch ein adäquates Mittel, sich für diesen Tag zu rüsten320. Neben das persönliche Bestehen im Gericht tritt in zunehmendem Maße die Überzeugung, die Gemeindeversammlung sei auch Sinnbild und Verwirklichung der eschatologischen Sammlung der Völker321. Die in Mt 24, 31 unter Rückgriff auf das Vier-Winde-Motiv aus Sach 2, 10 LXX entworfene Vision der Zusammenführung wird inzwischen nicht mehr nur als punktuelles Geschehen zum Tag des Gerichts aufgefasst; vielmehr stellt das Mahlgebet der Didache seine Bitte um Zusammenführung der Kirche aus den vier Winden in das Reich Gottes in eine Reihe mit der Bitte um ihre ethische Vollendung und um Schutz vor dem Bösen322. Die eschatologische Vollerfüllung323 ihrer Sammlung sieht das Gebet demnach in der diesseitigen Auferbauung der Kirche bereits vorbereitet und »kultisch antizipiert«324. So wurde die Verbundenheit zu einer weltweiten und weltgeschichtlichen Sammlungsbewegung zunehmend auch als Beweggrund zur konkreten, physischen Versammlung empfunden. Während nun diese Bedeutung der Zusammenkunft in Bezug auf die Eucharistie bald unumstritten ist, gilt sie mit Blick auf das tägliche Gebet zunächst als unwichtig oder doch zumindest nicht entscheidend. Bereits kurze Zeit nach den entsprechenden Äußerungen des Clemens von Alexandrien325 kann allerdings Origenes dem Gebet in Gemeinschaft durchaus auch eine theologische Qualität abgewinnen, die dem Gebet Einzelner fehlt: »Einen gewissen, mit (geistlichem) Nutzen verbundenen Reiz hat aber ein Gebetsort, nämlich der Platz, wo sich die Gläubigen versammeln«326; denn dort seien neben den sichtbaren Menschen auch die jeweils dazugehörigen Schutzengel zugegen327, sowie auf unerklärliche Weise die Geister von lebenden und verstorbenen Heiligen328. In dieser Argumentation wird beides zugleich deutlich: dass (1) die geistliche Gemeinschaft
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Hebr. 10, 25: »Lasst uns nicht unseren Zusammenkünften fernbleiben, wie es einigen zur Gewohnheit geworden ist, sondern ermuntert einander, und das um so mehr, als ihr seht, dass der Tag naht.« Vgl. Did. 16 (134–139 Schöllgen). In 2 Clem. 17, 3f (262f Wengst) wird diese Verbindung durch eine Stichwortverknüpfung der Gemeindeversammlung mit dem Zitat von Jes 66, 18 hergestellt: »Ich komme, alle Völker, Stämme und Zungen zu versammeln«. Vgl. Did. 10, 5 (124f Schöllgen). Vgl. Clerici, Einsammlung (1966) 62. Meßner, Konzeptionen (2000) 169. Vgl. die oben in der Einleitung zu Kapitel A.II (hier S. 48) zitierte Äußerung bei Clem. Alex. strom. 7, 35, 3 (GCS Clem. 3, 27 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 42 Stählin). Orig. or. 31, 5 (GCS Orig. 2, 398, 14f Koetschau; dt. BKV2 48, 141 Koetschau). Vgl. dazu Gessel, Theologie (1975) 200–204. Vgl. dazu Gessel, Theologie (1975) 130f. 198–200.
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der Christen prinzipiell jede physische Versammlung von Gläubigen übersteigt und sogar körperlose Vernunftwesen mit umfasst; dass sich aber (2) diese Gemeinschaft dennoch nirgendwo angemessener realisiert als in der konkreten, räumlichen Zusammenkunft. Tertullian macht nun auch die Bündelung der Gebetskräfte in besonderer Weise an der Versammlung fest, wenn er gleichgesinnte Betende, die räumlich zusammenkommen, als eine Art Armee beschreibt, die Gott mit Bitten belagert, und sich dabei die sprachliche Zuspitzung nicht verkneifen kann, eine solche Gewalttätigkeit sei Gott wohlgefällig329. Bei Martin Luther findet sich diese Auffassung wieder: »Man kann und soll wohl überall, an allen Orten und zu jeder Stunde beten; aber das Gebet ist nirgends so kräftig und stark, als wenn der ganze Haufe einträchtig miteinander betet«330. Die Reinheit der Versammlung im Gebet Zu Beginn der Entwicklung hatte Clemens noch davor gewarnt, sich mit Gläubigen zum Gebet zu versammeln, die sich irgendwelcher Verfehlungen schuldig gemacht haben331. Die Didaskalie schließlich warnte eindringlich vor Streit in der Gemeinde, weil dadurch die Kraft der Gebete beeinträchtigt werde – ausdrücklich auch das beständige private Gebet der einzelnen Gläubigen332. Angewandt auf die (in diesem Fall eucharistische) Versammlung der Gemeinde unter ihrem Bischof, wird aus diesem Anspruch abgeleitet, dass niemand räumlich zugegen sein dürfe, der derartige Gebetshemmnisse mit sich herumträgt. Der Diakon soll deshalb laut fragen: »Ist vielleicht jemand da, der irgendetwas hat gegen seinen Nächsten?« 333 , damit der Bischof jeden Streit noch vor Ort schlichten kann. Die Kirche als Gebetsgemeinschaft muss – wenn sie sich denn konkret versammelt – ihren geistlichen Anspruch auch ganz konkret umsetzen. Dies hat auch Konsequenzen auf der Ebene der inhaltlichen Übereinstimmung der Betenden: Schon früh wird – etwa in den Ignatianen334 – die besondere Wirksamkeit eines Gebetes mit vereinten Kräften betont, am deutlichsten im Brief an die Epheser: »Wenn nämlich das Gebet eines Menschen und eines zweiten solche Macht besitzt, wieviel mehr dann das des Bischofs und der ganzen Kirche!«335 Cyprian von Karthago berichtet von Visionen, die ihm vor Augen 329
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Vgl. Tert. apol. 39, 2 (CCL 1, 150 Dekkers; dt. BKV2 24, 141f Kellner): Haec uis Deo grata est. Martin Luther, Predigt am 17. Sonntag nach Trinitatis, bei der Einweihung der Schloßkirche zu Torgau gehalten (WA 49, 593). Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 49, 2f (GCS Clem. 3, 36f Stählin; dt. BKV2 2, 20, 55 Stählin). Vgl. syr. Didask. 11 (CSCO 407 / Syr. 179, 139 Vööbus; dt. 65f Achelis / Flemming). Syr. Didask. 11 (CSCO 407 / Syr. 179, 140, 16–18 Vööbus; dt. 66 Achelis / Flemming). Vgl. Ign. Magn. 14 (170f Fischer); ähnlich Ign. Trall. 12, 2 (178f Fischer). Ign. Eph. 5, 2 (146f Fischer).
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führten, welch großen Einfluss die Eintracht der Betenden darauf hat, ob Gott die Gebete erhört oder nicht. Unter Berufung auf das Matthäus-Evangelium336 argumentiert er, dass die Gefahren der Verfolgung längst vorübergegangen wären, wenn die Gemeinde nur hinreichend einmütig darum gebetet hätte337. Im Zuge der auch theologischen Aufwertung des räumlichen Beisammenseins verschärfen sich die Regeln zur Abschottung des Gebetes: Die Pflicht zum nächtlichen Gebet begleitet die Traditio Apostolica mit einem ausdrücklichen Hinweis für Christen, die mit einer Nichtchristin verheiratet sind: »Ist sie aber noch nicht gläubig, zieh dich in ein anderes Zimmer zurück, bete und kehre zu deinem Bett zurück.«338 Mehrfach betont die Didaskalie, dass der Gläubige mit einem aus der Kirche Ausgeschlossenen keinerlei Gebetsgemeinschaft pflegen darf 339. Die Apostolischen Konstitutionen schließlich weiten diesen restriktiven Umgang sogar auf Katechumenen aus, die ja doch prinzipiell bereits auf der richtigen Seite stehen: »Ein Gläubiger soll aber auch zu Hause nicht mit einem Katechumenen beten, denn es ist nicht billig, daß ein Geweihter mit einem Ungeweihten sich beflecke.«340 Es ist offenbar nicht nur der immer stärker in kultischen Kategorien verstandene Gottesdienst341, der durch die Präsenz von Menschen, die nicht der Kirche angehören, verunreinigt wird, sondern jede Form des physischen Beisammenseins von Christen im Gebet. Im Gottesdienst führt diese Haltung dann zu den bekannten Teilnahmeverboten für Heiden, Häretiker und sogar Katechumenen und Büßer342, deren
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Mt 18, 19: »Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten.« Vgl. Cypr. ep. 11, 3 (CCL 3B, 60 Diercks; dt. BKV2 34, 36f Baer). An anderer Stelle verweist er auf das einmütige Gebet der Urgemeinde in Apg 1, 14 und resümiert: »Und deshalb waren ihre Bitten und Gebete so wirksam, deshalb vermochten sie auch mit Zuversicht alles zu erlangen, was sie von Gottes Barmherzigkeit erflehten.«; vgl. Cypr. unit. eccl. 25 (CSEL 3, 1, 232, 9–11 Hartel; dt. BKV2 34, 158 Baer). Lat. Trad. Apost. 41 (302–205 Geerlings). Möglicherweise stehen aber auch pragmatische Erwägungen mit im Hintergrund, vgl. o. S. 20. 22. Vgl. syr. Didask. 15; 25 (CSCO 407 / Syr. 179, 166, 3f; 238 [!], 12–18 Vööbus; dt. 80f; 126 Achelis / Flemming). Const. Apost. 8, 34, 11 (SC 336, 244 Metzger; dt. BKV2 5, 68 Storf). Bradshaw, Daily Prayer (1983) 64. 73 weist darauf hin, dass erst nach Konstantin die alttestamentlichen Opfer auch zur Begründung von Tageszeiten für das Gebet der Christen herangezogen wurden, während sie vorher gänzlich spiritualisiert und nur allgemein zur Begründung des immerwährenden Gebets dienten. Daraus lässt sich ein kultisches Verständnis nicht nur der Eucharistie, sondern inzwischen auch der Tagzeiten ableiten. Vgl. auch Gerhards, Benedicam (1989) 13. Vgl. sah. Trad. Apost. 43 (12f Till / Leipoldt) zu den Katechumenen und syr. Didask. 10 (CSCO 401 / Syr. 175, 119 Vööbus; dt. 54 Achelis / Flemming) zu den Heiden. Mit der Taufe werden die Beschränkungen aufgehoben; vgl. lat. Trad. Apost. 21 (266f Geerlings).
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Ausgrenzung im 4. Jahrhundert sogar eine rituelle Gestaltung durch diakonale Aufrufe erhält. Dass diese Entlassungen im Sonntagsgottesdienst nach den Lesungen und vor Beginn der eucharistischen Handlung erfolgten, ist weithin bekannt. Wenig Berücksichtigung findet dagegen die theologisch bedeutsame Tatsache, dass präzise dieselben Entlassungen auch in der Tagzeitenliturgie nach dem Psalmengesang und vor dem gemeinsamen Bittgebet vollzogen wurden. Dass es sich sachlich tatsächlich um exakt denselben Vorgang und dieselbe Dringlichkeit handelt, wird daran deutlich, dass die Apostolischen Konstitutionen in der Beschreibung des Abendgebets für den Wortlaut dieser Entlassungen kurzerhand auf die Texte zur Eucharistiefeier verweisen: »wenn der Abendpsalm gebetet ist, wird der Diakon die Gebete für die Katechumenen, Energumenen, Täuflinge und Büßer beten, wie wir oben gesagt haben.«343 Erst wenn diese entlassen sind, beginnt das Gebet. Für die Teilnahme an den Fürbitten gelten somit präzise dieselben Zulassungsbeschränkungen wie für den Empfang der Eucharistie. Der Leib Christi im Dienst Den Denkhintergrund für ihre restriktiven Teilnahme-Beschränkungen geben die Apostolischen Konstitutionen an ganz anderer Stelle preis, nämlich dort, wo im 2. Buch die Verpflichtung der Gläubigen zur Teilnahme am Morgen- und Abendgebet eingeschärft wird: Der Bischof solle das Volk ermahnen, »beständig in die Kirche zu gehen am Morgen und am Abend jeden Tages und davon in keiner Weise abzulassen, sondern fortwährend zusammenzukommen, und nicht die Kirche zu zerstümmeln, indem sie sich entziehen und den Leib Christi zerteilen«344. Diese Rhetorik wird im Folgenden noch in mehreren Anläufen weiter entfaltet: »Nun zerstreut doch nicht euch selbst, die ihr Glieder Christi seid, indem ihr euch nicht versammelt! [...] Beraubt nicht den Erlöser seiner eigenen Glieder und zerteilt nicht seinen Leib [...], sondern versammelt euch Psalmen singend und betend am Morgen und am Abend jeden Tages in den Kirchen«345. Hinter diesen Sätzen steht die Überzeugung, dass die Kirche nicht nur in der Feier der Eucharistie der Leib Christi ist, sondern in ihrem gesamten Gebetsleben346. Für das Heil der ganzen Welt vor Gott einzutreten, ist der priester343 344
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Const. Apost. 8, 35, 2 (SC 336, 246 Metzger; dt. BKV2 5, 69 Storf). Const. Apost. 2, 59, 1 (SC 320, 324 Metzger; dt. BKV1 104 Boxler). Dass es sich um eine Ausweitung bestehender Ansprüche handelt wird daran deutlich, dass der Autor eigens betont, das Wort Christi »Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.« (Mt 12, 30) nicht nur den Priestern, sondern auch den Laien gilt. Konsens war dies offensichtlich nicht. Const. Apost. 2, 59, 2 (SC 320, 324 Metzger; dt. BKV1 104 Boxler). Vgl. Taft, Beyond (1997) 272.
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liche Dienst Christi, den die Kirche als sein Leib vollzieht347. Deshalb ist die Eingliederung in den Leib Christi durch die Taufe unerlässlich, um daran teilzunehmen. Darüberhinaus wird aber hier die tägliche Versammlung als der einzig angemessene Modus dargestellt, in dem die Kirche diesen Dienst vollziehen soll. Das Schwänzen der Tagzeiten deswegen als Verstümmelung des Leibes Christi zu bezeichnen, ist die vermutlich härteste Formulierung, die in der christlichen Literatur je gewählt wurde, um die Bedeutung der Versammlung zum Gebet zu unterstreichen. Den enormen Bedeutungszuwachs, den die Kategorie der Versammlung für das tägliche Gebet der Christen im 3. und 4. Jahrhundert erfahren hat, kann man ermessen, wenn man die eben zitierte Stelle mit ihrer literarischen Vorlage in der syrischen Didaskalie vergleicht: Dort nämlich hatte sich die gleiche Leib-Christi-Rhetorik noch auf die Eucharistiefeier am Sonntag bezogen348. Der Redaktor der Apostolischen Konstitutionen hat sie kurzerhand auf die Tagzeiten übertragen, weil diese für ihn inzwischen dieselbe ekklesiologische Dignität besaßen. Heute ist die ekklesiale Dimension349 des gemeinsamen Singens und Betens weitgehend in Vergessenheit geraten. Aber es ist noch gar nicht lange her, dass aus genau diesem Grund jede Form gottesdienstlicher Gemeinschaft mit anderen Konfessionen von katholischer Seite unterbunden wurde: Bis zum II. Vatikanischen Konzil war Katholiken die Teilnahme an Gottesdiensten anderer Kirchen grundsätzlich verboten350. Und auch das Konzil selbst äußert sich im Ökumenismusdekret nur sehr zurückhaltend über das gemeinschaftliche Beten »zu besonderen Anlässen, zum Beispiel bei Gebeten, die ›für die Einheit‹ verrichtet werden«351. Nach dem Konzil dann erklärten die deutschen Bischöfe, dass solche gemeinsamen Gebete nicht im Kirchenraum stattfinden dürften und dass Geistliche bei ihnen keine liturgische Kleidung tragen sollten; und auch von evangelischer Seite wurden Gottesdienste mit Pfarrern beider Konfessionen noch in jenen Jahren abgelehnt352. Gemeinsam beten galt demnach nun in Ausnahmefällen als legitim, es sollte aber möglichst nicht nach Gottesdienst aussehen. Seit den späten 1960er Jahren hat sich in dieser Frage ein regelrechter
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Vgl. SC 7. 84; AES 6f. 13. 15. 17 Vgl. syr. Didask. 13 (CSCO 407 / Syr. 179, 148f Vööbus; dt. 70f Achelis / Flemming). Die ekklesiale Dimension der Tagzeiten betont für die Liturgie Konstantinopels Hanke, Kathedralritus (2002) 23f. CIC (1917) c. 1258 § 1: Haud licitum est fidelibus quovis modo active assistere seu partem habere in sacris acatholicarum. UR 8. Inzwischen ist es weitgehend Konsens, dass nicht nur das Gebet um die Einheit, sondern auch das gemeinsame Gebet für das Wohl der Schöpfung und der Menschheit insgesamt eine sinnvolle Facette gelebter Ökumene ist; vgl. Ehrensperger, Motive (2004) 117. Vgl. Sanders, Gottesdienste (1978) 186.
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Dammbruch vollzogen353: Im heute gültigen Ökumenischen Direktorium wird nicht nur die Feier im Kirchenraum und in liturgischer Gewandung zugelassen354, sondern sogar ausdrücklich die Fürsprache für die Welt zur gemeinsamen Ausübung empfohlen355 – also präzise jener Vollzug, dessen ekklesiale Bedeutung in der Antike noch jede Gemeinsamkeit ausgeschlossen hatte. Dabei dürfen die Amtsträger anderer Kirchen im Gottesdienst Aufgaben übernehmen und erfahren sogar die ihrem Amt entsprechenden liturgischen Ehren356. Diese Offenheit ist möglich geworden, weil die restriktiven Argumentationen der Vergangenheit katholischerseits inzwischen nurmehr auf sakramentale Liturgien angewandt werden. Das Stundengebet wird deshalb ähnlich freizügig behandelt wie freiere Formen von Andachten, obwohl es liturgietheologisch und überlieferungsgeschichtlich neben dem Wochenrhythmus und dem Jahreskreis zu den drei zentralen Zeitzyklen kirchlicher Liturgie zählt. Für die Ökumene liegt in dieser Zwischenstellung eine Chance zur gottesdienstlichen Realisierung kirchlicher Gemeinschaft, die bislang kaum wahrgenommen wurde: Über Konfessionsgrenzen hinweg den priesterlichen Dienst Christi als sein realer Leib357 zu vollziehen und gemeinsam in jenen himmlischen und eschatologischen Lobpreis Gottes einzustimmen358, dessen irdische Realisierung der zentrale Auftrag der Kirche ist, erscheint in diesem Licht ekklesiologisch relevanter als es bislang zumeist wahrgenommen wurde359.
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Vgl. Schick, Gottesdienstgemeinschaft (1999) 786–788; Probst, Ökumene (1987) 229–235. Das Ökumenische Direktorium (1967) weitet unter Nr. 33 die Gebetsanlässe ausdrücklich aus und erlaubt in Nr. 36f. 60 die Nutzung von Kirchenräumen und liturgischer Gewandung. Vgl. auch die Beschlüsse 5.1 und 5.2 der Würzburger Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Bertsch u. a. (Hrsg.), Synode (1976) 212f. Vgl. Ökumenisches Direktorium (1993) Nr. 112f. Vgl. Ökumenisches Direktorium (1993) Nr. 109. Vgl. Ökumenisches Direktorium (1993) Nr. 119. Vgl. Vorgrimler, Liturgie (1999) 51: »Der nicht genug zu rühmende Artikel 7 von ›Sacrosanctum Concilium‹ hat die mannigfachen Gegenwartsweisen Jesu bei seiner Gemeinde, und sei sie noch so klein, in Erinnerung gerufen. Niemand wird leugnen, daß es sich allemal um die reale Gegenwart Jesu in seinem heiligen Geist handelt, niemand wird behaupten, seine Gegenwart beim Hören des Wortes, beim Beten und Singen sei weniger real als diejenige im sakramentalen Zeichen. Der ›Überschuß‹ der sakramentalen Realpräsenz, wenn ich so sagen darf, über die anderen pneumatischen Weisen der Realpräsenz liegt ja weder in der Realität der Gegenwart noch in der vermittelten Gnade, sondern ist ausschließlich ›in genere signi‹ zu suchen.« Vgl. auch Suttner, Dimension (1989) 135f, der durch die gemeinsame Beteiligung am himmlischen Lobgesang die Schärfe der irdischen Trennung der Konfessionen relativiert sieht. Vgl. auch die kritische Anfrage von Reich, Evangelium (1997) 24f. 54, ob aus der Leichtigkeit, mit der ökumenisches Liedgut erstellt und gesungen werden durfte, nicht auch eine Missachtung des theologischen Ranges steht, der dem gemeinsamen Lobpreis Gottes eigentlich gebührt.
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Verbindung halten Die drastische ›Spitzenaussage‹ der Apostolischen Konstitutionen fand in dieser Schärfe keine allgemeine Anerkennung. Zwar wird die Durchführung der Tagzeitengottesdienste mit der Zeit zum verpflichtenden Standard jeder Gemeinde bzw. ihres Klerus, und auch die Zulassungsbedingungen setzten sich mit einer gewissen Unschärfe in der Umsetzung (oder der Wahrnehmung) durch360. Aber die Teilnahme aller Gläubigen in allen Gottesdiensten wird – trotz der zum Teil recht eindringlichen Werbung361 – nicht zur Pflicht erhoben. Es behält doch das Bewusstsein überhand, dass die überörtliche Verbundenheit der Kirche letztlich jede mögliche Zusammenkunft übersteigt. Leibliche Abwesenheit kann deshalb durch geistige Präsenz in gewissem Maße ausgeglichen werden, und zwar in beiden Richtungen. Von den Abwesenden selbst kann diese Verbindung zum Beispiel dadurch hergestellt werden, dass sie ein liturgisches Gebet, von dem sie wissen, dass es stattfindet, innerlich mitvollziehen, soweit sie seinen Inhalt im Gedächtnis haben. So berichtet Gregor von Tours, wie sein im Sterben liegender Onkel die Morgenhore für sich rezitiert habe, als er den Psalmengesang aus der Kirche von Ferne vernahm362. Das weite Feld jener Praktiken, durch die das private Gebet der Gläubigen zeitlich und inhaltlich an die öffentlichen Tagzeitengottesdienste der Kirche angebunden werden kann (Glockenläuten, Angelus), ist zu einem wichtigen Bestandteil der Gebetsorganisation des Einzelnen geworden363: Die Versammlung kann so auch für diejenigen Sinn entfalten, die nicht an ihr teilnehmen. Auch in der Gegenrichtung wird Verbindung aufgenommen. Egeria berichtet von der Verlesung konkreter Namen im Rahmen der Fürbitten364, die nicht zwingend nur Verstorbene bezeichnet haben müssen; und insgesamt kennt die liturgische Überlieferung die summarische Erwähnung abwesender Kranker, Reisender, Gefangener etc.365 Besonders streng fassen es wiederum die Apostolischen Konstitutionen: »Noch rufen wir dich an für diejenigen, die aus einem
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Eger. itin. 24, 6 (228f Röwekamp) berichtet jedenfalls vom gemeinsamen Gebet der Gläubigen und der Katechumenen, bevor sie getrennt den bischöflichen Segen erhalten. So redet Ambros. hex. 3, 1, 1 (CSEL 32, 1, 1, 59 Schenkl; dt. BKV2 17, 72 Niederhuber) seinen Lesern bzw. Hörern ins Gewissen, dass es Gottes Wille sei, sich zu versammeln: »›Es sammle sich das Wasser‹, so ward gesprochen: und es sammelte sich. So wird auch oftmals gesprochen: ›Es sammle sich das Volk‹: und es sammelt sich nicht. Es ist eine kleine Schande, dass die Elemente, die keinen Verstand haben, dem Befehle Gottes gehorchen, und die Menschen, denen eben der Schöpfer den Verstand verliehen hat, nicht folgen.« Greg. Turon. vit. Patr. c. 7 (PL 71, 1034); vgl. Jungmann, Erbe (1960) 177. Vgl. u. Kapitel B.I.1 ›Gebetszeiten‹ (S. 99–114). Vgl. Eger. itin. 24, 5 (228f Röwekamp). Vgl. auch das benediktinische Stundengebet mit seiner Bitte für die abwesenden Schwestern bzw. Brüder: Benediktinisches Antiphonale (1996) 3, 224.
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vernünftigen Grunde abwesend sind.«366 Die klassischen Fürbittgebete der großen Liturgien haben den Gedanken schließlich in eine feste sprachliche Form gebracht. Im Rahmen des Eucharistiegebets, das auf die Auferbauung der Kirche ausgerichtet ist, wurde die Kommemoration einigermaßen konsequent auf die Kirche und ihre Glieder begrenzt: angefangen bei den die Einheit symbolisierenden obersten Hierarchen bis hin zu den einfachen Gläubigen367. Im Zuge einer sich verändernden Eschatologie konnte diese Verbindung dann folgerichtig auch auf jene Glieder der Kirche ausgeweitet werden, die nicht mehr unter den Lebenden weilen368. Auch diese Verbundenheit kann in beiden Richtungen vollzogen werden: (1) Durch die Fürbitten für ihre Verstorbenen bringt die Kirche zum Ausdruck, dass sie weiterhin mit ihnen in Gemeinschaft steht und auch ihr Eintreten in das Gericht und in die Vollendung begleitet369. (2) Umgekehrt können auch bereits Verstorbene (Heilige) um ihre Fürsprache für die auf der Erde Hinterbliebenen angegangen werden370. Die Verbundenheit mit den bereits im Jenseits versammelten Gläubigen impliziert dann auch eine Verbundenheit in der Geschichte; denn sich mit den Alten in Gemeinschaft zu wissen, heißt auch, ihre Ausdrucksformen hochzuschätzen und nach Vermögen als Ausdruck des eigenen Glaubens zu pflegen; denn »der Glaubensvollzug der Subjekte geschieht nicht nur auf dem innersten Seelengrund, sondern sucht auch seine Ausdrucksgestalt. Er findet sie in den Vollzugsformen der Glaubensgemeinschaft und ihrer Liturgie. Dadurch erhält aber der Glaube auch bereits eine erste objektivierte Gestalt (fides quae). Viele Texte der Liturgie sind der Ausdruck dafür, daber auch das Ensemble der liturgischen Gestiken und Vollzüge. Umgekehrt kommt der so bereits objektivierte Glaube gleichsam von außen an das Subjekt heran. Der Glaubende begegnet in der Liturgie dem Glaubenszeugnis anderer bzw. der Christenheit der vergangenen Jahrhunderte bis herein in die Gegenwart.«371 In diesem Sinne definiert Joseph Ratzinger den christlichen Ritus so: »Er ist gestaltgewordener Ausdruck der Ekklesialität und der geschichtsübergreifenden Gemeinschaftlichkeit des liturgischen Betens und Handelns.«372
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Const. Apost. 8, 12, 49 (SC 336, 204 Metzger; dt. BKV2 5, 52 Storf). Vgl. Budde, Basilios-Anaphora (2004) 529–535. Vgl. die Gegenüberstellung der biblischen mit der spätantiken und frühmittelalterlichen Eschatologie bei Bärsch, Allerseelen (2004) 23–34. Vgl. Kehl, Eschatologie (1986) 239f. Vgl. Budde, Basilios-Anaphora (2004) Komm. zu V. 142f. 161 und S. 533f. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 31f. Ratzinger, Geist (2000) 143.
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Ausblick George Guiver schreibt in seiner Theologie der Tagzeiten zum Thema Leiblichkeit: »Unsere physische Präsenz ist vielleicht das Wertvollste, was wir überhaupt geben können.«373 Er verweist dafür auf den Besuch bei Freunden, der sich auch durch zahlreiche Telefonate nicht ersetzen lässt. Im Fall von Hochzeiten oder Beerdigungen empfindet dies jeder: Die Ausrede »Lieber komme ich ein andermal, wenn wir dann auch mehr Zeit füreinander haben.« ist wertlos. Was am Ende zählt, ist die persönliche Präsenz in der Fest- oder Trauergemeinde; und diese Dimension kann im Einzelfall wichtiger sein als die direkte persönliche Kommunikation. Die Kirche hat gelernt, auf diese Dimension auch im täglichen Gebet immer mehr Wert zu legen. Nicht nur, weil es den Gläubigen gut tut, sondern auch, weil die Kirche sich als eschatologische Sammlungsbewegung versteht, soll die kirchliche Alltagsspiritualität im Modus der leibhaftigen Begegnung stattfinden – auch wenn nicht alle jeden Tag zugegen sein können. Daraus folgt umgekehrt, dass die Dimension der Kirchlichkeit in diesen Versammlungen erfahrbar werden muss. • Die Kirchlichkeit kommt zunächst darin zum Ausdruck, dass die Grundvollzüge kirchlicher Existenz und christlichen Betens374 auch den Gottesdienst bestimmen: der Lobpreis Gottes (Doxologie); das Gedächtnis seiner Heilstaten (Anamnese); die Bitte um das Heil und die Vollendung der Welt (Epiklese). Diese Elemente sind gewissermaßen die Visitenkarte eines kirchlichen Gottesdienstes, der an der Einholung der gesamten Schöpfung in den eschatologischen Lobpreis Gottes durch den Vollzug dieses Lobpreises teilzuhaben und mitzuwirken versucht. Niederschwellige Gottesdienstmodelle speziell für Kirchenferne können diesen zentralen Auftrag der Kirche gegenüber einer einseitig anthropozentrischen Ausrichtung auf die seelischen Bedürfnisse der Anwesenden in den Hintergrund rücken. Für die Feier der Tagzeiten scheidet diese Möglichkeit aus. • Auch gibt der Gottesdienst seine Kirchlichkeit durch die Teilhabe an einer Tradition, einer »kumulativen Erinnerung«375 zu erkennen, die die Christen über Zeiten und Räume hinweg geistlich miteinander verbindet. Auch wenn diese Tradition heute von vielen postmodern geprägten Menschen nurmehr als sinnentleertes Zitieren aus dem kulturhistorischen Requisitendfundus wahrgenommen wird376, so ist es doch aus der Innensicht der Gemeinde ein maßgeblicher Teil ihrer Identität. Das beginnt mit dem Kirchenraum und seiner Ausstattung und reicht über die Lektüre und Meditation der überlieferten Schriften bis zu der Pflege traditioneller und weltweit gebräuchlicher ritueller Ausdrucks373 374
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Guiver, Company (2001) 35 (eigene Übersetzung). S. o. Kapitel A.I.1 (S. 14–35). Guiver, Company (2001) 10: cumulative anamnesis. Vgl. Bieritz, Techno (1999) 60f.
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formen oder der gewachsenen Struktur des Gottesdienstes, die über viele Generationen hinweg von zahllosen Gläubigen gepflegt und zum Teil von bedeutsamen Persönlichkeiten wie Benedikt von Nursia mitgestaltet wurde377. Gerade auch die unterschiedlich alten Kirchenlieder verbinden heutige Christen mit früheren Generationen378. In Bezug auf die Entstehungszeit reicht diese Verbindung gut ein halbes Jahrtausend zurück, in ihrer Motivik gar von den Anfängen bis zum Eschaton: »Merkwürdig können sich dabei Vergangenheit und Zukunft in meine Gegenwart verwandeln: Das Lied des Mose kann durch mich und bei mir ebenso tönende Wirklichkeit werden wie das Lied der erlösten 144 000 am Ende der Zeiten.«379 • Die Schlüsselstellung der liturgischen Formen kommt allerdings nur dann voll zum Tragen, wenn diese Dimension des eigenen Tuns auch sichtbar wird und den Teilnehmern ins Bewusstsein tritt: das Alter der Lieder und Texte, des Psalmvollzugs und der rituellen Elemente; die Verbreitung von Gepflogenheiten in der Kirche auf der ganzen Welt. Dies wirft die Frage auf, in welcher Form den Teilnehmern dies intuitiv vermittelt oder durch wenigstens punktuelle Hintergrundinformationen mitgeteilt werden kann. In welchen Strukturen auch immer die jeweilige Teilnehmerschaft katechetisch erreichbar ist, es sollten auch solche Kenntnisse vermittelt werden, die die Dimension der Kirchlichkeit erlebbar machen.
III. Die Welt – Gemeinsam im Dienst III. Die Welt – Gemeinsam im Dienst
Der einzelne Gläubige wie auch die Kirche als Ganze sind im Gebet nicht nur sich selbst zugekehrt, sondern beziehen ihr Tun in mehrfacher Weise auf die ›Außenwelt‹, auf diejenigen, die nicht zu ihrer Gemeinschaft zählen. Die ethischen Implikationen des Gebets wurden bereits thematisiert380: Wer betet und eine Vorstellung davon hat, wie die Schöpfung und alle Geschöpfe ihrer Bestimmung gerecht werden können, wird selbst versuchen, diesem Idealbild gelungenen Daseins zu entsprechen. Davon kann auch der Gottesdienst nicht unberührt bleiben, zumal wenn er in einer Öffentlichkeit stattfindet, die ihn auch mit Nichtchristen und Kirchenfernen in Berührung bringt. Inwiefern die konkrete gottesdienstliche Versammlung ihre Feier auch als Dienst an ihrer direkten Umwelt verstehen kann, soll im ersten Kapitel dieses Abschnitts unter der Überschrift ›Öffentlichkeit‹ behandelt werden.
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Vgl. Guiver, Company (2001) 183. Vgl. Gerhards / Kranemann, Einführung (2006) 194. Reich, Evangelium (1997) 21. S. o. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Gebet und Ethos‹ (S. 28–30).
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Der Betende wird gleichzeitig mit der Bewusstmachung seines eigenen Ortes und Auftrages in der Heilsgeschichte darauf hoffen, dass sich auch die übrige Schöpfung überall dort, wo noch Leid und Gebrochenheit herrschen, jenem heilsamen Zustand annähert, den man als Vollendung, als den eschatologischen Lobpreis bezeichnen kann. Diese Ebene prägt die inhaltliche Ausformung des Bittgebets, in dem die Kirche dieses universale Anliegen Gott vorträgt. Das zweite Kapitel fragt demnach: Welchen Sinn erfüllt das tägliche Gebet der Kirche für den Rest der Welt, für die Schöpfung als Ganze?
1. Öffentlichkeit Das Verhältnis der versammelten Gemeinschaft zu ihrer Außenwelt ist je nach dem kulturgeschichtlichen Kontext sehr unterschiedlich bestimmt worden. In den ersten Jahrhunderten war es stark von der Abgrenzung geprägt, wie wir bereits im vorigen Abschnitt feststellen konnten381: Niemand, der nicht voll und ganz zur Gemeinschaft zählte, durfte in der Tagzeitenliturgie am zentralen Vollzug des Bittgebetes teilnehmen; Heiden und Häretiker schieden von vornherein aus, aber auch Büßer, Besessene und Katechumenen wurden förmlich entlassen, damit der Leib Christi zum priesterlichen Gebetsdienst Christi unter sich ist. Ausgehverbot Diese Abgrenzung galt auch in der Gegenrichtung: Niemand, der zur Kirche zählte, durfte an den gottesdienstlichen Versammlungen anderer teilnehmen. Zuwiderhandlung wurde für Kleriker mit der Absetzung, für Laien mit der Exkommunikation und für alle mit Strafe im Jüngsten Gericht belegt382. Vor dem Hintergrund des nachkonstantinischen Streits zwischen den Konfessionen um Besitzrechte an den Kirchengebäuden sehen sich die Apostolischen Konstitutionen veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen: »Wenn es wegen der Ungläubigen nicht möglich ist, in die Kirche zu gehen, so versammle sie, o Bischof, in einem Hause, damit nicht der Gottesfürchtige in die Versammlung der Gottlosen gerate, denn nicht der Ort heiligt den Menschen, sondern der Mensch den Ort. Wenn aber die Gottlosen den Ort innehaben, so mußt du ihn fliehen, weil er von ihnen entheiligt ist«383. Offenbar ist die physische Präsenz, deren Bedeut-
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Vgl. o. Kapitel A.II.2 ›Kirchlichkeit‹ (S. 67–78). Vgl. Const. Apost. 2, 61, 1 (SC 320, 330 Metzger; dt. BKV1 106 Boxler); Can. Apost. 65 (SC 336, 298 Metzger; dt. BKV1 328, Nr. 57 Boxler). Const. Apost. 8, 34, 8f (SC 336, 244 Metzger; dt. 68 Storf).
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samkeit für die Kirche als Gemeinschaft oben positiv erkannt wurde384, hier auch im negativen Sinne entscheidend. Selbst ein ehrwürdiges Kirchengebäude kann nicht verhindern, dass das räumliche Zusammentreffen mit Andersgläubigen schädigend auf den Gläubigen abstrahlt. Bereits für Tertullian war völlig klar, dass jemand, der den Glauben und die Kirche gefunden hat, bei anderen Gruppierung im doppelten Sinne ›nichts mehr zu suchen‹ hat. Denn wer glaubt, hat bereits sein Ziel gefunden und aufgehört zu suchen. Wer hingegen die Suche nach der Lehre Christi fortsetzt, hat diese entweder nicht besessen oder aber wieder verloren385. Mit dem Glauben verhält es sich in Tertullians Sicht nicht grundsätzlich anders als mit jenem Geldstück, das die Witwe verlor, und dann suchte, bis sie es wiederfand386: Man hat ihn oder man hat ihn nicht; Zwischenstufen sind nicht vorgesehen387. Die Mentalität, die ein solches Denken zur Voraussetzung hat, verrät Tertullian erst gegen Ende seiner Schrift über die Häretiker: Die Häresien stammen vom Teufel. Und es sind gerade die Ähnlichkeiten mit der ›richtigen‹ Lehre, die nachzuahmen ihnen der Teufel aus besonderer Bosheit eingegeben hat388. Im Kern jedoch steht hinter abweichenden christlichen Gruppierungen immer derselbe Satan, der auch die heidnischen Kulte zu verantworten hat. Der Teufel im Detail Die Dämonologie, die sich hier auswirkt, wird als Bestandteil der antiken Mentalität bis heute gerne unterbewertet, entweder voreilig spiritualisiert oder als Volksglaube abgetan. Bereits Franz Joseph Dölger brachte allerdings ein ganz anderes Bild zutage, das freilich heute in vielen, auch wichtigen Zügen neu gezeichnet werden müsste389: In den Quellen der ersten drei Jahrhunderte kommt »eine derb realistische Vorstellung von dem Wohnen Satans im sündigen Menschen« zum Vorschein, die beispielsweise auch »als Grundlage für eine ›wirkliche‹ Dämonenaustreibung im Taufexorzismus« diente390. Das Herz des Menschen war in dieser Weltsicht eine Wohnung, die entweder – bei Heiden – vom Teufel bzw. einem bösen Geist, oder aber – bei Christen – vom Heiligen Geist bewohnt wurde. Durch die Taufe wurde der Mensch von den unreinen Geis-
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Vgl. o. Kapitel A.II.2 ›Kirchlichkeit‹ (S. 67–78). Vgl. Tert. praescr. haer. 10f (CCL 1, 195–197 Refoulé; dt. BKV2 24, 317f Kellner). Vgl. Lk 15, 8f. Vgl. Tert. praescr. haer. 11, 3–5 (CCL 1, 196 Refoulé; dt. BKV2 24, 318f Kellner). Vgl. Tert. praescr. haer. 40 (CCL 1, 220f Refoulé; dt. BKV2 24, 349f Kellner). Grundlegend Thraede, Exorzismus (1969) bes. 76–85 und Colpe u. a., Geister (1976). Dölger, Exorzismus (1909) 32f. Zum Folgenden vgl. Dölger, Exorzismus (1909) 5–31.
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tern befreit und mit dem Heiligen Geist erfüllt391. Aus einer schmuddeligen Absteige, in der sich allerlei Dämonen herumtreiben, wurde dadurch ein Tempel des Heiligen Geistes, wohingegen ein Rückfall in die Sünde umgekehrt den Auszug des Heiligen Geistes und die erneute Inbesitznahme durch Dämonen zur Folge hatte392. Ein gleichzeitiger Einfluss des Teufels in der einen und des Heiligen Geistes in einer anderen Frage auf dieselbe Person übersteigt in diesem Denken die Vorstellungskraft. Deshalb sind einzelne Übereinstimmungen in der Lehre niemals eine ausreichende Grundlage für eine auch nur graduell vollzogene Gemeinschaft: Jedes Detail im Leben der anderen ist vom Teufel durchdrungen, auch wenn es sich äußerlich nicht von der eigenen Praxis unterscheidet oder rein sachlich als richtig anerkannt werden muss393. Die klare Aufteilung der Menschen in von Dämonen geleitete auf der einen und vom Heiligen Geist erfüllte auf der anderen Seite hat ernste Konsequenzen für die Verhältnisbestimmung der Kirche zu anderen Konfessionen und für die Behandlung ihrer Außengrenzen. Ohne Berücksichtigung dieser Mentalität sind die antiken Regelungen oft weder in ihrer Strenge zu verstehen noch in ihrem Wert zu relativieren. Denn solange es nur entweder der eine, Heilige Geist oder aber ein unreiner Geist, ein Dämon sein kann, der das Denken, Reden und Handeln des anderen vollständig prägt, ist keinerlei Differenzierung oder abgestufte Pflege von Gemeinsamkeiten möglich. Eine solche Sicht macht jede Form der ›ökumenischen Gastfreundschaft‹ zu einem Pakt mit dem Teufel. Es ist entscheidend, diese Zusammenhänge zu verstehen, um von zum Teil sehr früh und sehr gut belegten Normen begründet Abschied nehmen zu können. Aber nicht nur direkter Kontakt und gottesdienstliche Gemeinschaft mit jeder Form von Andersgläubigen war verpönt; oft wurde auch eine äußerliche Unterscheidbarkeit angestrebt, wo sie sachlich nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Bereits in der Didache finden sich Regelungen, die offenbar allein zur Abgrenzung von anderern Gruppen dienen: »Eure Fasttage sollt ihr nicht gemeinsam mit den Heuchlern halten [...]. Betet auch nicht wie die Heuchler«394. Hier ist nicht nur das Fasten mit (μετά) den Anderen untersagt, sondern schon das beten wie (ὡς) die Anderen. Unabhängig davon, gegen wen konkret man 391
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Besonders anschaulich in syr. Didask. 26 (CSCO 407 / Syr. 179, 257f Vööbus; dt. 140f Achelis / Flemming). Für den Hinweis auf diese wenig beachtete, für die Volksfrömmigkeit jedoch bedeutsame Stelle danke ich Georg Schöllgen, Bonn. Dass selbst Origenes, ein ausgewiesener Freund allegorischer Erklärungen, sich Dämonen in ganz realistischer Weise vorstellte, zeigt laut Dölger, Exorzismus (1909) 35–37, wie fest dies im allgemeinen Bewusstsein der Kirche verankert war. Konkret auf die Tagzeiten angewandt ist diese Mentalität bei Nicet. Remesian. vigil. 8 (311 Turner; engl. 63 Walsh) belegt: Der Teufel hat als listiger Nachahmer (callidus aemulator) der göttlichen Dinge auch die nächtlichen Vigilien kopiert. Did. 8, 2 (118f Schöllgen). Die Fasten-Regelung findet einen Nachhall in den Can. Apost. 70 (SC 336, 300 Metzger; dt. BKV1 329, Nr. 62 Boxler).
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sich hier richtet, besteht die Funktion dieser und ähnlicher Regelungen darin, auch in rituellen Bestimmungen eine Gruppenidentität zu schaffen, die sich durch Abgrenzung definiert. Tertullian wettert gegen den Brauch, sich nach dem Gebet hinzusetzen, »gerade deswegen [...], weil es bei den Götzenbildern so gehalten wird.«395 Über die räumliche Trennung von allen anderen hinaus wird dadurch auch eine solche in der Form bewusst forciert. Die Distanz überwinden Die Lage heute ist ebenso grundlegend anders wie die Mentalität. Das »ganz oder gar nicht« der von Dämonen besessenen Antike ist der allgemeinen Anerkennung einer gestuften Zugehörigkeit zur Kirche gewichen. Auf der einen Seite können die Taufe und die formale Zugehörigkeit zur Kirche heute nicht mehr jene innere Beteiligung am Gottesdienst garantieren, die aus theologischer Sicht einmal als entscheidend galt. Auf der anderen Seite ist nicht einmal der Kirchenaustritt noch ein geeignetes Kriterium, um auch nur den Empfang der Eucharistie zu verweigern396 – geschweige denn die Teilnahme am Stundengebet oder ›frommen Übungen‹. Dass Un- oder Andersgläubige katholischen Gottesdiensten beiwohnen, wird heute von Rom nicht mehr als problematisch angesehen, solange sich nicht »alle gemeinsam mit von allen getragenen Worten und Zeichen an Gott wenden«397. Das gemeinsame Beten und das gemeinsame Singen von Liedern spezifisch religiösen Inhalts wird somit abgelehnt398, während es ohne weiteres möglich ist, dass »jeder für sich aus eigener Tradition heraus handelt«399. Die Leitlinien der deutschen Bischöfe zu multireligiösen Feiern empfehlen aus katholischer Sicht ausdrücklich die Feier der Tagzeiten als angemessene Form einer solchen Glaubensäußerung im Kreise Andersgläubiger: »Dazu gehören Lesungen aus den Heiligen Schriften wie auch Gebete aus den gottesdienstlichen Traditionen. Geeignete christliche Gebetstexte sind unter anderem das Vaterunser, das Benedictus, das Magnificat sowie Lieder und Hymnen.«400 Die Anwesenheit von Muslimen oder anderen Nichtchristen im katholischen Stundengebet ist damit explizit akzeptiert401. 395 396
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Tert. orat. 16, 5 (CCL 1, 266 Diercks; dt. BKV2 7, 260 Kellner). Nach Löffler, Ungestraft (2006) 365f darf nicht der Austritt als solcher, sondern nur eine Einzelfallprüfung über die Motive des Austritts die Exkommunikation zur Folge haben. DBK, Multireligiöse Feiern (2003) 20. DBK, Multireligiöse Feiern (2003) 27. Das Dokument zitiert Papst Johannes Paul II. mit seinen 1986 in Assisi geäußerten Worten: »Man kann sicher nicht zusammen beten, aber man kann zugegen sein, wenn die anderen beten«; vgl. ebd. 20. DBK, Multireligiöse Feiern (2003) 19. DBK, Multireligiöse Feiern (2003) 27. Dass die Anwesenheit Andersgläubiger sogar zur Eucharistiefeier nicht nur toleriert, sondern geradezu forciert werden kann, zeigen z. B. auch die muslimischen Staatschefs, die den gro-
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Aus diesen Verschiebungen erwuchs die Überzeugung, der Gottesdienst solle nicht nur für ohnehin sozialisierte und interessierte Gläubige da sein, sondern habe darüber hinaus auch eine missionarische Aufgabe gegenüber Distanzierten wahrzunehmen. Daraus erwächst wiederum der Anspruch, dass nicht nur einladende und werbende Begleitmaßnahmen, sondern auch der Gottesdienst selbst in seiner Gestalt auf solche Besucherinnen und Besucher zugeschnitten ist. Winfried Haunerland hat dafür die Katagorie der »liturgischen Gastfreundschaft« in den Diskurs eingebracht: »Eine Kirche, die missionarisch und diakonisch sein will, muss auch in ihrer Liturgie offen sein. Sie muss Platz haben für die, die nicht dazugehören. Sie muss zur liturgischen Gastfreundschaft fähig und bereit sein. [...] Liturgische Gastfreundschaft bewährt sich in unserer Kraft, solche Gäste aufrichtigen Herzens willkommen zu heißen und ihnen einen Platz in unseren Gottesdiensten [...] zu überlassen«402. Für eine solche Offenheit ist die Gattung der Tagzeitenliturgie besser geeignet als etwa die Feier der Eucharistie403, da deren Ritus auf deutlich konkretere Weise Glaubensinhalte symbolisiert404: »Je dogmatisch eindeutiger der kirchliche Glaubenssinn im Gottesdienst kommuniziert und in der liturgischen Mitbeteiligung auch der Laien bekenntnishaft zum Ausdruck gebracht wird [...], um so stärker schließt er faktisch die weniger Gläubigen aus – und das ist, gemessen an den normativen Standards der Kirche selbst, die Mehrheit unter den Kirchenmitgliedern.«405 Die Tagzeiten als liturgischer Ableger des Privatgebets erfordern in diesem Sinne von den Teilnehmern keine konkretere Identifikation als die Bereitschaft zu beten, und können auf dieser Basis – in der Nachfolge einer auch zweifelnden und hadernden biblischen Gebetstradition – die Liturgie zu einer Weggemeinschaft in Gebrochenheit406 und apophatischer Zurückhaltung407 machen. Gegenüber der Feier von Sakramenten können sie deshalb eine leichter zugängliche Stufe liturgischer Annäherung an das Leben der Kirche sein. Ganz neu ist die Idee nicht. Immerhin hat es bereits in der Entstehungszeit der Tagzeiten gewisse Abstufungen gegeben: So waren außerhalb des theologischen Kernvollzuges des gemeinsamen Gebetes der Gläubigen sehr wohl Katechumenen und Büßer zu den Lesungen zugegen. Ihre förmliche Entlassung setzt dies geradezu voraus. Cäsarius ermahnt später besonders die Büßer zur häufigen Teilnahme am Offizium und begründet die Einführung der Terz, Sext und
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ßen vatikanischen Gottesdiensten zur Beerdigung des alten und Einführung des neuen Papstes beiwohnten. Haunerland, Träger (2000) 186. Vgl. Ringseisen, Gemeinde (2002) 22. Vgl. Ebertz, Handlungen (1999) 29. Ebertz, Handlungen (1999) 30. Vgl. Gerhards, Koinonia (1996) 114–116. Vgl. Vorgrimler, Liturgie (1999) 46.
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Non unter anderem damit, dass diesen dadurch Gelegenheit zum täglichen Kirchgang gegeben werde408. In dieser Hinsicht erfüllte der Tagzeitengottesdienst schon damals eine Funktion für solche, die in einer gebrochenen Zugehörigkeit zur Kirche stehen. Das Konzept der liturgischen Gastfreundschaft versteht sich allerdings demgegenüber nicht in erster Linie disziplinarisch, sondern als notwendige Konsequenz aus dem diakonischen Anspruch der Liturgie. Während also einstmals die Bewachung und Schließung der Außengrenzen ihren liturgischen Niederschlag in dem Ruf »Τὰς θύρας, τὰς θύρας!« finden konnte, wird der fremde Besucher heute zumeist mit »Herzlich willkommen!« begrüßt, ohne dass man nach seiner Taufe oder Konfessionszugehörigkeit fragen müsste. Der Besuch von Distanzierten ist aus Sicht der Kirche auch dann wertvoll, wenn er ihnen einfach nur gut tut – auch dann, wenn sie »nicht oder noch nicht dazu gehören wollen«409. Im Dienst an den anderen Dieter Emeis betont, die diakonische Dimension der Liturgie bestehe nicht nur darin, dass aus der Liturgie diakonisches Handeln erwachse, sondern auch umgekehrt die Gemeinde ihr vorgängiges diakonisches Handeln in die Liturgie einbringe410. Demgegenüber wäre festzuhalten, dass auch die Teilnahme an der Liturgie selbst wohltuend sein und die Ermöglichung solcher Teilnahme den Gottesdienst an sich zu einem Akt der Diakonie machen kann. Die Bemühungen müssen nach Albert Gerhards dahin gehen, dass »christlicher Gottesdienst in unserer Gesellschaft wieder sinnstiftend und damit dem Menschen dienend sein kann«411. Die Teilnahme selbst ist der zentrale diakonische Aspekt der Liturgie, der auch gegenüber solchen Gästen zur Geltung kommen kann, die in die außerliturgische diakonische Arbeit der Gemeinde nicht eingebunden sind. Mit Blick auf die missionarische Kraft, die der Gottesdienst durch seine diakonische Dimension entfalten soll, ist allerdings auf eine Gefahr hinzuweisen: Viele Bemühungen um Gottesdienstangebote, die kirchlich Distanzierte als heilsam empfinden können, werden so sehr auf diese Zielgruppe zugeschnitten412, dass sie für eingeübte und überzeugte Christen nicht mehr attraktiv erscheinen. Niederschwelligkeit im Sinne einer Simplifizierung aller gottesdienstlichen Vollzüge kann im Grunde nur für sporadische Teilnehmer taugen, die auch in ihrer Distanz bleiben wollen. Solche Angebote mögen zwar als eine positiv 408 409 410
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Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 147 Anm. 44. Haunerland, Sehnsucht (1999) 287. Vgl. Emeis, Diakonie (2000) 85f. Gerhards, Menschwerden (2000) 21. Vgl. Bieritz, Erlebnis (2000) 36.
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wahrgenommene Dienstleistung in Anspruch genommen werden413, ihre missionarische Ausstrahlung bleibt allerdings begrenzt, weil die »explizit diakonische Dimension« der »Erfahrung einer Glaubensgemeinschaft«414 in solchen Veranstaltungen nicht zum Tragen kommen kann; denn die Distanzierten bleiben unter sich und begegnen der Kirche nicht in der Gestalt einer betenden Gemeinschaft, sondern allein in der Form von Angestellten, die beruflich damit betraut sind, ihnen attraktive Angebote zu machen, also in einer konsumorientierten Wahrnehmungsstruktur. Die Botschaft, die durch solche Veranstaltungen mitgeteilt wird, lautet: »Die Kirche ist gerade nicht zuhause, aber das Dienstpersonal kümmert sich um die Gäste.« Demgegenüber vermittelt eine Gemeinde, die personal präsent und aktiv am Lobpreis Gottes beteiligt ist und dabei auch Gäste mit einer eher passiven Haltung akzeptiert, dass die christliche Existenz und ihre Äußerung in Gemeinschaft letztlich auf die Welt als Ganze ausgerichtet sind. Sub- und Gegenkultur Will die Welt überhaupt etwas davon wissen? Oder ist christlicher Gottesdienst nicht vielmehr wesenhaft eine »kulturelle Verhaltensanomalie«415 innerhalb der modernen Gesellschaft? In der Tat ist die »›symbolische Sinnwelt‹ christlichen Glaubens, wie sie in gottesdienstlicher Kommunikation ihre Darstellung findet, einem gesamtgesellschaftlichen Plausibilitätsschwund ausgesetzt«416, weil religiöse Sozialisation in einem weitgehend sakularisierten Umfeld trotz zahlreicher religionsproduktiver Tendenzen417 kaum mehr Anknüpfungspunkte finden kann. Soll die Liturgie solche Berührungspunkte aufweisen, dann muss ihr jeweiliges gesellschaftliches Umfeld in sie Eingang finden418. Zugleich aber – darauf hat Josef Wohlmuth hingewiesen – kann die Liturgie auch auf die sie umgebende Lebenswirklichkeit einwirken: »Sie hat nicht die vorfindliche Welt abzubilden, sondern ihr als verwandelnde Kraft gegenüberzutreten«419 In diesem Sinne ist gottesdienstliche Kommunikation »ein Sozialisationsraum eigener Art [...], in 413
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Ebertz, Handlungen (1999) 29 verweist darauf, dass kirchliche Liturgie insgesamt immer stärker vom »Mechanismus von Angebot und Nachfrage caritativ-diakonischer und passageritueller Dienstleistungen« geprägt ist und die »Kirche als Dienstleistungsorganisation die vorherrschende Sozialgestalt von Kirche« zu werden beginnt. Gerhards, Barmherzigkeit (2006) 255f. So die Diktion von Charles Davis, referiert bei Richter, Gesellschaft (2000) 10. Bieritz, Liturgik (1978) 483. Vgl. dazu die Analyse bei Höhn, GegenMythen (1994) 19–53; Schilson, Religiöses (1996) 96–101. Anknüpfungspunkte sieht Schilson, Religiöses (1996) 99f z. B. in der von der Werbung vielfach transportierten »Sehnsucht über das Gegenwärtig-Faktische hinaus«. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 32.
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dem der angezeigte Gegensatz ›zugleich kulturimmanent, aber systemtranszendierend ausgetragen werden‹ kann«420. Es sind zahlreiche Möglichkeiten genannt worden, wie die Kirche durch ihren Gottesdienst auch für moderne Menschen ohne gefestigte kirchliche Sozialisation die »Spannung von Inkulturation und Konter-Kulturation«421 halten kann. Ohne diese hier vertiefen zu können, seien einige Antithesen vorgestellt: »Sammlung statt Zerstreuung« – Gottesdienst kann »aus der zerstreuenden Vielfalt auf eine einigende, sinngebende Mitte« hinweisen, indem er mit einem übergreifenden Zeithorizont und verbindlichen Wertungen konfrontiert422. »Kommunikation statt Vereinzelung« – Gottesdienst kann gegen die zunehmende Segmentierung der Gesellschaft423 Milieugrenzen überschreiten424 und durch die Qualität seiner Worte und Zeichen »quer durch Alters- (und Bildungs-)schichten Kommunikation ermöglichen«425. »Verweilen statt Beschleunigung« – Liturgie kann für den »homo accelerandus« eine »Schule der Sammlung, des Betrachtens und Verweilens« sein426. »Stille statt Schallsmog« – Gottesdienst kann die optische und akustische Reizüberflutung unterbrechen und dem Gestressten und Gereizten eine neue Empfindsamkeit »für die leisen Töne seiner Seele und seines Schöpfers« vermitteln427. »Tiefe statt Oberfläche« – Besonders die Musik ist durch ihre emotionale Qualität geeignet, »die Tiefendimension des Humanum zu erreichen«428 und in einer Art geistlichem Narthex eine Begegnung mit dem Transzendenten auch für Menschen zu erleichtern, deren kirchliche Sozialisation sich noch oder auch dauerhaft in einem präkatechumenalen Stadium befindet429; Musik im Gottedienst ist deshalb ein integrativer Teil des Verkündigungsauftrags der Kirche430. »Symbole statt Doktrinen« – Gottesdienst kann die 420 421
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Bieritz, Liturgik (1978) 483. Bieritz, Techno (1999) 69. Höhn, Sinne (2000) 53 sieht die Gefahr, dass die symbolischen Ausdrucksmittel der Liturgie, die vormals dem Alltagsleben entlehnt wurden, heute nahezu vollständig nur noch als ›Gegensymbole‹ zur Alltagswelt gelesen werden können, und möchte demgegenüber die veränderten Lebensbedingungen auch wieder stärker positiv aufgegriffen wissen. Leider nennt er keine Beispiele für einen solchen Vorgang. Vgl. Meyer, Zeit (1981) 197. Vgl. die Aufarbeitung der Sinus-Studie in zahlreichen Beiträgen bei Ebertz / Hunstig (Hrsg.), Weite (2008), von denen besonders Terwitte, Freuden (2008) 132. 135f über den Missionsauftrag in alle Milieus hinein auch den Auftrag betont, zwischen ihnen Begegnung und gegenseitige Bereicherung möglich zu machen. Vgl. Schilson, Gottesdienst (1991) 75–77; Bieritz, Erlebnis (2000) 36. 40; für die Antike bereits Baldovin, Urban character (1987) 254. Meyer, Zeit (1981) 207. Vgl. Hoping, Gedenken (2000) 183. Vgl. Bretschneider, Stimme (2000) 96. Gerhards, Kirchenmusik (2000) 103. Vgl. Gerhards, Kirchenmusik (2000) 105. Vgl. Gerhards, Kirchenmusik (2000) 104.
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Sucht nach Ritualen stillen431 und dabei durch seine die Sprache übersteigenden Gebärden432 und ihren »Rätsel- und Scheincharakter« Sinn eröffnen, ohne falsche Versprechungen zu machen433. »Identität statt Entwurzelung« – Der Gottesdienst kann helfen, die eigene Lebensgeschichte inklusive ihrer Verfehlungen und ihres Scheiterns anzunehmen, indem er sie in den größeren Zusammenhang der Heilsgeschichte einbettet und ihr aus dieser heraus Sinn abgewinnt434. Die Aufzählung soll die genannten Chancen nicht als Alleinstellungsmerkmale ausweisen. Manches davon haben auch andere Anbieter auf dem Wellnessmarkt im Programm. Diese aber durch Professionalisierung und Perfektionierung der Angebote zu überbieten, scheint ein aussichtloses Unterfangen. Ein Proprium des Gottesdienstes liegt vielmehr in den Menschen, die aus einer gelebten christlichen Existenz heraus miteinander und mit ihrem Gott kommunizieren435. Und weil der biblische Aufruf zum Gebet gerade auch den im Glauben Schwachen und Angefochtenen gilt436, muss auch von Kirchenfernen nicht zuerst die Überwindung ihrer Distanz verlangt werden, um die gottesdienstlichen Vollzüge mitzumachen und sich als Gast in die Nähe Gottes und der Kirche zu begeben. Ausblick: Kirche für alle Herbert Goltzen bezeichnet es als »die Versucherfrage«, ob man sich von der Ausrichtung der Tagzeitenliturgie einen »volksmissionarischen Erfolg« versprechen dürfte: »Daß solch zweckfreies Handeln auch die Kräfte der oberen Welt in Bewegung setzen und Menschen prägen kann, ist freilich unbezweifelbar, aber gerade das kann nicht psychologisch berechnet werden, sondern es wird ›dazugegeben‹.«437 Gleichwohl liegt gerade für die Distanzierten eine besondere Chance des Alltagsgottesdienstes in der Begegnung mit Gläubigen, die ihren Alltag unterbrechen, um miteinander zu beten, und die auf diese Weise öffentlich zeigen, dass ihnen der Glaube im Leben hilft und gut tut: »Missionarisch wirkt der christliche Gottesdienst demnach gerade dann, wenn er absichts431
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Vgl. Odenthal, Ritual (2002) bes. 170–174. 227–230 und seine Definition mit Kommentar 194–203; Meyer, Zeit (1981) 200; Sievernich, Ritual (2001) 43. Vgl. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 82. Vgl. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 29. Vgl. Meyer, Zeit (1981) 199. 204. Vgl. Schilson, Gottesdienst (1991) 81: »Wo Menschen im Gottesdienst tatsächlich ihren Glauben überzeugend darstellen, wo sie wirklich das Fest des Glaubens feiern, wo sie von der Sache des Glaubens und von der Freude an Gott und seiner Güte ehrlich ergriffen sind und dies zum Ausdruck bringen, da springt unausweichlich etwas über von dem, was erfülltes, im Gottesdienst gelebtes und erlebtes Menschsein ausmacht.« Vgl. Müller, Gebet VIII (1984) 89. Goltzen, Gottesdienst (1956) 275.
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los bei seiner Sache bleibt – nämlich den Glauben zu feiern und als Gemeinde darzustellen«438. Die Gegenwart einer Gemeinde ist für die Begegnung Kirchenferner mit der Kirche also von entscheidender Bedeutung: »Unsere Gottesdienste werden ihre Identität nur behalten und ihre missionarische Dimension nur entfalten können, solange jene Kirche konkret wird, die mit Selbstverständlichkeit feiert, was sie glaubt. Nicht das geglückte Ritual oder die freundlichen Worte werden am Ende die Glaubwürdigkeit unserer Gottesdienste sichern, sondern nur konkrete Menschen, die aus der Tiefe ihres Glaubens zur Liturgie zusammenkommen. Liturgische Gastfreundschaft darf deshalb nicht einseitig zu Lasten jener gehen, die im Gottesdienst eine Stärkung ihrer kirchlichen Identität und ihres Glaubens suchen.«439 Die Aufgabe, die dieser Abschnitt an Organisation und Gestaltung der Liturgie weitergibt, besteht somit darin, den Gottesdienst für die der Kirche Fernstehenden zu öffnen, ohne dass er für die der Kirche Nahestehenden unattraktiv oder zu einer Unterforderung wird.
2. Verantwortlichkeit Dass sich die Christen für die ganze Welt verantwortlich fühlen, merkt man an ihrem Ethos, von dem die Väter der Kirche nicht oft genug betonen können, dass es für ein Gott wohlgefälliges Gebet die Voraussetzung ist, wie auch umgekehrt ein intaktes Gebetslebens zu guten Taten führt440. Es ist eine bleibende Aufgabe, diesen Zusammenhang sowohl in der diakonischen Praxis als auch im Gottesdienst sichtbar zu machen441 und auf beiden Seiten sind Defizite ausgemacht worden442. Für die Liturgie heißt dies: Sie muss dem außerliturgischen Widerfahrnis einer Begegnung »mit dem namenlosen Christus im Obdachlosen, Armen oder Gefangenen«443 eine liturgische Repräsentanz verleihen und erfahrbar machen, inwiefern der gefeierte Glaube eine Heilsbotschaft für die Benachteiligten ist; sie muss auch die nicht immer ganz einfachen und oftmals frustrationsbeladenen Versuche ihrer Teilnehmer, im Alltag nach den Maßgaben ihres Glaubens zu leben, heilsam zur Sprache bringen und zugleich Ermutigung zum
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Schilson, Gottesdienst (1991) 81. Ebd. 60f betont Schilson, dass es gerade die theologische Dimension des Gottesdienstes ist, die dessen kulturelle Relevanz retten könnte. Haunerland, Träger (2000) 187. Vgl. o. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Gebet und Ethos‹ (S. 28–30). Vgl. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 51: »Die Diakonie wurde immer zum Testfall der Ernsthaftigkeit einer liturgischen Ästhetik.« oder Sievernich, Rückkehr (2001) 57: »Ein Gottesdienst, der nicht – wenigstens indirekt – zur Verantwortung vor der Welt ruft, droht zu einem selbstgefälligen Spiel einer sich selbst betrachtenden Gemeinde zu werden.« Vgl. Emeis, Diakonie (2000) 90. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 12.
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Engagement für die Armen und Schwachen stiften. Dies sollte in der Liturgie nicht in moralischen oder politischen Kategorien geschehen444, sondern in doxologischen: Die Vision des endgültigen Heiles impliziert auch ohne besondere Verhaltensanweisungen eine Haltung der persönlichen Hingabe und den aufrechten Versuch, sich im Sinne der jesuanischen Nächstenliebe zu verhalten. Jeder einzelne Gläubige und die Kirche als Ganze haben einen Auftrag in der Welt, der mit der Hoffnung auf das persönliche und kosmische Heil untrennbar verbunden ist. »Und dieses Ja zur Geschichte als Heilsgeschichte, die von der Erschaffung der Welt über Sünde und Erlösung bis zur eschatologischen Vollendung verläuft [...] befreit damit zu einer zugleich engagierten und gelassenen Mitverantwortung für eine je menschlichere, aber von Gott der Vollendung entgegengeführte Geschichte, die der Mensch selbst weder leisten kann noch muß.«445 Wohl-Stand der Welt Diese diakonische Dimension des Gebets findet ihren klassischen Ausdruck im Fürbittgebet446. Welchen enormen Stellenwert dieses Bittgebet früher einmal hatte, wurde bereits oben aus den Zulassungsbeschränkungen abgeleitet447. Man kann daran sehen, mit welchem ungeheuren Ernst die Kirche ihre Fürsprache für die Welt betrieben hat, die – anders als im Eucharistiegebet – ja ausdrücklich auch all jenen gilt, die nicht zur Gemeinschaft der Kirche gehören. Zu den klassischen Aspekten dieses Bittgebets zählt die Bitte um das Lebensnotwendige für alle Menschen: Nahrung, Gesundheit, Obdach. Auch Leiden wie Gefangenschaft, Zwangs- bzw. Sklavenarbeit, Verkehrsunglücke etc. etablieren sich früh im Themenkatalog der in der Liturgie zur Sprache kommenden Übel448. Was im Bittgebet vor Gott getragen wird, ist die »je konkrete, geschichtliche Situation mit ihrer Heillosigkeit, ihren Ängsten und Dunkelheiten«449 nicht nur der ver-
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Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 30f sieht durch Theodor W. Adornos Aufweis, dass »nichtengagierte Kunst ihre gesellschaftliche Wirkung besser erzielt als engagierte« die Liturgieauffassung Romano Guardinis bestätigt, »daß sie sich nämlich nicht in Zweckhaftigkeit erschöpfen darf, indem sie auf die Erreichung bestimmter Haltungen abzielt [...]. Die Liturgie zielt in ihrer Gesamtheit auf die Verwandlung des Lebens, so daß es eine Grundorientierung erhält, die durch Einzelappelle zum Engagement überhaupt nicht erreicht werden könnte.« Meyer, Zeit (1981) 208. Bradshaw, Cathedral (1990) 129 macht darauf aufmerksam, dass dieser Aspekt im monastischen Stundengebet zugunsten eines stärker auf die eigene Vollkommenheit und das eigene Seelenheil ausgerichteten Bittgebetes in den Hintergrund geriet. Vgl. o. in Kapitel A.II.2 die Abschnitte ›Die Reinheit der Versammlung im Gebet‹ und ›Der Leib Christi im Dienst‹ (S. 70–74). Vgl. Const. Apost. 8, 10, 14f (SC 336, 170 Metzger; dt. BKV2 5, 40 Storf). Meßner, Einführung (2001) 231.
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sammelten Gläubigen, sondern aller Menschen auf der ganzen Welt und letzlich der gesamten Schöpfung. Das Heil der Welt als eschatologische Hoffnung und Erwartung findet mühelos seine konkrete Ableitung im Hier und Heute überall dort, wo Unheil, Leid, Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Trauer herrschen. Durch eine klare Option für die Armen und durch Solidarität mit den Opfern erfüllt der Gottesdienst somit auch eine Wächter-Funktion für all diejenigen, die im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext benachteiligt oder vergessen werden. Gegen die Gewohnheit, Unangenehmes auszublenden und Informationen zu ignorieren, die an die je eigene Verantwortung erinnern könnten, ist der Gottesdienst der Ort, in dem die Feiernden durch die Verkündigung der Frohen Botschaft, durch Erinnerung an Gottes rettendes Handeln an Notleidenden und durch konkrete Fürsprache, die perspektivisch auf die Überwindung allen Unheils zielt, für die Benachteiligten eintreten und sich dadurch ungeschminkt auch an mögliche eigene Verstrickungen in die Strukturen des Bösen erinnern lassen. Die Fürbitten »sprengen die Enge eines allzu ichbezogenen Betens, sie eröffnen universelle Horizonte, [...] apellieren an das Leben, all ihre Worte drängen zum Engagement in der gegenwärtigen Welt, sie verpflichten uns zur konkreten Mitverantwortung«450. Staatstragende Funktion
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In der Zeit der Verfolgung war es für die Kirche ein zweischneidiges Schwert, sich gegenüber ihrer Außenwelt zu positionieren. Denn zum einen war ihr von Paulus die Vorstellung mitgegeben worden, dass auch die staatliche Ordnung und Herrschaft von Gott gewollt und eingesetzt sei; auf der anderen Seite hat ihr die staatliche Macht seit Decius immer wieder den Kampf angesagt. Die eingeschlagene Linie bestand schließlich darin, das Gebet für den Kaiser und den Erhalt des Reiches unvermindert fortzuführen, sich jedoch in der Frage, zu wem man darum beten solle, nicht auf Kompromisse einzulassen. Diese Doppelstrategie kommt in der Stellungnahme des Märtyrers Apollonius zum Ausdruck. Als dieser aufgefordert wird, den Göttern und dem Standbild des Kaisers Kommodus zu opfern, legt er dem Statthalter dar: »Ein unblutiges und reines Opfer bringe auch ich und alle Christen dem allmächtigen Gotte dar, dem Herrn über Himmel und Erde und alles, was Leben hat, ein Opfer, das besonders in Gebeten besteht für die geistigen und vernünftigen Ebenbilder (Gottes), die von der göttlichen Vorsehung zum Herrschen auf Erden gesetzt sind. Darum beten wir täglich nach Vorschrift rechten Gebotes zu Gott, der im Himmel wohnt, für Kommodus, der auf dieser Erde herrscht, indem wir sicher wissen,
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Baumgartner, Preces (1989) 391.
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daß er nicht von einem anderen, sondern einzig nach dem Willen des unbesiegbaren Gottes, der, wie ich vorhin sagte, alle Dinge umfaßt, die Herrschaft auf Erden ausübt.«451 Wie die wirtschaftliche Prosperität durch eine günstige Witterung und die Abwendung aller äußeren Gefahren, so gehören auch das Wohl des Kaisers und die Abwehr seiner Feinde zu den stets wiederkehrenden Topoi452. Sogar für die Erbfolge des jeweiligen Kaiserhauses treten die Christen vor Gott ein453. Dass die zahlreichen apologetischen Äußerungen nicht nur taktisch bedingt waren, sondern – mit einem starken Akzent auf einer gottgefälligen Amtsführung – tatsächlich dem Gebetsleben der Christen entsprachen, zeigt das Gebet, das der 1. Klemensbrief über die weltlichen Herrscher formuliert: »Du, Herr, hast ihnen die Königsgewalt gegeben durch deine erhabene und unbeschreibliche Macht, damit wir die von dir ihnen gegebene Herrlichkeit und Ehre anerkennen und uns ihnen unterordnen, keineswegs deinem Willen zuwider; gib ihnen, Herr, Gesundheit, Frieden, Eintracht, Beständigkeit, damit sie die von dir ihnen gegebene Herrschaft untadelig ausüben [...], lenke ihren Willen nach dem, was gut und wohlgefällig ist vor dir«454. Dass die frühen Christen auf die Nachstellungen des Staates mit dem selbstbewussten Anspruch reagierten, die ganze Welt verdanke ihren Fortbestand einzig ihrem Gebet um Aufschub des Endes455, mag aus heutiger Sicht wie ein hilfloser Versuch des Unterlegenen wirken. Wie sehr diese Sicht aber auf der Linie des spätantiken Denkens lag, zeigt sich darin, dass nach dem Paradigmenwechsel an der Spitze des Staates nun dieselbe Logik mit umgekehrtem Vorzeichen galt: Der christliche Staat baute in der Tat auf die staatstragende Funktion auch des Bittgebetes der Christen456 und hatte auch deshalb ein hohes Eigeninteresse an einem intakten und reichen Gebetsleben der Kirche. Ludwig Biehl, der in seiner klassischen Studie über »Das liturgische Gebet der Kirche 451 452
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Mart. Apollon. 8f (TU 15, 2, 98–100 Klette; dt. BKV2 14, 321 Rauschen). Vgl. z. B. Mart. Cypr. 1, 3 (208 Bastiaensen; dt. BKV2 14, 366 Rauschen); Cypr. Demetr. 20 (CSEL 3, 1, 366, 1–3 Hartel; dt. BKV2 34, 222 Baer); Tert. apol. 39, 2 (CCL 1, 150 Dekkers; dt. BKV2 24, 142 Kellner). Tert. apol. 40, 15 (CCL 1, 155 Dekkers; dt. BKV2 24, 150 Kellner) kann sich eine Beschwerde über die Undankbarkeit der Machthaber nicht verkneifen: »Wir aber, abgemagert vom Fasten [...] in Sack und Asche uns wälzend, wir [...] greifen Gott an, und haben wir Barmherzigkeit errungen, dann erhält von euch Jupiter die Ehre«. Vgl. Athenag. leg. 37, 2 (SC 379, 208 Pouderon; dt. BKV2 12, 325 Eberhard) und Tert. apol. 30, 4 (CCL 1, 141 Dekkers; dt. BKV2 24, 126f Kellner), der gewiss nicht ohne Hintergedanken zu den Dingen, die die Christen für den Kaiser und seine Familie von Gott erbitten, auch »tapfere Heere« und »einen treuen Senat« zählt. 1 Clem. 60, 4 – 61, 2 (102 Fischer). Vgl. Just. apol. 2, 7 (6), 1 (PTS 38, 147 Marcovich; dt. BKV2 12, 145 Rauschen); Tert. apol. 39, 2 (CCL 1, 150 Dekkers; dt. BKV2 24, 142 Kellner). Vgl. nur die Begründung der religiösen Toleranz durch Konstantin und Licinius in ihrem Erlass von 313; vgl. Lact. mort. pers. 48, 2–12 (SC 39, 132–135 Moreau; dt. BKV2 36, 57– 69 Hartl).
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für Kaiser und Reich«457 minutiös auflistet, wie sich die Kirche gegenüber ihrem Herrscher positionierte, geht erstaunlicherweise mit keinem Wort auf die Gegenperspektive ein: Warum hat eigentlich der Staat ein Interesse daran? Ein Blick in die von Eusebius überlieferten Dokumente zur Legalisierung des Christentums bringt zum Vorschein, wie sehr der Staat sich und sein Schicksal auch nach der Konstantinischen Wende selbstverständlich dem Gott geschuldeten religiösen Dienst verdankt glaubte. So begründet der Mailänder Erlass seine Toleranz nicht etwa mit der Einsicht in die Religionsfreiheit als unveräußerliches Menschenrecht, sondern mit »der Absicht, daß jede Gottheit und jede himmlische Macht, die es je gibt, uns und allen, die unter unserer Herrschaft leben, gnädig sein möge.«458 Aus der Sicht eines Staates, der unsicher geworden ist, welche Götter die mächtigeren sind, kann es nicht schaden, wenn zu allen für ihn gebetet wird. Auch die Abgabenbefreiung für Kleriker wird mit dem »unermeßlichen Segen« begründet, den sie »dadurch, dass sie ihres höchsten Amtes gegenüber der Gottheit walten (λατρείαν ποιουμένων)«, über den Staat bringen459. Unter Kaiser Justinian wird der Gemeindeklerus später staatsrechtlich zur öffentlichen Durchführung der üblichen Gottesdienste verpflichtet460. Verglichen mit der sonntäglichen Eucharistie und den großen Festen ist die Feier der Tagzeiten, die täglich zu vollziehen sind, dabei rein zeitlich der mit Abstand aufwändigste Posten. Ohne dass sich der Staat von diesem täglichen Gebetsdienst einen realen Effekt für das politische und gesellschaftliche Gefüge erhofft hätte, wären die Entfaltungsbedingungen der Tagzeitenliturgie niemals über mehrere Jahrhunderte hinweg so ideal gewesen, wie sie es waren. Ein ähnliches Verhältnis der staatlichen Macht zum liturgischen Gebet bestand wieder in den Kirchen der Reformation, in denen der jeweilige Landesherr auch »über Text und Inhalt des Fürbittgebets wachte«461 und dadurch Zugriffsmöglichkeiten besaß, die der weltlichen Obrigkeit in der katholischen Kirche verwehrt waren. In der Bundesrepublik Deutschland ist es hingegen nicht mehr das durch die Kraft der Gebete erwirkte Handeln Gottes, von dem sich der Staat einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen erhofft und das ihn zur Kooperation mit den Religionen motiviert. Es ist vielmehr die Vermittlung von Grundwerten, auf denen der Staat ruht und die er nicht den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen unterwerfen möchte: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat
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Vgl. Biehl, Kaiser (1937); zum Stundengebet vgl. vor allem 93–102. Eus. h. e. 10, 5, 4 (GCS 9, 2 [Eus. 2, 2], 884, 11f Schwartz; dt. 430f Haeuser); Parallele bei Lact. mort. pers. 48, 2 (SC 39, 132 Moreau; dt. BKV2 36, 58 Hartl). Vgl. Eus. h. e. 10, 7, 2 (GCS 9, 2 [Eus. 2, 2], 891, 18–20 Schwartz; dt. 436 Haeuser). Vgl. Cod. Iust. 1, 3, 41 (42), 24 (28 Krueger). Schulz, Gebet VII (1984) 74 und ebd. 75: Im 16. Jahrhundert »verstärkte sich die Tendenz, das Gebet der gesellschaftlichen Ordnung gemäß zu strukturieren. Es ging dann um das geistliche und das weltliche Regiment«.
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lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. [...] Als freiheitlicher Staat kann er [...] nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert.« 462 Diese von Ernst-Wolfgang Böckenförde ins Wort gebrachte Verhältnisbestimmung blieb lange Zeit gesellschaftlicher Konsens und findet sich bis heute in den Reden der Kirchenführer und Politiker463. Mit der Selbstverständlichkeit einer christlich-volkskirchlichen Bindung unter den Entscheidungsträgern schwindet aber auch diese Überzeugung und fällt somit gewissermaßen ihrer eigenen Logik zum Opfer. Andererseits merkt die Politik, dass es ohne verbreitete Standards von Anstand, Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung immer schwieriger wird, die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen. Die Zukunft wird zeigen, ob unter den Verantwortlichen das Bewusstsein dafür wieder wächst, welchen Dienst die Kirchen dem sozialen Gefüge erweisen, auch wenn sie gegenüber der Politik immer öfter als unbequeme Mahner auftreten müssen. Das Heil der Welt Der mehrfach biblisch belegte Auftrag zum ›Gebet für die Feinde‹464 wurde zumeist in Form eines Gebetes um ihre Bekehrung umgesetzt465. In diesem Verständnis kommt die heilsgeschichtliche Bedeutung zum Tragen, die dem Gebetsdienst innewohnt: Nicht nur die Eucharistie, sondern das gesamte Ge-
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Böckenförde, Entstehung (1967) 60. So z. B. Bischof Wolfgang Huber in seinem Vortrag »Die Religionen und der Staat«, gehalten auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn am 02. Februar 2005 (http://www.ekd. de/glauben/050202_huber_friedrich_ebert_bonn.html) oder Innenminister Wolfgang Schäuble in seinem Vortrag »Gehört Religionspolitik zur europäischen ›Staatsräson?‹ – ihr Nutzen und ihre Gefahren«, gehalten auf der Tagung »Der Weg Europas und die öffentliche Aufgabe der Theologien« der Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie am 8. März 2007 in Berlin (http://www.eu2007.bmi.bund.de/nn_1035634/EU2007/DE/ServiceNavigation/Reden/ content_Reden/BM_Schaeuble_Der_Weg_Europas_und_die_Aufgabe_Theologien.html). Vgl. Mt 5, 44: »Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.«; Lk 6, 28: »Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.«; vgl. auch Did. 1, 3 (98–100 Schöllgen): »Segnet, die euch verfluchen, und betet für eure Feinde, fastet für eure Verfolger«; dazu Did. 2, 7 (104f Schöllgen); ohne biblischen Bezug findet sich das Gebet »für alle anderen überall« auch bei Just. apol. 1, 65, 1 (PTS 38, 125 Marcovich; dt. BKV2 12, 134 Rauschen). Zum Ganzen vgl. Heinz, Feinde (1982), der ebd. 218 auf die Bedeutung dieser Dimension für die gegenwärtige gottesdienstliche Praxis verweist. Vgl. die syrische Fassung von Aristid. apol. 17, 3 (23 Goodspeed; dt. BKV2 12, 53f Julius); Ign. Eph. 10, 1 (148–150 Fischer); Ign. Smyrn. 4, 1 (206f Fischer); Clem. Alex. strom. 7, 41, 6f (GCS Clem. 3, 31 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 47 Stählin); Tert. orat. 3, 4 (CCL 1, 259 Diercks; dt. BKV2 7, 251 Kellner); Cypr. domin. orat. 17 (CSEL 3, 1, 279f Hartel; dt. BKV2 34, 180 Baer).
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betsleben der Kirche und aller ihrer Glieder ist auf die Vollendung der Welt und die Sammlung aller ausgerichtet. Daher hofft und betet man, dass auch jene, die noch draußen stehen, am Ende zur Gemeinschaft derjenigen gehören, die Gott loben. Aber der Lobpreis Gottes wird nicht nur durch einzelne Formulierungen des Bittgebets für das Ende der Welt erbeten, sondern bereits im Hier und Heute tatsächlich vollzogen. Dieser reale Vollzug unter den bereits Gesammelten gehört fest zum Programm der Einholung der Schöpfung: »Im Gebet und durch das Gebet konstituiert Gott seine neue Schöpfung, sein neues Volk. Ohne Gebet träten weder diese neue Schöpfung, noch die Gemeinde des neuen Bundes, noch der Glaube des einzelnen Christen je in Erscheinung.«466 Bereits der erste Beleg für die Durchführung täglicher Gottesdienste in jeder Kirche auf dem ganzen Erdkreis bei Eusebius betont, dass die Erscheinung weltweit flächendeckend erschallender Lobpreisungen Gottes am Morgen und am Abend jeden Tages auch ein deutliches Zeichen für Gottes Macht seien467. Die Präsenz der betenden Kirche in der Welt macht nach außen deutlich, dass die Sammlung der ganzen Menschheit begonnen hat und fortschreitet. Letztlich bleibt die erwähnte Einsammlung nicht auf die vernunftbegabte Schöpfung, also die Engel und die Menschen, beschränkt. Auch die Tiere und sogar die anorganische Welt ist zum Lobpreis des Schöpfers fähig und vollzieht ihn bereits teilweise oder zeitweise mit. Die Traditio Apostolica beruft sich für diese Vorstellung auf altes Wissen: »Denn die Alten, die die Überlieferung an uns weitergegeben haben, haben uns gelehrt, daß in dieser Stunde die ganze Schöpfung für einen Augenblick stillsteht, um den Herrn zu loben. Sterne, Bäume, Gewässer halten inne, das ganze Heer der Engel, die ihm dienen, zusammen mit den Seelen der Gerechten, lobt Gott zu dieser Stunde. Deshalb müssen die Gläubigen sich eifrig bemühen, zu dieser Stunde zu beten.«468 Noch weitaus blumiger skizziert Tertullian dieses kosmische Geschehen, in das die Engel und alle Kreaturen einbezogen sind. Er verweist auf wilde Tiere, die vor dem Herrn auf die Knie gehen, und auf Vögel, die am Himmel ihre Flügel in 466 467
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Müller, Gebet VIII (1984) 90. Vgl. Eus. comm. in Ps 65 (64), 10f (PG 23, 640 B); ähnlich Hilar. in psalm. 65 (64) tract. 21 (CSEL 22, 244 Zingerle). Ohne Bezug auf tägliche Gottesdienste war bereits zuvor der Gedanke der Außenwirkung christlichen Gebets thematisiert worden; vgl. Polyc. Phil. 12, 3 (262–264 Fischer): »Betet auch [...] für die, die euch verfolgen und hassen, und für die Feinde des Kreuzes, auf daß eure Frucht unter allen offenbar sei, auf daß ihr in jenem vollkommen seid.« Die in Joh 15, 16, 1 Tim 4, 15 und Tit 3, 14 eher ethisch verstandene sichtbare Fruchtbarkeit wird hier auf das Gebet übertragen. Die syr. Didask. 13 (CSCO 407 / Syr. 179, 150f Vööbus; dt. 72 Achelis / Flemming) wiederum entwickelt in der Frage des häufigen Gottesdienstbesuches einen regelrechten Konkurrenzkampf mit Juden und Heiden, hinter deren Versammlungseifer die Christen keinesfalls zurückbleiben dürften. Lat. Trad. Apost. 41 (304–307 Geerlings) mit Bezug auf das Gebet umMitternacht; aufgegriffen in Can. Hippol. (4. Jh.) c. 27 (PO 31, 2, 396f Coquin; dt. 218 Riedel).
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Kreuzesform ausbreiten, und interpretiert alle ihre Laute als Gebet469. Noch Ambrosius begründet mit dem Gesang der Vögel am Morgen und am Abend den gleichzeitigen Psalmengesang der Menschen470. Diese Analogie impliziert allerdings auch einen besonderen Anspruch an den Menschen. Denn was den Menschen als Geschöpf gegenüber den Tieren auszeichnet und mit den Engeln verbindet, ist seine Vernunft. Während also die Tiere ihrer Geschöpflichkeit dadurch entsprechen, dass sie Gott instinktiv rühmen, wird der Mensch seiner Natur erst dann ganz gerecht, wenn er den Lobpreis auch mit seinem Verstand vollzieht. Die Betonung dieses Aspektes in dem oben zitierten Gebet der Apostolischen Konstitutionen471 ist also nicht nur mit Blick auf die Innerlichkeit des Einzelnen im Gebet bedeutsam, sondern diese Innerlichkeit selbst ist wiederum entscheidend, damit sich die Schöpfung am Ende der Zeiten ganz im Lobpreis Gottes vereinen kann. So schließt sich der Kreis, und das persönliche Gebet der Christen bleibt auch in universaler, heilsgeschichtlicher Perspektive letztlich der entscheidende Vorgang; der theozentrische Ansatz, dem es vor allem um den geschuldeten Lobpreis Gottes zu tun ist, und der anthropozentrische Ansatz, der sich um das seelische Wohl des Menschen sorgt472, fallen in eins. Der tägliche, gemeinsame und öffentliche Gottesdienst erschöpft sich also weder in der Pflege der persönlichen Gottesbeziehung noch in der Stärkung der gläubigen Gemeinschaft. Er zielt zusätzlich immer auch auf die Einbeziehung der gesamten Schöpfung ab und erhebt den Anspruch, das Ziel dieser Bewegung in aller innerweltlichen Vorläufigkeit schon jetzt zu realisieren: »All unser Singen ist Mitsingen und Mitbeten mit der großen Liturgie, die die ganze Schöpfung umspannt.«473 Auch für die kosmische Dimension des Lobgesangs bleibt allerdings die bewusst erhobene Stimme des einzelnen Geschöpfes entscheidend – und damit auch seine von Gott geschaffene Subjektivität. Ausblick: die Hoffnung sichtbar machen Der Auftrag der Kirche in der Welt zielt darauf ab, dass alle Menschen ihrer geschöpflichen Bestimmung gerecht werden und dadurch zu sich selbst finden. Die missionarische Arbeit auf dieses Ziel hin muss gleichermaßen von einer 469
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Vgl. Tert. orat. 29, 4 (CCL 1, 274 Diercks; dt. BKV2 7, 273 Kellner): dicunt aliquid quod oratio videatur. Vgl. Ambros. hex. 5, 12, 36 (CSEL 32, 1, 1, 170 Schenkl; dt. BKV2 17, 197 Niederhuber). Vgl. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Gebet und Gottesbegegnung‹ (S. 20–22) mit Bezug auf Const. Apost. 8, 37, 5f (SC 336, 248. 250 Metzger). Vgl. Gerhards, Subjekt (1995) 280; zu den beiden Ansätzen vgl. Dahlgrün, Stundengebet II (2001) 278. Ratzinger, Geist (2000) 131. Ebd. 132–134 betont Ratzinger diese ›kosmische Dimension‹ gegenüber einer neuzeitlichen Reduzierung auf den rein subjektiven Charakter der Musik.
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(A) Motivation
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überzeugenden ethischen Verantwortlichkeit und von einer ansprechenden antizipatorischen Realisierung des eschatologischen Lobpreises getragen sein. Für den Gottesdienst bedeutet das: Dass und inwiefern der kirchliche Gebetsdienst dem Wohl aller Menschen, ihres Sozialgefüges und der ganzen Schöpfung zugetan ist, muss in der Feier selbst zum Ausdruck kommen und erfahrbar werden. Es muss darüber hinaus auch in der Öffentlichkeit wahrnehmbar sein; denn die Verbreitung des Wissens darum, dass die christliche Hoffnung existiert und sich regelmäßig im gemeinsamen symbolischen Vorab-Vollzug der verkündeten und erhofften Vollendung Ausdruck verleiht, ist ein unverzichtbarer Teil des missionarischen Programms. Was in antiken Denkkategorien als ›Bekehrung aller Feinde‹ gedacht wurde, muss heute nicht mehr allein im Modus förmlicher Bekehrung und Mitgliedschaft angestrebt werden. Ziel ist nicht ausschließlich die Rekrutierung neuer Mitglieder für die Kirche, sondern auch die möglichst weite Verbreitung einer Lebenshaltung und -führung im Sinne Gottes, der sich der Einzelne vielleicht nur graduell und ohne explizites Eintreten in die Bekenntnisgemeinschaft der Kirche annähert. Unter den Bedingungen gestufter Zugehörigkeit können auch nicht messbare innere Prozesse den Auftrag der Kirche voranbringen, selbst wenn sie rein äußerlich nicht als Stärkung der Gemeinschaft sichtbar werden.
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(B) Organisation Bereits die Didache macht die Gestalt der Liturgie in zentralen Angelegenheiten von den pragmatischen Rahmenbedingungen abhängig. Im Kapitel über die Taufe widmet sie z. B. der organisatorischen Frage, welche Konzessionen man machen darf, wenn es kein ›lebendiges Wasser‹ gibt, mehr Raum als dem eigentlichen Ritus oder seinem theologischen Verständnis1. Bereits der älteste überlieferte liturgische Vorschriftenkatalog macht also Zugeständnisse an die Möglichkeiten der konkreten Gemeinde. Dennoch ist die liturgische Überlieferung meines Wissens noch nie systematisch auf die Frage der Organisation hin durchforscht worden. Dass es sich dabei um ein dringendes Desiderat mit großen Chancen für die pastorale Gegenwart handelt, zeigt sich am Thema ›Tagzeiten‹ recht gut: Seit dem Aufruf des Konzils zu ihrer Wiederbelebung ist der theologische Gehalt eingehend untersucht worden; auch liegen auf dem Reißbrett qualitätvolle Modelle für die gottesdienstliche Praxis bereit. Woran es jedoch mangelt, ist die Umsetzung. Die liturgische Organisation wird vermutlich auch deshalb von der Forschung stiefmütterlich behandelt, weil ihr der Makel der Nebensächlichkeit anhaftet: Wichtiger als technische oder gar rubrizistische Fragen ist doch der theologische Gehalt der Feier! Hinzu tritt der berechtigte Argwohn gegen den Versuch, das gnadenhafte Geschehen einer echten Gottesbegegnung im Gebet mit organisatorischen Mitteln herstellen zu wollen2. Diesem Einwand soll mit George Guiver die Selbstbescheidung des programmatischen Anspruchs entgegengehalten werden: Geeignete Rahmenbedingungen und Techniken können und sollen keine spirituelle Wirklichkeit schaffen, sondern lediglich einen Ausgangspunkt bieten, von dem aus sich die Beziehung zwischen Mensch und Gott entfalten kann3. Insofern sind sie gewiss keine hinreichende, aber eben doch eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Kirche und die Christen ihrer Bestimmung zu einem Leben aus dem Glauben gerecht werden können. Dass zahlreiche Gebete und Gottesdienste heute nur deshalb nicht oder nicht mehr stattfinden können, weil die organisatorischen Ressourcen dafür nicht vorhanden sind oder nicht hinreichend intelligent eingesetzt werden, ist Grund genug, die Mechanismen der Gebetsorganisation im Detail aufzuarbeiten. Der zweite Teil der vorliegenden Untersuchung soll deshalb diesem Feld gewidmet werden: der Frage nach der Organisation. Die Arbeitshypothese lautet, dass sich in den Gemeinden bis heute vor allem deswegen keine tägliche 1
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Vgl. Did. 7 (118f Schöllgen). Vgl. Koch, Handtwerk (2004) 28. Vgl. Guiver, Company (2001) 20.
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(B) Organisation
Feier des Stundengebets hat etablieren können, weil die vorhandenen liturgischen Formen nicht auf die realen pragmatischen Rahmenbedingungen eingerichtet sind. Die Gliederung in drei Abschnitte entspricht dabei der Aufteilung des vorigen Teiles zur theologischen Motivation; denn auf denselben drei Ebenen – mit Bilck auf den Einzelnen, auf die Gemeinschaft und auf die ganze Schöpfung – wurden und werden die oben herausgearbeiteten Motivationen auch organisatorisch angegangen.
I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
Oben, im parallelen Abschnitt zur Motivation des Einzelnen, war der Anspruch dargestellt worden, das gesamte Leben im Modus des Gebets zuzubringen. Diesen Anspruch umzusetzen, ist nicht leicht; und das größte Hindernis ist dabei der Mensch selbst: Er verliert immer wieder kurzfristig den Grund seines Daseins und seiner Erlösung aus dem Gedächtnis. George Guiver spricht in seiner anthropologischen Grundlegung des Gebets von der ›chronischen Vergesslichkeit‹ des Menschen: »Die menschliche Fähigkeit zu vergessen ist so ausgeprägt, dass besondere Maßnahmen ergriffen werden müssen, um gegen sie anzukommen.«4 Guiver verweist dabei auf C. S. Lewis, der bereits eine große Bedeutung darin erkannte, das einmal als wahr angenommene Christentum durch ständiges Bewusstmachen zu stabilisieren, damit nicht der »Glaube vom Wetter oder von der Verdauung abhängig ist« wie andere wechselhafte Stimmungen: »Darum sind tägliches Gebet, tägliches Lesen von christlichen Schriften und der Besuch des Gottesdienstes von so großer Bedeutung. Wir müssen ständig daran erinnert werden, was wir glauben«5. Doch im Alltag lenken allerlei Tätigkeiten, die volle Aufmerksamkeit beanspruchen, davon ab, immerzu zu beten. Nicht jeder kann den ganzen Tag Körbe flechten oder ähnlich beschaulichen Beschäftigungen nachgehen, die für das gleichzeitige Gebet ausreichend kognitiven Spielraum lassen. Das ehrgeizige Ziel, auch anspruchsvolle Momente ganz aus einer bewussten Beziehung zu Gott heraus zu leben, ist hingegen für die allermeisten schlichtweg eine Überforderung. Das Ideal des immerwährenden und innigen Gebetes stellt sich nicht von selbst ein; sich ihm Schritt für Schritt anzunähern, bedarf der Hilfestellung durch äußere Faktoren, sprich: der Gebetsorganisation.
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4 5
Giuver, Company (2001) 12 (eigene Übersetzung). Lewis, Pardon (1977) 129f.
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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1. Gebetszeiten Obwohl bereits der 1. Clemensbrief ganz grundsätzlich eine theologische Begründung festgesetzter und geordneter Zeiten und Stunden für Gottesdienste unternimmt, indem er sie auf direkte Anweisung des Herrn selbst zurückführt6, so bleibt doch auf dem Feld der Tagzeiten noch lange das Bewusstsein dominant, dass es sich mit ihnen anders verhält, weil ihr Anliegen nicht die Strukturierung der Zeit, sondern ihre kontinuierliche Prägung ist. Auch dort, wo feste Gebetszeiten aufkommen und befürwortet werden, soll in ihnen die ständige Bereitschaft für das Kommen des Gottesreiches Gestalt annehmen7. In pauschalen Formulierungen wie »alle Morgen und zu allen Stunden preisen und loben sie Gott«8 kommt das Bewusstsein zum Ausdruck, dass die erwähnten Zeiten für die ganze Zeit stehen, und Tertullian bringt diesen Gedanken in gewohnter Prägnanz auf den Punkt: »Hinsichtlich der Gebetszeiten ist gar nichts vorgeschrieben, als nur zu jeder Zeit und an jedem Ort zu beten«9. Tertullian lässt diese Aussage in aller Wucht stehen und leitet dann, als sei nichts gewesen, im nächsten Kapitel zu den konkreten Gebetszeiten über10. Auf vergleichbare Weise stellt auch sein Zeitgenosse Clemens von Alexandrien die Ablehnung bestimmter Stunden recht unvermittelt neben das Zugeständnis ihrer Einhaltung11. Ständiges und besonderes Gebet Origenes hingegen spricht – wie wir oben sahen12 – die Schwierigkeit dieses Anspruchs offen an und löst sie auf, indem er ein weiteres Verständnis des Gebets im Sinne eines frommen und aus der Gottesbeziehung gelebten Lebens von einem engeren Verständnis im Sinne sprachlicher und gedanklicher Äußerungen unterscheidet. Er bestimmt selbst das Verhältnis dieser beiden Gebetsarten: 6 7 8 9
10
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Vgl. 1 Clem. 40, 1f (74–76 Fischer): καιροὶ τεταγμένοι, ὡρισμένοι καιροὶ καὶ ὥραι. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 39. Vgl. Aristid. apol. 15, 8 (120 Alpigiano; dt. BKV2 12, 51 Julius). Tert. orat. 24 (CCL 1, 272 Diercks; dt. BKV2 7, 269 Kellner [hier als Schluss von Kap. 23 ausgewiesen]): De temporibus orationis nihil omnino praescriptum est, nisi plane omni in tempore et loco orare. Vgl. Tert. orat. 25, 1 (CCL 1, 272 Diercks; dt. BKV2 7, 269 Kellner): »Hinsichtlich der Zeiten aber dürfte die äußerliche Beachtung gewisser Stunden nichts Überflüssiges sein [...]«. Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 40, 3f (GCS Clem. 3, 30f Stählin; dt. BKV2 2, 20, 46 Stählin): »Wenn aber nun einige auch bestimmte Stunden für das Gebet festsetzen, wie z. B. die dritte und die sechste und die neunte, so ist dagegen zu sagen, daß jedenfalls der Gnostiker sein ganzes Leben hindurch betet, da er bestrebt ist, durch das Gebet mit Gott vereinigt zu sein [...]. Aber auch die Stundeneinteilung mit ihren drei Abständen, die durch die gleichen Gebete ausgezeichnet sind, ist denen vertraut, die die selige Dreizahl der heiligen Wohnungen kennen«. Vgl. o. in Kapitel A.I.2 den Abschnitt ›Begriffliche Klärung‹ (S. 42f).
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(B) Organisation
»Ein Teil dieses ›großen Gebetes‹ ist auch das, was man gewöhnlich ›Gebet‹ nennt, welches nicht seltener als dreimal an jedem Tage verrichtet werden muß.«13 Es ist diese explizite Verhältnisbestimmung zwischen dem immerwährenden Gebet und dem Gebet zu konkreten Tageszeiten, die ein summarisches Verständnis der dann konkret benannten Zeiten ausschließt. In diesem Sinne hatte sich Robert Taft gegen den Versuch ausgesprochen, eine feste Ordnung aus Origenes’ Äußerungen abzuleiten14. Demgegenüber ist festzuhalten, dass Origenes das explizite Gebet mindestens dreimal täglich (und einmal nachts) für eine obligatorische Konkretisierung des immerwährenden Gebetes hält. Entgegen der monastischen Maxime, den Vollzug des Gebetes in seinem engeren Verständnis auf möglichst viel Lebenszeit auszudehnen15, blieb für das Weltchristentum die in der vorkonstantinischen Kirche vorgenommene Verhältnisbestimmung vorherrschend: Nirgendwo ist die Vorschrift belegt, sämtliche Tätigkeiten, während derer man nicht zusätzlich auch noch bewusst und explizit beten kann, seien vollständig zu unterlassen. Demnach hielt man es offenbar für möglich, das Gebot des immerwährenden Gebetes auch während und in solchen Tätigkeiten zu erfüllen. Die Frage, mit der nun offenbar auch Clemens, Tertullian und Origenes ihre Schwierigkeiten hatten, lautet: Warum muss es dann überhaupt noch feste Gebetszeiten geben? Wenn mit dem in 1 Thess 5, 17 geforderten Gebet eher ein Habitus und eine innere Grundhaltung denn die explizite (verbale oder gedankliche) Äußerung gemeint ist, dann können konkrete Unterbrechungen durch Zeiten expliziten Gebets eigentlich nicht mehr mit jenem Gebot begründet werden. Tatsächlich verlagert sich der Schwerpunkt der biblischen Begründung auch auf das Motiv konkreter Tagesund Uhrzeiten. Wenigstens Tertullian gibt dabei noch unumwunden zu, dass die Apostel ihr Gebet zu solchen Uhrzeiten völlig absichtslos hielten und überhaupt keine spätere Praxis damit begründen wollten. Dennoch – und darin scheint dann wohl Tertullians eigenes Movens am ehesten durch – halte er es für gut, darauf nachträglich »eine Anschauung (praesumptio) zu begründen, welche der Ermahnung zum Gebete eine feste Form gibt (quae et orandi admonitionem constringat), wie ein Gesetz zuweilen von den Geschäften losreißt (extorqueat) und zu dieser Pflicht hintreibt, damit wir nicht etwa weniger als wenigstens dreimal am Tage – als Schuldner der drei Personen, des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes – anbeten«16.
13 14
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15 16
Orig. or. 12, 2 (GCS Orig. 2, 325, 3–5 Koetschau; dt. BKV2 48, 43f Koetschau). Taft, Hours (1986) 17: »But I am not sure that this primitive Egyptian pattern ist really an horarium of daily prayer rather than just another way of saying ›pray allways‹, like our expression ›morning, noon, and night.‹« Vgl. o. in Kapitel A.I.2 den Abschnitt ›Wörtliche Umsetzung durch Spezialisten‹ (S. 43–45). Tert. orat. 25, 5 (CCL 1, 272 Diercks; dt. BKV2 7, 270 Kellner).
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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Von der ein wenig reflexhaft eingeschobenen trinitarischen Begründung einmal abgesehen sind in diesem Passus drei Aspekte bemerkenswert: (1) Tertullians Befürchtung geht offenbar dahin, die stetige Anbetung Gottes könne ohne entsprechende Hilfen von außen am Ende ganz unterbleiben und sogar das Mindestmaß eines dreimaligen punktuellen Vollzugs im Laufe des Tagwerkes noch unterschreiten. (2) Es ist deshalb nötig, sich inmitten anderer Tätigkeiten regelmäßig und ein bisschen gewaltsam (lat. extorqueo: entwinden, verrenken, entreißen) an die Gebetspflicht zu erinnern. (3) Die konkreten Zeiten geben dann nicht so sehr dem Gebet selbst, als vielmehr der Ermahnung (admonitio) zum Gebet eine feste Form, und das bedeutet: Sie sollen dabei helfen, auch außerhalb ihrer selbst die innere Haltung des immerwährenden Gebetes einzunehmen. Mit anderen Worten: Die Gebetszeiten sind weder Selbstzweck noch in sich schon die Erfüllung des paulinischen Gebotes, sondern ein Hilfsmittel, um auch die unbewusste innere Haltung der Anbetung einzunehmen und permanent aus dem Kontakt mit Gott heraus zu handeln. Ein solcher Habitus entsteht nicht von allein, er muss mühsam antrainiert werden. Bei Augustinus finden wir den gesamten Gedanken später in ausgereifter Form durchgeführt: Das konkrete Bittgebet um bestimmte Güter weckt und vertieft im Betenden das Verlangen nach dem, was gut für sein Seelenheil ist; dieses Verlangen empfindet der Mensch dann auch in Zeiten, wenn er nicht explizit betet: »Und was will darum auch das Wort des Apostels: ›Betet ohne Unterlaß!‹ anderes besagen, als daß man das glückselige Leben, das kein anderes als das ewige ist, ohne Unterlaß von dem, der es allein zu geben vermag, mit Sehnsucht erwarten müsse?«17 Lediglich um diese Sehnsucht beständig wachzuhalten und vor dem Erkalten zu bewahren, soll man zu bestimmten Stunden dann auch das Gebet mit Worten pflegen – und zwar ausdrücklich nur dann, wenn keine anderweitigen Verpflichtungen dagegen sprechen; denn während dieser ist das erwähnte kontinuierliche Verlangen nach dem Himmlischen die adäquate Form des Gebets18. So finden die alltäglichen Zwänge ihre Anerkennung: Nicht anstelle, sondern während seines Tagesgeschäfts hält der Christ seine eschatologische Erwartung lebendig. Beten bei jeder Gelegenheit Die Offenherzigkeit, mit der Tertullian vorschlägt, auf die Befunde der Apostelgeschichte eine derartige Verpflichtung aus freien Stücken aufzubauen, zeigt auch, dass er diesen Brauch nicht bereits allgemein voraussetzt, sondern fördern und weiter verbreiten will. In seiner Schrift über das Fasten verweist er neben 17
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18
Aug. ep. 130 ad Prob. 9, 18 (CSEL 44, 60 Goldbacher; dt. BKV2 30, 25f Hoffmann). Vgl. Aug. ep. 130 ad Prob. 9, 18; 10, 19 (CSEL 44, 60–62 Goldbacher; dt. BKV2 30, 26 Hoffmann).
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(B) Organisation
der Praxis der Apostel auch auf die gesellschaftliche Funktion der dritten, sechsten und neunten Stunde, die »die Einteilung des Tages bilden, nach welchen sich die Geschäfte verteilen, und die öffentlich ausgerufen werden (quae publice resonant)«19. Die Frage, ob die hier erwähnte öffentliche Bekanntmachung dieser täglichen Zeitmarken nicht der eigentliche Grund für die christliche Gebetspraxis sei20, kann in unserem Kontext übergangen werden; entscheidend ist hier, dass sie für Tertullian und seinen Adressatenkreis bei der Etablierung dieser Stunden als Gebetszeiten offensichtlich eine Rolle spielte. Gerade mit Blick darauf, dass Tertullian die Funktion fester Gebetszeiten darin sieht, den Menschen aus seinen Geschäften herauszureißen, erweisen sich für die Gebetsorganisation des Einzelnen solche öffentlichen und weithin hörbar ausgerufenen Zeitmarken als ungemein praktisch: Sie werden ihm, auch wenn er nicht von selbst daran denkt, jeden Tag verlässlich von außen in Erinnerung gerufen. Die Strategie, private Gebetsgewohnheiten an profane, aber markante Punkte im Alltag gewissermaßen anzudocken, steht in einem größeren Kontext der Suche nach Gelegenheiten, sich seine christliche Grundhaltung im Alltag immer wieder in Erinnerung zu rufen. Insgesamt waren in der Frühphase der Ausbildung konkreter Gebetsformen der Phantasie kaum Grenzen gesetzt, um das Leben mit unzähligen Erinnerungsmarken zu durchsetzen. Fast schon selbstverständlich zählen dazu die von der Schöpfung vorgegebenen Marken des Sonnenauf- und -untergangs und in Korrespondenz dazu die Zeiten des Aufstehens und Schlafengehens. Ebenso beliebt waren Mahlzeiten21, die auf ganz ähnliche Weise auch inhaltlich einen geeigneten Anlass zum Dank an den Schöpfer und Spender der Nahrung boten22. Aber auch bei der Körperpflege, nach dem Sex oder beim Anlegen der Kleidung, wenn man das Licht entzündet oder das Haus verlässt23: Beinahe jede Tätigkeit, die im Alltag eine profane Ritualisierung erfährt, kann genutzt werden, um eine Ritualisierung des Gebetes damit zu verbinden. Auf diese Weise sollten Markierungen etabliert werden, die man nicht 19 20
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Tert. ieiun. 10, 3 (CCL 2, 1267 Reifferscheid / Wissowa; dt. BKV2 24, 540 Kellner). Vgl. die Zusammenfassung bei Bradshaw, Daily Prayer (1983) 59f. Die öffentliche Ansage der Stunden war demnach im Römischen Reich zu wenig verbreitet, um für den Usus der Christen konstitutiv gewesen zu sein. Vgl. Aristid. apol. 15, 8 (120 Alpigiano; dt. BKV2 12, 51 Julius); Just. apol. 1, 13, 1f; 67, 2 (PTS 38, 50. 129 Marcovich; dt. BKV2 12, 77. 136 Rauschen); Clem. Alex. strom. 7, 49, 4 (GCS Clem. 3, 37 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 55 Stählin); lat. Trad. Apost. 32 (288f Geerlings); Tert. orat. 25, 6; 26, 2 (CCL 1, 273 Diercks; dt. BKV2 7, 270 Kellner); auch die bei Tert. coron. 3, 4 (CCL 2, 1043 Kroymann; dt. BKV2 24, 237 Kellner) erwähnten häufigen Kreuzzeichen sind laut Dölger, Lumen Christi (1936) 26f als Gebete zu verstehen. Vgl. o. in Kapitel A.I.2 die Einleitung (S. 35f). Vgl. Tert. orat. 25, 6 (CCL 1, 273 Diercks; dt. BKV2 7, 269f Kellner); Tert. coron. 3, 4 (CCL 2, 1043 Kroymann; dt. BKV2 24, 237 Kellner); Can. Hippol. (4. Jh.) c. 27 (PO 31, 2, 396f Coquin; dt. 218 Riedel).
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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vergisst, Rituale, die man internalisieren kann, Assoziationen, die auch dann geweckt werden, wenn man mit den Gedanken eigentlich anderswo ist. Schriebe Tertullian in unserer Gegenwart, würde er vielleicht die Programmstruktur der großen Fernsehsender in seine Liste geeigneter Gebetsgelegenheiten aufgenommen haben, da diese heute für weite Teile der Gesellschaft den Tagesablauf maßgeblich gliedert24. Beten nach der Uhr Die konkreten Uhrzeiten, die sich im 3. und 4. Jahrhundert für das private Gebet durchsetzen, sind also nur ein Teilaspekt dieser umfassenderen Strategie: Sie werden oft im selben Atemzug mit anderen Gelegenheiten erwähnt und nach Art und Umfang des Gebetes nicht prinzipiell von ihnen unterschieden25. Die Einleitung der Canones des Basilius in das Thema mag dies verdeutlichen. Der Passus beginnt mit der Aufforderung »Laßt uns innerlich allezeit beten« und einem ausdrücklichen Verweis auf 1 Thess 5, 17. Dann wird zunächst verordnet: »Laßt uns bei all unseren Werken beten«, um schließlich über die Mahlzeiten (»Laßt uns beten, wenn wir essen«) zu den üblichen Uhrzeiten überzugehen: »Laßt uns zur dritten Stunde beten [...]«26. Die heute ›klassischen‹ Gebetszeiten sind völlig gleichförmig in andere Gebetsgelegenheiten eingereiht, und gleich der erste Punkt umfasst im Grunde alles, was man tut. Jede Diskussion um konkrete Uhrzeiten muss im Auge behalten, dass alle Gelegenheiten, die mit Gebet verbunden werden können, letztlich ihren Sinn aus der Intention beziehen, das gesamte Leben in allen seinen einzelnen Augenblicken mit einer Haltung der Gottverbundenheit zu durchtränken: Wenn man sich dies nur oft genug in Erinnerung bringt, kann die Aneignung einer Haltung des alles begleitenden Gebetes vielleicht gelingen. Nur so können die Einzelgebete als Umsetzung des apostolischen Dauerauftrags zum Gebet angesehen werden. Die oben herausgearbeitete Doppelstrategie, möglichst oft explizit zu beten, um möglichst immer implizit zu beten27, findet also in fixen Uhrzeiten und anderen Ritualisierungen ein probates Hilfsmittel zu seiner Umsetzung. Denn das immerwährende Gebet muss von ihnen getragen werden, wie eine Brücke durch ihre Pfeiler28; und wessen Glaubenskraft nicht die Tragfestigkeit von Spannbeton aufweist, der braucht solche Pfeiler in entsprechend kurzen Abständen.
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Auf diese funktionale Parallele zur Zeitstrukturierung durch den christlichen Gottesdienst wies Schilson, Religiöses (1996) 101 hin. Vgl. Bradshaw, Cathedral (1990) 124. Vgl. Can. Bas. c. 28 (dt. 246 Riedel). Zu jedem der Punkte werden ein oder zwei Themen genannt. S. o. in Kapitel A.I.2 den Abschnitt ›Anspruch an alle‹ (S. 45f). Vgl. De Vogüé, Regula (1983) 151.
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(B) Organisation
Die Entscheidung, welche Gelegenheiten im Einzelnen zu diesem Ziel taugen können, ist der zentrale Punkt der Gebetsorganisation. Die folgende tabellarische Übersicht listet den Bestand der geläufigsten Autoren und Kirchenordnungen auf. Dabei ist zu beachten, dass manche Autoren die Zeiten an unterschiedlichen Stellen erwähnen und manche an derselben Stelle noch weitere Gelegenheiten aufzählen. Die Belegung ist also nicht so schematisch wie sie hier wirkt. Quelle29
Morgen Terz
Clem.
X
Sext
Non
X
X
Orig.
X
Tert.
X
X
X
Cypr.
X
X
Tr. Ap.
X
C. Ap.
X
Abend
Einschlafen
Nacht
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
T. Dom.
X
X
X
X
X
X
C. Hipp.
X
X
X
X
X
X
C. Bas.
X
X
X
X
X
X
X
Hahn
X X
X
X
X
Ohne die Diskussionen über Originalität, Alter und Genese der genannten Gebetszeiten hier im Einzelnen aufgreifen zu müssen, seien einige Punkte festgehalten: (1) Die Uneinheitlichkeit der frühen alexandrinischen Quellen erstaunt und gemahnt zur Vorsicht, hinter den wenigen und zufälligen frühen Angaben eigenwilliger Denker vorschnell breitere und ältere Überlieferungsströme zu vermuten. (2) Da sowohl die Traditio Apostolica als auch Tertullian wesentlich mehr argumentative Kraft für die Begründung der dritten, sechsten und neunten Stunde aufwenden als für den Morgen und den Abend, darf man wohl darauf rückschließen, dass die Gebete am Anfang und Ende des Sonnen-
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29
Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 40, 3; 49, 4 (GCS Clem. 3, 30. 37 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 46. 55 Stählin); Orig. or. 12, 2 (GCS Orig. 2, 325 Koetschau; dt. BKV2 48, 44 Koetschau); Tert. ieiun. 10 (CCL 2, 1267f Reifferscheid / Wissowa; dt. BKV2 24, 539f Kellner); Tert. uxor. 2, 5, 2 (CCL 1, 389 Kroymann; dt. BKV2 7, 80 Kellner); Tert. orat. 25 (CCL 1, 272f Diercks; dt. BKV2 7, 269f Kellner); Cypr. domin. orat. 34–36 (CSEL 3, 1, 292–294 Hartel; dt. BKV2 34, 194–196 Baer); sah. Trad. Apost. 62 (34–41 Till / Leipoldt); Const. Apost. 8, 34 (SC 336, 242–244 Metzger; dt. BKV2 5, 67f Storf); Test. Dom. 2, 24 (144–147 Rahmani; engl. 38f Sperry-White); Can. Hippol. c. 25 (PO 31, 2, 392f Coquin; dt. 216f Riedel); Can. Basil. c. 28 (246 Riedel).
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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laufs keine besondere Unterstützung mehr nötig hatten30. (3) Insgesamt scheinen jedoch im 4. Jahrhundert die vier Wendepunkte »Morgen, Mittag, Abend, Mitternacht« einerseits und die drei Tagesstunden »Terz, Sext, Non« zu einem dann sechsteiligen Zyklus von Erinnerungsmarken verschmolzen zu sein, der hier und da um den Hahnenschrei und den verdoppelten Abend (Sonnenuntergang plus Schlafengehen), aber auch weiterhin um andere Gelegenheiten wie etwa die Mahlzeiten ergänzt werden konnte. In dieser Ausweitung schimmert weiterhin das Bewusstsein durch, dass es eigentlich gar nicht genug solcher Gebetszeiten geben kann. Die Devise lautet offenbar: Wenn schon nicht ohne Unterlass, dann wenigstens bei jeder Gelegenheit31! Erst im monastischen Kontext hat die Freude an der Ausformung einer schlüssigen Gesamtkonzeption dazu geführt, auch die Gesamtzahl der dann gemeinsam gehaltenen Gebete mit einer biblischen Bezugsgröße zu würdigen. Da die zunächst oft zitierten drei Gebete Daniels und der Jünglinge oder trinitarische Bezüge dafür nicht mehr hinreichten32, bot sich Psalm 119, 164 an: »Siebenmal am Tage habe ich dein Lob gesungen« – wobei freilich die Rechnung je nach Bedarf unterschiedlich angestellt werden konnte33. Demgegenüber bleibt festzuhalten, dass weder Zahlenspiele noch auch die konkreten Festlegungen auf die eine oder andere Uhrzeit für den Kern der Sache entscheidend sind. Alle Alltagsrituale, die sich mit einem Gebet verbinden lassen, sind geeignet, um den Prozess der Habitualisierung voranzubringen. Unterschiedliche Motive Dass die einzelnen Gebetszeiten tatsächlich nicht aus theologischen Motiven abgeleitet wurden, sondern aus ihrer Markanz und der nur dadurch gegebenen 30
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Vgl. dazu auch Bradshaw, Daily Prayer (1983) 50f; Geerlings, Traditio Apostolica (1992) 198–200. Dies gilt trotz des ›Altersbeweises‹ Cyprians, der nichts über das tatsächliche Alter der kleinen Horen aussagt, sondern nur über Cyprians Versuch, diesem Brauch durch die alttestamentliche Anbindung die Würde hohen Alters zu verleihen; vgl. Taft, Hours (1986) 21. Vgl. Joh. Chrys. in ep. ad Hebr. hom. 22 (PG 63): »immer; wenn nicht immer, oft; wenn nicht oft, manchmal«. So bereits Clem. Alex. strom. 7, 40, 3f (GCS Clem. 3, 30f Stählin; dt. BKV2 2, 20, 46 Stählin) mit einem dunklen Hinweis auf die »Dreizahl der Wohnungen«; Bradshaw, Daily Prayer (1981) 59 spricht sich gegen eine trinitarische Deutung aus. Joh. Cassian. inst. 3, 4, 3 (SC 109, 104 Guy; dt. 152 Frank) verweist auf die (zufällige) Übereinstimmung der Gesamtzahl der Gebetszeiten inklusive der neu eingeführten Matutin (zusammen mit Laudes, Terz, Sext, Non, Vesper und Nachtgebet) mit den sieben im Psalm genannten Zeiten. Später kommt die Reg. Ben. 16 (SC 182, 524 de Vogüé / Neufville; dt. 127–129 Lambert, 211 Puzicha) mit Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet auf die sieben Zeiten aus Ps 119, 164 und begründet die (dann achte) Hore, die in der Nacht stattfindet, gesondert mit einem anderen Zitat, das aber immerhin demselben Psalm entnommen ist (Ps 119, 62).
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(B) Organisation
Eignung zur Erfüllung einer Reminder-Funktion im Tageslauf, zeigt sich daran, dass die Begründungen ein und derselben Gebetszeit stark voneinander abweichen können. Dabei wurden verschiedene Techniken angewandt. (1) Origenes fand z. B. für jede seiner vier Zeiten eine passende Psalmstelle und für den Mittag und die Mitternacht noch zusätzlich je eine Referenz aus der Apostelgeschichte34, in denen sämtlich vom Gebet zu der jeweiligen Uhrzeit die Rede ist. Hier geht es also ausschließlich darum, den Vorgang des Gebets als solchen an biblischen Vorbildern aufzuhängen. Für den Inhalt des Gebets geben diese von Origenes herangezogenen Schriftstellen hingegen keine Anregungen. Der Frage, wie und was man beten solle, widmet er seine umfangreichen und grundlegenden Ausführungen »über das Gebet« insgesamt und möchte sie vermutlich auf jedes einzelne der anberaumten Gebete angewandt wissen. Diese gewissermaßen rein formale Verknüpfung der zum Gebet empfohlenen Stunden mit biblischen Gebetsbeispielen zur jeweils gleichen Uhrzeit wird bald nach Origenes mit Material aus der Apostelgeschichte auf die dritte und die neunte Stunde ausgedehnt. Keines der dorther zitierten Vorbild-Ereignisse wird selbst zum Gegenstand dankbaren Gedächtnisses oder betender Meditation. (2) Ein davon klar unterscheidbarer Vorgang findet statt, wenn die einzelnen Tageszeiten mit zentralen theologischen Motiven in Zusammenhang gebracht werden, die dann offenbar auch inhaltlich das Gebet bestimmen sollen35. Das zentrale Thema der Apostolischen Konstitutionen ist beispielsweise die Erleuchtung, die zu den Abläufen der Natur und der Arbeitswelt in Beziehung gesetzt wird: »Morgens sollt ihr beten, weil der Herr euch erleuchtet hat, indem er die Nacht verscheuchte und den Tag herbeibrachte [...]. Am Abend sollt ihr Dank sagen, weil er euch die Nacht zur Ruhe von den Mühen des Tages gegeben hat, und beim Hahnenschrei, weil diese Stunde die Ankunft des Tages zur Betätigung der Werke des Lichtes verkündet.«36 Das von Christus gespendete innere Licht im Gegensatz zur äußerlichen Finsternis der Nacht ist bereits bei Cyprian das zentrale Gedankenspiel, um an den physikalischen Erscheinungen theologischen Gehalt festzumachen 37 . Das Testamentum Domini bringt hingegen Abend, Nacht und Morgen etwas bemüht und unter freier Verwendung38 von
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Vgl. Orig. or. 12, 2 (GCS Orig. 2, 325 Koetschau; dt. BKV2 48, 44 Koetschau). Für den Morgen Ps 5, 4; für den Mittag Ps 55, 18 und Apg 10, 9; für den Abend Ps 141, 2; für die Mitternacht Ps 119, 62 und Apg 16, 25. Vgl. Stadlhuber, Stundengebet (1949) 143. Const. Apost. 8, 34, 2. 6f (SC 336, 242–244 Metzger; dt. BKV2 5, 67f Storf). Dazwischen begründet der Text die kleinen Horen mit einer vom biblischen Vorbild abweichenden Passionschronologie. Vgl. Cypr. domin. orat. 35f (CSEL 3, 1, 293 Hartel; dt. BKV2 35f, 196 Baer). Vgl. White, Daily Prayer (2002) 135.
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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Motiven aus der Traditio Apostolica mit dem Thema ›Auferstehung‹ in Verbindung39 – nicht, weil sie zur jeweiligen Uhrzeit stattgefunden hätte, sondern weil sich die inhaltliche Assoziation mit dem Tageslauf nahelegt. Für den Morgen ist das Motiv der Auferstehung ebenfalls bereits bei Cyprian belegt und dort auch explizit als Inhalt des Gebets verstanden: »Denn auch in der Frühe muß man beten, um die Auferstehung des Herrn in der Morgenandacht zu feiern«40. Für den Abend und die Nacht standen hingegen in der Frühzeit die eschatologischen Motive im Vordergrund: Christus als der wahre Tag, dessen Wiederkunft wir noch sehnlicher erwarten, als die der untergehenden Sonne. Charakteristisch für diese Form der Begründung ist, dass sie über die jeweilige Tageszeit hinaus auf den letztlich immer gleichen Grund der Erlösung verweist. So wird ein Fundament für Lobpreis und Gebet insgesamt gelegt, während die Uhrzeiten nicht viel mehr als die naheliegenden Aufhänger dafür sind. Besonders deutlich wird dies, wenn eine eschatologische Deutung ihre Anbindung an eine konkrete Uhrzeit selbst transzendiert41, etwa durch den Verweis auf das Kommen des Bräutigams in der Nacht, dessen Ankunftszeit ja gerade nicht bekannt ist42, oder wenn – noch deutlicher – das nächtliche Beten daran erinnern soll, dass die Zeit im Himmel und im Eschaton keine Rolle mehr spielt: »Da wir im Himmelreich, durch keine Nacht gestört, nur Tag haben werden, so laßt uns des Nachts ebenso wie am hellen Tage wachen«43. Nicht die Uhrzeit, sondern die Überwindung der Zeit motiviert dazu, mitten in der Nacht aufzustehen und zu beten. (3) Die dritte Form der Anbindung von Inhalten an konkrete Uhrzeiten ist sichtlich sekundär: Das Gedächtnis von Stationen der Passion zur dritten, sechsten und neunten Stunde. Diese Form erscheint in überraschend uneinheitlicher Gestalt, obwohl doch für sie eine biblisch fundierte Chronologie im Markusevangelium vorlag. Wie sich die konkreten Passionsmotive auf die Quellen verteilen und neben der Motivreihe aus der Apostelgeschichte nur mühsam etablieren44, zeigt die folgende Übersicht über die frühesten Autoren und über
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Vgl. Test. Dom. 2, 24 (145 Rahmani; engl. 38f Sperry-White): Am Abend bete man, denn er gebe ein Bild der Auferstehung; um Mitternacht bete man wegen der Auferstehung; am Morgen, weil Christus nach der Auferstehung den Vater pries. Vgl. dazu die Analyse der Veränderungen gegenüber der Vorlage der Trad. Apost. bei White, Daily Prayer (2002) 131–135. Cypr. domin. orat. 35 (CSEL 3, 1, 292, 23–25 Hartel; dt. BKV2 34, 195 Baer). In diesem Sinn versteht Taft, Hours (1986) 348 das Stundengebet als »Heiligung der Zeit«. Vgl. lat. Trad. Apost. 41 (306f Geerlings). Vgl. Cypr. domin. orat. 35f (CSEL 3, 1, 294, 11–13 Hartel; dt. BKV2 35f, 196 Baer). Bradshaw, Daily Prayer (1983) 61f misst der Passionschronologie für die Entstehung der kleinen Horen eine Schlüsselstellung zu, lässt aber offen, warum für seinen Kronzeugen Tertullian die Chronologie der Apostelgeschichte klare Priorität gegenüber der markinischen Pas-
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(B) Organisation
die Kirchenordnungen, in der Entsprechungen zur Apostelgeschichte hellgrau und solche zum Markusevangelium dunkelgrau unterlegt sind. Terz
Sext
Non
Apg
2, 15: Pfingsten
10, 9: Petrusvision
3, 1: Petr. & Joh. 10, 30: Kornelius
Mk
15, 25: Kreuzigung
15, 33: Finsternis
15, 34: Tod Jesu
Quelle
Orig. Tert.
Petrusvision (Apg) Pfingsten (Apg)
Petrusvision (Apg)
Petr. & Joh. (Apg) Tod Jesu (Mk)45
Cypr.
Trad. Apost.
Pfingsten (Apg)
Kreuzigung (Mk)
Petrusvision (Apg) Kreuzigung
Tod Jesu (Mk)
Finsternis (Mk)
Hadesfahrt
Gebet Jesu
Lanzenstich
Const. Apost.
Urteil des Pilatus
Kreuzigung
Erdbeben
Can. Hipp.
Kreuzigung (Mk)
Beben
Tod Jesu (Mk)
Can. Bas.
Kreuzigung (Mk)
Finsternis (Mk)
Tod Jesu (Mk)
Test. Dom.
Kreuzigung (Mk)
Finsternis (Mk)
Lanzenstich
Pfingsten (Apg)
Petrusvision (Apg)
Kornelius (Apg)
Kreuzigung
Petr. & Joh. (Apg)
Cassian.
Hadesfahrt
Eine durchdachte Rezeption der markinischen Chronologie ist bei Tertullian und Cyprian nicht gegeben. Allein die Traditio Apostolica setzt diesen Gedanken einigermaßen konsequent um, findet dabei aber auch in späteren Kirchenordnungen eine nur sehr ungenaue Nachfolge, der die Kenntnis der Markuspassion teilweise nicht anzumerken ist. Auf lange Sicht aber sollte dem Gedächtnis der Passion als Gegenstand des privaten Tagzeitengebets die Zukunft gehören46. Besonders die mittelalterliche Frömmigkeit des Westens hat diese Idee aufge-
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sion besitzt. Eine Entwicklungslinie vom Westen des 2. Jahrhunderts zum Jerusalem des 4. Jahrhunderts lässt sich jedenfalls in den Quellen nicht erkennen. Diesen Bezug zur Passion stellt Tert. ieiun. 10, 6 (CCL 2, 1268 Reifferscheid / Wissowa; BKV2 24, 541 Kellner) nur im Rahmen der Diskussion über die Stationsfasten her, nicht jedoch in seiner Abhandlung über das Gebet. Vgl. Stadlhuber, Stundengebet (1949) 179–183. Ein frühes Beispiel gibt Athanas. virg. 12 (PG 28, 265) den Jungfrauen zur Motivation ihrer Privatgebetszeiten.
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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griffen und mit Hingabe weiterentwickelt. Dabei entstand schließlich eine Tageschronologie, die alle Tagzeiten auf das Leiden des Herrn ausrichtet, auch jene, die vormals stärker schöpfungstheologisch oder eschatologisch gefüllt waren47. In formaler Sicht ist an diesem ganzen Vorgang auffällig, dass man den Gläubigen zunächst nur den Zeitpunkt des Gebetes begründete, ihnen dann aber auch zunehmend inhaltliche Motive an die Hand gab, mit denen sie ihre Gebete füllen konnten. Die frühere Form setzt voraus, dass die Gläubigen noch selbst wussten, wie und worum sie beten sollten, während die spätere Form ihnen auch dazu pastorale Anleitung gibt. Ausblick: organisierte Kontinuität Das wichtigste Ziel des gläubigen Christen ist ein Leben aus dem Gebet – in dem Sinne, dass tatsächlich das gesamte Denken und Handeln ununterbrochen in irgendeiner Weise von Gott geprägt ist. Der lakonische Ratschlag Tertullians, man solle doch einfach immer beten, trifft in diesem Sinne genau den Punkt. Dieses Ziel ist aber nicht leicht zu erreichen. Deshalb haben die Christen Strategien entwickelt, durch die sie ihrem Ideal näher kommen konnten. Die wichtigste Strategie ist der Kampf gegen die Vergesslichkeit, also die ständige Erinnerung an Gott durch eine Vielzahl von ›Remindern‹, die breit über den Alltag und alle seine Bestandteile verstreut werden. Sich seine Beziehung zu Gott immer wieder ins Bewusstsein zu holen und sie durch Gebete zu pflegen, ist somit bei aller Bedeutsamkeit letztlich nur das Hilfsmittel, um zu einer inneren Haltung zu finden, die es dann auch außerhalb des expliziten Gebetes möglich macht, permanent aus dem Kontakt mit Gott heraus zu handeln und zu leben. In einer solchen Grundhaltung wird die Erfüllung der paulinischen Forderung nach ununterbrochenem Gebet erkannt. Dieser Befund hat Konsequenzen für die Gestaltung der Tagzeiten. • Zunächst darf nicht überschätzt werden, dass die Kirche in der Geschichte konkrete, inzwischen traditionelle Uhrzeiten favorisiert und als wichtige Pfeiler der Habitualisierungsstrategie etabliert hat. Denn diese fixen Zeitpunkte sind nicht der Grund für das Gebet, sondern nur willkommene Anlässe, sich das eigentlich Wichtige verlässlich und durch gesellschaftliche Konventionen ge-
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Vgl. Jungmann, Gottesdienst (1957) 169 und vor allem Stadlhuber, Laienstundengebet (1950) bes. 288–297. 304f. 310–312; ferner Häußling, Passionsmitfeier (1999). Ein erster Ansatz zu einer an der Passion Christi ausgerichteten Füllung des Stundengebets findet sich bereits in lat. Trad. Apost. 41 (306f Geerlings), wo der Hahnenschrei eine passionschronologische Deutung erfährt – allerdings nicht, wie man erwarten könnte, durch Verweis auf die Verleugnung des Petrus, sondern durch die in Apg 3, 13 erwähnte Verleugnung Jesu durch die Söhne Israels. Diese steht zwar nur indirekt mit dem Hahnenschrei in Verbindung, schien aber offenbar als Gegenstand des betenden Gedenkens weniger problematisch als der große Fehltritt des verehrten Apostels.
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(B) Organisation
stützt in Erinnerung zu rufen bzw. rufen zu lassen. Die Eignung bestimmter Uhrzeiten, diese Funktion zu erfüllen ist indes stark kulturabhängig48: Nicht nur die ›interne‹ Lebensorganisation wie Mahl-, Arbeits- und Frei-Zeiten, sondern auch die Wahrnehmung der kosmischen Abläufe wie der Tageszeit hat sich so stark gewandelt, dass die traditionellen Zeitmarken heute für viele Menschen nicht mehr ihre ›natürliche‹ Plausibilität besitzen49. George Guiver beklagt zu Recht, dass die Kirchen sich zu wenig bemühen, die individuellen und gesellschaftlichen Zeitstrukturen, wie sie heute von den Menschen erfahren werden, kreativ aufzugreifen50, und konstatiert in dieser Frage einen hohen Experimentierbedarf. Alle eingewöhnten Eckpunkte und Marken des Tages können für den Einzelnen diese Funktion erfüllen, auch wenn sie keiner der klassischen Uhrzeiten zuzuordnen sind oder gar nicht immer zur selben Zeit stattfinden. Ihre Funktion, die Verbindung mit Gott zu habitualisieren, ist die entscheidende Größe, die es auch heute zu tradieren gilt. Geeignet ist dafür jeder denkbare Anlass, mit dem sich ein Gebet im jeweiligen soziokulturellen Kontext verbinden und ritualisieren lässt. Auch die theologischen Motive sind vor allem Hilfsmittel, um die Zeiten des Gebets zu internalisieren und die Assoziationen, die etwa der Sonnenuntergang oder das nächtliche Aufwachen auslösen, in die gewünschte Richtung zu lenken. Der reiche theologische und liturgische Schatz, den zum Beispiel die Lichtsymbolik im Abendgebet hervorgebracht hat, ist gewiss ein hoher Wert. Wenn aber die traditionelle Uhrzeit den Menschen nicht zur Ritualisierung taugt, dann kann es unter Umständen geraten erscheinen, sich etwa in Unternehmen nach den Pausenzeiten oder dem Schichtwechsel und in tropischen Regionen nach dem täglichen Wolkenbruch zu richten – oder auch unabhängig von der Sendezeit immer nach den letzten Nachrichten ein Nachtgebet zu verrichten. Dass dem Morgen- und Abendgebet in der Tradition eine hervorgehobene Stellung zugewachsen ist, hat ursprünglich technische Gründe und ist gegenüber dem traditionellen Anliegen der Tagzeiten insgesamt im Konfliktfall zurückzustellen. Aus denselben Gründen ist es wenig sinnvoll, ein Gebet zur Mittagszeit, wenn es für die Teilnehmer die einzige Hore des Tages ist, inhaltlich immer mit dem Gedenken an die Sonnenfinsternis während der Kreuzigung Christi zu füllen51. Sowohl die Uhrzeit als auch der Inhalt müssen aus ihrer Funktion für die heutigen Betenden abgeleitet werden, und nicht aus der 48
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Ratzmann, Alltag (1999) 79 verweist auf die Veränderung der sozialen, arbeitsweltlichen und familien-organisatorischen Rahmenbedingungen als Ursache für den Niedergang lutherischer Hausandachten. Vgl. Meyer, Zeit (1981) 201f. Vgl. Guiver, Company (2001) 18: »the texture of the day as we experience it«. Kleinheyer, Gedächtnis (1989) 426–428 plädiert z. B. für eine eindimensionale Neuerschließung der (mittelalterlich) überlieferten Inhalte der kleinen Horen.
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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konkreten Gestalt, die früher einmal aus der Funktion für die damaligen Betenden abgeleitet worden war. Anglikanische Agenden haben deshalb bereits im frühen 20. Jahrhundert speziell für Gebete im Familienkreis nicht Laudes und Vesper, sondern Prim und Komplet angeboten52. In den Kirchen der Reformation setzt es sich insgesamt zunehmend durch, Modelle für den Morgen, den Mittag, den Abend, zur Nacht und sogar zu den Mahlzeiten – also gewissermaßen für jede Gelegenheit – in die Gesangbücher aufzunehmen53. So kann sich der Gottesdienst konkret nach den Zwängen und Vorgaben, nach dem Trott und den Ritualisierungen derjenigen Menschen richten, die als Teilnehmer in Betracht kommen. • Die Feier der Tagzeiten – auch in der Gemeinde – bleibt letztlich der persönlichen Gottesbeziehung des Einzelnen dienend zugeordnet. Es ist deshalb sinnvoll, auch heute die liturgische Begehung des Alltags mit Formen des Privatgebets zu verknüpfen. Hier treffen die Benediktsregel54 und schon Basilius55 einen ganz wichtigen Punkt, wenn sie den privaten Vollzug der Hore auch in Abwesenheit anordnen. Weit entfernt von der späteren Entwicklung, die das Stundengebet als gemeinschaftlichen Vollzug zugunsten privater Rezitation ganz aufgab, bleibt hier das ursprüngliche Bewusstsein lebendig, dass das persönliche Gebet der entscheidende Vorgang ist und es deshalb keinen Grund gibt, aufgrund physischer Abwesenheit von der Gemeinschaft auch diesen Kernvollzug des eigenen Lebens aufzugeben. Dies gilt in der Gemeinde noch ungleich mehr als im Kloster, da hier an eine mehrmals täglich Teilnahme aller als Regelfall gar nicht zu denken ist. Der öffentliche Vollzug muss deshalb geradezu als sichtbare Gestalt eines viel weiter verbreiteten Gebets verstanden werden. Es wird viel davon abhängen, ob es gelingt, auch eine Praxis des privaten Gebets neu zu beleben und dann auf verschiedene Weise mit dem Gemeindegebet in Verbindung zu bringen. Traditionell wurde diese Verbindung durch die Glocken hergestellt, die das Wissen um die stattfindende Versammlung bei allen Menschen in Hörweite ins Bewusstsein hob und etliche unter ihnen – auch wenn sie nicht hinkommen konnten – doch zu einem Gebet animierte. Dies ist keine reine Notlösung, sondern steht in klarer funktionaler Parallele zu den öffentlich ausgerufenen Stunden, die Tertullian aufgreift. Jungmann berichtet aus dem Mittelalter von einer Trierer Synode, die das Glockenläuten zu den Tagzeiten auch für solche Kirchen anordnete, in denen selbst überhaupt kein Gottesdienst 52 53
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Vgl. Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 218. Für die Anglikaner vgl. Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 237. Kohlschein, Gottesdienst (1984) 218 Anm. 59 berichtet von erfolgreichen Einführungen ökumenischer Mittagsgebete in Großstadtkirchen. Vgl. Reg. Ben. 50 (SC 182, 608 de Vogüé / Neufville; dt. 191 Lambert) ; vgl. Puzicha, Benediktusregel (2002) 430f. Vgl. Bas. Caes. reg. fus. tract. 37 (PG 31, 1013; dt. 165 Frank).
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(B) Organisation
stattfand56. Was hier geschah, ist liturgisch zwar nurmehr ein Torso dessen, was das gemeinschaftliche Stundengebet einmal gewesen war. Es bewahrt aber auf der entscheidenden spirituellen Ebene des einzelnen Gläubigen die geistliche Realität einer Existenz aus dem Gebet und kann in diesem Sinne durchaus auch heute Vorbild für pastorale Begleitmaßnahmen der Tagzeiten sein – etwa den Service einer SMS zur Erinnerung an ein kleines Gebet auch an solchen Tagen, an denen die Zeit nicht zum Gang in den Gottesdienst reicht57. In der Reformation sollte durch Luthers Morgen-, Abend- und Tischsegen58 und durch das Signal der Betglocke das Privatgebet eine neue Blüte erleben59, während die Wiederbelebung täglicher Versammlungen außerhalb der Schulen und Seminare nicht gelingen wollte. Aber auch die privaten oder familiären Hausgebete gehören zur Geschichte der Tagzeiten, denn sie haben mit der Maxime der Stetigkeit – wo sie schon in Gemeinschaft nicht umzusetzen war – doch immerhin ein ganz wesentliches Movens für den Einzelnen gerettet60. Für die Tagzeitenliturgie bedeutet dies: Es ist eine Verklammerung des Gottesdienstes mit dem Privatgebet der Gläubigen an den (vermutlich vielen) Tagen ihrer gottesdienstlichen Abwesenheit dringend anzustreben. War früher das private Gebet die Basis für die Entstehung gemeinsamer Gottesdienste, so kann und muss heute in vielen Fällen umgekehrt der Gottesdienst das Vehikel und die Schulung zur festen Etablierung auch privaten Gebets im Tageslauf sein, das dann wiederum die Teilnahme am Gottesdienst stabilisiert. Hilfen für den Vollzug solchen privaten Gebets in formaler Verwandtschaft mit der Liturgie sind daher kein Nebengleis, sondern betreffen den zentralen Sinn der Tagzeiten. Sie sollten fest zum pastoralen Angebot dazugehören. • Der Stetigkeit des Einzelnen im Gebet gebührt die oberste spirituelle Priorität der Tagzeiten. Das bedeutet: Wie die privaten Erinnerungstechniken muss auch ein Tagzeitengottesdienst dazu taugen, dass man ihn sich angewöhnt. Dazu gehört auf der einen Seite eine liturgische Form, die auch bei täglichem Vollzug nicht fad und eintönig wird61. Neben niederschwelligen Elementen sind daher auch solche Vollzüge vorzusehen, die erst durch häufige Einübung 56 57 58
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Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 88f. Dieser Service wurde in Bonn 2005 allerdings wenig angenommen. Zum Ganzen, zur Orientierung Luthers an Prim und Komplet des lateinischen Stundengebets und zur mittelalterlichen Vorgeschichte seiner Textfassungen vgl. Schulz, Hausgebete (1983) bes. 71f. Ratzmann, Alltag (1999) 51 bringt die Blüte lutherischer Hausgottesdienste mit dem durch einen Pfarrermangel verursachten Wegfall der ›Nebengottesdienste‹ in Verbindung – und den Niedergang ebd. 64–76 mit der Wiederbelebung von Formen gemeindlicher Andachten im 19./20. Jahrhundert: »Die Andacht sollte heimkehren an den Ort, von dem sie einstmals (protestantische Wochengottesdienste, Stundengebet) ausgegangen war« (ebd. 67). Vgl. Schulz, Gebetbücher (1984) 112. Vgl. Häußling, Wege (2004) 51.
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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und Wiederholung ihren vollen spirituellen Reichtum entfalten. Eine speziell für Kirchenferne entwickelte und auf voller Länge niederschwellige Form kann diese Funktion für ausgemachte Freunde des Stundengebetes nicht erfüllen. Sie verliert gewissermaßen über den Zugang das Ziel aus den Augen – und über den ersten Schritt den letzten. Nötig ist deshalb eine ›Reduktion mit Perspektive‹, eine sachgemäße Elementarisierung, deren Niveau sowohl durch den Einzelnen als auch in der Gestalt des Gottesdienstes nach den Bedürfnissen der Gläubigen angehoben werden kann. Vor allem aber gebietet die Maxime der Stetigkeit, dass die Gottesdienste, die ja der Pflege, der Stabilisierung und der Intensivierung des Gebets im Alltag dienen sollen, so häufig wie möglich stattfinden. Tagzeiten sind nicht der festive und nicht der wöchentliche62, sondern der tägliche Gottesdienst der Kirche. Alle Überlegungen zur Gestalt der Liturgie müssen ihren Ausgang bei der Frage nehmen, welche Vollzüge sich prinzipiell täglich durchführen lassen, und eine realistische Einschätzung der personellen und finanziellen Ressourcen ist dafür ein entscheidender erster Schritt. Ein weiterer Termin im Wochenplan kann niemals jene Wirkung entfalten, die das Wissen um ein täglich zur selben Zeit am selben Ort stattfindendes Gebet es kann – und zwar auch unabhängig von der tatsächlichen persönlichen Teilnahmefrequenz. Eine Festtagsvesper mit Chor und Orchester bereichert das Kirchenjahr und leistet einen wichtigen Beitrag sowohl zur Entfaltung des jeweiligen Festgeheimnisses als auch zur Bekanntmachung der liturgischen Form des Stundengebets. Das Kernanliegen der Tagzeiten ist von solchen punktuellen Feiern aber kaum berührt63. Es ist eine Ironie der Liturgiegeschichte, dass die überlieferte (und dem Klerus vorgeschriebene) Gestalt des Stundengebets in ihrer Komplexität und ihrem liturgiepragmatischen Anforderungsprofil heute für die meisten Gläubigen zu den größten Hindernissen einer kontinuierlichen Praxis zählt. Eine Form, die den heutigen Gläubigen faktisch keine Chance zum täglichen Vollzug mehr gibt, kann die ursprüngliche und in spiritueller Hinsicht bleibend zentrale Auf-
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Zahlreiche Publikationen zur Feier der Tagzeiten in den Gemeinden reflektieren auch über den am besten geeigneten Wochentag. So widmet Fuchs, Stundengebet (1993) 64f. 74–77. 89f in der Behandlung einer jeden Hore ein ganzes Kapitel der Frage nach dem geeigneten Wochentag. Gerhards / Richter, Verspergottesdienste (1986) 10 plädieren mit guten Gründen für den Freitag als Zeitansatz einer wöchentlichen Vesper. An eine tägliche Feier ist in vielen Fällen bis heute in der Tat nicht zu denken. Dies gilt auch für die wertvollen Materialien, die Ringseisen, Morgenlob I (2000); Morgenlob II (2000); Morgenlob III (2004) präsentiert, und die ausschließlich zur Verwendung in geprägten Zeiten und selbst im dritten Band nur für »Feste und Anlässe im Kirchenjahr« gedacht sind, für den Alltag nichtgeprägter Zeiten hingegen bisher keine Modelle enthalten. Hier bleibt das Erscheinen des angekündigten vierten Bandes abzuwarten; vgl. Ringseisen, Gemeinde (2002) 5.
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(B) Organisation
gabe des Stundengebets nicht erfüllen. Sie tradiert treu die Äußerlichkeiten, das Wesentliche aber gibt sie auf.
2. Mitvollzug Oben wurde unter den Motiven zum täglichen Gebet die zentrale Bedeutung der persönlichen Gottesbeziehung herausgearbeitet 64 . Ihrer Pflege dient der tägliche und mehrmals tägliche Kontakt aller Christen mit Gott. Als vernunftbegabtes Geschöpf ehrt der Einzelne seinen Schöpfer nur dadurch angemessen, dass er grundsätzlich seine gesamte Geschöpflichkeit inklusive der Vernunft im Gebet auf Gott ausrichtet. Der verständige Vollzug des Gebetes ist deshalb unverzichtbar. Das klingt unspektakulär, musste aber nach einer langen Zeit abweichender Praxis im Zeitalter der Aufklärung erst neu zur Geltung gebracht werden, wie ein engagiertes Statement aus den Freiburger Blättern von 1792 deutlich macht: »ein Gebet ohne Neigung des Herzens und ohne fromme Empfindungen der Seele ist kein Gebet, sondern eine Verspottung des Allerhöchsten.«65 Bis hin zur jüngsten Reform des Stundenbuches ist der innere Mitvollzug als selbstverständlicher Maßstab für die Ausgestaltung des privaten wie des gemeinsamen Gebetslebens neu zur Geltung zu bringen66. Auch einzulösen ist dieser theologische Anspruch nicht so leicht, wie man meinen könnte – zumindest ist seit dem 3. Jahrhundert das Phänomen zu beobachten, dass die Gläubigen Schwierigkeiten damit hatten, ihren Gebetsauftrag ohne Hilfestellung umzusetzen. Wir hatten im vorigen Kapitel festgestellt, dass die kleinen Horen zunächst nur formal an die in der Bibel erwähnten Uhrzeiten angebunden, später aber mit Motiven aus der Passion verbunden wurden, die man dann auch inhaltlich im Gebet bedachte. Offenbar waren die Menschen dankbar, wenn man ihnen neben praktikablen Zeitmarken auch ein Thema nahelegte, mit dem sie ihr Gebet füllen konnten. Diese Verschiebung wirft die Frage auf, warum es eigentlich notwendig wurde, den Gläubigen solche Hilfestellungen zur Durchführung ihres Gebetes an die Hand zu geben, die sie offenbar in früheren Jahrhunderten nicht nötig hatten.
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S. o. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Gebet und Gottesbegegnung‹ (S. 20–22). Popp, Reformbemühungen (1967) 137. Stock, Wiedereinführung (1956) 91 betonte im Vorfeld der Reform, »daß das Stundengebet nicht wie das eucharistische Opfer ex opere operato wirkt, also durch den bloßen Vollzug eine sakramentale Wirkung zur Heiligung in sich schließt, sondern weit mehr an die persönliche innere Haltung des Betenden gebunden ist.«
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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Vorbild und Muster zur freien Verwendung Dieselbe Verschiebung lässt sich an einem Text beobachten, der für die Praxis täglichen Gebets eine schlechterdings einzigartige Rolle spielte, weil er als das Musterbeispiel christlichen Betens nach dem Zeugnis der Evangelien auf Jesus selbst zurückzuführen ist: das Vaterunser. Die enorme Selbstverständlichkeit der seit der Spätantike eingewöhnten Praxis privater oder später auch gemeinschaftlicher Vaterunser-Rezitation hat dazu geführt, dass die ältesten Belege für die Rezeption des biblischen Textes im privaten Gebet unhinterfragt im Sinne der wörtlichen Rezitation aufgefasst wurden. Nun wurde diese Überzeugung mit guten Argumenten in Frage gestellt. Der jesuanische Begleitbefehl zum Vaterunser: »So betet!« (Mt 6, 9) impliziert nicht zwingend die wörtliche Rezitation des Textes. Ein Verständnis im Sinne von »In dieser Art betet!« oder »In dieser Haltung betet!« ist ebenso denkbar und war tatsächlich bis ins 3. Jahrhundert hinein vorherrschend. Dieselbe Deutung kann auch der Wiederholung des jesuanischen Befehls in der Didache zugrunde liegen67, der gemeinhin im Sinne einer dreimal täglichen Rezitation ausgelegt wird68. Sollte der Autor dies tatsächlich im Sinn gehabt haben, dann wäre dies der einzige Beleg für eine solche Praxis vor Cyprian von Karthago69. Möglicherweise können aber sowohl die sprachlichen Abweichungen vom Matthäus-Text als auch die unter den Bedingungen auswendiger Beherrschung eigentlich unnötige vollständige Wiedergabe des Gebets leichter erklärt werden, wenn nicht die Rezitation des Wortlauts, sondern die Orientierung am Inhalt die Zielvorstellung der Aufforderung bildet70. Ähnlich uneindeutig wie mit der Didache oder auch der Bezugnahme durch Clemens von Alexandrien71 verhält es sich mit Tertullian. Er zählt in der Einleitung seiner Vaterunser-Auslegung zu der durch Christus angeordneten Art zu beten neben dem Geist und dem Gedanken ausdrücklich auch das gesprochene Wort (sermo quo enuntiatur)72. Im Zusammenhang mit der im 10. Kapitel derselben Schrift vorgenommenen Bezeichnung des Vaterunsers als legitima et
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Vgl. Did. 8, 2 (118f Schöllgen). So vermutlich bereits vom Kompilator der Const. Apost. 7, 24, 2 (SC 336, 52, 11 Metzger; dt. BKV1 231 Boxler). Vgl. Bradshaw, Parallels (2003) 31; Buchinger, Identität (2003) 317–320. Eine alternative Interpretation wäre die Annahme, es sollte bewusst eine bestimmte textliche Fassung gegen eine andere durchgesetzt werden; vgl. Schöllgen, Didache (1992) 49. Vgl. Clem. Alex. strom. 7, 49, 6 (GCS Clem. 3, 37 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 55 Stählin): »Bei dem Gebet aber, das er laut spricht, verwendet er nicht viele Worte, da er von dem Herrn auch gelernt hat, worum er beten soll«. Durch die zweifache Anspielung auf Mt 6, 7 und die gleich darauf folgende Unterrichtung durch den Herrn ist die Bezugnahme auf das Vaterunser eindeutig. Mit welchen Worten aber der Gnostiker betet, wird nicht gesagt. Vgl. Tert. orat. 1, 2 (CCL 1, 257, 15f Diercks; dt. BKV2 7, 248 Kellner).
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ordinaria oratio73 galt eine wörtliche Rezitation lange als naheliegend. Auch hier ist aber eine größere Zurückhaltung angebracht; denn dass das vom Beter ausgesprochene Gebetswort das Vaterunser sein müsse, wird nicht ausdrücklich behauptet, und die Fortführung des Gedankens beschreibt nun gerade, wie der Themenkatalog des Vaterunsers im Privatgebet verlassen und um eigene Themen frei ergänzt wird74. Offenbar gilt bei Tertullian: Christen beten »ohne Vorbeter, weil aus dem Herzen«75. Diese vagen Hinweise aus der Frühzeit erscheinen in neuem Licht, wenn man bedenkt, dass noch Origenes, der dem Vaterunser weite Teile seiner Schrift »Über das Gebet« widmet, aus der hohen Autorität des Textes definitiv keine wörtliche, sondern allein die inhaltliche Orientierung des Beters an dem biblischen Vorbild ableitet. Diese Erkenntnis hat Harald Buchinger in den Diskurs eingebracht und durch eine doppelte Beobachtung zwingend plausibel gemacht76: Einerseits setzt Origenes an keiner einzigen Stelle seines VaterunserKommentars die wörtliche Rezitation voraus. Umgekehrt – und das ist entscheidend – gibt er am Ende seiner Schrift eine auf die Praxis ausgerichtete Anleitung zum Gebet, in der das Vaterunser mit keinem Wort erwähnt wird77. Damit harmoniert folgende Äußerung: »Wir wollen also nicht meinen, dass wir gelehrt würden, zu einer bestimmten Gebetszeit Worte zu sprechen; vielmehr soll [...] unser ganzes Leben als Gebet ohne Unterlass sprechen: ›Unser Vater, der in den Himmeln‹«78. Eine wörtliche Rezitation wird dadurch im Grunde ausgeschlossen79. Vom Nach-Denken zum Aufsagen Bei Cyprian von Karthago nun weist der Befund klar in die Gegenrichtung. Er greift die katechetischen Bemühungen Tertullians um das Gebet inhaltlich auf, 73 74
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Tert. orat. 10 (CCL 1, 263 Diercks; dt. BKV2 7, 257 Kellner). Auch die Bezugnahme bei Tert. ieiun. 15, 6 (CCL 2, 1274 Reifferscheid / Wissowa; BKV2 24, 554 Kellner) setzt zwar die häufige, nicht aber die wörtliche Aneignung der Vaterunserbitte um das tägliche Brot voraus. Tert. apol. 30, 4 (CCL 1, 141 Dekkers; BKV2 24, 127 Kellner): sine monitore, quia de pectore oramus. Die Stelle kann auch im Sinne von »wörtlich auswendig gelernt« verstanden werden. Vgl. Buchinger, Identität (2003) 320 Anm. 56. Vgl. Orig. or. 33 (GCS Orig. 2, 401f Koetschau; dt. BKV2 48, 145–147 Koetschau). Orig. or. 22, 5 (GCS Orig. 2, 349, 16–20 Koetschau; dt. Buchinger, Identität [2003] 318 Anm. 49). Vgl. Buchinger, Identität (2003) 318 Anm 49. An der Übersetzung Koetschaus (BKV2 48, 76) zeigt sich die Selbstverständlichkeit, mit der die Rezitation des Textes auch die Vorstellung der Forschung prägte. Durch Einfügung des Wortes »daß wir nur zu irgendeiner bestimmten Gebetszeit Worte zu sprechen gelehrt würden« hat er – bewusst oder unbewusst – den Befund in sein glattes Gegenteil verkehrt. Auch Gessel, Theologie (1975) 246 wiederholt den Verständnisfehler Koetschaus.
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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ergänzt sie aber ausdrücklich um die Technik der Rezitation. Mit ihm ist tatsächlich zum ersten Mal sicher die wörtliche Rezitation belegt, die heute so selbstverständlich ist, dass auch die Wissenschaft diese Praxis lange in die früheren Quellen zurückprojizierte. Cyprian interpretiert die Anweisung Christi klar im dem Sinne, dass auch der Wortlaut des Vaterunsers zur Nachahmung vorgeschrieben ist: »Laßt uns also beten, geliebteste Brüder, wie Gott unser Meister es gelehrt hat! Ein willkommenes und trautes Gebet ist es, wenn man zu Gott in seinen eigenen Worten flehen kann, wenn Christi Gebet zu seinen Ohren emporsteigt. Laßt den Vater seines Sohnes Worte wiedererkennen, wenn wir unser Gebet verrichten!«80 Im Anschluss wirbt er für diese Praxis sogar mit der höheren Wirksamkeit eines wörtlich aufgesagten Vaterunsers gegenüber einer frei formulierten Bitte. Er verleiht der wörtlichen Rezitation dadurch einen hohen theologischen Stellenwert, gibt aber durch seinen werbenden Ton zugleich zu erkennen, dass seine Adressaten diesem Brauch noch nicht allgemein folgen. Cyprian forciert demnach eine neue Technik privater Gebetsorganisation. Die Risiken dieser Technik kennt er genau, und er warnt eindringlich vor ihnen: Nicht nur im gemeinsamen Gottesdienst, sondern auch im privaten Gebet besteht die Gefahr, dass der Wortlaut und die eigenen Gedanken auseinanderfallen. Ein vorformuliertes Gebet kann man gedankenlos aufsagen, statt es sich mental zu eigen zu machen. Cyprian legt größten Wert darauf, dass die Gläubigen dies vermeiden und beschwört sie geradezu, ihre ganze innere Aufmerksamkeit auf den Text zu legen, den er ihnen zu beten anempfohlen hat: Beim Gebet »müssen wir wachsam und mit ganzem Herzen auf das Gebet bedacht sein [...] und der Geist denke an nichts als allein an das, was er betet!« Dass dies so oft nicht gelingen will, sei ein Werk des Teufels, denn dieser »schleicht sich gar häufig heran und drängt sich bei uns ein und lenkt durch schlauen Trug unser Gebet von Gott ab, so daß wir etwas anderes im Herzen haben als auf der Zunge. Und doch ist es nicht der Klang der Stimme, sondern Herz und Sinn, die den Herrn in lauterer Andacht anflehen sollen«. Man dürfe deshalb an nichts anderes denken, »als an das, was man mit Gott spricht. Wie kannst du verlangen, daß Gott auf dich hört, wenn du selbst nicht auf dich hörst?«81 Die Eindringlichkeit seiner Warnung lässt erahnen, wie ernst Cyprian
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Cypr. domin. orat. 3 (CSEL 3, 1, 268, 8–11 Hartel; dt. BKV2 34, 168 Baer). Vgl. auch die in dieselbe Richtung weisenden Formulierungen zu Beginn der Kapitel bei Cypr. domin. orat. 12. 18 (CSEL 3, 1, 274, 22; 280, 3 Hartel; dt. BKV2 34, 175. 180 Baer). Etwa zur gleichen Zeit deutet auch die syr. Didask. 7 (CSCO 401 / Syr. 175, 86, 5–7 Vööbus; dt. 34 Achelis / Flemming) den Auftrag des Herrn dahingehend, den Text des Vaterunsers zu sprechen – allerdings viel weniger explizit als Cyprian. Cypr. domin. orat. 31 (CSEL 3, 1, 289f Hartel; dt. BKV2 34, 191 Baer). Auch nach syr. Didask. 15 (CSCO 407 / Syr. 179, 162, 16f Vööbus; dt. 79 Achelis / Flemming) wird das
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diese Gefahr genommen hat. Er muss gute Gründe gehabt haben, sie dennoch in Kauf zu nehmen. An zwei Stellen der Schrift scheinen tatsächlich Motive auf, warum er der wörtlichen Reproduktion eines vorgegebenen Textes den Vorzug vor der freien Rede gibt; sie liegen auf dem Feld der Didaktik: Der Betende kann aus dem gelernten und aufgesagten Wortlaut ableiten, »wie er sein soll« und welches Verhalten der darin ausgedrückten Gesinnung gebührt82. Für dieses Lernziel ist das Vaterunser deshalb so geeignet, weil es aufgrund seiner Schlichtheit und Kürze für Menschen jeden Alters und Bildungsgrades leicht verstehbar und schnell erlernbar ist83. Das persönliche Gebet, das ursprünglich eine Frucht der Aneignung des Christentums war, übernimmt hier auch die Funktion der Vermittlung von Glaubensinhalten. Dieser Vorgang ist im größeren Zusammenhang mit dem Anheben katechetischer Bemühungen im 3. Jahrhundert und ihrer Blüte im 4. Jahrhundert zu sehen. Denn nicht erst nach Konstantin, sondern bereits zur Zeit Cyprians war der Glaube für viele Christen schon nicht mehr jene eine, die gesamte Existenz bestimmende Facette ihrer Persönlichkeit. Die in der decischen Verfolgung zutage tretende Lauheit vieler Christen84 ist der Eindruck, unter dem Cyprian unmittelbar steht, als er seine Schrift über das Beten verfasst85. Offenbar sieht er sich mit dem Problem konfrontiert, dass vielen Gliedern seiner Gemeinde die Worte fehlen, um das Gespräch mit Gott eigenständig zu führen. Das Bedürfnis, beim Gebet nicht nur thematisch, sondern auch sprachlich ganz konkreten Vorgaben folgen zu können, bedient er durch die Vorgabe eines Aufsage-Textes und wählt dafür jenes Gebet, das aufgrund seines jesuanischen Ursprungs katechetisch bereits vorher zur Erläuterung und Schulung des Betens genutzt worden war. Die Macht der Gewöhnung Die hier eingeschlagene Richtung sollte in der Geschichte christlichen Betens nicht wieder verlassen werden. Über thematische Anregungen hinaus gehören fortan auch vorformulierte Gebete fest zur Gebetsorganisation des Einzelnen. Und nicht wenige katechetische Bemühungen werden für die Etablierung eines Repertoires an auswendig ›gekonnten‹ Texten aufgewandt, die zuweilen der privaten und der gottesdienstlichen Rezitation gleichermaßen dienen können. Als
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Gebet der »lügnerischen Witwe« nicht erhört, weil sie mit ihren Gedanken nicht bei der Sache ist und »nicht aus ganzem Herzen das Gebet vor Gott bringt«. Vgl. Cypr. domin. orat. 20 (CSEL 3, 1, 282, 15f Hartel; dt. BKV2 34, 183 Baer). Vgl. Cypr. domin. orat. 28 (CSEL 3, 1, 287 Hartel; dt. BKV2 34, 189 Baer). Vgl. Dassmann, Kirchengeschichte I (1991) 108: »Das Ausmaß des Abfalls [...] war der eigentliche Schock der decischen Verfolgung«. Zur Chronologie vgl. Hoffmann, Cyprian (2002) 169 und 171 Abschnitt 5.
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Beispiel sei hier nur auf Cäsarius von Arles verwiesen, der außer dem Vaterunser und dem Glaubensbekenntnis auch einige Antiphonen und die Psalmen 51 (50) und 91 (90) häufig aufzusagen empfiehlt86. Ganz offensichtlich ist diese Auswahl auch durch die liturgische Verwendung der Stücke motiviert. In der Reformation vollzog sich die gesamte Entwicklung strukturell noch einmal: Luther selbst war der Meinung, das Gebet müsse ohne vorgeschriebene Worte frei aus dem Herzen kommen87 und hatte sich deshalb zunächst gesträubt, fertige Gebete in sein Betbüchlein aufzunehmen. Statt des damals oft als ›Werkerei‹ vollzogenen stupiden Aufsagens wollte er »das ›einfältige‹, vom Wort der Bibel genährte Beten anregen«, um die Christen gebetsmündig zu machen88. Dieser hehre Wunsch ließ sich nicht durchhalten. Die bald doch publizierten Sammlungen ausformulierter Gebete verbreiteten sich in hohen Auflagen89 und öffneten sich sogar für die leichter erlernbare Stilform der gebundenen Sprache und des Reimes. Selbst der Pietismus, für den das innerliche Gebet eine zentrale Bedeutung hatte, sollte ohne das Nachbeten aus Büchern auf Dauer nicht auskommen90. Es ist sicher zu kurz gegriffen, in dieser einhelligen Entwicklung nur eine von oben verordnete didaktische Verzweckung des Gebets zu sehen. Die Texte wurden schließlich nachgefragt und erfreuten sich großer Beliebtheit unter den Gläubigen. Eher ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass der »um eigene Worte verlegene«91 Mensch seine religiöse Sprachfähigkeit ähnlich wie beim Erlernen der menschlichen Sprache insgesamt durch Nachsprechen der Worte anderer entwickelt92. Ohne das Hineinwachsen in eine Sprachkonvention ist auch das freie Gespräch mit Gott schwerer. Mag auch das gemeinschaftliche (abwechselnde) freie Beten der Eltern mit ihren Kindern auf der Bettkante die natürlichste Form sein, in eine eigene Gebetssprache hineinzuwachsen, so hat es doch in den Reihen der Kirche immer auch Menschen gegeben, denen eine derartige Übung fehlte. Das Mit- und Nachsprechen vorformulierter Gebete ist für diese ein adäquater Weg – vielleicht der einzige –, 86 87 88 89
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Vgl. Caes. Arelat. serm. 6, 3 (CCL 103, 32 Morin; dt. 164 Berg). Vgl. Martin Luther, Fastenpostille (WA 17, 2, 49). Vgl. Schulz, Gebetbücher (1984) 109. 111. Zu den Andachts- und Erbauungsbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. Ratzmann, Alltag (1999) 51–56. Vgl. Schulz, Gebetbücher (1984) 109–112. 116. Jüngel, Anfechtung (1976) 19: »Der Glaube bietet dem Ich deshalb Sprachhilfen an, die ihm über soziale Sprachbarrieren und psychische Sprachhemmungen hinweg zu sich selbst finden helfen: zum Beispiel Psalmen, in die das um eigene Worte verlegene Ich einstimmen kann, um in der Geborgenheit schon formulierter Sprache dann die Freiheit zum eigenen Wort zu erlangen. Nur indem wir uns in der schon gesprochenen Sprache des Glaubens und seiner Überlieferungen unterbringen, lernen wir eine eigene Sprache zu sprechen«. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 291.
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um selbst frei beten zu lernen. Mit gutem Grund haben sich Handreichungen zum privaten Gebet oft an Sprache und Struktur des gottesdienstlichen Gebetes orientiert93. Denn wie die Gefahr des gedankenlosen ›Plapperns‹ privat und gottesdienstlich gleichermaßen besteht, so kann man die Probleme beider Formen auch nur im gleichen Zug lösen. Je näher die beiden Gattungen einander sind, desto leichter fallen sowohl der innere Mitvollzug des gottesdienstlichen Gebetes als auch die Fortbildung der eigenen Gebetssprache durch Anregungen der Liturgie94. Die Frage lautet somit gar nicht, ob das Aufsagen von Gebeten als solches legitim sei, sondern nur, ob es sich als geistlose Übung verselbständigt, oder aber der religiösen Sprachbefähigung der Menschen dient. In einem anderen Punkt hat George Guiver mit Recht Argumente gegen einen disziplinarischen Ansatz, wie Cyprian ihn vertrat, geltend gemacht: Der Sinn ritualisierten und häufig wiederholten Aufsagens zentraler Gebetstexte erschöpft sich nicht im kognitiven Mitvollzug des Inhalts bei jeder einzelnen Rezitation. Vielmehr ist es gerade die Chance solcher Rituale, dass sie auch ohne volle Geistesgegenwart vollzogen werden können und deshalb nicht vollständig von der Tagesform abhängig sind95. Sie sind deshalb in der Lage, das Gebetsleben auch über Phasen hinweg zu stabilisieren, in denen man zum bewussten und versunkenen Gebet nicht in der Lage ist: »Solange unser Gebet zu manchen Zeiten ›innerlich‹ ist, solange sind die übrigen Zeiten, wenn es eher ›äußerlich‹ zu sein scheint, vollkommen berechtigte Teilstücke unserer langen Pilgerschaft.«96 Man muss zwar wissen, was man tut, man muss aber nicht jedes einzelne Mal hundertprozentig bei der Sache sein97. Das Gebet des Einzelnen in der Versammlung Der Anspruch des verständigen Gebets gilt seit der Antike für den gemeinsamen Gottesdienst ebenso wie für den privaten Vollzug. Auch in der Liturgie ist die »Frucht für die Seele« gefährdet, wenn die Aufmerksamkeit des Geistes vom
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Für die Reformation vgl. Schulz, Gebetbücher (1984) 111f; für die anglikanische Kirche vgl. Guiver, Stundengebet (1989) 116. Die anglikanischen Kirchen haben in ihre erneuerten Gottesdienstbücher in beachtlichem Umfang Tagzeiten-Ordnungen für den häuslichen Gebrauch aufgenommen; vgl. Holeton, Tagzeitengottesdienste (1990/91) passim. Vgl. Guiver, Company (2001) 26. Er vergleicht Gebetsformeln mit Grußformeln wie »Guten Morgen!« oder »Wie geht’s?«, die ebenfalls oft gedankenlos dahingesagt werden, deren kommunikativer Wert sich gleichwohl nicht auf die bewusste Wahrnehmung ihres sprachlichen Gehalts beschränkt. Guiver, Company (2001) 36 (eigene Übersetzung). Ähnlich Goltzen, Gottesdienst (1956) 294: »Die beständige Wiederholung zieht ihre Spuren in der Seele.« Vgl. o. S. 21 Anm. 45 und 46.
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Erlebnis der göttlichen Betrachtung abgezogen wird98. Mit den Worten Joseph Andreas Jungmanns: »Sinnvoll freilich geschieht Liturgie nur dort, wo das Äußere mit dem Inneren verbunden ist, so daß Gott ›im Geist und in der Wahrheit‹ angebetet wird.«99 Wiederum wird das rein disziplinarische Verständnis dieses Anspruchs heute auf das breitere und vielschichtigere Phänomen des »religiösen Erlebens« ausgeweitet. So arbeitet Friedrich Lurz in seiner Studie über »Erlebte Liturgie« anhand autobiographischer Quellen die Differenz heraus, die zwischen dem ›objektiven‹ liturgischen Geschehen und der Schaffung einer eigenen gottesdienstlichen Wirklichkeit durch den einzelnen Teilnehmer besteht. Er kommt zu dem Ergebnis: »Damit eine Rezeption möglich ist, darf die gottesdienstliche Wirklichkeit nicht bloß sakramententheologisch behauptet werden, sondern der Gottesdienst muss eine solche sprachliche wie symbolisch-rituelle Gestalt besitzen, dass die in ihr vermittelte Heilswirklichkeit wahrgenommen und als je eigene Lebenswirklichkeit angenommen werden kann.«100 Damit kommt in seiner ganzen Bedeutung auch liturgisch zur Geltung, was oben anhand des privaten Gebets als Maßstab erkannt wurde. Und es ist wohl kaum damit getan, den Gläubigen ihren inneren Mitvollzug autoritär vorzuschreiben, er muss ihnen ermöglicht werden: »Die Befindlichkeit der konkreten Menschen ist nicht bloß dispositiv, sondern konsitutiv.«101 Josef Stadlhuber zeigt anhand der mittelalterlichen Horenbücher, wie damals aus einer gewandelten Frömmigkeit heraus neue Inhalte ganz äußerlich an die überlieferte Form des Stundengebets angeheftet wurden, ohne dass es noch einen inneren Zusammenhang mit ihrer Textgestalt gab: Unter franziskanischem Einfluss meditiert der Gläubige den Schmerzensmann, während die Liturgie »auf einen ganz anderen Ton gestimmt ist«102. Gemessen an dem theologischen Movens der Tagzeiten für den Einzelnen müsste demgegenüber die Liturgie selbst mit dem Verstand und der Seele
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Vgl. Nicet. Remesian. psalm. 13 (239 Turner; dt. 17 Dohmes), der unter Berufung auf Ps 47, 8 (psallite sapienter) fordert, die Psalmen nicht nur mit dem Geist, das heiße mit dem Klang der Stimme, sondern auch mit dem Verstand zu vollziehen. Vgl. Caes. Arelat. serm. 152, 2 (CCL 104, 623 Morin; dt. 144 Berg): Si enim aut dum psallimus, aut dum orationi insistimus, saeculares cogitationes intentionem animi nostri a sensu divinae contemplationis averterint, faciunt nos captivis sensibus sine ullo animae fructu huc illucque discurrere; auch in den Klöstern hält Caes. Arelat. reg. virg. 22, 1 (SC 345, 196 de Vogüé) es für notwendig, auf diesen Zusammenhang hinzuweisen. Jungmann, Gottesdienst (1957) 5; vgl. Kohlschein, Gebetsauftrag (1989) 528; vgl. auch Rahner, Thesen (1962) 486. Lurz, Erlebte Liturgie (2003) 326. Gerhards, Menschwerden (2000) 30. Stadlhuber, Laienstundengebet (1950) 288–190. Während die Kleriker und Ordensleute diese neuen Schwerpunkte zusätzlich zum überlieferten Offizium setzen, werden sie für die Frömmigkeit der Laien einzig bestimmend.
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ihrer Teilnehmer Verbindung aufnehmen, weil deren religiöse Wirklichkeit für die Kirche keine Randerscheinung, sondern das zentrale Terrain ihres Heilswirkens ist. Die Sprache des Volkes Bereits Paulus bemisst den eigentlichen Wert sprachlicher Vollzüge im Gottesdienst daran, welchen geistlichen Nutzen die Anwesenden davon haben: »Ich will nicht nur im Geist beten, sondern auch mit dem Verstand. Ich will nicht nur im Geist Gott preisen, sondern auch mit dem Verstand. Wenn du nur im Geist den Lobpreis sprichst und ein Unkundiger anwesend ist, so kann er zu deinem Dankgebet das Amen nicht sagen; denn er versteht nicht, was du sagst. Dein Dankgebet mag noch so gut sein, der andere hat keinen Nutzen davon. Ich danke Gott, dass ich mehr als ihr alle in Zungen rede. Doch vor der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit Verstand reden, um auch andere zu unterweisen, als zehntausend Worte in Zungen stammeln.«103 Auch nachdem die für die Frühzeit prägende Erfahrung unverständlicher, geistgewirkter Äußerungen im Gottesdienst nachgelassen hatte, hat die Kirche der Väterzeit diesen Anspruch anerkannt und einige Mühen darauf verwandt, ihn auch in der Tagzeitenliturgie umzusetzen. Dafür müssen zunächst einmal technische Voraussetzungen erfüllt sein. Egeria berichtet davon, dass in der Grabeskirche die griechischen Äußerungen des Bischofs in der Liturgie für die syrischsprachige Bevölkerung immer von einem Presbyter ins Syrische übersetzt wurden, »damit alle verstehen, was er erklärt«104. Sogar für die lateinischsprachigen Gäste stehen Übersetzer bereit, damit auch sie »nicht traurig werden«. Hier ist die fundamentale und selbstverständliche Voraussetzung dafür angesprochen, dass die objektiv vollzogene Liturgie sich nicht gänzlich von den Wahrnehmungen der Teilnehmer entfernt: Sie müssen verstehen können, was geschieht und gesagt wird. Diese von der Reformation wiederentdeckte schlichte Einsicht liegt auch der Erfolgsstory der anglikanischen Tagzeiten zugrunde: »The Service in this Church of England these many years hath been read in Latin to the people, which they understand not; so that they have heard with their ears only, and their heart, spirit, and mind, have not been edified thereby.«105 Vier Jahrhunderte später wurde dieses Argument dann auch in der katholischen Kirche neu diskutiert106 und schließlich sogar befolgt. 103 104 105
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1 Kor 14, 15–19. Eger. itin. 47, 3 (302f Röwekamp). Book of Common Prayer (1662) vii. Einen guten Einblick in die Bemühungen um eine muttersprachliche Feier des Stundengebets in den Gemeinden bietet Stock, Wiedereinführung (1956) 91–98.
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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Cäsarius von Arles wendet dasselbe Denkschema auch auf das sprachliche Niveau seiner Predigten an. Er wählt bewusst eine »einfache und, ich möchte fast sagen, niedrige Sprache (pedester sermo)« und entschuldigt sich bei den Gebildeten dafür mit dem Hinweis, sie könnten ja herunter, aber die Ungebildeten nicht hinauf; die geistliche Nahrung solle aber von allen angenommen werden107. Die Sprache der einfachen Leute – wörtlich: des Fußvolkes, der Fußgänger – zu treffen, ist nach wie vor eine schwierige Aufgabe108, besonders in city-pastoralen Kontexten, wo sich das Kirchenportal tatsächlich niederschwellig in die Fußgängerzone öffnet. Frieder Schulz argumentiert analog für eine Modernisierung der Gebetssprache im evangelischen Gottesdienst: »Inzwischen ist auch das Deutsch der Reformationszeit zur fremden Sprache geworden. Die sprachliche Qualität der klassischen Kollekten ist kein Argument, wenn sie nicht mehr verstanden werden.«109 Damit ist nicht der Umgangssprache im Gottesdienst das Wort geredet. Denn so wie auch jeder ›einfache Mann‹ um eine gehobene Sprache bemüht ist, wenn er z. B. die Brautrede seiner Tochter halten soll, so wird eine Unterscheidung der Sprachspiele zwischen Straße und Kirchenraum110 auch von jenen Menschen gewünscht und erwartet, die gerade von der Straße in den Gottesdienst kommen. Ihnen soll in ihren jeweiligen Kontexten, geprägt von »ganz bestimmten Formen des Todes und dementsprechend unterschiedlichen Vorstellungen gelingenden Lebens«, das, was sie in der Kirche hören, zum »Wort des Lebens« werden können111. Noch auf einer dritten Ebene ist es nötig, die Sprache des Volkes zu sprechen: auf der Ebene der Symbol- und Körpersprache – und dies gilt ungeachtet der Uneindeutigkeit der Liturgie, die als Geschehen im symbolischen, intermediären Raum logisch-diskursiv nicht vollständig zu erfassen ist112; denn die Befähigung zur Mitfeier der Liturgie setzt dennoch »eine ausreichende Kenntnis
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Vgl. Caes. Arelat. serm. 86, 1 (CCL 103, 353 Morin; dt. 177 Berg): dummodo totus grex domini simplici et, ut ita dixerim, pedestri sermone pabulum spiritale possit accipere. Gerhards, Gebetssprache (1994) 132. 141 sieht die Konfessionen hier vor dem gemeinsamen Problem, eine »zeitgerechte und trotzdem sachgerechte Liturgiesprache« zu finden. Der dadurch erreichbaren gegenseitigen Angleichung der liturgischen Sprache steht allerdings seit geraumer Zeit eine »Rückbesinnung auf das Proprium der je eigenen Tradition« gegenüber; vgl. Gerhards, Koinonia (1996) 112. Schulz, Kollektengebet (1970) 172. Vgl. Pahl, Sprechen (1999) 116; Berger, Wort (2000) 66: »Auch wenn in den letzten Jahrzehnten gerade unter missionarischen Aspekten betont wurde, daß die gottesdienstliche Sprache den heutigen Menschen verständlich und zugänglich sein muß, so sollte die Sprache der Liturgie sich doch absetzen von der Welt-Sprache.« Berger, Wort (2000) 68. Zu Merkmalen und Legitimation liturgischer Sprache vgl. Berger, Sprache (1995) 765–769. Vgl. Odenthal, Ritual (2000) 211f.
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des jüdisch-christlichen Symbolsystems voraus«113. Die rituellen Handlungen der Liturgie dem Kirchenvolk in ihrer Bedeutung verständlich zu machen, damit sie die gewünschten Inhalte transportieren und Assoziationen auslösen können, kostet im Zuge einer verstärkten Ritualisierung auch erhöhte Anstrengungen zur Vermittlung114. Mystagogie ist gewissermaßen die Schwester der Ritualisierung, und die Gefahren des sinnentleerten Ableistens von Ritualen ist vor allem dort gegeben, wo die katechetische Begleitung nicht mehr mit der Entfaltung der rituellen Formensprache Schritt gehalten hat. Um die entstandene Distanz zu überwinden, hat beispielsweise die anglikanische Kirche in Kanada jede Gottesdienstordnung mit einer historischen und pastoralen Erklärung versehen, die die Tradition und die Bedeutung der Abläufe für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verständlich macht115. Peitsche und Zuckerbrot Sind die äußeren Voraussetzungen erfüllt, so können weitere Maßnahmen ergriffen werden, die schon in der Antike bald werbenden, bald disziplinarischen Charakter trugen. Bereits die Didaskalie richtet sich im 3. Jahrhundert wiederholt und vehement gegen Leute, die im Gottesdienst schwätzen, besonders weil durch sie auch die anderen Anwesenden gestört werden116. Später sollte der eigene liturgische Dienst des ›Predigtstupfers‹ eingerichtet werden, um Menschen, die der Schlaf übermannt hatte, und die womöglich die Aufmerksamkeit der anderen durch ihr Schnarchen beeinträchtigten, wieder in die gottesdienstliche Wirklichkeit zurückzuholen117. Dass übrigens der Kirchenschlaf in der allerjüngsten Vergangenheit tatsächlich ausgestorben ist, beruht nach Yorick Spiegel keineswegs auf dem Erfolg disziplinarischer Maßnahmen, sondern im Gegenteil auf der Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsschichten: »Das Verschwinden des Kirchenschlafes ist zu einem großen Teil auf eine Selektion von Besuchern zurückzuführen, die trainiert genug sind, auch eine längere Predigt ohne für andere bemerkbare Absencen durchzustehen, während die, denen dies nicht möglich ist, fernbleiben, weil sie der entsprechend gesteigerten sozialen Mißbilligung des Schlafes sich nicht aussetzen wollen«118. 113 114 115
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Odenthal, Ritual (2000) 205. Vgl. Brakmann / Pasquato, Katechese (2004) 441f et passim. Vgl. Holeton, Tagzeitengottesdienste (1990/91) 229. Reichart, Gebet (1979) 143 bezeichnet die mangelnde Kenntnis des Stundengebets und seiner Bedeutung als »echte Schwierigkeit« bei der Einführung von Gemeindevespern; Dahlgrün, Stundengebet II (2001) 278 mahnt: »Zu entwickeln sind in jedem Fall katechumenale Formen, die in Gestalt und Inhalt einführen und einüben.« Vgl. z. B. syr. Didask. 15 (CSCO 407 / Syr. 179, 160f Vööbus; dt. 77f Achelis / Flemming). Vgl. Test. Dom. 1, 34 (80f Rahmani). Spiegel, Interaktion (1971) 112.
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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Wie prägend das Problem der Unaufmerksamkeit und Unruhe selbst in den Klöstern gewesen sein muss, wird deutlich, wenn Johannes Cassian seinen Mönchen von der ehernen Disziplin und Konzentration ihrer ägyptischen Vorbilder vorschwärmt. Tiefes Schweigen präge dort den Psalmenvortrag, und besonders während der Oration gelte: »Keiner spuckt aus, keiner räuspert sich, keiner hustet, keiner gähnt aus Schläfrigkeit, läßt das Kinn hängen oder sperrt den Mund auf. Niemand seufzt und stöhnt, was den Nachbarn stören könnte«119. In dieser Beschreibung dürfte die Zweischichtigkeit der Quelle zum Tragen kommen; sie gibt deshalb vermutlich weniger verlässliche Auskunft über das Höchstmaß an Disziplin in Ägypten als vielmehr über den Mangel an ihr in Cassians Heimat. Begründet wird das Ideal jedenfalls einmal mehr mit der Rücksichtnahme auf die anderen: Die Möglichkeit zur Verbindung des inneren Gebets des Einzelnen mit der Liturgie hat oberste Priorität. Die Einschärfung eines angemessenen Benehmens wird fortan in monastischen120 und gemeidekirchlichen121 Rechtstexten ständig wiederholt und zählt vermutlich zu den erfolglosesten Vorschriften der Kirchengeschichte; denn durch disziplinarische Maßnahmen allein kann die geforderte innere Beteiligung nicht erreicht werden. Cassian bemüht sich deshalb explizit, auch der Liturgie selbst eine dafür geeignete Gestalt zu geben, etwa wenn er die langen Nachthoren durch höhere Abwechslung und geringere körperliche Anstrengung attraktiver macht122. Der sicherste Weg aber, um die innerliche Beteiligung zu gewährleisten, ist äußerliche Beteiligung123. Der participatio actuosa wurde durch das II. Vatikanische Konzil ein hoher theologischer Wert zuerkannt, während ihre liturgiepragmatische Effizienz wenig reflektiert wurde. Die antiken Liturgieorganisatoren argumentieren in dieser Frage nüchterner: Die Laien sollen deshalb genau wie die Kleriker die Hymnen und Psalmen mitsingen, »damit sie in der Kirche keinen Raum haben, von Geschwätz überwältigt zu werden«124. Participatio actuosa bringt nicht nur die Würde des Gottesvolkes zum Ausdruck,
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Joh. Cassian. inst. 2, 10, 1 (SC 109, 74 Guy; dt. 138 Frank). Nach Nicet. Remesian. vigil. 9 (312 Turner; engl. 63f Walsh) macht man sich durch Rülpsen der Gnade des Geistes unwürdig. Vgl. z. B. Reg. Ben. 19 (SC 182, 534–536 de Vogüé / Neufville; dt. 135–137 Lambert). Vgl. z. B. Nicet. Remes. 13 (240f Turner; dt. 18 Dohmes). Für Ägypten vgl. z. B. Budde, Basilios-Anaphora (2004) 263 mit Anm. 164f. Vgl. Joh. Cassian. inst. 3, 8, 4 (SC 109, 112 Guy; dt. 156 Frank). Ähnlich erwähnt Nicet. Remesian. psalm. 12 (239 Turner; dt. 16f Dohmes) das reichhaltig aufgetischte Programm (sicut boni conuiuae ferculorum uarietate delectantur) im Kontext der Ermahnung zur Aufmerksamkeit. Auch Isid. reg. monach. 6, 4 (BAC 321, 102, 199–201 Campos Ruiz; dt. 376 Frank) möchte später durch Abwechslung die Aufmerksamkeit steigern. Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 114 zu Ambrosius. Vgl. Vit. Caes. 1, 19 (463f Krusch; dt. 146 Berg).
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(B) Organisation
sie dient auch der Verinnerlichung; denn Selbersingen erfordert einen ganz anderen Grad an auch geistiger Präsenz als das bloße Zuhören. Die Bemühungen, die Gottesdienstbesucher innerlich zu erreichen, erstreckten sich auch auf das Gebiet der Emotionen. Das früheste Besipiel für die bewusste, Emotionen ansprechende Inszenierung der Tagzeitenliturgie ist die Jerusalemer Sonntagsvigil, wie Egeria sie beschreibt: Es wird Weihrauch dargebracht, der an die wohlriechenden Salben der Frauen am Grab erinnert, um die Verlesung des Passions- und Auferstehungsevangeliums zu dramatisieren. Die Wirkung, die deren Verlesung bei den Gläubigen auslöste, beeindruckt noch den heutigen Leser ebenso wie die Autorin des Berichts: »Wenn er [der Bischof] begonnen hat zu lesen, brechen alle in ein solches Jammern und Klagen und in solche Tränen aus, daß selbst der Härteste zu Tränen darüber gerührt werden kann, daß der Herr so Großes für uns auf sich genommen hat.«125 Die regelrechte Herstellung von Emotionen in der Liturgie mit gestalterischen Mitteln steht in einem größeren Zusammenhang: Im Zuge der gewachsenen Öffentlichkeit der Liturgie werden nach der Konstantinischen Wende auch in der Eucharistie und im Jahreskreis die Bemühungen verstärkt, die Gläubigen auf der emotionalen Ebene anzusprechen. Die Dramatisierung der großen Feste ist ebenso zu diesem Vorgang zu zählen wie das Aufkommen der Kategorie der ›Furcht‹ in der Eucharistie126. In den Tagzeiten hält sich der Aufwand außerhalb besonderer Anlässe in Grenzen und erstreckt sich besonders auf das Feld der Musik. Ob von Kantoren vorgetragen oder selbst gesungen: Die Musik erleichtert die innere Anteilnahme ungemein und wird auch explizit zu diesem Zweck kirchenrechtlich vorgeschrieben127. Ausblick: die Priorität des Privaten Die devotio moderna brachte den Mangel an innerer Ergriffenheit im Offizium zu Bewusstsein und reagierte darauf mit einer vom sachlichen Gehalt der jeweiligen Horen unabhängigen Integration der Betrachtungsfrömmigkeit in das Stundengebet128. Durch solche Maßnahmen sollte eine Dimension des Gebetes wiedergewonnen werden, die bereits vor aller liturgischen Umsetzung als die entscheidende galt. Geht sie verloren, fallen Liturgie und Spiritualität auseinan-
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Eger. itin. 24, 10 (232f Röwekamp). Vgl. Quasten, Mysterium (1951); Fittkau, Mysterium (1953); Kretschmar, Geschichte (1956). Vgl. Conc. Vas. (529) c. 3 (CCL 148 A, 79 de Clercq). Vgl. Hilpisch, Chorgebet (1938) bes. 274–284; vgl. Jungmann, Gottesdienst (1957) 181.
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I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens
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der129. Bereits die monastische Tradition der Antike hatte aber – bei aller Freude an der Entwicklung konkreter Gebetsordnungen – auch die Bedeutung des persönlichen Gebets im Bewusstsein behalten: Benedikt sorgt sich um Freiraum zum Stillgebet im Umfeld des Offiziums130. Johannes Cassian plädiert für kurze Gebete, um die Konzentrationsfähigkeit nicht zu überfordern131, und obwohl er sich für strikte Ruhe und Disziplin stark macht, erlaubt er doch zugleich den spontanen Gefühlsausbruch im Gebet, der »von nicht zu bewältigender und nicht mehr zu mäßigender Geistesglut getragen – ganz unversehens aus dem Herzen aufsteigt, einfach weil das Feuer des Geistes sich nicht mehr zurückhalten läßt«132. Die Innerlichkeit bleibt also in beiden Richtungen der Maßstab: sowohl für die Beschränkung als auch für die Erlaubnis ungezügelten Gebets. Diese Priorität macht auch heute organisatorische Bemühungen notwendig. • Unbedingt muss auch der Tagzeitengottesdienst Freiräume und Ruhezonen bieten, die die einzelnen Teilnehmer selbst füllen können: um nachzudenken, um ruhig zu werden oder um zu beten. Stille kann im Duktus des Gottesdienstes unterschiedliche Funktionen erfüllen133, ohne dass es schlimm wäre, wenn der Einzelne sie zu jeweils abweichenden Zwecken nutzt. Entscheidend ist, dass er bei Bedarf die Möglichkeit hat, das private Gebet aufzunehmen. Die oft zu wenig gepflegten Zeiten der Stille verdienen daher erhöhte Aufmerksamkeit. Das beginnt bereits mit der Auswahl des Raumes: Eine gewisse Abgeschiedenheit erhöht zwar unter Zufallsbesuchern die Hemmschwelle zur Teilnahme, gibt aber den Anwesenden den Schutz vor unbeteiligten Zuschauern, den sie brauchen, um zu sich selbst zu kommen. Vor dem Gottesdienst sollte Stille herrschen, die durch Organisation und Vorbereitung nicht zu sehr gestört wird. In diesen Minuten beginnen viele bereits, aus einem gewissen Abstand zu ihrem Alltag ihre Gedanken neu zu ordnen und – explizit oder implizit – vor Gott zu tragen. Geschäftiges Treiben der Liturginnen und Liturgen stört diese Phase. Mindestens an einer Stelle im Gottesdienst, traditionell und sinnvoll nach der Lesung, muss eine längere Stille herrschen, deren Umfang und Inszenierung davor bewahren, nur darauf zu warten, dass es weitergeht. Für die Ausbildung einer eigenen Gebetssprache anhand der gottesdienstlichen ist es zudem hilfreich, im Rahmen des Bittgebets einen Wechsel von laut vorgetragenen Bitten und Zeit zur persönlichen Anknüpfung an die Anliegen einzurichten.
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Vgl. Bradshaw, Two ways (1995) 29–41 mit dem Hinweis ebd. 36f auf die Trennung der beiden Größen durch die Jesuiten, die das Offizium »kurz und schmerzlos« hinter sich brachten, um sich mit der gebührenden Ruhe der Meditation und Betrachtung widmen zu können. Vgl. Reg. Ben. 52 (SC 182, 610 de Vogüé / Neufville; dt. 193 Lambert) mit Kommentar bei Puzicha, Benediktusregel (2002) 438–441. Vgl. Joh. Cassian. inst. 2, 10, 2f (SC 109, 76 Guy; dt. 138f Frank). Joh. Cassian. inst. 2, 10, 1 (SC 109, 74 Guy; dt. 138 Frank). Vgl. Ehrensperger, Stille (1996) 151f.
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(B) Organisation
• Die zweite große Aufgabe für die Liturgie mit Blick auf das innere Gebetsleben des Einzelnen ist die Mystagogie. Nicht nur in den Stillzeiten, sondern auch im offiziellen liturgischen Geschehen sollen die Teilnehmer mit Gott in Dialog treten können. Dafür ist eine wenigstens grundlegende Kenntnis der hinter den liturgischen Formen und Texten stehenden Inhalte unerlässlich. Die Überlegungen sollten daher dahin gehen, einfache und transparente Vollzüge vorzusehen, die für viele vielleicht schon aus sich selbst heraus verständlich und unmittelbar zugänglich134 sind. Immer wenn hingegen komplexeren Vorgängen der begründete Vorzug zu geben ist, muss es ein Angebot an Erläuterung, an Kurzkatechese, an Mystagogie geben. Diese Aufgabe ist deshalb so heikel, weil eine Überfrachtung des Gottesdienstes mit Erklärungen negative Auswirkungen haben kann: sowohl auf jene, die die Erklärungen bräuchten, als besonders auch auf jene, die bereits innig mit der Sinngestalt des Gottesdienstes vertraut sind. Die Rolle des Liturgie-Kommentators, der nach der Liturgiereform vielerorts die Gemeinden mit den neuen Abläufen vertraut machte, verbietet sich deshalb für die tägliche Übung. Besonders in Bezug auf Gottesdienste, deren Teilnehmerschaft so anonym und bunt gemischt ist, dass eine außergottesdienstliche Katechese nicht praktikabel ist, müssen neue Lösungen gefunden werden, die in jedem einzelnen Gottesdienst alle konkreten Teilnehmer erreichen können, ohne irgendjemanden zur Nutzung dieses Angebots zu zwingen.
II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft
Im Verlauf des 4. Jahrhunderts verlagert sich das vormals privat vollzogene Stundengebet teilweise in die Gemeinschaft. Das heißt umgekehrt: Der Gemeindegottesdienst dringt in den Alltag vor135. Balthasar Fischer führte diese Entwicklung auf den Einfluss des Mönchtums zurück136. Allerdings ist zu bedenken, dass auch die Mönche nur gemeinsam beteten, weil und soweit es ihnen in pragmatischer Sicht leicht möglich war137. Vielleicht ist es eher so, dass 134
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Nach Klöckener, Liturgie (1992) 138 »hat das ›Stundenbuch‹ als persönliches Gebetbuch, ›als Quelle der Frömmigkeit und Nahrung für das persönliche Beten‹, erst am Ende einer intensiven Gebetserziehung seinen Platz« [Anführung aus SC 90]. Eus. comm. in Ps 65 (64), 10f (PG 23, 640 B) bietet den ältesten Hinweis auf tägliche Morgen- und Abendgottesdienste als Standard für alle Ortskirchen; vgl. Taft, Hours (1986) 33. Einen ähnlichen Entwicklungsstand bezeugen Sozom. h. e. 7, 28, 6 (GCS NF 4, 344f Bidez; engl. NPNF 2, 2, 396 Hartranft); Theodoret. Cyr. ep. 146 (CXLV) (SC 111, 178 Azéma); Epiphan. fid. 23, 1 (GCS 37 = Epiph. 3, 524 Holl; engl. 663 Williams); Ambros. in Ps. 119 (118) expos. 19, 32 (CSEL 62, 438f Petschenig); vgl. zum Ganzen Stadlhuber, Stundengebet (1949) 162–172 mit zahlreichen Quellenangaben. Vgl. Fischer, Gemeinschaftsgebet (1974) 4. Vgl. Van der Mensbrugghe, Prayer-time (1957) 438f; Bradshaw, Daily Prayer (1983) 95.
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II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft
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Mönchtum und Gemeinden nur einem gemeinsamen Trend zur Gemeinschaft unterlagen. Denn auch in den Ortsgemeinden sind erst mit dem 4. Jahrhundert die technischen Voraussetzungen für die tägliche Durchführung von Gottesdiensten gegeben: der Versammlungsraum, der zeitliche und finanzielle Aufwand der Vorbereitung und Durchführung, die staatliche Duldung solcher Aktivitäten. Grundsätzlich gilt: Die notwendigen Ressourcen und auch der notwendige Grad an interner Organisation wurde im Grunde erst mit der Kirchenfreiheit flächendeckend erreicht. Schon früher war zwar dort, wo bereits tägliche Versammlungen stattfanden, in deren Rahmen selbstverständlich auch gebetet worden. Aber die prinzipielle Überführung aller in denselben Quellen erwähnten privaten Gebetszeiten in einen gemeinschaftlichen Rahmen ist für sich genommen überhaupt kein Anliegen. Der gemeinsame Vollzug hat zwar ein Plus gegenüber dem vereinzelten138; der private Vollzug ist aber dennoch in keiner Weise defizient. Ohne besondere Dringlichkeit wird nun in den Klöstern wie in den Gemeinden das private Stundengebet wo und sooft es praktikabel ist in Gemeinschaft vollzogen. Art und Umfang dieser Machbarkeit haben auf die Gestalt des gemeinsamen Gebetes eingewirkt. In diesem Kapitel soll daher untersucht werden, wie das Zustandekommen und die Ausgestaltung liturgischer Gemeinschaft in den Tagzeiten organisiert wurden, und in welcher Weise die liturgische Ordnung selbst von diesen Rahmenbedingungen abgeleitet und abhängig ist. Angelus Häußling konstatiert: »Die hier skizzierte Ordnung gründet in den Lebensverhältnissen der Spätantike und des Mittelalters und sie setzt Gemeinschaften voraus, für welche die Feier der Liturgie das die Existenz bestimmende, mit Sinn erfüllende Handeln ist. Wie wird es einer solchen Ordnung ergehen, wenn die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen sich tiefgehend verändert haben?«139 Dass die überlieferte Ordnung ihren Zweck heute nicht mehr erfüllt, steht außer Frage; an die Stelle des täglichen Gottesdienstes der Gemeinde traten unterschiedlich reduzierte Ersatzformen: Auf Seiten des Klerus wurde ein überliefertes Pensum ohne Versammlung und ohne Gesang zur vorherrschenden Form; auf Seiten der Gemeinde suchte und fand man Andachtsformen, die sich gemeinsam und singend vollziehen ließen, aber den inhaltlichen und rituellen Bezug zur Tagzeitenliurgie mehr und mehr verloren. Während die Brevierreform des Kardinal Quiñones die Spaltung der Überlieferung in zwei getrennte Anwendungsbereiche akzeptiert hatte140, hielt die römische Kirche an einer rituell vollziehbaren Form des priesterlichen Stundengebets fest – und damit an dem Anspruch, die getrennten Torsi irgendwann wieder in eine
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Vgl. o. Kapitel A.II ›Die Kirche – Beten in Gemeinschaft‹ (S. 48–78). Häußling, Übung (2003) 30. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 174–176.
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(B) Organisation
Liturgie zu überführen, die sowohl der überlieferten Vollzugform als auch dem überlieferten Gehalt in irgendeiner Weise gerecht wird. Inwieweit das überhaupt möglich ist und welche Anpassungen dafür geeignet wären, erhellt sich aus der Analyse der liturgie-pragmatischen Hintergründe der Entstehungszeit.
1. Rahmenbedingungen In den Akten des Märtyrers Justin wird berichtet, wie sich der Heilige herausredete, als ihn der Präfekt ausfragte, wo sich denn die Christen versammelten: »Wo ein jeder will und kann. Glaubst du etwa, es wäre möglich, dass wir alle am selben Ort zusammenkämen?«141 In dieser gewiss auch taktisch bedingten Aussage – ein ehrlicher Hinweis hätte die Gemeinde in Gefahr bringen können – kommt dem Versammlungsort keinerlei theologische Bedeutung zu. 200 Jahre später hat der Wille, sich regelmäßig und auch in großem Maßstab zu versammeln, zu einem ganz eigenen Gebäudetyp geführt142, der sich nicht aus den sakralen Vorbildern der antiken Umwelt, sondern aus profanen Raumkonzepten mit großem Fassungsvermögen entwickelte – gewissermaßen die ›Messehalle‹ der Antike. Die Apostolischen Konstitutionen halten konkrete Bestimmungen zum architektonischen Konzept offenbar für allgemein realisierbar: zur Ausrichtung, zu den Nebengebäuden, zum Mobiliar, zum Personal143. Egeria schwärmt etwa gleichzeitig von der Ausstattung der Grabeskirche zu Jerusalem, die mit ihrem kaiserlich finanzierten Prunk schon rein baulich eine regelrechte Attraktion gewesen ist. Besonders begeistert ist sie von der Beleuchtungstechnik144, auf die sie immer wieder zu sprechen kommt145. Gerade der Betrieb der Lampen in den Kirchen war auch auf Öl-Spenden der Gläubigen angewiesen146. Und in jeder Gemeinde eigene Gebäude zu betreiben, war nicht erst in unserer heutigen Zeit, sondern bereits damals, als diese flächendeckende Ausstattung errichtet wurde, eine kostspielige Angelegenheit. 141 142 143
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Vgl. Mart. Iustin. 3 (54 Hilhorst; dt. abweichend BKV2 14, 310 Rauschen). Vgl. Martimort, Handbuch (1963) 100. Vgl. Const. Apost. 2, 57 (SC 320, 310–320 Metzger; dt. BKV1 99–102 Boxler). Die Ostung und eine Sitzordnung sind bereits in der syr. Didask. 12 (CSCO 407 / Syr. 179, 143f Vööbus; dt. 68 Achelis / Flemming) belegt; vgl. auch Achelis /Flemming, Didaskalia (1904) 284. Ein erhöhtes und im Kirchenraum gut sichtbares Lesepult (pulpitum) wird bei Cyprian verschiedentlich erwähnt; vgl. Cypr. ep. 38, 2, 1; 39, 4. 5 (CCL 3B, 184f. 190f Diercks; dt. BKV2 60, 124. 128f Baer). Vgl. Päffgen, Lampe (2008) 912–914. 917–919. Vgl. Eger. itin. 24, 4. 7. 8. 9; 25, 8 (282f. 230f. 232f. 238f Röwekamp). Vgl. Caes. Arelat. serm. 13, 2 (CCL 103, 65 Morin; dt. 184 Berg): Qui possunt, aut cereolos aut oleum, quod in cicindilibus mittatur, exhibeant. Offenbar wurde allgemein erwartet, »daß die Kirche reinlich und erleuchtet sei«; vgl. Berg, Cäsarius (1994) 113.
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II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft
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Auf Synoden entwickelte sich ein Verteilungsschlüssel für die kirchlichen Einnahmen, in dem sich neben den Personalkosten und der Armenfürsorge auch der Bau, Erhalt und Betrieb der Kirchengebäude als eine der großen Finanzierungsaufgaben etablierte. Dieser Posten wurde mit bis zu einem Drittel der Kircheneinkünfte veranschlagt147. Außerdem wurde darauf geachtet, dass im Falle von Kirchenstiftungen neben den Personalkosten auch die Aufwendungen für den Kultbetrieb dauerhaft gesichert waren148. So hat sich die Kirche den Unterhalt ihrer Gotteshäuser einiges kosten lassen und mit einigem Erfolg auch die laufenden Kosten abgedeckt. Das Projekt der Errichtung einer flächendeckenden Gebäude-Infrastruktur wurde zunächst nicht um der Tagzeiten willen angegangen; zumindest werden die ersten Anforderungen an die Ausstattung des Kirchenraumes an einer eucharistischen Nutzung festgemacht149. Dennoch sollte langfristig das tägliche Stundengebet rein zeitlich den weit überwiegenden Anteil an der Nutzung der Kirchen ausmachen150. Dass seit dem 4. Jahrhundert nun allerorten eigene Baulichkeiten zur Verfügung standen, die zur Versammlung geeignet und eingerichtet waren, mag ein entscheidender Faktor dafür gewesen sein, dass zeitlich parallel dazu auch das tägliche Gebet nun zunehmend im Modus der Versammlung vollzogen wurde. Kirchengebäude allein sind zwar noch kein hinreichender Grund, wohl aber eine ideale, beinahe zwingende Voraussetzung für häufige liturgische Zusammenkünfte. Vielleicht haben sogar die neuen Kirchengebäude ihren Anteil am Niedergang vormals verbreiteter kirchlicher Versammlungsformen wie den Agapemählern, deren Abhaltung im Gottesdienstraum bald unangemessen erschien151 – möglicherweise auch deshalb, weil sie einer neu 147
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Laut den Beschlüssen von Tarragona soll der Bischof aus seinem Drittel der Einkünfte auch die Wiederherstellung verfallener Kirchen finanzieren; vgl. Conc. Tarracon. (516) c. 8 (36f Vives). In Braga wird neben dem traditionellen bischöflichen Anteil ein eigenes Drittel für (Wiederauf-) Bau und Unterhalt der Kirchen (in recuperationem vel in luminaria ecclesiae) ausgewiesen; vgl. Conc. Bracar. (1, 561) c. 7 (72 Vives). Für Gallien wird in Orléans zunächst angeordnet, ein Drittel an den Bischof abzuführen; vgl. Conc. Aurelian. (1, 511) c. 15 (CCL 148A, 9 de Clercq). Die Verwendung seiner Mittel ad reparationem basilicae wird hier erst später erwähnt; vgl. Conc. Aurelian. (3, 538) c. 5 (CCL 148A, 116 de Clercq). Vgl. Conc. Bracar. (2, 572) c. 5 (83 Vives). Vgl. syr. Didask. 12 (CSCO 407 / Syr. 179, 143–148 Vööbus; dt. 68–70 Achelis / Flemming); Const. Apost. 2, 57 (SC 320, 310–320 Metzger; dt. BKV1 99–102 Boxler). Eine Ausnahme bilden größere Anlagen wie die Grabeskirche, deren Stundengebet stets in der Anastasis oder beim Kreuz stattfand, jedoch den Hauptraum, das Martyrium, an den Werktagen augenscheinlich gar nicht nutzte; vgl. Eger. itin. 25, 1 (234f Röwekamp): »Bei Tagesanbruch geht man dann, weil es Sonntag ist, in die große Kirche«. Vgl. Conc. Laodic. (4. Jh.) c. 28 = Joh. Schol. synag. L tit. 37, 8 (110, 5–8 Benesevic). Umgesetzt z. B. vom Test. Dom. 2, 11 (134 Rahmani) gegenüber der Vorlage in der Trad. Apost.; vgl. White, Daily Prayer (2002) 148, der das Luzernar allerdings in einem asketischen Umfeld und nicht in der kathedralen Liturgie lokalisiert.
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(B) Organisation
aufkommenden gottesdienstlichen Ästhetik im direkten Vergleich nicht mehr gewachsen waren152. Jedenfalls treffen im Einzelfall – z. B. bei Nicetas von Remesiana153 oder in der Hagia Sophia Kaiser Justinians154 – Bemühungen um die Etablierung neuer Tagzeitenliturgien auch mit baulichen Maßnahmen zusammen: Hinter beidem steckt offenbar derselbe Kopf. Freistellung zum heiligen Dienst Mit dem 3. Jahrhundert hebt ein Prozess an, der für die Organisation des Gottesdienstes insgesamt und der Tagzeiten im Besonderen von fundamentaler Bedeutung ist, und der dennoch bislang nicht auf die Fragestellung der Liturgie hin ausgewertet wurde: die Professionalisierung des Klerus155. Mit diesem Begriff wird zum Ausdruck gebracht, dass der Kleriker seinen kirchlichen Dienst hauptberuflich ausübt. Er widmet seine Arbeitskraft vollständig der Gemeinde und wird dafür aus dem Kirchengut bezahlt. In der durch die Didache bezeugten Frühzeit hatte es Unterhaltszahlungen bereits für Wandercharismatiker gegeben, die sich tageweise oder auch länger in den Gemeinden aufhielten und dabei wichtige Dienste in Lehre und Verkündigung leisteten156. Für ortsansässige Episkopen und Diakone, deren Ämter in der Didache noch der werbenden Etablierung bedürfen157, sind solche Unterhaltszahlungen in den ersten zwei Jahrhunderten nicht belegt; Amtsträger übten weiterhin ihre normalen Berufe aus und lebten davon158. Mit der Wende zum 3. Jahrhundert aber beginnen die Kirchen, ihren Klerus für die Arbeit zu bezahlen, und verbieten ihm im Gegenzug anderweitige Tätigkeiten. Erste Anzeichen für diesen Prozess finden sich in der Traditio Apostolica. Hier wird das Amt in liturgischen Kategorien definiert, z. B. wenn die
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Vgl. dazu Schöllgen, Sportulae (1990) 19f. Vgl. Rist, Plädoyer (2001) 37. Nach Hanke, Kathedralritus (2002) 340. 401 entstand das alte Kathedral-Offizium der Hagia Sophia genuin in Konstantinopel vor dem 7. Jahrhundert, wohingegen die Hauptstadt bis ins 6. Jahrhundert von anderen liturgischen Zentren (v. a. Antiochien) abhängig war. Die Entstehung des liturgischen Systems ist demnach mit dem Neubau durch Justinian in Verbindung zu bringen. Auch die Einrichtung der 425 Planstellen legt diesen Zusammenhang nahe; vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 263. Grundlegend und umfassend dargestellt bei Schöllgen, Professionalisierung (1998). Vgl. Did. 11–13 (128–133 Schöllgen). Zum Hintergrund der mißbräuchlichen Praktiken und zur singulären Begründung der Prophetengehälter durch ihre Gleichsetzung mit den alttestamentlichen Hohenpriestern vgl. Schöllgen, Didache (1992) 65–68; Schöllgen, Professionalisierung (1998) 37–40. Vgl. Did. 15, 2 (134f Schöllgen). Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 35. 50.
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II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft
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Handauflegung bei Witwen abgelehnt wird, weil sie nicht die Gaben darbringen und keinen liturgischen Dienst versehen159. Im Weihegebet des Bischofs heißt es, Gott habe Priester (sacerdotes) eingesetzt, um sein Heiligtum nicht ohne Dienst zu lassen; dieses Heiligtum ist die Kirche, die von den Aposteln zum unaufhörlichen Lobpreis Gottes gegründet wurde; der Bischof wird bestellt, um Gott Tag und Nacht als Hoherpriester zu dienen160. Zugleich mit dem Anspruch des Dienstes ohne Unterlass gibt es in dieser Schrift erste Anzeichen für eine beginnende Professionalisierung. Denn zu den täglich stattfindenden Versammlungen heißt es dort zunächst: »Die Diakone und die Presbyter sollen sich täglich dort versammeln, wo es ihnen der Bischof befiehlt.« Gleich im Anschluss aber werden die Diakone in besonderer Schärfe zur Anwesenheit verpflichtet: »Die Diakone sollen nicht versäumen, sich jederzeit einzufinden, außer es verhindert sie eine Krankheit.«161 Die Ungleichbehandlung findet ihre plausible Erklärung in dem Umstand, dass die Diakone bereits wie die Episkopen professionalisiert waren, die Presbyter jedoch noch nicht162. Diese Interpretation wird durch die äthiopische Fassung bestätigt, die offenbar in späterer Zeit, als die Unterhaltszahlungen längst allen Klerikern zugutekamen, diesen Unterschied glättete163. Um die Mitte des 3. Jahrhunderts stellt Cyprian von Karthago klar, dass kein Kleriker sich mit weltlichen Geschäften befassen darf, »weil alle einzelnen, die des göttlichen Priestertums gewürdigt und in ein Klerikeramt eingesetzt sind, nur dem Altar und den Opfern sich widmen und für Bitten und Gebete frei sein müssen«164. Cyprian begründet diesen Anspruch mit dem alttestamentlichen Befund, dass der Stamm Levi bei der Landverteilung ausgespart und von den übrigen Stämmen durch Abgaben mitversorgt wurde, damit er sich ganz dem Dienst im Tempel widmen könne. Diese Sonderrolle der Leviten wurde in 159
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Vgl. sah. Trad. Apost. 37 (8f Till / Leipoldt) = Botte Nr. 10. Nach dieser Definition wurden dann offenbar auch der Lektor und der Subdiakon nicht als liturgische Dienste verstanden; vgl. sah. Trad. Apost. 35f (6f Till / Leipoldt) = Botte Nr. 11. 13. Vgl. lat. Trad. Apost. 3 (216–219 Geerlings). Vgl. sah. Trad. Apost. 60 (34f Till /Leipoldt) = Botte Nr. 39. Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 56. Eine weiterer Beleg dafür findet sich in der syr. Didask. 9 (CSCO 401 / Syr. 175, 105, 10f Vööbus; dt. 46 Achelis / Flemming), die im Rahmen der Aufteilung der Ehrenportionen bei Agapemählern davon ausgeht, dass die Presbyter, die offenbar eher beratende als liturgische Tätigkeiten ausüben, bei diesen Verteilungen nicht zwingend berücksichtigt werden müssen: »Wenn aber jemand auch die Presbyter ehren will, so soll er ihnen das Doppelte geben, wie den Diakonen«; vgl. dazu Schöllgen, Professionalisierung (1998) 92. Vgl. äth. Trad. Apost. 45 (133–135 Duensing) = Botte Nr. 39: »Die Diakonen also und Presbyter sollen sich jeden Tag am Ort des Bischofs versammeln, und er gebietet ihnen, daß sie zu ihm gehen. Und die Diakonen und Presbyter sollen es nicht verschmähen, daß sie sich jeden Tag versammeln, wenn nicht Krankheit sie hindert.« Cyprian. ep. 1, 1, 1 (CCL 3 B, 1f Diercks; dt. nach BKV2 60, 1 Baer).
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(B) Organisation
den ersten zwei Jahrhunderten niemals mit dem Unterhalt des kirchlichen Klerus in Verbindung gebracht165. Cyprian leitet die Bezahlung nun explizit daraus ab: »Diese Begründung und Form wird jetzt im Klerus eingehalten, damit die, die in der Kirche des Herrn zur Klerikerwürde befördert werden, in nichts von ihrem göttlichen Amt abgehalten werden, [...] und Tag und Nacht den himmlischen und geistlichen Dingen dienen.«166 Diese Argumentation ist stark liturgisch ausgerichtet: Der Gottesdienst verlangt die Freistellung von weltlichem Broterwerb. Faktisch hatte der Klerus damals natürlich auch anderes zu tun: zum Beispiel Armenfürsorge, Seelsorge oder auch das Studium der Heiligen Schrift167. Der alltägliche liturgische Betrieb sollte aber für das berufliche Tätigkeitsspektrum tatsächlich zunehmend Zeit und Kraft beanspruchen. Anders als in der Traditio Apostolica muss die Unterhaltspflicht bei Cyprian nicht indirekt erschlossen werden, sondern wird explizit thematisiert. Er erwähnt zwei unterschiedliche Gattungen von Unterhaltsleistungen: monatliche Verteilungen (divisiones mensurnae) und Ehrengaben bei Festmählern (sportulae)168. Beide betreffen bereits auch niedere Kleriker wie Subdiakone und Akolythen169 und waren in der Kirche des gesamten römischen Nordafrika zur Zeit Cyprians unumstritten170. Für die Hauptstadt Rom ist ebenfalls aus der Mitte des 3. Jahrhunderts eine Liste der aus der Kirchenkasse unterhaltenen Kleriker und Bedürftigen überliefert, die 46 Presbyter, 7 Diakone, 7 Subdiakone, 42 Akolythen, 52 Exorzisten, Lektoren und Türwächter sowie über 1500 Witwen und andere
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Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 51. Zur vergleichbaren Argumentation durch Origenes vgl. ebd. 69–75; Orig. or. 2, 28, 4 (GCS Orig. 2, 377, 17–21 Koetschau; dt. BKV2 48, 113 Koetschau) nennt neben Witwen auch Diakone, Presbyter und Bischöfe, die von der Kirche versorgt werden. Cyprian. ep. 1, 1, 2 (CCL 3 B, 3 Diercks; dt. nach BKV2 60, 2 Baer). Dieser letzte Aspekt ist nach Origenes der zentrale Grund für die Pflicht der Laien, ihre Kleriker zu versorgen; vgl. Orig. hom. in Jos. 17, 3 (GCS 30 = Orig. 7, 404f Baehrens; fr. SC 71, 379–381 Jaubert). Auch in der syr. Didask. 8 (CSCO 401 / Syr. 175, 96 Vööbus; dt. 40 Achelis / Flemming) erscheinen Schriftkenntnis und -verkündigung, Gemeindeleitung und Bußpastoral zentraler als die liturgischen Dienste; vgl. insgesamt Schöllgen, Professionalisierung (1998) 69–75. 88–90. Vgl. Schöllgen, Sportulae (1990) bes. 2f. 17–20. Diese im Rahmen von Agapemählern ausgeteilten Natural- oder Geldgaben müssen sich in der Zeit einer ausgeprägten Agape-Kultur zu einem spürbaren Anteil des Lebensunterhalts summiert haben, verloren jedoch im 4. Jahrhundert mit dem Verfall der Agapen wieder an Bedeutung. Dies ergibt sich aus Cypr. ep. 34, 4 (CCL 3A, 169f Diercks; dt. BKV2 60, 113 Baer), wo Träger dieses Amtes vorübergehend von der »monatlichen Verteilung« der Abgaben ausgeschlossen werden. Diese Verteilung wurde offenbar in der Wahrnehmung der Gemeinde geradezu mit der Zugehörigkeit zum Klerus gleichgesetzt; vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 62f. Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 59f.
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Bedürftige enthält171. Die Aufstellung zeigt zugleich, dass die Versorgung der Armen einerseits und der Kleriker andererseits prinzipiell in denselben Strukturen und aus derselben Kasse erfolgten. Im 5. Jahrhundert gibt das Testamentum Domini für Witwen, Presbyter, Bischof und Gemeinde jeweils eigene Regeln zum täglichen Gebet: Die Witwen beten für sich privat; ihre Gebete sind in der 1. Person Singular formuliert172. Die Presbyter sollen täglich – aber jeder zu seiner Zeit – Lobgesänge in der Kirche vortragen, die im Plural formuliert sind und von der Gemeinde beantwortet werden173. Der Bischof soll sein Gebet »Tag und Nacht« zu sieben vorgeschriebenen Zeiten vollziehen; er soll dafür auch alleine in der Kirche ausharren, wobei es ausdrücklich erwünscht ist, dass weitere Personen dazustoßen174. Das Volk soll am Morgen erscheinen und ist auch zur 3. (6. und 9.) Stunde herzlich eingeladen, sich am Gebet zu beteiligen. Sollten diese über die gesamte Kirchenordnung 175 verteilten Informationen tatsächlich dieselbe Gemeindesituation und eine gemeinsame Gottesdienstordnung im Blick haben – sei es nun deskriptiv oder präskiptiv –, dann ergäbe sich folgende Vorstellung eines Zusammenspiels professioneller Liturgen: Der Bischof soll im Kirchengebäude, so oft es geht, präsent sein, und seine Presbyter wechseln sich mit ihrem Dienst zu den verschiedenen Tagzeiten ab; alle Tagzeiten finden öffentlich statt und können von der Gemeinde besucht werden. Die Professionalisierung hat sich nicht schlagartig durchgesetzt, sondern nahm ihren Ausgang von den großen und finanzstarken städtischen Zentren wie Rom und Karthago und konnte in ländlichen Gegenden nur sukzessive durchgeführt werden176. Die Synode von Elvira geht zu Beginn des 4. Jahrhunderts von der Selbstversorgung der Kleriker aus, wenn sie ihnen verbietet, zur Ausübung ihrer Berufe ihren Dienstort zu verlassen. Wenn sie Handel treiben wollen, sollen sie für auswärtige Geschäfte Vertreter schicken, selbst aber – um ihres liturgischen Dienstes willen? – zuhause bleiben177. Noch Jahrhunderte später haben manche Kleriker auch von profanen Berufen leben müssen, für die es allerdings einige Einschränkungen gab178. In Konstantinopel erreicht unterdessen im 6. Jahrhundert die personelle Ausstattung der Hagia Sophia Dimensionen, die noch heute Respekt einflößen: Nicht weniger als 425 Kleriker taten
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Vgl. Eus. h. e. 6, 43, 11 (GCS 9, 2 [Eus. 2, 2], 618 Schwartz; dt. 314 Haeuser). Vgl. White, Daily Prayer (2002) 57. Vgl. Test. Dom. 1, 32 (76f Rahmani; 37 Sperry-White). Vgl. White, Daily Prayer (2002) 117. White, Daily Prayer (2002) 159. 168 schlägt vor, besser von »kirchlicher Regel (ecclesiastical rule) zu sprechen, weil der Text die Gattung der Kirchenordnungen sprenge. Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 57. Vgl. Conc. Eliberit. (ca. 305) c. 19 (5 Vives). Zum Beispiel für Handel oder Zinsgeschäfte; vgl. Drexhage, Handel (1986) 547–549.
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(B) Organisation
an der Hauptkirche ihren Dienst179, und dieser stolze Personalstab wurde durch eine Novelle im Jahr 612 noch einmal um 100 Planstellen aufgestockt180, von denen neben den 25 Kantoren auch die dann 160 Lektoren zum Chorgesang herangezogen wurden181. Gehaltsstufen der Karriereleiter Dort, wo Gehälter gezahlt werden konnten, bildeten sich bald auch regelrechte Besoldungsstufen je nach Amtsgrad heraus. Bereits die Didaskalie ordnet für die bei den Agapemählern verteilten Schenkungen einen Verteilungsschlüssel an, nach dem die Witwen jeweils einen Teil erhalten, Diakone und Vorleser (und unter Umständen die Presbyer) jeweils das Doppelte, und der Vorsteher (Bischof) noch einmal das Doppelte182. In der Adaptation dieses Textes durch die Apostolischen Konstitutionen wird die Vergütung der Presbyter mit einigen Argumenten fest etabliert, während die Vorleser auf das Niveau der Witwen zurückgestuft werden183. Im 8. Buch, wo der Redaktor in seiner Vorlage weniger klare Aussagen vorliegen hatte184, verteilt er die bei der Eucharistie übriggebliebenen Eulogien nach einem etwas anderen Schlüssel, nämlich »dem Bischofe vier Teile, dem Presbyter drei, dem Diakon zwei Teile, den Subdiakonen und Lektoren einen Teil. Denn das ist schön und angenehm vor Gott, daß jeder nach seiner Würde geehrt werde.«185 Unabhängig von solchen Einzelheiten lässt sich festhalten, dass das Faktum der Klerikerbesoldung im 4. Jahrhundert nicht mehr in Frage stand und zunehmend auf göttliche Anordnung zurückgeführt wurde186. Den höheren und niederen Klerus organisierte man zu einem regelrechten cursus honorum mit akzeptierten Besoldungsstufen187, dessen Segnungen dann auch gezielt eingesetzt werden konnten, um einzelne, verdiente Personen zu fördern188. Die Besetzung der Stellen erfolgte durch den Bischof, in dessen Händen in dieser Zeit auch zunehmend die Verwaltung der Finanzen konzen179 180 181 182 183 184 185 186
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Vgl. Cod. Iur. Civ. Nov. 3 (a. 535) 1 (21 Schoell / Kroll). Vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 263. Vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 264f. Vgl. syr. Didask. 9 (CSCO 401 / Syr. 175, 105 Vööbus; dt. 46 Achelis / Flemming). Vgl. Const. Apost 2, 28, 1–5 (SC 320, 244 Metzger; dt. 70 Boxler). Das 8. Buch basiert auf der Traditio Apostolica, die keinen Verteilungsschlüssel enthält. Vgl. Const. Apost. 8, 31, 2f (SC 336, 234 Metzger; dt. nach 63 Storf). Vgl. Can. Apost. 41 (SC 336, 288 Metzger; dt. BKV1 324 Nr. 34 Boxler): »Denn Gottes Gesetz hat verordnet, daß die, welche dem Altare dienen, vom Altare ernährt werden sollen: da doch auch der Soldat niemals auf eigene Kosten die Waffen trägt gegen die Feinde.« Vgl. Schöllgen, Sportulae (1990) 3; Professionalisierung (1998) 65. 67. Vgl. bereits Cypr. ep. 39, 5 (CCL 3B, 192, 91–94 Diercks; BKV2 60, 129 Baer) über die zu Lektoren geweihten Märtyrer: »Wisset ferner auch, daß wir ihnen bereits den Rang eines Presbyters verliehen haben, damit sie die gleichen Sporteln als Ehrengabe erhalten wie die Presbyter und auch bei den monatlichen Verteilungen in gleichem Verhältnis bedacht werden.«
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triert wurde189. Dieser Aspekt des kirchlichen Lebens ist immerhin wichtig genug, um – vom Anfang der Professionalisierung an – auf die Bischöfe als Entscheidungsträger auch die besondere Geistesgabe herabzuflehen, Ämter und Stellen zu vergeben190. Mit unterschiedlichen Methoden wird die hauptamtliche Anstellung der Kleriker noch im Lauf der Spätantike immer flächendeckender finanziell sichergestellt. So etablieren sich Formen der Landleihe, um den Unterhalt zu gewährleisten. Den ersten Hinweis darauf gibt ein Beschluss des 2. Konzils von Toledo aus dem Jahr 527, der Klerikern jene Äcker und Weinberge, die sie für ihr Auskommen zur Bewirtschaftung übertragen bekommen, auf Lebenszeit zuspricht191. Der Brauch der Landleihe erscheint hier also in einem bereits zum Rechtsanspruch gefestigten Stadium. Eine ähnliche Stabilisierung erfahren die festen Gehälter (Stipendien). Für Gallien beschloss das Konzil von Agde im Jahr 506, dass alle Kleriker, die der Kirche treu und fürsorglich dienten, die ihrer heiligen Arbeit schuldigen Verabreichungen nach dem Verdienst ihrer Leistungen und der Anordnung der Kanones vom Bischof erhalten sollten192. In Orléans werden im Jahr 511 die Einnahmen ausdrücklich nach Dienstgrad (secundum gradus) gestaffelt193. Bis hinunter zum Subdiakon sind solche festen Gehälter sicher belegt194. Anders als bei einem Acker, der, wenn er einmal verliehen wurde, den Nutznießer aus seinen Erträgen speist, ohne den Bischof weiter zu belasten, fließen also auch aus dem laufenden Etat des Bistums und der Gemeinden Gehälter an Kleriker195. Im 6. Jahrhundert haben sich die Gehaltstarife für jeden Dienstgrad fest etabliert und werden z. B. bei Planungen für den Kirchbau bereits im Vorfeld als gegebene Größen berücksichtigt: Wenn für die Planstelle eines Presbyters das Geld nicht reicht, dann soll ein Diakon angestellt werden; wenn auch der zu teuer ist, wenigstens ein Ostiarier, der regelmäßig saubermacht und abends die Lampen vor den Reliquien entzündet196. Dass etwa auch ein Diakon für das Gehalt eines Ostiariers, also gewissermaßen unter Tarif, arbeiten könnte, ist nicht vorgesehen. 189 190
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Vgl. syr. Didask. 9 (CSCO 401 / Syr. 175, 111–114 Vööbus; dt. 49–51 Achelis / Flemming). Vgl. lat. Trad. Apost. 3 (220f Geerlings); Const. Apost. 8, 5, 7 (SC 336, 148 Metzger; dt. BKV2 5, 31 Storf). Mit Sondergenehmigung des Bischofs dürfen sie sogar vererbt werden; die Bindung an die Scholle scheint so sehr respektiert worden zu sein, dass dafür zuweilen auch der Verlust von Kirchengut in Kauf genommen wurde; vgl. Conc. Toletan. (2, 527) c. 4 (44 Vives). Vgl. Conc. Agath. (506) c. 36 (CCL 148, 208 Munier). Vgl. Conc. Aurelian. (1, 511) c. 14 (CCL 148A, 9 de Clercq). Vgl. Conc. Narbon. (589) c. 11. 13 (CCL 148A, 256 de Clercq). Belegt in Conc. Turon. (567) c. 25 (24) (CCL 148 A, 192, 498f de Clercq). Vgl. Conc. Toletan. (597) c. 2 (156f Vives): Et si presbyterum ea facultas habere non permittit, vel diaconus instituatur. Certe, si minus est census, ostiarius a sacerdote sit electus, qui nitorem infra sinus ecclesiae faciat; qui sanctarum reliqiuarum luminaria omni subsequente nocte accendat.
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(B) Organisation
Deckung des Personaletats Der liturgische Betrieb der Gottesdienststätten musste also finanziert werden. Bereits die in der Traditio Apostolica erwähnten Naturalabgaben dürften dem Unterhalt der Episkopen und Diakone gegolten haben197, denen vermutlich bereits zur Zeit der Didache die Verwaltung der Gemeindefinanzen oblag198. Die Didaskalie ermöglicht einen erhellenden Einblick in jene Phase, in der parallel zum ausgeweiteten Unterhaltsrecht der Kleriker auch die Einnahmenseite in der Hand des Bischofs zusammengeführt wurde: Das vehemente Drängen des Autors zu umfangreichen Spenden gibt ein beredtes Zeugnis von dem finanziellen Aufwand, den die Kirche bereits zu schultern hatte; und über die sehr weltlichen Interessen dieser forcierten Spenden-Akquirierung kann auch ihre Begründung mit Mt 6, 20 nicht hinwegtäuschen: »Lege dir bei Seite einen ewigen Schatz im Himmel, wo ihn nicht die Motten verzehren«199. Die Verwaltung der Finanzen ist Aufgabe des Bischofs, der aus den Geldern den Bedürftigen (und den Klerikern) zuteilt200. Die Witwen, die offenbar vormals auch dezentral ihre Gönner fanden und im Gegenzug für sie beteten, beziehen ihre Versorgung nun ebenso zentral vom Bischof wie die Vorgabe, wem ihre Gebete zu gelten haben201. Die Gläubigen indes sollen ihrem Bischof blind vertrauen: »Fordere nicht Rechenschaft von dem Bischof und beobachte ihn nicht, wie er seinen Haushalt verwaltet«202. Ähnlich wie die Versorgung der Kleriker durch Rückgriff auf das Vorbild der Leviten begründet wurde, so beruft sich die Forderung nach regelmäßigen Abgaben der Gläubigen auf die alttestamentlichen Zehnt-Regelungen. Nach den Apostolischen Konstitutionen befiehlt der Apostel Matthäus »dass jede Erstlingsabgabe dem Bischof, den Presbytern und den Diakonen zu ihrem Lebensunterhalt gebracht werde; jeder Zehnt aber soll zum Lebensunterhalt der übrigen Kleriker und der Jungfrauen und der Witwen und der in Armut Befindlichen hergebracht werden. Denn die Erstlinge gehören den Priestern und den ihnen dienenden Diakonen«203. Georg Schöllgen hat darauf aufmerksam gemacht, dass hinter diesem Rückgriff auf das Alte Testament keine direkt aus
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Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 55f. Vgl. Did. 15, 1 (134f Schöllgen) mit Schöllgen, Didache (1992) 71. Vgl. syr. Didask. 9 (CSCO 401 / Syr. 175, 115 Vööbus; dt. 52 Achelis / Flemming). Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 155. In syr. Didask. 15 (CSCO 407 / Syr. 179, 164, 12f Vööbus; dt. 80 Achelis / Flemming) wird den Witwen neben einigen anderen Tätigkeiten verboten, ohne Befehl des Bischofs für irgendjemanden zu beten. Syr. Didask. 9 (CSCO 401 / Syr. 175, 114, 1f Vööbus; dt. 51 Achelis / Flemming). Zum Missbrauch des Unterhaltsrechts vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 82–87. Vgl. Const. Apost. 8, 30 (SC 336, 234 Metzger; dt. nach BKV2 5, 63 Storf).
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II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft
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dem Judentum übernommene Abgabepraxis steht204. Auch hat man sich unter dem in der Kirche bald geläufigen »Zehnten« keine tatsächlich prozentual berechnete, verpflichtende oder gar konktrollierte »Kirchensteuer« vorzustellen; die Gelder wurden vielmehr weiterhin freiwillig abgetreten205. Die Verteilung der Einnahmen bleibt über Jahrhunderte hinweg ein ständiger Anlass für Missbrauch, Streit und rechtliche Bestimmungen. So entwickelt das Konzil von Orléans im Jahr 511 – unter Berufung auf alte Regelungen – einen Verteilungsschlüssel für die Kircheneinkünfte zwischen den Gemeinden und dem Bistum: Die von den Gläubigen gespendeten Gaben der Stadtkirche erhält zur Hälfte der Bischof, die andere Hälfte wird an den Klerus verteilt206. Die Altarabgaben der Landgemeinden werden zu einem Drittel an den Bischof abgeführt207. Es finden sich auch andere Varianten des Interessenausgleichs, in denen die finanzielle Situation des Bistums ebenso Berücksichtigung finden muss wie die Grundversorgung der Gemeinden208. Im Zuge der Stärkung parochialer Strukturen geht die Tendenz dann später zu einer Stabilisierung der Gemeinden und ihrer Liturgie durch Finanzierung des örtlichen Klerus aus den eigenen Einnahmen, die gegen willkürliche bischöfliche Zugriffe verteidigt werden. Institutionalisierung Die Sorge um die dauerhafte Finanzierung des liturgischen Lebens führt zu dem auf mehreren Synoden eingeschärften Grundsatz, das Vermögen der Kirche nicht in der Substanz zu schmälern und auch Schenkungen und Stiftungen vor jeder späteren Rückforderung zu schützen209. Kirchenstiftungen dürfen nur genehmigt werden, wenn neben der Errichtung des Bauwerks auch die Finanzierung des liturgischen Betriebs durch die Einrichtung einer Klerikerstelle
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Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 4. Dies wird aus dem Sprachgebrauch Cyprians klar, nach dem die Kleriker die Abgaben »gleichsam wie Zehnte« (tamquam decimae) erhalten; vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 59. Vgl. Conc. Aurelian. (1, 511) c. 14 (CCL 148A, 9 de Clercq). Vgl. Conc. Aurelian. (1, 511) c. 15 (CCL 148A, 9 de Clercq). Vgl. z. B. Conc. Carpentorat. (527) (CCL 148A, 48 de Clercq); zum Hintergrund vgl. Pontal, Synoden (1986) 55. Z. B. Conc. Agath. (506) c. 6 (CCL 148, 194f Munier); Conc. Aurelian. (3, 538) c. 25 (22) (CCL 148A, 123f de Clercq); Conc. Aurelian. (4, 541) c. 19 (CCL 148A, 136f de Clercq); Conc. Aurelian. (5, 549) c. 13–16 (CCL 148A, 152–154 de Clercq). Aus Spanien ist die Ausnahmeregelung bezeugt, dass der Stifter im Falle späterer Verarmung aus dem Vermögen unterhalten werden darf – eine Sicherheit, ohne die die Spendenbereitschaft womöglich niedriger ausgefallen wäre; vgl. Conc. Toletan. (4, 633) c. 38 (206 Vives).
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(B) Organisation
langfristig gesichert wird210. Auch dürfen keine Reliquien in Dorfkapellen übertragen werden, wenn nicht ein Kleriker aus der Nachbarschaft dort zum häufigen Psalmengesang zur Verfügung steht; ein eigener Kleriker darf hingegen nur ordiniert werden, wenn der Kirche auch ausreichend Vermögen zur Sicherung des Unterhalts übertragen wird211. Der Gedanke, dass jemand, der der Kirche Schenkungen hinterlässt, sich von der Gabe einen Vorteil für das Heil seiner Seele erhoffen darf 212, erhielt seit dem Mittelalter ein zusätzliches Movens dadurch, dass dem Offizium in den Klöstern Gebete für die noch lebenden oder bereits verstorbenen Wohltäter hinzugefügt wurden213. George Guiver berichtet aus dem England der Zeit vor214 wie auch nach215 der Reformation, dass tägliches Stundengebet durch die Stiftung solcher Nachlässe zugunsten des kirchlichen Gebetes finanziert wurde. So hat auf verschiedenen Wegen und aus verschiedenen Motiven die finanzielle Absicherung massiv zur Stabilität des gottesdienstlichen Lebens und auch des Stundengebets beigetragen. Gerade die Kirche von England ist für eine starke institutionelle Verankerung ihrer Tagzeitenliturgie durch akademische Vereinigungen, Stiftungen des Königshauses und des Adels oder durch karitative Einrichtungen bekannt216. Welches Beharrungsvermögen die finanzielle Infrastruktur der Liturgie entfalten kann, zeigt sich auch an zum Teil recht kuriosen Vorfällen im Zeitalter der Reformation, als die fest dotierten Stellen der zum Chorgebet verpflichteten Damen- oder Herrenstifte ohne Weiteres einen Konfessionswechsel überdauern oder durch eine paritätische Aufteilung der Zuwendungen im Extremfall sogar – vollkommen gegen den Trend der Zeit – ein ökumenisches Stundengebet notwendig machten217.
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Vgl. Conc. Aurelian. (4, 541) c. 33 (CCL 148A, 140 de Clercq). Die Sicherung geschieht durch die Übertragung von Ländereien. Vgl. Conc. Epaon. (517) c. 25 (CCL 148A, 30 de Clercq). Vgl. Conc. Agath. (506) c. 6 (CCL 148, 194, 50f Munier). Vgl. Stadlhuber, Laienstundengebet (1950) 283; Jungmann, Gottesdienst (1957) 178. Vgl. Guiver, Company (2001) 90. Vgl. Guiver, Stundengebet (1989) 113. Vgl. Guiver, Stundengebet (1989) 111. Die Vorgänge im Halberstädter Domstift, dessen gemischtkonfessionelles Kapitel das Stundengebet beibehielt, aber nach lutherischen Kriterien reformierte, wurden aufgearbeitet durch Odenthal, Ordinatio (2005) bes. 18–21. 61–66; vgl. auch Häußling, Brevierreformen (1990) 301. Ein drastisches Beispiel nennt Zeeden, Entstehung (1965) 79: »Dem Frauenstift Schildesche bei Bielefeld gehörten achtzehn Kanonissen an, von denen je sechs sich zum Luthertum, zum Calvinismus und Katholizismus bekannten; auch wurde die Äbtissin im Turnus von jeder Konfession gestellt.«
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Schule des Vorbetens Auch in normalen Gemeindekirchen hatte sich in der Spätantike eine stabil finanzierte personelle Ausstattung etabliert, von der rein zeitlich besonders die täglichen Morgen- und Abendgottesdienste profitierten. Im 7. Jahrhundert hält man es in Spanien für realistisch, dass jedem Geistlichen beim Psallieren ein zweiter assistiert, der im Notfall einspringen kann218. Eine personelle Grundausstattung von zwei hauptamtlichen Liturgen in jedem Gottesdienst gilt somit inzwischen als flächendeckend erstrebenswert und finanzierbar. Aber die Liturgen werden in dieser Zeit nicht nur zahlreicher, sondern auch besser: Denn mit der personellen Besetzung steigen die Möglichkeiten und mit diesen die Ansprüche an die Gestalt des Gottesdienstes. So müssen die zur Durchführung erforderlichen Fertigkeiten mit hohem organisatorischen Aufwand hergestellt werden. Das Konzil von Vaison beschließt unter der Leitung des Cäsarius von Arles, dass alle Gemeindepresbyter junge Lektoren in ihren Haushalt aufnehmen und »sich bemühen sollen, sie in den Psalmen zu bereiten, mit den göttlichen Lesungen zu behelligen und im Gesetz des Herrn zu unterrichten, damit sie auch für sich selbst würdige Nachfolger heranzögen« 219 . Psalmis parare ist hier an erster Stelle erwähnt, noch vor dem eigentlichen Lektorendienst. Gerade die immer präziser geregelte Psalmodie war offenbar ohne eine solche Schulung nicht mehr zufriedenstellend zu verwirklichen. In Arles selbst wohnten die Kleriker der Stephansbasilika gemeinsam in der domus ecclesiae unweit der Kirche und wurden dort vom Bischof in den für ihren Dienst erforderlichen Dingen unterrichtet220. Die Vita berichtet, unter Cäsarius sei niemand in den Klerus aufgenommen worden, der nicht das Alte und das Neue Testament viermal ganz gelesen hatte221. Rund ein Jahrhundert später wird in Toledo bereits die Einrichtung von Kollegien zur Presbyterausbildung beschlossen222. Aber nicht nur der höhere, sondern auch der niedere Klerus wird zunehmend professioneller geschult. Davon ist neben den Lektoren, die ähnlich wie die Diakone oft auch Gesangsaufgaben übernahmen223, auch direkt das Amt des Kantors bzw. Psalmisten betroffen224: Bereits Kyrill von Jerusalem erwähnt Psalmensänger, die z. B. die prestigevolle Aufgabe haben, auf Golgotha 218
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Vgl. Conc. Toletan. (11, 675) c. 14 (366 Vives). Solche Kantoren konnten vor Ort eigenständig und ohne Zustimmungspflicht des Bischofs eingesetzt werden; vgl. stat. eccl. ant. (475) c. 98 (X) (CCL 148, 183f Munier). Vgl. Conc. Vas. (529) c. 1 (CCL 148 A, 78 de Clercq). Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 37 unter Verweis auf vit. Caes. 1, 29f (468 Krusch). Vgl. vit. Caes. 1, 56 (480 Krusch); dazu Berg, Cäsarius (1994) 300. Vgl. Conc. Toletan. (4, 633) c. 24 (201 Vives); dazu Orlandis / Ramos-Lissón, Synoden (1981) 159. Vgl. Hucke, Entwicklung (1953) 177–179. Zu Ambrosius vgl. Leeb, Psalmodie (1967) 41f.
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Psalm 22 zu rezitieren225. An der renommierten Grabeskirche wurde offenbar die musikalische Ausstattung ähnlich wichtig genommen wie die Lichttechnik. Das Konzil von Laodizea erlaubt gar den Psalmenvortrag überhaupt nur noch durch »kanonische« Sänger, also durch solche, die in den Gehaltslisten eingetragen sind226. Der räumlich abgetrennte Bereich im Kirchenraum, der dem Klerus zugeordnet ist, erhält den Namen »Chor« erst im Zuge der immer vollständigeren Übernahme des Chorgesangs durch den Klerus227: »Die Chorschranken, wie sie sich bis heute in einigen alten römischen Basiliken erhalten haben, machen das Zurücktreten des Volkes zugunsten des Chores im Unterschied zum frühen Christentum augenfällig. Der Kirchengesang ist zur Kunstmusik geworden, die von eigens dazu Beauftragten ausgeübt wird.«228 Zur Zeit Gregors des Großen sind zumindest in Rom die Ansprüche an die Kirchenmusik so hoch, dass sogar viele Kleriker damit überfordert sind; Gregor versuchte deshalb, »Ausbildung und Aufgabenbereich der mit der Ausübung des Kirchengesangs beauftragten Kleriker zu verselbständigen und von dem des übrigen Klerus abzugrenzen. Denn die künstlerischen Anforderungen an den Kirchenmusiker sind derartig gestiegen, daß dieses Amt nicht mehr nebenberuflich ausgeübt werden kann, sollen nicht andere Aufgaben darüber vernachlässigt werden. Gleichzeitig wird durch diese Maßnahmen von höchster Stelle das Ergebnis der Entwicklung sanktioniert, der Kunstcharakter der Kirchenmusik anerkannt. Die Kirchenmusik ist nunmehr eine Diszplin.«229 Am Ende der Spätantike steht somit zahlreiches und gut ausgebildetes liturgisches Personal bereit – und die Liturgie selbst ist so komplex und künstlerisch anspruchsvoll geworden, dass sie auch nur noch von solchen ›Profis‹ durchgeführt werden kann. Enwicklung und Pflege der fränkisch-römischen Gregorianik sind dann von vornherein als herrscherliches Projekt professionell angegangen und ausgestattet worden230. Dienstliche Disziplin Diese Steigerung der Ansprüche an die Liturgen wäre ohne die Professionalisierung nicht möglich gewesen. Denn das Ausmaß der Verfügbarkeit und die Strenge der Bindung an die Weisung des Bischofs basierten maßgeblich auf der materiellen Versorgung aus seiner Hand. Wer von der Kirche seinen Lebensun-
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Vgl. Cyr. Hier. cat. 13, 26 (2, 86 Reischl / Rupp; dt. BKV2 41, 223 Haeuser). Vgl. Conc. Laodic. (4. Jh.) c. 15 = Joh. Schol. synag. L tit. 26, 3 (86, 1–3 Benesevic). Vgl. Hucke, Entwicklung (1953) 181. 185. Hucke, Entwicklung (1953) 185. Hucke, Entwicklung (1953) 191. Der Versuch Gregors ist allerdings nicht gelungen, weil vielerorts die Mittel und Voraussetzungen für diese Spezialisierung fehlten; vgl. ebd. 192. Vgl. Kohlhaas, Musik (2000) 16f.
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terhalt erhielt, schuldete ihr sowohl die Ausübung seines Dienstes231 als auch die Schulung der entsprechenden Durchführungskompetenz. Und wer seine Arbeit nicht ordentlich machte, musste mit der Kürzung des Gehaltes rechnen232. Sich Anweisungen zu widersetzen, barg also auch die Gefahr, seinen Beruf zu verlieren und »vor dem materiellen Nichts« zu stehen233. Die Durchführung der Tagzeitengottesdienste zählt im Jahr 400 bereits zu den zentralen Pflichten eines Presbyters. Das Konzil von Toledo beschließt daher, Kleriker kurzerhand abzusetzen, wenn sie ihre Präsenzpflicht bei der Tagzeitenliturgie verletzen: »Wenn ein Presbyter, Diakon, Subdiakon oder irgend jemand, der als Kleriker der Kirche zugeteilt worden ist, [...] nicht zur Kirche zum täglichen Opfer gekommen ist, soll er nicht als Kleriker gelten.«234 Sacrificium cotidianum meint hier – wie die neuere Forschung gezeigt hat235 – nicht die Messe, sondern Matutin und Vesper. In der Mitte des Jahrhunderts wird gar eine siebentägige Exkommunikation für jeden Kleriker angeordnet, der ohne gesundheitliche Gründe die morgendliche Matutin versäumt236. Gegenüber dem Usus, dass sich mehrere Kleriker in ihren Tagzeitendiensten wochenweise abwechselten, um so die tägliche Feier von Vepser und Matutin zu gewährleisten237, scheint hier die Präsenzpflicht stärker am Stand des Klerikers festgemacht worden zu sein als an der Gottesdienstordnung einer konkreten Kirche. Angesichts der immer anspruchsvolleren Gestaltung kann allerdings auch die Überlegung eine Rolle gespielt haben, dass es der Schönheit und dem reibungslosen Ablauf der Feier nur zuträglich sein kann, wenn neben dem diensthabenden Offizianten weitere im Psalmensingen geschulte Kleriker zugegen waren. Unter Kaiser Justinian wird der Klerus im Jahr 528 schließlich unter ausdrücklicher Berufung auf ihre Bezahlung sogar staatsrechtlich zur Durchführung der Tagzeiten verpflichtet238. Hier, also im täglichen Gemeindegottesdienst, liegt der ursprüngliche Grund für das Stundengebet als Standespflicht der Kleriker239.
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Bereits die Can. Hippol. (4. Jh.) c. 21 (PO 31, 2, 386f Coquin; dt. 214 Riedel) ordnen an, Kleriker auszuschließen, die nicht zu den täglichen Versammlungen erscheinen; vgl. später z. B. Conc. Aurelian. (2, 533) c. 14 (CCL 148A, 101 de Clercq) oder Conc. Narbon. (589) c. 13 (CCL 148A, 256 de Clercq) mit Blick auf die Subdiakone. Zum Beispiel, wenn man nicht bereit war, lesen zu lernen; vgl. Conc. Narbon. (589) c. 11 (CCL 148A, 256 de Clercq). Vgl. Schöllgen, Professionalisierung (1998) 65. Vgl. Conc. Toletan. (1, 400) c. 5 (21 Vives; dt. 153 Weckwerth). Vgl. Weckwerth, Toledo (2004) 154–158. Vgl. Conc. Venet. (461–491) c. 14 (CCL 148, 155 Munier). Vgl. Conc. Tarracon. (516) c. 7 (36 Vives). Vgl. Cod. Iust. 1, 3, 41 (42), 24 (28 Krueger). Vgl. Salmon, Stundengebet (1965) 403. Dies wird auch daran deutlich, dass noch bis ins Mittelalter die Verpflichtung zum Stundengebet nicht an der Ordination, sondern an den
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Mönche im Dienst der Gemeinden An dieser Stelle muss auf einige organisatorische Aspekte des monastischen Offiziums hingewiesen werden. Untersuchungen des Benediktinischen Stundengebets konzentrieren sich auf die konkrete Ordnung: die Anzahl der Horen, ihren Aufbau und vor allem die Verteilung der Psalmen auf die Horen einer Woche. Nie jedoch wird dabei auf Kapitel 45 der Regel aufmerksam gemacht: »Wer beim Beten eines Psalmes, eines Responsoriums, einer Antiphon oder bei einer Lesung Fehler macht und sich nicht durch Buße dort vor allen dafür verdemütigt, den treffe schwerere Strafe, weil er nicht durch Verdemütigung wieder gutmachen wollte, was er durch Nachlässigkeit verschuldet hat. Knaben aber werden für derlei Fehler mit Schlägen gezüchtigt«240. Die hier zum Vorschein kommende Disziplin ist gewissermaßen die Grundlage für alle konkreten Ordnungen: Psalmen, Responsorien, Antiphonen und Kurzlesungen müssen gekonnt werden. Und die Lebensform des Klosters bot allen Gliedern der Gemeinschaft ideale Bedingungen, sich die dafür notwendigen Kompetenzen anzueignen. Nach Kapitel 8 wurden die langen Winternächte zum Studium des Psalteriums und der Lesungen genutzt241. Die Psalmen stehen an erster Stelle und die Heilige Schrift ist nicht als solche, sondern in ihrer Funktion als gottesdienstliche Lesung genannt. Offenbar geht es um genau jenen Stoff, der im Chorgebet auswendig beherrscht werden muss. Überschlägt man die Zeiten, die nach der angegebenen winterlichen Nachtruhe dafür angesetzt wurden 242 , kommt man – vorsichtig geschätzt – allein hierdurch auf reichlich 100 Stunden Schulung im Jahr, möglicherweise ein Vielfaches. Hinzu kommen noch die täglichen Stunden gottesdienstlicher Praxis. Die Idee, den Psalter sowohl vollständig als auch in einer anspruchsvollen musikalischen Form liturgisch umzusetzen, kann überhaupt nur aufkommen, wenn durch eine solche Infrastruktur an Kompetenzvermittlung eine derart stattliche Anzahl geschulter Sänger oder Sängerinnen zu Gebote steht, dass man die Psalmen prinzipiell auch reihum von allen abwechselnd kantorieren lassen kann243. Die Darstellung der Entwicklung des monastischen Offiziums im Westen bei Paul Bradshaw vermittelt einen Eindruck von der Gestaltungsfreude, die zu ganz unterschiedlichen Ideen führte, wie viele und welche Psalmen wann genau gesungen werden sollten244. Alle
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Pfründen festgemacht wurde; vgl. Jungmann, Erbe (1960) 205 Anm. 140. Eine instruktive Überschau über die Entwicklung bietet immer noch Salmon, Verpflichtung (1958). Reg. Ben. 45 (SC 182, 594 de Vogüé / Neufville; dt. 181 Lambert). Vgl. Reg. Ben. 8 (SC 182, 508 de Vogüé / Neufville; dt. 117 Lambert). Aufstehen zur 8. Nachtstunde, Schlafengehen bald nach Einbruch der Dunkelheit; vgl. Reg. Ben. 8. 41f (SC 182, 508. 582 de Vogüé / Neufville; dt. 117. 173 Lambert). Vgl. Muschiol, Famula Dei (1994) 82f mit Verweis auf Aurel. reg. virg. 18 (PL 68, 402): in omni ministerio sive ordine psallendi, aut legendi, vel operandi, vicibus sibi succedant. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 124–149.
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diese Ordnungen basieren jedoch auf einer musikalischen und personellen Ausstattung, wie sie nur in Klöstern und geistlichen Gemeinschaften vorhanden ist (und auch dort nicht ohne Mühe entsteht). Für die Feier in der Gemeinde sind diese Ordnungen sämtlich ungeeignet und können nur unter starker Reduktion entweder des Repertoires oder der aktiven Beteiligung umgesetzt werden. Für die Geschichte der Gemeinde-Tagzeiten erlangte dieser Zusammenhang insofern Bedeutung, als die monastischen Gepflogenheiten bereits in der Antike auch den Tagzeitengottesdienst in normalen Gemeindekirchen zu prägen begannen 245 und ihn später gar dominieren sollten. Zunächst einmal wurden Klöster nicht nur in der Einsamkeit der Wüste, sondern auch mitten in städtischen Zentren errichtet und standen dann in einer genuinen Beziehung zur Gemeinde der Weltchristen246. Diese Beziehung aber gestaltete sich bald auch in Form der Übernahme liturgischer Dienste und ganzer Gottesdienste in den Kathedralen. Bereits Egeria konnte gegen Ende des 4. Jahrhunderts erleben, dass die in Jerusalem ansässigen Mönche Teile der Tagzeiten in der Grabeskirche durchführten. Jeden Tag vor dem Hahnenschrei gab es eine Art ›Vorprogramm‹ in Form einer Vigil247, bei der sich Mönche und Kleriker mit den Diensten abwechselten. Da Egeria von zwei oder drei Presbytern zuzüglich Diakonen spricht, darf man von bis zu einem halben Dutzend Liturgen ausgehen, die jeweils gemeinsam Dienst hatten. Diese Dienste wurden nicht im strengen Sinn als klerikale Aufgabe verstanden; selbst die Orationen konnten auch von Mönchen gesprochen werden. Für Rom ist bezeugt, dass ab dem 5. Jahrhundert an den großen Basiliken gezielt (bis zu vier) Klöster angesiedelt wurden, um den liturgischen Betrieb zu übernehmen248. Offenbar konnte diese Maßnahme zu Spannungen mit dem Klerus führen, die durch klare Zuständigkeiten behoben wurden: Der Weltklerus führte die an Kathedralen schon länger üblichen Morgen- und Abendgottesdienste durch, die Klöster übernahmen die übrigen Horen249. Auf diese Weise »entsteht das typisch westliche Offizium: auf monastischer Grundlage, mit einzelnen kathedralen Elementen«250 und prägt über die auf Grundlage der
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Vgl. Stadlhuber, Stundengebet (1949) 159f. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 99. Vgl. Eger. itin. 24, 1 (224f Röwekamp). Vgl. Ferrari, Monasteries (1957) 365–374. 381f; zur Entwicklung der Basilika-Klöster von Augustinus über Rom bis in das fränkische Gallien vgl. Häußling, Mönchskonvent (1973) 123–173. Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 204. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 264.
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römischen Basilika-Klöster entwickelte Ordnung der Benediktsregel251 langfristig das gesamte monastische und klerikale Stundengebet im Westen252. In Gallien wird die Verbindung von Kloster und Kathedrale im 5. Jahrhundert durch die politischen Verhältnisse besonders forciert: Im Rahmen der von dem Germaneneinbruch ausgelösten Fluchtbewegung sammeln sich die Träger von Wissenschaft und Kultur in den Klöstern im Südosten Galliens und machen diese zu einem idealen Hort für die Heranbildung von kirchlichen Führungspersönlichkeiten: »Der Weg vom Kloster auf einen südgallischen Bischofsstuhl ist praktisch vorgezeichnet. Die Mönchsbischöfe ihrerseits bleiben weiterhin Förderer des Mönchtums und gründen in ihren Bischofsstädten neue Klöster«253. Der tägliche Gottesdienst der Nonnen und Mönche ist auf diese Weise wenigstens zum Teil für die Stadtgemeinde zugänglich254 und macht dadurch immer breitere Teile der Bevölkerung mit den dortigen liturgischen Ordnungen bekannt255. Amalgam aus Kloster und Gemeinde Paul Bradshaw hat die markantesten Merkmale der durch Johannes Cassian bezeugten, rein monastischen Ordnung des Stundengebets gegenüber der kathedralen zusammengestellt: kein gemeischaftlicher Lobpreis in Hymnen oder Liedern; keine gemeinsame Antwort auf den Psalm (außer dem Halleluja); kein Lichtritus und kein Weihrauch; keine zur Tageszeit passende Psalmauswahl; stattdessen war dieses Offizium einfach die Fortsetzung der individuellen Meditation des Wortes Gottes in Gemeinschaft. Daher ist das Gebet im monastischen Typ auch nicht dem Wohl und den Nöten der Welt zugekehrt, sondern ganz der eigenen Vervollkommnung256.
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Vgl. Heiming, Offizium (1961) 132. 147–154. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 265. Wie langfristig diese Entwicklung vonstatten ging, zeigt Ferrari, Monasteries (1957) 397–407 für die stadtrömischen Klöster auf: Erst seit dem 10. Jahrhundert kommt es zur forcierten Übernahme der Benediktsregel. Frank, Mönchtum 1 (1975) 28f. Vgl. Muschiol, Famula Dei (1994) 114. Berg, Cäsarius (1994) 341 berichtet, dass die Nonnen in Arles manche Horen im sog. »äußeren Oratorium« gebetet haben, um den Bürgern der Stadt die Teilnahme zu ermöglichen. Das ursprünglich außerhalb der Stadt gelegene Frauenkloster war nach seiner Zerstörung von Cäsarius bewusst im Zentrum wiedererrichtet worden; vgl. Berg, Cäsarius (1994) 38. Zum Oratorium vgl. auch Muschiol, Famula Dei (1994) 133–136. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 98f und etwas ausführlicher Bradshaw, Two ways (1995) 18–21 mit den notwendigen Differenzierungen ebd. 21–23; ähnlich Guiver, Company (2001) 56; vgl. auch Taft, Hours (1986) 211–213, der ebd. 66 darauf hinweist, dass Liturgie in der Anfangszeit zunächst insgesamt gar kein dominantes Element monastischen Lebens war.
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Die beiden Ordnungen existierten aber nicht nur nebeneinander, sondern verschmolzen zunehmend zu einem Amalgam257, dessen Bestandteile erst die Wissenschaft wieder klar benennen konnte. In der einen Richtung nahm die monastische Liturgie Elemente des Gemeindegottesdienstes auf 258, mindestens dort, wo sie die Tagzeiten mit den übrigen Christen gemeinsam in der Hauptkirche feierten259. Umgekehrt aber brachten die Mönche auch ihre eigene Liturgie mit, wo sie mit der Durchführung der Gemeinde-Tagzeiten betraut wurden. So kann man darin, dass in der Jerusalemer Vigil auf die einzelnen Gesänge laut Egeria jeweils ein Gebet folgt, einen Reflex monastischer Tradition erkennen260, die dort dann auch von Weltgeistlichen befolgt wurde. Cäsarius führte an seiner Kathedrale Terz, Sext und Non ein – zwar von seinem Kathedralklerus durchgeführt, aber wohl nach seiner klösterlichen Gewohnheit261. In Tours wird im Jahr 567 ein komplexes System der Psalmverteilung für die Martinsbasilika beschlossen262. Und wenn auch im Einzelfall die Vermischung von kathedralem und monastischem Ritus ausdrücklich untersagt wurde263, so kann doch Paul Bradshaw das Ergebnis dieses Prozesses folgendermaßen resümmieren: »Am Ende triumphiert das monastische Offizium über das kathedrale, und das letztere wurde dem ersten immer stärker angeglichen, bis es schließlich im gesamten Westen vollständig von ihm ersetzt wurde.«264 Den Laien sei dadurch die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme mehr und mehr genommen worden: »Es war die Wirkung des Mönchtums, dem Kathedral-Offizium als dem Gebet des Volkes ein Ende zu bereiten.«265
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Die Baumstarksche Unterscheidung in »kathedral« und »monastisch« ist durch Robert Taft präzisiert worden: Taft, Hours (1986) 32. 202–204 sieht das städtische Mönchtum als eigenständige bzw. von Anfang an gemischte Größe an und bezeichnet die dortige Liturgie als dritten, »städtisch-monastischen« Typ. Womöglich haben sich auch die verschiedenen Mischformen nicht als eigene Typen-Familie, sondern je vor Ort in ganz individueller Brechung entwickelt. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 235. Im Westen hat besonders die Morgenhore kathedrale Elemente aufgegriffen, während die Vesper davon weitgehend unberührt blieb; vgl. Taft, Hours (1986) 130. 134 u. ö. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 105. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 256 zu Eger. itin. 24, 1. 8 (226f. 230f Röwekamp). Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 32. 38. 331f mit Verweis auf vit. Caes. 1, 15 (462 Krusch). Vgl. Conc. Turon. (567) c. 19 (18) (CCL 148A, 182f de Clercq). Die hier angeordneten »Antiphonen« mit jeweils zwei oder drei Psalmen lassen eher an gleichlange, liturgisch einsetzbare Psalmenblöcke im Sinne der konstantinopolitanischen Diktion denken als an Rahmenverse zu den Psalmen. Vgl. Conc. Bracar. (1, 561) c. 1 (71 Vives); dazu Taft, Hours (1986) 158: »this pastorally wise resistance to the monasticization of the cathedral hours did not win the day«. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 123 (eigene Übersetzung). Bradshaw, Daily Prayer (1983) 123 (eigene Übersetzung).
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Solange in den Zentren die Kirchen gut mit Klerikern ausgestattet oder von einem Kloster getragen wurden, konnte wenigstens die Durchführung des Gottesdienstes gewährleistet bleiben – auch wenn die Beteiligung der Gemeinde dauerhaft rückläufig gewesen sein muss. In der Fläche der Gemeinden aber musste die monastische Ordnung auch die liturgische Kompetenz und Leistungsfähigkeit der zunehmend auf sich allein gestellten Kleriker überfordern266. Statt nun die Zahl der Horen von bis zu acht wieder auf eine im Gemeindeleben praktikable Menge zu reduzieren und die unter klösterlichen Bedingungen entwickelten Lese- und Psallier-Ordnungen auf ein für die Gemeinde und ihren Kleriker taugliches Format zu bringen, war es das neu entwickelte Pensum, das gerettet wurde267 – auf Kosten der traditionellen Vollzugsform. Die Folgen dieser aus liturgietheologischer Sicht falschen Grundentscheidung liegen auf der Hand: Als Gottesdienst – mit oder ohne Gemeinde – fanden die Tagzeiten allenfalls noch an den Kathedralen268 oder in den Chören der Klöster und Stifte statt. In der Fläche der Gemeinden setzte sich hingegen die Privatrezitation des Klerikers unter Verzicht auf tägliche gemeinsachaftliche Feiern weitgehend durch. Weil also der inhaltlichen Ausgestaltung gegenüber der praktischen Vollzugsform Priorität eingeräumt wurde, ging letztlich die gesamte Gottesdienstform für das kirchliche Leben verloren. Bis heute spiegelt sich diese Entwicklung in der Rechtslage wider, wenn das vom Priester allein nach dem Römischen Stundenbuch vollzogene Stundengebet als amtliche Liturgie der Kirche gilt, ein öffentlich in einer Kirche gefeierter Tagzeitengottesdienst nach abweichender Ordnung hingegen nicht269. Ausblick: Tagzeiten ohne Profis? Weder die Idee der Ausstattung jeder einzelnen Ortsgemeinde mit einem eigenen Kirchengebäude, noch die Idee, den Klerus zu professionalisieren, sind um des Tagzeitengottesdienstes willen forciert worden. Da jedoch beide Entwicklungen in vollem Gange waren, als sich die Tagzeiten zu etablieren begannen, konnte ihre rituelle Entfaltung voll auf diese Infrastruktur zugreifen. In jener Phase, in der das tägliche Gebet den Sprung in die Gemeinschaft machte, nahm diese Gemeinschaft auch im Stundengebet ganz selbstverständlich die Gestalt 266
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Guiver, Company (2001) 85–89 beschreibt den Übergang von der Versorgung des Landes durch kirchlich-liturgische Zentren mit einer Ausstattung von vielleicht einem Dutzend Kleriker, die die Tagzeiten gemeinsam durchführten, zur Einrichtung kleinerer Gemeinden zwischen dem 8. und dem 12. Jahrhundert. Vgl. Guiver, Company (2001) 95f. Guiver, Company (2001) 117–123 berichtet, wie auch im neuzeitlichen England vor Beginn der Oxford-Bewegung die Kathedralen als liturgische Zentren den Evensong durch die Jahrzehnte des Verfalls gerettet haben. Vgl. Müller, Träger (1999) 782 und CIC (1983) c. 834 § 2.
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der hierarchisch verfassten Ortsgemeinde an; und den mit den liturgischen Diensten betrauten Amtsträgern fielen wie von selbst auch bei der Durchführung der Tagzeitengottesdienste ihre für die Eucharistie ausgeformten Rollen zu. Wie im nächsten Kapitel im Einzelnen zu zeigen sein wird, sind die überlieferten Interaktionsstrukturen des Gottesdienstes deshalb grundlegend auf professionelle Durchführung angelegt und angewiesen. Es bleibt allerdings im Bewusstsein der Kirche lebendig, dass die klerikale Leitung für den täglichen Gebetsgottesdienst nicht in derselben Weise notwendig ist270, wie für die Eucharistie oder andere sakramentale Gottesdienste: In den Klöstern etwa ist der Vollzug der Gebetszeiten nicht davon abhängig, dass ein Kleriker unter den Schwestern oder Brüdern ist271. Das monastische Stundengebet kann ohne die Anwesenheit eines Presbyters zwar Änderungen erfahren272, aber es muss nicht ausfallen273. Hier trägt sich durch, dass der Tagzeitengottesdienst kein sakramentaler Vollzug ist, der besondere Beauftragungen und Amtsvollmachten zwingend zur Voraussetzung hätte, sondern aus dem Gebetsleben aller einzelnen Christinnen und Christen hervorgegangen ist274. Auch die AES liegt exakt auf der Linie dieser Ursprungsintention des Stundengebets, wenn sie nicht nur Kleriker, sondern alle Christen zur Teilnahme an der Feier und auch zur Feier ohne Priester aufruft275. Sogar das erneuerte Kirchenrecht hat in dieser Frage zur altkirchlichen Sichtweise zurückgefunden, wenn es ver270
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Eine Gegenanzeige belegt das Verbot von Tagzeitengottesdiensten ohne klerikale Leitung in Privathäusern durch Conc. Toletan. (1, 400) c. 9 (22 Vives). Hintergrund mag die Sorge um Rechtgläubigkeit oder den kirchlichen Charakter sein (die Leitung von Gottesdiensten durch Laien im Kirchengebäude gerät im damaligen Kontext nicht in den Blick). Vgl. Martimort, Handbuch (1963) 89 über Klöster und Domkapitel: »es ist nicht notwendig, daß bei ihrem Stundengebet ein Glied der Hierarchie den Vorsitz führt« mit Anm. 10: »Das ist sogar für das Offizium der Nonnen ausdrücklich verboten«. Eine gewisse Affinität entwickelt das Amt besonders zu den Orationen; vgl. Reg. Ben. 60, 4 (SC 182, 636 de Vogüé / Neufville; dt. mit Kommentar bei Puzicha, Benediktusregel [2002] 513), wenn mit missa – wie es Adalbert de Vogüé versteht – der Abschluss der Oration gemeint ist. Das Conc. Agath. (506) c. 30 (CCL 148, 206 Munier) weist die orationes und collectiones ausdrücklich dem Bischof oder dem Presbyter zu. Im Kathedral-Offizium Konstantinopels sind die Orationen »Amtsgebete des priesterlichen, bischöflichen bzw. patriarchalen Offiziators« und sind in dessen Rollenbuch, dem Euchologion, verzeichnet; vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 189f. In Klöstern musste u. U. die Oration durch das Vaterunser ersetzt werden, wenn kein Presbyter anwesend war; vgl. u. in Kapitel C.II.4 den Abschnitt ›Vaterunser und Oration‹ (S. 263f). Noch bei Eger. itin. 24, 1 (224f Röwekamp) waren die Orationen allerdings nicht zwingend von Klerikern, sondern auch von Mönchen gesprochen worden. Die eigenständige Durchführung des Offiziums in den Frauenklöstern der Merowingerzeit hat Muschiol, Famula Dei (1994) 81–106 umfassend aufgearbeitet. So wird in der sah. Trad. Apost. 37 (8f Till / Leipoldt) = Botte Nr. 10 den Witwen ausdrücklich deshalb keine Handauflegung erteilt, weil ihr Dienst – der Dienst des immerwährenden Gebets – alle Christen betrifft. AES 27; vgl. dazu Stubenrauch, Träger (2002) 327f.
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sucht, »jeglichen Anschein zu vermeiden, als sei der Vollzug der Stundenliturgie durch Laien nur im Falle der Beteiligung eines dazu Beauftragten Liturgie«276. Heute ist es vielen Priestern angesichts ihrer immer stärkeren beruflichen Belastung nicht mehr möglich, das gottesdienstliche Programm, das sie an Sonntagen zu leisten haben, auch an Werktagen durchzuführen277. Damit nun deshalb nicht der Alltag weitgehend gottesdienstfrei bleibt278, könnte in der Gattung der Tagzeitenliturgie das geschehen, was aus theologischen Gründen bei der Eucharistiefeier ausgeschlossen ist: sie von der strikten Bindung an die Leitung durch einen Kleriker abzukoppeln und auf eine Weise in den Gemeinden einzuführen, die von den Anwesenden auch ohne professionelle Leitung getragen werden kann279. Das Bistum Essen hat eigens zur Förderung solcher Feiern für deren Leiterinnen und Leiter ein Rollenbuch mit einer hilfreichen pastoralen Einführung herausgegeben280. Die Möglichkeiten, das gottesdienstliche Leben auf diesem Weg zu erhalten und zu bereichern sind aber bei Weitem nicht ausgeschöpft; und besonders die Tradition der Tagzeiten hätte der heutigen Zeit mit ihren ganz spezifischen Problemen praktikable Lösungen anzubieten281. Zu diesem Zweck müsste zunächst in manchen Fragen die gewohnte Kompetenzverteilung aufgebrochen werden – ein Weg, den die Kirche immer schon beschritten hat, wo es ihr aus theologischer Sicht unbedenklich, aus pastoraler Sicht hingegen geboten erschien. Um ein Beispiel aus dem hier behandelten Quellenfundus zu nennen: Von Bischof Cäsarius ist bekannt, dass er das allei276
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Stubenrauch, Träger (2002) 330 mit Bezug auf CIC (1983) c. 1174 § 2. Es ist allerdings umstritten, wie der Wortlaut von CIC (1983) c. 834 § 2 genau zu verstehen sei. Für Müller, Träger (1999) 783f bezieht sich die Bedingung, dass der Gottesdienst »von rechtmäßig dazu beauftragten Personen [...] dargebracht wird«, auf die Beauftragung zur Leitung des Gottesdienstes, die allerdings nicht zwingend durch einen Verwaltungsakt, sondern auch etwa mündlich durch den Pfarrer erfolgen könne. Stubenrauch, Träger (2002) 164–166 und in seiner Folge dann Haunerland, Liturgie (2006) 259f sehen keinen Grund, den Kanon nur auf die Leitung des Gottesdienstes zu beziehen; deferre beziehe sich vielmehr auf die Trägerschaft des Gottesdienstes insgesamt, und mit der erwähnten Beauftragung müsse deswegen die allgemeine Beauftragung aller Gläubigen zum Gottesdienst durch ihre Taufe gemeint sein. Mit den Schwierigkeiten, die die Zusammenfassung von Gemeinden zu Seelsorgebereichen dem liturgischen Leben bereiten, befasst sich umfassend Kranemann, Seelsorgeeinheit (2005). Vgl. Kranemann, Seelsorgeeinheit (2005) 378f. Vgl. Kranemann, Seelsorgeeinheit (2005) 376f. Dieser Praxis folgte auch die durch Berger, Gemeinde (1989) publizierte tägliche Vesper in Bad Tölz, vgl. ebd. 198. Die Grenzen der Belastbarkeit des Liturgen veranlasste bereits im Jahr 506 das Konzil von Arles, die persönliche Präsenz des Bischofs in seiner Kathedrale zwar zur Vesper, aber nicht zur Matutin vorzusehen, um ihn nicht mit liturgischen Pflichten zu überlasten; vgl. Conc. Agath. (506) c. 30 (CCL 148, 206 Munier); vgl. dazu Jungmann, Erbe (1960) 196. Vgl. Bistum Essen, Lebendig (1997) bes. die Begründung S. 4–6. Kohlschein, Gottesdienst (1984) 214–216 berichtet, dass nach einer Erhebung der Gottesdienstordnungen von 70 Pfarreien des Rhein-Main-Gebiets im Oktober 1983 das Stundengebet nirgendwo als Alternative zum Rückgang der Werktagsmessen eingeführt wurde.
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nige Predigtprivileg der Bischöfe gegen Widerstände seines Standes aufhob und auch Presbytern das Predigen erlaubte. Sogar Diakone sollen vorformulierte Predigten verlesen, wenn der Presbyter krank ist. Falls hier nicht ausschließlich solche Krankheiten gemeint sind, die einen anwesenden Presbyter am Sprechen hindern (Atemwege, Stimmbänder), wäre in diesem Fall wohl die gesamte Durchführung des (dann sicher nicht eucharistischen) Gottesdienstes in die Hand der Diakone gegeben worden. So passt Cäsarius »um der Auferbauung aller Kirchen willen und zum Nutzen des gesamten Volkes«282 die überlieferten Zuständigkeiten seiner aktuellen pastoralen Notlage an. Begleitend entwickelt er einen regelrechten Materialdienst, der alle Kleriker, denen selbst die entsprechende Ausbildung dazu fehlt, in die Lage versetzt, wenigstens die von anderen vorbereiteten Predigten zu reproduzieren283. Offenbar gelang dem berühmten Bischof von Arles die Wiederbelebung der Verkündigung des Wortes Gottes in seinen Gemeinden, weil er sie für wichtiger hielt als das Festhalten an überkommenen Zuständigkeiten. Allerdings hat sich im Verlauf dieses Kapitels gezeigt, dass nicht das kirchliche Amt mit seinen besonderen Befugnissen, sondern die zur Leitung des Gottesdienstes erforderliche Professionalität das zentrale organisatorische Problem darstellt: Aufgrund des gleichzeitig mit dem Priestermangel284 vorgenommenen Personalabbaus müssen Gottesdienste somit auch von ehrenamtlichen, also weitgehend ungeschulten Mitarbeitern durchführbar sein285. Das Problem besteht nun darin, dass die überlieferte Gestalt des Stundengebets ganz auf eine professionelle Durchführung eingerichtet ist, und dass dieser Punkt bislang von keiner Reform der Tagzeiten angegangen wurde: Die lutherische Reformation hat aus ihrer Kritik an der römischen Klerusliturgie nicht die Konsequenz gezogen, ihre eigene Tagzeiten-Liturgie von der allgemeinen Priesterschaft aller Getauften tragen zu lassen, sondern setzte vor allem auf die musikalischen und theologischen Fachleute in den Ausbildungszentren286; für Martin Luther ist das Singen am Morgen und am Abend jeden Tages die Aufgabe des Pfarrers und Predigers287. Deutlich erfolgreicher verlief die Wiederbelebung der Tagzeiten in der anglikanischen Kirche, die ihren Klerus neu und flächendeckend auf diesen 282 283 284
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Conc. Vas. (529) c. 2 (CCL 148 A, 78f de Clercq). Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 47. 180–182. Auch von den Orden ist eine Ausstrahlung in die Breite der Gemeinden kaum mehr zu erwarten. Zekorn, Heiliger Rest (2005) 6 rechnet exemplarisch vor, dass es in Deutschland im Jahr 1965 noch rund 100.000 Ordensfrauen gab; heute sind es 27.000, davon zwei Drittel über 65 Jahre alt; in 20 Jahren werden es nurmehr 6.000 Ordensfrauen sein. Diese Möglichkeit wird so gut wie nicht in Betracht gezogen; stattdessen gehen die Forderungen in die Richtung einer Professionalisierung der Ehrenamtlichen; vgl. Kranemann, Seelsorgeeinheit (2005) 384. Vgl. Odenthal, Ordinatio (2005) 7. Vgl. Martin Luther, Von ordenung gottis diensts ynn der gemeyne (WA 12, 35).
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liturgischen Dienst verpflichtet: Im Book of Common Prayer findet sich die lapidare Vorschrift, der Kleriker einer jeden Gemeindekirche solle Morgen- und Abendgebet in seiner Kirche verrichten und vorher die Glocken läuten, »damit die Menschen kommen, um Gottes Wort zu hören und mit ihm zu beten«288. Diese Lösung ist naheliegend und praktikabel, wo in ausreichender Anzahl Kleriker zum Dienst in den Gemeinden bestellt sind289. Es bleibt in diesem Sinne ein unverständliches Desiderat, dass in Deutschland nicht wenigstens die noch existierenden Kapitel an den Kathedralkirchen den ursprünglichen Zweck ihrer Einrichtung erfüllen290. Derartige Lösungen verharren aber letztlich allesamt in jener Logik, die bereits im Jahr 524 das Konzil von Arles seinen Maßnahmen zugrunde legte: »Da die Zahl der Kirchen wächst, müssen wir mehr Kleriker ordinieren.«291 Mit umgekehrtem Vorzeichen auf unsere Gegenwart angewandt bedeutete dies: Je weniger Priester und hauptamtliche Seelsorger es gibt, desto weniger Kirchen können als Gottesdienststätten gehalten werden292. Die Wiederbelebung der Tagzeiten in unseren Gemeinden scheitert seit Jahrzehnten vor allem daran, dass es nicht gelungen ist, diese Logik zu durchbrechen. Andreas Odenthal stellt besonders an die Reformation die kritische Frage, warum sie trotz ihrer Betonung der gleichen Würde aller Getauften und ihrer Kritik am katholischen Offizium als ›Klerusliturgie‹ die Tagzeiten als Gemeindeliturgie nicht von ihrer exklusiven Durchführung durch Fachleute befreit hat293. Die Frage, wie Tagzeiten aussehen müssten, die auch von Amateuren eigenständig gefeiert werden können, haben also auch die Reformatoren nicht beantwortet. Sie lässt sich insgesamt nicht durch einen eindimensionalen Rückgriff auf historische Vorbilder klären: Denn Tagzeitengottesdienste ohne professionelle Leitung hat es seit der Ausbildung ihrer liturgischen Gestalt – jedenfalls in einer greifbaren und nennenswerten Größenordnung – nicht mehr gegeben. Statt also die Geschichte einfach bis zu einem passenden Stadium
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Book of Common Prayer (1662) X (eigene Übersetzung); laut Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 216 Anm. 3 ähnlich bereits in der Fassung von 1549. Als Beispiel kann der Bericht von Ludwig, Gemeinsam (1984) gelten, der als Pfarrer sein Stundengebet zweimal in der Woche in die Kirche verlegte und einen Kreis aus der Gemeinde für den gemeinsamen Psalmengesang gewinnen konnte. Neunheuser, Volksfrömmigkeit (1989) 189–191 sieht in diesem Modell im Grunde die einzige Möglichkeit, den Gemeinden die »hohe Weise der Feier des Stundengebets« nahezubringen, da diese der »Großartigkeit des offiziellen Stundengebets nicht gewachsen« seien. Den einfachen Gläubigen empfiehlt er volkstümlichere Formen wie den Angelus oder den Rosenkranz. Vgl. Schnitker, Oratio (1977) 128–145. Vgl. Conc. Arelat. (524) c. 2 (CCL 148A, 43 de Clercq). Vgl. zu dieser Problematik Haunerland, Liturgie (2006) 267. Vgl. Odenthal, Ordinatio (2005) 7. Die Scheu evangelischer Laien vor der Übernahme liturgischer Dienste beklagt auch Ratzmann, Alltag (1999) 103.
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zurückzuspulen294, müssen die einzelnen Parameter in ihrem Verhältnis zueinander beleuchtet werden, um daraus eine Form abzuleiten, die zwar dem überlieferten Anliegen und den überlieferten Mechanismen folgt, die aber kein direktes historisches Vorbild hat. Eine liturgische Form zu finden, die statt der von Anfang an vorausgesetzten professionellen Durchführung auch eine von Ehrenamtlichen geleitete Feier erlaubt295, ist die vermutlich größte Herausforderung, vor der die Wiederbelebung der Tagzeiten heute steht. Als Ergebnis dieses Abschnittes ist also vor allem eine entscheidende Aufgabe an die Aufarbeitung der Gestalt des Gottesdienstes im nächsten Kapitel weiterzureichen: eine Analyse der einzelnen Elemente und ihrer Vollzugsform auf die Fragen hin, inwiefern sie auf geschultes Personal angewiesen sind und welche Möglichkeiten sich bieten, sie aus dieser Abhängigkeit zu lösen.
2. Gemeinsames Handeln Im vorigen Kapitel ging es um die ›externe‹ Organisation, um Vorbereitungen und Verantwortlichkeiten, die bereits geregelt sind, bevor die Gemeinde zusammenkommt. In diesem Kapitel soll die ›interne‹ Organisation des Gottesdienstes das Thema sein: Wie lässt es sich einrichten, dass eine Gemeinschaft von Gläubigen tatsächlich miteinander betet und liturgisch handelt? Zusammenkunft zur festgesetzten Zeit Das zeitlich und logisch erste Element gemeinsamen Handelns ist das Zusammenkommen. Sich gleichzeitig am selben Ort zu versammeln, hatte sich oben296 als besonders stringente Realisierung der kirchlichen Koinonia erwiesen. Und bereits der Pliniusbrief erwähnt, dass die für Christen spezifischen Zusammen-
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Vgl. Ringseisen, Gemeinde (2002) 32: »Der Weg, auf den das Konzil die Kirche ruft, ist darum in gewissem Sinn ein Stück Weg zurück; bis zu dem Punkt, an dem sich die anfängliche Gemeinsamkeit des Betens des Gottesvolkes zu jener folgenschweren Zweigleisigkeit entwickelt hat, die bis in unsere Tage das betende ›Laienvolk‹ von den betenden ›Spezialisten‹ trennt.«; ähnlich Schnitker, Stundenliturgie (1989) 165f. Vgl. Kohlschein, Gottesdienst (1984) 219: »Als Maßstab sollte eine Gebetsversammlung ohne akademisch-theologischen Leiter gelten.« und ebd. 232: »Die notwendige liturgische Strategie müßte heute darin bestehen, anstelle immer weniger Priester immer mehr Messen vorstehen zu lassen, die Gemeinden, d. h. die Laien dazu zu befähigen, das Tagzeitengebet am Morgen und am Abend als den werktäglichen Gottesdienst zu feiern.« In den gut 20 Jahren seit Erscheinen dieses Aufsatzes ist in dieser Hinsicht wenig geschehen. Vgl. o. Abschnitt A.II.1 (S. 50–67).
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künfte an einem festgesetzten Tag (stato die) stattfanden297. Man verabredete sich für feste Zeiten. Weil nun die Kirche als endzeitliche Sammlungsbewegung angemessener zum Ausdruck kommt, wenn die versammelte Menge auch in ihrem Erscheinungsbild ein Symbol für die Sammlung und nicht eher für die Zerstreuung ist, zieht sich das Interesse der Kirche an zahlreichem Erscheinen wie ein roter Faden durch die Geschichte. Die Methode, durch die dieses Ziel erreicht werden sollte, konnte allerdings stark differieren. In den Klöstern hatte man in dieser Hinsicht leichtes Spiel: Man konnte die Teilnahme anordnen, und wer fehlte oder später kam als erlaubt, musste mit Strafen rechnen und sich öffentlich verdemütigen298. In den Gemeinden hingegen konnten die Gläubigen nicht einfach befehligt werden. Es blieb daher nur die Doppelstrategie, ihnen einerseits immer wieder ins Gewissen zu reden299 und ihnen andererseits die Teilnahme so leicht und so angenehm wie möglich zu machen. Der konkrete zeitliche Umfang und Ansatz des Gottesdienstes ist von diesem Anliegen abgeleitet. So gehört es zur leichten Teilnahme, eine Uhrzeit anzusetzen, zu der die Gläubigen in der Nähe der Kirche sind und die Zeit haben sie aufzusuchen. Als die Tagzeiten entstanden, war es in den ländlichen Gegenden mit ihrer agrarisch geprägten Gesellschaft tagsüber aus Gründen der Arbeitsorganisation aussichtslos, größere Teile der Bevölkerung zu einer Zusammenkunft zu laden; denn die in den Siedlungskernen errichteten Kapellen und Kirchengebäude sind von der Feldarbeit aus nicht schnell genug zu erreichen. Aber auch in Städten waren die einzigen Zeiten mit einer Chance auf rege Teilnahme der Morgen vor Beginn der Arbeit und der Abend nach der Heimkehr300, gelegentlich vielleicht die Nacht. Präzise diese Zeiten sind es, die sich flächendeckend zur Feier der Tagzeiten etabliert haben – so bezeugen es rechtliche Regelungen301 und liturgische Handschriften302. Oft wird diese Ordnung theologisch überhöht: Der Morgen und der Abend hätten aufgrund ihrer theologischen Bedeutung ihre Sonderstellung erlangt und seien deshalb als Gemeindehoren von den übrigen, rein klerikalen Gebetszeiten303 abgehoben. Demgegenüber ist festzuhalten, dass die besondere theologische Stellung der beiden Haupthoren das Ergebnis der Entwicklung war und nicht ihr Auslöser. Paul Bradshaw betont mit Blick 297 298
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Vgl. Plin. ep. 10, 96 (40f Guyot / Klein). Vgl. Reg. Ben. 43 (SC 182, 586–590 de Vogüé / Neufville; dt. 177 Lambert) ; vgl. Puzicha, Benediktusregel (2002) 380–389. Mit einigem Erfolg betrieb dies wiederum Cäsarius von Arles; vgl. Jungmann, Erbe (1960) 180 mit Verweis auf Caes. Arelat. serm. 72, 1; 196, 4 (CCL 103, 303; 104, 793 Morin); vgl. auch Berg, Cäsarius (1994) 331f. So wünscht es sich Joh. Chrys. cat. bapt. 3, 7, 17f (FC 6, 2, 480f Kaczynski). S. o. in Kapitel B.II.1 den Abschnitt ›Dienstliche Disziplin‹ (S. 142f). Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 185. So z. B. Bugnini, Liturgiereform (1988) 534; Ringseisen, Gemeinde (2002) 29.
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auf die Vielfalt der früheren Zeugnisse, dass Laudes und Vesper im 4. Jahrhundert aus rein praktischen Erwägungen heraus ihre Sonderstellung erhielten304. Die Gegenprobe kann das bestätigen: In städtischen Zentren, wo auch zu anderen Uhrzeiten eine Beteiligung bestimmter Bevölkerungskreise denkbar war, sind seit dem 4. Jahrhundert auch noch andere Horen belegt. Dies gilt vor allem für Jerusalem, wo ausdrücklich nicht nur die diensthabenden Kleriker, Mönche und Jungfrauen mehrmals täglich erscheinen, sondern auch Laien zur Sext und zur Non zugegen sind und sogar schon »frühmorgens an den Vigilien teilnehmen wollen« (volunt maturius vigilare)305. Der Wunsch zu beten ist hier offenbar weit verbreitet, woran die Anziehungskraft des Ortes auf eine zahlreiche Pilgerschaft, die während der Reise ihrer beruflichen Zwänge enthoben war und außer zu beten wenig vorhatte, einen hohen Anteil haben dürfte. Aber auch in anderen, ›normaleren‹ Städten werden nicht nur Laudes und Vesper gefeiert. In Remesiana beispielsweise beginnt Bischof Nicetas etwa zu jener Zeit, als Egeria aus Jerusalem berichtet, am Wochenende mit seiner Gemeinde Vigilien zu feiern. Seine schwärmerische Schilderung der wohltuenden Wirkung solcher Nachtgottesdienste ist gewiss auch von dem Willen getragen, die Teilnahme durch aufbauende Worte schmackhaft zu machen. Da seine Predigt allerdings nicht nur der Außenwerbung diente, sondern an genau jene gerichtet war, die gerade an den Vigilien teilnahmen, dürfte es für die Zuhörerschaft auch nicht gänzlich abwegig geklungen haben, wenn Nicetas sagt, dass jeder, der die Vigilien miterlebe, spüre, wie das Wachen und Beten das Herz erleichtert, die Trägheit des Geistes vertreibt, die Seele mit Glanz erfüllt und Freude in sämtliche Glieder fahren lässt306. Zudem lässt es aufhorchen, dass offenbar auch in häretischen, vermutlich arianischen Kreisen solche Vigilien gefeiert wurden: Nicetas brandmarkt diese als Werk des Teufels, der sie allerdings gerade aufgrund ihrer segensreichen Wirkung für die Feiernden von der Kirche kopiert habe307. Sowohl aus dem bloßen Faktum als auch aus der Argumentationsfigur geht hervor, dass es nicht wenige Gläubige gab, die am Wochenende gerne einige Stunden der Nacht im gemeinsamen Gebet verbrachten. Mit den Vigilien war demnach ein Format gefunden, das auch zu einer nicht klassischen Uhrzeit die Gläubigen zahlreich zu sammeln vermochte. Das Testamentum Domini nun will den Zeitpunkt der festtäglichen Morgengottesdienste explizit am Sonnenaufgang ausgerichtet wissen308 und überliefert dazugehörige Gebete, in denen eine christologische Lichtsymbolik das
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Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 150. Eger. itin. 24, 1 (224f Röwekamp). Vgl. Nicet. Remesian. vigil. 8 (311 Turner; engl. 62 Walsh). Vgl. Nicet. Remesian. vigil. 8 (311f Turner; engl. 63 Walsh). Vgl. Test. Dom. 1, 26 (50f Rahmani; engl. 32 Sperry-White).
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dominanteste Theologumenon ist309. Zugleich aber geht es davon aus, dass die Gebete auch tagsüber – ausdrücklich zur dritten, vermutlich ebenso zur sechsten und neunten Stunde – in der Kirche stattfinden, auch wenn mancher wohl nicht werde da sein können310. So prägt zwar die Symbolik der Tageszeit den Gottesdienst; die Zusammenkunft ist aber nicht allein deswegen, sondern auch zu anderen Zeiten sinnvoll. Cäsarius ruft seine Gemeinde zur Teilnahme an Terz, Sext und Non auf 311, deren Einführung allerdings bereits der Übertragung der monastischen Ordnung auf die Kathedrale und nicht dem spirituellen Bedürfnis der Gläubigen geschuldet sein dürfte312. Auf jeden Fall aber ist in dieser Zeit noch immer Bewegung im System der Gemeinde-Tagzeiten313, und die klare Dominanz der Morgen- und der Abendhore hat die Hirten nicht davon abgehalten, ihren Gemeinden auch zu anderen geeigneten Uhrzeiten gemeinsames Stundengebet anzubieten. Zusammenfassend gilt daher: Konnten die natürlichen Rhythmen oben schöpfungstheologisch grundgelegt314 und – eingebettet in ein ganzes Geflecht aus gleichwertigen Anlässen – auch als sinnvolle und bewährte Gebetszeiten bestätigt werden315, so sind sie nun als Versammlungszeiten stark zu relativieren: Mögen die Christin und der Christ auch weiterhin an solchen bewährten Zeitmarken zum Gebet angehalten sein – ihren theologischen Wert als Gottesdienstzeiten beziehen sie einzig aus ihrer Praktikabilität: aus ihrer Eignung zur Zusammenkunft im Tagesablauf der Menschen316. Die rechte Dauer Während Augustinus den Gläubigen möglichst häufige, sehr kurze und schnelle »gewissermaßen geschleuderte« (quodam modo iaculatae) Gebete empfahl 317, beruhen weite Teile der monastischen Ordnung auf dem Anliegen, mit dem Gebet viel Zeit zubringen zu wollen. Man betete zunächst nicht soundso oft
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Vgl. Test. Dom. 1, 26 passim (50–57 Rahmani; engl. 32–34 Sperry-White). Vgl. Test. Dom. 2, 24 (144f Rahmani; engl. 38 Sperry-White). Vgl. Caes. Arelat. serm. 196, 2 (CCL 103, 792 Morin). Vgl. dazu Bradshaw, Daily Prayer (1983) 122. Zur Diversität der Ordnungen allein innerhalb der Bistümer des antiken Galliens, in denen es verschiedentlich kleine Horen oder auch Nachtgottesdienste gab, vgl. Beck, Care (1950) 108–110. 117–119. Vgl. in Kapitel A.I.2 die Einleitung (S. 35f). Vgl. in Kapitel B.I.1 den Abschnitt ›Beten bei jeder Gelegenheit‹ (S. 101–103). Dies stellte auch die Gemeinsame Synode der bundesdeutschen Bistümer in Beschluss 3.1 zum Gottesdienst in den Vordergrund; vgl. Bertsch u. a. (Hrsg.), Synode (1976) 206: »Es muß eine Zeit gewählt werden, die dem Arbeits- und Lebensrhythmus der Menschen entspricht, für die diese Kirche erreichbar ist.« Aug. ep. 130 ad Prob. 10, 20 (CSEL 44, 62, 9 Goldbacher; dt. BKV2 30, 27 Hoffmann).
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und soundso lange, weil das notwendig war, um den gesamten Psalter zu rezitieren, sondern umgekehrt: Man kam überhaupt nur auf die Idee, jede Woche oder gar jeden Tag den ganzen Psalter zu rezitieren, weil man entschlossen war, weite Teile seiner Lebenszeit mit Meditation und Gebet auszufüllen, und dafür auch geeignetes ›Material‹ benötigte318. Dieses bereits dem Privatgebet zugrundeliegende Movens findet auch im gemeinsamen Stundengebet seine Umsetzung. Besonders die überlieferten Ordnungen für die Psalmverteilung und für Lesungen in Ganznachtvigilien sind nur aus der Intention heraus zu erklären, viele Stunden mit Gottes Wort und mit Gebet zu füllen. Wo dieser Wille nicht gegeben ist, sind die aus ihm heraus entwickelten Ordnungen ungeeignet. Tatsächlich setzen denn auch schon die antiken Überlegungen zum Umfang der Tagzeiten am anderen Ende an. Unser Kronzeuge für die spätantiken Gemeinde-Tagzeiten, Cäsarius von Arles, hat sowohl den Zeitansatz als auch die Dauer der Matutin auf die Möglichkeiten der Gemeinde, insbesondere auch auf die beruflichen Vorgaben der ›Armen‹, das heißt der arbeitenden Bevölkerung, abgestimmt: »Kaum eine halbe Stunde« dauert der morgendliche Gottesdienst und er ist immer zur selben Zeit zuende: Wenn einmal ein dunkler Schrifttext eine längere Predigt erforderlich macht, dann wird Psalm 51 (50), der Morgenpsalm, vorgezogen, damit man die Kirche stets zur gewohnten Zeit (hora consuetudinaria) verlassen kann319. Die äußeren Zwänge einer sozial gemischten Gemeinde nimmt Cäsarius sehr ernst: Ein verlässliches Zeitfenster und das inhaltliche Verständnis320 sind ihm wichtiger als rituelle Präzision321. Der Niedergang der Feier des Stundengebets in der Gemeinde liegt weitgehend im Dunkeln. Bekannt ist aber, 318 319
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Vgl. Bradshaw, Cathedral (1990) 131. Vgl. Caes. Arelat. serm. 76, 3; 118, 1 (CCL 103, 317. 491f Morin). Berg, Cäsarius (1994) 134 zitiert aus einem Fragment, in dem die Dauer des Gottesdienstes mit einer, an Festen mit zwei Stunden angegeben ist. Vgl. auch Beck, Care (1950) 112. Auch auf die gänzlich anderen Rahmenbedingungen seiner Mönche wendet Benedikt im Prinzip dieselbe Logik an, wenn er z. B. für die kleinen Horen des Tages möglichst kurze Psalmen ansetzt; vgl. Bäumer, Brevier (1895) 175 bzw. Bréviaire (1905) 250. Vgl. o. in Kapitel B.I.2 den Abschnitt ›Die Sprache des Volkes‹ (S. 122–124). In kleinerem Umfang kennt auch das Klosterleben eine solche Rücksichtnahme auf die Tätigkeiten der Einzelnen: Bis zum Ende des ersten Psalmes dürfen die Brüder tagsüber zu den Horen eintrudeln, wenn ihre Beschäftigung ein pünktliches Erscheinen verhinderte; erst danach greifen die disziplinarischen Maßnahmen; vgl. Joh. Cassian. inst. 3, 7, 1 (SC 109, 108 Guy; dt. 154 Frank); Reg. Ben. 43 (SC 182, 588–590 de Vogüé / Neufville; dt. 177 Lambert). Zur Vigil und zur Laudes soll der jeweils erste Psalm sogar eigens langsamer gesungen werden, um diesen Spielraum zu vergrößern; vgl. Reg. Ben. 13. 43 (SC 182, 518. 586–588 de Vogüé / Neufville; dt. 123. 177 Lambert). In Reg. Ben. 9f (SC 182, 510–512 de Vogüé / Neufville; dt. 117–119 Lambert) wird der Umfang der Nachthoren der Jahreszeit, also der Länge der Nacht angepasst. Joh. Cassian. inst. 3, 7, 2 (SC 109, 108 Guy; dt. 154 Frank) hatte für diese bereits eine Verspätung bis zum Ende des 2. Psalms eingeräumt.
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(B) Organisation
dass solche Anpassungen, wie Cäsarius sie vornahm, um das Zusammenkommen normaler Christen trotz ihrer zahlreichen weltlichen Verpflichtungen möglich zu machen, immer seltener wurden. Im Gegenteil dominierte im Mittelalter der Trend, das Offizium immer weiter auszubauen, bis es sogar für Mönche nur mehr im Rahmen einer kontemplativen Lebensweise zu bewerkstelligen war322: In Cluny ist das Chorgebet so zeitraubend, dass daneben für die Mahlzeiten und sonstige Verrichtungen kaum fünf Stunden übrig blieben323. Dem ursprünglichen Movens der physischen Zusammenkunft der Gemeinde wurde dadurch seine organisatorische Grundlage entzogen. Die Reformation hat die realen Möglichkeiten der Gläubigen wieder in den Blick genommen und versucht, durch Reduzierung auf das antike Maß das Stundengebet erneut zu einem Gottesdienst der Gemeinde zu machen. So empfiehlt Luther, statt der »Eselsarbeit«, die in Klöstern und Stiften seinerzeit angeordnet war, nurmehr morgens und abends jeweils eine Stunde mit Lob, Dank und Bitte zu verbringen – wovon Lesung und Auslegung etwa die Hälfte in Anspruch nehmen sollten –, um die Seelen nicht zu überfordern324. Er räumt aber doch bereits selbst ein, dass auch dieser Umfang für die meisten Gläubigen und die normale Gemeinde keine realistische Größenordnung darstellt, und rechnet eigentlich nur an den Seminaren zur Pfarrer- und Predigerausbildung mit der Durchführung dieses Programms325. Die übrigen Gemeinden sollen sich nur am Sonntag versammeln, dann allerdings tatsächlich nicht nur zur Feier des Abendmahls, sondern zusätzlich morgens und abends zu den Tagzeiten326. Diese Anordnung Luthers findet ihren Widerhall in verschiedenen Kirchenordnungen327 und wird gemeinhin etwas euphemistisch als »Anpassung an die Lebensverhältnisse« gewertet328. Faktisch allerdings bedeutete diese ›an die Umstände angepasste Ausführung‹, dass tägliche Gottesdienste im Leben der überwiegenden Mehrheit der Gläubigen nicht mehr vorkamen. Der katechetische Nutzen für angehende Profis hat die Neugestaltung der Tagzeiten schließ322
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Zur stetigen Ausweitung des Offiziums, seiner Übertragung auf den Säkularklerus und den schließlichen Anläufen zu seiner Kürzung vgl. zusammenfassend Jungmann, Gottesdienst (1957) 173–184. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 164. Vgl. Martin Luther, Von ordenung gottis diensts ynn der gemeyne (WA 12, 36). Vgl. Martin Luther, Von ordenung gottis diensts ynn der gemeyne (WA 12, 36f); Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 274; Alexander, Reform (1983) 351. Eigens um des Gesindes willen, das tagsüber auch am Sonntag arbeiten muss, soll bereits im Morgengottesdienst gepredigt werden; vgl. Martin Luther, Deudsche Messe und ordnung Gottis diensts (WA 19, 78f). So in der Preußischen Kirchenordnung von 1544 bei Philipp Melanchthon; vgl. Richter, Kirchenordnungen (1846) 2, 68f; 1, 97; ähnlich bei Johannes Bugenhagen; vgl. Goltzen, Täglicher Gottesdienst (1956) 199f. 205 So z. B. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 274.
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lich doch wesentlich stärker geprägt als ihre Praktikabilität unter den real gegebenen Verhältnissen der Mehrheit der Gläubigen. Immerhin konnte durch das zum privaten und familiären Gebet rufende Glockengeläut329 eines der zentralen Anliegen der Tagzeiten gerettet werden. Es sollte der im 19. Jahrhundert in den Kirchen der Reformation anhebenden Bewegung zur Erneuerung der Tagzeiten vorbehalten sein, gänzlich neu und frei zu überlegen, wie sich der Alltagsgottesdienst an die aktuellen Lebensumstände anpassen lässt, – und dabei die höchste Priorität dem Ziel einzuräumen, dass er wirklich stattfinden kann330. Dieses Kriterium muss auch heute entscheidend sein – auch wenn es auf den ersten Blick absurd erscheint, das Erlebnis der Unterbrechung der Zeit und ihres nutzlosen Verstreichens als Gegenmodell zu ihrer gesellschaftlich dominanten Quantifizierung331 dann im Gottesdienst gezielt terminieren und limitieren zu sollen. Wie gemeinsam beten? Dass Gottesdienst nicht eine nach schriftlichen Vorlagen reproduzierte Aufführung von Vorgegebenem sein muss, bringen in jüngster Zeit immer deutlicher charismatische Gemeinden und die Pfingstbewegung ins Bewusstsein332: Gegen die technische Reproduktion aus Büchern wird von ihrer Seite ein Gottesdienstideal geltend gemacht, in dem die aktive Beteiligung jedes einzelnen Gemeindemitglieds durch seinen Gesang, seinen Tanz oder sein spontanes Gebet oberste Priorität genießt und die Rolle des Pfarrers eher als Regisseur denn als ›Star‹ verstanden wird. Eine solche Spontaneität ist dem kirchlichen Stundengebet bereits im Jahrhundert seiner Entstehung abhanden gekommen. Warum? Für ähnliche Tendenzen im Kontext der gegenwärtigen Pfingstkirchen deutet Walter Hollenweger durch folgende Beobachtung eine Erklärung an: »Mündliche Liturgie kann im übrigen genau so fixiert und langweilig werden, wie die schriftliche, wenn sie zum Beispiel von einzelnen Personen dominiert wird und nicht mehr die offene, erwartungsvolle Erfahrung einer Gemeinschaft ist. Donald Gee (1891–1966), ein britischer Pfingstführer, beschreibt das folgendermaßen: ›Trotz der gepriesenen Freiheit werden diese unvorbereiteten Gottesdienste langweiliger und trockener als eine geschriebene Liturgie, nur schlechter
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Vgl. die Preußische Kirchenordnung von 1544 bei Richter, Kirchenordnungen (1846) 2, 69. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 275 berichtet von Wilhelm Löhes Begründung einer kürzeren Fassung von Mette und Vesper für Diakonissenhäuser, weil »unsere Zeit keinen langen geistlichen Atem hat [...]. Wir dürften froh sein, wenn Morgen- und Abendgebet in irgendeiner Form gehalten würde«. Vgl. o. in Kapitel A.I.2 den ›Ausblick: Der Zeitlichkeit Sinn geben‹ (S. 46–48) sowie in Kapitel A.III.1 den Abschnitt ›Sub- und Gegenkultur‹ (S. 85–87). Vgl. Hollenweger, Christentum (1997) 302f.
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formuliert ... Wo man diese Gepflogenheiten hatte, haben ein paar wenige ungeistliche Leute durch ihre stereotypen Gebete die Führung des Gottesdienstes regelmäßig an sich gerissen.‹ Es entstehen darum auch in der Pfingstbewegung liturgische Agenden.«333 Die Frage, wie man das eigentlich private und intime Gebet zu mehreren gemeinsam vollziehen könne, wurde nicht erst durch die liturgischen Umwälzungen nach der Konstantinischen Wende aufgeworfen. Bereits aus der Zeit davor haben sich vereinzelte Nachrichten erhalten. Unter denjenigen frühen Autoren, die sich mit dem Thema ›Gebet‹ befassen, hat Tertullian das am stärksten pragmatisch ausgerichtete Interesse. Nicht nur in seiner Gebetsschrift, sondern auch andernorts gibt er Hinweise, wie wir uns gemeinsames Beten zu seiner Zeit vorzustellen haben. Im zweiten Buch an seine Frau schildert er das Gebet christlicher Ehepaare, also gewissermaßen die Keimzelle der Entwicklung334: »Welch schönes Zweigespann sind ein Paar Gläubige [...]. Sie beten zu gleicher Zeit, sie werfen sich zusammen nieder. [...] Die Bekreuzigung findet nicht verstohlen statt, die Beglückwünschungen nicht mit Zittern, der Segen wird nicht bloß in Gedanken gesprochen. Aus beider Mund ertönen Psalmen und Hymnen, und sie fordern sich gegenseitig zum Wettstreite heraus, wer wohl am besten dem Herrn lobsingen könne (mutuo prouocant, quis melius domino suo cantet).«335 Zunächst einmal werden die Formen des individuellen Gebets übernommen; bereits dieses wurde ja normalerweise laut und in Verbindung mit körpersprachlicher Symbolik vollzogen336. Allein die Möglichkeit, das, was man ohnehin für sich allein tut, offen miteinander zu tun, ist ein hoher Wert – zumal wenn man in einer Gesellschaft lebt, in der man nicht öffentlich zu seinem Glauben stehen darf. Besonders interessant ist für uns, dass der Gesang der beiden Eheleute nicht nur gleichzeitig stattfindet, sondern in Kommunikation miteinander tritt. Die Formulierung ›mutuo prouocant‹ lässt vermuten, dass die erwähnten Psalmen und Hymnen in irgendeiner Aufteilung abwechselnd gesungen wurden. Der Befund bestätigt sich in der Negativprobe: Heiratet eine Frau einen Nichtchristen, dann fragt Tertullian besorgt: »Was wird ihr Mann ihr, oder was wird sie ihrem Mann vorsingen?«337 Die Gemeinschaft wird hier
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Hollenweger, Christentum (1997) 303f. Noch deutlich später, als tägliche Gottesdienste längst in allen Gemeinden üblich sind, kennt Joh. Chrys. in Act. hom. 26 (PG 60, 203) den Brauch, in der Familie zu beten und das Haus zur Kirche zu machen; dazu Fischer, Gemeinschaftsgebet (1974) 14. Tert. uxor. 2, 9, 8 (CCL 1, 394 Kroymann; dt. BKV2 7, 84 Kellner). Vgl. o. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Gebet und Leiblichkeit‹ (S. 16–20). Tert. uxor. 2, 6, 1 (CCL 1, 390 Kroymann; dt. BKV2 7, 81 Kellner).
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also nicht nur durch Synchronität, sondern auch durch Interaktion hergestellt338. In seiner Gebetsschrift berichtet Tertullian von Gebetsgepflogenheiten, die sich bei bestimmten Gelegenheiten offenbar eingebürgert hatten. Der Kontext ist die innergemeindliche Besuchskultur, die neben bzw. vor dem gemeinsamen Abendessen auch gemeinsames Gebet umfasste. Über solche Zusammenkünfte heißt es dort: »Die ›Liebhaber des Betens‹ (wörtl.: die beim Beten besonders Sorgsamen / diligentiores in orando) pflegen an ihre Gebete das Halleluja anzureihen und Psalmen von der Art, dass die Mitanwesenden deren Schlussworten antworten können. Alles ist durchaus eine sehr gute Einrichtung, was bestrebt ist, durch Voranstellung und Verehrung Gottes ein gesättigtes Gebet als reichhaltiges Opfer darzubringen.«339 Hier ist ein Wechselspiel zwischen dem Vortrag einzelner und der Antwort aller entstanden, und es wurden Riten entwickelt, die gemeinsames Handeln ermöglichen. Trotz einer gewissen Führung durch Menschen mit besonderen Begabungen 340 werden alle befähigt, auch aktiv mitzubeten341. Das Gebet jedes Einzelnen gilt ganz offensichtlich noch als der entscheidende Vorgang. Selbst in den offiziellen Versammlungen der Gemeinde zu Agapefeiern, die doch deutlich mehr Teilnehmer gehabt haben dürften als private Familienbesuche, bleibt das Gebet des Einzelnen nach Tertullians Auskunft der selbstverständliche Modus auch des gemeinsamen: »Wenn die Hände gewaschen und die Lichter entzündet sind, wird jeder aufgefordert, vorzutreten und Gott Lob zu singen, wie er es aus der Heiligen Schrift oder nach eigenem Talente vermag.«342 Auch die äthiopische Fassung der Traditio Apostolica bietet die Schilderung eines solchen Agapemahles, die entweder deutlich präziser ist oder sich auf eine stärker ritualisierte Form des Mahlhaltens bezieht. Während das Gebet vor dem Essen vom Bischof gesprochen und von allen mit »Amen« bestätigt wird, werden nach dem Mahl zunächst von Kindern und von Jungfrauen Psalmen vorgetragen. An den Halleluja-Psalmen, die in Verbindung mit der Danksagung über dem Kelch vom Diakon und vom Bischof gesprochen werden, ist eine Form 338
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Es erstaunt, dass dieser Aspekt, der nebensächlich erscheinen könnte, bereits im Pliniusbrief explizit erwähnt wird; vgl. Plin. ep. 10, 96 (40f Guyot / Klein). Vgl. Tert. orat. 27 (CCL 1, 273 Diercks; dt. nach BKV2 7 271 Kellner). Auch Cypr. ad Donat. 16 (CSEL 3, 1, 16 Hartel; dt. BKV2 34, 55 Baer) zeichnet das Bild eines gemeinsamen Mahles unter Freunden, in dessen Rahmen Psalmen erklingen, bei deren Vortrag seinem Freund Donatus aufgrund seines guten Gedächtnisses und seiner schönen Stimme eine wenigstens teilweise solistische Rolle zufällt. Auch Clemens von Alexandrien, der es bekanntlich für belanglos hält, ob man alleine oder zu mehreren betet, berichtet davon, dass Schlussworte von Gebeten gemeinsam gesprochen wurden, ohne allerdings über den Kontext dieser gemeinsamen Ausdrucksform Auskunft zu geben; vgl. Clem. Alex. strom. 7, 40, 1 (GCS Clem. 3, 30 Stählin; dt. BKV2 2, 20, 46 Stählin). Tert. apol. 39, 18 (CCL 1, 153 Dekkers; dt. BKV2 24, 146 Kellner).
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von Gemeindebeteiligung vorgesehen, die sich aus dem unklaren Text jedoch nicht eindeutig rekonstruieren lässt343. Wie bei Tertullian sind es auch hier Psalmen und das Halleluja, die für eine Beteiligung aller Anwesenden geeignet erscheinen344. Ein ganz anderer, besonders inniger Ausdruck der Gebetsgemeinschaft ist der Kuss, der in den Quellen vor dem 4. Jahrhundert stärker mit dem gemeinsamen Beten in Verbindung steht als konkret mit der Eucharistie345. Leider teilt Tertullian nicht mit, auf welche Gottesdienste er seine Kritik an der Verweigerung des Friedenskusses durch Fastende konkret bezieht, aber immerhin stellt er generell die Frage: »Kann ein Gebet bei Versagung des heiligen Kusses vollständig sein?« und geht zudem auch von einer häuslichen Praxis des Friedenskusses aus346. Beides deutet darauf hin, dass der Kuss auch außerhalb der Eucharistiefeier das gemeinsame Gebet beschloss. Für die Frage nach dem Sozialgefüge innerhalb der Gottesdienstgemeinde ist auch die Begründung bedeutsam, warum Tertullian auf einer Teilnahme der Fastenden am Friedenskuss besteht: Sie sollen ihr Fasten verheimlichen, um im Sinne von Mt 6, 16–18 nicht besser als die anderen dazustehen und diesen dadurch Ärgernis zu geben347; wenn hingegen alle gemeinsam Fasten, fällt der Friedenskuss ganz aus. Diese Kasuistik ist offenbar an der Gemeinschaft orientiert, der ein ostentatives Zur-Schau-Stellen des eigenen Glaubenseifers nicht bekommt. So ist die vor allem durch Tertullian dokumentierte Frühphase des gemeinsamen Gebets (a) vom Beten und Vorbeten jedes Einzelnen, (b) von der Ritualisierung der Gesänge durch Abwechslung und Refrains und (c) von der Ablehnung jeder durch Eitelkeit motivierten Sonderrolle geprägt. Veränderungen im Rollenverhalten Vergleicht man das vorkonstantinische Stadium gemeinsamer Gebetsgepflogenheiten mit der Tagzeitenliturgie im engeren Sinn, wie sie sich im 4. Jahrhundert entwickelt, so fällt aus organisatorischer Sicht vor allem eines ins Auge: Die Gruppe der miteinander Betenden ist nun sehr viel klarer strukturiert und zerfällt in Untergruppen, zwischen denen ein starkes Zuständigkeits- und 343
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Vgl. äth. Trad. Apost. 36 (77 Duensing): »Und indem dann der Bischof den Kelch reicht, spricht er einen Psalm, der auf den Kelch paßt, indem alle jeden mit Hallelujah (versehenen Psalm?) sprechen. Wenn sie die Psalme lesen, sagen alle Hallelujah«. Zum Halleluja als Psalm-Respons im Test. Dom. vgl. White, Daily Prayer (2002) 146–149. Vgl. Thraede, Friedenskuß (1972) 512–515 mit Belegen von Clemens und Origenes. Vgl. Tert. orat. 18, 3. 6 (CCL 1, 267 Diercks; dt. BKV2 7, 261f Kellner). Dieser häusliche Friedenskuss ist nicht mit dem profanen Begrüßungskuss gleichzusetzen; vgl. Thraede, Friedenskuß (1972) 507–510. Vgl. die parallele Begründung bei Tert. orat. 23, 1f (CCL 1, 271 Diercks; dt. BKV2 7, 268f Kellner).
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Kompetenzgefälle herrscht. Bei Egerias Schilderung des Stundengebets in der Jerusalemer Grabeskirche wird dieser Kontrast besonders deutlich. Gleich im ersten Abschnitt werden die Priester, Diakone und Mönche erwähnt, die nach den Gesängen jeweils die Gebete sprechen348; am Sonntagmorgen heißt es, dass sich wegen der Menge stets Presbyter und Diakone bereit halten349. Die Gemeinde befindet sich in professioneller Betreuung und ist von einer aktiven und individuellen Beteiligung in die Rolle einer verhältnismäßig passiven Empfängerin gerutscht: »Bei Tagesanbruch fangen sie [d. h. Presbyter, Diakone, Mönche] an, die Morgenhymnen zu rezitieren. Jetzt kommt auch der Bischof mit dem Klerus dazu, betritt sofort die Grotte und spricht zuerst innerhalb der Gitter ein Gebet für alle. Er nennt auch die Namen derjenigen, deren er gedenken möchte, und segnet die Katechumenen. Er spricht dann wieder ein Gebet und segnet die Gläubigen. Und wenn der Bischof hinter dem Gitter hervorkommt, kommen alle zu seiner Hand, und beim Hinausgehen segnet er jeden einzelnen. So geschieht die Entlassung – inzwischen schon bei Tageslicht.«350 Durch diese Gestalt der Liturgie wird die kirchliche Hierarchie stark in Szene gesetzt: Der Auftritt des Bischofs ist das eigentliche Ereignis und der Höhepunkt der Feier; er prägt Egerias Wahrnehmung ganz und gar351: Der Bischof allein darf die Grotte betreten; dreimal spendet er Segen, den andere empfangen; seine segnende Hand wird dabei selbst zum Gegenstand der Liturgie352; zweimal betet er (»für alle«) und nennt Namen nach seinem Gusto – das Gebet der übrigen wird an dieser Stelle mit keinem Wort erwähnt353. Im Luzernar wird der Bischof sogar liturgisch gerufen, »steigt herab und setzt sich auf einen erhöhten Platz«354. Insgesamt werden die zentralen Vollzüge der Liturgie vom Klerus getragen: Wenn der Presbyter einen Psalm rezitiert, antworten alle355; wenn der Diakon die Namen verliest, antworten die Kinder356. Auf der liturgieästhetischen Ebene ist die Gemeinde klar geteilt: Auf der einen Seite stehen die Vertreter der kirchlichen Hierarchie, die agieren und den Duktus vorgeben, auf der anderen die Glieder des einfachen Volkes, die empfangen und bestätigen, 348 349
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Vgl. Eger. itin. 24, 1 (224f Röwekamp). Vgl. Eger. itin. 24, 8 (230 Röwekamp): et presbyter et diacones semper parati sunt in eo loco propter multitudinem. Eger. Itin. 24, 2 (226f Röwekamp). Ihre Fokussierung auf die liturgie-ästhetische Ebene dürfte zu einem Teil der Sprachbarriere geschuldet sein, die es Egeria verwehrte, den Text der Lesungen und Gesänge im Einzelnen wahrzunehmen. Noch weitere Male erwähnt bei Eger. itin. 24, 3. 6. 7 (226f. 230f Röwekamp). Vgl. aber die Notiz im Luzernar bei Eger. itin. 24, 6 (230f Röwekamp): »Dann beten alle, Gläubige und Katechumenen zusammen.« Vgl. Eger. itin. 24, 4 (228f Röwekamp). Vgl. Eger. itin. 24, 9 (232f Röwekamp). Vgl. Eger. itin. 24, 5 (228f Röwekamp).
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deren individuelle Begabungen aber nicht mehr gefragt sind357. Kirchenordnungen dieser Zeit können die neue Rollenverteilung bestätigen. Die Apostolischen Konstitutionen lassen im Stundengebet den Bischof und den Diakon beten; Akklamationen des Volkes erwähnen sie nicht358. Im Morgengottesdienst des Testamentum Domini werden dem Volk außer dem ›Amen‹ auch ein kurzer Dialog und immer wieder dieselbe Lobes-Akklamation zugewiesen359. Spender und Empfänger Hinzu tritt eine Kommunikationsform, die vorkonstantinischen Quellen m. W. fehlt: die liturgisch rezitierte Anweisung. Den Gläubigen wird im Stundengebet nun mitgeteilt, wie sie sich zu verhalten und zu benehmen haben. Zum Segen sollen sie ihre Häupter neigen; bald sollen sie beten, bald aufmerken. Alles wird ihnen im jeweiligen Moment vom Diakon mit der erhobenen Stimme eines Heroldes mitgeteilt360, um ihr gemeinsames Handeln zu ermöglichen361. Im Hintergrund dieser nicht zwingenden, aber doch flächendeckenden Entwicklung stehen zwei Veränderungen im Leben und Denken der Kirchen: (1) Die erste ist die Größe der Gemeinde. Durch das stete Wachstum der Gemeinden und durch ihren sukzessiven Umzug aus Privat- oder Vereinsräumen in die Öffentlichkeit repräsentativer Bauwerke362 musste ein völlig neues Format von Veranstaltung entwickelt werden363. Für beides war Jerusalem mit seinem Pilgerbetrieb und seinem kaiserlich forcierten Bauprogramm Vorreiter, aber beides erfasste auf lange Sicht das ganze Reich. So verschärfen und präzisieren die Apostolischen Konstitutionen im 2. Buch die bereits in der Didaskalie
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Vgl. dagegen den im vorigen Abschnitt ›Wie gemeinsam beten?‹ (S. 161) angeführten Verweis bei Tert. apol. 39, 18 (CCL 1, 153 Dekkers; dt. BKV2 24, 146 Kellner) auf die Begabungen der einzelnen. Vgl. Const. Apost. 8, 37f (SC 336, 248–252 Metzger; dt. BKV2 5, 69. 71 Storf). Allerdings ist es kaum vorstellbar, dass nicht wenigstens das die Gebete jeweils abschließende ›Amen‹ von allen gerufen worden wäre. Zudem dürfte das ›Kyrie eleison‹ des Volkes zu den aus der Eucharistiefeier übernommenen Entlassungen der Katechumenen, Büßer etc. auch hier erklungen sein. Vgl. Test. Dom. 1, 26. 32 (50–59. 76–79 Rahmani; 32–35. 37–39 Sperry-White). Vgl. z. B. Eger. itin. 24, 6 (228f Röwekamp); Const. Apost. 8, 36–39 (SC 336, 246–254 Metzger; dt. BKV2 5, 69–72 Storf). Vgl. Nicet. Remes. psalm. 14 (241, 10–13 Turner; dt. 18 Dohmes): ut [...] unitas servetur ab omnibus. In den Städten gab es bereits im 3. Jahrhundert stattliche Kirchengebäude; für Karthago zur Zeit Tertullians vgl. Schöllgen, Ecclesia sordida (1984) 308–311. Vgl. Kretschmar, Grundstruktur (1978) 5: »Die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts ist die Zeit eines Massenandranges zur Kirche. Schon technische Gründe zwangen damals zu Umstrukturierungen des Meß- wie des Taufgottesdienstes.«; vgl. auch Kretschmar, Abendmahl (1977) 77.
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ansatzweise belegte Platzanweiser- und Aufpasserfunktion der Diakone364; im 8. Buch erscheint die Liturgie als eine bis ins Detail durch Ordner und Anweiser dirigierte und kontrollierte Großveranstaltung: Einer ruft von einem erhöhten Ort die Katechumenen und andere Gruppen zum Verneigen und dann zum Verlassen der Kirche auf; die Gläubigen mahnt er zur Kniebeuge und zum Gebet, zur Aufmerksamkeit und zum Friedenskuss; ein anderer behält die Kinder im Auge und weist ihre Mütter an, sie ruhig zu halten; wieder andere bewachen die Türen oder patroullieren durch die Reihen, damit niemand schwätzt oder schläft365. Diese disziplinarische Ordnung der Gemeinschaft fand allgemeine Verbreitung und konnte bei Bedarf noch verschärft werden366. (2) Die zweite Entwicklung ist die immer stärkere Wahrnehmung der Kirche als einer hierarchisch gegliederten Größe. Hatte sich die Didaskalie in dem erwähnten Kapitel noch mit dem traditionellen Bild der Herde für die Kirche begnügt, bevorzugen die Apostolischen Konstitutionen ein anderes Bild, um die Ordnung im Gottesdienst zu begründen: Die Kirche sei wie ein Schiff, dessen Kapitän (der Bischof) die Matrosen und Ruderknechte (die Diakone) befehligt, für ein angemessenes Verhalten der offenbar als Passagiere verstandenen Gläubigen zu sorgen367. Die Stellen aus der Didaskalie und den Apostolischen Konstitutionen, an denen diese beiden Entwicklungen sichtbar werden, beziehen sich auf die Eucharistie. Und genau dort – in der Feier der heiligen Mysterien – haben die Veränderungen auch einen plausiblen Hintergrund: (1) Die Eucharistie nahm früher und in stärkerem Maße als das Stundengebet größere Dimensionen an. (2) In einem sakramentalen Gottesdienst hat es theologische Gründe, dass die hierarchische Gliederung auch die Abläufe und das Erscheinungsbild der versammelten Kirche prägt. Das Stundengebet hingegen wird weder annähernd so hohe Teilnehmerzahlen erreicht haben, noch sind darin sakramentale Vollzüge oder theologisch und amtlich fundierte Auslegungen vorgesehen. Es überträgt lediglich solche Vollzüge in die Gemeinschaft, zu denen auch jeder einzelne Gläubige nicht nur befugt, sondern förmlich beauftragt ist368. Die um der Feier der Sakramente
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Vgl. Const. Apost. 2, 57 (SC 320, 310–320 Metzger; dt. BKV1 99–102 Boxler); syr. Didask. 12 (CSCO 407 / Syr. 179, 143–148 Vööbus; dt. 68–70 Achelis / Flemming). Vgl. Const. Apost. 8, 6–12 passim (SC 336, 150–176 Metzger; dt. BKV2 5, 32–74 Storf). So ließ Cäsarius von Arles die Kirchentüren einfach abschließen, damit niemand die Eucharistiefeier nach den Lesungen verlasse; vgl. Berg, Cäsarius (1994) 174 nach vit. Caes. 1, 27 (466f Krusch). Vgl. Const. Apost. 2, 57, 2–4 (SC 320, 310–312 Metzger; dt. BKV1 99f Boxler). Vgl. Taft, Theologie (2002) 79f: »niemand kann anstelle eines anderen beten [...]. Die Bürde gemeinschaftlichen Betens ruht auf allen.«
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willen entstandene und durch die Professionalisierung organisatorisch stabilisierte Durchführungs- und Leitungskompetenz des Klerus, wird aber nun sekundär auch auf das Stundengebet angewandt. So werden die in vorkonstantinischer Zeit gefundenen Prinzipien, sich abzuwechseln und auf den Vortrag Einzelner mit geläufigen Formeln gemeinsam zu antworten, beibehalten; die ›solistischen‹ Partien sind nun aber nicht mehr nach Begabung oder Eifer zugeteilt, sondern an die Zugehörigkeit zum Stand des Klerus gebunden. Auch in den Tagzeiten tritt nun die Gemeinde eher als Empfangende und Geleitete denn als Agierende und Betende in Erscheinung369. Mit dieser liturgie-ästhetischen Spaltung der Gemeinde geht eine Kompetenzdifferenz einher: Das liturgische Repertoire wird so sehr auf die nun zuständigen, geschulten Kleriker abgestimmt, dass ein Gottesdienst ohne solches Personal schon bald nicht mehr denkbar ist. Die Folgen davon spüren wir bis heute: Kompetenz zur Vorbereitung und Durchführung des Stundengebets ist (außer in Konventen) fast nur unter hauptamtlichen kirchlichen Angestellten verbreitet – vom Kantorieren nach dem Antiphonale ganz zu schweigen. Musikalische Gemeinschaft Die aktive Beteiligung des Volkes ist durch diese Entwicklung nicht verschwunden. Sie hat aber ihren Charakter geändert. Vor allem wurde nun immer präziser geregelt, was sich zuvor in einem noch relativ freien Spiel unter den jeweils an einem Ort Versammelten ergeben hatte. Wie im eucharistischen Gottesdienst, so verbreiten sich auch in den Tagzeiten Akklamationen, die an festgelegten Stellen und zum Teil auf Signale des Diakons von allen gesprochen werden. Meist handelt es sich dabei um kurze Rufe wie ›Amen‹ und ›Kyrie eleison‹370; die spontane persönliche Äußerung einzelner Teilnehmer ist hingegen unter den neuen Bedingungen nicht mehr angemessen und verschwindet aus dem Gottesdienst. Gemeinsam gesprochene Akklamationen bleiben demgegenüber der spontanen und individuellen Formulierung entzogen und erlauben deshalb – verglichen mit z. B. reihum von allen frei gesprochenen Gebeten – nur eine sehr reduzierte Präsenz des Einzelnen und seiner individuell ausgeformten Persönlichkeit. Es ist vielleicht kein Zufall, dass parallel zu dieser Entwicklung der Gemeindegesang und insbesondere das Singen von Psalmen371 eine spürbare Aufwer369 370
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Vgl. Bradshaw, Cathedral (1990) 126f. Das Testamentum Domini sieht auch einen längeren Refrain in dem strophisch gegliederten Gebet des Vorstehers vor; vgl. Test. Dom. 1, 26. 32 (50–59. 76–79 Rahmani; 32–35. 37–39 Sperry-White); dazu Stadlhuber, Stundengebet (1949) 150. Zunächst wohl vor allem in responsorischer Form, d. h. die Gemeinde antwortet auf den Vortrag des Psalmtextes durch das Singen eines Kehrverses; vgl. Leeb, Psalmodie (1967) 17f;
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tung erfuhr und sich geradezu zur intensivsten Form des Mitmachens überhaupt entwickelte. Jedenfalls reflektiert Ambrosius 372 ausdrücklich über die Funktion des Psalmengesangs, die Gemeinde in Harmonie zu vereinen, wenn sie wie die Saiten einer Harfe zusammenklingen: »Offenbar ist es nicht die musikalische Kunst, welche die Väter zu solcher Hochachtung vor dem Volksgesange begeistert, sondern die kirchlich-soziale Bedeutung, die dem gemeinsamen Liede zukommt.«373 Diese Schlussfolgerung findet eine deutliche Bestätigung wiederum bei Nicetas von Remesiana. Die drei Jünglinge aus dem Buch Daniel werden hier auch ausdrücklich darin zum Vorbild genommen, dass ihr Gesang »aus einem Munde« erklang374. Für die Gemeinde folgt daraus, »dass auch wir unbedingt alle wie aus einem Mund den selben Sinn und die selbe Modulation der Stimme gleichförmig (aequaliter) hervorbringen«375 Wer sich aber den übrigen nicht anzugleichen und anzupassen (aequare vel aptare) verstehe, der solle besser mit gedämpfter Stimme mitsingen als laut zu grölen und zu schmettern; denn so könne er den Dienst des Offiziums erfüllen, ohne gegen die psallierende Gemeinschaft anzulärmen: »Es hat nun einmal nicht jeder eine geschmeidige und wohlklingende Stimme!«376 Hier wird deutlich, dass Nicetas durchaus bemüht ist, die musikalische Qualität zu gewährleisten. Sie darf aber nicht auf Kosten der gesanglichen Gemeinschaft gehen. Wer nicht gut singen kann, soll keineswegs stumm bleiben, sondern lieber unauffällig ›mitbrummen‹. Der eigenen Persönlichkeit auch mit der eigenen Stimme Ausdruck zu verleihen377, ist offenbar für den Lobpreis Gottes indispensabel. Aber auch die guten Sänger sollen sich umgekehrt nicht exponieren, indem sie lauter oder theatralischer singen als die anderen378. Nicetas legt jenes feine Gespür für die soziale Funktion des liturgischen Gesangs an den Tag, das späteren Zeiten nahezu vollständig verlorengegangen ist. Und er widmet etliche Predigtminuten dem Ziel, der versammelten Gemeinde diese Chancen des vereinten Singens nahezubringen. Die besondere Eignung des Gesangs zur aktiven und emotionalen Einbeziehung der Gläubigen beruht zum Teil darauf, dass die aus dem Gottesdienst
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Hucke, Entwicklung (1953) 151 Anm. 14 mit zahlreichen Belegen des späten 4. und frühen 5. Jahrhunderts. Vgl. Ambros. in Ps. 1 enarr. 9 (PL 14, 969): Dispares citharae nervi sunt, sed una symphonia. Leitner, Volksgesang (1906) 233f. Bei Cypr. or. 8 (CSEL 3, 1, 271f Hartel; dt. BKV2 34, 171f Baer) war dieselbe Stelle noch auf die geistige Größe der Eintracht im Gebet bezogen worden, die auch über die räumliche Versammlung hinaus die Gläubigen miteinander verbindet. Nicet. Remesian. psalm. 13 (240, 21–23 Turner; dt. 17 Dohmes). Vgl. Nicet. Remesian. psalm. 13 (240 Turner; dt. nach 17 Dohmes). Vgl. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Die Stimme erheben‹ (S. 22–25) und in Kapitel A.II.1 den Abschnitt ›Vereinte Stimmen‹ (S. 61–65). Vgl. Nicet. Remesian. psalm. 13 (239f Turner; dt. 17 Dohmes).
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bekannten und für diesen erlernten Weisen auch zu unterschiedlichen Anlässen im privaten Leben gesungen wurden379. Dadurch aber erlangten sie für die Menschen eine spirituelle Bedeutung, die wiederum im Gottesdienst auch dann zum Tragen kommt, wenn das individuelle Empfinden dort nicht explizit zur Sprache kommen kann. Diese Verklammerung mit der eigenen Lebenswirklichkeit kann der professionell vorgetragene Kunstgesang nicht leisten, sondern nur ein – vielleicht über Jahre hinweg immer wieder – verständig und gerne selbst gesungenes Lied380. Bereits der Verweis des Eusebius auf die täglichen Gebetszeiten in den Kirchen der Ökumene381 kann als Hinweis auf die Gemeindebeteiligung an den Gesängen ausgewertet werden382. Mit Sicherheit war die gesamte Gemeinde gegen Ende des 4. Jahrhunderts rege und in verschiedenen Formen am gottesdienstlichen Gesang beteiligt; das ist durch Äußerungen von Basilius von Cäsarea383 über Ambrosius von Mailand384 bis zu Nicetas von Remesiana belegt. Nach Nicetas sind die Teilnehmer an der Vigil geradezu zum Singen (ad hymnorum ministerium) zusammengekommen385. Noch Isidor von Sevilla kann rund 200 Jahre später die Ansprüche des Nicetas zitieren und dabei selbst auch gegenüber seinem eigenen Adressatenkreis ungebrochen vertreten386. Mit diesen zwei bis drei Jahrhunderten ist in etwa die Blütezeit des gottesdienstlichen Gemeindegesangs im christlichen Altertum umrissen. Die aus unserer Perspektive entscheidenden Fragen an diese Epoche lauten: Wie hat das Kirchenvolk sich diese Kompetenz erwerben können? Und warum hat sie sie wieder verloren? Kompetenz zur Teilnahme Der Gesang der Gemeinde basierte damals ganz auf ihrem auswendig reproduzierbaren Repertoire387. Die Bemühungen mussten also vor allem dahin gehen, den Menschen die Eingewöhnung in die Gesänge und das Erlernen von Text
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Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 111. 113. 132. 245. Leitner, Volksgesang (1906) 110. 117 weist darauf hin, dass die große Zahl an erhaltenen Psalmenkommentaren und ebenso ihre Auswahl direkt mit deren liturgischer Nutzung in Zusammenhang steht: Die im Gottesdienst gesungenen Texte sollten auch inhaltlich wahrgenommen und fruchtbar gemacht werden. Explizit findet sich dieser Anspruch bei Joh. Chrys. in Ps. 141 (140) expos. 1 (PG 55, 426f). Vgl. Eus. comm. in Ps 65 (64), 10f (PG 23, 640 B). So Leitner, Volksgesang (1906) 107. Vgl. Bas. Caes. ep. 207, 3 (2, 186 Courtonne; dt. BGL 3, 143 Hauschild). Vgl. Ambros. hex. 3, 5, 23 (CSEL 32, 1, 1, 75 Schenkl; dt. BKV2 17, 90f Niederhuber); Ambros. in Luc. comm. 7, 238 (CCL 14, 296 Adriaen; dt. BKV2 21, 457 Niederhuber). Vgl. Nicet. Remes. psalm. 1 (233, 10 Turner; dt. 10 Dohmes). Vgl. Isid. eccl. off. 1, 10 (CCL 113, 9 Lawson); dazu Leitner, Volksgesang (1906) 135. Vgl. Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 228.
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und Melodie leicht zu machen – sei es durch häufige Wiederholung388, durch Gedächtnishilfen wie Strophengliederung389, akrostichische Versbeginne390 oder auch durch die Komposition eingängiger Hymnen, deren Metrik auf dem Wortakzent statt auf den Längen und Kürzen der Silben basierte, weil dies dem Sprachempfinden der Menschen besser entsprach als die Prinzipien der klassischen Metrik391. Bereits Franz Leitner führte den Erfolg des Ambrosius als Organisator der kirchlichen Gesangspraxis maßgeblich auf dessen tiefes »Verständnis für die religiösen Bedürfnisse des Volkes« zurück392. Denn während der Gesang von Solisten oder Chören allein durch deren Proben sicher gewährleistet werden kann, ist das Gelingen des gemeinsamen Gesangs in hohem Maße vom religiösen und musikalischen Erleben aller Glieder der Gemeinde abhängig. Wenn nicht sein Stil den Geschmack der Menschen trifft oder überzeugt, kann der liturgische Gemeindegesang nur scheitern. Basilius von Cäsarea beschreibt im Rahmen seiner Verteidigung des Psalmengesangs, zu welchen unterschiedlichen Vollzugsformen die Gläubigen im Rahmen der von ihm in seinem Bistum eingeführten Vigilien fähig waren393: »Sie teilen sich dabei in zwei Gruppen und psalmodieren im Wechsel miteinander, wobei sie die Schriftworte meditieren und sich durch deren Anwendung innerlich stärken. Dann überlassen sie es wieder einem, mit dem Gesang einzusetzen, und stimmen mit ein. Und wenn sie so im Wechsel von verschiedenem Psalmgesang und Gebet die restliche Nacht verbracht haben, bringen sie bei Tagesanbruch alle gemeinsam wie aus einem Mund und einem Herzen dem Herrn den Bekenntnispsalm dar, wobei jeder sich die Worte der Reue zu eigen macht.« Das Kirchenvolk ist offensichtlich in der Lage, verschiedene Arten der Psalmodie aktiv mitzusingen: (a) Sie singen wechselchörig394 und nehmen dazu
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Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 118. Vgl. Schulz, Abschied (1965) 222f zur geschichtlichen Wurzel der Strophigkeit in der syrischen Hymnodik: »Die Strophenform ist also notwendig, wenn eine Gemeinschaft singend, nicht bloß akklamierend zu Worte kommen soll.« Vgl. Aug. retr. 1, 20 (CCL 57, 61 Mutzenbecher); dazu Leitner, Volksgesang (1906) 122. Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 123–125, der den Erfolg dieser Entscheidung durch den Vorwurf der Arianer belegt sieht, Ambrosius habe das Volk mit den Hymnen wie mit Zaubersprüchen gefesselt; vgl. auch Schulz, Abschied (1965) 223. Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 113. Vgl. Bas. Caes. ep. 207, 3 (2, 186 Courtonne; dt. BGL 3, 143 Hauschild). Leeb, Psalmodie (1967) 22 möchte offenlassen, ob dabei tatsächlich auch die Psalmverse alternierend gesungen wurden oder nur der Kehrvers. Die Aufteilung der Gemeinde in zwei Chöre könnte auch den Hintergrund für die Auslegung bei Nicet. Remesian. psalm. 3 (234 Turner; dt. 11 Dohmes) bilden, der die Tanzprozession der Frauen und den Gesang Mirjams am Schilfmeer in Ex 15, 20f als Aufteilung des Volkes in einen Männer- und Frauenchor interpretiert. Sicher ist der wechselchörige Gesang des vollen Psalmtextes erst bei Isid. orig. 6, 19, 7f (Lindsay o. S. oder PL 82, 252) und Isid. eccl. off. 1, 7 (CCL 113, 7f Lawson) be-
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eine besondere Aufstellung ein. (b) Sie respondieren einem solistischen Psalmvortrag, vermutlich mit kürzeren Kehrversen395. (c) Sie singen mindestens einen Psalm396 ganz gemeinsam. Eine solch vielseitige und intensive Beteiligung kann die Gemeinde nur in einem begrenzten Repertoire ausüben. Es sind deshalb immer wieder auch einzelne Stücke konkret zur Aneignung empfohlen worden. Cäsarius rät seinen Gläubigen, einige Antiphonen und die Psalmen 51 (50) und 91 (90) bei der Feldarbeit zu rezitieren397, also liturgisch verwendete Stücke des Tagzeitengottesdienstes398; auch Psalm 104 (103) setzt er als allseits bekannt voraus: »Jener Psalm, geliebte Brüder, der auf der ganzen Welt sowohl in den Kirchen als auch in den Klöstern zur Hora duodecima gesungen wird, ist fast allen Menschen so vertraut, daß ihn der größte Teil des Menschengeschlechts auswendig weiß.«399 Bei Johannes Chrysostomos sind es die Psalmen 63 (62) und 141 (140), deren Gesang er prinzipiell für alle Christen täglich voraussetzt400. Die von Johannes Cassian401 als Schluss der Nachtwache vor Beginn der Morgenhore erwähnten Lobpsalmen 148–150 werden etwas später laut Arnobius dem Jüngeren in der ganzen Welt morgens gesungen402. Im Ganzen gilt: Einzelne Psalmen kann das Kirchenvolk lernen. Weitere Teile des Psalters wurden jedoch ›responsorisch‹ gesungen, wobei der Psalmtext selbst von geschulten Solisten oder Chören vorgetragen wird und die Gemeinde nur durch Einschaltung von kurzen und spontan erlernbaren
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legt, der sie fälschlich auf griechische Tradition und ambrosianische Adaptation zurückführt; vgl. Leeb, Psalmodie (1967) 103–107. Franz, Alte Kirche (2000) 18 vermutet gerade in der Einschaltung nichtbiblischer, poetischer Kehrverse das östliche Vorbild im erneuerten Gemeindegesang unter Ambrosius. Vermutlich Psalm 51 (50). Vgl. Caes. Arelat. serm. 6, 3 (CCL 103, 32 Morin). Ps 51 (50) bereits bei Joh. Cassian. inst. 3, 6 (SC 109, 108 Guy; dt. 154 Frank); dann auch Caes. Arelat. serm. 134, 1 (CCL 103, 550 Morin): Oportune ergo propter adsiduam conpunctionem paenitentiae psalmum quinquagesimum vobis omni die cantamus; Caes. Arelat. serm. 76, 3 (CCL 103, 317 Morin) kennt Ps 51 (50) als festen Bestandteil der Morgenhore; dies kehrt ›ante canticum‹ wieder in Conc. Barcin. (1, 540) c. 1 (53 Vives). Vgl. Caes. Arelat. serm. 136, 1 (CCL 103, 560 Morin; dt. 149 Berg); vgl. dazu Gerhards, Benedicam (1989) 14: »für die westliche Tradition bemerkenswert«. Vgl. Joh. Chrys. in Ps. 141 (140) expos. 1 (PG 55, 426f). Bereits in den von den Apostolischen Konstitutionen angesprochenen Gemeinden dürften diese beiden, täglich vorgesehenen Psalmen die beste Gelegenheit zum Mitsingen geboten haben; vgl. Const. Apost. 2, 59, 2 (SC 320, 324, 17f Metzger; dt. BKV1 104 Boxler). Von gemeinsamem Gesang ist dort allerdings noch nicht ausdrücklich die Rede. Dasselbe gilt für Eus. comm. in Ps 142, 8 (PG 24, 49), wo die Verwendung der beiden Psalmen impliziert wird, ohne sie als Gemeindegesang vorauszusetzen; vgl. Taft, Hours (1986) 33. In Jerusalem wurde Ps 141 (140) nach dem Zeugnis des Georgischen Lektionars responsorisch gesungen; vgl. Leeb, Gesänge (1970) 149f. Vgl. Joh. Cassian. inst. 3, 6 (SC 109, 108 Guy; dt. 154 Frank). Vgl. Arnob. Iunior. comm. in Ps. 148 (CCL 25, 254 Daur).
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Kehrversen beteiligt ist403. Den Psalter ganz gemeinsam zu singen, war in den Gemeinden hingegen nicht denkbar; diese Idee kam nur in den Klöstern auf, deren Insassen den Psalter ohnehin vollständig auswendig zu rezitieren wussten und nur für längere Lesungen auf Bücher zurückgriffen404. Für Laien aber war der Vollzug der vom monastischen Offizium vorgesehenen Psalmenordnungen später nicht mehr zu bewältigen. Es entwickelten sich Ersatzformen wie das Beten eines Vaterunsers für jede Hore bzw. jeden Psalm oder auch leichter erlernbare Tagzeitengedichte in Reimform405. Die liturgischen Bücher sollten später eine Schlüsselrolle spielen: In der Antike konnten im Gottesdienst lediglich die professionellen Träger der liturgischen Dienste auf Bücher zurückgreifen, die Gemeinde jedoch nicht. Dieses noch das gesamte Mittelalter hindurch fortbestehende Hemmnis der Gemeindebeteiligung wurde erst durch den Buchdruck406 überwunden, der nicht nur zur Herstellung der offiziellen liturgischen Bücher eingesetzt wurde, sondern auch die Bedürfnisse der Volksfrömmigkeit nach Hilfe zur spirituellen Gestaltung des Alltags nun erstmals auf breiter Front bedienen konnte: Aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind rund eintausend Ausgaben von Horenbüchern bekannt, die privat gelesen, aber durchaus auch in den Gottesdienst mitgenommen wurden407. Auch in England wurde die Wiederbelebung der Tagzeiten durch zahlreiche Publikationen von Stundenbüchern vorbereitet und begleitet 408 . Im deutschsprachigen Raum führte die Kritik der Aufklärung an unverständig vollzogener Liturgie409 zur Aufnahme deutscher Vespern in die Gesangbücher, die allerdings im Lauf des 19. Jahrhunderts von restaurativen Kräften erfolgreich wieder verdrängt wurden410. Erst in der jüngsten Vergangenheit wurde die Buchorganisation neu auf die aktive und gesangliche Beteiligung der Gläubigen 403 404
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Vgl. Willa, Singen (2005) 123–125; Leeb, Psalmodie (1967) 17f. Nach Reg. Ben. 9 (SC 182, 510–512 de Vogüé / Neufville; dt. 117–119 Lambert) wurden die drei ausführlichen Lesungen der langen Nachtgottesdienste aus dem Alten Testament, dem Neuen Testament und den Schriftauslegungen der Väter ausdrücklich aus einem Buch verlesen. Bei den Psalmen wird kein Buch erwähnt; die später folgende Apostel-Lesung soll auswendig vorgetragen werden. Bereits Pachomius setzte die auswendige Kenntnis des Psalters und des Neuen Testamentes voraus; vgl. Pachom. reg. praec. 140 (113 Bacht). Vgl. Stadlhuber, Laienstundengebet (1950) 306–308. Vgl. dazu Häußling, Brevierreformen (1990) 297. Vgl. Stadlhuber, Laienstundengebet (1950) 293–295. Allein aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts sind 80 Drucke bekannt; vgl. Guiver, Stundengebet (1989) 116f. Zu den Vorläufern aus der Zeit vor dem Buchdruck, den seit dem 14. Jahrhundert erscheinenden ›primers‹, vgl. Guiver, Company (2001) 110. Vgl. Popp, Reformbemühungen (1967) 122–131. 137f. Zu den Bemühungen der Diözesen um deutsche Vespern etc., ihrem Erfolg und ihrem Scheitern im Zuge der Restauration vgl. Popp, Reformbemühungen (1967) 233–478; zusammenfassend dargestellt bei Kohlschein, Tagzeitenliturgie (1987) 23–29; Küppers, Teilnahme (1989) 37f.
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am Gottesdienst ausgerichtet, sodass das Gesangbuch heute als praktikables Rollenbuch der Gemeinde anerkannt ist: »Jede Gemeinde braucht zur sachgemäßen Feier ihrer Gottesdienste ein Gebet- und Gesangbuch als ihr liturgisches Rollenbuch, mit dem sie ihren Beitrag am liturgischen Geschehen leisten kann. Die Beteiligung aller am Beten und Singen im Gottesdienst ist ein Eckpfeiler heutiger liturgischer Ordnung und Praxis.«411 Heute freilich ist der gottesdienstliche Gesang mit ganz anders dimensionierten Problemen belegt als nur mit der technischen Ausstattung zu seinem Vollzug: Die Bereitschaft und die Lust zu singen sind insgesamt in einem Niedergang begriffen, der vielgestaltige Ursachen hat. Zum einen hat die beinahe ununterbrochene Beschallung mit perfekt eingespielter und ausgesteuerter Musik eine »Professionalisierung der Hörgewohnheiten«412 zur Folge; eigenes, dilettantisches Singen wirkt vor diesem Hintergrund auf viele Menschen peinlich413. Zum anderen ist das Singen inzwischen bei vielen Menschen mit traumatischen Erfahrungen, vor allem in der Kindheit, verbunden414. Beides hat dazu geführt, dass viele, vielleicht die meisten Menschen in unserem Land, verlernt haben, ihre Stimme in einer Präzision zu modulieren, die für die Identifikation mit diesem emotionalen Ausdruck415 und um so mehr für gemeinschaftliches Singen eigentlich vorauszusetzen wäre. Besonders in Großstädten ist eine gesellschaftlich relevante Gesangskultur seit Jahrzehnten auf dem Rückzug416, wenngleich Gemeinschaftserfahrungen wie etwa die Fußball-Weltmeisterschaft nach wie vor in nicht unerheblichem Maße von Fan-Gesängen getragen sind. Die Versorgung der Gottesdienstteilnehmer mit tauglichem Notenmaterial und die Ausrichtung des Repertoires an dem noch so eben vorhandenen Bekanntheitsgrad der Kirchenlieder ist daher nur eine technische Hilfestellung417. Weit wichtiger noch ist demgegenüber die Mammutaufgabe, den Menschen überhaupt Freude am Singen zu vermitteln418. Josef-Anton Willa wirbt für eine »Erneuerung der Singkultur«, die von der ansteckenden Begeisterung derjenigen 411 412 413
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Praßl, Vorhaben (2002) 32. Gerhards, Singen (1993) 509. Laut Willa, Singen (2005) 100 herrscht besonders unter Jugendlichen eine »extreme Aversion [...] gegenüber unbegleiteten Stimmen«. Vgl. Willa, Singen (2005) 97. Vgl. Adamek, Lied (1987) 194. Adamek, Lied (1987) 182 konnte einen signifikanten Einbruch der Singbereitschaft in Städten mit über 300.000 Einwohnern konstatieren. Die erneuerte responsorische Psalmodie beschreitet einen Weg, der beides nicht braucht; vgl. Joppich u. a. (Hrsg.), Preisungen (2005) 7. Immerhin konnte Adamek, Lied (1987) 184 am Beispiel gewerkschaftlicher Jugendarbeit auch feststellen, dass etwa die Hälfte der Singunwilligen im Laufe eines Sozialisationsprozesses Freude daran fanden.
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getragen sein müsste, die »Lust und Freude am vokalen Ausdruck« haben und ausstrahlen 419. Auch dies ist eine organisatorische Herausforderung, weil es Ansprüche an die Zahl, die Zusammensetzung und die Sangesfreude der Teilnehmer des Gottesdienstes stellt. Sobald eine gewisse Anzahl mitsingender Teilnehmer einen ansprechenden Gesang gewährleistet, können auch Ungeübte es genießen, neu die Erfahrung der gesanglichen Selbstäußerung zu machen; sie werden sich hingegen kaum stimmlich exponieren, wenn der Gesang so brüchig ist, dass ihnen das Gelingen von ihrem eigenen Einsatz abzuhängen scheint. Dennoch sollte auch die Anziehungskraft nicht unterschätzt werden, die ein geschützter Raum und eine Gruppe ausüben, in denen man diese Erfahrung machen kann. Dafür geeignete Bedingungen zu schaffen, ist daher ein wichtiges pastorales Anliegen – und zugleich eine große Chance für die Kirchen, die zwischen der musikalischen Präzision des Hochkultur-Milieus und der SpaßKultur der Fußballstadien in einer annähernden Monopolstellung diese Möglichkeit zur Entfaltung der Persönlichkeit für alle im Angebot haben420. Die Erfindung der Gewohnheit Während die rezeptiven Elemente des Tagzeitengottesdienstes stets neue Impulse geben sollen, lebt die aktive Beteiligung und die emotionale Beheimatung der Gemeinde grundsätzlich von der Vertrautheit mit den Abläufen421. Um im Gottesdienst handeln und spirituellen Gewinn erfahren zu können, sind deshalb allgemein bekannte »Spielregeln« unabdingbar422: »Eine ›Sprachregelung‹ ist immer nötig, wo mehrere in der Liturgie zusammenwirken«423 und für die nonverbale Kommunikation gilt das Gleiche in verstärktem Maße424. Sinnvolle und über einen längeren Zeitraum eingeübte Ritualisierungen sind deshalb für den Gläubigen kein Korsett, sondern schaffen überhaupt erst den Freiraum, um die eigene Kompetenz zur Beteiligung zu entfalten425. Als heiliges Spiel, das seine Regeln mit dem Ernst spielender Kinder befolgt, geben die Rituale der Seele den Raum und die Freiheit, sich auszuleben426. 419 420
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Vgl. Willa, Singen (2005) 100f. Vgl. Willa, Singen (2005) 107: »Im Unterschied zu Familie und Schule lebt im Gottesdienst eine zumindest im deutschen Sprachraum kontinuierliche, bewusst gepflegte und geförderte Singtradition weiter.« Vgl. die instruktiven Beobachtungen, die Spiegel, Interaktion (1971) vor dem Hintergrund der Kommunikationsforschung im evangelischen Sonntagsgottesdienst macht. Vgl. Ehrensperger, Motive (2004) 114. Schulz, Kollektengebet (1970) 170. Vgl. Spiegel, Interaktion (1971) 107f. Vgl. Guiver, Company (2001) 31–33; Haunerland, Sehnsucht (1999) 283; Meyer, Stundengebet (1987) 76. Vgl. Guardini, Geist (201997) 63–67.
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So sind seit der Antike liturgische ›standards‹ bekannt: Bereits das »Kyrie eleison« im Jerusalemer Luzernar wird auf die Fürbitte des Diakons ausdrücklich »immer« geantwortet und ist in seinem lateinischen Pendant auch in Egerias Heimat bekannt427. Auch impliziert der Verweis auf Morgenhymnen und Luzernarpsalmen428, dass es sich dabei um eine begrenzte Auswahl konkreter Gesänge handelt, die für die jeweilige Tageszeit getroffen wurde und dem Leserkreis womöglich ebenfalls bekannt sind. Die überregionale, im Falle Egerias geradezu weltweite Vernetzung der liturgischen Gepflogenheiten kommt schon allein darin zum Ausdruck, dass über mehrere tausend Kilometer hinweg überhaupt das Interesse besteht, Genaueres über die (Tagzeiten-)Liturgie Jerusalems zu erfahren429. Offenbar möchte man sich mit bekannten liturgischen Zentren, deren Attraktivität sich herumgesprochen hat, verbunden wissen; und in der Nachahmung bewährter Bräuche in der eigenen Praxis kann diese Verbundenheit empfunden werden. Auch die klösterliche Ordnung Benedikts folgt grundsätzlich diesem Prinzip: Wofür es bereits Konventionen gibt, das wird auch im monastischen Gebet secundum consuetudinem vollzogen430. Nur noch nicht allgemein etablierte Regeln wie den Wochenpsalter arbeitet er selbst aus und stellt seine Neuschöpfung explizit auch weiterer Veränderung anheim431. Die überregionale Vereinheitlichung ist jedoch nicht nur durch freie Nachahmung beliebter Gestaltungselemente vonstatten gegangen. Sie wurde auch bewusst auf kirchenrechtlichem Wege betrieben. Die Motive für diese Vereinheitlichung sind vielgestaltig: Die allgemeine Einführung der trinitarischen Doxologie nach den Psalmen durch das Konzil von Vaison im Jahre 529 war theologisch motiviert und richtete sich direkt gegen die Arianer432. Die Übernahme des »Kyrie eleison« in den Morgen- und Abendgottesdienst gemäß dem »lieblichen und überaus heilsamen Brauch« Roms, des Orients und ganz Italiens begründet dasselbe Konzil damit, dass es dort »mit starker Gefühlsregung und Ergriffenheit« gesungen werde433. Hier ist also ausdrücklich auch die Beliebtheit und die emotionale Wirkung der Gesänge ein Grund für das bewusste Einscheren in eine anderswo bereits bewährte musikalische Konvention. In Braga wird 427 428 429
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Vgl. Eger. itin. 24, 5 (228f Röwekamp). Vgl. Eger. itin. 24, 2. 4 (226–229 Röwekamp); Hanke, Kathedralritus (2002) 26. Vgl. Eger. itin. 24, 1 (224f Röwekamp): »Damit ihr, meine Verehrtesten, wißt, welcher Gottesdienst täglich während der einzelnen Tage an den heiligen Stätten gefeiert wird, fühle ich mich verpflichtet, euch davon zu berichten, weil ich weiß, daß ihr es gerne erfahren möchtet«. Vgl. Reg. Ben. 13, 3. 10 (SC 182, 518. 520 de Vogüé / Neufville; dt. 123. 125 Lambert) zu Psalmen und Cantica der Laudes; vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 153. Vgl. Reg. Ben. 18 (SC 182, 534 de Vogüé / Neufville; dt. 135 Lambert). Vgl. Conc. Vas. (529) c. 5 (CCL 148 A, 80 de Clercq). Das Conc. Vas. (529) c. 3 (CCL 148 A, 79 de Clercq) spricht von der dulces et nimium salubres consuetudo, ut Quirieleison frequentius cum grandi affectu et conpunctione dicatur.
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561 das Dominus vobiscum vereinheitlicht, also gerade eine zum dialogischen Vollzug mit der Gemeinde gebrauchte Kurzformel434. Der tägliche Gesang der Morgen- und Abendhymnen wird in Agde allein mit der Einheitlichkeit der liturgischen Ordnung begründet435, dürfte aber gleichwohl auch der Teilnahmekompetenz der Gläubigen geschuldet oder doch zugutegekommen sein. Auch die Psalmodie wird innerhalb der Provinzen nach dem Vorbild der Metropolitankirchen vereinheitlicht, wenngleich nicht klar wird, ob sich in derartigen Beschlüssen consuetudo psallendi bzw. ordo psallendi eher auf die Vollzugsweise der Psalmen oder aber auf ihre Anzahl und kalendarische Verteilung bezieht436. Im ersteren Fall dürften die Regelungen den Gemeindegesang erleichtert, im letzteren jedoch eher zu seinem Verschwinden beigetragen haben. Immer stärker wird später die Einheitlichkeit der Liturgie als Wert an sich empfunden und offensiv betrieben437. Dass dies jedoch bis in die Spätphase der antiken Liturgie hinein nicht das allein und abstrakt gültige Anliegen war, zeigt sich an der häufigen Begrenzung der Einheitlichkeit auf die einzelnen Kirchenprovinzen oder auch auf die Gemeindeliturgie gegenüber der monastischen438. Insofern aber jene Elemente, die sich schließlich durchgesetzt haben, zum gemeinsamen Vollzug geeignet waren, hatte die überregionale Vereinheitlichung der liturgischen Gepflogenheiten eine direkte Erleichterung der aktiven Teilnahme zur Folge – wenigstens innerhalb jenes Radius, in dem die Gemeinden jeweils auch real durch Besuche und berufliche oder private Mobilität miteinander in Kontakt standen und gegenseitige Gottesdienstbesuche zur liturgischen Normalität gehörten. Dasselbe Anliegen, Gesänge und Texte im Liturgieraum des Königreichs anzugleichen, leitete auch die anglikanische Kirche, deren reformiertes Liturgiebuch nicht umsonst den Titel »Book of Common Prayer« trägt439. Eine weitere Parallele findet die spätantike Entwicklung im gallischen 434
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Vgl. Conc. Bracar. (1, 561) c. 3 (71 Vives). Dabei spielten die Auseinandersetzungen mit dem Priscillianismus und die Hochachtung vor der für apostolisch gehaltenen Tradition eine Rolle; vgl. Orlandis / Ramos-Lissón, Synoden (1981) 84. Gleichwohl zeigt sich doch auch die neuralgische Bedeutung gerade der prominenten Dialog-Partien. Vgl. Conc. Agath. (506) c. 30 (CCL 148, 206 Munier). Vgl. Conc. Venet. (461–491) c. 15 ( CCL 148, 155 Munier); Conc. Gerund. (517) c. 1 (39 Vives): ut quomodo in metropolitana ecclesia fiunt, ita in Dei nomine in omni Terraconense provincia tam ipsius missae ordo quam psallendi vel ministrandi consuetudo servetur; ähnlich Conc. Epaon. (517) c. 27 (CCL 148A, 30 deClercq); Conc. Toletan. (11, 675) c. 3 (356 Vives). Vgl. Conc. Toletan. (4, 633) c. 2 (188 Vives): Unus igitur ordo orandi atque sallendi a nobis per omnem Spaniam atque Galliam conservetur, unus modus in missarum sollemnitatibus, unus in vespertinis matutinisque officiis; Conc. Toletan. (11, 675) c. 3 (356 Vives): ut [...] uniuscuiusque provinciae pontifices rectoresque ecclesiarum unum eundem in sallendo teneant modum. Vgl. Conc. Bracar. (1, 561) c. 1 (71 Vives). Vgl. Book of Common Prayer (1662) ix: »And whereas heretofore there hath been great diversity in saying an singing in Churches whithin this Realm; some following Salisbury Use, some Hereford Use, and some the Use of Bangor, some of York, some of Lincoln; now from
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und hispanischen Raum in der Vereinheitlichung des deutschsprachigen Liedgutes im 20. Jahrhundert440. Es wird bei aller berechtigten Vielfalt im gottesdienstlichen Leben heute vielleicht zu wenig bedacht, dass in einer Zeit rasant wachsender Mobilität liturgische Standards wichtiger sind denn je, damit die Gläubigen die in ihrer Heimatgemeinde erlernte Kompetenz zur aktiven Teilnahme auch nach einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes weiterhin anwenden können. Herbert Goltzen konstatierte bereits vor einem halben Jahrhundert eine »liturgische Hilflosigkeit« in den (evangelischen) Gemeinden und einen »Mangel an elementaren Ausdrucksformen des gemeinsamen Glaubens«441. Er plädierte deshalb dafür, die Ordnung des Stundengebets für »alle Zusammenkünfte der Gemeinde außer dem Hauptgottesdienst am Herrentag« zugrunde zu legen: »Die Einübung in diese Ordnung und ihre einfachen Elemente ist die wichtigste seelsorgerliche Hilfe und gehört zur grundlegenden christlichen Unterweisung«442. Die moderne Kommunikationsforschung kann diese Einschätzung bestätigen. Yorick Spiegel beobachtet den Gottesdienst als symbolische Interaktion und benennt – für den sozialisierten Kirchgänger erhellend – die hohen Anforderungen, die seine Teilnehmer zu erfüllen haben, sowie die zahlreichen Gefährdungen, denen die geistliche Erbauung ausgesetzt ist, wenn der ›Comment‹ nicht minutiös beherrscht wird443. Er führt den Rückgang des Gottesdienstbesuchs zum Teil darauf zurück, dass diese kommunikative Kompetenz »nur durch sehr regelmäßigen Kirchgang erworben werden kann« und sporadische Besucher deswegen so vielen Unsicherheiten und Peinlichkeiten ausgesetzt sind, dass es kaum verwundern kann, wenn sie die Situation nicht zum Wiederkommen animiert444. Im Licht dessen, was oben zur ekklesiologischen Bedeutung liturgischer Kommunikation und Interaktion gesagt wurde445, muss dieser Umstand als ein nicht nur missionarisches, sondern auch theologisches Defizit gewertet werden. Für einen Kontext, in dem eine für die meisten Menschen ungewohnte Gottesdienstform wie das Stundengebet neu etabliert werden und auch für Kirchenferne attraktiv sein soll, bedeutet dies, dass auf die Transparenz und Erlernbarkeit der rituellen Vollzüge ein besonderes Augenmerk gelegt werden
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henceforth all the whole Realm shall have but one Use.« Dazu vgl. Cuming, History (1982) 47. Zum Gotteslob vgl. Praßl, Vorhaben (2002) 31; Jungmann, Gottesdienst (1957) 49 Anm. 4. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 288. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 289. Er schlägt die Grundform nicht nur für Kindergottesdienste, sondern auch für den Konfirmandenunterricht, für Andachten, Heiligabend und Osternacht, für Hausandachten etc. vor; ebd. 289–293. Vgl. Spiegel, Interaktion (1971). Vgl. Spiegel, Interaktion (1971) 108. 112. Vgl. in Kapitel A.II.1 den Ausblick (S. 65–67).
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muss446. Sollten die beiden großen Kirchen diese Frage gemeinsam angehen, könnten die dann neu entstehenden einheitlichen Gewohnheiten eine starke ökumenische Wirkung entfalten447. Professionelle Liturgie ohne Gemeinde Warum ist der Gemeinde die Feier der Tagzeiten als ihr eigener, aktiver und gemeinsamer Vollzug abhanden gekommen? (1) Der zu Recht immer wieder angeführte Hauptgrund war die ausufernde Komplexität der gottesdienstlichen Ordnung. Im Kontext von Mönchs- oder Klerikergemeinschaften, die die Gottesdienste auf der Basis einer professionellen Schulung täglich feierten, entstand eine abwechslungsreiche Verteilung der Psalmen, Hymnen und Lesungen; das Kirchenjahr gab den Tagzeiten an vielen Tagen eine eigene Prägung448 und erhöhte dadurch das Repertoire der Gesänge auf ein Maß, das die Gläubigen nicht mehr beherrschen konnten449. Dass an dieser Ordnung später auch in Kontexten festgehalten wurde, auf die sie nicht ausgelegt war, ist der Hauptfaktor für den Untergang der Gemeinde-Tagzeiten in der Spätantike. Paul Bradshaw sieht im Sieg der monastischen GottesdienstOrdnung das Ende des Kathedral-Offiziums als Gebet des Volkes450. Dieser Faktor wurde noch verstärkt durch die Vereinzelung des Klerus im Zuge der Entstehung kleinerer Pfarreien in der Fläche des Landes451, auf die man, wie Robert Taft bemängelt, nicht mit einer Reduktion des Offiziums auf seine kathedralen Elemente, sondern mit seiner Privatisierung reagierte, und dadurch den von Kaiser Justinian geforderten Diener der Gemeindeliturgie auf Dauer zu
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Vgl. u. S. 214. Vgl. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 281 und Gerhards, Tagzeitenbuch (1999) über die ökumenische Qualität des Evangelischen Tagzeitenbuches von 1998; zur ökumenischen Kompatibilität des neuen katholischen Gebet- und Gesangbuches (GGB) vgl. Praßl, Vorhaben (2002) 34f. Guiver, Company (2001) 126 berichtet, dass aufgrund der Ausstrahlung des anglikanischen Evensongs über die Konfessionsgrenzen hinweg auch in katholischen Kirchen Englands die Vesper bereits im 19. Jahrhundert auf Englisch gesungen wurde. Vgl. Stadlhuber, Stundengebet (1949) 158. Für das Kathedraloffizium der Hagia Sohpia in Konstantinopel vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 119f. 128. 177–182: Die Änderungen betreffen sowohl die Gesänge und die Psalmodie als auch die Struktur der Feier; vgl. ebd. 161. Für die monastische Tradition vgl. Reg. Ben. 14 (SC 182, 522 de Vogüé / Neufville; dt. 127 Lambert) mit der Anordnung, an Fest- und Feiertagen nicht nur die Lesungen, sondern auch Psalmen und Antiphonen passend auszuwählen. Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 153. 194. Conc. Toletan. (4, 633) c. 14 (197 Vives) lässt erkennen, dass auch Kleriker bestimmte, an Sonn- oder Festtagen vorgeschriebene Gesänge – in diesem Fall Dan 3 – ausließen. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 123 und das Zitat o. auf S. 147. Vgl. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 272f.
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einem privat betenden »Mönch auf Reisen« werden ließ452. Die liturgischen Bücher wurden dieser Entwicklung angepasst. Statt der unterschiedlichen Rollenbücher für einzelne Dienste und Vollzüge453, wurde das in seiner Komplexität beibehaltene System des Stundengebets nun in einem handlichen Format für die private Rezitation aufbereitet454. Durch alle katholischen Reformversuche hindurch findet sich daher immer wieder der Ansatz, das Kalendarium zu vereinfachen455. Und auch die Reform der Tagzeiten in England versuchte, durch die Streichung von Feiertagen und die Ausrichtung der Verteilung der Psalmen und Lesungen am bürgerlichen Kalender die Ordnung im Jahreskreis leichter durchschaubar zu machen456. (2) Ein wichtiger Faktor ist auch die oben erwähnte457 Entfaltung der Gesänge auf ein immer höheres künstlerisches Niveau. Ursprünglich war es neben dem solistischen Vortrag auch eine der Aufgaben des aus dem Kreis der Lektoren hervorgegangenen Standes der Sänger und Psalmisten, das Repertoire der Gemeindegottesdienste mit den Gläubigen einzustudieren458. Die seit dem 5. Jahrhundert aufkommenden Sängerschulen und Mönchschöre459 führten allerdings langfristig zu einer Verselbstständigung der musikalischen Qualität gegenüber dem Ziel der musikalischen Gemeinschaft: »Sobald eine geregelte Tradition und schulmäßige Pflege des Gesanges sich ausbildete, konnte die Ausführung selbst schwieriger Gesänge keine besondere Anstrengung kosten; zugleich war aber dadurch eine Einschränkung des Volksgesanges von selbst gegeben.«460 Josef Andreas Jungmann konstatierte bereits für die mozarabische Liturgie des 7. Jahrhunderts, dass die von den Handschriften vorgesehenen Gesänge nicht mehr von der Gemeinde, sondern nur noch durch »hochkultivierte« Klerikerchöre bewältigt werden konnten461. Und wenn Symeon von Thessaloniki im 15. Jahrhundert den Schwanengesang des Konstantinopler Kathedral-Offiziums 452 453
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Vgl. Taft, Hours (1986) 298f; Gerhards, Benedicam (1989) 24. Häußling, Brevierreformen (1990) 297 weist darauf hin, dass »faktisch nur die großen Kirchen und die Gemeinschaften der Orden ›richtiges‹ Stundengebet halten konnten, weil nur diese sich den Aufwand der nötigen Handschriften zu leisten imstande waren. Der über das Land hin lebende Klerus mußte froh sein – nötigen Eifer schon einmal vorausgesetzt –, wenn er einige wenige Libelli oder sonstiges Zusammengeschriebene zur Hand hatte.« Vgl. z. B. Meßner, Einführung (2001) 271; Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 272f; Jungmann, Gottesdienst (1957) 179f; Goltzen, Gottesdienst (1956) 166. Vgl. z. B. im historischen Überblick bei Goltzen, Gottesdienst (1956) 178. 180f. 183. 186. Vgl. Book of Common Prayer (1662) ix; vgl. zu diesem Ansatz auch u. in der Einleitung zu Kapitel C.II den Abschnitt ›Das Bonner Ordinarium‹ (S. 214–217). Vgl. o. in Kapitel B.II.1 den Abschnitt ›Schule des Vorbetens‹ (S. 141f). Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 195–197. Vgl. Hucke, Entwicklung (1953) 177–186. Leitner, Volksgesang (1906) 187f. Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 184f.
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anstimmt, dann gipfelt seine Klage in dem resignierenden Ausruf: »Ich weiß, viele Priester und Psallisten sind erforderlich«462. Die Abhängigkeit der überlieferten Liturgie von einer solchen personellen Ausstattung führt dazu, dass eine Grundsatzentscheidung getroffen werden muss, sobald die Ressourcen für diesen Vollzug nicht mehr ausreichen: Entweder wird das umfangreiche Repertoire beibehalten – auf Kosten seiner musikalischen Umsetzung; oder aber es bleibt der Modus des gottesdienstlichen Gesangs erhalten – unter einer starken Reduzierung, Vereinfachung und ggf. Modernisierung des Repertoires. Die Entscheidung fiel zumeist zugunsten des überlieferten, umfangreichen Repertoires, auch wenn dieses bald nur noch privat rezitiert wurde. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde in Österreich die Durchführung der Vesper sogar gänzlich untersagt, wenn sie nicht in der angemessenen Form – und das hieß: mit Chor und feiertags mit Orgel – gesungen werden konnte463. So hat die Pflege einer hochstehenden Gesangskultur letztlich mit dazu beigetragen, dass der Gesang der Tagzeiten in vielen Kirchen ganz verklungen ist. Bis heute ist das offizielle Stundengebet nicht konsequent den musikalischen Möglichkeiten und Vorlieben der jeweiligen Gemeinde oder Zielgruppe angepasst 464 . Dieses Dilemma zeigt sich sogar an der vorbildlichen Praxis des Evensongs an den großen englischen Kathedralen; denn auch diese basiert auf der Zweiteilung der Anwesenden in Vorträger und Zuhörer. Der Psalmengesang und im Grunde alle gemeinschaftlichen Vollzüge wurden ausgebildeten Sängerinnen und Sängern überantwortet. Dass der anglikanischen Kirche als einziger in Westeuropa eine echte und tief im Kirchenvolk verankerte Wiederbelebung der Gemeinde-Tagzeiten gelungen ist, hat sie ganz wesentlich dieser Umstellung zu verdanken, die eine kirchenmusikalische Blüte auslöste und dem Gottesdienst große Anziehungskraft verlieh. Die Gemeinde aber bleibt vom aktiven Gesang so konsequent ausgeschlossen, dass es noch nicht einmal für die Eröffnung oder das Vaterunser taugliche melodische Konventionen gibt, die von den Versammelten gemeinsam gesungen werden könnten. Die seit Louis Bouyer verbreitete Verklärung der anglikanischen Tagzeiten als
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Sym. Thess. sacr. pracat. 301 (PG 155, 553); dt. Hanke, Kathedralritus (2002) 37. Einen der Gründe für die Verdrängung des alten Konstantinopolitaner Offiziums durch das sabaitische sieht Symeon darin, dass letzteres »ohne Gesang« und »von einer Person ausgeführt werden« kann; vgl. ebd. Popp, Reformbemühungen (1967) 131f. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 278 berichtet von einem lutherischen Agendenentwurf zu den Tagzeiten aus dem Jahr 1960, der sich deshalb nicht durchsetzen konnte, weil er die Mitwirkung eines Chores voraussetzte; ähnlich macht Schulz, Abschied (1965) 225 darauf aufmerksam, dass für bestimmte moderne Gottesdienstentwürfe »die Rolle der Chöre – im Gegensatz zu dem sonst üblichen Brauch, wonach Chorgesang als fakultative Einlage gilt – für den musikalischen Gesamtablauf des Gottesdienstes konstitutiv« ist.
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»ein wirklich öffentlicher Gottesdienst des ganzen christlichen Volkes« und »nicht nur eine der eindrücklichsten, sondern eine der reinsten Formen des gemeinschaftlichen christlichen Gebetes«465 ist daher in genau jenem Punkt zu überdenken, den Bouyer selbst schon als Defizit dieser Gestalt einräumte466: Die Gemeinde ist zwar zugegen, aber sie schweigt. In den heute z. B. in der Kathedrale zu Coventry üblichen Handreichungen für die Teilnehmer des Choral Evensong heißt es dazu lapidar: »we do not, in the main, join in by speaking, but [...] the choir responds on our behalf«. Und wenn kein Chor zugegen ist, muss die gesamte Liturgie gesprochen werden. Franz Leitner machte für den Niedergang des Gemeindegesangs in der Antike unter anderem das abnehmende Verständnis der lateinischen Liturgiesprache mitverantwortlich467. Es ist allerdings auch im übertragenen Sinn bedeutsam, dass der Gottesdienst die Sprache des Volkes spricht. Denn anders als die liturgische Betriebsamkeit der angestellten und weisungsgebundenen Kleriker, ist die Gemeindebeteiligung ganz davon abhängig, dass sich die Menschen von dem Gottesdienst angesprochen und in der ihnen zugedachten Rolle wohl fühlen. Selbst der anglikanische Choral Evensong, der aus fester Überzeugung, dass das Gotteslob unabhängig von Teilnehmerzahlen sinnvoll ist, oft auch mit einer Besetzung von mehreren Dutzend Sängern und Liturgen vor zwei oder drei Gläubigen mit Ernst und Würde vollzogen wird468, gerät inzwischen immer stärker unter (auch finanziellen) Druck, weil der Bevölkerung in ihrer Breite die selbstverständliche Verwurzelung in dieser Gottesdienstform zusehends verlorengeht469. Und wenn George Guiver davon schwärmt, dass in der Kirche von England der heute meist nur rezitierte Morgengottesdienst noch vor kurzem allenthalben gesungen wurde470, dann kommt darin zugleich umgekehrt zum Vorschein, welcher Niedergang in dieser kurzen Zeit vonstatten ging. Wie es der Oxford-Bewegung gelungen war, die damals stark verwahrlosten Tagzeitengottesdienste wieder in eine qualitätvolle Form zu bringen, die dem Empfinden der Zeit entsprach471, so ist heute umgekehrt die in den Gemeindekirchen übliche Form der Verlesung jener Texte, für deren Gesang kein Chor zur Verfügung steht, nicht mehr in der Lage, die Herzen der Gläubigen anzusprechen472. 465 466
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Bouyer, Piety (1955) 47; Übers. Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 217. Bouyer, Piety (1955) 47 monierte in den von Holeton ausgelassenen Zeilen eine allzu starke Übernahme der zeitgenössischen Vorliebe für Mehrstimmigkeit, »which tended to make the Office once more something heard rather than sung by the people themselves«. Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 185. Vgl. Guiver, Company (2001) 117. Vgl. die erschütternde Einschätzung von Hollenweger, Christentum (1997) 310–313. Vgl. Guiver, Stundengebet (1989) 112. Vgl. Guiver, Company (2001) 122f mit Grafik auf S. 118. Hollenweger, Christentum (1997) 313–318 berichtet von musikalischen Projekten, bei denen konsequent nicht die Vorstellungen des Hochkultur-Milieus von wertvoller Musik,
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Vielerorts werden in England die klassischen Tagzeiten durch modernere Formen wie Heilungs- bzw. Lobpreisgottesdienste oder ähnliches ersetzt, die offenbar größeren Zulauf finden als jene Formate, um die die anglikanische Kirche weltweit noch immer beneidet wird. Die Entfremdung einer Gottesdienstform von ihren Teilnehmern kann gerade unter den Bedingungen veränderter Teilnahmemuster – weniger Selbstverständlichkeit und freiere Wahl im Einzelfall473 – binnen kurzer Zeit zum Niedergang führen. Es kann daher eine heilsame Bürde sein, wenn sich der Gottesdienst bewusst vom Erleben und der Beheimatung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer abhängig macht474. Ausblick: Suche nach praktikablen Lösungen Die liturgische Gestalt der Tagzeiten wurde im 4. und 5. Jahrhundert auf die damals herrschenden organisatorischen Rahmenbedingungen abgestimmt. Der Prozess dieser Abstimmung war von theologischen Motiven getragen und zählt daher ebenso wie die einzelnen Ergebnisse der Entwicklung zur liturgischen Überlieferung. Als die Bedingungen sich änderten, galt die einmal gefundene Gestalt bereits als so sakrosankt, dass man sie den Veränderungen nicht mehr substantiell anpassen mochte. An dieser Verweigerung ist die Tagzeitenliturgie zugrundegegangen. Die zwingende Logik dieses Zusammenhangs besteht bis heute: Nur wenn es gelingt, die Tradition der Tagzeiten so passgenau auf unsere gegenwärtigen Bedingungen neu zuzuschneiden, wie seinerzeit die antike Form auf die ihrigen, kann eine Wiederbelebung gelingen. • Das betrifft bereits den Zeitansatz. Laudes und Vesper haben in der Tradition eine besondere theologische Bedeutung erhalten, weil die Gläubigen im Alltag zu diesen Uhrzeiten am ehesten einen Gottesdienst besuchen konnten. Diese Konvergenz der theologisch ausgedeuteten Wendepunkte des Sonnenlaufs mit den lebensweltlichen Umständen ist heute an vielen Standorten nicht mehr gegeben. Gerade in Innenstadtlagen sind während des Tages oft mehr Menschen in der Nähe der alten und großen Kirchengebäude als am Morgen oder Abend. In diesen Fällen konkurrieren die einstmals konvergierenden Größen miteinander, und es lässt sich nur entweder die inhaltliche Tradition der christologischen Lichtsymbolik oder die pragmatische Tradition der Ausrich-
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sondern die Begabungen der konkreten, zur Mitwirkung bereiten Menschen den Maßstab bildeten. Vgl. Sievernich, Ritual (2001) 41. Vgl. Willa, Singen (2005) 204f: »Im Unterschied zum rein solistischen Kantorengesang zeichnet sich der responsoriale Vollzug durch seine Verwiesenheit auf die Beteiligung der Gemeinde aus. Diese muss die Gelegenheit haben, entsprechend ihren jeweiligen Möglichkeiten und Fähigkeiten in den Gesang einzustimmen.«
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tung an der Arbeitswelt der Gläubigen einhalten. Die Selbstverständlichkeit, mit der zumeist der inhaltlichen Option der Vorrang vor der pragmatischen eingeräumt wird475, ist angesichts der hiesigen Ergebnisse zu überdenken: Beides sind wichtige, traditionelle und letztlich theologisch motivierte Größen, zwischen denen eine sorgsame Abwägung erfolgen muss. So gilt es, »mit wachem Blick auf die Lebensrhythmen der Menschen, auch zielgruppenorientiert, die Schwellen- und Frei-Zeiten zum gemeinsamen Beten aufzuspüren: Wann ist bei wem heute ›Feierabend‹? Gibt es Nischen für Früh- oder Spätschicht, ein Mittagsgebet im urbanen Milieu, ein frühvormittägliches Beten von Hausfrauen, -männern, Senioren ...?«476. Paul Ringseisen verweist auf Gebet um »5 nach 5« unmittelbar nach Arbeitsschluss477. Im 18. Jahrhundert wurden in einigen Kirchen Englands morning oder evening prayer jeweils zweimal angeboten – zu Uhrzeiten, die für unterschiedliche Zielgruppen geeignet waren478. Ein Gottesdienst, der nicht in den Alltag der Gläubigen passt, wird in dieser Perspektive der liturgischen Überlieferung weit weniger gerecht, als ein Gottesdienst zu einer nicht klassischen Uhrzeit. • Ähnliches gilt für die Dauer des Gottesdienstes. Anders als die Mönche, deren erklärtes Ziel es war, viel Zeit mit dem Gebet zuzubringen, ist für viele ›Weltmenschen‹ heute eine kurze Unterbrechung die einzige Möglichkeit, überhaupt im Lauf ihres Arbeitstages in die Kirche zu gehen. Alle vorgesehenen Psalmen und Cantica in einer angemessenen musikalischen Form zu singen, kann diesen zeitlichen Rahmen leicht sprengen – zumal wenn der Ritus des Stundenbuches unter Umständen noch um sinnvolle Elemente erweitert werden soll. Hier führt sklavisches Festhalten am überlieferten Umfang des Stundengebets zwingend zu einem Bruch mit der für Cäsarius noch maßgeblichen Maxime der Praktikabilität. • Ein weiterer Punkt ist die Kompetenz der Gemeinde zur aktiven Teilnahme. Um diese herzustellen, müssen sich Gewohnheiten entwickeln können – durch häufige Wiederholung und eine feste Rahmenstruktur aus gleichbleibenden oder wiedererkennbaren Elementen. Zudem ermöglichen es überregionale Konventionen, die an einem Ort erworbenen Kompetenzen auch an anderen Orten anzuwenden. Die Aufnahme tauglicher Tagzeitenmodelle in das neue katholische Gebet- und Gesangbuch ist die nächste große Chance, solche Konventionen zu stärken und auch neu zu setzen479. Eine ökumenische Konvergenz in diesen Fragen brächte heute immense Erleichterungen auf allen Seiten. Die 475 476 477
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Vgl. z. B. Reichart, Gebet (1979) 142 und das gesamte Tagzeitenprojekt von Paul Ringseisen. Eham, Zeit-gemäß (2003) 79. Vgl. Ringseisen, Gemeinde (2002) 71. Vgl. Guiver, Company (2001) 117, z. B. morning payer einmal um 6:00 Uhr für die arbeitende Bevölkerung und um 11:00 Uhr noch einmal für die ›Besserverdienenden‹. Vgl. Praßl, Vorhaben (2002) 32.
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II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft
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altkirchliche Entwicklung sollte unsere Gegenwart dazu ermuntern, auch neue Konventionen zur Feier der Tagzeiten zu entwickeln und ihnen dann einheitlich zu folgen – auch wenn es nicht dieselben sind, die in der Antike galten. Eine sinnvolle Orientierungsgröße sind dafür die heute jeweils am weitesten verbreiteten Standards, damit die wenigen Erfahrungen mit dem Stundengebet, die aus den Klöstern oder Gemeinden heute im Kirchenvolk vorhanden sind, auch bei der Feier neu eingeführter Gottesdienste zur Entfaltung kommen und zur liturgischen Beheimatung der Teilnehmenden beitragen können. Die Vermittlung solcher Konventionen wird überall dort, wo mit einer wechselnden Teilnehmerschaft zu rechnen ist, über die in der Liturgie verwendeten Bücher oder Hefte vonstatten gehen müssen. Die Systematik liturgischer Bücher wurde aber unter den Bedingungen immenser Herstellungskosten in einer Zeit entwickelt, als noch ein ganzes Frauenkloster notwendig war, um Arbeiten zu verrichten, die heute ein guter Pfarrbürokopierer schnell und preiswert erledigen kann480. Die Spezialisierung der liturgischen Aufgaben in einer hochstehenden Kathedral-, Kloster- oder Stiftsliturgie führte zudem zur Ausdifferenzierung verschiedener Rollenbücher481: Jeder hat nur seinen eigenen Text482 und für die Durchführung des Gottesdienstes sind eine Fülle unterschiedlicher Bücher notwendig483. Die Buchgattung des Breviers war demgegenüber eine technische Innovation von großer Praktikabilität, die den vormaligen Bedarf an Büchern auf ein einziges, handliches Exemplar reduzierte484. Wie Martin Klöckener richtigstellt, entstand diese Kurzform bereits für den liturgischen Gebrauch in Kanonikergemeinschaften mit wenigen Mitgliedern, die keinen ausdifferenzierten Personalstab aufbrachten und deshalb eine Bündelung der Aufgaben – und in diesem Zuge auch der Bücher – vornahmen485. Zum Durchbruch gelangte diese Gattung dann allerdings im Kontext der privaten Rezitation durch insbesondere Franziskaner, die wegen ihrer Mobilität und ihrer Armut den Vorteil des Breviers gegenüber einer Sammlung kostbarer Bücher besonders deutlich empfanden486. Um Vollständigkeit und Handlichkeit zu erreichen, wurde die Mehrfachwiedergabe sich wiederholender Teile vermieden und eine Buchorganisation entwickelt, die sich nur durch lange Routine und 480
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Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 48 zu den Nonnen als »gute Hilfskräfte« bei der Herstellung liturgischer Bücher. Zum Frauenkloster insgesamt vgl. Klingshirn, Caesarius (1994) 117–124. Vgl. Klöckener, Wandel (2002) 116. Zu den Buchgattungen, die für die Durchführung des Konstantinopler Kathedral-Offiziums nötig waren vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 94–158. So wurde z. B. der Psalter dem Psalmensänger – gewissermaßen als Amtsinsignie – bei seiner Beauftragung liturgisch überreicht; vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 133. Man beachte die eigens aus diesem Umstand entwickelten Drehpulte, die einen rasch wechselnden Zugriff auf mehrere aufgeschlagene Bücher ermöglichen. Vgl. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 272f; Jungmann, Gottesdienst (1957) 179. Vgl. Klöckener, Wandel (2002) 117. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 170f.
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(B) Organisation
mithilfe mehrerer Einlegebändchen bewältigen lässt487. Das Book of Common Prayer, das nicht die routinierte Privatrezitation, sondern die Feier in Gemeinschaft und im Kirchenraum im Blick hat, fällt ein vernichtendes Urteil über die Pragmatik des Breviers als seines Vorgängers in Sachen Tagzeiten: »To turn the Book only was so hard and intricate a matter, that many times there was more business to find out what should be read, than to read it when it was found out.«488 Es betont zwar auch selbst, dass es außer den Bibeltexten alles für die Feier Notwendige enthält489, erreicht aber durch Reduzierung der Ausnahmeregelungen, dass – von den Lesungen und Psalmen abgesehen – ein einziges Formular für alle Tage ausreicht. Heute müsste dasselbe Prinzip der Praktikabilität erneut konsequent auf die Anforderungen der Gläubigen hin angewandt werden, die unterschiedliche Voraussetzungen zum Gottesdienst mitbringen und daher auf unterschiedlichen Ebenen Hilfe zum Vollzug benötigen. Eine vollständige Ausführung aller singbaren Partien in Noten490, klare Rubriken zur Herstellung ritueller Transparenz und eine lineare Wiedergabe des gesamten Gottesdienstes ohne Varianten könnten Standards sein, die vermeidbare Unsicherheiten zu beheben helfen. Zur Teilnahmekompetenz zählt auch das musikalische Repertoire. Wenn die Gläubigen mitsingen sollen, dann ist eine konsequente Ausrichtung an ihrem Repertoire, auch an ihren Vorlieben und ihren Emotionen das oberste Gebot. Dies kann im äußersten Fall auch bedeuten, dass der Gottesdienst ohne Musik auskommen muss, wenn der Gesang nicht jene Stabilität erreicht, die es dem einzelnen erlaubt, seinen Beitrag dazu ohne Peinlichkeit, Überbeanspruchung und innere Distanzierung frei nach dem eigenen Wohlbefinden zu bemessen. Wo immer jedoch die Möglichkeit besteht, die Gottesdienstteilnehmer miteinander im Gesang zu vereinen, sollte sie genutzt werden. Das theologische Movens, Menschen zum Erheben ihrer Stimme anzuleiten, erfordert auf der pragmatischen Ebene eine starke Orientierung an den musikalischen Fähigkeiten und Vorlieben der Versammelten. Die Chance, dass möglichst viele unter den Anwesenden sich in den Gesängen sicher fühlen und Mut und Lust zum Mitsingen haben, überwiegt die Verpflichtung gegenüber den im Stundengebet bewahrten textlichen und musikalischen Schöpfungen. Dass der Gesang überhaupt zustande kommt, ist bei einer zweigleisigen Auswertung, die also neben
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Vgl. Klöckener, Menschen (2004) 351: »Aber die für das Verständnis der Gebetsorganisation und den Gebrauch des Buches erforderlichen Spezialkenntnisse kann man realistischerweise nicht von der Mehrzahl der Mitchristen unserer Zeit erwarten.« Book of Common Prayer (1662) ix. Vgl. Cuming, History (1982) 47. Das Scheitern der reformatorischen Bemühungen um die Erneuerung des Stundengebets führt Goltzen, Gottesdienst (1956) 210 auch darauf zurück, dass damals keine geeigneten und vollständig vertonten Materialien entwickelt wurden.
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II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft
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der materialen Überlieferung auch die pragmatische berücksichtigt, wichtiger als das konkrete Programm. Und wenn auch die großen Dichtungen des Ambrosius491 dabei nicht zum Zuge kommen können, so orientiert man sich dabei doch im gleichen Augenblick strikt an dem bereits erwähnten Gespür desselben Kirchenvaters »für die religiösen Bedürfnisse des Volkes«492. • Der wichtigste historische Einzelfaktor, der die Organisation gemeinsamen liturgischen Agierens betrifft, ist die professionelle Durchführung; denn diese hat die Gemeinde in zwei Gruppen gespalten, die sich hinsichtlich ihres Rollenverhaltens und ihrer liturgischen Kompetenzen stark voneinander unterscheiden. Wenn die Bemühungen um eine Wiederbelebung der Tagzeiten heute vor dem Befund stehen, dass die professionelle Durchführung von zahlreichen alltäglichen Gottesdiensten – sei es durch Kleriker oder durch hauptamtliche Laien – nicht mehr langfristig gewährleistet werden kann, und wenn das liturgische Leben dennoch nicht proportional zu dieser Entwicklung abnehmen soll, dann müssen die Bemühungen dahin gehen, die erwähnte Spaltung der Gemeinde wieder aufzuheben und den Gottesdienst konsequent auf eine Durchführung durch Ehrenamtliche zuzuschneiden: »Als Maßstab für eine heutige Form von Tagzeitenliturgie sollte eine Gebetsversammlung gelten ohne akademisch geschulten Leiter«493. In einer Zeit, in der immer offensiver ehrenamtliches Engagement abgeschöpft wird, kann man um so mehr Menschen für die Übernahme liturgischer Dienste gewinnen, je weniger Zeit ihnen dieser Einsatz abverlangt. Daraus folgt zunächst, dass man den ehrenamtlichen Liturginnen und Liturgen nicht auch noch die Vorbereitung der Gottesdienste aufbürdet. Wie im Stundenbuch sollte bereits vorher feststehen, was genau an welchem Tag vorgesehen ist – möglichst nach einem leichter als dort durchschaubaren System. Weiterhin kann der liturgische Aufwand in der Feier selbst reduziert werden: Statt aufwändiger musikalischer oder ritueller Elemente sollten einfache Formen gewählt werden, die auch mit wenigen Freiwilligen angemessen und ohne Überforderung durchgeführt werden können. Noch ungleich wichtiger ist es jedoch, den wesenhaften Unterschied zwischen ehrenamtlichem und professionellem Dienst in der Liturgie wahrzunehmen. Die meisten Modelle auch für Tagzeiten bringen eine klare Zweiteilung
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Vgl. etwa Häußling, Hymnen (1989), der die für den heutigen Menschen gültige Aussagekraft des Ambrosianischen Hymnus ›Aeterne rerum conditor‹ herausarbeitet. Auf die Chancen zur musikalischen Umsetzung mit einer Gemeinde geht Häußling seiner Aufgabenstellung gemäß nicht ein. Vgl. Leitner, Volksgesang (1906) 113. Ringseisen, Unterwegs (1999) 13. Er fordert, die Befähigung geeigneter Personen zur Durchführung zu einem pastoralen Schwerpunkt zu machen.
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(B) Organisation
der Anwesenden mit sich494. Auf der einen Seite stehen die Besucher, die ein Angebot wahrnehmen und sich in ihren seelischen Bedürfnissen bedienen lassen, und auf der anderen Seite die Veranstalter, die ihnen etwas zu bieten haben: Sie begrüßen die Gäste und führen durch das Programm, sie laden zur Besinnung ein, lesen Texte vor, sprechen ein Gebet, vielleicht singen oder musizieren sie sogar. Sie sind die einzigen, von denen erwartet wird, dass sie aktiv werden, wohingegen unter den Gästen der passive, womöglich gänzlich schweigende Genuss die vorherrschende Grundhaltung ist. Auf den Liturgen allein lasten Aufmerksamkeit, Erwartung und aus der Sicht der übrigen Teilnehmer auch die Verantwortung für Gehalt und Form dessen, was sie präsentieren. Um diese Rolle ausfüllen zu können, werden Priester und Diakone, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten jahrelang geschult. Für die meisten Ehrenamtlichen aber ist ein solcher Dienst ein radikaler Seitenwechsel vom Zuschauerraum auf die Bühne. Auf der anderen Seite der Liturgie zu stehen, setzt sie Maßstäben aus, denen sie kaum je gerecht werden können. Sie sind so etwas wie ›kleine Hauptamtliche‹, die zwar prinzipiell das Gleiche tun wie ihre professionellen Kollegen, nur eben alles nicht so gut wie diese. Ihnen selbst aber ist in dieser Konstellation ein wohltuendes Gottesdiensterlebenis vor Anspannung kaum möglich. So ist in einer von Ehrenamtlichen geleiteten Tagzeitenliturgie ein klares Gegenüber von Gemeinde und Liturgen nicht nur aus amtstheologischen495, sondern auch aus liturgiepragmatischen Gründen unangemessen. Die wichtigste Aufgabe bei der Erneuerung der Tagzeiten besteht demnach darin, die liturgischen Rollen so zu gestalten, dass eine Überforderung vermieden und zugleich das besondere Charisma eines Dienstes entfaltet wird, der der Gemeinde nicht gegenübertritt. Denn die wertvollste Eigenheit der ehrenamtlichen gegenüber den Berufsliturgen ist ihre Nähe zu den übrigen Teilnehmern. Nichts hebt sie formal aus der Gemeinschaft heraus: Sie haben den Gottesdienst, dem sie dienen, nicht selbst »gemacht«, gestaltet oder entworfen. Keine liturgische Kleidung, keine großen Auftritte und keine fachlichen Qualifikationen definieren ihre Rolle. Sie sind keine ›unbetroffenen Routiniers‹496. Vielmehr repräsentieren sie eine einfache und bodenständige christliche Alltagsexistenz497 – also genau das, was für die Tagzeiten theologisch grundlegend ist, und was Amtsträger, die ihr Leben ganz dem Glauben und der Kirche widmen, so nicht liturgisch repräsentieren können. So muss der Vorbeter nichts anderes ausstrahlen, als dass er aus seinem Beruf und seiner jeweiligen Lebenssituation heraus 494
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Vgl. z. B. Ringseisen, Gemeinde (2002) 157: »Es ist selbstverständlich, daß die Gemeinden, in denen werktags die Tagzeitenliturgie ohne Priester gehalten wird, auf ausgebildete Leiter/innen angewiesen sind.« Das ist es nicht. Vgl. AES 258. Vgl. Vorgrimler, Liturgie (1999) 43. Ratzmann, Alltag (1999) 114 nennt Laien »Fachleute des Alltags«.
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II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft
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eine liturgische Alltagsspiritualität pflegen und auch für andere mittragen möchte. Der Lektor soll vor allem Interesse am Text und an den Zuhörern ausstrahlen; er muss hingegen keine Hörbuchstimme haben. Und für den Kantor steht nicht die technische Perfektion im Vordergrund, sondern seine »stimmliche Fertigkeit ist in erster Linie die eines Menschen, der gerne singt und das alltägliche Singen gewohnt ist. Die hauptsächliche Anforderung und gleichzeitige Herausforderung an den Kantor besteht in der Bereitschaft, zu sich selbst und seiner Glaubenssituation zu stehen und diese singend vor der Gemeinde offen zu legen.«498 Die Aufgabe der Hauptamtlichen bestünde dann hauptsächlich noch darin, aus einer großen Aufmerksamkeit für die Teilnehmer heraus deren »Begabungen zu erforschen, sie für eine liturgische Mitarbeit zu gewinnen und zu rüsten, sie entsprechend ihrer Fähigkeiten einzusetzen«499, um ihnen schließlich den Gottesdienst ganz anzuvertrauen. Um die Kompetenz-Differenz zwischen Liturgen und Teilnehmern zu verringern, dürfen auch die Anforderungen an die übrige Gemeinde nicht zu gering veranschlagt werden. Es ist vielmehr darauf zu achten, dass die gesamte Gemeinde im Gottesdienst so aktiv und kompetent beteiligt ist, dass jeder regelmäßige Teilnehmer im Grunde fast alles bereits kann, was er auch zur Ausführung eines Dienstes können muss. Wenn dies gelingt, besteht die Chance, dass der Gottesdienst sein ›Personal‹ aus den Teilnehmern selbst generieren kann. • Das Ergebnis unserer Überlegungen ist die Abkehr von einer in Akteure und Zuhörer gespaltenen Gemeinde. Die vielerorts in unseren Kirchen noch erhaltenen Chorgestühle könnten zum Zeichen für ein solches Kirchenbild werden500. Denn sie sind die ideale Raumgestaltung für einen Gottesdienst, der im Kern nichts anderes ist als Beten in Gemeinschaft und in dem deshalb, anders als in sakramentalen Liturgien, die hierarchische Gliederung der Gemeinde nicht so dominant in Erscheinung tritt. Ob Mönche oder Chorfrauen und -herren: In der Liturgia horarum stehen sie gemeinsam vor Gott und bringen ihm ihr Gebetsopfer dar – als Communitas, in der auch hervorgehobene Personen eingereiht bleiben. Voraussetzung jeden Erfolges ist es allerdings, dass die Übernahme liturgischer Verantwortung durch Laien – wie z. B. im Bistum Essen501 – auch wirklich gewollt wird. Walter Hollenweger bringt einen möglichen Einwand auf den Punkt: »Auch heute könnten Gottesdienste, die mit der ›liturgischen Alphabetisierung‹ des Gottesvolkes ernst machen, zu schweren Erschütterungen unserer ekklesiologischen Konzepte führen.«502 498 499 500
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Willa, Singen (2005) 206. Brakmann, Laie (1971) 227. Zu Entstehung und Funktionalität der Chorgestühle als eigener Raumaufgabe im Kirchenbau für die Durchführung der Tagzeiten vgl. Guiver, Company (2001) 96. 120. Vgl. Bistum Essen, Lebendig (1997). Hollenweger, Christentum (1997) 306.
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(B) Organisation
III. Die Welt – Präsenz des Auftrags III. Die Welt – Präsenz des Auftrags
Auch die missionarische und diakonische Ausstrahlung des Gottesdienstes in die Welt hinaus muss organisiert werden. Dieser Aspekt wird in zwei Richtungen virulent: Erstens ist die Präsenz der Kirchen und ihrer Gottesdienste im öffentlichen Leben zu gewährleisten. Und zweitens muss der Gottesdienst auf Besucher aus dieser zum Teil sehr fremden Umwelt eingerichtet sein. Diesen beiden Fragerichtungen sind die folgenden beiden Kapitel gewidmet.
1. Das Stundengebet im öffentlichen Raum Die einstmals massive Präsenz der Tagzeitengottesdienste im öffentlichen Leben war in einer Zeit entstanden, als die Kirche nach der Konstantinischen Wende eine starke Begünstigung durch den Staat erfuhr, die sich direkt oder indirekt auch finanziell niederschlug. Auf diese Weise konnte ein Gebäudepark errichtet und betrieben werden, dessen Unterhaltskosten mit rund einem Drittel aller Kircheneinkünfte zu veranschlagen waren503. Noch einmal soviel Geld kostete es, das Personal zu unterhalten, das tagaus, tagein in diesen Versammlungsräumen den Gottesdienst durchführte. Außer an Sonn- und Feiertagen waren dies Tagzeitengottesdienste. Die Eroberung der Städte In Jerusalem war zur Zeit Egerias die ganze Stadt durch die Grabeskirche und ihren liturgischen Betrieb geprägt; bereits die morgendliche Öffnung der Kirchentore wurde regelrecht inszeniert504. Das ist zwar nicht repräsentativ für andere Städte – es handelte sich schließlich um ein kaiserlich finanziertes Großprojekt in einer relativ kleinen Stadt – aber auf lange Sicht gilt doch für das ganze Reich: »Was vorher nur die Gebetserfahrung der freiwilligen Auslese, des kleinen Kreises gewesen war, wird jetzt zum Officium, zum öffentlichen, von der Gesamtkirche übernommenen, geregelten, verpflichtenden Gottesdienst, in dem die ganze Kirche, geführt durch den Klerus, dem in der Eucharistie ihr begegnenden Herrn täglich und ununterbrochen hörend und betend antwortet«505. Dabei war es die klare Absicht der Kirche, sich die Stadt als öffentlichen Raum zu erobern. Die frühesten Standorte hatten wegen der Grundstückspreise zumeist eine Randlage im Gefüge der Stadt, aber seit dem 4. und 5. Jahrhundert
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Vgl. o. in Kapitel B.II.1 ›Rahmenbedingungen‹ die Einleitung (S. 130–132). Vgl. Eger. itin. 24, 1 (226f Röwekamp). Goltzen, Gottesdienst (1956) 135.
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III. Die Welt – Präsenz des Auftrags
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wurden Kirchen auch häufiger im Zentrum errichtet506. Die christliche Liturgie machte schließlich die Stadt als Ganze zu ihrer ›Bühne‹507 und überzog sie »mit einem christlichen Netz, dessen Fäden und Knoten in den Aufzügen und Prozessionen zu den wechselnden Stätten gottesdienstlicher Versammlung sichtbar werden [...]. Als bewußte ›conquête de l’espace‹ betrieben, auch aus innerkirchlichen Motiven erstrebt, ist den Christen, wie Johannes Chrysostomos formuliert, die ganze Stadt zur Kirche geworden.«508 Für die Tagzeitenliturgie konnte das bedeuten, den Kursus der Horen nach dem Stationsprinzip auf mehrere Kirchen der Stadt zu verteilen509 oder sie wie in Konstantinopel zum Auftakt oder Zielpunkt für Prozessionen zu machen510. Und wenn auch die Größenordnung der Bauwerke gewiss nicht an ihrer Nutzung zur Tagzeitenliturgie bemessen wurde, so sind doch der Kirchenbau und die Etablierung täglicher Gottesdienste erkennbar Teile desselben Konzepts einer gezielten Durchdringung des öffentlichen Raumes. Für Remesiana etwa ist dieser Zusammenhang zeitlich und auch personell gegeben: »Die Christianisierung der Stadt, die meist mit dem Wirken des Niceta in eins gesetzt wird, führt zu weiteren substantiellen baulichen Veränderungen, so daß geradezu von einem ›new urban concept‹ in Remesiana an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert gesprochen werden kann.«511 Es handelt sich dabei um denselben Bischof Nicetas, der seine Gemeinde mit einigem rhetorischen und organisatorischen Aufwand zur Etablierung von Vigil-Feiern motivierte512. Und »so bestimmten die Kirchen und Klöster mehr und mehr das Stadtbild, bis es seit dem frühen Mittelalter ganz von ihnen geprägt ist.«513 Dieses Kirchenbauprogramm, das als »die von der Liturgie bestimmte und beschützte Stadt-Kirche des abendländischen und byzantinischen Mittelalters«514 die kulturelle Identität Europas 506 507
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Vgl. Deichmann, Christianisierung (1954) 1238. Seit der Konstantinischen Wende erbt das Christentum sukzessive die gesellschaftlichen Funktionen der vormals heidnischen Religion für das öffentliche Leben. Seinen Ausdruck findet dies u. a. in Prozessionen und Stationsliturgien; vgl. Baldovin, Urban character (1987) 234–238. 263–268. Brakmann, Stationsgottesdienst (1987) 74 mit Bezug auf Joh. Chrys. stat. 15, 1 (PG 49, 155); vgl. auch Brakmann, Muster (1989) 29f. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 270. Bereits bei Eger. itin. 27, 5 (246f Röwekamp) zieht man am Mittwoch und Freitag zur Non auf den Zion. Die vit. Sever. Viennens. 8 (Anal. Boll. 5, 421f), die im 5. Jahrhundert spielt und vermutlich im 7. Jahrhundert geschrieben wurde, berichtet, dass das tägliche Offizium auf vier Kirchen der Stadt aufgeteilt wurde: Terz und Sext in St. Stephan, Non in St. Laurentius, Vesper und Duodecima in St. Alban, Matutin und Nocturnen in der Kathedrale; vgl. Taft, Hours (1986) 145. Vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 9–12. Rist, Plädoyer (2001) 37. S. o. in Kapitel A.II.1 den Abschnitt ›Vereinte Stimmen‹ (S. 61–65). Gerhards, Altlast (2006) 6. Brakmann, Muster (1989) 29.
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(B) Organisation
bis heute prägt, ist ohne das dahinter stehende liturgische Konzept nicht zu verstehen. John Baldovin warnt allerdings davor, das antik-mittelalterliche Konzept der Stationsliturgie in der Gegenwart nachahmen zu wollen: Wenn sich in einer solchen Präsenz nicht der fraglos vorausgesetzte Glaube weiter Teile der Gesellschaft aussdrückt, können Funktion und Sinn nicht dieselben wie damals sein515. Kirchen in der Welt von heute Besonders in einer zunehmend säkularen Gesellschaft bilden die dominanten Kirchengebäude auch aus der Perspektive der Fernstehenden so etwas wie »Ruhezonen zur Selbstbesinnung und seelischen Erholung«516 und erfüllen allein dadurch bereits eine wichtige diakonische Funktion, die weit über die Grenzen der Kirche in die Bevölkerung ausstrahlt – auch wenn die einstmals sehr konkrete diakonische Funktionalität der Bauwerke dabei kaum mehr zum Tragen kommt517. Aber selbst für Menschen, die die Kirchen nicht betreten, sind die Bauten nicht bedeutungslos. Als »Raummarken des Transzendenten«518 repräsentieren sie eine Botschaft und verleihen der Kirche auch als Institution und Wertegemeinschaft eine stabile Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung. »Wahrheit braucht Öffentlichkeit, und die Präsenz des Geistes braucht Repräsentation«519. Dieser Zeichencharakter bleibt den Kirchengebäuden aber nur dann erhalten, wenn auch ihre Einbindung in das Leben der Kirchen weiterhin im Bewusstsein bleibt. Besonders die Erfahrungen aus Ländern wie Großbritannien oder den Niederlanden, in denen nach einer Welle von Profanierungen und Umnutzungen eine signifikant hohe Zahl von äußerlich als Kirchen erkennbaren Gebäuden inzwischen einer nichtkirchlichen Nutzung zugeführt wurden, zeigen, dass dieser Konnex gefährdet ist. Mit anderen Worten: Wenn es nicht Ausnahme bleibt, dass ein Gebäude, das wie eine Kirche aussieht, in Wirklichkeit gar keine ist, dann gehen nicht nur die veräußerten Kirchen selbst als Raummarken verloren, sondern die Gattung des Kirchengebäudes insgesamt löst die seit tausend Jahren allgemein selbstverständlichen Assoziationen nicht mehr aus. Die Kirchen hätten dann die wichtigsten ›Werbeträger‹ ihrer Botschaft in der Öffentlichkeit eingebüßt. 515 516 517
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Vgl. Baldovin, Urban character (1987) 261f. Gerhards, Barmherzigkeit (2006) 248. Vgl. Gerhards, Barmherzigkeit (2006) 246: »Annexräume wie die Pastophorien in den spätantiken Kirchengebäuden und das ›Diakonikon‹ in byzantinischen Kirchen erinnern noch an den Zusammenhang von Armenspeisung und Liturgie«. Auch Spitäler und Hospize stehen nicht nur in einem räumlichen Zusammenhang zum Kirchengebäude, sondern die »heilsame Kraft der Liturgie galt als wesentlicher Faktor der Therapie.« Gerhards, Barmherzigkeit (2006) 248. Steffensky, Kirchen (2003) 12.
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III. Die Welt – Präsenz des Auftrags
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Diesen Zusammenhang erkennt auch Gerhard Matzig, der vor einigen Jahren mit seiner durchaus positiven Beurteilung von Umnutzungsprojekten Aufmerksamkeit erregte520, inzwischen aber die Kirchen ausdrücklich davor warnt, ihre Gebäude aufzugeben: Als bekennend Kirchenferner habe er zwar selbst früher gegen die staatliche Begünstigung der Kirchen gewettert, merke aber nun, dass die alten Räume auch in seinem Leben eine Identität stiftende Funktion erfüllten521. Dafür ist es allerdings zwingend notwendig, dass sie ihren religiösen Charakter behalten und nicht zu völlig anderen Zwecken genutzt werden. Allein das Wissen darum, dass Kirchen zum Gottesdienst errichtet wurden und dass in ihnen bis heute regelmäßig gebetet wird, kann die Bauwerke als Repräsentanten kirchlicher Werte und Inhalte auf Dauer erhalten. Im Dienst am Anderen So kommt es, dass der Dienst der Kirche am Anderen in einem direkten Zusammenhang steht mit dem Dienst an dem Anderen, mit dem Gottesdienst. Erst dieser macht die Bauten zu »Raummarken des Anderen in unserer vom Zweckdenken bestimmten Welt«522; denn heilige Orte gibt es im Christentum nicht losgelöst von der Gemeinschaft der Glaubenden, die sich an einem Ort versammelt und ihn für religiöse Vollzüge nutzt, die über diese Welt hinausverweisen. Insofern geht es bei der Frage der ehrenamtlichen Durchführung von Tagzeitengottesdiensten nicht nur um die interne Versorgung der Gläubigen mit Gottesdiensten, sondern auch um den missionarischen Auftrag der Kirche in der Welt. Denn leblose Kirchengebäude können diesen Sinn nicht mehr in derselben Weise repräsentieren. Für das heikle Thema der Aufgabe, der Umnutzung und des Abrisses von Kirchengebäuden wird es von entscheidender Bedeutung sein, ob Christen in Zukunft auch ohne hauptamtliches Personal und Folgedienste diese Bauwerke mit jener Sorte Leben füllen können, die hineingehört523: »Eine Gemeinde, die ihre Kirche nutzt und mit Leben füllt, erbringt die wirksamste Leistung zu ihrer Erhaltung«524 – so die Synode der 520 521
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Vgl. Matzig, Not (1997). So auf dem Symposion des ›Forum Studienjahr Jerusalem‹ zum Thema ›Heilige Räume‹ am 14.–16. Oktober 2005 in Nürnberg. Gerhards, Altlast (2006) 6; vgl. auch Gerhards, Sinnlichkeit (2006) 150f: Sakrale Räume fügen den Heideggerschen Dimensionen, »eine Stätte des Bei-Sich-Seins, der Selbst-Begegnung und der Begegnung mit vertrauten Menschen« zu sein noch »als dritte Dimension die Begegnung mit dem Anderen, mit Gott hinzu. Dies ist natürlich eine Glaubenserfahrung, die sich nicht pädagogisch vermitteln, wohl aber bezeugen lässt. Kirchenpädagogik sollte die Kirchen als Zeugnisse gelebten Glaubens erschließen.« Vgl. Degen / Hansen, Architektur (2002) 72. Rinke, Kundgebung (2003).
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(B) Organisation
EKD 2003 in der Kundgebung zu ihrem Tagungsthema ›Kirchenraum‹. Der Wert dieses Lebens lässt sich allerdings betriebswirtschaftlich nicht beziffern und findet deshalb in dem gegenwärtigen Prozess der finanziellen Zukunftssicherung der Bistümer zu wenig Berücksichtigung. Albert Gerhards betont demgegenüber: »Der Rückzug der Kirchen aus unserer Lebenswelt wäre eine Bankrotterklärung, ein Irrewerden an ihrer eigenen Berufung. Daher ist gerade jetzt das Gebot der Stunde, Präsenz zu zeigen, nicht im Sinne einer Demonstration von (nicht mehr vorhandener) Macht, sondern im Sinne einer Diakonie, die Lebensräume anbietet.«525 Ausblick: Lebenszeichen geben Der Alltagsgottesdienst ist aus diesen Gründen von zweifacher Bedeutung für die Strahlungskraft der Kirche in das öffentliche Leben hinein. Erstens ist es wichtig, dass er stattfindet, und dass dieses Stattfinden auch nach außen hin wahrnehmbar ist. Information in der Infrastruktur der modernen Medien ist dafür ebenso wichtig wie Werbung durch Plakate oder Handzettel – wobei es allerdings eine Gefahr darstellt, sich ununterscheidbar in die Wahrnehmungsstrukturen professionellen Marketings zu begeben526, da Werbung für Produkte und Angebote in der Regel nicht auf das Wohl der Angesprochenen, sondern auf den Profit der Anbieter abzielt. Hier gälte es, die christliche Gegenkultur einer nicht gewinnorientierten und aus dem Glauben motivierten Diakonie bis in die Oberfläche der Werbung hinein von kommerziellen Vertriebsmechanismen abzuheben. Ein in dieser Hinsicht besonders geeignetes und seit langem auch in Sachen Stundengebet bewährtes Medium sind Kirchenglocken: Bislang und wohl auch künftig von keiner anderen Institution genutzt, signalisiert ihr typischer Klang sowohl das Stattfinden eines Gottesdienstes im betreffenden Kirchengebäude als auch die Möglichkeit, sich selbst dazu einzufinden. Das Geläut ist gewissermaßen selbstbewusstes Lebenszeichen und unaufdringliche Einladung zugleich. Für die Tagzeitenliturgie gilt somit: Es sollte erstens durch Glockenläuten öffentlich zu ihr eingeladen werden; und es sollte dann zweitens der Gottesdienst so gestaltet sein, dass jeder, der die Glocken hört, teilnehmen und sich in der Feier wohlfühlen kann. Dazu im folgenden Kapitel.
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Gerhards, Altlast (2006) 6. Einen bedenkenlosen Einstieg in professionelles Marketing propagiert Dietz, Riten (1999) 95 und 99: »Verkaufen Sie Ihren Gottesdienst.« Berger, Wort (2000) 67 bevorzugt unterdessen eine Sprache, die »ihren Gott nicht billig anpreist«.
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III. Die Welt – Präsenz des Auftrags
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2. Die Öffentlichkeit im Stundengebet Die Öffentlichkeit, in die das Stundengebet ausstrahlt, macht sich umgekehrt auch ihrerseits im Gottesdienst bemerkbar. Die Anforderungen an einen öffentlich zugänglichen Gottesdienst sind deutlich höher als an einen gruppeninternen – ähnlich wie die Ansprüche steigen, wenn die Sonntagsmesse einmal im Fernsehen übertragen wird527. Denn zum einen muss das Geschehen wegen der differenzierteren Teilnehmerschaft von unterschiedlichen Voraussetzungen aus sinnvoll erlebbar sein; zum anderen setzt sich die Liturgie, die werbend zur Teilnahme einlädt, auch höheren Erwartungen an die ästhetische Qualität aus: Mäßige Hausmusik wird in familiärer Nachsicht genossen; aber wer in die Philharmonie geht, erwartet ein gutes Orchester.528 Raum für neue Erfahrungen Ein Gottesdienst, der die Öffentlichkeit einlädt, muss also auch so gestaltet sein, dass die anvisierte Zielgruppe folgen und mit spirituellem Gewinn daran teilnehmen kann. Gerade bei Tagzeitengottesdiensten ist jedoch die Zielgruppe kaum zu profilieren: Denn Tagzeiten sind kein Event, für das man lange anreist, sondern Gottesdienste für zwischendurch. Man geht nur hin, wenn man gerade in der Nähe ist. Kirchennähe nicht im geistlichen, sondern im topographischen Sinn ist gewissermaßen das Kriterium zur Bestimmung der Zielgruppe. Dieser Kreis möglicher Teilnehmerinnen und Teilnehmer kann jedoch sehr disparat sein. In den Innenstädten halten sich zum Beispiel tagsüber zahlreiche Angestellte, Einkäufer, Studierende und Touristen auf. Bildung und sozialer Hintergrund, aber auch die kirchliche Prägung fallen unter ihnen ganz unterschiedlich aus. Damit sind öffentliche Tagzeitengottesdienste in besonderer Weise von der »Inkompatibilität von individualisierten Lebenslagen und Lebensgeschichten« betroffen, aufgrund deren »kollektiv bereitliegende rituelle Handlungsangebote keine hinlängliche Verbindung mit den Problemen der Ritenbedürftigen« mehr aufzunehmen in der Lage sind529. Will man dennoch versuchen, alle jeweils Versammelten im Gebet zusammenzuführen, dann wird der Gottesdienst auf unterschiedlichen Ebenen Zugänge eröffnen müssen – für kirchenferne Anfänger ebenso wie für Menschen, die ihren Urlaub schon einmal gerne im Kloster verbringen. Stefan Rau unterscheidet zwei Gruppen von Besuchern: solche, die sich in der Kirche zuhause fühlen, und solche, die sich als Gäste fühlen530. Auch letzteren gegenüber trägt 527 528
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Vgl. Gilles, Auge (2000) 275–290. Vgl. Budde, Basilios-Anaphora (2004) 554. Vgl. Ebertz, Handlungen (1999) 32. Vgl. Rau, Kirchenraum (2000).
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(B) Organisation
die Liturgie Verantwortung, ihren Sinn zu vermitteln – sei es kognitiv durch katechetische Elemente innerhalb der Liturgie531 oder der liturgischen Bücher, durch transparente Vollzüge532 oder aber auch intuitiv durch das Erleben einer stimmigen Raumnutzung: Die Unterbrechung des Raumes dient schließlich als konsistenter Rahmen für die Unterbrechung der Zeit533; daher »ist es auch heute noch sinnvoll, den gewissermaßen von allen Funktionen ausgesparten Raum zu bauen und zu pflegen, in dem die Gemeinde in öffentlicher Zugänglichkeit Liturgie feiern kann.«534 Diese Sinngestalt des Gebäudes zu verstehen, ist dann nicht nur die Aufgabe der Kirchenraumpädagogik535, sondern auch der Liturgie selbst, indem sie in intuitiv erfassbarer Kohärenz zu ihrem Austragungsort steht. Kongruenz von Liturgie und Raum Viele Kirchenräume sind in ihrer Funktionalität, also durch ihr Fassungsvermögen und die Anordnung ihrer Bestuhlung, so sehr auf die Feier der Eucharistie eingerichtet, dass das Stundengebet in kleinem Kreis darin deplatziert wirkt. Eine größere Kongruenz lässt sich in der einen Richtung dadurch erreichen, dass die Räume eine an die Liturgie angepasste Gestaltung erfahren536. Umgekehrt ist es aber mancherorts auch möglich – und dann kurzfristig praktikabler – den Gottesdienst auf den Raum abzustimmen, der ihn umgibt. In vielen Einzelfragen kann die Gestalt der Liturgie von den Vorgaben des ererbten Raumes abgeleitet werden. Hier individuelle Lösungen zu finden, die sowohl der Liturgie als auch den architektonischen Gegebenheiten gerecht werden, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die schmerzhafte Kompromisse wird in Kauf nehmen müssen. Eine elegante Lösung bietet sich häufig dort, wo sich aus früheren Zeiten die Einrichtung für das Stundengebet erhalten hat. Chorgestühle sind zumeist auf sehr viel geringere Teilnehmerzahlen und einen sehr viel höheren Grad an Kommunikation unter den Anwesenden ausgelegt. Als klassische Form der »Communio«-Räume könnten sie vielfach eine Wiederbelebung durch die Gemeinde-Tagzeiten erfahren und vielleicht sogar durch Wechselgesang so genutzt werden, dass wiederum jeder, der zu Gast ist, den Raum, das Gebäude und seine Einrichtung darin zu ihrer liturgischen Erfüllung kommen sieht.
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Vgl. dazu insgesamt Sauer, Katechese (1999); bes. ebd. 140; grundlegend Gerhards, Weitergabe (1995). Vgl. Klöckener, Menschen (2004) 352; Ringseisen, Gemeinde (2002) 126; Sauer, Katechese (1999) 143. Vgl. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 102. Wohlmuth, Jesu Weg (1992) 102f. Vgl. Gerhards, Sinnlichkeit (2006) 150f. Dazu ruft Rau, Kirchenraum (2000) 111f auf, weil es die Gemeinde entlaste und die Feier fördere.
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III. Die Welt – Präsenz des Auftrags
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Ein anderes Beispiel ist die Akustik: Viele, besonders ältere Kirchen sind – wie die modernen Fussball-Arenen – für gemeinsames Singen errichtet und auch präzise konzipiert worden. Deshalb sind in ihnen besonders wohltuende Klangerfahrungen möglich537 – ein Luxus, den wenige Räume zu bieten haben. Auch in dieser Hinsicht kann die Rücksichtnahme auf die Vorgegebenheiten Fremden neue Zugänge zum Raum und seinem Daseinszweck geben. Und anders als die Shopping-Mall, die auf Berieselung mit umsatzsteigernder Popmusik ausgelegt ist, lädt der Kirchenraum zur intensiven Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit ein. Ein weites Feld sind schließlich die Bilder und Kunstwerke, die die meisten Kirchenräume heute bergen, und von denen ebenfalls eingefordert wurde, dass sie einen »inneren Bezug zum liturgischen Geschehen aufweisen«538. Roland Degen und Inge Hansen definieren den Auftrag der »Kirchen(raum)pädagogik als Widerstand gegen bloßen neoästhetischen Voyeurismus und die Bild-Vernutzungen des Medienkonsums. Sie will am auratischen und – anders als im Museum, das zumeist ›heimatvertriebene‹ Objekte beherbergt – authentischen Ort dieser Überlieferung allsinnliche Zugänge für diese Inhalte und ihre Spiritualität ermöglichen.«539 Die Liturgie kann diesen Vorgang verdichten, indem sie ihre eigene Gedächtniskultur biblischer Geschichten mit der im Kirchenraum gespeicherten künstlerischen Umsetzung dieser Motive in Verbindung bringt. Wenn ein Bild nicht nur im Kirchenraum hängt, sondern sein spiritueller Gehalt durch die Verlesung der dazugehörigen Perikope und durch passende Lieder und Gebete sogar liturgisch kommemoriert wird540, dann kann dadurch sowohl die Kunst als auch die Liturgie für Außenstehende leichter zugänglich werden. Die künstlerische Erschließung wird zwar in vielen Fällen tatsächlich über das »Vergnügen einer Wiedererkennung«541 kaum hinausgehen. Aber bereits dies ist ein dringendes Desiderat in einer Gesellschaft, in der selbst »angehende Studierende der Kunstgeschichte auf einer Weihnachtsdarstellung eher die Tiere denn die abgebildeten Personen zu identifizieren vermögen«542, und kann zudem auch liturgietheologisch wertvoll sein, wenn dadurch sichtbar wird,
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Vgl. Gerhards, Singen (1993) 510f: »Der Raum als Binnen- und Zwischenraum wird akustisch durch Laute erfahren. Bei der Atmung und beim Sprechen, Singen oder Schreien kommt es zu intensiver Erfahrung der eigenen Körperlichkeit (physikalisch: Lauterzeugung durch Schallwellen). Gleichzeitig erfährt das Subjekt den umgebenden Raum durch Raumakustik. Es konstituiert den Raum für sich durch akustisches ›Abtasten‹. Erfahrungsgemäß tun dies kleine [und große; A. B.] Kinder spontan in überakustischen Räumen.« Gerhards, Bild (1998) 290. Degen / Hansen, Architektur (2002) 72. Vgl. Sternberg, Bilder (2000) 132. Sternberg, Bilder (2000) 133. Bärsch, Gewicht (2003) 222.
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(B) Organisation
dass die kommemorierten Geschichten buchstäblich im Kirchenraum zuhause sind und deshalb hier auch ihren angemessenen Rezeptionsrahmen finden543. Ausblick: Kirche erlebbar machen Wenn Albert Gerhards konstatiert, »daß der Kirchenraum in Hinblick auf heutige Liturgie eine Größe darstellt, mit der in jedem Fall zu rechnen ist«544, dann gilt dies umso mehr gegenüber einer Öffentlichkeit, in deren Wahrnehmung das Gebäude ohnehin die größere Präsenz gegenüber der Institution oder der Gemeinde aufweist. Die Kirchengebäude können nur dann öffentliche Raummarken des Transzendenten sein, wenn sie eine liturgische Nutzung erfahren, die auch für zufällig Hineingeratene erfahrbar macht, dass der Raum genau auf diese Vollzüge hin geschaffen und eingerichtet wurde. Dies aber bedarf auch der Anwesenheit von Gläubigen, deren Lobpreis und Fürsprache die Beziehung zu Gott überhaupt erst zum Ausdruck bringen. Damit Kirchenferne die heilsame Botschaft und die geistliche Kraft der Kirche neu für sich entdecken können, muss also die Kirche nicht nur als Bauwerk, sondern eben auch als darin betende Gemeinschaft – und durch eine sichtlich im Raum beheimatete Liturgie – präsent sein545.
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Vgl. Hofmann, Kunst (2008) 363. Gerhards, Raum (1999) 110. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 289: »Alle weltzugewandte Missionierung der bindungslosen Massenmenschen stößt ins Leere, wenn den Eingeladenen und Gewonnenen nicht die Hausordnung des Volkes Gottes angeboten werden kann, in der sie nun leben können.«
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(C) Gestaltung (C) Gestaltung
Im dritten Teil der Arbeit soll es darum gehen, aus den Erkenntnissen über Theologie und Pragmatik der Tagzeitenliturgie konkrete Kriterien für ihre Gestaltung abzuleiten. Zusätzlich zu der üblichen Untersuchung der liturgischen Überlieferung auf ihren theologischen Gehalt und ihre spirituelle Motivation hin wurde mit der liturgischen Organisation ein zweiter Faktor etabliert, dessen Einfluss auf die Gottesdienstgestalt ebenfalls als umfassend erwiesen werden konnte. Diese Facette war bislang nicht systematisch untersucht worden; und die Ergebnisse erlauben es nun, auf einer neuen methodischen Grundlage aus den historischen Vorbildern Ableitungen für die Gegenwart zu ziehen. Statt dem historistischen »Older is better«-Syndrom zu verfallen und eine konkrete, frühere Gestalt der Liturgie heute eins zu eins kopieren zu wollen, sollen vielmehr die Mechanismen, in denen Motivation und Organisation aufeinander und auf die Gestalt der Liturgie einwirken, in die Gegenwart übertragen werden. So soll eine geeignete Gestalt gefunden werden, um das spirituelle Anliegen unter den heutigen Bedingungen zu verwirklichen. Als zentrales theologisches Movens zur Feier der Tagzeiten hatte sich ergeben, dass Menschen eine Existenz aus ihrer Gottesbeziehung heraus leben, dass sie im Alltag dieser Haltung Ausdruck verleihen, indem sie ihre Stimme zum Lobpreis Gottes erheben und mit Gott in Kontakt treten. Für die Kirche bedeutet dies, dass sie sich alltäglich vor Ort als Gemeinschaft konstituiert und sich versammelt als Teil einer weltumspannenden Sammlungsbewegung; dass sie sich gegenüber der Welt positioniert und zugleich Fern- und Draußenstehende offen und gastfreundlich einlädt, die spirituellen Vollzüge als heilsam und human mitzuerleben. Die oberste liturgietheologische Maxime lautet daher, dass der Gottesdienst stattfindet1. Diese banale Feststellung ist gegenüber heutiger Lehre und Praxis neu zur Geltung zu bringen. Zu viele Modelle sind auf dem Reißbrett geblieben, weil sie nicht praktikabel waren; zu viele Initiativen scheitern an dem Aufwand, der zu ihrer Umsetzung notwendig ist und sich nicht auf Dauer bewerkstelligen lässt. In dieser Perspektive erhält die Praktikabilität liturgischer Vollzüge theologisches Gewicht.
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Meyer, Stundengebet (1987) 76 weist darauf hin, »daß die betende Gemeinde Vorrang vor allen Struktur- und damit verwandten Fragen hat: sie soll beten, und sie soll es in einer Weise tun können, die ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen entspricht«. Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 223 Anm. 11 berichtet, dass die Office-Reform der anglikanischen Kirche »den intensiveren Gebrauch der Liturgie durch Geistlichkeit und Kirchenvolk zum vorrangigen Ziel haben« sollte. Das Ergebnis dieser Reform hat sich dafür weit von der Vorlage des Book of Common Prayer entfernt; vgl. Common Worship. Daily Prayer (2005).
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(C) Gestaltung
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Theorie und Praxis: Das Bonner Abendlob Es war vor dem Hintergrund dieses Ansatzes von Anfang an klar, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung von liturgischer Praxis begleitet werden sollte. Ein im Sommersemester 2004 abgehaltenes Hauptseminar zum Thema Stundengebet an der Universität Bonn unter der Leitung von Prof. Albert Gerhards bot einen willkommenen Anlass, die akademische Beschäftigung mit den Tagzeiten um eine Verankerung in der gottesdienstlichen Wirklichkeit zu bereichern. Es fand sich eine Gruppe von fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die Interesse hatten, auf der Grundlage ihres frisch erweiterten Kenntnisstandes die Gestaltung und wöchentliche Feier eines Tagzeitengottesdienstes anzugehen. Als Ort wurde die Namen-Jesu-Kirche in der Bonner Innenstadt gewählt, in der die Katholische Hochschulgemeinde seit einigen Jahren ihre Sonntagsgottesdienste feierte, die aber werktags nicht zugänglich war. Ritueller Ansatzpunkt sollte die Tradition sein, begründete Abweichungen von ihr jedoch in allen Einzelfragen erwogen werden. Einige Wochen waren nötig, um eine Form zu finden, die der Situation angemessen war. Die wichtigsten Grundsätze seien kurz erwähnt: (1) Es sollte weniger am monastischen, dafür stärker am kathedralen Gottesdienst orientiert sein – ein Grundsatz, der zwar weithin unumstritten ist, der in dieser Simplizität aber später eine deutliche Korrektur erfahren sollte. (2) Es sollten mehr sinnliche Elemente integriert werden, vor allem eine Lichtfeier, ein Weihrauchritus, die vollständig gesungene Ausführung und eine stringente Körpersprache. (3) Es sollte ein ›kleiner‹ Gottesdienst sein, der auch dann nicht überproportioniert wirkt, wenn nur fünf Personen oder sogar weniger beisammen sind. Der grundsätzliche Reichtum an liturgischen Elementen sollte deshalb in der jeweils kleinsten und schlichtesten Form umgesetzt werden. Eine Lichtfeier mit feierlichem Einzug schied daher ebenso aus wie die Inzensierung des gesamten Kirchenraumes, der Gemeinde oder auch nur des Evangeliars, während das Entzünden von Kerzen oder das Aufsteigen von Weihrauch aus einer Schale seine Wirkung unabhängig von der ›Größe‹ des Gottesdienstes entfalten. (4) Bereits hier wurde das Prinzip erprobt, für jeden Gottesdienst ein Heft zu erstellen, das alle Bestandteile in Volltext und Notation enthält – seriell und ohne Varianten, aber ergänzt um katechetische Hinweise. Zu einer Nacht der offenen Kirchen am Vorabend des Fronleichnamtages wurde erstmals öffentlich und mit einer Gemeinde von ca. 30 Personen gefeiert; von da an blieben die Türen offen und das Abendlob wurde in die Gottesdienstordnung aufgenommen. Die Erfahrungen der ersten Wochen ließen Nachjustierungen geraten erscheinen, etwa die Aufnahme von Symbolen zur Körpersprache (Setzen, Aufstehen) in das Heft oder die Rückkehr zur Sprachgestalt des Magnificat aus dem Gotteslob aufgrund ihres hohen Bekanntheitsgrades, der beim Singen der benediktinischen Fassung für Verwirrung sorgte. Zu Beginn des Wintersemesters wurde zu einer Auftaktveranstaltung mit Vortrag über
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Theologie und Gestalt der Tagzeiten eingeladen, seitdem fand das Abendlob jeden Mittwoch um 18:30 Uhr statt. Nach dem Umzug der KHG in die nahegelegene Remigius-Kirche war es mit um die zehn Teilnehmenden (oft auch weniger, selten bis zu 20) der einzige reguläre Gottesdienst in der Namen-JesuKirche. In größerem Maßstab: Das Bonner Mittagsgebet Im September 2004 wurde dem Autor dieser Studie vom Bonner Stadtdechanten Wilfried Schumacher die Aufgabe übertragen, für das Bonner Münster ein tägliches Mittagsgebet zu konzipieren. Diese Aufgabe hatte sowohl von der Bedeutung des Gotteshauses, von den möglichen Teilnehmerzahlen, aber auch vom Spektrum der Zielgruppen her deutlich größere Dimensionen als das Abendlob. Die Projektleitung fand im Rahmen des die Habilitation begleitenden Pastoralpraktikums statt, das nun hauptsächlich in der Citypastoral Bonn angesiedelt wurde. Einen täglichen Gottesdienst zu etablieren, der (a) an eine über 1200-jährige Tradition des Stundengebets anknüpft, (b) in die Breite der Bonner Stadtbevölkerung ausstrahlt und (c) ehrenamtlich durchgeführt wird, bot die doppelte Chance, den Fortgang der wissenschaftlichen Untersuchung gezielt von den Erfahrungen der liturgischen Praxis befruchten und die Früchte der akademischen Reflexion in das kirchliche Leben einfließen zu lassen – und sie dadurch einer Bewährungsprobe zu unterziehen. Da gerade die liturgische Praxis und die Praktikabilität der liturgischen Formen Teil des Forschungsgegenstandes sind, war diese Kombination dem Thema in mehrfacher Hinsicht angemessen und seiner Aufarbeitung förderlich.
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Vorgehensweise Die Beschreibung dieses Projekts durch den Hauptverantwortlichen kann nicht im wissenschaftlichen Sinn ›neutral‹ sein und sprengt insofern die Gattung der vorangegangenen Aufarbeitung. Die Aufnahme einer Projektbeschreibung in die Überlegungen zur Gestaltung ist aber die transparentere Variante gegenüber der Auslagerung in einen Anhang oder eine gesonderte Publikation: Die Arbeit am Schreibtisch und im Chorgestühl haben sich tatsächlich so sehr durchdrungen, wie es nun auch in der Darstellung erscheint. Die Schilderungen des Gottesdienstes sind dabei weniger als empirische Darstellung zu verstehen, denn als Erfahrungsbericht über die Erkenntnisse, die die liturgische Praxis aus der Sicht des Wissenschaftlers zur Aufarbeitung des Themas beisteuern kann. Um die Ebenen der allgemeinen Reflexion und der Anwendung auf den konkreten Kontext des Bonner Münsters möglichst zu trennen, werden im Folgenen zunächst (I) einige Grundentscheidungen mit Blick auf die Bonner Rahmenbedingungen beschrieben. Im zweiten Teil (II) wird der Gottesdienst
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(C) Gestaltung
in seinen einzelnen Bestandteilen auf Möglichkeiten einer sinnvollen und praktikablen Gestalt hin befragt. In diesem Teil werden jeweils zunächst allgemeine Ableitungen vorgenommen und dann auf die Bonner Situation hin konkretisiert. In Teil (III) werden dann die Liturgie-Hefte vorgestellt, die für die zuvor dargestellten Anforderungen konzipiert wurden. Schließlich wird als Epilog unter der Überschrift ›Chronik eines neuen Anlaufs‹ die Umsetzung des Projekts und seine Ausweitung zur Initiative »Ökumenisches Stundengebet« beschrieben.
I. Das pastoral-liturgische Konzept I. Das pastoral-liturgische Konzept
Bereits Martin Luther nahm bei seiner Reform der Tagzeiten Anpassungen an die Lebensverhältnisse der Menschen vor. Seine Modifikation mutet allerdings aus heutiger Sicht etwas grobmaschig an: In Dörfern und kleineren Orten sollten keine Tagzeiten stattfinden; das Glockengeläut sollte die Bewohner stattdessen zum Privatgebet motivieren2. Heute sind zwischen »findet statt« und »findet nicht statt« feingliedrigere Abstufungen der liturgischen Gestalt vorstellbar. Sie machen allerdings eine Analyse der Zielgruppe und der organisatorischen Ressourcen notwendig. Diese beiden Aspekte und das aus ihnen abgeleitete Konzept sollen daher vor der Feinjustierung der einzelnen liturgischen Elemente kurz für die Bonner Situation dargestellt werden.
1. Grundentscheidungen Das Bonner Mittagsgebet richtet sich an die Menschen in der Stadt. Das städtische Leben aber wird weitgehend von Menschen geprägt, die im Zentrum arbeiten, studieren, einkaufen oder sie besichtigen; gewohnt wird hingegen im Innenstadtbereich nur wenig. Aus diesem Grund ist es im Umfeld der Münsterkirche tagsüber deutlich belebter als am Morgen und am Abend. So ist die Mittagszeit für die Etablierung eines neuen, citypastoral ausgerichteten TagzeitenGottesdienstes besser geeignet als die klassischen ›Haupthoren‹ Laudes und Vesper3. Als aus Personalmangel eine der drei werktäglichen Messen im Münster gestrichen werden musste, wurden aus diesem Grund die Früh- und die Abendmesse beibehalten und das neue Gebet am Mittag angesetzt. Eine Umfrage unter den größeren Unternehmen in der Innenstadt hatte ergeben, dass 2
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Vgl. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 274. Vgl. o. in Kapitel B.II.2 den Abschnitt ›Zusammenkunft zur festgesetzten Zeit‹ (S. 153–156) und den ›Ausblick‹ (S. 181–187).
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I. Das pastoral-liturgische Konzept
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der Gottesdienst am ehesten in die Mittagspause der Angestellten passt, wenn er um 12:15 Uhr beginnt und verlässlich unter 20 Minuten dauert. Er sollte täglich außer an Sonn- und Feiertagen stattfinden. Gestufte Zielgruppe Wie unter dem Gesichtspunkt der Öffentlichkeit herausgestellt4, definiert sich die Zielgruppe öffentlicher Tagzeitengottesdienste überwiegend topographisch: Wer immer sich zur Mittagszeit in Laufnähe zum Münster aufhält, kommt für eine Teilnahme in Betracht. Dies impliziert eine große Diversität der potentiellen Teilnehmerschaft, die es unangemessen erscheinen lässt, den Gottesdienst zu sehr auf eine bestimmte durch Alter, Bildungsstand oder kirchlichen Sozialisationsgrad definierte Klientel auszurichten: Es sollte daher kein Milieu-Gottesdienst entworfen werden5, sondern eine Form, zu der möglichst unterschiedliche Menschen auf jeweils eigene Weise einen Zugang finden können: der Tourist, der nur zufällig und vermutlich nie wieder kommt; die Rentnerin, die seit Jahrzehnten ihr Gespür für die Atmosphäre gottesdienstlicher Feierlichkeit gefestigt hat; der Angestellte, der im Arbeitsstress eine Viertelstunde Entspannung sucht; die Studentin, der ein spiritueller Impuls gut tut; die Einkäuferin, die zwischen Tüten und Sonderangeboten gerne auch etwas Gehaltvolleres erlebt, wenn sie schon einmal in der Stadt ist; Menschen mit intensiver Klostererfahrung sollten ihre dort gewonnene liturgische Beheimatung auch im Mittagsgebet erfahren können. Amateure im Dienst Die zweite dominante äußere Bedingung für die Gestaltung des Bonner Mittagsgebets war der Zwang zur ehrenamtlichen Durchführung: Priestermangel war der Grund für die Abschaffung der Mittagsmesse, und Geldmangel war der Grund, diesen Verlust nicht durch die Neueinstellung hauptamtlicher Laien auszugleichen. Das Mittagsgebet musste demnach überwiegend ehrenamtlich durchgeführt werden. In diesem Punkt ist die Bonner Situation exemplarisch für viele andere Liturgiestätten in der Gegenwart und mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte6. Dies forderte deshalb geradezu dazu heraus, dieser Frage viel Aufmerksamkeit zu widmen und eine Lösung zu suchen, die Modellcharakter auch für andere Kirchen haben könnte. Die Wiederbelebung gemeinsamer Tagzeiten scheitert bislang wohl vor allem an diesem Punkt: Welcher Geistliche kann sich heute noch festlegen, an jedem Werktag zur selben Zeit in derselben 4
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Vgl. o. in Kapitel B.III.2 den Abschnitt ›Raum für neue Erfahrungen‹ (S. 193f). Vgl. o. S. 86 mit Anm. 423f. Vgl. Ringseisen, Gemeinde (2002) 21.
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(C) Gestaltung
Kirche das Stundengebet zu leiten? Was vom Codex Justinianus bis zum Book of Common Prayer als zentrale Aufgabe eines Klerikers galt, ist heute für die allermeisten Priester und auch die übrigen pastoralen Mitarbeiter schlichtweg unrealistisch. Diese Aufgabe Ehrenamtlichen zu übertragen, wäre zwar rechtlich und theologisch vollkommen unbedenklich7; es erweist sich aber aufgrund des Anforderungsprofils der überlieferten Form des Stundengebets als nicht praktikabel; denn die Feier mit der Gemeinde nach dem Stundenbuch erfordert ein ganzes Bündel von Kompetenzen, die sich weder voraussetzen noch auf die Schnelle vermitteln lassen: Vertrautheit mit dem Regularium, der Buchorganisation, dem Gehalt, den Hymnen und Antiphonen, den Melodien. Eigentlich erfordert sie tägliche Praxis. Dieser Umstand hat seinen Grund. Die klassische Gestalt der Tagzeitenliturgie wurde ganz auf professionelle Durchführung eingerichtet8. Für liturgische Dienste stand zahlreiches, gut ausgebildetes und lange eingewöhntes Personal bereit, das auch entsprechende Dienstanweisungen befolgte: Priester, Mönche und Sängerchöre, die ihren Gebetsdienst nicht nebenher in der Freizeit, sondern gewissermaßen von Berufs wegen täglich ausübten. Gottesdienst ohne solches Personal zu organisieren, erwies sich nun als die schwierigste Aufgabe, vor der die Wiederbelebung der Tagzeiten im Bonner Münster stand. Denn ehrenamtliche Liturgen können nicht einfach bestellt, sie müssen gewonnen werden. Und man kann kaum erwarten, dass sie sich dafür erst einmal zahlreiche neue Fertigkeiten aneignen. Deshalb müssen umgekehrt Organisation und Gestalt der Liturgie selbst auf die gegebenen Kompetenzen einfacher Christen hin neu zugeschnitten werden. Die Last der Vorbereitung Nach Alfred Ehrensperger lebt die Tagzeitenliturgie »wesentlich davon, dass Kirchenmusiker und Gemeindegruppen da sind, welche die Grundformen in einer Langzeitplanung und die jeweilige Einzelfeier frühzeitig erarbeiten«9. Auch die Materialsammlungen von Paul Ringseisen fußen in ihrer Konzeption auf der unhinterfragten Prämisse, dass der jeweiligen Feiergruppe vor allem eine größere Auswahlmöglichkeit an bewährten Elementen geboten werden müsse10,
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Vgl. Haunerland, Liturgie (2006) 259. Vgl. o. Kapitel B.II (S. 128–187). Ehrensperger, Motive (2004) 121. Er betont allerdings selbst den pragmatischen Vorteil der Tagzeitenmodelle im reformierten Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz: »Mit Ausnahme der noch einzufügenden Lieder setzen sie keine besondere Vorarbeit voraus, sondern können spontan so gefeiert werden, ohne dass dafür ein zusätzliches Blatt ausgeteilt werden muss«; vgl. Ehrensperger, Rhythmus (1994) 152f. Vgl. Ringseisen, Gemeinde (2002) 133.
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I. Das pastoral-liturgische Konzept
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um sie für die individuelle Gestaltung des einzelnen Gottesdienstes zu rüsten. Diesen Zweck erfüllen seine opulenten Bände vortrefflich. Soll jedoch der Gottesdienst täglich stattfinden, dann nimmt dieser Arbeitsaufwand im Vorfeld Dimensionen an, die kein noch so engagierter Vorbereitungskreis mehr bewältigen kann: Man trifft sich und macht sich Gedanken, sammelt Ideen, findet ein Thema, arbeitet sich in die gängigen Materialsammlungen ein, wählt Hymnen und Psalmen aus und stellt ein Liedblatt zusammen. Der zeitliche Aufwand der Vorbereitung übersteigt denjenigen der liturgischen Präsenz um ein Vielfaches. Um den Pool an potentiellen Ehrenamtlichen damit nicht überzustrapazieren, wurde demgegenüber in Bonn vor allem versucht, den Bedarf an regelmäßiger Mitarbeit möglichst gering zu halten11. Und dies bedeutet zunächst, auch die Vorbereitung nicht den freiwilligen Helfern aufzubürden. Deshalb – und weil die Vorbereitung der Liturgie völlig andere Kompetenzen erfordert als die Durchführung – wurden die Bereiche in Bonn voneinander getrennt; und der Arbeitsaufwand für die Erstellung einer vollständigen liturgischen Ordnung für das Mittagsgebet wurde vorab sorgfältig und ›professionell‹ betrieben12. Die Liturginnen und Liturgen werden somit über ihre Anwesenheit im Gottesdienst hinaus nicht beansprucht. Gelegentlich wurden die Teamer zur kreativen Umgestaltung der vorgegebenen Form ermuntert; das Interesse daran ist aber verschwindend gering: Außer für gelegentliche Zusatzfürbitten aus aktuellem Anlass13 mochte sich bislang niemand auf diesem Feld engagieren. Ein kurzer Alltagsgottesdienst ist schon von seiner Gattung her kaum für eine aufwändige Gestaltung geeignet: Er soll das Tagesgeschäft unterbrechen und dadurch entlasten – und keinen zusätzlichen Aufwand hineinbringen. Die Frage, wie der Aufwand der Vorbereitung zu bewältigen ist, stellt sich aber nicht nur dem und der einzelnen Freiwilligen, sondern auch den Gemeinden als Ganzen: In vielen Kirchen, die vor der Aufgabe stehen, neue Alltagsgottesdienste anzubieten, fehlen auch unter den Hauptamtlichen schlicht die Ressourcen, ein praktikables und qualitätvolles Modell von Grund auf neu zu erarbeiten. Die Bonner Materialien wurden deshalb von vornherein darauf angelegt, auch andernorts übernommen zu werden. Dies gelingt zum einen durch die möglichst konventionelle Form und zum anderen durch die Einhaltung eines strengen Seitenschemas in den Gottesdienstheften, das es erlaubt, einzelne
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Dies empfiehlt auch Fuchs, Stundengebet (1993) 10, geht aber dennoch von einer individuellen Gestaltung jeder Feier aus. Die Ausarbeitung oblag dem Autor dieser Studie, der allerdings auf vielfältigen Rat aus der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn bauen konnte. Neben den Liturgiewissenschaftlern Albert Gerhards und Heinzgerd Brakmann sind vor allem der Neutestamentler Rudolf Hoppe und der Kirchenmusiker Wolfgang Bretschneider zu nennen. So wurden z. B. während der Fußball-Weltmeisterschaft jeden Tag ein anderes Teilnehmerland in den Blick genommen.
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(C) Gestaltung
Elemente je nach Bedarf vor Ort neu zusammenzustellen oder zu modifizieren, andere jedoch ohne weitere Eingriffe vollständig zu übernehmen. So musste etwa für die Feier eines Mittagsgebets im Bozener Dom, der wie das Bonner Münster über ein Chorgestühl verfügt, allein das Titelblatt angepasst (und im Advent einer der Hymnen mit der ortsüblichen statt der rheinischen Melodie versehen) werden; sämtliche übrigen Vorlagen konnten änderungs- und kostenfrei übernommen werden. In der Kieler St.-Nikolaus-Kirche sind hingegen die Teilnehmerzahlen und die Sitzordnung so beschaffen, dass Wechselgesang zwischen zwei Seiten (rechts und links) nicht angemessen wäre. Für den Kieler Zyklus wurden daher alle Hymnen und Lobgesänge auf gemeinsamen Gesang und die Psalmen auf den (gesungenen oder gesprochenen) Wechsel zwischen Kantor(-in) und Gemeinde eingerichtet. Alles Übrige konnte wiederum von Bonn übernommen werden14. Durch solche Anpassungen entstand nun im Zuge der Übernahme des Konzepts an neuen Standorten ein immer größerer Fundus an Materialien, der es für weitere Gemeinden immer leichter und preiswerter macht, entsprechende Hefte für die individuelle Situation vor Ort zu erstellen. Diese Möglichkeit wird aufgrund der pragmatischen Analyse als so wichtig eingestuft, dass im Einzelfall sogar inhaltlich sinnvolle Liedstrophen weggeglassen wurden, um im Seitenschema der Druckvorlagen bleiben zu können. Aufgrund der pluralen Lebens- und Glaubensformen verwirft Paul Ringseisen die Möglichkeit, ein überregional passendes ›Einheitsbuch‹ für die Tagzeitenliturgie zu entwickeln15, sieht allerdings als Ausweg nur die individuelle Vorbereitung jedes einzelnen Gottesdienstes. Das Bonner Modell versucht nun, beide Anliegen zugleich zu berücksichtigen: Der Gottesdienst kann jeweils vor Ort für die Ehrenamtlichen ›gebrauchsfertig‹ vorbereitet werden, ohne dass man sich dafür überregional trotz sehr unterschiedlicher Rahmenbedingungen auf eine ›Einheitsliturgie‹ festlegen müsste. Das liturgische Minimum Auch der Gottesdienst selbst sollte möglichst wenig liturgisches Personal erfordern: Was muss mindestens und unbedingt jedes Mal getan werden? Die Ant-
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Für die Bilder aus dem Bonner Hochchor muss noch eine Lösung entwickelt werden; vgl. dazu in Kapitel C.II.3 den Abschnitt ›Traditionelle Auswahl in Wort und Bild‹ (S. 254f). Vielleicht können sie – übergangsweise? – auch andernorts meditiert werden, obwohl sie ihre besondere Wirkung in Bonn nicht durch ihren künstlerischen Wert, sondern durch ihre Präsenz im Raum und den direkten Sichtkontakt entfalten. Im Zuge der Adaptation des Zyklus an die Rothenfelser Situation als Tagungshaus sollen die Bilder durch kurze lyrische, das Evangelium kontrastierende Texte ersetzt werden. Diese wären wären dann auch überregional einsetzbar. Vgl. Ringseisen, Gemeinde (2002) 132f.
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I. Das pastoral-liturgische Konzept
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wort ergibt sich aus der dialogischen Struktur vieler liturgischer Akte. In der Eröffnung, beim Responsorium und besonders beim Psalmengesang darf der Leiter des Gottesdienstes nicht auf sich allein gestellt sein; denn weder soll es passieren, dass Partien, die für die Gemeinschaft vorgesehen sind, ausbleiben, noch darf sie der Leiter einfach selbst übernehmen. Gerade wenn nicht klar ist, wie viele Teilnehmer man erwarten darf und wie vertraut diese mit dem Stundengebet sind, muss jemand die Stimme der Gemeinde führen. Fazit: Mindestens zwei Personen müssen auch für die einfachste Grundform der Liturgie immer zur Stelle sein. Das persönliche Maximum Es mussten in Bonn also für jeden Tag zwei Personen gewonnen werden, um den Gottesdienst durchzuführen. Weil die Termine und Aktivitäten vieler Menschen an den Rhythmus der Woche gebunden sind, lag es nahe, unsere Freiwilligen ebenfalls um einen Dienst an einem festen Wochentag anzugehen. Zum Start wurden für jeden der sechs Wochentage (Montag bis Samstag) zwei Personen gefunden; allerdings waren vier der zwölf Teamer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Münsterpfarre bzw. Citypastoral. Im Lauf des ersten Jahres wuchs das Team kontinuierlich auf über 30 Personen an; auf diesem Niveau halten sich seitdem Zu- und Abgänge in etwa die Waage – unterstützt durch gelegentliche schriftliche und mündliche Aufrufe zur Mitarbeit unter den Gottesdienstbesuchern. Es wurden für das Gesamtteam und für jeden einzelnen Wochentag E-Mail-Verteiler eingerichtet, sodass die Terminplanung nun bequem und dezentral innerhalb der Wochentagsteams per Mail erledigt wird: durch Eintragen in Dienste-Listen mit einer Spalte für jeden Dienst und einer Zusatz-Spalte für Abwesenheiten, die im Voraus absehbar sind. Für jeden Wochentag übernimmt ein Koordinator die Verantwortung, der regelmäßig die Dienstpläne mit der Bitte um Eintragungen herumschickt und, wenn sich ein Engpass abzeichnet, über eine Anfrage an den Gesamtverteiler Ersatz findet. In der Regel ist binnen weniger Stunden jemand gefunden, der einspringen kann. Durch diese Organisationsstruktur soll der Aufwand für die Koordination möglichst gering gehalten werden. Hatten Anfangs die vier erwähnten hauptamtlichen Mitarbeiter noch jeweils die Koordination eines Wochentages übernommen, konnte auch dieser Aufwand mit der Zeit an Ehrenamtliche abgegeben werden.
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Das Heft in der Hand Es war bereits verschiedentlich zur Sprache gekommen, dass das Mittagsgebet auf schriftliche Hilfsmittel zurückgreift. Genau genommen handelt es sich um eine neue Gattung liturgischer Bücher, die die Buchorganisation bisheriger
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(C) Gestaltung
Modelle maßgeblich verändert. Wiederum galten nicht die historisch entstandenen Organisationsformen als Richtgröße, sondern das Prinzip ihres pragmatischen Zuschnitts auf die jeweiligen Benutzer16. Der entscheidende Paradigmenwechsel gegenüber allen überlieferten Formen ist heute die Unterschiedlichkeit dieser Benutzer: Denn einerseits brauchen sie alle eine jeweils angemessene Hilfestellung zur Mitfeier; andererseits kann man nicht voraussetzen, dass sie über eine längere und kontinuierliche Praxis in die Handhabung komplex organisierter Bücher hineinwachsen. Will man also nicht den Gottesdienst mit Seitenansagen oder Erläuterungen durchziehen, bleibt nur der Ausweg, das Hinund Herblättern überflüssig zu machen. Aus dieser Einsicht erwuchs das Prinzip, für jede einzelne Feier ein Heft zu erstellen, das diese präzise und linear abbildet – also all das und nur das enthält, was im aktuell gefeierten Gottesdienst vorkommt. Sowohl die Unterscheidung in einzelne Rollenbücher als auch die drucktechnische Trennung von Ordinarium und Proprium wurde dafür aufgegeben. Herausgekommen sind einzelne ›Plenar-Horologien‹ für jeden Tag: jeweils ein 16-seitiges DIN-A-5-Heft, welches (a) die Partien aller Rollen (Vorbeter, Kantor, Lektor, Gemeinde) im Volltext und mit Noten, (b) die gleichbleibenden und die täglich wechselnden Partien inklusive Lesung und Bild, (c) präzise Rubriken zu allen rituellen Vollzügen und (d) kurze Erläuterungen zum Sinn aller einzelnen liturgischen Elemente enthält. Von diesen Heften gibt es einen Basis-Zyklus und Sonderformen für kirchenjährlich geprägte Zeiten; insgesamt 60 unterschiedliche Modelle werden in einer Auflagenstärke von 50 Stück in der Sakristei bereitgehalten und gelegentlich nachgedruckt. Gegenüber der Feier aus Büchern wird in der Liturgiewissenschaft der auswendig vollzogenen Beteiligung verschiedentlich der Vorzug gegeben17. Liturgiepastorale Erfolgsmodelle wie etwa die Deutsche Komplet des Leipziger Oratoriums waren jedoch auch von einer gelungenen und ständig optimierten verlegerischen Präsentation getragen18. Diesem Beispiel folgend fußt auch das Bonner Modell auf der Überzeugung, dass die Vorteile der modernen Drucktechnik die Nachteile der Handhabung in Summe überwiegen. (1) Zunächst erfordert die Handhabung nach dem entwickelten System nur noch einen Bruchteil der Aufmerksamkeit, die für die Bedienung eines Gesangbuches oder gar des Stundenbuches aufgewendet – und dadurch vom Gottesdienst selbst abgezogen – werden muss. (2) Dann ist die mystagogische Aufgabe, die gottesdienstlichen Abläufe zu erklären, nur in schriftlicher Form zu bewerkstelligen, wenn nicht in jene Abläufe selbst störend eingegriffen werden soll. (3) Schließlich kann die
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Vgl. o. in Kapitel B.II.2 den ›Ausblick‹ (S. 181–187). Vgl. z. B. Joppich u. a. (Hrsg.), Preisungen (2005) 7; Ringseisen, Gemeinde (2002) 180f. Vgl. Poschmann, Oratorium (2001) 179–182.
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I. Das pastoral-liturgische Konzept
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Verbreitung ritueller Kompetenz zur Feier des Stundengebets nur gelingen, wenn möglichst alle Teilnehmer jede Förderung erfahren, die ihnen mit ihrem jeweiligen Grad an Eingewöhnung weiterhilft. Die Notation der Melodie gehört für die meisten dazu. (4) Das wichtigste Argument gegen eine strikte Ablehnung schriftlicher Vorlagen liegt in deren Unaufdringlichkeit: Wer immer sich in der Lage sieht, an den Abläufen auch ohne Blick ins Heft teilzunehmen, kann es jederzeit aus der Hand legen.
2. Ein Modell konzentrischer Kreise Die beiden wichtigsten liturgie-pragmatischen Aufgaben bestanden also darin, (1) durch die Ermöglichung unterschiedlich ausgeprägter Teilnahme eine vielfach gestufte Zielgruppe anzusprechen, und (2) Freiwilligen aus dem Kreis der Teilnehmer die Übernahme liturgischer Dienste möglichst leicht zu machen. Beide Anliegen konvergieren in dem Ziel, die klare Zweiteilung der Gemeinde in professionelle Liturgen auf der einen und passive Teilnehmer auf der anderen Seite zu überwinden. Statt der im Gottesdienst – auch im Stundengebet – üblichen Rollenverteilung in Akteure und Konsumenten, in ›Bühne‹ und ›Zuschauerraum‹ fand sich die pastoral-liturgische Antwort auf diese Herausforderung in einem Modell konzentrischer Kreise. Dieses Modell konzentrischer Kreise versteht sich nicht im Sinne einer spirituellen Stufenleiter, die jeden Teilnehmer früher oder später zur eigentlich angemessenen Höhe führen soll, sondern als rein liturgie-pragmatische Systematisierung der Zugänge, die den unterschiedlichen Zielgruppen auf mehreren Ebenen geboten werden. Dabei sollen ausdrücklich auch dauerhaft unterschiedliche Grade an Distanz möglich bleiben19. Andererseits aber sollen diejenigen, die es wünschen, sich eingeladen fühlen, langsam hineinzuwachsen und mit der immer tieferen Vertrautheit der Vollzüge beinahe unmerklich auch die Kompetenz zur Durchführung zu erwerben. Auf diese Weise können Menschen, die Gefallen am Stundengebet finden und es zu einem festen Bestandteil ihrer Alltagsspiritualität machen möchten, nach und nach die jeweils nächste Schwelle
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Schilson, Religiöses (1996) 108 empfiehlt »das gelassene Ertragen einer gewissen Auswahlmentalität. Dabei kann man darauf verweisen, daß das Ganze des Glaubens und auch der Liturgie stets auf den Schultern aller und niemals auf denen eines einzelnen ruht [...]. Das Erleben und die Erfahrung, bedingungslos und vorbehaltlos angenommen zu sein als einer, der nach Kräften – und zwar nur nach seinen eigenen Kräften, keineswegs aber nach einer starren Norm und Vorschrift – dabei sein will, sollte für jeden, der am christlichen Gottesdienst teilnimmt, möglich und grundlegend sein. Dies ist um so mehr begründet, weil sich in diesem Symbol die unbedingte Annahme aller durch Gott in Jesus Christus verdichtet und zugleich realisiert«.
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(C) Gestaltung
nach innen überschreiten – bis hin zum liturgischen Dienst an der Gemeinschaft, der dann keine Dienstleistung mehr ist, sondern aus bewusster, innerer Teilnahme und aus spiritueller Beheimatung erwächst. Der Gottesdienst soll nach außen niederschwellig, im Innern aber mehrschwellig sein.
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(1) Erstbesucher. Das Mittagsgebet richtet sich ausdrücklich auch an Menschen, die mit dem Stundengebet noch keinerlei Erfahrung haben und vielleicht auch gar nicht daran interessiert sind, sich damit näher vertraut zu machen. Dass ihre Anwesenheit dennoch ausdrücklich erwünscht ist, vermittelt zunächst die offene Einladung durch Plakatständer oder Mikrofondurchsagen an die zufällig im Kirchenraum anwesenden Besucher. Dann enthält der Gottesdienst selbst intuitiv wirkende sinnliche Elemente wie Kerzenlicht und eine stimmige Raumnutzung, die allen, die sich im Kirchenraum wohlfühlen, als schlüssige Verlängerung dieser Empfindung erscheinen kann20. Die spirituelle Erschließung der Wandmalereien greift das touristische Interesse zur Besichtigung positiv auf. Schließlich dienen die Vereinfachung und Straffung der Struktur der Feier sowie die
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Vgl. o. Kapitel B.III.2 den Abschnitt ›Kongruenz von Liturgie und Raum‹ (S. 194–196).
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I. Das pastoral-liturgische Konzept
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speziell auf Unerfahrene zugeschnittenen Erläuterungen in den Heften dazu, alle Vollzüge in wenigen Worten allgemeinverständlich transparent zu machen: Es gibt kein Insiderwissen21, das man mitbringen muss und ohne das man ausgegrenzt wäre. (2) Wiederkommer. Der nächste Kreis im Schaubild besteht aus Menschen, die wiederkommen. So legitim es ist, die Teilnahme als einmaliges Ereignis zu genießen, so wichtig ist es doch auch, dass der Gottesdienst zur wiederholten Teilnahme taugt. Einführende Erläuterungen oder Kommentierungen während der Liturgie charakterisieren sie als speziell auf Unerfahrene zugeschnittenes Angebot. Solche Elemente sind deshalb im Bonner Mittagsgebet aus dem lebendigen Gottesdienstgeschehen ferngehalten und in begleitende Medien wie die Hefte oder auch Informationsflyer ausgelagert. Während der Teilnahme am Gottesdienst soll man nichts lernen müssen. Für das Erlebnis wachsender liturgischer Beheimatung ist es demgegenüber entscheidend, dass die Erfahrungen des ersten Besuches schon beim zweiten Mal abgerufen und wieder zum Einsatz gebracht werden. Aus diesem Grund ist der Ablauf stark ritualisiert und der Anteil der Wiederholungen sehr hoch. Gerade die täglich gleichen Elemente sind für viele der Einstieg ins Mitsingen. (3) Eingeübte. Die dritte Gruppe sind Eingeübte, die mit den Abläufen bereits vertraut sind. Viele Menschen bringen ja auch bereits von anderswoher liturgische Kompetenzen mit. Diese sollen konsequent aufgegriffen werden. Im Sinne der Maxime der Konventionalität22 setzt das Mittagsgebet auf den Bekanntheits- und Verbreitungsgrad konkreter Stücke, damit möglichst viele Menschen, die im kirchlichen Gottesdienst allgemein oder sogar im Stundengebet zuhause sind, ihre Rolle leicht und ungehemmt übernehmen können. Dies trägt zu ihrem Wohlbefinden ebenso bei wie zur Stabilisierung des gesamten heiligen Spiels: Nur wenn genügend Anwesende sich hörbar wohl fühlen, trauen sich auch die übrigen, ihre Stimme einzubringen. (4) Liebhaber. Der vierte Kreis schießlich sind die ausgemachten Liebhaber des Stundengebets. Für diese muss es möglich sein, das gemeinsame Gebet auch zu einem täglichen Bestandteil ihres geistlichen Lebens zu machen. Dieser Aspekt wird oft von den Bemühungen zur Niederschwelligkeit verdrängt. Gegen diese Praxis bekennt sich das Bonner Mittagsgebet ausdrücklich auch zu höherschwelligen Vollzügen wie etwa dem Psalmengesang. Dieser kann von etlichen Erstbesuchern zwar nicht auf Anhieb aktiv mitvollzogen werden, er trägt aber auf der anderen Seite dazu bei, dass auch das spirituelle Kernanliegen des Stun-
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Zum Problem von Insidersprache und -erfahrung vgl. Spiegel, Interaktion (1971) 107f. 118f; Ebertz, Handlungen (1999) 31; Ehrensperger, Ökumene (1992) 33. Vgl. S. 211f.
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(C) Gestaltung
dengebets – die Durchdringung des Alltags – möglich wird, ohne dass der feste Kern sich unterfordert fühlt oder den Gottesdient eintönig findet. Es ist gerade diese Gruppe von Teilnehmern, die die Liturgie tragen muss, wenn sie sich über Jahre hinweg stabilisieren soll23. (5) Dienste. Als innerster Kreis sind im Schaubild die Dienste platziert. Damit soll ausgedrückt werden, dass dieser Schritt keinen Seitenwechsel vom Zuschauerraum auf die Bühne impliziert, sondern – gewissermaßen im Prozess des langsamen Hineinwachsens – so etwas wie ein letzter, kleiner Schritt nach vorn bzw. nach innen ist. Wer zehn oder zwanzig Mal teilgenommen hat, wird ohne Schwierigkeiten den Dienst des Lektors oder Vorbeters ausüben können. Das Kantorieren verlangt ein größeres Repertoire, das sich aber grundsätzlich ebenfalls allein durch regelmäßige Teilnahme vollständig erwerben lässt. Allerdings sind die Dienste der einzige Kreis, der keinen direkten Zugang von ganz außen erlaubt. Während etwa ein ›normaler‹ Sonntagsgottesdienstbesucher gleich bei seinem ersten Besuch auf dem Level eines ›Eingeübten‹ und ein Benediktiner auf dem Niveau eines ›Liebhabers‹ mitmachen kann, ist die Übernahme eines Dienstes nur für jene sinnvoll, die ihre Liebhaberschaft bereits über eine mehrfache Teilnahme konkret am Bonner Mittagsgebet ausgelebt haben: Das Singtempo, Gewohnheiten zur Betonung, zur Länge der Pause usw. – in all diesen Fragen hat sich inzwischen ein ruhiger und allgemein vertrauter Duktus etabliert, in den man eine Weile hineinwachsen muss. Es ist also nicht nur hilfreich für das Anwerben Freiwilliger, wenn diese aus dem Pool der regelmäßigen Teilnehmer gewonnen werden können, sondern es prägt dann auch umgekehrt die Ausübung des Dienstes, wenn man den Liturginnen und Liturgen anmerkt, dass sie das Mittagsgebet, auch ohne eine besondere Rolle zu spielen, bereits öfter besucht haben. Umgekehrt ist es wichtig, auch die liturgischen Aufgaben selbst so zu gestalten, dass die Ehrenamtlichen nicht die Rollen geschulter Hauptamtlicher ausfüllen müssen. Nichts soll sie formal aus der Gemeinschaft herausheben, keine großen Auftritte und keine fachlichen Qualifikationen ihre Rolle definieren. Vielmehr repräsentieren sie eine einfache und bodenständige christliche Alltagsexistenz24: Heute die Studentin und der Banker, morgen der Rentner und die Verwaltungsangestellte – im Wechsel machen sie sichtbar, dass man aus jedem Beruf und jeder Lebenssituation heraus eine liturgische Alltagsspiritualität pflegen und sogar für andere mittragen kann25. Deshalb wurden die Dienste von
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Vgl. Klöckener, Menschen (2004) 353. 363. Zur Aufwertung der Laien durch das II. Vatikanische Konzil (1) als generelle Mitträger der Liturgie und (2) durch die Ausübung eigener, den Laien nicht nur als Ersatz für Kleriker, sondern auch in deren Anwesenheit zugedachten Dienste vgl. Stubenrauch (2002) 111–117. Vgl. AA 2f. 10. 13. 18. 29.
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II. Der Gottesdienst
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der regelmäßigen Teilnahme her entwickelt, von den Menschen her, die vor allem selber beten wollen und dann in einem zweiten Schritt je nach ihren Möglichkeiten mithelfen, dass dies auch in Gemeinschaft möglich ist. In manchen Einzelfragen der liturgischen Gestaltung wurde von der Gemeinde ein hohes Maß an liturgischer Kompetenz gefordert, um ihr Kompetenz-Gefälle zu den Kantoren zu verringern und dadurch deren Rolle zu entlasten.26
II. Der Gottesdienst II. Der Gottesdienst
Das größte Hindernis für die spirituelle Geborgenheit der Teilnehmer ist die immer noch äußerst niedrige Vertrautheit der meisten Gläubigen mit der liturgischen Form des Stundengebets. Für eine fruchtbare Teilnahme ist jedoch die Beheimatung in den rituellen Vollzügen unerlässlich27: Erst wenn es keine Frage mehr ist, was als nächstes kommt und wie man sich dabei zu verhalten hat, ist die Aufmerksamkeit frei für die Inhalte. Das Fernziel aller Bemühungen ist somit darin zu sehen, dass Christen im deutschsprachigen Raum insgesamt in zwanzig oder dreißig Jahren die Teilnahme am Stundengebet ähnlich selbstverständlich und innig vertraut ist, wie sie es heute allenfalls noch bei der Feier der Eucharistie empfinden – mit den Worten Martin Klöckeners: die »Wiedergewinnung einer breit akzeptierten Ordnung des Betens«28. Gegenwärtige Projekte dürfen sich natürlich nicht davon abhängig machen, dass dies tatsächlich einmal allgemein der Fall sein wird. Sie sollten aber diese Dimension immer mit bedenken und ihren Teil dazu beitragen, dass sich taugliche Konventionen in dieser Richtung entwickeln können: »Gestalte deine Liturgie nur nach derjenigen Maxime, von der du wollen kannst, dass sie allgemeine Konvention werde!« (1) Die erste pastoral-liturgische Maxime lautet daher, konventionell statt originell zu sein. Alle bereits in Gemeinden – oder auch in Klöstern mit Gemeindeliturgie oder Gästebetrieb – vorhandenen Gepflogenheiten dürfen aufgegriffen werden. Menschen mit Stundengebetserfahrung sind eine zwar zahlenmäßig kleine, für die Etablierung von Tagzeitengottesdiensten jedoch signifikante Minderheit: der Grad ihrer Präsenz sowie ihrer die Vollzüge tragenden Beteiligung darf als überdurchschnittlich hoch veranschlagt werden. Ein Maßstab für die Auswahl zwischen mehreren Möglichkeiten der Gestaltung ist deshalb immer die bereits vorhandene Vertrautheit von Gläubigen mit liturgischen Ausdrucksformen und damit verbunden deren Chance, sich über die Jahre zu einem echten Standard zu entwickeln. Hier gilt es, der Versuchung zu widerstehen, 26
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27 28
Vgl. in Kapitel C II.2 den Abschnitt ›Wie singt man Psalmen?‹ (S. 235–241). Vgl. o. in Kapitel B.II.2 den Abschnitt ›Die Erfindung der Gewohnheit‹ (S. 173–177). Klöckener, Menschen (2004) 358.
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(C) Gestaltung
sich durch einen hohen Anteil persönlich eingebrachter Ideen gewissermaßen liturgisch-kreativ zu verewigen. Originell ist an dem Bonner Ansatz lediglich, dass er alle Originalität zugunsten verbreiteter Gewohnheiten vermeidet. Grundlage ist die Feier des Stundengebets nach dem Gotteslob, sekundär auch die Form der römischen und monastischen Bücher. Wer jemals in einer Gemeinde oder einem Kloster am Stundengebet teilgenommen hat, soll die Form wiedererkennen und die liturgische Kompetenz, die er bereits erworben hat, anwenden können. (2) Die zweite Maxime lautet: ökumenische Konvergenz. Denn die Ausrichtung an der Konvention ist auch in ökumenischer Hinsicht von hohem Interesse: In den Kirchen der Reformation ist die Wertschätzung der liturgischen Überlieferung zum Stundengebet seit dem 19. Jahrhundert stetig gestiegen. So haben sich die Berneuchener Tagzeiten nach einem »jugendbewegten Aufbruch« über die Jahrzehnte in vielen Schritten immer stärker der überlieferten Gestalt angeglichen29. Die überkonfessionelle Wertschätzung einer liturgischen Form, die älter als die Spaltung, stark biblisch geprägt und von den kontroverstheologischen Fragen um das Amt und die Eucharistie unberührt ist, eröffnet daher bislang ungenutzte Chancen zur Wiedergewinnung überkonfessionell gemeinsamer liturgischer Ausdrucksformen. Wilm Sanders verwies bereits in den Gründerjahren ökumenischer Gottesdienste auf die grundsätzliche Problematik deren kreativer Gestaltung: »Es ist die große gemeinsame Tradition aller christlichen Kirchen, daß Gottesdienst eine Form hat; ja, es gehört geradezu zum Wesentlichen der Feier, daß man ihre Gestalt im voraus kennt, Altvertrautem wiederbegegnet, in das Gebet der Vorfahren miteinschwingt.«30 Er plädierte aus diesem Grund für die Vesper als Grundform ökumenischer Gottesdienste31. Damit steht er in prinzipieller Nähe zu Herbert Goltzen, der bereits in den 50er Jahren die gewachsene Form des Stundengebets als die Grundform aller Liturgien außer der sonn- oder festtäglichen Eucharistiefeier propagierte. Ihn hatte die »liturgische Hilflosigkeit« bei der Gestaltung freierer Formen zu dieser Haltung gebracht: »Eine ›Schichttorte‹ aus abwechselnden Strophen, Bibelworten, Ansprachen, Gebeten bis hin zum obligatorischen Schluss: ›Gebet – Vaterunser – Segen‹ wird serviert. Weil solche ›liturgischen Feierstunden‹ jedesmal anders ausfallen und weil die Übung gemeinsamen Handelns fehlt, klappt es dann 29
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Vgl. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 277; Evangelisches Tagzeitenbuch (2003) 7f. Ähnliches konstatiert Nagel, Formen (1989) 514f für die jüngere Entwicklung von Stundengebetsfeiern mit Jugendlichen: »Allgemein wird man festhalten dürfen, daß dort, wo solche Veranstaltungen über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführt werden, sich klarere Strukturen herausbilden, die denen des Stundengebets ähnlich sind, und daß diese Ähnlichkeit mehr und mehr auch bewußt gesucht wird.« Sanders, Gottesdienste (1978) 194. Vgl. Sanders, Gottesdienste (1978) 194f.
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II. Der Gottesdienst
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nicht und die Abneigung gegen ›Liturgie‹ wächst.«32 Da diese Warnung wenig befolgt wurde, ist sie heute so aktuell wie damals. Ein neuer überkonfessioneller Aufbruch zur Wiederbelebung des Stundengebets könnte hingegen von vornherein in ökumenisch kompatiblen Bahnen verlaufen33: »Die Zahl der überall im gleichen Wortlaut zu gebrauchenden gottesdienstlichen Texte ließe sich zweifellos noch vermehren [...]. Bestimmte liturgische Formeln (Grüße, Akklamationen), ja sogar Gesangsweisen müssen nicht unbedingt divergieren.« 34 Die Chancen einer solchen Konvergenz, der Ökumene im Leben der Gläubigen eine neue Erlebbarkeit zu verleihen, liegen auf der Hand: Denn gegenüber aus den Eucharistie- oder Wortgottesdienst-Traditionen abgeleiteten Kompromissen gilt hier: »Die an solchen ökumenischen Tagzeitenliturgien beteiligten Christinnen und Christen feieren darin ihre eigene gemeinsame, und nicht eine fremde Liturgie.«35 (3) Die dritte pastoral-liturgische Maxime ist die Mystagogie: Die Konventionen sollen auch all jenen vertraut und zugänglich gemacht werden, die noch nicht in ihnen zuhause sind. Dies kann zum einen durch Elementarisierung36 und durch die Wahl intuitiv erfassbarer Vorgänge erleichtert werden37. Es wird aber darüberhinaus immer auch ein gewisses Maß an kognitiver Vermittlung stattfinden müssen. Diese mystagogische Sozialisation muss dabei realistischerweise überwiegend im Gottesdienst selbst stattfinden38, sobald eine breitere und anonyme Öffentlichkeit zur Teilnahme eingeladen ist. Dazu taugen weniger liturgisch vorgetragene Kommentare, die den bereits Eingewöhnten – zumal in der alltäglichen Praxis – kaum zuzumuten sind39. Liturgische Bücher können
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Goltzen, Täglicher Gottesdienst (1956) 288. Vgl. Ehrensperger, Tagzeitenliturgien (2005) 114–116; Budde, Basis-Liturgie (2008) 100–102. So Kornemann, Gottesdienst (2003) 921, der allerdings Tagzeitengottesdienste in seinem Beitrag nicht in den Blick nimmt. Ehrensperger, Gottesdienst (2000) 284. Vgl. Kranemann, Glaubensfeier (2000) 79f: »Eine missionarische Liturgie ist in besonderer Weise auf eine Reduzierung der Liturgie auf elementare Grundstrukturen und Formen angewiesen [...]. Elementarisierung meint die Reduzierung des Gottesdienstes auf solche Formen und Elemente, die das liturgische Grundgeschehen von Versammlung, Erzählung und Erinnerung, Lobpreis, Anbetung, Dank, auch Klage, Bitte etc. zum Ausdruck bringen können. Gesucht sind einfache, schlichte Gottesdienstformen, die gleichzeitig eine dem Gefeierten angemessene ästhetische Qualität gewinnen.« So wirbt Schilson, Religiöses (1996) 103 für mehr Mut, auf die »Selbstevidenz der grundlegenden Symbole« des christlichen Gottesdienstes zu vertrauen. Haunerland, Mystagogie (2005) 347 sieht die Liturgie dadurch überfordert, räumt aber zugleich ein, dass die kognitive Vermittlung liturgischer Bildung ohne die gleichzeitige Einübung in die geistliche Handlung der Liturgie unfruchtbar bleibt. Vgl. Werlen, Analyse (1988) 85.
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(C) Gestaltung
den Ablauf hingegen auf unaufdringliche Weise transparent machen40. In Verbindung mit dem realen Erleben der liturgisch handelnden Gemeinde können solche begleitenden Erklärungen die liturgischen Vollzüge verständlich machen. (4) Als vierte Maxime empfiehlt sich das Prinzip der Wiederholung: »Soll eine tägliche Ordnung des Betens wirklich zum Mitfeiern an alle einladend sein, braucht es einfache Formen, die in der Aussage gewichtig und in der Ausführung zugleich wiederholbar und, im besten Sinn des Wortes, ›schön‹ sind.«41 Bereits in der Antike zeichnete sich der kathedrale Alltagsgottesdienst durch ein hohes Maß an Wiederholung aus. Während die monastischen Gemeinschaften in Psalmodie, Leseordnung und Gesängen nach Abwechslung suchten, wurde in den Gemeindekirchen unter den Bedingungen sporadischer Teilnahme ein kleines Repertoire ungleich häufiger, teilweise täglich wiederholt. Um heutigen Gläubigen liturgische Beheimatung zu ermöglichen, ist der zweite Besuch bedeutsamer als der erste, da hier Kompetenzen, die beim ersten Mal vermittelt wurden, bereits wieder zum Einsatz kommen können. Das Bonner Ordinarium Das Ordinarium des Bonner Mittagsgebets versucht, diesen Maximen zu folgen. Es wurde zunächst aus den Horen der römischen und monastischen, aber auch evangelischen Tradition die gemeinsame Grundstruktur destilliert. In der folgenden Tabelle werden die Mittagsgebete und Abendgebete, also jeweils eine ›große‹ und eine ›kleine‹ Hore, aus dem Evangelischen Gesangbuch (EG) und dem katholischen Gotteslob (GL) bzw. seiner Vorlage, dem Römischen Stundenbuch (RS), nebeneinandergestellt.
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Dieses Prinzip befolgte z. B. die anglikanische Kirche Amerikas bei der Reform ihres Gebetbuches: »Die wichtigste Veränderung bestand mutmaßlich in in die Ordnung aufgenommenen Zwischenüberschriften, die dazu dienten, der Ordnung eine strukturelle Gliederung zu geben, die sonst vom durchschnittlichen Gottesdienstteilnehmer nicht begriffen worden wäre. Die herkömmliche Fassung des Office wurde gleichwohl beibehalten«, so Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 218 Anm. 7. Ähnlich hält es Rau, Vesper (1988) 91 für sinnvoll, »die Grundform [...] erkennbar beizubehalten«. Zu solchen »Nebenkommunikationssystemen« bzw. »Markern« insgesamt vgl. Werlen, Analyse (1988) 87. Häußling, Übung (2003) 32.
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II. Der Gottesdienst
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EG Mittag
EG Abend
RS Mittag
RS / GL Abend
Eingang
Eingang
Eröffnung
Eröffnung
Hymnus
Hymnus
Psalmodie
1. Psalm 2. Psalm Canticum
Kurzlesung, Stille Versikel
Lesung Responsorium Predigt
Hymnus Psalm
Psalmen
Lesung, Stille Lesung, Stille Responsorium Responsorium Auslegung Hymnus Magnificat
Struktur Eröffnung (A) Hymnus (B) Psalmodie
(C) Lesung
Magnificat
Kyrie Vaterunser Gebetsstille Schlussgebet
Kyrie Vaterunser Preces Schlussgebet
Fürbitten Vaterunser Oration
Oration
Ausgang
Ausgang
Abschluss
Abschluss
(D) Bittgebet
Segen
Vier Bestandteile gehören zum historischen und ökumenischen Fundus der Tagzeitenliturgie: Hymnus, Psalm, Lesung, Gebet42. Dabei ist die Identität der Gattung ›Stundengebet‹ nach George Guiver noch nicht gefährdet, wenn jeweils eines dieser Elemente fehlt; diese vier Varianten sind allesamt auch historisch belegt43. Wie ein Tisch, der auf drei Beinen – egal welchen – noch steht,
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Auch die bei Schnitker, Konsens (1982) 116 erwähnte ökumenische Arbeitsgruppe benennt diese Elemente als grundlegend: »In der Feier der Stundenliturgie zu bestimmten Zeiten des Tages, die die Schöpfung und Neuschöpfung versinnbildlichen, hört die Kirche, im Heiligen Geist versammelt, das lebensspendende Wort Gottes, und als Antwort darauf gibt sie dem Lob der Schöpfung Ausdruck, stimmt ein in den Preisgesang des Himmels und nimmt teil an Christi beständiger Fürsprache für die Welt.« Ähnlich bereits Jungmann, Schule (1957) 553f: »Nicht ein regelloses Ineinander, sondern die großen Linien des christlichen Kosmos müßten vor Augen treten: Gottes Botschaft, die zu uns herabkommt, etwa in einer biblischen Lesung; darauf das Echo des gemeinsamen Gesanges; dann das Beten der Gemeinschaft«. Der Hymnus musste sich insgesamt erst gegen Widerstände durchsetzen; vgl. Kapitel C.II.1 (S. 218–221). Psalmen spielen z. B. in sah. Trad. Apost. 62 (34–41 Till / Leipoldt) = Botte Nr. 41 bei den täglichen Zusammenkünften mit Unterweisung und Gebet, aber vielfach auch im täglichen Privatgebet keine Rolle. Der Tagzeitengottesdienst in Const. Apost. 8, 35–39 (SC 336, 246–254 Metzger; dt. BKV2 5, 68–72 Storf) kennt keine Lesungen; ebensowenig das Kathedraloffizium Konstantinopels; vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 128. Das Bittge-
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aber umkippt, sobald man ein weiteres – egal welches – entfernt, sei ein Gottesdienst erst dann nicht mehr als Stundengebet zu identifizieren, wenn zwei oder mehr der vier Basis-Elemente fehlten44. Das Bonner Tagzeiten-Modell ordnet alle vier Bestandteile in der in AES 33 genannten Reihenfolge an: Der ›Hymnus‹ ist aus Gründen, die im folgenden Abschnitt zu erläutern sind, im Sinne der Liturgie-Reform immer das erste Element. Er kann im Abendlob zu einer Lichtfeier mit Lichthymnus ausgebaut werden. Unter dem Namen ›Psalmodie‹ werden Psalmen (oder auch Cantica) zusammengefasst, ohne damit eine Festlegung über ihre Anzahl zu treffen. Der dritte Teil, ›Lesung‹, umfasst eine längere Schriftlesung mit anschließender Stille und als Antwort der Gemeinde einen täglich gleichen Lobgesang in Parallele zu Benedictus und Magnificat. Ein vierter Teil ›Bittgebet‹ ist vorgesehen, obwohl die klassische Sext dieses Element nicht enthält. In dieser Frage folgt der Aufbau aus theologischen Gründen45 unabhängig von der Tageszeit immer den Haupthoren Laudes und Vesper. Die in der rechten Spalte der Tabelle sichtbar gemachte Grundstruktur46 liegt allen Gottesdiensten nach dem Modell der Bonner Tagzeiten zugrunde und wird in den Liturgieheften zu Beginn, in Zwischenüberschriften und auf allen Seiten in den Fußzeilen angezeigt. Sie kann auch einer Vesper nach dem Römischen Stundengebet unterlegt werden, ohne irgendetwas an ihrem Aufbau zu ändern47. Es macht den Ablauf des Gottesdienstes jedoch leichter erfassbar als die übliche, ungegliederte Aufzählung von bis zu einem Dutzend Einzelposten48.
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bet wiederum war aus dem Römischen Stundengebet fast vollständig verschwunden und ist in manche Horen bis heute nicht wieder aufgenommen; vgl. S. 261. Guiver, Company (2001) 183f kritisiert das starre System von AES 33 und der benediktinischen Ordnung, die Hymnus, Psalm, Lesung und Gebet zu den unverzichtbaren Bestandteilen zählen. Vgl. o. in Kapitel A.II.2 den Abschnitt ›Der Leib Christi im Dienst‹ (S. 72–74). Ähnlich Bradshaw, Office (1989) 31: »Intercession is thus not an ›optional extra‹ which may, if desired, be tacked on to the end; it is of its very essence.« Goltzen, Gottesdienst (1956) 216 berichtet, dass bereits die frühen evangelischen Versuche einer Wiederbelebung durch Wilhelm Löhe die im Kern identische Grundstruktur vorsahen: »Eingang – Hymnus – Psalmodie – Lektion – Canticum – Gebetsteil – Schluß«. Auch das Mittagsegebet im Evangelischen Gesangbuch (Bayern) Nr. 728 und die Grundstruktur für Andachten ebd. Nr. 718 folgen diesem Schema. Oder vgl. etwa die im Scheyerer Psalter (2007) 509 angegebene Grundstruktur: Eröffnung, Hymnus, Psalmodie, Lesung – Lobgesang, Fürbitten – Herrengebet, Entlassung (Segen). Zur Anordnung der Elemente in der Regula Benedicti vgl. die schematische Übersicht bei Nowak, Strukturelemente (1984) 304. Vgl. Gotteslob Nr. 682–691: Eröffnung, Hymnus, Erster Psalm, Zweiter Psalm, Gesang aus dem Neuen Testament, Lesung, Antwortgesang, Lobgesang Mariens, Fürbitten, Vaterunser, Tagesgebet, Abschluss.
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II. Der Gottesdienst
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Dieser Aufbau wird durch Eröffnung und Segen gerahmt. Die im Gotteslob unter Nr. 683 vorgesehene und wie bereits bei Benedikt von Nursia49 an Ps 70, 2 angelehnte Eröffnung ist zugleich die geläufigste; sie wird jeden Tag in der Fassung der Neuauflage vorgesehen, die der Gemeinde die Doxologie vollständig zuweist und dadurch vom Vorbeter zu Beginn des Gottesdienstes nicht mehr als die sechs Worte »O Gott, komm mir zu Hilfe« verlangt. Die Stille nach der Lesung wird – ebenfalls täglich – durch das Responsorium Gotteslob Nr. 687 beschlossen. Im Anschluss daran singt die Gemeinde einen täglich gleichen Lobgesang, der allerdings in geprägten Zeiten variiert. Auch das Vaterunser folgt der Stundengebetsfassung aus dem Gotteslob (Nr. 691)50. Schließlich wird die Feier mit einem Segensspruch in der Wir-Form beendet, der allerdings um der größeren Feierlichkeit willen in der melodischen Fassung des Messbuches51 gesungen und mit »Singet Lob und Preis!« beendet wird52. Es hat sich erwiesen, dass diese verhältnismäßig große und feierliche Form des Segens sich empfiehlt, um der stark vom Gesang geprägten Feier einen angemessenen Schlussakzent zu setzen. Reziprok zum Beginn des Gottesdienstes, der die Menschen aus dem Alltag heraus in die Ruhe der Meditation führen und zur Begegnung mit Gott disponieren möchte, führt der Segen die Teilnehmer wieder aus dem gottesdienstlichen Geschehen hinaus und wendet ihren Blick in den Alltag, der sie nun, getragen von der Sendung, im täglichen Leben dem Glauben gemäß zu handeln, zurückerwartet. Die täglich gleichen Passagen machen zusammen rund ein Drittel der Gesamtdauer des Mittagsgebets aus. Sie sind für die meisten Teilnehmer der Einstieg ins Mitsingen und gelingen auch dann, wenn weniger geläufige Passagen brüchig sind. Hier bewährt es sich tatsächlich, wenn »die durch die Gemeinde mitzusingenden Teile so invariabel wie möglich bleiben«53. Das Bonner Proprium Zur Schonung der ehrenamtlichen Dienste war entschieden worden, dass das Mittagsgebet nicht immer wieder neu erfunden werden soll, sondern – ganz wie im Stundenbuch und im Grunde in jeder etablierten Form täglicher Tagzeiten – ein Zyklus entwickelt werden sollte, der sich turnusmäßig wiederholen
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Vgl. Reg. Ben. 18, 1 (SC 182, 528 de Vogüé / Neufville; dt. 131 Lambert, 218 Puzicha). Allerdings mit der benediktinischen Variante in der Brotbitte; vgl. Benediktinisches Antiphonale (1996) 3, 223. In dieser Frage wird nach Erscheinen des neuen Gesangbuches auf die dort aufgenommene Fassung eingeschert. Vgl. Messbuch (1975) 234 »Im Jahreskreis I« mit dem Schluss ebd. 233. Diese Änderungen tragen den Bestimmungen von AES 258 zur Leitung des Stundengebets durch Laien Rechnung. Schnitker, Stundenliturgie (1989) 168f.
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kann. Die erste Frage war, welchen Zeitraum solch ein Zyklus umfassen sollte. Eine wöchentliche Wiederholung des gesamten Gottesdienstes schien zu dicht, um auch die häufige Teilnahme attraktiv zu machen. Auch ein 4-WochenZyklus in Anlehnung an das Stundenbuch versprach noch keine ausreichende Abwechslung. Denn aufgrund der Lebensorganisation in unserer Gesellschaft muss damit gerechnet werden, dass etlichen Menschen die Teilnahme nur an bestimmten Wochentagen möglich ist – besonders auch mit Blick auf die Ehrenamtlichen, die ihren Dienst an einem festen Wochentag ausüben sollten. Für diese Menschen aber hätte sich alle vier Wochen der Gottesdienst präzise wiederholt, während der inhaltliche Reichtum der übrigen Tage nicht wahrgenommen worden wäre. Die Entscheidung fiel daher auf den Monat des bürgerlichen Kalenders54 als Basis-Zyklus. Herbert Goltzen hat mit Recht darauf hingewiesen, dass der Monat traditionell keine liturgisch relevante Zeitspanne ist55. In diesem Fall steht aber nicht das Erleben des Monats im Vordergrund, sondern gerade die Entkoppelung der thematischen Vielfalt vom liturgischen Wochenrhythmus: Da die Daten des Monats immer wieder auf andere Wochentage fallen, haben auch Ehrenamtliche oder andere Besucher, die nur an einem festen Wochentag teilnehmen können, die Chance, dennoch die ganze Vielfalt mitzuerleben. Zugleich sinkt ihre thematisch-textliche Wiederholungsfrequenz in diesem Fallbeispiel von vier Wochen auf über ein halbes Jahr. Es wurde also ein Zyklus von 31 Formularen entwickelt, deren Lieder, Lesungen und Fürbitten jeweils inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Dieser Zyklus wird monatlich wiederholt, so dass für jeden Tag ein eigenes Heft bereitliegt, in dem alles für die Durchführung Notwendige enthalten ist. Die Nummern, die auf Sonntage fallen, werden ausgelassen; ebenso die Nr. 31 in Monaten mit 30 (oder weniger) Tagen. Die Handhabung für den Küster und die ehrenamtlichen Liturginnen und Liturgen ist durch dieses Organisationsprinzip denkbar einfach: Sie alle haben den vollständigen Hefte-Satz zuhause, und ein kurzer Blick auf das Datum genügt, um nachzusehen, auf welche Nummer man sich vorbereiten soll.
1. Hymnus Dass der Gesang als solcher schon immer zum kirchlichen Leben gehörte und dass deshalb selbstverständlich auch im gemeinsamen Stundengebet von Anfang an gesungen wurde, ist bereits oben erörtert worden56. Weniger klar ist, wie und 54
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Vgl. dazu in Kapitel B.II.2 den Abschnitt ›Professionelle Liturgie ohne Gemeinde‹ (S. 177f) unter Nr. (1). Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 227 mit 154. 279. 285. Vgl. in Kapitel A.II.1 den Abschnitt ›Vereinte Stimmen‹ (S. 61–65).
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II. Der Gottesdienst
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wann sich das konkrete Element des ›Hymnus‹ im Stundengebet und seinen einzelnen Horen etablierte. Die nur zögerliche Aufnahme nichtbiblischer Gesänge in den Gottesdienst liegt in genau demselben Sachverhalt begründet, der sich oben als die große Stärke des Gesangs ergeben hatte: in seiner emotionalen Qualität. Denn dieses anthropologische Plus gegenüber einfacher Sprache bietet zwar besondere Chancen zur Integration des ganzen Menschen und auch zur Vermittlung von Inhalten, es birgt aber auch das Risiko der Verführung – wie es sich vom Kampf gegen den Arianismus57 über das Zeitalter der Reformation bis in die jüngste Vergangenheit hinein58 immer wieder zeigte. Bereits im 4. Jahrhundert lehnten deshalb bestimmte Kreise das Element des gottesdienstlichen Gesangs vollständig ab59. Der Siegeszug des Hymnus Eine noch weiter verbreitete Haltung war es, das Singen zwar zuzulassen, es aber strikt auf biblische Texte zu beschränken60 und die Risiken des Missbrauchs gewissermaßen dadurch zu umgehen, dass allein das Wort Gottes zum Inhalt der Gesänge werden durfte. Das Konzil von Laodizea hat aus diesem Grund private Psalmendichtungen aus dem Gottesdienst verbannt61. Da die Terminologie in der Frühzeit noch nicht präzise definiert war62, bleibt bei der Rekonstruktion der weiteren Entwicklung viel Spielraum für Interpretation, der bis in die Gegenwart unterschiedlich gefüllt wird. So ordnet beispielsweise das Konzil von Agde im Jahr 506 an, täglich Morgen- und Abendhymnen zu singen63. Jungmann und in seiner Folge Bradshaw64 vermuten hinter den hymni matutini vel vespertini keine metrischen Hymnen, sondern Psalmen, und verweisen dafür auf das Verbot, das das Konzil von Braga noch im Jahr 561 über nichtbiblische Gesänge aussprach65. Allerdings entscheidet im gallischen Raum
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Vgl. Franz, Alte Kirche (2000) 8–12; Leitner, Volksgesang (1906) 118–126. Vgl. Bretschneider, Stimme (2000) 93f; Gerhards / Kranemann, Einführung (2006) 198. Vgl. Nicet. Remesian. vigil. 2 (233 Turner; engl. 65 Walsh), der ausdrücklich von der Ablehnung der decantatio psalmorum et hymnorum als lascivium (Zügellosigkeit) berichtet, weil diese dem Christentum grundsätzlich unangemessen sei; vgl. dazu Rist, Plädoyer (2001) 45. Bereits für die Zeit des Paul von Samosata (260er Jahre) belegt durch Eus. h. e. 7, 30, 10 (GCS 9, 2 [= Eus. 2, 2], 710, 10–12 Schwartz; dt. 349 Haeuser): »Die Psalmen auf unseren Herrn Jesus Christus verbot er, weil sie zu neu und erst von neueren Dichtern verfaßt wären«. Vgl. Conc. Laodic. (4. Jh.) c. 59 = Joh. Schol. synag. L tit. 50, 9 (153, 7–9 Benesevic). Vgl. Franz, Alte Kirche (2000) 3. 17–20. Auch für das syr. Test. Dom. 1, 26 (54 Rahmani; engl. 33 Sperry-White) lässt White, Daily Prayer (2002) 140 offen, was mit den »Hymnen und Psalmen«gemeint sei. Conc. Agath. (506) c. 30 (CCL 148, 206 Munier). Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 178f; Bradshaw, Daily Prayer (1983) 118. Vgl. Conc. Bracar. (1, 561) c. 12 (73 Vives): nicil poetice conpositum in Ecclesia sallatur.
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nur wenig später das Konzil von Tours (567) zugunsten der Hymnen – wenigstens soweit ihre Autoren bekannt sind66. Und auch auf der spanischen Halbinsel wird im Jahrhundert darauf das 4. Konzil von Toledo (633) dieser toleranteren Schiene folgen67; der in Braga vertretenen Extremposition war demnach kein langfristiger Erfolg beschieden. Karl Berg verweist unterdessen darauf, dass Cäsarius von Arles, der in Agde den Vorsitz führte, in seiner Klosterregel und wohl auch im Kathedral-Offizium Hymnen vorgesehen hat 68. Dasselbe geschieht etwa gleichzeitig in Konstantinopel69 oder auch durch Benedikt in seiner Offiziumsordnung70. Im Lichte dieser Vorgänge erscheint es wenig spektakulär, wenn die Väter von Agde mit ›Hymnen‹ tatsächlich metrische Schöpfungen gemeint hätten. Wie dem sei: Die von Ambrosius in Mailand angestoßene Entwicklung71 setzte sich in den Klöstern und außerhalb Roms nach und nach durch72, während sich einzelne Liturgieräume wie etwa die großen römischen Basiliken noch bis ins Mittelalter gegen die Gattung des Hymnus im Stundengebet sperrten73. Balthasar Fischer beurteilt das Ergebnis der Entwicklung vor allen Dingen deshalb als Gewinn, weil dadurch eine gegenüber biblischer Sprache nicht empfindbare Zeitgenossenschaft möglich wird: »Es ist das Verdienst der überzeugenden Hymnenschöpfungen von Ephrem dem Syrer im Osten und Ambrosius im Westen gewesen, daß dieser gefährlich engbrüstige Biblizismus eine Episode in der Geschichte des christlichen Gottesdienstes geblieben ist. Man muß sich nur einmal ausmalen, was uns fehlen würde, wenn die Jahrhunderte nicht mehr Recht hätten, auch nach ihrer Weise mit der Stimme des
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Vgl. Conc. Turon. (567) c. 24 (CCL 148A, 192 de Clercq); Pontal, Synoden (1986) 134. Vgl. Conc. Toletan. (4, 633) c. 13 (196 Vives). Aus der mozarabischen Liturgie sind zahlreiche metrische Hymnen überliefert; vgl. Jungmann, Erbe (1960) 192. Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 147 mit Verweis auf vit. Caes. 1, 15 (462 Krusch). Vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 252f. Vgl. Reg. Ben. 11–13. 17f (SC 182, 514–520. 526–532 de Vogüé / Neufville; dt. 121–125. 129–133 Lambert) ; Puzicha, Benediktusregel (2002) 191, 214–217. Noch in der Magisterregel fehlt der Hymnus; unklar bleibt hingegen, ob Hymnen bereits in der älteren Ordnung von der Mönchsgemeinschaft von Lerins üblich waren; dafür plädieren Heiming, Offizium (1961) 91. 102. 140 und Berg, Cäsarius (1994) 147, dagegen Bradshaw, Daily Prayer (1983) 129. Gerhards, Schriftgebrauch (1996) 180f betont, dass besonders die beiden Urväter der Entwicklung, Ambrosius im Westen und Ephräm im Osten, ihre Hymnendichtung ganz aus der biblischen Sprache und ihrer Bilderwelt speisten. Aug. conf. 9, 7, 15 (CCL 27, 142 Verheijen; dt. 447–449 Grasmück) berichtet von dem einschlagenden Erfolg, der der Mailänder Adaptation der östlichen Singweise bereits nach wenigen Jahrzehnten überregional beschieden war. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 155 und bes. 165: »Erst durch die Einführung des Ritus der päpstlichen Hauskapelle werden die Hymnen fester Bestandteil des römischen Breviers.«; Jungmann, Gottesdienst (1957) 48.
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II. Der Gottesdienst
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christlichen Dichters und Komponisten die eine Botschaft jeweils neu auszusagen und auszusingen.«74 Die Aufgabe: gemeinsamer Gesang Die Aufarbeitung der theologischen Motive hatte ergeben, dass dem Gesang grundsätzlich gegenüber dem gesprochenen Vollzug der Vorrang gebührt: (1) zunächst für den Einzelnen aus Gründen der Anthropologie75, weil der Gesang in seiner Verbindung von Geist, Emotion und Verstand der Geschöpflichkeit des Menschen umfassend gerecht wird76; (2) für die Gemeinschaft77 ist der aktive Gesang bedeutsam aufgrund der ekklesiologischen Relevanz einer sich im Lobpreis konstituierenden Kirche; (3) und die Außenwirkung des Gesangs als eines integrativen Teiles des Verkündigungsauftrags 78 kommt in besonderer Weise dann zur Geltung, wenn man miterleben kann, wie Menschen gemeinsam ihren Herrn lobpreisen. Die Aufarbeitung der Pragmatik wiederum hatte als zentrale Aufgabe formuliert, das Kompetenzgefälle zwischen Liturgen und Teilnehmern so weit wie möglich zu glätten79. Beides – die theologische und die pragmatische Perspektive – konvergieren in diesem Punkt: Es sollte gemeinschaftlich gesungen werden und die ganze Gemeinde Trägerin des Lobpreises sein. Das in Orgelandachten verfolgte Prinzip der professionellen Darbietung an passive Teilnehmer ist in diesem Rahmen nicht zielführend. Wie sich der Gesang in der Praxis bewerkstelligen lässt und welche Grundentscheidungen bezüglich der liturgischen Gestalt dafür zu fällen sind, soll im Folgenden erwogen werden.
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Fischer, Gemeinschaftsgebet (1974) 8; ähnlich Franz, Alte Kirche (2000) 10. Vgl. o. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Die Stimme erheben‹ (S. 22–25). Wer ein wenig Chorerfahrung hat, kann den Unterschied ermessen, den es ausmacht, Kirchenmusik zu hören oder aber selbst aufzuführen. Kirchenmusik im Konzert-Format kann diese Wirkung bei ihren Zuhörern nicht entfalten, weil deren Körperlichkeit dabei weitgehend ausgeschaltet wird. Der eigene Gesang hingegen beansprucht und erfüllt den Menschen ganz. Das von Wolfgang Bretschneider befürchtete Abgleiten der Kirchenmusik in die ›Geistlosigkeit‹ kann kaum eintreten, wenn der eigene Atem zum Tragen kommt; vgl. Bretschneider, Stimme (2000) 98. Vgl. in Kapitel A.II.1 den Abschnitt ›Vereinte Stimmen‹ (S. 61–65). Vgl. Gerhards, Kirchenmusik (2000) 104. Vgl. in Kapitel B.II.1 den ›Ausblick: Tagzeiten ohne Profis?‹ (S. 148–153) und in Kapitel B.II.2 den ›Ausblick: Suche nach praktikablen Lösungen‹ (S. 181–187).
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Was soll gesungen werden? Die erste Frage, die sich stellt, betrifft das Repertoire. Dieses muss den Singenden in zweierlei Weise gerecht werden: Sie müssen es (a) singen wollen und (b) singen können. (a) Es ist in unserer Gesellschaft nicht einfach, überhaupt noch Menschen vor und mit anderen zum Singen zu bewegen. Zwar kennt und schätzt die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung das Glücksgefühl und die Freude, die das Spiel mit der eigenen Stimme im Menschen auslöst; aber in der Öffentlichkeit traut sich etwa die Hälfte der Befragten nicht, ihre Fähigkeiten einzusetzen80. Kinder nutzen noch intuitiv jede Gelegenheit, in hallenden Räumen beeindruckende Klänge auszulösen, und Kirchenräume bieten für diese Erfahrung luxuriöse Bedingungen. Die einzigartige positive Wirkung des Singens ist jedoch zugleich sein größter Hemmschuh: Viele sind zu einer derart intimen Selbstäußerung vor anderen aufgrund traumatischer Erfahrungen nicht bereit. Wer jedoch nicht darin geübt ist, seine Stimme einzusetzen, wird unsicher; und das Risiko und die Angst, sich vor anderen die Blöße zu geben, steigen noch weiter. Dieser Missstand lässt sich – wenn überhaupt – nur schrittweise und nur über längere Zeit hinweg beheben. Um so wichtiger ist es daher, wenigstens ideale Bedingungen dafür zu schaffen, dass sich eine neue Kultur des gemeinsamen Singens entfalten kann: »In den abendländischen Kulturen, in denen der emotionale Ausdruck im Singen keine Selbstverständlichkeit mehr darstellt, muss die Singbereitschaft und Singfähigkeit behutsam neu eingeübt werden. Wer für die Auswahl der Lieder und Singformen zuständig ist, sollte auf die Bedürfnisse und Vorlieben der jeweiligen feiernden Gemeinde Rücksicht nehmen und wissen, was ihr zugemutet werden kann, ohne dass Singhemmungen oder Singverweigerung entstehen.«81 Es ist das Verdienst Josef-Anton Willas, diese Zusammenhänge wissenschaftlich aufgearbeitet zu haben. Dass viele Seelsorger sich aus gesundem Menschenverstand danach richten, was die Leute gerne singen, verliert dadurch den Ruch der Anbiederung oder Niveaulosigkeit. Und die bereits in der Spätantike vorgebrachten verächtlichen Äußerungen über die Neigung der Germanen zu schnulzigen Gesängen (modulationis dulcedo)82 erscheinen in einem neuen Licht. Aus einem personalen Ansatz heraus wird man die Empfindungen, Vorlieben und Kompetenzen der Teilnehmer auch dann zu schätzen wissen, wenn man aus rein musikalischer Sicht weitergehende Wünsche hätte. Und wenn auch gewisse Qualitätsstandards im Gottesdienst nicht unterschritten werden dürfen, so ist doch die emotionale Aufnahme eines Liedes durch die Gläubigen eine auch theologisch bedeutsame Größe, und deshalb 80
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Zum Folgenden vgl. Willa, Singen (2005) 97–101. Willa, Singen (2005) 234. Joh. Diacon. vit. Gregor. 2, 7 (PL 75, 90f); vgl. Hucke, Entwicklung (1953) 193f.
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II. Der Gottesdienst
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als zusätzliches Kriterium stets mit zu berücksichtigen: »Musik, die nur vom Verstand erfasst wird, nur vor ihm bestehen kann, mag interessant sein, verfehlt aber in der Feier des Glaubens ihr Ziel. Auch der heutige Mensch hat ein feines Gespür für die Tiefendimensionen eines Gemeindeliedes, eines Chorwerkes oder eines gregorianischen Introitus-Gesangs. Er kann durchaus die Schwingungen der Trostbotschaft Gottes wie die der eigenen Seele vernehmen.«83 Für die Auswahl der Hymnen im Stundengebet bedeutet dies, darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Gattung des Kirchenliedes im deutschsprachigen Raum den meisten Menschen ungleich inniger vertraut ist als die Hymnen in gregorianischer Tonalität84. Auch im Wissen um die Größe und die Qualität der hymnischen Überlieferung des Stundengebets wird es deshalb in den meisten Fällen der theologischen Motivation zum gemeinsamen Singen besser gerecht, das Element des Hymnus im Stundengebet auf bekannte und beliebte Kirchenlieder umzustellen85. Die späte Akzeptanz des Kirchenliedes als Kirchenmusik durch das II. Vatikanische Konzil86 macht es jedenfalls inzwischen auch auf katholischer Seite möglich, beliebte Gemeindegesänge in das Stundengebet zu integrieren, wie es im Protestantismus bereits viel früher angegangen wurde87. Frieder Schulz nimmt die in Verruf geratene Gattung der Reimstrophe gegenüber Kritikern in Schutz: »Deshalb können die Urteile und Normen der Literarkritiker, die sich mit dem Kirchenlied beschäftigen, letztlich nicht befriedigen. Denn dieses steht, sozusagen als ›poésie engagée‹, unter einem außerdichterischen Anspruch: es ist angewandte Kunst. Man kann eben das Kirchenlied um seiner Funktion willen nicht so ohne weiteres mit der monologischen modernen Lyrik vergleichen, um dann zu statuieren, daß in ihr die Nöte und Ängste des technischen Zeitalters unmittelbarer und echter zu Wort kommen.«88 Natürlich müssen dennoch auch sachliche Kriterien gelten. So betont Markus Jenny, dass die Gesänge 1. allgemeingültig (nicht zu subjektiv), 2. gemeindegemäß (verständlich) und 3. zeitgemäß (mit Realitätsbezug) sein müssen 89: »Was heute im Gottesdienst gesungen und in der persönlichen Andacht verwendet werden soll, muß dem durchschnittlichen Zeitgenossen verständlich 83 84
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Bretschneider, Stimme (2000) 96. Goltzen, Gottesdienst (1956) 257 konstatiert, dass »die Hymnen in ihrer marmornen Fügung dem an die Fülle religiöser Ausdruckswerte gewohnten Menschen nicht gleich vertraut sind«. Vgl. in Kapitel B.II.2 den ›Ausblick: Suche nach praktikablen Lösungen‹ (S. 181–187). Vgl. Gerhards / Kranemann, Einführung (2006) 192. Vgl. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 275 zu Ludwig Schoeberlein: »Es ›gälte, das Element des Gemeindegesangs mit der ehemaligen Metten- und Vesperordnung bestimmter in Verbindung zu bringen‹. Eine reichhaltige Zusammenstellung von ›Melodieen‹ wird geboten, Singweisen des 16. und 17. Jh., die nach dem musikalischen Gefühl jener Zeit großenteils vierstimmig gesetzt sind.« Schulz, Abschied (1965) 224 Anm. 33. Zur Funktion des Reimes vgl. ebd. 228f. Vgl. Jenny, Vocibus unitis (1983) 196.
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sein. Es wird zwar weder möglich noch nötig sein, daß er gleich beim ersten Lesen bzw. Singen einen Text in seiner ganzen Tiefe erfaßt, aber der Text darf für ihn nicht von Anfang an dunkel und unzugänglich oder gar mißverständlich sein.«90 Inhaltlich sollten ›Hymnen‹, die das Stundengebet mit dem Lobpreis Gottes eröffnen, auch tatsächlich hymnischen Charakter tragen, also keine Buß- oder Bittgesänge sein. Trefflich kann man darüber streiten, ob es an dieser Stelle sinnvoll ist, Psalmlieder zu verwenden91. Auch die Melodie muss Anforderungen erfüllen: Sie muss einen tonalen und harmonischen Raum eröffnen, der sich auch ohne instrumentale Begleitung oder Mehrstimmigkeit entfalten kann; manche Lieder scheiden allein deswegen aus. In der Praxis wird stets eine Abwägung der verschiedenen Kriterien stattfinden müssen, der bald das eine, bald das andere Anliegen zum Opfer fällt. Entscheidend ist aus liturgietheologischer Sicht, dass die musikwissenschaftliche Argumentation um theologische und pragmatische Kriterien ergänzt wird: Denn auch für die kosmische Dimension des Lobgesangs92, bleibt es entscheidend, dass jeder Einzelne ihn mit seinem individuellen Empfinden und seinen individuellen Fähigkeiten füllt. (b) Eine möglichst breite Streuung liturgischer Kompetenz lässt sich vor allem dadurch erreichen, dass das Repertoire auf eine überschaubare Zahl von ›gekonnten Standards‹ beschränkt bleibt. In der Antike fanden einzelne Stücke wie das Te Deum93, das Gloria94 oder das Phos hilaron95 allgemeine, überregionale Verbreitung. Mit dieser Konzentration auf wenige Gemeindegesänge korrespondiert deren häufige Wiederholung96. Unter heutigen Bedingungen muss das Liedgut nicht mehr auswendig beherrscht werden, weil den Teilnehmern leicht liturgische Bücher mit Noten, Text und Versgliederung97 an die Hand gegeben werden können. Da die wenigsten Teilnehmer vom Blatt singen können, können diese Hilfen im Gottesdienst lediglich eine Stütze und Erinnerungshilfe 90 91
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Jenny, Vocibus unitis (1983) 192. Dagegen plädiert Praßl, Gott (2000) 354. 356, dafür Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 236. Vgl. Ratzinger, Geist (2000) 130–134. Vgl. Gerhards / Lurz, Te Deum (2000) 1307. Zuerst belegt in den Const. Apost. 7, 47 (SC 336, 112 Metzger; dt. BKV1 254f Boxler). Athan. virg. 20 (PG 28, 276) empfiehlt den Jungfrauen, das Gloria zur Morgendämmerung zu singen. Vgl. Plank, Phos hilaron (2001); zur Verwendung in Jerusalem vgl. Leeb, Gesänge (1970) 151. Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 349 mit Verweis auf Hymnen, die nach der Nonnenregel täglich bzw. abwechselnd alle zwei Tage gesungen wurden und auch in Conc. Agath. (506) c. 30 (CCL 148, 206 Munier) gemeint sein könnten (hymnos matutinos uel uespertinos diebus omnibus decantari). Darauf legt Jenny, Vocibus unitis (1983) 203 wert.
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II. Der Gottesdienst
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sein, während sie zum Erlernen nur taugen, wenn etliche der Versammelten bereits damit vertraut sind. Im nicht professionell geleiteten und nicht instrumental begleiteten Alltagsgottesdienst ist daher der Bekanntheitsgrad der Lieder ein wichtiges Kriterium. In diesem Zusammenhang ist die Erstellung eines ökumenisch einheitlichen Basis-Repertoires durch die ›Arbeitsgemeinschaft Ökumenisches Liedgut‹ seit den 70er Jahren98 ein geeigneter Fundus, zumal die Aufgabe der überregionalen Vereinheitlichung in beiden großen Volkskirchen gleichzeitig dringlicher wurde und in der Tagzeitenliturgie die gemischtkonfessionelle Teilnahme allgemein als unbedenklich gilt. Dem bereits bestehenden Grad an kirchlicher Gemeinschaft im gemeinsamen Gotteslob Ausdruck zu verleihen, eröffnet angesichts der festgefahrenen Eucharistiefrage bislang ungenutzte Chancen für eine im Alltag mit Selbstverständlichkeit gelebte Ökumene99: Denn die »im Volksgesang berührten Tiefenschichten erlauben eine Kommunikation existentieller Art, die unbelastet von dogmatischen Vorbehalten in der Anbetung zusammenfindet«100. In einem Land mit einer über 500jährigen Tradition des Kirchenliedes umgreift dieser gemeinsame Fundus auch eine Ökumene in der Zeit, und die »Gleichzeitigkeit verschiedener Stile [...] ist ein Erweis der diachronen Identität der Kirche.«101 Wie soll gesungen werden? Die zweite Grundsatzfrage betrifft die Vollzugsform des Gesangs. Dafür hatte sich aus theologischen Gründen als entscheidend erwiesen, dass sich die Singenden (a) selbst und (b) gegenseitig wahrnehmen. (a) Joseph Ratzinger schließt aus der Logosbezogenheit der Liturgie auf einen Vorrang des Singens von Texten vor der Instrumentalmusik102. Dies gilt um so mehr, wenn ein Liedtext mit der eigenen Stimme und Persönlichkeit zur Sprache gebracht wird. Diese Komponente des Gesangs wird aber am tiefsten internalisiert, wenn der selbst geäußerte Redeklang auch unverfälscht wahrgenommen werden kann. Instrumentale Begleitung kann diesen Vorgang beeinträchti-
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Vgl. Jenny, Vocibus unitis (1983). Vgl. o. Kapitel A.II.2 ›Kirchlichkeit‹ (S. 67–78) und Budde, Basis-Liturgie (2008) 105–107. 113f. Jenny, Vocibus unitis (1983) 177–179 verweist mit eindrücklichen Beispielen auf die traditionell hohe Durchlässigkeit der Konfessionsgrenzen für Kirchenlieder und resümmiert ebd. 198: »Ökumenischer Kirchengesang [...] muß wohl die Einheit der Kirche so deutlich als nur möglich bezeugen, bekennen, praktizieren, darf aber andererseits die Vielfalt ihrer historisch gewachsenen Ausprägungen nicht leugnen oder vergessen; und dazu gehört auch die konfessionelle Geprägtheit kirchlichen Singens.« Bürki, Geben (1989) 24. Gerhards / Kranemann, Einführung (2006) 194. Vgl. Ratzinger, Geist (2000) 128.
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gen bzw. die selbst ausgelösten Resonanzen überlagern103. Josef-Anton Willa warnt daher sogar vor der Gefahr der Manipulation104 in der für die Konsumund Erlebnisgesellschaft typischen Art massiv begleiteten Singens, weil dadurch »nicht der differenzierte, individuell verankerte emotionale Ausdruck, sondern das Erzeugen einer emotionalen Stimmung«105 erreicht wird. Demgegenüber ist »ein unbegleiteter Gemeindegesang [...] viel deutlicher ein Ausdruck von Mündigkeit der Gemeinde«106 und somit aus liturgietheologischer Sicht zunächst einmal der Normalfall des gemeinsamen Lobpreises. Dieser Gedanke konvergiert mit der pragmatischen Vorgabe, den Gottesdienst von Personalkosten, also auch von Folgediensten wie dem Organisten unabhängig zu machen107. Besonders in einer Start- und Eingewöhnungsphase wird dies nicht einfach sein. Es ermöglicht aber mittelfristig eine Gesangskultur, die den Einzelnen in einer neuen Direktheit sich selbst ausdrücken und seine Mitmenschen erfahren lässt. Auch wenn der Gesang durch besonderes Engagement Einzelner anfangs noch ›organisiert‹ getragen werden muss, so besteht doch die Chance, dass der gesamte Teilnehmerkreis durch diese Schulung mit der Zeit besser und auch wieder lieber singen lernt108. (b) Bei der Untersuchung der frühesten Belege war mehrfach aufgefallen, dass bereits in vorkonstantinischer Zeit der Gesang zu zweit oder zu wenigen nicht einfach nur gemeinsam, sondern abwechselnd vollzogen wurde109. In der gegenwärtigen gottesdienstlichen Praxis wird der Wechselgesang als Modus auch für Kirchenlieder wieder neu und erfolgreich erprobt110. Der für die heutige Situation entscheidende Aspekt dieser Vollzugsweise ist der hohe Grad an Kommunikation. Denn dass die Menschen im Gottesdienst nicht beziehungslos nebeneinander stehen, ist das ekklesiologisch entscheidende Signal der erlebbaren Gemeinschaft in einer von Vereinzelung und Anonymität geprägten Gesellschaft. Zugleich jedoch darf die Form des Umgangs nicht den öffentlichen Charakter des Gottesdienstes sprengen. Privater Austausch wie Glaubensgesprä103 104 105 106 107
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Vgl. Willa, Singen (2005) 234f. Vgl. dazu auch Adamek, Lied (1987) 187f. 193. Willa, Singen (2005) 107. Schuberth, Überflüssiges (1990) 81. Die meisten pastoralen Hilfen gehen hingegen wie Fuchs, Stundengebet (1993) 3f davon aus, dass professionellen Musikern die entscheidende Rolle zukommt; ähnlich Gerhards / Richter, Vespergottesdienste (1986) 12f. Vgl. Schuberth, Überflüssiges (1990) 85: »Viele Gemeinden würden besser singen, wenn das Orgelspiel nicht wäre, und es könnte ein anderes gottesdienstliches und damit geistliches Selbstbewußtsein der Gemeinden entstehen.« Ähnlich Bretschneider, Musik (1999) 90: »Manche Gemeinde käme besser zum Singen und hätte auch mehr Freude daran, wenn sie von ihrem Organisten und seinem Treiben verschont bliebe.« Vgl. o. Kapitel B.II.2 den Abschnitt ›Wie gemeinsam beten?‹ (S. 159–162). Ein Beispiel ist dokumentiert z. B. bei Eberhard / Länzlinger Feller, Domvesper (2004) 217.
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che oder freie Fürbitten erweisen sich daher mancherorts als problematisch111. Der abwechselnde Gesang bietet dagegen eine Möglichkeit, spielerisch in eine intensive Kommunikation miteinander einzutreten, ohne dabei privat oder verbindlich zu werden. Der Wechsel zwischen Vorsänger und Gemeinde oder noch intensiver zwischen zwei Seiten eines Chorgestühls schult die gegenseitige Aufmerksamkeit und ermöglicht eine Interaktion, die das Lob Gottes unter Wahrung der gebotenen Distanz zu einem gemeinsamen Handeln macht. Wann soll gesungen werden? Im Licht der eben entfalteten Gedanken klärt sich auch die Frage nach der Stellung des Hymnus im Duktus der Stundenliturgie. Die Überlieferung ist hier durchaus nicht eindeutig. Bei Benedikt ist der Hymnus nur in den Kleinen Horen das erste Element; in Laudes und Vesper hingegen folgt er der Lesung, in der Komplet steht er nach den Psalmen und vor der Lesung 112 . Das Benediktinische Stundengebet hat diese Reihenfolge bis heute beibehalten, und auch das Evangelische Tagzeitenbuch und sogar evangelische Gesangbücher folgen dieser Tradition. Sollte die Reihenfolge der auf dem Konzil von Agde erwähnten Elemente der tatsächlichen, unter Bischof Cäsarius üblichen liturgischen Anordnung der Gemeinde-Tagzeiten entsprechen, fände sich die Einordnung des Hymnus nach den Psalmen auch dort belegt113. Das reformierte Römische Stundenbuch und in seiner Folge das Gotteslob haben den Hymnus hingegen vorgezogen, um auch die beiden »Eckhoren« analog zu den übrigen mit einem Hymnus zu eröffnen. Aus pastoraler Sicht kann man für die Umstellung durch das Konzil nur dankbar sein114. Denn wie eben festgestellt, ist das gemeinsame und unbegleitete Singen unter heutigen Bedingungen ohnehin nicht leicht zu vermitteln. Um so wichtiger ist es, in den ersten Minuten über einen möglichst leichten Einstieg gesanglich zueinanderzufinden115. Dies dürfte in der für viele doch sehr fremden oder gar befremdlichen Gattung des Psalmengesangs kaum realistisch sein. Ein beliebtes und bekanntes Kirchenlied bietet die größeren Chancen, zu Beginn des Gottesdienstes eine dem Gemeindegesang zuträgliche Atmosphäre zu schaffen116. Bei Bischof Cäsarius finden wir in den Vigilien zwar keinen Hymnus
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Vgl. Meßner, Einführung (2001) 291. Vgl. Reg. Ben. 17 (SC 182, 526–528 de Vogüé / Neufville; dt. 129–131 Lambert, 216 Puzicha). Zu Thesen über den Grund dieser Sonderstellung vgl. Vogel, Tagzeitenliturgie (2003) 272. Vgl. Conc. Agath. (506) c. 30 (CCL 148, 206 Munier). Taft, Hours (1986) 313 nennt sie »admirable«. Vgl. Ringseisen, Gemeinde (2002) 171. Vgl. Ehrensperger, Tagzeitenliturgie (2001) 453.
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zum Auftakt, aber dafür einen täglich gleichen, von allen gemeinsam in directum gesungenen Psalm117. Das pragmatische Prinzip scheint dasselbe zu sein: Erst nach dem Einsingen mit einem innig bekannten ›Standard‹ folgt die Psalmodie mit 12 Psalmen, die in der Substanz von Vorsängern vorgetragen werden müssen, weil sie für die Gemeinde nicht beherrschbar sind. Der Hymnus im Bonner Mittagsgebet: Schwierige Auswahl Im Bonner Mittagsgebet wurden auf dieser Grundlage folgende Entscheidungen gefällt: (1) Es wird ohne Begleitung gesungen. Dies hatte zunächst pragmatische Gründe: Die Organisten sind zu stark ausgelastet, um das Mittagsgebet täglich zu begleiten. Mit Blick auf die finanzielle Entwicklung der kommenden Jahrzehnte schien es daher auch zukunftsträchtiger, den Gottesdienst in einer Ausstattung zu etablieren, die von einer etwaigen Kürzung nicht betroffen wäre. Als ungleich bedeutsamer erwies sich der Verzicht jedoch mit Blick auf die theologisch-anthropologische Qualität des Singens: Denn jeder Einzelne trägt hörbar zum Gesamt-Erlebnis bei und erfährt so die Würde seiner aktiven Beteiligung. Und gerade weil der Gesang nicht vom Klangteppich der Orgel zugedeckt wird, konnten sich eine neue rhythmische Präzision und eine neue gegenseitige Achtsamkeit entfalten. So singen viele Teilnehmende zunächst mit der berüchtigten Verzögerung, die sie gegenüber der Orgelbegleitung allenthalben einzunehmen gewöhnt sind, und merken im Verlauf des Mittagsgebets, dass sie unter den hiesigen Bedingungen genauer aufeinander hören und sich präziser aufeinander abstimmen können. Dadurch nehmen sie einander intensiver wahr und heben durch dieses Niveau an Kommunikation und Interaktion den Gottesdienst von meditativen Angeboten ab: Im Mittagsgebet wird nur geboten, was die Versammlung selbst hervorbringt. Daher dürfen sich die Menschen ein erhebendes Klangereignis auch vollständig selbst zuschreiben. Diese Praxis erhält eine entscheidende Unterstützung durch die komfortablen akustischen Bedingungen im Bonner Münster: Der Wille, dem Chorgesang der Stiftsherren einen geeigneten Raum zu geben, hatte schließlich bereits beim Bau der Kirche den Ausschlag für die architektonische Form des Langchores gegeben. Allerdings ist es doch gerade das unbegleitete Singen, das bei kleiner und ungeübter Teilnehmerschaft im Mittagsgebet auch nach Jahren noch Sorge bereiten kann.
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(2) Die zweite Entscheidung hängt unmittelbar damit zusammen: Unter den Bedingungen unbegleiteten Singens hängt alles davon ab, dass die Teilnehmer Freude am Gesang verspüren und sich aus der Reserve trauen. Das Repertoire
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Vgl. Berg, Cäsarius (1994) 336.
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setzte sich daher weitgehend aus bekannten und beliebten Kirchenliedern zusammen. Weitere Auswahlkriterien waren: dass die Melodie auch ohne Unterlegung von Harmonien einen intuitiv erfassbaren Klangraum entfaltet; dass der Text hymnischen Charakter hat, also Lobpreis und Dank in den Vordergrund stellt und grammatisch an Gott adressiert ist; dass das Lied keine kirchenjährliche Prägung besitzt118; dass es inhaltliche Bezüge zum jeweiligen Lesungstext aufweist. Es ist nicht gelungen, für jeden Tag des Monatszyklus ein Kirchenlied zu finden, das allen genannten Kriterien gerecht wird119. (3) Die dritte Grundentscheidung ist wieder dem Kirchenraum geschuldet: In der Sitzordnung eines Chorgestühls lag es nahe, den Modus des Wechselgesang zwischen den beiden Seiten für den Psalm, aber eben auch für den Hymnus anzuwenden. Alle Lieder wurden daher strophenweise oder – deutlich häufiger – im Sinne der Vers- und Refrain-Gliederung auf die beiden Seiten aufgeteilt.
2. Psalmodie Die Anfänge der Psalmenverwendung im Christentum liegen im Dunkeln120. Sicher ist immerhin, dass schon in der Zeit vor Konstantin Psalmen gern gelesen und gesungen wurden121. Ersteres erkennt man an der unverhältnismäßig hohen Zahl von Psalmzitaten in der frühchristlichen Literatur, aber auch daran, dass bei der Einführung der Vulgata-Übersetzung der Psalter ausgespart wurde, weil sein Text offenbar zu fest im Gebrauch der Christen verwurzelt war122. Das Singen von Psalmen ist durch Tertullian privat zwischen Eheleuten und zu mehreren beim gemeinsamen Mahl belegt123. Cyprian berichtet gar von einem
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Dies einerseits, um Irritationen zu vermeiden, und andererseits, damit eine solche Bindung durch die Verwendung während des gesamten Jahres nicht verloren geht. Aufgrund der Orientierung der Leseordnung an dem Freskenzyklus, der auch zahlreiche Festinhalte thematisiert, war es keine leichte Aufgabe, die Gestaltung des Monatszyklus’ als ›kleines Kirchenjahr‹ zu vermeiden. Eine Übersicht über die im Monatszyklus verwendeten Lieder findet sich unten (vgl. S. 272f). Vgl. Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 219 mit Verweis auf Reinhard Meßners unveröffentlichte Diplomarbeit. Für die ambrosianische Zeit geht Leeb, Psalmodie (1967) 45 davon aus, dass »einzelne Christen und unter ihnen besonders die gottgeweihten Jungfrauen, für sich zu Hause, Psalmen gesungen, rezitiert oder gelesen haben«. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 126. 147. Vgl. Tert. ieiun. 13, 7 (CCL 2, 1272 Reifferscheid / Wissowa; dt. BKV2 24, 550 Kellner) über Ps 133, 1 (Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen): »Du weißt, diese Psalmenstelle freilich nur dann zu singen, wenn du es dir mit
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Abendessen unter Freunden, das der offenbar sehr begabte Donatus durch auswendig vorgetragenen Psalmengesang mit »himmlischer Gnade« erfüllt124. Auch im Judentum haben die Psalmen ihren hohen Stellenwert nicht durch ihre liturgische Verwendung erhalten, sondern sind umgekehrt erst spät und aufgrund ihrer Beliebtheit im privaten Gebrauch auch in die öffentliche Liturgie gelangt125. Im Christentum machte sich die Konstantinische Wende auch im Psalmengesang bemerkbar: Er wurde nun gezielt in den Gemeindegottesdienst eingeführt und musste dafür festere Formen entwickeln als das spontane Abrufen persönlicher Begabungen. Welche Formen dies konkret waren, lässt sich aus den Quellen nur vage bestimmen. Sicher ist, dass die Gläubigen mit ihren eigenen Stimmen am Psalmengesang beteiligt waren, sei es durch den Einwurf einzelner Antwort-Verse126, durch Singen eines ganzen Psalms127 oder sogar ausdrücklich in gleicher Weise wie der Klerus128. Mühe und Erfolg der spätantiken ›Psalmen-Singbewegung‹ drückt Cäsarius in einer Predigt an seine Gemeinde aus: »Seit Jahren schon gingen mein brennendes Verlangen und mein Herzenswunsch darnach, der gütige Herr möge euch diesen Brauch zu singen eingeben. Nun preise ich meinen Herrn und danke dem so viel ich kann, der sich gewürdigt hat, mein Verlangen zu erfüllen. Da ich nämlich wünschte, ihr möchtet so Psalmen singen, wie man in anderen benachbarten Städten zu singen pflegt, hat Gott euer Herz so bereitet, daß ihr es mit Gottes Hilfe nun noch besser macht. Was ziemt sich jetzt in dieser Freude mehr, als daß wir Gott mit allen Kräften bitten, er möge, wie er den Anfang gegeben, so auch die Vollendung schenken und jenen, denen er diese heilige Andacht zu singen gegeben, bei seiner Güte auch eine glückliche Ausdauer verleihen?‹«129 Verschiedentlich wird auch die Aufteilung in zwei Chöre erwähnt, aber es ist durchaus umstritten, ob damit immer auch die versweise Aufteilung des vollen Psalmtextes auf die beiden
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mehreren andern gut schmecken lässt«; Tert. uxor. 2, 9, 8 (CCL 1, 394 Kroymann; dt. BKV2 7, 84 Kellner) zum Psalmengesang in der Ehe. Cypr. ad Donat. 16 (CSEL 3, 1, 16, 10f Hartel; dt. BKV2 34, 55 Baer). Vgl. Füglister, Verwendung (1988) bes. 337. 344; Füglister, Verwendung (1992) 203; Lohfink, Psalterredaktion (1992) 3f. Nach dem Zeugnis von Joh. Chrys. in Ps 42 (41) expos. 5 (PG 55, 163) haben die Gläubigen z. B. den Vers Ps 42, 2 selbst gesprochen und wurden von Johannes Chrysostomos darauf verpflichtet, sich seinen Inhalt zu eigen zu machen; vgl. Bradschaw, Daily Prayer (1983) 83. Vgl. Bas. Caes. ep. 207, 3 (2, 186, 15–17 Courtonne; dt. BGL 3, 143 Hauschild). Vgl. vit. Caesar. 1, 19 (463f Krusch): Adiecit etiam atque compulit ut laicorum popularitas psalmos et hymnos pararet, altaque et modulata voce instar clericorum alii Graece alii Latine prosas antiphonasque cantarent, ut non haberent spatium in ecclesia fabulis occupari; vgl. dazu auch Berg, Cäsarius (1994) 147. Caes. Arelat. serm. 75, 1 (CCL 103, 313 Morin; dt. 149f Berg).
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Chöre verbunden war, oder ob sich die beiden Gruppen nur den Kehrvers gegenseitig zugesungen haben130. Die oben beschriebene Entwicklung vom Gemeindegesang zum Kunstgesang131 brachte es mit sich, dass die Kompetenzen der Gläubigen immer weniger abgefragt wurden. Die musikalischen Traditionen entfalteten sich unterdessen unter Einsatz professionell ausgebildeter Sänger. Weil die entwickelten Formen des Psalmengesangs nicht mehr an die Vorlieben und Fähigkeiten der Gläubigen rückgebunden waren, konnten sie umgekehrt auch nicht mehr auf die Beliebtheit der Psalmen im Volk oder auf verbreitete Kompetenzen zur gesanglichen Umsetzung zurückgreifen. Den Gemeinden ist die Fähigkeit zum Psalmengesang gänzlich abhanden gekommen132. Für die meisten Gläubigen ist er heute schwer zugänglich und muss ihnen neu beigebracht werden. Daran hat sich auch 40 Jahre nach der Absichtserklärung des reformierten Stundenbuches wenig geändert133. Weiterhin fehlen dafür »überzeugende und praktikable Lösungen«134. In der Praxis muss deshalb unter Umständen auch die Feier einer Tagzeitenliturgie ganz ohne gesungene Psalmen in Betracht gezogen werden. Welche Chancen unter den gegenwärtigen Bedingungen bestehen, den Teilnehmern von Tagzeitengottesdiensten die spirituelle Kraft des Psalmengesangs dennoch zu erschließen, soll im Folgenden erörtert werden. Was ist ein Psalm? Zunächst soll es um die Gattung der Psalmen gehen. Denn diese wurde in der Geschichte durchaus unterschiedlich bestimmt. Dass die Antwort Auswirkungen auf die Liturgie hat, zeigte sich in besonderer Klarheit in der Liturgiereform: Psalmen werden dort als Gebete aufgefasst135. Und wenn dies auch bei vielen Psalmen bereits auf grammatischer Ebene Schwierigkeiten bereitet, so soll sich der Psalmenbeter ihren Inhalt doch als Gebete besonderer Art zueigen machen und sie selbst ›beten‹136. Weil dies jedoch mit einigen Fluchpsalmen bzw. -versen offensichtlich nicht möglich ist, wurden diese Passagen aus dem Vier-Wochen-Psalter gestrichen137, nachdem sie anderthalb Jahrtausende lang zum Repertoire gehört hatten. 130 131 132 133 134 135
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Vgl. dazu Leeb, Psalmodie (1967) 18–23 und Bradshaw, Daily Prayer (1983) 114. Vgl. o. in Kapitel B.II.1 den Abschnitt ›Schule des Vorbetens‹ (S. 141f). Vgl. Ringseisen, Gemeinde (2002) 151f. Vgl. AES 23 mit 103. 268–274. Bretschneider, Musik (1999) 89. Vgl. AES 100. Stellvertretend für die breite und selbstverständliche Rezeption dieser Auffassung sei auf Fuchs, Stundengebet (1993) 42. 44 verwiesen. Vgl. AES 105. Vgl. AES 131. Ebenso verfährt das Evangelische Tagzeitenbuch (2003); vgl. dazu Gerhards, Tagzeitenbuch (1999) 137.
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In frühen Zeugnissen zur Liturgie werden die Psalmen hingegen öfters explizit unter den Lesungen aufgezählt138. Offenbar wurden sie zunächst im Gottesdienst in ähnlicher Weise verlesen, wie andere Bücher der Heiligen Schrift auch. Ihr Vortrag wurde demnach nicht als Gebet aufgefasst. Dazu passt die häufig belegte Kombination eines Psalmes mit einer im Anschluss folgenden Oration139. Cäsarius von Arles deutet das Verhältnis von Psalm und Gebet in einem Vergleich aus der agrarischen Welt aus: Psallieren heißt, den Acker zu säen (psallere = serere), also »das Samenkorn des Wortes Gottes durch Psalmengesang oder Lesung« auszustreuen. Beten heißt, den Acker umzupflügen (orare = arare), damit die Körner nicht aufgepickt werden. Durch das auf den Psalm folgende Gebet wird also das Wort Gottes in das Herz des Menschen eingeborgen, damit es Frucht bringen kann140. Dasselbe Prinzip gilt bei den ägyptischen Mönchen auch außerhalb des Gottesdienstes, wo die Psalmen zwar nicht ›gelesen‹, sondern auswendig aufgesagt141, aber doch durch beständiges Murmeln als Gottes Wort meditiert142 werden und dadurch dem folgenden Gebet inhaltliche Nahrung liefern143: »Das Gebet ist die Reaktion des einzelnen Mönchs auf den Psalm, in dem Gott ihn angesprochen hat«144. Der Psalm selbst ist also nicht Gebetswort des Menschen an Gott, sondern Gottes Wort an den
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So spricht die syr. Didask. 21 (CSCO 407 / Syr. 179, 214, 11–13; 215, 7 Vööbus; dt. 111f Achelis / Flemming) mehrfach von der »Verlesung der Propheten, des Evangeliums und der Psalmen«; ähnlich Eger. itin. 37, 5 (274f Röwekamp) – s. dazu Bradshaw, Daily Prayer (1983) 43; Athanas. fug. 24 (SC 56, 234 Szymusiak; engl. NPNF 2. Ser. 4, 263 Atkinson / Robertson). Auch bei Aug. serm. 176 (PL 38, 949f) wird der Psalm in die Lesungen eingereiht und bereits in der Überschrift unter De tribus lectionibus subsumiert. Laut Heiming, Offizium (1961) 138 »eine ganz allgemeine Erscheinung«. Prominent und in wünschenswerter Klarheit wiederum bereits bei Eger. itin. 24, 9 (232f Röwekamp): »Wenn dann das Volk eingetreten ist, rezitiert einer der Presbyter einen Psalm und alle antworten; darauf folgt ein Gebet. Ebenso rezitiert einer der Diakone einen Psalm, und es wird wieder genauso gebetet. Dann wird noch ein dritter Psalm von einem Kleriker rezitiert, es folgt ein drittes Gebet«. Später auch in der Reg. Mag. 55, 16 (SC 106, 262 de Vogüé); auch Joh. Cassian. inst. 2, 7f (SC 109, 70–72 Guy; dt. 135f Frank). Vgl. Caes. Arelat. serm. 76, 1 (CCL 103, 316 Morin; dt. 348 Berg). Auch bei Caes. Arelat. serm. 77, 6 (CCL 103, 321 Morin) sind Psalmodieren und Beten klar voneinander unterschiedene Vorgänge: aut orate aut psallite; ut et orando peccatorum veniam accipere, et psallendo ad spiritalem possitis laetitiam pervenire. Vgl. Füglister, Psalterredaktion (1992) 5–7, der die monastische Nutzung des Psalters als Meditationstext in direkter Kontinutität zur früheren jüdischen Praxis sieht. Diese Tradierung ist allerdings schwer nachzuweisen. Zum Phänomen der gemurmelten Meditation im frühen Mönchtum vgl. Bacht, Meditatio (1972). Vgl. Joh. Cassian. inst. 3, 2 (SC 109, 92 Guy; dt. 146 Frank). Meßner, Einführung (2001) 238. In der Reg. Ben. wird die Psalmodie niemals oratio genannt; vgl. Fischer, Verhältnis (1981) 21.
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Menschen. Auch musikalisch hat sich die gregorianische Psalmodie aus der Kantillation der Lesungen entwickelt145. Das auf den Psalm aufbauende Gebet konnte wie in der privaten Meditation, so auch im Gottesdienst still vollzogen werden. Dann folgte dem Psalm zusätzlich oder anstelle der Oration eine Zeit der Stille, die jeder Einzelne durch sein Gebet füllen konnte146. Diese Gebetspause kam allerdings aus unterschiedlichen Gründen aus der Übung: Im 7. Jahrhundert ordnet Columban147 nach dem Psalm ein dreifaches, stilles ›Deus in adjutorium ...‹ an. Das freie Gebet aus dem ›Stoff‹ des Psalmes ist offenbar bereits verlernt, und nur ein technisches Füllen und Terminieren der Stille geblieben148. Und in dem Maße, in dem das Gebet als eigenes, dem Psalm zwillingshaft zugeordnetes liturgisches Element aus der Wahrnehmung geriet, wurde der Psalm selbst mehr und mehr als Gebet empfunden und entsprechend vollzogen. Reinhard Meßner sieht den Übergang dazu bereits in der Benediktsregel angekündigt, wenn dort der bewusste Mitvollzug des Psalmes eingefordert wird, damit das Herz im Einklang steht mit dem Wort149. Dieser ›Einklang‹ aber ist der klassische Anspruch beim Aufsagen bzw. Nachbeten vorgegebener Mustergebete wie des Vaterunsers150. Bereits Johannes Cassian empfiehlt dem Gläubigen, sich die Psalmen innerlich zu eigen zu machen: »alle Stimmungen der Psalmen in sich aufnehmend wird er so zu singen anfangen, als wären dieselben nicht von dem Propheten gedichtet, sondern gleichsam von ihm selbst hervorgebracht, so daß er sie wie sein eigenes Gebet mit tiefer Rührung des Herzens ausspricht«151. Die von ihm als Beispiele herangezogenen Verse sind allerdings auch in dieser Hinsicht unproblematisch. Und insgesamt konnte das Verständnis der Psalmen als Gebete eine besondere Plausibiltät dort entwickeln, wo nur eine begrenzte Auswahl an Psalmen in liturgischer Verwendung war, die tatsächlich grammatisch und inhaltlich der Gattung ›Gebet‹ entsprachen. Die ägyptischen Mönche, über die Cassian berichtet, haben hingegen klar zwischen Psalm und Gebet unterschieden; denn sie gaben dieser Differenz auch auf körpersprachlicher Ebene Ausdruck: Den vom Lektor vorgetragenen Psalm vernahmen sie im Sitzen und erhoben sich nach dessen Beendigung zum Ge-
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Vgl. Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 220. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 266 zu Reg. Ben. cap. 20 (SC 182, 536–538 de Vogüé / Neufville; dt. 137 Lambert). Vgl. Columban. reg. coenob. 9 (SLH 2, 158 Walker). Vgl. Fischer, Verhältnis (1981) 24; Jungmann, Gottesdienst (1957) 52. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 267f zu Reg. Ben. cap. 19 (SC 182, 536 de Vogüé / Neufville; dt. 137 Lambert); vgl. AES 105. Vgl. auch Puzicha, Benediktusregel (2002) und Verheul, Spiritualität (1989) 203. Vgl. in Kapitel B.I.2 den Abschnitt ›Vom Nach-Denken zum Aufsagen‹ (S. 116–118). Joh. Cassian. coll. 10, 11 (SC 54, 92 Pichery; dt. BKV1 Cassian. 1, 596f Kohlhund).
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bet152. Johannes Cassian reflektierte ebenfalls dieses Vorgehen und verglich den Brauch der Gebetsstille und Psalmoration im Osten mit der trinitarischen Doxologie, die im Westen jedem Psalm folgte153: Auch zu dieser erheben sich alle, offenbar weil nun nicht mehr das Zuhören, sondern der eigene Lobpreis der Dreifaltigkeit der liturgische Vorgang ist. Die tatsächlich überlieferte Begründung zielt allerdings mehr auf die Müdigkeit ab, an die die Ruhehaltung ein Zugeständnis ist154. Möglicherweise passt die liturgietheologische Deutung also nur zufällig zur überlieferten Körperhaltung. Dem wäre allerdings entgegenzuhalten, dass umgekehrt beim Gebet das Sitzen trotz der menschlichen Schwäche aber nicht zugestanden wurde. Der Psalm wurde demnach als Vorgang empfunden, der eine bequeme Zuhörer-Haltung zwar nicht zwingend erforderte, aber doch immerhin zuließ und sich darin vom Gebet unterschied. Wird der Psalm im Stehen meditiert155, dann folgt im anschließenden Gebet oft eine Kniebeuge als dessen unterscheidendes Merkmal156. Jungmann berichtet, wie sich dieses Element im Zuge der iroschottischen Mönchsbewegung zunehmender Beliebtheit erfreute: Columban soll täglich 1.200 Kniebeugen gemacht haben157. Später kippt das Verständnis des Psalmes auch in der Körpersprache: Regino von Prüm empfiehlt um das Jahr 900 als Bußleistung, 50 Psalmen komplett auf den Knien zu beten158. So oszillieren die Psalmen zwischen den Gattungen ›Lesung‹ und ›Gebet‹159. Sie pauschal als Gebete aufzufassen und einzusetzen, verbietet sich aufgrund von Grammatik und Inhalt. Sie umgekehrt einfach wie jede andere Lesung auch zu behandeln, verbietet sich aber ebenfalls: Schließlich sind die Psalmen lyrische Texte, die nach musikalischer Umsetzung verlangen160. Und wenigstens 152 153 154
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Vgl. Joh. Cassian. inst. 2, 11f (SC 109, 76–80 Guy; dt. 139f Frank). Vgl. Joh. Cassian. inst. 2, 8 (SC 109, 72 Guy; dt. 136 Frank). Vgl. Joh. Cassian. inst. 2, 12, 1 (SC 109, 78–80 Guy; dt. 140 Frank). Vgl. auch Jungmann, Gottesdienst (1957) 60 zum Sitzen in der römischen Liturgie erst seit dem 11. Jahrhundert und ebenfalls als Zugeständnis an die menschliche Schwäche. Vgl. z. B. Berg, Cäsarius (1994) 136 zum Gemeindegottesdienst bei Caes. Arelat. serm. 188, 6 (CCL 104, 769f Morin): in ecclesia stantes aut orate aut psallite. Vgl. Joh. Cassian. inst. 2, 7 (SC 109, 70 Guy; dt. 135 Frank); Athanas. virg. 20 (PG 28, 276); Isid. reg. monach. 6, 1 (BAC 321, 100f, 181–184 Campos Ruiz; dt. 375 Frank): die Mönche sollen sich am Ende jedes Psalms anbetend zu Boden werfen, dann sogleich wieder erheben und den folgenden Psalm beginnen; vgl. Columban. reg. coenob. 9 (SLH 2, 158 Walker). Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 233f. Vgl. Regin. Prumiens. synodal. caus. 2, 452 (444) (391 Wasserschleben): pro uno die in pane et aqua L psalmos cantet genu flexo. Pahl, Sprechen (1999) 114 weist darauf hin, dass im Psalm Passagen, die stilistisch als Gebet anzusehen sind, unmittelbar in Formen des meditativen Sprechens über Gott in der 3. Person übergehen können. Vgl. Scheyerer Psalter (2007) 501: »Zeigt doch auch schon der Titel, den die hebräische Bibel dem Psalmenbuch gibt (t’hillim – ›Lobgesänge, Lieder‹; auf Griechisch ›psalmoi‹, Lieder zur
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einige von ihnen, die z. T. auch tatsächlich schon früh für die Nutzung im Gemeindegottesdienst ausgewählt wurden, eignen sich sehr wohl zum eigenen Mitbeten. Besonders der gemeinsame Gesang im Kathedralgottesdienst verleitet geradezu dazu161. Der Psalm im Tagzeitengottesdienst muss demnach nicht eindeutig einer der beiden Gattungen zugeordnet werden, sondern bildet eine durchaus eigene Gattung sui generis zwischen bzw. inklusive Lesung und Gesang162 und eben im Einzelfall auch zwischen Lesung und Gebet: »Man sollte diese Alternativen eines Betens aus bzw. mit den Psalmen einerseits und eines Betens der Psalmen andererseits bewusst offenhalten.«163 Fazit: Dass ein Psalm nicht einfachhin als Gebet gesprochen wird wie etwa das Vaterunser und dass zwischen dem alttestamentlichen Bibeltext und der folgenden Doxologie ein Gattungsunterschied besteht, sollte den Teilnehmern des Gottesdienstes bewusst sein und deshalb im Ritus zum Ausdruck kommen. Die überlieferte Körpersprache ist geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen, indem sie zum Psalm selbst das Sitzen, zur Doxologie hingegen das Stehen vorsieht. Die sachliche Zäsur kann noch dadurch vertieft werden, dass die Antiphon, so denn eine vorgesehen ist, zwischen Psalm und Doxologie wiederholt wird. Der Eigenstand des jüdisch-alttestamentlichen Bibeltextes gegenüber seiner christlichen Aneignung im Gebet kann dadurch intuitiv vermittelt werden. Auch kann die Praxis der Scheyerer Benediktiner164 aufgegriffen werden, nach jedem Psalm eine kurze Phase stillen Gebets zu halten und mit einer Psalmoration abzuschließen. Wie singt man Psalmen? Es wurde deutlich, dass Psalmen lyrische Texte sind und nach gesungenem Vollzug verlangen. Auch darin wird der Gattungsunterschied zur Lesung rituell deutlich. Aber wenn eine Gemeinde kaum überhaupt zum Singen motiviert werden kann und ihr das Singen von Psalmen deshalb doppelt fremd ist, dann stehen erst recht die Chancen schlecht, ehrenamtliche Liturgen zu finden, die den Psalmengesang kantorieren möchten. Immerhin gibt es im Luthertum die einigermaßen verbreitete Übung, im Sonntagsgottesdienst die Verse des Eingangspsalms im Wechsel zwischen dem Liturgen und der Gemeinde zu singen
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Harfe), dass es sich dabei um literarische Formen handelt, deren Ausführung nur mit musikalischen Mitteln zu denken war.« Vgl. Meßner, Einführung (2001) 254f. Vgl. Willa, Singen (2005) 134–136. Vgl. Braulik, Rezeptionsästhetik (2003) 43. Vgl. Haggenmüller u. a., Gebete (1995); vgl. dazu Braulik, Rezeptionsästhetik (2003) 43.
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oder zu lesen165. Wo eine solche Gewohnheit besteht, kann es sinnvoll sein, diese Vollzugsform auch in den Tagzeiten anzuwenden, im Idealfall ergänzt um ein Gebetselement (Psalmoration oder Doxologie) im Stehen. Sollen die Psalmen gesungen werden, ist darauf zu achten, dass die melodische Umsetzung sich strikt vom Text ableitet. Wenn nun die für den lateinischen Psalmengesang überlieferten Melodie-Modelle auf die einzelnen Verse der deutschen Übersetzung angewandt werden, wird dabei der natürliche Duktus der deutschen Sprache zuweilen missachtet, z. B. wenn eine betonte Endsilbe zur Flexa-Stufe geführt wird. Die Diskussion über die Gregorianik als Prinzip oder als Repertoire ist inzwischen im Sinne eines stimmigen Text-Ton-Verhältnisses entschieden: Nicht die Melodien sind das entscheidende an der gregorianischen Überlieferung, sondern das Prinzip der Verdeutlichung (und manchmal auch Interpretation) des jeweiligen Textes: »Der Ton deutet den Sinn der Worte«166. Bereits Martin Luther hatte die Erstellung deutscher Texte auf die überlieferten Melodien nur aus Ratlosigkeit zugelassen: »Ich wolt heute gerne eyne deutsche Messe haben, Ich gehe auch damit umbe, Aber ich wolt ja gerne, das sie eyne rechte deutsche art hette, Denn das man den latinischen text verdolmetscht und latinischen don odder noten behellt, las ich geschehen, Aber es laut nicht ertig noch rechtschaffen. Es mus beyde text und notten, accent, weyse und geperde aus rechter mutter sprach und stymme komen, sonst ists eyn nachomen, wie die affen thun.«167 Über 400 Jahre später hat die gregorianische Semiologie168 es möglich gemacht, nach den erkannten Prinzipien der Gregorianik neue Psalm-Antiphonen vom deutschen Text abzuleiten. Sowohl das Benediktinische169 und Teile des Römischen170 Antiphonale, als auch das Evangelische Tagzeitenbuch171 und die auf responsorische Umsetzung eingerichteten ›Preisungen‹172 folgen diesem Prinzip und tragen so »zur Überwindung der bisher bestehenden Spannung zwischen lutherischem und römischem Choralgesang«173 bei. Das Benediktinische Antiphonale und die ›Preisungen‹ nutzen zudem eine eigens neu erstellte Psalmenübersetzung174, die »auf die Anforde165
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In einigen Landeskirchen wie z. B. der bayerischen ist der gesungene Vollzug des Eingangspsalmes noch immer verbreitet. Zur Wiedergewinnung des Introitus in der lutherischen Liturgie vgl. Schulz, Psalmengesang (1993) 334–336. Vgl. Joppich, Einsiedeln (1991) 121. Vgl. Martin Luther, Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakramenten (WA 18, 123). Vgl. dazu Agustoni, Choral (1993) 230–233. Benediktinisches Antiphonale (1996); vgl. Gerhards, Psalmen (1998) 374. Antiphonale (1979). Evangelisches Tagzeitenbuch (2003). Joppich u. a. (Hrsg.), Preisungen (2005). Schulz, Einflüsse (1997) 143. Vgl. Lurz, Psalterübersetzung (2004).
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rungen, die sich aus dem Miteinander von musikalischem Modell und Klanggestalt der deutschen Sprache ergeben«175, Rücksicht nimmt. Für das Problem der Flexa wird die neue Regel eingeführt, bei starkem Schluss eine Silbe früher zur Flexastufe abzusinken und zur betonten Endsilbe wieder zum Rezitationston zurückzukehren. Dem hier erreichten Stand an Erkenntnis und Übung, der bereits eine beachtliche ökumenische Konvergenz erfahren hat176, ist überall dort von vornherein Folge zu leisten, wo heute Gläubigen der Psalmengesang neu vermittelt wird. Für die Verteilung des Textes an verschiedene Rollenträger stehen unterschiedliche Modelle zur Auswahl, die alle jeweils theologische oder pragmatische Vor- und Nachteile aufweisen. (1) Die älteste Form ist die ›direkte‹ Psalmrezitation, bei der der volle Text von einem Kantor oder einem Chor – seltener auch von der ganzen Gemeinde – in einem durch gesungen wird. Alle, die singen, müssen dabei den vollen Psalmtext inklusive seiner musikalischen Umsetzung beherrschen. Für die ganze Gemeinde ist dies in der Antike nur für wenige, einzelne Psalmen belegt. Sänger, die ein größeres Repertoire oder gar den ganzen Psalter beherrschen und solistisch oder chorisch vorsingen, müssen für diese Aufgabe geschult werden177. Bereits die Benediktsregel legt Wert darauf, dass damit nur Personen betraut werden, deren Vortrag dazu angetan ist, die übrigen Anwesenden zu erbauen178. Auf dem Konzil von Laodizea war die Ausführung sogar auf bezahlte, also hauptamtliche Kleriker beschränkt worden179. (2) Die zweite Möglichkeit ist die ›responsorische‹ Singweise. Hier wird der solistische Vortrag des Psalmes durch Kantor oder Chor nach jedem Vers von der Gemeinde durch einen kurzen und leicht erlernbaren Kehrvers unterbrochen180. Der große Vorteil dieser Singweise liegt darin, dass sich der einzelne Gläubige spontan und ohne Schulung oder Vorbereitung an jedem Psalm aktiv
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Vgl. Joppich u. a. (Hrsg.), Preisungen (2005) 8. Vgl. Gerhards, Tagzeitenbuch (1999) 125–127. Vgl. Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 227. Vgl. Reg. Ben. 47 (SC 182, 598 de Vogüé / Neufville; dt. 183 Lambert) und Puzicha, Benediktusregel (2002). Zu derselben Regelung in Frauenklöstern vgl. Muschiol, Famula Dei (1994) 83. Vgl. Conc. Laodic. (4. Jh.) c. 15 = Joh. Schol. synag. L tit. 26, 3 (86, 1–3 Benesevic). Zum responsorischen Psalmengesang im antiken Jerusalem vgl. Leeb, Gesänge (1970) 149f. 168–170; einige Kehrverse waren allerdings so lang, dass wohl doch eher an eine Ausführung durch den Chor zu denken ist. Hanke, Kathedralritus (2002) 87. 129f. 149. 245. 258–261. 266. 297–300. 306. 309. 314–318 beschreibt die Beteiligung der Gemeinde an der Psalmodie des Kathedral-Offiziums im Ritus der Hagia Sophia durch einen überschaubaren Fundus von rund einem Dutzend unterschiedlichen, dem Psalter entnommenen Kurzrufen.
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beteiligen kann181. Man braucht weder Text noch Noten, und kann sich im auswendigen Singen ganz auf den Vorgang konzentrieren, ohne immer noch begleitend Informationen über die Art oder Technik der Beteiligung einholen zu müssen182. Die von Godehard Joppich, Christa Reich und Johannes Sell vorgelegten ›Preisungen‹ bieten diese Vorteile und erfreuen sich aus gutem Grund bereits einer dritten Auflage183. Als Nachteile können hingegen angeführt werden, dass sich erstens der Psalm durch die häufigen Unterbrechungen zeitlich stärker in die Länge zieht184, und dass zweitens weiterhin geschulte Sängerinnen oder Sänger für die Durchführung der solistischen Partien zu Gebote stehen müssen. Eine ehrenamtliche Umsetzung dieser Singweise ist daher ähnlich schwierig wie die der ›direkten‹ Psalmodie. (3) Erstmals bei Isidor von Sevilla sicher belegt ist das ›alternierende‹ Psalmensingen185, das besser nicht mehr als ›antiphonisch‹ bezeichnet werden sollte186. Dabei wird der Psalmtext auf zwei Gruppen aufgeteilt, die sich, zumeist versweise, abwechseln. Als Vorteile und Gründe für die Einführung dieser Singweise wurden angeführt, dass sie sowohl der Form des Parallelismus als auch dem Fluss des Psalmtextes Rechnung trägt und zudem abwechslungsreicher und weniger zeitraubend ist als die responsorische Singweise187. Hinzuzufügen wäre noch der Aspekt der intensiveren gegenseitigen Wahrnehmung durch eine komplexere Form der Interaktion188. Diese Singweise ist allerdings nur für Gottesdienstgmeinden mit ausgeglichener Kompetenzverteilung geeignet, denn: »Während bei der responsorialen und antiphonalen Psalmodie die beiden Gesangspartner (Psallist – Chor) mit verschiedener Gewichtigkeit am Gesang beteiligt sind [...] stehen bei der alternierenden Psalmodie die beiden Gesangspartner einander gleichberechtigt gegenüber«189. Nach Helmut Hucke dürfte der wechselchörige Gesang unter den Bedingungen von Klostergemeinschaften geradezu deswegen entstanden sein, weil erstens der Vorsängerchor und die Gruppe der übrigen Anwesenden zahlenmäßig oft nicht weit auseinanderlagen und weil es zweitens aufgrund der allgemeinen Schulung keinen Unterschied 181 182 183 184
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Vgl. Willa, Singen (2005) 204. Vgl. Willa, Singen (2005) 207. Vgl. Joppich u. a. (Hrsg.), Preisungen (2005) 7. Dass die Konstantinopler Verszählung der Psalmen gegenüber der älteren Jerusalemer Einteilung rund doppelt so lange Verse vorsieht, führt Hanke, Kathedralritus (2002) 144f auf den Wunsch nach einem flüssigeren Psalmvortrag zurück: Der Kehrvers der Gemeinde wird nun nur noch halb so oft eingeschaltet. Vgl. Isid. orig. 6, 19, 7f (Lindsay o. S. oder PL 82, 252); Isid. etymolog. Isid. eccl. off. 1, 7 (CCL 113, 7f Lawson). Vgl. Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 225f. Vgl. Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 226; Leitner, Volksgesang (1906) 202. Vgl. o. den Ausblick in Kapitel A.II.1 ›Gemeinschaftlichkeit‹ (S. 65–67). Leeb, Psalmodie (1967) 21.
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zwischen Textkundigen und Textunkundigen gab und deshalb alle gleichermaßen am Gesang teilnehmen konnten190. Dieser Gesang unter gleichberechtigten Partnern hat sich nur in den Klöstern voll entfaltet, weil im klassischen kathedralen Tagzeitengottesdienst hierfür die Voraussetzungen fehlten: Das Kompetenzgefälle der liturgischen Akteure war zu groß. (4) Eine vierte Möglichkeit besteht darin, zwischen den genannten Singweisen zu wechseln. Diese Methode ist das »grundlegend Typische«191 der Scheyerer Psalmodie, die den unterschiedlichen Gattungen der Psalmen und ihrer einzelnen Passagen sinnvoll unterschiedliche Vollzugsweisen zuordnen: So werden Texte in der 1. Person Singular sowie Schilderungen und Unterweisungen solistisch gesungen; Texte in der 1. Person Plural oder zustimmende Verse mit Antwortcharakter werden von mehreren gemeinsam gesungen; nur »Texte, die in unmittelbarer Reihenfolge gleichgebaute Sätze mit synonymen Aussagen aufweisen, werden im Wechsel der Chorseiten vorgetragen«192. Vom üblichen, einheitlich wechselchörigen Vollzug aller Psalmen, der diese Gattungsunterschiede einebnet, hebt der Scheyerer Psalter seinen »gattungsgemäßen Psalmvortrag« ausdrücklich ab: Eine solche Psalmodie » versteht die Psalmen nicht als Gebetsteppich oder Vehikel der Meditation, andererseits ist sie auch nicht reiner Wortvortrag. Die Liturgie der Psalmodie umfasst beides: Verkündigung und Meditation.«193 Diese Praxis ist sachlich gewissermaßen der Königsweg, weil sie die erwähnten Schwierigkeiten, die Gattung des Psalmengesangs zu bestimmen, nicht leugnet, sondern kreativ aufgreift und für jeden einzelnen Vers nach einer individuell angemessenen Lösung sucht. Das große Problem liegt – wie so häufig – auf der Ebene der Pragmatik: Um die Scheyerer Psalmodie aktiv mitzuvollziehen, müssen die Gläubigen nicht nur mit einer, sondern gleich mit mehreren Weisen des Psalmenvollzugs vertraut sein und zudem sogar ad hoc zwischen ihnen wechseln können, da sie oft auch innerhalb eines einzigen Psalms zur Anwendung kommen. Das ist Psalmodie für Fortgeschrittene: Sie bietet enorme Hilfen für den Zugang zum Text und zum syntaktisch oft schwierigen Gefüge der Psalmen194, sie ist aber nicht tauglich, um breiteren Kreisen einen leichten ersten Zugang zu schaffen. (5) Außer Gregorianik sind noch weitere Singweisen möglich: Gerade im deutschsprachigen Raum besteht seit der Reformation der Brauch, Psalmen in Strophenlieder umzudichten. Vor allem die Reformierten Kirchen haben in 190
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Vgl. Hucke, Entwicklung (1953) 170f. Insofern ist die »wechselchörige Psalmodie eine formale Entfaltung der direkten Psalmodie«; vgl. Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 226. Scheyerer Psalter (2007) 497. Scheyerer Psalter (2007) 498. Scheyerer Psalter (2007) 497. Vgl. Scheyerer Psalter (2007) 498f.
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ihren Gesangbüchern weite Teile des Psalters auch auf diese Weise aufbereitet und singbar gemacht. Als Lieder kommen die Psalmen der Musikalität der meisten Kirchgänger sehr entgegen: Sie müssen zwar das eine oder andere neue Lied, aber keine völlig neue Singweise erlernen. Dem Reim und der Strophengliederung geschuldet gehen diese Dichtungen oft freier mit dem Bibeltext um, sind aber gerade dadurch manchmal auch näher am spirituellen Empfinden heutiger Menschen. In vielen Kontexten stellen sie eine gute Alternative dar und können, wo wenig Zeit ist, auch die Elemente des Hymnus und des Psalms miteinander verschmelzen. Aus ökumenischer Sicht kann diese Form der Psalmodie auch Christen aus der reformierten Tradition, die wenig Bezug zum Stundengebet haben, einen Zugang dazu bieten. (6) Viele Gesänge aus Taizé haben ebenfalls Psalmverse als Text. Wo diese beliebt und bekannt sind, mag ein mehrere Minuten lang wiederholter Einzelvers dem Anliegen der Bibelmeditation näher kommen als wenn ein vollständiger Psalm aufgrund der ungewohnten Singtechnik kaum inhaltlich wahrgenommen wird. Diese Gesänge können mit dem vorgelesenen oder solistisch kantorierten Volltext des Psalmes kombiniert werden. (7) Schließlich sollen modernere Psalmtöne Erwähnung finden: So hat etwa Paul Ringseisen eine Reihe neuer Psalmtöne entwickelt, die sich über jeweils zwei Verse erstrecken und dadurch mehr Abwechslung und längere Spannungsbögen bewirken. Im französischen Raum haben Joseph Gelineau und André Gouzes mehrstimmige Modelle vorgelegt, die eine reiche Harmonik entfalten.
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Ergebnis: Heute wird zunehmend die responsorische Singweise für den Gottesdienst mit der Gemeinde favorisiert. Die Vorteile liegen auf der Hand: In keiner anderen Form ist die aktive Beteiligung so einfach. Die Vorteile der alternierenden Singweise entfalten sich demgegenüber vorwiegend dann, wenn in der Versammlung niemand durch eine besondere Gesangskompetenz hervortritt, und sind daher gerade aufgrund der heute dominanten Probleme neu zur Geltung zu bringen: Ist auch der doppelchörige Vollzug für die Gemeinde schwieriger zu erlernen, so schult er doch alle Teilnehmenden in jener Kompetenz, die mit der Zeit auch zum Kantorieren befähigt. In einer von Ehrenamtlichen geleiteten Liturgie ohne starkes Kompetenzgefälle kann daher das monastische Modell ein angemesseneres Vorbild sein als der antike Kathedralgottesdienst195: Der Kantor hat weniger solistische Partien und steht weniger im Mittelpunkt; die Antiphonen hat er bereits als Teilnehmer oft gesungen; nach der ersten Vershälfte ist er nur noch einer unter vielen. Ein weiteres Argument warnt davor, den Versuch einer Psalmodie im monastischen Stil in den Gemeinden vorschnell aufzugeben: Es hatte sich gezeigt, 195
Vgl. Bradshaw, Cathedral (1990) 133.
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dass überregionale Einheitlichkeit den Kompetenzen der Gläubigen zugutekommt196. Eine prinzipielle Konvergenz der neuen gemeindlichen mit der noch lebendigen monastischen Praxis kann unter den potentiellen Teilnehmern am Stundengebet in nicht zu unterschätzendem Maße bereits erworbene Kompetenzen aufgreifen. Allerdings sind Vereinfachungen notwendig, z. B. durch eine begrenzte Auswahl kurzer und einfacher Antiphonen. Notfalls ist auch der völlige Verzicht auf Antiphonen in Betracht zu ziehen, die eine deutlich höhere Kompetenz verlangen als die Anwendung eines Psalmtones, wenn das Prinzip einmal verinnerlicht ist197. Dasselbe Anliegen der Vereinfachung betrifft auch den verschiedentlich erhobenen Anspruch, die Vollzugsweise des Psalmes nach dessen jeweiliger Gattung auszurichten198, und das dementsprechend vielfältige Angebot an Materialien zur Psalmodie in ganz unterschiedlicher gesanglicher Umsetzung199. Hier ist zu bedenken, was Philipp Harnoncourt mit Blick auf ungeübte Sängerinnen und Sänger betont: »Je besser ein Modell und seine Gesetzmäßigkeit erkennbar und merkbar ist, um so leichter ist es korrekt anwendbar. Das ist wichtig, denn solange die Anwendung des Modells, d. h. die richtige Unterlegung des Textes, schwierig ist und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, so lange ist ein geistlich fruchtbarer Psalmengesang nicht möglich. Die erkennbare Mühe, Psalmen ›richtig‹ zu singen – oder mit anderen Worten: verkrampftes und falsches Psalmensingen –, ist sicher der Hauptgrund dafür, daß in vielen Gemeinden Abneigung gegen Psalmen feststellbar ist.« 200 Besonders in der Startphase neuer Tagzeitengottesdienste ist dieser Gedanke stark zu gewichten. Statt mit der Vielfalt der Möglichkeiten zu konfrontieren, scheint es sinnvoller, sich wenigstens solange auf eine einzige Singweise zu beschränken, bis diese allgemein beherrscht wird. Die überlieferten Psalmtöne haben dafür aufgrund ihrer Anwendung im Gotteslob und im Antiphonale eine bessere Ausgangsposition und größere Chancen auf Verbreitung als neu erstellte Modelle. Es empfiehlt sich zunächst eine Beschränkung auf einen oder wenige Psalmtöne201 ohne Varianten in der Schlusskadenz, auch wenn dadurch eine Vorauswahl an Psalmen getroffen wird, die nicht inhaltlich motiviert ist.
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S. o. im Kapitel B.II.2 den Abschnitt ›Die Erfindung der Gewohnheit‹ (S. 173–177). Auch in der Reg. Ben. 17, 6 (SC 182, 526 de Vogüé / Neufville; dt. 131 Lambert, 215 Puzicha) wird der Gesang der Antiphonen von der Größe der Gemeinde abhängig gemacht. So Meßner, Einführung (2001) 293. Vgl. vor allem Ringseisen, Morgenlob 1 (2000); Morgenlob 2 (2000); Morgenlob 3 (2004). Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 229f. Dies berichten auch Eberhard / Länzlinger Feller, Domvesper (2004) 219f. Das Bayerische Gesangbuch von 1957 beschränkte sich im ersten Schritt in Richtung Gemeindepsalmodie »zur Erleichterung des Gebrauchs« auf Ton VIII; vgl. Schulz, Psalmengesang (1993) 329.
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Welche und wie viele Psalmen sollen gesungen werden? Der Psalter hatte, wie erwähnt, bereits vor Konstantin einen so hohen Stellenwert unter den Christen, dass seine liturgische Verwendung nahelag, als seit dem 4. Jahrhundert die großen Gottesdienstformen ihre Gestalt erhielten. Auf welche Weise man sich dieses Schatzes bediente, hing allerdings vom Format und vom Anliegen der jeweiligen Veranstaltung ab. So kam die Idee, mit Psalmengesang Zeit zu füllen, im Gemeindegottesdienst nur dort auf, wo es tatsächlich aus äußeren Gründen länger dauern konnte oder sollte: in der Messe zum Beispiel zur Begleitung von Prozessionen (Introitus, Offertorium, Communio)202, die unterschiedlich lange dauern können. Im Stundengebet wurde vor allem im Rahmen von Ganznachtvigilien Zeit gefüllt. In diesem Kontext berichtet Egeria aus Jerusalem: »Während der ganzen Nacht aber werden abwechselnd Psalmen und Antiphonen rezitiert«203. Ähnlich überbrückt der Psalmengesang dort die Zeit bis zum Hahnenschrei, von dem niemand weiß, wann der Hahn ihn nun endlich ausstoßen mag204. In den normalen Gemeinde-Tagzeiten jedoch erscheint der Psalter zunächst in einer konkreten und engen Auswahl, die offenbar nach inhaltlichen Kriterien vorgenommen wurde205. So begründet Johannes Chrysostomos Ps 63 (62) als täglichen Morgenpsalm, weil er die Sehnsucht nach Gott wecke, und Ps 141 (140) als täglichen Abendpsalm aufgrund seiner Eignung, die Vergehen des Tages zu reflektieren und zu heilen206. Auch Egeria berichtet, dass für jede einzelne Hore Psalmen ausgewählt wurden, die zum jeweiligen Anlass passen207. Im frühen Konstantinopler Offizium waren es ursprünglich morgens die Psal202
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Vgl. Jungmann, Gottesdienst (1957) 107; Gerhards, Psalmen (1998) 369. Die Doxologie diente dann dazu, das Ende des Psalmengesangs einzuleiten, wenn die Prozession an ihr Ziel gelangt war – unabhängig davon, ob der laufende Psalm bereits zuende war oder nicht; vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 267. Vgl. Eger. itin. 27, 8 (238f Röwekamp). Leeb, Gesänge (1970) 148. 167–169 u. ö. erkennt hinter den Begriffen sehr konkrete liturgische Ausdrucksformen; es sollte allerdings mit einer gewissen terminologischen Unsicherheit gerechnet werden, weil Egerias Zugang zur Liturgie durch Übersetzer bzw. Reiseführer vermittelt wurde. Vgl. Eger. itin. 24, 8 (230f Röwekamp). Vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 284: »Das liturgische Urgestein eines jeden gemeindlichen Offiziums ist der Auswahlpsalter bzw. die Auswahlpsalmodie«. Leeb, Gesänge (1970) 171– 176 listet die inhaltlichen Kriterien für die Psalmauswahl der Jerusalemer Liturgie im Einzelnen auf. Zur Auswahl bestimmter Wochentagspsalmen im rabbinischen Judentum vgl. Ehrensperger, Rhythmus (1994) 149f. Vgl. Joh. Chrys. in Ps 141 (140) expos. 1 (PG 55, 427f); vgl. Winkler, Kathedralvesper (1974) 61. Ähnliches gilt von Psalm 51 (50) im Orthros; vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 618. Vgl. Eger. itin. 25, 5 (236f Röwekamp). Dasselbe Prinzip der inhaltlich passenden Auswahl wird auch in den Pilgergottesdiensten auf ihren Reisen dem jeweiligen Ort entsprechend angewandt; vgl. z. B. Eger. itin. 4, 4 (134f Röwekamp).
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II. Der Gottesdienst
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men 3, 51 (50), 63 (62) und 148–150 sowie am Abend die Psalmen 86 (85) und 141 (140), die täglich vorgesehen waren208. Den Psalter vollständig zu rezitieren, war dem Gemeindegottesdienst hingegen genuin fremd209; diese Idee kam unter Mönchen auf 210. Zunächst haben die Wüstenväter einzeln den Tag über unentwegt Psalmen rezitiert211, später dann wird der Psalter auch in das gemeinsame Stundengebet der Klöster vollständig aufgenommen. In Ägypten und nach der Magisterregel ist man ihn dabei ohne konkreten Verteilungsplan einfach immer der Reihe nach (currente semper psalterio) durchgegangen212, ohne sich über die Dauer eines solchen Durchlaufs Gedanken zu machen. Die Benediktsregel legt demgegenüber nach dem Vorbild römischer Basilikaklöster213 die einzelnen Psalmen jeder Hore dergestalt fest, dass der ganze Psalter im Laufe jeder Woche vorkommt, und erhebt dieses Zeitmaß geradezu zum Hauptprinzip ihrer Ordnung214. Grundlegend und kennzeichnend ist für die monastische Ordnung so oder so die liturgische Rezeption des gesamten Psalters215. Die kanonische Reihenfolge kann dabei gegenüber der traditionellen Psalmenauswahl zurückgestellt werden: Bei Benedikt werden nur jene Psalmen in ihrer biblischen Reihenfolge rezipiert, die nicht bereits ihren klassischen Ort im Stundengebet gefunden haben. So belässt Benedikt in seiner Regel die LaudesPsalmen an ihrem (in Rom) üblichen Ort und spart sie aus der kurrenten Anordnung aus216. Dadurch entsteht ein hybrides System, eine Mischung aus Auswahl- und kurrenter Psalmodie217. Während die Gemeindeliturgie von dieser Entwicklung z. B. in Armenien unberührt blieb218, wendete man die monastische Idee der vollständigen Psalterrezeption in Konstantinopel auch auf die dortigen Gemeindetagzeiten in der Hagia Sophia an, als unter Kasier Justinian 208
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Zur konstantinopolitanischen Auswahlpsalmodie und ihren Ursprüngen vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 345–385; vgl. auch die Übersichten ebd. 301. 161. 170f. Vgl. Bradshaw, Cathedral (1990) 130: »There is no evidence to suggest, however, that any more than certain selected psalms, mainly those in which Christological prophecy could easily be seen, were ever used in early Christian worship, and certainly nothing to support the notion that the whole Psalter was read through in its entirety.« Später jedoch drangen Ordnungen zur vollständigen Psalterrezeption auch in den Kathedralgottesdienst ein; für Konstantinopel vgl. Hanke, Odenkanon (2000) 351. 358. Vgl. Lohfink, Psalterredaktion (1992) 5f. Vgl. Bradshaw, Cathedral (1990) 131; ähnlich Bradshaw, Daily Prayer (1983) 94. Vgl. Heiming, Offizium (1961) 102. 106. Vgl. Heiming, Offizium (1961) 132. 147–154. Vgl. Reg. Ben. 18, 23 (SC 182, 534 de Vogüé / Neufville; dt. 135 Lambert) und den Kommentar bei Puzicha, Benediktusregel (2002) 224. Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 209. Vgl. Reg. Ben. 13f (SC 182, 518–522 de Vogüé / Neufville; dt. 123–127 Lambert). Eine Übersicht zur Ausbildung hybrider Psalmenordnungen bietet Hanke, Kathedralritus (2002) 289–294. Vgl. Winkler, Kathedralvesper (1974) 78f.
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im 6. Jahrhundert die Liturgie der Kathedrale neu geordnet wurde219: Die acht erwähnten, traditionellen Auswahlpsalmen blieben wo sie waren220, der übrige Psalter wurde in knapp 70 gleichlange, »liturgisch gebrauchsfertige«221 Stücke eingeteilt und auf die beiden täglichen Gemeindegottesdienste am Morgen und am Abend verteilt. Der Psalter kann auf unterschiedliche Zeiträume verteilt werden, wobei man entweder aus der gewünschten Wiederholungsperiode das tägliche Pensum ableitet222 oder umgekehrt223. Ein Wüstenmönch kann den Psalter an einem einzigen Tag rezitieren224; die benediktinische Liturgie nimmt sich eine Woche dafür225; auch die Gemeindeliturgie der Hagia Sophia brachte den Psalter im Morgen- und Abendgebet von jeweils sechs Wochentagen (Montag bis Samstag) unter, wodurch sich ein immenses Programm von rund 15 Psalmen pro Gottesdienst ergab226; der heutige katholische Weltkleriker teilt sich die gleiche Menge auf vier Wochen auf; für die Anglikanische Kirche hat Bischof Cranmer die Psalmen auf den Monat des bürgerlichen Kalenders verteilt227, und moderne Reformentwürfe brachten dafür einen 7-, 10- oder 13-Wochenzyklus ins Gespräch228. Allen diesen Modellen ist gemeinsam, dass ihr Anspruch nicht so sehr dem Inhalt der einzelnen Psalmen gilt, sondern durch den Willen bestimmt ist, das gesamte biblische Buch in seinem kanonischen Umfang liturgisch zu rezipieren. Wie sehr die Erfinder dieser Idee auf der Linie der Kompositoren des Psalters lagen, hat die kanonische Psalmenexegese neu ins Bewusstsein geho-
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Vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 340. 401 und o. S. 132 mit Anm. 154. Vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 296 mit Bezug auf die Einteilung von Cod. Vat. gr. 342. Hanke, Kathedralritus (2002) 300. So Reg. Ben. 18 mit dem Kommentar bei Puzicha, Benediktusregel (2002) 218–225. Dafür plädiert der Scheyerer Psalter (2007) 508: »Ein weiterer Grundsatz ist, nicht von einem bestimmten Pensum von Psalmen bzw. Gebetstexten auszugehen, sondern eine entsprechend mögliche Zeit gemeinsamen Betens festzulegen. Dabei sollen auch Zeiten der Stille nach Psalmen und Lesungen einberechnet werden. Von daher ergibt sich die Zahl der Psalmen in jeder Hore.« Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 210. Vgl. Reg. Ben. 18, 23 (SC 182, 534 de Vogüé / Neufville; dt. 135 Lambert). Vgl. die Aufstellung bei Hanke, Kathedralritus (2002) 387–389. Die im Antiphonar A 61 aus dem frühen 15. Jahrhundert überlieferte Variante, die in einem zweiten Wochenplan die Psalmen des Morgen- und Abendgottesdienstes miteinander vertauscht, lässt m. E. darauf schließen, dass mit Gläubigen gerechnet wurde, die nur entweder morgens oder abends am Gottesdienst teilnahmen und dann im Laufe zweier Wochen dennoch den gesamten Psalter zu hören bekommen sollten. Hanke selbst zieht 393f zur Erklärung die Wochendienste der Kleriker heran, ohne jedoch den sachlichen Zusammenhang zu erläutern. Vgl. Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 216. Vgl. Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 221. 224.
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II. Der Gottesdienst
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ben229. Die Untersuchung der liturgischen Verwendung des Psalters230 ergab, wie sehr »der tägliche Umgang mit der Bibel allgemein und speziell mit dem Psalter« für das Verständnis der inhaltlichen Bezüge eine zwingende Voraussetzung ist231. Mit anderen Worten: Das gesamte, komplexe System der unter monastischen Bedingungen entstandenen und überlieferten Psalmenverwendung und Psalmenordnung und seine Bezüge zum Kirchenjahr kann nur verstehen, wer ähnlich innig mit der Heiligen Schrift und dem Psalter vertraut ist wie jene, die dieses System geschaffen haben. Eine solche Vertrautheit ist für den ›normalen‹ Gläubigen unerreichbar. Denn weder die dafür notwendige Anzahl der Horen pro Tag noch der Psalmen pro Hore wird je allgemeine Übung werden können. Hier gilt zudem, was bereits Johannes Cassian seinen Brüdern als die richtige Haltung der ägyptischen Mönche zum Vorbild erklärte: »Deshalb halten sie es für nützlicher, zehn Verse aufmerksam zu singen, als einen ganzen Psalm zerstreut herunterzuleiern (quam totum psalmum cum confusione mentis effundi)«232 – und was der Reformator Johannes Bugenhagen so formulierte: »De psalme scholen nicht overgerumpelt werden, sunder fyn syllabatim pronuncieret«233. Mehr als zwei oder drei Psalmen am Tag234 dürfte für im Leben stehende Gläubige kaum realistisch sein. Hinzu tritt ein Aspekt, der meist übersehen wird: Nicht nur das Pensum des ganzen Psalters gehört zur überlieferten Gestalt des römischen und monastischen Stundengebets, sondern auch die Taktfrequenz seiner Wiederholung ist Teil der Tradition: Bei maximal zwei oder drei Psalmen am Tag, dauert es zwei oder drei Monate, bis der einzelne Text wiederkehrt. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass in einer Gemeinde täglich nur eine Hore mit ein oder zwei Psalmen gefeiert wird, und dass der durchschnittliche Teilnehmer vielleicht wö-
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Vgl. Lohfink, Psalterredaktion (1992) bes. 1–7; Buchinger, Hermeneutik (2000) 203–205. In neueren Kommentaren gehört die Analyse der Psalter-Komposition unverzichtbar zum methodischen Instrumentarium; vgl. bes. Hossfeld / Zenger, Psalmen 1 (1993) 23–25 sowie die konsequente Durchführung in Hossfeld / Zenger, Psalmen 51–100 (2000) 26–35 (Einleitung) und in den Bemerkungen zum Kontext jedes einzelnen Psalms. Vgl. die umfassenden Darstellungen bei Gerhards, Psalmen (1998) und Buchinger, Hermeneutik (2000). Vgl. Gerhards, Psalmen (1998) 356. 375. Joh. Cassian. inst. 2, 11, 2 (SC 109, 78–80 Guy; dt. 139 Frank). Nach Heiming, Offizium (1961) 104 galten solche Psalmabschnitte »für die Zählung des Psalmpensums als Vollpsalm«. Zitiert nach Goltzen, Gottesdienst (1956) 203. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 74 hält die von Joh. Chrys. in Mt 3, 12 hom. 11, 7 (PG 57, 200; dt. BKV2 23 = Chrys. 1, 194 Baur) erwähnten zwei oder drei Psalmen für das tägliche Pensum; der Text dürfte aber – besonders wegen des erwähnten Pensums an Lesungen (bei jedem Gottesdienst Propheten, Apostel, Patriarchen und Heilige) – eher auf den Besuch des Sonntagsgottesdienstes anspielen.
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chentlich daran teilnimmt. Dieser kann dann leicht einige Jahre warten, ehe ihm ein einzelner Psalm im Gottesdienst wiederbegegnet, und an die Wahrnehmung der Texte im redaktionellen Zusammenhang ihrer kanonischen Ordnung ist gar nicht erst zu denken. Unter diesen Bedingungen wird niemand auch nur einen einzigen Psalm wirklich so verinnerlichen können, wie es Martin Luther vorschwebte: »Zum anderen solltu meditieren, das ist: nicht allein im hertzen sondern auch äußerlich die mündliche rede und buchstabische wort im Buch immer treiben und reiben, lesen und widerlesen mit vleisigem aufmercken und nachdencken, was der heilige geist damit meinet. Und hüte dich, daß du nicht überdrüssig werdest oder denckest du habest es einmal oder zwey genug gelesen, gehöret und gesagt und verstehest es alles zu grund. Denn da wird kein sonderlicher Theologus mehr aus. Und sind wie das unzeitige Obst das abfellet, ehe es halb reif ist.«235 Christa Reich formuliert den Anspruch des Psalms nach intensiver und wiederholter Beschäftigung so: »Ich werde von diesem Psalm nicht abgeholt, wo ich bin. Ich werde erwartet.«236 Für diese spirituelle Erschließung ist aber die Wiederholungsfrequenz des einzelnen Psalms wichtiger als der Umfang des Repertoires. Bei der Feier mit der Gemeinde entmutigen diese Erkenntnisse, eine adäquate Rezeption der überlieferten Ordnung überhaupt zu versuchen237 – und sie entbinden dadurch zugleich von der Einhaltung dieser Ordnung238. Gleichwohl dürfte nicht jeder liturgische Gebrauch des Psalters, der diesem Anspruch nicht genügt, von vornherein unangemessen sein239. Denn dann hätten sich jedenfalls der antike Kathedralgottesdienst240 und schon der frühere häusliche Psalmen235 236 237
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Zitiert nach Reich, Evangelium (1997) 41f. Vgl. Reich, Evangelium (1997) 38. Lohfink, Psalterredaktion (1992) 21 lehnt aufgrund seiner Erkenntnisse jede Psalmenanordnung im Stundengebet ab, die die Psalmen nicht in ihrer kanonischen Reihenfolge vorsieht. Gerhards, Psalmen (1998) 375 lässt allerdings nach der Formulierung der Ansprüche, die die Psalmenverwendung der Liturgie an ihre Teilnehmer stellt, die Frage offen, »wie dies unter den heutigen Lebensbedingungen in breiterem Maße zu gewährleisten ist«. Guiver, Company (2001) 107 berichtet von grotesken Versuchen aus dem Hochmittelalter, Unkundigen für das hehre Ideal des »ganzen Psalters« Ersatzformen anzubieten: Man solle entweder (1) jeden Vers als »Herr erbarme dich« auffassen oder (2) einen Lieblingsvers 2606 mal wiederholen, entsprechend der Anzahl der Verse des Psalters, oder (3) einen Psalm lernen und 150 mal aufsagen oder (4) mit einem Psalmbreviarium aus jedem Psalm einen Vers sagen oder (5) für jeden Psalm ein Vaterunser sagen. Insofern ist die Liturgiefähigkeit jener, »denen die selbstverständliche Vertrautheit mit den einzelnen Texten in ihrem kanonischen Zusammenhang fehlt« (Buchinger, Hermeneutik [2000] 204) nur im Blick auf das überlieferte Stundengebet und seine komplexen Bezüge, nicht jedoch bezüglich jeder liturgischen Psalmenverwendung in Frage zu stellen; vgl. Eham, Zeit-gemäß (2003) 72. Zur Auswahlpsalmodie als Charakteristikum kathedraler Tagzeitenliturgie vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 48f und öfter.
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II. Der Gottesdienst
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gesang desselben Vergehens schuldig gemacht. Jedenfalls hat es vor diesem Hintergrund wenig Sinn, einzelne Elemente der traditionellen Psalmverteilung retten zu wollen, wenn die hermeneutischen Voraussetzungen für ihre spirituelle Entfaltung grundsätzlich fehlen. Der Ausweg wird vielmehr darin zu suchen sein, nach dem Vorbild des antiken Kathedralgottesdienstes – und in einer Art zweiten Naivität – wenige Psalmen auszuwählen und diese im aktiv beherrschten Repertoire der Gläubigen fest zu verankern241. Die Reichtümer der überlieferten liturgischen Psalmenverwendung in der römischen Liturgie sind auf diese Weise nicht zu heben. Aber der erste Schritt kann heute nur darin bestehen, den Menschen überhaupt wieder einen Zugang zum Psalmengesang zu vermitteln. Entscheidend ist deshalb zunächst, dass man sich streng an den Möglichkeiten und an der Zugänglichkeit der heutigen Gläubigen ausrichtet und nicht an Idealen, die nur in monastischer Lebensform voll zu erfüllen sind. Sollte einmal in der Breite der Gemeinden der erste Schritt gelungen sein, dann können vielleicht weitere Schritte folgen – etwa die Erweiterung des Repertoires an Psalmen, Psalmtönen und Antiphonen, aber auch an weiteren, alternativen Singweisen. Entscheidend ist deshalb zweitens, dass bereits von Anfang an Bahnen beschritten werden, die offen für eine sukzessive Annäherung an die überlieferte Hochform und prinzipiell mit ihr kompatibel sind. Die Maxime lautet ›Reduktion mit Perspektive‹. Die Psalmen im Bonner Mittagsgebet: Unorthodoxe Kriterien Es zeichnete sich bereits ab, welche Grundentscheidungen für das Mittagsgebet im Bonner Münster nahelagen: (1) Um in einem gut viertelstündigen Gottesdienst ausreichend Zeit für alle vorgesehene Elemente242 und für einen angemessenen Vollzug der Psalmodie zu haben, wurde beschlossen, immer nur einen Psalm zu singen243. (2) Weil der Gottesdienst ehrenamtlich durchgeführt werden soll, wurde eine Singweise gewählt, die die Kompetenzdifferenz zwischen Kantor und Gemeinde gering hält. Dies ist die in Mönchskommunitäten entstandene wechselchörige Singweise, die sich im Hochchor des Bonner Münsters auch durch die liturgische Nutzung des Chorgestühls nahelegt. (3) Das Repertoire hingegen folgt nicht dem monastischen, sondern dem kathedralen Prinzip, ganz wenige, ausgewählte Psalmen häufig zu wiederholen. Es wurde mit nur sechs Psalmen begonnen, die sich jede Woche (an wechselnden Wochentagen) wiederholten; später wurde die Zahl auf zehn erhöht. Weitere Psalmen wurden bislang nur in der Kar- und der Osterwoche gesungen und erfordern dann auch 241 242
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Vgl. Bradshaw, Office (1989) 32. Zur Aufnahme eines Bittgebets in die ›Mittagshore‹ vgl. u. S. 260–262. So empfiehlt es auch Ringseisen, Gemeinde (2002) 132; im Evangelischen Tagzeitenbuch (2003) 328f ist für das Mittagsgebet / die Sext ebenfalls nur ein Psalm vorgesehen.
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jeweils punktuell die Schulung und den besonderen Einsatz engagierter Kantorinnen und Kantoren. (4) Damit das Prinzip, wie der Psalmton dem Text unterlegt wird, den einzelnen Gläubigen möglichst bald keine Aufmerksamkeit mehr kostet, wurde nur ein einziger Psalmton eingeführt: Ton VI, mit dem sich an Dur und Moll gewöhnte Ohren am leichtesten vertraut machen können. (5) Den Erkenntnissen der gregorianischen Semiologie sollte Folge geleistet werden; die Psalmen wurden deshalb dem Benediktinischen Antiphonale entnommen. (6) Die Antiphonen sollten möglichst kurz und eingängig sein. Sie sind außerdem sämtlich dem jeweiligen Psalm selbst entnommen, um eine Prägung durch Feste oder Kirchenjahreszeiten sowie die Festlegung auf ein christologisches Verständnis des Psalmes zu vermeiden244. Sie sollten möglichst neutral und so das ganze Jahr hindurch singbar sein. (7) Auch die Psalmen selbst sollten nicht mehr als zwölf bis 15 Verse haben und möglichst keine Passagen enthalten, die auf Menschen ohne Erfahrungen mit den Psalmen stark anstößig wirken. Durch diese überwiegend pragmatisch ausgerichtete Kriteriologie ist die Auswahl erheblich eingeschränkt. Viel mehr als die verwendeten zehn Psalmen dürften sich kaum finden lassen, die alle Wünsche erfüllen. Inhaltliche Bezüge zu den jeweiligen Lesungen wurden nicht hergestellt: Die ausgewählten Psalmen werden in ihrer kanonischen Reihenfolge alle zehn Tage wiederholt. Es ist unvermeidlich, dass dieses Vorgehen die Kritik nicht nur von Puristen auf sich ziehen wird. Und es darf bereits an dieser Stelle die Hoffnung geäußert werden, dass das Repertoire an Psalmen und Tönen sich mit den Jahren weiter ausbauen lassen wird. Es soll aber zugleich auf den erwiesenen Vorzug der gewählten Methode hingewiesen werden: Psalmengesang ist inzwischen im Bonner Münster so breit etabliert, dass die Teilnehmer gemeinsam mit den aus ihnen hervorgegangenen Kantoren auch ohne professionelle Hilfe psallieren können. Sollten zukünftig einmal inhaltliche und musikalische Kriterien die Praxis stärker bestimmen können als heute, dann wird dies der beschriebenen Bescheidung auf dem ersten Stück des Weges zu verdanken sein. Die rituelle Umsetzung versucht ebenfalls, pragmatische und inhaltliche Kriterien in Einklang zu bringen. Die Gattung des Psalms wird durch die Körpersprache verdeutlicht. Der Psalmtext wird im Sitzen gesungen, während sich die Gemeinde zur Doxologie erhebt. Es empfahl sich, die in Melodie und Ambitus anspruchsvollere Antiphon ebenfalls mit freier Atmung im Stehen zu singen. Aufgrund unterschiedlicher Versuche im Bonner Abendlob hatte sich ergeben, dass das Setzen und Aufstehen einer klaren Ritualisierung bedarf, um nicht Unruhe und Verhaltensunsicherheit auszulösen. Den mit Abstand ruhigsten Duktus erhielt der Vollzug, wenn das Setzen nach dem ersten Halbvers und das
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Zur grundsätzlichen Legitimität beider Weisen der Christologisierung von Psalmen (als Gebete Christi und als Gebete zu Christus) vgl. Fischer, Relecture (1991).
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II. Der Gottesdienst
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Aufstehen vor dem letzten Halbvers angeordnet und beides in den Liturgieheften deutlich sichtbar angezeigt wurde – auch wenn dieser Zeitansatz liturgietheologisch schlicht nicht zu begründen ist. Die Antiphon wird vom Kantor vollständig vorgesungen245 und von der Gemeinde ganz nachgesungen; zwischen Psalm und Doxologie wird sie von allen wiederholt, um diese sachliche Zäsur auch rituell zu vertiefen; am Ende erklingt sie ein viertes Mal. Diese Vorgehensweise hat zudem den mnemotechnischen Vorteil, dass sich die Antiphon deutlich besser einprägt, wenn jeder sie dreimal mitsingt. Mit Blick auf die Anwerbung neuer Kantorinnen und Kantoren ist dieser Lerneffekt keineswegs nebensächlich.
3. Lesung Obwohl die Verkündigung des Wortes Gottes das früheste greifbare Motiv zur täglichen Zusammenkunft ist246, hatte das Element der Lesung in den Gemeinde-Tagzeiten zunächst ein Schattendasein geführt247 und nur Sonntags oder aus kirchenjährlich bedingten Anlässen Aufnahme in den Gottesdienst gefunden248. Oben249 hatte sich gezeigt, dass der Stellenwert der Lesung im Konzept der Tagzeitenliturgie dann durch monastische und reformatorische Impulse sowie durch das Konzil250 stark aufgewertet worden war. Die Hochachtung vor dem Wort Gottes, die Cäsarius veranlasste, seine Verlesung auch im Rahmen der Tagzeiten zu fördern, sollte sich auf lange Sicht durchsetzen: »Denn das Licht der Seele und ihre ewige Speise ist nichts anderes als das Wort Gottes, ohne das die Seele nicht sehen und nicht leben kann. Denn wie unser Fleisch stirbt, wenn es keine Nahrung erhält, so wird auch unsere Seele ausgelöscht, wenn sie nicht das Wort Gottes empfängt.«251 Über die Funktionen, die das liturgische 245
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Der Asteriskus wurde dafür aus dem Notenbild getilgt – auch um Verwirrung wegen seiner abweichenden Bedeutung im Psalmtext zu vermeiden. Vgl. o. in Kapitel A.II.1 den Abschnitt ›Kompetente Unterweisung‹ (S. 54–56). Dies gilt für das monastische und das kathedrale Stundengebet gleichermaßen; vgl. Zerfaß, Schriftlesung (1968) 14, 40–43. 54f; Heiming, Offizium (1961) 105. Vgl. Itin. Eger. 24, 10 (232 Röwekamp). Zu Test. Dom. 1, 27 (58f Rahmani; engl. 35 SperryWhite) vgl. White, Daily Prayer (2002) 140f. Zum Kirchenjahr vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 273f. Auch im Kathedral-Offizium Konstantinopels wurde der meiste Lesestoff nicht im täglichen Orthros und Hesperinos, sondern in besonderen Lesegottesdiensten vorgetragen; vgl. ebd. 275. Vgl. o. in Kapitel A.II.1 den Abschnitt ›Hören des Wortes‹ (S. 57–61) und den ›Ausblick‹ (S. 65–67). Haunerland, Liturgie (2006) 263 fasst zusammen: »Insofern kann katholische Liturgie nach dem II. Vaticanum eigentlich nicht mehr ohne eine Lesung aus der Heiligen Schrift gefeiert werden.« Vgl. zur Bedeutung der Bibel in der Liturgie auch Bärsch, Gewicht (2003). Caes. Arelat. serm. 6, 2f (CCL 103, 32 Morin; dt. bei Klöckener, Wandel [2002] 106).
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(C) Gestaltung
Element der Schriftlesung gegenüber den Teilnehmern erfüllen soll und kann, wird in jüngerer Zeit stärker reflektiert252. Es wurden mehrere solcher Funktionen gedanklich unterschieden: (1) Eine ›kerygmatische‹ Funktion erfüllen ausgewählte Lesungen, die den inhaltlichen Grund der liturgischen Versammlung kommemorieren und das gefeierte Heilswerk den Anwesenden als gegenwärtig verkünden253; solche Lesungen wollen in den Zuhörern eine lobpreisende Reaktion auslösen254. In die Tagzeiten hat diese Form vornehmlich an Sonn- und Festtagen Eingang gefunden255, ist also traditionell kein Spezifikum der Tagzeiten als Alltagsgottesdienst. (2) Davon unterscheidet Paul Bradshaw eine ›parakletische‹ Funktion der Lesung, anhand ebenso gezielt ausgewählter Texte den Versammelten in ihrer konkreten Situation Zuspruch, Ermunterung und Stärkung ihres Glaubens zu vermitteln256. (3) Die ›didaktische‹ Funktion, die Zuhörer besser mit der Bibel vertraut zu machen, ist typisch für den monastischen Bereich257. Sie kommt vor allem in Gottesdiensten zum Tragen, in denen es viel Zeit zu füllen gilt, etwa in nächtlichen Vigilien. In den Gemeinden wurden solche Feiern in der Antike nicht täglich, sondern allenfalls zu bestimmten Terminen, etwa zum Wochenwechsel, abgehalten. In den Kirchen der Reformation wurde diese Funktion hingegen bestimmend für das Anliegen, weite Teile der Bibel in Bahnlesung oder lectio continua im Lauf eines Jahres durchzulesen. (4) Die ›meditative‹ Funktion der Schriftlesung258 ist in den Capitula des monastischen und römischen Stundengebets dokumentiert, die ihre spirituelle Wirkung gerade durch ihre Kürze und ihre häufige Wiederholung entfalten. Die bekannte Aussage Gregors des Großen scriptura crescit cum legente lässt sich so verstehen, dass die Schrift nicht nur mit dem Lesenden, sondern auch mit
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Erstmals Zerfaß, Schriftlesung (1968) 178–181, der ebd. 183 davor warnt, im Rahmen der Reform jedes Capitulum zu einer längeren Lesung auszudehnen; »denn damit würde ihm eine Verkündigungsfunktion angetragen, die ihm nie eigen war«. Vgl. Pastorale Einführung (1981) Nr. 4; Bärsch, Gewicht (2003) 228f, bei dem diese anamnetische Funktion ganz im Vordergrund steht. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 153. Auferstehungsevangelium in der Sonntagsvigil; passende Festtagslesungen im Kirchenjahr. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 153. Joh. Cassian. inst. 2, 6 (SC 109, 68 Guy; dt. 134f Frank) belegt das Lesen der Schrift um des Lerneffektes willen: um die Schriften dem Gedächtnis einzuprägen und sie auswendig zu lernen. Diese listet Meßner, Einführung (2001) 292 über Bradshaws Differenzierung hinaus auf und favorisiert sie für den Tagzeitengottesdienst.
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II. Der Gottesdienst
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dem wiederholten Lesen wächst, und in neuen Kontexten für den Leser jeweils neue Assoziationen weckt und neue Inhalte kumuliert259. Die Grundentscheidung, welche Form in einem heutigen Kontext angemessen ist, muss davon abgeleitet werden, welches theologische Movens gegenüber den konkreten Teilnehmern erfüllt werden kann: Wer mag sich welche spirituelle Bereicherung davon erhoffen, das Wort Gottes im Alltag zu hören? Was will ein kirchlicher Gottesdienst möglichen Teilnehmern mitgeben? Die Beantwortung dieser Fragen wird erschwert, wenn mehrere Zielgruppen zugleich durch Gemeinde-Tagzeiten erreicht werden sollen. Mischfunktionen Die Verlesung von Bibeltexten zu didaktischen Zwecken war laut Paul Bradshaw in der Antike nur wegen des geringen Alphabetisierungsgrades und der hohen Herstellungskosten von Büchern nötig260; seit der Einführung der Schulpflicht und der Erfindung des Buchdruckes wäre diese Funktion daher obsolet. Reinhard Meßner weist zudem darauf hin, dass die der didaktischen Funktion entsprechende Form der lectio (semi-)continua eine regelmäßige Teilnahme aller voraussetzt261. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Kennenlernen der Hl. Schrift auf unterschiedlichem Level stattfinden kann. Für Gläubige, die fest im kirchlichen Leben verankert sind, kann die ›didaktische‹ Lesung zu einer Vertiefung ihrer Schriftkenntnis in die Richtung einer vollständigen Lektüre des gesamten Bibeltextes führen, wie es unter Mönchen oder Geistlichen praktiziert wurde und wird. Dass dieser Effekt heute für die Breite der Gemeinden selbst bei den Anglikanern nicht mehr als geeignet erscheint262, liegt weniger am Prinzip der Vermittlung von Text-Kenntnis als vielmehr an dem Niveau, auf dem sie ansetzt. Tagzeiten richten sich heute nicht mehr ausschließlich an die Kerngemeinde, sondern sollen als niederschwellige Gottesdienste verstärkt auch kirchlich Distanzierte ansprechen. Diesen gegenüber hat auch die Anamnese der großen, für das Pascha-Mysterium zentralen biblischen Erzählungen sehr wohl eine
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Vgl. Guiver, Company (2001) 13. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 152f. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 292. Die traditionelle anglikanische Leseordnung verteilt die biblischen Bücher in Bahnlesung über Morgen- und Abendgottesdienst so, dass die tägliche Teilnahme an beiden vorausgesetzt wird; vgl. Book of Common Prayer (1662) xxi–xxxii. Zur Kontinuität und Problematik dieses Prinzips bis in die Reformen des späten 20. Jahrhunderts hinein vgl. Bradshaw, Office (1989) 27–29. Heute wird in den jährlich erscheinenden Leseordnungen neben einer überarbeiteten lectio semi-continua auch eine alternative Lesordnung für unregelmäßige Gottesdienste oder solche ohne feste Teilnehmerschaft angeboten; vgl. z. B. Common Worship. Lectionary (2003) 4.
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(C) Gestaltung
didaktische Funktion. Denn obwohl heute fast jeder Haushalt über eine Bibel verfügt, kann die Kenntnis auch der wichtigsten Perikopen nicht mehr allgemein vorausgesetzt werden. Das Problem liegt also weniger in der didaktischen Funktion als solcher, als vielmehr in der traditionell aus ihr abgeleiteten Bahnlesung, die diese Funktion eben nur unter bestimmten Bedingungen erfüllen kann. Wie sehr die didaktisch motivierte Verlesung ganzer biblischer Bücher auf eine ganz konkrete Hörerschaft abgestimmt ist, zeigt sich an klösterlichen Bestimmungen, allzu lange Lesungen im Refektorium fortzusetzen263. Dass lectio continua ohne praesentia continua wenig Sinn hat, sah auch Bischof Cranmer, der aus seiner zunächst strengen Bahn-Leseordnung schon 1559 wenigstens die Sonntage wieder herausnahm264. In der Tat erfordert die konsequente Bahnlesung nicht nur regelmäßige Teilnahme, sondern häufig auch eine kompetete Erläuterung schwer verständlicher Stellen durch geschulte Theologen. Luthers harrsches Diktum, es dürfe keine Lesung ohne Auslegung geben, steht im Kontext seines didaktischen Programms, den Teilnehmern die gesamte Bibel vorzulesen265, und neben der Heiligen Schrift in diesem Rahmen sogar den Katechismus, das Credo und andere wichtige Texte zu erläutern266. Dieses Konzept der Verschmelzung von Katechese und Stundengebet war schon gegenüber seiner direkten Zielgruppe nur mäßig erfolgreich und wirkte sich sowohl auf die Katechese als auch auf den Gottesdienst langfristig verheerend aus267. Deswegen jedoch die Funktion der Lesung, ihre Hörer mit dem Text der Bibel vertraut zu machen, ganz auszublenden, besteht kein zwingender Grund268. Vielmehr kann – wo immer Kirchenferne als Zielgruppe in Betracht kommen – auch die didaktische Funktion der Lesung bei der Auswahl der Texte berücksichtigt werden: Welche Bibeltexte sollte man kennen oder kennenlernen, wenn man wenig mit den heiligen Schriften der Christen vertraut ist? Eine so ausgerichtete didaktische Funktion wird sich in vielen Fällen von der kerygmatischen nicht eindeutig trennen lassen, besonders in Bezug auf Schrifttexte, die Gottes Heilshandeln in Erinnerung rufen und über die informative Ebene hinaus für den Hörenden eine existentielle Bedeutung entfalten können. Im Jerusalem des 4. Jahrhunderts269 hatte man begonnen, im Rahmen des entstehenden Festkalenders an bestimmten Zeiten und Orten einzelne, in-
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Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 222–224. Vgl. Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 216 Anm. 2. Vgl. Martin Luther, Von ordenung gottis diensts ynn der gemeyne (WA 12, 35f). Vgl. Martin Luther, Deudsche Messe und ordnung Gottis diensts (WA 19,79f). So das Urteil von Alexander, Reform (1983) 357. Auf evangelischer Seite verweist z. B. Ratzmann, Alltag (1999) 67f unter Rückgriff auf Äußerungen von F. A. Strauß auf die Chancen gottesdienstlicher Bibel-Lesungen ohne Auslegung. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 86.
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II. Der Gottesdienst
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haltlich passende Perikopen auszuwählen270 und regelmäßig – im Falle der Auferstehungsperikope am Sonntag sogar wöchentlich – zu wiederholen. Hier stand eindeutig nicht die Information im Vordergrund, sondern die Proklamation des erfahrenen Heiles, die in der feiernden Versammlung eine lobpreisende Antwort provoziert271. Dieser Vorgang muss jedoch nicht auf die großen Festgottesdienste beschränkt werden, sondern kann im Kleinen auch die Feier des Tages-Pascha prägen. Auch die kerygmatische Funktion der Lesung darf demnach bei der Erstellung der Leseordnung für Gemeinde-Tagzeiten berücksichtigt werden. Einzelne Texte müssen dabei in einer stimmigen Form von ihrer Bindung an die Fest- und Sonntage entkoppelt werden; andere – etwa die Weihnachtsgeschichte – kommen wohl wegen ihrer stark empfundenen Zugehörigkeit zum Festanlass gar nicht in Frage. Auch die meditative Funktion kommt in Betracht, zumal wenn in einem Gottesdienst keine Auslegung stattfinden kann, und der biblische Text in einer Zeit der Stille von den Teilnehmern eigenständig bedacht und meditiert wird. Das Vorbild der Capitula im klerikalen und monastischen Stundengebet ist indes nur bedingt auf andere Kontexte übertragbar, da die genannten Gruppen neben einer stabilen Gebetspraxis regelmäßig auch spirituelle Schrift-Impulse aus ergänzenden Formen wie etwa der Lesehore beziehen. Gegenüber einer Teilnehmerschaft, die außer dem Tagzeitengottesdienst im Alltag wenig mit der Bibel in Berührung kommt, bedeutete deshalb eine ausschließliche Fixierung auf die meditative Funktion nicht nur einen Verzicht auf einen reicher gedeckten Tisch des Wortes Gottes, sondern auch eine verpasste Chance, die anderen Facetten einer Schriftlesung kennenzulernen. Im Ergebnis wird man festhalten können, dass einerseits die genannten Funktionen sich zwar gedanklich unterscheiden lassen, und dass es notwendig ist, sie alle auf die jeweils gegebene Situation und Zielgruppe hin zu bedenken, dass man sie aber andererseits in der Praxis nicht immer klar voneinander trennen kann. Oftmals erfüllt wohl auch ein und dieselbe Lesung gegenüber verschiedenen Zuhörern gleichzeitig unterschiedliche Funktionen: Der eine hört den Text zum ersten Mal oder erinnert sich nach langer Zeit wieder daran; die andere kennt ihn fast auswendig, weil er ihr viel bedeutet; ein dritter entdeckt in seiner konkreten Lebenssituation unerwartet eine neue Facette, die ihn aufbaut oder ihm einen Impuls zum Handeln gibt. Mit Bedacht ausgewählte Texte sollten geeignet sein, gegenüber Menschen in verschiedenen Situationen in unterschiedlicher Hinsicht Sinn zu stiften.
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Vgl. Meßner, Einführung (2001) 263. Vgl. Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 223 Anm. 11.
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(C) Gestaltung
Traditionelle Auswahl in Wort und Bild Welche Texte können dies bieten? Bringt man eine erinnernd-erzählende Verkündigung272 mit dem Ziel der Zugänglichkeit für möglichst breite Kreise in Verbindung, dann sind vor allem narrative Passagen in die engere Auswahl zu nehmen. Unter ihnen attestiert Paul Bradshaw besonders den Evangelien eine besondere Eignung273; und bereits Joseph Andreas Jungmann fragte sich, warum »die Szenen aus dem öffentlichen Leben Jesu nur eine geringe Rolle spielen, wo doch hier ein so weites Feld offengestanden hätte«274. In der Tat verbinden die großen Erzählungen aus dem Leben Jesu mehrere Aspekte, die im Tagzeitengottesdienst zusammenkommen: Für Kirchenferne sind es die zentralen Stories, die zu kennen sich auch mit Blick auf die kulturelle Identität in Mitteleuropa lohnt; viele haben Motive aus ihnen präsent, hören sie aber selten im Wortlaut. Zugleich schildern sie die Botschaft und das irdische Auftreten Jesu Christi und betreffen damit das zentrale Heilsereignis des christlichen Glaubens275; sie halten häufige Wiederholungen aus und können in unterschiedlichen Lebenssituationen Assoziationen wecken – oft mit ethischen Implikationen. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Bereits an den Bebilderungen des Egbert-Kodex 276 ist eine Auswahl erkennbar, welche Motive aus den JesusGeschichten als besonders wichtig galten oder besonders beliebt waren. Seitdem zieht sich ein Zyklus von im Kernbestand mehr oder weniger denselben Erzählungen durch die mitteleuropäische Kunstgeschichte und prägt die Rezeption der Evangelien bis hinein in den Kirchenbau und sein Bild- und Ausstattungsprogramm. Im Verbund mit modernen Ansätzen zur Kirchenraumpädagogik277 liegt eine gewisse Chance darin, verstärkt diese, die kirchliche Identität prägenden und zugleich in vielen Kirchen sichtbaren Stories im Alltagsgottesdienst zu kommemorieren; denn wo die »Kirchenarchitektur mit ihrer gottesdienstlichen Nutzung zugleich als Symbol und Ort inhaltlicher Erinnerung und öffentlicher Darstellung [...] gebraucht und dadurch verstanden wird, bedarf es kaum einer speziellen, pädagogisch reflektierten Erschließung dieser Formtradition«278. 272
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Metz, Erlösung (1973) 137–140; vgl. o. in Kapitel A.I.2 ›Zeitlichkeit‹ den Abschnitt ›Erfüllte Zeit‹ (S. 37–39). Vgl. Bradshaw, Office (1989) 32. Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 71. Auch Vorgrimler, Liturgie (1999) 52 plädiert für eine stärkere »Anamnese des Lebens Jesu vor seinem Leiden«. Hier gilt es allerdings mit Ehrensperger, Ökumene (1992) 37 zu betonen, dass die inhaltliche Konzentration der Tagzeiten auf das Christus-Ereignis kein ökumenischer Konsens ist und auch von der Sache und der Geschichte her keinen Absolutheitsanspruch erheben kann. Zur inhaltlichen Prägung des Stundengebets vgl. auch in Kapitel B.I.1 den Abschnitt ›Unterschiedliche Motive‹ (S. 105–109). Vgl. Franz (Hrsg.), Egbert-Codex (2005). Vgl. o. Kapitel B.III.2 (S. 193–196). Degen / Hansen, Architektur (2002) 72.
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II. Der Gottesdienst
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Für das Bonner Münster ergab sich in diesem Zusammenhang eine einmalige Chance, die jedoch in modifizierter Form auch andernorts ergriffen werden kann: An den Wänden und im Gewölbe des Hochchores, in dem das Mittagsgebet stattfindet, wurde im 19. Jahrhundert ein 25-teiliger Freskenzyklus angebracht, der Stationen aus dem Leben Jesu Christi alttestamentlichen Vorbildern gegenüberstellt. Die Typologien als solche sind aus dem heutigen Verständnis des Verhältnisses von Altem und Neuem Testament heraus nur noch schwer zugänglich. Der Christuszyklus aber deckt sich weitenteils mit dem klassischen Szenen-Kanon zum Beispiel des Egbert-Kodex279. Eine konzeptionelle Grundentscheidung war es nun, sich dieser historisch vorgegebenen Themenauswahl anzuvertrauen und den Freskenzyklus der monatlichen Leseordnung zugrundezulegen. Die fehlenden sechs Tage wurden durch die Pantokrator-Darstellung in der Apsis und durch Motive aus der Passion gefüllt, die anderen Ausstattungstücken des Münsters entnommen wurden280. Später wurde die im Jahresverlauf oft unpassend dominante Passion durch die Tugendmosaiken des Fußbodens mit assoziativ (und ein wenig widerständig281) dazu passenden Lesungen aus dem Wirken Jesu ersetzt. Alle Bilder sind in den Liturgie-Heften neben dem Lesungstext abgebildet und werden am jeweiligen Tag auch im Raum von einen Strahler besonders beleuchtet. Auf diese Weise wird die Lesung jeden Tag durch ein Bild aus dem Ausmalungsprogramm des Kirchenraumes illustriert, zu dem die Teilnehmer Blickkontakt haben. Diese Verbindung entfaltet in zwei Richtungen Vorteile: Erstens bietet sie ergänzend zum Wort Gottes und in der anschließenden Stille die Möglichkeit einer Bildmeditation. Zweitens entsteht dadurch eine neue Aufmerksamkeit für den Raum, dessen Ausmalung nun von vielen erstmals bewusst wahrgenommen wird. Auch langjährige Besucher des Münsters lernen den Hochchor als stimmigen Rahmen für den Gottesdienst neu kennen und verbinden inzwischen mit jedem Quadratmeter Wand eine spirituelle Bedeutung. Aneignung des Wortes Wie in der allgemein menschlichen Kommunikation, so ist auch im liturgischen ›Dialog zwischen Gott und Mensch‹ eine Phase der Aneignung notwendig, in der das an die Gemeinde ergangene Wort sich in jedem Einzelnen entfalten kann282. 279
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Vgl. die Übersicht bei Ronig, Miniaturen (2005) 78f: 22 der 25 Motive aus dem Bonner Freskenzyklus sind auch dort dereits dargestellt. Die Passion war ursprünglich in den im Krieg zerstörten Chorfenstern von Alexander Linnemann dargestellt und deshalb im Freskenzyklus ausgespart; vgl. Koch, Gemäldezyklus (1997) 8. Z. B. die Perikope von den Arbeitern im Weinberg zur Tugend der ›Iustitia‹. Vgl. Gerhards, Wort (1991) 137–139; Bärsch, Gewicht (2003) 232.
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Die Frage der Aneignung des Lesungstextes durch die Gläubigen hatte Luther, wie erwähnt, strikt im Sinne einer professionellen Auslegung entschieden: »Darumb wo nicht gotts wort predigt wird, ists besser, das man widder singe noch leße, noch zu samen kome«283. Auch Reinhard Meßner beendet seine Empfehlungen zur Gestaltung der Lesung mit dem Hinweis: »Dazu gehört nach Möglichkeit ein kurzes erschließendes Wort«284. Überall wo geschultes Personal dafür zur Verfügung steht, ist eine Statio wohl die eleganteste Lösung285. Wo dies nicht gegeben ist, weil der Gottesdienst in ehrenamtlicher Durchführung liegt, darf aber weder den ungeschulten Helfern eine solche Aufgabe aufgezwungen werden, noch darf die Schriftlesung oder gar der ganze Gottesdienst an diesem Anspruch scheitern. Es bieten sich folgende Alternativen: (1) Entweder tragen die Lektoren vorgefertigte Auslegungen vor286. Dies ist allerdings situativ oft schwierig, weil Auslegungen von ihrem Duktus her – anders als die Lesungstexte – eine Identifikation des Lesers mit dem Verfasser implizieren und daher einen anderen Vortragsstil fordern. Dies stellt die Lektoren also auch dann vor erhöhte Anforderungen, wenn sie die Auslegung nicht selbst verfassen müssen. (2) Oder es werden kurze Impulse in den Heften abgedruckt, die den Teilnehmern bei Bedarf eine mögliche Aktualisierung oder Hintergrundinformationen bieten. (3) Wo keine Auslegung möglich ist, kann das Problem nur durch die Textauswahl umgangen werden: aus dem Schatz der biblischen Überlieferung solche Texte zu wählen, mit denen man die Teilnehmer auch ohne Auslegung ihren Gedanken überlassen kann. Dringend geraten erscheint es jedoch, eine angemessene Zeit der Stille zu lassen287, die den Teilnehmern zur Aneignung des Textes dienen kann – sei es nun durch eine Bildmeditation, einen abgedruckten Auslegungsimpuls oder durch eigenständige Reflexion, »damit das Wort Gottes in einem zur Ruhe gekommenen, schweigend lauschenden Herzen ›ankommen‹ und ein Echo finden kann«288. Auch die Stille kann im Gottesdienst mehrere Funktionen erfüllen289: »Das Schweigen im Umkreis der Verkündigung des Wortes Gottes 283
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Martin Luther, Von ordenung gottis diensts ynn der gemeyne (WA 12, 35). Vgl. dazu Odenthal, Ordinatio (2005) 12. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 292. Vgl. allerdings den Einwand von Ehrensperger, Motive (2004) 121: »Reformierterseits ist allerdings davor zu warnen, eigentliche Predigten in die Tagzeitenliturgie einzufügen. Die Einzelelemente einer überzeugend aufgebauten Liturgie und ihre geschickte Vernetzung haben allesamt eine gemeinsame thematische Zielrichtung der Verkündigung von Gottes Wort, und sie legen sich gewissermassen gegenseitig aus.« Zur Anwendung dieser Methode durch Cäsarius vgl. Berg, Cäsarius (1994) 180f. Zur Bedeutung des Schweigens im Gottesdienst gerade gegenüber einem »säkular-religiösen« Umfeld vgl. Schilson, Religiöses (1996) 102. Heinz, Schweigen (1990) 242. Vgl. Dekkers, Silentium (1989) 398f; Ehrensperger, Stille (1996) 151.
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II. Der Gottesdienst
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möchte dem Wirken des Geistes Raum schaffen.«290 Stille kann auch zum Gebet dienen oder einfach helfen abzuschalten, innerlich zur Ruhe zu kommen und Abstand von der Hektik des Tagesgeschäfts zu gewinnen. Und wenn auch aus liturgietheologischer Sicht die Funktion der Stille im Anschluss an eine Lesung sich einigermaßen klar bestimmen lässt, so ist es doch in der pastoralen Wirklichkeit in keiner Weise problematisch, wenn die einzelnen Teilnehmer sie zu abweichenden Zwecken nutzen. In einer Welt zunehmender Lärm-Emission, ununterbrochener Beschallung und weit verbreiteter Unfähigkeit zur Stille291 kann bereits das bloße unverzweckte Innehalten ein pastoraler Dienst und eine wohltuende Gegenkultur zum herrschenden horror vacui sein. In einem gottesdienstlichen Rahmen ist der Einzelne zudem mit seiner Stille nicht allein gelassen; denn die Sammlung des Geistes ist hier von der Sammlung des Gottesvolkes getragen, und Schweigen in der Liturgie ist immer »Schweigen in Gemeinschaft«292. Im Bonner Mittagsgebet endet die Lesung wie im Stundengebet ohne dankende Schlussformel. Der Lektor bzw. die Lektorin hält einen Augenblick inne und kehrt dann ruhig an den Platz zurück. Dadurch ist bereits ein Signal gegeben, dass nun Ruhe einkehrt. Dann lässt der Vorbeter eine bis eineinhalb Minuten verstreichen – je nach Atmosphäre auch länger –, bevor er das Responsorium anstimmt und dadurch wieder behutsam aus der Stille herausmoderiert. Im Liturgie-Heft wird das Element der Stille angekündigt und erläuert. Dies ist wichtig, damit die Teilnehmer nicht nur warten, bis es weitergeht, sondern sich bewusst darauf einstimmen können, dass sie nun ein wenig Zeit zur eigenen Füllung geschenkt bekommen. Gott sei Dank Dem Hören und Meditieren des Wortes Gottes folgt sinnvollerweise eine Antwort der Gläubigen293. Diese ist ihrer Gattung nach Gebet, also anabatisch, und unterscheidet sich dadurch von den vorangehenden katabatischen und diabatischen Vollzügen. Die Gemeinde erhebt sich deshalb zum Dank und wiederholt dadurch in größerem Maßstab das dialogische Basis-Schema der Liturgie, das 290 291 292
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Heinz, Schweigen (1990) 242. Vgl. Meyer, Zeit (1981) 197; Ehrensperger, Stille (1996) 139f. Heinz, Schweigen (1990) 243; zum Verbindenden der Stille vgl. auch Ehrensperger, Stille (1996) 141. Vgl. Martin Luther, Von ordenung gottis diensts ynn der gemeyne (WA 12, 36); in der Antike bereits z. B. Aug. conf. 5, 9, 17 (CCL 27, 66 Verheijen; dt. 221 Bernhart), der beschreibt, wie seine Mutter Gott in seinem Wort hörte und er sie in ihren Gebeten. Vgl. auch Cypr. ad Donat. 15 (CSEL 3, 1, 15, 17 Hartel; dt. BKV2 34, 54 Baer): »Deine ständige Beschäftigung sei das Gebet oder das Lesen (der Heiligen Schrift)! Rede du bald selbst mit Gott, bald laß Gott zu dir reden!«
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bereits beim Psalm im Kleinen durchgeführt wurde: Auf das im Sitzen empfangene Wort Gottes an den Menschen folgt die Antwort des aufrecht stehenden Menschen an Gott. Diese Strukturparallele erleichtert das Versträndnis und die Einübung liturgischer Grundvollzüge und verleiht den Tagzeiten dadurch den Charakter einer ›Schule des Betens‹. Im überlieferten Stundengebet erfüllt das Responsorium die Funktion des Lobgesangs294. In Laudes, Vesper und Komplet hat sich jedoch mit den Cantica aus dem Evangelium295 ein lobpreisendes Element im unmittelbaren Nachfeld der Lesung etabliert296, das geeignet ist, diesem bedeutenden Grundvollzug ein größeres Gewicht zu geben. Benedictus, Magnificat und Nunc Dimittis oszillieren allerdings in der Tradition ihrer liturgischen Verwendung im Stundengebet zwischen verschiedenen Gattungen297: Sie sind ›Evangelium‹, können als solches durch den Einsatz von Weihrauch gewürdigt werden und bilden in diesem Verständnis den feierlichen Höhepunkt der Horen298. Zugleich aber sind sie angeeigneter Lobpreis der Gemeinde299 und werden nicht vorgelesen, sondern gemeinsam gesungen300: »Im preisenden Erinnern seiner Heilstaten feiert die Gemeinde die Gegenwart von Gottes weltvollendender Zukunft.«301 Die Körperhaltung des Stehens entspricht beiden Dimensionen des Vollzuges. Gegenüber der mit dem Stundengebet nicht vertrauten Breite der Gemeinden und erst recht gegenüber Kirchenfernen ist diese Mehrschichtigkeit nur mühsam zu vermitteln. Im Sinne der sachgerechten Reduktion der Liturgie auf durchschaubare Grundvollzüge, erhält der anglikanische Umgang mit den Cantica eine besondere Bedeutung. Im Book of Common Prayer hat Bischof Thomas Cranmer die Cantica konsequent – in gleicher Manier und Funktion wie das Te Deum – den Lesungen in Morning und Evening Prayer als antwortende Hymnen zugeordnet302: Morgens folgt auf die alttestamentliche Lesung das Te Deum und auf die neutestamentliche Lesung das Benedictus; abends
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Vgl. Harnoncourt, Möglichkeiten (1989) 221. Wie das Responsorium zu dieser Rolle kam, beschreibt Heiming, Offizium (1961) 134f. Zu deren Zusammengehörigkeit und Funktion im Duktus der Erzählung vgl. Lohfink, Lieder (1994). In den Laudes und der Vesper nach monastischer Tradition durch den Hymnus getrennt. Vgl. Schneider, Lobgesänge (1989) 260f mit dem Fazit: »In diesem Element des Stundengebets gehen Wort und Antwort, Anamnese und Eulogie nahtlos ineinander über.« Vgl. dazu Guiver, Company (2001) 157. Vgl. Gerhards, Schriftgebrauch (1996) 180f. Bereits Nicet. Remesian. psalm. 11 (239 Turner; dt. 16 Dohmes) erwähnt das Magnificat im Rahmen des Tagzeitengottesdienstes, und versteht es ausdrücklich auch als selbst vollzogenen Akt (er weist es allerdings Elisabeth zu): cum Helisabeth Dominum anima nostra magnificat. Vgl. dazu Rist, Plädoyer (2001) 50f. Eham, Zeit-gemäß (2003) 77. Vgl. Cuming, History (1982) 48. 50.
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folgt der alttestamentlichen Lesung das Magnificat und der neutestamentlichen Lesung das Nunc Dimittis303. Diese ebenso einfache wie einleuchtende Struktur trifft die Entscheidung, die Cantica wie das Te Deum als Hymnen des Gottesvolkes, als Lobgesänge aufzufassen, mit denen die Kirche auf das Vernehmen der Lesung reagiert304. Die Responsorien, die diese Funktion ursprünglich erfüllten, entfallen in der Konsequenz. Diese Entscheidung vereinfacht den vormals komplexen Ablauf z. B. der Benediktinischen Vesper mit Lesung, Responsorium, Hymnus, Versikel und Lobgesang aus dem Evangelium305. Sie führt allerdings dazu, dass Responsorium und Lobgesang nun als Doppelung zweimal hintereinander dieselbe Funktion erfüllen. In den Bonner Tagzeiten wurde dieses Problem durch eine weitere Entscheidung gelöst: Das Responsorium wird hier noch nicht als der Lobpreis selbst aufgefasst306, sondern nur als die Überleitung dazu. Nach der längeren Stille ist für die Gläubigen der Übergang zur eigenen actio deutlich sanfter, da das Responsorium noch im Sitzen307 gesungen wird und mit einer längeren Passage des Vorbeters beginnt. So können die eigenen Gedanken in Ruhe gebündelt werden, bevor der eigene Körper durch Gesang und Aufstehen nach und nach wieder zum Einsatz kommt. Der Text der Version im Gotteslob Nr. 687 impliziert geradezu diese Interpretation als bloße Hinführung zum Lobgesang. Er beginnt mit einem Rückbezug auf die Lesung: »Dein Wort ist Licht und Wahrheit«, und reflektiert deren in der Stille vielleicht erfahrene spirituelle Wirkung: »Leben und Freude gibt es meinem Herzen«. Dann folgt im Wortlaut tatsächlich noch keine Doxologie im strengen Sinne – diese hätte die grammatische Gestalt »Ehre sei ...« –, sondern ein Imperativ an die Gemeinde, den Lobpreis nun zu vollziehen: »Singt das Lob des Vaters!« Diesem Aufruf folgt die Gemeinde dann unmittelbar im Anschluss, indem sie sich erhebt und den Lobgesang anstimmt. Dieser Konstruktion haftet im Licht der Überlieferung eine gewisse Willkür an. Gegenüber der Lösung, das Responsorium wegfallen zu lassen, wird dadurch jedoch eine gewisse Traditionstreue mit Schlichtheit und Schlüssigkeit der liturgischen Struktur in Einklang gebracht.
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Beibehalten in der Standard-Ausgabe des Book of Common Prayer (1662) 6. 10. 19. 21. In der deutschen Reformation aufgegriffen z. B. durch die Mecklenburgische Ordnung für Jungfrauenklöster von 1572; vgl. Sehling, Kirchenordnungen 5 (1913) 258f, dazu Goltzen, Gottesdienst (1956) 209f. Zur abweichenden Funktion in der Horenstruktur der Regula Benedicti vgl. Nowak, Strukturelemente (1984) 303f. Vgl. Reg. Ben. 17, 8 (SC 182, 528 de Vogüé / Neufville; dt. 131 Lambert). Vgl. AES 172, wo die Gattung des Responsoriums auffällig zwischen Diabase und Anabase in der Schwebe gehalten wird: »Die Responsorien und Versikel sind eine Art Akklamation, die das Wort Gottes tiefer in das Herz des Lesers oder Hörers eindringen läßt.« In AES 263 wird Stehen zum Responsorium nicht vorgeschrieben.
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Für das Bonner Mittagsgebet stellte sich sodann die Frage, welcher Lobgesang der Lesung folgen sollte. Die drei genannten schieden aufgrund ihrer traditionellen Bindung an die Tageszeit aus. Dennoch sollte die aus den großen Horen gewonnene Struktur auch am Mittag umgesetzt werden. Die Wahl fiel auf die »Große Doxologie«, das Gloria, das auf eine lange Tradition als Hymnus im Tagzeitengottesdienst zurückblicken kann (deutlich länger als sein Einsatz in der Messe). Es ist außerdem durch seinen Bezug auf Lk 2, 14 ebenso wie die drei großen neutestamentlichen Cantica aus Laudes, Vesper und Komplet in der Kindheitsgeschichte des Lukas verankert308. Für den Gemeindegesang besteht seit den Gründerjahren der Reformation die qualitätvolle Liedfassung von Nikolaus Decius (Gotteslob Nr. 457), die unter evangelischen wie katholischen Christen wegen ihrer häufigen Verwendung im Sonntagsgottesdienst sehr bekannt ist309 und sich in besonderer Weise zur Verteilung auf zwei Seiten eines Chorgestühls eignet. Wird sie im Kontext der Stundenliturgie als täglicher Lobgesang nach der Lesung gesungen, dann kann ein weiterer Zufall seine Wirkung entfalten: Die letzte Strophe vollzieht bereits den Übergang vom Lobpreis zu dem daraus auch sachlich hervorgehenden epikletischen Sprachspiel und leitet dadurch fließend zum unmittelbar folgenden Bittgebet über: »Nimm an die Bitt aus unsrer Not. Erbarm dich unser. Amen.«
4. Bittgebet Der hohe theologische Stellenwert des Bittgebets war oben auf mehreren Ebenen erörtert worden: Seine spirituelle Dimension enfaltet das Gebet als »der erste Ort der Gotteserfahrung«310 auf der Ebene des einzelnen Gläubigen, der durch erfahrenes Heil ermutigt das Verlangen nach Vollendung seinem Gott gegenüber zum Ausdruck bringt311. Für die betende Gemeinschaft ist die ekklesiale Dimension entscheidend: Der Vollzug des Priesteramtes Christi, für das Heil der Welt vor Gott einzutreten, ist einer der zentralen Selbstvollzüge der Kirche312. Gegenüber der Außenwelt schließlich bringt dieser Selbstvollzug die Verantwortung für das Leben und die Einholung der gesamten Schöpfung in den Lobpreis Gottes zum Ausdruck, die zugleich die Vollendung der Welt be-
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Vgl. Lohfink, Lieder (1994) 392, der seine biblischen Anfangsverse als »Gloria« ausdrücklich neben Benediktus, Magnificat und Nunc Dimittis zu den ›vier‹ Gesängen in Lk 1–2 zählt. Nicht umsonst wurde das Gloria in der Antike auch in Bibelhandschriften überliefert. Auch empfohlen von Ringseisen, Gemeinde (2002) 174. Vgl. Meßner, Einführung (2001) 228. Vgl. o. in Kapitel A.I.1 den Abschnitt ›Ausstehende Vollendung‹ (S. 33f). Vgl. o. in Kapitel A.II.2 den Abschnitt ›Der Leib Christi im Dienst‹ (S. 72–74).
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II. Der Gottesdienst
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deutet313. Dies ist die kosmische Dimension des Bittgebets. Anders als der Hymnus oder auch die Lesung bildete das allgemeine Gebet der Gläubigen daher nicht nur von Anfang an und überall den zentralen Bestandteil der Tagzeitenliturgie der Gemeinde, sondern wurde zudem durch die vorangehenden Entlassungen liturgisch als der Höhepunkt der Feier ausgestaltet314. Vor diesem Hintergrund mutet es befremdlich an, dass ausgerechnet die Preces im lateinischen Westen nahezu vollständig aus dem Stundengebet verschwinden konnten. Einzig als zusätzliches Gebetspensum wurden sie vor der Reform noch für besondere Bußzeiten angeordnet315. Offenbar empfand man den einstmals ekklesiologisch zentralen Vorgang nurmehr als gezielt abverlangte Zusatz-Bürde für den einzelnen der Brevierpflicht unterliegenden Beter. Paul Bradshaw macht für diese Entwicklung den Einfluss der Mönche und ihrer Gebetshaltung verantwortlich, denen von Anfang an stärker an der persönlichen Heiligung des Einzelnen gelegen war als an der ekklesialen und der kosmischen Dimension des Bittgebets316; die bis heute andauernde Unterbewertung führt er auf die Zweifel an der Kraft des Bittgebets zurück317. Markus Eham äußert indes die Hoffnung, dass umgekehrt von der Tagzeitenliturgie vielleicht sogar ein Impuls zur Aufwertung des gemeinsamen Bittgebets der Gläubigen ausgehen könne: »Hat das Fürbittgebet in der sonntäglichen Messfeier (oft als unliebsames Anhängsel der Wortliturgie und Verzögerungsmoment zum Eucharistieteil empfunden) einen eher schweren Stand, könnte es durch die andere dramaturgische Positionierung in der Stundenliturgie auch in seinem geistlichen StellenWert besser wahrgenommen werden.«318 Die Ästhetik eines Ritus, in dem sich die Gemeinde nach einer meditativen Phase der Begegnung mit dem Wort Gottes zum Lobpreis und schließlich zur Fürsprache erhebt, kann in der Tat helfen, das gemeinsame Gebet als Höhepunkt des Gottesdienstes zu empfinden. Aufwerten durch Aufräumen Die wichtigste Erkenntnis aus diesen Zusammenhängen lautet, dass es möglichst keinen Tagzeitengottesdienst ohne Bittgebet geben sollte. Findet auch der Gottesdienst mit der Gemeinde zu einer Uhrzeit statt, an der das überlieferte Stundengebet keine Fürbitten enthält, so ist dieser aus dem Zusammenhang
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Vgl. o. in Kapitel A.III.2 den Abschnitt ›Das Heil der Welt‹ (S. 93–95). Das Bittgebet der Gläubigen ist ab dem 4. Jahrhundert durch die Const. Apost. 8, 36, 1; 38, 1 (SC 336, 246. 250 Metzger; dt. BKV2 5, 69. 71 Storf) und Eger. itin. 24, 5 (228f Röwekamp) belegt; vgl. dazu Fischer, Anliegen (1958) 217. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 261. Vgl. Bradshaw, Cathedral (1990) 129. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 151. Eham, Zeit-gemäß (2003) 78.
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(C) Gestaltung
eines ganzen Kursus von Horen gerissene Umstand doch kein hinreichender Grund, den aus theologischer Sicht zentralen Vorgang wegzulassen. Eine weitere Maßnahme zur liturgischen Aufwertung des Bittgebets kann darin bestehen, die eher additiv wahrgenommenen Elemente (Kyrie – Vaterunser – Preces – Oration) zu einem einheitlichen Vorgang zu verdichten, der dadurch mehr Geschlossenheit und mehr Gewicht erhält. Es entspricht sachgemäßer Elementarisierung, wenn nach einem Hymnus, einem Psalm und einer Lesung auch ein einheitlicher Akt des Bittgebets folgt, der sprachlich als Ganzer den Gesetzen der Euchologie unterliegt: Das Gebet beginnt mit einer Anrede, der eine relativische Prädikation folgt. Diese ist bedeutsam, um den Gott, dem die folgenden Bitten gelten, als denjenigen zu identifizieren, der sich bereits als heilbringend erwiesen hat319. Dann folgen Bitten, deren Sinn320 sich allerdings nur aus ihrer Einbettung in die Prädikation und den Gebetsschluss erschließt321. Beendet wird das Gebet mit einer Doxologie und dem »Amen« und sollte zwischen seinen beiden Randmarken durchgängig als sprachlich (und körpersprachlich) einheitlicher Gebetsvorgang ausgestaltet werden. Eine neue Gebetsaufforderung zum Vaterunser ist daher ebenso unangebracht wie die Rückkehr des Sprechers an seinen Platz vor dem Ende des Gebets. Die Anordnung der Bestandteile wurde schon in der Antike unterschiedlich vorgenommen. Herbert Goltzen nennt den östlichen Typ (Anliegenlitanei mit Kyrie-Rufen), den irischen (Anliegenlitanei mit Antworten in Psalmversen) und den gallischen Typ (Preces aus bloßen Psalmversikeln)322. Im alten römischen Stundengebet bestand das in Bußzeiten angeordnete Bittgebet aus dem Ruf »Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison«, gefolgt vom Vaterunser und überwiegend der Bibel entlehnten Preces; den Abschluss bildete die Oration323. Das Book of Common Prayer hat diese Anordnung bis heute bewahrt324. Ebenso findet sie sich im Evangelischen Gesangbuch325 und im Evangelischen Tagzeitenbuch326. Die römische Liturgiereform hat indes die unmotivierten, »gestrandeten 319
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Meßner, Liturgiewissenschaft (1998) 263 Anm. 24 attestiert der relativischen Prädikation eine »eminente sachliche Bedeutung: Durch den Relativsatz wird die anamnetische Proklamation Gott als Prädikat zugesprochen; damit wird der Gott, den man anzusprechen gewagt hat (in der Anaklese), identifiziert und zugleich dem Beter ein neuer Existenzraum eröffnet, in den hineingenommen zu werden, die Bitte ausspricht. Gibt man den Relativsatz, wie im deutschen Meßbuch üblich, mit einem Hauptsatz wieder, werden Gott sozusagen Geschichten erzählt.« Vgl. auch Schulz, Kollektengebet (1970) 173–175. Vgl. in Kapitel A.I.1 die Abschnitte ›Beten wirkt‹ und ›Ausstehende Vollendung‹ (S. 30–34). Vgl. Schulz, Kollektengebet (1970) 177. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 260. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 260. Vgl. Book of Common Prayer (1662) 12–15. 23–26. Vgl. Evangelisches Gesangbuch (Bayern) Nr. 727–730. Vgl. Evangelisches Tagzeitenbuch (2003) Nr. 220. 239. 249.
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II. Der Gottesdienst
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Kyries«327 wieder zu einem Fürbitt-Gebet ausgebaut328, während das Kyrie-/ Christe-Eleison nurmehr »nach sehr altem Brauch« unter den Überleitungen zum Vaterunser im Anhang aufgeführt wird329. Auch das neue Tagzeitenbuch der Kirche von England hat die Bitten und Kollektengebete vor das Vaterunser gezogen und damit der katholischen Reform ökumenische Relevanz verliehen330. Diese Reihenfolge bietet Vorteile für die Ausgestaltung des Bittgebets zu einem erkennbar einheitlichen Vorgang. Diese sollen nun im Einzelnen benannt werden. Vaterunser und Oration In der Benediktsregel wird das Vaterunser ausdrücklich als Schlussgebet der Hore verstanden331. Es wurde offenbar vor allem dort, wo kein Kleriker zugegen war, gerne als Ersatz für eine eigene Schlussoration eingesetzt332: Hatte das Konzil von Agde (506) die Orationen explizit den Bischöfen bzw. Presbytern vorbehalten333, so lässt sich an den Beschlüssen der Konzilien von Gerona (517) und Toledo (633) die sukzessive Aufnahme des Vaterunsers in die GemeindeTagzeiten nachvollziehen334. Später dann, bei Amalar von Metz im 9. Jahrhundert, wird zu besonderen Anlässen eine Oration zusätzlich zum Vaterunser angeordnet, weil die beiden Elemente nicht mehr als funktionale Äquivalente verstanden wurden335. Als eine Oration unter mehreren verschwand es schließ-
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Guiver, Company (2001) 169. Vgl. Goltzen, Gottesdienst (1956) 263: »Kyrie – Vaterunser – Kollekte: das ist das feste Gefüge des Gebetsteils. Dabei vertritt das Kyrie den Platz der ›Anliegenlitanei‹, in der die Einzelanliegen besonders genannt und von der Gemeinde mit der Bitte um Erbarmen und Erhörung angeeignet werden können.« Vgl. Stundenbuch (1978) 1, 353f. 1172. Vgl. Common Worship. Daily Prayer (2005) 102: Intercessions, Collect of the day, Lord›s Prayer. Vgl. Reg. Ben. 17, 8 (SC 182, 528 de Vogüé / Neufville; dt. 131 Lambert). Dasselbe Verständnis herrschte auch im Sinai, im altslavischen Offizium und in Rom; vgl. Jungmann, Erbe (1960) 241f und ähnlich 206. Vgl. Bradshaw, Daily Prayer (1983) 120. Vgl. Conc. Agath. (506) c. 30 (CCL 148, 206 Munier). Vgl. Conc. Gerund. (517) c. 10 (41 Vives): ut omnibus diebus post matutinos et vespera oratio dominica a sacerdote proferatur; vgl. Conc. Vas. (529) c. 3 (CCL 148 A, 79 de Clercq); Conc. Toletan. (4, 633) c. 10 (194f Vives). So interpretiert Jungmann, Erbe (1960) 241f den Befund bei Amalar. lib. official. 4, 2, 22–26; 4, 4, 1–10 (412f; 423–425 Hanssens).
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lich aus dem römischen Offizium336 und wurde erst durch das II. Vatikanische Konzil in den Laudes und der Vesper restituiert337. Dass auf das Vaterunser als Bestandteil jedes Tagzeitengottesdienstes heute nicht verzichtet werden sollte, liegt auf der Hand: Als ökumenisch etabliertes Gebet hat es zugleich auch in der Breite der Bevölkerung und unter kirchlich Distanzierten noch immer einen Bekanntheitsgrad, wie vermutlich kein weiterer Text der christlichen Überlieferung: Jede beliebige zum Gottesdienst versammelte Gruppe kann es miteinander beten338. Es bietet sich an, dieses gemeinsame Gebet wieder in die Funktion als Schlussoration einzusetzen und mit seiner Doxologie und seinem Amen zugleich das gesamte Bittgebet zuende zu führen. Denn eine nach der Schlussformel des Vaterunsers neu ansetzende Oration mit eigener Doxologie zerteilt das Geschehen; umgekehrt ist eine Unterbrechung des Vaterunsers vor der Doxologie in der Praxis – besonders im gesungenen Vollzug – kaum praktikabel. Hinzu kommt noch im Bonner Kontext die Überlegung, dass eine gesonderte Schlussoration zum Inhalt des jeweiligen Modells sinnvolle Bezüge herstellen sollte und dafür geeignete Orationen weder zur Hand noch ohne Weiters zu erstellen waren. Im Bonner Mittagsgebet und allen nach seinem Modell gefeierten Gottesdiensten hat das Vaterunser seine antike Funktion als Schlussoration somit wieder übernommen. Es wird die Offiziumsfassung nach Gotteslob Nr. 691 gesungen. Fürbitten und Kyrie Das durch die Apostolischen Konstitutionen belegte Bittgebet339 und die bei Egeria belegte Nennung konkreter Namen340 erhielten eine Nachfolge durch die Anliegenlitaneien westlicher Tagzeiten341 und durch die Ektenien im byzantinischen Ritus342. Wie oben dargelegt, galten diese Bitten inhaltlich letztlich
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Vgl. Jungmann, Erbe (1960) 255. Vgl. dazu Guiver, Company (2001) 171. Zur nachkonziliaren Diskussion im Coetus XIIbis um die Anordnung der Elemente Vaterunser, Bitten und Oration vgl. Baumgartner, Preces (1989) 375f. Bereits dies ist allerdings keine Selbstverständlichkeit; es ist vielmehr der Arbeit der »Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für liturgische Texte des deutschen Sprachraumes« zu verdanken, die die ökumenische Textfassung des Vaterunsers in den Jahren 1967/68 erarbeitete; vgl. dazu Propst, Ökumene (1987) 231. Vgl. Const. Apost. 8, 36–38 (SC 336, 246–252 Metzger; dt. BKV2 5, 69–71 Storf) mit Rückverweisen auf die Texte des Fürbitt-Teils der Eucharistiefeier. Vgl. Eger. itin. 24, 5 (228f Röwekamp). Fischer, Namen (1974) empfiehlt dieses liturgische Element auch heute für das Bittgebet, um es dadurch persönlich und lokal zu konkretisieren. Vgl. die knappe Übersicht der Entwicklung bei Baumgartner, Preces (1989) 371–373. Vgl. Schulz, Tagzeiten (1989) 59.
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II. Der Gottesdienst
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dem Heil der ganzen Welt343: »Wir beten das Officium nicht für unsere eigene geistliche Vervollkommnung, sondern für das Kommen des Reiches Gottes und die Rettung der ganzen Welt«344. Dieser Unterschied zu den Fürbittreihen innerhalb der Eucharistiegebete ist für die Tagzeiten nach wie vor maßgeblich und programmatisch: Die versammelte Kirche tritt ein für Gute wie Böse, für Opfer wie Täter, für leuchtende Vorbilder und abschreckende Beispiele. Im Kontext der Tagzeitenliturgie ist das Bittgebet – neben der Auslegung, wenn sie stattfinden kann – der einzige Akt, dessen Sprache sich nicht aus der biblischen oder lyrischen Überlieferung speist345. Es ist auch der einzige Akt, den die Gemeinde immer und explizit grammatisch (und tatsächlich) als Subjekt der Liturgie selbst spricht und durch ihr ›Amen‹ ratifiziert346. Deshalb sollten sie den zeitgenössischen Ansprüchen an liturgische Sprache entsprechen. Im Geist Romano Guardinis darf der Lebensbezug dabei direkt und unverklausuliert sein: »Gesund, einfach und stark soll das Gebetsleben sein. Es muß in Beziehung stehen zur Wirklichkeit und darf sich nicht fürchten, die Dinge beim Namen zu nennen. Der Mensch soll sein volles Leben in seinem Beten wiederfinden.«347 Lebensnähe und Prägnanz sind also das positive Ziel; denn »die Bitten sollten nicht ständig auf das Jenseits gerichtet sein«348. Negativ gilt es, die verbreiteten Gefahren der Fürbitten zu vermeiden: Denn Gebet ist keine »Mitteilung von Sachverhalten, weder an Gott noch an die Gemeinde; im Gebet vor Gott menschliche (seien es auch religiöse) Bedürfnisse und Sehnsüchte auszuschütten oder unter dem Deckmantel des Gebets die Gemeinde zu indoktrinieren, führt zu pathologischen Fehlformen des Gebets.«349 Im Bonner Mittagsgebet sind in Anlehnung an die Fürbitt-Modelle von Stephan Wahl350 täglich drei mit »wir bitten dich« eingeleitete Blöcke von jeweils drei Bitten »für alle, die ...« vorgesehen, ohne auszuformulieren, worum 343 344 345 346
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Vgl. o. in Kapitel A.III.2 den Abschnitt ›Wohl-Stand der Welt‹ (S. 89f). Bradshaw, Office (1989) 31 [eigene Übersetzung]. Vgl. Baumgartner, Preces (1989) 392. Einmal abgesehen von einzelnen Passagen der Psalmen und Lieder, die aber in ihrer Gattung als Lyrik oder Heilige Schrift diesen Charakter weniger deutlich tragen. Guardini, Geist (201997) 31; ähnlich Jungmann, Schule (1957) 558f. Vgl. auch Holeton, Tagzeitengottesdienst (1990/91) 220: »Eine neue Wertschätzung der Beziehung von Kirche zu ihrem Umfeld (in ökologischer und humaner, urbaner, sozialer und politischer Hinsicht) und ein zunehmendes Bewußtsein, für diese Bereiche Verantwortung zu tragen, hatten erwiesen, wie stark das Prayer Book eine Gesellschaftsform widerspiegelte, die gar nicht mehr existierte.« Pahl, Sprechen (1999) 120. Meßner, Einführung (2001) 228; ähnlich Pahl, Sprechen (1999) 114: Das Gebet dürfe weder direkt (stilistisch) noch indirekt (durch moralisierende Inhalte) die exklusive Adressierung an Gott aufgeben, denn dies missachte die Gemeinde, »die erst zum Gebet eingeladen wurde und sich dann plötzlich als ›angepredigt‹ erleben muß: als ermahnt oder als indoktriniert«. Vgl. Wahl, Fürbitten (2004).
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man Gott im Einzelnen für die genannte Gruppe bittet. In dieser einheitlich beibehaltenen351 Sprachform werden Themen und Assoziationen der Lesung und des Hymnus aufgegriffen, ohne sie auf konkrete Ziele hin engzuführen. Dabei werden sowohl Personengruppen genannt, die Ansporn oder Vorbild sein können, als auch solche, deren Verhalten zwar aus christlicher Sicht abzulehnen ist, jedoch deswegen gleichwohl zum Gegenstand der christlichen Hoffnung auf Vollendung wird. Auch soziale, politische, ökologische oder andere Themen können auf diese Weise anklingen, ohne die Anwesenden für Einzelpositionen zu vereinnahmen oder ihnen durch konkrete Wünsche für Gottes Eingreifen ein Gottesbild zuzumuten, »das Gott als innerweltliche Ursache neben anderen Kausalitäten versteht«352, denn das »Einwirken Gottes ist nicht als immanente Ursächlichkeit, sondern als transzendente Befähigung des Geschaffenen zu eigener Aktivität zu verstehen«353. Der Sprecher hält nach jeder Bitte für einen Augenblick, nach jedem Block für einige Augenblicke Stille, damit die Teilnehmer ihren Assoziationen, Gedanken und Anliegen nachspüren können. Die vom Sprecher vorgetragenen Bitten unterstreicht die Gemeinde jeweils mit einem Bittruf. In dieser Funktion kann das »Kyrie eleison« aufgegriffen werden, das als wiederholter Ruf des Volkes im Rahmen einer Anliegen-Litanei seine Geschichte innerhalb der Tagzeitenliturgie begonnen hatte354. Im Rahmen eines an Gott, den Vater, gerichteten Gebets355 ist dies allerdings nicht unproblematisch. Zwar wurde das Wort ›Kyrios‹ seit der Septuaginta als Äquivalent für den Gottesnamen verwendet356 und kann deshalb auch im Christentum auf Gott, den Vater, bezogen werden357. Die Formel ›Kyrie eleison‹ ist allerdings liturgisch von Anfang an auch christo351
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Vgl. Schulz, Kollektengebet (1970) 170f: »Neu geformte Gebete haben gerade darin ihre Schwierigkeit, daß die intellektuelle Leistung, einen unbekannten Text mit unbekannter Struktur aufzunehmen, dem Mitbeten abträglich ist.« Vorgrimler, Liturgie (1999) 54. Vgl. auch o. in Kapitel A.I.1 die Abschnitte ›Beten wirkt‹ und ›Ausstehende Vollendung‹ (S. 30–34). Vorgrimler, Liturgie (1999) 54. Er fasst zusammen: »Fürbitten und eucharistische Epiklese kommen darin überein, daß sie die geistige Gegenwart Gottes ›realisieren‹ und um das verwandelnde und heilende Wirken seines Geistes bitten. Nur die Bitte um den Geist kann der Erhörung gewiß sein.« Bereits zur Zeit Egerias haben auf die Nennung einzelner Namen im Luzernar die anwesenden (Kinder) mit »Kyrie eleison« geantwortet; vgl. Eger. itin. 24, 5 (228f Röwekamp). Im Westen führt das Conc. Vas. (529) c. 3 (CCL 148 A, 79 de Clercq) die Kyrierufe nach römischem, italischem und orientalischem Brauch in die Tagzeitenliturgie ein; vgl. dazu Goltzen, Gottesdienst (1956) 159. Vgl. Vorgrimler, Liturgie (1999) 53f. Vgl. Quell, Kyrios (1938) 1056. Zu der in ntl. Zeit ungebräuchlichen Verwendung vgl. Foerster, Kyrios (1938) 1085–1087. Zur allgemein gehaltenen und nicht eindeutig christologischen Verwendung des Kyrie-Titels in den antiken Tagzeiten-Orationen der Hagia Sophia vgl. Hanke, Kathedralritus (2002) 494–497.
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III. Die Liturgie-Hefte
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logisch (und später trinitarisch) verstanden worden358. Im überlieferten Stundengebet dient der Ruf um das Erbarmen Christi daher eher zur Vorbereitung auf das Vaterunser359, bildet aber mit ihm keine syntaktische Einheit. In der Funktion als Akklamation des Volkes hat ein solcher Anredewechsel im Kontext eines an den Vater gerichteten Vorstehergebets aber auch Vorbilder in der eucharistischen Überlieferung360. Für die Gestaltung des Bittgebets im Bonner Mittagsgebet wurde folgender Weg gewählt: Die Gemeinde singt zwischen den Bitten jeweil ›Kyrie eleison‹ in einer der geläufigen, mehrstimmigen Formen. Der explizit christologische Passus ›Christe eleison‹ wird dabei vermieden, sodass die meisten Teilnehmer keinen Adressatenwechsel wahrnehmen361. Diese Lösung wurde auch aus Mangel an anderen Gebetsrufen gewählt, die auf pragmatischer Ebene vergleichbare Vorteile bieten362: Etliche Kompositionen des ›Kyrie eleison‹ sind als FürbittAkklamationen breit etabliert und sogar in mehreren Stimmen beachtlich vielen Gläubigen bekannt. Im Mittagsgebet werten sie als die einzigen mehrstimmigen Elemente das Bittgebet atmosphärisch enorm auf. In diesem Sinne sticht heute wieder dieselbe Begründung, die bereits das Konzil von Vaison zur Einführung des Kyrie in die Tagzeiten bewogen hatte: Es wird gerne und mit emotionaler Hingabe gesungen363.
III. Die Liturgie-Hefte III. Die Liturgie-Hefte
Auf der Grundlage der im vorigen Abschnitt dargestellten Ergebnisse wurde ein 16-Seiten-Schema entworfen, das ausreichend Platz für Erläuterungen lässt und Zusammengehöriges so platziert, dass kein Zurückblättern nötig ist, wenn etwa beim Psalm die Antiphon und der Psalmton bis zum letzten Vers vor Augen stehen sollen. Alle liturgischen Akte werden durch präzise Rubriken angewiesen, um die Abläufe auch für Ungeübte transparent zu machen und Insiderwissen zu vermeiden. Im Anschluss an dieses Kapitel wird ein solches Heft vollständig wiedergegeben.
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Vgl. Jungmann, Missarum Sollemnia (51962) 1, 439–441. Z. B. bei Amalar. lib. official. 3, 6, 4f; 4, 2, 22 (284. 412 Hanssens); vgl. Jungmann, Erbe (1960) 241. 259. Vgl. Gerhards, Gregoriosanaphora (1984) 228–231. Die verständigeren Teilnehmer müssen sich unterdessen nicht stärker daran stören als an der Akklamation ›Deinen Tod, o Herr, verkünden wir‹ im eucharistischen Hochgebet. Die Komposition und Einführung tauglicher mehrstimmiger Fürbitt-Rufe, die nicht auf dem Kyrie eleison basieren, ist ein Desiderat für die Zukunft. Die im Evangelischen Tagzeitenbuch (2003) Nr. 261 aufgeführten Gebetsrufe sind qualitätvoll, aber sehr schlicht. Vgl. Conc. Vas. (529) c. 3 (CCL 148 A, 79 de Clercq).
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1. Aufbau und Grafik Besonderer Wert wurde auf optische Signale gesetzt, damit der Ablauf der Liturgie intuitiv erfassbar wird und nicht erst kognitiv erschlossen werden muss. So ist der Umschlag der Hefte durch die Farbgebung und durch die Papierstärke hervorgehoben. Er enthält keine liturgischen Texte, sondern auf S. 1 ein Cover, dessen Titelgrafik die bestimmenden Raum-Elemente (Chorgestühl und Bilderzyklus) aufgreift, auf S. 2 einführende Erläuterungen zum Ort und seiner Tradition, sowie allgemein zu Gebet, Gemeinschaft und Gottesdienst; auf dem hinteren Innen-Umschlag (S. 15) finden sich das Impressum sowie Hinweise zum Mitnehmen der Hefte und zur Mitarbeit im Gottesdienst-Team, und schließlich auf der Rückseite eine Übersicht über den Zyklus der 31 Themen. Die eigentliche Liturgie ist dadurch klar abgesetzt: Sie beginnt auf der ersten weißen Seite (S. 3) mit der Eröffnung und endet auf der letzten weißen Seite (S. 14) mit dem Segen. Dazwischen erhalten die vier liturgischen Elemente Hymnus (S. 4– 5), Psalm (S. 6–7), Lesung (S. 8–11) und Bittgebet (S. 12–13) jeweils ganze Doppelseiten. Eigens entworfene Piktogramme weisen alle Texte den jeweiligen alle, rechte Seite, liturgischen Akteuren zu ( Vorbeter, Kantor, linke Seite). Durch ihre Invers-Optik mit hohem Schwarz-Anteil springen sie unmittelbar ins Auge und müssen nicht erst ›gelesen‹ werden364. Drucktechnisch wurde die Unterscheidung in Ordinarium und Proprium aufgegeben. Das Ordinarium auf S. 3 (Eröffnung nach GL 683), S. 10 (Responsorium GL 687), S. 11 (Lobgesang GL 457), S. 13 (Vaterunser GL 691) und S. 14 (Segen) sind täglich gleich, ebenso die Erläuterungen auf S. 2 (Einführung), S. 5 (zum Gesang, zur Körpersprache und zur Psalmodie) und S. 15 (Impressum), also acht von insgesamt 16 Seiten. Diese Seiten werden in allen 31 Heften vollständig identisch abgedruckt. Der dadurch erhöhte Papierverbrauch in der Startphase hebt sich im laufenden Verbrauch auf, da Hefte, die nur einmal im Monat verwendet werden, auch entsprechend weniger verschleißen und mitgenommen werden. Das Proprium der 31 Tage war thematisch weitgehend durch das Freskenprogramm vorgegeben: An den Wänden finden sich inklusive Gewölbe und Apsis 26 Christus-Bilder, zu denen in Absprache mit dem Bonner Ordinarius für Neues Testament, Prof. Rudolf Hoppe, passende Lesungen mit einer Richtlänge von ca. 12 Versen (entspricht ca. 2 Minuten Lesezeit) ausgewählt wur-
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Hanke, Kathedralritus (2002) 148 berichtet, dass im Cod. Barb. 285 aus dem 10./11. Jahrhundert die Psalmverse jeweils nach einem Zeilenabsatz mit bunten Initialen beginnen, und zwar alternierend in rot und braun. Damit sind offenbar die Einsätze markiert – womöglich sogar die Verteilung der Verse an zwei Chöre, die dadurch nurmehr auf ihre Farbe achten mussten.
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III. Die Liturgie-Hefte
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den365. Die übrigen fünf Tage wurden zunächst mit Motiven aus der Passion gefüllt, die ursprünglich einmal in den Fenstern des Hochchores dargestellt war. Alle Lesungen sind auf S. 8 der Hefte im Volltext wiedergegeben, sodass in der Anfangsphase nicht einmal ein Lektionar als Rollenbuch zwingend erforderlich war366. Gegenübergestellt ist den Lesungen auf S. 9 eine Wiedergabe des jeweiligen Freskos, dessen Position im Raum durch eine kleine Skizze angezeigt wird, damit man es leicht identifizieren kann; zusätzlich wird es durch einen Spot angestrahlt. Die Liedauswahl der Hymnen auf S. 4 orientiert sich am jeweiligen Lesungstext und wurde – inklusive ihrer Aufteilung auf die beiden Seiten des Chorgestühls – mit dem Kirchenmusiker Prof. Wolfgang Bretschneider abgestimmt. Auch die Fürbitten auf S. 12 nehmen Bezug auf die Lesungen und Hymnen. Sie wurden aus Zeitgründen zunächst der CD von Stephan Wahl367 entnommen und (in der Eile nicht immer ganz glücklich) zu täglich drei Dreierreihen zusammengestellt. Die erwähnten vier Seiten 4, 8–9 und 12, ebenso die Titelseite und die Rückseite mit der Übersicht, mussten für alle 31 Hefte individuell erstellt werden und verursachten die meisten Kosten für die grafische Gestaltung. Schließlich bilden die Psalmen auf S. 6–7 einen eigenen Zyklus: Es wurden zunächst sechs Psalmen im gleichen ›Einsteiger‹-Ton VI und mit kurzen Antiphonen ausgewählt; es handelte sich um die Psalmen 1, 23, 98, 119 V (He), 126 und 146 nach dem Benediktinischen Antiphonale368. Sie wurden in ihrer kanonischen Reihenfolge fünf mal auf den Monatsplan verteilt, sodass sie von Tag 7 bis 12, 13 bis 18 etc. jeweils wiederkehrten. Dadurch wurden jeweils von Montag bis Samstag sechs verschiedene Psalmen gesungen, jede Woche um einen Tag verschoben. Auch ihre grafische Aufarbeitung wurde mit Sorgfalt betrieben: Alle in unserem Kontext überflüssigen Zeichen wie die AntiphonenZählung oder vor allem der Asteriskus, der ja im weiteren Verlauf in einer anderen Funktion erscheint, wurden aus der Vorlage der Antiphon getilgt; ebenso die Angabe der Schlussformel des Psalmtones bereits an dieser Stelle. Dann
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Nur bei der Perikope von der Ankündigung des Weltgerichts Mt 25 konnten keine Kürzungen verantwortet werden. Sie dauert deshalb deutlich länger. Außerdem kann der abgedruckte Text den Schaden begrenzen, wenn ungeübte Lektoren Lesefehler machen bzw. der anspruchsvollen Sprechakustik im Hochchor anfangs noch nicht gewachsen sind, oder aber die Lesung durch Nebengeräusche belästigt wird. Wahl, Fürbitten (2004). Ps 1 nach dem Benediktinisches Antiphonale (1996) 1, 447f; Ps 23 nach ebd. 3, 318f; Ps 98 nach ebd. 1, 514–516; Ps 119 nach ebd. 2, 203; Ps 126 nach ebd. 2, 103f; Ps 146 nach ebd. 1, 596f.
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(C) Gestaltung
werden in einer Rubrik die Piktogramme zur Körpersprache erläutert, die das Setzen und Aufstehen anzeigen. Danach folgt der Psalmton, der nicht nur vollständig inklusive der richtigen Schlussformel wiedergegeben ist, sondern dem zusätzlich die im Psalmtext verwendeten Markierungen (... / __ *) unterlegt sind, um die Anwendung des Melodiemodells auf die einzelnen Psalmverse zu erleichtern. Für den ganzen Zyklus wurden über 200 DIN-A-5-Seiten im PDF-Format erstellt und zu 31 jeweils 16 Seiten langen Dateien zusammengestellt. Diese Dateien können im Pfarrbüro, das über einen modernen Kopierer verfügt, ohne Papiervorlage direkt vom Rechner aus gedruckt, gefalzt und getackert werden. Die Herstellungskosten pro Heft belaufen sich auf ca. 0,40 Euro.
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2. Die Revision Im Sommer 2005 war es an der Zeit, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen und den binnen weniger Wochen entstandenen Zyklus der Hefte vor dem Hintergrund der Erfahrungen zu überarbeiten. Ende August wurden an zwei Tagen Proto-Typen der umgestalteten Hefte eingesetzt, und die Teilnehmenden allgemein zur Rückmeldung eingeladen, damit ihre Rekationen noch Berücksichtigung finden konnten. Folgende Änderungen wurden schließlich in den ab Mitte Oktober eingesetzten neuen Heften vorgenommen: (1) Die zunächst aus finanziellen Gründen entgegen dem Ursprungskonzept weiß gehaltenen Umschläge ließ man nun farbig mit der dunkelbraunen Titelgrafik auf beigem Karton drucken (das Tagesthema wird in der ›dritten Farbe‹ Schwarz auf die Titelseite mit aufkopiert). Die farbige Fassung gibt den Heften ein wertigeres Erscheinungsbild und setzt wie vorgesehen den Rahmenteil vom Liturgieteil ab. (2) Die Eröffnung wurde auf das im revidierten Gotteslob vorgesehene gemeinsame Singen der Doxologie umgestellt. Zum einen ist es theologisch sinnvoll, dass der Lobpreis »Ehre sei ...« nun von jedem einzelnen auch aktiv vollzogen wird; zum anderen entlastet es auch den Vorbeter, der nun zu Beginn mit ganz wenigen Worten den Gottesdienst in Gang setzt und dann erst einmal bis nach der Lesung nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Besonders neue Liturginnen und Liturgen, die zum ersten Mal im Gottesdienst singen sollen, empfinden dies als angenehm. (3) In den Hymnen wurde das Repertoire geändert. Vor allem waren es die in ihrer Tonalität an die originalen gregorianischen Hymnen angelehnten Stücke, die nicht recht funktionieren wollten (z. B. GL 550 »O lieber Jesu, denk ich dein«). Nun wird im Hymnus einheitlich die Gattung ›Kirchenlied‹ eingehalten. Diese Maßnahme bringt auch größere Klarheit in die Unterscheidung
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III. Die Liturgie-Hefte
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der Notenschriften, die ja zugleich einen Unterschied in der Singweise anzeigt: Alle Hymnen sind nun Kirchenlieder in gewohnter fünfliniger Notation, während Eröffnung, Psalm und Segen (leider noch nicht das Responsorium) in Quadratnotation gehalten sind369. (4) Eine weitere Änderung betrifft den Hymnus und beruht auf einer Erkenntnis, die nur die gottesdienstliche Praxis verleihen konnte: Im Hymnus wurden die gemeinsam gesungenen Passagen deutlich ausgeweitet, um die Gemeinde nach dem Wechsel zwischen rechts und links stärker wahrnehmbar auch wieder gesanglich zusammenzuführen. Die akustische und emotionale Wirkung des gemeinsamen Schlusses nach den verteilten Passagen ist immens und war im Zuge der theoretischen Überlegungen im Vorfeld so nicht erwartet worden. (5) Der Beginn der Lieder verlief oft schleppend, weil die Gemeinde nach und nach – und nicht immer ganz einheitlich – in die von der Kantorin begonnene Melodie einstimmte. In der Revision wurden in allen Hymnen und im Lobgesang die ersten Silben durch das entsprechende Piktogramm explizit dem Kantor zugeteilt. Ein weiteres Zeichen signalisiert, ab wann die Gemeinde bzw. die rechte Seite mitsingen soll. Diese Genauigkeit hat sich bewährt: Statt sich zaghaft vorzutasten, um nicht aus der Menge hervorzutönen, können nun alle freimütig miteinander beginnen. Eine ständige potentielle Quelle der Unsicherheit wurde dadurch behoben, auch wenn es gerade im Vaterunser einen Verlust darstellt, dass die Anrede nun nicht mehr von allen gemeinsam gesungen wird. (6) Es wurden vier weitere Psalmen eingeführt. Nach langer Diskussion gaben die Kantorinnen und Kantoren ein klares, mehrheitliches Votum dafür ab, im VI. Psalmton zu bleiben und ihnen nicht die Beherrschung verschiedener Töne abzuverlangen. Noch immer war die Unsicherheit zu groß und die Erfahrungen seitdem konnten rückwirkend bestätigen, dass eine reichere Pflege des Psalmengesangs im gegebenen Rahmen wohl auf absehbare Zeit kaum zu vermitteln ist. (7) Im Lesungsteil wurde die starke Passionslastigkeit oft als problematisch empfunden: Eine ganze Woche Lesungen aus der Leidensgeschichte will an vielen Stellen im Jahreskreis nicht passen. Die fünf Ergänzungen zum Freskenzyklus wurden daher wieder aus dem Programm genommen. An ihrer Stelle wurden – neben der Lamm-Gottes-Darstellung aus dem Gewölbescheitel zur Kreuzigung – vier weitere Geschichten aus dem (vorösterlichen) Wirken Christi aufgenommen und zu jeweils einem der Fußbodenmosaiken in Beziehung gesetzt, die Tugenden darstellen (in der folgenden Übersicht die Tage 12. 15. 18. 24). Auf diese Weise ist der Mitte des Lebens Jesu im Verhältnis zu den Rändern (Kindheit, Passion, Auferstehung) nun mehr Raum gegeben. Zugleich 369
Vgl. dazu Jenny, Vocibus unitis (1983) 204.
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(C) Gestaltung
reduzieren sich dadurch die Spannungen mit der Feier des Kirchenjahres – ein Anliegen, das auch durch Korrekturen bei der Auswahl der Lesungen verfolgt wurde: So wird zum Fresko des Pfingstereignisses inzwischen nicht mehr die Geistaussendung nach der Apostelgeschichte gelesen, sondern die Verheißung des Geistes nach Joh 14 (Tag 27 der Übersicht). Seitdem gibt es also zu jeder Lesung ein Bild im direkten Blickfeld der Gemeinde, und der Lektor weist zu Beginn darauf hin: »Das Fresko zur heutigen Lesung sehen Sie vorne links an der Nordwand.« (8) Die Fürbitten wurden überarbeitet und in diesem Zuge fast vollständig durch neu erstellte Texte ersetzt. Nun war genügend Zeit, jeden einzelnen Lesungtext mit dem dazugehörigen Lied ausführlich zu bedenken und darin Motive aufzuspüren, die für heutige Menschen in ihrem Alltag ein sinnvoller Gegenstand des Bittgebetes werden können.
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Die folgende Liste enthält eine Übersicht über den monatlichen Liturgie-Plan nach dem Bonner Christus-Zyklus. 1. Die Verkündigung der Geburt Jesu (Lk 1, 26–38); GL 257, 1.6–8 Großer Gott 2. Der Besuch Marias bei Elisabet (Lk 1, 39–56); GL 261 Den Herren will ich loben 3. Die Geburt Jesu (Joh 1, 1–5.9–14); GL 290, 1.2.3 Gott wohnt in einem Lichte 4. Die Huldigung der Sterndeuter (Mt 2, 1–12); GL 939, 1.3.5 Wie schön leucht uns 5. Das Zeugnis des Simeon im Tempel (Lk 2, 25–35.39–40); GL 265 Nun lobet Gott 6. Die Flucht nach Ägypten (Mt 2, 13–21); GL 881, 1.3.4 Ein Danklied 7. Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Lk 2, 41–52 ); GL 615 Alles meinem Gott zu Ehren 8. Die Taufe Jesu (Mk 1, 2–11); GL 637 Lasst uns loben, freudig loben 9. Die Hochzeit zu Kana (Joh 2, 1–11); GL 259 Erfreue dich, Himmel, erfreue dich, Erde 10. Das Gespräch am Jakobsbrunnen (Joh 4, 6–15); GL 289 Herr, deine Güt ist unbegrenzt 11. Die Bergpredigt (Mt 5, 1–12.14–16); GL 520 Liebster Jesu, wir sind hier 12. Der barmherzige Samariter (Lk 10, 25–37); GL 614 Wohl denen, die da wandeln 13. Der dankbare Samariter (Lk 17, 11–19); GL 881, 1.2.5 Ein Danklied 14. Jesus und die Ehebrecherin (Joh 8, 1–11); GL 165 Sag ja zu mir (ohne Ref.) 15. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1–16); GL 294 Was Gott tut, 16. Der Gang Jesu auf dem Wasser (Mt 14, 22–33); GL 258 Lobe den Herren 17. Die Verklärung Jesu (Lk 9, 28b–36); GL 555 Morgenstern der finstern Nacht 18. Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25, 1–13); GL 643 O Jesu Christe, 19. Die Heilung eines Blinden (Joh 9, 1–7); GL 270 Kommt herbei 20. Die Segnung der Kinder (Mk 10, 13–16); GL 266 Nun danket alle Gott 21. Vom Weltgericht (Mt 25, 31–46); GL 262 Nun singt ein neues Lied dem Herren 22. Die Auferweckung des Lazarus (Joh 11, 17–19.33–45); GL 267 Nun danket all 23. Der Einzug Jesu in Jerusalem (Lk 19, 28–40); GL 941 Macht weit die Pforten in der Welt 24. Die Tempelreinigung (Mk 11, 15–19); GL 644 Sonne der Gerechtigkeit 25. Die Fußwaschung (Joh 13, 1–15); GL 616 »Mir nach«, spricht Christus, unser Held 26. Das Mahl (Lk 22, 14–16.24–30); GL 883 Mein Hirt ist Gott der Herr 27. Die Verheißung des Geistes (Joh 14, 15–21.25–27); GL 249 Der Geist des Herrn 28. Die Leiden Christi (Lk 23, 33–43); GL 183 Wer leben will wie Gott auf dieser Erde
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III. Die Liturgie-Hefte
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29. Die Botschaft des Engels im leeren Grab (Mk 16, 1–8); GL 298 Herr, unser Herr 30. Auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24, 13–16.27–32); GL 640 Gott ruft sein Volk zusammen 31. Jesus und Thomas (Joh 20, 19–29); GL 621 Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr
3. Finanzierung Die Frage nach den Kosten wird in der Literatur nur selten gestellt, die Finanzierung kaum je transparent gemacht. Immerhin gehen Publikationen zu den Vorzeige-Projekten wiederbelebter Tagzeitenliturgie in der Schweiz kurz darauf ein: Nach Peter Wittwer wird die wöchentliche Freitagsvesper in der Zürcher Predigerkirche mit rund 20.000 Schweizer Franken im Jahr beworben (das sind allein 400 Franken pro Gottesdienst für Werbung). »Ins Budget für 2003 sind neben den Aufwendungen für die Öffentlichkeitsarbeit auch Honorare für Organisten und Solisten, Abgeltungen für den Sakristanendienst sowie ein Beitrag an die mitwirkende Kantorei zu Predigern aufzunehmen.«370 Immerhin gehen pro Gottesdienst auch Spenden in Höhe von 250 Franken ein371. Ohne Zahlen zu nennen, wird aus der St. Galler Kathedrale berichtet, dass die hauptamtlichen Liturgen und vor allem die Kirchenmusiker sich »über das ganze Jahr hinweg mit der gleichen Aufmerksamkeit für die Vepser« einsetzen372. Ein ausführliches Interview mit Rupert Jeffcoat, dem damaligen Musikdirektor der Kathedrale von Coventry, ermöglichte einen exemplarischen Überschlag, wie teuer ungefähr die weltweit bewunderte Praxis der Tagzeiten in der anglikanischen Kirche ist. Dafür wurden die einzelnen an der Liturgie beteiligten Berufsgruppen auf den Anteil der Tagzeiten an ihrer Arbeitszeit eingeschätzt. In Summe und annäherungsweise umgerechnet auf deutsche Gehälter ergeben sich Kosten von zwischen 250 und 300 Euro für jeden »Choral« Evensong. Nach Aussagen Jeffcoats lebt diese aufwändige Praxis nach wie vor von der Überzeugung, nicht für Publikum, sondern allein für Gott zu singen. Auf einer andern Grundlage seien die Mitglieder der Chöre wohl kaum zu motivieren, im Einzelfall mit bis zu 30 Personen vor zwei oder drei Gottesdienstbesuchern zu singen. In jüngerer Zeit werde allerdings diese kostspielige liturgische Praxis auch von Seiten der Kirchenleitung mehr und mehr in Frage gestellt. Der Effizienzgedanke stellt heute den klassischen Evensong zunehmend unter denselben Rechtfertigungsdruck, dem sich auch andere Bereiche des kirchlichen Lebens stellen müssen. Aufwand in der genannten Größenordnung konnte und sollte im Bonner Mittagsgebet nicht finanziert werden. Es wurde daher bei der Konzeption der 370
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Wittwer, Freitagsvesper (2004) 212. Vgl. Wittwer, Freitagsvesper (2004) 212. Vgl. Eberhard / Länzlinger Feller, Domvesper (2004) 218.
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(C) Gestaltung
Liturgie von vornherein darauf geachtet, die Kosten gering zu halten. Zwar lässt sich der Wert der Liturgie nicht in Euro berechnen, aber wer in der pastoralen Praxis steht, weiß, dass der Lobpreis Gottes doch an knappen Kassen scheitern kann. Die professionelle Darbietung von Musik schied somit von vornherein aus. Für die Entwicklung und Herstellung der Liturgiehefte fielen allerdings auch hier hohe Investitionskosten an. Allein für die grafische Gestaltung des Monatszyklus und seine Revision wurden rund 4.400 Euro ausgegeben. Bald nach der Startphase meldeten sich Kooperationspartner, die ähnliche Projekte verfolgten und darum baten, die Bonner Materialien benutzen zu dürfen. Dabei konnten die Hefte für das Mittagsgebet im Bozener Dom nahezu unverändert übernommen werden; außer Titel und Impressum musste nur ein einziger Hymnus neu gesetzt werden. Für das Kieler Mittagsgebet mussten weitere Anpassungen vorgenommen werden, weil dort die Gemeinde von durchschnittlich 10–15 Personen nicht im Chorgestühl, sondern im Kreis saß und die Gesänge zwischen Kantor und Gemeinde aufteilen wollte, statt zwischen rechter und linke Seite; auch wurden die Bonner Bilder aus dem Leben Jesu durch berühmte Darstellungen aus der mittelalterlichen Buchmalerei ausgetauscht. Beide Projekte konnten die Bonner Hefte somit zu einem Bruchteil der Erstellungskosten an ihre Bedürfnisse anpassen. Sie waren im Gegenzug bereit, die Hefte für die geprägten Zeiten zu finanzieren: Kiel übernahm den Zyklus für die Fastenzeit; Burg Rothenfels gestaltete Hefte für die Karwoche. Von Mal zu Mal konnte nun immer stärker auf den bereits vorhandenen Fundus zurückgegriffen werden: Erläuterungen, weite Teile des Ordinariums, fast immer die Psalmen und etliche Lieder wurden im Setzkasten-System aus den bereits existierenden Heften übernommen. Statt der 4.400 Euro für den Basis-Zyklus beliefen sich die Kosten für die neuen Reihen, auf jeweils unter 1.000 Euro (Tendenz fallend). Zugleich entstand dabei ein Fundus, der über hundert Lesungen mit passenden Fürbitten und Liedern, mehrere Dutzend Psalmen in unterschiedlicher Singweise und das Ordinarium für verschiedene Tageszeiten und geprägte Zeiten enthält. Die Erstellung neuer Modelle und die Übertragung des Prinzips auf neue Kontexte und Rahmenbedingungen wird dadurch immer günstiger, je mehr Projektpartner auf dieses System einsteigen und alles, was für ihre Gottesdienste neu erstellt werden muss, zu dem Fundus beisteuern. Auch die Durchführung des Gottesdienstes ist nicht umsonst. Der Nachdruck der Liturgiehefte, von denen täglich im Durchschnitt ca. vier Stück mitgenommen werden, verursacht Kosten von rund 500 Euro im Jahr. Auch für die Teampflege und -schulung ist mit ca. 500 Euro pro Jahr zu rechnen. Diese Kosten lassen sich zu einem großen Teil, aber natürlich nicht verlässlich, durch
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III. Die Liturgie-Hefte
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Spendeneinnahmen und den Verkauf des Kleinen Mittagsgebets kompensieren. Für die wöchentlichen Stunden an hauptamtlicher Koordination müssen zudem Personalkosten veranschlagt werden. Insgesamt dürften die laufenden Kosten in der Größenordnung von um die 10 Euro pro Gottesdienst anzusetzen sein. Trotz aller Unsicherheiten in der Kalkulation zeigen die Bonner Zahlen, dass Tagzeitengottesdienste auch in einem ganz anders dimensionierten Kostenrahmen durchführbar sind, als es im Modus einer professionellen musikalischen Gestaltung wie in Coventry oder in den publizierten Schweizer Fällen notwendig ist. Ein positiver Nebeneffekt liegt darin, dass sich im Falle neuerlicher Sparzwänge durch die Abschaffung des Mittagsgebets kein Geld mehr einsparen lässt. Dass diese ›Autarkie‹ für die Selbst- und Liturgie-Wahrnehmung der Gläubigen, die den Gottesdienst besuchen, kein Nachteil sein muss, wurde oben dargelegt373. Im Gegenteil: Der Zwang zur Deprofessionalisierung nötigt die Organisatoren der Liturgie zu einer neuen Aufmerksamkeit für die spirituellen Befindlichkeiten und Bedürfnisse der feiernden Gemeinde. Nur wenn die Sehnsucht der Gläubigen nach ritueller und musikalischer Vertrautheit auf der einen, und nach geistlichen Impulsen und Herausforderungen auf der anderen Seite berücksichtigt wird, kann der Basis-Gottesdienst der Gemeinde auch die Epoche des Rückbaus professionell geleiteter und finanzierter Liturgie überdauern.
4. Dokumentation
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Als Abschluss von Teil (C) »Gestaltung« soll nun ein Beispiel der Liturgiehefte im Original-Layout dokumentiert werden, in dessen grafischer und inhaltlicher Gestaltung vieles zusammenfließt, was auf den vorangehenden knapp 300 Seiten reflektiert, abgewogen und entschieden wurde. Die liturgischen Bücher des Mittagsgebets sind in gewissem Sinne das greifbarste Ergebnis dieser Studie und können zeigen, was sich die Erforschung der Mechanismen von Motivation, Organisation und Gestalt der Tagzeitenliturgie vor allen Dingen erhofft: dass Gottesdienst stattfinde. Mit anderen Worten: dass Menschen die Möglichkeit haben, ihrem Glauben im Gebet einen ganzheitlichen Ausdruck zu verleihen; dass sie zum gemeinsamen und kommunikativen Handeln befähigt werden; dass sie in der Liturgie spirituelle Beheimatung empfinden und sich darin einer weltweiten und die Zeiten durchschreitenden Gemeinschaft verbunden fühlen; dass schließlich genau dadurch Gottes Heilshandeln in der Welt auch nach außen bezeugt werde und wenigstens ein kleiner Teil dieser Welt den Gott gebührenden Lobpreis jeden Tag anstimme. 373
Vgl. o. in Kapitel B.II.2 den Abschnitt ›Professionelle Liturgie ohne Gemeinde‹ (S. 177–181).
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16(B) Psalmodie
Der Gang Jesu auf dem Wasser 1
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Liturgieheft
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Willkommen beim Bonner Mittagsgebet, bitte nehmen Sie Platz! Im alten Chorgestühl, in dem Sie nun sitzen, saßen früher die Stiftsherren des Cassius-Stiftes, die rund eintausend Jahre lang mehrmals am Tag an den Gräbern unserer Stadtpatrone beteten. Einmal am Tag nehmen wir ihre Plätze ein. Hier können Sie zur Ruhe kommen und den Raum auf sich wirken lassen: die brennenden Kerzen, den Geruch der alten Mauern, die Malereien an der Wand, den Hall der Gewölbe. Verglichen mit draußen eine andere Welt: Dieser Raum wurde zum Beten errichtet. Beten ist Kontakt mit Gott. Und Pause vom Alltag. Nicht, um aus der Welt zu fliehen, sondern um sie einmal am Tag mit ein wenig Abstand zu betrachten. Um einen klaren Kopf zu bekommen und ein ruhiges Herz. Beten ist Besinnung auf das Wesentliche. Beten ist Gemeinschaft vor Gott. Die Einrichtung lädt zur Zusammenkunft ein. Gemeinsam beten ist Liturgie, ist Gottesdienst. Liturgie lebt von der wachsenden Vertrautheit mit den Riten, Texten und Liedern. So folgt sie der Tradition der Jahrtausende. Riten geben Halt.
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(A) (B) (C) (D) 2
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Eröffnung Hymnus Psalmodie Verkündigung Bittgebet Segen
Liturgieheft
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Eröffnung Auf das Klopfzeichen hin erhebt sich die Gemeinde. Die Vorbeterin /der Vorbeter eröffnet den Gottesdienst, dann singen alle gemeinsam. Zu Beginn ist ein Kreuzzeichen üblich, zum „Ehre sei ...“ hier und im Folgenden eine Verneigung.
Das Halleluja entfällt in der Fastenzeit.
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Liturgie ist Sprache, die erklingt. In der alten Notenschrift der Gregorianik geben die Noten keine festen Tonlängen vor. Betonungen und Längen werden wie im gesprochenen Vortrag vorgenommen. Die Melodie verleiht dem Inhalt Resonanz.
Eröffnung
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Liturgieheft
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(A) Hymnus Der Kantor /die Kantorin stimmt den Hymnus an. Dann singen rechte und linke Seite im Wechsel. Den Schluss jeder Strophe singen alle gemeinsam.
Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret, der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet, der dich erhält, / wie es dir selber gefällt. / Hast du nicht dieses verspüret? Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet, der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet. In wieviel Not / hat nicht der gnädige Gott / über dir Flügel gebreitet! Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen. Lob ihn mit allen, die seine Verheißung bekamen. Er ist dein Licht; / Seele, vergiss es ja nicht. / Lob ihn in Ewigkeit. Amen.
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T: Joachim Neander 1680 M: Stralsund 1665 / Halle 1741 Gotteslob Nr. 258 – Evangelisches Gesangbuch Nr. 316
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(A) Hymnus
Liturgieheft
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Liturgie ist Abwechslung. Das zeigt schon die Einrichtung: Im Gestühl sitzen sich zwei Seiten gegenüber. Wie Bälle werfen sie sich die Verse zu und verschmelzen zum gemeinsamen Rhythmus. So ist der Raum gedacht. So nutzen wir ihn. Liturgie ist Spiel.
Liturgie ist Körpersprache: im Sitzen den Psalmtext meditieren oder das Wort Gottes hören; zum Lobgesang und zum Gebet aufrecht stehen vor Gott; zu seiner Ehre das Haupt neigen – mit Leib und Seele Haltung einnehmen: Liturgie ist sinnlich.
Psalmen im Wechsel zu singen, ist einer der wertvollsten Schätze der Liturgie. Meditation in den tiefen Schichten der Seele. Das verbürgen hundert Generationen vor uns. Die seit langem bewährte Atemtechnik lässt uns „einschwingen“ in den Text: Mitten im Vers ist eine Pause üblich, um in Ruhe aus- und wieder einzuatmen. Der Vers- und Seitenwechsel hingegen schließt zügig und ohne Pause an. So entsteht Spannung – und Schwung.
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(A) Hymnus
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Liturgieheft
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(B) Psalmodie Psalm 61 Die Antiphon singt zunächst die Kantorin /der Kantor dann alle .
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Die Gemeinde nimmt nach dem ersten Halbvers Platz und erhebt sich vor dem letzten Halbvers .
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Höre doch, Gott, mein Schreien, merke auf mein Beten! Vom Ende der Erde ruf ich zu dir / mit verzagendem Herzen. Führe mich auf den Felsen, der mir zu hoch ist!
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Denn du bist meine Zuflucht, ein fester Turm vor dem Feinde. In deinem Zelt möchte ich Gast sein auf ewig, im Schutz deiner Flügel mich bergen. Denn du, o Gott, hast meine Gelübde gehört, gabst mir das Erbe derer, die deinen Namen fürchten.
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(B) Psalmodie
Liturgieheft
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Den Tagen des Königs füge noch viele hinzu! Seine Jahre mögen währen durch alle Geschlechter! Er throne ewig vor Gottes Angesicht! Gebiete Huld und Treue, ihn zu behüten! Dann will ich allzeit deinem Namen spielen, um meine Gelübde Tag für Tag zu erfüllen.
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Antiphon (gemeinsam)
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Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste. Wie im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.
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Antiphon (gemeinsam)
Entnommen aus: Benediktinisches Antiphonale © Vier-Türme-Verlag GmbH, Verlag, Münsterschwarzach
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Wie es funktioniert, ist schnell erklärt: 1. Der meiste Text wird auf den Rezitationston gesungen. 2. Die Unterstreichung markiert die erste Silbe, die vom __ Rezitationston abweicht. 3. Manchmal wird die erste Vershälfte unterteilt, / dann werden die unterpunkteten Silben auf die eingeklammerte Note im Psalmton gesungen. 4. Die ersten beiden Noten werden immer nur direkt nach der Antiphon gesungen. Mit einfachen Mitteln wird der Wortlaut veredelt.
(B) Psalmodie
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Liturgieheft
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(C) Verkündigung Die Gemeinde nimmt Platz. Der Lektor /die Lektorin tritt zur Heiligen Schrift und trägt die Lesung vor.
Der Gang Jesu auf dem Wasser (Matthäus 14,22–33) Gleich darauf forderte er die Jünger auf, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Spät am Abend war er immer noch allein auf dem Berg. Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. Doch Jesus begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! Darauf erwiderte ihm Petrus: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme. Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und ging über das Wasser auf Jesus zu. Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen. Er schrie: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.
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Liturgie ist Hinhören. Überall auf der Welt wird jeden Tag aus der Heiligen Schrift vorgelesen. Weil sie uns heute Impulse gibt. Gott spricht uns an.
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(C) Verkündigung
Liturgieheft
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Das Thema ist Jesus Christus. Wir lesen über den Monat verteilt die Bibeltexte zu unseren Wandmalereien: das Heilswerk Christi in 31 Bildern. Liturgie ist Hinschauen.
(C) Verkündigung
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Liturgieheft
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Stille ist kostbar in einer Welt voller Lärm und Unrast. Gemeinsames Schweigen schafft Raum zur inneren Sammlung, zum privaten Gebet oder zum Nachdenken über Gottes Wort und das eigene Leben. Aus der Ruhe kommt die Kraft.
Nach der Stille singen die Vorbeterin /der Vorbeter und alle im Wechsel das Responsorium.
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Gottes Heilstaten provozieren Lobpreis. Auf die Bibellesung antwortet die Gemeinde daher mit einem Lobgesang: Gott sei Dank.
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(C) Verkündigung
Liturgieheft
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Die Gemeinde erhebt sich. Der Kantor/die Kantorin stimmt den Lobgesang an. Dann singen rechte und linke Seite im Wechsel. Den Schluss jeder Strophe singen alle gemeinsam.
Wir loben, preisen, anbeten dich / für deine Ehr wir danken, dass du, Gott Vater, ewiglich / regierst ohn alles Wanken. Ganz ungemessen ist deine Macht, allzeit geschieht, was du bedacht. Wohl uns solch eines Herren! O Jesu Christ, Sohn eingeborn / des allerhöchsten Vaters, Versöhner derer, die verlorn, / du Stiller unsers Haders. Lamm Gottes, heiliger Herr und Gott, nimm an die Bitt aus unsrer Not. Erbarm dich unser. Amen.
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T & M: Nikolaus Decius 1522 nach der „Großen Doxologie“ (4. Jh.) Gotteslob Nr. 457 – Evangelisches Gesangbuch Nr. 179
(C) Verkündigung
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Liturgieheft
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(D) Bittgebet Der Sprecher /die Sprecherin tritt vor und spricht die Bitten der Gemeinde, die jeweils nach einem Augenblick des stillen Gebets den Herrn um sein Erbarmen anruft. Barmherziger Gott, der du unsere Schwächen kennst, wir bitten dich für alle, denen der Wind ins Gesicht bläst; für alle, die den Boden unter den Füßen verlieren; für alle, die vergeblich auf eine rettende Hand warten:
M: Ostkirchlich, mündlich überliefert
Wir bitten dich für alle, die unter verschiedenen Formen der Angst leiden; für alle, die nicht alleine sein können; für alle, die in einem Teufelskreis aus Selbstzweifeln und Misslingen gefangen sind: Liedruf /
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Wir bitten dich für alle, die Angst vor ihrer eigenen Courage kriegen; für alle, die sich helfen lassen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen; für alle, die mit ihren Glaubenszweifeln umgehen lernen: Liedruf /
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(D) Bittgebet
Liturgieheft
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Das Bittgebet wird mit dem Vaterunser fortgesetzt:
Der Lektor tritt an seinen Platz zurück.
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Fürbitte heißt: wünschen, dass die Welt heil wird. Und Gott bitten, dass er uns Menschen beisteht, so wie viele es immer wieder erfahren haben. Vor Gott füreinander und für den Rest der Welt eintreten, für die Stärkung des Guten und die Überwindung allen Unheils, und für jene Menschen, derer sonst niemand mehr gedenkt. Bitten heißt: sich mitverantwortlich fühlen für alle.
(D) Bittgebet
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Liturgieheft
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Segen
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"Der Herr segne Dich und behüte dich!" Mit diesen Worten sollen die Israeliten, soll das Volk Gottes gesegnet werden. Dieser Zuspruch ist auch ein Auftrag, selbst segensreich an anderen zu wirken: "Du sollst ein Segen sein!"
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Segen
Liturgieheft
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Möge das gemeinsame Gebet uns in unseren Alltag begleiten! Möchten Sie noch einmal über den Psalm nachdenken? Den Text der Lesung nachlesen? Das Bild in Ruhe anschauen? Oder interessieren Sie sich für die Erklärungen? Sie dürfen dieses Heft gerne mit nach Hause nehmen (Spende erbeten).
Sind Sie öfter hier? Und hätten Sie Freude daran, ab und zu auch einmal Lektor/-in, Vorbeter/-in oder Kantor/-in zu sein? Bitte sprechen Sie uns an!
Impressum Die Liturgiehefte für das Bonner Mittagsgebet werden herausgegeben vom Münsterpfarramt Bonn, Gerhard-von-Are Str. 5, 53111 Bonn. Sie dienen ausschließlich zum internen Gebrauch und zum persönlichen Gebet der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Lieder stammen aus dem Katholischen Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob“, herausgegeben von den Bischöfen Deutschlands und Österreichs und der Bistümer Bozen-Brixen, Lüttich und Luxemburg (Neuauflage Köln 1996). Die Psalmen sind dem Benediktinischen Antiphonale, Bände I-III (Münsterschwarzach 1996) entnommen. Die Fürbitten orientieren sich an Stephan Wahl, „Für alle, die leidenschaftlich von Gott erzählen. Fürbitten zu den Sonn- und Festtagen in den Lesejahren A, B und C“, als CD erschienen (Würzburg 2004). Grafische Gestaltung: Gunnar Floss, www.floss-design.com Konzeption und Text: Achim Budde Fotos: Norbert Bach
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Das Bonner Mittagsgebet finden Sie auch im Internet unter www.bonner-mittagsgebet.de
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Liturgieheft
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Der Monatszyklus der Fresken und Lesungen Die Verkündigung der Geburt Jesu Der Besuch Marias bei Elisabet Die Geburt Jesu Die Huldigung der Sterndeuter Das Zeugnis des Simeon im Tempel Die Flucht nach Ägypten Der zwölfjährige Jesus im Tempel Die Taufe Jesu Die Hochzeit zu Kana Das Gespräch am Jakobsbrunnen Die Bergpredigt Das Beispiel vom barmherzigen Samariter Der dankbare Samariter Jesus und die Ehebrecherin Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg Der Gang Jesu auf dem Wasser Die Verklärung Jesu Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen Die Heilung eines Blinden Die Segnung der Kinder Vom Weltgericht Die Auferweckung des Lazarus Der Einzug Jesu in Jerusalem Die Tempelreinigung Die Fußwaschung Das Mahl Die Verheißung des Geistes Die Leiden Christi Die Botschaft des Engels im leeren Grab Auf dem Weg nach Emmaus Jesus und Thomas
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Epilog: Chronik eines neuen Anlaufs Anstelle einer Zusammenfassung soll am Ende dieser Studie eine kleine Chronik der aus ihr hervorgegangenen Praxis stehen – angefangen beim Bonner Abendlob bis zur Initiative Ökumenisches Stundengebet, in der sich in jüngster Zeit zahlreiche Partner miteinander vernetzen, um ihre Erfahrungen und Ressourcen zusammenzutragen. Das späte Erscheinen dieses Buches ermöglicht es, diese Linie deutlich länger zu verfolgen als ursprünglich geplant. April 2004 Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines vom Bonner Ordinarius für Liturgiewissenschaft, Albert Gerhards, geleiteten Hauptseminars über Tagzeiten beginnen, einmal in der Woche ein Abendlob in der sonst kaum genutzten und geöffneten Namen-Jesu-Kirche zu feiern1. Sie experimentieren dabei mit Liturgieheften, und entwickeln die Prinzipien, die dann auch dem Bonner Mittagsgebet zugrunde liegen sollen. Mai 2004 Das »Bonner Abendlob« in der Namen-Jesu-Kirche wird nun öffentlich gefeiert. Es entstehen sechs Liturgie-Modelle, die im Wechsel benutzt werden. September 2004 Der Bonner Münsterpfarrer und Stadtdechant Wilfried Schumacher bittet Albert Gerhards um fachliche Beratung bei der Einführung eines neuen, »citypastoral« ausgerichteten Mittagsgebets im Bonner Münster, das täglich und ehrenamtlich durchgeführt werden soll. Dieser schlug vor, die Betreuung des Projekts dem Autor der vorliegenden Studie zu übertragen, der ihm durch sein Habilitationsprojekt zur Feier der Tagzeiten mit der Gemeinde und durch erste Erfahrungen mit dem Bonner Abendlob dafür gerüstet erschien. Oktober 2004 Bei der Vorstellung eines liturgischen Konzepts fallen erste Grundentscheidungen: Die Leseordnung des Mittagsgebets soll sich an den Freskenzyklus im
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Es handelt sich um eine barocke Bonner Innenstadt-Kirche in Landesbesitz, deren Nutzungsvertrag das Erzbistum Köln einige Jahre danach aus Kostengründen kündigte, und die nun im Jahr 2012 zur altkatholischen Bischofskirche wurde.
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Epilog: Chronik eines neuen Anlaufs
Hochchor anlehnen; das seit der Auflösung des Stifts im Jahr 1803 verwaiste Chorgestühl soll wiederbelebt werden. November 2004 Ein Monatszyklus von 31 Heften nimmt Gestalt an. Er wendet die Prinzipien der Abendlob-Hefte auf den Raum und die Zielgruppe des Bonner Mittagsgebets an. Ein Team von vier haupt- und ca. zehn ehrenamtlichen Liturginnen und Liturgen wird angeworben: Jeweils zwei übernehmen miteinander die Verantwortung für einen der sechs Wochentage. 29. November 2004 Am Montag nach dem 1. Adventssonntag wird im Hochchor der Münsterbasilika erstmals seit über 200 Jahren wieder Stundengebet gefeiert und damit eine seit dem 8. Jahrhundert bestehende Tradition wiederbelebt. Dezember 2004 Die Liturgiehefte ermöglichen den Anwesenden in der für sie fremden Gottesdienstform ohne Einführungen oder Regieanweisungen die aktive Teilnahme und gemeinsames liturgisches Handeln; sie werden von der ersten Woche an zum Sammlerobjekt. Das Team erhält ersten Zuwachs aus den Reihen der Teilnehmenden und als weiteres Hilfsmittel eine in der Namen-Jesu-Kirche gemeinsam eingesungene CD mit den Psalmen und Antiphonen. Januar 2005 Nach einem Rückgang der Teilnehmerzahlen zwischen den Jahren erscheinen die Stammgäste wieder treu im Chorgestühl; knapp 20 Personen kommen im Durchschnitt jeden Tag. Es überrascht, wie viele Menschen sich von Anfang an das gemeinsame Stundengebet angewöhnen wollten. Viele kommen mehrmals in der Woche.
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Passanten, die zufällig im Münster sind, werden ab sofort durch eine Lautsprecheransage eingeladen: »Liebe Gäste des Bonner Münsters! Wie jeden Mittag, so findet auch heute um Viertel nach Zwölf ein kurzes Mittagsgebet statt. Dazu heißen wir Sie herzlich willkommen und laden Sie ein, jetzt gleich hier oben im alten Chorgestühl Platz zu nehmen. Der Gottesdienst wird eine gute Viertelstunde dauern.«
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Februar 2005 Ab jetzt werden auch Plakatständer morgens vor den beiden Haupteingängen des Münsters aufgestellt, die auf das Mittagsgebet und seine Dauer hinweisen. Ihre Wirkung lässt sich anhand der Teilnehmerstatistik belegen. März 2005 Die liturgischen Abläufe stabilisieren sich nach und nach. Besonders die stark ritualisierte Körpersprache (Aufstehen und Setzen, Kreuzzeichen, Verneigung) gibt Sicherheit. Vielen bereitet es Freude, sich liturgische Kompetenz anzueignen und durch Wiederholung zu verinnerlichen. Der Gesang, vor allem die Psalmodie, bleibt demgegenüber brüchig und gelingt nur, wenn auf beiden Seiten des Chorgestühls zwei oder drei Teamer oder andere bereits eingewöhnte Personen präsent sind. Das Team ist inzwischen auf rund 25 Personen angewachsen. April 2005 Während Papst Johannes Paul II. mit dem Tod ringt, steigt die Zahl der Teilnehmenden auf über 60. Sie sehen das Mittagsgebet als Ort, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. An mehreren Schulungen für die Ehrenamtlichen (Stimmbildung, Psalmengesang, Sprecherziehung) nehmen nur wenige teil; offenbar ist für viele hier bereits eine Grenze der Einsatzbereitschaft überschritten. Mai 2005 Das Team des Bonner Mittagsgebets hat inzwischen 30 Mitglieder. Es wird der Dienst des Lektors vom Vorbeter getrennt, damit auch Menschen, die (noch) nicht vorsingen mögen, etwas beitragen können. Dennoch sinkt die durchschnittliche Beanspruchung des Einzelnen auf nur noch etwa alle 14 Tage eine Viertelstunde Dienst. Die Lektoren erhalten ein mit größerer Schrift und sinnvollen Zeilenumbrüchen gesetztes Lektionar aller Lesungen und Fürbitten, weil es sich als liturgisch inadäquat und schwierig erwies, aus den Heften abzulesen.
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Juni 2005 Es werden Plakate für die Schaukästen der Bonner Kirchen hergestellt und Flyer an den Schriftenständen und anfangs auch im Chorgestühl ausgelegt. Letztere erschließen mit wenigen Worten den Sinn der Gebetszeiten und finden guten
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Anklang bei den Freunden des Mittagsgebets; ein Einfluss auf die Teilnehmerzahlen lässt sich hingegen nicht erkennen. Gelegentliche Meldungen in den wöchentlichen Gemeindemitteilungen und vor allem in der Lokalpresse hatten demgegenüber eine fast immer messbare, allerdings nicht immer auch nachhaltige Steigerung der Teilnehmerzahlen zur Folge. Juli 2005 Die Ferienzeit erweist sich als Herausforderung: Weniger Teamer und mehr Touristen verschieben die Gewichte und lassen die Abläufe etwas holpriger werden. August 2005 Um den Weltjugendtag herum macht das Mittagsgebet seine bislang einzige Pause. Nach dem Großereignis sinkt der Wochendurchschnitt urlaubs- und erschöpfungsbedingt noch einmal kurz unter 20 Teilnehmende ab. Ende des Monats werden an zwei Tagen die Modelle der revidierten Hefte eingesetzt, verbunden mit einer Befragung der Anwesenden. September 2005 Seit Mitte September bis zum Advent ist ein stetiger Anstieg der Teilnehmerzahlen zu beobachten. Parallel dazu entwickelt sich nun auch jene musikalische Stabilisierung, die im ersten Dreivierteljahr auf sich warten ließ: Der Gesang wird sicherer und die Menschen bringen sich mit größerer Selbstverständlichkeit in den Gottesdienst ein: Immer öfter kann man auf der gegenüberliegenden Seite des Chorgestühls – in der Startphase undenkbar – alle Teilnehmenden ihre Lippen bewegen sehen. In diesen Monaten schafft das Mittagsgebet den Durchbruch, weil immer mehr Menschen es als ihre Form des Gotteslobes im Alltag angenommen haben. Es ensteht eine Art neuer Gesangskultur, in der Menschen ohne elektrische Verstärkung oder instrumentelle Begleitung den Klang ihrer Stimme erleben. Manche, die meinten, nicht singen zu können, haben dadurch neu gelernt, die Stimme zu erheben; einige von ihnen übernehmen später den Kantorendienst.
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Oktober 2005 Nun wird der neue Hefte-Zyklus eingesetzt. Die neuen Antiphonen werden bei ihrem ersten Einsatz vor dem Gottesdienst kurz mit den Anwesenden durchgesungen. Alle weiteren Änderungen erfolgen unkommentiert und ohne Pro-
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bleme. Manches – vor allem das neue Erscheinungsbild und die Zuteilung der Liedanfänge an den Kantor – löst positive Rückmeldungen aus. November 2005 Ein großer Bericht über das Mittasggebet im Generalanzeiger mit dem Titel »Mittagsgebet ist ein Renner« erwies sich als self-fulfilling prophecy. Dieser Effekt kam zur rechten Zeit: In der inzwischen erreichten Stabilität übte der Gottesdienst eine Anziehungskraft aus, die viele Neugierige auch nach dem PresseEffekt wiederkommen ließ. Dezember 2005 Im Advent gibt es dieses Jahr eigene Hefte. Sie enthalten beliebte Adventslieder als Hymnen und »Macht hoch die Tür« als Lobgesang; gelesen werden Texte aus dem Buch Jesaja. In den Wochenmitteilungen und in der erstmals erschienenen Zeitung der Citypastoral wird darauf aufmerksam gemacht. Außerdem verteilten Teamer fast täglich Handzettel auf dem Weihnachtsmarkt. Besonders unter den Teilnehmern der ersten Stunde verbreiten sich in dieser Zeit Freude, Stolz und Begeisterung über die gute Entwicklung und dadurch auch eine besondere Motivation. Im Dezember liegt der Monatsdurchschnitt erstmals über 30. Hierzu hat die Erfahrung einen Richtwert ergeben: Ab einer Zahl von 25–30 Teilnehmern sind die liturgischen Vollzüge nicht mehr gefährdet2. Januar 2006 Für die Weihnachtszeit wurde ein dickeres Heft mit drei Varianten für Hymnus und Psalm und mit Lesungen aus dem 1. Johannesbrief erstellt. Dass aus Kostengründen auf die Erstellung einzelner Hefte für jeden Tag verzichtet wurde, stieß unter den Teilnehmern auf Ablehnung. Die Ansagen zur Auswahl der Psalmen und Lieder wurden von vielen als störend empfunden.
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Guiver, Company (2001) 28, bemängelt zu Recht die verbreitete Haltung, den Wert eines Gottesdienstes von der Teilnehmerzahl abhängig zu machen. Andererseits ist der Besuch jedoch auch ein Gradmesser dafür, ob die Liturgie das Empfinden und die spirituellen Bedürfnisse der Menschen trifft. Zudem kann die Anzahl der Teilnehmer für das Gelingen des Gottesdienstes bedeutsam werden, wenn dieser wie im Bonner Mittagsgebet stark von der aktiven Beteiligung der Anwesenden lebt.
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Epilog: Chronik eines neuen Anlaufs
Februar 2006 Mit dem neuen Jahr kommt Ruhe und auch ein wenig Ernüchterung in den Betrieb: Weder den Glanz der Anfänge noch die Faszination des unerwarteten Durchbruchs gibt es zu erleben. Die Gruppendynamik im Team, das seine Zusammensetzung nach und nach stark verändert hatte, erschlafft spürbar. Offenbar ist die Verstetigung schwieriger als der Aufbau, weil sie weniger Erfolgserlebnisse verspricht. Die Teilnehmerzahlen werden über das Jahr in etwa die saisonalen Effekte des Vorjahres auf einem um ca. 10 Personen höheren Niveau wiederholen. März 2006 Ab Aschermittwoch kommt erstmals der Fastenzeit-Zyklus zum Einsatz, der in Kooperation mit der Citypastoral Kiel erstellt wurde. Die zehn Hefte enthalten als Lesungen die vollständige Bergpredigt in 20 kurzen Perikopen. Als Lobgesang wird (anstelle des ansonsten täglich gesungenen Gloria von Nicolaus Decius, GL 457) das Lied »Erhör, o Gott, mein Flehen« ausgewählt – eine Übertragung des 61. Psalms von Edith Stein, die einen ruhigen melodischen Duktus (Lyon 1547) inhaltlich mit einer zugleich flehenden und lobpreisenden Haltung verbindet (GL 302). April 2006 Aus einer Vortragsanfrage für die Rothenfelser Ostertagung ergibt sich eine weitere Kooperation: Burg Rothenfels übernimmt die Finanzierung von sechs Sonder-Heften für Montag bis Samstag der Karwoche. Diese verbinden Lesungen aus der Passion, die in den großen Liturgien nicht zur Sprache kommen, mit Lyrik christlicher und jüdischer Provenienz. Hymnen und Fürbitten werden darauf abgestimmt; für die Psalmodie werden Ps 11–13 und Ps 22 ausgewählt. Diese Hefte werden zeitgleich auf der Rothenfelser Ostertagung und (mit Bonner Einband) im Bonner Chorgestühl verwendet. Juni/Juli 2006
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Während der Fußball-Weltmeisterschaft wird täglich eines der Teilnehmerländer zum Thema der Fürbitten gemacht; Spielergebnisse sind selbstverständlich nicht Gegenstand des Gebetes. Für sporadische, kleine Stundengebete in Feuchtwangen werden erstmals Elemente des evangelisch-lutherischen Ordinariums im Layout der Bonner Hefte gesetzt.
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Sommer 2006 Trotz der guten Zahlen konnte der Gesang vor allem in den Sommermonaten wieder sehr unsicher werden. Der Trend zur zunehmenden inneren Stabilisierung der Liturgie setzt sich leider nicht automatisch fort. Das Team kann indes auf eine breitere gesellschaftliche Basis gestellt werden: Waren zunächst fast zwei Drittel der Ehrenamtlichen Studierende aus dem Umfeld der Katholisch-Theologischen Fakultät, so sinkt dieser Anteil nun nach und nach auf rund ein Drittel ab; Berufstätige und Senioren können zahlreicher für die Mitarbeit gewonnen werden. Dadurch sinkt die unter Studierenden naturgemäß recht hohe Fluktuation. Zur internen Organisation werden E-Circle für jeden Wochentag eingerichtet und zentral gepflegt. Die Koordination der sechs Wochentagsteams kann im Zuge dieser Maßnahme an Ehrenamtliche übertragen werden. Oktober 2006 Zur Festdekade der Stadtpatrone Cassius und Florentius stellen Lesungen aus der Apostelgeschichte das Zeugnis (Martyrium) der Apostel vor Augen; das Mittagsgebet schließt in diesen Tagen mit einer Prozession zur Märtyrergruft in der Krypta unter dem Hochchor. November 2006 Eine Woche lang steht das Thema »Trauer« im Zentrum des Mittagsgebets. Neben der Liedauswahl und Lesungen aus dem Buch Ijob kommt das vor allem in den Fürbitten zum Ausdruck: Täglich wird für alle Verstorbenen gebetet, deren Namen die Anwesenden in ein Totenbuch eingetragen haben. Die Nennung der Namen gerät zu einem eindrücklichen Akt liturgischer Trauerbewältigung. Es nehmen mehr Menschen teil als in den Wochen zuvor. Dezember 2006 In der Adventszeit 2006 sprengt das Mittagsgebet an manchen Tagen die Kapazität des Chorgestühls von 46 Plätzen.
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Auch das Repertoire für die Weihnachtszeit wurde in diesem Jahr auf die gewohnten Hefte umgestellt.
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Epilog: Chronik eines neuen Anlaufs
Februar 2007 Zur Fastenzeit wurde auch das ›Kleine Mittagsgebet‹ eingeführt: ein Heft im Portemonnaie-Format, das in Stil und Aufbau dem Mittagsgebet folgt. Es enthält (A) eine täglich gleiche Besinnung (anstelle des Hymnus) und für jeden Wochentag (B) einen Abschnitt aus Psalm 119, (C) eine Kurzlesung aus der Bergpredigt und (D) Fürbitten. Das ›Kleine Mittagsgebet‹ soll die Brücke vom liturgischen zum Privatgebet schlagen3 und auch Menschen, die nicht täglich ins Münster kommen können, helfen, sich die mittägliche Unterbrechung zur Gewohnheit zu machen. In den Fürbitten wird der Bezug zu allen hergestellt, »die zu dieser Stunde in der Kirche oder irgendwo beten«; denn wer betet, ist nicht allein4. März 2007 In der Fastenzeit weiß sich das Mittagsgebet zwei weiteren Gemeinden verbunden: Sowohl im Bozener Dom als auch in der St.-Nikolaus-Kirche der Kieler Citypastoral werden zur gleichen Uhrzeit die modifizierten Bonner Hefte für das Stundengebet verwandt. In allen drei Kirchen verleiht diese spirituelle Verbundenheit dem Gebet eine zusätzliche Facette, die von den Teilnehmenden als Gewinn empfunden wird. April 2007 Die Rothenfelser Ostertagung führt wieder das Mittagsgebet in der Karwoche durch. Auch für die Osterwoche wurden in diesem Jahr schließlich eigene Hefte entwickelt. Damit ist die liturgische Ordnung bis auf Weiteres komplett, und das Repertoire kann sich nun festigen. Juli 2007 Zum Semesterende übernimmt der Autor dieser Studie die Leitung der Bildungsarbeit auf Burg Rothenfels. Seine Aufgaben als Projektleiter des Bonner Mittagsgebets werden bereits im Vorfeld auf mehrere andere Personen, vornehmlich Ehrenamtliche, verteilt. Zum Konzept gehörte von Anfang an auch, dass das Gelingen nicht vom Engagement einzelner Personen abhängen soll.
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Es folgt darin einer von Hansjakob Becker vor einigen Jahren vorgestellten Idee, wie der einzelne Gläubige seinem Alltag durch ein tägliches ›Kleines Gebet‹ spirituelle Kontinuität verleihen kann; vgl. Becker, Atem (2001). Vgl. o. in Kapitel A.II.2 den Abschnitt ›Verbindung halten‹ (S. 75f).
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Diese Tauglichkeit kann das Team des Bonner Mittagsgebets in den kommenden Monaten und Jahren unter Beweis stellen. Der Wechsel nach Rothenfels hat zur Folge, dass ab dem Jahr 2008 auch auf verschiedenen Rothenfelser Tagungen Stundengebet nach dem Bonner Modell gefeiert wird. Die Resonanz darauf ist so unterschiedlich wie die Teilnehmerschaft der Tagungen. Die folgenden Einträge in dieser Chronik mögen einige Schlaglichter darauf werfen. März 2008 Auf der Rothenfelser Ostertagung erweist sich die abermalige Wiederholung des Mittagsgebets der Karwoche als problematisch. Zum einen wird der Wunsch nach Abwechlsung laut, vor allem aber passt der mittägliche Zeitansatz letztlich nicht in die Tagungsstruktur: Nachdem spannende Diskussionen im Plenum mehrmals zum Bedauern der überwiegenden Mehrheit für das Beten abgebrochen wurden, beschließt der Tagungsrat die Abschaffung des Mittagsgebets – auch um den Gottesdienst nicht durch die negative Rolle der unliebsamen Pflichtübung zu belasten. Fortan werden die Hefte stattdessen für das Morgengebet benutzt, für dessen Vorbereitung das Engagement ohnehin rückläufig war. Mai 2008 Im Rahmen der Rothenfelser Pfingsttagungen waren immer schon traditionellere Formen des Stundengebets gepflegt worden. Gerät auch der unbegleitete Psalmengesang etwas schwerfällig, so geben doch die nach Bonner Vorbild erstellten Hefte eine hilfreiche und stützende Form. Manche fühlen sich an die Zeiten unter Heinrich Kahlefeld und Romano Guardini erinnert. Juli 2008 Auf der diesjährigen Tagung mit Eugen Drewermann ist das Echo gespalten. Die einen genießen die Feierlichkeit der musikalischen Form; bei anderen löst die altertümliche Sprache und Bilderwelt der Hymnen, aber auch der Psalmen, Irritationen aus. Diese Zielgruppe würde eine offenere Gestaltung mit zeitgenössischen Texten und Liedern bevorzugen.
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August 2008 Wieder anders sind die Erfahrungen auf der Rothenfelser Chorwoche: Die Teilnehmenden bringen Chorerfahrung mit und finden großen Gefallen an den mehrstimmigen Gesängen; das Abendlob wird schlagartig und unerwartet zum festen Bestandteil des Tagungskonzepts.
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Oktober 2008 Eine eigene Tagung widmet sich dem Stundengebet. In Kooperation mit dem Deutschen Liturgischen Institut in Trier – vertreten durch Matthias Kreuels – und dem Seminar für Liturgiewissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn – vertreten durch Albert Gerhards – werden Schulungen für Gruppen aus Gemeinden ebenso angeboten wie Vorträge zu den theologischen und historischen Hintergründen. Unter den Teilnehmenden sind etliche Personen aus dem Team des Bonner Mittagsgebets. Mit der Monatsschrift ›Magnificat‹ und ihrem Chefredakteur Johannes Uphus tritt ein vierter Kooperationspartner hinzu, der Interesse an einer Vernetzung von engagierten Institutionen und Personen hat. In der Hoffnung auf längerfristige Kontinuität wird für 2009 eine Folgetagung geplant. In Summe zeigt eine Zwischenbilanz der ersten Rothenfelser Erfahrungen, dass das Stundengebet behutsam in seinen jeweiligen Kontext eingepasst werden muss. Hatten der Anfangserfolg des Bonner Mittagsgebets und die baldige, fast unveränderte Übernahme des Konzepts durch gleich zwei weitere Standorte noch zu der Vermutung verleiten können, man habe das Patentrezept gefunden, machen die Rothenfelser Erfahrungen nun deutlich, wie sehr jede Konstellation aus Teilnehmerschaft, Tagesstruktur und liturgischer Rollenkompetenz zu individuellen Lösungen drängt. Das breite Spektrum der Möglichkeiten gerät in den Blick – und die Aufgabe, den wissenschaftlichen Befund auch für andere Kontexte als die Bonner Situation fruchtbar zu machen. Sommer 2009
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Die Idee, gemeinsam auf dem Ökumenischen Kirchentag in München 2010 unter dem Label »Kleines Ökumenisches Stundengebet« Gottesdienstmodelle für die Praxis vorzustellen, führt zur Kontaktaufnahme mit zwei Münchner Schwesternkonventen als lokale Partner: mit den katholischen Schwestern vom Heiligen Kreuz, die in der Dreifaltigkeitskirche seit über 16 Jahren ein tägliches Taizé-Gebet durchführen, und mit dem Stadtkonvent München der evangelischen Communität Christusbruderschaft. Zudem können das Amt und das Liturgiewissenschaftliche Institut der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands – vertreten durch Christine Jahn und Irene Mildenberger – neben dem DLI in Trier zur Mitwirkung gewonnen werden. Dem Antrag der nunmehr acht Kooperationspartner auf vier tägliche Stundengebetsgottesdienste in der Dreifaltigkeitskirche wird stattgegeben; das Projekt findet zudem Aufnahme in die Gottesdienstwerkstatt des ÖKT.
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Oktober 2009 Die zweite Folge der Tagungsreihe stellt das Verständnis der Psalmen und den liturgischen Vollzug der Psalmodie ins Zentrum. Zugleich werden erste Überlegungen zur Gestaltung und zum konfessionellen Profil der 12 Gottesdienste auf dem ÖKT vorgenommen. Mai 2010 Während des Ökumenischen Kirchentags finden unter dem Titel »Kleines Ökumenisches Stundengebet« viermal täglich in der Dreifaltigkeitskirche Tagzeitengottesdienste statt. Unter dem Kuppelgemälde von Cosmas Damian Asam, das den immerwährenden Lobpreis Gottes, die laus perennis, darstellt, versammeln sich zwischen 25 und 110 Gläubigen unterschiedlicher Konfession und stimmen in diesen Lobpreis ein. Sie folgen morgens der evangelisch-lutherischen Ordnung, mittags der hier üblichen überkonfessionellen Ordnung von Taizé, abends dem katholischen Ordinarium in seiner Bonner bzw. Rothenfelser Umsetzung und zur Nacht einer neu geschaffenen Kombination aus Elementen mehrerer Traditionen. Die einheitlichen Gottesdiensthefte machen sichtbar, dass es sich in der Struktur, in der Körpersprache und in der Substanz um denselben Vorgang handelt. Zugleich erfährt der Fundus an grafischen Vorlagen eine Ausweitung auf Gesänge aus Taizé und aus dem evangelischen Ordinarium. Die Münchner Gottesdienste haben viele Menschen mit einer praktikablen Form des Stundengebets und tauglichen Materialien vertraut gemacht und überdies zu neuen Kontakten geführt und das Netzwerk engagierter Gleichgesinnter verdichtet. August 2010 Durch das entstehende Netzwerk und die Öffentlichkeit des ÖKT spricht sich herum, dass es erprobte und fundiert erstellte Materialien für die Feier des Stundengebets gibt. Erste Anfragen erreichen die Bildungsstätte Burg Rothenfels. Als Beispiel sei die Konsultation der europäischen Societas Oecumenica in Belgrad genannt, in deren Rahmen ein Morgenlob nach dem Prinzip des »Kleinen Ökumenischen Stundengebets« guten Anklang fand.
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Oktober 2010 Die Dynamik der Ökumenischen Kooperation überlagert und druchtränkt das Rothenfelser Tagungsprojekt. Statt sich weiter jedes Jahr eines der Elemente des Stundengebets vorzunehmen (vorgesehen war als nächstes das Bittgebet), wird die Ökumene selbst im Jahr des ÖKT zum Schwerpunktthema gemacht. Dieser
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Horizont – die Chancen des Stundengebets für die Ökumene – sollte für die Zukunft des Projekts bestimmend werden. November 2010 Gemeinsam mit dem ebenfalls ökumenisch verfassten Forum Studienjahr Jerusalem e. V. veranstaltet Burg Rothenfels das Symposion »Ökumene retten!«. Erstmals ist eine ganze Tagung vollständig und programmatisch vom »Ökumenischen Stundengebet« gerahmt. Das Forum Studienjahr Jerusalem setzt die Hefte auf der Basis dieser Erfahrung fortan auch auf seinen Exkursionen wie im Libanon oder in Trier ein. Aus dem Kreis der Studienjährler gehen in der Folge immer wieder Anfragen nach Gottesdienst-Heften für spezielle Anlässe ein. Oktober 2011 Die geplante Präsenz der Initiative auf dem Katholikentag in Mannheim erweist sich als Motor auch für die Rothenfelser Tagungsreihe: Es wird klar, dass es nicht nur um frontale Wissensvermittlung und Schulung geht, sondern auch um Vernetzung und um die gemeinsame Arbeit an Modellen und Materialien für verschiedenen Kontexte: Wie lässt sich das gemeinsame Anliegen in verschiedenen Stilen, Zielgruppen und Kontexten angemessen umzusetzen? Die Tagung präsentiert sich nun erstmals als »Werkstatt Ökumenisches Stundengebet« und mit neuen Partnern, die wertvolle Perspektiven einbringen: Mit der evangelischen »Kommunität Casteller Ring auf dem Schwanberg« – vertreten durch Sr. Dorothea Krauß – stößt eine Gemeinschaft dazu, die ähnlich wie Burg Rothenfels aus jugendbewegten Anfängen und aus einer engen Bindung an das benediktinische Mönchtum eine auf Dauer tragende Stundengebetsordnung schuf, zu der auch ihre ständig wechselnden Hausgäste eingeladen sind. Das Gymnasium und die Abtei St. Stephan in Augsburg – vertreten durch Abt Theodor Hausmann OSB und fünf 13-jährige Schülerinnen und Schüler – schlagen die Brücke zur jüngeren Generation, in der zwar das Anliegen einer wöchentlichen spirituellen Auszeit im Schulalltag auf Resonanz stößt, die konfessionellen Unterschiede und Trennungen hingegen kaum noch interessieren. Die Mannheimer Liturgieschule – vertreten durch Sabine Müller – widmet sich der spirituellen Erschließung der Liturgie und bildet gemeinsam mit der dortigen KHG das entscheidende Bindeglied für die lokale Verankerung der Initiative auf dem Katholikentag.
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Mai 2012 Auf dem Katholikentag in Mannheim führt die Initiative das offizielle Stundengebet des »Zentrum Ökumene« durch. Als adäquater Ort dafür hatte sich
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die evangelische Trinitatis-Kirche in der Innenstadt gefunden – ein qualitätvoller, moderner Bau aus Glas, Beton und Stahl mit beeindruckender Atmosphäre und Akustik. Diese Verortung stellt einerseits die Gestaltung vor die Herausforderung, einen großen Einheitsraum stimmig für das Stundengebet zu nutzen. Andererseits unterstreicht gerade dieser Bau auch die Notwendigkeit solcher Lösungen: Denn er wird als Kirche nicht mehr gebraucht und steht zum Verkauf und zur Profanierung bereit. Diese Konstellation macht in aller Dringlichkeit den Auftrag des Stundengebets deutlich, unsere Kirchen mit jener Sorte Leben zu füllen, die hineingehört, statt sie vorschnell aufzugeben. Die Prägung der Gottesdienste führt das Münchener Konzept in größerer Vielfalt fort: Am Morgen liegt das lutherische Ordinarium zugrunde, am Mittag wird die Struktur mit der Stilistik des Neuen Geistlichen Liedes gefüllt – mit einem Schwerpunkt bei dem derzeit unter Druck geratenen Repertoire von Huub Oosterhuis. Abends feiert man man die Rothenfelser Vespern nach katholischem Ordinarium, am Samstag wird zudem ein neu erstelltes Abendlob mit Wochenschluss und Sonntagsbegrüßung nach einer Handreichung der VELKD vorgestellt. Zur Nacht leiten die Augsburger Jugendlichen jeweils eine Schüler-Komplet mit Gospel und Taizé-Gesängen an. Der Besuch liegt stabil deutlich über den Münchner Zahlen und erreicht im Mittagsgebet Spitzenwerte von um die 200 Personen. September 2012
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Der Katholikentag wirkt in mehrfacher Hinsicht nach und bringt neue Entwicklungen in Bewegung. Durch die vielen Anfragen und Gespräche im Umfeld der Gottesdienste wird klar, dass das Interesse an Information dringend auch im Internet bedient werden muss. So entsteht eine Homepage, die in wenigen, kurzen Texten das gemeinsame Anliegen darlegt und die Partner der Initiative vorstellt. Die Seite www.oekumenisches-stundengebet.de wird Anfang September freigeschaltet. Die diesjährige Tagung auf Burg Rothenfels findet mit über 40 Teilnehmenden weit mehr Anklang als in den Jahren zuvor. Neu ist auch, dass die meisten Teilnehmenden aus Tagzeitenprojekten kommen. Die Arbeit an den Sachthemen und der Austausch über die Erfahrungen vor Ort werden getragen von dem Bewusstsein, dass in der über- und gemischtkonfessionellen Feier der Tagzeitenliturgie die Einheit der Kirche Wirklichkeit wird. Es wurde vereinbart, die Tagung im kommenden Jahr länger dauern zu lassen, um mehr Zeit für alles zu haben: für Schulungen, die auf konkrete Bedürfnisse der Liturgen-Teams zugeschnitten sind, für mehr Vorträge zu den theologischen und historischen Hintergründen, für die liturgische Praxis, aber auch für die Begegnung, Austausch und persönliche Kontakte.
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Weitere Projektpartner, die sich mit der Selbstdarstellung auf der Homepage identifizieren können, werden eingeladen, sich der Initiative anzuschließen. Oktober 2012
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Die Liste der Projektpartner wächst: Hinzu kommen die Berliner Melanchthonkirche – vertreten durch Pfarrer Jens Jacobi –, die katholische Kirchengemeinde in Calw – vertreten durch Pfarrer Hans-Georg Unckell – und das ökumenische Morgengebet in Hilpoltstein – vertreten durch Katharina Wagner. Weitere werden in Kürze folgen. Die Entwicklung nach dem Erscheinen dieses Buches wird sich auf der Homepage, auf Kirchen- und Katholikentagen und auf den Rothenfelser Tagungen verfolgen lassen.
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