Geist und Staat: Historische Porträts [2. Auflage. Reprint 2019]
 9783486754766, 9783486754759

Table of contents :
Vorrede
Inhalt
I. Baldassare Castiglione und die Renaissance
II. Bacon als Staatsmann
III. Pater Joseph
IV. Maria Theresia
V. Marwitz und der Staat Friedrichs des Großen
VI. Der junge Engels
Nachweise

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GEIST UND STAAT HISTORISCHE PORTRÄTS VON

WILLY: ANDREAS 2. AUFLAGE

DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG M Ü N C H E N UND BERLIN 1927

Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechtes, vorbehalten Ginband und Ausstattung des Buches von G e r t a M a r e k s

ERICH MARCKS ZU EIGEN

Vorrede. ie vorliegende S a m m l u n g historischer Bildnisse aus vier J a h r hunderten

neuerer Geschichte

verwirklicht

einen W u n s c h ,

den ich schon im Felde mit mir herumgetragen habe.

Mein

B u c h wendet sich nicht nur an den Kreis der zünftigen Gelehrten, sondern an alle, die an geschichtlicher B e t r a c h t u n g F r e u d e haben und i n m i t t e n einer verzehrenden Gegenwart Klarheit suchen über die K r ä f t e der Vergangenheit, gewirkt

die a m Aufbau unserer W e l t

mit-

haben.

Die von mir gewählte G a t t u n g des Essais g e s t a t t e t , die E r gebnisse eigener und fremder F o r s c h u n g nach einem

bestimmten

F o r m g e s e t z herauszuarbeiten, das der Strenge und Geschlossenheit freilich nicht e n t r a t e n darf, obschon sich die Dinge freier meistern lassen als in der spröderen A r t der wissenschaftlichen Abhandlung. Die Gegenstände reihen sich keineswegs so locker

und will-

kürlich aneinander, wie es auf den ersten Anblick scheinen m ö c h t e . Ich habe diejenigen meiner Arbeiten ausgeschieden, die sich nicht in den R a h m e n des Ganzen einfügen ließen. Ein einheitlicher Plan, ein

innerer

ich

in

Zusammenhang

einigen W o r t e n

der R e n a i s s a n c e

liegt

wohl

dem

hinweisen

Werk darf.

zugrunde,

auf

den

Zwei P o r t r ä t s

aus

eröffnen die Sammlung, die den Leser durch

die J a h r h u n d e r t e und E p o c h e n der neueren Zeit führen will. dem

berühmten Verfasser

des Cortegiano

In

besitzt jene großartige

geistige Bewegung ihren südlichen Vertreter,

in B a c o n

findet sie

ihren nordischen Widerhall. Im Ausgang des Castiglione klingen aber bereits die Stimmungen der G e g e n r e f o r m a t i o n an. P a t e r J o s e p h bringt

dieses

mächtige

Zeitalter religiöser Leidenschaft zu W o r t .

Freilich, die W e l t Richelieus, in der sein Gehilfe, der Kapuzinermönch, sich bewegt, leitet mit ihrer Betonung der kühlen S t a a t s räson

und

dem Aufstieg der Krongewalt

schon

in jene

Epoche

V

hinüber, der das unumschränkte Fürstentum durch seine schöpferischen Taten das Gepräge verleiht. A b s o l u t i s m u s u n d A u f k l ä r u n g spiegeln sich im Reich der Maria Theresia, f ü r deren Regierung die Auseinandersetzung mit dem friderizianischen Preußen zur Lebensfrage wurde. Diesen Staat nun verteidigt Marwitz als glühender Bewunderer Friedrichs des Großen nicht nur in seinem überlieferten Bau, sondern auch im Befreiungskampf gegen die von Napoleon geführten Gewalten der R e v o l u t i o n , die Europa von Grund aus umgeformt haben. Marwitz wird im Widerstand gegen die Reformer und den aufkommenden Liberalismus zum Vorkämpfer der R e s t a u r a t i o n . Diese folgt einem Zeitalter voll stürmischer Umbildungen. Aber auch die Gegenkräfte bleiben rastlos am Werk. An der Vorbereitung einer neuen R e v o l u t i o n arbeitet zusammen mit Marx und anderen Feinden der alten Staats- und Gesellschaftsordnung der junge Engels. So hebt sich jedes dieser Bildnisse ab vom Hintergrund großer Zeitstimmungen und bewegender Weltanschauungen, die einander ablösen. Zugleich aber steht hinter den dargestellten Personen immer ein Staats- und Volksleben in festumrissener Eigenart und schicksalhaftem Ausdruck. Das ohnmächtig zersplitterte Vaterland des Castiglione ist der Tummelplatz, sein I t a l i e n der Kampfpreis in dem Weltgegensatz zwischen Frankreich und Spanien, den Reichen Franz des Ersten und Karls des Fünften. Noch im sechzehnten Jahrhundert erhebt sich als neu aufstrebende Großmacht des Nordens und Todfeind Spaniens das E n g l a n d der Elisabeth, aus dem Bacon herkommt. Père Joseph aber hilft das F r a n k r e i c h Kardinal Richelieus sieghaft hinausführen in die vielverschlungenen Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges, als dessen Opfer ein erschöpftes D e u t s c h l a n d zurückbleibt. Die beiden Staaten jedoch, die im zerfallenden Heiligen Römischen Reich sich zu selbständiger Lebenskraft als Großmächte entfalten und schließlich um die Vorherrschaft ringen, sind das Ö s t e r r e i c h der Maria Theresia und das P r e u ß e n Friedrichs des Großen. Zwischen beiden steht das deutsche Schicksal, die Zukunft der Nation. Noch ist diese Daseinsfrage des deutschen Volkes nicht gelöst, und schon erhebt in Engels, dem Freunde von Marx, d i e l n t e r n a t i o n a l e d a s Haupt, um die nationale Gedankenwelt zu zerstören. Die Umwälzungen des zwanzigsten Jahrhunderts werfen ihren Schatten voraus. So wünschte ich, daß in der bunten Reihe dieser Porträts die größeren europäischen Zusammenhänge etwas hervortreten und

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der Reichtum ihrer umgebenden staatlichen Welt mitaufleuchte, nicht zuletzt aber neben der Verschiedenheit der gesellschaftlichen Stellung die menschliche Fülle der Persönlichkeit. Der italienische H o f m a n n und der englische Philosoph der Renaissance, der französische Mönch der Gegenreformation, die u n u m s c h r ä n k t e Herrscherin der Aufklärungszeit, der märkische J u n k e r der Befreiungskriege und der zum Sozialistenführer sich entwickelnde rheinische Fabrikantensohn der Vormärztage, jede dieser Erscheinungen ist in sich etwas Unvergleichliches und a t m e t die uns beglückende, ja berauschende Gewißheit von der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit des Lebens. In all diesen Menschen, ihren Schicksalen und Werken vollzieht sich die Auseinandersetzung und Durchdringung von Geist und Staat. Eine Betrachtung, die von der einen zugunsten der anderen Sphäre glaubte absehen zu können, würde letzten Endes zu Einseitigkeit u n d Verarmung f ü h r e n . Der Historiker kann seines Amtes nur walten in tiefer E h r f u r c h t vor dem unendlichen Reichtum der geschichtlichen Welt und dem geheimnisvollen Gewebe ihrer Kräfte. Liebevoll gebe er sich ihren Erscheinungen hin, ohne sich durch die Leidenschaften des Tages die Unbefangenheit und Schärfe des Blicks rauben zu lassen. Mehr als je muß er heute sich erfüllen mit dem unerschütterlichen Willen zur Gerechtigkeit, der §eim Handwerk adelt. Die Schatten aber, die er aus dein Totenreich Ibeschwört, werden Farbe und Leben erst gewinnen, wenn sie von seiinem Herzblut getrunken haben. E r hat sie nicht zu richten, sondeirn zu verstehen. Gelingt ihm das in den Grenzen, die nun eininall unserer Erkenntnis gezogen sind, so weitet sich sein enges D a s e i n , und es s t r ö m t ein Hauch hinein aus Gottes großer Welt. B e r l i n , im Juli 1922.

W. Andreas.

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Inhalt. Seite

Vorrede I. Baldassare Castiglione und die Renaissance 11. Bacon als Staatsmann III. Pater Joseph IV. Maria Theresia V. Marwitz und der Staat Friedrichs des Großen VI. Der junge Engels Nachweise

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Baldassare Castiglione und die Renaissance.

A n d r e a s , Oelst und Staat.

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R

affael hat das Brustbild eines Mannes gemalt, der die Mitte der dreißiger Jahre hinter sich haben mag. Der Kopf ist ein wenig zur Seite geneigt. Mit ruhiger Aufmerksamkeit, beseelt, fast gütig wendet sich der Blick dem Beschauer zu. Das Gesicht wird von einem dichten Vollbart umrahmt. Etwas Leidenschaftsloses liegt darin. Aber es wirkt nicht unmännlich. Man könnte zweifeln, ob man einen Patrizier oder einen Gelehrten vor sich hat. Die Haltung dieses Herrn ist anspruchslos, ohne eine Spur von Pose. Die Hände leicht, wie zufällig, ineinandergelegt. Die Kleidung hat der Maler in prächtig großem Wurf angeordnet, grau und schwarz. Der weiße Einsatz des Hemdes und das Fleisch leuchten tiefer darin auf. Eine ausdrucksvolle Einfachheit spricht aus der ganzen Erscheinung, die sich von einem gedämpften Hintergrund kräftig abhebt, eine Vornehmheit, die keines Nachdruckes bedarf, um zu überzeugen. Der Mann ist Graf Baldassare Castiglione, ein Freund und Gönner des Künstlers, in dessen Werkstatt er ein- und ausging. Im Verkehr mit diesem feinen Kenner, der allerdings nur beschränkte Mittel besaß, um seine edlen Liebhabereien zu pflegen, hat Raffael mancherlei Anregung empfangen. Durch ihn hat er wertvolle Be« Ziehungen angeknüpft und unterhalten, mit ihm zusammen hat er sich in die Betrachtung der römischen Altertümer versenkt.

Castiglione gehört nicht zu den Großen seines Zeitalters. Persönlichkeit und Schicksal haben ihn auf keinen überragenden Platz emporgetragen. Um so sicherer kann man an ihm Höhe und Weite ermessen, die in seinem Gesellschaftskreis die Renaissanceentwicklung erreicht hat. Er war keine Kämpfernatur, die mit den Kräften ihrer Epoche rang, sie innerlich überwand oder ins Ungewöhnliche steigerte; er nahm sie liebevoll in sich auf, um sie zu stillem Gleichmaß zu entfalten. Sein Leben, obgleich in wechselvolle Ereignisse 1»

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verflochten, war kaum von Stürmen durchbraust. Er hat Enttäuschungen erlitten; aber sie griffen nicht an die Wurzel seines Daseins, es sei denn jener eine große Schmerz, der seine letzten J a h r e verbitterte. Gunst und Liebe haben ihm gelächelt, ohne ihn seinen ruhigen Bahnen und der Schlichtheit seines Wesens zu entfremden. Vergeblich forscht man bei ihm nach außerordentlichen Erlebnissen. Castiglione, der Sohn eines mantuanischen Edelmannes, ist in der oberitalischen Welt heimisch geblieben. Er war fast noch ein Knabe, als Karl VI II. seinen Eroberungszug a n t r a t : Italien ward zum Tummelplatz der Fremden. Hier und zumal in der lombardischen Ebene trugen sie den Kampf um ihre europäische Stellung aus. Diese großen Gegensätze und ihre Abwandlung begleiteten Castiglione von Kindheit an bis zum Tode. Sein persönlicher Weg führte ihn dahin, daß er am Ende seines Lebens bei den Feinden des Reiches stand, in dessen Machtsphäre ein Teil seiner Jugend verlaufen war. Am Mailänder Hof Lodovico Moros, der die Franzosen gegen Neapel gerufen hatte, um schließlich als Opfer seiner eigenen Ränke zu fallen, begann Castiglione. Indessen vor dem Zusammenbruch der Herrschaft Lodovicos befand sich Baldassare bereits im Gefolge der Gonzagas, denen er durch seine Mutter verwandt war. In ihren Dienst ist er nach einer jahrelangen Spannung wieder zurückgekehrt. In der Zwischenzeit hat er den Herzögen von Urbino gedient und an den bewegten Geschicken ihres Hauses teilgenommen. In den begrenzten Verhältnissen dieser kleinen Herren hätte sich Castiglione nie zum Staatsmann größeren Stils entwickeln können, selbst wenn ihn ein stärkerer Ehrgeiz getrieben hätte. In ihrer Schule konnte man sich zwar scharfsinnige Berechnung und alle Handgriffe des diplomatischen Fachs aneignen: Verstellung, Geschmeidigkeit und zähe Ausdauer. Aber in dem Getriebe kleinlicher Leidenschaften mangelten doch bedeutende Ziele, die wahre männliche Tatkraft hätten wecken können. So fiel auch Castiglione keine Aufgabe zu, die kühne Entschlußfähigkeit oder Einsatz der vollen Persönlichkeit forderte. Aber einen klugen Beobachter verlangte in jedem Fall die tastende Politik dieser Höfe, die einander eifersüchtig belauerten und doch insgemein vor denselben Lebensfragen standen: sich mit dem heiligen Stuhl, dessen Begehrlichkeit der ihren gleichkam, nicht zu überwerfen und sich im Ringen der großen Mächte zu behaupten. Takt und sicheren Geschmack durfte ein Geschäftsmann nicht vermissen lassen, wenn er den Ansprüchen einer überfeinerten Gesellschaft genügen wollte, die auch an Staats-

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Schriften und amtliche Ansprachen den Maßstab des Kunstwerkes anlegte. Graf Baldassare war imstande, solche Erwartungen zu befriedigen. Er verkörpert einen Typus, dem man unter den Politikern jener Tage häufig begegnet. Er war Kriegsmann, Höfling, Diplomat und Gelehrter in einer Person. Die Zersplitterung Italiens in zahlreiche kleinere Staatengebilde, in denen verschiedenste Bedürfnisse und Möglichkeiten zusammentrafen, begünstigte ja die vielseitige Ausbildung des einzelnen. So hat auch Castiglione immer wieder den Degen mit der Feder vertauscht, die Arbeit in Kanzlei und Lager mit den Zerstreuungen höfischer Muße. Die Gegensätze, die das Leben seiner Nation zerrissen und doch so reich machten, die Ruhelosigkeit politischer Wirrsale neben einer Überfülle geistiger und künstlerischer Genüsse zeichnen sich auch in den äußeren Linien seines Daseins ab, wie sie es innerlich bestimmt haben. Er kämpfte mit Herzog Francesco von Mantua nach dem Sturz des Mohren im französischen Heer. Als Guidobaldo von Urbino mit Cesare Borgia in Fehde lag, führte Castiglione einen Trupp Reiter an. Für Guidobaldo, seinen Herrn, nahm er den Hosenbandorden in England in Empfang. Mehrere Jahre lang vertrat er den Herzog, später die Gonzagas bei der Kurie, wo er seinen schmiegsamen Geist mit dem Reichtum des Medicäischen Rom erfüllte. Aber selbst diese Eindrücke verdrängten nicht die Erinnerung an die glücklichen Tage von Urbino. Dort in der köstlich ausgestatteten Bibliothek konnte er sich in das Studium der Alten vertiefen, dem er sich einst als Jüngling unter der Leitung Calcondilas, Merulas und des älteren Beroaldo gewidmet hatte. Da bewegte ersieh als einer der liebenswürdigsten Gesellschafter im erlesenen Kreis der fürstlichen Familie. So floß sein Leben in reizvollem Wechsel dahin, nicht ganz frei von den Unbequemlichkeiten seines Berufes und häuslichen Sorgen, aber doch überwiegend freundlich gestimmt. Castiglione war ein durchgereifter Mensch von fünfundvierzig Jahren, als er von Papst Clemens VII. zum Protonotar und Apostolischen Nuntius am kaiserlichen Hof ernannt wurde. Zwei Tage nach seiner Ankunft in Madrid traf die Meldung von der Schlacht bei Pavia und der Gefangennahme des französischen Königs ein. Karl V. stand auf dem Gipfel der Macht. Es war ein inneres Verhängnis, daß gerade ein Mann von der lauteren Gesinnung Castigliones in die verwickelten und trüben Zusammenhänge der neugeschaffenen Lage hineingestellt wurde. Denn zu keiner anderen Zeit zeigte sich die Verschlagenheit der Renaissancepolitik, das unfruchtbare Verhandeln mit hundert Ausflüchten und Vorbehalten, das gleißende

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Versprechen mit dem Meineid im Hintergrund in grellerem Licht als während jener Jahre, die dem offenen Ausbruch des Kampfes zwischen Kaiser und Papst vorausgingen. Kaum je sind sich auch zwei Gegner innerlich widerspruchsvoller gegenQbergetreten als die beiden Häupter der Christenheit, die so eng aufeinander angewiesen waren: der doppelzüngige Papst, ein echter Sproß seines Hauses, nach dessen Erhöhung er trachtete, schwankend, seine Fäden immer nach den verschiedensten Seiten hin spinnend, und doch kurzsichtig bis zur Verblendung; der Kaiser, ein getreuer Sohn der Kirche, unwandelbar im Glauben, aber als weltlicher Herrscher empört über die Unzuverlässigkeit des heiligen Vaters, vor dem er sich demütig auf die Knie warf. Dem Grafen konnte die wachsende Gereiztheit beider Teile nicht entgehen. Er selber wünschte ihr Einvernehmen nicht nur als ein Gebot der Vernunft, sein Herz hing daran. Clemens war umworben von den auswärtigen Staaten. Um den ewig Zaudernden rangen in seiner nächsten Umgebung zwei Parteien, in seinem Datar Giberti die Anhänger Frankreichs, in Nikolaus von Schönberg die Kaiserfreundlichen. Castiglione hielt sich zu dem deutschen Erzbischof, ihm klagte er seine Besorgnisse, seine Zweifel. Er wurde nicht müde, inständig zur Eintracht, zum allgemeinen Frieden zu mahnen. Er warnte vor der Herrschsucht des französischen Königs, der Italien ausnützen und dann als Beute einstecken werde. Man schlug seinen Rat in den Wind. Der sonst so mißtrauische Papst ließ sich nach der anderen Seite hin fortreißen. In seiner Angst vor dem spanischen Übergewicht verstrickte er sich immer tiefer in die Netze von Karls Gegnern. Castiglione mußte einer Politik dienen, die er verurteilte. Er war schmerzlich betroffen, als sich die amtliche Sprache feindselig verschärfte, und doch vernahm er auch jetzt aus dem Munde des Kaisers immer noch Beteuerungen der Ehrfurcht und kindlichen Ergebenheit. Er unterdrückte den Argwohn, der in ihm aufkeimen wollte, und glaubte nach wie vor an den guten Willen Karls. Wäre Castiglione innerlich weniger vornehm gewesen, so hätte ihm jener vielleicht dieselben Bedenken eingeflößt wie seine Minister. Aber selbst dann hätte es einer bohrenden Menschenkenntnis bedurft, das Doppelwesen dieses schwerflüssigen, spröden Monarchen zu durchschauen, in dem sich inbrünstige Frömmigkeit so seltsam mit staatlichem Ehrgeiz durchdrang. Den ganzen Umfang des drohenden Unwetters konnte Castiglione nach seinem entfernten Standort, nach der gesamten Lage

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und dem zwiespältigen Benehmen des Kaisers keinesfalls ahnen. Um so tiefer beugte ihn die Nachricht von der Erstürmung und Zerstörung Roms durch die wilden Horden der Landsknechte nieder. Und als nun gar der gefangene Papst ihn der Pflichtversäumnis beschuldigte, weil er Karls Absichten verheimlicht habe, verwundete ihn diese Anklage aufs schwerste. Es gelang ihm zwar, sich zu rechtfertigen und den Grollenden zu versöhnen. Er wandte all seine Kraft auf, die zerrissenen Bande wieder anzuknüpfen, und fand Erkenntlichkeit. Aber er gewann die Lebensfreude und seine Gesundheit nicht völlig wieder. Die Gunstbeweise des Kaisers gaben ihm den Frieden nicht zurück. Er verschmähte das angebotene kastilianische Bistum. Die spätere Aussöhnung zwischen Kaiser und Papst erlebte er nicht mehr. Keine vollen zwei Jahre nach dem Fall Roms verschied er zu Toledo. In seinem Ausgang erfüllte sich wie im Gleichnis das Los seines Vaterlandes, das der Fremdherrschaft, der nationalen Vernichtung anheimfiel. Der sanfte Sproß aus Condottiereblut zerbrach letzten Grundes an dem Weltgegensatz Frankreichs und Spaniens, der ein Jahrhundert von Kämpfen entfesselte.

„Meine Herren", sagte Karl V. beim Tode Castigliones, „einer der besten K a v a l i e r e der Welt ist gestorben". Er war es. Kein Wort konnte ihn treffender schildern, faßt man es in jenem weiten Sinn, den er selber ihm aufgeprägt hat. Baldassare Castiglione hat als Dichter wenig hervorgebracht. Von Anfang an floß die Quelle spärlich. Als die Geschäfte sich häuften, versiegte sie ganz. Daß er aber voll lebhaften Anteils inmitten der literarischen Bewegung stand, bekundete sein Eifer in der Sprachenfrage. Die Ansichten, die er vertrat, waren denen seines Freundes Bembo genau entgegengesetzt. Dieser nahm die großen Florentiner des Trecento zur Richtschnur. Castiglione schätzte sie, ohne sie als ewiggültiges Orakel zu verehren. Er mied die veralteten, abgestorbenen Formen. Als Maßstab erklärte er den lebendigen Gebrauch. Er wünschte die toskanische Schriftsprache durch die Redeweise der anderen Städte, soweit sie vom wirtschaftlichen und geistigen Verkehr durchströmt waren, aufzufrischen und zu bereichern; auch den mundartlichen Ausdruck und eingebürgerte Fremdworte wollte er in gewissem Umfange mitheranziehen. Er selber bevorzugte die latinisierenden Formen. Wenn er sich bemühte, einfach italienisch zu schreiben oder, wie er meinte, in der Umgangs-

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spräche der Gebildeten aller Gegenden, so regte sich in ihm wohl ebenso stark nationales Empfinden wie ein gesundes provinziales Selbstgefühl, das sich gegen die Bevormundung durch Toskana sträubte. Ihm selber standen zwei Sprachen zu Gebote. Als er noch in Urbino weilte, verfaßte er mit seinem Freund Cesare Gonzaga die Ekloge Tirsi zum Ruhme der Herzogin. Langatmige Ergüsse, die heute nicht mehr erwärmen, wohlgedrechselte Schmeicheleien, darin sich seufzende Schäfer überbieten. Diese im ländlichen Kleide einherstolzierende höfische Gespreiztheit übt nicht einmal einen Reiz aus, wenn man sich die Liebhaberbühne dazudenkt und überlegt, daß- sich bestimmte Personen der Gesellschaft dahinter versteckten. Nicht minder frostig wirken die meisten italienischen Sonette mit ihrem faden Schmachten, ihrem erkünstelten Feuer. Man nimmt die Ansätze wahr, die in der nächsten Generation, im Barock, zum hohlen Pathos entarten. Castigliones Lyrik schwang sich nicht über den Durchschnitt empor. Wie alle Zeitgenossen strebte er nach Petrarkas schmelzender Eleganz. Aber auch bei ihm dieselben blutlosen Gefühle, die gleiche Dürre des Ausdruckes, die aus mangelnder Erlebnistiefe herrührte. Gewiß waren auch die lateinischen Dichtungen des Grafen, der zu den gewandtesten Stilisten dieser Sprache zählte, aus keinem ursprünglich starken Drang erwachsen. Aber sie zeigen doch einen glücklicheren Wurf. Sanfte, zarte Töne herrschen darin vor, sinnende Betrachtung mit einem leisen Hauch von Melancholie. Durch andere weht eine kühle Anmut, wenn er etwa das lustwandelnde Mädchen am Ufer vor den Ungeheuern der Tiefe warnt, und wärmeres Empfinden atmen die Elegie und die schöne Grabschrift, die er seiner Frau gewidmet hat. Allerdings, hätte Castiglione nichts anderes hinterlassen als seine Verse, Spielereien eines großen Herrn, so wäre sein Name bald verschollen, obwohl Giovio ihm überschwengliches Lob zollte. Der Nachwelt-hat ihn sein Buch vom Cortegiano überliefert.

Der Urbinatische Hof hat in diesen Gesprächen eine unwillkürliche Verklärung empfangen. Castiglione schrieb sie nieder in dankbarer Erinnerung an die Tage, die er dort verbringen durfte. Er lobte gern, wo er sich verpflichtet fühlte. Die Gönner der Humanisten waren es ja gewohnt, daß man ihnen Weihrauch streute. Und doch war es mehr als Liebedienerei, wenn in dieser literarischen Verherrlichung die Lichtseiten stärker zur Geltung kamen als die

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Schatten, die kaum einem dieser Höfe fehlten. Die Wirklichkeit erfuhr eben im Kunstwerk ihre natürliche Steigerung, ihre Stilisierung, ohne unwahr zu werden. Schwerlich hat die Unterhaltung immer jene Höhe erreicht, auf der sie Castiglione, mitunter sogar etwas gesucht und anspruchsvoll, festhält. Aber die Gegenstände, die im Cortegiano berührt werden, sind gewiß oft von den Kavalieren und Damen in Urbino erörtert worden, nur jedenfalls nicht in dem geschlossenen Zusammenhang und der schönen Ordnung, in die Castiglione sie später gebracht hat. Das Leben der fürstlichen Familie und ihrer Umgebung war in der Periode, als Messer Baidassar dort weilte, von einer Stimmung behaglichen Genusses erfüllt. Im ganzen spielten damals die literarischen Künste eine größere Rolle als die bildenden. Da Herzog Guidobaldo leidend war, stand seine Gemahlin Elisabeth, die entsagungsvoll an der Seite ihres Mannes dahinlebte, im Mittelpunkt des höfischen Kreises, eine feine Frau von unantastbarem Ruf, etwas farbloser als ihre lebendurchglühte Schwägerin Isabella von Este-Gonzaga. Ihr war durch Bande der Freundschaft und des Blutes teuer Madonna Emilia Pia, eine junge Witwe von heiterer Überlegenheit und weltklugem Sinn. Sie wurde von der Herzogin gewissermaßen als ihre Stellvertreterin angesehen. Um diese beiden Frauen scharte sich in bunter Reihe eine Anzahl Männer; sie gehörten nach Herkunft und Verdienst der ersten italienischen Gesellschaft an: der angenommene Sohn und Nachfolger des Herzogs, jener ungestüme Francesco Maria della Rovere, der einen Kardinal auf offener Straße niederstach, die Brüder Fregoso, von denen der eine später Doge von Genua, der andere Erzbischof von Salerno wurde, beide von einer feindlichen Partei aus ihrer Heimat vertrieben, Cesare Gonzaga, der Castigliones Herzen am nächsten stand, Giuliano de Medici, der Bruder von Papst Leo, auch er ein Verbannter, endlich Graf Lodovico Canossa aus einer angesehenen Veronesischen Familie; er tat sich später als einer der eifrigsten Anhänger Frankreichs hervor. Zu ihnen gesellte sich Bembo zu mehrjährigem Aufenthalt. Andere kamen als Freunde des Hauses, ohne sich förmlich niederzulassen, unter ihnen Bernardo Dovizi aus Bibbiena, wohlbekannt durch seinen Hang zum schönen Geschlecht und seine schlüpfrigen Witze. Den roten Hut hat er trotzdem errungen. Seine Calandria, diese zügellose Komödie, wurde in prunkender Ausstattung mit einem erdrückenden Beiwerk von Musik und Tänzen in Urbino aufgeführt. Die plastische Kunst war durch

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den Bildhauer Gian Cristoforo vertreten. Auch Bernardo Accolti, ein verhätschelter Stegreifdichter, dessen Erscheinung ans Possenreißerhafte streifte, tauchte hier auf, um der Herzogin seine wunderlichen Huldigungen darzubringen, und natürlich fehlte auch, wie an den meisten dieser Höfe, der eigentliche Spaßmacher, Fra Serafino, nicht. Fast allabendlich versammelte man sich in dem weitberühmten herrlichen Palast, den Federigo von Montefeltro hatte erbauen lassen, in den Gemächern der Herzogin zum Plaudern, Musizieren und Spielen.

All diese Personen treten im Cortegiano auf und sind durchweg von ihrer liebenswürdigen Seite aufgefaßt. Keine empfindet man als störend. Wird irgendwo auf eine Eigenheit oder kleine Schwäche angespielt, so geschieht's mit schalkhaftem Verständnis. Castiglione verrät unzweifelhaft Gefühl für die Individualitäten seiner Umgebung, und wenn er sie nicht in ihrem vollen Reichtum ausdrückt, so liegt das vielleicht weniger in einem Versagen des Autors als im Stil seines Werkes begründet. Im Cortegiano kommt jeder nur als Glied der Gesellschaft zu Wort, als Vertreter gewisser allgemeingültiger Ansichten. Die aber vertragen nur eine leise persönliche Tönung, gerade soviel, um nicht unliebsam hervorzustechen. In geschlossen oder überwiegend aristokratischen Zirkeln baut sich der Verkehr auf der Ebenbürtigkeit aller Beteiligten, der selbstverständlichen Anerkennung gewisser meist unausgesprochener Voraussetzungen auf. Da werden sich ohnehin die Kontraste einigermaßen verwischen, die einzelnen im Rahmen des gesellschaftlichen Gesamtbildes gebundenere Linien aufweisen. Gewiß hätte Castiglione die Menschen seines Kreises noch schärfer beleuchten und gegeneinander abstimmen können, wenn er darin seine Aufgabe erblickt hätte. Aber ihm lag ja daran, sie mehr in ihrer Gemeinsamkeit zu erfassen. Ihre Verschiedenheit diente ihm bloß dazu, die Unterhaltung anregender zu machen. Solche halb unbewußten ästhetischen Maßstäbe bestimmten Castiglione wohl dazu, Allzupersönliches abzudämpfen, und hinzukam die wohlerzogene Verbindlichkeit seines eigenen Wesens, die Rücksicht auf Lebende und Tote und die Neigung zum Schönreden, der man in solcher Umgebung nicht völlig entgehen konnte. Der Dialog gehört zu den beliebtesten Ausdrucksformen der Renaissance, die den alten Meistern nachgeahmt sind. Castiglione hat ihn sogar mit einer gewissen Vollendung behandelt und ihm viel von seiner Sprödigkeit abgestreift. Die Sprechenden äußern sich leicht und zwang-

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los, sie wirken nicht nur als steife Träger einer Theorie, die ihnen der Verfasser zufällig in den Mund legt. Das Individuelle leuchtet durch, ohne sich aufdringlich breit zu machen. Der Ton der Plauderei bleibt im ganzen, soweit es überhaupt möglich ist, gewahrt. Castiglione besaß dialektische Schulung. Sie war die Frucht seiner humanistischen Bildung und einer intellektuellen Reizbarkeit, die sich mitunter in glattes Akademisieren, in klügelndes Hin- und Herreden verlor. Als Mann des Salons hatte der Graf das lebhafteste Vergnügen an der Konversation und teilte mit den großen Florentinern Machiavell und Guicciardini die Freude an These und Antithese. Freilich, er konnte der Schwäche nicht ganz widerstehen, mit seinem Wissen, das er auf weiten Streifzügen durch die griechischen und römischen Schriftsteller zusammengetragen, aber nicht immer verarbeitet hatte, ein wenig zu prunken, und so geht der Dialog an einigen Stellen aus tändelndem Spiel in lehrhafte Breite über. Wie trocken muten uns seine Ausführungen über die verschiedenen Gattungen des Witzes an; überdies entlehnt er sie zumeist dem Cicero, aber auch Pontan. Dies Thema bot ibm zugleich willkommenen Anlaß, allerlei kleine Geschichten, auch derbere Possen nach dem Geschmack seiner sonst recht wählerischen Leser einzustreuen, und zwar in so ermüdend langer Folge, daß sie zum Schönheitsfehler des Buches wurden. Castiglione hätte kein Renaissancemensch, ein schlechter Kenner der höfischen Gesellschaft sein müssen, hätte er nicht auch den erotischen Dingen einigen Raum gelassen. Er durfte sicher sein, auch bei den tugendhaftesten Frauen seines Kreises keinen Anstoß zu erregen, wenn er gelegentlich von gewagten Situationen erzählte. Mit der tollen Ausgelassenheit des Boccaccio zu wetteifern, lag ihm fern. Er spielte ein wenig mit dem Pikanten, durchtränkte es doch die ganze Atmosphäre, in der er lebte. Im übrigen fand er für die Ehrbarkeit stets Wortes des Lobes.

So klingen in diesem Buch mannigfachste Stimmungen der Zeit an. Castiglione verstand es, fast alle von den Schöngeistern Italiens damals erörterten Probleme irgendwie mit jener Hauptfrage zu verweben, die von den Kavalieren und Damen Urbinos beantwortet wird: Wie muß der Hofmann beschaffen sein, wenn er diesen Namen verdienen will? Oftmals ist aufgezählt worden, welche Eigenschaften Castiglione von dem vollkommenen Hofmann fordert. Er soll aristokratischer Herkunft sein, in den Waffen vorzüglich seinen

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Beruf sehen und mit selbstverständlicher Beherrschung aller körperlichen Fertigkeiten umfassendste geistige Bildung vereinen. Er darf nichts verabsäumen, was in der Gesellschaft Beachtung findet. Er muß sich Kunstkennerschaft auf Grund eigener Übung erwerben, Musik treiben, Verse machen und von der Malerei wenigstens soviel verstehen, daß er für die Aufnahme des Schönen empfänglich sei. Aber erst die kühle Lässigkeit, das Zwanglos-Selbstverständliche verleihen einem so vielseitigen Können den rechten Adel. Der Hofmann darf sich nicht als Virtuose brüsten wollen. Diese Forderung bekundete einen verfeinerten Geschmack, sie zeigte aber auch an, welchen Grad von Sicherheit das Selbstgefühl des Renaissancemenschen erreicht hatte, dessen Lebensäußerungen alles Mühsame, alles Erarbeitete abstreifen sollten, um in anmutiges Spiel überzugleiten. Überhaupt deutet die ganze Fragestellung Castigliones die Reife, ja Überreife jener Kultur an: sie spiegelte sich bereits im vollen Lichte der Bewußtheit, sie fing an, sich selber interessant zu werden und grenzte mit Stolz ihre Eigenart gegen die anderen Nationen ab. Dieser Cortegiano ist selber das Ergebnis einer langen reichen Entwicklung, ein Abschluß, kein Beginn. In seinem Auftreten, von der Kleidung angefangen, ist alles vornehm gehaltener Ernst, bescheidene und selbstsichere Ruhe. Welch ein Unterschied, vergleicht man ihn mit den eigenwilligen, so viel urwüchsigeren Erscheinungen des uomo singolare, der im fünfzehnten Jahrhundert noch vorherrscht. Der Kavalier nach dem Sinne Castigliones gehört in die weiten, aber farbloseren Räume der Hochrenaissance mit ihren großen Verhältnissen. Man spürt an ihm den Umschlag der gesamten Lebensstimmung, man merkt, daß man eine gesättigtere Generation vor sich hat, und erinnert sich ähnlicher Wandlungen, die sich auf dem Gebiete der Künste vom Quattrocento zum Cinquecento vollzogen haben. Auch hier eine Abkehr von der munteren Beweglichkeit zu Haltung und Würde, von der lauten Erregung zum gedämpften Wesen, eine Steigerung vom Individuellen zum Typus, überall eine Entwicklung zum Einfach-Bedeutungsvollen, kurz zum Klassischen, die sich im neuen Schönheitsbegriff wie in der neuen Bildform offenbart. Es war kein Zufall, daß von allen Werken Ciceros Castiglione am meisten seine Schrift über den Orator ausgebeutet hat. Aus ihr hat er nicht nur, wie er sonst zu tun pflegte, einzelne Wendungen herausgepflückt und naiv übernommen. Ihre gesamte geistige Essenz strömte vielmehr auf ihn über, um sich eigentümlich in ihm umzuformen. Das Gemeinsame verleugnete sich dabei nicht. Eine 12

innere Wahlverwandtschaft gesellte den Eklektiker zum Eklektiker. Cicero hatte die vorbildliche Gestalt des antiken Redners entworfen, der in ungebrochener Einheit Wort und Gedanke, Weisheit und Handeln, Theorie und Praxis in sich vereint, eine schillernde Erscheinung, abgekehrt der rein abstrakten Spekulation, dem vielgestaltigen Leben zugewandt, das die Rednerbühne umflutete. Aber dieser Orator schaute in Wahrheit über die Schranken seines Berufs hinaus, er war die Ausprägung eines Menschheitsideals, dessen Losung Universalität der Bildung hieß. Castiglione entzog sich ebensowenig wie die deutschen Humanisten seinem bestechenden Reiz. Aber während Melanchthon dem ciceronianischen Orator die entscheidende Wendung zum Religiösen gab, die sein glattes Wesen mit sittlicher Strenge erfüllte, während Johann Sturm ihm die Aufgabe stellte, durch die Kraft des christlichen Predigtamtes zu wirken, übersetzte Graf Castiglione jenes weltmännisch angehauchte Bildungsideal in die Sprache seines Milieus. Aus dem Orator wurde der Cortegiano. So schieden sich hier zwei Strömungen, die einer Quelle entsprangen. Von der antiken Rostra war man beiderseits ausgegangen, aber die Vertreter der bürgerlichen deutschen Renaissance führte der Weg zur Kanzel, den aristokratischen Italiener in den fürstlichen Palast. Castigliones Hofmann und Ciceros Redner wuchsen empor aus dem gleichen Lebensgefühl, das Wesen und Anschauungen dieser beiden Männer trägt. Sie waren ohne starken schöpferischen Trieb, ohne herbe Eigenart, sie schmiegten sich an, sie waren reich im Empfangen und Zusammenstimmen fremder Gedanken. Aus der Umwelt strömten ihnen die Inhalte ihres Daseins zu, nicht aus letzten Tiefen des eigenen Gemütes. Sie wußten das Mannigfaltige und Gegensätzliche in sich harmonisch auszurunden. So ward ihnen der Mensch zum Kunstwerk. In ihm wiederholte sich im kleinen, was diese Welt im großen erzählte, auch sie ein vollkommenes Ganzes, ein Kunstwerk, in dessen erhabener Gesetzmäßigkeit man schwelgte. Durch Mikrokosmos und Makrokosmos flocht sich ein und dasselbe leuchtende Band. Es wäre ein Irrtum, wollte man in der Universalität des Cortegiano die Merkmale eines faustischen Lebensdranges erblicken, den Ausdruck einer nach schrankenloser Wahrheit ringenden Seele, die alle Arten menschlichen Seins erschöpfen möchte. Leonardo da Vinci nimmt sich neben dem Grafen Castiglione wie ein dämonisches Wesen aus. Das Ideal des mantuanischen Edelmannes wird überwiegend von ästhetisch-formalen Richtlinien bestimmt. Das allseitige Können und Wissen ist ihm ein Erfordernis mehr der

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Lebenskunst als der sittlichen Lebensdurchdringung. Es gehört eben zum vollendeten Weltmann, sich in der Fülle der Erscheinungen zurechtzufinden, mit ihnen fertig zu werden, indem man sich in allem versucht. Dadurch erzieht man sich zu jener tadellosen Haltung, der in jedem Augenblick das richtige Handeln, der rechte Ton zu Gebote steht. Takt, Harmonie mit sich selber und den umgebenden Verhältnissen, das sind die Vorstellungen, die Castiglione vorschweben. Unleugbar barg dies Ideal die Gefahr, ins Oberflächliche, Tändelnde hinüberzugleiten. Man wird seiner Gebundenheit, seiner äußerlichen Glätte inne, wenn man sich erinnert, daß auch die englische Renaissance den Typus des feingebildeten vornehmen Herrn, wenn auch in dichterischer Gestalt, hervorgebracht hat. Er verbindet mit höfischer Beweglichkeit und vielfältigen Gaben den Grübelsinn seiner nordischen Rasse, ein Weltgefühl höchster Art, Shakespeares Hamlet.

Das Gegenstück zum Cortegiano ist die vollendete Dame. Ihr Bild trägt im Grunde die nämlichen Züge wie der vollkommene Kavalier, dem sie gleichgeachtet wird. Nur ist jede männliche Härte vermieden, alles ins Weibliche, ins Zarte, ins Graziöse übersetzt. Sie muß jeder Lebenslage gewachsen sein. Auch von ihr fordert man unbedingte Sicherheit im Umgang, feinen Takt, vielseitigste Kenntnisse namentlich in Literatur und Kunst. Denn sie hat im Salon den Ton anzugeben, nach ihr bestimmt sich unwillkürlich die Form der Unterhaltung, das Maß des gesellschaftlichen Anstandes. Aus den prickelnden Wechselreden der urbinatischen Hofleute das eigentliche Urteil Castigliones herauszuhören, ist nicht ganz leicht. Die Virago der Renaissance hat ihn mit der üblichen Bewunderung erfüllt. Persönlich, schätzte er wohl mehr die Frauen in der Art Isabellens und Elisabeths, die selber nicht schöpferisch tätig waren, aber Geist und Empfänglichkeit genug besaßen, um Leistungen der Männer zu würdigen und sie zu neuen anzuspornen. Die verwirrende Vielfältigkeit der zeitgenössischen Anschauungen über Frauen und Liebe ahnt man in diesen Gesprächen. Sie enthalten ein spitzfindiges Wortgeplänkel über den größeren oder geringeren Wert von Mann und Weib, über ihr gegenseitiges Verhältnis als Stoff und Form: Überreste der scholastisch-aristotelischen Schule. Und wie im Cortegiano das ältere Ritterideal noch durchschimmert, so klingt auch etwas von Troubadourstim14

mutigen nach. Sie berühren sich ohnehin nahe mit jener platonischen Verehrung, in der sich nun einmal die Mehrzahl der modischen Dichter gefiel, selbst wenn sie sich in leidenschaftlichen Gefühlen verzehrten. Da und dort naives Vergnügen am sinnlichen Abenteuer. Die Lockeren mochten sich freuen an der Apologie des Ehebruchs, die Messer Baidassar unter der Hand einflocht, die Verteidiger der Sittenreinheit am reichlichen Lob der Keuschheit. Der so verschiedene Saiten aufziehen konnte, war kein engherziger Eiferer, sondern ein erfahrener Mann. Er blieb sich bewußt, daß auf gewissen Gebieten die Überraschungen nicht aufhören und war darum ein milder Richter. Gerade in diesen Dingen legte er eine erstaunliche Feinheit der Beobachtung an den Tag. Er konnte sich nicht genug tun, all die Möglichkeiten, die sich in den Beziehungen der Geschlechter bergen, als genießender Psycholog nachzuleben.

Der Cortegiano ist das absolute Individuum in dem Sinne, wie es auch Guicciardini gepriesen hat, der Mensch, der in sich die entgegengesetzten Eigenschaften verbindet und zur harmonischen Vollkommenheit ausgleicht. Denn die Renaissance sucht nicht wie die Romantik in der unvergleichlichen, sich nie wiederholenden Eigentümlichkeit des Einzelnen ihr Ideal, sondern in jenem allgemeineren Begriff der Vollkommenheit, die beinahe schon etwas von abstrakter Blässe annimmt. Der Hof ist weit mehr für den Gesellschaftsmenschen Castigliones bestimmt als er für den Hof, da er ihm schließlich bloß Gelegenheit bietet, seine Persönlichkeit auszubilden und voll zu entfalten. Wenn Castiglione seinem Cortegiano als vornehmstes Ziel die Aufgabe stellt, ein ausgezeichneter Prinzenerzieher zu werden, so enthält diese Huldigung gewiß einen Beisatz utilitarischer Gesinnung, die ins Gewand der Dienstwilligkeit gekleidet ist. Er hat damit dem höfischen Milieu gleichsam Dank abgestattet für die Kräfte, die sein äußeres wie sein inneres Dasein bereichert haben. Ohne antike Reminiszenzen ging es natürlich auch da nicht ab. Es schwebte ihm als edelstes Muster das Verhältnis zwischen Alexander dem Großen und Aristoteles vor. In diesem Zusammenhang hat er sich auch über Staat und Fürst geäußert. Wenn irgendwo die unschöpferischen Züge der späten Renaissance hervortreten, so ist es in den staatstheoretischen Anschauungen Castigliones. Er leidet an einer geradezu sklavischen Ab-

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hängigkeit vom Altertum. Die unentbehrlichen schulmäßigen Begriffe hat er, soweit sie nicht Gemeingut waren, ausnahmslos von Aristoteles erborgt, ohne sie in irgendwie neue geistige Verbindungen zu bringen. Hier hat er überhaupt recht oberflächlich nachgesprochen, und doch ist es nicht reizlos und gleichgültig, was er aus den antiken Schriften auswählte. Man wird von ihm keinen kühnen Gedankenflug erwarten, man wird sich auch nicht wundern, wenn er für Piatons Staat nicht mehr als ein zweifelndes Lächeln übrig hat. Denn die meisten Italiener seiner Zeit versagten an dieser Stelle trotz aller luftigen Konstruktionen, in denen sich dies rationalistische Geschlecht gefiel. Wenn Castigliones Betrachtungen besonders matt und bisweilen nichtssagend erscheinen, so stößt man eben wiederum auf gewisse Grenzen seiner Persönlichkeit. Er war kein handelnder Politiker, beherrscht von der fruchtbaren Einseitigkeit einer Leidenschaft. Er war aber auch rein als Denker nicht scharf genug, sein Sinn der Macht und den Wirklichkeiten staatlichen Lebens zu wenig zugewandt, um eigene fördernde Einsichten zu gewinnen. Ebensowenig wie der Durchschnitt seiner literarischen Genossen hat er ernsthaft mit dem Vermächtnis des Altertums gewuchert, er bewegt sich in den ausgetretenen humanistischen Geleisen. Man trifft bei ihm jene Erörterungen über den Vorzug des beschaulichen oder des tätigen Daseins, die in diesen Kreisen beliebt waren. Auch er spielt mit dem fast zu Tode gehetzten Gedanken, daß man in einer Vereinigung der bekannten drei Regierungsarten die beste Staatsform zu erblicken habe. Aber schon sein Standort bringt es mit sich, daß er sich persönlich zur Monarchie bekennt. Es besagt wenig, wenn er den Venezianer Bembo das Lob des Freistaates verkünden läßt, hat sich doch auch Petrarka solch harmlose republikanische Schwärmereien an einem Tyrannenhof gestatten können. Eine gewisse innere Wahlverwandtschaft kettete j a schon früh die aufblühende Geistesaristokratie des Trecento und Quattrocento mit dem auf der Bedeutung der Persönlichkeit ruhenden Gewaltfürstentum zusammen. Die politischen Verschiebungen des fünfzehnten Jahrhunderts erschütterten vollends den Glauben an die Zukunft der Republiken und trieben die Geister der Monarchie in die Arme. Man kann bei Castiglione ähnliche Stimmungen wie bei dem Florentiner Alberti beobachten, das Bedürfnis des feingebildeten, empfindsamen Mannes, Ruhe und Seelenfrieden zu genießen unter dem Schutz eines kraftvollen Herrschers, abseits vom 2errüttenden Treiben der Parteien, wie sie sich in den italienischen

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Städten zerfleischten. In gleiche Richtung deutet seine Vorliebe für den Mittelstand, den er vor allen anderen Schichten der Fürsorge des Staates empfiehlt. Als Glied einer allgemeineren Entwicklung ist somit Castiglione zu betrachten: die Geschicke seines Vaterlandes, nicht zuletzt die seiner engeren Heimat waren durch sie bestimmt. Sinnfällig gibt das die Zeichnung wieder, die er vom Fürsten entwirft, wie er sein soll. Die harten Züge, die seiner politischen Umgebung keineswegs mangelten, ließ er darin so gut wie gar nicht zur Geltung kommen. Man wird ihn darob keiner gewöhnlichen Schmeichelei bezichtigen; man braucht nicht einmal anzunehmen, daß er den Abstand zwischen Ideal und Wirklichkeit besonders habe betonen wollen. Es handelt sich bei diesem Versagen augenscheinlich um einen Mangel an politischer Anschauung. Es fehlt Castiglione zum mindesten an geistiger Energie, den gegebenen Stoff nüchtern zu verarbeiten. Gleich den meisten unpolitischen Köpfen, die keine selbständigen Gedanken haben, begnügte sich der Graf damit, abstrakte moralische Forderungen zu erheben. Es ging ihm wie so vielen Humanisten. Sie standen den Machthabern oft amtlich nahe und hatten genug Einblicke in das lügnerische, gewissenlose Treiben der Kanzleien gewonnen; in dem Augenblick aber, wo sie die Feder ansetzten, um sich theoretisch auszusprechen, schienen sie all diese Eindrücke vergessen zu haben. So auch Baldassare Castiglione. In wortreichen Ergüssen, wozu ihm wiederum Aristoteles und Plutarch den Stoff leihen mußten, erwärmt er sich für den Typus eines Fürsten, der von christlichen Tugenden förmlich strotzt. Wohl hat er ihn auch mit Kunstliebe, Freigebigkeit und jener Baufreude ausgestattet, die nun einmal zu den schmückenden Merkzeichen der Signorie gehörten. Sieht man schärfer zu, so kann man in ihm sogar Keime entdecken, die sich erst in der Epoche des wohlwollenden Absolutismus voll entfaltet haben, die Unterordnung unter das Gesetz, die Verpflichtung des Monarchen zum Dienste für das Gemeinwesen. Vergeblich aber wird man in diesem lammfrommen, zahmen Herrscher die Welterfahrung, den ausgreifenden Ehrgeiz, die kalte Staatsraison suchen, die von den venezianischen Diplomaten der Renaissance als Triebkräfte der Regierenden Europas erkannt worden sind. Besinnt man sich vollends auf den Principe Machiavellis, in dem sich nicht nur ein erbarmungsloser Wirklichkeitssinn und eisige Denkergröße, sondern auch die Wildheit der politischenPraxis spiegelt, so löst sich der Fürst Castigliones zum blutlosen Schatten auf. W. A n d r e a s , Oeist und Staat.

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Castiglione hat, wenn er über staatstheoretische Dinge sprach, die antike Toga nur so obenhin umgeworfen. Viel tiefer hat ihn der Platonismus ergriffen. Die prachtvolle Schlußrede seines Cortegiano über die Liebe betrachtet er selbst als Krone seines Werkes, man darf wohl sagen, seiner Lebensanschauung. Er legt sie dem Bembo in den Mund, der die gleichen Gedanken des Symposions vor Castiglione in seinen Asolani ausgesprochen hatte. Unstreitig, daß er den Venezianer an Schwung und Wärme des Empfindens überflügelt. An der Hand Piatons schreitet er empor aus Qualen der Leidenschaft zur Betrachtung der ewigen Schönheit, die zugleich ewige Güte ist. Als ein wahrhaft übersinnlicher Freier stirbt er den irdischen Dingen ab, um in der Versenkung der Seele in Gott höheres Leben zu gewinnen. Mit einem Hymnus auf die allerheiligste Liebe endet Castiglione. Ästhetische Schwärmerei, mystische Verzückung, katholische Glaubensglut verschmelzen sich hier in fortreißendem Rhythmus. Ein Grundakkord, der seit den Tagen Dantes bis zu Lorenzo dem Erlauchten, Pico della Mirandola, Michelangelo und seiner Freundin Vittoria immer wieder ertönt, ist hier angeschlagen. Denn Renaissance bedeutete ja nicht allein Wiedererwachen des Altertums, sondern vielen war sie eine sittliche Wiedergeburt, innere Erneuerung des Individuums durch die läuternde Macht der Liebe. In den Tiefen des italienischen Geistes schlummerten religiöse Bedürfnisse, die sich an Piatons Gedanken zu reinem Feuer entzündeten. Sehnsucht nach einer Vertiefung des überkommenen Christentums beherrschte gerade die besten Italiener. Auch der mantuanische Edelmann stand im Banne der florentinischen Akademie und ihres Meisters Marsiglio Ficino, in dessen Gemach vor der Büste Piatons eine ewige Lampe gebrannt haben soll. Er und seine Schüler predigten die Harmonie des platonischen Eros mit dem Evangelium. Castiglione bringt hier wie in so vielen Stücken nur zum g e s a m m e l t e n Ausdruck, was a l l g e m e i n e r Besitz der Renaissancebewegung war. Eben darum erschütterte ihn der Zusammenbruch ihrer Herrlichkeit in der Ewigen Stadt aufs tiefste. Persönlich voll schlichten Gottvertrauens, war er ein gläubiger Sohn der Kirche. In seiner geistigen Behausung vertrugen sich heidnische Weisheit und Ehrfurcht vor der katholischen Überlieferung sehr wohl miteinander. Die religiöse Gleichgültigkeit Machiavellis und Guicciardinis oder gar dessen leidenschaftlicher Haß gegen die Priester blieben ihm fremd. 18

In einer Epoche, die anfing, den Staatsgedanken von mittelalterlichtranszendentalen Hüllen zu befreien, inmitten erbitterter Machtkämpfe, die den politischen Egoismus der emporsteigenden Nationals t a a t e n k r a ß enthüllten, begeisterte sich Castiglione aufs innigste f ü r einen, gemeinsamen Kreuzzug der europäischen Fürsten gegen die Ungläubigen. Das heilige Unternehmen bedeutete ihm mehr als so vielen Praktikern der Z u n f t , die mit dieser Idee nur diplomatisch spielten und sie ausnutzten, um unter ihrem Deckmantel minder selbstlose Ziele zu verfolgen. Eine historische Ironie war es in jedem Fall, d a ß eben jener Allerchristlichste König Franz, dem Castiglione die Führerschaft zugedacht h a t t e , ohne Gewissensbisse ein Bündnis mit den Türken schloß, um seinen Todfeind, den Katholischen König, niederzuwerfen. Graf Baldassare h a t t e lange in Rom gelebt. Die Schäden der Hierarchie konnte er ebensowenig übersehen wie irgend ein anderer der Gebildeten. Als Unterhändler t a t er manchen Blick in das von H a ß u n d Parteiungen zerklüftete Kardinalskollegium. Aber die Anklage des florentinischen Staatssekretärs, daß die weltliche Herrschaft des Papstes alles politische Elend Italiens verschuldet habe, h ä t t e er gewiß nie unterschrieben. Und wenn er in seinem Cortegiano von zuchtlosen Mönchen erzählte, so geschah's mit dem nachsichtigen Lächeln des Weltkindes. Von Reformeifer spürt man bei ihm nichts. Die Zerstörung Roms stellte ihn vor die Notwendigkeit u m z u lernen, das verhängnisvolle Ereignis brachte in seinem Kreis einen wahren Umschwung hervor. Giberti, sein politischer Widerpart, besann sich in diesen Schreckenstagen gleichsam auf sein besseres Selbst. Ihn h a t t e es ja von jeher gedrängt, an der Besserung der kirchlichen Zustände zu arbeiten. Aber die unruhvolle Geschäftigkeit der letzten J a h r e h a t t e solche Stimmen übertönt. Um so glühender erwachte jetzt das alte Verlangen: er streifte den k u rialen Politiker ab, um f o r t a n als Bischof in Verona der Reform zu leben. So bitter auch Sadolet den Untergang all der Dinge e m p fand, denen er ein zärtliches Andenken bewahrte, so erhoffte er doch von der Läuterung der Seelen, zu der die K a t a s t r o p h e a u f forderte, den Anbruch einer neuen Morgenröte f ü r die Kirche. Castiglione aber klagte damals in einem Brief an Vittoria Colonna, dies Unglück habe wie eine allgemeine Sintflut das Leid jedes einzelnen eingeebnet; jetzt sei es geboten, alles Vergangene zu vergessen und dem einzigen Ziele zuzusteuern, das der menschlichen Einfalt noch erreichbar sei, nämlich zu wissen, daß m a n nichts 2*

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wisse, zu erkennen, daß zumeist alles, was uns wahr scheine, falsch sei und im Gegenteil, was uns falsch dflnke, wahr sei. Ein ergreifendes Bekenntnis 1 Man sieht, er hatte das Gefühl, daß ihm der Boden unter den Füßen entweiche, und man fragt sich: k o n n t e er denn noch umlernen, h a t t e er einen schöpferischen Gedanken in die neuanbrechende Entwicklung hineinzugeben? Man möchte es verneinen, wenn man seine Haltung in dem literarischen Streit mit Alfonso Valdes, dem Sekretär Karls V., beobachtet. Valdes stellte ja den Sacco als ein Strafgericht Gottes für die Verwilderung der Kurie hin. Es war nicht eigentlich das Staatskirchentum des Spaniers, das Castiglione zu so heftigen Ausfällen hinriß. Der Gegensatz reichte in tiefere Wurzeln hinab. Daß er als Nuntius die Politik des Papstes um jeden Preis verteidigte, war seines Amtes. Die Unverblümtheit des Angriffs, seine eigene öffentliche Stellung und die des Valdes mochten dem Grafen immerhin schärfere Worte aufdrängen, als ursprünglich in seiner Natur lag. Aber war es wirklich nur der Groll des gekränkten Staatsmannes, der die abgeklärten Züge Castigliones zu maßlosem Haß verzerrte, war es nicht mehr, war es nicht die Ohnmacht eines Menschen, der sich gegen die Antastung seines innersten, seines selbstverständlichen geistigen Besitzes wehrt und um so blinder dreinschlägt ? In den Beschimpfungen, mit denen er Valdes überhäuft, glaubt man den Aufschrei eines verwundeten Gemütes zu vernehmen. Er verdächtigt die reine Gesinnung des Gegners, der in seinem Eifer, zum Urquell religiösen Empfindens zurückzueilen, die edelsten Seiten des damaligen Spaniers verkörpert. Seine Kritik ging an Schroffheit allerdings weit über Erasmus hinaus, aber sie bemühte sich, die Lehre Christi in ihrer lauteren Form, frei von den Auswüchsen Roms, wiederherzustellen. Dem hielt Castiglione die Autorität des Papstes und der Konzilien entgegen. Sah Valdes in der Verheerung Roms das göttliche Gericht, so brandmarkte ihn sein Widersacher als förmlichen Anwalt und Lobredner jener Greuel und verhieß dem heiligen Vater samt den Kardinälen als ihren unschuldigen Opfern um so schöneren Lohn im Himmel. Valdes geißelte die Mißstände im Gottesdienst, die Verirrungen der Priester. Castiglione betrachtete sie als Ausnahmen, zog keinen Schluß über den Zustand der Kirche oder ihre Verbesserung daraus, und fast möchte man glauben, daß er es auch innerlich, vor sich selber, nicht wagte. Wie ein großes Kind klammerte er sich daran, daß die Sinnenfreudigkeit des Kultus eine gottgewollte Einrichtung sei, während der

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Spanier gegen die Geldgier des Klerus und das überladene kirchliche Gepränge zu Felde zog. Dieser gab bei alledem den Anspruch, ein katholischer Christ zu sein, nicht auf. Castiglione behandelte ihn als einen Abtrünnigen, und in Wahrheit war dies ja auch s e i n e Auseinandersetzung mit dem Mönch von Wittenberg, den er in Valdes bekämpfte. Er verkannte die weltüberwindende Kraft des religiösen Erlebnisses. Er glaubte den ketzerischen Geist durch um so hartnäckigere Verteidigung des Alten zu besiegen und drohte gar dem Diener des Teufels, dem Jünger Luthers, mit dem Scheiterhaufen.

So schließt das Leben dieses Renaissancemenschen mit einem schrillen Klang. Er stand am Ende einer Entwicklung, auf der Höhe einer Kultur, die sich zum Niedergang neigte. Er hat es nicht mehr erfahren, daß die Formen der Bildung, die er gefeiert hat, der kommenden Generation die Waffen lieferten in ihrem Kampf um die Erhöhung der Kirche. Das Vergangene ward ihr Mittel zum Zweck. Wie weit er diesen Weg hätte mitbeschreiten können, bleibt unentschieden. So viel ist sicher: die Stimmungen, die der folgenden Epoche das Gepräge verleihen, deuten sich bei ihm an. Ihre düstere Leidenschaft hat ihn ahnungsvoll gestreift in jenem seelischen Aufruhr, den der Fall Roms in ihm hervorrief. Aber kein Zweifel: der Schmerz um das Verlorene überwog. Eines war unwiderbringlich dahin, die heitere Selbstherrlichkeit der Renaissance. Herauf zog die Gegenreformation.

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Bacon als Staatsmann.

iemand hat Bacons Ansehen so geschadet wie er selber. Der Größe seines Denkens entsprach nicht die Größe seines Charakters, und den Ruhm des Philosophen Bacon hat der Politiker Bacon getrübt. Geist und Staat haben in seiner Person keinen glücklichen Bund geschlossen. So bedeutend und dauerhaft die Nachwirkung seiner Lebensarbeit in der einen Sphäre war, so begrenzt und hinfällig erwies sie sich in der anderen. Macaulay hat ihn geschildert, von Rembrandtschem Helldunkel umfangen, Licht um die Stirn, Finsternis im Herzen. Der Mensch ist aber, all seinen Widersprüchen zum Trotz, eine Einheit und Bacons Seele beherrschte bei allen Rätseln, die sie aufgibt, ein Drang, der gleichermaßen den Politiker wie den Philosophen vorwärtstrieb. Was den Denker zur Höhe neuer Erkenntnisse führte, was den Weltmann am Hof und im Staat emportrug, war ein Wille zur Macht, der in sein innerstes Wesen deutet und dem LebensgefQhl der Renaissance tief verwandt ist. Ihr gehörte nach Theorie und Praxis Bacon als eine ihrer führenden Erscheinungen an, und jene Formel, worin er einmal die Quintessenz seiner Lehre zusammengepreßt hat, nämlich daß Wissen Macht sei, drückt eine ihrer Grundstimmungen aus. Von glühendem Erkenntnisdurst getrieben brach die Renaissance mit mittelalterlichen Überlieferungen, das wiedererwachte Altertum, vermählte sich mit dem neuen selbständigen Geist. Der Aufschwung der Naturwissenschaften, der Geschichtschreibung und der Staatslehre, die Erschütterungen des kirchlichen und religiösen Lebens steigerten das starke Diesseitsgefühl eines Geschlechts, das sich unterm berauschen den Einfluß der Entdeckungen auch der neuerschlossenen Ferne zuwandte. Die freie Persönlichkeit, die nach allen Kränzen der Bildung, des Genusses, der Macht die Hand ausstreckte und sich in ihren kühnsten Vertretern jenseits von Gut und Böse zu stellen wagte, entfaltete sich in dieser reichaufblühenden Kultur mit ihrer unendlichen Ausweitung des Horizonts, ihrer Befruchtung auch der von ihr bekämpften Geistesmächte, ihrer Eroberung von Natur,

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Mensch und Staat, ihrem Ringen und allem stolzen Selbstbewußtsein des modernen Individuums. Alles das gehörte zur Renaissance, und diese farbenprächtige Welt voll heißer Leidenschaft und Verstandeskälte, das Cinquecento mit seinen energiegeladenen Spannungen, seiner ungeheuren geistigen Bewegtheit und dem hochbeschwingten Rhythmus schicksalhafter Begebenheiten im germanischen und romanischen Völkerkreis, gibt den gesättigten Hintergrund und im weitesten Sinn die Heimat für Bacon ab. Die Fülle des Zeitalters klingt im Leben und in den Werken dieses Mannes an, der dem siebzehnten Jahrhundert so viel vom Gedankengut des sechzehnten vermacht hat. Mit seiner Bekämpfung der Scholastik stellte er sich in die Reihen derer, die alte Fesseln sprengten und neuer geistiger Bewegung zum Durchbruch verhalfen. Dabei verfügte auch er, wie nur irgendein gelehrter Humanist über das ganze Bildungsgut der Zeit, nicht ohne mit den Überlieferungen der antiken Philosophie oft recht frei zu schalten. Bei aller Einseitigkeit und allen Schranken seiner Leistung schuf er durch die von ihm entwickelte Methode der Induktion doch unzerstörbare Grundlagen für die neuere naturwissenschaftliche Forschung und stellte sich selber an die Spitze der modernen Logik. Fest im Wirklichen wurzelnd und nüchtern dem Leben zugewandt, setzte er die Erfahrung auf den Thron und machte von ihr und der Analyse der Natur den Betrieb aller Wissenschaft abhängig. Wenn er auch die Bedeutung der Mathematik verkannte, so erwarb er sich doch das Verdienst, auf Beobachtung und Experiment als vorzügliche Mittel zur Erkenntnis hingewiesen zu haben. Damit zollte er zugleich dem aufkommenden Realismus der Renaissance seinen Beitrag, und so wie deren Sehnsucht darauf ausging, alle Kräfte des Makrokosmus zu meistern, wünschte er dem Menschen die Natur zu unterwerfen, ihn durch Erkenntnis zum Herrn und König der Erde zu machen. Das von ihm entworfene Gebäude der Wissenschaft war so vielgliedrig und umfassend gedacht, daß dieser Versuch einer Enzyklopädie die universalen Ansprüche des Renaissancedenkens erfüllte. Wenn schließlich Bacon, den auch eine gewaltige Einbildungskraft beflügelte, als Zukunftstraum ein in riesenhaften Ausmaßen geplantes System von Erfindungen aller Art und technischer Vollkommenheit vorschwebte, und wenn all dies Wissen und Können für ihn nicht Selbstzweck, sondern Schlüssel zur Eroberung der ihm faßbaren Welt war, so wurde er damit ein Vater jenes fortschreitenden Geistes der Technik, dem die Moderne viel von der äußeren Großartigkeit, aber auch die Entseelung ihres Daseins ver-

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dankt. Bacon schied scharf die Bezirke der Theologie und der im Mittelalter von ihr als Magd behandelten Philosophie voneinander, er räumte dem Wissen seinen Platz unabhängig vom Glauben ein. Seinen eigenen Standort wählte er hoch über dem Gezänk der Religionsparteien, verfocht aber die Hoheit des Staates über Kirche und Konfessionen. Der weltliche Zug des Renaissancegeistes prägte sich in diesem Manne aus, der in seinen Essais den Unglauben für erträglicher erklärte als den Aberglauben. Bacons Gottesverehrung wurzelte wie bei so vielen italienischen, deutschen und französischen Humanisten des Quattrocento und Cinquecento in seinem Sinn für Schönheit und Ordnung der Welt, eine Vorstellung, bei der wieder die Antike Pate gestanden hatte. Als Vertreter einer natürlichen Theologie wie als Befürworter einer gewissen Toleranz führt er in gerader Linie zur Aufklärung weiter, mit der er gleich anderen Köpfen der Renaissance die hohe Wertschätzung des Verstandes und das hochgeschwellte Selbstgefühl der Wissenschaft teilte, wie er denn auch von den Gelehrten als Trägern des Lichts zu sprechen liebte. Wenn schließlich zu den Errungenschaften des neuen Geistes auch die Entdeckung des Menschen selber zählte, so reihte sich Bacon mit seinen meist sehr realistisch empfundenen Versuchen zur Seelenkunde und seinen unbefangenen Betrachtungen über moralische Dinge ebenfalls in den allgemeinen geistigen Zusammenhang der Epoche ein. Nicht zuletzt aber fügte er sich auch rein menschlich unter ihre ausdrucksvollsten Erscheinungen ein, nämlich in seinem umfassenden Erkenntnisdrang, seinem Lebensgefühl, das rastlos in allen möglichen Regionen des Wirklichen sich ausbreitete. Nur zu oft treten auch seine anfechtbaren oder verwerflichen Eigenschaften, dieser brennende Ehrgeiz, sein Hunger nach Macht und glanzvollem Dasein, nicht zuletzt seine wenig wählerischen Mittel, sich zur Geltung zu bringen und die tiefen Schatten seines Charakters bei anderen hochstrebenden, schöpferisch gestimmten Menschen jener Tage hervor. Bacon zeigt freilich nicht nur das scharfe Profil des Renaissancemenschen sondern auch unverkennbar die besonderen Züge des Engländertums.

Während in Italien die Hochrenaissance in das Zeitalter der Gegenreformation ausmündete, gewann sie in England unter der protestantischen Elisabeth erst höchste Entfaltung. Das Reich der jungfräulichen Königin war die engere Heimat Bacons. In ihr fand die Renaissanceentwicklung ihre besondere nordische Ausprägung.

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Elisabeth, so klein sie für ihre Person oft erscheint, gab einem der größten Zeitalter englischer Geschichte den Namen. Reich an geschichtlicher Bewegung, großen Menschen, überströmend an Fülle und strotzender Kraft, hat das englische Dasein damals im Innern wie nach außen hin sich in lebensvollen Formen und mit tiefster Wirkung auf die Nachwelt ausgeprägt. Das Königtum war die vorwaltende Macht in Staat, Gesellschaft und Kirche; es griff ordnend, regelnd und ausgleichend ins Wirtschaftsleben ein. Auch das Parlament wurde unter den Tudors von ihm überschattet. Unter der Leitung der Krone nahm England einen großen nationalen Aufstieg; als Vorkämpfer des Protestantismus warf es sich dem Universalismus der katholischen Kirche wie dem Weltherrschaftsanspruch Philipps von Spanien entgegen und blieb Sieger. Vom allgemeinen Aufschwung der Nation und ihrem wachsenden Selbstgefühl beflügelt, drängte auch die englische Wirtschaf tskraft derb und kühn, nicht ohne einen Zug junger Abenteurerlust, in Abwehr und Angriff über die Grenzen des Inselreichs hinaus. Und während das englische Dasein so sich allseitig ausdehnte, flutete der volle Strom der Renaissancebildung in die geistigen Bereiche und fand in Shakespeare, den fiebernden Pulsen und Erschütterungen seiner Dramen, den seelischen Tiefen seiner Menschen, dem Glanz seiner Helden und der abgründigen Dämonie seiner Verbrecher, kurz der unendlichen, lebenatmenden Fülle einer alles Menschliche umfassenden Phantasie ihren überschwänglich reichen Ausdruck. Das Werk desGenius aber verband wieim Gleichnis die stolzen Höhen eines glänzenden Hofes mit den breiten Niederungen eines genußfreudigen Volkes. Dieses stattliche, im Innern gedeihende, nach außen mächtige England der Elisabeth mit seiner erlesenen Bildung wie seinen unbändigen, gesetzlosen Leidenschaften, seiner überschäumend derben Gesundheit, dem Durchbruch von Persönlichkeit und Schöpferkraft auf allen Gebieten und der sittlichen Unbekümmertheit seiner politischen Praxis, dieses England, dessen Inhalte trotz mancher in die Zukunft weisenden Regung im ganzen noch mehr in der Renaissance als in der von ihm stark verwässerten Reformation gegründet waren, ist Bacons Vaterland.

Die Regierung der Königin umschloß seine Jugend und mehr als zwei Drittel seines Lebens. Zwei Jahre nach der Thronbesteigung wurde er geboren (1561). Da sein Vater, Niclas Bacon, Großsiegelbewahrer, sein Oheim, Sir William Cecil, später Lord Burleigh,

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Staatssekretär, dann Schatzmeister war und Elisabeths leitender Staatsmann wurde, schien auch dem aufgeweckten, wenn auch körperlich etwas zarten Knaben, den die Königin gelegentlich in scherzhaftem Gespräch ihren kleinen Lordsiegelbewahrer genannt haben soll, eine große Laufbahn bevorzustehen. Er wuchs heran im Schatten dieser starken Throngewalt, der Vater und Oheim dienten, und als er nun im Alter von sechzehn Jahren, um seine Erziehung zu vollenden, als Begleiter des englischen Gesandten Sir Amias Paulet in das von Leidenschaften und Kämpfen aller Art aufgewühlte Frankreich reiste, wo er sich zweieinhalb Jahre aufhielt, führte ihm der Anblick dieser allgemeinen Gärung und Verwirrung, insbesondere aber der Niedergang der französischen Krone während der Bürgerkriege die Überlegenheit seiner heimatlichen Monarchie eindringlich, mit aller Grellheit des Gegensatzes zu Gemüte. Die Nachricht vom Tode seines Vaters rief ihn nach Hause. Er war neunzehn Jahre alt und mußte, da sein väterliches Erbteil gering war, daran denken, nach Beruf und Einkommen Ausschau zu halten. So wurde er Advokat. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte er zunächst Gray's Inn, die altberühmte hohe Rechtsschule, zu durchlaufen. Worauf er hinaussteuerte, war die Erwerbung eines einträglichen Hof- oder Staatsamtes, das ihm zugleich Muße gelassen hätte, seinen wissenschaftlichen Neigungen zu leben. Aber dem jungen Mann, der unter so günstigem Stern geboren schien, wollte das Glück nicht lächeln. Der einflußreiche Oheim wandte ihm keineswegs seine Gunst zu, möglicherweise weil ihm mehr am Fortkommen des eigenen Sohnes lag, vielleicht auch nur, weil dieser nüchterne Mann der Staatsgeschäfte für die geistige Welt, die sich in Bacons Plänen vor ihm öffnete, kein Verständnis hatte und dem alten Praktiker so weit, abgelegene Studien am Ende nur Gleichgültigkeit einflössen mochten. Sei dem wie es wollte, unter der kühlen Haltung Burleighs litt die von Bacon ersehnte Laufbahn, und es nützte ihm nichts, daß er als Einunddreißigjähriger anläßlich einer Bewerbung ihm schrieb, alles Wissen habe er zu seiner Provinz gemacht. Der Fürsprache seines Onkels verdankte er lediglich, daß ihm die Königin die Anwartschaft auf ein wohlbesoldetes Amt in der Sternkammer erteilte. Nur dauerte es freilich zwanzig Jahre, bis er in den Genuß dieser Einkünfte trat. Bacon erarbeitete inzwischen die üblichen, für seinen Advokatenberuf vorgeschriebenen Grade und pflegte, wenn auch ohne die nötige Muße, nebenher seine philosophischen Bestrebungen. Er verfolgte immer noch das Ziel, ein höheres Staatsamt zu gewinnen,

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und h ä t t e es vielleicht früher erreicht, wenn er in seiner parlamentarischen Tätigkeit, die er seit seinem vierundzwanzigsten J a h r e ausübte, sich nicht die Mißbilligung Elisabeths zugezogen h ä t t e . In einem Falle, der die grundsätzliche Stellung des Unterhauses gegenüber den Lords berührte, h a t t e er sich auf die Seite des verfassungsmäßigen Herkommens geschlagen. Die Abneigung der Königin spürte er nun, obwohl er von Beteuerungen guter Gesinnung überfloß, in einer ganzen Reihe von Fehlschlägen bei seinen Bewerbungen um freigewordene höhere Staatsstellen. Er h ä t t e die Versorgung bitter nötig gehabt. Denn Ende der neunziger J a h r e befand er sich in so übler Vermögenslage und war so sehr in Schulden verstrickt, daß er in die Hände von Pfandleihern und J u d e n geriet. Eines Tages ließ ihn sogar einer seiner Gläubiger, der Goldschmied Sympson, wegen einiger hundert P f u n d , die ihm Bacon schuldete, auf offener Straße verhaften. Auch als der junge Essex, damals noch der verwöhnte Günstling der alternden Elisabeth, voll Bewunderung und Freundschaft sich ihm zuneigte und wiederholt sich aufs wärmste f ü r ihn verwandte, war die Königin nicht u m z u s t i m m e n , obgleich Sir Francis Bacon als Abgeordneter hohes Ansehen genoß. Wohl aber erachtete sie den geistreichen Stellenjäger, der eine so gewandte Feder schrieb, f ü r höchst geeignet, vor der Welt ihre Sache gegen das Andenken desselben Grafen Essex zu führen, als sich dessen Schicksal erfüllt h a t t e . Auf seinen tollköpfigen A u f standsversuch war er hingerichtet worden. Unter der Schar seiner Richter befand sich auch Bacon. Er h a t t e den feurigen, a b e r unbesonnenen Menschen vor der seit geraumer Zeit drohenden u n d nicht unverschuldeten Ungnade der reizbaren Königin gewarnt u n d ihn vergebens zu zügeln, Elisabeth aber zu beschwichtigen gesucht. D a ß er an der Verurteilung des früheren, nun des Hochverrats angeklagten Freundes, s t a t t sich ihr zu entziehen, persönlich teiln a h m und nicht ohne Härte gegen ihn a u f t r a t , warf ein häßliches Licht auf seinen Charakter. Schlimmer noch, daß er auf W u n s c h der Monarchin, der die verstimmende Wirkung der Hinrichtung beim Volke nicht entging, sich bereit finden ließ, in einer eigenen Schrift das Verbrechen des Essex mit vollendeter Herzenskälte der Welt darzulegen und die Strafe zu rechtfertigen. Wenn er auch an der Schuld seines ehemaligen Gönners nicht zweifeln konnte, so war er doch nicht zu dieser Handlung verpflichtet, durch die er lediglich der Königin zu gefallen wünsehte. Die Welt h a t t e recht, wenn sie ihn darob schwärzester Undankbarkeit bezichtigte. Elisabeths letzte Regie-

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rungszeit aber wurde durch quälende Erinnerungen an den Enthaupteten getrübt. In solcher Umdüsterung ging sie dem Tode entgegen. Was Bacon ihr zu danken hatte, war nur der Titel eines Königlichen Rates und außerordentlichen Rechtsbeistandes, also ein unbesoldeter Ehrendienst. Die Herrscherin, die in der Entwicklung ihres Reiches so viel bedeutet, hatte sich dem nach Shakespeare Hervorragendsten ihrer Untertanen nur als hemmende Macht gezeigt, und als nun die Regierung an den hochgelehrten, aber wenig regierungstüchtigen schottischen König aus dem Hause Stuart überging, diese sonderbaren Herrscher, den der französische Minister Sully als den weisesten Narren in Europa bezeichnete, da wurde unter dem Zepter eines Monarchen, der den Abstieg des Königtums einleitete und schwere innere Umwälzungen vorbereitete, erst für Bacon der Weg zu den höchsten Würden des Reiches frei.

Jakobs Regierung sollte in reichstem Maße ihm bringen, wonach er so lange gestrebt: Ämter und Einkünfte, Macht und Ehre. Sofort hatte er sich dem neuen Herrscher eilfertig genähert, indem er nicht an jenen dickaufgetragenen Schmeicheleien sparte, wie sie zum schwülstigen Stil der damaligen Höfe gehörten und von altersher auch dem gelehrten Humanistentum nicht fremd waren. Er empfahl sich dem Wohlwollen seines Vetters Robert Cecil, dem ränkereichen Begründer des Hauses Salisbury, der, so wie früher sein Vater William Cecil unter Elisabeth den maßgebenden Einfluß errungen, nun seinerseits unter Jakob zum leitenden Staatsmann emporstieg. Er umwarb Personen des schottischen Hofes und scheute sich nicht, sogar mit den Anhängern des Grafen Essex, da sie jetzt wieder emporkamen, anzuknüpfen und sein Verhalten in jener Sache durch eine besondere Verteidigungsschrift zu rechtfertigen. Unter den dreihundert Personen, die am Tag der Krönung den Ritterschlag empfingen, befand sich auch Bacon. Seinem Selbstgefühl entsprach zwar diese herdenweis vorgenommene Erhöhung keineswegs, aber nach einiger Zeit wandte sich ihm die Gunst des Königs zu, und nun sollte er stärkerer und persönlicherer Auszeichnungen teilhaftig werden. Während er ja bisher nur die ertraglose Würde eines Königlichen Rates bekleidete, wurde ihm gleich nach dem Regierungsantritt (1604) Besoldung und eine Pension zugesprochen. Drei Jahre später erhielt er, inzwischen schon ein hoher Vierziger geworden, sein erstes Staatsamt; es war der angesehene Posten eines hohen Staatsanwaltes, des Solicitor general, und nun ging es im Abstände von wenig Jahren

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weiter in die Höhe. Er wurde zum Attorney general, also zum Generalfiskal und obersten Kronanwalt (1612), dann zum Mitglied des Geheimen Rates (1616), schließlich zum Lordsiegelbewahrer (1617) ernannt. Damit bekleidete er das Amt, das einstmals sein Vater unter Elisabeth zwanzig Jahre innegehabt und wie das Orakel der Gesetze verwaltet hatte. Kaum war ein weiteres Jahr vergangen, wurde er Großkanzler des Reichs (1618). Der König hatte ihn außerdem zum Baron von Verulam gemacht und einige Zeit darauf vor versammeltem Hof feierlich zum Viscount von St. Alban erhoben. Es war die Zeit, in der auch sein literarischer Ruhm sich dem Höhepunkt näherte. Nicht ohne Einfluß auf die letzten Erfolge dieser späteröffneten, aber um so blendenderen Laufbahn war Bacons Anschluß an Buckingham, den hochgestiegenen Günstling des Königs gewesen, der sich von seinem geistvollen Mitläufer eine besondere Anweisung über Bedeutung und Pflichten seiner Stellung als Favorit ausarbeiten ließ und in seinem begabten, aber leichtfertigen Dilettantismus einer ernsthaften und verantwortungsvollen Belehrung, wie sie der so viel ältere und reifere Bacon erteilte, in der Tat bedurfte. Indem diese Verbindung mit dem vorwaltenden Minister Bacon emportrug, verstrickte er sich damit ohne weiteres auch in die trüben Zusammenhänge dieses Günstlingsregiments, dem er unterwürfig huldigte, und während er sich von Stufe zu Stufe erhob, der Ruf des Denkers und des Staatsmannes in gegenseitigen Widerhall den Glanz seiner Erscheinung verdoppelten, während seine Lebensentfaltung den sieghaften, großen Stil des Renaissancemenschentums annahm, waren schon die Mächte am Werk, die ihn von seiner Höhe stürzen sollten, nicht zuletzt deshalb, weil der Kanzler und Buckingham am selben Strange zogen. Und so hatte jener frühere Kollege Bacons aus seiner alten Rechtsinnung wahr gesprochen, wenn er einst bei der mit aller Pracht vorgenommenen Übersiedlung des neuernannten Großsiegelbewahrers aus Gray's Inn nach Westminster bedenklich den Kopf geschüttelt und gemeint hatte, man werde ihn wohl bald in einer sehr bescheidenen Equipage dahin zurückkehren sehen. Genau so kam es, ja noch schlimmer. Eben hatte Bacon sein Hauptwerk, das Novum Organum, veröffentlicht und mit Freunden und Bewunderern seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert, den der Dichter Ben Jonson mit Versen verherrlichte, da bereitete das neu berufene Parlament seiner ganzen Herrlichkeit ein jähes Ende, und der stolze Viscount von St. Alban bat die Lordschaften des Oberhauses, die über ihn zu Gericht saßen und das Bekenntnis seiner Schuld entgegennahmen,

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Erbarmen zu haben mit einem zerbrochenen Rohr. Man fragt sich: wie kam es zu diesem traurigen Ende seiner politischen Laufbahn? Allzumenschliches und Allgemeines wirkten da zusammen.

Bacon besaß zwar gewiß nicht den Schwung und die Leidenschaft des großen Staatsmannes, der unterm Zwang eines unentrinnbaren Schicksals seinen Lauf vollendet. Aber seiner Anlage nach erschöpfte er sich doch auch nicht darin, nur Philosoph zu sein, der die dünne Luft weltfernen Denkens atmet. Herkunft und Erziehung hatten offenbar früh in ihm den Wunsch geweckt, sich dem Öffentlichen Leben zuzuwenden. Seine Jagd nach dem Kronamt, die er mit einem ungewöhnlichen Maß niederen Strebertums betrieb, diente schwerlich bloß dazu, sein äußeres Leben zu sichern, um etwa wissenschaftliche Pläne fördern zu können; ihn beseelten Ehrgeiz und der Antrieb, auch im Staat etwas zu bedeuten und nützliche Werke zu vollbringen. Selbstsucht und Schaffensfreude verbanden sich aufs merkwürdigste in ihm. Er war der Mann sowohl der vita contemplativa wie der vita activa, und zu seinem Sturz trug im Grunde auch neben anderen verschlungenen Ursachen deren Widerstreit und die innere Zwiespältigkeit seines Wesens bei. Früh hatte er das Feld der Politik betreten. Seit seinem vierundzwanzigsten Jahre gehörte er dem Parlament an, wo er sich durch den gewichtigen Ernst seiner Darlegungen und eine außerordentlich fesselnde Art zu sprechen solches Ansehen erwarb, daß seine Zuhörer nach dem Urteil eines bedeutenden Zeitgenossen, Ben Jonson, den Augenblick fürchteten, wo er aufhören würde zu reden. Er begann in den wichtigen Parlamenten der achtziger Jahre, also in einer Zeit, in der Elisabeth durch die Bezwingung schwerer innerer und äußerer Gefahren, Maria Stuarts Hinrichtung einerseits, den Sieg über die spanische Armada andererseits, den Gipfel ihrer Macht erklomm. Als das Parlament einmütig die Vollstreckung des Todesurteils an der schottischen Königin forderte, ergriff auch Bacon zustimmend in dieser großen Sache das Wort; er saß in den Ausschüssen, die über die Bereitstellung von Mitteln zur Verteidigung gegen Spanien berieten. Auch seine politische Mitarbeit richtete sich somit auf die Lebensziele des Elisabethanischen England. Es galt, die anschwellende Flut der Gegenreformation einzudämmen und ihren ersten Vorkämpfer in Europa, das Spanien Philipps II., der als Bundesgenosse der Maria Stuart die Mordpläne ihrer Anhänger unterstützte, zurückzuwerfen. Bacon A n d r e a s , Oeist und Staat.

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fügte sich dieser einheitlich verbundenen nationalen Front des englischen Königtums und seines protestantischen Volkes gegen den inneren und äußeren Feind ein. Die päpstlichen Ansprüche und Übergriffe hat er auch in seinen späteren Schriften in die Schranken gewiesen. Spanien bewahrte Bacon über den Tod der Elisabeth hinaus eine tiefgewurzelte Feindschaft; denn er erblickte in ihm den eigentlichen nationalen Gegner. Wenn er in den neunziger Jahren einmal als Sachverwalter der überlieferten Stellung des Unterhauses in einer Geldbewilligungssache gegen die Regierungswünsche sprach, so deutete das auf keine von Grund aus feindselige Einstellung gegenüber der Krone hin, da er sie als überragende Macht im öffentlichen Leben seines Volkes erkannte und selber sie umschmeichelte. Ihm leuchtete freilich die königliche Gnadensonne, solange Elisabeth herrschte, nicht, obwohl er gerade von dem Lebenswerk dieser auch literarisch von ihm gepriesenen Tudorfürstin, der letzten hochragenden Regentengestalt der Renaissance, ihrer starken monarchischen Machtstellung und ihrem von nationaler Kraft erfüllten Staatswesen entscheidende Eindrücke für die Bildung seiner politischen Gedankenwelt empfing. Hoch erhob er das glänzende Zeitalter der Elisabeth über alle englische Vergangenheit und seine europäische Umwelt. Wer daran mitgebaut habe, meint er in seinem Nachruf auf die Königin, brauche sich seines Werkes nicht zu schämen 1 Bacon wurde aus einem Beobachter dieser selbstbewußten monarchischen Tradition und ihrer Leistungen ihr Bewunderer. So lag es vollkommen in der gleichen Linie, wenn er nach seinem Sturze eine kritisch zwar keineswegs zureichende, aber von Gegenwartstimmung durchwehte Geschichte der Tudors zu schreiben begann. In dem ersten großen Herrscher dieser Reihe, dem siebenten Heinrich, verherrlichte er das Vorbild eines überragenden aufgeklärten Monarchentums, das sein Übergewicht, ohne die Verfassung zu verletzen, zu sichern wußte. Wenn er ihn, Ferdinand von Aragonien und Ludwig den Elften von Frankreich als die drei Magier feierte, so atmete dieser Ausdruck das stolze Epochengefühl der Renaissance und Bewunderung für die unter diesen Herrschern zum Durchbruch gelangende neue Staatsbildung. Die hohe Wertschätzung des in Gesellschaft und Staat führenden Königtums nahm nun Bacon gleichsam als geschichtliche Mission in die Zeit des ersten Stuart und sein eigenes parlamentarisches Wirken hinüber, obwohl schon unter der letzten Königin aus dem Hause Tudor geistig-religiöse und politisch-soziale Gegenkräfte

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sich lebhafter zu Wort gemeldet hatten, Puritanertum und Gentry, deren Ansturm das feste Bollwerk der Monarchie unter dem zweiten Stuart erliegen sollte, bereits das Haupt erhoben. Bacon hielt nach wie vor zur Krone und betonte ihre Vormacht, weil es zu seinem Vorstellungskreis gehörte, ihr große Dinge und schöpferische Aufgaben zuzuschreiben. Überdies schmiegte er sich als geschmeidiger Weltmann, den es unwiderstehlich zum Inhaber der Macht hinzog, nicht ungern den von Jakob ebenso feierlich wie lehrhaft verkündeten Grundsätzen von den Vorrechten seines königlichen Amtes an, wie er denn auch in einem seiner Essais, ganz so wie spätere Verherrlicher des Absolutismus, die Könige als sterbliche Götter bezeichnete, ein Wort, das ebensogut der gelehrte Pedant auf dem Thron hätte aussprechen können. Jakob freilich lieferte nur allzubald den Nachweis, daß er mehr sterblich als göttlich war, und die Schwäche seiner Herrscherpersönlichkeit blieb ein zweifelhafter Posten, um dessentwillen allein schon Bacons Rechnung niemals völlig aufgehen konnte. Daß er dieser Fehlerquelle seines politischen Denkens entweder nicht inne wurde oder sie geflissentlich übersah, verurteilte sein Wirken fast zur Unfruchtbarkeit und rächte sich schließlich an seiner eigenen Person. Denn Bacon diente einem Königtum, das sich weder an Zielsicherheit und Erfolgen noch an nationaler Werbekraft mit dem Regiment der letzten Tudorf ürstin messen konnte. Auch der Reichtum politischer Begabungen und leitender Männer war zusammengeschrumpft. Hatte dem England jener Jahrzehnte noch eine gewisse Größe und Wucht innegewohnt, so litt die folgende Generation an einer epigonenhaften Zerfahrenheit. Ein Hauch von Dürre und Unfruchtbarkeit strich über die saftige Lebendigkeit des Elisabethanischen England hin. Wo aber tatenfreudige, zukunftsgestaltende Kräfte ans Licht drängten, regten sie sich im Gegenlager der Krone. Trotzdem verkündete der Monarch, in Worten stärker als in Werken, laut seine Machtansprüche und forderte eben damit eine um so entschiedenere Gegenbewegung heraus. Denn er ging viel weiter als seine Vorgänger, die mit mehr Takt, Geschicklichkeit und Kraft Parlament und Verfassung gemeistert hatten. Der Anspruch der Krone war größer als ihr persönlicher Einsatz und ihre Fähigkeiten. Während die so hochgeschraubte Kraft des Königtums in Wahrheit schon zerbröckelte, der Wille zur Führung nicht mehr durch starke Leistungen der inneren und äußeren Politik unterbaut war, sank England auch im Rate Europas zurück. Wenn nun Bacon ungeachtet dieser Niedergangszeichen sich auf Seite der Krone

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schlug und ihre Vorrechte verfocht, so bestimmte ihn neben seiner Höflingsnatur und seinem allzu empfänglichen Sinn f ü r die Macht jene Nachwirkung der Elisabethanischen Zeit, vor allem aber auch das innere Gesetz seiner Persönlichkeit und sogar etwas wie eine tiefere Überzeugung. Denn der Engländer Bacon war eigentlich vom Geblüt jener Staatsmänner des siebzehnten Jahrhunderts, die auf dem Festlande die Gedankenwelt des Absolutismus zum Siege geführt haben. Gleich ihnen wollte er eine starke unabhängige Krongewalt, schaffensfreudig, von wenigen einsichtsvollen Ratgebern erleuchtet und daher fähig, wichtige Aufgaben der Gesetzgebung und Verwaltung zu erfüllen. Er selber hatte sich bedeutende Ziele gesteckt; aber er wurde in all seinen Hoffnungen betrogen, weil die Natur dieses Fürsten und seine Mißherrschaft auch jedem anderen Freund eines solchen Programms, der sich mit fruchtbaren Plänen trug, Enttäuschung bereitet hätte. Bei Bacon aber kam lähmend hinzu, daß er nicht daran dachte, sich leidenschaftlich f ü r etwas einzusetzen und allzu leicht bereit war, sich dem Lauf der Dinge anzupassen. So erfüllte sich wenig von dem, was er an größeren Dingen wünschte und betrieb. Die Vereinigung Schottlands und Englands, für die er im Sinne der Regierung lebhaft eintrat, weil ihm die künftige Größe seines Vaterlandes darauf zu beruhen schien, scheiterte an den erhobenen Widerständen und kam erst ein J a h r hundert später dauernd zustande. Die Aufgabe einer umfassenden und segensreichen Kolonisation in Irland lösten weder seine Generation noch die Nachfahren. Seine vom Einfluß des römischen Rechts nicht unberührten und im Stil eines aufgeklärten Beamtentums gedachten Pläne zur Verbesserung und Zusammenfassung des englischen Rechts wurden vom Streit der Tagesfragen überwuchert und kamen überhaupt nicht zur Entfaltung. Das common law aber behauptete seine Widerstandskraft und seine Volkstümlichkeit. Wegen seiner eifrigen Betonung der königlichen Vormacht und ihres freien Verordnungsrechtes überwarf sich Bacon mit dem hohen Richtertum, das von der ersten juristischen Autorität des Königreichs, Edward Coke, mit ebensoviel unbeugsamem Rechtsgefühl wie Starrsinn geführt, seine Unabhängigkeit vom König verteidigte und dem Monarchen sogar seine Aufsicht aufzwingen wollte. Im übrigen drangen Bacons Ratschläge, obwohl sie mehr als einmal in der Verwirrung die Wege der Staatsräson wiesen, in den seltensten Fällen durch. In anderen wichtigen Begebenheiten wurde er gar nicht gehört. Trotzdem fiel auch auf ihn die zunehmende Verstimmung

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zurück, da er ja, außerstande den Gang der Regierung wesentlich zu beeinflussen, im Pflichtenkreis seines Richteramtes Genüge fand und eine Stütze des herrschenden Regiments blieb. War einer seiner Ratschläge unter den Tisch gefallen, so ließ er es dabei bewenden; denn sein eindrucksfähiger und beweglicher Geist sah leicht neue Möglichkeiten, auf die er hinweisen konnte, und das Pathos der Entrüstung oder gar des Widerstandes lag ohnehin seinem kühlen Temperament und noch mehr seiner höfischen Glätte fern. So sank dieser bedeutende und klare Geist, statt eingerissenen Mißbräuchen ein Ende zu setzen und ein Führer in der Politik zu werden, als Organ der Verwaltung zum Werkzeug von Menschen herab, die an Einsicht und Wollen weit unter ihm standen. Noch kam es unter Jakob nicht zur Umwälzung, aber ihre Vorboten zeigten sich bereits in der steigenden Erregung, dem sichtbaren und wirkungsvolleren Aufmarsch der inneren Gegnerschaften, in der wachsenden Gereiztheit zwischen Krone und Parlament, ihrem Markten um Geldbewilligungen, um Königs- oder Volksrechte, ihren offenen Zerwürfnissen. All das lief unverkennbar auf ein Ringen um die Vorherrschaft im Staate hinaus. Die Geister begannen sich zu scheiden. Tiefe Gegensätze taten sich auf. Dem Gedanken der Freiheit aber gehörte in England die Zukunft und nicht dem der unumschränkten Fürstengewalt. Bacon ging nicht so weit, das Daseinsrecht des Parlaments überhaupt zu verneinen; er wünschte nur unter allen Umständen das Übergewicht der Krone, um sie für den reichen gesetzgeberischen Aufgabenkreis eines erleuchteten Herrschertums und weiser Ratgeber unabhängig und stark zu wissen. Bacon hielt nichts von der Masse und nicht allzuviel von den Fähigkeiten der Volksvertretung. Selber ein Sohn des Beamtenadels, zog er ihr vielmehr nach seiner ganzen Geistesart eine urteilsfähige, sachkundige Versammlung vom Zuschnitt des Privy Concil bei weitem vor. Immerhin sollte das Parlament, wenn es auch nie Quelle oder Träger der Gesetzgebung und schon gar nicht Führer im Staat werden durfte, doch seine Zustimmung zu neuen Gesetzen und außerordentlichen Steuern erteilen, es sollte zur Aufklärung über die allgemeine Volksstimmung und ihre Wünsche dienen. Bacon hat, da er kein Mann des schroffen Kampfes war, mehrfach in den Streitigkeiten Jakobs mit dem Parlament zu dessen Einberufung geraten und zweifellos eher beschwichtigend und ausgleichend als verschärfend gewirkt. Wie breit indessen die Kluft zwischen Krone und Unterhaus schon geworden war, erkannte er doch wohl

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nicht in ganzer Schärfe, wie er überhaupt merkwürdig hoffnungsvoll und mit unverwüstlicher Zuversicht immer wieder dem neuen Zusammentritt der Abgeordneten entgegensah. Immerhin schien ihm die Entfremdung zwischen dem König und der Volksvertretung allmählich doch so bedenklich, daß er glaubte, eine Ablenkung der schweren inneren Verstimmung nach außen empfehlen zu müssen. Er wollte zuletzt die Spanierfeindschaft der Engländer durch die Krone ausnutzen und schlug kräftige Töne gegen den alten Gegner des Inselreiches an. Aber wiederum blieb es nur beim Entwurf des Programms, und eine strenge Loslösung Bacons von der bisher eingeschlagenen Richtung, ein Abrücken von Jakob und den Personen, die für des Königs schwächliche und entschlußlose Haltung mitverantwortlich waren, fand auch in der auswärtigen Politik nicht statt, und ebenso wenig gab der Monarch seinen Mahnungen Gehör. Der Kurs blieb so schwankend wie zuvor und lenkte nicht in die Bahnen der Elisabeth zurück. Immer wieder drängt sich der Eindruck auf, daß Bacon entweder das heillose Versagen der obersten Stelle nicht sah oder nicht sehen wollte. Vielleicht war er auch nach der Art geistig behender Menschen, die alle Möglichkeiten durchdenken, aber nicht stark genug sind, eine fest zu ergreifen und für sie einzustehen, allzu klug, um ganz ehrlich gegen sich selber zu sein. Je mehr nun das Parlament, das unter dem Eindruck des auf dem Festlande entbrannten gewaltigen Religionskrieges und der von Jakob so unsicher und kleinlich behandelten böhmisch-pfälzischen Frage zusammentrat, gegen die Außenpolitik des Königs und seines Günstlings auf dem Herzen hatte, desto leidenschaftlicher brach der Zorn über alle inneren Streitfragen, Mißbräuche und Gebresten hervor. Das Opfer des parlamentarischen Grolles aber wurde der Lordkanzler. Bacon wurde in aller Form der Bestechlichkeit angeklagt: er habe in seinem Richteramt Geldgeschenke angenommen. Da er sich schriftlich und mündlich schuldig bekannte, wurde er einstimmig verurteilt zu einer ansehnlichen Geldbuße, Gefangenschaft, solange es dem König beliebe, Verlust der Staatsämter und seines Parlamentsitzes und zur Entfernung vom Hofe. Auf eine Verteidigung hatte er verzichtet. Zwei Tage hielt man ihn im Tower fest, dann wurde ihm die Strafsumme erlassen. Nachdem er eine Zeitlang als Verbannter auf seinem Landgut geweilt, kehrte er schon ein Jahr nach seinem Fall mit königlicher Erlaubnis nach London zurück und nahm seinen Wohnsitz wieder in Gray's Inn. Jakob stattete ihn mit einer Pension aus und berief ihn sogar wieder ins Oberhaus, wo sich der frühere Kanzler allerdings 38

nicht mehr sehen ließ. Das alles aber kam einer schrittweisen Wiederherstellung gleich, wie denn auch Bacon den Hof und alle Welt mit seinen Bitten um vollständige Begnadigung bestürmt hatte. Bacon, der es als echte Renaissancenatur den großen Herren an Pracht und Verschwendung gleichzutun liebte, und mehr als für einen Philosophen schicklich dem glänzenden Schein ergeben war, hat in der Tat, wie er zugestand, in einer ganzen Reihe von Fällen Geschenke angenommen. Damit heftete er sich den Makel einer Handlung an, die er in seinen Schriften mißbilligte. Aber es gab genug andere hohe Würdenträger, denen man das gleiche hätte vorwerfen können. Daß sich Bacon indessen bei seinen Urteilssprüchen und noch schwebenden Verfahren durch die empfangenen Gelder habe in bestimmter Richtung beeinflussen lassen, stellte er ausdrücklich in Abrede, und in den Fällen wenigstens war das auch glaubwürdig, wo der Bescheid ungünstig für den Spender der Gabe ausgefallen war. Gegen den Kanzler entlud sich nicht bloß der neuerdings erwachende Unwille über ein Übel, das sich tief und bisher unbekämpft ins englische Leben eingeschlichen hatte, sondern auch der persönliche Haß seines Nebenbuhlers Coke. Dessen Gegnerschaft und das durch Jakobs Günstlingsregiment sowie mancherlei andere Mißwirtschaft längst gereizte Rechtsgefühl erkoren sich den Lordkanzler als erstes Opfer. Die Tragödie dieses Intellektuellen brachte die innere Brüchigkeit seines Wesens, den Widerstreit von Geist und Charakter klar zutage. Aber sein Sturz war nur zum Teil die Folge seiner Verfehlung, wog sie doch als solche im damaligen England und nach der Natur der ihm zur Last gelegten Einzelfälle nicht allzu schwer. Ihn brachten auch die inneren Kämpfe seines Vaterlandes zu Fall. Man traf den Ratgeber und Verteidiger der Krone, obwohl er an sich gewiß keine herausfordernde Kampfnatur war und auch in seinen Schriften über die Abgrenzung von Kronmacht, Gesetz, Volksrecht und Freiheiten des Parlaments sich mitunter mehr verschwommen oder gewunden als bestimmt auszudrücken beliebte. Höchstwahrscheinlich zielte aber der Hieb zugleich in höhere Regionen. Daß das Haus der Gemeinen wieder einmal wie vor alters einen der höchsten Beamten zu stürzen vermochte, beleuchtete wie ein Gewitterzeichen die sich anbahnende Machtverschiebung. Ein anderes England als das der Tudors und der Elisabeth grollte da auf. Daß der König und sein Buckingham den vertrauten Ratgeber dem Parlament als Schuldigen preisgaben oder nur matte Verteidigungsversuche wagten, bewies, daß die

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höchste Gewalt nicht mehr auf so festen Füßen stand, um sich über das Vergehen eines Ministers hinwegsetzen oder das Verfahren gegen ihn ersticken zu können. Der kluge Diener der Macht, der sich so sorglos im Sattel gewiegt hatte, war in Wahrheit zwischen zwei Parteien geraten: die einen stürzten, die anderen opferten ihn. Der stolze Bau seiner politischen Laufbahn brach wie ein Kartenhaus zusammen; das handelnde Leben stieß ihn aus und gab ihn der Betrachtung zurück. In der Abgeschiedenheit von der Welt reifte noch eine Reihe von Werken der Vollendung entgegen.

Selbst während seiner emsigen staatsmännischen und richterlichen Tätigkeit waren Bacons schriftstellerische Arbeiten niemals ins Stocken geraten. In der unfreiwilligen Muße seiner Verbannung vom Hof und den Geschäften, in den paar Jahren, die ihm noch vergönnt waren, nahmen sie einen neuen, letzten Aufschwung. Oberblickt man die Gesamtheit seines literarischen Wirkens, so wollte er mit einigen seiner kleineren Schriften die Zeitgenossen in bestimmte Bahnen drängen, in anderen zog er aus seinen Erfahrungen im öffentlichen Dienste als Denker die Summe. So hat er Fragen des Staates und des nationalen Lebens mannigfach berührt, und wenn er sie auch nicht in ein förmliches System zwang und, was er verschweigt, mitunter fast wichtiger erscheint als das, was er ausspricht, so bleibt doch ein einheitlicher Gesamteindruck und etwas wie ein politisches Vermächtnis zurück. Wille und Erkenntnis fließen darin zusammen. In bunter Reihe wechseln da miteinander ab parlamentarische Reden und politische Briefe, höfische Huldigungsergüsse und Abhandlungen, die, aus bestimmten Situationen heraus entstanden, auf sie einwirken wollen. Hierher gehören einzelne Stücke aus seinem umfassenden philosophischen Lehrgebäude und nicht minder seine lange, lockergefügte Kette kurzer Essais mit ihrem frostigen Glanz, ihrer durch ausgesuchte Bilder kaum verhüllten Nüchternheit der Lebenserfassung, ihrer eindringlichen, aber kühlen Menschenkenntnis. In diesem Buch hat sich die persönliche Geistesart Bacons, aber auch das Engländertum überhaupt in seiner harten Verständigkeit ein eigentümliches Denkmal gesetzt. Seiner Spätzeit entstammt außer der Geschichte des ersten Tudors die aus dem Nachlaß veröffentlichte phantastische Zeichnung der Nova Atlantis, einer fabelhaften Insel. Hier hat Bacon, von Plato und seinem Landsmann Thomas Morus angeregt, ein Zukunftsbild geträumt, ein Land aller unbegrenzten

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Möglichkeiten. Auf den ersten Anblick scheint diese allerdings nicht zu Ende geführte Utopie aus dem Rahmen seines nüchternen Gedankenkreises herauszutreten; aber in Wirklichkeit fand Bacons Weltbetrachtung, seine einseitige Verstandesüberzüchtung und sein keineswegs nur auf die Beherrschung der Natur gerichteter Machttrieb darin bezeichnenden Ausdruck. Auch andere Renaissancedenker gaben gelegentlich der Neigung nach, höchste Errechenbarkeit und Bemeisterung des Lebens zu märchenhaften Ausmaßen zu steigern, so daß der Rationalismus in Phantastik umzuschlagen droht. Schon Thomas Morus war auf diesem Wege vorausgegangen. Wenn der katholische Humanist und Staatsmann in seiner mehr als ein Jahrhundert zuvor geschriebenen Utopie den Boden der Tatsachen vollkommen zu verlassen schien, so kamen freilich in den hochfliegenden Gedankengängen dieses edlen und milden Geistes auch realistisches Engländertum und erdgebundene Interessen überraschend zum Vorschein. Wäre Bacons Atlantis nicht unvollendet geblieben, so hätte gewiß auch sie erlaubt, auf dieser weltabgelegenen Insel, die als eine Art geschlossenen Handelsstaates gedacht war, die Merkmale englischer Bodenständigkeit und Denkweise abzulesen. Einige Wellen politischer Energie dürften insgeheim auch diese Schrift, so luftig und ausschweifend alles erfunden scheint, durchströmt haben.

Bacon liebte es, seine Werke mit Zitaten aus den Schriften der Alten, gelegentlich auch der Bibel zu durchwirken. Er flocht zahlreiche Beispiele aus der antiken Geschichte ein, um sich ihrer zur Ausdeutung der eigenen zeitgenössischen Welt und zur Begründung seiner Ansichten zu bedienen. Während aber manche Italiener vom Bildungshorizont des Humanistentums sich in spielerische oder wenig fruchtbare Betrachtung staatlicher Dinge verloren, lag Bacons von Beobachtung und Erfahrung durchtränktem Nachdenken auch da, wo er sich in antikem Faltenwurf zeigte, eine recht ursprüngliche, körnige Stofflichkeit zugrunde. Er stand mit beiden Füßen auf dieser Erde. Kein Wunder, daß ihn von den Renaissancedenkern gerade Machiavelli anzog, dessen politische Lehren in ihrer kühnen Diesseitsstimmung und ihrem rücksichtslosen Wirklichkeitssinn einen unzweideutigen Bruch mit dem mittelalterlichen Geiste vollzogen. Sie hinterließen ihre Spuren auch im Werke des Engländers. Die Discorsi und den Principe hat Bacon genau gekannt. Manche seiner Redewendungen sind ihnen entlehnt. Er berief sich gelegent41

lieh auf den florentinischen Staatssekretär als seinen Gewährsmann und sprach ihm sogar ausdrücklich seine Anerkennung aus, weil Machiavelli ohne Beschönigung und ganz ungeschminkt gesagt habe, wie die Menschen wirklich seien, nicht wie sie sein sollten. An anderen Stellen freilich belegte er ihn mit tugendhaftem Tadel, obwohl häufig seine eigenen Urteile an Verschlagenheit und moralfreiem Gehalt so wenig hinter dem Bewunderer des Cesare Borgia zurückblieben, daß man wohl behaupten darf, es sei einiges Gift der Machiavellilehren auch in Bacons Feder geflossen. Beiden bot das römische Weltreich und der politische Genius des Römertums ein Schauspiel von unvergleichlicher Bedeutung und unerschöpflichen Stoff zum Nachdenken. Nur hatte die Bewunderung des Florentiners für Rom im Unterschiede zu Bacon eine ausgesprochen republikanische Farbe. Der Italiener wie der Engländer bekämpfte im Papsttum den Feind seines Vaterlandes. Wenn im übrigen zeitgeschichtliche Stellung, heimatliche Umgebung und Persönlichkeit diese zwei Schüler der Renaissance im einzelnen naturgemäß verschiedene Wege führten, so trat Bacon doch auch sonst vielfach in die Fußstapfen des italienischen Vorgängers. Sie stimmten überein in der Wertschätzung eines starken Staates, dessen Probleme sie sich vorwiegend vom Standpunkte der Regierenden und des Machtbesitzes zurechtlegten, und Bacon stützte seine Ansicht, daß ein großes Reich ein tüchtiges Volksheer nötig habe, geradezu auf die Ausführungen des Machiavell. Das politische Denken des einen wie des andern war nach Ziel und Taktik vorwiegend auf Nützlichkeit und Erfolg abgesteckt und wies einen rationalistischen Grundzug auf. Sie glaubten beide, man könne die vorwaltenden Kräfte und Gegensätze innerhalb der Gesellschaft einigermaßen mechanisch meistern, das Volk, die Masse aber formen, so wie der Künstler den Marmorblock zuhaut. Sie begegneten sich ferner in einer ebenso rechnerischen wie realistischen Auslegung der Staatskunst als einer Sache der Konjunktur, wobei es auf rechtzeitige, kraftvolle und geschmeidige Benutzung der Gelegenheit durch den Stärkeren und Klügeren ankomme. Mit Machiavell und der ganzen Renaissancediplomatie hielt auch der nordische Denker die Verstellung für eine der wichtigsten Eigenschaften der Regierungskunst, und er scheute sich ebensowenig wie der Verfasser des Principe, zur Erreichung eines nützlichen Zweckes sittlich anfechtbare Mittel zu empfehlen. Seine Ratschläge steigerten sich allerdings niemals zu jenem Grad unerbittlicher und unverhüllter Rücksichtslosigkeit, die bei Machiavelli einen Teil seiner Größe aus-

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macht, und man glaubt in Bacons Physiognomie einen Zug verkniffener Zurückhaltung und sogar Heuchelei wahrzunehmen. Fühlte sich Machiavelli nach Voraussetzung und Zielen leidenschaftlich als Italiener, so blieb Bacon bis in die letzten Regungen seines Wesens Engländer. Wie er selber sein Leben lang die Macht als ihr Trabant umschwärmte, wie er die gesamte Natur dem Willen des Menschen unterjochen wollte, so trachtete er auch, die Herrschaft seines Vaterlandes auszudehnen, ohne im übrigen diesen Wunsch auf seine tiefere sittliche Berechtigung hin zu prüfen. Das biblische Gleichnis vom Senfkorn, das zum gewaltigen Baum heranwächst und seine Wipfel immer mächtiger ausbreitet, spiegelte ihm Bestimmung und Zukunft des britischen Reiches. So verblüffend grob, ursprünglich und massiv wird der Machtgedanke in Bacons Schriften gepredigt, daß man ihn ohne Bedenken zu den ersten Wortführern des Imperialismus zählen kann. Bacon sah eine bedeutende heimische Wehrkraft, ständige Rüstungsbereitschaft und Waffengeübtheit nicht nur als den Nerv eines starken, nach außen entwicklungsfähigen Gemeinwesens und eines straffen Volkstums an; er feierte den Krieg sogar als Lehrmeister und Erzieher. Einen faulen Frieden aber verwarf er als verweichlichenden Sittenverderber. Den Bürgerkrieg verglich er mit der Hitze des Fiebers, einen rechtschaffenen auswärtigen Krieg aber mit der Wärme des Blutes, die dem Körper gesund sei. Ein jedes Reich, so führte er weiter aus, das auf wahre Größe Anspruch erhebe, müsse nicht allein lebhaftes Empfinden für Beleidigungen und Herausforderungen besitzen, sondern es müsse auch einen gerechten Kriegsanlaß oder wenigstens einen einleuchtenden Vorwand zu finden wissen, da nun einmal das menschliche Herz bei der mächtigen Gerechtigkeitsliebe, die ihm eingepflanzt sei, das Elend eines Krieges nur so, nicht anders zu verantworten bereit sei. So kreiste auch sein Denken um das seit dem Kirchenvater Augustin oft erörterte Problem des bellum justum. Unter den brauchbaren Gründen zum Krieg befürwortete Bacon auch den, daß man aus Besorgnis vor drohender Gefahr, und zwar vor der stark anwachsenden Macht eines Nachbarstaates zu den Waffen greife. Der Verkünder dieser geharnischten Lehren schlug sogar unbedenklich vor, so wie Perseus die Medusa den Gegner im Schlafe zu überfallen, während er sich nichtsahnend in Sicherheit wiege. Wie in dem kommunistischen Idealstaat der Utopie von Morus bei näherem Zusehen überraschende Triebkräfte des kapitalistischen Imperialismus sich enthüllen, gibt auch die Atlantis ein Rätsel auf. Denn auf diesem den Welthändeln ent-

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rückten, abgeschiedenen Eiland sollte eine Wunderwelt von Erfindungen aller Art erstehen, Flugzeuge, Unterseeboote und anderes, was fQr uns aus einer geistreichen Ahnung inzwischen Wirklichkeit geworden ist. Aber auch alle möglichen Kriegswerkzeuge und Vernichtungsmaschinen, Sprengstoffe und Geschütze von unerhörter Wirkung werden nach dem Entwurf des Verfassers da hergestellt, und man fragt sich vergebens, wozu diese friedliche Gelehrten- und Erfindergesellschaft, das Haus Salomonis, wie Bacon es nannte, eigentlich diese furchtbare und fein ausgedachte Kriegsindustrie benötigt.

Bacon steht mit seinen Gedanken an der Schwelle des imperialistischen England, wie es die hochstrebenden Politiker vom Schlage Walsinghams, kühne Seefahrer wie Drake und Raleigh verkörpern und wie es die Dichter seit Elisabeth anfangen zu verherrlichen. Bedeutungsvoll klingen bei ihm schon die Töne an, die in der späteren Entwicklung stärkste Leitmotive des britischen Daseins wurden. Er bezeichnet bereits die Seeherrschaft als kostbarste Mitgift des Inselreiches, die ihm die Freiheit des Adlers gewähre, er beansprucht die Führung im Handel und tritt als Merkantilist und Sohn des Elisabethanischen Zeitalters für rücksichtslose Niederringung des fremden Wettbewerbs und die Erwerbung von Kolonien ein, er spricht schon mit echt englischem Tonfall vom Schutz der kleineren Völker und ihrer Befreiung von Tyrannei. Auf all dies nüchterne, ja rohe Machtstreben fällt aber selbst bei Bacon schon ein höherer Schimmer, insofern bei ihm bereits der Glaube durchleuchtet, die Engländer hätten als auserwähltes Volk ihren besonderen Platz in der Welt auszufüllen. So reiht er sich auch da in den großen Lebenszusammenhang seines Volkes ein, und im Siegeszug des britischen Imperialismus schreitet Bacon als einer seiner ersten Herolde, wenn auch nicht als Führer im strengen Sinn. Denn seine eigentliche Schöpferkraft entfaltete er in der Wissenschaft und weniger in der Politik. Thomas Hobbes, Locke und seine anderen Nachfolger in der Philosophie verdanken ihm Unendliches, und jene besondere Geistesprägung, die unverkennbar gerade das englische Denken von dem der festländischen Schulen unterscheidet, ist in ihren Wesensmerkmalen, ihren Vorzügen und ihren Grenzen ganz bei ihm vorgebildet. Das Werk des Staatsmannes war vergänglicher als das des Philosophen, aber auch in ihm glimmte ein Funke vom Genius seines Volkes.

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Pater Joseph.

nter den geistlichen Staatsmännern, die in der Epoche der Glaubenskämpfe und des Dreißigjährigen Krieges schon den Sinn ihrer Zeitgenossen lebhaft beschäftigten, war Pater Joseph einer der berühmtesten und rätselhaftesten. Keiner, der mit ihm in Berührung kam, vergaß so leicht diese eindrucksvolle Erscheinung, am wenigsten aber diejenigen, die sich mit dem Mönch irgendwie auseinanderzusetzen oder zu messen hatten, weil sie an sich selber die seltsam eindringliche Kraft seiner Persönlichkeit erfuhren. Pater Joseph hieß mit seinem Familiennamen François le Clerc du Tremblay. Als ältester Sohn eines hohen königlichen Gerichtsbeamten war er in Paris am 4. November 1577 geboren. Der Vater, bürgerlichen Blutes, aber dem Parlamentsadel angehörend, hatte sich mit einem Fräulein von La Fayette vermählt. Daß der Knabe eines Tages Mönch würde, hatten die Eltern keineswegs so vorausbestimmt. Auch Richelieu war es nicht an der Wiege gesungen, daß er die Soutane tragen werde. Beide genossen die übliche Erziehung, gingen durch die Schule der Alten, lernten Sprachen und sollten Edelleute werden, geübt in den Waffen und allen weltlichen Fertigkeiten. Sie wuchsen auf in den Formen der vornehmen Gesellschaft. Auch dem jungen du Tremblay rühmte man nach, er habe sich eine ausgezeichnete humanistische Bildung erworben, obwohl die Pariser Universität, als er sie besuchte, bloß noch ein Schatten ihrer selbst war, zerrüttet, verödet, auch sie unterm Fluch des Bürgerkrieges leidend. Nach Abschluß der Studien unternahm er zusammen mit einigen Gefährten eine Reise nach Italien. Darauf erfolgte seine Einführung bei Hof unter dem Titel eines Barons de Maffliers. Er war noch keine zwanzig alt, und schon gelang es dem kenntnisreichen und sehr redegewandten jungen Menschen, die Anerkennung des Königs selber zu erwerben. Bei der Belagerung von Amiens (1597) diente er als Freiwilliger mit Auszeichnung unter dem Befehl seines Verwandten, des Connétable von Montmorency, und erschien in der

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Gefolgschaft eines französischen Gesandten bei wichtigem Anlaß in England. Ein verheißungsvolles, glänzendes Leben lag vor ihm. Er hatte keinen äußeren Grund, es zu verlassen wie Richelieu, der durch seinen Eintritt in den geistlichen Stand seiner Familie eine Bistumspfründe sichern mußte. Und doch wuchs der junge François gerade in diesem erfolgreichen Kriegs- und Weltleben Schritt um Schritt seiner religiösen Bestimmung entgegen. Schon seines Vaters Tod hatte den zehnjährigen Knaben über die Nichtigkeit des menschlichen Daseins belehrt, und eine starke religiöse Empfänglichkeit war von vornherein in ihm vorhanden. Als kleines Kind schon stieg er plötzlich, so wird erzählt, in einer Gesellschaft auf einen Schemel und trug die Leidensgeschichte des Herrn vor, die er gerade vor kurzem gehört hatte. Von Ergriffenheit übermannt, brach er bei der Grablegung Christi ab. Die Jahre ländlicher Einsamkeit auf dem väterlichen Schloß zu Tremblay, wohin sich die Witwe zurückgezogen, mögen das Kind noch schwermütiger gestimmt haben. Dieses Besitztum hatte die Mutter zum Schutz gegen die Unbilden des Bürgerkriegs befestigen lassen. Es war kein gutes, kein heiteres Frankreich, das diese Kindheit umgab: es tobten die religiösen und politischen Leidenschaften, die Sitten verfielen, der Staat war zerrüttet, die Gesellschaft verwildert. Das Land schien in selbstmörderischen Kämpfen sich selber zerstören und dem Ausland ausliefern zu wollen. Frankreich drohte in völlige Zersetzung überzugehen, bis der gute und große König Heinrich der Vierte endlich Friede und Ordnung brachte. Alles Dinge zum mindesten, um ein weiches Gemüt ernst zu stimmen 1 Das Lesen frommer Bücher kam hinzu, und das schmerzliche Jugenderlebnis einer Neigung erweckte in François zum erstenmal den Wunsch, in einen Orden einzutreten. Immerhin, dies alles hatte sich nicht stark genug erwiesen, um eine Entscheidung dieser Art herbeizuführen, und ruhig war die weltliche Erziehung weitergegangen. Aber da machte im Kriege der Tod eines Grandseigneurs, der ohne jede Hilfe und auch ohne geistlichen Zuspruch, verlassen von seiner sonstigen Umgebung, gestorben war, tiefen Eindruck auf den Jüngling. Auch der englische Aufenthalt trieb seine Gedanken in verwandter Richtung vorwärts: offenbar hat ihn da die Berührung mit der protestantischen Ketzerei entflammt, vielleicht auch anderes auf ihn gewirkt. Kurz, nach seiner Rückkehr führte François ein sehr zurückgezogenes Leben und verkehrte nur noch mit frommen Personen. Als er sich seiner Mutter

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anvertraute, sträubte sie sich in monatelangem Kampfe gegen seinen Entschluß. Aber er blieb dabei. So wurde er im Kloster. St. Jean le Blanc bei Orleans Kapuziner (1599).

Die gewaltige religiöse Leidenschaft seines Zeitalters hatte auch ihn erfaßt und trug ihn weiter. Innerhalb seines Ordens fand er bald Beachtung. Die eifrige Erfüllung all seiner geistlichen Pflichten, vor allem aber seine mächtige Beredsamkeit, der Erfolg seiner Wanderpredigten, eine Reihe gelungener Ketzerbekehrungen, die Gewinnung mehrerer frommer und tüchtiger Männer, die er dem Orden zugeführt, wurden ihm hoch angerechnet Vierzehn Jahre nach seinem Eintritt als Novize wählte man ihn zum Provinzial der Touraine. In dieser Eigenschaft kam er mit hohen Kreisen in Berührung, mit der Königin-Mutter und dem damaligen Bischof von Lu;on, Armand Du Plessis, Herrn von Richelieu. Aber noch erfüllte ihn ganz religiöse Innerlichkeit und tiefe Glaubensinbrunst. Während es Richelieu, so gewissenhaft er damals sein Bistum verwaltete, doch mit allen Fasern seines unbändigen Ehrgeizes an den Hof zog, weil er herrschen und mächtig werden wollte,- dienten dem Pater Joseph — so hieß er nun — alle vornehmen Beziehungen nur dazu, seine frommen Ziele zu verwirklichen. Er begann als ein rechter Mann der Gegenreformation. Wo er in die Verhältnisse des Hofes und in dessen Verwicklungen mit den Großen eingriff, geschah es in vermittelndem Sinn, um der Sache des Katholizismus zu nützen. Er förderte aufs eifrigste auch Richelieu in den bewegten Jahren des Aufstieges zur Herrschaft als einer seiner treuesten Anhänger. Denn er versprach sich vom Eintreten des großen Mannes viel für die Verteidigung und Ausbreitung seines Glaubens. Er selber gewann so starkes Ansehen, daß er fast wie ein Gewissensrat ins königliche Vertrauen gezogen wurde, weil er eben nur in religiösen und kirchlichen Dingen lebte. Ihnen widmete er ausschließlich seine unendliche Betriebsamkeit und Tatkraft. Richelieu verzehrte sich in fieberhaftem Ehrgeiz, Minister zu werden, und benutzte die geistliche Würde bloß als Schemel für sein mühsames und gewundenes Emporklimmen. In dem Kapuzinerpater glühte zunächst nichts als die Flamme der Glaubensleidenschaft. In ihr schmolz alles andere dahin. Allerorten hatte der Katholizismus aus der furchtbaren Gefahr, die Luther heraufbeschworen, gelernt. Vom Protestantismus selber hatte er Antriebe zur eigenen Vertiefung, Belebung, zur inneren A n d r e a s , Oeist und Staat.

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Erneuerung und Selbstbesinnung empfangen. So verwildert er gerade in Frankreich noch war, so zeigten sich doch auch da zahlreiche Spuren innerlicher Sammlung und Kräftigung. Hier wie in Italien war der Weg der katholischen Reform durch mehrere Ordensgründungen bezeichnet. Die Frömmigkeit der Einzelpersonen und weiterer Kreise erfuhr einen lebhaften Aufschwung. Im Strom dieser allgemeinen Entwicklung stand Pater Joseph, und den Bestrebungen, die nun auch im Westen Frankreichs sich regten, stellte er sich zur Verfügung. Er wurde treuer Gewissensberater einer vornehmen Nonne, Antoinette von Orleans-Longueville, also einer Prinzessin von Geblüt. Aus ihren Bemühungen um Reform ging bald eine neue Ordensstiftung hervor, die der Kalvarienschwestern. Pater Joseph war von Anfang an mehr als nur ein beratender Freund gewesen. Man spürt in diesem Kreis frommer Frauen, denen er immer mehr einflußreiche Gönner hinzugewann, seine feste Hand überall. Er stellte die schützende Verbindung mit der Reichsverweserin Maria von Medici und ihrem Günstling Richelieu her. Er war die Seele aller geschäftlichen und diplomatischen Auseinandersetzungen. Er begleitete die Gemeinschaft von den ersten Schritten und ihrem alsbald wahrnehmbaren Drängen nach Selbständigkeit bis in die Tage ihrer blühenden Entwicklung, die ohne ihn undenkbar wäre. Unendliches verdankte sie seiner werbenden Kraft und dem Gluthauch seiner Religiosität. Nach dem frühen Tode der Antoinette wurde er aus seinem Begründer geradezu der Leiter des Ordens. Richelieu, dieser eiskalte Rechner, der seine Fühler nach allem ausstreckte, was ihn dem Sitz der Macht näherbringen konnte, ließ sich von dieser frommen Welle mittragen und, merkwürdig genug, in der schwülen Atmosphäre weiblicher Empfindsamkeit und Erbauung gedieh auch sein politisches Werk, in dem er seinen leidenschaftlichen Ehrgeiz auswirkte. Die Organisation der Kalvarienschwestern, deren selbständige Entwicklung anfangs der zwanziger Jahre als gesichert gelten konnte, und vollends ihre seelische Verfassung atmeten des Paters Geist. Von ihm rührte der Gedanke her, die Jungfrau am Stamm des Kreuzes in den Mittelpunkt der Andacht zu stellen. Er hatte sich ausgedacht, daß die neue Ordensschöpfung in ihrer Weise, nämlich durch ihre geistliche Mithilfe zur Befreiung des heiligen Landes, die ihm so sehr am Herzen lag, beitragen solle. Durch Gebet und Weltentsagung häuften die frommen Frauen gleichsam einen geistlichen Schatz an, den Gott zugunsten der Bekehrung der Ungläubigen und der Wiedergewinnung der Erlöserstätten in Anrechnung bringen

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werde. Er hatte die Regel des heiligen Benedikt für die Zwecke der Nonnen angepaßt und den äußeren Aufbau der Gemeinschaft bestimmt, worin sich die Erfahrungen der jüngsten Ordensgründungen niederschlugen. Bis an sein Lebensende blieb er unermüdlich in Ratschlägen. Er wachte darüber, daß der Geist der Gründung erhalten bliebe, er drang darauf, daß man die besonderen Haupttugenden einer Kalvarienschwester pflege, Schweigsamkeit, Demut, Eintracht und gegenseitige Liebe, Abgeschiedenheit und Gebet. Der Priorin empfahl er Strenge bei Zulassung der Professen und mahnte sie, in peinlicher Gewissenserforschung nicht müde zu werden. Auch inmitten seiner später so emsigen politischen Tätigkeit fand er immer wieder Zeit für diese seine Lieblingsschöpfung. Ja, es wurde ihm zum Bedürfnis, gerade in jenen Stunden der Enttäuschung und des Widerwillens gegen die Geschäfte, die ihm ebensowenig wie Richelieu oder irgendeinem handelnden Staatsmann erspart blieben, dort sein Gleichgewicht wiederzufinden. Der Kardinal schrieb in einer ähnlichen Krisis innerer Ermattung eine theologische Schrift, sein Gehilfe, Pater Joseph, widmete sich seinen geistlichen Töchtern; mitten aus seinem späteren Weltleben heraus richtete er an sie seine Exhortationen. In den Briefen, womit er sie überhäufte, quillt uns der Bilderreichtum des Franz von Sales entgegen, und was ihm an dessen Anmut fehlte, ersetzte er durch persönliche Kraft und Schwung. Wie oft hielt er ihnen am Gitter der Klosterkapelle zu Paris seine vom Augenblick eingegebenen Ansprachen. Wo die Vorsteherin besonders zarte Sorgfalt für angezeigt erachtete, beschäftigte sich dieser durchdringende Beobachter aufs sorgsamste mit der geistigen Verfassung der Nonnen, indem er durch solche Seelenerforschung auch seine allgemeine Menschenkenntnis erweiterte und verfeinerte. Die Zeiten des in Äußerlichkeiten erstarrten katholischen Kirchentums waren ja vorüber. Überall ein Aufschießen frischer Säfte in der gesunkenen Kirche, eine blühende Renaissance auf allen Gebieten des Katholizismus, dessen Quellen heißer als zuvor hervorsprudelten. In einigen Kreisen gab man sich den erbaulichen Stimmungen fast bis zum gottseligen Rausche hin. Man war innerlicher geworden und brachte es seit den Tagen des Loyola zur schärfsten Erfassung religiösen Innenlebens. Die Kunst der psychologischen Analyse verfeinerte sich bis zur Virtuosität, und die zartesten wie die gewagtesten Regungen der frommen Seele wurden zum Gegenstand erbauender Betrachtungen und empfindsamen Briefwechsels gemacht.



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Man könnte vom Pater Joseph nicht behaupten, daß er in seinem Herzensaustausch mit den Nonnen die Grenze der Erotik streifte, die in der Verzückung erregter Seelen so leicht sich einschleichen konnte. Seine Gläubigkeit war gesund und stark, seine Einfühlungsgabe artete nicht in Zudringlichkeit aus. So sehr er sich fähig zeigte, weibliche Herzen zu verstehen, erlag er doch nicht der Versuchung, sich zu verzärteln. Nicht ohne überlegte Strenge hielt er sich und seinen Pfleglingen alles Gewagte, Überschwengliche, alles was einer Verirrung nur von weitem hätte gleichsehen können, fern. Unter seiner Gewissensleitung und in der Schule seines Spiritualismus lernten die Schwestern das Gebet als bedeutsamsten und innerlichsten Vorgang eines geistlichen Lebens hochschätzen. Den Geistern des siebzehnten Jahrhunderts wohnte überhaupt die Neigung zur methodischen Auffassung bis zum Umständlichen gesteigert inne. Pater Joseph huldigte ihr jedenfalls in starkem Maß, wenn er auch die Erbauung zum Gegenstand systematischer Zerlegung machte. Als genau geregelter Prozeß, in mehreren Akten spielt sich der richtig aufgefaßte und richtig ausgeübte Gebetsvorgang ab. Eine Stimmung entwickelt sich folgerecht aus der vorausgehenden und bereitet die nächste vor. Die Seele, aller unreinen Inhalte sich entäußernd, soll in stufenweisem Aufschwung sich dem göttlichen Wesen nähern, um endlich, zu kristallener Klarheit geläutert, sich vollkommen darein zu versenken. So wird dem Gläubigen ein langer Weg von Stationen vorgezeichnet, zugleich aber das andächtige Individuum durch strengste Verknüpfung der einzelnen Gebetsvorgänge förmlich überwacht. Denn Pater Joseph war sich wohl bewußt, daß es eine Art Versinken und Ruhen in Gott gebe, die mit dem von ihm erstrebten Seelenfrieden vielleicht das Ziel, aber nicht jenen peinlich abgesteckten Weg und die Mittel der Erweckung gemeinsam hatte, die Haltung des Mystikers. Er hielt sie indessen nur für das Privilegium einiger weniger besonders begnadeter Seelen, und geflissentlich suchte er seine Nonnen von diesen ebenso lockenden wie gefährlichen Pfaden fernzuhalten. Er wünschte, daß der fromme Mensch sich zu Gott durch eigene Willensanstrengung, durch eigenes Handeln gleichsam aufschwinge, nicht aber, daß das Individuum sich nur hingebe und trunken in den weitgeöffneten göttlichen Lichtabgrund stürze. Wenn er somit eine Art von Gebet bekämpfte, die sich seiner planmäßigen Methodik entzog, so witterte er dabei wohl auch den Bodensatz wollüstiger Empfindungen, der sich leicht auf dem Grunde der Mystik verbergen kann, und hielt 52

darum an einer mehr asketischen Ausprägung der Erbauung fest. Sie schützte den Andächtigen einigermaßen vor einem Hinübergleiten in subjektive Willkür, in uferlose Hingabe und schrankenlose Gefühle, kurz vor all jenen verschwommenen Stimmungen, die für diesen treuen Anhänger der Kirche den verpönten Beigeschmack des Pantheismus annehmen konnten.

Von Katholizismus und Kirche hatte das Leben des jungen François du Tremblay Richtung und Form empfangen. Sie entführten ihn aber der Welt nur, um ihn als Bekenner und Vorstreiter wieder in sie zurückzusenden, und da er in eine besonders rührige Ordensgemeinschaft eingetreten war, eröffnete sich ihm schon durch sie ein weites Feld der Tätigkeit. Der Kapuzinerorden war in einem Augenblick gegründet worden, wo die deutsche Reformation schon mit schrillem Warnungsruf die Anhänger des alten Glaubens in Italien aufgerüttelt hatte. Die Schöpfung des heiligen Franz, des poetischsten unter allen Heiligen, trieb einen neuen Schößling. In tiefer Vertrautheit mit dem niederen Volk, mit seinem buntschäumenden und naiven Treiben auf Gassen und Märkten,- traten die Brüder auf. Die Wanderpredigt im Freien und im Gotteshaus war eine Hauptaufgabe der Kapuziner. Die Volkstümlichkeit der alten Franziskaner lebte in ihrer apostolischen Armut auf und scheute nicht, sich bisweilen in derbsten Formen zu geben. Der Gott, den sie der Menge predigten, war für deren Empfinden faßlich, arm und niedrig wie die frommen Väter selber sein wollten. Ihre Wirkung ging in die Tiefe und Breite. Zusammen mit den anders gearteten Jesuiten und ihrer durch besondere Eigenschaften bedingten Kampfkraft bildeten die Kapuziner die Vorhut einer Armee, die neubelebten Mutes, hoffnungsfreudig sich zu einem großangelegten Feldzug sammelte: die streitbare Kirche, innerlich gekräftigt, organisatorisch gestrafft, setzte sich in Marsch. An dieser Bewegung nahm Pater Joseph teil. Der Zeitpunkt, in dem er auftrat, war hochbedeutsam. Der deutsche Protestantismus schloß sich enger zusammen und schickte sich ein Jahrzehnt später an, unter Führung nordischer Bundesgenossen um den Sieg zu kämpfen. In Frankreich machte der Kalvinismus heldenhafte Anstrengungen, sich durchzusetzen. Er war ebenso bedroht wie die deutschen Glaubensbrüder. Im Bunde mit den von ihm aufgerufenen aristokratischständischen Gewalten stellte er, burgenbewehrt und bis an die Zähne

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bewaffnet wie er war, eine für das Königtum sehr gefährliche Macht dar. An sich schon in die Verteidigung gedrängt, suchte er in einem letzten Aufschwung voll heißen Trotzes die einheitsfeindlichen, den Mittelpunkt fliehenden Mächte des französischen Lebens an sich zu ketten und warf sich der katholischen Krone entgegen, die zwar unter der Regentschaft Maria von Medicis viel Kraft und Ansehen eingebüßt hatte, aber gegen die Hugenotten angriffslustiger gestimmt war, da sie neuerdings den Triebkräften der Gegenreformation stärker nachgab. Auch auf den Lehrkanzeln und in den Büchern wurde zwischen Anhängern des alten und neuen Glaubens weitergestritten. Bei diesem Stand der Dinge fiel dem Mann in der Kutte eine ebenso wichtige Rolle zu wie dem Soldaten auf dem Schlachtfeld. Wenn Père Joseph die Mission zu einer Hauptaufgabe seines Lebens machte, so folgte er damit dem Geiste seines Ordens und entfaltete zugleich seine eigenste Begabung. Beides traf hier zusammen: die Seelen Gott gewinnen, sie durch das lebendige Wort erobern und leiten, war eine Kunst vergleichbar der des Staatsmannes und beglückte den Pater. Denn solche Ziele wuchsen gebieterisch aus seinen seelischen Bedürfnissen hervor. Etwas von der heroischen und leidenschaftlichen Glut des katholischen Restaurationszeitalters brannte in Tun und Gesinnung des Mönchs. Der Strom der Missionstätigkeit ergoß sich in Heimat und Fremde. Mitten in Feindesland, das ist bezeichnend, nämlich in einem wichtigen, lebenerfüllten protestantischen Zentrum, in Saumur, begann Pater Joseph (1606). In dieser geistig besonders angeregten Landschaft, wo einer der überzeugtesten und politisch klügsten Führer, Du Plessis-Mornay, — man nannte ihn den Papst der Hugenotten, — Gouverneur war, also in einer Hochburg der Widersacher, gründete Pater Joseph ein Kapuzinerkloster, dessen Supérieur er (1611) wurde. Von den Aufgaben, die er im Poitou vorfand, ging das Aposteltum des Eiferers aus. Hier, ferner in den Cevennen und im Languedoc hatte ja der Protestantismus, solange das Edikt von Nantes noch in Kraft stand, die meisten Anhänger. Freilich, es dauerte noch ein halbes Jahrzehnt, bis die planmäßig geregelte Beschickung des Westens begann. Sie stand unter Oberleitung Pater Josephs, nachdem er selber auch die niederen Rangstufen und Verrichtungen dieses gegenreformatorischen Kriegsdienstes hingebungsvoll durchlaufen hatte. Die ungewöhnlichen Erscheinungen wurden der anfangs befremdeten Bevölkerung allmählich vertrauter. Diese bald da, bald dort auftauchenden, staubbedeckten Mönche,

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die von öffentlicher Mildtätigkeit lebten, bekehrten Hunderte und, wenn man den von ihnen überlieferten stolzen Zahlen glauben darf, sogar Tausende, einzeln und, wie es scheint, gelegentlich auch in Massen. Wo die Mittel friedlich blieben in diesen kampfreichen Jahren der wiederauflebenden Hugenottenkriege, waren es die üblichen: Prozessionen, Ausstellung des Allerheiligsten, Krankendienst, Predigten, Erbauungsstunden, und die eifrige Verwaltung der Sakramente verfehlten nicht, Anhänger zu werben. So dunkle und geheime Seelenvorgänge werden nie ganz aufzuhellen sein. Aber eine Welle katholischer Inbrunst muß diese Landschaft durchströmt haben, obwohl die Reformierten immer noch stark blieben. Im ganzen beschränkte sich der Erfolg der Kapuziner auf den Westen und Südosten. J e näher nun Pater Joseph durch seine Verbindung mit Richelieu der Regierung kam, desto planmäßiger ging er mit den Jahren vor. Seine Bestrebungen verknüpften sich vielfach, obwohl nicht immer durchsichtig, mit den politischen Absichten der französischen Staatsleitung. Bis in die Umgebung der englischen Königin, die ja eine Schwester Ludwigs X I I I . war, reichte der Einfluß des Ordens, und es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß die dort lebenden frommen Männer während der inneren Krise des Inselreichs im katholischen und höchstwahrscheinlich auch im französischen Sinne zu wirken bestimmt waren. Die Missionierung Englands wurde jedenfalls (1625) zugleich mit der des Orients, Marokkos und Kanadas unter Leitung des Père Joseph gestellt. Im J a h r zuvor hatte Richelieu die Geschäfte übernommen. Bis an die amerikanischen, afrikanischen und asiatischen Gestade schlug die Woge der katholischen Renaissance hinüber. In der Phantasie des Paters spielten die heiligen Stätten dabei eine besondere Rolle. Man erinnert sich, wie auch Ignatius von Loyola, jene andere hochragende Erscheinung der Gegenreformation, in seinen Anfängen sich zur Urheimat des Christentums hingezogen fühlte, und wie er die ursprünglichen Ziele seines im Werden begriffenen Ordens mit jenen örtlichkeiten verknüpfen wollte. Die Gewinnung des Orients lag Pater Joseph fast noch mehr am Herzen als die Bekehrung der einheimischen Ketzer. Hier lockte die Leidensgeschichte des Herrn, die das Herz des Knaben schmerzlich süß erregt hatte, die Erinnerung an die Kreuzzüge und die unendliche Fülle geschichtlichen Lebens, das den Mittelmeerraum durchwogt hatte. Aller Zauber des Vergangenen aber, Staatenzerfall und Neugründung, Aufblühen und Verdorren der Völker auf einem tausend-

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fach durchpflügten uralten Kulturboden, der Kampf der Rassen, des Glaubens und der Weltanschauungen mochte für den Pater verblassen vor jener höchsten Aufgabe, die ihn reizte, die reichgegliederte und auseinanderstrebende Welt des Mittelmeers in der Einheit der Kirche wie unter der Riesenkuppel eines gewaltigen Domes zusammenzufassen. Hiefür arbeiteten, wie auch sonst in jener Zeit, das Interesse der Kirche und das des Staates zusammen. Auf der Verbindung der beiden Mächte, Papsttum und Fürstengewalt, beruhte j a die Stärke der gegenreformatorischen Bewegung und der Auftrieb, den sie um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts genommen. Der Papst billigte den von Pater Joseph entworfenen Missionsplan, der nicht mehr und nicht weniger als die religiöse Eroberung der ganzen vom Mittelmeer und dem Kaspischen See bespülten Lande verfolgte. Die französischen Kräfte des Ordens wurden nach Provinzen zur Bewältigung der Aufgabe eingeteilt und entsprechend angesetzt. Richelieu war einverstanden. Das französische Königtum stand schützend und fördernd mit freigebiger Hand hinter diesen Bestrebungen. Alles, was es für die Mission tat, war von Pater Joseph angeregt. Die Krone hatte volles Vertrauen in seine Leitung. So war das Ganze mehr als nur die Angelegenheit eines Ordens, es wurde zur hochnationalen Sache. Die Kapuziner waren nicht die ersten in der Levante. Sie hatten Vorläufer in den Jüngern des heiligen Franz von Assisi, denen seit drei Jahrhunderten die Obhut des heiligen Grabes anvertraut war. Es fehlte nicht an Streitigkeiten mit ihnen. Pater Joseph sah sich mehr als einmal zu entschiedenem Einspruch und zur Verteidigung seiner Brüder gegenüber dem Mutterorden genötigt. Selbst Verleumdungen hatte er abzuwehren, die man beim Heiligen Stuhl angebracht hatte. In diesem Ressortstreit zwischen Dienern ein und derselben Sache, zwischen älterer und jüngerer Richtung, war mit der größeren Jugend auch der größere Schwung bei den Kapuzinern, nicht bei den besitzeszähen Hütern der Tradition. Die Jesuiten hatten noch Raum gelassen für weitere Betätigung. Ihnen zeigte Pater Joseph Wohlwollen und etwas wie kameradschaftliche Zuneigung, wenn auch an kleineren Orten, wo Träger verschiedener Kutten zusammentrafen, Reibungen mit ihnen nicht ausblieben. So wie er als Präfekt der Orientmission seine Rechte nach oben wie nach unten voll eifersüchtiger T a t k r a f t wahrte, auch von Rom sich nicht allzuviel hineinreden lassen mochte und seine sorgfältig ausgewählten Untergebenen straff am Zügel hielt, war Pater Joseph

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auch gegen Eingriffe fremder, aus anderen Ländern stammender Kapuziner auf der Hut. Dem Vorwurf, er wolle die Mission nur seinen Brfldern vorbehalten und sozusagen ein Monopol für sie errichten, entging er nicht. Man beklagte sich fiber seine Herrschsucht. So tief drang die nationale Differenzierung der europäischen Staaten schon in die Ordensbereiche selber ein. Allerdings war er als Franzose überzeugt, daß gerade sein Vaterland das Apostolat fruchtbarer als eine andere Macht auszuüben vermöge. Denn Frankreich war der Pforte am wenigsten verdächtig, seitdem das Königtum jenes Bündnis mit Soliman dem Prächtigen abgeschlossen hatte. Pater Joseph konnte seine Orientmission an die seit dem sechzehnten Jahrhundert vorhandenen Überlieferungen der auswärtigen Politik anknüpfen und gedachte sie im Sinne eines französischen Primats im Morgenlande auszunützen. Demgemäß sah er es auch mit Argwohn, wenn andere Staaten, wie z. B. Venedig, sich für ihre Kapuziner beim Heiligen Vater um die Erlaubnis, in der Levante tätig zu sein, bemühten, und ließ sie nicht ohne Versuche der Gegenwirkung. Nicht alle Ziele, die man sich gesteckt, wurden erreicht. In der griechischen Inselwelt, in Kleinasien und vor allem in Syrien faßte die französische Mission Fuß, so daß von einigen dieser Stätten Berichte einliefen, die bourbonischen Lilien und der Name des Königs stünden ebenso hoch in Ehren wie in Frankreich selber. Anscheinend hatte die Bekehrung im ganzen mehr unter den christlichen Schismatikern und Sekten Erfolg als bei den Mohammedanern, die nicht selten mit Mißhandlungen und Verfolgungen antworteten; offenbar wurde ihre Gewinnung auch von vornherein weniger angestrebt, obwohl einzelne Glaubensübertritte zu melden waren. In den griechischen Vierteln, auf den französischen Schiffen, bei den Galeerensklaven des Großherrn, überall zeigten sich diese Predigermönche, deren demütige und armselige Erscheinung darauf angelegt schien, auch den wütendsten Fanatismus zu entwaffnen. Pater Joseph dehnte die Mission freilich weit über die Levante aus. Bis nach Persien erstreckten sich ihre Ausläufer. Man wollte hier zugleich der Konkurrenz der englischen und holländischen Kompagnien begegnen, wieder ein Zeichen, wie sich die religiösen Bestrebungen mit den Mächten des politischen und wirtschaftlichen Lebens verflochten. Die Stoßkraft des sich entfaltenden Großstaates und seines unumschränkten Herrschertums bemächtigte sich aller irgendwie erreichbaren Hebel, um sich im allgemeinen Wettbewerb durchzusetzen. Man erzielte in Mesopotamien Fortschritte,

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freilich vorübergehender Art. Ein großer heroischer Zug kennzeichnet die Anläufe, die man in Ägypten bis nach Äthiopien hinein unternahm. Sie blieben freilich ebenso ergebnislos wie ein langwieriger, dornenreicher und dann doch unfruchtbarer Versuch in Marokko; gerade ihm waren übrigens greifbare Motive politischer und kommerzieller Art beigesellt. Weit schoß das Ziel über das im Augenblick Erreichbare hinaus und mehr schien zunächst nicht gewonnen, als daß einige gottesfürchtige Männer gezeigt hatten, wie Helden leiden und sterben können. Freilich, auch das bedeutete für das Empfinden eines hochgemuten, aufstrebenden und von Eroberungsstolz glühenden Volkes viel. Ein opferwilliges Beispiel, ein hochsinniger Antrieb war gegeben, eine Richtung eingeschlagen. Nachfolgende Generationen kamen auf sie in anderen Formen zurück. Franzosen hatten nun einmal diese Länder betreten. Das Gedächtnis der Nation hielt es fest: Mönche hatten den Anfang gemacht, Kaufleute, Ingenieure und Soldaten sollten in späteren Zeiten folgen, wo die gesamte französische Staats- und Wirtschaftsentwicklung stärker als unter Richelieu über die Heimat hinausdrängte. Die Grundlage, die man in Kleinasien und besonders in Syrien geschaffen, blieb von Bestand. Der Anspruch, eine besondere Schutzmacht der katholischen Christen im Orient zu sein, ging von diesen frühen Bemühungen aus und verschwand hinfort nicht mehr aus den Leitsätzen der französischen Auslandspolitik. Er wurde auch dann aufrechterhalten, als der Kirche längst nicht mehr dieselbe Rolle im französischen Staatsund Volksleben zukam wie in den Tagen des Kapuzinervaters, und jenes Protektorat im wesentlichen nur noch als Umhüllung nackter imperialistischer Ziele zu dienen hatte. Als Pater Joseph starb, war sein Tod ein furchtbarer Schlag für die Missionen. Aber sein Werk hatte doch an einigen Stätten Wurzel geschlagen. Alle spätere Geschichte der Orientmission war Weiterentwicklung oder Rückschlag, Vollendung oder Umwandlung seiner Lebensarbeit. Selbst jene Gestade Nordafrikas, denen seine Ordensbrüder nur als heilige Conquistadores und Märtyrer genaht, suchte der rastlose Ehrgeiz der Nachfahren wieder auf. Freilich in erster Linie vom Boden des neuzeitlichen Realismus und der modernen Kolonialpolitik aus! Jenem großen Programm, dem seit den Tagen der Bourbonen immer wieder die Franzosen nachjagten, dem Ziel, das Mittelmeer zu einem französischen See zu machen, hatten die Mönche Pater Josephs schon in ihrer besonderen Art unter Führung ihres Meisters vorgearbeitet.

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Pater Josephs Leben war indessen, bevor Richelieu ihn als seinen Vertrauten geradezu in den Dienst des Staates zog, durch Ordens- und Missionsbestrebungen nicht ausgefüllt. Im Mittelpunkt seines Denkens stand fast ein volles Jahrzehnt der Wunsch, den Ungläubigen die heiligen Stätten zu entreißen. Erst als Richelieu sein zweites Ministerium antrat und damit den Geschicken Frankreichs eine entscheidende Wendung gab, stellte sich Pater Joseph auf näherliegende Dinge ein. Den Kreuzzugsgedanken verbannte er aber auch dann nicht vollkommen aus seinem Geiste, als längst schon andere drängende Aufgaben der Tagespolitik sich in den Vordergrund geschoben hatten. Der zum Scheitern verurteilte Plan des Kapuziners wirft auf den politischen Charakter des Zeitalters und all seine Widersprüche scharfes Licht.

Die Epoche der Kreuzzüge war vorüber. Die Renaissance spielte zwar noch mit dem Gedanken der Befreiung des heiligen Landes, jedoch ohne eine tatkräftige Bewegung mehr hervorzubringen. Zu tief hatten sich bereits die Gegensätze zwischen den Nationalstaaten eingegraben, deren Aufstieg eines der großartigsten Schauspiele des ausklingenden Mittelalters ist. Wetteifernd und kämpfend beherrschten sie den Vordergrund der europäischen Bühne. Der Gedanke einer Gemeinschaft der abendländischen Christenheit war erschüttert, die Welt Dantes, über der sich noch die Doppelkuppel von Sacerdotium und Imperium gewölbt, ging aus den Fugen. Nicht einmal zur bloßen Verteidigung gegen die seit Konstantinopels Eroberung unheimlich vordringende osmanische Gefahr, nicht einmal zum Selbstschutz reichten die zerklüfteten Kräfte der germanischromanischen Staatengesellschaft aus. Und nicht genug an diesem Versagen! Schon trieb der allerchristlichste König die Gewissenlosigkeit so weit, daß er jenes berüchtigte Bündnis zwischen Lilie und Halbmond abschloß, um den Katholischen König, seinen spanischen Gegner, mit dem er um die Vorherrschaft Europas rang, in die Knie zu zwingen. Immerhin, noch wurde ein derartiger Schritt als ungewöhnlich, ja als widernatürlich und unsittlich von den meisten Zeitgenossen empfunden. Unter einem gewaltigen Papste der Gegenreformation, dem fünften Pius, gelang es sogar, noch einmal eine Liga christlicher Fürsten dem Türken entgegenzuwerfen. Aber auch diesmal sollte es sich zeigen, daß höchst irdische Triebkräfte Europa regierten, die universalen und religiösen Vorstellungen

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des Mittelalters im Absterben waren. Denn nach der ebenso blutigen wie glorreichen Seeschlacht von Lepanto stoben die Verbündeten nur allzu rasch auseinander, um wie zuvor ihren Sondervorteilen nachzujagen. Die Ausnützung des Sieges entsprach nicht im geringsten seiner Größe, und die Staatsräson, so wie sie eben jeder selbstsüchtig genug auslegte, behauptete das Feld. Auch in der Folgezeit tauchte der Kreuzzugsgedanke wiederholt in dieser und jener Form auf. Er gehörte gewissermaßen zum althergebrachten Formelschatz der Kanzleien, ohne eine starke, greifbare Bedeutung zu gewinnen. Immerhin beschäftigte er sogar die Phantasie von so verschiedenartigen Männern wie Gustav Adolf und Wallenstein, Tilly und Maximilian von Bayern. Selbst Richelieu streifte ihn bisweilen, wenn auch nur aus taktischen Gründen. Völlig erloschen, ganz abgerissen war die Tradition nicht, zumal sie in der erstarkenden katholischen Bewegung Anklang fand. Mit überraschender Zähigkeit hielt sie sich am Leben, und so erwuchsen ihr denn auch in den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts wieder Fürsprecher. Pater Joseph ist nicht als einziger mit diesem Programm hervorgetreten und er hat es ebensowenig erfunden wie sein politisierender Ordensbruder Pater Hyazinth, der Berater Maximilians von Bayern, der den Gedanken einer Türkenliga in seiner hitzig-betriebsamen Weise aufgriff und an einer Reihe von Fürstenhöfen dafür warb. Neben jener allgemeinen, nicht vollkommen verblaßten Überlieferung boten sich ihm sogar besondere Ansatzpunkte dar, woran er anknüpfen konnte. Der reichlich unternehmungslustige Herzog von Nevers-Gonzaga, ein französischer Grandseigneur von etwas phantastischem Ehrgeiz, war von Griechen auf Morea und albanischen Häuptlingen angerufen worden, sich mit Truppen an die Spitze eines Aufstandes zu stellen, der weit über jene Halbinsel hinaus sich auf die christlichen Untertanen des Sultans ausdehnen und zur Abschüttelung des osmanischen Joches führen sollte. Mehr war es ursprünglich nicht: immerhin ein recht abenteuerliches Projekt auf sehr schmaler Basis. Man konnte sich nur auf solch verworrene, halb wilde, halb dumpfe Regungen des Blutes, des Stammesbewußtseins, des unterdrückten Glaubens stützen, die sich in jenem Zeitpunkt für einen Kampf größeren Stils kaum tragfähig erwiesen hätten. Erst drei Jahrhunderte später sollten sie auf dem Balkan zum vollen leidenschaftlichen Durchbruch kommen und mit der breiten, natürlichen Wucht nationaler Volksbewegungen ihr Ziel, die Be-

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freiung von der Fremdherrschaft, erreichen. Alles was jedoch an Glaubensromantik in Pater Joseph lebte, entzündete sich an diesen keineswegs sicheren Aussichten. Er griff den Gedanken in wahrer Legendenstimmung und Kreuzfahrerglut auf. Dem Herzog seinerseits mußte daran liegen, dem gewagten Unternehmen möglichst europäische Tragweite zu geben. Er suchte deshalb Spanien und den Papst zu gewinnen; an Frankreich selber hatte er erst in zweiter Linie gedacht. Zögernd nur rückte er hier mit seinen Plänen heraus, und eben da setzte die eigenartige Tätigkeit des Kapuziners ein: er wollte Frankreich an der Spitze dieser heiligen Sache sehen. Sein Vaterland sollte unter dem Segen und der geistlichen Leitung des Papstes vorangehen. Pater Joseph war es, der die Königin Mutter, Maria von Medici, für die herzoglichen Pläne zu entflammen suchte und ihr dafür die Ergebenheit des Prinzen in den inneren Wirren zusichern konnte. Ein emsiges Werben begann um die Hofgesellschaft, um den König selber, dem der Pater alle ermutigenden Anzeichen in Europa, Afrika, Asien vor Augen hielt, ein Ringen mit geheimen und offenen Widerständen der politischen Kreise, ¿in Herumhorchen in Rom, Florenz, Turin bis nach Madrid, auf dessen Haltung so viel ankam. Eine diplomatische Bearbeitung erheblichen Umfangs trachtete die fremden Höfe zu gewinnen. Aber trotz des bewunderungswürdigen Aufwandes an persönlicher Energie und Rührigkeit leistete Pater Joseph, der umherreiste, schrieb und agitierte, seine Arbeit so gut wie vergebens. Die Empfänglichkeit einzelner, die Bereitschaft ganzer Gruppen, namentlich unter dem abenteuer- und beutelustigen Adel, der die vor der neuen Zeit dahinschwindende Ritterromantik in solchem Glaubenskampf zu retten suchte, reichten nicht aus. Über erste militärische Vorbereitungen und diplomatische Werbungen kam das Ganze nicht hinaus. Die Ereignisse schritten über diese Versuche hinweg. Die inneren Zwistigkeiten in Frankreich, das unter der Regentschaft der Maria neuer Zersetzung entgegenging, schwälten weiter. Die Schiffe, die der Herzog von Nevers zum Kreuzzug hatte bauen lassen, dienten später zur Bekämpfung der Hugenotten statt zum Kampf der geeinigten Christenheit gegen den Halbmond und gingen im Bürgerkriege unter. Vor allem aber waren die auswärtigen Verhältnisse für ein solches Unternehmen, selbst wenn die Regierungen sich ihm freudiger zugewandt hätten, höchst ungünstig gelagert. Schon stand Europa im Schatten des gewaltigen Krieges, der lange dreißig Jahre sich hinschleppen sollte. Sein Ausbruch zog die katholischen Mächte 61

von so verschwommen weiten Zielen ab. Der neu enfesselte Gegensatz Habsburg-Valois, Frankreichs und Spaniens verschlang auch den hochgestimmten Traum des Mönches. In all seiner mittelalterlichen Leuchtkraft zerrann er vor einer sehr irdischen, kalt rechnenden Gegenwart. Der christliche Einheitsgedanke scheiterte wieder einmal an der Glaubensspaltung und staatlichen Zerklüftung des Erdteils. Über die universale ging die nationale Politik hinweg. Der Mönch hielt freilich außerordentlich zäh an seinem Wunsche fest, obwohl er die Unmöglichkeit, ihn augenblicklich zu verwirklichen, einsah. Mehr als einmal kam er darauf zurück, daß die Regierungen Europas ihr letztes Ziel nicht außer Auge verlieren dürften. Er wollte, daß dieser Plan eines Tages in glücklicherer Gestalt wiederauferstehe und Erfüllung finde. W a r der große Krieg, so dachte er, einmal zu Ende, dann brach vielleicht die Stunde an, den Türken ein friedlich geeintes Europa entgegenzuführen. Einstweilen galt es, das bedrohte Gleichgewicht, wie auch Pater Joseph erkannte, herzustellen und Frankreich wieder einen angeseheneren Platz in der Staatengesellschaft zu erringen. Zunächst und vor allem mußte aber jenes Spanien gebeugt und zurückgedrängt werden, auf dessen Widerstand, aber auch auf dessen Übergewicht der Pater in seiner Werbetätigkeit und auf seinen Reisen gestoßen war. Erst der Sieg seines Heimatstaates, der nationalen Politik also, das ist die merkwürdige Schlußfolgerung des Enttäuschten, wird das Feld freimachen für die Befreiung des heiligen Landes, für den endlichen Triumph des universalistischen Gedankens. Schwer zu sagen, was von Hause in ihm stärker war, Frankreich oder die Christenheit. Er gehörte beiden Sphären mit ehrlicher Teilnahme an. Freilich seine persönliche Entwicklung und seine Tätigkeit als Mitarbeiter Richelieus führten ihn dazu, daß er sich mehr und mehr in der Bewältigung der rein weltlichen und näherliegenden Aufgabe aufzehrte. Als jenes weitgesteckte Ziel seiner Sehnsucht im Blute des Dreißigjährigen Krieges versank, schlug er im heimischen Mutterboden immer tiefere Wurzeln und sein leidenschaftliches Franzosentum entfaltete sich nun im Dienste einer vollkommen realistischen Außenpolitik. Schon jene Träume seiner Frühzeit hatten vonvornherein unverkennbar eine nationale Tönung angenommen. Er mochte, im angespannten K a m p f um den Aufstieg seines Staates, sich selber täuschen, wenn er die endliche Verwirklichung des Kreuzzugsgedankens gerade von der Erhöhung Frankreichs und der Niederlage Spaniens erhoffte, und es klang aus dem Munde eines so scharf62

sichtigen Beobachters der politischen Welt merkwürdig harmlos, wenn er für später auf die Zusammenarbeit zweier so eingefleischter Gegner rechnete. Nur als schwacher idealistischer Schimmer schwebte diese Hoffnung noch über dem Werk der Richelieuschen Realpolitik, das der Pater auf so hervorragende Weise fördern sollte.

Früh hatte Père Joseph Richelieus Genius erkannt und ihm, wo er konnte, die Wege geebnet, weil er für Kirche und Staat unendlich viel von ihm erhoffte. Seinen Aufstieg zur Macht beobachtete er mit einer fast zärtlichen Aufmerksamkeit, als habe er über die Entwicklung eines teuren Sohnes zu wachen. Dabei war er nur acht Jahre älter als Richelieu. Begeistert konnte er etwa seinen Kapuzinern schildern, wie dieser junge Adler, nachdem er ihn eben noch mit gebundenen Fittichen gesehen, stolzen Fluges und ungeblendeten Auges sich zur Sonne emporschwinge. Seine vornehmen geistlichen Freundinnen schlössen Richelieu in ihr Gebet ein und arbeiteten durch ihre Familienverbindungen für ihn. Er selber blieb dem Kardinal, der ihn alsbald mit Beginn seines zweiten Ministeriums eng an sich heranzog und als unentbehrlichen Helfer verwendete, bis an sein Lebensende treu ergeben. Und der Mann, der selber in seinen geistlichen Kreisen sehr wohl zu herrschen verstand, ordnete sich mit allem, was an mönchischen Tugenden der Entsagung, des Gehorsams, der Selbstbeherrschung in ihm lebte, dem Dienste des Höheren und Größeren unter. Zwei Männer, grundverschieden in ihrem Wesen wie im äußeren Zuschnitt ihres Lebens, fanden sich zusammen. Der eine in seiner groben Kutte hatte etwas vom Propheten des Alten Bundes an sich, der andere im Purpur des Kirchenfürsten, verleugnete nie den Mann von Welt, den Kavalier eines vornehmen Hofes. Richelieu lebte als Grandseigneur umgeben von allem Prunk eines regierenden Herrschers, und der Glanz seiner Schlösser stellte die königlichen in Schatten. Er benützte seine überragende Machtstellung dazu, unermeßliche Schätze anzuhäufen und überschüttete seine Verwandten mit Ämtern und Gnadenbeweisen. Baufreudig und prachtliebend wie er war, ließ er die Mauern von Paris niederreißen, um Raum zu gewinnen für die Gärten seines neuerrichteten Palais. In dessen Kapelle wurde die Messe mit goldenen Gerätschaften gelesen. Er legte Wert darauf, die Bildung seiner Zeit zu besitzen, liebte gelehrte Auseinandersetzungen und ließ sich Komödien, die auf seinem

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Landsitz aufgeführt wurden, vorlesen, um mit eigener Hand daran Änderungen anzubringen. Ein Nachklang der Renaissance rauscht festlich durch sein Leben. Wie tief stand da Pater Joseph in seiner Unscheinbarkeit unter ihm. Als Edelmann war auch er erzogen, hatte sich in den Wissenschaften umgesehen und selber begabte Gedichte gemacht. Aber das alles trat ihm vollkommen zurück hinter seiner Arbeit an Kirche und Staat. Er ging auf in amtlichen Geschäften und den Pflichten seines Standes. Man sah ihn nie anders als im braunen Gewand seines Ordens, streng allen Erfordernissen der Regel genügend. Von den Vergünstigungen, die Nuntius und Papst ihm erteilten, machte er nur spärlichen Gebrauch. Wie oft empfing er, wenn er krank war, fremde Gesandte im Kloster an seinem schlechten Mönchsbett. Die Freuden des Lebens zu genießen, verspürte er nicht die geringste Neigung. Wenn Richelieu ihn zum Schauspiel einlud, erwiderte er scherzend, er werde mit seinem Brevier Komödie spielen. Beim Kardinal flössen persönliche Leidenschaft und maßloser Machtwille letzten Endes mit dem Leben seines Staates und dessen Entfaltung zusammen. Aber dieser Gewaltmensch dachte zunächst nur an sich selbst und die Befriedigung seines verzehrenden Ehrgeizes und von dem Augenblick an, wo er die führende Stellung im Reich errungen, verteidigte er sie hartnäckig und grausam gegen alle seine Feinde, weil er sich gleichsam als Verkörperung der Staatsräson fühlen durfte. Aber auch die äußeren Formen seines Daseins waren auf größten Stil gestimmt. Nichts davon bei seinem Gehilfen! Seine Verwandten förderte auch er, aber für sich hat er, den Satzungen seines Ordens getreu, keine Schätze gesammelt. Auch sein Ehrgeiz war stark, sein Tätigkeitsdrang glühend, aber ohne daß seine eigene Person sich jemals in dem Maße wie Richelieu den Dingen als Gesetz hätte aufzwingen wollen. Ihm fehlte die Schicksalhaftigkeit des gewaltigen Mannes. Rastlos und opferwillig verbrauchte sich Pater Joseph in der Sache, der er seine Kräfte widmete. Sie allerdings, die Sache Frankreichs, war groß und verbindend genug, um zwei so verschiedene Naturen, Kardinal und Mönch, Genie und Talent, zusammenzuketten. Außergewöhnlich wie Richelieus Ministerdiktatur war auch das dienstliche Verhältnis beider Männer. Erst in seinen letzten Jahren bekleidete Père Joseph ein Staatsamt; doch galt er schon lange, bevor er als Minister ins Conseil eintrat, wie ein Vorgesetzter der Staatssekretäre. Kaum, daß er ihnen einmal eine redaktionelle Änderung einer Denkschrift erlaubte. Sah man den Pater mit anderen

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Kapuzinern in seinem Bureau arbeiten, so konnte man glauben, in die Klerikerkanzlei mittelalterlicher Könige einzutreten. Aber auch an anderen Höfen spielten ja Mitglieder des Ordens eine hervorragende Rolle und merkwürdig genug war es, wenn Kapuziner gegen Kapuziner im Getriebe der europäischen Politik und im Dienste weltlicher Fürstenmacht einander bekämpften. Pater Joseph wurde wohl im Laufe seiner Verwendung selbständiger als zu Anfang, aber er hielt sich an die vom Kardinal vorgezeichneten Richtlinien, führte in seinen Depeschen dessen Gedanken aus und bereitete die Geschäfte in der Weise vor, daß Richelieu stets das letzte Wort zustand. Denn der, nicht Ludwig, fast ein Schattenkönig, war ja in Frankreich Gebieter. Seine herrschsüchtige, auch im kleinsten reizbare und argwöhnische Natur hätte nicht einmal von Seiten dieses Mitarbeiters eine Eigenmächtigkeit geduldet, so vertraut er ihm sonst war. Denn beide Männer umschlang ein Band, das man bei anderen Menschen als diesen skrupellosen Rechnern Freundschaft nennen möchte. Man sah Richelieu über seinem Sarge weinen, und in der Familie des großen Ministers wurde Père Joseph wie ein Verwandter betrauert. Es kam vor, daß sie sich entzweiten, der Mönch zog sich dann aus dem Palais Cardinal in sein Kloster zurück. Da fuhr aber der Wagen Richelieus, oft mehreremal an einem Tage dort vor, bis er den Versöhnten mit zurückführte. Er besaß an ihm überdies eine starke seelische Stütze. In schweren Lagen soll sich mitunter Pater Joseph dem Kardinal sogar überlegen gezeigt haben. Dieser, häufig von Krankheit heimgesucht, in ewiger Unruhe um den Besitz der Macht und wahrhaftig angefeindet genug, konnte sich nach Art verstimmbarer Menschen in Stunden ernster Gefahr leicht niederdrücken lassen. Als die Spanier sich anschickten ins Herz Frankreichs vorzustoßen und Richelieu äußerster Verzagtheit verfiel, richtete der Zuspruch seines Gehilfen, so wird erzählt, den an seinem Glück verzweifelnden Mann auf. Gegen Mitte der dreißiger Jahre erreichten Père Josephs Bedeutung und Einfluß ihren Höhepunkt. Inmitten der von Eifersucht und Ränken zerwühlten Umgebung des Kardinals behauptete er sich und bewegte sich gewandt an diesem französischen Hof, von dem der fromme Franz von Sales, selber ein feiner Kenner der vornehmen Gesellschaft, einmal sagte, er gleiche einem verwesenden, von Wespen umschwärmten Körper. Bezeichnend genug, daß Gerüchte laut wurden, Richelieu stehe so unter der Herrschaft des Kapuziners wie der König unter der Fuchtel des Kardinals, obwohl A n d r e a s , Geist und Staat.

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der Pater nicht von der großen Linie der Richelieuschen Politik abwich. In jenem Gerede drückte sich nur aus, wie unentbehrlich das Werkzeug dem Meister geworden war. Die äußere Stellung Pater Josephs entsprach allerdings nicht der Rolle, die er wirklich spielte. Darum bemühte sich die Regierung, ihm den Kardinalshut zu verschaffen, und Richelieu hätte es gewiß auch erreicht, obwohl man in Rom mancherlei gegen den Mönch auf dem Herzen hatte. Aber der Kapuziner starb noch vor der Verleihung des Purpurs. Richelieu hatte den in all seine Pläne eingeweihten, langjährigen Mitarbeiter für den Fall seines Todes zum Nachfolger ausersehen. Der König war dem erprobten Mitglied seines Rates wohlgewogen und fast in Verehrung zugetan. Schwerlich hätte er Einwände erhoben. Beide, der schwache Monarch und der kränkliche Richelieu überlebten ihn, der Gehilfe ging seinem Herrn im Tode voraus. Das Vermächtnis des Kardinals trat der schlaue Italiener Mazarin an. Als Staatsmann besaß der Pater nicht die Vielseitigkeit seines Gönners. Er war mehr dazu geschaffen, beharrlich in einer bestimmten Richtung sich fortzubewegen und zu entwickeln. So hatte er an der kampfreichen Ausbildung der unumschränkten Gewalt, die der Premierminister im Namen seines Monarchen anbahnte, keinen Anteil, und in die persönlichen Kämpfe Richelieus mit den Großen und den feindlichen Klüngeln am Hofe war er nur in geringem Maße verflochten. Auf zwei Gebieten arbeitete er hauptsächlich mit dem Kardinal zusammen: als Berater in kirchlichen Angelegenheiten und als Gehilfe in der gesamten äußeren Politik.

So überzeugt und vorbehaltlos Richelieu dem katholischen Glauben anhing, war er doch kein Mann der Gegenreformation. Ihre Kräfte berührten ihn und strömten in seine Bildung ein, aber sie beherrschten ihn nicht. Das Gesetz seines Lebens war die Staatsräson, nicht die Kirche. Der hohe Prälat machte sich kein Gewissen daraus, in der großen Politik andere Wege zu gehen als der Papst, und ebenso unbekümmert setzte sich in dieser Beziehung sein vertrauter Mitarbeiter über Rücksichten auf Rom hinweg. Um so eifriger waren aber beide bestrebt, f ü r die innere Einheit der Kirche zu arbeiten, ihr Erschütterungen zu ersparen und für die Reinheit ihrer Lehre zu sorgen. Mit dieser Gesinnung konnte der Pater dem Kardinal-Minister ausgezeichnete Dienste leisten. Er half zwischen

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dem rührigen Mönchtum und der durch die Bischöfe vertretenen weltlichen Priesterschaft, die in ihrer Eifersucht schlecht aufeinander zu sprechen waren, ausgleichen und Frieden stiften. Daß Richelieu gefährlich erscheinende Richtungen, wie den aufkeimenden Jansenismus oder den sogar ins Ordensleben sich einschleichenden Quietismus zu ersticken suchte, fand durchaus den Beifall und die Unterstützung des Kapuziners. Dagegen war Richelieus und seines Mitarbeiters Verhältnis zu den Hugenotten nicht ganz auf denselben Ton gestimmt. Der Kardinal, der schon als junger Bischof gegen die Ketzerei und ihre Prediger mit Streitschriften aufgetreten war, wünschte den Protestantismus, wenn er ihn auch ertrug, aufrichtig aus der Welt hinweg. Die Glaubensspaltung blieb dem Fürsten der Kirche immer verdammungswürdig. Weit heftigeren Anstoß jedoch nahm der Staatsmann Richelieu an der politischen Sonderstellung der Kalvinisten. Sie hatten aus Religionswirren und Bürgerkriegen den Besitz der Sicherheitsplätze davongetragen. So oft die Großen seit dem Tode König Heinrichs, ihres früheren Glaubensgenossen, sich erhoben, wurden diese Machtmittel auch zu anderen Zwecken als nur zur Verteidigung des Bekenntnisses ausgespielt und mißbraucht. Das Recht der Selbsthilfe, das man dem geschwächten Königtum abgerungen hatte, wuchs sich in der aufgeregten Zeit der Regentschaft, wo alles wieder in gärende Bewegung geraten war, zu einer schweren Gefahr aus: die Hugenotten bildeten einfach einen Staat im Staat. Diesem Zustand bereitete Richelieu ein Ende. Er wollte das Königtum so stark machen, daß es selber die Ordnung in seinem Reich wahrnehmen könne. Er zerbrach die Sondergewalten und zerschlug daher auch die militärische und politische Organisation der Hugenotten. Aber sie außerhalb des königlichen Schutzes zu stellen, lag nicht in seiner Absicht. Solange sie auf Wällen und Bastionen vertraut hätten, erklärte er selber den Predigern von Montauban, seien sie gefährdet gewesen; jetzt, da sie sich der allgemeinen Ordnung unterwürfen und ihre Sicherheit im Worte des Monarchen suchen wollten, werde der für sie sorgen. Rein weltliche Politik war es, die er trieb. Ihr Sinn enthüllte sich klar nach dem Fall von La Rochelle und der Niederlage Rohans. Es fiel Richelieu nicht ein, etwa aus freierer Geistesart so vorzugehen. Der Gedanke der Toleranz lag ihm ebenso fern wie seinem Jahrhundert. Aber er hatte auch nicht das drückende Bewußtsein, ein schweres Opfer 5*

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zu bringen, wenn er im Gnadenedikt von Nîmes den Hugenotten ihre religiösen und bürgerlichen Rechte ungeschmälert beließ. Er handelte mit der Mäßigung des großen Staatsmannes: er tat das Notwendige und begnügte sich mit dem Erreichbaren. Die starke katholische Partei indessen wollte mehr. Ihr kam es letzten Endes auch auf die Ausrottung der Irrlehre an. Nicht ausgeschlossen, daß der Kardinal, wäre er aller äußeren Schwierigkeiten und seiner inneren Gegnerschaften ledig gewesen, eines Tages sogar diesen Forderungen sich anbequemt und dazu die Hand gereicht hätte. Die französische Entwicklung drängte ja auf Einheit und Gleichförmigkeit hin. Indessen, einen solchen Vertilgungskrieg zu führen war weder die innere noch die äußere Lage des Reiches angetan, und Richelieu selber saß nicht fest genug in der Macht, um solches wagen zu können. Zeitlebens sah der Minister die Hugenottenfrage als ein rein staatliches Problem an und strebte darum seine Lösung auch nur von dieser Seite her an. Solche Zurückhaltung war nicht im Sinne Père Josephs. Eifrig trieb er zum Kriege. Schon den ersten Günstling des Königs, den Herzog von Luynes, hatte er dazu angestachelt. Aber er verstand diesen Kampf ganz im Gegensatz zu Richelieu nur als Religionskrieg und wollte ihm gerade den Charakter aufdrücken, den der führende Staatsmann schon seiner auswärtigen Politik halber auszuschalten wünschte. Was indessen der Pater seinerseits dazu tun konnte, um dem Kampf seinen Geist einzuhauchen, tat er. Vor La Rochelle peitschte er mit seinen Kapuzinern den Fanatismus der Soldaten auf, empfing den Widerruf der Gefangenen, wenn sie, den Strick um den Hals, auf der Leiter standen oder in Ketten auf die Galeeren abgeführt wurden. Sein Hauptwirken aber begann nach dem Sieg in der inneren Mission. Es hafteten ihr allerlei bedenkliche und gehässige Züge an. Gelegentlich verschmähte man nicht, mit dem gemeinen Mittel der Bestechung zu arbeiten, und zuletzt wandte man auch offene Gewalt an. Mit zwanzig Soldaten zog Pater Bonaventura von Amiens durch die Dörfer und strafte die Widerspenstigen mit hohen Summen, und als die französische Armee über die Alpen nach Piémont hinüberstieg, wurden die Täler am Mont Genèvre Schauplatz der ersten französischen Dragonaden. Kurz vorher hatten Lichtensteins Reiter geholfen, den böhmischen Protestantismus niederzuwerfen. Die Gegenreformation enthüllte ihr kriegerisches Antlitz. Was Frankreich anging, so deuteten jene trüben Vorgänge voraus in die Zeiten Ludwigs XIV., wo gewaltsame Glaubenseinigung

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und kirchlicher Verfolgungseifer die maßvollere, wahrhaft staatsmännische Praxis des Kardinals verdrängen sollte. In diesen Dingen überließ sich Pater Joseph noch ganz den gegenreformatorischen Strömungen und seiner lodernden Glaubensleidenschaft, während bei dem Premierminister nur kühle Rechenkunst und der Wirklichkeitssinn des echten Staatsmannes den Ausschlag gaben und seine persönlichen Empfindungen zügelten.

Inniger als auf jedem anderen Gebiet begegneten sich beide Männer in der Behandlung der auswärtigen Ereignisse. Die Auslandspolitik Richelieus barg schwerlich ein Geheimnis für seinen Vertrauten. Gerade in den heikelsten und geheimsten Sachen bediente man sich mit Vorliebe dieses geschmeidigen Mannes, der auch in schwierigstem Gelände sich zurecht fand. Besonders zeichnete sich Père Joseph als Unterhändler aus. E r war unübertrefflich im Stil jener Zeit, deren Diplomatie bei leidenschaftlicher Bestimmtheit und großer Fassung ihrer Ziele immer neue Ausflüchte suchte, immer neue Hindernisse aufzutürmen wußte. Er besaß ihre langatmige Zähigkeit, aber ganz besondere Eigenschaften gesellten sich dazu. Den Mann des Dunkels und der Verstecke nannte ihn Richelieu, weil seine Stärke in den geheimen Verhandlungen lag: gleichsam unbemerkt, in unterirdisch gewundenen Gängen wußte er sich im Gespräch dem Gegner zu nähern und erfaßte die Menschen mit durchdringendem Blick. Dabei zeigte er die bei Mitgliedern seines Ordens nicht seltene Bonhomie und wußte unter dieser gutmütigen Maske alle Schwierigkeiten und alles Bedenkliche seiner Vorschläge zu verbergen. Alle Töne standen ihm zur Verfügung, polternde Offenheit, eindringlicher Ernst und einnehmende Beredsamkeit. Sein feuriges Temperament eroberte selbst kühlere Naturen, lockte auch verschwiegene Leute oft aus ihrer Zurückhaltung heraus. Nicht umsonst war er als Unterhändler wegen seiner Kunst und seiner Erfolge gefürchtet. Bitter beklagte sich einmal Kaiser Ferdinand, dieser Mönch habe wahrhaftig sechs Kurfürstenhüte unter seine Kapuze gebracht. Aber eben dieser Ruf, daß man es mit einem der geriebensten Meister der Diplomatie zu tun habe, erschwerte auch seine Aufgabe, und sein geistliches Gewand verursachte, da es nicht immer mit seinen Eigenschaften zu vereinbaren war, doppeltes Mißtrauen. Unter Richelieus Gegnern ging die Rede, wo er einen Spitzbubenstreich plane, bediene er sich eines

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Mönchs. In Flugschriften, wie sie damals während des Dreißigjährigen Krieges Europa überschwemmten, konnte Pater J o s e p h lesen, daß er ein Feind Gottes, eine Geisel der Welt sei. Und ein Edelmann aus Tillys Gefolge fuhr ihn einmal an, ein Unheilstifter wie er, der blutigen Krieg zwischen den großen katholischen Herrschern säe, schände sein Ordensgewand. Es traf ihn aber nicht bloß der Haß ausländischer Gegner, die selbst vor Todesandrohungen nicht zurückschreckten; auch bei einem Teil seiner Ordensbrüder war er unbeliebt, da sie seine eifrige weltliche Tätigkeit als VerVersündigung wider den Geist des Mönchtums verurteilten. Kampf gegen Spanien, Niederringung des Hauses H a b s b u r g ! So lautete Richelieus Parole. Nachdem die Regentschaft der Maria Medici in bedenklichster Weise an Spanien herangerückt und Gefahr gelaufen war, sich in fremdes Schlepptau zu begeben, brach der jahrhundertalte Gegensatz mit frischer Kraft hervor. Das Weltreich Karls V. und Philipps II. litt zwar schon an jener Verdorrung der Säfte, die es in nicht allzuferner Zeit aus der Reihe der großen Mächte ausscheiden sollte, seine Wirtschaftskraft war schon gebrochen, sein Eroberungsgeist im Erlahmen. Aber noch fühlte es sich als ein stolzer S t a a t mit weitgesteckten Zielen. Die Glut der Gegenreformation war in ihm noch nicht erloschen und unter dem Minister Olivarez, der seines Gegenspielers Richelieu nicht ganz unwürdig war, nahm es erneut einen Anlauf, in die Bahnen einer großangelegten Politik einzulaufen. Der Heroismus des alten Spaniertums schien noch einmal in ehrgeizigen Plänen und Unternehmungen aufzuflammen. Fast allgemein schätzten die Zeitgenossen das Pyrenäenreich sehr hoch ein, nicht zuletzt dank seiner kräftigen Heeresordnung. Denn die inneren Erscheinungen des Niederganges waren für das gewöhnliche Auge nicht eben leicht zu erfassen. Keineswegs galt es als ausgemacht, daß in dem großen staatlichen Duell, das zwei hochstrebende Premierminister als Führer ihrer Staaten miteinander ausfochten, Olivarez gegen Richelieu unterliegen werde. Spanien stand überdies trotz der niederländischen Wirren in weitreichenden Beziehungen, und vor allem war es gestützt durch die deutsche Habsburgerfamilie, die im ersten Drittel des Dreißigjährigen Krieges ein gefährliches Übergewicht in Deutschland zu erringen drohte. Frankreich hingegen zuckte noch unter den heftigen Nachwehen der Bürgerkriege. Die vorwaltende Macht der französischen Geschichte, das Königtum, war umbrandet vom Ansturm der Sondergewalten, noch befand sich das Reich in leidenschaftlicher Gärung.

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Ein Angriff großen Stils mußte es bei seiner geringen inneren Festigung aufs äußerste gefährden. Ein Gegensatz war hier vorhanden, der in alle europäischen Kreise hineinwirkte. In seinen Schatten traten alle Einzelfragen, die damals den Erdteil bewegten. Seine Entscheidung mußte nicht allein fQr die Fahrerstellung der beiden feindlichen Mächte, sondern für das ganze wirtschaftlich-kulturelle Leben Europas gewichtige Folgen haben. Auch die geistigen Sphären konnten nicht unberührt bleiben. Bereits zeichnete sich der Kampf zwischen spanischer Romantik und französischem Klassizismus in ersten Umrissen und Kontrasten ab. Als Richelieu in seinem zweiten Ministerium die traurige Hinterlassenschaft Maria Medicis und der früheren Staatslenker übernahm, die der Macht und dem Ansehen seines Vaterlandes soviel Abbruch getan hatten, mußte er fürchten, daß das Pyrenäenreich von Mailand über das Veltlin, die graubündischen Pässe und den oberrheinischen Streubesitz Österreichs hinüber nach den Niederlanden eine Landbrücke schlage. Das konnte zu einer Abschnürung Frankreichs und einer schweren Grenzbedrohung durch die innig verbundenen Habsburgermächte, Spanien und den Kaiser, führen. Richelieu durfte nicht zulassen, daß dieser Ring sich um sein Vaterland schließe. Das andere Ziel seiner Staatskunst aber, das er unter Ständigen inneren Wirren und Störungen verfolgte, erblickte er darin, Frankreich seinen alten Platz in der Staatengesellschaft wieder zu sichern. Mit großen und kleinen Mitteln, in Krieg und Frieden, mit eigenen Heeren und fremden Bundesgenossen, in heldenhafter Anspannung und mit tausend Winkelzügen betrieb er fortan diese Hauptaufgabe seiner Politik, indem er allmählich aus der Verteidigung zum Angriff überging. Bei keinem Menschen aber fand er dafür soviel Verständnis wie bei seinem Gehilfen Pater Joseph. Mag sein, daß in dem Mönch der Zorn über die Ablehnung, die seine Kreuzzugspläne von Seiten Spaniens erfahren hatten, weiterkochte. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß ihn schon sein angeborener heißer Patriotismus zum natürlichen Feinde des nationalen Gegners machte und jene Erinnerung sich nur verschärfend hinzugesellte. Er selber mochte, ehrlich oder in frommem Selbstbetrug, glauben, erst Spaniens Niederwerfung werde der Christenheit den Frieden schenken und den Zeitpunkt heraufführen, wo ein triumphierendes Frankreich das Banner zur Befreiung des heiligen Landes entrollen und die anderen Staaten nachziehen werde. Wenn sein Nationalgefühl von solch gemeinchristlichen, mehr ins 71

Mittelalter zurückdeutenden Vorstellungen durchsetzt war, Realismus und Idealismus in seinem Empfinden ineinanderflössen, so bekämpfte er jedenfalls Spanien mit genau so weltlichem Haß wie die Partei jener Männer, die sich selber die Politiker oder die guten Franzosen nannten und schon während der Bürgerkriege aus dem Kampf gegen das Pyrenäenreich das Hauptziel einer gesunden französischen Staatskunst zu machen wünschten. Auch f ü r ihn war Spanien der Erbfeind, den niederzuringen er wie der Kardinal kein Mittel unversucht lassen wollte. Der Mönch nahm nicht den geringsten Anstoß daran, wenn Richelieu, der einen Bundesgenossen nach dem andern wie Schachfiguren gegen den Gegner vortrieb, seine Verbündeten unter den bösen Ketzern von England, Schweden, Holland und Deutschland wählte. Für beide Staatsmänner der Allerchristlichsten Majestät versanken die konfessionellen Vorurteile, wenn im Kampf gegen den Katholischen König die politische Zweckmäßigkeit es verlangte, sich auf protestantische Hilfe zu stützen. Sie kannten nur ein Ziel, die Erhöhung ihres Vaterlandes. Dahinter trat alles andere zurück. Pater Joseph hatte als Mann der geistlichen Politik begonnen. Aber er lernte im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges, der als Glaubensstreit anhob und als weltlicher Machtkampf endete, die Dinge mehr unterm staatlichen als unterm religiösen Gesichtspunkt behandeln und wandelte schließlich nur die Wege der Richelieuschen Realpolitik. Nationales Machtinteresse und Staatsräson triumphierten. Das Zeitalter der Gegenreformation sank zurück. Pater Joseph erwarb sich im Dienste der französischen Außenpolitik eine seltene Kenntnis der deutschen Verhältnisse, so daß er im Rate des Königs, soweit Deutschland in Betracht kam, die erste Stimme führte. Richelieu schickte ihn daher auch in einem besonders wichtigen Augenblick auf den Reichstag zu Regensburg, wo er mit dem Kaiser, den Kurfürsten und dem damals wichtigsten Fürsten, Herzog Maximilian von Bayern, verhandelte. Das französische Verhalten gegen Deutschland erklärte sich aus dem leitenden Grundgedanken Richelieus, der Feindschaft gegen das Pyrenäenreich. Er hatte die Führung des Staates übernommen, als der große Krieg noch im ersten Abschnitt seiner langwierigen, viel- und weitverschlungenen Entwicklung stand. Die Krone Spanien befand sich in engem Bündnis mit dem deutschen Zweig ihres Hauses. Kaiser Ferdinand wiederum stützte sich auf seine Allianz mit dem Verein der katholischen Reichsstände, der Liga, deren Haupt Maximilian von

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Bayern war. Auf diesen Machtverbindungen und den Leistungen Wallensteins beruhten die starken Erfolge der kaiserlichen und katholischen Sache in Deutschland. Während man nun französischerseits die Spanier sofort an verwundbaren Stellen wie Graubünden und Italien offen und versteckt angriff, blieb man der deutschen Abrechnung zunächst fern und bekämpfte den aufstrebenden Kaiser zunächst nur durch Unterstützung Mansfelds, der deutschen Protestanten und dadurch, daß man den Einfall des Dänenkönigs ins Reich beförderte. Ein Lieblingsmotiv der französischen Politik gegen Deutschland war damit angeschlagen. Allein diesem Vorgehen, nämlich hier bloß mit Geld und Diplomatie zu arbeiten und dort nur einen Teil der habsburgischen Macht auf sich zu ziehen, wurde der Boden entzogen, als Christian von Dänemark zu Lübeck seinen Frieden mit dem Kaiser schloß, der auf diese Weise freie Hand gegen den neu auftauchenden Gegner im Norden, Gustav Adolf, gewann. Gleichzeitig erließ Ferdinand, durch Wallenstein zu eigener Macht gelangt, jenes Restitutionsedikt, das die niederdeutschen protestantischen Fürstenhäuser mit Vernichtung bedrohte. Der Kaiser, dessen Streitkräfte bis zur Ostsee vorstießen, erklomm einen Höhepunkt seiner Macht. Welche Gefahr braute sich aber damit auch für die französische Regierung zusammen! Wie nun, wenn es der Pyrenäenmacht gelang, jene Brücke zwischen Italien und den Niederlanden wirklich zu schlagen, und wenn etwa der Kaiser, im engen Verein mit Spanien und Deutschlands völlig Meister, sich's einfallen ließ, die Kräfte des Reiches unter einem General wie Wallenstein gegen Frankreich zu lenken, das sich ohnehin im Besitz der drei Bistümer Metz, Toul und Verdun noch nicht sicher fühlte! Möglicherweise drohte dann eine neue Schirmherrschaft wie im sechzehnten Jahrhundert unter Philipp dem Zweiten, nur um vieles furchtbarer, weil diesmal Deutschland in die spanische Allianz aufgenommen war. Die Aufgabe, die einst Heinrich der Vierte zu lösen hatte, schien sich erneut abzuzeichnen: Frankreich mußte katholische Rechtgläubigkeit und politische Unabhängigkeit von Spanien vereinen. Darum schien ein Zusammenstoß zwischen dem Reich und der französischen Krone kaum zu vermeiden. Es galt, das feindliche Übergewicht auch in Deutschland zu erschüttern; man mußte die spanischen in den deutschen Habsburgern treffen, um dadurch auch in Italien leichtere Bewegungsfreiheit zu behalten. Die Frage war nur, wie weit man die Ziele gegenüber Deutschland stecken würde. In dem nun anhebenden, unendlich feinen Spiel bewährte Pater Joseph seine Meisterschaft.

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Ausgangs der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre waren weder die Verhältnisse im Inneren Frankreichs so gefestigt, noch die Armee so beschaffen, um den offenen Krieg gegen Spanien und den Kaiser wagen zu können. Richelieu beendete im Gegenteil die italienischen Erbfolgehändel um Mantua, deren Spitze sich gegen den kaiserlichen Lehensherrn gerichtet hatte, durch Vertrag. Der Mönch im königlichen Rat half die Mittel finden, wie man trotz der eigenen Gebundenheit den Habsburgern wirksam entgegentreten könne. An dem unblutigen Feldzug, den Richelieu gegen das Haus Habsburg einleitete, hatte Père Joseph hervorragenden Anteil. Ein Virtuosenstück der Politik, bei dessen Durchführung die beiden so eng zusammenarbeitenden Staatsmänner in einheitlicher Linie vorgingen. Frankreich knüpfte Verhandlungen mit dem schon früher umworbenen Gustav Adolf an, es vermittelte zwischen ihm und seinem polnischen Gegner einen Waffenstillstand und ermöglichte dadurch dem Schwedenkönig Obergang und Vormarsch nach Deutschland. Ihm war die Aufgabe zugedacht, die kaiserlichen Streitkräfte von Italien und Frankreich abzulenken. Er sollte den Soldaten des Franzosenkönigs spielen, eine Rolle, der er allerdings, hochgemut und selbständig wie er war, alsbald entwuchs. Seine Erfolge gestalteten sich großartiger, als man es in Paris wünschen konnte. Richelieu und der Pater setzten indessen nach den Erfahrungen, die man mit Christian von Dänemark gemacht, keineswegsalles auf die schwedische Karte. Sie hatten noch andere Trümpfe im Spiel, und auf jenem Regensburger Reichstag, wo Père Josef in untergeordneter Stellung, in Wahrheit als führender Kopf der französischen Gesandtschaft erschien, rückte er damit heraus. Die katholische Liga vom Kaiser abzuziehen, damit er allein dem Ansturm des Schwedenkönigs ausgeliefert sei, zeichnete er sich als Ziel vor. Um das zu erreichen, stachelte er den Unabhängigkeitstrieb der Fürsten und ihre Furcht vor dem kaiserlichen Übergewicht an, in der Hoffnung, ihnen den Schutz Frankreichs und ein Bündnis mit ihm schmackhaft zu machen. Seine Einflüsterungen trugen dazu bei, daß die Kurfürsten in ihrem Widerstand gegen Wallenstein beharrten und dessen Preisgabe beim Kaiser erreichten. Geschickt wußte der Pater die partikularistischen Leidenschaften, die sich unter dem Schlagwort der teutschen Libertät verbargen, zu erhitzen und gegen des Reiches Oberhaupt in Bewegung zu setzen. Eifrig umwarb er Maximilian von Bayern, und es gelang ihm, den Führer der Liga wirklich Frankreich näher zu bringen. Er schürte das Mißtrauen der geistlichen Kurfürsten gegen

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