Gefährliche Toleranz - Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam 978-3-280-05687-5

Was ist nur mit der deutschen Linken los? Wie ist es möglich, dass sie - sich selbst als emanzipatorisch verstehend - au

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Gefährliche Toleranz - Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam
 978-3-280-05687-5

Table of contents :
Buchvorderseite......Page 1
Inhalt......Page 5
Wie Linke den »freiwilligen« Fundamentalismus in Deutschland fördern......Page 7
Die Linke und der Islam - eine monströse Begegnung von Schuldgefühlen......Page 14
Ein orientalischer Voltaire und ein »echter« Linker gegen das Toleranz-Delirium......Page 22
Linke Selbstaufgabe: Sigmund Freud, bitte kommen!......Page 33
Die linke Blanko-Toleranz ist asozial......Page 47
Wie die Linke positive Begriffe entkernt, aber eine fatale Kombination übersieht......Page 55
»Das Tier«, »Die Zecke« - von der SPD allein gelassen......Page 61
Linksintellektuelle Islam-Fantastereien - die Muslimen auf den Geist gehen......Page 70
Seit wann ist das Eschachtal ein »Rassismus«?......Page 76
Ein Gedicht wird verschleiert......Page 83
Schäm dich, eine Frau zu sein......Page 90
Es reicht!......Page 96
Kopftuch, Kopftuch über alles?......Page 103
Naima oder: Das Kopftuch im Handschuhfach......Page 108
Eine einmalige Chance wird vertan......Page 111
Die streng Religiösen bestimmen das Klima......Page 121
»Verzerrter« Islam......Page 127
5 Warum die Grünen nichts vom Islam verstehen......Page 137
Statt Untertanen einer Religion mündige Gläubige -geht das?......Page 145
Das gottlose Gold von Paris......Page 152
Die Linke toleriert den falschen Islam......Page 155
Orient und Okzident: In Deutschland nicht mehr zu trennen......Page 158
Buchumschlag Innenseiten......Page 167
Buchrückseite......Page 169

Citation preview

Für Aga, Cyrill, Omar, Myriam IbnArabi

»Hat die Linke den Verstand verloren?« Ausruf einer Deutschen nach zehnjährigem Aufenthalt in Nordafrika

»Der Westen ist Wahrer von Werten. Ihm ist etwas gelungen. Das müssen wir bei ihm anerkennen, damit es auch bei uns gelingen kann.« Kamel Daoud, algerischer Schriftsteller aus Oran

»Mittag, Widerschein Afrikas auf der Suche nach seinem Schatten, unnahbare Nacktheit eines imperienfressenden Kontinents, Wein und Tabak in vollen Zügen.« Kateb Yacine in »Nedschma«

Samuel Schirmbeck

Gefährliche Toleranz Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam

orell füssli Verlag

Orell Fiissli Verlag, www.ofv.ch ©2018 Orell Fiissli Sicherheitsdruck AG, Zürich Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Dadurch begründete Rechte, insbeson­ dere der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildun­ gen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfälti­ gung auf andern Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, Vorbehalten. Vervielfältigungen des Werkes oder von Teilen des Werkes sind auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie sind grundsätzlich vergütungspflichtig. Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-280-05687-5

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

Inhalt 1 Die deutsche Linke hat den Verstand verloren

7

Wie Linke den »freiwilligen« Fundamentalismus in Deutschland fördern

7

Die Linke und der Islam - eine monströse Begegnung von Schuldgefühlen

14

Ein orientalischer Voltaire und ein »echter« Linker gegen das Toleranz-Delirium Linke Selbstaufgabe: Sigmund Freud, bitte

22 kommen!

2 Die Linke islamisiert Deutschland mehr als der Islam Die linke Blanko-Toleranz ist asozial

33

47 47

Wie die Linke positive Begriffe entkernt, aber eine fatale Kombination übersieht

55

»Das Tier«, »Die Zecke« - von der SPD allein gelassen 61 Linksintellektuelle Islam-Fantastereien - die Muslimen auf den Geist gehen

70

Seit wann ist das Eschachtal ein »Rassismus«?

76

5

3 Das »Kopftuch«-ein Leichentuch für»68«

83

Ein Gedicht wird verschleiert

83

Schäm dich, eine Frau zu sein

90

Es reicht!

96

Kopftuch, Kopftuch über alles?

103

Naima oder: Das Kopftuch im Handschuhfach

108

4 Linke Flüchtlingshelfer hassen »Made in Germany« 111 Eine einmalige Chance wird vertan Die streng Religiösen bestimmen das Klima »Verzerrter« Islam

111 121 127

5 Warum die Grünen nichts vom Islam verstehen

137

6 Idschtihad gegen Dschihad

145

Statt Untertanen einer Religion mündige Gläubige geht das?

145

Das gottlose Gold von Paris

152

Die Linke toleriert den falschen Islam

155

Orient und Okzident: In Deutschland nicht mehr zu trennen

6

158

1

Die deutsche Linke hat den Verstand verloren

Wie Linke den »freiwilligen« Fundamentalismus in Deutschland fördern Die deutsche Linke toleriert den Islam, den die Freiheitsstatue des Orients nicht mehr toleriert. Ihr Bild ging vor einigen Monaten um die Welt: Nicht die Skyline von New York ist im Hintergrund der Auf­ nahme zu sehen, sondern das Weiß einer Tränengaswolke bei einer Demonstration nahe der Universität Teheran. Den Arm emporge­ reckt, steht sie da: eine junge Frau, ein einziges Stück Widerstand gegen die religiöse Macht, die Frauen wie sie vertreiben, nicht wahr­ haben, verschwinden lassen will. Die junge Iranerin hat einen Fuß nach vorn, einen nach hinten gesetzt, um besser Halt zu finden auf dem Boden, der ihr gehört, aber einer Ungehorsamen wie ihr nicht gehören soll, ginge es nach dem Willen der Mullahs. In schwarzer Kleidung, normaler Alltagskleidung, steht sie da, die muslimische Freiheitsstatue, allein, entkommen dem schwarzen Meer der Tschadors. Der weiße Tränengasnebel, aus dem sie hervor­ tritt, hebt jedes Detail nur umso deutlicher hervor: Ihr Körper ist mitgerissen vom hochgereckten Arm. Er trägt keine Fackel. Aber aus dem schwarzen Ärmel leuchtet hell die kleine geballte Hand. Dem ist nichts hinzuzufügen. Solchen Händen werden die Islam-Macht­ haber nicht standhalten können. Und auch deutsche Linke nicht. Das Kopftuch auf dem Haupt der jungen iranischen Frau ist nach hinten gerutscht, hat sich durch die zornige Armbewegung vom Haar gelöst. Doch von der deutschen Linken wird dieses Kopf­ tuch »kultursensibel« toleriert. Die linke deutsche Toleranz bedeutet 7

eine Gefahr für die Frau im Iran. Die linke deutsche Islam-Toleranz akzeptiert das Frauenbild nicht nur der Mollahs, sondern all jener Männer von Afghanistan bis Marokko, die nach dem Kopftuch schreien. Deutsche Linke und Feministinnen schreien mit. Die junge Frau inmitten des Protestes gegen die Machthaber aber wider­ setzt sich allem, was Islam-Herrschaft mit Frauen macht. In der deutschen Linken des Jahres 2018 findet ihr Aufbegehren keinerlei Echo. Fünfzig Jahre nach »68« toleriert die deutsche Linke, was die geballte kleine Faust im Iran nicht toleriert. Die deutsche Linke hat den Verstand verloren. »Mehr Islam wagen!«, ruft die Grüne Katrin Göring-Eckardt ins Land. Aber bitte, sagt der Islam, an uns soll es nicht liegen! Der Islam fragt nicht, ob er zu Deutschland gehört oder nicht. Er ist längst da. Mehr denn je. Vorsicht! Dies ist kein Mobbing-Buch gegen Musliminnen und Muslime. Es ist ein Appell an die Linke. Sie sollte aufhören, via Islam-Toleranz Deutschland zur Relais-Station für den weltweiten islamischen Obskurantismus zu machen, wie sie das seit nun fast zwanzig Jahren tut, seit »9/11«. Wir haben eine Million erst vor Kur­ zem gekommene Muslime im Land, das hat eine völlig neue Situa­ tion geschaffen. Angesichts dessen kann man der Linken nicht mehr erlauben, so verantwortungslos weiter zu agieren wie bisher. Es wäre verheerend, wenn diese neuen muslimischen Mitbürger durch die deutsche Linke in den versteinerten Fantasmen ihrer Herkunftslän­ der bestätigt würden. Genau das aber wird passieren, wenn SPD, Grüne, Linkspartei nicht endlich ihre Islam-Software wechseln. Die gesamte muslimische Aufklärung wehrt sich gegen diese in ganz Westeuropa vorherrschende linke Islam-Toleranz, die in Wirklich­ keit eine Obskurantismus-Toleranz ist. Nehmen wir das Beispiel Kamel Daoud. Der algerische Journa­ list und Schriftsteller aus Oran wurde von der französischen und deutschen Linken fertiggemacht. Warum? Nach den sexuellen Über­ griffen junger Nordafrikaner auf Frauen in der Kölner Silvesternacht schrieb er einen Artikel über »Das sexuelle Elend in der arabischen Welt«, der am 18. Februar 2016 auch in der FAZ erschien. Darin 8

heißt es über den »Anderen«, den Flüchtling, der nach Europa kommt: »Der Andere kommt aus jenem riesigen schmerzvollen und grauenhaften Universum, welches das sexuelle Elend in der ara­ bisch-muslimischen Welt darstellt, mit ihrem kranken Verhältnis zur Frau, zum Körper und zum Begehren. Ihn aufzunehmen heißt noch nicht, ihn zu heilen. Das Verhältnis zur Frau ist der - zweite gordische Knoten in der Welt Allahs. Die Frau wird verleugnet, ab­ gewiesen, getötet, vergewaltigt, eingeschlossen oder besessen. Darin zeigt sich ein gestörtes Verhältnis zur Phantasie, zum Wunsch nach Leben, zur Schöpfung und zur Freiheit.« Daraufhin wurde Daoud von einem »Kollektiv« französischer Soziologen vorgeworfen, er bediene sich »islamophober Klischees«. Er wurde in die Nähe des Rassismus gerückt. In Deutschland schrieb die »taz« angesichts der Empörung über das Verhalten der jungen Nordafrikaner von der »Reproduktion des rassistischen Bildes der unschuldigen weißen Frau, die vor dem aggressiven muslimischen Mann geschützt werden muss«. Nun, in der Kölner Silvesternacht wurde sie nicht geschützt. Es war allerdings eine asiatisch und nicht »weiß« aussehende junge Frau, die ausführlich schilderte, wie sie von Dutzenden Händen überall begrapscht wurde: »Ich fand, die Männer hatten nicht den Eindruck, dass sie etwas Falsches tun.« Nicht der Journalist und Schriftsteller aus Oran weiß über den Umgang mit Sexualität in der islamischen Welt Bescheid, sondern westeuropäische Linksintellek­ tuelle wissen es. Sie selbst sind »Weiße«, die ansonsten »Weißen« befehlen wollen, als »Weiße« über kulturelle Aspekte nicht-weißer Länder den Mund zu halten. Aber im Fall der Kölner Silvesternacht wussten sie als »Weiße« besser Bescheid als ein Nicht-Weißer wie Kamel Daoud. Das zeigt, wie besessen sie vom Kulturrelativismus sind, als »Weiße«. Unerträglich, wenn sie ihren weißen Kulturrelati­ vismus von Nicht-Weißen, von Leuten aus der früheren Dritten Welt infrage gestellt sehen. Dann reagieren die weißen Linksintel­ lektuellen nach Kolonialherrenart, indem sie »Eingeborene« ä la Kamel Daoud zurechtweisen, dass er keine Ahnung von sich und seiner eigenen Kultur habe. 9

Doch die »Eingeborenen« lassen sich das nicht mehr gefallen. In der Zeitschrift »Jeune Afrique« vom 24. Februar 2016 wehrte sich die tunesische Journalistin und Schriftstellerin Fawzia Zouari mit ihrer »Polemik: Warum Kamel Daoud Recht hat« (»Polemique: Pourquoi Kamel Daoud ä raison«) gegen die Angriffe westeuro­ päischer Linksintellektueller und linker Feministinnen auf Kamel Daoud: »Radikalen Kulturalismus, orientalistische Klischees, Islamo­ phobie hat ein Kollektiv von Intellektuellen bei Kamel Daoud ent­ deckt und dies in der französischen Zeitung >Le Monde< veröffentlicht. Eine Fatwa mehr gegen den Algerier, der bereits im Visier der Bärti­ gen ist. [Algerische Salafisten hatten Daouds Tötung wegen reli­ gionskritischer Äußerungen gefordert, d. Verf.]. Seid ihr nun zufrie­ den, ihr Intellektuellen von Paris, die ihr unsere Gesellschaften von euren Baikonen aus betrachtet und nach dem Maßstab eurer Theo­ rien beurteilt? Ich fordere euch auf, das Gegenteil dessen zu bewei­ sen, was Kamel Daoud behauptet, der vor Ort lebt, täglich eine Welt betrachtet, in der die Frauen jungfräulich bei ihren Ehemännern ankommen müssen und in der die Junggesellen vor sexuellem Elend verrückt werden, eine Welt, die dem Gesetz unterworfen ist, das weder dem Mann noch der Frau körperliche Beziehungen außerhalb der Ehe gestattet. [...] Das seiner Sache so sichere Kollektiv fordert eine >beruhigte und vertiefte Debatten Was soll das heißen? Dass wir darauf verzichten, die rote Linie zu überschreiten? Dass wir darauf verzichten, mit Kamel Daoud zu sagen: ja, es gibt eine Psychologie der arabischen Menge; ja, wir schleppen eine tausendjährige Menta­ lität mit uns herum, die die Frau als Köder und Schande definiert; ja, es gibt bei uns eine pathologische Beziehung zur Sexualität; ja es gibt einen Rassismus, der insinuiert, dass man eine Nichtmusiimin vergewaltigen kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen; ja, be­ stimmte Neuankömmlinge in Europa müssen sich an die Gleichheit der Geschlechter und die Trennung von Religion und Politik ge­ wöhnen!« Dann weist die Tunesierin auf das hin, was sich auch bei deut­ schen Linken und Linksintellektuellen endlich ändern muss: dass sie Muslime im Grunde nicht für voll nehmen. Fawzia Zouari möchte 10

Linke dazu bewegen, zum Gegenteil überzugehen, nämlich Muslime endlich für voll zu nehmen! Indem sie die muslimische Aufklärung für voll nehmen und nicht nur den muslimischen Traditionalismus und religiösen Obskurantismus: »Auch wenn es den selbsternannten Advokaten missfällt, mehr und mehr arabische Intellektuelle lehnen die Vision eines glatten und unschuldigen Orients ebenso ab wie die eines obskurantistischen und hasserfüllten Orients. Sie wollen nicht länger die einfältigen Bewunderer ihrer eigenen Traditionen und Religion spielen. Noch wollen sie die Geiseln einer westlichen Welt werden, die vom Vorwurf der Islamophobie traumatisiert und von den Skrupeln einer Linken plombiert ist, die so weit geht, ihnen zu verweigern, im Westen den Raum an Freiheit und Emanzipation zu lieben, nach dem sie sich sehnen. Natürlich ignorieren die arabi­ schen Intellektuellen nicht, dass Europa seinen Teil an Gewalttätig­ keiten, Ungleichheiten und Vergewaltigungen mit sich schleppt. Aber sie denken, dass das ihre eigenen Irrwege nicht rechtfertigen kann. Das heißt nicht, dass Kamel Daoud seine Kultur verabscheut oder unter einer Identitätsverweigerung leidet, wie es seine Kritiker nahelegen. Nein, er gehört zu einem anderen Geschlecht von Mus­ limen: dem der rebellierenden Schriftsteller und Denker des Zwei­ fels, die daran arbeiten, den Schraubstock des Dogmas zu lockern und das muslimische Individuum hervorzubringen.« Die Linke in Deutschland jedoch hält es für human, Muslimen gegenüber »den Schraubstock des Dogmas« eher zu festigen und die muslimischen »Denker des Zweifels« als — man mag es schon gar nicht mehr aussprechen, so sehr hat man es über - »islamophob« zu diffamieren. Noch ist (West-)Europa jener »Zipfel der Welt, in dem es erlaubt ist, zu zweifeln« (Regis Debrayj, und es kann nicht ange­ hen, dass deutsche Linke sich das Recht nehmen, Europa diesen Zweifel zu verbieten, wann immer sie Zweifel für unangebracht hal­ ten. Deutschland hat alles getan, um das Europa des Zweifels von der Weltbühne verschwinden zu lassen, Linke sollten das jetzt nicht im Namen des Antifaschismus wieder versuchen. Stattdessen sollten sie der einen Million neuer muslimischer Mitbürger in Deutschland das Europa des Zweifelns nahebringen. Diesem Europa müsste wie­ 11

der ein wenig jener linken Toleranz zuteil werden, die sich statt­ dessen lieber dem unaufgeklärten Islam hingibt. Deutsche Linke wissen nicht, welchen Preis Muslime in der isla­ mischen Welt für jedes Zweifeln bezahlen. Von autoritären Regimen verfolgt und von religiösen Fanatikern mit dem Tod bedroht, setzen sie sich dennoch für das Zweifeln ein. Sie riskieren mehr, als die 68er jemals riskiert haben. Hätten es die polizeistaatlichen Anwandlun­ gen der damaligen Bundesrepublik zu weit getrieben, wären sie durch westlichen Druck gebremst worden. Was derzeit (2017, 2018) beispielsweise die marokkanischen Demonstranten der »Hirak«-Bewegung in der Rif-Region mitmachen, geht an Repression gewaltig über das hinaus, was 68ern in Deutschland passiert ist. Auch die Arabellions-Muslime in Tunesien und Ägypten haben mehr tödliche Gefahren auf sich genommen als die 68er, selbst wenn ihre Bewe­ gung in Ägypten (vorläufig) von den Islamisten und dann vom Militär wieder kassiert wurde, nicht aber in Tunesien. Sie taten das übrigens ohne jeden religiösen Slogan. Da ich viele Protagonisten des »Zweifelns« in Nordafrika ken­ nengelernt habe, weiß ich, dass es »die« Muslime nicht gibt. Es gibt reaktionäre, progressive, gleichgültige, mitläuferische. Indes kommt jenen Muslimen, die das »Zweifeln« kultivieren, eine wesentliche Bedeutung zu, weil sie von politisch und religiös despotischer Macht umgeben sind. An einen dieser Zweifelnden möchte ich erinnern. Er war ein bescheidener, stets etwas traurig lächelnder Algerier. Er saß im schäbigen Büro einer algerischen Zeitung und schrieb jeden Tag eine satirische Kolumne gegen das algerische Militärregime oder die religiösen Obskurantisten. Das war in den »schwarzen« 90er-Jahren. Ging sein Gesprächspartner, gab er ihm eine kleine ovale Blechdose als Wegzehrung mit. Darauf stand in großen Lettern »Air Frais«, »Frische Luft«. Eines Tages schrieb er eine Kolumne mit dem Titel »Der Dieb«. Sie beschrieb das Leben eines demokratisch gesinnten muslimischen Journalisten in den 90er-Jahren, als Militär und Un­ tergrundislamisten einen gnadenlosen Krieg gegeneinander führten und von allen forderten, sich auf ihre Seite zu schlagen. Ein öffent­ lich für Demokratie eintretender Mensch musste stets fürchten, von 12

der Militärseite unterdrückt und von der Islamistenseite liquidiert zu werden. Der Dieb. Dieser Dieb, der sich an den Mauern entlangdrückt, das ist er. Dieser Vater, der seinen Kindern rät, außer Haus seinen üblen Be­ ruf nicht zu erwähnen, das ist er. Der schlechte Bürger, der im Gerichtsgebäude auf sein Urteil wartet, das ist er. Dieses Individuum, das bei einer Stadtteilrazzia gepackt wird, und das ein Gewehrkolben nach hinten in den Lastwagen schleu­ dert, das ist er. Er ist es, der jeden Morgen sein Haus verlässt, ohne sicher zu sein, die Arbeitsstätte zu erreichen. Und er ist es, der abends seinen Arbeitsplatz verlässt, ohne sicher zu sein, zu Hause anzukommen. Dieser Vagabund, der nicht mehr weiß, wo er die Nacht verbrin­ gen soll, das ist er. Er ist es, den man unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem Regierungsbüro bedroht, der Zeuge, der hinunterschlucken muss, was er weiß, dieser nackte und verzweifelte Bürger. Dieser Bürger, der wünscht, nicht mit durchschnittener Kehle zu sterben, das ist er. Dieser Leichnam, dem der abgetrennte Kopf wieder angenäht wird, das ist er. Er ist es, der mit seinen Händen nichts machen kann, nichts als seine kleinen Artikel; er, der allem zum Trotz hofft, weil, nicht wahr, die Rosen auf dem Misthaufen gut gedeihen. Er, der dies alles ist und nur ein Journalist.

Heute gilt das für die türkischen demokratischen Journalisten. Für die ägyptischen, für die afghanischen, für die ... Sie alle sind Mus­ lime! Es gilt aber auch für einen Kurt Westergaard, den dänischen Karikaturisten, der jene umstrittene Mohamed-Karikatur schuf und der nun alle drei Tage die Wohnung wechseln muss, seit vielen Jah­ 13

ren. Der Mann aus Algier, er heißt Said Mekbel, wurde wenige Tage nach Erscheinen der Kolumne »Der Dieb« von einem jungen Mann mit Pferdeschwanzfrisur beim Mittagessen im Restaurant mit einem Kopfschuss getötet. Es gibt einen Kampf der Kulturen, der innerhalb der islamischen Welt selbst im Gang ist. Die deutsche Linke muss sich angesichts von Hunderttausenden neuer Muslime im Land endlich einmal entscheiden, auf welche Seite sie sich dabei stellen will. Das elende Lavieren durch Ignorieren und Relativieren in Sachen Islam muss aufhören, will man die Rechte nicht noch stärker werden lassen, als sie es auch wegen dieses linken Toleranzgebarens schon geworden ist. Die Linke und der Islam - eine monströse Begegnung von Schuldgefühlen Es müsste außerdem ein Alarmsignal für die Linke sein, dass eine Persönlichkeit wie Ali Ertan Toprak sie verlässt, in diesem Fall die Partei »Bündnis 90/Die Grünen«. Ali Ertan Toprak gehört zu dem Menschenschlag, der sich zum Beispiel in Nordafrika, in Algerien und Marokko, gegen politische und religiöse Despotie gleicher­ maßen zur Wehr setzt. Darin ist er unverwüstlich. Zu keinem Kompromiss bereit, wenn es um die Menschenrechte geht. Dieser kurdischstämmige Politiker war von 2004 bis 2009 im Stadtrat von Recklinghausen Abgeordneter und von 2006 bis 2012 Teilnehmer der Deutschen Islamkonferenz. Ich treffe mich mit ihm in Berlin, um zu erfahren, warum er die Grünen nach so vielen Jahren Mitgliedschaft verlassen hat: Ali Ertan Toprak: Ich habe zunehmend das Gefühl bekommen, dass die linksliberalen Kreise die Migranten in erster Linie als Opfer sehen. Und dass sie sich als Opferanwälte positionieren. Sobald man sich als Migrant das Recht nimmt, für sich zu sprechen, wird man auch von diesen Kreisen als Migrant behandelt und nicht als vollwertiges Mit­ glied dieser Gesellschaft. Das ist eine Art von linkem Rassismus. Ich hatte das Gefühl, dass die einfach nicht mit selbstkritischen Migran­ ten umgehen konnten. Dass sie einfach nicht hören wollten, dass es 14

auch innerhalb migrantischer Kreise sehr problematische Entwick­ lungen und auch Rassismus gibt. Ich konnte immer weniger damit umgehen, dass von linksliberalen Kreisen dieser migrantische Rassis­ mus verharmlost worden ist und man die Migranten in erster Linie nur als Opfer sehen wollte. Autor: Was meinen Sie mit migrantischem Rassismus? Unter den Migranten gibt es auch Rassisten, die antiwestlich ein­ gestellt sind, die antideutsch eigestellt sind, die antichristlich ein­ gestellt sind. Es gibt hier einen sozialen Druck in den Communities, in den Gettos, wo viele aus Angst vor konservativen Kreisen, Nach­ barn oder Arbeitskollegen nach außen hin auch eine konservative Lebensweise an den Tag gelegt haben, um nicht aufzufallen, um nicht kritisiert zu werden, um nicht stigmatisiert zu werden. Das habe ich zunehmend kritisiert, außerdem den Umstand, dass der politische Islam hier in Deutschland an Einfluss gewonnen hat. Das wollten über Jahre hinweg vor allem linksliberale Kreise ebenso wenig wahrhaben wie den Antisemitismus in den muslimischen Communities. Sie haben sich in erster Linie mit deutschen Nazis beschäftigt, mit deutschen Rechtsradikalen. Der Nationalismus z. B. in den türkischen Communities rührt in ihren Augen daher, dass wir die Türken so schlecht behandelt haben. In den letzten Jahren, seit man sich fragt, warum so viele Türkischstämmige Erdogan un­ terstützen, kommt als einzige Erklärung vor allem von linksliberalen Kreisen: Wir haben die Türken all die Jahre so schlecht behandelt. Deswegen unterstützen sie Erdogan. Das finde ich einfach inak­ zeptabel. Ich habe die türkischen Erdogan-Anhänger als türkische Reichsbürger bezeichnet, deren Ideologie total übersehen wird. Im­ mer dieser Opferdiskurs. Die Migranten, die Türkischstämmigen, die Muslime werden immer zu Opfern stilisiert. Das geht nicht. Wie erklären Sie sich, dass Islamkritik seit »9/11« bei Grünen und Links­ liberalen praktisch tabu war? Das hat einfach mit ihrem Weltbild zu tun, mit Multikulturalismus. Gegen Multikulturalität ist nichts einzuwenden, gegen Vielfalt von 15

unterschiedlichen Kulturen und Religionen. Aber diese Ideologie des Multikulturalismus relativiert viele negative Prägungen, Ent­ wicklungen und blendet sie aus. Den Westen stellt sie einseitig in die Ecke, wegen des Kolonialismus, wegen der Historie, und macht vor allen Dingen immer die Orientalen, die Muslime zu Opfern. Wollte man deshalb auch immer zwischen gutem Islam und bösem Isla­ mismus trennen, mit dem der Islam »nichts zu tun hat«? Ja, exakt. Immer, wenn irgendetwas passiert ist, war der erste Satz: »Das hat mit dem Islam nichts zu tun. Das hat mit Muslimen nichts zu tun.« Man hat die Ideologie dieser Terroristen versucht... ja, wie soll ich sagen ... ... irgendwo im Nirgendwo anzusiedeln?... ... Genau, exakt, und dadurch hat man dem politischen Islam in die Hände gespielt. Die Linksliberalen sind nach meiner Auffassung zu nützlichen Idioten des politischen Islam degeneriert in den letzten Jahren. Wie erklären Sie sich, dass eine Partei wie die Grünen, die zur Linken zählt, so einen vehementen Widerstand gegen Islamkritik leistet, obwohl die am stärksten von Muslimen selbst kommt? Das ist ja das Absurde, das ich nicht verstehe. Eine der größten Er­ rungenschaften der Aufklärung ist doch die Religionskritik, sogar eine der entscheidenden Errungenschaften. Es kann doch nicht sein, dass wir im Falle des Islams so zurückfallen und quasi die Ideale, die Errungenschaften der Aufklärung völlig verraten und damit auch die linksliberalen, aufgeklärten, säkularen Menschen in der musli­ mischen Welt. Wir fühlen uns in erster Line von den linksliberalen demokratischen Kräften im Westen verraten. So weit Ali Ertan Toprak, der 2014 in die CDU eingetreten ist. Die deutsche Linke und der Islam, das ist eine monströse Ge­ schichte. Denn es ist die Begegnung zweier Seelenlagen, jede von ihnen voller Schuldgefühle. Das linke Schuldgefühl kommt aus der 16

Hölle. Das islamische Schuldgefühl kommt aus dem Himmel. Das linke Schuldgefühl kommt aus der Hölle der deutschen Vergangen­ heit. Das islamische Schuldgefühl kommt aus dem allmächtigen Himmel, in dessen Dienst die muslimische Welt ihre Zukunft ver­ passt. Das linke Schuldgefühl entlastet sich durch maximale Tole­ ranz. Das islamische Schuldgefühl besänftigt sich durch maximale Intoleranz. Beide Schuldgefühle erzeugen ein Monstrum an Irra­ tionalität auf deutschem Boden. Die maximale Toleranz aber befreit die Linke keineswegs von ihrem Schuldgefühl. Deshalb tendiert ihre Toleranz zur Grenzenlosigkeit, sie toleriert alles, es sei denn, es komme von »rechts«, aus der Hölle. Für alles andere, und sei es noch so übel, wird sie zur Blanko-Toleranz. Die islamische Intoleranz hin­ gegen toleriert nichts, es sei denn, es komme aus dem Himmel. Auch sie ist in ihrem Schuldgefühl steckengeblieben. Deshalb ver­ baut sie der muslimischen Welt weiterhin die Zukunft. Beide Schuldgefühle versuchen sich durch jeweilige Hypermoralität zu entschulden. Das produziert den Uberlinken einerseits und den Ubermuslim andererseits. Beide müssen zur Vernunft gebracht wer­ den. Aber wie und von wem? Davon später mehr. Zunächst die triste Bilanz aus der Begegnung irrationaler Toleranz mit irrationaler Into­ leranz: Die deutsche Linke hat den linken Verstand verloren, denn ihre Toleranz dem Islam gegenüber duldet alles, was der aufgeklärten deutschen Gesellschaft und was freiheitsbewussten Musliminnen und Muslimen in Deutschland und in der islamischen Welt schadet. Es gibt einen neuen Orientalismus, den die Linke nun von den Muslimen selbst einfordert, schreibt die algerische Feministin und langjährige Unesco-Mitarbeiterin Wassyla Tamzali: »Muss ich ab jetzt verschleiert sein, um Gehör zu finden?« Der neue, linke Orien­ talismus grenzt den muslimischen Menschen aus der Aufklärung aus, wie früher der alte eurozentrische Orientalismus es tat. Marken­ zeichen des linken Neo-Orientalismus ist das »Kopftuch«. Es gehört in Anführungszeichen gesetzt, denn es ist kein Kopftuch. Es ist ein den Frauenkörper bis über die Fussknöchel abdeckender Hijab, Niqab, eine Burka oder ein Burkini. Deshalb werde ich ab jetzt das 17

Wort »Kopftuch« immer in Anführungszeichen setzen. Denn das Kopftuch ohne Anführungszeichen verharmlost, was das »Kopftuch« der Frau und dem Bild von der Frau in der heutigen Welt antut. Der linke Neo-Orientalismus behauptet, das »Kopftuch« werde »freiwil­ lig« getragen. »Harry Weinstein und seine Anwälte verteidigten sich gegen den von einer Frau erhobenen Vorwurf sexuellen Übergriffs mit dem Argument, die Frau habe den Handlungen des amerikani­ schen Produzenten freiwillig zugestimmt. Das hört man jetzt auch, wenn es um die verschleierten Frauen geht«, so Wassyla Tamzali. Missionarisch, militant, inhuman ebnet die deutsche Linke dem »freiwilligen« Fundamentalismus in Deutschland den Weg. Der »freiwillige« Fundamentalismus ist gefährlicher als der offen erzwun­ gene. Denn der offen erzwungene lässt den Widerstandswillen in­ takt, der »freiwillige« löscht ihn als »unislamisch« aus. Ich hatte nie etwas gegen den Islam, bis ich plötzlich merkte, dass der Islam etwas gegen mich und meine muslimischen Freunde hatte. Ich habe mit dem heutigen Islam nicht mehr Schwierigkeiten als ich mit jedem reaktionären Deutschen, Franzosen oder Chinesen habe. Mit jedem Amerikaner, Türken, Buddhisten, Christen, Hindu, Nord- oder Schwarzafrikaner, Dunkelhäutigen oder Hellhäutigen, der gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist, gegen die Gewissensfreiheit, gegen die Gleichheit aller Menschen, ob »gläubig« oder »ungläubig«, der gegen die Trennung von Religion und Staat ist, der gegen die Vermischung von Menschen unterschiedlicher kultu­ reller Prägung ist, der gegen Homosexuelle ist, gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, gegen die Gedankenfreiheit. Leider ist der gegenwärtige Islam gegen all dieses. Anders als der einzelne reak­ tionäre Deutsche, Amerikaner, Chinese usw., dem ich aus dem Weg gehen kann, hat der Islam mehr Macht als diese alle zusammen. Er ist vielerorts Staatsmacht. Er ist Staatsreligion. Er beherrscht einen großen Teil der Welt. Er steckt in international vernetzten Terror­ organisationen. Er verfugt über zivile Organisationen, die »friedlich« und »tolerant« die westlichen Freiheiten für ihre antifreiheitlichen Zielsetzungen nutzen, an erster Stelle die westliche Religionsfreiheit, die der Islam bei sich nicht duldet. Dieser Islam ist militant und mis­ 18

sionarisch wie die linke Islam-Toleranz, die ihm militant und missio­ narisch entgegenkommt. Seit dem 11. September 2001. Ich habe keine Schwierigkeiten mit einer Linken, die links ist. Die »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« für alle gelten lässt. Die muslimische Aufklärer nicht als »Rassisten« diffamiert, weil sie Frei­ heit, Gleichheit, Brüderlichkeit auch für Muslime wollen. Was wäre die Welt ohne die Linke? Ohne jene Linke, die sich für die gesell­ schaftliche Emanzipation auf sozialem und kulturellem Gebiet ein­ gesetzt hat seit den Zeiten Voltaires? Die den Kolonialismus be­ kämpft hat? Die die Befreiungsbewegungen inspiriert und unterstützt hat? Die den katholischen Fanatismus besiegt hat? Die die Kirche gezwungen hat, Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung anzuerkennen? Ich habe nur Schwierigkeiten mit einer Linken, die alles dies aufgibt, sobald das Wort »Islam« fällt. Die so tut, als wäre der Islam Teil einer Befreiungsbewegung gegen die (angebliche) politische und kulturelle Hegemonie des Westens. Die nicht zugibt, dass der Islam selbst zum grausamen Unterdrücker in weiten Teilen der einstigen »Dritten Welt« geworden ist. Die damit einverstanden ist, dass der Islam dort alles Aufgeklärte und Demokratiefreundliche als »westlich«, »verwestlicht«, »unislamisch« ablehnt und verfolgt. Die einen Islam unterstützt, der auch in Deutschland die Abschot­ tung von allem »Westlichen« fördert und die Frau für »unrein« hält. Mit einer Linken, die im Namen der Toleranz all dieses akzeptiert, will ich nichts zu tun haben. Sie missachtet die Menschenrechte. Sie toleriert, dass der Teil unserer Gesellschaft, der Teil mit muslimi­ schem » Migrationshintergrund« im Namen Gottes hinter die Men­ schenrechte für alle Menschen zurückfallen könnte. Ich will keine Linke, die Religionskritik für »rassistisch« hält, so­ bald sie den Islam betrifft. Religion ist keine Rasse, was soll der Unsinn? Es wird höchste Zeit für eine Linke, die wieder links wird. Die endlich kapiert, dass die bedrohte Minderheit in der Welt von heute nicht der Islam, sondern die Aufklärung ist. Deutschland braucht eine Linke, die mit der muslimischen Aufklärung zusam­ menarbeitet. Ihr sollte die linke Toleranz gelten, nicht — wie seit zwanzig Jahren - ihren Feinden. Es kann doch nicht sein, dass diese 19

Selbstverständlichkeit aufgeben wird, weil Kritik am Islam angeblich »Wasser auf die Mühlen der Rechten« liefert. Was wiegt denn diese Rechte gegen die Menschenrechte? Mit der Aufgabe linker Selbstverständlichkeiten ist es doch die Linke selbst, die seit Jahren Wasser auf jene rechten Mühlen liefert, die sie trockenlegen möchte. Die Linke ist es, die immer mehr Bürge­ rinnen und Bürger nach »rechts« treibt, weil diese Bürgerinnen und Bürger bei der Linken nicht mehr finden, was einst zum linken Selbstverständnis gehörte: Kritik an Dogmen, an Fanatismus, an Frauenverachtung, an gesellschaftlicher Rückständigkeit und an einer Aufteilung der Menschheit in »Gläubige« und »Ungläubige«, also in Gut und Böse. So dreht die Linke die Republik nach rechts. Um wieder links zu werden, muss die Linke erst einmal rechts anfangen, wo sich inzwischen alle Probleme zur Behandlung ein­ gefunden haben, die die Linke seit zwei Jahrzehnten verdrängt: vom aufklärungsresistenten Islam über den vom Islam ruinierten Multikulturalismus und die vor »Ungläubigen« abgeschotteten Parallel­ gesellschaften bis hin zur Penetranz des Islam im staatlich neutralen Raum via »Kopftuch« für Lehrerinnen, dem Mobbing nicht-islami­ scher Schüler und dem muslimischen Antisemitismus. Ganz zu schweigen vom Terror im Namen des Islam, der nach Rotgrünlinks mit dem Islam »nichts zu tun« hat. Dabei berichten algerische und marokkanische Zeitungen — muslimische (!) Zeitungen — ausführlich, warum genau das Gegenteil der Fall ist: »Der traditionelle religiöse Diskurs rechtfertigt in der Tat diese Gewalt. Es fordert uns viel Mut ab, das anzuerkennen, aber dennoch ist es die Realität. Wir müssen die religiösen Texte und archaischen Interpretationen angreifen, die immer noch Terrorismus hervorbringen und ihn rechtfertigen«, war in der algerischen Zeitung »El Watan« nach dem Massaker an der »Charlie Hebdo«-Redaktion zu lesen. Der damalige deutsche Wirt­ schaftsminister Sigmar Gabriel aber führte diesen Terror auf eine »Mordlüsternheit« zurück, mit der der Islam nichts zu tun habe. Da die grenzenlose linke Islam-Toleranz rational nicht mehr zu erklären ist, besuche ich den Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz in Halle. Maaz ist der Ansicht, dass die 68er-Linke mit ihren Emanzi­ 20

pationsbestrebungen auf allen Gebieten auf keinen Fall eine Weiter­ entwicklung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung im Sinn hatte, sondern sie verhindern wollte. Ihr habe eine linke Alternative Rich­ tung Sozialismus vorgeschwebt. Dieser Sozialismus sollte gleichzeitig selbst wiederum eine Alternative zum orthodoxen Sozialismus sein. Doch Kapitalismuskritik, Frauenbefreiung usw. hätten die Stärkung des Kapitalismus nicht verhindert, sondern ihm eher genutzt. Insofern stehe die Linke gesellschaftlich gesehen vor einem »Scherbenhaufen«. »Und dann kommt die Selbstbestrafung?«, frage ich. »Und dann kommt die Selbstbestrafung«, antwortet der Psycho­ analytiker. »Deshalb wird jetzt sozusagen der Islam gefördert und unterstützt, weil die muslimische Welt genau das Gegenmodell des überzogenen falschen Liberalitätsmodells ist.« »Jetzt also der Islam als Freund und Helfer?«, frage ich. »Jedes mit dem Kopftuch umrahmte Gesicht sozusagen ein Medaillon des lin­ ken Widerstandes gegen die heutige Entwicklung? Ich weiß nicht, ob man so etwas völlig Irrsinniges überhaupt denken darf...«. »Nein«, meint der Analytiker, »es ist nicht irrsinnig. Man könnte auch denken, man benutzt das Kopftuch oder man benutzt den Islam, um das, was man selbst nicht akzeptieren kann, die eigene Fehleinschätzung, die eigene Fehlentwicklung, um die von außen reinzuholen.« Der Islam also als Verbündeter der Linken bei der Ausbremsung von Kapitalismus und Globalisierung? Diese These wird auch von linken Theoretikern geteilt, auf die wir später eingehen werden. Neu an der Analyse von Hans-Joachim Maaz ist die These von der linken Selbstbestrafung. Selbstbestrafung für die der Linken entglittene gesellschaftspolitische Entwicklung. Selbstbestrafung mittels des Islam. Man spürt diese Atmosphäre allerorten. Bestraft wird das freie Wort über Gott, bestraft wird die Kritik an der Religion, bestraft wird das Lachen über religiöse Dogmen. Es herrscht in Deutschland inzwischen eine öffentliche Atmosphäre, der das Lachen vergangen ist. Fünfzig Jahre nach »68« gibt es in der Linken keinen Fritz Teufel mehr, der über den nun allseits geforderten »Respekt vor religiösen Gefühlen« zu spotten wagte: »Wenns denn der Wahrheitsfindung 21

dient...«. Das sagte Teufel 1967 vor einem Berliner Gericht, auf­ gefordert, dem Richter durch Aufstehen Respekt zu erweisen. Heute wird vor der Religion aufgestanden. Und kein linker Teufel ist zu hören. Ein orientalischer Voltaire und ein »echter« Linker gegen das Toleranz-Delirium Ein Auto kurvt durch ein einsames Tal im Osten Deutschlands. Es fährt so schnell wie möglich durch kleine Ortschaften, an Wäldern vorbei. Es dunkelt. Die Strecke zieht sich. Im Wagen sitzt ein Mus­ lim. Er hat noch zwanzig Kilometer vor sich. In seinem islamischen Heimatland hat er es nicht mehr ausgehalten. Zu viel bleierne Religion. Deshalb ist der Mann nach Deutschland gekommen. Wie friedlich es aussieht da draußen in der Dämmerung! Der Mann muss aufpassen. Er wird verfolgt. Von einer Fatwa aus dem Ausland. Er habe den Propheten beleidigt, sagen muslimische Fanatiker. Töten solle man ihn. Noch zehn Kilometer. Wegen der vielen Kurven kann der Wagen nicht schneller fahren. Sogar Muslime in Deutschland wünschen diesen Muslim zum Teufel. Auch sie halten ihn für einen »schlechten« Muslim. Sie begegnen ihm mit Hass. Bei Dreharbeiten in der Berliner Sonnenallee wurde der Muslim von jungen Muslimen angegriffen. »Du hast hier nichts zu suchen!«, riefen sie und wollten ihn verjagen. Vor der Sehitlik-Moschee in Berlin wurde er während eines Interviews von Moscheebesuchern umringt. »Hau ab!«, »Ver­ piss dich!«, schrien sie und »Bald ist auch hier Frankreich!«. Das war eine Erinnerung an den Anschlag in Nizza am 14. Juli 2016. Dort hatte Mohamed Lahouaiej Bouhlel, ein Muslim tunesischer Her­ kunft, 86 Menschen mit einem Lkw getötet und über 400 verletzt. Wenige Monate nach dem Ruf »Bald ist auch hier Frankreich«, kurz vor Weihnachten, verübte der Tunesier Anis Amri das Lkw-Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz. Hier, in diesem abgelegenen Tal der einstigen DDR, fühlt sich der Muslim im Auto relativ sicher. Nur noch wenige Kilometer sind es bis zum Ziel, einem Gasthof. Er liegt so weit entfernt, weil der Muslim im Auto ein Buch geschrie­ ben hat, über das er öffentlich diskutieren möchte. Das aber wollen 22

radikale Linke aus dieser Gegend hier im Osten Deutschlands verhin­ dern. Nicht nur Muslime aus dem Ausland verfolgen den Mann, nicht nur Muslime in Deutschland hassen ihn, auch ein Teil der deutschen Linken hält ihn für einen »Islamfeind«, weil der Muslim in seinen Büchern erklärt, was der Islam mit den Untaten zu tun hat, die seit 9/11 fast die ganze Welt heimsuchen. Das ist für Linke »fremdenfeind­ lich«. Diese Linken wissen nämlich, dass Attentate im Namen Allahs »nichts mit dem Islam zu tun« haben. Sie wissen es, weil sie daran glauben. Beweise dafür haben sie nicht. Dass der Mann im Auto selbst ein Muslim ist, der den Islam besser kennt als sie, auch, weil sein Vater Imam ist, ändert an linken Gewissheiten nichts. Die Linken wollen, dass es Themen gibt, die in Deutschland tabu bleiben. Das gehört zur »offenen Gesellschaft«, die die Linken predigen. Das ist die linke »Vielfalt«. Zu ihr gehört, dass über den Islam nur Gutes gesagt wird. Der Mann im Auto aber sagt zum Beispiel, dass der Niedergang der muslimischen Welt mit dem Islam zu tun hat. Er spricht sogar von einem »islamischen Faschismus«. Es gibt auch französische, alge­ rische und marokkanische Muslime, die von einem »islamischen Fa­ schismus« sprechen. Der algerische Schriftsteller Kamel Daoud hat sogar über »die neuen Faschismen mit Versantlitz« geschrieben, wo­ mit er bestimmte Koranverse meint. Für deutsche Linke gibt es aber nur einen Faschismus, den deutschen. Gerade sehen sie ihn erneut aufleben, in Gestalt der AfD, die in den Bundestag gewählt und vom Verfassungsschutz nicht für verfassungsfeindlich erklärt wurde. Die AfD greift den Islam an. Der Muslim im Auto greift gleichfalls den Islam an. Also ist dieser Muslim »rechts«. So lässt die Linke die Rechte bestimmen, was links gesagt werden darf. Im Osten Deutsch­ lands üben radikale Linke Druck auf Gastwirte und Hoteliers aus, damit sie keine Räume für Veranstaltungen mit dem Mann im Auto zur Verfügung stellen. Wer die Bücher dieses Mannes gelesen hat, weiß, dass er ein unerbittlicher Verteidiger der Menschenrechte ist, wie sie 1948 im Pariser Palais de Chaillot verkündet wurden, drei Jahre nach Ende des deutschen Faschismus. Für die Verteidigung dieser Menschen­ rechte riskiert der Muslim im Auto sein Leben. Wer könnte besser 23

als er den Unterschied zwischen Religionskritik und Fremdenfeind­ lichkeit erklären? Das Auto ist inzwischen auf einem Hügel ange­ kommen. Ringsum stille Landschaft. Der Blick geht weit in abend­ liche Einsamkeit. Auf dem Hügel der Gasthof. Der Muslim, der eben ziemlich gelassen durch das Tal im Osten Deutschlands gefah­ ren ist, steigt aus dem Auto, es ist das Auto der Sicherheitskräfte, die ihn auf Schritt und Tritt bewachen. Der Mann ist Hamed Abdel-Samad, der bekannteste Islamkriti­ ker Deutschlands. Voltaire brauchte im katholischen Frankreich des 18. Jahrhunderts keine Leibwächter bei seinem Kampf gegen den katholischen Fanatismus, Hamed Abdel-Samad braucht sie. Jetzt geht er auf den Gasthof zu, der einzige weit und breit, der Räum­ lichkeiten für seinen Vortrag zur Verfügung gestellt hat. Voltaire wusste im Frankreich des intoleranten Katholizismus einige politisch einflussreiche Persönlichkeiten auf seiner Seite. In Preußen hatte er sogar Friedrich den Großen zum Freund. Wo sind im islamtoleranten Deutschland die politisch mächtigen Freunde eines Hamed Abdel-Samad? Nirgends. Warum? Hamed AbdelSamads und Voltaires Plädoyers für die Toleranz gelten dem Kampf gegen Fanatismus und religiösem Aberglauben, nicht deren Duldung. Das verträgt die deutsche Islam-Toleranz nicht. Der große Saal des Gasthofes ist voll besetzt. Applaus brandet auf, als der Muslim das Podium betritt. Die Leute dort wissen, was dieser Mann riskiert. Die Präsenz der Bodyguards um den Rednertisch veranschaulicht es. Rund 150 Personen sind gekommen. Sie wollen den antitotalitä­ ren Humanisten aus der islamischen Welt kennenlernen. Voltaire hatte den Klerus Frankreichs gegen sich, Hamed Abdel-Samad hat die Religionswächter der gesamten islamischen Welt zum Feind. Außerdem die deutsche Linke. Auf sie ist Verlass, wenn eine anti­ westliche totalitäre Denkrichtung Unterstützung sucht. Es sei denn, sie wäre »rechts«. Ein Teil des Publikums sympathisiere mit der AfD, teilte mir der Veranstalter mit. Es fiel den ganzen Abend über kein fremdenfeindliches und kein rassistisches Wort, auch nicht während der einstündigen Diskussion Hamed Abdel-Samads mit den Anwe­ senden. Es ging um den Inhalt seines im Frühjahr 2018 erschienenen 24

Buches: »Integration. Ein Protokoll des Scheiterns«. Für manche Linke dürfte bereits dieser Titel »fremdenfeindlich« sein. Salman Rushdie sagt: »Ein neues Wort ist erfunden worden, um den Blinden zu erlauben, blind zu bleiben: die Islamophobie«. Die Linke hat das Wort »Islamophobie« zu Hauptwaffe gegen jeden kri­ tischen Blick auf den Islam gemacht. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke pfeift auf die Gleichberechtigung von muslimischer Frau und muslimischem Mann. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke diffamiert Zweifel an islamischer Dogmatik als »Dis­ kriminierung von Muslimen«. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke akzeptiert das Verbot von Gewissens- und Religions­ freiheit für Muslime. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke fördert die Verhüllung der Frau als einem Übel, das unter »Kopftuch«, Burka und Niqab beseitigt gehört. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke unterstützt religiöse Penetranz im staatlich neutralen Raum eines säkularen Staates durch Befürwortung des »Kopftuches« für muslimische Lehrerinnen. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke duldet die inhumane Aufteilung der Menschheit in »Gläubige« und »Ungläubige«, die den Dschihadismus legitimiert und Parallelgesellschaften zementiert. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke exkulpiert den Islam vom Terror islamischer Fanatiker, der »nichts mit dem Islam zu tun« habe. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke steht in einer Reihe mit der islamischen Theologie­ polizei bei der Diffamierung der muslimischen Aufklärung. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke überlässt die Homosexuellen in der muslimischen Welt tatenlos ihrem furchtbaren Schicksal. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke zeigt Verständnis für die Standgerichte islamischer Fanatiker, die »Blasphemiker« wegen »Beleidigung des Islam« hin­ richten. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. 25

Die Linke akzeptiert die tödliche Bedrohung europäischer Mei­ nungsfreiheit, da sie mit dem Islam »nichts zu tun hat«. Aus Tole­ ranz gegenüber dem Islam. Die Linke hat »Multikulti« an der Abschottung muslimischer Communities scheitern lassen. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke relativiert muslimischen Judenhass. Aus Toleranz ge­ genüber dem Islam. Die Linke entschuldigt muslimischen Deutschenhass. Aus Tole­ ranz gegenüber dem Islam. Die Linke stellt Religionsfreiheit über Freiheit von Religion. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke nennt Islamkritik »Rassismus«, als ob Religion eine Rasse wäre. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke nennt Verteidiger der universellen Menschenrechte »Aufklärungsfundamentalisten« und stellt sie mörderischen IslamFundamentalisten gleich. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke sieht in der Uniformität muslimischer Parallelgesell­ schaften »bereichernde Vielfalt«. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke verhindert die sexuelle Selbstbestimmung muslimi­ scher Frauen. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke sieht im Verbot der Verheiratung von Musliminnen mit Nichtmuslimen keine Parallele zum Verbot der Heirat zwischen Juden und Nicht-Juden im Dritten Reich. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke bekämpft den Sexismus der westlichen, nicht aber den der islamischen Welt. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke beraubt die muslimische Welt aller Eigenverantwor­ tung für religiöse und politische Rückständigkeit, indem sie diese dem »Westen« anlastet. Aus Toleranz gegenüber dem Islam. Die Linke fordert Deutschland auf, seine Kultur mit muslimi­ schen Zuwanderern neu »auszuhandeln«, verlangt von Muslimen aber nicht, ihre Kultur mit der deutschen neu »auszuhandeln«. Aus Toleranz gegenüber dem Islam.

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Die Linke hat kein Interesse an der Wirklichkeit des Islam und der Muslime, um nicht auf intolerable Fakten zu stoßen. Aus Tole­ ranz gegenüber dem Islam. Die Linke befiehlt: Kein Wort gegen den Islam oder Sie sind »islamophob«! Kein Wort gegen den Islam oder Sie sind ein »Ras­ sist«! Kein Wort gegen den Islam oder Sie sind ein »Reaktionär«! Kein Wort gegen den Islam oder Sie sind ein »Fremdenfeind«! Kein Wort gegen den Islam oder Sie sind ein »Neonazi«! Kein Wort gegen den Islam, oder Sie »liefern Wasser auf die Mühlen der Rechten«! Kein Wort gegen den Islam, oder Sie »reden wie die AfD«! Wen meine ich in diesem Buch, wenn ich von den Linken rede? Damit meine ich alle parteipolitischen Kräfte und politischen Ein­ stellungen, die Heinz Buschkowsky, den ehemaligen Bezirksbürger­ meister von Berlin-Neukölln als »Rassisten« oder »islamophob« be­ schimpften, die Kräfte also, die, so unterschiedlich sie in anderen Fragen denken mögen, in ihrer unkritischen Haltung zum Islam sich einig sind. Buschkowsky war ein echter Linker gegenüber allen Anti-Aufklärungslinken, von denen es in Berlin nur so wimmelt. Warum ist Buschkowsky ein »echter« Linker? Weil echte Linke rück­ ständige Verhältnisse verändern und nicht stabilisieren. Weil echte Linke ihr Weltbild mit der Realität rückkoppeln und nicht gegen unliebsame Tatsachen abdichten. Diese Tatsachen gingen in Ber­ lin-Neukölln von Zuwanderern aus, die zum großen Teil einen mus­ limischen »Migrationshintergrund« hatten. Diese Tatsachen wollten weder SPD noch Grüne noch sonstige Linke wahrhaben. Aus Tole­ ranz gegenüber dem Islam. Buschkowsky hat sie 2012 in seinem Buch »Neukölln ist überall« zusammengetragen. Heinz Buschkowsky ist nicht Hans-Christian Ströbele, ist nicht Claudia Roth, ist nicht Horst Seehofer, ist nicht Alexander Gauland, ist nicht Annalena Baerbock, ist nicht Sahra Wagenknecht, ist nicht Andrea Nahles. Er ist eine Figur, die immer seltener wird in Deutsch­ land. Er ist tatsächlich an den »Migranten«, an den Zuwanderern interessiert, reduziert sie nicht auf ideologische Partikel seiner Weltanschauung. Das ist im hochideologisierten Deutschland von 27

heute, hochideologisiert in den Parlamenten, hochideologisiert in den sozialen Netzwerken, hochideologisiert in den Medien, eine Sel­ tenheit. Buschkowsky hat ein unglaubliches seelisches Reservoir, das mit Ambivalenzen und Widersprüchen fertig wird, ohne auszuras­ ten. Er ist nicht einseitig, er ist in einer Weise vielfältig, wie es all die oben Genannten nicht sind. Er wurde schlecht behandelt. Er ideali­ sierte nicht, er harmonisierte nicht, er relativierte nicht. Damit hatte er schon einmal die ganze heutige Linke gegen sich. Er verkündete nicht Moral, sondern Tatsachen. Verkündete die Tatsachen aber nicht, um damit diese oder jene Gruppe zu stigmatisieren, sondern um die Tatsachen zu verändern, wo nötig. Das ist mühsam, das macht wenig Spaß, das befriedigt keine Ideologen und kein Publi­ kum, das sich nach magischen Lösungen sehnt, die alles so lassen, wie es ist, und gleichzeitig »den Veränderungen unserer Gesellschaft Rechnung tragen«. Wäre Buschkowsky dichterisch begabt gewesen - Mutterwitz hat er reichlich —, wäre er ein neuer Heinrich Heine geworden, der die Widersprüche der frommen Denkungsart poetisch ironisiert hätte. Weil es kaum Heinz Buschkowskys in Deutschland gibt, ist die fromme Denkungsart leider zum Markenzeichen für Deutschland geworden. Sie beherrscht die politischen Lager und die politische At­ mosphäre. Gott sei Dank noch nicht die Wirtschaft, die sich das nicht leisten kann, und dank derer in Deutschland jeden Morgen achtzig Millionen Frühstücke serviert werden. Eigentlich kann sich auch die Politik die fromme Denkungsart nicht leisten, aber es wird noch etwas dauern, bis sie das merkt. Der Journalist Reinhard Mohr hat beschrieben, wie vor einigen Jahren Heinz Buschkowskys Auftritt bei einer Diskussion in der SPD-Zentrale wirkte: »Es schien, als sei ein Teufel mit Namen Heinz in die Wärmestube der SPD gefahren, wo die Welt noch in Ordnung ist und man sich verwundert die Augen reibt, dass es noch andere böse Dinge gibt als die Rente mit 67.« Heinz Buschkowsky wollte »Menschen mit Migrationshinter­ grund« befähigen, als Gleiche unter Gleichen in einem modernen Deutschland zu leben. »Bereicherung« hieß für Buschkowsky, Zu­ wanderer nicht durch eine Toleranz des Laisser faire in die Hartz28

IV-Existenz rutschen zu lassen. Buschkowsky wollte sie zu erfolg­ reichen Mitbürgern machen. Bis April 2015 war er Bürgermeister des Berliner Stadtteils Neukölln mit seinen 320000 Einwohnern. Er begriff das »Multi« von Multikulti tatsächlich als Multi. Deshalb ließ er Zugewanderte nicht im mitgebrachten >Mono< dahinkrebsen. Das machte ihn zum »Fremdenfeind«. Die linken Fremdenfreunde hingegen bringen ihre Kinder auf Schulen, in denen sie vor dem Multikulti so sicher sind wie die Kin­ der arabischer Herrschaftskreise, die ihre Abkömmlinge auf Gymna­ sien und Universitäten Europas und Amerikas schicken. Dort sind sie vor der »Arabisierung« sicher, die diese Kreise ihren Ländern im Namen der »arabisch-islamischen Identität« aufgezwungen haben. Deutsche Multikulti-Ideologen und arabische Potentaten fliehen gleichermaßen ins »Westliche«, wenn es um existenzielle Fragen wie Bildung, Krankenhäuser oder Freiheiten geht, auf die sie nicht ver­ zichten möchten. Beide verurteilen die kulturelle »Hegemonie« die­ ses Westens, dessen »Hegemonie« sie privat nicht missen mögen. »Bled schizo«, »Schizo-Dorf« nennt man diese Schizophrenie in Nordafrika. »Schizo-Linke« könnte man in Deutschland entspre­ chend sagen. Religiöse Heuchelei in Nordafrika, ideologische Heu­ chelei hier. Und jenseits von beiden die unausgesprochenen Wahr­ heiten. Um die ging es doch aber einmal der Linken. Im Nachkriegs­ deutschland. In der 68er-Zeit, in der Zeit danach - doch für den Islam gilt das nicht mehr. Ich bin in der Linken groß geworden. Schon als Vierjähriger wurde ich wegen meiner linken Anti-NaziEltern vom Nazi-Bauern, bei dem wir wohnten, in den Schweine­ koben gesteckt, zur Strafe. Die Magd kam mit einem langen Messer und sagte: »In zehn Minuten wirst du geschlachtet.« Generalstaats­ anwalt Fritz Bauer war ein Freund der Familie. Studieren bei Adorno und Horkheimer das einzige Richtige. Auch dort ging es um die ansonsten unausgesprochenen Wahrheiten. Im Mai ’68 aus Paris ausgewiesen, wegen Verbindungen zur französischen Linken. »Viva Portugal« gedreht, einen Film über die portugiesische »Nelkenrevo­ lution«, die wir, eine Freundin, ein Freund und ich, in ihrem Verlauf 29

von April 1974 bis November 1975 dokumentierten. Auch da ging es um die Wahrheiten, die die Leute in Portugal in vierzig Jahren Dik­ tatur nicht hatten aussprechen dürfen. Der Film galt ihnen, die zum ersten Mal angstfrei sprachen. Und jetzt kommt eine Linke, die einem das kritische Sprechen über den Islam verbieten will? Kein Wunder, dass man sich da eher in einem Heinz Buschkowsky wiederfindet. Natürlich gibt es auch eine Linke, die einem freies Reden über den Islam erlaubt, beispielsweise Gruppen wie die »Aktion 3. Welt Saar«. Sie sind die progressive Linke. Die überwältigende linke Mehrheit besteht derzeit jedoch aus regressiven Linken. Niemand in Deutschland hat sich energischer und ideenreicher für die Bildungschancen der Kinder Zugewanderter eingesetzt als Heinz Buschkowsky. Voraussetzung dafür war, genau hinzuschauen, um herauszufinden, woher deren Defizite kamen. Defizite von »Menschen mit Migrationshintergrund«? Gab und gibt es für linke und grüne Ideologen nicht. Heinz Buschkowsky allerdings fand es ein Defizit muslimischer Zuwanderer, wenn diese meinten, »wir sind bessere Menschen als die ungläubigen Hunde«. »Überfrömmigkeit« gehe »mit Bildungsferne Hand in Hand«. Die starke Hinwendung zur Religion, »zu jeder Religion, sage ich erstmal ganz neutral, und zum Fundamentalismus« sei aber in einer offenen pluralistischen Gesellschaft »natürlich ein Konfliktfeld«. »Dass die Würde des Men­ schen unantastbar ist, egal ob Mann, ob Weib, ob Schniedel dran, ob Schniedel ab, das ist für viele eine unvorstellbare Aussage, und bei uns gehen Jungen wie Mädchen gemeinsam zur Schule. Schwim­ men ist eine ganz natürliche Fortbewegungsform. Der Hausmeister geht auch durch die Sporthalle, wenn Mädchen Sport machen. Und unsere Kinder gehen auf Klassenfahrten. Das sind die Dinge, die ins Schleudern geraten sind. Bestimmte Sportarten finden bei uns im Norden des Bezirks überhaupt nicht mehr statt. Mädchensport fin­ det bei uns so gut wie nicht mehr statt. Das ist eine Folge dieser sich verändernden kulturellen Werte.« Heinz Buschkowsky wandte sich gegen das Gewähren von »Kul­ turrabatten«. Es gebe in Deutschland, meinte er, tatsächlich Dis­ kussionen darüber, warum man so schuftig sein und Einwanderern 30

die zweite, dritte und vierte Ehefrau verweigern sollte. »Man kann nicht verbieten, was Gott erlaubt hat«, wurde ihm von Muslimen entgegengehalten, und von Linken hieß es dazu fast imamhaft: Es gehöre doch zu deren kultureller Identität, mehrere Frauen zu ha­ ben. »Ja sicher«, so Heinz Buschkowsky, man werde nur hinterher ein Heer von Frauen ohne Altersversorgung und viele nichteheliche Kinder ohne Erbanspruch und ohne gesicherten Unterhalts­ anspruch haben. Doch schon im Nachbarbezirk Kreuzberg argu­ mentiere der SPD-Genosse und dortige Bürgermeister gegen Buschkowsky und seine Warnung vor Parallelgesellschaften: Die Deutschen lebten im Kaninchenzüchterverein doch auch in einer Parallelgesellschaft. Buschkowsky: »Also, wer diese Fragen der Gesellschaft auf so eine Weise lächerlich macht, den Kaninchenzüchterverein gleich­ setzt mit dem Abschneiden von Bildungschancen von jungen Men­ schen«, der vergehe sich an der Zukunft dieser Kinder. »Denn da­ rum geht es doch in Wirklichkeit, die Kinder werden ihrer Rechte beraubt, die Mädchen kriegen keine Chancen in diesen Familien der Bildungsferne. Aber es ist meine Aufgabe als Bürgermeister, dafür zu sorgen, dass allen Kindern Chancengleichheit widerfährt, egal ob sie in Dahlem aufwachsen oder in Neukölln. Und deshalb bin ich nicht gewillt, diese Parallelgesellschaften zu akzeptieren und zu sagen, nun lasst sie doch alle [...]«. »Nun lasst sie doch alle...« ist das Toleranz-Motto der Linken: der SPD, der Grünen, der Linkspartei und der »Antifa«. »Nun lasst sie doch alle...«, es sei denn es wären »Rechte«. »Rechts« aber ist es, Muslime als erkenntnisresistent abzuschreiben. Genau dieses »rechts« vertreten die meisten Linken. Erkenntnisbedürftig ist nur die »Mehrheitsgesellschaft«. Muslime mit Aufklärung zu konfrontie­ ren, bedeutet für sie, Muslime zu »stigmatisieren«. Buschkowsky gebe vor, für die »ganz normalen Menschen eine Lanze brechen zu wollen«, schrieb die linke »taz«. Doch: »Es ist der Kleinbürger, den er verteidigt - und selbst repräsentiert«. Was soll das denn? Sind die Migranten alle Großbürger? Diese Anti-Buschkowsky-Linke der SPD, der Grünen, der Linkspartei und der Zivilgesellschaft meine 31

ich, wenn ich von »den Linken« spreche. Sie macht Deutschland zum »bled schizo« ideologischer Heuchelei, die — wie in Nordafrika die religiöse Heuchelei - kein Erbarmen kennt. Dass Neukölln »überall« ist, zeigt sich auch an jenem Stadtteil im Osten von Paris, in dem islamistische Attentäter am 13. November 2015 ein Massaker anrichteten und 130 Personen erschossen. Vor allem zeigt sich auch dort, was grenzenlose linke Islam-Toleranz in solchen Vierteln anrichtet. Darüber berichtet die französische Jour­ nalistin Geraldine Smith, die in diesem Viertel ihre zwei Kinder großzog. Der fundamentalistische Islam nahm seit dem Attentat auf das World Trade Center zu, die Drogenhändler wurden zahlreicher, das ungehörige Verhalten vieler junger Männer wurde Alltag, ebenso die verschleierten Mütter »und die muslimischen Bäcker, die Frauen als letzte bedienen«. Geraldine Smith beschreibt, wie die Atmosphäre im Stadtteil unter dem Gewicht eines immer intoleranter werdenden Islam bedrückend wurde. Dieser Islam wurde von einer Stadtteil-Moschee gefördert. Geraldine Smith, die Linke, offenbart, dass sie all dies nicht wahrneh­ men wollte. In ihrem Buch »Rue Jean-Pierre Timbaud. Une vie de famille entre barbus et bobos« (»Ein Familienleben zwischen Bärtigen und verbürgerlichten Linken mit Bohemien-Attitüde«) von 2016 fragt sie sich, wie sie sich selbst dazu überreden konnte, dass »eine grenzen­ lose Toleranz die beste Art wäre, den Ausländern und ihren französi­ schen Kindern zu helfen, sich zu integrieren«. Diese, ihre grenzenlose Toleranz, verstörte Geraldine Smith im Nachhinein noch mehr als die Verwandlung ihres Stadtteils in Rich­ tung Fundamentalismus. Der Grund für ihre »grenzenlose Toleranz« ist auch der der deutschen Islam-Toleranz: Es gab unter den linksintel­ lektuellen »bobos« eine Grenze, die man auf keinen Fall überschreiten durfte: »Zugeben, dass es ein Problem gab, hieß für uns, bereits einen Schritt auf das Lager der »Konservativen- hin zu machen«. Nicht »rechts« zu sein war für die Linke wichtiger als zu sehen, »was ist«. Dieser Einstellung widmet die französische Journalistin die härtesten Sätze ihrer Bestandsaufnahme.

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Linke Selbstaufgabe: Sigmund Freud, bitte kommen! Weil Heinz Buschkowsky die realitätsblinde Einstellung einer Geral­ dine Smith nicht teilte, wurden die Erfolge seiner Politik in Neukölln nach und nach deutlich sichtbar. Aus der bundesweit als Problem­ schule bekannten Rütli-Schule beispielsweise wurde eine Vorzeige­ schule. Was aber war das Hauptmerkmal des Linken Buschkowsky im Unterschied zur Linken der Blanko-Toleranz? Es war die Autori­ tät. Das Selbstbewusstsein. Der humane Kompass. Das Verantwor­ tungsbewusstsein. Die rotgrünlinke Toleranz aber kriecht vor religi­ ösem Obskurantismus, um bloß nicht autoritär zu wirken, weil sie Autorität mit autoritär verwechselt. Muslimische Jugendliche nann­ ten den Neuköllner Bezirksbürgermeister nicht umsonst »Big Busch­ kowsky«. Sie erkannten Buschkowskys Autorität an; autoritär waren ihre Väter. Die verheerenden Folgen der rotgrünlinken EinschleimToleranz liegen auch Linken vor Augen, was die Integrationspolitik angeht. Diese Verantwortungslosigkeit hat, wie ich meine, keine (aus­ schließlich) politische Wurzel, sie ist vielleicht eher sozialpsycholo­ gisch zu begreifen. Deshalb suche ich den Psychoanalytiker Martin Teising auf. Er ist Präsident der International Psychoanalytic University (IPU) Berlin und war von 2010 bis 2012 Vorsitzender der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung. Autor: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Linke offensicht­ liche Fakten in Bezug auf die gesellschaftlichen Auswirkungen des Islam nicht zur Kenntnis nimmt'! Martin Teising: Für die deutsche Linke könnte ich mir vorstellen, dass es damit zusammenhängt, dass sie aus einer antiautoritären Be­ wegung kommt, und dies im Kontext einer Geschichte, in der wir Autoritarismus hatten und Autoritäten jeglicher Art hinterfragt haben. Was wir dabei völlig vergessen haben, ist, dass Autorität not­ wendig ist. In Freuds »Die Zukunft einer Illusion« wird ja auch ver­ mittelt, dass die Menschen Autoritäten benötigen, um ihr zügelloses Dasein zu sozialisieren, also sozial klarzukommen. Ich glaube, dass die Linke, wenigstens die antiautoritäre Linke, der Teil der Linken, der aus der antiautoritären Bewegung kommt - Spontis und so wei­ 33

ter dass viele von denen dann in einer weiteren Entwicklung ver­ säumt haben anzuerkennen, dass Autorität notwendig ist und dass sie auch benutzt werden muss. Das heißt auch, dass Grenzen gesetzt werden müssen. Und das tun sie sehr ungern. Man ist offen für alles und für Fremdes und für Bereicherung. Dazu muss man ja auch sagen, dass das Aufbrechen von Grenzen zunächst einmal auch eine wahnsinnige Bereicherung für jeden von uns war. Und jetzt zu sagen: Ja aber, es gibt auch Dinge die wir nicht wollen, das, glaube ich, die­ sen Schritt machen viele nicht oder sind viele nicht bereit zu tun. Das hatte doch alles mal so gut angefangen mit »68«. Warum nimmt die Entwicklung diese Irrwege? Es hatte doch auch etwas so Verführerisches und so riesig Gewinn­ bringendes, die Grenzen aufzulösen. Wir hatten diese Enge, diese autoritäre - diese autoritaristische, müsste man sagen - Erziehung usw. Das aufzubrechen, das hat Riesengewinne gebracht. Das hat uns immens bereichert. Aber ein Stück weit Realitäten anzuerken­ nen und dann wirklich auch den Aspekt des Begrenzenden als not­ wendig und als sinnvoll zu erachten, das ist sehr schwierig. Das kennt man bei sich selbst. Das kennt man aber auch bei großen Gruppen, und das erlebt man hier jetzt im Politischen, denke ich. Ist das nicht umso erstaunlicher als gerade die Leute von der antiautori­ tären Bewegung sehen müssten, wie autoritär der Islam ist? Ja, das müssten sie sehen und damit aber selbst als Autorität auftreten. Und das scheut man, meine ich. Entwicklungspsychoanalytisch for­ muliert: Da gibt es das mütterliche Prinzip, das ist das Gebende, das Ja-Sagende, das Nährende, das Offene. Und es gibt das väterliche Prinzip. Das ist das französische »Au nom du pere«. Das ist das Nein, die Grenze. Beides braucht man für Entwicklung und Entwicklungs­ förderung. Aber ich denke, dass viele der deutschen Linken, die aus dieser antiautoritären Bewegung kamen, eben auch aus der Kritik an den Vätern und dann zum Teil auch >Vernichtung< der Väter genau das scheuen: aufzutreten und zu sagen, das wollen wir bitteschön

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nicht. Das gehört nicht zu einer aufgeklärten Welt, was da im Namen des Islam so betrieben wird, von den Islamisten insbesondere. Ich habe den Psychoanalytiker Martin Teising auch als Gesprächs­ partner ausgesucht, weil er zu den Wenigen gehört, die wie einst Alexander Mitscherlich, auch gesellschaftliche Phänomene zum Ge­ genstand der Psychoanalyse machen. Nach wie vor treibt mich die Frage um, wie die Linke, mit der ich groß geworden bin, in Sachen Islam dessen autoritäre und aufklärungsfeindliche Ausrichtung der­ art tolerant hinnehmen kann. Das ist, wie gesagt, rein politisch nicht zu erklären. Im Gegenteil wurde in der arabischen Welt der Islamis­ mus von den Machthabern jeweils mobilisiert, um die dortige Linke auszumerzen. Beispiel Nassers Ägypten, Beispiel das Marokko Hass­ ans II., Beispiel Afghanistan, wo die USA die Gotteskrieger gegen das sowjet-linke Regime einsetzten, das immerhin vielen Frauen Vorteile brachte. Beispiel Algerien, wo die Mobilisierung des politischen Islam das Regime fast selbst um die Macht gebracht hätte. Es kann also kein politisches Interesse der Linken am Islam als einer fortschrittlichen gesellschaftlichen Kraft geben. Es müsste eher ein linkes Interesse daran geben, den »Islam vom Islamismus zu befreien«, wie das die gesamte muslimische Aufklärung unisono fordert. Aber nicht einmal daran zeigt die Linke das geringste Inte­ resse. Politisch also ist die grenzenlose linke Islam-Toleranz nicht zu erklären. Es muss im linken Unbewussten eine Kraft geben, die stärker ist als jede politische Rationalität. Ich will wissen, ob diese Kraft das Schuldgefühl über die deutsche Nazivergangenheit ist. Ich will wis­ sen, ob diese Kraft, die die Rationalität außer Kraft setzt, ob diese Kraft aus der Angst vor »Diskriminierung« anderer gespeist wird. Denn das Schlimmste an der Nazi-Vergangenheit begann mit der Diskriminierung der Juden durch zahlreiche Ausgrenzungen bis hin zur Stigmatisierung durch den »Judenstern«. Ich will wissen, ob der heutige Einsatz der Linken gegen »Ausgrenzung« und »Stigmatisie­ rung« von Muslimen mit der damaligen der Juden zusammenhängt. Unbewusst. Denn vom Moscheenbau über die Islamkonferenz bis 35

hin zur »Willkommenskultur« für Hunderttausende Muslime, die in den letzten Jahren nach Deutschland kamen, kann rational von »Ausgrenzung« und »Stigmatisierung« der Muslime nicht die Rede sein. Ich will wissen, ob das »Nie wieder Diskriminierung!« für die Linke bedeutet: Nie wieder Wertung. Denn jeder Wert schafft einen weiteren Wert, der mehr, aber auch weniger wert sein kann. Diskri­ minierung kommt vom lateinischen »discriminare«, unterscheiden. Unterscheidung wäre dann für die Linke gleichbedeutend mit Dis­ kriminierung. Die linke Blanko-Toleranz würde sich dann aus die­ ser gewollten Wertelosigkeit oder Wertegleichwertigkeit erklären, es sei denn, die Werte kämen von »rechts«, eben aus jener Hölle, in die die Diskriminierung zu Nazi-Zeiten geführt hat. Den Islam von Nicht-Islamischem zu unterscheiden, ihn zu bewerten, hieße für die Linke, wieder das Tor zur Hölle aufmachen. Ich schildere dem Psy­ choanalytiker Martin Teising die These: Islam-Toleranz aus Schuld­ gefühl, deshalb »Nie wieder Diskriminierung«, deshalb keine Islam­ kritik. Geht die linke Islam-Toleranz auf Schuldgefühle wegen der deutschen Vergangenheit zurück? Ich glaube, es spielt auch sicher die Hemmung eine Rolle, etwas Fremdes ja nicht wieder angreifen zu wollen. Das haben Sie in Ihrer These... Sie meinen die These von der Angst vor dem Werten, vor dem Unter­ scheiden? Wir haben die bittere Erfahrung, dass dieses Werten mit Vernichten verbunden wird, und die Angst davor, dass unsere Bewertung ver­ nichtende Qualität haben kann. Das haben wir, glaube ich, nicht überwunden. Wir müssten im Gegenteil sagen, diese Qualität hat es gerade nicht, wenn man es rational sieht. Aber in uns steckt, glaube ich, eine tief sitzende Furcht, das »Nein« könnte nicht fördernd, sondern zerstörend sein, vernichtend. Und das wollen wir nun auf keinen Fall, nachdem wir die halbe Welt vernichtet haben sozusa­ gen. Da spielen heftige Schuldgefühle eine Rolle. 36

Aber was würden Sie denn als Psychoanalytiker einem Linken sagen, der erklärt: Ich kann nicht mehr diskriminieren, im Sinn von »discriminare«, unterscheiden. Ich habe eben diese Angst, dass das zu Vernichtung führt. Wir haben damit Schreckliches angerichtet. Alles, was andere machen, ist weniger schlimm als das, was wir gemacht haben. Schon aus dem Grund lassen wir so ziemlich alles andere durchgehen. Was würden Sie dem sagen? Ich würde dem sagen, so lange du dadurch so gehemmt bist — das kann ich einerseits gut nachvollziehen —, so lange stecken wir noch mitten drin und sind keinen entscheidenden Schritt weiter. Der nächste Schritt müsste sein, die Hemmung zu überwinden und tat­ sächlich wieder klar denkend zu sagen, dies und das wollen wir nicht, weil wir neues Unglück verhindern wollen. Wir müssen uns befreien von diesem Schuldgefühl. Da wird etwas verwechselt. Die reale Schuld, die es historisch gegeben hat, wird, glaube ich, zu einem Schuldgefühl, das einen selber hemmt. Man muss sich klar­ machen, dass das irrational ist. Dass man, wenn man seinen Ver­ stand gebraucht, auch zu einer freien Verurteilung kommen muss. Und verurteilen ist auch wieder nicht gleich Vernichtung. Das heißt, die Linke hat den Verstand verloren durch Schuldgefühle, in dieser Hinsicht? Oder noch nicht klar wiedergewonnen. Die Linke ist daraus ja zum Teil entstanden, das muss man auch sagen, aus der Auseinanderset­ zung mit diesen Schuldgefühlen, aber sie ist irgendwie darin stecken geblieben im Durcharbeiten, glaube ich. Ist das unbewusst, dieses Schuldgefühl, das alles steuert? Oder wie be­ wusst ist das? Ich glaube nicht, dass es bewusst ist. Natürlich sprechen wir jetzt immer ganz generell. Das ist bei den Individuen hoch unterschied­ lich, natürlich. Das ist klar. Aber ich denke, es ist ein depressives Steckenbleiben in einer Trauer, die nicht fertig ist.

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Wird diese Trauer jetzt nicht zusätzlich dadurch verhindert, wenn we­ gen des Steckenbleibens in ihr Islamkritik unterbleibt und die extreme Rechte dadurch immer stärker wird? Dann kann dieser Prozess erst recht nicht gelingen. Droht sich dann nicht auf der linken Seite zu verfestigen, was sich eigentlich lockern müsste, dieser Schuldkomplex? Wird nicht dadurch, dass die Kritik am Islam oder am Verhalten von manchen Migranten ausfällt, die Rechte noch mehr Anhänger finden, sodass zwei unheilvolle Entwicklungen sich gegenseitig verstärken? Ich würde sogar mal überlegen, ob man nicht sagen kann, die Linke ist mitverantwortlich für das Erstarken der Rechten aus diesen Gründen heraus. Weil sie scheinbar menschenfreundlich grenzenlos ist. Das ist nicht menschenfreundlich, die grenzenlose Akzeptanz des Fremden, alles Fremden. Es gibt gutes und es gibt schlechtes Fremdes, zerstörerisches, menschenverachtendes, dem gehört eigent­ lich Einhalt geboten. Kein Land sonst in Mitteleuropa hat innerhalb von ein paar Monaten über eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Müsste sich da nicht der schuldbewussteste Linke sagen, hoppla, an meiner Sicht stimmt etwas nicht? Die Leute haben doch den Fremden sehr geholfen! Sicher gab es die Angriffe auf Flüchtlingsheime, aber die Hilfe der Bevölkerung und die Hilfsbereitschaft des Staates waren doch das bestimmende Element... Ja, und das war ja eine enorme Wahrnehmung dessen, was schon möglich ist an, sagen wir mal, Reife in diesem Land. Ein Teil der Linken sieht aber den Faschismus in Deutschland latent auf Lauer, sieht überall »Nazis«. Wie kommt das? Es kommt noch etwas dazu, was der Linken auch vielleicht schwer­ fällt zu sehen: dass Offenheit gegenüber Fremden nicht mehr das Privileg der Linken ist, sondern dass es eine schon recht breite Bevöl­ kerungsschicht gibt, die hilfsbereit, aufnahmebereit, humanitär auf­ geklärt handelt. Das, glaube ich, spielt auch eine Rolle dabei.

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Aber wieso ist diese Bevölkerung schon wieder faschismusverdächtig, wenn sie von »Heimat« spricht, die trotz aller Zuwanderung »Heimat« bleiben soll? Ich habe in einem interessanten Artikel - ich sage Ihnen nachher erst den Autor - gelesen, dass die Globalisierung viele unserer Struk­ turen zerstört und kaputt gemacht und den Menschen ihre gewohn­ ten Möglichkeiten auch von Solidarität genommen hat. Der Artikel zitiert dann viele Linke, und der Autor ist Horst Seehofer. Mit fast wörtlich diesen Begriffen: Der globalisierte Kapitalismus zerstört unsere sozialen Lebensgrundlagen, schreibt er. Dann nimmt das natürlich eine Wendung, dann kommt sein Heimatbegriff. Den braucht es. Aber im Grunde gebraucht der Artikel linke Begriffe. Das wiederum festzustellen, verschlägt einem fast den Atem. Weil man mit dem nie etwas zu tun haben wollte. Das könnte ein Anlass für die Linke sein, nachzudenken. Glauben Sie, dass das passiert, so lange der Mann Seehofer heißt? Ist das Verrückte an der Linken nicht, dass sie nicht fragt, was sagt ein Ge­ danke, sondern zuallererst, wer sagt den Gedanken? Dass sie nicht fragt, welcher Sache gibt der Gedanke recht, sondern wer gibt dem Gedanken recht? Aha, Rechte geben dem Gedanken recht, dann ist der Gedanke für uns erledigt. Ist das nicht irgendwie borniert? Das ist ein primitiver Spaltungsmechanismus. So nennt man das psychoanalytisch. Und das haben wir in der Linken natürlich auch. Wir haben es anfangs auch nötig gehabt, glaube ich. Aber viele ha­ ben diesen Mechanismus nicht überwunden. Würde man ihn über­ winden, wäre das auch eine Überwindung der Spaltung in gut gleich links und schlecht gleich rechts. Stattdessen müsste man sehen, wo­ rum geht’s da, um welche Inhalte, und was sind eigentlich unsere Werte? Und: Sind die linken Werte denn eigentlich so einzigartig? Wenn man Menschenrechte nimmt, dann können auch die Linken sie nicht gepachtet haben. »Worum geht es da?«, müsste Thema sein, so der Psychoanalytiker Martin Teising. Worum geht es mit dem »Worum geht es da?« bei 39

der Linken, der es nicht um das »Worum geht es da?« geht, sondern vorrangig »Um wen geht es da?«. Wenn ein Seehofer von »Heimat« spricht, fragt die Linke nicht »Worum geht es da?«. Wenn ein Flüchtling über »Heimat« spricht, hört sie zu. Das heißt, die Linke reagiert nicht reflexionsartig, sondern reflexartig. Für Flüchtlinge ist der Begriff »Heimat« genehmigt, für Deutsche nicht, und schon gar nicht für Deutsche wie Horst Seehofer. Man wirft ihm Nähe zum »Blut und Boden«- Heimatbegriff der Nazis vor. Aber bleiben jene Linken, die vor allem das fremde Blut willkommen heißen, weil es fremd und nicht deutsch ist, und die das deutsche Blut verteufeln, weil es deutsch ist, nicht selbst diesen primitiven Nazi-Kategorien verhaftet, indem sie sie umkehren, anstatt sie zu überwinden? Der obsessive Rechts-Reflex der Linken hat die einst starke linke Refle­ xionsfähigkeit inzwischen fast völlig ruiniert. In dieser Hinsicht ähnelt die deutsche Linke jenen Muslimen, die auch nicht fragen, »worum geht es da?«, sondern reflexartig einteilen nach »islamisch unislamisch«. Dem obsessiven islamischen Denken in den Katego­ rien »halal« (erlaubt) — »haram« (verboten) entspricht das obsessive Denken der Linken in den Kategorien »Rechts« (verboten) — »NichtRechts« (erlaubt). Es ist ein gedankenfeindliches »Denken«, das den linken Diskurs beherrscht. Es offenbart sich auch im Gerede über die »bunte Repu­ blik«. In der bunten Republik muss man sich keine Gedanken mehr machen. Alles ist bunt. Das »Kopftuch« wie das Nicht-»Kopftuch«, der Glauben wie der Nicht-Glauben, das Islamische wie das Nicht-Is­ lamische, das Patriarchalische wie das Emanzipierte, der Zwang zur Religion wie die Freiheit von Religion, alles ist »Bereicherung«. »Bunte Republik« ist Ausdruck eines absoluten Kulturrelativismus. Alles ist bunt, alles ist gleich. »Vielfalt ist Freiheit« verkünden Pla­ kate am U-Bahnhof Berlin-Alexanderplatz. Vielfalt ist aber nur mit einer Vielfalt möglich, die Vielfalt akzeptiert. Der Islam sieht sich nicht als Teil einer Vielfalt, sondern der Vielfalt der »Ungläubigen« überlegen. Spricht man von »Gläubigen« und »Ungläubigen« hier­ zulande im Zusammenhang mit dem Islam, erntet man oft ein Lä­ cheln nach dem Motto »Nun lasst sie doch alle...«. Hierzulande 40

klingen die Worte »gläubig« und »ungläubig« wie gleichberechtigte Teile der »Vielfalt« einer pluralistischen Gesellschaft. Das wird an­ ders, wenn man sich die entsprechenden Koranverse vor Augen führt. Das wird vor allem in den Augen derjenigen anders, deren Gläubigkeit an den Glauben eine viel größere, stärkere, ungebroche­ nere ist, als die der meisten nichtmuslimischen Bewohner dieses Landes. Uber die »Ungläubigen« ist im Koran zu lesen: »In ihrem Herzen haben sie eine Krankheit, und Gott hat sie noch kranker werden lassen. Für ihre Lügenhaftigkeit haben sie eine schmerzhafte Strafe zu erwarten« (2:10). »Bei den Ungläubigen ist es, wie wenn man Vieh anschreit, das nur Zu- und Anruf hört. Taub sind sie, stumm und blind. Und sie haben keinen Verstand« (2:171). »Der Versuch, Gläubige zum Abfall vom Islam zu verführen, ist schlimmer als Töten« (2:217). »Und kämpft gegen sie, bis niemand mehr versucht, Gläubige zum Abfall vom Islam zu verführen und nur noch Gott verehrt wird« (2:193). »Euch ist vorgeschrieben, gegen die Ungläubigen zu kämpfen, obwohl es euch zuwider ist. Aber vielleicht ist euch etwas zuwider, obwohl es gut für euch ist, und vielleicht liebt ihr etwas, während es schlecht für euch ist« (2:216). »Sag zu denen, die ungläubig sind: Ihr werdet besiegt und zur Hölle versammelt werden - ein schlimmes Lager!« (3:12). »Gott ist der Freund derer, die gläubig sind. Er bringt sie aus der Finsternis hinaus ins Licht. Die Ungläubigen aber haben die Götzen zu Freunden. Die bringen sie aus dem Licht hinaus in die Finsternis. Die Ungläubigen werden Insassen des Höllenfeuers sein und ewig darin verweilen« (2:257). »Die Gläubigen sollen sich nicht die Ungläubigen anstatt die Gläubigen zu Freunden nehmen. Wer das tut, hat keine Gemein­ schaft mehr mit Gott« (3:28). »Wenn sich aber einer eine andere Religion als den Islam wünscht, wird es nicht als Ersatz für den wahren Glauben von ihm angenom­ 41

men werden. Und im Jenseits gehört er zu denen, die den Schaden haben« (3:85). »Diejenigen, die ungläubig geworden sind und in diesem Zu­ stand sterben — nicht die ganze Erde voll Gold würde von einem von ihnen als Lösegeld angenommen [...]« (3:91). »Ihr Gläubigen! Ihr musst Gott wahrhaftig fürchten und dürft nicht sterben, ohne ihm ergeben zu sein« (3:102). »Ihr Gläubigen seid die beste Gemeinschaft, die unter den Men­ schen entstanden ist. Ihr gebietet, was recht ist, verbietet, was ver­ werflich ist, und glaubt an Gott« ( 3:110). »Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht Leute zu Vertrauten, die außerhalb eurer Gemeinschaft stehen. Sie werden nicht müde, Ver­ wirrung unter euch anzurichten, und möchten gern, dass ihr in Bedrängnis kommt. Aus ihren Äußerungen ist schon genug Hass kundgeworden. Aber was sie an Hass und Bosheit in ihrem Innern hegen, ist noch schlimmer« (3:118). »Und nehmt euch vor dem Höllenfeuer in acht, das für die Un­ gläubigen bereitsteht« (3:131). »Und du darfst nicht meinen, dass diejenigen, die um Gottes willen getötet worden sind, tot sind. Nein, sie sind lebendig im Jen­ seits, und ihnen wird bei ihrem Herrn himmlische Speise beschert« (3:169). »Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht die Ungläubigen anstatt der Gläubigen zu Freunden! Wollt ihr denn, indem ihr das tut, Gott offenkundige Vollmacht geben, gegen euch vorzugehen?« (4:144). »Ungläubig sind diejenigen, die sagen: Gott ist Christus, der Sohn der Maria« (5:17). »Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht die Juden und die Christen zu Freunden! Sie sind untereinander Freunde, aber nicht mit euch. Wenn einer von euch sich ihnen anschließt, gehört er zu ihnen und nicht mehr zur Gemeinschaft der Gläubigen« (5:51). »Ihr Gläubigen, nehmt euch nicht diejenigen, die mit eurer Reli­ gion ihren Spott und ihr Spiel treiben - Leute aus dem Kreis derer, die schon vor euch die Schrift erhalten haben — und auch nicht die Ungläubigen zu Freunden!« (5:57). 42

»Ich werde denjenigen, die ungläubig sind, Schrecken einjagen. Haut ihnen mit dem Schwert auf den Nacken und schlagt zu auf jeden Finger von ihnen« (8:12). So geht es weiter im Koran. Und das wird uns als der »friedliche, tolerante Islam« verkauft. Und die Linken machen dabei mit! Wie soll auf der Grundlage solcher Verse Integration gelingen? Natürlich verhalten sich viele Muslime nicht diesen Koranversen entspre­ chend. Das gebietet ihnen schon der Pragmatismus. Aber darf man nicht die Frage stellen, wieviel an innerem Vorbehalt trotz allen pragmatischen Verhaltens der »ungläubigen« Umgebung gegenüber dennoch bleiben könnte? Denn eine »theologische Stütze« für den »friedlichen, toleranten« Islam gibt es nicht, wie es der ehemalige Groß-Mufti von Marseille, Soheib Bencheikh, hervorgehoben hat. Ist es da ein Wunder, wenn der »unfriedliche« religiöse Boden, auf dem der Muslim steht, durch Misserfolge, angebliche Ungerechtig­ keiten des Westens gegenüber der islamischen Welt, leicht ent­ flammbar ist? Schließlich ist der Koran nicht durch Sedimente der Aufklärung und des Humanismus in seiner Brisanz gemildert wor­ den. Bis heute gilt er als das direkte Wort Gottes. Und man komme uns nicht mit der »Historisierung«, mit der Einbettung in die histo­ rischen Umstände! Sie wird bis heute von den islamischen Autori­ täten abgelehnt. Also stehen die gläubigen Muslime dem heiligen Text unvermittelt gegenüber. Alles dies soll man um der linken Islam-Toleranz willen nicht diskutieren dürfen? Wohin soll das führen? Wie vertragen sich diese Verse mit der »Vielfalt«? Für Linke sicher wieder eine »islamophobe« oder gar »rassistische« Frage. Sigmund Freud, bitte kommen! Für Linke aber ist eine Vielfalt-Farbe so gut wie die andere. Eine Grundfarbe dieses Landes, dieses Kontinents Westeuropa, gibt es nicht mehr. Es ist ein bunter Tupfer unter anderen bunten Tupfern, Teil einer bunten Mischung ohne eigene Grundfärbung. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich habe einen Teil meiner Jugend im Nachkriegs-Frankfurt verbracht, in dem 40000 amerikanische Sol­ daten, darunter auch viele schwarzamerikanische lebten. Ich habe 43

im amerikanischen PX-Store gearbeitet, überließ schwarzamerikani­ schen Freunden meine Studentenmansarde, wenn sie nicht wussten, wohin mit ihrer Freundin. Es gab die amerikanische Musik, die amerikanischen Clubs. Aber es stand alles in einem Zusammenhang. Die Freude über die amerikanische Kultur im Nachkriegs-Frankfurt stand im Zusammenhang mit der Freude über das Verschwinden der Post-Nazi-Kultur, die beispielsweise einem Fritz Bauer noch das Leben zur Hölle machte. Das heißt: Bei der Mischung von Kulturen muss ein innerer Zusammenhang diese Mischung sinnvoll machen. Dieser Frage gehen die Multikulti-Ideologen aus dem Weg. Auch jede Kultur besteht einzeln für sich aus inneren Zusammenhängen, und erst diese Zusammenhänge machen ihre Einzigartigkeit, das Be­ sondere an ihr aus. Man denke an die französische und die deutsche, die spanische und die englische Kultur. Sie sind alle westeuropäisch, haben aber jeweils einen anderen inneren Zusammenhang der Ideen und Empfindungen. Kultur auf äußere Dinge zu reduzieren wie Linke es tun, wenn sie von bayerischen Weißwürsten oder Leder­ hosen reden, um die Seehofer-Kultur lächerlich zu machen, geht am Wesen des Begriffes Kultur vorbei. Für Kultur - und Kultur ist »Heimat« - gilt, was Antoine de Saint-Exupery über Zivilisation schrieb, am Vorabend seines Todes in einem Luftgefecht mit den Nazis: »Es ist mir egal, im Krieg getö­ tet zu werden. Was wird bleiben, von dem, was ich geliebt habe? Genau so wie von den Lebewesen spreche ich von den Gewohnhei­ ten, den unersetzlichen Intonationen, von einem bestimmten geisti­ gen Licht. Vom Essen mittags auf dem Hof in der Provence unter den Olivenbäumen, aber auch von Händel [...]. Worauf es an­ kommt, ist eine bestimmte Anordnung der Dinge. Die Zivilisation ist ein unsichtbares Gut, denn sie bezieht sich nicht auf die Dinge, sondern auf die unsichtbaren Bande, die sie eines mit dem anderen verknüpfen, so und nicht anders.« »So und nicht anders« - , und dann haut plötzlich das »Kopf­ tuch« in dieses Gewebe »unsichtbarer Bande«, das auch die Gleich­ berechtigung von Mann und Frau tragen hilft. Die Frauenverhül­ lung, das Ausblenden von Weiblichkeit, trübt das »geistige Licht«, 44

das die Emanzipation ins Land gebracht hat. Über das, was der An­ blick des »Kopftuchs« für die »unsichtbaren Bande« in uns bedeutet, sollen wir nicht reden dürfen, als wären wir dann Fremdenfeinde. Man ist aber kein Fremdenfeind, wenn man etwas fremd oder be­ fremdlich findet. Nicht einmal solch einfache Nuancierungen lässt der linke Diskurs mehr zu. Man redet hierzulande über das »Kopf­ tuch« nur juristisch. Es wird debattiert, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, mit der gesetzlich geregelten Gleichberechtigung von Mann und Frau. Es wird gestritten, ob die grundgesetzlich garan­ tierte Religionsfreiheit das islamische »Kopftuch« nicht auch auf dem Kopf der muslimischen Lehrerin im Klassenraum eines nichtmusli­ mischen Landes erlaubt. Nie aber diskutiert man darüber, was es in jenen Bürgern antastet, die sich ein »So und nicht anders« wünschen, eine »bestimmte Zuordnung der Dinge« durch die »unsichtbaren Bande« der Kultur zwischen Flensburg und Friedrichshafen. Das »Kopftuch« signalisiert: Von diesen Banden will ich nichts wissen. Linkspartei, Grüne und Sozialdemokraten hofieren das islami­ sche »So und nicht anders« »kultursensibel«. Im Hinblick auf das heimische »So und nicht anders« aber belassen sie es beim platten Hinweis, dieses sei ja »durch das Grundgesetz geschützt«. Mehr »Kultursensibilität« ist für die »unsichtbaren Bande« der inzwischen »schon länger hier Lebenden«, der »Bio«-Deutschen, nicht drin. Diese einseitige Toleranz ist gefährlich. Sie droht die Toleranz-Sensi­ bilität der »schon länger hier Lebenden« zu verringern. Das zuneh­ mende religiöse Getöse wird als zudringlich empfunden. Die Zeiten, in denen die katholische Kirche im Land als Obrigkeit auftrat, sind gerade einmal fünfzig Jahre vorbei. Jetzt versucht es der Islam mit gottgefälliger Zurechtweisung, und schon jubelt es aus den Reihen der Grünen: »Das Land wird religiöser werden!«

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Die Linke islamisiert Deutschland mehr als der Islam

Die linke Blanko-Toleranz ist asozial Manchmal beschleicht einen sogar ein schlimmer Verdacht, den man normalerweise gar nicht aussprechen würde. Aber die Linke zwingt einen dazu. Ihr Verhalten in existenziell wichtigen Fragen der Nation ist derart abschreckend für viele Bürger, dass es bekanntlich einen Teil nach rechts treibt. Es kommt einem die Frage in den Sinn, ob eine solche Rechtsdrift nicht unbewusst gewollt ist? Damit es wieder eine echte starke Rechte gibt und folglich ein Abgrenzungs-Muss wie in der 68er-Nachkriegszeit. Die Linke könnte so bei ihrer hergebrach­ ten Selbstdefinition bleiben und bei ihrem alten Schuldgefühl, das wieder aktuell legitimiert wäre. Es bräuchte kein neues Links-Be­ wusstsein für die Gegenwart. Die Linke müsste sich nicht fragen, was Linkssein heute bedeutet, in einer Gesellschaft, die nicht mehr reak­ tionär ist wie zu 68er-Zeiten. Bisher gibt es kein linkes Bewusstsein für die Gegenwart. Alle großen Begriffe der Linken wie Toleranz, Nicht-Diskriminierung, Multikulturalität, Antirassismus beziehen sich auf die gesellschaftliche Bewusstseinslage von ’68, liegen aber heutzutage überall daneben, weil die Bewusstseinslage der Gesell­ schaft die Realitäten im progressiven Sinn verändert. Deshalb erzeu­ gen die grandiosen linken Ideen von vor fünfzig Jahren heutzutage eher asoziale Resultate. Die linke Islam-Toleranz verschafft dem obs­ kurantistischen Islam mehr Wirkungsmacht als es die Islamverbände allein nur auf sich gestellt in einem progressiven linken Umfeld ver­ möchten. Sie bestärkt die Verbände dabei, jede Kritik am Islam und am Verhalten bestimmter Muslime als »Rassismus« zu desavouieren. 47

So hat sich ein Fundamentalismus light in Form aggressiver Über­ heblichkeit muslimischer Schüler längst auf den deutschen Schul­ höfen ausgebreitet. Dieses Mobbing hat trotz allen Nicht-sehen-Wollens, Abwiegelns und Verschweigens der Schulleitungen inzwischen ein solches Ausmaß erreicht, dass es mehr und mehr an die Öffent­ lichkeit dringt. Deutsche Schüler werden wegen ihrer nichtmuslimi­ schen Essgewohnheiten als »Schweinedeutscher«, als »Schweinechrist« bezeichnet und ab und zu krankenhausreif geschlagen. Als Nichtmus­ lime, Nichtangehörige der »einzig wahren Religion«, sind sie in den Augen bestimmter muslimischer Schüler minderwertig. »Du deut­ sche Kartoffel«, heißt es. Dieses Verhalten geht auf die den Koran obsessiv durchziehende Aufspaltung der Menschen in »Gläubige« und »Ungläubige« zurück, die von der Linken seit zwanzig Jahren toleriert und nie öffentlich thematisiert wird. Gut sind die »Gläubigen«, schlecht sind die »Ungläubigen«. Das ist für Muslime kein durch zwei Jahrhunderte Aufklärung abgemilderter Glaubenssatz, sondern die brandaktuelle Wahrheit eines virulent gegenwärtigen Islam. Meldungen über dieses »Mobbing im Namen Allahs« sind mitt­ lerweile an der Tagesordnung. Jahrelang wurde es von den Schulver­ antwortlichen als jeweiliger »Einzelfall« verharmlost, während paral­ lel dazu muslimische Lehrerinnen unablässig vor die Gerichte ziehen, um mit dem muslimischen »Kopftuch« vor Schülerinnen und Schü­ ler treten zu können. Sie wollen eine Religion ins Klassenzimmer tragen, in deren Namen auf dem Schulhof Gewalt ausgeübt wird. Folge einer seit Jahren propagierten Toleranzpolitik gegenüber dem Islam, den diese Toleranz indes nicht an weiterer Radikalisierung ge­ hindert hat. Die Zunahme von Salafisten und »Gefährdern« ist Tat­ sache. Das linke Toleranzdiktat hat viele Lehrerinnen und Lehrer veranlasst, die Augen vor religiös motivierten Unverschämtheiten muslimischer Schüler zu verschließen, aus Angst, als »islamophob« und »fremdenfeindlich« an den Pranger gestellt zu werden. Das gilt vor allem in Städten wie Berlin, wo die linke Deutungshoheit über alles Islamgeschehen besonders stark ist. Man wollte und will nicht sehen, dass hinter den muslimischen Übergriffen auf nichtmuslimi­ sche Mitschüler etwas anderes steckt als das unflätige Benehmen 48

schlecht erzogener Buben. Man wollte und will nicht wahrhaben, dass hier aus einem religiösen Bewusstsein heraus gehandelt wird. Man wollte und will nicht erkennen, wie sehr dieses religiöse Be­ wusstsein jeder multikulturellen Toleranz dem Kampf ansagt. Doch hat die Bewusstseinsbildung junger Muslime die Linke noch nie interessiert. Den Muslim als Subjekt hatte sie noch nie auf dem Radar. Er ist, wie gesagt, ideologisches Objekt. Eine Projekti­ onsfläche linker Ideologie ist auch der Islam insgesamt, den genauer zu betrachten die Linke für überflüssig hält, hat er doch mit dem, was seit zwanzig Jahren in seinem Namen geschieht »nichts zu tun«. Die internationalen Geheimdienste und die muslimischen Aufklärer wis­ sen es besser. Genauso wie die Linke mit Muslimen und Islam um­ geht, geht der Islam mit dem Westen und den »Ungläubigen« um, nur umgekehrt. Die Linke projiziert nur Gutes in den Islam, der Islam projiziert nur Schlechtes in den Westen. Kann das gut gehen? Ich besuche die Frankfurter Lehrerin und Diplom-Pädagogin Ing­ rid Freimuth. Sie unterrichtete bis 1976 an einer integrierten Gesamt­ schule im Raum Frankfurt und war Ausbilderin von Referendaren in der zweiten Phase der Lehrerausbildung, Sekundarstufe I. Danach arbeitete sie an verschiedenen Haupt- und Realschulen in Frankfurt am Main, wo sie auch in der Lehrerfortbildung tätig war. »Was ich mir von der Seele reden wollte, durfte ich >so< nicht sagen«, schreibt Ingrid Freimuth in ihrem 2018 erschienenen Buch »Lehrer über dem Limit«. Von der Seele reden wollte sie sich die belastenden Erlebnisse mit Schülern ausländischer Herkunft. Insbesondere in ihrer politi­ schen Heimat — »das waren einmal die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Grüne und SPD« - ging das überhaupt nicht: »Wenn du Einwanderer nicht bedingungslos gutheißt, bist du ein Ausländer hassender Rassist«, schreibt sie in ihrem Buch. »Weder Be­ drohungen noch Beleidigungen von Lehrern, noch tätliche Angriffe auf sie rechtfertigten für unseren Hausjuristen Schulverweise.« Autor: Frau Freimuth, wie erklären Sie sich, dass die Nachfahren der 68er, die Feministinnen, die Linken, Grünen, die früher einmal selbst Religi­ onskritik geübt haben, alle Kritik aufgeben, sobald das Wort »Islam« fallt? 49

Ingrid Freimuth: Ich halte das für eine verfehlte Form von Gast­ freundschaft vielleicht. Man denkt an »Respekt« im deutschen, euro­ päischen Sinn. Man will respektieren, dass andere irgendwelche Bräuche haben, die sie für ihr Wohlbefinden nötig haben. Aufge­ klärte Muslime selber beklagen das ja und sagen, dass sie wie Zoo­ tiere behandelt werden. Sie sind nicht gleichberechtigt, indem sie so geschont werden. Wie waren denn Ihre Erfahrungen? Haben Sie bei den Problemen, die Sie im Buch beschreiben, von linker Seite Hilfe erfahren? Mit links meine ich jetzt SPD, Grüne und die Linkspartei. Nein, ich habe nur ziemlich viel Ablehnung und bitterböse Kritik erfahren. Mit welchen Argumenten? Nicht mit Argumenten, sondern indem ich ausgebremst worden bin. Es sind ja emotional sehr aufwühlende Erlebnisse, die man mit diesen emotionsgesteuerten Jugendlichen hat, die wie Vulkane aus­ brechen, die explodieren mit ihren Emotionen. Davon möchte man Leuten, denen man sich nahe fühlt, erzählen. Das gehörte früher zur Freundschaft dazu. Nun habe ich über die Jahre erlebt, dass einfach nicht sein sollte, was ich erlebt habe. Das durfte nicht sein, weil es nicht in das Weltbild gepasst hat. Wie haben Sie sich das erklärt? Haben Sie sich gesagt, gut, die Leute sind nicht in einer Schule tätig, die erleben das nicht, deshalb können sie es nicht begreifen, oder wie haben Sie diese Ablehnung verarbeitet? Ich habe mir gesagt, die wollen ihr Weltbild unangetastet lassen, sodass sie alles abwehren, was eben nicht dazu passt. Sonst müssten sie umdenken. Aber eigentlich sind das doch Leute, die permanent das Wort »weltoffen«, »offene Gesellschaft« im Mund fuhren. Das impliziert, offen zu sein für andere Gedanken. Wie erklären Sie sich das gegenteilige Verhalten?

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Das ist natürlich seit den 68er-Jahren im Grunde keine Offenheit gewesen, sondern es ist eine sehr militärisch stramme Art und Weise, mit Worten zu kämpfen. So hat sich das Linke in Deutschland ja etabliert. Diese Kampfbereitschaft ist wahrscheinlich ungestört er­ halten geblieben. Abe r es ist doch jetzt eine andere Generation am Ruder. Bei den Grünen zum Beispiel der Robert Habeck und die Annalena Baerbock. Auch in der SPD sind Jüngere mit dran. Die könnten doch sagen, wir lockern mal die ideologischen Fesseln... Also in meiner Wahrnehmung ist das nicht so. Es sind jetzt Jüngere dazu gekommen, aber die Älteren sind doch auch noch da und ge­ ben furchtbar den Ton an. Da ist ein Kampfgeist, der was Zerstöre­ risches hat, und das macht mir Angst. Die Linke spricht dauernd vom »Kampf gegen Rechts«. Aber sie nimmt den Islam davon aus, obwohl dessen Vorstellungen, gesellschaftspolitisch gesehen, rechts einzustufen sind. Wie ist das zu erklären? Also mit Intelligenz ist es nicht zu erklären. Ich rätsele da selber. In Deutschland sitzt ja nicht irgendwo ein Tyrann und sagt: Ihr müsst jetzt den Islam gutheißen, sondern das läuft wie von selbst. Warum? Diesen Tyrannen ersetzen die Linken. Die sind in den Medien sehr präsent. Als Deutschlehrerin würde ich meinen Schülern beibrin­ gen: Die Aufgabe der Medien ist es zu berichten, was in der Politik läuft, aber die Medien verhalten sich in meiner Wahrnehmung, als ob sie mitregieren wollen und mischen sich überall ein. Es ist ein bisschen so, als wäre die DDR übergeschwappt. Und was versprechen Sie sich jetzt von Ihrem Buch? Was soll es be­ wirken? Eine spannende Diskussion. Dass man mal über die Dinge redet. Uber die Probleme. Man kann die Probleme nicht lösen, die man nicht sieht. Die man nicht sehen will. Man muss hingucken.

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Ingrid Freimuth beschreibt das Resultat antiautoritären, links-toleranten Umgangs mit autoritär erzogenen jungen Männern. Nicht nur sind sie in autoritären muslimischen Elternhäusern aufgewach­ sen, sie werden von ihrem Glauben überdies in ihrem Verhalten Nichtmuslimen gegenüber bekräftigt. Diese Schüler merken schnell, dass ihre nichtmuslimischen Lehrer sich nicht als Autorität begrei­ fen. Frauen nehmen viele dieser Heranwachsenden ohnehin nicht ernst. Männer ohne Autorität aber verachten sie noch mehr als Frauen. Männer ohne Autorität sind »Weicheier«. Nachdem die deutsche Schule in Algier wegen des Terrors der Untergrundislamisten geschlossen worden war, lebten meine Frau und mein achtjähriger Sohn in Marokko. Dort hatten sie einen jun­ gen Wächter namens Hammou, der gleichzeitig als Gärtner tätig war und dem wir das dreifache Gehalt zahlten, das üblicherweise von Ausländern bezahlt wurde. Unser Motto war: »Wir haben einen guten Beruf und keinen Krebs; dafür soll man sich dankbar zeigen.« Jedes Mal, wenn meine Frau Hammou eine Anweisung gab, ballte er die Faust. Man merkte, wie es in ihm kochte. Hieß es aber: »Mons­ ieur kommt«, mit »Monsieur« war ich gemeint, brachte er von sich aus alles in Ordnung. Da das Haus in Marokko ab und zu von jun­ gen Leuten überfallen wurde — sie schlugen die Fenster mit Baseball­ schlägern ein -, bat meine Frau den Eigentümer, einen marokkani­ schen Kunsthändler, einen Sichtschutz auf die Gartenmauer zu setzen. Sie lebte die meiste Zeit mit dem Kind allein, was den jungen Angreifern nicht verborgen blieb, wenn sie über die Gartenmauer blickten. Meine Frau bat und bat, doch nichts passierte. Ich war die meiste Zeit in Algier, da dort die »Tagesschau«-relevanten Dinge passierten. Als ich hörte, wie der Kunsthändler sich verhielt, rief ich ihn aus Algier an und bat ihn, endlich ein Metallband oder Gewächs als Sichtschutz auf die Gartenmauer zu setzen. »Ich denke«, meinte der Eigentümer, »ich denke, das ist nicht...« — »Sie denken«, unter­ brach ich ihn, »aber ich befehle! Sie denken, aber ich befehle es Ihnen!« Zwei Tage später wurde der Sichtschutz angebracht. Eine männliche Stimme aus dem tausend Kilometer entfernten Algier hatte bewirkt, was zwei Wochen langes freundliches Frauenbitten 52

vor Ort nicht erreicht hatte. Der marokkanische Wächter war Anal­ phabet, der marokkanische Kunsthändler ein gebildeter Mann, doch beider Auffassung von Autorität war die gleiche: Frauen haben keine, und Männer müssen befehlen, wenn sie Autorität sein wollen. Ich berichte das nur, weil ich merke, dass in Deutschland Lehre­ rinnen wie Frau Freimuth oder Sozialarbeiterinnen und Flüchtlings­ helfer, die die Notwendigkeit von Autorität gegenüber autoritär ge­ prägten Menschen verteidigen, von Linken ins Lächerliche gezogen oder gar als »Rassisten« bezeichnet werden. Selbst die Abwehr unver­ schämten Verhaltens ist in Deutschland inzwischen »rassistisch«, wenn die Unverschämtheit von einer Person mit »Migrationshinter­ grund« ausgeht. Als ich meiner schwarzafrikanischen Küchenhilfe — in Algier lebte ich allein - einmal sagte: »Ihre schwarze Haut ist so schön samtig, dagegen ist meine wie Leder«, antwortete sie: »Aber Sie sind weiß!«, und berichtete über den offenen Rassismus, dem sie, die Schwarzafrikanerin, im muslimischen Algier ausgesetzt war. Für deutsche Linke aber gibt es unter Muslimen keine Rassisten, und wenn doch, gilt es darüber zu schweigen, sonst ist man selbst der »Rassist«. Nie hat es in Deutschland weniger Rassismus gegeben als heute - die Linke aber lässt es in diesem Deutschland von »Rassis­ ten« nur so wimmeln. Sie, die nie ideenloser war als angesichts der Migrationsbewegungen von heute, schafft sich ihre Existenzberech­ tigung, indem sie die halbe Nation zu »Rassisten« erklärt und gegen dieses zusammenfantasierte »Rassisten«-Reich »kämpft«. In Wirk­ lichkeit »kämpft« sie nicht, sondern schlägt jede vernunftbasierte Kritik nieder, sobald sie »Menschen mit Migrationshintergrund« betrifft. Ich erinnere mich heute noch an eine Diskussion, die 2010 im Frankfurter »Haus am Dom« stattfand, so erschreckend fand ich die Atmosphäre schon damals. Es ging um »Integration« in Frankfurt. Die damalige grüne Integrationsdezernentin Nargess EskandariGrünberg sprach von einer »gesamtgesellschaftlichen Aufgabe«. Das war der Soziologin und Islamkritikerin Necla Kelek zu allgemein. »Da wird wieder die Einzelverantwortung ausgeblendet«, sagte sie. »Was ist mit Eltern, die kein Interesse an Schulerfolgen ihrer Kinder 53

haben, weil ihre Kinder nicht so werden sollen wie Deutsche?« - »Ras­ sistin!«, rief es aus dem gepflegten Publikum. »Warum sollen Musliminnen keinen unbeschnittenen Mann heiraten dürfen? Es geht um Familienstrukturen, um Großfamilienstrukturen!« — »Rassistin!«, ertönte es erneut aus der Zuhörerschaft. »Wie kann es sein, dass für die Kita angeblich kein Geld da ist, aber Hochzeiten für 1000020000 Euro gefeiert werden?» - «Populistin!«, »Rassistin!« ging es weiter an die Adresse von Frau Kelek, wenn sie Fakten nannte, die ihrer Meinung nach beim Thema »Integration« diskutiert gehörten, oder fragte: »Was ist der Einfluss der Moscheen?« Nicht, dass Gegen­ meinungen zu Necla Keleka Ansichten geäußert wurden, störte mich. Erschütternd war, dass es Gegenargumente überhaupt nicht gab, sondern stattdessen mit dem Vorwurf »Rassismus« die Dis­ kussion abgewürgt und eine furchterregende ressentimentgeladene Atmosphäre der einzig wahren Gesinnung im Namen des geheilig­ ten Menschen mit »Migrationshintergrund« entstand. Produziert durch ein höchst kultiviertes Publikum wie das im Frankfurter »Haus am Dom«. Es ist diese Atmosphäre, die die Linke mit Recht heute bei der Trump-Gefolgschaft erkennt, jedoch nicht bei sich selbst. Diese »Diskussions«-Atmosphäre ist einschüchternd. Man meidet sie auf Dauer. Sie ist es, die »die Gesellschaft spaltet«, weil sie die Lust am gemeinsamen Diskutieren zerstört. »Rassismus«-Vorwurf statt souveräner vernunftbasierter Argumentation. Aber steckt in dieser Blanko-Toleranz für den Menschen mit »Migrationshintergrund« nicht auch ein »Rassismus«? »Rassismus« in seiner links-deutschen Bedeutung als Diffamierung jeder vernunftge­ leiteten kritischen Wertung eines linken Tabu-Gegenstandes? Bedeu­ tet die linke Toleranz nicht eine enorme Geringschätzung speziell der »Menschen mit Migrationshintergrund«? Indem diese Blanko-Tole­ ranz beispielsweise mobbenden Schülern alles durchgehen lässt? Heißt das nicht, dass die Linke diese Schüler nicht für voll nimmt? Auch darüber spreche ich mit dem Psychoanalytiker Professor Mar­ tin Teising, dem Präsidenten der International Psychoanalytic University Berlin. »Ich glaube«, so antwortet er mir, »es gibt etwas, das spielt subtil eine Rolle, eine unhinterfragte Größenvorstellung. Auch 54

das ist vielleicht wieder historisch wenig verarbeitet. Es geht um eine Pseudo-Toleranz, darum, dass mich das alles nicht anmacht, was der Schüler sagt. Das ist aber genau das Gegenteil von Toleranz, denn man nimmt den ja gar nicht ernst. Wenn der Schüler zu mir > Kartof­ fel sagt und das beleidigend meint, und ich einfach innerlich darü­ ber lächle, dann erhebe ich mich über ihn. Das ist auch eine Entwer­ tung. Das spürt der. Und manche dieser Angriffe haben ja tatsächlich auch einen herausfordernden Charakter. Die wollen wissen, wo ist denn jetzt die Grenze?! Nun sag’s doch endlich mal! Das ist eine Pro­ vokation. Wie weit kann ich dich treten, und wann sagst du denn endlich >nein