Gabe und Gewalt: Studien zur Logik und Poetik der Gabe in der frühhöfischen Erzählliteratur 9783666367076, 3525367074, 9783525367070

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Gabe und Gewalt: Studien zur Logik und Poetik der Gabe in der frühhöfischen Erzählliteratur
 9783666367076, 3525367074, 9783525367070

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Historische Semantik

Herausgegeben von Gadi Algazi, Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Ludolf Kuchenbuch Band 7

Vandenhoeck & Ruprecht 2

Marion Oswald

Gabe und Gewalt Studien zur Logik und Poetik der Gabe in der frühhöfischen Erzählliteratur

Vandenhoeck & Ruprecht 3

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar. ISBN 3-525-36707-4 Gedruckt mit der Unterstützung der Axel-Springer-Stiftung. © 2004 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen/www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Dörlemann, Lemförde Druck und Bindung: Hubert und Co., Göttingen Umschlagkonzeption: Markus Eidt, Göttingen Umschlagabbildung: Zerstörung Trojas (fol. 2v), Heinrich von Veldeke, Eneasroman, Handschrift der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (Ms. germ. fol. 282) Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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»[…] Ihnen geb ich an Stelle des Feuers ein Übel, und alle werden es zärtlich umarmen, ihr Übel, das Herz voller Freude.« […] Und aus Erde formte sofort der ruhmvolle Hinkfuß gleich einem edlen Mädchen ihr Bild nach dem Willen Kronions. […] All den Schmuck ihr am Leibe ordnete Pallas Athene. Aber in ihrer Brust der Bote, der Töter des Argos, Lug und Trug und schmeichelnde Worte und diebisches Wesen schuf nach dem Willen des tosenden Zeus, und auch noch die Stimme gab der Herold der Götter ihr ein, und nannte die Frau dann, so wie sie war: Pandora, weil alle Olympos-Bewohner sie mit Gaben begabt, zum Leid den erwerbsamen Männern. Als er aber die List so jäh und unwendbar vollendet, sandte zu Epimetheus der Vater den Töter des Argos mit dem Geschenk, den schnellen Boten. Und Epimetheus dachte nicht an das Wort des Prometheus, nie eine Gabe anzunehmen von Zeus dem Olympier, vielmehr zurück sie wieder zu senden, daß nur nicht ein Unheil den Menschen geschehe. Nein, er nahm’s und erkannte das Unheil, als er es hatte. […] die Frau entfernte den großen Deckel des Kruges, leerte ihn aus und sann den Menschen schmerzliche Leiden. Einzig die Hoffnung verblieb im unzerbrechlichen Hause […]. (Hesiod , Werke und Tage V. 57–96)

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Inhalt

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Themenstellung und Perspektiven . . . . . . . . . . . . .

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1.1 Gabe und Gewalt I: Ein Problemaufriß . . . . . . . . . .

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1.2 Gabe und Gewalt – Opfer: Forschungsüberblick und -kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Gabentausch versus Anökonomie der Gabe: Zur Logik und Philosophie der Gabe . . . . . . . . 1.2.2 Koinzidenz oder Ausschluß von Gabe und Gewalt: Zur Situierung des Opfer-Begriffs . . . . . . . . . .

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1.3 Anthropologie und Poetik der Gabe: Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . .

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2. diu gabe ein ander meinet, dan mir der brieff bescheinet: Zur Hermeneutik und Funktionalisierung von Gaben im Straßburger Alexander . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 Befunde und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Bemerkungen zur Alexander-Roman-Forschung . 2.1.2 Raum – Gabe – Gewalt und die Materialität politischer Zeichen: Ein Einstieg . . . . . . . . . . .

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2.2 Stellvertretung I: Zur Semiotisierung von Gaben . . . . . 2.2.1 Brief und Gabe – Gabe und Brief . . . . . . . . . . 2.2.2 Gaben als Zeichen: Die Kommunizierbarkeit von Herrschaftsansprüchen und die Vergegenwärtigung von Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.3 Gabe und Gewalt II: Der provozierte Krieg . . . . . . 2.3.1 Gaben und die Transzendierung von Raum und Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Symbolische versus physische Gewalt: Über die Durchsetzbarkeit von Hegemonialansprüchen . 2.3.3 Gaben am Ende der Gewalt . . . . . . . . . . .

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90

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Inhalt

2.4 Gabe, Gastfreundschaft und Gewalt I: Herausforderung und Überbietung von Freigebigkeit . . . . . . . . . . . .

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2.5 Gabe und Gastfreundschaft I: mit minnen geben . . . . . .

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2.6 Moloch I: Die Gabe aus dem Paradies . . . . . . . . . . . 2.6.1 Von der Präsenz zur Chiffre des Unersättlichen . . . 2.6.2 Immanenz und Transzendenz . . . . . . . . . . . .

119 119 130

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3. v z der mazen: Gaben und Opfer in Vergils Aeneis und in den mittelalterlichen Eneas-Romanen . . . . . . . . . 135 3.1 Erzählte und erzählende Gaben

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3.2 Stellvertretung II: Minne-Gaben . . . . . . 3.2.1 Das Trojanische Pferd . . . . . . . . . 3.2.2 Die Gabe der Discordia und das Urteil o 3.2.3 Gaben v z der mazen . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . des Paris . . . . . .

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145 145 155 161

3.3 Moloch II: Zerstörte Gaben und Didos Tod 3.3.1 Opfer und Fluch . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Gabe und Körper – Asche und Schrift 3.3.3 Der Blick auf das Opfer . . . . . . . .

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3.4 Gabe, Gastfreundschaft und Gewalt II: Diplomatie und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Epirus: Erinnerungen und Projektionen oder die Gewänder der Andromache . . . . . . . . . . . 3.4.2 Sizilien: Kollektives Gedächtnis und kanalisierte Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Latinus: Gabe und Versprechen . . . . . . . . . 3.4.4 Euander: Generierende Gaben . . . . . . . . . .

3.5 Stellvertretung III: memoria und Repräsentation . . . . 3.5.1 Erinnerung und Zukunft: Didos Pferd . . . . . . . 3.5.2 Opfer auf dem Weg zum Ruhm: Über Gewänder und Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Erinnertes Karthago und inszenierte Herrschaftsansprüche: Eneas’ Zelt vor Laurentum . . . . . .

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135

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216 216

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3.6 Zukünftiges: Die Waffen der Venus . . . . . . . . . . . . .

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3.7 Versäumte Gaben und Lavinias Brief . . . . . . . . . . . .

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3.8 Gabe und Gastfreundschaft II: Eneas’ Freigebigkeit über die Inszenierung des vollendeten Herrschers 3.8.1 Gabe und Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.2 Gabe und Minne . . . . . . . . . . . . . . .

235 237 239

oder . . . . . . . . . . . .

Inhalt

3.8.3 Gabe und lon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.4 gut ˚ vmb ere: Über die ›Ökonomie‹ von Überfluß und Mangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4. goldes han ich genuch. du ich mich aller erste uz hup, du ophert ich den lib: Gabe, Gewalt und Heil im Rolandslied

241 243

251

4.1 Imperial- als Heilsgeschichte: Forschungsstand und Erkenntnisinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.2 Gabe 4.2.1 4.2.2 4.2.3

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258 258 275 286

4.3 Gabe und Heil: Der Text als Stiftung . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Legitimationsstrategien literarischer Rede . . . . . 4.3.2 Herrschaftsrepräsentation und Heilssicherung . . .

299 300 307

5. Gabe und Gewalt IV: Resümee und Ausblick . . . . . .

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6. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6.1 6.2 6.3 6.4

und Gewalt III: Heidenschatz und Opfertod . . Abgelehnte Gaben . . . . . . . . . . . . . . . . Genelun: Diplomatie und Verrat . . . . . . . . . durh got ersterben – der Heldentod als Martyrium

Abkürzungen . . . Quellen . . . . . . . Forschungsliteratur Nachschlagewerke .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die vorliegenden »Studien zur Logik und Poetik der Gabe in der frühhöfischen Erzählliteratur« wurden im Wintersemester 2002 von der Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung wurde der Text an wenigen Stellen überarbeitet und gekürzt. Mein Dank gilt allen, die die Entstehung des Buches in der einen oder anderen Weise mit Neugier verfolgt und gefördert haben. An erster Stelle danke ich Peter Strohschneider, der in seiner ersten Dresdner Vorlesung meine Begeisterung für die literarischen Welten des Mittelalters weckte. Er hat die Studien mit großem Interesse, wertvollen Anregungen und konstruktiver Kritik begleitet. Ihm bin ich dankbar für alle Gespräche, die mich im Denken und Schreiben beflügelten, und für sein Vertrauen in meine Arbeit. Beate Kellner danke ich besonders innig. Sie unterstützte nicht nur meine Dissertation mit größtem intellektuellen und freundschaftlichen Beistand, sondern förderte mich in allen Phasen meiner wissenschaftlichen Entwicklung. Ihr und ihrer Familie bin ich tief verbunden. Meinen Dank möchte ich auch an alle Dresdner Kolleginnen und Kollegen richten: für eine ganz spezielle, intellektuell anregende und herzliche Atmosphäre über viele Jahre hinweg. Zu großem Dank bin ich Klaus Schuhmacher und Christian Kiening für die Übernahme der Korreferate verpflichtet. Darüber hinaus danke ich Klaus Schuhmacher für faszinierende Lehrveranstaltungen und wunderbare Gespräche. Der Studienstiftung des deutschen Volkes sei für die ideelle und finanzielle Unterstützung, der Axel-Springer-Stiftung für einen großzügigen Druckkostenzuschuß, dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht sowie den Herausgebern der Reihe »Historische Semantik« für die Aufnahme meines Buches gedankt. Erwähnen möchte ich vor allem Bernhard Jussen, der mich in einer Zeit eigener Verunsicherung sehr motivierte, und Christian Kiening, der meine Arbeit wohl so gewissenhaft wie kaum ein anderer gelesen hat. Meinen engsten Freunden sowie dem Freundeskreis Tiefdruck danke ich sehr herzlich für alle gemeinsam verbrachten Stunden, in 11

Vorwort

denen sie mir geholfen haben, wohltuende Distanzen zum Wissenschaftsbetrieb zu schaffen. Ohne meinen Ehemann Dietrich Herrmann hätte mir oft die Kraft gefehlt, Momente intellektueller Leere und Anspannung zu überwinden. Ihm danke ich dafür, daß er mir stets das Gefühl uneingeschränkter Liebe und Achtung entgegenbringt, vor allem aber für seine unendliche Geduld. Gewidmet ist dieses Buch meinen Eltern, die mehr für mich getan haben, als ich es mit dieser Gabe aufzuwiegen vermag, und meinem Sohn Antoni´n, der am 17. Mai diesen Jahres das Licht der Welt erblickt hat. Dresden und München, Mai 2004

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Marion Oswald

Gabe und Gewalt

1. Themenstellung und Perspektiven

1.1 Gabe und Gewalt I: Ein Problemaufriß Zu Recht hat man in wirtschafts- und rechtshistorischen, ethnologischen, kulturanthropologischen sowie soziologischen Forschungsdiskussionen die Gabe immer wieder als eine der zentralen Organisationsund Kommunikationsformen von Kultur aufgefaßt. Der französische Religionssoziologe Marcel Mauss hat die Gabe – genauer: den Mechanismus von Gabe und Gegengabe – in seinem berühmten »Essai sur le don« gar als ein ›totales‹ gesellschaftliches Phänomen bezeichnet, in welchem sämtliche Institutionen – ökonomische, soziale, magisch-religiöse und juridische Ordnungen – sogenannter traditionaler Gesellschaften gebündelt zum Ausdruck kommen.1 In Kulturen, in welchen Bereiche wie Familie, Politik, Religion, Recht und Ökonomie sehr eng miteinander verwoben, nur ansatzweise ausdifferenziert und in ihren Abläufen fast ausnahmslos an die unmittelbare Präsenz des Körpers gebunden sind, werden kommunikative Handlungen wie Transaktionen und Verträge in vielfältiger Weise und auf verschiedenen Ebenen in Form von Gaben abgewickelt. Doch nicht allein materielle Objekte wie Speisen, Kleider, Gefäße, Schmuck, Waffen oder auch Edelmetalle2 werden weitergereicht und ausgetauscht. Eine mindestens ebenso gro1 Der »Essai sur le don. Forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques« erschien 1923/24 in der gemeinsam von Mauss und seinem Lehrer Durkheim gegründeten Zeitschrift »L’Année Sociologique«. Ich zitiere im folgenden nach der deutschen Ausgabe: Mauss, Gabe, hier S. 22. Fälschlicherweise wurde Mauss’ »Essai sur le don« lange Zeit als der Anfang aller ›Theorie der Gabe‹ gehandelt. Die ›Wurzeln‹ seiner Thesen diskutiert die Althistorikerin Wagner-Hasel in ihrem – im Hinblick auf wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge sehr transparenten – Forschungsbericht zu gabentheoretischen Ansätzen in nationalökonomischen und rechtshistorischen Debatten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts (Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 27–59, Wissenschaftsmythen sowie Egoistic Exchange). Zu Entstehungs- und Wirkungsbereich von Mauss’ Konzept vgl. Godelier, Rätsel sowie Geary, Gift Exchange. 2 Selbst Münzen – dies wird an konkreten Beispielen noch zu zeigen sein – fungieren nicht allein als Zahlungsmittel, sondern können durchaus auch als Gabe weitergereicht werden.

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Themenstellung und Perspektiven

ße Bedeutung komme – so Mauss – dem Tausch von Frauen und (Kriegs-)diensten wie wechselseitig erteilten Einladungen, Höflichkeiten oder Provokationen zu.3 Auch Interaktionen solcher Art sind häufig unmittelbar mit materiellen Gaben verbunden, ja: werden durch diese geradezu erst zur Anschauung gebracht. Die Gabe mag – in unterschiedlichem Ausmaß – ökonomischen Notwendigkeiten und Regeln unterliegen,4 aber darüber hinaus ist sie immer auch ein Zeichen, welches – abhängig vom jeweiligen Kontext – auf den Status von Geber oder Empfänger verweist; die Gabe kann zugleich Memorialzeichen für Personen wie für Ereignisse oder neben Wort und Schrift eine weniger abstrakte Form der Botschaft sein.5 Und je weiter ästhetische, semiotische, kommunikative, erinnernde, repräsentative oder unmittelbar vergegenwärtigende6 Funktionen in den Vordergrund treten – so eine meiner grundlegenden Annahmen –, um so stärker wird die Gabe von ökonomischen Gesetzen und Mechanismen entlastet.

3 Mauss, Gabe, S. 22. 4 Das ist vor allem dann der Fall, wenn sie ganz offensichtlich auf Verpflichtungen antwortet oder solche generiert, näherhin in handelsmäßige Tauschgeschäfte eingebunden ist, selbst als eine Art Zahlungsmittel beziehungsweise Lohn fungiert oder auch nur – wie sehr oft in mittelalterlichen Texten – ihr monetärer Wert genannt wird. Vgl. dazu auch Marc Bloch, der von der »Münznot« (Feudalgesellschaft, S. 90) nicht aber von der Bedeutungslosigkeit des Geldes in der mittelalterlichen Gesellschaft spricht. Aus vornehmlich ökonomischer Perspektive interpretieren Vance, Mervelous Signals und Kellog, Medieval Artistry Chrétiens Yvain. Sie versuchen den Text auf Handels- und Profitdiskurse festzuschreiben, vernachlässigen allerdings, daß sich im Entwurf des Yvain durchaus verschiedene Konzepte von Gabe und Tausch überlagern. Gleiches gilt auch für Hartmanns Iwein: Eine der unter diesem Aspekt spannendsten Episoden ist wohl jene, in der von der Begegnung zwischen Iwein und dem Einsiedler erzählt wird, und der wechselseitige Naturalien- und Nahrungstausch zugleich einen Teil von Iweins Rekultivierung (vgl. die sich wandelnde Nahrungsaufnahme vom rohen, ungewürzten zum gebratenen, gesalzenen Fleisch) ausmacht (V. 3267–3344). 5 Es ist besonders der Verdienst von Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, die Gabe nicht allein aus rechts-, wirtschafthistorischer und soziologischer Perspektive zu werten, sondern – in Anlehnung an die medien- und kommunikationstheoretischen Ansätze Horst Wenzels (besonders Körperzeichen sowie Hören und Sehen) – auch Dimensionen von Materialität, Visualität, Zeichenhaftigkeit und die Bedeutung von Gaben in den Kommunikationstrukturen einer Kultur zu beschreiben. Vgl. dazu vor allem ihre methodischen Vorüberlegungen (S. 73–76) wie die Zusammenfassung (S. 306–322). 6 In Anknüpfung an Rehbergs (Weltrepräsentanz, besonders S. 27) Differenzierung des Repräsentations-Begriffs unterscheide ich zwischen »vermittelter Repräsentanz« und »Direktheit der Vergegenwärtigung«. Vgl. dazu ausführlicher 2.2.2.

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Gabe und Gewalt

Die Gabe kann unter bestimmten Bedingungen ein Präsent sein, das nicht in »einer geschuldeten Rückgabe enden« wird,7 das man – zumindest scheinbar – weitgehend unabhängig von religiösen Verbindlichkeiten, von ökonomischen und statussichernden Zwängen vergibt, doch sie darf nicht – wie dies so häufig in der Forschung getan wird8 – voraussetzungslos und unreflektiert mit einem ›Geschenk‹ gleichgesetzt9 werden. Denn die Gabe in sogenannten traditionalen Gesellschaften unterscheidet sich grundlegend von jenen Geschenken, die eine einerseits hochgradig individualisierte, andererseits anonymisierte und kommerzialisierte,10 und vor allem sich gegenüber anderen sozialen Bereichen und Ordnungen mehr und mehr verselbständigende Geschenkkultur 7 Waldenfels, Un-Ding der Gabe, S. 400. 8 Die Untersuchung von Desai-Breun zum Konnex von Schweigen und Gabe in Heinrich von Kleists Dramen zählt zu den wenigen Ausnahmen, in der Gabe und Geschenk explizit voneinander abgehoben werden: »Jedes Geschenk ist eine Gabe, aber nicht jede Gabe ist ein Geschenk […]. Damit die Gabe ein Geschenk ist, sollte auf den Akt des Gebens nichts folgen, was eine Erwiderung wäre, und sei es auch als Dankbarkeit. Nur dadurch, daß die Gabe unmöglich zum Geber zurückkehren kann, wird sie als Geschenk möglich« (Schweigen, S. 61, S. 66). Problematisch ist allerdings, daß sich Desai-Breun in ihren weiteren Ausführungen zum »Verhältnis von Gabe und Geschenk« (vgl. S. 60–62) allein – und ohne erkennbaren Bezug zu ihren eigenen Analysen – auf die etymologisch argumentierenden Arbeiten von Jacob Grimm und Benveniste stützt. Grimm leitet den Begriff ›schenken‹ von dem Brauch, einem Gast einen Trunk einzuschenken und darzureichen, ab (Über schenken, S. 178 f.). Benveniste versucht erstens nachzuweisen, daß alle Verben mit der Wurzel *do¯ - sowohl ›geben‹ als auch ›nehmen‹ bedeuten (vgl. Gabe, S. 351), und zweitens systematisiert er die Begriffe, die das Griechische und Lateinische für ›Gabe‹ kennen (vgl. vor allem S. 353 f.), unterscheidet selbst aber nicht zwischen Gabe und Geschenk. Zugleich – und auch dies blendet Desai-Breun aus – steht die Abhandlung von Benveniste in der Forschungstradition einer Indogermanistik, die auf der Suche nach den ursprünglichen Bedeutungen von Wörtern »den historischen und sozialen Kontext der Verwendung des jeweiligen Begriffs« – so kritisiert zu Recht schon WagnerHasel – »allzu leicht aus dem Blickfeld verliert« (Stoff der Gabe, S. 54). Ich werde den Begriff ›Geschenk‹ im folgenden weitgehend in Anlehnung an Groebners Definition gebrauchen. Groebner beschreibt das Geschenk als »Spezialfall der Gabe, als einzelnes Präsent und singuläre[n] Akt« (Gefährliche Geschenke, S. 13). 9 Das Problem stellt sich um so dringlicher für frühe mittelhochdeutsche Texte, denn diese kennen keine begriffliche Unterscheidung zwischen Gabe und Geschenk. Auffällig ist allerdings, daß der Begriff gabe für eine Vielfalt an Gabenphänomenen steht und eben nicht nur für Präsente. Erst in Handschriften ab dem 13. Jahrhundert wird zunehmend auch der Begriff (ge)schenck verwendet. Vgl. dazu Groebner, Gefährliche Geschenke. 10 Individualisierung und Kommerzialisierung sind zwei Phänomene desselben Ausdifferenzierungsprozesses – der Ausdifferenzierung der Gabe in Geld, Ware und Präsent –, die nicht voneinander zu trennen sind.

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Themenstellung und Perspektiven

hervorbringt.11 Sie tut dies, weil sie sowohl Präsent als auch eine Form von Zahlungsmittel, sowohl Almosen als auch Opfergabe oder Stiftung, sowohl Gabe im Kontext von Herrschaftsrepräsentation und Diplomatie als auch Liebespfand oder – mediengeschichtlich bedeutsam – Bezeugung beziehungsweise selbst Trägerin einer Nachricht sein kann, und weil sie zumeist eng in ein Netz wirtschaftlicher, religiöser, politischer und sozialer Zusammenhänge eingebunden ist, selbst wenn sie deren Logiken zuweilen unterläuft oder in Frage stellt.12 In diesem Sinne handelt es sich um eine auch für die Kultur des Mittelalters zentrale Erscheinung und Kategorie. Doch während die mediävistische Geschichtswissenschaft und Frühneuzeitforschung zunehmend Interesse an den mittelalterlichen – insbesondere historiographischen und religiösen – Gabendiskursen zeigt,13 sind seitens der Mittelalterphilologien umfassendere Untersuchungen der literarischen 11 Symptomatisch hierfür sind etwa spezielle Geschenkshops, der Verpackungsservice in zahlreichen Geschäften, der noch vor Ort die Ware zum Geschenk werden läßt, die beinahe inflationäre Geschenkgutscheinkultur oder Geschenkangebote im Internet. 12 Auf eine engere Definition der Gabe möchte ich mich nicht festlegen, weil sie die Analysen von vornherein lenken und möglicherweise den Blick für neue Erkenntnisse verstellen würde. Die Gabe schlechthin gibt es ohnehin nicht, allenfalls einige wenige sehr elementare Strukturen und Logiken, auf die sich auch unterschiedlichste Gabenphänomene herunterrechnen lassen: wie zum Beipiel die nach wie vor im kulturellen Wissen präsente Vorstellung des ›do ut des‹, jene Regel also, daß einer Gabe immer und zwingend eine Gegengabe zu folgen habe. Solche Beschreibungsmuster sind aber zu allgemein, um Variationen und Besonderheiten der Gabe differenziert und historisch adäquat erklären zu können. Zu Recht wandte sich schon der britische Sozialhistoriker Thompson gegen theoretische Ansätze, die im Hinblick auf Gabenphänomene von anthropologischen Konstanten ausgehen oder Beobachtungen so weit verallgemeinern, daß die daraus resultierenden Schlußfolgerungen immer und überall applizierbar sind: »Es gibt keinen solchen konstanten ›Akt des Gebens‹ mit konstanten Merkmalen, die aus spezifischen sozialen Kontexten isoliert werden können, ja, die Struktur findet sich in der historischen Eigentümlichkeit des ›Ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse‹ und nicht in einem spezifischen Ritual oder einer spezifischen Form, die von diesen isoliert ist. In der Geschichte tauchen neue Merkmale auf und wandelt sich die strukturelle Organisation von Merkmalen des Ganzen, wie die Struktur von Gesellschaften sich wandelt« (Plebeische Kultur, S. 305 f.). 13 Vgl. etwa Oexle, Memorialüberlieferung, Hannig, Ars donandi, Rosenwine, Neighbour of St. Peter, Fantoni, La corte, S. 97–137, Althoff, Ritual, mehrfach thematisiert in Althoff, Spielregeln, Ehm, Geschenkpraxis, Hirschbiegel, Gabentausch sowie Ders./Ewert, Gabe, Scheller, Rituelles Schenken, Groebner, Angebote und Freiwilligkeit sowie Gefährliche Geschenke und Flüssige Gaben, Davis, Gift, vgl. darüber hinaus die Beiträge in Algazi/Grobner/Jussen, Negotiating the Gift.

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Gabe und Gewalt

Überlieferung bisher ausgeblieben. Dies verwundert insofern, als das Thema ›Gabe‹ in den mittelalterlichen Texten geradezu omnipräsent ist: Die Vielfalt reicht von Erzählungen über mythische, außergewöhnliche Feen- und Zwergengaben,14 über Minnepfänder15 und Morgengaben,16 Gastgeschenke, Memorial- und Opfergaben,17 Gaben zur Bestechung18 bis hin zur Rede über Transaktionen in einem weiteren Sinne

14 Ich erinnere – nur um einige wenige Beispiele zu nennen – an die unheilvollen Gaben, die die Fee Présine ihren Töchtern Mélior, Palestine und Melusine ›mitgibt‹, an Melusines Gaben selbst (vgl. dazu Kellner, Melusinengeschichten, S. 284 und Ursprung, Kapitel 4) oder auch an die der Fee Morgan in den Artusromanen. Enites Pferd war ursprünglich ein Geschenk des Zwergs Guivreiz an seine Schwestern (vgl. hierzu 3.1). 15 Eine der interessantesten Minnepfand-Episoden findet sich im Liedcorpus Johannes Hadloubs (C 13). Hadloub führt die Aporien einer von der Gesellschaft vermittelten Minnebeziehung vor, in der die Dame unter anderem gebeten wird, ihrem Werber einen lange am Körper getragenen Gegenstand zu überreichen. Diese kommt zwar dem Wunsch nach, verstößt aber gegen die sozialen Regeln des Gebens, indem sie ihr Pfand – eine Nadeldose aus Elfenbein – dem Werber vor die Füße wirft. Nachdem sie ihm bei einem ersten von der Gesellschaft vermittelten Annäherungsversuch bereits in die Hand gebissen hatte, ist ihr Gabe-Verhalten nur folgerichtig. Die einzige Alternative, die ihr noch bliebe – welche aber nicht thematisiert wird –, wäre die Verweigerung der Gabe. Durch die Gesellschaft wird die Dame zur Korrektur ihres Verhaltens gezwungen. Denn im Kontext der Minne habe die Übergabe von Präsenten – so die Reglementierung – lieblich (C 13, 7) zu erfolgen. Mindestens zweierlei wird an dieser Gaben-Episode ablesbar: Der Zwang zur Gabe widerspricht aller Logik eines Minnepfandes. Und: Dort, wo es keine Minne gibt, droht Gewalt auszubrechen. Diese kann von der Gesellschaft zwar kanalisiert, aber nicht aufgehoben werden. 16 Die morgengâbe bezeichnet in aller Regel jene Gabe, die der Bräutigam der Braut am Morgen nach der Hochzeit überreicht, die aber schon im Vorfeld der Eheschließung vertraglich festgelegt wird. Vgl. umfassend zu diesem Thema Völger/von Welck, Braut. So verspricht beispielsweise Tristan in seiner Funktion als Brautwerber für Marke dem irischen König, daß die Königstochter Isolde Cornwall ze morgengâbe erhalten werde (Tristan, V. 11395). Dagegen wird im Nibelungenlied der im Kampf gegen die Nibelungen erworbene mythisch-magische Hort erst nach Sîfrits Tod als Kriemhilt rechtmäßig zustehende morgengâbe (Str. 1116) thematisiert. 17 Literarische Entwürfe zu diesen Formen der Gabe werde ich im Verlauf der Arbeit ausführlich diskutieren. 18 Vgl. zum Beispiel die Ausführungen Ulrich Boners zu den Gefahren der Gabe. Für Boner wirkt die Gabe bindend und verpflichtend: Wer gâbe enpfât, der bindet sich | dem, der si gît; dâ von rât ich, | daz er sich betrachte wol, | der die gâbe enpfâhen sol (Edelstein XXVII, V. 31–34). Daraus folgt, daß derjenige, der Gaben annimmt, auch zu rechtswidrigem Agieren verpflichtet werden kann: Enphangen gâbe binden kan: | gâbe entrichtet mangen man. | gâbe enphangen selten tuot | an vrouwen oder an mannen guot. | enphangen gâbe daz gebirt, | daz dik unrecht ze rechte wirt (Edelstein XCV, V. 63–68).

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Themenstellung und Perspektiven

von Gabe, wie etwa Dienst-Lohn-Diskursen19 im Rahmen von Herrschafts- und Minneverhältnissen20 oder von religiösen Bindungen.21 Und nicht zuletzt wird auch Gesang – darin dürften sich literarische 19 Auch die gabe kann zum lon werden beziehungsweise der lon aus einer gabe bestehen (vgl. etwa Straßburger Alexander V. 2755–2757 oder Eneas 340, 36 und 341, 32), doch im Unterschied zur ›Gabe‹ ist der ›Lohn‹ immer schon die Antwort auf einen geleisteten Dienst (arbeit, dienest) oder eine vorausgegangene Gabe (vgl. exemplarisch Kudrun Str. 376); so wird auch widerlon im Sinne von ›Gegengabe‹ verwendet (vgl. Eneas 37, 20). Sowohl für ›Gabe‹, ›Gegengabe‹ als auch ›Lohn‹ kann das Wort miete stehen, oft ist es allerdings deutlich negativ – im Sinne von ›Bestechung‹ – konnotiert (vgl. etwa Rolandslied V. 372 oder Nibelungenlied Str. 1906–1908); zur Bedeutung von miete und (ge)schenck in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bestechungs- und Korruptions-Diskursen vgl. Groebner, Flüssige Gaben und Gefährliche Geschenke, zum Begriff besonders S. 132. Müller hebt miete und lôn, »die auf einen bestimmten Zweck […] oder eine bestimmte Leistung […] zielen und sich deshalb nur an die beauftragten Personen richten«, von der freigebig gegebenen Gabe ab, die »scheinbar absichtslos« und »weder auf ein Ziel noch auf bestimmte Empfänger eingeschränkt« ist (Spielregeln, S. 348). Letzteres ist meines Erachtens zu allgemein formuliert und gilt nur für die Inszenierungen großangelegter Gabentransaktionen, zum Beispiel im Rahmen von Festen. Strohschneider unterscheidet insofern zwischen Gabe und Lohn, als die Gabe Verpflichtungsverhältnisse allererst stiftet, während Lohn von solchen bereits ausgeht. Und in dem Moment, in dem die Gabe zum Lohn wird, verliere »sie die Fähigkeit, den Rang des Gebers präsent zu machen.« Denn dieser »gibt tendenziell nicht mehr zum Zeichen seiner Herausgehobenheit, sondern weil ihn der Empfänger durch Dienst zur Belohnung« verpflichte (Fürst und Sänger, S. 99). Strohschneider hat hier vor allem den – so formuliert er zu Recht – nicht zu verallgemeinernden Entwurf des Strickers vor Augen, der eine Ethisierung und damit zugleich ›De-Ästhetisierung‹ der Gabe betreibe, indem er Kriterien und Logiken von Gabe und Lohn einander annähert (vgl. S. 98). Eine solche Annäherung kann aber auch – so möchte ich ergänzen – zu durchaus alternativen Konzepten führen: nämlich der Ästhetisierung des Lohnes. Dies trifft etwa dann zu, wenn es sich um außergewöhnliche Objekte – wie beispielsweise den Hund Petitcriu in Gottfrieds von Straßburg Tristan – handelt. Tristan ringt dem Herzog Gilan für den Tod des Riesen Urgan ein voreiliges Versprechen für jedwede Belohnung ab und verlangt nach dem siegreichen Kampf gegen Urgan den wundersamen Hund – einst eine Feengabe – ze lône (V. 15944). Doch gerade Petitcriu entzieht sich aufgrund seiner Einzigartigkeit – seiner indifferenten Fellfarbe und seiner Glocke, deren Klang allen Kummer vertreibt – einer ökonomischen Logik des Lohnes, besonders Kriterien wie Adäquatheit oder Äquivalenz. 20 Exemplarisch sei an das Nibelungenlied erinnert, welches wiederholt diskursive Räume eröffnet, in denen das Verhältnis von Lohn und Gabe im Kontext prekärer Minne- und Machtkonstellationen verhandelt wird: So verlangt etwa Sîfrit von Gunther, dieser möge ihm im Gegenzug für seine ›Dienste‹ im Rahmen der Brautwerbung auf Îsenstein Kriemhilt zur Frau geben (Nibelungenlied Str. 333). Aus diesem eidlich abgesicherten Frauentausch-Abkommen resultiert der Rangstreit der Königinnen, der letztlich zum Tod Sîfrits führt (vgl. Müller, Spielregeln,

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von historiographischen Texten abheben – wiederholt als gâbe aufgefaßt: Davon zeugen etwa Gottfrieds Tristan22 und die Kudrun.23 Aber vor allem gilt dies für die Spruchdichtung, in der das Verhältnis von fürstlicher milte und der Gabe des Sängers vielfach verhandelt wird.24 Diskussionen über das Maß an Generosität bei der Verteilung von Gaben zählen zu den wohl profiliertesten Reden im Rahmen mittelalterlicher Gabendiskurse. Zu Recht hat Peter Strohschneider konstatiert, daß sowohl eine »differenzierte Klärung der historischen Dimensionen von milte und Freigebigkeit« als auch die Ausführung einer solchen Bestimmung an einer repräsentativen Anzahl literarischer Texte bisher »ernstes Desiderat mediävistischer Forschung«25 geblieben ist. Allein die Vielfalt der mittelalterlichen literarischen milte-Diskurse würde eine eigenständige, umfängliche Untersuchung verdie-

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S. 358). Brisant ist auch jene Episode, in der Sîfrit nach der erfolgreichen Werbung um Prünhilt als Bote an den Wormser Hof vorausgesandt wird: Daß es sich mit Sîfrit um keinen gewöhnlichen Boten handelt, den man selbstverständlich mit botenmiete (Str. 556) bedenkt, zeigt Kriemhilts Rede: Sie wagt nicht, Sîfrit für seine Botschaft zu belohnen, weil er dafür ze rîche sei. Sîfrit allerdings begehrt trotz seines Status und Reichtums Kriemhilts gâbe (Str. 556) [nicht lon oder miete!], weil er aus Zuneigung zu Kriemhilt ihre Gaben nicht ablehnen kann. Doch kaum hat er die kostbaren Armreifen aus Kriemhilts Hand erhalten, gibt er sie großzügig an ihre Dienerschaft weiter. Sîfrit ist zu reich und zu mächtig, um einen Botenlohn anzunehmen, aber er ist so höfisch – zumal gegenüber der Dame, die er zur Frau begehrt –, um die Annahme zu verweigern. Im Gespräch zwischen Sîfrit und Kriemhilt werden alle Konfliktpotentiale der Gabe – ihre Unangemessenheit und die denkbare Ablehnung der Gabe – aus dem Weg geräumt. Aber erst der ›Zweischritt‹ Sîfrits – Annahme und sofortige Weitergabe – läßt letztlich die Aporie von gleichzeitigem Ver- und Gebot zur Annahme der Gabe aufhebbar erscheinen. Vgl. etwa meine Interpretation des Rolandsliedes im vierten Kapitel dieses Buches. Vgl. dazu Oswald, Gabe und Gesang. Hilde hat Horants Sang vernommen, läßt ihn in ihre Kemenate holen und bittet: »[…] daz gebt mir zeiner gâbe ze allen âbunden, daz ich iuch hœre singen: sô wirt iuwer lôn wól erfunden.« (Kudrun Str. 376) Bäuml, ›Guot umb êre nemen‹, Ortmann, Spruchdichter, Dobozy, Beschenkungspolitik, Kellner/Strohschneider, Geltung, Strohschneider, Fürst und Sänger. Mit dem spruchdichterlichen milte-Diskurs wird immer auch – dies zeigen vor allem Kellner/Strohschneider in ihren Interpretationen – ein Raum für literarische Selbstbeschreibungen eröffnet, wird ein Tableau für die Frage nach der Akzeptanz von Kunst in den Ordnungen höfischer Kommunikation, für Geltungsbehauptungen und für Versuche legitimatorischer Absicherung – oder auch ›Institutionalisierung‹ – von Kunst in Anlehnung an bereits stabilisierte Strukturen und Organisationsformen laikaler Herrschaft – wie eben der ›Institution‹ der milte – geschaffen. Strohschneider, Fürst und Sänger, S. 99, Anm. 45.

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nen. Eine solche Arbeit wäre schon deshalb wünschenswert, weil sie – gegen die bisherigen, zur Verallgemeinerung tendierenden Forschungen – vorführen könnte, daß zahlreiche literarische Texte je eigene Entwürfe präsentieren und vor allem je unterschiedliche Dimensionen fürstlicher Freigebigkeit verhandeln. Das Spektrum umfaßt die Ethisierung des Gabeverhaltens entsprechend der aristotelischen und christlichen Tradition26 wie auch ihrer Preisgabe oder Pervertierung,27 ökonomische, soziale, politische und juridische Diskurse,28 die oft unmittelbar miteinander verflochten sind,29 sowie Verhandlungen über die Ambivalenz – Leistungen und Gefahren – von Freigebigkeit im Rahmen von Selbstdarstellung und Herrschaftssicherung.30 26 Vgl. etwa die beiden Bispel des Strickers von den herren zu Osterich und Falsche und rechte Freigebigkeit. Vgl. dazu die detaillierten Analysen von Ragotzky, ›kunst der milte‹ sowie die weiterführenden und gegenüber der älteren Forschung (mit Angaben hierzu) deutlicher differenzierenden Überlegungen zu den milte-Diskussionen in Stricker-Texten von Strohschneider, Fürst und Sänger. 27 Vgl. beispielsweise Strickers Pfaffe Amis, hierzu neuerdings Strohschneider, Schwänke. 28 Vgl. etwa Thomasin, der in seinem Wälschen Gast (Buch X) milte- und Rechtsdiskurs aufs Engste miteinander verzahnt und – ebenfalls in aristotelischer Tradition – ethisch überhöht. Die Regeln, die Thomasin für ein rechtes und tugendhaftes milte-Handeln aufstellt, unterscheiden sich in verschiedenen Punkten auffällig von milte-Diskussionen in anderen mittelalterlichen Texten: Eine Gabe sei weder aus dem Wunsch nach Anerkennung (X, V. 13699–13704) noch durch gewin (X, V. 13705) zu vergeben! Sie muß von herzen (X, V. 13715) kommen, maßvoll verteilt werden (X, V. 13789–13806) und darf nicht durch Raub oder Gier erworben sein (X, V. 14063–14083 und V. 14177–14194). Und: Am Besten vergesse der Geber sogleich wieder, daß er gegeben habe (X, V. 14467–14469). Repräsentative Gaben gebe man öffentlich, Almosen dagegen im Verborgenen (X, V. 14585–14608). Milte ist nach Thomasin allererst Tugend und daher auch unabhängig von Reichtum und Gabe zu denken (X, V. 13983–14034)! Vgl. dazu Haferland, Höfische Interaktion, besonders S. 152–155. 29 Vgl. zum Beispiel Walther (L 19,17; L 16,36; L 80,11; L 104,33), dessen poetische Rede über die fürstliche Freigebigkeit sich als Versuch lesen läßt, die wechselseitige Abhängigkeit von Fürst und Sänger zu behaupten und davon Geltungsansprüche poetischer Kommunikation abzuleiten. Vgl. dazu besonders Ortmann, Spruchdichter. Walthers Sprüche sind zu komplex, um ihnen in einer Überblicksdarstellung auch nur annähernd gerecht zu werden. Grundlegend gilt, daß sich Walthers milte-Diskussionen ebensowenig verallgemeinern lassen wie die des Strickers. 30 Zwischen Generosität und Verschwendung, die bis zum ökonomischen und sozialen Ruin führen kann, liegt nur ein schmaler Grat. Allerdings thematisieren nur wenige (mittelalterliche) literarische Texte Kehrseite oder Folgen unermeßlicher Freigebigkeit. Zu diesen Ausnahmen zählt unter anderen der Roman de la Rose, der die Aporien der Freigebigkeit in unterschiedlich konnotierten Personifikationen chiffriert (V. 1127–1190, V. 7896–8278). – Das Nibelungenlied verhan-

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Bereits aus dem vorangegangenen Überblick dürfte erkennbar geworden sein, daß es sich um einen Gegenstandsbereich handelt, der sich – und zwar schon allein im Hinblick auf die Analyse mittelalterlicher Literatur –, als so umfassend erweist, daß jegliche Bearbeitung des Themas nicht allein nach der Abgrenzung eines bearbeitbaren Textkorpus, sondern auch nach einer sachlich und methodisch präzisierenden Zuspitzung der Fragestellung verlangt, um tiefgreifende Aussagen zum Verständnis einer historisch differenzierten und kulturspezifischen Anthropologie der Gabe und ihrer Semantiken treffen zu können, und nicht etwa – dies wäre eine Alternative zu meiner Untersuchung – eine Motivgeschichte31 zu schreiben: Zugunsten genauer Lektürebeobachtungen konzentriere ich mich in dieser Arbeit auf die Interpretation ausgewählter epischer Texte aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, an denen sich der epochale Prozeß der Entstehung einer neuen reflektierenden Kultur des laikalen Adels so genau wie kaum irgendwo sonst beobachten läßt. Aufgrund ihrer Nähe zum historiographischen Erzählen stehen Lamprechts Alexander in der Fassung der Straßburger Handschrift, der Eneasroman Heinrichs von Veldeke sowie das Rolandslied des sogenannten Pfafdelt die in Verausgabung umkippende Freigebigkeit als Indiz von Prünhilts Machtverlust (Nibelungenlied Str. 513–521): Ungewöhnlich genug ist schon, daß nicht Prünhilt selbst ihre Gaben verteilt, sondern dafür einen Stellvertreter sucht und in Dancwart findet. Aber allein so kann es überhaupt zu einer ›Verschleuderung‹ des Besitzes gegen Prünhilts Interessen kommen. Als Prünhilt Dancwart Einhalt gebieten möchte, wird sie von Gunther und Hagen ausgelacht. Das Lachen der beiden Recken ist Zeichen der Überlegenheit gegenüber Prünhilt, die ihre Macht längst schon im Kampf gegen den getarnten Sîfrit verloren hat. Vgl. dazu auch Müller, Spielregeln, S. 93 f. und S. 348 f. – Der Mauritius von Crâun kommuniziert auf spektakuläre Weise, wie sich der gleichnamige Held getreu dem Motto ›daz man mag vil selten. | mit sparen Eere gelten‹ (V. 329 f.) bis auf den Leib verausgabt (V. 1025–1072). – Eine eher ungewöhnliche Reflexion über die milte bietet auch das Bispel von den herren zu Osterich. Denn der Stricker führt vor, daß Fürsten nicht endlos milte sein können. Der österreichische Hof, der sich bisher vor allem Künstlern gegenüber maß- und unterschiedslos freigebig gezeigt hat, ist an die Grenzen der milte gestoßen. Aufgrund verbrauchter materieller Ressourcen ist er nun zu einer Abstinenz gezwungen, die die Existenz der Fahrenden wie – zwangsläufig – seine eigene Ehre gefährdet. Zu den damit kommunizierten Geltungsbehauptungen von Kunst vgl. Ragotzky, ›kunst der milte‹. 31 Einschlägig ist als solche Lüthis Studie »Die Gabe im Märchen und in der Sage«. Die Stärke dieser Arbeit liegt in der wohl kaum zu übertreffenden Sammlung, Differenzierung und Systematisierung von Gaben, die freilich zu diesem Zweck aus ihrem Kontext herauspräpariert werden. Zur Bedeutung der Gabe in den unterschiedlichsten Erzähltraditionen vgl. den summarischen Überblick von Wunderlich, Gabe.

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fen Konrad in einem im weiteren Sinne diskursiven Zusammenhang. Denn ausnahmslos handelt es sich – wenngleich stofflich unterschieden – um Imperialgeschichten, um Geschichten, welche das Thema von Macht und Heil umkreisen, welche von der Eroberung umfangreicher Territorien sowie der Konstitution von Herrschaft durch Gewalt zu erzählen wissen. Systematisch ist die Themenstellung auf die Frage nach dem diskursiven Zusammenhang von ›Gabe und Gewalt‹ zugeschnitten. Dabei bildet das Nachdenken über Logiken der Gabe und ihre Äußerungsformen den Ausgangs- und Fluchtpunkt meiner Untersuchungen. Sie ist die Leitkategorie des Buches, von der aus der Blick auch auf Diskurse und Darstellungsweisen von Gewalt gelenkt wird. ›Gewalt‹ als zweite Kategorie der Arbeit ist nicht als Gegenbegriff zur ›Gabe‹ – etwa im Sinne von Konsoziation versus Agonalität – konzipiert.32 Vielmehr möchte ich Schnittstellen von Gaben- und Gewaltdiskursen aufzeigen, soll vorgeführt werden, daß Gewaltdarstellungen geradezu ins Zentrum literarischer Entwürfe der Gabe führen, insofern auffallend häufig von Praktiken des Gebens, des Nehmens und Erwiderns von Gaben erzählt wird, welche von den Prinzipien der Rivalität, des Antagonismus und der Zerstörung beherrscht werden. Von Interesse sind im folgenden also weniger konsoziierende Gaben-Phänomene als vielmehr solche, die Gewaltakten ausgesetzt sind oder selbst Gewalt provozieren. Das Erzählen von gewaltbesetzten oder Gewalt generierenden, von ›gefährlichen‹33 oder zerstörerischen Gaben hat eine lange, weit über das jüdisch-christliche Abendland hinausreichende Tradition. Auffällig oft spielt die verhängnisvolle, Unheil stiftende Gabe eine Rolle in Ursprungs- und Untergangsgeschichten: Ich erinnere etwa an das höl-

32 Dies wäre schon deshalb problematisch, weil beide Kategorien als solche schon sowohl konstruktiv als auch destruktiv sein oder wirken können: Während etwa die großzügige Verteilung von Gaben zum Definiens adeliger Existenz gehört, führt sie zu Ehr- und Machtverlust, sobald sie in Verausgabung umschlägt. Gaben können freundschaftliche Beziehungen konstituieren und festigen oder aber als Affront wirken. So wie sich gute und schlechte Gaben voneinander abheben lassen, kann auch Gewalt in legitime und illegitime, in rohe, zerstörerische Gewalt einerseits und ordnungstiftende, rechtsetzende Gewalt andererseits, in archaische und sakralisierte Gewalt differenziert werden. Sie dient der Konstitution und Stabilisierung von Macht und ist doch zugleich deren immerwährende Bedrohung. 33 So etwa nennt Groebner Korruption, Verrat und Verbrechen generierende Gaben ›gefährliche Geschenke‹ (so auch der Titel einer seiner Arbeiten), ferner auch: schlechte oder ›vergiftende‹ Gaben.

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zerne Pferd der Danaer,34 welches zur Zerstörung Trojas führte, oder an das Gefäß35 der Pandora, jener antiken Urgestalt des unheilbringenden Weibes. Für Adam und Eva bedeutet der Apfel, den sie ihm reicht, die Vertreibung aus dem Paradies; für alle Nachkommen kodiert er die Sünde am Ursprung der Menschheit.36 Gemeinsam ist all diesen Gaben, daß sie makellos und verführerisch wirken, daß entweder vor ihrer Annahme gewarnt oder diese gar verboten wird,37 und daß Übel und Gewalt aus ihrem Inneren hervorbrechen oder diese unaufhaltsam nach sich ziehen, sobald die Gabe angenommen ist. Auch mittelalterliche Texte erzählen von ähnlich apokalyptischen Gaben. Doch werde ich im Rahmen meiner Analysen das Augenmerk nicht allein auf solcherart Gaben richten – Gaben, die für den Empfänger geradezu zum ›Gift‹ werden,38 insofern ihnen Störungs- und Zerstörungspotentiale regelrecht eingraviert sind. Mein Interesse gilt darüber hinaus auch solchen Gaben, die verschiedensten Formen von Gewalt ausgeliefert werden. Da der mittelalterliche Gewalt-Begriff die Dimensionen von sowohl potestas als auch violentia umspannen kann,39 möchte ich nicht allein die in den Texten verhandelten Gewaltakte im Sinne von materieller oder physischer Zerstörung, Verletzung oder Tötung in den Blick nehmen, sondern auch Strukturen, Mechanismen und Ansprüche von Macht und Verfügbarkeit, die im Zeichen von Gaben formuliert werden. Damit lassen sich die Beobachtungen und Analysen zu gewaltbesetzten und zu Gewalt stiftenden Gaben in einem umfangreicheren Forschungszusammenhang zur Gewalt im Mittelalter situieren.40 34 Der Terminus ›Danaergeschenk‹ (lat. Danaum fatale munus), der auf das Trojanische Pferd zurückgeht, hat sich für Unheil stiftende Gaben generell durchgesetzt. 35 Vgl. dazu grundlegend Panofsky, Pandora, ferner Starobinski, Gute Gaben. 36 Im Mittelalter – auch darauf verweisen Dora und Erwin Panofsky (Pandora, S. 26) – wird, wie etwa von Origines in seiner Schrift Contra Celsum, zwischen der Geschichte von Pandoras Gefäß und der von der verbotenen Frucht ein Konnex gestiftet. 37 Instanzen des Verbots sind entsprechend: Laokoon in den Trojageschichten, Prometheus in Hesiods Erga, Gott in der biblischen Erzählung. 38 Ich spiele hier auf die Polysemie von Gaben-Begriffen in einigen älteren Sprachen (etwa noch gift im Mittelhochdeutschen) an. Vgl. dazu Kluge, Gabe, S. 240; zu den juridischen Implikationen insbesondere in älteren Rechtssystemen vgl. Schwab, Gabe, Sp. 1364–1366; vgl. darüber hinaus (mit weiteren Literaturangaben) Starobinski, Gute Gaben, S. 70. 39 Zu den historischen Implikationen von ›Gewalt‹ vgl. Röttgers, Gewalt. 40 Gerade für das 12. Jahrhundert hat Friedrich, Diskurs der Gewalt in überzeugender Weise gezeigt, daß sowohl reale Praktiken und Semantisierungen als auch die Diskursivierung von Gewalt signifikant zunehmen, und diese Gewaltstrukturen über rein politische und militärgeschichtliche Aspekte weit hinausweisen. Daß das Thema ›Gewalt‹ derzeit in den Kulturwissenschaften Konjunktur hat, zeigen

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Themenstellung und Perspektiven

Schließlich möchte ich noch einen dritten Begriff ins Spiel bringen: den des Opfers. Ich werde der Frage nachgehen, inwiefern in literarischen Opferdiskursen das Verhältnis von Gabe und Gewalt eine Rolle spielt: Werden beide Kategorien dort gegeneinander ausgespielt oder werden sie koinzidierend gedacht? In diesem Sinne soll meine Arbeit zugleich als ein Beitrag zur Diskussion (mittelalterlicher) Opfervorstellungen gelesen werden. Ausgehend von der mikroskopisch angelegten Lektüre mittelalterlicher Texte sind systematische Aussagen auch im Hinblick auf eine sozial- und kulturanthropologische Theorie der Gabe zu erwarten. Allerdings – so möchte ich betonen – geht es mir nicht um die Erhebung realer Gabenphänomene, sondern vor allem um die Analyse und Darstellung spezifisch literarischer Konfigurationen des Wissens über diskursive Berührungspunkte von Gabe und Gewalt: um eine mittelalterliche Poetik der Gabe. Ich nehme zwar an, daß die Lektüre literarischer Texte gewisse Rückschlüsse auf gelebte Praktiken und Wissensordnungen ermöglicht,41 möchte aber Literatur nicht allein als Archiv eines epochenspezifischen Wissens begreifen. Denn selbst Untersuchungen, die ihr Augenmerk auf anthropologische Gegenstände richten, dürfen nicht vernachlässigen, daß Literatur zum einen Spielraum für Diskussionen von scheinbar verbindlichen Normen und konfligierenden Regeln oder auch für den Entwurf von eigenen Logiken, für Verfremdung und Ästhetisierung von anthropologischen Erscheinungen bietet, und daß zum anderen Erzählgegenstände für die Organisation der narratio und damit auch für die Steuerung der Rezeption – etwa im Dienste epischer Vorausdeutung – funktionalisiert werden. Die Arbeit verfolgt damit einerseits anthropologische und kulturhistorische, andererseits dezidiert literaturwissenschaftliche Interessen. Methodisch ist sie also an der Schnittstelle von Kulturanthropologie und Literaturwissenschaft, näherhin Poetologie und Narratologie, angesiedelt.

vor allem der von Cornelia Herberichs und Manuel Braun herausgegebene Sammelband »Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen« (München 2004), Konzeption und Programm des Berliner Graduiertenkollegs »Codierung von Gewalt im medialen Wandel« sowie die Schwerpunktforschung »Theorie und Geschichte der Gewalt« des Hamburger Instituts für Sozialforschung. 41 Und zwar tue ich dies insofern, als ich – in Anlehnung an Konzepte des New Historicism – von Austauschprozessen zwischen verschiedenen kulturellen Bereichen ausgehe. Vgl. Greenblatt, Verhandlungen, vor allem die programmatische Einleitung »Die Zirkulation sozialer Energie« (S. 7–24); zu grundlegenden Aspekten der Ausrichtung und zu Perspektiven vgl. besonders Kaes, New Historicism, ferner Peters, New Historicism, Jaeger, New Historicism.

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Bevor ich meine methodisch-theoretischen Überlegungen weiter präzisieren werde, möchte ich in einem kritischen Referat zentrale Positionen der bisherigen Gaben- und Opfer-Forschung diskutieren, um aufzuzeigen, welche Aspekte in den bisherigen Debatten akzentuiert und welche zu Unrecht ausgeblendet wurden. Ich werde hierbei besonders jene Arbeiten herausheben, die (a) inzwischen zum engeren ›Kanon‹ der Gaben-Forschung gehören, (b) den Zusammenhang von Gabe und Gewalt reflektieren oder diskutieren, und (c) möchte ich spezifisch mediävistische Untersuchungen besprechen.42 Im Anschluß daran werde ich eigene Fragen und Perspektiven – gerade auch im Hinblick auf die Arbeit an literarischen Texten – formulieren.

1.2 Gabe und Gewalt – Opfer: Forschungsüberblick und -kommentar 1.2.1 Gabentausch versus Anökonomie der Gabe: Zur Logik und Philosophie der Gabe Sozialanthropologie Mauss schrieb seinen »Essai sur le don«, auf den ich mich bereits eingangs bezogen habe, als Reaktion auf das zunehmende Auseinandertriften von ökonomischem, sozialem und moralischem Handeln in modernen Gesellschaften.43 Dem rationalen, anonymisierten und vor 42 Darüber hinaus verweise ich auf Wagner-Hasels exzellente Darstellung der Forschungsgeschichte (Stoff der Gaben, S. 27–76). 43 Eine Reihe jüngerer wirtschaftstheoretischer und soziologischer Arbeiten problematisiert die analytisch strikte Trennung zwischen Gaben-Praktiken in ›archaischen‹ Gesellschaften und Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Wirtschaft, wie sie für Mauss sowie Diskussionen, die im Anschluß an den »Essai sur le don« geführt werden, charakteristisch sind. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wird die ›Gabe‹ neu definiert (Gregory, Gifts, Cheal, Gift Economy) oder zugunsten der Begriffe ›Tausch‹ (Clausen, Tausch, Stentzler, Tausch, Heise, Tauschwirtschaft, Kämpf, Tauschbeziehungen) und ›Schenken‹ (Rost, Theorie des Schenkens) ganz verabschiedet. Noch einmal in die Tradition der kapitalismus- und gegenwartskritischen Gaben-Debatten hat sich dagegen Berking eingeschrieben: Die Geschichte des Gebens – so seine zentrale These – sei die Geschichte der Ausdifferenzierung von Ökonomie und Kultur (S. 11), der sich wandelnden Beziehungen sowie der Individualisierung des Schenkens (S. 27 u. ö.). Berking, der – allerdings ohne dif-

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allem profitorientierten Kapitalismus seiner Zeit stellt er – idealisierend und mythisierend – Gabentauschpraktiken sogenannter archaischer Gesellschaften gegenüber.44 Im folgenden möchte ich das Augenmerk auf einige seiner elementaren Denkfiguren richten, die auch für die Analyse mittelalterlicher Gabendiskurse Erkenntnisperspektiven aufzeigen können, wenn man zugleich Vielfalt und kulturspezifische Besonderheiten der Gabenentwürfe berücksichtigt:45 Gabe und Gegengabe: In zahlreichen traditionalen Kulturen – so Mauss – werden Austausch und Verträge in Form von Gaben abgewickelt, die den Anschein erwecken, als seien sie freiwillig, die jedoch »immer gegeben und erwidert werden müssen.«46 Der Gaben-Kontrakt, der nicht zwischen einzelnen Individuen, sondern immer zwischen Familien oder Stämmen abgeschlossen werde, konstituiere sich aus drei verbindlichen Elementen: dem Geben, Annehmen und Erwidern einer Gabe.47 Der Mechanismus von ›Gabe und Gegengabe‹ sei für jene Gesellschaften charakteristisch, die »noch nicht das Stadium des reinen Individualvertrags, des Geldmarktes, des eigentlichen Verkaufs erreicht haben und vor allem nicht zum Begriff des festen Preises und des gewogenen und gemünzten Geldes gelangt sind.«48 Magie der Gabe: Besonders betont Mauss den anthropomorphen und magischen Charakter der Gaben. Die Dinge, die ausgetauscht wer-

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ferenzierte Ausarbeitung der Thesen am historischen Material – versucht, den Verlauf dieser Geschichte nachzuzeichnen, verortet die Gabe an ihrem Ursprung und definiert sie in enger Anlehnung an Mauss’ Gaben-Theorie: »An und in ihr bindet sich alles: Opfer, Pflicht, Schuld, Krieg und Frieden, Status und Prestige. Die Gabe repräsentiert sich gleichzeitig als symbolische Form und als materielles Substrat gesellschaftlicher Synthesis. Sie konstituiert einen Tausch, der Ökonomie, Macht und Moral, Kult und Kultur noch unhintergehbar vereint« (S. 63). Mauss selbst hat keine eigenen Feldforschungen betrieben. Seine theoretischen Ansätze basieren unter anderem auf Malinowskis Material des 1922 zum ersten Mal erschienenen Werkes »Argonauts of the Western Pacific« (deutsch 1979). Letzteres hat Mauss zugunsten seiner zentralen These, daß zahlreiche der sogenannten traditionalen Kulturen dieselbe Rechts- und Wirtschaftsordnung besäßen, weitgehend ausgeblendet. Insofern ist ihm legitimer Weise – zuletzt von WagnerHasel (Stoff der Gaben, besonders S. 39 und S. 41f.) – vorgeworfen worden, daß er unterschiedlichste Gabenphänomene enthistorisiert und vereinheitlicht habe. Daß seine Analysen wie die darauf aufbauende ›Theorie der Gabe‹ auf wenige Argumente reduziert und diese wiederum »jenseits von Raum und Zeit rezipierbar« (Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 41) wurden, ist jedoch allererst das Ergebnis abstrahierender Rezeption des »Essai sur le don« und nicht Mauss selbst zuzurechnen. Mauss, Gabe, S. 17. Mauss, Gabe, S. 91–103. Mauss, Gabe, S. 119.

Gabe und Gewalt – Opfer

den, seien nicht substanzlos, sondern besäßen einen Geist oder eine Seele (hau). Die Personen verdoppeln sich auf diese Weise in den Sachen, und umgekehrt werden durch die Gaben persönliche Verhältnisse, Kommunikations- und Handlungsstrukturen materialisiert.49 Daraus resultiere der Verpflichtungscharakter zur Erwiderung der Gabe. Denn etwas anzunehmen, ohne es zu beantworten, hieße, »etwas von seinem geistigen Wesen annehmen, von seiner Seele; es aufzubewahren wäre gefährlich und tödlich«, weil diese Dinge »magische und religiöse Macht über den Empfänger haben.«50 Gabe und Prestige: Im Unterschied zu kapitalistischen Systemen ziele der Austausch von Gaben weniger auf die Maximierung materiellen Profits als vielmehr auf den Gewinn an sozialem Prestige. In diesem Sinne sei der Austausch ein Modus der Familien- oder Clanoberhäupter, ihren Platz innerhalb der sozialen Hierarchie zu bestimmen. Gabe und Agon: Sämtliche Praktiken des Gebens, des Annehmens oder Ablehnens sowie des Erwiderns seien geprägt von Rivalität und Antagonismus. Insbesondere den indianischen Potlatch – eine Form sublimierter Kriegsführung –, bei dem periodisch Unmengen an Reichtümern verschwenderisch zerstört und anschließend memoriert werden, stellt Mauss als »totale Leistung vom agonistischen Typ« heraus.51 Im Unterschied zu Mauss differenziert Raymond W. Firth, der ausschließlich Praktiken der Gabe bei den Maori untersucht, zwischen Schenken (»transfer of presents«) und Austausch (»exchange«):52 Während die erste Form des Gabentransfers keine Verpflichtungen impliziere, fordere die Gabe im Fall des Tausches eine äquivalente Gegengabe (»an equivalent given in return«).53 Der Wert der Gabe – Firth

49 Mauss bezieht sich hier vor allem auf die Praktiken der Maori (Gabe, S. 31–36). Zu kritischen Stimmen an Mauss’ »Mystifizierung der Gabe« vgl. im Überblick Wagner-Hasel, Egoistic Exchange. 50 Mauss, Gabe, S. 35 f. 51 Mauss, Gabe, S. 25 u. ö. Mauss übernimmt den indianischen Begriff als allgemeine soziologische Kategorie für agonale Praktiken der Gabe. In diesem Sinne wurde und wird er auch in der Gaben-Forschung weiter tradiert. 52 Dies entspricht einer Unterscheidung, die ähnlich bereits Malinowski getroffen hat: Er hebt reine Gaben (»pure gifts«) von Gaben, die gegen mehr oder weniger äquivalente Gaben getauscht werden, ab (Argonauten, S. 128, S. 217–234). Weiner, die seit den siebziger Jahren auf der Grundlage eigener Feldforschungen besonders Malinowskis Beiträge revidiert hat, kritisiert diese Differenzierung, weil sie auf der Segmentierung von Tauschbeziehungen beruhe, statt diese über einen längeren Zeitraum zu beobachten (Inalienable Possessions, vor allem S. 23–28). 53 Firth, Primitive Economics, S. 394 u. ö.

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Themenstellung und Perspektiven

spricht vom potentiellen Tauschwert (»potential exchange value«)54 – werde im täglichen Austausch55 immer wieder neu bestimmt.56 Besonders wertvolle Objekte befinden sich jedoch über Generationen hinweg ausschließlich im Besitz der angesehensten und privilegiertesten Familien beziehungsweise ihres Oberhauptes. Zum Teil handelt es sich hierbei um Grabbeigaben, die später wieder hervorgeholt und dann als besonders sakral angesehen werden.57 Firth verweist damit am Rande auf einen für die Stiftung kultureller Identitäten sehr wichtigen Spezialfall der Gabe, dem Annette Weiner und – im Anschluß an ihre Studien – Maurice Godelier erst viele Jahre später wirklich Aufmerksamkeit geschenkt haben: Die Rede ist von unveräußerlichen Besitztümern (»inalienable possessions«)58 oder auch ›heiligen Objekten‹.59 Es handelt sich um Dinge, die von derselben Art sein können wie geldähnliche Objekte oder Gaben, die aber im Unterschied zu diesen nicht vergeben werden dürfen und nicht zirkulieren, weil sie eine besondere – zum Teil mythische – Vorgeschichte besitzen oder im Rahmen sakraler Rituale – etwa Initiations-, Ahnen- oder Opferkult – geheiligt wurden. Unveräußerliche oder heilige Objekte werden in aller Regel innerhalb einer Gruppe von Generation zu Generation weitergereicht.60 Gehen solche – Identität und Kontinuität stiftenden61 – Dinge einer Gemeinschaft dennoch in kriegerischen Auseinandersetzungen, in Wettkämpfen oder etwa auch durch zwangsweise handelsmäßige Veräußerung verloren,62 wird

54 Firth, Primitive Economics, S. 391 f. 55 Firth unterscheidet zwischen »Intra-Communal Exchange«, dem Gabentausch zwischen Familienmitgliedern oder Bewohnern eines Dorfes und »Extra-Communal Exchange«, dem Austausch über die Grenzen des Dorfes hinaus (Primitive Economics, S. 395–402). 56 Firth läßt offen, auf welche konkrete Weise, entsprechend welcher Regeln und Kriterien dies geschieht. 57 Firth, Primitive Economics, S. 387–390. 58 Weiner, Inalienable Possessions, besonders S. 36–40. 59 Godelier, Rätsel der Gabe, S. 51–55 sowie S. 156–206. 60 Weiner, Inalienable Possessions, S. 38. 61 Vgl. dazu besonders Godelier, Rätsel der Gabe, S. 51 sowie S. 169. 62 Godelier liest in diesem Kontext auch den mittelalterlichen Reliquienhandel: »Diese heiligen Reliquien, die gegeben oder verkauft wurden, waren Gegenstand von Begehrlichkeit, von Diebstahl und Raub, oder sie wurden zum Anlaß von Wallfahrten, die an ihrem Aufbewahrungsort Tausende von Gläubigen anzogen, eine Quelle von Reichtümern für die Abteien und Kirchen, die sie in ihrer Obhut hatten. Doch diese ganze Zirkulation und dieser ganze Handel hatten nur Sinn in bezug auf unverkäufliche, nicht einzutauschende ›heilige Realien‹, die allein in Rom und Jerusalem vorhanden waren […]« (Rätsel der Gabe, S. 171, Anm. 8).

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der Status von Herrschern wie die Identität von Clans irreparabel verletzt.63 Grundlegend von Mauss’ Gabentheorie heben sich die strukturalistischen Ansätze von Claude Lévi-Strauss ab: Für ihn ist der Tausch64 die zentrale Kommunikationsform ›archaischer‹ Gesellschaften und ein System mit symbolischem Wert.65 Die getauschten Dinge seien nicht nur ökonomische Werte, sondern sie dienten vordergründig zur Darstellung und Behauptung von Macht und Status. Der Tausch finde in Ritualen statt, in denen Allianzen und Rivalitäten zum Ausdruck gebracht und Hierarchien ausgehandelt werden.66 Bestimmend sei das Gesetz der Reziprozität – des doppelten Rhythmus von Geben und Nehmen –,67 der die Gesellschaft strukturiere und schließlich – und dies ist für Lévi-Strauss’ strukturalanthropologische Kulturtheorie ganz zentral – auch dem Austausch der Frauen zugrundeliege.68 Für zahlreiche Kulturen gelte, daß der Austausch der Bräute einen Prozeß gegenseitigen Gebens abschließe, durch den zudem, wenn es sich um bisher rivalisierende Gruppen handle, der Übergang von der Feind63 Weiner, Inalienable Possessions, S. 37. 64 Lévi-Strauss verwendet – anders etwa als Mauss – vorzugsweise den Begriff ›Tausch‹. Denn die Gabe sei zwar die elementare Form des Austausches, doch gerade sie wäre zugunsten des Tausches verschwunden (Die elementaren Strukturen, S. 119). Damit verweist schon Lévi-Strauss auf jene basale Logik der Gabe, die später Derrida seiner Denkfigur zugrundelegt. 65 Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen, S. 112 u. ö. 66 Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen, S. 109. 67 Zur Gabe, mit welcher die Verpflichtung einhergehe, sie anzunehmen und zu erwidern vgl. Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen, S. 110 und S. 112; zum Prinzip der Gegenseitigkeit vgl. auch S. 132. Desweiteren differenziert Lévi-Strauss je nach Grad der Komplexität zwischen eingeschränktem (S. 228–330) und generalisiertem Tausch (S. 333–612). Einer der ersten, der den Begriff ›Reziprozität‹ beziehungsweise ›Gegenseitigkeit‹ in die Gaben-Forschung eingebracht hat, war Thurnwald. Er verwendet ihn für Tauschakte, die nicht auf einen ökonomischen Gewinn zielen (Gegenseitigkeit, S. 282 f.). Wie noch zahlreiche Forscher nach ihm gebraucht er ihn im Sinne eines wechselseitigen Gebens von äquivalenten (identischen oder gleichwertigen) Gaben (Gegenseitigkeit, S. 284). Vgl. dazu auch Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 31 f. Zum Versuch einer Abgrenzung und genaueren Bestimmung der in den Gaben-Debatten am häufigsten verwendeten Termini ›Reziprozität‹ und ›Warentausch‹ vgl. Elwert, Reziprozität. 68 Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen, S. 83 u. ö. Falsch wäre es demnach zu behaupten – so formuliert Lévi-Strauss –, »daß man zur selben Zeit, da man Frauen austauscht oder gibt, Geschenke austauscht oder gibt. Denn die Frau selbst ist nichts anderes als eines dieser Geschenke, freilich die höchste jener Gaben, die nur in Form gegenseitiger Gaben zu erhalten sind« (Die elementaren Strukturen, S. 124).

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schaft zur Allianz vollzogen werde.69 Lévi-Strauss unterscheidet zwischen Brautraub,70 Kauf- und Tauschheirat, wobei er die hier an dritter Stelle genannte Form als grundlegendes Moment der Institution Ehe begreift. Den Austausch von Frauen – so könnte man Lévi-Strauss’ Argumentation auf den Punkt bringen – faßt er als spezifischen Modus von Gabe und Gegengabe, als Ausgleich von »verlorenen« und »gewonnenen« Frauen auf.71 In kritischer Auseinandersetzung mit strukturalistischen Ansätzen72 entwickelt Pierre Bourdieu seine Theoreme des ›symbolischen Kapitals‹. Im Gegensatz zu den reduktionistischen Modellen der strukturalen Anthropologie begreift er Gabentransaktionen als komplexe soziale Praktiken, die durch instrumentelle Handlungen und Strategien, vor allem aber durch die Wirksamkeit symbolischer Macht bestimmt werden: Bourdieu beschreibt den Gabentausch in funktionaler Analogie zur Konstitution von Ehre.73 Den Kampf um Ehre und den Austausch von Gaben faßt Bourdieu als vergleichbare Kommunikationshandlungen auf, die gleichermaßen ritualisierte und institutionalisierte Strukturen aufweisen.74 Jede Gabe stelle gleichzeitig eine Provokation dar, die von ihrem Empfänger angenommen oder zurückgewiesen werden könne. Lehnt der Rezipient die Gabe ab oder macht eine identische Gegengabe, werde der Austausch verhindert oder beendet. Auch die Aufhebung der Zeit zwischen Gabe und Gegengabe komme dem Abbruch des Tausches gleich. Allein das Überbieten der Gabe könne zum Aus69 Im rituellen Rahmen von Hochzeiten werden weitere Gaben unterschiedlicher Art als Ausdruck des Bündnisses hin und her gereicht: Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen, S. 127 u. ö. Zu Dimensionen des Tausches im Rahmen von Eheschließungen vgl. auch König, Hochzeit, besonders S. 30–33. 70 Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen, S. 67 u. ö. Vgl. dazu auch Volprecht, Frauenraub, S. 102–107; Volprecht (S. 105) unterscheidet zwischen Raub ohne Einverständnis der Frau (Frauenraub) und Raub, dem die Frau zugestimmt hat (Brautraub). 71 Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen, S. 208 u. ö. In diesem Sinne wendet er sich gegen die Annahme, daß die Ablehnung des Inzests, wie sie in verschiedenen Gesellschaften zu beobachten ist, vornehmlich auf einem Tabu beruhe. Die Exogamieregel sei vielmehr als ein Gebot zu verstehen, welches vorgibt zu geben, um zu erhalten (S. 639–663, besonders S. 643). Zu Recht kritisiert Godelier, daß Lévi-Strauss Verwandtschaft allein auf den Austausch (von Frauen), die Reziprozität und das Symbolische reduziere (Rätsel der Gabe, S. 54). Zur Kritik an LéviStrauss’ Inzest-Theorie vgl. besonders Girard, der das Inzest-Verbot vor allem als Regel zur Abwehr von Gewalt begreift (Das Heilige, S. 322–366). 72 Vgl. besonders Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 7–45. 73 Bourdieu, Entwurf und Ökonomisches Kapital sowie Sozialer Sinn. 74 Bourdieu, Entwurf, vor allem S. 19–22.

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druck bringen, »daß man bereit ist, das Spiel nach der Regel ›Herausforderung als Erwiderung der Herausforderung‹, die beide immer wieder erneuert werden, zu spielen.«75 Wie jegliche Kommunikationshandlung tendiere also auch der Austausch zur Logik von Ostentation und Entgegnung und in diesem Sinne weise er immer schon eine agonale Grundstruktur auf.76 Derjenige, der die großzügigste Gabe mache, übe auf verdeckte Weise Gewalt aus. Indem die Gabe jede Möglichkeit einer Gegengabe ausschließe, würde die Herausforderung des Gebers den Empfänger nicht nur in den ökonomischen, sondern auch in den sozialen Ruin – in Unehre – stürzen.77 Bourdieu unterscheidet zwei Formen der Gewalt, deren Instrumentalisierung dazu führe, jemanden dauerhaft zu verpflichten: einerseits die Schuld und andererseits die Gabe, das heißt, »die offen ökonomischen Schuldverpflichtungen oder die vom Austausch hervorgebrachten und unterhaltenen ›moralischen‹ und ›affektiven‹ Verpflichtungen, kurzum die (physische oder ökonomische) offene Gewalt oder die […] verkannte und anerkannte symbolische Gewalt.«78 Entscheidend an Bourdieus Theorie ist vor allem die Vorstellung von der Überführbarkeit ökonomischen in symbolisches Kapital beziehungsweise von der Konvertierbarkeit aller Kapitalarten.79 Diese beruht auf der Annahme, daß sämtliche sozialen Tauschprozesse generell miteinander verschränkt sind.80 Bourdieus Überlegungen lassen das Verhältnis von materiellem und symbolischem Wert der Gabe transpa75 Bourdieu, Entwurf, S. 29 f. 76 Ähnlich wie Bourdieu formuliert Clausen seine Tausch-Theorie, der er das Konzept des »antagonistischen Tauschs« (Tausch, S. 119) zugrundelegt, als Konflikttheorie. 77 Bourdieu, Entwurf, S. 29. 78 Bourdieu, Entwurf, S. 369. 79 Bourdieu differenziert zwischen ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital einerseits sowie symbolischem Kapital andererseits. Erst wenn sich die hier zuerst aufgeführten Kapitalarten in symbolisches Kapital verwandeln – so Bourdieus These – können sie wirksam werden. Allen Kapitalarten liege das ökonomische Kapital zugrunde und bestimme, »wenn auch nur in letzter Instanz, ihre Wirkungen« (Ökonomisches Kapital, S. 196). Aber allein auf dem symbolischem Kapital beruhe die Macht, die von ihnen ausgeht. Dinges unterstellt Bourdieu einen versteckten Ökonomismus und kritisiert in diesem Sinne den Kapital-Begriff. Er würde vernachlässigen, daß Ehre nicht ein für alle Mal akkumuliert werden könne. Dinges spricht statt dessen von ›Vermögen‹ (Semantik, S. 420). Ich sehe im Austausch der Begriffe keinen Gewinn, zumal Bourdieu den Wiederholungscharakter der Kapitaltransaktionen mehrfach betont. 80 Vgl. dazu auch Haselstein, Poetik der Gabe, S. 274, Göhler/Speth, Symbolische Macht, S. 38.

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renter erscheinen als die älteren sozialanthropologischen Ansätze: Sie lassen erkennbar werden, daß materielle Interessen im Vergeben der Gabe beziehungsweise im Gabentausch zwar verborgen bleiben oder verschleiert werden, daß sie aber nicht bedeutungslos sind. In der öffentlich vollzogenen Verteilung von Gaben dominiert zwar das Streben nach dem größtmöglichen Profit an Ehre und Prestige – dem symbolischen Kapital –, aber dieses basiert auf der Repräsentation von Kostbarkeiten und Raritäten, deren Wert häufig sogar benannt wird. Materielle Reichtümer wandeln sich, indem sie angehäuft und öffentlich zur Schau gestellt werden, zu Instrumenten der Machtdemonstration.81 In diesem Sinne opponiert Bourdieu sowohl gegen einen reinen »Ökonomismus«, wie er vornehmlich in Wirtschaftstheorien vertreten wird, einen »›Ökonomismus‹, der alle Kapitalformen für letztlich auf ökonomisches Kapital reduzierbar hält und deshalb die spezifische Wirksamkeit der anderen Kapitalarten ignoriert«, wie auch gegen den – etwa strukturalistischen – »Semiologismus«, der »die sozialen Austauschbeziehungen auf Kommunikationsphänomene« und einfache Schemata reduziert. Wichtig erscheint mir zuletzt auch – und dies unterscheidet Bourdieus Perspektive wiederum von älteren sozialanthropologischen Untersuchungen – die methodische Unterscheidung zwischen der Wahrnehmung der an Gabentransaktionen beteiligten Akteure, ihrer Geschichten und Inszenierungen einerseits und der Wahrnehmung des Beobachters andererseits: Beobachtet man beispielsweise die Beziehungen zwischen Gebenden und Nehmenden über einen längeren Zeitraum hinweg, könnte möglicherweise deutlich werden, daß sich eine gelebte oder inszenierte Irreversibilität der Gabe letztlich doch als nur verschleierte Reversibilität erweist.82

Geschichtswissenschaften Fünfzehn Jahre sind vergangen, seitdem der Mittelalterhistoriker Jürgen Hannig nach einer Geschichte der Gaben verlangte, »die versucht, jenen zielgerichteten und in ein Netzwerk von sozialen Normen eingebundenen – nichtkommerziellen – Austausch von Gütern in den traditionellen Gesellschaften des europäischen Mittelalters zu erfassen«.83 81 Vgl. dazu Bourdieu, Entwurf, S. 219 f. 82 Bourdieu, Ökonomisches Kapital, S. 196. 83 Hannig, Ars donandi, S. 12 f.

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Diese Geschichte ist so, daß sie Hannigs Anspruch gerecht werden könnte, nach wie vor nicht geschrieben worden. Dennoch wird an einer Reihe von Veröffentlichungen sowie besonders an der 1999 am Deutschen Historischen Institut Paris abgehaltenen Tagung »Négocier le don au Moyen Age – Negotiating the Gift in the Middle Ages« ablesbar,84 daß die mediävistische Geschichtswissenschaft verstärkt Interesse an den Modalitäten oder ›Ritualen‹ von Gabe und Gabentausch gefunden hat. Hinsichtlich der theoretischen und terminologischen Fundierung des Gaben-Begriffs werden sowohl Anknüpfungspunkte in Soziologie und Sozialanthropologie gesucht als auch innovativ eigene Wege beschritten. Hannigs eigenes Verdienst besteht darin, den Versuch einer thesenhaft ausgearbeiteten Systematisierung mittelalterlicher Modi der Gabe gewagt zu haben.85 Die einzelnen Phänomene faßt Hannig abschließend zu einem »System reziproker Geschenke«86 zusammen, welches sowohl ökonomische Austauschprozesse bestimme als auch soziale Interaktionen als Macht- und Herrschaftsbeziehungen einerseits und als Kooperationsverbindungen andererseits konstituiere und darstelle. Problematisch erscheint mir Hannigs Ansatz insofern, als er 84 Vgl. zur Dokumentation der Ergebnisse Algazi/Groebner/Jussen, Negotiating the Gift. 85 Vgl. Hannig, Ars donandi, S. 15–17. Er unterscheidet zwischen munera (Gabentausch im Rahmen diplomatischer Beziehungen wie Tributzahlungen), convivium et munera (Koinzidenz von gemeinsam abgehaltenem Mahl und dem in feierlichen Formen geregelten Geschenkaustausch), dona annualia (regelmäßig zu liefernden Pflichtgeschenken als einer Art der Besteuerung) und dona (grundherrschaftlichen Abgaben, die man ebenfalls bis zum Spätmittelalter als Geschenke an den Herrscher aufgefaßt habe). Dagegen zeigt Kuchenbuch, Porcus donativus, in Analysen zur seigneurialen Praxis vom 8. bis zum 12. Jahrhundert, daß Gaben zwar auch als verschleierte Zinsleistungen gefordert wurden, aber Gabe und Abgabe beziehungsweise Zins nicht substituierbar sind, weil sie häufig nebeneinanderstanden. Dazu filtriert er ein Spektrum an Begriffen und Bedeutungsfeldern heraus, welches weit über das von Hannig aufgeführte hinausreicht. Die für das Mittelalter typischen Stiftungen beschreibt Hannig als »reziproke Schenkungen mit dem Jenseits, den Heiligen und den Toten, die offenbar nach den gleichen Regeln erfolgten wie die Gabentauschaktionen mit Lebenden« (S. 17). Ähnlich argumentiert Angenendt (Religiosität, S. 373–378); Jussen, Religious Discourses zeigt hingegen, daß der Gedanke der Reziprozität in religiösen Gabendiskursen häufig verworfen oder zumindest verschleiert wird, insofern nämlich eher selten explizit von ›Gabe‹ und ›Gegengabe‹ die Rede ist. In Kapitel 4.1.1 werde ich vorführen, auf welche Weise ein Ausgleichsdenken in einem literarischen Text mit religiösen Argumenten diskutiert wird. 86 Hannig, Ars donandi, S. 18. Hannig verwendet demnach ›Gabe‹ und ›Geschenk‹ als Synonyme.

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von »stets wiederkehrenden Regelhaftigkeiten«87 im Gabensystem spricht, welche den Blick für Ausnahmen weitgehend verstellen. Ähnlich verallgemeinernd argumentiert Gerd Althoff, der die Gabe in einem umfangreicheren Regelwerk zur Vermeidung von Konfliktsituationen funktionalisiert sieht, für das – so seine zentrale These – demonstrativ-rituelle Grundstrukturen bestimmend waren.88 Althoff, der seinen Ritual-Begriff an keiner Stelle näher definiert, faßt rituelles Handeln hauptsächlich funktional auf, nämlich als ein Handeln, das darauf zielt, Ordnung zu stiften und zu bestätigen.89 Auffällig ist ferner, daß Althoff zwar neben einer langen Reihe gelingender Rituale auch Störungen beschreibt – so verweist er einerseits auf Beispiele von Köpfungen und Vergiftungen bei Tisch90 sowie andererseits auf Fälle, in denen Gaben abgelehnt, zerstört oder ostentativ überboten werden91 –, daß aber von endgültig scheiternden Ritualen nicht die Rede ist. Doch schon in Anbetracht der zahlreichen Verstöße sowohl gegen ›Regeln‹ des Gastmahles als auch gegen jene der Gabe, die Althoff selbst exemplarisch anführt, wäre zu fragen – und dies übrigens auch im Hinblick auf Hannigs Thesen –, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, von fixen Regeln und Ordnungen zu sprechen. Angemessener erscheint es mir, Althoffs Formulierungen im Gestus des Selbstverständlichen gegen ein Begriffsinstrumentarium auszutauschen, welches im Rahmen institutioneller Analyseansätze im Dresdner SFB 537 entwickelt wurde. Dann wäre vielmehr von »Ordnungsbehauptungen« und »Geltungsansprüchen« als von unhinterfragten Regeln und festen Ordnungen zu sprechen.92 Wie Althoff geht auch Benjamin Scheller davon aus, daß Ordnungen und Hierarchien der mittelalterlichen Gesellschaft unter anderem ihren Ausdruck im »rituellen Gabentausch«93 finden. In – unkritischer –

87 Hannig nennt dazu drei verbindliche Kriterien des Gebens, die deutlich erkennen lassen, wie stark er den Verallgemeinerungen der älteren Gabenforschung verhaftet ist: «Öffentlichkeit», «Überbietung», «verpflichtende Annahme» (Hannig, Ars donandi, besonders S. 18 f.). 88 Althoff, Spielregeln, S. 1–17 (Einleitung), besonders S. 1 und S. 11. 89 Vgl. etwa Spielregeln, S. 13 (Einleitung). 90 Althoff, Charakter des Mahles, S. 22–25. 91 Althoff, Demonstration, S. 244 und Empörung, S. 264. 92 Vgl. – mit zahlreichen Verweisen auf grundlegende und weiterführende Arbeiten – Rehberg, Weltrepräsentanz, S. 8. 93 Scheller, Rituelles Schenken, S. 56. Ähnlich wie Althoff setzt Scheller regelhaftes und rituelles Handeln gleich und geht ebenfalls von »bestimmten Regeln« (S. 56) aus, nach denen Interaktionen bei Hof verliefen. Er grenzt sich aber insofern von Althoff ab, als er Rituale bei Hof mit Spielen vergleicht, die zwar festen Regeln

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Anlehnung an die Ansätze von Marshall Sahlins hebt er den »gleichwertige[n], balancierte[n]« und den »asymmetrischen« Gabentausch voneinander ab,94 betont allerdings stärker als Sahlins symbolische Dimensionen der Gabentransaktion. Dezidiert verweist er auf die Funktion der Gabe, die hierarchischen Verhältnisse von Geber und Empfänger »anzuzeigen«:95 Die ›balancierte‹ Form des Tausches binde Gebende und Nehmende »auf der Basis von Gleichrangigkeit«, Asymmetrie hingegen spiegle ein Ranggefälle zwischen den Tauschenden wider. Aufmerksamkeit schenkt Scheller sodann Formen des Gebens, die deutlich agonale Züge tragen. Er beschreibt Rangrivalitäten, die durch Affront-Gaben ausgedrückt werden und rückt diese explizit in die Nähe des von Mauss beschriebenen indianischen Potlatch.96 Da der folgen, aber einen offenen Ausgang haben. Rituale schließen – so Scheller – unerwartetes Handeln und Konflikte nicht aus, und seien demnach nicht als Störungen oder Verstöße wahrzunehmen (vgl. S. 56 f.). An konkreten Beispielen arbeitet er heraus, daß selbst eine geregelte rituelle Interaktion scheitern konnte, wenn die Interessengegensätze unauflösbar waren. Scheller folgt den GabenTheorien von Mauss und Sahlins, ohne diese weiter zu differenzieren. Dementsprechend geht er von vornherein von einem Gaben-Tausch aus. 94 Sahlins kennt drei verschiedene Arten des elementaren Austauschs. Den Tausch zwischen nahen Verwandten, für den ein hohes Maß an Solidarität charakteristisch ist, bezeichnet er als generalisierten Austausch (»generalized reciprocity«). Selbst wenn ein Austausch erst dann in Gang komme, wenn auf die Gabe eine Gegengabe folgt, verpflichte die Gabe in diesem Zusammenhang keineswegs dazu, erwidert zu werden. Die Zeit, die zwischen dem Geben und dem Erwidern der Gabe liegt, verberge, daß es sich um einen Austausch handle. Gabe und Gegengabe müßten einander in keinster Weise entsprechen. Darin unterscheide sich der Austausch, der den Regeln einer ausgeglichenen Reziprozität (»balanced reciprocity«) folge. Getauscht werden Güter desselben Wertes. Hierzu rechnet Sahlins auch den Kauf und Verkauf von Dingen, der nicht auf Profit ausgerichtet ist. Unter dem sogenannten negativen Austausch versteht er Formen des Tausches, bei denen die Beteiligten entweder an Werten gewinnen oder verlieren, beispielsweise Diebstahl, Wucher, ausbleibende Erwiderung oder auch Überbietungsstrategien im Sinne von Mauss (Sahlins, Primitive Exchange, S. 147–149, Stone Age Economics, S. 193–196). Sahlins – so ließe sich sein Ansatz zusammenfassen – konzentriert sich vornehmlich auf die ökonomischen Aspekte der Gabe. Er rückt die Gabe als ›Ware‹, als Gebrauchsobjekt im ›archaischen‹ Tauschwertsystem in den Vordergrund und vernachlässigt dabei ihre kommunikativen und symbolischen Dimensionen. 95 Scheller, Rituelles Schenken, S. 57. 96 Vgl. Scheller, Rituelles Schenken, S. 60: »Die Kontrahenten versuchen, einander in der Anhäufung von Gaben, im Prahlen mit ihrem Reichtum oder in der Zerstörung von Reichtümern zu übertreffen und sich den anderen so gleichsam zu unterwerfen, ihm im Wortsinne den Rang abzulaufen, da mehr zu geben Überlegenheit beweist.«

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Austausch von Gaben auch in der mittelalterlichen Gesellschaft soziale Bindungen gestiftet habe, seien Ablehnung oder Zerstörung einer Gabe dem Verweigern sozialer Gemeinschaft gleichgekommen.97 Ein elaborierteres theoretisches Instrumentarium, mit dem es möglich wäre, den Austausch von Gaben in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen in einem umfassenderen Bezugssystem zu analysieren, präsentiert Jan Hirschbiegel. Sein Entwurf läßt sich als Angebot lesen, den Gabentausch am mittelalterlichen Hof in Anbindung an Niklas Luhmanns Systemtheorie als ein »Subsystem« des Systems Hof, Schenken als einen »Teil der höfischen Institution« zu begreifen.98 Den in der Gabenforschung kontrovers diskutierten Begriff ›Reziprozität‹ bestimmt er als »das Kommunikationsmedium aller Systeme des sozialen Tausches« und die Gabe als »pragmatisch einsetzbares Kommunikationsmedium«.99 Allerdings bleibt Hirschbiegel es schuldig, Tragweite und Gewinn des systemtheoretischen Ansatzes für die Analyse mittelalterlicher Gabenphänomene in seiner Ausarbeitung am konkreten historischen Material vorzuführen.100 Herausheben möchte ich schließlich die Arbeit der Althistorikerin Beate Wagner-Hasel zur »Kultur und Politik des Schenkens und Tauschens im archaischen Griechenland«. Nicht allein aufgrund ihres umfassenden und detallierten Überblicks zur Forschungsgeschichte,101 sondern auch im Hinblick auf ihre – gegenüber den älteren Gabendebatten – komplexen und perspektivenreichen Fragestellungen ist sie ein großer Gewinn für die Gabenforschung: Sie selbst definiert ihre Arbeit als »Studie über die Rolle von Gaben in den Kommunikationsstrukturen der Griechen«.102 Ausgangspunkt der Untersuchung ist eine genaue Analyse sowohl der Gegenstände, die in der Welt der homerischen Epen zirkulieren, als auch der zahlreichen spezifischen Begriffe, die das Griechische für unterschiedliche Gabenphänomene kennt. Anhand der materiellen und zeichenhaften Dimensionen der Objekte rekonstruiert Wagner-Hasel politische, soziale und ökonomische Dimensionen der Gabe. Sie lenkt damit den Blick auf die Objekte – Dreifußkessel, Stoffe, Schmuck und Waffen – und ihre Symbolik selbst, 97 98 99 100

Scheller, Rituelles Schenken, S. 57. Hirschbiegel, Gabentausch, S. 48. Hirschbiegel, Gabentausch, S. 51. Der von Hirschbiegel/Ewert verfaßte Beitrag (Gabe) gibt zwar Aufschluß über konkrete Praktiken des Gabentauschs am französisch-burgundischen Hof um 1400, der systemtheoretische Ansatz wird hier allerdings nicht aufgegriffen. 101 Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 27–76. 102 Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 307.

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ohne jedoch die Analyse jener Rituale wie Gastfreundschaft, Eheschließungen oder Totenkult, in welche die Gaben eingebunden sind, aus den Augen zu verlieren. Einen besonderen Stellenwert erkennt sie der Gabe als Trägerin von Botschaften und als Memorialgegenstand zu.103 Wagner-Hasel begreift die Analyse der erzählten Gaben – unter Berücksichtigung realienkundlicher Forschungen – als Schlüssel zu Erkenntnissen über soziale Praktiken im Griechenland des 8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr.104 Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive wäre allerdings zu wünschen gewesen, daß Wagner-Hasel die Literarizität der homerischen Epen stärker berücksichtigt hätte. Sie verweist zwar auf Untersuchungen zur Funktionalisierung von Textilien für die Strukturierung der narratio,105 versucht aber an keiner Stelle ihrer Arbeit, zwischen diesen und ihren eigenen Interessen zu vermitteln.

Germanistische Mediävistik Die wenigen exemplarischen Untersuchungen zur Gabe, die im Rahmen der germanistischen Mediävistik entstanden sind, konzentrieren sich – unter jeweils anderer Perspektive – vornehmlich auf die Implikationen literarischer milte-Diskussionen.106 Ausgehend von Buch X des Wälschen Gastes bestimmt Harald Haferland Dimensionen höfischer Freigebigkeit. Im Gabentausch erkennt er eine archaische Form von Reziprozität,107 ein »bedeutsames Medium

103 Vgl. Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 313: »Die Gaben sind zum Teil über ihren Bildschmuck als Nachrichtenträger konzipiert und werden nach den Befunden des Epos als solche zielgerichtet eingesetzt: als Erinnerungs- und Identitätszeichen im Ritual der Gastfreundschaft und im Totenritual, als Bindungssymbol in sozialen Beziehungen und schließlich als normative Zeichen in Situationen, die Entscheidungshandeln erfordern.« 104 Vgl. Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 310. 105 Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 311. 106 Bäuml, ›Guot umb êre nemen‹, Ragotzky, ›kunst der milte‹, Ortmann, Spruchdichter, Haferland, Höfische Interaktion, Dobozy, Beschenkungspolitik, Kellner/Strohschneider, Geltung, Strohschneider, Fürst und Sänger. Ausnahmen – wie Désilles-Busch, ›Donner un don‹, Mersmann, Besitzwechsel, Gephart, Geben und Nehmen – reichen kaum über die Beschreibung der Motive hinaus. 107 Haferland definiert ›Reziprozität‹ oder ›Gegenseitigkeit‹ im Sinne – unmittelbarer – wechselseitiger Bezüglichkeit: »Was immer in der Interaktion an Figuren, an Formen gefunden wird, das stützt sich auf Gegenseitigkeit der Wahrnehmung, der Erwartung, der Orientierung aneinander und insbesondere auf Gegenseitigkeit des aufeinander bezogenen Verhaltens. Gegenseitigkeit schafft eine Definition der Si-

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des Ausdrucks von Anerkennung und Zuwendung und der Sicherung einer Beziehung«.108 Die ideale höfische Freigebigkeit gebe es allerdings nur jenseits von Pflicht und Zwang, und auch ihr Empfänger werde »seine Verpflichtung und Dankbarkeit umso stärker empfinden, je weniger an sie appelliert wurde.«109 Wahre Freigebigkeit kenne weder Grenzen noch die Vorstellung von einer Gegenleistung. Sie existiere um ihrer selbst willen, erfolge spontan und ohne Rückversicherung. Zugunsten ihres repräsentativen Charakters im Rahmen höfischer Interaktion trete die Materialität der Gaben in den Hintergrund: »Während im Kreislauf der Redistribution die Gaben ihren materiellen Aspekt nicht verlieren und den Empfängern nützen und helfen, werden sie für höfische Reziprozität Bedeutungsträger. In der höfischen Öffentlichkeit werden keine materiellen Ressourcen mehr verteilt, sondern indexikalische.«110 Die Freigebigkeit begreift Haferland als eine der grundlegenden Handlungsstrategien, mittels derer die Interagierenden ihren Status darstellen oder Hierarchien gar erst aushandeln.111 Hierbei stünden sich milte und mâze in einem oft unauflösbaren Widerspruch gegenüber. Dort, wo Reziprozität das Handeln bestimmt,

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tuation, in die dann spezifische Erwartungen und spezifisch gebundene Interaktionsformen eingelassen werden können« (Höfische Interaktion, S. 20 f.). Haferland, Höfische Interaktion, S. 150. Haferland, Höfische Interaktion, S. 151, auch S. 155 f. Haferland, Höfische Interaktion, S. 155. Präziser wäre wohl – in Anlehnung an Bourdieu – von einer Konvertierung von materiellen in indexikalische Ressourcen im Rahmen der öffentlichen Darstellung zu sprechen. Denn ansonsten müßte offen bleiben, warum Rarität, Auserlesenheit oder gar ein monetärer Wert der Gabe überhaupt benannt werden. Ähnlich argumentiert Starobinski, der zunächst eine grundlegende Unterscheidung zwischen symmetrischem und asymmetrischem Tausch trifft. Während sich im Geben und Nehmen auf »gleichem Niveau« (Gute Gaben, S. 8) ein symmetrisches Verhältnis der Interagierenden manifestiere, erzeuge der asymmetrische Tausch unwiderruflich eine Differenz zwischen überlegenem Spender und unterwürfigem Empfänger; werde das Geben der Gabe zu einem Gnadenakt. Es existieren – so Starobinski – soziale Regeln, die »den Geber und den Empfänger in einem unveränderlichen Abstand festsetzen«. Doch jenseits davon gäbe es immer auch Mechanismen, die einen Tausch der Rollen erlauben, sogar provozieren, oder die skizzierten Regeln ad absurdum führen würden (S. 10). Dies geschieht beispielsweise dann, wenn es sich bei einem Geschenk um eines vom Typus der zerstörerischen Gabe handle (S. 50 f.). Starobinski betont, daß Freigebigkeit zwar im Dienste repräsentativer Selbstdarstellung funktionalisiert werden könne, daß allerdings die Notwendigkeit, den fürstlichen Status immer wieder aufs neue zu legitimieren und Hierarchien permanent abzusichern, dazu führen, daß Großzügigkeit und Verausgabung, Überfluß und Ruin nahe beieinander liegen (S. 10, S. 21 und S. 123).

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münde Freigebigkeit, die in Verausgabung umkippt, in wechselseitige Verschwendung. Die höfische Gabe verliert ihr Maß: »Es kommt« – so Haferland – »zur Schismogenese, und aus der Reziprozität wird der Kampf um einen Rang […]. Wo Verausgabung einmal vorgelegt ist, bekommt sie in dem Augenblick, in dem sie durch Verausgabung vergolten und erwidert wird, ein anderes Vorzeichen und wird zu ostentativer Rangdarstellung.«112 In literarischen milte-Diskussionen geht es allerdings immer wieder auch um das Verhältnis von Fürst und Sänger, von Herrschaft und Kunst. Die Analysen zeigen, daß die Verhandlungen in den Texten die Formel guot umbe êre sowie den damit verbundenen Anspruch der Sänger auf einen ihrem Sang adäquaten Lohn in aller Regel gleichermaßen akzentuieren wie sprengen. Während Ortmann, Dobozy und Kellner/ Strohschneider Beispiele aus dem Bereich der Spruchdichtung ins Zentrum ihrer Interpretationen rücken, untersucht Ragotzky Texte des Strickers, die von der Ambivalenz der milte handeln. Mit der literarischen Thematisierung von milte als einer der »wesentlichen Vollzugsformen repräsentativer Öffentlichkeit« und als Medium der Darstellung und Legitimation von Herrschaft artikuliere der Stricker ein Selbstbewußtsein, »das die Tatsache materiellen Angewiesenseins in ein Verhältnis der Gleichrangigkeit von Gebendem und Nehmendem uminterpretiert.«113 In dem Bispel Falsche und rechte Milte sei die Freigebigkeit »als ein komplexer Interaktionsprozeß entworfen«,114 als eine Kunstfertigkeit, die ein umfangreiches Regelwissen sowie das Einüben in richtiges, normgemäßes milte-Verhalten voraussetzt. Dazu gehöre, daß sich sowohl der Empfänger als auch der Geber gleichermaßen einem – stets auf den lohnenden Gott bezogenen – ethisch-christlichen Wertehorizont unterwerfen.115 Am Beispiel des Bispels die herren zu Osterich, zeigt Ragotzky, wie erst recht vor dem Horizont falscher – nämlich verschwenderischer und undifferenzierter – Freigebigkeit der Fürsten sowie dem damit verbundenen Verlust ökonomischer Ressourcen und öffentlicher

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Haferland, Höfische Interaktion, S. 156 f. Ragotzky, ›kunst der milte‹, S. 77. Ragotzky, ›kunst der milte‹, S. 80. Ragotzky, ›kunst der milte‹, S. 81; vgl. dazu auch Strohschneider, der auf die Ökonomisierung der Gabe in den Stricker-Bispeln aufmerksam macht. Der Stricker unternehme »den – zivilisationsgeschichtlich erfolgreichen – Versuch, die Logik der Gabe derjenigen des Lohns anzugleichen« (Fürst und Sänger, S. 98), insofern er die milte Gabe in Äquivalenzverhältnissen aufgehen läßt.

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Anerkennung für die Kunst eigene Geltungsphantasmen entworfen werden.116 Beate Kellner und Peter Strohschneider widmen den mittleren Teil ihrer »Überlegungen zum Wartburgkrieg C« der Frage nach der Verschränkung von Herrschaftsrepräsentation und poetischer Kommunikation im sogenannten ›Fürstenlob‹. Ins Zentrum ihrer Interpretation stellen sie zwei Strophen (C 1 und C 22), wobei die erste, die den »Provokateur« Heinrich von Ofterdingen hervortreten läßt (C 1), »die für das ›Fürstenlob‹ konstitutive Vorstellung, daß Kunst und Herrschaft in einem Tauschverhältnis aufeinander bezogen sind«,117 widerspiegelt. Der Sänger ist zwar materiell von der Gunst des Fürsten abhängig, aber umgekehrt dieser nicht weniger davon, daß der Dichter ihm nicht nur zu weltlichem Ruhm, sondern außerdem zu gotes lôn verhilft. Mit der an diese Beobachtung anschließenden Argumentation zum Verhältnis von Freigebigkeit und Sang eröffnen Kellner/Strohschneider einen Horizont, der über bisherige Reflexionen zu diesem Thema weit hinausgeht, allerdings auch nicht unproblematisch ist: »Der panegyrische Text ist die Gabe des Sängers, und nach der Logik des Austausches wird die Relation von Fürst und Sänger als ein reziprokes Abhängigkeitsverhältnis modelliert: Der Fürst bedarf der Sänger und ihres Gesanges, um darstellen zu können, daß er der Beste, nämlich der Freigebigste ist. Umgekehrt ist die Dichtung auf den Interaktionsraum adeliger Herrschaftsrepräsentation verwiesen, um sich zur Geltung bringen zu können, ohne doch über ihn ganz zu verfügen. Sowenig nämlich wie die Kunst geht die Freigebigkeit des Fürsten ganz in der Ökonomie des Tausches auf. milte ist mehr als lôn, sie ist nicht die Konsequenz eines Verpflichtungsverhältnisses (dienest verlangt lôn), sondern dessen Begründung. Die Gabe verpflichtet. Insofern die milte aber Darstellung unüberbietbaren fürstlichen Rangs sein will, produziert sie als Gabe, […] im Geben einen Überschuß, der mehr ist und mehr sein muß als ein Vorschuß auf eine adäquate Gegengabe.«118

Philosophie Diese Interpretation ist in Anlehnung an die philosophischen Ansätze Jacques Derridas formuliert, der die Gabe als Metapher des Textes verwendet.119 Kellner/Strohschneider vernachlässigen aber, daß die Gabe 116 117 118 119

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Ragotzky, ›kunst der milte‹, S. 87–91. Kellner/Strohschneider, Geltung, S. 150. Kellner/Strohschneider, Geltung, S. 155. Derrida, Falschgeld; vgl. dazu Wetzel/Rabaté, Ethik der Gabe, Gondek/Waldenfels, Einsätze des Denkens.

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nach ihm nur ex negativo gedacht werden kann: Während die ›wahre‹ Gabe für den Text als Prozeß, als différance, den Text, noch bevor er ausgesprochen oder gar schon aufgeschrieben ist, den Text in seiner Nichtpräsenz und weitgehenden Unverfügbarkeit für den Rezipienten steht,120 ist die zerstörte, die annullierte Gabe – so wie auch die Asche – Metapher der Schrift, Metapher also für das Abwesende als Zerstörtes in seiner Präsenz.121 Der Konsum von Tabak ebenso wie die orale Entäußerung, beides »Verausgabung[en] auf Nimmerwiedersehen«,122 stehen – so Derrida – dem anökonomischen Charakter der Gabe selber am nächsten. Derrida hat seine ›Philosophie der Gabe‹ in kritischer Replik auf sozialanthropologische Forschungstraditionen – insbesondere auf Mauss’ Werk – entwickelt. Mauss’ »Essai sur le don« thematisiere alle möglichen Transaktionen, er handle »von der Ökonomie, dem Tausch und dem Vertrag (do ut des), vom Überbieten, dem Opfer, der Gabe und der Gegengabe, kurz von allem, was aus der Sache heraus zur Gabe drängt und zugleich dazu, die Gabe zu annulieren.«123 Derrida desavouiert damit eine Theorie der Gabe, welche Gabe und Gegengabe zusammendenkt, sich an der Formel do ut des als einem scheinbar anthropologisch konstanten kommunikativen Imperativ orientiert. Und dennoch beruht seine Definition der Gabe gerade auf jenen Überlegungen und Thesen, die er grundlegend in Frage stellt.124 Denn Derrida definiert die Gabe allein in Abgrenzung zu dem, was sie nicht ist: Das ökonomische Prinzip basiere – so Derrida – auf drei grundlegenden Ideen: erstens der des Tausches, zweitens der der Zirkulation und drittens jener der Rückkehr. Die Gabe dagegen existiere nur, wenn mit ihr der Empfangende keinesfalls zum (vertragsmäßigen) Schuldner gemacht werde, und wenn »das Gegebene der Gabe« nicht zu dem Gebenden zurückkehre,

120 Präsenz und Geschenk fallen im französischen Begriff présent zusammen. Entsprechend erklärt Derrida – seinem Prinzip der Dissemination folgend – Zeit und Gabe zu zwei Seiten desselben Phänomens von Aufschub oder unmöglicher Gegenwart, welche er auf den Begriff der différance bringt. Vgl. Derrida, Falschgeld, S. 14, S. 19 f. u. ö.; vgl. dazu Wetzel/Rabaté, Ethik der Gabe, S. V-XI (Vorwort), insbesondere S. VI; vgl. ferner Haselstein, Poetik der Gabe, besonders S. 286 f. 121 Derrida, Feuer und Asche; vgl. dazu Rapaport, Derridas Gaben, S. 48 f. 122 Derrida, Falschgeld, S. 141 f.; zum ›Rauch‹ als Metapher für Gesprochenes siehe auch Derrida, Feuer und Asche, S. 57: Der Rauch »verliert sich offensichtlich und, besser noch, ohne sinnlichen Rest, aber er erhebt sich, steigt in die Luft auf, wird subtil und sublim.« 123 Derrida, Falschgeld, S. 37. 124 Vgl. Waldenfels, Un-Ding der Gabe, S. 386–391.

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also kein Tauschverhältnis konstituiert werde.125 Die Gabe selbst sei anökonomisch, weil sie sich sowohl reziproken als auch zirkulären Strukturen entziehe. Weder der Gebende noch der Empfangende dürfe die Gabe als Gabe wahrnehmen und erst recht nicht als solche anerkennen.126 Die Gabe zu bewahren, zu restituieren oder zu reproduzieren, bedeute ebenso wie ihre Vorausschau oder antizipierende Apprehension, sie als Gabe zu zerstören. Schließlich heißt es: »Die Wahrheit der Gabe kommt der Nicht-Gabe, der Unwahrheit der Gabe gleich.«127 In letzter Konsequenz kann die Gabe im Sinne Derridas nur entmaterialisiert und von Subjekten losgelöst gedacht werden. Gerade aufgrund dieser konsequenten Konzeption darf Derridas Philosophie der Gabe nicht in Gänze, sondern nur mit Blick auf den anökonomischen Charakter der Gabe auf den analysierten Text bezogen werden. Denn auch dann, wenn weder die Freigebigkeit noch der Sang völlig in der Ökonomie des Tausches aufgehen, bleibt das Verhältnis von Fürst und Sänger letztlich doch eines, welches auf wechselseitiger Abhängigkeit – und sei dies auch nur als Phantasma des Sängers inszeniert – wie auf Verpflichtungen beruht. Doch eine Gabe im Sinne Derridas darf »in ihrer Reinheit nicht gebunden noch selbst bindend, verbindlich oder verpflichtend sein«.128 Nun stellt sich freilich die Frage, inwiefern sich Derridas Philosophie überhaupt als Beschreibungsinstrumentarium für mittelalterliche Entwürfe anbietet. Denn schließlich handelt es sich um eine Kultur, deren Herrschafts-, Rechts- und Wirtschaftssystem noch weitgehend an die unmittelbare oder aufwendig vermittelte Präsenz des Körpers und die Materialität der Zeichen (etwa Gabe und Schrift) gebunden ist. Würde man mittelalterlichen Texten nicht jene Modernität und Ahistorizität unterstellen,129 die Derridas Denkfiguren implizieren? Ich werde versuchen, das Dilemma so zu lösen, daß ich weder meinen historischen Ansatz preisgeben noch Derridas postmoderne Reflexionen über den Text als Gabe von vornherein ausklammern werde. Denn auch mittelalterliche Texte – so eine meiner Hypothesen – erzählen von Gaben, die sich ökonomischen Regeln und Logiken entziehen oder zumindest versuchen, solche zu verschleiern. Derridas philosophische Ansätze erscheinen mir im Hinblick auf die Interpretation weitgehend anökono125 126 127 128 129

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Derrida, Falschgeld, S. 23 sowie S. 27. Derrida, Falschgeld, S. 24 f. Derrida, Falschgeld, S. 40. Derrida, Falschgeld, S. 178. Vgl. dazu die wahrnehmungs- und mediengeschichtlich ausgerichteten Arbeiten von Horst Wenzel, grundlegend vor allem Hören und Sehen.

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mischer – aufgeschobener, vergessener, nichtreziproker, überaus verschwenderischer und durch spezifische Überschüsse charakterisierte – Gaben sowie für die Bestimmung des Verhältnisses von Gabe und Zeit analytisch wertvoll. Allerdings werde ich immer auch die Grenzen markieren, an die eine an Derridas Denkfiguren orientierte Lektüre mittelalterlicher Texte stößt. Die hier referierten Forschungsdebatten entwickeln ein tiefgreifendes Verständnis für soziologische, wirtschafts- und rechtshistorische Besonderheiten, Regeln und Mechanismen der Gabe. Dennoch werde ich aus zweierlei Gründen nicht versuchen, die eine oder andere Denkfigur von vornherein auf jene Gabenphänomene, die in den von mir ausgewählten Geschichten verhandelt werden, zu applizieren. Erstens würde solch ein Ansatz den Blick für textspezifische Details wohl eher trüben als schärfen. Und zweitens erscheinen mir die bisherigen Forschungen zur Gabe – gerade im Hinblick auf die Analyse literarischer Texte – defizitär, insofern sie einzelne zentrale Problemfelder der Gabe ausblenden. Es fehlen vor allem Beobachtungen zum Zeichenstatus von Gaben in unterschiedlichsten Zusammenhängen und zur Gabe als Memorialobjekt. Letzteres gilt weniger im Sinne von Gaben als Symbolen kultureller Erinnerung und Identität,130 sondern vielmehr – unter poetologischer Fragestellung – für die Gabe als Trägerin inter- und intratextueller Verweise, mit der entweder zusätzliche Informationen in einen Text eingespeist werden oder innerhalb der Geschichte der Blick auf Vergangenes oder Zukünftiges eröffnet wird. Auch die Frage nach der magischen Wirkung vieler Gaben, nach zerstörerischen Kräften, die ihnen innezuwohnen scheinen und für den Empfänger der Gabe verhängnisvolle Folgen haben können, muß neu gestellt werden. Mauss’ mystisch-anthropomorphe Vorstellung vom Geist der Gabe ist oft kritisiert worden, aber alternative Beschreibungsinstrumentarien fehlen nach wie vor. In Form eines systematischen Problemaufrisses131 möchte ich zwar auch an Deutungsansätze der referierten Forschung anknüpfen, werde aber darüber hinaus Fragen formulieren, die dort bisher weitgehend unberücksichtigt geblieben sind:

130 Vgl. dazu etwa Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, hierzu Anm. 103. 131 Die Differenzierung und Abgrenzung der einzelnen Fragestellungen nehme ich aus heuristischen Gründen vor. Zahlreiche Fragen – so werden die konkreten Textanalysen zeigen – sind eng miteinander verbunden oder gehen ineinander über.

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Der Austausch von Gaben organisiert in sogenannten traditionalen Gesellschaften die häufig noch wenig ausdifferenzierten Bereiche von Wirtschaft, Recht, Herrschaft und Kultur. Er kann im Anschluß an bisherige soziologische, ethnologische und historische Studien als eine der wichtigsten Interaktions- und Kommunikationsstrukturen sozialer Reproduktion bezeichnet werden, als Einrichtung mit institutionellem Charakter oder gar als Institution selbst. Was aber wissen die der Untersuchung zugrunde gelegten Texte über die Gabe zu erzählen? 1. Wie werden Interaktions- oder auch Kommunikationsstrukturen zwischen Geber und Empfänger entworfen? Wird über die – unter Umständen auch unterlaufene – Reziprozität sowie über Äquivalenzen der Gabe erzählt?132 2. Inwiefern können Gabe oder Gabentausch in einem funktionalen Zusammenhang gelesen werden? Könnte der situative Rahmen als ein spezifisch ritueller oder zeremonieller beschrieben werden? Welche Geltung besitzen hierbei die Gaben, beziehungsweise können – auf einer nächsten Ebene – Aussagen darüber formuliert werden, welche Geltungsansprüche über die Gaben zur Darstellung gebracht und konstituiert werden? In diesen Problembereich gehört auch die Frage nach dem Zusammenspiel verschiedener sozialer, ritueller und repräsentativer Gesten, beispielsweise die nach eventuellen Berührungspunkten von (Gast-)Mahl und (Gast-)Geschenk. 3. Was und wie erzählen die mittelalterlichen Texte über das Verhältnis von Herrschaft und Freigebigkeit (milte)? In welchem Maße dient das Freigebigkeitsverhalten der Selbstdarstellung des Gebers und der Repräsentation von Macht und Herrschaft? Wann hingegen kann gleichsam unerschöpfliche Freigebigkeit gefährlich werden, weil sie beispielsweise in Maßlosigkeit abgleitet und dann zu Statusverlusten oder gar zum völligen Ruin des Gebers führt? 4. Welche Dinge, Körper oder Ansprüche können durch Gaben zeichenhaft repräsentiert oder gar unmittelbar vergegenwärtigt werden? Damit ist ein Phänomen angesprochen, welches immer wieder und unter verschiedenen Perspektiven analysiert werden soll: das der Stellvertretung. 5. Inwiefern bestimmt ›Zeit‹ als Faktor Gabentransaktionen und Austauschbeziehungen? Werden Gaben sofort erwidert, möglicher132 Reziprozität verstehe ich im allgemeinen Sinne von Gegenseitigkeit, wechselseitiger Bezüglichkeit oder Dialogizität, auch wenn diese in Raum und Zeit ›gedehnt‹ sein kann. Damit sind noch keine Aussagen über Äquivalenzen irgendeiner Art verbunden.

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weise abgelehnt oder zerstört, oder erzählen die Texte vielmehr von ›zerdehnten‹ Gaben, also solchen, die erst nach einem längeren Zeitraum – in welcher Form auch immer – beantwortet werden? Inwiefern nutzen die Erzähler Zeitstrukturen des Gebens zur Organisation der narratio: etwa im Sinne von Rückblenden, Einschüben und Vorausdeutungen? 6. Werden über die Gaben selbst Geschichten erzählt? Erfährt man etwas über ihren Ursprung beziehungsweise über Vorbesitzer oder gar eine umfangreichere ›Genealogie der Dinge‹?133 Inwiefern spielen ›heilige‹ beziehungsweise ›unveräußerliche‹ Objekte eine Rolle? Besonderes Augenmerk möchte ich auf sogenannte ›stigmatisierte Gaben‹ richten:134 Gaben, die aufgrund ihrer Vorgeschichte ›blutbefleckt‹ sind und als solche noch für weitere Besitzer zum Fluch werden können. Welche Bedeutung besitzen ›stigmatisierte Gaben‹ für die Strukturierung der narratio und rezipientenorientierte Sinnstiftungsprozesse? 7. Da der Akzent der Analysen vor allem auf gewaltbesetzten, Gewalt provozierenden und generierenden Gaben liegen soll, wäre prinzipiell nach unterschiedlichsten Formen, Strukturen und Mechanismen von Gewalt im Kontext der Gabe zu fragen.

133 Kellner, Ursprung verweist im einleitenden Teil ihrer Habilitationsschrift darauf, daß man im Hinblick auf Phänomene wie die genealogische Herleitung von Waffen, Schmuckgegenständen und Kleidern geradezu von einer ›Genealogie der Dinge‹ sprechen könnte. Im Rahmen meiner Analyse soll näher gefragt werden, wie Transaktionen von Besitzer zu Besitzer in Szene gesetzt werden: Handelt es sich um Gaben-Genealogien oder spielen auch Gewaltakte – wie etwa Raub oder der Erwerb von Dingen in Kämpfen – eine Rolle? 134 Diesen Begriff übernehme ich von Müller, der damit den Schild eines Toten für einen Totgeweihten bezeichnet (Spielregeln, S. 144). Darüber hinaus ließen sich ›stigmatisierte Gaben‹ – etwa vor dem Horizont von Goffmans Analysen zum Stigma – noch weiter differenzieren. Goffman begreift Stigmata zunächst und vor allem als Träger von (sozialen) Informationen (explizit Stigma, S. 60) und unterscheidet zwischen Stigmata im positiven Sinne – etwa als Zeichen der (göttlichen) Gnade – und solchen im Sinne einer (moralischen und/oder physischen) Beschädigung (S. 9).

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1.2.2 Koinzidenz oder Ausschluß von Gabe und Gewalt: Zur Situierung des Opfer-Begriffs135 Mauss rückt den gewaltbestimmten Umgang mit Gaben, die Zerstörung der Dinge als einer höheren Form der Ausgabe, wie sie etwa im Potlatch beobachtet werden kann, in die Nähe des Opfer-Mechanismus: des Tötens, Verbrennens oder Zerschlagens der Opfer.136 Mauss’ Vorstellung steht exemplarisch für eine lange Forschungstradition, die entweder strukturelle Zusammenhänge zwischen Gabe und Opfer betont oder im Opfer eine Gabe sieht,137 deren spezifische Leistung die Vermittlung zwischen dem Profanen und Göttlichen ist.

135 Vgl. grundlegend die Überblicksdarstellungen zu Opferpraktiken und Opferverständnis in verschiedenen Kulturen sowie zu einzelnen Opfertheorien: Dalferth, Opfer, Davies, Opfertod, Evans, Opfer, Gerlitz, Opfer, Seebaß, Opfer, Stemberger, Opfer; vgl. ferner Band 18 der Frühmittelalterlichen Studien (1984), der dem Thema ›Opfer‹ gewidmet ist, sowie den von Janowski/Welker herausgegebenen Sammelband Opfer. Weitreichende Überlegungen zur Verwendung des Begriffs ›Opfer‹ bieten Brandt, »Opfer« und Stegemann, Metaphorik des Opfers. 136 Mauss, Gabe, S. 85 f. Dagegen lehnt Mauss’ Lehrer Emil Durkheim einen zu allgemein definierten Opfer-Begriff ab: Durkheim definiert Religion als ein komplexes System von Mythen, Glaubensbekenntnissen sowie reglementierten, rituellen Handlungen (Formen, S. 61). Die Ritualhandlungen können negativer Art sein und als Tabu Grenzen zwischen dem Profanen und dem Heiligen (S. 405 f.) markieren oder in ihrer positiven Form diese Grenzen überschreiten (S. 441). Das Opfer als Institution des Religiösen gehöre zu den positiven Ritualhandlungen (S. 454). Durkheim wendet sich entschieden dagegen, daß die Bestimmung des Opfers auf eine Gabe an die Götter reduziert wird. Wesentliche Elemente des Opfers seien sowohl der »Akt der Darbringung« als auch der »Akt der Kommunion« (S. 455). Doch der Gläubige gibt seinem Gott in Wirklichkeit – so Durkheim – »nicht die Nahrungsmittel, die er auf den Altar niederlegt, noch das Blut, das er aus seinen Adern fließen läßt: es ist sein Denken« (S. 468), welches er darbringt. 137 Wie kaum eine andere Untersuchung zu Opferriten ist die von van Straten zu griechischen Opferbräuchen zugleich eine Abhandlung über die Gabe: Gebete, Opfer sowie Weihgaben hätten die Beziehung zwischen den Opfernden und den mit Gaben bedachten Göttern gestiftet und vertieft (Gifts for the Gods, S. 80). Tieropfer seien verbrannt, im Meer versenkt wurden, oder die Opfergemeinschaft habe Teile des geheiligten Tieres verzehrt und so unmittelbar am Göttlichen partizipiert (S. 88). Zahlreiche der Weihgaben seien zugleich Gegengaben gewesen. In Form von Inschriften sei ihnen nämlich sowohl der Dank für die Gunst der Götter als auch die Bitte um weitere Protektion eingeschrieben (S. 69 f.). Einen besonderen Stellenwert hätten jene Gaben gehabt, die in gefährlichen Situationen oder im Falle einer Krankheit geopfert wurden, weil sie – wie Haare oder Nägel – vom Körper des Opfernden selbst stammten oder – wie anatomische Nachbildungen – unmittelbar darauf verwiesen (S. 102 f.).

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Sei es »als Gabenopfer oder als Reinigungsopfer, als Bitt- oder Dankopfer oder als Sühnopfer«: je stärker die kultische Handlung und das religiöse Ritual ausgeprägt sind – so Ernst Cassirer –, »um so deutlicher tritt in ihnen das Opfer in den Mittelpunkt.« Erst im Opfer erreicht der religiöse Glaube »seine eigentliche Sichtbarkeit«.138 Der Sinn des Opfers liege nicht allein im Darbringen einer Gabe, sondern bedeute gleichzeitig Askese, einen Verzicht auf das Dargebrachte, den der Opfernde sich auferlegt.139 Gabenopfer »werden ihm nicht direkt zu Objekten des Genusses, sondern zu einer Art von religiösem Ausdrucksmittel, zum Mittel einer Verbindung, die er zwischen sich und dem Göttlichen herstellt.«140 Aber in dem Moment, in dem »die religiöse Betrachtung sich nicht mehr einseitig auf den Inhalt der Gabe beschränkt, sondern sich statt dessen auf die Form des Gebens, des Darbringens selbst konzentriert«,141 gewinne die Gabe eine neue Bedeutung: durchdringen sich im Opfer das ›Heilige‹ und das ›Profane‹.142 Burkhard Gladigow, der Opferpraktiken in vor- und frühgeschichtlichen Epochen untersucht, geht es darum, auf der Basis historischen Materials »typische Strukturen ›des Opfers‹ zu entwickeln, Formen und weitreichende Funktionen herauszustellen«, ohne jedoch den Blick auf das konkrete Bezugssystem des Opfers zu verlieren. Die je spezifischen Opfer begreift er als »Einzelzeichen« eines komplexen Zeichensystems.143 Gladigows zentrales Anliegen ist es zu zeigen, daß Opfer stets in komplexe kulturspezifische Rituale eingebunden sind, welche wiederum von verschiedenen ökonomischen, politischen und sozialen Prozessen bestimmt werden.144 Von ihrer Funktion her versteht er sämtliche Opfertypen als kommunikative Rituale, bei denen materielle Dinge mit Zeichencharakter transferiert werden. Die ver138 139 140 141 142 143

Cassirer, Das mythische Denken, S. 264. Cassirer, Das mythische Denken, S. 265 f. Cassirer, Das mythische Denken, S. 267. Cassirer, Das mythische Denken, S. 268. Cassirer, Das mythische Denken, S. 272. Gladigow, Teilung, S. 20; vgl. dazu auch Ders., Opfer, besonders die Abschnitte II (»Opferelemente in komplexen Ritualen«, S. 87–90), III (»Rituelle und kulturelle Komplexität«, S. 90–92) sowie IV (»Interne und externe Kontexte von Opfern«, S. 92–95). 144 Vgl. etwa Gladigow, Opfer, S. 93: »Die antiken, mediterranen Opfer […] – also jene Institute der unterschiedlichsten antiken Religionen, gegen die sich das sich etablierende Christentum mit gesetzlichen Mitteln absetzt – sind […] als komplexe Rituale über Kathartik und Divination, Ökonomie und Prestigewirtschaft, Inszenierung und unterschiedliche Öffentlichkeiten mit ihren Kulturen verbunden.«

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breitetste Weise, diese zu transferieren, sei zweifellos »die Gabe, die Gabe zugleich die Kategorie, unter die die kultisch Handelnden im allgemeinen ihr Opfer a fortiori einordnen.«145 Aber die ritualisierte Gabe – so argumentiert Gladigow in Anknüpfung an den von Hubert/ Mauss verfaßten »Essai sur la nature et la fonction du sacrifice« (1898) – sei mehr als nur ein Verschieben von Vermögen. Das Opfer verweise darüber hinaus auf das asymmetrische Verhältnis zwischen dem Opfernden und dem Empfänger, und es sei nicht zuletzt auch Träger von Informationen über den Opfernden.146 Ein großes Opfer könne einerseits Askese bedeuten,147 andererseits diene es – analog zu den Regeln des Potlatch – dazu, soziale Geltungs- und Rangansprüche nach außen hin zu demonstrieren und im rituellen Zusammenhang der Opferhandlung institutionell abzusichern. In den zahlreichen Zerstörungen oder der Deposition von Opfergaben sieht Gladigow zu Recht mehr als nur Modi einer irreversiblen Übereignung, die das Opfer vor einer Zurücknahme oder dem Zugriff Dritter schützen soll: Zerstörung und Deposition sind Formen sakraler Übereignung; die Gaben können nicht mehr in den profanen Bereich zurückgeführt werden.148 Nach Karl Meuli werden Vernichtungs- und Speiseopfer erst in ihrer Phylogenese zu Gabenopfern. Das olympische Opfer, welches Meuli ins Zentrum seiner Argumentation rückt, verweise auf die Bräuche eines urzeitlichen Jägerkultes: auf das Töten, Verteilen und Zurückgeben. Der Anteil, der bestattet oder verbrannt wurde, sei nichts anderes gewesen, als das, was dem Tier zurückgegeben werden mußte, um weiterzuleben. Erst bei den Hirten sei dieser Teil zur Gabe im Sinne eines Geschenks an die Götter geworden.149 Die Überlegungen Walther Burkerts schließen

145 Gladigow, Teilung, S. 21, ähnlich Opfer, S. 87 f. 146 Gladigow, Teilung, S. 33–35. 147 Vgl. Gladigow, Teilung, S. 43: Es handle sich um Opfer, »bei denen der Akzent des Opfergeschehens nicht auf dem Transfer bestimmter Güter liegt, sondern in dem Verzicht auf diese Werte.« Dazu würden etwa alle Varianten des Primitialopfers zählen, bei denen »die Materialien lediglich dem unmittelbaren Verbrauch entzogen irgendwo deponiert, vernichtet oder auf den Boden geworfen werden.« Für Brandt ist der irreversible Verlust, der mit einem Opfer verbunden ist, das zentrale Unterscheidungskriterium zwischen Opfer und Gabe (»Opfer«, S. 249). Im Unterschied zu Gaben seien Opfer »– häufig Reziprozität sprengende, das Gabenkalkül durchbrechende und deutlich ›an die Substanz gehende‹ – Darbringungen oder Investitionen von Leben und Lebensressourcen« (S. 250, vgl. auch S. 156). In kultischen Zusammenhängen – so räumt Brandt ein – könne es aber auch zu Gemengelagen von Gabe und Opfer kommen (S. 250). 148 Gladigow, Teilung, S. 38. 149 Meuli, Opferbräuche, S. 223–283.

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daran an: Auch er stellt die Frage nach den Ursprüngen des Opfers und leitet Opferriten aus der Lebensform des paläolithischen Jägers ab, dessen Töten den Fortbestand des Lebens gesichert habe. Im Opfer, welches jenseits des Jagdzusammenhangs durch Ritualisierung weiterlebe, manifestiere sich die »Ursituation der Jagd«,150 wiederhole sich das gewaltsame Töten, das Verteilen und das gemeinsame Speisen. Die Opfergaben, die dargebracht werden, stellten Formen des ritualisierten Bringens und Gebens dar.151 Vor allem in der Religion der Griechen wie auch in den Entwürfen des Alten Testaments werde der Gott nicht allein in Gebet, Gesang und Tanz am mächtigsten erlebt, sondern im Blutvergießen, Schlachten, Essen und Verbrennen des Opfers. In diesen aggressiven Gesten des Opferhandelns sieht Burkert das »Grunderlebnis des ›Heiligen‹«,152 welches eine Gemeinschaft konstituiere, nach außen abgrenze sowie ihre Ordnungen und Regeln bestimme.153 In René Girards kulturanthropologischer Theorie,154 auf die ich abschließend eingehen möchte, ist das Interesse am Opfer unmittelbar mit der Frage nach dem Ursprung und der Genese kultureller Ordnungen und Zeichensysteme verbunden. Girard zufolge breitet sich am Ursprung aller kulturellen Ordnungen eine schier unstillbare Gewalt aus, welche die kulturellen Unterschiede, ohne die eine Gemeinschaft nicht existieren kann, zu zerstören droht.155 Verbrechen, Schuld und Rache zeugen sich immer weiter fort, bis dieser Gewalt – wiederum gewaltsam – Einhalt geboten wird. Vornehmlich geschieht dies – so Girard – indem die zerstörerische Ursprungsgewalt auf ein einziges Opfer, einen Sündenbock gelenkt werde.156 Die archaischen Strategien zur Gewaltbegrenzung – Verfolgung, Ausstoßung oder gar Tötung des Sündenbocks – begreift Girard als »Matrix aller mythischen und rituellen Bedeutungen«.157 Sämtliche kulturellen Ordnungen und Institutionen 150 Burkert, Homo Necans, S. 108 u. ö. Burkerts These von den Ursprüngen des Opfers ist umstritten. Vgl. etwa das Gegenargument von Smith, Domestication of Sacrifice, S. 197: »[…] sacrifice is not a primitive element in culture. Sacrifice is a component of secondary and tertiary cultures. It is, primarily, a product of ›civilization‹.« 151 Burkert, Anthropologie, S. 29. 152 Burkert, Homo Necans, S. 9. 153 Burkert, Homo Necans, S. 28 u. ö. 154 Ich beziehe mich im folgenden auf Girard, Ende der Gewalt und Das Heilige sowie Ausstoßung und Mimetische Theorie. 155 Vgl. dazu vor allem Girard, Das Heilige, S. 77–88. 156 Girard, Das Heilige, S. 9–60, Ausstoßung, S. 23–37 sowie besonders die Zusammenfassung der ›Stereotypen kollektiver Gewalt‹ (S. 38). 157 Girard, Das Heilige, S. 168.

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ließen sich auf diese Gründungsgewalt zurückführen.158 Besonders prädestiniert für jenes die Gemeinschaft versöhnende Opfer seien körperlich und moralisch Stigmatisierte, weil ihre Stigmata als »paradoxe Zeichen der Entdifferenzierung«,159 als das sichtbar Böse, als Opferzeichen gelesen würden.160 Besonders in Inzestuösen oder Inzestgeborenen, Zwillingen und Mischwesen manifestiere sich jene von Girard postulierte »Krise der Unterschiede«,161 die die Vernichtung kultureller Ordnungen bedinge:162 Werden Mischwesen als Gefahr wahrgenommen, weil in ihnen die Differenz zwischen Mensch und Tier, Mensch und Gott, verschiedenen Kulturen oder den Geschlechtern verwischt wird, so fürchten zahlreiche Gesellschaften die Geburt von Zwillingen163 oder Inzestkindern,164 weil mit ihnen genealogische Unterschiede aufgehoben werden, die für die Stabilität und Kontinuität vieler Kulturen bedeutsam sind. Da Stigmatisierte von der Gesellschaft als Bedrohung empfunden werden, sei es unwahrscheinlich, daß ihr Opfer gerächt werde und sich auf diese Weise die Gewalt weiter fortpflanzen könne.165 Der Verfluchte aber, den die Gemeinschaft gewaltsam ausstößt, wird – aufgrund der generativen Kraft seines Opfers – zum Heiligen: »Was das Opfer sakralisiert, ist der vom Opfernden verabreichte Schlag, ist die Gewalt, die dieses Opfer tötet, es vernichtet und gleichzeitig über alles stellt, es in gewissem Sinn unsterblich macht. Die Opferhandlung vollzieht sich, wenn die sakrale Gewalt sich des Opfers bemächtigt; der Tod bringt das Leben hervor, wie das Leben den Tod hervorbringt […].«166 Girard versteht das Opfer also vor allem als – freilich paradox anmutenden – Mechanismus von Gewalt begrenzender kollektiver Gewalt: als Gewalt kanalisierenden und Heil generierenden Gewaltakt.167

158 159 160 161 162 163 164 165

Girard, Das Heilige, S. 140. Girard, Ausstoßung, S. 38. Girard, Ausstoßung, S. 30–37. Girard, Das Heilige, besonders S. 77. Vgl. Girard, Das Heilige, S. 88: »Wo Unterschiede fehlen, droht Gewalt.« Vgl. hierzu vor allem Girard, Das Heilige, S. 88–103. Vgl. dazu besonders Girard, Das Heilige, S. 114 f. Zur Ausblendung des Schuldprinzips, um Racheeskalationen zu vermeiden, vgl. insbesondere Girard, Das Heilige, S. 43–45. 166 Girard, Ende der Gewalt, S. 234, vgl. auch S. 43. Zur Ambivalenz des Sakralen vgl. auch Angenendt, Heilige, S. 9 sowie Religiosität, S. 351. Er verweist auf die Doppeldeutigkeit – ›heilig‹/›verflucht‹ – des lateinischen Begriffs ›sacer‹. 167 Entsprechend lehnt Girard Vorstellungen vom Opfer als Gabe an eine Gottheit dezidiert ab; allein der Gabentausch in archaischen Kulturen (Das Heilige, S. 389), der von mimetischen Rivalitäten bestimmt werde, habe Opfercharakter (Ende der Gewalt, S. 20 f.).

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Rituale liest Girard als Imitationen des Ursprungsopfers. Sie seien als Wiederholungen des ersten Opfers funktional auf die Fortsetzung oder Erneuerung des grundlegenden »Mechanismus des versöhnenden Opfers«168 ausgerichtet. Sie besäßen die Kraft, nahezu alles zu »regulieren, was sich jeder Regel entzieht«, und »aus der Gründungsgewalt eine Art Technik der kathartischen Besänftigung zu gewinnen.«169 Entsprechend dienten Rituale – ebenso wie das Ursprungsopfer – zur Aufhebung des mimetischen Begehrens und daraus resultierender Rivalitäten, zur Kanalisation von Konflikten und damit zur Odnungsstiftung.170 Literarische Texte – Girard bezieht sich vornehmlich auf Tragödien – hätten dagegen nicht nur mimetischen Charakter, sondern sie analysierten und reflektierten in Ansätzen die Mechanismen von ›Opfer und Gewalt‹ und deckten damit jene Strukturen auf, die Ritus und Mythos eher verschleierten. Die Evangelien – so lautet Girards zweite große These – würden nie von Opfern erzählen, »außer um sie auszuschließen und ihnen jede Gültigkeit abzusprechen«.171 Sie würden den Sündenbockmechanismus und den Glauben an den Sinn des Opfers offenlegen und insofern die Strukturen und Mechanismen des Opfers desavouieren.172 Jesus – so nach Girard der Entwurf der Evangelien – opfere sich nicht, »um das sakrifizielle Spiel zu spielen«,173 sondern um diesem ein Ende zu bereiten. In seinem Tod sieht Girard den letzten, offenbarenden Akt der Gewalt: Statt »zu einem sakralisierten Sündenbock unter vielen zu werden«, sei »Christus zu dem Sündenbock geworden.«174 Girards Thesen lenken den Blick auf die elementaren Strukturen des Opfers, auf den Konnex von Sozialisation und Gewalt, von Gründung und Gewalt sowie von Heiligkeit und Gewalt. Doch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive ist sein Ansatz – zumindest in zweierlei Hinsicht – problematisch: Erstens versucht Girard die von ihm analysierten Texte – methodisch vorbehaltlos – auf Ursprungsopfer, »die wirklich existiert haben«,175 zu dechiffrieren. Und zweitens vernachlässigt er die Vielfalt und die Besonderheiten der Opfergeschichten, in168 169 170 171 172 173 174 175

Girard, Das Heilige, S. 139. Girard, Das Heilige, S. 152. Girard, Ende der Gewalt, S. 31–34. Girard, Ende der Gewalt, S. 187. Girard, Ende der Gewalt, S. 180 u. ö. Girard, Mimetische Theorie, S. 25. Girard, Mimetische Theorie, S. 28. Girard, Ende der Gewalt, S. 127, vgl. auch Girard, Das Heilige, S. 301 sowie Ausstoßung, S. 39 u. ö.

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dem er sie allesamt auf einige wenige elementare Strukturen – letztlich auf die eine Idee des Sündenbockmechanismus – reduziert. Doch – anders als Girards Analysen – darf die Analyse literaturwissenschaftlicher Entwürfe Überlegungen zu textuellen Eigenlogiken, spezifischen Inszenierungsgesten und Ästhetisierungsstrategien auf keinen Fall ausblenden.176 Die Forschungen zum ›Opfer‹ sind vielfältig in ihren methodischen Ansätzen: Sie fragen nach Ursprüngen, basalen Strukturen und Mechanismen, nach kulturhistorisch spezifischen Besonderheiten des Opfers und des Opferns. Sie untersuchen soziale, ökonomische und religiöse Kontexte, in welche Opferpraktiken eingelassen sind; sie diskutieren Konzepte und Entwürfe, die in Texten und Bildern überliefert sind. Doch vor allem schärfen sie – und dies ist ihnen gemeinsam – den Blick für den Zusammenhang von Gabe und Gewalt, von Sünde, Stellvertretung und Heil. Hier möchte ich in meinen eigenen Beobachtungen anknüpfen und der Frage nachgehen, inwiefern diskursive Verflechtungen von Gabe und Gewalt in literarischen Opfer-Darstellungen eine Rolle spielen. Präziser: In welchem Rahmen und unter welchen Bedingungen werden Gabe und Gewalt zusammengedacht, wann hingegen werden sie als Ausschlußmechanismen thematisiert? ›Gaben‹, die aufgrund ihres stellvertretenden, rituellen, zum Teil ›blutigen‹ Charakters sowie ihrer kommunikativen Funktion über die Grenzen der Immanenz hinaus als Opfer bezeichnet werden können,177 sollen eingehender analysiert und im Rekurs auf verschiedene Opferdiskussionen besprochen werden. Im Zentrum werden Opferhandlungen stehen, die mit der Ablehnung oder Vernichtung von Gaben einhergehen, sowie dem rituellen Zerstören und Töten analoge Phänomene.

176 Vgl. dazu etwa die wegweisenden Arbeiten von Quast, Anthropologie, Kellner, Ursprung, Kiening, Genealogie-Mirakel und Strohschneider, Inzest-Heiligkeit. 177 Vgl. etwa Cassirer, Das mythische Denken, S. 262–277.

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Anthropologie und Poetik der Gabe

1.3 Anthropologie und Poetik der Gabe: Methodische Vorüberlegungen Es muß ein Element von Fiktion im Spiel sein, damit es Gabe gibt, damit Gabe möglich wird.178

Da ›Gabe‹ und ›Gewalt‹ systematisch betrachtet zentrale anthropologische Kategorien darstellen, erscheint es mir sinnvoll, die beabsichtigten Untersuchungen zu gewaltbesetzten und Gewalt generierenden Gaben im Kontext der sogenannten ›Historischen Anthropologie‹ zu situieren und damit an die im vorangegangenen Teilkapitel (1.2) diskutierten soziologisch, ethnologisch und kulturanthropologisch orientierten Forschungstraditionen anzuschließen. Hiermit rücken Fragestellungen in den Blick, die in den Geschichtswissenschaften bereits in den letzten Jahrzehnten zunehmend verhandelt wurden. Gerade im Zuge einer sich von der Sozial- zur Mentalitätsgeschichte, zu einer histoire totale verlagernden Forschungsdiskussion gewannen – insbesondere in Anknüpfung an die Ethnologie – anthropologische Fragestellungen auch für die Mediävistik neue Brisanz.179 Im Rahmen einer Literatur- als Kulturwissenschaft haben mentalitäts- und kommunikationsgeschichtliche, medien- und kulturanthropologische Themen seit einigen Jahren regelrecht Konjunktur.180 Doch was unter dem Label ›Historische Anthropologie‹ erscheint, kann im einzelnen sehr unterschiedlich ausgerichtet sein: Das Spektrum reicht von Arbeiten, die vor allem ihre Interdisziplinarität betonen,181 über solche, die lediglich ›in neuem Gewand‹ die Historische Sozialwissenschaft weiterschreiben bis hin zu ethnologischen Studien, die – im Sinne von Clifford Geertz – die

178 Gondek, Zeit und Gabe, S. 191. 179 Ich verweise auf die umfassenden und gut dokumentierenden Forschungsberichte von Peters, Historische Anthropologie und Kiening, Anthropologische Zugänge, vgl. ferner Müller, Altgermanistik, S. 452, Röcke, Historische Anthropologie. Dem Thema ›Historische Anthropologie‹ ist auch die Zeitschrift für Germanistik N.F. 2 (1998) S. 261–386 gewidmet. 180 Vgl. die jüngsten Diskussionen zum Verhältnis von Literatur und Kultur in: Neumann/Weigel, Literaturwissenschaften, Peters, Text und Kultur sowie Neumann/ Warning, Transgressionen. 181 Fragestellungen der ›Historischen Anthropologie‹ ermöglichen etwa auch Konvergenzen zwischen Sozialwissenschaften und historisch ausgerichteten Naturwissenschaften.

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Themenstellung und Perspektiven

literarisch-rhetorische Verfaßtheit von Texten betonen.182 Die literaturwissenschaftlichen Untersuchungen, die sich einem Konzept ›Historischer Anthropologie‹ verbunden zeigen, versuchen sich in gleichsam ethnologischen Betrachtungen anthropologischer Gegenstände: Themen wie Ritual, Körper und Gewalt stehen im Mittelpunkt des Interesses. Auffällig ist allerdings, daß es sich im Hinblick auf die genannten methodisch wie sachlich heterogenen Ansätze eher um eine Problem- und Perspektivenvielfalt als um ein eng umrissenes Forschungsparadigma handelt, welches ein konkretes methodisch-theoretisches Instrumentarium entwickelt hätte.183 Entscheidet man sich für die Fragestellungen einer ›Historischen Anthropologie‹, bedeutet dies vor allem, bisher in den Literaturwissenschaften eher randständig behandelte Themen neu aufzugreifen und sie unter einem streng historischen Blickwinkel zu diskutieren.184 Ähnlich wie die Ethnologie unter dem Stichpunkt der ›Alterität‹ das Problem der spezifischen Andersartigkeit von verschiedenen Kulturen, ihrer traditionellen Bedingtheit oder Variabilität auf synchroner Ebene verhandelt,185 wird von den diachron ausgerichteten Wissenschaften ein Denken, welches von überzeitlich konstanten anthropologischen Phänomenen ausgeht, in Frage gestellt. Menschliche Dispositionen, Affekte, Modi der Wahrnehmung, des Denkens und Verhaltens werden vielmehr als historisch modellierte gedacht, ohne daß man jedoch eine absolute Verschiedenheit der Kulturen annähme.186 Literatur ist hierbei als textuelle Welt zweiter Ordnung, als Medium der Repräsentation von Kultur im Sinne »der zu einer Zeit üblichen Symbolsysteme«187 zu begreifen; keinesfalls aber als ›Datenspeicher‹, der einen unmittelbaren Zugriff auf reale anthropologische Phänomene erlauben würde. Die Profilierung der Literaturwissenschaft in Richtung einer konsequenten Historisierung anthropologischer Phänomene eröffnet gerade auch für Studien zur Gabe methodisch weiterführende Perspektiven: Denn erst ein Verständnis der Gabe als je kulturhistorisch-spezifischer anthropologischer Kategorie und eine methodisch-theoretische An182 Vgl. ausführlich dazu Kiening, Anthropologische Zugänge, S. 12 f. 183 Sogar eher theoriefeindlich gibt sich van Dülmen, Anthropologie. 184 Ich möchte hier vor allem auf Kiening verweisen, der weiterführende Perspektiven sehr differenziert formuliert (Anthropologische Zugänge, S. 91–98). 185 Zur Problematisierung des ethnographischen ›Alteritäts‹-Begriffs vgl. Geertz, Die künstlichen Wilden. 186 Vgl. Müller, Altgermanistik, S. 453 sowie Spielregeln, S. 39–45. 187 Müller, Altgermanistik, S. 453.

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bindung literaturwissenschaftlicher Forschung an Gaben-Debatten der Ethnologie, Sozialanthropologie und Philosophie ermöglichen Analysen, die über eine Motivgeschichte der Gabe hinausreichen. Umgekehrt aber sind sozialanthropologische und philosophische Bestimmungen der Gabe am konkreten historischen Material und in genauer historisch-philologischer Arbeit zu diskutieren, vor allem auch auf ihre Tragweite für literarisch entworfene Gabenphänomene zu prüfen und zu differenzieren.188 Es geht in dieser Arbeit also nicht allein darum, das Wissen um die Gabe, welches mittelalterlichen Texten eingeschrieben ist, freizulegen, sondern auch um Fragen nach spezifisch literarischen Konfigurationen und Darstellungsformen dieses Wissen. Ich nehme an, daß die Erzähler genuin literarischer Texte die Gabe nicht nur als eine der zentralen Organisations- und Kommunikationsformen von Kultur thematisieren, sondern daß sie sich darüber hinaus jenes – von Mauss so postulierten – »›totalen‹ gesellschaftlichen Phänomen[s]« bemächtigen, es produktiv ausspielen, um die erzählte Handlung zu strukturieren und Assoziationsräume zu eröffnen, in denen Prozesse der Sinnstiftung in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Um vorführen zu können, auf welche Weise dies in den einzelnen Texten geschieht, möchte ich zwei komplementäre Fragestellungen verfolgen: Erstens werde ich an paradigmatischen Szenen untersuchen, von welchen Gabenphänomenen die Geschichten jeweils erzählen. Analysiert werden ihre je unterschiedlichen Semantiken sowie Bedeutungszuweisungen, Auslegungen oder Reflexionen anderer Art, die die Texte in einzelnen Episoden selbst anbieten. In einem zweiten Schritt möchte ich sowohl auf der Handlungs- als auch auf der Erzählebene nach der syntagmatischen Funktion jener Gaben-Episoden für den Gesamtzusammenhang des Erzählens fragen, sollen – ausgehend von den Erkenntnissen über Mechanismen und Zusammenhänge von ›Gabe und Gewalt‹ – neue Einsichten auch für die Einzelinterpretation von Werken, die aus dem Kanon der germanistischen Mediävistik stammen, gewonnen werden.

188 Denn während der Ethnologe, der Feldforschungen betreibt, von mindestens zwei ›Wahrheiten‹ ausgehen kann – auf der einen Seite stehen seine Beobachtungen, auf der anderen Seite die individuellen, geschichtsklitternden und mythischen Erzählungen oder Selbstbeschreibungen jener Menschen, die er beobachtet (Bourdieu, Entwurf, S. 219 f.) –, bleibt dem (Literatur)historiker nur die eine – selten in sich kohärente – ›Wahrheit‹ des Textes, auch wenn er ahnt, daß sich dahinter noch andere Wahrheiten verbergen.

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Themenstellung und Perspektiven

Die von mir ausgewählten Imperialgeschichten werden im folgenden jeweils im Rahmen eines eigenständigen Kapitels interpretiert: Während in den Analysen zum Alexander-Roman (Kapitel 2) vor allem die Gabe als Zeichen und Botschaft in den Mittelpunkt rücken wird, gilt mein Augenmerk in den Untersuchungen zu Eneas-Texten (Kapitel 3)189 insbesondere der Gabe in ihrer Bestimmung als Memorialobjekt, als Symbol kultureller Erinnerung und Identität – und zwar ebenso auf der Ebene der erzählten Handlung wie auch auf der des (rezipientenorientierten) Erzählens. Gegenstand des vorletzten Kapitels werden Gaben- und Opferdiskurs im Rolandslied des sogenannten Pfaffen Konrad sein. Das fünfte Kapitel soll dazu dienen, die Resultate der Einzelanalysen noch einmal unter der zentralen Fragestellung nach dem Zusammenhang von ›Gabe und Gewalt‹ zu bündeln sowie aus den Beobachtungen abgeleitete Abstraktionsmöglichkeiten systematisch darzulegen. Ein Ausblick auf Gabendiskurse in Texten der Frühen Neuzeit wird die Untersuchung beschließen.

189 Im dritten Kapitel meiner Arbeit werde ich die ›Vorlagen‹ des deutschsprachigen mittelalterlichen Textes umfassender in die Untersuchungen einbeziehen, um exemplarisch kulturanthropologische und kulturhistorische Unterschiede zwischen Gaben- und Opferauffassungen, wie sie das antike Epos verhandelt, und mittelalterlichen Entwürfen – Akzentverschiebungen also im Hinblick auf das zentrale Thema meiner Dissertation – herauszustellen.

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Befunde und Perspektiven

2. diu gabe ein ander meinet, dan mir der brieff bescheinet : Zur Hermeneutik und Funktionalisierung von Gaben im Straßburger Alexander 1

2.1 Befunde und Perspektiven 2.1.1 Bemerkungen zur Alexander-Roman-Forschung Die spätantike und mittelalterliche Überlieferung kennt eine breite Tradition griechischer, lateinischer sowie volkssprachlicher Texte, welche die Gestalt des makedonischen Königs Alexander ins Zentrum des Erzählens rücken.2 Doch nicht nur quantitativ, konzeptionell und in ihrer narrativen Gestaltung unterscheiden sich die zahlreichen Fassungen und Varianten der ›Biographie‹. Dem Helden selbst werden, wie Udo Friedrich gezeigt hat,3 je nach Erzählzusammenhang, Textsorte oder Art des Zusammenspiels vormals heterogener Erzähltraditionen unterschiedliche Rollen zugewiesen: Die Vita des antiken Herrschers ließ sich für mittelalterliche Rezipienten sowohl vor dem Hintergrund heilsgeschichtlich legitimierter Ereignisse als auch als Exempel grenzüberschreitender curiositas und maßloser superbia deuten; sie konnte ebenso als Fürstenspiegel wie als Beispiel der vanitas-Thematik gelesen werden, und schließlich bot sie sich einerseits als Muster heroischen Agierens par excellence an wie andererseits als Exempel grausamen

1 Insofern ich dies nicht anders markiere, zitiere ich den Alexander-Roman des sogenannten Pfaffen Lamprecht nach dem Text der Straßburger Handschrift. 2 Zu den unterschiedlichen Traditionen im Überblick vgl. Pfister, Schriften, Cary, Medieval Alexander, Buntz, Alexanderdichtung des Mittelalters sowie die einschlägigen Artikel in der EM (Alexander der Große, Sp. 272–291) und im LexMA (Alexander der Große in Kunst und Literatur, Sp. 354–366), welche im Literaturverzeichnis einzeln aufgeführt sind. Vgl. ferner Ehlert, Alexanderdichtung und Alexanderroman, Lienert, Antikenromane, S. 26–71. 3 Friedrich, Natur und Kultur, S. 119.

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Hermeneutik von Gaben

Gewalthandelns. Wohl diese Vielzahl an Alexanderbildern vor Augen haben einzelne Vertreter der umfangreichen Forschungsdebatten versucht, je unterschiedliche Konzeptionen der Figur – zumeist unter dem Kriterium der Stimmigkeit – herauszuarbeiten. Heikel ist ein solcher Ansatz, der letztlich dazu führte, dem jeweiligen Werk entweder Disparatheit in seinen Entwürfen vorzuwerfen4 oder einzelne Aspekte schlichtweg auszublenden,5 schon deshalb, weil man vor allem bei der Lektüre der einzelnen Alexander-Romane sehr schnell erkennen kann, daß man es hinsichtlich der Gestalt des makedonischen Königs nicht etwa mit geschlossenen, in sich stimmigen Darstellungen zu tun hat. Vielmehr haben ihre Verfasser verschiedene Züge des Helden kompiliert und auf diese Weise mehrfach gebrochene, changierende Entwürfe jenseits aller ›Schwarz-Weiß-Malerei‹ geschaffen.6 Ein Vorgehen aber wie jenes, das neuzeitliche Kohärenzerwartungen an ein aus entstehungsgeschichtlich unterschiedlichen und dem Entwurf nach voneinander abweichenden Traditionen gespeistes Erzählen heranträgt, kann weder zur Genüge begründet werden, noch wird es dem jeweils historisch-spezifisch zu verortenden Text gerecht.7 Und so läßt sich auch die Figur des Helden, von welchem Texte erzählen, in die mehrere Überlieferungsstränge eingegangen sind, nicht – gleichsam wie im Scherenschnittverfahren – auf die eine oder andere Kontur festlegen. Obzwar sich zahlreiche Studien auf die Darstellung des Protagonisten konzentrieren,8 lassen sich in ihren Grundzügen zwei weitere Forschungsschwerpunkte zum Erzählen über Alexander den Großen voneinander abheben. Allerdings, so muß man einschränkend formu-

4 Fischer unterscheidet für das frühe Mittelalter »zwei Konzeptionen« der Alexandergeschichte: erstens die Darstellung Alexanders »[u]nter weltlichem Aspekt als den vorbildlichen Helden« und zweitens »[u]nter geistlich-heilsgeschichtlichem Aspekt als Geißel Gottes« (Alexanderliedkonzeption, S. 62). Lamprecht etwa, dessen ›Originalversion‹ allerdings nicht mehr greifbar ist, partizipiere an beiden Entwürfen, sei jedoch »zu wenig eigenständig und zu wenig Künstler, um seine eigene Konzeption vollauf gelungen darstellen zu können« (S. 63). Auch Urbanek vermag in der Dichtung Lamprechts keine »klar durchgeführte Konzeption« (»Alexanderlied«, S. 118) zu erkennen. 5 Ihre Aufmerksamkeit auf die vanitas-Thematik lenken Schröder, Zum VanitasGedanken, Quint, Bedeutung des Paradiessteins; zur Darstellung des Heros vgl. Stein, Weltherrscher, Friedrich, Diskurs der Gewalt. 6 Vgl. Ratkowitsch, die hinsichtlich der Alexandreis Walters von Châtillon ähnlich argumentiert: Descriptio Picturae, S. 133–135. 7 Überzeugend hat dies Müller am Beispiel des Nibelungenliedes vorgeführt; vgl. insbesondere »Aporien der Deutung«, in: Spielregeln, S. 12–18. 8 Neben Anm. 4 und Anm. 5 vgl. Schnell, Alexander.

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Befunde und Perspektiven

lieren, kann die Grenze zwischen ihnen nicht immer streng gezogen werden: Einerseits bot die kaum überschaubare Stoff- und Überlieferungstradition zunächst die Grundlage für eine umfassende und vielfach kontrovers geführte Diskussion insbesondere der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den erhaltenen Texten wie auch näherhin zu Motiv-, Struktur- und Stilvariationen.9 Andererseits liegen Untersuchungen vor, welche – freilich im Anschluß an sowohl motiv- und überlieferungsgeschichtliche Fragestellungen als auch an Analysen zur Konzeption des Helden – versuchen, der Komplexität eines jeweiligen Textes gerecht zu werden, indem sie ihr Augenmerk vornehmlich auf jene Räume richten, die Alexander sukzessive durchquert,10 wie ebenso auf die Konfrontationen zwischen dem makedonischen Herrscher und den ihm mehr oder minder fremden Völkern sowie deren kulturellen Eigenheiten.11 Vernachlässigt wurden indes in allen Debatten die je spezifischen Interaktions- und Kommunikationsstrukturen zwischen dem makedonischen König und den von ihm unterworfenen oder beanspruchten Reichen, respektive seinen Gegenspielern oder auch Verbündeten. Warum jedoch gerade interaktions- und kommunikationstheoretische Ansätze das Spektrum möglicher Interpretationen gewinnbringend erweitern könnten, läßt sich schon mit wenigen Worten vor Augen führen: Alexander selbst durchquert die erfahrbare Welt, okkupiert auf diese oder jene Weise ein Reich nach dem anderen, bis er in einigen Versionen der Erzählung an die Mauern des Paradieses vordringt, um dort schließlich »auf metaphysische Grenzen«12 zu stoßen. Alexander konfrontiert die Herrscher der erfahrbaren Welt mit seinem Hegemonialanspruch, und darüber hinaus schreckt er nicht davor zurück, auch das Jenseits in seine Abhängigkeit zwingen zu wollen. Doch konstitutiv für Alexanders Agieren ist nicht nur die gewaltsame Eroberung von Raum, er bahnt sich seinen Weg nicht allein in blutigen Auseinandersetzungen zwischen seinem Heer und dem der Gegner oder in tödlich endenden Zweikämpfen. Der Makedonier empfängt zugleich die Herrscher der bereits vereinnahmten oder sich freiwillig unterwerfenden 9 Vgl. Pfister, Quellen sowie Sage, Cary, Medieval Alexander, Minis, Blumenmädchen, Ehlert, Alexanderdichtung und Alexanderroman, Mackert, Alexandergeschichte sowie Alexanderdichtung. 10 Vgl. Strohschneider/Vögel, Flußübergänge, Wenzel, Repräsentation und Raum, Stock, Kombinationssinn. 11 Vgl. Stackmann, Gymnosophisten-Episode, Göller, Alexander and Dindimus, Haupt, Alexanders Orientfahrt und Welterkundung, Friedrich, Natur und Kultur. 12 Friedrich, Natur und Kultur, S. 120.

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Königreiche und auch ihre Stellvertreter – Boten und Gesandte der Fürsten –, noch lange bevor er gänzlich in deren jeweiligen Herrschaftsbereich eingedrungen ist. Alexander kommuniziert zur Durchsetzung seiner Ansprüche nicht allein mit ehernen Waffen, sondern daneben treten vielfältige Modi der Verständigung: Er führt Gespräche von Angesicht zu Angesicht, er macht sich Briefe und Boten zu eigen, um Raum und Zeit überbrücken oder transzendieren zu können. In diesem Zusammenhang ist an den von Horst Wenzel herausgegebenen Sammelband »Gespräche, Boten, Briefe« zu erinnern, der Beiträge vereint, welche Modi der Überwindung von Raum, der Repräsentation von Herrschaft und Aspekte der memoria im Mittelalter studieren.13 Es handelt sich hierbei also um Themenspektra, welche durchaus auch für die Interpretation der Alexander-Romane Erkenntnisperspektiven eröffnen. Möchte man allerdings die zu analysierende Kommunikationsstruktur für diese Texte treffender überschreiben, wäre jener oben genannte Titel um einen zentralen Begriff zu ergänzen: den der ›Gabe‹. Denn auf welche Weise auch kommuniziert wird, ob unmittelbar von Fürst zu Fürst oder vermittelt durch Boten und Briefe, von Gaben im engeren oder weiteren Sinne ist in jenen Zusammenhängen beinahe immer die Rede. Ich spreche ganz dezidiert von ›Gaben‹, weil es sich nämlich nicht um Gegenstände handelt, auf die auch Wenzel am Rande zu sprechen kommt: urkund, wortzeichen, wârzeichen und wârgeleite im Sinne von materiellen, häufig körpernahen Bestätigungszeichen, welche der Sender einer Botschaft dem Boten mitgibt.14 Auch die Gaben, von denen in den Alexander-Romanen die Rede ist, werden – so meine These – als Zeichen eingeführt, welche unter den je spezifischen Bedingungen und Konstellationen über ihre wahrnehmbare Erscheinung und ihren gegebenenfalls alltäglichen Gebrauch hinaus auf anderes verweisen. Aber – soviel möchte ich vorwegnehmen – wenngleich auch sie im Kontext von Botschaften auftauchen, Teile einer »komplexe[n] Organisation vieler Zeichen«15 sind, fungieren sie nicht vorrangig als Zeichen zur Beglaubigung mündlich oder schriftlich überbrachter Nachrichten. Vielmehr sind sie – wie zu zeigen sein wird – in einigen Episoden selbst Trägerinnen einer Botschaft; rücken sie als Medium eines Informations- und Kommunikationsprozesses in den Mittelpunkt.

13 Wenzel, Gespräche. 14 Vgl. Wenzel, Boten und Briefe, vor allem S. 98, vgl. darüber hinaus Kellner, ›Wort‹. 15 Eco, Zeichen, S. 25.

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Ausgehend von dieser These möchte ich in den folgenden Analysen sowohl neue Akzente gegenüber den bisherigen Forschungsdiskussionen zur Alexander-Tradition als auch gegenüber jenen zur ›Gabe‹ setzen: Zugunsten mikroskopischer Lektürebeobachtungen werde ich einen der mittelalterlichen Alexander-Texte im Hinblick auf die stets übergeordnete Fragestellung nach den diskursiven Berührungspunkten von ›Gabe‹ und ›Gewalt‹ exemplarisch interpretieren: den Alexander-Roman des sogenannten Pfaffen Lamprecht in der Fassung der Straßburger Handschrift. Begründen möchte ich diesen Entschluß nicht nur damit, daß es sich nach dem vieldiskutierten Vorauer Alexander16 um den ältesten deutschsprachigen Alexander-Roman handelt. Ich privilegiere den Straßburger Text, weil in diesen erstmals die Geschichte des Paradiessteins, einer Jenseits-Gabe, aus dem die jüdische Tradition vermittelnden Iter ad Paradisum übernommen wird. Unter dieser Perspektive unterscheidet sich der Straßburger Alexander von seinen Vorgängern, die zwar Opfer des Königs an die antiken Götter erwähnen, doch sonst ausschließlich von weltlichen Gaben und Geschenken erzählen. Gängige Ansätze der Gabenforschung, welche vornehmlich soziale Aspekte der Gabe fokussieren, werden die Probleme, die der Roman aufwirft, nur unzureichend erklären können. Denn sie haben Gaben in ihrer möglichen Funktion als Zeichen und als Medium eines Kommunikationsprozesses bisher kaum in den Blick bekommen.17 Deshalb möchte ich die Frage nach der Bedeutung der Gaben im Alexander-Roman nunmehr vor allem aus medien- und kommunikationsgeschichtlicher wie auch – damit verbunden – aus zeichentheoretischer Perspektive angehen.

16 Vgl. Buntz, Alexanderdichtung des Mittelalters, S. 17 f., Schröder, Zum Vanitas-Gedanken, S. 38–42, Fischer, Alexanderliedkonzeption, S. 19–27, Ehlert, Alexanderdichtung, S. 27–54, Urbanek, »Alexanderlied«, S. 96 f.; speziell zu Aspekten der handschriftlichen Überlieferung vgl. Stein, Vorauer Handschrift, Cölln, Arbeit an Alexander, Grubmüller, Vorauer Handschrift. 17 In Ansätzen leistet dies Wagner-Hasel, insbesondere in ihrem Resümee »Gewebe, Zeichen und Kommunikation« (Stoff der Gaben, S. 306–322). Im Hauptteil der Arbeit rücken die zentralen Thesen und Argumente aufgrund der Fülle an beschriebenen Beispielen leider in den Hintergrund.

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2.1.2 Raum – Gabe – Gewalt und die Materialität politischer Zeichen: Ein Einstieg Alexander durchschreitet den Raum und erobert von West nach Ost sämtliche Reiche der Ökumene. Mit dem Tribut, welchen er von den vereinnahmten Gebieten fordert, korrespondieren verschiedene andere Modi des Gebens und Nehmens. Das Spektrum all jener Formen und Möglichkeiten von Gaben möchte ich im folgenden umreißen. Allerdings sollen die entsprechenden Passagen des Romans hierbei nicht auf vermeintlich historische Ereignisse oder auch mögliche mittelalterliche Transaktionspraktiken hin dechiffriert werden. Aufzuzeigen ist vielmehr die dem Alexander-Roman eigene narrative und poetische Inszenierung des Zusammenhangs von ›Gabe und Gewalt‹. Alexander raubt und plündert Besitztum dort, wo man nicht kampflos vor seiner Macht kapituliert. Die Reiche, die ihn willkommen heißen und seine Herrschaft anerkennen, empfangen ihn mit wertvollen Gaben. Ubiquitär, von Rom bis hin zum Paradies, verlangt Alexander nach Zinszahlungen18 und darüber hinaus nimmt er mit offenen Händen Kostbarkeiten entgegen oder greift danach. Sogar die Bewohner Indiens, die Okzidraten, bringen Alexander trotz ihrer eigenen Armut und Enthaltsamkeit gâben, sô si dâ ze lande plâgen (V. 4788f.) entgegen.19 Alexander weiß seinen Dank für die gezwungenermaßen oder bereitwillig entgegenkommenden Gesten zu formulieren, doch selten erwidert er selbst die Präsente. Die Gaben werden stellvertretend für den jeweiligen Herrscher oder für das Maß an Achtung, welches dem makedonischen König entgegengebracht wird, überreicht. Sie indizieren – wie im folgenden zu exemplifizieren sein wird – den Status von Geber oder Empfänger20 ebenso wie Hierarchien und Grenzen der Macht. 18 Vgl. Schröder, Zum Vanitas-Gedanken. 19 Vgl. Friedrich, Natur und Kultur, S. 127–128: Er zeigt, daß den Okzidraten, obwohl sich ihr Lebensrhythmus unmittelbar an der Natur orientiert, sowohl eine soziale Ordnung und verschiedene Kommunikationstechniken (Boten, Briefe) als auch feudale Rituale (Empfangsritus, Gaben) zuerkannt werden. Zur Tradition sowie zu (indirekten) Vorlagen der deutschsprachigen Alexander-Romane vgl. Stackmann, Gymnosophisten-Episode, Cary, Alexander, S. 12–15, S. 91–95, Pfister, Nachleben. 20 Zur Gabe als Indikator für das Verhältnis zwischen Geber und Empfänger vgl. Hannig, Ars donandi, S. 25, Starobinski, Gute Gaben, S. 8–10, Althoff, Ritual, S. 468, Scheller, Rituelles Schenken, S. 58, S. 63–65, Ehm, Geschenkpraxis, Godelier, Rätsel der Gabe, S. 22; die theoretischen Implikationen dieser Arbeiten sind unter 1.2 ausführlicher diskutiert. Der Unterschied zwischen den hier besprochenen Passagen des Alexander-Romans und den meisten Beispielen, die in der ange-

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Nur sehr knapp ist der Bericht von Alexanders Empfang durch die Römer in der Vorauer Fassung des Alexander-Romans, welche ich an den entsprechenden Stellen für den verlorengegangenen Passus der verbrannten Straßburger Handschrift berücksichtigen möchte. Doch auch der Vorauer Alexander spart die rituelle Begrüßung, welche von Gaben begleitet wird, nicht aus. Ohne Kampfabsichten reiten die Römer dem makedonischen Herrscher entgegen, empfangen ihn in allen Ehren und sichern ihm ihren Dienst zu. Mit der Auswahl ihrer Gaben, welche eindeutig auf die von Alexander postulierten Herrschaftsansprüche und Abhängigkeiten ausgerichtet sind, unterstreichen sie ihre eigene Position wie den Zustand der Beziehung: Alexander erhält von ihnen eine beträchtliche Menge an Silber (silbers hundert thûsint funt, Vorauer Alexander V. 628), einen Königsmantel (einen mantel alsô edele, | sô chunich under dieseme himele | von phelel noch von gimme | nie neheinen mohte gewinnen, Vorauer Alexander V. 629–632) sowie eine goldene Krone (eine chorône diu was al rôt golt, Vorauer Alexander V. 633).21 Die Silbergabe läßt sich sowohl als erste Zahlung begreifen, mit welcher die Römer Alexanders Zinsanspruch Folge leisten, wie auch – über ihren anscheinend generalisierten, monetären Wert (hundert thûsint funt) hinaus –22 als Symbol, welches pars pro toto auf die Bereitschaft der Römer verweist, dem Makedonier auch künftig Abgaben zu entrichten. Der unvergleichliche Mantel sowie die Krone – Insignien königlicher Würde und Macht – stehen für die Anerkennung Alexanders nicht nur als Herrscher über das makedonische, sondern auch führten Forschung diskutiert werden, besteht allerdings darin, daß nicht der mächtige Fürst Alexander seinen Status in der Vergabe oder Ablehnung großzügiger Gaben zum Ausdruck bringt. Die ›Asymmetrie‹ des Gebens resultiert nicht daraus, daß ein erhabener Spender einen »unterwürfigen Empfänger« (Starobinski, Gute Gaben, S. 8) mit Gaben bedenkt, sondern vielmehr bringen die Unterworfenen dem ihnen überlegenen Herrscher ihre Gaben dar. Und Alexander nimmt diese mit ›vollen Händen‹ entgegen, ohne daß Ehrverlust in diesem Kontext überhaupt ein Thema wäre. 21 Vgl. ausführlich Vorauer Alexander V. 627–636. Analoges wird an einer späteren Stelle, unmittelbar vor dem Zug nach Persien, von der Einnahme Korinths berichtet: Chorinthia sînes frides gesan | und crônten in an der stunt | und gâben ime funfzic phunt | unde silber unde golt. | des wart in der kuninc holt (V. 2300–2304). 22 Die konkrete Angabe ist wohl ohnehin eher ein Verweis auf die Unmenge an Silber und den entsprechend hohen substantiellen Wert des Geldes denn Ausdruck eines Tauschwertverhältnisses. Zur Bedeutungsverschiebung vom zunächst substantiellen Wert des Geldes, der aus der Seltenheit der geprägten Edelmetalle resultierte, hin zum ›bloßen‹ Ausdruckswert des Geldes für Äquivalenzverhältnisse in der Moderne vgl. Simmels Philosophie des Geldes, vor allem Kapitel II »Der Substanzwert des Geldes« (S. 139–253) sowie Baudrillard, Tausch, S. 42.

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über das römische Reich. Das heißt, daß die Römer im Zeichen der Krone und des fürstlichen Mantels Alexanders Status wie seine Machtbefugnisse bestätigen. Im Empfangsritus, im Akt des Gebens und in den Gaben selbst drückt sich so die bereitwillige Ergebenheit der Römer, ihre Unterordnung unter den makedonischen Herrscher aus. Alexander vermag demnach seinen territorialen Anspruch in Italien ohne jegliche Gewalt durchzusetzen; er wird weder zu langwierigen Kämpfen noch zu Verhandlungen gezwungen. Alexander nimmt die dargebrachten Gaben dankbar, mit Lob und Wohlwollen entgegen (diu gâbe was ime dancnâme, des lobet er die gûten Rômâre, Vorauer Alexander V. 635 f.). Da man allerdings in diesem Sinne – von der Möglichkeit des metaphorischen Gebrauchs abgesehen – wohl kaum von einer Gegengabe sprechen kann, möchte ich die Gaben der Römer als einseitige Gaben auffassen, als Geschenke,23 mit denen die Römer Alexander huldigen und ihre Abhängigkeit gegenüber dem Makedonenkönig zur Anschauung bringen. Und so mag es nicht verwundern, daß das ›do ut des‹ – im Sinne eines kommunikativen Imperativs – in diesem Zusammenhang in keiner Weise thematisiert, vielmehr die Einseitigkeit des Gebens geradezu unterstrichen wird. Die friedliche Unterwerfung – so ließe sich zuspitzen – ist in der unilateralen Übergabe von Präsenten dargestellt. Der Wert der Geschenke selbst wird sowohl über ihre materielle Beschaffenheit und Exklusivität wie auch über ihre symbolischen Ressourcen bestimmt. Denn Alexander erhält einerseits eine Gabe, deren Wert substantiell und monetär näher bestimmt wird und andererseits Präsente, die einzig einem König zustehen, deren symbolische Qualitäten gegenüber ihrem materiellen Wert in den Vordergrund treten. Drohungen des makedonischen Königs und im folgenden Formen direkter Gewalt präludieren dagegen die Einnahme Karthagos sowie der angrenzenden Gebiete. Doch schließlich beugen sich die Einwohner dem Makedonier ebenso kampflos, wie es zuvor die Römer getan hatten, nachdem dieser durch Boten überall verkünden ließ, daß er seine Widersacher kreuzigen werde. Die Gaben allerdings, welche die Karthager dem makedonischen König zum Zeichen der Unterwerfung überreichen wollen, lehnt er ab: er ne wolte ir goldes newiht enphâhen 23 Auch der späte Basler Kodex kennt, anders als Vorauer und Straßburger Alexander, bereits den Unterschied zwischen ›geben‹ und ›schenken‹, verwendet an dieser Stelle si schankten im (V. 184). Allerdings variiert das Vokabular ohne erkennbare Regel. Zu den in Spätmittelalter und Früher Neuzeit zunehmend häufiger verwendeten Begriffen (ge)schenck und schencken vgl. Groebner, Gefährliche Geschenke.

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(Vorauer Alexander V. 661). Statt dessen wünscht Alexander ihre Allianz gegen den Perserkönig und befiehlt, daß sie ihn bei seinen weiteren Eroberungen militärisch unterstützen. Die Ablehnung der Gaben und der auf eine andere Leistung erhobene Anspruch macht sehr wohl sichtbar, daß die Beziehung zwischen Alexander und den Einwohnern Karthagos nicht konfliktfrei ist. Dennoch ist sie nicht etwa als Beleidigung des Königs wider die Gebenden gerichtet, sondern erscheint vordergründig als Ausdruck von Alexanders gewaltsam durchgesetzter Machtpositionierung und seinen selbst festgelegten Geltungsforderungen. Gegen den Willen des makedonischen Herrschers zu handeln, nichts oder etwas anderes zu geben, als das, was Alexander verlangt, hieße für die ihm eindeutig unterlegenen Reiche seinen unbändigen Zorn auf sich zu ziehen. Auf eben diese Weise eskaliert in Tyrus die Gewalt. Die Tyrer, welche als treue Untertanen des Perserkönigs Dareius gelten, wollen sich Alexander auf keinen Fall ergeben. Sie fürchten den Makedonier nicht, tragen ihm allerdings für den Fall, daß Alexander seine Unterwerfungspläne ihnen gegenüber aufgeben werde, ihre Freundschaft an. Sie erklären sich bereit, ihn mit ihren Reichtümern zu beschenken, wenn er diese durh minne (V. 987–989) akzeptieren könne.24 Alexander lehnt dieses Angebot nicht nur schlichtweg ab, sondern reagiert zornentbrannt. Denn Gaben durh minne anzunehmen, ohne daß die Tyrer Alexanders Weltreichspolitik mittrügen, hieße in jener Situation Gaben von einem hierarisch gleichgestellten oder gar überlegenen Geber zu empfangen. Und dies bedeutete zugleich, daß der makedonische König gezwungen wäre, nicht nur die Position der Tyrer, sondern auch die Macht des persischen Königs zu akzeptieren. Alexander muß die Gaben dementsprechend verweigern, wenn sein Eroberungszug an den tyrischen Mauern nicht zum Stillstand kommen soll. Erneut schickt er drei seiner Fürsten als Boten nach Tyrus, um den Bewohnern zu drohen. Diese sind zu keinem weiteren Angebot gegenüber Alexander bereit, und so ersetzt Gewalt fortan den zunächst unterbreiteten Gabenvorschlag samt seiner politischen Dimensionen. Die Tyrer brechen die Kommunikation unverzüglich ab, indem sie die Medien des Austausches eliminieren. Denn bei jenem Empfang der makedonischen Boten in Tyrus handelt es sich um eine der seltenen Episoden, in denen der Adressat einer unliebsamen oder provozierenden Nachricht seinen Zorn nicht nur demonstrativ an dem erhaltenen Schreiben aus-

24 Vgl. ausführlich V. 987–989.

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läßt oder die Überbringer öffentlich steinigt.25 In Tyrus werden die Boten Alexanders stellvertretend für dessen anmaßende Worte getötet.26 Alexander beantwortet diesen Affront, indem er die Burg Tyrus in einem so erbarmungslosen wie langanhaltenden Kampf gegen deren Einwohner bis auf ihre Grundmauern zerstört. Doch allein hiermit sieht der makedonische König den Tod seiner Boten nicht ausreichend gerächt. In einem grausamen Gewaltakt läßt er zudem dreitausend der vornehmsten Tyrer blenden und hängen. Die Regeln von Gabe und Gegengabe, von »Herausforderung und Erwiderung der Herausforderung« im Sinne Bourdieus27 – so das Fazit an dieser Stelle – bleiben aber allem Anschein nach solange suspendiert, bis Alexander auf einen Gegner trifft, der ihm als Herrscher ebenbürtig zu sein scheint, ähnliche Ansprüche wie der Makedonier formuliert oder diejenigen Alexanders stolz zurückweist. Die einzelnen Beobachtungen dokumentieren, daß politisches Agieren allem Anschein nach nicht ohne materielle Zeichen auskommt, daß instrumentelles Handeln – wie im Fall des Alexander-Romans die bereitwillige Unterwerfung oder ein Friedensangebot – der unmittelbaren symbolischen Anschauung bedarf. Und freilich variieren auch die Gaben, welche in dieser Funktion überreicht werden, kaum. Dennoch macht es Sinn, die Episoden nacheinander zu betrachten und nicht etwa eine von ihnen als Exempel für die übrigen zu lesen. Denn nur auf diese Weise vermag man die Literarizität der Reihe zu erkennen: Deutlich wird, daß nicht allein von den aufeinanderfolgenden Eroberungen Alexanders – etwa im Sinne einer ›vollständigen‹ Historie – erzählt wird, sondern gleichzeitig von zunehmender Gewalt je weiter sich Alexander im Raum bewegt und dabei dem unmittelbaren Einflußbereich des Perserkönigs Dareius nähert. Gaben, welche für die widerspruchslose Unterordnung eines Volkes stehen (Rom), werden abgelöst von Drohungen und abgelehnten Gaben (Karthago) und schließlich von nackter physischer Gewalt (Tyrus).28 25 Zu Fragen »der persönlichen Repräsentanz« des Herrschers »im Institut des Boten« (S. 13) vgl. Wenzel, Gespräche, S. 9–21 (Einleitung) sowie Boten und Briefe, Siegert, Vögel, insbesondere S. 48–50, S. 59; zur »Praxis, den Boten je nach Art der Botschaft entweder fürstlich zu belohnen oder grausam zu bestrafen«, vgl. Wenzel, Boten und Briefe, S. 97 sowie Hören und Sehen, S. 252–269; zum Umgang mit Gesandten vgl. Althoff, Empörung, vor allem S. 272–273. 26 Vgl. V. 1023–1028. 27 Bourdieu, Entwurf, S. 29. 28 In dieser – auf die Eskalation von Gewalt zulaufenden – Reihung und Variation der Gaben-Episoden hebt sich der literarische Text deutlich von historiographi-

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Befunde und Perspektiven

Vor dem Hintergrund dieses Überblicks über Ausschluß versus Koinzidenz von Gabe und Gewalt in Lamprechts Alexander-Roman möchte ich mich nun auf drei Themenkomplexe konzentrieren, welche ebenfalls auf ganz unterschiedliche Weise von Austauschvorgängen erzählen, die Gewalt provozieren, ersetzen oder lediglich verdecken, wo sie bereits auszubrechen droht. Es handelt sich hierbei um die Auseinandersetzungen zwischen Alexander und Dareius, die Begegnung Alexanders mit der Königin Candacis sowie die Paradiesfahrt des makedonischen Herrschers. Diese Szenen eignen sich für das verfolgte Interpretationsinteresse besonders gut, da sie im Verlauf des epischen Geschehens einen viel größeren Raum als die bisher skizzierten Episoden einnehmen und doch – wie ich glaube – diese gerade voraussetzen: Mehrfach werden im Verlauf des Erzählens Strukturen und Konnotationen dieser Eingangsepisoden aufgegriffen und in der Variation von Thema und Struktur neue Sinnzusammenhänge produziert.29 Anhand der für den Straßburger Alexander zentralen Passagen möchte ich in fünf Teilkapiteln den in diesem Text diskursivierten Zusammenhang von ›Gabe und Gewalt‹ erhellen, wobei die Studie von den im ersten Kapitel allgemein formulierten Fragestellungen bestimmt werden soll. Die ersten beiden Teilkapitel sind dem Streit zwischen Alexander und Dareius, welcher durch die Zinsforderung des Perserkönigs eingeleitet wird, gewidmet. Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Herrschern enden letztlich mit dem Sieg Alexanders und gleichzeitig, entsprechend der Auslegungstradition der alttestamentlichen Danielprophetie, mit der Ablösung des persischen durch das griechische Weltreich (translatio imperii). Untersuchen möchte ich insbesondere die divergierenden Modi der Kriegsführung sowie ihren wechselseitigen Bezug. Davon kann insofern gesprochen werden, als den entscheidenden, in einem grausamen Blutbad endenden Kämpfen zwischen dem makedonischen und dem persischen Heer ein Strategieverhalten der beiden Könige vorausgeht, mit welchem Gewalt noch mehr oder weniger kanalisiert wird: Unmittelbar nachdem Alexander die Zinszahlung an das persische Reich verweigert, erhält er von Dareius drei verschiedene Gegenstände, welche in einem Begleitschreiben auf Alexanders Vermessenheit hin ausgelegt werden. Doch Alexander ist weder bereit, schen Beispielen ab. Zu solchen vgl. etwa Hannig, Ars donandi, Althoff, Demonstration, S. 244 f., Ritual, S. 467 f., Scheller, Rituelles Schenken, Ehm, Geschenkpraxis. 29 Stock spricht von ›signalhaften Äquivalenzrelationen‹, die es dem Rezipienten ermöglichen sollen, »das lineare Fortschreiten in der zeitlichen Ordnung der Erzählung zu unterbrechen und die über den engeren Kontext hinausgehenden Verknüpfungen zu verfolgen« (Kombinationssinn, S. 143).

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den Zinsforderungen des Perserkönigs nachzukommen, noch möchte er auf seine Pläne zur Eroberung der Welt verzichten. So weist er in einem Antwortschreiben den von Dareius erhaltenen Gaben einen eigenen, seinen Ansprüchen gemäßen Sinn zu. Diesem Gaben- und Briefwechsel folgt ein weiterer, in welchem nun die Gaben variieren, aber im Unterschied zum ersten Mal eine analoge Ausdeutung erfahren. Zu fragen wäre in einem ersten Schritt nach semiotischen Ressourcen der Gaben – das heißt, nach ihrem Status, ihrer Bedeutung und Funktion als Zeichen – und zugleich danach, auf welche Weise die Könige mit dem jeweiligen hermeneutischen Angebot des anderen umgehen (2.2 Stellvertretung I: Zur Semiotisierung von Gaben). In einem nächsten Abschnitt (2.3 Gabe und Gewalt II: Der provozierte Krieg) soll jener Gabentausch auf einen größeren Kontext hin – nämlich den Krieg zwischen den beiden Herrschern sowie Alexanders Eroberungsansprüche – interpretiert werden. Analysieren möchte ich, welche Bezüge zwischen dem Krieg mit Gaben und dem mit Waffen geführten bestehen, und welche Aussagen sich weiterführend im Hinblick auf die Regeln des heroischen und herrschaftlichen Handelns wie auch auf deren Brüche und Verletzungen formulieren lassen. Vor diesem Horizont soll zusätzlich eine Episode in die Analysen einbezogen werden, in der Alexander (zunächst) unerkannt an einem von Dareius veranstalteten Mahl teilnimmt und im offenen Vergleich mit dem Alexanderhof die Großzügigkeit des persischen Königs herausfordert (2.4 Gabe, Gastfreundschaft und Gewalt I: Herausforderung und Überbietung von Freigebigkeit). Das vorletzte Teilkapitel (2.5 Gabe und Gastfreundschaft I: mit minnen geben) wird der Candacis-Episode gewidmet: Ohne jegliche Gewalt, mit einer List und einer Zusammenstellung so unvergleichlich kostbarer wie wundersamer Gaben gelingt es der Königin, den mächtigen Alexander in eine Falle zu locken. Vorführen möchte ich, inwiefern der postulierte Zusammenhang von ›Gabe und Gewalt‹ auch jene Begegnung zwischen Alexander und Candacis bestimmt. Abschließen werde ich die Studien zum Alexander-Roman mit Überlegungen zu einer Gabe, von der am Ende des Straßburger Alexander erzählt wird (2.6 Moloch I: Die Gabe aus dem Paradies). Gemeint ist der Stein, welchen die Gesandten des makedonischen Königs aus dem Garten der Seligen erhalten und dessen Bedeutung – ähnlich wie die der Gaben, die sich Dareius und Alexander wechselseitig zukommen lassen – alles andere als selbstverständlich ist. Auch in den letzten beiden Teilkapiteln werde ich sowohl nach der paradigmatischen Bedeutung einer Gabe im Rahmen einzelner Episoden als auch nach ihren denkbaren Funktionen im Gesamtzusammenhang des Erzählens fragen. 68

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2.2 Stellvertretung I: Zur Semiotisierung von Gaben 2.2.1 Brief und Gabe – Gabe und Brief Nachdem der persische König Dareius erfährt, daß Alexander Tyrus zerstört habe – eine Burg, die bisher zu seinem eigenen Herrschaftsgebiet gehörte –, beschwichtigt er die Gesandten aus Tyrus, die ihn anklagen, in seinen königlichen Pflichten versagt zu haben. Alexander sei ein tumber […] kindischer man, der sih versinnen nit ne kan (V. 1441– 1443), der Ehre und Leben verlieren werde, sollte er nicht zum Rückzug bereit sein. Mit diesen Worten, die offenbaren, welch geringe Achtung er Alexander zollt, kommentiert Dareius den Fall der Burg Tyrus. Doch anstatt unmittelbar in diesen Kampf einzugreifen, wie es die Tyrer von ihm erwartet hätten, beschließt er, dem makedonischen König durch Boten drei Gaben zukommen zu lassen: einen guldînen bal scône unde sinewal (einen schönen runden Goldball, V. 1452 f.), zwêne hêrlîche scûchbant (zwei prächtige Schuhbänder, V. 1455) und ein lutzil goldis in einer laden (ein wenig Gold in einem Kästchen, V. 1456).30 In einem Brief, der gemeinsam mit den Gaben Alexander überbracht werden soll, glossiert er jene drei Dinge:31 Der Ball bedeute, daß es für Alexander viel angemessener wäre, gemeinsam mit anderen Kindern Ball zu spielen, anstatt als Feldherr aufzutreten und die Welt erobern zu wollen. Die Schuhbänder hätten zweierlei Sinn: Erstens legt Dareius Alexander nahe, falls dieser seine Eroberungspläne nicht aufgeben wolle, werde er dessen Gefolge überwältigen und hängen lassen. Zweitens verweisen die Schuhbänder darauf, daß Alexander und sein Volk ebenso wie viele andere auch Dareius Tag für Tag dienen werden. Das Gold möge den makedonischen Herrscher daran erinnern, daß Alexanders Vater Philippus dem Perserkönig zinspflichtig gewesen sei, und eben aus dieser Kontinuität und für Dareius selbstverständlich gewordenen Gewohnheit der Abgabe die Verbindlichkeit des Anspruchs re30 Vgl. Vorauer Alexander V. 1033–1037: Alexander dûhte in lutzel. | er sante im eines chindes stuzel | unde dar zû ein scûhpant, | alsô erz in sînem herzen vant, | unde ein wênich choldes in einer lade. | er wânde er ime iemer mohte gescaden. 31 V. 1460–1463: [Dareius] hîz von disen drîn sachen | einen brief machen, | der ime rehte bescheinte, | waz dise gâbe meinte. Ähnlich heißt es in Vorauer Alexander V. 1039–1042: [Dareius] sante im dise drîe sache | unt tet des einen brîf machen, | daz ez der brîf benante, | umbe waz er ime die drîe gebe sante.

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sultiere. Außerdem fordert Dareius Alexander auf, das Gold für seinen Rückzug zu verwenden, so daß dieser, ohne andere Gebiete zu berauben, schnell nach Makedonien gelangen könne. Sollte Alexander nicht bereit sein umzukehren, sondern gegen den Willen der Perser weitere Reiche unterwerfen wollen, werde Dareius ihn fangen und mit Ruten geißeln lassen.32 Gerade diese von Dareius zuletzt formulierte Drohung führt dazu, daß Alexander, nachdem er die Gaben und den Brief entgegengenommen hat, in unmäßigen Zorn ausbricht33 und befiehlt, die persischen Boten, die Überbringer der drei Gaben und des kommentierenden Briefes, zu hängen. Seinen Haß gegen Dareius projiziert er auf dessen Boten, durch deren Körper der Perserkönig – selbst im eigenen Reich verharrend – agiert. Doch einer der Gesandten gibt – nun erstmals eigenverantwortlich redend – dem König zu bedenken, daß es Unrecht sei, sie, die lediglich als Vermittler der Nachricht auftreten und keineswegs für die Gaben und Worte des Dareius haftbar gemacht werden könnten,34 zu töten. Alexander besinnt sich auf die Unschuld der Boten und begegnet ihnen mit Gnade: Er nimmt den Spielball und die kostbaren Schuhbänder an, ohne daß der Text näheres darüber zu erzählen wüßte. Die mit Gold gefüllte Lade hingegen schenkt er den Boten des Dareius.35 Das heißt, daß Alexander, der die Botschaft des Perserkönigs noch mit gleichsam berserkerhafter Wut empfangen hat, nun zum Abschied die Überbringer der unliebsamen Nachricht mit einem Teil der Gaben belohnt, welche sie selbst gebracht haben, anstatt sie stellvertretend für ihren Herrn mit dem Tod zu bestrafen. Die Gabe als Trägerin einer Botschaft wird in diesem Augenblick zum Botenlohn. Die übrigen Gaben schickt er weder zurück noch bedenkt er Dareius mit einer eigenen Sendung von Gaben. Das Schreiben des Perserkönigs allerdings erwidert Alexander. Auf diese Weise deutet er die Gaben seinem eigenen Streben gemäß nach militärischer, politischer und wirtschaftlicher Vormachtstellung in der Welt um.36 [D]iu gâbe ein ander

32 V. 1460–1487, Vorauer Alexander V. 1038–1070. 33 Zur außergewöhnlichen Gestalt sowie dem Affekthaushalt Alexanders vgl. Friedrich, Natur und Kultur, S. 126: Er zeigt, daß die Beschreibung Alexanders im Straßburger Alexander eine Gratwanderung zwischen mythischer und höfischer Attribuierung ist. Alexanders furor heroicus »wird in Tieranalogien manifest«, im Vergleich mit Löwe, Drache und Greif (V. 142–180), wie sich gleichermaßen seine heroische Gewalt »immer wieder in Zornausbrüchen ausdrückt.« 34 Zur Vorstellung, daß Sender und Bote substituierbar seien, vgl. Anm. 25. 35 V. 1510–1514: Alexander bedâhte sih, | den boten wart er gnêdich. | er ne weiz in niwit durh di scult, | er gab in wider daz selbe golt, | daz ime von Dario quam. 36 V. 1535–1556, Vorauer Alexander V. 1105–1128.

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meinet, dan mir der brief bescheinet (V. 1533 f.),37 verkündet Alexander in einer verdoppelten Botschaft: zunächst mündlich gegenüber den Boten des Dareius und sodann schriftlich in dem an den persischen Herrscher gerichteten Brief (V. 1557 f.). Die Auseinandersetzung, welche vermittelt durch Boten, Gaben und Briefe geführt wird, gelangt mit Alexanders Schreiben nur zu einem vorläufigen Abschluß. Doch erst als der Makedonier bereits weit in den persischen Herrschaftsbereich vorgedrungen ist, den Euphrat überquert und die Burg Sardis eingenommen hat,38 erst nachdem es hierbei zu verlustreichen Kämpfen zwischen dem makedonischen Heer und den Anhängern des Perserkönigs gekommen ist,39 tritt Dareius erneut per Brief mit Alexander in Kontakt, wird der Streit abermals auf der Ebene wechselseitiger Botschaften aufgenommen. Auch dieses Schreiben schickt Dareius gemeinsam mit einer Gabe an den makedonischen König. Wiederum wird die Bedeutung der Gabe im Brief vermittelt: Eine Waage voll Mohnkörner läßt Dareius Alexander bringen, deren Zahl ebensogroß sei wie das persische Heer, welches Alexander entgegentreten werde. Dieses Mal erwidert der makedonische Herrscher nicht nur den Brief des Dareius, sondern er beantwortet auch die Gabe mit einer Gegensendung. Anders als noch in dem vorangegangenen Briefwechsel verzichtet Alexander darauf, die Auslegung des Perserkönigs zu desavouieren sowie die Gabe selbst neu zu semantisieren. Statt dessen sendet er Dareius als Antwort auf den Mohnsamen eine Hand voll Pfeffer. Dareius, dies trägt Alexander den Boten auf, solle die Körner essen, um Stärke und Gewalt des makedonischen Heeres zu ›schmecken‹.40 Alexander deutet also die Gabe des Perserkönigs nicht wie in der vorangegangenen Auseinandersetzung schlichtweg um, sondern wählt eine Gegengabe, die sich von der persischen Gabe unterscheidet. Dies heißt: Nun variieren die Zeichen, nicht aber die Dimension ihrer Auslegung.41

37 Vorauer Alexander V. 1105–1109: [Alexander] sprach: ›iwers hêren brief mir niuht gevellet, | wande er zer gebe niene gehillet. | diu gâbe diu ist lobelîch | unt der brief der ist redelîch. | er bezeichenet alle ein ander.‹ 38 Zur ›Bewegung im Raum‹ vgl. Strohschneider/Vögel, Flußübergänge, S. 96–103. 39 V. 1578–3001. 40 V. 2088–2098. 41 Dies heißt, es gibt zwei verschiedene Bezeichnungsakte: In seiner ersten Antwort an Dareius übernimmt Alexander die Signifikanten des Perserkönigs, weist ihnen aber andere Signifikate zu: Für den Makedonier bezeichnet etwa der Ball die zu erobernde Welt statt Kinderspiele. In der zweiten Antwort an den Perserkönig tauscht er die Signifikanten (Gewürze) aus. Die Signifikate unterscheiden sich

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Diesem Austausch von Mohn und Pfeffer folgen bis zur unmittelbaren Begegnung zwischen den beiden Herrschern weitere Briefwechsel, in denen Dareius zunächst abermals seine Verachtung gegenüber Alexander bekundet,42 später jedoch dem makedonischen König in Anbetracht seines eigenen Schicksals nicht mehr anmaßend gegenübersteht, sondern ihn lediglich vor Überhebung warnt und schließlich sogar um Frieden bittet.43 Aber im Unterschied zu den ersten Briefen werden sie ohne Gaben versandt, fungieren sie nicht als Kommentar zu den materiellen, dinghaften Botschaften, als welche ich die Gaben auffassen möchte, sondern sie sprechen einzig für sich. Sie dienen also nicht mehr nur dazu, Dinge auszulegen, sondern sie allein sind im folgenden die Botschaft, die übermittelt wird. Der Briefwechsel ist keine Erfindung des Straßburger Alexander. Er folgt in dem, was er darüber zu erzählen weiß, seinen ›Vorlagen‹, – und er tut es doch nicht in allen Einzelheiten. Bevor ich die entsprechenden Episoden des Straßburger Alexander eingehender und auf einer anderen Ebene als bisher analysieren werde, möchte ich ihm Passagen aus der älteren Erzähltradition, die entsprechenden Abschnitte aus der Historia de preliis44 und dem Alexander-Roman des Iulius Valerius (Res gestae), zur Seite stellen und beschreiben. Hierbei werde ich die Texte weniger en détail im Sinne einer Stoff- und Überlieferungsgeschichte nach Ähnlichkeiten oder Variationen befragen. Vielmehr werde ich die Ausschnitte im Hinblick darauf, was sie von den jeweiligen Gaben und ihrer Auslegung zu wissen vorgeben, ergänzend lesen. Denn der Straßburger Alexander spart an einigen Stellen aus, was die älteren Texte verhandeln. Andere Aspekte thematisiert er dagegen ausführlicher. Die Perspektiven verschieben sich, und im Verlauf der Analysen wird es darauf ankommen, einen Prozeß wechselseitiger Erhellung in Gang zu setzen. In der Historia de preliis läßt Dareius, nachdem er von Alexanders Eroberungen erfahren hat, aus Interesse an dessen Gestalt ein Porträt des nur insofern, als es sich in Dareius’ Botschaft um das persische und im Schreiben Alexanders um das makedonische Heer handelt. 42 V. 2876–2910. 43 V. 3424–3483. 44 Ich zitiere vorzugsweise – und wenn nicht anders ausgewiesen – nach der Rezension J2 (Edition: Hilka/Bergmeister/Grossmann). Denn die Verfasser der mittelalterlichen Alexander-Romane rezipieren – neben älteren Quellen – vor allem diese sogenannte ›Orosius-Rezension‹. Vgl. hierzu ausführlicher Kühnel, Reise Alexanders, insbesondere S. 70, Mackert, Alexanderdichtungen, vor allem S. 57 f.

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makedonischen Königs malen. Als er auf dem Bildnis die kleine Statur Alexanders erblickt, spottet er über den Makedonier und schickt ihm einen Spielball (pilam ludicram), eine Peitsche aus Ruten, welche am oberen Ende gebogen sind (virgam curvam a capite), ein goldenes Gefäß und dazu einen Brief (cantram auream et epistolam), der – unter anderem – die Bedeutung dieser drei Dinge erklärt.45 Offensichtlich ist, daß sich nicht nur die Objekte, welche Dareius Alexander zukommen läßt, in den einzelnen Texten voneinander unterscheiden. Auch und vor allem die Motivation für die Botschaft wird in der lateinischen ›Vorlage‹ noch anders formuliert als im Straßburger Alexander. Gemeinsam ist beiden Texten, daß Dareius sich jeweils dazu entschließt, Alexander drei Gegenstände mit der entsprechenden schriftlichen Auslegung zu senden, weil er den makedonischen König verachtet und dessen militärische Gewalt unterschätzt. Doch während sich Dareius in der Historia de preliis unmittelbar auf das Porträt Alexanders bezieht, kommentiert er im Straßburger Alexander nicht die kleinwüchsige Gestalt des Makedoniers, sondern dessen strategisches Verhalten bei der Zerstörung der Burg Tyrus. Alexander habe, einem Kind gleich, unwissend und ohne jeglichen Verstand gehandelt. Das heißt, daß Dareius in der Historia de preliis die Dinge in bezug auf Alexanders Aussehen deutet, im Straßburger Alexander hingegen werden diese auf Alexanders Handeln bezogen. In der Auslegung der Gaben selbst reicht der deutschsprachige Alexander-Text weit über die Version der Historia de preliis hinaus, in welcher der Perserkönig die drei Gegenstände nicht einzeln deutet, sondern lediglich in aller Kürze auf ihre Funktion verweist. Sowohl im Gebrauch des Balles als auch der Peitsche und des Goldgefäßes möge sich Alexander üben, und alle drei Objekte sollen ihm zum Spiel dienen.46 Genauer werden die Gaben an den makedonischen Herrscher jedoch nicht erst in der deutschsprachigen Alexander-Tradition ausgelegt. Sondern auch im Text des Iulius Valerius, der an dieser Stelle kaum vom griechischen Alexander-Roman47 abweicht, erfahren die Gegenstände bereits eine ausführliche Glossierung. Ähnlich wie später im Straßburger Alexander führt Dareius vor Augen, hier mit skythischen 45 Vgl. ausführlich Hdp J2 29, 2–7: Audiens enim hec Darius imperator sciscitatus est ipsos homines de aspectu et statura Alexandri. Illi vero ostenderunt ei imaginem Alexandri depictam in membrana. Qui cum vidisset illam Darius, despexit eam pro parvitate forme eius. Et statim direxit ei pilam ludicram et virgam curvam a capite que grece zocani dicitur cum qua luderet et cantram auream et epistolam […]. 46 Hdp J2 29, 15–17: »[…] Ecce dirigo tibi pilam ludicram et zocani cum quo ludas et cantram auream cum qua exerceas et cogites iocandi causam […].« 47 Leben und Taten I, 36.

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Riemen, daß Alexander noch erzogen werden muß. Der Ball mahne Alexander daran, daß er besser täte, mit den Kindern zu spielen als seine Zeit damit zu verbringen, in der Art von Straßenräubern andere Gebiete zu überfallen. Das Kästchen voll Gold möge Alexander auch hier zur Finanzierung seines Rückzuges verwenden. Allerdings lassen sich bei Iulius Valerius die Motive des Dareius für die Botschaft an Alexander nur aus dem Inhalt des Briefes selbst erschließen. Denn vorab wird nichts anderes erzählt, als daß Alexander an der Küste Syriens den Boten des Perserkönigs begegnet, die ihm jene drei Gegenstände und den Brief überreichen. Erst indem der Text von diesem Treffen erzählt, wird die Botschaft – demnach unvorbereitet – in die Erzählung eingeführt. In diesem Brief legt Dareius Alexander zunächst nahe, zu seinen Eltern zurückzukehren. Nichts anderes gezieme dem Sohn des Philippus, als sich in den Schoß seiner Mutter zu schmiegen. Auch die Historia de preliis kennt diese Aufforderung des Dareius an Alexander. Im Roman des Iulius Valerius allerdings wird die Geringschätzung, die Dareius dem makedonischen König entgegenbringt, nicht etwa durch das Wissen um Alexanders kleinen Wuchs ergänzt. Allein der spöttische Rat, an den elterlichen Hof zurückzukehren, dient hier dazu, die Auswahl der Gaben zu bestimmen wie auch deren Deutung einzuleiten.48 Der Inhalt des Briefes, den Dareius dem makedonischen Herrscher zukommen läßt, konzentriert sich sowohl im Vorauer als auch im Straßburger Alexander einzig auf die Auslegung der Gaben. Die ausführliche Selbstdarstellung des persischen Herrschers, welcher sich im Brief der Historia de preliis wie auch in dem der Res gestae Alexandri Macedonis mit der Sonne vergleicht und vorgibt, den Göttern verwandt zu sein,49 entfällt ebenso wie der Verweis des Dareius auf die Unbesiegbarkeit der Perser, deren Anzahl unfaßbar sei wie der Sand des Meeres oder die Sterne am Himmel. Das Zinsmotiv allerdings, welches in den deutschsprachigen Texten mit der Bedeutung des Goldes in Verbindung gebracht wird, kennen die lateinischen ›Vorlagen‹ an dieser Stelle nicht. Eingeführt wird das Zinsmotiv erst in dem Antwortschreiben Alexan48 Res gestae I, 36, 1199–1213: »[…] mando tibi reverti ad parentes tuos, famulos scilicet meos, atque illic in gremio matris cubantem doceri virile officium. ad quam rem habenam Scythicam tibi et pilam loculosque cum aureis misi, quorum habena admonet te disciplinae videri indigentem, pila vero, quod eius congruat cum tua aetatula lusitatio, non haec opera quam latrocinantium ritu cum tuis similibus es adgressus. […] quare tibi loculos auri refertissimos misi, uti, si indigebis sumptibus ad reversionem, tibi tuisque habeas quod suffecerit […].« 49 Hdp J2 29, 8–13, Res gestae I, 36, 1197–1199.

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ders, in welchem er die Gaben des Dareius seinen eigenen Herrschaftspostulaten gemäß umdeutet: Anders als Dareius, der die Gegenstände ironisch in bezug auf Alexanders Jugend auslegt, versteht Alexander den Ball, die Peitsche und das Goldgefäß als Zeichen seiner ruhmvollen Zukunft. Denn der Ball verweise auf seine künftige Regentschaft, welche die gesamte Erde umfassen werde. Die Peitsche, deren Ruten an der Spitze gebogen sind, deute auf die Unterwerfung der mächtigsten Könige hin, die ihr Haupt vor Alexander beugen werden. Das Gold liest Alexander als Verweis auf den Sieg über sämtliche Reiche der Welt und den Zins, den er ihnen auferlegen wird. Denn schließlich habe gerade Dareius, der einflußreichste aller Könige, Alexander im Zeichen des Goldes den Zins zuerst dargebracht.50 Nachdem Alexander den Brief an seinen Gegner abgeschlossen hat, verfährt er in den einzelnen Rezensionen der Historia de preliis unterschiedlich mit jener Goldgabe. Nicht in allen Texten wird davon gesprochen, daß Alexander das Gold weitergibt, damit die zunächst zum Tode verurteilten Boten des Dareius für ihren Dienst belohnt. Nur die Rezension des neapolitanischen Presbyter Leo erzählt davon, daß der makedonische König den Überbringern der Botschaft das goldene Gefäß, die wertvollste der drei Gaben, schenkt.51 In den übrigen bekannten Rezensionen wird der Botenlohn im Unterschied zur Fassung des Leo nicht spezifiziert. Hier heißt es, Alexander verabschiede die Boten des persischen Königs mit den besten Gaben: dona optima.52 Auch der zweite Briefwechsel zwischen den Rivalen ist in der Historia de preliis vorgegeben, jedoch nicht im Text des Iulius Valerius. Dort bleibt die Selbstdarstellung der Perser sowie die Angabe des Dareius zur Größe des persischen Heeres allein auf den ersten Brief beschränkt, in dem er davon spricht, daß die Perser ebensowenig zu zählen seien wie der Sand.53 In der Historia de preliis dagegen betont Dareius dreimal die Größe seines Gefolges. Ich erinnere noch einmal an den ersten

50 Hdp J2 31, 15–22: »[…] De eo autem quod direxisti nobis pilam ludicram et zocani cum quo luderem atque cantram auream cum qua exerceam et cogitem iocandi causam, hoc futurum in me esse intelligo: per rotunditatem pile intelligo quia subiugabitur mihi imperium totius orbis; per zocani intelligo quia sicut illud curvum est a capite, sic curvabunt ante me capita sua omnes potentissimi reges; per cantram auream intelligo me esse victorialem et censum ab omnibus hominibus recipere, quia tu qui magnus es et excelsus pre omnibus primum censum nobis misisti cantram auream.« 51 Hdp, Leo I, 39, 11: Hoc taliter scribendo vocavit apocrisarios, donavit illis cantram auream pariter et epistolam ac dimisit eos. 52 Hdp J1 31, 11, J2 31, 24, J3 31, 11, hier: […] datis illis donis optimis. 53 Res gestae I, 36, 1208–1210.

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Brief: In diesem vergleicht er die Anzahl der Perser mit der der Sterne und den unzähligen Sandkörnern des Meeres.54 Im zweiten Brief bezieht Dareius die Größe seines Heeres auf die Unzählbarkeit der Mohnsamen, die er Alexander in einem Sack bringen läßt.55 Alexander beantwortet die Gabe des Dareius mit einer kleinen Menge Pfeffer. So gering die Anzahl der Pfefferkörner auch sei, der Pfeffer werde – die Gewalt des makedonischen Heeres vergegenwärtigend – über die Mohnsamen, welche unmittelbar auf das Heer des Dareius verweisen, siegen.56 Wohlschmeckend und weich (semen molles sunt, Hdp J2 35, 1) ist die Gabe also für Alexander. Für Dareius hingegen ist die Gegengabe, die er von Alexander erhält, nur schwer bekömmlich. Denn als der persische Herrscher den Pfeffer zerbeißt, muß er seufzend erkennen, daß er die ungestüme Kraft der makedonischen Soldaten trotz ihrer vergleichsweise geringen Zahl zu fürchten habe.57 Diese ersten, vergleichenden Beobachtungen zeigen, daß die Historia de preliis wie auch der Straßburger Alexander im Unterschied zu den Res Gestae Alexandri Macedonis von einem zweifachen Briefwechsel zwischen Alexander und Dareius erzählen. Doch während in der Historia de preliis allem Anschein nach die Gaben den Briefen beigegeben sind, um deren Aussagen sinnlich erfahrbar zu machen, verhält es sich in dem deutschsprachigen Text wohl eher umgekehrt. Für diesen nämlich ist charakteristisch, daß die Briefe keine Aussagen enthalten, die über die 54 Hdp J2 29, 11–13: »[…] Quin immo si adunare homines totius mundi potueris, non prevales resistere plenitudini Persarum, quia multitudo Persarum coequatur stellis celi et arene que est in litore maris […].« Im übrigen wird dieses Gleichnis in alttestamentlichen Berichten (Ios 11, 4; 1 Sm 13, 5) und in der Apokalypse (Apc 20, 7) für gottesfeindliche – und damit der Vernichtung geweihte Heere – verwendet. Für Canetti gehört der Sand zu den bedrohlich anmutenden »Massensymbolen«: »Ein bedeutender Zug ist die Drohung des Sandes, die Art, wie er sich dem einzelnen Menschen als etwas Aggressives und Feindliches entgegenstellt« (Masse, S. 95 f.). 55 Hdp J2 34, 13–18: »[…] Verumtamen ut cognoscas qualis et quantus est meus exercitus, significabo tibi illud per hanc sementem papaveris quam dirigo tibi in mantico. Vide itaque quia, si hoc numerare potueris, pro certo scias quia numerabitur populus meus; quodsi hoc facere non potueris, revertere in terram tuam et obliviscere quod fecisti, et amplius non ascendat in cor tuum talia facere.« 56 Hdp J2 35, 15–17: »[…] Ecce enim dirigo tibi ad vicem sementis papaveris quod nobis in mantico mandasti pro innumerabili numero populi vestri hoc piper, ut cognoscas quia multitudinem sementis papaveris vincit acritas huius parvissimi piperis.« 57 Hdp J2 36, 16 f.: »Pauci sunt eius milites, sed si sic sunt fortes sicut hoc piper, acriores sunt.«

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Auslegung der Gaben hinausreichen. Weder enthält der erste Brief des Dareius an Alexander die Selbstdarstellung des persischen Herrschers,58 noch erinnert Alexander an den Zorn der Götter gegen diejenigen Sterblichen, die sich – wie Dareius – anmaßen, unsterblich zu sein.59 Die Briefe begleiten die Gaben, die hier ganz wesentlich die Kommunikationsstruktur zwischen den Herrschern prägen, lediglich als hermeneutische Gebrauchsanweisung. Sie dienen ausschließlich zur Erläuterung der Gaben, denen somit unterstellt wird, daß ihre Bedeutung nicht kommentarlos erschlossen werden kann oder nicht eindeutig ist. In diesem Sinne werden die drei Gaben, ähnlich wie in dem Text des Iulius Valerius, auch im ersten Brief des Perserkönigs an Alexander einzeln ausgelegt. Sie unterliegen also nicht wie die Gegenstände in der Historia de preliis einer Pauschaldeutung. Freilich erzählt nicht allein der Straßburger Alexander davon, daß die Gaben auslegungsbedürftig erscheinen, wenn sie denn mehr als Geschenke, nämlich als Zeichen über ihre Erscheinung hinausweisende Träger von Informationen sind. Dieser Aspekt ist in den lateinischen ›Vorlagen‹ vorgegeben. Spezifisch ist jedoch – so das Fazit der vergleichenden Lektüre – die Konfiguration dessen, was erzählt und was gegenüber der älteren Erzähltradition ausgeblendet wird. Der Verfasser des Straßburger Alexander selegiert und rekombiniert auf luzide Weise: Er bezieht die Gaben und deren Auslegung so stringent aufeinander, er verzichtet zudem auf jegliche Aussage, die sich nicht unmittelbar auf eine der Gaben bezieht, daß die Gaben, ihre Semantisierung wie ihre Auslegungsbedürftigkeit, aber auch ihre offensichtliche Umkodierbarkeit in der Kommunikation zwischen Alexander und Dareius in den Vordergrund treten, selbst wenn sie nicht losgelöst von Bote und Brief zu denken sind.60 Zusammenfassend ließe sich die Transformation der Botschaften folgendermaßen beschreiben: Dienen in den älteren Texten die einzelnen Gegenstände vor allem zur Veranschaulichung der weit ausholenden Rede, kehrt sich dagegen die Gewichtung der Zeichen im AlexanderRoman des Pfaffen Lamprecht zugunsten der Gaben um, werden die Briefe auf einen knappen Kommentar gekürzt. Das Interesse verschiebt sich – so könnte man schließlich zugespitzt formulieren – von 58 Hdp J2 29, 8–13. 59 Hdp J2 31, 7 f. 60 Auffällig ist nicht zuletzt, daß die drei zuerst überbrachten Gegenstände im deutschsprachigen Text überhaupt erst und ohne Ausnahme als Gaben (gâbe) lexikalisiert werden. Denn in der lateinischen Tradition wird ein adäquater Begriff (donum) nur für das Gold, welches Alexander den Boten gibt, gebraucht.

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der Schrift auf die Gabe. Und dies heißt, daß die schriftfundierte und gabenbegleitete Nachricht der griechisch-lateinischen Texttradition in Lamprechts Alexander-Roman zur gabenfundierten und schriftbegleiteten Botschaft wird.61

2.2.2 Gaben als Zeichen: Die Kommunizierbarkeit von Herrschaftsansprüchen und die Vergegenwärtigung von Gewalt Von zwei unmittelbaren Begegnungen zwischen Alexander und Dareius erzählt der Text: Alexander überquert den vereisten Strage und begibt sich unerkannt als sein eigener Bote an den Hof des Dareius, um diesen davon zu unterrichten, daß der Makedonenkönig weit ins persische Reich vorgedrungen und nur noch fünf Tagesreisen entfernt sei. Dieses Treffen endet mit der gefährlichen Flucht Alexanders zurück über den Strage, dessen Eisdecke unter den Hufen von Alexanders Pferd bricht. Als es Alexander wenig später gelungen ist, das persische Reich endgültig zu besetzen, erfährt er von dem Verrat an Dareius. Die beiden Herrscher versöhnen sich, und Dareius, den Alexander bereits tödlich verwundet in dessen Palast vorgefunden hat, stirbt daraufhin im Schoß des makedonischen Königs. Jegliche Kommunikation hingegen, die diesen Begegnungen vorangeht, ist Fernkommunikation, in welcher den Königen drei verschiedene Medien zur Verfügung stehen, um Raum und Zeit zu überbrücken: erstens die je spezifisch konnotierte Gabe, zweitens die glossierende Botschaft des Briefes sowie drittens die mündlich überbrachte Nachricht der Boten und ihr eigener Augenzeugenbericht. Am Beginn der Auseinandersetzungen zwischen Alexander und Dareius werden die Gaben semantisch aufgeladen und als Zeichen zum bedeutsamsten Träger der Kommunikation erhoben, welchem die mündliche Botschaft und der Brief untergeordnet sind. Ihre Beschreibung wird mit einem für Exegesen geläufigen Terminus eingeleitet: Die Gabe meinte (V. 1463). Das heißt, sie selbst besitzt Zeichenkraft, die Fähigkeit, über sich hinaus noch etwas anderes zu repräsentieren.62 61 Dieser Befund korrespondiert mit Wenzels These, daß in der (volksprachigen) mittelalterlichen Kultur (des 12. und 13. Jahrhunderts) der Schrift als solcher eine weitgehend sekundäre Rolle gegenüber der Mehrdimensionalität sensorischer Wahrnehmung – dem Sehen, Hören, Riechen und Be-greifen der Dinge und Zeichen – zukommt. Vgl. insbesondere Wenzel, Hören und Sehen, S. 9–11, S. 338–341. 62 Vgl. zu diesem Aspekt auch A. Assmann, Zeichenkonzeptionen, insbesondere S. 714.

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Die Gabe ist Gegenstand und Medium der Kommunikation zugleich. Sie ermöglicht also nicht nur eine Funktion, sondern teilt diese auch mit.63 Daß diese Mitteilung dann auch eindeutig verstanden wird, dafür sorgt vor allem der Brief, mit welchem die Semiose64 in eine Richtung gelenkt werden soll. Denn die Gaben sind zwar komplexe, optisch und haptisch unmittelbar erfahrbare Zeichen, aber es handelt sich eben nicht – zumindest nicht dem Entwurf des Textes nach – um Zeichen, deren Sinn auf innerhalb eines bestimmten kulturellen Subsystems getroffenen Vereinbarungen beruhte und insofern eindeutig festgelegt wäre.65 Dieser These soll im folgenden nachgegangen werden. Weiterführen können an dieser Stelle der Argumentation zunächst einmal Augustins zeichentheoretische Ausführungen, welche noch bis ins 13. Jahrhundert zu den geläufigsten und fundamentalsten Zeichentheorien des Mittelalters gehörten.66 Wenngleich Augustinus das sprachliche Zeichen in den Mittelpunkt rückt, entwickelt er seine Überlegungen zunächst von einer umfassenderen Definition des Zeichens her. Grundlegend für das augustinische Zeichenverständnis ist der Eingang seiner christlichen Unterweisungslehre De doctrina christiana. Die erste Unterscheidung, welche Augustinus trifft, ist bekanntermaßen die zwischen Ding (res) und Zeichen (signum). Die Sache selbst bezeichnet nichts (non ad significandum aliquid). Aber auch sie oder ihre sichtbaren und unsichtbaren Eigenschaften können zum Zeichen werden beziehungsweise Zeichenfunktion übernehmen.67 Und eben dies geschieht mit den Gaben des Dareius in seiner Botschaft an Alexander. Er ist es, welcher die Gegenstände ein erstes Mal der Semiotisierung unterwirft, Dinge zu Zeichen seiner gegenüber Alexander gehegten Verachtung und seiner eigenen Herrschaftsansprüche werden läßt. Im Unterschied zu den nicht zeichenhaften Dingen verweisen die Objekte als Zeichen über sich hinaus auf etwas anderes:

63 Vgl. dazu Eco: »Architektonische Kommunikation und Geschichte«, in: Eco, Zeichen, S. 312–324, vor allem S. 313. 64 Zum Begriff vgl. Baltzer, Semiose. 65 Meier-Oeser spricht in diesem Sinne von ›konventionellen‹ Zeichen (Zeichen, S. 25, Semiotik, S. 986). 66 Vgl. Mayer, Zeichen I und II, Brinkmann, Zeichenhaftigkeit, Huber, ›Wort sint der dinge zeichen‹, S. 6–21, Ruef, Semiotik und Sprache, A. Assmann, Zeichen und Zeichenkonzeptionen, Corradini, Zeit, S. 138 f., Meier-Oeser, Zeichen, vor allem S. 1–34 sowie Semiotik, vor allem S. 988, Kaczmarek, Zeichenkonzeptionen und Zeichen, Deuser, Semiotik, vor allem S. 110–112, Rothmann, Zeichen. 67 De doctrina christiana I, II, 2.

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Signum est enim res praeter speciem, quam ingerit sensibus, aliud aliquid ex se faciens in cogitationem uenire […]. (De doctrina christiana II, I, 1)68

Das Zeichen hat demnach drei Dimensionen:69 Als Bezeichnendes ist es – wie Augustinus wenig später ausführt, vor allem über Augen und Ohren70 – sinnlich erfaßbare Sache (1). Die Sache als Zeichen ruft aber jenseits ihrer äußerlich wahrnehmbaren Gestalt noch etwas anderes im Geist/Denken auf (2). Der Bezug zwischen Zeichen und Bezeichnetem, so ließe sich schlußfolgern, muß vom Intellekt vollzogen werden (3). Im Unterschied zu den signa naturalia bedürfen die signa data – die vom Menschen gesetzten Zeichen – zusätzlich eines Senders, der die mit dem Zeichen verbundene Botschaft an einen Empfänger richtet. Die signa data werden funktional bestimmt: Sie dienen dazu, verschiedenste Gemütszustände, Wahrnehmungen und Kenntnisse anzuzeigen und zu vermitteln. Das heißt, sie werden vor allem über ihre kommunikative Funktion definiert:71 Data uero signa sunt, quae sibi quaeque uiuentia inuicem dant ad demonstrandos, quantum possunt, motus animi sui uel sensa aut intellecta quaelibet. Nec ulla causa est nobis significandi, id est signi dandi, nisi ad depromendum et traiciendum in alterius animum id, quod animo gerit, qui signum dat. (De doctrina christiana II, II, 3)

Entscheidend für die Entschlüsselung der signa data ist demnach allererst die Bezeichnungsabsicht desjenigen, der den Dingen Zeichenstatus beimißt.72 Entsprechend verhält es sich mit den Gaben, welche Dareius an Alexander schickt. Denn wären es Zeichen mit ›konventionellem‹ Charakter, beruhte ihre Bedeutung auf Vereinbarungen oder wäre sie ihnen von vornherein klar erkennbar eingeschrieben und unmittelbar 68 Ähnlich argumentiert Augustinus in De dialectica V: Signum est quod et se ipsum sensui et praeter se aliquid animo ostendit. 69 Zur ›Dreigliederung‹ oder ›triadischen Relation‹ des augustinischen ZeichenBegriffs vgl. Huber, ›Wort sint der dinge zeichen‹, S. 7 f., Ruef, Semiotik und Sprache, S. 82 f., Meier-Oeser, Zeichen, S. 8, Deuser, Semiotik, S. 112. 70 De doctrina christiana II, III, 4: Signorum igitur, quibus inter se homines sua sensa communicant, quaedam pertinent ad oculorum sensum, pleraque ad aurium, paucissima ad ceteros sensus. Die Unterordnung aller übrigen Sinne – die Vernachlässigung taktiler oder gustatorischer Wahrnehmung von Zeichen etwa – resultiert aus der primären Beschäftigung mit sprachlichen Zeichen. Vgl. hierzu auch Meier-Oeser, Zeichen, S. XVII, S. 11, S. 33 sowie Semiotik, S. 988. 71 Hierbei handelt es sich um ein Argument, welches Eco in seinen zeichentheoretischen Ausführungen besonders gewichtet. Vgl. »Das Zeichen als Element des Kommunikationsprozesses«, in: Eco, Zeichen, S. 25–27. 72 Vgl. Meier-Oeser, Zeichen, S. 25 sowie Semiotik, S. 986.

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erschließbar, dann käme die Botschaft ohne den schriftlichen Kommentar – den Schlüssel zur Auslegung der Gaben – aus. Doch allein der Perserkönig gibt den Sinn der Gaben vor, inszeniert auf diese Weise auch, daß die Zeichen eindeutig seien. Hierbei haben die einzelnen Dinge jedoch keineswegs denselben Status.73 In dem Brief, den Dareius gemeinsam mit den Gaben Alexander überbringen läßt, erklärt er zunächst den goldenen Ball. Aus der Perspektive des Erzählers heißt es: Mit dem balle meinter daz, daz ime gezême michilis baz, daz er mit anderen kinden des balles spilen gienge, dan er sîne lûte vienge und di slûge oder hienge. (V. 1464–1469)74 (Der Ball bedeutete ihm [Dareius] zufolge, daß es für ihn [Alexander] angemessener wäre, mit anderen Kindern Ball zu spielen, statt seine [Dareius’] Gefolgsleute zu fangen und sie zu erschlagen oder zu hängen.)75

Dareius definiert den goldenen Ball als Gebrauchsgegenstand, genauer: als Kinderspielzeug. In diesem Sinne bedeute der Ball das anmaßende, ungestüme Verhalten des tumbe[n] und kindische[n] (V. 1441 f.) Alexander. Der Ball wird kontextlos eingeführt. Erst der Perserkönig selbst weist ihm einen Zweck zu, und aus eben diesem leitet er die Bedeutung seiner Gabe und zugleich eine Handlungsanweisung für Alexander ab. Als Zeichen verweist der Ball damit auf seine eigene Gegenständlichkeit und – seine von Dareius festgelegte – Zweckgebundenheit. Der Ball selbst ist das, was er bezeichnen soll: ein kostbares Objekt, welches zum Spiel adliger Kinder bestimmt ist. Er erfährt durch die Worte des Dareius keine darüber hinausgehende Sinnzuschreibung. Der Ball als materiell faßbarer Gegenstand (res) wird in der Auslegung gleichsam zum Zeichen (signum) seiner selbst: Der Ball – so der Perserkönig – dient dem Spiel, er soll auf das Spiel verweisen und schließlich auch Anweisung zum Spiel sein. Eine weitere Bedeutungsebene wird nicht konnotiert, jedenfalls nicht an dieser Stelle des Romans.

73 Eco, welcher vor dem Hintergrund verschiedener Zeichentheorien ein sehr differenziertes Klassifikationssystem entwickelt hat, würde in diesem Fall wohl vom unterschiedlichen »Grad der Zeichenspezifität« (Zeichen, S. 42) sprechen. 74 Vorauer Alexander V. 1043–1046: Ain stutzel sante er im umbe daz, | daz ime daz stunde michel baz, | daz er mit den chinden spilen gienge, | danner sîne liute cholte oder hienge. 75 Alle Übersetzungen der im Haupttext abgesetzten Zitate von Lamprechts Alexander-Roman stammen von mir.

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Anders verhält es sich mit den übrigen Gaben, die der Perserkönig Alexander schickt. Die prächtigen Schuhbänder sollen über ihre eigene Materialität und (primäre) Funktionalität hinausweisen: dar zô meinten die scûchbant, di er ime ouh hete gesant, daz ime Alexander und dar zô manic ander tagelîch dienen solde, alsô vil sô er wolde. (V. 1470–1475)76 (Und die Schuhbänder, die er ihm gesandt hatte, bedeuteten, daß ihm [Dareius] Alexander Tag für Tag dienen sollte, so viel, wie er [Dareius] es verlangte.)

Während der Perserkönig im Hinblick auf den Ball nicht zwischen bezeichneter Primär- und Sekundärfunktion77 unterscheidet, tut er dies im Fall der Schuhbänder. Die Schuhbänder haben eine klare Primärfunktion: Sie dienen dem (tagtäglichen) Zubinden der Schuhe: scûchpant nuzet man tagelîch (Vorauer Alexander V. 1051). Ferner erhalten sie durch Dareius eine – der Primärfunktion weitgehend analoge – politische Sekundärfunktion: Sie bezeichnen seine Absicht, Alexander in die Abhängigkeit der Perser zu zwingen, und vor allem den daraus resultierenden täglichen Dienst des Makedoniers, den Dareius ihm wie allen seinen Untertanen auferlegen wird. Die Schuhbänder (res) macht Dareius zum Zeichen (signum) der von ihm postulierten Hierarchie zwischen den Reichen und seiner Machtansprüche gegenüber Alexander. Das heißt, die Bedeutung der Schuhbänder (ihre Sekundärfunktion) deckt sich nicht wie bei dem Spielball mit ihrer Primärfunktion, wird aber von ihr abgeleitet. Die Affinität zwischen dem Zeichen (den Schuhbändern als Signifikant) und der Sache, auf die es verweist (der Dienst als Signifikat), besteht darin, daß man sie Tag für Tag (tagelîch) in Anspruch nimmt. Mehrere Bedeutungen – so Dareius – habe die dritte Gabe, das Gold, welches er Alexander in einem Kästchen überbringen läßt:

76 Vorauer Alexander V. 1047–1050: daz bezêchinot daz scûchpant, | daz Alexander wart kesant, | daz er ime tagelîchen dienen solte, | ob Darios wolte […]. 77 In der Verwendung des Funktions-Begriffes für Zeichen folge ich – aus systematischen und heuristischen Gründen über die Ansätze des Augustinus hinaus – Eco, zur Differenzierung der Zeichen-Funktion vgl. Zeichen, S. 42–44.

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ouh meinte daz golt, daz ir vil rehte merken sult, daz sîn vater wêre sîn rehter cinsêre, und daz er ouh solde leben mit dem golde, biz daz er heim quême, und niemanne niht ne nême und ouh schiere heim rite […]. (V. 1476–1479)78 (Das Gold bedeutete auch – das müßt ihr euch fest einprägen –, daß sein [Alexanders] Vater sein [Dareius’] rechtmäßiger Zinsgeber gewesen sei und daß er [Alexander] von dem Gold leben sollte, bis er – schnell und ohne Raub – nach Hause käme.)

Das Motiv ist bereits aus den ersten Episoden des Alexander-Romans bekannt, wird aber umgekehrt, insofern der Gebende nun nicht derjenige ist, der seine Zinsbereitschaft erklärt, sondern Abgaben vom Empfänger des Goldes verlangt: Zum einen und allererst verweise es auf die Zinsschuld der Makedonier. Pars pro toto steht die kleine Menge Gold für den Tribut, den Dareius von ihnen fordert. Auch der Ball und die Schuhbänder werden kostbar genannt, doch erst mit der Goldgabe wird der materielle Wert als solcher näher thematisiert. Zwar steht das Gold noch im Hinblick auf die erste Deutung, die es im Brief erfährt, zeichenhaft für die Zinsforderung der Perser gegenüber Alexander. Aber schließlich handelt es sich hierbei vor allem um eine finanzielle Forderung. Und gar mit der zweiten Bedeutungszuweisung wird der Zeichencharakter der Gabe gegenüber ihrem materiellen Wert eher nebensächlich, indem sie nun eindeutig ökonomische Dimensionen gewinnt: Zur Auszahlung seines Gefolges, so Dareius, möge Alexander das Gold nutzen. Damit wird die Goldgabe überdies – wie auch schon Ball und Schuhbänder – zum »präskriptive[n] Askriptor« im Sinne Ecos,79 das heißt: zum handlungsanweisenden Zeichen. Unterstrichen wird der ökonomische Wert der Gabe vollends, als Alexander – statt der Anweisung zu folgen – die Boten des Dareius mit dessen Gold belohnt. Denn mit dieser wertvollsten der drei Gaben bezahlt Alexander die Fernkommunikation der Herrscher. Ausgeblendet wird in diesem Moment die kommunikative Funktion der Gabe: Die Botschaft wird 78 Vorauer Alexander V. 1057–1060: Daz bezeichnôt daz cholt: | daz er rehte merchen solt, | daz daz ter zins wâre, den ime sîn vater chulte | aller jârilîch turch sîne hulde […]. 79 Eco, Zeichen, S. 69 f., S. 72.

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zum Botenlohn. Das bedeutet, daß an dieser Stelle die Verweisstrukturen der Gabe, nämlich ihre indexikalischen hinter ihre materiellen und ökonomischen ›Ressourcen‹80 zurücktreten. Dennoch ist die Goldgabe ebensowenig rein ökonomisch wie ausschließlich semiologisch lesbar. Wenngleich eine der beiden Dimensionen zu überwiegen vermag, läßt sie sich weder allein von ihrem materiellen Wert her bestimmen, noch ist sie einzig ohne Rücksicht auf ihren substantiellen Wert, als Sinnträger aufzufassen. Insofern Alexander den Perserkönig nicht beim Wort nimmt, sondern die drei Gaben umdeutet, wird ein weiteres Mal darauf abgehoben, daß die Gaben keine feste Bedeutung haben, welche nur noch entschlüsselt oder ausgelegt werden müßte. Die Gaben als Zeichen sind verschiebbar und unterliegen Prozessen der Umkodierung, des Überschreibens mit je anderen Semantiken. Nacheinander weisen die Könige den Dingen – dem Ball, den Schuhbändern und dem Gold – ihren jeweils eigenen Sinn zu. Mit Alexanders Umdeutung der drei Objekte wird nun auch der Ball zum Zeichen, welches über die mögliche Gebrauchsfunktion der Gabe hinaus auf etwas anderes, nämlich die erfahrbare Welt, auf die Alexander Anspruch erhebt, verweist: ›[…] Den bal hât er mir gesant, dâ mite hât er mir bekant, daz iz alliz an mir sol stân, daz der himel hât umbevân […].‹ (V. 1535–1538)81 (»Er hat mir den Ball geschickt, um mir damit zu erkennen zu geben, daß alles, was der Himmel umfaßt, mir gehören soll.«)

Doch trotz aller Souveränität ist das Auslegungsrepertoire des makedonischen Herrschers nicht wesentlich größer als das von Dareius, bewegt sich Alexander mit seiner Version der Balldeutung – wie bereits der Perserkönig mit der Erklärung der Schuhbänder – nur im Rahmen von Affinitäten zwischen Gabe und Welt. So wie auch der Reichsapfel, Insignie von König und Kaiser,82 verhält sich der goldene Ball ikonisch zur Welt, zu deren Vollkommen- und Geschlossenheit. Allem Anschein

80 Zur Terminologie vgl. Haferland, Höfische Interaktion, S. 155. 81 Vorauer Alexander V. 1111–1116: ›[…] der stuzel, den mir iwer hêre hât gesant, | dâmit hât er mir rechte bechant, | daiz allez ane mir sul bestân, | swaz sô unter deme himele is betân, | unt ich is alles hêre sul werden | ûf der scîbligen erde […].‹ 82 Vgl. Schramm, Sphaira, Knappe, Repräsentation, S. 176–179.

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nach findet man mit diesen Beispielen bestätigt, daß die Bindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem – folgt man der These Michel Foucaults noch bis an die »Schwelle des klassischen Zeitalters« – vorrangig über Ähnlichkeiten und Homologien definiert und erklärt wird.83 Während Alexander den Spielball völlig neu deutet, unterscheiden sich die Auslegung der Schuhbänder wie auch die des Goldes nicht wesentlich von denen des Perserkönigs. Die Schuhbänder bezeichnen die Abhängigkeit wie das Gold die Zinsforderung. Alexander macht sich die von Dareius vorgegebene Deutung zunutze und kehrt einzig die Referenz der Bedeutungen seinen Herrschaftsansprüchen entsprechend um. Statt dem Perserkönig zu dienen, wird er diesen unterwerfen: ›[…] Er sante mir ouh zwê schûhbant. dâ mite hât er mir becant daz er sih mir ze eigene wil geben […] mit dem golde, daz ir mir habet brâht, dâ mite hât er gedâht, daz mir eineme daz gezeme, daz ich den zins von ime neme und ouh alle erdische lant bedwinge zô mîner hant […].‹ (V. 1545–1556)84 (»Er schickte mir außerdem zwei Schuhbänder, mit denen er mir zu erkennen gab, daß er sich in meine Abhängigkeit begeben will. Mit dem Gold, das ihr mir überbracht habt, meinte er, daß es allein mir zustehe, daß ich den Zins von ihm empfange und auch alle irdischen Reiche unterwerfen werde.«)

Die drei Dinge, die Dareius an Alexander schickt, werden von ihm in der Schrift ausgelegt und von Alexander mit Hilfe des gleichen Mediums umgedeutet. Im Unterschied dazu kann der Sinn der Gewürz83 Foucault, Ordnung der Dinge, S. 92; zum hohen Stellenwert vor allem formaler similitudines in den zeichentheoretischen Ausführungen des 13. Jahrhunderts vgl. Scheerer, Repräsentation, hierzu insbesondere Sp. 791 f.; zu »Zeichenrevolutionen der Neuzeit«, in welchen die ›Ähnlichkeit‹ zunehmend ihre zentrale Rolle einbüßt, vgl. A. Assmann, Zeichenkonzeptionen, S. 719. 84 Vorauer Alexander V. 1117–1128: ›[…] Den riemen, den er mir sante, | dâ mite er mir bechante, | daz er sich mir zeigen welle geben | unt iht in mînen genâden iemer welle leben, | daz er mîn dienest welle sîn | ze allen herverten mîn. | daz golt, daz ir mir habet prâht, | dâ mit habet er mir gesaget, […] daz ich den zins von ime neme | unde dar zû von allen landen, | unde bedwinge die ze mînen handen.‹

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Gaben, die Dareius und Alexander später austauschen, nicht mehr einzig durch die Schrift erschlossen werden: Darius under des screib einen brieb Alexandro unde hîz ime dar zô eine wâge mâhenes fur tragen unde hîz ime sagen, daz er zalte die korn. iz wâre ime leit oder zorn, er neconde si nit gezellen: alsô ne mohter sîne gesellen gezelen noh sîne heriscraft, di er ime gagen hête brâht. (V. 2044–2054) (Dareius schrieb unterdessen einen Brief an Alexander und befahl, ihm dazu eine Ladung Mohn zu bringen und ihm auszurichten, daß er die Körner zählen solle. Wenn er auch traurig und zornig darüber sein wird, er werde sie nicht zählen können: Genausowenig werde er seine Soldaten und die Kraft seines Heeres, die er ihm entgegengestellt hätte, erfassen können.)

Freilich erklärt Dareius auch diese Gabe, die wohl kaum zählbare Menge an Mohnkörnern, in einem Begleitschreiben. Doch der Brief allein führt noch nicht dazu, die Bedeutung des Mohnes vollkommen zu verstehen. Erst wenn Alexander versuchen wird, die Mohnkörner zu zählen, kann er den Sinn der Gabe in Gänze erfahren. Die Deutung der Botschaft muß Alexander also aktiv vollziehen. Dies tut er dann auch, allerdings nicht auf die von Dareius geforderte hermeneutische Weise. Statt dessen verschlingt er die Zeichen, verleibt sie sich ein: den mâhen er frôlîche entfienc […] und sprach: ›wir haben gût heil: dise corner sint sô manicfalt, si ne werdent von mir niemer gezalt.‹ in sînen munt er si streich und sprah: ›si sint sô weich und smeckint sô wole, ich hoffe, daz ich sîn here sole harte wol verwinnen mit mînen jungelingen.‹ (V. 2066–2078) (Heiter nahm er den Mohn entgegen und sprach: »Wir haben Glück: diese Körner sind so zahlreich, daß sie von mir niemals gezählt werden.« Er steckte sie in den Mund und sprach: »Sie sind so weich und wohlschmeckend, ich hoffe, daß ich sein Heer mit meinen jungen Helden sehr leicht besiegen werde.«)

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Während Alexander die Körner zerkaut und ihren Geschmack kommentiert, fügt er der von Dareius intendierten Bedeutung noch eine weitere hinzu. Der Mohn bezeichne nicht nur die Größe des persischen Heeres, sondern auch dessen Schwäche. Horst Wenzel hat darauf verwiesen, daß in der höfischen Literatur des Mittelalters von der »zeichenhafte[n] Verwendung des Schmeckens« gegenüber anderen Arten sinnlicher Wahrnehmung nicht häufig die Rede sei.85 Mit dem Alexander-Roman liegt allerdings eines dieser seltenen Beispiele vor. Denn der Sinn der Gabe, so Alexander, läßt sich nicht allein durch das Zählen der Körner erschließen. Für ihn wird der Sinn des Mohnes erst durch die gustatorische Wahrnehmung erfahrbar. Alexander liest die Stärke der Perser nicht an der Menge der Mohnsamen ab, er schmeckt sie. Analog zu seiner Weise, die Gabe auszulegen, fordert er auch Dareius auf, die Gegengabe – eine verschwindend geringe Menge an Pfefferkörnern – zu verspeisen.86 Mit Gewalt zwingt Alexander dem Perserkönig die Wirkungen seiner Macht auf den Körper: Alexander der rîche der screib dô selbe einen brief. […] sîne hant fol pfefferis er nam. ze Darien boten er dô sprach: ›diz ezze dîn hêre, ob er mach.

85 Wenzel, Hören und Sehen, S. 178. 86 Von einem erstaunlich ähnlichen ostentativen ›Naturalientausch‹ zwischen politischen Gegnern erzählt Thietmar von Merseburg (Chronicon): 1016 schlägt das von Papst Benedikt VIII. mobilisierte Heer die Sarazenen, welche (unter anderem) die Lombardei besetzt hatten, in einer grausamen Schlacht. Anschließend, so berichtet Thietmar, läßt der Papst die Gemahlin des Sarazenenkönigs enthaupten. Daraufhin schickt ihm der König einen mit Kastanien gefüllten Sack und die durch Boten vermittelte Drohung, er werde im kommenden Sommer ebensoviele Krieger aufbieten (45, 22–26): Rex autem predictus morte coniugis et sociorum admodum turbatus summo pontifici saccum castaneis refertum remisit et per hunc portitorem tot se in proxima estate milites sibi esse laturos intimavit. Der Papst beantwortet diese Botschaft mit dem gleichen Sack voller Hirse, welche auf die Anzahl der prophezeiten toten Sarazenen verweisen würde (45, 26–29): Percepta hac legatione papa marsuppium eundem milio plenum internuntio talibus dictis reddidit: ›Si non sufficiat sibi apostolicam satis laesisse dotem, secundo veniat et tot loricatos vel plus se hic inventurum pro certo sciat.‹ Die Überbietung des Sarazenenkönigs durch den Papst liegt also – im Unterschied zu Alexanders Strategie – in der gegenüber den Kastanien wesentlich höheren Anzahl der Hirsekörner. Das heißt, die Bedeutung der Gabe erschließt sich in der von Thietmar berichten Episode ausschließlich über die optische Wahrnehmung.

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dise corner sint niht manicfalt, si sint vil schiere gezalt: alsus bitter ist mîn here, er ne mah sih niemer mih irweren […].‹ (V. 2088–2098) (Der edle Alexander schrieb selbst einen Brief. Seine Hand nahm er voll Pfeffer; zu dem Boten des Dareius sprach er: »Dies esse Dein Herr, wenn er kann. Diese Körner sind nicht zahlreich, sie sind sehr schnell gezählt: So bitter ist mein Heer, er wird sich gegen mich niemals zur Wehr setzen können.«)

Alexander erweist sich nicht nur in seiner Rolle als Hermeneut virtuoser als der Perserkönig, sondern seine Souveränität kommt desgleichen darin zum Ausdruck, daß er kein einziges Mal dem von Dareius intendierten Gebrauch der Gabe, der Präskription des Zeichens, folgt. Voller Hast hingegen verschlingt der persische Herrscher die übermittelten Pfefferkörner, welche in seinem Körper heiße und schmerzvolle Krämpfe hervorrufen. Er tut dies wohl weniger, um der Aufforderung Alexanders nachzukommen, als vielmehr affektgeleitet aus Zorn über dessen Furchtlosigkeit und Übermut. Nachdem er die Intensität des Pfeffers erfahren mußte, bereut Dareius zum ersten Mal, daß er Alexander herausgefordert hat: [Er] warf di peffercorner nîtlîchen in sînen munt und beiz si an der stunt. dô begunder sih cremfen und di nase remfen, wand in der pheffer sêre beiz. sîn lîb di wart ime allir heiz. er neigete sih nidere unde wolde, daz Alexander widere wêre ân sîne scande heim in sînem lande. (V. 2118–2128) (Er warf die Pfefferkörner feindselig in seinen Mund und zerbiß sie sogleich. Da begann er sich zu krümmen und die Nase zusammenzuziehen. Sein Leib wurde ganz heiß. Er beugte sich nieder und wünschte, daß Alexander ohne seine Schmach in seine Heimat zurückgekehrt wäre.)

Die Gewürzgabe unterscheidet sich demnach ganz entscheidend von den übrigen Gaben, insofern sie nicht nur durch die Hand des Königs empfangen wird, welche freilich mehr noch als bei den vorangegangen Dingen danach greift, sondern mit dem Mund. Ihre Deutung geschieht nicht mehr verläßlich durch die Worte der Boten oder einen Brief, son88

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dern – als Zeichen ganz und gar substantialistisch gedacht – zwischen den Zähnen und auf der Zunge des jeweiligen Herrschers. Die Gaben, dementsprechend postulieren es die beiden Könige in ihren Briefen, stehen stellvertretend für ihre jeweiligen Herrschaftsansprüche und das militärisches Potential, um diese durchzusetzen. Je nach Auslegung bezeichnen (significare) sie die Schwäche des einen wie die Stärke des anderen Heeres. Die Gewürzgabe allerdings repräsentiert nicht nur einen Anspruch. Indem sich die Herrscher die Gabe – als zunächst lesbares Zeichen – einverleiben, wird letztlich das Zeichen als Zeichen getilgt, um es in die Gegenwärtigkeit des Bezeichneten – der spürbaren Gewalt – kollabieren zu lassen: »Wo die Dinge gegenwärtig sind, gibt es keine Zeichen, und umgekehrt.«87 Mit ihr wird eine Tatsache, die Stärke des jeweiligen Heeres, am Körper des Königs zur Präsenz gebracht (rem praesentem facere). Hiermit übernehme ich nicht lediglich die Differenzierung des Repraesentatio-Begriffes, welche Hasso Hofmann entsprechend unterschiedlicher theologisch-philosophischer Lehrtraditionen skizziert,88 sondern möchte im Hinblick auf den Gegenstand auch Hans Ulrich Gumbrechts Überlegungen zum Thema ›Präsenz‹ bestärken. »Präsent ist das, was ich in der Reichweite meines Körpers weiß […]« und »berühren« kann. Präsent ist das, was substantiell gegenwärtig ist.89 Noch deutlicher allerdings vermag Karl-Siegbert Rehberg den Unterschied der beiden Darstellungsformen herauszustellen, weil es ihm gelingt, Gumbrechts Terminologie weiter zu präzisieren. Anstatt von ›Repräsentation‹ versus ›Präsenz‹ zu sprechen, differenziert er zwischen »vermittelter Repräsentanz« und »Direktheit der Vergegenwärtigung«.90 Rehbergs Begrifflichkeit aufgreifend, ließen sich die vorangegangenen Beobachtungen nun folgendermaßen zusammenfassen: Im Unterschied zu den ersten Gaben und ihren dazugehörigen Briefen – materiellen und sprachlichen Zeichen, welche den Anspruch des jeweiligen Herrschers mittelbar repräsentieren und so als Stellvertreter fungieren – wird mit den Gewürzen die Kraft des jeweiligen Heeres zur Präsenz gebracht, wird diese unmittelbar am Körper des Gegners vergegenwärtigt und erfahrbar.

87 A. Assmann, Sprache der Dinge, S. 239. 88 Hofmann, Repräsentation, zentral vor allem S. 65–101, S. 116–156, zit. S. 80. 89 Gumbrecht, Inszenierung von Gesellschaft (Einführung), S. 332, vgl. auch Ders., Re/ Presentation. 90 Rehberg, Weltrepräsentanz, S. 27.

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2.3 Gabe und Gewalt II: Der provozierte Krieg 2.3.1 Gaben und die Transzendierung von Raum und Zeit Die bisherigen Analysen haben sich insbesondere auf den ersten Teil des Alexander-Romans beschränkt, auf jenen Teil also, der – so Werner Schröder – motiviert wird von der Zinsforderung des Perserkönigs Dareius an Alexanders Vater Philippus von Makedonien und Alexanders Verhalten in diesem Kontext.91 In der Vorauer Fassung des AlexanderRomans tritt Alexander, noch bevor er den makedonischen Thron übernommen hat, anstelle seines Vaters den Boten des Dareius mit entschiedener Abwehr entgegen. Der Zins, so erklärt der künftige Erbe des Philippus, ne wirt ime niemer gesant | hinnen ûzer Chriechlant | bî mînen zîten (Vorauer Alexander V. 493–495). Der persische Anspruch auf den Tribut der Makedonier erscheint nicht mehr selbstverständlich. Alexander nimmt das Zinsverlangen als Herausforderung und Provokation an, der er sich künftig stellen wird. Selbst wenn dieses Thema nicht so »geradlinig« verhandelt wird, »wie bei geschlossener Komposition zu erwarten wäre«,92 hat die Zinsforderung gleichwohl eine ebenfalls »leitmotivische Funktion«93 für alle weiteren Auseinandersetzungen zwischen Alexander und Dareius. Sie bestimmt allerdings nicht nur die Streitigkeiten zwischen den beiden Herrschern, sondern die Eroberungspolitik des Makedoniers generell. Denn auch die Einwohner der Territorien, die Alexander unterwirft, verpflichtet er zu Abgaben, sollten sie diese nicht freiwillig entrichten.94 Bereits Schröder macht darauf aufmerksam, daß die Zinsforderung in den drei Gaben zeichenhaft wieder aufgenommen wird,95 ohne jedoch ihren Stellenwert und ihren Verweischarakter näher zu analysieren. Auch Herfried Vögel und Peter Strohschneider folgen in ihren Überlegungen zur »Konzeption des 91 Schröder, Zum Vanitas-Gedanken, S. 38. 92 Schröder, Zum Vanitas-Gedanken, S. 41. Schröder führt hiermit ein Kriterium ein, welches für einen mittelalterlichen Text ohnehin fragwürdig erscheint. Müller hält zu Recht solchen oder ähnlichen Kohärenzansprüchen entgegen, daß bei der Interpretation mittelalterlicher Texte eher von »Differenzen und Brüchen« als von »Identitäten« (Spielregeln, S. 47) auszugehen ist. Vgl. zu rezenten Kontroversen um den mittelalterlichen ›Text‹-Begriff auch: Strohschneider, Fragment, Situationen des Textes sowie Textualität. 93 Schröder, Zum Vanitas-Gedanken, S. 38. 94 Vgl. hierzu den einleitenden Teil des Kapitels. 95 Schröder, Zum Vanitas-Gedanken, S. 41 f.

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Straßburger Alexander«96 Schröders Argumentation im Hinblick auf das Zinsmotiv und ergänzen sie um einen weiteren zentralen Aspekt. Mit dem Verweis auf die Danielprophetie in den Versen 473–478,97 so heißt es in der Analyse von Vögel/Strohschneider, werde nicht etwa ein ephemeres biblisches Zitat (Dn 8, 1–8, 27) eingeführt, welches in einer Reihe analoger Anspielungen jegliches Recht auf Beachtung verliert.98 Sondern es werde hiermit »vielmehr der Schlüssel benannt, der den Sinn der nachfolgenden Erzählung eröffnet.« Die »herausgehobene Position der Danielanspielung«, als Dareius zum ersten Mal in den Text eingeführt wird, die »Betonung des Geltungsanspruchs des Prophetenwortes« und »die Geläufigkeit des alttestamentlichen Textes im Rahmen der geschichtlichen Deutungsmodelle des 12. Jahrhunderts und auch seiner volkssprachigen Literatur« geben Anlaß zu der Behauptung, »daß mit dem Krieg Alexanders gegen Dareius die Abfolge von zweitem und drittem Weltreich erzählt werde.«99 Zugleich sei die Auseinandersetzung um den Zins immer schon in diese heilsgeschichtlichen Dimensionen der translatio imperii eingebunden: »Der Vorauer Erzähler und mit ihm vermutlich auch sein Straßburger Bearbeiter lassen Alexanders Tributverweigerung im Lichte der Danielprophetie […] als Voraussetzung für deren Erfüllung erscheinen und räumen von vornherein jeden Zweifel am Untergang des persischen Reiches aus […].«100 Denn den Ausgang des Streites zwischen Alexander und Dareius vorausdeutend, heißt es in der Vorauer Fassung: Dareius wart umbe den selben zins erslagen (Vorauer Alexander V. 483). Unberücksichtigt lassen allerdings auch Vögel/Strohschneider die Bedeutung, die der Fernkommunikation im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen den Königen zukommt. Schließlich werden die wechselseitigen 96 Vögel/Strohschneider, Flußübergänge, S. 85. 97 Da der entsprechende Passus des Straßburger Alexander nicht mehr erhalten ist, greifen auch Strohschneider/Vögel für ihre Argumentation auf die Vorauer Fassung zurück. Dort heißt es: diz was Darios ter in Danigel stêt, | der mit dem chriechiscen chunige streit. | diz was den Daniel slâfinde gesach | in einem troume dâ er lach; | dâ sah er fehten ainen boc unt ainen wider. | daz bezeichent die zwêne chunige sider. 98 Vögel/Strohschneider, Flußübergänge, S. 89. Vögel/Strohschneider argumentieren an dieser Stelle in deutlicher Abgrenzung von Urbanek, »Alexanderlied«, S. 119. 99 Vögel/Strohschneider, Flußübergänge, S. 89; zur Bedeutung der vier Weltreiche in der mittelalterlichen Tradition vgl. Goez, Translatio imperii, Nellmann, Reichsidee, insbesondere S. 42–50, Gellinek, Kaiserchronik, S. 148–177; zu unterschiedlichen Auslegungstraditionen der Danielprophetie bis zum 12. Jahrhundert vgl. Fiebig, Weltdeutung; zur ikonographischen Tradition vgl. Rahn, Geschichtsgedächtnis. 100 Vögel/Strohschneider, Flußübergänge, S. 89.

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Herrschafts- und damit auch Zinsansprüche nicht unmittelbar von Angesicht zu Angesicht formuliert, sondern medial vermittelt: durch die Gaben, die schriftlich in Briefen gedeutet werden, sowie in der mündlichen Rede der Boten. Auch die Gaben haben – sowohl auf der Ebene der erzählten Handlung als auch für die Rezeption der Geschichte – antizipierenden Charakter, verweisen insbesondere in der Auslegung, die sie durch Alexander erfahren, auf Zukünftiges.101 Nach der Ablösung des persischen durch das griechische Weltreich zeigt sich, daß Alexanders Deutung der Gaben die einzig richtige gewesen ist; ist die Vorausdeutung, sieht man einmal von den Raumokkupationen Alexanders ab, die dem Krieg gegen Dareius noch folgen, erfüllt. Insofern erweist sich Alexander nicht allein – gleichsam in der Nachfolge des Propheten Daniel – als der überragende Auslegungsvirtuose, sondern zugleich als derjenige Herrscher, der seine Prophezeiungen auch einzulösen vermag. Die Funktionalisierung der Gaben als Zeichen (Ball, Gold, Schuhbänder) oder im Dienste substantieller Vergegenwärtigung (Mohn und Pfeffer) suggeriert oder ermöglicht gar Transzendierungsleistungen verschiedener Art. Zu Recht hat Rehberg darauf verwiesen, daß insbesondere für das zuletzt genannte Phänomen die Erzeugung situationaler Präsenz ebenso wichtig ist wie die räumlicher, daß Raum- und Zeitdimensionen gleichermaßen relevant sind.102 Der Gebrauch der Gaben im Straßburger Alexander vermag diese zweifache Transzendierungsleistung – wie das Folgende noch einmal detaillierter erschließen wird – exemplarisch zu bestätigen: Die ersten drei Gaben verweisen als Zeichen auf etwas Anderes. Stellvertretend (aliquid stat per aliquo) bezeichnen sie (jeweils als Signifikant) das Abwesende (Signifikat). Indem Alexander im Zuge seiner Eroberungen den Raum durchquert, sich dem Reich des Dareius nähert und damit die Distanz körperlich aufhebt, die zunächst noch mit Hilfe der persischen Boten überbrückt werden muß, löst er den Sinn, den er den Gaben gegeben hat, Stück für Stück ein. Er besiegt nicht nur das persische Reich, sondern unterwirft nahezu alle irdischen Reiche, verpflichtet sie zu Tributen oder aber verbündet sich mit ihnen ohne Waffengewalt. Als sinnlich (optisch, haptisch und gustatorisch) wahrnehmbare Zeichen rufen die Gaben im Sinne Alexanders das Abwesende auf. Das repräsentierte Abwesende ist in diesem Fall vor allem das Zukünftige. Bevor Alexander also »die Verabsolutie101 Siehe auch in der Hdp J2 31, 9, in der es explizit zur Deutung der drei Gegenstände heißt: […] hoc futurum in me esse intelligo […]. 102 Vgl. Rehberg, Weltrepräsentanz, S. 33.

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rung von Herrschaft als Okkupation von Raum«103 demonstriert, macht er seinen Herrschaftsanspruch zeichenhaft in der Auslegung der ersten drei Gaben, die ihm Dareius geschickt hat, und überdies mit dem Vergleich von Mohn und Pfeffer unmittelbar am Körper erfahrbar. Den Raum, den Alexander zum Zeitpunkt des ersten Briefwechsels noch nicht durchquert hat, beansprucht er im Zeichen des goldenen Balles. Er deutet voraus auf Alexanders künftige, körperliche Präsenz im Raum, dessen allumfassende Besetzung durch den makedonischen König.104 Bevor Alexander gemeinsam mit seinem Heer Raum und Zeit durchschreitet, wird diese nach Vögel/Strohschneider grundsätzliche »Irreversibilität seiner historischen Bewegung in der Zeit«105 und damit ebenso die translatio imperii, die Ablösung des persischen durch das griechische Weltreich, – zunächst zeichenhaft vermittelt und hernach auch unmittelbar – in den Gaben vorweggenommen. Mit ihnen wird die Anwesenheit von Macht wie die Gewalt, um diese zu behaupten, dort erzeugt, wo der Körper des Herrschers noch abwesend ist. Stärker noch als durch die ersten drei Gaben wird die Distanz von Raum und Zeit wie auch die zwischen Signifikant und Signifikat mit Mohn und Pfeffer aufgehoben. Denn in dem Moment, in dem Alexander und später Dareius die Gewürze verschlingen, inkorporieren sie jeweils das Heer des anderen. Alexander bleibt unversehrt, und er ›schmeckt‹, daß er über das Heer der Perser siegen wird. Dareius dagegen muß die Gewalt des makedonischen Heeres schmerzhaft am eigenen Körper erfahren. So wie er sich aufgrund der Intensität des Pfeffers vor Schmerzen krümmt und niederbeugt, wird später sein Heer unter der Stärke der Makedonier leiden müssen. Indem die Zukunft am Leib erfahrbar ist, indem sich die Gewalt des anderen in den Königskörper einbrennt, wird sie gegenwärtig. Die Gabe tritt für den Moment der Einverleibung zumindest partiell an die Stelle des konkreten historischen Ereignisses106 und nimmt den – für Dareius gewaltsam-blutigen – Ausgang vorweg. Und einmal mehr 103 Wenzel, Repräsentation und Raum. 104 Knappe, der die persischen Gaben vor allem aus der Perspektive des Rezipienten betrachtet, geht davon aus, daß sich »einem zeichenbewußten Leser« Alexanders Deutung des Balles bereits bei seiner Übergabe durch die persischen Boten »aufgedrängt« haben müsse, da ein solcher »den ganzen Vorgang leicht auf dem Hintergrund historischer Insignien-Übersendung verstehen konnte« (Repräsentation, S. 177). In diesem Sinne weise der Ball selbst schon auf das weitere Geschehen voraus, noch bevor Alexander seine Prophezeiungen ausspricht. 105 Vögel/Strohschneider, Flußübergänge, S. 101. 106 Ähnlich hat es bereits Böckmann (Formgeschichte, S. 79 f.) formuliert.

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wird deutlich, daß dieser Aspekt wiederum mit dem Zinsmotiv korrespondiert. Denn die Wirkung der Gabe führt dazu, daß Dareius – in Anbetracht seiner sich ankündigenden Unterlegenheit – die gegenüber Alexander geäußerte Forderung bereut. In den drei Dingen, die Dareius zuerst an Alexander sendet, so könnte man zusammenfassend formulieren, verdoppeln sich die Herrschaftsansprüche der beiden Könige, in den Gewürzen hingegen die Körper der Könige und ihres Heeres. »Der Körper des Königs«, so argumentiert Wenzel in Anlehnung an die Studien von Ernst H. Kantorowicz zu Vorstellungen über die Doppelnatur des königlichen Körpers (gemina persona) in Mittelalter und Früher Neuzeit,107 »konnte immer nur zu einer Zeit an einem Ort sein. Daraus resultierte das Bemühen, die faktische Begrenzung von Raum und Zeit durch materielle und literarische Zeichen zu überwinden.«108 Dies gilt offensichtlich ebenfalls für die Kommunikationsstruktur zwischen Dareius und Alexander, denn obwohl Alexander immer weiter in den persischen Herrschaftsraum vordringt, bleibt Dareius selbst passiv und schickt Alexander lediglich Stellvertreter entgegen. Die beiden Begegnungen zwischen den Königen, von denen der Text erzählt, finden erst am Hof des Dareius statt. Auch Dareius und Alexander müssen Raum und Zeit überbrücken, um sich zu verständigen. Sie tun dies – wie gezeigt werden konnte – mittels Boten, Briefen und Gaben. Die einzelnen Gaben unterscheiden sich allerdings hierbei hinsichtlich ihres Zeichencharakters: Die ersten drei Gegenstände werden in der Kommunikation zwischen Alexander und Dareius zu Zeichen, und als solche repräsentieren sie die Macht, welche die Herrscher behaupten wollen. Ergänzt werden sie in einem weiteren Austausch durch Gaben, die mehr sind als nur Zeichen. Sie nämlich vergegenwärtigen unmittelbar am Körper des Gegners die Stärke, die zur gewaltsamen Einlösung der Ansprüche gegeben ist.

107 Ausgehend vom juridischen Diskurs sowie der politischen Praxis im elisabethanischen Zeitalter verfolgt Kantorowicz, Die zwei Körper Vorstellungen von der Doppelnatur des Königs und unterschiedliche Auffassungen zur Korporation bis in das frühe Mittelalter zurück. Die Differenzierung von natürlichem und politischem oder symbolischem Körper knüpft an Diskussionen um die zweifache Natur Christi an, an die Unterscheidung zwischen Christus als Mensch und als Gott. Vgl. dazu auch Bredekamp, Die zwei Körper sowie Haldar, Königs-Christologie. 108 Wenzel, Repräsentation und Raum.

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2.3.2 Symbolische versus physische Gewalt: Über die Durchsetzbarkeit von Hegemonialansprüchen An dieser Stelle möchte ich den Blick von der konkreten Gestalt der Gaben sowie den Semantisierungen und Funktionalisierungen, denen sie unterliegen, abwenden und noch einmal zurückkehren zur Analyse der situativen und kontextuellen Rahmen: Der Austausch von Gaben, respektive der ihrer Deutungen, bestimmt die Kommunikations- und Handlungsstrukturen zwischen den beiden Herrschern, die eindeutig von Rivalität geprägt sind. Mittels der Gaben wird das feindliche Verhältnis zwischen den Königen materialisiert und auf mehreren Ebenen sinnlich erfahrbar zur Darstellung gebracht. In diesem Sinne kann Maurice Godeliers These, daß sämtliche Vorgänge »durch die der Mensch und die Welt sich verdoppeln, sich schließlich in Objekten materialisieren«,109 unterstrichen werden. Insbesondere die ersten drei Gaben sind wertvoll. Sie könnten Geschenke sein, mit denen ein Fürst dem anderen seine Ehre erweist, Freundschaftsgeschenke oder Gaben, mit denen ein Bündnis zwischen den Herrschern veranschaulicht und bestätigt wird.110 Doch konsoziierend sind die Gaben des Dareius für Alexander gerade nicht, sondern sie müssen als Affrontobjekte gelesen werden, welche zudem öffentlich überbracht und auf spöttische Weise kommentiert werden. Das heißt, mit der ersten Sendung des persischen Herrschers wird in den Augen der Öffentlichkeit zunächst Alexanders Ehre verletzt wie auch im folgenden mit allen weiteren Kommentaren und gerade, nachdem Alexander den Mohn erhalten hat, mit der gegen Dareius gerichteten Polemik die Ehre des Perserkönigs. Alexander und Dareius – so ließe sich unter nun veränderter Perspektive festhalten – führen ihren Krieg auf zweierlei Art: Der erste Brief des Perserkönigs erreicht Alexander, nachdem er die Burg Tyrus eingenommen und demnach bereits weitreichende Gebiete wie Italien, Afrika, Ägypten und Syrien erobert hat. Vorangegangen sind der Zerstörung der Burg Tyrus durch Alexander die wiederholten Zinsforderungen des Dareius an die Makedonier. Während Alexander nicht nur 109 Godelier, Rätsel der Gabe, S. 193. 110 In der Forschung werden zahlreiche Beispiele für konsoziierende Gaben genannt; der methodisch-theoretische Anspruch ist allerdings in den meisten Arbeiten sehr niedrig. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Godelier (Rätsel der Gabe, S. 61–65) und Wagner-Hasel (Stoff der Gaben, S. 79–130), die konsoziierende Gaben-Phänomene nicht nur allgemein als einen Teil der politischen ›Spielregeln‹ zur Bündnisstiftung beschreiben, sondern jeweils in ihrem komplexen kulturhistorisch-spezifischen Kontext verorten und analysieren.

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die Forderungen des Perserkönigs ablehnt, sich nicht mehr, wie es noch sein Vater getan hat, den Herrschaftsansprüchen des Perserkönigs unterwirft, sondern voranschreitend die erfahrbare Welt auch physisch besetzt, sendet Dareius den Makedoniern immer wieder nur Stellvertreter entgegen.111 Im Unterschied zu Alexander kämpft Dareius auch nicht bedingungslos an der Spitze seines Heeres gegen die Feinde, sondern er ist sogar der erste, der schließlich vor der Übermacht des makedonischen Heeres flieht.112 Parallel zu diesem blutigen Krieg, der mit Waffen geführt und vor allem von Alexander vorangetrieben wird, findet eine Art der Auseinandersetzung statt, die man als rituelle Kriegsführung bezeichnen könnte, und die insbesondere von Dareius ausgeht. Denn nichts anderes ist der Austausch von Gaben beziehungsweise die wechselseitige Auslegung der Dinge als ein Geben, Annehmen und Erwidern von Herausforderungen zwischen ebenbürtigen Herrschern,113 die jedoch gerade vieles daran setzen, diese Ebenbürtigkeit aufzuheben. Dareius geht es hierbei um die Restitution jener Machtkonstellationen, wie sie zu Zeiten Phillips herrschten. Alexander hingegen will die Konstituierung neuer Hierarchien, die Ablösung der persischen Vormachtstellung. Doch liegt die Provokation noch nicht im Akt der Übergabe an sich oder in der spezifischen Beschaffenheit der Gaben begründet. Dann nämlich bestünde ein Affront gegenüber Dareius darin, daß Alexander die Gaben ablehnt, zerstört oder aber mit weitaus kostbareren Dingen erwidert. Ostentativ ist dagegen erst die entsprechende Semiotisierung und Auslegung der Gaben. Provokativ ist die Bedeutung des Balles als Spielzeug für den tumbe[n], kindische[n] (V. 1441 f.) Alexander, der Sinn der Schuhbänder als Geißelwerkzeug und das Gold als 111 Es handelt sich zunächst um jene Boten, die seine Zinsforderungen vorbringen und sodann alle weiteren Gaben und Briefe an Alexander. In den Kampf gegen das makedonische Heer schickt Dareius nacheinander die Herzöge Mennes, Marios und Tybotes mit ihrem Gefolge, und auch später wird er aus verschiedenen Gebieten, die den Persern verpflichtet sind, umfangreich unterstützt (V. 1959–2035). In der ersten Schlacht am Euphrat besiegt Alexander den Herzog Mennes und den Grafen Pynkun (V. 1711–1739, V. 1849–1899), auf dem Weg zu seiner kranken Mutter Olympias kämpft er gegen den Herzog Amenta (V. 2129–2156). Von einem Anhänger des Dareius, dem für Alexanders Tod die persische Königstochter Roxane versprochen ist, wird der Makedonier in der zweiten Schlacht am Euphrat angegriffen (V. 2732–2776). Und selbst in der Entscheidungsschlacht am Strage gibt es keinen Einzelkampf zwischen Dareius und Alexander. 112 V. 3332–3337. 113 Vgl. Bourdieu, Entwurf, S. 22–29.

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Zeichen für die Zinsforderung. Daß Alexander die Gaben und den kommentierenden Brief dann auch als Provokation liest, zeigt seine Reaktion: sein Zorn, der sich zuerst und insbesondere gegen die Boten des Dareius richtet. Alexander weist weder die Gaben noch den Affront, der damit verbunden ist, zurück. Demonstrativ vor den Boten des Dareius und seinem eigenen Heer nimmt er ihn an und beantwortet ihn mit einem Gegenaffront, indem er zum einen die Gaben seinen Machtansprüchen gemäß umdeutet und zum anderen die kostbarste Gabe, die kleine goldgefüllte Lade, auf die er keineswegs angewiesen ist, zum Botenlohn macht. Die Überbietungsstrategie Alexanders besteht demnach nicht darin, die Gaben des Dareius zu übertreffen, indem er ihm etwa wertvollere Gegengaben schickte, sondern er selbst vermag sich vor allem dadurch zu behaupten, daß er die Gaben in ebenfalls provozierender Weise umkodiert. Darüber hinaus verzichtet Alexander ostentativ auf die kostbarste der Gaben. Beiden Königen geht es im Austausch von Provokationen darum, die Hierarchien zwischen ihren Reichen auszuhandeln, ihren Status zu legitimieren und nach dem größtmöglichen Profit an Macht und Ehre, dem »symbolischen Kapital«,114 zu streben. Doch während Dareius – obgleich gerade er bereits beim ersten Mal der Deutungskompetenz Alexanders schmachvoll unterliegt –, immer wieder diese Form des sublimierten Krieges in Gang bringt, insofern er wiederholt Boten an den makedonischen König schickt, deutet dagegen Alexander mehrfach darauf hin, daß ihm diese Weise der Kriegsführung nicht genügt. Dareius provoziert den makedonischen König, um ihn einzuschüchtern und vom Kampf abzuhalten. Alexander indes erwidert die Herausforderung, um Dareius zum Kampf zu bewegen. Die mit dem Gaben- und Briefwechsel verdeckt ausgeübte Gewalt genügt dem makedonischen Herrscher nicht, er bevorzugt die offene und direkte Form der Kriegsführung, die Legitimation seiner in Zeichen vor Augen geführten Ansprüche durch den Einsatz unmittelbarer physischer Gewalt.115 Noch als Dareius bereits vor dem makedonischen Heer geflohen ist, sich Alexander unterwirft und ihm im Austausch für seine Familie und sein eigenes Leben Persien und sämtliche Reiche, die ihm untertan waren, sowie den Erbschatz anbietet,116 privilegiert Alexander den direkten, heroisch ge114 Zur Definition des Begriffes siehe Bourdieu, Entwurf, S. 335–377 sowie Sozialer Sinn, Kapitel 7. 115 V. 1561–1564: er ne woldiz niwit lengen, | zehenzic tûsint wolder bringen | ubir daz wazzer Eufraten | vor di mêre Babylonien. 116 Vgl. hierzu den Inhalt des 4. Briefes, welchen Dareius an Alexander sendet (V. 3466–3483): ›[…] sô gebe ih dir den meisten scaz | der mîner forderen was, | den si

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führten Zweikampf, der über die rechtmäßige Weltherrschaft entscheiden soll.117 Gerade an dieser Stelle tritt besonders anschaulich hervor, daß der Versuch, Herrschaftsansprüche zu konstituieren und Hierarchien auszuhandeln, endgültig nicht im Dialog der Gaben und Briefe gelingt, sondern erst in der blutigen Auseinandersetzung, mit der grausamen Verwundung der Heere und den maßlosen Verlusten auf beiden Seiten.118 Doch buchstäblich auf diesen Ausgang des Krieges verweisen die Gaben und ihre Auslegung. Führte man die derzeit im Forschungsdiskurs der Mediävistik vielfach für geregelte Formen der Interaktion, vornehmlich für soziale und politische Handlungen, verwendete Metapher des Spieles ein,119 so wäre davon zu sprechen, daß es sich um ein Spiel zwischen Alexander und Dareius handelt, dessen Ausgang im Geben und mehr noch in der Deutung der Gaben vorgezeichnet ist. Insbesondere in und mit den Pfefferkörnern, die Alexander dem persischen König sendet, wird schon lange vor der Niederlage der Perser diese am versehrten Körper des Dareius zur Präsenz gebracht. Vorgeführt werden allerdings und vor allem auch die Grenzen der zeichenhaften Repräsentation und Vergegenwärtigung der königlichen Macht, die mittelbare Ausdehnung des Herrschaftskörpers in Raum und Zeit. Nicht Dareius, der – mit Ausnahme der Schlacht am Strage – selbst unbeweglich im eigenen Reich verharrt und dem makedonischen König auf eben jene Weise gleichermaßen drohen wie auch seine eigenen zesamene trûgen | und in der erde grûben. | der ligit zô Mynjatan, | ze Susis und ze Batran. | daz saltu wizzen âne wân, | daz nie nehein man, | der ie an diser werlt quam, | sô vil scazzis gewan. | dar zô vernim noh mêre: | ich wil dih machen hêren | ze Medentrîche ubir daz lant, | Persiam gebih an dîne hant. | du maht dih frowen dirre geben | di wîle di du solt leben. | dar zô jehen ich dir des siges. | nû bitte ih al ze spâte frides.‹ 117 V. 3503–3522: ›ob der kuninc Darius | nû ist verwunnen, | sô nimit mih michel wunder, | wes er sih noh wil irheben | oder waz er mir wille geben. | nû stênt doch an mîner hant | beide burge unde lant | unde gwant unde scaz: | ich mach ime geben michil baz, | wande velt unde walt | stêt an mîner gewalt. | wil er abir vehten | und mah er sih gerechen, | gwinnet er danne daz heil, | sô wirt ime wider âne teil | wîb, mûter unde kint. | lêzet er mih danne leben sint, | sô mûz ime sîn undertân | und den lîb von sînen gnâden hân | unde leben nâh sînen gebote.‹ 118 V. 3266–3285: dâ si ze samene quâmen | und grôzen scaden nâmen, | dâ was daz felt vil breit | mit den tôten ubirspreit. […] alle di volcwîge, […] di ne glîchen dar zô niet, | dâ Alexander der helt balt | Dario den zins galt. | daz der zins ie gedâht wart, | daz gerou manigen in der vart, | wande si in dem blûte swebeten, | di dannoh gerne lebeten. 119 Althoff, Spielregeln; Müller (Spielregeln, S. 46–51) differenziert den Regel-Begriff sinnvollerweise für die Analyse von Texten: Er unterscheidet zwischen historisch-spezifischen sozialen Spielregeln (»Spielregeln einer vergangenen Welt«, S. 46) und Regeln des Erzählens (»Regeln [,] nach denen diese Welt thematisiert und narrativ entfaltet wird«, S. 46).

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Herrschaftsansprüche vor Augen führen möchte, vermag seine Macht zu behaupten, sondern Alexander, der selbst den Raum durchquert, diesen vereinnahmt und hierbei seinen königlichen Körper unmittelbar im Kampf einsetzt. Alexander löst seinen Herrschaftsanspruch nicht nur zeichenhaft oder symbolisch ein,120 sondern durch physische Präsenz selbst im Angesicht des Todes.121

2.3.3 Gaben am Ende der Gewalt Die Auseinandersetzungen zwischen Dareius und Alexander enden letztlich mit dem Sieg Alexanders und gleichzeitig, entsprechend der Auslegungstradition der alttestamentlichen Danielprophetie, mit der Ablösung des persischen durch das griechische Weltreich. Erzählt wird die Geschichte von der Neukonstituierung eines Imperiums durch den makedonischen König Alexander. Auch wenn Alexander nach dem Tod des persischen Königs seinen Feldzug bis an die Mauern des Paradieses fortsetzt, so ist dennoch und gerade mit dem Sieg der Makedonier über die Perser eine Zäsur gesetzt. Mechanismen der Gewalt bestimmen bis dahin nicht nur die Auseinandersetzungen, in denen die jeweiligen Heere aufeinandertreffen, sie sind ebenfalls konstitutiv für die analysierte Kommunikationsstruktur zwischen den Königen: Mit dem makedonischen und dem persischen König stehen sich zwei Herrscher von ähnlichem Status und mit gleichem Anspruch gegenüber, der zeichenhaft in und mit den ersten drei Gaben des Dareius vorgeführt wird. Denn während Dareius seine Vorherrschaft über sämtliche Reiche der erfahrbaren Welt behaupten möchte, will Alexander diese Macht brechen und selbst die Weltherrschaft erlangen. Ausgelöst wird dieser Konflikt, als Alexander dem persischen König den Zins verweigert und damit die Aufhebung der alten Ordnungen proklamiert. Dieses auf beiden Seiten gleichermaßen postulierte Begehren nach der absoluten Macht verlangt, daß Hierarchien – letztlich allein durch Akte der Gewalt – neu ausgehandelt, ausgefochten, schließlich auch begründet und abgesichert werden. Denn die Weltherrschaft, so scheinen es auch Regeln und Mechanismen der translatio imperii vorzugeben, 120 Dieser Aspekt wird von Wenzel, Repräsentation und Raum einseitig herausgehoben, obwohl er selbst zu zeigen vermag, daß sich Alexander eben nicht auf Zeichen und Symbole verläßt, wenn es um seine Herrschaftsansprüche geht. 121 In der ersten Schlacht am Euphrat verliert Alexander seinen Helm, wird lebensgefährlich verletzt und ist vorübergehend sogar besinnunglos: er was vil nâh tôt (V. 1758); zum ›Wiedererwachen‹ Alexanders vgl. V. 1811–1817.

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steht nur einem Einzigen zu. Zur Darstellung wie auch zur Durchsetzung der Herrschaftsansprüche – so konnte im Verlauf der bisherigen Analysen gezeigt werden – kennt die Geschichte zwei Modi der Gewalt: die mit Schwert und Lanze ausgefochtenen Schlachten wie den sublimierten oder ritualisierten Krieg, der in Form von Gabentransaktionen und Briefwechseln geführt wird. Insbesondere die Pfeffer-Gabe Alexanders, die unmittelbar auf den Körper des Perserkönigs einwirkt, zeigt, daß auch die Gabe nicht nur Gewalt zu provozieren oder physische Gewalt zu ersetzen vermag, sondern bereits mit ihr die Grenze von der »symbolischen« zur nackten Gewalt122 überschritten wird. Die Gewalt, welche mit den ersten drei Gaben antizipiert und dann in der Pfeffergabe erstmals am Körper des Perserkönigs erfahrbar wurde, eskaliert in der blutigen Entscheidungsschlacht am Strage und findet ihren vorläufigen Abschluß im Tod des persischen Königs. Der Alexander-Roman also, so konstatiert Friedrich, rechtfertigt die gewaltsame Usurpation von Räumen, wie allein Alexanders »Expansionsdrang und ungebremste Dynamik der Gewalt« zur Eroberung der Weltherrschaft führen.123 Dennoch und trotz aller Gewalt, die von Alexander ausgeht, wird Dareius, anders als etwa in der Vorauer Fassung,124 nicht vom makedonischen König getötet, sondern von Bysan und Arbazan, zwei untrûwelîche[n] (V. 3697) Untertanen aus dem eigenen, persischen Gefolge, die sich im Gegenzug Alexanders Gunst und Lohn erhoffen.125 Erst mit diesem Mord findet der Krieg zwischen Alexander und Dareius um die Weltherrschaft ein Ende, wird gleichzeitig die grausame Gewalt auch gegen die Einwohner des persischen Reiches126 zum Stillstand gebracht, kann das Weltreich schließlich mit seiner Neubegründung aus der Krise herausgeführt werden und Alexander endgültig zum alleinigen Kosmokrator aufsteigen. Der Mord an Dareius steht am Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Alexander und dem Perserkönig und am Ursprung des griechischen Reiches als einer zugleich alten und neuen kulturellen Ordnung. Denn trotz der Substitution des Herrscherkörpers bleibt die Kontinuität des Imperiums als Weltreich gewahrt. Bis zum Tod des persischen Königs scheint der Text darauf zu insistieren, daß allein Mechanismen der Gewalt – bis hin zu einem heillosen Verbrechen – zur Begründung der neuen Ordnung 122 123 124 125

Bourdieu, Entwurf, S. 369. Friedrich, Diskurs der Gewalt, S. 175 f. Vorauer Alexander V. 1521–1527. V. 3699 f. und V. 3925 f.: si verwâneten sih dar umbe | von Alexandro grôzes fromen […] si wâren zwêne geneben, | und strebeten nâh gifte. 126 Zur Klage der Perser siehe V. 3346–3383.

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führen. Allerdings wird spätestens an dieser Stelle ebenso evident, daß die Geschichte immer wieder zwischen adlig-heroischer und heimtükkischer, zwischen legitimer und illegitimer Gewalt zu differenzieren weiß. In letzter Instanz wird jene neue Ordnung dann auch nur zum Teil mittels Gewalt legitimiert. Denn Alexanders vorerst letzter Gewaltakt zielt nicht – wie im Vorauer Alexander – gegen den lange schon in seiner Kampfkraft geschwächten Dareius, sondern gegen dessen Mörder.127 Als Alexander den einst mächtigsten Herrscher zu Tode verwundet vorfindet, vergißt er im Angesicht von dessen Schicksal selbst sein Rachebegehren für die Zinsforderungen des Dareius sowie seine eigenen Machtansprüche. Heftig beklagt er das Leid des sterbenden Perserkönigs und gelobt ihm die Treue, falls er am Leben bliebe. Auch Dareius wünscht die Aussöhnung zwischen den beiden Herrschern:128 Alexander möge Frieden zwischen dem makedonischen und dem persischen Reich schließen, und, um die Aufhebung aller Rivalitäten zu unterstreichen, gibt Dareius Alexander seine Tochter Roxane zur Frau. Indem Dareius diese Ehe stiftet und Alexander als seinen Erben anerkennt, wird – so ließe sich zuspitzen – zwischen den beiden Königreichen nicht nur der Übergang von der Feindschaft zur Allianz vollzogen,129 sondern gleichzeitig die Weltreichsabfolge rechtmäßig besiegelt: ›[…] Kriechen unde mîn lant, mache fride under den zwein und lâz si wesen beide al ein, […] sweder ih sterben unde genesen, sô sol mîn liebe tohter wesen dîn êlîche wîb. […] allir vîentscaft hân ih verkorn.‹ (V. 3853–3867) (»Schließe Frieden zwischen den Griechen und meinem Land und laß sie beide eins sein. Gleich ob ich sterben oder genesen werde, meine liebe Tochter soll deine Frau sein. Alle Feindschaft habe ich vergeben.«) 127 Der Straßburger Alexander folgt hier der griechisch-lateinischen Tradition, vgl. Leben und Taten sowie Res gestae II, 20, Hdp J2 75. 128 V. 3834–3837: ûf rihte sih der wîgant | und kuste Alexandris hant | mit vil grôzer unmaht | und vergaz allir vîentscaft. 129 Zur Instrumentalisierung von Vermählungen in diesem Sinne vgl. Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen, vor allem S. 127.

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Dareius stirbt, unmittelbar nachdem er diese Worte gesprochen hat, in Alexanders Schoß.130 Der Übergang vom persischen zum griechischen Weltreich ist endgültig vollzogen. Das Blut, welches dem Körper des Perserkönigs entströmt, hinterläßt die Spuren einer gewaltsamen Verletzung der alten Ordnung am Ursprung einer neuen: […] vil schiere er dernider lach von dem blûte, daz ime ûz flôz, tôt in Alexandris scôz. (V. 3869–3871) (Alsbald sank er aufgrund dessen, daß das Blut aus seinem Körper floß, in Alexanders Schoß tot nieder.)

Zugleich ist Alexander mehr als nur der Nachfolger des persischen Königs, der im Kampf die Rechtmäßigkeit dieser neuen Position unter Beweis gestellt hat. Insofern – um dies noch einmal nachdrücklich festzuhalten – Dareius dem Makedonier, wie bereits in einem der letzten Briefe, seinen Besitz und das gesamte Reich anträgt und überdies die Vermählung zwischen dem makedonischen König und seiner Tochter besiegelt, ist Alexander der rechtmäßige, der von Dareius legitimierte Erbe des Weltreiches.131 Die Dinge, die Alexander einst zeichenhaft in den Gaben des Dareius beansprucht hat, werden ihm nun vom Perserkönig selbst übertragen. Die agonale Struktur des Gebens, die konstitutiv war für den Streit zwischen den beiden Königen, wird hier suspendiert durch eine friedenstiftende. Begreift man – wie etwa LéviStrauss – Frauen als prinzipiell mögliche Gaben, so könnte man wohl davon sprechen, daß Dareius dem neuen Weltherrscher mit dem persischen Reich, dessen Wert – so heißt es – von keinem anderen Königsschatz übertroffen werden kann, nicht nur seinen gesamten Besitz übergibt, sondern mit seiner Tochter eine der höchsten Gaben überhaupt.132 Roxane, die persische Königstochter und künftige Gattin Alexanders, spielt im Straßburger Alexander überhaupt nur zweimal eine Rolle und dann erstaunlicherweise als Gabe oder Gegengabe: Sie ist nach dem Tod des Dareius eine der kostbarsten Gaben, die der Per-

130 Da der Entwurf der Todesszene unverkennbar die Figur der Pietà nachahmt, wird noch einmal mehr herausgestellt, daß der Mörder Alexander aus der Vorauer Fassung im Straßburger Alexander – in Rückbindung an die griechisch-lateinische Tradition – durch den um Dareius trauernden Erben ersetzt wird. 131 In der Historia de preliis spricht Dareius den makedonischen König gar mit ›Sohn‹ an: »Fili Alexander […]« (J2 73,3). 132 Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen, S. 124 u. ö.

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Der provozierte Krieg

serkönig Alexander hinterläßt, vor allem weil sie den wichtigsten Garanten für die Verbindung der Reiche und die Sicherung ihrer gemeinsamen Erbfolge darstellt.133 Doch nicht nur die Szene vom Tod des Dareius legt es nahe, von Roxane als einer ›Gabe‹ zu sprechen, sondern vielmehr wird diese Bezeichnung an früherer Stelle von der Terminologie des Textes selbst festgeschrieben. Ein erstes Mal wird von Roxane erzählt, als Dareius sie demjenigen – spezifiziert als Lohn – anbietet, der Alexander töten wird. Die Frau als Gabe ist unverkennbar an eine Gegenleistung, nämlich den Kopf Alexanders, gebunden. Nach dem mißlungenen Attentat erzählt jener Anhänger des Perserkönigs, der versucht hatte, den makedonischen Herrscher zu ermorden, von einem solchen Angebot des Dareius: ›[…] er sprah: ob ih ime brêhte dîn houbit abe geslagen, […], er gâbe mir ze lône sîne tohter scône. di gâbe dûhte mir gût […].‹ (V. 2752–2757) (»Er sagte, wenn ich ihm dein abgeschlagenes Haupt brächte, gäbe er mir seine schöne Tochter zur Belohnung. Diese Gabe erschien mir wertvoll.«)

Beide Gaben – Tochter und Reich – sind, so bereitwillig sie Dareius auch in Alexanders Hände legt, verpflichtend: Denn gleichzeitig vertraut Dareius dem Makedonier Mutter und Gattin an und bittet ihn, Zeit seines künftigen Lebens und Regierens das Schicksal des persischen Herrschers niemals zu vergessen. Alexander ›dankt‹ dem persischen König die Übergabe des Reiches, indem er das Racheversprechen, welches er dem Sterbenden gegeben hat, bald darauf einlöst. Das Blut des Dareius sühnt Alexander mit dem Blut der Mörder134 und führt hiermit ein weiteres Mal den Persern die Rechtmäßigkeit seines Erbes vor Augen. Denn sein Gewalthandeln richtet sich nicht mehr gegen das persische Volk, sondern allein gegen die heillosen Verbrecher,

133 Explizit wird dies im griechischen Roman (Leben und Taten II, 20, 9) formuliert: Zur ewigen memoria sollen Alexander und Roxane – so der Wunsch des Dareios – Kinder zeugen. 134 Zu Strukturen und Mechanismen der Blutrache vgl. Zacharias, Blutrache sowie Blutrache (Nibelungenlied), Hagemann, Blutrache, Angenendt, Sühne, insbesondere S. 466 f.

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welche den König der Perser auf heimtückische und unheroische Weise ermordet haben und aufgrund ihrer untrûwe nun auch eine Bedrohung für das neukonstituierte, griechische Weltreich dargestellt hätten.

2.4 Gabe, Gastfreundschaft und Gewalt I: Herausforderung und Überbietung von Freigebigkeit swelh künic, der milte geben kan, si gît im, daz er nie gewan. wie Alexander sich versan! der gap und gap, und gap si im elliu rîche. (Walther von der Vogelweide, L 17, 7 – 17, 10) (Demjenigen König, der es versteht, freigebig zu geben, dem gibt sie [die Freigebigkeit] zurück, was er nie besessen hat. Wie verstand sich Alexander darauf! Der gab und gab, und sie gab ihm daraufhin alle Reiche.)

Nicht nur der mehrfache Briefwechsel sowie der Gabentausch, welche die Kommunikationsstruktur zwischen den beiden Königen prägen, haben provokativen Charakter. Vom Kampf um das ›symbolische Kapital‹ – im Sinne Bourdieus – wird auch in einer Episode erzählt, in der sich Alexander selbst an den Hof des Dareius begibt, um den persischen König abermals zum Zweikampf aufzufordern: Zwischen Alexander und Dareius liegen nur noch fünf Tagesreisen. Das einzige Hindernis, um endlich aufeinanderzutreffen, stellt der nur des Nachts gefrierende Strage dar. Doch Alexander gelingt es, ihn zu überwinden und unerkannt an den persischen Hof zu gelangen. Dort behauptet er, ein Gesandter des makedonischen Königs zu sein.135 Alexanders Verhalten

135 Dennoch wird der Blick der Perser auf seinen herrschaftlichen Körper nicht vollkommen durch die vorgetäuschte Identität getrübt. Von den Gefolgsleuten des Dareius wird die Gestalt des Ankömmlings nämlich mit der eines Gottes verglichen: ›[…] er glîchet sêre einem gote‹ (V. 3038). In der griechisch-lateinischen Romantradition nimmt Alexander auf Geheiß des Gottes Ammon, welcher ihm dort im Traum erscheint, die Gestalt des (Götter-)Boten Hermes/Merkur an (Leben und Taten sowie Res gestae II, 13). Vor allem in der Historia de preliis (J2 60, 2) hat Alexander diese Ver-Kleidung auch nötig, weil am persischen Hof – bekanntermaßen (vgl. 2.2.1) – ein Bild von ihm existiert. Zuletzt zur Problematik der Boten-Identität siehe Groebner, Identität.

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am Hof – insbesondere gegenüber dem Perserkönig – dient dazu, die Kette von Provokation und Gegenprovokation fortzusetzen, und er tut dies auf zweierlei Weise: ›man saget, Daris edele kuninc, du sîs gwaldich unde frumich und stolz dînes gemûtis und milde dînîs gûtis. […] mîn hêre heizit dir comen bî den Strâge an einem velde, den zins wil er dir gelden den er hât versezzen […].‹ (V. 3048–3072) (»Man sagt, edler König Dareius, daß du mächtig, unerschrocken, stolz und freigebig seist. Mein Herr befiehlt dir, auf eine Ebene am Strage zu kommen. Er will dir den Zins zahlen, den er nicht geleistet hat.«)

Beide Dimensionen, die Dareius einst der Goldgabe – als Teil einer drohenden Botschaft an den makedonischen König – zugewiesen hatte, werden nun von Alexander erneut spöttisch aufgegriffen. Behauptet wird, so berichtet Alexander dem persischen König, daß Dareius der reichste, mächtigste und freigebigste Herrscher sei. Herausfordernd sind diese Worte insofern, als nun der Perserkönig gezwungen ist, seine Freigebigkeit auch gegenüber dem makedonischen Gesandten unter Beweis zu stellen. Außerdem steht zu vermuten, daß Alexander mit diesem ersten Teil seiner Rede unter anderem auch auf den mit der Goldgabe verbundenen Befehl, der Makedonier möge damit seinen Rückzug finanzieren, anspielt. Die Zinsforderung andererseits erwähnt Alexander in Verbindung mit der Aufforderung zum unmittelbaren Kampf zwischen den beiden Königen. Nicht mit Gold werde der Makedonier seine Zinsschulden begleichen, sondern in Form von Schlägen gegen die Perser und ihren König. Dennoch empfängt der Perserkönig den Boten wohlwollend, denn in keiner Weise möchte er Alexanders höfischem Verhalten den persischen Boten gegenüber nachstehen. Gastfreundschaft – so inszeniert es der Text selbst – verpflichtet oder erhebt zumindest den Anspruch auf Dank und Vergeltung.136 Daran scheint sich Dareius zu halten, und mindestens ebenso oder noch großzügiger zu sein als der Gegner, heißt zugleich, daß man seine Überlegenheit entsprechend zu demonstrieren 136 Vgl. Haferland, Höfische Interaktion, S. 148.

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weiß:137 Dareius heißt den Makedonier nach allen Regeln der Gastfreundschaft willkommen. Persönlich nimmt er den vermeintlichen Boten bei der Hand und lädt ihn zum Essen und Trinken ein. Daß das gemeinsame Speisen und Trinken allem Anschein nach den Status einer rechtsrituellen Handlung haben konnte, durch welche man versuchte, Ordnung zu stiften sowie ein »friedfertiges und freundschaf liches Verhältnis zu dem Tischgenossen« einzugehen,138 demonstrieren die Worte des Perserkönigs, welche er an den makedonischen Boten richtet: sô mûstu gûten fride hân (V. 3084). Im Rahmen des gemeinsamen Mahles wird der Agon, der ansonsten das Verhältnis zwischen den Makedoniern und den Persern bestimmt, vorläufig stillgestellt. Erzählt wird weiterhin von der spezifischen Hierarchie bei Tisch sowie in diesem Kontext von der zugleich fatalen Sonderstellung, die Dareius auch hier dem Boten einräumt. Denn der makedonische Gesandte darf dem Perserkönig gegenüber Platz nehmen, und dieser sorgt persönlich für das Wohlergehen des Gastes.139 Doch Dareius’ Verhalten stimmt die Fürsten mißgünstig. Sie, die den Fremden um seine herausgehobene Position beneiden, spotten über seinen kleinen Wuchs und wundern sich, wie solch ein twirgelîn (V. 3110) der Stellvertreter eines mächtigen und furchteinflößenden Königs sein kann. Allerdings brechen nicht nur jene Fürsten mit ihrer polemischen, nahezu abwehrenden Haltung gegen den makedonischen Gast die Gebote des Gastmahles, auch Alexanders Gebaren bei Tisch steht ganz und gar im Gegensatz zu dem gastfreundlichen Empfang, der ihm durch den Perserkönig zuteil wird. Nachdem er den Spott der Fürsten vernommen hat, verhält er sich ebenso ostentativ wie in der Auseinandersetzung, welche mit den unterschiedlichen Gaben und durch ihre jeweilige Auslegung geführt wurde. Das Thema wiederholter Provokation und Gegenprovokation wird also erneut aufgenommen. Zunächst fordert Alexander den persischen Hof heraus, indem er die aus

137 V. 3080–3087: Darius der rîche […] nam den boten bî der hant | und sprah: ›nû du here bist gesant, | sô mûstu gûten fride hân. | in mînen sal soltu gân | und wesen ze mîner wirtscaf. | dîn hêre des selben sitis plach […].‹ 138 Althoff, Charakter des Mahles, S. 13. Im Unterschied zu Althoff – daran sei an dieser Stelle noch einmal erinnert – gehe ich nicht von festen Regeln und Ordnungen, sondern vielmehr von »Ordnungsbehauptungen« und »Geltungsansprüchen« (Rehberg, Weltrepräsentanz, S. 8) aus. 139 V. 3093–4103: daz geleite dûhte ime alsô gût, | daz in der rîche Darius | selbe leite in sîn hûs […] dô hîz man Alexandren | ingegen den kuninc sitzen gân. | daz wart umbe daz getân, | daz Darius selbe sêge, | daz man sîn wol plêge.

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Gold gefertigten Becher, in denen der Wein serviert wird, behält.140 Dareius stellt den Gast, der vom Mundschenk des Diebstahls bezichtigt wird, zur Rede. Alexander jedoch weist jegliche Beschuldigung von sich und rechtfertigt sein Handeln mit der Freigebigkeit am makedonischen Hof. Öffentlich und lauthals vergleicht er die verschiedenen Gebräuche der Herrscher und stellt damit gleichzeitig die weithin gepriesene Großzügigkeit des Perserkönigs in Frage.141 Von solcher Freigebigkeit Alexanders erfährt man zum ersten Mal. Denn bisher lernt der Rezipient des Romans den Makedonier vor allem als Herrscher, dem man nahezu elliu rîche zu Füßen gelegt hat, oder aber als gewaltsamen Usurpator kennen. Als großzügiger Geber, welcher – wie Walther ihn etwa preist – gap und gap, wird er kaum einmal in Szene gesetzt. Und einen profilierten Freigebigkeitsdiskurs wird man erst recht im Straßburger Alexander vergeblich suchen.142 Dimensionen herrschaftlicher Freigebigkeit werden allem Anschein nach vorausgesetzt, denn immerhin führt Alexander die milte als wirkungsvolles Argument im Mund. Mit der Frage nach dem freigebigsten Gastgeber stellt sich nämlich zum wiederholten Male auch die nach dem mächtigsten Herrscher. Den Kampf um das ›symbolische Kapital‹, um Ehre und 140 V. 3119–3127: diu goltfaz, dâ er abe tranc, | di warf er al in sîne scôz. | dô den schenken des verdrôz, | daz er ime mêr brâhte, | dô stunt er unde dâhte, | daz er ein dieb wêre: | und sagetiz sînem hêren, | daz der bote, der dâ saz, | verstêle sîne goltfaz. 141 V. 3131–3136: Alexander dar wider sprah, | daz der site wêre | zô dem tische sînes hêren, | daz allirmanne gelîch | di vaz nême zô sih, | dâ er ûz trunke. 142 Aus der (deutschsprachigen) Alexander-Tradition läßt sich überhaupt nur ein Text herausheben, der das Thema ›Freigebigkeit‹ ausführlicher reflektiert: Ulrichs von Etzenbach im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts entstandener Alexander-Roman, welcher in seinen Grundzügen auf die lateinische Alexandreis des Walther von Châtillon zurückgeht. So gehört etwa die Freigebigkeit in dem die Gaben begleitenden Briefwechsel zwischen dem persischen und dem makedonischen Herrscher bereits zum Reizthema: Dareius inszeniert seine Gaben-Sendung an Alexander als Akt der Freigebigkeit (›[…] dîner kintheit baz fuocte | cleinôt, daz mîn milde hant, | Alexander, dir hât gesant […]‹, V. 5534–5536). Der Makedonier wiederum kündigt in seinem Schreiben an den Rivalen an, daß er nach Eroberung des persischen Reiches den Hort des Dareius großzügig austeilen (zerströun) werde (›[…] alles dînes hordes, […] von mîner hant ez wirt zerströut; | den die ez nâch kummer fröut, | den ich ez mache wol veile | mit milder gâbe teile‹, V. 5589–5598). Im Verlauf der weiteren Erzählung wird Alexander wiederholt als Fürst dargestellt, der seine (im Zuge der Eroberungen erworbenen) Reichtümer immer wieder auch vergibt (V. 14418–14420, V. 14909–14913) oder gar zerstört (dô gebôt der Pelliur | daz man machte grôze viur | und al daz guot verbrente, V. 17665–17667), weil er sie als Ballast auf dem weiteren Zug nach Osten betrachtet (V. 17639–17682). Im Hinblick auf die Zusammenhänge von Freigebigkeit und Entsagung, Überbietung und Zerstörung würde der Roman eine eigene Untersuchung verdienen!

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Prestige, leitet Alexander, der den Spott der anderen Fürsten als Provokation annimmt, an der Tafel des Dareius neu ein: Am Hof Alexanders sei es Sitte, daß alle, die an einem Mahl teilnehmen, die goldenen Becher behalten dürfen, aus denen sie getrunken haben. Sie gehören – so fährt der Makedonier fort – als wertvolle Gastgeschenke zur Gastfreundschaft eines wahrhaft freigebigen Herrschers. Wenn Dareius hingegen weniger großzügig sei als Alexander, wenn er nicht beabsichtige, die Gefäße freiwillig zu verschenken, so werde er gerne darauf verzichten. Doch lehne er dann nicht nur diese Gabe ab, die ihm in Anbetracht der Freigebigkeit Alexanders selbstverständlich erschien. Auch den Wein des Perserkönigs werde er fortan nicht mehr trinken.143 Indem Alexander das gemeinsame Trinken verweigert, ist diese Gebärde zugleich auch als eine klare Absage an die Gastfreundschaft des Dareius aufzufassen. An jener provokativen Rede erkennt einer der Fürsten Alexander, weiß nun jeder am Hof des Dareius, daß der dreiste Makedonier eben nicht nur ein Bote des Königs, sondern Alexander selbst ist. Auf diese Weise eskaliert das Gastmahl am persischen Hof, und auch die königliche Garantie des persönlichen Schutzes für den Boten verliert ihre Gültigkeit. Das gemeinsame Speisen wie seine Ordnungsleistungen werden abrupt aufgehoben, und nunmehr mündet dieser Vorgang in die Jagd auf Alexander. Dieser muß zurück über den Strage fliehen, und da inzwischen das Eis bricht, entkommt er hierbei nur knapp dem Tod.144 »Ganz nahe lag es«, so hat schon Jacob Grimm an verschiedenen Textbeispielen aus Antike und Mittelalter beobachtet, »nach dem zutrinken auch den becher, aus welchem wein dargebracht wurde, dem gast zu verehren, ihn mit dem becher zu ehren […].«145 Offensichtlich 143 V. 3137–3143: ›vil wol mih des bedunket, | man ne phlege hie des sites niet: | nû diz alsus ist geschiet, | nû heiz nemen dîne goltfaz. | zwâren sagen ih dir daz, | daz mir vil unmêre sîn | dîne goltfaz unde dîn wîn.‹ 144 V. 3175–3181. Nach Strohschneider/Vögel macht diese Szene – ebenso wie die Brückenzerstörung am Euphrat (V. 2642–2646) – »die Unumkehrbarkeit des Vorstoßes gegen Dareius und den unbekannten Osten, aber auch die lebensbedrohenden Gefahren solchen Unternehmens augenfällig« (Flußübergänge, S. 101). 145 Grimm, Über schenken, S. 181; zum Zusammenhang von convivium et munera vgl. Althoff, Charakter des Mahles, S. 16, Hannig, Ars donandi, S. 16, Scheller, Rituelles Schenken, S. 59 f.; zur Bedeutung von Gaben im Kontext der eucharistischen Mahlfeier vgl. Oexle, Memorialüberlieferung, vor allem S. 71, S. 87 ff.; für Schopf (Fest, S. 3 u. ö.) wird im Geschenk der okkasionelle Charakter des höfischen Festes – und damit auch des Mahles – aufgehoben, wird im Geschenk der Festzustand präsent gehalten.

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rekurriert der Alexander-Roman auf diese traditionelle Bechergabe. Doch anstatt eine ihrer Hauptfunktionen – als Trägerin der Erinnerung an das gemeinsame Mahl und die Großzügigkeit des Gastgebers – zu thematisieren,146 verhandelt der Text – so ist resümierend darzustellen – den Zusammenhang von Gastfreundschaft, Freigebigkeit und dem ›symbolischen Kampf‹ um Prestige. In einer Gesellschaft, in welcher man Gaben gegen öffentliche Anerkennung eintauscht, werden Hierarchien zu einem keineswegs unwesentlichen Teil über das Freigebigkeitsverhalten konstituiert.147 Eben darum, um das Aushandeln von Positionen und die Festigung von Macht, geht es ja auch in den Auseinandersetzungen zwischen Alexander und Dareius. Alexanders Überbietungsstrategie bei der Auslegung und der Auswahl der Gaben ist ein Beweis seiner Überlegenheit, die provozierende Rede während des Mahles ein weiterer. Wenn auch auf eine andere Weise und unter gänzlich anderen Bedingungen – denn Alexander ist in dieser Episode selbst der Bote, der sich an den Dareiushof wagt –, gelingt es Alexander abermals, die Strategien des persischen Königs nicht nur zu durchbrechen, sondern noch zu übertreffen. Dareius, um dies noch einmal festzuhalten, möchte Alexander als Gastgeber entsprechen, muß sich dann aber von dessem angeblichen Boten sagen lassen, daß er ausgerechnet hierbei versagt habe. Dareius ist als Herrscher kompromittiert. Alexander potenziert den Affront, indem er auch den Wein des Gastgebers als Gabe verschmäht und dem Perserkönig das gemeinschaftliche Trinken aufkündigt. Er gibt sich mit dieser Geste deutlich als erbitterter Gegner der Perser zu erkennen und führt somit die scheinbar gewaltfreie Situation des gemeinsamen Speisens ad absurdum. Die rohe Waffengewalt wird in dieser – allerdings nicht minder agonalen – Begegnung wohl nur deshalb zurückgenommen, um – wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt werden konnte – nach Alexanders provokativem Auftritt am persischen Hof erneut mit aller Vehemenz auszubrechen. Wie

146 Vgl. Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 108, S. 112 f. Goldene Becher zählten bereits in der griechischen Antike zu den wichtigsten Erinnerungsgaben an eine bestehende Gastfreundschaft. In jenen Gaben – so Wagner-Hasel – sind die konkrete Gebrauchsfunktion (etwa das Weintrinken) und der symbolische Wert (repräsentative Selbstdarstellung und memoria) amalgamiert. Erst im Zuge einer zunehmenden Musealisierung von fürstlichen Gaben ab dem 16. Jahrhundert wird – so meine ich – diese Verbindung mehr und mehr aufgelöst, dominieren ästhetische und symbolische Werte. 147 Zur milte-Thematik vgl. den entsprechenden Teil im Forschungsüberblick des Einleitungskapitels (2.2) sowie meine Überlegungen zu dem im Eneasroman Heinrichs von Veldeke geführten Freigebigkeitsdiskurs (Kapitel 3.8).

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der Gaben- und Briefwechsel die Gewalteskalation zwischen Griechen und Persern forciert, ist die Reizrede Alexanders ein Zwischenspiel in den Auseinandersetzungen, welches den Blutrausch aufs neue entfacht.

2.5 Gabe und Gastfreundschaft I: mit minnen geben Schon Werner Schröder hat darauf aufmerksam gemacht, daß Alexander zwar erst an den Mauern des Paradieses »in seine Schranken verwiesen« wird,148 doch bereits in vorangegangenen Begegnungen – sei es von dem sterbenden Dareius oder durch die Lebensweise der Gymnosophisten, die ganz im Gegensatz zu Alexanders Ansprüchen steht, – mehrfach vor allzugroßer Hybris gewarnt wird. Auch während seines Aufenthaltes auf der Burg Meroves am Ende der Welt, komme Alexander immer wieder, so formuliert es Schröder, »in eine für ihn höchst prekäre Situation«.149 Die Candacis-Episode150 erzählt, wie es der Königin auf diplomatische und eben nicht auf die für Alexander typisch gewaltsame Weise gelingt, ihre Überlegenheit gegenüber dem Weltherrscher zu demonstrieren. Barbara Haupt spricht gar davon, daß am Hof der Königin »kriegerisch-feudaladliges Handeln« suspendiert werde durch ein »Muster von Frieden, Diplomatie und freundschaftlichen Beziehungen, durch ein neues, ein höfisches Kulturmuster, das tief auch eingreift in den Affekthaushalt« des Heros.151 Obgleich das Verhältnis zwischen dem makedonischen König und Candacis bereits mehrfach in der Forschung diskutiert wurde,152 möchte ich dennoch diese Episode noch einmal näher analysieren. Denn vernachlässigt wurde bisher, daß Alexander und die Königin von Meroves noch vor ihrer unmittelbaren Begegnung in überaus großzügiger Weise kostbare Gaben miteinander austauschen, und daß auch ihr Abschied durch die Übergabe von Geschenken begleitet wird. An jenen Akten des Gebens 148 149 150 151 152

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Schröder, Zum Vanitas-Gedanken, S. 50. Schröder, Zum Vanitas-Gedanken, S. 51. Vgl. dazu auch Ehlert, Alexander, S. 84–92. Haupt, Alexanders Orientfahrt, S. 294. Wilmanns, Alexander und Candace, Haupt, Alexanders Orientfahrt, S. 291–293 sowie Blumenmädchen, S. 9 f., Ehlert, Alexander, S. 84–92, Friedrich, Natur und Kultur, S. 133–136.

mit minnen geben

und Nehmens wie auch am variierenden Spektrum der Gaben werden – so meine These vorab – die sich verändernden Konstellationen in der Beziehung zwischen Alexander und Candacis ablesbar. Nachdem Alexander aus dem Land der gastfreundlichen Brasiacer aufgebrochen ist,153 gelangt er in die Nähe der von Candacis bewohnten Burg. Er schlägt hier seine Zelte auf und läßt der Königin eine Botschaft zukommen, in welcher er ihr seinen dienist mit allen trûwen (V. 5530) anträgt. Außerdem schickt er Candacis zum Zeichen dessen ein Abbild seines Gottes Ammon.154 Diese Gabe des makedonischen Königs ist im Straßburger Alexander, anders als etwa in der Historia de preliis, nicht mit der Forderung, Candacis solle gemeinsam mit ihm dem Gott Ammon opfern, verbunden.155 Doch nur vorläufig ist damit Alexanders anmaßende Haltung zugunsten des Dienstangebotes zurückgenommen. Denn auch der Straßburger Alexander weiß davon zu erzählen, daß sich der makedonische König gegenüber den Boten der Königin als unbesiegbarer Herrscher präsentiert. Als Antwort und Gegengabe156 für Alexanders Gabe bringen Candacis’ Boten dem makedonischen König zahlreiche Pretiosen. Wohlwollend und durh minne (V. 5566) bedenkt Candacis mit ihren Gaben sowohl den Gott Ammon157 als auch Alexander selbst. Mit der Gabe für den Gott einerseits – einer ebenso kunstvoll wie kostbar gearbeiteten Krone158 – antwortet die Königin unmittelbar auf die Gabe, welche Alexander ihr bringen ließ. Andererseits erwidert sie nicht nur die auf Ammon bezogene Gabe, sondern sendet dem Herrscher Alexander eine ganze Fülle erlesener Gaben. Diese spie153 Die Konfrontation mit den Brasiacern unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von den Begegnungen Alexanders, von welchen im ersten Teil berichtet wird. Denn der makedonische König formuliert gegenüber diesem Volk keinerlei Machtansprüche. Alexander tritt in diesem Land weniger als Eroberer auf, sondern vielmehr als derjenige, der die Wunder der Welt schauen möchte. Den Brasiacern entsprechen ihre wundersamen Gaben, die sie Alexander entgegenbringen: ›[…] der kuninc von dem lande | sîne gâbe mir sande. | ouh brâhten mir di lantlûte | rûhe vischis hûte | zesamene gebunden. | an den hûten stunden | scône liebarten mâl. | ouh brâhten si mir, daz is wâr, | vil manige lâmpriden hût: […] der gâbe sagetih in danc. | Daz lant liez ih mit fride stân […]‹ (V. 5477–5488). 154 Im griechischen Alexander-Roman schickt der makedonische König nur einen Brief an Candacis, von einer Gabe – wie dem Abbild des Gottes Ammon – ist hingegen nicht die Rede (Leben und Taten III, 18). 155 Hdp J2 107. 156 V. 5534 f. 157 In der Hdp J2 107 verweigert Candacis das von Alexander gewünschte gemeinsame Opfer für Ammon, dennoch – um Alexander nicht zu provozieren – schickt sie zu Ehren seines Gottes eine auserlesene Krone für diesen. 158 V. 5565–5577.

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geln ebenso wie der hernach beschriebene Palast der Königin ihren Reichtum wie auch ihre Vorliebe für außergewöhnliche und wundersame Dinge wider. Es handelt sich um Dinge, die selbst den wohlhabenden, weitgereisten und weisen Alexander in Erstaunen setzen: goldene Abbilder ihrer Götter, dunkelhäutige Menschen, goldene Gefäße, Elefanten, Panther, Leoparden, Vögel, nicht entzündbares Edelholz sowie ein Monosceros.159 Die Zusammenstellung des Gabenkatalogs folgt einer »Logik der Sammlung«160 – oder auch Anhäufung – kostbarer Objekte und Raritäten noch lange vor der Musealisierung von Gaben und Geschenken in fürstlichen Sammlungen und Kuriositätenkabinetten, ähnelt diesen aber im Hinblick auf kosmologische und enzyklopädische Ansprüche. Friedrich, der den Straßburger Alexander danach befragt, inwiefern er das Verhältnis von Natur und Kultur thematisiert, weist darauf hin, daß die Auswahl der Gaben in ihrer »Abfolge von Menschen, vierfüßigen Tieren, Vögeln, Hölzern und Edelsteinen […] die Ordnung der Natur« widergibt. Sie bringen die Macht der Königin »über jene domestizierte Natur« zum Ausdruck, »gegen deren Ungezähmtheit«161 und Aggressivität sich der makedonische König während seiner Orientreise mehrfach wehren muß.162 Obwohl die Gaben an dieser Stelle den Überfluß »der vollkommenen Kunstwelt von Meroves«163 erst erahnen lassen, übertreffen sie dennoch bei weitem die Gabe, die Alexander der Königin bringen ließ. Bereits mit der im Katalog zuerst aufgeführten Gabe vermag Candacis den makedonischen König zu überbieten. Denn sie bedenkt nicht nur das Abbild des Gottes Ammon mit einer prunkvollen Krone, sondern sendet Alexander außerdem einhundert Götterstatuetten aus Gold. Die einzelnen Präsente der Candacis unterscheiden sich kaum von denen, die in der griechischen und lateinischen Erzähltradition ge159 V. 5541–5588: ›[…] Von der gâben wil ih û sagen, | di siu mir hîz vore tragen: | hundrit guldîne gote; | ouh brâhte mir ir bote | andirhalp hundrit môre, […] ouh sante mir di gûte | drîzic gûte goltfaz, | nûnzich elfande unde baz. | si sante mir pantêre | seszich unde mêre | und hundrit liebarte, | di dâ loufint harte. | ouh sante mir di kuningîn | funf hundrit fugelîn […] und hundrit balkin vein. | nie ne wart holz nehein | sô gût noh sô tûre. | iz ne mac in den fûre | neheine wîs verbrinnen. […] di kuninginne rîche | sante mir ouh ein tier, | daz was edele unde hêr, | daz den carbunkel treget | und daz sih vor di magit leget. | Monosceros ist iz genant. | der ist luzzil in diz lant. | dar zô ne frumet nehein jaget: | man sol iz vâhen mit einer magit. | sîn gehurne daz ist freisam, | dâ ne mac niwit vor bestân […].‹ 160 Groys, Logik der Sammlung. 161 Friedrich, Natur und Kultur, S. 133–134. 162 Vgl. vor allem die Szenen, in welchen das makedonische Heer gegen die wilden Tiere um sein Überleben kämpfen muß (V. 4960–5055). 163 Friedrich, Natur und Kultur, S. 136.

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nannt werden.164 Der Straßburger Alexander bietet allerdings den umfangreichsten Gabenkatalog. Davon kann man insofern sprechen, als die verschiedenen Gaben einerseits in Anbindung an heilsgeschichtlich-naturkundliches Wissen knapp kommentiert und andererseits, wie Herfried Vögel zeigt, um eine besondere Rarität, nämlich das Einhorn, ergänzt werden.165 Hierbei handelt es sich um eine Gabe, deren Wert sich nicht von der Kostbarkeit des Materials oder gar, im Vergleich zu den anderen Tieren, welche Alexander erhält, quantitativ herleiten ließe. Der König erhält von Candacis mehr als neunzig Elefanten, über sechzig Panther, hundert Leoparden und fünfhundert Vögel, aber eben nur ein einziges Einhorn, welches sich gerade durch seine Seltenheit auszeichnet. Auf den ersten Blick handelt es sich um Gaben, die Candacis – ähnlich wie zuvor die Römer, Korinther oder Brasiacer – zu Ehren des makedonischen Königs sendet. Kein Wort der Königin deutet zunächst darauf hin, daß den verschiedenen Dingen – wie etwa den Gaben in den Auseinandersetzungen zwischen Alexander und Dareius – eine spezifische Bedeutung zugewiesen wird. Die Sendung selbst wird weder durch einen Kommentar zu den Präsenten noch durch ein anderweitiges Begleitschreiben ergänzt.166 Candacis verzichtet auf jegliche Ausführungen zur Semantik oder Funktion der aus neuzeitlicher Perspektive exotisch anmutenden Gaben. Alles, was der Rezipient über den Aufenthalt der Makedonier im Reich der Candacis und somit auch über die Geschenke der Königin erfährt, entstammt einem Brief, welchen Alexander eigens an seine Mutter Olympia und den Lehrer Aristoteles schreibt. Im Unterschied zu den Gaben, die Alexander von Dareius erhalten hat, oder dem Paradiesstein scheint sich in dieser Episode das Problem der Auslegung auch für Alexander nicht zu stellen. Dennoch wird auf syntagmatischer wie auf paradigmatischer Ebene deutlich, daß ebenso die einzelnen Gaben der Candacis über ihren exo-

164 Res gestae III, 18, 645–56, Hdp J2 107. Der griechische Alexander-Roman unterscheidet sich insofern von den übrigen Texten, als jene Gabe Alexanders und entsprechend auch die Gegengabe der Königin entfallen, welche sich auf den Gott Ammon beziehen (Leben und Taten III, 18, 3). 165 Vgl. Vögel, Naturkundliches, S. 33–36. Zur Bedeutung des Einhorns in der mittelalterlichen Hermeneutik und Ikonographie im Überblick siehe Nitz, Einhorn; vgl. darüber hinaus Einhorn, Spiritalis Unicornis, S. 106–109. 166 In der griechisch-lateinischen Romantradition schreibt Candacis einen Brief an Alexander. Sie zählt darin die Gaben auf, die sie ihm zukommen läßt, kommentiert sie allerdings auch hier nicht (Leben und Taten III, 18, 3 sowie Res gestae III, 18, 634–659, Hdp J2 107).

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tischen Charakter und ihre Kostbarkeit im materiellen Sinne hinausweisen. Wenig später nämlich findet Alexander die einzelnen Dinge in verarbeiteter Form oder als Imitationen167 in den kunstvoll geschaffenen Kemenaten der Candacis wieder.168 Die Gaben verweisen en détail auf den einzigartigen Palast der Königin. Als Teile des Ganzen repräsentieren sie den Reichtum der Königin, gleichzeitig auch ihre Macht, ihre »vollkommene Herrschaft« und Verfügbarkeit »über die Natur«.169 Ein zusätzlicher Deutungshorizont wird mit jenen Kommentaren eröffnet, welche in Alexanders Brief an seine Mutter und Aristoteles die Aufzählung der Gaben ergänzen. Diese Anmerkungen dienen einerseits der bloßen – man möchte fast meinen ethnologischen und naturkundlichen – Beschreibung der einzelnen Dinge, andererseits rekurrieren sie auf heilsgeschichtliches Wissen. Deutlich wird dies insbesondere am Beispiel der zuletzt erwähnten Preziose, dem Einhorn, aber auch anhand jenes Holzes, welches vor allem daher so kostbar ist, weil kein Feuer es vernichten kann.170 Das Einhorn wird im Straßburger

167 Vgl. Friedrich, Natur und Kultur, S. 134. 168 Aus Gold sind nicht nur die Gefäße gefertigt, die Candacis dem makedonischen König schenkt. Aus diesem Material sind auch das Dach und die Rundbögen des Palastes. Die Betten bestehen aus geläutertem, Vorhänge, Bettücher und Sitzbänke aus rotem Gold. Selbst der Fluß, der unter den transparenten Böden hindurchfließt, glänzt golden (V. 5891: daz dach daz was guldîn, V. 5893–5898: di spanbette wâren […] von gelûterten golde, […] dar ûffe lâgen bettewât | von rôtem golde wol genât, V. 5903: di benche wâren rôt golt). Die Tafel, an welcher Candacis speist, ist aus Elfenbein erschaffen worden, und das rollende Schlafgemach der Königin wird von sechsunddreißig Elefanten gezogen (V. 5899–5901: di tabele, dâ si zô saz, […] di was von elfenbeine, V. 6110–613: starker elfentiere | sehs unde drîzich […] zugen di kemenâten). Obwohl das künstliche Tier, welches Candacis Alexander vorführt, einem Hirsch gleicht, klingt seine Stimme wie die eines Panthers (V. 6024–6026: ouh lûtte an der stunden | daz hêrlîche tier | mit der stimmen alsein pantier). Zahlreiche Vögel sitzen im Geweih des Tierautomaten, mit Seide sind sie in den kostbaren Vorhang gestickt, der hinter der Speisetafel hängt (V. 6009 f.: ûf allir horne gelîch | stunt ein fugil hêrlîch, V. 5947–5960, vor allem V. 5952–5955: mit sîdin wâren dar în getragen | vogele unde tiere | mit manicfalder ziere | unde mit manigerslahte varwe). Mit dem unbrennbaren Edelholz, welches zu den Geschenken gehört, ist auch eine der Kemenaten getäfelt, die Alexander besichtigen darf (V. 6089–6099, insbesondere V. 6094 ff.: von edelen holze aspindei | was daz gewerke. […] daz holz daz is tûre, | iz ne mah in den fûre | neheine wîs verbrinnen). Vgl. ausführlicher dazu Friedrich, Natur und Kultur, S. 134–135. 169 Friedrich, Natur und Kultur, S. 135. 170 Vgl. dazu Ohly, Hölzer, vor allem S. 66 f., S. 72, Reinitzer, Zeder, insbesondere S. 2–4.

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Alexander – ähnlich wie in den Psalmen171 oder auch im Physiologus172 – als äußerst gefährlich und nahezu unzähmbar beschrieben. Es läßt sich nicht mit Gewalt einfangen oder bezwingen, allein eine Jungfrau vermag es anzulocken. Im Alexander-Roman werden die religiöse und die sinnlich-erotische Bedeutung des monokeros-unicornis ineinandergespielt. Candacis ist zwar keine magit, wohl aber verweist das Einhorn darauf, daß Alexander von ihr ganz ohne Gewalt, vielmehr durch list und mit minnen überwunden wird.173 Das Einhorn, so formuliert Friedrich, »markiert hier die Gefangennahme des ›wilden‹ Heros durch eine vollkommen höfische Dame.«174 Doch trotz der immensen Überbietung der eigenen Gabe nimmt Alexander die Geschenke der Candacis nicht etwa als Provokation einer rivalisierenden Herrscherin an, sondern als Zeichen ihrer Ehrerbietung. Demnach – so meine ich – münden Überbietungsstrategien immer nur dann in einen offen geführten Gabenkampf, wenn sie auch tatsächlich im Sinne einer Herausforderung interpretiert werden.175 Doch Alexan171 Das Einhorn steht je nach Kontext für den Wunsch nach Stärke und Unbezwingbarkeit, für die Macht Gottes, aber auch für eine zerstörerische Gewalt: […] et exaltabitur sicut unicornis cornu meum […] (Ps 91, 11), […] salva me […] a cornibus unicornium […] (Ps 21, 22); vgl. Nitz, Einhorn, S. 304; zu den mittelalterlichen Psalmenübersetzungen siehe Einhorn, Spiritalis Unicornis, S. 106–109. 172 Ez ist ein tier luzzil gelich dem Chizze. ez ist chuonezorn und hat niwan ein horn an dem houbet den oren nahen: ane disen list chan ez nieman gevahen. Man nimet eine maget unde leittet si an die stat, da der Einhurne emzlichen wiset nach der sinen spise. die maget reine læt man da sizzen eine. So si gesihit der Einhurn, so springet er ir an ir barm unde slæffet danne: so wirt er gevangen. so leittet man in glanze ze des chunigis phalze. Also tet unsir trohtin der haltunde Christ, der ein geistlich Einhurn ist […]. (Physiologus, S. 11, S. 13) 173 Zur Einhorn-Gabe als »Bedeutungsträger« sowie zu den Analogien zwischen Candacis-Handlung und christlicher Naturallegorese siehe auch Vögel, Naturkundliches, S. 34–35. 174 Friedrich, Natur und Kultur, S. 133. 175 Daß die Aufnahme, Wahrnehmung und Deutung der Gabe durch den Empfänger nicht immer der vom Geber intendierten Wirkung der Gabe entsprechen muß, ist ein Aspekt, der in der Forschung bisher weitgehend vernachlässigt wurde. Der Akt der Interpretation – so möchte ich unterstreichen – darf jedoch keineswegs unterschätzt werden: Nicht jede ostentativ gemeinte Gabe muß auch als Affront wahrgenommen werden; und umgekehrt: eine mitnichten herausfordernde Gabe kann vom Empfänger durchaus als eine solche interpretiert werden.

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der liest die Gabensendung der Königin keineswegs als Affront, und so wird die Auseinandersetzung mit Candacis noch bis zur unmittelbaren Begegnung an ihrem Hof aufgeschoben. Aber nicht nur der Gabenkatalog an sich indiziert die Überlegenheit der Königin gegenüber Alexander. Angedeutet ist sie auch in jener Passage, in der es heißt, Candacis habe gemeinsam mit ihren Boten einen Maler geschickt, der Alexander heimlich porträtieren solle. Bereits in dem Brief, den Alexander nach Makedonien schreibt, wird auf die Situation, in welcher das Bild für den König verhängnisvolle Folgen hat, vorausgewiesen: Candacis nutzt die Botschaft und die Übermittlung der Präsente an Alexander, um in seinen Herrschaftsbereich eindringen zu können und sich des Makedoniers auf beinahe magische Weise zu bemächtigen. Sie läßt ihn porträtieren, um ihn damit der Möglichkeit zu berauben, unerkannt an ihren Hof zu gelangen.176 Candacis erweist dem makedonischen König alle Ehren bei seiner Ankunft in ihrem Land, nutzt jedoch den Empfang Alexanders durch ihre Boten, um ihm später die Grenzen seiner Schlauheit und seiner Stärke aufzeigen zu können. Obzwar Alexander nie allein gewalttätig, sondern immer auch listig agiert, vermag er sich während seines Aufenthaltes auf Meroves gegen Candacis nicht zur Wehr zu setzen. Anders als am Hof des Dareius mißlingt dieses Mal seine Verstellung, weiß die Königin, daß der angebliche Antigonus Alexander selbst ist, weil sie bereits über sein Abbild verfügt. Candacis gibt dem makedonische Herrscher zu erkennen, daß sie um seine Identität weiß und hält ihm vor, daß er, der mächtige Alexander, ohne Gewalt (âne fehten) von einer Frau bezwungen wurde.177 Alexanders Gewalthandeln versagt in dieser Situation ebenso wie seine Weisheit. In Anbetracht seiner eigenen Unterlegenheit reagiert er voller Zorn auf die List der Königin. Wäre sie keine Frau, so argumentiert der affektgeleitete Heros, erschlüge er sie mit seinem Schwert.178 Doch Candacis weiß Alexander zu besänftigen, indem

176 Begründet wird dieses vorausschauende Handeln der Königin allerdings nur im griechischen Alexander-Roman und im Text des Iulius Valerius. Dort beauftragt Candacis den Maler mit einem Porträt Alexanders, weil sie erfahren hat, auf welche Weise der makedonische König große Herrscher zu überwinden vermochte (Leben und Taten sowie Res gestae III, 19). 177 V. 6161–6173: ›[…] ich weiz wol, wer du bist. | dih ne hilfit neheine dîne list, | di du canst, helit balt, | du ne stês an mîner gewalt. | waz hilfit dir nû dîn craft | unde daz du sigehaft | ubir manic lant wêre. | Persiam di mêre | hâstu zestôret | und Indiam zefûret, | Partos ubirwunden. | nû hât dih bedwungen | âne fehten ein wîb […]‹; vgl. dazu Haupt, Alexanders Orientfahrt, S. 287, S. 292, Friedrich, Natur und Kultur, S. 135. 178 V. 6198–6205.

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sie verspricht, seine Identität nicht öffentlich preiszugeben und ihm zudem ihre Minne anträgt.179 Die Versöhnung findet schließlich ganz im Verborgenen, im Schlafgemach der Königin statt.180 Dem Raum der Aggressionen, welcher zunächst konstituiert wird aus den gewaltsamen Eroberungszügen wie auch dann durch die Kämpfe Alexanders gegen die Naturgewalten des Orients, Kämpfe, die, wie Friedrich formuliert, »deutliche Züge einer Kriegshandlung« tragen,181 wird mit dem Herrschaftsbereich der Candacis ein nahezu gewaltfreier Ort entgegengesetzt. Je weiter Alexander nach dem Sieg über Perser und Inder in Richtung Osten vordringt, um so weniger scheinen die Gebiete gewaltsam okkupierbar zu sein. Alexander durchschreitet hier eigengesetzliche Räume, die sich seinen Machtmechanismen entziehen. In den Auseinandersetzungen mit Dareius oder Porus gleicht der makedonische König dem Stier der Danielprophetie, welche eingangs im Text selbst zitiert wird. Auch dieses Tier hat ein auffallendes Horn zwischen den Augen: hircus habebat cornu insigne inter oculos suos (Dn 8, 5), kann demnach ebenfalls als Monozeros begriffen werden. Der Prophezeiung entsprechend siegt Alexander über den persischen König, für den der tödlich verwundete Widder steht, vollzieht sich hiermit die heilsgeschichtlich vorgegebene Ablösung des persischen durch das griechische Weltreich. In der Begegnung mit Candacis hingegen ähnelt Alexander dem Einhorn, welches zu den Gaben der Königin gehört.182 Am Ende der Welt, dâ der werlt nabe stât | und der himel umbe gât, | als umbe die ahsen daz rat (V. 5493–9495), wird Alexander ganz ohne Gewalt von einer Frau überwältigt. Als der Makedonier schließlich von Meroves Abschied nimmt, erhält er noch einmal ausnehmend wertvolle Gaben: jetzt zum Abschied nicht nur von der Königin, sondern als der vermeintliche Antigonus auch von ihren Söhnen. Er bekommt so viel Gold, daß dessen Wert nicht einmal näher bestimmt wird, einen Halsberg, welcher maniger 179 Auf diese Weise schützt sie ihn vor der Rache ihres Sohnes Caracter, welcher mit der Tochter des von Alexander getöteten Porus verheiratet ist (V. 6225–6231). 180 V. 6235–6246. Zur Tradition der Candacis-Episode und zu Besonderheiten der Minneszene im Straßburger Alexander vgl. – wenn auch im Hinblick auf den tiefenpsychologischen Interpretationsansatz wenig überzeugend – Ehlert, Alexander, S. 84–92. 181 Friedrich, Natur und Kultur, S. 129. 182 Auch Vögel (Naturkundliches, S. 35) liest die Candacis-Episode und die Anspielung auf Dn 8, 5 in einem Konnex, führt jedoch seine Überlegungen hierzu nicht näher aus.

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marke wert ( V. 6372)183 ist, und einen erlesenen Mantel.184 Die Gaben sind Abschiedsgeschenke, mit denen das freundschaftliche Verhältnis (ein stête frûntscaft, V. 6366) besiegelt und der vermeintliche Diener Alexanders in Frieden entlassen wird. Die Gaben, die Alexander bei seiner Ankunft in der Nähe der Burg Meroves erhält und jene, welche ihm Candacis unmittelbar vor seiner Abreise überreicht, unterscheiden sich wenig hinsichtlich ihres materiellen Wertes. Wohl aber verschiebt sich ihr repräsentativer Charakter in dem Maße, wie sich auch das Verhältnis zwischen Alexander und Candacis während ihrer Begegnung verändert. Beide Male handelt es sich um königliche Gaben. Doch während zum Abschied Candacis und ihre Söhne Alexander beziehungsweise seinem ›Gesandten‹ alle Ehren erweisen und im Zeichen der Gaben seiner Klugheit und Stärke huldigen, verweisen die Präsente des Empfangs auf den Palast, den Reichtum wie auch die Macht der Königin. Alexander und Candacis stehen sich an jener Stelle als Herrscherfiguren gegenüber. Diplomatisch, im Sinne einer friedlichen Interaktion sendet sie ihm ihre Gaben durh minne (V. 5566).185 Auf den ersten Blick zollt Candacis dem makedonischen König auch hiermit ihre Achtung, nutzt aber den Akt des Gebens gleichzeitig, um zu verhindern, daß Alexander sie später zu überlisten vermag. Ihre Überlegenheit gegenüber dem bis zu diesem Zeitpunkt unbesiegbaren Alexander zeigt sich sowohl in jener weisen Handlung wie sie sich auch in der unermeßlichen Fülle und Auserlesenheit ihrer Gaben widerspiegelt. Ihre persönliche Gabe zum Abschied Alexanders besteht dagegen in einer wertvollen, edelsteinbesetzten Krone.186 Mit und durch diese Gabe erkennt sie Alexander, um dessen wahre Identität sie im Gegensatz zu ihren Söhnen weiß, als Herrscher an,187 stellt sie die Einheit von Königskörper und dem Insigne seiner Würde 183 Mit dieser monetären Angabe, welche erst im Straßburger Alexander hinzugefügt wird, verliert die Gabe ihre rein symbolische Bedeutung, drängt sich ihr materieller Wert auf. 184 V. 6363–6384: ›[…] Nâh dise sûze wort | wart garwe zestôrt | unsir allir vîentscaft | und wart ein stête frûntscaft | zô mir von den hêren | und gâben mir mit êren | hêrlîche gâbe, | golt âne wâge | unde einen halsperg gût. […] si gâben mir noh dan | eine gâbe vil hêrsam, | di was mir wol ze danke: | einen sô gûten mantel, | daz nie nehein man | neheinen bezzeren gwan […].‹ 185 In diesem Sinne (fridelîche) wird Alexander auch von den Amazonen mit Gaben empfangen. Er dankt ihnen mit minnen (vgl. V. 6505–6533). Vgl. dazu Haupt, Alexanders Orientfahrt, S. 293–294. 186 V. 6385–6387: ›[…] ouh gab mir ze minnen | di liebe kuninginne | eine gûte crône […].‹ 187 Während auch im griechischen Alexander-Roman über den Rahmen des Gebens nichts näheres berichtet wird, erzählen die Res gestae und die Historia de preliis, daß die Königin Alexander ihre Gaben heimlich darbringt. Im Interesse des ge-

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her.188 Doch trennen sich Alexander und Candacis in der Straßburger Fassung des Alexander-Romans nicht nur als Herrscherfiguren, die in keinem Rivalitätsverhältnis zueinander stehen. Sondern sie nehmen überdies als Liebende voneinander Abschied.189 Der Agon wird durch die affektive Kraft der Minne aufgehoben. Abermals also gibt die Königin ihre Gabe ze minnen (V. 6385), doch nun gleichermaßen als Herrscherin wie als Minnedame. Mit der Gabe, einer wertvollen Krone, wie Candacis selbst eine ähnliche trägt,190 achtet sie Alexander desgleichen als ihren ›Gemahl‹.191 In diesem Sinne nimmt Candacis dem makedonischen König das Versprechen ab, bald nach Meroves zurückzukommen, um ihre Minnequalen zu stillen. Er gelobt es ihr, kehrt aber – ähnlich wie Eneas, der die karthagische Königin Dido heimlich verläßt – nie wieder an ihren Hof zurück.

2.6 Moloch I: Die Gabe aus dem Paradies infernus et perditio non replentur similiter et oculi hominum insatiabiles (Prv 27, 20) (Unterwelt und Totenreich sind unersättlich und unersättlich sind die Augen des Menschen.)

2.6.1 Von der Präsenz zur Chiffre des Unersättlichen In der Auseinandersetzung mit Paul Böckmanns »Formgeschichte der Deutschen Dichtung«192 kritisiert Josef Quint, Böckmann habe, um am Beispiel des Alexander-Romans den Nachweis der sinnbildlichen Be-

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meinsamen Geheimnisses wird hier also auch die Anerkennung Alexanders durch Candacis nicht öffentlich vollzogen: […] dat secretius munera […] (Res gestae III, 23, 962–963); Interea vocavit regina Alexandrum secreto et dixit ei: […] Et hec dicens dedit ei dona regalia, id est coronam auream, ornatam ex lapide pretioso adamantino, seu et clamidem imperialem aurotextilem, stellatam ornatamque ex pretiosis lapidibus et iussit eum abire (Hdp J2 109, 75–79). Zur zweifachen Natur des Königs, seinem natürlichen und symbolischen Körper vgl. Kantorowicz, Die zwei Körper; zum Verhältnis von Krone und Königskörper vgl. insbesondere S. 338–363. Vgl. dazu ausführlicher Ehlert, Alexander, S. 84–92. Als Candacis den makedonischen König an ihrem Hof empfängt, wird ihre Gestalt ausführlich beschrieben. Die kostbare Krone, die sie trägt, wird hierbei an erster Stelle genannt (V. 5846–5850). V. 6247 f.: ›[…] si sprah, dô ih si gwan | ze wîbe, ih wêre ir man […].‹ Vgl. Böckmann, Formgeschichte.

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deutung der Dinge im Mittelalter zu führen, nur jene Gaben berücksichtigt, die die beiden Herrscher Dareius und Alexander miteinander austauschen. Ausgeblendet hätte er dagegen »das sinnbildlich-zeichenhafte Geschehen am Schluß des Epos.« Er meint jene Episode, in der ein alter Mann an der Pforte des Paradieses Alexanders Boten einen Stein überreicht, den nur wenige Weise zu deuten wissen. Quint erscheint diese Gabe »im ganzen bedeutsamer« als die Dinge, die in den Auseinandersetzungen der Könige eine Rolle spielen.193 Er stellt daher den Paradiesstein einschließlich verschiedener Erzähltraditionen zu diesem oder einem ähnlichen Motiv ins Zentrum seiner Untersuchung. Doch genausowenig wie Böckmann versucht auch er zwischen den unterschiedlichen Gaben einen Zusammenhang herzustellen. Dieser erscheint mir allerdings naheliegend. Denn in dem Maße wie Alexander mit seiner Auslegung der einzelnen Gaben nicht nur die Defizite von Dareius’ Auslegungskompetenz, sondern vielmehr auch von dessen Herrschaft aufzeigt, werden ihm später seine eigenen Grenzen mit dem Paradiesstein vorgeführt. Vermittelt durch die verschiedenen Gaben werden die jeweiligen Bereiche von Einfluß und Macht markiert. Darin sehe ich die grundlegende Gemeinsamkeit zwischen den Gaben der Könige und der Gabe aus dem Paradies. Die Straßburger Fassung des Alexander-Romans ist der erste bekannte deutschsprachige Text, der in Anlehnung an die kurze Geschichte Alexandri Magni iter ad Paradisum, welche in einigen Handschriften einem gewissen Salomon didascalus Iudaeorum zugeschrieben wird, von Alexanders Weg an die Mauern des Paradieses erzählt.194 Auf diese lateinische Erzählung, welche wohl aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammt,195 möchte ich zunächst mein Augenmerk richten, um im Anschluß daran skizzieren zu können, wie erstens der Straßburger Alexander einzelne Perspektiven verschiebt und zweitens, inwiefern sich der Interpretationshorizont erweitert, wenn die Reise zum Paradies in einem größeren Kontext erzählt wird, dann nämlich, wenn sie Teil einer umfangreicheren Alexandervita ist. Nach einem kurzen Abriß zu Alexanders Zügen, seiner Vormachtstellung innerhalb der erfahrbaren Welt und der ihm erwiesenen Ehre

193 Quint, Bedeutung des Paradiessteins, S. 9. 194 Vgl. hierzu wie auch zur Erzähltradition des Iter ad paradisum Pfister, Offenbarungen, S. 342, Quellen, S. 164, Sage, S. 13, Hartmann, Rätselstein, Ehlert, Alexanderdichtung, S. 63; La Prise de Defur, S. XXXIII–LXXII (Einleitung mit Verweisen auch auf die ältere Forschung). 195 Vgl. Pfister, Sage, S. 13.

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berichtet der lateinische Text, der seinerseits auf legendarische Erzähltraditionen des Talmud (um 500) zurückgeht,196 von Alexanders Reise auf dem reißenden Ganges.197 Trotz aller Gefahren gelingt es Alexander, bis an die Grenzen des Paradieses vorzudringen. Nachdem die Gesandten des makedonischen Königs laut an die Pforte geklopft haben, hören sie bald darauf eine Stimme, die sich nach ihrem Willen erkundigt. Im Auftrag ihres Herrn, des mächtigen und unbesiegbaren Alexanders, fordern die Boten ebenso wie von allen bisher eroberten Reichen auch aus dem Reich der Seligen Abgaben.198 Sie müssen zwei Stunden warten und erhalten dann einen geheimnisvoll leuchtenden, ungewöhnlich gefärbten Edelstein, der in seiner Größe und Form einem menschlichen Auge ähnelt.199 Diesen Stein, sei es als Gabe oder als Tribut (sive dono, sive tributario debito, S. 23), sollen die Gesandten Alexander überbringen. Auch mögen sie ihn darin unterrichten, daß er, sobald er um die Beschaffenheit und die Kraft des Steines weiß, von seinem Eroberungsdrang, welcher über die diesseitige Welt hinausreicht, ablassen wird. Alexander kehrt daraufhin den Mauern des Paradieses seinen Rücken zu und reist zurück in die Stadt Susa. Dort sucht er zunächst vergeblich nach einem Weisen, der ihm den Stein auszulegen vermag. Alexander findet ihn erst in einem alten gebrechlichen Juden, welcher den bezeichnenden Namen Papas (›Erzieher‹) trägt und ihm die Bedeutung des Edelsteines erschließt: Der Alte verlangt nach einer Waage. Kaum steht sie vor ihm, legt er in die eine der beiden Waagschalen den Stein, in die andere dagegen ein Stück Gold. Obgleich er immer mehr Gold hinzugibt, wiegt zum großen Erstaunen Alexanders der Stein stets schwerer. Anschließend tauscht der Weise das Gold gegen eine zarte, besonders leichte Flaumfeder aus und bedeckt den wundersamen Stein mit etwas Erde. Nun vermag der Stein nicht einmal jene kleine Feder aufzuwiegen. Der Greis führt dem König aber nicht nur die Kraft des Steines sichtbar vor Augen, sondern erklärt ihm sodann auch die Bedeutung des Gesehenen:200 Der augenför196 Vgl. Pfister, Offenbarungen, S. 342. 197 Vor seinem Austritt aus dem Paradies wird er Physon genannt; vgl. Gn 2, 10f.: et fluvius egrediebatur de loco voluptatis ad inrigandum paradisum qui inde dividitur in quattuor capita nomen uni Phison […]. 198 Iter ad paradisum, S. 22. 199 Iter ad paradisum, S. 22–23: Quo dicto clausit fenestram, et post duas ferme horas denuo patefaciens se operientium aspectibus reddidit; proferensque gemmam miri fulgoris rarique coloris, que quantitate et forma humani oculi speciem imitabatur […]. 200 Iter ad paradisum, S. 30–31: Hic, quemadmodum videtur forma et colore, revera humanus est oculus, qui, quamdiu vitali potitur luce totius concupiscentie estibus agitatur, no-

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mige Edelstein ist das menschliche Auge: humanus est oculus.201 Pars pro toto steht es für den Menschen, so und gerade auch für Alexander, dessen unmäßige Begierde im Verlaufe seines Lebens nicht zu sättigen ist, der jedoch nach seinem Tode, dann nämlich, wenn er unter der Erde begraben und sein Blick erloschen sein wird, leichter wiegt als eine Feder. Ähnlich wie bereits die Stimme aus dem Paradies202 warnt auch der greise Jude den makedonischen Herrscher davor, sein rastloses Streben nach dem ohnehin vergänglichen Ruhm der Welt fortzusetzen. Alexanders durch Habgier und Überhebung getrübte Augen – so könnte man die Episode auch verstehen – werden in ›heilsamer‹ Weise mit dem augenförmigen Paradiesstein konfrontiert.203 Der Straßburger Alexander folgt bekanntermaßen nicht in Gänze der lateinischen ›Vorlage‹, sei es, daß sein Erzähler einige Passagen mißverstanden hat, wie zum Beispiel diejenige, welche den zweiten Vorgang des Wiegens schildert,204 oder daß etwa als Folge der Übertragung in die Volkssprache alternative Erzählprozesse konstituiert werden. Beides wäre denkbar, und doch läßt sich aus der historischen Fernsicht ein Urteil darüber wohl weder treffen noch gar gerechtfertigen. Sinnvoller erscheint es mir daher, sich auf die veränderte Szenengestaltung einzulassen und zu versuchen, die Episode, so wie sie im deutschsprachigen Text narrativ entfaltet wird, zu interpretieren. Weithin, so heißt es in der Straßburger Fassung des AlexanderRomans, reicht die Macht des makedonischen Königs. Nach dem Sieg über Dareius und den indischen König Porus ist er aufgestiegen zu einem Weltherrscher, der in sämtlichen irdischen Reichen gleicherma-

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vitatum multiplicate pascitur, et auro sibi redivivam famem subministrante nulla prorsus sacietate compescitur; et quo amplius multiplicando proficit, eo sollertius exaggerandis incumbit, sicut inpraesentiarum mirifici ponderis nova probavit operatio. At ubi, vitali motu subtracto, materni cespitis visceribus commendatur, nullius utilitatis usibus patet, nichil delectatur, nichil ambit, nullo affectu mutatur, quia nec sentit. Unde et penna levis, quae etsi modice, tamen cujuscumque utilitatis est, hunc lapidem terre pulvere coopertum pondere superavit. Siehe ebenso Ross, Exemplum of Alexander, S. 559: »Papas then explains that the stone in the form of an eye is the human eye, and Alexander’s eye in particular […].« Iter ad paradisum, S. 23. Sündhaftes Verhalten – etwa superbia oder Habgier – wird im religiösen Diskurs als ›Krankheit‹ – unter anderem des Auges (concupiscentia occulorum) – aufgefaßt, welche durch (Edel-)steine ›geheilt‹ werden konnte. Vgl. dazu Meier, Gemma spiritalis, insbesondere S. 373–413; zum Bedeutungsspektrum des Auges vgl. Schleusener-Eichholz, Auge. So interpretieren etwa Schröder, Zum Vanitas-Gedanken, S. 53 f. und Quint, Bedeutung des Paradiessteins, S. 18.

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ßen geachtet wie gefürchtet wird. Den Zins entrichten sie ihm alle, doch Alexander hat das Ziel seiner Eroberungspolitik noch nicht endgültig erreicht: Im Kampf gegen die Perser hat Alexander sein eigenes Reich aus der Abhängigkeit herausgeführt, Zug um Zug hat er die erfahrbare Welt unterworfen und tributpflichtig gemacht, jetzt will er auch noch die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits überschreiten. Alexander, dessen Verlangen nach weiteren Eroberungszügen mit dem unersättlichen Schlund der Hölle verglichen wird,205 möchte das Paradies erobern und von seinen Bewohnern den Zins fordern.206 Doch der Weg dahin ist beschwerlich und führt das Gefolge des Königs, welches gegen Naturgewalten und furchterregende Drachen kämpfen muß, nahe an den Abgrund der Verzweiflung. Auch der König selbst quam durh sîne giricheit in vil michil arbeit (V. 6683 f.). Auf dem Euphrat207 gelangen die Makedonier schließlich bis an die mächtige, mit kostbaren Steinen geschmückte Mauer des Paradieses. Nach einiger Zeit gelingt es Alexanders Boten ein verriegeltes Tor zu finden. Mit Gewalt – mit bôzen, | slân unde stôzen | mit grôzem unsinne (V. 6865–6867) – verlangen sie Einlaß in das Paradies. Ein alter Mann öffnet die Pforte und fragt nach ihrem Willen. Die Boten zögern nicht, die Zinsforderung des makedonischen Königs vorzutragen.208 Auf die Frage des alten Mannes hin, wer denn Alexander sei, preisen sie ihren König. Kein anderer Herrscher könne sich mit ihm messen, er habe sich alle Ehren erworben und bis an die Mauern des Paradieses sämtliche Reiche der Welt erobert.209 Die Gesandten beschreiben an dieser Stelle die Dimensionen der Macht, welche Alexander einst mit seiner Auslegung des goldenen Balles, einer der drei Gaben des Dareius, prophezeit hatte. Damit sind nicht nur Usurpations- und Zinsmotiv – die bereits in den ersten Episoden des Romans eingeführt und mehrfach variiert wurden – an der Pforte des Paradieses erneut und abschließend noch einmal aufgegrif205 V. 6670–6682. 206 V. 6613–6619: des ne dûhte ime allis niht genûc. | sîn hôhmût in dar zû trûc, | daz er sih hîz wîsen | gegen den paradîse. | daz wolder bedwingen | und zins ouh dannen bringen | von den engelischen chôren. 207 Stock bezieht luzid die beschwerliche Fahrt auf dem Euphrat zurück auf die Flußübergänge des Helden: Den Flußübergängen jenes Herrschers, der sich die erfahrbare Welt aneignen wird, steht die Flußfahrt dessen gegenüber, »der das Ende der Welt […] als ellende erfahren hat und der nun durch diese letzte Entgrenzung zur maßvollen Begrenzung geführt werden muß« (Kombinationssinn, S. 133). 208 V. 6874–6877: si sageten, daz si solden | lâzen ir singen | unde zins bringen | irem hêren Alexandro. 209 V. 6890–6893.

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fen,210 sondern in Erinnerung gerufen wird auch der Sinn jener Gaben, die der Perserkönig an Alexander geschickt hatte. Die Deutung, die sie durch Alexander erfahren haben, ist inzwischen eingelöst. An den Grenzen der erfahrbaren Welt erhält der makedonische König nun abermals eine Gabe, die sich jedoch von den Präsenten der eroberten Völker und auch von jenen Gaben des Dareius darin unterscheidet, daß es sich nicht um die Gabe eines irdischen Herrschers handelt, sondern um eine aus dem Garten Gottes. Der Stein ist die Antwort auf Alexanders Zinsforderung an das Paradies, mit der er sich, so entgegnet der alte Mann Alexanders Boten, voller unmâze (V. 6915) wider Gott schuldig gemacht habe.211 Der Alte fordert die makedonischen Gesandten auf, ihrem Herrn den Stein zu überbringen und ihn gleichzeitig zur Umkehr zu bewegen. Nur wenige Weise würden die Bedeutung des edlen Steines kennen. Doch sollte Alexander dessen Sinn in Erfahrung bringen, sô mûz er sih gemâzen (V. 6945). Nachdem die Gesandten die Gabe und die Botschaft überbracht haben, ist der Rat der Makedonier erneut geteilter Meinung über die weiteren Strategien. Doch dieses Mal entscheidet sich Alexander vorzugsweise für die Rückkehr. Er wendet seine Augen ab von der geplanten Unterwerfung des Paradieses und begibt sich auf die Suche nach einem weisen Mann, der ihm den Stein auszulegen vermag. Viele, die vorgeben über ein Spezialwissen zu verfügen, di sageten, daz si wisten | di natûre und di liste | von edelen gesteine (V. 7037–7039), kommen daraufhin an den Hof Alexanders, um sich in der Deutung des Steines zu versuchen.212 Der Stein, dessen Gestalt im Unterschied zu dem augenförmigen Stein aus dem Iter ad Paradisum nicht näher beschrieben wird, gehört jedoch nicht zu den irdischen Schätzen. Er ist sehr wertvoll und besitzt eine besondere Kraft, aber er kann mit keinem bekannten Edelstein verglichen werden. Das Ergebnis der Auslegungsversuche ist ein Katalog von zwölf Edelstei210 Auch Schröder (Zum Vanitas-Gedanken, S. 52–54) diskutiert den Zug zum Paradies, hat jedoch den Blick für das Zinsmotiv, welches er am Beginn seiner Interpretation ins Zentrum gerückt hatte, am Ende seiner Argumentation verloren. 211 V. 6929–6936: ›[…] wes wênet Alexander? | ein man ist als ein ander | beide fleisc unde bein. | sehet, bringet ime disen stein. | er is vile tûre. | stark is sîn natûre. | iz wizzen lutzil lûte, | waz der stein bedûte […].‹ 212 V. 7041–7064: itislîche jâhen, | dô si in gesâhen, | iz wêre ein edele jâchant. | ein ander sagete zehant, | iz wêre ein karbunkel. […] der dritte sprah alsus: | ›iz ist ein topatius;‹ | der vierde: ›ein berillus;‹ | der funfte: ›ein ônichînus;‹ | der seste: ›ein ametiste‹, | er kante wol sîne liste. | der sibende sprah: ›ich bin gewis, | iz sî ein rehter jaspis.‹ | der ahte sprah: ›er ist sô schîr, | iz ist ein edele saphîr;‹ | der nûnde: ›ein crisolîtus;‹ | der zehende: ›ein crisoprassus;‹ | der eilifte: ›ein bdellius;‹ | der zwelifte: ›ein sardonius.‹ | sus sprâchen si besunder | manicfalden wunder.

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nen. Doch fällt der Paradiesstein gerade aus einem der gängigen Edelsteinkataloge, wie sie etwa aus der Vulgata (Ex 28, 17 f.) bekannt sind, heraus.213 Für die Gelehrten bleibt der Stein ein Rätsel. Dennoch versuchen sie den König von ihrem angeblichen Wissen zu überzeugen. Sie betrügen ihn, um ihre Unkenntnis nicht schmachvoll preisgeben zu müssen und um den vom König versprochenen Lohn zu erhalten.214 Abermals wird eine Gabe zum Gegenstand von Interpretationskonflikten und ähnlich wie bei den Gaben, die Alexander von Dareius erhalten hatte, insbesondere dem Ball und den Schuhbändern, tritt damit auch bei dieser Gabe der materielle Wert in den Hintergrund. Kostbar erscheint vielmehr das Wissen um Bedeutung und Kraft des Steines. Der Sinn der Gabe erschließt sich nicht voraussetzungslos: iz wizzen lutzil lûte, waz der stein bedûte (V. 6935 f.). Der alte Mann an der Pforte des Paradieses hatte den König zwar vor Überhebung und Unmäßigkeit gewarnt, aber die Bedeutung des Steines hat er ihm nicht vermittelt. Der Stein stellt die Deutungskompetenz Alexanders auf die Probe.215 Doch während er noch in der Auslegung der Gaben des persischen Königs über jenen zu triumphieren vermochte, versagt er nun, da es um die Deutung des Paradiessteins geht. Die Gabe des alten Mannes verlangt nach der Auslegung durch Dritte. Alexander erfährt schließlich von der Existenz jenes ebenso alten wie weisen Juden, dem schon im Iter ad Paradisum eine Schlüsselrolle zukommt. Allerdings ist dieser bereits so gebrechlich, daß er unfähig ist, sich allein auf die Reise zu begeben. Er muß an den Hof des makedonischen Königs getragen werden. Wie bereits allen vermeintlich Kundigen zuvor zeigt Alexander auch jenem Weisen den Stein und befragt ihn nach seinem Sinn.216 Der Jude betrachtet die Gabe aus dem Paradies nicht nur, sondern er greift mit seiner Hand nach ihr. Sein Blick vermag – anders als der Alexanders – die »(gegenwärtige) Materialität des Zeichens« zu überwinden, »um zur (abwesenden) Bedeutungsschicht« vorzudringen:217 Sofort be-greift der Alte den Stein. Kein anderer gleiche ihm, so weiß der Alte zu erzählen. Er ist wertvoll und besitzt für denjenigen, der seinen Sinn 213 Zur Bedeutung der Edelsteine im Mittelalter vgl. Meier[-Staubach], Gemma spiritalis sowie Edelsteine, Kaczmarek, Zeichenkonzeptionen, Brinkmann, Hermeneutik, S. 93–101, Rothmann, Zeichen, S. 373. 214 V. 7028–7034 sowie V. 7065–7071. 215 Entsprechend liest Stock (Kombinationssinn, S. 127–143) den Paradiesstein in einer Reihe mit den fabulösen wunder-Zeichen des Orientteils, deren Sinn Alexander ebenfalls weitgehend verborgen bleibe. 216 V. 7094–7098. 217 A. Assmann, Sprache der Dinge, S. 238.

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versteht, vielerlei Vorzüge. Doch wie in der lateinischen ›Vorlage‹ beläßt es der greise Jude nicht bei dieser Erklärung, vielmehr möchte er Alexander die Eigenschaften des Steines vorführen. Mit eigenen Augen soll der König die Kraft des Steines wahrnehmen, um den Ausführungen des Weisen Glauben schenken zu können.218 Wie im älteren Text läßt der Weise eine Waage vorbereiten, in der er einerseits den Stein gibt und andererseits Goldstücke. Wieviel er auch der mit Gold gefüllten Waagschale hinzufügt, immer swebete obene daz golt und der stein swebite under (V. 7128 f.). Diejenigen, die diesen Vorgang beobachten, wundern sich sehr darüber, denn der Stein, an dieser Stelle wird im Unterschied zum Iter ad Paradisum zum ersten und einzigen Mal überhaupt seine Gestalt erwähnt, was zemâzen cleine alse eines menschen ouge (V. 7136 f.). Der zweite Teil der Vorführung, welche der Jude dem König bietet, um die Bedeutung des Steines erfahrbar machen zu können, unterscheidet sich nun – soviel ist bekannt – von der lateinischen ›Vorlage‹. Der Greis wiegt auch hier den Stein gegen eine Flaumfeder auf. Doch anders als das Iter ad Paradisum erzählt der Straßburger Alexander, daß der weise Jude nicht den Stein, sondern die Feder mit Erde bedeckt. Zurückgenommen ist also die Vorstellung vom erloschenen Blick. Dies ändert jedoch nichts an der beobachtbaren Wirkung dieser Konstellation. Die mit Erde bedeckte Feder wiegt schwerer als der Stein, welchen zuvor keine noch so große Menge Gold aufzuwiegen vermochte.219 Gott allein befiehlt, daß so wundersame Dinge wie jener Stein erschaffen werden. Er ist eine besondere Gabe an Alexander, ein Medium nämlich, durch welches der König belehrt werden soll. Er erhält den Stein als Antwort Gottes auf seine Zinsforderung an das Paradies. Der Stein ist eine Gabe, mit der die Vermittlung zwischen erfahrbarer Welt und Paradies möglich ist. Denn diese Gabe, die der alte Mann Alexanders Boten an der Pforte zum Diesseits überreicht, entstammt dem Jenseits. Sie gelangt demnach über eine Grenze hinaus, welche der König gern in anderer Richtung überschritten hätte. Doch zeigt Gott mit und durch diesen Stein gerade die Vermessenheit jenes Wunsches auf. Gottes Botschaft bleibt allerdings bis zur Entschlüsselung des Steines nicht verständlich. Die Gabe aus dem Paradies bedarf ebenso wie die, die Dareius Alexander am Beginn ihrer Auseinandersetzungen schickte, der Auslegung. Doch für Alexander, der einst dem Perserkönig seine Grenzen aufzeigte, hört an den Mauern des Paradieses nicht 218 V. 7110–7114. 219 V. 7147–7149: dâr zouh an der stunde | di vedere ze grunde | und di erde, di dâ bî lach.

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nur die für ihn beherrschbare Welt auf, sondern auch die deutbare. Der Sinn der Gabe – des Gotteszeichens,220 so ließe sich zuspitzen – bleibt für Alexander im Dunkeln. Für ihn handelt es sich – wiederum vor dem Hintergrund der augustinischen Entwürfe betrachtet – um eines jener Zeichen, welches zwar der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich ist (sensui patet), aber deren Bedeutung dem Geist verschlossen bleibt (animo clausum).221 Alexander ist bis an die Grenze des Paradieses gereist. Er hat die gesamte irdische Welt samt ihrer Wunder und Monstra unmittelbar geschaut. Doch für den Stein besitzt er keinerlei Deutungskompetenz. Der weise Jude hingegen ist nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Schritt zu gehen. Er muß auf seinem Weg zu Alexander getragen werden. Aber er weiß um die allegorische Bedeutung des Steines, vermag diese vorzuführen und schließlich auch zu erklären:222 Die Botschaft, die sich hinter dem Stein verbirgt, warnt Alexander als den Empfänger der Gabe – wie jeden anderen Sterblichen auch – vor Übermut und unmäßiger Gier. Denn verschiedene Dinge, die während des Lebens erstrebenswert erscheinen, offenbaren sich de facto als unheilbringend. Die unmâze meint in Bezug auf Alexander zunächst die wiederholten Zinsforderungen, welche einerseits Signaturen sind für den Erwerb materieller Dinge und andererseits für sein unmäßiges Streben nach Macht. Der Vorwurf bezieht sich aber ebenfalls auf die unmäßige Wissensbegierde des Königs, seine Neugier auf die Wunder der Welt – auch über ihre diesseitge Erfahrbarkeit hinaus. Allerdings spielt dieser Aspekt im Straßburger Alexander eine eher untergeordnete Rolle, scheint er doch im Unterschied zu anderen Alexander-Texten ohne die Tauchfahrt und den Greifenflug des Makedoniers auszukommen.223 Noch einmal wird mit der Auslegung, die der Stein erfährt, für den Maßlosen das Bild vom gefräßigen Höllenschlund, welches der alte 220 Zur zeichenvermittelten Kommunikation zwischen Immanenz und Transzendenz sowie Gott als Zeichengeber vgl. A. Assmann, Zeichenkonzeptionen, S. 712 f., S. 723 f., Deuser, Semiotik, S. 111 f. 221 De dialectica VIII. Augustins Ausführungen zur obscuritas beziehen sich vornehmlich auf unverständliche Wörter (obscura verba). Da aber seine sprachtheoretischen Reflexionen erstens an eine allgemeine Erörterung des Zeichens rückgebunden sind (vgl. 2.2.2), und da zweitens sprachliche Probleme häufig gegenständlichbildhaft illustriert werden, erscheint es mir naheliegend, seinen zeichentheoretischen Ansatz auch auf nichtsprachliche Zeichen zu beziehen. Zur obscuritas bei Augustinus vgl. Ruef, Semiotik und Sprache, S. 145–148. 222 V. 7159–7164: ›[…] ouh sît ir algemeine | gemanet mit dem steine, | daz ir ûh nihtis ne verhebet | al di wîle di ir lebet. | bewaret ûh von der giricheit, | wande si machet manige herzeleit […].‹ 223 Vgl. dazu Holländer, Alexander, Wenzel, Repräsentation und Raum.

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Mann an der Pforte des Paradieses bereits im Munde führte, aufgegriffen:224 Derjenige, welcher, solange er lebt, niemals genug bekommen kann, der begierig ist wie die Hölle, der glîchet dem steine, | der in der wâgen eine | sih selben nider druckete | und daz golt ûf zuckete (V. 7181–7184). Dann hingegen, wenn er tot ist, und sein Körper sich mit der Erde verbindet, ähnelt er der plûmen, | di nider mit der erden ginc, | dâr si in der wâgen hinc | unde ûf zuckete den stein (V. 7198–7201). Nicht nur der Vorgang des Wiegens divergiert zwischen Iter ad Paradisum und Straßburger Alexander, sondern auch der Status der Gabe selbst verschiebt sich: vom Moloch Auge zum Moloch Höllenschlund oder – anders ausgedrückt – von der Präsenz zur Chiffre des Unersättlichen. Denn in der lateinischen Erzählung ist der Stein, der dem menschlichen Auge in Form und Farbe gleicht, tatsächlich das menschliche, nimmersatte Auge (Hic, quemadmodum videtur forma et colore, revera humanus est oculus […], S. 30), dessen Kraft zu Lebzeiten und dessen Schwäche nach dem Tod im Experiment des Juden vergegenwärtigt werden ([…] sicut inpraesentiarum mirifici ponderis nova probavit operatio, S. 30 f.). Im Straßburger Alexander ist mit dem Stein das alles verschlingende Auge nicht mehr zur Präsenz gebracht. Der Stein wie auch die Feder werden unter der jeweiligen Prämisse, Leben und Tod, nunmehr zur Chiffre (glîchet) des maßlos gierigen Menschen. Suspendiert ist die Darstellung des nimmersatten Auges, reduziert auf den Verweis, daß der Stein winzig wie ein Auge sei. Nun dominiert das Gleichnis vom Höllenschlund, welches sowohl der alte Mann aus dem Paradies wie auch der Jude im Munde führen. Vermittelte Repräsentanz – das Auge als Zeichen für den Rachen der Hölle – ersetzt die direkte Vergegenwärtigung des nimmersatten Auges. Doch beruht der Zusammenhang zwischen Signifikant (Auge) und Signifikat (Höllenschlund/Alexander) – ähnlich wie im Falle der Gaben des Perserkönigs – auch hier auf formalen wie funktionalen Ähnlichkeiten: Analogien, welche in ihrer Unersättlichkeit, einer Moloch gleichen, alles verschlingenden Macht zu finden sind. Gegenwärtig (gagenwortich, V. 7223) ist freilich in jener Gabe, von der im Straßburger Alexander erzählt wird, die wundersame Kraft Gottes, welche der Weise dem makedonischen König vorführt. Der Stein, um dies noch einmal festzuhalten, ist die Antwort auf Alexanders Suche nach dem Paradies, seinen Willen, es zu unterwerfen und wie alle bisher eroberten Reiche zinspflichtig zu machen. Doch 224 V. 7171–7178: ›[…] alliz, daz ime zô veret, | daz verslindet er und verzeret | und ne wirt doh niemer vol. | er is daz hellische hol, | daz noh nie ne wart sat | noh niemer werden ne mac; | alser gar verslindet, | swaz in zô gewendet […].‹

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bleibt ihm der Zugang in diesem Sinne verwehrt und sein Begehren unerfüllt. Nur demjenigen, der sich maßvoll verhält, wird dann, wenn er gestorben ist, der Weg ins Paradies geebnet. Im Unterschied zu den im Leben erfahrbaren Schöpfungswundern ist die unmittelbare Anschauung des Jenseits erst nach dem Tod möglich. Die moralisierenden Worte des Weisen, die mit der Deutung des Steines verbunden sind, beziehen sich aber vornehmlich auf Alexanders Vermessenheit, das Paradies erobern zu wollen, nicht auf sein vorangegangenes Verhalten. Denn gerade seinen bisherigen Ruhm, so argumentiert der weise Jude, habe der makedonische König der Gunst Gottes zu verdanken.225 Doch rekurriert der Alte gleichermaßen auf die zweite Dimension des Steines und erinnert Alexander auf diese Weise an die Vergänglichkeit all dessen, was er im Leben besitzt. Um nach seinem Tod den Lohn Gottes zu erhalten, um dessen Gnade erfahren zu können, muß der König sich bekehren, ablassen von seinem Gewalthandeln und von dem Streben nach immer mehr Macht. Er möge Gottes Gebote befolgen und sich als weiser und fürsorglicher Herrscher vor allem den Bedürftigen, den wituwen unde weisen (V. 7238) zuwenden. Ohne die Deutung des Steines in Frage zu stellen, ohne jeglichen Zweifel und ohne Einwände nimmt Alexander die kundigen Worte des Weisen an und folgt seiner Lehre. Die Gesinnung des Königs wandelt sich: Fortan verzichtet er auf urlôge und giricheit (V. 7265), regiert statt dessen bis zu seinem Lebensende bescheiden und maßvoll. Zwischen jenen Szenen, in denen von Alexanders Begegnung mit den Okzidraten, den Blumenmädchen, den Brasiacern und den Amazonen erzählt wird, scheinen die Gaben der Candacis und die Gabe des Paradiessteins als Schlüsselmomente einer Geschichte auf, die sich mit Alexanders Eindringen in den Orient nach und nach von militärischen Praktiken der Machtdurchsetzung abwendet und die Vervollkommnung des Herrschers als einen Weg zunehmender Einsicht in heilsgeschichtliche Zusammenhänge und die Wirkungen der Gnade Gottes aufzeigt. Der Stein, die Gabe selbst, entzieht sich den Gesetzen des profanen Gebens und Nehmens. Alexander nimmt die Gabe aus dem Paradies an, obgleich sie für ihn ein Rätsel bleibt. Er gibt sie weder zurück noch erwidert er sie. Ihre Bedeutung kennt er nicht und erst recht keine Antwort darauf. Aber schließlich rückt auch diese außergewöhnliche Gabe in den Mittelpunkt eines Geschehens, welches von den grundle225 V. 7213–7221: ›[…] ir sult in minnen | mit allen uheren sinnen, | der ûh gewerden hiez | unde ûh biz here lîz | von sînen gnâden leben | und der ûh allen hât gegeben | sin unde wîstûm, | êre unde rîchtûm | unde lûte unde lant […].‹

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Hermeneutik von Gaben

genden Regeln eines ökonomischen Austausches nicht unberührt bleibt. Zum Abschied nämlich belohnt Alexander den Weisen großzügig, so, wie er es demjenigen, der ihm den Sinn des Stein zu entschlüsseln vermag, versprochen hatte, und so, wie es sich für einen mächtigen wie angesehenen König geziemt. Trotzdem würde die Gegenleistung, die Alexander für das elitäre Wissen bietet, gering wirken, profan eben. Dies tut sie jedoch nicht, weil der Erzähler weniger Wert auf die Art der Gabe zu legen scheint als vielmehr auf die Weise des Gebens. Alexander belohnt den Alten mit sinnen (V. 7251), und dies heißt wohl auch, daß er mit mâzen gibt. Demnach folgt der König bereits hier, im Akt des Gebens also, der Unterweisung des Alten und damit der mit dem Stein verbundenen göttlichen Lehre.

2.6.2 Immanenz und Transzendenz Nunmehr ist die Untersuchung an einem Punkt angelangt, an welchem es naheliegt, der Frage nachzugehen, ob und inwiefern sich zwischen den bisher analysierten Episoden, in denen in irgendeiner Weise von Gaben erzählt wird, sinnvoll Fäden ziehen lassen. Zu diesem Zweck sollen im folgenden die Einzelergebnisse der jeweiligen Teilkapitel noch einmal in einem Resümee zusammengeführt werden: Im Austausch der Gaben zwischen Alexander und Dareius und in der je eigenen Auslegung, die Gold, Schuhbänder, Ball und Gewürze durch die Antagonisten erfahren, deutet sich die künftige Überlegenheit des makedonischen Königs an. Der Sinn, den Alexander den Gaben zuweist, erfüllt sich spätestens zu jenem Zeitpunkt, als der makedonische den persischen König in der Weltherrschaft ablöst. Für den Rezipienten liest sich Alexanders Deutung schon von vornherein als eine Form epischer Vorausdeutung auf den Ausgang des Krieges. Doch auch Alexander muß die Grenzen seines Expansionsdranges, seines Strebens nach uneingeschränkter Macht kennenlernen. Er wird bereits in seiner Begegnung mit Candacis und endgültig dann an den Mauern des Paradieses in seine Schranken verwiesen. Dies geschieht wiederum mit einer Gabe, deren materieller Wert gegenüber ihrem Verweischarakter in den Hintergrund tritt. Gemeinsam ist den Gaben weiterhin, daß sie jeweils im Kontext einer Zinsforderung eine Rolle spielen. Dareius schickt Alexander, um seinen Anspruch auf Zins zu unterstreichen, ein mit Gold gefülltes Kästchen. Alexander deutet diese Gabe seinen eigenen Herrschaftspostulaten gemäß um. Er verweigert den Tribut und prophezeit dem Perserkönig mit seiner Version der Goldauslegung, daß 130

Die Gabe aus dem Paradies

sich die Abhängigkeitsverhältnisse, welche noch zu Lebzeiten seines Vaters herrschten, umkehren werden. Der Stein ist schließlich die Antwort auf die von Alexander gegenüber dem Paradies erhobene Zinsforderung. Bei allen Analogien, die sich zwischen den Gaben der Könige und der Gabe aus dem Paradies skizzieren lassen, ist dennoch nicht zu übersehen, daß diese Dinge auf ganz unterschiedliche Weise präsentiert werden. Die Gaben, eine mit Gold gefüllte Schatulle, ein Ball und Schuhriemen aus Gold, die Dareius dem makedonischen König zukommen läßt, sind ausgesprochen wertvoll. Doch handelt es sich letztlich um profane Gaben, Gold, welches Alexander zur Auszahlung seines Heeres verwenden soll, ein Spielzeug sowie Gebrauch und Sinn entfremdete Schuhbänder, mit und durch die ein – zunächst einmal – ebenso irdischer Anspruch erhoben wird, nämlich der auf die Weltherrschaft. Anderen Ursprungs ist hingegen der kleine Stein, den Alexanders Boten an der Pforte des Paradieses erhalten. Er stammt aus dem Jenseits und ist eine Gabe, die Gott selbst erschaffen ließ. Mit ihm wird im Unterschied zu den profanen Gaben prima vista keinerlei Machtanspruch formuliert, sondern vielmehr eine Gier – die Alexanders nach der Unterwerfung des Paradieses – zurückgewiesen. Verbunden ist mit der Bedeutung des Steines der Rat, sich auf die rechte mâze zu Lebzeiten zu besinnen wie auch ein memento mori, allerdings nicht – um dies im Anschluß an Steins Argumentation noch einmal zu unterstreichen – im Sinne einer religiösen Weltflucht, sondern vielmehr in bezug auf die Vergänglichkeit auch noch so umfassender politischer Herrschaft.226 In der Fernkommunikation zwischen Alexander und Dareius, im Austausch der Gaben und in der Auslegung der Dinge spiegelt sich wider, daß die beiden Könige miteinander um Rang und Macht rivalisieren, äußert sich ununterscheidbar das Begehren beider, welches auf die Vormachtstellung in der Welt ausgerichtet ist, auf eine quasi rituelle Weise. Alexander zeigt seine Überlegenheit zunächst in der Umdeutung der von Dareius erhaltenen Gaben und später in der Auswahl seiner Gewürz-Gabe. Über das Gabeverhalten sowie die divergierenden Auslegungskompetenzen deutet sich mehr und mehr die Neukonstituierung einer Hierarchie zwischen dem makedonischen und dem persischen König an, die letztlich in den blutigen Auseinandersetzungen bestätigt wird. An den Mauern des Paradieses dagegen ist die Kommunikationsstruktur wie dann auch die des Gebens von vornherein asymmetrisch. Denn Alexander fordert mit Gott einen ›über-mächti226 Vgl. Stein, Weltherrscher, S. 156–169.

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gen‹ Gegner heraus, dem er nicht gewachsen ist. Sämtliche agonal ausgerichteten Interaktionen – die Herausforderung eines Gegners, die Provokation, die mit einer Zinsforderung wie auch mit einer Gabe verbunden sein kann, der Kampf um die Vormachtstellung, um Ehre und Prestige – verlieren an den Mauern des Paradieses ihre Wirksamkeit. Gott beantwortet die Gewalt, durch die zahlreiche der Eroberungen des makedonischen Königs bis dahin überhaupt erst möglich gewesen sind, durch Wissen und Weisheit. Und so ist der Stein die Antwort auf die mit Lärm und Gewalt erhobene Zinsforderung. Auch der Sinn der einzelnen Gaben erschließt sich dem Empfänger auf recht verschiedene Weise. Die profanen Gaben der Könige haben keine feste Bedeutung, werden – wenngleich immer im Rahmen einer ›Welt der Ähnlichkeiten‹ – als Zeichen verschiedenen Prozessen der Semiotisierung unterworfen. Dareius inszeniert zwar in einem Begleitschreiben, daß die Gaben, die er seinem Gegner zukommen läßt, einen einzigen Sinngehalt hätten, den nämlich, welchen er Alexander in einem Begleitbrief übermittelt. Doch wie instabil die Sinngebung ist, zeigt sich spätestens in Alexanders Antwortschreiben, in welchem er die Gaben seinem Machtanspruch entsprechend umdeutet. Anders verhält es sich mit der Gabe aus dem Paradies. Diese entzieht sich weitgehend hermeneutischer Verfügbarkeit, weil sie eine von Gott zugewiesene Bedeutung hat, und als göttliches Zeichen eine Umdeutung nicht zuläßt. Der Sinngehalt der Gabe wird allerdings weder mündlich noch schriftlich mitgeliefert, und auch Alexanders Auslegungskompetenz versagt. Zudem folgt der Stein hinsichtlich seiner substantiellen Eigenschaften eigenen Gesetzen. Denn im Unterschied zu den profanen Gaben, etwa den Mohn- und Pfefferkörnern, die man zählen und schmecken kann, ist das Gewicht, welches für das Entschlüsseln der Gabe bedeutsam erscheint, nicht eindeutig bestimmbar. Denn der Stein vereint Leichtigkeit und Schwere (sîne lîhte und sîne swâre, V. 7205), hebt in sich also den (scheinbaren) Widerspruch auf, leichter zu sein als eine Feder und schwerer als Gold. Mit dem Stein werden letztlich alle innerweltlichen Maße, Differenzen und scheinbaren Paradoxien außer Kraft gesetzt. Plausibel wird nach alldem, weshalb Alexander die Gaben des Dareius als Herausforderung annimmt, sie in ebenso provozierender Weise umdeutet beziehungsweise im Falle der Gewürz-Gaben erwidert, während er die Gabe aus dem Paradies wie auch dann deren Botschaft widerspruchslos annimmt, sich ihr fügt. Verständlich wird, warum er im Anschluß an den Briefwechsel und den Austausch der Gaben mit Dareius weiter in den persischen Raum vordringt, während 132

Die Gabe aus dem Paradies

er nach Erhalt des Paradiessteins von weiteren Raumokkupationen abläßt. Denn bereits im Umgang mit den profanen Gaben als einer Kommunikations- und Interaktionsform, mit welcher vor allem Dareius versucht, physische Gewalt zu untergraben oder zumindest zeitweise zu kanalisieren, zeichnet sich ab, daß Alexander mit Dareius einem Gegner gegenübersteht, dem er gewachsen ist, sich allerdings mit seinem Zug gegen das Paradies übernimmt. Dort, wo die Regeln innerweltlicher Macht außer Kraft gesetzt sind, wo Alexanders hermeneutische Kompetenzen gleichermaßen wie sein heroisches Gewalthandeln versagen, gelangt auch er an die Grenzen seines unbändigen Expansionsdranges.

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Erzählte und erzählende Gaben

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3. v z der mazen: Gaben und Opfer in Vergils Aeneis und in den mittelalterlichen Eneas-Romanen

3.1 Erzählte und erzählende Gaben Ebenso wie die Geschichten über Alexander den Großen lassen sich die, die Eneas, den Sohn des Trojaners Anchises und der Göttin Venus, ins Zentrum rücken,1 als Geschichten lesen, deren Handlungsverlauf – von Rückblenden und Prophezeiungen abgesehen – weitgehend dem Weg des Helden folgt.2 Anders jedoch als Alexander durchquert Eneas den Weg nicht von West nach Ost, sondern in umgekehrter Richtung. Er läßt das zerstörte, in Flammen versinkende Troja auf Geheiß der Götter zurück, um in Latium ein neues Reich zu errichten. Immer weiter entfernt er sich von seinem eigenen Ursprung und der Geschichte Trojas. Mit der Eroberung des Ostens bis an die Grenzen des Paradieses und dem Sieg über den Perserkönig Dareius begründet Alexander das griechische Weltreich. Eneas dagegen läßt – zunächst jenseits aller Eroberungsabsichten – den Raum, den er durchquert, hinter sich, um einzig das göttliche fatum zu erfüllen, um zurückzukehren in die Heimat seines Vorfahren und Trojagründers Dardanus.3 Als Sieger in den Kämpfen um Italien wird er, so Herfried Vögel, zum »Stammvater jenes Geschlechts, unter dem sich die Wende vom dritten zum vierten Weltreich vollzieht.«4 Obgleich beide Geschichten von der Konstituierung und Stiftung eines neuen Reiches erzählen, unterscheiden sie sich auch insofern, als für die Alexander-Romane die räumliche, für

1 Vgl. hierzu den Überblick von Binder, Äneas. 2 Zu Diskussionen um die unterschiedliche Erzählstruktur in der Aeneis und in den mittelalterlichen Eneas-Romanen vgl. Fromm, Poetik des ›ordo narrandi‹, Opitz, Geschichte, S. 93–111. 3 Das Wissen des Helden um das (konkrete) Ziel varriiert in den einzelnen Texten; vgl. dazu Dittrich, »Eneide«, S. 133, S. 142. 4 Vögel, Gedächtnis, S. 59.

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Gaben und Opfer

die Eneas-Texte dagegen die dynastische Begründung von Herrschaft zentral zu sein scheint.5 Mit Blick auf die Vorgeschichte des Helden sowie die Eroberung Laurentums beschreibt Udo Friedrich den Eneasroman Heinrichs von Veldeke zu Recht »als komplexe Verhandlung über den Krieg«.6 Durch Gewalt wird Eneas vertrieben und wiederum – obgleich Juppiter bereits den Ausgang prophezeit hat – garantiert ihm erst die gewaltsame Auseinandersetzung mit Turnus die Durchsetzung seiner Ansprüche auf Latium. Doch äußert sich Gewalt nicht stets auf die gleiche Weise, und auch der Weg des Protagonisten wird nicht einzig und nicht immer von vornherein von Formen offener, physischer Gewalt bestimmt. Wenngleich auf andere Art als in den bereits besprochenen Alexander-Romanen – werden auch in der Aeneis, im Roman d’Eneas und im Eneasroman Heinrichs von Veldeke Gaben sowie Akte des Gebens und Nehmens auffällig akzentuiert. Dabei sind die Gaben in zahlreichen Episoden der Eneas-Texte wiederum weitaus mehr als nur Requisiten eines Empfangs oder einer Festbeschreibung. Welchen zentralen Stellenwert Gabendiskurse gerade auch im Mittelalter gehabt haben müssen, spiegelt über die mittelalterlichen Texte hinaus die Konzeption des Bildprogrammes der Berliner Eneas-Handschrift (Ms. germ. fol. 282) wider. Denn hier sind zahlreiche Episoden des Romans, in denen von Gaben erzählt wird, auch in den Miniaturen dargestellt.7 Und was es schließlich heißt, von der ›Koinzidenz von Gabe und Gewalt‹ zu sprechen, könnte wohl kaum anschaulicher als mit der Darstellung des Trojanischen Pferdes (fol. 2v) – ähnlich dem Gefäß der Pandora eine ›gewaltbesetzte Gabe‹ par excellence – illustriert werden. Denn anders als alle Geschichten davon, die – den Gesetzen der narratio folgend – die Eroberung Trojas als ein Nacheinander von Gabe und Gewalt erzählen, werden im Bild Gabe (das hölzerne Pferd) und Gewalt (das Troja zerstörende Feuer), werden die Gabe und

5 Vögel, Gedächtnis, S. 59. 6 Friedrich, Diskurs der Gewalt, S. 171. 7 Dargestellt sind folgende Gaben-Szenen: die Gabe der Danaer (fol. 2v); Eneas’ Gaben für Dido: Trinkgefäß und Gewand (fol. 9r); Dido verbrennt die Gaben des Eneas (Ring und Gewänder) und die Objekte (Horn und Schwert), die er bei seinem Aufbruch zurückließ (fol. 17v); in einer Miniatur (fol. 27r) zusammengeführt sind die Gaben des Eneas an Latinus (Zepter und Gefäß) und – in der Antwort des Latinus – die (versprochenen) Gaben für Eneas (Tochter und Krone); die Vulkan-Waffen der Venus für Eneas (fol. 39v); Turnus raubt Pallas einen Ring, der ursprünglich eine Gabe des Eneas gewesen ist (fol. 52r); das Zelt des Eneas, einst eine Gabe Didos an den Geliebten (fol. 61v).

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Erzählte und erzählende Gaben

die Folgen jener zerstörerischen griechischen Macht, die im Inneren der Gabe verborgen ist, simultan dargestellt. Abgesehen von Marie-Luce Chênerie, die die Präsente, von denen im Roman d’Eneas die Rede ist, – aus vor allem motivgeschichtlicher Perspektive – denen in Vergils Aeneis gegenüberstellt,8 sowie von ersten subtilen Beobachtungen zur erzählerischen Funktion der Gaben, die Vögel für den Eneasroman Heinrichs von Veldeke in die Forschungsdebatten eingebracht hat,9 wurde das Thema ›Gabe‹ bisher nicht diskutiert. Selbst in den ansonsten akribisch vergleichenden Analysen von Marie-Luise Dittrich werden die Gaben, von denen sowohl die Aeneis als auch die mittelalterlichen Eneas-Texte erzählen, nur am Rande und zudem unsystematisch erwähnt.10 Aus diesem Grund möchte ich darauf verzichten, die Kontroversen zu Heinrichs von Veldeke Eneasroman sowie zu seinen primären Vorlagen, dem Roman d’Eneas und Vergils Aeneis,11 die sich vornehmlich Fragen zum jeweiligen historisch-politischen Kontext,12 zur Stofftradition,13 zur Auftraggeberschaft,14 zur Überlieferungsgeschichte und Textedition,15 zu religiösen Vorstellungen16 oder zu den von den Texten jeweils verschieden akzentuierten Problemen von Herrschaft und Liebe17 widmen, vorab noch einmal im 8 Chênerie, Le motif des présents. 9 Vögel, Gedächtnis, S. 67, S. 78. 10 Dittrich, »Eneide«, S. 170 f. (Gaben des Eneas an Latinus), S. 138–242 (Vulkans Waffen als Geschenk der Venus an ihren Sohn), S. 290 (Didos Zelt für Eneas) und S. 385–391 (Lavinias Minnegaben). 11 Für Vergils Aeneis verweise ich auf die einschlägigen Bibliographien (EV, die jährlich in der Zeitschrift Vergilius erscheinende Vergilian Bibliography sowie Suerbaum, Vergil-Forschung), die umfassenden bibliographischen Angaben im Anhang der Textausgabe sowie auf das Literaturverzeichnis in Suerbaum, Geschichte und Gegenwart. Die Forschung zum Roman d’Eneas dokumentieren Roman d’Eneas (Anhang: S. 489–492) sowie Dufournet, «Roman d’Eneas». 12 Zu den Geschichtskonzeptionen in Vergils Aeneis und in den mittelalterlichen Eneas-Romanen vgl. Blask, Geschehen (mit einem Resümee zur Vergil-Forschung S. 26–33), Pastré, Auffindung, Kasten, Heinrich von Veldeke, vor allem S. 75–79. 13 Dittrich, »Eneide«, Brandt, Erzählkonzeption, Andreotti Saibene, Rapporti, Fromm, »Eneasroman«, Fisher, »Eneas«, Lienert, Antikenromane, S. 72–102. 14 Bumke, Mäzene, S. 113–118, Bastert, »Klever Hochzeit«. 15 Frings/Schieb, Veldekestudien, Schieb, Überlieferung, Klein, Veldekeproblem, Schröder, »Eneasroman«, vor allem S. 5–24. 16 Dittrich, ›Gote‹ sowie »Eneide«, hier insbesondere S. 43–56, S. 560–564; Kritik an Dittrichs einseitiger Perspektivierung üben vor allem Schröder, »Eneit« in typologischer Sicht und Keilberth, Rezeption. 17 Maurer, Minne, Oonk, Minne und ›Rechte Minne‹, S. 258–273, Groos, Amor, mit einem umfassenden Überblick zur älteren Forschung: Schnell, Causa Amoris,

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Einzelnen zu rekapitulieren.18 Statt dessen werde ich mich dem im antiken Epos und in den mittelalterlichen Eneas-Romanen verhandelten Konnex von ›Gabe und Gewalt‹ auf einem Umweg – und zwar über Betrachtungen zu ›Enites Pferd‹ im Erec Hartmanns von Aue – annähern. Dieser soll vor allem dazu dienen, Fragestellungen zu entwickeln, die wesentlich nachdrücklicher noch als in den Analysen zum AlexanderRoman auf das für literarische Texte besondere Verhältnis von einerseits kulturhistorisch spezifischem Gaben-Wissen und andererseits narrativen Funktionen der Gabe zielen. In Hartmanns Erec erhält Enite von Filledâmur und Genteflûr, den Schwestern des Zwergenkönigs Guivreiz, ein außergewöhnliches Pferd. Es handelt sich hierbei um eine Gabe, die weder erwidert wird noch erwidert werden möchte, die selbstlos ist wie ihre ehemaligen Besitzerinnen überhaupt.19 Dennoch folgt der Erzählung hiervon eine Bemerkung des Erzählers, die hinsichtlich des Übergabeaktes Reziprozität als Interaktionsfigur20 ins Spiel bringt: Gewiß ehren zunächst jene beiden Schwestern Enite mit ihrer Gabe, aber die Anerkennung wird unmittelbar auf sie zurückprojiziert. Berichtet wird nämlich davon, daß sich die beiden Damen glücklich schätzen, weil die überaus schöne und höfische Enite das Pferd für angemessen erachtet und es als Geschenk annimmt.21 Der Erzähler weist also in dieser Partie auf etwas keineswegs Selbstverständliches hin: die Annahme von Gaben, einen Akt, mit welchem gleichzeitig auch der Geber gewürdigt wird, insofern es sich bei dem Empfänger der Gabe um eine sozial herausgehobene Figur handelt.22 Umständlich und voller Widersprüche werden im folgenden die Herkunft und die Geschichte des Pferdes erzählt, und auf solch gewunde-

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S. 188–215, Kellermann-Haaf, Frau und Politik, S. 14–22, Rusinek, Einschreibung der Herrschaft, Kasten, Herrschaft und Heinrich von Veldeke, S. 79–94, Syndikus, Dido, Kistler, Heinrich von Veldeke, Liebertz-Grün, Geschlecht und Herrschaft, Wöhrle-Naser, Minnelehre. Eine umfassendere Auseinandersetzung mit der Forschung erfolgt fortan an jenen Stellen der Arbeit, an denen sich unmittelbarer, als es ein Forschungsüberblick hier leisten könnte, Bezugspunkte zur eigenen Argumentation ergeben. Vgl. des Erzählers Lob auf die Schwestern (Erec V. 7782–7787). Vgl. Haferland, Höfische Interaktion, S. 35–55. Vgl. Erec V. 7283–7285: […] unde wâren des vil vrô | daz siz geruochte von in nemen. | ouch mohte sis vil wol gezemen. Beispiele ›abgelehnter Gaben‹ werden im einführenden Kapitel der Arbeit sowie ausführlich – mit einem Exkurs zum Nibelungenlied – in den Analysen zum Rolandslied (Kapitel 4.2.1) diskutiert.

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nem Pfad erfährt der Rezipient, daß es sich bei der Gabe an Enite um ein geraubtes Objekt handelt,23 welches dem bestohlenen Zwerg aufgrund seiner Einzigartigkeit immerhin driu tûsent marke […] von golde (Erec V. 7417 f.) wert gewesen sei.24 Doch hat jene kostbare Gabe nicht nur eine eigene Geschichte, der Pferdekörper selbst ist voll diskursiver Spuren. Es handelt sich um eine ›stigmatisierte Gabe‹25 im zweifachen Sinne: Erstens ist sie als geraubtes – statt etwa rechtmäßig weitergereichtes beziehungsweise erworbenes – Objekt historisch stigmatisiert. Und zweitens ist die Gabe – im Unterschied zur ersten Form der Stigmatisierung nun nicht im Sinne eines Defekts oder Defizits26 – sichtbar gezeichnet. Das Pferd trägt historisches, mythologisches und kosmologisches Wissen in seinen Sattel wie auch in Satteldecke und -kissen eingewirkt durch die erzählte Welt. Damit ist die Beschreibung des Pferdes, welches über sein Bildprogramm hinaus als optisch, akustisch

23 Wiewohl vermeintlich unerschöpfliche Freigebigkeit – eine ›Ökonomie des Überflusses‹ – zur Selbstverständlichkeit adeliger Existenz, zu ihrer permanenten Selbstdarstellung und Bestätigung gehört, scheint der Ursprung kostbarer Gaben weitaus erklärungsbedürftiger zu sein, als dies bisher von der mediävistischen Forschung erkannt wurde. Diese interessiert sich – wie im Forschungsüberblick bereits umfassender dargestellt – vor allem für das Problem fürstlicher milte, diskutiert auch den Widerspruch zwischen milte und mâze, der zuweilen in den Texten selbst thematisiert wird, geht aber kaum der Frage nach, ob auch von den Ursprüngen des Reichtums oder besonders exklusiven Gaben erzählt wird. Müllers Analysen zum Nibelungenlied bilden hier eine Ausnahme. Denn er liest den milte-Diskurs und die im Nibelungenlied erwähnten Geschichten der Gaben im Zusammenhang: Kriemhilts Freigebigkeit hat mit dem Hort einen mythischen Ursprung (hierzu Spielregeln, S. 350 f.). Gotelints Freigebigkeit wird von Hagen provokativ an ihre Grenzen geführt, als er von ihr einen Schild erbittet, der einst dem von Witege erschlagenen Nuodung gehörte, und dessen Tod sie nun erneut beweinen muß (hierzu S. 143 f.). 24 Das heißt, der geschädigte Zwerg wäre bereit, für etwas, das eigentlich ohnehin ihm gehört, einen sehr hohen Preis zu zahlen. Nach Godelier folgen Raub und Gabe einer ähnlichen Logik: »Der Diebstahl ist das Gegenteil der Gabe. Aber hinter der Gabe und dem Diebstahl steht dieselbe Logik« (Rätsel der Gabe, S. 186). Dies gilt allerdings nur dann – um Godeliers These zu präzisieren –, wenn es sich um eine Gabe handelt, die zu einer weitaus höheren – den Empfänger unter Umständen ruinierenden – Gegengabe herausfordert. 25 Zur Einführung des Begriffs vgl. 1.2.1. 26 In Anlehnung an Goffman (Stigma, besonders S. 9) unterscheide ich zwischen Gaben, welche aufgrund ihrer Geschichte (etwa durch den Tod eines Vorbesitzers, durch Raub oder einen Fluch) moralisch stigmatisiert sind, und solchen, die mit einem wahrnehmbaren Mal (im weitesten Sinne) physisch gezeichnet sind. Diese Differenzierung – so zeigt das Beispiel – schließt freilich nicht aus, daß eine Gabe in der einen und in der anderen Weise stigmatisiert sein kann.

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und haptisch wahrnehmbares ›Megazeichen‹ in Szene gesetzt wird, auch eine Gabe des Erzählers an den Rezipienten, der diesen auf jene Weise mit Wissen aus unterschiedlichen Bereichen versorgt, welches er ansonsten – so die Behauptung – kaum ohne schaden und nur mit lützelm vrumen (Erec V. 7634) erwerben könnte. Der fingierte Rezipient scheitert selbst kläglich, als er versucht, etwas zur Beschreibung des Pferdes beizutragen.27 Das Wissen um die Gestalt des Pferdes mit all jenen Informationen, die es durch die erzählte Welt trägt, ist – so wird es jedenfalls in Szene gesetzt – für den Rezipienten allein nicht erschließund verfügbar. Sobald er versucht, ohne die Hilfe des Erzählers selbst dieses Wissen zu rekonstruieren, muß er erfahren, daß sich die Textur des Pferdes seiner Verfüg- und Beherrschbarkeit entzieht. Und so wird der Rezipient in seine Rolle als Konsument verwiesen, wird er vom Erzähler gezwungen, dessen Gabe, die noch einzulösende Geschichte, anzunehmen oder sich ihr zu verweigern. Hartmann betreibt für die Inszenierung eines nach dem Prinzip von Frage und Antwort aufgebauten Dialogs zwischen dem Erzähler und einem fingierten Rezipienten wie auch für die an einer noch kaum gedachten und ›ungezügelten‹ Idee orientierten Darstellung28 des auserlesenen Tieres einen weitaus größeren Aufwand, als es noch Chrétien in seinem Roman Erec et Enide getan hat.29 Die Satteldecke repräsentiert Makro- und Mikrokosmos: die Schöpfung mit all ihren Wundern, deren vier Grundelementen samt den dazugehörigen Lebewesen. Das Sattelkissen ist dagegen mit einer Geschichte bestickt, mit der die »Grenzen des Eigentextes«30 hin zu einer anderen Erzählung überschritten werden: Als Abbreviatur des antiken Mythos ist die Erzählung von Pyramus und Thisbe31 dargestellt, deren verbotene Liebe für

27 Erec V. 7493–7525. 28 Erec V. 7366–7388. 29 Erec et Enide V. 5319–5353. Vgl. hierzu Worstbrock, Dilatatio materiae, insbesondere S. 20–27; mit Verweisen auf die ältere Forschung: Wandhoff, Gemalte Erinnerung, S. 70–74. Auffällig ist, daß die Forschung bei all ihren Versuchen, die Darstellungen auf Enites Pferd im Zusammenhang zu lesen wie auch auf die Erec-Enite-Handlung zu beziehen, zu keiner wirklich stimmigen und überzeugenden Interpretation gelangt ist. Aufgrund dieses Befundes stellt sich die Frage, ob die Beschreibung des Pferdes nicht eher einer Logik folgt, bei der es vielmehr auf die Regeln des – vorsichtig formuliert: fiktiven – Erzählens als auf die erzählte Welt ankommt, und ob sich der moderne Leser von Hartmanns ›Gabe‹ nicht ähnlich fehlleiten läßt wie der fingierte Rezipient im Text. 30 Draesner, Wege, S. 433. 31 Vgl. etwa Ovids Metamorphosen, Buch IV, V. 55–166.

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beide tödlich endet.32 Ihres Verstandes beraubt, so der Kommentar des Erzählers, opfern sie sich, weil sie den Tod des anderen nicht ertragen. Pyramus beantwortet den vermeintlichen Tod Thisbes, indem er sich selbst den Tod gibt, und auch Thisbes letzte ›Liebesgabe‹ an Pyramus ist der Tod. An eine andere unglückliche Minnebeziehung, die allerdings nur ein Opfer fordert, erinnert unter anderem das Bildprogramm des Sattels. Eingebunden in die Gründungsgeschichte des italischen Reiches, welche bis zum trojanischen Krieg und zum Untergang Trojas zurückgeführt wird, erscheint das Bild der von Eneas verlassenen karthagischen Königin Dido.33 Da innerhalb der Forschung wohl längst ein Konsens darüber besteht, daß die exaltierte Minne Didos nicht moralisch zu bewerten sei,34 geht es mir bei der angeführten Partie weniger darum, konträr zu den Ansichten der älteren Forschung35 noch einmal nachzuweisen, daß im Rahmen der mittelalterlichen Rezeption der Dido-Episode die Schuldzuweisung wenn überhaupt Eneas, aber keineswegs die karthagische Herrscherin trifft. Vielmehr möchte ich anhand der dargestellten Episode, in welche mittels Gaben die Dido-Geschichte eingespielt wird, exemplarisch vorführen, daß das literarische Erzählen von einer Gabe verschiedenen Logiken folgen kann. Ausgehend von diesen Beobachtungen, die ich im folgenden systematisieren und präzisieren möchte, sollen erste Fragen für die Analysen zur Bedeutung der Gabe in der Aeneis und in den mittelalterlichen Eneas-Romanen entwickelt werden: Einerseits ist die Gabe Objekt von Transaktionen in der epischen Welt; können die literarischen Texte als Archive aufgefaßt werden, welche mittelbar einen Zugriff auf kulturspezifisches Gaben-Wissen ermöglichen, beziehungsweise Aussagen zu Entwürfen und Inszenierungen eines solchen zulassen: Erzählt wird vom Ursprung der Gaben, von 32 Hartmann (Erec V. 7707–7713) führt diese gegenüber Chrétien erst ein. Zur Rezeption der Sage von Pyramus und Thisbe im Mittelalter vgl. Schmitt-von Mühlenfels, Pyramus. 33 Vgl. Erec V. 7557–7562: […] wie in in ir genâde nam | diu rîche vrouwe Dîdô, | unde wie er si dô | ungeselleclîchen liez | und enleiste ir niht des er gehiez: | sus wart diu vrouwe betrogen. Die Dido-Geschichte ist von Chrétien übernommen: Li arçon estoient d’ivoire, | S’i fu antailliee l’estoire, | Comant Eneas vint de Troie, | Comant a Cartage a grant joie | Dido an son lit le reçut, | Comant Eneas la deçut, | Comant ele por lui s’ocist […] (Erec et Enide V. 5337–5343). 34 Vgl. hierzu auch Vögel, Gedächtnis, S. 63. 35 Maurer, Minne, Zitzmann, Didohandlung, S. 270–274, Oonk, ›Rechte Minne‹, insbesondere S. 262–268, von Gosen, Das Ethische, S. 226–262; zu Ausnahmen in der älteren Forschung vgl. Vögel, Gedächtnis, S. 63.

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Gabenzirkulation und wechselnden Besitzern, von materiellen, ökonomischen und symbolischen Ressourcen wie vom sozialen oder auch politisch-diplomatischen Verhalten derjenigen, welche an den Transaktionen beteiligt sind. So unterstreicht die Gabe – wie im Fall von Enites Pferd – die freundschaftlichen oder verwandtschaftlichen Verhältnisse zwischen den Figuren; werden funktionale Dimensionen des sozialen Interagierens mit einem kostbaren, mehrere Sinne ansprechenden Objekt repräsentativ vorgeführt. Weiterhin kann die Gabe als Trägerin von Informations- und Kommunikationsleistungen auf unterschiedliche Weise im Rahmen der erzählten Handlung kodiert sein – etwa als Botschaft oder Memorialgegenstand. Andererseits können Gaben für den Aufbau und die Organisation der narratio funktionalisiert sein, indem sie nämlich als Requisiten verwendet werden, mit denen – »im Dienst erzählerischer Ökonomie«36 – zusätzliche sinnkonstituierende Informationen in den Text hineingeholt werden, und zugleich mit der Einführung der Gegenstände der vollzogene Ebenenwechsel auffällig markiert wird. Das heißt, in ihrer Funktion als in einer Interaktion transferierte Gaben sind sie in der erzählten Welt handlungslogisch verortet und begründbar. Doch ferner weisen sie als ›wissens-trächtige‹ Objekte aus der jetzt und hier erzählten Welt hinaus, bieten sie dem Erzähler die Möglichkeit, auf Vergangenes sowie Zukünftiges aus der erzählten Welt selbst vor- und zurückzugreifen oder vielmehr noch – wie in dem angeführten Beispiel – zusätzliches Wissen, welches in irgendeinem Zusammenhang zur erzählten Geschichte stehen kann oder als solches inszeniert wird, für den Rezipienten einzubringen oder nachzureichen. Mit der entsprechenden Kurzversion der unglücklichen Liebesgeschichten von Dido und Eneas wie Pyramus und Thisbe wird die Gabe, deren erzählte Eigengeschichte selbst schon eine Rückblende und Komplexion der narratio ermöglicht, zugleich zur Trägerin intertextueller Verweise.37 Ausgehend von der Dido-Geschichte, an die Enites Pferd erinnert, soll auf jenen unterschiedlichen Ebenen – die Logik der Handlung, die der narratio sowie Aspekte der Rezeption im Blick – den einzelnen Dimensionen der Gabe in der Aeneis und den mittelalterlichen EneasRomanen nachgegangen werden. Mit der Frage nach der Bedeutung

36 Draesner, Wege, S. 213. 37 Es kann hier nicht der Ort sein, ausführlicher auf die Intertextualitätsdebatten einzugehen. Vgl. dazu – wenngleich Gaben als Träger intertextueller Verweise dort nicht behandelt werden – die nach wie vor wichtige Arbeit von Draesner, Wege.

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von Gaben als Trägerinnen der Erinnerung, der Antizipation oder übergeordneter Geschichten werden auch die Eneas-Texte aus keiner ausschließlich historisch-anthropologisch orientierten Perspektive analysiert, sondern die Untersuchungen sollen – wie dies bereits im Einleitungskapitel programmatisch formuliert ist – an der Schnittstelle von Anthropologie und poetologischen sowie narratologischen Interessen situiert werden. Sowohl in der Aeneis als auch in den mittelalterlichen Texten versucht Juno, die große Widersacherin der Trojaner, Eneas immer wieder aufs neue von seiner Reise nach Italien abzubringen. Hierzu gehört auch die Inszenierung eines gewaltigen Seesturmes, der die Schiffe auseinandertreibt, mit denen es Eneas gelungen war, aus Troja zu fliehen. Eneas wird, nun nach bereits sieben Jahre währender Irrfahrt, an die Küste Libyens verschlagen und daraufhin ehrenvoll von der in Karthago herrschenden Königin Dido empfangen. Sowohl im antiken Epos als auch in den mittelalterlichen Eneas-Romanen würdigen sich Dido und Eneas gegenseitig mit verschiedenen Kostbarkeiten. In Heinrichs von Veldeke Eneasroman werden insbesondere Didos Gaben für o Eneas im Hinblick auf Qualität und Quantität als Gaben vz der mazen 38 (Eneas 37, 21) dargestellt. Zunächst soll analysiert werden, um welche Dinge es sich en détail in den einzelnen Texten handelt,39 und welchen Stellenwert diese Gaben in der Beziehung zwischen Dido und Eneas jeweils einnehmen (3.2 Stellvertretung II: Minne-Gaben). Als Eneas Libyen verläßt, um seiner Berufung zur Gründung eines neuen Reiches auf italischem Boden nachzukommen, verbrennt Dido zuerst

38 Insofern ich nicht auf eine andere Ausgabe verweise, zitiere ich den Eneasroman Heinrichs von Veldeke im folgenden nach Eneas [Hs. B]. 39 Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Vergils Aeneis und den mittelalterlichen Texten ist viel diskutiert worden. An diese Diskussionen möchte ich anknüpfen und versuchen – über die bisherigen Forschungsergebnisse hinaus – Aussagen auch über das Gabenverständnis treffen zu können. Anders als in der im zweiten Kapitel besprochenen Alexander-Tradition variiert in den Eneas-Texten nicht nur die Art und Weise, in der von den Gaben erzählt wird, sondern die Gaben selbst und ihre Geschichten heben sich in den einzelnen Texten noch deutlicher voneinander ab. Daher werde ich in diesem Kapitel stärker, als ich es für die Interpretationen zum Straßburger Alexander getan habe, die ›Vorlagen‹ des deutschsprachigen Textes in die Analysen einbeziehen. Wie ich bereits im Einleitungskapitel (1.3) formuliert habe, ist es mir ein Anliegen, auf diese Weise kulturanthropologische und kulturhistorische Unterschiede zwischen Gaben- und Opferauffassungen, wie sie das antike Epos präsentiert, und mittelalterlichen Entwürfen herauszuarbeiten.

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sämtliche Gegenstände, welche ihr von Eneas geblieben sind, um sich schließlich selbst in die alles zerstörenden Flammen zu stürzen. Diese Passage soll in einem eigenen Teilkapitel diskutiert werden (3.3 Moloch II: Zerstörte Gaben und Didos Tod). Ganz anders verhält es sich hingegen mit den Gaben, welche Eneas von Dido bekommen hat. Diese Dinge bleiben erhalten und werden – dem Rezipienten – im Fortgang der Erzählung mehrfach in Erinnerung gerufen.40 Ihren Spuren werde ich in einem weiteren Abschnitt zur Dido-Eneas-Geschichte (3.5 Stellvertretung III: memoria und Repräsentation) nachgehen. Ausschließlich die mittelalterlichen Eneas-Romane werden im Zentrum des vorletzten Teilkapitels stehen. Denn in den Blick soll die gegenüber der Aeneis ausführlich geschilderte Lavinia-Episode rücken, welche in der Forschung wiederholt als Gegenentwurf zur Dido-Geschichte41 oder auch als auserzählte Erfüllung der göttlichen Vorsehung beschrieben wurde.42 In Anbindung an die bisherigen Diskussionen möchte ich der Frage nachgehen, ob sich auch das in den mittelalterlichen Texten entworfene Gabenverständnis der italischen Königstochter von dem der libyschen Herrscherin abheben läßt (3.7 Versäumte Gaben und Lavinias Brief). Darüber hinaus soll vorgeführt werden, wie ausgehend von den Analysen zu Vorstellungen des Gebens beide Minnegeschichten neu zu perspektivieren wären. Unter den Stichpunkten ›Geschichte‹ und ›Diplomatie‹ (3.4 Gabe, Gastfreundschaft und Gewalt II) sowie 40 Vgl. Vögel, Gedächtnis, insbesondere S. 67. 41 Für Dittrich (»Eneide«, vor allem S. 310, S. 476 u. ö.] sowie Oonk (›Rechte Minne‹, S. 262–268, S. 270 f.) ist die Liebe Didos in den mittelalterlichen Texten vom Teufel initiiert und selbstbezogen, die der Lavinia hingegen stehe im Einklang mit Gott. Ähnlich kontrastiert Wenzel (Frauendienst, S. 149 f.) Dido- und LaviniaMinne als Teufels- versus Gottesminne. Im Bild des Amor mit seinen zwei verschiedenen Pfeilen, auf welches die italische Königin verweist (Eneas 264, 18–265, 5), will Maurer, Minne ›rechte‹ und ›falsche‹ Minne – Lavinia- und DidoMinne – gespiegelt sehen. Von Gosen behauptet, »die bespielhaft vorgeführte Moralität der Lavinia-Minne« impliziere »eine Abwertung der Dido-Minne« (Das Ethische, S. 262). Bereits Schröder wendet sich gegen eine solche Interpretation der beiden Beziehungen als Negativ- und Positivexempel der Minne. Didos Minne unterscheide sich nicht »wesenhaft« von der Lavinias, sondern nur dadurch, daß sie unglücklich ende (Dido und Lavinia, insbesondere S. 32). 42 Zitzmann (Didohandlung, insbesondere S. 261, S. 273) bezeichnet beispielsweise die Dido-Handlung als erosgebundenes und der christlichen Liebe entgegengerichtetes »Vorspiel« zur Lavinia-Episode. Gegen moralisierende Interpretationsansätze argumentiert Vögel zu Recht erzähllogisch: »Dido scheitert nicht aufgrund einer defizitären Minne, sondern weil sie gemäß dem geschichtlichen Telos der Handlung scheitern muß« (Gedächtnis, S. 63). Zur Erfüllung der fata in der Lavinia-Minne vgl. S. 69.

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›Prophezeiungen‹ (3.6 Zukünftiges: Die Waffen der Venus) werde ich den Gaben, welche Eneas auf seiner Fahrt nach Italien sowie später im Bestimmungsland selbst gibt und empfängt, zwei Partien, seinem Freigebigkeitsverhalten anläßlich der Hochzeit mit Lavinia sodann den abschließenden Teil (3.8 Gabe und Gastfreundschaft II: Eneas’ Freigebigkeit oder über die Inszenierung des vollendeten Herrschers) widmen.

3.2 Stellvertretung II: Minne-Gaben si – ey ei ei – hospes felicior, hospita uix largior aliquo perci – ei ei ei ei ei ei ei ei ei ei – pitur. (Carmina Burana 98, I, 7–9) (Vielleicht gibt es Gäste, die noch mehr Glück hatten, kaum jedoch eine Gastgeberin, die sie an Großherzigkeit übertreffen könnte.) Ne dederit gratis quae dedit, usque dabit. (Ars amatoria I, 454) (Was sie dir gab, gibt sie stets, daß sie umsonst es nicht gab.)

3.2.1 Das Trojanische Pferd Im ersten Buch der Aeneis wird berichtet, wie Aeneas an der Küste Libyens landet. Die Gründungsgeschichte Karthagos wie auch der Anspruch der über dieser Stadt thronenden Juno auf die künftige Weltherrschaft43 stehen von Beginn an dem Schicksal des Aeneas, welches Juppiter der besorgten Venus prophezeit hatte,44 rivalisierend gegenüber.45 Mit der Begegnung von Dido und Aeneas in der Aeneis werden – 43 Aeneis I, 15–18: […] quam Iuno fertur terris magis omnibus unam | posthabita coluisse Samo: hic illius arma, | hic currus fuit; hoc regnum dea gentibus esse, | si qua fata sinant, iam tum tenditque fovetque. 44 Zu Juppiters Verheißung der Herrschaftsbegründung in Latium durch Aeneas und zur genealogischen Vorausschau bis Julius Cäsar vgl. Aeneis I, 256–296; dazu Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, insbesondere S. 303. 45 Pöschl bezeichnet dies (Carthago Italiam contra, Aeneis, I, 13) gar als das »Hauptthema« (Dichtkunst, S. 14) des vergilschen Epos, und: Aeneas und Dido seien »Symbole für Rom und Karthago« (S. 55). Zur Kritik am symbolisch-allegorischen Interpretationsansatz à la Pöschl vgl. Suerbaum, »Aeneis«-Forschung, S. 85–89.

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so die einschlägigen Interpretationen – die historisch gegebenen Machtkämpfe zwischen Rom und Karthago von Vergil »in eine mythische Vergangenheit«46 zurückprojiziert. Doch noch bevor Aeneas die karthagische Königin überhaupt erblickt, wird er in dem der Göttin Juno geweihten Tempel in Gestalt eines Bildprogramms mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, und auch der Rezipient des Textes erfährt an dieser Stelle zum ersten Mal ausführlicher etwas über den Kampf um Troja und den Untergang des Reiches.47 Der Tempel ist – ähnlich wie Archive, Bibliotheken und Museen – ein Ort der Erinnerung,48 an den man immer wieder zurückkommen muß, um die Erinnerung wachzuhalten. Doch weder Aeneas noch der Erzähler – etwa mittels narrativer Rückblende – kehren nach Karthago zurück; eine vergleichbare Rückschau auf die vergangenen Geschehnisse findet erst wieder in der Unterwelt statt. Haiko Wandhoff beschreibt den Fries als ein »in zentraler Öffentlichkeit installiertes Bilddenkmal«, welches »die Identität des Fremden als die eines Abkömmlings der Aeneaden und eines Überlebenden des Troja-Krieges« rekonstruiere, und wofür ihm auch in Karthago »Ruhm und Ehre« zuteil werden.49 Andererseits aber zeugt es von eben jenem verheerenden Krieg, welchen Juno bis zum Untergang Trojas vorangetrieben hatte. Die Darstellung des trojanischen Krieges verweist darauf, daß Dido die Vorgeschichte des Aeneas kennt. Doch ihre Gastfreundschaft gegenüber den Trojanern beruht weniger auf diesem Wissen als vielmehr auf einem Gebot Juppiters, der vor allem im Sinne der Liebesgöttin agiert.50 Bis zum Aufbruch des Aeneas nach Latium wird nun Kar-

46 Kasten, Herrschaft und Liebe, S. 233. Herzog beschreibt das vergilsche Thema »der geschichtlich bereits vergangenen Zukunft der fata« (Vergessen, S. 83) als »zweite[n] memoriale[n] Rahmen« der Aeneis neben der handlungslogisch entscheidenden »mythischen memoria« (S. 81) Junos. Zu Vergils Geschichtskonzeption im Überblick und unter Berücksichtigung der älteren altphilologischen Forschung vgl. Blask, Geschehen, S. 26–33, ferner Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 29 f. 47 Aeneis I, 456–493; vgl. dazu Herzog: Die Wiedererinnerung des Helden wird, indem er das Bildprogramm Stück für Stück betrachtet und entziffert, »noch einmal erinnernd« dargeboten. Erst nachdem sich Aeneas im Fries begegnet, ist er fähig seine Vergangenheit selbstdeutend in Distanz zu dem Bildprogramm zu erzählen (vgl. Vergessen, S. 96–98). 48 Vgl. zu solchen »Institutionen der Erinnerung« LeGoff, Geschichte, S. 94, A. Assmann, Erinnerungsräume, insbesondere Kapitel II: »Die Säkularisierung des Andenkens – Memoria, Fama, Historia«. 49 Wandhoff, Gemalte Erinnerung, S. 67. 50 Aeneis I, 298–300.

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thago zum Kampfplatz, auf dem Juno und Venus ihren seit dem Urteil des Paris währenden und für Dido und Aeneas folgenreichen Streit fortsetzen.51 Nach der Ankunft der Trojaner läßt die karthagische Königin ein Dankfest für die Götter veranstalten und sendet – in einem ersten Akt der Gastfreundschaft – auch den noch am Strand weilenden Gefährten des Aeneas Opfertiere (suovetaurilia).52 Über diese ›Gaben zur Freude des Tages‹ (munera laetitiamque dii, Aeneis I, 636) hinaus bietet Dido den Trojanern sicheres Geleit sowie reichlich Güter an, sollten sie sich zur Weiterreise entschließen. Noch generöser ist ihr Angebot für den Fall, daß Aeneas und seine Gefährten in Karthago bleiben möchten. Dann nämlich, so das Versprechen der karthagischen Herrscherin, gehöre die von ihr begründete Stadt gleichermaßen den Trojanern wie den Tyrern.53 Während Dido ein königliches Mahl zu Ehren ihrer Gäste vorbereiten läßt, schickt Aeneas nach seinem Sohn Ascanius, den er auf dem Schiff zurückgelassen hatte. Dieser möge die aus den Flammen Trojas geretteten Kostbarkeiten mitbringen, welche den Trojanern auch nach den Seestürmen noch geblieben sind. Jene prunkvollen Dinge möchte Aeneas der großzügigen Gastgeberin zum Geschenk machen:

51 »Die vergilschen Götter«, so Herzog, »kennen nicht mehr den Eigenraum mythisch entlasteter […] Geschichten.« Insbesondere Juno wird als »Gefangene ihrer memoria« dargestellt, welche in ihrem Handeln immer wieder auf ein Ereignis rekurriert und in ihrem Zorn darüber das Geschehen gegen Venus und Juppiter vorantreibt. Herzog zeigt, daß dies so weit reicht, bis schließlich »der Werkrahmen selbst, das Ende des Epos, ausdrücklich als Ende eines Handlungsspielraumes Junos markiert wird« (Vergessen, S. 81 f.). 52 Aeneis I, 632–636; zu den antiken Opferbräuchen vgl. insbesondere Burkert, Opfertypen, vor allem S. 172–176, van Straten, Gifts for the Gods; speziell zum römischen Tier-, genauer Speiseopfer vgl. Cancik-Lindemaier, Tun und Geben. Wiewohl von Tiergeschenken, speziell kostbarem Wild, auch in der mittelalterlichen Überlieferung berichtet wird (vgl. hierzu etwa Ehm, Geschenkpraxis, S. 71), erzählen weder der Roman d’Eneas noch der deutsche Eneasroman, daß die Trojaner von der karthagischen Königin Gaben dieser Art erhalten hätten. Damit blenden sie an dieser Stelle die dem Mittelalter fremden Opferbräuche vollkommen aus. Auf Alternativen – nämlich die narrative Transformation eines antiken Opferrituals in ein mittelalterlich-höfisches Fest – werde ich im Rahmen meiner Interpretation der Euander-Episode näher eingehen (3.4.4). 53 Aeneis I, 569–573: ›[…] seu vos Hesperiam magnam Saturniaque arva | sive Erycis finis regemque optatis Acesten, | auxilio tutos dimittam opibusque iuvabo. | voltis et his mecum pariter considere regnis: | urbem, quam statuo, vestra est […].‹

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munera praeterea Iliacis erepta ruinis ferre iubet, pallam signis auroque rigentem et circumtextum croceo velamen acantho, ornatus Argivae Helenae, quos illa Mycenis, Pergama cum peteret inconcessosque hymenaeos, extulerat, matris Ledae mirabile donum; preterea sceptrum, Ilione quod gesserat olim, maxima natarum Priami, colloque monile bacatum et dublicem gemmis auroque coronam. […] regius accitu cari genitoris ad urbem Sidoniam puer ire parat, mea maxima cura, dona ferens pelago et flammis restantia Troiae […]. (Aeneis I, 647–655; 677–679) (Außerdem läßt er Geschenke – entrissen aus den Trümmern Iliums – bringen: starrend von Gold und bilderdurchwoben eine Palla, und einen von krokosfarbenem Akanthus umsäumten Schleier – einst Schmuck der Argiverin Helena –; sie trug ihn mit fort, als sie aus Mykene nach Pergamus zur unerlaubten Vermählung eilte. Hin zur sidonischen Stadt, vom lieben Vater gerufen, macht der Königsknabe sich auf, das Kind meiner Sorgen, bringt als Gaben, was das Meer und Trojas Flammen ihnen ließ.)54

Die benannten Gaben zeichnen sich nicht nur durch ihren hohen materiellen Wert aus. Es handelt sich gleichzeitig um Objekte, die der (Selbst-)Darstellung des trojanischen Helden dienen. Denn aufgelistet wird – zumindest als ein für den Rezipienten verfügbares Wissen –, woher die einzelnen Dinge stammen. Sie verweisen auf Ursprung und Geschichte ihres Gebers zurück: Von dem goldenen Gewand etwa, in dessen Stoff aufwendig Bilder eingewebt sind, wie ebenso von dem mit Akanthusblüthen umsäumten Schleier wird berichtet, daß sie ursprünglich Helena gehörten. Sie trug diese Kleider, als sie von Paris, dem Sohn des trojanischen Königs Priamus, nach Troja entführt wurde. Die – man könnte sagen, im weitesten Sinne genealogisch bestimmte – Geschichte ihres Schleiers reicht überdies noch weiter zurück. Denn erzählt wird von ihm auch, daß Helena ihn einst von ihrer Mutter Leda bekommen hatte. Die Besitzerin des Schmuckes hingegen war Ilione, die älteste Tochter des trojanischen Königs Priamus und Königin von Thrakien. Mit Helenas Gewand wird die Geschichte von dem an Menelaus begangenen Frauenraub, der von Venus initiiert 54 Die Übersetzungen aller im Haupttext zitierten lateinischen, altfranzösischen und mittelhochdeutschen Passagen sind in mehr oder weniger enger Anlehnung an die im Literaturverzeichnis angegebenen Übertragungen formuliert.

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wurde, in den Text eingeführt. Die Griechen rächten sich an dem Entführer Paris und seinem Geschlecht, indem sie die Trojaner solange bekämpften, bis von ihrer Stadt nahezu nichts als Asche zurückblieb. Nachdem Aeneas dem brennenden Troja den Rücken gekehrt hat – so ließe sich die Gabe an Dido interpretieren –, trennt er sich nun, als er Helenas Kleider und Iliones Schmuck weggibt, ein zweites Mal von einem Teil seiner Vergangenheit. Er läßt damit nicht nur Krieg und Zerstörung hinter sich, sondern verzichtet auf materielle Träger der Erinnerung, Objekte, die seine Herkunft wie auch die Gründe seiner Flucht ins Gedächtnis rufen können. Die Kostbarkeiten, die ursprünglich Ilione gehörten, besitzen nicht allein die Funktion, die Schönheit einer mächtigen Frau zu unterstreichen, sondern zugleich politische Dimensionen. Denn neben einem Perlenhalsband vergibt Eneas mit Kronreif und Zepter auch die Insignien ihrer Macht. Insofern löst er sich vor allem – so scheint es an dieser Stelle – von dem einst über Troja hinaus herrschenden Geschlecht der Priamiden, mit denen er selbst vor allem durch seine Gattin Creusa, ebenfalls einer Tochter des Königs Priamus, verbunden war. Aeneas vergibt hiermit Dinge, die für die Trojaner unveräußerlich sein sollten, weil sie einen Teil ihrer Geschichte, ihrer Identität und der ursprünglich in Troja herrschenden Dynastie darstellen. In ihrer Bedeutung reichen sie nahe an jene Dinge heran, die Annette Weiner »inalienable possessions« – unveräußerliche beziehungsweise nicht übertragbare Besitztümer – nennt,55 und welche von Maurice Godelier als »heilige Objekte«56 einer Gemeinschaft bezeichnet werden.57 Es handelt sich also um Gegenstände, die man weder verschenkt noch tauscht oder gar verkauft, solange diese Gemeinschaft existiert oder: man sich ihr zugehörig fühlt. Aber statt die aus Troja stammenden königlichen Schätze aufzubewahren, löst sich Aeneas davon und bringt auf diese Weise zum Ausdruck, daß er – zumindest partiell – auf jene Zugehörigkeit verzichtet,58 nachdem er die kostbaren

55 Weiner, Inalienable Possessions, insbesondere S. 36–40. 56 Godelier, Rätsel der Gabe, S. 169 u. ö. 57 Das Heiligste überhaupt – die Penaten, die er aus Troja mitgenommen hat – bleiben freilich in seinen Händen. 58 Stützen ließe sich diese Interpretation durch jene Episode, in der Aeneas im Traum von Hektor zur Flucht aus dem brennenden Troja aufgefordert wird, und zwar – dies erscheint mir hier besonders wichtig – mit dem Argument, er habe nun genug für Priamus und das trojanische Reich getan: ›[…] sat patriae Priamoque datum […]‹ (Aeneis II, 291). Erst später erfährt man, daß sich Aeneas in Karthago nur von einigen wenigen aus Troja mitgeführten Schätzen trennt und nach und nach weitere Objekte vergibt. Diese unterscheiden sich aber insofern

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Gaben zunächst zur Legitimation seines ruhmvollen Ursprungs vorgeführt hatte. Es sind Gaben, mit denen Aeneas aufgrund ihres materiellen und symbolischen Wertes seinen eigenen Status unterstreicht, gleichzeitig aber auch Dido seine Achtung erweist. Denn schließlich wurden das Gewand, der Schmuck sowie die herrschaftlichen Insignien von Königstöchtern getragen, die mit der Geschichte des trojanischen Reiches eng verbunden waren. Und dennoch: Obwohl diese Gaben aufgrund ihrer materiellen und symbolischen Qualitäten der karthagischen Königin würdig sind, handelt es sich zweifelsohne gleichzeitig um Trägerinnen einer Untergangsgeschichte. Untrennbar mit den Objekten verschmolzen, wechselt nämlich auch deren unsichtbares historisches Stigma auf die neue Besitzerin. Die Gaben werden Dido bereits in dem Augenblick, in dem sie sie empfängt, zum Verhängnis.59 Denn Venus, die nach wie vor die Intrigen ihrer Gegenspielerin fürchtet, greift in das Geschehen ein. Nicht Ascanius, der Sohn des Aeneas und der Trojanerin Creusa, wird nach dem Willen der Göttin die Gaben überreichen, sondern Cupido in dessen Gestalt. Cupido soll Dido in Leidenschaft an Aeneas binden, um zu verhindern, daß sich möglicherweise auf Junos Agieren hin Didos Wohlwollen gegenüber den Gästen in Mißgunst verkehre.60 Gleichzeitig mit den – ohnehin qua ihrer Herkunft und Geschichte stigmatisierten – Gaben, die ebenso wie die Schönheit des Knaben alle Blicke bündeln und großes Staunen im Saal erwecken, übernimmt Dido die unheilvolle Liebe zu Aeneas. In dem Maße, wie die Zärtlichkeiten Cupidos wirken, und sie dem Trojaner verfällt, verblaßt in ihren Gedanken das Bildnis ihres ermordeten Gatten Sychaeus. Die Gaben, die einerseits an die Vorgeschichte des Aeneas erinnern, von den Gaben an Dido, als sie entweder innerhalb der Gemeinschaft zirkulieren (vgl. dazu 3.4.2) oder in absehbarer Zeit an Aeneas zurückkehren werden (vgl. dazu 3.4.3). Endgültig entsagt er also – und dies wiederum indiziert zugleich Brüche und Kontinuitäten in der Gründungsgeschichte – nur jenen Objekten, die ursprünglich Frauen gehörten. 59 In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals auf Goffman verweisen, auch wenn dieser von stigmatisierten Körpern – und nicht wie ich von Gaben – spricht: Er thematisiert ebenfalls die (unter bestimmten kulturellen und sozialen Umständen mögliche) Übertragbarkeit von Stigmata (Stigma, S. 13) wie die Gefahren, die von Stigmatisierten ausgehen können oder ihnen auch nur (in bestimmten sozialen Konstellationen und Räumen) zugeschrieben werden (Stigma, S. 14). 60 Aeneis I, 657–660: At Cytherea novas artes, nova pectore versat | consilia, ut faciem mutatus et ora Cupido | pro dulci Ascanio veniat donisque furentem | incendat reginam atque ossibus inplicet ignem.

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lassen andererseits aufgrund der Weise, wie sie überbracht werden, Karthagos Herrscherin einen Teil ihrer Vergangenheit vergessen: mirantur dona Aeneae, mirantur Iulum flagrantisque dei voltus simulataque verba pallamque et pictum croceo velamen acantho. praecipue infelix, pesti devota futurae, expleri mentem nequit ardescitque tuendo Phoenissa et pariter puero donisque movetur. ille ubi complexu Aeneae colloque pependit et magnum falsi inplevit genitoris amorem, reginam petit. haec oculis, haec pectore toto haeret et interdum gremio fovet inscia Dido, insidat quantus miserae deus. at memor ille matris Acidaliae paulatim abolere Sychaeum incipit et vivo temptat praevertere amore iam pridem resides animos desuetaque corda. (Aeneis I, 709–722) (Staunen erregen die Gaben des Aeneas, Staunen erregen Iulus und des Gottes flammender Blick und die Worte der Täuschung, die Palla und der gelb mit Akanthus umwobene Schleier. Die Punierfürstin – die allen voran Unselige, geweiht dem Verderben – sättigt nimmer ihr Herz und entbrennt, gleichermaßen entzückt vom Knaben und von den Gaben. Jener umschlang erst Aeneas, hing zärtlich am Nacken und stillte so des – vorgetäuschten – Vaters innige Liebe, drängte dann zur Königin. Sein Bann trifft ihr Augen und Herz, und manchmal herzt Dido ihn auf dem Schoß – ahnungslos, welch ein Gott von ihr, der Armen, Besitz nimmt. Der aber denkt des Wunsches der Mutter, beginnt aus Didos Herzen Sychaeus sanft zu verdrängen und sucht zuvor mit lebendiger Liebe längst erstarrtes, verlerntes Gefühl im Herzen zu erregen.)

Venus hat die aus Troja geretteten Schätze mit ihrem Überbringer zu Gaben gemacht, die jener Gabe – dem sogenannten Danaergeschenk –61 vergleichbar sind, welche zum Untergang Trojas führte. Denn in beiden Fällen handelt es sich um eine Form des Gebens, bei der entweder von der Gabe selbst zerstörerische Kräfte ausgehen oder der Akt des Überreichens verhängnisvoll ist. Die eine Gabe führt zum Untergang eines ruhmvollen Reiches, die andere zum Tod einer mächtigen Königin, noch bevor der Anspruch Karthagos auf die Weltherrschaft eingelöst werden kann. In der Erzählung von Didos Gastmahl sind beide zu61 Vgl. hierzu auch Wetzel, der allerdings den Begriff sehr weit faßt – ja, meines Erachtens ›aufweicht‹, indem er schier alle Gaben – aufgrund ihres verpflichtenden, unberechenbaren oder unheilbringenden Charakters – als Danaergeschenke auffaßt (Danaergeschenke, insbesondere S. 80, S. 83).

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sammengeführt. Denn von der für Troja verhängnisvollen Gabe berichtet der Held im Anschluß an das gemeinsame Opfern, Speisen und Trinken. Die Beschreibung des Trojanischen Pferdes nimmt in der Aeneis den ersten Teil von Aeneas’ Schilderung seines bisherigen Schicksals und der göttlichen Verheißung seiner Zukunft ein. Die als Unheilsgeschenk der Minerva bezeichnete Gabe wird von vielen Trojanern ebenso bestaunt wie die Gaben, die Cupido in Gestalt des Ascanius Dido überreicht. Anders jedoch als jene, ruft das hölzerne Pferd der Danaer zu Recht bei einigen Mißtrauen hervor, spaltet die unterschiedliche Interpretation der Gabe die Einwohner Trojas: pars stupet innuptae donum exitiale Minervae et molem mirantur equi; primusque Thymoetes duci intra muros hortatur et arce locari, sive dolo seu iam Troiae sic fata ferebant. […] Primus ibi ante omnis magna comitante caterva Laocoon ardens summa decurrit ab arce et procul ›o miseri, quae tanta insania, cives? creditis avectos hostis aut ulla putatis dona carere dolis Danaum? […] timeo Danaos et dona ferentis.‹ (Aeneis II, 31–49) (Manche bestaunen die Unheilsgabe der Jungfrau Minerva und wundern sich über des Rosses Wucht; Thymoetes mahnt als erster, es in die Stadt zu ziehen und auf die Burg zu stellen – sei es aus List oder weil Trojas Schicksal bereits verhängt war. Dort als erster vor allem, umwogt von großem Gefolge, stürmt Laocoon glühend herab vom Gipfel der Stadtburg und aus der Ferne ruft er: »Elende, was, Bürger, soll dieser Wahnsinn? Glaubt ihr, daß der Feind fort sei, oder wähnet ihr frei von Tücke die Gaben aus Danaerhand? Ich fürchte die Danaer, selbst wenn sie schenken.«)

Doch weder Begeisterung noch Mißtrauen schützen davor, daß mit der von Ulixes erdachten Gabe das Verderben vor den Toren Trojas lauert. Denn noch unterstützt Minerva die Griechen bei der Einnahme der Stadt. An den Altar Neptuns, an welchem Laocoon im Begriff ist, einen Stier zu opfern, schickt sie zwei riesige Schlangen, die den Priester und seine Söhne zur Strafe für die warnenden Worte töten. Für die richtige Auslegung der Gabe – so ließe sich zuspitzen – werden sie nun für immer zum Schweigen gebracht.62 Als die übrigen Einwohner, die dem Pferd – als einem Minerva wohlwollend stimmenden Kultbild – Vertrauen schenken, das monstrum infelix (Aeneis II, 245) in die Stadt zie62 Vgl. auch dazu Wetzel, Danaergeschenke, besonders S. 77 f.

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hen, holen sie damit Übel und Zerstörung nach Troja. Ähnlich wie Pandora ist das Trojanische Pferd die wiederum gewaltbesetzte Antwort auf einen Raub, und gleichsam wie Pandora ihr Gefäß schüttet das Roß seinen todbringenden Inhalt über die Stadt aus: ›[…] arduus armatos mediis in moenibus adstans fundit equos, victorque Sinon incendia miscet insultans […].‹ (Aeneis II, 328–330) (»Steil ragt das Roß inmitten der Festung und Krieger schüttet es aus; und Sinon als Sieger jubelt voller Hohn, legt Brand um Brand.«)

Auch Dido, die bis dahin souverän über Karthago herrschende Königin, übernimmt mit den Gaben des Aeneas eine auf sie tödlich wirkende Kraft: Bereits unmittelbar nachdem sie die Kostbarkeiten empfangen hat, peinigt sie selbstzerstörerische Sehnsucht nach dem Helden. Nachdem Didos Qualen Venus zuzuschreiben sind, interveniert nun die der karthagischen Königin gesonnene Juno. Sie hat ihre Hände im Spiel, als es schließlich in den Wäldern Libyens zur Vereinigung zwischen Dido und Aeneas kommt. Die karthagische Königin nennt diese Verbindung fortan Ehe, und auf diese Weise praetexit nomine culpam (Aeneis IV, 172). Doch Junos Wirken – die initiierte Zuneigung des Trojaners sowie die gestiftete und durch ihr Zeichen (pronuba Iuno dant signum, Aeneis IV, 166 f.) besiegelte Vereinigung im Wald – erweist sich trotz allen Ehrgeizes für Karthago und seine Herrscherin als latent destruktiv. Denn bald darauf beschließt Juppiter in das Geschehen einzugreifen: Er schickt Merkur nach Karthago, um Aeneas an seine eigentliche Bestimmung zu erinnern und zum Aufbruch zu bewegen. Der Götterbote trifft den Dardaniden, der scheinbar das Gebot zur Gründung eines eigenen Reiches aus dem Gedächtnis verloren hat, beim Bau neuer Gebäude für Karthago an. Gekleidet ist Aeneas in einen golddurchwirkten Mantel aus tyrischem Purpur, an seiner Seite trägt er ein auserlesenes Schwert aus honigfarbenem Jaspis: […] atque illi stellatus iaspide fulva ensis erat Tyrioque ardebat murice laena demissa ex umeris, dives quae munera Dido fecerat et tenui telas discreverat auro. (Aeneis IV, 261–264) ([Aeneas] trug ein Schwert – von gelblichem Jaspis gestirnt –, es glühte von tyrischem Purpur der Mantel, der ihm von der Schulter hing, – dieses Prachtstück, welches die reiche Dido gemacht und das Gewebe mit Goldfäden fein durchwirkt hatte.)

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Während bislang nicht expressis verbis von Gaben der karthagischen Königin an Aeneas die Rede war, welche über das erste Angebot hinausreichen, und mit denen sie sich etwa unmittelbar für das kostbare Gewand, den Schmuck und die Insignien, welche der Trojaner der Königin zum Empfang überreichen ließ, erkenntlich zeigte, wird Didos besondere Gabe – ein auserlesener, selbstgefertigter Mantel – nun im Nachgang an exponierter Stelle in den Text eingeführt: Dido hat Aeneas vollkommen für sich und Karthago vereinnahmt, dergestalt, daß er seinen ursprünglichen Auftrag zur Neubegründung des italischen Reiches einstweilen vergessen konnte.63 Sie bezeichnet ihn als ihren Gatten, hat ihm einen Teil ihrer Herrschaftspflichten übertragen und funktionalisiert ihn für den Aufbau Karthagos. Aeneas hat sich von den Kleidern und dem Schmuck trojanischer Königstöchter – und damit ein erstes Mal von einem Teil seiner eigenen Geschichte – getrennt, indem er sie Dido zum Geschenk machte. Doch auch Aeneas selbst legt seine ursprünglichen Gewänder ab, um sich statt dessen von Dido neu einkleiden zu lassen. So wie Dido, als sie die Gaben des Aeneas empfing, allmählich ihren toten Gatten Sychaeus aus dem Gedächtnis entließ, hat Aeneas allem Anschein nach mit seinen alten Kleidern Vergangenheit und prophezeite Zukunft abgelegt: »CupidoAscanius fälscht die memoria der Zukunft ebenso wie der in phönizische – nicht mehr die phrygischen! – Gewänder gekleidete Aeneas die der Vergangenheit.«64 In Karthago trägt er ein Gewand, welches Dido selbst gefertigt hat, und man gewinnt den Eindruck, sie habe mit dem Gold gleichzeitig das Vergessen darin eingewebt. Aeneas beschenkt die karthagische Königin kurz nach ihrer Ankunft mit besonderen Kleidern, die er den Flammen Trojas entreißen konnte, und auch er erhält während seines Aufenthaltes im Reich Didos Kleider. In mindestens einem Punkt sind Gabe und Gegengabe, wenn man denn die Gewänder als solche auffassen will, aufeinander bezogen: Dido löst zugunsten des Ankömmlings die Bindung an ihren toten Gatten, und Aeneas gibt seine trojanische Vergangenheit ebenso auf, wie er nicht mehr an das ihm vorausgesagte Schicksal denkt, um sich – vorübergehend – im Reich der karthagischen Herrscherin zu assimilieren. Mit den wechselseitigen Kleidergaben sind die Erinnerung an die je eigene Geschichte

63 Zur Amnesie des Helden vgl. Herzog, Vergessen, S. 90–93. Er erinnert daran, daß die Dido-Episode des IV. Buches seit jeher als »Musterfall des heldischen ›SichVergessens‹« (S. 91) gilt. 64 Herzog, Vergessen, S. 91. Herzog thematisiert allerdings nicht, daß die Amnesie in beiden Fällen an Gaben beziehungsweise Akte des Gebens gebunden ist!

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und die damit verbundenen Verpflichtungen für eine gewisse Zeit außer Kraft gesetzt. Als Aeneas schließlich, von Merkur gemahnt, Karthago den Rücken kehrt, nimmt er Didos Gewänder mit, um auch sie später weiterzugeben: Er wird sich von jenen Kleidern trennen, um einen Toten darin einzuhüllen, wenn Dido schon lang tot sein wird. Dido bleiben die Gaben, die Aeneas ihr bei der ersten Begegnung widmete, und das kostbare Schwert, welches er zurückließ. Aber sie beklagt, daß ihr von Aeneas nicht jene Gabe geblieben sei, die für ihr Weiterleben und die Kontinuität ihrer Herrschaft entscheidend gewesen wäre. Sie meint einen Sohn, der als Unterpfand den Helden möglicherweise nicht binden, doch wenigstens die Beziehung bezeugen und legitimieren würde.65 Doch eben diese Gabe, die als Zeichen der Zuneigung unmittelbarer als alle Minnepfänder (Haarlocken, Teile der Gewänder, Ringe) dem Körper der Liebenden entstammt,66 bleibt Dido verwehrt. Aeneas läßt lediglich Hüllen – gleichsam wie eine alte abgelegte Haut – zurück, Kleider, die auf seine trojanische Vergangenheit und den Aufenthalt in Karthago verweisen, doch nicht auf Künftiges. Für die nachkommenlos gebliebene Dido gibt es im Unterschied zu Aeneas keine Zukunft außer jener in der Unterwelt.67

3.2.2 Die Gabe der Discordia und das Urteil des Paris Die Geschichte von der Belagerung Trojas durch König Menelaus, welcher Rache nimmt für den Raub seiner Gattin Helena, bis zum Tod des trojanischen Herrschers und dem Untergang der Stadt stellen die mittelalterlichen Eneas-Romane im Unterschied zu Vergil an ihren Anfang. Aus dieser für die Trojaner aussichtslosen Situation heraus fordert Venus Eneas auf, die Stadt zu verlassen, um die Gegend aufzusuchen, in der einst sein Vorfahre Dardanus lebte, bevor er Troja gründete. Anders auch als bei Vergil hat Eneas im Roman d’Eneas genügend Zeit all sein Gut und seine Schätze aus Troja in die Fremde mitzunehmen.68 Auf reich ausgestatteten Schiffen, welche die Griechen achtlos zurückgelassen hatten, bricht Eneas gemeinsam mit seinem Vater Anchises, seinem Sohn Ascanius und einer Schar von Trojanern, die 65 66 67 68

Aeneis IV, 327–330. Vgl. Wetzel, Liebesgaben, S. 227. Vgl. Suerbaum, Vergangenheit und Zukunft, S. 421. Roman d’Eneas V. 48–52.

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ebenfalls den Kämpfen in der Stadt entflohen sind, auf. Von der Erzählung werden sie zu Auserwählten stilisiert, deren Weg von einem aufgehenden Stern vorgegeben ist.69 Berichtet wird ebenfalls vom Zorn der Juno, der die Trojaner sieben Jahre auf dem Meer treiben läßt, bis es ihnen schließlich gelingt, an der Küste Libyens zu ankern. Jene Passage nutzt der Erzähler des französischen Romans, um die Gründe für die Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Trojanern in einem kleinen Exkurs nachzutragen: Juno et Pallas a un jor, Venus la deesse d’amor, esteient a un parlement; Discorde i sorvint sodement. Une pome d’or lor geta entr’eles treis, puis s’en ala. Il i ot escrit en Grezeis, qu’a la plus bele d’eles treis faiseit de la pome le don. Entr’eles en ot grant tençon […]. (Roman d’Eneas V. 101–110) (Eines Tages waren Juno, Pallas und Venus – die Göttin der Liebe – bei einer Unterhaltung; plötzlich gesellte sich die Zwietracht zu ihnen. Einen goldenen Apfel warf sie den dreien zu, dann ging sie davon. Es stand darauf in griechisch geschrieben, daß sie der Schönsten von den dreien den Apfel zur Gabe mache. Darüber gab es zwischen ihnen großen Streit.)

Auf solche Weise erfährt der Rezipient viel ausführlicher als von Vergil oder auch von Heinrich von Veldeke, daß nicht nur für die endgültige Vernichtung Trojas eine verhängnisvolle Gabe im Spiel war, davon erzählt der Text später, sondern bereits ein fatales Geschenk den Streit zwischen Venus, Juno und Minerva auslöste, mit welchem der Ursprung des trojanischen Krieges markiert ist:70 Ihre Adressatin ist nur insofern vorgegeben, als sie die Schönste der drei Göttinen sein muß. Die Auserwählte, so verheißt die Inschrift, soll den Apfel zum Geschenk erhalten, und bis zur schwerwiegenden Entscheidung des trojanischen Königsohnes Paris bleibt ihr Name unbestimmt. Als Gabe der Discordia ist der goldene Apfel Objektivation und Auslöser von Zank. Mit ihm steht eine Gabe am mythischen Ursprung aller Zwietracht und wird damit auch zur Begründung unmäßiger Gewalt. Ähnlich wie in 69 Roman d’Eneas V. 77–82. 70 Zum Urteil des Paris darüber, welcher der drei Göttinen der Apfel zusteht, wie auch zu den Folgen der Entscheidung vgl. Roman d’Eneas V. 114–182.

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Pandora und ihrem Gefäß oder im trojanischen Pferd ist in jenem Apfel der Discordia die Allianz von Gabe und Gewalt kodiert und ästhetisch überhöht. In allen drei Fällen handelt es sich – so zumindest die jeweilige Inszenierung – um exklusive, ausgesprochen schöne und wertvolle Gaben, die allerdings zerstörerische Kräfte in ihrem Inneren tragen oder Akte der Gewalt unaufhaltsam nach sich ziehen, sobald man sich von ihrer Erscheinung verführen läßt und sie annimmt. Gewalt resultiert bereits unmittelbar aus der von Paris getroffenen Wahl. Denn die Gabe, die ihm Venus für sein Urteil verspricht, muß er entführen, und mit jenem sagenhaften Raub entfacht er die folgenreichen Streitigkeiten zwischen Griechen und Trojanern. Doch nicht nur die Zerstörung Trojas läßt sich mit dieser Geschichte plausibilisieren, sondern ebenso das konkrete Schicksal des Eneas und insbesondere der Haß, mit welchem Juno alle überlebenden Trojaner weiterhin verfolgt. Die karthagische Königin empfängt die Gesandten des Eneas ähnlich wie in der Aeneis gewogen, doch im französischen Roman frei von einem Gebot Juppiters. Sie bietet Eneas für den Fall eines vorübergehenden Aufenthaltes ihre Gastfreundschaft an, ohne dafür auch nur einen einzigen Denar, das heißt, eine finanzielle Gegenleistung zu erwarten. Außerdem ist sie bereit, ihn ebenso großzügig für die Weiterreise auszustatten.71 Würde Eneas jedoch den Entschluß fassen, in Karthago auszuharren, werde Dido – in der Hoffnung, daß sich beide Völker vereinen – gewillt sein, den Trojanern einen Teil ihres Reiches zu übereignen. Darüber hinaus wäre sie bereit, die Liebe zu ihrem verstorbenen Gatten für Eneas aufzugeben. Mit der Bereitschaft, sich von Sycheüs zu lösen, reicht ihr Anerbieten an Eneas weit über das der vergilschen Didofigur hinaus. Dies bedeutet, daß von vornherein die karthagische Königin als Frau selbst zum Angebot gehört, um die der Held nicht einmal werben, geschweige denn kämpfen muß.72 Dennoch nennt Dido einen ›Preis‹, den Eneas hierfür ›zu zahlen‹ habe. Sie tut dies, weil Gastfreundschaft dem mittelalterlichen Diskurs entsprechend fast immer – so meine ich mit Haferland – einen Raum fortwährender Reziprozität eröffnet,73 vehementer als die Figur der Königin in Vergils Aeneis: Sie wünscht, daß er all seine weiteren, auf Latium ausgerichteten und in ihren Augen törichten Vorhaben (la folie, Roman d’Eneas V. 630) aufgeben werde. 71 Roman d’Eneas V. 621–626: »[…] Se sejorner vuelt Eneas | et demorer ci al trespas, | ja mar i despendra denier | por rien nule dont ait mestier; | tot le ferai del mien servir | et molt li donrai al partir […].« 72 Roman d’Eneas V. 633–636: »[…] Ma genz et la soe seit une; | se il vuelt aveir ma comune, | n’avrai plus chier le Tiriën, | que jo avrai le Troïën […].« 73 Haferland, Höfische Interaktion, S. 148.

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Zum Dank für ihre Gastfreundschaft möchte Eneas der Königin drei erlesene Kleider, eine Spange und einen kostbaren Mantel überreichen.74 Wiederum anders als im antiken Text handelt es sich im Roman d’Eneas nicht nur um die Gewänder einer Königstochter, sondern um die der zweiten Gemahlin des König Priamus, der trojanischen Königin Hecuba selbst. Sie entstammen dem Schatz des Königs Priamus und wurden Trojas Königin am Tag ihrer Krönung überreicht: […] li reis Prianz en son tresor faiseit cez guarnemenz guarder, quant il se deveit coroner; sa femme Ecuba les aveit le jor que coronee esteit. (Roman d’Eneas V. 756–760) (Als König Priamus sich krönen lassen wollte, ließ er diese kostbaren Kleidungsstücke in seinem Schatz verwahren; seine Frau Hekuba bekam sie am Tage, als sie gekrönt wurde.)

Auf diese Weise verschiebt und akzentuiert der französische Text zwei Aspekte, welche bei Vergil bereits vorgegeben sind. Indem Eneas ausschließlich Kleidungsstücke und Schmuck der trojanischen Königin an Dido weitergibt, wird einerseits mit diesen Gaben mehr als in der Aeneis die karthagische Herrscherin von den Trojanern als Königin anerkannt und geehrt. Andererseits löst sich Eneas in dem Augenblick, in dem er Hecubas Kleider verschenkt, offensichtlich noch stärker von den Priamiden im Einzelnen als von seiner trojanischen Vorgeschichte im Ganzen. Denn er verschenkt mit den Gewändern unveräußerliche, ›heilige Objekte‹, die nicht nur aus dem Umkreis des trojanischen Königs stammen, sondern eigens aus dem Besitz des Herrscherpaares und welche zudem eingebunden waren in das Krönungszeremoniell der trojanischen Königin. Trojas Königin ist nach dem Fall des Reiches entwürdigt, und die Gewänder, die Eneas den Flammen und damit dem Vergessen entrissen hat, sollen jetzt eine andere Herrscherin schmücken. Eneas gibt weg, was ihn an Trojas Königin und seine Vergangenheit mahnen könnte. Er würdigt mit seinem Geschenk Karthagos Herrscherin und doch wird für den Rezipienten mit jenen Kleidern auch das Schicksal Didos erahnbar, wenn nicht gar schon besiegelt. Denn pars pro toto stehen die Gewänder nicht nur für die einstige Größe und 74 Roman d’Eneas V. 734–741: […] et comanda a aporter | treis guarnemenz que il aveit; | porpensa sei qu’il les donreit | a la reïne de Cartage, | ki molt li faiseit bel ostage. | Une nosche i ot merveillose, […] et un mantel ki molt fu chiers […].

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den Glanz Trojas, sondern erinnern auch an das brennende Troja und Hecubas Schicksal. Ihr Stigma – das eines untergegangenen Reiches und einer geschändeten Königin – wirkt solange, bis auch sie letztendlich dem Feuer anheim fallen werden. Der Bote, der die Geschenke überbringt, ist in der französischen Version der von Eneas gerufene Ascanius in eigener Person. Obgleich Cupido nicht von Venus ins Spiel gebracht wird, bleibt auch im Roman d’Eneas der Akt der Übergabe für Dido und Eneas nicht folgenlos. Denn nun ist es der Sohn des Eneas selbst, der von Venus mit einem für Dido und Eneas verhängnisvollen Kuß ausgestattet wird:75 En cel baisier li a doné de faire amer grant poesté; ki enprés li le baisera del feu d’amor espris sera. (Roman d’Eneas V. 773–776) (Mit diesem Kuß hat sie ihm große Macht verliehen, Liebe zu erwecken; wer ihn nach ihr küssen wird, wird von dem Feuer der Liebe entflammt werden.)

Darüber, wie die Gaben am Hof der karthagischen Königin wahrgenommen werden, erzählt der französische Verfasser Ähnliches wie Vergil. Von allen Anwesenden werden sie bestaunt und gepriesen. Dido allerdings schätzt die Gaben weniger um ihrer Schönheit oder ihrer Kostbarkeit willen, als um dessentwillen, der sie ihr geschenkt hat.76 Nachdem sie die Geschenke in ihr Gemach bringen ließ, sie damit den Augen des Hofes auf vergleichbare Weise entzieht wie zunächst die Geschichten des Eneas den Ohren der Öffentlichkeit,77 liebkost sie den Knaben Ascanius. Auch Eneas küßt seinen Sohn, doch ist Dido diejenige, die kaum genug geben und bekommen kann und damit die von Venus verhängte Liebe in viel stärkerem Maße übernimmt als Eneas.78 Die Gaben, welche Ascanius überreicht, werden für Dido im Moment der Übergabe – mit Ascanius’ Kuß – zum ›Gift‹ (mortel poison, V. 1259).79 Dies wird in keinem der Eneas-Texte so deutlich wie 75 Vgl. hierzu Dittrich, »Eneide«, S. 95 f., Deist, Kiss of Ascanius, S. 463 und S. 465. 76 Roman d’Eneas V. 787 f.: […] por sa valor tant nel prisa, | com por celui ki li dona. 77 Im Roman d’Eneas V. 721–728 erzählt Eneas der Königin seine Geschichte ein erstes Mal – abgeschieden von allen anderen – in einer Fensternische. 78 Roman d’Eneas V. 820–822: C’est Dido ki plus fole esteit, | ele i a pris mortel ivrece; | ja l’a amors en grant destrece. 79 Der Wechsel von ›Gabe‹ zu ›Gift‹ ist also hier mehr als nur ein Wortspiel im Dienste einer Interpretation, die immerhin auf die in verschiedenen Sprachen gegebene Polysemie von Gaben-Begriffen verweisen müßte. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 1.1.

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im französischen Roman, in welchem davon gesprochen wird, daß Dido und Eneas die verhängnisvolle Liebe trinken, indem sie Ascanius umarmen und küssen. Dido, die mehr von dem ›Trank‹ aufnimmt, so prophezeit der Erzähler, wird daran sterben. Erst nachdem die Königin bereits infiziert ist, erzählt der trojanische Flüchtling auf Didos Bitten hin noch einmal, nun öffentlich vor dem gesamten Hof, von seiner Vergangenheit. Hierzu gehört auch die Geschichte des trojanischen Pferdes, welche nicht weniger ausführlich als bei Vergil ausfällt. Allerdings fehlt die Laocoon-Episode, und damit ist der Aspekt, daß man einem Geschenk gegebenenfalls mit Mißtrauen zu begegnen habe, auf eine einzige Aussage des trojanischen Königs Priamus reduziert. Dieser, so berichtet Eneas von der Gespaltenheit, mit der die Gabe der Griechen wahrgenommen wurde, war sich in Betrachtung des hölzernen Pferdes unsicher, ob es sich um eine ›gute‹ oder ›schlechte‹ Gabe80 handelte: »[…] Li reis esguarda le cheval, ne sot, se por bien o por mal l’orent iluec li Greu levé a meïsmes de la cité […].« (Roman d’Eneas V. 925–928) (»Der König betrachtete das Pferd, er wußte nicht, ob die Griechen es zum Guten oder zum Bösen dort in der Nähe der Stadt aufgebaut hatten.«)

Dido dagegen ahnt noch nicht, daß sie von Ascanius eine folgenschwere Gabe entgegengenommen hat, doch bereits in der Nacht nach dem Mahl spürt sie mit aller Intensität die Qualen der Liebe.81 Die Königin findet erst Ruhe, als sie Eneas für sich zu vereinnahmen vermag. Dies geschieht im französischen Text ohne den Einfluß Junos. Dido vergißt in ihrer Liebe zu Eneas ihren toten Gatten und Eneas alle weiteren Pläne. Bis zu dem Zeitpunkt, als der Götterbote den Trojaner zur Weiterreise auffordert, gilt für das Paar Didos Angebot, welches sie den trojanischen Flüchtlingen bei ihrer Ankunft machte, und welches sie nun eingelöst hat:82 [T]erre et femme (V. 1614) sind Didos Gaben an

80 Hier also wird die Ambivalenz und Unberechenbarkeit einer Gabe wortwörtlich benannt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch noch einmal an Starobinskis kulturgeschichtliche Abhandlung zu Darstellungen ambivalenter Gaben in Literatur und bildender Kunst (Gute Gaben). 81 Roman d’Eneas V. 1258–1262. 82 Roman d’Eneas V. 1614: […] et terre et femme tient por soe.

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Eneas, die er vorübergehend willig und dankbar angenommen hat. Es handelt sich allerdings keineswegs um selbstlose Gaben, sondern um solche, die den Trojaner verpflichten. Dafür, daß Eneas in Karthago ausharrt, hat sie sich selbst und ihren Besitz hingegeben, nicht aber für ein Intermezzo. Als Eneas schließlich Dido verläßt, thematisiert er – anders als in der Aeneis – die ihn verpflichtende Gastfreundschaft der karthagischen Königin: Er dankt Dido dafür und verspricht ihr, daß er ihre Gaben ebensowenig wie sie selbst vergessen werde, auch wenn er ihre Gastfreundschaft nicht in ihrem Sinne vergelten kann. Denn sein Tribut an Dido, das Ausharren in Karthago, ist dem Willen der Götter nach zeitlich beschränkt geblieben und wird an dieser Stelle mit seiner Abreise aufgehoben: »[…] Se nel vos puis gueredoner, ge nel porrai mie obliër, memberra m’en tant com vivrai, sor tote rien vos amerai […].« (Roman d’Eneas V. 1781–1784) (»Wenn ich Euch [eure Huld, Erbarmen und Mitleid] nicht vergelten kann, werde ich [diese] doch keineswegs vergessen können; solange ich lebe, werde ich mich daran erinnern, über alles werde ich euch lieben.«)

Der Königin immer liebend zu gedenken: darin besteht also die Gegenleistung, mit der Eneas seine Dankbarkeit erweisen möchte, ohne hierbei gegen die Bestimmung der Götter zu verstoßen. Memoria ist die letzte – Großzügigkeit und Hingabe erwidernde – Gabe des Eneas, die Karthagos Herrscherin Dido bleibt. o

3.2.3 Gaben v z der mazen Heinrich von Veldeke hebt sich in seinem Eneasroman auf den ersten Blick wenig von der Version des französischen Textes ab. Auf den zweiten Blick bemerkt man jedoch in der Konzeption und Akzentuierung der narratio interessante Unterschiede. Daß dies auch auf die Dido-Episode zutrifft, haben zuletzt überzeugend – wenngleich mit je anderer Fragestellung – zum einen Anette Syndikus und zum anderen Herfried Vögel gezeigt. »Gebunden in den Fakten«, so die zentrale These Vögels, »wie sie Vergil vorgab, und entbunden von der Mythologie der Aeneis wird Eneas den mittelalterlichen Erzählern zum problematischen Helden.« Die Entlastung des Helden ist allem Anschein nach für Heinrich 161

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von Veldeke brisant geworden. Denn auch seine Didofigur erhält andere Züge als noch diejenige des französischen Textes. Eneas gerät nun stärker ins Zwielicht, weil ihm, indem die anthropomorphen Götter und ihr fatum zurückgenommen sind, unter anderem die »Verwicklung in Didos Tod«83 stärker anlastet, ohne daß in einem Erzählerkommentar die karthagische Königin selbst entweder für ihr gebrochenes Treueversprechen an Sychaeus oder ihr Verhalten gegenüber Eneas vom Erzähler kritisch beleuchtet wird, so wie dies etwa im französischen Text geschieht.84 Auf – gegenüber der Aeneis und dem Roman d’Eneas – singuläre Weise wird im zweiten Teil des deutschen Romans an Didos Schicksal erinnert. In jener Passage nämlich, in der Eneas vor Laurentum ein Zelt aufschlägt, welches ursprünglich zu den Gaben gehörte, die Dido dem trojanischen Flüchtling überreichte. Es erinnert den Rezipienten, so Vögel, »an die Macht der Minne, Herrschaft zu geben und Herrschaft zu zerstören.«85 Dem Zusammenhang von Herrschaft und Minne geht Syndikus in ebenso subtiler wie kritischer Auseinandersetzung mit Kartschokes Interpretation der Dido-Episode86 nach. Für Heinrich von Veldeke sei dezidierter noch als für den Roman d’Eneas weniger die historische Stadt Karthago als Rivalin Roms von Interesse denn Dido in ihrer Stellung als mächtige Herrscherin über ganz Libyen und über die Grenzen des Landes hinaus. Anders als in den älteren Texten, so vermag Syndikus vorzuführen, setzt Veldeke in der DidoEpisode neue Akzente. Hierzu gehört etwa, daß er, mehr als dies Vergil oder der Verfasser des französischen Textes tun, Karthagos Königin als Stadtgründerin heraushebt und zudem ihren daraus resultierenden Rechtsanspruch betont.87 Und schließlich sei es nun auch Dido selbst und nicht mehr Juno, die ihren Anspruch auf die Weltherrschaft formuliert.88 Der These Kartschokes, daß Didos Ehre in Gefahr gerate, weil sie ihre Herrschaftspflichten nach der Ankunft des Eneas in Karthago sukzessive vernachlässige,89 hält sie entgegen, Veldekes Thema sei »der Untergang einer großen Herrscherin, der allein auf die Minne zurückzuführen ist.«90 Aufgrund der übermächtigen Zuneigung zu 83 Vögel, Gedächtnis, S. 66. 84 Roman d’Eneas V. 1589–1614. 85 Vögel, Gedächtnis, S. 67. Ich werde an späterer Stelle (3.4.3) ausführlicher auf diese Szene eingehen. 86 Kartschoke, Didos Minne. 87 Syndikus, Dido, S. 64 f. 88 Syndikus, Dido, S. 70. 89 Kartschoke, Didos Minne, S. 107. 90 Syndikus, Dido, S. 73.

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Eneas lege Dido ihre Macht – obgleich blind – vertrauensvoll in die Hände des Trojaners.91 Von Vernachlässigung ihrer herrschaftlichen Pflichten könne dagegen nicht die Rede sein. An einigen Punkten allerdings gelangt Syndikus an die Grenzen ihrer bis dahin schlüssigen Interpretation. So bleibt beispielsweise offen, warum Dido bereits vor ihrer Begegnung mit Eneas Trojas Boten ein Angebot macht, welches so großzügig ist, daß es Land und Leute einschließt und damit ihrer herausragenden Position scheinbar widerspricht. Syndikus findet hierfür keine andere Erklärung, als daß Veldeke an dieser Stelle seinen Vorlagen verbunden geblieben sei und aus eben dieser Verpflichtung Brüche entstünden.92 An dieser Stelle möchte ich mit meinen Überlegungen ansetzen und fragen, ob sich nicht auch andere Deutungsmöglichkeiten finden lassen. Ich meine solche, die sich stärker an der Eigenlogik mittelalterlicher Texte orientieren, die den Text im Anschluß an Jan-Dirk Müller als »Schnittpunkt [vielleicht auch nur scheinbar] konfligierender Regeln«93 begreifen, ohne vorschnell unauflösbare Widersprüche supponieren zu müssen: Als Eneas, wie in den älteren Texten auch, nach siebenjähriger Irrfahrt an der Küste Libyens strandet, treffen seine Boten in Karthago nicht nur auf eine Stadt, die, wiewohl reich und prächtig, noch im Aufbau begriffen ist, sondern auf ein überaus mächtiges und gefestigtes Reich.94 Ähnlich wie einst die aus Tyrus geflohene Dido hat Eneas all seinen Besitz und eine kleine Schar von Landsleuten bei sich. Eneas schickt Boten aus, die von dem weisen Ilioneus angeführt werden. Von Dido werden die Gesandten gastfreundlich empfangen, und die von ihr in Aussicht gestellten Besitztümer reichen weit über die von Eneas begehrte Unterstützung hinaus: »[…] o Eneas […] wil ich gut und ere o vnd dienistes tvn alse vil, alse er selbe nemen wil. 91 Syndikus, Dido muß zwangsläufig zu einer anderen Interpretation als Kartschoke, Didos Minne finden, weil sie bereits der Übersetzung Kartschokes von al zeiner hant gan (Eneas 66, 5) ein alternatives Lektüreverständnis entgegenhält: Während Kartschoke übersetzt, daß Dido »Ehre und Glück einerlei« seien (vgl. dessen Eneasroman-Edition), liest Syndikus, daß die Königin »Ansehen und Glück ganz in eine Hand« – in die des Eneas – lege (Dido, S. 88 f., zit. S. 90). 92 Syndikus, Dido, S. 70–72, insbesondere S. 72. 93 Müller, Spielregeln, S. 46. 94 Syndikus, Dido, S. 73.

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ich wil ime bieten ane no‹t› daz ich manne erbo‹t› in der werlte noch nie vnd wolter alz gewonen h‹ie› […] nv in got her hat gisant, ich teile liv‹te› unde lant vnd allez daz ir hie gesiht. o vnd enwil er des tvn niht, die wile vnd er wil hie sin, e ich und alle die frivnt mın vnd burch und lant vnd schaz und giwa‹nt› daz stet ze sinem gibote. ich wil es danchen dem gote, der in da her sande. er sol in disem lande o allez des haben gnvch, o des disiv erde ie getruch, er und sine holden, vnd si ez haben wolden. die wile unze ich sol haben daz leben, o ich woltes in gnvch geben ‹m›it lihteme gedinge, ane phenninge ivngen unde alten. ich will in wol bihalten in min selber kemenaten, ich wil in wol beraten gelich min selber libe. nie newart von einem wibe baz enphangen ein man, ob ich mach und ob ich chan.« (Eneas 30, 33–31, 30) (Ich will Eneas in dem Maße mit Gütern, öffentlicher Anerkennung und Diensten helfen, wie er [sie] selbst annehmen möchte. Ich biete ihm, ohne daß ich es nötig hätte, was ich noch keinem Mann in der Welt jemals angeboten habe: Und sollte er sich hier ganz ansiedeln wollen, so werde ich – da Gott ihn hergesandt hat – Land und Leute mit ihm teilen95 und alles, was ihr 95 Alternativ: […] teile ich ihm Land und Leute zu […]. Ich rekurriere auf den Übersetzungsspielraum von teilen, der sowohl ›teilen‹ als auch ›zuteilen‹ umfaßt. Entsprechend unterscheiden sich die Übersetzungen von Fromm (S. 39) und Kartschoke (S. 37).

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hier seht. Will er dies aber nicht tun, so stehen ihm, solange er sich hier aufhalten möchte, ich und alle meine Verbündeten, sowohl Stadt als auch Land, Schatz und Kleidung zur Verfügung. Ich will es dem Gott, der ihn hergesandt hat, danken. Er soll in diesem Reich alles in Fülle haben, was diese Erde je trug, er und seine Getreuen, wenn sie es haben wollen. Solange ich lebe, möchte ich ihnen – Jungen und Alten – ohne Bezahlung, ohne jeden Pfennig reichlich geben. Ich will ihn in meinem eigenen Gemach gut aufnehmen. Ich will für ihn sorgen wie für mich selbst. Nie soll ein Mann von einer Frau besser aufgenommen worden sein, wenn ich es kann und es verstehe.)

Vergleicht man die Angebote, welche die Dido-Figur in den einzelnen Texten formuliert, wird evident, daß jenes bei Heinrich von Veldeke bei einer ersten Betrachtung nicht entscheidend umfangreicher ausfällt als bei Vergil oder im Roman d’Eneas. Doch in keinem der beiden älteren Texte wird das Angebot so apodiktisch ausgesprochen, werden wie bei Veldeke alle Einzelheiten in einem langen Monolog Didos nacheinander aufgezählt. Für die mittelalterlichen Verfasser besitzt das Angebot der karthagischen Herrscherin allem Anschein nach einen wichtigen Stellenwert. Umfaßt es bei Vergil noch sechs Verse,96 sind es im französischen Roman bereits zwanzig,97 um dann von Veldeke noch einmal auf das Doppelte erweitert zu werden. In allen drei Texten offeriert Dido den trojanischen Ankömmlingen ihr Reich. Schaut man allerdings genauer auf die Dimensionen des Versprechens, variiert die Bereitschaft, Eneas an der Regierung Karthagos zu beteiligen. Vergils Dido bietet den Flüchtlingen ihre Stadt an, doch läßt ihre Äußerung keinen Zweifel daran, daß die Vereinigung von Tyrern und Trojanern unter ihrer Führung geschehen soll.98 Im Roman d’Eneas ist Dido gewillt, Eneas einen Teil (une partie, V. 631) ihres Reiches abzutreten. Im deutschen Text spricht sie – je nach Interpretation der Verse – von der Hälfte beziehungsweise der Gesamtheit ihres Herrschaftsbereiches.99 Auffällig ist zudem, daß die Königin zuerst ihre Angebote für den Fall, daß Eneas für immer in Karthago bleiben werde, formuliert. Erst im Anschluß daran sichert sie den Trojanern auch für einen vorübergehenden Aufenthalt ihre Gastfreundschaft und Freigebigkeit zu. Die Reihenfolge der angebotenen Dinge und Leistungen, die Dido von Eneas’ Entscheidung abhängig macht, ist also gegenüber Vergil und dem Roman d’Eneas umgekehrt. Damit rückt die Option, daß Eneas für

96 97 98 99

Aeneis I, 569–574. Roman d’Eneas V. 621–640. Aeneis I, 574: ›[…] Tros Tyriusque mihi nullo discrimine agetur […].‹ Eneas 31, 4 f.

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immer in Karthago verweilen könnte, in den Vordergrund. Gegenüber dem französischen Text wird Didos Verhalten deutlicher motiviert. Richtig ist, daß »[w]eder die Liebe noch etwa die Rolle einer schutzbedürftigen Landesherrscherin« Didos Angebot begründen könnten, so Vögel100 im Konsens mit Syndikus, aber Didos Interpretation der Ankunft rechtfertigt ihre Großzügigkeit sehr wohl. Denn obzwar Dido nicht wie bei Vergil durch eine Gottheit zur Gastfreundschaft verpflichtet wird, führt Heinrich von Veldeke gegenüber dem Roman d’Eneas eine göttliche Instanz ein. Warum Dido für die Ankunft der Trojaner dankbar ist, bleibt unausgesprochen. Doch zum Ausdruck kommt, daß sie an den göttlichen Willen und ihre eigene Auserwähltheit glaubt.101 Bemerkenswert ist, daß sie dem Gott, den sie für die Ankunft des Eneas verantwortlich zeichnet, auf Umwegen ihren Dank erweist. Ihre Gaben richtet sie nicht unmittelbar an einen Gott, sondern sie demonstriert ihre Dankbarkeit, indem sie Eneas beschenkt. Ebenso wie in den Vorlagen will Dido den Trojaner zum Bleiben bewegen. Unter dieser Perspektive übernehmen die extrem generösen Gaben zusätzlich jene Funktion, welche die von Dido im Junotempel dargebrachten Opfer in der Aeneis102 besitzen: Dido zeigt sich dafür dankbar, daß Eneas in ihr Reich verschlagen wurde, und zugleich impliziert die erwiesene Dankbarkeit der göttlichen Instanz gegenüber den Wunsch, daß Eneas für immer in Karthago bleiben möge.103 Ähnlich wie bereits der französische Text formuliert auch Heinrich von Veldeke, daß Dido für ihre Gastfreundschaft wie für die angebotenen Gaben keinerlei Leistung im Gegenzug verlangt. [A]ne phenninge (Eneas 31, 22) will sie den Trojanern zur Verfügung stellen, was immer diese begehren. Darüber hinaus wird deutlich, daß Didos Angebot auch sie selbst einschließt. Empfangen und dienen möchte sie Eneas auf eine Weise, wie sie dies bisher noch nie für einen Mann getan hatte. Eneas, der Didos Aussage zufolge zu keiner – zumindest keiner materiellen – Gegenleistung angehalten ist, nimmt schließlich mit der 100 101 102 103

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Vögel, Gedächtnis, S. 61. Eneas 31, 12 f. Aeneis IV, 56–64. Doch ein Opfer zu diesem Zweck spart Heinrich von Veldeke ebenso wie bereits der französische Eneas-Roman aus. Opfer in diesem Sinne sind den mittelalterlichen Texten weitgehend fremd. Göttliche Instanzen lassen sich hier noch weitaus weniger zu Schuldnern machen als im antiken Text, und eine Junofigur wie in der Aeneis, der Dido opfert, und die dann zugunsten der karthagischen Königin signifikant in das Geschehen eingreift, kennen weder der Verfasser des Roman d’Eneas noch Heinrich von Veldeke.

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Zustimmung seines Gefolges die Einladung der karthagischen Königin dankbar und voller Freude an. Doch wird sich sehr bald herausstellen, daß die Aufnahme der trojanischen Flüchtlinge weitaus mehr impliziert als nur die Güte der Königin. Spätestens nämlich als die verlassene Herrscherin ihre Gaben bereut,104 wird evident, daß diese einen für Eneas durchaus verpflichtenden Charakter besitzen. Das Angebot bindet Eneas an Karthago und es tut dies um so mehr, weil es noch großzügiger ist als in der Aeneis oder im Roman d’Eneas, weil es nicht nur die Teilhabe an der Macht meint, sondern gar die Übereignung von Besitz und Herrschaft. Ausführlich wird im folgenden beschrieben, in welch kostbarer Ausstattung – mit herlicheme giwande (Eneas 34, 3) und maniger hande slahte (Eneas 34, 6) – Eneas und sein Gefolge zum Hof der karthagischen Königin aufbrechen. Aufgrund ihrer repräsentativen Erscheinung erwekken sie weniger noch als in der Aeneis oder im altfranzösischen Text den Eindruck von Flüchtlingen. Von Dido werden sie, wie bereits die Boten des Eneas zuvor, minnecliche (Eneas 35, 30) empfangen. Daraufhin beauftragt Eneas seinen Kämmerer, verschiedene Kostbarkeiten herbeizutragen, um sie der Herrscherin Karthagos überreichen zu lassen. Wie in keinem der beiden Vorgängertexte wird die Distanz zwischen Eneas und der karthagischen Herrscherin mit Hilfe der Gaben zugleich überbrückt und doch auffällig gewahrt. Denn weder Eneas selbst reicht Dido die Präsente entgegen noch sein nächster Verwandter. In der deutschsprachigen Version des Romans ist nicht Ascanius der Überbringer dieser Dinge, vielmehr wird ein solcher gar nicht spezifiziert.105 Auch wird Dido bei Heinrich von Veldeke unabhängig von der Annahme der Gaben von dem durch Venus verzauberten Ascanius mit der minnen qvale (Eneas 37, 34) infiziert. Die Art und Weise, auf welche die Gaben in Didos Hände gelangen, wird eher nebensächlich. Aber gleichgültig ist ganz offensichtlich nicht, welche Kostbarkeiten Eneas Libyens Königin überreichen läßt, denn diese werden en détail aufgeführt: […] sinen kamerare hiez [Eneas] schiere bringen […] einen grozen chof von golde, 104 Eneas 70, 15–17. v 105 Eneas 37, 19: […] do sante erz der fro wen Didon.

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[…] o unde einen mantel guten harmin wiz alse ein swane. […] v zwene boge vnd ein vingerlin vnd ein nvschin guldin, […] v vnd einer richen frowen giwant, […] in hete div kunegin Ecuba o an, so si di krone truch. (Eneas 36, 23–37, 13) (Eneas hieß seinen Kämmerer umgehend einen großen goldenen Becher bringen, und einen wertvollen Mantel aus schwanenweißem Hermelin, zwei Armreife und einen Ring, eine goldene Spange und das Gewand einer vornehmen Dame. Die Königin Hecuba hatte es zu ihrer Krönung getragen.)

Heinrich von Veldeke hält sich an seinen französischen Vorgänger, insofern auch er davon erzählt, daß es sich bei den kostbaren Gaben für Dido einerseits um die Gewänder der trojanischen Königin Hecuba handelt und andererseits um eine kunstvoll gefertigte Goldspange. Doch er erweitert den Gabenkatalog106 um einen Goldbecher, zwei Armreifen sowie einen Ring. Mit diesen zusätzlichen Dingen wählt Heinrich von Veldeke Gegenstände, von denen ubiquitär in mittelalterlichen Texten die Rede ist, vor allem dann, wenn es darum geht, freundschaftliche Bindungen oder auch Minnebeziehungen auf anschauliche und sinnlich wahrnehmbare Weise zu indizieren, zu besiegeln oder zu memorieren.107 Von Minne seitens des Eneas ist zu diesem Zeitpunkt allerdings keine Rede. Vielmehr in einem diplomatischen, von Distanz bestimmten Rahmen läßt Eneas Dido seine Gaben überreichen. Auf eine ganz ähnliche Weise wie in den älteren Texten dankt Eneas der Königin für den gastfreien Empfang und würdigt sie als Herrscherin Karthagos. Er verschenkt die Gewänder der trojanischen Königin und einen königlichen Mantel. Doch anders als die Aeneis und der altfranzösische Eneas-Roman spricht der mittelhochdeutsche Text unmittelbar nach der Übergabe dieser Kostbarkeiten von Gegengaben, mit welchen Dido die Gaben des Eneas erwidert:

106 Brandt, Erzählkonzeption, S. 132, Fisher, »Eneas«, S. 25. 107 Vgl. hierzu bereits Ausführungen und Anmerkungen in Kapitel 2.4.

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[Dido] gap ime den widerlon o so harte vz der mazen, der bezzer ware verlazen. (Eneas 37, 20–22) (Dido gab ihm so maßlos Gegengaben, daß diese besser unterblieben wären.)

Im Anschluß daran erzählt Heinrich von Veldeke, wie Dido durch den Kuß des verzauberten Ascanius in einseitiger, qualvoller Minne Eneas verfällt.108 Fortan wird diese Zuneigung ebenso charakterisiert, wie es zuvor mit den Gaben der Königin geschehen ist: Die Maßlosigkeit, mit der Dido auf die Gaben des Eneas antwortet, korrespondiert mit jener vnmazlichen (Eneas 38, 29) Minne, die sie für den Trojaner hegt. Als das Mahl, welches einen Teil des Empfangszeremoniells ausmacht, beendet ist, erzählt Eneas auf den Wunsch der Königin hin dieser allein seine Vorgeschichte. Provoziert von Dido wird die Distanz zwischen beiden nach und nach aufgehoben, als Eneas die minneleidende, kraftlose Dido auf dem Gang in seine Kemenate bei der Hand nehmen muß. Hierbei vermag sie ihre Augen nicht von Eneas abzuwenden und zugleich denkt sie an diejenigen Gaben, die ebensogut wie sie von Eneas als Zeichen des Dankes und der Huldigung im politisch-diplomatischen Sinne überreicht wurden, Minnegeschenke sein könnten. Den Wert von Spange und Armreifen wiegt sie mit ihrem eigenen Leben auf: v

die nvsche und di bogen, di er ir het gigeben, di waren ir liep alse ir leben. (Eneas 50, 8–10) (Die Spange und die Armreife, die er ihr geschenk hatte, waren ihr so viel wert wie ihr Leben.)

Wenig später geschieht, was bereits in der vorangegangenen Szene angelegt ist. Dido kodiert die Gaben, die sie als Herrscherin ehren, für sich in Minnepfänder um. Und sie tut dies ausschließlich mit den Dingen, die diese Umkodierung qua ihres eher unspezifischen Charakters zulassen, beziehungsweise welche ohnehin auch zu Minnegaben prädestiniert sein könnten. Erwähnt werden weder zum wiederholten Male die repräsentativen Gewänder der trojanischen Königin noch der Königsmantel oder der goldene Becher, sondern einzig der Ring und die Armreifen. Als die Königin allein in ihrem Schlafgemach zurückgeblie-

108 Dittrich, »Eneide«, S. 96, Fromm, »Eneasroman«, S. 91, Syndikus, Dido, S. 104, Kasten, Heinrich von Veldeke, S. 89, Deist, Kiss of Ascanius, S. 466 f.

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ben ist, küßt sie stellvertretend für den abwesenden Eneas den Schmuck, den er ihr nach seiner Ankunft überbringen ließ: v

Siv bestreich ir ogen mit den lieben bovgen o vnd chuste ir vingerlin. (Eneas 51, 21–23) (Sie strich mit den lieben Armreifen über ihre Augen und küste ihren Ring.)

Der Schmuck erinnert sie an Eneas, der des Nachts ihren Augen verborgen bleibt. Seine Nähe ist ihr zu dieser Zeit versagt, und in Gedanken an den Geliebten wünscht sie, die Nacht möge schnell vorübergehen. Die Dinge, die Eneas der karthagischen Königin schenkte, haben die Vergangenheit des Trojaners, seine Zugehörigkeit zu den Priamiden und Trojas Geschichte präsent gehalten. Er hat sich in dem Moment, als er sie Dido überreichen ließ, davon gelöst. Diese Memorialfunktion, die die Gaben an dieser Stelle für die Protagonisten der erzählten Geschichte besitzen, ist allen drei Eneas-Texten, die hier besprochen werden, gemeinsam. Obgleich auch die Erinnerung an Trojas Zerstörung nicht vollkommen ausgelöscht wird, sobald Dido die aus Troja mitgeführten Kostbarkeiten in ihren Händen hält, sondern die Königin vielmehr – in ihrem eigenen Leid befangen – daran erinnert wird sowie Helenas Raub als Auslöser für den Krieg und Eneas’ Flucht verdammt, erhalten die Armreifen und der Ring eine zusätzliche Dimension: Die Gaben, die Dido unter den Blicken der Öffentlichkeit oder auch – um eine Wendung von Jan-Dirk Müller aufzugreifen – »im Licht dessen, was alle sehen können«,109 erhalten hatte, werden nun erst und nur für sie in ihren Gemächern zu Gaben, die sie beständig an das Objekt ihrer Sehnsucht erinnern.110 Allein in ihrer Kemenate projiziert sie ihr geheimes Begehren nach Eneas stellvertretend auf die in ihrer Kammer sekretierten, den Augen des Hofes entzogenen Gaben.111 Weder in der Aeneis noch im Roman d’Eneas erscheinen die Gaben so eng mit der Minnehandlung verbunden, wird damit zugleich die – für Dido äußerst verhängnisvolle – Durchdringung von einerseits öffentlicher und

109 Müller, Öffentlichkeit, S. 242. 110 Zur Bedeutung vergegenwärtigender Memorialzeichen »als eine Brücke über die Distanz von Zeit und Raum« im Rahmen von Minnehandlungen vgl. Wenzel, Hören und Sehen, S. 71. 111 Zum Versuch, das Verhältnis von Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit differenzierter zu bestimmen, vgl. Brandt, Enklaven, zum Eneasroman S. 187–191. Brandt spricht (nicht nur im Hinblick auf die Dido-Episode) von einer »schrittweise[n] Reduktion von Öffentlichkeit« (S. 187).

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nichtöffentlicher Sphäre sowie von Diplomatie, Repräsentation und Minnegeschehen andererseits im Inneren eines an sich »öffentlichkeitsabgewandten Raum[es]«112 so evident gemacht! Ähnlich verhält es sich auch mit der Unterredung zwischen Dido und Anna: Auf Kosten der im antiken Epos und im französischen Text verhandelten Themen, wie Nachkommenschaft und Herrschaftssicherung, das Wohlwollen der Götter und das Ausmaß an Gastfreundschaft gegenüber den Trojanern,113 akzentuiert Heinrich von Veldeke das Problem der einseitigen Minne. Das Gespräch verhandelt einzig, wie es anzustellen sei, Didos Zuneigung Eneas zu offenbaren und die seine zu gewinnen.114 In diesem Sinne ist auch die ›erfolgreiche Jagd‹ als Didos eigene List inszeniert. Eneas läßt sich in den Wäldern Libyens verführen, und Dido weiß ihm gebührlich zu danken, indem sie ihre Versprechen einlöst: al der arbeite londe ime minnecliche Dido div riche. (Eneas 64, 4–6) (Alle Mühe vergolt ihm liebevoll die mächtige Dido.)

Sie hebt die Restitution des Gegebenen im Angebot dadurch auf, daß sie sich selbst und ihren Besitz ›in Eneas’ Hände legt‹.115 Doch nachdem Dido mit einem großen Fest versucht hat, diese Transaktionen zu legitimieren,116 fordern die Götter Eneas auf, Karthago zu verlassen. Dido bedauert daraufhin sowohl in der Aeneis als auch in den mittelalterlichen Eneas-Romanen ihr wohlwollendes Verhalten gegenüber dem trojanischen Flüchtling. Aber ebenso wie das Ausmaß ihres Angebotes sich von Text zu Text unterscheidet, variiert die Rede, in welcher sie Eneas mit ihrer Reue konfrontiert. In der Aeneis spricht Dido dem Trojaner seine Stellung als Gemahl ab. Für sie bleibe er lediglich ein undankbarer Gast, der sie nach seiner Abreise unglücklich sterbend zurücklassen wird.117 Die Dido des Roman d’Eneas bereut schlichtweg ihre umfassende Gastfreundschaft, mit welcher sie die Trojaner in ih-

112 113 114 115

Müller, Öffentlichkeit, S. 247. Aeneis IV, 9–53; Roman d’Eneas V. 1272–1382. Vgl. dazu auch Syndikus, Dido, S. 81 f. Ich folge damit also dem Lektüreangebot von Syndikus, Dido, vgl. vor allem S. 88–90. o v 116 Eneas 64, 38–65, 3: do daz mare uz gibrach, | daz div fro we Dido | giworben hete also | o o daz Eneas was ir trut, | do wart si offenbare brut | vnd machite michel hochzit. 117 Aeneis IV, 323 f.: ›[…] cui me moribundam deseris – hospes, | hoc solum nomen quoniam de coniuge restat? […].‹

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rem Reich aufgenommen hatte.118 In der Version Heinrichs von Veldeke äußert Karthagos Königin nunmehr ihr Bedauern darüber, daß sie Eneas während seines Aufenthaltes in Karthago ihren Besitz und sich selbst ohne Rücksicht auf ihr Ansehen dargebracht habe. Das bedeutet, daß an dieser Stelle der Aspekt der Gastfreundschaft eher nebensächlich wird. Ebenso wie bereits in ihrem Angebot rücken vielmehr jene Dinge in den Vordergrund, die für Eneas nur für den Fall, daß er seine Latiumpläne aufgegeben hätte, bestimmt waren: Besitz und öffentliches Ansehen.119 Didos generöses Verhalten gegenüber Eneas ist für sie selbst janusköpfig geworden. Denn die karthagische Königin tritt so auf, wie es wohl einer großen Herrscherin entsprechen mag: Sie gibt denjenigen großzügig, denen sie gesonnen ist, und formuliert dabei keinerlei Einschränkungen. Bereitwillig stellt sie den Trojanern ihren gesamten Besitz zur Verfügung. Ihr Angebot an Eneas umfaßt ihr Reich, ihr Gefolge, Schätze und ihren eigenen Körper. Insofern steht ihr Verhalten an sich, das der Gastfreundschaft und bedingungslosen Milte, in keinem Widerspruch zur Interpretation von Anette Syndikus. Die grenzenlose Freigebigkeit bildet eben gerade keine Ausnahme im Herrschaftshandeln einer mächtigen Fürstin. Zudem gibt Dido nicht allein aus Gründen der Repräsentation, der Darstellung ihres Ranges und ihrer Macht, sondern sie dankt hiermit auch – daran sei erinnert – einer göttlichen Instanz für die Ankunft des Helden und erhofft sich mit ihrem Freigebigkeitshandeln zugleich deren Anerkennung. Allerdings wird ihre Freigebigkeit zu dem Zeitpunkt heikel, als Eneas diese nicht mehr annimmt, als er alle Gaben zurückläßt, um nach Italien aufzubrechen. In diesem Moment wird der karthagischen Königin ihre Großzügigkeit in der Verteilung von Gaben (guot) und Anerkennung (ere), mit welcher sie den trojanischen Flüchtling einst empfangen hatte, zum Verhängnis. Denn Dido kann mit der Abreise des Eneas ihre Angebote nicht mehr rückgängig machen, weil Eneas diese bereits für einen gewissen Zeitraum akzeptiert und angenommen hatte, obgleich er – anders als in der Aeneis und im Roman d’Eneas – von Anfang an nicht gewillt war, sich länger in Karthago aufzuhalten.120 Nun erst wird ihre Freigebigkeit de facto prekär. Denn in den Augen der benachbarten Fürsten hat Dido sowohl ihren Besitz wie auch ihre Ehre als

118 Roman d’Eneas V. 1688–1690: »Tant mar ai fait le bel servise, | le bel sejor, le bel ostage, | que ge vos ai fait en Cartage.« o 119 Eneas 70, 15–17: »[…] daz riwet mich sere, | daz ich iv gut unde ere | also uil han irboten […].« 120 Eneas 57, 33–58, 4.

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Frau und Herrscherin in die Hände des Falschen gelegt und sich auf diese Weise ihren Zorn zugezogen.121 Dido ist angreifbar geworden. Sie ist dies weniger, weil sie im Übermaß gegeben hat, und etwa diese Maßlosigkeit im Geben zu ihrer ›Depotenzierung‹ führte,122 sondern vielmehr, weil sich Eneas als der Adressat ihrer Milte stärker den Göttern als Dido verpflichtet fühlt. Ihre Freigebigkeit gegenüber den Trojanern erweist sich letztlich als Verschwendung, weil sie mit ihrem eingelösten Versprechen, ihrer Art des widerlon für die Troja-Gaben des Eneas, nicht nur eine – wie Haferland formuliert – »reziproke Sequenz« abgeschlossen, sondern »eine neue [für den Trojaner] uneinlösbare Sequenz« eröffnet hat,123 und weil es Dido auf diese Art also nicht gelungen ist, Eneas zu verpflichten, ihn an Karthago zu binden. Obendrein hat sie sich den Neid derer eingehandelt, denen sie ihre Gunst und Anerkennung – die ere, welche zugleich an den von ihr weggegebenen Gaben haftet – stets versagt hatte: Die totale Verausgabung, welche vom Empfänger der Gaben nur ungenügend gewürdigt wird und bei den von der milte Ausgeschlossenen Mißmut und Gewalt erzeugt, bedeutet einen ersten – einen symbolischen – Tod der Königin durch die Zerstörung ihrer sozialen Existenz,124 welcher einzig, wie in den Vorgängertexten auch, nur durch einen gemeinsamen Nachfahren hätte abgewendet werden können.125 121 Eneas 71, 38–72, 5, vgl. dazu Syndikus, Dido, S. 79. 122 Mit diesem Begriff spiele ich auf die von Müller besprochene Episode an, in der Prünhilt im Rahmen des Abschieds von Isenstein Dancwart beauftragt, aus ihrem Besitz Freigebigkeit zu üben. Dieser aber verschleudert Prünhilts Schätze. Damit führt Dancwart fort, was im Dreikampf bereits seinen Anfang genommen hat und in der Hochzeitsnacht vollendet wird – die »Depotenzierung« der Königin: Dancwart »demonstriert nach der körperlichen Niederlage den Verlust der ökonomischen und politischen Ressourcen« (Spielregeln, S. 349). Auch wenn sich die Episoden in Nibelungenlied und Eneasroman in verschiedenen Punkten unterscheiden – Dido etwa gibt sich und ihren Besitz selbst hin, Prünhilt dagegen wird überwältigt und ihr Wunsch nach Freigebigkeit führt unfreiwillig zur Verausgabung –, gestattet wohl gerade die Tatsache, daß der Körper beider Königinnen angreifbar und verletzlich geworden ist, sowie beide einen erheblichen Teil ihres sozialen und politischen Status verloren haben, auch im Hinblick auf die karthagische Königin von ihrer ›Depotenzierung‹ in der Begegnung mit Eneas zu sprechen. 123 Haferland, Höfische Interaktion, S. 159. 124 Entsprechend bedeutet also in Didos Fall nicht schon die vollkommene Verausgabung »Tod durch Auslöschung der sozialen Existenz« (Müller, Spielregeln, S. 349), sondern erst die Tatsache, daß Eneas sie nun – aufgrund ihrer Verausgabung – verletzbar und dazu erbenlos zurückließ und sie damit den Aggressionen jener Fürsten ausgeliefert hat, die bisher von Didos Gunst ausgeschlossen waren. 125 Eneas 71, 36–72,7, vgl. dazu Küsters, Klagefiguren, S. 49.

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Gaben und Opfer

Doch ist dieser Wunsch keineswegs aus Didos Perspektive formuliert. Vergil und der Roman d’Eneas sprechen davon, daß Dido trauert, weil ihr selbst von Eneas kein Kind mit dessen Antlitz geblieben sei, welches sie künftig an den verlorenen Geliebten erinnere.126 Im deutschen Text glaubt die Königin dagegen, daß die göttliche Instanz, welcher sie bisher vertraute, ihr ein Kind als höchste Gabe an Eneas versagt habe.127 Abermals benennt Heinrich von Veldeke einen got (Eneas 72, 8), welcher – wenngleich auch nicht so unmittelbar wie die anthropomorphen Götter des antiken Epos – als am ›Gabenzirkel‹ partizipierend gedacht wird. Heinrich von Veldeke spitzt in seiner Version der Geschichte den Konflikt zwischen Dido und Eneas – so ein erstes Resümee – in vielerlei Hinsicht zu. Dido gibt großzügig und bedingungslos wie in keinem der beiden älteren Texte. Gleichzeitig ist weder in der Aeneis noch im Roman d’Eneas von Beginn an so evident, daß Eneas auf keinen Fall bleiben möchte,128 daß Dido daher von ihm kaum längerfristig eine Gegenleistung erwarten kann. Einseitigkeit, Maßlosigkeit und Unerfülltheit ihrer Minne deuten sich bereits in Didos Angebot wie auch in der Übergabe der trojanischen Gaben und in der unterschiedlichen Bedeutungszuweisung an: Eneas’ Gaben werden im Licht der Öffentlichkeit überreicht und sie sind diplomatischer Art. Erst die minnende Dido kodiert sie eigenständig um. Eneas verschenkt seine Präsente aus Dankbarkeit für die Gastfreundschaft der Königin und er tut dies in Maßen. Dido hingegen gibt und minnt ze unmazen. Wie keiner seiner Vorgänger stiftet Veldeke demnach einen Konnex zwischen Didos Gabe- und Minneverhalten, und konsequenter als dies in den älteren Texten geschieht, hebt er das Handeln der Königin kontrastiv von Eneas’ Verhalten ab, ohne es jedoch – wie der französische Text – moralisch zu werten: Während Eneas souverän und ohne Verschwendung im Geben wie in der Minne agiert, verausgabt sich Dido in beidem. Allerdings schlägt sich in ihrer Verausgabung kein defizitäres Minne- oder Gabeverhalten nieder. Vielmehr wird ihr – durch das geschichtliche Telos unabwendbar festgelegter – Untergang,129 werden die Auflösung ihrer Macht, ihres Besitzes und schließlich ihres herrschaftlichen Körpers konzeptionell vorbereitet. Didos Verausgabung im Geben und in der Minne vollzieht sich als ein Akt der sozialen (Selbst-)Destruktion, an 126 127 128 129

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Aeneis IV, 320–330, Roman d’Eneas V. 1739–1744. Eneas 72, 8–10. Vgl. Kasten, Heinrich von Veldeke, S. 88. Vgl. Vögel, Gedächtnis, S. 63.

Zerstörte Gaben

dessen Ausgang – wie im folgenden zu zeigen sein wird – nur noch die substantielle Zerstörung der ihr von Eneas gebliebenen Gaben und die physische Vernichtung ihres Körpers stehen können, um die soziale Stigmatisierung zu tilgen.130

3.3 Moloch II: Zerstörte Gaben und Didos Tod 3.3.1 Opfer und Fluch Für Karthagos Königin gibt es keine Zukunft. Die Dido der Aeneis glaubt sich vom fatum der Götter benachteiligt und von Aeneas, welcher treu dem göttlichen Gebot folgt, betrogen. Ihren Tod sieht sie in Prodigien131 unmittelbar voraus. Und so befiehlt sie ihrer Schwester, heimlich – unter freiem Himmel im Inneren des Palastes – einen Holzhaufen zu errichten. Auf diesen soll Anna all jene Sachen legen, die Dido an den undankbaren Trojaner erinnern könnten. Die Waffen, die Aeneas zurückließ, sollen ebenso wie seine Gewänder und das Bett, welches Dido und Aeneas zum Unheil der Königin teilten, zerstört werden: ›[…] tu secreta pyram tecto interiore sub auras erige et arma viri, thalamo quae fixa reliquit inpius, exuviasque omnis lectumque iugalem, quo perii, superinponas: abolere nefandi cuncta viri monumenta iuvat monstratque sacerdos.‹ (Aeneis IV, 494–498) (»Errichte heimlich im inneren Haus unter dem Himmel einen Scheiterhaufen und lege die Waffen des Mannes, die – gefühllos – an des Gemaches Wand er zurückließ, jeglich Gewand und das Lager der Ehe, das mich vernichtete, darauf: Gut ist es, alles zu zerstören, was an den Frevler mich mahnt; die Priesterin will es.«) 130 Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf Wagner-Hasel (Stoff der Gaben, S. 171–196, vor allem S. 175 f.), die den Konnex von ›sozialem Tod‹ (Ehr-, Status- und Geltungsverlust) und ›physischem Tod‹ am Beispiel des homerischen Helden Achilleus beschreibt. 131 In ihrer Verzweiflung glaubt Dido die Stimme ihres ermordeten Gatten zu hören, sieht sie, wie sich der am Altar dargebrachte Opfertrank – gleichsam wie gerinnendes Blut – schwarz färbt und damit einem Blutgußopfer an die Unterwelt gleichkommt. In ihrem Wahn erblickt sie die vom Tode verfolgten Helden Pentheus und Orestes (Aeneis IV, 452–473). Zu den Prodigien der Aeneis im Überblick vgl. Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 259–262.

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Gaben und Opfer

Auf den Scheiterhaufen legt die Königin selbst Helenas Kleider, die Aeneas an sie weitergegeben hatte, und sein Schwert. Mit der Vernichtung jener Dinge, die er ihr zum Empfang überreichen hieß, und jener, die er nun zusätzlich zurückließ, möge sich auch die Erinnerung an den Trojaner verlieren. Dies wird besonders mit dem letzten Gegenstand, welchen Dido den übrigen Objekten hinzufügt, evident. Denn hierbei handelt es sich um ein Bildnis des Aeneas, welches sie – einem Fetisch gleich – zerstören möchte, um Aeneas zu verwünschen und in ihrem Gedächtnis sein Abbild der Auflösung preiszugeben: [Dido] super exuvias ensemque relictum effigiemque toro locat […]. (Aeneis IV, 507 f.) ([Dido] legt auf das Lager die Kleider, das Schwert, das er hinterlassen, und sein Bildnis dazu, wohl wissend, was ihrer wartet.)

In Didos Vorbereitungen kündigt sich an, daß sie ihre persönliche memoria nur in einem unumkehrbaren Gewaltakt aufzuheben vermag. Sie vollzieht die damnatio memoriae – erstens – als Vorgang magischer Vernichtung der an Aeneas erinnernden Objekte und – zweitens – als Akt ritualisierter physischer Selbstzerstörung. Todesbereit zelebriert Dido ihr letztes Opferritual am Altar und beschwört hierbei vor allem die Götter der Finsternis, der Unterwelt und all jene Gottheiten, die unglücklich Liebende zu sühnen wissen. Als die karthagische Königin im Morgengrauen die in See stechende Flotte der Trojaner erblickt, malt sie selbst in Gedanken verschiedene Bilder der Rache, die allesamt mythologisch aufgeladen sind: Dido stellt sich die Frage, warum sie die Trojaner vertrauensvoll und gastfreundlich empfangen hat, anstatt ihre Leiber zu zerreißen und die Teile ins Meer zu streuen; warum sie Aeneas mit Macht ausgestattet hat, anstatt in einem offenen Affront Ascanius zu töten, um ihn dann seinem Vater zum Mahl vorsetzen zu können. Sie entwirft Szenarien kannibalischer Grausamkeit; Szenarien – so ließe sich zuspitzen – einer verkehrten Gastfreundschaft, in der sie ihre Macht als Herrscherin Karthagos hätte ausspielen müssen; Szenarien, welche Gaben durch Gewalt ersetzen beziehungsweise positive in negative Gaben wenden. Dann wiederum denkt sie für einen Augenblick daran, die Fliehenden mit Feuergeschossen zu verfolgen, um sie vollkommen zu vernichten. Obgleich die karthagische Königin ihre Phantasmen der Rache letztlich nicht einlöst, verflucht sie doch Aeneas und sein gesamtes Geschlecht über Generationen hinweg. Der Haß, mit welchem die Tyrer künftig die Teukrer verfolgen sollen, werde die ›Gabe an ihren Tod‹ 176

Zerstörte Gaben

sein.132 Auf diese Weise wird ihr Fluch in der Aeneis – aus der Perspektive des Rezipienten – zur mythischen Begründung der Punischen Kriege, des immerwährenden Gegensatzes zwischen Karthago und Rom um die Weltherrschaft.133 Als sie den Fluch über Aeneas und seine Nachkommen ausgesprochen hat, kündigt Dido an, daß sie das Opfer an den Gott der Unterwelt nun vollenden möchte.134 Konkrete Formen der Gewalt – Tod und Feuer –, welche Dido einerseits in Gedanken gegen Aeneas und sämtliche Trojaner gerichtet hatte, und jene Gewaltakte, die ihr andererseits von den umliegenden Reichen drohen, falls sie sich nicht von den bisher verschmähten Fürsten erniedrigen lassen will, wendet sie nun realiter gegen sich selbst: Getrieben von ihrem Todesbegehren läuft sie in den Innenhof ihres Hauses, besteigt den Scheiterhaufen135 und ersticht sich mit jenem Schwert, welches Aeneas achtlos an der Wand des gemeinsamen Schlafgemaches hatte stehen lassen. Die an dieser Stelle zum ersten Mal als Gabe bezeichnete Waffe kehrt sie gegen sich selbst. Sie wird zum Werkzeug des Selbstmordes, ihres Selbst-Opfers an die Unterwelt: [Dido] altos conscendit furibunda rogos ensemque recludit Dardanium, non hos quaesitum munus in usus. (Aeneis IV, 645–648) (Dido besteigt dort den hohen Holzstoß, ganz von Wahnsinn gepackt, und zieht jetzt das Schwert des Dardaners – sein Geschenk, zu solchem Gebrauch nicht erbeten.)

Als Dido die Gewänder erblickt, welche Aeneas aus Troja gerettet hatte, um sie später ihr zum Geschenk zu machen, und das Bett, in dem sie gemeinsam die Nächte verbrachten, erinnert sich die sterbende Königin für einen Augenblick an ihre ruhmvolle Herrschaft vor der 132 Aeneis IV, 622–629: ›[…] tum vos, o Tyrii, stirpem et genus omne futurum | exercete odiis cinerique haec mittite nostro | munera: nullus amor populis nec foedera sunto […]. litora litoribus contraria, fluctibus undas | imprecor, arma armis: pugnent ipsique nepotesque.‹ 133 Mit dem Rächer, der einst aus Didos Gebeinen hervorgehen werde, ist Hannibal gemeint. Zum Racheschwur der karthagischen Königin und zur Legitimierung der Punischen Kriege in Vergils Aeneis vgl. Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 59, S. 253, S. 306, Dittrich, »Eneide«, S. 154, S. 479 u. ö., Kistler, Heinrich von Veldeke, S. 219, Opitz, Geschichte, S. 116. 134 Aeneis IV, 638–640. 135 An dieser Stelle wird zum ersten Mal nicht pyra (Holzstoß oder Scheiterhaufen im allgemeineren Sinne) verwendet, sondern der Begriff rogus, welcher näherhin den Scheiterhaufen als Ort der Vernichtung und des Todes bezeichnet.

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Gaben und Opfer

Ankunft der aus Troja Geflohenen und das Leid, welches ihr hernach durch die Begegnung mit Aeneas zuteil wurde. Abermals fungieren die Kleider Helenas – hier sowohl auf der Handlungsebene für die Protagonistin als auch für den Rezipienten des Epos – als Medium der Erinnerung, welche jedoch an dieser Stelle nicht mehr nur an den Untergang Trojas denken lassen, sondern zudem noch einmal die gemeinsame Geschichte von Dido und Aeneas ins Gedächtnis rufen, unmittelbar bevor sie mit dem Tod Didos im Hier-und-Jetzt einen Abschluß findet. Dido sehnt sich danach, daß die Gewänder, die einst Helena gehörten, nun ihr Leben in sich aufnehmen und sie von ihrem Schmerz erlösen. Karthagos Königin wählt den Tod, um vergessen zu können: hic, postquam Iliacas vestes notumque cubile conspexit, paulum lacrimis et mente morata, incubuitque toro dixitque novissima verba: ›dulces exuviae, dum fata deusque sinebat, accipite hanc animam meque his exsolvite curis. […] urbem praeclaram statui, mea moenia vidi, ulta virum poenas inimico a fratre recepi, felix, heu nimium felix, si litora tantum numquam Dardaniae tetigissent nostra carinae.‹ (Aeneis IV, 648–658) (Als die Gewänder aus Ilium und das innig vertraute Lager sie jetzt sah, versank sie kurz in Tränen und Sinnen, warf sich dann über das Bett und sprach ihre letzten Worte: »O ihr Gewänder – mir süß, solange Schicksal und Gottheit es zuließ, nehmt dies Leben jetzt auf und erlöst mich vom Leid meiner Liebe. Ich erbaute die herrliche Stadt, ich sah meine Mauern, rächte den Gatten und ließ schwer büßen den feindlichen Bruder, glücklich, ach, zu glücklich nur, wenn an unserem Strande niemals wäre die Flotte des Dardanervolkes gelandet.«)

Während Aeneas bereits seinem vorbestimmten Ziel entgegensegelt, sind die Flammen des von Dido bereiteten Opfers weithin sichtbar. Mit Helenas Kleidern hat sie dem Feuer eine Gabe anheimgestellt, die Aeneas noch dem brennenden Trojas entrissen hatte. Als er sie Dido zum Geschenk machte, gab er die mit den Kleidern verbundene Erinnerung an seine Vorgeschichte auf. Nun verbrennt Dido diese Gabe gemeinsam mit dem Bett, welches sie ihm bereitet hatte. Auch sie will vergessen und verzichtet im Augenblick des von ihr arrangierten Opfers auf jegliche Erinnerung an den Trojaner sowie – als sie selbst den Scheiterhaufen besteigt – auf ihr Leben. Didos Gaben an das 178

Zerstörte Gaben

Feuer, an die Unterwelt und die rächenden Gottheiten sind kaum als Opfer im Sinne einer Übereignung an die Götter zu lesen, sondern wohl eher als höchste Form der eigenen – gewaltsamen und irreversiblen – Entsagung. Dido entsagt ihrer Liebe, ihrem Besitz, ihrem Status, der Herrschaft in Karthago und ihrer Erinnerung daran. Die Königin gibt sich in dem von ihr inszenierten Opfer selbst hin. Aber sie opfert sich nicht für Aeneas, genausowenig wie sie ihm zu vergeben vermag. Indem die Königin selbst das Schwert gegen sich richtet, kommt sie gleichzeitig den Aggressionen von außen zuvor, die sie noch kurz vor ihrem Tod thematisiert hatte. Denn mit Didos Opfer werden das Begehren der benachbarten Herzöge sowie deren Zorn, der sich gegen Aeneas richtete, aufgehoben. Doch wird mit ihrem Opfer die Gewalt nicht gänzlich verbannt, sondern – dem mythischen Programm Vergils entsprechend – nur auf eine andere Ebene und in eine andere Zeit136 verschoben. Erinnert sei noch einmal an den Fluch der Sterbenden, welchen sie über das gesamte Geschlecht des Aeneas ausspricht. Der künftige Konflikt zwischen Karthago und Rom wird auf den Lippen der sterbenden Dido prophetisch heraufbeschworen. Zum ›versöhnenden‹ Opfer137 kann Didos Tod erst in den mittelalterlichen Texten werden, dann nämlich, wenn die antiken Götter als agierende Instanzen zurücktreten,138 und die mythische Begründung des Gegensatzes zwischen Karthago und Rom an Bedeutung verliert.

136 Zu der in der Aeneis entworfenen Zeitstruktur vgl. Herzog, Vegessen, S. 83 f., Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 299–329. 137 Ich möchte hier auf die im Eingangskapitel (1.2.2) diskutierte Kulturtheorie Girards rekurrieren. Didos Tod ließe sich wohl auch – im weitesten Sinne der von Girard postulierten Ursprungsgewalt – als eines der Opfer auf dem Weg des Helden zur Begründung des eigenen Reiches lesen. Allerdings will ich die Interpretation der Dido-Eneas-Episode nicht auf diese elementaren strukturelle Zusammenhänge (die von Gründung und Gewalt) und damit auf eine sehr allgemeine These reduzieren. 138 Denn auch im göttlichen Handlungsspielraum, zwischen Juno und Venus, findet dem vergilschen Entwurf nach keine Aussöhnung statt. Obgleich sich Juno mehr oder weniger dem fatum Juppiters fügen muß, wird sie auch im folgenden noch mehrfach zum Schaden des trojanischen Helden in das Geschehen eingreifen.

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Gaben und Opfer

3.3.2 Gabe und Körper – Asche und Schrift Im Roman d’Eneas stechen die Trojaner in See, ohne daß hierbei Merkur oder eine der anderen antiken Gottheiten unmittelbar eine Rolle spielt. Als Dido erkennen muß, daß Eneas nicht zur Rückkehr an ihren Hof zu bewegen ist, gibt sie – ähnlich wie in der Aeneis – ihrer Schwester Instruktionen zur Vorbereitung eines Opfers (un sacrefise, Roman d’Eneas V. 1949). In einem ihrer Zimmer, so hält sie Anna an, möge ein Scheiterhaufen errichtet werden, auf dem all jene Gegenstände, die sie an den verlorenen Geliebten erinnern könnten, verbrannt werden sollen: »[…] En une chambre a recelé me faites faire tost un re, se m’i metez les guarnemenz al Troïën, ki sont laienz, totes les armes et le lit o feïmes nostre delit; ne voil del suen rien retenir. La sorciere ferai venir, si m’aprestez un sacrefise, qu’il estuet faire a cest servise.« (Roman d’Eneas V. 1941–1950) (»In einem Zimmer laßt mir geschwind heimlich einen Holzstoß aufschichten, legt mir die Gewänder des Trojaners, die dort drinnen sind, darauf, alle Waffen und das Bett, in dem wir uns unserer Wollust hingaben; ich will nichts von dem Seinigen zurückbehalten. Ich werde die Hexe kommen lassen, bereitet mir ein Opfer zu, welches man bei dieser religiösen Handlung darbringen muß.«)

Als Dido die Schmerzen des Verlustes nicht mehr ertragen kann, sondert sie sich von allen anderen Damen des Hofes ab und begibt sich allein in ihre Gemächer. Didos Opferakt wird wie in der Aeneis heimlich vorbereitet. Er findet allerdings nicht mehr unter freiem Himmel statt, sondern in ihrer Kemenate, in welche sie bereits die Gaben des Eneas nach seiner Ankunft hatte bringen lassen. Auch rituelle Handlungen, welche im antiken Epos dem eigentlichen Opfer vorangehen – die Reinigung derer, die das Opfer vorbereiten, Wein- und Schrotgaben für die Gottheiten sowie Didos Beschwörung der antiken Götter am Altar –139 läßt der französischen Text aus. Das Schwert, mit welchem

139 Aeneis IV, 509–521; 634–640.

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Zerstörte Gaben

Dido schließlich ihrem Leben ein Ende setzen möchte, wird im Roman d’Eneas ausdrücklich den Gaben zugerechnet, welche Eneas der Königin überließ. Der Text erzählt nicht, daß er es vergessen hätte. Dido, so lautet der Kommentar, hatte zu dem Zeitpunkt, als sie die Waffe von Eneas erhielt, nicht erahnen können, daß sie diese einst gegen sich selbst richten würde. In ihren Händen wird die Gabe zum tödlichen Instrument: l’espee al Troïën vait traire: quant li dona, ne cuida mie, par li deüst perdre la vie. (Roman d’Eneas V. 2028–20230) (Das Schwert des Trojaners zieht sie: Als er es ihr gab, glaubte sie nicht, daß sie dadurch ihr Leben verlieren sollte.)

Dido stößt das Schwert in ihren Leib und gleichzeitig springt sie auf den Scheiterhaufen. Sie legt sich nieder auf die dargebrachten Kleider und Bettdecken, sie windet sich in ihrem eigenen Blut und in ihren letzten Worten wünscht Dido, daß sie Eneas nie begegnet wäre und seine Gaben nie empfangen hätte. Die Gewänder Hecubas, die Eneas mit seiner Flucht aus dem brennenden Troja der Vernichtung dort entzogen hatte, bedeuteten – so Dido – von Anfang an drohendes Unheil. Das Stigma einer untergegangenen Herrschaft, welches den Gaben anhaftete, wurde im Moment der Übergabe und Annahme für die karthagische Herrscherin zur unabwendbaren Bestimmung: »[…] Mar vi onkes cez guarnemenz, il me furent comencemenz de mort et de destruction; mar vi celui ki m’en fist don […].« (Roman d’Eneas V. 2043–2046) (»Zu meinem Unheil erblickte ich je diese Gewänder, für mich sind sie der Beginn von Tod und Zerstörung gewesen; zu meinem Unglück sah ich denjenigen, der sie mir zur Gabe machte.«)

Über das Bett, in welchem Eneas die Königin entehrte, ergießt sich nun ihr Blut, so als müßte die Untat gerade mit ihrem Blut bereinigt und gesühnt werden. Sie gibt ihr Leben auf, ihren Namen, ihre Würde und das erbenlose Reich, welches sie nach ihrem Tod zurückläßt. Doch nicht nur die Blutspur auf dem Bettlaken bezeugt Didos Verzicht, denn im Unterschied zu Vergils Figur benennt die Königin explizit jene Dinge, denen sie entsagt: Verloren hat sie Ansehen (enor) und Macht 181

Gaben und Opfer

(barnage), ihren Namen (nom) sowie ihren Ruhm (gloire); Karthago läßt sie erbenlos (senz eir Cartage) zurück.140 Sterbend bezichtigt Dido den Trojaner des Mordes an ihr, so als hätte er selbst die tödliche Gabe in Gestalt seines Schwertes gegen sie gewendet. Doch gleichzeitig verzeiht sie ihm und küßt zum Zeichen dessen noch einmal die Kleider Hecubas und das Bett, bevor sie diese Objekte gänzlich den Flammen anheimstellt. Im Opfer, im Moment der Selbstaufgabe, als jegliches Blut ihrem Leib entströmt ist, gibt die Königin Eneas frei, indem sie ihm vergibt. Ihr blutiges Opfer wird zum Akt der Versöhnung und gleichzeitig entsühnt sie Eneas.141 Im Roman d’Eneas werden auf diese Weise Didos Opfer nicht nur die Adressaten genommen, die antiken Götter der Rache und der Unterwelt, sondern darüber hinaus wird es mit einem – gleichsam christlichen – Gedanken der Erlösung überblendet. Die karthagische Herrscherin opfert selbst ihren Leib und zugleich entbindet sie Eneas von der Schuld, die sie ihm zunächst noch zugesprochen hatte. An den vergilschen Fluch Didos läßt lediglich noch der feindseelige Blick denken, den sie bei ihrer Begegnung in der Unterwelt gegen Eneas richtet.142 Allerdings verlangt die Dido des Roman d’Eneas im Unterschied zur sterbenden Königin in der Aeneis, daß man sich beständig an sie erinnern und von ihr sprechen werde. Dido gibt sich selbst den Tod, aber sie tut dies nicht ohne den Wunsch, vor allem im Gedächtnis der Trojaner zu bleiben.143 Wie die Gaben des Eneas löst sich auch ihr schöner, herrschaftlicher Körper in den Flammen des Scheiterhaufens auf. Kein Wundmal und keine Blutspur erinnern nunmehr an das Leid Didos, bezeugen als indexikalische Zeichen, daß die Königin Eneas’ Schwert in ihren Leib gestoßen hat.144 Denn das Feuer läßt nichts als ein Häufchen Asche der einst mächtigen karthagischen Herrscherin zurück. Dido gibt sich und die Gaben des Trojaners den Flammen preis, um selbst zu vergessen. Ihr Körper, Eneas’ Gaben und ihre letzten Gaben an den Geliebten – die Selbstaufgabe und die Freigabe des Helden – sind eins in der Auflösung. Didos letzte Gabe an Eneas, um dies noch einmal pointiert zu formulieren, ist eine Gabe, »auf die es keine Erwiderung, keine Wie140 Roman d’Eneas V. 2051–2053. 141 Roman d’Eneas V. 2063–2067: »[…] Il m’a ocise a molt grant tort; | ge li pardoins ici ma mort; | par nom d’acordement, de pais | ses guarnemenz et son lit bais. | Gel vos pardoins, sire Eneas.« 142 Roman d’Eneas V. 2653. 143 Roman d’Eneas V. 2054–2056: »[…] mais ne morrai si senz memoire, | qu’on ne parolt de mei toz tens, | vels non entre le Troïën […].« 144 Zur Vorstellung vom Körper als Textur vgl. Küsters, Narbenschriften.

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Zerstörte Gaben

dergabe gibt«, sie »heißt donner la mort«,145 – und dies nicht etwa im metaphorischen Sinne, sondern ganz und gar substantiell. Didos Hingabe im Feuertod bedeutet die völlige Zerstörung ihres Körpers. Er wird nicht mehr an die Königin erinnern. Allein die Asche, die zurückbleibt, verweist darauf, daß etwas nicht mehr Anwesendes der zerstörenden Kraft des Feuers übergeben wurde. Allerdings läßt die Aschespur nur noch erahnen, um welche Dinge es sich gehandelt hat, bewahrt sie jenes von ihr Indizierte – die Gaben des Eneas und den Körper der Königin, die sich in ihrem Opfer verbinden – »nicht anders als in vernichteter, aufgezehrter Form« auf.146 Körper und Gaben, die in den irreduziblen Überresten substantiell anwesend bleiben, sind abwesend in ihrer ursprünglichen Materialität. Didos ›Gabe an den Tod‹ entzieht sich jeglicher Rückerstattung. Dennoch werden Name und Schicksal der karthagischen Herrscherin nicht dem Vergessen anheimgegeben. Denn Anna läßt Didos Asche in ein kleines Gefäß sammeln und ehrenvoll im Tempel Karthagos begraben. Die Tyrer errichten für ihre Königin ein herrschaftliches Grabmal und auf die Emailplatten schreiben sie ein Epitaph,147 welches – für den, der es liest – Didos Schicksal rekapituliert oder auch mahnend ins Gedächtnis ruft.148 Asche und schriftliche memoria werden gemeinsam in Zeit überdauernden, nur langsam zerfallenden Materialien konserviert. Gabe, Körper und Geschichte sind in der Asche aufgelöst und nur noch entfernt erahnbar. Auch die Asche ist Trägerin der Erinnerung, aber sie vermag in dieser Funktion – so inszeniert es der Text – Körper und Gegenstände nicht zu ersetzen, sondern sie bedarf der stützenden und erklärenden Schrift.149 Geschrieben auf einem Zeit überdauernden Grund

145 Vgl. Wetzel, Liebesgaben, S. 234, welcher wiederum Derrida, Den Tod geben rezipiert. 146 Michael Wetzel, Lebewohl Asche (Nachwort), in: Derrida, Feuer und Asche, S. 69–75, zit. S. 72. 147 Kistler vergleicht die trauernde Dido-Figur der mittelalterlichen Eneas-Romane mit der aus Ovids Heroiden, arbeitet Gemeinsamkeiten (Dido haßt Eneas nicht wie in der Aeneis) und Unterschiede (das Epitaph, welches an Dido erinnert, variiert) heraus (Heinrich von Veldeke, S. 220–223). 148 Roman d’Eneas V. 2129–2144. 149 Während im Entwurf des mittelalterlichen Eneas-Romans die Schrift Informationen zu liefern vermag, die der Asche als vernichteter Gabe nicht mehr zu entnehmen sind, werden achthundert Jahre später in Derridas Philosophie Schrift, zerstörte Gabe und Asche substituierbar. Dies ist möglich, weil destruierte Gabe und Asche nicht substantiell aufgefaßt, sondern als Metaphern für den geschriebenen Text verwendet werden. Vgl. Derrida, Feuer und Asche, insbesondere S. 55 und S. 57, dazu Rapaport, Derridas Gaben, besonders S. 48–51. Für Derrida ist da-

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Gaben und Opfer

müssen die Buchstaben fortan die Erinnerung wachhalten, dort, wo Körper und Gaben nicht mehr präsent sind. Aber auch das ist, wie sich zeigen wird, nur ein uneingelöstes Phantasma.

3.3.3 Der Blick auf das Opfer Heinrich von Veldeke gibt Didos Opfer wieder göttliche Adressaten. Das Feuer, welches mit den Flammen korrespondiert, die ihr Herz zu verbrennen drohen,150 entzündet sie für die Liebesgöttin Venus und ihren Sohn Cupido. Diese beiden, welche das schmerzhafte Minnefeuer in ihrem Herzen entfacht haben, mögen sich nun ihrer annehmen: »[…] o ich muz ein opher machen dem ‹go›te von der minne ‹vnd› Vene‹ri› der gotinne, o ‹daz› siv mir gnade tv […].« (Eneas 75, 8–11) (»Ich muß dem Gott der Liebe ein Opfer darbringen und der Göttin Venus, daß sie mir Gnade erweise.«)

Bevor die Königin Anna wegschickt, um jene Zauberin zu holen, die Dido von ihrer schmerzvollen Minne befreien soll, verlangt sie nach allen Eneases geben (Eneas 75, 21). Die einzelnen Gaben des Eneas, welche Dido stets wie ihr eigenes Leben geschätzt hatte, verbrennt sie noch vor den Augen ihrer Schwester. Dann schließt sie sich allein in ihrer Kemenate ein, um ihr eigenes Schicksal – ihr Leid und die ihr zuteilgewordene Schande – zu beklagen.151 Als Dido das Schwert des Eneas und ein Horn, welches er zurückgelassen hat, entdeckt, wirft sie die Schwertscheide und das Instrument in die Glut des Scheiterhaufens. mit auch die Schrift ›Spur‹ des hinter der Schrift verschwindenden Schreiber-Subjekts (vgl. dazu Haselstein, Poetik der Gabe, S. 286 f.). Daß es allerdings wichtig sein kann – wie etwa A. Assmann, Erinnerungsräume, S. 209 –, gerade zwischen Spur (als indexikalischem Zeichen) und Schrift (als kodiertem Zeichensystem) zu unterscheiden, zeigt die analysierte Episode: Denn die Aschespur, die von Dido geblieben ist, wird erst in Ergänzung der Schrift lesbar. Schrifttext (der im Sinne Derridas freilich auch spurenhaft auf seinen Schöpfer zurückverweist) und Spur existieren hier (substantiell voneinander geschieden) nebeneinander. Die Schrift auf den emaillierten Grabplatten und die Asche sind nicht austauschbar, sondern sie ergänzen einander. 150 Eneas 74, 26, vgl. dazu Matejovski, Selbstmord, S. 252. 151 Eneas 76, 11–77, 36.

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Zerstörte Gaben

An Eneas selbst vermag sie sich nicht mehr zu rächen, deshalb – so die Argumentation in Veldekes Roman – vernichtet sie stellvertretend diese beiden Dinge, die ihr geblieben sind:152 do hete Eneas ein horn da verlazen vnde ein swert, […] o o dar an erchulde si ir m‹u›t, o siv warf daz horn in die glut vnd die swertscheide. (Eneas 76, 2–7) (Eneas hatte ein Horn und ein Schwert zurückgelassen. Daran rächte sie sich. Sie warf das Horn und die Schwertscheide in die Glut.)

Hierbei nimmt Dido genausowenig Rücksicht auf den materiellen Wert des in diesem Sinne kostbaren Schwertes wie einst, als sie die Gaben des Eneas empfangen hatte, auf den der Gewänder und des Schmukkes. Sie hatte Eneas’ Geschenke wohlwollend angenommen, weil für sie in den Dingen ein Teil des Trojaners und seiner Geschichte präsent war. Aber weder in den Gaben noch in den Gegenständen, die Eneas zurückließ, wird der Körper des Geliebten gegenwärtig gehalten, sondern nur das Wissen um und die Erinnerung an ihn.153 Jetzt, da Eneas’ Abschied endgültig ist, quält sie die Erinnerung, deren Träger die Gaben sowie das Horn und das Schwert sind, statt sie zu trösten. Allerdings ist es nicht nur der Verlust des Geliebten, welcher Dido trifft. Sondern mit der Abreise des Trojaners, in dessen Hände sie bei Veldeke umfassender als in den Vorgängertexten ihren Besitz und ihre Macht gelegt hatte, hat die karthagische Herrscherin auch ihr öffentliches Ansehen verloren. Dem drohenden ›sozialen Tod‹ kommt sie zu-

152 Vgl. hierzu Küsters, Klagefiguren, insbesondere S. 51. 153 Oder anders formuliert: Die »vergegenwärtigende Kraft der Zeichen« (Wenzel, Hören und Sehen, S. 71) hält Didos Erinnerung an Eneas wach. Doch im Akt der Erinnerung – so könnte man weiter präzisieren – kann Dido den Geliebten nur imaginativ, nicht aber konkret beziehungsweise unmittelbar körperlich vergegenwärtigen. Da die Imagination aber den Schmerz schürt, statt ihn zu lindern, will Dido alles zerstören, was sie an Eneas erinnert. – Komplementär zu dieser Szene ließe sich eine Episode aus Gottfrieds Tristan lesen: Tristan sendet Isolde den außergewöhnlichen Hund Peticriu, der ein Glöckchen trägt, dessen Klang allen Kummer vergessen läßt. Doch Isolde will nicht, daß die schmerzvolle Sehnsucht nach dem Geliebten kraft der akustischen Zeichen ausgelöscht wird. Und so zerstört sie den Zauber der Gabe, indem sie Peticreiu die Glocke vom Hals reißt (Tristan V. 16359–16402). Philipowski spricht von Isoldes Wille zur Erneuerung des leit (Gegenwärtigkeit, S. 30).

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vor, indem sie ihrem Leben ganz entsagt.154 Dido sticht sich das Schwert, welches ihr von Eneas geblieben ist, ins Herz und tödlich verwundet fällt sie in die Glut. Diese vermag kaum noch an die zerstörten Gaben des Eneas zu erinnern und auch in Horn und Schwertscheide hat sie sich bereits eingegraben. Das Feuer wird aufs neue entfacht, und in ihm lösen sich nach und nach Didos Gewänder (ir gebende und ir giwant, Eneas 78, 12) – öffentlich wahrnehmbare Zeichen ihres sozialen o und politischen Ranges –, sodann ihr Leib (ir fleis mv ze smelzen, Eneas 78, 13) und schließlich ihr unmäßig liebendes Herz (vnd ir herze swelzen, Eneas 78, 14) auf.155 Als Anna an den Hof zurückkehrt, findet sie die Kemenatentür fest verschlossen vor. Da ihr weder der Zutritt in das Gemach gewährt wird, noch Dido in irgendeiner Weise auf das Klopfen ihrer Schwester reagiert, versucht sie, durch ein Loch in der Tür ins Innere der Kemenate zu spähen.156 Anders jedoch als etwa der Protagonist im Armen Heinrich Hartmanns von Aue, welcher – als der vom Opferakt Ausgeschlossene – einen ähnlichen Blick auf das für ihn vorbereitete Mädchenopfer wagt157 wie Anna auf Dido, vermag jene den Tod ihrer Schwester nicht mehr zu verhindern. In dem Moment, da sie durch das Loch in der Kemenatentür auf das Opfer schaut, kann sie von Didos Körper nur noch die glühenden Überreste wahrnehmen. Doch der durch das Loch gebündelte und kanalisierte Blick einer einzelnen Figur auf den (nunmehr verbrannten) Leib der Königin ist hier zugleich der auf einen im Mittelalter tabuisierten Akt: den vom vient (Eneas 80, 28), dem Teufel, initiierten Selbstmord,158 für den es allerdings – im Unterschied zur älteren Erzähltradition – im Roman Veldekes keinerlei Augenzeugen gibt. Während etwa im Roman d’Eneas neben Anna auch Didos Jung-

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154 Eneas 76, 32–35; 77, 32–36: »[…] o wi ere vnde gut, | minne vnd wistvm, | gewalt unde o o o richtvm, | des hete ich alles min teil. […] nv ist after lande | min laster uil mære, | vnd muz v och offenbære | min schade vil groz wesen, | wande ich enwil niht ginesen.« 155 Indem nicht nur die Doppelnatur des königlichen Leibes – biologischer und symbolischer Körper – (vgl. Kantorowicz, Die zwei Körper) vorgeführt wird, sondern eine dritte Schicht (Didos Herz) hinzukommt, führt diese Szene noch einmal vor Augen, daß es die maßlose Minne ist, die ihr im Hinblick auf ihren Status als Frau und Königin zum Verhängnis wird. o 156 Eneas 78, 31–33: ze einem loche siv in sach, | wa Dido tot lach | verbrunnen in der glut […]. 157 Armer Heinrich V. 1228–1232. 158 Zu Suiziddiskursen in Mittelalter und früher Neuzeit vgl. den von Signori herausgegebenen Sammelband Trauer; zu literarischen Entwürfen vgl. Knapp, Selbstmord, Matejovski, Selbstmord.

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frauen und Barone zuschauen, wie die Königin verbrennt,159 wird in Veldekes Roman weder der Akt der Selbsttötung noch das Feuer für irgendeine Figur sichtbar. Nur ihre Asche kann noch wahrgenommen werden, und selbst diese dürfen allein die Vertrauten der Königin, die sie in eine Urne sammeln, sehen.160 Für eine breitere Öffentlichkeit wird dagegen verschleiert, daß Didos Körper nicht mehr existiert. Denn neben der fest verschlossenen Tür, hinter der Didos Selbstopfer verholen bleibt, erfindet Heinrich von Veldeke auch einen Sarg aus grünem Edelstein, der die Urne in sich aufnehmen wird. Damit wird das Skandalon des Suizids nicht allein dadurch entschärft, daß Dido nach ihrem Tod nicht die Höllenqualen der Selbstmörder leiden muß,161 sondern auch insofern, als den Augen der Öffentlichkeit sowohl der Tötungsakt als auch die Reste des Körpers verborgen bleiben. Denn der Sarg indiziert einen unzerstörten Körper. Dennoch wird das Wissen um die Todesart der karthagischen Herrscherin – wie von ihr selbst bereits befürchtet – ebenso offenbaere wie einst ihre nur eheähnliche Beziehung zu Eneas. Denn eine goldene Sarginschrift wird künftig an Didos Schicksal und ihren Selbstmord erinnern;162 die Schrift wird zum Surrogat eines nicht mehr präsenten Körpers.163 Heinrich von Veldeke tilgt also nicht das Wissen um Didos Selbstmord, aber er macht ihn für die erzählte Welt unsichtbar.164 159 Aeneis IV, 663–674; Roman d’Eneas V. 2125 f. 160 Eneas 79, 22 f.: do enliez man dar ingan | nieman wan ir holden […]. 161 Eneas begegnet ihr während seiner Unterweltreise in einem Bereich vor der eigentlichen Hölle, wo all diejenigen hausen, die tot waren von minnen (Eneas 99, 29). v 162 Eneas 80, 10–13: ›hie liget fro we Dido, | div mare und div riche, | div sich so iamerliche | o durch minne ze dode sluch […].‹ 163 Ausschließlich zu den Grabmälern in Heinrichs von Veldeke Roman vgl. Schieb, Grabmalbeschreibung, zur Bestattung Didos S. 204–206; vgl. darüber hinaus zu Grab- und Denkmälern im Kontext einer Theorie der Erinnerung A. Assmann, Erinnerungsräume, S. 43–48. 164 Erst die Illustration der Berliner Handschrift (fol. 17v) verschiebt den Akzent, insofern sie sichtbar macht, was keiner der Protagonisten wirklich gesehen haben kann – Didos Körper. Der Bildraum ist deutlich in zwei Hälften geteilt: Dargestellt ist nicht allein der Blickwinkel der Späherinstanz, der Ausschnitt aus dem Inneren der Kemenate, den Anna durch das Loch gesehen hat. Sondern in das Bild hineingeholt sind sowohl die Späherin als auch eine weitere Figur, welcher jedoch der Blick auf Dido verwährt bleibt. Die Kemenate der Königin wird von einem Raum davor einzig durch eine Tür getrennt, welche wie ein breites Band vom Erdboden bis zur Decke reicht. Außenraum, Tür und Innenraum werden als ein Nebeneinander unterschiedlich großer Flächen dargestellt. Das Loch, von dem im Text die Rede ist, wird als kleines Fenster im oberen Teil der Tür illustriert, auf das die zweite Figur mit dem Zeigefinger der rechten Hand ver-

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Ähnlich wie im französischen Roman gibt die Schrift an dieser Stelle vor, Träger der Erinnerung zu sein. Doch ebensowenig wie in der Aeneis und im Roman d’Eneas wird sie es im weiteren Verlauf der Geschichte sein, welche – zumal nicht für den Rezipienten – die Erinnerung an Dido wachhält. Denn die Erzählung führt nicht mehr an das Grab Didos zurück, sondern sie folgt dem Weg des Helden nach Latium. Fortan fungieren vor allem jene Gaben Didos, welche Eneas aus Karthago mitgenommen hat, als Medien der Erinnerung.

3.4 Gabe, Gastfreundschaft und Gewalt II: Diplomatie und Geschichte 3.4.1 Epirus: Erinnerungen und Projektionen oder die Gewänder der Andromache Als Aeneas der karthagischen Königin von seiner Flucht aus Troja und der langen Seereise erzählt, erwähnt er auch seinen Aufenthalt in Epirus.165 Hier haben Helenus, einer der Söhne des Priamus und der Hecuba, sowie Andromache, die Witwe Hektors, nach längerer Zeit in griechischer Gefangenschaft die Stadt Buthrotum – ein neues Troja – errichtet.166 In Erinnerung an das gemeinsame Schicksal werden Aeneas und sein Gefolge mit Tränen und Freude zugleich empfangen. Die Tränen sind – wie das regelmäßige Opfermahl und Andromaches Tränen für Hektor – den Toten Trojas bestimmt,167 die Freude und ein gemeinsamer Trunk zu Ehren des Bacchus gilt den überlebenden Ankömmlingen. Der Prophet Helenus rät Aeneas, der göttlichen Weisung zu folgen und Hesperien aufzusuchen. Zugleich mahnt er ihn, auch in der Fremde die althergebrachten Opferbräuche nicht aufzugeben und weist: so als müsse sie Anna – oder auch den Betrachter des Bildes – zum Schauen anleiten. Im Inneren der Kemenate ist weitaus mehr zu sehen als nur noch die glühende Asche. Dido ist zwar bereits von Flammen umgeben, aber ihr Leib, in welchen sie das Schwert gestoßen hat, ist noch deutlich erkennbar. 165 Die mittelalterlichen Eneas-Romane verzichten auf diese Erzählung. 166 Aeneis III, 349 f.; Suerbaum spricht von einem »restaurierten, simulierten Miniatur-Troja« (Geschichte und Gegenwart, S. 140). 167 Die Ankömmlinge treffen Andromache bei dem für Hektor bestimmten Opfer an (Aeneis III, 301–305); für Wagner-Hasel (Stoff der Gaben, S. 211) zählen die Tränen an den Gräbern und Altären zu den Gaben für die Toten wie zu den Gaben der Trauergemeinde für die Angehörigen der Toten.

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sie selbst an die nächsten Generationen weiterzuvermitteln. Vor allem der mächtigen Göttin Juno soll Aeneas demütig Gaben darbringen (dominamque potentem supplicibus supera donis, Aeneis III, 438 f.), um deren anhaltenden Zorn auf die Trojaner zu besänftigen. Schließlich verweist Helenus auf die cumaeische Sybille, von der Aeneas sein künftiges Schicksal erfahren werde, wenn er bereit ist, diese aufzusuchen. Doch nicht allein imperiale Verheißungen, Mahnungen und Weisungen gibt Helenus den Trojanern auf ihren Weg mit. Aeneas und sein Vater Anchises erhalten überdies Gegenstände aus Gold, Elfenbeinschnitzereien und große Mengen an Silber, die der Kultstätte des Orakels Dodona entstammen.168 Das heißt, Weihgeschenke, die Fragende dem Heiligtum als Gaben den zwischen Himmel und Erde vermittelnden Priesterinnen oder der Gottheit selbst dargebracht haben, werden nun von Helenus als Abschiedsgeschenke an seine Gäste aus dem sakralen in den profanen Bereich zurückgeführt.169 Hiermit unterscheiden sich diese ursprünglichen Weihgaben von jenen, die am Ort eines jeweiligen Kultes in irgendeiner Weise zerstört werden und so endgültig dem profanen Gebrauch und weiteren Zirkulationen entzogen sind. Allerdings ist mit den Präsenten aus Gold, Silber und Elfenbein die Großzügigkeit des Helenus bei weitem nicht erschöpft. Zu den Gaben des Helenus zählen weiterhin Pferde samt Lenkern, Ruderer für die Schiffe der Trojaner sowie neue Waffen, durchaus ›nützliche‹ Dinge also, welche die aus Troja Geflohenen für ihre Weiterreise benötigen. Die Rüstung, die Aeneas erhält, sticht allerdings unter den Präsenten heraus, weil es sich mit ihr abermals um eine stigmatisierte, von Gewaltakten blutbefleckte Gabe handelt: »[…] loricam consertam hamis auroque trilicem et conum insignis galeae cristasque comantis, arma Neoptolemi […].« (Aeneis III, 467–469) (»[…] auch einen Panzer, dreifach geflochten aus goldenen Ringeln, und einen prächtigen Kegelhelm mit wallendem Helmbusch – einst die Rüstung des Neoptolemus […].«)

168 Aeneis III, 463–466: »[…] Quae postquam vates sic ore effatus amico est, | dona dehinc auro gravia sectoque elephanto | imperat ad navis ferri stipatque carinis | ingens argentum Dodonaeosque lebetas […].« Speziell zu dieser Kultstätte: Alroth, Visiting Gods, S. 13 f. 169 Zur Akkumulation von Reichtümern in Opferstätten sowie zum »Tempelraub als Finanzierungs- oder Refinanzierungsmodus antiker Herrscher« vgl. Gladigow, Opfer, S. 98.

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Panzer und Helm gehörten einst Neoptolemus, welcher in der Schlacht um Troja Priamus am Zeusaltar tötete, am Grab seines Vaters Achilles die Priamustochter Polyxena opferte, vorübergehend Andromache zur Ehe zwang und schließlich im Streit um die Helenatochter Hermione von Orestes umgebracht wurde.170 Wenngleich Neoptolemus im Dienste des Menelaus den Trojanern großen Schaden zugefügt hatte, bleibt dennoch den aus Troja Geflohenen der Triumph. Denn der Sohn des Achilles ist inzwischen tot, der Priamide Helenus ist Herrscher eines neuen Reiches, und Aeneas übernimmt aus seinen Händen den Panzer sowie den Helm des Neoptolemus – die Waffen des einstigen Feindes.171 Andromache hingegen erinnert zum Abschied noch einmal an das Leid, welches ihr bei der Zerstörung Trojas wiederfahren ist. Denn in den Kämpfen gegen die Griechen hat sie nicht nur ihren Gatten Hektor verloren, sondern auch ihren noch kleinen Sohn Astyanax. Dieser wurde von den Griechen nach dem Fall Trojas von der Stadtmauer gestürzt, um ihn als Nachfahren Hektors und potentiellen Rächer für die an den Trojanern begangenen Greueltaten auszuschalten. Abermals werden Gewänder als Träger der memoria verschenkt. Denn unter den Abschiedsgeschenken Andromaches, zahlreichen golddurchwirkten Stoffen, befinden sich Kleider, die sie eigens dem Sohn des Aeneas überreicht: »[…] nec minus Andromache digressu maesta supremo fert picturatas auri subtemine vestes et Phrygiam Ascanio chlamydem nec cedit honori textilibusque onerat donis ac talia fatur: ›accipe et haec, manuum tibi quae monumenta mearum sint, puer, et longum Andromachae testentur amorem, coniugis Hectoreae. cape dona extrema tuorum, o mihi sola mei super Astyanactis imago. sic oculos, sic ille manus, sic ora ferebat; et nunc aequali tecum pubesceret aevo.‹ […].« (Aeneis III, 482–491) (»Auch Andromache – tiefbetrübt in der Stunde des Scheidens – bringt uns mit Goldgewebe durchwirkte Gewänder, und gibt ein phrygisches Kleid dem Askanius, weicht nicht mit Ehrengaben, häuft so Gewebe auf Gewebe zur Gabe und spricht dabei also: ›Nimm auch dieses, mein Kind. Es mag dich erinnern an meine Hände und stets dir bezeugen Andromaches dauernde

170 Aeneis II, 547–558; III, 317–332. 171 Vgl. hierzu bereits Heinze, Virgils epische Technik, S. 109 f.

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Liebe, Hektors Gemahlin war ich. Die Abschiedsgeschenke der Deinen nimm, des Astyanax du mir einzig verbliebenes Abbild. Augen und Hände und Mund trug auch er einst genau so, und im gleichen Alter mit dir jetzt würde er mannbar.‹«)

Ascanius erinnert Andromache an ihren eigenen Sohn Astyanax, der inzwischen genauso alt wie dieser wäre, lebte er denn noch. Ihre Gabe an Ascanius verbindet sie mit der Bitte, daß er sich ihr, der Witwe Hektors, und ihrem Geschlecht auch künftig verbunden fühle. Die Kleider mögen ihn die Hände, aus denen er die Gabe empfangen hat, ebensowenig vergessen lassen wie die immerwährende Liebe, mit welcher Andromache ihm zugetan ist. Ascanius wird für Andromache zum Substitut des eigenen verlorenen Sohnes, und sie legt mehr als nur Gewänder in seine Hände: Auf ihn überträgt sie auch alle Hoffnungen auf die Neubegründung des trojanischen Reiches und ein Weiterleben der alten Geschlechter.172

3.4.2 Sizilien: Kollektives Gedächtnis und kanalisierte Gewalt Im Fest flackert ein Verlangen nach Zerstörung auf, aber eine bewahrende Besonnenheit setzt ihm Grenzen und lenkt es in geordnete Bahnen. (Georges Bataille, Theorie der Religion)173

Der sizilianische Hafen Drepanum war der letzte, in dem Aeneas vor seiner Ankunft in Karthago aufgenommen wurde. Auf Sizilien hat Aeneas auch seinen Vater Anchises begraben. Nun, da er nach seinem Aufenthalt in Didos Reich nach Sizilien zurückgekehrt ist, wird er auf der Insel von Acestes, dem Sohn einer Trojanerin, abermals freundschaftlich empfangen. Acestes, der seiner trojanischen Vorfahren gedenkt, ist den Ankömmlingen – nicht zuletzt aufgrund des gemeinsamen Ursprungs – ein großzügiger Gastgeber.174 Am Tag nach der Ankunft versammelt Aeneas die Trojaner und erinnert sie an den Tod seines Vaters, den er genau ein Jahr zuvor hier zu Grabe getragen und an den Altären beweint hatte. Ob als Gefangener, 172 Zur Bedeutung memorierter Vergangenheit und memorierter Verheißung in der Helenus-Andromache-Episode vgl. Herzog, Vergessen, S. 101–103. Herzog geht allerdings nicht auf die Gaben des Helenus ein und widmet denen der Andromache nur eine Fußnote. 173 Bataille, Aufhebung der Ökonomie, S. 47. 174 Aeneis V, 39–41: […] veterum non inmemor ille parentum | gratatur reduces et gaza laetus agresti | excipit ac fessos opibus solatur amicis.

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als Freund in einem fremden Reich oder als Herrscher über eine eigene Stadt, Aeneas gelobt, daß er zur Erinnerung an seinen Vater jährlich Opfer darbringen möchte. Jetzt und hier lädt er zum gemeinsamen Opfermahl für die eigenen Götter und die, welche der Gastgeber und Stifter der Opfertiere Acestes verehrt. Ferner kündigt Aeneas zur Ehre seines Vaters verschiedene Wettkämpfe an, für die er selbst die Preise aussetzt.175 Aeneas eröffnet den Opferakt mit einem Weihguß aus je zwei Bechern reinen Weines, frischer Milch und heiligen Blutes am Grab des Vaters. Purpurfarben wie die Kleider, welche die Trojaner während des Rituals tragen,176 sind die Blüten, die Aeneas auf das Grab streut. Nachdem er seinen Vater gepriesen hat, erscheint eine schillernde Schlange am Altar und labt sich an dem Weihguß. Aeneas liest die Erscheinung als Prodigium, als wohlwollendes Zeichen der Götter oder seines Vaters, und setzt daraufhin das Opfer fort,177 indem er Schweine, Stiere und – dem Kult entsprechend – zwei jährige Schafe schlachtet und wiederholt Wein aus Opferschalen vergießt. Freunde und Gefährten sind eingebunden in das Opfer, auch sie bringen Gaben herbei (nec non et socii, […] laeti dona ferunt, Aeneis V, 100 f.) und bereiten aus Teilen der geopferten Tiere ein Mahl, welches Bestandteil des Rituals ist. Die aus Troja Geflohenen und diejenigen, welche nur mittelbar über Acestes einen Bezug zu Trojas Geschichte haben, versichern sich – in Erinnerung an die Verstorbenen – im gemeinsamen Opferakt sowie während 175 Vgl. zu Tradition und Struktur solcherart Wettkämpfe (anläßlich von Bestattungen, des jährlichen Totengedenkens oder sonstiger Feierlichkeiten) den Artikel ›Agon(es)‹, in: Der Kleine Pauly I (1979) Sp. 135–140, Heinze, Virgils epische Technik, S. 145–170, Erdmann, Bilder, S. 501–504, Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 212. Den mittelaterlichen Autoren müssen diese Szenen (die Art und Weise der Totenehrung) ebenso wie wohl schon Vergils Erzählung vom Aufenthalt der Trojaner in Epirus sehr fremd erschienen sein. Denn während Vergil im folgenden den Opferakt und die Leichenspiele sehr ausführlich beschreibt, sind jene Episoden im Roman d’Eneas auf ganze acht und bei Heinrich von Veldeke gar auf sechs Verse gekürzt. Sie dienen lediglich noch als Überleitung zu jener Episode, in der Anchises seinem Sohn erscheint, und der darauffolgenden Erzählung von der Unterweltreise des Helden: Roman d’Eneas V. 2153–2160 und Eneas 80, 31–39. 176 Aufgrund der aufwendigen Gewinnung des Farbstoffes Purpur wurden die wertvollen Purpurgewänder nur zu ganz besonderen Anläßen getragen oder waren gar nur Statusträgern vorbehalten. Zu ökonomischen und kulturhistorischen Hintergründen (in der Antike) vgl. Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 250–252. 177 Nach der Vorstellung, die wohl dieser Szene zugrundeliegt, konnte ein Opfer von den Göttern freilich auch abgelehnt werden. Dazu wie überhaupt zum Ablauf des Opfers vgl. Cancik-Lindemaier, Tun und Geben.

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des Speisens ihrer Verbundenheit. Dennoch wird auch diese Begegnung, trotz der mehrfach betonten Freundschaft und der Freude über das Wiedersehen, von Mechanismen der Gewalt bestimmt: Bereits das beschriebene Opfer ist ein Akt der – wenngleich rituellen und damit begrenzten – Gewalt, in welchem mit dem Weihguß ebenso wie mit dem Schlachten der Tiere Blut vergossen wird. Entweder geschieht dies stellvertretend für die Gemeinschaft durch einen Einzelnen, wie etwa Aeneas, der das heilige Blut aus Opferschalen fließen läßt, oder der Akt wird gemeinsam vollzogen, wie im vorgeführten Tieropfer. Opfertiere und Wein bringen die Ritualteilnehmer als Gaben (dona) in die Gemeinschaft der Opfernden ein. Doch im Vollzug des Opferaktes selbst werden die Dinge gewaltsam transformiert und entsprechend einer möglichen Zurücknahme entzogen: Der Wein wird auf das Grab des Anchises und auf die Altäre gegossen und vermischt sich dort mit Staub und der Milch, die Aeneas bereits geweiht hat. Vom Tieropfer werden den Göttern die Innereien (exta) zugeführt.178 In Anbetracht solcher oder ähnlicher Praktiken hat René Girard sicher zu Recht »die traditionelle Lesart verworfen, die aus dem Opfer [allein] eine Gabe an die Gottheit macht, […].«179 Girard rückt dagegen – wie bereits im Einleitungskapitel dargestellt wurde – die Koinzidenz von Heiligkeit und Gewalt im Opfer in den Vordergrund. In seinen Augen ist jede Opferung die Wiederholung des ursprünglichen, versöhnenden und ordnungsstiftenden Opfers. Wie dieses zieht auch ein Nachfolgeopfer die Gewalt, welche sich innerhalb einer Gemeinschaft auszubreiten und zu eskalieren droht, auf sich. Indem das auserwählte Opfer in einem kollektiven Gewaltakt ausgestoßen oder gar getötet wird, gelingt es paradoxerweise, die Gewalt mittels Gewalt zum Stillstand zu bringen, wird die negative in heilige Gewalt überführt. 178 Vgl. hierzu Gladigow, Teilung des Opfers, S. 29–32: Die »ungleiche Teilung« (S. 31) wurde von Griechen, Römern und im israelitischen Bereich praktiziert. Gladigow führt verschiedene Thesen zusammen, die zu erhellen versuchen, weshalb die Götter gerade die ungenießbaren Teile erhielten. In seiner Argumentation folgt er zunächst Ada Thomsen und Karl Meuli, die jene Opferpraktik aus Jagdritualen herleiten, in welchen mit Knochen, Blut und Innereien »das Wesentliche« (S. 30) mit dem Wunsch nach Regeneration zurückgegeben wird. Für Gladigow selbst zählen allerdings vor allem »ökonomische Notwendigkeiten« (S. 31), die zur Trennung zwischen eßbaren und ungenießbaren Teilen zwangen. Für die in Rom praktizierten Opfer vgl. Latte, Religionsgeschichte, S. 385–392. 179 Girard, Das Heilige, S. 389; zur (kritischen) Auseinandersetzung mit Girards Kulturtheorie vgl. den Forschungsüberblick in Kapitel 1.2.2.

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Entscheidend ist daher auch nicht – so Girard in aller Konsequenz –, ob die Gottheit, der das Opfer dargebracht wird, dieses als ›Gabe‹ akzeptiert oder ablehnt, sondern, ob sie die Gewalt annimmt: »Jedesmal, wenn das Opfer den gewünschten Effekt erzielt und sich die böse Gewalt in gute Stabilität verwandelt, kann man sagen, daß der Gott die Darbringung dieser Gewalt annimmt und sich davon nährt […]. Das gelungene Opfer verhindert, daß die Gewalt wieder immanent und gegenseitig wird […].«180

Auch die nachfolgenden Wettkämpfe, für deren Sieger Aeneas kostbare Gaben bereithält, zeugen nicht allein davon, daß selbst in freundschaftlichen Beziehungen Rivalität und Gewalt immer nur kanalisiert, aber nie vollkommen ausgeschlossen werden können, sondern daß sie geradezu Mechanismen kultureller Identitätsstiftung sind: Noch bevor die Spiele beginnen, werden die Siegespreise, die Aeneas den Besten überreichen wird, vor aller Augen aufgereiht: munera principio ante oculos circoque locantur in medio (Aeneis V, 109 f.).181 Am Körper des Siegers oder in seinen Händen werden die von Aeneas gestifteten Gaben künftig von jenem Ruhm künden, auf den zunächst das Begehren aller am Kampf Beteiligten ausgerichtet ist: laudumque arrecta cupido (Aeneis V, 138). Aus dem die Totenspiele eröffnenden Ruderwettstreit geht schließlich – unterstützt von den Göttern des Meeres sowie dem Hafengott Portunus – der Trojaner Cloanthus als der Erfolgreichste hervor.182 Aeneas ruft ihn als Sieger aus, beschenkt allerdings auch jedes der anderen Schiffe mit je drei Stieren, Wein und Silber. Cloanthus ehrt er mit einem golddurchwobenen Gewand, dessen Saum mit einem purpurfarbenen Doppelmäander geschmückt ist. In den Stoff desselben ist die Entführung des Ganymedes durch einen Adler Juppiters eingewebt:

180 Girard, Das Heilige, S. 390. 181 Hierzu gehören wertvolle Purpurgewänder (ostro perfusae vestes, Aeneis V, 111 f.), Silber und Gold (argenti aurique, Aeneis V, 112), Kränze und Palmen zum Schmuck der Sieger, Waffen (coronae et palmae pretium victoribus, armaque, Aeneis V, 110 f.) und geweihte Dreifüße (sacri tripodes, Aeneis V, 110). Zu den Ursprüngen und zur Tradition der Dreifußkessel, insbesondere auch als Siegespreis bei Kämpfen und Spielen, vgl. Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 295–305. 182 Cloanthus zählt übrigens – wie auch die anderen trojanischen Kapitäne, unter deren Führung Schiffe an der Regatta beteiligt sind –, zu den Stammvätern von familiae Romanae, die sich ebenso wie die Julier von Trojanern herleiten. Vgl. dazu Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 60.

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[…] victori chlamydem auratam, quam plurima circum purpura maeandro duplici Meliboea cucurrit, intextusque puer frondosa regius Ida velocis iaculo cervos cursuque fatigat, acer, anhelanti similis, quem praepes ab Ida sublimem predibus rapuit Iovis armiger uncis […]. (Aeneis V, 250–255) ([…] golddurchwoben Gewand dem Sieger, im Doppelmäander säumt meliboeischer Purpur ringsum prächtig den Mantel; eingewebt ist der Königssohn, im waldigen Ida hetzt mit dem Wurfspieß er im Lauf die flüchtigen Hirsche – feurig, ganz einem Keuchenden gleich; da rafft ihn im Flug Juppiters Adler mit gebogenen Krallen vom Ida empor.)

Mit diesem Mantel vergibt Aeneas in Sizilien ein Gewand, von dem freilich nicht berichtet wird, aus wessen Eigentum es stammt, mit welchem jedoch zum wiederholten Male der Blick des Rezipienten in die trojanische Vergangenheit gelenkt wird. Denn mit Ganymedes ist einer der Söhne des Tros, nach welchem Troja benannt ist, dargestellt. Einerseits zeugt das Bild vom Raub des Knaben für Juppiters Wohlwollen jenem Geschlecht gegenüber: Er hatte Ganymedes als Mundschenk in den Kreis der Götter aufgenommen und Tros hierfür entschädigt. Andererseits reißt die Darstellung alte Wunden auf, erinnert sie – so wie man eingewebte Bilder immer auch von beiden Seiten des Stoffes sehen und betrachten kann – an die Kehrseite des Geschehens: Junos Eifersucht und den Haß, mit welchem sie die Trojaner bereits seit jenem Vorfall verfolgt.183 Das Kleidungsstück wechselt seinen Besitzer zwar auf Sizilien, aber es bleibt innerhalb einer Gemeinschaft. Es wird also nicht nach ›außen‹ veräußert, so wie dies mit den Gewändern geschehen war, welche Aeneas Dido schenkte. Denn auch Cloanthus ist Trojaner. Die Geschichte, die auf dem Mantel dargestellt und tradiert wird, ist die beider Helden. In der öffentlich vollzogenen Übergabe des Mantels verweist sie – fern von Troja – auf den gemeinsamen Ursprung von Cloanthus und Aeneas. Dem von Cloanthus ›besiegten‹ Trojaner Mnestheus kommt der zweite Preis zu. Dieser erhält aus den Händen des Aeneas einen schweren, aus Gold gefertigten Panzer. Aeneas hatte ihn einst in den Auseinandersetzungen mit den Griechen im siegreichen Kampf gegen Demoleos erworben. Abermals erinnert eine Gabe des Aeneas an die 183 Vgl. schon Aeneis I, 26–28: […] manet alta mente repostum | iudicium Paridis spretaeque iniuria formae | et genus invisum et rapti Ganymedis honores […].

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gemeinsame Geschichte der aus Troja Geflohenen, stiftet und bekräftigt auch sie in der Fremde ihre gemeinsame Identität. Obwohl es den Griechen letztlich gelungen ist, Troja zu vernichten, zeugt die Gabe des Aeneas an Mnestheus gerade nicht vom Untergang des Reiches, sondern sie ist Trägerin einer Erfolgsgeschichte: at qui deinde locum tenuit virtute secundum, levibus huic hamis consertam auroque trilicem loricam, quam Demoleo detraxerat ipse victor apud rapidum Simoçnta sub Ilio alto […]. (Aeneis V, 258–261) (Dem aber, der den zweiten Platz durch Leistung erreichte, gab Aeneas einen Panzer – gefügt dreidrähtig aus goldenen glatten Ringeln; den zog er selbst – als Sieger am wilden Simoïs im Feld unter Iliums Höhe – dem Demoleos ab.)

Auch für den folgenden Wettlauf setzt Aeneas wertvolle Preise aus. Jeder, der sich an dem Kampf beteiligt, so kündigt Aeneas an, werde Gaben von ihm empfangen: nemo ex hoc numero mihi non donatus abibit (Aeneis V, 305). Alle sollen je zwei kretische Wurfspieße und eine silberverzierte Axt erhalten. Der Sieger wird ein Roß bekommen, der zweite einen Amazonen-Köcher und der dritte einen argolischen Helm.184 Doch von diesen auserlesenen (Waffen)-Gaben ist nach dem Kampf nicht mehr die Rede. Denn Nisus, der sich lange an der Spitze gehalten hatte, rutscht im Blut eines geopferten Stieres aus. Um seinem Geliebten Euryalus zum Sieg zu verhelfen, wirft er sich dem zweiten Läufer Salius vor die Beine. Euryalus gewinnt, doch Salius klagt sein Recht ein und erhält daraufhin von Aeneas ein prächtiges Löwenfell.185 Nun gibt auch Nisus zu bedenken, daß er auf ähnlich unglückliche Weise auf seinen Sieg verzichten mußte. Aber Aeneas weiß den Streit um den rechtmäßigen Sieg – die begehrten Gaben und den Ruhm, welche daran gebunden sind – souverän zu schlichten. Er versagt Nisus ebensowenig wie den Siegern und Salius seine Großzügigkeit: […] risit pater optimus olli et clipeum efferri iussit, Didymaonis artis, Neptuni sacro Danais de poste refixum. hoc iuvenem egregium praestanti munere donat. (Aeneis V, 358–361) ([Nisus] lächelte gütig der Vater zu und ließ einen Schild ihm bringen – ein Werk des Didymaons, den Danaer einst vom Tempeltor des Neptunus rissen. So beschenkt er mit prächtiger Gabe den herrlichen Jüngling.) 184 Aeneis V, 306–314. 185 Aeneis V, 326–352.

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Diese Gabe ist ein weiteres Beispiel für jene Dinge, die Aeneas verschenkt, die nicht nur als ausgesprochen kostbar gelten, sondern außerdem eine Vorgeschichte besitzen oder als Medium einer in Bildern vor Augen geführten Geschichte fungieren. Aeneas gibt Nisus einen Schild, der sich ursprünglich am Tor des Neptuntempels befand. Von den Griechen dort abgerissen, gelangte er – wie auch immer – in die Hände des Aeneas. Zumindest für den Rezipienten des Textes wird mit der Herkunftsgeschichte des Schildes gleichzeitig die ambivalente Haltung Neptuns gegenüber den Trojanern ins Gedächtnis gerufen. Er unterstützte sowohl den Bau wie auch später die Zerstörung Trojas durch die Griechen. Doch vor allem wacht er wohlwollend über das Schicksal des Aeneas.186 Für den Sieger im Faustkampf, dem dritten der Totenspiele, setzt Aeneas einen geschmückten Stier aus. Dem Besiegten verspricht er ein Schwert und einen verzierten Helm.187 Dares, der als siegesverwöhnter trojanischer Held eingeführt wird, glaubt, keiner besäße den Mut, gegen ihn anzutreten, und beansprucht die Gaben allein für sich: ducere dona iube (Aeneis V, 385). Doch Acestes ist trotz aller freundschaftlichen Gesinnung gegenüber den Gästen darüber erzürnt und fordert einen seiner Gefährten, den Sizilianer Entellus, auf, nicht kampflos auf die Gaben des Aeneas zu verzichten: […] tantane tam patiens nullo certamine tolli dona sines? (Aeneis V, 390 f.). Entellus geht schließlich als Sieger aus dem erbitterten Kampf hervor, und ihm gebührt auch der Stier. Allerdings vermag Aeneas den für Dares schmerzvollen und aussichtslosen Kampf nur zu beenden, indem er zwischen die beiden tritt und den bereits blutspuckenden Dares weiteren Schlägen des Entellus entzieht. Entellus opfert seinen Stier dem sizilianischen König Eryx, einem Sohn der Venus und des Neptun, in dessen Namen er auch gekämpft hatte.188 Er tötet das Tier nicht nur anstelle des Dares, sondern, so kommentiert Entellus ausdrücklich, er will mit dem Stier ein dem König angemesseneres Opfer darbringen, als es Dares gewesen wäre: ›hanc tibi, Eryx, meliorem animam pro morte Daretis persolvo; hic victor caestus artemque repono.‹ (Aeneis V, 483 f.)

186 Vgl. dahingehend bereits die Seesturmszene: Aeneis I, 124–147. 187 Aeneis V, 365–367. 188 Aeneis V, 389–393: Eryx forderte alle fremden Ankömmlinge zum Ringkampf heraus, so auch Herakles, der ein aus der Herde des Geryon entlaufenes Tier zurückholen wollte. In diesem Kampf wird Eryx von Herakles getötet. Vgl. dazu auch den Artikel ›Eryx‹, in: Der Kleine Pauly II (1979) Sp. 368.

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(»Statt den Tod des Dares opfere ich dir, Eryx, hier besseres Leben; hier gebe ich als Sieger die Kunst und den Caestus zurück.«)

Anstatt den ohnehin opferunwürdigen Dares zu töten und damit die bisher im Spiel gestundete oder kanalisierte Gewalt offen eskalieren zu lassen, bringt Entellus mit dem Stier – stellvertretend – ein opferwürdiges Opfer dar, wird – im Sinne Girards gelesen – die Gewalt auf ein Ersatzopfer gelenkt. Da einerseits Aeneas im entscheidenden Augenblick in den Zweikampf eingreift, und andererseits Entellus beschließt, seinen Kampfpreis ersatzweise für den Gegner zu opfern, wird verhindert, daß die Gewalt Kreise zieht und in einer ernsthaften Auseinandersetzung zwischen Trojanern und Sizilianern mündet. Die Totenspiele zu Ehren des Anchises werden fortgesetzt, und erneut streiten die Kämpfer – nun mit Pfeil und Bogen – um die von Aeneas ausgesetzten Gaben. Wiewohl Eurytion die zum Ziel bestimmte Taube trifft, wird allen voran Acestes gefeiert. Er hat, nachdem der Vogel bereits tödlich getroffen war, auch seinen Pfeil abgeschossen. Hoch in den Lüften entschwindet dieser als brennendes Zeichen und gibt den weiteren Weg des Aeneas vor (signavitque viam flammis, Aeneis V, 526).189 Aeneas überreicht Acestes hierfür ein abermals mit Bildern verziertes Gefäß. Ursprünglich hatte es Cisseus, der Vater Hecubas, Anchises zur Erinnerung und als Pfand der Liebe geschenkt: ›[…] ipsius Anchisae longaevi hoc munus habebis, cratera inpressum signis, quem Thracius olim Anchisae genitori in magno munere Cisseus ferre sui dederat monumentum et pignus amoris.‹ (Aeneis V, 535–538) (»Wirst die Gabe des bejahrten Anchises selbst empfangen – dies mit Bildwerk gezierte Gefäß, welches der Thraker Kisseus einst meinem Vater Anchises als prächtige Gabe, als ein Gedenken an ihn und als Pfand seiner Liebe überreicht hatte.«)

Nun gibt der Sohn den Krater weiter, und er tut dies aus einem ähnlichen Grund: aus Dankbarkeit, Zuneigung sowie zur Erinnerung an die gemeinsame Geschichte und an Anchises, der in Sizilien sein Grab gefunden hat. Wie so viele andere Gaben, von denen in der Aeneis erzählt wird, befindet sich also auch dieser Krater weder – etwa als Objekt der Erinnerung musealisiert und institutionalisiert – dauerhaft an einem 189 Vgl. hierzu Heinze, Virgils epische Technik, S. 147–151.

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Ort noch dauerhaft im Besitz einer Person. Die Gabe wandert transpersonal, sie wird von Generation zu Generation weitergereicht. Die Logik transpersonaler Gaben, die auf der Handlungsebene als stationenreicher Weg der weitergereichten Objekte und als Geschichte wechselnder Besitzverhältnisse erzählt werden kann, wird zugleich – so möchte ich unterstreichen – für die Organisation der narratio ausgebeutet. Denn die Eigengeschichte der Gabe ermöglicht immer auch narrative Rückblenden über den Zeitrahmen der bisher erzählten Handlung hinaus. Betrachtet man noch einmal resümierend all jene Dinge, die Aeneas auch nach dem Aufenthalt in Karthago freigebig verschenkt, Objekte, welche überwiegend Träger trojanischer Erfolgsgeschichten sind, vergißt man beinahe, daß er – dem Erzähler nach – einst nur mit wenig Besitz den Flammen Trojas entfliehen konnte. Im Zuge der Totenspiele für Anchises werden, von Ausnahmen abgesehen, nach und nach alle tapferen Trojaner in Szene gesetzt. Ihre Überlegenheit in nahezu allen Kämpfen wird noch einmal öffentlich zur Schau gestellt und bestätigt, indem sie die reichen, ›geschichts-trächtigen‹ Gaben aus den Händen des Aeneas empfangen. Doch mindestens ebenso auffällig ist die Souveränität, mit der Aeneas seine Gaben verteilt und Konflikte, die sich am Streit um den rechtmäßigen Sieg entzünden, diplomatisch zu schlichten weiß, so daß die den Spielen inhärente Agonalität nicht zu eskalieren vermag. Im richtigen Moment, wie im blutigen Faustkampf zwischen Dares und Entellus, greift er in die Auseinandersetzungen ein und erklärt das Ringen für beendet. Aeneas beschenkt nicht nur diejenigen, welche offensichtlich als Sieger aus den einzelnen Spielen hervorgehen, sondern selbst Teilnehmer, die auf irgendeine Weise während der Kämpfe verunglückt sind. In seiner souveränen Art des Verteilens von wertvollen Objekten erweist sich Aeneas einmal mehr als rechtmäßiger Anführer des trojanischen Volkes. Denn, wie gezeigt werden konnte, geht es in diesen Episoden um weit mehr als die Vergabe von Siegespreisen schlechthin. Die Gaben, von deren Herkunft berichtet wird, oder jene, die eine Geschichte eingraviert oder eingewebt haben, werden wiederkehrend als komplexe kulturspezifische Zeichen vorgeführt, welche den Zusammenhang der Helden, ihre verwandtschaftlichen oder anderweitigen Beziehungen und Bindungen wie auch ihre Geschichte und die gemeinsame Erinnerung immer wieder neu herstellen und garantieren. Die geflohenen Trojaner bilden eine Erinnerungsgemeinschaft, die im rituellen Vollzug von Opfer, Spiel und Totengedenken sowie in der Zirkulation gedächtnisstützender Dinge für die Erneuerung identitätssichernden Wissens und damit für die Reproduktion kultureller Identität sorgen. Aeneas verfügt mit den verbliebe199

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nen trojanischen Reichtümern über Objekte dieser Art, und er gibt sie an die Gastgeber der Trojaner oder die eigenen Gefährten weiter. Einerseits hebt Aeneas mit den Gaben und im öffentlich inszenierten Akt der Übergabe die besten Helden heraus, andererseits gibt er immer auch diplomatisch, um Gemeinschaften zu konstituieren und zu bestätigen sowie Konflikte, welche sich innerhalb dieser anbahnen, zu kanalisieren. Doch Aeneas ist nicht nur der Verwalter der gemeinschafts- und identitätsstiftenden Objekte, sondern des ›kulturellen Gedächtnisses‹190 der Trojaner überhaupt: Er erzählt ihre Geschichten, er initiiert immer wieder aufs neue ihr Totengedenken, ihre Spiele und Rituale.

3.4.3 Latinus: Gabe und Versprechen Beinahe sollte man meinen, daß Aeneas nun kaum noch Dinge zu verschenken hätte, die aus den Mauern Trojas stammen. Doch sein Besitz an fürstlichen Schätzen und ›heiligen Objekten‹ ist noch nicht erschöpft. Als Aeneas gemeinsam mit seinen Gefährten endlich im verheißenen Latium angekommen ist, läßt er hundert Boten zu Latinus schicken. Sie erhalten den Auftrag, dem König des Landes erlesene Gaben zu überreichen und sich zugleich des Friedens zu versichern: Tum satus Anchisa delectos ordine ab omni centum oratores augusta ad moenia regis ire iubet, ramis velatos Palladis omnis, donaque ferre viro pacemque exposcere Teucris. (Aeneis VII, 152–155) (Dann befiehlt der Sohn des Anchises, hundert, aus jedem Stand Erwählten, als Unterhändler zur herrlichen Stadt des Königs zu gehen – alle bekränzt mit den Zweigen des Pallas –, um dem Helden Gaben zu bringen und den Teukrern Frieden zu sichern.)

Wie bereits in Karthago ist abermals Ilioneus der Wortführer der Boten. In Laurentum gibt sich Ilioneus als Gesandter des Aeneas zu erkennen und berichtet von dem fatum der Götter, welches die Trojaner einlösen wollen. Sie sind bereit, in das Land, aus dem der Stammvater des Aeneas nach Troja kam, zurückzukehren.191 Zum Abschluß seiner 190 Grundlegend zum Konzept des ›kulturellen Gedächtnisses‹ siehe J. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, insbesondere S. 29–103, S. 293–301, A. Assmann/ Harth, Mnemosyne, besonders A. Assmann, Erinnerung und Erinnerungsräume. 191 Vgl. die Rede des Ilioneus gegenüber Latinus: Aeneis VII, 212–248.

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Rede überreicht er Latinus als Zeichen der Achtung gegenüber dem König, aber auch, um – wie in zahlreichen Situationen zuvor schon – den eigenen ruhmvollen Ursprung geltend zu machen, die Gaben des Aeneas. Einzeln benennt Ilioneus jene Kostbarkeiten und erzählt, wer sie vor dem Fall Trojas besaß und in welche rituellen Kontexte sie eingebunden waren: ›[…] dat tibi praeterea fortunae parva prioris munera, reliquias Troia ex ardente receptas. hoc pater Anchises auro libabat ad aras, hoc Priami gestamen erat, cum iura vocatis more daret populis, sceptrumque sacerque tiaras Iliadumque labor vestes.‹ (Aeneis VII, 243–248) (»Hier nun schenkt unser Fürst des früheren Glückes geringe Gaben, Relikte – aus Trojas Brand gerettet. Aus dem Golde hier goß Vater Anchises den Weihetrank; dies war die Tracht des Priamus, wenn er nach der Sitte Recht den versammelten Völkern sprach; das Zepter, die hehre Tiara und dies Gewand, mühselig Werk trojanischer Frauen.«)

Mit den Gaben für Latinus werden – an dieser Stelle ganz klar auch auf der Ebene der erzählten Handlung und nicht allein für den Rezipienten – Gegenstände thematisiert, die an die einstige Blüte und Macht des trojanischen Reiches erinnern. Es handelt sich hierbei erstens um ein goldenes Weihgefäß aus dem Besitz des Anchises, welches nach dessen Tod – ebenso wie der bereits erwähnte Krater des Cisseus –, in die Hände des Aeneas übergegangen war. Alle weiteren Gaben gehörten ursprünglich dem König Priamus. Aeneas war es gelungen, die Gewänder des Königs, welche von diesem nur zur Rechtssprechung getragen wurden, sein Zepter wie auch seine Tiara aus Troja mitzunehmen. An dieser Stelle erfährt man schließlich, daß sich Aeneas in Karthago nur von einem Teil des Königsschatzes gelöst hatte: den kostbarsten Gewändern und den Insignien der Frauen, die in der trojanischen Geschichte eine Rolle gespielt hatten. Die Kleider und die Herrschaftsinsignien des Königs selbst hat er jedoch bis zur Ankunft im verheißenen Italien aufbewahrt, um sie dem Fürsten, auf dessen Thron er – entsprechend den Prophezeiungen seines Vaters auf dem Gang durch die Unterwelt –192 folgen wird, zu überreichen. Aeneas vergibt demnach wertvolle Objekte, die aus verschiedenen Schatzkammern, nämlich 192 Vgl. dazu sowie zur geweissagten genealogischen Abfolge: Aeneis VI, 756–853; zu Aspekten der Genealogie vgl. ausführlich Kellner, Ursprung, Kapitel 2.

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derer beider Geschlechter Trojas, stammen. In der Gabe an Latinus vereint Aeneas das Weihgefäß seines Vaters – einem Sproß der jüngeren Linie, die unter anderem auf Tros und Dardanus zurückgeht – mit den Kleidern und Insignien des Priamus, welcher zuletzt in Troja herrschte. Aeneas verhält sich in Italien zunächst ähnlich wie gegenüber der karthagischen Königin. Auch Latinus will er mit prächtigen, repräsentativen Geschenken alle Ehren erweisen, er möchte zudem dessen Wohlwollen erwerben, aber gleichzeitig macht er mit den Gaben seinen eigenen fürstlichen Status evident. Unterstrichen wird auf jene Weise die Aussage des Ilioneus, daß es Latinus keineswegs zur Schande gereichen werde, wenn er die Trojaner in Italien aufnehmen und eine Verbindung zwischen den Völkern begrüßen wird: non erimus regno indecores (Aeneis VII, 231). Doch die Empfangsszenen unterscheiden sich in einem wichtigen Punkt: Während Karthago für Aeneas von Anfang an nur ein Intermezzo ist, weiß er, daß er mit Latium das Land erreicht hat, welches ihm für die Gründung eines neuen Reiches vorherbestimmt war. Die Gewänder und die Insignien der Königswürde, die er Latinus überläßt, werden in naher Zukunft zu ihm zurückkehren. Damit wird er nicht nur Latinus beerben, sondern auch den letzten trojanischen Herrscher Priamus. Er hat jene Dinge aus dem Besitz des trojanischen Königs aus der zerstörten Stadt gerettet, aber rechtmäßig wird er sie erst von Latinus übernehmen. Das bedeutet, daß sich die Gaben des Aeneas zugleich auf seine Vergangenheit in Troja wie auch auf seine ruhmvolle Zukunft in Latium beziehen. Letzteres wird durch das Verhalten des Königs, die Art, in der er die Gaben annimmt, bestätigt. Obgleich Latinus die Gaben des Trojaners nämlich keineswegs ablehnt (munera nec sperno, Aeneis VII, 261), rücken sie sehr schnell in den Hintergrund (nec purpura regem picta movet nec sceptra movent Priameïa, Aeneis VII, 251 f.). Denn den König bewegt viel mehr, daß er mit Aeneas nicht irgendeinen Gast empfangen wird, sondern daß der ihm prophezeite Erbe Latiums angekommen ist. Er dankt den Boten für die Geschenke, trägt ihnen Frieden und seine Gastfreundschaft an. Und zugleich wünscht er, daß sie Aeneas von dem Orakel erzählen mögen, welches der Königstochter Lavinia einen Fremden zum Gatten prophezeit hatte.193 Zum Abschied wählt Latinus für die Trojaner kostbar geschmückte Pferde und speziell als Geschenk für Aeneas einen Wagen mit einem Doppelgespann göttlicher Herkunft aus.194 193 Vgl. die Rede des Latinus gegenüber den Boten: Aeneis VII, 259–273. 194 Aeneis VII, 276–283: omnibus extemplo Teucris iubet ordine duci | instratos ostro alipedes pictisque tapetis: | aurea pectoribus demissa monilia pendent, | tecti auro fulvom mandunt

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Mit dem gleichen Anliegen wie im Text Vergils, mit der Bitte um Frieden und Gewogenheit (pais et concorde et amor, Roman d’Eneas V. 3131) sendet Eneas im Roman d’Eneas dreißig Ritter nach Laurentum an den Hof des Königs. Die Geschenke, welche Eneas den Boten für Latinus mitgibt, unterscheiden sich allerdings in bezug auf ihre Provenienz von denen in der Aeneis. Denn Eneas trennt sich in dieser Episode zum einen von Objekten, deren Vorbesitzer nicht benann wird, zum anderen von einem Ring, welchen ihm die karthagische Königin geschenkt hatte, sowie einer Trinkschale des spartanischen Königs Menelaus, Helenas Gatten: Por force et por maintenement li enveia riche present, une corone et un mantel et un esceptre et un anel que li dona par druërie Dido, quant el devint s’amie, et une cope a chiers esmaus que li dona reis Menelaus desoz Troie sor le rivage, quant vint a lui en un mesage. (Roman d’Eneas V. 3133–3142) (Zur Bekräftigung und zur Unterstützung sandte er ihm ein kostbares Geschenk: eine Krone und einen Mantel, und ein Zepter und einen Ring, den ihm Dido aus Liebe gab, als sie seine Geliebte wurde, und eine Trinkschale mit wertvollen Emailleplatten, die ihm König Menelaos am Ufer unterhalb Trojas gab, als er in einem Auftrag zu ihm kam.)

Wie in der Aeneis gehören zu den Präsenten ein Mantel, Krone und Zepter. Allerdings werden Ursprung und bisherige Besitzer – die ›Genealogie‹ der Gaben also – verschwiegen. Da von einem Königsschatz des Priamus nicht die Rede ist, tritt eine andere Gabe in den Vordergrund, mit der sich Eneas – wie bereits mit den Geschenken an die karthagische Königin – von einem Teil seiner Vergangenheit verabschiedet. Ich meine hiermit den Ring Didos, auf den im folgenden Kapitel noch einmal ausführlicher einzugehen sein wird. Doch wenngleich der letzte trojanische König im französischen Text nicht im Zusammenhang der Gaben erwähnt wird, erinnern die Gaben nicht nur an eine unmittelbare Vorgeschichte, den Aufenthalt des Eneas in Karthago. Der Blick in die Vergangenheit, welchen die Gaben mit ihrer je eigenen sub dentibus aurum, | absenti Aeneae currum geminosque iugalis | semine ab aetherio, spirantis naribus ignem, | illorum de gente, patri quos daedala Circe | supposita de matre nothos furata creavit.

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Geschichte eröffnen, reicht wiederum bis nach Troja zurück. Denn Eneas vergibt eine Trinkschale, die er einst von Menelaus zum Geschenk erhalten hatte. Aber das Gefäß verweist nicht vordergründig auf die trojanische Untergangsgeschichte, in welche beide unabwendbar als Gegner eingebunden waren, sondern auf eine gewaltfreie Begegnung zwischen Eneas und dem rechtmäßigen Gatten Helenas. Dankbar nimmt Latinus die von Ilioneus überbrachten Gaben an, wohlwollend empfängt er die Botschaft des Eneas und beantwortet sie seinerseits mit Geschenken: »[…] Trametrai li chevals de pris, […]. De meie part li porrez dire que ma terre li abandon, de ma fille li faz le don.« (Roman d’Eneas V. 3249–3254) (»Ich werde ihm wertvolle Pferde schicken. Ihr werdet ihm von mir ausrichten können, daß ich ihm mein Land überlasse, meine Tochter mache ich ihm zur Gabe.«)

Ebenso wie in der Aeneis läßt der König Eneas auserlesene Pferde schicken, allerdings fehlt im mittelalterlichen Text – der Tendenz entsprechend, den antiken Götterhimmel weitgehend auszublenden – das Doppelgespann göttlichen Ursprungs. Auch mit dem Wunsch des Latinus, der trojanische Ankömmling möge Lavinia heiraten und sein Nachfolger werden, folgt der Roman d’Eneas dem antiken Text. Doch auffällig anders ist die Bezeichnung für Land und Tochter durch Latinus. Beide werden nämlich explizit als Gaben benannt, die Latinus Eneas anbietet.195 Der Austausch von Gaben und Angeboten zwischen dem italischen König und Eneas ist nicht nur politisch, sondern zugleich für die Erbfolge im Reich bedeutsam. Und so führt auch Turnus, der sich um sein Erbe betrogen sieht, wenig später zurecht jene Präsente (grant present, Roman d’Eneas V. 4148) des Eneas und die Versprechen des Latinus als Argumente für die Mobilisierung seiner Anhänger gegen die Trojaner an.196 Heinrich von Veldeke hält sich bei der Beschreibung der Gaben, welche Eneas dem italischen König überbringen läßt, um dessen Gunst zu gewinnen, weitgehend an den Roman d’Eneas. Allerdings erwähnt er 195 Auch die Königin spricht in ihrer Botschaft an den von ihr bevorzugten Erben Turnus im Hinblick auf Tochter und Land von le don (Roman d’Eneas V. 3449). 196 Roman d’Eneas V. 4147–4154.

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nur noch Menelaus als den ehemaligen Besitzer des goldenen Trinkgefäßes, die Herkunft aller weiteren Geschenke wird nicht thematisiert. Damit entfällt im Eneasroman nicht nur der Rückblick auf König Priamus, sondern auch an dieser Stelle die memoria an die Beziehung des Eneas zu Dido, welche der französische Text eingeführt hatte. Statt dessen werden die Geschichte über die Begegnung zwischen Eneas und Menelaus, die mit dem Becher aufgerufen wird, und die Erzählung von der Ankunft der Trojaner in Latium stärker analogisiert. Denn als Menelaus zum ersten Mal (ze aller erist, Eneas 114, 1) seine Füße auf trojanischen Boden gesetzt hatte, überreichte er das Goldgefäß Eneas, so wie dieser die Gabe jetzt weitergibt, da er erstmals Latium betritt. Es handelt sich in beiden Fällen zunächst um eine freundschaftliche Begegnung – signiert durch die Gabe des jeweiligen Ankömmlings –, die letztlich doch in eine blutige, zerstörerische Auseinandersetzung, in den Kampf um eine Frau, münden wird. Insofern ließe sich die Gabe des Eneas nicht nur als Objekt der Erinnerung sondern ebenso als Trägerin narrativer Vorausdeutung begreifen.197 Denn letztlich vermag Latinus seine Versprechen – die Vermählung des trojanischen Fürsten mit seiner Tochter Lavinia und die Zusicherung des Erbes – nicht einzulösen, bevor Eneas seinen Konkurrenten Turnus im Kampf um jene begehrten Gaben des italischen Königs nicht besiegt haben wird. Die Worte des Latinus allein besitzen keine Durchsetzungskraft. Die Entscheidung, wer rechtmäßig Anspruch auf die Angebote des Latinus erheben darf, fällt noch nicht mit der Antwort des Latinus auf die erste Botschaft und die Präsente des Eneas, sondern erst in der gewaltsamen Schlacht zwischen den gegnerischen Heeren und endgültig im Zweikampf zwischen Eneas und Turnus.198

3.4.4 Euander: Generierende Gaben Aeneas’ Aufenthalt an jenem Ort, an welchem 333 Jahre später Rom gegründet werden wird,199 ist für den vergilschen Text in gewisser Weise in einer Reihe mit den vorangegangenen Begegnungen des 197 Suerbaum (Vergangenheit und Zukunft, S. 439) beschreibt die Unterschiede zwischen der Paris-Helena-Menelaus und der Aeneas-Lavinia-Turnus-Geschichte in der Aeneis. Diese treten im Eneasroman zugunsten der Analogie eher in den Hintergrund. 198 Vgl. dazu auch Friedrich, Diskurs der Gewalt, S. 174. 199 Darauf verweisen sowohl Vergil als auch die Verfasser der mittelalterlichen EneasRomane: Aeneis VIII, 361, Roman d’Eneas V. 4805, Eneas 173, 17.

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Aeneas auf Epirus und Sizilien zu lesen, welche die mittelalterlichen Romane – möglicherweise aufgrund der sehr umfangreichen, dem Rezipienten des 12. Jahrhunderts wohl fremd anmutenden Beschreibung antiker Rituale – nur erwähnen, jedoch nicht auserzählen. Zahlreiche argumentative und narrative Elemente aus jenen Episoden werden – in immer neuen Variationen – wiederholt: Für Vergil unverkennbar wichtig, so ließ sich vor allem am Beispiel der SizilienEpisode zeigen, ist das historisch-politische Programm seines Epos, welches – erstens – argumentativ eingelassen ist in ein prophetischmemoriales Netzwerk, das Vergil von der mythischen Vergangenheit der Helden, ihrer Vätergeneration und schließlich bis zur eigenen unmittelbaren Gegenwart, der Augusteischen Zeit, spannt. Zweitens wird stets die Verbundenheit von Gastgeber und Gästen aufgrund gemeinsamer genealogischer Ursprünge, ähnlicher Schicksale und Erinnerungen thematisiert. Ein komplex inszenierter ritueller Rahmen, in welchem religiöse, politische, wirtschaftliche und zeremonielle Bestandteile ineinandergreifen, prägt – drittens – sowohl die Begegnungen auf Epirus wie auf Sizilien. Ähnliches gilt für die Szenen in Pallanteum, so wie sie in der Aeneis vorgegeben sind. Und in diesen von Vergil entworfenen Zusammenhängen muß auch das Bündnis zwischen Aeneas und Euander gelesen werden. Daher mag es vielleicht verwundern, daß sich die mittelalterlichen Verfasser dieser Szenen – im Unterschied zu den anderen beiden Episoden – ausführlicher angenommen haben. Freilich wird das historisch-politische Programm Vergils auf der argumentativen Ebene ebenso auffällig zurückgenommen wie die Beschreibung der antiken Opferriten auf der narrativen. Nunmehr soll aber genauer gefragt werden, wie ›argumentativer und narrativer Umbau‹ konkret aussehen, wie die Erzählung von der Begegnung zwischen Eneas und Euander von den mittelalterlichen Verfassern gegenüber dem antiken Epos neu arrangiert wird, und inwiefern sie überhaupt für die bisher verfolgten Fragestellungen grundlegend von Interesse sein kann: Unmittelbar nachdem sich Turnus samt seinen Verbündeten vor Laurentum zum Kampf gegen Aeneas gerüstet hat, erscheint dem Helden des Nachts der Flußgott Thybris. Er berichtet Aeneas von dem aus Arkadien stammenden Euander,200 der ganz in der Nähe die Stadt Pallanteum – benannt nach Euanders Ahnherrn Pallas – gegründet hat. Mit ihm, dessen Feinde auch die der Trojaner sind, möge sich Aeneas

200 Zu den zahlreichen ›Heimatlosen‹ der Aeneis vgl. Herzog, Vergessen, S. 100.

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fortan im Kampf um Latium verbünden.201 Aeneas folgt der Weisung des Thybris und bringt Euander seinen Wunsch nach einem Bündnis gegen seinen Kontrahenten Turnus vor. Er begründet sein Anliegen mit einem sehr gewichtigen, einem genealogischen Argument. Aeneas und Euander können ihre Genealogie auf einen gemeinsamen Vorfahren (cognatique patres, Aeneis VIII, 132) zurückführen. Sie entstammen – so heißt es – zwei Geschlechtern und sind dennoch beide von einem Blut: sic genus amborum scindit se sanguine ab uno (Aeneis VIII, 142).202 Denn sowohl Dardanus, dessen Abkömmling Aeneas ist, als auch Merkur, auf den sich Euander berufen kann, sind Enkel des Atlas.203 Antlitz und Stimme des Aeneas erinnern den König Euander an dessen Vater Anchises, der einst im Gefolge des Priamus nach Arkadien kam. Damals erhielt Euander von dem trojanischen Gast zum Abschied einen wertvollen Köcher, Pfeile, einen golddurchwobenen Mantel und goldene Zügel. ›[…] ille mihi insignem pharetram Lyciasque sagittas discedens chlamydemque auro dedit intertextam frenaque bina, meus quae nunc habet aurea Pallas […].‹ (Aeneis VIII, 166–168) (»Einen herrlichen Köcher und lykische Pfeile, eine golddurchwobene Chlamys und zwei goldene Zügel gab er mir zum Abschied; jetzt besitzt sie mein Pallas.«)

Einen Teil jener Abschiedsgeschenke, die Anchises zurückließ, hat Euander – obwohl er selbst noch unter den Lebenden weilt – inzwischen an seinen Sohn Pallas weitergegeben. Die Gaben haben die Zeit von der Begegnung zwischen den Vätern und der zwischen Eneas und Euander respektive den Söhnen überdauert. Die Aufbewahrung und Weitergabe der Dinge ermöglicht nicht nur permanente memoria, son201 Aeneis VIII, 31–78. Der Tendenz folgend, das göttliche Personal zu reduzieren, tilgen die mittelalterlichen Romane die göttliche Personifikation des Tiber. Statt dessen läßt sowohl im Roman d’Eneas (V. 4573–4582) als auch in Heinrichs von Veldeke Eneasroman (163, 22–164, 6) Venus ihren Sohn (durch Boten) auffordern, Euander um Unterstützung zu bitten. 202 Der gemeinsame Ursprung von Aeneas und Euander fällt in den mittelalterlichen Romanen als Begründung weg. Während im Roman d’Eneas der Ankömmling noch seine Herkunft, den Urahn Dardanus sowie seine eigene Bestimmung benennt (V. 4707–4717), erwähnt Heinrich von Veldeke zwar diesen Bericht des Eneas, verzichtet jedoch darauf, ihn konkreter auszuführen (Eneas 170, 13–15). 203 Aeneis VIII, 134–142; vgl. dazu Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 69, Kellner, Ursprung, Kapitel 2.

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dern läßt auch individuelle Lebenszyklen auf die nächste Generation hin transparent erscheinen. Die Freundschaft und Bindung der Väter, die in den Gaben sinnfällig ist, wird nun auf Euander und Aeneas beziehungsweise Aeneas und Pallas übertragen. In Erinnerung an die Begegnung mit dem großzügigen und ihm wohlgesonnenen Anchises ist Euander bereit, das Bündnis mit dessen Sohn Aeneas einzugehen. Man möchte meinen, daß in der Art der Gabe – der Teilausrüstung eines fürstlichen Kriegers – die spätere Revanche des Königs von Pallanteum bereits angelegt ist. Liest man die Gabe der goldenen Zügel in diesem Sinne – nun entsprechend ihrer erzählfunktionalen Dimension – vorausdeutend, wird deutlich, warum Euander sie bereits zu Lebzeiten an seinen Sohn weitergereicht hat. Denn Euander will sich zwar als ursprünglicher Empfänger der Gaben dem Sohn des Gebers erkenntlich zeigen. Doch er selbst ist inzwischen zu alt, um noch einmal gemeinsam mit Aeneas Schlachten gegen Turnus und dessen Verbündete zu schlagen. Seine Zusage zur Unterstützung – welche übrigens als ›versprochene Gabe‹ (memor […] promissi muneris, Aeneis VIII, 464) bezeichnet wird –204 löst er statt dessen ein, indem er Aeneas zweihundert Reiter sowie Pallas mit ebensovielen Gefährten zur Verfügung stellt.205 Im Zentrum der Euander-Episode stehen in der Aeneis jedoch der feierlich zelebrierte Opferakt zu Ehren des Herkules,206 der im Chor gesungene, umfangreiche Preis seiner Taten207 sowie das gemeinsame Mahl,208 in welches Aeneas und seine Begleiter eingebunden werden. Die Ursprungsgeschichte des Opfers, welche davon handelt, wie Herkules einst Cacus, den blutrünstigen, feuerspeienden Sohn des Vulkan tötete,209 lenkt zugleich den Blick des Rezipienten in die vergilsche Gegenwart und dient darüber hinaus als mythische Begründung für die Legitimation aktueller Kultpraktiken. Sie ist nicht allein – so führt Suerbaum aus – als »eine Parallele zum Kampf des Aeneas gegen den

204 Haferlands Behauptung, daß »eine Hilfeleistung etwas anderes [sei] als eine Gabe« (Höfische Interaktion, S. 43), verliert vor dem Hintergrund dieser GabenVorstellung zumindest ihre Allgemeingültigkeit. 205 Aeneis VIII, 518 f. 206 Aeneis VIII, 102–106; 283 f.: Vor der Stadt, an jenem Ort also, an welchem Herkules das die Einwohner bedrohende Ungeheuer Cacus besiegte, werden den Göttern Weihrauch, heiliges Blut und Speisen am Altar dargebracht. 207 Aeneis VIII, 285–305. 208 Aeneis VIII, 175–183; 283 f. 209 In der Aeneis (VIII, 185–275) wird die Geschichte ausführlich von Euander erzählt.

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von dem Höllendämon Allecto angezettelten Krieg in Latium und zum Kampf Oktavians gegen die unrömischen Orientalen à la Antonius und Kleopatra« zu lesen, sondern zugleich als die Aitiologie eines Rituals: als Geltungsbehauptung »für die Stiftung des Herculeskultes an der Ara Maxima am Forum Boarium in Rom.«210 Auch der mittelalterliche Rezipient erfährt die Geschichte des Opfers, wenn auch – in einem gewissermaßen ersten Akt der Distanzierung von den antiken Opferpraktiken – aus dem Mund des Erzählers.211 Mögliche Anachronismen, die sich aus den in Antike und Mittelalter unterschiedlichen Opfervorstellungen ergeben könnten, werden kaum produziert, da das Opferritual – so die zweite Distanzierungsstrategie – nicht näher beschrieben wird. Der französische Text formuliert eine Dimension des Opfers, die auch in den mittelalterlichen Opferdiskussionen einen hohen Stellenwert besitzt: die erinnernde Vergegenwärtigung des Opferursprungs.212 Denn der Opferkult, von dem es ansonsten nur – ansatzweise Alteritätsbewußtsein signalisierend – heißt, Euander habe ihn ›auf seine Weise‹ (a sa guise, Roman d’Eneas V. 4627) gefeiert, wird als Memorialakt (un sacrifise […] en remenbrance, Roman d’Eneas V. 4628 f.) eingeführt. In einem dritten Schritt der Distanzierung verzichten die Verfasser der mittelalterlichen Romane nahezu vollständig auf den Opfer-Begriff (sacrum), um die von Euander alljährlich ausgerichtete Feier (sollemne, dies sollemnis) zum v feudaladligen Fest (la feste, eine hochgezite, mit grozen froden und mit spil) zu stilisieren. In den Mittelpunkt der Erzählung rückt das gemeinsame Mahl, und gleichsam nach dem Vorbild höfischer Feste, wie sie das Mittelalter kennt, läßt Eneas (trojanische) Spielleute auftreten, die sich ihrer Tradition entsprechend Euander präsentieren.213 Zug um Zug wird in den mittelalterlichen Texten die Beschreibung der Festlichkeiten neu arrangiert. Dazu zählt auch, daß bereits der Ver210 Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 326. Auf die von Vergil ›gesponnenen Fäden‹ zwischen mythischer Vergangenheit und nachaeneadischer Geschichte beziehungsweise augusteischer Gegenwart werde ich in den Analysen zu den Vulcan-Venus-Waffen (3.6) näher eingehen. 211 Roman d’Eneas V. 4627–4646, Euander berichtet nur in extremer Kurzversion davon (V. 4767–4770); vgl. auch Eneas 168, 18–169, 1. 212 Ich denke hier allererst an die Vorstellungen zur (vergegenwärtigenden) Erinnerung der Leiden Christi in der Eucharistie. Vgl. dazu Oexle, Memorialüberlieferung, S. 80 und Memoria in der Gesellschaft, S. 302, Ohly, Memoria, besonders S. 14, Kötting Grabkirche, vor allem S. 71, Kunzler, Liturgie, S. 111, S. 346 f. Ausführlicher werde ich auf dieses Thema in den Analysen zum Rolandslied (4.2.3) eingehen. 213 Roman d’Eneas V. 4779–4790, Eneas 172, 23–173, 4.

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fasser des französischen Romans die Begegnung der Väter, an welche sich Euander zu erinnern vermag, nach Troja verlegt. Auf diese Weise wird Anchises nicht nur zum Gastgeber Euanders, sondern Euanders Gastfreundschaft gegenüber Eneas liest sich in dieser Version als Antwort auf den einstigen Empfang in Troja.214 Der Katalog der Gaben, von welchem im Kontext jener Begegnung zwischen den Vätern die Rede ist, varriiert im Roman d’Eneas in einzelnen Elementen gegenüber dem vergilschen Text und wird von Heinrich von Veldeke noch einmal um ein Schwert sowie wertvolle Edelsteine erweitert. Auffällig ist vor allem, daß aufgrund dieser unterschiedlichen Gabenzusammenstellung aus der antiken Kriegerausrüstung der Aeneis in den mittelalterlichen Romanen – mit Ausnahme des Schwertes bei Veldeke – eher eine Jagdausstattung wird. Denn sowohl der Reitermantel als auch die Zügel werden nicht mehr erwähnt, statt dessen fügen beide Verfasser Bogen, Hund und Horn ein.215 Auch im Hinblick auf Struktur und Logik der Argumentation, welche Euander in seiner Rede gegenüber Eneas entwirft, lassen sich die mittelalterlichen Texte vom antiken Epos abheben, weil sie vor allem den Aspekt der (wechselseitigen) Gastfreundschaft in den Mittelpunkt rücken. Während Euanders Aufenthalt in Troja, so erzählt etwa der Roman d’Eneas, hatte Anchises seinen Gast – dokumentiert in jenen öffentlich überreichten, repräsentativen Gaben – vor allen anderen herausgehoben: ›[…] sor toz les altres m’enora […].‹ (Roman d’Eneas V. 4755). Er habe ihn wie kein anderer wohlwollend und voller Anerkennung empfangen, heißt es in der Version Heinrichs von Veldeke: »[…] er bot mir minne unde ere, […] danne da iemen ander«, (Eneas 170, 35/37). Jetzt ist für den König die Zeit gekommen, den Sohn des Anchises aufgrund seiner Herkunft, in dankbarer Erinnerung an den Vater, und weil die Feinde des Eneas auch die des Euander sind, mit einem Heer, Schiffen und umfangreichen Vorräten zu unterstützen.216 Doch wie keiner seiner beiden Vorgänger entfaltet Heinrich von Veldeke in der Euander-Partie einen Diskurs zum Thema der ›nicht verlorenen Gabe‹ und der – bis zur nächsten Generation – ›aufgeschobenen Gegenleistung‹. Alles, was man über die Gastfreundschaft und die Gaben des Anchises erfährt, wird aus der Perspektive Euanders, des ursprünglichen Gabenempfängers erzählt. In jener Erzählung wie auch 214 Zur Konstituierung von Reziprozität im Rahmen von Gastfreundschaft vgl. auch die Überlegungen von Haferland, Höfische Interaktion, insbesondere S. 148. 215 Roman d’Eneas V. 4752–4756, Eneas 170, 40–171, 9. 216 Eneas 171, 28–172, 2; 174, 28–36.

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im Kommentar Euanders wird der singuläre Charakter der Gaben herausgestellt, zugleich unterlaufen, um schließlich noch übertroffen zu werden. Denn einerseits wird die Transaktion gegenüber dem Gast als einmalige Geste, als quasi autonomer Gabenakt entworfen: Anchises verschenkt ausnehmend kostbare Dinge, die besten, die Euander jemals erhielt. Der Vater des Eneas wäre sogar bereit gewesen, in noch größeren Mengen zu geben, als er es tat. Über irgendeine Art von Verpflichtung, die von der Gastfreundschaft des Anchises ausginge, oder ›ökonomischer Kalkulation‹ – einer Idee der Rückkehr des Gegebenen (gar in potenzierter Form) – fällt kein Wort. Entsprechend scheint die Gabe als Gabe – aus analytischer Perspektive: ähnlich derjenigen im Sinne Derridas – gewahrt; aber nur so lange, bis Euander sie erwähnt und ihre Singularität im Verlauf seiner Rede Stück um Stück wieder aufhebt, um die Gabe des Anchises in gewisser Weise schließlich selbst zu übertreffen, und sei es auch nur – wie er vorgibt – aus Dankbarkeit. Im Gegenzug für dessen Empfang und Gaben möchte er Eneas nicht nur einmalig, sondern für die gesamte Dauer seines eigenen Lebens (sol ich leben, Eneas 171, 12) unterstützen. Und doch ist die Überbietung schon der zweite Akt – dieses Mal in der Rolle des Gebers – eines souveränen Transaktionsverhaltens. Denn als Empfänger hatte Euander nur einen Teil der ihm von Anchises zugedachten Gaben angenommen: »[…] wan daz ich ez nine wolde, o er hete mir michel gut gigeben […].« (Eneas 171, 10 f.) (»Hätte ich es nicht abgelehnt, er hätte mir noch viel mehr geschenkt.«)

Ein Übermaß lehnte er ab, sogar ohne einen Konflikt zu erzeugen. Dies ist, wie wir aus zahlreichen Beispielen wissen,217 keineswegs selbstverständlich, wird aber hier aufgrund der freundschaftlichen Beziehung nicht zum Problem erhoben. Die Gabe als Gabe darf allerdings, folgt man noch einmal der Denkfigur Derridas, auch dem Gabenempfänger nicht als solche erscheinen und erst recht nicht von ihm zurückgegeben, beglichen oder gar überboten werden.218 Bereits die Erinnerung eröffnet »einen Prozeß, […]

217 Vgl. die Ausführungen zu ›abgelehnten Gaben‹ im Einleitungsteil (1.1) sowie unter 4.2.2. 218 Derrida, Falschgeld, S. 23 u. ö.

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der die Gabe zerstört«,219 welcher durch die thematisierte Dankbarkeit sowie die Bereitschaft zur Reproduktion der ursprünglichen Gaben fortgesetzt wird. Die Gabe als Gabe wird in dem Augenblick annulliert, in dem es eine Reaktion darauf gibt. Die an dieser Stelle in Ansätzen dekonstruktive Lektüre soll vor allem den Blick für einen sowohl für die Logik der Gabe als auch die Strukturierung der narratio entscheidenden Faktor – die Zeit – schärfen: Um reziproke Strukturen der Gabe zu verdecken, um auch eine Gegengabe als einmalig und einseitig gegebene Gabe erscheinen zu lassen, kann diese nicht unmittelbar auf die Gabe folgen, bedarf es des Aufschubs und damit der Zeit.220 Solche Mechanismen zur Verschleierung reziproker Gaben werden im Text offengelegt. Dies geschieht etwa dann, wenn der Erzähler die Logik der Gabe erzählfunktional ausbeutet, und zwar insofern, als er – ohne großen erzählerischen Aufwand – den zeitlichen Rahmen der Geschichte sowie Genealogien und Beziehungsnetze mit dem Rückblick auf eine ursprünglich gegebene Gabe erweitert; den Blick also freigibt auf die einstige Gabe und die erst viel später überreichte Gegengabe sowie damit verbundene personale Konstellationen und Abhängigkeiten: Reziprozität als Interaktionsfigur wird – aus der Perspektive der erzählten Gaben-Geschichte – dort umgangen, wo der mittelalterliche Text dem antiken Epos folgt: Erstens beantwortet Euander die Gaben 219 Derrida, Falschgeld, S. 25. 220 Derrida, Falschgeld, S. 57. Allerdings entwickelt Derrida in diesem Punkt keinen vollkommen neuen Gedanken. Schon Firth (Primitive Economics, S. 406, S. 417) und erst recht Bourdieu haben die Zeit als entscheidenden Faktor von Gabentransaktionen herausgestellt: »Es ist das Gabe und Gegengabe trennende Zeitintervall, das eine Tauschstruktur als irreversibel wahrzunehmen gestattet, die stets bedroht ist, als reversibel, d. h. anderen und sich zugleich als obligatorisch und interessebestimmt zu erscheinen« (Entwurf, S. 220). Entscheidend aber ist vor allem, daß Bourdieu zwischen der Gaben-Handlung beziehungsweise der Wahrnehmung aus der Perspektive der daran beteiligten Akteure einerseits und der Wahrnehmung des Beobachters andererseits differenziert: »Es gilt die Tatsache ernstzunehmen, daß Handlungssequenzen, die vom Beobachter als reversibel wahrgenommen werden, von den Handelnden selbst als irreversibel gelebt werden; und daß die Reversibilität wie die Irreversibilität gleichermaßen der objektiven Wahrheit dieser Praxis eingeschrieben sind.« (S. 219). Wichtig erscheint mir eine Unterscheidung ›zweier Wahrheiten‹ auch im Hinblick auf die Interpretation von (literarischen) Texten: Denn einerseits gibt es ein Gaben-Wissen, welches im Text sedimentiert sein kann (zum Beispiel über das Praktizieren oder die Inszenierung von Irreversibilität) und andererseits deckt der (reflektierende, ästhetisch überhöhende etc.) Text immer schon spezifische Strukturen der Gabe auf (zeigt er etwa – wie im Beispiel der Euander-Episode –, daß lange Zeitintervalle zwischen ›Gabe‹ und ›Gegengabe‹ Reversibilität nur verdecken, aber nicht aufheben).

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des Anchises nicht sofort, sondern erst um Jahre später. Zwischen Gabe und Erwiderung der Gabe steht »eine Zeit des Nicht-Ereignisses«, welche – zweitens – »mit irgendeiner Form von Erwartung nicht vereinbar ist«221 und auch im Hinblick auf die Gaben des Anchises ausgeblendet wird. Drittens generiert die Anerkennung, welche Euander durch Anchises erfahren hat, zwar wiederum Achtung und zudem Dankbarkeit, reflektiert werden sie allerdings erst im Angesicht der nächsten Generation. Viertens und letztens hat auch die Antwort auf die einstige Gabe nicht mehr den ursprünglichen Geber, sondern dessen Sohn zum Empfänger.222 In den Passagen dagegen, in denen die mittelalterlichen Verfasser eigene Wege gehen, bauen sie die Idee der Reziprozität aus, wird sie offener thematisiert als in der Aeneis. Auffällig ist, darauf habe ich bereits hingewiesen, daß der Roman d’Eneas die wechselseitige Gastfreundschaft einführt. Heinrich von Veldeke scheint dieser Rahmen allein noch nicht zu genügen. Mehrfach läßt er Euander beteuern, daß er weder den Empfang durch Anchises noch seine Gaben vergessen hat, und daß die Erinnerung daran dessen Sohn Eneas zugute kommen soll. Wenn er davon spricht, daß daz ensol niht sin verlorn (Eneas 170, 39), so meint er zunächst vor allem das ›symbolische Kapital‹ an minne und ere, welches ihm durch Anchises zuteil wurde und nun in der nächsten Generation wieder erneuert werden soll. Gegenseitigkeit wird als längerfristiges und transpersonales Prinzip, als Prinzip über Generationen hinweg dargestellt: »[…] o er [Anchise] hete mir michel gut gigeben. des wil ich [Euander] iv [Eneas], sol ich leben, o lonen mit gute […].« (Eneas 171, 11–13) (»Er hätte mir noch viel mehr geschenkt. Das will ich Euch, solange ich lebe, vergelten.«)

Auch wenn an dieser Stelle aufgrund der verwendeten Lexeme der Eindruck entsteht, Euander beabsichtige Gabe (beziehungsweise die Bereitschaft dazu) und Gegengabe zu bilanzieren, wird im folgenden bald deutlich, daß dies nicht der Fall ist. Wenngleich Euander die einzelnen Gaben des Anchises aufzählt, geht es nicht darum, daß er sich mit ähnlichen Dingen bei Eneas revanchiert. Anerkennung und 221 Gondek, Zeit und Gabe, S. 193. 222 Eneas 171, 22 f.: »[…] vnd wil iv des lonen, | des mir iwer vater tet […].«

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Freundschaft werden auf Eneas übertragen, aber im Hinblick auf die materiellen Dinge erhält er keine ›Gegengabe‹, welche mit den Gaben des Vaters vergleich- oder verrechenbar wäre. Als Dank für die einzelnen Präsente, die er einst in Troja erhielt, antwortet er mit der für die Trojaner nötigen materiellen und personellen Unterstützung im Kampf um Latium. Nimmt man den Text für ›bare Münze‹, dann deutet nichts darauf hin, daß Euander dazu verpflichtet wäre. Er selbst unterstreicht jedenfalls, daß er die Gaben des Anchises nicht nur frei von Zwang, sondern sogar mit Freude (gerne, Eneas 171, 15) vergelten (lonen, Eneas 171, 13/22)223 wird. Mechanismen und Strategien wie Wechselseitigkeit, Verschleierung von Reziprozität oder Überbietung erklären einen Teil der Ausführungen Euanders und seines Verhaltens gegenüber Eneas, aber nur unzureichend die Formulierung: daz ensol niht sin verlorn (Eneas 170, 39). Obgleich man vielleicht ungefähr erahnen kann, was Veldeke mit dieser Aussage gemeint haben mag, zeugen schon die unterschiedlichen Übersetzungsvarianten davon,224 daß sich hinter ihr eine Denkfigur verbirgt, die sich – analytisch betrachtet – einem schlichten Schema von Gabe und Gegengabe, dem Modell eines einfachen Tausches entzieht. Euander formuliert einen Zusammenhang, der vielleicht ungewöhnlich modern anmuten mag: den, wie ich glaube, von ›Einsatz‹ und ›Gewinn‹.225 Oder sagt Euander denn anderes, als daß sich die väterliche ›Investition‹ von minne, ere und (symbolisch aufgeladenen) Gaben für den Sohn lohnen wird? Ich möchte diese Frage mit ›nein‹ beantworten. Gerade der einmalige Einsatz des Vaters an ›symbolischem Kapital‹, soviel kann man der Argumentation Euanders entnehmen, ist in der Zeit nicht verloren gegangen, auch soll er nicht umsonst gewesen sein, sondern Eneas vielmehr zuzüglich einer Art ›Rendite‹, nämlich solange Euander lebt, wieder zukommen. Freilich handelt es nicht um ›zirkulierendes‹ ökonomisches Kapital, welches – im Glücksfall sich vermehrend – zum Ursprung zurückkehrt oder das auf dem Weg dahin 223 Zur Problematik der Abgrenzbarkeit von gabe beziehungsweise ›Gegengabe‹ (widerlon) und lon vgl. meine Bemerkungen im Einleitungskapitel (1.1) sowie unter 3.8.3. 224 Kartschoke übersetzt: »das soll nicht umsonst geschehen sein […]«; Fromm liest denselben Vers im Sinne von: »Das soll nicht vergessen sein […]«. 225 Zu Denkfiguren von ›Einsatz‹ und ›Gewinn‹ im 12. und 13. Jahrhundert vgl. auch LeGoff, Wucherzins sowie Kaufleute, vor allem S. 68–81. LeGoff behandelt vor allem theologische Diskurse: sowohl solche, die gegen gewinnorientiertes Agieren gerichtet sind als auch Rechtfertigungsreden. Vgl. ferner Kuchenbuch, Porcus donativus.

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ebenso zerrinnen könnte.226 Und auch Geld wird nur als maßstabbildende Währung erwähnt, nicht als ›fließendes Kapital‹. Schließlich geht es ja auch nur am Rande um ökonomische Tauschprozesse, allererst aber um eine Logik der Gabe, die soziale und materielle Verpflichtungen des Gabenempfängers bis zur nächsten Generation stundet, um sie dann in ›Überbietung‹ der einstigen Gabe einzulösen, und zwar in einer – und dies ist das Entscheidende – bis zum Zeitpunkt der Einlösung ungewissen und unter Umständen für den nun aktuellen Geber verhängnisvollen Form. Für Euander jedenfalls bedeutet die Begegnung mit Eneas den Verlust des einzigen Nachkommen: Denn sein Sohn Pallas, der Eneas in den Kampf um Latium folgt, wird nicht mehr lebend zurückkehren. Meine Beobachtungen zur ›Transformation‹ der Euander-Episode in den mittelalterlichen Romanen fügen sich so zusammen, daß man davon sprechen kann, hier werde die Geschichte des Herkules-Opfers mit ihren mythischen und historisch-politischen Bezügen, wie sie in der Aeneis erzählt wird, – bis hin zur Substitution der entsprechenden Terminologie – weit zurückgenommen, um den Raum, der hierbei entsteht, – und dies tut vor allem Heinrich von Veldeke in elaborierter Weise – mit einem Diskurs über gegenseitige Gastfreundschaft, Freigebigkeit und ›gewinnbringende Gaben‹ zu besetzen. Verhandelt werden damit Themen, die auf ihre Weise nicht weniger historisch-politisch relevant sind als jene, auf welche das antike Epos verweist. Denn sie lenken den Blick zugleich ins Zentrum feudaladliger Herrschaftsdiskurse, welche Veldeke ähnlich wieder mit der Hochzeit von Eneas und Lavinia – und dort mit den Anspielungen auf das Mainzer Hoffest (1184) – aufnimmt, um sie abschließend noch einmal ausführlich zu entfalten. Trotz aller Unterschiede zwischen der vergilschen Präsentation des Opferkultes und den mittelalterlichen Entwürfen der Episode gibt es auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten, welche auf kulturgeschichtliche Kontinuitäten schließen lassen: inszenierte Rahmen und Reglementierungen, Erinnerungsarbeit, das Töten von Tieren und das Ausgießen von Wein, das gemeinsame Mahl als Element von Opferkult wie auch höfischem Empfang, gemeinschaftsstiftende ebenso wie mehr 226 Vgl. zu solcherart (literarischen) Diskursen Hörisch, Gott sowie Kopf oder Zahl, vgl. hier vor allem zur verbreiteten Analogisierung von Blut- und Geldzirkulation im 18. und 19. Jahrhundert S. 341. Fragestellungen und Thesen für eine »Poetologie ökonomischen Wissens«, die theoretisch-methodisch über Hörischs Arbeiten hinausreichen, hat Vogl entwickelt (Geschichte, zit. S. 474 sowie Kalkül und Leidenschaft).

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oder weniger agonale Strukturen, Szenen repräsentativer Selbstdarstellung; Transaktionen, welche mehr als ein Verschieben von Vermögenswerten sind, vielmehr ein Geben und Nehmen materieller und symbolischer Ressourcen, Transaktionen als kommunikative Akte – eingelassen in komplexe rituelle Zusammenhänge.

3.5 Stellvertretung III: memoria und Repräsentation 3.5.1 Erinnerung und Zukunft: Didos Pferd Bisher konnte wiederholt gezeigt werden, daß an die Geschichte Trojas – sei es an die ihres Ruhmes oder auch an die ihres Unterganges – auch noch erinnert wird, nachdem Eneas der Stadt bereits den Rücken gekehrt hat. Die Erinnerung an Troja wird nicht etwa nur im Fries des karthagischen Junotempels,227 in den Erzählungen des Eneas oder im ersten Teil seiner Unterweltreise228 präsent gehalten, sondern desgleichen mit und in den kostbaren Objekten, welche Eneas aus den Trümmern Trojas gerettet hatte, um sie später nach und nach zu verschenken. Das Gedächtnis haftet auch an jenen Dingen, welche der Held auf seinem Weg mitführt. Im Fortgang der Geschichte bis hin zur Ankunft des Eneas im verheißenen Latium wird allerdings nicht allein das trojanische Reich vor dem Vergessen bewahrt, sondern ebenso die karthagische Königin, deren Schicksal in mindestens einem Punkt Analogien zu dem Trojas aufweist: Nach dem Brand Trojas wie nach dem Feuertod Didos bleibt nichts als Asche zurück, nahezu nichts, was hier an das einst gewaltige Reich und dort an eine ehemals mächtige Königin erinnerte, gäbe es nicht die fama, die von den trojanischen Flüchtlingen erzählten Geschichten oder die Objekte, die Eneas jeweils mitgenommen hat. Während die Gaben, die Eneas einst der karthagischen Königin schenkte, in den Flammen des von ihr entfachten Scheiterhaufens aufgegangen sind, haben die Trojaner einzelne Geschenke Didos aufbewahrt und weitergetragen. Allerdings handelt es sich sowohl in der 227 Vgl. dazu die Analysen zur Dido-Episode (3.2.1) sowie Herzog, Vergessen, S. 95–97, Wandhoff, Gemalte Erinnerung, S. 66–68. 228 Vgl. Vögel, der die Unterwelt als einen »Raum der memoria, für den Helden wie für den Hörer oder Leser« (Gedächtnis, S. 60) beschreibt.

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Aeneis als auch in den mittelalterlichen Eneas-Romanen – mit einer Ausnahme – nicht nur um verschiedene Gaben, die zudem in je unterschiedlichen Kontexten auftauchen, sondern die jeweiligen Gaben werden überhaupt zum ersten Mal beim Namen genannt. Keine der Gaben wurde in einer jener Episoden, die von Geschenktransaktionen in Karthago erzählen, konkret erwähnt. Auffällig ist, daß alle Kommentare zur ursprünglichen Provenienz der Gaben nicht von einem der Protagonisten stammen, sondern vom Erzähler. So liegt der Verdacht nahe, daß die Gaben vordergründig im Dienste erinnernder narratio – sozusagen als ein mögliches Instrumentarium, um vor allem für den Rezipienten auf die Geschehnisse in Karthago rückblenden zu können – eingeführt werden. Dieser Vermutung wäre nunmehr nachzugehen. Zugleich muß aber auch danach gefragt werden, welche Funktion den Gaben in jenem jeweils aktuellen Kontext zukommt, in den sie ›hineingetragen‹ werden; inwiefern im Verlauf des Erzählens sinnstiftend Fäden zwischen den Gaben und ihrer ursprünglichen Geberin gezogen werden, und auf welche Weise damit auch das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft thematisiert wird. Schenkte man Reinhard Herzogs Überlegungen zu einer vergilschen »Poetik der memoria«229 in allen Punkten unhinterfragt Vertrauen, so ließe sich mit seinen Worten der Aufenthalt des Aeneas in Karthago, ließe sich die Zeit, die Aeneas mit Dido verbringt als »die offene, nicht memorial festgelegte Gegenwart«230 definieren. Beobachtungen wie jene, daß Aeneas seinen Vater nicht mehr – wie noch auf der Flucht aus Troja – auf seinen Schultern trägt, sondern Anchises bereits auf Sizilien begraben hat, und auch, daß Aeneas aufgehört hat, seinen Sohn an der Hand zu führen, unterstützen Herzogs These freilich ebenso wie die Tatsache, daß der Held vorübergehend in den Zustand der Amnesie verfällt, welcher ihn seine Vergangenheit wie die providentielle Zukunft gleichermaßen vergessen läßt. Doch Herzog hat – ähnlich wie bereits in seiner Analyse der Helenus-Andromache-Episode – keine Augen für die Gabentransaktionen. Diese spielen allerdings – so konnte bereits im Abschnitt 3.2 dargestellt werden – gerade auch im Hinblick auf Aspekte der memoria eine tragende Rolle. Denn bevor Aeneas von der ›nicht memorial festgelegten Gegenwart‹ eingenommen wird, überreicht der Trojaner der karthagischen Königin Geschenke, mit welchen noch einmal seine Vorgeschichte aufgerufen und damit zugleich seine trojanische Identität vorgeführt wird. Anderer229 Herzog, Vergessen, S. 81. 230 Herzog, Vergessen, S. 91.

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seits künden die Gaben nicht allein vom Ruhm des trojanischen Reiches, sondern sie sind ebenso Zeugnisse einer Untergangsgeschichte. Als solche, als stigmatisierte Gaben, deren Übergabe im Rahmen eines Mahles stattfindet, bei welchem von einem Präsent – dem Trojanischen Pferd – erzählt wird, das zum Untergang Trojas führte, und noch dazu verbunden ist mit Didos tragischer Infizierung, verweisen sie auch auf Didos unheilvolle Zukunft. Das künftige – für den Rezipienten ohnehin erahnbare – Schicksal der karthagischen Königin ›klebt‹ gleichermaßen an den Gaben wie Aeneas’ Vergangenheit. Im folgenden allerdings, und vor allem nach dem Koitus der Liebenden in den Wäldern Libyens, erscheint Karthago bis zur Intervention Juppiters tatsächlich als ein Raum frei von jeglicher Erinnerung und antizipierter Zukunft. Dagegen wird Sizilien – man möchte fast meinen als memoriale Gegenwelt zu Karthago – als ein Ort der Erinnerung entworfen, zu dem es die Schiffe des Aeneas sowohl vor als auch nach der Begegnung mit Dido hintreibt. Mit dem zweiten Aufenthalt auf Sizilien, mit der Rückkehr zum Grab des Anchises wird nicht allein noch einmal an Aeneas’ Vater erinnert, sondern vielmehr wird die trinakrische Insel für die Überlebenden Trojas geradezu zum Ort kulturellen Gedenkens. Erinnert sei nochmals daran, daß Aeneas zu Ehren des Anchises Totenspiele veranstaltet, in deren Rahmen Gaben zirkulieren, mit welchen Siegerehrung für Siegerehrung Splitter der vergangenen trojanischen Geschichte zusammengefügt werden. Gleichzeitig wird in den einzelnen Kämpfen und im Preis der Sieger die sizilianische, doch vor allem die trojanische Jugend als überaus strahlende Zukunftsträgerin der Prophezeiungen wirkungsvoll in Szene gesetzt. Und noch unmittelbar bevor die Trojaner Sizilien verlassen, fordert Aeneas den Anführer der trojanischen Jugend, den Sohn des Aepytus, auf, Ascanius zum Aufmarsch zu bewegen. Ascanius und seine Gefährten sollen zu Ehren des verstorbenen Anchises mit Waffen geschmückt herbeireiten, um sich im spielerischen Kampf mit Schild und Lanze gegen die jungen Sizilianer zu bewähren. Aus den Reihen der Trojaner werden Atys, der beste Freund des Ascanius und Stammvater der latinischen Atii, und der Enkel des König Priamus erwähnt. Nicht nur mit der Gruppe Anchises-Aeneas-Ascanius,231 sondern auch mit der des zuletzt in Troja regierenden Geschlechtes, mit Priamus-Polites-Priamus wird somit der Bogen – ausgehend von der Gegenwart – in die Vergangenheit und in die nahe Zukunft gespannt. Die jungen Helden werden umjubelt, und betont wird, daß sich in ihren Gesichtern die Züge ihrer Eltern spie231 Vgl. Herzog, Vergessen, S. 114.

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geln.232 Doch haftet der Blick des Erzählers insbesondere auf der Gestalt des jungen Ascanius, ist er – der iuvenis par excellence – allen anderen voran der Hoffnungsträger der trojanischen Flüchtlinge. Um so erstaunlicher mag es anmuten, daß ausgerechnet er auf einem Roß reitet, welches ihm einst – aus Liebe und um dem Jüngling im Gedächtnis zu bleiben – die karthagische Königin schenkte: extremus formaque ante omnis pulcher Iulus Sidonio est invectus equo, quem candida Dido esse sui dederat monimentum et pignus amoris. (Aeneis V, 570–572) (Ganz zuletzt, an Gestalt aber schön vor allen reitet dort Julus einher auf sidonischem Roß, welches die strahlende Dido ihm einst zum Gedenken an sie und als Pfand ihrer Liebe gab.)

Die Erinnerung an die karthagische Königin ist gekoppelt an die Vorausdeutung auf den künftigen Herrschaftsbereich und den Ruhm des Ascanius auf italischem Boden. Die auf Sizilien prozessierten Spiele – so heißt es nämlich – wird der Sohn des Aeneas, der nach Vergil künftige Ahnherr der julischen Caesaren, in der von ihm gegründeten Stadt Alba Longa wiederholen.233 Wie mir scheint, wird in der Figur des auf Didos Pferd reitenden Ascanius einmal mehr der einstige Anspruch Karthagos gegen den Roms ausgespielt: Ascanius hat seine Mutter Creusa auf der Flucht aus dem brennenden Troja verloren. Als Halbweise wird seine Gestalt von diesem Zeitpunkt an zur Projektionsfläche von Phantasmen jener Frauen, die nie einen Sohn geboren oder aber einen solchen verloren haben. Für Andromache – dies wurde bereits näher ausgeführt – wird Ascanius zum Ersatz des eigenen von den Griechen ermordeten Sohnes Astyanax. Auch Dido empfängt (den vermeintlichen) Ascanius liebevoll wie einen eigenen Sohn, und sie verliert ihn wieder, als Aeneas aus Libyen flieht. Ascanius ist der Sohn, den Andromache verloren hat, und der Sohn, welchen Dido nie haben durfte. Während Ascanius als der Zukunftsrepräsentant des providentiellen Reiches, als einer der Erben des Aeneas vorgeführt wird, erinnert die Gabe der Dido an deren 232 Aeneis V, 576. 233 Aeneis V, 596–599: hunc morem cursus atque haec certamina primus | Ascanius, Longam muris cum cingeret Albam, | rettulit et Priscos docuit celebrare Latinos, | quo puer ipse modo, secum quo Troïa pubes […]. Und: Auch künftig wird mit ihnen an die trojanischen Ursprünge und den Vorfahren Anchises erinnert werden: Troiaque nunc pueri, Troianum dicitur agmen. | hac celebrata tenus sancto certamina patri (Aeneis V, 602 f.). Das Spiel steht für eine ungebrochene Tradition und hebt in sich so Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft auf.

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Schicksal der Erben- und hiermit Zukunftslosigkeit. Die memoria an eine vom göttlichen fatum benachteiligte Herrscherin einerseits und andererseits die repräsentative Selbstdarstellung der Trojaner, welche die Legitimität ihres Anspruchs auf das prophezeite Reich vor Augen führt, fallen im Bild des reitenden Ascanius zusammen.

3.5.2 Opfer auf dem Weg zum Ruhm: Über Gewänder und Ringe Noch ein zweites und letztes Mal wird in der Aeneis von einem Gegenstand erzählt, welcher ursprünglich zu den Gaben gehörte, mit welchen Dido die trojanischen Ankömmlinge bedachte. Die Handlung spielt bereits in Latium. Im Kampf gegen den Rivalen des Aeneas wird der junge Pallas, Sohn des Königs Euander, von Turnus tödlich verwundet. Als Aeneas vom Tod des Pallas erfährt, eilt er unverzüglich herbei, um dem Helden die letzte Ehre zu erweisen. Aeneas bahrt den Toten fürstlich auf und gemeinsam mit den von Pallas erbeuteten Pferden und Waffen läßt er ihn zu seinen Eltern nach Arkadien überführen. Von Aeneas wird der Tote in zwei purpur-goldene Gewänder gehüllt, Gewänder, welche Aeneas einst aus den Händen der karthagischen Königin empfangen hatte: tum geminas vestes auroque ostroque rigentis extulit Aeneas, quas illi laeta laborum ipsa suis quondam manibus Sidonia Dido fecerat et tenui telas discreverat auro. (Aeneis XI, 72–75) (Zwei von Gold und Purpur starrende Gewänder, welche einst beglückt bei der Arbeit mit eigenen Händen die sidonische Dido für ihn gewebt und das Gewebe mit zarten Fäden von Gold durchwirkt hatte, bringt Aeneas zur Bahre.)

Es handelt sich um Kleider, die jenem Gewand gleichen, welches Aeneas trug, als er von Merkur aus seiner Schicksalsvergessenheit herausgerissen wurde. Dido selbst hatte den Stoff für die Gewänder gewebt und mit feinen Goldfäden durchzogen: […] dives quae munera Dido fecerat et tenui telas discreverat auro. Vers 75 des elften Buches wiederholt demnach aufs Wort Vers 264 des vierten Buches. Drängte sich zu jenem Zeitpunkt in Karthago der Eindruck auf, Dido habe mit dem Gold auch das Vergessen in das Gewand, welches dem Geliebten bestimmt war, eingewirkt, so sind es nun anläßlich des Todes von Pallas ausgerechnet Gewänder derselben Art, die noch einmal an Dido erinnern 220

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und somit auch ihr Leid nach dem Aufbruch des Aeneas aus Libyen ins Gedächtnis rufen. Geschmückt mit zwei Gewändern, welche die – inzwischen tote – karthagische Königin Aeneas zum Geschenk machte, wird nun in Italien der tote Pallas zu Grabe getragen. Mir scheint, die beiden Gewänder bezeichnen jene zwei Opfer auf dem Weg des Helden, zwischen welchen in der Szene des trauernden Aeneas ein Konnex gestiftet wird: Dido und Pallas. Eine drittes Opfer führt der Roman d’Eneas in eben diese Episode ein. Zwar weiß der französische Text im Unterschied zu Vergil nur von einem einzigen Gewand, in welches Eneas den toten Sohn Euanders kleidet, doch er erzählt zudem von einer kostbaren Decke, die Eneas über dem Leichnam ausbreitet: Pallas vestent d’un vestement tissu a or molt maistrement: a Eneas le presenta Dido, quant elle l’enama. […] desor lui mist un covertor (onkes nus reis nen ot meillor, Prianz li dona o sa fille) […]. (Roman d’Eneas V. 6121–6129) (Sie kleiden Pallas in ein meisterhaft besticktes Gewand: Dido schenkte es Eneas, als sie sich in ihn verliebte. Eine Decke breitete er über ihn – niemals hatte irgendein König eine bessere, Priamus gab sie ihm mit seiner Tochter.)

Die Erinnerung des Rezipienten wird nicht nur nochmals auf die Geschehnisse in Karthago gelenkt, sondern wiederholt auch auf die trojanische Vorgeschichte des Helden. Die Decke, von der sich Eneas nun trennt, um den in seinen Diensten gefallenen Pallas zu würdigen, schenkte einst König Priamus seiner Tochter Creusa und dem Schwiegersohn Eneas. Der Anlaß der Gabe wird nicht genannt, doch liegt es nahe, daß es sich um die Eheschließung der beiden handelte. Denn kostbare Textilien solcher Art gelten in verschiedenen Kulturen als typische Gast-, aber vor allem auch Hochzeitsgeschenke, unter denen sich die Paare vereinigen.234 Die memoria gilt also im französischen Text nicht allein Karthagos Königin, sondern desgleichen der ersten Gattin des Eneas. Auf dem providentiell vorgegebenen Weg des Eneas ersetzt die karthagische Herrscherin die trojanische Königstochter, die in den 234 Die »erotische Symbolik« gemeinsamer Decken- und Mantelgaben beschreibt Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 126 f.

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Flammen des väterlichen Reiches ihr Leben verloren hat, um selbst nach der Flucht des Helden aus Libyen den Tod zu wählen. Im Feuertod beider Frauen ist zugleich der Untergang Trojas wie die Unterlegenheit Karthagos gegenüber Rom chiffriert. Sowohl Creusa als auch Dido müssen dem geschichtlichen Telos der Handlung nach sterben, weil die Ehe des Helden mit Lavinia zur göttlichen Providenz gehört. Und jetzt, unmittelbar bevor Eneas diese mit seinem Sieg über den Pallasmörder Turnus endgültig einlöst, wird noch einmal an die erste Gemahlin wie auch an die Geliebte des Eneas und ihre je historisch-schicksalhafte Bedeutung für den Helden erinnert. Das kostbare Gewand, in das Eneas den toten Pallas einhüllt, ist nicht die einzige Gabe Didos, die im Roman d’Eneas im Rahmen der Italiengeschichte ihren Besitzer wechselt. Bereits Eneas’ Gabensendung an den König Latinus enthält ein Objekt, welches Dido – dem Kommentar des Erzählers zufolge – ihrem Geliebten schenkte: […] un anel que li dona par druërie Dido, quant el devint s’amie […]. (Roman d’Eneas V. 3136–3139) ([…] einen Ring, den ihm Dido aus Liebe gab, als sie seine Geliebte wurde.)

Nachdem Eneas in Latium angelangt ist – so könnte man schlußfolgern –, löst er endgültig die Bindung an Karthagos Königin, und indem er sich von dem sichtbaren Beweis ihrer Zuneigung trennt, zeigt er sich frei für alles Künftige. Hierbei wird der Ring von Eneas umkodiert: Von Dido hatte er ihn als Liebespfand und als Zeichen der eheähnlichen Beziehung erhalten, als eine diplomatische Gabe an den italischen König verschenkt er ihn weiter. Erneut bedeutet dies, daß innerhalb einer Geschichte ein und dieselbe Gabe in unterschiedlichen Kontexten variierenden funktionalen Deutungen unterliegen kann. Der Ring als Gabe ist funktional so unspezifisch, daß er als Pfand der Zuneigung und Treue sowohl im Kontext von Liebes- als auch von diplomatischen Beziehungen zirkulieren kann.235

235 Damit setze ich mich von Liebertz-Grün ab, die sowohl den Ring als Gabe des Eneas an Latinus als auch das Gewand, in welches Pallas gehüllt wird, als Andeutungen »erotische[r] Neigung« (Geschlecht, S. 71) interpretiert.

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memoria Diplomatie undund Repräsentation Geschichte

3.5.3 Erinnertes Karthago und inszenierte Herrschaftsansprüche: Eneas’ Zelt vor Laurentum Heinrich von Veldeke widmet der Sizilienepisode bekanntermaßen lediglich sechs Verse. Weder erzählt er von den Gaben des Eneas an die Teilnehmer der Totenspiele noch von Ascanius’ Pferd karthagischer Herkunft. Ein Ring, den Eneas dem König Latinus schenkt, wird zwar ebenso erwähnt wie prunkvolle Stoffe, mit welchen Eneas den toten Pallas schmückt, doch zur Provenienz jener Reichtümer äußert sich Veldeke nicht. Allerdings verzichtet auch er nicht darauf, im abschließenden Teil der Geschichte Karthagos Königin qua einer ihrer Gaben an Eneas noch einmal dem Rezipienten ins Gedächtnis zu rufen. Veldeke führt zu diesem Zweck keinen neuen Gegenstand ein, sondern er bedient sich eines Requisites, von dem schon der französische Text erzählt: Es handelt sich um ein äußerst repräsentatives Zelt, welches Eneas vor Laurentum plaziert. Aber während das Zelt im Roman d’Eneas zu den Stücken gehört, welche Eneas einst im Krieg um Troja gegen die Griechen erbeutete,236 will der Erzähler der deutschsprachigen Version wissen, daß das Zelt zu den Geschenken Didos an Eneas gehörte:237 do hete man Enee bracht ein gezelt weit vnde ho. daz het im frawe Dido gegeben durch minne. (Eneas 247, 4–7) (Für Eneas hatte man ein geräumiges und hohes Zelt gebracht. Das hatte ihm die Geliebte Dido aus Minne gegeben.)

Die Erinnerung an die karthagische Herrscherin erfolgt in einem Augenblick, als die Auseinandersetzungen in Italien an einem entscheidenden Punkt angelangt sind:238 Im Verlauf der Kämpfe zwischen den Trojanern und dem Heer des Turnus wie seiner Verbündeten erfährt Eneas von den Verlusten seines Gegners, zu denen vor allem der Tod der Königin und Heerführerin Camilla gehört. Eneas plant daraufhin, 236 Der Roman d’Eneas kennt – präzise formuliert – zwei Zelte: ein sehr großes, welches einen der Hügel vor Laurentum samt Graben überspannt und ein kleineres, welches Eneas innerhalb des großen Zeltes errichtet. Beide werden als wenig wehrhaft, aber ausgesprochen prachtvoll beschrieben. Doch während das kleine Zelt als Beutegut des Eneas im Kampf gegen die Griechen bezeichnet wird (V. 7312), bleibt die Herkunft des großen Zeltes im Dunkeln (V. 7290–7330). 237 Zu Unterschieden in der Geschichte des Zeltes und seiner Beschreibung im Überblick vgl. Dittrich, »Eneide«, S. 289 f. 238 Vgl. hierzu auch Vögel, Gedächtnis, S. 67.

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Gaben und Opfer

die Schwächung seines Rivalen auszunutzen und alsbald Laurentum zu erobern. Binnen einer Nacht errichten seine Dienstleute auf einem Hügel vor der Stadt ein imponierendes Lager. Im Mittelpunkt steht das karthagische Zelt des Eneas, welches von einem großzügig abgesteckten Hof umgeben und – gleich einem hochaufragenden Turm – weithin sichtbar ist. Das Zelt nimmt nicht nur ausgesprochen viel Raum ein, sondern ist aufwendig und aus kostbaren Materialien wie Gold und Samt gefertigt. Allerdings ist es alles andere als wehrhaft. Einzig aus der Fernsicht der Einwohner Laurentums erweckt es den Eindruck einer gemauerten, schier unangreifbaren Burg.239 Beim Rezipienten mag die Darstellung des Zeltes unterschiedliche Assoziationen wecken: Aufgrund seiner prachtvollen Gestalt erinnert es erstens an den Sitz der Geberin selbst und damit an all das, was Dido dem Trojaner vertrauensvoll überlassen hatte: die Herrschaft über Karthago und Libyen. Mit dem Zelt – Karthago en miniature – bringt Eneas o zur Anschauung, daß ihm bereits in Karthago herschaft, reichtum und wolstan (Eneas 247, 27 f.) – so nämlich lautet der Repräsentationsanspruch, welcher mit dem Zelt verbunden ist –, zuteil wurden. Zweitens ist das Zelt, wie prunkvoll auch immer es sein mag, alles andere als eine feste Residenz. Dementsprechend ließe es sich ebenso als Gleichnis für Didos instabile Herrschaft begreifen. Zum wiederholten Male drängt sich die Erinnerung daran auf, daß Dido aus Liebe zu Eneas ihr Reich in dessen Hände gelegt hatte, und jene Transaktion schließlich zu ihrem eigenen sozialen und physischen Tod führte. Doch drittens ist Eneas bis zur Ankunft im verheißenen Italien selbst ein Flüchtling ohne festen Herrschaftssitz, zu dem er immer wieder zurückkehren könnte; ein Held, der mit dem imponierenden Zelt seine eigene Heimatlosigkeit zu verschleiern scheint. Der Aufbau des Zeltes erinnert und markiert in auffälliger Weise Weg und Status des Helden: Eneas’ Aufenthalt in Karthago, der nicht von Dauer gewesen ist, sondern nur ein Zwischenspiel auf dem Weg zur Begründung des eigenen Reiches sowie die bis dahin eigene Land- und Sitzlosigkeit. Eneas gelingt es jedoch – und dies nun allererst auf der Ebene der erzählten Handlung – mittels des kostbaren wie raumgreifenden und Stabilität suggerierenden Zeltes, seine Herrschaftsansprüche auf beeindruckende Weise in Szene zu setzen. Die einstige Minnegabe wird – herausgelöst aus ihrem ursprünglichen Kontext – zum Statussymbol 239 Eneas 247, 31; 248, 14–19: es was nicht durch wer […]. die daz wol erchanden | vnd si daz gezelt sahen stan, | daz als ein maur waz getan, | als scheinbære. | si wanden, daz es wære | ein purch; dez enwaz es niet.

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Die Waffen der Venus

des Eroberers, zur Signatur für den Territorial- und Machtanspruch des Heros. Seine ›Burg‹ hat Eneas auf zwainzich soümare (Eneas 247, 12) von Libyen nach Latium getragen, aber nur, um sie dort – dem Heilsplan folgend – gegen einen endgültigen und stabilen Herrschaftssitz einzutauschen. Vor Laurentum demonstriert Eneas, daß er sich trotz göttlicher Providenz nicht allein auf die Zusagen des Latinus oder – wie in Karthago – die Minne einer Frau verläßt, sondern bereit ist, seine Ansprüche auf Italiens Erbe – gewaltsam – im Kampf um die Stadt des Königs gegen seinen Rivalen Turnus durchzusetzen und zu legitimieren.240

3.6 Zukünftiges: Die Waffen der Venus talia per clipeum Volcani, dona parentis, miratur rerumque ignarus imagine gaudet, attollens umero famamque et fata nepotum. (Aeneis VIII, 729–731) (Er staunt solches Werk auf dem Schilde Volkans, dem Geschenke der Mutter, an. Und unkundig der Dinge, freut er am Bild sich; hebt und trägt auf der Schulter Ruhm und Schicksal der Enkel.)

Mehrfach und auf verschiedenste Weise wird Aeneas – und mit ihm der Rezipient der Geschichte – mit seiner Vergangenheit, der Zukunft oder beidem zugleich konfrontiert. So bietet sich etwa sowohl im antiken Epos als auch in den mittelalterlichen Romanen die Unterwelt als Schauraum für Gewesenes und Kommendes für ihn dar. Dort erblickt er die toten Helden der vergangenen Geschichte, und Anchises lenkt die Augen des Sohnes auf Künftiges, auf die Nachkommen des Aeneas. In der Aeneis gibt es zwei Bildprogramme, die diesen Schauraum ergänzen, von den mittelalterlichen Verfassern jedoch nicht übernommen werden. Ich spiele erstens auf den Fries im Junotempel zu Karthago an, der Aeneas den Rückblick auf die Geschehnisse in Troja ermöglicht. Noch einmal läßt er Aeneas längere Zeit in der Anschauung seiner Vergangenheit verharren, bevor in der Begegnung mit Dido vorübergehend alle Erinnerung ausgeschaltet wird.

240 Zu divergierenden Legitimationstrategien in den mittelalterlichen Eneas-Romanen vor dem Hintergrund zeitgenössischer Gewalt- und Rechtsdiskurse vgl. Friedrich, Diskurs der Gewalt, S. 171–175.

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Gaben und Opfer

Zweitens meine ich den Schild, welcher zu den Waffengaben der Venus für Aeneas gehört. Die Geschichte der Waffen, welche der Held von Venus für den Kampf um Latium erhält, ist schnell erzählt, und sowohl Vergil als auch die mittelalterlichen Verfasser tun es auf ganz ähnliche Weise: Die Göttin hatte ihren Gemahl Vulcan gebeten, eine Ausrüstung für Aeneas zu schmieden. Zum Dank dafür verspricht sie ihm, nachdem sie sich ihrem Gatten sieben Jahre lang versagt hatte, eine Liebesnacht.241 Auffällig ist allerdings, daß die mittelalterlichen Verfasser in den folgenden Partien die direkte Begegnung zwischen Eneas und seiner Mutter zugunsten einer vermittelten Transaktion ihrer Gaben streichen. Anders als noch in der von Vergil erzählten Welt ist im mittelalterlichen Entwurf eine Kommunikation zwischen Menschen und Göttern, zwischen Himmel und Erde, nur noch zeichen- und stellvertretervermittelt, aber nicht mehr unmittelbar möglich. Venus übergibt die Waffen nicht wie im antiken Text selbst, sondern sendet Boten zu ihrem Sohn.242 Mit dem Schild handelt es sich um eine der wenigen Gaben, welche keine unmittelbare oder mythische Vorgeschichte besitzen, nicht auf Vergangenes, sondern auf die Zukunft verweisen. Von ihm wird zwar auch in den mittelalterlichen Romanen berichtet, doch das Bildprogramm, welches Vergil in der Tradition Homers243 auf der Oberfläche des Schildes geschaffen hat, übernimmt weder der Verfasser des Roman d’Eneas noch Heinrich von Veldeke. Und auch die Fläche, welche aufgrund der Tilgung neu besetzt werden könnte – etwa durch Umkodierungen des Programmes –, wird von ihnen kaum genutzt. Der französische Verfasser begnügt sich mit schmückenden Edelsteinen, und Veldeke ersetzt die vergilsche Darstellung durch einen roten Löwen.244

241 Aeneis VIII, 369–406, Roman d’Eneas V. 4297–4398, Eneas 157, 9–158, 39. 242 Roman d’Eneas V. 4543–4550, Eneas 163, 15–19. 243 Vgl. die Ekphrasis des Schildes, welches Thetis von Hephaistos für ihren Sohn Achilleus schmieden ließ: Ilias XVIII, 483–608; dazu unter anderen Stanley, Shield of Homer, Simon, Schild, Krieger, ›Ekphrasis‹, S. 48 f.; Kühn, Rüstungsszenen vergleicht homerische und vergilsche Rüstungsszenen; Ratkowitsch (Descriptio Picturae, S. 139–141) untersucht Schildbeschreibungen in Texten von Vergil, Silius und Walter von Châtillon; ausschließlich zur Schildbeschreibung in der Aeneis vgl. Graf (Ekphrasis, S. 150), der vor allem auf Strategien der Selbstreflexion und Überbietung aufmerksam macht, sowie Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 72 f., S. 305 f.; Eigler, Repräsentationskunst versucht zu zeigen, daß Vergil sich in seinen Gegenstands- und Bildbeschreibungen sowohl auf die literarische Tradition (Homer) als auch auf die bildende Kunst der augusteischen Zeit bezieht. 244 Roman d’Eneas V. 4445–4468, Eneas 161, 6 – 162, 13; zu Veldeke vgl. Horstmann (Wappen, S. 62 f.), der auf die Unterschiede zwischen dem Text und der Berliner Handschrift verweist.

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Die Waffen der Venus

Im antiken Epos sind die Bilder des Tempelfrieses als Präsentation der Vorgeschichte, die Schau in Vergangenheit und Zukunft im Rahmen der Unterweltfahrt sowie die einzig auf Künftiges weisende Schildbeschreibung ergänzend zu lesen. Denn im Hinblick auf Vergangenes gilt Gleiches wie für die prophezeite Zukunft: Die Begegnungen des Helden in der Unterwelt wiederholen ebensowenig das Bildprogramm des Frieses wie die Schau der Nachkommen mit dem Entwurf des Schildes direkt nachgeahmt wird. Keine der entworfenen Szenen kehrt nochmals auf die gleiche Weise wieder, keines der Details hat »eine präzise Dublette«.245 Der Blick des Aeneas auf das Bildprogramm des Schildes unterscheidet sich von der Wahrnehmung des Frieses und der Anschauung im Jenseits. Denn Aeneas wird weder von Venus in die Szenen eingeführt, noch vermag er sie selbständig zu deuten.246 Anders als die Darstellungen im Tempel zu Karthago und die von Anchises kommentierten Erscheinungen in der Unterwelt, bleiben sie für Aeneas ohne Schlüssel. Entsprechend ist auch diese Gabe, wie so viele andere, Erinnerungsträgerin vor allem für den Rezipienten. Sie ist Teil des vergilschen Verweissystems, mit welchem es ihm gelingt, immer wieder aufs neue die Fäden zwischen zu erinnernder Vergangenheit und zu erinnernder Prophezeiung beziehungsweise augusteischer Gegenwart zu spinnen. Um wiederholt ohne großen Erzählaufwand auf die Eckpunkte des zeitlichen Rahmens von den mythischen Ursprüngen – etwa um Ganymedes – bis zur Weltherrschaft Roms unter Caesar Augustus, anspielen zu können, führt Vergil Gaben in die Geschichte ein, die – wohl zur Legitimation der mit ihnen verbundenen Aussagen und Ansprüche – entweder von Göttern stammen oder zumindest in rituellen Zusammenhängen vergeben werden. Sie dienen – wie etwa die Gaben auf Sizilien – zur repräsentativen Selbstdarstellung der Trojaner oder werden – wie die Gaben der Venus – in den Auseinandersetzungen um das prophezeite Reich ins Spiel gebracht. Das Bildprogramm auf dem von Vulcan gefertigten Schild, welches Aeneas fortan auf seinen Schultern tragen wird,247 nimmt den Ausgang des Kampfes bereits vorweg: Es 245 Herzog, Vergessen, S. 114; zum Bildprogramm des Schildes vgl. Graf, Ekphrasis, S. 150, Eigler, Repräsentationskunst, Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 72, S. 305 f. 246 Vgl. Herzog, Vergessen, S. 114 f., Wandhoff, Gemalte Erinnerung, S. 85. 247 Auf der Flucht aus dem brennenden Troja hatte diesen Platz noch sein Vater Anchises – im Sinne einer pietas in patrem – eingenommen (Aeneis II, 707–710; 721–723); vgl. dazu Suerbaum, Geschichte und Gegenwart, S. 306; zur ikonographischen Tradition vgl. Herzog, Vergessen, S. 114–116.

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Gaben und Opfer

zeigt die Nachkommen des Aeneas wie die Geschicke Roms von seiner Gründung bis hin zum dreifachen Triumph des Caesar Augustus in der ewigen Stadt (29 v. Chr.), nachdem er aus der gegen Antonius und Kleopatra geschlagenen Seeschlacht von Aktium siegreich hervorgegangen war (31 v. Chr.).248

3.7 Versäumte Gaben und Lavinias Brief Si dederis aliquid, poteris ratione relinqui: Praeteritum tulerit, perdideritque nihil. At quod non dederis, semper videare daturus. […] Ergo eat et blandis peraretur littera verbis, Exploretque animos, primaque temptet iter. (Ars amatoria I, 447–456) (Hast du ihr etwas geschenkt, ist ein Grund da, dich zu verlassen; Sie trägt weg, was sie hat, und sie verliert nichts dabei. Doch was du nicht gabst, erscheine ihr immer als künftige Gabe: […] Also gehe der Brief, geschrieben mit schmeichelnden Worten, Und er erforsche ihr Herz, prüfe als erster den Weg.)

Anders als Vergil erzählen die Verfasser der mittelalterlichen EneasRomane ausführlich über die Beziehung zwischen Lavinia und Eneas. Die Erweiterung der Handlung in Roman d’Eneas und Heinrichs von Veldeke Eneasroman bot immer wieder Anlaß und Spielraum für neue und kontrovers geführte Diskussionen zur Bedeutung der beiden Liebesepisoden für die Geschichte des Helden. Zahlreich sind jene Interpretationen, welche sich von der Chronologie der erzählten Geschehnisse leiten lassen und demzufolge – wie bereits einleitend skizziert wurde – Dido- und Lavinia-Episode typologisch lesen, die Dido und Lavinia als Kontrastfiguren im ethischen Sinne betrachten und in der Dido-Geschichte nur ein Vorspiel für die Ereignisse in Italien sehen.249 Jenen Ansätzen möchte ich ein Interpretionsangebot entgegenstellen, welches die Liebesgeschichten weder im strikten Sinne teleologisch auffaßt, noch versucht, sie moralisch zu bewerten. Das Erzählen über die Begegnung zwischen Dido und Eneas sowie die Lavinia-Episode

248 Aeneis VIII, 626–728. 249 Vgl. hierzu bereits die Anmerkungen im einleitenden Teil dieses Kapitels (3.1.3).

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Versäumte Gaben

lassen sich – entsprechend sei die These formuliert, die ich den weiteren Analysen vorwegschicken möchte – auch als Variationen zum Thema ›(Liebes-)Gaben‹ begreifen. Der an den Anfang gestellte Auszug aus Ovids Ars amatoria, einem ›Lehrbuch der Liebe‹, soll – freilich in umgekehrter Konstellation der Geschlechter – als Motto oder Folie für die Interpretation der beiden Liebesgeschichten gelesen werden. Eher nebensächlich erscheint mir hierbei, ob die Verfasser der mittelalterlichen Eneas-Romane Ovid in irgendeiner Weise rezipiert haben.250 Unverkennbar ist zumindest die Affinität zwischen der Gabenlehre Ovids und jener Art, in der Dido und Lavinia ihrem Geliebten Gaben widmen. Denn auch die mittelalterlichen Eneas-Romane kennen – unter anderen – die nichtreziproke wie die zurückgehaltene Gabe. Während die erste Liebesgeschichte von überaus großzügigen, geradezu maßlosen Gaben erzählt, wird die versäumte Gabe – so möchte ich behaupten – zum Thema der zweiten Liebesgeschichte: Faßt man das Vergessene – etwa im Sinne Derridas – als die Präsenz des Nichtvorhandenen und nicht etwa als das Verdrängte auf,251 so entspricht die versäumte Gabe – aus analytischer Perspektive – annähernd der ›reinen‹ Gabe, die niemals mit »der Präsenz ihres Phänomens«252 zusammenfällt. Auch die einmal versäumte Gabe existiert allenfalls noch als künftige, noch zu gebende Gabe, als eine Gabe, die noch der Zeit bedarf. Die ›wahre‹ Gabe entspricht dem Text, der noch nicht in gesprochene oder geschriebene Zeichen überführt ist, dem Text, der sich aller Verfügbarkeit entzieht. Analog ließe sich die nicht gegebene Gabe Lavinias begreifen: Noch hat die Königstochter ihre Zuneigung nicht in materiell sichtbaren Zeichen ausgedrückt; und: als nicht gegebene Gabe bleibt sie für den potentiellen Empfänger Eneas noch unverfügbar. Unmittelbar vor dem Zweikampf zwischen Eneas und Turnus, welcher darüber entscheiden wird, wer ein Anrecht auf Lavinia und das Erbe des Latinus hat, ein Anrecht also auf jene von Latinus versproche250 Zur (denkbaren) Ovid-Rezeption in den mittelalterlichen Romanen vgl. Brandt, Erzählkonzeption, S. 206 f., Andreotti Saibene, Rapporti, Keilberth, Rezeption, S. 64 u. ö., Kartschoke, Didos Minne, S. 100 f. u. ö.; differenzierter und kritischer als die ältere Forschung diskutiert Syndikus (Dido, S. 61, S. 99–103) mögliche OvidReminiszenzen; Kistler, Heinrich von Veldeke interpretiert den Eneasroman ausschließlich vor dem Horizont von Ovids Dichtungen, aber ebensowenig wie die übrigen hier aufgeführten Untersuchungen berücksichtigt sie in ihren Analysen Ovids Liebesgabenlehre. 251 Derrida, Falschgeld, S. 28, S. 36. 252 Derrida, Falschgeld, S. 43.

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nen Gaben, wird mit dem Monolog der Königstochter auf geradezu erstaunliche Weise die Gabe in ihrer Nichtpräsenz eingeführt, die Gabe auch – ähnlich der Denkfigur Derridas – als différance, als ›Aufschub‹,253 in dem ›wahre‹ Gabe und Gegenwart einander ausschließen. Und doch ist das Nachdenken über die versäumte Gabe nicht frei von Aspekten, welche die nur gedachte Gabe als nahezu ›wahre‹ Gabe im Sinne Derridas zugleich wieder annulliert. Akt eins der ›Zerstörung‹ setzt bereits mit Lavinias Erinnerung und der Thematisierung des Versäumnisses ein. Zweitens tangieren ihre Gedanken eine Logik des Gabenfetischismus, welcher Liebende – so wie es auch Dido getan hat – allenthalben folgen: Minnegaben sollen beweisen und binden, die eigene Verfügbarkeit versprechen und die des anderen sichern. Und drittens kommen Lavinia nicht nur zahlreiche Pfänder in den Sinn, die sie Eneas hätte geben können, um ihm ihre Zuneigung zu zeigen, sondern sie bedauert auch die versäumte Gabe. Die Antwort darauf, was die Liebende ihrem Geliebten hätte geben können, fällt im Roman d’Eneas und in Heinrichs von Veldeke Text zwar quantitativ, aber nicht prinzipiell unterschiedlich aus. In der französischen Version bereut Lavinia, daß sie Eneas kein Zeichen (un entreseigne, Roman d’Eneas V. 9339) ihrer Liebe zukommen ließ, welches zudem als Fetisch den Geliebten im Kampf gegen Turnus vor Verletzungen bewahren könnte. Die Objekte, die ihr einfallen, entstammen zwar nicht ihrem Körper selbst, haften jedoch unmittelbar daran und verwiesen auch gelöst von ihm – etwa als Gaben an Eneas – auf den Leib der Königstochter. Denn es handelt sich einerseits um einen ihrer Ärmel, der Eneas’ Lanze hätte schützen können,254 so wie andererseits den Kopfschmuck der Jungfrau, den sie auf das Schwert des geliebten Helden bezieht.255 Umfangreicher ist der Katalog von Minnepfändern, welche Lavinia im Roman Heinrichs von Veldeke benennt.256 Die Wünsche allerdings, 253 Vgl. Gondek, Zeit und Gabe, S. 225: »[…] durch das Denken der Gabe wird die différance so stark in ihrer Komplexität zurückgenommen, daß sie in Donner le temps problemlos durch ›Aufschub‹ übersetzt werden kann.« Zum Begriff der différance vgl. Weinberg, Gedächtnis, S. 33; im Rahmen der Gaben-Logik vgl. Haselstein, Poetik der Gabe, S. 286. 254 Roman d’Eneas V. 9329–9332: »Molt ai«, fait ele, »eü mal sens, | ne sui mie de buen porpens, | quant mes amis nen a ma manche; | il en ferist molt mielz de lance […].« 255 Roman d’Eneas V. 9333–9336: »[…] o se li eüsse enveié | ma guimple, bien fust enpleié, | molt en tranchast hui mielz s’espee, | Turnus en receüst colee […].« 256 Eneas 322, 8–323, 17: ›owe‹, sprach si, ›ich tumbe, | wie chranches herczen ich bin, […] daz Eneas der troian, […] mein chlainote nie gewan.‹ | Si sprach: ›het er mein haro bant, […] so wære im uor den wunden | daz houbet dester baz behut […] hete er aber meine rise […] – daz ware ane laster –, | so wære ouch dester uester | sein sper vnd sein

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Versäumte Gaben

die Lavinia auf die ohnehin nicht übergebenen Gaben projiziert, legen wie im Roman d’Eneas offen, daß sie nicht allein auf den Sieg des Eneas hofft, sondern, daß die Königstochter kaum den Zeitpunkt erwarten kann, an dem sie sich und ihre Liebe dem Helden geben darf. In jenen Kleinoden, die sie aus vnsinne (Eneas 323, 21) unterlassen hatte, ihm zu geben, ist zugleich eine der künftigen Gaben – diejenige, welche Eneas erwarten wird, wenn er als Sieger aus dem Zweikampf hervorgeht – kodiert. Denn abgelegte Schleier und Haarbänder chiffrieren bekanntermaßen ebenso wie gelöste Gürtel als insignum virginitatis die Hingabe der Frau an den Mann.257 Ein Ring als Liebesgabe eröffnet – als sichtbarer Beweis der Zuneigung – den Zirkel des sich gegenseitigen Hingebens, der wechselseitigen Versprechen und Verpflichtungen. Ringe werden immer und immer wieder den Regeln des Tausches unterworfen, werden gegeben und sofort oder bald darauf erwidert, dort, wo Paare sich aneinander binden, sich ihrer Treue versichern und ihre Bindung auch öffentlich zur Schau stellen. Doch aus gutem Grund, wie man nachher noch erfahren wird, will Lavinia vorerst ihr Minnebegehren vor den Blicken der Öffentlichkeit verbergen. Zunächst hat sie eine andere als die später reflektierte Möglichkeit gewählt, um Eneas ihre Zuneigung zu gestehen. Die Erinnerung daran tröstet sie jetzt über die unterlassenen beziehungsweise vergessenen Gaben hinweg. Mit Pfeil und Bogen hatte sie nämlich Eneas einen Brief zukommen lassen.258 Ein solches Schreiben auf Pergament erlaubte es der Königstochter, dem Trojaner ihre Liebe, welche in der Version Heinrichs von Veldeke übrigens ebenso maßlos (so harte o vzer mazen, Eneas 285, 13) ist wie die der karthagischen Königin, auf geo fuchliche (Eneas 285, 25) Art anzuvertrauen. Der Brief als verschlossener Träger der Nachricht ermöglichte es Lavinia, sich Eneas auf Distanz zu offenbaren. Und da die Transaktion (nahezu) heimlich geschehen ist, hat sie hierbei auch ihre Ehre, ihre soziale Anerkennung, nicht aufs Spiel gesetzt.

o

schaft […] hete er doch meine buge […] wan es wære Turnus tot. | Hete er‹, sprach si, ›mein vingerlein, | er solt dester tivrer sein | vnd stærcher ein michel tail […] owi daz ich des ie uergas, | daz ich sei nine sande | dem edilen weigande! […] hete er nu disen borten, | da mit ich gegurtit bin, | er hete macht vnd sin | ein michel tail dester me […].‹ 257 Von einem der prominentesten Beispiele – Prünhilts Gürtel – erzählt das Nibelungenlied (Str. 679–684); vgl. dazu Müller, Spielregeln, S. 270–276; zur Konnotation abgelegter Gürtel vgl. auch Wagner-Hasel, Stoff der Gaben, S. 126. 258 Vgl. dazu Wuth, Mediengeschichtliches, der diese Brief-Szene aus medienhistorischer Perspektive analysiert.

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Das Thema von Nähe und Distanz verhandelt schon der Roman d’Eneas sehr ausführlich. Lavinia weiß, daß sie sich erniedrigte, wenn sie Eneas ihre Liebe selbst – sozusagen als ihr eigener Bote – antrüge. Der französische Text führt in diesem Sinne sehr genau aus, was es heißt, als höfische Dame dem Geliebten seine Liebe in ›schicklicher‹ Manier, zu gestehen:259 Der Wert der Geliebten erwächst nicht aus der großzügig gegebenen Gabe, aus der Hingabe der Frau, sondern aus dem Ringen um sie. Die Achtung des Geliebten vermag Lavinia nicht zu erlangen, indem sie sich selbst gibt, sondern einzig, wenn Eneas sie im Zweikampf gegen Turnus erobert. Lavinia beklagt zwar die versäumten Gaben, aber die Dinge, welche sie erwähnt, hätte sie Eneas auch noch nicht überreichen dürfen, selbst wenn die Zeichen fälschlicherweise etwas suggerierten, auf etwas verwiesen, was Lavinia dem Trojaner bisher nicht ›gegeben‹ hat. So bleibt Lavinia der Brief als einstweilige, als eine aus der Distanz heraus gegebene und – im Unterschied zu den versäumten Minnepfändern, die Eneas hätte zum Kampf tragen können – für die Öffentlichkeit unsichtbare Gabe. Die Königstochter versichert Eneas ihre Liebe, aber das sich Hingeben in der Liebe wird aufgeschoben. Die Liebe als Gabe – Eneas selbst beschreibt Lavinias Zuneigung im Roman d’Eneas als le don (V. 9053) – ist im gegebenen Versprechen vorläufig restituiert. Die Liebe als gegebene und nicht nur zugesicherte Gabe wird aufgeschoben bis zum Ausgang der Auseinandersetzung zwischen den beiden Rivalen. Wiewohl der Brief (Versprechen) gibt, ist er doch – so Wetzel – »zugleich in seiner Präsenz als Gabe schon wieder Absenz beziehungsweise Erinnerung an das, was gegeben wird und erzählt wie eine Narbe von Verwundung und Heilung zugleich.«260 Aber letztlich gibt der Brief nicht nur, sondern er selbst ist eine Gabe, eine Gabe allerdings, die sich von allen bisher thematisierten Minnegaben, vor allem von denen Didos, unterscheidet. Der Brief ist nicht nur eine heimlich gegebene Gabe, eine, welche den Augen der Öffentlichkeit entzogen ist, sondern auch eine Gabe, die Eneas zwar verweigern oder vernichten könnte,261 aber nicht weitergeben. Aus 259 Roman d’Eneas V. 8714–8724: »[…] Quel mesage porras aveir? … | Ge ne quier nul altre que mei … | Iras i tu? … Oïl, par fei … | A grant honte t’iert atorné … […] que ja femme de ton parage | enpreigne a faire tel viltage, | qu’a home estrange aille parler | por sei offrir ne presenter […].« 260 Wetzel, Liebesgaben, S. 240. 261 Eneas macht vorübergehend den Brief für seine Minnequalen verantwortlich. Im Roman d’Eneas (V. 8954) heißt es: »[…] mal m’a li briés enpoisoné […].« Im Eneasroman (296, 4–6) bereut Eneas, den Brief gelesen zu haben: ›[…] west ich, e daz min not | dar ane gihalten solde wesen, | ich enhete in nie gilesen […].‹

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Versäumte Gaben

dem Kontext gelöst, wäre sie sinnentleert. Sie funktionierte in keinem anderen Zusammenhang als Gabe, weil ihr Empfänger nicht austauschbar ist. Der Name des Adressaten nämlich wird in der Gabe, vom Träger der Liebesbotschaft selbst benannt.262 Anders als jene Liebesgaben, die Eneas von Dido erhalten und dann als diplomatische Gaben weitergegeben hatte, ist der Brief als Gabe für weitere Transaktionen nicht mehr verfügbar. Der Vergleich von Dido- und Lavinia-Episode liegt nahe. Allerdings sind die Gaben der karthagischen Königin und die der italischen Königstochter beziehungsweise ihre Bereitschaft zu geben nicht ohne weiteres kommensurabel, und ist ihr Verhalten – um dies mit Nachdruck zu formulieren – erst recht nicht moralisch zu bewerten. Denn beide agieren in sehr unterschiedlichen Kontexten, und ihr Spielraum ist gemäß dem historischen Telos der Handlung begrenzt. Lavinia weiß um die versäumten Liebespfänder, sie kennt den Brief als Gabe und als Träger einer versprochenen, ›aufgeschobenen‹ Gabe, und sie zieht den Tod für den Fall, daß Eneas den Kampf gegen Turnus verlöre, in Erwägung.263 Auch Lavinia thematisiert demnach jene Form der ›Hin-Gabe‹, die Dido schließlich gewählt hatte, weil ihr die großzügigen, die maßlosen Gaben zum Verhängnis geworden waren. Erlaubt sei an dieser Stelle noch einmal – und nun unter veränderter Perspektive – der Blick auf das Gabenspektrum der karthagischen Herrscherin: Ohne einen Denar zu verlangen,264 hatte die karthagische Königin den Trojanern ihre Gastfreundschaft angeboten. Zudem ist sie willens, ane phenninge (Eneas 31, 22), wie es bei Veldeke heißt, Eneas ihr Reich und ihre Liebe anzutragen. Die Gabe, welche zunächst anökonomisch anmutete, keinerlei Anspruch auf Erwiderung erhoben hat, erwies sich dennoch alsbald als eine, die den Regeln des Tausches unterworfen ist und Eneas einen hohen Preis abverlangt hat. Denn Dido hatte auf einen dauerhaften Aufenthalt des Trojaners in Karthago gehofft, und die einzelnen Gaben – Didos Liebe, ein Anteil an der Macht oder gar, wie in der deutschsprachigen Version, die Herrschaft über Karthago – haben Eneas fortan in Libyen festgehalten. Von dem Zeitpunkt an, als Eneas das Angebot der Königin angenommen hat, sind Gabe und Gegenwart zusammengefal-

262 Roman d’Eneas V. 8780 f.: saluz mandot el premier chief | a Eneas son chier ami […]; noch deutlicher ist dies im Eneasroman Heinrichs von Veldeke (286, 24 f.) formuliert: ›ez inbivtet Lavine | Enee dem richen […].‹ 263 Roman d’Eneas V. 8745–8748, Eneas 323, 31–39. 264 Roman d’Eneas V. 623.

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Gaben und Opfer

len, wurde damit die Gabe als ›reine‹ Gabe annulliert. Didos Gabe ist – folgt man Derridas Denkfigur – keine »reine Gabe«, weil sie »bindend, verbindlich und verpflichtend«265 ist. Mit der Annahme der gegenwärtigen Gabe blendet Eneas vorübergehend Vergangenheit und Zukunft aus, vergißt er seine eigentliche Bestimmung. Dido ist maßlos in ihrer Gabe, sie gibt zunächst, ohne daß sie dafür bezahlt werden will. Aber ihre Gaben fesseln Eneas in zweifacher Weise: Didos Liebe will erwidert werden, und das Reich, welches sie in seine Hände legt, vermag er nur von Karthago aus zu regieren. Auf eben jene beiden Dimensionen verweisen auch die Minnegaben Didos, von denen erst erzählt wird, als Dido bereits tot ist: Im Roman d’Eneas symbolisiert Didos Ring ihre Liebe und die eheähnliche Bindung, wie der fürstliche Mantel Eneas’ Machtposition an der Seite der Königin zur Anschauung bringt. Das Zelt bei Heinrich von Veldeke vereint alle Dimensionen der Gabe, steht als Karthago en miniature für Didos einstiges Angebot, Eneas das Reich, ihren Besitz und sich selbst zu übereignen. Die Minnepfänder sind politisch aufgeladen und ermöglichen Eneas somit auch, sie später in Italien im diplomatischen Kontext weiterzugeben oder als eigenes Statussymbol vorzuführen. Sie sind zudem Zeichen einer Bindung und damit eines Handels zwischen Dido und Eneas. Karthagos Herrscherin hat mit ihren Gaben – so ließe sich zuspitzen – nicht der Liebe zuallererst, sondern dem »ökonomischen Prinzip der Austauschbarkeit von Zeichen«266 und Verpflichtungen Vorschub geleistet. Dido hat überaus freigebig, geradezu verschwenderisch gegeben und sich dabei verausgabt. Eneas hat ihre Gaben auch angenommen, und er hat für eine gewisse Zeit die Liebe der Königin erwidert. Aber er hat sich nicht auf Dauer verpflichten lassen. Die Gaben, welche an Karthago gebunden sind, läßt Eneas ›gebraucht‹ zurück. Da die Gaben nicht mehr restituierbar sind, bedeuten sie für Dido den sozialen Tod, dem sie nur zuvorkommen kann, indem sie sich den physischen Tod gibt, indem sie alles, was in Karthago an Eneas erinnern könnte, vernichtet und auch den eigenen ›verletzten‹ Körper der Auflösung in den Flammen anheimstellt. Das (Selbst-)Opfer ist die einzig wahre Gabe, auf die es – wie im Fall von Pyramus und Thisbe – eine Erwiderung geben könnte, aber im Fall von Dido und Eneas nicht gibt. ›Donner la mort‹: Das ist die Gabe, welche von Lavinia in Erwägung ge- und von Dido vollzogen wird, die Gabe in aller Konsequenz: »Immer wieder erfolgt auf die Gabe der Liebe als Antwort die Gabe des Todes: donner la 265 Derrida, Falschgeld, S. 178. 266 Wetzel, Liebesgabe, S. 228.

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Eneas’ Freigebigkeit

mort ist die einzige Gegengabe, welche die Gabe nicht als Gabe annulliert, nicht in den Zirkel von Tausch und Wechsel zieht, sondern in ihrer Unmöglichkeit bestehen läßt.«267 Eneas unterdessen trägt die einstigen Minnepfänder, die beweglichen zeichenhaften Gaben, die Signifikanten für jene Dinge, die er von Dido empfangen hatte, nach Italien. Doch als Zeichen funktionieren auch Gaben – wie alle Zeichen – allein in Abhängigkeit von Kontexten, welche die Bedeutungszuschreibung kodeterminieren. Und so kann Eneas die einstige Minnegabe – gelöst aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang – vor Laurentum im Dienste repräsentativer Selbstdarstellung einsetzen. Für den Rezipienten aber werden die Gaben, welche die Liebe der karthagischen Königin beweisen sollten, im Nachgang zu Zeugnissen einer lediglich ephemeren Beziehung. Didos Gaben vermochten den Anspruch auf die Bindung und die Permanenz der Beziehung zu inszenieren. Doch trotz verschwenderischer Gaben an den Geliebten ist es ihr nicht gelungen, die Beziehung auf Dauer zu stellen. Daß dagegen eine auf Beständigkeit angelegte Bindung kaum der bezeugenden und verpflichtenden Gaben bedarf, daß sie einzig mit Küssen und einem Ring auskommt, zeigt Heinrichs von Veldeke Entwurf des Hochzeitsfestes in Laurentum, welcher im abschließende Teilkapitel diskutiert werden soll.

3.8 Gabe und Gastfreundschaft II: Eneas’ Freigebigkeit oder über die Inszenierung des vollendeten Herrschers Diu milte lônet sam diu sât, diu wunneklîche wider gât, dar nâch man sî geworfen hât, wirf von dir milteklîche! swelh künic, der milte geben kan, si gît im, daz er nie gewan. (Walther von der Vogelweide, L 17,3–17,6) (Die Freigebigkeit lohnt wie die Saat, die aufs herrlichste dort aufgeht, wo man sie ausgeworfen hat; wirf freigebig aus! Dem König, der es versteht, freigebig zu sein, dem gibt sie zurück, was er nie besessen hat.) 267 Wetzel, Liebesgabe, S. 245 f.

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Freigebigkeit, so könnte diese ganz allgemein definiert werden, fungiert in der höfischen Kultur als eine Möglichkeit adliger Repräsentation, über die sich Ehre – im Sinne öffentlicher Anerkennung – konstituieren läßt und welche demzufolge auch der Stabilisierung feudaler Herrschaft dient: Folgt man Harald Haferland, kann man Freigebigkeit als eines der sozial vorgeformten und kontinuierlich zu wiederholenden Verhaltensmuster am Hof beschreiben.268 »Milte ist Fürstentugend«,269 und in der Gebärde der Freigebigkeit manifestieren sich Qualität, Status und Macht des Fürsten.270 Umfassender und vor allem differenzierter noch, als es sich in diesen Ansätzen niederschlägt, Facetten, Dimensionen und Regeln feudaladliger Freigebigkeit herauszuarbeiten, wäre eine Aufgabe, die den Rahmen der Untersuchung überschritte. Ein Vorhaben solcher Art wäre schon deshalb problematisch, weil – wie im einleitenden Kapitel bereits ausführlicher skizziert wurde – selbst jene literarischen Texte, welche in einem annähernd überschaubaren Zeitraum entstanden sind, keinen einheitlichen milteDiskurs präsentieren, sondern je eigene Entwürfe schaffen und auf je unterschiedliche Weise Spielräume fürstlicher Freigebigkeit diskutieren, einzelne Aspekte in jeweils spezifischen (Konflikt)zusammenhängen verschieden gewichtet und instrumentalisiert werden. Die folgenden Überlegungen richten sich daher vornehmlich auf zweierlei Dimensionen der Freigebigkeit, die im Eneasroman Heinrichs von Veldeke, welcher mit der Erwähnung der Italienfeldzüge Friedrichs I. sowie des Mainzer Hoffestes271 seinen Helden in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts – das Zeitalter staufischer Herrschaft – entläßt,272 ausführlich verhandelt werden. Dabei wird es einerseits um die milte als Akt der fürstlichen Gnade und andererseits um die – in der Beschreibung des Gebens zugleich thematisierte – Notwendigkeit des Fürsten zur Akkumulation von Ehre gehen. Vier verschiedene Episoden, in welchen Eneas’ Freigebigkeit jeweils andere Adressaten kennt, sollen hierzu nacheinander ins Auge gefaßt werden: Eneas’ Freigebig268 269 270 271 272

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Vgl. Haferland, Höfische Interaktion, S. 24. Müller, Spielregeln, S. 348. Vgl. Starobinski, Gute Gaben, S. 21. Eneas 226, 18–28; 347, 13–348, 4. Zur Datierung des Romans vgl. Frings/Schieb (Veldekestudien, S. 75–87), die allerdings Veldeke die sogenannten ›Stauferpartien‹ absprechen wollen (S. 76); Kokott, Literatur und Herrschaftsbewußtsein, S. 165, Bumke, Mäzene, S. 113 f., Schröder »Eneasroman«, S. 8; zur Nennung Friedrichs I. vgl. Kasten, Heinrich von Veldeke, S. 76; zur Auffindung des Pallasgrabes vgl. Schieb, Grabmalbeschreibung, S. 213, Pastré, Auffindung, S. 107, Opitz, Geschichte, S. 121–126.

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keit nach dem Sieg über Turnus (a) sowie sein Verhalten Lavinia (b), den Damen des Hofes (c) und den zum Hochzeitsfest geladenen Spielleuten (d) gegenüber. Insbesondere im Hinblick auf die letzten drei Konstellationen interessiert, inwiefern der Zusammenhang zwischen einer ›Ökonomie‹ des Überflusses und der Verschwendung sowie der Anhäufung von Ehre, dem Zugewinn an ›symbolischem Kapital‹, im Rahmen des Hochzeitsfestes am Hof von Laurentum thematisiert wird.

3.8.1 Gabe und Gnade Nachdem Eneas seinen Rivalen Turnus tödlich verwundet hat, eilt er nicht etwa sofort zu Lavinia, der geliebten und ihm versprochenen laurentischen Königstochter. Noch einmal wird die, insbesondere von Lavinia lang ersehnte, unmittelbare Begegnung aufgeschoben, um – so erweckt das beschriebene Geschehen den Eindruck – allererst den Sieg des Eneas über seine Gegner, den hiermit erreichten Status des künftigen Herrschers und die Legitimität eines solchen Ranges offen zur Schau zu stellen. Um seiner Überlegenheit den Anschein von Dauerhaftigkeit zu verleihen, bedarf sie auch nach dem Sieg noch der repräsentativen Darstellung und Akzeptanz. Und so demonstriert Eneas seinen Triumph in einem großangelegten öffentlichen Gabenakt, in welchem er hinsichtlich des Maßes seiner Freigebigkeit keinerlei Selektionskriterien kennt:273 Keinem, weder den eigenen Gefährten noch Fremden, weder Armen noch Reichen, versagt er sein Wohlwollen. Dieses spiegelt sich darin wider, daß Eneas ohne jegliche Einschränkung und mit williger hant (Eneas 334, 9) Gewänder, Pferde, Waffen und andere Kostbarkeiten vergibt. Im Akt der Freigebigkeit, in der ethisch aufgeladenen Geste der bereitwillig wie unterschiedslos die Gaben verteilenden Hand des siegreichen Helden, gehen in diesem Fall Großzügigkeit und fürstliche Gnade ineinander über. Denn die miltichleiche Gabe wird zunächst als weitgehend autonome inszeniert. Sie will gegeben werden, ohne eine (adäquate) Gegengabe zu fordern: Eneas schenkt ohne ›ökonomisches Kalkül‹. Die Darstellung der von ihm erreichten und nun weiterhin zu legitimierenden Machtposition äußert sich in der vertikal ausgerichteten Gabe der milte. Die asymmetrische Konstellation – der Gaben- als Gnadenakt – demonstriert die Differenz 273 Eneas 334, 1–8: Des tages het der troian | seinen willen wol getan, | daz liez er wol scheio o nen | den fremiden vnd den seinen. | alle, die dez geruchten, | daz si sein genade suchten, | arme vnd ouch reiche, | die gewert er miltichleiche.

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zwischen dem erhabenen Geber und den sich der Gnade des Fürsten unterwerfenden Empfängern der Gaben, unterstreicht die bereits in der Auseinandersetzung um Laurentum im blutigen Kampf konstituierten Hierarchien. Allerdings entspricht jene Logik des Gebens nur den innerweltlichen Gegebenheiten. Wenige Verse später wird man aus dem Munde des Eneas eines scheinbar Besseren belehrt, zeigt sich Eneas nicht mehr nur als Fürst, der einzig gibt, um seinen erstrittenen Status vor aller Augen zu repräsentieren und die Empfänger der Gaben loyal zu stimmen.274 Mit der Redistribution seiner Reichtümer zollt Eneas jener göttlichen Instanz seinen Dank, welche ihm zu seinem Sieg über Turnus und der Macht, die ihm nunmehr mit dem Erbe des Latinus zuteil wird, verholfen hat. Doch anders als Vergil, kennt der mittelalterliche Erzähler bekanntlich kaum noch Götter, welche in irgendeiner Weise unmittelbar an einer Gabentransaktion beteiligt wären.275 An dieser Stelle folgt er statt dessen einer für das christliche Abendland gängigen Logik von großzügigen Almosen an mehr oder weniger Bedürftige als Dank für die göttliche Gnade oder in der Hoffnung auf den künftigen Heilsgewinn.276 Überboten wird eine derartige Denkfigur freilich noch in der literarischen Stilisierung des Gebenden, insofern Eneas auch den ohnehin schon Wohlhabenden seine Gaben nicht verwehrt. Die Idee direkter Reziprozität zwischen immanenter und transzendenter Welt wird – ähnlich wie in zahlreichen Beispielen religiöser Gabendiskurse des Mittelalters – auf jene Weise geschickt umgangen.277 Folgerichtig erscheint im Rahmen dieser Logik Eneas’ Aussage,

274 Eneas 334, 14–16: ›die gote habent wol ze mir getan, | ich wil nach meinem willen geben. | ich entrawe dicz gut niht vberleben.‹ 275 Eine der wenigen Ausnahmen bildet jene Szene, in welcher Eneas anläßlich seiner Krönung den Göttern seine Achtung mit einem Opfer erweist, und dies vor allem, weil sie ihm all seine Mühen auf dem Weg nach Latium und die Kämpfe dort mit Reichtum, Frau und Macht vergolten haben: da wart im wol gelonet | aller seiner arbeit | mit schonem weibe vnd mit reicheit. | ze eren ophert er seinen goten, […]. (Eneas 344, 34–37). Allerdings wird selbst dieses Verhältnis zwischen dem Helden und den Göttern mit Reziprozitätsfiguren (›lon für arbeit‹ und ›ere für lon‹) beschrieben, die – wie etwa hernach auch am Beispiel des Rolandsliedes gezeigt werden kann – charakteristisch sind sowohl für mittelalterlich-feudale als auch für christlich-religiöse ›Dienst-Lohn‹-Diskurse. 276 Vgl. unter anderen Oexle, Gegenwart der Toten, S. 52 f. sowie Memorialbild, S. 404, Kroos, Opfer, Angenendt, Religiosität, S. 375 f. 277 Vgl. dazu Jussen, Religious Discourses, mit dessen Untersuchung Angenendts (Religiosität, S. 373–378) einseitige Auswahl und Betrachtung religiöser Gaben-Diskurse relativiert wird.

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Eneas’ Freigebigkeit

daß ohnehin alles Irdische vergänglich sei, und daher auch weltlicher Besitz ohne Verlust verschenkt werden könne. Im folgenden wird sich allerdings herausstellen, daß ein Argument wie dieses für den weiteren Freigebigkeitsdiskurs des Romans nicht wirklich bedeutsam ist, daß es – zur Stilisierung des idealen Fürsten eingeführt – fortan kaum ausgespielt wird.

3.8.2 Gabe und Minne Als aus der Perspektive des Helden endlich der rechte Zeitpunkt gekommen ist, um Lavinia am Hof ihres Vaters aufzusuchen, legt Eneas Gewänder an, welche – so beschreibt es der Erzähler – sowohl seinen Reichtum als auch seine Freude anläßlich der bevorstehenden Begegnung repräsentieren.278 Obgleich Eneas einst landlos aus dem brennenden Troja fliehen mußte, wird er im Roman Heinrichs von Veldeke niemals anders als wohlhabend, an Kleidung und Ausstattung gar Königen und Kaisern gleich präsentiert. Der Ritt zum Hof des Latinus beherrscht fortan über zahlreiche Verse hinweg die Szene. Peu à peu wird vom Erzähler ein imaginärer Raum der Wahrnehmung geschaffen, welcher den Blick freigibt auf jene adligen Körper, die sich darin bewegen: zunächst auf die lichte Erscheinung des Helden, en détail auf seine Kleider und den Schmuck, sodann auf seine gleichermaßen strahlenden Gefährten, um schließlich nicht nur den weithin sichtbaren, sondern vielmehr auch hörbaren Einzug des künftigen Herrschers in die Stadt eindrucksvoll in Szene zu setzen. Nicht erst mit der bereitwilligen Vergabe von Reichtümern also, vielmehr schon mit der Darstellung des herrschaftlichen Körpers wie seiner glanzvollen Aura und mit dem Entwurf eines mit phifen vnd mit gesange, mit drummen vnd mit saitenspil (Eneas 337, 40–338, 1) besetzten Schallraumes werden Eneas’ Rangbewußtsein und -anspruch demonstriert.279 Die (adligen) Körper des Helden und seines Gefolges konstituieren den Raum vor den Toren Laurentums, um ihn selbst mit ihrem strahlenden Glanz und weithin vernehmbaren Klängen zu durchdringen. Das Licht, welches von den Reitern ausgeht und den Tag noch heller erscheinen lassen will als o

o

278 Eneas 336, 32–35: wan er ein edel furste waz, | vil reiche dez gutes | vnd fro seines mutes, | dar nach zierte er sich. 279 Zu solcherart Entwürfen fürstlicher Repräsentation in der Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts vgl. vor allem Wenzel (Hören und Sehen, S. 128–131), der – unter medien- und kommunikationsgeschichtlichen Fragestellungen – ähnliche Inszenierungen in Wolframs Parzival analysiert hat.

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sonst, spiegelt sich sowohl in der ausführlich beschriebenen Ausstattung der höfischen Gemächer als auch in den prächtig gekleideten Damen des laurentischen Hofes, welche Eneas und seine Gefährten in der Stadt willkommen heißen, wider. Demnach wird mit dem Einzug des Helden in Laurentum nicht nur ein »Raum der wechselseitigen Wahrnehmung«280 eröffnet und narrativ ausgebaut, sondern zugleich auch ein Raum reziproker Anerkennung und Ehrehrbietung geschaffen, in welchem schließlich Latinus das künftige Herrscherpaar vor den Augen der höfischen Gesellschaft zusammenführt. In Küssen wird die bisher in Lavinias Schreiben und in den Blicken beider zwar versprochene, aber vorerst noch aufgeschobene ›Hin-gabe‹ in der Minne eingelöst. Anders als der Herrscherin Karthagos gegenüber erwidert Eneas die Zuneigung Lavinias und gelobt ihr immerwährende Treue und seinen Dienst. Dennoch bleibt der (antike) Liebestod, die ›Gabe an den Tod‹ (›donner la mort‹) – jedenfalls so weit man Michael Wetzel auf dem Weg durch Derridas Philosophie der Gabe folgt – die höchste Gabe in der Liebe, weil sie sich dem ökonomischen Prinzip der Austauschbarkeit entzieht, weil sie zwar durch den Tod des anderen beantwortet werden könnte, jenen aber nicht dazu verpflichtet und gerade im Fall von Didos Tod eben nicht erwidert wird. Diese Logik mag dem mittelalterlichen Rezipienten ebenso fremd gewesen sein wie Didos frei gewählter Feuertod. Entsprechend entwirft Veldeke ein Bild idealer Minne erst mit der Beziehung zwischen Eneas und Lavinia, ohne aber – wie dies bekanntlich der Verfasser des Roman d’Eneas getan hat – zugleich die Dido-Minne samt ihrer Konsequenzen zu verwerfen. Allerdings wird man auch in Veldekes Entwurf vergeblich nach Reziprozität suchen, welche – im Sinne Derridas – augenblicklich eine Annullierung aller Hingabe in der Liebe bedeutete. Denn Eneas gibt vor, die Zuneigung der laurentischen Königstochter nur unzureichend erwidern zu können. Nicht einmal die Bereitschaft zum ewigen Minnedienst (vnd sold ich leben tausint iar, Eneas 339, 11) könnte Lavinias Geben in der Minne ihm gegenüber aufwiegen. Und so verschiebt Eneas den adäquaten ›Lohn‹ hierfür in die Verantwortung Gottes.281 Auf diese Weise wird die Minne zwischen Eneas und Lavinia über eine profane Bindung hinausgehoben, wird sie überhöht, indem sie ihre Erfüllung nicht nur in der reziproken, gleichermaßen erwiderten Minne findet, son280 Wenzel, Hören und Sehen, S. 128–145, zit. S. 128. 281 Eneas 339, 6–15: »junchfrawe, ir habt ze mir getan, | daz ich iv immer dienen wil. | dez liebes ist aber so uil, | daz ichs uerdienen nine mach […].« | »frawe«, sprach er, »dez lone iv got.«

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dern erst in der Anerkennung Gottes. Eneas besiegelt die Bindung zwar mit einem Ring (er gab ir ein guldein vingerlin, Eneas 340, 25), doch Pfänder jenseits dieser Gabe, eine Fetischisierung der Minne, wie sie etwa Dido in ihrer Liebe zu Eneas betrieben hatte, bedarf die in den Auseindersetzungen um Laurentum rechtmäßig erstrittene282 und von vornherein göttlich legitimierte Bindung nicht. Gott wird in den ›Gabenzirkel‹ der Liebenden aufgenommen. Da er nur gibt, ohne zu empfangen, außerdem verantwortlich gemacht wird, das Übermaß in der Gabe Lavinias mit seinem Anteil an der Gegengabe auszugleichen, wird verhindert, daß Hingabe, Dienst und Lohn der Liebenden einander aufheben und somit ohne Überschuß blieben. Nicht zuletzt werden mit dem Verweis auf Gott und den jüngsten Tag283 für das künftige Herrscherpaar Legitimität und Dauerhaftigkeit sowohl ihrer Minne, ebenso ihrer historisch-politisch bedeutsamen Bindung als auch ihres Erbes behauptet.

3.8.3 Gabe und lon Anläßlich der Hochzeit von Eneas und Lavinia haben sowohl der Brautvater als auch Eneas selbst zum Fest geladen. In der Rolle des Gastgebers befindet sich Eneas in einer Position, aus welcher heraus er mit den bevorstehenden Feierlichkeiten am Hof zu Laurentum zugleich große Gabentransaktionen anzukündigen vermochte. Jenem Großereignis gehen allerdings Szenen voraus, in welchen er sich nach dem siegreichen Kampf gegen Turnus ein zweites Mal in generöser Weise präsentiert, die Gaben indes einen anderen funktionalen Status als in jener von mir bereits erörterten Episode besitzen: Freigebigkeit äußert sich nicht immer als vordergründig fürstlicher Gnadenakt, der den Geber und seine Gabe autonom setzt, sondern kann – von einem der Protagonisten offen ausgesprochen oder auf der Erzählerebene reflektiert – geradezu ›berechnend‹ sein. Häufig fällt es schwer, gabe (Eneas 341, 32) und lon (Eneas 340, 36) klar voneinander abzugrenzen, vor allem in jenen Fällen, in welchen 282 Vgl. in diesem Sinne auch Wenzel, Hören und Sehen, S. 188 f.: »Diese Vermählung ist als politisches Gründungsfest des Römischen Reiches einzuschätzen, als Vollendung und als Feier einer Landnahme, die mit der Vergabe der Braut durch den alten König endgültig legitimiert wird.« 283 Schließlich endet auch der genealogische Ausblick mit dem Verweis auf Christi Geburt: Eneas 352, 2–18; vgl. dazu zuletzt (mit Angaben zur älteren Forschung) Kellner, Ursprung, Kapitel 2.

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beide Termini ein und dieselbe Sache bezeichnen.284 Entsprechend verhält es sich mit einem wertvollen Kopfschmuck, den Eneas der Erzieherin Lavinias zukommen läßt. Das tivr höbtgolt (Eneas 341, 28) gehört wie die vor Schönheit strahlenden vingerlein vnd boügen (Eneas 341, 21) zu jener gabe, von der es heißt, Eneas habe sie den Damen des laurentischen Hofes gesandt. Diese Gabensendung ist eine Form der Botschaft, mit welcher es Eneas gelingt, die Grenze zwischen den ihm zugänglichen Bereichen des Hofes und den Frauengemächern zu überwinden, um mit den Damen des Hofes kommunizieren und ihnen auf diese Weise seine Achtung und Zuneigung antragen zu können. Jener Gabe allerdings, welche Eneas der Erzieherin Lavinias schickt, ist eine für sämtliche Ohren des Hofes bestimmte Mahnung an die maisterinne der Königstochter vorausgegangen. In aller Öffentlichkeit (offenleich vnd vnverholen, Eneas 340, 31) ist Eneas mit der Bitte an sie herangetreten, auch weiterhin über die Königstochter zu wachen wie bisher.285 Mit anderen Worten formuliert: Die gabe wird zum – hier bereits vorab zugesagten – lon, weil sie zunächst nicht als bindende Gabe aufgefaßt wird, sondern als Antwort auf einen geleisteten Dienst, zu der sich der Geber mit einem Versprechen verpflichtet hat. Und in diesem Sinne bezahlt Eneas mit dem wertvollen Diadem Erziehung und huote286 seiner künftigen Gemahlin. Mit der öffentlich ausgesprochenen Bitte verpflichtet Eneas einerseits die Erzieherin zur Beaufsichtigung der Königstochter, andererseits sich selbst zur Einlösung des Versprechens. Da er jedoch bald darauf mit einem kostbaren Kopfputz seine Zusage einlöst, hebt Eneas die wechselseitige Abhängigkeit auf, bindet und verpflichtet vornehmlich er die maisterinne mit seiner Gabe. Daß jene Gabe aber letztlich mehr ist als nur eine Belohnung für geleistete Dienste, daß sie einen ›symbolischen Überschuß‹ in sich birgt, illustriert der Kommentar zur Gabensendung. Mit der Formulierung ze liebe vnd ze minne (Eneas 341, 30) wird Eneas’ Großzügigkeit zur sinnstiftenden 284 Vgl. hierzu auch meine Überlegungen im Einleitungskapitel (1.1). 285 Eneas 340, 32 f.; 340, 36: »lat iv dicz magt sein beuolen, | frawe ¨ […] wan iwer lon wirt o uil gut.« 286 Damit meine ich jene Instanz der Gesellschaft, welche in zahlreichen in Sang und höfischer Epik geführten Minnediskursen verantwortlich gemacht wird für die Unmöglichkeit der Nähe zwischen unverheiratet Liebenden sowie die Sanktionierung und Reglementierung ihrer kommunikativen Möglichkeiten. Es handelt sich um jene stets wachenden Augen und Ohren der (höfischen) Gemeinschaft, welche es Lavinia auch kaum anders erlaubt hätten, als Eneas ihre o Zuneigung auf gefuchliche (Eneas 285, 25) Art, nämlich in einem heimlichen Schreiben, und keinesfalls vorschnell durch weithin auffällige, vielsagende Minnegaben anzutragen. Vgl. dazu die Analysen in Kapitel 3.7.

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Geste der Erzieherin sowie allen übrigen Damen Laurentums gegenüber, welche von diesen auf ihre Weise wohlwollend erwidert wird. Einzig die Königin, die in den Auseinandersetzungen um Laurentum stets Turnus unterstützt hatte, nimmt die Gabensendung noch einmal zum Anlaß, um ihrem gegen Eneas gerichteten Zorn freien Lauf zu lassen. Insofern die Damen des Hofes Eneas’ Gaben staunend und dankbar annehmen und darüber hinaus ihre Schönheit anerkennen und preisen (do was es lobebere, Eneas 342, 3), fällt die Achtung, welche Eneas den Damen zollt, auch auf ihn zurück, wird die ihnen erwiesene Ehre auf ihn selbst zurückprojiziert. Die Rechnung, welche – auf der Ebene des Erzählerkommentars – aufgemacht wurde, ist demnach aufgegangen. Denn zum Erwerb von Ehre im Akt der Vergabe von Reichtümern heißt es wenige Verse zuvor ausdrücklich, Eneas habe gut daran getan, Besitz gegen die Anerkennung des weiblichen Hofes ›einzutauschen‹: dez was wol beraten Eneas der herre, o daz her gut gab vmb ere. (Eneas 341, 36–38) (Der Herr Eneas war gut beraten, daß er Ansehen durch Gaben erwarb.)

Die Untersuchung ist schließlich bei einem Thema angelangt, welches von der mediävistischen Forschung wiederholt kontrovers diskutiert o worden ist.287 Die Wendung ›gut vmb ere geben‹ ist – so glaube ich – keineswegs nur ein (literarischer) Topos oder eine formelhafte »Berufsumschreibung für die fahrenden Spielleute«288. Vielmehr chiffriert sie ein Problembündel, welches geradezu ins Zentrum mittelalterlicher Herrschaftsdiskurse führt. Im folgenden möchte ich darauf noch einmal näher eingehen und hierbei an erste Überlegungen, die ich mit Blick auf die Euander-Episode formuliert hatte, anknüpfen. o

3.8.4 gu t vmb ere: Über die ›Ökonomie‹ von Überfluß und Mangel Im rituellen Rahmen des Hochzeitsfestes, in einer triumphalen Inszenierung legitim erworbener Macht, findet die Freigebigkeit des künftigen Herrschers ihren Höhepunkt, kulminiert sie in einer schier gren287 Vgl. den Forschungsabriß im einleitenden Teil (1.2). 288 Bumke, Höfische Kultur, S. 697. Dann nämlich müßte offen bleiben, warum dieselbe Wendung etwa auch für die Interaktion zwischen Eneas und den Hofdamen gebraucht wird.

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zenlosen, einen Monat lang anhaltenden Verausgabung. Umfangreiche Gabentransaktionen wie jene, von denen hernach im Rahmen der Festbeschreibung ausgiebig erzählt wird, hatte Eneas bereits in seiner o Einladung zur Hochzeit angekündigt. Wer gut vmb ere wolde (Eneas 336, 4), heißt es in seiner Botschaft, der möge guter Dinge nach Laurentum kommen. Dort werde man so viele Gaben entgegennehmen dürfen, daß der Empfänger und selbst noch seine Nachkommen ein Leben lang davon zehren können. Eneas besitzt den freien Willen zur Gabe (den o willigen mut, Eneas 346, 12), er beherrscht die Regeln des Gebens (er chunde wol geben, Eneas 346, 10), und allem Anschein nach verfügen er und Latinus, den er beerben wird, über nimmer versiegende materielle Ressourcen. Allein über die Bewirtung der Gäste beim Festmahl heißt es: man gab in allen ze uil (Eneas 345, 20). Doch nicht nur an Speisen und Getränken will der laurentische Hof nicht sparen, auch kostbare Gaben werden im Überfluß verteilt. Die Großzügigkeit des Gastgebers umfaßt sowohl die Bewirtung der Gäste als auch die freigebige Distribution von Gaben. Eneas selbst erwartet von denen, die zur Hochzeit kommen, keinerlei materielle Gaben im Gegenzug. Und so wirkt das Fest insbesondere für die spilman vnd die gernde diet (Eneas 344, 19) wie ein Magnet, werden nicht nur (adlige) Verwandte und Lehensleute von der verheißungsvollen Einladung zum Fest angezogen, sondern o auch diejenigen, für welche die Wendung gut vmb ere (Eneas 336, 4) geradezu Signatur sein könnte. Sie bezeichnet auch im Eneasroman zunächst einmal das ›Austausch‹-Verhältnis zwischen Fürst und Spielleuten, welches immateo o rielle und materielle Gaben – Gesang und gut oder gut und ere – kommensurabel erscheinen läßt: In der aktuellen Festsituation singen oder spielen die Künstler zum Ruhm des Fürsten und – wenn sie hierfür mit Gaben bedacht werden – sind sie gewillt, auch künftig die Tugenden des Fürsten weithin zu preisen.289 Und scheinbar kann der Fürst den Zugewinn an Ehre, die Anhäufung sozial-politisch bedeutsamer Ressourcen regulieren, indem er seine Gaben ohne materiellen Verlust verteilt. Insofern die Sänger existentiell auf seine Gaben angewiesen sind, funktioniert dieser Mechanismus: Am Hof präsentieren sich die Spielleute – gleichsam in Konkurrenz um die begehrten Gaben – in spil vnd sanch, […] fidelen vnd singen, orgelen vnd sæitspil (Eneas 345, 31–35). Die Gaben, welche sie wohlhabend werden lassen (wan si da wurden reiche, Eneas 344, 30), liegen im Spektrum jener, von denen in mittel289 Eneas 346, 30–32: […] daz si danne schieden uil fro | vnd lop dem chunige sungen, | iesleich nach seiner zungen.

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alterlichen Texten allenthalben die Rede ist: Seidengewänder, wertvolle Stoffe, Silber und Gold, Goldgefäße, Armreife aus Rotgold, Zobel und Hermelin, Maultiere und Streitrösser. Doch läßt der Erzähler keinen Zweifel daran, daß alle Dinge sowohl in Qualität als auch in Quantität im Superlativ vergeben werden. Denn schließlich vermag nur derjenige, der es sich leisten kann, oder zumindest den Anschein dessen wahren will, Samt und Seide gancz vnd vngeschroten (Eneas 346, 21) zu verschenken. Verglichen wird diese Großzügigkeit bis hin zur Verausgabung mit jener auf dem Mainzer Hoffest Friedrichs I., welches Pfingsten 1184 – in einer Zeit relativ stabiler politischer Verhältnisse im Reich – stattfand: Ohne Maß (vnmæzleich, Eneas 347, 21) habe man dort, so der Erzähler des Eneasroman, gegeben und auf diese Weise im Wert von mehreren tausend Mark gespeist und Gaben verteilt.290 Ausgeblendet wird allerdings, woher der Reichtum stammt291 und wie er aus den Händen der Sänger weiter transferiert wird. Der Blick des Erzählers geht nicht über ein Geben und Nehmen am Hof hinaus, und die ›Logik der Gabe‹ dort kennt weder ›geschichts-trächtige‹ noch ›zirkulierende‹ Gaben. Allein der Einsatz der Gaben als Trägerinnen materieller Werte, welche im Fall des Mainzer Hoffestes gar monetär benannt werden, und ihre Konvertierung im Dienste der Repräsentation zählen. Noch einmal und nun in vollen Zügen demonstriert Eneas seinen im Reich des Latinus erlangten Status. Zur Behauptung seiner Machtposition setzt er seine materiellen Reichtümer ein und gibt sich als der Freigebigste am Hof. Thematisiert wird nämlich nicht etwa vordergründig die soziale Differenz von Geber und Empfangenden, sondern erzählt wird davon, wie in der Reihenfolge der Gebenden Hierarchien innerhalb der höfischen Gesellschaft repräsentiert werden. Eneas ist nicht

290 Von umfangreicher Freigebigkeit am Hof Friedrichs I. erfährt man auf ganz ähnliche Weise aus der Hennegauer Chronik des Gislebert von Mons. Vgl. dazu Bumke, Höfische Kultur, S. 276–281, Wenzel, Hören und Sehen, S. 188–192. Wenzel betont zu Recht, daß mit der Parallelisierung der Feste »die Kontinuität der kaiserlichen Herrschaft« inszeniert werde: »Eneas als Begründer Roms wird in Beziehung gesetzt zu den deutschen Kaisern, den Nachfolgern der römischen Cäsarentradition (translatio imperii)« (S. 190). 291 Voraussetzungen (wie etwa im Erec) oder die Kehrseite einer solchen Freigebigkeit und Verausgabung (wie beispielsweise in Strickers Märe von den herren zu Osterich) – werden hier nicht thematisiert. Zu diesem Problemkomplex vgl. auch meine Bemerkungen im Einleitungsteil (1.1), den entsprechenden Abschnitt im Forschungsabriß (1.2) sowie die Überlegungen zum Erec im Eingang dieses Kapitels (3.1).

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Gaben und Opfer

der einzige, welcher großzügig Gaben verteilt. Ihm schließen sich in entsprechender Folge Fürsten, Herzöge und Grafen an. Aber Eneas ist der vornehmste und mächtigste von allen, und so steht es allein ihm zu, den Akt des Gebens zu eröffnen: der gabe er selbe bigan, wan er waz der herste, o von div hub erz alerste, als es chunigen wol gezam. (Eneas 345, 40 – 346, 3) (Er selbst begann mit der Vergabe, denn er war der Vornehmste. Deshalb fing er damit an, wie es Königen zukam.)

Aber eine solche – scheinbar selbstverständliche wie konfliktfreie – Ordnung des Gebens, wie sie mit der benannten Reihung von fursten, herczogen vnd grauen vnd ander chunige reiche (Eneas 347, 1/4 f.) an dieser Stelle inszeniert wird, kann nicht über den agonalen Charakter des Gebens hinwegtäuschen. Denn ganz offensichtlich konkurrieren nicht nur die Spielleute miteinander, sondern auch die Fürsten üben einen verdeckten Machtkampf aus. Sie sind einen Gabenwettstreit (man da gab ze strite, Eneas 346, 40) eingegangen, in welchem sie sich gegenseitig im Ausmaß ihrer Gaben zu überbieten versuchen. Der Hof offenbart sich damit als Ort symbolischer – und dies heißt: wenngleich verschleierter und kanalisierter, so doch gegenwärtiger, anerkannter und durchsetzungsfähiger – Gewalt.292 Obzwar in unserem Beispiel die Zerstörung der Gaben als die höchste Form der Generosität ausgespart bleibt, möchte ich dennoch behaupten, daß es sich um eine dem Potlatch vergleichbare Verausgabung handelt, ein Geben, welches – unabhängig von materiellen Verlusten – agonalen Handlungsmustern folgt.293 Unter Einsatz ihres Vermöges kämpfen die Fürsten um ›symbolisches Kapital‹ im Sinne Bourdieus: um soziale Anerkennung und Ruhm. Materielle Gaben in Hülle und Fülle sind ihr Einsatz in diesem Wettkampf, ere ist ihr Gewinn. Nur wenige Worte spielen auf die Risio ken einer solchen Konvertierung von gut in ere an; Risiken, an welche die Fürsten auf dem Fest zu Laurentum nicht denken wollen:

292 Ich formuliere hier in Anlehnung an Bourdieu (Sozialer Sinn, S. 230 u. ö.), der zwischen ›nackter‹ und ›symbolischer‹ Gewalt unterscheidet. 293 Zu Struktur und Logik agonaler Gaben vgl. auch meine Ausführungen im ersten Teil des Einleitungskapitels (1.1) sowie den Überblick zur Gaben-Forschung (1.2), insbesondere die Passagen zu Mauss, Bourdieu und Godelier.

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Eneas’ Freigebigkeit

[…] die gaben herleiche, die wenich achten den schaden […]. (Eneas 347, 6 f.) (Sie gaben aufwendig und kümmerten sich nicht um den Verlust.)

Doch wie man etwa aus der Geschichte um Prünhilts Depotenzierung durch die Verschwendung ihrer beweglichen Güter weiß,294 kann ein Übermaß an Freigebigkeit immer auch in den Ruin führen: dann nämlich, wenn der Reichtum aufgebraucht ist, wenn nichts mehr vorhanden ist, was man in soziale Anerkennung überführen könnte. Das Lob der Fahrenden gilt vor allem Eneas, dem vornehmsten und freigebigsten unter den Fürsten. Er ›schlägt‹ nicht allein aus seiner eigenen Freigebigkeit ›Profit‹, auch die Großzügigkeit der übrigen Fürsten gegenüber den Spielleuten gereicht ihm, dem Gastgeber des Festes, zur Ehre: da waren fursten here, die durch ir selber ere vnd durch den chunich gauen […]. (Eneas 347, 1–3) (Da waren edle Fürsten, die um ihr eigenes Ansehen und um das des Königs willen Gaben verteilten.)

Dennoch beklagt Eneas, daß seiner Einladung nicht noch mehr gefolgt sind. Zu wenige Gäste seien an den Hof gekommen, um aus seinen Händen Gaben zu empfangen: iedoch chlaget Eneas daz ir so wenich da was, die seines gutes gerten. (Eneas 346, 35–37) (Dennoch beklagte Eneas, daß so wenige anwesend waren, die seine Gaben begehrten.)

Vor dem Hintergrund der bisherigen Einzelbeobachtungen ist die Klage des Eneas keineswegs erstaunlich. Denn folgt man den Vorstellungen, welche mit dem Fest in Laurentum und Eneas’ Freigebigkeit vermittelt werden, sollte mindestens eines deutlich geworden sein: Eneas verfügt über materielle Ressourcen im Überfluß, doch offenkundig muß er einem drohenden Mangel an ere entgegenarbeiten. Man gewinnt den

294 Vgl. dazu vor allem Müller, Spielregeln, S. 93 f., S. 348 f.

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Gaben und Opfer

Eindruck, daß Reichtum nicht vergänglich, die Anerkennung der Macht des Fürsten, seine ere, hingegen prekär ist. Doch diese läßt sich wiederum mit milte ›kaufen‹. Lapidarer und zugleich treffender als JanDirk Müller in Anspielung auf eine Stelle aus dem Nibelungenlied vero mag man sicher kaum zu formulieren, was es heißt, gut vmb ere zu geben. Zu Recht – wie mir scheint – hat sich Müller für das Verb ›kaufen‹ entschieden, und es dennoch mit Bedacht in Anführungszeichen gesetzt.295 Denn sie mögen markieren, daß es Logiken des gebens gibt, die sich nicht problemlos ›Archaik‹ oder ›Moderne‹, ›Tausch‹ oder ›Kauf‹ zuschlagen lassen, sondern irgendwo dazwischen liegen: Die Formulieo rung gut vmb ere suggeriert die Konvertierbarkeit von Reichtum in soziale Anerkennung, aber der Konvertierungsprozeß ist kein einmaliger ›Austausch‹ von Schätzen gegen Ehre. Eneas’ Besitz mag unerschöpflich sein, aber sein herrschaftlicher Status muß durch die permanent neu erworbene Akzeptanz und Achtung der Gesellschaft immer wieder legitimiert werden. Ere läßt sich nicht horten wie ein Schatz und in einem einmaligen Akt auf Dauer stellen, weil sie wie der preisende Sang der Spielleute in Raum und Zeit verklingt. Sie ist vergänglich und muß entweder durch rohe, physische oder durch verschleierte, symbolische Gewalt ständig aufs neue erfochten, erhandelt oder eben ›gekauft‹ werden. Besitz, die »Akkumulation materieller Reichtümer ist […] ein Mittel unter anderen, symbolische Macht zu akkumulieren als Macht zur Durchsetzung der Anerkennung der Macht […].«296 Und deshalb – weil ere stets instabil ist, weil man den sozialen Status nicht ein für alle Mal auf Dauer stellen kann, sondern Dauer allenfalls in Inszenierungen zu behaupten vermag – bedeutet materielle Verausgabung bis zur Besitzlosigkeit zugleich den sozialen Tod. Für Eneas trifft dies nicht zu. Er wäre nur dann existentiell gefährdet, wenn es ihm nicht mehr gelänge, die Sänger zum Preis zu bewegen. Jeder – entsprechend liest sich auch Eneas’ Klage –, der nicht zum Fest erscheint, versagt Eneas, seine Freigebigkeit in vollen Zügen zur Anschauung zu bringen und damit auch den Zugewinn an Ehre. Eneas vermag also nur maßlos zu geben, insofern auch in solchen Dimensionen Gaben angenommen werden. Die Akzeptanz von Gaben – so zeigt sich auch hier – ist eine wichtige Voraussetzung von Freigebigkeit zur Statusinszenierung. o

Doch folgt die Denkfigur von gut vmb ere, welche hier dem Rezipienten des Romans präsentiert wird, weniger der Logik des Tausches als viel295 Vgl. Müller, Spielregeln, S. 360. 296 Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 240.

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Eneas’ Freigebigkeit

mehr einer von ›Einsatz‹ und ›Gewinn‹. Die fürstliche milte mag zwar insofern anökonomisch sein, als sie nicht materiell verrechenbar ist: Eneas gibt ohne materiellen Gewinn. Aber da Eneas’ Freigebigkeit nicht – so wie etwa nach seinem Sieg über Turnus – als Gnadenakt inszeniert ist, sondern einzig der Gewinn an Ehre thematisiert wird, handelt es sich keineswegs um eine selbstlose Verausgabung. Eneas hofft, daß seine Gaben entsprechend gewürdigt werden. Er sinnt, so erfährt man bereits aus seiner Einladung, auf den Erwerb von ere. Großzügigkeit bis hin zur Verschwendung, ja die Inszenierung einer ›Ökonomie des Überflusses‹, scheint eine zentrale Möglichkeit zur Legitimierung von Status zu sein: Eneas gibt getrieben von dem Wunsch nach Anerkennung, Bestätigung seiner erreichten Position, dem Zugewinn an Ehre. Je mehr Gaben Eneas ›ausstreut‹, aber vor allem je mehr Gaben die Spielleute annehmen und dankend preisen – so ließe sich die Argumentation zuspitzen – desto größer ist sein Ertrag an ere, an ›symbolischem Kapital‹. Doch wie läßt sich ere über den ephemeren Zustand des Festes hinaus konservieren, da doch ›symbolisches Kapital‹ zwar wirkungsmächtiger, aber dafür vergänglicher ist, als es vergleichsweise von den ökonomischen Ressourcen behauptet wird? Auch hierzu inszeniert der Verfasser des Textes eine Lösung: Diejenigen nämlich, die Eneas’ Einladung folgen, werden so viele Kostbarkeiten empfangen, daß sie ihr gesamtes Leben – und dies ist ganz und gar ökonomisch gemeint – davon existieren können. Und außerdem: Selbst all ihre Kinder und weitere Nachkommen werden noch von der Gabe des Fürsten leben können: Eneas der mære enbot offenbære, […] o swer gut vmb ere wolde, daz der froleiche chæme vnd er so uil næme, daz es immer moht gefrumen vnd allen seinen nachchomen […] swer da seine gabe nam, dem ergiench es sælichleiche, wan er was dez reiche seit vncz an sein ende, vnd frumite seinem chinde die weil, daz es mochte leben […]. (Eneas 336, 1–8; 346, 4–9)

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Gaben und Opfer

(Der berühmte Eneas verkündete öffentlich, daß sich derjenige, der Gut für Ansehen wolle, frohen Sinnes einfinden und so viel empfangen möge, daß es für ihn und alle seine Nachkommen für immer reichen würde. Wer seine Gabe nahm, der wurde glücklich, denn er wurde dadurch bis an sein Lebensende reich. Und noch für sein Kind war gesorgt, solange es lebte.)

Dies bedeutet gleichzeitig, so ließe sich schlußfolgern, daß nicht nur jene Fahrenden, welche auf dem Fest anwesend waren, von den Tugenden des Fürsten künden, sondern auch noch ihre Nachkommen. Die ere, welche dem Fürsten hierbei zukommt, wird immer wieder erneuert werden. Solange seine Gaben unter den Nachkommen der Festteilnehmer weitergereicht werden und diese den Namen des ursprünglichen Gebers preisend im Munde führen, bleibt er unsterblich. Das entworfene Phantasma kann nur so verstanden werden, daß die außergewöhnlich großzügige Gabe ewigen Ruhm verspricht. Erinnert sei noch einmal an die Worte Euanders, mit welchen er die Gaben des inzwischen bereits verstorbenen Anchises kommentiert hatte: »daz ensol niht sin verlorn […]« (Eneas 170, 39). Die gegebene Gabe überdauert den physischen Tod ihres Gebers. An ihr haftet die Erinnerung (memoria) an ihn, die in kommunikativen Akten – mit dem wiederholten Preis des ursprünglichen Gebers (fama) – fortwährend erneuert wird.297 Über Generationen hinweg weitergereicht – oder ökonomisch gesehen: über Generationen hinweg aufgespart und verteilt –, sichert die Gabe damit die transmortale Kontinuität fürstlicher Ehre.

297 Zur zentralen Bedeutung von solcherart Kontinuitätsphantasmen in der adligen Kultur um 1200 vgl. auch Oexle, Fama und Memoria.

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Imperial- als Heilsgeschichte

4. goldes han ich genuch. du ich mich aller erste uz hup, du ophert ich den lib: Gabe, Gewalt und Heil im Rolandslied

si ergo offeres munus tuum ad altare et ibi recordatus fueris quia frater tuus habet aliquid adversum te relinque ibi munus tuum ante altare et vade prius reconciliare fratri tuo et tunc veniens offers munus tuum (Mt 5, 23 f.) (Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe.)

4.1 Imperial- als Heilsgeschichte: Forschungsstand und Erkenntnisinteressen Vergleichbar mit den im Mittelalter überlieferten Darstellungen eines seiner bedeutensten typologischen Vorbilder, dem heidnischen König Alexander von Makedonien, beruhen auch jene des christlichen Kaisers Karl des Großen auf verschiedenen Erzähl- und Auslegungstraditionen:1 Sie zeigen Karl als exponierte Herrschergestalt, als Eroberer und gerechten Richter.2 In der im engeren Sinne klerikalen Überlieferung wird er als Stifter und Schirmherr kirchlicher Institutionen, als Donator von Reliquien und ehrfürchtiger Verehrer von Heiligen herausgestellt.3 Vor allem die frühmittelalterliche Visionsliteratur handelt von Karls Sünden; spätere legendarische und liturgische Traditionen greifen die Sündengeschichte auf oder spielen auch nur darauf an,4 1 2 3 4

Vgl. Geith, Carolus Magnus, Wolfzettel, Karl. Vgl. Geith, Carolus Magnus, S. 22–29, S. 34 f., Wolfzettel, Karl, Sp. 981–986. Vgl. Geith, Carolus Magnus, S. 35 f., Wolfzettel, Karl, Sp. 986–988. Vgl. Dorn, Der sündige Heilige, S. 75–80, Ohly, Legende, insbesondere S. 333–336, Geith, Carolus Magnus, S. 36, S. 72–79, Wolfzettel, Karl, Sp. 988–1002.

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Gewalt und Heil

und in Bildprogrammen tritt die Darstellung des Sünders neben die des salomonischen Königs und Heerführers.5 Vor dem Horizont dieser unterschiedlichen politischen, rechtshistorischen und theologischen Vorstellungen sowie damit verbundener Herrschaftsdiskurse wird die Figur des fränkischen Königs und römischen Kaisers in der frühhöfischen Erzählliteratur profiliert, wenngleich auch einzelne Facetten unterschiedlich akzentuiert und perspektiviert sein können:6 Karls Herrschaft ist göttlich legitimiert, er ist Sünder und Auserwählter Gottes zugleich. Wie kaum ein anderer Text aus dem Spektrum der mittelalterlichen Karlsepik ist das Rolandslied des Pfaffen Konrad,7 welches fortan im Mittelpunkt meiner Analysen stehen soll, vor dem Hintergrund der älteren Erzähltradition diskutiert worden. In seinen Grundzügen geht es auf die Handlung der Chanson de Roland zurück,8 und entsprechend wurde der Vergleich mit dem altfranzösischen Epos zum Ausgangspunkt zahlreicher Analysen gemacht.9 Besonders interessiert zeigt sich die in Ansätzen komparatistisch ausgerichtete Forschung sowohl an der Umakzentuierung des Karlsbildes als auch an der gegenüber der Chanson de Roland veränderten Programmatik:10 Der Verfasser des Rolandsliedes hat mit der Konzeption von Eingangs- und Schlußgebet, mit dicht eingeflochtenen Bibelzitaten11 und darüber hinausgehenden Anspielungen auf das christliche Heilsgeschehen, mit dem Rückgriff

5 Vgl. Lejeune/Stiennon, Rolandssage, besonders Bd. 1, S. 160–167, Bd. 2, Abb. 21–28, Abb. 127, Abb. 152. 6 Zur literarischen Tradition vgl. – mit umfassender Bibliographie zur älteren Forschung – Geith, Carolus Magnus, Ott-Meimberg, Karl, S. 81–110, Wolfzettel, Karl, Sp. 990–1002. 7 Vgl. grundlegend hierzu Nellmann, Pfaffe Konrad, Sp. 115–131, Vollmann-Profe, Rolandslied, S. 43–58, Rolandslied, S. 779–799 (Kartschoke, Nachwort). 8 Als direkte Vorlage kommt allerdings keine der handschriftlich überlieferten Fassungen der Chanson de Roland in Frage. Im Hinblick auf den Handlungsverlauf folgt das Rolandslied weitgehend der Oxforder Handschrift (Oxford Bibliotheca Bodleiana, Nr. 1624; cod. Digby 23). Vgl. Geith, Carolus Magnus, S. 85 f., Nellmann, Pfaffe Konrad, Sp. 122. 9 Nellmann hat geradezu apodiktisch formuliert, daß »[j]ede Deutung vom Vergleich mit den ›ChdR‹-Fassungen« (Pfaffe Konrad, Sp. 124) auszugehen habe. 10 Zu überlieferungs-, motiv- und stilgeschichtliche Fragen vgl. besonders Geith, o Rolands Tod sowie das buch und Rolandslied, Bauschke, Historiographische Schreibweise. 11 Vgl. Werner/Zirnbauer, Einführung, S. 75, Backes, Bibel, siehe vor allem das Register zum biblisch konkordierenden Wortschatz S. 125–187.

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Imperial- als Heilsgeschichte

auf liturgische Texte,12 der inhaltlichen und strukturellen Ausbeutung verschiedener Predigtgattungen13 und mit dem gegenüber der Chanson de Roland dominanteren Märtyrerdiskurs die Einschreibung der Kämpfe zwischen fränkischem Heer und Sarazenen in heilsgeschichtlich typologische Zusammenhänge wesentlich konsequenter betrieben als der des französischen Textes.14 Solche Beobachtungen mögen dazu geführt haben, das Rolandslied als die »religiöse Modifizierung«15 oder auch »Vergeistlichung«16 der Erzähltradition, als ausgesprochenes »Märtyrerlied«17 oder als »Märtyrerlegende«,18 von der – so der Tenor – vor allem heroisch und national geprägten Chanson de Roland abzuheben.19 Die in diesem Kontext stets aufs neue aufgeworfene Frage nach dem augenscheinlichen Einfluß frühmittelalterlicher Kreuzzugsideologien wird mit Verweisen auf die programmatische Nähe des Rolandsliedes zur päpstlichen Kreuzzugspropaganda des 11. und 12. Jahrhunderts und vielmehr noch zu Bernhards von Clairvaux Kreuzzugspredigten wie auch seiner Schrift an die Tempelritter Ad milites templi. De laude novae militiae beantwortet.20 Daß die Frage »Staatsroman oder Kreuzzugsepos?« als Ansatz für den Vergleich zwischen dem französischen und dem deutschen Text falsch gestellt ist, versucht Marianne Ott-Meimberg vorzuführen: Chanson de Roland und Rolandslied seien nicht voneinander abzuheben »wie ein Staatsroman von einem Kreuzzugsepos«, sondern vielmehr – so betont sie zu Recht – als zwei Geschichten, welche »eine ähnliche Thematik« vor dem Horizont einer je anderen kulturhistorischen Si12 Vgl. dazu den einschlägigen Beitrag von Ohly, Legende, S. 304 f., S. 311. 13 Vgl. Backes, Bibel, S. 16–60, S. 82–124, Urbanek, Lob-und Heilsrede. 14 Die Oxforder Handschrift nennt im Schlußvers einen Turoldus; im Dunkeln bleibt allerdings, ob es sich um den Namen eines – möglicherweise auch nur fingierten – Dichters, Bearbeiters oder Schreibers handelt: Ci falt la geste que Turoldus declinet (Chanson de Roland V. 4002). Vgl. hierzu Curtius (»Rolandslied«, S. 231), der die Existenz eines Turoldus für sehr wahrscheinlich hält. 15 Schnelle, Pfaffe Konrad, S. 43. 16 Richter, Kommentar, S. 8. Entsprechend einseitig fällt die Kommentierung des Textes aus. Vgl. auch Geith, Carolus Magnus, S. 97 sowie Rolandslied, S. 61. 17 Rolandslied [Hs. P], S. XVIII (Wapnewski, Einleitung). 18 De Boor, Geschichte, S. 242, Ohly (Legende, S. 311 u. ö., Beiträge, besonders S. 96) liest das Rolandslied ebenfalls als legendarischen Text. 19 Das französische Heldenepos habe sich – so etwa Fliegner – durch die deutsche Bearbeitung »zu einem geistlichen Epos gewandelt« (Rittertum, S. 3). Ähnlich argumentieren Backes, Teufel, insbesondere S. 417 f. und Gellinek, Herrschaftsmodelle, vor allem S. 39 f. 20 Vgl. etwa Wentzlaff-Eggebert, Kreuzzugsdichtung, besonders S. 9–28, S. 77–98, Mertens, Religiöse Identität, vor allem S. 77 f.

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Gewalt und Heil

tuation aufnehmen.21 Den Kreuzzug liest sie als ein »Funktionsmodell für Krise und Heil«, als Möglichkeit des Herrschers wie seiner »Staatsgemeinschaft«, verlorenes Heil zurückzugewinnen.22 Kritisch anzumerken wäre allerdings, daß Ott-Meimberg nicht nur den Begriff ›Staat‹ im Hinblick auf das 12. Jahrhundert ahistorisch verwendet23 und – terminologisch nicht minder problematisch – die »Adelslegende« im »Staatsroman« aufgehen läßt,24 sondern auch, daß die Erkenntnis, die Karl-Roland-Geschichte verhandle neben den religiösen Aspekten der Heidenmission zugleich solche feudaladliger Herrschaft – zumindest hinsichtlich des französischen Textes – nicht wirklich neu gewesen ist.25 Ich denke, man könnte darüber hinaus sogar so weit gehen, zu behaupten, daß Imperialgeschichte im Mittelalter immer als in die Heilsgeschichte eingebunden begriffen wird: so auch in Chanson de Roland und Rolandslied. In beiden Texten ist Karls Herrschaftshandeln weitgehend gottbestimmt, Dienst an Gott und Glaubensbekenntnis; Roland kämpft als adliger Heros und stirbt als christlicher Märtyrer.26 Dennoch darf bei aller grundsätzlichen Ähnlichkeit zwischen Chanson 21 Ott-Meimberg, Kreuzzugsepos, S. 78. Insofern Ott-Meimberg aber von vornherein ihre These vom Rolandslied als ›Staatsroman‹ forciert und alle religiösen Aspekte dieser These unterordnet, läßt sie sich damit selbst auf die »fruchtlose Alternative Kreuzugsepos – ›Staatsroman‹« ein, »die ein adäquates Verständnis des Textes eher verstellt als erleichtert« (Peters, Rezension, S. 21). 22 Ott-Meimberg, Kreuzzugsepos, S. 210. 23 Ott-Meimberg folgt darin Kuhn (Tristan, insbesondere S. 30), der den Begriff »Staatsroman«, welcher ursprünglich vereinzelt für frühneuzeitlich-barocke Romane verwendet wurde, auf mittelalterliche Texte übertragen hat. Peters kritisiert die Bezeichnung »Staatsroman« als einen »in methodischer wie sachlicher Hinsicht […] sehr unglückliche[n] Terminus« (Rezension, S. 19); kritisch äußert sich ebenfalls Nellmann, Pfaffe Konrad, Sp. 127. Vgl. darüber hinaus Überlegungen zur durchaus möglichen Differenzierung zwischen historischer Dimension und analytischem Wert des Begriffes ›Staat‹ von Conze: Er hält die ahistorische Verwendung des Begriffes vertretbar, wenn sie – was Ott-Meimberg allerdings nicht tut – »bewußt gemacht und methodisch im Hinblick auf ihren (Vergleichs-)Wert sowie auf ihre eingeschränkte Aussagekraft« (Staat, S. 5) reflektiert und begründet wird. 24 Ott-Meimberg, Kreuzzugsepos, S. 262. 25 Vgl. bereits Curtius, »Rolandslied«, besonders S. 220 sowie Epik, vor allem S. 310, S. 314, Klein, Kreuzzugsgedanke, Köhler, Vorlesungen, S. 45–56. 26 Daß auch die französische Tradition so rezipiert wurde, zeigt vor allem die Darstellung Rolands in kirchlichen Bildprogrammen Frankreichs und Norditaliens: Er ist Nationalheld, und zugleich wird er – wie beispielsweise am Südportal des Doms zu Chartres – neben prominenten Märtyrern und Heiligen wie Laurentius, Stephanus, Dionysius und Georg eingereiht. Vgl. Lejeune/Stiennon, Rolandssage, Bd. 1, S. 225, Bd. 2, Abb. 155 f., vgl. auch Ohly, Beiträge, S. 130–135.

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Imperial- als Heilsgeschichte

de Roland und Rolandslied der Blick für die literarische und kulturhistorische Besonderheit des jeweiligen Textes nicht verloren gehen. Die folgenden Ausführungen fokussieren vor allem den deutschen Text, weil er gegenüber dem französischen Epos ein Thema betont, welches geradezu ins Zentrum des Problembündels von ›Gabe und Gewalt‹ führt, und hierfür einen Begriff verwendet, den die Chanson de Roland neben dem des Martyriums bzw. Märtyrers27 nicht kennt: den des Opfers. Analysen und Überlegungen hierzu sollen keineswegs als Schlüssel zu einer Gesamtinterpretation des Textes begriffen werden. Ich möchte den folgenden Beitrag vielmehr als einen verstanden wissen, der erstens die Lektüre des Rolandsliedes etwas anders perspektiviert, als es die bisherige Forschung getan hat, und der damit zweitens – ansonsten vor allem theologisch, philosophisch und kulturanthropologisch ausgerichtete – Diskussionen um den Opfer-Begriff auch im Rahmen literaturwissenschaftlicher Forschung breiteren Raum einräumt. Versucht man dem Opferverständnis im Rolandslied nachzugehen, so sind zunächst die vom Erzähler zahlreich gestifteten biblischen Bezüge zu betrachten. Außerdem ist wohl kaum auszuschließen, daß der unverkennbar theologisch gebildete Verfasser des Rolandsliedes auch exegetische Traditionen kannte, welche über den engeren biblischen Rahmen hinausgehen. Dabei allerdings darf der ästhetisch-literarische Eigenwert des Textes, dürfen seine Inszenierungen, Eigenkonstruktionen und -entwürfe einer Welt, in der das Opfer mehr als nur Wort und Metapher ist, nicht – wie so oft in der älteren Forschung –28 unterschätzt werden.29 Das Rolandslied handelt von Karls Heidenbekehrung in Spanien, welche von Beginn an als Dienst an Gott und – so meine zentrale These – als Möglichkeit der Buße, als Weg aus der Sünde zum Heil erzählt wird. Hierbei thematisiert der Text auf vielschichtige Weise das Verhältnis von Gabe und Gewalt, werden beide immer wieder gegeneinander aus-

27 Chanson de Roland V. 1134: seinz martirs. 28 Vgl. etwa Backes, Teufel, sowie Richter, Kommentar. 29 Ich gehe also davon aus, daß der Verfasser des Rolandsliedes – möglicherweise auch schon vulgarisiertes – theologisches Wissen in den Text einspeiste, sich aber kaum auf die eine oder andere Tradition festlegen läßt. Mich interessiert vor allem, an welchen Stellen und auf welche Weise er auf theologisches Wissen zurückgreift, inwiefern er es für seine Argumentation und zur Legitimation seiner Deutung der Karl-Roland-Geschichte funktionalisiert. Vgl. in diesem Sinne schon Knappe, der betont, daß der Verfasser des Rolandsliedes »kein Quellenhistoriker« gewesen sei, sondern ein Erzähler, »der eigene Vorstellungen literarisch gestaltet« habe (Repräsentation, S. 255).

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Gewalt und Heil

gespielt: Die vor allem unter Einsatz physischer Gewalt (gwaldecliche, V. 363)30 vollzogene Mission findet ihren vorläufigen Abschluß vor den Toren Saragossas. Erzählt wird, wie der Heidenkönig Marsilie – um die drohende Gewalt des fränkischen Heeres von Saragossa abzukehren – mit kostbaren Gaben, Geiseln und unter Aneignung christlicher Zeichen die Unterwerfung und den Bekehrungswillen der Heiden vortäuscht. Es folgen Episoden, in denen sich die kaiserlichen Paladine einstimmig gegen die Annahme heidnischer Schätze sowie für die Fortsetzung der gewaltsamen Bekehrung aussprechen, und Genelun, welcher unfreiwillig als Botschafter im Auftrag Karls der Glaubwürdigkeit von Marsilies Friedensangebot nachgehen soll, sich mit den Heiden verbündet. Er wird in diesem Kontext reich beschenkt und ferner stellt ihm der Heidenkönig weitere Kostbarkeiten in Aussicht, sobald der Kopf ihres gemeinsamen Erzgegners Roland gefallen sein wird. Genelun bestätigt die Bereitschaft der Heiden zum christlichen Glaubensbekenntnis, bewegt Karl zum Rückzug und unterbreitet ihm den Vorschlag, Roland zum Schutz der eroberten Gebiete zurückzulassen. Es folgen die grausam-blutigen Schlachten von Ronceval, an deren Ende Rolands – zum Opfertod stilisiertes – Sterben steht.31 Strukturell betrachtet geht die Geschichte von einer geteilten Welt aus: Christen und Heiden, römischer Kaiser und der Emir von Babylon oder – der augustinischen Tradition folgend – civitas Dei und civitas diaboli stehen einander unversöhnlich mit vergleichbarem imperialen und universalen Anspruch gegenüber.32 Über den Kampf zwischen beiden Reichen wird freilich ganz aus christlicher Perspektive erzählt: In der Nachfolge Christi und Petri ist Karl als Statthalter Gottes auf Erden

30 Ich zitiere den mittelhochdeutschen Text nach der Hs. P (hg. von Wapnewski), verzichte allerdings auf die Markierung der in der Edition angegebenen Zeilenund Seitenabschlüsse (| beziehungsweise ||); im folgenden nur noch: Rolandslied. Die beigefügten Übersetzungen sind eng an jene von Kartschoke angelehnt. 31 Zur Erzähltradition der Schlacht-Passagen vgl. de Boor, Geschichte, S. 240, Ohly, »Chanson de Roland«, S. 140 f. Die einzige überlieferte historiographische Quelle, die von einem Roland (Hruodlandus) zu erzählen weiß, ist Einhards Vita Karoli Magni. Sie berichtet von dem Überfall der Basken auf die Nachhut des Karlsheeres während des Rückmarsches aus Spanien über die Pyrenäen, benennt allerdings keinen konkreten Ort. Erst die späteren Erzähltraditionen verlegen das Geschehen in das Tal zu Roncevaux/Ronceval. Zudem behauptet die Vita Karoli Magni (Cap. 9, S. 22 f.), daß dieser Überfall nie gerächt werden konnte: Neque hoc factum ad praesens vindicari poterat, quia hostis re perpetrata ita dispersus est, ut ne fama quidem remaneret, ubinam gentium quaeri potuisset. Davon heben sich jüngere Entwürfe – so auch Chanson de Roland und Rolandslied – deutlich ab. 32 Vgl. Ohly, Zum Reichsgedanken, besonders S. 110–112.

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Imperial- als Heilsgeschichte

dargestellt.33 Daraus resultiert zugleich sein Weltherrschaftsanspruch, und entsprechend erhält er – nach biblischem Vorbild vermittelt durch einen Engel –34 den göttlichen Auftrag zur Heidenbekehrung, welche hernach jedoch als ein gegenseitiges blutrünstiges Töten erzählt wird.35 Während die gefallenen Heiden aus diesem Kampf heraus geradewegs in die Hölle gelangen, werden die Christen, die ihr Leben (daz raine opher, V. 3446) Gott dargebracht haben, unmittelbar in den Chor der Märtyrer aufgenommen. Auffällig ist, daß im Rolandslied die Diskussion um Gabe und Gewalt – im Unterschied zu jenen mittelalterlichen Texten, die wie Straßburger Alexander und Eneasroman auf eine antike Erzähltradition zurückgehen –, von vornherein mit theologischen Argumenten geführt und damit – so meine zweite These – zur Rede über den Zusammenhang von Gabe, Gewalt und christlichem Heil wird:36 ›[…] goldes han ich genuch. du ich mich aller erste uz hup, du ophert ich den lib […].‹ (Rolandslied V. 929–931) (»Gold habe ich genug. Als ich einst aufbrach, opferte ich mein Leben.«)

Spätestens mit diesem Plädoyer Rolands für die Ablehnung wertvoller heidnischer Gaben – so möchte ich meine These weiter zuspitzen – werden Gaben- und Opferdiskurs in ein Spannungsverhältnis ge-

33 Vgl. die Beschreibung der kaiserlichen Fahne, auf der dargestellt ist, wie Christus Petrus die Schlüsselgewalt überträgt (Rolandslied V. 7896–7902). Vgl. dazu Erdmann, Entstehung des Kreuzzugsgedankens, S. 30–50, besonders S. 178 f. sowie Knappe, Repräsentation, S. 157–160; zur Karlsdarstellung vgl. Richter, Kommentar sowie Knappe, Repräsentation, S. 236–244. 34 Rolandslied V. 52–64: do sach er mit flaisclichin ougin | den engel uon himele. | er sprach o o zu dem kuninge: | ›Karl, gotes dinist man, | ile in Yspaniam! | got hat dich irhoret, | daz lút wirdit bekeret; | di dír abir widir sint, | die heizent des tuvelis kint | unt sint allesamt uirlorin […].‹ 35 Das Erzählen von heiligen Kriegen – so hat es Strohschneider auf den Punkt gebracht – »ist die Folge diese Risses, der die Welt in eine christliche und eine heidnisch-islamische trennt, der die Legitimität des Kreuzzuges selbstverständlich und das Abschlachten der Andersgläubigen zur Alltäglichkeit macht« (Kreuzzugslegitimität, S. 28). 36 Auch der Straßburger Alexander – so sei eingeräumt – verhandelt den Zusammenhang von Gabe, Gewalt und (christlichem) Heil. Aber er tut dies erst in der Paradiesstein-Episode, in jenem letzten Teil des Romans also, der auf die jüdischchristliche und nicht schon antike Erzähltradition zurückgeht.

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bracht, welches allerdings – wie sich zeigen wird – im Rolandslied selbst unauflösbar bleibt. Den folgenden Analysen wird stets die zentrale Frage nach dem Konnex von Gabe, Gewalt und Heil zugrunde liegen. Sie wird sich in einer ersten Interpretation (4.2 Gabe und Gewalt III: Heidenschatz und Opfertod) an die erzählte Geschichte richten. Hier werde ich näherhin danach fragen, wie im epischen Prozeß aus einem scheinbar im Heidenkampf scheiternden adligen Heros ein Märtyrer, eine Heldenfigur entsprechend (auch) anderer als der allein adlig-heroischen Kategorien konstituiert wird, und damit die verheerende Niederlage der Christen in Ronceval im Rolandslied gleichsam als Triumph erzählt werden kann. Im abschließenden Teil des Kapitels (4.3 Gabe und Heil: Der Text als Stiftung) wird der aus Pro- und Epilog bestehende Rahmen im Zentrum der Untersuchung stehen, wobei Ergebnisse aus diesem und dem vorangegangenem Teilkapitel – sofern möglich – immer auch aufeinander bezogen werden sollen.

4.2 Gabe und Gewalt III: Heidenschatz und Opfertod 4.2.1 Abgelehnte Gaben Das Rolandslied präsentiert die Bekehrung der Andersgläubigen als einen Krieg der Christen unter Karl dem Großen gegen die islamischheidnische Anderwelt.37 Gewalt bestimmt das Geschehen bis zum Tod der kaiserlichen Paladine und der darauf folgenden Rache Karls, welche im Zweikampf zwischen ihm und Paligan, dem König aller heidnischen Könige, gipfelt. Anders als etwa Alexander, der in den von mir analysierten Texten auf offene Gewalt verzichtet, wenn sich ihm Reiche und Herrscher friedlich unterwerfen, ihn mit kostbaren Gaben ehren und zu Zinszahlungen bereit erklären, akzeptiert Karl einzig den Übertritt zum Christentum. Nichts anderes, schon gar nicht irdischer

37 Den streng monotheistischen Muslimen wird die heidnisch-antike Göttertrias Appollo – Machmet – Tervagant zugesprochen. Vgl. dazu Richter, Kommentar, S. 117. Das Rolandslied bildet hierfür keine Ausnahme: vgl. etwa zu Wolframs Willehalm Strohschneider, Kreuzzugslegitimität, S. 29.

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Reichtum,38 vermag ihn von der Zerstörung heidnischer Kultstätten und Besitztümer sowie von der gewaltsamen, physischen Vernichtung der Andersgläubigen abzuhalten.39 Karl wird als unnachgiebiger, nicht verführbarer Herrscher eingeführt. Allerdings ist jene »Unbestechlichkeit«40 des Kaisers hier nicht einzig als Qualität des idealen Fürsten aufzufassen, sondern vor allem als Tugend vor Gott, als Glaubensbekenntnis und Treuebeweis. Karl muß das heidnische Gold ablehnen, weil er als Streiter Gottes nicht nach allein innerweltlichen Kriterien agieren darf. Reich und Kaiser sind einem universellen Heilsmodell unterworfen, welches – so stellt es sich zumindest vordergründig dar – feudaladlige Herrschafts- und Geltungsansprüche überblendet: Aspekte, wie die besitzorientierte Okkupation von Territorien, die Stiftung feudaler Abhängigkeiten, die Anhäufung von Reichtümern und ihre repräsentative Zurschaustellung in rituellen und pararituellen Zusammenhängen, treten fast vollständig hinter dem Anspruch der totalen Missionierung der Welt und ihrer Errettung zurück. Sie scheinen in einer Welt, in der Gott und Kaiser miteinander kommunizieren, die Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz fast selbstverständlich durch Engelsboten überbrückt wird, und allem Anschein nach Gott allein die Handlungsregeln vorgibt, nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Auf die Gesetze und Mechanismen fürstlicher Diplomatie, wie wir sie aus zahlreichen Chroniken und Epen kennen, spielt der Text in der zitierten Passage an, um sie als – in der vom Rolandslied inszenierten Welt – ungültige Regeln weitgehend auszuschließen: So thematisiert der Erzähler zwar die Möglichkeit einer mi[e]te (V. 372) der Heiden an Karl anstelle des Übertritts zum Christentum oder ihres Todes, aber auch nur, um sie sogleich zu verwerfen.

38 Rolandslied V. 371–376: im ne dorfte niman bieten | nicheiner slachte miten. | waren di o v berge alle guldin, | daz ne mochte in urv me sin, | dine heter alle nicht genomen, | sine weren in di cristinheit komen […]. 39 Dieses Argument – die Begründung von Gewalt gegen die Heiden – erinnert sehr an Bernhards von Clairvaux Schrift an die Tempelritter, in welcher er – in der Tradition der augustinischen Auffassung vom bellum iustum – den gewaltsamen Kampf gegen die Nichtchristen rechtfertigt, wenn diese sich auf keine andere Weise bekehren ließen. Vgl. Ad milites templi III, 4: Non quidem vel pagani necandi essent, si quo modo aliter possent a nimia infestatione seu oppressione fidelium cohiberi. 40 Richter (Kommentar, S. 124 f.) liest die hier thematisierte Möglichkeit, sich durch eine Gabe oder Zahlung (miete) von dem Zwang zum Glaubensbekenntnis zu befreien, im Sinne von ›Bestechung‹. Karls »Unbestechlichkeit« vergleicht er unter Verweis auf Dt 10, 17 gar mit jener Gottes.

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Demnach behauptet der Text, daß gewaltfreie Beziehungen, daß diplomatisch-geregelte Umgangsformen zwischen Christen und Heiden prinzipiell ausgeschlossen werden und daher unwahrscheinlich seien. Sentenzhaft nimmt er damit vorweg, was er im folgenden ausführlicher verhandeln wird. Saragossa, so heißt es, ist die einzige Stadt Spaniens, welche bisher die gewaltsame Mission der Christen abzuwehren vermochte. Hierher haben sich zahlreiche Heiden zurückgezogen, um sich vor der Taufe oder dem Tod zu retten. Doch König Marsilie fürchtet zu Recht die Vereinnahmung Saragossas durch das fränkische Heer und er weiß um die eigene militärische Unterlegenheit. Blanscandiz, einer der ältesten und weisesten Heiden im Rat Marsilies, rät, den römischen Kaiser zum Rückzug zu bewegen: ihm ein Friedensangebot zu unterbreiten, die Bereitschaft zur Vasallität und zur Unterwerfung weiterer heidnischer Gebiete anzutragen.41 Zum Beweis seiner Aufrichtigkeit möge Marsilie dem Kaiser Geiseln schicken und zum Zeichen der Anerkennung und Versöhnung (ze minnen, V. 462) kostbare Geschenke42 in Aussicht stellen. Aus der Defensive heraus thematisiert Blanscandiz – so ließe sich abstrahieren – Gabe und physische Gewalt als Ausschlußmöglichkeiten; begreift er die Gabe als Chance, um die nahe Gewalt zu bannen.43 41 Vgl. die Rede des Blanscandiz in der von Marsilie einberufenen Ratsversammlung (Rolandslied V. 459, V. 481–485): ›[…] inbiut dem keisere din dienest. […] du werdest gerne sin man, | daz riche wellest du uon ime bestan, | du gemachest ime cinshaft, | her nach uon dinir craft | uil manige heidenische riche […].‹ 42 Es handelt sich – wie in so vielen vergleichbaren Szenen in der mittelalterlichen Chronistik und Epik – um wertvolle exotische Tiere (lewen unde beren, uorloufte, o marhe, muzere, mule sowie olbenden; Rolandslied, V. 463–471) und rotes Gold (uunfcich karren […] der roten bisanten, V. 475/477) für die repräsentative Ausstattung des kaiserlichen Hofes. Die Gaben heben sich damit kaum von denen ab, welche Blancandrins in der Chanson de Roland (V. 30–34) nennt: »[…] Vos li durrez urs et leons et chens, | Set cenz camelz et mil hosturs muërs, | D’or et d’argent quatre cenz muls cargez, | Cinquante carre qu’en ferat cariër; Ben en purrat luër ses soldeiers […].« Ein grundlegender Unterschied besteht allerdings in der Auffassung der Edelmetalle: Während Gold und Silber in der Chanson de Roland vor allem als Lohn und damit als ›ökonomisches Kapital‹ an Karls Heer ausgezahlt werden sollen, wird im Rolandslied stärker die symbolische Dimension (ze eren, V. 478; ze minnen, V. 462) des – wenngleich gemünzten – roten Goldes herausgestellt. Wird Gold durch die Prägung eindeutig zum Zahlungsmittel, muß allem Anschein nach sein symbolischer Wert geradezu betont werden. 43 Zu absolut also formuliert Müller, wenn er davon ausgeht, daß Geschenke dann »nicht mehr ausgetauscht [werden], wenn Gewalt droht« (Spielregeln, S. 354). Obgleich nämlich auch Blanscandiz zu gewaltsamen Kämpfen bereit ist, sobald sich das Heer Karls auflösen wird (Rolandslied V. 553–558), sind es zunächst gerade Gaben, die der drohenden physischen Gewalt entgegengesetzt werden sollen.

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Der Heide greift allem Anschein nach auf alle Erfolg versprechenden Rituale und Mechanismen eines Friedensangebotes zurück, aber er weiß auch, daß weder die kostbaren Gaben noch Dienst- und Tributangebot oder selbst Geiseln44 den Versöhnungswunsch der Heiden gegenüber dem römischen Kaiser glaubhaft machen können. Zur Aufhebung des Krieges werden allein ihr Bekenntnis zum Christentum sowie ihre Bereitschaft zur Taufe und vielmehr noch die glaubwürdige Inszenierung eines solchen – freilich nur suggerierten – Willens führen: Zwölf der vornehmsten Heiden, welche von Blanscandiz angeführt werden, brechen als Boten in Karls Lager vor der Stadt Cordova auf. Sie werden sich, dem Wunsch Marsilies folgend, so ausstatten und in Szene setzen, daß Karl sie empfangen und anhören muß:45 So geschieht es, daß die heidnischen Boten im Lager Karls46 mit reicher Gabe und Palmwedeln – Siegeszeichen der christlichen Märtyrer und Zeichen des erhofften Paradieses –47 in der Hand erscheinen. Vor dem Kaiser knien sie nieder und unterbreiten ihm – gleichsam im Modus eines Gebetes – in Christi Namen Marsilies Vorschläge. Für den Fall, daß Karl die mitgebrachte Goldgabe und damit das Angebot der Heiden annehmen werde (unde heizet enphahen

44 Weil Blanscandiz den noch lebenden Heiden, vor allem der eigenen Sippe, Frieden garantieren und sein Erbland sichern will, ist Blanscandiz selbst entschlossen, das Leben eines seiner Söhne aufs Spiel zu setzen, und er fordert den König auf, ebenso zu handeln (Rolandslied, V. 519–525). Um zu verhindern, daß die gewaltsame Mission der Christen auch auf Saragossa übergreift, müssen die Heiden – so liest sich die Argumentation des Weisen – nicht nur zur Abgabe von Schätzen bereit sein, sondern gegebenenfalls auch zu Opfern. Von letzteren, von einem dauerhaften Entbehrenmüssen oder gar vom Tod ihrer Söhne, geht Blanscandiz freilich nicht wirklich aus. Denn noch bevor Karl die Falschheit des heidnischen Angebotes bemerkt haben wird, will er die Geiseln längst aus den Händen der Christen befreit haben (Rolandslied, V. 561–564). o o 45 Rolandslied V. 593–601, V. 605: ›[…] durch iwer selber gute | machet uch demute. | neo met palmen in die hant, | – iz ist uns ze sorgen gwant – | zechne blanche mule | scone un¯ o o ture, | mit golde geladen, | so die meiste mugen getragen, | deme keiser ze minnen […]. di christinheit wil ich ane gan […].‹ 46 Augenfällig wird an dieser Episode, daß der Hof dort seinen Mittelpunkt hat, wo der Kaiser selbst weilt. Es handelt sich nämlich keineswegs um ein schlichtes Feldlager, sondern um eine überaus prachtvolle und repräsentative Hofhaltung. Zur Beschreibung des Hoflagers und zur Karlsdarstellung in dieser Szene vgl. Knappe, Repräsentation, S. 64–71 sowie Ott-Meimberg, die Karls Aufenthalt vor Cordova als Hoftag interpretiert: Kreuzzugsepos, S. 86–108, besonders S. 108–116. Vgl. ferner – aus wahrnehmungstheoretischer Perspektive – die Analysen Wenzels, Hören und Sehen, S. 395–400, Partizipation und Mimesis, S. 191 f. 47 Zur Bedeutung des Palmwedels vgl. Flemming, Palme.

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die gebe, V. 615),48 versprechen sie ihm in Stellvertretung ihres Königs weitere Schätze.49 Die List der Heiden besteht also darin, daß sie auf spezifisch christliche Zeichen zurückgreifen, um nicht allein ihre Konzessionen an die Politik Karls im diplomatischen Sinne, sondern auch an seinen Heilsanspruch offensichtlich zu machen. Den Christen machen sie mit Worten und sichtbaren Zeichen die Bereitschaft zur Assimilation, zum Eintritt in die eine in sich gegensatzlose Heilsgemeinschaft glaubhaft. Ihre eigene Demütigung und die Unterwerfung, die sie vortäuschen, erfolgen also nicht nur nach politisch-diplomatischen Kriterien, sondern zugleich als ein Ritual, welches das Wissen der Heiden um christliche Symbole sowie heilsgeschichtlich bedeutsame Gebärden und Choreographien voraussetzt. Die mehr oder minder gelingende symbolische Wirkung ihrer Inszenierung am Hof Karls beruht »auf der Macht über […] Leib und Glauben«50 der Christen, welche vor allem eine Macht des Wissens und seiner geschickten Instrumentalisierung in der Mimesis christlicher Rituale ist. Karl – so läßt die Darstellung seiner Figur offenbar werden – ist dieser Macht ausgeliefert. Im Gedenken an den Einzug Christi in Jerusalem vertraut er den wahrgenommenen Zeichen51 zumindest so weit, daß er Marsilies Boten Schutz gewährt und 48 Die Möglichkeit, daß der Kaiser die Gaben auch ablehnen könnte, wird also von vornherein mitreflektiert. Auffällig ist darüber hinaus, daß der eingangs verwendete – eher negativ konnotierte – Begriff miete in der gesamten Episode nicht auftaucht, sondern nur von der gebe der Heiden die Rede ist. 49 Der Katalog heidnischer Gaben, welcher Karl in Aussicht gestellt werden soll, wird dreimal (als Vorschlag des Blanscandiz gegenüber Marsilie: Rolandslied V. 463–477, als Botschaft Marsilies an Karl: Rolandslied V. 618–621, als Wiederholung der Botschaft durch die Boten vor dem Kaiser: Rolandslied V. 743–751) benannt. Die Vermutung liegt nahe, daß allein schon diese auffälligen Wiederholungen des Gabenkatalogs viel über die Bedeutung von Gaben im Rahmen diplomatischer Verhandlungen aussagen. 50 Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 128. 51 Rolandslied V. 820–829; vgl. dazu Richter, Kommentar, S. 133, S. 188. Eine genaue Wiedergabe der Evangelien – nicht Christus trägt die Palmwedel, sondern wird mit solchen empfangen (Io 12, 13) – tritt zugunsten der Analogisierung der Geschehnisse in den Hintergrund. Daß (christliche) Zeichen und Gesten in der mittelalterlichen Kultur einen hohen Stellenwert besaßen, wenn es darum ging, die Wahrheit gesprochener Worte sichtbar zu machen, zeigt etwa Wenzel, Partizipation und Mimesis, S. 193–199. Das große Vertrauen auf optisch wahrnehmbare Zeichen birgt freilich immer auch – dies führt das Rolandslied vor – die Gefahr ihrer Manipulierbarkeit zum Zweck der Täuschung. Vgl. dazu Huber (›Wort sint der dinge zeichen‹, besonders S. 109), der den möglichen Mißbrauch von signa data, näherhin von Wort und Gebärde, vor dem Hintergrund von Augustins Zeichenlehre (Kapitel II. 2. b) diskutiert.

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vorerst auf die gewaltsame Übernahme der noch heidnischen Gebiete verzichten will: ›[…] selbe der ware gotes sun, […] o ein esel er zu Iherusalem reit, du er di martir durch uns leit. o einen palmen uurte er in der hant. nu birt ir her zu mir gesant o un¯ uuret daz selbe zeichin. minem zorne muz ich intwichin […].‹ (Rolandslied V. 820–827) (»Der wahre Sohn Gottes selbst ritt auf einem Esel in Jerusalem ein, wo er das Martyrium für uns erlitt. Einen Palmwedel trug er in der Hand. Nun seid ihr zu mir entsandt und führt das gleiche Zeichen. Ich muß meinen Zorn aufgeben.«)

Mit einer Ausnahme beschwören dagegen die zum Rat versammelten Fürsten und Bischöfe52 – in der Wortwahl variierend, aber mit ähnlichen Argumenten – den Kaiser, das Angebot der Heiden auszuschlagen. Roland, welcher zuerst das Wort ergreift, weist den Vorschlag der Heiden aus verschiedenen Gründen zurück. Erstens äußert er – wie der Rezipient weiß, zu Recht – sein grundsätzliches Mißtrauen gegenüber Marsilie. Den sichtbaren Zeichen, welche die Rede der Heiden glaubwürdig erscheinen lassen sollen, begegnet er mit Skepsis.53 Bereits dieses Argument würde vermutlich alle weiteren Diskussionen hinfällig machen, wenn Roland gegenüber dem Kaiser den entsprechenden Beweis gegen die scheinbar evidente Glaubwürdigkeit der Botschaft erbringen könnte. Als zweiten Grund führt Roland an, er selbst besitze so große Mengen an Gold, daß er die Schätze der Heiden mitnichten benötige.54 Ganz auf der Ebene einer Logik der Gabe, welche allen Austausch, alle weitere Kommunikation, aber auch alle Verpflichtungen ausschließt, sobald eine Gabe abgelehnt wird,55 argumentiert Roland 52 An dieser Stelle unterscheidet sich das Rolandslied entscheidend von der Chanson de Roland, in der sich allein Roland gegen das Angebot der Heiden wendet (Chanson de Roland V. 194–217). Vgl. ferner Ott-Meimberg (Kreuzzugsepos, S. 116–163), die die Ratsszenen detailliert und tiefgründig unter rechtshistorischer Perspektive behandelt. 53 Rolandslied V. 912: ›Marssilie hat durch liste here gesant […].‹ 54 Rolandslied V. 914–916, V. 929: ›[…] ia mach man da gwinne | maniger richeite uile, | swer iz da nemen wil […]: goldes han ich genuch […].‹ 55 Vgl. Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 24 f.

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an dieser Stelle. Denn die Reichtümer Marsilies anzunehmen, hieße, die Zusage der Heiden für ›bare Münze‹ zu nehmen. Akzeptierten die Christen die Gaben, müßten sie sich verpflichten, ihre bisher vor allem blutig verlaufene Mission abzubrechen, umzukehren und geduldig darauf zu warten, daß die Heiden ihr Versprechen einlösen und am St. Michaels-Tag bereitwillig zu ihrer Taufe nach Aachen kommen. Die Schlacht gegen die Heiden wäre in dem Moment, in dem die Christen die Gaben annähmen, beendet. Aber Roland – so lautet sein drittes Argument – war einst nicht auf Grund der heidnischen Schätze in den Krieg gezogen, sondern allein um sich selbst im Dienst an Gott zu opfern.56 Dieses Opfer, und entsprechend das ewige Leben als Lohn Gottes, wie ihn Karl beim Aufbruch prophezeit hatte,57 blieben ihm nun versagt. Der Gabendiskurs, wie wir ihn aus verschiedenen anderen Beispielen kennen, schlägt von einem Vers zum anderen in einen Opferdiskurs um. Roland setzt den kostbaren Geschenken und damit auch dem Tauf- und zugleich Friedensangebot der Heiden seine eigene Opferbereitschaft, den Willen zur Fortsetzung der gewaltsamen Heidenmission unter Einsatz seines Lebens entgegen. Unterstützung findet er darin durch Olivier und Naimes, die ebenfalls in Auseinandersetzung mit dem Verhandlungsangebot der Heiden Gabe und Gewalt als Ausschlußmechanismen diskutieren. Beide thematisieren sie Gewalt beziehungsweise verschiedene Äußerungsformen gewalttätigen Agierens als einzig mögliche Antwort auf das Angebot des Heidenkönigs: Während sich Olivier auf keine Versöhnung mit den Heiden einlassen möchte, solange nicht deren Heiligtümer zum Preis des eigenen Gottes völlig zerstört worden sind,58 fordert Naimes allererst ein blutreiches Abschlachten der Gegner.59

56 Rolandslied V. 930 f.: ›[…] du ich mich aller erste uz hup, | du ophert ich den lib […].‹ 57 Vgl. Karls Aufruf zur Heidenmission: ›[…] swer durch got irstirbit, | ich sage iu waz o er da mit erwirbít: | eine kunincliche chrone | in der marterere chore […]‹ (Rolandslied V. 101–104). 58 Rolandslied V. 945–958: ›[…] uirende wole din arbeite, […] heiz brechen un¯ brennen | ir uile unreine betehus: […] den ir guldinen uluz | heiz si selbe stoeren | gote ze lobe un¯ ze eren […].‹ Legitimiert wird die Zerstörung der heidnischen Kultstätten insofern, als diese den Christen als Orte des Teufels gelten. Mit der vehementen Ablehnung heidnischer Kultstätten ist zugleich eine grundsätzliche Kritik an den Opferpraktiken der Heiden verbunden: ›[…] daz lút si hin furent | unt opherent si den apgoten; | daz ist des tuvelis spót […]‹ (Rolandslied V. 204–206). v 59 Rolandslied V. 1030–1034: ›[…] waz maere ist mir Marssilien gebe? | wir scholen in daz o o o ire lant, | wir geurumen blutigen rant, | wir schulen uol herten | mit den unseren guten swerten […].‹

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So wie Roland, Olivier und Naimes verlangt schließlich auch der Bischof Turpin von den anwesenden Fürsten, daß sie den heidnischen Schätzen gleichgültig gegenüberstehen mögen. Und stärker noch als Roland oder Olivier weiß er – in seiner unverkennbar predigthaften Rede60 – den Aufruf zur Fortführung der martialischen Mission mit Anspielung auf die Auslegungstradition des Weinberggleichnisses (Mt 20,1–16)61 theologisch zu begründen und zu legitimieren.62 Diese eben fokussierten Szenen behandeln – so könnte man abstrahieren – in paradigmatischer Hinsicht die Frage nach der Logik ausgeschlagener Gaben. Sie erzählen von den Umständen und Gründen für die Ablehnung, und darin ähneln sie bis zu einem gewissen Punkt einigen anderen Erzählungen, die besonders prekäre Gaben-Situationen thematisieren. Gemeint sind näherhin Szenen, in welchen die Annahme von Gaben als prinzipiell unwahrscheinlich vorgeführt wird, Konstellationen, in denen Angebot, Übergabe und Akzeptanz von Gaben jedenfalls nicht konfliktfrei vonstatten gehen: gestörte oder gar scheiternde Rituale. Eine der wohl bekanntesten Episoden, die solches diskutiert, möchte ich im folgenden vergleichend in die Überlegungen einbeziehen, um den Blick dafür zu schärfen, daß die – gleichwohl von theologischen Argumenten bestimmte Rede im Rolandslied – zunächst aus einem feudaladligen Gabendiskurs heraus entwickelt wird. Es handelt sich um die 24. Aventiure des Nibelungenliedes, genauer jenen Teil, der davon erzählt, wie die Spielleute Wärbelîn und Swemmelîn im Auftrag Etzels und Kriemhilts nach Worms reisen, um den Burgonden eine Einladung an den Etzelhof zu überbringen: Kaum sind die Boten Etzels und Kriemhilts in Worms angekommen, wechseln sie ihre Kleider und verschenken – in einem für Spielleute spektakulären Akt der milte – ihre kostbaren Reisegewänder an die-

60 Zu den liturgienahen Strukturen der Turpin-Rede vgl. Wentzlaff-Eggebert, Kreuzzugsdichtung, S. 87–91, Backes, Bibel, vor allem S. 111, Richter, Kommentar, S. 211–223, Urbanek, Lob- und Heilsrede, S. 223 f. 61 Vgl. hierzu Richter, Kommentar, S. 211–224. o 62 Rolandslied V. 976–1007: ›[…] mir geuellet uile ubele, | der des morgenes in den wingarten gét, | daz er uor uesper uz uert. […] ir schult wole getruwen | daz û der himilische wirt […] lone nach uwereme dinge | mit einem phenninge: | daz ist daz himilriche […]. lat iu wesen ummere | die gebe Marssilien: | eruulte er dizze gebirge | uon rotem golde, | ich o ne weiz waz iz mir solde | uure den ewigin lib […].‹

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jenigen, die sie begehren.63 Gunther wiederum möchte die Boten selbst großzügig beschenken,64 aber jene lehnen seine Gaben, wie Jan-Dirk Müller gezeigt hat, mit reichlich absurd erscheinenden Begründungen ab:65 »her künic, lât iuwer gâbe hie ze lande sîn« (Str. 1489). Das erste Argument lautet, daß sie die Kostbarkeiten ohnehin nicht tragen könnten: »wir mugen ir doch niht füeren« (Str. 1489). Dies erweist sich allerdings im Augenblick ihrer Abreise als Finte, dann nämlich, als sie schließlich doch die angebotenen Reichtümer und darüber hinaus Uotes Gaben an den Hof des Hunnenkönigs mitnehmen. Zweitens habe Etzel ihnen verboten, Gaben anzunehmen: »mîn herre iz uns verbôt, daz wir iht gâbe næmen« (Str. 1489). Und drittens bedürfe keiner von Etzels Untergebenen einer Gabe von anderen Herrschern: »ouch ist es harte lützel nôt« (Str. 1489).66 Gunther erweckt mit seinen Gaben den Eindruck einer intakten Beziehung, die jedoch spätestens seit Sîfrits Tod Kriemhilts Rachebegehren gewichen ist.67 Schon deutlicher spiegelt sich diese Spannung im Verhalten der Boten wider, die zwischen den Gebern genau zu differenzieren wissen. Denn Wärbelîn und Swemmelîn nehmen nur solche Gaben gern an, die ihnen – wie jene von Kriemhilts Mutter – mit triuwen (Str. 1492) überreicht werden. Gunthers Gaben gehören allem Anschein nach nicht dazu. Denn wäre das Verhältnis zu ihm ungetrübt – eines, welches ebenfalls auf triuwe basierte –, wäre die Akzeptanz seiner Präsente wohl ebenso selbstverständlich wie die Annahme

63 Nibelungenlied Str. 1434 f.: Ir reisekleider wâren rîch und sô wól getân, […] der enwólden si niht mêre dâ ze hove tragen. ob ir iemen ruochte, die boten híezén daz sagen.

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In der selben mâze man ouch liute vant, die ez vil gerne nâmen; den wart ez gesant. Von Unmengen Gold und rîchiu gâbe (Nibelungenlied Str. 1487) ist die Rede. Vgl. – unter der Überschrift »Gestörte milte« – Müller, Spielregeln, S. 353–356. Von dem unerschöpflichen Reichtum Etzels, an welchem auch seine Vasallen teilhaben, berichtet an späterer Stelle auch Rüdiger gegenüber den Burgonden (Nibelungenlied Str. 1688–1706, besonders Str. 1690). Daran erinnert Hagen, der sich auch aus diesem Grund gegen die Reise an den Etzelhof ausspricht (Nibelungenlied Str. 1459): »[…] Nu ist iu doch gewizzen, waz wir haben getân. wir mugen immer sorge zuo Kríemhilde hân, wand ich sluoc ze tôde ir man mit mîner hant. wie getórste wir gerîten in daz Etzelen lant?«

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von Uotes Gaben. Gewiß mag es seltsam anmuten, daß ausgerechnet Spielleute, die ansonsten der »epische[n] Konvention« nach, von Fürsten »bis zur Besinnungslosigkeit« beschenkt werden, Gunthers Gaben ausschlagen.68 Doch hier sind sie allererst als Diener und Stellvertreter des Hunnenkönigs nach Worms gekommen. Ihm sind sie verpflichtet und seinem Gebot folgen sie. Die Ablehnung von Gaben ist immer auch ein Machtgestus, der den eigenen Reichtum – welchen die beiden mit der Vergabe ihrer auserlesenen Reisekleider repräsentativ vorzuführen wissen – und damit auch die eigene Herrschaftsposition absolut setzt, der jegliche Überbietung von vornherein unmöglich macht. Aber es ist Etzels Geltungsanspruch, welcher sich in dem Verbot zur Annahme von Geschenken manifestiert; Wärbelîn und Swemmelîn lehnen als Boten Etzels und nicht als Spielleute ab.69 Die verweigerte Annahme der großzügigen Gaben ist ganz klar ein Affront gegen den Burgondenkönig, durch welchen seine Ebenbürtigkeit gegenüber Etzel in Frage gestellt wird. Die Ablehnung bedeutet einen Angriff auf seine Ehre, der dazu führt, daß der unausgesprochene Konflikt zwischen Etzel und Gunther beinahe offen eskaliert. Über die Haltung der Boten zeigt sich Gunther so verärgert (vil ungemuot, Str. 1490), daß sie schließlich nachgeben und seine Gaben annehmen. Gunther erweist sich also vorerst als der Überlegene im Agon. Ihm gelingt es – Konkreteres bleibt allerdings verschwiegen –, den Boten Etzels und damit auch dem Hunnenkönig selbst, seine Gaben aufzuzwingen. Und nur so kann wohl verhindert werden, daß die rituellen Garantien des Schenkens endgültig versagen, und daß bereits an dieser Stelle symbolische in offene Gewalt umkippt. Als ein Vorspiel zum Untergang der nibelungischen Welt – des Scheiterns aller bisher rituell gesicherten Ordnung und des Ausbruchs gegenseitigen Abschlachtens am Hunnenhof – liest sich

68 Müller, Spielregeln, S. 355. 69 Von ähnlich miteinander konfligierenden Rollen erzählt auch die Kudrun im Rahmen der Werbung Hetels von Hegelingen um Hilde von Irland: Die drei Werbungshelfer (Horant, Frute und Wate) geben sich als Kaufleute – Horant auch als Sänger – aus und verschenken – auf eine für Kaufleute reichlich ungewöhnliche Art – großzügig Kostbarkeiten an diejenigen, die sie nicht käuflich erwerben wollen (Kudrun Str. 325). Als Hagen die drei zum Abschied mit Gaben bedenken möchte, lehnt Wate diese mit denselben Gründen wie die Boten Etzels im Nibelungenlied ab: Er verweist auf seinen eigenen Reichtum und die Bindung an Hetel (Kudrun Str. 434). Hagen weiß allerdings nicht, daß Horant, Frute und Wate die Gaben ablehnen und zudem selbst noch generös sein können, weil sie eben gerade nicht Sänger oder Kaufleute, sondern die Werbungshelfer eines reichen Fürsten sind.

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diese Episode ohnedies.70 So bleibt festzuhalten, daß das Austarieren von Kräften im Nacheinander von Gabenangebot, Ablehnung und schließlich aufgezwungener Gabe Strukturen und Mechanismen feudaler Macht und heroischer Gewalt erahnen läßt, noch bevor sie offen hervorbrechen.71 Liest man im Anschluß an die skizzierten Befunde zum Nibelungenlied erneut die Reden der kaiserlichen Paladine im Rolandslied, welche sich gegen die Akzeptanz heidnischer Gaben richten, wird vor allem eines deutlich: Beide Erzählungen partizipieren ganz offensichtlich an ein und demselben Wissen über die Folgen ausgeschlagener Gaben für das Verhältnis zwischen Agierenden mit ähnlichen Geltungsansprüchen. Ausgeschlagene Gaben lassen klar das gestörte Verhältnis zwischen Geber und Annahmeverweigerer zutage treten, und sie ziehen nahezu unaufhaltsam Akte offener Gewalt nach sich. Denn die Ablehnung von 70 Diese Szene ist nur eine in einer Reihe von zahlreichen Gaben-Episoden, die allesamt auf den Untergang der Nibelungenwelt vorausweisen: So werden beispielsweise Sîfrit die ›Beweisstücke‹ Ring und Gürtel der von ihm überwältigten Prünhilt, welche er Kriemhilt später als Gabe überreicht, zum (tödlichen) Verhängnis (Nibelungenlied Str. 679–684). Nach Sîfrits Tod versenkt Hagen den Nibelungenschatz – Kriemhilts morgengâbe (Str. 1116) –, weil er zu Recht befürchtet, daß die Königin mit der Vergabe ihrer Reichtümer zu viele Gefolgsleute verpflichten werde, und sich damit die mit dem Hort verbundenen Gewalt- und Machtpotentiale gegen ihn und Kriemhilts Brüder richten könnten (Str. 1127– 1137). Als Gattin des reichen Königs Etzel versucht Kriemhilt tatsächlich mehrfach Recken mit reicher Gabe an sich zu binden, um sie für ihre Rachepläne zu gewinnen (Str. 1765, Str. 1904–1908, Str. 2025, Str. 2129 f.); dem Hiunen Blœdelin verspricht sie für den Fall, daß er sie in ihrem rachsüchtigen Agieren gegen die Burgonden unterstützen werde, unter anderem Nuodungs Witwe ze miete (Str. 1906). Rüdiger wird schließlich mit jenem Schwert getötet, welches er Gernot als Gabe überlassen hatte. Die Gabe wird also zum Mordinstrument, das sich gegen den Geber selbst richtet (vgl. die Beschreibung der Übergabe und die Vorausdeutung des Erzählers Str. 1696). Hagen – um noch ein letztes Beispiel zu nennen – begeht gegenüber Gotelint einen doppelten Fauxpas, indem er ihre Gaben ablehnt und statt dessen den Schild Nuodungs verlangt, an dessen Tod Gotelint damit schmerzlich erinnert wird (Str. 1697–1703). 71 Daß der Konflikt schnell beigelegt und damit die Feindschaft zwischen Kriemhilt und den Burgonden an dieser Stelle noch nicht eskaliert, hat vor allem erzähllogische Gründe: Noch ist die Zeit für die endgültige Destruktion der nibelungischen Welt nicht gekommen. Oder anders formuliert: Die Gaben-Szene spiegelt die konflikthaften Konstellationen innerhalb dieser Welt wider und weist auf deren Eskalation voraus, aber die abgelehnte Gabe selbst ist – auf der Ebene der erzählten Handlung – nicht der Auslöser für offene Feindschaft. Im Dienste epischer Vorausdeutung wird das Konfliktpotential abgelehnter Gaben zwar anzitiert, aber nicht zu Ende erzählt.

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Gaben – als Exponierung von Macht (potestas), als Form verschleierter oder auch symbolischer Gewalt – führt zum Abbruch aller Kommunikation und beinahe immer zum Durchbruch physischer Gewalt (violentia). Gunthers Zorn als Reaktion auf die ablehnende Haltung der Boten gegenüber seinen Schätzen indiziert diesen Zusammenhang ebenso wie etwa Rolands Rede, in welcher er Gabe und Gewalt dezidiert als Alternativen benennt. Während allerdings im Nibelungenlied der Ausbruch physischer Gewalt erst droht und durch die Annahme von Gaben vorläufig aufgeschoben werden kann, geht es dagegen im Rolandslied darum, dieser mit der Akzeptanz von Gaben und aller damit verbundenen Versprechen ein Ende zu setzen. Parallelen finden sich ferner in den Begründungen für die verweigerte Annahme von Gaben: Ähnlich wie Etzels Boten lehnt Roland das in Aussicht gestellte Gold mit der Begründung ab, er habe es auf Grund seines eigenen Reichtums nicht nötig. Damit werden von vornherein alle weiteren Höflichkeits- und Versöhnungsrituale verweigert und alle Verpflichtungen, die sich aus der Annahme der Gaben gegenüber dem Geber ergeben könnten, abgewehrt. Roland hält den heidnischen Schätzen – in einem Überlegenheit signalisierenden Gestus – seinen eigenen Reichtum entgegen. Daß er jedoch dementsprechend jeden Handel oder Ausgleich mit den Heiden verweigert, bedeutet nicht, daß er dies aus eigener Autonomie oder Machtposition heraus täte. Vielmehr folgt auch Roland einem Gebot, welches ihm die Annahme der heidnischen Gaben unmöglich macht, und ihn statt dessen auf den lon (V. 96) seines Herrn vertrauen läßt. Der grundlegende Unterschied besteht allerdings darin, daß sich Wärbelîn und Swemmelîn auf das Annahmeverbot eines weltlichen Herrschers berufen, Roland sich aber – wie alle anderen Christen, einschließlich des Kaisers – allererst Gott verpflichtet hat. Für ihn will er auf alle weltlichen Güter und Werte, erst recht auf jene durch liste (V. 912) in Aussicht gestellten Gaben der Heiden, verzichten. Rolands Argumentation greift über die der feudalen Welt immanenten Gabenlogiken hinaus. Seine Ablehnung spiegelt nicht allein die Feindschaft zu den Heiden wider, sondern eine elementare Verschiedenheit zwischen heidnischer und christlicher Welt, die Gott einst befohlen hatte, aufzuheben: Zum Vasall Gottes wurde Roland, als er das magische Schwert Durndart empfing.72 Mit dieser Gabe seines Lehns72 Vgl. dazu auch Knappe (Repräsentation, S. 118–121), der Durndart als »Heilszeichen und Heldensignum mit herrschaftszeichenhaften Zügen« (S. 121) beschreibt. Vgl. ferner Bertau, der auf die doppelte Lehnsbindung verweist: »Durch

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herrn hat er – im Namen des Gottesohnes – unter anderem den Auftrag zur Heidenmission übernommen, den er nun nicht unvollendet aufgeben kann und will. Die Geschichte Durndarts erfährt man erst sehr spät, nämlich unmittelbar vor dem Tod des Helden. Sie besagt viel über den Entwurf der Welt im Rolandslied, in die der Held eingebunden ist, ganz besonders aber über das Verhältnis von Immanenz und Transzendenz, über Sichtbares und Unsichtbares sowie über Verfügbares und Unverfügbares – und mehr noch über den Versuch, darüber zu erzählen: ›[…] iane wart din geliche nie gesmidet uf dirre erde, […] ze Moriana in dem tal der engel dich mine¯ herren brachte. gnadiclichen er min gedachte, benamen er mich nante: v er hiez mir Rolante Karln den kaiser zebeschirmen witewen unt waisen dich Durndarten umbe binten. […] o mines herren sent Petres blut, diu herschaft sent Plasien, des hares mines herren sent Dionisien, des gewates miner frouwen sent Marien, der kaiser newolte nie beliben unz in dir uersigelet wart diu uil groze herschaft. nune will ich nehainen erben zu dir mere wan den adel herren der durch suntare geborn wart: der gebot mir dise heruart […].‹ (Rolandslied V. 6858–6884) (»Nie wurde deinesgleichen auf dieser Erde geschmiedet: Im Tal von Moriana brachte dich der Engel meinem Herrn. Gnädig gedachte er meiner, er nannte mich bei meinem Namen: Er befahl, daß Kaiser Karl mir, Roland, zum Schutz von Witwen und Waisen dich, Durndart, umgürten solle. Blut meines Herrn St. Peter, Reliquien von St. Blasius, Haar meines Herrn St. Dionysius, ein seinen irdischen Lehnsherrn wird Roland zum Werkzeug des klassischen Kaiserauftrags, Witwen und Waisen zu beschützen. Aber der irdische Lehnsherr ist nur der Mittler des himmlischen, der Roland namentlich dazu beruft« (Repräsentationskunst, S. 344 f.).

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Stück vom Kleide meiner lieben Herrin St. Marien, – der Kaiser wollte nicht ruhen, bis in dir all diese kostbaren Reliquien eingeschlossen waren. Jetzt wünsche ich keinen anderen Erben für dich als den edlen Herrn, der für die Sünder geboren wurde. Der befahl mir diesen Krieg.«)

Die Geschichte des Schwertes legt offen, welche Schwierigkeiten sich mit der Vorstellung von einer materiellen göttlichen Gabe verbinden, einem Gegenstand also, mit welchem zutage tritt, was ansonsten weitgehend verborgen bleibt. Sie handelt – wie ich meine – von der Paradoxie, daß der christliche Gott anwesend ist und doch stets unsichtbar bleibt. Gott wirkt freilich auch in der immanenten Welt, doch wahrnehmbar sind dort nur die Folgen seiner Gnade. Deshalb kann der mittelalterliche Text auch nicht davon erzählen, daß Gott seine Gabe Roland selbst reicht.73 Als Geber ist er gegenwärtig, aber er tritt nicht sichtbar in Erscheinung. Wovon allein erzählt werden kann, ist, daß dem Kaiser ein Engel erschienen war, der ihm im Auftrag Gottes ein Schwert für Roland übergeben hat. Gottes Gnade an Karl und seinem Neffen ist mit Durndart im Hier-und-Jetzt gegenwärtig geworden. Doch auch der göttlichen Gabe selbst ist die Paradoxie des Sichtbar-Unsichtbaren inhärent. Denn sichtbar ist wiederum nur die magische Wirkung des Schwertes, nicht seine Herkunft aus der Transzendenz: Die Einzigartigkeit Durndarts zeigt sich allein in Rolands Siegen und in seiner Unzerstörbarkeit. In und mit dem Schwert nämlich wirkt Gott, der selbst unsichtbar bleibt, seine Wunder: ›[…] got wil siniu wunter hi erzaio gen der gute Durndart sine tugent erscainen‹ (V. 3897 f.). Und trotz aller Gewalt bleibt das Schwert ane mal unt ane scarte (V. 6823). Als Werk Gottes erkennt man es nur, weil unsichtbar bleibt, was bei jedem profanen Gegenstand sichtbar werden würde: Kratzer und Scharten als Folgen heroischer Gewalt. Aber, so als wären Ursprung und Heil der göttlichen Gabe noch nicht ausreichend präsent gemacht, wird ferner davon erzählt, daß Karl das Schwert zusätzlich mit Reliquien ausstatten ließ:74 73 Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal an die Unterschiede zwischen den mittelalterlichen Eneas-Romanen und der Aeneis: Während im antiken Epos die Göttin Venus ihrem Sohn Aeneas die von Vulkan geschmiedeten Waffen persönlich überreicht, fügen die mittelalterlichen Verfasser Boten ein (vgl. dazu Kapitel 3.6). Es zeigt sich also sowohl am Beispiel der Eneas-Romane als auch an dem des Rolandsliedes, daß die Kommunikation zwischen immanenter und transzendenter Welt in den mittelalterlichen Entwürfen immer nur zeichen- und stellvertretervermittelt gedacht wird. Nicht Gott oder die Götter selbst überreichen ihre wundersamen magischen Gaben, sondern Engel oder sonstige Boten. 74 Vgl. dagegen die göttlichen Waffengaben in den antiken Epen – beispielsweise in Homers Ilias oder Vergils Aeneis – sowie ebenfalls jene in den mittelalterlichen

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mit primären Reliquien der Heiligen Petrus, Blasius und Dionysius sowie einer Sekundärreliquie, nämlich einem Stück des Gewandes Mariä.75 Aber auch dies gehört wohl zu den Paradoxien des christlichen Glaubens, daß das Wissen um die Herkunft des Schwertes von Gott allein nicht genügt. Die Gegenwart des göttlichen Heils muß darüber hinaus in einem ganz und gar substantiellen Sinne – nämlich mit Blut, Haaren und Körperteilen von Märtyrern, an denen im Akt ihrer Gottverähnlichung das Heil ein für alle Male sichtbar präsent wurde –76 vorgeführt werden.77 Romanen, die auf antike Texte zurückgehen – etwa den mittelalterlichen EneasRomanen (vgl. wiederum 3.6). Dort verspricht schon allein ihre göttliche Herkunft – das Werk des Hephaistos/Vulkan – magische Unzerstörbarkeit und den Sieg des Helden. 75 In der Chanson de Roland (V. 2345–2348) sind im Knauf des Schwertes folgende Reliquien eingelassen: ein Zahn des heiligen Petrus und Blut des heiligen Basilius (La dent seint Per(r)e et del sanc seint Basilie, V. 2346), Haar des heiligen Dionysius (des chevels mun seignor seint Denise, V. 2347) sowie ein Stück des Kleides Mariä (Del vestement i ad seinte Marie, V. 2348). Vgl. dazu Bertau, Repräsentationskunst, S. 348. Im Kapitel 4.3.1 werde ich näher darauf eingehen, warum der Verfasser des Rolandsliedes die Blutreliquie des heiligen Basilius gegen Reliquien des heiligen Blasius ausgetauscht haben mag. 76 Zur Bedeutung von Reliquien von der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit vgl. grundlegend die Arbeiten von Angenendt, Heilige und Reliquien sowie ›Corpus incorruptum‹, Legner, Reliquien, Walker Bynum, Fragmentierung. Zu vielfältigen Äußerungsformen des Verlangens nach der Anschaulichkeit des Heiligen – insbesondere im Übergang zum hohen Mittelalter – vgl. Kroos, Reliquien, vor allem S. 30, Wenzel, Hören und Sehen, S. 99–104, Diedrichs, Sichtbarkeit der Reliquien. 77 Dort, wo es Unvertrautes und Unfaßbares zu veranschaulichen gilt, greift der Erzähler immer wieder auf immanent Erfahrbares zurück. Dies trifft nicht nur dann zu, wenn die Beziehung zwischen Roland und Gott in Analogie zu einer Lehnsbindung beschrieben oder die magische Wirkung des ohnehin göttlichen Schwertes auf die in seinem Griff eingeschlossenen Reliquien zurückgeführt wird, sondern auch dann, wenn es um die Alternative zur Annahme der heidnischen Gaben geht. Obgleich Gott aller Verfügbarkeit entzogen ist und sich insofern auch nicht auf ein Geben und Nehmen nach innerweltlichen Regeln festlegen läßt, wird die Verpflichtung ihm gegenüber, auf welche sich die kaiserlichen Paladine in ihrer Argumentation berufen, letztlich nicht anders als ein feudales DienstLohn-Verhältnis beschrieben: Gott wird die für ihn getane arbeite (V. 945) selbst lone[n] (V. 985). Was es heißt, auf den Lohn Gottes zu hoffen, formulieren im Anschluß an Roland und Olivier die beiden Bischöfe: Während Turpin daran erinnert, daß Gott denen, die den Opfertod sterben, das ewige Leben (den ewigin lib, V. 1007) schenken wird, sieht St. Johannes in der Ablehnung der heidnischen Reichtümer und der Bereitschaft zum Martyrium durch Feuer oder das Schwert der Heiden eine Möglichkeit zur Buße seiner Sünden: ›ich will gerne‹, sprach er, o ›buzen | swaz ich wieder got han getan […]‹ (Rolandslied V. 1072 f.). Aber zugleich muß ein Erzählen über Gott, Transzendenz und Heil, welches von Bekanntem

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Trotz aller Argumente gegen die Akzeptanz der heidnischen Gaben und aller hiermit verbundenen Zusagen läßt sich der Kaiser letztlich auf das Angebot Marsilies ein. Ausschlaggebend hierfür ist, daß Karls Schwager Genelun, der sich als Bote des Kaisers mit den Heiden zu verbünden weiß, deren Aufrichtigkeit im Hinblick auf ihren Wunsch zum christlichen Glaubensbekenntnis und zur Taufe bestätigt. Karl nimmt daraufhin auch das Gold und die weiteren von Marsilie einst in Aussicht gestellten Gaben an. Wenngleich diese Entscheidung nicht offen im Gegensatz zur eingangs behaupteten ›Unbestechlichkeit‹ des Kaisers steht – weil es sich bei dem überreichten Heidenschatz ja schließlich um eine gebe und nicht um miete handelt, und weil sie zudem die

ausgeht, dieses in Aporien zurückführen, um die Eigengesetzlichkeit dessen, was jenseits aller Ordnungen und Regeln der immanenten Welt steht, auch nur annähernd repräsentieren zu können. Dies wird besonders an jener Stelle deutlich, an der in die Rede gegen die heidnischen Gaben das Weinberggleichnis eingespeist wird. Denn ist es nicht gerade das uneigentliche Sprechen als rhetorisches Verfahren, welches vorzugeben scheint, daß über eigentlich Nichtkommunizierbares doch kommuniziert werden kann? Mehr noch: Von Jesus selbst heißt es, er spreche ausschließlich in Gleichnissen, um die Geheimnisse der Schöpfung offenbar werden zu lassen: […] ut impleretur quod dictum erat per prophetam dicentem | aperiam in parabolis os meum | eructabo abscondita a constitutione mundi (Mt 13, 35). Auch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1–16) geht von einer scheinbar selbstverständlichen Regel aus, nämlich davon, daß ein Lohn dem Aufwand an Dienst entsprechen müsse. Doch gezeigt wird sodann, daß vor Gott solche innerweltlichen Selbstverständlichkeiten ihre Gültigkeit verlieren, daß es zu den Paradoxien christlichen Heils gehört, für ungleiche Arbeit mit dem gleichen Lohn (mit einem phenninge, V. 986) bedacht zu werden. Allerdings bleibt auch das Weinberggleichnis letztlich nur ein Versuch, sich im Medium der Narration heilsgeschichtlichen Logiken anzunähern: Es kann Bevorstehendes, den Eingang in das Jenseits, in das ganz Andere all dessen, was in der Immanenz erfahrbar ist, auch nur als ein Nacheinander von hier und jetzt und hier und hernach, als ein Nacheinander von Dienst und Lohn erzählen. Wiederholt kann man beobachten, daß den beiden Welten im Rolandslied verschiedene Begriffe für Austauschverhältnisse zugeordnet werden: Der heidnischen gabe (auch ihrem schatz und gold) werden arbeit und opher der Christen sowie der dafür zu erwartende lon Gottes entgegengehalten. Das Opfer wird also nicht etwa als Gabe aufgefaßt – schon gar nicht als eine, die verpflichten würde –, sondern in Reminiszenz an das Weinberggleichnis als Dienst an Gott. Und schließlich liegt es allein in Gottes Hand, ob und wie er diesen Dienst lohnen wird. Das meines Erachtens von Angenendt ohnehin zu pauschal proklamierte »Religionsgesetz von Gabe und Gegengabe« (Religiosität, S. 374) wird jedenfalls vom Rolandslied desavouiert. Vgl. zu diesem Aspekt auch Jussen, Religious Discourses, der an zahlreichen Beispielen der großen religiösen Textsammlungen Patrologia Latina und Corpus Christianorum Angenendts These von der Dominanz religiösen Ausgleichdenkens im Mittelalter relativiert.

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Bereitschaft zur Taufe einschließt –, bleibt der Kaiser dennoch den innerweltlichen Regeln und Mechanismen der Gabe verhaftet, denen zufolge es prekär wäre, trotz versöhnlicher Gesten gebotene Gaben abzulehnen. Indes: Als hernach die Entscheidung fällt, Roland die eroberten spanischen Territorien zu übertragen, bereut Karl bereits, die heidnischen Gaben angenommen zu haben: ›scolt ich,‹ sprach er, ›dise not hi samt dir liden. dar umbe wolt ich uirzihin der gebe Marsilie. ungerne rite ich widere, wan daz ich iz zeuaste gelobet han. mit eren mag ich hi nicht bestan […].‹ (Rolandslied V. 3136–3142) (»Könnte ich doch«, sagte er, »diese Not hier gemeinsam mit dir erleiden. Dafür wollte ich auf die Gaben Marsilies verzichten. Ich würde nicht zurückreiten, wenn ich es nicht fest versprochen hätte. Ich kann nicht hierbleiben, ohne meine Ehre zu verlieren.«)

So als würde er in diesem Moment – auf Grund der vorangegangenen Träume –78 schon wissen oder zumindest erahnen können, daß das Leben seines Neffen gefährdet ist, wünscht er sich, er hätte die Gaben und damit das Angebot der Heiden nie angenommen. Dann wäre er nicht – den Regeln der feudalen Konfliktbewältigung entsprechend – zum Rückzug verpflichtet. Aber er weiß auch, daß er nicht bleiben kann, ohne seine eren (V. 3142) zu verlieren. Daran wird deutlich, daß jedenfalls Karls Verhalten keine Rückschlüsse hinsichtlich einer prinzipiellen Absage des Textes an die vergänglichen Reichtümer der Welt erlaubt, wenngleich freilich auch und gerade durch sein Handeln auf die Gefahren innerweltlicher Austauschmechanismen verwiesen wird. Im Rolandslied – so ließen sich die vorangegangenen Überlegungen resümieren – kollidieren ganz offensichtlich feudaladlige Gabenlogik und theologischer Diskurs. Und wo dies im narrativen Prozeß passiert, werden über die konkurrierenden Ordnungen hinaus immer auch Widersprüche erzeugt: beispielsweise in eben jener paradox anmutenden Episode, in der sich ein zum Opfertod bereiter Gottesstreiter wie Karl den innerweltlichen imperativischen Logiken der Gabe unterwirft, weil er um seine Ehre bangt. In der Figur des Adelsheiligen Karl selbst durchkreuzen sich die Dimensionen von Adel und Heil. 78 Zu Karls Träumen vgl. besonders Geith, Träume.

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Das zunächst Unwahrscheinliche, ein Ausgleich mit den Heiden, kommt demzufolge zustande. Allerdings erweist sich das Friedensangebot der Heiden – metaphorisch gesprochen – als ein wahrhaft ›Trojanisches Pferd‹.79 Denn kaum hat der Kaiser seinen Rückzug angetreten, rüsten die Heiden zum Überfall auf die zurückgebliebenen Christen. Von Marsilie werden demzufolge alle Regeln, an die sich Karl im Zuge der Konfliktbewältigung zwischen Christen und Heiden gehalten hatte, verletzt. Alle rituellen Garantien, auf die der Kaiser vertraut hatte, scheitern.80 Und entsprechend liefert die besprochene Episode – in syntagmatischer Hinsicht – die Motivation für die Fortsetzung des Heidenkrieges. Die Heiden selbst provozieren den erneuten Ausbruch von Gewalt und ihre Falschheit legitimiert die Christen fortan dazu, ihre Gegner in unmäßigem Blutrausch zu töten.

4.2.2 Genelun: Diplomatie und Verrat et facti sunt amici Herodes et Pilatus in ipsa die | nam antea inimici erant ad invicem (Lc 23,12) An diesem Tag wurden Herodes und Pilatus Freunde; vorher waren sie Feinde gewesen. Qui invenit animam suam perdet illam | et qui perdiderit animam suam propter me inveniet eam (Mt 10, 39) Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.

79 Analogien sehe ich im Täuschungscharakter der genuin zerstörerischen Gabe beziehungsweise ihrer Inszenierung: Die Griechen gaben vor, das hölzerne Pferd, welches sich den Trojanern als vernichtende Gabe offenbart, als Opfer der Stadtgöttin Trojas darzubringen. Das mit Palmwedel verkündete Angebot der Heiden im Rolandslied ist allererst eine scheinbare Konzession an den Christengott. Beide Gaben dienen dazu, das Vertrauen des Gegners mit religiösen Argumenten zu gewinnen, um ihn damit angreifbar zu machen. In jenem Moment, in dem die Trojaner oder eben auch Karl die Gabe des Feindes annehmen, liefern sie sich selbst dessen Gewalt aus: Die Einwohner Trojas holen mit der Gabe die Gewalt im wahrsten Sinne des Wortes in die Stadt hinein; Karl muß schließlich mit der Annahme der heidnischen Schätze und der damit verbundenen Verpflichtung zum Rückzug seine Nachhut opfern. 80 Anders als in den zahlreichen historiographischen Beispielen, die Althoff analysiert, geht es also im Rolandslied nur um eine scheinbar gewaltfreie Konfliktbewältigung zwischen Marsilie und Karl beziehungsweise Heiden und Christen. Vgl. besonders die Beiträge in Althoff, Spielregeln sowie meine Bemerkungen zu Althoffs methodisch-theoretischen Ansätzen im Forschungsüberblick (1.2.1).

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In den Diskussionen um die Annahme oder Ablehnung der Heidengaben, wird Rolands Stiefvater Genelun als Gegenspieler der übrigen Paladine eingeführt.81 Genelun bezichtigt Roland, welcher sich für die Fortführung des Krieges ausgesprochen hat, des ungestillten Blutdurstes: o ›mennisken blu tes en wart er nie sat‹ (V. 1129). Und dies heißt aus der Perspektive Geneluns allererst, daß Rolands Agieren auch und insbesondere für den eigenen Sippenverband destruktiv wirke. Genelun argumentiert entsprechend feudalaldiger Logiken. Er selbst hofft auf ein Ende aller Gewalt, auf die Unterwerfung der Heiden sowie Frieden im politisch-diplomatischen Sinne. Demzufolge spricht er sich für die Akzeptanz der Gaben und das Vertrauen in die damit verbundenen Zusagen Marsilies aus: ›[…] neme dere heiden gedinge, […] uersmahe nicht ir gebe […].‹ (Rolandslied V. 1202, V. 1205) (»Er nehme das Angebot der Heiden an, weise ihre Gaben nicht zurück.«)

Nachdem Karl offenbar weder eine Entscheidung für die Annahme der Angebote noch dagegen zu treffen vermag, rät Turpin, einen Boten an den Hof Marsilies zu schicken, der die Glaubwürdigkeit seiner Versprechen prüfen soll. Nach einigem Hin und Her fällt die Wahl schließlich auf Genelun. Dieser verflucht vor Zorn darüber die anderen Paladine, verweigert zunächst den Handschuh des Kaisers und dann, als er ihn unfreiwillig doch entgegennimmt, läßt er ihn fallen. Diejenigen, die der rituellen Übergabe von Botenstab und Handschuh82 beiwohnen, deuten dies o als ubel zeich¯ı (V. 1439). Sie werden – wie man bald darauf erfährt – Recht behalten: Denn Genelun, der als Christ und damit prinzipieller Feind der Heiden auszieht, wird als deren Freund den Rückweg antreten. Zum Abschied vom kaiserlichen Hof stilisiert sich Genelun selbst zum Opfer der anderen Ratgeber. Und mit dem Argument, er wolle seine treuen Anhänger nicht mit in den Tod ziehen, verwehrt er alle Begleitung auf seinem ›Opfergang‹.83 Friedrich Ohly hat darauf verwie81 Zu den rechtshistorischen Dimensionen der Genelun-Szenen, einschließlich methodischer Überlegungen zum Verhältnis von Literaturwissenschaft und Rechtsgeschichte vgl. Ott-Meimberg, Kreuzzugsepos, S. 163–210. 82 Zur Bedeutung von Botenstab und Handschuh als Herrschafts- und Rechtszeichen vgl. Richter, Kommentar, S. 241, Knappe, Repräsentation, S. 150–153. 83 Rolandslied V. 1641 f., V. 1684–1687: ›[…] die zwelue sint nu uile gemeit, | die mich hine habent gegebin […]. nu ist michel bezer […] daz ich eine irsterbe | denne ich uch alle laze .uirlor¯ı werde […].‹

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sen, daß die Opferbereitschaft, die Genelun vor seinem Gefolge inszeniert, an jene der Heiden erinnert, welche für den Erhalt ihres ererbten Besitzes bereit wären, einen Sohn herzugeben.84 Formuliert ist diese Idee des stellvertretenden Opfers offensichtlich jeweils in Anklang an die Worte des Kaiphas: Besser sei es, »wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht« (Io 11, 50).85 Doch der von Kaiphas über Christus verhängte Tod folgt in seinem Vollzug dem Heilsplan, nach welchem Gott selbst seinen Sohn hingibt. Dagegen ist Genelun nicht wirklich zum Sterben bereit, und sein Gefolge läßt er vor allem aus Sorge um Besitz und Sippe zurück.86 Mit seiner Opferbereitschaft will Genelun die Kontinuität jener Dinge erhalten, die seinen Status als feudalen Fürsten auch über seinen Tod hinaus ausmachen. Seine Opferbereitschaft unterscheidet sich damit grundlegend von der Rolands, der – wie hernach noch darzustellen sein wird – allen weltlichen Werten entsagt. Mit der Konfrontation von Genelunund Rolandfigur präsentiert der Text unverkennbar ein Wissen um ungleichwertige Opfer: Nicht jede Art von Opfer führt zum Heil.87 Das ›negative‹ Opfer Geneluns oder auch jenes der Heiden, wenn es denn überhaupt dargebracht werden muß, soll fortan Gewalt verhindern, Leben und Besitz der Zurückgebliebenen ein für alle Male sichern. Roland hingegen will sein Leben in der Gewißheit darbringen, daß es einen Wert jenseits aller immanenten Werte hat, weil es von Gott gegeben ist und auch an diesen zurückfällt. Mit dem Opfertod vermag Roland die Grenze der Vergänglichkeit zu überwinden. Das ewige Leben, das ihn erwarten wird – so die Logik dieses ›positiven‹ Opfers – ist mehr wert als dieses Leben, es ist heilig. Und weil Genelun eigentlich zu gar keinem Opfer bereit ist und den eigenen Tod abwenden will, muß und wird er andere, Roland und alle übrigen Paladine, den Heiden ausliefern. Damit ist neben Rolands Op84 Vgl. Ohly, Beiträge, zur Genelun-Episode besonders S. 90–104. 85 Vgl. die vollständige Aussage des Kaiphas (Io 11, 50): nec cogitatis quia expedit nobis ut unus moriatur homo pro populo et non tota gens pereat. 86 Vgl. die Rede Geneluns gegenüber seinem Gefolge: Rolandslied V. 1670–1727. 87 Für Ohly gehört es – aus der historischen Fernsicht freilich – zum »Unbegreiflichen in dieser Dichtung, daß das Opfer eines (des eigenen, eines anderen) Lebens als Preis für den Gewinn des Friedens zur Vermeidung ungezählter unschuldiger Opfer in der Schlacht als das spezifisch heidnisch frevelhaft Verwerfliche erscheinen muß, weil Betrug und Heuchelei dabei im Spiel ist und der Glaube an Gott fehlt, während beim Bekehrungsangriff Hekatomben christlicher Krieger in den Massenschlachten mit den nicht anders hinsinkenden Heiden voll Verlangens in den Tod zu eilen streben, um mit dem Martyrium die ewige Seligkeit zu gewinnen, indes die Heiden in die Hölle fahren« (Beiträge, S. 101).

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ferbereitschaft überhaupt erst eine weitere Voraussetzung für sein Martyrium gegeben: Von nun an wird er auf Grund seines konsequenten Glaubensbekenntnisses und den daraus folgenden Spannungen zwischen ihm und Genelun zum Verfolgten.88 Alle Aggression der Heiden wird sich künftig gegen ihn und seine Treuen richten. Aus Furcht vor den Heiden, die bisher stets alle Boten des Kaisers enthauptet haben,89 und aus Rache an allen übrigen Ratgebern des Kaisers90 agiert – oder besser: intrigiert – Genelun fortan allererst im eigenen Interesse und nicht etwa als Stellvertreter Karls, als dessen zunge unde […] munt (V. 1512).91 Schon auf dem Weg zum Hof des Heidenkönigs bekennt er gegenüber Blanscandiz – wiederum das Kaiphaswort pervertierend:92 ›[…] uon du sage ich iu, wizze Krist, daz iz michel bezzer ist daz die zwelue ersterben, denne wir alle uure werden.‹ (Rolandslied V. 1894–1897) (»Deshalb versichere ich euch bei Gott, daß es viel besser ist, wenn die Zwölf sterben, als daß wir alle untergehen.«)

Wenig später verbünden sich Genelun und Marsilie gegen den gleichermaßen gefürchteten und verhaßten Roland.93 Beide wollen sie seinen Tod. Diese Szenen lassen an die Versöhnung zwischen Herodes 88 Vgl. hierzu den Kommentar des Erzählers: diu helle si iemmir gare, | daz er o ungetruweliche | uerrit zwei riche, | sine ebenkristen zu der martir gab […] (Rolandslied V. 2400–2403). 89 Rolandslied V. 1146–1148. 90 Bereits vor Geneluns Ernennung zum Boten wird sein Racheakt prophezeit: si geleiten nidere | den rat Genelunes: | dannen bechorten si sit alle des todes (Rolandslied V. 1243–1245). Geneluns Fluch über die anderen Ratgeber Karls läßt sich auch als Fehdeansage lesen: ›[…] die zwelue sint nu uile gemeit, | die mich hine habent gegebin; | unde geuristet mir got daz leben, | ich bringe iz uz deme spile. | ich gesezze in ein zile, | so mir dirre min bart, | si geruwet al dise houeuart‹ (Rolandslied V. 1641–1647). Vgl. dazu Ott-Meimberg, Kreuzzugsepos, besonders S. 211. 91 Zu Möglichkeiten und Dimensionen der Repräsentanz des Herrschers in der Botenfigur vgl. die Beobachtungen und Interpretationen von Wenzel, Gespräche, S. 9–21 (Einleitung) sowie Boten und Briefe. 92 Vgl. dazu Ohly (Beiträge, S. 96–102), der beide Anspielungen auf das Kaiphaswort aufeinander bezieht. 93 Vgl. die Versöhnungsszene, in der Marsilie seinen Versöhnungswillen mit einem o fürstlichen Geschenk für Genelun unterstreicht: er gab ime einen guten mantel | mit golde beslagen; | er sprach: ›den salt du durch minen willen tragen, | ouch solt du min o golt nemen | ane zale unde ungewegin. | gebiut gwaltechliche | uber al min riche […]‹ (Rolandslied V. 2208–2214).

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und Pilatus denken. Auch sie hatten ihre Feindschaft aus Verachtung und Furcht einem Dritten gegenüber beendet: Herodes und Pilatus waren anläßlich der bevorstehenden Kreuzigung Christi Freunde geworden. Doch vor allem erhält die Genelungestalt vom Verfasser des Rolandsliedes das Stigma eines – wie Ohly formuliert hat – »gesteigerten Judas«.94 Er übertrifft Judas Iskariot, der Christus für dreißig Silberlinge an die Hohenpriester auslieferte (Mt 26, 14–16; Mc 14, 10f.; Lc 22, 3–6),95 insofern, als er nicht allein den ihm verhaßten Roland, sondern auch die übrigen kaiserlichen Paladine den Heiden preisgibt: den armen Iudas er gebildot: […] unde uerchophte Judas in ein¯ı, Genelun uerchouphte widir die heidin mit ungetruwen listen manigen herlichen kristen. mit gedinge man wac den schaz den man ime dar umbe gab, des goldes einen uil michelin last. wie starche die untruwe uz prast! (Rolandslied V. 1925, V. 1936–1943) (Er ist ein Abbild des elenden Judas: Während Judas den einen verriet, verkaufte Genelun durch Treuebruch viele edle Christen an die Heiden. Man verhandelte und wog den Schatz, den man ihm dafür gab, eine sehr große Menge Goldes. Wie deutlich zeigte sich daran die Untreue.)

Wie einst Judas und die Hohenpriester wissen sich auch Genelun und die Heiden zu arrangieren. Marsilie setzt kostbare Gaben auf den Kopf Rolands aus und hofft auf die Unterstützung Geneluns, wenn es darum geht, den Helden in eine Falle zu locken. Sie gehen einen verbindlichen Handel ein, bei welchem der Tod Rolands und der unzähliger anderer Christen mit großen Schätzen für Genelun aufgewogen werden soll.96 Die Metaphern des vertraglichen Handelns und Abwiegens lassen inkommensurable Werte – wie das Leben eines Menschen und Gold – kommensurabel erscheinen. Der Handel aber, der zunächst wie ein ausgewogener Tausch anmuten mag, erweist sich vor allem für Genelun als ein Geschäft mit doppeltem Gewinn. Denn sein Haß auf den Neffen und sein Verlangen nach wertvollen Gaben werden dabei gleichermaßen ge-

94 Ohly, Beiträge, S. 92 u. ö. 95 Zu verschiedenen Auslegungstraditionen vgl. Lüthi, Judas. 96 Wie Judas, mit dem er verglichen wird, erhält Genelun damit das moralische Stigma des schlechten, verräterischen Kaufmanns.

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stillt.97 Dafür, daß die Heiden – und zwar auch in Geneluns Interesse – Roland töten wollen, erhält er darüber hinaus noch zahlreiche Kostbarkeiten (mancualt wart diu gebe, V. 2490) aus ihren Händen. Der umfangreiche Gabenkatalog vereint all jene Dinge, die eine fürstliche Schenkung ausmachen: Schmuck, goldenes Geschirr, kostbare Stoffe und Felle sowie auserlesene Tiere.98 Es handelt sich um die je gleichen, unermeßlich wertvollen Präsente, die in vielen Gabenkatalogen benannt werden.99 Sie gehören zu den repräsentativen Objekten eines Hofes. Aber vor allem im Akt der Übergabe reflektieren sie den Reichtum ihres Gebers: Denn wohlhabend sind zwar diejenigen, die kostbare Stoffe am eigenen Körper tragen, goldene Gefäße sowie edelsteinbesetzte Bestecke bei Tisch verwenden und edle Pferde beim Ausreiten oder im Turnier vorführen. Überboten werden sie aber von jenen Fürsten, die Kostbarkeiten aus ihrem Besitz auch en masse verschenken können, ohne sich dabei zu verausgaben.100 Marsilie gehört zu diesen, und mit seiner großzügigen Gabe vermag er Genelun an die Heiden zu binden. Dieser erhält schließlich für seinen Verrat an den Christen – und dies nun ist das wirklich Spektakuläre an dem Katalog – mehr Schätze als der Heidenkönig sie dem römischen Kaiser zu Versöhnung angeboten hatte und diesem tatsächlich auch über Genelun zukommen läßt. Die Gaben, die Genelun selbst von seinem Botengang mitbringen wird, unterstreichen das Bündnis zwischen dem Verräter und den Heiden. Mit ihrer Übergabe haben sie Rolands Tod besiegelt. Und noch deutlicher wird Letzteres in jenen Szenen verhandelt, in denen Genelun weitere Einzelgaben annimmt: Brachmunt beziehungsweise Brechmunda übergibt Genelun einzigartigen Schmuck für seine Frau.101 Von dem Heiden

97 Vgl. den Kommentar des Erzählers: Genelun agiere auf Geheiß des Teufels durch nit unde durch gebe (Rolandslied V. 1980). Vgl. dazu Richter (Kommentar, S. 280, S. 307), der Geneluns Verhalten als Gier im Sinne einer der sieben Todsünden interpretiert. o 98 Rolandslied V. 2491-V. 2513: der chunc hiz ime fur tragen | manigen bouc wole beslagen, | schuzzil unde napfe, | di wol gestaínten kophe, | manc werc spahe, | di phellele uil wahe, | pisse unde purpur. | man gab im ein culter | mit golde beslagen. | ínoch hiz er im fur tragen | di tuweren mantel harmin […]. inoch gab er im baz: | er hiez ime fur zihen | o o die marh beuollen ziere | unt furloufte ture, | olbenten un¯ mule […]. die gebe waren lussam […]. 99 Vgl. Anm. 42. 100 Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal an die Reizrede Alexanders gegenüber dem persischen Hof: Straßburger Alexander V. 3131–3136, V. 3137–3143, dazu Kapitel 2.4. 101 Rolandslied V. 2569–2580: Vf stunt du Brachmunt, | er kust in da ze stut, ¯ | er gab ime ain o gesmide, | er sprach: ›nu bringez dinem wibe: | Karl ist ein kunc riche, | ernegwan nine

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Valdebrun erhält er ein Schwert102 und von Olibris einen Helm.103 Während das Schwert eine Geschichte hat, die Valdebrun erzählt, thematisiert Genelun die Bedeutung, die der Helm als Gabe noch für die nächste Generation haben soll. Er wird in die Hände seines Sohnes übergehen: ›dise herliche gebe dinit noch min sun Baldewin‹ (V. 2566 f.). Ähnlich wie zahlreiche Gaben auch in anderen Texten – etwa im Eneasroman – handelt es sich demnach um Objekte, die allem Anschein nach Raum und Zeit überdauern und dabei immer wieder weitergegeben werden; die Freundschaften, Bündnisse oder Verschwörungen auch über den Tod der ursprünglichen Verhandlungspartner hinweg für weitere Generationen veranschaulichen, memorieren und ihre Kontinuität sichern sollen. Haften bleibt an jenen Gaben die Geschichte ihrer Vorbesitzer: Im Falle des Schwertes ist es eine Erfolgsgeschichte Valdebruns, der die Waffe einst als Versöhnungsgeschenk von dem besiegten König von Tielsarke erhielt. Darüber hinaus ist jede der Gaben auf ihre Weise von besonderer Qualität: Schwert und Helm sind unzerstörbar; der Schmuck ist einzigartig und übertrifft in seiner Auserlesenheit alle Reichtümer, die sich im Besitz des Kaisers befinden. Wiederum also empfängt der Verräter Genelun aus heidnischer Hand eine wertvollere Gabe als Karl, und mehr noch: Brachmunt/Brechmunda gibt ihm Kostbarkeiten aus dem Heidenschatz, die der römische Kaiser selbst nicht besitzt und wohl nie besitzen wird. Geneluns neu erworbener Reichtum indiziert klar den Verrat. Nicht Karl, sondern er, der Abtrünnige, ist der eigentliche Vertragspartner der Heiden:104 Wie bereits Marsilie verpflichten auch Valhain samliche, | noch ne wart uf der erde | nie geworcht mere. | ich han din gerne minne. | v chor mir Rolanten gewinne: | scolt ich in toten mit miner hant, | ich gabe liut unde lant.‹ Da die Chanson de Roland (V. 634–641) an dieser Stelle von der Königin Bramimunde erzählt, und auch im Rolandslied ansonsten kein heidnischer Held mit dem Namen Brachmunt genannt wird, ersetzt Kartschoke in seiner Edition Brachmunt durch Brechmunda. 102 Rolandslied V. 2520–2531, 2539 f.: ›[…] ditz swert scoltu uon mir han. | daz gab mir o der kunc uon Tielsarke: | er herte mir mine marche, | do sluch ich ime ze der stunt | uir unt zwainzec tusunt […]; selbe wart er geuangen. | daz gab er mir zeminnen, | nu fure duz samt dir hinnen. | ich wil dirz hie ze stete bewaren, | daz nehein swert so mare | unter v deme himele nie wart geslagen.‹ […] er beualch ime umbe Rolanten: ›bringestu mirn ze hanten‹ […]. 103 Rolandslied V. 2543–2554: Oliboris hiz ime fur tragen | ein helm harte wol beslagen […]. er sprach: ›Genelun, liber friunt min, | disen helm scoltu tragen. | dune darft nehaine angest han, | swa du in des kaiseres scâr | unter disem helme ritest gâr, | daz din dehein wafen v gewinne. | ich wil an dich gedinge | daz du Rolanten | bringest mir zehanten […].‹ 104 Damit – so könnte man schlußfolgern – wird Karl im Hinblick auf seinen ebenfalls problematischen Handel mit den Heiden, vor allem hinsichtlich der Annahme heidnischer Gaben, entlastet.

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debrun, Olibris und Brachmunt/Brechmunda den Empfänger der Gaben zu schwören, daß er ihnen Roland preisgeben werde. Doch Genelun spielt ein doppeltes Spiel, welches schließlich dazu führt, daß Heiden und Christen sich erneut in unmäßigem Kampfrausch begegnen. Als der ungetruwe (V. 2339) Ratgeber wird er sich sowohl für den Tod der Heiden als auch für das Martyrium der Christen verantworten müssen.105 Der erneute Ausbruch des grausamen Krieges wird als Folge seines Intrigierens dargestellt. Und dies heißt, daß von nun an die Ursache aller Gewalt zwischen Christen und Heiden Genelun zugeschrieben werden kann. Der doppelte Verrat spiegelt sich auch in Geneluns nicht differenzierender Annahme von Gaben wider: Er war prächtig ausgestattet mit Geschenken christlicher Fürsten an den Hof Marsilies gezogen, zusätzlich mit Heidenschätzen beladen kehrt er nun zurück. Den auserlesenen, mit Edelsteinen besetzten Halsberg, den Genelun beim Aufbruch trug, hatte ihm nämlich einst der bretonische König aus Anerkennung und Freundschaft geschenkt.106 Sein Schwert Mulagir war vormals ein Geschenk des bairischen Herzogs Naimes an Karl gewesen,107 welches Genelun ebenso wie ein Pferd mit goldenem Sattel aus den Händen des Kaisers empfangen hatte. Dieses stammte ursprünglich von dem römischen Helden Mantel.108 Wie das Schwert ist also auch das Pferd eine Gabe aus zwei105 Vgl. den entsprechenden Kommentar des Erzählers: diu helle si iemmir gare, o | daz er ungetruweliche | uerrit zwei riche, | sine ebenkristen zu der martir gab, | du der o o keiser sinen stap | bi ime sande | zu der heiden lande | ze sune unde ze gnaden | un¯ si der touphe willich waren. | daz er si in den truwen beiden halben uerrit […] (Rolandslied V. 2400–2409). 106 Rolandslied V. 1577–1582: umbe sinen hals lac | ein bouch uile waehe; | daz werc o seltsaene | uzzer golde unde uzzer gimme. | den sante ime ze minnen | der kunc uon den Britten. 107 Vgl. hierzu die ausführliche Geschichte: ia begurte in inmittin | Mulagir daz beste o sachs […]. Naimes der Beiere wigant | uurte iz uone Beieren. | daz urchunde wil ich û zeigen: | der smit hiz Madelger, | daz selbe swert worchte êr | in der stat zu Regensburch: […] er gab iz Karle sinem herren […] (Rolandslied V. 1583–1602, V. 1606). In der Forschung wird dieses Schwert als Indiz dafür gehandelt, daß das Rolandslied möglicherweise in Regensburg verfaßt wurde. Vgl. dazu Werner/Zirnbauer, Einführung, S. 64, kritisch Nellmann, Pfaffe Konrad, Sp. 116 f. (mit weiteren Angaben zur Forschung). o 108 Rolandslied V. 1624–1628, V. 1634: der kaiser hiz ime zeliebe | ein march uure ziehen: | o ein Romere hiz Mantel, | ein helt chune unde snel, | der gab iz deme kaisere ze minnen […]. dar uffe lach ein guldin satel. Kartschoke hat in seinem Kommentar (S. 675) bemerkt, daß der goldene Sattel dem Bild, das man sich gemeinhin vom Gegensatz zwischen Kreuzrittern und Genelun macht, widerspricht. Denn schließlich stamme die wertvolle Gabe vom Gottestreiter Karls selbst. Richter, Kommentar läßt diese Stelle – wohl aus gutem Grund – unkommentiert: Denn während Karls

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ter Hand, und insofern erweitert sich auch bei diesen Gaben eine – gleichsam genealogische – Perspektive in die Vergangenheit, auf ihre Vor- und Vorvorbesitzer und die Umstände der Weitergabe.109 Vor allem aber verweisen diese Gaben auf eine kontinuierliche Geschichte machtstabilisierender Freundschaften und Bündnisse zwischen christlichen Fürsten sowie das Vertrauen, welches Karl seinem Schwager entgegenbringt. Der Verrat Geneluns am Kaiser und den Christen wird unverkennbar in der Annahme der heidnischen Reichtümer dargestellt: Auch die Heiden vertrauen ihm und drücken dies sichtbar in repräsentativen Gaben aus. Und obwohl Genelun Karl verpflichtet ist, läßt er sich auf die mit Gaben besiegelte Verschwörung gegen den Neffen des Kaisers ein. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Schwertgabe: Denn Genelun erhält sowohl von Karl ein Schwert als auch von dem Heiden Valdebrun. Doch allem Anschein nach behält Genelun nicht beide Schwerter, sondern tauscht sie gegeneinander aus. Prophezeit wird nämlich, daß Mulagir von Genelun aus in die Hände der Heiden gelangt, und später zahlreiche Christen damit getötet werden.110 Dies bedeutet, daß Genelun eben nicht einzig aus Habgier gleichermaßen Gaben von Christen

glänzende Hofhaltung mit dem Verweis auf das biblische Vorbild Salomo zu erklären ist, kann die Ausstattung Geneluns mit prunkvollen Elementen durch Karl weder im Bezug auf die Bibel noch im Vergleich mit der zeitgenössischen Kreuzzugspropaganda ohnes weiteres erklärt werden. Vgl. etwa Bernhards von Clairvaux Absage an allen weltlichen Prunk (Ad milites templi II, 3): Operitis equos sericis, et pendulos nescio quos panniculos loricis superinduitis; depingitis hastas, clypeos et sellas; frena et calcaria auro et argento gemmisque circumornatis, et cum tanta pompa pudendo furore et impudenti stupore ad mortem properatis. Militaria sunt haec insignia, an muliebria potius ornamenta? Wie schon am Beispiel der Episode, in der Karl schließlich doch die heidnischen Gaben annimmt, wird meines Erachtens auch an diesem Problem deutlich, daß eine Interpretation des Textes ausschließlich vor dem Horizont von Weltentsagungs- und Kreuzzugsideologien nicht aufgeht. Der religiöse Diskurs kann nicht vollkommen überblenden, daß der Text, insofern er nämlich von Adelsheiligkeit handelt, zugleich immer wieder von den Logiken feudaladliger Selbstdarstellung und ihren verschiedenen Formen rituellen Vollzugs erzählt: Und dazu gehört eben auch das Überreichen repräsentativer Gaben. 109 Vgl. unter dem Aspekt ›Genealogie der Dinge‹ die zahlreichen Beispiele, die ich im vorangegangenen dritten Kapitel diskutiert habe. 110 Rolandslied V. 1608 f.: Genelun brachte iz inder heiden gwalt, | uile manich cristin des sit engalt. Die Gabe des Kaisers wird also zum Mordinstrument, welches sich gegen die Christen selbst richten wird. Ich möchte in diesem Kontext auch noch einmal an eine ähnliche Episode aus dem Nibelungenlied (Str. 1696) erinnern: Rüdiger schenkt Gernot ein Schwert, mit dem er bald darauf in den Kämpfen gegen die Burgonden am Etzelhof getötet wird.

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und Heiden annimmt.111 Eher wäre wohl mit dem Austausch der Schwerter Geneluns Seitenwechsel markiert.112 Doch letzten Endes wird der Heidenschatz Genelun selbst zum Verhängnis, weil das Blut unzähliger Christen an ihm klebt. Karl verflucht seinen Schwager, der um den urmaren hort (V. 6096) Marsilies die Christen dem Tod ausgeliefert hat, und er gelobt Rache: ich gerich iz ob ich mac (V. 6099). Anders jedoch als Judas, mit dem der Erzähler ihn vergleicht, zeigt Genelun keine Reue.113 Und so wird er für den Verrat, welcher durch die Gaben signiert ist, dem Urteil Gottes ausgesetzt: ›[…] in geriwet hiute Marsilien gebe.‹ […] Genelunen si bunden mit fuzen unt mit handen wilden rossen zu den zagelen: durh dorne unt durh hagene, an dem buche unt an dem rucke brachen si in zestucke. so wart di untriwe geschendet […]. (Rolandslied V. 8958, V. 9009–9015) (»Heute wird er Marsilies Gabe bedauern.« Genelun banden sie mit Füßen und Händen an die Schweife ungezähmter Pferde. Die schleiften ihn durch Dornen und Büsche, sie zerissen ihn an Bauch und Rücken. So wurde der Verrat gerächt.)

Meine Überlegungen zur Genelun-Episode sind an einem Punkt angelangt, an dem es sinnvoll erscheint, einzelne Fäden zusammenzuführen. Dies möchte ich aber nicht tun, ohne zugleich noch einmal dezidiert darauf hinzuweisen, daß eine Interpretation dieser Szenen, die sich vor allem auf den Vergleich mit der Judasgeschichte stützt, mehr Probleme114 als Lösungen aufwirft: 111 So etwa interpretiert Richter (Kommentar, S. 280, S. 307), dem zu dieser Episode – darauf hatte ich bereits verwiesen – einzig die Gier als eine der sieben Todsünden einfällt. 112 Ott-Meimberg interpretiert Geneluns Verrat als »Weg exemplarischer Desintegration« (Kreuzzugsepos, S. 194), der sich ganz räumlich von einer sukzessiven Entfernung vom christlichen Heer bis hin zur Inkorporation des Verräters in das heidnische Reich vollziehe. In diesem Sinne ließe sich der Tausch der Schwerter als unumkehrbare Absage an die Heils- und Rechtsordnung der Christen begreifen. o 113 Rolandslied V. 8740–8746: [Genelun] sprach: ›herre, iz was min wille. | ich nelugin dir sin niet: | der zwelue tot ist mir liep; | iz ist gewisse der min rat. | ich hete in e wider saget | ze diner antwrte offenliche: | daz erzuige ich mit dem riche.‹ 114 Solche werden von der älteren Forschung eher ausgeblendet. Vgl. etwa Richter, Kommentar, S. 272, Stackmann, Karl und Genelun, Geith (Carolus Magnus,

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Obwohl das Rolandslied gerade mit der Analogisierung von Genelun und Judas auf die Evangelien hin transparent erscheinen mag, folgt es in den Genelun-Episoden dennoch anderen – nicht allererst biblischen – Logiken. Der Verrat Christi durch Judas ist nur schwach motiviert: Offensichtlich ist, daß es keinen wirklichen Grund für die Auslieferung gibt, daß Christus unschuldig sterben wird. Judas muß Christus den Hohenpriestern preisgeben, weil es der Gang der Heilsgeschichte, weil es Gott selbst nicht anders vorgibt.115 Anders verhält es sich mit Genelun. Von vornherein wird dieser als persönlicher Rivale Rolands dargestellt: Er agiert gegen seinen Stiefsohn im Wettstreit um die Gunst des Kaisers und die Zuneigung von Rolands Mutter. Und er fürchtet, daß Roland seinem Stiefbruder Baldewin, Geneluns leiblichem Sohn also, das Erbe streitig machen könnte. Schließlich glaubt er, Roland habe ihn gerade auf Grund dieses rivalisierenden Verhältnisses dem Heidenkönig ausgeliefert. Aus Rache weiß er die Konstellationen zu seinen Gunsten zu verkehren und setzt Roland Zorn und Gewalt der Heiden aus. Anders als Judas ist Genelun der Verräter par excellence, der seinen Verrat nicht bereuen wird, der bis zum Tod unfähig ist zur Metanoia. Und entsprechend muß seine Schuld erst in einem Gottesurteil vor aller Augen bewiesen werden. Während Judas – zumindest dem Matthäus-Evangelium folgend – sich selbst verflucht hat,116 wird Genelun von Kaiser und Gott verdammt, von der Gesellschaft ausgestoßen und vernichtet. Auf Geheiß der kaiserlichen Ratgeber wird sein Körper zur Strafe zu Tode geschleift und zerissen. Die von ihm provozierte Gewalt richtet sich letztlich gegen ihn selbst. Mit dem Tod Geneluns endet die Geschichte des Rolandsliedes: Karl hat in dem Krieg gegen die Heiden zahlreiche Opfer gebracht; Roland ist den Opfertod, zu dem er von vornherein bereit war, gestorben, aber Versöhnung im Sinne von Mt 5, 23117 kennt die Geschichte dennoch S. 98–100), der das Verhältnis Genelun-Judas als ein typologisches begreift; Clark, Genelun, Ohly, Beiträge, S. 90–104, Spiewok, Verrat, S. 77–79. 115 Vgl. dazu Lüthi, Judas, S. 297. 116 Vgl. Mt 27, 3–5: Tunc videns Iudas qui eum tradidit quod damnatus esset | paenitentia ductus rettulit triginta argenteos principibus sacerdotum et senioribus dicens | peccavi tradens sanguinem iustum at illi dixerunt | quid ad nos tu videris | et proiectis argenteis in templo | recessit et abiens laqueo se suspendit. In der Apostelgeschichte (Act 1, 18) stirbt Judas den Tod eines immer schon Verdammten, er stürzt und sein Leib bricht auseinander: et hic quidem possedit agrum de mercede iniquitatis | et suspensus crepuit medius | et diffusa sunt omnia viscera eius. Von einem Urteil oder Ausstoßung ist aber auch hier nicht die Rede. Vgl. Lüthi, Judas, S. 298. 117 Vgl. das Motto dieses vierten Kapitels.

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nicht.118 Wenngleich der Text dazu einlädt, die Genelun-Episoden als Wiederholung oder ›Steigerung‹ der Judasgeschichte zu lesen, glaube ich angesichts der vorangegangenen Beobachtungen, daß es sich vielmehr um ihre archaisierende Exegese oder – um einen Begriff von René Girard aufzunehmen – ›Remythisierung‹ handelt.119 Denn nur so können Affekte wie Rivalität, Haß, Gier und Rachebegehren sowie Formen symbolischer und physischer Gewalt, von denen der Text handelt, erklärt werden.120 Diese sind freilich von der Chanson de Roland vorgegeben. Aber sie werden im Rolandslied zugunsten theologischer Perspektiven kaum zurückgedrängt. Vielmehr sind die zentralen Themen Gabe, Gewalt und Heil in – gegenüber dem französischen Text – verstärkt christlichen und unverändert archaisch-heroischen Interpretationsmustern in der dem Rolandslied eigenen Geschichte von Karl, Roland und Genelun eng miteinander verwoben. Im folgenden wird zu zeigen sein, daß sich für den Text die Frage nach der Interpretation sowie der Wiederholbarkeit oder Nachahmung vergangener heilsgeschichtlicher Ereignisse mit Rolands Wille zum Martyrium noch radikaler stellt.

4.2.3 durh got ersterben – der Heldentod als Martyrium euntes autem discite quid est misericordiam volo et non sacrificium | non enim veni vocare iustos sed pecatores (Mt 9, 13) (Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.) 118 Die einzige Versöhnungsgeschichte, von der das Rolandslied erzählt, ist die Bekehrung der Heidenkönigin Brechmunda (Rolandslied V. 8617–8640). 119 Vgl. Girard, Ende der Gewalt, S. 256–260. Girard zeigt, daß den Evangelien selbst nicht die ›klassische‹ Struktur des Verräters inhärent ist: Der Verrat folgt allein der Logik der Heilsgeschichte, und auch die Bestrafung des Judas bleibt aus. Erst die mittelalterliche sakrifizielle Deutung – so etwa auch in legendarischen Texten und im geistlichen Spiel – erkennt Judas jene Rolle zu, die eine »Semiotik des Verräters« (S. 259) verlangt. 120 Plausibler als alle unreflektierten Vergleiche mit der Passionsgeschichte erscheint mir daher Friedrichs Erklärung der Genelun-Judas-Analogie: Der »›Politiker‹ Genelun, der zunächst im Sinne kollektiver Verantwortung für Frieden plädiert und dessen Reaktionen die Realität tödlicher Vasallenkonkurrenzen im Feudalverband durchscheinen lassen,« werde »durch das Judasmodell ideologisch aus dem Weg geräumt« (Diskurs der Gewalt, S. 176). Man könnte auch sagen: Während Rolands Verhalten nach innerweltlichen, feudaladligen Logiken zerstörerisch wirkt, gilt dies für Geneluns Agieren nach heilsgeschichtlichen Logiken.

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et omnia paene in sanguine mundantur secundum legem | et sine sanguinis fusione non fit remissio […] nunc autem semel in consummatione saeculorum | ad destitutionem peccati per hostiam suam apparuit (Hbr 9, 22.26) (Fast alles wird nach dem Gesetz mit Blut gereinigt, und ohne daß Blut vergossen wird, gibt es keine Vergebung […]. Jetzt aber ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen.) ubi autem horum remissio iam non oblatio pro peccato (Hbr 10, 18) (Wo aber die Sünden vergeben sind, da gibt es kein Sündopfer mehr.) Donec enim sunt peccata, necesse est requiri et hostias pro peccatis. (Origenes, In Numeros Homilia 24, 1) (Denn solange es Sünden gibt, müssen auch Opfer für die Sünden gesucht werden.)

Nahezu leitmotivisch erinnert das Rolandslied an die Passion Jesu Chrio sti, der mit sinem tiuren blute (V. 8483) die Sünden der Menschen getilgt hat: Vor dem Anbruch einer jeden Schlacht feiern die Christen sein Opfer in der Eucharistie, und den Kampf gegen die Heiden führen sie nicht allein im Namen Christi, sondern in seiner unmittelbaren Nachfolge. Bischof Turpin fordert schon in seiner ersten predigthaften Rede das Heer Karls auf: ›trinket den kelh den er tranc […]. uwer spise si gemeine‹ (V. 258, V. 265). Diese Worte lesen sich freilich zunächst einmal als Aufruf an die Christen, gemeinsam (gemeine) das heilige Abendmahl zu feiern, in dessen ritueller Wiederholung sich die communio der Gläubigen und des Priesters im Gedächtnis an Tod und Auferstehung Christi fortwährend erneuert. Aber der Vollzug von Erinnerung in der Eucharistie – so ist die imperativische Rede Turpins des Weiteren zu verstehen – ist nur ein Vorspiel, dem die bereitwillige Mimesis des Opfertodes folgen muß. Dem Text selbst sind Wiederholungs- und Erneuerungsgestus der Abendmahlsfeier förmlich eingeschrieben: Viermal erzählt der Text davon, daß die Gottesstreiter die lebensspendenden Sakramente empfangen. Viermal leitet das liturgische Handeln die gewaltsamen Kämpfe ein.121 Beobachten läßt sich aber auch – und dies vor allem an der Beschreibung der zweiten eucharistischen Handlung –, daß Imitatio wiederum die Präsenz der Leiden Christi voraussetzt. Dies bedeutet, daß im Rolandslied das eucharistische Mahl, daß die gemeinschaftlich vollzogene memoria, im Sinne des Sakramentalrealismus122 als Vergegenwärtigung des Opfers Christi verstanden wird:

121 Rolandslied V. 258/265, V. 3398, V. 5752, V. 7750 f. 122 Der Sakramentalrealismus behauptete sich im 11. Jahrhundert. Im 12. und 13. Jahrhundert wurde dann vor allem der Modus der Wandlung diskutiert. Vgl.

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[…] si baten ir ewarte daz si sich garten. zu ir ambachte si fiengen, den gotes lichename¯ si enphiengen. […] ze uil manigen stunden manten si got wunden, […] daz er in ir sunde uergabe […] Do sich di gotes degene mit salmen unt mit segene, mit bichte unt mit gelouben, mit trahenden ougen mit grozer demute, mit maniger slachte gute sich ze gote habeten, di sele gelabeten mit dem heiligen brote unt mit dem uronen blute zu dem ewigen lebene, do wafenoten sich di helede. […] di werlt si uersmaheten, daz raine opher si brachten […]. (Rolandslied V. 3395-V. 3446) (Sie baten ihre Priester, die Gewänder anzulegen. Sie begannen die heilige Handlung, sie empfingen die Hostie. Immer wieder baten sie Gott um seiner Wunden willen, daß er ihnen ihre Sünden vergäbe. Als sich die Gottesstreiter mit Psalmen und Bekreuzigungen, mit Beichte und Glaubensbekenntnis, mit Tränen und großer Demut, mit vielen frommen Bezeugungen Gott zugewandt und zum Empfang des ewigen Lebens die Seele mit der heiligen Hostie und dem Blut des Herrn gestärkt hatten, wappneten sich die Helden. Sie verschmähten die Welt, das reine Opfer brachten sie dar.)

Auffällig ist zunächst einmal, wie in den Versen 3437 f. versucht wird, sprachlich etwas einzuholen, was in narrativen Strukturen unmöglich dazu Jorissen, Transsubstantiationslehre, Feld, Abendmahl, S. 94–103, Schmitt, Logik der Gesten, S. 327–336, Angenendt, Religiosität, S. 503–506, Hofmann, Repräsentation, S. 65–101. Zu wahrnehmungstheoretischen Aspekten der Eucharistie und zu ihrer Diskursivierung in der volkssprachlichen mittelalterlichen Literatur vgl. Wenzel, Hören und Sehen, S. 115–127.

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ist: nämlich die Vergegenwärtigung des christlichen Opfers, die Aufhebung von Zeit und Geschichtlichkeit in der Wandlung. Der Text vermag im Unterschied zum Ritual die unmittelbare Gegenwart Christi freilich nicht selbst zu erzeugen, er kann sie allenfalls kommunizieren und insofern repräsentieren. Aber der Text darf in der zitierten Passage zumindest für sich beanspruchen, daß er sich den Leistungen des Rituals annähert, indem typisch prozessuale Strukturen der Narration, das Erzählen von aufeinanderfolgenden Ereignissen, unmittelbar bevor die Wandlung imaginiert wird, eher vermieden werden. Statt dessen wird der rituelle Vorgang der Eucharistiefeier in sprachliche Zeichen überführt, die ihr strukturanalog sind: Additiv sind einzelne liturgische Elemente aneinandergereiht, und mit anaphorischen Versanfängen werden Rhythmus und Wiederholungsstruktur ritueller Abläufe nachgeahmt. Und obwohl der Text den rituellen Vorgang nicht als ein hier und jetzt und unmittelbar ablaufendes Ereignis darstellt, sondern als ein gerade geschehenes, ist ihm die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi geradezu magisch eingeschrieben. Denn benannt werden nicht einerseits Hostie und Wein, also die Sakramente vor der Wandlung, noch das in ihnen vergegenwärtigte Opfer Christi mit Leib und Blut andererseits. Die Inszenierung ist subtiler, insofern Vers 3437 das Brot des Abendmahles erwähnt, nicht aber, was in der Hostie unmittelbar präsent wird. In den Folgevers dagegen ist sprachlich nicht der Wein, sondern das darin gegenwärtige Blut Christi eingegangen. Und so gewinnt man schließlich den Eindruck, daß der Akt der Wandlung im Übergang von Vers 3437 zu Vers 3438 (nach)vollzogen werde.123 Sodann bezeichnet das Blut den Übergang von der liturgischen Feier, in der die Gewalt vorübergehend zum Stillstand gekommen ist, zur Fortführung der gewaltsamen Heidenmission. Die memoria als Akt der Vergegenwärtigung des Opfertodes Christi und seine imitatio im Martyrium der Gottesstreiter gehen nahezu fließend ineinander über. Denn kaum ist das Abendmahl beendet, rüstet sich das Heer Karls, um in der Nachfolge Christi das eigene Opferblut zu vergießen: daz raine opher si brachten (V. 3446). Die Vergegenwärtigung von Leib und Blut Christi und die zugleich gemeinsame Teilhabe an dem Opfer münden stets

123 Diese Interpretation dürfte wohl auch Kartschokes Frage, ob mit Brot und Blut gemeint sei, »daß die Kreuzritter wie Ordensbrüder die Eucharistie in beiderlei Gestalt empfangen« (Kommentar, S. 699), beantworten.

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in den Blutrausch von Heidenkampf und Martyrium.124 Das Blut der Eucharistie wird gleichsam zum Quell aller Blutströme im folgenden Kampf. Aber es ist nicht nur das Blut der christlichen Märtyrer, welches sich zu einem walfloze (V. 4352) ergießt, sondern auch das der Heiden. Während das Blut der Märtyrer einer zweiten Taufe entspricht, soll mit dem Blut der Heiden deren Frevel vor Gott und gegen die Christen gerächt werden.125 Der Märtyrertod als Mimesis des gewaltsamen Opfertodes Christi vollzieht sich als blutiger Gewaltakt am Körper der Christen selbst und zugleich als Racheakt gegen die Andersgläubigen. Und auch hier sind Priester – in der Gestalt des Bischofs Turpin – und Gläubige vereint. Gemeinsam kämpfen sie gegen die Heiden, gemeinsam gehen sie als Märtyrer in das Buch des Lebens ein und gemeinsam werden sie so die ewige Gegenwart Gottes erfahren. Auch Turpin nämlich, der die Sakramente vor der Schlacht gespendet hatte, stirbt schließlich selbst den Opfertod:126 ain warer gotes urchunde, gotes lop truger in sinem munde; der marter gerter in alle zít, zeiungist opherot er den líp. (Rolandslied V. 5165–5168) (Als wahrer Zeuge Gottes trug er Gottes Lob in seinem Mund; zu aller Zeit begehrte er das Martyrium und opferte schließlich sein Leben.)

Unverkennbar ist, daß das Martyrium im Rolandslied nicht allein als Glaubensbekenntnis im Wort aufgefaßt wird, sondern ausdrücklich als Wort- und als Blutzeugnis.127 Ausgehend von einer realistischen Eucharistieauffassung rückt das Rolandslied das Verlangen nach Opferblut in den Vordergrund. Das blutige Martyrium gehört allerdings kaum zur

124 Einen umfassenden Stellenbeleg zu Blutrausch-Szenen bietet Schwab, Kampfformeln, besonders S. 87–91, vgl. ferner Krause, Imaginierte Gewalt, vor allem S. 205 f., S. 219. 125 Die Vorstellung von der Blutsühne ist in die mittelalterlichen Kreuzzugsdiskurse eingegangen und hat darüber hinaus unmittelbar auf die Eroberungs- und Bekehrungspraktiken gewirkt. Vgl. dazu besonders Angenendt, Religiosität, S. 366. 126 Spätestens an dieser Stelle zeigt sich, daß der Vergleich mit Bernhards von Clairvaux Schriften Grenzen hat. Mit ihnen läßt sich Turpins Opfer jedenfalls nicht erklären, denn Bernhard hat sich mehrfach gegen die Teilnahme von Priestern am Kampf ausgesprochen. Vgl. etwa Epistolae 459 (Ad G. de Stopho) und 544 (Ad omnes Abbates Cistercienses). 127 Zu den religionsgeschichtlichen Dimensionen des Märtyrer-Begriffs vgl. die einschlägigen Artikel von Gerlitz, Slusser und Christen sowie Angenendt, Heilige, S. 35 f., S. 62 f. und Religiosität, S. 363 f.

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Vorstellung der Evangelien vom Glaubensbekenntnis oder einem Leben nach Christus. Da nun wieder und wieder behauptet wird, daß das Martyrium unmittelbar dem Opfer Christi folge,128 ist der Opferbegriff des Rolandsliedes wohl eher von den blutigen Opfern des Alten Bundes her entwickelt. Insofern produziert das Rolandslied ganz ähnlich wie schon sehr frühe christliche Opfertheologien – beispielsweise jene im Hebräerbrief oder die des Origenes –129 eine ganze Reihe von Paradoxien und Spannungen,130 denen ich im folgenden Punkt für Punkt nachgehen möchte: Erstens: Wie kann der Opfertod Christi, welcher einmalig, vollkommen und endgültig ist, dennoch im Martyrium wiederholt werden? Stehen nicht die Einzigartigkeit des Opfers und der mimetische Anspruch des Märtyrers in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander? Zweitens: Vehementer als alle alttestamentlichen Schriften kritisieren die Evangelien das (blutige) Opfer. Exemplarisch heißt es in Mt 9, 13: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Das von Gott selbst dargebrachte Opfer setzt aller Gewalt ein Ende, es verlangt keine weiteren Opfer. Und dennoch pflanzt sich in den blutigen Martyrien die Gewalt fort? Sodann wird an ein Martyrium erinnert, das – wenngleich in der Nachfolge Christi durchlitten – ganz in Analogie zu archaischen Brandund Speiseopfern vollzogen wurde.131 Wenig vor seinem Tod nämlich wird Roland von Turpin prophezeit, daß er bald neben dem heiligen Laurentius in den himmlischen Chor der Märtyrer eingereiht werde. Dieser Heilige wurde der Legende nach, auf welche auch der Bischof

128 Vgl. etwa den von Turpin formulierten Anspruch: ›[…] wir sculn ime allez nach uaren, | lernen den selbin ganc […]‹ (Rolandslied V. 256 f.). 129 Vgl. dazu grundlegend Young, Opfer, Dassmann, Sündenvergebung, S. 177 f., Hoheisel, Auslegung alttestamentlicher Opferzeugnisse, Angenendt, Sühne und Heilige, S. 36, S. 63 sowie Religiosität, S. 365, Brandt, »Opfer«, S. 268–277. 130 Im Rolandslied werden solche wohl auch deshalb produziert, weil neu- und alttestamentliche sowie patristische Vorstellungen auf kaum entwirrbare Weise miteinander vermischt und eng in das heroische Geschehen der Karl-RolandGeschichte eingeflochten sind. Man wird also kaum postulieren dürfen, daß der Verfasser ein punktgenauer Exeget gewesen ist. Vielmehr wäre wohl davon auszugehen, daß er zur heilsgeschichtlichen Überhöhung und Legitimierung des Erzählten auf theologische Argumente verschiedener Traditionen zurückgegriffen hat, auch wenn diese sich – aus analytischer Perspektive – zu widersprechen scheinen. 131 Zur Vielfalt der Auslegungen alttestamentlicher Opfervorstellungen im Neuen Testament und in den Schriften der Kirchenväter vgl. vor allem Dassmann, Sündenvergebung, S. 184–196, Hoheisel, Auslegung alttestamentlicher Opferzeugnisse.

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anspielt,132 bei lebendigem Leibe auf einem Rost gebraten, und noch in den letzten Atemzügen forderte er seine Peiniger auf, von seinem Fleisch zu essen. Drittens: Nicht mit Gewalt bannt Jesus den Teufel, nicht mit Gewalt widersteht er dem Bösen und nicht mit Gewalt behauptet er sich gegen die Abtrünnigen. Passiv erduldet er seine Verfolgung und seinen Tod am Kreuz. Freilich opfern sich auch Roland und seine Gefährten in wahrer Selbstaufgabe, aber sie verhalten sich den Heiden gegenüber nicht passiv. Im Unterschied zu den widerstandslos leidenden Märtyrern der Alten Kirche – beispielsweise dem heiligen Laurentius von Rom – handelt es sich um bedingungslose Kämpfer, um aktive Heroen, ja geradezu um Heidenschlächter.133 In den Figuren der Christen – so ließe sich die Argumentation zuspitzen – sind archaischer Heros und christlicher Ritter amalgamiert. Auch ist es nicht allenfalls die Blutspur eines Märtyrers, die sich, wie etwa in einer Legende, durch den Text zieht. Vielmehr waten Christen und Heiden geradezu im Blut – so wie eben auch die Heroen der Heldenepik. Und weitaus mehr als jene der Märtyrer werden die Körper der Heiden hochgradig versehrt (uerhouwen, V. 4526 u. ö.): Cicirone springt das Blut aus den Ohren, einem anderen Heiden aus den Augen. Ein dritter büßt seine Augen ganz ein. Estorgant verliert durch Rolands Schwert seinen Kopf, ein fliehender Heide seinen Fuß. Einem ist der Unterleib durchbohrt, dem Nächsten klafft der Schädel, und Valdebruns Körper wird gar in zwei Hälften gespalten.134 Schließlich schlägt Roland dem Heidenkönig Marsilie einen Arm ab. Und dieser Akt wird im übrigen als Sühne für Marsilies Bündnis mit Genelun erzählt. Es ist der Arm, mit dem Marsilie einst dem Verräter der Christen das Gold reichte:135

132 Rolandslied V. 6189 f.: ›[…] huite wirstu sente Laurentien genoz, | den di haiden uf dem roste pranten.‹ Vgl. dazu – mit Hinweisen auf die Märtyrerliturgie – Fliegner, Rittertum, S. 53. 133 Die Heiden werden gar mit Vieh verglichen: si uielen sam daz uihe zetal (Rolandslied V. 5421). 134 Rolandslied V. 4510–4513, V. 5105, V. 5354 f., V. 4911–4913, V. 5193, V. 5385– 5387, V. 5639, V. 5291. 135 In diesem Fall ist es also der Geber und nicht der Empfänger, der als Strafe für eine mit Gaben besiegelte Verschwörung Hand oder Arm verliert. Zu Beispielen, in denen Bestochene ihre Hände einbüßen oder zumindest verlieren sollen, vgl. Groebner, Flüssige Gaben, S. 23 f.

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›[…] ane wage gilt ich dir widere daz golt daz du gabe Genelun dem uerratere […].‹ den arm er im abe swanc. (Rolandslied V. 6283–6285, V. 6306) (»Ungewogen zahle ich dir das Gold zurück, das du Genelun, dem Verräter, gabst.« Den Arm schlug er ihm ab.)

Allesamt werden sie nach und nach von den Christen im Blut zertreten. In der Gesamtschau – als solche möchte ich die Aufreihung der Verletzungen vor allem verstanden wissen – fällt die Vielfalt der Wunden auf. So gewinnt man den Eindruck, als würde ein einziger Körper stellvertretend für die gesamte Heidenschaft sukzessive destruiert werden, um hernach samt heidnischer Schätze in Blutsumpf und Höllengrund zu versinken.136 Roland – dies ließe sich noch hinzufügen – forciert letztlich durch seinen verweigerten Hornstoß nicht nur seinen eigenen Tod, sondern zuvor liefert er auf Grund dieser Haltung zahlreiche Gefährten den übermächtigen Heiden aus. Er beschwört das Massenmartyrium geo radezu herauf: ›so werdent abir mit blute gerainet di heren gotes marterare‹ (V. 3880 f.), entgegnet er Olivier, der ihn gebeten hatte, das Heer Karls zur Unterstützung herbeizurufen. Um die toten Christen zu rächen, setzt Karl nach Rolands Tod den Kampf gegen die Heiden fort. Das heißt, daß die im Opfer Rolands und vieler anderer Christen ausgeübte Gewalt nicht zum Stillstand kommt, sondern wieder auf Gewalt zielt. Im Rolandslied also – dies bleibt resümierend festzuhalten – wird die stets aufs neue behauptete Mimesis des Christusopfers im Blutrausch, in archaischer Gewalt vollzogen.137 Viertens: Auch das Rolandslied arbeitet sich im Hinblick auf das Problem der Sündenvergebung an jenen paradox anmutenden Strukturen ab, die jedem biblischen Märtyrer- oder Opferdiskurs inhärent sind: Obgleich Christus mit seinem Opfertod die Sünde der Menschen getilgt hat,138 und diese Sündenvergebung in der Taufe mitgeteilt sowie fortwährend in der Eucharistie vergegenwärtigt und erneuert wird,139 gibt o

136 Rolandslied V. 5972–5974: […] inir plute si hin fluzzen, | erstichet unt ertrunchen, | in den helle grunt uersunchen. 137 Anders als etwa in Wolframs von Eschenbach Willehalm – vgl. dazu Strohschneider, Kreuzzugslegitimität (S. 33 f.) – wird über Alternativen nicht einmal reflektiert. 138 Rolandslied V. 6883: der durch suntare geborn wart. 139 Vgl. dazu Dassmann, Sündenvergebung, S. 76–153.

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es die Möglichkeit zur Sünde.140 Auch im Rolandslied wird sie verhandelt: Eucharistie und Martyrium werden als Bußakt für die begangenen Sünden verstanden und vollzogen.141 Das Martyrium wird als zweite Taufe, als Bluttaufe und in diesem Sinne als höchste Form der Buße begriffen. Anders als Christus sind die Helden des Rolandsliedes – wie zahlreiche andere Märtyrer übrigens auch – nicht frei von (der ihnen zumindest zugesprochenen) Sünde.142 Und so muß das Martyrium gegenüber dem Tod Christi, der nach biblisch-theologischem Verständnis sein Blut und seinen Leib für alle gegeben hat, defizitär bleiben, weil der Märtyrer allererst für seine eigene Sünde stirbt. Kein Märtyrertod – entsprechend auch nicht der von den Helden forcierte – wird das Opfer Christi als originäres Ereignis einholen können. Allerdings lassen sich verschiedene Strategien des Erzählens beobachten, die allem Anschein nach geradezu darauf zielen, dies zu verschleiern und den mimetischen Anspruch des Märtyrertodes zu betonen: Dazu zählt beispielsweise die Inszenierung des oder der unschuldig Verfolgten. Ich erinnere erstens an die Genelun-Episoden: Roland wird von seinem Stiefvater den Heiden ausgeliefert, und diese fordern wieder und wieder seinen Kopf. Da dieses Geschehen als Intrige und Verrat des Genelun dargestellt wird, erscheint Roland fortan – trotz all seinem Blutdurst – als der schuldlos Verfolgte. Zweitens werden der Heidenkönig Marsilie und seine Anhänger im Verlauf des epischen Geschehens von unwissenden, nahezu besiegten Heiden zu teufelsgleichen Verfolgern transformiert. Besonders deutlich wird dies an jener Stelle, an der Bischof Turpin die Situation der Christen mit dem Auszug der Israeliten aus Ägypten vergleicht.143 So wie jene einst Gejagte des ägyptischen Pharaos waren, sind die Christen nun Verfolgte der heidnischen Heere.

140 Zu theologischen Debatten über die Möglichkeit postbaptismaler Sünde vgl. Dassmann, Sündenvergebung, S. 129, besonders Anm. 353. 141 Bereits der Bischof Johannes hatte sich gegen das Versöhnungsangebot der Heiden ausgesprochen, um statt dessen in einem baldigen Opfertod für seine Süno den zu büßen: ›Ih wille gerne‹, sprach er, ›buzen | swaz ich wieder got han getan […]‹ (Rolandslied V. 1072 f.). Zur Figur des St. Johannes, die der gesamten lateinischen und französischen Karl-Roland-Tradition fremd ist, vgl. Kartschoke, Datierung, S. 129–140; kritisch gegenüber Kartschokes Versuch, den Bischof mit historischen Personen zu identifizieren, äußert sich Nellmann, Pfaffe Konrad, Sp. 126. 142 Vgl. Dorn, Der sündige Heilige, Slusser, Martyrium, S. 208. 143 Rolandslied V. 5738–5748: ›[…] der tiuel hat uz gesant | sin geswarme unt sin her […]. o der fluch muze uber si werde, | da got mit sinem gewalte | Pharaonem mit erualte: | den uerswalch daz mêr | unt al sin wotigez hêr […].‹

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Sodann ist es Gott selbst, der dem Entwurf des Rolandsliedes nach den Kampf der Christen gegen die Heiden immer wieder sanktioniert und den Opfertod der Christen annimmt. Von Gott oder göttlicher Gnade wird freilich nicht unmittelbar erzählt, sondern allein von den Wirkungen der Gnade:144 von den Wundern, die Gott wirkt, um die heilsgeschichtliche Legitimität von Gewalt offenbar werden zu lassen. Rolands Schwert gehört ebenso zu diesen Wundern wie das himmlische Kreuz, welches Karl von einem Engel empfängt.145 Erzählt wird ferner davon, daß Gott den Christen kühlenden Tauregen und süßen Wind zur Stärkung im Kampf sendet.146 Für das Heer Karls läßt er die Nacht zum Tag werden, und man erfährt von Wundererscheinungen nach Rolands Tod.147 Zum Schluß stellt sich nun noch die Frage nach der Sühnewirkung von Rolands Opfertod. Tilgt er, wie dies etwa St. Johannes für sich thematisiert hatte, mit seinem Martyrium die eigenen Sünden oder büßt er (auch) für andere? Sollte von Letzterem erzählt werden, würde der Text damit Rolands Tod sehr eng an den des Gottessohnes heranrükken. Ich glaube, daß im Rolandslied genau solches forciert wird.148 Obwohl auch Roland einmal von eigener Sündenlast spricht,149 sühnt er mit seinem Opfer allererst die eines anderen: Mit seinem Tod – so 144 Nach Strohschneider kann darüber auch gar nicht erzählt werden, weil sich die Gnade allen narrativen Prozessen als »Operationen des Unterscheidens und Bezeichnens« (Inzest-Heiligkeit, S. 131) entzieht. Und dort, wo die göttliche Gnade unsichtbar bleibt, mündet das Erzählen in Schweigen. Vgl. etwa den Kommentar o des Erzählers zu Oliviers Tod und seinen Eingang in Gottes ewiges Reich: da fur o entuc | zesagen nimere: | die tougen siner eren | wolte got niemen uerlazen. | uon diu sculn wir unsich da mazen (Rolandslied V. 6523–6527). 145 Rolandslied V. 7475–7477, V. 7483 f.: ain cruce er an im uant | ane mensken hant, | daz im der engel uon himil hete bracht […], daz hiute ze Ache uindet: | mit im ist groz o heilictum besigelet. Für dieses Kreuz gilt Ähnliches wie für das Erzählen über Durndart: Karl erhält das Kreuz von einem englischen Boten. Um die Geschichte zu authentifizieren, verweist der Erzähler darauf, daß das mit Reliquien gefüllte Kreuz heute – also prinzipiell für die Rezipienten erfahrbar – in Aachen aufbewahrt wird. 146 Rolandslied V. 4454–4459, V. 5625–5628; vgl. dazu Sammer, Taufe, S. 30. 147 Rolandslied V. 6924–6949. Diese Wunder erinnern an jene, von denen die Evangelien (Mt 27, 45.51; Mc 15, 33.38; Lc 23, 44f.; Io 19, 28–30) im Zusammenhang von Christi Tod und Auferstehung erzählen. 148 Ich möchte damit Ohlys – noch »[m]it Vorsicht« formulierte These – bekräftigen, daß »Rolands Tod eine Sühne für Karls geheime Schuld sei« (Legende, S. 336)! 149 Nachdem Roland vergeblich versucht hat, das göttliche Schwert Durndart zu zerstören, bekennt er: ›[…] der aller oberiste ewart | si selbe min urchunde: | mich ruwent mine sunde | di ich wider sinen hulden han getan […]‹ (Rolandslied V. 5252– 5255).

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meine These – leistet er Beistand zur Vergebung der Schuld Karls. Von Karls Sünden ist wiederholt die Rede, Augenmerk verdient allerdings vor allem die folgende Passage: nehain houpthafte sunde wolt er uf ime nicht tragen. daz urchunde wir uon sent Egidien haben, daz er unseren herren umbe in bat, daz er ime aine sculde uirgab. […] Der kaiser sin gebet uil diche hin ze gote tet. uil innechliken er dar unter nante v sinen neuen Rolanten […]. (Rolandslied V. 3003–3007, V. 3020–3023) (Keiner Todsünde wollte er schuldig sein. Wir haben das Zeugnis von St. Ägidius, daß er Gott für Karl bat, diesem eine Sünde zu vergeben. Der Kaiser schickte sein Gebet immer wieder zu Gott. Sehr innig schloß er seinen Neffen Roland darin ein.)

Im Dunkeln bleibt, welche Sünden tatsächlich gemeint sind. Naheliegend ist, daß es sich um eine Anspielung auf Karls Inzestgeschichte handelt, obgleich diese erst ab dem 13. Jahrhundert breiter in volkssprachlichen Texten erzählt und in Bildprogrammen verarbeitet wird.150 Eindeutiger ist der Verweis auf die Vita des heiligen Ägidius: Der Kaiser hatte Ägidius gebeten, für seine Sünden zu beten, ohne jedoch seine konkrete Schuld zu beichten. Tage später – so die Legende – erhält Ägidius beim Lesen der Messe eine göttliche Botschaft, in der Gott Ägidius wissen läßt, daß kraft seiner Gebete Karl vergeben sei, wenn dieser bereuen und fortan keine Sünde mehr begehen werde.151

150 In der klösterlichen Visionsliteratur ist seit dem 9. Jahrhundert die Rede von Karls Sünden (etwa Polygamie, Vergewaltigung und Körperverletzung). Die Inzestgeschichte, nach der Roland der Sohn aus Karls Beziehung mit seiner Schwester Gisela ist, muß »spätestens seit 1100 verbreitet gewesen sein« (Wolfzettel, Karl, Sp. 988). Vgl. dazu auch Geith, Carolus Magnus, S. 77–79. Kartschoke (Kommentar, S. 689 f.) vermutet, daß die Ägidius-Legende über die Kaiserchronik (V. 15015–15068), in der ebenfalls nur von der Vergebung der Sünde, nicht aber von der konkreten Sünde selbst erzählt wird, Eingang in das Rolandslied gefunden hat. 151 Vgl. besonders Geith, Ägidius, ferner Dorn, Der sündige Heilige, S. 77–80, Ohly, Legende, S. 333–337; zur Darstellung dieser Szenen (zum Teil einschließlich der Inzestgeschichte) in mittelalterlichen Bildprogrammen vgl. Lejeune/Stiennon, Rolandssage, Bd.1, S. 160–162.

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Auch im Rolandslied bleibt Karls Schweigen über die konkrete Sünde weiterhin gewahrt, wird das Wissen darum mit Verweis auf den heiligen Ägidius gleichsam ausgelagert: Nach seinem ersten unheilkündenden Traum betet der Kaiser darum, daß kein anderer für ihn seine Sünden büßen müsse. Gott möge statt dessen seinen Zorn über ihn selbst ergehen lassen.152 Zum ersten, aber keineswegs zum letzten Mal wird an dieser Stelle im Zusammenhang der Sündenthematik die Möglichkeit stellvertretender Sühne verhandelt. Viel später, nach der ersten großen Schlacht zwischen Christen und Heiden, der alle kaiserlichen Paladine zum Opfer fallen, klagt Karl: ›[…] swiz got noch uerendet, daz rechent mine sunde: got refset mich darumbe unt ander mine uorderen […].‹ (Rolandslied V. 7454–7457) (»Wie immer Gott es ausgehen läßt, das ist die Rache für meine Sünden: Für diese straft Gott mich und für die meiner Vorfahren.«)

Karl fürchtet Gottes Strafe für seine – wiederum unbenannten – Sünden. Doch er selbst wird nicht mit dem Opfertod büßen, kein Blutzeugnis vor Gott ablegen. Unmittelbar nachdem Karl seine Sünden und die seines Geschlechtes thematisiert hat, findet er den toten Roland, den er stets in seine Gebete einbezogen hatte. Spätestens an dieser Stelle wird evident, daß der von Karl gefürchtete Fall eingetreten ist: Für Karls Sünden ist ein anderer gestorben, nämlich sein Neffe Roland. Liest man – um noch einen Schritt weiter zu gehen – Rolands Tod vor dem Hintergrund von Karls Inzestgeschichte, so stirbt Roland nicht nur als der Neffe, sondern zugleich als der Sohn Karls aus der inzestuösen Beziehung mit seiner Schwester Gisela.153 In Anbindung an Girards Kulturtheorie154 ließe sich schlußfolgern, daß Roland als Sohn, der aus einer tabuisierten Beziehung hervorgegangen ist, auf Grund dieser prekären genealogischen Konstellation regelrecht zum Sündenbock

152 Rolandslied V. 3050–3053, V. 3064 f.: ›[…] ich han garnet dinen zorn, | ê muz er uber mich chomen: | der miner manigen sund¯e | la daz liut nicht engelt¯e; […] swaz ich widir dir han getan, | di rache scol billichen uber mich gan.‹ 153 Karl ist gleichzeitig der Mutterbruder und Vater Rolands, seine Mutter ist auch seine Tante. 154 Vgl. besonders Girard, Das Heilige und Ausstoßung; vgl. dazu meine Bemerkungen im Forschungsreferat (1.2.2).

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prädestiniert wäre,155 um – strukturell betrachtet – die ›Krise‹ genealogischer Unterschiede156 wieder aus der Welt zu schaffen. Doch Roland wird gerade nicht – dem archaisch mythischen Sündenbockmechanismus folgend – aus der Gemeinschaft (rituell) ausgeschlossen oder ausgestoßen, sondern in Analogie zur Passion Christi von einem Einzelnen ausgeliefert, und in der Nachfolge Christi opfert er sich bereitwillig selbst.157 Mit Rolands Tod wird die Frucht der Sünde, ja: die Sünde selbst getilgt, und zugleich wird Roland als – sichtbar – unschuldig Gestorbener geheiligt. Insofern Roland stellvertretend für die Schuld eines anderen stirbt, ist er Christus ähnlicher als jene Märtyrer, die einzig für ihre eigenen Sünden büßen. Heil und Gottverähnlichung Rolands werden einerseits in der Unversehrtheit seines Körpers158 und andererseits unmittelbar nach seinem Tod durch Gottes Wunder (himilo zaichen, V. 6928; zaichen gescahen da genuge, V. 7596) offenbar: Die Wunder, von denen das Rolandslied zu erzählen weiß, erinnern an jene, die man den Evangelien folgend nach dem Tod Christi beobachten konnte.159 Mit dem von Wundern begleiteten Tod Rolands zeigt sich, daß Gott Rolands Opfer als Sterben in der imitatio Christi angenommen hat. Mit dieser Inszenierung läßt das Rolandslied den blutgierigen, defizitären Heros endgültig im vollkommenen, christusähnlichen Märtyrer aufgehen.

155 Körperlich und moralisch Stigmatisierte wie auch Minderheiten gehören zu den bevorzugt Verfolgten und Ausgestoßenen einer Gemeinschaft, weil das Stigma zugleich als Opferzeichen, als Zeichen unheilvoller Entdifferenzierung, begriffen wird (Girard, Ausstoßung, S. 30–33). Die inzestuöse Kindeszeugung – so Girard (besonders Das Heilige, S. 114 f.) – setzt die Gemeinschaft erheblicher Gefahr aus, weil in kulturellen Systemen, in denen Unterschiede aufgehoben werden, Gewalt auszubrechen droht. Sobald aber dem Stigmatisierten – dem Inzestuösen oder dem Inzestgeborenen – alle Schuld für das (drohende) Unheil zugeschoben und dieser als Sündenbock gewaltsam aus der Gemeinschaft ausgestoßen wird, »erscheint er als eine Art Erlöser« (Das Heilige, S. 131). 156 Zu Dimensionen und Folgen der Aufhebung genealogischer Unterschiede im Hinblick auf die Sicherung adliger Herrschaft vgl. besonders Strohschneiders Analysen (Inzest-Heiligkeit) zum doppelten Inzest in Hartmanns von Aue Gregorius. 157 Zum Offenbarungscharakter des Opfers Christi im Unterschied zu archaischmythischen Opfern vgl. Girard, Ende der Gewalt und Ausstoßung, ab S. 148 sowie Mimetische Theorie; vgl. dazu meinen Kommentar unter 1.2.2. 158 Rolandslied V. 6662–6664: do wanten di haiden, | si scolten in erslahen: | an dem libe nemacht im do niemen gescaden. Bald darauf stirbt Roland vor allem aus Trauer um die toten Gefährten, und ohne daß in irgendeiner Weise von (tödlichen) Wunden die Rede wäre (Rolandslied V. 6717–6923). 159 Vgl. Anm. 147.

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Ich möchte hier einstweilen zum Schluß kommen und den bisherigen Gang der Argumentation in einem kurzen Resümee darstellen: [G]oldes han ich genuch. | du ich mich aller erste uz hup, | du ophert ich den lib (V. 929–931) – mit dieser Aussage hatte Roland Gabe und Diplomatie klar eine Absage erteilt und ihnen statt dessen sein Verlangen nach einem gewaltsamen Opfer entgegengestellt. Doch dem Entwurf der Geschichte nach hätte es Rolands Opfertod ohne die Gabe der Heiden nicht geben können. Denn Genelun verrät Roland eben nicht dem Judasmodell entsprechend für dreißig Silberlinge, sondern – freilich hier nur verkürzt formuliert – für mancualt heidnischer gebe (V. 2490). Trotz aller theologischen Argumente wird die Logik der (feudaladligen) Gabe auch im Rolandslied nicht ausgeblendet. Die Gabe wird zum Auslöser aller Gewalt, aus der schließlich Rolands Opfer hervorgeht: ein Opfer, welches weder rein archaisch-mythischen noch rein christlichen Strukturen und Vorstellungen folgt. Es handelt sich um ein Opfer, so habe ich zu zeigen versucht, das zwar als imitatio des Christusopfers inszeniert und dennoch eher von den archaischen Blutopfern des Alten Bundes her bestimmt wird. Dies verwundert keineswegs, weil das Rolandslied trotz aller religiösen Diskurse die heldenepischen Elemente der Karl-Roland-Geschichte nicht vollkommen zu tilgen vermag. Und letztlich läßt sich heroische Gewalt allem Anschein nach eher in einem archaischen Opfer auffangen und legitimieren als in einem, welches den Opferbegriffen der Evangelien folgt. Das Rolandslied verlangt nach blutigen, gewaltsamen Opfern, auch wenn es diese als höchste Form der Buße in der Nachfolge Christi ausgibt. »Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.« (Mt 9, 13) – davon jedenfalls ist die Ideologie des Rolandsliedes weit entfernt.

4.3 Gabe und Heil: Der Text als Stiftung obsecro itaque vos fratres per misericordiam Dei | ut exhibeatis corpora vestra hostiam viventem | sanctam Deo placentem | rationabile obsequium vestrum […] habentes autem donationes secundum gratiam quae data est nobis differentes | sive prophetiam secundum rationem fidei […]. (Rm 12, 1.6) (Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst […]. Wir haben

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unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade. Hat einer die Gabe prophetischer Rede, dann rede er in Übereinstimmung mit dem Glauben […].)

4.3.1 Legitimationsstrategien literarischer Rede Zu den Selbstbeobachtungen von Literatur gehört die, wenngleich alte, doch stets aufs neue reflektierte Furcht vor dem Scheitern poetischer Kommunikation. Vorgänge wie die des Schweigenmüssens, des Entgleitens der Worte, des Verstummens, des Vergessens oder des Vergessenwerdens sind so brisant, daß sie selbst in den überlieferten, und dies heißt kommunikativ erfolgreichen Texten noch ihre Spuren hinterlassen haben. Den selbstbeschriebenen Gefahren korrespondieren Strategien zur Legitimation der Rede, zu ihrer Absicherung auch über ein Hier-und-Jetzt hinaus; hierzu gehört immer wieder, daß Instanzen benannt werden, die man für das Gelingen oder Scheitern der Rede verantwortlich erklärt. Daß literarische Kommunikation »im Sinne von durchsetzbaren Geltungsansprüchen und Wiederholbarkeit«160 erfolgreich verliefe, ist demnach – zumal in einer Zeit, in der man nicht von einem gegenüber Religion und Herrschaft ausdifferenzierten Subsystem Literatur ausgehen kann –161 alles andere als selbstverständlich. Für die Chanson de Roland und das Rolandslied hat sich – insoweit man dies aus den Texten selbst erschließen kann – das Problem der Geltungssicherung auf verschiedene Weise gestellt: Die Chanson de Roland begreift die national geprägte Eroberungsgeschichte zwar als Teil der Heilsgeschichte, sie erzählt von göttlicher Sanktionierung162 der 160 Strohschneider, Institutionalität, S. 11. 161 Zum Status volkssprachlicher Literatur im Mittelalter vgl. besonders die Überlegungen von Beate Kellner: »Im Mittelalter läßt sich die poetische Kommunikation in der Volkssprache […] kaum als ein eigenes Sozialsystem beschreiben, denn die Literatur bleibt funktional, strukturell und personal aufs engste in die übergeordneten gesellschaftlichen Systeme besonders von Religion und Herrschaft verflochten. Mit einem institutionell ausdifferenzierten Literaturbetrieb, wie er für die Neuzeit anzusetzen ist, kann dementsprechend im Hoch- und Spätmittelalter noch nicht gerechnet werden. Vielmehr scheint die Literatur – wie sich mit aller Vorsicht aus den überlieferten Zeugnissen schließen läßt – kaum institutionell organisiert und abgesichert gewesen zu sein« (Eigengeschichte, S. 153). 162 Ich erinnere zunächst noch einmal an Rolands göttliches Schwert Durndart (Chanson de Roland V. 2318–2320, V. 2344–2348). Desweiteren wird davon erzählt, daß Karl durch Gottes Gnade die Spitze jener Lanze erhielt, mit der Christus am Kreuz verwundet wurde. Karl hat sie im Knauf seines Schwertes Joiuse

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Kämpfe, sowie von Heroen, die als Märtyrer sterben. Und so als würde der Gegenstand allein noch nicht für ausreichend Legitimität bürgen, benennt sie schließlich zur Absicherung der Rede eine Instanz von höchster Glaubwürdigkeit: St. Ägidius, jenen Heiligen also, der als Vermittler zwischen Kaiser und Gott steht. Er habe – so behauptet die Chanson – die Geschichte nicht nur persönlich aufgeschrieben, sondern er selbst sei sogar Augenzeuge des Geschehens gewesen.163 Doch vermutlich konnte der französische Text bereits aus der Tatsache, daß er an das gemeinsame kulturelle Gedächtnis appelliert, daß er von Carles li reis, nostre emperere magnes (V. 1), dem kaiserlichen Herrscher über dulce France (V. 116 u. ö.) erzählt, einen immensen Teil seiner Autorität ableiten. Mit der Übertragung der altfranzösischen Chanson für ein deutsches Publikum wird dieses Legitimationspotential, die Anbindung an die nationale Geschichtsschreibung und gemeinsame nationale Interessen, nicht preisgegeben. Aber darüber hinaus ist der deutsche Bearbeiter neue Wege gegangen, und dies nicht nur im Hinblick auf die veränderte Programmatik der Geschichte, sondern auch hinsichtlich der Strategien zur Absicherung seiner Rede. Bekanntermaßen setzt das Rolandslied im Unterschied zur Chanson de Roland nicht unmittelbar mit der Geschichte von Karls Spanienfeldzug ein, sondern beginnt mit einem Gebet an Gott als den Schöpfer allen Anfangs:164 Schephare allir dinge […] lere mich selbe diniu wort; du˚ sende mir zemunde din heilege urkunde, daz ich die luge uirmide, die warheit scribe uon eineme turlichem man, wie er daz gotes riche gewan: daz ist Karl der cheiser. uor gote ist er, […] alse uns daz buch ˚ leret. (Rolandslied V. 1–16)

versiegeln lassen (Chanson de Roland V. 2501–2508). Und – um noch ein weiteres Beispiel zu nennen – Gott schickt dem vom Kampf gegen die Heiden geschwächten Karl den Engel Gabriel (Chanson de Roland V. 3609–3614). 163 Chanson de Roland V. 2096 f.: Li ber [seinz] Gilie, por qui Deus fait vertuz | E fist la chartre el muster de Loüm. 164 Zur Tradition der Schöpferinvocatio vgl. Jaeger, Schöpfer.

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(Schöpfer aller Dinge, lehre du selbst mich deine Worte. Lege mir dein heiliges Zeugnis in den Mund, daß ich nicht lüge und die Wahrheit von einem edlem Mann, wie er das Reich Gottes gewann, schreibe. Es handelt sich um Kaiser Karl. Wie uns das Buch berichtet, hat er das ewige Leben erlangt.)

Augenmerk sei zuerst auf den zuletzt zitierten Vers gerichtet: Die Berufung auf Quellen, Vorbilder und Traditionen zur Legitimierung des Erzählens ist Charakteristikum von Selbstbeschreibungen mittelalterlicher Literatur.165 Auch das Rolandslied bildet hier keine Ausnahme. So erfährt man, daß der Erzähler dieser Geschichte sein Wissen aus einem o buch (V. 16) bezieht. Mag sein, daß die Quellenberufung des Prologes noch sehr topisch anmutet. Genauere Informationen aber, die dem Rezipienten hier noch vorenthalten bleiben, werden an späterer Stelle und dann abschließend im Epilog nachgetragen. Dort nämlich wird o weiter spezifiziert, was sich hinter jenem buch, welches eingangs nur erwähnt wird, verbirgt. Karl der Große selbst hatte den heiligen Ägidius beauftragt, die Geschichte niederschreiben zu lassen. Anders als in der Chanson de Roland ist die Instanz am Ursprung der Geschichte damit nun auf drei Rollen verteilt. Der Heilige ist nicht mehr selbst Augenzeuge und Schreiber in einer Person, sondern ihm kommt nur noch die Rolle des Vermittlers zwischen dem Akteur und Zeugen Karl einerseits sowie einem anonymen Schreiber andererseits zu. Von diesem Anonymus wurde die Geschichte in Laon verfaßt,166 und in französischer Sprache (in franczischer zungen, V. 9081) gelangte sie auch in die Hände ihres deutschen Bearbeiters, der sie zunächst ins Latein übersetzt: so han ich iz in die latine bedwngin, danne in di tutiske gekeret (V. 9082 f.). Doch als reichte dies alles noch nicht zur Beglaubigung und Rechtfertigung der Rede aus, wird der Ich-Erzähler des Rolandsliedes unter Ausbeutung etablierter Rollenmuster zum Medium göttlicher Worte stilisiert. Er bittet Gott, dieser möge ihm das heilige Zeugnis (die heilege urkunde, V. 6) in den Mund legen, um einzig die Wahrheit zu verkünden. In diesem Kontext lese ich auch die von der Erzählerfigur im Epilog behauptete Übertragung der Geschichte in die lateinische Sprache. Denn ich glaube, daß im Rolandslied das Gebet um göttliche Hilfe zum einen freilich auf die grundsätzlichen Legitimationsschwierigkeiten eines jeden Zeugen heilsgeschichtlicher Wahrheiten verweist, aber zum anderen vor allem das spezifische Problem des Übersetzers markiert, welches darin besteht, daß dieser trotz Übertragung der matteria 165 Zu diesem Problemkomplex vgl. ausführlicher Kellner, Eigengeschichte. 166 Rolandslied V. 6646–6648: daz hiez sent Egidie scriben | ze Leune inder stat, | also in der kaiser gebat.

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(V. 9020) in eine andere Sprache für die Wahrheit der Geschichte garantieren muß.167 Latein gilt im Mittelalter bekanntlich als sacra lingua, als eine der Sprachen mit dem höchsten Autoritätspotential. Als Sprache jenes Textes, den Gott dem Erzähler auf die Zunge diktiert, als Sprache des Textes zwischen zu übertragender französischer und übertragener deutscher Karl-Roland-Geschichte bürgt sie für die Wahrheit des Gesagten.168 Warum das Rolandslied allem Anschein nach auf unentbehrliche Geltungsfonds – auf göttliche Inspiration und sacra lingua – zurückkommen muß, zeigt meines Erachtens bereits die gegenüber der Chanson de Roland veränderte Einführung der Karlsgestalt. Gemeinsam ist beiden Texten, daß sie retrospektiv erzählen. Doch während die Chanson de Roland mit Karl an gemeinsame Geschichte und nationale Identität erinnert, stellt das Rolandslied die Aufnahme des Kaisers in gotes riche (V. 10) an den Anfang. Es erzählt allererst vom Ende der Karlsvita, davon, daß der Kaiser das ewige Leben erlangt hat. Geht man nun – wie dies inzwischen allgemein anerkannt ist – davon aus, daß das Rolandslied Anfang der 70er Jahre des 12. Jahrhunderts verfaßt wurde,169 ließe sich die Aussage möglicherweise auch als Anspielung auf Karls Heiligsprechung im Jahre 1165 unter Kaiser Friedrich I. begreifen.170 Insofern würde der deutsche Text nicht allein von einem göttlich legitimierten profanen Imperator erzählen, sondern – anders als die Chanson 167 Dies dürften wohl auch die Verse 9084 f. des Rolandsliedes unterstreichen: ich nehan der nicht an gemeret. | ich nehan dir nicht uber haben. Zugleich möchte ich an dieser Stelle anmerken, daß den Mittelalterphilologien nach wie vor theoretisch-methodische Instrumentarien fehlen, um den mittelalterlichen materia-Begriff interpretatorisch aufschließen zu können; eine ›Theorie des Stoffes‹, die das Verhältnis von Identität und Differenz, von materia, Sprache und ornatus historisch adäquat beschreiben könnte. 168 Damit ließe sich der Verweis auf die Übertragung der Geschichte in die lateinische Sprache auch erklären, ohne – wie etwa Bumke (Mäzene, S. 89, mit Angaben zur älteren Forschung) oder Kartschoke, Kommunikationsprobleme – von einer tatsächlichen lateinischen Version, welche nicht überliefert ist, auszugehen. Entsprechend begreife ich – im Unterschied zu Kartschoke – den Verweis auf die lateinische Version nicht als Indiz für »Kommunikationsprobleme« (S. 196 u. ö.), sondern für Geltungs- und Legitimationsbedürfnisse volkssprachlicher Literatur im Mittelalter. 169 Entscheidend für den weitgehenden Konsens war die Arbeit von Kartschoke zur »Datierung des deutschen Rolandsliedes« (1965). 170 Vgl. dazu besonders Geith, Carolus Magnus, S. 106–109, Ott-Meimberg, Kreuzzugsepos, S. 18–39, Vollmann-Profe, Rolandslied, S. 50, Mertens, Religiöse Identität, S. 78, Lutz, Herrscherapotheosen, S. 94–97. Im Text selbst wird Karl allerdings an keiner Stelle als Heiliger bezeichnet.

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de Roland – von einem nunmehr Heiligen. Für die Narration hat die Heiligung ihres Erzählgegenstandes grundlegende Konsequenzen, von denen her sich auch das Eingangsgebet erklären ließe: Allein indem der Text als eine von Gott sanktionierte, ja von Gott selbst in den Mund des Erzählers gelegte Gabe im Sinne Rm 12, 1.6 inszeniert wird, kann er seine prinzipiellen Geltungsdefizite, die ihm aus der Profanierung des heiligen Erzählgegenstandes im Zuge des volkssprachlichen Erzählens zu erwachsen drohen, verschleiern. Ähnliche Strategien verfolgt der Verfasser des Rolandsliedes in der Beschreibung der übrigen christlichen Helden: Im Unterschied zum französischen Text erzählt das Rolandslied mehrfach, daß diese bereits in den Chor der Märtyrer und in den Liber vitae aufgenommen wurden.171 Damit hebt es die endliche Geschichte des Heroen in der Vergangenheit von der aller Zeit und Geschichtlichkeit enthobenen Ewigkeit des Märtyrers in der Transzendenz ab. Und ferner behauptet es die Möglichkeit unmittelbarer Anteilnahme an ihrem Heil. Als bruche nämlich zwischen irdischer Welt und gotes riche (V. 3948 f.) stehen die Märtyrer nun allen büßenden Sündern helfend zur Seite. Der Text greift damit – wie an so vielen anderen Stellen auch – konkrete Formen der zeitgenössischen, also dem Rezipienten durchaus vertrauten, Frömmigkeitspraxis auf.172 Im Gebet des Einzelnen oder in gemeinschaftlichen kultisch-ri171 Rolandslied V. 231–234; vgl. ferner die Namensliste (V. 3259–3278); Oliver betet unmittelbar vor seinem Tod dafür, daß die Namen aller im Heidenkampf gefalleo nen Christen in des ewigen libes buche (Rolandslied V. 6516) eingetragen werden. 172 Ich erinnere etwa an die viermalige Eucharistiefeier, an die der Beichte ähnlichen Sündenbekenntnisse vor Gott oder an das wiederholt thematisierte Taufsakrament. Wahrscheinlich könnte man mit Blick auf die zahlreichen Gebete der Protagonisten und die predigthaften Reden des Bischofs Turpin sogar so weit gehen, zu behaupten, daß sich das Rolandslied unter extensiver Ausbeutung liturgischer Strukturen und Formeln eine gewisse Herausgehobenheit gegenüber anderen Formen literarischer Rede sichere. Da es sich aber – wie Backes, Bibel oder Ohly, Dichtungsschluß gezeigt haben – bei allen Anklängen an die Liturgie nicht um direkte Zitate handelt, und auch das Rolandslied trotz eingespeister liturgischer Elemente unzweifelhaft ein literarischer Text bleibt, wäre sein Charakter wohl am ehesten – mit einem Terminus von Müller (Ritual, vgl. besonders S. 44–48) – als pararituell (oder auch paraliturgisch) zu beschreiben. Müller entwickelt den Terminus im Blick auf den Aufführungscharakter von Minnesang in Auseinandersetzung mit Soeffners (vgl. etwa Rituale) soziologischen Ansätzen zum Ritual-Begriff. Mit dem Begriff ›Pararitualität‹ bezeichnet Müller den Status des Sangs auf der Schwelle zwischen rituellem und alltäglichem Handeln: Minnesang fingiere lediglich ritualisiertes Verhalten und erlaube auf Grund seines Inszenierungscharakters Distanz zum Geschehen. Im Unterschied zur Wiederholungsstruktur des Rituals zeichne sich pararituelles Handeln durch Variation in der Wiederholung und durch seine relative Offenheit aus.

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tuellen Kommunikationszusammenhängen – so die Vorstellungen, an denen auch das Rolandslied partizipiert – wird die Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz verschoben oder mittels einer bruche gar aufgehoben, wird die Anwesenheit der Heiligen unmittelbar. Der Text deutet zumindest auf das, was er selbst im Akt der Narration nie herzustellen vermag: die Gegenwart des Heiligen. Er kann darüber erzählen, er kann das Heilige repräsentieren – aber er kann es nicht vergegenwärtigen.173 Doch nicht nur in der rituellen Transgression wird die Gegenwart des Heiligen erfahrbar, sondern desgleichen und immer schon in seinen Reliquien. Auch davon weiß das Rolandslied zu erzählen. Aber der Text beläßt es nicht bei narrativen Repräsentationen des in den Reliquien gegenwärtigen Heils, sondern verweist darüber hinaus – als eine weitere Strategie zur Sanktionierung seiner Rede – auf die unmittelbare Präsenz der Heiligen in noch heute vorhandenen Reliquien: So sind etwa – erstens – die blutigen Tränen, die Karl einst über die in den Heidenkämpfen gestorbenen Christen weinte, immer noch auf jenem Stein, auf dem er klagend saß, zu sehen.174 Zweitens: Noch heute wird das Kreuz, welches ein Engel dem Kaiser unmittelbar vor seiner Ankunft in Ronceval gebracht hatte, in Aachen aufbewahrt. Wie auch Rolands göttliches Schwert ist es zur Wahrnehmung des Heiligen mit Reliquien gefüllt.175 Und drittens ist es wohl alles andere als Zufall, daß der Verfasser des deutschen Textes gegenüber der Chanson de Roland die Reliquien in Rolands Schwert austauschte: Statt dem Blut des heiligen Basilius enthält Durndart im Rolandslied Reliquien des heiligen Blasius (diu herschaft sent Plasien, V. 6875) – des Patrons der Welfen und damit letztlich auch des wahrscheinlichen Auftraggebers des Rolandsliedes, Heinrichs des Löwen:176 Dem heiligen Blasius war die Stiftskirche der Burg Dankwarderode, der Dom zu Braunschweig, geweiht. Mit einem reichen Reliquienschatz bedachte der Herzog nach seiner Rückkehr

173 Zur kategorialen Verschiedenheit zwischen einerseits Sakrament oder Reliquie, in denen das Heil real präsent ist, sowie andererseits dem allein Präsenz repräsentierenden Erzählen vgl. die Überlegungen von Strohschneider, Textheiligung. o 174 Rolandslied V. 7564–7567: daz blut floz im uon den ougin. | uf den stain er gesaz: | inoch o hiute ist er naz | da daz blut ane floz. Karl trauert über Roland, der für ihn gestorben ist, und er vergießt dabei die blutigen Tränen des Sünders. So wie Karls Gebete markieren auch die blutigen Tränen, daß Karl selbst bereit wäre, für seine Sünden zu sühnen, sein eigenes Blut zur Tilgung der Sünden zu vergießen. Zur Bedeutung von Blutreliquien im Mittelalter vgl. Brückner, Blutwunder, Sp. 292 f. 175 Rolandslied V. 7475–7478, V. 7483 f. 176 Vgl. dazu besonders Bertau, Repräsentationskunst, S. 344–351.

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aus Jerusalem (1173) den Dom.177 Und im Stiftungsbild des sogenannten Helmarshausener Evangeliars, welches im Auftrag Heinrichs des Löwen und seiner Gattin Mathilde entstand,178 ist es ebenfalls der heilige Blasius, welchem der Herzog das Evangeliar überreicht.179 Dies heißt, daß literarische Rede sich an dieser Stelle dadurch zu behaupten versucht, daß sie enge Bezüge zwischen Erzählgegenstand und authentischen, für die Rezipienten durchaus unmittelbar und konkret erfahrbaren Zeugnissen zugleich kultisch-religiöser wie herrschaftlich-repräsentativer Praxis stiftet. Der Epilog, dem der nun folgende letzte Teil meiner Rolandslied-Interpretation gewidmet ist, setzt dieses Programm fort, schließt aber in seine literarischen Selbstbeschreibungen neben Gott, dem Verfasser beziehungsweise Erzähler sowie dem Text auch seine Stifter und – stärker noch als dies im Prolog der Fall ist – seine Rezipienten ein. 177 Vgl. Bertau, Repräsentationskunst, S. 350. 178 Vgl. dazu besonders die neuere Forschung (mit umfangreichen Angaben zu älteren Untersuchungen und Debatten): Klemm, Evangeliar und Evangeliar Heinrichs, Kötzsche/Fleckenstein/Abs Evangeliar, Kötzsche, Evangeliar, Fried, »Das goldglänzende Buch«, Gosebruch, Helmarshausen, Oexle, Zur Kritik, Memoria Heinrichs, S. 147–158, Welfische Memoria, S. 85–90 sowie Fama und Memoria, S. 66–68, Milde, Krönungsdarstellungen. Wenngleich sich ein Konsens zur Spätdatierung (zweite Hälfte der 80er Jahre des 12. Jahrhunderts) des Evangeliars abzeichnet, ist diese keineswegs unumstritten. Vgl. etwa die Auseinandersetzungen zwischen Fried, »Das goldglänzende Buch« und Oexle, Zur Kritik (mit Rekursen auf ältere Diskussionen). Mein Verweis auf den im Evangeliar dargestellten Blasius soll aber allein dazu dienen, auf die Sonderstellung des Heiligen für das Welfenhaus aufmerksam zu machen. Damit ist keine Aussage im Hinblick auf die mögliche Entstehungszeit getroffen. Auf Datierungsfragen möchte ich mich weder hinsichtlich des Rolandsliedes noch des Evangeliars einlassen, weil es mir allererst um Parallelen und Wiederholungen in der Programmatik jener Werke geht, welche im Auftrag Heinrichs des Löwen entstanden sind, nicht aber um ihre unmittelbare Abhängigkeit voneinander oder die Reihenfolge ihrer Entstehung. 179 Umstritten ist dagegen, welche Art von Gegenstand Mathilde in ihrer linken Hand hält. Während etwa Kötzsche, Gabe vermutet, daß es sich um eine Prunkfibel handelt, hält Kroos die flache, kreisrunde Gabe für »eine von der Seite gesehene gerollte, besiegelte Urkunde« (Bilder, S. 185). In Anbetracht der ›Sammelleidenschaft‹ des Herzogspaares für Reliquien erscheint es mir dagegen naheliegender, daß mit Mathildes Gabe ein scheibenförmiges Reliquiar gemeint sein könnte. Reliquiare dieser Art konnten »rund, oval oder polygonal sein« oder bestanden »aus einem unterschiedlich gestuften Mehrpass […]. »In der Mitte« besaßen »sie meist ein kleines Behältnis zur Aufnahme der Reliquien. Scheibenförmige Reliquiare waren fast in allen Fällen zum Aufhängen vorgesehen […].« Sie stammten vor allem »aus dem Maasgebiet, nur wenige aus Niedersachsen […]. Eine kleine Anzahl jüngerer […] Reliquiare« hatte »ihren Ursprung in Nordfrankreich« (Diedrichs, Sichtbarkeit der Reliquie).

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4.3.2 Herrschaftsrepräsentation und Heilssicherung Zahlreiche Indizien sprechen nicht allein dafür, daß auch das Rolandslied im Auftrag Heinrichs des Löwen und seiner Gattin Mathilde enstanden ist,180 sondern zudem läßt es sich – so möchte ich zum Abschluß postulieren – ähnlich wie das Helmarshausener Evangeliar als Stiftung181 und ›Memorialtext‹182 des Herzogspaares begreifen. Oder vielmehr: Es beutet solcherart – Heil und memoria versprechende – religiöse Stiftungen im engeren Sinne strukturell und programmatisch zur Legitimierung der weitaus weniger institutionell gesicherten literarischen Rede aus: Mit höchstem Preis auf den herzogin Hainriche (V. 9018) und di edele herzoginne (V. 9024) setzt der Epilog des Rolandsliedes ein. Ihnen – vor allem der Herzogin – ist es zu verdanken, daß der ursprünglich französische Text (die matteria […] gescriben ze den Karlingen, V. 9020/9023) überhaupt einem deutschen Publikum zugänglich werden konnte. So also wird die Tradierungskette der matteria nicht nur an ihrem Ursprung erweitert: Sie reicht nun von Karl dem Großen, dem Akteur 180 Vgl. Nellmann, Pfaffe Konrad, Sp. 119–121 (mit Angaben zur älteren Forschung), ferner vor allem Geith, Carolus Magnus, S. 109–122 sowie Karlsdichtung, Bumke, Mäzene, S. 85–91, S. 138–148, Mertens, Literatur am Welfenhof, Steer, Literatur am Braunschweiger Hof, besonders S. 347–349, S. 353–356. 181 Bereits Bertau, Repräsentationskunst rechnet das Rolandslied den fürstlichen Stiftungen der Welfen zu. Allerdings wurden seine Analysen von der Forschung kaum weiterverfolgt und vertieft. Am Rande greifen Victor (Widmungsgedicht, besonders S. 323–326), Steer (Literatur am Braunschweiger Hof, S. 349) und Geith (Karlsdichtung, S. 344 f.) Bertaus These auf. Erst neuerdings wieder verweist Lutz (Synthese und Herrscherapotheose, vor allem S. 92–94) auf die verwandte Programmatik von Evangeliar und Rolandslied. Allerdings konzentriert sich Lutz vornehmlich auf die eschatologischen Dimensionen beider Stiftungen. Der »Kern der Aussage« beider Stiftungen sei »[d]aß nach johanneischer Tradition (die Augustin und Otto von Freising vermitteln) wahrer Glaube zu einer ersten Auferstehung führt, die vor dem jüngsten Gericht bewahrt, weil dieser Glaube die Mitregentschaft mit Christus schon jetzt und am Ende der Zeiten den unmittelbaren Übergang in die Seligkeit gewährt« (Herrscherapotheose, S. 93). 182 Ich verwende diesen Terminus in Anknüpfung an Oexles zahlreiche Studien zur Bedeutung von memoria und Memorialüberlieferung im Mittelalter (siehe Literaturverzeichnis). Memoria als »konstituierendes Element von Gemeinschaft« (Memorialüberlieferung, S. 86 u. ö.) manifestiert sich in Gebet und Fürbitte, in der schriftlichen Überlieferung liturgischen Gedenkens (libri memoriales und Nekrologien) und in ›Memorialbildern‹ (vgl. dazu vor allem Oexle, Memorialbild). Zum liturgischen Gedenken im Mittelalter vgl. außerdem die Arbeiten von Schmid (siehe Literaturverzeichnis) sowie den von Schmid/Wollasch herausgegebenen Sammelband Memoria; darin besonders Ohly, Memoria.

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und Zeugen der Geschichte sowie erstem Auftraggeber, über den heiligen Ägidius und einen anonymen Schreiber zu der im Epilog genannten Herzogin und zu Heinrich. Und weiter heißt es: Die Übertragung der Geschichte habe ihnen und dem Reich alle Ehren eingebracht (da ist daz riche wol mit geret, V. 9034), doch auch Gott möge Heinrich und seine Gattin belohnen, indem er ihnen das ewige Leben zuteil werden lasse. Allerdings ist es nicht allein der Erzähler, dem dieser Wunsch in den Mund gelegt wird. Ihm wird die einem Priester entlehnte Dignität zugesprochen, kraft der er sich selbst und die Rezipienten der Geschichte im kollektiven wir (V. 9017) gleichsam rituell zusammenschließt, um gemeinsam für das Heil des Herzogspaares zu beten: Nu wnschen wir alle geliche dem herzogin Hainriche daz im got lone. […] mit den liechte¯ himil wizen scaren nach werltlichen arbaiten werdent si [Herzog und Herzogin] gelaitet, unter allen erwelten gotes kinden da si di ewigen mandunge uinden. […] an dem iungistin tage da got sin gerichte habe, daz er in ze gerichte nine uordere, sundir er in ordine zu den ewigin gnaden, dar umbe rufe wir alle AMEN ! (Rolandslied V. 9017–V. 9076) (Nun wünschen wir alle gleichermaßen dem Herzog Heinrich, daß Gott ihm lohne. Von den strahlenden himmlischen Heerscharen werden sie [Herzog und Herzogin] nach der irdischen Mühsal mit allen auserwählten Kindern Gottes dorthin geleitet, wo sie die ewige Freude finden werden. Daß Gott am Jüngsten Tag, wenn er sein Gericht halten wird, ihn nicht mehr zur Rechenschaft ziehen, sondern ihm einen Platz im ewigen Gnadenstand geben möge, darum wollen wir alle beten. Amen!)

Insofern der Epilog Gott als weitere Instanz ins Spiel bringt, wird beiden mehr als nur die Rolle der Mäzene oder Auftraggeber eines literarischen Werkes zuerkannt: Sie werden – und dies ganz ähnlich wie im Helmarshausener Evangeliar, einer religiösen Stiftung par excellence – als Stifterpaar dargestellt. Im Unterschied zur Struktur von Mäzenatentum und Auftraggeberschaft zielt die Logik von Stiftungen auf komplexe (dreistellige) Beziehungen und Verpflichtungsverhältnisse, die 308

Der Text als Stiftung

auf Dauer – über ein Hier-und-Jetzt hinaus – angelegt sind:183 Dafür daß Heinrich und seine Gattin die Karlsgeschichte einem deutschen Publikum zugänglich gemacht haben – so die Argumentation des Rolandsliedes –, sollen sie im Gegenzug das Gedenken der Rezipienten und Gottes Gnade erwarten dürfen. Demnach sichert sich das Stifterpaar die memoria der Rezipienten über die Grenzen der profanen literarischen communitas hinaus, insofern jene, die das Rolandslied rezipieren, Heinrich und seine Gattin auch in ihre Gebete einschließen mögen. Der Epilog greift also noch einmal einen der zentralen Gedanken des Rolandsliedes, den der communitas auf: Christus hat nach biblisch-theologischem Verständnis sein Blut und seinen Leib für alle dargebracht. In der Eucharistie vergegenwärtigen die christlichen Helden gemeinsam immer und immer wieder diesen Entsühnungsakt. Gemeinsam kämpfen sie auch gegen die Heiden, gemeinsam sterben sie den Opfertod in der Nachfolge Christi und gemeinsam werden sie im Chor der Märtyrer aufgenommen. In einem gemeinschaftlich vollzogenen Akt der Erinnerung sowohl an Christi Tod als auch an die Märtyrer der Karlsgeschichte sowie die Stifter des deutschen Textes soll sich auch eine communitas der Rezipienten konstituieren. Das Rolandslied stiftet damit eine Erinnerungsgemeinschaft in Analogie zur kultisch-religiösen Gemeinschaft, deren memoria wiederum das vom Herzogspaar gestiftete Pracht-Evangeliar dauerhaft gewährleistet, weil es wieder und wieder in der liturgischen Feier benutzt wird. Im Widmungsgedicht der Handschrift (fol. 4v) ist der Adressat der kostbaren Gabe eindeutiger als im Rolandslied formuliert, es ist Christus. Aber das Streben, das sich mit der Stiftung verbindet, ist ebenfalls eschatologisch ausgerichtet. Auch im Evangeliar wird die Hoffnung auf das ewige Leben, auf einen Platz in der Gemeinschaft der Gerechten, formuliert:

183 Ich folge der von Strohschneider, Textheiligung und Rehberg, Mäzene (besonders S. 28) angeregten terminologischen Differenzierung zwischen ›Mäzen‹,›Auftraggeber‹ und ›Stifter‹. Im Unterschied zu Mäzen und Auftraggeber befindet sich der Stifter (mindestens) in einer Dreierkonstellation, insofern die Stiftung allererst einer dritten Instanz (beispielsweise Gott oder einer bestimmten Gemeinschaft) gilt. Im Gegenzug dafür, daß er den Künstler und seine Kunst finanziert, hofft der Stifter auf eine indirekte Gegenleistung (etwa Heil oder öffentliche Anerkennung und memoria). Die Struktur der Stiftung – so möchte ich hinzufügen – kann noch komplexer sein, als sie dort skizziert wird, wenn etwa zu Künstler, Stifter und einer dritten Instanz zwischen ihnen vermittelnde Figuren (Intercessoren) hinzutreten.

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Inter quae, Chr(ist)e, fulgens auro liber iste Offertur rite spe perpetuae tibi vitae. Inter iustoru(m) consortia pars sit eoru(m). (Widmungsgedicht 14–16) (Eines ihrer Geschenke, Christus, ist dies von Gold glänzende Buch, das dir in Hoffnung auf das ewige Leben feierlich dargebracht wird. Mögen sie in die Schar der Gerechten aufgenommen werden!) 184

Damit korrespondiert die Darstellung des Herzogspaares im Dedikationsbild (fol. 19r). Dort sieht man in der oberen Hälfte Maria, die – in der ikonographischen Tradition der Sancta Theotocos – Christus im Schoß trägt. Das Spruchband, welches sich um die Gottesmutter windet, verheißt – gleichsam als Antwort auf das Widmungsgedicht – das Reich des Lebens: Ad regnum vite me subveniente venite. Im unteren Bildteil sind Heinrich, – leicht erhöht – die Heiligen Blasius und Ägidius sowie Mathilde dargestellt. Der Herzog hält seine erlesene Stiftung, das ›von Gold glänzende Buch‹, in der linken Hand. Ferner läßt sich an Hand der Darstellung sehr gut ablesen, was es mit dem Heiligen als bruche (Rolandslied V. 3948) zwischen Immanenz und Transzendenz auf sich hat. Heinrich nämlich überreicht seine Stiftung nicht unmittelbar dem Gottessohn, sondern die Christus zugedachte Gabe bedarf eines Intercessors. Dies ist in der Miniatur der Patron der Welfen, St. Blasius, welcher einerseits die Hand des Herzogs hält und mit dem Zeigefinger des zweiten Armes auf die Gottesmutter und Christus weist. Damit entsteht in der Darstellung eine Linie, die vom Körper des Stifters aus über den Heiligen genau in den Schoß der Sancta Theotocos führt. Programmatische Parallelen zwischen dem Epilog des Rolandsliedes und dem Evangeliar lassen sich auch in der Präsentation des Herzogspaares ausmachen: Da wäre zunächst die Betonung ihrer hohen Herkunft. Das Widmungsgedicht des Evangeliars verweist auf die Abstammung Mathildes aus königlichem (stirps regalis) und die Heinrichs aus kaiserlichem Geschlecht (stirps imperialis). Darüber hinaus benennt es den Herzog als Nachkommen Karls des Großen (nepos Karoli).185 Das

184 An dieser Stelle und im folgenden zitiere ich nach Klemm, Evangeliar, S. 36, Übersetzung S. 35. 185 Diese Aussage ist – wie Oexle (Memoria Heinrichs, S. 155 f., Welfische Memoria, S. 86–89) zeigt – nicht nur eine genealogische Behauptung zur Erhöhung des eigenen Status (so argumentiert etwa noch Victor, Widmungsgedicht, S. 307–309). Die Genealogie Heinrichs läßt sich über die braunschweigischen Vorfahren seiner Großmutter, der Kaiserin Richenza, auf Gisela (gest. 1043), einer Nachfahrin Karls des Großen, zurückführen. Vgl. auch die Verwandtschaftstafel in Oexle, Fama und Memoria, S. 64. Vgl. dazu außerdem Kellner, Ursprung, Kapitel 3.

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Krönungsbild (fol. 171v) bezieht die königlichen und kaiserlichen Vorfahren, tote und lebende Verwandte des Herzogspaares in die Heilsgemeinschaft ein. Es erinnert einerseits an die Eltern (Heinrich den Stolzen und Gertrud von Süpplingenburg) und kaiserlichen Großeltern (Lothar III. und Richenza von Northeim) Heinrichs186 sowie andererseits an den Vater (den englischen König Heinrich II.) und die Großmutter (Königin Mathilde) der Herzogin. Wenngleich das Rolandslied ein solch umfassendes genealogisches Programm freilich nicht aufzubieten vermag, läßt es das Thema auch nicht ganz aus. Die Herzogin nämlich wird immerhin als die Tochter eines vornehmen Königs (aines o richen chuniges barn, V. 9025) herausgestellt; und damit entspricht diese Aussage jener, die im Evangeliar über Mathilde getroffen wird. Heinrichs Status dagegen wird im Rolandslied nicht qua Genealogie abgeleitet. Dennoch präsentiert der Text eine Reihe von indirekten Bezügen zwischen Karl dem Großen und Heinrich, die sich – so glaube ich – durchaus als Anspruch des Herzogs auf die Karlsnachfolge interpretieren ließen. Erstens spricht der im Auftrag Heinrichs entstandene Text selbst dafür, der die Gestalt Karls als göttlich legitimierten Herrscher von höchstem Rang noch weitaus stärker profiliert, als dies die Chanson de Roland getan hatte. Zweitens läßt das Rolandslied eine Tradierungskette offenbar werden, die vom ersten Auftraggeber – nämlich Karl dem Großen persönlich – ungebrochen zum Stifter des deutschen Textes – zu Herzog Heinrich – führt. Und drittens wird Heinrich gewiß nicht zufällig im Epilog mit dem biblischen König David verglichen. Dies geschieht, indem der Herzog allen anderen Zeitgenossen gegenüber als der dem Davidvergleich einzig würdige Herrscher herausgehoben wird: Nune mugen wir in disem zite dem chuninge Dauite niemen so wol gelichen so den herzogen Hainrichen. (Rolandslied V. 9039–9042) (Nun können wir zu unserer Zeit dem König David keinen so gut vergleichen wie den Herzog Heinrich.)

Insofern präsentiert der Epilog natürlich eine immense Geltungsbehauptung des Herzogs; wird er als christlicher Herrscher von höchster

186 Akzentuiert wird damit Heinrichs kaiserliche Abstammung sächsischer Provinienz. Vgl. ausführlicher hierzu Oexle, Memoria Heinrichs, S. 153–155 sowie Kellner, Ursprung, Kapitel 3.

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Legitimität in Szene gesetzt. Dennoch lese ich diesen Vergleich, der freilich weitgehend allererst Königen vorbehalten ist, weniger als einen Anspruch Heinrichs auf die Königswürde187 denn vor allem als Form herrschaftlich-repäsentativer (und zugleich religiöser)188 Ansippung an Karl den Großen, der genau am Gedenktag seines typologischen Vorbildes David kanonisiert wurde.189 Dem Davidvergleich folgt umfangreiches Lob auf den Herzog und sein Werk: Wiederum Karl vergleichbar – wird Heinrich als unbesiegbarer Gotteskämpfer gegen die Heidenschaft beschrieben.190 Sodann folgt ein Preis auf den herzoglichen Hof und die Tugenden des Fürsten. Erwähnt wird unter anderem der Glanz, der von Heinrichs Herrschaftsmittelpunkt ausgeht und niemals vergehen wird: in sinem houe newirdet niemir nacht. ich maine daz ewige licht: des nezerinnit im nicht. […] 187 Aus der Behauptung königgleichen Ranges zur repräsentativen Darstellung des Herzogs lassen sich meines Erachtens noch keine Aussagen über mögliche Ansprüche Heinrichs auf die Königskrone ableiten In der Forschnung werden solche sowohl mit Blick auf den Epilog des Rolandsliedes als auch auf die Krönungsdarstellung des Evangeliars diskutiert. Zu den Verhandlungen um die mit dem Rolandslied formulierten Ansprüche Heinrichs vgl. Nellmann, Karl, Bertau, Repräsentationskunst, besonders S. 338 f., Ott-Meimberg, Kreuzzugsepos, S. 275, Geith, Karlsdichtung, S. 344 f., Lutz, Synthese, besonders S. 65 f. Zu den Diskussionen um die Krönungsdarstellung vgl. besonders Klemm, Evangeliar, S. 21, S. 30 f., Oexle, Zur Kritik, besonders S. 108 f. sowie Memoria Heinrichs, vor allem S. 168 f., Welfische Memoria, S. 86 f., Milde, Krönungsdarstellungen, S. 295 f. In den hier aufgeführten jüngeren Forschungen zum Evangeliar Heinrichs des Löwen wird – in Auseinandersetzung mit älteren Debatten – die Vorstellung, es handle sich um den Anspruch auf eine irdische Krönung, eher verworfen. Vgl. dazu exemplarisch Kötzsche/Fleckenstein/Abs: »Zwar erinnert die Darstellung an das Bildschema der Herrscherkrönung durch Christus in der byzantinischen und der ottonischen Kunst, doch ist sie hier in ein umfassendes endzeitliches Bildprogramm eingebunden, wie es von alters her für die himmlische Krönung heiliger Personen geläufig ist« (Evangeliar, S. 22). 188 Die Analogie, die das Rolandslied zwischen Karl, David und Heinrich aufscheinen läßt, bezieht sich vor allem auf deren vorbildliches Bußverhalten vor Gott. Vgl. die von David gesprochenen Bußpsalme (Ps 50, 51), Karls Sündenbekenntnis und Bereitschaft zur Buße (Rolandslied V. 2999–3024, V. 3050–3053, V. 3064 f., V. 7454–7457) sowie den Kommentar zu Heinrichs Bußverhalten (Rolandslied V. 9066–9070). 189 Vgl. dazu Geith, Karlsdichtung, S. 341 f., Mertens, Religiöse Identität, S. 78. 190 Rolandslied V. 9043–9049: got gap ime di craft | daz er alle sine uiande eruacht. | di cristen hat er wol geret, | di haiden sint uon im bekeret: | daz erbet in uon rechte an. | zefluchte gewant er nie sin uan: | got tet in ie sigehaft.

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Der Text als Stiftung

in sime houe mac uindin alle state unt alle zucht. (Rolandslied V. 9050–9052, V. 9058 f.) (An seinem Hof wird niemals Nacht. Ich denke an das ewige Licht, das ihm niemals erlischt. An seinem Hof kann man Beständigkeit und feine Sitten sehen.)

Warum das Licht am Braunschweiger Hof stets zu leuchten vermag,191 formuliert ausführlich das Widmungsgedicht des Evangeliars: Larga manus quoru(m) superans benefacta prioru(m) Extulit hanc urbem, loquitur q(uo)d fama p(er) orbe(m), Sacris s(an)c(t)orum cu(m) religione bonorum Te(m)plis ornavit ac muris amplificavit. (Widmungsgedicht 10–13) (Ihre Freigebigkeit übertraf alle ruhmreichen Taten ihrer Vorgänger. Sie haben diese Stadt glanzvoll erhöht; die Fama verkündet es über den gesamten Erdkreis. Sie haben der Stadt mit geweihten Kirchen und dem Reliquienschatz helfender Heiliger Glanz und Ansehen geschenkt und sie mit weiten Mauern befestigt.)

Die prunkvollen religiösen Stiftungen selbst und vielmehr noch die fama, welche dem Wirken des Herzogspaares folgen wird, sichern einerseits dem Welfenhof dauerhaften Glanz und Ruhm sowie andererseits Heinrich und seiner Gattin ewige memoria auch über ihren Tod hinaus. Präsentiert werden – so Otto Gerhard Oexle – »alle Aspekt von Memoria«:192 zum einen im Hinblick auf Religion und Heilsgeschichte und zum anderen auf Adelsherrschaft, Politik sowie höfische Kunst und Kultur. Und schließlich treten ebenso die Verfasser von Rolandslied und Evangeliar aus der Anonymität heraus, um den Wunsch auf ein Weiterleben in ihren Werken und darüber hinaus zu verkünden: Ob iu daz liet geualle, so gedencket ir min alle: ich haize der phaffe Chunrat. (Rolandslied V. 9077–9079) (Wenn euch das Gedicht gefällt, so gedenkt alle meiner: Ich bin der Pfaffe Konrad.)

191 Ohly (Beiträge, besonders S. 105) interpretiert diese Stelle nicht als Preis des Welfenhofes, sondern als Beschreibung des Himmlischen Jerusalem, in dem es – laut Apc 21, 25 – niemals Nacht wird. Im Vergleich mit dem Widmungsgedicht des Evangliars Heinrichs des Löwen möchte ich vorführen, warum ich – ebenso wie auch Kartschoke (Kommentar, S. 747 f.) – Ohlys Lesart ablehne. 192 Oexle, Welfische Memoria, S. 86.

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Gewalt und Heil

Dicite, nunc nati, narrantes posteritati: En Hel(m)wardense ConradoII° patre iubente Devota mente ducis imperiu(m) p(er)agente, Petre, tui monachi liber hic labor e(st) Herimanni. (Widmungsgedicht 17–20) (Ihr Menschen von heute, kündet es der Nachwelt: Auf Weisung des Abtes Konrad [II] von Helmarshausen, der in treuem Gehorsam einen Auftrag des Herzogs erfüllte, liegt hier nun, Petrus, dieses Buch vor. Dein Mönch Herimann hat es geschaffen.)

Ähnlich wie die Stifter der Werke hoffen auch sie darauf, in die Gebete sowohl der zeitgenössischen Rezipienten als auch der Nachwelt einbezogen zu werden. Während sich der Verfasser des Rolandsliedes in der memoria wohlwollender Rezipienten verewigt wissen will, wird im Widmungsgedicht des Evangeliars vor allem in der weitläufig verbreiteten Kunde über Auftraggeber und Schöpfer eine Möglichkeit zur dauerhaften Sicherung von Erinnerung gesehen. Beide Texte beanspruchen ein Weiterleben über das Hier-und-Jetzt hinaus: für die Stifter, für sich selbst und ihre Schöpfer. Die jeweiligen Programme von Rolandslied und Evangliar – so könnte man die vorangegangenen Beobachtungen wohl auf den Punkt bringen – haben vor allem eines gemeinsam: Sie verknüpfen politische und religiöse Motive auf verschiedenen Ebenen und auf vielfältige Weise miteinander. Strukturen, Konstellationen, Regeln und Mechanismen feudaladliger Herrschaft werden nicht losgelöst von Fragen nach der Einbindung in heilsgeschichtliche Abläufe und der Erlösbarkeit von Sünden verhandelt. Heinrich wird – ebenso wie sein Vorgänger Karl im Rolandslied – als Herrscher von höchster Legitimität dargestellt, der sich allerdings auch des Eingefügtseins in den Gesamtzusammenhang der Welt- und Heilsgeschichte bewußt ist. Und aus dieser engen Verflechtung von eschatologischem Programm und herrschaftlichem Repräsentationsanspruch resultieren meines Erachtens auch die Einordnungsschwierigkeiten des Textes: Diejenigen, die den Text entweder als Legende, als Kreuzzugsepos oder als Staatsroman begreifen, haben eine der Dimensionen unterschätzt. Am Ende aller Gewalt steht der Text als Stiftung, der – so inszeniert es der Prolog – aber erst durch die Gnade Gottes entstehen kann, und der wiederum auch nur, ebenso wie das blutige Opfer der christlichen Heroen, aus göttlicher Gnade angenommen wird. Denn der Gott der Chri314

Der Text als Stiftung

sten läßt sich nicht verpflichten; er hat für sich die imperativischen Regeln des ›do ut des‹ außer Kraft gesetzt. Das Rolandslied – so ließe sich abschließend resümieren – kennt zweierlei Opfer-Begriff: In der Karl-Roland-Geschichte wird das Opfer allererst als Blutzeugnis in der Nachfolge Christi begriffen, dargestellt wird es allerdings als archaisch-heroischer Gewaltakt. Die literarische Eigengeschichte des Rahmens hingegen präsentiert das Opfer – etwa im Sinne des Römerbriefes (12, 1–6) – als in der Materialität der Stiftung zum Ausdruck gebrachtes Glaubensbekenntnis, welches zugleich auch ein Zeugnis fürstlicher Repräsentation ist. In der Figur des Stifters werden letztlich beide Opferformen zusammengeführt: sime schephere opherit er lip unt sele (V. 9066 f.). Heinrichs Glaubenszeugnis und Bußbegehren manifestiert sich sowohl darin, daß er sein Leben in der gewaltsamen Missionierung der Heiden eingesetzt hat, als auch in seinem umfangreichen religiösen, doch zugleich immer auch fürstlich-repräsentativen Stiftungswerk. Von einem ähnlichen Opfer-Verständnis in Christi Nachfolge zeugt übrigens auch das Krönungsbild (fol. 171v) in Heinrichs Evangeliar. Es ist eschatologisch ausgerichtet in seiner Programmatik und zugleich herrschaftlich-repräsentativ in der Art seiner Darstellung des Herzogspaares und seiner Ahnen. Die Adligen sind in erlesene Gewänder gekleidet, welche die elitäre höfische Kultur des 12. Jahrhunderts widerspiegeln. Und die Kreuze, die sie tragen, erinnern weniger an jenes, an dem Christus gestorben war, als vielmehr an Reliquienkreuze, also kostbare Kunst- und Kultgegenstände zur Ausstattung von Kirchen. Die Forderung der Nachfolge Christi, welche auf dem entrollten Schriftband in den Händen des Gottesohnes zu lesen ist,193 wird von der adligen Heilsgemeinschaft nicht etwa im Sinne asketischen Lebens und Sterbens begriffen, sondern vielmehr als Nachfolge im Sinne vollendeter adliger Lebensform und Selbstdarstellung,194 die in ihrer Exklusivität auch auf die Frömmigkeitspraxis übertragen werden. Der mittelalterliche Text schließlich, der kultisch-rituelle und herrschaftlich-repräsentative Kommunikationszusammenhänge ausbeutet, wird als Stiftung begriffen, als Opfer für Gott, mit dem sowohl der Stifter als auch der Verfasser auf die Anerkennung und den Dank der

193 Vgl. den genauen Wortlaut (nach Mt. 16, 24; Lc 9, 23): Qui vult venire post me abneget semet ipsum et tollat crucem suam et s(equatur me). 194 Vgl. Oexle, Memoria Heinrichs, S. 159–171, Memoria als Kultur (Einführung), S. 39 f. sowie Welfische Memoria, S. 85–90, besonders S. 86 f., ferner Plotzek, Evangeliar, S. 206.

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Gewalt und Heil

Rezipienten sowie den Lohn Gottes hoffen. Entsprechend ist die Rede vom Text als Gabe und Opfer ganz substantiell gedacht, ist sie mehr als nur eine Metapher: Als Gabe Gottes entsteht der Text – dem Entwurf des Rolandsliedes nach – auf der Zunge des phaffe[n] Chunrat, der einem Priester und Propheten gleich seinen Leib als Medium Gott hingibt, die heilege urkunde in sich aufnimmt und niederschreibt, ohne daß eines o der göttlichen Worte dabei verloren ginge. Als buch und als mündlich vorgetragenes liet ist es eine Gabe zum Gefallen der Rezipienten und zur Ehre Gottes, welches wiederum dem Verfasser und dem Stifter ewige memoria und den Eintrag ins Buch des Lebens einbringt. Und in diesem Sinne wird der – gleichwohl inszenierte – rituelle Rahmen des Rolandsliedes, den das Eingangsgebet des Prologes eröffnet hat, im Epilog mit einer fingierten liturgischen Formel geschlossen: tu autem o domine miserere nobis! (V. 9094).195 Erzähler und Stifter des buches, die Rezipienten der Erzählung sowie jene Heiligen, von denen das Werk handelt, werden zum Abschluß gleichermaßen in einer Rezeptionsund Heilsgemeinschaft assoziiert.

195 Zu den Geltungsansprüchen, die wohl mit dieser Schlußformel verbunden sind, vgl. Ohly, Dichtungsschluß, besonders S. 26 f.

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Resümee und Ausblick

5. Gabe und Gewalt IV: Resümee und Ausblick

Selbst wenn die Gabe ›vor‹ der Philosophie und der Religion auftaucht, hat sie eine Rückkehr zu sich in die Philosophie, die Wahrheit der Religion, zum Ziel oder zur Bestimmung […]. (Jacques Derrida)1

Am Eingang des Buches stand die Frage nach dem in literarischen Texten verhandelten diskursiven Zusammenhang von ›Gabe‹ und ›Gewalt‹. Zugunsten mikroskopischer Lektürebeobachtungen konzentrierten sich die Untersuchungen auf die Analyse epischer Texte aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts sowie ihrer vorgängigen Erzähltraditionen. Zu beobachten waren nicht nur Schnittstellen zwischen Verhandlungen über die Gabe und Diskursen der Gewalt. Sondern darüber hinaus konnte vorgeführt werden, daß Gabendiskurse in Imperialgeschichten eng eingebunden in Reflexionen über Herrschaft und (Un-)Heil und als solche nicht losgelöst voneinander zu analysieren sind: Den Alexander-Roman begreife ich als Geschichte einer Welteroberung, die sich nicht allein durch kriegerische Gewaltanwendung vollzieht, sondern auch durch Formen symbolischer Kommunikation, die aber immer wieder in Gewalt umschlagen können. Hierbei kommt den Gaben im volkssprachlichen Text ein anderer Status zu als in der griechisch-lateinischen Tradition: Während die Gaben dort den Briefwechsel zwischen den um die Weltherrschaft konkurrierenden Königen Dareius und Alexander nur illustrativ begleiten, werden sie im Straßburger Alexander zu eigenständigen Elementen einer symbolischen Kommunikation. Das Interesse verschiebt sich also von der Schrift auf die Gabe. Der Alexander-Roman selbst unterscheidet zwischen Gaben, welche die jeweiligen Machtansprüche von Dareius und Alexander vermittelt repräsentieren, und solchen, welche das Gewaltpotential des jeweils anderen unmittelbar am Körper der Gabenempfänger erfahrbar wer-

1 Derrida, Feuer und Asche, S. 34.

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Resümee und Ausblick

den lassen. Während die ersten drei Gaben, von denen der AlexanderRoman erzählt (ein goldener Ball, Schuhbänder und eine mit Gold gefüllte Schatulle), die Herrschaftsansprüche (also Gewaltstrukturen im Sinne von potestas) repräsentieren, wird in dem Moment, in dem die Könige jeweils eine weitere Gabe ihrers Gegners (Mohn und Pfeffer) verspeisen, das Zeichen als solches getilgt. Es kollabiert in die unmittelbare Gegenwärtigkeit des Bezeichneten, nämlich der mehr oder minder spürbaren, physischen Gewalt (im Sinne von violentia). Mit der an Dareius übersandten Gabe des Makedoniers (den Pfefferkörnern) wird die Grenze von der ›symbolischen‹ zur ›nackten‹ Gewalt – im Sinne Bourdieus – überschritten und zugleich der Übergang von der symbolischen Kommunikation zu kriegerischer Aktion markiert. Die Gaben – so bleibt unter narratologischen Kriterien festzuhalten – stehen für die sukzessive Zunahme und letztendliche Eskalation von Gewalt. Und schließlich weisen die Auslegung, die die Gaben durch Alexander erfahren, sowie die Wirkung seiner Pfeffer-Gabe auf den Ausgang des Konfliktes voraus. Alexanders welterobernde Macht manifestiert sich von vornherein in seiner überlegenen Deutungsmacht. Doch auf dieser hermeneutischen Ebene muß er auch seiner Grenzen inne werden: An den Mauern des Paradieses – sinnfällig wird dies mit dem augenförmigen Stein, den Alexander dort erhält – ist der makedonische König endgültig an die Grenzen der für ihn deutbaren, und damit auch erfahr- und okkupierbaren Welt gelangt. Unter systematischem Aspekt möchte ich besonders auf Akzentverschiebungen gegenüber den Interessen der bisherigen GabenForschung aufmerksam machen: Rangrivalitäten, die im Zeichen von Gaben ausgetragen werden, müssen nicht zwangsläufig zu potlatchartigen Wettkämpfen im Ablehnen, Überbieten, Verausgaben oder Zerstören der Gaben führen. Sondern sie können, wie im Falle von Dareius und Alexander, bereits auf der Ebene wechselseitiger ostentativer Bedeutungszuweisung beziehungsweise Auslegung einiger weniger Gaben stattfinden. Dargestellt werden die Gaben im Alexander-Roman als Objekte, denen von beiden Herrschern Zeichenstatus zuerkannt wird, als signa data im Sinne des augustinischen Zeichenverständnisses, deren Sinn aber keineswegs – zumindest nicht dem literarischen Entwurf nach – auf innerhalb eines bestimmten kulturellen Subsystems getroffenen Vereinbarungen beruhte und insofern eindeutig festgelegt wäre. Vielmehr werden die Gaben als Zeichen Prozessen der Umkodierung, des Überschreibens mit je anderen Semantiken ausgesetzt. Aus zeichentheoretischer Sicht wird allerdings augenfällig, daß sich Sinnzuschreibungen und Auslegungen ausschließlich im Rahmen for318

Resümee und Ausblick

maler oder funktionaler Ähnlichkeiten bewegen. Mit dieser Beobachtung ließe sich Foucaults These stützen, nach der man die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem noch bis an die Schwelle der frühen Neuzeit vornehmlich über Affinitäten und Homologien bestimmte.2 Als Objekte der memoria – und zwar besonders auf der Ebene der narratio – fungieren die Gaben sowohl in Vergils Aeneis als auch in den darauf basierenden mittelalterlichen Eneas-Romanen. Sowohl Vergil als auch die Erzähler der mittelalterlichen Texte bedienen sich des »›totalen‹ gesellschaftlichen Phänomen[s]«,3 um die erzählte Handlung zu organisieren: Sie funktionalisieren die Gaben als Trägerinnen interund intratextueller Verweise, mit denen entweder zusätzliche Informationen in den Text eingebracht werden oder innerhalb der erzählten Welt der Blick auf Vergangenes und Zukünftiges eröffnet wird. Im Zentrum meiner Beobachtungen und Reflexionen stand unter anderen die Erzählung über den Aufenthalt des aus dem zerstörten Troja geflohenen Eneas im Reich Didos. Eneas läßt der karthagischen Herrscherin zum Empfang Schmuck, königliche Insignien und Gewänder überreichen, die er den Flammen Trojas entrissen hatte. Jene kostbaren Gaben, die ursprünglich aus dem Schatz des trojanischen Königs Priamus respektive aus dessen Umkreis stammten, wurden in Anlehnung an Terminologien von Annette Weiner und Maurice Godelier als ›unveräußerliche‹ oder ›heilige‹ Besitztümer einer Gemeinschaft bezeichnet, als Objekte, die man weder verkauft noch tauscht oder verschenkt, solange diese Gemeinschaft besteht oder man sich ihr zumindest zugehörig fühlt. Sie erinnern – sowohl den Rezipienten als auch Figuren auf der Handlungsebene – an Trojas Geschichte, Eneas› Vergangenheit und seine Zugehörigkeit zu den Priamiden. Allerdings trennt sich Eneas in Karthago nur von jenen Objekten, die ursprünglich Frauen gehörten. Trojanische Schätze, die Eneas später verteilt, lassen sich insofern von jenen Gaben für Dido abheben, als sie entweder innerhalb der Erinnerungsgemeinschaft der aus Troja Geflohenen zirkulieren oder in absehbarer Zeit an den Begründer des Römischen Reiches zurückkehren werden. Diese Differenzierung zwischen im weitesten Sinne kognatisch und agnatisch weitergereichten Gaben indiziert Brüche und Kontinuitäten in der Gründungsgeschichte des Eneas. Ähnlich wie man ein

2 Foucault, Ordnung der Dinge, S. 46–77 sowie besonders S. 92. 3 Mauss, Gabe, S. 17 u. ö.

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Resümee und Ausblick

Mosaik Stein für Stein zusammenfügt, wird im Prozeß des Erzählens mit der nach und nach quasi genealogischen Herleitung zahlreicher Gaben, dem Offenbaren ihrer Ursprünge, Vor- und Vorvorbesitzer wie auch künftiger Empfänger sukzessive das Blickfeld auf Vergangenheit und Zukunft der Trojaner erweitert. Dido empfängt aus den Händen des Eneas – wiederum in einem mythisch-genealogischen Sinne – stigmatisierte Gaben, Zeugnisse der trojanischen Untergangsgeschichte, deren Stigma auf die Empfängerin übertragen wird und das Schicksal Didos – ihren Tod und den Untergang Karthagos – vom Zeitpunkt der Übergabe an erahnen läßt. Nicht etwa ein verpflichtender, bindender ›Geist‹ der Gabe, sondern ihr Stigma des Untergangs wirkt zerstörerisch. Als die von Eneas verlassene Dido die Gaben dem Feuer anheimstellt, vernichtet sie diese als Trägerinnen der Erinnerung an Troja wie auch an ihre eigene erben- und zukunftslose Beziehung zu Eneas. Während Vergil ein komplexes Verweissystem entwirft, welches Gaben als unmittelbar überbrachte göttliche oder rituelle Zeichen bemüht, um den Gang der Geschichte von den mythischen Ursprüngen bis zur römischen Gegenwart an symbolischen Momenten aufscheinen zu lassen – Paradebeispiel ist der von Vulcan geschmiedete Schild –, akzentuiert Heinrich von Veldeke den Gedanken der Reziprozität und variiert das Thema der Liebesgaben in paradigmatisch aufeinander bezogenen Episoden. Systematisch interessant ist vor allem der in Veldekes Roman faßbare Reziprozitäts-Begriff: Er beschreibt nicht das Phänomen eines – erst recht nicht raum- und zeitbegrenzten – ›do ut des‹ oder die Äquivalenz von Gabe und Gegengabe. (Dies würde dem in der Gaben-Forschung gängigen Reziprozitäts-Begriff entsprechen.) Vielmehr wird Wechsel- oder Gegenseitigkeit als komplexes und längerfristiges, oft über Generationen hinweg aufrechterhaltenes Prinzip, welches das schlichte Schema von Gabe und Gegengabe eher ignoriert oder verschleiert, begriffen. Allerdings wird die Logik des ›do ut des‹ weniger oder nur scheinbar von anökonomischen Dimensionen unterlaufen als von einer Logik – so modern dies auch anmuten mag – von Einsatz und Gewinn. Mit der Lektüre des Rolandsliedes verschiebt sich noch einmal der Beobachtungsskopus: Ich lese den Text als Geschichte, die – bezogen auf die Figur Karls des Großen – von den Möglichkeiten der Buße und dem Weg aus der Sünde zum Heil kündet. Der Erzähler führt hierfür einen Terminus ein, den die ältere Chanson de Roland nicht kennt. Es handelt 320

Resümee und Ausblick

sich um den Begriff des Opfers: goldes han ich genuch. | du ich mich aller erste zu hup, | du ophert ich den lib (V. 929–931). Insofern der in der Nachfolge Christi zum Opfertod bereite Heidenkämpfer Karl gegen die Warnung seiner engsten Vertrauten auf ein nur scheinbares Versöhnungsangebot der Heiden, welches durch Gaben besiegelt werden soll, eingeht, läßt der Text selbst die thematisierten Regeln und Konfliktpotentiale feudaladliger Gabenlogik und theologischen Opferdiskurs in unauflösbare Aporien münden. Die Gabe, das Gold der Heiden, wird schließlich zum Auslöser aller Gewalt, und so ist sie geradezu die Bedingung der Möglichkeit des Opfertodes des Märtyrers Roland. Es handelt sich um ein Opfer, welches weder rein archaisch-mythischen noch rein christlichen Vorstellungen folgt. In ihm durchdringen sich christologische Botschaft und archaisches Ritual auf unlösbare Weise, und in diesem Sinne könnte man mit Girard auch von einer Form der Remythisierung des christlichen Opfers sprechen. Denn insofern Roland stellvertretend für die Sünden Karls stirbt, ist er Christus ähnlicher als jene Märtyrer, die einzig für ihre eigene Schuld büßen. Heil und Gottverähnlichung werden sowohl in der Unversehrtheit seines Körpers als auch unmittelbar nach seinem Tod durch Wundererscheinungen offenbar. Allerdings stirbt Roland nicht als widerstandslos leidender Märtyrer, sondern als blutrünstiger Heidenschlächter. Demgegenüber präsentiert die in Pro- und Epilog entworfene literarische Eigengeschichte des Textes das Opfer – etwa im Sinne des Römerbriefes (12, 1–6) – als in der Exklusivität der Stiftung zum Ausdruck gebrachtes Glaubensbekenntnis, welches zugleich ein Zeugnis fürstlicher Selbstdarstellung ist. Obwohl sich die Arbeit auf die Analyse mittelalterlicher Texte konzentriert, zeigt sie Erkenntnisperspektiven auf, die über den verhandelten Zeitraum hinausgehen. Die Bedeutung der Untersuchung liegt nicht allein darin, daß kulturanthropologische Fragestellungen als Schlüssel zur Lesbarkeit mittelalterlicher Texte dienen, sondern zugleich im Aufweis von Bezugssystemen, die der Moderne ihre prekäre historische Dimension verleihen: Einerseits wird ein Topos des menschlichen Verkehrs (›do ut des‹) – als anthropologische Konstante und kommunikativer Imperativ – in seine brisanten Momente zerlegt, als Spannungsensemble von Ausgleich, Störung, Zerstörung gesehen. Andererseits geschieht diese Revision durch das Medium von Texten, die als fremdvergangene, in einem aktuellen Diskursraum erscheinen, weil sie ein Ursprungsszenarium der erwähnten Brisanz des Topischen darstellen. Schließlich ermöglicht dieses Vorgehen einen Blick auf das heute mehr 321

Resümee und Ausblick

denn je feststellbare Ineinander von moderner Kodifikation und archaischem Ritual.4 Die Texte lassen erahnen, daß es Gaben und Opfer ›vor‹ der Literatur gibt. Mit dem Interesse an solchen dürfen jedoch die Eigengesetzlichkeiten jener Welten, die in den literarischen Texten allererst entworfen werden, wie auch die Erzählstrategien zu ihrer Lesbarmachung nicht aus dem Blick geraten. Zu wünschen wäre, daß die vorangegangenen Überlegungen zu dem in der frühhöfischen Erzählliteratur verhandelten Konnex von ›Gabe und Gewalt‹ in diesem Sinne weitergeführt werden. Denkbar wäre, die in den Texten immer wieder thematisierten Zusammenhänge von ›Gabe und Gewalt‹, auch jene von Genealogie und Gabe sowie von Gabe und memoria in diachron angelegten Projekten bis in die Moderne zu verfolgen. Anzusetzen hätte solch ein Projekt wohl mit Studien zu Gabendiskursen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hierzu gibt es zwar bereits ein Reihe historischer Untersuchungen,5 doch kaum eine von ihnen bekommt in den Blick, daß gerade im 15./16. Jahrhundert im Laufe der Verschiebung von segmentären stratifikatorischen zu funktionalen gesellschaftlichen Differenzierungsmodalitäten auch vielschichtige wie widerspruchsvolle Prozesse der funktionalen Ausdifferenzierung von Gabe, Geschenk und Geld, der zunehmenden Unterscheidung von ökonomischen und semiotischen Ressourcen zu beobachten wären.6 4 So vermag beispielsweise die Analyse abgelehnter Gaben offenzulegen, was moderne Vertragsgesellschaften unter dem Aspekt eines juridischen Gabentausches bändigen – etwa im Schenkungs-Paragraphen des BGB (§ 516), in dem die Möglichkeit einer Ablehnung der Schenkung auffällig ausführlich thematisiert wird –, welche Tabus sie bewahren und welche Zerstörungspotentiale in ihnen aufgehoben sind. 5 Vgl. etwa die Arbeiten von Groebner, Davis, Gift, Ehm, Geschenkpraxis, Fantoni, La corte. 6 Ich spiele hier auf einen Prozeß an, an dessen Abschluß (in der Moderne) die Gabe weitgehend ihren institutionellen und damit für die Gesellschaft zentralen Status verloren hat, einen Prozeß, der die Gabe schließlich zur Metapher für Dinge, die sich aller Verfügbarkeit und Ökonomie entziehen (etwa in Derridas Philosophie der Gabe) oder zur umgangssprachlichen Metapher im Sinne von ›Hingabe‹ oder ›Vergebung‹ hat werden lassen. Natalie Zemon Davis ist bisher eine der wenigen geblieben, die den dichten Verknüpfungen von Gabentransfer und Geldökonomie in der Frühen Neuzeit – und zwar im Frankreich des 16. Jahrhunderts – in einer materialreichen Studie nachgegangen ist. Davis beschränkt sich nicht auf die Analyse von Zeugnissen der Hof- und Gelehrtenkultur, sondern diskutiert – in der Tradition der nouvelle histoire – auch Entwürfe alltagsweltlicher Lebenssituationen. Sie untersucht, welche Rolle Gabe und Geld innerhalb ver-

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Resümee und Ausblick

Die umfassenden kulturellen Umbruchs- und zunehmenden Ausdifferenzierungsprozesse in der Frühen Neuzeit – vornehmlich solche ansatzweiser funktionaler Differenzierung und Entflechtung von personalen Beziehungsgefügen und Bindungen, Politik, Religion, Recht und Ökonomie – haben unter anderen auch Tendenzen zur Pluralisierung und funktionalen Aufspaltung von Transaktionsphänomenen und Austauschverhältnissen zur Folge. Im Rahmen vor allem ökonomischer Transaktionen setzt sich Geld als ›symbolisch/diabolisch generalisiertes Kommunikationsmedium‹7 mehr und mehr durch. Zu untersuchen wäre, auf welche je spezifische Weise diese Prozesse in den literarischen Entwürfen des 14.–16. Jahrhunderts verhandelt werden. In Fortschreibung der Analysen zu mittelalterlichen Texten läge es nahe, zunächst der Frage nachzugehen, ob Logiken älterer Transaktionsformen (etwa Reziprozität als ein längerfristiges, oft über Generationen hinweg aufrechterhaltenes Prinzip; daß dieselben Dinge je nach Kontext Gabe, eine Art Zahlungsmittel oder heilig und unveräußerlich sein können; daß Gaben als Zeichen vielfältigen Umkodierungen unterliegen etc.) eher ausgeblendet oder mit Logiken des Geldes (Orientierung am Kode Zahlen/Nichtzahlen; Universalismus; eingeschränkter Gebrauchswert jenseits ökonomischer Zusammmenhänge) konfrontiert werden. Welche Analogien (beispielsweise Überbietung oder Verausgabung) zwischen alten und neuen Transaktions- und Austauschformen treten in literarischen Texten des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit zu Tage? Thematisieren die literarischen Entwürfe, welche Modi des Gebens oder Tauschens sich in welchen Situationen erfolgreich durchsetzen, zumindest Geltung beanspruchen oder auch als Instrument der Machtdemonstration fungieren? Wird darüber reflektiert, inwiefern die sukzessive Institutionalisierung Werte und Bindungen, die durch ältere Modi des Gebens und Tauschens gestiftet werden schiedener sozialer Netzwerke spielen: zu bestimmten feierlichen Anlässen wie Eheschließungen, Kindstaufen und Leichenbegängnissen; im Rahmen politischer Übereinkünfte, aber auch im Zuge von Erpressung und Korruption; im Kontext religiöser Handlungen. An zahlreichen Beispielen vermag Davis überzeugend vorzuführen, daß sowohl die Durchsetzung des Vertrags- und Eigentumswesens als auch die Entfaltung der Geldwirtschaft in enger Verzahnung mit der Gabenkultur erfolgte (Gift, vgl. besonders das Kapitel »Gift and Sales«, S. 43–66). Zu kritisieren wäre indes, daß Davis zwar sowohl Konfliktpotentiale von Gabe und Geld als auch den anscheinend häufig prekären Status der Schenkkultur im 16. Jahrhundert beschreibt, eine tiefgründigere Expertise struktureller Zusammenhänge und Konkurrenzen zwischen den einzelnen sozialen, religiösen, politischen und ökonomischen Subsystemen aber schuldig bleibt. 7 Luhmann, Die Wirtschaft, besonders Kapitel 7.

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Resümee und Ausblick

konnten, in Frage stellt? Werden Möglichkeiten der Komplexitäts- und Kontingenzbewältigung verhandelt? Zu achten wäre nicht zuletzt auch auf Verschiebungen zwischen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gewaltdiskursen im Kontext der Gabe, die im Hinblick auf sich verändernde Sozial-, Herrschafts- und Machtdiskurse zu erwarten sind. Besonders die Prosaromane des 15. und 16. Jahrhunderts diskutieren auf vielschichtige Weise das Verhältnis von Geld, Gabe und Heil und würden insofern ein erstes lohnendes Untersuchungsfeld bieten. Eines der prominentesten Beispiele ist der Fortunatus (Erstdruck 1509). Im Entwurf dieses Textes löst das Geld keineswegs selbstverständlich und konfliktfrei Praktiken und Mechanismen von Gabe und traditionalen Formen des Tausches ab. Die Geschichte reflektiert, daß es sich auf dem Weg zu einer modernen Ökonomie und Geldwirtschaft um einen komplexen wie widerspruchsreichen Prozeß der Überlagerungen und erst sukzessiven Ausdifferenzierung der Gabe in Geld, Ware und Präsent handelte. Im Fortunatus hat das Geld einen mythischen Ursprung: Fortunatus, der sich tief im Wald verirrt hat, erhält dort den geldgenerierenden gabseckel von einer Fee. Chiffrenhafft öffnet sich für Fortunatus mit dem Geldbeutel der Weg von der Wildnis in die Zivilisation, hier aber – in einer Welt, die ihren Reichtum in der Materialität von Land, kostbaren Kleidern und Schmuck, Waffen und Pferden gespiegelt sieht – stößt sein eher abstrakter, sich immerfort generierender Besitz auf Mißtrauen und Unverständnis. Dies führt dazu, daß Fortunatus nicht mehr immer und überall seinen Reichtum offenbar werden läßt und in verschiedenen Situationen, in denen er Kontakte in adligen Kreisen knüpft, – zum Teil heimlich und auf Umwegen – Prestigeobjekte des Adels erwirbt, um diese statt Bargeld zu verschenken. Und selbst dort, wo Geld bereits als Instrument der Geltungsbehauptung und Machtdemonstration institutionalisiert ist (etwa in den Handelsstädten), löst Fortunati nicht versiegender Geldfluß Neid und Haß aus. Grund dafür ist die Art und Weise des Umgangs mit dem Geld, welches dem in mittelalterlichen Texten entworfenen Freigebigkeitsverhalten feudaladliger Fürsten sehr ähnlich ist: Verausgabung vor dem Hintergrund von Überfluß. Ebenfalls ertragreich wäre sicher auch die Analyse von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Reiseberichten. Das Interesse könnte hier beispielsweise frühen Formen des ethnologischen Reflektierens über fremde Transaktionsphänomene in den bereisten und eroberten Kulturen gelten. Die Pluralität von kulturspezifischen Austauschphänomenen ließe sich dann etwa als ›Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‹ beschreiben, insofern den in Europa ablaufenden Prozessen der 324

Resümee und Ausblick

Ausdifferenzierung von sozialen, religiösen, politischen und ökonomischen Bereichen, in deren Verlauf die Gabe ihren Status als zentrale Organisations- und Kommunikationsform von Kultur zugunsten der zunehmenden funktionalen Differenzierung von Transaktionsmedien und -objekten einbüßt, ›archaische‹ Formen des Gebens und Tauschens gegenüberstehen. Offenzulegen wären schließlich ebenfalls die verschiedenen Argumentationsstrategien theologischer, juridischer, moralischer und ökonomischer Rede in Dialogen und Traktaten über den Status und die Wirkungsweisen von Geld, die in der Frühen Neuzeit einen Aufschwung erleben. Fernerhin könnten weitere Studien zur Logik und Poetik der Gabe – umfassender noch als ich dies im Rahmen dieser Arbeit zu leisten vermochte – den Blick auf verschiedene Textsorten und ihre unterschiedlichsten Vernetzungen mit den Ordnungen theologischen, juridischen, mythischen, politischen und ökonomischen Wissens lenken. Wie eng Verhandlungen über die Gabe gerade mit jenen Wissensfeldern verzahnt sein können, haben die vorliegenden Untersuchungen zur frühhöfischen Erzählliteratur auf eine für mich selbst immer wieder überraschende Weise offengelegt.

325

326

Abkürzungen

6. Bibliographie

6.1 Abkürzungen AbäG AfdA AKG

Archiv ATB BDK BLVSt CCL DU DVjs EM

EuS EV FMASt FS FSGA GAG GGA GRM HRG HWbP h IASL JOWG LCI LexMA MGH MTU

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Bibliographie VSWG

ZfdA ZfdPh ZHF

ZfrPh

Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für deutsche Philologie Zeitschrift für historische Forschung Zeitschrift für romanische Philologie

6.2 Quellen Ad milites templi = Bernardus [Claraevallensis], Ad milites templi. De laude novae militiae – An die Tempelritter. Lobrede auf das neue Rittertum, in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, hg. von Gerhard B. Winkler, Innsbruck 1990, Bd. 1, S. 258–326. Aeneis = Vergil [Publius Vergilius Marco], Aeneis, hg. und übers. von Johannes und Maria Götte, [Sammlung Tusculum] Düsseldorf/Zürich 91997. Alexander [Lamprecht S, V, B] = Lamprechts Alexander. Nach den drei Texten mit dem Fragment des Alberic von Besançon und den lateinischen Quellen, hg. von Karl Kinzel, [Germanische Handbibliothek 6] Halle a. d. Saale 1884. Alexanderlied = Das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht (Straßburger Alexander). Text, Nacherzählung, Worterklärung, hg. von Irene Ruttmann, Darmstadt 1974. Alexander [Pseudo-Kallisthenes] = Die Rezension  des Pseudo-Kallisthenes, hg. von Helmut van Thiel, [Habelts Dissertationsdrucke, Reihe Klassische Philologie 3] Bonn 1959. Alexander [Ulrich] = Ulrich von Eschenbach [Etzenbach], Alexander, hg. von Wendelin Toischer, [BLVSt 183] Tübingen 1888, Nachdruck: Hildesheim/New York 1974. Armer Heinrich = Hartmann von Aue, Der arme Heinrich, hg. von Hermann Paul, durchgesehen und neu bearbeitet von Kurt Gärtner, Tübingen 172001. Ars amatoria = Publius Ovidius Naso, Ars amatoria – Liebeskunst. Remedia amoris – Heilmittel gegen die Liebe, hg. und übers. von Niklas Holzberg, [Sammlung Tusculum] Düsseldorf/Zürich 41999. Carmina Burana = Carmina Burana. Texte und Übersetzungen, mit den Miniaturen aus der Handschrift und einem Aufsatz von Peter und Dorothee Diemer, hg. von Benedikt Konrad Vollmann, [BDK 16, Bibliothek des Mittelalters 13] Frankfurt a. M. 1987. Chanson de Roland = La Chanson de Roland, hg. und übers. von Hans-Wilhelm Klein, [Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 3] München 1963. Chronicon = Thietmari Merseburgensis Episcopi, Chronicon, hg. von Werner Trillmich, [FSGA 9] Darmstadt 1957. De dialectica = Sancti Aurelii Augustini, Principia dialecticae, in: Sancti Aurelii Augustini, Opera omnia, hg. von Jacques-Paul Migne, [PL 32] Turnhout 1992, Sp. 1409–1418, zuerst: Paris 1841. De doctrina christiana = Sancti Aurelii Augustini, De doctrina christiana. De vera religione, hg. von Joseph Martin, [CCL XXXII; Aurelii Augustini opera IV,1] Turnhout 1962. Edelstein = Ulrich Boner, Der Edelstein, hg. von Franz Pfeiffer, [Dichtungen des Mittelalters 4] Leipzig 1844.

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Quellen Eneide = Heinrich von Veldeke, Eneide, mit Einleitung und Anmerkungen, hg. von Otto Behagel, Heilbronn 1882, Nachdruck: Hildesheim/New York 1970. Eneas [Hs. B] = Heinrich von Veldeke, Eneasroman. Die Berliner Bilderhandschrift mit Übersetzung und Kommentar, hg. von Hans Fromm, [BDK 77, Bibliothek des Mittelalters 4] Frankfurt a. M. 1992. Eneas = Heinrich von Veldeke, Eneasroman, nach dem Text von Ludwig Ettmüller, hg. von Dieter Kartschoke, Stuttgart 1997. Epistolae = Bernardus [Claraevallensis], Epistolae – Briefe, in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, hg. von Gerhard B. Winkler, Innsbruck 1992, Bd. 3. Erec et Enide = Chrétien de Troyes, Erec und Enide, hg. und übers. von Ingrid Kasten, [Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 17] München 1979. Erec = Hartmann von der Aue, Erec, hg. von Albert Leitzmann, fortgeführt von Ludwig Wolff, sechste Auflage besorgt von Christoph Cormeau und Kurt Gärtner, [ATB 39] Tübingen 61985. Ethica Nicomachea = Aristoteles, Ethica Nicomachea, in: Aristoteles, Opera omnia. Graece et Latine cum indice nominum et rerum absolutissimo, hg. von Cats Bussemaker, nach der Ausgabe von Ambrosio Firmin Didot, Hildesheim/Zürich/New York 1998, Bd. 2, S. 1–30, zuerst: Paris 1850. Fortunatus = Fortunatus, in: Romane des 15. und 16. Jahrhunderts, nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten, hg. von Jan-Dirk Müller, [BDK 54, Bibliothek der Frühen Neuzeit 1] Frankfurt a. M. 1990, S. 385–585. Hadloub = Johannes Hadlaub, Lieder und Leichs, hg. und kommentiert von Rena Leppin, Stuttgart/Leipzig 1995. Hdp [J1, J2, J3] = Die Historia de preliis Alexandri Magni. Der lateinische Alexanderroman des Mittelalters, Synoptische Edition der Rezensionen des Leo Archipresbyter und der interpolierten Fassungen J1, J2, J3, Buch I und II, hg. von Hermann-Josef Bergmeister, [Beiträge zur klassischen Philologie 65] Meisenheim a. G. 1975. Hdp [J1] = Historia Alexandri Magni (Historia de preliis), Rezension J1, hg. von Alfons Hilka und Karl Steffens, [Beiträge zur klassischen Philologie 107] Meisenheim a. G. 1979. Hdp [J2] = Historia Alexandri Magni (Historia de preliis), Rezension J2 (Orosius-Rezension), hg. von Alfons Hilka, Teil I zum Druck besorgt durch Hermann-Josef Bergmeister, [Beiträge zur klassischen Philologie 79] Meisenheim a. G. 1976, Teil II zum Druck besorgt durch Rüdiger Grossmann, [Beiträge zur klassischen Philologie 89] Meisenheim a. G. 1977. Hdp [J3] = Die Historia de preliis Alexandri Magni. Rezension J3, hg. von Karl Steffens, [Beiträge zur klassischen Philologie 73] Meisenheim a. G. 1975. Hdp [Leo] = Der Alexanderroman des Archipresbyters Leo, hg. von Friedrich Pfister, [Sammlung mittellateinischer Texte 6] Heidelberg 1913. Ilias = Homer, Ilias, hg. und übers. von Hans Rupé und Viktor Stegemann, [Sammlung Tusculum] Düsseldorf/Zürich 91989. In Numeros Homilia = Origenis, In Numeros Homilia, in: Origenis, Opera omnia, hg. von Jacques-Paul Migne, [PG 12] Turnhout 1984, Sp. 583–805, zuerst: Paris 1857. Iter ad paradisum = Alexandri Magni iter ad paradisum, hg. von Julius Zacher, Königsberg 1859. Iwein = Hartmann von Aue: Iwein, Text der siebenten Auflage von Georg Friedrich Benecke, Karl Lachmann und Ludwig Wolff, Übers. und Anmerkungen von Thomas Cramer, dritte, durchgesehene und ergänzte Auflage, Berlin/New York 31981.

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Bibliographie Kaiserchronik = Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, hg. von Edward Schröder, [MGH 1,1] Hannover 1892, Nachdruck: München 1984. Leben und Taten = Leben und Taten Alexanders von Makedonien. Der griechische Alexanderroman nach der Handschrift L, hg. und übers. von Helmut van Thiel, [Texte zur Forschung 13] Darmstadt 1974. Liber Alexandri Magni = Liber Alexandri Magni. Die Alexandergeschichte der Handschrift Paris, Bibliothèque Nationale, n.a.l. 310, untersucht und hg. von Rüdiger Schnell, [MTU 96] München 1989. Metamorphosen = Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, hg. und übers. von Michael von Albrecht, Stuttgart 1998. Mauritius = Moriz von Craûn, hg. von Ulrich Pretzel, unter Mitwirkung von Karl Stackmann und Wolfgang Bachofer, im Verein mit Erich Henschel und Richard Kienast, [ATB 45] Tübingen 41973. Nibelungenlied = Das Nibelungenlied, nach der Ausgabe von Karl Bartsch, hg. von Helmut de Boor, zweiundzwanzigste, revidierte und ergänzte Auflage von Roswitha Wisniewski, [Deutsche Klassiker des Mittelalters] Mannheim 221988. Nikomachische Ethik = Aristoteles, Nikomachische Ethik, hg. von Günther Bien, auf der Grundlage der Übersetzung von Eugen Rolfes, [Philosophische Bibliothek 5] Hamburg 41985. Physiologus = Der altdeutsche Physiologus. Die Millstätter Reimfassung und die Wiener Prosa nebst dem lateinischen Text und dem althochdeutschen Physiologus, hg. von Friedrich Maurer, [ATB 67] Tübingen 1967. Prise de Defur = La Prise de Defur and Le Voyage d’Alexandre au Paradis terrestre, hg. von Lawton P. G. Peckham und Milan S. La Du, [Elliott Monographs 35] Princeton/ New York 1935, Nachdruck: New York 1965. Res gestae = Iulius Valerius [Alexander Polemius], Res gestae Alexandri Macedonis translatae ex Aesopo Graeco, hg. von Michaela Rosellini, [Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana] Stuttgart/Leipzig 1993. Rolandslied [Hs. P] = Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, hg. von Carl Wesle, dritte, durchgesehene Auflage besorgt von Peter Wapnewski, [ATB 69] Tübingen 31985. Rolandslied = Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, hg. und übers. von Dieter Kartschoke, Stuttgart 1996. Roman d’Eneas = Le Roman d’Eneas, hg. von Monica Schöler-Beinhauer, [Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 9] München 1972. Roman de la Rose = Guillaume de Lorris/Jean de Mèun, Le Roman de la Rose, 3 Bde., hg. und übers. von Karl August Ott, [Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 15, I-III] München 1976, 1977, 1979. Stricker I = Fabeln und Mären von dem Stricker, hg. von Heinz Mettke, Halle a. d. Saale 1959. Stricker II = Die Kleindichtung des Stricker, hg. von Wolfgang Wilfried Moelleken, Gayle Agler-Beck und Robert E. Lewis, Göppingen 1975, Bd. 3,1. Theogonie/Erga = Hesiod: Theogonie – Werke und Tage, hg. und übers. von Albert von Schirnding, mit einer Einführung und einem Register von Ernst Günther Schmidt, [Sammlung Tusculum] Düsseldorf/Zürich 21997. Tristan = Gottfried von Straßburg: Tristan, hg. von Friedrich Ranke, Dublin/Zürich 131978, Nachdruck: Hildesheim 2001. Vita Karoli Magni = Einhard: Vita Karoli Magni, hg. von Evelyn Scherabon Firchow, Stuttgart 1997. Walther = Walther von der Vogelweide, Leich, Lieder, Sangsprüche, vierzehnte, völlig

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Forschungsliteratur neubearbeitete Auflage der Ausgabe Karl Lachmanns, mit Beiträgen von Thomas Bein und Horst Brunner, hg. von Christoph Cormeau, Berlin/New York 141996. Wälsche Gast = Thomasin von Zirclaria, Der Wälsche Gast, hg. von Heinrich Rückert, mit einer Einleitung und einem Register von Friedrich Neumann, Quedlinburg/Leipzig 1852, [Deutsche Neudrucke, Texte des Mittelalters] Berlin 1965. Yvain = Chrestien de Troyes, Yvain, hg. und übers. von Ilse Nolting-Hauff, [Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 2] München 1962.

6.3 Forschungsliteratur Agamben, Homo sacer = Agamben , Giorgio, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, aus dem Ital. von Hubert Thüring, Frankfurt a. M. 2002. Algazi, ›Sich selbst vergessen‹ = Algazi , Gadi, ›Sich selbst vergessen‹ im späten Mittelalter: Denkfiguren und soziale Konfigurationen, in: Oexle, Memoria als Kultur, S. 387–427. Algazi/Groebner/Jussen, Negotiating the Gift = Algazi , Gadi/Groebner, Valentin/Jussen , Bernhard (Hgg.), Negotiating the Gift. Pre-Modern Figurations of Exchange, Göttingen 2003. Alroth, Visiting Gods = Alroth , Brita, Visiting Gods – Who and Why, in: Linders/Nordquist, Gifts, S. 9–19. Althoff, Charakter des Mahles = Althof f , Gerd, Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahles im früheren Mittelalter, in: Bitsch/Ehlert/von Ertzdorff, Essen und Trinken, S. 13–25. Althoff, Ritual = Althof f , Gerd, Ritual und Demonstration in mittelalterlichem Verhalten, in: Brall/Haupt/Küsters, Personenbeziehungen, S. 457–476. Althoff, Spielregeln = Althof f , Gerd, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997. Althoff, Königsherrschaft = Althof f , Gerd, Königsherrschaft und Konfliktbewältigung im 10. und 11. Jahrhundert, in: Althoff, Spielregeln, S. 21–56, zuerst in: FMASt 23 (1989) S. 265–290. Althoff, Huld = Althof f , Gerd, Huld. Überlegungen zu einem Zentralbegriff der mittelalterlichen Herrschaftsordnung, in: Althoff, Spielregeln, S. 199–228, zuerst in: FMASt 25 (1991) S. 259–282. Althoff, Konfliktverhalten = Althof f , Gerd, Konfliktverhalten und Rechtsbewußtsein. Die Welfen im 12. Jahrhundert, in: Althoff, Spielregeln, S. 57–84, zuerst in: FMASt 26 (1992) S. 331–352. Althoff, Demonstration = Althof f , Gerd, Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicher Öffentlichkeit, in: Althoff, Spielregeln, S. 229–257, zuerst in: FMASt 27 (1993) S. 27–50. Althoff, Empörung = Althof f , Gerd, Empörung, Tränen, Zerknirschung. Emotionen in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters, in: Althoff, Spielregeln, S. 258–281, zuerst in: FMASt 30 (1996) S. 60–79. Althoff, Verwandtschaft = Althof f , Gerd, Verwandtschaft, Freundschaft, Klientel: Der schwierige Weg zum Ohr des Herrschers, in: Althoff, Spielregeln, S. 185–198. Althoff, Privileg = Althof f , Gerd, Das Privileg der deditio. Formen gütlicher Konfliktbeendigung in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft, in: Althoff, Spielregeln, S. 99–125,

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Bibliographie wieder in: Oexle , Otto Gerhard/Paravicini , Werner, Nobilitas. FS für Karl Ferdinand Werner zum 70. Geburtstag, Göttingen 1997, S. 27–52. Andreotti Saibene, Rapporti = Andr eotti Saibene , Maria Grazia, Rapporti fra l’ »Eneide« di Virgilio e l’ »Eneide« di Heinrich von Veldeke, Firenze 1973. Angenendt, Sühne = Angenendt , Arnold, Sühne durch Blut, in: FMASt 18 (1984) S. 437–467. Angenendt, Toten-Memoria = Angenendt , Arnold, Theologie und Liturgie der mittelalterlichen Toten-Memoria, in: Schmid/Wollasch, Memoria, S. 79–199. Angenendt, ›Corpus incorruptum‹ = Angenendt , Arnold, ›Corpus incorruptum‹. Eine Leitidee der mittelalterlichen Reliquienverehrung, in: Saeculum 42 (1991) S. 320–348. Angenendt, Heilige = Angenendt , Arnold, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994. Angenendt, Religiosität = Angenendt , Arnold, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997. Angenendt, Reliquien = Angenendt , Arnold, (Art.) Reliquien/Reliquienverehrung II: Im Christentum, in: TRE XXIX (1998) S. 69–74. A. u. J. Assmann/Hardmeier, Schrift = Assmann , Aleida und Jan/Har dmeier, Christof, Schrift und Gedächtnis, in: Dies . (Hgg.), Schrift und Gedächtnis, München 1983, S. 265–284. A. Assmann, Homo interpres = Assmann , Aleida, Geschmack an Zeichen: Homo interpres und die Welt als Text, in: Zeitschrift für Semiotik 12 (1990) S. 359–373. J. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis = Assmann , Jan, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. A. Assmann/Harth, Mnemosyne = Assmann , Aleida/Harth , Dietrich (Hgg.), Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt a. M. 1993. A. Assmann, Zeichen = Assmann , Aleida, Zeichen – Allegorie – Symbol, in: Assmann , Aleida/Sundermeier, Theo, Studien zum Verstehen fremder Religionen. Bd. 6: Die Erfindung des inneren Menschen, Gütersloh 1993, S. 28–50. A. Assmann, Erinnerung = Assmann , Aleida, Zur Metaphorik der Erinnerung, in: Assmann, A./Harth, Mnemosyne, S. 13–35. A. Assmann, Sprache der Dinge = Assmann , Aleida, Die Sprache der Dinge. Der lange Blick und die wilde Semiose, in: Gumbrecht/Pfeiffer, Materialität, S. 237–251. A. Assmann, Zeichenkonzeptionen = Assmann , Aleida, (Art.) Zeichenkonzeptionen im Abendland, in: Semiotik 1 (1997) S. 710–729. A. Assmann, Erinnerungsräume = Assmann , Aleida, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999. Bachmann-Medick, Kultur als Text = Bachmann-Medick , Doris (Hg.), Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft, Frankfurt a. M. 1996. Backes, Bibel = Back es , Herbert, Bibel und Ars praedicandi im »Rolandslied« des Pfaffen Konrad, Berlin 1966. Backes, Teufel = Back es , Herbert, Teufel, Götter und Heiden in geistlicher Ritterdichtung. Corpus Antichristi und Märtyrerliturgie, in: Zimmermann , Albert (Hg.), Die Mächte des Guten und Bösen. Vorstellungen im XII. und XIII. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte, Berlin/New York 1977, S. 417–441. Bäuml, ›Guot umb êre nemen‹ = Bäuml, Franz H., ›Guot umb êre nemen‹ and ministrel ethics, in: Journal of English and German Philology 59 (1960) S. 173–183. Baltzer, Semiose = Baltzer, Ulrich, (Art.) Semiose, in: HWbPh IX (1995) Sp. 599– 601. Bastert, »Klever Hochzeit« = Bastert , Bernd, ›Dô si der lantgrâve nam‹. Zur »Klever Hochzeit« und der Genese des »Eneas«-Romans, in: ZfdA 123 (1994) S. 253–273.

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Forschungsliteratur Bataille, Aufhebung der Ökonomie = Bataille , Georges, Die Aufhebung der Ökonomie, aus dem Franz. von Traugott König und Heinz Abosch, hg. von Gerd Bergfleth und Axel Matthes, München 1975. Bataille, Theorie der Religion = Bataille , Georges, Theorie der Religion, aus dem Franz. von Andreas Knop, hg. und mit einem Nachwort von Gerd Bergfleth, München 1997. Baudrillard, Tausch = Baudrillar d , Jean, Der symbolische Tausch und der Tod, aus dem Franz. von Gerd Bergfleth, Gabrielle Ricke und Ronald Voullié, München 1991. Bauschke, Historiographische Schreibweise = Bauschk e , Ricarda, »Chanson de Roland« und »Rolandslied«. Historiographische Schreibweise als Authentisierungsstrategie, in: Fiebig/Schiewer, Deutsche Literatur, S. 1–18. Bazelmans/Kehne/Ogris, Geschenke = Bazelmans , Jos/Kehne , Peter/Ogris , Werner, (Art.) Geschenke, in: Reallexikon Germanischer Altertumskunde 11 (1998) S. 466–477. Belting, Bild und Kult = Belting , Hans, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 21991. Benthien/Velten, Germanistik als Kulturwissenschaft = Benthien , Claudia/Velten , Hans Rudolf, Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte, Reinbek b. H. 2002. Benveniste, Gabe = Benveniste , Émile, Gabe und Tausch im indoeuropäischen Wortschatz, in: Ders ., Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft, aus dem Franz. von Wilhelm Bolle, München 1974, S. 350–363. Berking, Schenken = Berking , Helmuth, Schenken. Zur Anthropologie des Gebens, Frankfurt a. M./New York 1996. Bertau, Repräsentationskunst = Bertau , Karl, Das deutsche »Rolandslied« und die Repräsentationskunst Heinrichs des Löwen, in: Bumke, Mäzenatentum, S. 331–370, zuerst in: DU 20 (1968) H. 2, S. 4–30. Binder, Äneas = Binder, Gerhard, (Art.) Äneas, in: EM I (1977) Sp. 509–528. Binding, Alexander (Ikonographie) = Binding , Günther, (Art.) Alexander der Große in Kunst und Literatur. A: Ikonographie. II: Westen, in: LexMa I (1980) Sp. 354 f. Bitsch/Ehlert/von Ertzdorff, Essen und Trinken = Bitsch, Irmgard/Ehlert, Trude/ von Ertzdorff, Xenja, Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, Sigmaringen 1987. Blänkner/Jussen, Institution und Ereignis = Blänkner, Reinhard/Jussen , Bernhard, Institution und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998. Blask, Geschehen = Blask , Dirk Jürgen, Geschehen und Geschick im altfranzösischen Eneas-Roman, Tübingen 1984. Bloch, Feudalgesellschaft = Bloch , Marc, Die Feudalgesellschaft, aus dem Franz. von Eberhard Bohm u. a., Frankfurt a. M./Wien/Berlin 1982. Blumenberg, Lesbarkeit = Blumenberg , Hans, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a. M. 52000. Böckmann, Formgeschichte = Böckmann , Paul, Formgeschichte der Deutschen Dichtung. Bd. 1: Von der Sinnbildsprache zur Ausdruckssprache. Der Wandel der literarischen Formensprache vom Mittelalter zur Neuzeit, Hamburg 1949. Boehm/Pfotenhauer, Beschreibungskunst = Boehm , Gottfried/Pfotenhauer, Helm, Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995. Boehm, Bildbeschreibung = Boehm , Gottfried, Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache, in: Boehm/Pfotenhauer, Beschreibungskunst, S. 23–40.

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Forschungsliteratur Wenzel, Partizipation (Einführung): Partizipation = Wenzel , Horst, Einführung: Partizipation – Mimesis – Repräsentation in Liturgie, Recht und Hof. Aufführung und Repräsentation, in: Müller, »Aufführung«, S. 141–148. Wenzel, Gespräche = Wenzel , Horst (Hg.), Gespräche – Boten – Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter, Berlin 1997. Wenzel, Boten und Briefe = Wenzel , Horst, Boten und Briefe. Zum Verhältnis körperlicher und nichtkörperlicher Nachrichtenträger, in: Wenzel, Gespräche, S. 86–105. Wenzel, Metaphern der Medialität = Wenzel , Horst, Die ›fließende‹ Rede und der ›gefrorene‹ Text. Metaphern der Medialität, in: Neumann, Poststrukturalismus, S. 481– 503. Wenzel, Medien- und Kommunikationstheorie = Wenzel , Horst, Medien- und Kommunikationstheorie. Ältere deutsche Literatur, in: Benthien/Velten, Germanistik, S. 125– 151. Wenzel, Repräsentation und Raum = Wenzel , Horst, Repräsentation und Raum. Symbolische Territorialisierung am Hof und in der höfischen Literatur, in: Rehberg , Karl-Siegbert/Strohschneider, Peter/Schmitz , Walter (Hgg.), Mobilität – Kultur – Raum. Alcatel-Kolloquium Dresden 1997, in Vorbereitung. Werner, Bücherverbrennungen = Werner, Thomas, Vernichtet und Vergessen? Bücherverbrennungen im Mittelalter, in: Oexle, Memoria als Kultur, S. 149–184. Werner, Heidelberger Hs. = Werner, Wilfried, Das »Rolandslied« in den Bildern der Heidelberger Hs. Mit verbindendem Text und Erläuterungen, Wiesbaden 1977. Werner/Zirnbauer, Einführung = Werner, Wilfried/Zirnbauer, Heinz, Einführung zum Faksimile des Codex Palatinus Germanicus 112 der Universitätsbibliothek Heidelberg, Wiesbaden 1970. Wesche, Alexanderdichtung = Wesche , Markus, (Art.) Alexander der Große in Kunst und Literatur. B: Alexanderdichtung. IV: Mittellateinische Literatur, in: LexMa I (1980) Sp. 358 f. Wessel, Alexander (Ikonographie) = Wessel , Klaus, (Art.) Alexander der Große in Kunst und Literatur. A: Ikonographie. I: Byzanz, in: LexMa I (1980) Sp. 354. Wetzel, Liebesgaben = Wetzel , Michael, Liebesgaben. Streifzüge des literarischen Eros, in: Wetzel/Rabaté, Ethik, S. 223–247. Wetzel, Danaergeschenke = Wetzel , Michael, Danaergeschenke. Von der Gastfreundschaft zum Geist der Gabe, in: Pircher, Wolfgang (Hg.), Das Fremde – Der Gast. Bd. 1, Wien 1993, S. 73–94. Wetzel/Rabaté, Ethik der Gabe = Wetzel , Michael/Rabaté , Jean-Michel (Hgg.), Ethik der Gabe. Denken nach Jacques Derrida, Berlin 1993. White, Metahistory = White , Hayden, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, aus dem Amerik. von Peter Kohlhaas, Frankfurt a. M. 1991. White, Laudatio Parentum = White , Stephen D., Custom, Kinship, and Gifts to Saints: The Laudatio Parentum in Western France 1050–1150, Chapel Hill/London 1988. Willi-Plein, Opfer = Willi-Plein , Ina, Opfer und Ritus im kultischen Lebenszusammenhang, in: Janowski/Welker, Opfer, S. 150–177. Wilmanns, Alexander und Candace = Wilmanns , Wilhelm, Alexander und Candace, in: ZfdA 45 (1901) S. 229–244. Windler, Tribut und Gabe = Windler, Christian, Tribut und Gabe. Mediterrane Diplomatie als interkulturelle Kommunikation, in: Saeculum 51 (2000) S. 24–56. Wisniewski, Epilog = Wisniewski , Roswitha, Der Epilog des deutschen »Rolandsliedes«, in: ZfdA 93 (1964) S. 108–122.

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Bibliographie Wöhrle-Naser, Minnelehre = Wöhrle-Naser, Christel, Die Minnelehre im »Eneas«Roman des Heinrich von Veldeke. Die erste Minnepathologie in der deutschen Volkssprache, in: Keil , Gundolf (Hg.), Würzburger Fachprosa-Studien. Beiträge zur mittelalterlichen Medizin-, Pharmazie- und Standesgeschichte aus dem Würzburger medizinhistorischen Institut, Würzburg 1995, S. 24–78. Wolf, New Philology = Wolf , Jürgen, New Philology/Textkritik, in: Benthien/Velten, Germanistik, S. 175–195. Wolfzettel, Karl = Wolfzettel , Friedrich, (Art.) Karl der Große, in: EM VII (1993) Sp. 981–1002. Wolter, Mainzer Hoftag = Wolter, Heinz, Der Mainzer Hoftag von 1184 als politisches Fest, in: Altenburg , Detlef/Jarnut , Jörg/Steinhof f , Hans-Hugo (Hgg.), Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes, Sigmaringen 1991, S. 193–199. Worstbrock, Dilatatio materiae = Worstbrock , Franz Josef, Dilatatio materiae. Zur Poetik des »Erec« Hartmanns von Aue, in: FMASt 19 (1985) S. 1–30. Worstbrock, Wiedererzählen = Worstbrock , Franz Josef, Wiedererzählen und Übersetzen, in: Haug , Walter (Hg.), Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, Tübingen 1999, S. 128–142. Wulf, Mimesis = Wulf , Christoph, Mimesis, in: Gebauer, Historische Anthropologie, S. 83–125. Wunderlich, Gabe = Wunderlich , Werner, (Art.) Gabe, in: EM V (1987) Sp. 625–637. Wuth, Mediengeschichtliches = Wuth , Henning, ›was, strâle unde permint‹. Mediengeschichtliches zum »Eneasroman« Heinrichs von Veldeke, in: Wenzel, Gespräche, S. 63–76. Young, Opfer = Young , Frances M., (Art.) Opfer IV: Neues Testament und Alte Kirche, in: TRE XXV (1995) S. 271–278. Zacharias, Blutrache (Nibelungenlied) = Zacharias , Rainer, Die Blutrache im deutschen Mittelalter, besonders in und nach der Zeit des Nibelungenliedes, Kiel 1961. Zacharias, Blutrache = Zacharias , Rainer, Die Blutrache im deutschen Mittelalter, in: ZfdA 91 (1961/1962) S. 167–201. Zeddies, Verwirrte = Zeddies , Nicole, Verwirrte oder Verbrecher? Die Beurteilung des Selbstmordes von der Spätantike bis zum 9. Jahrhundert, in: Signori, Trauer, S. 55–90. Zeitlin, Hesiods Pandora = Zeitlin , Froma I., Das ökonomische Gefüge in Hesiods Pandora, aus dem Amerik. von Helen Kaufmann, in: Re eder, Ellen D. (Hg.), Pandora. Frauen im klassischen Griechenland. Ausstellungskatalog, Princeton/Mainz 1995, S. 49–55. Zink, Materialität = Zink , Michel, Materialität und Literarizität des Gebets. Beispiele aus dem Französischen Mittelalter, aus dem Franz. von Hans Ulrich Gumbrecht, in: Gumbrecht/Pfeiffer, Materialität, S. 161–177. Zitzmann, Didohandlung = Zitzmann , Rudolf, Die Didohandlung in der frühhöfischen Eneasdichtung, in: Euphorion 46 (1952) S. 261–275. Zöllner, Ludowinger = Zöllner, Reinhard, Die Ludowinger und die Takeda. Feudale Herrschaft in Thüringen und Kai no kuni, Bonn 1995.

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Nachschlagewerke

6.4 Nachschlagewerke Dizionario Enciclopedico del Medioevo = Dizionario Enciclopedico del Medioevo, hg. von André Vauchez, in Zusammenarbeit mit Catherine Vincent, ital. Übers. hg. von Claudio Leonardi, 3 Bde., Rom 1998–1999. Enzyklopädie des Märchens = Enzyklopädie des Märchens, Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, hg. von Kurt Ranke, gemeinsam mit Hermann Bausinger u. a., Bde. Iff., Berlin/New York 1977 ff. Enciclopedia Virgiliana = Enciclopedia Virgiliana, hg. von Francesco Della Corte, 6 Bde., Rom 1984–1991. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache = Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, hg. von Friedrich Kluge, völlig neu bearbeitet von Elmar Seebold, Berlin/New York 221989. Fr enzel , Motive der Weltliteratur = Fr enzel , Elisabeth, Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, Stuttgart 41992. Geschichtliche Grundbegriffe = Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Bde. I-VIII.1/2, Stuttgart 1972–1992/1997, unveränderter Nachdruck: Stuttgart 1994–1997. Grimm , Deutsches Wörterbuch = Grimm , Jacob und Wilhelm, Deutsches Wörterbuch, 16 Bde. [verschiedene Bearbeiter] und Quellenverzeichnis, Leipzig 1854–1954, Nachdruck in 32 Bdn. und Quellenverzeichnis, München 1984. Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte = Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, mitbegründet von Wolfgang Stammler, unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand, 5 Bde., Berlin 1971–1998. Historisches Wörterbuch der Philosophie = Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter, ab Bd. IV von Karlfried Gründer, Bde. Iff., Basel/Stuttgart 1971 ff. Lexikon der christlichen Ikonographie = Lexikon der christlichen Ikonographie, Bde. I-IV hg. von Engelbert Kirschbaum, Bde. V-VIII hg. von Wolfgang Braunfels, Rom u. a. 1968–1976. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch = Lexer, Matthias, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Zugleich als Supplement und alphabetischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Benecke – Müller – Zarncke, 3 Bde., Stuttgart 1979, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1872–1878. Lexikon des Mittelalters = Lexikon des Mittelalters, hg. von Robert-Henri Bautier, Robert Anty und Norbert Angermann, 10 Bde., München/Zürich 1980–1999. Marienlexikon = Marienlexikon, hg. von Remigius Bäumer, im Auftrag des Institutum Marianum Regensburg e.V., 6 Bde., St. Ottilien 1988–1994. Der Kleine Pauly = Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, auf der Grundlage von Pauly’s Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, hg. von Konrat Ziegler, Walther Sontheimer und Hans Gärtner, 5 Bde., München 1979. Der Neue Pauly = Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. von Hubert Cancik, Bde. Iff., Stuttgart u. a. 1996 ff. Reallexikon für Antike und Christentum = Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, hg. von Theodor Klauser, in Verbindung mit Franz Joseph Dölger u.a., Bde. Iff., Stuttgart 1950ff.

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Bibliographie Semiotik/Semiotics = Semiotik/Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur – A handbook on the Sign-Theoretic Foundations of Nature and Culture, hg. von Roland Posner, Klaus Robering und Thomas A. Sebeok, Bd. I.1/2, Berlin/New York 1997. Theologische Realenzyklopädie = Theologische Realenzyklopädie, hg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller, in Gemeinschaft mit Horst Balz u.a., Bde. Iff., Berlin/New York 1977 ff. Verfasserlexikon = Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begründet von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch, zweite, völlig neu bearbeitete Auflage, hg. von Kurt Ruh u.a., Bde. Iff., Berlin/New York 1978 ff.

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Sachregister

Sachregister

Aggression, aggressiv 49, 112, 117, 179, 278 Agon, agonal 22, 27, 31, 35, 102, 106, 109, 119, 132, 199, 216, 246, 267 Ähnlichkeit, Affinität, Analogie 82, 84 f., 128, 132, 291, 318 f., 323 Almosen 16, 238 Anthropologie, anthropologisch 21, 24, 30, 33, 53 ff., 143, 255, 321 Äquivalenz, äquivalent, gleichwertig 27, 35, 44, 320 Auslegung, Deutung, Entschlüsselung, Exegese 55, 67, 71 f., 73 ff., 77 f., 80 f., 83 ff., 93, 95 f., 98, 109, 113 f., 120, 123 ff., 129 ff., 152, 227, 318 Begehren, Begierde, Gier 51, 99, 122, 127 ff., 131, 179, 194, 283, 286 Bestechung 17 Botschaft, Bote, Brief 14, 16, 37, 56, 60, 65 f., 68 ff., 81, 83 f., 86, 88 ff., 92 ff., 97, 100, 102, 104 ff., 108 ff., 113, 116, 121, 124, 132, 142, 159, 163, 200, 205, 226, 228 ff., 242, 244, 256, 259, 261, 266 f., 269, 276, 317 Diplomatie, diplomatisch 16, 110, 144, 168 f., 171, 174, 188, 199, 222, 234, 259 f., 262, 275 ff., 299 ›do ut des‹ 41, 315, 320 f. Ehe, Vermählung 30, 37, 101 f., 145, 153, 202, 204 f., 215, 221 f., 234 f., 237, 241, 243 ff. Eucharistie 287 ff., 293 f., 309 êre, Ehre, Prestige 27, 30, 32, 39 f., 63, 69, 95, 97, 107, 109, 113, 115 f., 118, 120, 123, 132, 138, 146, 172 f., 181 f., 185, 196, 210, 213 f., 231, 236 f., 240, 243 f., 246 ff., 267, 274, 308

Erwiderung, Entgegnung, Vergeltung 22, 26 f., 31, 71, 96, 105, 213, 233 f., 240 Fahrende, Spielleute, Sänger 19, 39f., 42, 209, 237, 243 f., 246 ff., 265 ff. Fest 136, 209, 241, 243 ff. Gabe – abgelehnte 27, 30, 34, 36, 52, 64 ff., 96, 258 ff., 263 ff., 276, 318 – gefährliche, verhängnisvolle, zerstörerische, tödliche 22, 27, 43, 151 f., 156 f., 160, 181 f., 320 – generierende 205 ff., 215 – göttliche 61, 68, 119 ff., 202, 204, 225 ff., 269 ff., 295, 305, 318, 320 – magische 43, 271 – Minne-, Liebes-, (Minnepfand, Liebespfand) 16f., 119, 141, 143, 145ff., 155, 169, 222, 224, 229ff., 234f., 241, 320 – Morgen- 17 – mythische 17, 28, 156 – stigmatisierte 45, 139, 150, 189, 218, 320 – verpflichtende, bindende 27, 31, 38, 40, 42, 103, 161, 167, 211, 215, 230, 234 f., 240, 242, 264, 320 – versäumte 228 ff. – zerstörte 27, 34, 36, 41 f., 45, 52, 96, 144, 175 ff., 212, 230, 318 Gastfreundschaft 37, 68, 104 ff., 108, 110, 144 ff., 157 f., 161, 165 f., 171 f., 174, 176, 188, 202, 210 f., 213, 215, 233, 235 ff. Gegengabe 13, 26 f., 30, 41, 64, 71, 76, 87, 97, 102, 111, 154, 168, 212, 214, 235, 237, 241, 320 Geld 16, 26, 28, 215, 245, 322 ff. Geltung, Geltungs- 34, 40, 44, 48, 65, 91, 209, 259, 267f., 300, 303f., 311, 323f.

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Sachregister Genealogie, genealogisch 45, 50, 148, 199, 201 ff., 206 ff., 210, 212 f., 215, 218 ff., 249 f., 281 ff., 298, 310 f., 319 f., 322 f. Geschenk, Schenken, Präsent 15f., 17, 27, 36, 44, 48, 62, 64, 95, 110, 112 f., 115 f., 118, 124, 137 f., 147, 152, 154, 156, 158 ff., 167, 174, 177 f., 185, 189, 202 ff., 207, 216, 218, 221, 223, 260, 266 f., 280 ff., 319, 322, 324 Gewalt – archaische, heroische 268, 271, 293, 299, 315 – Gründungs-, Ursprungs- 49 ff. – kanalisierte 50 f., 67, 133, 191 ff., 198, 200, 246 – kollektive 50, 193 – legitime – illegitime 101 – physische 23, 31, 66, 95, 97, 100, 133, 136, 248, 256, 260, 269, 286, 318 – sakrale 50, 193 – symbolische 31, 95, 100, 246, 248, 267, 269, 286, 318 – verdeckte, verschleierte 31, 67, 248, 269 Gewinn, Profit 27, 214 f., 246 f., 249, 279, 320 ›Gift‹ 23, 159 Gnade 70, 129, 236 ff., 241, 249, 295, 300, 314 ›guot umbe êre‹ 39, 243 ff. Heil, (das) Heilige, heilig 22, 47, 49f., 52, 193, 238, 251 ff., 277, 285 f., 295, 298 ff., 307 ff., 317, 320 f., 323 f. ›heilige Objekte‹, ›unveräußerliche Besitztümer‹ 28, 45, 149, 158, 319, 323 Herausforderung, Provokation, Affront 14, 30 f., 35, 39, 66 ff., 90, 95 ff., 104 ff., 108 f., 115, 132, 176, 318 Hermeneutik, Hermeneut, hermeneutisch 57, 68, 77, 86, 88, 132 f. Herrschaft, Herrschafts- 16 f., 20, 22, 33, 39 f., 42, 44, 60, 62 f., 75, 78, 85, 89, 92 ff., 96, 98 ff., 114, 116 f., 130 f., 136 f., 145, 151, 155, 162, 165, 167, 171 f., 177, 179, 181, 215, 219, 223 ff., 227, 233, 236, 243 ff., 252, 254, 257, 259, 267, 300, 307 ff., 317 f., 324

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Hierarchie, Rang, Status 27, 29, 34f., 39 f., 44, 48, 62, 82, 96 ff., 106, 109, 131, 172, 186, 202, 236, 238 f., 245, 248 f., 318 Identität 28 f., 43, 56, 149, 194, 196, 199 f. Immanenz – Transzendenz 52, 123, 126, 130 ff., 238, 259, 270 f., 304 f., 309 f. Inzest 50, 296 ff. ›Kapital‹ – symbolisches 30 ff., 97, 104, 107, 213 f., 237, 246, 249 – ökonomisches 31 f., 214 Kommunikation, Kommunikations13 f., 27, 29 ff., 36, 40, 44, 55, 59 ff., 65, 77 ff., 83, 91, 94 f., 99, 104, 131, 133, 142, 216, 226, 242, 250, 263, 269, 289, 300, 305, 315, 317 f., 321, 323, 325 Konsoziation, konsoziierend 22, 95, 283 Kontinuität 28, 50, 69, 100, 155, 215, 250, 277, 281, 283, 319 Körper, körperlich 13, 42, 44, 50, 54, 70, 92 ff., 99 f., 118, 128, 155, 172, 174 f., 180 ff., 186 f., 230, 234, 239, 285, 292 f., 298, 317, 321 lôn, Lohn 18, 39, 70, 75, 97, 100, 103, 125, 129 f., 241 ff., 264, 269, 308, 316 Macht 22 f., 27, 29 f., 32 f., 44, 62 ff., 82, 87, 93 f., 96 ff., 109, 112, 118, 120, 122 f., 128 f., 131 ff., 137, 146, 149, 163, 167, 172, 174, 176, 181, 185, 225, 233 f., 236 ff., 243, 246, 248, 267 ff., 317 f., 323 f. Mahl, Speisen 34, 44, 49, 68, 106, 108f., 147, 151 f., 169, 176, 188, 192 f., 208 f., 215, 218, 244, 287 Martyrium, Märtyrer 253 ff., 261, 263, 272, 278, 282, 286 ff., 298, 301, 304, 309, 321 mâze, Maß, maßvoll – unmâze, Maßlosigkeit, maßlos 19, 38 f., 44, 124 f., 127, 129 ff., 143, 161 f., 169, 173 f., 186, 211, 233 f., 241, 245, 247 f.

Sachregister Memoria, Memorial-, Erinnerung, Gedächtnis 14, 17, 37, 43, 56, 60, 109, 127, 142 ff., 146, 149, 153 f., 161 f., 170, 176, 178 f., 183 f., 185, 188 ff., 196 ff., 205 ff., 210, 213, 216 ff., 220 f., 223 ff., 230, 232, 250, 287, 289, 301, 307, 309, 313 f., 316, 319 f., 322 miete 259, 273 milte, Freigebigkeit, Generosität 19 f., 31, 37 ff., 44, 68, 104 f., 107, 109, 145, 161, 165 f., 172 f., 215, 235 ff., 241, 243 ff., 265 f., 313, 324 Narration, erzählerische Funktion der Gabe 24, 37, 44 f., 55, 62, 67, 92, 135 ff., 178, 188, 195 ff., 199, 203 ff., 208, 212, 217, 221, 224, 318 f. Ökonomie, ökonomisch – Anökonomie, anökonomisch 13 f., 20, 25, 29, 31 ff., 36, 39 ff., 47, 52, 83 f., 130, 142, 206, 211, 215, 233 f., 237, 240, 243 ff., 249 f., 320, 323 ff. Opfer, Opfern 16 f., 24 f., 28, 41, 46 ff., 56, 141, 147, 152, 166, 176 ff., 180, 182, 184 ff., 188, 192 ff., 197, 206, 208 f., 215, 220 ff., 251, 255 ff., 264, 274, 276 f., 285 ff., 309, 315, 321 – Ursprungs- 51, 193 – versöhnendes 50 f., 179, 193 – Selbst-, (Suizid) 177, 186 f., 234 Ordnung, Ordnungs- 13, 15, 34, 49, 51, 99 ff., 106, 108, 112, 246, 267, 274 Potlatch 27, 35, 46, 48, 246, 318 Präsenz, Unmittelbarkeit, Vergegenwärtigung 13 f., 41 f., 44, 76, 78, 89, 92 f., 98 f., 119, 128, 185, 209, 229, 232, 272, 287 ff., 293, 305, 309, 317 f. Prophezeiung, Prophet 67, 91 f., 99, 117, 130, 135, 145, 179, 188 f., 201 f., 206, 218, 227, 283, 291, 316, 318 Rache 49, 101, 103, 149, 155, 176, 182, 185, 190, 266, 278, 284 ff., 290 Raub 30, 62, 70, 139, 148, 155, 157, 195 Raum 59 f., 62, 78, 90, 92 ff., 98, 100, 135, 239 f., 248, 281

Recht, Rechts- 13, 20, 42, 44, 106, 162, 201, 252, 323 Repräsentation 14, 16, 32, 38, 40, 44, 54, 60, 78, 89, 94, 98, 114, 118, 142, 144, 167, 171 f., 210, 216 ff., 220, 223 ff., 227, 235 f., 245, 289, 305, 307 ff., 317 f. Reversibilität – Irreversibilität 32 Reziprozität, Gegenseitigkeit, Wechselseitigkeit 14, 29, 33, 36 ff., 40, 42 f., 44, 71, 92, 138, 157, 173, 210 ff., 229, 231, 238, 240, 320, 323 Ritual, rituell 28 ff., 33 f., 37, 44, 47 ff., 54, 63, 96, 106, 176, 180, 192 f., 199 f., 206, 209, 216, 227, 243, 259, 261 f., 265, 267, 269, 275 f., 287 ff., 304 f., 308, 316, 321 f. Rivalität, Antagonismus 22, 27, 29, 35, 51, 59, 66, 101, 109, 119, 130, 194, 205, 207, 225, 232, 237, 244, 276, 285 f., 317 f. Schrift 78, 85 f., 180 ff., 183, 188, 229, 317 Schuld, Schuldner 41, 49, 285, 294, 296, 298, 321 Semantik, Bedeutung, Sinn 21, 38, 55, 68 ff., 73 f., 77, 80 ff., 113, 115, 121, 124 ff., 132, 174, 235, 318 Semiotik, semiotisch, Semiose, Semiotisierung 14, 32, 68 f., 79, 84, 96, 132 Stellvertretung 52, 68 f., 94, 96, 144, 197 f., 216 ff., 226, 267, 277 f., 297 f. Stiftung, Stifter 16, 194, 258, 299 ff., 305 f., 307 ff., 321 Stigma 50, 150, 159, 175, 181, 279, 320 Sünde, Sünder 23, 52, 251 f., 255, 286 f., 293 ff., 304, 314, 320 f. Sündenbock 49, 51 f., 297 f. Symmetrie, symmetrisch – Asymmetrie, asymmetrisch 35, 48, 131, 237 Tausch 14, 25, 26 ff., 40 ff., 96, 130, 132, 214 f., 231, 235, 240, 244, 248, 274, 279, 283 f., 319, 323 ff. Totenkult 37, 191 ff., 218, 223

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Sachregister Überbietung, Überbietungs- 30, 34, 41, 68, 97, 104, 109, 115, 211, 214 f., 246, 267, 318, 323 Überfluß 112, 237, 243 ff., 247, 249, 324 Unehre, ›sozialer Ruin‹, ›symbolischer Tod‹ 31, 173, 185, 224, 234, 248 Untergang 22, 141, 146, 150 f., 155, 162, 174, 178, 196, 204, 216, 218, 222, 267, 320 Ursprung, Ursprungs- 22 f., 45, 49, 51 f., 100, 102, 135, 141, 148 f., 156, 191, 195 ff., 199, 201, 203, 205 f., 208 f., 214, 217, 223, 227, 271, 302, 307, 320 f. Verausgabung 39, 174, 234, 244, 246, 248 f., 280, 318, 323 f. Verfügbarkeit – Unverfügbarkeit 23, 41, 114, 132, 229 f., 270 Vergangenheit, Vergangenes 43, 142, 146, 149, 154 f., 158, 160, 170, 195, 202 f., 206, 217 f., 225 ff., 234, 283, 304, 319 f. Vergessen, Amnesie 151, 154, 158, 161, 178, 182, 217, 220, 231, 300 Verpflichtung 27, 31, 38, 40, 42, 215, 231, 234, 263, 269

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Verschwendung, verschwenderisch 27, 39, 43, 173 f., 234 f., 237, 247, 249 Vertrag 13, 26, 41 Wahrnehmung 32, 54, 80, 87, 127, 139 f., 159, 227, 239 f., 305 Wirtschaft 32, 42, 44 Zeichen 14, 36, 42 f., 47, 49 f., 56, 60 ff., 64, 66, 68, 71, 75, 77 ff., 86, 88 f., 92 ff., 97, 102, 111, 115, 118, 127 f., 132, 140, 155, 182, 186, 192, 199, 226, 229 f., 232, 235, 256, 261 ff., 318 f. Zeit 30, 32, 43 ff., 60, 78, 90, 92 ff., 98, 179, 207, 210, 212 f., 217, 231, 233, 248, 281, 289, 304 Zerstörung 22 f., 46, 48, 73, 149, 153, 157, 162, 170, 173, 175 f., 183, 190 f., 246, 259, 318, 321 Zins 62 f., 67 ff., 74 f., 83, 85, 90 ff., 94 f., 97, 99, 101, 105, 123 f., 126 ff., 130 ff. Zirkulation, Kreislauf 28, 38, 41 f., 142, 174, 199, 214, 218, 245 Zukunft, Zukünftiges 43, 75, 92, 142, 145, 152, 154 f., 175, 189, 202, 216 ff., 225 ff., 231, 234, 319 f.