Future Living: Gemeinschaftliches Wohnen in Japan 9783038210207, 9783038216278

Learning from Japan Single-family houses are becoming increasingly outdated. They offer no response to demographic cha

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Future Living: Gemeinschaftliches Wohnen in Japan
 9783038210207, 9783038216278

Table of contents :
Einführung
Zu diesem Buch: Über das Zusammenleben
Jenseits der Moderne
Gemeinschaftliches Wohnen in Japan
Soshigaya House | Be-Fun Design + EANA
Tokyo Apartment | Sou Fujimoto Architects
Setagaya Cooperative House | Hitoshi Wakamatsu Architects
Yokohama Apartment | ON design & Partners
Nerima Apartment | Go Hasegawa & Associates
One-Roof Apartment | Akihisa Hirata Architecture Office
Share Yaraicho | Satoko Shinohara + Ayano Uchimura
Slide | Komada Architects’ Office
Apartment I | Office of Kumiko Inui
Yotsuya Tenera | Akira Koyama + Key Operation Inc.
M-apartment | Shinichirō Iwata Architect
NE apartment | Nakae Architects, Akiyoshi Takagi, Ohno Japan
Yuima-ru Nasu | + New Office
Trois | Mitsuhiko Satō Architects
Dancing Trees, Singing Birds | Hiroshi Nakamura & NAP Architects
12 Studiolo | CAt (C+A Tokyo)
Onagawa Container Temporary Housing | Shigeru Ban Architects (VAN)
Alley House | Be-Fun Design + TAS-S
Sakura Apartment | Hitoshi Wakamatsu Architects
Alp | Akihisa Hirata Architecture Office
Komatsunagi Terrace | Mitsuhiko Sato Architects
Shakujii Pleats | Makiko Tsukada Architects
Applause Azabu | Salhaus
Static Quarry | Ikimono Architects
Apartment in Kamitakada | Takeshi Yamagata Architects
Anhang

Citation preview

Future Living

Claudia Hildner

Future Living Gemeinschaftliches Wohnen in Japan

BIRKHÄUSER | Basel

Einführung 6

Zu diesem Buch: Über das Zusammenleben von Claudia Hildner

11

Jenseits der Moderne von Evelyn Schulz

Gemeinschaftliches Wohnen in Japan 28

Soshigaya House | Be-Fun Design + EANA

34

Tokyo Apartment | Sou Fujimoto Architects

40

Setagaya Cooperative House | Hitoshi Wakamatsu Architects

44

Yokohama Apartment | ON design & Partners

48

Nerima Apartment | Go Hasegawa & Associates

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One-Roof Apartment | Akihisa Hirata Architecture Office

58

Share Yaraicho | Satoko Shinohara + Ayano Uchimura

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Slide | Komada Architects’ Office

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Apartment I | Office of Kumiko Inui

74

Yotsuya Tenera | Akira Koyama + Key Operation Inc.

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M-apartment | Shinichirō Iwata Architect

84

NE apartment | Nakae Architects, Akiyoshi Takagi, Ohno Japan

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Yuima-ru Nasu | + New Office

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Trois | Mitsuhiko Satō Architects

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Dancing Trees, Singing Birds | Hiroshi Nakamura & NAP Architects

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12 Studiolo | CAt (C+A Tokyo)

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Onagawa Container Temporary Housing | Shigeru Ban Architects (VAN)

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Alley House | Be-Fun Design + TAS-S

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Sakura Apartment | Hitoshi Wakamatsu Architects

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Alp | Akihisa Hirata Architecture Office

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Komatsunagi Terrace | Mitsuhiko Satō Architects

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Shakujii Pleats | Makiko Tsukada Architects

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Applause Azabu | Salhaus

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Static Quarry | Ikimono Architects

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Apartment in Kamitakada | Takeshi Yamagata Architects

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Anhang

Claudia Hildner

Zu diesem Buch: Über das Zusammenleben

Einfamilienhäuser bilden nur selten halböffentliche Bereiche aus, die von einander zunächst fremden Bewohnern gemeinsam genutzt werden. In der Architektur des gemeinschaftlichen Wohnens hingegen wird das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft zum wichtigen Thema. Auch die Einbindung in den urbanen oder ländlichen Kontext spielt bei den „großen“ Häusern eine andere Rolle als beim Entwurf eines einzelnen Wohnhauses. Die Blöcke, Riegel oder Ensembles, die die Architektur des gemeinschaftlichen Wohnens formen, können von ihrem Umfeld nicht so leicht verdaut werden wie etwa ein einzelnes kleines Haus: Sie prägen ihre Umgebung entscheidend mit und wirken wie kleine Städte in der Stadt.

Abschied von der Moderne Mit seinem Fokus auf das gemeinschaftliche Wohnen in Japan kann dieses Buch als eine Ergänzung zu der Publikation Kleine Häuser 1 verstanden werden, die im Jahr 2011 ebenfalls im Birkhäuser Verlag erschien und sich der japanischen Wohn­architektur über die Typologie des Einfamilienhauses annäherte. Wieso lohnt es sich aber, dem universalen Thema des Wohnens mit dem Fokus auf ein einziges Land nachzuspüren? In Japan sind einige akute gesellschaftliche Phänomene der Industrienationen sehr viel deutlicher ausgeprägt als in anderen Ländern. Der demografische Wandel schreitet dort – auch aufgrund einer rigiden Einwanderungspolitik – schneller voran als anderswo. Gleichzeitig verändert sich die Struktur der Haushalte rapide: Statt in Drei-Generationen-Familien, die lange Zeit üblich waren, leben heute immer mehr Menschen alleine, wünschen sich keine Kinder oder können sich nicht um die alternden Eltern kümmern. 6

Über ein Piktogramm sind die Projekte jeweils einem Typus zugeordnet:

Geschosswohnungsbau – ein gemeinsamer Eingang; in der Regel ein gemeinsames, zentrales Treppenhaus

Reihenhaus – alle Einheiten mit individuellem Eingang im Erdgeschoss; überwiegend mehrgeschossige Einheiten/ Maisonettes

Wohngemeinschaft – in der Regel ein gemeinsamer Eingang im Erdgeschoss; ein Raum, der eine essenzielle Wohnfunktion übernimmt und gemeinsam genutzt wird

Mehrfamilienhaus – alle Einheiten mit individuellen Eingängen; zum Teil über dezentrale Treppen erschlossen

Wohnanlage – Gruppe mehrerer Gebäude mit individuellen Eingängen; mindestens ein Gebäude, das gemeinsam genutzt wird

Die Brüche, die sich nicht nur in Japan in vielen gesellschaftlichen Bereichen abzeichnen, stehen im Kontrast zu den Voraussetzungen, die im 20. Jahrhundert zum globalen Erfolg der modernen Bewegung geführt haben: Rasantes Wirtschaftsund Bevölkerungswachstum, Fortschrittsgläubigkeit und Internationalisierung sind der Stagnation und komplexer Krisenbekämpfung gewichen. Gleichzeitig besinnen sich immer mehr Menschen auf ihre lokale Identität und beschäftigen sich mit nachhaltigen Lebensstilen. Diese Transformationsprozesse prägen auch die junge Architektengeneration Japans, die sich auf die Suche nach einer Alternative zur Moderne, einer neuen architektonischen Utopie gemacht hat – ein Motiv, das sie über verschiedene Ansätze und Methoden hinweg verbindet. Der Titel dieses Buches, Future Living, ist damit nicht auf eine vage Zukunft gerichtet, sondern umschreibt eine Umwälzung in der Gegenwart und grenzt sich damit von einer Architektur ab, die sich dem Modern Living, dem modernen Wohnen, verpflichtet fühlt. Die vorgestellten Projekte zeigen auf, mit welchen Strukturen und Ideen japanische Architekten den Funktionalismus, der das letzte Jahrhundert geprägt hat, in der Wohnarchitektur zu überwinden suchen. Den Architekten ist der Umfang der Umwälzungen dabei durchaus bewusst: „Die Produkte des modernen Denkens, seien es Architektur, Landwirtschaft oder andere Bereiche, stoßen immer offensichtlicher an ihre Grenzen; sie sehen sich im Hinblick auf die Umwelt mit denselben Problemen konfrontiert“ 2, stellt etwa Akihisa Hirata fest. Ökologische Nachhaltigkeit und Energieeffizienz werden in Japan jedoch meist anders interpretiert als in weiten Teilen der westlichen Welt. Die Idee der kurzen Lebensdauer von Gebäuden hat in einer von Holzbau und religiösem Reinheits- beziehungsweise Erneuerungsgedanken geprägten Kultur tiefe Wurzeln, sodass die langfristige Performance des einzelnen Hauses nur selten in Erwägung gezogen wird. Allerdings hat Japan den meisten anderen Industrieländern in Sachen Nachhaltigkeit etwas voraus: Der deutlich gerin­gere Wohnflächenbedarf bedeutet in der Regel zum Beispiel einen niedrigeren Verbrauch von Baumaterial und Energie. Die überwiegende Zahl der Wohnbauten, die in diesem Buch vorgestellt werden, entstand nicht auf die Initiative von großen Investoren hin. Stattdessen sind es vor allem Bauten privater Grundstücksbesitzer, die etwa vier bis zehn Wohneinheiten umfassen. Jedoch nicht der Maßstab war das Auswahlkriterium für diese Publikation; vielmehr scheinen kleinere Flächen eher zum Experimentieren einzuladen. Während bei großen Vorhaben kaum ein Bauträger wagt, die geplante Rendite durch neuartige Grundrisse und Strukturen zu gefährden, trauen sich die privaten Bauherren mit ihren begrenzten Grundstücksflächen deutlich mehr und schaffen spannende Mischformen aus Einfamilienhaus und Wohnblock. Die Anpassung des gemeinschaftlichen Wohnens an die veränderte Gesellschaft erfolgt quasi „von unten“ durch kleine private Projekte, die aufgrund der politischen und ökonomischen Situation zur Blüte gelangen. 7

Auflösung und Neuvernetzung Der Maßstab der in diesem Buch vorgestellten Projekte korrespondiert mit der Logik der Klein­­teiligkeit japanischer Großstädte, die von Architekten, aber auch in der P ­ olitik zu­nehmend erkannt und gefördert wird. Auf der Architekturbiennale 2010 in Ve­nedig präsentierten die Architekten Koh Kitayama, Yoshiharu Tsukamoto und Ryūe Nishi­zawa ihr Konzept Tokyo metabolizing 3, das Tokio als eine „Stadt der Häuser“ definiert, die sich durch die ständige Erneuerung kleiner ­bau­licher Elemente stets selbst neu erfindet. Folgt man dieser Argumentation, sind es die Wohnbauten, die die japanische Großstadt maßgeblich charakterisieren. Umgekehrt dient ​der Kontext der Stadt in vielen aktuellen Entwürfen aber auch als Inspiration und ­erfährt dadurch seine Anerkennung. Aus dem vermeintlichen Chaos der Einzelbauten werden Strukturen herausdestilliert, die in einem kleineren Maßstab auf­gegriffen und in den neuen Wohnbauten umgesetzt werden. Eine große Rolle spielen ­dabei die traditionellen Wohngegenden der japanischen Großstadt, die sich unter ​­anderem durch ihre belebten Gassen (roji) und ihre ­atmosphärische Dichte auszeichnen (siehe dazu die Einführung von Evelyn Schulz, S. 11–27). ​Auf der Biennale präsentierten die Architekten im japanischen Pavillon zwei bereits fertiggestellte Wohnhäuser im Maßstab 1:5: Das House and Atelier Bow-Wow, das den Wohn- ​und Arbeitsort des Architektenpaares in einem ­Gebäude ­zusammenfasst, und das ​­Moriyama House von Ryūe Nishizawa. Dieses 2005 für einen experimentier­freudigen Bauherrn errichtete Ensemble für sieben Bewohner be­wegt sich ­t ypologisch zwischen Einfamilienhaus und Wohngemeinschaft, zwischen Geschosswohnungsbau und kleiner Siedlung. Der Entwurf vermittelt eine Idee davon, wie das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft heute aussehen könnte, und zeigt die A ­ mbivalenz zwischen dem Wunsch nach einem individuellen Lebensstil und der Suche nach Identität. Das Ensemble wurde in Japan und auch ­international als ­beispielhafte Umsetzung eines Konzepts zur Zukunft des Wohnens verstanden. 4 Anhand des Moriyama House lassen sich mehrere gestalterische Überlegungen aufzeigen, mit denen sich die aktuelle japanische Architektur auseinandersetzt: Das Ensemble besteht aus zehn Baukörpern, wobei funktional zusammengehörende Bereiche sich nicht unbedingt im selben Volumen befinden. Das Programm wurde nicht in möglichst kompakte Wohneinheiten zusammengefasst und hierarchisch geordnet, sondern in seine einzelnen Bestandteile aufgegliedert und neu vernetzt. „Das Haus der Zukunft überwindet die Idee eines kompakten Volumens zugunsten einer Vielzahl unterschiedlicher Körper, die in die Stadt integriert sind und sich in ihr auflösen“5, beschreibt der Architekt Sou Fujimoto diesen Ansatz. ​ Die Gestaltung wird also von Auflösungsprozessen geprägt, die in neue Beziehungen zueinander und zur Stadt münden – nicht mehr die Kompaktheit des Gebäudes und seine Funktion, sondern seine Vernetzung und Struktur stehen im Mittelpunkt. Fujimoto sieht darin die Ablösung des Nestes durch die Höhle: „Ein Nest 8

Hildner, Claudia: Kleine Häuser. Zeitgenössische Japanische Wohnbauten. Basel, 2011.

1

Hirata, Akihisa: „Tangling. Plädoyer für eine neue Architektur der Verflechtung“. In: Arch+ 208: „Tokio – Die Stadt bewohnen“. Ausgabe 8/2012, S. 76–81.

2

Kitayama, Koh et al.: Tokyo Metabolizing. Tokio, 2010.

3

4 Maak, Niklas: „Japonisiert euch!“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 43 vom 25.10.2009, S. 21.

Fujimoto, Sou: „Die Architektur der Primitiven Zukunft“. In: Arch+ 208: „Tokio – Die Stadt bewohnen“. Ausgabe 8/2012, S. 66–71.

5

6 Fujimoto, Sou: Primitive Future. Contemporary Architect’s Concept Series 1. Tokio, 2008, S. 24 („... a nest is prepared according to inhabitants’ sense of comfortability while a cave exists regardless of convenience or otherwise to its inhabi­ tants … it is not organized in the name of functionalism but by place-making that encourages people to seek a spectrum of opportunities.“). 7 Atelier Bow-Wow: Behaviorology. New York, 2010, S. 13 („The regeneration of houses would revolve not around a core, but a void – the gap space between buildings – and would be propelled by the initiatives of individual families, rather than the accumulation of central capital.“).

8 Tsukamoto, Yoshiharu: „Metabolismus der Zwischenräume. Neue Typologien des Wohnens in Tokio“. In: Arch+ 208: „Tokio – Die Stadt bewohnen“, Ausgabe 8/2012, S. 34.

wird entsprechend des Komfort-Verständnisses der Bewohner errichtet, während eine Höhle unabhängig von solchen Vorstellungen existiert … Sie wurde nicht nach funktionalistischen Ideen organisiert, sondern schafft einen Ort, der die Menschen dazu ermutigt, ein Spektrum von Möglichkeiten zu erforschen.“ 6 Das Moriyama House lässt sich aber auch als ein Ensemble lesen, das um die Freiflächen herum entwickelt wurde. Die Zwischenräume sind nicht nur Abstandsflächen, sondern Erweiterungen der privaten Wohnbereiche in den Außenraum hinein. Diese neue Rolle des Zwischenraums propagierte als Erster der Architekt Yoshiharu Tsukamoto vom Atelier Bow-Wow: „Die Häuser regenerieren sich nicht um einen Kern, sondern um eine Leerstelle – die Lücke zwischen den Gebäuden –, und werden eher auf die Initiative einzelner Familien hin vorangetrieben, als von dort, wo sich das zentrale Kapital anhäuft.“ 7 In dieser Interpretation zeigt sich die Auflösung der kompakten Strukturen durch die Neuordnung der Restflächen, ​ die sich durch die fortschreitende Aufteilung der Grundstücke im 20. Jahrhundert ergeben haben: Die steigende Dichte führte zu einer Baugesetzgebung, die vor ​ allem Baugrenzen und Abstände definierte. Architektur sei mehr und mehr zu ​ einem Nebenprodukt der Baulücken geworden, sagt Tsukamoto. 8 Er und andere japanische Architekten wirken dieser Entwicklung mit Entwürfen entgegen, bei ​ denen der Zwischenraum eine neue Rolle einnimmt und durch seine Unbestimmt­ heit eine Vielzahl von Nutzungen erlaubt. Der Kern als eines der wesentlichen ​ ­Elemente der Architektur der Moderne hingegen verliert seine Bedeutung.

Zur Struktur dieses Buches Das Buch teilt sich in zwei Abschnitte: In der Einführung arbeitet Evelyn Schulz grundlegende kulturelle Aspekte des gemeinschaftlichen Wohnens in der japanischen Großstadt seit dem 17. Jahrhundert heraus. Im Zentrum ihrer Betrachtung stehen die Strukturen traditioneller Wohngebiete, in denen die meisten der in dieser Publikation vorgestellten Bauten realisiert wurden und deren ­Kontext – ­anders als noch vor einigen Jahrzehnten – vielen Architekten als Inspiration für ihre architektonischen Entwürfe dient. Die im anschließenden Projektteil prä­sentierten Beispiele vermitteln ein umfassendes Bild der Architektur des gemeinschaftlichen Wohnens in Japan. Über ein Piktogramm sind die Projekte jeweils dem ihnen ​­entsprechenden Typus zugeordnet (siehe Seite 7). Der Fokus der Projekt­ beschreibungen liegt auf den Konzepten der Formfindung und Grundrissgestaltung, die anhand von Fotos und Plänen dargestellt und in einem Textbeitrag erläutert werden. Um die Lesbarkeit der Zeichnungen zu erleichtern, wurden die einzelnen Wohneinheiten komplexerer Entwürfe in Grundriss und Schnitt mit verschiedenen Farben markiert.

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Evelyn Schulz

Jenseits der Moderne

Keine Zukunft ohne Vergangenheit: Japanische Architekten und​ ­Stadtplaner  entdecken traditionelle Formen des gemeinschaftlichen​ ­Wohnens  neu. Neben den Strukturen kleinteiliger Quartiere dienen​ ­da­bei auch vormoderne Modelle des Zusammenlebens als Inspiration.

Evelyn Schulz ist Professorin für Japanologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Literatur und Kultur des modernen Japan. Ihre Forschungen widmen sich unter anderem dem dortigen urbanistischen Diskurs, wozu in jüngster Zeit Strategien der Entschleunigung und deren mediale Repräsentationen zählen. 11

Dem permanenten Wandel Einhalt gebieten und in der Stadt Orte schaffen, die geschichtliche Kontinuität und räumliche Bindekraft vermitteln: Dieser Wunsch nach einem Wohn- und Lebensumfeld, das sich an traditionellen Strukturen ​orientiert, ist in den letzten Jahren in Japan ebenso erstarkt wie das Bedürfnis nach Begegnungsräumen, in denen gemeinschaftliches Leben möglich ist.

01 Stadt bis zum Horizont: das moderne Tokio vom Mori Tower (Ropp­ongi Hills) aus gesehen

Der vorliegende Beitrag zeichnet zunächst nach, wie Wachstums- und Schrumpfungsprozesse die japanische Stadt seit dem 19. Jahrhundert verändert haben. Darauf folgt eine Betrachtung der Gestaltung von traditionellen Wohnvierteln, in der auch der Frage nachgegangen wird, inwieweit diese als Begegnungsräume fungierten. Anschließend soll ihre Entwicklung im 20. Jahrhundert vom allmählichen Schwinden dieser Strukturen bis zu ihrer Wiederentdeckung beleuchtet werden. Zum Abschluss wird die Relevanz dieser traditionellen urbanen Strukturen im heutigen Diskurs über die Zukunft des städtischen Wohnens in Japan betrachtet.

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1. Einleitung und Hintergründe: Wachstums- und Schrumpfungs­ prozesse und die Suche nach neuen Formen des Wohnens Viele Fragen und Themen, die sich mit dem urbanen Leben und der Stadt der Zukunft befassen, haben ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert. Das rasche Städtewachstum, die voranschreitende Industrialisierung sowie die vielfältigen Modernisierungs- und Nationalstaatsbildungsprozesse, die damals in Gang gesetzt wurden, wirken bis heute nach. Im Zuge dieser Entwicklungen formierten sich Diskurse, die globale Verbreitung fanden und in unterschiedlicher Ausprägung bis heute aktuell geblieben sind: über Stadtplanung und Architektur, Katastrophenschutz, Hygiene und Seuchenbekämpfung, Ästhetik und Funktionalität, Migration und Integration. In Japan werden diese Diskurse seit der Öffnung des Landes Mitte des 1­ 9. Jahrhunderts bis heute in unterschiedlicher Intensität rezipiert und im Hinblick auf ihre Relevanz für Japan befragt und ergänzt. Damals wurden dort weitreichende Modernisierungsprozesse eingeleitet, die auf der Rezeption westlicher Kulturgüter, Ideen und Technologien basierten und sich zunächst auf die Städte, allen voran die neue Hauptstadt Tokio, konzentrierten. Die Rezeptionsbeziehungen zwischen Japan und Europa sowie Japan und Nordamerika blieben jedoch nicht einseitiger Natur. Wegweisende Architekten der Moderne wie Frank Lloyd Wright, Bruno Taut und Walter Gropius stießen bei ihrer ­ ohnhausarchitektur Suche nach neuen Architekturformen auf die vormoderne W Japans, in deren Schlichtheit, Funktionalität und modularer Bauweise sie die Grundprinzipien ihrer eigenen modernen Architekturauffassung widergespiegelt sahen. Besonders einflussreich für die weltweite Anerkennung der japanischen Holzbauweise war Bruno Tauts Entdeckung der bei Kioto gelegenen Villa Katsura in den 1930er Jahren. Die enthusiastische Rezeption dieses kaiserlichen Gebäude- und Gartenensembles förderte in Japan die Wiederentdeckung indigener Bauformen. Im Mittelpunkt des Interesses standen hauptsächlich prototypische Wohnhäuser, meist freistehende Villen der gehobenen Mittel- und Oberschicht. Die repetitiv gestalteten Behausungen der einfachen Stadtbevölkerung – niedriggeschossige Holzhäuser in dicht bebauten, funktional durchmischten und von engen Gassen durchzogenen Vierteln – blieben hingegen ebenso weitgehend unbeachtet wie die Struktur und Gliederung des urbanen Raums. Als Kontext zählte zu dieser Zeit vor allem der Bezug zur Natur, das heißt in den meisten Fällen: zum Garten. Die Art und Weise hingegen, in der diese Häuser mit ihrer baulichen Umgebung korrespondierten und wie dadurch städtisches Leben mitgestaltet wurde, war, wenn überhaupt, nur von untergeordnetem Interesse. Die Fokussierung auf das Haus als alleinstehendes Objekt wurde von verschiedenen Faktoren gefördert. Dazu zählt die Ablösung der Großfamilie, wie sie für die vormoderne Gesellschaft Japans prägend war, durch die Kernfamilie nach dem Vorbild des modernen Europa. Die Individualisierung förderte den Rückzug auf 13

02–03 Villa Katsura bei Kioto, Blick vom Garten: „Der moderne Architekt wird ​ mit Erstaunen feststellen, dass dieses Gebäude absolut modern ist, insofern nämlich, als es seine Anforderungen auf kürzestem und einfachstem Wege erfüllt“, stellte Bruno Taut im Jahr 1933 fest. 02

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das Private und weckte den Bedarf an entsprechenden Wohnformen und -eigentum. Hinzu kam, dass das Bevölkerungswachstum der Städte auf einem Zuzug der ländlichen Bevölkerung, vor allem der jungen Generation, basierte. Dadurch verlor die Dreigenerationenfamilie als Lebensmodell an Bedeutung, was wiederum den Bau kleinerer Wohneinheiten beschleunigte. Der Architekt Yoshiharu Tsukamoto spricht hier von einer „Agenda des Wohneigentums im 20. Jahrhundert“ 1, die den Architekten das Programm der Vereinzelung auferlegte. Während bis heute japanische Wohnhausarchitektur als Vorbild für zeitgemäßes Bauen ästhetisiert wird, gelten viele Metropolen als Labyrinthe und sich permanent verändernde Moloche. Insbesondere Tokio gilt als eine Stadt, in der es nur an wenigen Orten geschicht­ liche Kontinuität und räumliche Bindekraft gibt. Der Eindruck der stän­digen ​Ver­ änderung wird dadurch verstärkt, dass japanische Wohnhäuser – die das Stadtbild bis heute sehr kleinteilig erscheinen lassen – vergleichsweise kurzlebig sind: Ihre Haltbarkeit ist im Durchschnitt auf 20 bis 30 Jahre angelegt. Lange Zeit dominierten innerstädtische Verdichtung und periphere Zersiede­ lung das urbane Wachstum in Japan. Viele Städte entwickelten sich zu gigantischen Agglomerationen. Heutzutage leben etwa 70 Prozent der Bevölkerung des Landes, also fast 100 Millionen Menschen, in Städten, mehr als 35 ­Millionen davon im Großraum Tokio-Yokohama. Erst in den vergangenen Jahrzehnten ist das bis dahin ungebremste Wachstum zum Erliegen gekommen. Verschiedene ­Fakt­oren ​und Ereignisse haben zu ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Verschiebungen geführt. Neben dem Globalisierungsdruck und den damit einher­gehenden wirtschaftlichen Auswirkungen sind dies vor allem Geburtenrückgang und Über­alterung. Die durch den demografischen Wandel mit ausgelösten Schrumpfungsprozesse betreffen sowohl ländliche als auch städtische Regionen und erfordern die Entwicklung von Wohnformen, die auf die neuen Verhältnisse reagieren. Die Idee der Kernfamilie, die ein tragendes Element der Modernisierung Japans war, verliert seit geraumer Zeit ihre Autorität als dominantes Leitbild. Heutzutage richtet sich der Blick bei der Suche nach Antworten auf die Frage, welche Form von Architektur und Stadtgestaltung zeitgemäße Formen des Zu14

sammenlebens ermöglicht, auch auf Modelle aus der Vergangenheit. Eine wichtige Rolle kommt dabei den kleinräumigen und funktional durchmischten Vierteln zu, die ihre Wurzeln im 17. Jahrhundert haben. Ein Großteil dieser Viertel musste im Verlauf des 20. Jahrhunderts modernen Bauprojekten weichen. Die noch verblie­ benen jedoch geben Aufschluss über eine Art des Wohnens, die von nachbarschaftlicher Nähe und gemeinschaftlich genutzten Flächen profitiert.

2. Vormoderne Formen gemeinschaftlich genutzter Begegnungsräume

04 Die Gassen in den traditionellen Wohnvierteln (roji) dienen den Bewohnern als Begegnungsraum und Gartenersatz.

Ab dem 17. Jahrhundert standen die kleinräumigen, dicht bevölkerten und funktional durchmischten Stadtviertel im Zentrum des städtischen Lebens in Japan. Insbesondere das so genannte „lange 17. Jahrhundert Japans“, das den Zeitraum von etwa 1580 bis 1720 umfasst, war von Entwicklungen geprägt, die die Urbanisierung vorantrieben und bis heute nachwirken. Dazu zählen die Bildung einer Zentralregierung unter der Herrschaft des Tokugawa-Shogunats mit Sitz in Edo (dem heutigen Tokio) sowie ein starkes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum und eine damit einhergehende demografische Verstädterung. Damals wurden die

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Grundlagen für die heutige wirtschaftliche, politische und kulturelle Dominanz Tokios gelegt. Edo hatte bereits im 18. Jahrhundert mehr als eine Million Einwohner. In der so genannten Edo- oder Tokugawa-Zeit (1603–1868) basierte die soziale und wirtschaftliche Ordnung auf einer feudalen Gesellschaft, die aus vier Ständen – Schwertadel, Bauern, Handwerker und Händler – bestand. Diese Struktur spiegelte sich in der Stadtgestalt sowie der Wohnhausarchitektur wider. Während der Schwertadel, die Daimyō (Feudalherren) mit ihrem Samurai-Gefolge, meist großzügige, mit mehreren Gebäuden bebaute Grundstücke besaß, wohnte die gewöhnliche Stadtbevölkerung, die hauptsächlich aus Handwerkern und Kaufleuten bestand, in dicht bebauten Vierteln. Für diesen Zeitraum gibt es nur wenig verlässliche Daten zur Bevölkerungszahl und -dichte. Am besten dokumentiert ist Edo. Schätzungen gehen davon aus, dass in der so genannten Oberstadt (Yamanote), wo der Schwertadel residierte und sich zahlreiche Schreine und Tempel mit Gärten befanden, 14 000 Menschen auf einen Quadratkilometer kamen. Für die Unterstadt (Shitamachi) hingegen nimmt man 69 000 Menschen pro Quadratkilometer an. Die Unterstadt war in etwa 1 700 Stadtviertel, die so genannten machi, aufgeteilt. Diese bildeten die unterste Verwaltungseinheit und waren zugleich lokale Gemeinschaften, die die hierarchische Struktur der Feudalgesellschaft widerspiegelten. Etwa 20 bis 30 Prozent der Stadtbewohner waren als selbständige Kaufleute oder Handwerker tätig und verfügten über Grundbesitz. Sie bildeten die lokale Oberschicht und waren in so genannten „Fünferschaften“ (gonin gumi) organisiert, die der gegenseitigen Kon­ trolle unterlagen: Fünf benachbarte Haushalte der Oberschicht eines Viertels übernahmen dort Verwaltungs- und Kontrollaufgaben. Dazu zählten die Überwachung

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05 Wie Schlupflöcher wirken die Zugänge zu den Gassen, die von der Geschäftsstraße aus zu den einfachen Wohnvierteln führen.

öffentlicher Arbeiten wie Straßenreparaturen, die Koordination von Brandschutz und Feuerbekämpfung, die Verwaltung der Familienregister und die öffentliche Bekanntmachung von Regierungsedikten. Die Nachbarschaftsbeziehungen pendelten zwischen Nähe und Kontrolle und waren daher entsprechend widersprüchlich. Die Viertel hatten eine quadratische Grundfläche von je 109 Metern Seitenlänge und waren geografisch klar umrissen. Ihr Aufbau war stets ähnlich: Längs durch jedes Viertel verlief eine Hauptstraße, die an beiden Enden von Toren mit Wachposten begrenzt war. Von der Hauptstraße zweigten Seitengassen ab, die in die dahinterliegenden Wohnviertel führten. Jedes Viertel hatte etwa 300 Einwohner, von denen sich die meisten gegenseitig kannten. Die Bewohner zeichneten sich durch soziale Homogenität aus, die sich durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe oder einem Stand ergab. Häufig bestanden zwischen den Bewohnern enge wirtschaftliche Beziehungen. Etliche Viertel entwickelten im Laufe der Zeit eine ausgeprägte lokale Identität und ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Ein bis heute hierfür bekanntes Beispiel ist das Viertel Nishijin in Kioto, wo sich vor über 1 200 Jahren eine besondere Art des Webens entwickelt hat, die bis heute von Generation zu Generation weitergegeben wird. In den Vierteln herrschte ein reges Nebeneinander von Wohnen und Handel, Kunst und Kultur. Einen umfassenden Einblick in ihre Beschaffenheit vermittelt die Bildrolle Kidai shōran (Vortrefflicher Anblick unseres prosperierenden Zeitalters) aus dem Jahr 1805. Auf einer Länge von zwölf Metern wird ein Panorama des damals bedeutendsten Handelszentrums von Edo, Nihonbashi, entwickelt. Mehr als 1 700 Menschen und Tiere sowie mehr als 100 Geschäfte und Restaurants zeigen Situationen aus dem Alltagsleben. Die räumliche Segregation bildet die soziale

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Position der Haushalte ab: Entlang der Hauptstraße reihen sich die Wohn- und Geschäftshäuser der lokalen Oberschicht aneinander, während in den engen Seiten- und Hintergassen weniger wohlhabende Händler, Handwerker und Arbeiter als Mieter in länglichen, meist einstöckigen Reihenhäusern, den so genannten nagaya (Langhaus), leben.

06 Von Reihenhäusern gesäumte Gasse (roji) in den Wohnvierteln der einfachen Bevölkerung 07 Schematische Darstellung eines Stadtviertels in Edo (dunkel: Geschäfts­ häuser; hell: Reihenhäuser) 08 Schematische Darstellung desselben Stadtviertels im modernen Tokio: Ein Wall aus höheren Gewerbebauten umschließt ein dichtes Wohngebiet. 09 Schematische Darstellung einer Hintergasse in Edo: 1 – Geschäftshaus; 2 – nagaya; 3 – roji; 4 – Brunnen; 5 – Toilette

Während der Edo-Zeit entwickelten sich zwei Typen von Reihenhäusern: Typ 1 wurde auf den Grundstücken des Schwertadels errichtet, um dort Krieger niederen Ranges und Bedienstete unterzubringen. Baulich waren diese Häuser so angeordnet, dass sie als Abgrenzung nach außen fungierten und somit Schutz vor Eindringlingen boten. Reihenhäuser vom Typ 2 errichteten Grundbe­sitzer in den Hintergassen der Viertel, um den Wohnraum an grundbesitzlose Handwerker und Kaufleute zu vermieten. Nagaya beziehungsweise ura nagaya (hinten ­gelegenes Langhaus) bezeichnet hier Bauten von unterschiedlicher Größe und Qualität. Gemeinsam ist ihnen in der Regel, dass sie mindestens eine Wand mit den Nachbargebäuden teilen und mehrere Wohneinheiten unter einem Dach vereint sind. Anfänglich eingeschossig, wurden sie im Zuge der intensiveren Ausnutzung des Bodens zweigeschossig gebaut. In den Häusern herrschten beengte Wohnverhältnisse: Neben einer kleinen Küche gab es meist nur ein bis zwei Zimmer. Die sanitären Einrichtungen, Toilette und Bad, befanden sich außerhalb des Hauses und wurden gemeinschaftlich genutzt. Zwischen den Häusern verlief eine schmale Gasse, die den Zugang zur Hauptstraße gewährte. Diese Gasse, die im Japanischen als roji bezeichnet wird, war kein öffentlicher Ort des Transits, sondern Teil des semi-privaten Lebensraums der Anwohner. Hier gab es neben der Toilette einen Brunnen, der auch als informeller Treffpunkt der Bewohner fungierte. Das bis heute verwendete Wort idobatakaigi (wörtlich: Versammlung am Brunnen) bezeichnet das zufällige Treffen von Anwohnern am Brunnen und verweist auf das gemeinschaftliche Leben in solchen Vierteln. Zur körperlichen Reinigung ging man in ein nahegelegenes Badehaus, das ebenfalls ein wichtiger Ort für informelle Begegnungen zwischen den Anwohnern war. Auch ein Schrein gehörte zum ursprünglichen Inventar eines roji.

3. Das Verschwinden der Stadtviertelgemeinschaften und die Entwicklung neuer Wohnformen im 20. Jahrhundert Mit der Modernisierung Japans, die offiziell mit der Meiji-Restauration ​ 1868 eingeleitet wurde, erfuhr zunächst die neue Hauptstadt Tokio weitreichende strukturelle, bauliche und soziale Veränderungen, die auch die Viertel und deren lokale Gemeinschaften unmittelbar betrafen. Beispielsweise wurden die Tore abgebaut und die Wachtposten abgeschafft. Mit dem Verlust der sichtbaren Gren­zen waren die Viertel nicht mehr als klar abgegrenzte Räume erkennbar. Verwaltungs­reformen führten zu Grenzverschiebungen, Namensänderungen und 19

10 Nihonbashi im Schnee, bei klarem Wetter: Szenerien wie in Hiro­­­­­shige Utagawas Holzschnitten zu Edo sind im ­modernen Tokio weitgehend verschwunden.

Zusammenlegungen von mehreren Vierteln. Auch verloren sie ihren Status als eigenständige Verwaltungseinheiten und wurden in die neugeschaffenen Stadt­bezirke als unterste Verwaltungsebene eingegliedert. Migrationsbewegungen, Bevölkerungswachstum und eine veränderte soziale Durchmischung aufgrund der Auflösung der feudalen Ständegesellschaft führten zu einem großflächigen Austausch der Bevölkerung. Jeder dieser Faktoren trug seinen Teil zum Ver­ schwinden der Viertel als sozio-ökonomische, geografische und administrative Einheiten bei. Daneben veränderten umfangreiche infrastrukturelle Maßnahmen nachhaltig das Leben in den Vierteln. Edo basierte auf einem ausgedehnten Netz von ​ Flüs­sen und Kanälen, auf denen der Transport von Waren abgewickelt wurde. Die ​Menschen gingen entweder zu Fuß oder fuhren mit dem Boot, weshalb die ​Un­ terstadt häufig als eine Stadt der Wasserwege und der Brücken dargestellt wird.​ So zeigen viele Abbildungen der bekannten Farbholzschnittserie Hundert Ansich­ ten berühmter Orte Edos (Meisho Edo hyakkei, 1856–1858) von Hiroshige Utagawa (1797–1858) städtische Wasserlandschaften. Passanten flanieren entlang der Ufer oder über Brücken, oder sind in Booten unterwegs. Die Brückenvorplätze fungieren als öffentliche Räume, die in die Stadtviertel münden. Solche Ansichten verschwanden im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Die Verlagerung des Transports von Menschen und Gütern von den Wasserwegen auf das Land hatte einschneidende Folgen für die Struktur der Stadt und die Nutzung der Wasserwege. Die Flüsse wurden begradigt und viele Kanäle entweder zugeschüttet oder später mit Auto­ bahnen überbaut. Viele der neuen Verkehrswege entzweiten einst zusammen­ hängende Stadtviertel. 20

Die großflächigen Zerstörungen, die Tokio in der Folge des Erdbebens vom ​ 23. September 1923 und durch die amerikanischen Brandbombenangriffe im Zweiten Weltkrieg erlitt, schufen grundlegende Voraussetzungen für umfassende Neugestaltungen. Nach diesen Katastrophen erlebte Tokio intensive Phasen des Wiederaufbaus und des Wachstums, die wiederum einen hohen Bedarf an Wohnraum auslösten. In der Wiederaufbauphase der Nachkriegszeit und den anschließenden Jahrzehnten des Hochwirtschaftswachstums wurden neue Wohnformen ent­wickelt, um den Bevölkerungszustrom zu beherbergen. Viele der Holzhäuser, die trotz der Brandkatastrophen noch erhalten geblieben waren, wurden im Laufe der Zeit abgerissen und meist durch mehrstöckige Apartmenthäuser ersetzt. Diese galten als hygienischer und feuerresistenter, zudem erlaubten sie eine effizientere Flächennutzung. Das Mietreihenhaus wurde ebenfalls als Haustyp modernisiert. Allerdings bewirkten die unterschiedlichen Lebens- und Wohnverhältnisse der häufig neu zugezogenen Bewohner, dass sich sehr unterschiedliche Nachbarschaftsbeziehungen entwickelten und das soziale, auf das jeweilige Viertel bezogene Umfeld, in das die Häuser ursprünglich eingebettet waren, verlorenging. Daneben errichtete man New Towns, Neugründungen von Städten außerhalb der Ballungszentren. Diese bestanden zu einem großen Teil aus mehrstöckigen Wohnhochhäusern aus Stahlbeton mit einem hohen Anteil an Mietwohnungen (jūtaku danchi beziehungsweise danchi), die entweder in öffentlicher Hand lagen oder Firmenwohnungen waren. Im Vergleich zu den engen innerstädtischen Verhältnissen waren diese auf dem Reißbrett entworfenen Wohnanlagen großzügig gestaltet. Sie waren von Grünflächen umgeben, es gab Spielplätze, Geschäfte und Kultureinrichtungen. In den 1960er Jahren galten diese Siedlungen als Inbegriff für moderne Lebens- und Wohnverhältnisse. Der Grundriss der Wohnungen ist einheitlich gestaltet: Auf circa 40 Quadratmetern befinden sich zwei Wohnräume, eine Essküche sowie ein kleines Bad. In den danchi lebten bevorzugt Neu­ zugezogene, hauptsächlich Angestellte mit ihren Familien. Die Nachbarschaftsbeziehungen wa­ren vergleichsweise anonym; die Bewohner galten als Einzelgänger, die ihre ­Privatsphäre schützen und nachbarschaftliche Beziehungen weitgehend vermeiden wollten. Heute gelten viele der in die Jahre gekommenen danchi als ­unattraktive, unverkäufliche architektonische Monokulturen, weshalb einige von ihnen sogar abgerissen werden.

4. Die Wiederentdeckung der roji als Wohn- und Begegnungsräume im 21. Jahrhundert Ungeachtet der enormen Veränderungen, die sich in Japans Städten im vergangenen Jahrhundert ereignet haben, gibt es vielerorts noch kleinräumige Viertel, in denen sich Elemente und Strukturen aus der Vormoderne erhalten haben. Dazu zählen neben der räumlichen Enge funktionale Durchmischung, das Vorhanden­ 21

sein einer lokalen Gemeinschaft und eine Einwohnerschaft, die meist aus alteingesessenen Familien stammt. Häufig sind auch roji zu finden, also die schmalen, gemeinschaftlich genutzten Gassen zwischen den Häusern, die diese traditionellen Viertel jahrhundertelang geprägt haben. Auch heute fungieren sie als informeller Begegnungsraum für die Anwohner. Meist sind diese Wege so eng und verwinkelt, dass man sie nur zu Fuß passieren kann. Oft enden sie als Sackgasse. In vielen Fällen ist die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum kaum ersichtlich. Seit einigen Jahren richtet sich der Blick bei der Suche nach Wohnformen, die den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen gerecht werden, auch auf solche Viertel. Obgleich der Begriff roji nur einen bestimmten Bestandteil dieser Stadtstrukturen bezeichnet, ist er mittlerweile zu einem Synonym geworden für Wohnund Begegnungsräume, in denen alle Generationen ihren Platz finden und in denen eine Entschleunigung des Lebenstempos – ein slow life – möglich ist. ​Die Be­wohner finden Ruhe und Entspannung, Kinder Spielkameraden in der Nach­barschaft und die Älteren Gesprächspartner. Wohnung, Geschäfte und bisweilen auch der Arbeitsplatz liegen nahe beieinander. Der Stadt- und Regionalplaner Tetsunosuke Hisashige ​lis­tet in seiner Studie Die japanische Version der Slow City: Stadterneue­ rung, die die besondere Kultur einer Region und deren natürliche Umwelt wiederbe­ lebt (2008) fünf Merkmale einer slow city auf, die sich auch im heutigen Diskurs über die roji wiederfinden: 1) Menschsein: in angenehmem Tempo in öffentlichen Räumen spazieren gehen können, die dem menschlichen Maßstab entsprechend gestaltet sind 2) Slow food: lokal produzierte Nahrungsmittel genießen 3) Einbindung, indem sich die Bewohner mit der spezifischen Kultur und Geschichte einer Region identifizieren 4) Kommunikation zwischen den Bewohnern 5) es wird ein nachhaltiger, die Intentionen der Bewohner berücksichtigender Lebensstil verfolgt. Aufgrund der Zentralität Tokios konzentriert sich der Diskurs über die roji und deren Potenzial, Räume gemeinschaftlichen Wohnens zu schaffen, auf die Hauptstadt Japans. Einige der in Tokio noch vorhandenen Viertel wurden in den ver­ gangenen Jahrzehnten sorgfältig renoviert und wiederbelebt; sie fungieren als Modell für ganz Japan. Besonders bekannt sind Yanaka, Kagurazaka und Kichijōji. Die Popularität dieser Viertel verdeutlicht die Umdeutung, die diese in den letzten Jahren erfahren haben: wurden sie früher als rückständig und abbruchreif abgewertet, gelten sie nun als Vorreiter einer neuen Urbanität. Trotz ihres sehr unterschiedlichen Erscheinungsbildes weisen die genannten Viertel Gemeinsamkeiten auf. Dazu zählt unter anderem das Zusammenwirken verschiedener Funktionen: Handel und Handwerk, Kultur und Unterhaltung, Wohnen und Begegnung. Zwei der Viertel, Yanaka und Kagurazaka, sind im Zentrum von Tokio gelegen; Kichijōji hingegen liegt außerhalb an einer Hauptbahnlinie und hat einen Bahnhof, an dem sich meh22

rere Linien kreuzen. Yanaka und die benachbarten Gegenden gelten als V­orreiter der Revitalisierung von roji-Quartieren. Wiederbelebung meint hier, dass ein inner­ städtisches Wohn- und Arbeitsumfeld mit kurzen Wegen, lokalen Geschäften und kleineren Kultureinrichtungen erhalten und erweitert wird. So ist Yanaka nicht nur eine Wohngegend, sondern hat sich auch zu einem beliebten innerstädtischen Ausflugsziel entwickelt. Zahlreiche kleine Geschäfte, Galerien und Cafés schaffen eine entspannte Atmosphäre. Ältere Menschen wohnen hier ebenso wie junge. Das Alltagsleben kann zu Fuß bewältigt werden.

11 Kleinteiligkeit und funktionale Durchmischung statt großmaßstäblicher Neuplanung: In Yanaka konnten traditionelle Stadtstrukturen erhalten bleiben.

Kichijōji hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem vielseitigen, funktional durchmischten und sehr lebendigen Stadtteil in der Peripherie von Tokio entwickelt. Der Prozess, der dazu geführt hat, dass es Kichijōji in dieser Form heute gibt, ist charakteristisch für die Neubewertung, die diese Viertel insgesamt erfahren haben. In den 1960er Jahren wurden dort in der Nähe des Bahnhofs, wo sich noch viele roji-Viertel mit lokalen Geschäften und Restaurants befanden, ​große Warenhäuser errichtet. Zunächst war geplant, die baufälligen Holzhäuser ​ abzureißen. Allerdings protestierten lokale Bürgerinitiativen erfolgreich gegen diese Pläne, was schließlich zum Erhalt der Viertel geführt hat. Mittlerweile ist die Umgebung des Bahnhofs gerade aufgrund ihrer Vielfalt zu einem beliebten Ausflugsziel geworden, und das gesamte Viertel hat sich zu einer attraktiven Wohnund Geschäftsgegend entwickelt. Kichijōji verfügt über eine vielseitige Infrastruktur: Vom Bahnhof aus führt eine Fußgängerzone in die nähere Umgebung; in den Gassen in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs befinden sich kleine lokale Spezialitätenrestaurants, Jazz-Cafés, Buchhandlungen und Warenhäuser. Eine Kehrseite

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der erfolgreichen Wiederbelebung liegt allerdings darin, dass aufgrund der großen Beliebtheit von Kichijōji als Wohn- und Arbeitsort in den vergangenen Jahren die Mieten und Immobilienpreise enorm angestiegen sind. Die Revitalisierung der roji-Quartiere wird in den genannten Beispielen von starken lokalen Gemeinschaften getragen und gründet auf Marketingstrategien, die zum kommerziellen Erfolg führen. So sind dort oft Einkaufsstraßen mit lokalen Geschäften erhalten geblieben, die an vielen Orten in Japan um das Überleben kämpfen beziehungsweise bereits geschlossen wurden. Zudem zeigen ­Beispiele wie Kichijōji und Yanaka, dass lokale Bürgerinitiativen erfolgreich Widerstand gegen hochpreisige Großbauprojekte und die damit einhergehende Gentrifizierung ­organisieren können. Denn was innerstädtische Quartiere angeht, hat die Wiederbelebung traditioneller Strukturen noch einen weiteren Aspekt: Grund und Boden sind in Tokio extrem teuer geworden, und aufgrund der hohen Erbschaftssteuer und der steigenden Bodenpreise muss häufig zumindest ein Teil des ererbten Grundstücks verkauft werden. Damit fördert das japanische Erbrecht Bodenspekulation und ungebremste Bauwut. In Tokio werden unentwegt Grundstücke zum Verkauf angeboten, die in vielen Fällen von Investoren aufgekauft und mit mehrstöckigen, großräumigen Wohnkomplexen bebaut werden. Auch die sprunghafte Zunahme von so genannten POPS (privately owned public spaces), großräumigen, multifunktionalen Bauprojekten in privater Trägerschaft, ist in diesem

12 Roppongi Hills im Zentrum Tokios: Der Komplex umfasst unter anderem den imposanten Mori Tower und zwei rot-weiße Wohnhochhäuser. 13 Der Entwurf „Rojikaku“ ist Teil des Projekts „Tokyo Urban Ring“, das sich damit beschäftigt, wie dichte und kleinteilige Wohnhausviertel erhalten werden können. 14 Der gemeinschaftlich genutzte Kern versorgt jeweils mehrere Wohnhäuser mit zusätzlichem Raum und technischer Infrastruktur.

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Zusammenhang von Bedeutung. POPS setzen sich meist aus Bürogebäuden, exklusiven Apartmenthochhäusern, Einkaufszentren und öffentlich zugänglichen Parks zusammen. Sie sind wie eine Stadt in der Stadt, wobei sie oft wenig in das Umfeld integriert sind. In Tokio sind seit der Jahrtausendwende etliche spektakuläre Projekte dieser Art entstanden. Ein besonders prägnantes Beispiel, an dem sich die Debatte entzündet hat, ist der 2003 fertig gestellte multifunktionale Komplex Roppongi Hills. Der Stadtteil Roppongi liegt in der Nähe des Regierungsviertels, wo sich viele Botschaften und auch etliche Zentralen internationaler Unternehmen befinden. Auf dem Gelände, auf dem der Komplex errichtet wurde, befanden sich früher kleinteilige Viertel. Der Bauherr und Investor Minoru Mori (1934–2012) benötigte etwa 15 Jahre, um die für den Bau von Roppongi Hills erforderliche Fläche aufzukaufen. Die Viertel wurden abgerissen und die frei gewordenen Grundstücke mit dem mehr als vier Milliarden Dollar teuren Komplex bebaut. Neben dem 238 Meter hohen Mori Tower, der das Zentrum bildet und unter anderem ein Kunstmuseum, Restaurants, Boutiquen und Büros beherbergt, gehören das Grand-HyattHotel sowie zwei Hochhäuser mit hochpreisigen Apartments dazu. Ein öffentlich zugänglicher Park verbindet die Gebäude miteinander. Roppongi Hills offeriert exklusive, globalisierte Wohn-, Arbeits- und Konsumwelten, die für den Großteil der Bevölkerung unerschwinglich sind. Minoru Mori berief sich bei der Entwicklung des Quartiers auf Architekten der Moderne wie Le Corbusier und entwickelte daraus seine eigene Vorstellung von einem besseren, modernen Leben in der Stadt. Den Gebäudekomplex interpretierte er als vertikale Gartenstadt, in der Wohnen, Arbeiten und Erholung nahe beieinander liegen. Aus der Sicht der Gegner einer solch monumentalen Stadtgestaltung stellen die roji ein nachhaltiges, das Zusammenleben förderndes Gegenmodell dar. Sie repräsentieren nicht nur eine etablierte Form nachbarschaftsorientierten Wohnens, sondern auch ein Raumkonzept, das hegemoniale Vorstellungen von Modernität und Fortschritt in Frage stellt und der Kapitalisierung von städtischen Räumen 25

entgegentritt. An der Wiederentdeckung des sozialen, ökonomischen und öko­ logischen Wertes der roji-Strukturen sind unterschiedliche Akteure beteiligt. Seit ­geraumer Zeit arbeiten auch Architekten an einer zeitgemäßen Modernisierung von roji-Vierteln, indem sie etwa einzelne Häuser durch neue, dem Kontext Rechnung tragende Wohnbauten ersetzen. Zudem dienen die Elemente der roji den Gestaltern als Inspiration, etwa bei Wohnanlagen für ältere Menschen, die häufig noch in solchen traditionellen Vierteln aufgewachsen sind. Die typischen roji-Elemente, wie etwa gemeinschaftlich genutzte Zonen, sollen bei solchen Projekten die Kommunikation zwischen den Bewohnern fördern. Damit erfolgt eine Abkehr vom „Programm der Vereinzelung“ und eine Hinwendung zum unmittelbaren städtischen Umfeld. Angesichts der großen Veränderungen, mit denen Japan konfrontiert ist, bezeichnete der 2007 verstorbene Architekt Kishō Kurokawa die roji sogar als „Schlüssel für die Zukunft“ 2. Die Auseinandersetzung mit roji-Strukturen als Impulsgeber für neue Formen gemeinschaftlichen Wohnens und Zusammenlebens (cohousing) findet bei vielen Projekten statt. Ein prägnantes Beispiel ist der Entwurf eines so genannten „roji-Kerns“ (rojikaku), eines Turms inmitten eines Wohnviertels, auf dessen vier Stockwerken sich gemeinschaftlich genutzte Räume wie Küche, Bad und Fahrradabstellplätze verteilen. Auf dem Dach befindet sich ein öffentlicher Kräutergarten. Der Entwurf für einen solchen Turm wurde der Öffentlichkeit im Rahmen der Ausstellung Tokyo 2050: 12 Visions for the Metropolis im September 2011 vorgestellt. Thema der Ausstellung und der sie begleitenden Veranstaltungen war die Diskussion von Entwürfen, die – im Gegensatz zu vorherigen, wachstumsorientierten Entwürfen – auf den demografischen Wandel und die damit verbundenen Schrumpfungsprozesse reagieren.

5. Fazit und Ausblick Die Reaktivierung kleinräumiger Stadtstrukturen, die gemeinschaftlich genutzte Bereiche zur Verfügung stellen, ebenso wie die Übertragung dieses Konzeptes auf Neubauten, lässt sich als Weiterentwicklung der in der Vormoderne verwurzelten Formen nachbarschaftsorientierten Wohnens interpretieren. Die Entwicklung verweist auf ein starkes Bedürfnis nach einer lokalen, historisch gewachsenen Urbanität. Die Diskurse und Initiativen, die sie begleiten, veranschaulichen, dass die Globalisierung weder den Raum noch den Ort überflüssig ­gemacht hat; vielmehr kommt es zu einer Reaktivierung der Bedeutung des Lokalen. Da­ neben sind sie Ausdruck des Bedürfnisses, Stadt und städtisches Leben auf den menschlichen Maßstab zurückzuführen. Diese Entwicklungen werden auch vom Gesetzgeber unterstützt. Im Jahr 2004 wurde das „Landschaftsgesetz“ (keikanhō) erlassen, das neben dem Schutz und Erhalt des städtischen Erbes eine nachhaltige Gestaltung von Landschaften und Städten verfolgt. Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität und ein ressourcenschonender Umgang mit der Umwelt. Darüber hinaus lassen sich viele Aspekte der Debatte in Japan zum globalen Trend 26

Tsukamoto, Yoshiharu: „Metabolismus der Zwischenräume. Neue Typologien des Wohnens in Tokio“. In: Arch+ 208: „Tokio Die Stadt bewohnen“, Ausgabe 8/2012, S. 34.

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Kurokawa 2006, S. 86.

des c­ ohousing und anderen Leitbildern und Theorien zum Wohnen der Zukunft in Beziehung setzen. So verweist der Diskurs um die roji und Megaprojekte wie Roppongi Hills auf zwei Seiten derselben Medaille. Beide Strukturen sind jeweils eine andere Spielart der compact city, die als Idee in Japan ebenfalls an Relevanz gewinnt. Angesichts der gigantischen Herausforderungen, vor denen Japan heute, in der so genannten Post-Fukushima-Zeit, steht, ist davon auszugehen, dass die Suche nach Formen des Zusammenlebens, die neben der sozialen Nachhaltigkeit auch die ökologische in den Blick nehmen, noch lange nicht beendet ist.

Literaturhinweise: Arch+ 208, „Tokio: Die Stadt bewohnen“. Ausgabe 8/2012. Ashihara, Yoshinobu: The Hidden Order: Tokyo through the Twentieth Century. Tokio, 1989 (erstmals veröffentlicht unter dem Titel: Kakureta chitsujo: Nijūisseiki no toshi ni mukatte. Tokio, 1986). Brumann, Christoph und Schulz, Evelyn: Urban Spaces in Japan: Cultural and Social Perspectives. London/ New York, 2012. Cybriwksy, Roman A.: Roppongi Crossing: The Demise of a Tokyo Nightclub District and the Reshaping of a Global City. Athens/Georgia, 2011. Enders, Siegfried RCT: Japanische Wohnformen und ihre Veränderung. Hamburg, 1979. Hisashige, Tetsunosuke: Nihon-ban surō shiti: Chiiki koyū no bunka, fūdo o ikasu machizukuri. Tokio, 2008. Kurokawa, Kishō: Toshi kakumei: Kōyū kara kyōyū e. Tokio, 2006. Morse, Samuel C.: Reinventing Tokyo: Japan’s Largest City in the Artistic Imagination. Amherst, 2012. Nihon Kenchiku Gakkai (Hg.): Seikatsukei: Mijikana keikan kachi no hakken to machizukuri. Tokio, 2009. Nishimura, Yukio (Hg.): Toshibi: Toshi keikan shisetsu no genryū to sono tenkai. Kioto, 2005. Okamoto, Satoshi: Edo Tōkyō no roji: Shintai kankaku de saguru ba no miryoku. Tokio, 2006. Oono [Ohno], Hidetoshi (Hg.): Shurinkingu Nippon: Shukushō suru toshi no mirai senryaku. Tokio, 2008. Radović, Darko: Another Tokyo: Places and Practices of Urban Resistance. Tokio, 2008. Radović, Darko und Boontharm, Davisi (Hg.): Small Tokyo. Tokio, 2012. Schmidtpott, Katja: Nachbarschaft und Urbanisierung in Japan, 1890–1970. München, 2009. Sorensen, André: The Making of Urban Japan: Cities and Planning from Edo to the Twenty-first Century. London/New York, 2004. Sorensen, André und Funck, Carolin (Hg.): Living Cities in Japan: Citizens’ Movements, Machizukuri and Local Enviroment. London, 2007. Suzuki, Hiroshi: Nihon konpakuto shitī: Chiiki junkan-gata toshi no kōchiku. Tokio, 2007. Ueda, Atsushi und Tabata, Osamu (Hg.): Roji kenkyū: Mō hitotsu no toshi no hiroba. Tokio, 2013. Usugi, Kazuo et al. (Hg.): Roji ni manabu seikatsu kūkan no saiseijutsu. Tokio, 2010. Yazaki, Takeo: Social Change and the City in Japan: From Earliest Times Through the Industrial Revolution. Tokio, 1968.

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SOSHIGAYA HOUSE BE-FUN DESIGN + EANA | Tokio 2012

155 m2 Geschossfläche 4 Einheiten 30 m2 / 70 m² Wohnfläche je Einheit je 1–4 Nutzer Der Hof als Zentrum: Ein Ensemble mit vier Wohneinheiten formt einen gemeinsam genutzten Außenraum, der durch Veranstaltungen belebt werden soll. Gemeinschaft wird jedoch nicht erzwungen – die Privatsphäre der Bewohner bleibt gewahrt.

01 Lauschiges Plätzchen: Der Innenhof dient als Treffpunkt der Bewohner. 02 Blick von Osten auf das Ensemble: Der Hof öffnet sich zu einer Brache hin.

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Im Notfall ist es die Unterstützung durch die Gemeinschaft, auf die der Einzelne zählen können muss. Die Bedeutung nachbarschaftlicher Beziehungen rückte für die Architekten von Be-Fun Design und EANA nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe von 2011 in den Fokus. Die vier Wohneinheiten des „Soshigaya House“ im Tokioter Stadtteil Setagaya legten sie daher wie eine Klammer um einen Außenbereich, der von allen Bewohnern genutzt werden kann. Das Ensemble liegt etwas versteckt: Ein schmaler Zugangsweg erschließt das Grundstück von der Straße aus. Den Auftakt des baulichen Ensembles bildet die größte Wohneinheit, die sich für eine Familie mit Kindern eignet und mit einem Fahrzeugstellplatz aufwartet. Verschieden große quadratische Platten auf einem Kiesbett leiten in den Hofbereich über, um den sich die vier Wohneinheiten – vereint in einem Baukörper – gruppieren und von dem aus sie erschlossen werden. Durch die Trittsteine und den Kies erinnert der Hof an einen Trocken- oder Steingarten – wäre da nicht der Strauch im Zentrum, der einen passenden Hintergrund für die oft stark mit dem Wechsel der Jahreszeiten verbundenen japanischen Feste bilden soll. Die Architekten verwoben den Gemeinschaftsbereich eng mit den privaten Außenräumen, also den Eingangsbereichen und Balkonen der drei kleineren Maisonette-Einheiten.

03 Die Eingangs­bereiche der drei Maisonette-Ein­ heiten lassen sich durch hölzerne Schiebeelemente zum Innenhof hin öffnen. 04 Im ersten Obergeschoss der Maisonette-Wohnungen führt eine Leiter in einen aufgesetzten Kubus. 05 Die loggia-artigen Balkone orientieren sich jeweils nach zwei Seiten.

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Schnitt, M 1:250

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1. Obergeschoss

Erdgeschoss, M 1:250

06 Veranstaltungen sollen den kleinen Hof auch in Zukunft beleben. 07 Durch Stufen gegliedert: Wohnbereich im ersten Obergeschoss der nördlichen Wohneinheit (blau)

Bis auf diese Verbindungspunkte zeigen sich die vier Wohnungen allerdings relativ verschlossen: Die Fensteröffnungen sind nicht zum Hof, sondern nach außen orientiert, und die Eingangsbereiche der kleineren Einheiten lassen sich mit ­großen, hölzernen Schiebetüren abtrennen. Die Nähe der Bewohner soll ermöglicht, aber nicht erzwungen werden. In Japan gibt es für die nächsten Nachbarn den alten Ausdruck mukō ­sangen ryōdonari, der sich wörtlich mit „die drei Häuser gegenüber und die zwei neben­ an“ übersetzen lässt. Für die Architekten war diese Beschreibung der ­eng­sten Bin­dungen, die man früher außerhalb der Familie hatte, Ausgangspunkt i­hres Ent­ wurfs – allerdings durchaus mit dem Wissen, dass dieses „Nebenan und Gegen­ über“ heute nicht mehr dieselbe Relevanz hat wie damals und daher anders interpretiert werden muss. Das Konzept der Gemeinschaftsbildung wird nur funktionieren, wenn die Bewohner grundsätzlich die Bereitschaft mitbringen, mit ihren Nachbarn in engeren Kontakt zu treten. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Gestaltung des „Soshigaya House“ vor allem Mieter anzieht, die auf eine derartige Bindung wert legen. Zudem wurde für das erste Jahr ein Veranstaltungskonzept entwickelt, das dafür sorgen soll, dass der Hof regelmäßig von den Bewohnern – und vielleicht auch von anderen Menschen, die im Stadtteil leben – gemeinsam genutzt wird.

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Tokyo Apartment Sou Fujimoto Architects | Tokio 2009

180 m² Geschossfläche 4 Einheiten 35–60 m² Wohnfläche je Einheit je 2–4 Nutzer Ein Turm aus kleinen Häusern: Vier Apartments werden unabhängig voneinander erschlossen, formen zusammen aber eine einprägsame Einheit. Scheinbar funktionslose Zwischenräume eröffnen neue Experimentierfelder des Wohnens.

01 Auf dem Weg zum Haus über dem Haus: Die verglaste Verbindung zwischen den Räumen dieser Wohneinheit (im Plan rot) erlaubt einen intensiven Bezug zum Außenraum.

Lageplan, M 1:750

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Gestapelte Urhütten: Jede der vier Wohneinheiten des „Tokyo Apartment“ in Itabashi setzt sich aus mehreren Baukörpern zusammen, die jeweils die prototypische Form eines Wohnhauses haben. Das Gefühl, in einem „eigenen“ Haus zu wohnen, wird durch sepa­ rate Eingänge, die zum Teil über Außentreppen erschlossen werden, noch gestärkt. Gleichzeitig erscheint das Gebäude als eine Art komprimierte Stadt, die sich wie ein Berggipfel erobern lässt. Die Volumen, aus denen sich jeweils eine Wohneinheit zusammensetzt, sind unterschiedlich groß und leicht gegeneinander verdreht. Drei der Wohneinheiten weisen eine Maisonette-Struktur auf, wobei die unteren beiden Apartments das Untergeschoss miteinbeziehen. Die oberirdischen Gebäudeteile bestehen aus einer Holzkonstruktion. Tragende Elemente und Aussteifungen tauchen daher immer wieder an Stellen auf, an denen man sie eigentlich nicht erwarten würde: Diagonale Bauteile durchkreuzen die Fenster, einzelne Stützen stehen mitten im Raum. Fujimoto setzt beim „Tokyo Apartment“ auf eine Art von Chaos, das an die Struktur der japanischen Großstadt erinnert. Das Erleben des urbanen Raums ist in Japan davon geprägt, dass 36

Schnitte, M 1:200

02 Mit dem Gebäude über­setzte Sou Fujimoto den Reiz der urbanen Raum­ erfahrung in Tokio in einen Wohnbau. 03 Nicht nur die Räume im Inneren laden zur Ent­ deckung und Aneignung ein.

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04 Weiße Stahltreppen prägen den Bau außen wie innen. Nur wenige Details verraten, dass es sich bei dem Gebäude oberirdisch um eine Holzkonstruktion handelt.

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Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss, M 1:200

05 05 Die Konstruktion ist aus Holz, folgt aber keinem strengen Raster: Aus­ kreuzungen und Stützen tauchen daher in einigen Wohneinheiten an un­ erwarteten Stellen auf.

Sou Fujimoto, „Tokyo Apart­ ment”, in: „Redefining ­Collectivity”, JA: The Japan Architect, Nr. 78 (Sommer 2010): S. 94–101.

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­ lltagsarchitekturen ohne Rücksicht auf den Kontext nebeneinA anderstehen – und sich dadurch neue, unerwartete Beziehungen ergeben. Für den Architekten spiegelt das Verhalten des Hauses vor allem die Tokioter Verhältnisse wider: „Superimposed upon the composition are experiences created by chance and necessity, which result from agglomeration … It is more like Tokyo than Tokyo itself; Tokyo that doesn’t exist; the Tokyo which is most like Tokyo.“ 1 Beim „Tokyo Apartment“ steht nicht die Funktionalität der Wohn­einheiten im Vordergrund. Stattdessen setzt Sou Fujimoto auf wechselnde Ausblicke und Räume, die sich durch das Erleben und die Kreativität der Bewohner formen. Außen und innen liegende ­Treppenbereiche sowie die durch das Stapeln entstandenen Rest­ räume laden dazu ein, neue Nutzungen zu entdecken. Dadurch werden auch ungezwungene Begegnungen mit den Nachbarn möglich, die – zusammen mit dem hohen Wiedererkennungswert der Architektur – die Identifizierung mit dem Gebäude und seinen Bewohnern fördern könnten.

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Setagaya Cooperative House Hitoshi Wakamatsu Architects | Tokio 2013

510 m² Geschossfläche 8 Einheiten 60–80 m² Wohnfläche je Einheit je 3–5 Nutzer Die heterogene Erscheinung der Gebäudehülle weist bereits darauf hin: Die Wohneinheiten wurden nach den unterschiedlichen Wünschen der späteren Nutzer errichtet. Ein Entwicklungsplaner brachte die acht Bauherren zusammen; der Architekt entwarf für sie jeweils eine individuelle Wohneinheit.

01 Der hohe Raum versteckt sich unter zwei ­Außentreppen, die Wohnungen im Obergeschoss erschließen (Wohneinheit im Plan hellblau). 02 Einheit trotz Vielfalt: Die acht Bauherren wünschten sich jeweils ein Zuhause nach ihren individuellen Vorstellungen.

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Lageplan, M 1:2500

03 Die Maisonettes sind räumlich ­ineinander verschachtelt; diese Wohneinheit (im Plan dunkelblau) bietet eine halbhohe Galerie über dem Badezimmer. 04 Verbindung zwischen Wohnraum und Dachterrasse im 2. Obergeschoss (im Plan magentafarben) Erdgeschoss, 1. Obergeschoss, Schnitt, M 1:500

Etwa 60 Prozent aller Japaner leben in Einfamilienhäusern. Selbst in den Städten ist der Anteil relativ hoch – und das, obwohl das Umfeld dort kaum von Gärten, sondern fast immer von den direkt angrenzenden Fassaden der Nachbargebäude geprägt wird. Die Möglichkeit, das Heim den eigenen Vorstellungen entsprechend zu formen, übt auf die Menschen ­offensichtlich einen großen Reiz aus. Bei der Planung des „Setagaya Cooperative House“ wurde das Prinzip Einfamilienhaus auf ein Wohngebäude mit mehreren Einheiten übertragen. Ein auf solche kollaborativen Projekte spezialisierter Entwicklungsplaner akquirierte auf der Grundlage eines groben baulichen Konzepts zunächst die Bauherren, ermittelte das Budget und legte den Zeitplan fest. Nachdem die Flächen zugeteilt worden waren, nahm sich das Architekturbüro Hitoshi Wakamatsu der Bauherrengruppe an. Der Architekt plante das Haus von innen heraus und entwickelte aus der Summe der individuellen 42

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Wünsche einen Gesamtkomplex. Statt – wie bei einem Bauträgerprojekt üblich – einen Rahmen zu schaffen, in den die Bewohner gefüllt werden, form­ ten die Nutzer das Grundgerüst ihres späteren Zuhauses. Das gebaute Ergebnis erzählt durch unter­ schied­liche Materialien und Farben, eine Vielzahl von Tür- und Fensterformen sowie die unregelmäßige Anordnung von Treppen, Balkonen und Terrassen von diesem Prozess. Im Gebäude sind insgesamt acht Wohneinheiten untergebracht, die von einem gemeinsamen Vorplatz aus individuell erschlossen werden können. Vier der Maisonettes entwickeln sich vom Erdgeschoss aus in den Keller, vier weitere sind in den Obergeschossen angeordnet und profitieren von einem Dachgarten. Da die Maisonettes nicht kompakt im Gesamtkomplex sitzen, sondern in jedem Geschoss eine andere Fläche einnehmen, ist jede Einheit nach mehreren Richtungen orientiert. Ihre Individualität kontrastiert demnach mit der Tatsache, dass die Wohnungen im Dreidimensionalen eng miteinander verwoben sind.

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Yokohama Apartment ON design & Partners | Yokohama 2011

152 m² Geschossfläche 4 Wohneinheiten 25 m² Wohnfläche je Einheit je 1 Künstler Vier Wohneinheiten für Künstler überdachen einen halböffentlichen Raum in einer kleinteiligen Wohngegend in Yokohama. Der Gemeinschaftsbereich bietet den Bewohnern zusätzlichen Platz und soll auch den Nachbarn offenstehen.

01 Außenraum oder Innenraum? Das Erdgeschoss bildet eine Übergangszone zwischen Straße und privaten Wohneinheiten. 02 Über dem gemeinsam genutzten Mehrzweckbereich sitzt ein kompakter Baukörper mit vier Wohneinheiten.

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Der Bau befindet sich in einem hügeligen Wohngebiet mit verwinkelten Gassen und kleinen, dicht an dicht stehenden Einfamilien­ häusern. In solchen Wohngegenden Japans ist die Abschottung gegenüber den direkten Nachbarn oft ein prägendes Gestaltungsthema. Denn trotz der physischen Nähe der Bauten entsteht ein Gefühl der Distanz. Das „Yokohama Apartment“ bricht dieses Muster auf: Die einladende Geste des weit geöffneten Erdgeschosses ist kein leeres Versprechen, denn der Raum soll tatsächlich durch Veranstaltungen wie Ausstellungen oder Vorträge belebt und gemeinsam genutzt werden. Den Hof formt eine aufgeständerte Konstruktion mit vier kleinen Wohnungen, die Künstlern zur Verfügung stehen. Der Nutzer wird dabei zum Teil des Konzepts, denn ob der offene Hof als Veranstaltungsort angenommen wird, hängt auch von der Bereitschaft der Bewohner ab, sich auf das Experiment einzulassen.

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Erdgeschoss, 1. Obergeschoss, M 1:250

Jede Wohneinheit ist über eine eigene Außentreppe erschlossen. Diese windet sich jeweils um einen Kern mit dreieckigem Grundriss, in dem Stau- und Multifunktionsräume untergebracht sind. Im Erdgeschoss sind diese Bereiche teilweise dem Gemeinschaftsraum zugeordnet, sodass dort Möbel, Geräte und Materialien gelagert werden können, die für Veranstaltungen gebraucht werden. Die Wohnungen funktionieren unabhängig vom Gemeinschaftsraum und verfügen zum Teil sogar über private Balkone, eignen sich jedoch aufgrund ihrer geringen Größe nur bedingt für einen längeren Aufenthalt. Aktivitäten wie Kochen und Essen werden die Bewohner also – in der warmen Jahreszeit und sofern die Chemie zwischen ihnen stimmt – eher in das gemeinsame Erdgeschoss verlegen. Mit transparenten Vorhängen lässt sich der gemeinschaftlich genutzte Bereich bei Bedarf auch vor allzu direktem Zugang oder Durchzug schützen. Die Architekten Osamu Nishida und Erika ­Nakagawa sehen in dem überdachten Hof eine Weiterentwicklung der aufgeständerten Erdgeschosse der Moderne: Ziel ist eine Architektur, die nicht starren formalen Kriterien folgt, sondern Raum für den Ausdruck individueller Lebensstile bietet.

04 03 Den Raum im Erd­ geschoss begrenzen zwei­ geschossige Lagerräume mit dreieckigen Grundrissen. 04 Die Apartments im Obergeschoss funktionieren autark, lassen jedoch kaum Raum für künstlerisches Schaffen (Wohneinheit im Plan gelb).

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Nerima Apartment Go Hasegawa & Associates | Tokio 2010

1 054 m² Geschossfläche 20 Einheiten 28–44,5 m² Wohnfläche je Einheit je 1–2 Nutzer Ein- und mehrgeschossige Wohneinheiten mit unterschiedlichen Grundrissen formen einen kompakten Baukörper um einen zentralen Erschließungskern. Jeder Wohnung ist eine Loggia zugeordnet, die das Verhältnis zwischen privatem Raum und Stadt reguliert.

01 Geschützter Außenraum: Ein- und mehrgeschossige Loggien erweitern den Wohnbereich und dienen als Gartenersatz. 02 Fensterähnliche Öffnungen in der Außenhülle rahmen die Ausblicke der dahinterliegenen Loggien.

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Die typische Mietwohnung für Singles ist in der japanischen Großstadt das Einraum-Apartment. Die in der Regel gerade einmal 20 Quadratmeter großen Einheiten reihen sich in den Geschosswohnungs­ bauten schachtelartig aneinander. Für Menschen, die eine kleine Wohnung ohne standardisierten Grundriss wollen, gibt es auf dem japanischen Wohnungsmarkt nicht viel Auswahl. Mit dem „Nerima Apartment“ versuchte Go Hasegawa diesen Typus anders zu definieren: Die in den Wohnschachteln komprimierten Nutzungen werden freigestellt und neu zusammengesetzt; statt offener Mini-Balkone entstehen dadurch wohnliche Loggien. Die entstandenen Wohneinheiten lassen sich drei Grundrisstypen zuordnen: der mehrstöckigen Maisonette-Wohnung mit der daran anschließenden, über alle Geschosse offenen Loggia, der langgezogenen Einheit, bei der sich die Räume an der Fassade aufreihen, und dem L-förmigen Eckapartment. Durch die Kombination der drei Grundrissformen ergibt sich ein kompakter Baukörper, der vom Zentrum des Gebäudes aus erschlossen wird. Hasegawa nennt die Loggien trotz ihrer Inte­ gration in das Gesamtwerk „Terrassen“ und stellt sich vor, dass sie von den Bewohnern wie Gärten genutzt 3. Obergeschoss, M 1:250

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werden. Dabei ist die Einsicht von außen – anders als etwa bei einem Balkon oder bei großen ­Glasflächen – stark eingeschränkt, sodass sich die Nutzer unbeobachtet in ihren Freiräumen aufhalten können. In der Regel hängen die Loggien im „Nerima Apartment“ eng mit den Bädern zusammen; die beiden Bereiche sind sogar ähnlich gefliest. Der Nassraum wird also aus dem Innenraum ausgegliedert und an der Schwelle zum urbanen Raum verwirklicht – das lässt sich auch als eine Anspielung an traditionelle Gewohn­ heiten verstehen, denn bis ins 20. Jahrhundert hinein besuchten die Japaner zur gründlichen Körperreinigung vor allem öffentliche Bäder (siehe auch S. 11 ff). Schnitt, M 1:500

Die Loggien bieten den Bewohnern die Chance, bestimmte Tätigkeiten weitgehend unabhängig von der Witterung im Freien zu erledigen. Ungestört von den Blicken der Nachbarn und der Passanten können die Nutzer die gerahmten Ausblicke genießen, oder aber bewusst Sichtkontakt aufnehmen. Wenn Dichte nicht mehr Uniformität bedeutet und das Gesehenwerden keine Notwendigkeit, sondern eine Möglichkeit ist, steigert das die Qualität gemeinschaftlichen Wohnens – und unter Umständen auch die Bereitschaft, auf andere Bewohner zuzugehen und den urbanen Raum als Bereicherung zu sehen.

03 Die Apartments sind zum Teil mehrgeschossig und warten mit einer großzügigen Loggia auf. 04 Eingangsbereich, Garderobe, Küche, Arbeitsplatz, Loggia und Erschließung sind in dieser Einheit auf kleinstem Raum untergebracht. 51

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One-Roof Apartment Akihisa Hirata Architecture Office | Jōetsu 2010

958 m² Geschossfläche 19 Wohneinheiten 29–44 m² Wohnfläche je Einheit je 1–2 Nutzer Wie ein Zelt spannt sich das Gebäude über dem Foyer auf: Mit seiner markanten Form prägt der großzügige Eingangsbereich den Geschosswohnungsbau außen wie innen. Die gemeinsam genutzten Bereiche ­rücken dabei in den Mittelpunkt des Entwurfs.

01 Die Verjüngung des Raums lässt das Foyer – ebenso wie der Lichteinfall von der Seite und von oben – beinahe sakral wirken. 02 Das Gebäude wird von Süden her über einen Parkplatz erschlossen.

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Zwischen Bergen und Meer: Die Stadt Jōetsu in Nīgata liegt an der Küste des japanischen Meeres und ist von Ausläufern der japanischen Alpen umgeben. Anders als etwa in Tokio sind die Winter hier kalt und schneereich – beim „One-Roof Apartment“ verzichtete der Architekt Akihisa Hirata daher von vorneherein auf Terrassen oder Balkone. Typische Bauernhäuser in dieser Region besitzen aufgrund des Klimas ein ausladendes Dach, das fast bis zum Boden reicht und im Winter vor Schnee und Kälte schützt. Hiratas Entwurf greift dieses Thema auf: Teile des Gebäudes werden unten „aufgeschlitzt“ und in die Breite gezogen. Dadurch entsteht im Inneren eine Art Zelt, das von der umgebenden Baumasse – also den Wohnungen – gebildet wird. Das Prinzip erinnert an das „Kawaramachi Danchi“ von Sachio Ōtani von 1972, auch wenn sich die beiden Projekte aufgrund ihres unterschiedlichen Maßstabs ansonsten kaum vergleichen lassen.

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Von außen wirkt der Bau wie ein Sichtbeton-Riegel, der im vorderen Drittel mit einem etwas eigenwilligen, trapezartigen Quer­ schnitt aufwartet. Die zum Teil gebäudehohen Schlitze an den ­Schmal- und Längsseiten sind weitgehend verglast, der Eingang in den Bau ist zum Parkplatz im Süden ausgerichtet. Mit zwei verschieden großen, versetzt angeordneten Fensterformaten und ­angeschrägten Fensterlaibungen scheint sich der Bau einer mono­ tonen Ordnung widersetzen zu wollen.

03 Schematische Darstellung des Entwurfskonzepts 04 Aufgeschlitzt: Das Gebäude erlaubt den Passanten den Blick ins Innere. 05 Die Wände des Wohn­ baus sind unterschiedlich stark geneigt; Schlitze markieren den Übergang.

Schnitt, M 1:250

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06 Blick in die ganz im Westen gelegene Maisonette-Wohnung: Eine schmale Treppe führt vom Erdgeschoss ins 1. Obergeschoss ... 07 ... wo ein geknickter Flur in den süd­ lichen Teil der Wohnung überleitet.

Erdgeschoss, 1.–3. Obergeschoss, M 1:500

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Im Erdgeschoss empfängt die Bewohner ein kathedralenartiger Raum, der nach oben hin schmal zuläuft. Das Foyer verjüngt sich nach Westen hin zu einer Schlucht. Der gesamte Bereich wird von oben und durch die seitlichen Schlitze belichtet. Die raue Oberfläche der Wände sowie die willkürlich darauf verteilten Spiegelfliesen sorgen für sanftes, indirektes Licht und interessante Reflexe. Die zentrale Erschließungszone durchlaufen geschlossene Brücken und Galerien, die die ansonsten voneinander getrennten Gebäudeteile im Norden und im Süden miteinander verbinden. Sie deuten darauf hin, dass sich einige der Grundrisse über die Schlucht hinweg entwickeln. Der Architekt entwarf Maisonette-Wohnungen, die im nördlichen Teil des Erdgeschosses und des zweiten Obergeschosses erschlossen werden und sich dann im darüberliegenden Stockwerk über die gesamte Breite bis nach Süden erstrecken, wo sie zu den Bergen hin orientiert sind. Zudem finden sich im „One-Roof Apartment“ auch Ein- und Zweizimmerwohnungen. Hirata hat sich beim Entwurf der gemeinsam genutzten Bereiche offensichtlich eher an den Qualitäten der umgebenden Natur, den Bergen, als am städtischen Kontext orientiert. Doch gerade dadurch entsteht eine räumliche Komplexität, die die Umgebung – wenige Meter entfernt liegt eine riesige Mall mit etwa 9 000 Quadratmetern Grundfläche und einem noch größeren Parkplatz – weitgehend vermissen lässt. Für die Bewohner, aber auch für die Nachbarn bildet das „One-Roof Apartment“ einen Identifikationspunkt im diffusen Stadtrandgebiet.

08 Am Ende des Flures sitzt in den Maisonette-Wohnungen die Wohnküche mit Blick nach Süden. 57

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Share Yaraicho Satoko Shinohara + Ayano Uchimura | Tokio 2012

184 m² Geschossfläche 7 Einheiten 13–15,5 m² Wohnfläche je Einheit je 1 Nutzer Teilen statt besitzen: In der Wohngemeinschaft nehmen die gemeinschaftlich genutzten Räume ein Vielfaches der jeweils privaten Zimmerfläche ein. Die Bewohner profitieren von einem Werkstattbereich und einem Dachgarten.

01 Eine einfache Zeltplane trennt den Werkstatt­ bereich von der Straße. 02 Von außen wirkt das Gebäude durch die vorge­ spannte Plane fast wie ein Provisorium. 03 Die Dachterrasse mit Kräutergarten wird gemeinschaftlich genutzt.

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Lange Zeit galten Wohngemeinschaften in Japan selbst bei Studenten allenfalls als Notlösung. Seit kurzem jedoch erlebt das gemeinschaftliche Leben einen kleinen Boom; es zieht vor allem junge Berufstätige – oft aus dem experimentierfreudigen ­Designund Architekturmilieu – an. Statt alleine in ein teures, kleines Apartment am Stadtrand zu ziehen, entscheiden sich diese Japaner dazu, gemeinsam mit anderen zu wohnen und bestimmte Bereiche miteinander zu teilen. Ein Beispiel dafür, wie eine zeitgemäße WG aussehen kann, lieferten die beiden Architektinnen Satoko Shinohara (Spatial Design Studio) und Ayano Uchimura (A Studio) mit „Share Y ­ araicho“. Eine halbtransparente Zeltplane prägt die Schaufassade des Hauses und zieht die Aufmerksamkeit der Passanten und Nachbarn in dem kleinteiligen Wohngebiet im Stadtteil Shinjuku auf sich. Die Architektinnen veteilten die privaten Räume frei in der Stahlkons­ truktion, wobei die sieben Wohneinheiten so angeordnet sind, dass sich ihre Böden und Decken nicht berühren. Dies kommt dem Schallschutz zugute, erschwert aber die Reinigung, da die Zwischenräume nur etwa 60 Zentimeter messen.

Erdgeschoss, 1. Obergeschoss, 2. Obergeschoss, Dachaufsicht, M 1:300

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04 Die Werkstatt erstreckt sich über die gesamte Länge des Erdgeschosses; im süd­ lichen Bereich sitzt sie zwischen einer der privaten Wohnboxen und dem gemeinschaftlich genutzten Badezimmer.

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Schnitte, M 1:250

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Auf und zwischen den einzelnen Zimmern befinden sich die ­ emeinsam genutzten Bereiche: Wer das Gebäude betritt, gelangt g zunächst in die Werkstätten, wo die Bewohner zum Beispiel ihre Möbel selbst herstellen können. Im Eingangsbereich lässt sich die gesamte Gebäudehöhe von 9,3 Metern erleben, da die Fassade der Wohnbereiche in den Obergeschossen mit etwas Abstand zur ­äußeren Plane verwirklicht wurde. Die Wohnküche im zweiten Obergeschoss sitzt auf der Decke der darunterliegenden Wohneinheiten und ist – wie alle Innenräume – von einer allseitigen Bekleidung mit Lärchensperrholz geprägt. Alu-Drehflügel mit einer Polycarbonat-Füllung erlauben hier die Öffnung oder Abschottung zu den ­Werkstattbereichen. Eine Außentreppe führt zur großzügigen Dachterrasse mit Kräutergarten.

05 Die gemeinschaftlich genutzte Wohnküche grenzt sich mit Drehflügel­elementen zum Vorbereich im Norden hin ab. 06 Sowohl in den Gemein­­­ schaftsbereichen als auch in den privaten Zimmern dominiert Lärchensperrholz den Raumeindruck. 07 Die größte Wohnbox im ersten Obergeschoss ist nach Norden orientiert; Polycarbonat-Elemente las­sen jedoch viel Licht ins Innere.

Durch die zahlreichen Gemeinschaftszonen wird der Lebens­ bereich jedes Einzelnen deutlich erweitert – wobei der Aufwand zur Pflege und Instandhaltung der Räume und Einrichtungen von allen geteilt wird. Die Einbindung von Werkstätten und einem Kräutergarten spiegelt den momentanen Zeitgeist wider, nährt sich aber auch aus der Vision eines ebenso autonomen wie in der Gemeinschaft verwurzelten urbanen Wohnens.

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Slide Komada Architects’ Office | Tokio 2009

749 m² Geschossfläche 9 Einheiten 60–100 m² Wohnfläche je Einheit je 2–5 Nutzer Treppen als Lebensraum: Die Wohnungsgrundrisse entwickeln sich fließend über mehrere Ebenen schräg nach oben oder unten. Jede Einheit ist direkt von außen zugänglich und verfügt über einen privaten Außenraum im Innenhof oder auf dem Dach.

01 Wohnen entlang der Treppe: Plateaus unterteilen die Bereiche des Apartments, die von schrägen Ebenen gebildet werden. 02 Selbst die Dachterrassen werden von Treppen gegliedert.

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Lageplan, M 1:2000

In einer ruhigen Wohngegend im Tokioter Stadtteil Suginami verwirklichten Takeshi und Yuka Komada neun Wohneinheiten, die individuell über das Erdgeschoss erschlossen werden. Im Inneren entwickeln sich die einzelnen Einheiten durch Treppen und Galerien über ein oder mehrere Geschosse hinweg schräg nach oben oder nach unten – die verschiedenen Wohnungen sind dadurch strukturell eng miteinander verzahnt. Bei Wohnbauten mit mehreren Einheiten werde von den Planern oft nur eine Art Skelett errichtet, das die Bewohner dann ­beziehen und ausstatten könnten, sagen die beiden Architekten. Dieser ­Pro­zess gleiche einer Renovierung, da Innenraum- und Hüllkonzept weitgehend unabhängig voneinander betrachtet werden. Mit „Slide“ interpretieren sie Konstruktion und Innenleben dagegen als Ganzes – aus individuellen Einheiten entsteht eine Landschaft, die von den Bewohnern bezogen werden kann. Der Baukörper mit seinen bis zu drei oberirdischen Geschossen wirkt von außen kompakt und zurückhaltend. Die Wohneinheiten wurden um einen Innenhof herum errichtet, wobei die fünf Deckenplatten mit ihren Schrägen von unten bis nach oben laufen – also als Kellerdecke beginnen und als Dachterrasse enden. Jede Wohnung umfasst mindestens zwei Geschosse. Treppen und Galerien verknüpfen die verschiedenen Wohnzonen, sodass 66

03 Die fünf Decken­ platten ziehen sich aufgrund ihrer schrägen Partien vom Untergeschoss bis zur Dachterrasse. 04 Im Inneren warten die Wohnungen mit lichten, fließenden Räumen auf, die sich allerdings bisweilen allenfalls durch Vorhänge abschirmen lassen.

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Abwicklung, M 1:500

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05 Aufstieg zum Freibereich: Zur Dachterrasse führt eine Außentreppe, die die Bewohner flexibel nutzen können.

Dachaufsicht

2. Obergeschoss

1. Obergeschoss

ein mehrere Ebenen umfassender Raum entsteht. Vier der neun Apartments sind zum Innenhof hin orientiert und verfügen dort über Gärten, die durch begrünte Rankgerüste von den Nachbargrundstücken abgetrennt werden. Die anderen fünf Einheiten sind mit einer Dachterrasse ausgestattet. Auch diese private Außenfläche ist teilweise abgetreppt. Erdgeschoss, M 1:500

Außen wie innen lädt die ungewöhnliche Kon­ s­truktion die Nutzer dazu ein, Treppen als Wohn­ flächen zu nutzen. Durch die raffinierte Verzahnung der verschiedenen Einheiten wird zudem vermieden, dass die Lage des eigenen Apartments im Haus ohne weiteres von außen abgelesen werden kann – die einzelne Wohnung wird als integraler Teil des Gesamtkomplexes wahrgenommen. Untergeschoss

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Apartment I Office of Kumiko Inui | Tokio 2007

128 m² Geschossfläche 5 Einheiten 18 m² Wohnfläche je Einheit je 1 Nutzer Ein Turm mit fünf Apartments, die sich um einen variablen Erschließungskern herum entwickeln: Die notwendige Minimierung des Gebäudevolumens trug zu einer Lösung bei, die Prinzipien der Moderne spielerisch neu interpretiert und individuellen Wohnraum schafft.

01 Die Wohnungen um­ fließen den zentralen Erschließungskern und bieten einen maximalen Sichtbezug zur Umgebung. 02 Die Wohneinheit im Souterrain wird durch einen Zaun abgeschirmt.

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Lageplan, M 1:750

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201 101 301 03 Der Erschließungskern bietet zu den Wohnungen hin Raum für technische Installationen und Haushaltsgeräte.

201 401

04 An ihrer schmalsten Stelle sind die Apartments kaum einen Meter breit. 05 Skizzen der Architektin: Darstellung der Blickbeziehungen von Bewohnern, Nachbarn und Passanten in einem Standard-Wohnbau und im Apartment I.

101 301501 03 3. Obergeschoss

401 201 2. Obergeschoss

101 501 301 1. Obergeschoss

201 401 Erdgeschoss, M 1:250

101 501 301 04 72

Untergeschoss

2 401

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In der kleinteiligen Wohngegend nahe der Bahnstation Hirō im Stadtteil Shibuya galten strenge Regeln hinsichtlich der Größe des Bauvolumens und der Platzierung des Gebäudes auf dem Grundstück. Um dennoch die vom Bauherrn geforderten fünf Wohneinheiten errichten zu können, musste Kumiko Inui mit einem Apartment ins Souterrain ausweichen. Auf einer Grundfläche von gerade einmal 43 Quadratmetern schuf die Architektin einen voll verglasten Turm, bei dem jedes Geschoss einer Wohneinheit entspricht. Der Erschließungskern – in dem auch die Haustechnik untergebracht ist – verspringt von einer Ebene zur anderen jeweils ein wenig, sodass trotz der kompakten Form des Baukörpers individuelle Grundrisse entstehen konnten. Die Wohnflächen gleichen dabei eher umlaufenden Balkonen als einem Apartment: Beinahe überall beträgt der Abstand zwischen Kern und Fassade gerade einmal 1,7 Meter. „Es ist eine Herausforderung der zeitgenössischen Architektur in Japan, dem Funktionalismus der Moderne zu entwachsen“ 1, sagt Kumiko Inui. Beim „Apartment I“ spielt sie mit Prinzipien der Moderne, indem sie die Elemente des Gebäudes neu interpretiert: Der Erschließungskern ist nicht vertikal durchgesteckt, sondern in jedem Geschoss leicht versetzt platziert. Demnach sind auch die Wohnungen mit ihren wechselweise O- und U-förmigen Grundrissen in jedem Geschoss ein wenig anders ausgelegt. Die relativ homogen gestaltete Fassade begrenzt zwar den Innenraum, die geschosshohen, öffenbaren Verglasungen sorgen aber dafür, dass die Stadt in der Wahrnehmung der Bewohner Teil des privaten Raumes wird. Kumiko Inui, in „Bewohnte Naturen: Ioanna Angelidou im Gespräch mit Kumiko Inui”, in: „Tokio: Die Stadt bewohnen”, Arch+ 208 (August 2012): S. 52–57.

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Schnitte, M 1:250

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Yotsuya Tenera Akira Koyama + Key Operation Inc. | Tokio 2010

360 m² Geschossfläche 12 Wohneinheiten 20–33 m² Wohnfläche je Einheit je 1–3 Nutzer Die enge Verknüpfung der privaten Außenräume mit den lichten Treppenhäusern lässt semi-private Bereiche entstehen, die durch Einblicke und zufällige Begegnungen das Interesse aneinander wecken und damit nachbarschaftliche Beziehungen fördern können.

01 Nach oben offen: Die Treppenhäuser wirken durch ihre zahlreichen Öffnungen als lichter Zwischenraum. 02 Die Struktur des Sichtbetons wurde durch die ­Schalung mit Lärchen­ schicht­holzplatten erreicht.

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Isometrie, ohne Maßstab

Wie in vielen traditionellen Wohngegenden Tokios finden sich auch in der Umgebung der Bahnstation Yotsuya noch schmale Gassen und dicht gedrängte zweigeschossige Wohnbauten. Inmitten dieses kleinteiligen Labyrinths liegt das Apartmenthaus „Yotsuya Tenera“ des Tokioter Büros Akira Koyama + Key Operation Inc. Auffallendstes Merkmal ist die Holzmaserung der Sichtbetonfassade, die im Gegenlicht samtig weich schimmert. Ursprünglich hatte der Architekt eine Fassadenverkleidung aus japanischem Zedernholz geplant. Die Kosten dafür hätten das Budget jedoch gesprengt, weshalb man sich schließlich für eine Sichtbetonfassade entschied, für deren Schalung Lärchenschichtholzplatten verwendet wurden. Das Grundstück setzt sich aus zwei Rechtecken zusammen, wo­ rauf ein annähernd L-förmiger Baukörper platziert wurde. Anstatt das Volumen aber so zu positionieren, dass es am nördlichen Rand sitzt und nach Südwesten hin mehr Abstand zum Nachbargrundstück bietet, entschied sich der Architekt für einen bepflanzten Eingangshof im Nordwesten. Dieser Bereich – in dem sich auch ein alter Brunnen aus der Edo-Zeit befindet – dient gleichzeitig als offizieller Rettungsweg, zu dem laut japanischen Vorschriften jeder Bewohner ohne Benutzung des gemeinsamen Treppenhauses von der Wohnung aus einen direkten Zugang haben muss. Die beiden Treppenhäuser bezeichnet Koyama als verzweigte voids. Im Erdgeschoss sind sie zum Eingangshof hin geöffnet; den 76

03 Im Eingangshof findet sich unter anderem ein Brunnen aus der Edo-Zeit. 04 Die Balkone öffnen sich nach außen und zum Treppenhaus hin.

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Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss, M 1:250

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05 In den Wohnungen wurde für die Einbauten wiederum Lärchenholz verwendet.

oberen Abschluss bildet ein Glasdach. Im Inneren erscheinen sie wie offene Räume, die sich als Abstandshalter zwischen die Türme mit den Wohnungen schieben. Die Wohnungsgrößen sind eher bescheiden: Sie schwanken zwischen 20 und 33 Quadratmetern. Dabei ist allerdings jeder Grundriss ein Unikat.

06 Sichtbeton und Holz-Elemente stehen im Kontrast zu weiß gestrichenen Wand- und Deckenflächen.

Für die Einbaumöbel im Inneren wurde die gleiche Art von L­ ärchenschichtholzplatten verwendet, die auch als Schalung für die Außenwände gedient hatte. Das einfache Bauholz steht im Kontrast zu den weitgehend weiß gestrichenen Wänden und dem hochwertigen Dielenboden aus geöltem Teak. Vom Wohnraum aus führt eine Tür zu einer Art Loggia, die in ihrer Größe allerdings eher einem Austritt gleicht. Jeder dieser Balkone grenzt an eines der beiden Treppenhäuser und kann somit als deren Erweiterung gelesen werden. Der private Außenbereich wird dadurch in gewisser Weise dem öffentlichen Bereich des Apartmenthauses zugeschlagen, und umgekehrt. Neben einer ausgezeichneten Belichtung und Belüftung der Treppenhäuser ergeben sich spannende Durch- und Einblicke, die ganz nebenbei dafür sorgen, dass auf den Balkonen – die in der japanischen Großstadt in erster Linie genutzt werden, um die Klimaanlage abzustellen und Wäsche aufzuhängen – Ordnung herrscht. Schnitt, M 1:250

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M-apartment Shinichirō Iwata Architect | Funabashi 2012

256 m² Geschossfläche 8 Einheiten 28–38 m² Wohnfläche je Einheit je 1–2 Nutzer Gemeinsam genutzte und private Erschließungsflure liegen wie ein Raster über der eingeschossigen Wohnlandschaft und bilden markante Sicht- sowie Lichtschneisen. Innerhalb der einzelnen Einheiten lagern sich die Wohnbereiche nischenartig an diese Korridore an.

01 Der lichte Korridor im Inneren der Wohnungen erscheint wie eine schmale Gasse, an die sich verschiedene Baukörper anlagern. 02 Dicht gepackt: Zu der rhythmisch gegliederten Anlage gehört auch ein Bereich mit Gewerbeeinheiten (auf dem Bild links).

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Schnitt, M 1:500

Ein Wohnteppich aus acht Einheiten: Beim „M-apartment“ in Funabashi in der Präfektur Chiba greifen die Grundrisse der einzelnen Wohnungen so ineinander, dass ein dichtes Gefüge entsteht. Für den Betrachter bleibt die Funktion des eingeschossigen Ge­ bäudekomplexes zunächst vage – statt einer Sammlung von Einzelwohnungen würde man hinter dieser Fassade wohl eher eine Art Wohnheim vermuten.

03 Doppelgeschossiger Wohnbereich mit umlaufendem Regalbrett 04 Der private ­Korridor jeder Wohnung lässt sich vom gemeinschaftlich genutzten Er­schließungsflur aus komplett überblicken.

Doch nicht nur die Betrachter, auch die Bewohner fordert der Architekt Shinichirō Iwata mit seinem Bau heraus: Im Inneren werden die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum sowie die

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Erdgeschoss, Dachaufsicht, M 1:750

Übergänge zwischen innen und außen bisweilen bewusst verzerrt. So bilden etwa die gemeinsam und privat genutzten Erschließungswege ein Raster aus Sicht- und Lichtschneisen. Die privaten Korridore der Wohnungen sind auf beiden Seiten durch verglaste Eingänge erschlossen. Durch diese Transparenz lassen sie sich von außen komplett überblicken – selbst Passanten können bisweilen einen Blick in die privaten Flure erhaschen, sofern die Bewohner dies zulassen. In den meisten Apartments grenzen an den lichtdurchfluteten Korridor „Nischen“, in denen Küche, Bad und Wohnraum untergebracht sind. Lediglich die innenhofartige Terrasse, die wie aus dem Gesamtvolumen herausgestanzt scheint, wird in der Regel indirekt erschlossen. Da es keinen separaten Schlafbereich gibt, wird für die Bewohner die in Japan traditionell multifunktionale Nutzung des Wohnbereichs zur Pflicht. Iwata variiert die äußere Erscheinung des eingeschossigen Gebäudes, indem er die einzelnen Funktionsbereiche innerhalb der Wohneinheiten verschieden hoch gestaltet: In der Ansicht ergibt sich durch diese Staffelung eine rhythmische Gliederung der Gesamtanlage, die den Bau in seiner Struktur Lehmbausiedlungen im Orient ähneln lässt. 04 83

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NE apartment Nakae Architects, Akiyoshi Takagi, Ohno Japan | Tokio 2007

289 m² Geschossfläche 8 Einheiten 28–50 m² je Wohneinheit je 1–2 Nutzer Ähnliche Interessen können dafür sorgen, dass räumliche Nähe nicht als bedrückend, sondern als bereichernd wahrgenommen wird – etwa bei den für Motorrad-Enthusiasten entwickelten Reihenhäusern, die sich zu einem kleinen gemeinsamen Innenhof hin orientieren.

01 Der Innenhof ist groß genug, um dort ein Motorrad wenden zu können. 02 Die acht Wohnungen im Mo­dell: Die gebogenen ­Innenwände tragen die Las­ten ab und steifen das Gebäude aus.

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Lageplan, M 1:5000

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Das Grundstück wird von der Hauptstraße aus über einen kleinen Privatweg erschlossen, der an der Ecke des Baugrunds andockt und dort in den tropfenförmigen Innenhof übergeht. Nur von diesem Zugang im Nordosten aus lässt sich der besondere Charakter der Wohnanlage im Tokioter Stadtteil Suginami erfassen. Von allen an­deren Seiten wirkt das „NE apartment“, an dem außer Nakae ­Architects auch Akiyoshi Takagi Architects und Ohno Japan mitarbeiteten, wie ein geschlossener Kubus, der maximal an die Nachbargebäude heranrückt. Entlang der tropfenförmigen Einstülpung sind die Zugänge der acht Wohneinheiten angeordnet, von denen sich einige über zwei, die anderen über drei Geschosse erstrecken. Der Bau wurde für Motorrad-Enthusiasten entwickelt: Die einzelnen Wohnungen lassen sich daher im Erdgeschoss weit öffnen und bieten den Bewohnern dort eine Garage für Zweiräder.

Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss M 1:250

03 Eingangsbereich und Garage zugleich: Im Erd­ geschoss lässt sich die Fassade fast komplett öffnen. 86

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Schnitte, M 1:250

04 Außen- und Innenwände treffen im rechten Winkel auf die geschwungene Gebäudehülle. 05 Zum Innenhof hin öffnen sich die Räume über verschieden hohe Fensterbänder; nach außen präsentiert sich der Bau mit einer Lochfassade.

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Der Rohbau besteht aus Stahlbeton und wird von den sieben Innenwänden getragen. Die Hülle hingegen ist vorgehängt, was eine freie Anordnung der Öffnungen erlaubte. Zum Hof hin entschieden sich die Architekten für drei unterschiedlich hohe Fensterbänder. ​ Zu den Nachbargebäuden hin wurde eine Lochfassade mit ­einigen wenigen, versetzt angeordneten Fenstern verwirklicht. Die in Sicht­beton ausgeführten Innenwände sind leicht gekurvt, aber so gestaltet, dass sie stets annähernd im rechten Winkel auf die geschwungene Gebäudehülle treffen – das erleichtert unter anderem die Ausstattung der Wohnungen mit Möbeln in Standardmaßen. Die Architekten spezifizierten ihren Entwurf für eine bestimmte Zielgruppe und stimmten ihre Grundrisse auf deren Bedürfnisse ab. Da die Wohnungen dennoch flexibel zu nutzen sind, werden wohl auch Menschen ohne Motorräder Gefallen an ihnen finden. Der Entwicklung nachbarschaftlicher Beziehungen allerdings käme es zugute, wenn die Wohnungen in dieser zusammenhängenden Einheit tatsächlich an Menschen vergeben werden, die eine bestimmte Leidenschaft – wie etwa für Motorräder – teilen. 89

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Yuima-ru Nasu + New Office | Nasu 2011

3 528 m² Geschossfläche 70 Einheiten 33–66 m² je Wohneinheit je 1–2 Senioren Der rasche demografische Wandel in Japan verlangt nach Lösungen für das Wohnen im Alter. Mit dem Modellprojekt wird ein gemeinschaft­ liches Leben der Senioren angestrebt, bei dem der Wunsch nach nachbarschaftlichen Beziehungen ebenso berücksichtigt wird wie der nach Privatsphäre und Ruhe.

01 Gemeinschafts­ einrichtungen wie die Cafeteria schaffen Begegnungsorte für die Bewohner. 02 Die Gebäude mit den einzelnen Wohneinheiten sind in Gruppen zusammen­ gefasst, die wiederum zu­sammen eine Art kleines Dorf bilden.

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Zahlen entnommen aus: Godzik, Maren: „Japan und der demografische Wandel. Leben und Wohnen in einer der am schnellsten alternden Gesellschaften der Welt“, in: BAGSO-Nachrichten: Das Magazin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen, Ausgabe 2/2011, S. 47–48.

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2 Yuima-ru ist ein Begriff aus der Sprache der Ureinwohner Okinawas, einer Insel ganz im Südwesten Japans, der grob mit „gegenseitige Hilfe, Zusammenarbeit“ übersetzt werden kann.

Es gibt kaum ein Land, in dem der demografische Wandel so schnell voranschreitet wie in Japan. Schon heute ist ein Fünftel der Bevölkerung älter als 65 Jahre; Prognosen gehen davon aus, dass diese Gruppe in 20 Jahren auf mehr als ein Drittel anwachsen wird. 1 Anders als noch die Generationen vor ihnen können die Älteren dann nicht mehr unbedingt darauf bauen, dass sie bei ihren Kindern wohnen und von ihnen gepflegt werden können. Bereits heute leben mehr Senioren allein oder nur mit ihren Ehepartnern als zusammen mit den Familien ihres Nachwuchses. Wie sie ihren Lebensabend verbringen wollen, ist daher für viele ein zentrales Thema. Ein Beispiel für zeitgemäßes Seniorenwohnen ist die Wohnanlage „Yuima-ru“ 2 in Nasu in der Präfektur Tochigi, ein Modellprojekt der japanischen Regierung. Der Gebäudekomplex liegt auf dem Land – eine Reaktion darauf, dass immer mehr ältere Menschen nach einem Arbeitsleben in der Stadt in eine ländlichere Umgebung umsiedeln wollen. Da es zudem gerade die nicht-urbanen Regionen sind, die durch den demografischen Wandel einen starken Bevölkerungsschwund erleiden, könnte durch den Zuzug von Rentnern verhindert werden, dass ganze Dörfer veröden.

Legende: 1 - Tagespflegezentrum 2 - Cafeteria 3 - Bibliothek 4 - Mehrzweckraum 5 - Musikraum

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Lageplan, M 1:1200

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03 Wohnen rund um den Garten: Die Bewohner können selbst aktiv werden und die Beete mitgestalten. 04 Das Innere der Wohneinheiten prägen traditionelle Elemente der japanischen Wohnkultur, wie etwa Schiebetüren, Einbau­ schränke und transluzente Raumteiler.

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Die Architekten Kenji Seto und Sōjun Kondō von + New Office entwickelten für die Senioren-Wohnanlage eine dörfliche Struktur. Die einzelnen Wohneinheiten sind jeweils Teil eines Hauses, die Häuser wiederum Teil von mehreren, um Höfe angeordneten Gebäudeensembles, die zusammen als gestalterische und strukturelle Einheit wirken. Die Bauten wurden mit Holz aus der Region errichtet und bekleidet. Gemeinschaftliche Einrichtungen wie eine Cafeteria, eine Bibliothek, ein Musikraum, ein Mehrzweckraum und eine Tagespflege-Station sind über die gesamte Wohnanlage verteilt und initiieren auf natürliche Art und Weise Bewegung und Begegnung. Den Übergang zwischen dem jeweiligen Hof und den umliegenden privaten Wohneinheiten bildet zum einen ein Laubengang, zum anderen eine Art vorgelagerter Wintergarten im Eingangsbereich jeder Unterkunft. Die Architekten beschreiben diese Zone als engawadoma. Der Begriff bezieht sich auf zwei Elemente, die das traditionelle japanische Haus prägen: engawa, die umlaufende schmale Veranda, und doma, die vom Wohnbereich durch eine Stufe abgetrennte Diele ohne Bodenaufbau. Der Bereich vermittelt ebenso zwischen innen und außen, wie er das Innere in einen privaten und halböffentlichen Bereich teilt. Damit können die Bewohner den Grad der Offenheit gegenüber den Nachbarn selbst regulieren. Bei dem Modellprojekt waren schon während der Planung zukünftige Bewohner eingebunden – in Workshops sprachen sie über ihre Bedürfnisse, begutachteten den Baufortschritt und konnten erste Kontakte zu anderen Bewohnern und Einheimischen knüpfen. Ein guter Ausgangspunkt, um an diesem Ort tatsächlich einen Lebensabend in Gemeinschaft zu ermöglichen. 93

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Trois Mitsuhiko Satō Architects | Kokubunji 2009

159 m² Geschossfläche 3 Einheiten ca. 35 m² je Wohneinheit je 1–2 Nutzer Drei versetzt angeordnete Kuben mit loftartigen Apartments fügen sich zu einem Wohnturm, dessen eigenwillige Gestalt jedem Bewohner zu einem großzügigen privaten Außenraum verhilft.

01 Die Terrasse im Erdgeschosss gleicht mit ihren seitlichen Begrenzungen und der spärlichen Bepflanzung einem Innenhof; hinter dem Sichtschutz links verbergen sich PKW-Stellplätze. 02 Die Wohnungen sind in verschiedene Himmelsrichtungen orientiert.

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Schnitt, M 1:200

Der kleine Geschosswohnungsbau „Trois“ liegt in Kokubunji, einer Stadt im Ballungsgebiet von Tokio. Die Grenzen zwischen den Kommunen sind fließend, wobei Kokubunji etwas weniger dicht besiedelt ist, sodass sich dort im Gegensatz zur Hauptstadt immer wieder auch Freiflächen finden. In diesem Umfeld ging Architekt Mitsuhiko Satō in seinem Ent­ wurf ein wenig auf Abstand zu den Nachbarn: Den nach außen in Sichtbeton ausgeführten Baukörper mit den drei Wohneinheiten errichtete er auf einem Eckgrundstück und ließ im Norden Raum für drei Fahrzeugstellplätze. Ein kleiner Luxus, denn in Japan ist es nicht

Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss, M 1:400

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03 Durch die versetzte Anordnung der Volumen ergeben sich über den Wohnungen der Nachbarn terrassenartige Freiräume. 04 Tiefergelegt: Die Erdgeschosswohnung sitzt unter dem Gelände­niveau.

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erlaubt, sein Auto am Straßenrand zu parken. In größeren Städten und ihren Ballungsräumen müssen die Bewohner daher oft längere Wege in Kauf nehmen, um zu ihrem Fahrzeug zu gelangen. Die drei Volumen sind unregelmäßig übereinandergestapelt; jede Etage beherbergt eine loftartige Wohneinheit. Anders als die typischen Einraumwohnungen der japanischen Großstädte richten sich diese Unterkünfte an Menschen, die zum einen das Single- oder Paarleben nicht als Übergangsstadium begreifen und zum anderen dem Wohnen einen gewissen Stellenwert in ihrem Leben einräumen. Durch die versetzte Anordnung profitieren die Wohneinheiten voneinander: Die freiliegenden und auskragenden Decken dienen jeweils als Terrasse oder Überdachung der darüber oder darunter sitzenden Einheit. Dabei ist jeder private Außenraum in eine andere Himmelsrichtung orientiert, sodass das Gefühl, ein individuelles Zuhause zu bewohnen, noch verstärkt wird. Die Gestalt des kleinen Turms lässt nicht erahnen, dass es im Inneren sogar zwei Kerne gibt: Treppenhaus und Bad sind in jedem ­Geschoss die zwei Konstanten, um die sich die Grundrisse ­entwickeln. Anders als etwa bei Kumiko Inuis „Apartment I“ (siehe Seite 70–73) ist es in diesem Fall jeweils der Grundriss, der um die beiden Kerne tanzt – und nicht der Kern, der im Gebäude wandert und die Grundrisse formt. 97

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Dancing Trees, Singing Birds Hiroshi Nakamura & NAP Architects | Tokio 2007

685 m² Geschossfläche 6 Einheiten ca. 55–160 m² je Wohneinheit je 2–3 Nutzer Bei wohlhabenden Tokiotern gehört ein Wochenendhaus auf dem Land zum guten Ton. Das Gefühl, in und mit der Natur zu leben, lässt sich jedoch auch in der Großstadt verwirklichen.

01 Das „Spa House“ erlaubt es seinen Bewohnern, unter freiem Himmel zu baden. 02 Großstadtdschungel: Ein unbebauter Hang mit alten Bäumen lässt das Gebäude trotz seiner zentralen Lage naturnah wirken.

02 99

Auch wenn die Bilder einen anderen Eindruck vermitteln: „Dancing Trees, Singing Birds“ liegt tatsächlich mitten in Tokio. Die Bäume ringsum sind jedoch so dicht gewachsen, dass sich die umgebende Bebauung im Stadtteil Meguro weitgehend ausblenden lässt. Zumindest, wenn man die einzelnen Einheiten so geschickt zu orientieren weiß wie Hiroshi Nakamura & NAP architects. Der Architekt ließ den Entwurf konsequenterweise von den umgebenden Bäumen formen. Ein Baumexperte klärte vor Baubeginn die Lage der Wurzeln, anschließend wurde der Bau so nah wie möglich an die Pflanzen herangerückt, ohne deren Überleben 03

04 100

03 Das lichte Badezimmer der Wohneinheit „Tea House“ schlingt sich um einen Baum. 04 Die zahlreichen Erker lassen das Gebäude auf der Südseite maximal an die Bäume heranrücken.

Schnitt, M 1:500

zu gefährden. Die zahlreichen Vor- und Rücksprünge des Gebäudes ergaben sich aus Wachstums- und Bewegungssimulationen. Andere Architekten gingen davon aus, dass ein Grundstück grundsätzlich „leer“ sei – dabei sei durchaus etwas vorhanden, und genau das wolle er mit seinen Entwürfen herausarbeiten, so Nakamura. Das mit dem Holz der japanischen Zypresse bekleidete Gebäude beherbergt sechs Luxus-Mietwohnungen. Von der Straße aus wird der Bau auf dem rückseitig gelegenen Grundstück über einen Stichweg erschlossen. In einem gemeinsamen Foyer im Erdgeschoss sind die Zugänge zu den Treppenhäusern der einzelnen Einheiten gebündelt; zwei der Wohnungen im Obergeschoss können zudem mit einem privaten Lift erreicht werden. Nakamura entwickelte jede Wohneinheit auf der Grundlage eines Themas: Im Erdgeschoss wurden das „Pool House“ und „Spa House“ um ein Schwimmbecken beziehungsweise einen nach oben offenen Badebereich ergänzt; das „Theater House“ wartet mit einem doppelgeschossigen Bereich auf, der als Heimkino genutzt werden kann. Im ersten Obergeschoss bietet das „Library House“ mit einem langen Einbauregal Platz für Bücher und Zeitschriften. Das „Tea House“ hingegen erlaubt es den Bewohnern, in einem transparenten Pavillon die Teezeremonie zu zelebrieren. Ganz oben sitzt das „Terrace House“, das mit seiner riesigen Dachterrasse Platz für Empfänge bietet. Fassadenschnitt, M 1:100

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05 Im „Library House“ erlaubt ein eingebautes Wandregal die Aufbewahrung und Ausstellung von Büchern und Zeitschriften. 06 Spiegel-Elemente lassen die Räume der Wohneinheit „Spa House“ größer und das umgebende Grün üppiger wirken.

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Legende: dunkelgrün – Pool House violett – Spa House gelb – Theater House hellblau – Tea House hellgrün – Library House rot – Terrace House

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Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss, M 1:500

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Entlang der Längsseiten der Wohnungen sind zahlreiche ­Erker und Anbauten angeordnet, die wie Nischen an die Wohnräume an­schließen und sehr nah an den umgebenden Baumbestand ­he­ran­­rücken. An der südwestlichen Schmalseite finden sich im Erd­geschoss und im ersten Obergeschoss ins Gebäude integrierte Terrassen, die den Wohnbereich ins Freie erweitern und gleichzeitig den Blick auf die Natur rahmen. Aus einem unscheinbaren Hanggrundstück wurde mit diesem Entwurf eine Art urwüchsiges Paradies destilliert – wobei der Architekt mit dem Risiko spielt, dass ein Teil dieser Qualität verlorengeht, wenn sich die umgebende Bebauung verändert und näher an das Grundstück heranrückt oder Bäume auf den Nachbargrundstücken gefällt werden. 103

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12 STUDIOLO CAt (C+A Tokyo) | Tokio 2009

73,5 m² und 78 m² Geschossfläche 12 Einheiten 10–16 m² je Wohneinheit je 1 Nutzer In den Industrienationen wächst der individuelle Flächenverbrauch seit Jahrzehnten kontinuierlich an. In Japan hat sich – zumindest in den Großstädten – parallel dazu eine Kultur des Wohnens auf kleinem Raum entwickelt.

01 Im obersten Geschoss werden die Räume zusätzlich durch je ein Oberlicht erhellt. 02 Die „12 Studiolo“ teilen sich auf zwei Baukörper auf, die gestalterisch als Einheit wahrgenommen werden.

Lageplan, M 1:2000

02 105

Mit dem „12 Studiolo“ liefern Kazuhiro Kojima und Kazuko Akamatsu ein Beispiel dafür, wie sich Wohnen auf kleinstem Raum organisieren lässt. In zwei Baukörpern brachten sie auf einer Grundfläche von je etwa 30 Quadratmetern zwölf winzige Wohneinheiten unter. Weniger Fläche bedeutet in der Regel weniger Miete – insofern bieten die Wohnungen eine Lösung für Menschen, die in der Stadt günstig wohnen wollen, etwa Studenten oder einfache Angestellte. Erschlossen werden die beiden Türme, die eine gestalterische Einheit bilden, jeweils über einen MiniKern mit halbgewendelten Treppen. Jede Wohneinheit erstreckt sich über zwei Ebenen und ist als durchgängiges Raummodul geformt. Diese „Space Blocks Design Method“ entwickelten Kojima und ­Akamatsu bereits in den 1990er Jahren und setzten sie bei den „Space Blocks Kamishinjō“ (1996) zum ersten Mal um. „12 Studiolo“ lässt sich jedoch aufgrund der Winzigkeit der Module nur bedingt mit vorherigen Bauten des Büros vergleichen.

4. Obergeschoss

3. Obergeschoss

2. Obergeschoss

In ihrer Reduziertheit erinnern die zwölf Wohneinheiten ein wenig an Klosterzellen – tatsächlich haben die Architekten für den Entwurf traditionelle 1. Obergeschoss

Erdgeschoss, M 1:250

03 In den Minimalräumen dienen die privaten Treppen nicht nur der Erschließung, sondern auch als Allzweckmöbel. 04 Blick von der Waschgelegenheit in Richtung Bettnische und obere Ebene (zweites Obergeschoss, Wohneinheit im Plan magentafarben); die Treppe führt zur Badewanne. 106

04

03

Schnitte, M 1:250

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japanische Minimalräume analysiert, etwa klassische Tee­pavillons in Kioto. Diese Bauten sollten Aufschluss darüber geben, wie sich Trennwände setzen und Fenster anordnen lassen, welche Materialien und Lichtwirkungen dafür sorgen, dass ein kleiner Raum eine gewisse Magie entfalten kann. Allerdings sind solche klassischen Teeräume ausschließlich darauf ausgelegt, Gäste zu bewirten – nicht darauf, einer Person auf Dauer Wohnraum zu bieten. In funktionaler Hinsicht konnten die Pavillons aus diesem Grund kaum als Vorbild dienen. Im Inneren prägt der Kontrast aus Sichtbeton und strukturierten weißen Wänden die winzigen Wohneinheiten. Darüber hinaus ließen die Architekten an den Wänden in regelmäßigen Abständen Regal­schie­ nen befestigen, an die die Bewohner bei Bedarf technische Geräte oder Ablageflächen montieren können.

Sprengisometrie, ohne Maßstab

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05 Auf den Wänden sitzen in regel­ mäßigen Abständen Regalschienen, an die die Bewohner zum Beispiel Ablageflächen montieren können.

Möbel – die auf einer Fläche von etwa zehn bis 16 Quadratmetern ohnehin keinen Platz hätten – werden dadurch überflüssig.

06 Badbereich im obersten Geschoss (im Plan hellblau): Wenig Beinfreiheit auf der Toilette, dafür duscht man mit Aussicht.

„Find a blank space and extent in littleness“ – ­ nter diesem Motto sollen sich die Bewohner die u zwölf Wohnungen ähnlich einem Eremiten wie kleine Höhlen aneignen. Eine solch extreme Reduzierung des Lebensraums erscheint selbst in Japan grenzwertig – die sorgfältige Grundriss- und Raumgestaltung jedoch könnte den Mangel an Fläche zumindest zeitweise vergessen machen. 109

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Onagawa Container Temporary Housing Shigeru Ban Architects (VAN) | Onagawa 2011

5 671 m² Geschossfläche 190 Einheiten 20–40 m² Wohnfläche je Einheit je 1–5 Nutzer Temporäre Unterkünfte nach Naturkatastrophen sollten vor allem günstig und kurzfristig verfügbar sein. Beim Bau der Siedlung in Onagawa hingegen flossen auch der topografische Kontext sowie der Wunsch, der Gemeinschaft Raum zu geben, in die Planung ein.

01 Das so genannte Atelier kann von allen Bewohnern genutzt werden. 02 Containerdorf auf dem Baseballfeld: Innerhalb von zweieinhalb Monaten wurden hier Ersatzwohnungen für 190 Familien errichtet.

02 111

03

Nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe vom 11. März 2011 waren günstige temporäre Unterkünfte gefragt, die schnell ein­ge­ setzt werden konnten – in der Regel handelte es sich dabei um eingeschossige, vorfabrizierte Module aus Holz oder Stahl. Ein Pro­blem war dabei allerdings die Topografie Japans: Flache, ausreichend hoch gelegene Ebenen, auf denen die Standardeinheiten platziert werden konnten, standen vielerorts nicht zur Verfügung. So auch in der ­Gemeinde Onagawa in Miyagi, einer Ortschaft mit 10 000 Einwohnern, in der der Tsunami etwa 4 000 Häuser mit sich gerissen hatte. Eine Lösung für dieses Problem fand das „Voluntary Architects’ Network (VAN)“, ein von Shigeru Ban gegründetes Netzwerk aus Architekturstudenten, das Katastrophenopfer mit den Mitteln der Architektur unterstützt. Als grundlegendes Modul der temporären Siedlung wählten Shigeru Ban und VAN Überseecontainer, die sie in zwei- bis dreigeschossigen Riegeln zusammenfassten. Dadurch konnten auf der relativ begrenzten Fläche eines Baseballfeldes – die Gemeinde Onagawa hatte beschlossen, dem Bau der Notunterkünfte dieses Sportfeld zu opfern – etwa 190 Familien ein neues Zuhause finden. Die Riegel sind in der Ansicht schachbrettartig gegliedert: Zwischen den einzelnen schmalen Containern sitzt jeweils ein „Leerraum“, der von einem einfachen Rahmen gebildet wird. Dieser zusätzliche Raum ist an einer Schmalseite komplett verglast und mit einem Balkon versehen; auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich 112

04

Isometrie, ohne Maßstab

03 Auch beim Bau des Gemeinschafts­ hauses kamen Container zum Einsatz. 04 Wohneinheit mit 29 Quadratmetern: Die Möblierung wurde von Studenten gebaut oder von Unternehmen gestiftet. Sprengisometrie, ohne Maßstab

jeweils der Zugang zu den Wohnungen. Die geschlossenen Flächen sind mit farbigen Faserzementplatten bekleidet. Die gesamte Siedlung wurde in etwa zweieinhalb Monaten errichtet. Bei den Wohnungsgrößen orientierten sich die Architekten an den Dimensionen der regulären Notunterkünfte der Regierung: Es gibt drei Einheiten, die jeweils 20, 29 und 40 Quadratmeter groß sind. Die kleinste Wohnung ist für einen oder zwei Bewohner gedacht, die mittlere Unterkunft soll drei oder vier Personen Platz bieten und das größte Modul wird an Familien mit mehr als vier Mitgliedern vergeben. Anders als bei den „herkömmlichen“ Notunterkünften entschied man sich in Onagawa dazu, auch die Einrichtung der Wohnungen mit zu entwerfen – und zum Teil auch selbst zu bauen. Damit wollte VAN vermeiden, dass die Bewohner Standardmöbel kaufen, die in den sehr schmalen Containern kaum Platz finden und auf Dauer im Weg stehen. Wohnungstypen M 1:400

Zusammen mit den Wohneinheiten wurden auch gemeinschaftliche Einrichtungen bereitgestellt: Ein großes Zelt im Zentrum dient als Markthalle, zudem gibt es ein Gemeinschaftshaus für Veranstaltungen und ein Atelier, in dem zum Beispiel Unterricht stattfinden kann. VAN begleitet das Projekt auch nach der Fertigstellung weiter und versucht in Umfragen die positiven und negativen Erfahrungen der Bewohner der temporären Siedlung zu eruieren, um sie in zukünftige Planungen einfließen zu lassen. 113

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ALLEY HOUSE BE-FUN DESIGN + TAS-S | Tokio 2012

161 m² Geschossfläche 4 Einheiten ca. 40 m² Wohnfläche je Einheit je 1–2 Nutzer Komplexe Stadtstrukturen als Vorbild: Von einem konventionell gestalteten Erdgeschoss aus entwickeln sich die Räume dieser ReihenhausEinheiten um die zentrale Achse des Gebäudes spiralförmig nach oben.

01 Im obersten Geschoss jeder Einheit gibt es ein treppenartig gestaltetes Regal – auf die Galerie führt die Leiter rechts im Bild.

Lageplan, M 1:500

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02 Das Gebäude greift die Flucht der bestehenden Bauten auf; dadurch entsteht vor dem Haus ein kleiner Platz. 03 Die vier Wohnungen sind ähnlich gegliedert: Im ersten Obergeschoss befindet sich in allen Einheiten die Wohnküche.

Schnitt, M 1:250

Vom Geschäftszentrum ins Dickicht des Wohnens: Vom Bahnhof Kameido aus gelangt man zum „Alley House“ über verschiedene Straßen, die immer schmaler werden und als traditionelle Gassenstruktur (siehe „Roji“, S. 11 ff) enden. Die Straßenzüge umfassen eine Fahrbahn, die bisweilen kaum breiter als 1,80 Meter ist, und eine heterogene Ansammlung kleiner Wohnhäuser, deren Bewohner sich die fast autofreien Gassen gerne aneignen. Obwohl es die vorgegebene Baulinie erlaubt hätte, weiter an die Straße heranzurücken, wichen die Architekten mit dem „Alley House“ zurück, sodass das Gebäude nun zusammen mit den ande­ ren Häusern des Straßenzugs eine gemeinsame Flucht bildet. Die zufällig aus dem chaotischen Nebeneinander entstandene Ordnung der Nachbarschaft wird damit aufgegriffen und weitergeführt. Gleichzeitig schaffen die Architekten einen Vorplatz, der etwa zum Abstellen von Zweirädern genutzt werden kann.

02

116

Die Häuser der Nachbarschaft zeigen sich unbekümmert in ­ nterschiedlichen Formen und Farben. Die Umgebung wird zudem u von vielen individu­ellen Elementen – etwa vor den Häusern abgestellten Topf­pflanzen und Fahrrädern – geprägt, die zusammen mit der bau­lichen Substanz ein kleinteiliges Gesamtbild formen. Mit seinem Erscheinungsbild fügt sich das „Alley House“ in diese Collage ein: Die Fassadenbekleidung des Holzständerbaus greift verschiedene ­Farbtöne der benachbarten Häuser auf und gibt sie in

Zentralperspektive, ohne Maßstab

03 117

04 Geschickt gedreht: Das Wohnzimmer der Einheit, die im Erdgeschoss im Norden liegt (im Plan grün), orientiert sich nach Südosten. 05 Treppe von der Wohnküche ins Wohnzimmer 06 Schlafgalerie und Regal im obersten Geschoss 04

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06

3. Obergeschoss

2. Obergeschoss

1. Obergeschoss

unregel­mäßigen Abständen wieder; zudem führt die Auffahrt mit den kreisrunden be­pflanzten Feldern die Topfpflanzenlandschaft auf eigene Art und Weise fort. Die vier Türen zur Straßenfront hin erscheinen dem Betrachter fast etwas rätselhaft, da die darüberliegenden Geschosse den Typus eines gemeinschaftlichen Wohnhauses nicht weiterführen und auch keine Erschließungsbereiche erkennbar sind. Tatsächlich ist der Bau für vier Haushalte entwickelt: Statt die Räume wie bei einem Reihenhaus normalerweise üblich in einer vertikalen Abfolge anzuordnen, wickelten die Architekten den Grundriss der einzelnen Wohnungen spiralförmig über die gesamte Grundstücksbreite ab. Dadurch ist jede Einheit in mindestens drei Himmelsrichtungen orientiert, sodass dem einzelnen Nutzer – was die Ausblicke und die Lichtverhältnisse angeht – ein ähnliches Gefühl vermittelt wird wie in einem Einfamilienhaus. Die Bewohner erklimmen ihr Haus über Treppen, die in den Wohngeschossen eine ähnliche Dimension haben wie die Straße vor dem Haus. Unterwegs begleiten sie verschiedene Ausblicke; durch die Fenster sehen sie auf immer wieder andere Häuser der Nachbarschaft. Der Weg durch das Haus soll dabei laut den Architekten die Qualitäten der traditionellen Gassen widerspiegeln: Die eigenen Habseligkeiten werden wie die Fahrräder und Pflanzen der Nachbarn zum Teil des Gesamtbildes.

Erdgeschoss, M 1:250

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Sakura Apartment Hitoshi Wakamatsu Architects | Tokio 2011

1 042 m² Geschossfläche 11 Einheiten 32–81 m² Wohnfläche je Einheit je 1–5 Nutzer Das Gebäude wirkt wie eine gewachsene Struktur, die der Architekt mit Nutzungen belegte. Jede Wohnung setzt sich aus mehreren Raumzellen zusammen; die großzügigen Zwischenräume erlauben die Aneignung durch die Bewohner.

01 Im obersten Geschoss ist der Zwischenbereich nicht komplett überdacht – die Raumzellen wirken dadurch wie Bungalows. 02 Welche Bereiche zusammengehören, lässt sich von außen kaum erahnen.

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03

Der Sockelbereich des sechsgeschossigen Hanghauses erinnert an das Fundament japanischer Burgen: Loser Naturstein hinter einer Streckmetallbegrenzung lässt das Erdgeschoss zur Straße hin relativ geschlossen wirken. Im ersten Obergeschoss werden die Metall-Elemente als Zaun weitergeführt, der dort mehrere schmale Gärten umschließt. Das „Sakura Apartment“ steht auf einem Eckgrundstück im Tokioter Stadtteil Meguro. Die Stahlbetonkonstruktion scheint aus sieben Türmen zu bestehen, die in regelmäßigen Abständen von horizontalen Scheiben durchschnitten werden. Dadurch bilden sich Zellen, in denen der Architekt Hitoshi Wakamatsu elf Wohneinheiten und die Erschließung unterbringen ließ. Die einzelnen Wohnungen wirken fragmentiert: Jede Unterkunft setzt sich aus mehreren Raummodulen zusammen, die über gläserne Korridore oder interne Treppen miteinander verbunden sind. 122

03 Der Bau erinnert an manchen Stellen eher an eine Urlaubsanlage als an einen Geschosswohnungsbau: Blick vom Dach des nördlichsten Baukörpers auf das Gebäude. 04 Abgerundete Ecken und große Öffnungen prägen das Innere der Raumzellen.

5. Obergeschoss

4. Obergeschoss

Auf jeder Ebene sind maximal drei Haushalte untergebracht. Der zentrale Bereich ist nicht komplett von Wohnungen umgeben, sondern zieht sich teilweise sternförmig bis an den Gebäude­ rand. Dadurch wirkt die Struktur trotz des großen Bauvolumens kleinteilig und nach außen offen. Diese Fläche dient nicht nur der Erschließung, sondern kann auch von allen Bewohnern der Ebene als Terrasse genutzt werden. Zwischen den Zellen sind diese Bereiche allerdings entweder durch einen transparenten Korridor abgetrennt oder tendenziell einer angrenzenden Wohneinheit zugeordnet.

3. Obergeschoss

2. Obergeschoss

04

1. Obergeschoss

Je weiter man nach oben kommt, desto komfortabler und größer werden die ein- bis dreigeschossigen Wohnungen, und desto lich­ ter die Zwischenbereiche. Im obersten Geschoss ist die ­Bodenplatte aus­geschnitten, sodass auf der darunterliegenden Ebene der all­ ge­meine Bereich selbst in der Nähe des zentralen Aufzugs von Sonnen­licht erhellt wird. Den beiden höchstgelegenen Einheiten sind Galerien beziehungsweise ein Dachgarten zugeordnet. Im Gebäude verbinden sich umbauter Raum und Zwischenraum zu einer Wohnlandschaft aus eindeutig privat genutzten Bereichen, Übergangszonen und halböffentlichen Flächen. Statt der Funktion steht die Struktur des Bauwerks im Mittelpunkt. Die Architektur soll den Bewohnern nicht nur dienen, sondern ihnen auch neue Möglichkeiten des Wohnens eröffnen.

Erdgeschoss, M 1:750

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Alp Akihisa Hirata Architecture Office | Tokio 2010

ca. 500 m2 Geschossfläche 11 Einheiten 25–40 m² / 55–80m² Wohnfläche je Einheit je 1–3 Nutzer Ein Haus wie eine Landschaft: Mit der Ausformulierung des Bauvolumens nach dem Vorbild einer Bergkette entstehen im Inneren unterschiedliche Wohneinheiten, die zur individuellen Aneignung einladen.

01 Blick in den Abgrund: Die einzelnen Wohneinheiten sowie die Dachterrasse lassen sich über Außentreppen erschließen, die in schluchtartige Einschnitte eingebettet sind.

Lageplan, M 1:2000

125

02

Der dunkle Sichtbeton türmt sich auf wie ein Felsmassiv: „Alp“, wie Akihisa Hirata den Geschosswohnungsbau im Norden Tokios genannt hat, liegt an einer schmalen Straße auf einer Anhöhe. Dahinter erstreckt sich ein kleiner Park, der zum örtlichen buddhistischen Tempel gehört. Einen direkten Nachbarn gibt es nur im Westen – und das auch erst seit kurzem. „Wir wollten die Architektur hier nicht als etwas verstanden wissen, das sich als Kiste auf einem Grundstück manifestiert – vielmehr sollte die Oberfläche so erscheinen, als sei sie von der Bewegung des Erdbodens geformt worden“, beschreibt Hirata seinen Entwurf. Durch Versprünge, Einschnitte und eine komplexe Dachlandschaft sollte ein Baukörper entstehen, dessen Faltungen den Wohnraum im Inneren definieren. Der offene Erschließungsbereich, der mitten durch den Baukörper führt und dadurch ein wenig wie eine Schlucht wirkt, nimmt ebenfalls Einfluss auf die Gestalt der Wohneinheiten: Die Treppenschrägen

Ѝ Schema geschlossenes Volumen

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Schema geteiltes Volumen

02 Dunkler Beton und Faltungen lassen den Bau von Westen aus gesehen wie einen massiven Felsblock wirken – einzig die Öffnungen, verweisen auf ein Innenleben. 03 Erschließungsbereich im ersten Obergeschoss: Höhlen­ artige Einbuchtungen rahmen die Eingänge der Wohnungen.

Dachaufsicht

2. Obergeschoss

1. Obergeschoss

Erdgeschoss, M 1:500

03 127

Schnitt, M 1:500

04 128

05

zeichnen sich im Inneren mancher Apartments als raumbildendes Element ab. Das Äußere formt das Innere, wie das Innere das Äußere formt: etwa durch die Notwendigkeit, Fenster zu setzen oder die Erschließung in einer sinnvollen Art und Weise anzuordnen. Die meisten der elf Wohnungen eignen sich aufgrund ihrer Größe vor allem für Einzelpersonen – lediglich zwei Wohnungen, eine im Erd­geschoss und eine im zweiten Obergeschoss, sind etwas großzügiger angelegt. Letztere verfügt sogar über eine Dachterrasse, die vom Badezimmer aus über eine Außentreppe erschlossen wird. In gewissem Sinn bietet Hirata mit diesem Entwurf eine Alter­native zu einer schematischen Architektur, deren Räume auf der Grundlage einer von außen vorgegebenen Idee menschlicher B­edürfnisse entstehen. Er kennt die zukünftigen Bewohner und ihre individuellen Wünsche nicht, will sich aber auch keinem rein funkt­ional­istischen Dogma unterordnen. Die mit „Alp“ geschaffenen Wohnräume können sich die Bewohner wie eine Höhle aneignen.

04 Außenhaut formt Innenraum: Besonders stark macht sich das im zweiten Obergeschoss bemerkbar. 05 Im ersten Obergeschoss hingegen sind es die Treppen zu den darüber­ liegenden Wohnungen, die die Räume formen und gliedern. 129

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Komatsunagi Terrace Mitsuhiko Satō Architects | Tokio 2012

1 208 m² Geschossfläche 11 Einheiten ca. 55–100 m² Wohnfläche je Einheit je 1–4 Nutzer Das für eine Baugruppe entwickelte Gebäude erlaubt es den Bewohnern, auf Veränderungen der Umgebung und innerhalb der Familien flexibel zu reagieren. Die metallische Hülle soll dabei ein Interface zwischen den privaten Wohnungen und der Stadt bilden.

01 Wie ein semitransparenter Schleier umgibt die metallische Fassade die eigentliche Klimahülle aus Stahl und Glas. 02 Die Streckmetallfassade definiert ab dem ersten Obergeschoss das Volumen des Baukörpers.

02 131

Eine Hülle aus Streckmetall sowie ein zur Straße hin weitgehend geschlossenes Erdgeschoss lassen das Gebäude im Tokioter Stadtteil Setagaya kompakt und einheitlich wirken. Dass der Wohnbau für eine Baugruppe errichtet wurde, lässt sich erst erahnen, wenn man die Grundrisse mit den vielen unterschiedlichen Wohnungstypen und -zuschnitten betrachtet. Die Gitterhülle mit ihren regelmäßigen Öffnungen sitzt vor einem umlaufenden Balkon, der an engawa, die Veranda traditioneller japanischer Häuser, erinnert. Der Bereich dient nicht nur als privater Außenraum, auch die Klimaanlagen und der Boiler – in Japan ist die Haustechnik fast immer dezentral jeder einzelnen Einheit zugeordnet – werden dort untergebracht. An die Balkone schließt die eigentliche Klimahülle, eine raumhohe Glasfassade, an. Den vier Maisonettes, die sich vom Erdgeschoss ins Untergeschoss entwickeln, ist kein Gitter vorgeblendet; eine Bepflanzung der Grundstücksgrenzen mit Büschen sorgt dafür, dass dennoch kein allzu direkter Einblick möglich ist. Der Eingangsbereich, die Erschließungsflure der Wohnungen sowie der Zugang zum zentralen Treppenhaus mit Aufzugsanlage sind im Erdgeschoss kreuzartig angeordnet. In den oberen Geschossen sind die Korridore in Ost-West-Richtung orientiert und zu den Balkonen hin meist offen. Das Dachgeschoss sitzt als Penthouse mit großer Dachterrasse auf dem Gebäude und lässt sich direkt über das zentrale Treppenhaus erreichen.

Penthouse

3. Obergeschoss

2. Obergeschoss

1. Obergeschoss

Erdgeschoss, M 1:750

03 132

Untergeschoss

04 03 Mit Vorhängen lässt sich der Grad der Transparenz weiter regulieren – hier im dritten Obergeschoss. 04 Der umlaufende Balkon erinnert an „en­­­gawa“, die Veranda traditioneller japanischer Bauten.

Den Bauherren war es wichtig, dass sich die Grundrisse bei Bedarf ohne großen Aufwand veränderten Familienverhältnissen anpassen lassen. Daher entschied sich der Architekt für eine Mischkonstruktion: Die Stahlbetondecken lagern größtenteils auf Stahlstützen auf; die Aussteifung des Tragwerks wird im Bereich der Fassade durch diagonale Streben gewährleistet. Die Innenwände konnten dadurch als nichttragende – und damit variable – Bau­teile verwirklicht werden. Auch die umlaufende Glasfassade, die sich mit Vorhängen individuellen Vorlieben anpassen lässt, wurde somit möglich. Die Bewohner können damit auf Veränderungen in der Nachbarschaft, wie Abrisse und Neubauten, reagieren. Bei der Planung des Gebäudes stellten sich Architekt und Bauherren unter anderem die Frage, wie sich ein Geschosswohnungsbau in einer dichten Wohngegend nach außen verhalten soll. Die doppelte Hülle kann als ein Kompromiss gesehen werden: Von der Straße aus lässt sich immer noch ablesen, wie die Menschen hier leben, dennoch kann sich jeder Bewohner seine Privatsphäre bewahren. Satō interpretiert die Streckmetallfassade als eine Art Interface, das zwischen Stadt und privaten Wohnungen vermittelt. 133

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Shakujii Pleats Makiko Tsukada Architects | Tokio 2010

538,5 m² Geschossfläche 6 Einheiten 68–97 m² Wohnfläche je Einheit je 3–4 Nutzer In den Schluchten zwischen den vier Baukörpern sind Innen- und Außenraum eng miteinander verwoben. Die Zwischenräume dienen der Erschließung, werden aber privat genutzt: Oberer und unterer Bereich sind jeweils anderen Wohneinheiten zugeordnet.

01 Stufen und Schichten: Zwischen den Baukörpern spannt sich eine komplexe Treppenlandschaft auf. 02 Sind die metallischen Klappläden geschlossen, wirkt das Gebäude wie eine Festung.

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03 Zwischen den aus Be­­tonsteinen gemauerten Wänden der Wohnbereiche wirkt die Schlucht mit der Erschließung licht und leicht. 04 In das solide Mauer­ werk sind im Bereich der Erschließung einzelne Glasbausteine integriert. Schnitt, M 1:250

Auf den ersten Blick wirkt „Shakujii Pleats“ im Tokioter Stadtteil Nerima wie ein konventionell gegliederter Geschosswohnungsbau. Vier Wohnblöcke scheinen von drei dazwischenliegenden, allgemei­ nen Treppenhäusern erschlossen zu sein. Tatsächlich dienen die Treppenbereiche als erweiterter Wohnraum: Die Architektin Makiko Tsukada teilte sie zwischen je zwei Haushalten auf. Damit werden diese Flächen zu einer Mischung aus individuellem Eingangsbereich und Wintergarten. Die Wohnanlage erinnert ein wenig an eine Burg: Betonsteine in zwei Farbgebungen formen ein massives Mauerwerk, das Stabilität und Haltbarkeit vermittelt. Die Öffnungen können mit großen Fenster­läden, die eine ähnliche Farbigkeit haben wie die Beton­ steine, von Hand verschlossen werden. Tsukada überlässt es damit den Bewohnern, ob und wie weit sie ihre Privaträume nach außen öffnen möchten. Abweisend wirkt der Bau jedoch nicht einmal dann, wenn alle Läden geschlossen sind: Dafür sorgen die Maßstäblichkeit des Mauerwerks, die Textur der Steine sowie das Streifenmuster, das sich aus der Zweifarbigkeit des Betons ergibt. 03 136

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05

06 05 Der teilweise nach oben offene Zwischenbereich funktioniert auch als Lichtfang ...

2. Obergeschoss

06 ... wovon vor allem das Untergeschoss profitiert. 07 In Kombination mit Holzmöbeln und Tatamimatten wirken die Wände nur noch halb so roh.

1. Obergeschoss

Erdgeschoss, M 1:500

Untergeschoss

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08 Auf dem Weg von Raum zu Raum erleben die Bewohner verschiedene Helligkeiten und Lichtstimmungen.

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Die Umgebung spielt für das Ensemble nur eine untergeordnete Rolle – die Architektin entwickelte Maisonettes, deren Qualitäten unabhängig von Veränderungen in der Nachbarschaft bestehen bleiben. Die Zwischenräume vermitteln nach jeweils zwei Seiten, wobei die angeschlossenen Wohnungen diagonal zueinander liegen: Die untere Einheit, die von diesem Bereich aus erschlossen wird, ist jeweils dem nördlich gelegenen Bauteil zugeordnet, während sich die obere Einheit vom Treppenhaus aus nach Süden erstreckt. An den beiden Endpunkten des Gebäudes gibt es Sonderlösungen: Im Süden sitzt im Erdgeschoss eine Garage, im Norden wurde eine dreistöckige Wohneinheit entwickelt. Die Bewohner dieser Einheit sowie die der Maisonettes in den Obergeschossen verfügen jeweils über eine Dachterrasse. Tsukada will mit ihrem Entwurf vor allem ein von Nachbarn und Umgebung möglichst ungestörtes Wohnumfeld garantieren. Auch die individuellen Treppenanlagen in den Zwischenräumen sind sauber abgegrenzt – dennoch erlauben gerade jene zwischen zwei Parteien aufgeteilten Bereiche durch ihre Offenheit die Kontaktaufnahme zwischen den Bewohnern. Mit der Wahl der „Beständigkeit“ als prägendes Motiv stellt sie mit „Shakujii Pleats“ zudem einen Kontrast zu den recht unsolide gebauten – und damit besonders abrissgefährdeten – Gebäuden der Umgebung her.

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Applause Azabu SALHAUS | Tokio 2012

442,5 m² Geschossfläche 8 Einheiten 20–42 m² Wohnfläche je Einheit je 1–2 Nutzer (u. a. Selbständige) Gebäude werden in Japan grundsätzlich eher abgerissen als umgebaut. Doch Bauen im Bestand gewinnt langsam an Bedeutung: etwa im Wohnungsbau, wenn monotone Zeugnisse der wirtschaftlichen Boomjahre in zeitgemäße Stadtbausteine verwandelt werden.

01 Die reliefartige Keramikfassade sorgt für Lichtund Schattenspiele, die die Außenhaut beleben. 02 Aufgrund des aktuellen japanischen Baurechts hätte bei einem Neubau weniger Nutzfläche verwirklicht werden können – wodurch der Bestand vor dem Abriss verschont blieb.

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Fünf Geschosse, braune Keramikfassade zur Straße, strenges Fassadenraster: Das Gebäude aus dem Jahr 1978 ist ein typisches Beispiel für die Mietwohnbauten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Boomjahren der japanischen Wirtschaft entstanden. An seinem zentralen Standort in Azabujūban im Tokioter Stadtteil Minato hatte der Bau seine Daseinsberechtigung eigentlich längst verloren. In der Regel bestehen die Besitzer in solchen Fällen auf einen Abriss, um Platz für neue, rentable Wohnungen zu schaffen. Doch auch in Japan gibt es so etwas wie Bestandsschutz: Ein Neubau, der gemäß heutiger Verordnungen gebaut werden würde, könnte nur mit deutlich weniger vermietbarer Fläche aufwarten. Die Architekten entkernten daher den Bau, ergänzten ihn um einen Aufzug und erneuerten die Fassaden. Zur Straße hin zeigt sich das Haus nun mit einem völlig neuen Gesicht. Dem Bau wurde eine Lageplan, M 1:2500

4. Obergeschoss Bestand

1.-3. Obergeschoss Bestand

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Erdgeschoss Bestand, M 1:500

4. Obergeschoss

2.–3. Obergeschoss

1. Obergeschoss

Erdgeschoss, M 1:500

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03 Vor dem Umbau: Die Nutzung des Gebäudes und die Zusammengehörigkeit der Räume lassen sich deutlich ablesen. 04 Nach dem Umbau: Die neue Fassade ist abwechslungsreich gegliedert und lässt offen, was sich in dem Gebäude verbirgt. 05 Helle Keramik-Ele­ mente und Fliesen lassen schon den Eingangsbereich wohnlich wirken.

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Schnitt, M 1:250

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07 06 Die Unterzüge wurden überall im rohen Zustand belassen; sie stehen im Kontrast zu den erneuerten Oberflächen. 07 SOHO nennen sich in Japan Wohnungen mit integriertem Heimarbeitsplatz – im „Applause Azabu“ ist dieser Wohnungstyp im westlichen Teil des Gebäudes angeordnet (zweites bis viertes Obergeschoss).

Stahlbetonwand vorgeblendet, die wie ein Passepartout wirkt. Den Balkonen verleiht die neue Front Tiefe, die Fensteröffnungen wurden über Eck fortgeführt. Als Bekleidung dienen kleine quadratische Keramikelemente, die reliefartig angeordnet wurden und die Fassade dadurch strukturieren. Die beiden Seitenfassaden aus Stahlbeton blieben erhalten und wurden mit einer wasserabweisenden Farbe dunkel gestrichen. Im Inneren finden sich nach dem Umbau drei verschiedene Grundrisstypen: drei Standardeinheiten mit zwei Zimmern, Küche und Bad, zwei Studios mit kombiniertem Wohn-/Schlafbereich und drei Wohneinheiten mit kleinem Büroraum (SOHO). Damit reagieren die Planer auf den – auch in Japan – gestiegenen Bedarf an Wohnungen für Heimarbeiter und Selbständige. Die Ladenfläche, die schon im Bestand zu finden war, wurde ebenso beibehalten wie die gemeinsam genutzte Dachterrasse im obersten Geschoss. Das Innere der Wohnungen prägen nun Eichenparkett sowie verschiedene andere Einbauten aus Holz. Dass es sich um ein Bestandsgebäude handelt, lässt sich auch hier noch ablesen: Die Architekten verzichteten darauf, die freigelegten Unterzüge erneut zu bekleiden. Da diese ursprünglich nicht zur Ansicht bestimmt waren, ist der Beton fleckig und rau – die hochwertig sanierten Wohnungen wirken durch diesen Kontrast wie Lofts in ehemaligen Industriebauten. 145

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Static Quarry IKIMONO ARCHITECTS | Takasaki 2011

554 m² Geschossfläche 8 Einheiten 40–70 m² Wohnfläche je Einheit je 1–4 Nutzer Ein meditativer Innenhof reguliert den Abstand zwischen den Wohneinheiten. Terrassen, Balkone und Dachgärten erlauben es den Bewohnern, sich drinnen wie draußen häuslich einzurichten.

01 Fast alle ­Öffnungen orientieren sich zum gemeinsamen Innenhof hin. 02 Von außen wirkt der Baukörper, als hätte man aus einem massiven Block in unregelmäßigen Abständen Quader herausgeschnitten.

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03

Ein ruhiger Garten im Zentrum: Die als Reihenhäuser gestalteten Wohneinheiten des „Static Quarry“ in Takasaki in der Präfektur Gunma sind um einen Innenhof gruppiert. Kies und Felsen erinnern an die Steingärten des Zen-Buddhismus – wären da nicht die in an­­ gemessenem Abstand angeordneten, hochstrebenden Bambus­ stauden, die den Außenraum beleben.

Lageplan, M 1:5000

Für den Architekten Takashi Fujinō steht jedoch nicht der Garten, sondern das Thema Nachbarschaft im Mittelpunkt des Entwurfs. Seine Reihenhaussiedlung soll als kleine Stadt funktionieren,

03 Die Dachterrasse erreichen die Bewohner von ihren Balkonen aus über eine ein­ fache Kletterkonstruktion aus Haltegriffen. 04 Blick in die nordöstliche Eckwohnung, erstes Obergeschoss: Links führen zwei Stufen auf den Balkon, rechts befindet sich in einer Box das Badezimmer. 04 148

Dachaufsicht

Schnitt, M 1:250

in der jeder die ihm gemäße Balance aus Privatheit und gesellschaftlicher Einbindung finden kann. Hintergrund ist unter anderem die stetig wachsende Zahl an Single-Haushalten in Japan, die dafür sorgt, dass der Alltag des Einzelnen von Extremen geprägt ist: In der eigenen Wohnung ist man von der Außenwelt in der Regel maximal abgeschottet, im städtischen Raum hingegen von einer Masse unbekannter Menschen umgeben.

1. Obergeschoss

Der Architekt vergleicht den Baukörper, der die acht Reihenhäuser zusammenfasst, mit einem Steinbruch, da die Leerräume der aus hellem Sichtbeton geschaffenen Anlage wirken, als seien sie aus dem Volumen herausgeschnitten. Fast alle Fenster orientieren sich nach innen, zum gemeinsamen Innenhof hin. Knirschender Kiesbelag und eine karge Gestaltung laden dort nicht unbedingt zum Aufenthalt ein – der Garten dient vielmehr als eine Art neutraler „Abstandshalter“ zwischen den Wohneinheiten. Die Nachbarn sollen sich gegenseitig nicht als Störung, sondern als willkommenes Umfeld wahrnehmen: Mit der Art, wie sie ihre Terrassen und Loggien gestalten und nutzen, präsentieren sie sich in ihrer Individualität den anderen gegenüber. Durch die großen Öffnungen im Erdgeschoss können sogar Passanten einen Blick in den Innenhof erhaschen. Die Bewohner der Reihenhäuser verfügen in jedem Geschoss über eine private Außenfläche: Im Erdgeschoss gibt es einen Stellplatz, der auch als Werkraum genutzt werden kann, im ersten Obergeschoss eine Loggia und ganz oben eine Dachterrasse. Der weiße Beton bildet den ruhigen, neutralen Hintergrund für das Wohnen, das sich hier im Innen- und Außenraum abspielt.

Erdgeschoss, M 1:500

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Apartment in Kamitakada Takeshi Yamagata Architects | Tokio 2008

381 m² Geschossfläche 9 Einheiten 30–60 m² Wohnfläche je Einheit je 1–2 Nutzer Ein Ensemble aus vier Baukörpern greift den kleinteiligen Maßstab der Umgebung auf. Im Erdgeschoss treten durch die Kombination von zwei Gliederungsprinzipien Außen- und Innenraum in ein enges Verhältnis.

01 Geschosshohe weiße Zäune grenzen die privaten Freiräume der Bewohner von den gemeinschaftlich genutzten Flächen ab. 02 Die Punkthäuser des Ensembles greifen die kleinteilige Struktur der Umgebung auf.

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Lageplan, M 1:3000

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Erdgeschoss, 1. Obergeschoss, M 1:500

03 Jede Einheit wird über einen separaten Eingang erschlossen – oft dienen dabei eine Treppe oder ein privater Garten als Vorbereich.

Auf den Standort in einem von Einfamilienhäusern geprägten Gebiet im Tokioter Stadtteil Setagaya reagierten die Architekten mit einer kleinteiligen Lösung: Statt eines einzelnen großen Volumens verwirklichten sie vier Baukörper, denen sie neun Wohneinheiten mit jeweils separatem Zugang einschrieben. Dabei werden fünf der Mieteinheiten von der Straße aus erschlossen, vier weitere von einem halböffentlichen Bereich, der sich s-förmig über das Grundstück schlängelt. Die einzelnen Baukörper sind jeweils zwei bis vier Geschosse hoch und sitzen leicht versetzt auf dem Grundstück. Eine Besonderheit stellt die Gestaltung des Erdgeschosses dar, bei dem Yamagata 153

Schnitte, M 1:500

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04 Im Erdgeschoss bilden die Innenwände die Fortsetzung der geschwungenen Zäune und schaffen dadurch neue Raumzusammenhänge (abgebildete Wohneinheit im Plan hellgrün). 05 Transparente Gänge verbinden im Erdgeschoss die auf verschiedene Baukörper aufgeteilten Räume (abgebildete Wohneinheit im Plan hellblau).

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als zusätzliches Gliederungselement Zäune einführt, die geschwungenen Linien folgen. Mit ihnen wird jeder Erdgeschosswohnung ein privater Außenbereich zugeordnet. Im Inneren setzen sich diese Linien als Trockenbauwände fort, sodass der Eindruck entsteht, die Zäune würden die Außenwände der Boxen durchdringen. Es entstehen Wohnungen, die über die geschwungenen Innenwände hinaus sehr unkonventionell geschnitten sind: Einige Ein­heiten erstrecken sich über Korridore gar bis in das nächste Volumen. Im Kontrast zu den Obergeschossen, die mit etwas weniger spektakulären, loftartigen Wohnungen und Maisonettes aufwarten, ist das Erdgeschoss zum Außenraum hin auch sehr transparent gehalten und erhält nur durch die Streckmetallzäune etwas Sichtschutz. Baukörper und Zaunanlage sind durch horizontale Auskreuzungen zwischen Erdgeschoss und erstem Obergeschoss verbunden, damit die gesamte Struktur im Fall eines Erdbebens stabilisiert ist. Die beiden Maisonette-Wohnungen, die sich vom zweiten ins dritte Obergeschoss erstrecken, verfügen jeweils über eine großzügige Terrasse auf den Dächern der beiden niedrigeren Baukörper. Durch die Vielfalt der Grundrisse, die separaten Erschließungen und die räumlichen Verknüpfungen entstehen individuelle Wohnungen, die für Singles und junge Paare eine Alternative zum Leben im Einfamilienhaus bieten könnten. 155

+ NEW OFFICE / Kenji Seto, Sōjun Kondō Daisan-Hachiai Building 1F 534 Tsurumaki-chō, Waseda, Shinjuku-ku Tokyo, 162-0041 Phone +81-3-6380-3634 Fax +81-3-6380-3635 plusnewoffice.com

GO HASEGAWA & ASSOCIATES Gaien Building 5F 2-18-7 Jingumae, Shibuya-ku Tokyo, 150-0001 Phone +81-3-3403-0336 Fax +81-3-3403-0337 www.hsgwg.com

A STUDIO / Ayano Uchimura Yaraicho Terrace 101, Yaraicho 37, Shinjuku-ku Tokyo, 162-0805 Phone +81-3-5206-5524/+81-3-3266-9971 Fax +81-3-3266-9965 a-st.net

HIROSHI NAKAMURA & NAP ARCHITECTS 5-25-7-2F Komozawa, Setagaya-ku Tokyo, 154-0012 Phone +81-3-6805-4051 Fax +81-3-6805-4075 www.nakam.info

AKIHISA HIRATA ARCHITECTURE OFFICE NC-Bldg. 2F, 6-6-22 Minami-aoyama, Minato-ku Tokyo, 107-0062 Phone +81-3-3409-1455 Fax +81-3-3409-1458 www.hao.nu

HITOSHI WAKAMATSU ARCHITECTS & ASSOCIATES FW Bldg. 101, 7-16-3 Fukasawa, Setagaya-ku Tokyo, 158-0081 Phone +81-3-5706-0531 Fax +81-3-5706-0537 www.hwaa.jp

AKIYOSHI TAKAGI & ASSOCIATES 1711-1-103 Aritamaminami-machi Higashi-ku, Hamamatsu-shi Shizuoka, 431-3122 www.ataa.jp

IKIMONO ARCHITECTS / Takashi Fujino 323-1 Kaizawa-machi, Takasaki-shi Gunma, 370-0042 sites.google.com/site/ikimonokenchiku

BE-FUN DESIGN Tsuyoshi Shindo, Tsutomu Hasegawa Be-Fun Building, 5-56-4 Yoyogi, Shibuya-ku Tokyo, 151-0053 Phone +81-6423-2980 Fax +81-6423-2981 www.be-fun.com CAt / C+A TOKYO Kazuko Akamatsu, Kazuhiro Kojima 4F 1-20-5 Ebisu-nishi, Shibuya-ku Tokyo, 150-0021 Phone +81-3-5489-8264 Fax +81-3-5458-6117 www.c-and-a.co.jp 156

AKIRA KOYAMA + KEY OPERATION INC. / ARCHITECTS 4F Doors Bldg., 3-19-10 Takaban, Meguro-ku Tokyo, 152-0004 Phone +81-3-5724-0061 Fax +81-3-5724-0062 www.keyoperation.com KOMADA ARCHITECTS’ OFFICE Takeshi Komada, Yuka Komada Nishikasai apartments 401 7-29-10 Nishikasai , Edogawa-ku Tokyo, 134-0088 Phone +81-3-5679-1045 Fax +81-3-5679-1046 www.komada-archi.info

MAKIKO TSUKADA ARCHITECTS 6-12-15 Shimoshakujii, Nerima-ku Tokyo, 177-0042 Phone +81-3-5372 7584 Fax +81-3-5372 7862 makikotsukada-architects.jp

SALHAUS Masashi Hino, Mari Tochizawa, Motoki Yasuhara 1-4-1-606 Higashi, Shibuya-ku Tokyo, 150-0011 Phone / Fax +81-3-3498-4222 salhaus.com

MITSUHIKO SATŌ ARCHITECT & ASSOCIATES Satō Mitsuhiko 2-15-15-4F Takanawa, Minato-ku Tokyo, 108-0074 Phone: +81-3-5795-4052 Fax +81-3-5795-4053 www.msaa.jp

SHIGERU BAN ARCHITECTS / VOLUNTARY ARCHITECTS’ NETWORK (VAN) 5-2-4 Matsubara, Setagaya Tokyo, 156-0043 Phone +81-3-3324-6760 Fax +81-3-3324-6789 www.shigerubanarchitects.com

NAKAE ARCHITECTS / Yuji Nakae Karasawa Bldg 3F, 1-3-4 Momoi, Suginami-ku Tokyo, 167-0034 Phone +81-3-6913-5762 Fax +81-3-6913-5763 nakae-a.jp

SHINICHIRŌ IWATA ARCHITECT 3-1-1201, Toyo 2-chome, Koto-ku Tokyo, 135-0016 www.iwata-arch.com

OFFICE OF KUMIKO INUI / Kumiko Inui 3-57-6-303 Yoyogi, Shibuya-ku Tokyo, 151-0053 Phone +81-3-3303-2971 Fax +81-3-3373-2972 www.inuiuni.com OHNO JAPAN / Hiroshi Ohno Royal Mansion 304, 1-32-5 Uehara, Shibuya-ku Tokyo, 151-0064 Phone +81-3-5452-3180 Fax +81-3-5452-3181 www.ohno-japan.com ON DESIGN PARTNERS/ Osamu Nishida Utoku building No. 405 6-85 Benten street, Naka-ku, Yokohama Kanagawa, 231-0007 Phone +81-45-650-5836 Fax +81-45-650-5837 www.ondesign.co.jp

SOU FUJIMOTO ARCHITECTS Ichikawa Seihon building 6F 10-3 Higashienoki-cho, Shinjuku-ku Tokyo, 162-0807 Phone +81-3-3513-5401 Fax +81-3-3513-5402 www.sou-fujimoto.net SPATIAL DESIGN STUDIO / Satoko Shinohara Yaraicho Terrace 101, Yaraicho 37, Shinjuku-ku Tokyo, 162-0805 Phone +81-3-3266-9971 Fax +81-3-3266-9965 homepage2.nifty.com/sds TAKESHI YAMAGATA ARCHITECTS 2-3-2-3F Koenji-minami, Suginami-ku Tokyo, 166-0003 Phone +81-3-3313-4103 Fax +81-3-3313-4104 www.t-yamagata.jp

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Autoren Claudia Hildner Claudia Hildner wurde 1979 in München geboren und studierte an der TU Mün­ chen und an der Universität Tokio Architektur. Seit 2007 arbeitet sie als freie Architekturjournalistin und verfasste seitdem zahlreiche Beiträge für Fachpublikationen. Bis Ende 2009 war sie Redaktionsmitglied des e-Magazins der ­Webseite german-architects.com und bis 2012 Redakteurin der Architekturzeitschrift Metamorphose. Sie war an mehreren Büchern als Autorin und / oder Heraus­geberin beteiligt. Zuletzt erschien ihr Buch „Kleine Häuser. Zeitgenössische Japanische Wohn­bauten“ im Birkhäuser Verlag (2011). Der Publikation ging ein längerer ­Forschungsaufenthalt in Japan voraus. www.childner.de

Evelyn Schulz Evelyn Schulz ist Professorin für Japanologie an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Literatur und Kultur des modernen Japan. Ihre Forschungen widmen sich unter anderem dem dortigen urbanistischen Diskurs, wozu in jüngster Zeit Strategien der Entschleunigung und deren mediale Repräsentationen zählen.

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Bibliografie Arch+ 208, Tokio: Die Stadt bewohnen. Ausgabe 8/2012. Ashihara, Yoshinobu: The Hidden Order: Tokyo through the Twentieth Century. Tokio, 1989 (erstmals veröffentlicht unter dem Titel: Kakureta chitsujo: Nijūisseiki no toshi ni mukatte. Tokio, 1986). Atelier Bow-Wow: Behaviorology. New York, 2010. Brumann, Christoph, und Schulz, Evelyn: Urban Spaces in Japan: Cultural and Social Perspectives. London, 2012. Cybriwksy, Roman A.: Roppongi Crossing: The Demise of a Tokyo Nightclub District and the Reshaping of a Global City. Athens/Georgia, 2011. Enders, Siegfried RCT: Japanische Wohnformen und ihre Veränderung. Hamburg, 1979. Fujimoto, Sou: Primitive Future. Contemporary Architect’s Concept Series 1. Tokio, 2008. Godzik, Maren: Japan und der demografische Wandel. Leben und Wohnen in einer der am schnellsten alternden Gesellschaften der Welt; in: BAGSO-Nachrichten. Das Magazin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen, Ausgabe 2/2011. Hildner, Claudia: Kleine Häuser: Zeitgenössische Japanische Wohnbauten. Basel, 2011. Hisashige, Tetsunosuke: Nihon-ban surō shiti: Chiiki koyū no bunka, fūdo o ikasu machizukuri. Tokio, 2008. Hohn, Uta: Stadtplanung in Japan: Geschichte – Recht – Praxis – Theorie. Dortmund, 2000. JA The Japan Architect, Redefining Collectivity. Ausgabe 78/2010. Kitayama, Koh et al.: Tokyo Metabolizing. Tokio, 2010. Kurokawa, Kishō: Toshi kakumei: Kōyū kara kyōyū e. Tokio, 2006. Maak, Niklas: „Japonisiert euch!“, in: Frankfurter Allgemeine Sonn­ tagszeitung, Nr. 43 vom 25.10.2009. Morse, Samuel C.: Reinventing Tokyo: Japan’s Largest City in the Artistic Imagination. Amherst, 2012.

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Bildnachweis Cover: Ken’ichi Suzuki, Chiba S. 12, 23: Evelyn Schulz, München S. 14: Claudia Hildner, München S. 15, 34–39, 48–51: Iwan Baan, Amsterdam S. 16–17: bpk / Museum für Asiatische Kunst, SMB / Jürgen Liepe S. 18: Robert Andreas Drude, München S. 20: Utagawa Hiroshige (Ando) (Japanese, 1797-1858). Nihonbashi, Clearing After Snow, No. 1 in One Hundred Famous Views of Edo, 5th month of 1856. Woodblock print, Image: 13 3/8 x 8 3/4 in. (34 x 22.2 cm). Brooklyn Museum, Gift of Anna Ferris, 30.1478.1 S. 24: Mori Building Co., Ltd. S. 25: „Tokyo Urban Ring“ , Koh Kitayama Studio, Y-GSA / Yokohama Graduate School of Architecture, Yokohama National University S. 28–31, 32 unten, 33, 114–119: BE-FUN DESIGN, Tokio / Hiroyuki Hirai S. 32 oben: BE-FUN DESIGN, Tokio S. 40–43, 120–123, 134, 136–139: Ken’ichi Suzuki, Chiba S. 44–47: ON design partners, Yokohama / Kōichi Torimura S. 52–57, 124–129: Akihisa Hirata Architecture Office / Toshiyuki Yano

S. 58–63: Tarō Hirano, Tokio S. 64–69: Toshihiro Sobajima, Tokio S. 70–72, 98–103: Daici Ano, Tokio S. 74–79: KEY OPERATION INC./ARCHITECTS / Toshihiro Sobajima S. 80–83, 90–93: Ippei Shinzawa, Saitama S. 84–89: Hiro Sakaguchi, Tokio S. 94–97: Mitsuhiro Satō Architects & Associates, Tokio S. 104–109: Hiroshi Ueda, Tokio S. 110–113: Hiroyuki Hirai, Tokio S. 130–133: Mitsuhiro Satō Architects & Associates, Tokio / Hiroshi Ueda S. 137: Makiko Tsukada Architects, Tokio / Shinkenchiku-sha S. 140, 143 oben, 145: Toshiyuki Yano S. 141, 143 unten, 144: Makoto Yoshida, Tokio S. 142: SALHAUS, Tokio S. 146–149: IKIMONO ARCHITECTS, Takasaki / Takashi Fujino S. 150, 154: Takeshi Yamagata Architects, Tokio / Daici Ano S. 151: Takeshi Yamagata Architects, Tokio / Takeshi Yamagata S. 152, 155: Takeshi Yamagata Architects, Tokio / Shinkenchiku-sha

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Claudia Hildner Future Living, Gemeinschaftliches Wohnen in Japan Lektorat: Katharina Sommer Projektkoordination: Katharina Kulke Layout, Covergestaltung und Satz: Björn Maser, Stuttgart, www.minimalist.cn Druckvorstufe: Florian Höch, Stuttgart, www.hoech.net

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch ist auch in englischer Sprache erschienen (ISBN 978-3-03821-668-1). © 2014 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen von De Gruyter Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Germany ISBN 978-3-03821-627-8 9 8 7 6 5 4 3 2 1