Funktion, Stimme, Fiktion: Studien zu Konzeptionen kooperativer Autorschaft in frühgriechischer und klassischer Literatur 9783406801334, 9783406808883, 3406801331

In fundierter Auseinandersetzung mit dem aktuellen Medienwandel sowie der 'Rückkehr des Autors' in die Literat

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Funktion, Stimme, Fiktion: Studien zu Konzeptionen kooperativer Autorschaft in frühgriechischer und klassischer Literatur
 9783406801334, 9783406808883, 3406801331

Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Inhalt
Einleitung
1. Faszinosum Autorschaft
1.1 Tod des Autors 2.0?
1.2 Kooperative Autorschaft als kulturelle Performanz
2. Zur künstlerischen Darstellung von Autor- und Urheberschaft im archaischen und klassischen Griechenland
3. Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur
3.1 Autorfunktionen (‚Auteme‘) nach Harold Love
3.1.1 Präkursorische Autorschaft zwischen Inkorporation und Agon
3.1.2 Exekutive Autorschaft – performative Autorschaft?
3.1.3 Deklarative Autorschaft zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung
3.1.4 Revisorische Autorschaft: Textvarianz zwischen Interpolation und Auto(r)korrektur
3.2 Auteme im Spannungsfeld von Medialität, Praxis und Performanz
3.3 Autorfunktionen im Spektrum von auktorialer Autonomie und Heteronomie
3.4 Resümee
4. Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk
4.1 Vorbemerkungen zu textueller Autorpräsenz, -person und -identität
4.2 Autor vs. Erzähler in der frühgriechischen Literatur
4.3 Vier Typen der Modellierung von Autorstimmen im Werk
4.3.1 Muse, erzähle mir …: Inspiration als Modell kooperativer Autorschaft zwischen Anonymität und Allpräsenz
4.3.2 Ich bin Odysseus, Laertes’ Sohn …: Markierungen von Autorschaft in der archaischen Dichtung (8./7.-5. Jh.)
4.3.3 Dies schreibe ich, wie es mir wahr zu sein scheint …: Autorpräsenz zwischen Kompetenz und Überbietung in der frühen Prosa des 6./5. Jh
4.3.4 Platon jedoch, glaube ich, war krank …: virtuelle Autorabsenz und -kooperation bei Xenophon und Platon (4. Jh.)
4.4 Resümee
5. Autorfiktionen oder die diachrone Modellierung von Autorstimmen
5.1 Vorbemerkung zu Anonymität, Pseudonymität und Pseudepigraphie
5.2 Making the poet – becoming the poet: homerische Autorfunktion und -fiktion (spät-)archaisch-klassischer Zeit
5.3 Performanz- vs. authentizitätsbasierte Autorschaft oder: Die zögerliche Geburt des Autors
5.4 Resümee und Ausblick
6. Abkürzungen
7. Literaturverzeichnis
8. Index locorum
9. Index nominum et rerum
Zum Buch

Citation preview

Zum Buch Die vorliegende Untersuchung zielt auf eine Neudeutung des Phänomens literarischer Autorschaft in frühgriechischen und klassischen Texten. In fundierter Auseinandersetzung mit dem aktuellen Medienwandel sowie der ‚Rückkehr des Autors‘ in die Literaturwissenschaft analysiert Markus Hafner grundlegende Typen und Darstellungsweisen auktorialer Praktiken vom homerischen Epos bis zur Prosa des 4. Jh. v. Chr. Autorschaft lässt sich dabei als kooperative Aktivität und als Zusammenspiel verschiedener Akteure und Faktoren beschreiben. Die Studie möchte insgesamt nicht nur ein zur neuphilologischen Diskussion bestehendes Theoriegefälle begradigen; vielmehr kommt gerade der altphilologischen Forschung auch eine Sonderrolle bei der Analyse von Autorschaftsmodellen zu, führten doch mediengeschichtlich bedeutende Umwälzungen – der Wandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit (8./7. Jh.) und später zur Buchkultur (5./4. Jh.) – zu weitreichenden Veränderungen von Autorkonzeptionen.

Über den Autor Markus Hafner studierte Klassische Philologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften an der LMU München und der Universität Athen. In München wurde er 2016 mit einer Arbeit zum kaiserzeitlichen Autor Lukian von Samosata promoviert. Nach Lehr- und Forschungstätigkeiten an der Universität Heidelberg und der Humboldt-Universität zu Berlin war er 2018/2019 HumboldtStipendiat an der University of North Carolina in Chapel Hill. Seit 2020 ist er als Assistenzprofessor, seit 2022 als Privatdozent für Klassische Philologie mit Schwerpunkt Gräzistik an der Karl-Franzens-Universität Graz tätig. Zu seinen Forschungsgebieten zählen die Bildungskultur der Kaiserzeit, die Geschichte der Klassischen Philologie im 20. Jahrhundert sowie Autorschaftskonzeptionen der frühgriechischen und klassischen Literatur.

Funktion, Stimme, Fiktion Studien zu Konzeptionen kooperativer Autorschaft in frühgriechischer und klassischer Literatur

von MARKUS HAFNER

VERLAG C. H. BECK MÜNCHEN

Für Martin Hose

Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Verlag C.H.Beck oHG, München 2023 www.chbeck.de Satz: Markus Hafner ISBN Buch 978 3 406 80133 4 ISBN eBook (PDF) 978 3 406 80888 3

Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.

Vorwort

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VORWORT Zu Beginn der vorliegenden Studie zunächst eine Rückschau und Reminiszenz: Mein herzlichster Dank gilt meinem Lehrer Martin Hose, der meine Beschäftigung mit dem Thema der Autorschaft in der griechischen Literatur angeregt und über viele Jahre als wichtiger Ansprechpartner in den unterschiedlichsten Fragen fungiert hat. Mein Blick auf das Thema wurde danach in zahlreichen Gesprächen weiter geschärft, besonders mit Jonas Grethlein während meiner Heidelberger Vertretungszeit. Ihm wie auch den Teilnehmenden am Heidelberger ForschungsKolloquium danke ich für die stets intensiven und anregenden Diskussionen. Das Projekt konnte ferner durch die großzügige Förderung vonseiten der Alexander von Humboldt-Stiftung und die Gewährung eines Feodor Lynen-Stipendiums, darüber hinaus durch ein ebenso generöses William H. Calder III Fellowship profitieren, wodurch ich mich für mehrere Monate nicht nur völlig der Forschung widmen, sondern diese auch in einer inspirierenden akademischen Atmosphäre durchführen konnte. Entsprechend sei meiner Gastgeberin an der University of North Carolina at Chapel Hill, Emily Baragwanath, sowie den dortigen Kolleginnen und Kollegen am Department of Classics für ihren Enthusiasmus, ihr Interesse sowie die vielen hilfreichen Anregungen gedankt. In den USA konnte ich von zahlreichen weiteren Gesprächen profitieren, besonders mit Egbert Bakker, Irene Peirano Garrison, Barbara Graziosi, Christopher Londa, Jackie Murray, Bill Race sowie Patricia Rosenmeyer. Meiner Kollegin Ursula Gärtner wie auch den anderen Kolleginnen und Kollegen des Grazer Instituts für Antike sowie aus der Geisteswissenschaftlichen Fakultät sei für ihre warmherzige Aufnahme, die vielen konstruktiven Gespräche und Hilfestellungen gedankt, die mein Ankommen in Graz trotz der pandemischen Situation deutlich erleichtert haben. Weiteren Dank für gewinnbringende Hinweise und Anmerkungen schulde ich Ingo Berensmeyer, Therese Fuhrer, Jakob Gehlen, Solmeng-Jonas Hirschi, Markus Janka, André Lardinois, Christiane Reitz, Lea Watzinger und den Teilnehmenden und Mitdiskutierenden im Rahmen verschiedener Kolloquien, Tagungen und Vorträge in Bari, Berlin, Cambridge, Chapel Hill (NC), Frankfurt, Graz, Heidelberg, Leipzig, Lexington (KY), Ljubljana, Lincoln (NE), München, Notre Dame (IN), Trier, Warwick und Yale (CT). Die internationalen GutachterInnen haben mit großem Engagement und hilfreichen Anmerkungen die Habilitationsschrift gelesen und kommentiert, die im Jahr 2021 an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der KarlFranzens-Universität Graz eingereicht wurde und aus der nach wenigen Umänderungen das vorliegende Buch entstanden ist. Schließlich sei den ZETEMATA-Herausgebern für die freundliche Aufnahme der Studie in ihre Schriftenreihe sowie für ihre weiterführenden Anregungen gedankt. Für die herstellerische Betreuung schulde ich Heiko Hortsch vom Verlag C. H. Beck herzlichen Dank. Was ich

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Vorwort

meinen Freunden und meiner Familie für ihre jahrelange Unterstützung und ihre Geduld verdanke, lässt sich hingegen nicht in Worte fassen. Das vorliegende Buch ist somit selbst in gewisser Hinsicht ein Ergebnis kooperativer Autorschaft, wenn ich an all die hilfreichen Hinweise zurückdenke, die ich während der jahrelangen Arbeit an meinem Projekt erhalten habe. Dies kann und soll jedoch den deklarativen Autor, der im Titel des Buchs erscheint, nicht aus der Verantwortung nehmen für mögliche Lapsus – diese sind vielmehr ihm allein zuzuschreiben. Graz, im März 2022

Markus Hafner

Inhalt

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INHALT Einleitung ............................................................................................................... 10 1. Faszinosum Autorschaft...................................................................................... 17 1.1 Tod des Autors 2.0? ...................................................................................... 19 1.2 Kooperative Autorschaft als kulturelle Performanz ...................................... 27 2. Zur künstlerischen Darstellung von Autor- und Urheberschaft im archaischen und klassischen Griechenland ............................................................................. 31 3. Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur ..................................................................................... 40 3.1 Autorfunktionen (‚Auteme‘) nach Harold Love ........................................... 41 3.1.1 Präkursorische Autorschaft zwischen Inkorporation und Agon ............. 45 3.1.2 Exekutive Autorschaft – performative Autorschaft? .............................. 59 3.1.3 Deklarative Autorschaft zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung ...... 78 3.1.4 Revisorische Autorschaft: Textvarianz zwischen Interpolation und Auto(r)korrektur ......................................................................................... 87 3.2 Auteme im Spannungsfeld von Medialität, Praxis und Performanz ........... 100 3.3 Autorfunktionen im Spektrum von auktorialer Autonomie und Heteronomie ................................................................................................. 113 3.4 Resümee...................................................................................................... 119 4. Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk .................. 121 4.1 Vorbemerkungen zu textueller Autorpräsenz, -person und -identität .......... 125 4.2 Autor vs. Erzähler in der frühgriechischen Literatur .................................. 132 4.3 Vier Typen der Modellierung von Autorstimmen im Werk ......................... 136 4.3.1 Muse, erzähle mir …: Inspiration als Modell kooperativer Autorschaft zwischen Anonymität und Allpräsenz ....................................................... 138 4.3.2 Ich bin Odysseus, Laertes’ Sohn …: Markierungen von Autorschaft in der archaischen Dichtung (8./7.-5. Jh.) ..................................................... 153 4.3.3 Dies schreibe ich, wie es mir wahr zu sein scheint …: Autorpräsenz zwischen Kompetenz und Überbietung in der frühen Prosa des 6./5. Jh. ............................................................................................... 176 4.3.4 Platon jedoch, glaube ich, war krank …: virtuelle Autorabsenz und -kooperation bei Xenophon und Platon (4. Jh.) ........................................ 202 4.4 Resümee...................................................................................................... 235

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Inhalt

5. Autorfiktionen oder die diachrone Modellierung von Autorstimmen ............... 240 5.1 Vorbemerkung zu Anonymität, Pseudonymität und Pseudepigraphie ........ 240 5.2 Making the poet – becoming the poet: homerische Autorfunktion und -fiktion (spät-)archaisch-klassischer Zeit ...................................................... 251 5.3 Performanz- vs. authentizitätsbasierte Autorschaft oder: Die zögerliche Geburt des Autors ......................................................................................... 270 5.4 Resümee und Ausblick ............................................................................... 282 6. Abkürzungen .................................................................................................... 286 7. Literaturverzeichnis .......................................................................................... 287 8. Index locorum ................................................................................................... 314 9. Index nominum et rerum ................................................................................... 316

Einleitung

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“Debates about authenticity and authorship have a perennial charm…” R. Syme, Controversy Abating and Credulity Curbed?, London Review of Books 2/17, 1980, 15-17, hier: 15 „A u t o r s c h a f t hat zwar mit dem vorigen Worte [Autorität] einerlei Abstammung, wird aber gewöhnlich in einem beschränktern Sinne genommen, nämlich in Bezug auf schriftliche Werke. Man denkt also dabei nur an die l i t e r a r i s c h e A u t o rs c h a f t , die aber oft sehr zweifelhaft ist, weil man entweder den wirklichen Verfasser eines solchen Werkes gar nicht kennt (wie es bei vielen Schriften, welche P y t h a g o r a s , P l a t o , A r i s t o t e l e s , P l u t a r c h , C i c e r o , S e n e c a u. a. verfasst haben sollen, aber gewiß nicht verfasst haben, der Fall ist) oder weil, wenn Mehre die Autorschaft zugleich ansprechen, man nicht weiß, ob nur Einer allein als A u t o r oder zwei, drei etc. als C o a u t o r e n daran Theil haben. [...] Bei Co m p i l a t i o n e n und P l a g i a t e n […] kann die Coautorschaft sehr vielfach sein und fast in’s Unendliche gehn, wenn ein Compilator oder Plagiarius den anderen ausschreibt.“ W. T. Krug (Hg.), Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften nebst ihrer Literatur und Geschichte, Bd. 5/1, Leipzig 1838, hier: 131f. (Hervorhebungen im Original)

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Einleitung

EINLEITUNG Die vorliegende Studie will durch die Kombination dreier Perspektiven – Funktion, Stimme, Fiktion – ein neues Verständnis der Phänomene ‚Autor‘ und ‚Autorschaft‘ im Bereich der archaischen wie klassischen griechischen Literatur ermöglichen. Entsprechend werden anhand der Verbindung systematischer wie historisch-diachroner Perspektiven auf das Phänomen der Autorschaft die Selbstentwürfe im Bereich der literarischen Poiesis griechischer Archaik und Klassik (8./7. bis 4. Jh. v. Chr.) neu beschrieben.1 Die Erschließung von Autorfunktionen, -stimmen und -fiktionen erscheint dabei als ein zukunftsträchtiges Forschungsfeld für die Deutung antiker Texte. Die Verbindung dreier unterschiedlicher Perspektiven – in den Kapiteln 3, 4 und 5 – beschreibt die untersuchten Texte vor dem Hintergrund von Autoren-Relationen, und will ein neues Verständnis der Phänomene ‚Autor‘ und ‚Autorschaft‘ im Bereich archaischer wie klassischer griechischer Literatur zu Tage fördern. In Kapitel 1 wird einleitend problematisiert, welchen Herausforderungen traditionelle Autorschaftskonzeptionen, vor allem unter dem Einfluss der sogenannten Neuen Medien, gegenüberstehen und welche Modelle in einer Zeit, in der geradezu ein ‚Tod des Autors 2.0‘ pro- bzw. diagnostiziert wird, Relevanz für eine Beschreibung antiker Autorschaftskonzeptionen beanspruchen können. Es erscheint es für den untersuchten Zeitraum plausibel, von einem Modell ‚kooperativer Autorschaft‘ auszugehen und damit den Entstehungs- und Verbreitungsprozess von Werken in eine Reihe verbundener Aktivitäten zu untergliedern, die von jeweils einem oder auch mehreren Akteuren gleichzeitig oder nacheinander ausgeübt wurden. ___________________________

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Aufgrund dieser zeitlichen wie thematischen Beschränkung der Untersuchung können Autorschaftstypen und -konzepte der späteren griechisch-römischen Antike, die sich etwa mit den lateinischen Bezeichnungen auctor, poeta (vates/faber/doctus etc.) verbinden, nicht berücksichtigt werden; allein die Formen gemeinsamen Dichtens im Rahmen literarischer Zirkel seit dem Hellenismus (vgl. Cat. c. 50 mit Licinius Calvus) oder die Rezitations- und Übersetzungskultur römischer Zeit würden jeweils eigene Abhandlungen erfordern. Dennoch lässt sich bereits für den Zeitraum 8./7. bis 4. Jh. eine enorme Vielfalt und ein starker Wandel verschiedenster Autorschaftskonzeptionen feststellen. So verwandelt sich etwa ‚Homer‘ je nach Zeitstellung und Rezeptionskontext von einem anonymen zu einem namentlich bekannten Sänger und später sogar zu einem schreibenden Autor (Kap. 3.1.1 und 5.2); eine große Vielfalt an Autorfunktionen bietet beispielsweise auch der Bereich der Logographie (Kap. 3.1.2 und 3.2). Bis zum Ende des 4. Jh. scheint dann ein repräsentatives Spektrum an Autorfunktionen und Formen der Autormodellierung etabliert zu sein, das für die spätere Literatur der Antike grundlegende auktoriale Gestaltungsmuster bieten konnte; dies plausibilisiert eine Eingrenzung des Materials auf den hier gewählten Zeitraum.

Einleitung

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In Kapitel 2 wendet sich der Blick auf die Antike. Da Autorschaft selbst in Zeiten externer Sicherung, selbst noch in der hellenistischen Zeit, prinzipiell kooperativ verfasst war und die Autorzuweisung somit ein steter Gegenstand von Kontroversen blieb, stellt sich hinführend auf die Themen des Buchs die Frage, wie antike Produzenten literarischer und auch bildnerischer Artefakte, und damit Künstler generell, Urheberschaft über ihre Produkte in Schrift oder Bild zu deklarieren suchten. So widmet sich das Kapitel der Frage, wie die Produzenten von Artefakten die Urheberschaft über ihre literarischen oder bildnerischen Werke markierten. Wie ließ sich mit Blick auf die kooperativen Produktions-Mechanismen literarischer wie künstlerischer Werkstätten Autorschaft markieren, und wie konnte den jeweiligen Produzenten Verantwortung für ihre Objekte zugewiesen werden? Nachgezeichnet werden entsprechend in Vorgriff auf die späteren Kapitel der Studie die spezifischen autographischen Darstellungsformen und -möglichkeiten antiker Künstler in ihren Werken, ferner die Konvergenzen frühgriechischer wie klassischer Urheber-Signaturen in literarischen sowie bildnerischen Werken. Kapitel 3 analysiert vier Autorfunktionen (‚Auteme‘), die auf theoretische Vorarbeiten Michel Foucaults und eine dessen fonction-auteur auffächernde Typologie Harold Loves2 zurückgehen: Da Autorschaft in der gesamten Antike und speziell im archaischen und klassischen Griechenland als kooperative Praxis fassbar ist, lohnt es sich, die Ausformungen entsprechender Praktiken in den Texten – mit gezieltem Blick darauf, wie Textproduktion und Autorschaft darin dokumentiert werden – auf dieser theoretischen Basis differenziert zu betrachten. Alle Auteme sind angesiedelt im kulturellen Spannungsfeld von Medialität, Praxis und Performanz sowie insgesamt innerhalb des polaren Spektrums auktorialer Fremd- bzw. Selbstbestimmung (Kap. 3.3):3 Es gilt zu beachten, dass primär mediale Herausforderungen und Möglichkeiten – besonders der Wandel zur Schriftlichkeit und zur Buchkultur – unterschiedliche Formen auktorialer Praktiken sowie des Selbstverständnisses von Werk-Produzenten prägten. Während Kapitel 3 aus dem Blickwinkel der Auteme kooperative Autorschaft von Werken im Rahmen ihrer Produktion beschreibt, widmet sich der nächste Abschnitt, Kapitel 4, der Geschichte ästhetischer Modellierungen kooperativer Autorschaft innerhalb exemplarischer Werke der griechischen Archaik und Klassik, wodurch eine Autorpoietik4 oder Autographie5 der Autorschaft in der griechischen Literatur nachgezeichnet wird: Entsprechend werden in Kapitel 4 ausgewählte ___________________________

2 FOUCAULT (1969/2000), LOVE (2002). 3 Hierzu BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012). 4 Der Begriff umfasst im Folgenden die verschiedenen Möglichkeiten, Urheberschaft über ein Werk vermittels der werkinternen Einfügung eines bestimmten Autorwissens, vermittels der Etablierung einer bestimmten Autorstimme oder -Figur oder aber – dies werkintern oder auch werkextern – vermittels eines individuellen Urhebernamens zu markieren, um einem künftigen Verlust von Autorwissen entgegenzuwirken. 5 Der Begriff deutet gegenüber Autorpoietik stricto sensu auf werkinterne Markierungen von Verfasserschaft, ein auktoriales ‚Sich-Einschreiben‘ in ein bestimmtes Werk.

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Einleitung

Schlaglichter auf die ästhetische Modellierung auktorialer Präsenz ebenso synergetisch wie agonal agierender Autorstimmen in archaischen wie klassischen Texten, sowohl im Bereich der Dichtung als auch demjenigen der Prosa, geworfen. ‚Stimme‘ verweist dabei auf die im Text konstruierte und wahrnehmbare Identität und ästhetische Markierung auktorialer Präsenz, durch die eine raumzeitlich entfernte Rezeption kontrolliert und zu einem gewissen Grad die Autonomie des Autors innerhalb des kulturellen Netzwerks auktorialer Aktivitäten und Akteure abgesichert wurde. Damit sind werkinterne Autorstimmen komplexer strukturiert im Vergleich zum Autem der bloßen Zuweisung eines Werks an einen einzelnen Autor(namen) in Form von Eigen- oder Fremdsignatur. Zugleich unterliegen Autorstimmen verschiedenen Veränderungen: Die Typen auktorialer Modellierung in den Werken archaischer und klassischer Literatur können teils als Antworten, teils als kreative Loslösungen von kulturellen und medialen Determinanten verstanden werden. So tritt gegenüber einer Polyphonie auktorialer Stimmen, die sich in vielen Werken feststellen lässt, die Darstellung einzelner, dominierender Textstimmen im Sinne eines Gegendiskurses zu Tage: Die Zentralisierung und Heroisierung des einen Autors, deren Ausprägung in Texten ab dem 6. Jh. spürbar wird und bis ins 4. Jh. graduell zunimmt – ehe Autorschaft soweit medial abgesichert erscheint, dass ein ‚Rückzug‘ des Autors aus dem Werk möglich wird –, ist als Widerstand gegen die Aufgliederung von Autorfunktionen verstehbar.6 Ursprünglich war der Vortrag des archaischen Sängers durch dessen Tätigkeit und Realpräsenz am Ort der Darbietung markiert: Durch eine erweiterte Rezeption ergab sich jedoch die Notwendigkeit sowie die mit der Schriftform verbundene mediale Möglichkeit, die Dichter-Stimme im panhellenisch zirkulierenden Text zu vermitteln und den Schöpfer (ποιητής) in seinem Produkt, dem Werk oder Gedicht (ποίημα), präsent zu machen.7 Ausgehend von der in der Antike herrschenden ‚Autor-Zentrierung‘ nimmt die vorliegende Untersuchung frühgriechisch-klassischer Autorschaft statt der narratologischen Konzeption des vom ‚realen‘ Autor abgrenzbaren Erzählers entsprechend das Modell werkinterner Autor- oder Verfasserstimmen in den Blick.8 Die Rede wird also vom ‚Autor‘, nicht vom ‚Erzähler‘ ___________________________

6 Laut einer auch auf vormoderne Gegebenheiten zutreffenden Feststellung bei FOUCAULT (1969/2000) 228 erlaubt die ‚regulatorische‘ Zuweisung individueller Autorschaft „eine Limitierung der krebsartigen und gefährlichen Vermehrung der Bedeutungen in einer Welt, in der man nicht nur mit seinen Ressourcen und Reichtümern sparsam ist, sondern auch mit seinen Diskursen und ihren Bedeutungen. Der Autor ist das Prinzip der Sparsamkeit in der Vermehrung von Bedeutung.“ Zur Kehrseite dieser ambivalenten Monopolisierung im Sinne der Unterdrückung kooperativer Autorschaft dagegen TAYLOR (2017) 26: “all tyranny begins in the simple refusal to acknowledge that there is more than one kind of human.” 7 Vgl. HOSE (2016b) Sp. 1173 und die Beiträge bei BAKKER (2017) und SLATER (2017). 8 Performanzmodelle müssen nicht notwendigerweise die operativen Erkenntnisse der Erzähltheorie ausblenden: zu einer Narratologie der Performanz BAKKER (2009).

Einleitung

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sein. 9 Da antike Autoren ferner als universelle Zuschreibungsinstanzen literarischer Produktion und kommunikativer Akte galten,10 wird darüber hinaus die auktoriale Funktion des ‚Schreibers‘ – als des technischen Verfertigers – in eine umfassendere Autor-Konzeption eingeordnet.11 Über die Modellierung einer Stimme blieben Autoren in ihren reisenden, panhellenisch rezipierten Werken als Urheber und Garanten des darin vermittelten Wissens wahrnehmbar. Da Formen von Autorpräsenz (oder -absenz) mit dem ‚Sitz im Leben‘ und dem variablen kulturellen Werkkontext, besonders medialen Möglichkeiten und Herausforderungen, in Wechselbeziehung stehen, bietet erst die Verschränkung systematischer mit diachronen Perspektiven einen angemessenen Blick auf das Phänomen der Autorschaft im archaischen und klassischen Griechenland.12 Entsprechend soll im ersten von vier Unterkapiteln des vierten Kapitels (4.3.1)13 die früheste Form von Autorschaft in der Archaik, die dichterische Inspiration des (avant la lettre gesprochen) poeta vates als hybride Kooperation von Muse und Sänger bei Homer und in anderen frühgriechischen Werken, die ein Inspirationsmodell aufweisen, in den Blick genommen werden. Der Autortyp des sich durch göttliche Inspiration autorisierenden Sängers und ‚Musen-Propheten‘ in Epos und Lyrik kann als Antwort auf das Problem verstanden werden, das sich mit dem anonymen Sänger, dem Präzedenzfall des darbietenden Autors, verbindet. Das Motiv göttlicher Inspiration ist als eine Veräußerlichung kreativer Prozesse und der Genese von Poesie beschreibbar – gegenüber dem autonomeren poeta faber späterer Werke, in denen Schaffensprozesse meist an eine konturiertere Autorstimme rückgebunden werden.

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Ausführlich hierzu Kap. 4.2. Zum Erzähler in der archaischen (und hellenistischen) Lyrik A. D. MORRISON (2007). 10 Einen Überblick bietet TILG (2019); vgl. GRETHLEIN (2021). Ferner BERENSMEYER (2001) 120. 11 Exekutive Autorschaft wird in Kap. 3.1.2 lediglich als eine Autorfunktion behandelt. 12 Die vier Unterkapitel widmen sich der Kooperation von Muse und epischer Autorstimme (Inspirationsmodell: 4.3.1), den Darstellungsformen auktorialer Signaturen in der archaischen Dichtung (Namensmodell: 4.3.2), dem Wettstreit agonal auftretender Autorstimmen in der frühen Prosa (Präsenzmodell: 4.3.3) und zuletzt der ‚virtuellen‘ Absenz des Autors in der Prosa des 4. Jh. bei Xenophon und Platon (Absenzmodell: 4.3.4). Ausgeblendet wird kooperative Autorschaft in der dramatischen Dichtung: VON MÖLLENDORFF (2013) untersucht die Stufen auktorialer Präsenz in antiken Dialogen, etwa die polyphone Anlage von Aristophanes’ Acharnern, in denen die Dichterstimme einbezogen wird, ferner die Präsenz der historiographischen Autorstimme in Thukydides’ Melierdialog oder die absente Autorstimme im taciteischen Dialogus de oratoribus. 13 Im Rahmen ihrer Beschreibung archaischer wie klassischer Autorschaft arbeitet SCODEL (2019) dagegen mit einem dreischrittigen Modell: “Performance and Transmission”; “Naming and Sealing”; “Books”.

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Einleitung

Im zweiten Unterkapitel (4.3.2) untersuche ich das Auftreten auktorialer Marker und fiktiver Autorfiguren in der Dichtung des 8./7. bis 6. Jh.:14 Das ‚Hervortreten‘ solcher Figuren bzw. das ‚Lautwerden‘ von Autorstimmen, ein bereits in der Odyssee und stärker bei Hesiod fassbares Phänomen, das meist in Form von Autorsignaturen (Sphragis, Onymität) zutage tritt, erscheint rudimentär in Epos, Lehrgedicht und Lyrik, deutlicher jedoch in der Elegie, als Form der ‚Autorensicherung‘:15 Durch die Markierung des künstlerischen Produkts wurde dem Problem begegnet, wie aus einem vielstimmigen Autoren-Netzwerk sowie angesichts der meist unkontrollierbaren Zirkulation von Texten eine auktoriale Kennzeichnung präsent blieb, welche die künftige Rezeption zumindest begrenzt regulierte. Das dritte Unterkapitel (4.3.3) nimmt die viel deutlicher fassbare Autorpräsenz in frühen Prosaschriften in den Blick, deren Produzenten in ein agonales Verhältnis mit Vorautoren traten. Dabei stellten klarer konturierte Autorstimmen – das ‚Ich‘ des Textes, Vorworts oder Titelsatzes – die eigene Expertise heraus und traten als individuelle Autoritäten auf.16 Vorläufer, auf die man durch Nennung rekurrierte, wurden in das eigene Werk inkorporiert und zugleich überboten. Die Selbststilisierung des auctor revelatus zum kompetenten Neuerer, der Vorgängerwerke oder prägende Traditionen kritisierte und sie zugunsten des eigenen Werkes als defizitär auswies, steht in Verbindung mit der wachsenden Verbreitung konkurrierender Schriften ab spätarchaischer Zeit. Der letzte Abschnitt des Kapitels (4.3.4) nimmt den mediengeschichtlichen Wandel vom auctor revelatus hin zum auctor absconditus in den Blick. Darin untersuche ich den ‚virtuellen‘ 17 intratextuellen Rückzug des Autors am Beispiel zweier bedeutender Prosaiker des 4. Jh. – der Sokratiker Xenophon und Platon. Die gut gesicherte Überlieferung ihrer Großkorpora basiert bereits darauf, dass die Zuweisung von Autorschaft durch Formen der Institutionalisierung wie den Buchmarkt und die mit einer solchen Werk-Kontextualisierung einhergehende para-

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Vgl. mit jeweils verschiedener Schwerpunktsetzung KRANZ (1924), HEDREEN (2016). Hierzu KRANZ (1961), HOSE (2016), (2016a), (2019). MARINCOLA (1997). Der Begriff ‚virtuell‘ bezieht sich in dieser Studie auf die mit den neuen medialen Möglichkeiten der Textform verbundenen literarischen Verfahren. Mit Hilfe der Schrift konnte ein Autor in ‚medialer Simulation‘ als absent erscheinen, da seine auktoriale Selbstpräsentation nicht mehr an die Vorstellung im Rahmen einer Darbietung mit direktem Publikumsbezug gebunden war. Mit Blick auf den Wandel zu Schriftlichkeit und Buchkultur ist der Terminus ‚virtuell‘ – bgzl. der Medialität eines Texts – hilfreicher als der des ‚Fiktiven‘ – bzgl. dessen Fiktionalität. Wurde die virtuelle Simulation von Autorpräsenz erst durch das Distanzmedium Schrift möglich, war die Fiktionalisierung des Autors (man denke an den ‚Sänger Odysseus‘ in Od. 9-12) bereits in der song culture gegeben.

Einleitung

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textuelle Betitelung bereits relativ stabil war.18 Die Praxis subtiler Autorpräsenz und zugleich universeller Herrschaft über ein Werk liegt somit im medialen Entstehungskontext der Prosa-Korpora des 4. Jh. begründet, die nun leichter einem Autor zugeordnet wurden. Symptom hierfür ist auch das im 4. Jh. feststellbare Interesse an ‚klassischen‘ Autoren, wie es etwa die Wiederaufführungen kanonischer Dramatiker des 5. Jh. oder die Erstellung dramatischer Siegerlisten bezeugen. Somit stehen die Werke beider Autoren, Xenophon wie Platon, paradigmatisch für die neuen Möglichkeiten des Textmediums. Zugleich kommt beiden Schriftstellern jedoch auch eine Sonderrolle zu, experimentierten Platon wie Xenophon doch über den Einsatz von Pseudonymie und subtiler Autorpräsenz geradezu spielerisch mit literarischer Urheberschaft. Nach den beiden Aspekten ‚Funktion‘ und ‚Stimme‘ möchte ich zuletzt, in Kapitel 5, Autorfiktionen in Archaik und Klassik beleuchten: Als solche sind diachron konstruierte Autorstimmen zu verstehen, welche die Schreibweise eines exemplarischen Meisterautors in später verfassten Texten impersonieren, die unter deren Namen produziert und um deren Werke gruppiert werden. Hauptkennzeichen hierfür ist die Reproduktion einer kohärenten Autorstimme.19 Die Analyse der je nach Zeitstellung variierenden Zuschreibungen von Werken an die sich allmählich herauskristallisierende Autorfigur ‚Homer‘ verdeutlicht, wie sich eine anfängliche Absenz Homers in den Epen schrittweise, den medialen Veränderungen sowie Neugewichtungen von Autorfunktionen entsprechend, zu einer stets personalisierteren und weiter ausgestalteten Autorchiffre wandelte (Kap. 5.2); ferner, wie seit dem 6. Jh. bestimmte Texte einem Autor ‚Homer‘ zugeordnet wurden und so durch das sich wandelnde Korpus der Homerica retrospektiv die Autorschaft von Werken konstruiert wurde.20 So lässt sich anhand von ‚Homer‘ ein Spannungsverhältnis zwischen werkinternen Autorstimmen und deren meist späterer Rückbindung an einen personalisierten Autor nachverfolgen. Der Nachvollzug dieser oszillierenden Zuschreibungen von Werken an den exemplarischsten Dichter der Griechen zeigt zudem, wie sich im Laufe (spät-)archaisch-klassischer Zeit um bestimmte prestigevolle Erzählungen neue kreative Lesarten und Kommentare anreicherten, die auf die anonyme und unabgeschlossene Verfasstheit der ‚homerischen‘ Autorstimme antworteten.21 Dabei tritt uns ein offenes, steter Revision

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18 Den Sonderfall bildet nun Pseudonymie, die Werkproduktion unter dem Namen anderer Autoren: Kap. 5.1. 19 Hierfür sind in späterer Zeit die carmina Anacreontea exemplarisch, vgl. ROSENMEYER (1992), MÜLLER (2010). 20 Vgl. SCHWARTZ (1940), WEST (1999), ROSSI (2001), GRAZIOSI (2002), GROSSARDT (2016). Zu Vergil ZOGG (2015). 21 Zur Methodologie in diesem Abschnitt vgl. grundlegend PEIRANO (2012) und (2013).

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Einleitung

unterworfenes Korpus vor jeder Kanonisierung und ersten ‚Geburt des Autors‘ entgegen.22 Die Kombination dreier Perspektiven – Funktion, Stimme, Fiktion – soll somit insgesamt ein neues Verständnis der Phänomene ‚Autor‘ und ‚Autorschaft‘ im Bereich der archaischen wie klassischen griechischen Literatur ermöglichen. Abschließende Überlegungen (Kap. 5.3) gelten der Beobachtung, dass Autorschaft sich selbst in Zeiten externer Sicherung, etwa durch die Rahmenbedingungen des Buchmarkts, noch performativ, nach dem jeweiligen Aufführungskontext, konstituierte und entsprechend kontrovers blieb.23 Ziel der Untersuchung ist somit, pointiert formuliert, eine Geschichtsschreibung des Autors in der griechischen Literatur der Archaik und Klassik, aufbauend auf einer Analyse der Typen und Modelle konkreter auktorialer Praktiken, wie sie durch ausgewählte Texte von der Zeit des 8./7. bis zum 4. Jh. repräsentiert werden. Dabei geht die Studie angesichts der Fülle antiken Textmaterials notgedrungen selektiv vor. Anstatt einer um Vollständigkeit bemühten Behandlung des Materials liegt vielmehr der Versuch vor, die auktorialen Typen und Modellierungen zwar systematisch, doch insbesondere repräsentativ darzubieten. Dies wird auch dadurch gestützt, dass bis zum Ende des 4. Jh. ein Spektrum an Autorfunktionen und -typen vorlag, das der späteren antiken Literatur grundlegende auktoriale Gestaltungsmodelle bot. Autorschaft ist als kooperative Praxis und synchron wie diachron wirksames Zusammenspiel menschlicher Akteure und nichtmenschlicher, besonders medialer Faktoren beschreibbar, in dessen Rahmen sich Ordnungen von Literatur bei näherer Betrachtung als Autoren-Relationen darstellen. Insofern fragt die vorliegende Studie nach den Manifestationen und performativen Akten von Autorschaft innerhalb der kulturellen Topographie der griechischen Archaik und Klassik und versucht, die verschiedenen Autorschaftsmodelle für den gewählten, literarhistorisch begrenzten Zeitraum typologisch zu präsentieren. Indem Autorschaft einerseits als kooperative kulturelle Praxis, andererseits als sprachlich vermitteltes Phänomen – wie dies Autoren über intratextuelle Werk-Signaturen kenntlich machten – verstanden wird, setzt sich die Untersuchung das Ziel, Auftreten und Funktionsweisen von Autorschaft in der Literatur der griechischen Archaik und Klassik neu zu beschreiben.

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22 Vgl. WEST (2001), SIMMS (2018). Die schwankenden Attribuierungen bestimmter Werke an ‚Homer‘ wurden bereits bei VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1884) 353f. pointiert beschrieben (s. u. das Motto von Kap. 5.2). 23 Zu ‚Text-Netzwerken‘ des ‚langen‘ hellenistischen Zeitalters SELDEN (2010); zur revisorischen Arbeit an antiken Texten MÜLKE (2008), GURD (2012); zur auktorialen Selbststilisierung als Werk-Überarbeiter MARTELLI (2013).

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1. FASZINOSUM AUTORSCHAFT Seit geraumer Zeit, verstärkt seit dem Bimillennium, ist in der literaturwissenschaftlichen Forschungslandschaft eine ‚Rückkehr des Autors‘ – im Sinne des Rekurses auf ein textuelles Ordnungsprinzip – zu verzeichnen.24 Schließlich war das früher über lange Zeit wirksame biographistische Paradigma seit der Mitte des 20. Jh. zunehmend in Frage gestellt worden.25 Trotzdem führte die zumindest in theoretisch geleiteten Ansätzen zurückgedrängte interpretatorische Dimension des Autors weiterhin ein gleichwohl subtileres Fortleben als gemeinhin angenommen.26 Ungeachtet der literaturtheoretischen Wetterlagen ist der Autor in der praktischen Literaturwissenschaft bis heute ein zentraler Ordnungsträger geblieben.27 So gewährt der Autorname in Lexika oder bibliothekarischen Verbundklassifikationen den innerhalb der Fachsystematiken Suchenden weiterhin Orientierung. Auch literarische Historisierungen und Ordnungen stellen sich näher betrachtet als Autoren-Relationen dar. Das theoretische Forschungsinteresse für den lange Zeit tot geglaubten28 und – wenn man dieser mit Roland Barthes in die Welt gekommenen Metaphorik folgt – wiedererstandenen Autor zielt inzwischen jedoch auf neue Schwerpunkte: Gefragt wird in der Folge Foucaults nach historisch variablen wie diachron invarianten Formen und Funktionen von Autorschaft (fonction-auteur), die als Konstruktionen und Produktionen konkreter geschichtlicher Umwelten betrachtet werden. 29 ___________________________

24 Vgl. BURKE (1998), JANNIDIS ET AL. (1999) und (2000), DETERING (2002), HOFFMANN/LANGER (2007), BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2019). Auch in der Kunstwissenschaft ist ein Paradigmenwechsel hin zu Autorschaft, Künstlertum und dem (wiedererstandenen) Autor im Werk feststellbar: vgl. CADUFF/WÄLCHLI (2008), VON BISMARCK (2010). Zu antiken Künstlersignaturen Kap. 2. 25 Vgl. grundlegende Überlegungen zur intentional fallacy bei WIMSATT/BEARDSLEY (1946) und die Konzeption des implied author bei BOOTH (1983); ferner die Autorschaftskonzeptionen von Poststrukturalismus, New Criticism und Dekonstruktion seit den späten 1960er Jahren, vertreten bei BARTHES (1968/2000) und mit starken Akzentverschiebungen FOUCAULT (1969/2000) sowie DERRIDA (1967/1976), dazu insg. die Feststellung bei BURKE (1995) 285, in verschiedenen Zeitstellungen, Gesellschaften und Kulturen treffe man auf ein “passionate, sincere, and sometimes savage interest in retracing a discourse to its author or producer”. Vgl. SIMION (1996). 26 BERENSMEYER (2001) 114 spricht von der „Neubesetzung einer kulturellen Leerstelle“. 27 Vgl. SPOERHASE (2007) 1-5 sowie 11-18. 28 Zur einflussreichen Pathosformel vom ‚Tod des Autors‘ bei BARTHES (1968/2000) vgl. SPOERHASE (2007) 18-37. 29 Die Autor-Konzeption bei FOUCAULT (1969/2000) beruht nicht mehr auf individuelloriginärer Schaffenskraft: Vielmehr erscheint der Autor als historisch variable Konstruktion, die mit spezifischen Diskurs-Formationen und Zeitstellungen sowie dem kulturellen (technologisch-institutionellen) Hintergrund korreliert. Die ‚Autorfunktion‘

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Die Funktion des Autornamens besteht nach Michel Foucault besonders in der gesellschaftlichen Reputation des Autors, der juristischen Zuschreibung und Rückverfolgbarkeit inhaltlicher Verantwortung und Haftung sowie der Authentifizierung von Werken. 30 Andererseits drehen sich Fragen um die ästhetischen Modellierungen und Repräsentationen 31 der ‚Stimme‘ des Autors in Texten: 32 Thematisiert wird dabei – im Vergleich zu Gérard Genette – weniger die Frage, wer in den Texten eigentlich spreche, als vielmehr, durch welche Text-Strategien Autorstimmen modelliert werden, die bei den Rezipienten die Wahrnehmung einer Autor-Person oder -Identität im Sinne einer personal konturierten, anthropomorphen ‚Illusion‘ evozieren.33 Für die vielfältigen neuen Theorieansätze, die sich mit der ‚Rückkehr des Autors‘ beschäftigen – in aller Regel noch in neuphilologischen Forschungsbereichen beheimatet –, liefert jedoch gerade auch die Klassische Philologie neue Stimuli, lassen sich doch in deren Beobachtungsfeld über einen großen Zeitraum Konstanten wie Varianzen von Autorschaftskonzeptionen und -praktiken beobachten. Ein geeignetes Untersuchungsgebiet hierfür liefert besonders die frühgriechische und klassische Literatur, in deren Rahmen zwei der bedeutendsten medialen wie technologischen Umwälzungen der Antike fallen: der Wandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit (ab dem 8./7. Jh.) und später zur Buchkultur (ab dem 5./4. Jh.). Zugleich scheinen die in diesem Zeitraum geschaffenen Werke insofern neue Aktualität zu gewinnen, als diese ‚präsubjektive‘ Literatur – mit ihren Produktionen von unabgeschlossenen Werken,34 häufig ohne festen Wortlaut und Autorzuschreibung, die von darbietenden Akteuren verändert wurden35 – mutatis mutandis eine ___________________________

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bezieht sich auf die klassifikatorische Funktion des Autornamens, dem Werke und soziale Anerkennung zugewiesen werden. Kritisch NEHAMAS (1986) 685, der die Dekonstruierbarkeit der Autorfunktion betont. Zur Rezeption der fonction-auteur in der (franz.) Altphilologie CALAME/CHARTIER (2004). Die bei FOUCAULT (1969/2000) etablierte fonction-auteur lokalisiert literarische Werke in einem von rechtlichen Kräften und legalistischen Prinzipien wie dem Urheberrecht gelenkten Universum, worin Autoren als legitime ‚Eigentümer‘ bzw. ‚Inhaber‘ einer ‚Ware‘ erscheinen und Enteignung durch Plagiat fürchten (kritisch NEHAMAS [1986], [1987]) – wohingegen die Vormoderne Werke häufig als offene Diskurse und Sprechakte betrachtete. Hierzu WIDISS (2011) 12ff. Vgl. BLÖDORN/LANGER/SCHEFFEL (2006); mit Blick auf die antike Literatur GOLDHILL (1991) und die Beiträge in MARMODORO/HILL (2013) und SLATER (2017). Das Konzept der Stimme geht zurück auf die Narratologie Genettes: GENETTE (1972) und (1983), deutsch in GENETTE (2010). Vgl. mit Bezug auf Genette sowie neuere Zugänge BLÖDORN/LANGER/SCHEFFEL (2006). Vgl. SELDEN (2010), GURD (2012). So ist auch die Echtheitskritik mit ihren ethischen wie ästhetischen Urteilskatalogen über die Authentizität oder Unechtheit von Texten auf dem Rückzug: Statt einer dichotomen Aufteilung in kanonische Texte eines Autors und marginalisierte spuria oder dubia werden diese oder auch pseudepigrapha verstärkt als kreative Lesarten, Supple-

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Vergleichsfolie für aktuelle Entwicklungen bietet, die in den letzten Jahren von den Neuen Medien ausgehen. Die sich in archaischen wie klassischen Werken entwickelnden wie wandelnden Formen und Funktionen literarischer Autorschaft systematisch zu analysieren, ist ein Desiderat gräzistischer Forschung. Somit versucht die vorliegende Analyse, ein zur neuphilologischen Theoriediskussion bestehendes Gefälle zu begradigen und Verbindungswege sowie die besondere Rolle, die der altphilologischen Forschung hierbei zufällt, aufzuzeigen.

1.1 Tod des Autors 2.0? Neueren Theorien der Autorschaft, so sehr sie auch miteinander konfligieren mögen oder als graduell überlappend zu verstehen sind, ist doch insgesamt gemeinsam, dass sie sich gegen Anschauungen wenden, die sich zwar bereits im Spätmittelalter36 und der Druckkultur der Frühen Neuzeit formieren, ihre Wirkkraft jedoch bis heute ausüben: Gemeint ist die Vorstellung von dem nie Dagewesenes schaffenden Autor, verstanden als ein losgelöst von traditionellen, kulturellen und soziopolitischen Kontexten auf monarchische – oder monotheistische – Weise über sein Werk herrschendes, geniales Subjekt, ein unabhängig und schöpferisch wirkender Mensch. 37 Die Auffassung von der Subjektivität und Individualität des schriftstellerischen Schaffens im Sinne einer Autonomie-Ästhetik wurde – in Abkehr von zuvor gültigen Regelpoetiken – zu einer Grundsignatur der literarischen Ästhetik im 18./19. Jh., wobei besonders die Dichter Homer38 und Shakespeare in geradezu hymnischen Tönen zu ‚Originalgenies‘ und prototypischen Künstlerper___________________________

mente und Kommentare bestimmter auktorialer Schreibweisen verstanden – als Antwort auf die Offenheit von Texten und Autorstimmen: hierzu PEIRANO (2012) und (2012a) sowie PEIRANO GARRISON (2017). 36 MINNIS (1984) sieht im Wandel allegorischer, durch Gott autorisierter, zu wörtlichen, durch Menschen autorisierten Bibeldeutungen im 13. Jh. und dem wachsenden Eigenanteil menschlicher auctores gegenüber göttlicher Wahrheit einen konzeptuellen Umbruch. Zur Erfindung des Urhebers um 1300 vgl. WYSS (2006) 139-144, der den Umbruch mit der Abkoppelung des Malers vom Stand des Handwerkers begründet. 37 Grundlegend hierzu SCHLAFFER (1990). 38 Begründet wurde die Kennzeichnung des mündlich dichtenden Homer als einem ‚Originalgenie‘ bei WOOD (1769/1773). Fast zeitgleich wurde die konträre Vorstellung von der kollektiven Autorschaft der Epen populär: So formulierte WOLF (1795) 38 in den Prolegomena ad Homerum, Ilias und Odyssee gingen nicht auf einen Dichter, sondern die Kunstfertigkeit einer Epoche und so eine multiple Genese zurück (si denique totum hunc contextum ac seriem durorum perpetuorum Carminum non tam eius, cui eam tribuere consuevimus, ingenio, quam s o l l e r t i a e p o l i t i o r i s a e v i e t m u l t o r u m c o n i u n c t i s s t u d i i s deberi, neque adeo ipsas ἀοιδάς, ex quibus Ilias et Odyssea compositae sunt, u n u m o m n e s a u c t o re m h a b e re , verisimilibus argumentis et rationibus effici potest).

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sönlichkeiten erhoben wurden.39 Die folgenreiche Wirkkraft, die das genieästhetische Paradigma hervorbrachte, bildet noch immer eine unhinterfragte Grundlage nicht nur für die literaturwissenschaftliche Annäherung an bestimmte Autoren, 40 sondern besonders auch für die Vorstellung vom ‚geistigen Eigentum‘, deren Ursprünge zwar bereits älter sind, doch ab der zweiten Hälfte des 17. Jh. fassbar werden41 und schließlich um 1800 in Form des Urheberrechts in vielen europäischen Staaten kodifiziert wurden.42 Juristisch-ökonomische Urheberschaft sowie ästhetisch-literarische Autorschaft gehen seither Hand in Hand, da mit dem individuellen Schöpfungsakt auch die Verfügungsgewalt über das Werk einhergeht. 43 Hier setzten die bereits angesprochenen Neuakzentuierungen der postmodernen Strömungen (Post-)Strukturalimus, New Criticism und Dekonstruktion der späten 1960er und 1970er Jahre an, deren Kritik nicht nur am frühneuzeitlichen SubjektBegriff Cartesischer Prägung,44 sondern damit verbunden auch an den modernen Konzeptionen von Autorschaft sich in einer Passage aus Derridas Die Schrift und die Differenz bündelt: „Das „Subjekt“ der Schrift existiert nicht, versteht man darunter irgendeine souveräne Einsamkeit des Schriftstellers. Das Subjekt der Schrift ist ein System von Beziehungen zwischen den Schichten: des Wunderblocks, des Psychischen, der Gesellschaft, der Welt. Im Innern dieser Szene ist die punktuelle Einfachheit des klassischen Subjektes unauffindbar.”45

Mittlerweile scheinen die aktuellen medialen Entwicklungen sowie deren Auswirkungen auf die Konzeptualisierungen von Autorschaft, wie sie sich seit den 1990er Jahren und verstärkt in den ersten Dezennien seit dem Bimillennium abzeichnen, die Vorstellung individuell-originärer Autorschaft jedoch in weit größerem Ausmaß zu erschüttern als noch die literaturwissenschaftlichen Theoreme der 1960er und 1970er Jahre: Speziell die mittels ubiquitärer Digitalisierung ermöglichte ___________________________

39 Nachahmungen der Natur, nicht anderer Autoren galten als original: YOUNG (1759). TOMAŜEVSKIJ (1923/2000) 51 sah im 18. Jh. die „Epoche des individuellen Schaffens, die den Subjektivismus kultivierte […]. Vorher stand die Person des Autors im Schatten.“ 40 Analysen des Autors wie bei DETERING (2002) beruhen weiter auf monistischen Vorstellungen von dem Autor (bzw. dem Sprecher oder Erzähler). Dagegen betonen Zugänge auf Bachtins Spuren textuelle Dialogizität oder Polyphonie und fragen nach pluralen Text-Stimmen: BLÖDORN/LANGER/SCHEFFEL (2006). 41 Hierzu KEWES (1998). Laut LOVE (2002) 41 wird von diesem Zeitpunkt an das Plagiat moralisch verwerflich. 42 Vgl. BOSSE (1981), ROSE (1993), WOODMANSEE/JASZI (1994), WOODMANSEE (2000) und die legalistische Auffassung bei FOUCAULT (1969/2000). Kritisch zur Bindung des Urheberrechts an Autorschaft ist LAUER (2002). 43 Hierzu BOSSE (1981). 44 Vgl. DERRIDA (1967/1976), BARTHES (1968/2000), FOUCAULT (1969/2000). 45 DERRIDA (1967/1976) 344f.

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Vernetzung in sozialen Systemen lässt den allgemeinen Eindruck entstehen, der Mensch als Textproduzent sei ein nur relativ autonomer Akteur im Bereich künstlerischer Poiesis, und auch literarisches Schaffen beruhe auf starken Wechselbeziehungen von ‚Selbst‘ und ‚Umwelt‘. In einer Umwelt von Hyper-Information, vermittelt durch Internet-Technologien wie YouTube, Facebook und Twitter, entstehen neue intersubjektive Schreibweisen, die durch ständiges Zitieren und Veränderung vom Ausdruck rein subjektiver Erfahrung abweichen. 46 Autorschaft wird – mit Implikationen sowohl für das Urheberrecht als auch für die Literaturtheorie – entgegen den Annahmen romantischer Genieästhetik, die Kunstwerke als Schöpfungen uneingeschränkt autonom wirkender Künstler betrachtete, 47 in Zeiten der digitalen Medien, von Internetforen und -lexika48 sowie – im Bereich der Print-Medien – von Ghostwriting, Pseudonymen,49 peer reviewing, multiauktorialen wissenschaftlichen Beiträgen und Mitherausgeberschaften, verstärkt als kokreative kulturelle Praxis in den Blick genommen.50 Der Mythos des Autors als eines heroischen Einzelschöpfers ist im Verschwinden begriffen.51 Die omnipräsente digitale Infrastruktur, deren Inhalte ständiger Wandel und stetige Revisionen kennzeichnen, bietet zugleich an, über aktuelle wie historische Text-Netzwerke 52 und sich wandelnde Autorschaftskonzeptionen zu reflektieren. Während pessimistischere Stimmen davor warnen, dass die digitale ___________________________

46 Zur Ästhetik kollaborativen Schreibens im Internet SIMANOWSKI (2002). 47 Hierzu BOSSE (1981), ROSE (1993), WOODMANSEE/JASZI (1994). 48 Die mit dem medialen Wandel variierenden Autorschaftskonzeptionen werden bei WOODMANSEE/JASZI (1994) 15-28 beleuchtet (“On the Author Effect: Recovering Collectivity”). Vgl. WOODMANSEE (2000) 298: „Die neuen elektronischen Vernetzungsund Speichermedien, allen voran das Internet, brauchen andere Klassifikationsprinzipien für die Information. Mit dem Autorkonzept wird sich hier auf Dauer nicht arbeiten lassen. Der Versuch personaler Zurechnung von Daten schränkt die Möglichkeiten vernetzten Arbeitens ganz unnötig ein. Neben die personale Zurechnung wird die Zurechnung zu sozialen und kollektiven Systemen treten.“ Zu einer neuen digitalen Kultur der Mündlichkeit LOVE (2002) 38f. sowie FOLEY (2012). BRUNS (2010) 3 vergleicht Schreibpraktiken in digitalen Plattformen mit mittelalterlichen Palimpsesthandschriften; SELLE (2008) 392f. verbindet die redaktionellen Schichten des corpus Theognideum mit dem Internet-Zeitalter. 49 Pseudonyme Autorschaft ist bloß imaginär kooperativ (Kap. 4.3.4). Ein rezenter Fall (2016) ist die Enthüllung der Identität hinter dem nom de plume der italienischen Romanschriftstellerin Elena Ferrante durch Investigativ-Journalisten: Schriftstellerinnen bleiben Privilegien ihrer männlichen Kollegen wie das Recht auf Anonymität, Privatheit oder Schutz der Person oft verwehrt: vgl. S. 3 der Einleitung bei BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2019). 50 STILLINGER (1991), BRUNS (2010), BIGGS/TRAVLOU (2015), EÚSTAQUIO/CARNEIRO DE SOUSA (2018). 51 Zu multipler Autorschaft und dem Mythos des einsamen Schriftstellers STILLINGER (1991). 52 Zum Begriff des Text-Netzwerks und dessen Situierung in den Schreibkulturen der Antike SELDEN (2010).

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Revolution und die ständige Verfügbarkeit medialer Daten-Sammlungen einen Verlust individuellen menschlichen Handlungsspielraums sowie von Verantwortlichkeit und Kontrolle hervorriefen,53 fördert die Digitalisierung auch kooperative Formen von Kreativität gegenüber individueller, rein subjektiver Autorschaft. 54 Subjekt und Subjektivität erscheinen dabei, entgegen den Voraussetzungen des Cartesischen Modells, welches das Subjekt zur alleinigen Quelle von Wissen und Erfahrung prägte, als fluide, kontingente und heterogene Gebilde ohne klare Abgrenzungen: “whilst we commonly perceive creativity as the product of the individual artist, or creative ensemble, from this perspective creativity can also be considered an emergent phenomenon of communities, driving change and facilitating individual or ensemble creativity. Creativity can be a performative activity released when engaged through and by a community. […] Thus creativity can be understood as a process of interaction within a complex field of agency […]. In this context the model of the solitary artist, producing artifacts that embody creativity, can be questioned as an ideal for achieving creative outcomes. Instead, creativity can be proposed as an activity of exchange that enables (creates) people and communities, considering these processes within an expanded field of what agency can be considered to be, as a collective becoming.”55

Solche ‚posthumanistischen‘ Auffassungen von ‚authorship 2.0‘, welche Autorschaft als universellen Ausdruck gemeinschaftlichen Handelns begreifen, scheinen gleichsam den Eindruck eines ‚Tod des Autors 2.0‘ zu begünstigen:56 das Verschwinden des Autorsubjekts in digitalen Datennetzen. Zugleich fördern digitale Praktiken Autor-Aktivitäten wie die Neukomposition von Texten durch multiple Akteure und ermöglichen eine Neuorientierung von Machtbeziehungen im Rahmen intersubjektiver Prozesse. Zwei verschiedene, transhistorisch gültige Modelle

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53 Vgl. LANIER (2010) 45-47: In Zeiten der Digitalisierung sei Autorschaft als “the very idea of the individual point of view” (47) gefährdet, in “the cloud” oder “mashups of fragments” zu verschwinden (46). 54 Zu Big Data prophezeit HARARI (2016) 384, 461, dass “[b]elief in individualism will collapse and authority will shift from individual humans to networked algorithms. […] Humans are relinquishing authority to the free market, to crowd wisdom and to external algorithms partly because we cannot deal with the deluge of data.” 55 BIGGS/TRAVLOU (2015) 31f. Vgl. LATOUR (1996). 56 Statt einer vollständigen Verdrängung etablierter Autor- und Werk-Konzeptionen durch den medialen Wandel bewegt sich kollaborative Autorschaft in digitalen Systemen weiterhin im Spannungsfeld kollektiver wie individueller Aspekte, d. h. Signaturen von Urheberschaft. Ko-kreative Prozesse gehen erst in kollektive Autorschaft über, wenn die einzelnen Arbeitsschritte und Beiträge nicht mehr voneinander abgrenzbar sind.

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von Autorschaft57 lassen sich so voneinander abgrenzen, um universelle Schaffens-Prozesse zu beschreiben:58 a)

‚Kollektive Autorschaft‘ (englisch collective, communal oder composite authorship) geht von einem gemeinsamen Schaffensprozess aus, der asynchron oder synchron verläuft und wobei die Beiträge der einzelnen Beteiligten in aller Regel ununterscheidbar bleiben, wodurch alle gleichermaßen verantwortlich und alle Beiträge anerkennenswert erscheinen.59 Obwohl Autorschaft hier meist anonym bleibt – man denke an sozial geteiltes Wissen der vox populi wie Volkslieder oder Märchen, wozu auch ‚einfache Formen‘ (A. Jolles) wie Spruch oder Witz zählen –, kann es zum Heraustreten besonders befähigter und in der Folge namentlich genannter Autorfiguren kommen.60

b)

‚Kooperative Autorschaft‘ (im Englischen häufig collaborative authorship)61 bezeichnet dagegen einen offenen Prozess, bei dem die beteiligten Akteure kokreativ agieren: Zwar verschmelzen die Beiträge zu einem gemeinsamen Endergebnis, doch bleiben die Autor-Signaturen voneinander abgrenzbar: Oft nehmen diese Tätigkeiten einen diachronen Verlauf, wenn jede Beteiligung eine “creative response to earlier contributions” darstellt.62

Zwei weitere Modelle, die bisher fast ausschließlich in der anglophonen Forschung verwendet wurden, sind nur minimal von kooperativer Autorschaft abzugrenzen und werden häufig wahlweise und ohne Differenzierung von collaborative authorship verwendet: c)

Multiple authorship grenzt sich von kooperativer (collaborative) Autorschaft insofern ab, als erstere sich auf die Textüberlieferung bezieht, in deren Laufe ein Werk den Bearbeitungen einer Vielzahl verschiedenster Gruppen unterliegt, während kooperative Autorschaft als soziale Interaktion die verfasserischen Aktivitäten von mindestens zwei Akteuren bezüglich eines vorliegenden

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57 Der Begriff ‚Autorschaft‘ wird hier vor demjenigen der ‚Kreativität‘ bevorzugt, da ersterer Terminus bereits Formen kreativer Aktivität umfasst und voraussetzt. 58 Zu diesem Schema EÚSTAQUIO/CARNEIRO DE SOUSA (2018) 4149f. 59 Laut ebd. kommt es dabei zu einem “workflow where all participants form a singular creative entity”. 60 Hierzu MARTIN (2017) 71. Man denke an die post-traditionale Rolle des Rhapsoden Ion in Platons gleichnamigem Dialog (s. u. Kap. 3.1.2). Vgl. WHITMARSH (2013) 238 und SCODEL (2017) 73-75. 61 Vgl. HARRIS (1994). Ferner LIVINGSTON (2007) 75-89, bes. 80-83 zu nicht-diachroner “joint authorship”. 62 EÚSTAQUIO/CARNEIRO DE SOUSA (2018) 4150: “participants create together, but each individual authorial mark can be variably discernible, as the borders of each contribution blend into a collectively authored outcome. This process often takes places as a conversation, where each participation is a creative response to ealier contributions”.

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Faszinosum Autorschaft Textes betrifft. 63 Multiple authorship wird häufig synonym mit collective (composite) authorship verwendet.64 d)

Distributed authorship wurde anfangs dazu verwendet, um die Adaption kooperativer Autorschaft in der digitalen Sphäre zu bezeichnen, “to describe internet-augmented creative processes”, wobei die Kreativität der Teilnehmenden je nach den Fähigkeiten der Einzelnen auf ein Reservoir künstlerischen Materials zurückgreift und dieses dabei stetig verändert.65

Diese Typen sozialen Schaffens, besonders das Modell kooperativer Autorschaft, das jeweils die Verteilung von Autor-Aktivitäten auf verschiedene Akteure und die hiermit verbundenen partizipatorischen Bearbeitungsphasen in den Blick nimmt, können dabei helfen, innerhalb der Neuen Medien lokalisierte Schaffensprozesse auf ko-kreative Aktivitäten der Vormoderne, sowohl im Bereich der Materialproduktion – man denke nur an das innerhalb der Klassischen Archäologie erwachte Interesse an Werkstattproduktionen bildender Künstler 66 – als auch der Textproduktion, zu übertragen.67 So lassen sich die ständigen Prozesse des Überarbeitens ___________________________

63 Vgl. STILLINGER (1991), HARRIS (1994). WOMACK (2007) 176, wo kooperative Autorschaft im Fall der Beatles und Werkzuweisungen an die Mitglieder der Fab Four und den Produzenten G. Martin behandelt werden, vermischt die Termini: „addressing multiple authorship provides a vital framework for understanding the convolutions of textual multiplicity and the vagaries inherent in textual production, which is, by its very nature, inherently collaborative.” Zur Publikation des ‚autorlosen‘ White Album (1968) in Verbindung mit BARTHES (1968/2000) s. WOMACK (2007) 163: “the insensely collaborative nature of their work offers particular implications for our understanding of both the impact of authorship in the Beatles’ recording practices in specific, as well as in the textually convoluted worlds of postwar literary and popular culture in general.” 64 So WIETZKE (2017) 367f. am Bsp. des corpus Hippocraticum: „the Hippocratic corpus presents a case of composite authorship, in which one larger body of work is a later collection of texts written by multiple individuals.” 65 BRUNS (2010) 2 führt das Konzept vom produser bzw. produsage (< production + usage) ein, das Kongruenz von Nutzern (users) und Produzenten (producers) bezeichnet, deren hybride Rollen sich im Kontext offener Produktionszirkel von Artefakten stets wandeln, wenn Nutzer zu Teilnehmenden von Schaffens-Prozessen werden. Zu distributiver Autorschaft und ko-kreativen Prozessen s. auch BIGGS/TRAVLOU (2015). 66 Vgl. SQUIRE (2013); zu Töpferwerkstätten ESCHBACH/SCHMIDT (2016). Hier ist an KoProduktionen von Objekten wie Gebäude oder Statuen zu denken: Plut. Per. 13.4 nennt Iktinos und Kallikrates als Parthenon-Baumeister, Plinius d. Ä. in der Historia naturalis 36.37 – bevor er 36.38 weitere kooperativ entstandene Kunstwerke aufzählt – die rhodischen Bildhauer Hagesandros, Polydoros und Athenodoros als Meister der Laokoongruppe. Gleichwohl sei bei Ko-Produktionen die Zuweisung an einzelne Bildhauer unmöglich und der Ruhm entsprechend geringer (Nec deinde multo plurium fama est, quorundam claritati in operibus eximiis obstante numero artificum, quoniam nec unus occupat gloriam nec plures pariter nuncupari possunt, sicut in Laocoonte). 67 In der griechischen Literatur lässt sich kollektive Autorschaft in den carmina popularia oder sympotischen Skolia erkennen (bd. PMG). Zur communal authorship der Skolia

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und Überschreibens digitaler Inhalte 68 etwa mit mittelalterlichen Palimpsesten vergleichen, jenen ‚vielschichtigen‘ Texten, welche die Abdrücke vieler Schreibergenerationen tragen, deren sukzessive Aktivität zur Verfasstheit des jeweiligen Texts beitrug.69 Texte überliefern in dieser Hinsicht die Handschriften und Signaturen vieler Ko-Autoren, deren mehr oder weniger abgrenzbare Arbeitsschritte sich vielfach auf die Textgestalt niederschlugen. Dieser entwicklungsgeschichtliche Blick auf literarische Produktionsphasen fordert damit die Konzeption einer Abgeschlossenheit von Texten70 grundsätzlich heraus und schärft das Bewusstsein für die multiauktoriale Verfasstheit von Werken, denen jeweils verschiedene Formen von Kooperation und Revision zugrundeliegen können. Ein Beispiel für den Einfluss neuerer Autorschaftsmodelle auf die Konstitution textueller Korpora stellt die kritische Edition des New Oxford Shakespeare in vier Bänden dar (2016), bei deren Erstellung textbasiert-philologische sowie computerbasiert-statistische Praktiken Hand in Hand gingen.71 Dabei machten die Herausgeber insgesamt 17 Stücke aus, die nach derzeitiger Auffassung von mehreren Händen verfasst wurden, was damit im Vergleich zur letzten kritischen Ausgabe 30 Jahre zuvor die Zahl der als kooperativ erstellt betrachteten Texte mehr als verdoppelte.72 Laut den Shakespeare-Herausgebern werden die Stücke der Henry VI___________________________

MARTIN (2017) 61f.; doch konnten Skolia auch Autoren zugewiesen werden: Aristoph. fr. 235 PCG. Zur Autorisierung ‚folkloristischer‘ Literatur qua Genrezugehörigkeit MASLOV (2015) 51: “The fiction that goes by the name of “collective authorship” is not just the property of popular traditions of yore; it is a powerful mechanism of authorization. […] [T]he mode of authorization is assigned not by a historically or culturally prevalent attitude, but by the genre to which the text belongs”. Zu autorlosen Texten in der Antike zählen Orakel-Sammlungen (Parke/Wormell, Fontenrose) oder die Hermeneumata Ps.-Dositheana (Dickey). Andere werden (semi-)mythischen Autorfiguren zugewiesen wie die Aesopica (Perry). 68 Vgl. BRUNS (2010) 3 mit Blick auf Zugriffsverläufe digitaler open source-Plattformen. 69 Es ist kaum verwunderlich, dass gerade die mediävistische New Philology federführend war im Hinterfragen klassischer Autorschaftskonzeptionen: vgl. NICHOLS (1990) sowie die anderen Speculum-Beiträge; ferner MÜLLER (1997). LARDINOIS (2020) wendet dies auf die frühgriechische Dichtung an. 70 Zu Auffassungen von textual closure innerhalb textzentrischer antiker Gemeinschaften HALBERTAL (1997) und WYRICK (2004). Dagegen analysiert SELDEN (2010) auf exemplarische Weise offene Text-Netzwerke. 71 Kritisch SCODEL (2017) 75 zur Applikation statistischer Analyse und Stilometrie auf antike Texte, in denen linguistische Ähnlichkeit nicht auf denselben Autor, sondern die Zugehörigkeit zur selben Tradition verwiesen. 72 Im Guardian (23.10.2016) äußerte ein Herausgeber: “The orthodox view was that Shakespeare didn’t collaborate at all. When the Oxford Shakespeare in 1986 proposed that eight plays of Shakespeare contained writing by other writers, some people were outraged. What has happened since 1986 is that the accumulation of new scholarship, techniques and resources has made it clear that, in 1986, we underestimated the amount of Shakespeare’s work that’s collaborative. […] In 1986, eight of 39 plays were

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Trilogie als synchron entstandene collaborations mit Christopher Marlowe angesehen, während man andere Stücke, etwa All’s Well That Ends Well („Ende gut, alles gut“), als diachron angefertigte adaptations betrachtet, worin Ko-Autoren, etwa Thomas Middleton, verschiedene Passagen vor der Veröffentlichung der Druckversion abänderten.73 Dies schließt an frühere Studien zur Mitautorschaft Shakespeares an, die seit den 1990er Jahren theoriebildend auch auf andere literaturwissenschaftliche Forschungsfelder wirkten.74 Die Modelle kooperativer Autorschaft, die im digitalen Zeitalter mit der virtuellen Domäne assoziiert werden, lassen sich über die Neuen Medien hinaus auch dazu verwenden, Einsichten in vor- oder frühmoderne Verfasstheiten kooperativer Autorschaft zu gewinnen.75 So trifft man in der Kultur des archaischen und klassischen Griechenlands auf dichterische Traditionen, die sich über mündliche Darbietung, ab der Spätarchaik zunehmend auch über zirkulierende Texte als Speichermedien in der griechischsprachigen Welt verbreiteten. Zugleich ermöglichte das Medium der Schrift und später des Buchs die Herausbildung neuer Formen und Konzeptionen von Autorschaft: Wie im Zeitalter der digitalen Textproduktion stellte der mediale Wandel bereits in der Antike einen bedeutenden technischen Faktor für Veränderungen von Autor-Figurationen und -Rollen dar. Sowohl die im Rahmen der Performanzkultur präsentierten Gesänge als auch die mit lauter Stimme rezitierten Texte stellten stets unabgeschlossene Produkte multiauktorialer Kooperation dar, da die Werk-Zirkulation in der Antike von Darbietung zu Darbietung bzw. von Hand zu Hand mit der ständigen Interaktion durch die Darbietenden einherging, welche die Werke gemäß ihren Bedürfnissen, Umständen und Praktiken veränderten. So waren besonders die frühen Texte vom Moment ihrer ersten Produktion an, lange vor der Erfindung des Urheberrechts, durch welches rechtlicher Besitz und ästhetische Autorschaft erstmals verknüpft ___________________________

identified on their title pages as collaborative, a little more than 20%. In 2016, 17 of 44 plays are identified, a little more than 38%, close to two-fifths.” 73 Vgl. ebd.: “We have been able to verify Marlowe’s presence in those three plays strongly and clearly enough […]. We can now be confident that they didn’t just influence each other, but they worked with each other. Rivals sometimes collaborate.” Und zu Ende gut, alles gut: “we are the first edition to have provided detailed empirical evidence […] and to have concluded that the original layer is entirely by Shakespeare, probably in 1605, and the second layer is by Middleton, in the early 1620s”. Im Rahmen der Shakespeare-Edition erschien ein New Oxford Shakespeare Authorship Companion, worin die Editoren ihre Prinzipien darlegten: TAYLOR/EGAN (2017). 74 Vgl. zur kooperativen Autorschaft des Shakespeare-Korpus: STILLINGER (1991), VICKERS (2002), LOVE (2002), STONE/THOMPSON (2006) und TAYLOR (2017); zur Frühen Neuzeit HIRSCHFELD (2001). Zur Autor-Konstruktion im Elisabethanischen Drama ERNE (2003) 56-77. 75 Vgl. BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 17 (zur Moderne): “Because, in modernity, the number of authors is legion, the individual author disappears in a mass of authors” mit BAKKER (2017b) 99 (zur archaischen Dichtung): “and yet the world of the song culture is full of authors”.

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wurden,76 in einem ungebrochenen Produktions- und Bearbeitungskreislauf begriffen. Dabei wurden die Werke stets überformt, behielten jedoch ein produktives Wirkpotential: 77 Indem spätere Überarbeiter in verändertem Kontext und unter neuen Performanz-Bedingungen in ein interaktives Verhältnis mit Werken traten und diese dem Kontext entsprechend formten und abänderten, wurden existente Autorstimmen durch Rezitation und Re-Vokalisierung zu einem polyphon-multiauktorialen Konzert erweitert. Es lässt sich resümieren, dass ein posthumanistisches Technologie-Verständnis prima facie Anknüpfungspunkte für die gewissermaßen vor-individualisierten Autorschaftskonzepte frühgriechischer Literatur erzeugt,78 die sich mit Blick auf die jeweiligen historischen (kulturell-medialen) Spezifika und konkreten Formationsprozesse der Antike verfeinern lassen.79 So erscheint Autorschaft als vielschichtes und komplexes Modell kultureller Performanz: “In writing the history of authorship, therefore, we cannot merely study the works or biographies of individual authors; we need to give an account of the dynamic system that produced them, which also involves giving an account of complex social, economic and epistemological shifts in cultural and book history. We need to relate the material and concrete practices of ‘actors’ and their own ideas about these practices to other ideas and practices that determined the historical cultural and media context, as well as to non-human ‘actants’ (such as texts and books) that shaped these practices […].80 It is not enough, then, to study individual authorship models or cases of empirical authorship; yet the question, theoretical and methodological, is how to relate individual cases and models to their wider context(s) or media settings.”81

1.2 Kooperative Autorschaft als kulturelle Performanz Um Autorschaftskonzeptionen innerhalb ihrer jeweiligen kulturellen Horizonte systematisch besser zu erfassen, erscheinen besonders die methodisch-theoretischen Fragestellungen des performative model of authorship 82 für den ___________________________

76 Vgl. u. a. BOSSE (1981), ROSE (1993), WOODMANSEE/JASZI (1994). 77 Zu diesen Eigenschaften materieller Objekte und Artefakte INGOLD (2013) 17-32. 78 Zum unklaren Subjekts-Begriff der frühgriechischen Literatur PURVES (2015) 76ff. Dies knüpft an Ansichten des New Materialism und Einsichten an, die auch die Akteur-Netzwerk-Theorie gefördert hat: LATOUR (1996), (2007). 79 Vgl. FOUCAULT (1969/2000); zur Antike CALAME/CHARTIER (2004), PEIRANO (2013) 252, MASLOV (2015). 80 Hier folgt ein Verweis auf LATOUR (2007). 81 BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 9. 82 Dieses wurde 2009-2014 von der Research Group on Authorship as Cultural Performance an der Universität Gent erarbeitet: vgl. BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) und das Open Access Online Journal „Authorship“, bes. die Leitartikel Introduction:

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vorliegenden Kontext relevant. Gemäß diesem ist es ein literaturwissenschaftliches Forschungsziel, “to analyse authorship in the context of concrete cultural manifestations (or performances), actual situations of text production, distribution and reception, taking into account material, discursive or institutional condition and constraints.”83

Aus dieser Perspektive korrelieren die Konzeptualisierungen literarischer Autorschaft mit bestimmten gesellschaftlichen Diskursen, ferner technologischen Entwicklungen, die sich innerhalb einer kulturellen Topographie lokalieren lassen. 84 Autorschaft erscheint so als ein zentraler Aspekt im Feld kultureller Produktion. Hiermit verbundene Aktivitäten werden als soziokulturell konstruiert aufgefasst, als Performanzen, die von sozialen Normen ermöglicht sowie medialen Konfigurationen eingegrenzt werden.85 Konstitutiv ist hierbei der Begriff des Performativen. Dieser wird in Abgrenzung von Reduktionen auf die bloße Wiedergabe von bereits Vorhandenem, auf reine Intentionalität (intentionality) oder auf allein menschliches Handeln (agency), wodurch technisch-mediale oder dingliche Faktoren und Handlungsträger außer Acht gelassen werden,86 nach John L. Austin87 definiert wird als ein „offener Prozess der Verwicklung und Interaktion mit anderen kulturellen Aktanten (Handlungsträgern), ein Prozess, der Wirklichkeit transformieren oder etwas gänzlich Neues hervorbringen kann, im Sinne des ‚Performativen‘ der Sprechakt-Theorie.“88

Die Erscheinungsweisen von Autorschaft sind kulturellen Schaffens- und Aushandlungsprozessen sowie sich ändernden medialen Faktoren unterworfen, wobei die produktive Dimension des Performativen nicht – gemäß Vorstellungen der Autonomie-Ästhetik – als ‚Originalität‘ oder ‚Kreativität‘ im Sinne einer genialistischen creatio ex nihilo verstanden wird: Vielmehr sind, im Sinne Judith Butlers, eingrenzende diskursive wie soziale Rahmenbedingungen vorauszusetzen, die dasjenige, was durch und während der Performanz produziert wird, kooperativ ___________________________

83 84 85 86 87 88

Authorship, Authorship 1/1, 2011; Introduction: Reconfiguring Authorship, Authorship 3/1, 2014 (http://www.authorship.ugent.be, http://www.rap.ugent.be/). BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 14. BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 23. BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 10: “performances that are enabled and constrained by social norms and different media configurations”. Zur Erweiterung von agency auch auf materielle Objekte und Dinge LATOUR (1996) und (2007), INGOLD (2013). AUSTIN (1975). Mit Blick auf die Antike CALAME (2010) 143 (Abgrenzung von Sprechakt, Singakt, Kultakt). BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 10 (meine Übersetzung).

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formen und mitverfassen.89 Nach dieser Auffassung wird Autorschaft – bzw. die hiermit verbundenden Aktivitäten – in einer kulturellen Umwelt produziert, mediatisiert, rezipiert: Das Verständnis von Autorschaft und Autorfunktionen ist somit entscheidend für das Verständnis von Literatur im Ganzen.90 Basierend auf diesen methodischen Grundannahmen lassen sich auch für die Untersuchung antiker Autorschaftskonzeptionen relevante Fragen ableiten: “How did writers perform authorship, and what performative acts secured ‘successfulʼ ways of authorial self-presentation? How is authorial success to be defined in the first place? In what ways were authors thought to be ‘presentʼ in, or in control of, their texts? How were the relations between authors, texts, and readers conceptualized? How (if at all) were authors distinguished from mere writers, scriveners or secretaries? Was writing, or having written, a necessary precondition of someone’s status as an author? What was their authority? And what their role in literary interpretation?”91

Ausgehend von diesen Problematisierungen will die vorliegende Untersuchung die Manifestationen und Akte auktorialer Poiesis innerhalb ihrer kulturellen Topographie herausstellen, sowie die modellhaften Konzeptionen literarischer Autorschaft des gewählten, literarhistorisch eingegrenzten Zeitraums (8./7.-4. Jh.) systematisch präsentieren. Autorschaft als kooperative kulturelle Praxis ist als Zusammenspiel verschiedener Akteure sowie nichtmenschlicher, besonders medialer, Faktoren beschreibbar. Entsprechend diesen Fokusverschiebungen und der Einsicht, Autorschaft weniger im Sinne eines singulären Schöpfungsaktes und vielmehr als kooperative Praxis innerhalb einer konkreten kulturellen Topographie zu betrachten, erscheinen auch die Autorschaftskonzeptionen frühgriechischer wie klassischer Literatur als voneinander abgrenzbare, diachron wie synchron wirksame Praktiken und Sprechakte, die etwa in Form auktorialer Zuschreibung auftreten. Jedoch erschien der exekutive Aspekt der Werk-Verfertigung durch Schreiber, oder derjenige der Darbietung durch reproduktive Experten (Kap. 3.1.2), in der Antike der Funktion bedeutender ___________________________

89 Die Ansichten bei BUTLER (1990) sind hierfür insofern relevant, als sie von der kokreativen Rolle der Sprache und der determinierten Verfasstheit literarischer Diskursformationen durch soziale wie mediale Faktoren ausgeht. 90 BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 10: “Authorship might therefore be said to be the linchpin of literary studies”. 91 BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 11; vgl. 14: “We need, first and foremost, to analyse authorship in the context of concrete cultural manifestations (or performances), actual situations of text production, distribution and reception, taking into account material, discursive or institutional conditions and constraints.” Zu Autorschaft als Form sozialer Interaktion (zwischen Autor und Leser sowie Autor und Dingen) s. die Überlegungen zu Handlungszuweisungen (agency) an menschliche sowie nichtmenschliche Akteure bei LATOUR (2007); zu Autorschaft als sozialer Performanz BIGGS/TRAVLOU (2010) 29 (“Creativity can be a performative activity released when engaged through and by a community and understood as a process of interaction.”)

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(bisweilen mythischer) Autoren als zentraler Zuschreibungsinstanz nachgeordnet, da erst letztere ein bestimmtes Werk legitimierten. Insgesamt lässt sich kooperative Autorschaft in diesem literarhistorischen Bereich als Dissoziierung oder Assoziierung auktorialer Rollen deuten, die im Zuge der operativen Phasen bei der Produktion, Darbietung und Rezeption (die im Falle späterer Überarbeitung wieder zu Ko-Produktion wird) von Werken jeweils zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit changieren. Dabei tragen einzelne oder auch mehrere Akteure zur Genese eines Werks oder Textkorpus bei. Je nach kulturellem und medialem Hintergrund variieren die sukzessiven Schritte und involvierten auktorialen Funktionen eines solchen Arbeitsmodells. Gerade vor diesem Hintergrund ist es ein Desiderat gräzistischer Forschung, die sich in der Antike, besonders in der Archaik und Klassik herausformenden und wandelnden Formen und Funktionen kooperativer Autorschaft systematisch zu analysieren und im jeweiligen kulturellen Kontext zu verorten.92 Die vorliegende Studie setzt sich so zum einen das Ziel, Verbindungslinien zu neuphilologischen Herangehensweisen an das vielschichtige Phänomen ‚Autorschaft‘ aufzuweisen, und zum anderen gerade die auf spätere Literaturen prägend wirkende Sonderrolle griechischer Werke der archaisch-klassischen Zeit herauszustellen.

___________________________

92 Selbst neuere gräzistische Beiträge beleuchten das Feld aus eingeschränkter Perspektive: BEECROFT (2010) betrachtet epische wie lyrische Autorschaft selektiv aus dem Blickwinkel späterer kultureller Ansprüche im Kontext der Rezeption – vgl. zu Homer grundlegend GRAZIOSI (2002). MASLOV (2015) geht von einer allgemeineren Fragestellung aus und wendet sie auf Pindars Epinikien an (“What are the social and epistemological conditions in which the ascription of the text to a unique, biographically specific individual becomes a norm? What is the basis for an authority that stems from – and accrues to – the individual originator of a literary text?”, 49); die Beiträge bei BAKKER (2017) beleuchten Autorschaft in Lyrik und Elegie aus performanz-orientierter Perspektive, vgl. HAFNER (2018a). Die breit gestreuten Beiträge in BERARDI/FILOSA/MASSIMO (2020) bieten in vielfacher Hinsicht Interessantes zu den Bereichen ‚Werk-Attribution‘, ‚Autorschaft‘ und ‚Authentizität‘ in antiken Texten, doch fehlt eine übergeordnete und einheitliche theoretische Rahmung der insgesamt recht unterschiedlichen Zugänge und Themenfelder. Zu wenig Beachtung wird weiterhin der kooperativen Dimension von Autorschaft sowie dem Verhältnis zu medialen Faktoren, etwa der sich etablierenden Buchkultur, geschenkt (s. u. Kap. 4.3.4).

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2. ZUR KÜNSTLERISCHEN DARSTELLUNG VON AUTOR- UND URHEBERSCHAFT IM ARCHAI SCHEN UND KLASSISCHEN GRIECHENLAND Nec deinde multo plurium fama est, quorundam claritati in operibus eximiis obstante numero artificum, quoniam nec unus occupat gloriam nec plures pariter nuncupari possunt … (Plinius, Hist. Nat. 36.37)93 „Erst im Griechenland des 7. und 8. Jh. tritt der einzelne Schriftsteller mit seinem Namen hervor. Die Parallele zu den bildenden Künstlern, die seit ebendieser Zeit ihre Schöpfungen mit ihrem Namen versehen, ist deutlich.“94

Die vorliegende Studie nimmt die in frühgriechischer wie klassischer Literatur (8./7. bis 4. Jh.) zu Tage tretenden Funktionen, Stimmen sowie Fiktionen von Autorschaft näher in den Blick. Die Darstellung konkreter auktorialer Praktiken und deren textueller Dokumentationen eröffnet neue Perspektiven auf die Geschichtsschreibung des Autors in der griechischen Literatur der Archaik und Klassik. Sie verortet griechische Autoren – anstatt in den individuellen Umständen ihrer Biographien – innerhalb dynamischer auktorialer Zusammenhänge, in deren Rahmen sich in synchroner wie diachroner Hinsicht bestimmte Autorfunktionen, -stimmen und -fiktionen herausbildeten. Hiervon ausgehend stellt sich die methodische Frage, inwiefern die hierbei hervortretenden, spezifischen Autorschaftsmodelle zum weiteren kulturellen Kontext und anderen medialen Schauplätzen in Beziehung stehen? Inwiefern also hing die Ausübung einer spezifischen Autorfunktion ___________________________

93 „Daneben aber finden weit mehr Künstler überhaupt keine Beachtung, da selbst im Falle herausragender Kunstwerke die schiere Anzahl der Produzenten der Berühmtheit einzelner Individuen im Wege steht: Denn weder beansprucht dabei ein Einzelner Ruhm für sich, noch können zu gleichen Teilen mehr Künstler namentlich angeführt werden.“ Diese Worte äußert Plinius – nach einer Aufzählung bekannter Kunstwerke – u. a. mit Blick auf die rhodische Bildhauerwerkstatt der Laokoongruppe, konkret die Künstler Hagesandros, Polydoros und Apollodoros. Das Verb συμποιεῖν bzw. συμποιεῖσθαι, das etwa auf Ko-Autorschaft von Komödiendichtern verweist (Eup. fr. 89 PCG, Aristoph. fr. 596 PCG), wird in einem Scholion zu Aristophanes Wolken (ad V. 859b) bezüglich gemeinsamer Entwürfe und Planung im bildhauerischen Bereich verwendet (συμποιησάμενος μετὰ Φειδίου τοῦ πλάστου). Vgl. Strabo 8.3.30 über den Maler Panainos, den Neffen (ἀδελφιδοῦς, bzw. Bruder: Plin. Hist. Nat. 35.54, 57; Paus. 5.11.6) und Mitarbeiter (συνεργολάβος) des Pheidias, der mit diesem die Zeus-Statue in Olympia fertigte (πολλὰ δὲ συνέπραξε τῷ Φειδίᾳ Πάναινος ὁ ζωγράφος, ἀδελφιδοῦς ὢν αὐτοῦ καὶ συνεργολάβος). 94 SPEYER (1972) 333.

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zusammen mit der Medialität von Werken oder künstlerischen Artefakten? Welchen Bezug gab es zwischen entsprechenden autorpoietischen Praktiken und dem kulturellen sowie medialen Kontext, gerade wenn man bedenkt, dass technische Artefakte, Dinge und Objekte, beispielsweise Vasen oder auch Texte, selbst wiederum zu zentralen Faktoren künstlerischer Selbstdarstellung werden und in der Folge auktoriale Praktiken hervorbringen und prägen konnten? 95 Die Untersuchung der Spuren eines Autors oder Künstlers in einem Text oder Bild lässt sich in der idiomatischen Frage bündeln, wer darin jeweils ‚verantwortlich zeichnete‘ (τίς ἐποίησε bzw. ἔγραψε). Besonders relevant für die Gegenüberstellung antiker Literatur und Kunst hinsichtlich der jeweiligen auktorialen Praktiken ist, dass das griechische Verbum ποιεῖν auf den Vorgang des Verfertigens von Gedichten und Texten sowie bildnerischer Artefakte verweist: „Das antike Konzept von P[oesie] ist eng verbunden mit dem Hersteller von P[oesie], dem ,Poeten‘.“96 Das Verb ποιεῖν, das Prozesse der Herstellung mit Blick auf ein angestrebtes Resultat oder Produkt bezeichnet („verfassen, herstellen, dichten, komponieren“), wird im Laufe der Zeit zum verbum agendi, das die Tätigkeit des ‚Poeten‘ kennzeichnet. Wurde der Dichter als Hersteller oder Verfertiger von Gesang zuerst ἀοιδός („Sänger“) genannt (etwa in Il. 24.720, Od. 3.267, 3.270, 4.17, 8.87; Hes. Theog. 95, 99, erg. 26),97 findet sich der Terminus ποιητής für den Dichter zuerst im 5. Jh., bei Herodot (2.53.3) und Aristophanes (Frösche 96, 1030): Somit lässt sich von der archaischen Zeit bis ins 5./4. Jh. ein semantischer Wandel bei der Bezeichnung des ‚Produzenten von Dichtung‘ feststellen,98 vom archaischen ‚Sänger‘-Begriff hin zu einer Auffassung des Autors als eines Handwerkers, eine Entwicklung, die sich in der späteren auktorialen Terminologie ποιεῖν („herstellen, produzieren“), ποιητής („Hersteller, Produzent, Dichter“) sowie ποίημα („Produkt des Dichters, Gedicht“) spiegelt. 99 Zugleich lässt sich jedoch weiter eine lexikalische Diskrepanz in der Begriffsverwendung einerseits bei Prosa-Autoren – besonders in der Historiographie oder bei Fachschriftstellern, ferner in der Komödie – feststellen, bei denen sich die Verwendung von ποιητής und verwandter Formen (besonders Komposita ___________________________

95 Vgl. zu materiellen Objekten und Dingen als Handlungsträgern LATOUR (2007). Auch in der Kunstwissenschaft des 21. Jh. ist ein Paradigmenwechsel hin zur Erforschung von Autorschaft und zum (wiedererstandenen) Autor im Kunstwerk feststellbar: CADUFF/WÄLCHLI (2008), VON BISMARCK (2010). 96 HOSE (2016b) Sp. 1153; s. die Übersicht über das Wortfeld bei HOSE (2016a) Sp. 1056f. 97 Ebd. Vgl. auch die prominente Passage Od. 17.382-385, wo Eumaios den Sänger (ἀοιδός) zur Liste der „talentierten Handwerker“ (δημιοεργοί) zählt (τίς γὰρ δὴ ξεῖνον καλεῖ ἄλλοθεν αὐτὸς ἐπελθὼν | ἄλλον γ᾽, εἰ μὴ τῶν οἳ δημιοεργοὶ ἔασι, | μάντιν ἢ ἰητῆρα κακῶν ἢ τέκτονα δούρων, | ἢ καὶ θέσπιν ἀοιδόν, ὅ κεν τέρπῃσιν ἀείδων;). 98 Vgl. den Überblick bei FORD (2002) 131-157 (“The Origin of the Word “Poet””). 99 TAYLOR (2017) 22-26 verbindet in seinem Konzept der artiginality auktoriale und handwerkliche Dimension.

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auf -ποιός)100 durchsetzt, und andererseits in der durchgängigen Verwendung von ἀοιδός im gehobenen Register der Tragödiensprache.101 Zugleich ist die semantische Transformation insgesamt Indiz für den schrittweisen Übergang von einem performanzorientierten Autorschaftsmodell hin zu einem, das auf der bleibenden und entsprechend tradierten Authentizität und Autorität beruhte. So bringt im 5./4. Jh. das Verbum ποιεῖν auch “a sense of songs as texts to be studied rather than performed” mit sich. Der veränderte Sprachgebrauch deutet somit auf “an increasing awareness of the lasting powers of texts [which] supported the conception of song as a stable work rather than a performance”.102

Sowohl für die Bereiche literarischer (Text-)Produktion als auch für diejenigen, in denen bildende Künstler wirkten, stellt sich die Frage nach der Einordnung entsprechender Werk-Urheberschaft in ein Spektrum starker (autonomer) und schwacher (kooperativer) Formen von Autorschaft. Für beide Produktionsbereiche der Antike gilt – entgegen den Annahmen der Autonomie-Ästhetik, die Kunstwerke als Schöpfungen individueller Künstler ansieht – die Einsicht, dass Urheber lediglich relativ autonome Akteure im Rahmen auktorialer Praktiken waren: So erscheint es angemessen, ihre Autorschaft innerhalb der kulturellen Topographie der griechischen Archaik und Klassik zu verorten und nach dem Kontext ihres Schaffens zu fragen. Ein Modell kooperativer Autorschaft auch im Bereich der Materialproduktion – man denke an Töpfer-, Maler- oder Bildhauer-Werkstätten103 –, kann dabei helfen, die dortigen ko-kreativen Schaffensprozesse in den Blick zu nehmen und besser beschreiben zu können. Ein solche Werkstattkooperation lässt sich folgendermaßen fassen: “A workshop is defined by attributing vases to painting and potting hands, establishing relations between several hands, and tracing their development.”104

So lässt sich etwa um den berühmten Töpfer und Vasenmaler Exekias, der in der zweiten Hälfte des 6. Jh. in Athen schwarzfigurige Ware produzierte, eine Werkstattkooperative beobachten, die dem Meister tatkräftig zuarbeitete: ___________________________

100 Im Zuge der Professionalisierung und Ausdifferenzierung literarischer Herstellungsprozesse im Hellenismus erhielten Endungen auf -ποιός terminοlogische Relevanz. Vgl. FORD (2002) 134: “By the fourth century, writers on poetry enjoyed a range of generic terms formed from this suffix to name composers of dithyrambs, elegies, iambics, comedies, and fables or stories (διθυραμβοποιός, ἐλεγειοποιός, ἰαμβοποιός, κωμῳδοποιός, and μυθοποιός).” 101 FORD (2002) 137 mit Anm. 2. 102 Beide Zitate entstammen FORD (2002) 154 und 157. 103 Hierzu SQUIRE (2013). Zu Töpferwerkstätten vgl. ESCHBACH/SCHMIDT (2016). 104 VAN DE PUT (2016) 118.

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“it now appears that Exekias may have had some assistance from one or more members of his workshop in the production of some work between figured scenes and subsidiary painting, as well as less clear-cut indications that some reverse scenes might have included details by a second hand within depictions by the master.”105

Außer von verschiedenen Schaffensphasen des Exekias zeugen die Werke auch von einer Vielzahl von Händen, welche in die künstlerische Produktion involviert waren: “It seems […] appropriate to think of a group of artisans of varying skills working towards common cause in production, as workshop pressures might require.”106

Gegenläufig zu den kooperativen Produktionsbedingungen findet sich auch auf materiellen Bildträgern (wie Vasen) oder Monumenten von früh an individuelle Urheberschaft deklariert.107 Produzenten schreiben sich über Aufschriften in ihre Werke ein und bleiben somit darin oder darauf präsent, wie sich etwa anhand von Autor-Signaturen auf Weih-Inschriften seit der Archaik zeigt – mit Blick auf die jeweiligen Produzenten-Signaturen konnten später auch Gedichte den Charakter von Weih-Inschriften annehmen.108 Urheberschafts-Marker in Form von Inschriften sind auf materiellen Objekten, besonders Vasen, im griechischen Raum ab der zweiten Hälfte des 8. Jh. und dann vor allem für das 7. Jh. nachweisbar. In aller Regel handelt es sich bei solchen Signaturen um auf die jeweiligen Objekte, zumeist nur noch fragmentarisch erhaltene Vasen, eingeritzte Graffiti oder aufgemalte Dipinti. 109 Auf archaischen Vasen mit sinnhaften – oder unsinnigen – Schriftzügen erscheint die Schrift in der Verbindung mit Bebilderung dabei meist in stark dekorativer Funktion.110 Auch die performative Lektüre der Schrift, die in ___________________________

105 MACKAY (2016) 87. 106 MACKAY (2016) 92. 107 SQUIRE (2013) 379 gibt Beispiele von Werkstatt-Produktionen, auf denen sich die Signaturen berühmter Meister finden, die den Herstellenden als Vorbilder dienten. 108 HOSE (2021) Sp. 973 bietet Beispiele von Sphragides, die inschriftlich überliefert oder als Inschrift gestaltet sind: Ion von Samos (p. 87 Diehl-Beutler); Erinna fr. 5.8 Diehl (= AG 7.710); die Dreifuß-Inschrift des Echembrotos bei Paus. 10.7.4; Isyllos V. 1-2 und 32-33, 83-84 (d. h. Anfangs-, Mittel- und Endstellung der Sphragis); je V. 1-2 Coll. Alex. der Päane des Limenios (Λιμήνιος Θοίνου Ἀθηναῖος) und Aristonoos (Ἀριστόνοος Νικοσθένους Κορίνθιος). 109 Einschlägiges zu Verfassersignaturen auf Vasen, Inschriften – jeweils im gestalterischen Kontext des bebilderten Träger-Objekts – bieten OSBORNE/PAPPAS (2007), OSBORNE (2010), HURWIT (2015), HEDREEN (2016). 110 Neben örtlichen Vorlieben lassen sich auch Einflüsse zwischen den Poleis feststellen. OSBORNE/PAPPAS (2007) 139 vermuten gar Einflüsse früher Schriftzüge auf die VasenBebilderung (“the move from text to image is arguably even more substantial than the move from oral to written text” und “perhaps images had to learn the possibilities of

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aller Regel mit lauter Stimme erfolgte, bot Möglichkeiten der physischen Interaktion mit dem Objekt. Eines der frühesten Zeugnisse einer Inschrift im griechischen Alphabet auf einem Gebrauchsgegenstand – neben dem ‚Nestor-Becher‘ von Pithekoussai (ca. 725-715 v. Chr.) oder der attischen Dipylon-Oinochoe (ca. 740-730) – ist der Skyphos des Hagesandros, auf den man jüngst bei Ausgrabungen in der Nordägäis, im thessalischen Methone, stieß, das 800-500 v. Chr. vom euböischen Eretria aus kolonisiert wurde. Aus den insgesamt 25 alphabetischen Inschriften Methones (meist auf ca. 735-730 datiert)111 ragt der auf dem um 700 v. Chr. entstandenen Gefäß befindliche Vers-Graffito durch seine metrische Gestaltung heraus. Nach zumindest partieller Rekonstruktion lauten die beiden Verse: Ηακεσάνδρō ἐ̄μ[ὶ-- ……… με̄δὲ̄ς -- (ἀν)κλ]εττέτō· [hὸς δ᾽ ἄν] με κ[λέφσει ὀμ(μ)]άτōν στερέ̄σ[ετ]αι. „Von Hagesandros stamm’ ich – niemand darf mich stehlen: Wer auch immer mich stiehlt, wird seiner Augen beraubt!“112

Der anfängliche Genitiv zeigt den Besitzer – und/oder den Urheber – des Skyphos an,113 wobei im Gegensatz zur ornamentalen, iambisch-hexametrischen Inschrift auf dem Nestor-Becher, auf dem ebenfalls eine imaginäre Ich-Rede des inschrifttragenden Bechers (ποτήριον) zu lesen steht, von keinem Bezug auf eine mythologische Figur auszugehen ist.114 Doch auch im Falle des Hagesandros-Graffito ___________________________

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directionality from writing before the temporal element, which is such an unavoidable feature of texts, could acquire its visual analogue in the spatial element which is the unavoidable feature of pictures”). Zu den jüngeren Funden am Thermäischen Golf s. die Beiträge in STRAUSS CLAY/MALKIN/TZIFOPOULOS (2017). Zum Nestor-Becher sei aus der angewachsenen Sekundärliteratur der neuere Beitrag von GAUNT (2017) angeführt. Vgl. zu dieser und einer alternativen Rekonstruktion des Wortlauts PAPPAS (2017) 291 mit Anm. 12. Ein Verweis auf den Urheber ist sehr plausibel, da im Griechischen die Semantik der Verfasserschaft – über den genitivus auctoris – direkt an diejenige des Besitzverhältnisses – über den genitivus possessoris (possessivus) – angrenzt. Zur besitzanzeigenden Form ἐμί plus Genitiv auf Verfasser-Inschriften vgl. PAPPAS (2017) 288f. mit Fig. 1-4. Alternativ wurde Urheberschaft auf Vasen durch Angabe des Verfassers in der dritten Person angezeigt, gefolgt von με ἐποίησε(ν) (zuerst auf einem spätgeometrischen euböischen Skyphos aus Pithekoussai vom Ende des 8. Jh.) oder με ἔγραψε(ν) (bzw. ἔγραφσε[ν]), d. h. das Objekt selbst verwies die Betrachter in imaginierter Rede auf den eigenen Urheber. Bereits CAZZATO/OBBINK/PRODI (2016) 3-6 (Einleitung) bringen den Nestor-Becher mit der Hagesandros-Inschrift zusammen. Die Nestorbecher-Inschrift lautet tentativ rekonstruiert nach GAUNT (2017) 97: Νέστορός ε[ἰμ]ι εὔποτ[ον] ποτέριο[ν] | hὸς δ’ ἂ τōδε π[ίε]σι ποτερί[ο] αὐτίκα κε̄νον | hίμερ[ος hαιρ]έσει καλλιστε[φά]νο Ἀφροδίτες.

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verweist der Inschriftenträger auf einen sympotischen Kontext als sozialen Verwendungsrahmen oder ‚Sitz im Leben‘ von Skyphos und damit auch Inschrift: Es ist anzunehmen, dass das adressierte Publikum in diesem Kontext mit Dichtung umzugehen verstand – man achte etwa auf den Poetizismus ὀμμάτων in Vers 2. Zugleich wird der Becher durch die Inschrift und den Namen des Besitzers gewissermaßen gesiegelt, wobei möglichen Dieben Blindheit angedroht wird. Damit verdeutlichen Versinschriften wie diejenige auf dem Skyphos von Methone anhand ihrer Signaturen Besitzverhältnisse und kontrollieren mittels entsprechender Attribuierungen zumindest zu einem gewissen Grad die Rezeption des (in Zukunft) potenziell zirkulierenden, wertvollen Objekts. Dies erinnert an die berühmten Verse der theognideischen σφρηγίς (Thgn. 1920): Κύρνε, σοφιζομένωι μὲν ἐμοὶ σφρηγὶς ἐπικείσθω τοῖσδ’ ἔπεσιν–λήσει δ’ οὔποτε κλεπτόμενα … „‚Kyrnos‘ soll von mir mit kluger Überlegung als Siegel [σφρηγίς] aufgedrückt sein den vorliegenden Versen. Nie wird deren Diebstahl unbemerkt bleiben …“

Da das archaische Symposion den gemeinsamen Rahmen bildete, in dem sowohl Vasen(bilder) als auch Dichtung situiert waren, erscheint es angemessen, die jeweiligen Signaturen miteinander zu vergleichen und beiden Medien, Vasenmalerei wie Dichtung, konvergierende künstlerische Konzeptionen zuzusprechen: Bilder (und deren Aufschriften) sowie Gedichte zirkulierten gleichermaßen im Kontext der (spät-)archaischen Festkultur und durchdrangen dabei materielle wie sprachliche Ordnungen. Insofern lohnt es sich, die Frage nach der Artifizialität, ja Literarizität (bzw. Fiktionalität) von Künstlersignaturen und Autorschaftsmarkierungen mit Blick auf beide Medien zu stellen. Eine literarische Ich-Aussage, wie man sie aus der frühen Dichtung kennt115 und die deutlich auf eine fiktionale Modellierung verweist, findet sich bereits auf dem Nestor-Becher von Pithekoussai (Νέστορός ε[ἰμ?]ι116 εὔποτ[ον] ποτέριο[ν]). Doch lassen sich gerade auch bei attischen Töpfern und Vasenmalern des 7.-5. Jh. v. Chr bemerkenswerte Neuerungen in der Auffassung vom Künstler und seiner Darstellung im Bild feststellen, die an zeitgleich auftretende Phänomene in der archaischen Dichtung erinnern. 117 Zu Merkmalen dieser Auffassung zählen: ___________________________

115 Vgl. die Selbstvorstellungen fiktionaler Epen-Charaktere in Od. 6.196 (εἰμὶ δ’ ἐγὼ θυγάτηρ μεγαλήτορος Ἀλκινόοιο) und 9.19 (εἴμ’ Ὀδυσεὺς Λαερτιάδης) oder die IchRede in Archil. fr. 1 W. (εἰμὶ δ’ ἐγὼ θεράπων). 116 Zu den zahlreichen vorgeschlagenen Lesarten, etwa ἐ[γῶμ]ι oder ἔ[ην τ]ι, vgl. GAUNT (2017) 96 mit Anm. 15. 117 Zum Folgenden vgl. HEDREEN (2016).

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“Fictionalization of the self, pseudo autobiography, self-incorporation of creator into creative work, and strong characterizations of artisans”.118

Als Meisterstücke künstlerischer Innovationskraft können die rotfigurigen Vasen des Töpfermalers Euphronios (6./5. Jh.) und der ihn umgebenden Künstler gelten, in deren Werkstätten ebenso pionierhaft wie manipulativ mit fiktiven KünstlerSignaturen und -Figuren experimentiert wurde: Auf einem mit ΣΜΙΚΡΟΣ ΕΓΡΑΦΣΕΝ („Smikros war der Maler“) signierten, rotfigurigen Brüsseler Stamnos (zweite Hälfte 6. Jh.; heute in den Musées royaux d’Art et d’Histoire, A717) ist die Figur eines Symposiasten mit einer Beischrift versehen, die diesen gleichfalls als einen gewissen ‚Smikros‘ ausweist. Während die frühere Forschung Smikros zum Schüler oder Imitator des Euphronios erklärte, weist man den Stamnos stilistisch inzwischen dem Euphronios zu und deutet Smikros entsprechend zu dessen fiktiver Künstler-persona um.119 Der Künstler Smikros erscheint demnach als Erfindung des Euphronios, der eine fiktive Malerfigur provokant ins Bild setzte.120 Entgegen der Annahme, die in Signaturen und Beischriften auf Vasen des Euphronios-Kreises verwendeten Eigennamen seien rein historisch zu deuten, kommt es demnach zur Fiktionalisierung einer Künstler-Figur im Bild – medientechnisch vergleichbar mit dem poetischen Verfahren in der Odyssee, in welcher der Dichter im Rahmen der Apologe (Od. 9-12, s. Kap. 4.3.2) mit Odysseus eine Autor- und zugleich Akteurs-Figur auftreten lässt, die wie ein der Verstellung kundiger Dichter porträtiert ist.121 So hatte die frühere Forschung zum Brüsseler Stamnos noch notiert, dass “[f]or a moment the artist, one might say, seems to edge his everyday personality a little farther into the world of his creation”.122

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118 HEDREEN (2016) 54. 119 HEDREEN (2016) 33: “Perhaps he [d. h. Smikros] is nothing more than a fiction?” 120 Dies findet eine bemerkenswerte literarische Parallele in der Kyrnos-Signatur des corpus Theognideum. So fungiere Smikros im Werk des Euphronios laut HEDREEN (2016) 58 als Sphragis, mit welcher der Maler eine “illusion of artistic individuality” erzeuge und sein künstlerisches Produkt markiere. Zugleich problematisiere die Signatur durch einen anderen Maler (‚Smikros‘) das Problem des Diebstahls künstlerischen Eigentums. 121 Ebd. zur Auffassung von Künstlertum in der Odyssee (“dissimulation and persuasion”) als Ausgangspunkt einer neuen Konzeption des Künstlers als “socially marginal, sometimes physically imperfect, but rhetorically clever, technically peerless, and a master of fiction” (xiii). Zur Randständigkeit des Dichters s. auch SPEYER (1999). 122 BEAZLEY (1989) 47. Zur (antiken) Kunstgeschichte als “history of creators” bzw. Meisterforschung sowie zum Unbehagen angesichts anonymer Werke PLATT (2016) 277f. (u. a. mit Verweis auf John Beazley).

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Ging man hier noch vom historischen Künstler aus, der sich selbst in sein Werk hineinmalte – eine Ansicht, die Parallelen in ‚biographistischen‘ Lesarten der älteren Literaturwissenschaft fand –,123 wird der empirische Künstler inzwischen nicht mehr mit den werkimmanenten Künstlerfiguren gleichgesetzt. Vielmehr kennt die attische Vasenmalerei spätarchaischer Zeit viele Signaturen, auf denen sich wie auf der Brüsseler Vase fiktive oder pseudonyme Künstler-Namen finden: Diese fungieren als werkinterne Kommentare der Darstellung und stehen als eigene Bedeutungsträger in Verbindung mit der Aussage des Kunstwerks. 124 Solche Ansichten zur Modellierung künstlerischer Urheberschaft finden wiederum ihre Entsprechung in neueren Ansätzen der Literaturwissenschaft, die in Überwindung sowohl biographistischer Auffassungen als auch des poststrukturalistischen Diktums vom ‚Tod des Autors‘ untersuchen, wie stark und nuanciert Autorstimmen in Texte eingeschrieben werden. Demnach luden die erfindungsreichen Pionierkünstler um Euphronios ihre Betrachter zu einer ‚fiktionalen Lektüre‘ der Bilder ein, die durch den besonderen Charakter ihrer Bildersprache eine überzeitliche Aussage tragen. Zugleich lässt sich die Smikros- wie die Kyrnos-Signatur bei Theognis jeweils als Sphragis deuten, mit welcher der jeweilige Urheber nicht nur eine “illusion of artistic individuality”125 erzeugte und das künstlerische Produkt markierte, sondern darüber hinaus auch das Problem des Diebstahls und der unkontrollierten Zirkulation künstlerischer Artefakte thematisierte. Vergleichbar dem poetischen Vorgehen in der Odyssee konnte Autorschaft somit auch auf Bildern ‚medien-intern‘ modelliert und eine fiktive Künstlerfigur ‚ins Bild gesetzt‘ werden, ohne dass es sich dabei um eine (auto-)biographische Notiz des schaffenden Künstlers handeln musste. Doch nicht nur dies. In späterer Zeit lassen sich Künstler-Signaturen nach Art von Autorfiktionen nachweisen, wenn anonyme Künstler oder Handwerker versuchten, ihr Werk durch die Urheberschaft eines gefeierten archaischen Künstlers zu nobilitieren, und sich zu diesem Zwecke dessen Namen und Autorität aneigneten. So tragen etwa die kaiserzeitlichen Tabulae Iliacae den Namen des berühmten Künstlers Theodoros von Samos, der bereits im 6. Jh. v. Chr. gewirkt hatte und neben anderem berühmt für seine MiniaturWerke gewesen war – aus Theodoros’ Werkstatt stammte etwa Polykrates’ ___________________________

123 Doch arbeitet HURWIT (2015) erneut den individuellen Künstler als Originalgenie heraus: Sein Buch richtet sich gegen diejenigen, “who wish to overthrow the idea of the individual creative artist as the principal generator of artistic change and who wish to banish the concepts of ‘genius’ or ‘personality’ or ‘originality’ from art historical discourse” (6). Vgl. die Kritik an diesem Ansatz bei SQUIRE (2017). 124 HEDREEN (2016) 238 (“contributions of names to the making of pictorial meaning”). Die Attische Vasenmalerei spätarchaischer Zeit kennt viele Signaturen, auf denen sich wie auf der Brüsseler Vase fiktive Künstler-Namen finden, etwa die allusiven Namen Paidiskos oder Priapos. 125 HEDREEN (2016) 58.

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Smaragd-Ring, den dieser als seinen teuersten Besitz ansah (Hdt. 3.41.1). Vermittels der retrospektiven, und in diesem Falle deutlich anachronistischen, Autorisierung durch einen berühmten (‚deklarativen‘, s. u.) Autor ‚alter Zeit‘ durften sich die tatsächlichen Verfertiger der Tafeln gesteigerte Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit sowie kommerziellen Erfolg erhoffen.126 Entsprechend transportierte die fiktive Autorschaft des Theodoros auf den Tabulae Iliacae eine besondere ‚onomastische Botschaft‘: “names need not just tell and convey, but can also portray, depict, and figure. […] [T]he ‘Theodorean’ pseudonymity stages a related game about the feigned voice of the artist.”127

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126 Hierzu SQUIRE (2013) 375: “certain names could carry more cultural (and hence commercial) authority than others”. S. 370ff. nennt er als Faktoren für die Wahrnehmung von Kunst in der Kaiserzeit (ab dem 1. Jh. v. Chr.) ein kanonisches Register individueller Künstler des 5./4. Jh. sowie Wechselwirkungen zwischen der Identität des Künstlers – ob dieser auf dem Objekt signiert hatte oder nicht – und der Reaktion des Publikums. Zu gefälschten Bildwerken, die unter berühmten Namen kursierten, HIGBIE (2017) 101-110. Zur Praxis der Übertragung berühmter auctoritas auf neue Kunstwerke vgl. die Worte des Fabel-Dichters Phaedrus, der seinen Rückgriff auf den berühmten Namen des Proto-Fabeldichters Aesop (5 prol. 1 Aesopi nomen sicubi interposuero) mit dem Vorgehen bildender Künstler vergleicht (5 prol. 4-7 ut quidam artifices nostro faciunt saeculo, | qui pretium operibus maius inveniunt novis | si marmori adscripserunt Praxitelen suo, | detrito Myn argento, tabulae Zeuxidem). 127 SQUIRE (2013) 400. Statt von Pseudonymie ist gemäß dem in der vorliegenden Untersuchung verfolgten Ansatz besser von (primärer) Pseudepigraphie bzw. Autorfiktion die Rede: vgl. Kap. 5.1.

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Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur

3. AUTORFUNKTIONEN ODER DIE FRAGE NACH AUKTORIALER AUTONOMIE IN FRÜH GRIECHISCHER UND KLASSISCHER LITERATUR Ein zentraler Ausgangspunkt der vorliegenden Studie ist die Frage nach der Einordnung frühgriechisch-klassischer Autorkonzeptionen innerhalb des polaren Spektrums auktorialer Autonomie und Heteronomie bzw. ‚starken‘ und ‚schwachen‘ Konzepten von Autorschaft;128 mit anderen Worten, inwieweit individuelle Autoren innerhalb kooperativer Schaffensprozesse lokalisiert werden können bzw. sich selbst darin lokalisierten. Es sei vorweggenommen, dass sich für den untersuchten Bereich archaischer und klassischer Literatur keine idealtypische Polarität starker Autonomie vs. starker Heteronomie feststellen lässt: Entsprechend verdeutlicht die vorliegende Analyse von Autorschaftskonzeptionen, dass weder die Vorstellung einer ‚starken‘ Autor-Autonomie, wie sie Konzepten der AutonomieÄsthetik entspricht, zutreffend erscheint, noch einer ‚starken‘ Heteronomie, in der Form, wie sie Platons folgenreiche Dichterkritik konstruiert: Für den untersuchten Zeitraum der Archaik und Klassik lässt sich vielmehr ein Spektrum verschiedener Modelle kooperativer Autorschaft beobachten – darunter auch der Sprechakt der häufig späteren Zuweisung individueller Autorschaft.129 Im Anschluss daran – in Kapitel 4 – werden vier grundlegende Autorschaftstypen frühgriechischer wie klassischer Literatur beleuchtet. Dieser Fundus an Spielarten auktorialer Konfiguration – die allesamt an der Schnittstelle von extratextueller Realität (Autor-Biographie) und Literatur (Autor-Modellierung im Textmedium) angesiedelt sind – lässt sich innerhalb eines breiten Spektrums von ‚schwacher‘ vs. ‚starker‘ Autorschaft lokalisieren, je nachdem, wieviel Autonomie die medialen Kontexte und Umstände den jeweiligen Akteuren bei der Steuerung der Werkzuschreibung zugestanden. ___________________________

128 Vgl. BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 8: “Our point of departure is the observation of a gap between a ‘strong’ concept of authorship as autonomous agency, original creativity and intellectual ownership, and a ‘weak’ (but historically much more prevalent) concept of heteronomous authorship as a product of cultural networks and their acts of authorization. To understand how authorship was historically performed, we are focusing on the material dimensions of culture and media in order to explore their effects on the diffusion of ideas, knowledge and literary forms related to authorship.” 129 BERENSMEYER (2001) 120 beschreibt die ‚Produktion des Autors‘ als „Zuschreibungsinstanz kommunikativer Akte“ und „wandelbar[es]“ sowie „temporäre[s] Resultat […] von Performanz“.

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3.1 Autorfunktionen (‚Auteme‘) nach Harold Love Zentral für die Untersuchung kooperativer Autorschaft sind die Analysen des australischen Literaturwissenschaftlers Harold Love (1937-2007) zu Formen und Phasen von collaborative authorship,130 die – nicht ohne Adaptionen mit Blick auf die Alterität vormoderner Verfasstheiten zu vernachlässigen – eine gewinnbringende heuristische Ausgangsbasis für die Untersuchung frühgriechischer und klassischer Autorschaftskonzeptionen bieten. Laut Love lassen sich bei der Genese literarischer Werke verschiedene Phasen bzw. Aktivitäten im Kontext kooperativer Autorschaft unterscheiden, sogenannte ‚Auteme‘ (englisch authemes < author; deutsch Auteme < Autor), die synchron oder diachron von mehreren Akteuren oder einem Akteur erzeugt werden:131 Love lehnt entsprechend die Auffassung von Autorschaft als einer solitary practice132 ab. Bei der Unterscheidung chronologisch wie funktional abgrenzbarer Autor-Aktivitäten oder Phasen der Arbeit an und mit literarischen Texten beruft sich Love auf die antike Systematisierung der Produktionsstadien einer Rede (officia oratoris), wie sie systematisch etwa Quintilian bietet (inst. 3.3.1):133 Ihr wurde aufgrund des kontinuierlichen Florierens antiker Regelpoetiken bis in die Frühe Neuzeit Gültigkeit zugesprochen. Daran anknüpfend definiert Love seine eigene Konzeption von Autorschaft „in Bezug auf eine Reihe von Funktionen, die im Laufe der Entstehung eines Werks auftreten, statt als eine einzelne, kohärente Aktivitätˮ. 134 Autorschaft bezeichne so nicht

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130 LOVE (2002) 32-50. Zwar liegt ein Schwerpunkt von Loves Untersuchung auf der englischen Literatur der Frühen Neuzeit, doch überwiegt eine komparatistische Perspektive, die weite Bereiche des Western Canon von der Antike an umfasst und somit zahlreiche Anküpfungspunkte für weitere literaturwissenschaftliche Forschungsfelder bietet. 131 Vgl. u. a. LOVE (2002) 50. Dagegen geht LIVINGSTON (2007) 80-83, wo stricto sensu Autor und ‘editor or compiler’ getrennt werden (81), von einem m. E. zu engen, da nicht-diachronen Verständnis von ‘joint authorship’ aus. 132 Begriffe bei BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 8. 133 LOVE (2002) 39 mit Anm. 20. Diese officia sind inventio, dispositio, elocutio, memoria und pronuntiatio/actio. 134 LOVE (2002) 39: “in relation to a series of functions performed during the creation of the work rather than as a single, coherent activity” (hier wie in späteren Passagen liegt meine eigene Übersetzung vor).

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Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur „die Voraussetzung, Urheber von Werken zu sein, sondern eine Reihe von miteinander verbundenen Aktivitäten (Autemen), die manchmal von einer Person, oft jedoch kooperativ von mehreren Personen hintereinander ausgeübt werden“. 135

Solche auktorialen Aktivitäten verteilen sich somit entweder funktional auf verschiedene Spezialisten oder chronologisch auf sukzessiv agierende Akteure. Sie sind insgesamt Ausdruck kooperativer soziokultureller Praktiken; mit Blick auf die Antike basierten sie auf multiauktorialen Netzwerken und einer Vielzahl von Akteuren, die mit der Abfassung, Verbreitung, (Wieder-)Aufführung und Überlieferung eines Werks beschäftigt waren. In Erweiterung der Foucault’schen Terminologie der fonction-auteur, der historisch variablen klassifikatorischen Funktion des Autornamens, 136 unterscheidet Love zwischen auktorialen Aktivitäten, Phasen oder Autorfunktionen (‚Autemen‘), die alle im Laufe der Werkproduktion auftreten können. Im Bewusstsein der damit verbundenen Komplexitäts-Reduktion 137 differenziert er vier Autorfunktionen, nämlich präkursorische Autorschaft (precursory authorship), exekutive Autorschaft (executive authorship), deklarative Autorschaft (declarative authorship) sowie revisorische Autorschaft (revisionary authorship).138 Laut Love handelt es sich dabei um „ein variables Modell, das für verschiedene Schriftkulturen jeweils neu formuliert werden muss“. 139 Somit bleibe es Aufgabe der Literaturwissenschaft, die „institutionellen Quellen schriftlicher Produktionen (of the writing) sowie die Umstände von deren Sammlung und Überarbeitung“ für die entsprechenden Kulturen jeweils zu rekonstruieren. 140 Kooperative ___________________________

135 Ebd.: “the condition of being an originator of works, but a set of linked activities (authemes) which are sometimes performed by a single person but will often be performed collaboratively or by several persons in succession”. 136 Vgl. FOUCAULT (1969/2000). Love verarbeitet Foucaults fonction maßgeblich im Autem des declarative author. 137 LOVE (2002) 50: “This broad separating out of phases given in this paper falls considerably short of giving a complete muster roll of authorial functions but will suggest some of the varieties of individual agency likely to be involved in the composition of a piece of published writing […]. [T]he processes responsible for the final form of the majority of works are more complex and on occasions utterly baffling.” 138 LOVE (2002) 40-49. 139 LOVE (2002) 39: “a variable model requiring to be reformulated for different writing cultures”. 140 LOVE (2002) 45: “institutional sources of the writing and the circumstances of its compilation and revisions”. Laut LOVE (2002) 34 können Autor-Aktivitäten von Personen bzw. Gruppen ausgeübt werden. Vgl. die ‚kollektive Subjektivität‘ Goethes, der auf den Faust als Werk eines „kollektiven Wesens“ (œuvre d’un être collectif) verwies, das im Titel zufällig den Namen Goethes trage: DETERING (2002) xii. Auteme können ferner von höheren Wesen ausgeübt werden, deren Kooperation dichterische Autonomie prima facie einschränkt: Love nennt Homers Epen, in denen der Dichter als “channel for meanings conveyed from a higher being” und die Werke als Antwort der Musen

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Autorschaft ist gemäß Love zwar ein transhistorisch wirksames Spezifikum von Textkulturen; sie bedarf mit Blick auf eine bestimmte Schreib- oder Textkultur jedoch entsprechender Kontextualisierungen. Loves Typologie besitzt wesentliche Vorteile gegenüber früheren Versuchen, Autorschaft und Autorfunktionen zu definieren: Einerseits ist sein Ansatz funktional universeller und literaturhistorisch anwendbarer als der zwar wegbereitende, doch gleichzeitig reduktive Ansatz bei Michel Foucault (1969/2000), dessen Betrachtungen über die Funktionsweise des Autornamens mit der Frühen Neuzeit einsetzen und sich dann besonders auf das 19./20. Jh. – und dabei besonders die Begründer textueller Formationsregeln und Diskurse: Freud und Marx – konzentrieren.141 Bei Foucault tritt außer der Zuschreibung von Diskursen an Autor-Figuren und -Namen kein Handlungsmodell performativ verstandener Autorschaft hervor, wodurch die Tätigkeit des Verfertigens oder Revidierens von Texten aus der Serie auktorialer Aktivitäten ausgeschlossen wird. 142 Dieser Aspekt lässt Loves Modell der Auteme ebenfalls vielversprechender als den Ansatz bei Jerome McGann (1988) erscheinen, der kategorisch zwischen der Textproduktion bzw. dem Schreiber (writer) und dem Text in der öffentlichen Sphäre des Autors (author) unterscheidet: Bei seiner Gegenüberstellung von Hans Walter Gablers berühmter Edition von James Joyces Ulysses (1984) mit der ersten Ausgabe desselben Texts (1922) äußert McGann, Gablers Edition stelle den Ulysses so dar, wie Joyce ihn tatsächlich komponiert habe, in einem ständigen Akt des Schreibens und Überschreibens, während die Erstausgabe dem Text am nächsten komme, den Joyce als Autor für die Öffentlichkeit bestimmt habe: Damit gehören für McGann ___________________________

auf dessen Frage im Proöm erschienen. Auch im Alten Testament geben die Propheten (LOVE [2002] 34) nicht vor, mit eigener Stimme zu sprechen, sondern überbringen die im Traum oder durch Engel vermittelten Botschaften Gottes. Vgl. MASLOV (2015) 52 zu Empfängern göttlichen Gesetzes: “the individual serves as a proxy for divine provenance. A human “author” is called for as a mediator (a “prophet”) that channels divine authority.” 141 Vgl. die Kritik bei NEHAMAS (1986) 690: “there are strong reasons to believe that this figure’s [d. h. die Autorfigur] history is longer and more complex” und VICKERS (2002) 506ff., der Foucaults Theorie die antike Genese auktorialer Werkherrschaft und individueller Autorschaft entgegenhält (“Appendix II: Abolishing the Author? Theory versus History”). Vgl. NEHAMAS (1987). Verteidigt wird Foucault bei TAYLOR (2017) 5f. (“Foucault questioned, not the existence of the individual author, but the importance that a culture attaches to attribution”), mit dem Fazit auf S. 7: “such studies are no more than footnotes to Foucault; they correct minor errors or individual sentences, but they leave the body of his analysis intact.” Eine Kontextualisierung der Foucault’schen Autorfunktion in dessen Werk bietet SPOERHASE (2007) 38-55. 142 BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 13 erkennen diese Dimension hingegen in Loves Modell, das “notions of authorship as an activity (performance) with notions of authorship as the result of ascriptions (which can also be regarded as performative acts)” verbinde.

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Schreiber (writers) der Sphäre der Textproduktion an, die nur dann als Autoren (authors) zu Tage treten, sofern sie eine Textversion für den öffentlichen Gebrauch präsentieren.143 Auch dieser Ansatz, der den Zeitpunkt einer Werk-Publikation als Schnittpunkt einer starken Schreiber-Autor-Dichotomie ansetzt, lässt sich nicht auf vormoderne Praktiken von Autorschaft sowie Epochen anwenden, denen die Verbreitungs-Mechanismen des modernen Buchmarkts noch nicht bekannt waren. Auch hier ist Harold Loves typologisches Modell und die Unterscheidung von exekutiver (verfertigender) und deklarativer Autorfunktion universeller. Der heuristische Vorteil der Auteme beruht mit anderen Worten besonders darauf, dass die Zuschreibungen von Autorschaft im Sinne performativer Sprechakte auch auf die vormoderne Werkproduktion angewendet werden können. Zugleich besteht gerade im Bereich der antiken Literatur die Schwierigkeit, dass einzelne, an der Produktion, Zirkulation oder Rezeption von Texten mitwirkende Akteure nicht rekonstruierbar sind, da deren jeweilige Autorfunktionen oft zugunsten bestimmter Autornamen absorbiert wurden. Love, der dieses Problem erkennt, empfiehlt, in solchen Fällen nach institutionellen Einbettungen von Autor-Aktivitäten und nach verschiedenen zeitlichen Phasen der Bearbeitung von Texten zu fragen: “In cases such as these, attributionists are unlikely to have the evidence that would permit them to find an alternative named author or authors: their task is rather to identify the institutional sources of the writing and the circumstances of its compilation and revisions. Sometimes it will be possible to establish different chronological layers of composition performed by successive redactors.”144

In den folgenden Unterkapiteln sollen die vier Autorfunktionen (Auteme) Loves konkreter als bislang geschehen erläutert sowie im Bedarfsfall punktuell modifiziert werden. Ferner werden dabei jeweils ko-auktoriale Praktiken in Texten der frühgriechischen und klassischen Literatur angeführt, in denen sich abgrenzbare Autor-Aktivitäten feststellen lassen.

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143 MCGANN (1988) 175. Vgl. NEHAMAS (1986) 686, der writer und author in m. E. zu starker Abgrenzung eigene Kausalitäten zuschreibt: “Writers are actual individuals, firmly located in history, efficient causes of their texts. […] Writers truly exist outside their texts. They have no interpretive authority over them. An author, by contrast, is whoever can be understood to have produced a particular text as we interpret it. Authors are no individuals but characters manifested or exemplified, though not depicted or described, in texts. They are formal causes. They are postulated to account for a text’s features and are produced through an interaction between critic and text.” 144 LOVE (2002) 45.

Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur

3.1.1

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Präkursorische Autorschaft zwischen Inkorporation und Agon nihil est enim simul et inventum et perfectum; nec dubitari debet quin fuerint ante Homerum poetae, quod ex eis carminibus intellegi potest, quae apud illum et in Phaeacum et in procorum epulis canuntur. (Cicero, Brutus 71)145

Die erste Autorfunktion beschreibt Love folgendermaßen: „In Fällen, in denen ein bedeutender Anteil aus der Feder eines vorausgehenden Schriftstellers in das neue Werk eingegangen ist, werden wir den Begriff der ‚präkursorischen Autorschaft‘ verwenden. Ein präkursorischer Autor wäre demnach derjenige, der über seine Funktion als ‚Quelle‘ oder ‚Einfluss‘ einen erheblichen Anteil an der Form und dem Inhalt des Werks hat. […] Die Mitpräsenz eines präkursorischen Autors sollte nicht in dem Sinne verstanden werden, als deute sie auf einen Mangel an Individualität im betreffenden Werk.“146

Präkursorische Autorschaft sieht Love dann gegeben, wenn auf einen früheren Autor rekurriert und dieser in ein neues Werk inkorporiert wird. 147 Diese interauktoriale Beziehung umfasst laut Love ein breites Spektrum an Optionen, mittels derer die Werke literarischer Vorgänger verwendet und gar pervertiert werden können. 148 Man denke im Bereich der griechischen Klassik etwa an den Dichterwettstreit zwischen Aischylos und Euripides in Aristophanes’ Fröschen (ab Vers 830), den der ___________________________

145 „Denn nichts ist, wenn es erfunden ist, zugleich auch schon vollendet: So steht es zweifellos fest, dass bereits vor Homer Dichter lebten, was sich anhand derjenigen Gedichte erkennen lässt, die bei ihm sowohl anlässlich des Gelages der Phäaken [Demodokos’ Gesänge] als auch desjenigen der Freier [Phemios’ Gesänge] vorgetragen werden.“ (Alle Übersetzungen aus antiken Originaltexten in dieser Untersuchung stammen vom Verfasser selbst.). Laut Hor. carm. 4.9.25-28 seien die Poeten vor Homer nicht namentlich bekannt (vixere fortes ante Agamemnona | multi; sed omnes inlacrimabiles | urgentur ignotique longa nocte, | carent quia vate sacro). 146 Vgl. LOVE (2002) 40: “For those cases in which a significant contribution from an earlier writer is incorporated into the new work we will employ the term precursory authorship. A precursory author would be anyone whose function as a ‘sourceʼ or ‘influenceʼ makes a substantial contribution to the shape and substance of the work […]. The co-presence of a precursory author should not be taken to imply a lack of individuality in the work concerned.” 147 Einen Sonderfall stellt Plagiat dar. Die Anschuldigung literarischen Diebstahls findet sich bereits in der Antike – vgl. STEMPLINGER (1912), ZIEGLER (1950), SPEYER (1971) –, doch verweist LOVE (2002) 42 auf das umso wirksamere ästhetische Stil-Ideal der Mimesis, wie es im Werk De imitatione des Dionysios von Halikarnassos auftritt: Werke von Vorautoren gelten hier als legitime ‚Fundgruben‘ zur Ausbildung eigenen Stils. Er verweist etwa auf die Forschungsdiskussion über Flavius Josephus’ an klassischen Vorbildern geschärftes Griechisch. 148 Hierzu LOVE (2002) 40.

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Komödiendichter diese Autoren selbst mit jeweils eigenen, aus dem Kontext gerissenen Tragödienversen bestreiten lässt. Einerseits blendet Loves Grundbedingung der Inkorporation eines „bedeutenden Anteils“ (a significant contribution) einen nur begrenzten Rückgriff auf Vorautoren im Sinne einer intertextuellen Referenz aus. Zum anderen kommt es auch durch die „Mitpräsenz eines präkursorischen Autors“ (co-presence of a precursory author) zu einer plausiblen Abgrenzung von Intertextualität: Damit steht statt einer Text-Zentrierung eine Autor-Zentrierung, und statt einer intertextuellen Relation eine inter-auktoriale Relation im Mittelpunkt, wobei die Bedeutung und Aussage eines rezipierten Werks an dessen Verfasser rückgebunden werden. Ohne Zweifel können Verweise auf Vorautoren als intertextueller Rekurs gelten, doch stellt nicht jede Anspielung auf ein früheres Werk eine Form der präkursorischen Autorschaft dar. Vielmehr wird über den Sonderfall der Autoren-Relation der Verweis über die personale Instanz des Vorautors vollzogen. Dies scheint für die vormoderne Literatur besonders relevant, da Autoren in einem traditionalen Rahmen als privilegierte Garanten des von ihnen Geschriebenen, bisweilen gar einer von ihnen vermittelten Wahrheit, galten. Dagegen kommt dem Autor im Rahmen der Intertextualitäts-Theorie eine bloß schwache, heteronome Rolle zu, wie dies überhaupt für den poststrukturalistischen Ansatz von Roland Barthes gelten kann.149 Zwar leugnet Barthes nicht, dass literarische Texte durch einzelne Autoren produziert werden: „Indem er aber den Text zu einem ‚Gewebe von Zitaten‘ erklärt, bringt er die Autonomie der künstlerischen Kreativität nahezu zum Verschwinden. Der Autor wird zum kompilatorischen ‚Schreiber‘ [scripteur] vorgegebenen Sprachmaterials reduziert“.150

Entsprechend tritt bei Barthes die Stimme des Autors hinter die Schrift (écriture) zurück,151 ohne dass dies in medialer Hinsicht auf reine ‚Schriftlichkeit’ begrenzt wird.152 Barthes’ Autor ist der sich im Schreibakt realisierende scripteur: ___________________________

149 Dieser Ansatz auktorialer Heteronomie konvergiert mit Julia Kristevas zeitgleich entwickelter Intertextualitäts-Theorie. Bei KRISTEVA (1967) 440f. heißt es (in ihrem auf Barthes’ Anraten und Vermittlung publizierten Artikel): „tout texte se construit comme mosaïque de citations, tout texte est absorption et transformation d’un autre texte“. 150 JANNIDIS ET AL. (2000) 181. 151 BARTHES (1968/2000) 185f.: „Die Schrift ist der unbestimmbare, uneinheitliche, unfixierbare Ort, wohin unser Subjekt entflieht, das Schwarzweiß, in dem sich jede Identität aufzulösen beginnt“. 152 Vielmehr knüpfen seine Überlegungen – recht anachronistisch, da er der archaischen Literatur prinzipiell keine Autorschaft zugesteht – an die archaische Performanzkultur an, vgl. BARTHES (1968/2000) 186: „In archaischen Kulturen kam eine Erzählung niemals von einer Person, sondern von einem Vermittler (einem Schamanen oder

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„er ist in keiner Hinsicht das Subjekt, dessen Prädikat sein Buch wäre. Es gibt nur die Zeit der Äußerung, und jeder Text ist immer hier und jetzt geschrieben.“153

Zwar lässt sich keineswegs abstreiten, dass Autorkonzepte in der literaturwissenschaftlichen Behandlung auch für die Klassifizierung intertextueller Beziehungen eine Rolle spielen können.154 Hier soll jedoch der Fokus auf den Sonderfall der inter-auktorialen Relation gelegt werden. Zum Rekurs auf präkursorische Autoren verdeutlicht Love, dass es ihm nicht – gemäß einem romantischen oder quellenkritischen Autorschaftsverständnis – um den ‚Einfluss‘ früherer Autoren auf ein späteres Werk geht, welches bestimmte Inhalte aufnimmt oder ‚kontaminiert‘, sondern um die aktive Inkorporation einer früheren Autor-Autorität in ein Werk, dessen Urheber somit selbst nach Autorisierung strebt. Durch Rekurse auf präkursorische Autoren stellen sich deren Nachfolger in literarische Genealogien und Traditionen – oder grenzen sich davon ab – und autorisieren sich mittels dieser Verweise. Im Kontext ihrer jeweiligen literarischen ‚Archäologie’ können Autoren das Bild präkursorischer Autoren zu ihren Zwecken ummodellieren und neben der Rolle der Vorgänger reziprok auch die eigene definieren.155 So erscheint Loves Funktion des präkursorischen Autors und dessen Inkorporierung durch einen späteren Autor als funktional für die Autorisierung des letzteren.156 Antike und generell vormoderne Autoren agierten in einem traditionalen Rahmen und überhaupt innerhalb einer von Tradition konstituierten Kultur.157 Dabei wurden präkursorische Autoren nicht passiv inkorporiert, sondern erst die ___________________________

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Erzähler), an dem man höchstens die ›Ausführung‹ [performance] bewundern kann, aber niemals das ›Genie‹. Der Autor ist eine moderne Figur“. BARTHES (1968/2000) 189. Dies verbinden BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 5 mit dem digitalen Schreibakt, einer “realised utopia of a freely circulating Barthesian écriture” (22): “For some, electronic authorship and hypertext were the de facto realization of Roland Barthes’ poststructuralist vision of an emancipated, decentred, agentless and non-proprietary form of ‘writing’ after ‘the death of the author’”. Vgl. zum Konzept des ‚Einflusses‘ DANNEBERG (1997). Ausgehend von einer historischen Poetik spricht MASLOV (2015) 41 von der “notion of nonsynchronous copresence of past (sedimented) and future (emergent) forms”, wodurch sich Autoren innerhalb literarischer Traditionen autorisierten, vgl. 57f. (“Literary originality consists in the revision of genre – should such a revision prove an illusion, the risk is epigonism – and this kind of authority only accrues ex post facto, as the new form is either propagated or forgotten”) und 65 (“This proleptic authority would be impossible without a retrospective authority that is derived from the tradition itself, that is, from the awareness that it had generated authority in the past”). TAYLOR (2017) 22 behandelt Loves precursory authorship am Beispiel von Shakespeares Dramen-Produktion. Der komparatistische Blick auf die mittelalterliche Literatur bestätigt, dass inter-auktoriale Rekurse auch dort in einem traditionalen Rahmen verortet sind. Zur mediävistischen Autorschaftsdiskussion vgl. etwa BEIN (1999), MÜLLER (1997), DANNEBERG (1999), KLEIN (2006).

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transformativ vollzogene Aneignung eines früheren Autors ermöglichte das Gelingen der Traditionsbildung.158 Insofern können inter-auktoriale Rekurse als Formen der Selbstpositionierung in einer Tradition gelten. Dabei bleibt jedoch die Schwierigkeit, implizite Verweise als solche wahrzunehmen. Entsprechend wird das vorliegende Kapitel ausführen, dass präkursorische Autorschaft im Falle einer impliziten Positionierung in der Tradition (so mit Blick auf Homer sowie bei Homer selbst) weniger greifbar ist als im Falle einer expliziten Positionierung durch den namentlichen Rekurs auf Vorautoren (so bei Platon). Der vormoderne Sonderfall, der in Loves Konzeption des präkursorischen Autors wenig Beachtung findet, eines expliziten – affirmativen oder subversiven, jedenfalls integrierenden – inter-auktorialen Rekurses auf anerkannte Autoritäten spielte seit der spätarchaischen Literatur eine zunehmende Rolle, gerade wenn Autoren ihren Rang gegenüber der poetischen Tradition behaupteten oder sich darin verorteten. Dies verdeutlicht das Beispiel des Chorlyrikers Pindar: So werden der Iambiker Archilochos und dessen polemische Verse von Pindar in Pyth. 2.52-56 als Kontrastfolie zur eigenen, enkomiastisch wirkenden Dichtung eingesetzt. Gleichzeitig kann Archilochos in Ol. 9.1-2 neutral als Modell figurieren, der Autorname des Lyrikers mit einem bestimmten Gesang verbunden werden: “Pindar embeds Archilochus, the autonomous poet of the past, within his own work and, in doing so, the epinician poet transforms his iambic predecessor into a character of his own devising. More broadly, the actions and attributes that Pindar ascribes to Archilochus shed light on the epinician poet’s idea of a poetic life.” 159

Prominent weist Pindar auch den präkursorischen Dichtern Homer und Hesiod160 eine Rolle im Rahmen der poetischen Selbstdarstellung zu, indem er seine eigene lyrische Autorstimme in Auseinandersetzung mit ihnen konturiert. 161 Zugleich ___________________________

158 Reflexionen zu Tradition und Traditionsverhalten, zum Teil auch in Bezug auf die Vormoderne, bieten die Beiträge in REICH/TOLEDO FLORES/WERLE (2022). 159 UHLIG (2016) 107. 160 Homer erscheint in Isthm. 3/4.55-63 als Modell des preisenden Dichters. Durch die Biographie Achills in Isthm. 8.27-60 tritt Pindar aus poetischer Sicht in die Fußstapfen Homers; dagegen bietet Nem. 7.20-27 eine kritischere Auseinandersetzung mit der homerischen Odysseus-Figur. Hesiod ist als Modell der belehrenden Dichter-Stimme in Isthm. 6.66-69 über seinen Autornamen sowie eine Vers-Paraphrase (erg. 412) präsent. 161 Für die Moderne beschreibt BOURDIEU (1999), v. a. mit Blick auf Flaubert und Baudelaire, die skandalöse Selbstpositionierung von Autoren im literarischen Feld als Konflikt einer Avantgarde gegen etablierte, kanonische Autoren: „Die Neuankömmlinge können gar nicht anders, als die kanonisierten Produzenten, an denen sie sich messen, und damit auch deren Produkte und den Geschmack derer, die an sie gebunden bleiben, stetig in die Vergangenheit zurückzuverweisen, und dies kraft der Bewegung, durch die sie Existenz gewinnen, das heißt zu legitimer Differenz oder sogar, für eine mehr oder weniger lange Zeit, zu exklusiver Legitimität gelangen“ (254).

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stellt sich Pindar in eine metaphorische Genealogie mit prominenten (zum Teil mythischen) Autoren – so ist in Pyth. 4.176 vom „vielbesungenen Orpheus, dem Phorminxspieler und Vater aller Gesänge“ die Rede (φορμιγκτὰς ἀοιδᾶν πατήρ […] εὐαίνητος Ὀρφεύς) – und nobilitiert somit die eigene Dichtung. Im Folgenden werden zwei exemplarische Formen des Umgangs mit präkursorischer Autorschaft in frühgriechischen wie klassischen Texten beleuchtet: einerseits anhand der Wirkung des wichtigsten Referenzwerks der griechischen Literatur, des homerischen Epos (8./7. Jh.), bis in klassische Zeit sowie anhand von dessen subtilem Umgang mit seinen eigenen Quellen, andererseits in der Prosa Platons (4. Jh. v. Chr.). Der starke Kontrast verdeutlicht, dass Bezüge auf Vorautoren oder deren Mitpräsenz in späteren Werken fest mit der Medialität derselben verwoben waren. Der griechische Dichter par excellence (ὁ ποιητής), Homer, bildete Anfangspunkt und Schlüssel zu Literatur und kultureller Identität der Griechen: Über die Ubiquität Homers äußert (Ps.-)Longin 13.3 pointiert mit Blick auf berühmte Autoren, sie hätten alle „aus der homerischen Quelle unzählige Bäche in ihre eigenen Werke abgezweigt.“ Und bei Aelian wurde Homer gar zum „Ursprungsquell“ erkoren, „aus dem alle anderen Dichter schöpfen“.162 Homer wurde, wie das von Archelaos von Priene geschaffene hellenistische Marmorrelief Die Apotheose Homers (nun im British Museum) zeigt, geradezu Kult-Objekt163 sowie universaler Bezugspunkt von moralisch-didaktischem Wert, ein Garant für Historizität und Wahrheit.164 Während in diesen Texten und Zeugnissen ein Bezug auf den präkursorischen Autor Homer deutlich wird, lässt sich die Bezugnahme auf Stoffe, welche die homerischen Epen bieten, in der Lyrik165 und Chorlyrik166 archaischer und ___________________________

162 Vgl. Aelian, Varia Historia 13.22 über ein verlorenes Gemälde des unter den Ptolemäern wirkenden Malers Galaton, auf dem aus Homers Mund ein Fluss strömte, der allen griechischen Dichtern als Quelle diente. Dazu LEFKOWITZ (2012) 27: “the painting offered a visual representation of the Hellenistic notion that Homer was like Oceanus, the source of all rivers and springs”, mit Verweis auf Kall. Hymn. 2.105-113 und Lyrica Adespota 10.14-16 Powell. Ferner Dion. Hal. comp. 24, wo der Okeanos in der Beschreibung Il. 21.195-197 auf Homer selbst bezogen wird, der somit selbst ‚Ursprung aller Flüsse‘ ist. GROSSARDT (2016) stellt das Poliziano-Zitat cuius de gurgite vivo | combibit arcanos vatum omnis turba furores ins Zentrum der Ausführungen zu Homer. 163 Zu den Ὁμηρεῖα, Tempeln mit Statuen des Dichters, KIM (2010) 8. Allg. zum Dichterkult CLAY (2004). 164 Vgl. VERDENIUS (1970). 165 CARRUESCO (2017) stellt Stesichoros’ metapoetische Opposition zur homerischen Epik heraus. 166 Zur Rezeption des ἁδυεπὴς Ὅμηρος bei Pindar: SOTIRIOU (1998), BRIAND (2001), CALAME (2004) 32-35 („L’autorité […] d’Homère […] oscille donc entre celle attribuée à un grand genre et celle conférée à un poème singulier“, 34), UHLIG (2016) 114ff. Zu Pindars Homer-Kritik in Nem. 7.20ff. vgl. GRETHLEIN (2017) 107f.

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klassischer Zeit, ferner in der historiographischen167 Prosa sowie dem Drama des 5. Jh. v. Chr. gleichwohl in aller Regel nicht im Sinne inter-auktorialer Bezüge und der Auseinandersetzung mit dem Urheber Homer deuten. Durch Verweise auf die homerischen Epen als zentrale stoffliche Bezugspunkte der griechischen Archaik und Klassik, ja der griechischen wie auch römischen Antike generell,168 verorten sich die späteren Werke vielmehr aktiv innerhalb einer prominenten Tradition. Die antike Ubiquität homerischer Stoffe lässt sich lediglich approximativ und kaleidoskopartig abbilden:169 Obwohl die Homer-Rezeption sich in örtlicher, zeitlicher und thematischer Vielschichtigkeit vollzog, lassen sich aus einer rezeptionsästhetischen Betrachtungsweise doch drei mögliche Formen der Aneignung destillieren: 1) Leerstellen bei Homer werden expliziert, ausgedeutet und ergänzt;170 2) homerische Abundanz wird von späteren Autoren spin-off-artig weiterverarbeitet; 3) Homerisches wird neuen Kontexten angepasst und rückwirkend umgedeutet. Diese drei Möglichkeiten der Modernisierung Homers durch seine Bearbeiter – im Sinne eines ‚mehr‘, ‚weniger‘ oder ‚anders‘ – harren noch einer vollständigen systematischen Untersuchung.171 Angesichts der Wirkung, die homerische Stoffe auf die nachfolgenden Dichter- und Schriftstellergenerationen ausübten, lässt sich mit Blick auf die griechische Literatur- und Kulturgeschichte, in welcher diese sprachlich wie inhaltlich omnipräsent waren, geradezu von einer Rezeptionsgeschichte Homers sprechen.172 Die Geltung des „göttlichen Homer“ (Aristoph. Frösche 1034; Pl. Ion 530b, Phaidr. 95a) lässt sich daran ablesen, dass seine Werke zu unumstrittenen Bezugspunkten der griechischen Literaturgeschichte wurden, in der diese ein enormes Wirkpotential entfalteten. So bleiben die epischen Stoffe bis in die literarischen Produktionen der Spätantike präsent.173 Erstmals treten im 7./6. Jh. v. Chr. deutliche Rekurse auf die Epen Ilias und Odyssee auf, etwa bei Alkaios (vgl. fr. 44 V. mit Il. 1.351-357 und 1.500-510) oder Stesichoros (vgl. fr. 209 PMGF mit Od. 15.160-178 und 113-115). Doch nicht nur die besagten Lyriker Stesichoros (im ___________________________

167 Zur Wirkung Homers auf die Historiographie vgl. MARINCOLA (1997) 6 mit Anm. 23. Dazu auch Kap. 4.3.3. 168 Hierzu s. u. Kap. 5.2. 169 Zur antiken Homer-Rezeption vgl. u. a. VERDENIUS (1970), WEST (1999), GRAZIOSI (2002), (2008), LAMBERTON (2005), HUNTER (2004), BIERL (2008), ZIMMERMANN (2011a), FINKELBERG (2012), GROSSARDT (2016), HUNTER (2018); zur Homer-Rezeption in der Kaiserzeit KIM (2010). 170 Vgl. HUNTER (2018) 231: “The task of subsequent critics was simply to bring out at greater length what was already there in the poet”. 171 Hierzu s. die Anmerkungen bei HAFNER (2020) 4f. 172 Vgl. HÜBNER (2019) zur soziokulturell sinnstiftenden Rolle Homers in der Archaik und bis ins frühe 5. Jh. 173 Zum Folgenden vgl. die Übersicht bei ZIMMERMANN (2011a) 294f.

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Epyllion Iliupersis oder in der Palinodie)174 und Alkaios (etwa fr. 42 und 283 V.), auch Sappho – Antipater von Thessalonike tauft sie „weiblicher Homer“ (AG 9.26.3) – (etwa fr. 44 V.) oder die Chorlyriker des 6./5. Jh., Pindar (etwa Nem. 7.17ff., 8.20ff.)175 und Bakchylides (15), verarbeiteten Stoffe homerischer Epen oder stellten den dortigen Vorstellungen, etwa der Wertewelt der κλέα ἀνδρῶν („ruhmvoller Männer Taten“), eigene Konzeptionen entgegen. Die homerischen Epen entfalteten auch im Bereich der Prosa-Literatur ein großes Wirkpotential. Wie wir etwa aus den Texten der Geschichtsschreiber Herodot (der bei Ps.-Longin 13.3 Ὁμηρικώτατος genannt wird) und Thukydides entnehmen, wurden besonders die Schilderung eines großen Krieges und die Frage der Kriegsschuld zu Schlüsselthemen beim Abfassen von Geschichtswerken. Zugleich kam es zum Versuch, den Troianischen Krieg durch die aktuellen Geschehnisse noch zu überbieten. 176 Auch bei den Tragödiendichtern des 5. Jh. v. Chr. zeigt sich die Wirkung homerischer Stoffe: 18 oder 21 der 80 durch überlieferte Titel bezeugten Stücke des Aischylos (21% bzw. 26% des Werks),177 32 und eventuell noch 13 weitere der 113 des Sophokles (28% bzw. 37%)178 sowie 15 oder 17 der 78 des Euripides (19% bzw. 22%) nahmen auf den Troianischen Sagenkreis Bezug.179 Wie gesagt, stellen solche Verweise auf die Epen Bezugnahmen auf eine prominente Stofftradition dar und sind in der Regel nicht als inter-auktoriale Bezüge auf einen präkursorischen Autor Homer zu werten, dessen Urheberschaft überhaupt erst im Laufe der Zeit mit gewissen Werken verbunden wurde.180 Erst Aristoteles (poet. 1448a22ff.) nennt Homer einen Protodramatiker, aus dessen Werken sich die dramatischen Formen Komödie und Tragödie entwickelt hätten. Überhaupt weist die philosophische Prosa schon früh eine direkte Auseinandersetzung mit dem Urheber Homer als Schöpfer der Epen auf, wobei man ihn für seine Darstellungen teils kritisierte (besonders Xenophanes, Heraklit und später Platon)181 teils wiederum rehabilitierte, etwa durch die allegorische Interpretation des Theagenes von Rhegion oder die Herausstellung poetischer Qualität bei Aristoteles. 182 Wie sehr beide Annäherungsweisen verbunden sind, zeigt Ps.-Longins Ausspruch über ___________________________

174 Zu Anleihen der Lyriker bei Homer WEBER (1955). Weiteres bei BURKERT (1987). 175 Vgl. NAGY (1990), SOTIRIOU (1998), BRIAND (2001). Zur Kopräsenz früherer Poeten bei Pindar UHLIG (2016). 176 Hierzu s. Kap. 4.3.3. 177 Laut dem berühmten Zeugnis TrGF 3 T 112 seien Aischylosʼ Stücke lediglich „Krümel der Mahlzeiten Homers“. 178 TrGF 4 T 116 nannte Sophokles einen „Homerfreund“ und stilisiert ihn geradezu zum Homerus tragicus. 179 Vgl. RADT (1982) 194-202 und zusammenfassend ZIMMERMANN (2011a) 297. 180 Dazu s. Kap. 5.2. 181 Xenophanes: 21 B 11-12, 14-16, 23-26 DK; Heraklit: 22 B 42, 56 DK; vgl. Pl. Staat 377e-383c und 599c-d, wo Homer aus dem Staatsmodell verbannt wird. 182 Hierzu FLASHAR (2008).

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den vermeintlichen Homer-Kritiker Platon (13.3), der „aus der homerischen Quelle unzählige Bäche in das eigene Werk abgezweigt habe.“ 183 Mit Blick auf die Entwicklung präkursorischer Autorschaft ist es zudem bedeutsam, dass es in den homerischen Epen zwar noch zu keiner Auseinandersetzung mit Vorautoren kommt, dass sich darin jedoch Spuren von Früherem, eine Art prähomerische Archäologie, feststellen lassen.184 Der respektvolle Umgang mit der eigenen Tradition – die Werke Homers und Hesiods beruhen auf einem großen Repertoire traditioneller mündlicher Formeln – 185 lässt das Epos als impliziten Kommentar seiner Quellen erscheinen, als eine Art ‚Meta-Epos‘.186 Dies zeigen Vergleiche mit der Keilschriftliteratur des Alten Orients, mit denen die homerische Epik auch die Anonymität des Autors teilt, der sich jeweils als Vermittler göttlicher Mitteilungen oder Inspiration autorisiert und dessen fehlender Autorname dem jeweiligen Werk universellen Anspruch verleiht.187Obwohl über Vermittlungsräume und interkulturelle Synapsen, die wohl in Kilikien und der Levante, dem semitischen Exportgebiet für die Alphabetschrift, zu lokalisieren und zeitlich in die (nach W. Burkert) sogenannte „orientalisierende Epoche“ (750-650 v. Chr.) zu datieren sind, nur wenig bekannt ist, erscheinen Ilias und Odyssee aus altorientalischer Perspektive gleichwohl als spät entstandene literarische Epen des ‚fernen Westens‘. 188 Doch liegt laut der Forschung keine

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183 So heißt es dort: πάντων δὲ τούτων μάλιστα ὁ Πλάτων, ἀπὸ τοῦ Ὁμηρικοῦ κείνου νάματος εἰς αὑτὸν μυρίας ὅσας παρατροπὰς ἀποχετευσάμενος κτλ. 184 KULLMANN (1960) sah die Vorläufer der homerischen Epen in den Gedichten des mündlich tradierten Kyklos. 185 GRAZIOSI/HAUBOLD (2005) 9 betonen die Eigenheit homerischer Epik, “to evoke a web of associations and implications by referring to the wider epic tradition” und (12) “place itself in relation to that tradition”. Die Epen erscheinen demnach als Resonanzkörper einer langen und kohärenten Tradition, zu der sie selbst gehörten. 186 So die Formulierung bei SCODEL (2004) 1 mit weiterer Literatur in Anm. 1-2. SCODEL (2002) 65ff. untersucht, wie bei Homer der Eindruck von Traditionalität und damit zugleich objektiver Unparteilichkeit erzeugt wird. 187 Zum Autorenkonzept in der mesopotamischen Dichtung vgl. B. R. FOSTER (1991), GLASSNER (2002). 188 Motivisch ist z. B. das Heldenpaar der Ilias, Achill und Patroklos, mit Gilgamesch und Enkidu aus dem Gilgamesch-Epos vergleichbar: WEST (1997) 336-343, CURRIE (2012); zum Helden-Ethos CLARKE (2019). Zudem gibt es Konvergenzen zwischen Il. 14 und den babylonischen Epen Enūma eliš und Atramchasis (BURKERT [1984] 85-92) und zwischen Schilderungen iliadischer Kampfhandlungen und solchen in monumentalen Inschriften des assyrischen Königs Sanherib: ROLLINGER (1996). Vgl. zuletzt auch motivische Berührungen von Hesiods Theogonie mit altorientalisch-hethitischen Götterlehren, etwa den Sukzessionsmythen der Götter: WEST (1966).

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„Übernahme im Sinne einer ‚Kopie‘ vor […]. Vielmehr wurden die dem Dichter bekannten altorientalischen Textbausteine jeweils adaptiert und verändert, womit wiederum etwas Neues entstand. Die Motivstrukturen sind allerdings derart dicht miteinander verwoben, dass sie sich nach wie vor mit dem altorientalischen Material in Beziehung setzen und auf Interrelationen schließen lassen.“189

In der Homerforschung umstritten bleibt, ob der griechische epische Hexameter, in dem die Gedichte verfasst sind, auf mykenisches Material und der Troia-Stoff auf die Palastkultur der Spätbronzezeit zurückzuführen seien – wobei die adaptible Hexameter-Form eine Konservierung über Jahrhunderte ermöglicht habe.190 Auch die These, der Hexameter habe sich in den ‚dunklen Jahrhunderten‘ zwischen mykenischer und archaischer Zeit herausgebildet, 191 wird in der Forschung kritisiert.192 Es steht jedoch fest, dass die archaischen Epen Elemente einer mündlichen Dichtungs-Tradition aufweisen, wie etwa anhand der formelhaften Sprache oder der typischen, in leicht verändertem Schema repetitiv eingesetzten Szenen deutlich wird.193 Entsprechend ist früheres Dichtungsmaterial in die homerischen Epen eingegangen,194 ohne dass dies durch Autor-Referenzen konkretisiert würde.195 Aufgrund des traditionalen Zusammenhangs, in den sich die archaischen Epen stellen, lässt sich somit kein scharf umrissenes Konzept präkursorischer Autorschaft ___________________________

189 ROLLINGER (2011) 221. Grundlegend BURKERT (1984). 190 So LATACZ (2005). 191 Vgl. HAJNAL (2003). Die genaue Entstehung des Hexameters bildet ein eigenes, umfassendes Forschungsfeld. 192 Bedenkenswert ist die Feststellung bei VANSINA (1985), dass kulturelle Rückerinnerung i. d. R. nur drei Generationen umfasse. KULLMANN (2002) 45-49 wendet dies auf die griechische Archaik an. 193 Zur kontroversen Frage nach dem Schriftgebrauch bei der Abfassung der homerischen Epen s. u. Kap. 5.3. 194 Vgl. TEFFETELLER (2007) 67-75 zu orientalischen Paralleltexten. 195 Erst in späterer Zeit wird Homer Plagiat vorgeworfen, wobei es sich jedoch um semimythisches Autoren-Personal handelt: So habe er Verse der Teiresias-Tochter Daphne (Diod. 4.66.6 παρ’ ἧς φασι καὶ τὸν ποιητὴν Ὅμηρον πολλὰ τῶν ἐπῶν σφετερισάμενον κοσμῆσαι τὴν ἰδίαν ποίησιν), der Musaios-Tochter Helena (Zeugnis des Ptolemaios Chennos [1./2. Jh.] aus der Καινὴ ἱστορία, überliefert bei Photios, cod. 190, 149b2225, der cod. 190, 151a37-b5 auch Vorversionen von Ilias und Odyssee der ägyptischen Priesterin Phantasia erwähnt) oder des Dichters Korinnos von Ilion plagiiert. Über letzteren, ‚vor-homerischen‘ Epiker lautet der Suda-Eintrag (s. v. Κόριννος, κ 2091 Adler), er habe als Schüler des Palamedes die von diesem erfundene dorische Schrift zur Abfassung einer Ilias (und eines Werks über Dardanos’ Kampf gegen die Paphlagonier) genutzt: Κόριννος Ἰλιεύς, ἐποποιὸς τῶν πρὸ Ὁμήρου, ὥς τισιν ἔδοξε· καὶ πρῶτος γράψας τὴν Ἰλιάδα, ἔτι τῶν Τρωϊκῶν συνισταμένων. […] ἔγραψε δὲ καὶ τὸν Δαρδάνου πρὸς Παφλαγόνας πόλεμον, ὡς ἐκ τούτου λαβεῖν καὶ τῆς ποιήσεως πᾶσαν ὑπόθεσιν Ὅμηρον καὶ ἐντάξαι τοῖς αὑτοῦ βιβλίοις. Vgl. STEMPLINGER (1912) 22, MEZZADRI (2006).

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feststellen, wie es teilweise etwa die frühgriechische Lyrik aufweist. Doch lässt sich eine Anerkennung früherer Dichtung implizit aus der Ilias selbst ableiten: Wie die aktuellen Menschen, die Zuhörer des Gesangs im Moment der Darbietung, den homerischen Helden unterlegen sind, so ist die Helden-Generation der Epenwelt Homers wiederum selbst derjenigen der vergangenen Frühzeit unterlegen.196 Explizit nimmt der anonym bleibende Sänger des Epos dagegen nicht namentlich auf andere, konkurrierende Sänger und deren Werke Bezug: Offenbar war ihm dies während der Darbietung verwehrt, wodurch präkursorische Autoren ebenso anonym blieben wie die Stimme des Sängers selbst (Kap. 4.3.1). Doch war es wiederum innerhalb der Erzählung möglich, über ‚werkinterne Mittelsmänner‘, wie Phemios, Demodokos oder Odysseus in der Odyssee,197 über die Urheberschaft von Gedichten zu reflektieren und auf Gesangs-Darbietungen zu verweisen, die mit viel markanteren Autor-Signaturen verbunden waren als sie dem Epensänger selbst gestattet waren (Kap. 4.3.2). Zugleich verortete sich der homerische Erzähler über diese eingebetteten Sängerszenen in einer poetischen Tradition und führte diese selbst fort: So stellt der Odyssee-Dichter durch die Wiedergabe anderer Nostos-Erzählungen den von ihm selbst dargebotenen Nostos des Helden Odysseus in eine Reihe mit jenen, oder sucht die viel kürzeren Heimkehr-Erzählungen sogar zu übertreffen. Solche integrierten Nostoi berichten in der Odyssee etwa Phemios (Od. 1.326-327) oder – innerhalb der Telemachie – Menelaos (Od. 3) und Nestor (Od. 4). All dies verdeutlicht, dass die homerischen Epen selbst präkursorische Autorschaft nur implizit verhandeln. Als Gedichte jedoch von einer einmaligen Vortragssituation abgekoppelt wurden und somit durch die griechische Welt ‚reisten‘, konnten sie beispielsweise einer bei panhellenischen Festen versammelten Zuhörerschaft dargeboten werden, der spezifische Anspielungen auf eine poetische Tradition weniger geläufig waren als noch einem lokalen Publikum, das keine expliziten Referenzen auf ein situativ verfügbares Wissen benötigte. Da in diesem Zuge ein ursprüngliches Autorwissen instabil wurde, kamen onyme Referenzen auf Vorgänger-Autoren auf:198 Durch namentliche Nennungen wurden Verweise auf präkursorische Autoren sowie die Grade inter-auktorialer diachroner Bezugnahme – häufig in Form einer agonalen Integration – explizit. Zugleich änderte sich die ___________________________

196 Vgl. SCODEL (2004) mit Blick auf Il. 1.266-272, wo Nestor gegenüber Agamemnon und Achill im Sinne eines a fortiori-Arguments die Verständigkeit früherer HeldenGenerationen anführt (κάρτιστοι δὴ κεῖνοι ἐπιχθονίων τράφεν ἀνδρῶν· | κάρτιστοι μὲν ἔσαν καὶ καρτίστοις ἐμάχοντο | φηρσὶν ὀρεσκῴοισι καὶ ἐκπάγλως ἀπόλεσσαν. | καὶ μὲν τοῖσιν ἐγὼ μεθομίλεον ἐκ Πύλου ἐλθὼν | τηλόθεν ἐξ ἀπίης γαίης· καλέσαντο γὰρ αὐτοί· | καὶ μαχόμην κατ’ ἔμ’ αὐτὸν ἐγώ· κείνοισι δ’ ἂν οὔ τις | τῶν οἳ νῦν βροτοί εἰσιν ἐπιχθόνιοι μαχέοιτο). 197 Zu Odysseus poeta und den Dichter-Szenen in der Odyssee GOLDHILL (1991) 1-68, Beck (2005), KELLY (2008), KRUMMEN (2008). 198 Kap. 4.3.3 zeigt dies am Beispiel früher Prosa.

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Rolle, die Vorautoren jeweils zugewiesen wurde, gemäß der Selbstauffassung der aufnehmenden Autoren.199 Wie gesehen, spielte die ad personam geführte Auseinandersetzung mit früheren Dichtern, die allgemein als Quelle von Weisheit galten, eine große Rolle in philosophischen Texten. Dort nahm man teils affirmativ, teils distanziert auf diese Bezug. Beide Linien finden sich exemplarisch bei Xenophanes, der Homers Kanonizität zwar nicht hinterfragt (21 B 10 DK: ἐξ ἀρχῆς καθʼ Ὅμηρον ἐπεὶ μεμαθήκασι πάντες), dessen Theologie jedoch heftig kritisiert (21 B 11-12, 14-16, 23-26 DK). Die Auseinandersetzung mündet ab dem 5. Jh. v. Chr. in die Praxis einer Lösung homerischer ‚Probleme‘ im Epos selbst. 200 Aus dieser ragt die scharfe Kritik des als Ὁμηρομάστιξ („Homergeißel“) bezeichneten Zoilos von Amphipolis (4. Jh.) heraus, der mit der Schrift Gegen die homerische Dichtung (FGrHist 71: Κατὰ τῆς Ὁμήρου ποιήσεως) auf Kosten des Dichters vermeintliche Irrtümer und Widersprüche in den homerischen Epen darlegte. Platon führt in der relativ etablierten Buchkultur des 4. Jh. (Kap. 4.3.4) die explizite, stets zwischen Autoritätsglaube und Kritik schwankende Inkorporation präkursorischer Autoren fort: Die Gesprächspartner seiner Dialoge zitieren namentlich bekannte Dichter wie Homer, Hesiod, ferner Lyriker wie Archilochos und Simonides oder die Tragödiendichter Aischylos, Sophokles und Euripides, häufig aus dem bloßen Gedächtnis. 201 Während etwa im Protagoras (339a-347a) Simonides’ Skopas-Gedicht (fr. 542 PMG) vor dem Hintergrund eines Spruchs des Weisen Pittakos (339c4 καίτοι σοφοῦ παρὰ φωτὸς εἰρημένον) diskutiert und vom Sophisten Protagoras aufgrund logischer Inkonsistenzen kritisiert wird, offenbart die Dichterkritik Platons, die am schärfsten im Staat (386a-392c) geäußert wird,202 indirekt die große Wirkung, die jene Autoren auf Platon und seine Dialogpartner ausübten. Erstere wurden prinzipiell verantwortlich für das in ihren Texten Ausgesagte gemacht – charakteristisch hierfür ist die einleitende Phrase „Homer (selbst) sagt“ (φησί) –, wodurch den Autoren Preis oder Tadel selbst für dasjenige gebührte, was bei diesen lediglich in Charakterreden geäußert worden war: “Plato was, of course, completely capable of distinguishing the composer of a narrative from a character within it, but even Plato often seems to obscure the

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199 Vgl. SCODEL (2019) 46-49. Kap. 5.2 zeigt diese Rollenwechsel exemplarisch an Entstehung und Wandel auktorialer Zuweisung bestimmter Werke an die personale Autorchiffre ‚Homer‘ auf. 200 Vgl. RICHARDSON (1975). 201 Vgl. D. TARRANT (1951) und die Beiträge bei DESTRÉE/HERRMANN (2011). Vgl. SCODEL (2019) 47: “Plato’s characters […] most often have evidently mentally filed the quotations under authors’ names.” 202 Hierzu MURRAY (1996).

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Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur distinction, and in Greek generally, those who cited only occasionally clarify that the character does not necessarily speak for the poet.”203

Entsprechend beruft sich der Dialog-Unterredner Phaidros in der ersten Rede von Platons Symposion (178-180) auf die Zeugnisse kanonischer Dichter, um die Urmacht des Gottes Eros durch die autoritativen Stimmen dieser Vorautoren zu bekräftigen. Dabei führt er das dort Ausgesagte so aus, als handle es sich um direkte Reden der Dichter selbst.204 Am spürbarsten wird die heute so verzerrend erscheinende Verwischung von Charakter- und Autorenrede, wenn Phaidros die Macht der Liebe am Beispiel Achills erläutert, der sogar seinen Tod in Kauf genommen habe, um seinen Geliebten Patroklos zu rächen und freiwillig dessen Schicksal zu teilen, wofür ihm göttliche Ehren zu Teil geworden seien. Hierauf wendet sich Phaidros gegen die Auffassung – womöglich auf gegen Homer lautwerdende Vorwürfe antwortend, dieser habe damit eine ‚ungehörige‘ Liebesbeziehung dargestellt –, Achill sei viel älter als Patroklos und zugleich dessen Liebhaber (ἐραστής) gewesen (Pl. Symp. 180a4-7): Αἰσχύλος δὲ φλυαρεῖ φάσκων Ἀχιλλέα Πατρόκλου ἐρᾶν, ὃς ἦν καλλίων οὐ μόνον Πατρόκλου ἀλλ' ἅμα καὶ τῶν ἡρώων ἁπάντων, καὶ ἔτι ἀγένειος, ἔπειτα νεώτερος πολύ, ὥς φησιν Ὅμηρος. „Aischylos aber faselt unsinniges Zeug, wenn er behauptet, Achill sei der Liebhaber des Patroklos, der doch nicht nur schöner als Patroklos, sondern auch als alle anderen Helden war, und dazu noch bartlos, da er ja viel jünger war, wie Homer bestätigt.“

Phaidros verknüpft damit zwei kontrastive Zeugnisse von Dichtern, das erste in kritischer Absicht, das zweite seiner Ansicht konform: Gleichwohl richtet in Aischylos’ Myrmidonen (fr. 135-136 TrGF), dem ersten Stück einer verlorenen Achilleis-Trilogie, wahrscheinlich Achill selbst die Worte an den bereits verstorbenen Patroklos;205 bei Homer spricht wiederum Nestor zu Patroklos, wobei der ___________________________

203 SCODEL (2019) 47f. Zum Verhältnis von Autor zu Charakter und zur Absenz des Erzählers in der Wahrnehmung der antiken Leserschaft GRETHLEIN (2021), der aufzeigt, dass man zwischen Charakteren und Autoren durchaus unterscheiden konnte, dass sich direkte Rede in Texten jedoch als auktoriale Impersonierung deuten ließ. 204 Pl. Symp. 178b3-4 (Ἡσίοδος πρῶτον μὲν Χάος φησὶ γενέσθαι), 178b8 (Ἡσιόδῳ δὲ καὶ Ἀκουσίλεως σύμφησιν), 178b9-10 (Παρμενίδης […] γένεσιν λέγει), 179b1 (ἔφη Ὅμηρος) etc. 205 Dies deutet Phaidros missbilligend als schwärmerische Worte des älteren ἐραστής Achill an den jungen ἐρώμενος Patroklos: Aischyl. fr. 135 TrGF lautet σέβας δὲ μηρῶν ἁγνὸν οὐκ ἐπῃδέσω, | ὦ δυσχάριστε τῶν πυκνῶν φιλημάτων, fr. 136 lautet μηρῶν τε τῶν σῶν εὐσεβὴς ὁμιλία […].

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greise Nestor selbst die Abschiedsworte von Patroklos’ Vater Menoitios an den Sohn vor dessen Abfahrt gen Troia wiedergibt (Il. 11.786-787): τέκνον ἐμὸν γενεῇ μὲν ὑπέρτερός ἐστιν Ἀχιλλεύς, πρεσβύτερος δὲ σύ ἐσσι· βίῃ δ’ ὅ γε πολλὸν ἀμείνων. „Mein Sohn, durch seine Herkunft ist Achill (dir) zwar überlegen, älter jedoch bist du: er freilich ist weit besser an Stärke.“

Phaidros’ Etikettierung dieser verschachtelten Erzählsituation – der epische Sänger gibt die Worte Nestors an Patroklos wieder, der wiederum Menoitios’ Worte an Patroklos zitiert – mit dem lapidaren und reduktiven „Homer sagt“ bzw. „bei Homer steht geschrieben“ offenbart, dass die Gesprächspartner in Platons Dialog sich prinzipiell auf die autoritativen Zeugnisse von Dichtern im Sinne maßgeblicher (deklarativer: Kap. 3.1.3) Autoren berufen,206 die diese selbst geäußert hätten, wie die auktoriale Zuweisung ὥς φησιν Ὅμηρος (Pl. Symp. 180a7) offenbart. Dies lässt auf Platons autorzentrierte Auffassung von Sprechinstanzen schließen. 207 Solche Autorenreferenzen, die erst positive wie negative Zuweisung von Verantwortlichkeit oder Zurechnungsfähigkeit an Autor-Persönlichkeiten ermöglichen, scheinen in der sich etablierenden Schriftkultur üblich geworden zu sein, wenn von Werken früherer Autoren die Rede war: 208 So kommentiert Aristoteles, es gebe Leute, die die Validität eines Arguments nur danach bemäßen, ob es bei einem kanonischen Dichter bezeugt sei (Met. 995a6-8). ___________________________

206 Zusätzlich können bei Platon auch Dichterzeugnisse zur Steigerung von Beglaubigung oder Glaubhaftigkeit akkumuliert werden, vgl. etwa Staat 363a7-8 ὥσπερ ὁ γενναῖος Ἡσίοδός τε καὶ Ὅμηρός φασιν κτλ. 207 Dies wird deutlich in der berühmten Passage im dritten Buch des Staat, 393c-398b (zu [prä-]narratologischen Implikationen der Stelle s. die Ausführungen bei HALLIWELL [2009]), wo der proömiale Musenanruf in der Ilias als vom Dichter selbst gesprochen bezeichnet wird (393a6 λέγει τε αὐτὸς ὁ ποιητής), während die folgende Rede des Apollon-Priesters Chryses ab V. 17 noch immer der Autor äußert, „als wäre er selbst Chryses“ (393a8-b2 ὥσπερ αὐτὸς ὢν ὁ Χρύσης λέγει καὶ πειρᾶται ἡμᾶς ὅτι μάλιστα ποιῆσαι μὴ Ὅμηρον δοκεῖν εἶναι τὸν λέγοντα ἀλλὰ τὸν ἱερέα). Der Autor bleibt so selbst in der Figurenrede die hauptsächliche Attributions-Instanz: TILG (2019) 69f. 208 Zwar zirkulierten im 4. Jh. schon schriftliche Exemplare homerischer Epen (Xen. Mem. 4.2.1-10: Euthydemos besitzt eine Gesamtausgabe Homers, vgl. Pl. Phaidr. 252b zu Texten der Homeriden), doch ist bei Platon noch der mündliche Wert der Aussage zentral – was keinen Widerspruch zur Buchform darstellt –, wie die Verwendungen der Verben φάναι (meist in den Formen φησί oder ἔφη: Staat 363e5 τὰ τοῦ Ὁμήρου ἔπη) oder λέγειν verdeutlichen, die Platon neben ποιεῖν („dichten, verfassen“) verwendet. So kann Sokrates in Gorg. 516c3-4 die Aussageinstanz Homer durch Wiederholung des Verbums φάναι ironisch dem Sophisten und Gorgias-Schülers Kallikles gegenüberstellen: {ΣΩ.} Οὐκοῦν οἵ γε δίκαιοι ἥμεροι, ὡς ἔ φ η Ὅμηρος· σὺ δὲ τί φ ῄ ς ; οὐχ οὕτως; {ΚΑΛ.} Ναί.

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Auseinandersetzungen mit Vorautoren gab es in der griechischen Literatur von einem frühen Zeitpunkt an: Durch Rekurse auf unumgehbare Autoritäten, und damit durch deren Erwähnung und Eingliederung in das eigene Werk, zollten Autoren diesen Respekt. In vielen Texten trat eine dominierende Autorstimme in ein agonales Verhältnis mit Rivalen und suchte diese durch das eigene Werk zu überbieten oder zu ‚modernisieren‘. Zwar weist auch die Dichtung eine agonale Integration früherer Autoren auf,209 doch findet sich diese besonders ausgeprägt in philosophischer und historiographischer Prosa, man denke an Hekataios’ Erwähnungen in Herodots Historien.210 So ließen sich eigene Dignitäts-Ansprüche umso deutlicher markieren (mehr in Kap. 4.3.3).211 Gleichwohl konnte der Rekurs auf präkursorische Autoren im Sinne diachroner Kooperation zu einer reinen Fassade geraten,212 die dazu diente, eigene Autoritätsansprüche zu erhöhen, sich innerhalb eines traditionalen Zusammenhangs zu lokalisieren und zugleich Selbsthistorisierung zu betreiben. Im Zuge eines ‚gemeinsamen Projekts‘ mit präkursorischen Autoren wurden die jeweiligen Autor-Profile so reziprok aneinander ausgerichtet und in Relation zueinander die jeweiligen Rollen definiert: Bestimmten Autoren nutzten die teils positiven, teils polemischen Rekurse auf präkursorische Autoren entsprechend auch zur Aufwertung ihrer auktorialen ‚Epigonalität‘. 213 Wie gezeigt, stehen Referenzen auf präkursorische Autoren und deren Inkorporation in ein Werk in Beziehung zur medialen Verfasstheitheit sowie zu Fragen der Darbietung desselben Werks: Bietet das Epos lediglich implizite Kommentare über die eigenen Vorläufer im Rahmen der poetischen Tradition, wird im Rahmen der Text- und Buchkultur deutlich, inwiefern explizite Verweise auf anerkannte Autoritäten eigene Positionen absichern, abgrenzen oder durch zusätzliche Perspektiven anreichern konnten. Präkursorische Autorschaft schwankt somit stets zwischen den Polen diachroner Kooperation und Konkurrenz; 214 dieser agonale ___________________________

209 Vgl. instruktiv GRIFFITH (1990). Zum Verhältnis der Lyrik zur Epik exemplarisch ROSENMEYER (1998) und bereits NAGY (1990). 210 Hierzu S. WEST (1991), DEWALD (2002). Zu Homer bei Herodot konzise PEIRANO (2012a) 228 Anm. 37. 211 Vgl. FUHRER (2012); zur Herausstellung von Expertise in der Historiographie grundlegend MARINCOLA (1997). 212 Zum Begriff der diachronen Kooperation WIETZKE (2017) 363, der Ptolemaios’ Inszenierung von Kooperation mit seinem Vorgänger Hipparchos in der astronomischen Prosa-Schrift Syntaxis analysiert: “the Syntaxis presents a model of ‘diachronic collaboration’, in which Ptolemy’s collaborators are predecessors and successors, extending across generations.” Zur ‚kooperativen Fassade‘ vgl. 373: “There is no question, however, that Ptolemy remains the sole architect of the Syntaxis, a facade of collaboration.” 213 Zur revisorischen Autorfunktion s. u. Kap. 3.1.4. 214 Die historische Ausprägung dieses Phänomens in frühen Prosatexten des 6./5. Jh. wird in Kap. 4.3.3 beleuchtet.

Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur

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Zug bleibt in vielfacher Hinsicht zentral im Umgang antiker Autoren mit ihren Vorläufern.

3.1.2

Exekutive Autorschaft – performative Autorschaft? „Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? Und das mehrmals zerstörte Babylon, Wer baute es so viele Male auf? […]“ (Aus: Bertolt Brecht, Fragen eines lesenden Arbeiters, 1935)

Die zweite Autorfunktion nimmt die eigentlichen Verfertiger von Werken in den Blick. Harold Love beschreibt sie folgendermaßen: „Unsere zweite Kategorie ist diejenige des Herstellenden oder artifex,215 den wir den ‚exekutiven Autor‘ nennen werden: den Entwerfenden, den Anweisenden, den Wortschöpfer, den Neuformulierenden. Der exekutive Autor könnte definiert werden als der Kompilator des wörtlichen Texts bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Text in der einen oder anderen Form als zur Veröffentlichung bereit eingestuft wird (wohingegen alle späteren Änderungen als Überarbeitungen [revisions, hierzu Kap. 3.1.4] anzusehen sind). Exekutive Autorschaft kann auf Einzelleistung oder Zusammenarbeit beruhen.“216

Um Loves exekutive Phase für die antike Literaturproduktion und -darbietung fruchtbar zu machen, bedarf es einer Modifizierung. Ursache hierfür sind zwei grundlegende Aspekte antiker Autor-Konzeptionen, die auf vormodernen Eigengesetzlichkeiten basieren: Zum einen erscheint Autor- sowie Urheberschaft bereits ___________________________

215 Der artifex-auctor-Gegensatz geht bei LOVE (2002) 35 auf den Benediktinermönch Laurentius von Durham (12. Jh.) zurück, der beauftragt wurde, die Sätze seines Lehrers Hugo von St. Victor aufzuzeichnen. Laurentius nennt Hugo als Autor (auctor, wörtl. „Bürge“) des Texts, während er sich selbst als dessen Her- oder Zusammensteller bzw. Kompilator (artifex) bezeichnet: BISCHOFF (1967) 186f. FOUCAULT (1969/2000) schließt die reine Aufzeichnungs- und Schreibfunktion (etwa im Fall von Privatbriefen, Verträgen oder Wandkritzeleien) aus seinem enger gefassten Autorschaftsbegriff aus. Zur Eingliederung des writer dagegen NEHAMAS (1986) 686, MCGANN (1988) 175. 216 LOVE (2002) 43: “Our second category is that of the maker or artifex, whom we will call the executive author - the deviser, the orderer, the wordsmith, […] the reformulator. The executive author may be defined as the compiler of the verbal text up to the point where it is judged suitable for publication in one or another form (all subsequent alterations being classified as revisions). Executive authorship may be either solo or collaborative.”

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und gerade in der Antike, wie dies Brechts zu Beginn dieses Abschnitts zitierte Verse kritisch reflektieren, von ihrem Resultat her üblicherweise als one-man (!)217 show, ohne dass die Beiträge der tatsächlich Verfertigenden und Ausführenden später berücksichtigt wurden. Dies gilt auch für die großangelegten kooperativen Verfasser-Projekte antiker Literatur: “Authorship in antiquity was a one-man show, allowing for a few qualifications: on the one hand, the Hippocratic corpus presents a case of composite authorship, in which one larger body of work is a later collection of texts written by multiple individuals. On the other hand, we can be sure that some authors […] received help from uncredited contributors. But with few exceptions, the final products of these collective endeavours (however intentional their ‘collective’ aspect) are attributed to a single authority.”218

In diesem Zuge versah man in der Antike meist einzelne, personal konturierte Autoren mit Urheberschaft; die Darstellung des exekutiven Autems blieb dagegen untergeordnet.219 Zweitens setzen Loves Definitionen insgesamt eine im Vergleich zur Antike weit etabliertere Schriftkultur (literacy) voraus, in deren Rahmen Komposition, Veröffentlichung sowie Überlieferung220 hauptsächlich über das Medium Schrift vollzogen werden. Gleichwohl räumt Love ein, dass auch in unserer Zeit fluide, nicht notwendigerweise textgebundene Prozesse von Autorschaft weiterexistieren, wie dies die mündliche Verbreitung von Witzen oder urban myths sowie ferner der Umgang mit Texten im Internet zeige: “We are so familiar with this kind of transmission as an oral phenomenon that we often overlook how frequently written texts enter and exit the oral repertoire. (Our own oral retellings of stories we have read in magazines would be one example.)”.221

Gleichwohl braucht es mit Blick auf die diesbezügliche konzeptionelle Alterität der Antike eine Umperspektivierung: Ist die Textproduktion, -rezeption und -überlieferung doch insgesamt unter dem Aspekt der Mündlichkeit zu betrachten, wenn auch seit der Spätarchaik nicht mehr im Sinne einer ‚primären Mündlichkeit‘ (mündliche Komposition kombiniert mit mündlichem Vortrag vor einem ___________________________

217 Zur Terminologie der Zuweisung weiblicher Autorschaft vgl. jedoch den Überblick bei HAUSER (2016) 158f. 218 So WIETZKE (2017) 367f. am Beispiel des multiauktorialen corpus Hippocraticum. 219 Zu deklarativer Autorschaft s. Kap. 3.1.3. Zur personalen Konturierung von Autorschaft s. Kap. 4.1, 5.2. 220 Dies die drei für Literatur und Dichtung konstitutiven Phasen bei FINNEGAN (1977) 16-24. 221 LOVE (2002) 38.

Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur

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Publikum und mündlicher Überlieferung des Textes) als vielmehr im Sinne einer ‚Auralität‘,222 wonach Schriftlichkeit im Bereich der Komposition mit Mündlichkeit in den Bereichen der Darbietung und Verbreitung – bis zum Einsatz schriftlicher Weitertradierung von Texten – einhergingen. So gab es noch in Klassischer Zeit und darüber hinaus eine lange und keinesfalls lineare Übergangsphase von primärer Mündlichkeit hin zu einer stets nur relativ ausgeprägten Schriftkultur, in deren Verlauf die Komposition und Überlieferung von Texten zwar zunehmend der Schrift anvertraut wurden, literarische Werke jedoch weiterhin mündlich vor einem Publikum (etwa anlässlich von Festen oder Symposien) vorgetragen wurden.223 So deutet die Praxis poetischer Darbietung auf eine “face-to-face-interaction of a narrator with an audience in real time and in the real world”, 224 sie ermöglichte es besonders epischen Gedichten, in Zeit und Raum – dem Abstand zwischen exekutiver und performativer Autorschaft sowie dann erneut performance und re-performance – zu reisen und tradiert zu werden. In der vorliteralen, traditionellen Performanzkultur war der Vortrag eines Sängers durch dessen Realpräsenz am Ort der Feier gekennzeichnet, die Bezeichnung für den Verfertiger von Dichtung fiel mit dem des Sängers (ἀοιδός) zusammen.225 So ist etwa besonders bei Homer und Hesiod exekutive Autorschaft stark an die Dimension der Darbietung gebunden (Hom. Il. 24.720; Od. 3.270; Hesiod, Theog. 95). Dagegen ist ποιητής als nomen agendi für den Poeten erst für das letzte Drittel des 5. Jh. belegt (Hdt. 2.53.3; Aristoph. Frösche 96, 1030). Durch eine erweiterte Rezeption ergab sich jedoch die Notwendigkeit, die Stimme des Dichters als Quelle von Wissen von Ort und Zeit der Aufführung abzulösen und unabhängig zu machen, das heißt im ‚reisenden‘ Text zu vermitteln und die ursprüngliche kommunikative ‚Präsenz‘ medial zu erhalten, wodurch ___________________________

222 Zum Begriff des ‚Auralen‘ ONG (2016) und die Übersicht bei A. Ercolani/L. E. Rossi in ZIMMERMANN (2011) 79. 223 Zu den kommunikativen Bedingungen von Literatur von der Archaik bis ins 4. Jh. HAVELOCK (1963). Zu kulturellen Konsequenzen der Schrift GOODY/WATT (1968) und die Beurteilung bei RÖSLER (2011). Zu Koexistenz und Zusammenspiel von Mündlichkeit und Schriftlichkeit THOMAS (1992) und die Sammelbände der Orality and Literacy-Reihe: WORTHINGTON (1996), WATSON (2001), MACKIE (2004), COOPER (2007), MACKAY (2008) und SLATER (2017). Zu Performanzmodellen grundlegend STEHLE (1997). Neueres bieten die Beiträge bei BAKKER (2017) – mit der Einordnung bei HAFNER (2018a) – sowie BUDELMANN/PHILLIPS (2018). 224 So die Definition bei BAKKER (2009) 122. Zum Performanzmodell ferner BAKKER (2017a) 2: “Performance cuts across the old orality-literacy dichotomy: the performance of a poem, and hence its oral production and aural reception, does not preclude its existence as a written text”. Zu einer poetischen Hermeneutik der griechischen Performanzkultur aus Sicht des 5./4. Jh. YUNIS (2003a) 190-192. 225 Diese Kongruenz von Autor und Performer im Moment der Darbietung archaischer Dichtung bestimmt den Zugang bei NAGY (1989) 52ff. und (1996) 19 (“authority in performance is key to the very concept of authorship”).

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Autoren in den reisenden, panhellenisch rezipierten Texten als deren Urheber präsent bleiben konnten. Im Moment der Aufführung, die in raumzeitlicher Distanz von Ort und Zeitpunkt der Komposition stattfinden konnte, wurde ein Dichter durch einen Performer vertreten oder gar impersoniert226 – im Falle der homerischen Epik etwa durch Rhapsoden. Der Handlungs- und Möglichkeitsspielraum dieser in die Darbietung involvierten Akteure variierte je nach Aufführung, Anlass und Dichtungs-Tradition, doch prägten sie in jedem Falle die Rezeption im Moment der Darbietung entscheidend mit.227 Sie ließen in der kommunikativen hic et nunc-Situation der Aufführung die Stimmen dieser Tradition aufs Neue erklingen, die sie stellvertretend für den Dichter im Rahmen eines Symposions, Festes oder Wettbewerbs vokalisch impersonierten.228 In der Wahrnehmung der Rezipienten schwankten die somit erneut präsente Dichterstimme – möglicherweise identisch mit derjenigen des Performers der ersten Aufführung – sowie die Stimmen späterer Darbietender zwischen Univokalität und divergenter Polyphonie. Doch selbst eine scheinbar ‚einstimmige‘ Kongruenz von Dichter und Performer scheint weit komplexer gewesen zu sein als angenommen, wie sich an einem Anakreon-Fragment (fr. 402c PMG) verdeutlichen lässt:229 ἐμὲ γὰρ †λόγων† εἵνεκα παῖδες ἂν φίλέοιεν· χαρίεντα μὲν γὰρ ἄιδω, χαρίεντα δ’ οἶδα λέξαι. „Mich nämlich dürften die Jungen meiner Worte wegen lieben: Denn ich singe angenehme Lieder, ich weiß angenehme Worte zu sprechen.“

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226 Vgl. BAKKER (2017a) 5: “The performer, standing in for the poet, sometimes possibly even identifying with him, brings to the here and now of the performance a presence from another time and place. Such is the case with the Homeric and Hesiodic rhapsode.” 227 So tritt uns etwa aus Alkmans Parthenien die individuelle oder kollektive Stimme des Mädchenchors (fr. 1.39-40 ἐγὼν δ’ ἀείδω | Ἀγιδῶς τὸ φῶς, fr. 29 PMGF ἐγὼν δ’ ἀείσομαι ǀ ἐκ Διὸς ἀρχομένα) deutlich entgegen. 228 Hierzu BAKKER (2009) 124: “when we look at Homer as poetry in performance, this narrator becomes Homer, the essence and voice of the entire tradition, a voice that can be this voice only by sounding in various places and at various times. […] In a narratology of Homeric performance, the biographical, external ‘I’ and the fictional, the internal ‘I’ collapse in the typical deixis of the performer.” 229 Besprochen auch bei BUDELMANN (2018) 247.

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Diese von einer darbietenden Instanz gesungenen lyrischen Verse weisen auf Selbstaussagen einer Dichter- bzw. Autorfigur, die sich selbst für die Anmut eben dieser Verse rühmt. Insofern führt die Aussage weg von der Stimme der in die aktuelle Aufführung involvierten Sänger-Instanz hin zu einer Autorfigur ‚Anakreon‘ als dem eigentlichen (exekutiven) Verfertiger der kunstvoll gedichteten Verse, die wiederum durch die anonyme darbietende Person im Moment der Aufführung einen Wirklichkeitsbezug erhalten, wenn die Gedichtstimme im Sprechoder vielmehr Singakt Vers 2 ἄιδω („ich singe“) Anakreon impersoniert und sich damit selbst in eine Dichterfigur verwandelt.230 In vielen lyrischen Gedichten gibt es Bezüge auf den anonymen exekutiven Verfertiger, der durch das Rühmen eigener poetischer Raffinesse, Musen-Anrufe, die Hoffnung auf κλέος sowie Wiederaufführung oder gar die Einfügung eines Autornamens manifest wird. 231 Die Herstellung auktorialer Präsenz im Rahmen der Aufführung konnte die Rezeption eines Gedichts zu gewissem Grade kontrollieren sowie autorisierend und authentifizierend wirken.232 Es liegt der Schluss nahe, dass archaische Dichter ihre Produkte bewusst auf raumzeitlich entfernte (Wieder-)Aufführungen hin entwarfen, in deren Rahmen die eingearbeiteten Sprechakte und deiktischen Verweise autoritative Wirkung entfalten sollten, obwohl (oder: gerade weil) sie über die individuellen oder kollektiven Stimmen der jeweiligen Performer vermittelt wurden.233 Somit förderte ausgerechnet die performanzbasierte Verbreitung von Dichtung ___________________________

230 Dies deutet BUDELMANN (2018) in Rückgriff auf kognitionstheoretische Begrifflichkeiten, v. a. mentalizing (definiert als “the human ability to form impressions of other people’s mind-states”), in Bezug auf lyrische Dichtung: Rezipienten rekonstruieren demnach jeweils aktiv die geistigen Zustände des Sprechers, Autors sowie Performers, die in vertikaler Beziehung zueinander stehen: Dichter wie Anakreon in fr. 402c PMG konstruieren Sprecher, die wiederum Dichter sind (247), was eine Trennung des Autors von einer Sprecher-persona verhindert. Vgl. CALAME (2010) 142, wo das pindarische ‚Ich‘ (am Bsp. von Ol. 6) als polymorphe Aussageinstanz erscheint, in die – einem ebenso polymorphen ‚Du‘ gegenüber – der inspirierte Dichter und Wahrheitskünder Pindar, der Chorodidaskalos, die Choreuten und das sprechende Gedicht selbst integriert sind. 231 Zum Wunsch um Permanenz der Dichtung Sappho fr. 58a (Anfangsgedicht in P. Köln 21351 + 21376), 65, 147 V.; Ibykos S151.46-48 PMGF; vgl. SPELMAN (2018) 146ff. Selbstnennungen in der Dichtung bieten Sappho fr. 1.20, 65.5, 94.5 und 133.2 V.; Alkman fr. 17.4, 39.1, 95b PMGF; Solon fr. 33; Hipponax fr. 32.4, 36.2, 37.1, 79.9 W.; Theognis 22 W. 232 Hierauf weist auch der Einsatz deiktischer Pronomina, was BAKKER (2009) 125 als eingebaute projected indexicality bezeichnet, wenn also Platzhalter wie ‚Ich‘, ‚Du‘ oder ‚diese Stadt‘ im performativen Kontext jeweils neu aktualisiert werden (“This poetry is self-staging, self-contextualizing, made, not in, but for performance”). 233 Weitere Strategien der Präsenz und Kontrolle archaischer Autoren über ihre verstärkt panhellenisch rezipierten Gedichte bietet A. D. MORRISON (2007) 36-102 – auch wenn die von moderner Narratologie inspirierte Berufung auf ‚Erzähler‘ statt ‚Autoren‘ m. E. für den Bereich frühgriechischer Literatur unplausibel ist: Kap. 4.2.

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authentizitätsbasierte Autorschaftskonzeptionen: Denn war die erste Darbietung mit hoher Wahrscheinlichkeit noch vom Realbezug auf den präsenten Dichter geprägt, plausibilisierte erst weitere Verbreitung, vermittelt über wechselnde darbietende Akteure, die Internalisierung und Inklusion eines Autornamens oder einer persona loquens, wodurch der Eindruck autoritativer Verankerung des Gedichts entstand. So entwarfen etwa Pindars Gedichte ein kohärentes Sprecher-Ethos234 mit den distinktiven Merkmalen poetischer Qualität und göttlicher Inspiration, das – weniger auf die historische als die exemplarische soziale Rolle des Preisenden deutend – Effektivität und Persuasivität der Kommunikation mit dem laudandus autoritativ absicherte. Zwar kann die dominante Stimme bei Pindar auch innerhalb einer Ode zwischen der Rolle des kommentierenden Chorlyrikers und der eines singenden Performers oszillieren.235 Doch lässt sich dies auf internalisierte Mündlichkeits-Marker und die scheinbar im Akt der Aufführung improvisierte ‚PseudoSpontaneität‘ der Sprecher, die durch Selbstkorrekturen, assoziative Gedankenführung oder spontane Abbrüche der Argumentation manifest wird, zurückführen, was die Wahrnehmung einer extempore-Komposition durch die Performer verstärkte.236 Des Weiteren gab es in der song culture der Archaik,237 konkret im Rahmen poetischer Darbietungen, epichorisch und/oder panhellenisch wirksame kollektive Prozesse, in deren Verlauf der autoritative Schwerpunkt vom Autor zu den an einer Aufführung beteiligten Sängern oder Choreuten wanderte.238 Hier tritt das Paradox zu Tage, dass, wie bei einer Kippfigur, einmal authentizitätsbasierte (orientiert am exekutiven Autor), ein andermal performanzbasierte Konzeptionen (orientiert an darbietenden Akteuren: Chor und Sängern) in den Vordergrund treten und stärker als die jeweils gegenteilige Dimension fassbar werden.239 In antiken Texten ___________________________

234 Hierzu s. PFEIJFFER (2004) 216-219. 235 D’ALESSIO (1994) 125. Zu den Rollenverhältnissen des poetischen ‚Ichs‘ bei Pindar KUHN-TREICHEL (2020) bes. 11-24. 236 Vgl. CAREY (1981) 5, KRUMMEN (1990) 270, SCODEL (1996), PFEIJFFER (2004) 215f., A. D. MORRISON (2007) 68f. 237 HERINGTON (1985) 3-76, KANNICHT (1996), HOSE (2016a) Sp. 1058-1061. Zur Performanzkultur STEHLE (1997). 238 Zu performanzbasierten Autorkonzeptionen LATTMANN (2017) sowie STEHLE (2017) 30, wo der exekutive Autor Pindar mit der Performanz interagiert: “His poetic genius consisted in part in creating poems with a self-referential speaker whose assertive “personality” did not rely on performers to embody it (although they did) but could give a powerful impression of presence from within the text itself.” 239 Vgl. entsprechend konträre Urteile bei BAKKER (2017a) 2 (“For a discussion of authorship the important thing is that for the audience of the performance the question as to who composed the song is of less importance than the presence and identity of the performer, or performers, even when the author is a well-known name, such as Pindar: the maker or poet (poiētēs) is less important than the doer (singer, dancer) who embodies the song and gives physical voice to the role or roles embedded in it.”) sowie

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lassen sich Indizien für beide Betrachtungsweisen ausmachen: Während eine Figur bei Aristophanes (fr. 235 PCG aus den Daitales) eine andere darum bittet, „eines der Skolia des Alkaios und Anakreon auszuwählen und für sie zu singen“, in anderen Worten die Betonung auf den ursprünglichen poetischen Verfertigern liegt, scheinen manche Darbietende durch ihre als exzeptionell empfundene Interpretation epischer oder lyrischer Dichtung bisweilen derart prägend auf ihr Publikum gewirkt zu haben, dass sie selbst Berühmtheit erlangten und als namentlich gefeierte Meister-Performer mit eigener Identität aus dem traditionalen Kontext kollektiver bzw. reproduzierender Dichtung heraustraten. So richtet Sokrates an den Rhapsoden Ion die folgenden Worte (Pl. Ion 541b2-3):240 {ΣΩ.} Οὐκοῦν σὺ τῶν Ἑλλήνων ἄριστος ῥαψῳδὸς εἶ; – {ΙΩΝ.} Πολύ γε, ὦ Σώκρατες. SOKRATES: „Du bist also der beste Rhapsode der Griechen? – ION: Ja, Sokrates, der bei weitem beste.“

Hier wird dem darbietenden Rhapsoden eine ko-kreative Rolle zugesprochen, die sich mit seinem berühmten Namen verbindet.241 Der Fokus richtet sich auf die KoAutorschaft des Rhapsoden, da Ions Rolle als zentral für die Prägung homerischer Dichtung aus seinem Munde bestimmt wird.242 Laut Ion 530c-d übersteigt seine Fähigkeit sogar die seiner Rivalen Metrodoros von Lampsakos (61 A 3-4 DK) und Stesimbrotos von Thasos (FGrHist 107 F 21-25). Durch den Eigenanteil des Performers an der Dichtung rivalisiert dieser mit dem eigentlichen Textproduzenten – und performative entsprechend mit exekutiver Autorschaft. 243 Entsprechend ___________________________

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BUDELMANN (2018) 252 (“certainly in the fifth century, lyric performers performed not only themselves but also the author”). Hierzu WHITMARSH (2013) 238; zur Differenzierung von composer und performer aus Sicht der oral poetry NAGY (1989) 35-38. Zu berühmten Dichtern der jugoslawischen Sangestradition SCODEL (2017) 73ff.; zur Frage nach den onymen Darbietenden kretischer Mantinades – im Vergleich zu den antiken Skolia – MARTIN (2017) 71, laut dem in Werken kollektiver Autorschaft die Suche nach einem identifizierbaren ‚Ich‘ und ‚Du‘ in Texten erfolglos bleiben muss (“The poetry itself is […] designed precisely to circumvent and undermine any such easy identifications. It embeds multiplicity, indirection, and fuzziness“). Im Zuge der Dichterkritik, Ion 534e, weist Sokrates den Rhapsoden jedoch keinerlei künstlerisches Potential zu: SCHLESIER (2006) 53 spricht entsprechend von der „Bestimmung des Rhapsoden als Vermittler bzw. Interpret (hermeneus), im Sinne eines ausführenden, auf Performativität beschränkten und von eigener Kreativität vollständig abgelösten Organs.” Dies bekräftigt YUNIS (2003a) 193: “Ion no longer performs the poetic text or speaks in the poet’s voice, but plays himself and speaks in his own voice.” CALAME (2005) nennt die Dichtungs-Performanz esecuzione. Zum transhistorischen Modell des performativen Autors LONGOLIUS (2016) 8 (“[The] performative author is

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resümierte Calame den Status des Autors im Kontext der frühgriechischen Performanz-Kultur folgendermaßen: „[Der Autor] definiert sich in seiner Eigenschaft als soziale Figur durch seine „fonction-auteur“, um eine von Michel Foucault vorgebrachte Idee aufzugreifen. Wer aber im Falle der griechischen Dichtung von „fonction-auteur“ spricht, sagt gleichzeitig „fonction-exécutant“, da die dichterische performance von Darstellern an einem rituellen Anlass übernommen wird: Von Aöden oder Rhapsoden, Choreuten, Schauspielern eines tragischen oder komischen Dramas, usw.“244

Demnach hat auch die Darbietung von Dichtung Anteil an der exekutiven Autorfunktion. Eine solche Autorfunktion realisiert sich beispielsweise durch SelbstZuschreibungen und Sprechakte wie „ich singe“ oder „ich sage“ im Moment der Aufführung, wodurch sich die Sprecher oder Sänger als Produzenten von Dichtung kennzeichnen, wie etwa die während eines Symposions den anakreontischen Vers fr. 402c.2 PMG (χαρίεντα μὲν γὰρ ἄιδω, χαρίεντα δ’ οἶδα λέξαι) singende Instanz, oder ein Rhapsode bei der Rezitation von Il. 2.484 (Ἔσπετε νῦν μοι Μοῦσαι).245 In der archaischen Kultur formten sich bestimmte Gruppen heraus, die berufsmäßig als Dichtung darbietende Akteure wirkten. Eine Auswahl sei im Folgenden kurz vorgestellt: Die Gruppe der Rhapsoden, 246 professioneller Rezitatoren von zumeist epischer Dichtung, bildete sich im Zuge der medialen Entwicklung von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit, beginnend mit dem 8./7. Jh. v. Chr., heraus. War die Epik zuvor Sängerdichtung gewesen, die sich durch mündlich improvisierende Vortragstechnik auszeichnete, wobei die Inhalte vor dem Vorhandensein einer festen textuellen Grundlage stets neu von kreativen Sängern (Aoiden, gr. ἀοιδοί) zum Spiel eines Saiteninstruments (Kitharis, Phorminx) extemporiert wurden, ermöglichte die Schriftlichkeit und Schaffung einer Textbasis 247 – womit eine Registrierung und Thesaurierung bestimmter Daten und Inhalte möglich wurde – die memorierende Wiedergabe von Werken anderer Dichter mittels Rezitation

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an active and acting subject”), 42 (“representation arises out of a performance by the authors and must be re-performed, time and again, by the recipient.”). CALAME (2010) 129. Zu verba canendi und dicendi des Epos vgl. die Übersicht bei WEST (1981) 113-115. Die Wortform setzt sich aus ῥάβδειν („nähen) und dem Stamm des Nomens ᾠδή (< ἀοιδή, „Gesang“) zusammen und bezeichnet jemanden, der aus Versatzstücken „Gesang/Gesänge zusammennäht“. Die Dichter in den homerischen wie hesiodischen Werken sehen sich selbst als kreative Aoiden und Sänger. Vgl. programmatisch ἀείδειν in Hom. Il. 1.1 und die metapoetischen Darstellungen der Sänger Demodokos (B. 8) und Phemios (B. 1, 17, 22) in der Odyssee; zur Selbstauffassung Hes. Theog. 94-103; Hom. h. 3.165-173. Erst Hdt. 5.67.1 verbindet die Rhapsoden mit professioneller Homer-Rezitation.

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durch „reproduktive Künstler“.248 Entsprechend entwickelte sich der Berufsstand der ‚Homeridai‘ auf Chios,249 die sich als Erben und Traditionshüter des Dichters betrachteten. 250 Ähnliches beanspruchten die Kreophyleer auf Samos (Κρεοφυλεῖοι: Neanthes FGrHist 84 F 29 = Porph. Vit. Pyth. 1) für sich.251 Neben Homer rezitierten Rhapsoden jedoch auch etwa Lyriker – laut Heraklit 22 B 42 DK beispielsweise Archilochos. Verweise auf Wiedergaben von Mimnermos und Phokylides finden sich ferner bei Athenaios (14.620a-d). Auch Philosophen wie Empedokles oder Xenophanes sollen im Rahmen von Rhapsoden-Agonen aufgetreten sein und dort ihre Überlegungen vor einem Publikum, das bestens mit Homer und dessen Sprache vertraut war, vorgetragen haben.252 Antike Belege deuten darauf, dass Rhapsoden ihr Können bereits seit dem 7. Jh. öffentlichkeitswirksam und in Konkurrenz miteinander bei institutionalisierten Wettbewerben in privatem wie öffentlichem Rahmen präsentierten, 253 etwa bei städtischen Dichteragonen oder religiösen Stadtfesten wie den Panathenäen. Letztere fanden seit der Peisistratidenherrschaft in der zweiten Hälfte des 6. Jh. alle vier Jahre in Athen statt. 254 In deren Rahmen präsentierten Rhapsoden hintereinander – laut Ps.-Pl. Hipp. 228b89 genau dort einsetzend, wo der letzte Rhapsode in der Reihe jeweils geendet hatte (τοὺς ῥαψῳδοὺς Παναθηναίοις ἐξ ὑπο λ ή ψεως ἐ φεξ ῆ ς αὐτὰ διιέναι) – Verse ___________________________

248 So ALY (1914) Sp. 245, der Sp. 249 Rhapsoden anachronistisch ein „Fehlen aller Originalitätssucht“ bescheinigt. 249 Zu dieser Gruppe vgl. Pind. Nem. 2.1-2: die Ὁμηρίδαι als ῥαπτῶν ἐπέων […] ἀοιδοί, mit schol. ad loc.; Pl. Staat 599e-600b; Isokr. or. 10.65. 250 Hierzu BURKERT (1987), WEST (1999) 366-372, GRAZIOSI (2002) 201-234, bes. 208217. Laut Ath. 14.620a-d konnten Homeriden selbst Abschriften homerischer Werke erstellen. Spuren rhapsodischer Praxis im Sinne einer exekutiven Autoraktivität finden sich in Gedichten des epischen Kyklos in Proklos’ Exzerpt, die in der agonalen Rhapsoden-Praxis ein Kontinuum formten: BURGESS (2001) 7-46. Ferner in Scharnier-Versen hesiodeischer Texte, die inhaltlich nahestehende Erzählungen zu einem narrativen Kontinuum verbanden und elegante thematische Überleitungen schufen. So fördern auch die Passagen Theog. 1-34 und 35-115 die Hypothese, dass zwei Proömien, die auf unterschiedlichen Aufführungskontexten beruhten, in ein Korpus zusammengefasst wurden. Ferner deuten alternative Abschnitte in Hesiods Erga auf Kompositionen für verschiedene Gelegenheiten und Zuhörer: ROSSI (1997). Somit führte der performative Kontext zu Varianten, die sich in der handschriftlichen Überlieferung, auf Papyri und Kodices, niederschlugen und Abweichungen in antiken Testimonien erklären. 251 Zur Konservierung der Epen Homers durch die Kreophyleer: Plut. Lyk. 4.4 (ἐκεῖ δὲ καὶ τοῖς Ὁμήρου ποιήμασιν ἐντυχὼν [sc. ὁ Λυκοῦργος] πρῶτον, ὡς ἔοικε, παρὰ τοῖς ἐκγόνοις τοῖς Κρεοφύλου διατηρουμένοις). 252 Vgl. dazu M. Erler (Kap. IV. Philosophie, 1.7 Von Dichtung zu Prosa) in ZIMMERMANN (2011) 273. Zum Spektrum rhapsodischer Aktivität und ihrem Niederschlag auf die archaische Literatur BRILLANTE ET AL. (1981). 253 Vgl. Hes. erg. 654-662 den Hinweis auf den Dichter-Wettkampf zu Ehren des Amphidamas in Chalkis. 254 Zur Etablierung von Rhapsoden-Wettkämpfen bei den Panathenäen WEST (2009) 29.

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aus den bereits kanonischen Epen Homers, um den Preis des besten Performers davonzutragen.255 Für das 5. Jh. sind neben darbietenden auch textexegetische Tätigkeiten sowie eine hohe soziale Reputation der Rhapsoden bezeugt. Dasselbe geht noch aus Platons Ion (4. Jh.) hervor,256 obgleich die Rezeption der Epen in Form von Lektüre bereits zugenommen hatte. Gerade dank rhapsodischer Tätigkeit konnte sich der Ruhm homerischer Epik quer durch die griechische Welt verbreiten. Damit erscheinen Rhapsoden wie etwa die Homeriden als performative wie ko-exekutive Autoren, da sie die Werke bekannter Autoren, allen voran diejenigen Homers, öffentlich präsentierten, ohne jedoch zu eponymen Autoren der Werke zu werden. Zwar hinterließen sie keine expliziten Spuren,257 etwa die Nennung von Eigennamen in den überlieferten Texten – oblag ihnen doch lediglich die Darbietung homerischer und anderer Gedichte –, doch geht gerade die Makrostruktur der Epen, besonders die Einteilung in ‚Rhapsodien‘ im Sinne rezitativer Einheiten, grundlegend auf die Tätigkeit dieser darbietenden Akteure zurück. Eine weitere professionelle Gruppe ‚reproduzierender‘ performativer Autoren in der Archaik waren die reisenden Kitharoden, die in Form musikalischer Agone kompetitiv gegeneinander antraten.258 Mythischer Begründer der Kitharodie war Terpander, auf den sich die Kitharoden genealogisch beriefen und den sie anlässlich von Kultfesten wie den spartanischen Karneen impersonierten. Wie im Falle Homers konkurrierten dabei verschiedene Gruppen um das Erbe des Ur-Kitharoden Terpander, wobei die aus Antissa aus Lesbos, Terpanders Geburtsort, stammenden Kitharoden eine exklusive Verbindung für sich proklamiert zu haben scheinen.259 Nach Hellanikos’ (5. Jh. v. Chr.) systematischer Karneonikenliste war Terpander erster Sieger beim Karneenfest (FGrHist 4 F 85a = T1 Gostoli = Athen. 14.635e: τὰ Κάρνεια πρῶτος πάντων Τέρπανδρος νικᾷ).260 Noch Timotheos von ___________________________

255 Zu diesem Formations-Prozess CANCIK (2003) 117-120. Die Frage nach der Existenz einer ‚Peisistratidischen‘ (oder: ‚Solonischen‘) Redaktion und damit Kanonisierung des Homertexts ist dagegen kaum zu beantworten, da man sich auf spätere Zeugnisse stützen muss. So geht GRAZIOSI (2002) 228-232 von einer Erfindung des 1. Jh. v. aus. Der früheste Zeuge ist Cicero (de orat. 3.137); vgl. Paus. 7.26.13; Ael. VH 13.14; AG 11.442 (Philiskos). Des Weiteren finden sich angebliche Zeugnisse des Dieuchidas von Megara (4. Jh. v. Chr.) bei Diog. Laert. 1.57 und des Hereas von Megara (3. Jh. v. Chr.) bei Plutarch Thes. 20.1. Weitere Literatur bei MÜLKE (2008) 205 Anm. 628. 256 Eine Übersicht über bekannte Rhapsoden-Agone bietet ALY (1914). Grundlegend zum Begriff PATZER (1952). 257 Doch warfen Platon und der Historiker Hippostratos den Rhapsoden Verfälschungen Homers vor: Kap. 5.2. 258 HERINGTON (1985) 167-176 [Rhapsoden], 177-180 [Kitharoden], POWER (2010) 224314, MASLOV (2015) 76. 259 Vgl. hierzu POWER (2010) 331-335, BOTERF (2017) 92 (“Terpander, like Homer, was constantly resurrected and reenacted within performance”). 260 Zu den ἀπόγονοι Terpanders schol. ad Aristoph. Wolken 971a (T56 Gostoli); Aristot. fr. 545 Rose (T60c Gostoli); Hesych. s. v. μετὰ Λέσβιον ᾠδόν (T60g Gostoli). Laut

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Milet stellte sich in seinen Persern in diese kitharodische Tradition (791.221-232 PMG).261 Auch lyrische und chorlyrische Dichtung renommierter Autoren wurde von performativ wirkenden Akteuren in Form von Rezitationen oder Choreographien zur Aufführung gebracht; dies war entweder durch die raumzeitliche Distanz zur Komposition und ersten Aufführung notwendig geworden, oder durch den ‚Sitz im Leben‘ der Dichtung, etwa den Chorgesang im Fest-Kontext, bedingt.262 Die Trennung (chor-)lyrischer Autorschaft in einzelne auktoriale Aktivitäten, wodurch schriftliche Komposition und mündliche (Wieder-)Aufführung verklammert wurden, verdeutlicht das Beispiel des in Sparta wirkenden Chorlyrikers Alkman von Sardeis (zweite Hälfte 7. Jh. v. Chr.): In den fragmentarisch überlieferten Parthenien nimmt das ‚Ich‘, prominent etwa in fr. 1.39-40 PMGF (ἐγὼν δ’ ἀείδω | Ἀγιδῶς τὸ φῶς), bisweilen die Rolle eines singenden und tanzenden Mädchenchors, oder aber der Chorführerin (Choregin) ein. Gerade die weibliche Stimme der Choreutin oder Choregin, wie sie in fr. 29 PMGF (ἐγὼν δ’ ἀείσομαι ǀ ἐκ Διὸς ἀρχομένα) erscheint, zeigt die autonome Rolle dieser weiblichen „exécutant du poème“,263 deren Eigenständigkeit und Alterität vom Verfertiger des Gesangs durch die feminine Partizip-Form (ἀρχομένα) deutlich hervorgehoben wurde.264 Die Trennung auktorialer Aktivitäten, die zugleich den kooperativen Charakter der Chorlyrik unterstreicht, wird auch dann deutlich, wenn der darbietende Chor die Rolle des Dichters umschreibt, der in der dritten Person Singular erscheint, wie in fr. 38 PMGF (κιθαριστάς).265 Während die Trennung von exekutiver und performativer AutorAktivität in der monodischen Lyrik, etwa bei Sappho, kaum wahrnehmbar ist, 266 wurde die Dichtung Alkmans, der die Lieder komponierte – fraglich ist, ob er sie auch selbst inszenierte, also mit den Choreutinnen einstudierte –, auf ___________________________

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Ps.-Plut. De musica 1132-1133 führte sich die Genealogie (διαδοχή) von Καρνεoνίκαι aus Lesbos auf Terpander zurück, die erst mit Perikleitos geendet habe (1133C-D). Zu poetischen Genealogien der Archaik und dem Bezug auf mythische Gründer WEST (1999) 373f. Auch für die archaische (Chor-)Lyrik ist von einer ‚auralen‘ Dimension, d. h. der Koexistenz von mündlicher Tradierung der Texte und bereits schriftlicher Komposition auszugehen – Präsentation und Rezeption hatten ihren ‚Sitz im Leben‘ bei öffentlichen Festen wie den Panionia, Delia, Panathenäen oder anderen panhellenischen Feiern, ferner Anlässen im kleineren Kreis wie den Symposien. CALAME (2005) 19. Hierzu D’ALESSIO (1994) 118-120. Bezüge des Chors auf den exekutiven Autor, d. h. den Chorlyriker, finden sich prominent auch in der Epinikien-Dichtung des Bakchylides, vgl. 3.97-98, 4.7-10, 5.9-16, 9.3-4. Vgl. BUDELMANN (2018) 237-243, wo jedoch zwischen Text- (speaker) und Autorstimme (author) unterschieden wird. Aus der situativen Vagheit sapphischer Dichtung wurde geschlossen, dass auch männliche Sänger diese wiederaufführen konnten, die in die Rolle ‚Sapphos‘ schlüpften: MOST (1995/1996).

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unterschiedliche auktoriale Akteure verteilt. Das Publikum, das im Rahmen der Aufführung die Singenden sah und hörte, konnte das singende ‚Ich‘ so mit der Chorführerin, dem Chorkollektiv oder gar mit dem ‚Ich‘ des Chorodidaskalos und/oder Dichters identifizieren.267 Da die Lieder auf die personelle Besetzung des Chors angepasst waren – in den Parthenien-Fragmenten werden die Choreginnen Hagesichora (fünfmal in fr. 1 PMGF), Agido (viermal ebd.), Astymeloisa (fr. 3.64, 73 PMGF) oder Megalostrata (fr. 59b.3 PMGF) genannt –268 bleibt eine enge Abstimmung zwischen dem in Sparta wirkenden Chorleiter Alkman und einheimischen Chören (T A2.32-34 PMGF διδάσκαλος τῶν θυγατέρων καὶ ἐφήβων πατρίοις χοροῖς) in kompositorischen wie choreographisch-inszenatorischen Fragen zu vermuten. In der nach-alkmanischen Chorlyrik nahm die Trennung beider Phasen, Komposition und Inszenierung bzw. Darbietung, zu, da Dichter wie Pindar und Bakchylides ihre Texte, bei denen es sich um Auftragsproduktionen handelte, an teils weit entfernte Orte und Aufführungen in der griechischen Welt versandten. Zugleich wird auch in Pindars Chorlyrik das ‚Ich‘ im Sinne eines stimmlichen Amalgams oder einer „polymorphen Aussageinstanz“ gedeutet, die einerseits auf den Dichter selbst, andererseits auf den Chorodidaskalos (sofern nicht mit dem Dichter identisch), ferner auf die Choreuten oder gar das Gedicht selbst bezogen werden ___________________________

267 So RÖSLER (1985) 140 zur Stimme des chorlyrischen ‚Ichs‘ („A prescindere da criteri contenuistici, il pubblico poteva dunque cogliere così lo specifico rapporto esistente fra i singoli testi ed i loro esecutori“), ferner GENTILI (1990). SLINGS (1990) bezieht das lyrische ‚Ich‘ auf den Performer bzw. Chor: Ich-Äußerungen urteilender Art sind demnach meist als (explizite) Aufforderungen an ein Publikum zu verstehen, wogegen die Sprechinstanz weniger relevant ist: HOSE (2003) 44f. Zur Frage, ob das chorlyrische ‚Ich‘ das eines repräsentativen Dichters als Vertreters seines Berufs sei – so jeweils variiert mit Blick auf Pindars Epinikien LEFKOWITZ (1963), (1980), (1991), in biographischer Neudeutung UHLIG (2016) 122ff. –, oder den performierenden Chor darstelle – CAREY (1991) – s. vermittelnd D’ALESSIO (1994) und die Forschungsübersicht über die Debatte bei GOLDHILL (1991) 142ff., A. D. MORRISON (2007) 63 und A. Bagordo in: ZIMMERMANN (2011) 129. Fraglich ist eine Unterscheidung zwischen Pindars Epinikien und den kultisch-hymnischen Päanen oder Dithyramben, in denen der performative Kontext die Quelle von Autorität bildet. Ferner, ob die Dichter-persona der Epinikien oder bei den Lyrikern streng mit den Stimmen im Kultlied variiert, die Gemeinschaft repräsentieren und aktualisieren (dazu CAREY [2017] 53: “This ambiguous first person authorizing the speaker both as representative of the group and as creator of pleasing song is one of the most elegant instances of voice in cult song which we have.“). Statt einem starken Gattungsbezug betont KUHN-TREICHEL (2020) plausibel die variablen Rollenbeziehungen, die das poetische ‚Ich‘ bei Pindar eingeht. 268 Vgl. bes. die Namensreihe der Frauen in Alkmans fr. 1.70-76 PMGF (aus dem berühmten ‚Louvre-Partheneion‘, P.Louvre E 3320). Zur Semantik weiblicher Autorschaft der griechischen Dichtung HAUSER (2016).

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kann (Kap. 3.2).269 Insgesamt erscheint kooperative Autorschaft als eine gängige Praxis im Bereich frühgriechischer Chorlyrik, sofern man freilich die performative Situation der Aufführung von Dichtung als eine auktoriale Tätigkeit – in Erweiterung von Loves exekutivem Autem – prinzipiell akzeptiert. Anhand des medialen Wandels hin zum verstärkten Gebrauch der Schrift lässt sich bereits früh nachverfolgen, wie ein Wortschöpfer bzw. Textproduzent aus seiner Anonymität heraustritt und sich selbst als exekutiven Verfertiger charakterisiert. Dies ist prominent in der frühen griechischen Prosa der Fall. So verweist der Geograph und Genealoge Hekataios von Milet explizit auf die schriftliche Verfasstheit seiner Mitteilung (FGrHist 1 F 1): Ἑκαταῖος Μιλήσιος ὧδε μυθεῖται· τάδε γ ρ ά φ ω , ὥς μοι δοκεῖ ἀληθέα εἶναι· οἱ γὰρ Ἑλλήνων λόγοι πολλοί τε καὶ γελοῖοι, ὡς ἐμοὶ φαίνονται, εἰσίν … „Hekataios aus Milet spricht folgendermaßen: ‚Dies s c h r e i b e ich, wie es mir wahr zu sein scheint. Denn die Aussagen der Griechen sind viele und lächerlich, wie mir scheint …‘“

Die Betonung der (In-)Schriftlichkeit wird hier mit einem Anspruch auf Dauerhaftigkeit verbunden. Zugleich wird der performative Charakter von Hekataios’ Mitteilung nicht übergangen, wie das anfängliche μυθεῖται zeigt: die Rolle des Produzenten wird in den Sprechakt der Präsentation integriert und sichert durch die Verbindung des Verbums in der ersten Person, γράφω, mit dem Namen ‚Hekataios‘ zugleich die Zuweisung exekutiver Autorschaft.270 Die Selbstcharakterisierung als Verfertiger von Schrift, die mit dem Schreibakt der Verbform γράφω, „ich schreibe“, konnotiert ist, findet sich auch bei Hekataios’ historiographischem Nachfolger Herodot, bezeichnenderweise zweimal in Kontexten, wo dieser Kritik an früheren Autoren übt, nämlich Hdt. 2.70.1 gegenüber Hekataios (= FGrHist 1 F 1324b ἡ δ’ ὦν ἔμοιγε δοκέει ἀξιωτάτη ἀπηγήσιος εἶναι, ταύτην γράφω) 271 und 2.123.3 gegenüber Pythagoras. 272 Zugleich zeigen die ___________________________

269 Hierzu CALAME (2010) 142 am Beispiel von Ol. 6. Ähnliches schließt PFEIJFFER (2004) 230 zu Nem. 5. 270 Der Fragment-Kontext bei Demetr. eloc. 2 verdeutlicht, dass Hekataios selbst das Werk mit Ἑκαταῖος Μιλήσιος ὧδε μυθεῖται eröffnete. Eine spätere Rückprojektion auf Verwendungsformen der frühen Prosa findet sich bei Ps.-Skylax FGrHist 709 F 6 (= Marcian. Epit. Peripl. Menipp. 2): γ ρ ά φ ω δὲ ταῦτα πολλοῖς μὲν ἐντυχὼν περίπλοις. 271 Vgl. Hdt. 4.36.2 die Kritik an der (vermutlich von Hekataios entworfenen: FGrHist 1 F 36b) Erdkarte, wo auch der mit γράφειν verbundene Charakter der Aufzeichnung betont wird: Γελῶ δὲ ὁρέων γῆς περιόδους γ ρ ά ψ α ν τ α ς πολλοὺς ἤδη καὶ οὐδένα νόον ἐχόντως ἐξηγησάμενον, οἳ Ὠκεανόν τε ῥέοντα γ ρ ά φ ο υ σι πέριξ τὴν γῆν κτλ. 272 Als Pythagoras-Testimonium gelistet als c D4 bei Laks/Most (τούτωι τῶι λόγωι εἰσὶ οἳ Ἑλλήνων ἐχρήσαντο, οἱ μὲν πρότερον οἱ δὲ ὕστερον, ὡς ἰδίωι ἑωυτῶν ἐόντι· τῶν ἐγὼ εἰδὼς τὰ οὐνόματα οὐ γράφω).

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Verwendungen von γράφω bei Herodot, dass sich der Geschichtsschreiber zwar als Produzent nachhaltiger Aufzeichnungen stilisiert, dabei aber keine signifikante Trennschärfe zu Wirkung und Gehalt mündlicher Aussagen besteht.273 Die Aufteilung auktorialer Produktion und Darbietung auf verschiedene Akteure im Kontext einer ‚aural‘ strukturierten kulturellen Umwelt bleibt demgegenüber jedoch die Regel: Sie behält nicht nur für die archaische Gesellschaft der (Spät-)Archaik mit ihrer Fest-Zentrierung274 und städtischen Kultur, sondern auch noch für die Polis Athen der Klassischen Zeit mit ihren Erweiterungen demokratischer Kompetenz-Anforderungen an einzelne Politen Gültigkeit, da mit der beruflichen Spezialisierung von Textproduzenten (Dichtern, Rednern) auch die Aktivitäten von Textherstellung und -darbietung weiterhin getrennt werden mussten. Ein einschlägiges Beispiel aus dem Bereich der Dichtung ist die Institution der Chorodidaskalie im Klassischen Athen: Das kaum exakt fassbare Amt des Chorodidaskalos, das in enger Kooperation oder gar in Personalunion mit dem Dichter ausgeübt wurde, 275 spielte eine wichtige Rolle im Rahmen dithyrambischer und dramatischer Aufführungen, wie am Beispiel des Komödiendichters Aristophanes deutlich wird. So agierte für die aristophanischen Stücke Daitales (427 v. Chr.), Babylonier (426), Acharner (425), Vögel (414) und Lysistrate (411) ein gewisser Kallistratos276 in der Funktion des inszenierenden Chorodidaskalos, während auf den Siegerlisten lediglich der Name des Dichters aufgeführt wurde. Mit den Rittern (424) übernahm Aristophanes erstmals selbst die Funktion des Chorodidaskalos und belegte in dieser neuen Rolle gleich den ersten Platz bei den Lenäen. Und Philonides, ein Demengenosse Aristophanes’ und selbst Komödiendichter, inszenierte für diesen den Proagon (422), den Amphiaraos (414) sowie die Frösche (405); postum inszenierte Aristophanes’ Sohn Araros in der Rolle des Chorodidaskalos die Stücke Kokalos und Aiolosikon. Unter dem Namen eines Didaskalos lief das Stück nur dann, wenn der Dichter mit zwei Stücken antrat, wie 422 im Falle der Wespen und dem Proagon (letzterer wurde Philonides ___________________________

273 Vgl. Hdt. 2.123.1 (ἐμοὶ δὲ παρὰ πάντα τὸν λόγον ὑπόκειται ὅτι τὰ λεγόμενα ὑπ' ἑκάστων ἀκοῇ γράφω), 4.195.2 (Ταῦτα εἰ μὲν ἔστι ἀληθέως οὐκ οἶδα, τὰ δὲ λέγεται γράφω). Lukian hebt in seiner späteren Herodot-Rezeption in überspitzter Form diesen selbstreflexiven ‚Schreib-Akt‘ hervor, vgl. VH 1.4 (γράφω τοίνυν περὶ ὧν μήτε εἶδον μήτε ἔπαθον μήτε παρ’ ἄλλων ἐπυθόμην) und DSyr. 1 (γράφω δὲ Ἀσσύριος ἐών). Zur Rolle der Schriftlichkeit bei Herodot RÖSLER (2002); zu mündlichen Aspekten NAGY (1987), JOHNSON (1994), EVANS (2013). 274 Zum Bedarf nach poetischen Aufführungen in der sich ausbildenden Festkultur des 6. Jh. KANNICHT (1996). 275 Eine besondere Rolle nimmt der mythische Dichtungsarcheget Arion ein, der zuerst Dithyramben gedichtet und sie selbst in der Funktion des Chorodidaskalos einstudiert habe: ZIMMERMANN (2008) 25-31. 276 Hierzu PCG IV p. 56 sowie ferner Ritter 512-516, das Scholion zu Wespen 1018, Hypothese i der Acharner, den anonymen Traktat Über die Komödie 11 und Photios lex. s. v. Σαμίων.

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übergeben).277 Aus Partien in den Stücken des Aristophanes (Ritter 512-516 und 541-550 sowie Wespen 1018-1022) lässt sich rekonstruieren, dass Aristophanes in der Frühphase seiner Karriere anderen Dichtern zuarbeitete,278 und noch später anderen zumindest die Inszenierung überließ – beispielsweise die Daitales 427 dem Chorodidaskalos Kallistratos –, bis er schließlich selbst die Chorodidaskalie übernahm: Die Phase seines frühen Schaffens, als er noch nicht selbst als Chorodidaskalos fungieren durfte, verarbeitete der Komödiendichter rückwirkend in Kommentaren in den von ihm überarbeiteten Wolken 279 sowie den Wespen. In der Parabase der Wespen, in welcher der Wespenchor sowohl frühe Verdienste des Aristophanes um die Stadt Athen als auch dessen unter anderen Dichternamen inszenierte Stücke preist, heißt es über Aristophanes, er habe sich seit frühester Jugend „der Hilfe anderer Dichter bedient, indem er in fremde Bäuche schlüpfte“, um auf diesem Wege „komische Verse in Strömen“ zu vergießen (Wespen 10181022):280 τὰ μὲν οὐ φανερῶς ἀλλ’ ἐπικουρῶν κρύβδην ἑτέροισι ποιηταῖς, μιμησάμενος τὴν Εὐρυκλέους μαντείαν καὶ διάνοιαν, εἰς ἀλλοτρίας γαστέρας ἐνδὺς κωμῳδικὰ πολλὰ χέασθαι, μετὰ τοῦτο δὲ καὶ φανερῶς ἤδη κινδυνεύων καθ’ ἑαυτόν, οὐκ ἀλλοτρίων ἀλλ’ οἰκείων μουσῶν στόμαθ’ ἡνιοχήσας. „Zuerst geschah’s nicht offen, sondern heimlich, dass er andern Dichtern assistierte, und sich Seherkunst und Witz des Eurykles281 zum Vorbild nehmend in fremde Bäuche schlüpfend lust’ge Verse haufenweis’ vergoss. ___________________________

277 Vgl. die Übersicht zu diesem Komplex bei KYRIAKIDI (2007) 94-96. 278 In der weiteren Schaffensphase suggeriert das Verbum συμποιεῖν auktoriale Kooperation zwischen Eupolis und Aristophanes (Eup. fr. 89 PCG τοὺς Ἱππέας ξυνεποίησα τῶι φαλακρῶι, zum Verbum auch Aristoph. Thesm. 158). Hierzu s. B. Zimmermann in ZIMMERMANN (2011) 764f., der 765 Anm. 406 einen Bezug zur Zusammenarbeit des Aristophanes mit anderen Dichtern ablehnt und dramatische Koproduktionen mit etablierten Dichtern als Teil des ‚agonalen Dialogs‘ der Komiker einstuft: Vgl. SIDWELL (1993), KYRIAKIDI (2007) 101-196 und allg. zum kompetitiven Dialog des Aristophanes BILES (2011). Doch sind die Aussagen m. E. weniger im Sinne von Rivalität und Plagiatsvorwürfen (einem polemischen Usus der Komödiensprache entsprechend) als vielmehr im Sinne eines synergetischen Potentials von Dichterkooperationen in einer bestimmten Karrierephase des Aristophanes zu beurteilen. 279 Zu solchen Autor-Revisionen s. Kap. 3.1.4. 280 Vgl. die VΓLhAld-Scholien zu Wespen V. 1018: ἀλλὰ δι’ ἑτέρων ποιητῶν λάθρᾳ, ἐπειδὴ διὰ Φιλωνίδου καὶ Καλλιστράτου καθίει τινὰ τῶν δραμάτων· πρῶτον ‫ڿ‬γὰρ VΓAld [δὲ Lh] δρᾶμα δι’ ἑαυτοῦ καθῆκε τοὺς Ἱππέας. 281 Eurykles war ein Seher und Bauchredner, der durch anderer Leute Körper prophezeite (Pl. Soph. 252c). Somit sprach der Komödiendichter Aristophanes analog zum Ventriloquisten Eurykles aus dem Munde anderer Dichter.

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Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur Danach freilich versuchte er sein Glück bald offen und auf eigne Faust, nicht fremder, sondern eigner Musen Münder Zügel haltend.“

Sind mit den „anderen Dichtern“ generisch nur Kallistratos, möglicherweise auch Philonides282 oder andere Dichter als Ko-Autoren gemeint, die vor den Rittern des Jahres 424283 an den unter Aristophanes’ Namen überlieferten Stücken mitgewirkt hatten, oder half Aristophanes selbst noch vor den Daitales des Jahres 427 anderen Dichtern dabei, Stücke unter deren Namen zu produzieren?284 Ungeachtet dessen, ab wann (1021 μετὰ τοῦτο) Aristophanes die „Zügel selbst in Händen hielt“ – was die agonale Situation eines Wagenrennens als Metapher für den Dichter-Wettstreit evoziert –, geht aus dem Passus in jedem Fall die durch die athenischen Demokratie-Institutionen erforderlich gewordene Aufteilung von Arbeitsschritten und Kompetenzen auf mehrere Akteure hervor, die auch den Bereich dramatischer Produktionen betraf. Aristophanes’ frühe, kooperative Phase beschreibt der Chor auch in Wolken 530-532: κἀγώ, παρθένος γὰρ ἔτ’ ἦν κοὐκ ἐξῆν πώ μοι τεκεῖν, ἐξέθηκα, παῖς δ’ ἑτέρα τις λαβοῦσ’ ἀνείλετο, ὑμεῖς δ’ ἐξεθρέψατε γενναίως κἀπαιδεύσατε … „und ich, denn ich war eine Jungfrau noch, der zu gebären nicht erlaubt, setzte das Kind aus, und ein andres Mädchen griff’s und nahm es auf, ihr aber zogt es voller Großmut auf und bildetet es aus …“

Aristophanes kroch demnach deswegen „in den Bauch“ anderer Komödiendichter, da er, wie es hier metaphorisch heißt, in dieser Zeit noch „ein unverheirates Mädchen war“, es ihm anders formuliert nicht erlaubt war, als διδάσκαλος seiner frühen Daitales zu fungieren;285 gegen ein übliches Mindestalter sprechen dagegen die späteren Inszenierungen durch Philonides in den Jahren 422 (Proagon), 414 ___________________________

282 Er habe laut dem anonymen Über die Komödie 11 die Wolken produziert; dagegen das Scholion zu Wolken 510. 283 Vgl. Ritter 513 (der Dichter beantragte erstmals in eigenem Namen einen Chor) und 543 (metaphorische Beförderung des Dichters vom Ruderer zum Nachwuchsoffizier). 284 Vgl. die Diskussionen in den Kommentaren ad loc. bei MacDowell, der die erstere Deutung der Stelle, und Sommerstein, der – mit Blick auf die einschlägige Forschungsliteratur – die zweite favorisiert. 285 Ein Scholion zu den Wolken 530a nennt αἰδώς, jugendliche Scheu bzw. noch fehlendes Selbstbewusstsein, als Grund für die anfängliche Zurückhaltung des Aristophanes (vgl. Ritter 512ff.). Zur Wolken-Stelle vgl. Dover, Sommerstein ad loc. HALLIWELL (1980) 42f. sieht die in V. 529 erwähnten Männer, denen das Stück gefiel, als mächtige Fürsprecher des Dichters, die i. J. 428 ein gutes Wort für den jungen Aristophanes beim Archon einlegten, der so 427 die Daitales auf die Bühne bringen konnte.

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(Amphiaraos) und 405 (Frösche), was eher auf die durchaus verbreitete Praxis auktorialer Kooperation attischer Komödienschreiber oder auf eine Form der Patronage durch erfahrenere Dichter deuten dürfte.286 Insgesamt erscheint exekutive Autorschaft im Bereich der Attischen Komödie somit aufgeteilt auf verschiedene Akteure: Gleichwohl wurden Kooperationen zwischen Dichtern und Produzenten, wie aus beiden Aristophanes-Stellen hervorgeht, lediglich metaphorisch präsentiert: Und schlussendlich wurde die faktische Autorschaft über ein Stück nur einem Komödienschreiber zugesprochen. Ein ähnlicher Fall von auktorialer Ausdifferenzierung und zugleich Spezialisierung bestimmte auch die Gerichtsrede des Klassischen Athen im 5./4. Jh., an der sich die Konsequenzen der hiermit verbundenen, wachsenden Komplexität der demokratischen Gesellschaft mit ihren politischen Partizipations-Pflichten zeigten. Wie zuvor im Fall der Chorlyrik oder im Attischen Drama wurden auch für das Verfassen von Reden Experten herangezogen und um Rat gebeten. Das markanteste Beispiel für die im Zuge der Erweiterung demokratischer Kompetenz-Anforderungen an den Einzelnen entstandene Trennung der Aktivitäten von Textproduktion und -darbietung bildet das Phänomen der Logographie, wie es besonders aus den 31 im Korpus des Lysias überlieferten Reden hervorgeht,287 die uns einen Eindruck von der Vielfalt logographischer Themen und Anlässe bieten.288 Lysias war nach den Wirren, die das Intermezzo der oligarchischen ‚Dreißig Tyrannen‘ 404/3 verursacht hatte, 403 nach Athen zurückgekehrt und entfaltete in den Jahren bis 380 v. Chr. – da das familiäre Vermögen im Zuge der Oligarchenherrschaft verloren gegangen war, gewiss auch zum Zweck des Gelderwerbs – eine rege Tätigkeit ___________________________

286 Zu Ko-Autorschaft in der Alten Komödie u. a. HALLIWELL (1989), der für die Komödie des späten 5. Jh. neben einer zunehmenden Spezialisierung bestimmter Rollen grundlegende kompositionelle Kooperationen zwischen Dichtern, Produzenten und Schauspielern erkennt. SIDWELL (1993) sieht diese hingegen als komödientypische Inszenierungen des Umgangs mit Rivalen: “the notion of co-authorship by poets is highly suspect in a tradition where the mythical ideology, a Muse who inspires the bard, […] supports individuality” (373). Zum Dichter-Agon vgl. BILES (2011). 287 In der Antike wurden dem Lysias 425 Reden zugeschrieben, wovon nur 233 von Literaturkritikern für echt befunden wurden. Überliefert sind 172 Redentitel, doch nur 31 sind vollständig überliefert (or. 1-31), allesamt für Anklage oder Verteidigung in Staats- sowie Privatprozessen verfasste Reden; hinzu kommen or. 32-34 (or. 33 epideiktisch, 34 symbouleutisch), die bloß Anfangspartien enthalten, sowie or. 35 (der Pl. Phaidr. 231aff. verlesene und kritisierte ἐρωτικός). Während man or. 6 und 20 des Korpus für unecht hält, wird die Authentizität von or. 2, 8, 9, 14 und 15 bezweifelt. Vgl. TODD (2007) 1-32. 288 Die Mehrheit der über 100 erhaltenen Reden der Attischen Redner wurde für Gerichtsprozesse verfasst, viele davon sind logographischer Natur. Von Isokrates’ Reden zielten bloß sechs auf die mündliche Präsentation, da sich der Redner bald von logographischer Tätigkeit distanzierte (Antidosis 15.36-37): HUBBARD (2008).

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als professioneller Redenschreiber für Klienten vor Gericht.289 In der athenischen Demokratie mussten die Prozessparteien ihre Sache prinzipiell selbst vor Gericht vertreten. Entsprechend zog man kundige Rhetoren als Experten hinzu, die jedoch nicht öffentlich auftraten, vielmehr im Hintergrund mitwirkten. Somit ist fraglich, inwieweit der Öffentlichkeit der Name des Logographen und dessen Involvierung in den Fall bekannt waren. Der als Redenschreiber (λογογράφος) fungierende Experte glich den Fall, soweit aus Lysias’ Reden ersichtlich, mit der herrschenden Rechtslage ab, legte den Schwerpunkt auf eine plausibel und glaubwürdig wirkende Argumentation und schrieb seinen Klienten passende Plädoyers ‚auf den Leib‘, die dann von diesen einstudiert (im Sinne der memoria) und vorgetragen wurden (im Sinne der actio).290 Dabei kam Lysias’ Kunstfertigkeit der plausiblen Charakterzeichnung (Ethopoiie) zum Tragen, mittels welcher der Logograph für seine Klienten möglichst ‚vorteilhafte‘ Charakterzüge auswählte, so dass diese ein überzeugendes Bild vor den Richtern abgaben, das dann im jeweiligen Prozess zum Erfolg führen sollte.291 Als exekutive Autoren händigten die attischen Logographen um Lysias ihren Klienten ein Manuskript aus, das es dann vor dem athenischen Gericht frei zu präsentieren galt: Hier erklang die von Lysias verfertigte Rede aus dem Munde der jeweiligen Klienten, denen wiederum die überzeugende Darbietung vor Gericht oblag. Hierzu formulierte Kenneth Dover die These, dass die Reden des Lysias mehrheitlich im Sinne von composite authorship verfasst worden seien, wobei der Logograph den Text in Zusammenarbeit mit den Klienten erarbeitet habe und spätere Revisoren das ihrige getan hätten – was erkläre, warum die Reden in stilometrischer Analyse so unterschiedlich geartet seien.292 Dover hinterfragte die Demarkationslinie zwischen den jeweiligen Aktivitäten von Klient und Logograph, indem er den λογογράφος als eine Art consultant ansah, der gemeinsam mit dem Klienten die Rede erarbeitet habe, statt sie in fertigem Zustand abzuliefern. In der ___________________________

289 Als Metöke ohne athenisches Bürgerrecht durfte Lysias nicht vor Gericht auftreten. Vgl. MARINCOLA (1997) 129: “Lysias, when a resident alien at Athens, could only write speeches, not deliver them, and thus his own character was irrelevant to the image of character he needed to form in the minds of his clients’ audience.” 290 Als Logographen betätigten sich auch andere Attische Redner wie Antiphon und Isaios. Aischines (or. 1.94 und 3.173) polemisierte gegen die Tätigkeit und wertete die Bezeichnung ‚Logograph‘ ab. 291 Das Korpus umfasst private (1, 3, 4, 7, 24) sowie politische (etwa 12, pro domo gehalten, ferner 13 oder die ‚Dokimasie-Reden‘ 16, 25, 26, 31) Themen sowie solche des politischen Alltags (14, 15, 19, 21, 22, 28, 29, 30). Zu Beginn von Platons Phaidros wird die logographische Praxis und die Wiedergabe von Reden aus ‚fremder Feder‘ in Absenz des Autors ironisiert, wenn Lysias’ Rede verlesen (Phaidr. 231aff. = Lys. or. 35) und kritisiert wird. 292 Hierzu DOVER (1968) 148-196, bes. 151f., 159, 161-163. Allein or. 12 sei laut Dover sicher das Werk des Lysias, bei anderen Reden des Korpus sei seine Mitverfasserschaft nicht auszuschließen.

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Forschung löste Dovers Ansicht teils polemische Reaktionen aus. 293 Trotz argumentativen Schwächen sowie der Existenz antiker Belege, die zwischen Textproduktion und Darbietung unterscheiden und damit eine durchgehende Kontrolle des Logographen über sein Textprodukt insinuieren (Theophr. char. 17.8; Plut. de garr. 5, mor. 502c5-10 λόγον συγγράψας ἔδωκεν),294 schien die heftige Reaktion der Forschung und die Konzentration auf Fragen der Echtheit in der Folge von Dovers Neuformulierung logographischer Autorschaft die Beunruhigung zu implizieren, es könne zu einer Art ‚Verlust des Autors‘ Lysias kommen. Dies wiederum lässt die Debatte als Spätprodukt der Quellenforschung erscheinen, da ein antiker Autor, den man für einen unabhängig schreibenden, ‚originären Schöpfer‘ gehalten hatte, durch Einschränkungen seiner Auktorialität einen ‚Image-Schaden‘ zu erleiden drohte. Unbestreitbar bleibt jedoch das Faktum, dass das Phänomen der athenischen Logographie zeitlich getrennte Phasen der Komposition und Darbietung eines Texts umfasste und insgesamt als ein Resultat der sich ausdifferenzierenden demokratischen Gesellschaft Athens mit ihren vielfältigen politischen Beteiligungspflichten erscheint. Insgesamt sollte man den vor Gericht auftretenden Klienten, denen das logographische Manuskript wohl lediglich als Richtungsweiser der Argumentation galt, nicht eine gewisse Freiheit bei der Präsentation der Rede abstreiten. In diese Richtung deutet ein wichtiges zeitgenössisches Zeugnis für die logographische Praxis des 4. Jh. v. Chr., der platonische Phaidros. Dort bezeichnet Sokrates seinen Gesprächspartner Phaidros als einen „Partner“ (ἑταῖρος 264c7) des prominenten Redners Lysias, dessen Rede in der Folge vorgetragen wird. Phaidros, der gewissermaßen in die Rolle eines logographischen Klienten schlüpft, indem er eine vom berühmten Logographen selbst verfasste Rede vorträgt, tadelt Sokrates dafür, er spotte über „ihre“ (Phaidros’ und Lysias’) gemeinsame Rede (Σκώπτεις τὸν λόγον ἡμῶν, ὦ Σώκρατες, 264e3). Anders gesagt: Die Rede erscheint als gemeinsames Produkt von Verfasser (Lysias) und Vortragendem (Phaidros) 295 und die ___________________________

293 Vgl. WINTER (1973), USHER (1976) und die Übersicht bei WEIßENBERGER (2003) 2830, der die Frage als erledigt ansah. Im Sinne von Dover DEL CORSO (2015) 21. TODD (2007) 3, 28-30 bespricht die These, doch verwirft er Dovers Neudefinition von Autorschaft als “a composite achievement” (30) und beharrt “on a clear demarcation of rôles [d. h. von Klient und Logograph], with the latter writing the speech and the former performing it.” 294 TODD (2007) 28-30 verweist zu Recht darauf, dass eine Kooperation mit Klienten aufgrund fehlender Spuren nicht beweisbar ist. Zudem ist es glaubwürdig, dass die Zirkulation der Rede dem Logographen selbst oblag. 295 Im Rahmen der Schriftkritik entfaltet Sokrates dagegen eine monistische Autorschaftskonzeption, indem er den einzelnen Textproduzenten zum ‚Vater‘ von dessen Schrift macht, der nach der Zirkulation des Textes den ‚väterlichen Pflichten‘ nicht mehr nachkommen könne: Phaidr. 275c-e. Laut NIGHTINGALE (1995) 133-171 verfügt nur der Philosoph über authentische, zunächst fremde λόγοι, die er durch dialektische Prüfung zu eigenen macht.

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Darbietung der geschriebenen Rede somit als partizipative und kooperative auktoriale Aktivität.296 Es wird deutlich, dass Loves Kategorie der exekutiven Autorschaft mit Blick auf die performativ-aurale Dimension antiker Dichtungs- und Textkultur durchaus Einordnungen bedarf, wobei die Aspekte textueller Produktion, Präsentation und Rezeption auf denjenigen der Darbietung, und dies nicht nur im engeren Rahmen der song culture, auszuweiten sind.297 Nur wenn die an den spezifischen kommunikativen Aufführungspraktiken beteiligten Akteure in das Feld auktorialer Tätigkeiten miteingeschlossen werden, lässt sich die Funktion verfertigender Autorschaft mit Blick auf die archaische und klassische Kultur konturierter fassen. Zugleich schärft Loves Ansatz die Perspektive auf die Abfolge auktorialer Phasen und Tätigkeiten im Kontext der Produktion und Darbietung archaischer wie klassischer Werke.

3.1.3

Deklarative Autorschaft zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung trahimur omnes studio laudis, et optimus quisque maxime gloria ducitur. Ipsi illi philosophi etiam in eis libellis quos de contemnenda gloria scribunt nomen suum inscribunt; in eo ipso in quo praedicationem nobilitatemque despiciunt praedicari de se ac nominari volunt. (Cicero, Arch. 26)298

In der griechischen Archaik und Klassik erscheint die Urheberschaft eines Werkes als Konsequenz kooperativer Praktiken, sie zeichnet sich durch eine auf einer zeitlichen Achse verlaufende Arbeitsteilung aus. In funktionaler Hinsicht wird sie ausgeübt von verschiedenen Spezialisten und teilt sich in miteinander verbundene Phasen, die jeweils von Mündlichkeit sowie Schriftlichkeit geprägt sind. Während die eigentlichen exekutiven Autoren im Bereich der Text-Produktion und -Kompilation meist im Dunkeln bleiben – über die anonymen Materialsammler, Schreiber, Sekretäre, Kalligraphen ist in aller Regel nichts zu erfahren, und Beschreibungen von Arbeitsabläufen in Schreibwerkstätten sind selten (s. aber Kap. 3.2) –, bildet die Zuweisung von Autorschaft an einzelne Urheber, in Form von Selbstoder Fremdattribution, wie sie prominent in Titelsätzen oder Werktiteln überliefert ___________________________

296 Hierzu ausführlicher HAFNER (2018) sowie mit Blick auf die Aufgliederung der durch die logographische Praxis und Medialität geprägten Autorfunktionen Kap. 3.3. 297 Dies deutet LOVE (2002) 38f. mit Blick auf die bestehenden Formen der Mündlichkeit (bei der Verbreitung von Witzen oder urban myths) und die fluiden, steten Änderungen unterworfenen Texte des Internet-Zeitalters. 298 „Wir werden alle vom Streben nach Anerkennung getrieben, und nur die besten werden größtenteils von Ruhm motiviert. Sogar die geschätzten Philosophen betiteln eben jene Bücher, die sie Über die Ruhmesverachtung schreiben, mit dem eigenen Namen: Gerade auf dem Gebiet, auf welchem sie Auszeichnung und Ehre verachten, wollen sie ausgezeichnet und geehrt werden.“

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ist, einen häufigen Fall ab dem 6. Jh. v. Chr. Nach Love ist entsprechend „eine dritte Funktion die des rechtskräftigen oder, wie wir sie/ihn nun nennen werden, des ‚deklarativen Autors‘“.299 Diese entspricht einer Autorisierungsstrategie, um „Schriften auf gewisse Weise Würde [bzw. Wert] zukommen zu lassen und um sicherzugehen, dass sie ernstgenommen werden”.300 Gleichzeitig tritt der deklarative Autor, als „Eigentümer des Wortlauts“ (owning the words), „in der öffentlichen Sphäre als Schöpfer des Werks“ auf, der „die Verantwortlichkeiten schultert und die hiervon ausgehenden Vorteile genießt.“301 An Loves deklarativem Autem, das von der besonderen Signifikanz des Autornamens ausgeht, zeigt sich das Erbe von Foucaults fonction-auteur am deutlichsten, welche auch den Ausgangspunkt für Loves Typologie von Autorfunktionen bildet. Urteilte Foucault doch so über die Funktion des Autornamens: „[D]er Autorname […] besitzt klassifikatorische Funktion; mit einem solchen Namen kann man eine gewisse Anzahl von Texten gruppieren, sie abgrenzen, einige ausschließen, sie anderen gegenüberstellen.“302

Zentralen Stellenwert besitzt für Foucault besonders die hierauf aufbauende Schlussfolgerung: „Die Funktion Autor ist also charakteristisch für Existenz-, Verbreitungs- und Funktionsweise bestimmter Diskurse in einer Gesellschaft.“303 ___________________________

299 LOVE (2002) 44: “a third function, that of the validator or, as we will now call her/him, the declarative author.” 300 LOVE (2002) 45: “a way of conferring dignity on […] writings and making sure they were taken seriously.” 301 Ebd.: “A second function of the declarative author is that of ‘owning the wordsʼ – of appearing in the public sphere as the work’s creator, and of shouldering the responsibilities and accepting the benefits that flow from this”. In zwei Sonderfällen, Plagiat – durch einen illegitimen deklarativen Autor – sowie Ghostwriting – durch einen legitimen exekutiven Autor – wird bloß ein Autem im Rahmen auktorialer Kooperation von Spezialisten ausgeübt. In beiden Fällen soll die Identität des exekutiven Autors verborgen bleiben, da ein Werk-Beitrag entweder illegitim (Plagiat) oder in gegenseitiger Absprache (Ghostwriting) usurpiert und öffentlich ausgelöscht wird. 302 FOUCAULT (1969/2000) 210. 303 FOUCAULT (1969/2000) 211. So äußert LOVE (2002) 45: “it is only through performing the declarative part of authorship that one can figure oneself as an author or enable a work to activate Foucault’s ‘author-functionʼ.” Bezüge der fonction-auteur zu literarischen Diskurs-Formen seit der Antike stellen CALAME/CHARTIER (2004), v. a. CALAME (2004) 39, her: “la «fonction auteur» grecque classique relève en quelque sorte du prototype autorial”. Vgl. CALAME (2010) 129. 142. Zum Autor als ‚Katalysator‘ kultureller Identität in Griechenland und China archaischer Zeit s. BEECROFT (2010) 18f. Auch BOTERF (2017) stützt seine Analyse v. a. auf die Funktion des Autornamens.

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McGann verbindet mit dieser praktischen Funktion des Autors auch den Begriff der ‚Autorität‘: “As the very term ‘authority’ suggests, the author is taken to be – for editorial and critical purposes – the ultimate locus of a text’s authority, and literary works are consequently viewed in the most personal and individual way”.304

Bereits in der archaischen Literatur kommt es durch den Sprechakt der Namensnennung zur Zuschreibung deklarativer Autorschaft, womit ein Textproduzent oder ‚Inhaber der Worte‘ als Schöpfer des Werks auftritt oder von anderen dazu bestimmt wird. Einer solchen Strategie der Autorisierung und Nobilitierung des Produzenten und Urhebers folgt in der archaischen wie klassischen Literatur das Auftreten des Autornamens etwa bei Hesiod oder in Lyrik und Elegie (Kap. 4.3.2), danach beispielsweise in den Titelsätzen der frühen, besonders historiographischen Prosa, wie etwa schon Hekataios bezeugt (Kap. 4.3.3). Doch die deklarative Autorfunktion ist vielschichtiger: Sie umfasst auch nachträglich zugewiesene Autorschaft an bestimmte Werke im Sinne einer allographen und damit sekundären (Fremd-)Zuschreibung. Somit ist deklarative Autorschaft, besonders wenn es sich um eine retrospektive Nobilitierung von Werken durch Zuweisungen an prominente Autoren handelt,305 von der Phase exekutiver Autorschaft zu trennen: Im Sinne Loves handelt es sich dabei um eine von der Werkverfertigung chronologisch getrennte auktoriale Aktivität, wobei der exekutive Autor auch identisch mit dem deklarativen Autor sein kann,306 jedoch nicht muss. Bemerkenswert ist bei diesem zweiten Aspekt der deklarativen Autorfunktion zudem, dass die retrospektive Zuweisung eines Textes zu einem bestimmten Autor als spätere, oftmals anachronistische Zuordnung auftreten kann: ___________________________

304 MCGANN (1983) 81. 305 Galen bezeugt die lukrative Buchhändler-Praxis, Werke fälschlicherweise mit den Namen berühmter früherer Autoren zu versehen und sie dadurch höchstbietend zu verkaufen (Gal. HNH 15.105.4-6 Kühn λαμβάνειν δ’ ἀρξαμένων μισθὸν τῶν κομιζόντων αὐτοῖς συγγράμματα παλαιοῦ τινος ἀνδρὸς οὕτως ἤδη πολλὰ ψευδῶς ἐπιγράφοντες ἐκόμιζον). Zu einer solchen sekundären Pseudepigraphie s. die Begriffsbestimmung in Kap. 5.1; zu dieser Praxis in der antiken Kunst Kap. 2. 306 Exekutives und deklaratives Autem fallen jedoch etwa dann zusammen, wenn sich Autoren in onymen Titelsätzen zugleich als Verfertiger des Werks bezeichnen, wie dies bei Thuk. 1.1.1 geschieht (Θ ο υ κ υ δ ί δ η ς Ἀ θ η ν α ῖ ο ς ξυ ν έ γ ρ α ψ ε τὸν πόλεμον), wenn also eine Kombination vorliegt aus Namensnennung plus einem verbum agendi/scribendi (wie ποιεῖν, γράφειν) oder – als performativer Sprechakt – einem verbum canendi/dicendi (wie ἀείδειν, μυθεῖσθαι, λέγειν). Auf materiellen Objekten finden sich häufig Verbindungen mit ποιεῖν oder γράφειν, wie Künstlersignaturen auf Vasen zeigen (z. B. Euphronios’ Σμῖκρος ἔγραφσεν). Zur fiktionalisierten Selbstdarstellung des Künstlers im Werk vgl. HEDREEN (2016) sowie Kap. 2.

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“Every time they attach a name to an anonymous text they are making a retrospective bestowal of declarative authorship.”307

Als wohl prominentestes Beispiel für eine rückwirkende Autor-Zuweisung nennt Love den Pentateuch, die „Fünf Bücher Mose“, die in der biblischen Tradition als der Feder des ‚Autors‘ Mose entstammend deklariert wurden, obwohl der ‚Verfasser‘ selbst in Dtn 34.5-7 von seinem eigenen Tod berichtet. Vergleichbar (re-)konstruiert die griechische Antike bestimmte (semi-)mythische Autoren, denen bisweilen auch kultische Verehrung zu Teil wurde, etwa die poetischen Archegeten Orpheus oder Musaios (oder Homer: Kap. 5.2).308 Gerade im Zuge der entstehenden Buchkultur lassen sich Systematisierungsversuche erkennen, mit Hilfe des Textmediums Ordnungsinstrumente zu entwickeln, um Autoren und Werke zu strukturieren und die Archegeten dichterischer Formen übersichtlich zu klassifizieren. Jenen wies man ausgehend vom 6. Jh. bestimmte Werke zu, um durch Rekurse auf heroische Erfinder von Dichtung deren Relevanz zu markieren: 309 So kennt beispielsweise die Suda mehr als 20 Titel meist metaphysischen Inhalts, die unter Orpheus’ Namen überliefert sind (Suda s. v. Ὀρφεύς, ο 564 Adler = OF T 223d = fr. 1018 [IV] PEG II).310 Ein solches Einschreiben späterer Texte in die orphische Tradition – ein bemerkenswertes spätantikes Zeugnis stellen in diesem Kontext die orphischen Argonautika dar –311 wurde prinzipiell durch Offenheit bzw. fehlende Grenzen des entsprechenden Korpus ermöglicht. Folglich firmieren unter Orpheus’ Autorschaft so unterschiedliche Werke wie Sammlungen von Orakeln (OF 332-333; fr. 804-811 PEG II) oder Weihen, die auch dem Onomakritos von Athen (6./5. Jh.) zugewiesen wurden (OF 186; fr. 1109-1119 PEG II), der unter den Peisistratiden das Orakel des Musaios beaufsichtigte; ferner wies man ___________________________

307 LOVE (2002) 45. 308 Die Genese des deklarativen Autems lässt sich am Fall ‚Homers‘ ab dem 6. Jh. verfolgen (s. Kap. 5.2). Zur Funktion des Autornamens BOTERF (2017) 81: “author’s names are not neutral facts: they are created”. Dies gilt auch für andere Gattungs-Archegeten wie Thespis aus dem attischen Ikaria bzgl. der Tragödie: Sein sprechender Name (θεσπέσιος) deutet auf die Rolle göttlicher Weisung, die man später mit solchen Gründervätern verband. 309 Zum Autor Orpheus, der als Erfinder der Schrift galt und dessen Lehre seit dem 6./5. Jh. textuell überliefert wurde, GRAZIOSI (2018) 178-187. Zur Zuweisung anonymer Werke an Archegeten noch in Rom THRAEDE (1962). ZOGG (2015) analysiert an die Homer-Tradition angelehnte Attributions-Mechanismen der Appendix Vergiliana. 310 Laut Clemens von Alexandria (Strom. 1.21.131.5) geht die Liste auf einen Epigenes von Alexandria (wohl 4. Jh. v. Chr.) und dessen Schrift Περὶ τῆς εἰς Ὀρφέα ποιήσεως zurück (OF T 222 + 229 = fr. 1128 PEG II). Zu Werkzuschreibungen an Orpheus ferner WEST (1983) 5; zu Zweifeln an der Authentizität orphischer Autorschaft bei Platon und Aristoteles SPEYER (1971) 114 mit Anm. 4f. 311 Nach SCHELSKE (2011) tritt der Autor der Argonautika gänzlich hinter Orpheus’ autorisierender Rolle zurück.

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Orpheus kosmologische (OF 318; fr. 800-803 PEG II) und astrologische Gedichte zu (OF 249-287; fr. 718-782 PEG II). Diese apokrypha zeugen vom Versuch, ihn zum Archegeten verschiedenster Traditionen, Kulte oder Religionen zu machen und ein bestimmtes Wissen durch Personalisierung und (wörtlich) ‚Autorisierung‘ einzuordnen und somit zugleich als würdig zu erweisen. 312 In einem Testament genannten Text (OF 245-248; fr. 368-378 PEG II) belehrt Orpheus seinen Schüler Musaios über geheime Lehren des Monotheismus. Musaios selbst werden etwa Orakel-Sammlungen zugeschrieben;313 als einer der ersten Dichter, auf den man etwa die Erfindung des Hexameters zurückführte (Demokrit 68 B 16 DK), habe er, wie schon Orpheus, „haufenweise Bücher“ (Pl. Staat 364e3) verfasst (βίβλων δὲ ὅμαδον παρέχονται Μουσαίου καὶ Ὀρφέως). Die spätere Chronologie macht diesen Orpheus-Schüler, der wie sein Lehrer bei Aristophanes (Frösche 1031) zu den „nützlichen Dichtern“ (ὠφέλιμοι τῶν ποιητῶν) gezählt wird, zum Vorfahren Homers (Gorgias 82 B 25 DK): Die Sequenz der deklarativen Autoren ‚Orpheus‘, ‚Musaios‘, ‚Hesiod‘, ‚Homer‘ war in klassischer Zeit kanonisch geworden. 314 Bestimmte Produzenten, deren Texte anonym oder unter unbedeutendem Namen zirkuliert wären, konnten diese selbst dem Korpus bekannter Autorfiguren zuweisen. Solche Zuweisungen konnten auch erst rückwirkend erfolgen: Wurde einem Text doch besondere Bedeutung verliehen “by its membership of and position in the book or œuvre”315 eines Dichtungs-Archegeten oder Weisen. Ähnliches gilt für die nachträglich attribuierte Autorschaft des in der späteren Rezeption von verschiedenen Seiten vereinnahmten Pythagoras, 316 ferner für den Fabeldichter Aesop,317 die sogenannten Sieben Weisen318 sowie den prominenten athenischen

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312 Vgl. GRAF (1974) zum Versuch, die athenische Übernahme der eleusinischen Mysterien rückwirkend über Orpheus zu legitimieren. 313 Hierzu 2 B 20a-22 DK; Hdt. 8.96.2, 9.43.2. Laut Hdt. 7.6.3 wurden sie unter peisistratidischer Herrschaft von Onomakritos redigiert und zugleich interpoliert. 314 Vgl. Hippias von Elis (86 B 6 DK = OF T 252); Pl. apol. 41a; für die Zurückweisung der Chronologie Hdt. 2.53. 315 LOVE (2002) 46. 316 Vgl. frühe Zeugnisse zu Pythagoras P 27-29 IV Laks/Most. Zur Suche nach einem ‚pythagoreischen Kern‘ in den Pythagoreischen Schriften vgl. u. a. CORNELLI (2013), CENTRONE (2014), ZHMUD (1997) 91f. und (2019). Zur Praxis der Werkzuweisungen an Pythagoras vgl. die Aussage bei dessen Biographen Iamblich, Vit. Pyth. 198 ed. Deubner (καλὸν δὲ καὶ τὸ πάντα Πυθαγόρᾳ ἀνατιθέναι τε καὶ ἀπονέμειν καὶ μηδεμίαν περιποιεῖσθαι δόξαν ἰδίαν ἀπὸ τῶν εὑρισκομένων, εἰ μή πού τι σπάνιον· πάνυ γὰρ δή τινές εἰσιν ὀλίγοι, ὧν ἴδια γνωρίζεται ὑπομνήματα). 317 Zur Rolle der Aesop zugeschriebenen Fabel-Tradition für die griechische Literatur: WEST (1984), KURKE (2010). 318 Dem Demetrios von Phaleron (4. Jh. v. Chr.) wird eine Spruchsammlung der Sieben Weisen zugesprochen, vgl. Demetrius fr. 87 SOD = 10 A 3 DK (ἀποφθέγματα).

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Nomotheten und Elegien-Dichter Solon.319 Insgesamt unterscheiden sich die unter solchen Gründungsfiguren akkumulierten antiken Sammlungen deutlich von modernen Autor-Konzeptionen, die besonders von einer Individualität des Stils sowie historischer Subjektivität geprägt sind: “In the cases of Orpheus, Musaeus, and, later, Hippocrates and Pythagoras, authorial attribution, far from being the formulation of a traceable authorial source, is a required marker of discourse that wants to impose itself as “truth.” These figures encapsulate a given mode of scientific and religious thought and were appealed to as sources in order to give validity and authority to historical instantiations of such discourse.”320

Die Integration des Autornamens in ein Werk war auch Folge des Übergangs lokaler (epichorischer) Darbietung zu einer Rezeption im weiteren Kontext griechischer Festkultur: 321 Ein Lied oder Gedicht wurde so nicht nur mit den jeweils wechselnden Performern, sondern darüber hinaus auch mit einer stabil bleibenden Autorfigur assoziiert, deren Namen in Verbindung mit dem Werk durch die griechische Welt reiste.322 Das im Rahmen der Aufführung mit einem präsenten Dichter verbundene Wissen wurde so erst im Zuge erweiterter Rezeption mit einer Autorfigur verbunden, die ein solches Wissen nun stabilisierte. So konnte die deklarative Autorfunktion auch eine lokale Aufführung ‚ersetzen‘, bei der ein persönlich anwesender Dichter oder Performer selbst vom Publikum mit einem Werk assoziiert wurde.323 Zudem lässt sich beim Einsatz von Autornamen die Rolle der Schriftlichkeit nicht hoch genug veranschlagen: Wenn Verfassernamen als auktoriale ‚Spuren‘ in einem Werk hinterlassen werden, scheint der Versuch vorzuliegen, die Erinnerung an den mit dem Werk verbundenen Produzenten – trotz einer raumzeitlich distanzierten Rezeption – zu bewahren. Durch Autorzuweisung erhält ein Text eine interpretative Rahmung, etwa eine an bestimmte Orte und Traditionen gebundene Kontextualisierung, sowie eine Bedeutung, die zu einem gewissen Grad Rezeption, Zirkulation und Überlieferung steuern kann. Zur hermeneutischen Funktion des Autors als intentionaler Instanz ___________________________

319 Vgl. LARDINOIS (2006) 16f.: “I believe that the same process of ascription and attribution underlies much of Solon’s poetry”, die diesem zugeschrieben worden sei “because of his reputation as a sage”. 320 PEIRANO (2012) 6. 321 Zur Funktion des Autornamens im Rahmen von Wiederaufführungen BEECROFT (2010) 17, BAKKER (2017a) 3f., BOTERF (2017) 81. 322 Zur Mobilität vortragender archaischer Dichter vgl. BOWIE (2009), der je nach performativer Situation drei Typen unterscheidet (innerhalb einer Gruppe auftretende Dichter wie Archilochos; allein reisende Dichter, die beim Symposion vortragen, wie Alkaios; professionelle Dichter, die ihre Lieder als Gäste bei Symposien vortragen wie Anakreon), und die Übersicht bei HOSE (2016a) Sp. 1060f., (2016b) Sp. 1155f. 323 Zu diesem Substitut-Charakter des Autornamens vgl. BEECROFT (2010) 1.

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und hypostasiertem ‚Ich‘ ohne ontologischen Status, dem ein bestimmtes Wissen und so Autorität zugeschrieben wird, folgert somit Spoerhase, „dass Autorschaft erstens eine maßgebliche Funktion bei der Vermeidung und dem Ausschluss von anachronistischen Interpretationen hat. Die Autorkategorie dient hier der raumzeitlichen Fixierung der Bedeutungskonstitution und der Ausgrenzung historisch unplausibler Interpretationen; die Bezugnahme auf den empirischen Texturheber dient der historischen Fixierung eines Textes. Hier ließe sich von einer historisierenden Funktion von Autorschaft sprechen.“324

Gemäß dieser hermeneutischen Funktion stellt die Autor-Zuweisung eine Strategie der Historisierung, oder allgemein der Einordnung von Wissensbeständen dar, die ohne auktoriale Referenz epistemisch unhandlich blieben; so bedeutet die Zuweisung von Autorschaft an ein Werk die Sichtbarmachtung einer demselben Werk zugrundeliegenden epistemischen Instanz. Dagegen sah Foucault die Autorfunktion in Verbindung mit der Bildung von Institutionen sowie des neuzeitlichen Rechtssystems: „Die Funktion Autor ist an das Rechts- und Staatssystem gebunden, das die Gesamtheit der Diskurse einschließt, determiniert, ausdrückt; sie wirkt nicht einheitlich und gleichmäßig auf alle Diskurse zu allen Zeiten und in allen Kulturformen; sie läßt sich nicht dadurch definieren, daß man spontan einen Diskurs einem Produzenten zuschreibt, sondern dazu sind eine Reihe spezifischer und komplizierter Operationen nötig; sie verweist nicht einfach auf ein reales Individuum, sie kann gleichzeitig mehreren Egos in mehreren Subjekt-Stellungen Raum geben, die von verschiedenen Gruppen von Individuen besetzt werden können.“325

Wenngleich für die Antike noch kein Status rechtlicher Kodifizierung von Autorschaft gegeben ist, die Foucault mit dem Beginn des Urheberrechts im 17./18. Jh. ansetzt,326 gilt doch bereits für den vormodernen Zeitraum, dass Autorschaft von Institutionen besetzt wird – man denke an Entwicklung der Autorfunktion ‚Homer‘ innerhalb von Gruppen wie den Homeriden sowie im Kontext der athenischen Festkultur mit ihren rhapsodischen Agonen, ferner an Platons auktoriale Funktion im Schulkontext der Akademie – und Autoren, etwa über Titel, ein bestimmtes Werk als ‚Eigentum‘ zugesprochen wird, für das sie Verantwortung und

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324 SPOERHASE (2007) 7. 325 FOUCAULT (1969/2000) 217f. 326 FOUCAULT (1969/2000) 229 (“Obwohl der Autor seit dem 18. Jahrhundert die Rolle eines Regulators des Fiktiven gespielt hat, [die] charakteristisch für unsere Epoche der industriellen und bürgerlichen Gesellschaft, des Individualismus und des Privateigentums ist“). Zu Urheberrecht und Werkherrschaft grundlegend BOSSE (1981).

Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur

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Bekanntheit erhalten. 327 Für die Gleichsetzung von Urheber und Eigentümer spricht, dass in den frühesten Werktiteln der Autorname im Genitiv erscheint (etwa Hdt. 4.29 Ὁμή ρο υ ἔπος oder 2.117 οὐχ Ὁμ ή ρο υ τὰ Κύπρια ἔπεά ἐστι, ἀλλ’ ἄ λλο υ τ ιν ό ς ). Daran zeigt sich, dass der genitivus auctoris, des Autors oder Urhebers, semantisch zwischen den Funktionen des genitivus possessoris (possessivus), also des Besitzers einer Sache, und derjenigen des genitivus subiectivus steht, wobei ein handelndes Subjekt im Genitiv, der Autorname, an ein Werk als regierendes Substantiv gebunden wird.328 Durch die Nähe von auctor und possessor wird das jeweilige Werk zugleich zur kostbaren Ware. Deklarative Autorschaft basiert häufig auf Zuschreibung durch Titel, Überschriften und insgesamt Formen externer oder paratextueller Beglaubigung.329 Die Paratextualität330 des Autors kann auf andere Urheber zurückgehen und als allographer Kommentar auf ein abgegrenztes Werk eines bestimmten Autors verstanden werden,331 oder als ein nahezu autonomer, zugleich marginaler Bestandteil etwa in den Anfang eines Werks (dann jedoch nicht mehr im Sinne eines von ‚außen‘ dem Werk beigefügten Paratexts) integriert sein. Da Texte in Form von Buchrollen zuerst nur begrenzt zirkulierten und deren Zuweisung an Verfasser großen Schwankungen sowie wechselnden darbieterischen Kontexten unterlag, entstand bereits früh das Bedürfnis, “to insert an end title332 in the innermost and therefore safest section of the roll, though initial titles are also found. Thus it is no surprise that authors chose to ___________________________

327 Zur Verbindung von Autorschaft und Verantwortung PEIRANO (2013) 253: “references to the author at the margin of a text signify a pledge of responsibility for the content”. 328 Zu den frühesten Buchtiteln (bei den Vorsokratikern) und den ersten Titelzitaten ab dem 5. Jh. (bei Herodot und Aristophanes) SCHMALZRIED (1970). Vgl. Kap. 2 zu frühen Signaturen auf Vasen (ab dem 8. Jh.), bei denen der Genitiv des Eigentümers kaum von dem des Urhebers bzw. Autors, von dem ein Werk stammt, zu trennen ist. 329 Laut SCHEIDEGGER LÄMMLE (2016) 52 eignet sich Autorschaft als Kriterium, „da sie es erlaubt, Textgruppen effizient räumlich wie zeitlich einzugrenzen und so für die meisten Zwecke hinreichend klar zu identifizieren. Indes gründet diese Klarheit – anders als etwa die Arrondierung eines Corpus aller Hexameterdichtung – auf einem Faktor, der dem Text selbst äußerlich bleibt: Die Autorschaft eines Werkes geht aus diesem selbst nicht notwendig hervor […]. Es bedarf ihrer externen Beglaubigung durch Verfahren, die im weitesten Sinne historiographisch sind wie die Praktiken der Philologen, Kritiker, Bibliographen und Bibliothekare.“ 330 Zu diesem Konzept GENETTE (2016), bes. 41ff. zum Autornamen als Paratext; ferner LONGOLIUS (2016) 37-39. 331 Vgl. die Forschungsübersicht bei SCHEIDEGGER LÄMMLE (2016) 67ff. 332 Obwohl Verfasserangaben am Werk-Ende spät entstanden – SCHIRONI (2010) –, bieten bereits spätarchaische Texte Autorsignaturen an Scharnier-Stellen, wie der ApollonHymnos (V. 165-176 nach dem Delischen Teil) zeigt. Vgl. die Abschluss-Sphragis von Timotheos’ Persern (fr. 791.229 PMG). CALAME (2004) 38f. deutet Sphragides im Sinne der fonction-auteur als „prototype autorial, à la fois exemplaire et garant d’une

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Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur incorporate references to themselves and their place of origin in their own works in the incipit or at the end. Since external ascription was an unstable matter, self-naming within the text was held by authors and readers to have greater authority than we might otherwise expect.”333

Da jedoch noch kein Verlass war auf editorische, supertextuelle Marker und die außen an Papyrus-Rollen befestigten Titel-Etiketten (σίλλυβοι), die der Zu- und Anordnung verschiedener Werke und Autoren dienten, stets verloren zu gehen drohten, erschien es praktikabler, Autorschaft zuerst innerhalb entsprechender Werke zu beglaubigen. Dabei reproduzierte die Präsenz eines Autors im Werk nicht den realen Verfasser, sondern konnte beim Publikum den Eindruck einer anthropomorphen und personalisierten Instanz oder Stimme des Textes erzeugen: “The author’s name does […] possess abundant symbolic meaning for the audience: if they are willing to believe it, it tells them that they are listening to an authoritative version of the tradition and involves them in the process of disseminating this version associated with the poet’s name. […] If they are willing to subscribe to this fiction of presence and immediacy, the author’s name delivers the illusion of authorial maintenance in what is ultimately, however, nothing but a triumph of signification.”334

Gegenüber der Zuschreibung an einen einzelnen deklarativen Autor, der mit einem Werk verbunden wurde, waren werkimmanente Autorstimmen jedoch meist komplexer strukturiert. So konnten Akte der Selbstenthüllung auktorialer Figuren am Beginn, Ende oder einer relevanten Stelle im Werk eine spannungsreiche Beziehung zur Darstellung auktorialer Figuren innerhalb desselben Werks herstellen, wie die Selbstvorstellung des Odysseus zu Beginn der Apologe zeigt, setzt man sie ins Verhältnis mit dem Auftakt des Werks durch den anonymen Sänger (Kap. 4.3.2). Im Gegensatz zur anonymen Sänger-Stimme gibt Odysseus in seinem eigenen ‚Proöm‘ (Od. 9.19-38; vgl. Odysseus’ Selbstidentifizierung vor Polyphem Od. 9.502-505)335 stolz sein Orthonym und somit die eigene Identität preis, womit ___________________________

pratique discursive d’ordre po(i)étique”: „En construisant un éthos énontiatif centré sur le discours poétique présent, la signature autoriale grecque permet la citation d’un nom d’auteur comme fondateur d’une tradition poétique, comme représentant d’un grand genre ou comme défenseur d’une version narrative particulière. La «fonctionauteur» qu’elle dessine attache la figure du poète en tant que sophós à un savoir et à une tradition poétique singuliers tout en inscrivant parfois son activité artisanale dans des circonstances rituelles et culturelles particulières.” 333 PEIRANO (2013) 272. 334 PEIRANO (2013) 281. 335 Vgl. PEIRANO (2013) 261: “The act of identifying oneself is not an innocent gesture of self-expression; rather it manifests itself as a desire to be remembered, and proleptically enacted in the mode of discourse of the genre with which remembrance of excellence is most closely associated, namely epic.”

Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur

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zugleich die Fiktionalisierung des Selbst bzw. einer im Werk dargestellten Autorfigur ins Zentrum rückt. Auch der Lyriker Archilochos (7. Jh. v. Chr.) setzte in seinen Gedichten verschiedene fiktive Charaktere als Erzähler oder Akteure seiner Dichtung ein, wenn sich etwa das berühmte Rhipsaspis-Gedicht (fr. 5 W.) literarisch an einer der fiktiven Autobiographien des homerischen Odysseus (Od. 14.277-279) orientierte, was statt einer autobiographischen Lesart eher eine AutorModellierung nach poetisch-fiktionalen Mustern plausibilisiert.336 Besonders dominante Sprechinstanzen konnten jedoch eine Illusion auktorialer Präsenz beim Publikum hervorrufen (Kap. 4.1) und im Sinne werkinterner Autorisierungsmarker bereits in der antiken Rezeption mit dem deklarativen Autor eines bestimmten Werks gleichgesetzt werden. Die komplexe Modellierung werkinterner auktorialer Präsenz ließ sich entsprechend auf ein einfacheres Attributionsschema in Form von Eigen- oder Fremdsignatur reduzieren. Damit präfiguriert die Identifikation auktorialer Figuren und Verfasser von Dichtung innerhalb archaischer Werke generell den Beginn der Entwicklung der deklarativen Autorfunktion, worauf ab spätarchaischer Zeit die externe oder – sofern innerhalb eines Werkes – zumindest formal abgegrenzte Zuweisung von Werken an bestimmte Autorfiguren folgte.

3.1.4

Revisorische Autorschaft: Textvarianz zwischen Interpolation und Auto(r)korrektur “There is another kind of composition for which the process of authorship is never a complete one but passed on from agent to agent, all of whom will subject it to their own forms of alteration.”337

Loves letzte Kategorie ist diejenige der ‚revisorischen Autorschaft‘ (revisionary authorship). Ihre Abgrenzung von der exekutiven Autorschaft gelingt nicht ohne weiteres, können Verfasser ihre eigenen Texte doch auch selbst revidieren. Oft lassen sich verschiedene Zeitschichten der Textproduktion nachweisen, die von nacheinander tätigen Überarbeitern ausgeführt wurden,338 wobei sich die auktorialen Phasen ebenfalls überlappen. Prinzipiell versucht Love zwischen Phasen bzw. Funktionen, nicht zwischen unterschiedlichen Bearbeitern, zu unterscheiden, 339 ___________________________

336 Hierzu SEIDENSTICKER (1978). Prominent ist das Zeugnis Aristot. rhet. 1418b, im Iambos-Fragment des Archilochos fr. 19 W. spreche eine Figur namens Charon, nicht der Dichter selbst (ποιεῖ γὰρ […] λέγοντα […] τὸν Χάρωνα τὸν τέκτονα ἐν τῷ ἰάμβῳ κτλ.). Zur Rollendichtung des Iambos u. a. WEST (1974) 26-28. 337 LOVE (2002) 38. 338 Vgl. LOVE (2002) 45 (“Sometimes it will be possible to establish different chronological layers of composition performed by successive redactors”). 339 LOVE (2002) 46: “executive authors can also, naturally, be their own revisers, the distinction being one of phases, not of persons. With some misgivings I offer the term

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wobei er eine Chronologie auktorialer Aktivitäten voraussetzt, „bei der ein ganzer Text oder ein konkreter Text-Abschnitt erst angefertigt, dann ausgefeilt und korrigiert wird.”340 Love schlägt zwei mögliche Abgrenzungen von der Funktion exekutiver Autorschaft vor: (I) „Am einfachsten kommt man aus der Schwierigkeit heraus, wenn man der Phase der exekutiven Autorschaft die ganze Arbeit bis zur Vollendung eines Textes zuweist, der vom Autor/von den Autoren als geeignet beurteilt wird, einem Verleger zugesandt oder als Handschrift in Umlauf gebracht zu werden, und wenn man alles, was danach kommt, der Phase revisorischer Autorschaft zuweist – ohne Rücksicht auf die ausführende Person, jedoch mit Blick darauf, dass Sonderfälle ihre eigene Einteilung erfordern können.“ (II) „Oder aber wir sollten revisorische Autorschaft als eine eigenständige Phase betrachten, sofern sie als solche erkennbar ist – wenn entweder ein exekutiver Autor nach zeitlichem Abstand zum Text zurückkehrt, oder das Werk an einen ausgewiesenen Überarbeiter weitergereicht wird –, und die Phase gegebenenfalls aus unserem Modell streichen, wenn revisorische Aktivität in exekutive Autorschaft integriert ist. Entscheidend ist, dass der wesentliche Unterschied in den Tätigkeiten auch dann bestehen bleibt, wenn es keinen klaren chronologischen Bruch zwischen ihnen gibt, und es unwichtig ist, wer genau sie ausführt.“341

Entsprechend setzt revisorische Autorschaft entweder (I) chronologisch nach der Phase exekutiver Autorschaft und damit dem Moment der Fertigstellung durch den exekutiven Autor sowie der Einschätzung, das Werk sei publikationsreif, ein; oder aber (II) sie ist kategorial, nicht chronologisch, von der exekutiven Phase unterscheidbar, da von einem oder mehreren Bearbeitern – die mit dem exekutiven ___________________________

revisionary authorship for this phase in the composition of the work, the problem being that revision is not always clearly distinguishable from primary composition.” 340 LOVE (2002) 46f. Doch sieht LOVE (2002) 47 etwa bei antiken Wachstafeln eine Überlappung von exekutivem und revisorischem Autem (“a mingled alternation of composition and various kinds of alternation, including new spurts of composition inspired by revision”). Hier verkürze sich der Ablauf der Phasen z. T. auf ein Satz-Intervall. 341 Ebd.: “The simplest way out of the difficulty is to consign to the phase of executive authorship all work up to the completion of a text regarded by the author/authors as suitable for sending to a publisher or putting into manuscript circulation, and everything that comes after that to the phase of revisionary authorship, no matter who performs it, but with the caution that special cases may require a different division. Alternatively, we might recognise revisionary authorship as a distinct phase when it can be distinguished as a phase, either by a return to the text, after a gap, by an executive author or by the work being passed to an acknowledged reviser, and delete it from our model on occasions when revisionary activity is integrated into executive authorship. The key issue is that the difference in the nature of the operations should hold even when there is no clear chronological break between them and no matter who performs them.”

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Autor identisch sein können, nicht müssen – grundverschiedene, sich kategorial ausschließende Tätigkeiten durchgeführt werden (“the difference in the nature of the operations”). Somit wird das revisorische Autem in zeitlicher wie kategorialer Abgrenzung zum exekutiven Autem betrachtet. Dabei bleibt jedoch offen, worin genau beide Funktionen, Aktivitäten oder Phasen bestehen und worin sie sich unterscheiden. Als plausible Trennkriterien erscheinen allein zeitlicher Abstand sowie eine unterschiedliche Art der Tätigkeit, die auf eine partielle oder gesamte Änderung der aus der exekutiven Phase resultierenden Textform abzielt: Anstatt um das Verfassen, Schreiben, Strukturieren geht es um das Neufassen, Umschreiben, Umstrukturieren.342 Man denke an Werk-Überarbeitungen durch einen zweiten Autor oder einen Herausgeber: eine Rolle, die Thomas Middleton mit seinen adaptations für Shakespeares All’s Well That Ends Well, Ezra Pound für T. S. Eliots The Waste Land – dem das Gedicht mit dem Zusatz il miglior fabbro, auf einen gelobten Dichter in Dantes Purgatorium verweisend (canto 26.117), gewidmet ist –, Max Brod für Kafkas Manuskripte oder Rimsky-Korsakov für die orchestrale Neufassung von Mussorgskys Boris Godunov spielte. Ferner an fortlaufende Veröffentlichungen aus dem Nachlass berühmter Autoren. Doch ist Auto(r)-Revision gerade auch im Zeitalter der Digitalisierung ein häufiges Phänomen. Der Schriftsteller und Maler Wolfgang Herrndorf schrieb nach der Diagnose eines bösartigen Hirntumors im Jahre 2010 über seine tödliche Krankheit einen Internet-Blog, der sich ursprünglich nur an Freunde richtete, postum jedoch unter dem Titel Arbeit und Struktur veröffentlicht wurde. In Kapitel 23, dem Tagebuch-Eintrag vom 20.12.2011, schreibt Herrndorf über seine Auto(r)Korrekturen im Text: „Ich sammle, ich ordne, ich lasse aus. Oft erst im Nachhinein im Überschwang spontaner Selbstdramatisierung erkennbar falsch und ungenau Beschriebenes wird neu beschrieben, Adjektive getauscht, neu Erinnertes ergänzt.“343

Während im Falle der (Post-)Moderne jedoch häufig sowohl die vor-revisorische als auch die nach-revisorische Phase eines Werks erhalten und damit einsehbar bleiben – verfügbar sind “CDs of Boris Rimskyed and unRimskyed” –,344 ist dies bei vormodernen Textproduktionen und dem hiermit verbundenen Status als ___________________________

342 Gleichwohl sind solche Dichotomien mit Vorsicht zu betrachten, da revisorische Aktivität in die exekutive integriert sein kann. So verweist LOVE (2002) 46f. auf die Überschneidungen von primary composition und revision im Kontext antiker Schreibprozesse: “But the process of drafting and redrafting on screen, or in the wax-coated table-books of antiquity, is and was generally much more fragmented than this, involving a mingled alternation and composition and various kinds of alteration, including new spurts of composition inspired by revision”. 343 Vgl. http://www.wolfgang-herrndorf.de/2012/01/dreiundzwanzig/. 344 Vgl. zum diesem und anderen der oben genannten Beispiele LOVE (2002) 47f.

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Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur

‚offene Werke‘, bei denen sich die Rollen von Autor und Editor oftmals überschnitten,345 nahezu unmöglich. Wie für die antike, so galt auch noch für die mittelalterliche Dichtung, dass die vor verschiedenem Publikum aufgeführten Gedichte ständigen Anpassungen mit Blick auf Ort und Zeit der jeweiligen (re)performance und damit den entsprechenden Interpretationsgemeinschaften unterworfen waren. So äußert ein Mediävist über professionelle Performer (disours) mittelenglischer Romanzen: “Whoever composed these poems, whether booksellers’ hacks, clerics, or genuine disours, they were evidently written for performance, and became to that extent the property of the disours. It is their memories of a written text, modified in performance-from-memory (it was no extraordinary feat for many thousands of lines to be recited in such a way), that would provide, directly or indirectly, the basis for the extant written copies. These processes of ‘recomposition’ do not produce garbled texts, or texts necessarily inferior to the original, since the capacities and ambitions of the re-composer are little if at all different from those of the original composer. There is no ideal text from which succeeding copies degenerate by a process of scribal corruption and decomposition: rather the text exists in an open and fluid state, the successive acts of writing down being no more than arbitrary stages in the continuously evolving life of the poem.”346

Revisorische Autorschaft ist mit Blick auf den fluiden Status vormoderner Texte und deren jeweilige Überlieferung also insofern ein zentrales Phänomen, als “it is only the revised versions which have survived, not the original”, 347 wodurch ein Zugriff auf die Autographen exekutiver Autoren aus der Zeit vor der Spätantike in der Regel nicht mehr möglich ist. Entsprechend ist es das Ziel der – selbst unweigerlich revisorisch tätigen – Textkritik und -wissenschaft, aus der großen Varianz von Lesarten in der handschriftlichen Überlieferung ältere Lesarten von Revisionen, etwa Interpolationen 348 oder Korrekturen, die durch manus posteriores ___________________________

345 Das Grundprinzip der stetigen Überarbeitung machte antike Texte so zum Medium sozialer Interaktion: GURD (2012) und MARTELLI (2013). 346 Zitiert bei LOVE (2002) 38f. Klassische Autorschaftskonzepte wurden im Zuge der New Philology aus mediävistischer Sicht hinterfragt: NICHOLS (1990), MÜLLER (1997); zu den Konsequenzen für die Altphilologie LARDINOIS (2020). 347 LOVE (2002) 48 mit dem Fazit: “The pattern is one of movement from the written to the oral then, eventually, back to the written. […] In transmission of this kind the roles of auctor and artifex inevitably blur.” Zum Problem der ‚Archetyp‘-Suche CANFORA (2002) 9-14; zu Revision und textueller Fluidität GURD (2012) 6f. 348 WILSON/HEYWORTH (1998) Sp. 1034 definieren Interpolation als Maßnahme späterer Bearbeiter: „Mit I[nterpolation] wird üblicherweise jede Einwirkung auf den Text bezeichnet, die nicht rein mechanische Ursachen hat, sondern die durch Schreiber oder Leser bewußt (oder weniger bewußt) vorgenommen wurde, besonders die Hinzufügung fremden Textes, doch auch die Änderung einzelner Wörter […]. Eine weitere Möglichkeit des Eingriffs ist das Auslassen oder Löschen von Textteilen durch die

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vorgenommen wurden, abzugrenzen und im Rahmen einer Edition einen Text herzustellen, der dem Produkt des exekutiven Autors, also dem Original, so nahe wie möglich kommt. Bereits mit dem Beginn der griechischen Literatur kommt es zur Überschneidung exekutiv-verfertigender und revisorisch-überarbeitender Autorschaft: Gedichte werden je nach aktuellem Anlass überarbeitet sowie auf Publikum und Kontext abgestimmt, so dass prinzipiell jegliche Form einer singulären kanonischen Werk-Version ausgeschlossen werden kann. Ob es nun a) der maximus poeta der homerischen Epen, der sein Werk in eigener Personalunion stets änderte und erweiterte,349 oder b), geht man von einer relativ späten schriftlichen Fixierung aus, Generationen späterer Bearbeiter – wenn nicht gar ein einzelner „letzter Redaktor“ – 350 oder c) mündlich performende Dichter-Rhapsoden waren, welche die Gedichte gemäß rhapsodischer Praxis stets für neue Aufführungen anpassten,351 was die Homer-Analyse als Beweis für verschiedene Autoren oder Redaktionen ___________________________

Schreiber.“ R. J. TARRANT (1987) 294ff. sieht Emendation sowie Anmerkung (Glosse, Kommentar oder Zitat) als Ausdrucksformen von “collaborative interpolation”, wobei ein Text dem Bedürfnis späterer Rezipienten angepasst und somit erweitert wurde (“In speaking of collaborative interpolation I may seem merely to have bestowed a more respectable-sounding title on the falsarius of earlier writers; the change of name may be useful, however, in directing attention away from inappropriate thoughts of fraud and deception. We should consider instead the large role played in the ancient world by imitation of specific styles and authors, both as a method of instruction and as a form of elegant diversion”). 349 So WEST (1998) v in der praefatio zum ersten Band seiner Ilias-Edition (De traditione primitiva): quae primum strictius composuit, deinceps novis episodiis insertis mirifice auxit et dilatavit. 350 Vgl. ROSSI (2001) 108 im Anschluss an den ‚Bearbeiter‘ der analytischen Homerforschung (“The succession of different phases of redaction was in fact the consequence of original epic practice and of its very nature. The Homeric redaction must have begun as a slow process out of the live epic practice of performance“) sowie 110 zur grundlegenden Letzt-Revision der Epen: “I think that the one responsible for the actual version of the poems was the last redactor, who and whose milieu were influential enough to impose that text as the text of the poems.” 351 Zur mündlichen (re-)composition in performance-These und der zwecklosen Suche nach dem homerischen Original NAGY (1996) 117f.: “On the basis of comparative studies of textual variation in manuscript tradition that are based on oral traditions, these same methods can be used to defend variant readings that happen to be attested only in manuscripts judged inferior by editors, ancient or modern.” USHER (2001) sieht solche kompositorischen Prozesse noch im spätantiken Cento. Wie Nagy beruft sich JANKO (1998) auf die Forschungen A. Lords, verfolgt jedoch die Diktat-These weiter, laut der ein ἀοιδός Mitte des 8. Jh. einen Text diktiert habe, der später, v. a. in Alexandria, durch Konjekturen oder Korrekturen korrumpiert worden sei. FOLEY (1990) berücksichtigt in seinem Konzept des “oral-derived text” die Verschriftlichung der Epen, die jedoch über Referenzen wie Formeln als nur eine mögliche Version pars pro toto Einblicke in eine viel umfassendere mündliche Tradition biete.

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heranzieht, die Neo-Analyse als Beweis für verschiedene Vormodelle: In jedem Falle wurden sowohl für die homerischen Epen oder Hymnen als auch die Dichtungen Hesiods zahlreiche spätere Hinzufügungen wie beispielsweise Dubletten von Versen, Exkurse oder Interpolationen nachgewiesen, die auf eine laufende Bearbeitung des Textmaterials für jeweils neue Darbietungskontexte schließen lassen.352 Auch abseits des Epos gilt für die frühe Dichtung, gerade die Lyrik, dass es im Zuge von Wiederaufführungen, etwa anlässlich von Symposien oder Festen, zu Anpassungen und Neuformulierungen von Versen kam, 353 ohne dass ein Werk grundlegend verändert werden musste, da spätere monodische Sänger in die Rolle des poetischen ‚Ichs‘ schlüpfen konnten, wobei fraglich ist, inwieweit die Zuhörenden weiterhin zwischen den Rollen des abwesenden Autors und des anwesenden Performers unterschieden.354 In jedem Falle schienen Dichter ihre Werke bereits im Bewusstsein von deren grundsätzlicher Adaptabilität gegenüber Revisionen für spätere Wiederaufführungen zu komponieren. 355 Gleichwohl kann man, so etwa im Fall der sapphischen Dichtung, davon ausgehen, dass eine zukünftige Rezeption weniger in Form schriftlicher Tradierung als vielmehr im

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352 Zu Zusätzen in den Epen – z. B. Athens Erwähnung im Schiffskatalog Il. 2.546ff., Theseus’ Hinzufügung Il. 1.265 oder der Dolonie (vgl. schol. ad 10.1) – APTHORP (1980) und GRAZIOSI (2002) 228-232, zu voralexandrinischen Ilias-Interpolationen WEST (2001) 10-15; zu rhapsodischen Interpolationen der Homerischen Hymnen FERRARI (2007) 53-57, wo “equivalent double readings, luxuriant ornamentation, free digression, flexible catalogues”, “false doublets”, “corrections” und “concordance interpolations” analysiert werden. Auch Hesiods Werke waren Teil des rhapsodischen Repertoires (Archilochos 22 B 40 und 57 DK), wovon die im Umfang kontroversen Einschübe stammen. Zu performativen Varianten in Hesiods Erga ROSSI (1997). Vgl. die Übersicht bei SCODEL (2017) 74 mit Anm. 3. 353 Zur Textgeschichte archaischer Dichtung exemplarisch VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1900) 97, der im Tyrtaios-Exkurs, dessen Verse nach einer athenischen Redaktion (4. Jh.) nach Alexandria gelangt seien, das „textkritische Ergebnis“ festhält, „1) dass das Gedichtbuch unter dem Namen des Tyrtaios zwar nach Alexandreia gekommen ist, aber nach dem dritten Jahrhundert kaum Beachtung, geschweige denn grammatische Behandlung gefunden hat. 2) dass in diesem Buche, wie es im vierten Jahrhundert in Athen umlief, Doppelfassungen und falsche Verse waren, 3) dass die ursprünglichen Gedichte des Spartaners Tyrtaios aus der Mitte des siebenten Jahrhunderts ganz so überarbeitet und durch Stücke anderer Herkunft erweitert waren wie es die des Hesiodos und Theognis sind.“ Ferner S. 118. Zu Wiederaufführungen des Tyrtaios in Athen FARAONE (2006). 354 Zu diesem Komplex A. D. MORRISON (2007) 58 mit Anm. 113, WHITMARSH (2013) 239 und BUDELMANN (2018). 355 Zu performativen Neufassungen von Pindars Oden CURRIE (2004); vgl. LATTMANN (2017), SPELMAN (2018).

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Sinne mündlicher Wiederaufführungen imaginiert wurde, durch die der Name der Dichterin weiterleben würde, der in fr. 1, 65, 94 und 133 V. erscheint.356 Der interaktive Umgang späterer Überarbeiter mit dichterischen Texten verdeutlicht auch, warum man in Vers 21 des corpus Theognideum von der Sorge liest, der ‚gute‘ Text könnte von einem späteren Bearbeiter oder Sprecher verändert und durch Revisionen ‚verschlechtert‘ werden (οὐδέ τις ἀ λλ ά ξε ι κάκιον τοὐσθλοῦ παρεόντος), was durch die Sphragis (σφρηγίς: V. 19-23) verhindert werden solle. 357 Dies ist gerade vor dem Hintergrund der vorherrschenden Forschungsansicht relevant, dass das als corpus Theognideum bezeichnete ElegienBuch in seiner vorliegenden Form ein Produkt verschiedener Verfasser und Überarbeitungs-Phasen darstellt. 358 Indizien hierfür sind etwa die auffälligen Überschneidungen von Versen in den Elegien-Korpora des Theognis sowie des Solon, was darauf hindeutet, dass beide jeweils auf mannigfache Anpassungen und Überarbeitungs-Phasen zurückgehen, die im Kontext verschiedener Aufführungen und teils freier (Re-)Zitation entstanden.359 Auch mit Blick auf deren Authentizität gelten die in der solonischen Sylloge versammelten Elegien in der neueren Forschung teils weniger als ipsissima verba des Gesetzgebers denn als erst im Klassischen Athen konsolidiertes Korpus: Für manche Teile der Fachwelt tragen die Verse in ihrem Kern zwar die Handschrift des Solon aus dem 6. Jh. v. Chr., der in bewusster Überschreitung der elegisch-sympotischen Tradition seine Verse stärker personalisiert und für die eigene politische Agenda gegenüber dem elitären Kreis der Adligen genutzt habe.360 Doch sehen andere in den Elegien und teils Iamben Solons das Produkt eines kompilatorisch arbeitenden Dichters des 4. Jh., 361 der einer mündlich tradierten Spruchsammlung des weisen Gesetzgebers ohne direkten ___________________________

356 Vgl. LARDINOIS (2008) 80: “The re-performance of Sappho’s poetry would constitute a […] way in which her name could live on. I doubt, that she would have staked her reputation on the written records of her poetry. For Sappho these written records would have constituted merely the librettos of her songs, not the final product.” 357 SELLE (2008) 289-321 und 364-370 liest das Siegelgedicht mit Hinsicht auf den Schutz vor Plagiat, HUBBARD (2007) 213 mit Blick auf die Verfälschung des Wortlauts. Zur Sphragis ALY (1929), DIEHL (1938), THESLEFF (1949), KRANZ (1961), FORD (1985), PRATT (1995), HUBBARD (2007), BAKKER (2017b), zuletzt umfassend HOSE (2021). 358 Hierzu SELLE (2008) 372-393, bes. 375: „Schon die Bandbreite der Entstehungsdaten beweist, dass die Theognidea nicht von einem einzigen Verfasser stammen können.“ Die mündliche Komponente der Symposien-Tradition betont NAGY (1985); zur Autorschaft des Elegien-Korpus vgl. u. a. SELLE (2008), LEAR (2011). 359 Vgl. Sol. fr. 6.3-4 ~ Thgn. 153-154, Sol. fr. 13.65-70. 71-76 ~ Thgn. 585-590. 227232, Sol. fr. 15 ~ Thgn. 315-318, Sol. fr. 23 ~ Thgn. 1253-1254 sowie Sol. fr. 24 ~ Thgn. 719-728 W. 360 So IRWIN (2006). 361 So STEHLE (2006). Das Solon-Bild des 4. Jh. v. Chr., das auf die Konstitution des Elegien-Buchs gewirkt habe, decke sich laut ihr mit anderen Rückprojektionen der SolonFigur bei Herodot oder Platon.

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Bezug auf das 6. Jh. eine eigene literarische Gestalt gegeben habe, um damit politische Argumente seiner eigenen Zeit mit dem Verweis auf Solons auctoritas zu untermauern.362 Am plausibelsten erscheint jedoch die Annahme, dass spätere Autoren weitere Verse um einen bereits bestehenden ‚Grundkern‘ älterer Dichtung anreicherten und die bereits prominente Dichter-Stimme Solons gewissermaßen aufnahmen und weiter fortschrieben (vgl. Kap. 5.3). Revisorische Autorschaft trat jedoch nicht nur im Rahmen archaischer Praktiken auf. Auch für die dramatischen Produktionen des Klassischen Athen galt die Bedingung, dass “[i]n a culture in transition between orality and literacy, the limits of modification in the absence of the author are far from fixed.”363

Seitdem es im Jahre 386 v. Chr. möglich geworden war, ‚alte‘ Tragödien des 5. Jh. in Athen wiederaufzuführen, wurden die Stücke durch Schauspieler sowie Produzenten für die entsprechenden Wiederaufführungen angepasst und durch Interpolationen verändert.364 So zielte die Kulturpolitik Lykurgs zu Beginn des letzten Drittels des 4. Jh. und besonders die Herstellung eines ‚Staatsexemplars‘ der drei Tragiker wohl besonders darauf, die durch Wiederaufführungen begünstigte ‚Verwilderung‘ der Texte durch Schauspieler-Interpolationen künftig stärker einzuschränken.365 Gleichwohl zeugen die Tragödien-Texte bis heute von den Anpassungen durch spätere Hände.366 Während solche Interpolationen in der Komödie seltener vorkamen, lässt sich immerhin in den Fröschen des Aristophanes (V. 1435-1466) eine Zusammenziehung zweier abweichender Varianten zu einer Passage plausibel machen, die mit je verschiedenen Aufführungen im Zusammenhang stehen dürften. Auch Aristophanes selbst wird als Urheber solcher ‚Autorenvarianten‘ vermutet.367 Der Komödiendichter ist ferner als Auto(r)-Korrektor seiner ___________________________

362 So LARDINOIS (2006) 31 u. ö. ALONI/IANNUCCI (2016) 155-161 votieren für eine den Theognidea vergleichbare Elegien-Sammlung, die im Laufe mündlicher Überlieferung um verschiedene, auf Solon bezogene Stücke erweitert wurde. Kritias komme für eine schriftliche Verbreitung dieser Sylloge in Frage, mit fr. 22a W. als einer Art Sphragis. 363 SCODEL (2007) 146. 364 Zu Schauspieler-Interpolationen, etwa in manchen Abschnitten der Aulischen Iphigenie, PAGE (1934); vgl. HAMILTON (1974), SCODEL (2007) 142-147; zu Wiederaufführungen griechischer Tragödien LAMARI (2017). 365 Vgl. PAGE (1934) 18: “The extent and gravity of such interference [d. h. der Interpolationen] are incontestably proven by the law of Lycurgus.” Laut Ps.-Plut., Leben der zehn Redner 841F war es Schauspielern danach nicht mehr erlaubt, von festgelegten Kopien abzuweichen (οὐκ ἐξεῖναι γὰρ πὰρ’ αὐτὰς ὐποκρίνεσθαι). Weitere Literatur zu diesem Komplex bietet MÜLKE (2008) 205 Anm. 629. 366 Zu Sophokles GÜNTHER (1997), zu Euripides MASTRONARDE (1994) 39-49. 367 Vgl. Dover ad loc. und allg. WILSON/HEYWORTH (1997). Zu varianti d’autore allg. PASQUALI (1934).

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im Jahr 423 v. Chr. beim Publikum durchgefallenen Wolken bekannt: Er änderte den Text desjenigen Stückes stellenweise ab, das bei den Städtischen Dionysien lediglich Rang drei erreicht hatte, wie der Chor in der Parabase der erhaltenen Wolken (V. 518-562) schildert, in der das Publikum um eine günstigere Aufnahme des aktuellen Stücks gebeten wird.368 Doch zielte die Bearbeitung der Komödie durch Aristophanes auf eine schriftliche Veröffentlichung ab, und nicht mehr auf eine erneute Aufführung – im Gegensatz zu Euripides’ zweitem Hippolytos, in dem das Verhältnis Hippolytos-Phaidra neu konfiguriert werden musste, was dem Dichter den ersten Platz im Tragödien-Agon des Jahres 428 v. Chr. bescherte.369 Bei beiden Dramatikern bildet der kompetitive Aspekt, d. h. der Agon mit Rivalen sowie das öffentliche Ansehen beim Publikum, den Ausgangspunkt für die jeweilige Überarbeitung. Zugleich antizipierte Aristophanes’ Revision seiner Wolken ein zukünftiges, lesendes Publikum.370 Das agonale Verhältnis der Dramatiker untereinander übertrug sich auch auf die jeweiligen familiären Genealogien. Häufig wurden deren Söhne gefeierte Stückeschreiber, die ihren Vätern früh zur Hand gingen oder die von diesen nicht mehr zu Ende geführten Stücke überarbeiteten und zur Aufführung brachten: Euphorion, Aischylos’ Sohn und selbst erfolgreicher Tragiker, habe laut der Suda viermal als Ko-Autor seines Vaters mit dessen Tragödien den Wettbewerb gewonnen (Suda ε 3800 Adler).371 Iophon, der Sohn des Sophokles, ebenfalls ein produktiver und siegreicher Dramatiker (TrGF I 22 mit T 1), wird bei Aristophanes (Frösche 7379, T 5a) im Dialog zwischen Herakles und dem Theatergott Dionysos erwähnt,372 mit der Andeutung, er habe ohne seinen Vater kaum etwas zustandegebracht (7879 ἀπολαβὼν τοῦτον μόνον | ἄνευ Σοφοκλέους).373 Ein gleichnamiger Enkel des ___________________________

368 Hierzu HUBBARD (1986). 369 Zur Rolle der Revision in Aristophanes’ Wolken sowie Euripides’ Hippolytos MARTELLI (2013) 11-13. 370 Vgl. zur Bearbeitung der Wolken DOVER (1968a) lxxx – xcviii: Die erhaltenen Wolken seien die z. T. überarbeitete, wohl nie aufgeführte Version; die ersten Wolken seien noch im Hellenismus erhalten gewesen. 371 Zu Euphorion als dem Autor des Gefesselten Prometheus vgl. WEST (1990) 67-72. Zu weiteren Stücken, die er unter dem Namen seines Vaters, unter dem sie auch überliefert worden seien, präsentiert habe, WEST (2000). 372 {ΗΡ.} Οὐκ Ἰοφῶν ζῇ; | {ΔΙ.} Τοῦτο γάρ τοι καὶ μόνον | ἔτ’ ἐστὶ λοιπὸν ἀγαθόν, εἰ καὶ τοῦτ’ ἄρα· | οὐ γὰρ σάφ’ οἶδ’ οὐδ’ αὐτὸ τοῦθ’ ὅπως ἔχει. | {ΗΡ.} Εἶτ’ οὐ Σοφοκλέα πρότερον ἀντ’ Εὐριπίδου | μέλλεις ἀνάγειν, εἴπερ ἐκεῖθεν δεῖ σ’ ἄγειν; | {ΔΙ.} Οὔ, πρίν γ’ ἂν Ἰοφῶντ’, ἀπολαβὼν αὐτὸν μόνον, | ἄνευ Σοφοκλέους ὅ τι ποεῖ κωδωνίσω. 373 So die Deutung der Scholien zu den Fröschen V. 78 (Κωμῳδεῖται γὰρ ὁ Ἰοφῶν ὁ υἱὸς Σοφοκλέους ὡς τὰ τοῦ πατρὸς λέγων ποιήματα, sowie ἐπὶ τῷ ταῖς τοῦ πατρὸς τραγῳδίαις ἐπιγράφεσθαι κωμῳδεῖται). Der Rechtsstreit, den Satyros’ Sophokles-Vita erwähnt, beruht wohl auf Komödienspott – LEFKOWITZ (2012) 82f. –, dürfte aber Vater-Sohn-Konflikte um die Werk-Herrschaft spiegeln (T 1c: Iophon wollte den

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Sophokles, ein erfolgreicher Tragiker des 4. Jh. (Suda σ 816 Adler), habe 401 den Ödipus auf Kolonos seines Großvaters postum aufgeführt (TrGF I 62 T 3). Und Euripides’ gleichnamiger Nachkomme habe nach dem Tode seines Vaters (oder Onkels) die preisgekrönte Trilogie Bakchen, Iphigenie in Aulis und Alkmaion in Korinth zur Aufführung gebracht, wie ein Aristophanes-Scholion notiert (Frösche V. 66-67).374 Wie diese „Mystifizierung“375 des euripideischen Spätwerks anhand der Involvierung ‚Euripides des Jüngeren‘ zeigt, war die Antike besonders am Vermächtnis der Dichter an ihre Söhne interessiert. Dabei wurden nicht nur die Söhne der Tragiker zu Lehrlingen und teils auch Überarbeitern väterlicher Werke: 376 Auch Aristophanes’ Sohn Araros (PCG II, 524-531) führte das Werk seines Vaters fort, siegte an den Dionysien 387 v. Chr. mit dem Stück Kokalos seines Vaters (T 1, 3) und habe ferner dessen zweiten Aiolosikon aufgeführt (Aristoph. T iv). Laut der Suda begann er erst spät mit der Aufführung eigener Stücke (T 1). Solche Formen der Ko-Produktion junger Dramatiker mit ihren erfolgreichen Familienmitgliedern zeigen nicht nur das immense biographische Interesse am Vermächtnis von Dichtern sowie der genealogischen Ko-Autorschaft ihrer späten Stücke, welche durch intra-familiäre Kooperation ‚gesichert‘ schien:377 Sie eröffnen auch den Blick auf die weit verbreitete Praxis ko-kreativer Schaffensprozesse auf der Bühne des Attischen Dramas. ___________________________

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angeblich dementen Vater entmündigen lassen, was dieser durch die Rezitation in seinem Spätwerk Ödipus auf Kolonos entkräftet habe). Die Authentizität des Rhesos wurde bereits in der Antike diskutiert: Hypothese b Diggle sah darin „den Stempel des Sophokles“ (τὸν Σοφόκλειον μᾶλλον ὑποφαίνειν χαρακτῆρα), doch wurde das Werk Euripides zugeschrieben: FANTUZZI (2018). In Aristophanes’ Fröschen wird der Sklave Kephisophon ferner als Euripides’ Ko-Autor genannt (944, 1246, 1408, 1452-1453; TrGF 5.1, T 1 Ia.3): LEFKOWITZ (2012) 91, 96f. Bei Aristoph. fr. 596 PCG (Κηφισοφῶν ἄριστε καὶ μελάντατε, | σὺ γὰρ ξυνέζης ὡς τὰ πόλλ’ Εὐριπίδηι | καὶ σ υ ν επ ο ί ε ι ς , ὥς φασι, τὴν μελωιδίαν) bezeichnet das Verb συμποιεῖν poetische Kooperation. Laut dem Dichter der Alten Komödie Telekleides (5. Jh.) habe Euripides auch mit seinem Onkel Mnesilochos sowie mit Sokrates kooperiert (fr. 41-42 PCG): Das zweite, bei Diog. Laert. 2.18 überlieferte Zeugnis, spricht von „durch Sokrates zusammengehämmerten Euripidessen [!]: Εὐριπίδας σωκρατογόμφους. Ebenfalls in Diog. Laert. 2.18 wird mit Verweis auf Aristophanes’ erste Wolken (fr. 392 PCG) dem Sokrates die Abfassung „geschwätzig-cleverer“ Tragödien zugewiesen (Εὐριπίδῃ δ’ ὁ τὰς τραγῳδίας ποιῶν | τὰς περιλαλούσας οὗτός ἐστι, τὰς σοφάς). Laut der biographischen Tradition (Vita IA 3) hätten Iophon oder Timokrates von Argos Euripides’ lyrische Passagen verfasst, was LEFKOWITZ (2012) 90 auf Komödien zurückführt, die ‚auffällige‘ stilistische wie inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen diesen Autoren verspottet hätten. HOSE (2008) 200. Vgl. CANFORA (2002) 12. Zu kooperativen Familien-Unternehmungen in frühgriechisch-klassischer Literatur sowie in der späteren biographischen Imagination vgl. ausführlicher HAFNER (2022a).

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Wie bei den Dramatikern tritt auch in den Prosa-Schriften des 5. und 4. Jh. v. Chr. die Rolle des Autors als eines Überarbeiters seines eigenen Werkes an vielen Stellen zu Tage: So scheinen Historiographen wie Herodot ihre Werke stetigen Auto(r)-Revisionen unterworfen und dabei ihr Werk kontinuierlich überarbeitet zu haben, ohne dass einerseits ein Status der Abgeschlossenheit erreicht und andererseits die Gesamtanlage des Werks aus dem Blick verloren wurde.378 Solchen stetigen Revisions-Prozessen dürften auch Varianten innerhalb der Texte entstammen, welche die antike Tradition verschiedentlich überliefert: So bietet bereits das zweite Wort in Herodots Proöm, das Toponym im Genitiv (1.1.1 Ἡροδότου Ἁλι κα ρν η σσέο ς ἱστορίης ἀπόδεξις ἥδε), eine Variante, nämlich statt Ἁλικαρνησσέος das bei Aristoteles (rhet. 1409a27-28) überlieferte Θουρίου. Diese Lesart wurde sowohl in der Antike, von Plutarch, als auch vielen modernen Gelehrten (mit Ausnahme Jacobys) 379 zurückgewiesen. Doch können beide Toponyme auf Redaktionen des Autors selbst zurückgehen 380 oder auf verschiedene Darbietungen der Historien im Laufe der Zeit: So wurde die panhellenische Kolonie Thurioi (gegründet 444/443) womöglich erst zu einem späteren Zeitpunkt mit deren Mitgründer Herodot verbunden (Plut. mor. 604F πολλοὶ μεταγράφουσιν ‘Ἡροδότου Θουρίου’· μετῴκησε γὰρ εἰς Θουρίους καὶ τῆς ἀποικίας ἐκείνης μετέσχε). Während manche Forscher von zwei getrennten Publikationen der Historien ausgehen (die zweite nach 444/443), betonen andere die Gleichzeitigkeit verschiedener Lesarten oder Autorenvarianten: “there are a number of passages where it seems to me virtually certain that H[erodotus] had not subjected his text to a final revision and as a result his master copy exhibited variant readings, though authorial variants have been postulated by Stein

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378 Zu Herodots Eingriffen in den Text RÖSLER (2002) 82-88, gegen die Ansicht bei JACOBY (1913) Sp. 361 und 366, Herodot habe bei seiner „Arbeit mit der Schere“ frühere Vorträge und Texte in das Werk hineinkollationiert. Dagegen sieht Rösler die Historien in Anlehnung an Lattimores Diktum vom progressive style Herodots (RÖSLER [2002] 84 mit Anm. 16) als stimmige Gesamtkomposition von Anfang an und v. a. mit Blick auf die zweite Hälfte, in die Änderungen ad hoc eingefügt worden seien (vgl. ebd. Eduard Meyers Formel ‚aus einem Guss‘). 379 Plut. mor. 604F4-7 (τὸ δ’ ‘Ἡροδότου Ἁλικαρνασσέως ἱστορίης ἀπόδεξις ἥδε’ πολλοὶ μεταγράφουσιν ‘Ἡροδότου Θουρίου’· μετῴκησε γὰρ εἰς Θουρίους καὶ τῆς ἀποικίας ἐκείνης μετέσχε). Vgl. JACOBY (1913) Sp. 205-209, bes. 206: „Entscheidend ist die Einstimmigkeit, mit der unsere älteren Zeugen aus vorhellenistischer, hellenistischer und bis hinein in römische Zeit H[erodot] nicht Halikarnassier, sondern Thurier nennen“. Vgl. PORCIANI (1997) 68f. Anm. 193. 380 So Wilson im Apparat seines OCT, 2015 Bd. 1 (fieri etiam potest ut Herodotus hanc variam lectionem in exemplari suo addiderit. Thurium eum appellant aliquot scriptores antiqui, Halicarnaseum plerique). Vgl. WILSON (2015) ad loc., wo auch spätere toponyme Zuschreibungen erwogen werden, da im Hellenismus bestimmte Städte ihrem Stolz als Geburtsstätte berühmter Männer Ausdruck gaben und mit anderen Städten darum rivalisierten.

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Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur and others, to the best of my knowledge they have not previously been adduced as a possible explanation of the problem here.”381

Gerade das Proöm, in dem die Selbstvorstellung eines Autors ihren prominenten Platz hatte, scheint großes Gewicht bei revisorischen Prozessen wie Selbst-Korrekturen gehabt zu haben:382 Spielte dieser Abschnitt im Rahmen öffentlicher Darbietungen doch eine wichtige Rolle bei der kommunikativen Vermittlung des Werks, Herodots jeweils aktueller ἀπόδεξις ἥδε. Ferner scheinen bei Herodot bisweilen die Erfahrungen früherer Vorführungen der Historien vor einem Publikum und von dessen Reaktion in das Werk eingeflossen zu sein. So heißt es etwa in der Hinleitung zur persischen Verfassungsdebatte (Hdt. 3.80.1): Ἐπείτε δὲ κατέστη ὁ θόρυβος καὶ ἐκτὸς πέντε ἡμερέων ἐγένετο, ἐβουλεύοντο οἱ ἐπαναστάντες τοῖσι μάγοισι περὶ τῶν πάντων πρηγμάτων, καὶ ἐλέχθησαν λόγοι ἄπιστοι μὲν ἐνίοισι Ἑλλήνων, ἐλέχθησαν δ' ὦν. „Nachdem sich der Lärm gelegt hatte und noch keine fünf Tage vergangen waren, berieten sich die Anführer des Aufstands gegen die Meder über die politische Gesamtsituation, und dabei wurden Worte gesprochen, die einigen Griechen unglaublich erscheinen, doch wurden sie tatsächlich gesprochen.“

Die ungläubige Reaktion mancher Griechen auf die bei der persischen Beratung gesprochenen Worte scheint gewissermaßen auf eine Publikumsreaktion bei einer der früheren Darbietungen oder Rezitationen des folgenden Passus anzuspielen. Somit wäre eine frühere Rezeption der Historien in den Text selbst inkludiert, der damit wiederum ex post als revidiert erscheint. So kann der Autor die Verfassungsdebatte im Sinne rhetorischer (avant la lettre gesprochen) praemunitio durch den Einwurf kritischer oder am Wahrheitsgehalt zweifelnder Stimmen einleiten, diese jedoch gleichzeitig widerlegen. Dieser ‚post-revisorische‘ Zustands des Werks lässt die Historien somit nur vordergründig als wie ‚aus einem Guss‘ entstanden erscheinen. Von den Prosawerken des 5. und 4. Jh. ist generell anzunehmen, dass sie Änderungen durch den Autor oder durch Rezipienten (etwa durch Schüler, Redaktoren, Kompilatoren) ausgesetzt waren: Im Bereich der Historiographie ist dies für Thukydides,383 im Bereich der Philosophie für Platon – man denke an die Trans___________________________

381 WILSON (2015) 1. Dagegen ging Powell noch von zwei separaten Publikationen aus. 382 Zu literarischen Topoi von Proömen, u. a. zur auktorialen Selbstpräsentation, MÄNNLEIN-ROBERT (2005) Sp. 250f. Zur Rolle der Vorrede für die Darstellung vorausgegangener revisorischer Prozesse MARTELLI (2013) 13-15. 383 Zu Auto(r)-Revisionen des Thukydides s. das Zeugnis Dion. Hal. Thuk. 24, wonach Thukydides im Laufe des gesamten Kriegs sein Werk revidiert, poliert und abgerundet habe (διετέλεσέ γέ τοι τὸν ἑπτακαιεικοσαετῆ χρόνον τοῦ πολέμου ἀπὸ τῆς ἀρχῆς ἕως

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kription der Nomoi durch Philippos von Opus (Diog. Laert. 3.37) – und Aristoteles anzunehmen,384 ferner für die spätere Wissenschaftsprosa.385 Auch bei den Werken der Attischen Redner des 4. Jh. dürfte es sich meist um Nachbearbeitungen von vor Gericht gehaltenen Reden handeln:386 Zwar ist nicht auszuschließen, dass deren elaborierter Stil einer Ästhetik der ritualisierten Prosa vor Gericht entsprach. Doch muss es für die Logographen verlockend gewesen sein, durch Publikation einer ausgefeilten Rede der eigenen Version eines Falles Dauerhaftigkeit zu verleihen. So erschien ein Klient in weit günstigerem Licht, wenn er die Argumente der Gegenseite antizipierte, wie dies vor dem Ende eines Prozesses kaum möglich gewesen wäre. Die Reden dürften daher in einer Form überliefert sein, die sie in ___________________________

τῆς τελευτῆς τὰς ὀκτὼ βύβλους, ἃς μόνας κατέλιπεν, στρέφων ἄνω καὶ κάτω καὶ καθ’ ἓν ἕκαστον τῶν τῆς φράσεως μορίων ῥινῶν καὶ τορεύων). Zu Interpolationen bei Thukydides MAURER (1995). 384 WILSON/HEYWORTH (1997) bieten Beispiele für Autorenvarianten bei Platon (Kratylos 437d-438b in zwei alternativen Fassungen) und Aristoteles (Metaphysik, Rhetorik und De anima, wohl auf Phasen der Lehrtätigkeit beruhend). Gerade in der Rhetorik scheinen verschiedene Schichten in Form von Nachträgen und Eingriffen durch Schüler vorzuliegen, die zu unterschiedlichen Zeiten und mit je verschiedener Absicht verfasst wurden. Vgl. ferner zum mit dem Buchmarkt entstandenen Genus auktorialer retractationes SCHEIDEGGER LÄMMLE (2016). 385 WIETZKE (2017) 358 zu revisions und self-corrections bei Ptolemaios und 368 Anm. 91 zu Ko-Produktionen in der wissenschaftlichen Prosa v. a. hellenistischer Zeit: etwa den Cnidiae sententiae, auf die im corpus Hippocraticum Bezug genommen wird und deren Autoren lapidar οἱ ξυγγράψαντες genannt werden, was als mehrere Einzelschriften der Spruchsammlung (τὰς Κνιδίας καλεομένας γνώμας) oder eine Autorenkooperation lesbar ist – Galen teilt sie einem Einzel-Autor zu; vgl. ferner das in vielen Fragmenten und Testimonien zusammen genannte Historikerpaar Agias und Derkylos (4./3. Jh.: FGrHist 305), die wohl diachron kooperierten. Es lässt sich ferner an die Alexanderhistoriker um Kallisthenes denken, den manche Handschriften als den Autor des späteren Alexanderromans nennen (inzwischen einem Ps.-Kallisthenes zugewiesen) und auf dem die Berichte des Ptolemaios und Aristobulos fußen, sowie Hof-Historiographen wie Nearchos, Onesikritos, Chares, Ephippos und Kleitarchos. Daneben steht auch die Septuaginta im Zeichen kooperativer Produktion, wobei Zeugnisse wie der Aristeas-Brief uneindeutig bleiben. Zur symbolischen Zahl der 70 bzw. 72 an dem von Ptolemaios II. Philadelphos geleiteten Unternehmen beteiligten Übersetzer HONIGMAN (2003) 56-58, mit Verweis auf Praktiken der alexandrinischen Textkritik. Außer der angeblichen Komödien-Koproduktion zwischen Eupolis und Aristophanes (Eup. fr. 89 PCG τοὺς Ἱππέας ξυνεποίησα τῶι φαλακρῶι) imaginiert auch die Vita Terentii nach Sueton (Kap. 4-6; vgl. Ter. Ad. prol. 15-21 und Heaut. prol. 24) Kooperation zwischen Terenz und dem Feldherrn Scipio. Zu (fiktiven) kokreativen Szenarien in der griechisch-römischen Epistolographie vgl. HOSE (2001). 386 Hierzu WORTHINGTON (1991), HUBBARD (2008) 185 (“Neither Isocrates’ weak voice nor the elaborate Kunstprosa of these orations was well suited to oral delivery”). Die ‚Pamphlet-Theorie‘, nach welcher es sich etwa bei den Demosthenes-Reden um reine Werbeschriften gehandelt habe, wurde widerlegt bei ADAMS (1912).

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der Gerichts-Situation noch nicht besaßen, es sich vielmehr um revidierte und entsprechend perfektionierte Versionen handeln.387

3.2 Auteme im Spannungsfeld von Medialität, Praxis und Performanz Die einzelnen Autorfunktionen im Sinne Harold Loves treten keineswegs isoliert auf: Vielmehr sind die Auteme stets im Zusammenspiel, als synchron wie diachron wirksame Formen und Phasen auktorialer Kooperation zu verstehen. Eine Untersuchung der konkreten Entstehungsprozesse archaischer wie klassischer Werke wird jedoch dadurch erschwert, dass es kaum Berichte über die Praktiken antiker ‚Schreibwerkstätten‘ gibt: Genaue Beschreibungen der Produktionsprozesse von Texten finden sich erst ab dem späten 5. Jh. und verstärkt im 4. Jh. v. Chr., besonders in philosophischen oder rhetorischen Texten. 388 Anschaulich ist in diesem Kontext besonders Platons Schrift Theaitetos, wo innerhalb des Rahmendialogs zwischen Eukleides und Terpsion (142a-143c) von den verschiedenen Entstehungsphasen eines Werks bis hin zur Buchrolle die Rede ist. Besonders aufschlussreich ist der Passus Theaitetos 142d-143b, worin der Megarer Eukleides auf Terpsions Frage hin erzählt, wie er zu Ehren seines sterbenden Freundes Theaitetos dessen Gespräche mit Sokrates aufgeschrieben habe: {ΤΕΡ.} […] ἀτὰρ τίνες ἦσαν οἱ λόγοι; ἔχοις ἂν διηγήσασθαι; {ΕΥ.} Οὐ μὰ τὸν Δία, οὔκουν οὕτω γε ἀπὸ στόματος· ἀλλ’ ἐγραψάμην μὲν τότ’ εὐθὺς οἴκαδ’ ἐλθὼν ὑπομνήματα, ὕστερον δὲ κατὰ σχολὴν ἀναμιμνῃσκόμενος ἔγραφον, καὶ ὁσάκις Ἀθήναζε ἀφικοίμην, ἐπανηρώτων τὸν Σωκράτη ὃ μὴ ἐμεμνήμην, καὶ δεῦρο ἐλθὼν ἐπηνορθούμην· ὥστε μοι σχεδόν τι πᾶς ὁ λόγος γέγραπται. […] ἀλλ’ ἴωμεν, καὶ ἡμῖν ἅμα ἀναπαυομένοις ὁ παῖς ἀναγνώσεται. TERPSION: „[…] Doch welche Reden wurden gehalten? Könntest Du mir davon berichten?“ EUKLEIDES: „Nein, beim Zeus, keineswegs einfach frei aus dem Gedächtnis. Doch ich fertigte damals, gleich nachdem ich nach Hause gekommen war, Notizen an. Später dann schrieb ich es ganz in Ruhe aus der Erinnerung nieder, und ___________________________

387 Laut antiken Zeugnissen konnte man in der Antike zwischen vor Gericht gehaltenen Reden und späteren Revisionen durchaus unterscheiden: WORTHINGTON (1991) 57, HUBBARD (2008) 188. Ferner HAFNER (2018) 23. 388 Zum Problem der Rekonstruktion DEL CORSO (2015) 10: “Greek writers were not much interested in describing the dynamics underlying the compositional process, nor about the tools involved in it.” Erst Isokrates und spätere Autoren berichten über Arbeit an Texten, etwa Korrekturen. Laut LEFKOWITZ (1981) x schweigen auch die antiken Dichter-Biographien über die Genese von Werken: “Ancient biographies preserve no records of working arrangements […]. Poems are composed instantaneously or are recited when already completed; if a poet is seen in the process of working, it is in isolation” (der Passus wurde in der zweiten Auflage, 22012, gestrichen).

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sooft ich nach Athen kam, stellte ich Sokrates Fragen darüber, woran ich mich nicht erinnerte. Wieder hierher zurückgekehrt verbesserte ich es. So wurde fast die ganze Rede von mir niedergeschrieben. […] Doch los, lass uns gehen, und dabei wird uns, während wir uns Ruhe gönnen, der Sklave vorlesen.“

Eukleides berichtet folglich, wie er zuerst bloße Notizen (ὑπομνήματα) anfertigte. Später habe er bei Sokrates nachgefragt, ob die Aussagen und Angaben so korrekt seien; dies führte zu Revisionen und Korrekturen (ἐπηνορθούμην). Die fertige Buchrolle wird schließlich von einem Sklaven vor Eukleides und Terpsion verlesen. Insgesamt ist der literarische Text somit nicht “the consequence of a single or unitary creative action, but rather the result of different phases, each distinguished by a significant interaction between orality and writing. And this interaction between spoken and written word extends long beyond the gestation of the literary works, into their final phases.”389

Im Rahmendialog von Platons Theaitetos wird – ohne dass der Autor Platon selbst in die Szenerie involviert ist –390 demnach die kompositorische Genese eines philosophischen Textes als dynamische Sequenz beschrieben, die in vorläufigen Notizen mitgehörter Gespräche ihren Anfang nimmt und auf dem Wege von Überarbeitungen durch verschiedene Akteure erst mit der Zeit ihren finalen Status erreicht. 391 Diese Phasen der Dialogverfertigung sind geprägt von schriftlichen wie mündlichen Tätigkeiten: Eukleides selbst erscheint als exekutiver Autor, der Mitschriften von Dialogen anfertigt, dann wiederum als revisorischer Autor, der dieselben in Kooperation mit Sokrates – vergleichbar Sokrates’ Befragung durch Apollodoros in Platons Symposion –, im Sinne eines Ko-Korrektors bzw. MitÜberarbeiters ausfeilt.392 Der vorlesende Sklave (παῖς) wird schließlich im Rahmen der Darbietung des Textes zum performativen Akteur dieses Prozesses: Das Beispiel zeigt auch, dass ein antikes Publikum an das laute Verlesen aus ___________________________

389 DEL CORSO (2015) 9. Zur ‚Herausgeberrolle‘ des Eukleides KAKLAMANOU/PAVLOU (2016) 118-127; zu einer Hermeneutik des Lesens im Theaitetos – in Opposition zu anderen Einschätzungen bei Platon – REITZ (2003). 390 Zur auktorialen ‚Absenz‘ Platons in seinen Werken s. Kap. 4.3.4. 391 Zum Rahmendialog des Theaitetos H. TARRANT (1996) 133, VON MÖLLENDORFF (2013) 405-409, GIANNOPOULOU (2014), KAKLAMANOU/PAVLOU (2016), TSAKMAKIS (2021); zur Narratologie MORGAN (2004) 358, 360, HALLIWELL (2009) 15-17, FINKELBERG (2018) 97-99, die 99 ab Anm. 54 auch Eukleides’ Auktorialität diskutiert. Zu den Rahmungen platonischer Dialoge vgl. JOHNSON (1998), KAKLAMANOU/PAVLOU/TSAKMAKIS (2021). 392 Eukleides’ aktive Überarbeiter-Rolle zeigt sich auch im folgenden Passus 143b5-c6, worin jener erklärt, er habe sich statt einer diegetischen für eine dramatische DialogDarstellung entschieden und Sokrates’ erzählerische Einschübe à la „sagte er“ konsequent gestrichen (c5-6 ὡς αὐτὸν αὐτοῖς διαλεγόμενον ἔγραψα, ἐξελὼν τὰ τοιαῦτα). Zu dieser Passage u. a. FINKELBERG (2018) 5-9.

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Buchrollen gewöhnt war und es nicht unüblich war, Texte über Vermittler und innerhalb einer Gruppe zu rezipieren. Solche Rezitations-Praktiken konnten die Arbeit von Untergebenen und Sklaven involvieren, welche die Texte entweder privat vor ihrem Herrn oder vor einer größeren Hörerschaft im Rahmen eines Symposions oder eines anderen Aufführungs-Rahmens verlasen. Wie das Beispiel zeigt, scheint die in Prosa verfasste Dialogform die Darbietung durch Nicht-Spezialisten ermöglicht zu haben, da hier – im Gegensatz zur Aufführung epischer Gedichte durch Rhapsoden – außer der Lesefähigkeit des darbietenden Vorlesers keine Expertise, etwa bezüglich des Versmaßes, nötig war. Dass die kompositorischen Prozesse antiker Textproduktion während der gesamten Antike besonders auf der Arbeit von Sklaven und Untergebenen beruhten, 393 zeigt ein weiterer, lange nach Platons Schaffenszeit niedergeschriebener Text, der die konstanten Bedingungen der Werkgenese für die antike Schriftkultur verdeutlicht: Noch Jahrhunderte später konnte der christliche Autor Origenes (3. Jh. n. Chr.) – so bezeugt es Eusebios’ Kirchengeschichte (Hist. eccl. 6.23.1-2; 6.36.1) – mittels der Unterstützung durch seinen Gönner Ambrosius von Mailand auf sieben im Turnus arbeitende Stenographen zurückgreifen, denen Origenes diktierte (ταχυγράφοι τε γὰρ αὐτῷ πλείους ἢ ἑπτὰ τὸν ἀριθμὸν παρῆσαν ὑπαγορεύοντι, χρόνοις τεταγμένοις ἀλλήλους ἀμείβοντες), und ferner ebenso viele die Texte ins Reine schreibende Kopisten (βιβλιογράφοι) sowie Kalligraphinnen (κόραις ἐπὶ τὸ καλλιγραφεῖν ἠσκημέναις). 394 Origenes selbst revidierte die Exemplare, bevor Kopien erstellt wurden.395 Beide Beispiele, wenngleich in großem zeitlichem Abstand zueinander situiert, illustrieren die Textproduktionsprozesse der antiken Schreibkultur, in der die Phasen der Komposition, Publikation und Rezeption in eine komplexe Sequenz ___________________________

393 Literaten beschäftigten professionelle Vorleser (Nep. Att. 14.1; Cic. Att. 1.12.2) oder Schreiber, meist Sklaven oder Freigelassene – vgl. Quint. inst. 10.1.128 die Notiz zu Senecas Recherche-Aufträgen an ‚wissenschaftliche Assistenten‘. Vgl. die Berichte bei Plinius d. J. (ep. 9.36.1-3 über seinen notarius), auch über Plinius d. Ä. (ep. 3.5.10 etc.). Euripides habe einen Sklaven names Kephisophon besessen, der als Ko-Autor fungierte (TrGF 5.1, T 1 III.3; Aristoph. fr. 596 PCG [Κηφισοφῶν […] Εὐριπίδηι […] σ υ ν ε π ο ί ε ι ς , ὥς φασι, τὴν μελωιδίαν]; Frösche 944, 1451-1453 = TrGF 5.1 T 52a, c); Zenon von Kition habe von Antigonos Gonatas ferner einen Sklaven für die BuchProduktion (Diog. Laert. 7.36 εἰς βιβλιογραφίαν) geschenkt bekommen. Die Herabsetzung von Sklaven, die in die literarische Produktion involviert waren, bezeugt Galen (De an. aff. dign. et cur. 4 = Kühn vol. 5.17-18). 394 Die Berufung auf weibliche Arbeitskraft ist noch in aktuellen Vorreden akademischer Literatur präsent, in denen man(n) anonymen Gattinnen für ihre Mühen dankt, wie das Online-Forum #ThanksForTyping (2017) zeigt. 395 Vgl. GAMBLE (1995) 120. LOVE (2002) 34f. mit Anm. 8 bezweifelt, dass das Endresultat der ursprünglich diktierten Rede akkurat glich (“it would be the task of the intermediate copyists to convert their notes into eloquent Greek prose. Origen’s review of the resultant text would no doubt have been careful”).

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verschiedener Aktivitäten eingefasst waren. Bemerkenswert sowohl an Platons Theaitetos als auch an Eusebios’ Bericht über Origenes’ ‚Schreibwerkstatt‘ ist die klare Schilderung der Produktionsprozesse und -tätigkeiten als in zeitlicher Sukzession getrennt ablaufender Phasen der Textkonstitution, die alle zwischen mündlichen und schriftlichen Aktivitäten – Symptom für die aurale Kultur der Antike – oszillieren. 396 Die Buch-Produktion beruhte in der Antike auf einem Heer von Schreibern, Sekretären, Kalligraphen, Kopisten – und damit auf einer gut strukturierten Organisation und Logistik, deren laufende Kosten und Unterhalt nur die reichsten Mitglieder einer sozioökonomischen Elite, die als Auftraggeber oder Sponsoren fungierten, tragen konnten.397 Im Folgenden soll die Verteilung von Autorfunktionen, die in die Produktionssowie die Rezeptions- und Zirkulationsprozesse antiker Texte involviert waren, an zwei Beispielen aus dem in dieser Untersuchung gewählten Zeitraum, der (Spät-) Archaik und Klassik, illustriert werden: Pindars Chorlyrik und Lysias’ Logographie. In beiden verweist das Zusammenspiel von Autorfunktionen auf Konstellationen, die paradigmatisch für die partizipative Kooperation der von Auralität geprägten archaischen wie klassischen Kultur waren. Ein erstes Exempel bietet die Fünfte Pythische Ode des Chorlyrikers Pindar von Theben (6./5. Jh.): Pindar feierte in diesem Epinikion den Wagenlenker Karrhotos, der bei den panhellenischen Spielen in Delphi des Jahres 462 v. Chr. den Sieg in seiner Disziplin errungen hatte, sowie den Patron und Auftraggeber des Wagens, in dessen Namen und mit dessen Gespann Karrhotos bei den Pythischen Spielen, die in Delphi zu Ehren des Apollon stattfanden, gesiegt hatte: Arkesilaos IV., König der reichen nordafrikanischen Kolonie Kyrene. Wahrscheinlich wurde der Text, der vom griechischen Festland über das Meer versandt wurde, im Rahmen ___________________________

396 DEL CORSO (2015) 10 beschreibt im Theaitetos getrennte Phasen, die er als “compositional journey” zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit erkennt: “draft version, revised version, final version, editorially arranged and transcribed in calligraphic texts”. Zur Textkonstitution folgert er, dass die korrigierte wie revidierte Version eines βιβλίον von den anfänglichen ὑπομνήματα stark abwich. Vgl. S. 18-22 zum antiken Buch als ‚work in progress‘. In diesen Kontext passt auch Plinius’ Beschreibung seiner ‚Schreibwerkstatt‘ in ep. 7.17, vgl. GURD (2012) 105: “Pliny the Younger’s normal revision process was multistepped and collaborative. He revised what he had written on his own (primum quae scripsi mecum ipse pertracto […]), then read the resulting text to two or three friends (diende duobus aut tribus lego) before giving it to others to annotate (mox aliis trado adnotanda). At this point he either took his friends’ advice or discussed it with a few others (notasque eorum, si dubito, cum uno rursus aut altero pensito). He then recited the text to a larger gathering (novissime pluribus recito). The looming performance made him nervous, and he made further revisions in preparation. After the recitation, he made corrections on the basis of the reaction of his audience.” 397 Vgl. DEL CORSO (2015) 20 mit Blick auf die von Aristokraten wie Platon unterhaltene athenische Akademie des 4. Jh. v. Chr. – und damit den sozialen Entstehungskontext der platonischen Dialoge.

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des Kult-Fests für Apollon Karneios mittels Chorgesang vor einer kyrenäischen Festversammlung präsentiert.398 Damit waren die Phasen von Komposition, Überlieferung und Darbietung durch einen Chor nicht nur raumzeitlich voneinander getrennt, sie waren auch jeweils verschiedenen Akteuren zugewiesen, 399 deren Aktivitäten an jeweils eine Station des durch die griechische Welt ‚reisenden‘ Odentexts gebunden waren.400 Zugleich trug das Epinikion diese auktoriale Polyphonie als ein Grundmerkmal in sich:401 Der Epinikien-Dichter wirkte in der kunstvollen Zusammenstellung seiner Oden bei der und durch die Darbietung seines Texts als sozial, moralisch und poetisch exzellente Autorität, die innerhalb eines traditionalen Kontexts operierte, dabei aber durch ebenjene Exzellenz auch aus dieser herausragte. 402 Zugleich wurde die Wirkung der Dichtung im jeweiligen Vermittlungskontext der Festaktualität403 maßgeblich durch die Stimmen der Choreuten im hic et nunc der Aufführung zu einer einmaligen Erfahrung für die Anwesenden geprägt: Wenn die Sprechinstanz in Pyth. 5.72ff. (τὸ δ’ ἐμὸν γαρύει | ἀπὸ Σπάρτας ἐπήρατον κλέος κτλ.) von ihren Vorfahren, dem Geschlecht der Aigeiden, das eine bedeutende Rolle im Kontext der Kolonisierung Kyrenes und der Kult-Etablierung der Karneen spielte, als ἐμοὶ πατέρες spricht (5.76),404 scheint deren Identifikation mit dem kyrenäischen Chor die angemessenste Lösung. Doch ob man nun der Wirkung des Lyrikers Pindar oder aber derjenigen des kyrenäischen Chors im Festkontext das Hauptgewicht an Autorität sowie Auktorialität zuschreibt, sobald eine ___________________________

398 Hierzu grundlegend KRUMMEN (1990) 98ff. 399 CALAME (2005) 84 teilt die Chorlyrik in verschiedene Phasen mit je eigenen Protagonisten ein („composizione, esecuzione rituale e culturale del poema“). 400 Zum poetologischen Bildbereich der See- oder Flugreise, wobei das Gedicht als beseeltes ‚reisendes Objekt‘ erscheint, CALAME (1995), (2005), (2012), NÜNLIST (1998) 265-283. CALAME (2010) 142 spricht bei Pind. Ol. 6 von einer ausdifferenzierten fonction-auteur, die sich auf multiple Akteure und Protagonisten verteile. MASLOV (2015) 107-113 schlägt drei Kategorien von Epinikien je nach Adressaten und Anlass vor (für Herrscher, Aristokraten, Städte), die verschiedene Positionierungen der ‚Ich‘Stimme und des Dichter-Chor-Verhältnisses bestimmten. 401 Hierzu CALAME (2005) 85: “Ciò implica varie tappe e vari protagonisti nella „messa in discorso“ del poema; tra questi stadi, uno spostamento reale dalla Grecia continentale verso la lontana Libia. […] L’estensione temporale e spaziale dell mise en discours coinvolge varî attori nell’atto della composizione e della performance poetica. Di conseguenza, il poema stesso, in quanto oggetto che si sposta, dimostra una polifonia enunciativa molto marcata.” 402 Vgl. D’ALESSIO (1994), MASLOV (2015), SWIFT (2017) 161; weiteres bei A. D. MORRISON (2007) 58 Anm. 113. 403 Laut KRUMMEN (1990) 267ff., die dies an Pindars Isthm. 4, Pyth. 5 sowie Ol. 1 und 3 zeigt, waren die Lieder in ihrer okkasionellen Fest-Einbindung der versammelten und zuhörenden Gemeinschaft unmittelbar verständlich. 404 Vgl. KRUMMEN (1990) 130-141. Schon die antiken Kommentatoren beschäftigten sich mit Autor-Zuweisungen in diesem Vers, vgl. das schol. ad Pyth. 5.76a Drachmann (ὁ λόγος ἀπὸ τοῦ χοροῦ τῶν Λιβύων ἢ ἀπὸ τοῦ ποιητοῦ).

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„Ich“ sagende Stimme – wie im Falle von εὔχομαι Pyth. 5.123 – oder ein kollektives ‚Wir‘ in Pyth. 5.78, 80 (ἀναδεξάμενοι […] σεβίζομεν) ertönt:405 Spannung und Wirkkraft des Siegeslieds bestehen gerade in der Polyphonie sowie im Zusammenspiel auktorialer Stimmen.406 Boris Maslov sieht das pindarische Epinikion an einem literaturgeschichtlichen Übergang von der folkloristisch-mündlichen Tradition archaischer Dichtung zu neuen Tendenzen, die besonders auf der innovativen Medialität sowie Professionalität pindarischer Auftrags-Dichtung beruhten. Dies begründe die Besonderheit der Autorfunktion bei Pindar: “This genre bridges the performance-oriented poetics of communal song and selfconscious, authorial verbal art. The two kinds of poetics correspond to the indefinite (collective, third-person) and the individual (biographically specific) modes of authorization. In other words, whereas a folkloric text can generally be prefaced with they say, a literary text is marked for a unique origin. This imperative of singularity, in Pindar’s case, is directly elicited by socioeconomic aspects of the commissioning and production of epinikion, which was a costly undertaking, demanding that the text be and appear specially crafted for the occasion.”407

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405 Während der Aufführung dürften sich Zuweisungen von Autorität meist auf den Chor bezogen haben. Selten ist die Separierung von Ich-Stimme (Verfasser) und Chor (Performer) feststellbar, wie Ol. 3.3-6, 13.49, Pyth. 10.56, Nem. 2.24-25, 3.11-12, Isthm. 3.1ff., 6.74-75, 8.5, 16; Bakchyl. 13.190. Ol. 6.87ff. und Isthm. 2.47-48 adressieren den Überbringer der Ode, Nem. 3.76ff. bietet Ausblicke auf die Übersendung des Gedichts: Beides setzt somit vor Beginn der chorischen Darbietung an. Ol. 10.1-3 spielt mit dem Status der Ode als Text: vgl. HUBBARD (2004) 91 zur “poetic presence and authority even through the disengaged and potentially alienated medium of written circulation.” 406 SLATER (1969) 89 schlug daher vor, dass das ‚Ich‘ bei Pindar “implies in fact a vague combination of Pindar, chorus and chorus leader”. Vgl. CALAME (2010) 142 zum ‚Ich‘ Pindars in Ol. 6 als polymorpher Aussageinstanz. Laut BUDELMANN (2018), der die Lyrik kognitionstheoretisch fasst, rekonstruieren Rezipienten aktiv die geistigen Zustände der vertikal verbundenen Instanzen Sprecher, Autor und Performer. Über den transparenten kognitiven Kontakt von Aussage-Instanz und Hörer ließen sich geistigpsychologische Zustände impliziter und projizierter Autorfiguren erfassen, die sich ihrem Gegenüber als deutender Instanz anvertrauten. In dieser Form der Transparenz erkennt er den kommunikativen Reiz lyrischer Welten. 407 MASLOV (2015) 99. Weitere Autorisierung erhält die Ode durch den Anruf der Muse als “a fictional outside agent”, was außergewöhnliches Wissen begründe: “Thus, the invocation of the Muse(s) authorizes the text as issuing from a source that is neither communal nor biographically specific, but rather regimented by an author-specific text type (“genre”) to which only some performers/authors can claim access.” Vgl. zur Musen-Inspiration als Form eines ko-kreativen Verhältnisses von menschlichem und göttlichem Akteur Kap. 4.3.1.

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Damit verbinde sich bei Pindar der kollektive Modus der Autorisierung aus der Tradition des Chorgesangs mit einer individualisierten Autor-Zuschreibung, die Maslov in einer zuerst monodischen Auftragsdichtung für Tyrannen sowie dem Modell auktorialer Zuschreibungen an die Figur Homer begründet sieht. Das Aufeinandertreffen kollektiv-traditioneller und individualisierter Autorisierungsmodelle und entsprechender poetischer Praktiken erschwere die Einfügung von Autor-Signaturen wie Sphragides in die Gedichte.408 Gleichwohl tritt aus den Gedichten Pindars eine Dichter-Gestalt hervor, die Hoffnung auf Permanenz des poetischen Werks ausdrückt, das auch in Zukunft stets neu erklingen wird: “Pindar looks forward to such poetic success, and in so doing makes his own claim for a biographical permanence, a support for his immortal song that […] will simultaneously define the unique bond between the poet and his work and allow that work to be shared with future performers and audiences.”409

Die individuelle Zuschreibung von Autorschaft tritt zumindest indirekt in den Oden, deutlicher dann im Zuge der Werkrezeption zutage: So wird bereits in Pindars Nem. 5.1-5 die Verbreitung des Siegeslieds für den äginetischen Sieger imaginiert, das in die gesamte griechische Welt exportiert werden wird.410 Entsprechend kann – lange Zeit vor der alexandrinischen Redaktion – von einer parallelen schriftlichen Verbreitung der Oden Pindars und damit einem zweigleisigen Modell neben der Aufführung zu Ehren des jeweiligen Siegers ausgegangen werden:411 So zitiert bereits ein früher Rezipient des 5. Jh., Herodot, Pindar als individuellen Urheber einer Sentenz (Πίνδαρος […] φήσας), die dem autoritativen Zeugnis des Dichters zugeschrieben wird (Hdt. 3.38.4 ὀρθῶς μοι δοκέει Πίνδαρος ποιῆσαι, ___________________________

408 MASLOV (2015) 115. LARDINOIS (2022) erkennt eine raumzeitlich entfernte Rezeption lyrischer Gedichte fernab des ursprünglichen Kontexts ihrer Verfasser als Motor für eine individualisierte Autor-Zuschreibung. 409 UHLIG (2016) 117, die in ihrem Beitrag auf die Rolle präkursorischer Dichter (Archilochos, Hesiod und v. a. Homer) für die Konstruktion der Auktorialität Pindars eingeht, der wie seine Vorbilder auf Nachruhm hoffte. 410 Vgl. Nem. 6.30-34, Ol. 9.21-27, Pyth. 2.58-68, 3.110-115 mit HUBBARD (2004), CALAME (2005). Isthm. 2.43-48 heißt es an Thrasybulos, das Gedicht solle nicht schweigen, sondern auch zukünftig vom Ruhm seiner siegreichen Familie künden. Bill Race verweist mich auf Pind. fr. 124a M., Beginn des Enkomions auf denselben Thrasybulos von Akragas, der das ihm übersandte Gedicht später, bei einem Symposion im Kreis von Freunden genießen solle. 411 Vgl. HUBBARD (2004) 93: “on the one hand a publicly performed choral event accessible to all, on the other a more selective, elite, even anti-democratic audience of wellborn initiates who can read Pindar as a sacred text whose precepts, if followed, held out the promise of true immortality.”

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«νόμον πάντων βασιλέα» φή σα ς εἶναι).412 Schon für Bakchylides (3.85-87) und Aristophanes (Acharner 637-639, Vögel 924-945, Ritter 1264-1266) ist die Kenntnis pindarischer Dichtung, besonders von dessen Dithyramben, vorauszusetzen. Eupolis bescheinigt dem Dichter gar wieder abnehmende Popularität in Athen (fr. 398 PCG). Es lässt sich aus diesen frühen Zeugnissen schlussfolgern, dass das individuelle Hervortreten des Autors Pindar gerade auch durch die (in den Werken antizipierte) textuelle Zirkulation der Oden begünstigt wurde. 413 So kann man für die Chorlyrik die folgende Verteilung von Autorfunktionen, die jeweils gemäß der Medialität (Ode in der Aufführung gegenüber Ode als Text) changieren, aufstellen: Medialität

Chorlyriker (Pindar)

Chor

Epinikion in Performanz

Exekutiver Autor

Performative(r) Autor(en)

Epinikion als Text

Deklarativer Autor (Sprecher), ggf. revisorische Funktion

(keine Autorfunktion)

Während im Moment der Aufführung die Choreuten als performative Akteure die Wirkung der Ode bestimmten, trat der Chorlyriker als Urheber des ‚Librettos‘ zurück; im Zuge der Rezeption der Ode als Text hingegen nahm der Chor keine Autorfunktion mehr wahr. Der Dichter Pindar, dessen Name über Zuschreibungen wie Titel eine deklarative Funktion besaß – im Falle einer etwa auf die Aufführung folgenden Überarbeitung wurde er zum revisorischen Autor –, wurde jedoch als Sprecher und Urheber von Aussagen in den Oden betrachtet, wie dies Herodots Zeugnis (3.38.4 Πίνδαρος […] φήσας) illustriert.414 Somit zeigt sich an den Oden Pindars die Transformation einer zuerst an ein singuläres mediales Ereignis geknüpften Ästhetik, welche durch die stimmliche Präsenz des Chores markiert war, hin zu einem geschriebenen Text, möglicherweise innerhalb einer Sammlung nebst anderen Oden, die dem deklarativen Autor der Siegeslieder, Pindar, zugeordnet wurde: der Wandel also von einer spezifischen, von multiauktorialer Stimmenvielfalt der Choreuten geprägten performativen Situation hin zur ___________________________

412 Herodot wie Platon (Gorg. 484b) nutzen das Pindar-Zitat, kontextlos als fr. 169a.1-4a M. überliefert (Νόμος ὁ πάντων βασιλεύς | θνατῶν τε καὶ ἀθανάτων | ἄγει δικαιῶν τὸ βιαιότατον | ὑπερτάτᾳ χειρί), für jeweils eigene Zwecke. 413 Auch MASLOV (2015) 33ff. bindet die Individualität der Autorfunktion bei Pindar an die Textualität des Werks, vgl. 37: “It is a more particular transformation […]: the coming into being of a new kind of signifying practice in which the individual (author) and the singular (text) become the chief means of conceiving of tradition.” 414 Im Epos nimmt ein Rhapsode oder Homeride außer der Rolle des performativen auch die des revisorischen Autors ein, der für die Darbietung eines Gesangs in den Text eingreifen konnte (BURGESS [2001] 7-46). Dies ist für den Epinikien-Chor kaum plausibel, für den die Weisung des Dichters oder Chorodidaskalos bindend war.

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Zuweisung der Worte an einen Einzelautor, dessen Rede in anderen Texten rezipiert und zitiert werden konnte und der in diesen Texten als individuelle Zuschreibungsinstanz und Quelle bestimmter Aussagen auftrat. Ein solches Zusammenspiel von Autorfunktionen in Korrelation mit der Medialität der Aufführungs- bzw. Rezeptions-Situation zeigt sich auch anhand des Phänomens der Logographie, wie es sich im Klassischen Athen besonders des 4. Jh. entwickelte (Kap. 3.1.4). Eine systematische Darstellung der kompositorischen und performativen Stadien der Logographie bietet jedoch erst die römische Rhetorik. Dabei kommt es zu einer Untergliederung verschiedener Aufgaben, die ein Redner vom anfänglichen Verfassen bis zur Darbietung einer ausgefeilten Rede zu erfüllen hatte (officia oratoris): Entsprechend nennt Quintilian (inst. 3.3.1)415 die Phasen inventio (Auffindung der Argumente), dispositio (Gliederung), elocutio (sprachliche Ausgestaltung der Gedanken), memoria (Einprägen der Rede) sowie pronuntiatio oder actio (stimmliche, mimische und gestische Darbietung). Selbst wenn ein einzelner Redner all diese Stadien durchlief und die officia sich dabei zum Teil überlappten, waren die Phasen doch mehr oder minder an je eigene Regeln und Techniken gebunden, die jedoch aufeinander aufbauten. Im Kontext der athenischen Logographie des 5./4. Jh.,416 die als rhetorische Praxis der späteren Theoriebildung zwar vorausgeht, diese jedoch prägen sollte, wurden die Aktivitäten auf mindestens zwei Akteure verteilt: Wie bei den modernen Formen des Ghostwritings übernahm ein Experte im Bereich der Textproduktion, der Logograph (λογογράφος), die ersten Produktionsstadien, während ein Laie die Rede öffentlich als die eigene präsentierte – man denke an die Lesung eines prominenten (deklarativen) Autors aus (s)einem durch einen Ghostwriter verfassten Buch: 417 “[T]here were Athenians who would provide a citizen with a written speech that could be memorised and delivered in the Agora as his own. This meant that the first contributor would do the inventio, dispositio, and elocutio and a second the memoria and pronuntiatio, which, in the specialised field of oratory, were by no means the easiest bits.”418

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415 Quintilian schreibt dort: Omnis autem orandi ratio, ut plurimi maximique auctores tradiderunt, quinque partibus constat: inventione, dispositione, elocutione, memoria, pronuntiatione sive actione (utroque enim modo dicitur). 416 Zum Folgenden vgl. HAFNER (2018). 417 Gleichwohl gilt hier zu bedenken, dass dem Laien im Fall der athenischen Logographie keine nachträgliche Autorschaft, im Fall des modernen Ghostwritings jedoch i. d. R. bleibende Autorschaft zugesprochen wird. 418 LOVE (2002) 39.

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Die Kunst der Logographen im Entwerfen plausibler Charakterstudien (Ethopoiie)419 geht auf sophistische Aktivitäten des 5. Jh. zurück und findet sich bei Rednern wie Antiphon. Eine frühe Aneignung der Logographie bietet die Schrift des Thukydides, der sich die Freiheit nimmt, in seinem Geschichtswerk die Reden anderer nach eigenem Ermessen wiederzugeben: „Da es nicht möglich gewesen sei, die tatsächlich gehaltenen Reden aufzuzeichnen, habe [Thukydides] mit Rücksicht auf den Gesamtsinn des tatsächlich Gesagten eine der jeweiligen Situation angemessene Rede verfasst. Thukydides stellt damit die Kunst der Logographie in den Dienst der Historiographie.“420

Die Darbietung einer professionell erstellten Rede vor Gericht muss die entsprechenden Klienten, die ja allesamt Laien waren, bisweilen vor große Herausforderungen gestellt haben. Hier ist erneut (vgl. Kap. 3.1.2) der platonische Dialog Phaidros als externes Zeugnis aufschlussreich, in dem sich um Lysias’ rezitierten ἐρωτικὸς λόγος ein Gespräch über logographische Komposition und Performanz entwickelt. Phaidros möchte eine Rede des berühmten Logographen wiedergeben, gesteht Sokrates gegenüber jedoch seine Unfähigkeit angesichts dieser schwierigen Aufgabe (Phaidr. 227d6-228a4): {ΦΑΙ.} […] οἴει με, ἃ Λυσίας ἐν πολλῷ χρόνῳ κατὰ σχολὴν συνέθηκε, δεινότατος ὢν τῶν νῦν γράφειν, ταῦτα ἰδιώτην ὄντα ἀπομνημονεύσειν ἀξίως ἐκείνου; πολλοῦ γε δέω· καίτοι ἐβουλόμην γ’ ἂν μᾶλλον ἤ μοι πολὺ χρυσίον γενέσθαι. PHAIDROS: „[…] Denkst du, dass ich das, was Lysias über lange Zeit in ruhigen Stunden verfasst hat, der ja der fähigste Redenschreiber heutzutage ist, ich dagegen ein Laie, auf eine jenem angemessene Weise aus dem Gedächtnis wiedergeben kann? Weit gefehlt! Und doch wollte ich dies lieber als viel Gold zu besitzen.“

Damit weist sich der rhetorische Laie Phaidros selbst die Aufgabe der memoria (vgl. ἀπομνημονεύσειν) 421 zu, dem im Rahmen der Darbietung auch die ___________________________

419 Zur Zeichnung eines Charakters, den Lysias den Klienten ‚auf den Leib schneiderte‘, s. Dion. Hal. Lys. 8. Zu logographischen Techniken Antiphons und Lysias’ wie narrativer Prolepse und Ironie EDWARDS (2004), (2004a). 420 HOSE (2012) 124 mit Blick auf den Redensatz des Thukydides (1.22.1). Damit scheint es zugleich unplausibel, dass der Eigenanteil des Logographen überhaupt keine Rolle bei der Erstellung eines Charakterprofils der Sprecher-persona gespielt habe, wie MARINCOLA (1997) 129 annimmt; denn laut ihm war das Logographen-Profil “irrelevant to the image of character he needed to form in the minds of his clients’ audience.” Schließlich war es der gesamte rhetorische Rahmen sowie die argumentative Struktur, die vom Logographen vorgeformt wurde und somit in ihrer technischen Raffinesse wohl auch im Moment der gerichtlichen Performanz erkennbar blieb. 421 Vgl. THOMAS (1992) 92: “Rhetorical speeches, which certainly got written down and published from the late fifth century, were meant to be learnt by heart: orators and

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pronuntiatio bzw. actio obliegen wird, während die diesen Phasen vorangehende Komposition (vgl. συνέθηκε) dem Redner Lysias zugeschrieben wird. An dieser Stelle lohnt ein Seitenblick auf einen weiteren in Platons Korpus überlieferten Text, den Dialog Menexenos. In dessen Zentrum steht Sokrates’ Wiedergabe einer von der milesischen Intellektuellen Aspasia verfassten Gefallenenrede. Zuvor wird Aspasia als wichtige Rhetorik-Lehrerin des Sokrates genannt,422 die nach Sokrates’ Aussage auch die eigentliche Autorin des perikleischen Epitaphios (Thuk. 2.35-46) gewesen sei. Sokrates präsentiert die Rede nicht als die eigene, sondern als eine auf Aspasias Version beruhende Komposition, die er selbst erst am vorigen Tage vernommen habe.423 Wie auch der Metöke Lysias durfte die aus Milet stammende Ausländerin Aspasia keine eigene rednerische Tätigkeit in Athen entfalten, was ihre prominente Rolle als Logographin in Platons Menexenos plausibilisiert. Auf Menexenos’ Frage hin, ob er sich an den Wortlaut erinnere (236b7 Ἦ καὶ μνημονεύσαις ἂν ἃ ἔλεγεν ἡ Ἀσπασία;), antwortet Sokrates, er habe den Epitaphios von Aspasia auswendig gelernt (b8 ἐμάνθανόν γέ τοι παρ’ αὐτῆς), fürchtet jedoch ihren Zorn, sollte er die Rede verbreiten (c3-4 ἂν ἐξενέγκω αὐτῆς τὸν λόγον). Trotzdem führt er die Rede gleich einem logographischen Klienten aus, wobei er zugleich seine Unsicherheit bei der Wiedergabe des Wortlauts bekundet (d2-3 ἔλεγε γάρ, ὡ ς ἐ γ ᾦ μ α ι , ἀρξαμένη λέγειν ἀπ’ αὐτῶν τῶν τεθνεώτων οὑτωσί). Im Anschluss an die Darbietung des Epitaphios markiert Sokrates dann erneut Aspasias exekutive sowie deklarative Autorschaft, wobei die Anfügung des auktorialen Toponyms („Aspasia aus Milet“) innerhalb eines genitivus auctoris an eine Sphragis erinnert (249d1-2 Οὗτός σοι ὁ λόγος, ὦ Μενέξενε, Ἀσπ ασ ί ας τ ῆς Μιλ ησ ί ας ἐστίν). Menexenos bekräftigt daraufhin Aspasias logographische Fähigkeiten (d4-5 τοιούτους λόγους οἵα τ’ ἐστὶ συντιθέναι) und stattet auf Sokrates’ Frage hin, ob er Aspasia für deren Rede nun keinen Dank schulde (d10-11 νῦν ___________________________

litigants wished to give the appearance of speaking extempore, and the written text was therefore only an aid to recollection and memorization. It is in Aristotle first that one finds extensive discussion of literary and philosophical works in terms of the written text.” 422 Menex. 235e4-6 (διδάσκαλος οὖσα οὐ πάνυ φαύλη περὶ ῥητορικῆς, ἀλλ’ ἥπερ καὶ ἄλλους πολλοὺς καὶ ἀγαθοὺς πεποίηκε ῥήτορας). Ich verdanke den Hinweis auf den Menexenos Emily Greenwood. Neben Sokrates, der häufig selbst als Lehrer-Figur auftritt, d. h. nicht wie im Frühwerk als Nichtwissender unter Nichtwissenden, übernimmt Aspasia hier – wie etwa Diotima im Symposion – die Rolle einer Lehrerin, was auf die späten Dialoge vorausdeutet, in denen bestimmte Dialog-Figuren oft die lehrhafte Rolle des Sokrates einnehmen: PATZER (2012) 120. 423 So heißt es im Passus Menex. 235a8-236d3: {ΣΩ.} Αὐτὸς μὲν παρ’ ἐμαυτοῦ ἴσως οὐδέν, Ἀσπασίας δὲ καὶ χθὲς ἠκροώμην περαινούσης ἐπιτάφιον λόγον περὶ αὐτῶν τούτων. […] ἔπειτα τὰ μὲν ἐκ τοῦ παραχρῆμά μοι διῄει, οἷα δέοι λέγειν, τὰ δὲ πρότερον ἐσκεμμένη, ὅτε μοι δοκεῖ συνετίθει τὸν ἐπιτάφιον λόγον ὃν Περικλῆς εἶπεν, περιλείμματ' ἄττα ἐξ ἐκείνου συγκολλῶσα.

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χάριν ἔχεις τοῦ λόγου αὐτῇ;), seinen Dank außer der Verfertigerin der Rede auch einem potenziellen Vermittler sowie dem Darbietenden der Worte, Sokrates, ab.424 Damit beleuchtet auch der Menexenos eine Aufgliederung der auktorialen Tätigkeiten des Verfertigens (d5 συντιθέναι) sowie der performativen Darbietung einer Rede (e5-6 ἀπαγγέλλειν), wobei neben der exekutiven auch die deklarative Autorschaft der Aspasia, die als Eigentümerin des Epitaphios erscheint, betont wird, ohne dass gleichzeitig Sokrates’ Rolle als Vortragender übergangen wird. Doch zurück zum Phaidros: Der Dialog enthüllt weitere Details über die Beziehung zwischen dem Logographen Lysias sowie dem die Rede darbietenden Phaidros (228d1-5).425 Da Sokrates’ Gesprächspartner Phaidros bekennt, den genauen Wortlaut der Lysias-Rede nicht auswendig gelernt zu haben (τά γε ῥήματα οὐκ ἐξέμαθον), konzentriert er sich darauf, den allgemeinen Sinn des Ganzen wiederzugeben (διάνοιαν σχεδὸν ἁπάντων) und diejenigen Teile der Rede zusammenzufassen, in denen es heiße, der Liebende sei dem nicht Liebenden überlegen, jedoch nur in Form einer knappen Aufreihung der Hauptaspekte (ἐν κεφαλαίοις ἕκαστον ἐφεξῆς δίειμι): Dies dürfte den pragmatischen Umgang eines Klienten mit einer Rede vor Gericht widerspiegeln. Zuletzt nimmt Phaidros dann doch von der logographischen Praxis – die eine im Grunde textlose Sphäre implizierte oder zumindest inszenierte426 und auf dem zivischen “ideal of amateurism” beruhte427 – Abstand und greift auf den schriftlichen Text der Rede zurück, da er die Buchrolle in seinem Gewand mit sich führt und in der Folge laut verliest, wobei der Autor Lysias weiterhin als ‚mitpräsent‘ gedacht wird (228e1 παρόντος δὲ καὶ Λυσίου).428 Der Phaidros stellt somit indirekt die auktoriale Partizipation des Klienten im Rahmen der Präsentation einer Rede heraus, der dabei auch auf die eigenen Formulierungen zurückgreifen konnte. Demgegenüber trug das in Schriftform vorliegende corpus Lysiacum den Namen seines deklarativen Autors und wurde dem Lysias auch in der späteren ___________________________

424 Menex. d12-e2 (ἐγὼ χάριν ἔχω τούτου τοῦ λόγου ἐκείνῃ ἢ ἐκείνῳ ὅστις σοι ὁ εἰπών ἐστιν αὐτόν· καὶ πρός γε ἄλλων πολλῶν χάριν ἔχω τῷ εἰπόντι). 425 Dort lautet es: παντὸς μᾶλλον τά γε ῥήματα οὐκ ἐξέμαθον· τὴν μέντοι διάνοιαν σχεδὸν ἁπάντων, οἷς ἔφη διαφέρειν τὰ τοῦ ἐρῶντος ἢ τὰ τοῦ μή, ἐν κεφαλαίοις ἕκαστον ἐφεξῆς δίειμι, ἀρξάμενος ἀπὸ τοῦ πρώτου. 426 Vgl. SCHLOEMANN (2002) 137-139, v. a. in Anm. 8 den Bezug auf R. Harders Konzept der ‚gespielten Mündlichkeit‘, d. h. nur scheinbar einfache und improvisierte Sprache. Hierzu auch THOMAS (1992) 124. 427 So SCHLOEMANN (2002) 140. 428 Dies zeigt die fluide Beziehung der Rezeptions-Modi: Der Text bietet Anhaltspunkte für die mündliche Performanz, doch man kann sich auch wie Phaidros an den Wortlaut der Rede halten. Vgl. THOMAS (1992) 126: “it would be unnecessary, in fact positively unwise, in the classical period, to rely entirely on the final published text for propagation of your life’s work—when the perilously few copies that were made could, unsupported by any public libraries after all, be lost at sea, copied out badly, eaten by worms, or otherwise become totally illegible.”

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Tradition zugewiesen: Während der Logograph im Moment der Performanz der Rede ‚verschwand‘ – sofern es sich nicht um Werbereden handelte –,429 erschien er in Titeln oder Paratexten als verantwortlicher Autor einer im folgenden Prozess der Zirkulation und Überlieferung womöglich stark revidierten Version der Rede.430 Somit bietet die Attische Logographie die folgende Verteilung von Autorfunktionen im Rahmen kooperativer auktorialer Tätigkeiten, wie man sich diese etwa für Lysias’ oratio 1, die Verteidigung des Euphiletos im Mordfall Eratosthenes,431 vorstellen kann: Medialität

Logograph (Lysias)

Klient (Euphiletos)

Mündliche Rede vor Gericht

Exekutiver Autor

Rede als (revidierter) Text

Deklarativer (ggf. revisorischer) Autor

Performativer Autor (dagegen DOVER [1968]: Ko-Exekutiver Autor)432 Sprecher/Erzähler (keine Autorfunktion)

Autorfunktionen korrelieren mit der jeweiligen medialen und kommunikativen Situation: Es ist ein Unterschied, hört man etwa Euphiletos’ Rede in situ, vor Gericht, oder rezipiert man Lysias’ ausgefeilten Text in Form einer Buchrolle. Während Lysias in letzterem Fall zum deklarativen Autor der Rede wird, basierend auf einem Akt der Zuschreibung von Urheberschaft, wird der Klient Euphiletos zum sprechenden ‚Ich‘ (etwa der Eingangs-Worte Περὶ πολλοῦ ἂν πο ιη σ αί μ ην , ὦ ἄνδρες, τὸ τοιούτους ὑμᾶς ἐ μ ο ὶ δικαστὰς περὶ τούτου τοῦ πράγματος γενέσθαι, Lys. or. 1.1) 433 – auf den ersten Blick ein naiver Charakter, tatsächlich ein ___________________________

429 Zur Widerlegung der am Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. populären ‚PamphletTheorie‘ ADAMS (1912). 430 HAFNER (2018) 22. Zur Revision von Reden WORTHINGTON (1991) 57, (1996a) 170177, HUBBARD (2008) 185. 431 In Lys. or. 1 verteidigt sich der Klient gegen den Vorwurf, einen Mann namens Eratosthenes ermordet zu haben, den er angeblich in eine Falle gelockt habe, um ihn beim Ehebruch mit seiner Frau auf frischer Tat zu fassen. Der Angeklagte plädiert dagegen für den rechtmäßigen Totschlag (im Affekt) eines Einbrechers. 432 Hier kann man fragen, ob dem Klienten ebenfalls exekutive Autorschaft zugesprochen wurde, da dieser dem Redner den Tathergang schildern und wichtige Informationen beisteuern musste, die der Logograph in die nötige rhetorisch ausgefeilte Form brachte: DOVER (1968) seinerseits, der kooperative Autorschaft allein im Rahmen der Textproduktion ansetzte, legte den Schwerpunkt lediglich auf diese auktoriale Phase und blendete andere Stadien aus. 433 Die von Lysias’ Sprechern gebrauchten deiktischen Pronomina und Adverbien, die auf die aktuelle Situation und Anwesende vor Gericht deuten (etwa or. 5.3 τούτων, οὗτοι, νυνὶ, 8.1-2 τούτους ὑπὸ τοῦτων, 13.1 πρὸς Ἀγόρατον τουτονὶ, 23.1 τουτῳὶ Παγκλέωνι etc.) sind im Sinne der in Dion. Hal. Lys. 7 dem Lysias bescheinigten ἐνάργεια zu sehen, durch die der Redner die spätere Leserschaft seiner Texte – zu Dionysios’ Zeiten

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hochartifizielles ethopoietisches Konstrukt seines exekutiven oder revisorischen Autors Lysias, der gemäß dem logographischen Prinzip des celare artem bzw. ars latet arte sua hinter dem Text ‚verschwand‘. Doch im Laufe der Überarbeitung und Zirkulation der Rede wurde deren Verfertiger, Lysias, dann zum deklarativen Autor, dessen Name im Titel erschien und dem das Werk fortan zugewiesen wurde:434 “the eventual published text is the result of a long gestation—preparation, perhaps written record, and memorization before delivery, then performance accompanied by improvisation and all the accoutrements of a living spectacle, then finally, possible elaboration for the literary publication of a text.”435

Somit offenbaren sowohl die Chorlyrik des 6./5. Jh. als auch die Logographie des 4. Jh. das Zusammenspiel von Autorfunktionen im Rahmen der Komposition, Aufführung und Zirkulation von Werken, die besonders in der letzten Phase einem bestimmten Urheber zugesprochen wurden. Die jeweilige Analyse eröffnet Perspektiven auf partizipative und multiauktoriale Aktivitäten, die mündliche wie auch schriftliche Phasen umfassten.

3.3 Autorfunktionen im Spektrum von auktorialer Autonomie und Heteronomie Die Aufgliederung antiker Autorschaft in das Strukturmodell der Auteme wirft die Frage nach der auktorialen Eigen- oder Selbständigkeit sowie den Bedingungen auf, unter denen Autoren in Archaik und Klassik überhaupt hervortreten konnten. Verbunden damit ist die Frage, ob sich die Autorfunktionen in ein Spektrum auktorialer Autonomie (oder Selbstbestimmung) auf der einen sowie auktorialer Heteronomie (oder Fremdbestimmung) auf der anderen Seite einordnen lassen oder ob man für die Antike überhaupt von einer autonomen Autor-Konzeption ausgehen kann. ___________________________

– gewissermaßen zu Zuschauern und Anwesenden gemacht habe (τὰ δηλούμενα ὁρᾶν καὶ ὥσπερ παροῦσιν οἷς ἂν ὁ ῥήτωρ εἰσάγῃ προσώποις ὁμιλεῖν). 434 Eine solche nicht-performative, nicht-kooperative bzw. monistische Lesart liegt dem Traktat des Dionysios von Halikarnass Über Lysias (bes. Lys. 8) zugrunde, in dem der deklarative Autor der Redensammlung als nachahmenswerter Meister-Autor erscheint, dem alle technisch-stilistischen Raffinessen wie z. B. Anschaulichkeit zugeschrieben werden (vgl. ἀποδίδωμί […] αὐτῷ) und der die jeweiligen Sprecher seiner Reden (λέγοντες) lebhaft entworfen habe. So erscheint Lysias laut Dionysios bereits als ein lesenswerter Klassiker des logographischen Genres: HAFNER (2018) 25f. Zur damit verbundenen stilistischen Abgrenzung verschiedener deklarativer Autoren, etwa der Redner Lysias und Dinarchos, vgl. Dion. Hal. Über Dinarchos 7. 435 THOMAS (1992) 124f.

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“Our point of departure is the observation of a gap between a ‘strong’ concept of authorship as autonomous agency, original creativity and intellectual ownership, and a ‘weak’ (but historically much more prevalent) concept of heteronomous authorship as a product of cultural networks and their acts of authorization. […] [W]e are interested in historical concepts and practices of authorship, especially in its variously autonomous or heteronomous, ‘strong’ or ‘weak’ (network-based) instantiations.”436

Die bisherige Untersuchung, die sich den Autorfunktionen und deren Zusammenspiel im literarhistorischen Zeitraum griechischer Archaik und Klassik widmete (Kap. 3.1 und 3.2), hat zu erweisen versucht, dass hierfür nicht von einer absoluten, ‚starken‘ Autonomie des Autors ausgegangen werden kann, die sich mit den genannten Formen von “autonomous agency, original creativity and intellectual ownership” verbindet: Wird einem präkursorischen Autor durch die Integration in ein späteres Werk (Kap. 3.1.1) doch eine spezifische Funktion innerhalb der literarischen Archäologie eines späteren Autors zugewiesen, was im Rahmen dieser Autoren-Relation und der entsprechenden Traditionsbildung eher der Nobilitierung des aufnehmenden Autors dient. Auch Loves exekutivem und revisorischem Autem (Kap. 3.1.2, 3.1.4) wurde für den untersuchten Bereich wenig bleibende Anerkennung gutgeschrieben, da der jeweilige Beitrag meist anonym in die Textproduktion und -überarbeitung einfloss oder nur im spatiotemporal begrenzten Kontext einer bestimmten Aufführung Geltung besaß. Ausnahmen illustrieren etwa die Rahmendialoge von Platons Theaitetos (142a-143c) oder Menexenos (236b-d, 249d-e), in denen auktoriale Kooperation oder ‚Werkstätten‘ geschildert werden,437 oder wenn sich eine dominante Autorinstanz durch einen Sprechakt wie „dies schreibe ich“ als Verfertigerin eines Werks präsentiert. Gegenüber diesen – wenngleich ‚schwachen‘ – Formen auktorialer Heteronomie kam allein dem deklarativen Autem, dessen Aufkommen grundlegend an Schriftlichkeit und Textualität gebunden war (Kap. 3.1.3), relative Autonomie zu, da der in einem Titel genannte Autor als Schöpfer des Werks metonymisch mit diesem und für dieses genannt werden konnte (wie im Falle von „Platon lesen“, „Homer sagt“) und somit diese Autorfunktion mehr Geltung und Reichweite als die anderen genannten Auteme besaß: Vergleichbar mit Foucaults fonction-auteur besitzt allein die mit der Nennung des Autornamens verbundene, deklarative Funktion das Potential eines klassifikatorischen Instruments, mit dem sich Werke und Texte gruppieren, ___________________________

436 BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 8. 437 Besonders die platonischen Werke Phaidon, Symposion, Parmenides und der besagte Theaitetos weisen eine verschachtelte Rahmung auf, insofern als ein sokratisches Gespräch darin über mehrere zwischengeschaltete Erzählinstanzen rekonstruiert wird. Dies hat Implikationen für die Zuschreibung von Auktorialität: Kap. 4.3.4.

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abgrenzen, ausschließen oder anderen gegenüberstellen lassen.438 Gleichzeitig ist selbst diesem Autem keine absolute Selbstbestimmung im Sinne der romantischgenieästhetischen Konzeption des Autors als eines autonom handelnden, originärgenialen Schöpfers zuzusprechen, oder im Sinne von Barthes’ Auteur-Dieu, der die (Be-)Deutung eines Werkes absolut dominiert – und als dessen Substitut Barthes den Leser zur bedeutungsgebenden Instanz erklärt.439 Wurde die deklarative Funktion des Autornamens einem Werk doch häufig erst retrospektiv zugewiesen, um eben jenes Werk rückwirkend durch Zuordnung zu einem personalen Schöpfer zu autorisieren und ihm Geltung zuzuschreiben.440 So ist das deklarative Autem für den untersuchten Zeitraum als ein Produkt kultureller Netzwerke und der in diesen wirksamen, autorisierenden Praktiken allein unter der Perspektive ‚schwacher‘ und eingeschränkt wirksamer auktorialer Autonomie zu sehen, 441 während eine absolute Autonomie im Sinne der neuzeitlichen Konzeptionen nicht auftritt.442 Insgesamt sind die Auteme somit also zwischen ‚schwacher‘ Heteronomie (präkursorisches, exekutiv-performatives, revisorisches Autem) sowie ‚schwacher‘ Autonomie (deklaratives Autem) angesiedelt. Doch wie steht es um ‚starke‘ Fremdbestimmung? Diese Frage lässt sich anhand einer prominenten antiken Auffassung vom epischen Sänger klären, der hiervon ausgehend in späterer Zeit als Prototyp des heteronomen Autors galt. Diese folgenschwere Ansicht beruht besonders auf Sokrates’ harscher Kritik an Dichtern und Rhapsoden im platonischen Ion (533d1-534e5): {ΣΩ} ἔστι γὰρ τοῦτο τέχνη μὲν οὐκ ὂν παρὰ σοὶ περὶ Ὁμήρου εὖ λέγειν, ὃ νυνδὴ ἔλεγον, θεία δὲ δύναμις ἥ σε κινεῖ […]. διὰ ταῦτα δὲ ὁ θεὸς ἐξαιρούμενος τούτων τὸν νοῦν τούτοις χρῆται ὑπηρέταις καὶ τοῖς χρησμῳδοῖς καὶ τοῖς μάντεσι τοῖς θείοις, ἵνα ἡμεῖς οἱ ἀκούοντες εἰδῶμεν ὅτι οὐχ οὗτοί εἰσιν οἱ ταῦτα λέγοντες οὕτω πολλοῦ ἄξια, οἷς νοῦς μὴ πάρεστιν, ἀλλ’ ὁ θεὸς αὐτός ἐστιν ὁ λέγων, διὰ τούτων δὲ φθέγγεται πρὸς ἡμᾶς. […] οἱ δὲ ποιηταὶ οὐδὲν ἀλλ’ ἢ ἑρμηνῆς εἰσιν τῶν θεῶν κτλ. ___________________________

438 FOUCAULT (1969/2000). 439 BARTHES (1968/2000). 440 LOVE (2002) 45: “Every time they attach a name to an anonymous text they are making a retrospective bestowal of declarative authorship.” 441 Zu antiken Text-Netzwerken SELDEN (2010); zu digitalen Autor-Konzeptionen BIGGS/TRAVLOU (2015) 32 (“creativity can be proposed as an activity of exchange that enables (creates) people and communities”). 442 Zu (relativer) auktorialer Autonomie durch Nennung des Autornamens in der Dichtung Kap. 4.3.2, zur Prosa des 6./5. Jh. Kap. 4.3.3. Die Ausdifferenzierung in exekutive, deklarative und revisorische Auteme (wobei es zur Personalunion kommen konnte, nicht musste) trennt jedoch auch diese Werke vom späteren, monistischen Geniekonzept. Selbst die Prosa-Korpora Xenophons und Platons (Kap. 4.3.4), in denen es zu einem virtuellen Rückzug des Autors aus dem Werk und zugleich zu einer auktorialen Allpräsenz kommt, gehören nicht in diese Kategorie.

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Autorfunktionen oder die Frage nach auktorialer Autonomie in frühgriechischer und klassischer Literatur SOKRATES: „Keine Kunst ist deine Fähigkeit, gut über Homer zu sprechen, wie ich eben sagte, sondern eine göttliche Kraft, die dich antreibt […]. Dadurch raubt ihnen [d. h. den enthusiasmierten Dichtern] die Gottheit den Verstand und bedient sich ihrer Dienste, wie auch derjenigen der göttlichen Wahrsager und Seher, damit wir, die wir es hören, wissen, dass nicht sie es sind, die so Wertvolles sprechen, da ihnen ja kein Verstand gegeben ist, sondern dass die Gottheit selbst spricht und mittels ihrer zu uns tönt. […] Die Dichter sind nichts anderes als Deuter der Götter …“

Gemäß dieser platonischen Neudeutung erscheinen Dichter statt als Experten ihres Fachgebiets als Enthusiasten, die gleich Sehern und Orakeldeutern verstandeslos von göttlichen Kräften getrieben werden. Sie fungieren somit als reines Medium einer sie enthusiasmierenden und inspirierenden Gottheit. Wie Sokrates dies am poetisch-physikalischen Bild des Magneten und der Eisenringe festmacht (Ion 535e-536b), 443 werden die Rhapsoden wie die von diesen vermittelten Dichter vom göttlichen Musenwalten erfasst und – fern jeder Selbstbestimmung – zu bloßen „Vermittlern von Dichtungs-Vermittlern“ (535a8 ἑρμηνέων ἑρμηνῆς).444 Dagegen bietet der platonische Phaidros eine Palette verschiedener Formen göttlicher Inspiration – Sokrates wählt den Oberbegriff μανία –, die als Formen göttlicher „Anhauchung“ (ἐπίπνοια) nach bestimmten Kriterien klassifiziert werden (Phaidr. 265a-b): die mantisch-prophetische Inspiration durch Apoll, die zu den Mysterien gehörige Inspiration durch Dionysos, die dichterische Inspiration durch die Musen sowie die erotische Inspiration durch Aphrodite und Eros. Diese Typologie von μανίαι, gegliedert nach den jeweiligen göttlichen Motivatoren, beruht im Phaidros – jenseits eines schwarz-weiß-Schemas – auf einer grundsätzlichen Affirmation göttlichen Wahnsinns (Phaidr. 244a-245a), selbst des DichterWahnsinns, der in Analogie zu den dionysischen Weihen im Sinne einer Hinleitung und Legitimierung des philosophischen Liebeswahnsinns aufgewertet wird.445 ___________________________

443 Die Übertragung poetischer Begeisterung von der Muse über den Dichter und den Rhapsoden bis auf den Hörer vergleicht Sokrates mit einem Magneten, der Eisenringe anzieht und so magnetisiert, dass diese ihrerseits Ringe anziehen und eine Kette aneinandergehefteter Ringe bilden. Damit gilt das Inspirationsmodell nicht nur für die Produktion, sondern auch die Vermittlung und das Verstehen poetischer Texte. Ausgehend vom Dichter über Rhapsoden oder andere mimetische Künstler betrifft dies schließlich auch Zuschauer und Zuhörer. 444 Laut SCHLESIER (2006) 91 potenziert sich so die Fremdbestimmung des Rhapsoden, der ja wieder vom Dichter abhänge: „Grundlage für Platons Analogisierung von Dichter und Rhapsoden ist […] das Verhältnis des Rhapsoden zum Dichter, das durch die Heteronomie des Rhapsoden gegenüber dem Dichter bestimmt wird. […] Da sich die Heteronomie des Rhapsoden darin zeige, daß sein Bewußtsein und sein Verstand an seiner Performance nicht beteiligt sei, genügt es, Bewußtlosigkeit lapidar mit AußerSich-Sein (exô sautou) und Enthusiasmos gleichzusetzen, um den Rhapsoden als durch die Dichtung göttlich begeisterten Ekstatiker zu charakterisieren.“ 445 Hierzu SCHLESIER (2006) 56-60. Zur Inspiration bei Platon MURRAY (1996), LEDBETTER (2003) 78ff.

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Während die Dichter im Phaidros in Anlehnung an die dionysischen Weihen nicht als vollständig vernunftlos erscheinen, liegt im Ion eine absolute Heteronomie vor: Daraus ergibt sich die Frage, ob das Inspirationsmodell des enthusiasmierten Autors bei Platon aufgrund von dessen diviner Legitimierung dennoch positiv zu deuten sei, da Dichter wie Seher sehr Wertvolles (Ιon 534d2-3 heißt es οἱ ταῦτα λέγοντες οὕτω πολλοῦ ἄξια) verkündeten,446 oder ob die Dichter zu vernunftlosen Werkzeugen der Gottheit bestimmt sind und aufgrund des Fehlens eigener kognitiver Operationen keine Verantwortung für ihr Handeln übernehmen können,447 wie dies im platonischen Ion evident wird. Beide Positionen wurden rückwirkend auf den homerischen Epensänger übertragen. Wenn der Sänger Phemios auf Ithaka mit einer Hikesie-Geste den rückkehrenden Rächer Odysseus um Gnade bittet, preist er die eigene dichterische Fähigkeit, die ihm nun das Leben retten soll, folgendermaßen (Od. 22.347-348a): αὐτοδίδακτος δ’ εἰμί, θεὸς δέ μοι ἐν φρεσὶν οἴμας παντοίας ἐνέφυσεν· κτλ. “Selbstgelehrt bin ich, ein Gott hat mir in den Sinn Wege des Gesangs, vielfache, eingepflanzt …“

Sehen manche Forscher in diesem poetischen Selbstporträt Primat und absolute Dominanz bei den Musen und das technische Vermögen des fremdbestimmten Dichters als zweitrangig an – der sich Gesänge zwar selbst gelehrt, doch diese nicht selbst erfunden hat –,448 betonen andere den Unterschied zwischen Platons absoluter Autor-Heteronomie und früheren Poetiken,449 wie sie außer dem Epos ___________________________

446 So BARMEYER (1968). Diese Deutung beruht u. a. auf der positiven Darstellung philosophischer μανία als göttlichem Wahnsinn im Phaidros, etwa Phaidr. 244a, 249a. Die θεία δύναμις erscheint nicht als eine den Dichter von außen fremdbestimmende Macht, sondern als ein inhärentes geistiges Vermögen: BÜTTNER (2000). 447 Zu Konzeptionen des Wahnsinns – sowohl des vernunftlosen Dichterwahnsinns im Ion als auch des zu logischen Denkleistungen befähigenden, philosophischen Wahnsinns im Phaidros – WESTERMANN (2002) 215ff. 448 In diesem Sinne FORD (1992) 34: “Invocations may be read simply as the poet’s claim that he didn’t simply make up the stories he is about to sing. Hence in Phemius’s proclamation the two clauses are synonymous: an inspired poet gets his song from the Muses and so is self-taught in the sense that he gets them from no one else. We should not then let a romantic interest in the creative artist distort the absolute dominance given to the Muses”. Ähnlich LANATA (1963) 14. Vgl. zur Auffassung dichterischer Heteronomie RÖSLER (1980a) 291f., (2011) 208: „Doch geht jedenfalls aus der Berufung auf eine göttliche Herkunft des im Gedicht dargelegten Wissens hervor, dass die Vorstellung bzw. Unterstellung eines autonomen ›Fingierens‹ aufseiten des Dichters anachronistisch wäre.“ In diesem Sinne auch RÖSLER (2014). 449 SCHLAFFER (1990) 26-28 übergeht dagegen zu eilig die Diskrepanzen zwischen der griechischen Dichtung und Platon.

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auch die Dichtung bietet, 450 deren Autoren durchaus selbstbewusste Kooperationen mit Gottheiten eingehen:451 Dabei wird der Begriff der ‚Inspiration‘, der dem homerischen Epos selbst noch fremd ist, vom Zustand der Vernunftlosigkeit, Passivität und Heteronomie abgelöst und in die Sphäre eigenständiger künstlerischer Kreativität gesetzt. 452 Insgesamt erscheint jedoch eine ‚schwache‘ Heteronomie als Mittelweg zwischen auktorialer Unterwerfung und (modern verstandenem) künstlerischem Individualismus als zutreffendste Lösung. Ist es doch “ambivalent as to whether the poet is an independent artist or a medium of the Muses – or, rather, that poetry, like so many other human activities, is subject to the socalled ‘dual motivation’, that is to say, is presented as caused by both humans and gods at the same time.”453

Denn einerseits ist dem Sänger Phemios als Bedingung der Möglichkeit auktorialen Schaffens ein Potential eingepflanzt (ἐνέφυσεν), doch fungiert für dessen Aktivierung eine göttliche Instanz als Katalysator: Hierfür wurde die passende Wendung von der dual/double motivation von Sänger und der diesen inspirierenden Muse gewählt.454 Die Gottheit wird somit Teil einer Autorisierungsstrategie, und Kooperation mit ihr garantiert Wirkkraft und Wahrheitsgehalt der Dichtung.455 In der Dichterstimme des homerischen Epos – exemplarisch für einen großen Teil der archaischen Dichtung –456 sind Muse und Künstler, der gerade in der göttlichen Überhöhung Eigenständigkeit erhält, kopräsent (Kap. 4.3.1). In einem Matrixdiagramm ließe sich abschließend eine Typologie von Autorfunktionen in folgender Verteilung illustrieren, wobei auktoriale ‚Heteronomie‘ ___________________________

450 Auch in Hesiods Theogonie ist der Dichter nicht göttliches Sprachrohr, sondern wird von den Musen gelehrt und ihr Diener (Theog. 100 Μουσάων θεράπων). Vgl. SCHLESIER (2004) 184f. zu Theog. 31b-32 (ἐνέπνευσαν δέ μοι αὐδὴν | θέσπιν, ἵνα κλείοιμι τά τ’ ἐσσόμενα πρό τ’ ἐόντα): „Dieses „Einhauchen“ der göttlichen Stimme ist nun aber in der Darstellung Hesiods keineswegs ausreichend, um den für ihn spezifischen, komplexen Prozeß zu beschreiben, in dem er zum Sänger wurde, und ebensowenig hinreichend zur Kennzeichnung der Spezifika, die im allgemeinen das Verhältnis zwischen Sänger und den Musen auszeichnen sollen.“ 451 Vgl. TIGERSTEDT (1970) 168, MURRAY (1981) 96f. und (1996) 6ff., 235ff. (zur Inspirations- und Dichterkritik). 452 So SCHLESIER (2004) und (2006). 453 KATZ/VOLK (2000) 128. 454 Vgl. bereits LESKY (1961) sowie den Eintrag im Glossar bei DE JONG (2004) xiii: “when an action, thought, or quality is ascribed to both a god and a human being.” 455 LIAPIS (2017) 199 deutet dieses Verhältnis statt als Synergie als aggressiven Antagonismus: HAFNER (2018a) 579. 456 Weitere Beispiele dieses Dualismus sind Archil. fr. 1 W. (Selbstvorstellung εἰμὶ δ’ ἐγὼ θεράπων μὲν Ἐνυαλίοιο ἄνακτος | καὶ Μουσέων ἐρατὸν δῶρον ἐπιστάμενος) sowie 120 W. (οἶδα); ferner Pind. Isthm. 1.1-6 (Theben als indirekte topographische Autorsignatur Pindars [Μᾶτερ ἐμά], dazu Inspirationsbitte an Apollons Insel Delos).

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und ‚Autonomie‘ jeweils mit den Konzepten ‚schwacher‘ und ‚starker‘ Autorschaft in Beziehung stehen:457 Heteronomie schwach

stark

Precursory authorship: “a significant contribution from an earlier writer is incorporated into the work”

Revisionary authorship: wenn das Werk von einem executive author oder anderen Akteuren bearbeitet wird (“e.g. an editor or censor”)

Executive authorship: der Autor als “maker” bzw. artifex; auf Einzelleistung oder Zusammenarbeit beruhend (vgl. performative Autorschaft) Platons enthusiastischer, heteronomer Dichter;458 vgl. Barthes’ scripteur, der Träger oder Kompilator der Tradition ist, eine Textfunktion

Autonomie Declarative authorship: “the author is a “validator””, auch rückwirkend wie bei ‚Homer‘, ‚Mose‘; vgl. Foucaults nom d’auteur, mit dem sich Texte gruppieren, abgrenzen oder ausschließen lassen („Die Funktion Autor ist also charakteristisch für Existenz, Verbreitungs- und Funktionsweise bestimmter Diskurse in einer Gesellschaft“) Genialer Autor der Autonomieästhetik; vgl. Barthes’ Auteur-Dieu, der die Bedeutung eines Werks dominiert

3.4 Resümee Das vorangehende Kapitel hat den operativen Nutzen des Strukturmodells der Autorfunktionen für die Analyse frühgriechischer wie klassischer Literatur diskutiert sowie mit Blick auf die antike Performanzkultur modifiziert: Mittels der ‚Auteme‘ als heuristischer Ausgangsbasis lässt sich im komplexen Gefüge der archaischen und klassischen Literatur keine Vorstellung absoluter Autonomie des Autors rekonstruieren – noch die einer absoluten Heteronomie, wie sie Platons Dichterpolemik unterstellt und wie sie sich in der poststrukturalistischen Auffassung des Autors als eines reinen content provider wiederfindet. Vielmehr äußert sich Autorschaft für den untersuchten Bereich in Form verschiedener kultureller Praktiken und performativer Akte, deren Produktions-, Rezeptions- und Zirkulationsbedingungen zwischen relativ schwacher Autonomie (bzw. relativer auktorialer ___________________________

457 In Erweiterung des bei BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 14 entwickelten Tableaus, unter Einbeziehung der Auteme bei LOVE (2002): In dem Diagramm zur Autortypologie korrelieren heteronomy und autonomy mit den Konzepten schwacher (weak) und starker (strong) Autorschaft – im Sinne unsicherer bzw. sicherer Attribution. Es ergeben sich vier Korrelationen: strong heteronomy (der Autor als “merely a textual function, a compiler”), weak heteronomy (“author as originator and communicator of texts, tied to rules and conventions”), weak autonomy (“author as creator of immaterial ‘workʼ that is materially presented in the text”) sowie strong autonomy (“author as absolute ruler over the work and its meaning, a genius”). 458 Zu Platons Auffassung einer Dichter-Heteronomie s. Kap. 3.3.

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Heteronomie) zum einen sowie relativ starker Autonomie zum anderen – wie sie etwa bei Nennung oder Zuschreibung eines Autornamens auftritt – oszillieren.459 Das Zusammenspiel der Auteme im Sinne kooperativer Autorschaft und damit die Dissoziierung sowie Assoziierung bestimmter auktorialer Produktions-Rollen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit erscheint insgesamt als eine Grundsignatur der verschiedenen Formen frühgriechischer wie klassischer Werkgenese.460 Von diesen Beobachtungen zu auktorialer Kooperation und Polyphonie ausgehend ist die Herausbildung einer einzelnen, dominanten Textstimme als Gegendiskurs beschreibbar, der im Sinne einer zunehmenden Zentralisierung einzelner Autorstimmen in Texten ab dem 6. Jh. hervortritt und gewissermaßen als Widerstand gegen die kooperative Aufteilung von Autorfunktionen verstehbar ist. 461 Dies korreliert mit den sich stark verändernden medialen Bedingungen – besonders dem zunehmenden Gebrauch der Schrift – sowie veränderten Aufführungs-Praktiken: Durch eine erweiterte Rezeption von Werken ergab sich die Notwendigkeit oder Herausforderung, mit anderen Worten die mediale Möglichkeit, die Stimme des Dichters in dem von nun an zirkulierenden Text zu vermitteln und ‚präsent‘ zu machen. Autoren konnten die Interaktion mit ihrem Publikum, die nun nicht mehr vis-à-vis möglich war, antizipieren und durch den Einsatz werkinterner AutorMarkierungen im Werk, im Sinne ästhetisch modellierter Signaturen, eine ‚virtuelle‘, medial vermittelte Kommunikation kreieren. Dieser Entwicklung, die keineswegs rein linear ablief, widmet sich das folgende Kapitel.

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459 Zur Rolle des Autornamens in der griechischen Literatur CALAME (2004) 37: „Le nom d’auteur en Grèce est donc susceptible à la fois de conférer à un genre et à une tradition poétiques une certaine «agency» poétique et institutionelle; il est aussi susceptible de fixer l’acte de composition du poème dans sa relative autonomie par rapport à son exécution.“ 460 Solche Kooperationen lassen sich anhand des polyphonen Musen-Sänger-Dualismus oder der Kopräsenz präkursorischer oder revisorischer Autoren im Werk beschreiben – wobei die auktorialen Stimmen im Text ein synergetisches, hierarchisches oder agonales Verhältnis eingehen: s. u. Kap. 4. 461 MASLOV (2015) 36f. sieht den Übergang von kollektiver zu posttraditional-individueller Autorschaft durch mediale Innovationen begünstigt. Neue Formen der auktorialen Konturierung erscheinen für ihn als Widerstand gegen die Norm anonymer und für verschiedene Darbietungskontexte abwandelbarer Gedichte, vgl. 51: “an individually author(iz)ed text would resist modification that would make it appealing to historically and socially variable audiences” und 73: “sociopolitical identification was a likely motivation for the survival of a poet’s work through reperformance in the Archaic period. […] In the case of Archaic lyric, the mechanism […] is supplemented by the accumulated authority of a textual corpus that has survived and been in continuous use over decades and centuries”.

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4. AUTORSTIMMEN ODER KONFIGURATIONEN AUKTORIALER PRÄSENZ IM WERK “I think it stemmed from a desire to implicate myself in the machinery of the book. I don’t mean my autobiographical self, I mean my author self, that mysterious other who lives inside me and puts my name on the covers of books. […] The self that exists in the world – the self whose name appears on the covers of books – is finally not the same self who writes the book.”462

Der Schriftsteller Paul Auster spricht im zitierten Passus von einem Autor-Selbst, das vom realen, (auto-)biographisch-empirischen Autor zu unterscheiden sei: von einem mysterious other. Dieses geheimnisvolle ‚andere Selbst‘ ist nicht mit dem Autor des Titels gleichzusetzen („City of Glass von Paul Auster“), sondern als ein imaginäres Autor-Ich gedacht, das erst innerhalb des Textes, im Akt der Kommunikation mit den Rezipienten, zu Tage tritt: Dieses “self who writes the book” erinnert an Wayne C. Booths Konstrukt des implied author,463 mit dem dieser den biographischen Autor als maßgeblichen Leitbegriff der Interpretation abzulösen versuchte, um Autorpräsenz aus rezeptionsästhetischer Sicht als Konstrukt des Leseprozesses zu deuten und um intentional fallacy auszuschließen. 464 Booth schreibt, der Autor “[a]s he writes, he creates not simply an ideal, impersonal “man in general” but an implied version of “himself” that is different from the implied authors we meet in other men’s works. […] Whether we call this implied author an “official scribe,” or […] the author’s “second self”—it is clear that the picture the reader gets of this presence is one of the author’s most important effects. However impersonal he may try to be, his reader will inevitably construct a picture of the official scribe who writes in this manner—and of course that official scribe will never be neutral toward all values.”465

Für Booth stellt der implizite Autor eine notwendige epistemologische Konsequenz des New Historicism dar.466 Der reale oder empirische Autor ist für ihn ___________________________

462 AUSTER (1992) 308, auf die Frage, ob er sein Werk City of Glass als getarnte Autobiographie verfasst habe. 463 BOOTH (1983). 464 WIMSATT/BEARDSLEY (1946) sowie die Einordnung der Intentionalismus-Kritik bei SPOERHASE (2007) 68-79. 465 BOOTH (1983) 70f. Zur Diskussion des implied author SCHÖNERT (1999), KINDT/MÜLLER (2006), (2006a) und das Sonderheft der Zeitschrift Style 45.1 (2011); zur Anwendbarkeit auf die antike Lyrik BUDELMANN (2018) 244ff. 466 Vgl. übersichtlich MASLOV (2015) 48 zum Autor-Verständnis des New Historicism: “New Historicism proposed one model for thinking of an individual, self-fashioning

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dagegen kein Ausgangspunkt mehr. Dem impliziten Autor eines Werks entspricht, gemäß Booths obenstehendem Zitat, dass sich Zuhörer- oder Leserschaft im Zuge subjektiver Rezeptionsprozesse notwendigerweise einen Eindruck von der Person machen, die ein Gedicht oder einen Text geschaffen hat, und somit ein mentales Bild des Verfertigers oder Autor-Architekten konstruieren, der das Werk in seiner Gesamtanlage und makrostrukturellen Organisation angelegt hat (“[the] reader will inevitably construct a picture of the [author] who writes in this manner”). 467 So können selbst anonyme Texte, in denen ein ‚Ich‘ spricht (wie bisweilen in der frühgriechischen Lyrik) oder die einen bloß unauffälligen extradiegetischen Erzähler (wie das homerische Epos) bieten, über einen impliziten Autor verfügen. Booths Konstrukt wurde wiederholt kritisiert,468 doch sind viele der von ihm angestoßenen Überlegungen nach wie vor bedenkenswert. Allerdings bleibt die Konzentration auf einen einzelnen, monistisch gedachten implied author von Texten ebenso unterkomplex und damit ungeeignet für die vorliegende Untersuchung wie Gérard Genettes Konstrukt der ‚Stimme‘ als zentraler Analysekategorie narrativer Texte:469 Auch diese zielt prinzipiell auf ein zentralistisches Textverständnis, in dem ein dominantes Aussagesubjekt im Mittelpunkt steht. 470 Dagegen trifft man gerade in der frühgriechischen wie klassischen Literatur auf die Koexistenz verschiedener auktorialer Stimmen, darunter auch Figurenstimmen – man denke nur an die literarischen Entwürfe von Künstlertum und Subjektivität in den Reden der ___________________________

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“author” alongside a cultural system that enables such self-fashioning”, ferner 40: “In these works, authorship is, as a rule, historicized, rather than taken for granted as a byproduct of literary genius, but it is historicized as a creation of an individual strategically crafting an authorial stance; literary history thus appears as an endlessly iterated effort at selfpromotion.” SCHEIDEGGER LÄMMLE (2016) 58f. sieht den Autor als textuelles Ereignis im Sinne eines Effekts, einer Ordnung des Werks. Zum Autor als Rezeptionskonstrukt NEHAMAS (1986) 688f., (1987) 273 (“Unlike fictional characters, authors are not simply parts of texts; unlike actual writers, they are not straightforwardly outside them”). KINDT/MÜLLER (2006a) 7f. sehen Inkonsistenzen in Booths Konzeption. Offen bleibe, “whether the implied author is (1) an intentional product of the author in or qua the work or (2) an inference made by the recipient about the author on the basis of the work”. Laut LONGOLIUS (2016) 7f. folgt Booths Autor einem zu statischen Rollenbild; dagegen sieht sie in den künstlerischen Selbstentwürfen der Postmoderne eine dynamische “author persona” am Werk, “who is to be invented, positioned, and staged incessantly in the creative process”. Zur ‚Stimme‘ als Werkzeug des narratologischen Begriffsinventars GENETTE (1972) und (1983), beides dt. in GENETTE (2010). Die narrative Instanz der Stimme ist als pragmatische Textfunktion, als Antwort auf die Frage: ‚Wer spricht?‘ verstehbar, die Spuren im narrativen Diskurs hinterlässt. Sie positioniert Erzählerstimmen im Text und bestimmt deren Zeitpunkt, Standpunkt sowie das Verhältnis zur Figurenwelt; mittels werkintern modellierter Anthropomorphisierung bleibt eine Stimme an Vorstellungen einer – auch anonymen – Person gebunden. Zur Kritik an Genettes monistischer Auffassung von ‚Stimme‘ vgl. BLÖDORN/LANGER/SCHEFFEL (2006) 4, auch mit Verweis auf Bachtins Polyphoniekonzept.

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homerischen Odysseus-Figur (besonders Od. 9-12), die als ein in das Werk integrierter ἀοιδός auftritt. 471 Ein entsprechend plurales Verständnis von Autorstimme(n), die neben den zentralen Erzähl- oder Aussageinstanzen verschiedenen Figuren der fiktionalen Textwelt zugewiesen werden können, findet sich bei Monika Fludernik, die auch den pragmatischen Aspekt der Textrezeption im kommunikativen Feld von Autor, Erzähler, und Rezipient (Hörer, Leser) mitberücksichtigt. Sie definiert Stimme als “[t]he linguistically generated illusion of a voice factor which can be defined empirically by a complex set of interrelated textual and contextual features and is corroborated by a mimetic reading of the text that stimulates this projection of a speaker or reflector function.”472

Das vorliegende Kapitel knüpft hieran an, indem darin nach der Konfiguration auktorialer Präsenz in Form von Autorstimmen gefragt wird. Dabei ist häufig eine Vielfalt von Stimmen im Sinne textueller Repräsentationen von Autorfunktionen (wie in Kap. 3 dargestellt) in den Texten wahrnehmbar und präsent. 473 Zugleich geht die Modellierung von Autorstimmen über die in Kapitel 3.1.3 behandelte deklarative Autorschaft hinaus. Denn letzterer unterliegt ein reduktives Attributionsschema, welches die Markierung von Autorschaft auf die bloße Nennung von Autornamen – als Eigen- oder (häufig retrospektive) Fremdsignatur – beschränkt. Damit ließ sich ein Werk auch bei weiterer Rezeption in der griechischen Welt mit einem stabil bleibenden Urheber versehen und die Erinnerung an einen Autor bewahren. Gegenüber dieser monistischen Zuschreibung an einen einzelnen deklarativen Autor, der mit einem Werk verbunden wird, sind werkimmanente Autorstimmen komplexer strukturiert. Dabei handelt es sich um Sprech-Instanzen von Texten, die eine Illusion auktorialer Präsenz beim Publikum erzeugen. Diese können auch bloß schwach konturiert sein, denkt man an die Sängerstimme des homerischen Epos (Kap. 4.3.1), oder sich gar mit weiteren Stimmen überlagern, wenn etwa derselbe Sänger die Hilfe einer göttlichen Instanz in Anspruch nimmt. Gleichwohl wurden im Laufe der Antike werkinterne Autorisierungsmarker häufig mit einem deklarativen Autor, welcher der dominanten Stimme eines Werks entspreche, gleichgesetzt und damit eine komplex angelegte Autorstimme auf einen bloßen Autornamen reduziert. Bereits ab dem 6. Jahrhundert lässt sich beobachten, ___________________________

471 Zum Bild des antiken Künstlers, Autors oder Urhebers im Werk HEDREEN (2016) 54, wo als Merkmale bereits der archaischen Selbstdarstellung “Fictionalization of self, pseudo autobiography, self-incorporation of creator into creative work, and strong characterizations of artisans” genannt werden. Vgl. Kap. 2. 472 FLUDERNIK (1993) 344. 473 LONGOLIUS (2016) 21 sieht im ‚Tod des Autors‘ die Errungenschaft, “that texts are not only the outcome of one author’s voice but also the product of many voices. There is no such thing as one single authority on a text. Instead, there are rather innumerable voices that are clustered in the author’s mind, like an archive of ideas.”

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dass Werke selbst Autornamen aufweisen, um den Prozess auktorialer Zuweisung im Laufe der späteren Rezeption steuern zu können, zumal in dieser Zeit noch kein Verlass war auf supertextuelle oder editorische Markierungen von Urheberschaft außerhalb eines Werks. Somit präfigurierte die komplexe werkinterne Gestaltung auktorialer Präsenz die spätere Entwicklung der deklarativen Autorfunktion. Zugleich weist die Modellierung werkinterner Autorstimmen mehrere Veränderungen auf: So wird in der archaischen Dichtung nach (und parallel zu) der auktorialen Polyphonie des homerischen Epos (Kap. 4.3.1) die Zentralisierung einer Autorstimme im Sinne einer Absorption auktorialer Signaturen (Kap. 4.3.2) wahrnehmbar, die in der Prosa des 6./5. Jh. dann durchaus Booths monistischem Konstrukt des implied author, also der organisierenden Instanz des Textes als einer von den Rezipienten rekonstruierbaren ‚Persönlichkeit‘, nahekommt (Kap. 4.3.3); doch unterliegen die Konfigurationen auktorialer Präsenz dem medialen Wandel bis hin zum Buch, das neue Repräsentations- und Attributionsmechanismen von Autorschaft ermöglichte – prominent etwa den virtuellen Rückzug des Autors aus seinem Werk in der Prosa des 4. Jh. (Kap. 4.3.4). ‚Stimme‘ deutet in den untersuchten Phasen auf die im Text wahrnehmbare Identität und ästhetische Markierung auktorialer Präsenz im Sinne einer anthropomorphen personalen Illusion, durch welche die raumzeitlich entfernte Rezeption zu einem gewissen Grad kontrolliert und die Autonomie des Autors innerhalb des kulturellen Netzwerks auktorialer Aktivitäten abgesichert werden konnte. Damit integriert die Vorstellung von Autorstimmen neben der ästhetischen Modellierung in Werken auch die Aspekte Authentizität und Autorität: In einem Zeitalter unkontrollierbarer und fehlerbehafteter Zuweisung und damit defizitären Autorwissens zeugen sie vom Streben nach auktorialer Autonomie,474 dem in praktischer Hinsicht gleichwohl institutionelle wie mediale Grenzen gesetzt waren. Der im vorliegenden Kapitel unternommenen, chronologisch vorgehenden Analyse der Modellierung von Autorstimmen in frühgriechisch-klassischen Texten (Kap. 4.3) werden unerlässliche Bemerkungen zu den Modi der Erzeugung auktorialer Präsenz, Personalität und Identität (Kap. 4.1) sowie zur Abgrenzung von Autor und Erzähler (Kap. 4.2) vorangestellt.

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474 ‚Autor-Autonomie‘ wird in Kap. 4 textintern, anhand von Autorstimmen, untersucht. Zugleich beruht diese auf textexternen Faktoren, die im Rahmen der Rezeption eine Rolle spielen, wenn Werke von Autoren umattribuiert (‚sekundäre Pseudepigraphie‘) oder von späteren Verfertigern unter dem Namen prominenter Autoren reproduziert (‚primäre Pseudepigraphie‘ bzw. ‚Autorfiktion‘) werden: Kap. 5.1.

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4.1 Vorbemerkungen zu textueller Autorpräsenz, -person und -identität Auktoriale Präsenz wird wahrnehmbar durch die Stimmen von Autoren innerhalb ihrer Werke: Diese erscheinen als poetisch-textuelle Artefakte und sind nicht als direkter Ausdruck mentaler Realitäten eines individuellen empirischen Autors zu verstehen.475 Solche Autorpräsenz drückt sich in einem Werk, zu dessen Bedeutung sie beiträgt, ästhetisch – d. h. sprachlich – aus und kann so prominent hervortreten, dass sie, basierend auf eben jenen ästhetischen Spuren im Werk, 476 für die Rezipienten als personale Instanz wahrnehmbar wird.477 Die Selbstpositionierung des Autors im Text ist historisch geformt: War die performative Situation archaischer Dichtung ursprünglich durch die Realpräsenz des Autors am Ort der Feier gekennzeichnet, ergab sich durch die Möglichkeit einer erweiterten Rezeption auch die Notwendigkeit, die Autorstimme in das mobile Medium des Textes einzuschreiben und den Autor damit zumindest virtuell wieder ‚präsent‘ zu machen.478 Dies zeitigte Verluste sowie Gewinne: Mit dem Distanz___________________________

475 Zum Rezeptionsprozess des mentalizing (“the human ability to form impressions of other people’s mind-states”) in der Lyrik, wodurch die geistigen Zustände eines impliziten und projizierten Autors rekonstruiert werden, BUDELMANN (2018) 243-252. 476 In ihrer rezeptionsästhetisch geprägten Studie zu Autorpräsenz und -stimmen literarischer Texte macht SARIG (2001) sechs Merkmale von Autorpräsenz aus: Vertrauenswürdigkeit (sincerity), Selbstoffenbarung (self-revelation), Kreativität und Innovationskraft (creativity & innovativeness), Intensität bzw. Eindringlichkeit (intensity), Interaktivität mit Blick auf Rezipienten (interactivity), sprachliche Herausgehobenheit durch Einsatz poetischer Mittel (use of poetic devices). Analysen auktorialer Präsenz in antiken Texten bieten ähnliche Kataloge: MORRISON (2007) 36 eruiert die sechs Elemente “quasi-biography [d. h. Hinweise auf eine extratextuelle Autor-Existenz], the development of consistent narratorial personas across an author’s corpus, the relationship of such a narratorial persona to the historical author’s biography, the creation of an impression of extempore composition by the narrator, the depiction of the narrator’s relationship with the Muses, and characteristics such as the use of emotional and evaluative language by the primary narrator”; vgl. PEIRANO (2013) 280: “Self-quotation, self-correction, and self-allusion are thus primary vehicles for conveying the controlling presence of the author in the text.” 477 Laut ECO (1992) ist der Modus des Lesens im Anschluss an die Rezeptionsästhetik ein kontinuierliches Anstellen von Vermutungen. Rezipienten generieren Bedeutung, indem sie im Text eine autoritative Stimme konstruieren, deren Intention ebenfalls Bedeutung zugewiesen wird. Vgl. PEIRANO (2013) 253: “The author thus constructed is a figure of reading or understanding that is activated to some extent in all texts.” 478 Vgl. dagegen den inzwischen überholten Ansatz bei RÖSLER (1980a), der ein fiktionales ‚Ich‘ nur unter den Bedingungen der Schriftkultur für möglich hielt. Konnte sich im Rahmen mündlicher song culture doch die fiktive Biographie einer werkimmanten Autorfigur entfalten (Kap. 4.3.1). Unterschiede in der auktorialen Selbstdarstellung beruhen statt einseitig auf medialen Determinanten eher auf der Funktion eines Werks,

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medium Schrift ging der authentische Bezug des real anwesenden Autors zu den ebenfalls anwesenden Rezipienten verloren; dafür gewann die über den Text vermittelte Kommunikation mit potentiellen Rezipienten479 an raumzeitlicher Reichweite. Durch die Interaktion mit einem differenzierteren, nicht mehr ermittel- oder kontrollierbaren, panhellenischen (Lese-)Publikum wurde die literarische Kommunikation anonymisiert, doch lief die Kontaktverbindung zwischen Autor und Rezipienten weiter über die kontextuellen, etwa institutionellen, oder die medialen, etwa paratextuellen, Mechanismen beginnender Textverbreitung und des frühen Buchmarkts. Der Verlust auktorialer Realpräsenz und die aus medialer Perspektive innovative Präsenz des Autors im Text wird in Platons Phaidros, prominent in der Schriftkritik, behandelt, wo Sokrates beklagt (Phaidr. 275d9-e5): ὅταν δὲ ἅπαξ γραφῇ, κυλινδεῖται μὲν πανταχοῦ πᾶς λόγος ὁμοίως παρὰ τοῖς ἐπαΐουσιν, ὡς δ’ αὕτως παρ’ οἷς οὐδὲν προσήκει, καὶ οὐκ ἐπίσταται λέγειν οἷς δεῖ γε καὶ μή. πλημμελούμενος δὲ καὶ οὐκ ἐν δίκῃ λοιδορηθεὶς τοῦ πατρὸς ἀεὶ δεῖται βοηθοῦ· αὐτὸς γὰρ οὔτ’ ἀμύνασθαι οὔτε βοηθῆσαι δυνατὸς αὑτῷ. „Und ist er einmal geschrieben, treibt jeder Text sich überall herum und zwar in gleicher Weise bei denen, die ihn verstehen, wie bei denen, die es nichts angeht, und er weiß nicht, zu wem er reden soll und zu wem nicht. Beleidigt und zu Unrecht kritisiert benötigt er stets seinen Vater [d. h. den Autor] als Helfer, denn er kann sich weder dagegen wehren noch sich selbst zu Hilfe kommen.“

Die Frage über den richtigen, verantwortungsvollen Umgang mit Texten, die ohne das Beisein ihres Urhebers frei zirkulieren, ergibt sich aus der Diskussion des Sokrates mit Phaidros über eine Rede des Lysias, den ἐρωτικὸς λόγος.480 Obwohl

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die je nach Genus, Konvention, Sitz im Leben und Rezeptions-Modus oszillierte: A. D. MORRISON (2007) 57. 479 MASLOV (2015) 92 sieht Autorpräsenz, im Sinne einer Neuerung gegenüber traditionell unmarkierter, performativer Autorschaft, gerade in dieser vermittelnden Rolle: “In contrast to the history of the concept of poet-performer, it is less obvious how diegetic framing pertains to the processes of individuation of the author-function. I use this term to refer to the visible marks of the presence of the author as a mediating instance in discourse”; ferner UHLIG (2016) 125 (wie Maslov ausgehend von Pindars Epinikien): “the categories of genre and tradition become entwined with the vision of a living poet, a man to whom verses can be ascribed and whose presence is conjured by the words composed in his voice. As the poet himself recedes from the physical space of performance, the figure of the author as a living man behind his song becomes a necessary possession of his poetry.” 480 An der Rede des Logographen Lysias veranschaulicht Platon im Phaidros den Umgang des Philosophen mit fremden λόγοι. Den Verlust des authentischen Bezugs von Autor und Aussage kann allein philosophisches Prüfen ausgleichen, indem es λόγοι durch Dialektik zu authentischer Rede werden lässt: NIGHTINGALE (1995) 133-171.

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Lysias, der „Vater der Rede“ (257b1-3 τὸν τοῦ λόγου πατέρα),481 selbst nicht leibhaftig präsent ist, wird im selben Dialog (228e1) die mediale Präsenz des Lysias vermittels seiner Rede thematisiert, für die der Autorname metonymisch steht (παρόντος δὲ καὶ Λυσίου). Diese Autorpräsenz muss für die vom Prinzip der Auralität, besonders der mündlichen Rezitation von Werken, geprägte Antike gerade durch die Praxis des lauten Verlesens gefördert worden sein: Die Illusion personaler Präsenz des Verfassers konnte durch die Stimme des rezitierenden Akteurs ‚evoziert‘ werden.482 Dies implierte zeitliche Rückbezüge auf eine reale Schöpferfigur außerhalb des Textes, die für diesen verantwortlich zeichnete; ein solcher Bezug basierte jedoch besonders auf der Autorstimme innerhalb des Textes, und damit der Illusion einer ‚realen‘ Persönlichkeit: “indications of authorship are not immune from the paradoxes shared by all representations, which, while claiming to reproduce reality, create only an illusion of the real.”483

Ein solch illusorischer Verweis-Charakter auf eine bestimmte Wirklichkeits-Struktur außerhalb des Textes oder, in diesem Fall, eine historische Autorfigur und deren real erlebte Erfahrungswelt, muss als ein reines Zeichen des Textes jedoch unbestimmt und offen bleiben: “Though its authenticating power has been traditionally grounded in its ability to reference something outside of itself – the lived experience of the author – this act of reference is entangled in the ambiguity which is characteristic of all mimetic activities, that whereby any sign can, but (crucially) need not, correspond to a reality.”484

Autorstimmen als Illusionen von Präsenz überbrücken die spatiotemporale Distanz zwischen Autor und Publikum sowie zwischen Produktion und Rezeption: So wird Platons Rhapsode Ion im gleichnamigen Dialog (Ion 535b-c), wie er auf Sokrates’ Frage hin bestätigt, exakt in die Zeit und den Raum der Handlung, nach Troia (im Falle einer Wiedergabe der Ilias) oder Ithaka (im Falle einer Wiedergabe der Odyssee), ‚transportiert‘:485 Indem der Rhapsode selbst gewissermaßen in Zeit ___________________________

481 Die Phaidros-Textstelle lautet: ἐν τῷ πρόσθεν δ’ εἴ τι λόγῳ σοι ἀπηχὲς εἴπομεν Φαῖδρός τε καὶ ἐγώ, Λυσίαν τὸν τοῦ λόγου πατέρα αἰτιώμενος παῦε τῶν τοιούτων λόγων κτλ. 482 Vgl. EDMUNDS (2009) 100: “the illusion of the presence of the writer would have been strengthened by the practice of reading aloud.” 483 So PEIRANO (2013) 281 zum Autor als Textkategorie und einem erklärungsbedürftigen kulturellen Phänomen. 484 PEIRANO (2013) 275. 485 Pl. Ion 535b1-c3 {ΣΩ.} Ἔχε δή μοι τόδε εἰπέ, ὦ Ἴων, καὶ μὴ ἀποκρύψῃ ὅτι ἄν σε ἔρωμαι· ὅταν εὖ εἴπῃς ἔπη καὶ ἐκπλήξῃς μάλιστα τοὺς θεωμένους, […] τότε πότερον

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und Raum der homerischen Welt ‚reist‘ und darin präsent ist, macht er diese auch den Zuhörern gegenwärtig – und anschaulich (535c ἐναργές). Während der Autor aus der Perspektive der Rezeption nämlich einer Vergangenheit angehört, scheint durch Autorstimmen und generell Markierungen von Autorschaft (Kap. 4.3.2) eine zeitliche Präsenz und Gegenwart erzeugt, die man mit Derrida als eine Form der ‚Jetztheit‘ (maintenance) bezeichnen kann, in welcher ein Schreiber oder Autor durch das Textmedium anwesend bleibt: „Eine schriftliche Unterzeichnung impliziert per definitionem die gegenwärtige oder empirische Nicht-Anwesenheit des Unterzeichners. Aber, wird man sagen, genauso kennzeichnet und wahrt sie auch sein Anwesendgewesen-Sein in einem vergangenen Jetzt, das ein zukünftiges Jetzt bleiben wird, also in einem Jetzt im allgemeinen, in der transzendentalen Form der Jetztheit (maintenance).“486

Aus der produktionsästhetischen Autoren-Perspektive richtet sich das Einschreiben einer Illusion von ‚Jetztheit‘ und Präsenz in einem Werk an ein zukünftiges Publikum.487 Explizit wird dies etwa in der Kyrnos-Signatur des corpus Theognideum, welche die dauerhafte Präsenz des Gedichts in performativen Kontexten, besonders bei künftigen Symposien, garantiert: οὐδέ τις ἀλλάξει κάκιον το ὐ σθ λο ῦ π α ρ εό ν το ς (V. 21) deutet, betrachtet man es als genitivus absolutus mit konditionaler Färbung,488 auf die auktoriale Präsenz (παρεῖναι), die durch das Aussprechen der Signatur in einem neuen Aufführungs-Rahmen erzeugt wird. Dies wird auch in V. 239-240 deutlich, wo erst die Impersonierung der AdressatenSignatur der elegischen Dichtung Dauerhaftigkeit verleiht (θοίνηις δὲ καὶ εἰλαπίνηισι π α ρ έσσ η ι | ἐν πάσαις πολλῶν κείμενος ἐν στόμασιν).489 ___________________________

ἔμφρων εἶ ἢ ἔξω σαυτοῦ γίγνῃ καὶ παρὰ τοῖς πράγμασιν οἴεταί σου εἶναι ἡ ψυχὴ οἷς λέγεις ἐνθουσιάζουσα, ἢ ἐν Ἰθάκῃ οὖσιν ἢ ἐν Τροίᾳ ἢ ὅπως ἂν καὶ τὰ ἔπη ἔχῃ; 486 DERRIDA (1971/1988) 349. 487 Vgl. hierzu PEIRANO (2013) 256: “Such authorial maintenance is always proleptic, created and intended for the consumption of readers in the future from the point of view of composition. Signatures are thus primary foci for scenes of reception, allowing authors to stage projected encounters with their audiences.” 488 So BAKKER (2017b) 108f. mit Blick auf Svenbro, der übersetzte: “and no one will change them for the worse provided the esthlós one is present”, und so das Adjektiv ἐσθλός als Teil eines genitivus absolutus deutete, das in seiner Referenzialität unbestimmt bleibt. FORD (1985) 82 ging dagegen von einem genitivus comparationis bzgl. κάκιον aus (“and no one will substitute something inferior for the esthlón [genuine] thing that is there”). 489 Gleichsam als Begründung folgt auf dieses παρεῖναι (dort: παρέσσηι) in V. 241-243 καί σε σὺν αὐλίσκοισι λιγυφθόγγοις νέοι ἄνδρες | εὐκόσμως ἐρατοὶ καλά τε καὶ λιγέα | ἄισονται (wobei die immer jungen Männer [νέοι] künftige Generationen bezeichnen, die der Aufführung beiwohnen). In der Nestor-Rede der Dolonie erscheint die Präsenz bei Festmählern synonym mit zukünftigem Ruhm (Il. 10.217: αἰεὶ δ’ ἐν δαίτῃσι καὶ εἰλαπίνῃσι π α ρ έ σ τ α ι ).

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Aus Sicht der späteren Rezeption lassen sich dagegen ein Verlangen nach Autorpräsenz und der Wunsch nach einer personalen, anthropomorphen Figur feststellen. Hier ist ein Passus aus Plinius’ Naturalis historia (35.9) aufschlussreich, in dem von der Neuheit die Rede ist, Porträts oder Statuen berühmter Dichter und Denker in Bibliotheken – eine zuerst von Asinius Pollio in Rom etablierte Praxis – aufzustellen, um sich diese plastisch vor Augen zu führen: Non est praetereundum et novicium inventum, siquidem non ex auro argentove, at certe ex aere in bibliothecis dicantur illis, quorum inmortales animae in locis iisdem locuntur, quin immo etiam quae non sunt finguntur, pariuntque desideria non traditos vultus, sicut in Homero evenit. „Man darf auch die neu erfundene Praxis nicht übergehen, dass Bilder, wenn schon nicht aus Gold oder Silber, so doch jedenfalls aus Bronze in Bibliotheken denjenigen zugewiesen werden, deren unsterbliche Geister an denselben Orten sprechen. Ja, es werden sogar Porträts entworfen, die jeglicher Grundlage entbehren, und die Formen des Verlangens bringen sogar Gesichter hervor, zu welchen die Überlieferung schweigt, wie dies bei Homer der Fall ist.“

In der Tat konnte ein solches „Verlangen“ (desiderium) nach einem persönlichen Autorprofil – und handelt es sich bloß um eine durch die Rezipienten postulierte Figur –490 bis hin zu Personenkult und Verehrung an bestimmten Orten reichen.491 Die Personalisierung im Sinne der Suche nach oder des Aufspürens einer ‚extratextuellen‘ Persönlichkeit des Autors fand ihren exzessiven Niederschlag noch in der biographistischen Literaturwissenschaft der Moderne, die bis weit ins 20. Jh. fortwirken sollte. Paradigmatisch hierfür ist das Vorhaben des Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Pindars Persönlichkeit zu ergründen. Ihm stand dabei „die Aufgabe vor der Seele, diese Person aus den vielen, zumeist datierten Werken als ein Ganzes herauszuarbeiten“.492 ___________________________

490 Vgl. bei PEIRANO (2013) 251 das Zitat aus Barthes’ Le plaisir du texte (1973, engl. 1975): “As an institution, the author is dead […]; but in the text, in a way, I desire the author: I need his figure” sowie 276 zum Autor als “a conjecture which is formulated in the reading process to some extent irrespective of genre and narrative style”. 491 Zu Dichtern als Kultobjekten CLAY (2004); zur Archilochos-Legende MÜLLER (1985). Zu Dichtergräbern an der Schnittstelle von Autor-Biographie und Literatur GOLDSCHMIDT/GRAZIOSI (2018). Man denke ferner an die hellenistische „Apotheose Homers“ des Archelaos von Priene – vgl. HUNTER (2018) 2 mit Anm. 5 – oder die Ὁμηρεῖα, Homer-Tempel in Alexandria und Smyrna: KIM (2010) 8. Zur Personalisierung ‚Homers‘ in späterer Zeit SCHMITZER (2003) Sp. 32f. (mit weiterer Literatur), vgl. Kap. 5.2. Sowohl (Neo-)Analyse wie (Post-)Oral Poetry versuchten, diese Überpersonalisierung Homers zu dekonstruieren. 492 VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1922) 11. Zur historischen Einordnung des lange Zeit gültigen biographistischen Paradigmas deutscher Philologie RÖSLER (1980) 1418, bes. 14 mit Anm. 11, sowie (1985) 137.

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Hiermit verbunden war die Sichtweise – wie sie sich etwa bei Hermann Fränkel, Bruno Snell oder Max Treu findet –, in der griechischen Lyrik die Ausbildung eines Konzepts von Individualität und Subjektivität sowie ein entstehendes ‚Autor-Bewusstsein‘493 zu erblicken, das in den homerischen Gedichten so noch nicht aufzufinden sei.494 Dagegen erhob sich später die Kritik, dass moderne Kriterien, die zur Definition von Personalität, Subjektivität und Individualität herangezogen wurden, von einer objektiveren, als gesellschaftlich eingebunden und partizipativ verstandenen antiken Auffassung zu trennen seien. Nach letzterer seien soziale Kontexte und Rollen495 höher eingeschätzt worden als nach einem heutigen (westlichen) Verständnis von Autarkie, Autonomie und individueller Unabhängigkeit von als Zwängen begriffenen, traditionellen Gesellschafts-Ritualen. 496 Zugleich ist jedoch auch ein neues Interesse erwacht an archaischen, als ‚präsubjektiv‘, ‚präindividualistisch‘ oder ‚prä-humanistisch‘ verstandenen Konzeptionen, wie sie bereits die im Prinzip von cartesischen Subjektivitäts-Annahmen beeinflussten Zugänge an das homerische Epos (wo ein solches Subjekt gerade noch nicht auffindbar sei) und die frühgriechische Lyrik etwa bei Snell prägten, nur dass diese nun unter neuen Vorzeichen betrachtet werden.497 Gerade aus der Perspektive kooperativer Autorschaft ist jeder auktorialen Identität zugleich – paradoxerweise – ein Moment der Alterität eingeschrieben, wenn ein Autor etwa als Überarbeiter in seinen eigenen Text eingreift oder aber spätere Hände ein Werk allographisch emendieren.498 Häufig referieren Autorstimmen – wie sich paradigmatisch an der Chorlyrik Pindars zeigen lässt –499 statt auf eine individuelle Person vielmehr auf einen Rollentypus, 500 der dabei zwischen der Vermittlung einer repräsentativen Einzel- sowie einer kollektiven, Gemeinschaft repräsentierenden Stimme oszilliert.501 Im letzteren Fall, wie man ihn prominent ___________________________

493 Noch STEIN (1990) widmet ihre Untersuchung dem Auftreten subjektiven auktorialen ‚Bewusstseins‘. 494 Vgl. hierzu HOSE (2003) 44 sowie A. D. MORRISON (2007) 56 mit Anm. 100f. 495 Hiervon muss auch die persona-Theorie, die sich mit Figurenreden in fiktionalen Texten befasst, ausgehen: maßgeblich CLAY (1998), MAYER (2003), auch zu Unterschieden zwischen antiken und modernen Auffassungen literarischer personae. Vgl. TILG (2019). Zu personae in der archaischen Lyrik ferner HOSE (2003). 496 So GILL (1996). 497 Vgl. zu einer Neubetrachtung aus Sicht des New Materialism PURVES (2015) 77ff. 498 Zu durch Revision erzeugten Spannungen zwischen Identität und Alterität MARTELLI (2013) 7-11, 24ff. 499 Dazu CAREY (2017) 34: “By voice I mean specifically the identity constructed by the text. The act of speaking is never neutral, even where the speaker remains unidentified.” 500 Zum ‚Ich‘ bei Pindar in diesem Sinne D’ALESSIO (1994) und bereits RÖSLER (1985). 501 Vgl. CAREY (2017) 53 zu Pindars Kultliedern: “This ambiguous first person authorizing the speaker both as representative of the group and as creator of pleasing song is one of the most elegant instances of voice in cult song which we have.”

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in Pindars Kultliedern antrifft, wird Autorität nicht durch eine einzelne Autorstimme beansprucht, sondern liegt vielmehr im performativen Moment der Aufführung begründet: “Invevitably the modern reader’s eye is drawn to overt speaker-definition and explicit gestures of authority. But though ego statements are the most obvious sources of voice, they are not the only ones. In strictly formal terms some, perhaps many, songs in Greek festivals were actually voiceless and any formal authority is extratextual […]. In these cases the performative context is itself the source of authority. […] [T]he choral voice is the voice of the polis at worship.”502

Eine solche Inklusion und Implikation pluraler Stimmen – die durch das Fehlen auktorialer und Hierarchie anzeigender Marker eine Art Stimmlosigkeit des Textes kreieren –,503 deren Referenzialität auf einer bestimmten Darbietung beruhte, lief mit der Zirkulation des Gedichts jedoch Gefahr, die ursprüngliche, an den spezifischen Kontext gebundene Relevanz einzubüßen: Die Zuschreibung von Identität und somit Autorschaft blieb dann allein der Rekonstruktionsarbeit der Rezipienten überlassen. 504 Dagegen lassen sich die Modellierung dominanter Autorstimmen und das Auftreten auktorialer Signaturen in der archaischen Dichtung als Formen der Hierarchisierung und zugleich als Widerstand gegen sich aufgliedernde Autorfunktionen im Rahmen kooperativer Praktiken verstehen. In diesem Zuge wurden Autorfiguren in die Texte eingefügt, oder (häufig: und) es wurde eine stimmlich stärker konturierte (Sprech-)Instanz etabliert, die etwa durch die häufige Verwendung einer ersten Person Singular wahrnehmbar wurde. Werkinterne Autoritätsmarker fungierten so als Substitut für den Verlust eines ursprünglich situativen Autorwissens, den die Zirkulation und damit die performative Kontextlosigkeit hervorriefen. Der Autoritäts-Anspruch wechselte so von der ursprünglich impliziten, situationsgebundenen Stimme hin zu einer expliziteren Autorstimme des panhellenisch zirkulierenden Werks. 505 Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zuschreibung von Identität und Autorschaft im Verlauf der gesamten Antike stets von Instabilität gekennzeichnet blieb.

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502 CAREY (2017) 38. Vgl. zu postmoderner Künstler-Performanz LONGOLIUS (2016) 42: “representation arises out of a performance by the authors and must be re-performed, time and again, by the recipient.” 503 Bei CAREY (2017) 52f. wird anhand von Aristonoos’ Päan V. 5 (ὕμνοις ἡμετέροις) die “subtle and ambiguous voice” der Autorinstanz diskutiert, da die Wendung es erlaube, “to be heard as an authorial and/or performer voice.” 504 Vgl. PEIRANO (2013) 276 (bzgl. Vergils Rezeption der homerischen Anonymität): “Because of the reader’s desire for the figure of the author, anonymity can thus never be reduced to a complete lack of onymity.” 505 Zu Autorsignaturen im Kontext panhellenischer Zirkulation RÖSLER (1980) 78f., NAGY (1990), BEECROFT (2010) und BOTERF (2017).

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4.2 Autor vs. Erzähler in der frühgriechischen Literatur Statt auf werkimmanente Autorstimmen oder -Figuren zu rekurrieren, stellten frühere Studien zur frühgriechischen Dichtung häufig das explizite Auftreten und die Entwicklung eines vom biographischen (‚realen‘) Autor abgegrenzten Erzählers (primary narrator oder narratorial persona) in den Mittelpunkt. 506 Doch blickt man auf ‚autobiographische‘ Passagen in dieser frühen Literatur, wird eine Differenzierung in Erzähler- und Autorinstanz deutlich erschwert. Man denke etwa an Stellen in Hesiods Werken und Tagen, wo die Erzählung Details über die Autorfigur preisgibt: Wenn Hesiod von seinem Bruder namens Perses berichtet (erg. 633) oder Details wie eine Schiffsreise (erg. 650ff.) genannt werden, scheint eine solche Autorpoietik auf biographischen Fakten des historischen Autors zu basieren und die übergeordnete Erzählinstanz auf der – wenngleich fiktionalen – Autorbiographie zu gründen.507 Da die Erzählung gerade von der Biographie des Autors ‚Hesiod‘ validiert und mit der Autorität der Authentizität ausgestattet wird, erscheint eine klare Trennung von Erzähler- und Autorinstanz jedoch schwierig. Die Konzeption einer Erzähler-persona im Bereich der Klassischen Philologie, die besonders im Zuge der Erforschung (post-)hellenistischer Literatur entwickelt wurde,508 erscheint für den Bereich der Archaik somit eher als ein anachronistisches Konstrukt.509 Selbst der Eindruck von Pseudo-Spontaneität und extempore___________________________

506 Vgl. A. D. MORRISON (2007) 15f., 32f. zur Abgrenzung author-narrator-poet sowie zur starken Erzähler-Autor-Interdependenz, als quasi-(auto)biography aufgefasst, wenn Erzähler Autorwissen bieten, wie etwa Pind. Isthm. 1.1-3 über Theben; doch offenbart dies m. E. gerade die fehlende Abgrenzbarkeit beider Kategorien. 507 Dies führt laut A. D. MORRISON (2007) 32 zum Eingeständnis, Erzähler und Autor seien in der frühen Dichtung kaum abzugrenzen und mittels “narratorial quasi-biography” zu assoziieren. STODDARD (2004) 1-15 argumentiert für eine fiktive Autorpersona Hesiods. Zwar bleiben Rückschlüsse auf historische Autoren spekulativ, doch lässt sich kaum für die strikte Abgrenzung eines Erzählers von einer (generischen) Autorfigur argumentieren. 508 Vgl. CLAY (1998), MAYER (2003), TILG (2019). Zur Problematik der Übertragung moderner auf antike Auffassungen literarischer personae HOSE (2003). Eine Ausnahme ist der Iambos, man denke an Selbstnennungen des Hipponax fr. 32.4, 36.2, 37.1, 79.9 W.: hierzu WEST (1974) 26-28; HEDREEN (2016) 101-134 deutet dies plausibel als Spiel mit fiktionalisierten Autorfiguren im Werk des Hipponax, wodurch etwa Autorität untergraben werde. 509 D’ALESSIO (1994) 138 sieht dichterische und soziale Rolle eng verbunden: “Any distinction between the author’s literary portrait and his ‘real’, or ‘biographical’ image is anachronistic.” Vgl. RÖSLER (1985) 142, der zwischen dem Biographismus der älteren deutschen Forschung und der “extinction of personality” im New Criticism vermittelt: „Questo include naturalmente la possibilità che un autore, che riflette su tali circostanze ed in certo qual modo le utilizza, possa ‘mascherarsi’ completamente, ma in modo del tutto intenzionale, con la consapevolezza che la sua individualità si presenta di norma ai lettori soltanto dai testi, non da un’esperienza comune di vita. In questo

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Komposition einer Erzählerstimme, die als Argument angeführt wird, um eine Trennung von Autor und Erzähler zu plausibilisieren, 510 sind als Marker einer mit Blick auf künftige Darbietung verfertigten und diese antizipierenden Dichtung zu verstehen:511 Im Rahmen der Aufführung übernahmen der oder die Sänger als performative Akteure etwa die Rolle Pindars und impersonierten im Gesang den Chorlyriker bzw. die von diesem entworfenen Sängerstimmen. Modellierten Dichter auktoriale Figuren mitsamt deren Auto(r)-Biographien,512 die andere Akteure wie etwa Sänger in späteren Momenten der Darbietung vokalisierten, dann traten auktoriale (werkinterne) und darbietende Stimmen während der Aufführung in ein agonales Verhältnis. Insofern ist die Priorisierung des narratologischen Modells einer übergeordneten Erzählinstanz, die eine auktoriale Quasi-Biographie entwirft, für die vorliegende Untersuchung zur frühgriechisch-klassischen Autorschaft kaum von Nutzen, es gilt vielmehr die Hypothese: “that the modern instinct to divide author from narrator actually does violence to the fictional conventions of the ancient world, foreclosing the complex and unresolved play between the autobiographical and the fictional modes.”513

Die Fiktionalisierung von Autorstimmen bzw. eines auktorialen ‚Ichs‘ innerhalb frühgriechischer Texte steht im Zusammenhang mit der Impersonierung ebenjener Stimme durch spätere Performer, welche die Rolle und Identität dieser Stimme anund übernahmen sowie diachron fortführten.514 Dabei impliziert die Wiederkehr des Autors, die sich in auktorialen Impersonierungen während einer Aufführung oder durch die Zuschreibung von Autorschaft im Sinne von Sprech- oder ___________________________

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caso la personalità reale dell’autore non viene cancellata, ma, se mai, essa si cancella da sé.“ So A. D. MORRISON (2007) 34 mit Verweis auf Pind. Pyth. 11.38ff. Dies antizipiert die ‚Jetztheit‘ dichterischer Darbietung: vgl. PEIRANO (2013) 255ff. zu dieser Form des zeitlichen Paratexts: “while being in the past from the point of view of readers, the signature retains the appearance of authorial presence”. WHITMARSH (2013) 237, der die Anwendung narratologischer Instrumentarien auf die frühgriechische Dichtung kritisiert, bevorzugt ‚fiktionale Autobiographie‘ statt ‚homodiegetische Erzählung‘, “because these latter terms imply too much investment in the narratological category of the narrator as discrete from the author”. WHITMARSH (2013) 238. WHITMARSH (2013) 244f. argumentiert gegen ein rein narratologisches Modell (“it is the bloodless anonymity of ‘the narrator’ that is particularly intolerable”), da die Abspaltung einer ‚objektiven‘ Erzählerinstanz nicht mit der Sprechakttheorie vereinbar sei, die Sprecher für Faktualität oder Fiktionalität einer Aussage verantwortlich mache: “communication, context-specific as it is, requires that someone should own and be responsible for every utterance.” Das Performanzmodell übersteigt den reinen Erzählakt, doch impliziert der Vorschlag, die Autor-Erzähler-Trennung als “metaleptic play on which pre-narratological fiction depends” zu deuten, die Überwindung eines narratologischen Paradigmas durch erneut narratologische Termini. Kritisch dazu GRETHLEIN (2021) 224-228.

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Singakten ereignete, nicht notwendigerweise die Absenz von Schriftlichkeit oder Textualität (vgl. zusammenfassend Kap. 4.4).515 Die Trennung der beiden Kategorien oder Instanzen ‚Autor‘ und ‚Erzähler‘516 scheint für den hier untersuchten Zeitraum frühgriechischer und klassischer Literatur sowie entsprechend dem hierbei verfolgten Ansatz ausdifferenzierter Autorfunktionen somit nicht ausreichend praktikabel. Eine solche Schlussfolgerung beruht auf mehreren Beobachtungen, die allesamt die exzeptionelle Pragmatik frühgriechischer Dichtung betreffen: Konstruieren in ihr Dichter doch werkinterne Sprecherfiguren, die selbst wiederum als Dichter auftreten, wodurch eine strikte Trennung von Autorstimme und persona loquens problematisch erscheint.517 Dies ist bereits beim homerischen Odysseus, dem eingebetteten Sänger und ‚Berichterstatter‘ des von ihm selbst produzierten Gesangs (Od. 9-12), feststellbar. Odysseus’ auktoriale Selbstvorstellung zu Beginn der Apologe schafft eine spannungsreiche Verbindung mit dem Anfangsproöm des Epos und somit der übergeordneten Autorstimme des Werks (Kap. 4.3.2). Der das Gedicht vortragende Rhapsode gab damit, außer der Stimme des Dichters im Ganzen,518 auch das mit dem Gesamtgedicht in Konkurrenz tretende, lange Binnengedicht des ‚Dichter-Autors‘ Odysseus wieder. In der Situation der Darbietung wurde damit der Sänger der Odyssee identisch mit dem Sänger Odysseus, beide Stimmen erklangen eine Zeit lang unisono.519 Vergleichbar mit dem aus der bildenden Kunst, gerade der präneuzeitlichen Malerei bekannten Darstellungsprinzip der ‚Bedeutungsperspektive‘ im Sinne einer hierarchischen Figurenproportion, bei der die Künstler Figuren innerhalb des ___________________________

515 Zu einer solchen Narratologie der Performanz BAKKER (2009) 118: “When narrative is an act, a performance, the work’s publication is telling.” In der älteren Literatur zur oral poetry deutet Performanz dagegen rein auf den Moment der formelhaften Komposition eines Gesangs, vgl. LORD (1960) 13ff. 516 Diese Differenzierung als Grundlage der Erzähltheorie geht auf das 20. Jh. zurück und wendete sich v. a. gegen die biographistische Methode: FRIEDEMANN (1910), KAYSER (1948) sowie HAMBURGER (1957). 517 So BUDELMANN (2018) 247, ausgehend von Anakreon fr. 402c PMG. Zu auktorialen Figurationen innerhalb der homerischen Epen GRAZIOSI (2013) 9. Zur prinzipiellen Autorzentrierung antiker Erzählstimmen TILG (2019). 518 Zur Vermischung der Stimmen von Dichter und Rhapsode BURKERT (1987) und NAGY (2002). 519 Während die Autorstimme im performativen hic et nunc zum epischen Dichter wird – und etwa in Il. 2.484 ἔσπετε νῦν μοι, Μοῦσαι das Personalpronomen μοι besetzt –, werden Figurenreden wie die der Autorfigur Odysseus mimetisch repräsentiert, ohne dass es zu raumzeitlicher Verschmelzung kommt: BAKKER (2009) 122-125. Zugleich konkurriert die Stimme des Rhapsoden mit derjenigen des Odysseus: BECK (2005), KELLY (2008). Zur Verbindung der homerischen Autorstimme mit dem Sirenen-Gesang HUNTER (2018) 198ff., zu ihrem Antagonismus LIAPIS (2017) 211; zu den Sirenen als iliadischen Autorstimmen in der Odyssee PUCCI (1998).

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Werks gemäß ihrer relativen Relevanz abbildeten,520 stehen auch die Autorstimmen des anonymen odysseischen Sängers sowie des onymen Sängers Odysseus in Od. 9-12, die beide als Produzenten eigenen Gesangs auftreten, 521 in einer spannungsreichen Relation: Die relative Länge und somit Prominenz von Odysseus’ Erzählungen innerhalb des Gesamtwerks verleiht damit auch seiner Stimme und Perspektive eine proportionale Relevanz, die mit seiner Wichtigkeit für das ganze Werk korreliert. Wenn Odysseus schließlich auf Ithaka erfolgreich seinen Bogen bespannt, vergleicht ihn der Sänger mit einem die Lyra mit Saiten bespannenden Aoiden (Od. 21.406-409). Gleichzeitig benötigen Helden wie Odysseus wiederum epische Sänger, die ihre Taten in ruhmvollen Gesang verwandeln. 522 Trotz der markanten Unterschiede zwischen beiden Autorstimmen geht Odysseus’ auktoriales Selbstporträt als ἀοιδός damit insgesamt eine faszinierende Verbindung mit der anonymen Autorstimme des Odyssee-Proöms ein (ausführlich Kap. 4.3.2). Das als kooperativ wie agonal beschreibbare Verhältnis der beiden prominentesten Autorstimmen in der Odyssee offenbart ein bereits archaisches Interesse, mit – wenngleich fiktiven und bisweilen trügerischen –523 Autorfiguren zu experimentieren. Diese wurden als Dichterstimmen von einer übergeordneten Autorstimme impersoniert und traten mit ihr in ein bestimmtes Verhältnis. Im Rahmen dieser autorpoietischen Technik konnten werkimmanente Sprecherfiguren stellvertretend für explizite Autorsignaturen fungieren, wenn, wie gesehen, die entsprechenden Figuren selbst als Sänger oder Dichter auftraten.524 So erscheint eine strikte Trennung der beiden Instanzen ‚Autor‘ und ‚Erzähler’, in anderen Worten die Postulierung einer vom Autor abgesonderten Erzählinstanz, mit Blick auf die hier untersuchten Texte kaum plausibel. ___________________________

520 Figuren und Bildpersonal wurden gemäß ihrer Bedeutsamkeit vergrößert/verkleinert oder mittig/marginal dargestellt, z. B. zentrale Heilige größer und mittiger als Stifterfiguren; erst in der Kunst der Renaissance und mit der Priorisierung der von einem Fluchtpunkt ausgehenden Zentralperspektive achtete man verstärkt auf räumliche Proportionen und wurden naturalistisch-dokumentarische Deutungen relevant. 521 Zu Odysseus poeta GOLDHILL (1991) 1-68; zum Erzählen in der Odyssee u. a. GRETHLEIN (2017). 522 DE JONG (2004a) 24. 523 PEIRANO (2013) 255: “the fact of the authorial signature, now presented and received as an indicator of thruth and now exposed as an emblem of deception, highlights the textuality of the author and its authenticating role as one grounded in literary convention and implicated in the problems shared by all acts of literary reference.” 524 Die narratologische Verhältnisbestimmung der Instanzen ‚Autor‘, Erzähler‘ und ‚Person‘ bei GENETTE (1992) 65-94 („Fiktionale Erzählung, faktuale Erzählung“), bes. 85, wobei zwischen einer Autor-Zentrierung in faktualen sowie einer Erzähler-Zentrierung in fiktionalen Texten unterschieden wird (s. auch GRIBBLE [1998] 46 mit Anm. 38), ist mit Blick auf die in archaischen und klassischen Texten beobachtbare AutorFokussierung und die werkinterne Präsenz auktorialer Stimmen kein geeigneter methodischer Ausgangspunkt. Vgl. GRETHLEIN (2021).

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4.3 Vier Typen der Modellierung von Autorstimmen im Werk Die folgenden Unterkapitel beleuchten vier Typen ästhetischer Ausgestaltung von Autorschaft in Form von Autorstimmen in Werken der frühgriechischen und klassischen Zeit.525 Der Plural ‚Stimmen‘ deutet dabei auf die je unterschiedlich konzeptualisierten Formen kooperativer Autorschaft, die sich werkimmanent anhand einer Unterteilung in göttliche wie menschliche Autorfiguren oder anhand verschiedener Typen auktorialer Zuweisung über internalisierte Sprechakte manifestieren. Ko-Autorschaft im Sinne einer Arbeitsteilung von menschlichen wie auch göttlichen Akteuren – prominent den angerufenen Musen – deutet hierbei in der Regel auf eine imaginäre Kooperation: Durch Verbindungen mit Ko-Autoren geht dabei nur vordergründig ein Verlust auktorialer Autonomie einher, vielmehr schafft das Einreihen in eine prestigevolle Tradition oder ein genealogisches Netzwerk mit anderen Autoren Anerkennung und nobilitiert den Autor und sein Werk. Die Inkorporation heterogener Mitautoren mit verschiedenen, teils übermenschlichen Eigenschaften, was in hybriden Kooperationen resultiert, überträgt die mit diesen assoziierte Autorität auf ein vorliegendes Werk und überhöht dieses mehr oder minder direkt – ohne dass für den untersuchten Zeitraum der Vorwurf eines Plagiats zu fürchten wäre. Neben der Schaffung von Prestige folgt Ko-Autorschaft jedoch auch einem weiteren Zweck: Angesichts der defizitären Begrenzung menschlicher Akteure – was in der Blindheit von Sängern (die Musen gaben dem blinden Demodokos Od. 8.63-64 sein Wissen als Geschenk) oder Sehern einen somatischen Ausdruck findet –, deren Kunst von den Rezipienten kritisch beurteilt werden kann, komplementieren Mitautoren Wissenslücken und begründen die Herkunft eines ansonsten unzugänglichen Wissens. Darüber hinaus eignet sich die Berufung auf andere Autoren (etwa in der Prosa in Form von Rekursen auf Rivalen oder Vorgänger) dazu, deren Erkenntnisse zwar abzuschöpfen und über deren Namen die Glaubhaftigkeit oder den Wahrheitsgehalt von Berichten zu steigern – man nimmt sich Ko-Autoren eher, als dass man dadurch Anerkennung und Verantwortlichkeit abgibt. In der Zeit aufkommender Prosa wird deren Beitrag jedoch oft durch das eigene, vollständigere oder genauere Werk überboten und ersetzt: Benötigt die in der Prosa einsetzende Inszenierung einer one man show im Sinne einer Heroisierung des autonomen Experten-Autors doch den Rekurs auf Vorläufer gerade zum Zwecke einer Beglaubigung eigener Kompetenzen und Dignitäts___________________________

525 Während Kap. 4 werkinterne Autorsignaturen sowie die Modellierung von Autorfiguren als Teil des Designs frühgriechischer wie klassischer Werke beleuchtet, geht Kap. 5 auch auf im Rahmen der Rezeption entwickelte Formen von Autorschaft wie etwa sekundäre Autor-Zuschreibungen ein: Dabei wurden einerseits auktoriale Stimmen verändert oder fortgeschrieben, andererseits rückte auch die Assoziation von Werken mit prominenten Autoren (sowie, im Gegensatz dazu, das Absprechen von Autorschaft) verstärkt in den Fokus.

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ansprüche. 526 Solche Formen kooperativer Autorschaft 527 bringen keine binäre (ternäre etc.) Aufteilung von Prestige mit sich: Vielmehr profitieren Autoren in aller Regel von ihren Verbindungen mit Ko-Autoren. Neben der diachronen Perspektive auf den behandelten Zeitabschnitt, der die Autographie der Autorschaft ausgehend von den epischen Gedichten des 8./7. Jh. bis zur Attischen Prosa des 4. Jh. nachzeichnet, werden die Typen von Autorschaft auch systematisch differenziert. Jeder Typus stellt eine Antwort auf aktuelle mediale Herausforderungen und Möglichkeiten dar und macht sich entsprechend neue Formen der Autorpoietik zunutze. Obwohl der Rekurs auf das Medium Schrift dabei ständig zunimmt, ist doch kein medialer Bruch oder abrupter Übergang von der Mündlichkeit hin zur Schriftlichkeit erkennbar, wie dies frühere Forschung postulierte.528 Vielmehr überlappen sich mündliche wie schriftliche Autor-Aktivitäten und koexistieren in jeder der untersuchten Phasen. Zwar scheint dann mit der im 3. Jh. v. Chr. bereits relativ etablierten Buchkultur und dem komplementären Aufkommen von poeta bzw. auctor doctus sowie lector doctus eine klarere Bruchlinie im Vergleich zu früheren Konzeptionen von Autorschaft im Rahmen der song culture vorzuliegen: “The tendency to explain the distinctiveness of Hellenistic poetry as a result of its being the poetry of and for readers of texts, not listeners to songs, is widespread”;529

doch wird die Auffassung einer medialen Dichotomie sowohl durch die im Hellenismus weiterbestehende Koexistenz authentizitäts- sowie performanzbasierter Autorschaftskonzeptionen 530 als auch dadurch konterkariert, dass bereits ___________________________

526 Zur Analyse von kooperativen Fassaden in der späteren Wissenschaftsprosa WIETZKE (2017). 527 Selbst im Fall diachroner Rückgriffe auf präkursorische Autoren wird diese Form der Ko-Autorschaft in Kap. 4 als synchron behandelt: Autorisiert die partizipative Rolle von Mitautoren in einem Werk doch spätere, deklarative Autoren, die trotz kooperativer ‚Fassade‘ als alleinige Werk-Architekten auftreten. Dagegen behandelt Kap. 5 diachrone Kooperationen in dem Sinne, dass anonyme Autoren ihre Werke früheren Modell-Autoren zuordnen. 528 Bei RÖSLER (1980a) 304f. etwa wurde, mit Berufung auf GOODY/WATT (1968), der mediale Wandel zu einem Paradigmenwechsel und einer Grundbedingung des daran geknüpften Konzepts von Fiktionalität bestimmt. Ferner sieht RÖSLER (2011) 208 alle literarischen Gattungen seit dem 7. Jh. in einem „Sog der Schriftlichkeit“ begriffen. Dagegen dominierte nach HAVELOCK (1963) – vgl. HAVELOCK (1982) – noch bis in das 5./4. Jh. eine Kultur performativer Mündlichkeit, die erst bei Platon ihren Abschluss fand. Hierzu TEFFETELLER (2007) 75-80. Gegen eine klare mediale Bruchlinie THOMAS (1992) und MASLOV (2015) 50 (“the emergence of the author was not a result of a radical break, or a conflict between the communal and the individual”). 529 A. D. MORRISON (2007) 37. 530 Dies zeigen PITTOTO/RASCHIERI (2017) anhand ägyptischer Papyri mit Sappho-Gedichten auf, die teils eine von der Textkritik geleitete Suche nach auktorialer Authentizität, teils alternative performative versions aufweisen.

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archaische Autoren bei der Werkproduktion teils auf Schrift zurückgriffen und so eine zweigleisige Rezeption in Gang setzten.531

4.3.1

Muse, erzähle mir …: Inspiration als Modell kooperativer Autorschaft zwischen Anonymität und Allpräsenz

Die Sängerinstanz der homerischen Epen nennt sich nicht selbst, noch lokalisiert sie ihre Tätigkeit an einem Ort oder in einem Kontext außerhalb der epischen Welt. Durch ihre universalisierte Anlage verweisen die Gedichte somit nicht auf einen spezifischen auktorialen Moment, sondern vielmehr auf die Geschichte ihrer Aufführungen. Die Unschärfe in Bezug auf ihren Autor ist einerseits Folge der universalen Rezeption der Epik sowie wiederum die Ursache später einsetzender Debatten um einen personalen Schöpfer am Beginn der Tradition. Beobachtungen zur Autorstimme des homerische Sängers konzentrierten sich seit jeher auf deren Rückzug in die Anonymität: So schreibt schon Aristoteles in der Poetik (1460a5-6), der Dichter Homer ziehe sich gewissermaßen von der Bühne des Geschehens zurück und lasse seine Figuren für sich sprechen. 532 Die moderne Forschung interpretierte die universale Anonymität der homerischen Epen als Kennzeichen des ‚Heldenepos‘533 und insgesamt der traditionellen Dichtung.534 Durch die selten verwendete Ich-Form spreche ferner nicht der Schöpfer des Werks, sondern die jeweils vortragende Sängerinstanz, die in der Frühphase als Aoide noch mit dem Produzenten identisch war:535 Ohne Ansehen der individuellen Person gebe sie die Stimme der Gottheit wieder. Demnach dient das Inspirationsmodell als Erklärung für die anonyme Stimme des darbietenden Sängers, deren Autorschaft von der göttlichen Musenstimme bedingt werde: So reflektiert

___________________________

531 Vgl. HUBBARD (2004) zu Pindar, ferner THOMAS (1992) 115 und A. D. MORRISON (2007) 38 Anm. 17; allg. NAGY (1990) 405f.; zur kommunikativen Situation im archaischen Epigramm und in der Lyrik SCHMITZ (2010) 41: “the claims for a fundamental difference between oral and written communication are exaggerated and misleading.” Weiteres in Kap. 5.3. 532 Ὅμηρος δὲ ἄλλα τε πολλὰ ἄξιος ἐπαινεῖσθαι καὶ δὴ καὶ ὅτι μόνος τῶν ποιητῶν οὐκ ἀγνοεῖ ὃ δεῖ ποιεῖν αὐτόν. αὐτὸν γὰρ δεῖ τὸν ποιητὴν ἐλάχιστα λέγειν κτλ. Der Sophist Dion Chrysostomos erklärt die Anonymität Homers (or. 53.9-10 v. Armin τὸ μηδαμοῦ γεγραφέναι τὸ αὐτοῦ ὄνομα) mit Homers Erhabenheit und dessen substanzlos-prophetischer Stimme (ὁ δὲ οὕτως ἄρα ἐλευθέριος ἦν καὶ μεγαλόφρων ὥστε οὐδαμοῦ φανήσεται τῆς ποιήσεως αὑτοῦ μεμνημένος, ἀλλὰ τῷ ὄντι ὥσπερ οἱ προφῆται τῶν θεῶν ἐξ ἀφανοῦς καὶ ἀδύτου ποθὲν φθεγγόμενος). 533 BOWRA (1964) 444f. sah in der Anonymität eine Konvention eben dieser Gattung. 534 So WEST (1999) 365f. 535 LATACZ (2001) 19.

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die Sängerinstanz in der Ilias (Il. 2.484ff., vor dem Schiffskatalog) explizit über die Limitiertheit ihrer menschlichen Fähigkeiten.536 Demgegenüber steht eine aktuellere Lesart, welche die relative Autonomie der Dichterstimme in den Epen betont. Nach dieser überblicke die Sängerstimme die gesamte Darstellung und könne geradezu aus einer Position der olympischen Allwissenheit berichten: “Yet as in the Iliad so in the Odyssey, the narrator’s authority is absolute, and the poet expresses no uncertainty when reporting actions, intentions, or motivations.”537

Statt von einer hinter die Ereignisse zurücktretenden, objektiven Sängerstimme – die frühere Forschung um Snell sah in den Epen eine vor aller Subjektivität agierende, objektive Instanz am Werk – auszugehen, unterbricht die Dichterinstanz nach dieser Ansicht die Darstellung der Ereignisse häufiger als zuvor angenommen mit eigenen Beurteilungen538 und vertrete bisweilen einen subjektiven539 bzw. nur scheinbar objektiven540 Erzählstandpunkt; die Dichterstimme werde aus dieser Perspektive besonders durch häufig emotional gefärbte Apostrophen an eine zweite Person oder den Gebrauch deiktischer Marker konturiert. Der Grad poetischer Autonomie des Ependichters steht mit der Frage in Verbindung, woran die Quelle der Motivation und des Wissens festzumachen sei, die das epische Gedicht in Gang setzen, ob beim göttlichen Akteur, der Muse, oder beim menschlich-begrenzten Sänger. Damit steht die hybride Kooperation zwischen den ___________________________

536 GRAZIOSI (2013) 35 stellt eine Verbindung der Ilias-Dichterstimme zu Platons Konzeption des heteronomen Ependichters im Ion her. FINKELBERG (1998) 6f. negiert die kooperative Gleichrangigkeit von Dichter und Gottheit. 537 So MARINCOLA (1997) 3f., mit Verweis auf BOOTH (1983) 4-6; ferner DE JONG (1987) 41-53, (2004a) 13-18 und A. D. MORRISON (2007) 45f. zur “narratorial prominence” Homers; solche Erzähler-Prominenz zeigt sich in der vermittelnden Rolle gegenüber dem Publikum: “The clearest indications of narratorial prominence include explicit commentary on the events or characters in the story, first-person statements by the narrator, addresses by the narrator to the characters in the story, exclamations or other emotional reactions to the narrative etc. Even the Homeric narrator, whom critics often characterise as ‘objective’ in various senses, and who can be described in general as ‘self-effacing’, displays on occasion the most forceful markers of a narrator’s presence” (29). 538 Vgl. u. a. Il. 12.175-176 den Kommentar zur menschlichen Unzulänglichkeit während einer Schilderung, ferner emotionale Ausrufe wie Il. 22.445 νηπίη („Törichte“) oder die Apostrophe an Melanippos Il. 15.582-584. 539 Vgl. DE JONG (1987) 15ff. zur Kontroverse über die Zuschreibung einer subjektiven vs. einer objektiven Erzählposition bei Homer und dem Fazit, “Homer is a far more intrusive narrator than is usually appreciated.” Zum homerischen Erzähler s. auch RICHARDSON (1990), DE JONG (1999), (2004) und (2004a), GRETHLEIN (2017). 540 GRAZIOSI (2013) 11.

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Instanzen, die in der Bitte an die Göttin um (avant la lettre)541 Inspiration manifest wird, im Mittelpunkt. Diese kooperative Beziehung ist konkreter gesprochen auf doppelte Weise hybrid, nämlich in ontologischer – menschliches vs. göttliches Wesen – wie auch in geschlechtlicher Hinsicht – männlicher Sänger vs. weibliche Muse –, was insgesamt in einer komplexen Überlagerung auktorialer Stimmen resultiert.542 Bereits im ersten Vers der Ilias (1.1 Μῆνιν ἄειδε, θεὰ, Πηληϊάδεω Ἀχιλῆος) setzt sich die anonyme Dichterstimme durch den Musenanruf in Szene. Die Aufforderung an die Gottheit zum ἀείδειν („Singen“) verweist auf einen Sänger, dessen herausgehobene Rolle in der Kommunikation mit der Gottheit und der menschlichen Vermittlung göttlichen Gesangs besteht.543 Die Aoidenstimme betont ihren außergewöhnlichen Status durch die Ankündigung monumentaler und gewaltiger Ereignisse, worauf die Adjektive μυρίʼ(α) oder πολλὰς in V. 2-3 deuten; ferner kündet sie von göttlichen Heroen, Heerführern sowie von den Göttern selbst (V. 5 Zeus; Apoll ab V. 9): “Greek heroic poets mystify the process of turning inherited material into new performances by calling on the divinities who supervise their performance, the Muses. The singers’ reliance on the Muses, however, did not limit at all their responsibility for their performance. First, in Homeric epic, at least, the Muses’ function is not primarily to make the song aesthetically powerful, but to ensure its accuracy. Second, since in archaic Greek thought any outstanding achievement required divine favor, and that favor was itself typically a response to the excellence of the human ___________________________

541 Zur Begriffsgeschichte s. SCHLESIER (2004), (2006) in Erweiterung von TIGERSTEDT (1970) und MURRAY (1981). Ferner OTTO (1955) 31ff., RUSSELL (1981) 69-83, THRAEDE (1998), SCHLAFFER (1990). Aus mediävistischer Sicht KLEIN (2006). Zum Musenanruf SUERBAUM (1987), SCHMITZER (2000), SCHINDLER (2013), A. D. MORRISON (2007) 73-90; zur Dichterweihe KAMBYLIS (1965). 542 Eine umgekehrte Hybridität liegt vor beim Verhältnis des Orakelgotts Apoll und der Orakel-Priesterin Pythia. Dies führt zu einem vielschichtigen und polyphonen orakularen ‚Ich‘: HAFNER (2022). 543 Zu Beginn wird das Epos durch eine Inhaltsangabe beworben, indem die DichterStimme die Architektur des Epos und den zentralen Konflikt, der dem Publikum durchaus geläufig gewesen sein dürfte (SCODEL [2002] 90ff.), vorwegnimmt: die μῆνις Ἀχιλῆος (V. 1), die im Streit Achills mit Agamemnon gründet (V. 6-7); dieser ist durch Apolls Eingreifen motiviert (V. 9), das auf der Entehrung seines Priesters Chryses basiert (V. 11ff.). Mit V. 12b setzt die Handlung ein. Die Vergangenheits-Tempora (Aorist/Imperfekt) kennzeichnen die Taten vor Troia als faktual und mythisch ‚wahr‘. Die zeitlich regressive Kausalkette – DE JONG (2004) xiv – nimmt den Inhalt der Handlung vorweg. Man muss mit Blick auf die impliziten Rezipienten, die mit dem Stoff vertraut waren, von einer ‚Wie-Spannung‘ ausgehen: Wie würde der Sänger die histoire wiedergeben? Auf die Vertrautheit der Rezipienten damit deuten die inhaltlichen Leerstellen des Anfangs, wo nur die genannten Figuren sowie in V. 10 ἀνὰ στρατόν auf Troia verweisen (explizit erst V. 19 ἐκπέρσαι Πριάμοιο πόλιν).

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agent, the singer who received help from the Muses was even more praiseworthy.”544

Während die Konventionen der Heldendichtung den Sänger von allzu forschen Innovationen oder Variationen abhalten, kommt ihm gerade durch die Wahl des Themas sowie die Festlegung des inhaltlichen Beginns im Proöm doch ein gewisser Grad an Autonomie zu.545 Die anonyme Stimme, das ‚Ich‘, des epischen Sängers hat keinen Kontext außerhalb der epischen Welt:546 Zwar trifft man auf Musenanruf oder Figuren-Apostrophen, doch enthüllt die singende Instanz dabei nie ihre Identität, was entweder als eposspezifische Konvention oder aber als Charakteristikum der außergewöhnlichen Anlage von Ilias und Odyssee deutbar ist. Doch ist der poetische Autoritätsanspruch gerade an das Gelingen göttlicher Kooperation gebunden; diese ist unablässiger Teil der Inszenierung, wobei die singende Instanz nicht zum reinen Sprachrohr der Muse wird, sondern ihren Rang gerade durch diese erhöht:547 Über die Erinnerung der Musen als übermenschlicher Ressource erhält die menschliche Stimme ihre kognitiv-mnemotechnische Exzellenz sowie ubiquitäre Präsenz. Bittet in Il. 1.1 die ‚schwache‘ Stimme des Sängers um göttliche Hilfe, tritt sie in der Folge zurück. Die Verse Il. 1.8-9, die man als Dialog zwischen menschlicher und göttlicher Stimme fassen kann, markieren einen Übergang: Auf die Frage des Dichters, welcher Gott den Konflikt angestoßen habe, lautet die Antwort der Göttin (Il. 1.9): „Letos und Zeusʼ Sohn“ (d. h. Apollon). Diese ‚dialogische‘ Partie von Ilias-Sänger und Muse geht im Abschluss des Proöms 9-12a nach Art der ‚epischen Regression‘ in die mit γάρ und οὕνεκα eingeleiteten Kausalsätze über, die in V. 12b die Handlung eröffnen: Man kann die Überführung der Antwort in die Erzählung als Überlagerung der Stimmen von Sänger und Muse deuten, die fortan unisono erklingen.548 Kurz vor dem Schiffskatalog des zweiten Buches (2.494___________________________

544 SCODEL (2019) 51. Vgl. SCHWARTZ (1940) 3: „Den wirklichen, mehr oder weniger originalen Dichtern verbot der Stil ihres Schaffens, sich als individuelle Person an die Stelle der Muse zu setzen.“ 545 Das Proöm wird in der antiken Literaturkritik bereits als Teil der Dichtung selbst gesehen: Quint. inst. 10.1.48. 546 Laut SCODEL (2002) 65-89, bes. 88f., garantiert die Autorität der Muse die grundlegende Traditionalität des Gedichts, und zugleich dessen Unabhängigkeit von politischer Vereinnahmung und Patronage, indem die großen Helden der Vergangenheit, und nicht der Lobpreis Lebender, im Zentrum steht. 547 Den Musenanruf sieht RÖSLER (2011) 208 als festes Merkmal epischer Tradition bereits bei Homer. 548 Vgl. GRAZIOSI (2013) 12 (“After the opening inspiration, the poet and the Muse sing in unison: it is no longer possible to distinguish the poet’s voice from that of the goddess”), LEDBETTER (2003) 25 (“their voices are indistinguishable into human and divine elements […]; poet and Muse merge in the transmission of poetry”). Zur fehlenden Trennlinie zwischen primary narrator focalizer und Muse DE JONG (1987) 50-52 und (2004a) 15.

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759) versichert sich die Dichter-Stimme dann in einem Katalog-Proöm (2.484493)549 erneut ihrer Kooperation mit den Musen, indem sie durch ihre Frage, wer denn die Danaer gegen Troia geführt habe – die Antwort der Musen wird effektiv im Katalog gegeben – das Verhältnis einerseits aktualisiert (V. 484 ἔσπετε ν ῦν μοι) und andererseits eine von universaler Geltung wie auch Hierarchie gekennzeichnete Dichotomie zwischen Göttern (‚ihr‘, die Musen) und Menschen (‚wir‘) konstruiert. Diese ist durch den Status der Omnipräsenz und des Allwissens der Zeustöchter (V. 485 ὑμεῖς γὰρ θεαί ἐστε, πάρεστέ τε, ἴστέ τε πάντα) sowie die Wissensdefizite der Menschen (V. 486, vgl. Od. 11.328-329), die auf bloße Gerüchte angewiesen sind, geprägt. Die menschliche Defizienz der Dichter-Stimme wird in V. 489-490550 noch einmal betont (vor ähnlichen Aufgaben kapituliert das Dichter-Ich bei Ibykos, S151.23-31 PMGF),551 ehe sich die Distanz zu den Musen in der Folge, ab V. 493, plötzlich erneut in einträchtige Allianz verwandelt: Gewähren die Musen doch die mnemotechnische Leistung des Katalogs (V. 492 μνησαίαθʼ ὅσοι ὑπὸ Ἴλιον ἦλθον) und überlagern sich ihre Stimmen fortan wieder mit derjenigen des Dichters (V. 493 ἐρέω im Singular). Auffällig ist dabei auch der Wechsel von der singularischen Muse, die im Ilias-Proöm apostrophiert wird (θεὰ, vgl. Od. 1.1 Μοῦσα), hin zum Anruf der Musen im unbestimmten Plural vor dem Schiffskatalog (Μοῦσαι Ὀλύμπια δώματ’ ἔχουσαι | ὑμεῖς γὰρ θεαί ἐστε), die wie in Hesiods Theogonie-Proöm als Gruppe gekennzeichnet werden: Während das Verhältnis mit einer einzelnen Gottheit das intime Vertrauensverhältnis zwischen dem Sänger und seiner Muse signalisieren dürfte,552 wird durch die Kommunikation mit den pluralischen Musen gleichwohl eine verstärkte Wirksamkeit der ___________________________

549 Die Ilias-Verse 2.484-493 lauten: ἔσπετε νῦν μοι, Μοῦσαι Ὀλύμπια δώματ’ ἔχουσαι | ὑμεῖς γὰρ θεαί ἐστε, πάρεστέ τε, ἴστέ τε πάντα, | ἡμεῖς δὲ κλέος οἶον ἀκούομεν, οὐδέ τι ἴδμεν | οἵ τινες ἡγεμόνες Δαναῶν καὶ κοίρανοι ἦσαν· | πληθὺν δ’ οὐκ ἂν ἐγὼ μυθήσομαι οὐδ’ ὀνομήνω, | οὐδ’ εἴ μοι δέκα μὲν γλῶσσαι, δέκα δὲ στόματ’ εἶεν, | φωνὴ δ’ ἄρρηκτος, χάλκεον δέ μοι ἦτορ ἐνείη· | {εἰ μὴ Ὀλυμπιάδες Μοῦσαι Διὸς αἰγιόχοιο | θυγατέρες, μνησαίαθ’ ὅσοι ὑπὸ Ἴλιον ἦλθον·} | ἀρχοὺς αὖ νηῶν ἐρέω, νῆάς τε προπάσας. 550 Vgl. A. D. MORRISON (2007) 73 (“explicitly subordinate to the Muse, and wholly dependent on her for his knowledge of the events of the story”). Das Bekenntnis der eigenen Begrenztheit spiegelt sich in Odysseus’ Erzählungen, besonders den Versen Od. 11.328-330 der Apologe, wo dieser nicht imstande ist, all die Horden der Toten aufzuzählen, die ihm bei der Totenschau begegneten; zur Verbindung mit dem IliasSänger BAKKER (2009) 132. 551 Nur die Musen können die Fülle der Troia-Helden nennen, dem Sänger als θνατὸς ἀνήρ (V. 25) fehlt der Atem. 552 So auch MASLOV (2015) 97, der in der einen, singularischen Muse ein gesteigertes poetisches Selbstbewusstsein erkennt: “Whereas in the Iliad the Muses appear in the plural, in the Odyssey the singular Muse metamorphoses into the performer’s personal inspiring divinity, a crucial element of the aedic self-consciousness.” Zur Anrufung der einen, „hell klingenden“ Muse (λίγεια) in Chorlyrik und Hymnos vgl. ebd. mit Anm. 185.

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göttlichen Gabe an den Sänger thematisiert, der so als ein generell von den Musen geschätzter Dichter hervortritt. Auch in späteren Partien der Ilias trifft man auf explizite (Il. 2.761-762, 11.218220, 14.508-510, 16.112-113) sowie implizite (etwa Il. 5.704-704, 8.273) Fragen an die Musen. Die Kooperation mit den Göttinnen553 verleiht insgesamt auch der Dichterstimme Wissen sowie Präsenz und gewährt ihr eine bemerkenswerte Stellung gegenüber dem Geschehen: Obgleich sie an den weit in der Vergangenheit liegenden Ereignissen der epischen Welt nicht beteiligt ist und heterodiegetisch erzählt, ist sie bei den Schilderungen doch stets präsent und kann vom Olymp wie auch aus Parisʼ Schlafgemach berichten.554 Außer seltenen Helden-Apostrophen oder Kommentaren tritt die anonyme Stimme als covert narrator meist hinter das Beschriebene zurück. Sie erzeugt damit einen unmittelbaren, authentischen Blick auf die Ereignisse: Indem sich die Stimme ‚rar‘ macht, „scheint sich die Geschichte selbst zu erzählen“,555 wie schon Aristoteles bemerkte (poet. 1460a5-6). Dieser vordergründige Kollaps von zeitlich-räumlicher Distanz zum Geschehen ist mit dem defizitären Status der menschlichen Autorstimme nur aufgrund ihrer Kooperation mit den göttlichen Musen zu vereinbaren: Omnipräsenz und Allwissenheit der Musen (Il. 2.485) werden dialogisch ausgehandelt (Il. 1.8-9 sowie 2.484ff.) und auf die Dichterinstanz übertragen.556 Dem Erfolg seiner poetischen Tätigkeit zum Trotz betont der Sänger jedoch die Schwierigkeit „gottgleicher“ universaler Berichterstattung (Il. 12.176 ἀργαλέον δέ με ταῦτα θ εὸ ν ὣς πάντ’ ἀγορεῦσαι).557 Auch im Odyssee-Proöm markiert die Kommunikation mit der singularischen Μοῦσα (Od. 1.1) den Übergang in die Welt der Erzählung, wenngleich die Musen ___________________________

553 PUCCI (2018) 6 sieht die Ilias grundlegend durch hybride (fragile) Kooperationen zwischen Göttern und Menschen, besonders das Handeln des Zeus, motiviert (“With such a request, the Poet’s voice implies that he needs the help of the divine voice for the creation of his work: he opens a communication with the divine world, trusting its permeability and counting on hybrid cooperation.)” Vgl. zu göttlicher agency und Autorschaftszuweisung in der Vormoderne LOVE (2002) 18: “the real issue was the theological one of how to distribute doctrinal authority in cases of collaborative authorship. The ultimate author of Wisdom was, naturally, God.” 554 Vgl. STRAUSS CLAY (2011) 52 über die von der Dichterstimme ausgeübte Kontrolle über parallel und simultan ablaufende Ereignisse, etwa bei Kampfhandlungen (“His remarkable control over the activities of his characters becomes most evident when the narrative splits the fighting into several arenas.”). Ferner GRAZIOSI (2013) 24ff. 555 Dies das berühmte Diktum bei LUBBOCK (1921) 113 über die dramatische Kunstfertigkeit (“the story appears to tell itself”) Guy de Maupassants – als “showman” bezeichnet, der sowohl telling als auch showing beherrscht habe. 556 Vgl. LANATA (1963) 2 und 5f. Ferner DE JONG (1987) 45-53, LEDBETTER (2003) 9ff. 557 Auch philosophische Dichtung kennt die Vergöttlichung des Künders wahrer Dinge, vgl. Emp. 31 B 23.11 DK (ἀλλὰ τορῶς ταῦτ’ ἴσθι, θεοῦ πάρα μῦθον ἀκούσας) und B 112.4 DK (ἐγὼ δ’ ὑμῖν θεὸς ἄμβροτος, οὐκέτι θνητὸς πωλεῦμαι).

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hier weniger präsent sind als in der Ilias;558 suggeriert wird ebenfalls Historizität bzw. Faktualität der Ereignisse, die über die Betonung der exzeptionellen Taten und Leiden des berühmten ἀνήρ zu Anfang beworben werden. Zwar ist die Autorstimme in der Odyssee durch das Pronomen μοι in V. 1.1 stärker personal konturiert und zwar wählt der Dichter eigenständig in V. 1.1-9 den Stoff aus, doch ordnet sich die Stimme in V. 1.10 ebenfalls in eine ‚Wir‘-Gruppe von Rezipienten ein (ἡμῖν), was die menschliche Dimension der Stimme des Dichters oder des Darbietenden559 gegenüber der Muse betont. Wie dieser kommunikative Vermittlungsakt verdeutlicht, ist zugleich menschliches (ἡμῖν) wie göttliches Handeln in die poetische Darbietung des Epos involviert. Die Kooperation mit den Musenstimmen macht den epischen Dichter selbst göttlich, wie sich in der – eigentlich paradoxalen – Verbindung θεῖος (oder θεσπέσιος) ἀοιδός (Od. 17.385; als Epitheton von ἀοιδή Od. 1.328, 8.498)560 zeigt, worin sich in nuce das Zusammenkommen menschlicher und göttlicher Urheberschaft, wie es sich in der liminalen Dichterstimme bündelt, ausdrückt. So preist Odysseus den blinden Sänger Demodokos, nachdem dieser bereits vom Streit zwischen Odysseus und Achill (Od. 8.62-92) und dem Ehebruch von Ares und Aphrodite (Od. 8.256-369) gesungen hatte, als „herausgehoben unter allen Sterblichen“ (8.487) und Liebling der Musen und Apolls (8.481, 8.488), als dieser anhebt, einen exakten Bericht von den Ereignissen vor Troia zu geben:561 Odysseus, der das Besungene ja autoptisch bezeugen kann, lobt besonders die künstlerische Vergegenwärtigung oder Präsentmachung der Geschehnisse (Od. 8.491 ὥς τέ που ἢ

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558 So MAEHLER (1963) 30-34. 559 BAKKER (2009) 134 deutet das εἰπὲ καὶ ἡμῖν gegen Kommentatoren, die das ‚Uns‘ auf den Sänger und sein Publikum beziehen, als nicht nur auf Odysseus (der ja um das selbst Erlebte weiß), sondern auch ein ‚Uns‘ des Publikums bezogen; auf ein implizites Publikum früherer Darbietungen der Heimkehr-Gesänge verweisen NAGY (1997) 188 Anm. 74 und ROSSI (2001) 109 (“In my opinion it means ‘tell the tale to us as well, here and tonight, as you have told it to many others and elsewhere in the past’: the single performance is bound to the hic et nunc”). 560 Zur Göttlichkeit des Sängers FORDERER (1965). Bei Aristoteles (poet. 1459a30) wird das Adjektiv gar auf Homer selbst übertragen (θεσπέσιος ἂν φανείη Ὅμηρος), vgl. auch AG 7.7.1 (Antipater von Sidon). 561 Vgl. Od. 8.486-491 (δὴ τότε Δημόδοκον προσέφη πολύμητις Ὀδυσσεύς· | “Δημόδοκ’, ἔξοχα δή σε βροτῶν αἰνίζομ’ ἁπάντων· | ἢ σέ γε Μοῦσ’ ἐδίδαξε, Διὸς πάϊς, ἢ σέ γ’ Ἀπόλλων· | λίην γὰρ κατὰ κόσμον Ἀχαιῶν οἶτον ἀείδεις, | ὅσσ’ ἕρξαν τ’ ἔπαθόν τε καὶ ὅσσ’ ἐμόγησαν Ἀχαιοί, | ὥς τέ που ἢ αὐτὸς παρεὼν ἢ ἄλλου ἀκούσας).

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αὐτὸς παρεὼν). 562 Dieses geradezu göttliche Wissen legitimiert das besondere Prestige des Sängers.563 Gegen das Diktum, dass „No collaboration can arise where divine authority is involved“,564

ermöglicht die Berufung auf die Musen als kooperative Instanzen mitsamt deren übermenschlichen Eigenschaften doch gerade die Übertragung von deren Autorität auf das vorliegende Gedicht, was insgesamt die Defizite des menschlichen Epensängers komplementiert. Die Göttinnen verleihen Prestige und begründen das Wissen des Dichters von Ereignissen, die dieser selbst nicht sehen oder erleben konnte. Die in den Proömen selbstreflexiv thematisierte565 Kommunikation hat damit die Kooperation mit den Musen zum Ziel. 566 Die dual motivation, in der menschliche wie göttliche Initiative eine Kombination eingehen – wie sich in Phemios’ berühmtem Selbstlob zeigt (Od. 22.347-348a αὐτοδίδακτος δ’ εἰμί, θεὸς δέ μοι ἐν φρεσὶν οἴμας | παντοίας ἐνέφυσεν) – bezeugt diese synergetische Beziehung auf konzise Weise, unabhängig davon, ob man hierbei die Unterordnung unter die Muse oder den dichterischen Autonomieanspruch mehr ins Zentrum rückt. 567 ___________________________

562 Vgl. FORD (1992) 53 und GRAZIOSI (2013) 16ff. BAKKER (2009) 122 betont die Grenzen der Vergegenwärtigung, die in der Performanz-Situation des epischen Gedichts wurzeln: “When narrative is a real life storytelling event, with a ‘me/us-here-now’ firmly in place, it is much more difficult for narrators to relinquish their time, place, and self and to get lodged in another self at another time and place while still talking in their own voice.” 563 Zur Funktion göttlichen Wissens für die poetische Autorisierung in der Epik Homers LEDBETTER (2003) 9-39 (die auf Auerbachs Spuren eine Interpretation verhindernde Poetik der Epen erkennt). Dies äußert sich in Od. 8.470-483 materiell: Odysseus reicht Demodokos Fleisch (GRAZIOSI [2013] 34 Anm. 62). BAKKER (2013) untersucht die anthropologischen Grundlagen dieser Belohnung und stellt die große Bedeutung des Fleischverzehrs für die Werkstruktur der Odyssee heraus. 564 FINKELBERG (1998) 6f., jedoch im Kontext platonischer Kritik und gegen Ansichten, die Platons Abneigung der Mimesis auf die Inspiration durch die Musen – die bei Platon nicht in der Verantwortung stehen – rückbeziehen. 565 MAEHLER (1963) 22 sieht Dichtung erstmals in der Odyssee als „selbständige geistige Tätigkeit“. Doch geht auch der Musen-Einsatz der Ilias auf die Initiative des Sängers zurück, der ja in Il. 1.6 selbst den Anfang (ἐξ οὗ δὴ τὰ πρῶτα) bestimmt. 566 Zu dieser collaboration TIGERSTEDT (1970) 167, MURRAY (1981) 96, SCHLESIER (2006) 54 mit Anm. 27. 567 Heteronomie sehen u. a. LENZ (1980) 27 und FORD (1992) 34 am Werk, Autonomie SCHLESIER (2004) und (2006) sowie anders akzentuiert LANATA (1963) 14 (der Sänger forme den von den Musen gegebenen Inhalt nach seinen Ansprüchen, statt ihn prinzipiell hervorzubringen); LIAPIS (2017) 200 erkennt gar einen Antagonismus des Sängers gegenüber der Gottheit (“Phemius foregrounds his own authorial voice by attributiong his mastery of song to his own poetic skills)”. Vgl. DE JONG (1999) 73 Anm. 9 und die Diskussion bei STODDARD (2004) 61-63.

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Den Wandel einer solchen Synergie in einen blanken Antagonismus des menschlichen Akteurs mit der Gottheit, der seine Fähigkeit vor den Musen behaupten will, verdeutlicht innerhalb des Schiffskatalogs der Ilias die Episode von der Bestrafung des thrakischen Sängers Thamyris, der sich über die Musen erhob und dafür büßen musste, indem ihm die Kunst seines Gesangs (ἀοιδή) genommen wurde (Il. 2.594-600).568 Dieses mahnende Exempel erscheint als ein Gegenmodell zur erfolgreichen Kooperation von Sänger und Muse, die ja den Schiffskatalog im Grunde erst in Gang bringt (V. 2.484-493). Die Episode um Thamyris, die den göttlichen Einfluss auf die Sänger ex negativo problematisiert, stellt somit insgesamt eine deutlich ambivalente Dimension in der Beziehung zwischen dem Dichter und dessen göttlichen Motivatorinnen heraus: Zum einen können Dichterfiguren wie Thamyris durch göttliche Legitimation poetisch-religiöse Autorität und durch die Wiedergabe göttlicher Weisung ein gesichertes Wissen beanspruchen,569 zum anderen will gerade die biographische Tradition, dass sie auf Initiative rachsüchtiger Gottheiten posthumen Ruhm und ihren Status als herausragende Poeten mit teils gewaltsamer Bestrafung und gar Tod vergelten mussten.570 Außer dem tragischen Schicksal des Dichters Thamyris bilden auch die enttäuschten Hoffnungen der Helden-Charaktere gegenüber göttlichem Beistand in der Ilias, besonders angesichts der häufig von Willkür und roher Rachsucht geleiteten Theokratie des Zeus, ein Gegenbild zur erfolgreichen Kooperation des IliasDichters mit den göttlichen Musen: “Contrary to the trust the Poet places in a felicitous hybridism between his and the divine Muses’ voices, the epic events that this voice narrates unfold in such a way that the collaboration between mortals and immortals turns out to be problematic, paradoxical, and often disastrous. […] Epic poetry presented itself as a felicitous channel for the communication between men and gods. Through this divine, open channel we learn, however, about the inconsistency and rarity, even in the heroic age, of a providential, porous, and hybrid cooperation between mortals and immortals. This paradox is inscribed in, and composes, the Poem.”571 ___________________________

568 Vgl. Il. 2.599-600 (ἀοιδὴν | θεσπεσίην ἀφείλοντο καὶ ἐκλέλαθον κιθαριστύν); bei Hesiod (fr. 65 M.-W.; vgl. [Eur.] Rhes. 921ff.) verliert Thamyris sein Augenlicht; dazu LIAPIS (2017) 199: “the more aggressive term “antagonism” [gegenüber “synergy”] better sets out the dynamics of the relationship between god and human performer and helps explain, inter alia, why the relationship, albeit synergistic in principle, sometimes turns sour”. 569 Gegen eine religiöse Dimension SCHLAFFER (1990) 36: „Diese Entzauberung erschüttert auch die religiösen Grundlagen des poetischen Enthusiasmus: Es spricht kein Gott mehr in der dichterischen Rede. Vom ernsten Glauben an den Enthusiasmus des Dichters bleibt nur die Metapher des furor poeticus, des dichterischen Wahnsinns, übrig.“ 570 Einführend zum Verhältnis von Sänger und Muse LANATA (1963), SPENTZOU/FOWLER (2002) 1-28. 571 PUCCI (2018) 7.

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Auch die Odyssee kennt das Gegenbild einer misslungenen Partnerschaft zwischen Mensch und Gottheit als Quelle von Wissen und Gesang: die Verlockung der Sirenen (Od. 12.181-192), die demjenigen, der sich ihnen nähert, durch süßen Gesang (12.187) Freude und größeres Wissen versprechen (12.188 ἀλλ’ ὅ γε τερψάμενος νεῖται καὶ πλείονα εἰδώς). Das Wissen um die Geschehnisse in und um Troia (12.189-190) ist ausgerechnet ein für Odysseus – der als idealer Adressat der Sirenen-Werbung erscheint – attraktives Thema, wie man aus seiner Wertschätzung für Demodokos’ Gesang vom Troianischen Pferd in Od. 8.487-491 erfährt. Ferner parallelisiert dasselbe Allwissen die Sirenen mit den ebenfalls allwissenden Musen (Il. 2.485-486). 572 Nur der im Voraus Informierte, wie eben Odysseus, kann sich vor deren Verlockungen schützen: Wer sich den Sirenen als Quellen von Wissen und Gesang jedoch unbedacht nähert, dem droht der Untergang.573 Auch dies stellt eine negative Kontrastfolie zum positiven Verhältnis des Epensängers und seiner Hauptinstanz für dichterische Inspiration, der mächtigen Muse, dar. Das Herausstellen der Konsequenzen eines desaströsen Verhältnisses zwischen Dichter und Musen – im Kontrast zur erfolgreichen Kooperation etwa im Falle des Ilias-Dichters – kann auch als poetologische Äußerung gelten: Wie in der Ilias selbst Antagonismen und Wettkämpfe zwischen streitenden Opponenten vorgeführt werden – etwa derjenige zwischen Glaukos und Diomedes –, so zeichnet sich auch der Dichter selbst erfolgreicher als mögliche Mitkonkurrenten und andere Performer, und dieser Erfolg – das epische Gedicht selbst – ist gerade die Konsequenz einer günstigen Beziehung zu den göttlichen Förderinnen des Gesangs: “The poet of the Iliad, as an enacter of a muthos, must by this implication be a poet against others, out to obliterate their performances by speaking in more detail, about more topics—in short, in a more monumental fashion than any other epic performer.”574

Die erfolgreiche Kooperation mit den Musen, die sich in der göttlichen Dimension des epischen θεῖος ἀοιδός spiegelt, lokalisiert diesen innerhalb eines Spektrums auktorialer Heteronomie und Autonomie. 575 Doch auch die neben- wie ___________________________

572 Zur Verbindung des Sirenen-Gesangs mit den Musen und dem Inhalt der homerischen Epen HUNTER (2018) 194ff. Zum antagonistischen Verhältnis der Odyssee mit dem Sirenen-Gesang PUCCI (1998). 573 HUNTER (2018) 205 Anm. 27 diskutiert Ansichten, was die Menschen auf der SirenenInsel eigentlich erleiden müssen. 574 MARTIN (1989) 238. 575 Vgl. KATZ/VOLK (2000) 128. Homer selbst wird entsprechend in der Tradition als Musenliebling (im anonymen AG 9.213 neben Nikander) oder -sohn (Sud. ο 251 Adler) betrachtet: eine Überhöhung, die auch Linos (Hes. fr. 305 M.-W.) oder Orpheus zu Teil wurde (AG 7.9.2 [Damagetos]; Him. or. 13.4): Vgl. HOSE (2016b) Sp. 1171 sowie umfassend OTTO (1955) 40-53. Auch die Abstammung Homers von Apollon über

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nachhomerische Literatur arbeitet mit dem Autormodell der Inspiration und besetzt einen Platz innerhalb des Spektrums auktorialer Fremd- und Selbstbestimmung. Erst in Platons Modell betritt der absolut heteronom konzipierte Dichter und Rhapsode, der zwar θεῖος, doch nicht τεχνικός ist, in anderen Worten über kein Fachwissen verfügt (Ion 542b), die Bühne (Kap. 3.3).576 Entsprechend bietet die frühgriechische Dichtung ein breites Spektrum an Formen der hybriden Gott-Mensch-Kooperation – deutlich besonders an den Musenanrufen –, das sich von tendenzieller Subordination unter die Gottheit bis hin zu poetischer Selbstermächtigung erstreckt, woraus sich eine mehr oder minder autonom gestaltete Autorstimme ergibt. Auch die Dichterstimme bei Hesiod ist auf besonderes göttliches Wohlwollen und Inspiration angewiesen – Theog. 31-34 beschreibt die Initiation durch die Musen sowie deren Anweisungen (V. 34 ἐκέλονθ’ ὑμνεῖν).577 Dennoch geht die Kommunikation mit den göttlichen Instanzen, die laut eigener Aussage dem Dichter Trügerisches wie Wahres vermitteln können,578 von Beginn an stärker von der IchStimme des Gedichts aus. So beginnt diese in der Theogonie aus eigener Motivation von den Musen zu singen (V. 1 Μουσάων Ἑλικωνιάδων ἀ ρ χ ώ μ ε θ ’ ἀείδειν)579 – d. h. die Musen gehören hier, im ersten Vers des Werks, zum Inhalt des Gesangs und sind nicht Quelle desselben –580 und bestimmt in den Werken und Tagen unabhängiger und autonomer ihr Zielpublikum und die Art ihrer Belehrung ___________________________

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Orpheus (Cert. 4) oder Musaios (Gorg. 82 B 25 DK) ist belegt: vgl. Zeugnisse des 5. Jh. bei Hellanikos FGrHist 4 F 5 sowie Pherekydes FGrHist 3 F 161. Hierzu vgl. etwa Pl. Ion 536a1-3 (Sokrates’ Ausführungen gegenüber dem Rhapsoden Ion: ὁ δὲ θεὸς διὰ πάντων τούτων ἕλκει τὴν ψυχὴν ὅποι ἂν βούληται τῶν ἀνθρώπων, ἀνακρεμαννὺς ἐξ ἀλλήλων τὴν δύναμιν). ἐνέπνευσαν δέ μοι αὐδὴν | θέσπιν, ἵνα κλείοιμι τά τ’ ἐσσόμενα πρό τ’ ἐόντα, | καί μ’ ἐκέλονθ’ ὑμνεῖν μακάρων γένος αἰὲν ἐόντων, σφᾶς δ’ αὐτὰς πρῶτόν τε καὶ ὕστατον αἰὲν ἀείδειν. Vgl. weitere Musenanrufe Theog. 104ff., 965ff. und STODDARD (2004) 60-97, die die besondere Wahlfreiheit der Autorstimme in der Theogonie betont. Die Aussage der Musen V. 27-28, sie wüssten viel Lügenhaftes zu sprechen, das wahren Dingen ähnlich sei, und auch, wenn sie wollten, die Wahrheit (ἴδμεν ψεύδεα πολλὰ λέγειν ἐτύμοισιν ὁμοῖα, | ἴδμεν δ’ εὖτ’ ἐθέλωμεν ἀληθέα γηρύσασθαι) kann als Polemik gegenüber dem Epos oder als poetische Ambivalenz hesiodischer Dichtung gedeutet werden. Zur Forschungsdebatte zusammenfassend HOSE (2015). Entgegen dem ‚Wir‘ in Il. 2.486, das dort die Mensch-Gott-Dichotomie und die klare Trennung vom göttlichen ‚Ihr‘ illustriert, deutet CHAMBERLAIN (2001) 14f. den Hortativ ἀρχώμεθ’ (vgl. Epigonoi fr. 1 GEF Νῦν αὖθ’ ὁπλοτέρων ἀνδρῶν ἀρχώμεθα, Μοῦσαι) im Sinne eines Auslotens sozialer wie persönlicher Grenzen: “What emerges, in fact, from this oscillation between singular and plural is precisely a sense of the poet’s individual voice spreading itself out, as it were, and arrogating to itself the authority, the dignity and sheer power of multiple voices.” LEDBETTER (2003) 40-61 differenziert die Dichter-Musen-Kommunikation bei Homer (Musen gewähren Zugang zu übermenschlichem Wissen) und Hesiod (Musen als göttliche Modelle, deren Performanz vom Dichter imitiert wird; der Effekt der Dichtung beruht auf der therapeutischen [nicht-kognitiven] Fähigkeit des Dichters).

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(erg. 202 Νῦν δ’ αἶνον βασιλεῦσιν ἐ ρ έ ω φρονέουσι καὶ αὐτοῖς). Gerade die Episode der Initiation des im Theogonie-Proöm (V. 22ff.) in der dritten Person genannten ‚Hesiod‘ in die Musen-Kunst und die Kontaktaufnahme mit den inspirierenden Gottheiten verdeutlichen, wie der Dichter aus der Anonymität hervortritt, im Kontext seines poetischen Projekts selbstbewusst mit den Musen kooperiert und damit das ihm zu Teil werdende Wissen und Prestige legitimiert. 581 Der Sänger erscheint im selben Theogonie-Proöm als stolzer Μουσάων θεράπων (Theog. 100), der sich in der Apostrophe τύνη, Μουσάων ἀρχώμεθα (Theog. 36) in Juxtaposition mit den Musen nennt und diese am Ende des Proöms erneut um die Wiedergabe göttlichen Gesangs und um die Mitteilung höheren Wissens bittet (V. 105 κλείετε, 108 εἴπατε, 114-115 ἔσπετε […] καὶ εἴπαθ’).582 In den Werken und Tagen wird nach Anrufung der Μοῦσαι Πιερίηθεν (erg. 1) und der Bitte, von Zeus zu singen, der höchste Gott persönlich adressiert und um gute Rechtsprechung gebeten, wonach die Autorstimme ihrem eigenen Projekt, der Belehrung des Bruders Perses, Platz einräumt.583 Die Berufung auf den Willen sowie die δίκη des Zeus im Zusammenhang mit der inspirierten Dichtung erinnert an die Selbstaussagen des Phemios in der Odyssee bezüglich dessen poetischer dual motivation,584 wobei bei Hesiod jedoch Zeus höchstpersönlich den Platz der inspirierenden Instanz einnimmt.585 Gegenüber dem universalen Thema der Theogonie scheint in den Werken und Tagen und den Ermahnungen des Perses eine konkreter gezeichnete Autorstimme mit dem Göttlichen in Kontakt zu treten.586 Deren deutlich individuellerer Zug dürfte mit der Wahl einer gegenwärtigen und aktuellen Thematik in Verbindung stehen, wodurch sich die Werke und Tage klar von Dichtung über vergangene Ereignisse abgrenzen, wie sie das homerische Epos bietet, dessen Beschreibung primordialer Verhältnisse die Musen umso mehr zur Vergegenwärtigung des längst Vergangenen benötigt. Entsprechend nimmt die Theogonie in der Beschreibung seiender wie gewesener Dinge eine Mittelstellung ein (Theog. 31-32 ἐνέπνευσαν δέ μοι αὐδὴν | θέσπιν, ἵνα κλείοιμι τ ά τ ’ ἐσσό μεν α π ρό τ ’ ἐό ν τ α ). ___________________________

581 Vgl. STODDARD (2004) 66 und CALAME (1995) 58-74, nach dem sich das autonome ‚Ich‘ des Inspirations-Narrativs bemächtigt und der Hesiods Text aufgrund der Zentralstellung menschlicher Verantwortlichkeit und praktischer Effizienz in der frühen Poliskultur verortet. 582 Vgl. A. D. MORRISON (2007) 73f. PUCCI (1977) 29ff. betont den metaphysischen Zug in Hesiods Dichterporträt. 583 Vgl. erg. 8-10 Ζεὺς ὑψιβρεμέτης […] | κλῦθι ἰδὼν ἀιών τε, δίκῃ δ’ ἴθυνε θέμιστας | τύνη· ἐγὼ δέ κε Πέρσῃ ἐτήτυμα μυθησαίμην). Vgl. dazu STEIN (1990) 49f. 584 Vgl. erg. 661-662 (ἀλλὰ καὶ ὣς ἐρέω Ζηνὸς νόον αἰγιόχοιο· | Μοῦσαι γάρ μ’ ἐδίδαξαν ἀθέσφατον ὕμνον ἀείδειν) mit Od. 22.347-348a. 585 A. D. MORRISON (2007) 75. 586 SCODEL (2017) macht dies am erzählerischen Hang zu Konkretheit und situativen Bezügen der Mahnung fest. Zur Präsenz ‚Hesiods‘ in den Werken und Tagen, auch im Vergleich zur Theogonie, vgl. NÜNLIST (2004) 31-34.

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Wie Hesiod betonen auch iambische587 oder lyrische Dichter ihr enges Verhältnis zu den Musen, das stets mit einer Art Auserwähltsein sowie einer Selbstzuschreibung von Prestige und poetischer Exzellenz verbunden ist:588 Während der homerische Sänger die Musen, ohne deren Hilfe er dies nicht vermag, um die Auflistung der Namen aller Troiakämpfer bittet (Il. 2.484-490), schreibt zu Beginn von Stesichoros’ Oresteia die Dichter-Stimme der Muse (Μοῖσα) eine Rolle als Ko-Produzentin des Gedichts zu, die im Verbund mit ihr selbst statt Kriegen vielmehr Feste von Menschen und Göttern behandeln möge (fr. 210 PMGF). In Stesichoros’ Palinodie erscheinen Helena und die Musen als göttliche Modelle des Chorgesangs (fr. 193.9-10 PMGF), mit denen der – gegenüber Homer korrigierte – 589 Dignitäts- und Wahrheitsanspruch des selbstbewussten Lyrikers (fr. 192.1 PMGF) sowie der exzeptionelle Zugang zu mythhistorischem Wissen (fr. 210.1 PMGF) verbunden ist. Dagegen verbürgen die Musen bei Alkman (fr. 27 PMGF an Kalliope)590 als Garanten von Gesang und Tanz die Attraktivität derselben. Dass Alkman die Kommunikation mit den Musen zur Einführung nichtmythischer Themen verwendet – wie dies auch bei Empedokles (31 B 10 DK) oder Theognis V. ___________________________

587 Zur Musengabe des Archilochos in fr. 1 W. (Μουσέων ἐρατὸν δῶρον ἐπιστάμενος) HOSE (2003) 47. Die Iambik zeigt generell eine Antiproportionalität von Themenwahl und Inspirationsbitte: ‚Irdische‘ Themen und die focalizer-Perspektive des über eigene Erfahrungen berichtenden ‚Ichs‘ benötigten wohl keine engmaschige Musenkooperation, Anfänge scheinen direkt vom ‚Ich‘ motiviert (fr. 168 W. Ἐρασμονίδη Χαρίλαε, | χρῆμά τοι γελοῖον | ἐρέω, πολὺ φίλταθ’ ἑταίρων, | τέρψεαι δ’ ἀκούων, fr. 172.1 W. πάτερ Λυκάμβα, ποῖον ἐφράσω τόδε; fr. 185 W. ἐρέω τιν' ὕμιν αἶνον, ὦ Κηρυκίδη). SWIFT (2017) 174 sieht auktoriale Autorität im Iambos sogar häufig unterminiert (“unlike a Homer or Hesiod, with authority to tell of the deeds of gods and men, Archilochus uses his claims to wisdom for insights into the most vulgar aspects of human experience”), etwa zum Zweck der Epen-Parodie wie in fr. 117 W. oder bei Hipponax fr. 128 W.: vgl. HEDREEN (2016) 101-134. In den nichtmythisch-politischen Elegien Theognis’ oder Solons spielt göttliche Kooperation keine Rolle, außer wenn Solon sich in fr. 13.1-4 W. (κλῦτέ μοι εὐχομένῳ κτλ.) an die Musen als Schutzgottheiten der Polis wendet. Bei Alkaios lässt sich die untergeordnete Rolle der Musen außer durch die selektive Überlieferung v. a. durch eine autonomere Poetik erklären: fr. 103.1-2 V. treibt der θυμός Alkaios zum Singen an (χαῖρε, Κυλλάνας ὀ μέδεις, σὲ γάρ μοι | θῦμος ὔμνην): dazu A. D. MORRISON (2007) 81f. 588 Laut MASLOV (2015) 94 dient der metapoetische Einsatz der Muse in der Lyrik zur Abgrenzung einerseits von autorlosen bzw. nicht-professionellen (‚folkloristischen‘) Liedern, andererseits von den Werken anderer Dichter. 589 CARRUESCO (2017) sieht dies als metapoetische Anknüpfung an Hesiod und als Opposition zur homerischen Epik. Zu Stesichoros’ Rivalität mit dem Epos BURKERT (1987), BEECROFT (2010) 170. Der sizilische Dichter hatte Helenas Untreue thematisiert (fr. 223 PMGF) und sich für die alternative Version der Helena-Geschichte entschuldigt (fr. 192 PMGF), laut der bloß ihr eidolon Paris nach Troia gefolgt sei, für welches so viele Männer hatten sterben müssen. 590 Μῶσ’ ἄγε Καλλιόπα θύγατερ Διὸς | ἄρχ’ ἐρατῶν ϝεπέων, ἐπὶ δ’ ἵμερον | ὕμνωι καὶ χαρίεντα τίθη χορόν.

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15-18 W. geschieht, wo die Musen zwar bei der Behandlung von Kadmos’ Hochzeit auftreten, doch für den übrigen sympotischen Inhalt keine Rolle spielen –, macht die Relevanz der Musen für den Chorlyriker umso bedeutsamer. Dies geht auch aus Alkmans fr. 14(a) PMGF hervor, wo die Autorstimme als Vermittlerin zwischen den Musen und dem von diesen garantierten Gesang des Mädchenchors agiert: Ohne die Mitarbeit der Musen müsste der Chor stumm bleiben.591 Auch Sappho ruft göttliche Wesenheiten wie Chariten oder Musen an592 und legitimiert ihre Liebesdichtung durch die direkte Beziehung zur Göttin Aphrodite, welche die Dichterin sogar persönlich adressiert (fr. 1.19-20 V.). Solons Musen-Elegie (fr. 13 W.) zeugt von der vollständigen Hingabe des Dichters an die Μοῦσαι Πιερίδες (V. 2), die ihm „Gedeihen“ (ὄλβος, V. 3) und „guten Ruf“ (δόξα ἀγαθή, V. 4) verleihen und deren Gaben eine Belehrung im „Wissen um das richtige Maß der Weisheit“ (σοφίης μέτρον ἐπιστάμενος, V. 52) beinhalten. Deutlich eigenständiger ruft Simonides in einem elegischen Fragment (fr. eleg. 11 W.) die Muse als seine „Helferin“ (ἐπίκουρος) an:593 In dieser Apostrophe, in der sich rhapsodische Praxis mit hymnisch gestalteter Proömien-Form verbindet, wird die Hilfe der Musen benötigt, um noch zeitgenössische Ereignisse – die größtenteils verlorene Elegie behandelte wohl die Perserkriege –594 angemessen berichten zu können. Vergleichbar bittet auch Timotheos (fr. 791.204 PMG) den Gott Apollon als Paian und ἐπίκουρος darum, seinem Dichtungsprojekt beizustehen und den Versen ‚zu Hilfe zu kommen‘. Weit autonomer fungiert das ‚Ich‘ in einer Olympischen Ode Pindars (Ol. 13.9697) selbst als ἐπίκουρος, der zwischen den Musen und dem siegreichen Geschlecht der Oligaithiden vermittelt (Μοίσαις γὰρ ἀγλαοθρόνοις ἑκών | Ὀλιγαιθίδαισίν τ’ ἔβαν ἐπίκουρος). Auch die Nobilitierung des Dichters als eines Musen-Propheten zeigt sich erstmals bei Pindar:595 Hier finden sich, stärker als bei Bakchylides, der wie ein homerischer Sänger eine vermittelnde Rolle gegenüber der Muse einnimmt (etwa Kleio in 3.3, 12.1-3, 13.228-231) –,596 Pindars große Vertrautheit mit ___________________________

591 Μῶσ’ ἄγε Μῶσα λίγηα πολυμμελὲς | αἰὲν ἀοιδὲ μέλος | νεοχμὸν ἄρχε παρσένοις ἀείδην. 592 Vgl. fr. 127 V. δεῦρο δηὖτε Μοῖσαι χρύσιον λίποισαι, 128 V. δεῦτέ νυν ἄβραι Χάριτες καλλίκομοί τε Μοῖσαι, P. Köln inv. 21351, Sp. 1, Z. 11 Μοῖσ’, ἀείδω … 593 V. 21 lautet κικλήισκω] σ’ ἐπίκουρον ἐμοί, π[ολυώνυμ]ε Μοῦσα … 594 Hierzu A. D. MORRISON (2007) 83 mit weiterer Literatur. 595 Zu dieser Vermittlerrolle vgl. Päan 6.6 (ἀοίδιμον Πιερίδων προφάταν), 54, Dith. 2.2224 (ἐμὲ δ’ ἐξαίρετον | κάρυκα σοφῶν ἐπέων | Μοῖσα ἀνέστασ’), fr. 150 M. (μαντεύεο, Μοῖσα, προφατεύσω δ’ ἐγώ); LEDBETTER (2003) 62-77. Allg. wird die Analogie von Sänger- und Sehertum in der archaischen Dichtung bei TREU (1965) diskutiert. 596 Vgl. Bakchyl. 9.3 die auktoriale Selbstaussage, in deren Rahmen der Chorlyriker als „göttlicher Verkünder der Musen mit Veilchenaugen“ erscheint (Μουσᾶν γε ἰοβλεφάρων θεῖος προ[φά]τας), sowie 4.7, wo er sich ἁδυεπὴς ἀ[να] ξιφόρμιγγος Οὐρανίας ἀλέκτωρ nennt („süß singender Hahn der lyraspielenden Urania“): KRANZ (1961) 35f. Bakchylides porträtiert sich “dependent on the Muses for the quality and material of his song […]. It is the Muses, for the most part, who are in control” (A. D.

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den Göttinnen und die Selbstdarstellung als autonomer Dichter spielerisch verbunden.597 In der Eigenständigkeit des Chorlyrikers offenbart sich auch eine deutliche Verschiebung der Gott-Mensch-Kooperation im Vergleich zu Homer. Zwar wird die Muse in Nem. 3 als Herrscherin angerufen, deren göttliches Handeln den Gesang erst begründe,598 doch nimmt der Dichter dabei selbst die Vermittler-Rolle ein, der die kooperativen Aktivitäten moderiert – κοινάσομαι in Nem. 3.12 deutet auf die Verteilung des von der Muse bewirkten Hymnos auf die Stimmen der versammelten (κείνων) Sänger sowie die Lyra. Pindars poetische Autorität reicht sogar soweit, dass er in Nem. 5 – vergleichbar dem Verfahren in Hesiods TheogonieProöm – die Worte der Musen direkt wiedergeben kann, wodurch er beansprucht, “to know what the Muses have sung and even dares to blend his own voice with theirs”.599

Solches Wissen von göttlichen Ereignissen, die sich in großer raumzeitlicher Distanz von Ort und Zeit der aktuellen Darbietung abgespielt haben, verdeutlicht die exzeptionelle Kommunikation des Dichters mit der Muse, die diesem unterstützend „zur Seite gestanden ist“ (Ol. 3.4 Μοῖσα δ’ οὔτω ποι παρέστα μοι) – dies erinnert an Sapphos Bitte an Aphrodite, ihr als Beistand und erotische „Mitstreiterin“ (fr. 1.28 V. σύμμαχος ἔσσο), und damit durch die Kunst göttlich gestützter Überredung, zu Hilfe zu kommen.600 Beide poetischen Instanzen erscheinen in den Epinikien wiederholt als “joint producers of song”,601 wobei die Muse – wie bei Simonides – auch untergeordnete Tätigkeiten durchführen kann, wie dies Ol. 1.111-112 der Fall ist (ἐμοὶ μὲν ὦν | Μοῖσα καρτερώτατον βέλος ἀλκᾷ τρέφει), wo die Muse dem in emphatischer Anfangsposition befindlichen poetischen ‚Ich‘ (ἐμοὶ) assistiert, das in diesem Bild schließlich einen Pfeil (βέλος) abfeuern wird; in Pyth. 11.41-42 erhält die Muse gar den „bezahlten Auftrag“ (μισθοῖο), dem Dichter ihre „versilberte Stimme“ zu ___________________________

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MORRISON [2007] 90). MASLOV (2015) 99f. grenzt den metapoetischen Einsatz der Muse bei Pindar von dem bei Bakchylides ab: “Pindar frequently mentions an unnamed Muse as an aid in poetic composition, whereas Bacchylides, being in general more vague about the Muses’ exact contribution, refers specifically to Kleio and (particularly) Ourania who thus serve as markers of his poetic “brand.”” Vgl. KRANZ (1961) 31f., LANATA (1963) 74ff., D’ALESSIO (1994) 125f., CALAME (2005) 83 Anm. 2, CALAME (2010) 132 mit Anm. 11 (Inspiration außerhalb des Epos), A. D. MORRISON (2007) 84ff. und HARDEN (2017). CAREY (2017) 34 sieht die persönliche Motivation der Autorstimme, v. a. deren Motive desire und need, als Grundlagen für poetische Autorität. 3.1 Ὦ πότνια Μοῖσα, μᾶτερ ἁμετέρα, λίσσομαι […]. Vgl. 3.9-12 τᾶς ἀφθονίαν ὄπαζε μήτιος ἁμᾶς ἄπο· | ἄρχε δ’ οὐρανοῦ πολυνεφέλα κρέοντι, θύγατερ, | δόκιμον ὕμνον· ἐγὼ δὲ κείνων τέ νιν ὀάροις | λύρᾳ τε κοινάσομαι. HARDEN (2017) 150. Diesen Hinweis auf Sappho verdanke ich Patricia Rosenmeyer. Beispiele bietet A. D. MORRISON (2007) 85-89.

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leihen (παρέχειν | φωνὰν ὑπάργυρον), was auf die Professionalisierung pindarischer Auftragsdichtung verweist.602 Indem das ‚Ich‘ selbst die Themen auswählt – diese Hierarchie bezeugen auch Isthm. 5.38 (ἕλα νῦν μοι πεδόθεν), Pyth. 1.58-59 (Μοῖσα […] πίθεό μοι) oder Pyth. 4.67-68 (Μοίσαισι δώσω) – wird die aus den Epen bekannte Konvention umgekehrt und dem ‚Ich‘ in gewissem Maße poetische Autonomie zugeschrieben. Statt sich auf die Legitimation der Musen zu berufen, besitzt die autoritative Stimme bei Pindar die Macht, ethische Urteile und Wertvorstellungen zu begründen und sich mittels Wendungen wie λέγεται selbstständig auf die Tradition zu berufen.603 Im Bewusstsein der anachronistischen Begriffsverwendung ließe sich pointiert von einer Kombination von poeta vates (in der Rolle als Freund der Musen) und poeta faber (in der Rolle als technisch versierter Berufsdichter) bei Pindar sprechen.

4.3.2

Ich bin Odysseus, Laertes’ Sohn …: Markierungen von Autorschaft in der archaischen Dichtung (8./7.-5. Jh.)

Parallel zur Herausbildung einer griechischen Identität und gemeinsamen, panhellenischen Kontaktpunkten über geteilte Traditionen und Geschichte konnten Autoren ihre Zuhörer an den verschiedensten Orten der griechischen Welt adressieren. Dabei fiel dem Distanzmedium Schrift mehr und mehr eine verbindende Funktion zu: Mit dem medialen Wandel, der sich über verschiedene Etappen und keineswegs geradlinig vollzog,604 entstand die Möglichkeit, dass sich Produzenten ___________________________

602 Hierzu STEWART (2016). 603 Vgl. CAREY (1995) 97f., SCODEL (2001). 604 Zur Verbreitung der Schrift in der Archaik HARRIS (1989) 45-64; ferner HERINGTON (1985) und THOMAS (1992) 50f., wo für die Koexistenz von song culture und book culture argumentiert wird – Verse wurden bei Symposien frei rezitiert, wodurch Geschriebenes wieder in mündliche Performanz überführt wurde. Vgl. dagegen noch RÖSLER (1980) 77-91 zu einem medialen Bruch im 6. Jh. (zuvor seien Dichter laut Rösler allein mündlich tradiert worden) und abgeschlossener Literarität im 4. Jh. (RÖSLER [1980] 92 mit Anm. 149: „Im 4. Jh. rückt […] die alte Lyrik in das Dunkel einer rein litterarischen Existenz”). Der Vorstellung, die Technologie des Schreibens habe einen Paradigmenwechsel und eine intellektuelle wie kulturelle Transformation bewirkt, lagen die durchaus konträren Ansätze von Havelock, Ong (“writing restructures consciousness”) oder Goody/Watt zugrunde. Zu letzteren Ansätzen TEFFETELLER (2007) 75-80 (die jedoch nicht auf Rösler eingeht); kritisch THOMAS (1992) 105-107, HUBBARD (2004) 84, 213, J. V. MORRISON (2004) 110, A. D. MORRISON (2007) 41 mit Anm. 33: “it seems likely that every ancient author’s text which has come down to us (whether through manuscripts or papyri) goes back to a copy either written or dictated by the author himself […], which is why we have such texts, in contrast to the loss of the vast majority of ‘folk’ or popular poetry, which went unrecorded […]. We have very little of such material, and those early poets whom we do have are simply early examples of ‘higher’ or ‘special’ (in a variety of senses) poetry which poet or patron thought important enough to have recorded.”

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von Werken ‚autographisch‘ in ihre Produkte einschrieben, um dauerhaft darin präsent zu bleiben. Somit konnte dem Risiko begegnet werden, das sich mit unkontrolliert zirkulierender Dichtung und entsprechend uneindeutiger auktorialer Zuweisung605 verband. Obwohl Dichtung meist über Aufführungen in der griechischen Welt verbreitet wurde und Autoren etwa aufgrund des generischen Konservatismus der Dichtung nur begrenzte Möglichkeiten hatten, eigene Signaturen in einem Werk zu hinterlassen, konnten sie vermittels ihrer Produkte selbst identifizierbar sowie unterscheidbar von anderen Autoren bleiben. Dabei muss jedoch immer auch der jeweilige Produktions- wie RezeptionsKontext betrachtet werden: Die Verbreitung von Dichtung im Rahmen der Performanzkultur, bei Festen und Symposien, sowie die Loslösung von Ort und Kontext der ersten Aufführung im Rahmen von Wiederaufführungen schuf verschiedene Bedingungen für das Verhältnis eines Texts und dessen Produzenten. Während die Dichter rezitativer Poesie, etwa der Elegie, sowie der monodischen Lyrik ihre Produkte zuerst im Rahmen von Symposien oder im vertrauten, sozial wie rituell verbundenen Kreis (wie in Sapphos Fall) vortrugen, dem sie persönlich bekannt waren, 606 konnten Dichter, deren Werke öffentlich, etwa bei Festen, vorgetragen wurden, auf einen größeren Bekanntheitsgrad hoffen, der wiederum durch auftraggebende Personen oder Poleis gefördert wurde. Doch es gab kaum Kontrollmöglichkeiten im Bereich der weiteren Tradierung oder Wiederaufführung, da Gedichte von Hörern memoriert oder in Form von Abschriften weitergegeben werden konnten.607 Persönliche Beziehungen zwischen Dichtern oder Performer(n) und ihrem Publikum konnten über ein geteiltes Autorwissen wiederum indirekt den Rückbezug von wiederaufgeführter Dichtung auf deren Produzenten erleichtern und somit deren Ruhm begründen.608 Andererseits brachte die panhellenische Verbreitung auch Strategien hervor, die eigene Autorschaft im Werk zu deklarieren und abzusichern, indem ein Dichter etwa über die Nennung seines Herkunftsorts (Toponymie) oder Vatersnamens (Patronymie) sowie des eigenen Namens (Orthonymie bzw. Onymität) in seinem Text präsent blieb.609 Im Moment der Performanz verwies das Werk somit jeweils neu auf seinen ursprünglichen Entstehungskontext. Obwohl die Signaturen von Autorschaft und die Parameter dichterischer Selbstdarstellung erst in neben- und nachhomerischer Dichtung relevanter werden und ___________________________

605 Man denke etwa an die instabile Zuschreibung von Hymnen an Alkaios oder Sappho: BOYCHENKO (2017). 606 Doch siehe zur Beanspruchung künftigen Ruhms in der Elegie BOWIE (2010). 607 Hierzu vgl. SCODEL (2019) 53. 608 A. D. MORRISON (2007) 30f. betont die ästhetischen Zwecke der Quasi-Autobiographie lyrischer Ich-Nennungen und differenziert Grade der Distanz des Publikums zum historischen Autor. Dementsprechend seien Rückbezüge von Ich-Aussagen auf den historischen Autor mehr oder minder wahrscheinlich gewesen. 609 Zur toponymen Markierung von Autorschaft BOTERF (2017). Vgl. unten Kap. 4.3.2 zur auktorialen Sphragis.

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die Selbstnennung von Verfassern, wie sie etwa im Proöm von Hesiods Theogonie fassbar wird, erst ab dem 5./4. Jh., im Zuge des aufkommenden Buchmarkts, eindeutiger werden, gibt es bereits im homerischen Epos, das die Figur des Autors schon durchaus kennt, erste Ansätze. Zwar hielten die Konventionen des Epos die Sänger und Rhapsoden von einer allzu exzentrischen Selbstprofilierung ab oder beschränkten diese zumindest auf den Inhalt der gewählten Dichtung und die Wahl des Anfangs der Erzählung. Die universalistische Anlage der Epen, besonders die raumzeitliche Kontextlosigkeit der aufgerufenen epischen Welt, erforderte es, dass die Identität der jeweiligen Sänger verdeckt blieb – ohne dass letztlich geklärt werden kann, ob es sich bei deren Anonymität um eine generische Festlegung oder eine Eigenheit von Ilias und Odyssee handelt. Doch kennt bereits das Epos Konzeptionen poetischer Urheber- und Autorschaft: So kontrastiert Odysseus’ eigenes Proöm, in welchem zu Beginn der Apologe (Od. 9-12)610 explizit – durch Onymie, Patronymie und Toponymie – die Urheberschaft eigenen Gesangs markiert wird, deutlich mit dem anonymen Anfangsproöm der Odyssee (Od. 1.1-10): εἴμ’ Ὀδυσεὺς Λαερτιάδης, ὃς πᾶσι δόλοισιν ἀνθρώποισι μέλω, καί μευ κλέος οὐρανὸν ἵκει. ναιετάω δ’ Ἰθάκην εὐδείελον … (Od. 9.19-21) „Ich bin Odysseus, Laertes’ Sohn, durch all seine Listen bei den Menschen geschätzt; mein Ruhm reicht bis in den Himmel. Im weit sichtbaren Ithaka wohn’ ich …“

Aus diesem ‚eingebetteten‘ Proöm des Odysseus (Od. 9.19-38) lässt sich schließen, dass die Odyssee durchaus Konzeptionen onymer Autor- und Urheberschaft zur Sprache bringt. Zuerst fallen markante Parallelen zum Proöm des Anfangs auf: Beide Sänger sind jeweils identisch mit den Produzenten ihres Gesangs, wobei die Verfasserstimme des gesamten Epos auf die Hilfe der Muse zurückgreift. Da Odysseus’ Erzählung wiederum über den mündlichen Sängervortrag vermittelt wird, erklingt der epische Sänger des Gedichts während der Darbietung von Od. 9-12 zugleich mit Odysseus, seine Stimme überlagert sich mit derjenigen des Helden.611 Der Umfang von Odysseus’ Erzählungen in den Apologen verleiht dessen ___________________________

610 Hierzu SUERBAUM (1968); MOST (1989) sieht die Funktion der Apologe v. a. in Odysseus’ Ziel begründet, die Phäaken und Alkinoos davon zu überzeugen, ihn nach Ithaka zu geleiten; GRETHLEIN (2017) 111f. erkennt die Funktion der Erzählungen dagegen im Sinne der Bewältigung von schlimmer Erfahrung, betrachtet Odysseus jedoch auch als kundigen Sänger, der sein Thema auf sein Publikum (v. a. Arete) anzupassen verstehe (109). 611 DE JONG (2004a) 24 erkennt dabei eine Hierarchie zwischen epischem Sänger und Odysseus, da ersterer die Taten des letzteren erst in ruhmvolle Geschichten verwandle. Dies streitet BAKKER (2009) 132 ab: “Odysseus’ tale is not subordinated to Homer’s; both are performances in their own right, complementing each other, reacting to each

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Perspektive eine Prominenz, die proportional zur Prominenz des Epen-Sängers für die gesamte Odyssee ist.612 Ein Konnex zwischen beiden wird auch dadurch hergestellt, dass die Insel Thrinakia und die Schlachtung der Helios-Rinder in Od. 12 bereits programmatisch im Anfangs-Proöm erwähnt werden (1.7-9). Andererseits gibt es markante Unterschiede zwischen dem odysseischen Erzähler und dem Erzähler Odysseus: Während sich der anonyme Dichter des Epos bekanntlich mehr oder minder von der Bühne des Geschehens zurückzieht und seine Stimme nur ab und zu autoritativ einbringt, um Beweggründe zu schildern oder Figuren zu apostrophieren, bietet Odysseus’ eigenes Vorwort am Hof des Phäaken-Königs Alkinoos auf Scheria eine neue Perspektive auf den Umgang mit Autorschaft in der Odyssee. Odysseus’ Selbstdarstellung als Sänger (ἀοιδός)613 und Produzent bzw. Autor von Dichtung in seinem eigenen Proöm steht damit in spannungsreichem Kontrast zur anonymen Sänger-Stimme des Eingangsproöms, die ja der Kooperation mit der göttlichen Muse bedarf (Od. 1.1).614 Im Gegensatz zu dieser beruft sich Odysseus nicht auf göttliche Hilfe, sondern stellt – vergleichbar mit der Dichterstimme im Auftaktvers der Kleinen Ilias (fr. 1 GEF = Ps.-Hdt. 16 [204 ed. Allen] Ἴλιον ἀείδω καὶ Δαρδανίην εὔπωλον) – seine eigene Motivation in den Vordergrund, was als kompetitive Antwort auf die Gesänge des Demodokos im achten Gesang der Odyssee sowie auf Alkinoos’ Aufforderung an Odysseus, nun eigenen Gesang darzubieten, verstanden werden kann.615 Odysseus’ Eigenständigkeit als Sänger wird besonders deutlich, wenn er sich selbst dazu motiviert, seinen eigenen Nostos anzustimmen (9.37 εἰ δ’ ἄγε τοι καὶ νόστον ἐμὸν πολυκηδέ’ ἐνίσπω), wodurch er seine Meisterschaft über die folgende autodiegetische Erzählung signalisiert, die auf eigener Anschauung und damit autoritativer Beglaubigung

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other, even competing with each other.” Zur Rivalität beider Sänger s. auch KELLY (2008). Vgl. HUNTER (2018) 127. Vgl. BECK (2005); zur Rolle des Erzählens für die Odyssee DE JONG (1987), (2004) und (2004a), GOLDHILL (1991) 56ff., GRETHLEIN (2017). Diese Selbstdarstellung korrespondiert mit Fremdzuschreibungen, die Odysseus mit einem ἀοιδός assoziieren: vgl. etwa Alkinoos’ Vergleich von Odysseus mit einem kundigen Sänger Od. 11.367-368 (σοὶ δ’ ἔπι μὲν μορφὴ ἐπέων, ἔνι δὲ φρένες ἐσθλαί, | μῦθον δ’ ὡς ὅτ’ ἀοιδὸς ἐπισταμένως κατέλεξας): dazu GRETHLEIN (2017) 95. Ferner Eumaios’ Vergleich von Odysseus’ Lügenerzählung mit dem Bericht eines Sängers Od. 17.518-521. Und schließlich das vom epischen Erzähler vorgebrachte Gleichnis Od. 21.406-409 (Odysseus als sängergleicher Erzähler). Aufgrund seiner Perspektivbeschränkung kann Odysseus gemäß Jörgensens Gesetz – DE JONG (2004) xv – im Gegensatz zum nur mit Hilfe der Musen allwissenden epischen Sänger der Odyssee oder auch dem Sänger Demodokos (Od. 8.62ff.) i. d. R. keine Aussagen über die Götter machen oder diese beschreiben. Vgl. GRETHLEIN (2017) 96f. zur internen Reaktion des Odysseus auf Demodokos’ Gesang; ferner HUNTER (2018) 114-116, der den Beginn der Apologe als Echo des Proöms und Antwort auf Alkinoos’ Fragen (Od. 8.572-580) sieht.

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beruht.616 Souveränität gewinnt Odysseus in den Apologen dadurch, dass er einerseits retrospektiv Erlebtes reflektiert berichten kann, zugleich jedoch durch die Verengung auf seine individuelle Perspektive erzählerische Spannung erzeugt. Ohne auf die Musen achten zu müssen, kehrt Odysseus die konventionelle Rolle des Sängers der homerischen Epen um: Er erscheint als autonom gezeichnete Sängerfigur, die in ihrem Streben nach κλέος (9.20) andere odysseische Sänger wie Phemios oder Demodokos übertrifft. Besonders die selbstbewusste Vorstellung „Ich bin Odysseus, des Laertes’ Sohn“, die im Kontext der wiedergewonnenen Identität des Helden gesehen werden kann617 sowie als Antwort auf Alkinoos’ voranstehende Aussage, kein Mensch werde ja jemals namenlos geboren (Od. 8.552 οὐ μὲν γάρ τις πάμπαν ἀνώνυμός ἐστ’ ἀνθρώπων),618 verstehbar ist, lässt den Anspruch auf solchen Ruhm expliziter erscheinen als im Falle der anderen Sängerfiguren desselben Epos. Erneut in krassem Kontrast zum übergeordneten homerischen Dichter, der ja durch anonym bleibende Rhapsoden impersoniert wurde, kündigt der onyme Odysseus seinen Gesang nicht nur durch Angabe des eigenen und seines Vaters Namen an (9.19), sondern auch durch die Nennung seiner Heimat Ithaka (9.21). Mit Blick auf diese explizit mitgeteilte Autor-Information lässt sich der ‚eingebettete‘ Sänger Odysseus mit anderen sich selbst offenbarenden Autorfiguren der archaischen Literatur wie ‚Hesiod‘ (Theog. 22, erg. 646-662) in Verbindung bringen.619 Wie gesehen, stellt Odysseus’ Selbstdarstellung als Urheber eigenen Gesangs eine alternative Konzeption zum Eingangsproöm des Epos dar. Der Vergleich beider Eingangs-Passagen wiederum offenbart die spannungsreichen und vielfältigen Konstruktionen von Autorschaft innerhalb der Odyssee im Ganzen: So lässt sich die prägnante Vorstellungsformel εἴμ’ Ὀδυσεὺς Λαερτιάδης (Od. 9.19a) mit anderen Selbstpräsentationen fiktiver Charaktere, etwa Nausikaas εἰμὶ δ’ ἐγὼ θυγάτηρ μεγαλήτορος Ἀλκινόοιο (Od. 6.196) oder auch – außerhalb der Odyssee – des Dichter-Ichs bei Archilochos (fr. 1 W. Εἰμὶ δ’ ἐγὼ θεράπων) vergleichen. Entsprechend kann man die auktoriale Selbstvorstellung mit Formen der ___________________________

616 So führt Odysseus für sein Wissen von Handlungen auf Ebene des Götterapparats Zeugen an: Od. 12.389-390. 617 Diese findet am Phäakenhof in mehreren Phasen statt. Während Odysseus seine Identität erst verschleiert (vgl. lediglich Od. 7.207ff. die Aussage, er sei kein Gott), bereiten die Wettkämpfe des achten Gesangs, in denen der Held seine Stärke erweist, die Bekanntgabe der Identität zu Beginn des neunten Gesangs vor (9.19-21). 618 In diesen Versen erhebt der Phäaken-König Onymie zur conditio humana, vgl. Od. 552-555 (οὐ μὲν γάρ τις πάμπαν ἀνώνυμός ἐστ' ἀνθρώπων, | οὐ κακὸς οὐδὲ μὲν ἐσθλός, ἐπὴν τὰ πρῶτα γένηται, | ἀλλ' ἐπὶ πᾶσι τίθενται, ἐπεί κε τέκωσι, τοκῆες. | εἰπὲ δέ μοι γαῖάν τε τεὴν δῆμόν τε πόλιν τε κτλ.) 619 Zur raumzeitlichen Kontextualisierung archaischer Autorschaft BOTERF (2017). Zu Odysseus als archaischer Autorfigur KELLY (2008) 199: “Homer’s Odysseus deploys the qualities and elements on which Hesiod’s persona relies, while Hesiod appropriates that potentially deceptive skill and applies it instead to the Muses themselves.”

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Fiktionalisierung des Selbst sowie der Selbstinkorporierung von Autor- bzw. Künstlerfiguren in ein Werk in Einklang bringen (Kap. 4.4). 620 Zugleich ist der auktoriale Vorspann, den Odysseus seiner Erzählung vorausschickt, eine Präfiguration späterer Titelsätze (Kap. 4.3.3), in denen der Urheber eines Werks üblicherweise seinen eigenen Namen an die Stelle eines Appells an die inspirierende Instanz göttlichen Ursprungs setzt.621 Jenseits des Epos (sowie der ‚Homerischen Hymnen‘) bietet die archaische Literatur eine weit größere Prominenz und Sichtbarkeit zentraler Autorstimmen: Dies zeigen auktoriale Urteile und Kommentare wie etwa ethisch-moralische γνῶμαι oder emotionale Äußerungen, die bei Autoren wie Pindar oder den Elegikern ubiquitär, bei Homer jedoch selten sind.622 Im Gegensatz zum homerischen Epos und seiner anonymen Sänger-Stimme ist bereits im Proöm von Hesiods ebenfalls hexametrischer Theogonie (8./7. Jh. v. Chr.) die Onymität der Autorfigur Ἡσίοδος gesichert (Theog. 22): Mit deren Nennung in der dritten Person ist damit ein zumindest werkimmanenter Autor von Beginn an präsent.623 Die Innovation einer auktorialen Signatur bereits zu anfangs entspricht dem gleichfalls originellen Inhalt des Gedichts, in dem die Götterwelt und die Verbindungen kultisch verehrter Gottheiten oder abstrakter Naturgewalten untereinander in eine komplexe narrative Makrostruktur eingebunden und anhand eines genealogischen Prinzips organisiert werden. Über die Selbstnennung des Dichters ‚Hesiod‘ im Proöm des Gedichts wird in dieses eine Urheberfigur integriert, die mittels biographischer Daten (Hesiod war Schafhirte am böotischen Helikon, ehe er von den Musen in die Dichterexistenz initiiert wurde) 624 scheinbar ___________________________

620 HEDREEN (2016) 54 sieht als Merkmale auktorialer Selbstpräsentation der Archaik: “Fictionalization of self, pseudo autobiography, self-incorporation of creator into creative work, and strong characterizations of artisans”. Autoren experimentieren demnach mit der Darstellung werkinterner Urheberfiguren, der Hersteller rückt als Typus ins Zentrum des Interesses, was bereits beim homerischen Odysseus vorgeprägt erscheint (59-100). 621 Vgl. CALAME (2004) 19f., der solche Formen der Selbstpositionierung in Titelsätzen von Werken, definiert als „bref prélude programmatique à l’ouvrage“, wiedererkennt: „tout en définissant la position d’un auteur face à son travail“. 622 Vgl. A. D. MORRISON (2007) 91, der dies jedoch auf die Instanz des Erzählers bezieht (“evaluation and judgement are forceful signs of narrator-prominence”). 623 Zentral sind die Verse Theog. 22-25, wo die Musen den Hirten Hesiod am Fuße des Helikons ihren Gesang lehren. Der Wechsel von der dritten in die erste Person (V. 24 με) inauguriert dabei einen Usus späterer Autoren (Kap. 4.4). Insgesamt lauten die Verse αἵ νύ ποθ’ Ἡσίοδον καλὴν ἐδίδαξαν ἀοιδήν, | ἄρνας ποιμαίνονθ’ Ἑλικῶνος ὕπο ζαθέοιο. | τόνδε δέ με πρώτιστα θεαὶ πρὸς μῦθον ἔειπον, | Μοῦσαι Ὀλυμπιάδες, κοῦραι Διὸς αἰγιόχοιο κτλ. 624 Zur ‚Dichterweihe‘ bei Hesiod und in der nachfolgenden Tradition KAMBYLIS (1965). Vgl. zur nachträglichen Aufwertung des Archilochos durch eine Musenweihe MÜLLER (1985).

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eine Realität und einen Kontext außerhalb des Werks erhält, 625 auch wenn diese Biographie bloß schemenhaft bleibt626 und das Proöm nur lose an das folgende Hauptgedicht (Theog. 116ff.) geknüpft erscheint, welches es nicht notwendigerweise begründet. Deutet das Werk somit durch die namentliche Personalisierung sowie die topographische Kontextualisierung 627 einer Dichterfigur auf den Wunsch nach Prestige beim unmittelbaren wie panhellenischen Publikum? 628 Oder aber auf die Notwendigkeit, eine gegenüber dem homerischen Epos weniger prominente rhapsodische Tradition – deren Text sich im Zuge mündlicher Überlieferung wohl kaum unversehrt erhalten konnte – bzw. eine begründungsbedürftigere poetische Innovation werkintern mit einer onymen Schöpferfigur zu versehen, um das darin tradierte Wissen zu personalisieren und somit das Fortbestehen des Werks im Ganzen zu sichern? In jedem Falle war die Einfügung des Autornamens so erfolgreich, dass man Hesiods Namen fortan mit Lehrdichtung verband.629 Es ist ferner beobachtet worden, dass die Theogonie ohne ihr Proöm von geradezu homerischer Anonymität gekennzeichnet wäre. Schließlich fällt der Verfassername ausschließlich in Vers 22 – ansonsten bleibt Hesiods Universum anonym, ohne dass ein Autor näher ausgestaltet würde. 630 Daher veranlasste der ___________________________

625 Zum Bezug auf eine spezifische Wirklichkeit des Dichters im hesiodeischen Proöm LENZ (1980) 219-225. 626 Gegen biographistische Tendenzen deutet STODDARD (2004) 67f. Hesiods Selbstnennung in der Theogonie als Biographie des implied author statt des realen Hesiod. Ihre Bemerkungen (v. a. 1-15) zur rein fiktiven persona gehen gewiss zu weit. Passender ist es, mit A. D. MORRISON (2007) 30-32 eine Überlappung der Erzählerstimme mit einem empirischen Autor (‚Quasi-Biographie‘) anzunehmen, in gradueller Nähe bzw. Distanz des Publikums zum historischen Autor (“it seems likely that the majority of Archaic primary narrators are in fact related to some degree to the historical authors who produced them, though this varies with author and genre”): Konnten Ich-Aussagen einer Autorstimme vom Publikum nicht anderweitig kontextualisert werden, dürfte die archaische Dichtung autobiographisch gedeutet worden sein – ohne dies selbst unbedingt gewesen zu sein. 627 Vgl. SCODEL (2019) 54 zur Identifizierung der Helikonischen Musen des Anfangs (Theog. 5-6) als Olympische Musen (V. 53), die von ihrer Geburt in Pierien erzählen, was Verbindungen von lokalem Kult und panhellenischer Identität herstellt: Hesiod erscheint somit als ein Sänger, der ein gesamtgriechisches Publikum anspricht. 628 Laut WEST (1966) 161 Anm. 22 “the poet names himself, speaking in the third person, not to set his signature upon the poem but rather out of simple pride”. An eine fiktive persona denken GRIFFITH (1983), STODDARD (2004). 629 Vgl. SCODEL (2019) 55 zu den Werken und Tagen: “Although small snippets from this poem were frequently quoted by themselves, they never became independent of Hesiod.” 630 Dazu LAMBERTON (1988) 47: “We should also say that, reading the poems without their prooimia, in a sense we no longer have Hesiod at all, since the narrative voice names itself only once and only here. […] The Hesiodic landscape is left impoverished and nearly anonymous, and the poet himself without a name. To put it differently,

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eigenständige, biographische Charakter beider hesiodeischer Proöme (in erg. 10 erwähnt die Autorstimme bekanntlich den Bruder Perses) bereits die antike Philologie dazu, die Proöme und damit die auktorialen Gedicht-Signaturen zu athetieren, wie dies für Krates von Mallos vermutet und für Aristarch von Samothrake bestätigt wird.631 Durch ihre artifizielle Anonymisierung sollten die Gedichte somit ‚homerisiert‘ werden.632 Das zweite hesiodeische Lehrgedicht, die Werke und Tage, bietet Ratschläge zur Landwirtschaft und zur Bedeutung verschiedener Jahreszeiten für Ackerbau und Schifffahrt im Duktus traditioneller Weisheitsliteratur. Auch hier erklingt eine biographisch konkret und fast individuell ausgestaltete Autorstimme, obwohl diese im Gegensatz zur Theogonie anonym bleibt.633 Neben ihrer Kennzeichnung als moralische Instanz, die sich persönlich zu Unrecht attackiert fühlt und nun die Menschheit (die sich in die personalisierte Anrede des Bruders Perses als didaktischem ‚Du‘ inkludiert fühlen darf) von ihrer Sicht der Dinge überzeugen will,634 erfährt man weitere Details: So stammte der Vater der beiden Brüder aus dem äolischen Kyme, habe sich jedoch im böotischen Askra (erg. 640), nahe dem Helikon, niedergelassen. Ferner preist sich die Autorstimme selbst für einen Sieg, den sie einst bei Leichenspielen zu Ehren des Amphidamas in Chalkis auf Euböa erzielt habe (erg. 646-662), Grund auch für die bislang einzige Seereise des Dichters. Als Zeichen dichterischer Exzellenz habe dieser einen Dreifuß erhalten, den er den ___________________________

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without the prooimia, Hesiod approaches the condition of Homer.” Die auktoriale Onymität Hesiods wurde bereits früh Homer gegenübergestellt. Laut Velleius Paterculus habe Hesiod Angaben zu Herkunft und Heimat gemacht, um Kontroversen wie diejenigen über Homer zu vermeiden (1.7.1 qui vitavit, ne in id quod Homerus incideret, patriamque et parentes testatus est). Krates habe die Eingangs-Passagen aufgrund fehlender Relevanz für die Gedichte athetiert (Vita Dionys. Perieget. 72.58-60 Kassel = fr. 78 Broggiato = Hesiod T50 Most: τὸ δὲ τῶν Ἔργων καὶ ἡμερῶν Ἡσιόδου καὶ τῆς Θεογονίας πάσης ἔστι προτάξαι ποιήσεως· διὸ καὶ ὁ Κράτης αὐτὰ κατὰ λόγον ἠθέτει). Zu Aristarch und der Information, dass manche Kopien erst nach dem Proöm in V. 11 einsetzten, schol. ad Hes. erg. prolegomena A.c p. 2.7-12 Pertusi = Hesiod T49 Most; Paus. 9.31.4-5. Vgl. PEIRANO (2013) 268f. mit der plausiblen Erklärung, ein προοίμιον konnte leicht als rhapsodischer Zusatz getilgt werden (man denke an die Vorspann-Funktion der Hymnen, die in der Antike als προοίμια bezeichnet wurden, wie Thuk. 3.104.4 zum Apollon-Hymnos bezeugt), da man Anonymität wie die Homers als authentischer betrachten konnte. Zur Verbindung des Theogonie-Proöms mit rhapsodischen Hymnen FRIEDLÄNDER (1914). Einen indirekten ‚korrigierenden‘ Verweis auf die Theogonie (V. 225-226) und somit Kohärenz-Marker dürfte in V. 11 die Rede von der Existenz zweier verschiedener Arten der Eris darstellen. Neben der inhaltlichen Exzentrik des vom Landleben handelnden Gedichts trifft man auf eposuntypische Formelvarianten und abrupte Übergänge zwischen einzelnen Abschnitten. Zur eigenständigen Rolle der Dichterstimme in der Tradition SCODEL (2017). Hierzu MORRISON (2007) 96. Vgl. SCODEL (2001) 112ff.

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Musen am Ort der eigenen Weihe aufgestellt habe (erg. 658-659).635 So wird der geweihte Dreifuß zum auktorialen Marker – sowohl statisch-materiell am Ort der Dichterweihe wie auch im (beweglichen) Text, den Werken und Tagen, die ja davon berichten: “The power of the dedication as a sign of authorship derives mostly from the text itself. One form of Greek authorship is closely tied to place. Hesiod’s poem seeks an audience of any Greeks, but he addresses them from a particular place. This may have been effective precisely because he came from an unimportant village.” 636

Damit deuten trotz des Fehlens eines Autornamens die präzisen biographischen Daten und der materielle ‚Beweis‘ des Dreifußes am Helikon (was als Referenz auf die Dichterweihe der Theogonie verstehbar ist), welche die Autorstimme der Werke und Tage liefert, auf eine Welt außerhalb des Gedichts, auf eine spezifische Dichterfigur, die einst siegreich in den Spielen zu Chalkis war. Selbst ohne diese biographische Kontextualisierung, welche die antike Rezeption fraglos übernahm,637 tragen die Gedichte in jedem Fall eine deutliche auktoriale Signatur, die in der Theogonie den Namen Ἡσίοδος sowie in den Werken und Tagen Informationen zu Familie und Herkunftsort des Dichters beinhaltet. Somit konnte im Kontext einer erweiterten panhellenischen Rezeption der Werke die Wahrnehmung auktorialer Präsenz bestehen bleiben. Eine Untersuchung von Autorpräsenz in der Lyrik, wie ich sie im Folgenden schlaglichtartig vornehmen möchte, sieht sich mit einer Vielzahl an Spielarten und Ausdrucksformen konfrontiert, die je nach Publikum, Gelegenheit und Praxis der Aufführung variieren. Lyrische Gedichte sind gewissermaßen stets ‚präsent‘, indem sie auf das hic et nunc einer Aufführungssituation hindeuten, dabei jedoch gleichzeitig eine Kette vergangener und zukünftiger Aufführungen in einer potentiell unendlichen Reihe von neuen Ereignissen in sich tragen, 638 wodurch sie eine ___________________________

635 Die Verse lauten τὸν μὲν ἐγὼ Μούσῃσ’ Ἑλικωνιάδεσσ’ ἀνέθηκα | ἔνθα με τὸ πρῶτον λιγυρῆς ἐπέβησαν ἀοιδῆς. 636 SCODEL (2019) 54. 637 So werden die in erg. 646-662 gegebenen Informationen rund um die Leichenspiele auf Euböa spin-off-artig und mit großer Imaginationskraft erweitert: Das euböische Chalkis wird zum Haupt-Austragungsort für den Dichteragon im späteren Certamen Homeri et Hesiodi (Cert. 4), bei dem der Bruder des verstorbenen Amphidamas, Panedes, dem Dichter Hesiod die Siegprämie zuweist. Zu solchen Verfahren der Fiktionalisierung von Dichter-Biographien, die sich v. a. auf aus deren Werken extrapolierte Daten stützten, KIVILO (2010), LEFKOWITZ (2012). 638 Vgl. CURRIE (2004) und die Beiträge bei BAKKER (2017), BUDELMANN/PHILLIPS (2018) und HUNTER/UHLIG (2018). Zu Unterschieden zwischen Lyrik und Epos schon FRÄNKEL (1962) 148: „Zu der Änderung im Umfang kommt hinzu, daß das lyrische Gedicht nicht mehr wie der Vortrag des anonymen Sängers in die Vergangenheit flieht, um durch überlieferte Geschichten aus alter Zeit leere Stunden mit genußreichem

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Erwartung zukünftiger Memorierung implizieren.639 Dies stellt auch die Deutung auktorialer Präsenz vor Herausforderungen: Während die frühere Forschung die Ich-Aussagen in lyrischen Gedichten, die im Vergleich zu Homer und der Epik gehäufter auftreten, als Ausdruck subjektiver Erfahrung ansah, 640 wurde später nach Strategien geforscht, wie lyrische Autoren innerhalb ihrer Gedichte Autorität erzeugen. Hierzu zählt etwa die Nobilitierung des dichterischen Produkts durch die Anrufung der Musen, durch Behauptung umfassenden Wahrheitsanspruchs, 641 durch autoritative Mahnungen zur Weisheit oder Verhaltensregeln, ferner mythologische Paradigmen oder andere exempla sowie besonders eine rhetorisierte Sprechweise, 642 zu deren Ausdrucksweisen die Beschreibung innerer Zustände, doch auch auf Überzeugung abzielende Argumente oder Provokationen gehören – wobei offen ist, ob das Publikum das ‚Ich‘ mit dem Autor oder dem Performer identifizierte. Die Funktionen der Ich-Aussagen in der frühgriechischen Poesie variieren je nach Gattung und Aufführungskontext, 643 was Unterschiede in der ___________________________

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Gehalt zu füllen, sondern fixiert ist an die Person des Sprechers, die Zeit des Vortrags und die besonderen Umstände seiner Entstehung.“ Exemplarisch zum gloria-Motiv in Sapphos Altersgedicht PITOTTO (2008). Laut RÖSLER (1980) 45-56 war um 600 v. Chr. noch nicht mit grundsätzlicher Schriftlichkeit zu rechnen (die Popularisierung des Buchs zum Ende des 5. Jh. wendet sich gegen Schadewaldts These einer „schriftlich fundierten Mündlichkeit“ [S. 49 Anm. 52] bis ins 5. Jh.), weshalb bei Sappho und Alkaios die Hoffnung auf mündliche Tradierung alleiniges Motiv der Ruhmeserwartung sei. Die These auf S. 77f., dichterische Ruhmeserwartung sei bereits bei Theognis an die Schrift geknüpft, überschätzt jedoch die „neue Selbstverständlichkeit produktiver Schriftlichkeit“ durch die angebliche Zirkulation von Abschriften und Sammlungen. Vgl. zur Simultaneität mündlicher wie schriftlicher Praktiken THOMAS (1992) 113-127. Insg. hierzu Kap. 5.3. Vgl. DILLER (1971); kritisch RÖSLER (1985) 132f. mit Anm. 6. Eine Sammlung lyrischer Ich-Aussagen bietet KRANZ (1961) 28ff. Neuere Diskussionen zur lyrischen Stimme bieten, inter multa alia, SLINGS (1990), A. D. MORRISON (2007) 36-102 und BUDELMANN (2018). Vgl. die Forschungsübersicht bei MASLOV (2015) 66 Anm. 92. Vgl. etwa CARRUESCO (2017) 194 zu Stesichoros’ Neudefinition dichterischer Autorität durch die Verbindung epischen Wahrheitsanspruchs mit epichorischer, ritual- bzw. performanzbasierter Chor-Aufführung. Vgl. zur Autoritätserzeugung in der archaischen Dichtung SWIFT (2017) 161. Laut SCHNEIDER (1993) dient die Verwendung (auto-)biographischer Daten in der Lyrik dem Zweck, Emotionen auszudrücken und persuasiv auf Zuhörer einzuwirken; dagegen deutet A. D. MORRISON (2007) 55 die Fokalisierung und Rezipienten-Steuerung im Sinne der Selbstdarstellung einer dominanten Gedicht-Stimme (“emphasising […] authority and sincerity”). Zu einer Typologie HOSE (2003) 43f., der Ich-Aussagen der frühgriechischen Lyrik nach deren Funktion systematisiert: I) Fokalisierung bzw. Rezipienten-Steuerung und II) Nobilitierung des Gedichts durch a) Selbstlob, b) Herausstellen der Kompetenz des Verfassers, c) Beglaubigung des Dargestellten, d) Kontrast bzw. Abgrenzung von anderen Dichtern und e) (komplementär zu d) Marker der Zusammengehörigkeit von Versen durch Sphragis. Vgl. Belege zu antiken Reflexionen über Klassifizierungen von Lyrik S. 45 Anm. 17.

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Themenwahl, dem Publikum sowie der Funktion der Gedichte mit sich brachte. So erscheint das ‚Ich‘ mal als idealtypische Person eines soziopolitisch abgegrenzten Kreises (etwa bei Alkaios; es ist hier auch an die Elegie zu denken), mal als typischer Vertreter eines Berufs oder als ein sich selbst im Rahmen seiner festlichkultischen Rolle repräsentierender und definierender Chor (im chorlyrischen Festgesang).644 Lyrische Gedichte standen ursprünglich mit einer bestimmten Aufführung in Verbindung – als Skripte, die durch Performer eine Stimme erhielten, oder als in Folge einer Darbietung festgehaltene Aufzeichnung. Die darbietenden Akteure gaben im Rahmen eines Festes oder Symposions eine Melodie und einen Text wieder, der häufig nicht von ihnen selbst stammte: Entsprechend konnte auch die zuerst von Autoren selbst aufgeführte Lyrik in der Folge von anderen Sängern und auf jeweils neue Weise wiederaufgeführt werden, wobei die Stimme der Darbietenden graduell mit der Stimme des Skripts übereinstimmte oder davon abwich. Effektive Autorpräsenz konnte so in der doppelten Qualität bestehen, dass ein Gedicht sowohl unter den Umständen einer neuen Aufführung weiterhin relevant erschien als auch die Zuhörer auf einen früheren, authentischen Kontext verwies. 645 Grundsätzlich wurde die Zuweisung von Autorschaft im Zuge von Wiederaufführungen durch die Einfügung von Autornamen oder anderer Informationen auch dann möglich, wenn der Produzent absent war. Während die Urheberschaft der Gedichte im Rahmen der ersten Aufführung vor einem Publikum, das mit dem realen Autor vertraut ist, offensichtlich gewesen sein dürfte, konnte bei späteren Wiederaufführungen an verschiedenen Orten der griechischen Welt Verfasserschaft durch die Einfügung eines Autornamens und durch die Gleichsetzung dieses ___________________________

644 In der Rollendichtung des Iambos wurden autoritative Strategien dagegen meist spielerisch zu komischen oder subversiven Zwecken verwendet: SWIFT (2017) 175 (“Archilochus foregrounds the relationship between poet and audience and invites the audience to see themselves as active participants in the discourse of how narrative authority is granted and retained”). Laut A. D. MORRISON (2007) 59f. mit Anm. 119f. bietet die Iambik eine generische Trennung von Autor und Erzähler (wenngleich der Erzähler auf eine konsistente und implizite Quasi-Biographie verweist, 66). Gegen frühere Ansichten, etwa bei Snell, mit Archilochos werde erstmals ein individueller Dichter fassbar, erklärt HEDREEN (2016) 59-100 fiktive Charaktere zu dessen Markenzeichen: So orientiert sich das Rhipsaspis-Gedicht (fr. 5 W.) an einer der fiktiven Autobiographien des Odysseus, der Trugrede vor Eumaios (Od. 14.277-279), was statt einer autobiographischen Lesart eine poetisch-fiktionale Modellierung plausibel mache (vgl. SEIDENSTICKER [1978]). Bei Hipponax (fr. 32.4, 36.2, 37.1, 79.9 W.) findet sich dagegen eine konsistente Sprecherfigur namens ‚Hipponax‘ (HEDREEN [2016] 101-134). Stabile Autor-Zuschreibungen wurden u. a. durch repetitive poetische Elemente ermöglicht, vgl. SCODEL (2019) 56: “Archilochus could be identified by an address to Glaucus or abuse of Lycambes or Neoboule, or Hipponax by references to Boupalus.” 645 SCODEL (2019) 50.

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Autors mit der Hauptstimme des Gedichts oder Lieds geltend gemacht werden.646 Aufgrund der Aufteilung und Verunklarung auktorialer Aktivitäten entlang einer zeitlichen Achse von Aufführungen und Wiederaufführungen scheinen Autornamen ursprünglich im Sinne einer Resistenz gegen völlige Anonymisierung eingesetzt worden zu sein. Markierungen deklarativer Autorschaft konnten so vor der mit künftigen Wiederaufführungen verbundenen, ziellosen Diffusion der eigenen Dichtung und damit vor dem Vergessenwerden schützen. Entsprechend erscheint Sapphos Name insgesamt viermal in den erhaltenen Fragmenten ihrer lyrischen Gedichte (fr. 1.20, 65.5, 94.5 und 133.2 V.), daneben auch Namen von Familien-Mitgliedern (fr. 98a-b V.).647 Sapphos eigener Name (adressiert im Vokativ Ψάπφοι der äolischen Form Ψάπφω) wird jedesmal in vokativischen Apostrophen anderer Sprecher-Instanzen, d. h. aus einer Außenperspektive, genannt.648 Wie im Rahmen von Hesiods Musenweihe (Theog. 22) lassen sich diese Nennungen bereits als auktoriale Signaturen deuten.649 Gerade in Sapphos Kypris-Gedicht fr. 1.19-20, das später wohl programmatisch die alexandrinische Edition eröffnete, fällt der äolische Name der Dichterin im Kontext der Interaktion mit dem Göttlichen und wird dadurch legitimiert, dass er aus dem Munde der Aphrodite erklingt (τίς σ’, ὦ | Ψάπφ’, ἀδικήει;). Sapphos Apostrophe durch die Liebesgöttin findet sich exakt in der Mitte einer imaginierten Rede der Aphrodite an die Dichterin (V. 18b-24), wobei die Gottheit wiederum vom poetischen ‚Ich‘ impersoniert wird – damit liegt eine indirekte und verschachtelte dichterische Selbstnennung bzw. -legitimierung vor. Wie im Theogonie-Proöm oszilliert die erste Person des sprechenden ‚Ichs‘ mit der Nennung einer Urheber-Figur in der zweiten oder dritten Person (genannt jeweils einmal in Hes. Theog. 22 und ___________________________

646 Vgl. hierzu auch die Schlussfolgerung bei A. D. MORRISON (2007) 58. 647 Vgl. zur Fiktionalisierung von Sapphos Familienmitgliedern im 2014 entdeckten Brudergedicht BIERL/LARDINOIS (2016). Zu ‚Sapphos‘ Auftreten in ihrer Dichtung A. D. MORRISON (2007) 50f., LARDINOIS (2021). 648 Vgl. fr. 1.20 (Apostrophe durch Aphrodite), 65.5 (unklare Sprechinstanz, aufgrund der Nennung von Κύπρωι in 65.6 glaubte u. a. Fränkel an Aphrodite als Sprecherin), 94.5 (Apostrophe durch eine Abschied nehmende Frau), 133.2 V. (unklar, doch erneute Juxtaposition Aphrodites: Ψάπφοι, τί τὰν πολύολβον Ἀφροδίταν κτλ.). Ein Reflex dieser spezifisch sapphischen Autorpoietik findet sich im carmen 4.6 des Horaz: In der sapphischen Schlussstrophe des Gedichts (carm. 4.6.41-44) imaginiert der Dichter des carmen saeculare die zukünftige Nennung seines Namens durch eine ehemals junge und bald verheiratete Choreutin des Festgesangs (V. 41 nupta iam dices), aus deren Mund das nomen poetae (vgl. V. 30), wie schon bei Sappho auch hier im vierten Vers (Adoneus) platziert, erklingen wird (V. 44 vatis Horati). Diese singuläre Selbstnennung des Horaz in seinem lyrischen Korpus – in Form der Adressierung durch die nupta – verweist auf eine Integration des Autornamens in das Werk à la Sappho. 649 Zwar hält SCODEL (2019) 57 fest, dass “there is no sphragis and no sign that Sappho was concerned that her poetry be marked as hers”, doch markierte etwa die Apostrophe Sapphos aus dem Munde Aphrodites (fr. 1.19-20 V.) ihr vertrautes Verhältnis mit der Göttin – vgl. BIERL (2016) – und diente der Memorialisierung ihres Namens.

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Sappho fr. 1.20 V.) und somit zugleich eine interne mit einer externen Perspektive.650 Die Nennung des Autornamens innerhalb einer Ansprache an den Autor in der zweiten Person – wie im Fall von Aphrodites Apostrophe ‚Sapphos‘ in fr. 1.19-20 V. –, und damit innerhalb der fiktionalen Welt des Gedichts, 651 stellte im Kontext späterer Wiederaufführungen eine spannungsvolle Beziehung zur singenden Stimme her, die in die Rolle ‚Sapphos‘ bzw. der diese adressierenden Instanz schlüpfte. Bemerkenswert ist hierbei die dreimalige Nennung des auf Typisches, Überzeitliches und Repetitives zielenden δηὖτε („erneut“, kontrahiert aus δή + αὖτε) in den Versen 15, 16 und 18. Dies bot den Zuhörenden wiederum die Möglichkeit, den angesprochenen Namen auf eine empirisch-reale Dichterperson ‚Sappho‘ zu beziehen.652 Dass es bereits in (spät-)archaischer Zeit ein biographisches Interesse an der historischen Autorfigur Sappho gab, die hinter sowie in den Gedichten präsent war, bezeugen seit dem späten 6. Jh. neben Texten auch materielle Zeugnisse wie Vasenbilder, auf denen Dichter wie Sappho, Alkaios und Anakreon samt ihren Namen abgebildet sind.653 Dagegen bleibt das ‚Ich‘ im Altersgedicht fr. 58 V. (das 2004 durch den Kölner Sappho-Papyrus P. Köln 21351 ergänzt wurde) auffallend anonym und distanziert, und in fr. 55 V. äußert die Stimme polemisch, die anonyme Adressatin (womöglich ist die Dichterin selbst gemeint) werde nie an den „Pierischen Rosen“, metonymisch für die Musen aus dem von Lesbos aus fernen Pierien, Anteil haben (V. 2-3 οὐ γὰρ πεδέχηις βρόδων | τὼν ἐκ Πιερίας) – was auf Sapphos äolische Dichtung ___________________________

650 Auch Alkaios wird in fr. 401B.a.1 V. (Ἄλκαος σάος) genannt. Der Name Alkman fällt in der dritten Person fr. 17.4 (ὁ πάμφαγος Ἀλκμὰν als Liebhaber), 39.1 (Erfinder von Gesang), 95b PMGF (Alkman bereitet Abendessen vor). Bei Solon fr. 33.1 W. fällt der Autorname einzig innerhalb des Vorwurfs eines anonymen Kritikers (οὐκ ἔφυ Σόλων βαθύφρων οὐδὲ βουλήεις ἀνήρ: „Solon war weder ein tiefer Denker noch ein guter Planer“). Hipponax tritt – wie Hesiod in der Theogonie – als Figur der fiktionalen Welt auf: fr. 32.4 (der Dichter nennt sich wohl selbst), 36.2 (Apostrophe durch Pluto), 37.1 (Hipponax als Opfer von Gewalt), 79.9 W. (Interaktion mit Hermes). 651 SCHMITZ (2002) 68 verortet Namen bei Sappho im fiktionalen Bereich. Aufgrund der öffentlichen Aufführungen sapphischer Dichtung schließt LARDINOIS (2021) auf ein repräsentatives, teilweise fiktives, sprechendes ‚Ich‘. 652 CALAME (2004) 19f. sieht Autornamen bei Alkaios, Sappho und Solon (und noch im Prosa-Titelsatz) als Mittel für “procedures indirectes” und Assoziationen mit einer Urheberfigur. Zu ‚extradiskursiven‘ Autornennungen CALAME (1995) 185, wo Eigennamen als kondensierte microstory gedeutet werden, die im Sinne einer rhetorischen Figur mögliche Beschreibungen ihres Trägers enthalten (“a metaphor for the identity of its bearer”). 653 Diese werden vorgestellt und diskutiert bei SCHEFOLD (1997) und YATROMANOLAKIS (2007) 51-164. Laut LARDINOIS (2022) sei das autobiographische Interesse am sprechenden ‚Ich‘ in Sapphos fr. 31 sowie in Alkaios’ fr. 130b V. und damit die auktoriale Zuschreibung erst durch die Rezeption außerhalb von Lesbos entstanden.

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abzielen dürfte – und einst „unsichtbar“ (ἀφανής) im Hades weilen.654 Gleichwohl gilt für Sappho wie für andere frühe griechische Lyriker, etwa Alkaios oder Anakreon,655 dass sie und ihre Poesie überhaupt in Erinnerung blieben. Soweit die erhaltenen Gedichte erahnen lassen, waren die Lyriker jedoch weniger darauf bedacht, mit der Urheberschaft einzelner Lieder in Verbindung gebracht zu werden, oder aber fälschlicherweise als Verfasser von Gedichten zu gelten, die gar nicht von ihnen stammten.656 Wenn in späterer Zeit zirkulierende und wiederaufgeführte Gedichte mit Sappho in Verbindung gebracht wurden, bestanden zwar stets Risiken einer Fehl- oder Doppelzuschreibung.657 Doch bildete die relativ konstante Zuweisung der Gedichte an Sappho in der mündlichen Tradition Bedingung und Grundlage für die Formierung einer alexandrinischen Edition in mindestens acht Buchrollen. In der Chorlyrik eines Alkman wie auch derjenigen eines Pindar, Bakchylides und Simonides ist auktoriale Präsenz weniger greifbar als in der monodischen Lyrik. Vielmehr gehören abrupte Wechsel zwischen individuellen und anonymen Stimmen zur Grundsignatur der mittels Chören vorgetragenen Gedichte. 658 Entsprechend widmet sich die Forschung noch immer der kontroversen Frage, ob das chorlyrische ‚Ich‘, etwa in Pindars Epinikien, dasjenige eines repräsentativen Dichters als Vertreters seines Berufs sei, oder den darbietenden Chor im Ganzen darstelle. 659 Bei Fragen der Attribution von Ich-Aussagen an eine bestimmte ___________________________

654 Doch kann in fr. 55 auch die (Un-)Musikalität anderer Dichterinnen kritisiert worden sein (vgl. 57 V.), einhergehend mit der Betonung eigener lyrischer Suprematie; s. fr. 96, 106 V. über die anhaltende Kraft der Lyrik. 655 Alkaios äußerte sich wohl quasi-biographisch über Vater wie Großvater (fr. 130b.5 V.); fr. 350 V. scheint an den Bruder adressiert; fr. 401B.a.1 V. nennt Alkaios selbst (Ἄλκαος σάος) am Versanfang. Anderswo zeichnet sich das ‚Ich‘ als Symposiasten: fr. 38a, 50.2 V. Auch bei Anakreon stehen Ich-Aussagen im sympotischen Kontext, wenn es um die Liebe zu Kleobulos geht (fr. 357, 359 PMG) oder das ‚Ich‘ in einer Trinkrunde erscheint (fr. 356b.4-5). Eine Schwester, κάσις, wird in fr. 370 PMG adressiert; fr. 381b PMG scheint eine Rhipsaspis-Erzählung im Stile von Archil. fr. 5 W. zu sein – was sich auch als Fiktionalitätssignal durch Bezug auf Odysseus’ fiktive Autobiographie deuten ließe (Od. 14.277-279). Zu personalen Elementen in der Lyrik A. D. MORRISON (2007) 51f. 656 SCODEL (2019) 57. 657 Zur variierenden Zuschreibung äolischer Dichtungsfragmente an Sappho vs. Alkaios BOYCHENKO (2017). 658 Neuere Studien zur Chorlyrik sowie eine nützliche Einführung finden sich bei ATHANASSAKI/BOWIE (2011). 659 Repräsentativer Dichter: KRANZ (1961) 38 („das Hervortreten des Dichters selbst wie bei Pindar“) und dann LEFKOWITZ (1963), gemäß der in den quasi-monodischen Epinikien über den Chor als Vermittler autobiographische Selbstaussagen des DichterIchs fassbar werden; vgl. LEFKOWITZ (1980), wo das ‚Ich‘ rezeptionsästhetisch gefasst als Konvention des Epinikions erscheint; erneut LEFKOWITZ (1991) und in Neudeutung UHLIG (2016); Chor: u. a. CAREY (1991), LATTMANN (2017). Vermittelnd RÖSLER (1985) 138ff., D’ALESSIO (1994) 138, laut dem die Ambiguität von performing voice

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Sprechinstanz tritt dabei häufig die Pragmatik der Aussage – etwa im Sinne einer expliziten Aufforderung an ein Publikum – in den Hintergrund.660 Es steht zumindest fest, dass die von aristokratischen Auftraggebern bestellten Siegeslieder im Voraus dafür konzipiert waren, vor einem ersten Publikum in einer hellenischen Polis, wahrscheinlich in Absenz des Dichters Pindar, aufgeführt zu werden, 661 wobei ein Nachleben im Sinne von Wiederaufführungen in derselben Polis oder vermittelt durch die Familie des Siegers nicht auszuschließen war. 662 Selbst wenn diese nicht in allen Epinikien mit gleicher Intensität zu Tage tritt, lässt sich aus Pindars Siegesliedern doch eine spezifisch konturierte Autorstimme rekonstruieren. Deren Ausgestaltung folgte besonders ästhetischen Zwecken, stellte jedoch auch insgesamt einen Autorschaft deklarierenden Kohärenz-Marker in den Epinikien dar. Zur Zeichnung des exzellenten poeta laudans663 zählen einerseits poetische Gestaltungsmittel, die sich als Textstrategien analysieren lassen, ___________________________

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und composer’s voice als konventionelles ‚Ich‘ den Zeitgenossen bewusst gewesen sei (“distinction between the author’s literary portrait and his ‘real’, or ‘biographical’ image is anachronistic. […] The construction of the poet’s literary persona in this period cannot be divorced from the construction of his social persona”), vgl. GUNDERT (1935) 145 Anm. 402 („Seine persönliche, berufliche, künstlerische Geltung ist immer eine untrennbare Einheit“), A. D. MORRISON (2007) 43f., 63ff. Zur chorlyrischen Polyphonie der Instanzen Dichter, Chor und Chorführer SLATER (1969), GENTILI (1990) 20f., CALAME (2010) 142 und BUDELMANN (2018). MASLOV (2015) 107-113 kategorisiert drei Arten von Epinikien je nach Adressaten und Anlass (für Herrscher, Aristokraten, Städte/Gemeinden) mit je variierender Ich-Stimme (Herrscherfreund, wohlgesinnter Außenstehender, moderater Polisbürger). Im Falle pindarischer Kultlieder wie der Päane, die im Festkontext (wieder-)aufgeführt wurden, während Epinikien i. d. R. eine einmalige Siegesfeier betrafen und bisweilen ein Dichter-Ich fassbar werden lassen, tritt poetische Auktorialität zugunsten des Chor-Kollektivs und einer entsprechend kollektiven Stimme zurück: CAREY (2017); doch M. FOSTER (2017) 152: “the poetic ego […] becomes the one figure capable of negotiating the poem’s discordant components […]. In contrast to the majority of Pindar’s extant paeans in which the ego represents the chorus and the poet’s own persona is absent, Paean 6 does not ignore the poetic persona in a choral context but instead depicts it as vital to its choral project”. CURRIE (2004) dagegen setzt die Epinikien auf eine Stufe mit wiederaufgeführten Kultliedern, vgl. CURRIE (2013). Gegen eine starke generische Dichotomie vgl. auch KUHN-TREICHEL (2020). Hierzu HOSE (2003) 44f. Vgl. PEIRANO (2013) 275, wo die Authentizität auktorialer Signaturen eher im Bereich rhetorischer Persuasion als in dem eines rein beglaubigenden Beweisverfahrens lokalisiert wird. Hierzu A. D. MORRISON (2007) 40 und bereits HERINGTON (1985) 30f. Zur Epinikien-Rezeption HUBBARD (2004). STEHLE (2017) setzt die Wirkung von Pindars Autorstimme mit der Textrezeption an, zuvor lag Autorität beim Chor. Zur ‚Reise‘ chorlyrischer Gedichte CALAME (1995). Vgl. AUGER (1987), D’ALESSIO (1994) 125ff., CAREY (2000) 173-177, SCODEL (2001) 123ff., HARDEN (2017). MASLOV (2015) 100 unterscheidet drei Elemente poetischer Autorität Pindars: affirmierende bzw. kritische Bezüge auf Mythologie oder Tradition, sphragisartige Einschübe, göttlich legitimiertes Wissen.

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etwa der Eindruck dichterischer Spontaneität und kunstvoller extempore-Komposition, wie sie in Selbstkorrekturen, spontanen Abbrüchen oder unangekündigt eingeschobenen Begründungen fassbar werden. Dadurch wird jeweils eine Unmittelbarkeit fingiert, die als eine im Moment der Aufführung durch die Emotionalität des Augenblicks improvisierte Reaktion erscheinen mag, tatsächlich jedoch ein ausgeklügeltes Element pindarischer Dichtersprache darstellt.664 Zugleich signalisiert die relativ konsistente Autorstimme (das ‚Ich‘) wiederholt ihre Kontrolle über das künstlerische Produkt und reflektiert Ansprüche und Aufgaben des Epinikien-Dichters.665 Die poetische Autorität der Lieder beruht auf verschiedenen, auf Überhöhung abzielenden Strategien wie einem wiederholt affirmierten, reziprok-freundschaftlichen Verhältnis (ξενία, φιλία: Pyth. 10.64, Isthm. 1.248; vgl. Bakchyl. 5.11, 13.224-225) zwischen laudans und laudandus. Die Effektivität der Dichtung wird bestärkt durch deren Ethos, besonders die Aufrichtigkeit des Lobs durch eine glaubhafte Dichter-Autorität sowie deren moralische, soziale wie poetische Exzellenz, 666 die wiederum durch die privilegierte Kommunikation mit den ihr nahestehenden Musen (als Abbild der Kommunikation mit dem laudandus) abgesichert wird und die sie implizit von konkurrierenden Dichtern abhebt. Die Glaubhaftigkeit des professionellen Enkomiasten beruht auch auf dessen Fähigkeit, Einsichten in das menschliche Leben zu haben, Mythen zu bewerten und Gnomen über richtiges Handeln auszusprechen; pointiert gesprochen darin, seine Dichtung als eine moralische Tätigkeit und die Gedichtstimme als moralische Autorität darzustellen, wodurch das Lob und andere Äußerungen zusätzliche Gültigkeit erhalten.667 In der Person des laudans verbinden sich das soziale Prestige des herausgehobenen ξεῖνος mit der besonderen Ästhetik des Preisens auf exemplarische Art und Weise.668 Zugleich signierten die Chorlyriker ihre Werke an ausgewählten Stellen wiederholt durch Einfügung eines Herkunftsmarkers, ohne dabei ihre eigenen Namen zu nennen, was in bestimmten rituellen Kontexten möglicherweise als unpassend ___________________________

664 Hierzu CAREY (1981) 5 und (1991) 552, KRUMMEN (1990) 270, SCODEL (1996); ferner A. D. MORRISON (2007) 69f. zum Eindruck, “as if the poem could only be redirected, rather than rewritten”. 665 UHLIG (2016) 124 sieht Pindars Ich-Aussagen als “a clear claim for authorship”. 666 So erscheint der Dichter als σοφός/συνετός in Ol. 1.9 und 2.86, Pyth. 5.12 und 10.22 etc. Durch σοφία gibt es auch eine Verbindung zum laudandus, vgl. Ol. 1.15, Pyth. 4.295, 5.114, 6.49. Ferner Bakchyl. 3.71, 5.3-5. Auch bei Ibykos wird in S151.46-48 PMGF der Ruhm des laudandus Polykrates an den des Poeten als laudans geknüpft. 667 A. D. MORRISON (2007) 98f.; D’ALESSIO (1994) 125: “the important fact is that all the distinctive marks converge towards the construction of a coherent figure, a personally outstanding speaker whose distinctive marks are poetic production and divine inspiration, while there is no formal element characterizing the performers as such.” 668 Zu den drei kommunikativen Elementen laudans, laudandus und laus anschaulich Pind. Nem. 7.61ff. (ξεῖ ν ό ς εἰμι· οτεινὸν ἀπέχων ψόγον, | ὕδατος ὥτε ῥοὰς φ ί λ ο ν ἐς ἄ ν δ ρ ' ἄγων | κ λ έο ς ἐ τ ή τ υ μ ο ν αἰνέσω). Zu poetischer Autorität und Auktorialität bei Bakchylides A. D. MORRISON (2007) 99ff., HARDEN (2017) 155ff.

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empfunden worden wäre, da ja der Chor selbst die Gemeinschaft repräsentierte. Die Vermeidung von Namensnennungen könnte auch dem Zweck gedient haben, Wiederaufführungen zu erleichtern,669 doch dann wäre es wiederum unbegreiflich, warum im Verlaufe der panhellenischen Rezeption die ethnisch-topographischen Markierungen bestehen blieben. Möglicherweise lassen sich diese als Ausdruck dichterischen Selbstvertrauens deuten, sofern die Verfasser der Lieder davon ausgingen, bereits die Nennung ihrer Herkunft werde ein künftiges Publikum an sie erinnern, ohne dass sie hierfür ihre eigentlichen Autornamen anfügen mussten. 670 Entsprechend markiert Pindar seine Lieder topographisch, prominent etwa in Isthm. 1.1-3, wo er seine Mutter „Theben mit dem goldnen Schild“ anspricht (Μᾶτερ ἐμά, τὸ τεόν, χρύσασπι Θήβα, | πρᾶγμα καὶ ἀσχολίας ὑπέρτερον | θήσομαι).671 Ähnlich allusiv bezeichnet sich Bakchylides von Keos im Schlussteil eines Epinikions für Hieron von Syrakus (3.63-99) als von Kleio inspirierte „Nachtigall von der Insel Keos“ (V. 97-98 μελίγλωσσος Κηΐα ἀηδών).672 In dem fünf Verse umfassenden fr. 16 PMGF des Chorlyrikers Alkman von Sardeis wird die Herkunft des Dichters in V. 1-4 gar in Form einer Priamel, als Spiel mit verschiedenen Toponymen präsentiert, ehe mit ἀλλὰ in V. 5 zur lydischen Kapitale Sardeis übergeleitet wird (οὐκ ἦς ἀνὴρ ἀγρεῖος οὐ- | δὲ σκαιὸς οὐδὲ †παρὰ σοφοῖ- | σιν† οὐδὲ Θεσσαλὸς γένος, | Ἐρυσιχαῖος οὐδὲ ποιμήν, | ἀλλὰ Σαρδίων ἀπ’ ἀκρᾶν). Bei Alkman finden sich im Gegensatz zu den anderen Chorlyrikern jedoch auch explizite Namensnennungen: In dem berühmten Fragment fr. 39.1-2 PMGF bezeichnet der singende und tanzende Chor Alkman als Erfinder eines Gesangs bzw. einer Melodie (ϝέπη τάδε καὶ μέλος Ἀλκμὰν | εὗρε γεγλωσσαμέναν).673 In den erhaltenen Fragmenten von Solons Dichtung fällt weder der Name des Autors noch eines anderen Dichters, sieht man vom tetrametrischen Iambos-Fragment 33.1 W. ab, worin ein Kritiker in direkter Rede zitiert wird, der behauptet habe, „Solon war weder ein tiefer Denker noch ein guter Planer“ (οὐκ ἔφυ Σόλων ___________________________

669 So erkennt etwa MASLOV (2015) 99 Eigenheiten poetischer Erzählung als Substitut einer Autor-Signatur durch Sphragis: “Since the communal medium prevented the use of full sphragis (the “signature” motif, involving the author’s name), Greek choral lyricists developed diegetic frames that could be recognized as uniquely theirs.” 670 Vgl. SCODEL (2019) 57: “Scholars have suggested that they avoid their names in order to facilitate re-performance, but it is hard to see why it would be easier for someone singing an epinician at a symposium in Ephesus to speak as an anonymous Theban rather than as Pindar.” 671 Vgl. auch Ol. 1.115b-117, Nem. 7.35-39, Pyth. 1.81-85. Die biographische Selbstpositionierung des Dichters wird bei Pindar auch in Isthm. 8.15-16, Ol. 6.84-87, Pyth. 2.3-4 und Bakchyl. 5.9-16 und 4.7-8 mit der Herkunft verknüpft. 672 Die abschließenden Verse beziehen sich ringkompositorisch auf Bakchyl. 3.3, wo von der Süße spendenden Muse Kleio (γλυκύδωρε Κλεοῖ) die Rede ist. 673 Hierzu vgl. CALAME (2004) 18f. Nennungen Alkmans in der dritten Person finden sich neben fr. 39.1 PMGF auch in fr. 17.4 PMGF (οἷον ὁ παμφάγος Ἀλκμὰν) und fr. 95b PMGF (αἶκλον Ἀλκμάων ἁρμόξατο).

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βαθύφρων οὐδὲ βουλήεις ἀνήρ). In weiteren Fragmenten wird mittels der Zitation von dessen fr. 6.2 W. der Dichter Mimnermos von Smyrna adressiert (fr. 20 W.) und dabei dessen Behauptung, ein Tod mit 60 Jahren sei wünschenswert, auf ein Höchstalter von 80 Jahren angehoben, wodurch quer durch die griechische Welt ein Dialog über konkurrierende Sinnsprüche geführt wird. Topographische Hinweise auf die athenische Herkunft des Solon gibt es in fr. 2.4a W., ebenfalls in der imaginierten Rede anderer Sprecher (Ἀττικὸς οὗτος ἀνήρ).674 In den Elegien des corpus Theognideum, genauer in der Passage der Verse Thgn. 19-23 W., findet sich ein berühmter und häufig rezipierter Marker archaischer Autorschaft: Κύρνε, σοφιζομένωι μὲν ἐμοὶ σφρηγὶς ἐπικείσθω τοῖσδ’ ἔπεσιν–λήσει δ’ οὔποτε κλεπτόμενα, οὐδέ τις ἀλλάξει κάκιον τοὐσθλοῦ παρεόντος, ὧδε δὲ πᾶς τις ἐρεῖ· ‘Θεόγνιδός ἐστιν ἔπη τοῦ Μεγαρέως· πάντας δὲ κατ’ ἀνθρώπους ὀνομαστός.’ „‚Kyrnos‘ soll von mir mit kluger Überlegung als ein Siegel675 aufgedrückt sein den vorliegenden Versen. Niemals wird deren Diebstahl unbemerkt bleiben, und keiner wird Schlechteres für das vorhandene Bessere austauschen:676 So wird ein jeder sprechen: ‚Es handelt sich um Theognis’ Verse, des Megarers; bekannt bei allen Menschen ist sein Name.‘“677

Ausgehend von dieser Stelle, die aufgrund unlösbarer Fragen über den Charakter der gesamten Elegien-Sammlung selbst problematisch ist,678 haben sich vielerlei ___________________________

674 Quasi-biographische Daten über Solon enthalten ferner fr. 1.1 (Ankunft aus Salamis), 18 (voranschreitendes Alter: γηράσκω), 32 (Weigerung, ein Tyrann zu werden), 5 und 36.15-17 W. (politische Errungenschaften): vgl. A. D. MORRISON (2007) 52f. und zur elegischen persona etwa bei Tyrtaios und Kallinos S. 94f. 675 Zur Bedeutung von „Siegel“ (σφρηγίς) vgl. DIEHL (1938), SELLE (2008) 289-311. 676 Zu dieser gängigen Übersetzung von V. 21 vgl. FORD (1985) 82 (“and no one will substitute something inferior for the esthlón [genuine] thing that is there”). Dagegen erwägt BAKKER (2017b) 108f. die Übersetzung von τοὐσθλοῦ παρεόντος als genitivus absolutus mit konditionalem Nebensinn (“and no one will change them for the worse provided the esthlós one is present”), wobei ἐσθλός auf den Performer bzw. Adressaten der Verse in künftigen Aufführungen der Elegie deuten kann, der jeweils physisch präsent (παρεῖναι) sein wird. Vgl. SCODEL (2019) 55: “change will be change for the worse, although it is not clear whether he means that nobody will vary his poems to render them worse, or that nobody will choose to perform inferior poetry instead of his.” 677 Oder, wenn die imaginierte Rede nach Μεγαρέως endet: „[Ich bin] bei allen Menschen namentlich bekannt.“ 678 Zu späteren poetisch-revisorischen Zusätzen im corpus Theognideum, wobei eine Abgrenzung in Einzelelegien schwierig ist, REITZENSTEIN (1893) 52ff., WEST (1974) 4061, SELLE (2008) 381ff., LEAR (2011), allg. HOSE (2021).

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Deutungen für den Terminus ‚Sphragis‘ sowie dafür, wie er zu klassifizieren sei, ergeben:679 Verweist die Stelle Thgn. 19-23 auf den Schutz der Dichtung vor Plagiat, im Sinne einer ‚Autorensicherung‘?680 Verbirgt sich dahinter eine heute nicht mehr fassbare kommunikative Strategie archaischer Aristokratie? 681 Ist er mit Blick auf die Performanzkultur und die Antizipation späterer Wiederaufführungen als ‚Vorhängeschloss‘ zum Schutz der Dichtung und ‚Signatur‘ des Megarischen Dichters gegenüber einem panhellenischen Publikum zu betrachten?682 Blickt man auf die verschiedenen Interpretations-Zugänge zur Passage, lässt sich keine exakte Bestimmung des schillernden Begriffs ‚Sphragis‘ geben – allein eine Deutung als materielles und konkretes Siegel scheint inzwischen obsolet.683 Gleichwohl lässt sich festhalten, dass ‚Sphragis‘ in metaphorischer Verwendung namentliche Selbstnennungen oder Selbstbeschreibungen von Autoren in Dichtung oder Prosa in markanter Position innerhalb des Werkes bezeichnet und damit den Anspruch eines „Ich“ sagenden Dichters auf die Autorschaft desselben Werks deklariert. 684 Es lässt sich folgende ‚Maximal‘-Definition geben: „S[phragis bzw. Sphragides] ist / sind demnach eine oder mehrere am Anfang oder Ende eines Textes gegebene Information / -en, die in direkter (d. h. Nennung des Namens) oder indirekter (d. h. durch Nennung des Adressaten; allerdings überschneidet sich hier die S[phragis] mit der Form ‚Widmung‘ […]) Weise den [Verfasser] des Textes identifizieren [und] darüber hinaus Anreicherungen bieten, die aus der Verbindung von Qualitäten des [Verfassers und] Qualitäten des Textes bestehen [und] damit entweder den Text oder den Autor weiter konturieren. Ferner kann die S[phragis] entweder als Teil des Textes oder als selbständiger Folgetext ___________________________

679 Zur Sphragis ALY (1929), DIEHL (1938), THESLEFF (1949), KRANZ (1961), CALAME (2004) 13ff., HOSE (2021). Zur σφρηγίς der Theognis-Stelle REITZENSTEIN (1893) 264269, RÖSLER (1980) 78-89, FORD (1985), CERRI (1991), PRATT (1995), EDMUNDS (1997), HUBBARD (2007), LEAR (2011), PEIRANO (2013) 262f., BAKKER (2017b). 680 Zum Begriff KRANZ (1961) 24. Zur Auffassung, die Sphragis solle Plagiat verhindern, WEST (1974) 149, SELLE (2008) 289-321, 364-370. Beide Autoren bezweifeln, dass die Verse am Anfang der Sammlung situiert waren: WEST (1974) 42, 149f., SELLE (2008) 176. Dagegen argumentiert RENEHAN (1980) 340 für eine Anfangsposition, da wie in Hesiods Theogonie-Proöm der Autorname ebenfalls in V. 22 fällt. 681 So HUBBARD (2007) mit Verweis auf Kritias fr. 5 W. 682 So BAKKER (2017b), dies als Versuch deutend, einer lokalen Elite traditionelle Werte zu vermitteln und die Rezeption auch außerhalb Megaras graduell zu steuern; BAKKER (2017a) 4: “The seal is thus a reflex on the inherent conflict in Theognis between the desire to transmit aristocratic values in local sympotic gatherings of insiders and the aspiration to attain panhellenic diffusion before audiences of potentially unpredictable composition.” 683 Noch CERRI (1991) 33 assoziierte das Siegel mit Namens-Markierungen auf offiziellen Werk-Kopien. 684 HOSE (2003) 49ff. trennt den Typ der Verfasser-Sphragis (z. B. Susarion) von der Adressaten-Sphragis (Kyrnos).

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Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk konzipiert sein. In dieser Definition stellt die S[phragis] einen Sonderfall von sog. Ich-Aussagen […] dar“.685

Mit der Adressaten-Sphragis ‚Kyrnos‘, die insgesamt 77mal im 1389 Verse (die Suda nennt 2800 Verse) umfassenden corpus Theognideum erscheint, wäre, unabhängig von der ursprünglichen Stellung der Verse 19-23 innerhalb der Sammlung, ein Kohärenz-Marker der Elegien geschaffen, wird Kyrnos, variiert auch als „Sohn des Polypas“ (Πολυπαΐδη) angesprochen, darin doch wiederholt apostrophiert. Dabei dürfte der Name des Adressaten als indirekte deklarative Signatur und ‚Platzhalter‘ für das mit diesem assoziierte ‚Ich‘ des Textes, das in Juxtaposition mit der Kyrnos-Nennung über den dativus auctoris σοφιζομένωι […] ἐμοὶ in V. 19 als eben ein solcher auctor fassbar wird, sowie für dessen Ethos gedient haben.686 Da eine zukünftige sympotische Performanz der Gedichte antizipiert wird – man beachte in den ‚Schlussversen‘ V. 239-240 das an Kyrnos gerichtete θοίνηις δὲ καὶ εἰλαπίνηισι π α ρ έσσ η ι | ἐν πάσαις πολλῶν κείμενος ἐν στόμασιν –, war eine solche Signatur sehr wahrscheinlich noch nicht mit dem Anspruch auf künstlerischauktoriale Originalität verbunden,687 da die Elegien im Rahmen neuer Aufführungen jeweils adaptiert wurden und Eingriffen von darbietenden Akteuren oder auch Exzerptoren unterworfen waren.688 Gleichwohl besitzt die Sphragis bei Theognis ___________________________

685 Dies der Versuch bei HOSE (2021) Sp. 972, abgeleitet von Thgn. 19-23 und anderen antiken Werken das Bedeutungsspektrum von ‚Sphragis‘ zu entwickeln – die frühere Forschung schwankte zwischen positivistischer Annäherung (vgl. die Synopse bei KRANZ [1961], der ‚Sphragis‘ auf ein Spektrum auktorialer Selbstnennungen ausweitete) und Skepsis (WEST [1978] 164 “a pseudo-technical term constructed on a misinterpretation of Thgn. 19”). Dies grenzt HOSE (2021) von der meist unscharfen Terminologie in der Philologie sowie von der Verwendung als terminus technicus, als Bauteil des kitharodischen Nomos, ab (Poll. 4.66 führt die siebenteilige Gliederung des Nomos auf Terpander zurück [Τερπάνδρου κατανείμαντος], vgl. fr. 697 PMG). Kritisch zur Ableitung des Begriffs aus Pollux auch PEIRANO (2013) 262 Anm. 38. Dion Chrys. or. 54.9 v. Arnim (πρῶτον καὶ τελευταῖον τὸ ἑαυτῶν ὄνομα γραφόντων) bildet den Usus der Anfangs- oder Endstellung des Autornamens ab. 686 Den ‚Erfolg‘ dieser Strategie zeigen moderne Editionen, in denen das Theognis zugewiesene corpus von den Kyrnos-Passagen ausgeht. Vgl. Solon fr. 22a W. die Nennung des Kritias, die ALONI/IANNUCCI (2016) 155-161 als indirekte Sphragis betrachten, in der vielleicht Kritias als Herausgeber einer Solon-Sylloge genannt worden sei. 687 Dagegen weist FINNEGAN (1977) 201-206 den Darbietenden mündlicher Kulturen – anachronistisch – Konzepte wie “ownership” und “originality” zu, weshalb sich selbst “oral poets” gegen geistigen Diebstahl wappnen mussten. 688 Vgl. SCODEL (2019) 56: “Nothing […] could prevent someone from improvising a short poem addressed to Cyrnus in the manner of Theognis. Even a written copy would be open to change.” So macht die Forschung – u. a. WEST (1974) 45-55, NAGY (1985) 47 – innerhalb des corpus Blöcke späterer, ursprünglich selbständiger Exzerpte weiterer elegischer Dichter aus, so in V. 255-1022 (excerpta meliora) sowie V. 1023-1220 (excerpta deteriora).

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eine authentifizierende Kraft, die der elegischen Dichtung Glaubhaftigkeit und Autorität689 sowie ein aristokratisches Ethos verleiht.690 Aus rein funktionaler Perspektive scheint die Sphragis dasjenige Autorwissen im corpus zu internalisieren, das bei der ersten, ursprünglichen Aufführung, die sich wohl im Beisein des Elegikers abspielte, abrufbar gewesen war, das jedoch dann angesichts der Antizipation und/oder bereits vorliegenden Erfahrung erweiterter Verbreitung in die Gedichte inkludiert wurde, 691 allen voran das Faktum, dass Theognis aus Megara der Autor der elegischen Verse war. Als Form der internalisierten Signatur erscheint die variabel einsetzbare Sphragis damit nicht als ein paratextuelles Phänomen, da sie einem Werk nicht von außen Autorschaft zuschreibt, sondern diese werkintern anzeigt oder sie zumindest in ein Gedicht überführt.692 Die Einfügung eines solchen Autorwissens in den Text konnte belegen, dass Theognis es war, und kein anderer, der die vorliegenden Verse verfasst hatte. Es konnte auch dazu dienen, die Gedichte in der gewünschten Form zu bewahren. So heißt es auch über den frühgriechischen Philosophen Heraklit, er habe ein Exemplar seines Buches im Tempel der Artemis zu Ephesos hinterlegt, wodurch der Text zuverlässig bewahrt werden sollte. 693 Entsprechend dem von Hesiod im Schrein der Musen gewidmeten Exemplar eines Dreifußes waren solche authentifizierenden Marker jedoch noch keine allseits wirksamen Garanten für eine stabile Sicherung und Zuschreibung von Urheberschaft.694 Abgesehen, oder auch ausgehend, von der Theognis-Stelle V. 22-23 (Θεόγνιδός ἐστιν ἔπη | τοῦ Μεγαρέως), in der die Autorität eines als auktorial gekennzeichneten Sprecher-Ichs im Werk internalisiert und somit Urheberschaft darüber deklariert wurde, taucht die poetische Sphragis auch in weiteren Elegien des 6./5. Jh. auf. Auch für diese elegischen Gedichte lässt sich jeweils eine relevante Position der Sphragis innerhalb einer Sammlung oder zumindest an einer Scharnierstelle einer solchen annehmen – ohne dass zwischen autographen und allographen, also ___________________________

689 Vgl. PEIRANO (2013) 253-255. 690 Vgl. MASLOV (2015) 66: “Archaic lyric became an arena for ideological contestation in which particular authorial personae – for example, those of Theognis or Anacreon – could serve as a convenient platform for voicing a sociopolitical attitude. […] In other words, had there not been a sizable number of aristocrats who were committed to the rhetoric espoused by Alcaeus, his poems would not have survived until they became part of the teaching curriculum in the Classical period.” 691 MORRISON (2007) 59. Ferner auch PORCIANI (1997) 55 Anm. 153. 692 Zur Deutung der Sphragis als auktorialem Paratext ROOD (2004) 116, PEIRANO (2013) und (2014); kritisch HOSE (2021) Sp. 972f.; vgl. MARTELLI (2013) 26-29. 693 Vgl. Heraklit 22 A1 (p. 141) DK (Diog. Laert. 9.6). Zur Assoziation archaischer Schriften mit Tempel-Arealen THOMAS (1989) 31. Diog. Laert. 4.25 zitiert das Gerücht, der Platonschüler Krantor habe eine versiegelte Gedicht-Sammlung im Athenatempel seiner Heimatstadt Soloi geweiht (λέγεται δὲ καὶ ποιήματα γράψαι καὶ ἐν τῇ πατρίδι ἐπὶ τῷ τῆς Ἀθηνᾶς ἱερῷ σφραγισάμενος αὐτὰ θεῖναι). Allg. zur vor-alexandrinischen Buchkultur HERINGTON (1985) 45-47. 694 Vgl. Hes. erg. 658-659. Dazu auch SCODEL (2019) 56.

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späteren, Zusätzen geschieden werden kann. Dies gilt etwa für die elegischen Disticha des Phokylides von Milet (fr. 1 G.-P. = 2.1 Diehl/Beutler καὶ τόδε Φωκυλίδεω: „und dieses ist auch von Phokylides“; ferner V. 2 der Ps.-Phokylidea) 695 oder diejenigen des Elegikers Demodokos (fr. 2 W. καὶ τόδε Δημοδόκου).696 Eine Variation bietet ein elegisches Fragment des Kritias, in dem gleichwohl kein Autorname fällt (fr. 5.2-3 W. γράψας τοὖργον ἔδρασα τόδε, | σφραγὶς δʼ ἡμετέρης γλώσσης ἐπὶ τοίσδεσι κεῖται).697 In einem Fragment des Iamben- oder Komödiendichters Susarion (6./5. Jh.), der in der Antike bisweilen als ältester attischer Komödiendichter und sogar Erfinder der Komödie galt, erscheint neben dem Verfassernamen auch das Patronym sowie der Herkunftsort (fr. 1.1-2 PCG VII p. 664 = V. 1-2 W.: ἀκούετε λεώι· Σουσαρίων λέγει τάδε, | υἱὸς Φιλίνου Μεγαρόθεν Τριποδίσκιος).698 Die Betonung des Ortsnamens dürfte ein Reflex widerstreitender innergriechischer Interessen sein: Als Herkunftsort des Susarion bieten Testimonien nämlich entweder den attischen Demos Ikaria (test. 1, 2, 7 PCG) oder jedoch Tripodiskos im Gebiet des dorischen Megara (test. 8, 10 PCG), womit sich widerstreitende Gründungs-Erzählungen über den Ursprung der Komödie verbinden. Ikaria als Ort eines alten Dionysoskults deutet auf die autochthone attische Begründung der Komödie, während Megara auf dorische Ansprüche verweist. Diese geopolitische Kontroverse, die auch Aristoteles bezeugt (poet. 1448a30-34 ἀντιποιοῦνται τῆς τε τραγῳδίας καὶ τῆς κωμῳδίας οἱ Δωριεῖς, τῆς μὲν γὰρ κωμῳδίας οἱ Μεγαρεῖς), begünstigte wohl die Einfügung einer Verfassersignatur mitsamt einem Eindeutigkeit insinuierenden Toponym. Noch kenntlich ist schließlich die poetische Sphragis des an der Schwelle vom 5. zum 4. Jh. wirkenden Dithyrambendichters Timotheos von Milet, der im kitharodischen Nomos Die Perser (Timotheos fr. 15 = fr. 791 PMG, V. 202-236) sein musikalisches Programm gegen konservative Kritik verteidigte. 699 Auch in diesem Passus liegt ein vielschichtiger Umgang mit auktorialer Patronymie sowie Toponymie vor. Timotheos, der sich in eine von Orpheus über Terpander verlaufende ___________________________

695 Hierzu WEST (1978). 696 WEST (1974) 19 sah im Verspaar den pointierten epigrammatischen Stil präfiguriert. Es ist auch auf Siegel-Epigramme hinzuweisen, in denen die Sphragis verselbständigt erscheint und die häufig nachträglich einen Autor bzw. eine Sammlung charakterisierten: AG 9.205 (Artemidor), 9.434 (Theokrit), 11.275 (Apollonios), 12.257 (Meleager), s. dazu KRANZ (1961) 61. HOSE (2021) Sp. 973 stellt Annäherungen an Signaturen auf Weih-Inschriften fest. 697 Vgl. EDMUNDS (1997) 57. Bereits Hipparch habe (Ps.-Pl. Hipparchos 228c-229b) auf attischen Hermen Maximen eingraviert und mit dem Beginn μνῆμα τόδʼ Ἱππάρχου versehen: FORD (1985) 89-94, PORCIANI (1997) 52f. HÜBNER (2019) 108-122 ist kritisch gegenüber der Historizität der Angaben im pseudoplatonischen Dialog. 698 Für die Echtheit des Susarion-Fragments argumentiert WEST (1974) 183ff. 699 Vgl. DIEHL (1938) 51-53, KRANZ (1961) 27f., BOTERF (2017) 89ff.; HORDERN (2002) 228f. lehnt aufgrund terminologischer Unschärfe die Kategorisierung als Sphragis (so VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF [1903] 99) ab. Zum Neuheitsanspruch des Timotheos (vgl. mit Selbstnennung fr. 20 = fr. 796 PMG) s. POWER (2010) 534-542.

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kitharodische Genealogie einreiht (V. 221ff.), nennt sich in V. 229 selbst und rühmt in V. 232-234 seine Heimat Milet, „mit zwölf Mauern umgeben und zuvorderst unter den Städten der Achaier“. Die Geburtsstadt Milet wird als toponymer Marker dabei parallel bzw. in sukzessiver Reihe neben Pierien und Lesbos gestellt, die jeweils Orpheus und Terpander zugeordnet werden. Der ionisch-milesische Patriotismus des Timotheos spielt auch bei seiner Selbstnennung in fr. 26 = 802 PMG (Τιμόθεος Μιλήσιος, als Sieger über einen Rivalen) 700 eine Rolle, wohingegen dem im Agon Unterlegenen, der laut dem Überlieferungs-Kontext des Fragments Phrynis hieß (Plut. De laude ipsius 1, mor. 539C), durch einen Ausrufer (V. 1 κᾶρυξ) lediglich das Patronym sowie die höhnische Zuschreibung „Verdreher ionischer Lieder“ zugewiesen wird (V. 3 τὸν Κάμωνος τὸν ἰωνοκάμπταν).701 Damit lässt sich in den Fragmenten des Timotheos von Milet Ähnliches wie beim Megarer Theognis beobachten: Die Nennung des Toponyms (vgl. Thgn. 23 τοῦ Μεγαρέως) statt eines Patronyms oder anderer lokaler Marker lässt jeweils auf einen agonalen Kontext der Dichtung schließen, in dessen Rahmen die Betonung des Herkunftsorts des Dichters – unter implizitem Ausschluss anderer Städte – Anspruch auf panhellenische Relevanz erhob. Wie gesehen, bewegen sich viele poetische Werke des 6. und 5. Jahrhunderts im Spannungsfeld epichorischer Ansprüche und panhellenischer Performanz. Über die Nennung von Toponymen ließ sich Tradition kartographieren: eine Autorpoetik, wie sie bereits in der frühen archaischen Dichtung anklingt, etwa im Rahmen der Selbstnennung des fiktiven Odysseus poeta zu Beginn des neunten Gesangs der Odyssee oder im Theogonie-Proöm Hesiods. Angesichts eines zunehmend panhellenischen Aufführungskontexts, in dessen Rahmen ein ursprünglich situatives, kontextgebundenes Autorwissen prinzipiell instabil wurde, konnten auktoriale Marker sowie Verweise auf die lokale Tradition eines bestimmten Kulturkreises ein Werk oder Gedicht geographisch fundieren und ihm über diese lokale Situierung hinaus globale Geltung zuweisen. Somit sicherte die Markierung von Autorschaft die Authentizität eines ‚Stammbaums‘ ab und etablierte – oder stabilisierte – einen traditionalen Zusammenhang für ein bestimmtes Werk. Bieten die früheren, archaischen Werke häufig nur schwach konturierte, anonyme Autorfiguren, steht dies unweigerlich mit der Realpräsenz des Dichters am Ort der Feier in Zusammenhang, welche eine werkinterne Verfasser-Markierung obsolet erscheinen ließ. Dagegen förderte ein erweiterter Rezeptions-Kontext und eine schriftliche Verfasstheit von Werken die zunehmende mediale Repräsentation der Dichter durch werkimmanente Autormarkierungen und -stimmen. Doch obgleich sich für das 6. und 5. Jh. verstärkt personalisierte Signaturen mit Verfassernamen finden, bleiben diese weiterhin potentiell instabil, kontrovers und offen für Revisionen. ___________________________

700 Hierzu mehr bei HORDERN (2002) 259. 701 Weitere Selbstnennungen des Timotheos finden sich in fr. 21 und 22 = fr. 797 und 798 PMG.

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Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk

Nach der Betrachtung auktorialer Signaturen und Formen der Autorisierung in der archaischen Dichtung widmet sich der nächste Abschnitt entsprechenden Strategien in frühen Prosatexten – neben manchen Neuerungen lassen sich in ihnen auch Kontinuitäten und Konvergenzen im Vergleich zu den Darstellungsformen poetischer Autorschaft feststellen.

4.3.3

Dies schreibe ich, wie es mir wahr zu sein scheint …: Autorpräsenz zwischen Kompetenz und Überbietung in der frühen Prosa des 6./5. Jh. “This prose does not unfurl like a divinely inspired poem poured through the lips of the bard; it is organized and produced by a self-consciously analytical and persuasive subject who proclaims his mastery of knowledge. It wants to change the way you see the world.”702

Die Etablierung der Prosaform war Konsequenz einer gravierenden medialen wie überhaupt kulturellen Veränderung. In diesem Kontext kann die ab der Mitte des 6. Jh. v. Chr.703 zunehmend verwendete Prosa geradezu als Ausdrucksform par excellence eines neuen Verständnisses von Autorschaft sowie eines neuen Selbstverständnisses von Autoren begriffen werden.704 Erzielen Prosa-Schriften ihre besondere Wirkung doch gerade durch ihre Medialität, eine prinzipiell schriftliche Verfasstheit, durch welche ausschweifende Erzählungen von großer Länge wie die eines Herodot ermöglicht wurden – was nach dem Prinzip der Auralität nicht deren ___________________________

702 GOLDHILL (2002) 8f. 703 Grenzziehungen sind kaum möglich: RÖSLER (1980) 89f. sieht einen Übergang Mitte des 6. Jh.; habe Thales seine Lehren noch mündlich vermittelt, hätten Pherekydes von Syros, den eine antike Tradition als ersten Prosaiker ansah (Diog. Laert. 2.2 = 12 A 1 DK; KAHN [2003] 143-145), und dessen Zeitgenosse Anaximander, ferner Anaximenes sowie Heraklit (Buchweihung im ephesischen Artemision: 22 A1 DK = Diog. Laert. 9.6) und Hekataios Prosawerke verfasst, die freilich begrenzt rezipiert worden seien. Erst an der Wende vom 5. zum 4. Jh. ist eine Rezeption mittels Texten häufiger belegt. Dies zeigen z. B. Pl. Phaed. 97b und 98b, wonach Sokrates zuerst die Lehren des Anaxagoras gehört habe, nach der Lektüre des Buches jedoch enttäuscht gewesen sei. 704 LLOYD (1979) 234, 258ff. und (1987) 50-108 argumentiert, die politische Kultur und die Etablierung der Demokratie, v. a. die Neubegründung der freien Debatte sowie die Kritik althergebrachter Tradition und Autorität (z. B. die Suche nach den Urgründen des bestehenden Kosmos) hätten die Entwicklung wissenschaftlicher Theoriebildung gefördert. Zur Verwurzelung der Prosa in soziopolitischen Entwicklungen GOLDHILL (2002), ASPER (2007). So haftet frühen Prosatexten neben der Offenheit für Innovation und Widerspruch ein starkes Momentum der Agonalität und Polyphonie an, da Autoren die Prosaform fortan als ‚Forum‘ bzw. ‚Arena‘ des Austauschs suchen. KEYSER (2013) 22 arbeitet die soziokulturellen Umstände, welche die Entstehung der Prosa förderten, etwa prosperierende merkantile Aktivität und ein grundsätzliches Interesse am Fremden, heraus.

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mündliche Präsentation ausschloss. Auch anhand erzählerischer Neuerungen sowie grammatischer Verwendungsweisen zeigt sich der Einfluss der Schriftlichkeit auf die griechische Prosa-Literatur.705 Obwohl die poetisch-rhythmische Diktion und der parataktisch-sentenzenhafte Stil früher Prosatexte die Memorierbarkeit der entsprechenden Werke im Kontext einer mündlichen Vortragssituation erleichterten,706 stellte die metrisch ungebundene Schreibweise formal wie inhaltlich einen Traditionsbruch dar: erwies sie sich doch als eine geistige Experimentalform, die sachbezogene und begründende, auf Erfahrung beruhende Inhalte auf individualisiertere sowie unkonventionellere Weise als die Dichtung speichern und transportieren konnte.707 Walther Kranz fasste den Paradigmen-Wechsel, der sich mit dem Übergang von Dichtern als Vermittlern göttlicher Botschaft zum Forscher-Ich der frühen Philosophie verband, am Beispiel des Heraklit von Ephesos folgendermaßen in Worte: „Hier verkündet das Ich in namenlosem Stolze das Werk als sein eigenes. Keinem verdankt er es, keinem Gotte und keinem Menschen, denn ‚ich habe erforscht‘ ist gleichsam das Motto des Ganzen, und das ist nach der richtigen antiken Erklärung gleich einem ‚ich habe alles von mir selbst gelernt‘. Dieses Ich ist völlig isoliert: alle Großen der Vorzeit: Homer, Hesiod, Pythagoras, Xenophanes, Hekataios werden namentlich angeführt und namentlich verworfen, alle Mitstrebenden der Gegenwart verhöhnt, ja nicht einmal Verständnis für diese neue Rede kann von irgendjemandem erwartet werden.“708

Die neuen Ausdrucksformen, welche die Forschungs- und Erfahrungsberichte eines Experten-Autors in den Mittelpunkt stellen, lassen sich im weiteren Sinne unter die beiden Kategorien historiographischer wie philosophischer, also insgesamt

___________________________

705 BAKKER (1997) 40f. sieht die narrativ eingebettete Fokalisierung (z. B. Thuk. 7.70.7), die nicht mit der Sicht des Erzählers in der Gegenwart zusammenzufallen braucht, als Innovation in Folge der Schriftlichkeit. Dagegen kann der sich in der Performanz konstituierende epische Sänger seinen Standpunkt nie verlassen (BAKKER [2009] 122). 706 BEECROFT (2010) 143 betont die Situierung von Prosatexten innerhalb des Spektrums bereits existierender Literatur sowie die Eingliederung poetischer Formen in die neue Prosaform. 707 ANDRESEN (1987), LAKS (2001), GOLDHILL (2002), KAHN (2003), YUNIS (2003), PATZER (2006) 95ff., ASPER (2007), KURKE (2010). 708 KRANZ (1924) 7f. Man vergleiche die Betonung eigener Darlegung bei Heraklit 22 B 1 DK (ὁκοίων ἐγὼ δ ι η γ εῦ μ α ι , κατὰ φύσιν δ ι α ι ρ έω ν ἕκαστον καὶ φ ρ ά ζω ν ὅκως ἔχει). Doch beschränkte sich die Rolle des Autors als eines Experten nicht auf ProsaTexte. Kranz rechnete auch die in Versen dichtenden Philosophen Parmenides und Empedokles – ungeachtet der jeweiligen Dichtungs-Form – zu Neuerern: „Hier also spricht der Schöpfer im vollen Bewußtsein des schaffenden Ich zu einem Du, zu dessen Belehrung und Bildung er das ganze Werk bestimmt“ (8).

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von Wissensstreben geleiteter 709 Prosa-Texte subsumieren. 710 Während man als das Hauptmerkmal speziell der Milesischen Philosophen anführen kann, die traditionelle Theogonie in eine rational konzipierte Kosmogonie überführt zu haben, war die Frage nach rationalen, innerweltlichen Ursachen und Erklärungsmodellen insgesamt das Kennzeichen vieler Prosa-Schriften. Gerade die historiographische Prosa erreichte einen hohen Grad an Narrativität und vermochte es, umfangreiches, auf Empirie beruhendes Material in ausgedehnten Darstellungen zu ordnen und zu präsentieren. Dabei verorteten sich Prosa-Autoren zwar innerhalb der Tradition, doch häufig auch gegen diese, indem sie selbstbewusst mit ihrem Namen und/oder dem Dignitätsanspruch des eigenen Ansatzes hervortraten.711 Dies ging einher mit dem Versuch, sich gegen Vorgänger und Rivalen zu profilieren und das eigene Vorhaben sowie die eigene Methode als überlegen und als akkurater auszuweisen. Viele Autoren griffen dabei auf das Material von Vorgängerwerken zurück, wodurch sie die Autorität präkursorischer Autoren zwar affirmierten, sich jedoch zugleich explizit von Rivalen abgrenzten.712 Sie wollten ihr Publikum von der besonderen Qualität ihres eigenen, exzeptionellen Angebots überzeugen und versuchten, Konkurrenten durch die Herausstellung eigener Expertise zu übertrumpfen. Die textuell konturierte Inszenierung und Selbstzuschreibung von Kompetenz, mit welcher Prosa-Autoren ihr Werk bewarben, beruhte auf mehreren Säulen 713 und bewirkte eine spezifische Herausformung und Konstruktion von Autorpräsenz innerhalb des Werks: So gehörte es zu den Zielen der Autoren, sich selbst als kompetente Experten zu zeichnen, was sich in auktorialen Kommentaren oder bisweilen gar in der Einbringung des Autors als eines Akteurs in das Dargestellte konkretisierte. In beiden Fällen plausibilisierte persönliche Augenzeugenschaft einen ___________________________

709 Zu wissenschaftlichen Schreibweisen der Antike s. die Beiträge in ASPER (2013), KÖNIG/WOOLF (2017). 710 Die Differenzierung ist nicht völlig trennscharf: So galt der Genealoge und Historiograph Hekataios von Milet als Schüler des ebendort wirkenden Philosophen Anaximander (FGrHist 1 T3 bei Strab. 14.1.7), der dessen Erfindungen, etwa die Erdkarte (T 12a), verbessert habe: VON FRITZ (1967) 409ff. Zur philosophischen Prosa der Milesier WÖHRLE (1992); allg. zur frühen Prosa LAKS (2001), GOLDHILL (2002), KAHN (2003). Auch ein Historiker wie Herodot kann im selben ionischen Milieu und in derselben Tradition lokalisiert werden, aus der die Texte anderer Denker des 6./5. Jh., etwa der Vorsokratiker, stammen: MARINCOLA (1997) 7f., 226. 711 Hierzu M. Erler (Kap. IV. Philosophie, 1.7 Von Dichtung zu Prosa), in: ZIMMERMANN (2011) 261, mit Verweis auf die rhetorisch geprägten Eigenaussagen des Forscher-Ichs am Beginn der Schrift Περὶ φύσεως (64 B 1 DK) des Diogenes von Apollonia (5. Jh. v. Chr.): λόγου παντὸς ἀρχομένου δ ο κ εῖ μ ο ι χ ρ εὼ ν εἶ ν α ι τὴν ἀρχὴν ἀναμφισβήτητον παρέχεσθαι, τὴν δὲ ἑρμηνείαν ἁπλῆν καὶ σεμνήν. 712 Zu Autorität und Traditionsbindung in der antiken Historiographie grundlegend MARINCOLA (1997). 713 Zum Folgenden vgl. auch BLUM (2008) 118-129, bes. 117 Anm. 32, FUHRER (2012) 136f., LONGLEY (2013) 176ff.

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entsprechenden Bericht. Zugleich wurde das Werk als nützlich und relevant für ein gegenwärtiges wie zukünftiges 714 Publikum herausgestellt. Einerseits ähneln Prosa-Autoren darin der allwissenden Dichter-Stimme des Epos,715 doch gründen sie ihr Wissen in der Regel auf eigene Anschauung und eigenes Wissen, wie etwa Herodots Wendung τὸν δὲ οἶδα αὐτὸς (Hdt. 1.5.3) illustriert. John Marincola fasst die grundlegenden Unterschiede der historiographischen Autorstimme im Vergleich zum homerischen Erzähler so zusammen: “Historiography differs from epic, however, in that is also contains commentary on the narrative by the historian himself: here the narrator employs an ‘artificial authority’ by which he interprets the events in his work for the reader, and explicitly directs the reader to think in a certain manner. Whereas the Homeric narrator is largely unintrusive, Herodotus, frequently, in his own persona, calls attention to his role as the organiser and expositor of his history, reminding his audience of the travels, investigative work, and comparison of accounts that went into the making of his history, while oftentimes commenting explicitly on the quality of the material he includes.”716

Der Autor kann so etwa die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf das vorliegende Werk lenken, indem er es als Neuheit oder Verbesserung mit hohem Originalitätsund Glaubwürdigkeitsanspruch gegenüber früheren Zugängen ausweist. Dies äußert sich in einem Gestus der Auxesis, indem das eigene Thema als außergewöhnlich dargestellt und geradezu monumentalisiert wird, sowie in der Reflexion über Wissensquellen und die Methodik eigener Forschungen.717 Untermauert wird der eigene Anspruch durch Kommentare und Urteile des Experten-Ichs, wobei Vorgängern eine falsche Methodik, Ungenauigkeit oder ein mythisch-irrationales Weltbild zugewiesen wird.718 Andererseits kann ein präkursorischer Autor auch als alter ego in das Werk eines späteren Autors integriert werden: So fungiert bei ___________________________

714 Der Betonung des „zukünftigen Besitzes“ (1.22.4) bei Thukydides entspricht die Selbsthistorisierung des Autors bei Herodot, der sein eigenes Bild aus der imaginierten Perspektive ‚postumer Leser‘ zeichnet: RÖSLER (1991) 219. 715 MARINCOLA (1997) 6 betont, bei den Historikern wie schon bei Homer überwiege das third-person narrative. 716 MARINCOLA (1997) 6f., der in Anm. 24 auch subtilere Autor-Prominenz in historiographischen Texten erwähnt, z. B. “oblique characterisation, ascription of motives, language of judgement”. Vgl. BOOTH (1983) 40-42, 67-86. 717 Hierzu MARINCOLA (1997) 34ff., LONGLEY (2013) 180: “Such claims function to bolster his claims to reliability, especially if he wishes to refute a predecessor, or if he desires to appear thorough and well read and researched.” 718 Zur Verbindung zwischen dem Herausstellen eigener Kompetenz und der Kritik an Vorgängern LONGLEY (2013) 185 zu Thuk. 1.97.2 (gegen Hellanikos): “[Thucydides] makes his claim to originality first and explains it at length, but dismisses Hellanicus’ account in two short sentences.” Zur Überwindung des ‚mythischen‘ Weltbilds früherer Autoren, v. a. der Dichter, als Aufgabe von Historiographie MARINCOLA (1997) 117ff., 226f.

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Herodot (Hdt. 5.36) etwa Hekataios als ‚Warner‘ und damit als eine tragende Figur des herodoteischen Narrativs.719 Die ‚agonale Integration‘ von Vorautoren und Rivalen in eine Prosa-Schrift, in der ein Autor eigene Forschung präsentiert,720 entspricht damit prinzipiell einem polyphonen721 und kooperativen Projekt – ein solcher Fall ist auch das Fortschreiben der Geschichtswerke früherer Autoren im Sinne der historia continua (s. u.): Autoren greifen auf präkursorische Autoren zurück, zitieren oder exzerpieren unumgehbare oder berühmte Autoritäten, weisen deren Auffassungen häufig als defizitär aus und kehren dabei eigene Kompetenz und Urteilsvermögen hervor. Solche inter-auktorialen Formen der Kooperation, die Vorgänger und Nachfolger in einen linearen Zusammenhang stellen und reziprok die jeweilige Rolle definieren, verlaufen meist diachron.722 Dagegen muss die Frage, ob sich hinter einer Stimme in der ersten Person Plural, sozusagen einem ‚synchronen Wir‘, ein Autoren-Kollektiv verbirgt, spekulativ bleiben, da ein solches ‚Wir‘ im Sinne des pluralis auctoris häufig lediglich die Verfasser-Stimme autorisiert.723 Entsprechend erfolgt die Konstruktion der eigenen Autorität – wie dies durch die Integration präkursorischer Autoren deutlich wird – häufig aus der Tradition heraus: Diese wird jedoch zugleich korrigiert und durch das neue Werk

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719 Dies betont auch DE JONG (2004b) 114. Übermäßige Kritik an Konkurrenten und Vorgängern konnte jedoch auch als unnötiges Selbstlob erscheinen, wie dies später Polybios 12.7-11 an Timaios’ Beispiel darlegt. 720 Vgl. MARINCOLA (1997) 115f., 218ff., 241-257, der im Index s. v. predecessors diese präkursorischen Autoren bezeichnenderweise mit “as models to be followed and bested” (356) paraphrasiert. 721 HOSE (2016) 9 spricht angesichts der Tatsache, dass ein antiker Autor sein Amt selbst wählte und die Rolle etwa als Historiograph frei ergreifen konnte, vom „polyphonen Ensemble der Geschichtsschreiber“. 722 Zu diachroner Kooperation in der Wissenschaftsprosa WIETZKE (2017) 373, der Ptolemaios’ Inszenierung diachroner Kooperation mit dem Vorgänger Hipparchos in der astronomischen Syntaxis analysiert (“There is no question, however, that Ptolemy remains the sole architect of the Syntaxis, a facade of collaboration)”. 723 Zu Herodots Gebrauch des ‚Wir‘ CHAMBERLAIN (2001) 21: “he assumes a plural voice simply in order to shed his individual voice, which carries with it an unwanted implication with traditional competitive discourse”, 30: “‘Herodotus’ we […] does not name a group that participates in his story of conflict and competition; rather it operates solely at the narrative surface of the text. Indeed it is the definitive narrative voice of the Histories. […] He is emphatically […] an anonymous authority, an informed bystander, a dispersed and multiplied voice that cannot possibly be drawn into an aristocratic duel of wits, words or will.” Zum ‚Wir‘ in der Wissenschaftsprosa WIETZKE (2017) 368: “the construction is better understood to denote an individual. Thus, it can be considered parallel to first-person, plural expressions that denote a semantically singular subject, which of course feature ubiquitously in Greek literature […]. [Anm. 95] The ‘authorial we’ apparently never refers to joint-authors.”

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‚überschrieben‘.724 Dabei ist für historiographische Werke (außer solchen für Zeitgeschichte) das Folgende zu berücksichtigen: “the historian, as his audience would know, was basing his work, however ‘improved’, on those of his predecessors, and so he could not entirely destroy their authority. He must, rather, suggest an improvement in this or that area: he will present himself as more skilled, more experienced, less partial, and so forth. He does this, as a rule, at individual points in the narrative, sometimes naming his predecessors, sometimes merely referring anonymously to ‘earlier writers’. The use of a name is less important than the suggestion of improvement.”725

Zugleich führt John Marincola an der zitierten Stelle weiter aus, die Autorität historiographischer Autoren beruhe weniger darauf, ihre Vorgänger zu widerlegen, als vielmehr darauf, sie „verschwinden“ zu lassen: “For it is in the tension between continuity and contrast that a non-contemporary historian must assert his authority: his predecessors do not need to be discounted so much as made to disappear.”

Doch scheint besagte Praxis der agonalen Integration anderer Autoren weniger darauf zu zielen, frühere Historiker zu verunglimpfen oder gar deren Erkenntnisse zu annihilieren. Vielmehr sollen diese verbessert und überboten werden. 726 Ein solches Übertrumpfen früherer Autoren lässt sich für die antike Literatur ferner auch gattungsübergreifend feststellen. 727 Derjenige Ort im Text, der sich für die Behauptung von Autorität, Originalität und generell die Darstellung auktorialer Präsenz auch in den frühen Prosa-Schriften am ehesten anbot, war der Titel- oder Eröffnungssatz eines Werkes,728 der somit in funktionaler Hinsicht – als Träger von Autorwissen – neben die proömialen rhapsodischen Hymnen oder die in abgesonderten Werkpassagen platzierten Sphragides archaischer Dichtung, etwa in den Elegien eines Theognis, Phokylides ___________________________

724 Hierzu MARINCOLA (1997) 261-266. Ferner 96f., 108, 115. 725 MARINCOLA (1997) 264. Vgl. zur Retrospektive des Historikers, durch die er sich zwangsläufig mit präkursorischen Autoren messen musste, S. 19: “it is no exaggeration to say that the appeal to tradition is itself a part of the historian’s authority, for it is a shorthand used by the historian to identify his interests, approach, and alliances.” 726 Insofern richtiger MARINCOLA (1998) 117 (“Historians who write large-scale works portray their achievement as a full collection of the tradition, and as a work that systematically embodies – and thus supersedes – their predecessors”). Zum Überbieten von Vorgängern als Teil historiographischer Selbstdefinition S. 218ff. 727 So gibt es etwa in der Lyrik den Versuch, die homerische Epik zu übertrumpfen: ROSENMEYER (1998). 728 Hierzu SCHMALZRIED (1970) 32. Bereits ein Buchtitel konnte implizite Kritik an Vorgängern enthalten, denkt man an die Titel Περὶ φύσεως oder Ἀλήθεια, womit Protagoras in Opposition zu Parmenides trat: SCHMALZRIED (1970) 64ff. und 125ff., HEITSCH (2001) 100f.

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oder Demodokos, trat.729 Ein solcher ‚Titelsatz‘ oder ‚Namensatz‘,730 der ein Werk durch eine programmatische Signatur inauguriert – Bedingung der Möglichkeit für die Zuweisung deklarativer Autorschaft – findet sich als literarisches Gestaltungsmittel entsprechend häufig in frühen philosophischen und historiographischen Prosatexten. Ob ein solcher Namensatz in der Prosa als Paratext einzustufen ist, 731 bleibt fraglich, da er eher einführende Funktion besitzt und insofern als ein werkintern eingesetzter Vorläufer späterer paratextueller Ergänzungen, etwa in Form von Buchrollen-Aufschriften oder -Tituli, verstehbar ist. Besser fasst man solche Auftaktsätze als mehr oder weniger vom Folgetext abgrenzbares, programmatisches ‚Vorspiel‘, worin Autoren die eigene Position mit Blick auf das Werk und das adressierte Publikum definierten.732 Schließlich diente der erste Satz seit der Spätarchaik als formaler Beginn und Titel einer Prosa-Schrift, in dem eine werkimmanent modellierte Autorfigur für und über sich selbst sprach und sich so von Beginn an mit unverkennbarem Profil in das Werk einschrieb.733 Im Gegensatz zum Musenanruf des anonymen epischen Sängers und zu dessen Appell an eine inspirierende Instanz göttlichen Ursprungs stellen die Titelsätze früher Prosa die besondere Eigenleistung des (onymen) Autors heraus, 734 ein ___________________________

729 Vgl. CALAME (2004) 20-23; ferner HOSE (2021) 4 zur auktorialen Selbstdarstellung in Titelsätzen, wodurch Autoren gemäß dem Verfahren des corpus Theognideum Werke ‚siegelten‘: „Dieser Befund demonstriert, daß für die griech[ische] Archaik und Klassik eine Bestimmung der S[phragis] nicht möglich ist, die trennscharf gegen (literarische) Weihinschriften, ‚Titel-Sätze‘ und andere Formen von Autoren-Selbstnennungen in Texten ist“. 730 Hierzu HOSE (2016) 7, 15. KRANZ (1961) 44f. listet Titelsätze philosophischer wie historiographischer Prosa auf. 731 LONGOLIUS (2016) 37-39 geht von einem metaphorischen Paratext-Verständnis, keinem konkret definierten Textteil aus, wenn sie mit Blick auf GENETTE (2016) schreibt: “it is within the paratext that authors present and represent themselves as the authors they want to become […], a space for authorial self-invention and self-representation”. Zur Rolle der Vorrede für die Darstellung revisorischer Autorschaft MARTELLI (2013) 13-15, zu Sphragides 26-29. Kritisch zur Ausweitung des Anwendungsgebiets des Paratext-Begriffs HOSE (2021) Sp. 972f. 732 Vgl. CALAME (2004) 19f. zum „bref prélude programmatique à l’ouvrage […], tout en définissant la position d’un auteur face à son travail“. Zur Selbstdarstellung der ersten Historiker HARTOG (1998). ‚Ich-Präsenz‘ und ein starker Publikumsbezug sind noch in späteren Proömen, etwa bei Polybios, feststellbar: LONGLEY (2013) 185ff. 733 HOSE (2016) 15 verweist auf das Fehlen einer gestalterischen Bedeutung der Buchrollenform noch im 5. Jh. v. Chr.: Das jeweilige Werk besaß noch keinen Titel, weshalb der erste Satz in die Thematik einführte. Titel wie Historiai oder Xanthos’ Lydika beruhten so auf Kategorisierungsbestrebungen der späteren Buchkultur. 734 Vgl. RÖSLER (1980) 306 Anm. 67: „An die Stelle des inspirierten Mediums tritt dabei nicht allein das selbst entscheidende, sondern auch das eigenständig recherchierende Subjekt“; MARINCOLA (1997) 226 (“the superiority of inquiry over inspiration, the triumph of history over poetry”); M. Erler (Kap. IV. Philosophie, 1.7 Von Dichtung zu

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Gegensatz, der bereits in der späteren Antike bemerkt und kommentiert wurde. 735 Hinter der Onymität des Autors, die zu Beginn eines Werkes herausgestellt wurde, scheint außer einem neuen auktorialen Selbstverständnis und neuen formalen Möglichkeiten von Prosatexten gerade auch das Bedürfnis hervor, eine bestimmte Information innerhalb einer geführten Kontroverse auf einen Verantwortlichen zurückführen zu können.736 Denn aufgrund der besonderen Zeichnung der ForscherFigur in der antiken Prosa werden Auseinandersetzungen mit Vorgängern weniger über verschiedene Deutungen des berichteten Geschehens als meist direkt ad personam, über die Rolle des entsprechenden Autors in seinem Text geführt, 737 weshalb Ktesias etwa Herodot prominenterweise als Lügner bezeichnen konnte (FGrHist 688 T8).738 Belegt sind Titelsätze in Fragmenten philosophischer Prosa-Texte des 6./5. Jh., in denen der Autorname samt Toponym und Patronym erscheint, etwa bei Alkmaion von Kroton (24 B 1 DK Ἀλκμαίων Κροτωνιήτης τάδε ἔλεξε Πειρίθου υἱὸς) oder Heraklit (in der Rekonstruktion von Diels/Kranz 22 B 1 Anm. 3ff. DK Ἡράκλειτος Βλόσωνος Ἐφέσιος τάδε λέγει);739 für das 5. Jh. wird dies für Schriften des Ion von Chios (36 B 1 DK ‫ۦ‬Ἴων Χῖος τάδε λέγειۧ· ἀρχὴ δέ μοι τοῦ λόγου) oder des Protagoras (Über die Wahrheit: 80 B 1 DK Anm.) vermutet.740 ___________________________

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Prosa), in ZIMMERMANN (2011) 261: „Anstelle des traditionellen Musenanrufs trat selbstbewußt der Autor mit seinem Namen und mit dem Anspruch auf geistiges Eigentum. Zudem wird zunehmend deutlich (Alkmaion, Hekataios), daß die Autoren nicht mehr nur an einen bestimmten Leser oder Leserkreis denken, obgleich Prosa wie Poesie sicherlich zunächst für den mündlichen Vortrag bestimmt waren.“ Vgl. CALAME (2004) 20f. Dion Chrys. or. 53.9-10 (v. Armin) kontrastiert die homerische Anonymität mit den expliziten Selbstvorstellungen von Autoren wie Hekataios, Herodot und Thukydides (τὸ μηδαμοῦ γεγραφέναι τὸ αὐτοῦ ὄνομα ἀλλὰ μηδὲ ἐν τῇ ποιήσει αὑτοῦ μνησθῆναι, καίτοι τῶν ἄλλων ἁπάντων, ὁπόσοι τινὰ ἔδοξαν ἔχειν δύναμιν ἢ περὶ ποίησιν ἢ καταλογάδην συγγράφοντες, καὶ πρῶτον καὶ τελευταῖον τὸ ἑαυτῶν ὄνομα γραφόντων, πολλῶν δὲ καὶ ἐν αὐτοῖς τοῖς λόγοις τε καὶ ποιήμασιν, ὥσπερ Ἑκαταῖός τε καὶ Ἡρόδοτος καὶ Θουκυδίδης, οὗτος μὲν [οὖν] οὐχ ἅπαξ μόνον ἐν ἀρχῇ τῆς ἱστορίας, ἀλλὰ πολλάκις διαμαρτυρόμενος καθ’ ἕκαστον χειμῶνα καὶ θέρος ὅτι ταῦτα ξυνέγραψε Θουκυδίδης); vgl. Ps.-Plut. Vit. Hom. 1. Vgl. FORSTER (1951) 81: “information is supposed to be true. That is its only reason for existing, and the man who gives it ought to sign his name, so that he may be called to account if he has told a lie” (auch zitiert bei PEIRANO [2013] 267). Vgl. zur Genette’schen Onymität – GENETTE (2016) 43-57 – PEIRANO (2013) 253 Anm. 14. HOSE (2016) 14 spricht vom „Primat der Urteilskraft“ vor der „exakte[n] Ermittlung von Informationen“. Hierzu MARINCOLA (1997) 227f. Vgl. WEST (1971) 9, wo auch die Vermutung über einen Titelsatz des Pherekydes von Syros angestellt wird, der mitsamt auktorialem Toponym und Patronym ‫ۦ‬Φερεκύδης Σύριος τάδε ἔλεξε Βάβυος υἱόςۧ gelautet habe. Diels/Kranz (DK) rekonstruierten einen (hypothetischen) Titel wie Πρωταγόρης ὁ Ἀβδηρίτης τάδε λέγει, ὡς ἀληθέα οἱ δοκεῖ εἶναι κτλ. Vgl. BOTERF (2017) 94 mit Anm.

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Die Strategie, ein Werk mit einem ‚Namensatz‘, plus wahlweisem Patronym und/oder Toponym, zu beginnen, findet sich auch in der historiographischen Prosa, prominent bei Hekataios von Milet im 6. Jh. v. Chr. (FGrHist 1 F 1 Ἑκαταῖος Μιλήσιος ὧδε μυθεῖται). Einem solchen Modell der Selbstexposition des ProsaAutors zu Beginn des Werks folgen das Proöm des Herodot (Hdt. 1.1.1 Ἡροδότου Ἁλικαρνησσέος ἱστορίης ἀπόδεξις ἥδε: „Des Herodot von Halikarnassos Nachforschung Darlegung ist dies“) und, sofern man die Authentizität des Anfangs, wie er später bei Lukian zitiert wird (Ver. hist. 1.3 = FGrHist 688 T 11h), nicht bezweifelt, die Ἰνδικά des Ktesias von Knidos (‫ۦ‬ὧνۧ Κτησίας ὁ Κτησιόχου ὁ Κνίδιος, ὃς συνέγραψεν περὶ τῆς Ἰνδῶν χώρας καὶ τῶν παρ’ αὐτοῖς), die beide im 5. Jh. entstanden. Daneben deutet auch der fragmentarisch überlieferte Anfang des historiographischen Werks Περὶ Ἰταλίας des Antiochos von Syrakus (FGrHist 555 F 2: Ἀντίοχος Ξενοφάνεος τάδε συνέγραψε περὶ Ἰταλίης ἐκ τῶν ἀρχαίων λόγων τὰ πιστότατα καὶ σαφέστατα) auf den Erfolg und die Popularität dieser Eingangsstrategie im 5. Jh. v. Chr., wobei die zwei superlativischen bzw. elativischen Formen bei Antiochos (τὰ πιστότατα καὶ σαφέστατα) auf den selbstbewussten Dignitätsanspruch des Autors deuten, mit seinem Werk als (typologisch gesprochen) neuem ‚Antitypus‘ die weniger glaubwürdigen oder weniger akkuraten ‚Typen‘ früherer Werke und Darstellungen zu überbieten. Variationen des Titelsatzes samt Toponym (4.104.4 mit Patronym: Θουκυδίδην τὸν Ὀλόρου, ὃς τάδε ξυνέγραψεν) bietet auch das thukydideische Werk, sowohl im ersten (Thuk. 1.1.1 Θουκυδίδης Ἀθηναῖος ξυνέγραψε τὸν πόλεμον τῶν Πελοποννησίων καὶ Ἀθηναίων) 741 als auch im zweiten, auf den Anfangssatz Bezug nehmenden Proöm (5.26.1 Γέγραφε δὲ καὶ ταῦτα ὁ αὐτὸς Θουκυδίδης Ἀθηναῖος ἑξῆς, ὡς ἕκαστα ἐγένετο, κατὰ θέρη καὶ χειμῶνας) 742 (s. u.). Spätere Historiographen führten Thukydides’ Modell eines abgegrenzten Binnenproöms fort (vgl. Dion. Hal. ant. 1.8.4, App. praef. 15.62). Bereits im 6. Jh. v. Chr., anhand von Hekataios’ Ouvertüre Ἑκαταῖος Μιλήσιος ὧδε μυθεῖται, zeigt sich ein grundlegendes und in der Folge wirkmächtiges Prinzip von Titelsätzen: “Greek historiography opens with a striking and individual claim […]. The ancient historian did not, like the epic or didactic poet, profess inspiration or omniscience, nor did he swear an oath to the truth of his words. In place of these he used a variety ___________________________

58, PORCIANI (1997) 48f., ROOD (2006) 230. KRANZ (1961) 44f. schließt auch aus Demokrits Fragmenten auf die Angabe eines Autornamens oder -siegels. 741 Spätere Thukydides-Nachahmer hielten sich an diesen Auftakt, wie Lukian (Ηist. Conscr. 15 = FGrHist 208 F 1) ironisch berichtet: „Κρεπέρῃος Καλπουρνιανὸς Πομπηϊουπολίτης συνέγραψε τὸν πόλεμον τῶν Παρθυαίων καὶ Ῥωμαίων, ὡς ἐπολέμησαν πρὸς ἀλλήλους, ἀρξάμενος εὐθὺς συνισταμένου.“ 742 Thukydides schließt ferner einzelne Kriegsjahre im Sinne von Binnengliederungen mit einer Namensangabe ab, gemäß dem Schema in 2.70.4 (δεύτερον ἔτος ἐτελεύτα τῷ πολέμῳ τῷδε ὃν Θουκυδίδης ξυνέγραψεν) auch 2.103.2, 3.25.2, 3.88.4, 3.116.3, 4.51.1, 4.104.4 (mit Patronym), 4.135.2, 6.7.4, 6.93.4, 7.18.4, 8.6.5 und 8.60.3.

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of claims, promises, ‘proofs’, and advertisements. The earliest and most common was the assurance that the work before the reader rested on the author’s personal inquiry and investigation.”743

Besonders Hekataios’ Junktur ὧδε μυθεῖται erinnert auffällig an einen Hemiepes der Ilias (7.76 ὧδε δὲ μυθέομαι),744 dort von Hektor in beteuerndem Tonfall gesprochen: Die Übernahme der Rede einer fiktiven Epen-Figur verweist auch hier darauf, dass die auktoriale Selbstvorstellung archaischer Werke bisweilen deutliche Konvergenzen mit der Fiktionalisierung bzw. Selbstinkorporierung von Autorbzw. Künstlerfiguren innerhalb von Werken zeigt. Mit dem nächsten Satz, τάδε γράφω ὥς μοι δοκεῖ ἀληθέα εἶναι („Dies schreibe ich, wie es mir wahr zu sein scheint“), stellt Hekataios das eigene Forscher-Ich745 sowie als dessen Hauptaktivität die Suche nach der Wahrheit (ἀληθέα) ins Zentrum seiner Abhandlung. Für Hekataios ist so der Versuch belegt, sich und seine Ansicht (ὥς μοι δοκεῖ) über wahre Begebenheiten im dauerhaften Medium der Schrift (γράφω) zu profilieren: Insgesamt verortet sich der Autor jedoch pointiert zwischen mündlicher Rede (μυθεῖσθαι deutet auf einen Sprechakt zu Beginn des Werks) und schriftlicher Medialität (γράφειν), wobei bei τάδε – wie später in den Proömen des Antiochos (τά δ ε συνέγραψε, s. o.) und Herodots (ἀπόδεξις ἥ δε) – eine doppelte Deixis vorliegt: einerseits ‚extradiskursiv‘, also gewissermaßen von außen auf das vorliegende Werk deutend, andererseits ‚intradiskursiv‘, also auf derselben werkimmanenten Ebene wie die folgende Erzählung positioniert. 746 Dies entspricht dem Spannungsverhältnis aus dritter Person (Ἑκαταῖος Μιλήσιος) und anschließender erster Person (ὥς μοι δοκεῖ); indem die Autorstimme eine interne Perspektive einnimmt, was dem Prozedere im Proöm der Theogonie sowie der Sphragis bei Theognis gleicht, wird den Rezipienten des Werks – durch eine solche Umperspektivierung angeleitet – das Angebot gemacht, den Beginn der ___________________________

743 MARINCOLA (1997) 5 sowie 6 die Feststellung, zur Glaubhaftigkeit des Berichts habe zuerst die Glaubwürdigkeit des antiken Historikers, wie er mit Hekataios erstmals hervortritt, beizutragen. 744 Hierzu BERTELLI (2001) 80. Der durch μυθεῖται angekündigte Sprechakt bei Hekataios bildete den tatsächlichen Werkauftakt, worauf der Fragmentkontext bei Demetr. eloc. 2 verweist, der Hekataios’ Eröffnungssatz mit ὡς Ἑκαταῖός φησιν anzitiert (ὡς Ἑκαταῖός φησιν ἐν τῇ ἀρχῇ τῆς ἱστορίας· Ἑκαταῖος Μιλήσιος ὧδε μυθεῖται). Auch die archaische Verbform μυθεῖσθαι im Sinne von „sprechen/sagen“ spricht dafür, dass es Teil der Hekataios-Rede war. 745 Vgl. HOSE (2016) 14, FOWLER (1996) 69 (“the historian’s voice is strong and egoistical already in the first Greek Historian”), MARINCOLA (1997) 225 (“Greek historiography begins in polemic”). Vgl. die Reflexionen des Forscher-Ichs im Proöm von Περὶ φύσεως (64 B 1 DK) bei Diogenes von Apollonia (λόγου παντὸς ἀρχομένου δ ο κ ε ῖ μ ο ι χ ρ εὼ ν ε ἶ ν α ι τὴν ἀρχὴν ἀναμφισβήτητον παρέχεσθαι, τὴν δὲ ἑρμηνείαν ἁπλῆν καὶ σεμνήν). 746 CALAME (2004) 21f.

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Erzählung mitzuvollziehen, indem sie mitsamt dem Autor von außen in diese ‚eintreten‘.747 In der Folge grenzt sich Hekataios stolz von seinen Vorgängern ab und stellt die Ansichten anderer Forscher – diese scheinen mit den „Worten der Griechen“ im anschließenden Begründungssatz gemeint (οἱ γὰρ Ἑλλήνων λόγοι πολλοί τε καὶ γελοῖοι, ὡς ἐμοὶ φαίνονται, εἰσίν) –748 vor dem implizit adressierten griechischen Publikum als lächerlich dar.749 Laut einem Fragment (FGrHist 1 F 19) korrigierte Hekataios ferner in den Genealogien eine Information Hesiods und konterte sie mit einer eigenen Version (ὠς μὲν Ἡσίοδος ἐποίησε […], ὡς ἐγὼ δέ). Ähnlich korrigierend verfuhr seinerseits Heraklit mit einer Anschauung Hesiods (22 B 57 DK οὐκ ἐγίνωσκεν), den er ironisch διδάσκαλος δὲ πλείστων nannte. Soweit ersichtlich, ist damit bereits in frühe Prosa-Texte der Spätarchaik ein agonaler ‚Überbietungsdiskurs‘ eingeschrieben, an dem sich spätere Autoren orientieren sollten. Gleichzeitig sind literarische Modelle wie das Epos, das Sujets wie den von späteren Autoren als historisch betrachteten Troianischen Krieg ins Zentrum gerückt hatte, noch bei Hekataios präsent.750 Dies erklärt auch seine polemische Auseinandersetzung mit den mythischen Erzählungen über die Heroenzeit, die bereits bei Hekataios als ‚lächerliche‘ Geschichten einer rationalisierenden Kritik unterworfen werden (FGrHist 1 F 1, 6, 19, 26). Herodot führt die an Hekataios beobachtete Strategie des Namensatzes fort. Zu Beginn der Historien wird entsprechend eine deutlich gekennzeichnete Autorfigur

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747 CORCELLA (1996) sowie PORCIANI (1997) 44-69 verweisen dagegen darauf, der Übergang von der dritten zur ersten Person gehe auf Eröffnungssätze königlicher Verkündigungen im Alten Orient zurück. Vgl. MOLES (1999) 46-53. 748 Vgl. zum Verfahren auch Anaxagoras 59 B 17 DK (οὐκ ὀρθῶς νομίζουσιν οἱ Ἕλληνες). 749 Zur Konstruktion einer stark personalisierten Textstimme in der Historiographie HOSE (2016) 14: „Die Daten bzw. Informationen selbst, die ein historiographischer Text aufnimmt, sind entweder vom Historiker selbst gesammelt oder aus vorgängigen (Geschichts-)Werken übernommen. Ein Primat der ‚Primärdaten‘ (etwa in Archiven oder Dokumenten vom Historiker ermittelt) ist jedoch, im Gegensatz zur neuzeitlichen Historiographie nicht erkennbar. Es ist nicht zu übersehen, daß statt dessen […] das kritische acumen und iudicium des Historikers stärker wiegt als die exakte Ermittlung von Informationen. Bereits Hekataios F 1 wird dies pointiert kenntlich, wenn Hekataios feierlich erklärt: […] „Dies schreibe ich, wie es mir wahr zu sein scheint.“ Diese Ponderierung führt dazu, daß Auseinandersetzungen innerhalb der Historiographie nicht etwa über Interpretationen des dargestellten Geschehens, sondern über die Rolle des Historikers in seinem Werk geführt werden.“ 750 Zur Einordnung des Hekataios in die literarische Tradition BERTELLI (2001) 80-82. CALAME (1995) 92f. argumentiert für einen Bezug zu Hesiods ‚lügenden Musen‘ Theog. 27-28 (ἴδμεν ψεύδεα πολλὰ λέγειν ἐτύμοισιν ὁμοῖα, | ἴδμεν δ’ εὖτ’ ἐθέλωμεν ἀληθέα γηρύσασθαι). Vgl. auch BOTERF (2017) 86f.

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eingeführt: Ἡροδότου Ἁλικαρνησσέος ἱστορίης ἀπόδεξις ἥδε (Ηdt. 1.1.1),751 wobei die doppelte Deixis beim Demonstrativum ἥδε, vergleichbar mit Hekataios’ Verwendung des anfänglichen τάδε, auf den folgenden Bericht sowie, aus distanzierter Perspektive, auf das Werk als solches zielt; auch bei Herodot findet sich sodann ein Wechsel von der dritten Person752 zum forschenden ‚Ich‘, der in der programmatischen Passage 1.5, zu Beginn des Kroisos-Logos, vollzogen wird.753 Mit der doppelten Verneinung im folgenden Finalsatz des Proöms (μήτε […] ἀκλέα γένηται) schreibt Herodot seine Erzählung über die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Griechen und Barbaren in die Tradition des Epos ein, worin das κλέος der Helden vor Troia besungen wurde. Damit fällt nun der Historiographie die Aufgabe zu, den Ruhm großer Taten für die Nachwelt sicherzustellen. Die Relation der erzählten „Taten“ (ἔργα) dieses Krieges zum Epos ist, wie quantitative (μεγάλα) sowie qualitative Marker (θωμαστά) verdeutlichen, implizit agonal: Der die ἱστορίη Darlegende tritt als Rivale von Erzählungen über kriegerische Geschehnisse wie diejenigen über den Troianischen Krieg auf.754 Entsprechend ordnet die herodoteische Verfasser-Stimme Helenas Entführung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen insgesamt dem narrativen Zusammenhang der ___________________________

751 Zum ersten Satz des Herodot ERBSE (1956). Zur herodoteischen Autorfiktion in der pseudepigraphischen Homervita, die Herodots Titelsatz nachmodelliert, LEFKOWITZ (2012) 23. 752 Laut MOLES (1999) 46-53 orientiere sich Herodots dritte Person, wie bei Hekataios und Thukydides, an der Sprachgebung in Monumentalinschriften und weise eine ‚Inskriptionalität‘ auf – wobei der Text als immaterielles monumentum materielle Inschriften überdauere. PORCIANI (1997) erkennt dies bereits bei Hekataios und Alkmaion. 753 Ἐγὼ δὲ περὶ μὲν τούτων οὐκ ἔρχομαι ἐρέων ὡς οὕτως ἢ ἄλλως κως ταῦτα ἐγένετο, τὸν δὲ οἶδα αὐτὸς πρῶτον ὑπάρξαντα ἀδίκων ἔργων ἐς τοὺς Ἕλληνας, τοῦτον σημήνας προβήσομαι ἐς τὸ πρόσω τοῦ λόγου, ὁμοίως μικρὰ καὶ μεγάλα ἄστεα ἀνθρώπων ἐπεξιών. Zum agonalen ‚Ich‘ CHAMBERLAIN (2001) 23: “when Herodotus is at his most competitive, he often sounds the most singular: he uses the pronoun egô (authoritative speakers within his text do so too) when he wants to emphasize his own special authority over that of a potential competitor. The pronoun acts as a kind of seal of power, a first person singular sphrêgis. We see this first in 1.5, where he gives us the opinions of Persian wise men (logioi) and then says, “I (egôde) shan’t say that this is right or wrong, but I’ll point out (semênas) the man that I know myself (oida autos) started aggression against the Greeks, and move on with my story.” That egôde sets the singular Herodotus explicitly in competition with the plural Persian logioi”. 754 Zu Herodots Wettstreit mit dem Epos CALAME (2004) 20f. (wo vom historiopoète die Rede ist), MARINCOLA (1997) 14, 34f. (“The primary elements that Herodotus bequeathed to later historians were the use of superlatives, mostly of size and magnitude, and a comparison with previous events or deeds by which the unique greatness of the present history is brought out in relief. Herodotus himself, as his mention of Troy makes clear, vies with Homer, and the historian’s amplification of his subject portrays the deeds as worthy of the same renown (κλέος) that Homer had given to his”). Zu Herodots Bezügen auf zeitgenössische Autoren FOWLER (1996).

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Frauenraub-Erzählungen unter, die alle in indirekter Rede referiert werden und auf mehr oder minder glaubhaften Zeugenberichten beruhen (Hdt. 1.3-5). Nach der ‚epigraphischen Sphragis‘ des Proöms,755 in dem der Autorname zum einzigen Mal bei Herodot fällt, behält die dominante Stimme des nun folgenden Werks, der wieder anonyme Berichterstatter der Historien, die Hoheit über seine Erzählung und zielt konstant auf die Konstruktion der eigenen Autorität sowie auf die Kontrolle über die folgenden Berichte.756 Dies geschieht etwa dadurch, dass er sich über die Verwendung des Personalpronomens selbst als Akteur und Zeitzeugen in das Dargestellte miteinbringt (Hdt. 1.5.4 ἐπ’ ἐμεῦ etc.).757 Der gewissermaßen implizit im Werk antizipierten Frage der Rezipienten, woher der Autor sein Wissen habe, begegnet das Forscher-Ich des Texts subtil mit der eigenen, vermittelnden Rolle zwischen seiner Darstellung sowie den Rezipienten: “[Herodotus’] solution was to place himself, if not front and centre, then in a constant and direct relationship with his material, ensuring that he, the narrator, was recognised as the medium, the authority, through which the deeds became known and celebrated.”758

Diese vermittelnde Rolle wirkt sich auf die narrative Textur 759 des Geschichtswerks aus: So flicht der Sprecher wiederholt Kommentare oder Urteile (etwa Begründungen wie ὡς ἐγὼ δοκέω Hdt. 1.119.7, ferner Verben wie πυνθάνομαι, εὑρίσκω, συμβάλλομαι, ἱστορέω, οἶδα) in das berichtete Geschehen ein.760 Darüber hinaus wird sein Schalten und Walten anhand der makrostrukturellen Anordnung der Informationen zu einem Großnarrativ wahrnehmbar,761 was sich in Erzählstrategien wie wechselnden Perspektiven, Resümees oder auch dem ___________________________

755 CHAMBERLAIN (2001) 30 (“an epigraphic sphrêgis that speaks with the voice of a monument, not an author”). 756 DEWALD (2009) 226f. Zur Intensität der Autorstimme bei Herodot bemerkt FOWLER (1996) 76: “Voice-markers occur so often that in reading through him one begins to notice their absence more than their presence.” 757 Zur auktorialen Selbstpositionierung bzw. Selbsthistorisierung des Autors in den Historien RÖSLER (1991). 758 MARINCOLA (1997) 8. Zur Charakterisierung der Erzähler-Stimme bei Herodot als “overt” sowie “partially omniscient narrator” DE JONG (2004b) 102-107, die auf Konvergenzen wie Divergenzen zum Epos hinweist. 759 Zur Anwendbarkeit der ursprünglich für fiktionale Texte entwickelten Kategorie des Erzählers auf den besonderen Fall der antiken Historiographie P AUSCH (2011). 760 Vgl. DEWALD (1987), SZEGEDY-MASZAT (1987), LURAGHI (2006). CHRIST (1994) erarbeitet, wie Herodot die Rolle des ἵστωρ auf Figuren innerhalb des Werks, v. a. barbarische Könige, ausweitet. Auch die Stimme von Orakeln – Hdt. 1.47.2-3 das delphische – erhält bei Herodot autoritatives Gewicht: CHAMBERLAIN (2001) 24. 761 Dion. Hal. Pomp. 3.14 bemerkt, Herodot habe seine Erzählung zu „einer stimmigen Einheit“ geformt (σύμφωνον ἓν σῶμα), die nicht in derart viele Einzelteile (πολλὰ […] μέρη) zerlegt sei wie bei Thukydides.

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Detailreichtum der Haupterzählung, der Einfügung direkter Reden oder erklärender Exkurse äußert.762 Die Grobstruktur des Werks, in Hdt. 1.5.3, 1.95.1, 2.123.1, 4.30.1, 7.152.3 und 7.171.1 als λόγος bezeichnet, teilt sich in untergeordnete λόγοι („Berichte, Reden“) als prinzipielle Gliederungseinheiten, wodurch dem Werk „die Verfasserstimme, nicht das Buch in seiner äußeren Form“, 763 als Buchrolle, zugrundegelegt wird (z. B. Ägypten-Logos 2.35.1; Skythen-Logos 4.16.1). Im Gegensatz zu späteren Autoren wie Thukydides oder Xenophon stimmen „die Buchgrenzen, d. h. ursprünglich die Buchrollengrenzen, […] jedoch mit der Strukturierung der λόγοι nicht überein und scheinen nicht von Herodot selbst herzurühren, also einer Zeit zu entstammen, in der sich das Buch selbst als Medium etabliert hatte.“764

Die Historien sind damit von einer durch Mündlichkeit und gesprochene Sprache gefärbten Erzählung geprägt, wobei der eigentliche modus narrandi als λέγειν bezeichnet (Hdt. 1.5.3 ἔρχομαι ἐρέων) oder wie im Proöm (ἀπόδεξις ἥδε) überhaupt nicht thematisiert wird.765 Der Sprecher der Historien selbst tritt allenthalben als organisierendes Prinzip der Erzählung in Erscheinung, etwa in Hdt. 7.152 oder an der Scharnierstelle 2.99.1, wo er im Rahmen des ägyptischen Logos durch eine kurze Prolepse die Aufmerksamkeit auf die narrative Progression seiner Darstellung lenkt und zugleich rückblickend eine methodologische Bemerkung einflicht. 766 In Buch 2 ist die Autorpräsenz Herodots überhaupt am deutlichsten spürbar: Diese verbindet sich bemerkenswerterweise mit agonalen Rückgriffen auf Vorgänger-Autoren, wenn Herodot als Vorlage auf Hekataios zurückgreift, diesen jedoch zugleich seiner Kritik unterzieht,767 oder polemisch auf anonyme Dichterquellen, allen voran ___________________________

762 Zur narrativen Textur der Historien und den erzählerischen Manövern darin MARINCOLA (1987), DEWALD (1987), (2002), (2009), FOWLER (1996) 67-80, BROCK (2003), DE JONG (2004b), BAKKER (2006), LURAGHI (2006), BARAGWANATH (2008). 763 HOSE (2016) 15f. 764 HOSE (2016) 16 mit Verweis auf BIRT (1882/1974). 765 Zur Mündlichkeit bei Herodot NAGY (1987), DE JONG (2004b) 107, wo Nähe zu öffentlichen Rezitationen betont wird. Zur Analyse oraler Erzählstrukturen wie Ringkompositionen EVANS (2013); vgl. JOHNSON (1994). Zum Schreiber Herodot RÖSLER (2002), DEWALD (1987) 164 (der Historiograph “speaks with the voice of the text itself”). 766 2.99.1: Μέχρι μὲν τούτου ὄψις τε ἐμὴ καὶ γνώμη καὶ ἱστορίη ταῦτα λέγουσά ἐστι, τὸ δὲ ἀπὸ τοῦδε αἰγυπτίους ἔρχομαι λόγους ἐρέων κατὰ [τὰ] ἤκουον· προσέσται δέ τι αὐτοῖσι καὶ τῆς ἐμῆς ὄψιος. Hierzu BROCK (2003). 767 Herodot zitiert Hekataios in 2.143.1 und 6.137.1 namentlich. Bereits in der Antike wurde über herodoteische Entlehnungen aus Hekataios geurteilt (FGrHist 1 F 324a; vgl. F 324b mit Hdt. 2.70-73 und F 305 mit Hdt. 2.156.1). Vgl. Herodots Kritik an der Theorie der Nilschwemme 2.21, 23 (FGrHist 1 F 302) sowie an der Erdkarte Hdt. 4.36.2, die sich wohl gegen Hekataios richtete (FGrHist 1 F 36b). Zu Kongruenzen im libyschen Logos Herodots (4.168-199) mit Hekataios (F 335) JACOBY (1912) Sp.

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Homer und Hesiod – etwa 2.23 mit Blick auf den Fluss Okeanos –,768 rekurriert, um deren Autorität nutzbar zu machen und dabei zugleich die eigene hervorzuheben. Die abwertende Kritik in 2.2.5 (Ἕλληνες δὲ λέγουσι ἄλλα τε μάταια πολλά) erinnert dabei gar an seinen Erzrivalen Hekataios (λόγοι πολλοί τε καὶ γελοῖοι)! Nachdem der Sprecher seine autoritative Rolle in den ersten Büchern verdeutlicht hat, ist in den Perserkriegs-Büchern (Hdt. 7-9) geradezu eine Absenz vergleichbarer Autor-Kommentare zu verzeichnen, was jedoch durch die Präsenz von “critical accumulation” und “assessment”769 der Textstimme in diesem Werkabschnitt ausgeglichen wird. Zugleich wird dieser Teil durch ein ‚Zweites Proöm‘ eingeleitet (Hdt. 7.19-21), eine der Reflexion dienende Pause, in welcher der auktoriale Kommentar die unvergleichliche Größe des Perserheeres unter Xerxes auf zwei Ebenen herausarbeitet: Zum einen durch den Vergleich der persischen Streitmacht mit früheren Heereszügen, die allesamt geringer waren, wozu der Sprecher außer dem Dareioszug gegen die Skythen (in Hdt. 4 berichtet) auch den Troianischen Krieg sowie dessen Vorgänger zählt (7.20.2 μήτε κατὰ τὰ λεγόμενα τὸν Ἀτρειδέων ἐς Ἴλιον μήτε τὸν Μυσῶν τε καὶ Τευκρῶν τὸν πρὸ τῶν Τρωικῶν γενόμενον) – und diese so in ihrem Ausmaß relativiert und gar dem aktuellen Feldzug als „nicht ebenbürtig“ bezeichnet (7.21.1 αὗται αἱ πᾶσαι οὐδ’ ἕτεραι πρὸς ταύτῃσι γενόμεναι στρατηλασίαι μ ι ῆς τῆ σδ ε ο ὐ κ ἄ ξι α ι ). Zum anderen anhand der Reflexion über die hyperbolische Masse der am Zug beteiligten Menschen, welche die Natur kaum noch zu ernähren vermochte. Dies wird mit der rhetorischen Frage eingeführt, „welches Volk Xerxes denn eigentlich nicht aus Asien nach Griechenland herübergeführt habe?“ (Τί γὰρ οὐκ ἤγαγε ἐκ τῆς Ἀσίης ἔθνος ἐπὶ τὴν Ἑλλάδα Ξέρξης;). Dies erinnert wiederum an die Frage des epischen Sängers an die Musen in den Proömen von Ilias und Odyssee sowie prominent vor dem Schiffskatalog des zweiten Ilias-Gesangs (2.484-493), wo dieser die Göttinnen um die Auskunft bittet, welche achaischen Heerführer denn gen Troia gezogen seien. Wie in der Ilias (2.488 und 492 πληθὺν δ’ οὐκ ἂν ἐγὼ μυθήσομαι οὐδ’ ὀνομήνω, | […] | ὅσοι ὑπὸ Ἴλιον ἦλθον)770 kapituliert der Sprecher der Historien ___________________________

2728ff. Zum Verhältnis beider S. WEST (1991), MARINCOLA (1997) 225f., DEWALD (2002), DE JONG (2004b) 114. Zu Prosa-Vorgängern Herodots FOWLER (2006). 768 Hdt. 2.23: Ὁ δὲ περὶ τοῦ Ὠκεανοῦ λέξας ἐς ἀφανὲς τὸν μῦθον ἀνενείκας οὐκ ἔχει ἔλεγχον· οὐ γάρ τινα ἔγωγε οἶδα ποταμὸν Ὠκεανὸν ἐόντα, Ὅμηρον δὲ ἤ τινα τῶν πρότερον γενομένων ποιητέων δοκέω τοὔνομα εὑρόντα ἐς ποίησιν ἐσενείκασθαι. Anonyme Vorautoren werden bei Herodot i. d. R. unpersönlich mit λέγεται markiert. 769 MARINCOLA (1987). 770 Ιn diesem Sinne vgl. auch Ibykos in seinem Lied an Polykrates in S151.23-31 PMGF: Allein die weise-gewitzten (σεσοφισμέναι, V. 23) Musen vom Berg Helikon kennen die Gesamtzahl der Schiffe, die von Aulis über das Ägäische Meer einst in das „rossenährende Troia“ segelten (V. 27-30a: ναῶν ὅσσος ἀριθμὸς ἀπ’ Αὐλίδος | Αἰγαῖον διὰ πόντον ἀπ’ Ἄργεος | ἠλύθον ἐς Τροίαν | ἰπποτρόφον), sowie die einzelnen „erzschildbewehrten Söhne Achaias“ in diesen Schiffen (ἐν δὲ φώτες | χαλκάσπιδες, υἷες Ἀχαιῶν,

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vor der Aufgabe, die gesamte Heeresmasse aufzuzählen. Die programmatische Passage zeigt, dass Herodot durch die Wiederaufnahme des aus dem Epenkatalog bekannten Verfahrens kurz vor dem anstehenden Finale seines Geschichtswerks (Hdt. 7-9) die Kriegs-Beschreibungen seiner Vorgänger überbieten will. Thukydides wiederum lenkt in seinem Titelsatz (1.1.1 Θουκυδίδης Ἀθηναῖος ξυνέγραψε τὸν πόλεμον τῶν Πελοποννησίων καὶ Ἀθηναίων κτλ.) die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf den von ihm geschilderten Krieg, indem er ihn als das „erwähnenswerteste“ bzw. „wichtigste“ aller bisherigen kriegerischen Ereignisse kennzeichnet (ἀξιολογώτατον τῶν προγεγενημένων). 771 Bemerkenswerterweise findet innerhalb des Proöms erneut ein Wandel von einer externen Perspektive auf den Autor in der dritten Person (1.1.1 Θουκυδίδης Ἀθηναῖος) hin zu der „Ich“ sagenden Verfasserstimme des forschenden Historiographen (1.1.3 σκοποῦντί μοι und νομίζω) statt.772 Dieser Wandel wird über die gereihten participia coniuncta ἀρξάμενος, ἐλπίσας und τεκμαιρόμενος eingeleitet, über die sich Thukydides deutlicher als seine Vorgänger als involvierten Akteur und Zeitzeugen der Geschehnisse in sein Geschichtswerk einschreibt. Thukydides fügt im Gegensatz zu Herodot weitere auktoriale Signaturen in sein Werk ein, um bestimmte erzählerische Einheiten zu kennzeichnen, 773 wenn das Ende eines jeden Kriegsjahres jeweils mit der Wendung ὃν (sc. πόλεμον) Θουκυδίδης ξυνέγραψεν beschlossen wird.774 Somit passt er den Krieg als Erzählung vom Krieg in eine narrative Ökonomie ein. Entsprechend deutet die Wendung „den Krieg (be-)schreiben“ im Titelsatz (ξυνέγραψε τὸν πόλεμον) – als Variation von τάδε γράφω bei Hekataios lesbar – sowohl auf die folgende Kriegsschilderung als auch das Werk selbst, das damit den Titel πόλεμος τῶν Πελοποννησίων καὶ Ἀθηναίων trägt. Diese Ambivalenz aus werkinterner sowie -externer Perspektive erinnert wiederum an die Verwendung des ebenfalls mit zweifacher Perspektive bzw. Deixis versehenen Demonstrativpronomens in Herodots Titelsatz (ἀπόδεξις ἥ δε ). Die Verwendung von ξυγγράφειν im Titelsatz evoziert die Frage nach der Medialität des thukydideischen Werks ebenso wie innerhalb der ‚Methodologie‘ der ___________________________

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30b-31) – kein menschlich-defizitärer Sänger könne als θνατὸς ἀνήρ (V. 25) all die Einzelheiten aufzählen (τὰ ἕκαστα εἴποι, V. 26). Erhellendes zu den Themen des Proöms bieten ERBSE (1970), GRIBBLE (1998) 43-46 und DEWALD (2009) 233-236. Vgl. DEWALD (2009) 235f. (historiographische Autorität durch genaue Überlegungen und Schlüsse vorgeführt) und ROOD (2006) 240, der jedoch kaum plausibel verschiedene personae von Autor und Erzähler differenziert. Buchgrenzen scheinen im Gegensatz zu Herodot narrativ markiert, etwa fällt die Schilderung des zweiten Buchs mit dem Kriegsbeginn im Jahr 431 zusammen (Thuk. 2.1.1 ἄρχεται δὲ ὁ πόλεμος ἐνθένδε). Dennoch bestand in der Antike Unsicherheit über die Buchanzahl des unvollendeten Werks: HOSE (2016) 16 mit Anm. 46. So in Thuk. 2.70.4, 2.103.2, 3.25.2, 3.88.4, 3.116.3, 4.51, 4.135.2, 6.7.4, 6.93.4, 7.18.4, 8.6.5, 8.60.3.

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Passus 1.22.4, wenn der beschriebene Krieg als „Besitz für alle Zeit“ (κτῆμά τε ἐς αἰεὶ [μᾶλλον ἢ ἀγώνισμα ἐς τὸ παραχρῆμα ἀκούειν ξύγκειται]) bezeichnet wird, kurz zuvor jedoch von einer ἀκρόασις die Rede ist. Dies führte in der Forschung zu Kontroversen über die Verortung des Werks zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit; 775 die sprachliche Analyse verweist jedenfalls auf einen im Vergleich zu früheren Autoren höheren Grad narrativer Innovationen, die das Werk des Thukydides viel stärker vom Medium Buch geprägt zeigen: “It is one of the most readerly discourses ever to have been produced by an ancient Greek writer, aiming at usefulness for each generation anew. Its narrative is fictional in being able to speak to ever new generations of readers in the future. Thucydides’ text can speak to the future, as Thucydides’ self can travel to the past.”776

Im Gegensatz zu Herodots kontrollierten Eingriffen in die Erzählung tritt die Verfasserstimme bei Thukydides außer im Proöm sowie im sogenannten ‚Methodenkapitel‘ (Thuk. 1.22) relativ selten durch auktoriale Kommentare in Erscheinung; sie wird vornehmlich in erklärenden Exkursen und parenthetischen Interventionen und Einschätzungen offenbar.777 Die Autorität des Historikers wird auch durch die sparsame Verwendung von Unsicherheitsmarkern wie „ich glaube/vermute“ etabliert.778 Das Vorherrschen der dritten Person vor einer personal konturierten IchStimme erzeugt den Anschein einer scheinbar objektiven Erzählinstanz. 779 Der ___________________________

775 Vgl. HAVELOCK (1963) 54 Anm. 8, der das κτῆμα […] ἐς αἰεί 1.22.4 auf ein Thukydides-Manuskript bezog, das sich an Leser richtete (“the permanent influence of a MS stylistically composed for readers, as against the more ephemeral effects of a composition designed for recitation at an oral “competition””). Havelock sah in Thukydides den ersten Autor, der schriftliche Aufzeichnungen auch schriftlich eingesetzt habe. CRANE (1996) und YUNIS (2003a) sehen ebenfalls kritische Leser als Zielpublikum. Zu Havelock RÖSLER (1980) 48 Anm. 49 und 89; verändert wird Havelocks Ansicht hin zu einer zweigleisigen Rezeption des Thukydides durch readers und auditors bei J. V. MORRISON (2004) 95: “Forty years after Preface to Plato, it may be best to view Thucydides as a transitional figure, who apparently has come to appreciate the potential of written literature, while his work still exhibits certain features of oral discourse and culture”. Auch für MARINCOLA (1997) 21 geht aus 1.22.4 nicht hervor, “that [Thucydides] was the first to distinguish a written work from an oral presentation”, statt eines erlesenen Kreises politischer Amtsträger sieht er als Zielpublikum eher die politisch interessierte und engagierte Polis-Gemeinschaft. 776 BAKKER (2009) 122, allg. BAKKER (1997); vgl. zu diesem Komplex V. F. MORRISON (2007) 131, EDMUNDS (2009). 777 Vgl. PEARSON (1947), RIDLEY (1981), MARINCOLA (1997) 8f., GRIBBLE (1998), ROOD (2004), (2006). 778 Implizite Kritik an der Verwendung der Phrase (z. B. Hekataios FGrHist 1 F 1 ὥς μοι δοκεῖ) zeigt Thuk. 1.22.2 (ο ὐ δ ’ ὡ ς ἐ μ ο ὶ ἐδ ό κ ε ι ἀλλ’ οἷς τε αὐτὸς παρῆν), d. h. Ablehnung von bloß auf Vermutung gestützter Erkenntnis. 779 Hierzu MARINCOLA (1997) 8-10. Zur seltenen Verwendung der ersten Person bei Thukydides vgl. DEWALD (1987) 149f., GOLDHILL (2002) 41-43 und MARINCOLA

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Verfasser lässt sich bei seiner Arbeit somit ‚nicht über die Schulter blicken‘, präsentiert sein Werk vielmehr als abgeschlossenes Ergebnis seiner Forschungen: “The narrator is just as present in Thucydides; but he is not as intrusive as in Herodotus. All seems assured […], and the entire dynamic is presented as impersonal and irrefragable. […] The narrative homogeneity of Thucydides is meant to inspire confidence; he does not, like Herodotus, want the emphasis to be on his tracking down of sources, but on the finished product: the reader is to be concerned not with the process of research, but rather with the result.”780

Neben der reduzierten Präsenz der Verfasserstimme bei Thukydides, wodurch ein Eindruck erzählerischer Unparteilichkeit entsteht und der Blick effektvoll auf das Geschehen freigegeben wird,781 verschärft auch der komplexe und die Rezipienten zu genauer Verstehensarbeit zwingende Stil des Thukydides den Eindruck, dass sich Ort und Position des Verfassers zu seiner Erzählung nicht genau bestimmen lassen. Gleichwohl kommt er an drei ausgewählten Stellen auf seine eigene Rolle zu sprechen: Erstens litt er selbst an der im zweiten Buch (2.47-55) eindringlich beschriebenen Seuche und kann daher Umstände und Konsequenzen der bedrohlichen Krankheit genau schildern (2.48.3 ἐγὼ δὲ οἷόν τε ἐγίγνετο λέξω […] ταῦτα δηλώσω αὐτός τε νοσήσας καὶ αὐτὸς ἰδὼν ἄλλους πάσχοντας). 782 Zweitens kommt er im vierten Buch (4.104.4-6) auf seine eigene Rolle als einer der Strategen des Jahres 424 v. Chr. zu sprechen, wodurch der Autor des Kriegsberichts zum historischen Akteur im selben Krieg wird:783 Wenn er sich als einen der beiden in Thrakien stationierten athenischen Generäle nennt, tut er dies – in variierender Erweiterung des Anfangsproöms – mit dem Patronym „Thukydides, Sohn des Oloros“ (4.104.4 τὸν ἕτερον στρατηγὸν τῶν ἐπὶ Θρᾴκης, Θουκυδίδην τὸν Ὀλόρου) und verknüpft dabei seine Rolle als Akteur 784 direkt mit der des Autors, indem er ___________________________

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(1997) 179f., mit einem Forschungsüberblick zur Wahl der ersten oder dritten Person in der antiken Historiographie (u. a. bei E. Norden) auf S. 179 Anm. 17. MARINCOLA (1997) 9. ROOD (2004) 121 sieht hinter scheinbarer Absenz erzählerische Allpräsenz: “Thucydides creates a greater sense of a controlling and single-minded purpose in his narrator than does Herodotus.” Laut GRIBBLE (1998) 50 bleibt Thukydides – gegenüber Herodot – angesichts kontroverser Fragen unparteilich. Zur “vividness” des Thukydides vgl. ROOD (2004) 121 sowie (2006) 248 u. ö. Der Mittelteil des Satzes 2.48.3, καὶ ἀφ’ ὧν ἄν τις σκοπῶν, εἴ ποτε καὶ αὖθις ἐπιπέσοι, μάλιστ’ ἂν ἔχοι τι προειδὼς μὴ ἀγνοεῖν, klingt an die Methodologie an, in der ebenfalls der Nutzen politischen Scharfblicks für die Zukunft betont (1.22.4 σοι δὲ βουλήσονται τῶν τε γενομένων τὸ σαφὲς σκοπεῖν καὶ τῶν μελλόντων ποτὲ αὖθις κατὰ τὸ ἀνθρώπινον τοιούτων καὶ παραπλησίων ἔσεσθαι, ὠφέλιμα κρίνειν αὐτὰ ἀρκούντως ἕξει) und die Präsenz des Autors bei den Geschehnissen angedeutet wird (1.22.1 ὧν αὐτὸς ἤκουσα und 1.22.2 ἀλλ’ οἷς τε αὐτὸς παρῆν). Zu Thukydides’ Teilnahme an den Kriegsereignissen MARINCOLA (1997) 182-184; ferner SCHELSKE (2013). Der Passus 4.104.4-4.105.1 enthüllt biographische Daten über den Akteur Thukydides: Er war als Stratege eine halbe Tagesreise vom thrakischen Amphipolis entfernt auf

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relativisch mit ὃς τάδε ξυνέγραψεν anschließt. Trotz dieses Hinweises, dass der Stratege Thukydides mit dem Historiker identisch sei, werden beide doch verschiedentlich eingeführt, der Stratege (Akteur) nach Art eines Charakters mit Patronym,785 der Historiker (Autor) im Titelsatz mitsamt dem Toponym Ἀθηναῖος, was darauf deutet, dass sich der Autor offenbar einem nicht auf Athen beschränkten Publikum präsentierte. Daraus hat man gefolgert: “authorship is a Panhellenic status, generalship an Athenian one”, da das Patronym bereits Vertrautheit mit dem Athener Thukydides impliziere.786 Im Unterschied zum Titelsatz trägt der Akteur Thukydides, also noch zu Kriegszeiten und damit – gemäß der Logik der Narration – lange vor seinem Auftreten als Autor, lediglich das Patronym. Es lässt sich festhalten, dass Thukydides, wie schon in der Dichtung vor ihm Hesiod, ein autographisches Kurzporträt seiner selbst in sein Werk inkorporiert, indem er sich als Charakter darin hineinplatziert, dies jedoch zugleich an den Verfasser des Werks rückbindet. Schließlich wird die Präsenz der thukydideischen Verfasserstimme in einer dritten und letzten Passage, dem sogenannten Zweiten Proöm (5.26.1), 787 besonders augenfällig: Γέγραφε δὲ καὶ ταῦτα ὁ αὐτὸς Θουκυδίδης Ἀθηναῖος ἑξῆς, ὡς ἕκαστα ἐγένετο, κατὰ θέρη καὶ χειμῶνας, μέχρι οὗ τήν τε ἀρχὴν κατέπαυσαν τῶν Ἀθηναίων Λακεδαιμόνιοι καὶ οἱ ξύμμαχοι, καὶ τὰ μακρὰ τείχη καὶ τὸν Πειραιᾶ κατέλαβον. ἔτη δὲ ἐς τοῦτο τὰ ξύμπαντα ἐγένετο τῷ πολέμῳ ἑπτὰ καὶ εἴκοσι. „Niedergeschrieben hat auch dies derselbe Thukydides aus Athen in derjenigen Reihenfolge, in der sich jede Begebenheit zutrug, nach Sommern und Wintern geordnet, bis zu dem Zeitpunkt, als die Lakedaimonier und deren Verbündete die Macht der Athener beendeten und die Langen Mauern und den Piräus einnahmen. Bis dahin waren im Ganzen 27 Kriegsjahre vergangen.“

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Thasos stationiert. Von dort brach er auf, um mit dem athenischen Feldherrn Eukles die Stadt vor der Übernahme durch die Spartaner unter Brasidas zu schützen. Letzterer fürchtete Thukydides’ Ankunft und wollte ihm zuvorkommen, da jener Anrecht auf die lokalen Goldminen hatte und so über Einfluss auf dem Festland verfügte. Neben der Schlüsselrolle des Thukydides im thrakischen Kriegsgebiet erfährt man vom Scheitern der Hilfsexpedition – dem Grund seiner Exilierung (5.26). 785 Vgl. die Beispiele bei HORNBLOWER (1991) 4f., wo das Fehlen einer demotischen Markierung des Autors Thukydides besprochen wird: “The distinction author / agent is precisely, even quaintly, observed”. 786 SCODEL (2019) 58. ROOD (2006) 230f. erkennt das Patronym als relevant für den Akteur, nicht den Historiker. 787 Laut DEWALD (2005) 139 wird durch das Proöm eine Kontinuität des Kriegs hergestellt. Dem entspricht m. E. die Kontinuität der thukydideischen Verfasserstimme im Werk, wie sie durch das Zweite Proöm postuliert wird.

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In diesem Abschnitt wird über einen zweiten Namensatz (Θουκυδίδης Ἀθηναῖος) eine Verbindung zum Titelsatz am Beginn des Werks hergestellt und erneut der Erzählmodus und die narrative Grobgliederung nach Sommer- und Winterhalbjahren in Erinnerung gerufen (ἑξῆς, ὡς ἕκαστα ἐγένετο, κατὰ θέρη καὶ χειμῶνας). Daneben wird auch proleptisch auf das Ende des Kriegs und die athenische Niederlage im Jahre 404/3 verwiesen, die zu diesem Punkt der Erzählung, zur Zeit des Nikiasfriedens 421 v. Chr., noch in der Zukunft lag. Dies bedeutet wiederum, dass die demonstrativen Pronomina ταῦτα und τοῦτο und die resultative Perfektform Γέγραφε788 sich – aus Rezipienten-Perspektive – auf das gesamte Werk von Anfang bis Ende und damit die insgesamt (τὰ ξύμπαντα) 27 Jahre währende Auseinandersetzung beziehen. Die Einheit des (vom brüchigen Nikiasfrieden somit nicht unterbrochenen) Kriegs korrespondiert mit der Einheit der Erzählung sowie, dies erscheint als ein weiterer Hauptaspekt des Passus, der Einheit des Autors: Besonders augenfällig in 5.26.1 erscheint nämlich die Bezeichnung „derselbe (ὁ αὐτὸς) Thukydides aus Athen“, was nicht nur das Anfangsproöm aufgreift, sondern die Verfasserschaft des Thukydides über das gesamte Werk ausdehnt. Der Autor Thukydides erlebte den Krieg in seiner 27 Jahre währenden Gesamtheit, von dessen Ausbruch bis zu seinem Ende. Dies verdeutlicht er in der folgenden Passage (5.26.4-6), in der wie im Anfangsproöm und bereits in früheren historiographischen Proömen ein Wechsel von der dritten Person zum forschenden und erlebenden ‚Ich‘ (ἔγωγε μέμνημαι) vollzogen wird: αἰεὶ γὰρ ἔγωγε μέμνημαι, καὶ ἀρχομένου τοῦ πολέμου καὶ μέχρι οὗ ἐτελεύτησε, προφερόμενον ὑπὸ πολλῶν ὅτι τρὶς ἐννέα ἔτη δέοι γενέσθαι αὐτόν. ἐπεβίων δὲ διὰ παντὸς αὐτοῦ αἰσθανόμενός τε τῇ ἡλικίᾳ καὶ προσέχων τὴν γνώμην, ὅπως ἀκριβές τι εἴσομαι· καὶ ξυνέβη μοι φεύγειν τὴν ἐμαυτοῦ ἔτη εἴκοσι μετὰ τὴν ἐς Ἀμφίπολιν στρατηγίαν, καὶ γενομένῳ παρ’ ἀμφοτέροις τοῖς πράγμασι, καὶ οὐχ ἧσσον τοῖς Πελοποννησίων διὰ τὴν φυγήν, καθ’ ἡσυχίαν τι αὐτῶν μᾶλλον αἰσθέσθαι. τὴν οὖν μετὰ τὰ δέκα ἔτη διαφοράν τε καὶ ξύγχυσιν τῶν σπονδῶν καὶ τὰ ἔπειτα ὡς ἐπολεμήθη ἐξηγήσομαι. ___________________________

788 Vgl. zur Perfektform das vorausgehende (5.24.2) γέγραπται (ταῦτα δὲ τὰ δέκα ἔτη ὁ πρῶτος πόλεμος ξυνεχῶς γενόμενος γ έγ ρ α π τ α ι ) mit Gomme/Andrewes/Dover ad loc.: “this sentence was written after the end of the war, and intended for a completed work. [Thucydides] had of course his preparatory ‘notes’ for the whole. Τhe aorists of [1.1.1 ξυνέγραψε] and [1.97.2 ἔγραψα δὲ αὐτὰ] are slightly different. Note too the future, ἐξηγήσομαι [5.26.6].” Ohne auf die Schichten der Werkentstehung einzugehen, bezieht sich die Perfektform γέγραφε dabei m. E. auf das gesamte, schriftlich vorliegende Werk – wohingegen der Aorist auf die einmalige auktoriale Verfertigung verweist. Vgl. PORCIANI (1997) 121-135 (der weitere Literatur bietet), wo das resultative Perfekt Γέγραφε auf die spätere Rezipienten-Perspektive bezogen wird. EDMUNDS (2009) 97 deutet das Perfekt als “from the point of view of an ideal present time”, in Bezug auf “a nunc of the text” und “the presence of the writer” (“a hic of the writer”, 98).

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Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk „Denn stets bleibt mir in der Erinnerung, vom Beginn des Krieges bis zu seinem Ende, dass von vielen behauptet wurde, er würde dreimal neun Jahre dauern. Ich war während der gesamten Zeit am Leben, in einem wahrnehmungsfähigen Alter und meine Aufmerksamkeit darauf richtend, etwas Genaues darüber zu wissen: Und es war mein Schicksal, aus meiner Heimat zwanzig Jahre lang verbannt zu werden, in Folge meines Vorstoßes auf Amphipolis, und mich dabei auf beiden Seiten aufzuhalten, gerade auch bei den Peloponnesiern im Zuge meines Exils, wobei ich Zeit hatte, die Gegebenheiten bei diesen etwas näher in den Blick zu nehmen. Nun will ich vom Konflikt und Vertragsbruch sowie von den folgenden kriegerischen Ereignissen im Anschluss an die ersten zehn Kriegsjahre berichten.“

Die kurze Erwähnung des Exils in 5.26 ist relevant für die Position des Verfassers zum Geschehen, der ja im thukydideischen Methodenkapitel 1.22 von einer unparteilichen und reflektierten Perspektive auf die Ereignisse blickt.789 Durch den Verweis auf eigene Erfahrung und Selbsterlebtes (ἐπεβίων δὲ διὰ παντὸς αὐτοῦ αἰσθανόμενός τε τῇ ἡλικίᾳ καὶ προσέχων τὴν γνώμην, ὅπως ἀκριβές τι εἴσομαι) beglaubigt der Verfasser den Wahrheitsgehalt seines Berichts. 790 Die Episode ist essentiell für die Gesamtdeutung des Werks, da sie die darin wiedergegebenen Berichte nicht nur verifiziert, sondern auch die im Methodenkapitel dargelegten Charaktereigenschaften eines Historikers, dessen Forschungen auf eigener Erfahrung und Unparteilichkeit basieren sollen, bekräftigt. Zugleich deklariert das Zweite Proöm, wie gesehen, durch die Anlehnung an den Titelsatz die Verfasserschaft desselben Thukydides aus Athen (ὁ αὐτὸς Θουκυδίδης Ἀθηναῖος) über das Gesamtwerk. Thukydides übernimmt von früheren Prosa-Autoren das Projekt, die eigene Erzählung gegenüber früheren Darstellungen zu monumentalisieren und als bedeutender sowie relevanter als diese früheren zu präsentieren. Es finden sich zahlreiche Textstellen, in denen Thukydides von niemals vorher Gesehenem, Überraschendem und Superlativischem berichtet:791 So handelte es sich etwa bei der geschilderten Seuche laut 2.47.3 um die schlimmste Krankheit seit Beginn der Aufzeichnungen (οὐ μέντοι τοσοῦτός γε λοιμὸς οὐδὲ φθορὰ οὕτως ἀνθρώπων ___________________________

789 MARINCOLA (1997) 84 unterschätzt den Gehalt der Episode 5.26: “Scale is also important: Thucydides was hardly likely to arouse suspicion about his actions, because those actions form such a small part of the overall work”. 790 SCHELSKE (2013) sieht das Werk des Thukydides mit Blick auf 5.26 im Kontext der Exilliteratur sowie autobiographischer Texte mitsamt der für jene üblichen Strategien von Beglaubigung und Wahrheitsanspruch. 791 Textstellen bietet MARINCOLA (1997) 36 Anm. 4. Laut Dion. Hal. Thuk. 24.2 strebte Thukydides danach, alle Vorgänger auch durch seinen Stil zu übertreffen (Τούτῳ τε δὴ τῷ ἀνδρὶ Θουκυδίδης ἐπιβαλὼν καὶ τοῖς ἄλλοις, ὧν πρότερον ἐμνήσθην, καὶ συνιδὼν ἃς ἕκαστος αὐτῶν ἔσχεν ἀρετάς, ἴ δ ι ό ν τ ι ν α χα ρ α κ τ ῆ ρα κα ὶ π α ρε ω ρ α μ έν ο ν ἅ π α σ ι π ρ ῶ τ ο ς ε ἰ ς τ ὴ ν ἱ στ ο ρ ι κ ὴ ν π ρα γ μ α τ ε ί α ν ἐ σπ ο ύ δ α σ ε ν ἀ γ α γ ε ῖ ν ) . Dionysios beschließt den Abschnitt zur einzigartigen Wort-Anordnung bei Thukydides (σύνθεσις ὀνομάτων) mit den Worten: τοιοῦτος μὲν δή τίς ἐστιν ὁ Θουκυδίδης κατὰ τὸν τῆς λέξεως χαρακτῆρα, ᾧ παρὰ τοὺς ἄλλους διήνεγκεν.

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οὐδαμοῦ ἐμνημονεύετο γενέσθαι). Der Versuch ubiquitärer Amplifikation der Darstellung792 betrifft jedoch zuallererst das Ausmaß des geschilderten Kriegs (1.1.1 ἀξιολογώτατον τῶν προγεγενημένων).793 Wie bei Herodot dient der Troianische Krieg als Orientierungspunkt und Parameter für die Einschätzung aktueller Konflikte. Die Epiker sind so als ‚früheste Historiker‘ und Quellen in den Geschichtswerken präsent: Epische Thematik zeigt sich besonders an der Präponderanz der Kriegsgeschichte bei Herodot (7-9) und grundlegend bei Thukydides.794 Nun kann Thukydides jedoch auch die Perserkriege als Vergleichsfolie nutzen – beide Feldzüge werden im Anschluss an seine ‚Archäologie‘ (Thuk. 1.2-19) unter der Rubrik παλαιά (1.20.1) behandelt. Diese „alten Kriege“ wurden jedoch später vom langen Krieg zwischen Athen und den Lakedaimoniern bei weitem übertroffen, in dessen Verlauf die Drastik wiederum einen eigenen Höhepunkt in der Katastrophe der Sizilischen Expedition erreichte. Über diese heißt es (7.87): ξυνέβη τε ἔργον τοῦτο [Ἑλληνικὸν] τῶν κατὰ τὸν πόλεμον τόνδε μέγιστον γενέσθαι, δοκεῖν δ’ ἔμοιγε καὶ ὧν ἀκοῇ Ἑλληνικῶν ἴσμεν, καὶ τοῖς τε κρατήσασι λαμπρότατον καὶ τοῖς διαφθαρεῖσι δυστυχέστατον· κατὰ πάντα γὰρ πάντως νικηθέντες καὶ οὐδὲν ὀλίγον ἐς οὐδὲν κακοπαθήσαντες πανωλεθρίᾳ δὴ τὸ λεγόμενον καὶ πεζὸς καὶ νῆες καὶ οὐδὲν ὅτι οὐκ ἀπώλετο, καὶ ὀλίγοι ἀπὸ πολλῶν ἐπ’ οἴκου ἀπενόστησαν. „Man kann wohl sagen, dass dieses Ereignis von allen in diesem Kriege das bedeutendste war, meines Erachtens sogar von allen, die wir aus der Überlieferung der Hellenen kennen, für die Sieger der größte Ruhm, für die Vernichteten das größte Unglück: auf der ganzen Linie besiegt und an keinem geringen Leiden gebrechend, hatten sie in buchstäblicher Vernichtung Landheer, Schiffe und überhaupt alles verloren, und nur wenige von so vielen kehrten wieder nach Hause zurück.“795

Sah Herodot den Xerxes-Zug als nennenswertestes Ereignis der Perserkriege (Hdt. 7.21), gestaltete Thukydides seinen Bericht der Sizilischen Expedition zu einer monumentalen Darstellung des gewaltigsten aller bisherigen Kriegs-Ereignisse seit Menschengedenken (ὧν ἀκοῇ Ἑλληνικῶν ἴσμεν) aus – wie dies sprachlich ___________________________

792 Hierzu MARINCOLA (1997) 35. Zur Zurückweisung mythischer Berichte bei Thuk. 1.20-21 s. ebd. 226 (“Herodotus, though unnamed, is here the chief target”). Exkurse wie der zum Ende der athenischen Tyrannis (6.54-59) wirken wie Versuche, sich mit Herodot zu messen, zumal darin die Präsenz des Verfassers deutlicher als üblich markiert wird (6.54.1 ἐγὼ ἐπὶ πλέον διηγησάμενος ἀ π ο φ α ν ῶ , 6.55.1 ὅτι δὲ πρεσβύτατος ὢν Ἱππίας ἦρξεν, εἰ δ ὼ ς μὲν καὶ ἀκοῇ ἀκριβέστερον ἄλλων ἰ σ χ υ ρί ζο μ α ι ). Allg. zu Thukydides’ Bezugnahmen auf Herodot ROGKOTIS (2006) und die Beiträge in FOSTER/LATEINER (2012). 793 Vgl. bereits die superlativischen Formen im fragmentarischen Titelsatz des Antiochos von Syrakus (FGrHist 555 F 2: Ἀντίοχος Ξενοφάνεος τάδε συνέγραψε περὶ Ἰταλίης ἐκ τῶν ἀρχαίων λόγων τὰ πιστότατα καὶ σαφέστατα). 794 Zum Nachleben Homers bei den Historikern vgl. ZIMMERMANN (2011a) 300-302. 795 Übersetzung mit leichten Abänderungen nach G. P. Landmann.

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Superlative (μέγιστον, λαμπρότατον, δυστυχέστατον),796 doppelte Verneinungen (οὐδὲν ὅτι οὐκ ἀπώλετο) sowie Wortformen und Komposita mit παν- verdeutlichen (κατὰ πάντα γὰρ πάντως, πανωλεθρίᾳ). Mit Xenophons Hellenika lag gegenüber den historiographischen Vorgängern ein neuer Typ von Geschichtsschreibung – und damit ein neuer Autortypus – vor, der sich in der Folge jedoch ebenfalls als modellhaft erweisen sollte (ausführlicher Kap. 4.3.4): „Ein Geschichtswerk kann, ohne einen eigenen Fokus zu definieren, ein vorausgehendes Geschichtswerk einfach ‚fortschreiben‘, d. h. sich den Umstand zu Nutze machen, daß ‚Geschichte‘ in einem emphatischen Sinn nicht endet, sondern sich fortsetzt; dies ist Ausgangspunkt für die Hellenika Xenophons, die dort, wo Thukydides’ Werk abbricht, fortsetzen.“797

Xenophon und andere zeitgenössische Historiker des 4. Jh.,798 ferner auch spätere Autoren nach Xenophon,799 unternahmen es im Sinne einer interaktiven Rezeption des Thukydides, dessen unvollendetes Werk fortzuschreiben und mit Blick auf die jeweils eigene Zeit zu aktualisieren.800 Entsprechend lautet der erste Satz von Xenophons Hellenika (1.1.1): Μετὰ δὲ ταῦτα οὐ πολλαῖς ἡμέραις ὕστερον ἦλθεν ἐξ Ἀθηνῶν Θυμοχάρης ἔχων ναῦς ὀλίγας· καὶ εὐθὺς ἐναυμάχησαν αὖθις Λακεδαιμόνιοι καὶ Ἀθηναῖοι, ἐνίκησαν δὲ Λακεδαιμόνιοι ἡγουμένου Ἀγησανδρίδου.

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796 Die Superlative nehmen steigernd das ἀξιολογώτατον τῶν προγεγενημένων des Anfangsproöms auf (1.1.1). 797 HOSE (2016) 10, der einen dritten Geschichtstypus definiert, neben Werken zu Vergangenem (z. B. Herodot) sowie Zeitgeschichte (z. B. Thukydides). Zur antiken Tradition der sequentiell an Vorgänger anschließenden historia continua CANFORA (1970) 6570, (1971), GRAY (1991), MARINCOLA (1997) 237-257, NICOLAI (2006), TUPLIN (2007), MEHL (2013), LUDWIG (2017). Neben solchen sequels bildete sich auch ein prequelTyp heraus, nämlich die Nachreichung von Vorgeschichte: So führte Dionysios von Halikarnass die zwölf Bücher Römische Frühgeschichte (7 v. Chr.; erste Dekade erhalten) zu dem Punkt, an dem Polybios seine Darstellung begonnen hatte (264 v. Chr.). 798 Vgl. die fragmentarischen Hellenika Theopomps oder die Hellenica Oxyrhynchia (als Autoren wurden Ephoros von Kyme, Theopomp von Chios oder Kratippos von Athen vorgeschlagen), die beide den Zeitraum 411, an dem Thukydides abbricht, bis 394 abdeckten: HORNBLOWER (1995), MARINCOLA (1997) App. VI., LURAGHI (2016). 799 Zur antiken Xenophon-Rezeption ist weiterhin unverzichtbar die Darstellung bei MÜNSCHER (1920). 800 Hierzu HOSE (2016) 10, 23ff. Auch in der hellenistischen Geschichtsschreibung setzen sich Autoren mit ihren Vorgängern auseinander, wie Duris von Samos mit Ephoros und Theopomp (FGrHist 76 F 1) oder Polybios mit Phylarchos (FGrHist 81 F 53-56; Polyb. 2.56-63), häufig Paradigmenwechsel in der Darstellung markierend.

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„Danach, nicht viele Tage später, kam aus Athen Thymochares in Begleitung weniger Schiffe: Und gleich begannen die Lakedaimonier und Athener erneut zur See zu kämpfen. Es siegten jedoch die Lakedaimonier unter der Führung des Hagesandrides.“

Xenophons Text setzt mit dem unmittelbaren Anfang μετὰ δὲ ταῦτα den Thukydides an der Stelle fort, an der dessen Werk im achten Buch (8.109) abrupt abbricht. Das Proöm der sieben Bücher umfassenden Hellenika, die den Zeitraum der 49 Jahre von 411/10 bis 362/61 v. Chr. abdecken, führt somit im Sinne der historia continua Thukydides fort.801 Man hat den Einsatz medias in res und das Fehlen eines Proöms damit erklärt, dass Xenophons Hellenika über kein eigenständiges Sujet verfügten, mit dem er sich vom thukydideischen Modell absetze: 802 Bereits in der Antike kursierten Gerüchte, Xenophon habe das durch den Tod des Autors unvollendete Werk des Thukydides, das ansonsten unbedeutend geblieben wäre, postum publiziert und unter Verzicht auf eigene Berühmtheit bekannt gemacht (Diog. Laert. 2.57);803 ein anderes lautete, Xenophon selbst habe das achte (letzte) Buch des Peloponnesischen Kriegs redigiert.804 Doch ist der erste Satz durchaus programmatisch formuliert, indem es darin Reflexe beider thukydideischer Proöme gibt, indem zum einen, wie Thuk. 1.1.1, die beiden verfeindeten Parteien genannt werden, die sich nun erneut (αὖθις) gegenüberstehen, zum anderen, wie im Zweiten Proöm (Thuk. 5.26.1), proleptisch auf einen spartanischen Sieg verwiesen wird. Hieran schließt auch das Demonstrativum (καὶ) ταῦτα an, das wie in Thuk. 5.26.1 Γέγραφε δὲ καὶ ταῦτα deiktisch auf das gesamte Werk verweist: Mit dem Anklang an beide Proöme des Thukydides platziert Xenophon zu Beginn der Hellenika einen Rückverweis (durch ταῦτα, das ___________________________

801 NICOLAI (2006) 715f. verweist auf Thukydides-Handschriften, die zusätzlich die beiden Bücher Hell. 1-2, d. h. als Ergänzung des unvollendeten Werks bis zur Kapitulation Athens, enthielten. Ferner bieten manche Hellenika-Manuskripte zu Beginn die Zusätze „Fortsetzung/Ergänzung des Thukydides“ (Παραλειπόμενα τῆς Θουκυδίδου ξυγγραφῆς), was auf spätere Lesarten schließen lässt, gemäß denen Xenophons Eigenständigkeit hinterfragt wurde. 802 So DILLERY (1995) 11, der kein “overarching topic“ für ein eigenes Hellenika-Proöm erkennt, die Annäherung Xenophons an Thukydides jedoch als Innovation sieht. CANFORA (1971) betrachtet die Hellenika in der Tradition des epischen Kyklos mit seiner narrativen Kohärenz. GRAY (1991) betont, Xenophon habe nach dem Vorbild von Thukydides’ Pentekontaetie, die Herodots Erzählung in narrativer Raffung enthalte und an diese anknüpfe, seinerseits Hellenika 1-2 als ‚thukydideische‘ Vorgeschichte der letzten sieben Kriegsjahre konturiert, um in Hell. 3 mit der Nachkriegszeit und der Herrschaft der Dreißig ‚anzuschließen‘. 803 Der entscheidende Satz des Passus Diog. Laert. 2.57 lautet: λέγεται δ’ ὅτι καὶ τὰ Θουκυδίδου βιβλία λανθάνοντα ὑφελέσθαι δυνάμενος αὐτὸς εἰς δόξαν ἤγαγεν. Hierzu auch NICOLAI (2006) 705. 804 So steht es in Markellinos’ Vita Thucydidis 43, wo als weitere Kandidaten für mögliche Revisionen der Historiker Theopomp von Chios oder auch Thukydides’ Tochter gehandelt werden: BREITENBACH (1967) Sp. 1692.

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zugleich als deiktischer Vorverweis auf das eigene Werk dient) und markiert damit – verstärkt durch den Einsatz eines konnektiven δέ – Kontinuität mit dem Vorgängerwerk, als ein ‚Zweiter Thukydides‘, ohne jedoch mit der textuellen Anonymität auch Eigenständigkeit aufzugeben.805 Die ersten beiden Bücher der Hellenika (bis 2.3.10) bringen den Bericht über den Peloponnesischen Krieg zu einem Abschluss, wobei erzählerische Synchronismen und annalistische Gliederung an den Stil des Thukydides gemahnen (dazu bereits Dion. Hal. Thuk. 9). Die Verwendung thukydideischer Register zeigt, dass Xenophon die Kenntnis des Vorgängerwerks bei den antiken Rezipienten voraussetzen konnte.806 Eine extreme Anwendung des Vormodells ist dabei besonders die enorme auktoriale Zurückhaltung der impersonalen Verfasserstimme 807 bei der Präsentation ‚objektiver‘ Fakten808 – mit Ausnahmen wie der Intervention in Hell. 5.4.1 – oder bei der Verschwiegenheit bezüglich der eigenen Quellen, stets in gleichmäßigem und klarem Stil, der in der späteren Antike so geschätzten ἀφέλεια („Schlichtheit“) Xenophons.809 Durch die große Zurückhaltung der Verfasserstimme scheint Xenophon in den Hellenika, in denen er das Werk des Thukydides kreativ fortführt, zumindest virtuell absent zu sein:810 Hieran anknüpfend wird im folgenden Kapitel (Kap. 4.3.4) der Frage nach auktorialer Anonymität nachgegangen, wie sie in der Prosa des 4. Jh. gerade auch in Platons Werk bemerkbar wird. ___________________________

805 So weicht der Verfasser schon im ersten Satz von Thukydides ab, indem er mit Thymochares und Hagesandrides einzelne Individuen in den Fokus nimmt. Vgl. HIGGINS (1977) 2-20, GRAY (2004) 138ff., MARINCOLA (1997) 238: “Xenophon stamped his work with his own concerns and methods. In other words, continuing a predecessor did not entail slavishly imitating him, nor even agreeing with him on the nature and purpose of history itself.” 806 Analysen der Reden haben gezeigt, dass nicht nur die ersten beiden Bücher, wie dies BREITENBACH (1967) Sp. 1656f. annahm, sondern die gesamten Hellenika vielfache Bezüge und Anspielungen auf Thukydides enthalten: ROOD (2004b), BARAGWANATH (2012). Ferner PELLING (2016) 255-258. 807 Vgl. z. B. Hell. 3.3.1-4, wo im Dialog zwischen Leotyches und seinem Onkel Agesilaos durch das Fehlen von Einschüben wie „sagte er“ die Illusion einer absenten vermittelnden Instanz (des Autors/Erzählers) erzeugt wird. 808 Zu Erzähltechniken des Historikers Xenophon in der Kyrupädie, deren Proöm durchaus auf historiographische Konzeptualisierung verweist und die als angereicherte, z. T. korrigierende Fortführung von Hdt. 1.107-216 lesbar ist, GRAY (2004) 391; zu Xenophons Dialog mit Vorgängern TAMIOLAKI (2016) 182ff.; allg. FLOWER (2016a). 809 Xenophon avancierte v. a. in der Zweiten Sophistik der Kaiserzeit zu einem der meistgelesenen Autoren und wurde etwa von Lukian neben Herodot und Thukydides gestellt (Hist. Conscr. 4). 810 Vgl. zur fehlenden Kontur der xenophontischen Textstimme MARINCOLA (1997) 10: “The narrator in Xenophon (both Hellenica and Anabasis) is not only unintrusive: he is practically anonymous”.

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Zunächst jedoch sei das in Kapitel 4.3.3 Beobachtete resümiert: Der Überbietungstopos im Sinne der Aneignung sowie korrigierenden Weiterführung früherer Untersuchungen scheint der Prosa von Beginn an inhärent zu sein, wie sich bereits in den Titelsätzen des Hekataios und anderer Autoren des 6./5. Jh. zeigt. Daran tritt paradigmatisch die Bedeutung von Verweisen auf präkursorische Autoren in der Prosa-Literatur hervor: Die Hervorhebung eigener Expertise geht mit der Klassifizierung eines Vorgängerwerks als fehlerhaft, inkonsistent oder methodisch überholt einher. Damit scheint zugleich impliziert, dass Autoren auch den eigenen Werken die Qualität zuschreiben, es wert zu sein, von späteren Autoren nachgeahmt und fortgeführt zu werden. Somit bewegt sich der diachrone ‚allelopoietische‘ Rekurs auf Referenz-Autoren zwischen den Polen der Anpassung an ein autoritatives Vormodell und der Eingliederung eines solchen Modells in einen aktuellen Kontext, wobei dessen Eigenheiten im Sinne einer kreativen Wechselwirkung teils aufgenommen, teils assimiliert und transformiert wurden, ein Verfahren, das den aufnehmenden Autoren zur Selbstzuschreibung von Autorität diente. Rivalitätsverhältnisse mit Vorgänger-Autoren wurden dabei über große Distanzen, quer durch die griechische Welt, geführt – auf eine panhellenische Anlage und einen entsprechenden Adressatenkreis deutet bereits die (abschätzige) Rede über „die Worte der Griechen“ bei Hekataios (FGrHist 1 F 1) oder Anaxagoras (59 B 17 DK). Hieran zeigen sich die neuen Möglichkeiten textueller Distribution: Im Gegensatz zur stärker anlassgebundenen Dichtung (Feste, Symposien etc.) treten Kommunikation und Mitteilung von Inhalten in der Prosa-Form individualisiert und onymisiert auf. Damit erweist sich die grundsätzliche Kontext- und Ortlosigkeit als Vorteil der Prosa-Form, die im Gegensatz zur Dichtung über keinen festen ‚Sitz im Leben‘ verfügte. So ermöglichte es die schriftliche Verfasstheit der Texte, wie etwa Hekataios’ τάδε γράφω verdeutlicht, ihren Autoren, räumlich wie zeitlich entfernte Rezipientenkreise zu adressieren.811

___________________________

811 Gleichwohl ist für die Prosa von einem langen Zeitraum der zweigleisigen Rezeption nach dem Prinzip der Auralität – mündliche Präsentation gepaart mit schriftlicher Tradition – auszugehen. Vgl. J. V. MORRISON (2007).

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4.3.4

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Platon jedoch, glaube ich, war krank …: virtuelle Autorabsenz und -kooperation bei Xenophon und Platon (4. Jh.) „On ne peut pas dire que Platon soit seulement absent, comme un dramaturge l’est, à savoir fonctionnellement. Il se dissimule bien plutôt, et jusque dans la manière dont il dissimule sa dissimulation. […] Platon est le nom du grand manipulateur“.812

Die am Ende von Kapitel 4.3.3 untersuchte xenophontische Autorabsenz813 (oder, mit anderen Worten, subtile Präsenz) entspricht einer geradezu auffälligen ‚Thukydides-Präsenz‘ in den ersten Büchern der Hellenika.814 Durch die Fortführung des unabgeschlossenen Werks des Thukydides – wodurch die xenophontische Autorstimme gewissermaßen eine revisorische Rolle einnimmt, wie dies antike Zeugnisse bekräftigen (Diog. Laert. 2.57; Markellinos’ Vita Thucydidis 43) – kanonisierten Xenophon und andere Autoren des 4. Jh. v. Chr., etwa Kratipp, Theopomp oder der anonyme Verfasser der Hellenica Oxyrhynchia („P“), das Werk vom Peloponnesischen Krieg, indem sie ihre eigenen Hellenika diachron daran anschlossen.815 Als Grundsignatur der thukydideischen Verfasserstimme konnte besonders die Unterdrückung des auktorialen ‚Ichs‘ gelten, was mit der Erzeugung eines Eindrucks von Objektivität und Unparteilichkeit einherging,816 wenn – wie in der Beschreibung der Stasis auf Korkyra 3.82-84 mit ihren Reflexionen über die conditio humana und die Verwilderung des Menschen im Krieg – die Perspektive auf die ___________________________

812 So LAKS (2004) 108f. zu Platons manipulativer Verwendung der Anonymität. 813 Vgl. LONGLEY (2013) 183 zu fehlenden Reflexionen über die Rolle des Historiographen: “Xenophon […] does not mention his role […]. There is […] no personal statement of his role there.” Vgl. dagegen GRAY (2003) 113 und (2004) 133, Xenophon sei ein “discriminating historian” und präsenter in seinen Werken als oft angenommen: So seien Urteile der Verfasserstimme, etwa über historische Figuren oder Ereignisse, Mittel der Belehrung; vgl. MARINCOLA (1997) 218-236. Zum Erzähler der Hellenika PELLING (2016) 254-258, GRAY (2004) 129-146, bes. 132 (“Even if the narrators of Hellenica and Anabasis are not dramatized, i.e. lack an explicit personality, they are overt narrators, in the sense that they comment abundantly on their own narrative, interventions which are all aimed at equally undramatized narratees”): Autorpräsenz werde z. B. durch Kommentare, Verweise auf die eigene Zeit, das Anführen von Gnomen, Beweisen (τεκμήρια), Gründen oder Plausibilitäts-Überlegungen (ὡς εἰκός) erzeugt. 814 Dies weicht im Laufe von Xenophons Schrift einer zunehmend eigenständigen Darstellung: MARINCOLA (1999) 310f., LURAGHI (2016), PELLING (2016) 255 (“the historian growing more confident in projecting his own voice, or […] responding with interpretative and literary sensitivity to the changing nature of history itself”). 815 Hierzu auch PELLING (2016) 254 (“the idea of a serial canon is taking shape”). 816 Zur Autorabsenz und der Illusion von Objektivität SZEGEDY-MASZAT (1987), GRIBBLE (1998) 41, EDMUNDS (2009) 105. Vgl. LONGLEY (2013) 202 “Thus the authorial or didactic ‘I’ was not the only effective way of presenting a historically significant passage. To create the impression of objective truth, the author might stand back.”

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menschliche Psychologie generell gerichtet wurde. An diese Besonderheit des Thukydides knüpften spätere Autoren an: “Accordingly, we need a special explanation for this phenomenon. It seems reasonable to recognize that the continuators of Thucydides were responding to the extraordinary intellectual prestige of their predecessor – while at the same time also contributing to establishing it. Competitive differentiation between the continuators is a safe assumption, much as it is difficult to flesh out, for the simple reason that Xenophon’s Hellenica is the only continuation that has come down to us, as far as we can tell, in complete form.”817

Durch die Inszenierung auktorialer Kohärenz und Kooperation mit dem präkursorischen Autor Thukydides im Sinne eines ‚gemeinsamen‘ historiographischen Prestige-Projekts autorisierten und nobilitierten dessen miteinander konkurrierende Nachfolger ihre Werke. Insofern kann der scheinbare Rückzug des Autors Xenophon in den Hellenika – paradoxerweise – als Autorisierungsstrategie erklärt werden. Nicht zu vergessen ist dabei die innovative Rolle des Xenophon-Texts, mit dem ein neuer Typ von Geschichtsschreibung zum ersten Mal überhaupt fassbar wird:818 “Xenophon encourages us to read his history as a continuation of Thucydides’ – the sort of continuation he hopes his own history will inspire. But at the same time, by making his beginning follow (almost) smoothly from the end of Thucydides’ work, and failing to offer a preface, Xenophon leaves it to his readers to grasp the implications of the fact that his history continues another history.”819

Zentrales Thema der Hellenika sind Aufstieg, Größe im Peloponnesischen Krieg sowie Fall des Stadtstaates Sparta, dessen Macht mit der Schlacht bei Mantineia (362 v. Chr.), welche die griechischen Mächte in eine Aporie stürzt (Hell. 7.5.26), endgültig bricht. Zwar verliert Sparta die entscheidende Schlacht, doch fällt dabei auch der Thebaner Epameinondas, der in Hell. 7.5.18-25 als entscheidender historischer Akteur seiner Zeit gekennzeichnet worden war. Das Werk erzeugt damit den Eindruck geradezu ubiquitären Scheiterns. Entsprechend ergänzt Xenophon das Werk des Thukydides nicht nur chronologisch: Vielmehr komplementiert er auch dessen Nachzeichnung vom Aufstieg und Fall der Großmacht Athen, indem er dem das Schicksal von Athens größter Widersacherin, Sparta (Hell. 5.4.1), folgen lässt, und die Wechselhaftigkeit des Glücks menschlicher Gemeinschaften damit nicht als spezifisch athenisches, sondern geradezu universelles Problem

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817 LURAGHI (2016) 86. 818 Eine aus den überlieferten historiographischen Werken abgeleitete Typologie bietet HOSE (2016) 10. 819 ROOD (2004a) 341.

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konturiert.820 So stellt die xenophontische Verfasserstimme am Ende der Hellenika die „Unentschiedenheit“ (ἀκρισία) des Mächteverhältnisses sowie die Kontingenz des historischen Geschehens heraus, indem sie kommentiert (7.5.27): ἀκρισία δὲ καὶ ταραχὴ ἔτι πλείων μετὰ τὴν μάχην ἐγένετο ἢ πρόσθεν ἐν τῇ Ἑλλάδι. ἐμοὶ μὲν δὴ μέχρι τούτου γραφέσθω· τὰ δὲ μετὰ ταῦτα ἴσως ἄλλῳ μελήσει. „Unentschiedenheit und Aufruhr herrschten nach der Schlacht mehr als zuvor in Griechenland. Meine Schrift freilich soll jedoch nur bis zu diesem Punkte reichen. Alles darauf Folgende wird vielleicht ein anderer berücksichtigen.“

Zum Abschluss der Hellenika wird somit noch einmal die Aufmerksamkeit auf den Autor Xenophon gelenkt. Neben der Fortführung des thukydideischen Werks, die programmatisch im ersten Satz der Hellenika eingeleitet wird, antizipiert das Ende – über τὰ δὲ μετὰ ταῦτα programmatisch auf den Anfang verweisend – weitere, zukünftige Fortführungen auch des vorliegenden Texts und lädt andere Autoren zum Weiterschreiben am kooperativen ‚Langzeit-Projekt‘ ein:821 Dass den Hellenika damit die Qualität zugeschrieben wird, selbst einer Fortführung würdig zu sein, ist ein weiterer Aspekt xenophontischer Selbst-Nobilitierung. Das Zusammenfallen des Endpunkts des Werks mit seinem erzählerischen Höhepunkt, der Schlacht bei Mantineia (7.5) – womit Xenophon im Zuge narrativer Zuspitzung indirekt auch seinen vorangehenden, ‚thukydideischen‘ Werkteil zum Peloponnesischen Krieg (Hell. 1.1.1-2.3.10) überbietet und sein Werk in die Tradition stets gewaltigerer Kriegsschilderungen stellt –, kann den Rezipienten die Vorstellung vermitteln, die Geschichte der in Agonie begriffenen griechischen Poleis verlaufe letztendlich chaotisch und unvorhersehbar:822 Zugleich lässt sich die finale Unabgeschlossenheit der Hellenika auch als Angebot zur Fortsetzung der Geschichtserzählung durch spätere Autoren im Sinne diachroner Kooperation begreifen, die in Zukunft ihre eigene Geschichte von diesem Nullpunkt und der Patt-Situation im Mächte-Verhältnis ausgehend fortführen und mit eigenen Deutungen versehen können. 823 So trägt das vordergründige Zurücktreten Xenophons insgesamt ___________________________

820 Vgl. LURAGHI (2016) 91: “If we step back and look at the complete picture, as it were, Xenophon’s Hellenica, combined with Thucydides’ incomplete history of the Peloponnesian War, covered a historical trajectory that allowed the author to write a story of multiple successes and failures of Athens and Sparta, a story in which both had had moments of glory and moments they would have rather like to forget about.” 821 Die Verknüpfung bei LONGLEY (2013) 180 zwischen dem ἄλλος des Schlusssatzes und Xenophons Einsatz von Pseudonymen, wie Hell. 3.1.2 über den Bezug auf den ‚Anabasis-Autor‘ Themistogenes, ist kaum plausibel. 822 So MARINCOLA (1999) 311. Zur Klimax des Endes PELLING (2016) 258. 823 Herausgegriffen seien zwei (späte) Fortführungen des von Xenophon begründeten historia continua-Modells: So bezeichnet sich Ammianus Marcellinus (4. Jh. n. Chr.) in der Sphragis 31.16.9 als miles quondam et Graecus. Dadurch zeige er laut HOSE (2021) Sp. 982 seine „Fachkompetenz wie auch zugleich sprachliches Vermögen […] und

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weniger zu auktorialer Heteronomie bei, als es das Werk vielmehr in einem sowohl traditionalen als auch innovativen und eigenständigen Zusammenhang verortet. Die Zurückhaltung der xenophontischen Verfasserstimme in den Hellenika findet sich auch in den historiographischen Werken späterer Autoren wieder: Wie Xenophon vermieden die kaiserzeitlichen Historiker Kephalion, der wohl eine Geschichte bis zu Alexander dem Großen verfasste, sowie Arrian, der sich mit der Anabasis Alexanders klar auf das xenophontische Modell stützte, die Nennung ihrer Verfassernamen, angeblich freilich, um in Homers Fußstapfen zu treten (FGrHist 93 T 2; An. 1.12.5),824 wobei gerade für Arrian gewiss auch Xenophons auktoriale Absenz eine besondere Rolle spielte. 825 Doch verzichtete bereits der Historiker Polybios (2. Jh. v. Chr.) zu Beginn seines Werks auf einen auktorialen Titelsatz, wohingegen das Werk durch die Rolle des Experten-Autors durchaus personal konturiert ist. So analysiert Polybios historische Ereignisse auf Basis eigener Anschauung, legt eine selbständige Methodologie dar und polemisiert häufig gegen andere Geschichtsschreiber.826 ___________________________

‚übergibt‘ die Fortsetzung seiner Geschichtsdarstellung an Nachfolger“, implizit auf Xen. Hell. 7.5.27 verweisend. Zweitens sah sich Eunapios von Sardeis (4./5. Jh. n. Chr.) in seiner Universalgeschichte, die den Zeitraum von 270 bis 404 abdeckte, als Fortsetzer des Dexippos (F 1 Blockley); vgl. Photios cod. 77 sowie die Excerpta de sententiis, die Eunaps Werk als ἱστορία ἡ μετὰ Δέξιππον bezeichnen. 824 Vgl. MARINCOLA (1997) 274f. Arrians Text An. 1.12.5 lautet: ὅστις δὲ ὢν ταῦτα ὑπὲρ ἐμαυτοῦ γιγνώσκω, τὸ μὲν ὄνομα οὐδὲν δέομαι ἀναγράψαι, οὐδὲ γὰρ οὐδὲ ἄγνωστον ἐς ἀνθρώπους ἐστίν, οὐδὲ πατρίδα ἥτις μοί ἐστιν οὐδὲ γένος τὸ ἐμόν, οὐδὲ εἰ δή τινα ἀρχὴν ἐν τῇ ἐμαυτοῦ ἦρξα. Dagegen zitiert Lukian einen Historiker, der sich gerade durch die Nennung seines Namens und seiner Herkunft von Homer absetzen wollte (Hist. Conscr. 14 = FGrHist 205 F 1). 825 Xenophon – zur Rezeption MÜNSCHER (1920) – erlebte eine Renaissance in der Kaiserzeit, als man ihn kreativ fortschrieb und aktualisierte: Xenophon von Ephesos verarbeitete im Roman Anthea und Habrokomas die Panthea-Erzählung der Kyrupädie – CAPRA (2009) 31 spricht gar von einer “implicit ‘revision’ of the Cyropaedia”; Arrian von Nikomedien, der sich wie andere Epiktet-Schüler in der philosophischen Schreibweise Xenophons übte (diss. 2.17.35-36), ließ sich bei der Abfassung der Lehrgespräche Epiktets vom Sokratiker Xenophon, v. a. den Memorabilien inspirieren, und adaptierte den Historiker Xenophon in der Anabasis Alexanders. Zum Xenophon-Bezug Arrians CAPRA (2009) 33, der auf eine Doppelherme Antoninischer Zeit (2. Jh.) im Athener Nationalmuseum verweist, die Arrian nebst Xenophon zeigt: “Arrian, whose literary output is clearly much influenced by his ‘ancestor’, is willing to present himself as a kind of ‘reincarnation’ of Xenophon the Athenian.” Xenophon erscheint ferner in Gestalt des erfolgreichen Anabasis-Generals in ep. 3 der kaiserzeitlichen ChionBriefe (1. Jh. n. Chr.). 826 Hierzu LONGLEY (2013) 200. Im Proöm des Polybios tritt die pluralische Verfasserstimme jedoch nur schwach konturiert hervor, vgl. 1.1.1 (τοῖς πρὸ ἡμῶν ἀναγράφουσι), 1.1.4 (ἥκιστα δ’ ἡμῖν), 1.1.4 (ὑπὲρ ὧν προῃρήμεθα γράφειν), 1.2.1 (παραβάλοιμεν καὶ συγκρίναιμεν), 1.3.1 (Ἄρξει δὲ τῆς πραγματείας ἡμῖν) etc.

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Doch auch in anderen Texten Xenophons erscheint die Präsenz der Verfasserstimme klar reduziert im Vergleich zu Prosa-Werken früherer Verfasser.827 So wird die xenophontische Gewohnheit, ohne Anfügung eines Proöms oder Titelsatzes gleich medias in res zu beginnen,828 auch am Anfang der Verfassung Spartas (1.13) deutlich,829 oder auch zu Beginn des Oikonomikos, der im Epochenjahr Athens 411 v. Chr. einsetzend von Sokrates handelt und wie die Fortsetzung einer anderen sokratischen Schrift erscheint: Der erste Satz, „Einmal hörte ich, wie er [d. h. Sokrates] über die Hauswirtschaft solcherlei sprach“ (Ἤκουσα δέ ποτε αὐτοῦ καὶ περὶ οἰκονομίας τοιάδε διαλεγομένου), setzt dermaßen unvermittelt und ohne Klärung, wer denn über wen berichte, ein, dass geradezu ein Anschluss an die episodisch und ähnlich lose aneinandergereihten Sokrates-Anekdoten in den Memorabilien vorausgesetzt erscheint. Das exordiale δέ bestärkt dabei, wie auch zu Beginn der Hellenika (1.1.1 μετὰ δὲ ταῦτα), den Eindruck der Kontinuität mit einem Vorgängerwerk.830 Wie in den historischen Schriften schreibt auch der Autor der Socratica gewissermaßen aus eigener Anschauung und auf Grundlage der Erfahrung des ‚historischen‘ Xenophon mit Sokrates: 831 So berichtet der Verfasser im Oikonomikos sowie im Symposion von selbst mitangehörten Gesprächen des Sokrates oder gibt sie in der Apologie direkt wieder; oder er verwendet beide Zugänge, um in ebenso apologetischer832 wie enkomiastischer Manier ein erinnerungswürdiges SokratesBild zu zeichnen (Memorabilien). Die persönliche Beziehung der Verfasserstimme ___________________________

827 Zur charakteristischen Anonymität xenophontischer Werke BREITENBACH (1967) Sp. 1644-1649. 828 Während in nur drei (Anabasis, Hellenika, Hieron) der 14 Werke ein Proöm fehlt, ist in den übrigen eine Verfasserstimme präsent (neun Werke beginnen mit einer Form von ἐγώ/με, zwei mit dem Plural ἡμεῖς): FLOWER (2012) 55: “The “I” in these sentences is simultaneously that of the narrator, the historical author, and the implied author [definiert als “the sensibility behind the narrative that readers construct for themselves as they read”]”. 829 Lak. pol. 1.1 (Ἀλλ’ ἐγὼ ἐννοήσας ποτὲ ὡς ἡ Σπάρτη κτλ.), d. h. Beginn mit adversativ-apologetischem ἀλλά. 830 Zu dieser Funktion des δέ am xenophontischen Werkauftakt PORCIANI (1997) 81f. Anm. 5. 831 Vgl. FLOWER (2012) 55: “One should not rule out the equation of author and first person narrator in his Socratic works (Memorabilia, Oeconomicus, and Symposium) on the grounds that the historical Xenophon cannot have been present at all of the conversations the narrator claims to have heard, since anachronism and fictionalization are characteristic features of the genre of the Socratic dialogue.” Zur Autorpräsenz in Xenophons philosophica GRAY (2004) 377-388, PELLING (2016) 250-254 (Memorabilia). 832 Die sokratischen Schriften scheinen allesamt irrtümliche Ansichten korrigieren zu wollen: Sie erwiesen nach GRAY (2004) 380, “that Socrates’ condemnation was wrong (Memorabilia)” oder widerlegten die Sichtweise, “that play is unworthy of memory (Symposium), or that Socrates’ attitude to death was unworthy (Apologia).”

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zu ihrem Stoff wird häufig zu Beginn xenophontischer Schriften – oft auch am Ende in resümierenden Epilogen – dargestellt: So drückt das ‚Ich‘ etwa in der Kyrupädie anfangs seine Bewunderung für Kyros den Älteren aus (1.1) und bedauert in einem kurzen Schlusskapitel, in dem es seine Aufgabe für beendet erklärt (8.8.27), das Fehlen einer solchen Führungsfigur im Persien der eigenen Zeit. Οbwohl die Textstimme außer über Aktualitäts-Bezüge wie ἔτι καὶ νῦν oder λέγεται – ihre zentrale Rolle ist die Vermittlung der längst vergangenen Zeit des Kyros sowie der aktuellen Zeit ihres Publikums aus genuin griechischer Perspektive833 – wie in den historiographischen Schriften anonym bleibt, erscheint das Werk über den bewundernswerten Perserkönig als ein durchaus persönlich motiviertes Enkomion.834 Ähnlich übermittelt der Verfasser in den vier Bücher umfassenden Memorabilien ein in seinen Augen von anderen nicht korrekt dargestelltes Sokrates-Bild. Durch Berichte von persönlichen Treffen mit Sokrates, die gerade an den Anfang (Mem. 1.2.32, 1.2.53 etc.) und dann geradezu kumuliert an das Ende des Werks (Mem. 4.3.2, 4.4.5, 4.5.2, 4.8.3 und 4.6.15) postiert werden, gewinnt seine Stimme nach und nach an autoritativem Gewicht (1.3.1): Ὡς δὲ δὴ καὶ ὠφελεῖν ἐδόκει μοι τοὺς συνόντας τὰ μὲν ἔργῳ δεικνύων ἑαυτὸν οἷος ἦν, τὰ δὲ καὶ διαλεγόμενος, τούτων δὴ γράψω ὁπόσα ἂν διαμνημονεύσω. „Wie er mir den Anwesenden Nutzen zu bringen schien, indem er einerseits durch seine Taten zeigte, wie beschaffen er war, andererseits durch seine Gespräche, davon will ich nun all das aufschreiben, an das ich mich erinnere.“

Relevant im Rahmen solcher Verweise auf Augenzeugenschaft und die Erinnerung des Autors selbst ist besonders eine Episode, Mem. 1.3.8-15, die den jungen Akteur Xenophon dabei zeigt, wie er dem Sokrates durch eine naive Antwort – dies zumindest aus Sicht des älteren Autors Xenophon – seine Unerfahrenheit im Bereich des Umgangs mit τὰ ἀφροδίσια offenbart. Gleichzeitig dient Xenophons Präsenz im Kreise derer um Sokrates auch der Beglaubigung des von Xenophon propagierten Sokrates-Porträts, in dem dieser sich „so zeigt, wie er tatsächlich war“ (1.3.1 δεικνύων ἑαυτὸν οἷος ἦν).835 ___________________________

833 Dies erklärt die ethnographischen Exkurse wie Cyr. 1.2.2 über persische Bräuche: PELLING (2016) 244. 834 Zur Kyrupädie vgl. inter alia GRAY (2004) 391ff., TAMIOLAKI (2016), PELLING (2016) 242-249. 835 Dies mündet mit Bezug auf den Anfang (1.3.1) zuletzt, in Mem. 4.8.11, in eine Aretalogie des Sokrates (ἐμοὶ μὲν δή, τοιοῦτος ὢν οἷον ἐγὼ διήγημαι). Der Lobpreis umfasst die Eigenschaften εὐσεβὴς, δίκαιος, ἐγκρατὴς, φρόνιμος, ἱκανὸς und schließt resümierend: ἐδόκει τοιοῦτος εἶναι οἷος ἂν εἴη ἄριστός τε ἀνὴρ καὶ εὐδαιμονέστατος. εἰ δέ τῳ μὴ ἀρέσκει ταῦτα, παραβάλλων τὸ ἄλλων ἦθος πρὸς ταῦτα οὕτω κρινέτω. Jeder angesprochene τις (vgl. τῳ) des letzten Satzes wird somit aufgefordert, seine Gegenmeinung darzulegen. So wird vergleichbar dem Angebot zur künftigen literarischen

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Außer in dieser kurzen Passage der Memorabilien (1.3.8-15) tritt Xenophon als Akteur auch in der Anabasis in Erscheinung, in diesem Text jedoch bekanntlich als historischer Protagonist: In der Anabasis, die wie die Hellenika auf ein Anfangs-Proöm mit entsprechender Autor-Signatur verzichtet (Diog. Laert. 2.57 τήν τε Ἀνάβασιν, ἧς κατὰ βιβλίον μὲν ἐποίησσε προοίμιον, ὅλης δὲ οὔ), übernimmt Xenophon die dritte Person der (hier jedoch anonymisierten) Erzählinstanz von Thukydides, um das hiermit verbundene Potential unvoreingenommener Berichterstattung durch eine vermittelnde Instanz auszuschöpfen – war der vom Autor Xenophon beschriebene Zug der Zehntausend zur Unterstützung Kyros’ des Jüngeren doch eng mit der strategischen Rolle des historischen Akteurs Xenophon verbunden.836 Der Akteur Xenophon, zuerst 1.8.15 als Ξενοφῶν Ἀθηναῖος genannt und ab dem dritten Buch in einer zentralen Rolle, wird dabei als mustergültiger Stratege vorgeführt, der seine Soldaten motiviert, ermahnt und verteidigt, und dabei allen Facetten einer Führungsrolle gerecht wird – wobei mitunter kritische Töne wie beispielsweise Xenophons Bezeichnung als „Soldatenfreund“ (An. 7.6.4 φιλοστρατιώτης) insgesamt einer apologetischen Strategie folgen. In An. 3.1.4 wird der Protagonist mit Ἦν δέ τις ἐν τῇ στρατιᾷ Ξενοφῶν Ἀθηναῖος eingeführt,837 was auf gängige Formen auktorialer Selbstpräsentation und, hiermit verbunden, die Fiktionalisierung von Autorfiguren innerhalb von Werken verweist: erinnert ___________________________

Fortsetzung am Ende der Hellenika in den Memorabilien ein Weiterschreiben des Sokrates-Porträts impliziert; doch scheint Xenophon dies selbst im Oikonomikos zu befolgen, an dessen Beginn über die Erinnerung an Sokrates gewissermaßen medias in res an die Memorabilien angeschlossen wird. 836 MARINCOLA (1997) 205f. spricht von manipulation der dritten Person durch Xenophon: s. auch das Motto Kap. 4.3.4. 837 Seine Präsenz im Heer wird im Folgenden dadurch begründet, dass er ein ξένος […] ἀρχαῖος des Proxenos sei (d. h. nicht in den Funktionen στρατηγός, λοχαγός oder στρατιώτης dem Zug folge), also keine direkte Verbindung zu den Protagonisten des Feldzugs bestehe. Das Interesse an Kyros dem Jüngeren, den er schon lange bewundert, charakterisiert Xenophon indirekt, zumal er die Bewunderung für diesen höher als die für die Heimat Athen ansiedelt (3.1.4 ὃν αὐτὸς ἔφη κρείττω ἑαυτῷ νομίζειν τῆς πατρίδος). Diese Haltung des Akteurs begründet die erzählerische Position des Autors Xenophon mit, v. a. die unparteiliche Darstellung oder die Bewunderung universeller menschlicher Größe. FLOWER (2012) 120-125 arbeitet die Bedeutung der folgenden Szene (An. 3.1.5-7) heraus, in der sich Xenophon, auf den Rat des Sokrates hin, über ein delphisches Orakel die Zusicherung zur Teilnahme am Feldzug einholt – für beide Konsultationen wird das Verb ἀνακοινοῦν gewählt. Dies erweist erneut apologetisch die Unparteilichkeit – und neben der Freundschaft mit Proxenos und Sokrates auch die Frömmigkeit – Xenophons und entlastet ihn vom Vorwurf profitgierigen Söldnertums. Danach tadelt Sokrates Xenophon, er habe das Orakel falsch befragt, wodurch wie in Mem. 1.3.8-15 die Unerfahrenheit des (jungen) Akteurs Xenophon sokratischer Weisheit gegenübergestellt wird. Der Strategie des Selbstporträts des Generals Thukydides 4.104-106 vergleichbar, scheint auch Xenophons auf den Feldzug folgendes Exil somit nicht auf fehlerhafte, sondern ethisch (Sokrates) wie göttlich (Delphi) legitimierte Handlungen zurückzugehen.

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die Hinzufügung eines Toponyms doch an Titelsätze wie denjenigen des Autors Thukydides (1.1.1 Θουκυδίδης Ἀθηναῖος), das Auftreten als militärischer Akteur im Feld wiederum an den historischen Akteur Thukydides (4.104.4 τὸν ἕτερον στρατηγὸν τῶν ἐπὶ Θρᾴκης, Θουκυδίδην τὸν Ὀλόρου). Die Anabasis-Passage im dritten Buch leitet damit die entscheidende Rolle des Akteurs Xenophon für den weiteren Verlauf der Erzählung ein: Da das Werk, in dem der Name des Akteurs Xenophon nicht weniger als 230mal fällt – davon nur dreimal in den ersten zwei Büchern –,838 anfällig für den Vorwurf des Selbstlobs und der Parteilichkeit war, erscheint neben der Überbetonung göttlichen Eingreifens und Handelns839 auch die virtuelle Absenz des Autors als eine apologetische Strategie, Vorwürfen einer rein tendenziösen Darstellung antizipativ entgegenzusteuern.840 Die Unmittelbarkeit des Geschehens lässt das Geschilderte als Augenzeugenbericht erscheinen, was durch die Gleichsetzung des Akteurs mit dem Autor ermöglicht und zugleich authentifiziert wird. Während die Zuweisung des Werks an den Historiker Xenophon für antike Autoren offenbar kein Problem darstellte (Dion. Hal. Pomp. 5; Luc. Hist. Conscr. 38-42, bes. 39 zum δίκαιος συγγραφεύς), wies Xenophon selbst die Anabasis einem anderen Autor zu: So schreibt Xenophon an einer auf den ersten Blick unauffälligen Stelle der Hellenika, in der er die ersten vier Bücher der Anabasis zusammenfasst, einem Autor namens Themistogenes von Syrakus die Abfassung der Anabasis zu (3.1.2 Θεμιστογένει τῷ Συρακοσίῳ γέγραπται). 841 Mit der Fiktion, ein mit Xenophon nicht identischer ___________________________

838 An. 1.8.15 (beim ersten Aufeinandertreffen mit Kyros), ferner 2.4.15 und 2.5.37-41. 839 Hierzu MARINCOLA (1997) 207f. mit Textstellen. 840 Vgl. FLOWER (2016a) 304 zum Effekt der Verfasserabsenz: “the innocent reader would never guess that the character Xenophon, who takes center stage from book 3 in the Anabasis to its end, is the same person as the work’s author/narrator.” Zum Verhältnis des in An. 3-7 omnipräsenten mit dem zuvor nur selten intervenierenden (außer bei der Schlacht von Kynaxa, vgl. 1.9.28) Akteur Xenophon PELLING (2016) 259f. Laut GRETHLEIN (2012) sei die Trennung von Xenophon ‚Erzähler‘ und ‚Charakter‘ lediglich vordergründig und diene der Selbstdarstellung des ersteren; die subtile Interaktion beider Instanzen, etwa durch Erzähler-Fokalisierung aus der Perspektive von Xenophon ‚Charakter‘ sowie durch dessen Kommentatorenrolle, konturiere wiederum den letzteren. Die Trennung diene dem Autor zur Beglaubigung, die Verbindung dessen Charakterisierung als privilegiertem Akteur. 841 Der Passus Hell. 3.1.2 lautet: ὡς μὲν οὖν Κῦρος στράτευμά τε συνέλεξε καὶ τοῦτ’ ἔχων ἀνέβη ἐπὶ τὸν ἀδελφόν, καὶ ὡς ἡ μάχη ἐγένετο, καὶ ὡς ἀπέθανε, καὶ ὡς ἐκ τούτου ἀπεσώθησαν οἱ Ἕλληνες ἐπὶ θάλατταν, Θεμιστογένει τῷ Συρακοσίῳ γέγραπται. Die Verwendung dieses Pseudonyms muss jedoch nicht gegen die tatsächliche Existenz eines sizilischen Historikers unter demselben Namen sprechen: ‚Themistogenes‘ sei laut Felix Jacobys Urteil in FGrHist 108 „als Deckname für Xenophon selbst […] nicht zu bezweifeln“. Vgl. dort auch das Zeugnis Sud. θ 123 Adler (= T4), das jedoch höchstwahrscheinlich von der Xenophon-Stelle selbst abgeleitet ist (Συρακούσιος, ἱστορικός. Κύρου ἀνάβασιν, ἥτις ἐν τοῖς Ξενοφῶντος φέρεται· καὶ ἄλλα τινὰ περὶ τῆς ἑαυτοῦ πατρίδος). Laut FLOWER (2012) 53 beziehe sich Themistogenes’ Verfasserschaft nicht nur auf das Werk bis zum Ende des 4. Buchs (Ankunft im Küstenort Trapezous),

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Autor habe die Anabasis verfasst, scheint vordergründig der Versuch vorzuliegen, das Werk durch die Konstruktion pseudonymer Autorschaft glaubwürdiger zu machen, was – ein Novum mit Blick auf frühere Titelsätze – dem realen Autor über den Gebrauch der Ich-Form anscheinend unmöglich war. Xenophon, in der Anabasis als heldenhafter Akteur gezeichnet, schuf qua Pseudonymie eine ‚objektive‘ Autorinstanz und entledigte sich dergestalt des Eigenlob-Vorwurfs.842 Der sprechende Name ‚Themistogenes‘ („von Themis [ab-]stammend“), der auf die Rechtmäßigkeit bzw. Richtigkeit der Darstellung deuten dürfte, scheint dies zu bekräftigen.843 Ferner ließen sich über den ‚Autor‘ Themistogenes auch Vertraute und Freunde Xenophons, wie Kyros der Perser (An. 1.9.24) oder Proxenos der Böoter (1.6.16-20), in eingefügten Kommentaren unbefangener preisen. 844 Tatsächlich handelt es sich bei der Einfügung des nom de plume Themistogenes auch um ein Spiel mit Pseudonymie und realer Verfasserschaft. Ist es doch kaum wahrscheinlich, dass Xenophon seine Autorschaft zu verbergen suchte und die Rezipienten den Syrakuser Themistogenes, dessen Existenz nicht auszuschließen ist,845 für den wahren Verfasser hielten: ___________________________

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sondern auch auf die B. 5-7 und so die Autorschaft der gesamten Anabasis. Plutarch in De glor. Ath. 1, 345e diskutiert die Verfasserschaft des Themistogenes im Rahmen der Frage, ob dem Autor oder dem Charakter Xenophon mehr Ruhm gebühre (Ξενοφῶν μὲν γὰρ αὐτὸς ἑαυτοῦ γέγονεν ἱστορία, γράψας, ἃ ἐστρατήγησε καὶ κατώρθωσε, [καὶ] Θεμιστογένει περὶ τούτων συντετάχθαι τῷ Συρακοσίῳ, ἵνα πιστότερος ᾖ διηγούμενος ἑαυτὸν ὡς ἄλλον, ἑτέρῳ τὴν τῶν λόγων δόξαν χαριζόμενος). Pseudonymie als Lösung des ‚Tendenzproblems‘ der Anabasis vermutete im Einklang mit Plutarch (De glor. Ath. 1, 345e, s. obere Anm.) bereits BREITENBACH (1967) Sp. 1644-1646, vgl. PELLING (2013) 39. Ältere Forschung vermutete hinter Themistogenes den Autor einer zweiten Anabasis: MACLAREN (1934); vgl. dazu TSAGALIS (2009) 451454, FLOWER (2012) 53-55, GRETHLEIN (2012) 24 mit Anm. 5, PELLING (2013) und (2016) 260. GRAY (2004) 130 Anm. 9 verweist auf eine zeitgenössische Parallele zur Autorfiktion des Themistogenes: Isokrates, der König Nikokles von Zypern eine Rede widmete (or. 2: Ad Nicoclem), verfasste eine weitere Rede (or. 3: Nicocles) im Namen des Königs selbst, da dieser das ihn Betreffende selbst überzeugender darlegen könne. FLOWER (2012) 54 verweist darauf, dass auktoriale Selbstverhüllung durch ein Pseudonym gut in den Kontext der Hellenika passe: So dürfte hinter dem nicht genannten Anführer der kyrenäischen Söldner (3.2.7), der seine Leute gegen den Vorwurf der Plünderung verteidigt, Xenophon selbst stecken – wie wohl Hell. 7.5.15-17 in dem Scharmützel vor Mantineia 362 v. Chr. unter den „guten Leuten“, die fielen, auch Xenophons Sohn Gryllos war. Dagegen basiert die Existenz eines realen Autors Themistogenes, den das byzantinische Lexikon Suda kennt, wohl auf der Hellenika-Stelle (Sud. θ 123 Adler = FGrHist 108 T1): Συρακούσιος, ἱστορικός. Κύρου ἀνάβασιν, ἥτις ἐν τοῖς Ξενοφῶντος φέρεται· καὶ ἄλλα τινὰ περὶ τῆς ἑαυτοῦ πατρίδος („[Themistogenes war] Syrakusaner, Historiker; [schrieb] eine Anabasis des Kyros, die unter den Schriften Xenophons überliefert wird; dazu manch andere Schriften über seine Heimatstadt.“ Bei der durchaus kühnen

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“I take this to be a polite and rhetorically self-effacing reference to his earlier work, and one in keeping with Xenophon’s accustomed reticence. […] A contemporary reader would not have been fooled by this device. By the 360s, Xenophon was too famous to have passed off his own work as someone else’s, and it is possible that by his time papyrus rolls either began with a title (as do modern books) or had labels attached bearing the author’s name. If so, I have no doubt that the label or title page would have read “Xenophon the Athenian.” If it had read “Themistogenes,” or if readers really believed the statement in the Hellenica that Themistogenes was the author, then, we may reasonably ask, how did anyone ever discover that Xenophon was the true author? Modern scholars cannot have it both ways—the Anabasis cannot both be a late work and an anonymous one.”846

Eine solche Autorfiktion mit Blick auf die Verfasserschaft der medias in res einsetzenden Anabasis, an die bereits Felix Jacoby glaubte (FGrHist II D 349),847 war nur möglich, da Autorschaft im 4. Jh. bereits auf stabileren Formen der Zuschreibung wie Titeln und Paratexten beruhte. Somit muss bereits für Xenophon eingetreten sein, was später umso mehr für Polybios gilt: „By his time, in a world of libraries and book dealers, it [d. h. die Einfügung eines Autornamens] probably did not seem as necessary. He was confident that his authorship was secure, and probably supervised the “publication” of his book—that is, he made copies available to the book trade.”848

Durch Rahmenbedingungen wie die zumindest für die Polis Athen gesicherte Buchkultur (s. u.) konnte eine Rückkehr zur intratextuellen Anonymität des Autors erfolgen, wie sie bereits in den homerischen Epen auftritt (Kap. 4.3.1), die nun jedoch andere Ursachen hatte; durch paratextuell basierte Zuschreibung, die damit außerhalb des Werks möglich wurde, sowie die zunehmende Verwendung der Schrift war es für Autoren offenbar nicht mehr von Nöten, ihre Namen in einem Titelsatz innerhalb des Werks zu hinterlassen. So wurde eine neue, ‚virtuelle‘ Absenz des Autors ermöglicht sowie, wie das Beispiel des ‚Anabasis-Autors‘ ___________________________

Deutung, bei Themistogenes von Syrakus habe es sich um den Geliebten Xenophons gehandelt, wie sie der byzantinische Gelehrte Johannes Tzetzes im 12. Jh. bietet (Tzetz. Chil. 7.937 = FGrHist 108 T 4), scheint es sich um den späten Versuch zu handeln, die intime Ko-Autorschaft von Xenophon mit Themistogenes nachträglich biographisch zu verankern. 846 FLOWER (2012) 54f. argumentiert gegen Ansichten wie bei HIGGINS (1977) 93, Xenophon habe die Anabasis auch tatsächlich unter dem Pseudonym Themistogenes veröffentlicht. 847 Contra PELLING (2016) 260, laut dem zu wenig über die Mechanismen von BuchProduktion und -Zirkulation im 4. Jh. bekannt sei, um dies zu beurteilen. PELLING (2013) legt dar, wie sich die Auffassung von Xenophons Autorschaft jeweils auf die Beziehung von ‚Erzähler‘ und ‚Charakter‘ Xenophon auswirkt. 848 SCODEL (2019) 58.

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Themistogenes bei Xenophon zeigt, ein geradezu spielerischer Umgang mit Pseudonymie.849 Ein institutionalisierter Buchmarkt in Athen wird in Zeugnissen des späten 5. sowie des 4. Jh. v. Chr. erwähnt,850 wenn etwa in einem Fragment des Komikers Eupolis (der wohl 412 v. Chr. starb) von einem Ort die Rede ist, an dem Bücher zu kaufen seien (fr. 327 PCG χοὖ τὰ βυβλί’ ὤνια, vgl. Poll. 9.47) oder in Platons Apologie der Verteidiger in eigener Sache, Sokrates, von Büchern des Philosophen Anaxagoras spricht, die man hin und wieder nahe einer ὀρχήστρα (im Theater oder nahe der Agora) zum Preis von maximal einer Drachme erwerben könne (Apol. 26d-e ἃ ἔξεστιν ἐνίοτε εἰ πάνυ πολλοῦ δραχμῆς ἐκ τῆς ὀρχήστρας πριαμένοις), wobei sich ἐνίοτε („gelegentlich“) auf die ‚Öffnungszeiten‘ des Buchmarkts oder aber die Verfügbarkeit spezifischer Titel beziehen kann. 851 Auch das Wort βιβλιοπώλης („Buchhändler“) tritt erstmals in der Alten Komödie des 5. und frühen 4. Jh. auf (Theopomp fr. 79 PCG, Nikophon fr. 10.4 PCG, Aristomenes fr. 9 PCG, vgl. Poll. 7.211). In jedem Falle erscheint der Buchmarkt ab dem späten 5. Jh. bereits zu einem gewissen Grade kommerzialisiert:852 “Presumably the book dealers obtained copies from authors whose works they believed would sell, or made copies of popular texts (such as the Homeric poems). But since books were sold as the works of particular authors, once there was no social connection linking author and reader, the book trade must have required paratextual material of some kind, simply to manage the business.”853 ___________________________

849 Zur Werkbegründung durch Pseudonymie vgl. GENETTE (2016) 56: „Die Vorliebe für Masken und Spiegel, der indirekte Exhibitionismus, das kontrollierte Komödiantentum, all das verbindet sich im Pseudonym mit der Freude am Erfinden, der Entlehnung, der verbalen Verwandlung und dem onomastischen Fetischismus. Das Pseudonym ist ganz offenkundig bereits eine dichterische Tätigkeit und so etwas wie ein Werk. Wenn Sie Ihren Namen wechseln können, dann können Sie schreiben.“ PEIRANO (2012) 1 wählt dies als Motto ihrer Studie. 850 Zur Praxis des Lesens Eur. fr. 369.6-7 TrGF (Erechtheus, 422 v. Chr.?); Aristoph. Vögel 1288-1289; Aristot. fr. 140 Rose. Xen. Αn. 7.5.14 erwähnt Buchhandel (βίβλοι γεγραμμέναι) zu Schiff in Thrakien: dazu HARRIS (1989) 49ff. 851 Vgl. Phaed. 97b und 98b, wonach Sokrates ein Buch des Anaxagoras besessen habe. Außer in Tragödie und Komödie tauchten von den Verfassern selbst gewählte Titel nicht vor dem 4. Jh. auf: KRANZ (1961) 21 Anm. 24. 852 In den 405 v. Chr. aufgeführten Fröschen des Aristophanes liest der Theatergott Dionysos bereits in einer Buchausgabe von Euripides’ Andromeda (52-53 {ΔΙ.} Καὶ δῆτ’ ἐπὶ τῆς νεὼς ἀναγιγνώσκοντί μοι | τὴν Ἀνδρομέδαν πρὸς ἐμαυτὸν). Vor dem Entstehen der Königs-Bibliotheken (3. Jh.) scheinen Privatpersonen über Bücher-Sammlungen verfügt zu haben, wie Strabon (13.1.54) für Aristoteles, den „ersten privaten Büchersammler“ (πρῶτος ὧν ἴσμεν συναγαγὼν βιβλία) bezeugt. Bei Xenophon (4. Jh.) brüstet sich ein Athener, den gesamten Homer zu besitzen (Xen. Mem. 4.2.1-10; vgl. Pl. Phaidr. 252b zu Texten der Homeriden). 853 SCODEL (2019) 60.

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Damit erscheint die Existenz eines relativ etablierten Buchmarkts, der auch die Anstellung professioneller Schreiber impliziert, für das Athen des 4. Jh. v. Chr. durchaus plausibel.854 Eine entsprechende Standardisierung des Schriftgebrauchs spiegelt sich nicht nur in der Alphabet-Reform unter Eukleides 403/402, der nach der Tyrannenherrschaft Archon eponymos war (Theopomp FGrHist 115 F 155),855 sondern auch in der zunehmenden Verwendung von Schriftdokumenten, die man zwar ab dem späten 5. Jh. etwa bei Gerichtsprozessen vorbrachte, doch denen man erst im 4. Jh. offizielle Beweiskraft neben mündlichen Zeugnissen zusprach.856 Gleichwohl trugen die Texte weiterhin die Signatur mündlicher Improvisation und Spontaneität.857 So spricht Rosalind Thomas von einer die gesamte Antike prägenden “fluid relationship between written text and oral performance” und schlussfolgert, dass “it would be unnecessary, in fact positively unwise, in the classical period, to rely entirely on the final published text for propagation of your life’s work—when the perilously few copies that were made could, unsupported by any public libraries after all, be lost at sea, copied out badly, eaten by worms, or otherwise become totally illegible.”858

So trägt Phaidros in Platons gleichnamigem Dialog etwa eine Rede (λόγος) des Lysias in seinem Mantel umher, womit in ambivalenter Bedeutung des Wortes sowohl die materielle Buchrolle als auch die darin enthaltene Rede bezeichnet wird (Phaidr. 228d7-9 τοπάζω γάρ σε ἔχειν τὸν λόγον). Durch die Zirkulation des λόγος in Form einer Buchrolle wird auch der Autor der Rede, Lysias, durch lautes Verlesen vergegenwärtigt (228e1 παρόντος δὲ καὶ Λυσίου). 859 Dies verweist auch ___________________________

854 Allg. zum Buch als neuem Rezeptionsweg HOSE (2016a) Sp. 1064f. 855 Dies wurde auch in der Komödie verarbeitet: Der Dichter Kallias ließ in der Γραμματικὴ τραγῳδία die 24 Buchstaben des neuen Alphabets als Chor auftreten (Kall. test. 7 PCG, vgl. Athen. 7.276a, 10.448b und 10.453c-e). 856 Vgl. THOMAS (1992) 92: “orators and litigants wished to give the appearance of speaking extempore, and the written text was therefore only an aid to recollection and memorization.” Auch HARRIS (1989) 72f. betont die Valenz der Stimme neben schriftlichen Signaturen bis ins 4. Jh. Im frühen 4. Jh. verfasste dann der Gorgiasschüler und Redelehrer Alkidamas eine polemische Schrift Gegen diejenigen, die schriftliche Reden verfassen oder Gegen die Sophisten (Περὶ τῶν τοὺς γραπτοὺς λόγους γραφόντων ἢ Περὶ σοφιστῶν), in der er das Sprechen ohne schriftliche Vorlage als rhetorische Hauptübung über die logographische Praxis stellte. 857 Zu den Techniken inszenierter Mündlichkeit in der Rhetorik SCHLOEMANN (2002). 858 THOMAS (1992) 126. 859 So illustriert Sokrates sein Interesse am Lesen, das es Zuhörern ermöglicht, zu Betrachtern des Dargestellten zu werden und (wie das Buch selbst) virtuell durch Räume und Ländereien zu reisen. Vgl. Phaidr. 230d8-e1: „Indem Du vor mir Reden aus Büchern hältst, wirst Du mich, so glaube ich, durch ganz Attika und wohin auch immer Du willst, geleiten.“ Zu kritischen Lesern als dem Zielpublikum Platons und Thukydides’ s. YUNIS (2003a).

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darauf, dass Logographen ihre Klienten vor Gericht selbst Reden halten ließen, jedoch in der Folge problemlos als deren deklarative Autoren genannt wurden. 860 Für das veränderte Verständnis literarischer Autorschaft am Übergang vom 5. zum 4. Jh. und dann besonders im Laufe des 4. Jh. ist es zudem symptomatisch, dass in dieser Zeit eine Rückwendung hin zu ‚großen‘ Autoren der Vergangenheit im Sinne von Kanonisierungs-Bestrebungen zu verzeichnen ist. Dieser Umbruch lässt sich bereits anhand von Aristophanes’ Fröschen (405 v. Chr.) beobachten, nach deren ‚Großem Plan‘ ein berühmter Tragödiendichter der Vergangenheit aus der Unterwelt nach Athen zurückgeholt werden soll – der Theatergott Dionysos entscheidet sich bekanntermaßen für Aischylos; ein weiteres Zeugnis ist die Schrift des Herakleides Pontikos (4. Jh. v. Chr.) Über die drei großen Tragödiendichter, in der Aischylos, Sophokles und Euripides als herausragende, kanonische Dichter anerkannt werden (fr. 179 Wehrli). Generell führte die offizielle Zulassung von Reprisen ‚klassischer‘ Tragödien im Jahr 386 v. Chr.861 im Kontext der dramatischen Wiederaufführungen zu Anpassungen sowie ‚Schauspieler-Interpolationen‘, denen erst im Zuge der lykurgischen ‚Kulturpolitik‘ um das letzte Drittel des 4. Jh. Einhalt geboten werden sollte. Dies kulminierte in der Herstellung eines ‚Staatsexemplars‘ der drei Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides, deren Kanonizität man von da an zudem durch die öffentliche Errichtung von Statuen im Dionysostheater visualisierte.862 So klagt der Tragödiendichter Astydamas (4. Jh.) in einem ihm zugeschriebenen Epigramm (I FGE p. 33f. Page) über die unhinterfragte Suprematie dieser alten kanonischen Tragödiendichter, mit denen seine eigene, natürlich gleichfalls herausragende Dichtung nicht konkurrieren dürfe.863 ___________________________

860 Hierzu HAFNER (2018) und oben Kap. 3.2. 861 PORTER (2006) 301f. rekonstruiert den Wunsch des athenischen Publikums nach der “presence of a classical original“ mittels Wiederaufführungen und verknüpft dies mit Aristophanes’ Prozedere in den Fröschen (“what better emblem for this desire than the live reperformance, not of tragic plays, as in the case of the theatrical revivals that would contribute to the survival of classical plays, but of the tragedians themselves?”). VICKERS (2002) 509f. sieht in den Fröschen einen Kulminationspunkt von bereits als individuell erkannter Autorschaft erreicht. 862 Hierzu SCODEL (2007). Zudem wurden im 4. Jh. v. Chr. inschriftliche Verzeichnisse über siegreiche Dramen (‚Didaskalien‘) mit Angabe der Verfasser, der Zeit und des jeweiligen Erfolgs im Agon, die bis ins frühe 5. Jh. reichten, erstellt (wohingegen Aristoteles’ dokumentarische Schriften Διδασκαλίαι und Νῖκαι Διονυσιακαὶ ἀστικαὶ καὶ Ληναικαί verloren sind: fr. 618-631 Rose, Diog. Laert. 5.26): vgl. v. a. IG II2 2318 + fr. nov. (sog. Fasti, nach 346 v. Chr., für die Jahre 473/2 bis 329/8) sowie IG II2 23192323 (Διδασκαλίαι, nach 288 v. Chr.). CANCIK (2003) 124-126 zeigt, wie sich Siegerlisten im Laufe der Zeit von Verwaltungs-Dokumenten dramatischer Feste zu frühen Darstellungen von Literaturgeschichte wandelten. 863 In späteren parömiographischen Lexika erscheint die Arroganz des ‚Epigonen‘ Astydamas sprichwörtlich unter dem Lemma Σαυτὸν ἐπαινεῖς ὥσπερ Ἀστυδάμας ποτέ (Αpostol.-Arsen. 15.36 CPG).

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Damit sind die kulturellen wie medialen Voraussetzungen abgesteckt, vor denen die neuen autorpoietischen Möglichkeiten im Werk des Xenophon wie auch im Prosa-Korpus eines weiteren Autors, des gewiss bedeutendsten Sokratikers, fassbar werden: Platon.864 Gegenüber der zeitgenössischen Prosa des 4. Jh., etwa bei Xenophon oder Isokrates, in der häufig aus der Perspektive einer ersten Person berichtet und Autorpräsenz in vielfacher Hinsicht spürbar wird, ist mit dem corpus Platonicum der Höhepunkt literarischer Autorabsenz erreicht: „Das Poetische der Platonischen Prosa oder […] ihre Literarizität bzw. Fiktionalität drückt sich vor allem darin aus, daß Platon niemals „Ich“ sagt: Immer sind es andere, die philosophierend vorgeführt werden, nie erscheint der Autor selbst; er verbirgt sich so vollkommen hinter seinem Werk, daß nicht zu weit geht, sondern vielmehr nur gerade weit genug, wer behaupten wollte, daß das Platonische Werk die Platonische Philosophie mehr verberge denn enthülle.“865

Oder in Kurzform: “The Platonic narrator is never Plato”.866 Die Rezipienten erhalten so nahezu keine biographischen Daten zum Autor Platon (428/7-348/7) aus dessen Werk,867 das selbst keinerlei Autographie der Autorschaft aufweist. Nur an drei Stellen fällt sein Name, wenn Dialogfiguren von Platon in der dritten Person sprechen: zweimal in der Apologie und einmal im Phaidon, die beide in die Frühphase von Platons literarischem Schaffen gerechnet werden. Dies resümiert in späterer Zeit der Philosophen-Biograph Diogenes Laertios (Diog. Laert. 3.37): Ἑαυτοῦ τε Πλάτων οὐδαμόθι τῶν ἑαυτοῦ συγγραμμάτων μνήμην πεποίηται ὅτι μὴ ἐν τῷ Περὶ ψυχῆς καὶ Ἀπολογίᾳ. „Sich selbst erwähnt Platon an keiner Stelle seiner Schriften, außer freilich in derjenigen Über die Seele [Phaidon, vgl. Phaed. 59b] sowie in der Apologie [vgl. 34a, 38b].“

In der Apologie (33d-34a) zählt Sokrates die anwesenden Vertrauten vor Gericht auf (πάντως δὲ πάρεισιν αὐτῶν πολλοὶ ἐνταυθοῖ οὓς ἐγὼ ὁρῶ), unter denen er in ___________________________

864 Zu Platon als Meister literarischer Prosa M. Erler in ZIMMERMANN/RENGAKOS (2014) 311f. mit Literatur in Anm. 1. 865 PATZER (2012) 117. Zur Absenz des “Silent Philosopher” vgl. auch CLAY (2000) 11. 866 MORGAN (2004) 359. Zu Platons Narratologie allg. MORGAN (2004), HALLIWELL (2009), FINKELBERG (2018). 867 Vgl. ERLER (2007) 60ff. Die meisten Informationen zu Platons Biographie entstammen dem autobiographischen Teil des in seiner Echtheit umstrittenen Siebten Briefs. Darin schildert ‚Platon‘ retrospektiv seinen politischen wie philosophischen Werdegang bis ins frühe 4. Jh. Trotz Kontroversen um die Authentizität supplementiert der Brief (wie auch Anekdoten und Viten) Daten zu dem sonst anonym bleibenden Autor. Vgl. ERLER (2007) 35-38, 314ff.

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Apol. 34a auch Platon nennt, der im Beisein seines Bruders Adeimantos ist (ὅδε δὲ Ἀδείμαντος, ὁ Ἀρίστωνος, οὗ ἀδελφὸς οὑτοσὶ Πλάτων): Die zeigende Geste des Sokrates auf den Anwesenden wird unterstrichen durch das deiktische Iota des Demonstrativums οὑτοσὶ. Zugleich erscheint die Verbindung aus Eigenname und Patronym bei Adeimantos (Sohn des Ariston, so auch Staat 327a, 368a, 427d, 580b) mit dem Demonstrativum in der Junktur οὑτοσὶ Πλάτων als Variation üblicher Werktitelsätze:868 Damit stellt das erste Erscheinen Platons in Apol. 34a, d. h. innerhalb der ersten Tetralogie des corpus Platonicum, zu der neben dem Eutyphron und dem Kriton auch der Phaidon gehört (Diog. Laert. 3.56-61), gewissermaßen ein verschlüsseltes Substitut für die herkömmliche Selbstvorstellung von Prosa-Autoren in ihren Werken dar.869 Kurz darauf (Apol. 38b) erwähnt Sokrates Platon erneut unter Verwendung des ambivalenten ὅδε, nun an vorderster Stelle und gefolgt von Kriton und anderen Vertrauten, die als Bürgen für Sokrates bezeugen könnten (Πλάτων δὲ ὅδε, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, καὶ Κρίτων καὶ Κριτόβουλος καὶ Ἀπολλόδωρος). Damit wird der Autor Platon durch seinen Lehrer Sokrates in einem identitätsstiftenden sozialen Kontext, neben Bruder, Vater und Athener Freunden, verortet. Im Rahmengespräch des gleichnamigen Dialogs Phaidon schließlich antwortet Phaidon auf die Frage des Echekrates, wer denn in den letzten Stunden bei Sokrates gewesen sei (Phaed. 59b: Ἔτυχον δέ, ὦ Φαίδων, τίνες παραγενόμενοι;), dass dessen Vertraute wie etwa Apollodoros oder Kritobulos anwesend waren, einzig Platon jedoch krank und damit absent gewesen sei (Πλάτων δὲ οἶμαι ἠσθένει). 870 Der Nennung Platons voraus geht Phaidons Liste der Anwesenden, die ___________________________

868 Während das Demonstrativum hier (aus der personalen Perspektive des Vertrauten Sokrates) gewissermaßen aus einer Innensicht auf den Autor-Zusammenhang des Werks deutet, verweist das Pronomen in den früheren Prosa-Titelsätzen ‚von außen‘ auf den Werk-Zusammenhang: vgl. Hekataios (FGrHist 1 F 1: τά δ ε γράφω), Alkmaion (VS 24 B 1 Ἀλκμαίων Κροτωνιήτης τ άδ ε ἔλεξε Πειρίθου υἱὸς), Antiochos (FGrHist 555 F 2: Ἀντίοχος Ξενοφάνεος τ ά δ ε συνέγραψε), Herodot (1.1.1 Ἡροδότου Ἁλικαρνησσέος ἱστορίης ἀπόδεξις ἥ δ ε ), Thukydides (4.104.4 Θουκυδίδην τὸν Ὀλόρου, ὃς τ ά δ ε ξυνέγραψεν oder 5.26.1 Γέγραφε δὲ καὶ τ α ῦ τ α ὁ αὐτὸς Θουκυδίδης Ἀθηναῖος); ohne Autornamen Xenophon Hell. 1.1.1 (Μετὰ δὲ τ α ῦ τ α ): hierzu s. o. Kap. 4.3.3. 869 Vgl. hierzu die auktoriale Selbstdarstellung in der Dichtung (Kap. 4.3.2): zur poetischen Dimension sokratischer λόγοι vgl. Aristot. poet. 1447a28-b13. Zur Poetik Platons, des poeta doctus philosophusque, vgl. ERLER (2003). 870 Laut GEIGER (2017) 393 deutet dieser Satz auf einen „fundamentalen Sachverhalt“, der außer für den Phaidon „auch für alle anderen Dialoge gilt“, die Absenz Platons im Werk; er verbindet das Verb ἀσθενεῖν („krank, schwach sein“) mit einer Stelle im Siebten Brief (ep. 7.343a ἀσθενές), an der über die ‚Schwäche‘ der Schrift die Schriftkritik in den Blick kommt, nach der sich „der Autor, wenn er ein Philosoph ist, im Schreiben schwächer [macht] als er eigentlich ist“, obwohl ein solcher nach Platon „stärkere Gründe hat als diejenigen, die er der Schrift anvertraut“ (mit Verweis auf Phaidr. 278cd): Somit trete Platon selbst in seinem Werk nie als Autor von Geschriebenem auf.

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auffälligerweise durch den zweimal verwendeten partitiven Genitiv τῶν ἐπιχωρίων (παρῆν) („[anwesend war] von den hier Ansässigen“) gerahmt wird. Da ἐπιχώριος zweifelsfrei Bewohner Athens bezeichnet – im Gegensatz zu auswärtigen Gästen wie den beiden Thebanern Simmias und Kebes –, wird an dieser Stelle indirekt das in der Apologie fehlende Toponym „aus Athen“ nachgereicht und damit Platons werkinterne Präsenz in beiden Schriften auf zumindest indirekte sowie verschlüsselte Weise bezeugt. 871 Auch im Phaidon fällt Platons Name in einer Reihe mit Freunden und Vertrauten des Sokrates, wodurch wie bereits in der Apologie die intime und identitätsstiftende Rolle dieses Kreises betont und der Autor Platon im sozialen wie geistigen Zentrum der Polis Athen verortet wird. Damit sind Apologie und Phaidon nicht nur durch die biofiktionale Chronologie der Ereignisse um Sokrates verklammert, indem sie dessen Prozess- und Sterbetag behandeln – in Phaed. 63b und 69e wird gar die Apologie zitiert –, sondern auch dadurch, dass der Autor Platon in beiden genannt wird, sei es als anwesender Zeuge oder vermisster Freund.872 Beide weisen ferner protreptische Züge auf, indem Sokrates seine Zuhörer jeweils intensiv zu Selbstprüfung und -verbesserung antreibt. Entsprechend lässt sich die Nennung des Autornamens gerade in diesen protreptischen Texten als platonische Werbung für eine in der Akademie gelebte, philosophische Lebensweise deuten, die der Autor Platon vermittels der Darstellung vom Leben und Sterben seiner charismatischen Lehrerfigur an das Publikum adressiert.873 Zugleich gibt es deutliche Kontraste zwischen beiden Schriften: Während die Apologie den anwesenden Platon hypothetisch in den Zeugenstand ruft, da er für die Integrität der philosophischen Lebensweise des Sokrates bürgen könne, ist er an dessen Todestag als einziger abwesend. Unabhängig von einer philosophischen Deutung der Interrelationen zwischen dem sokratischen Denken/Wirken sowie dem platonischen Denken/Schreiben, welches sich jeweils über die Präsenz oder Absenz Platons ausdrückt, zeigt der Kontext dieser beiden Verfasser-Nennungen im corpus Platonicum in jedem Fall, dass Prozess und Hinrichtung des Sokrates einen außerordentlichen Stellenwert in der Darstellung platonischer Autorschaft innehaben.874 Ein Vergleich mit Xenophons Memorabilien, worin der Verfasser aufgrund des eigenen Umgangs mit Sokrates (Mem. 1.3.8-15 zeigt den jungen Xenophon neben ___________________________

871 Vgl. SEDLEY (1996) 4f., der im Staat 580c bei Sokrates’ Lob des „Sohn des Ariston“ neben dem Bezug auf Glaukos und Adeimantos auch deren Bruder, den Autor Platon, mitangesprochen sieht. 872 PATZER (2012) 172 sieht beide Texte trotz formaler Kontraste (Rede vs. Dialog) als „Rechenschaftsberichte“ über das sokratische Philosophieren und dessen grundlegende Ansichten, etwa über den Tod. 873 KOTZÉ (2017) Sp. 381 betont, dass platonische Dialoge als früheste protreptische Werke gelten können. 874 Der Siebte Brief bestätigt die Rolle von Sokrates’ Tod als Wendepunkt für Platons Biographie (ep. 7.325b-c).

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Sokrates) sowie aufgrund der Wiedergabe von Gesprächen als glaubwürdiger Berichterstatter und Vermittler des Sokrates-Porträts auftritt, illustriert, dass Platon in der Apologie eine ähnliche Strategie wählt, die ihn zu einem ebenso glaubwürdigen Berichterstatter werden lässt.875 Indem der Autor Platon den Redner Sokrates wiederum Platon als anwesenden Akteur nennen lässt (Apol. 34a, 38b), werden beide, der sprechende Sokrates und der anwesende Platon, zu Gewährsmännern und Zeugen der vom Autor Platon vermittelten Gerichtsrede. Sokrates’ Worte werden im Text dramatisch und von Anfang an medias in res (17a1 Ὅτι μὲν ὑμεῖς, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι κτλ.) wiedergegeben, ohne dass darin explizit – etwa in einem voranstehenden Proöm – die Herkunft des Wissens, das der Autor vom Wortlaut der dabei gehaltenen Rede hatte, plausibilisiert wird. Umso effektvoller lässt Platon daher die eigene Verfassersignatur geradezu programmatisch aus dem Munde des Meisters Sokrates erklingen. Der Phaidon dagegen, ein ‚diegematischer‘ Dialog, der aus der Perspektive Phaidons erzählt (Phaed. 59c8-9 {ΦΑΙΔ.} Ἐγώ σοι ἐξ ἀρχῆς πάντα πειράσομαι διηγήσασθαι) und gelegentlich durch narrative Interventionen wie ἔφη oder szenische Beschreibungen unterbrochen wird, erzielt durch die Absenz Platons einen anderen Effekt als die Apologie: Hier verbürgt Phaidon selbst (αὐτός), der an jenem Tag anwesend war, die Wahrheit des Gesagten, wie bereits in den ersten beiden Redebeiträgen des Dialogs geklärt wird.876 Ferner waren viele weitere anwesend, die das Gesprochene ebenfalls bezeugen könnten (58d1 ἀλλὰ παρῆσάν τινες, καὶ πολλοί γε). Da die Herkunft des Wissens durch den Rahmendialog, dessen Setting gewissermaßen Erbe des Proöms oder Eröffnungssatzes früherer Prosa ist (Kap. 4.3.3),877 abgesichert erscheint, kann Platon im Phaidon problemlos von der eigenen Absenz berichten (lassen). Zugleich bildet die in Phaed. 59b erwähnte Abwesenheit Platons vom Geschehen in nuce die generelle, virtuelle Absenz Platons im gesamten Korpus ab, das so als ‚Werk ohne Autor‘ erscheint. 878 ___________________________

875 HALLIWELL (2009) 22 überschätzt m. E. die autorpoietischen Unterschiede zwischen beiden Autoren: “Plato, unlike Xenophon, deliberately shields his work from being read as direct authorial testimony”; ferner ebd. Anm. 12: “Xen. Mem., Oec. and Smp. all begin with direct first-person statements which invite ascription to the author himself; in the second and third of these works there are also claims (however historically questionable) of eye-witness testimony. Plato’s presence at Socrates’ trial, inserted as a ‘dramatic’ detail at Ap. 34a, 38b […], is obviously a different literary procedure altogether”. 876 Vgl. Phaed. 57a1-4 ({ΕΧ.} Α ὐ τ ό ς , ὦ Φαίδων, παρεγένου Σωκράτει ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ ᾗ τὸ φάρμακον ἔπιεν ἐν τῷ δεσμωτηρίῳ, ἢ ἄλλου του ἤκουσας; {ΦΑΙΔ.} Α ὐ τ ό ς , ὦ Ἐχέκρατες). 877 Zur rhetorischen Tradition des Timaios-Proöms MÄNNLEIN-ROBERT (2005) Sp. 254f. 878 E. J. M. WEST (2000) 99 vergleicht Platons Absenz mit Michelangelos Jüngstem Gericht: “Plato resembles that painter who has put a likeness of himself into his Last Judgment but will not be recognized as present unless the viewer happens to know what Michelangelo looks like. Besides, even if his name is mentioned, Plato is voiceless.”

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Über die platonische Anonymität als Grundsignatur des Œuvres wurde viel diskutiert.879 In der Forschung wurde dabei auch zwischen einer philosophisch-doktrinalen sowie einer (häufig zu eng gefassten) literarischen bzw. auktorialen Anonymität unterschieden.880 Eine solche Trennung der Philosophie Platons von der literarischen Form, die jene vermittelt, scheint jedoch kaum angemessen: 881 Reichte die literarische Anonymität Platons doch nie soweit, dass keine Hinweise auf die Verfasserschaft in Titeln oder Paratexten gegeben worden wären 882 – schließlich zirkulierten Platons Werke nicht anonym; literarische Anonymität spielt vielmehr im Kontext der ungewöhnlichen auktorialen Zurückhaltung Platons innerhalb seines Werks eine Rolle.883 Für eine dogmatische Absenz Platons gilt wiederum als zentraler Aspekt, dass der Autor gerade in den frühen und mittleren Schriften die Figur des Sokrates sowie ihr Denken und Handeln in den Mittelpunkt stellt und sich von der direkten Vermittlung eigener Theoreme zurückhält – wohingegen die sokratische Absenz im späteren Werk als Durchbruch eines unverstellten platonischen Dogmatismus gedeutet werden kann. Dies scheint wiederum nicht trennbar zu sein von einer auktorialen Anonymität des corpus Platonicum im Sinne einer spezifischen Autorpoietik. Dabei lässt sich fragen, wie vor ___________________________

879 Vgl. ERLER (2007) 75-78. Zum Hervortreten einer Autorstimme bei Dialog-Autoren wie Aristoteles, Cicero oder Augustinus, wobei eine mit dem Autor identifizierbare Figur innerhalb der Textwelt auftritt, HÖSLE (2006) 90-92. Zur dialogischen Darstellung auktorialer Präsenz VON MÖLLENDORFF (2013); vgl. GOLDHILL (1991) 167ff. 880 Hierzu GEIGER (2017) 376, der SZLEZÁK (1985) 349 folgend auktoriale Anonymität nur auf Werkzuweisung im Sinne deklarativer Autorschaft bezieht: „Die sog. »platonische Anonymität« meint ausschließlich [die] doktrinale Anonymität“. Dagegen überträgt M. Erler in ZIMMERMANN/RENGAKOS (2014) 311f. die literarische auf die philosophisch-doktrinale Anonymität: „Ansonsten bleibt Platon als Autor anonym, wobei der Begriff ‚anonym‘ nicht im strengen Sinn zu verstehen ist, denn die platonischen Dialoge sind unter dem Verfassernamen ‚Platon‘ veröffentlicht. Es geht wohl eher um eine Anonymität, welche die Inhalte und Thesen betrifft.“ 881 Hierzu bereits BLONDELL (2000) 128 und GOLDHILL (2002) 110. Zur Spannung zwischen ‚literarischen‘ und ‚philosophischen‘ Deutungen platonischer Dialoge COHN (2001). Die Forschung der 1990er Jahre hatte einen literarischen third way zwischen Dogmatismus und Skeptik gesucht. 882 So die Definition von ‚Anonymität‘ bei GRIFFIN (2019) 341: “Anonymous authorship can be defined as encompassing any publication that appears without the author’s name printed either on the title page or in any other paratext such as a preface or dedication.” Es ist wahrscheinlich, dass Platons Werk bereits in der Antike relativ problemlos seinem Autor zugewiesen wurde, gerade wenn man die Akademie als institutionellen Kontext der Werktradierung einbezieht. 883 Zugleich hat der Rückzug Platons doktrinale Implikationen, wenn es z. B. um die Zuweisung von Theoremen an bestimmte Sprecher gegenüber dem Autor Platon geht. Im vorliegenden Kontext wird die platonische Absenz jedoch als genuin literarisches Phänomen analysiert – ist diese doch vor dem Hintergrund der auktorialen Markierungen, welche die vor-platonische Prosa in aller Regel aufweist, überaus bemerkenswert.

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dem Hintergrund platonischer Anonymität884 Autorität und Auktorialität innerhalb des Verhältnisses von Akteur- und Autorstimmen gewichtet werden. Ferner, wie auktoriale Präsenz insgesamt bei Platon dargestellt wird und welche subtilen Mechanismen der Kontrolle über das Werk dabei zu finden sind. 885 Mit Blick auf die platonische Anonymität gibt es seit der Antike verschiedene Ansätze, in denen die Aufteilung von Autorität und Auktorialität zwischen dem Autor, oder ‚Verschriftlicher‘, Platon886 sowie den Hauptunterrednern seiner Dialoge jeweils unterschiedlich proportioniert wird: Eine erste, bereits antike Deutung (a) korreliert die auktoriale Leerstelle des corpus Platonicum und damit Platons ‚schwache‘ Autorschaft mit der ‚starken‘ Präsenz autoritativer Figuren im Werk, allen voran derjenigen des Meisters Sokrates. Laut dem höchstwahrscheinlich pseudepigraphischen Zweiten Brief, der neben zwölf weiteren Briefen im corpus Platonicum überliefert ist887 und in dem sich ‚Platon‘ an den Tyrannen Dionysios II. von Syrakus wendet (ep. 2.310b3 Πλάτων Διονυσίῳ εὖ πράττειν), wird die Autorschaft Platons generell hinterfragt (ep. 2.314b7-c6):888 μεγίστη δὲ φυλακὴ τὸ μὴ γράφειν ἀλλ’ ἐκμανθάνειν· οὐ γὰρ ἔστιν τὰ γραφέντα μὴ οὐκ ἐκπεσεῖν. διὰ ταῦτα οὐδὲν πώποτ’ ἐγὼ περὶ τούτων γέγραφα, οὐδ’ ἔστιν σύγγραμμα Πλάτωνος οὐδὲν οὐδ’ ἔσται, τὰ δὲ νῦν λεγόμενα Σωκράτους ἐστὶν καλοῦ καὶ νέου γεγονότος. ἔρρωσο καὶ πείθου, καὶ τὴν ἐπιστολὴν ταύτην νῦν πρῶτον πολλάκις ἀναγνοὺς κατάκαυσον. „Die beste Vorsorge ist es, nichts aufzuschreiben, sondern auswendig zu lernen: Denn alles Geschriebene ist in Gefahr, abhanden zu kommen. Daher habe ich nie irgendetwas über diese Dinge niedergeschrieben, und es gibt keine Schrift Platons und es wird auch niemals eine geben; das, was jetzt unter seinem Namen gehandelt wird, ist vielmehr einem schön und jung gewordenen Sokrates zuzuschreiben. Leb’ wohl und glaube mir: Nun aber lies diesen Brief wieder und wieder und verbrenne ihn dann!“

Diese Passage des Zweiten Briefs kann als ein früher und vielschichtiger Kommentar zur auktorialen Anonymität im corpus Platonicum gewertet werden: Darin kann nicht wörtlich gemeint sein, dass Platon keine Schrift verfasst habe, was ja ___________________________

884 Vgl. EDELSTEIN (1962) und die Beiträge in PRESS (2000); ferner GOLDHILL (2002) 80ff., LAKS (2004). 885 FINKELBERG (2018) 149-167 illustriert an Platon die Kontrollmechanismen des Autors über sein Werk. 886 Statt der Frage ‚Wer spricht?‘ sieht E. J. M. WEST (2000) 100ff. das ‚Wer schreibt?‘ für die Platondeutung zentral (Verweis auf J. L. Davids Gemälde Tod des Sokrates [1787], das den alten Platon mit Schreibutensilien zeigt). 887 Zur i. d. R. postumen Entstehung der Briefe ERLER (2007) 308-310. Zu Pseudepigraphie (als Autorfiktion) im antiken Brief ROSENMEYER (2001), A. D. MORRISON (2013). 888 Dem Passus voraus gehen enigmatische Äußerungen ‚Platons‘ über die „Natur des ersten Prinzips“ (312d7 περὶ τῆς τοῦ πρώτου φύσεως) an den ‚Schüler‘ Dionysios, der auf deren absolute Geheimhaltung verpflichtet wird.

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Abfassung und Existenz des Briefs an sich konterkarieren würde.889 Vielmehr wird erst durch den virtuellen Rückzug Platons in dessen Schriften das Hervortreten der Meister-Figur Sokrates ermöglicht, auf den die Autorschaft der Werke anteilig übertragen wird.890 Hierfür spielt Platon eine vermittelnde Rolle, wie der genitivus auctoris Σωκράτους ἐστὶν καλοῦ καὶ νέου γεγονότος andeutet: Sokrates’ vollendete (γεγονότος) Verschönerung und Verjüngung ist dessen Literarisierung in Platons Werk geschuldet, durch das Sokrates gewissermaßen wiedererstanden ist und als καλὸς καὶ νέος ewig fortlebt.891 Vermittels Platons literarischer ‚Verjüngungskur‘ wird somit eine paradoxale Umkehr geschaffen, aus welcher der philosophische Heros Sokrates abermals jung hervorgeht. Nach Aussage des Zweiten Briefs wird Autorschaft anteilig Sokrates und Platon zugewiesen: “Whether it was Plato or an impostor who wrote these words, their author recognized how deeply the Platonic signature is split between a Socrates who signed no text which was independent of his life, who left behind not works but pupils and the oral countersignature of the pupil who sought to preserve this oral teaching. The writer of this letter saw a Plato who both abrogated his own authorship and yet

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889 Der Brief kann höchstens meinen, Platon habe keine schriftliche Lehre hinterlassen, wie dies im berühmten Siebten Brief verhandelt wird (ERLER [2007] 314-318), etwa in ep. 7.341a-342e: Hier berichtet der Absender, er habe seine Philosophie niemals schriftlich niedergelegt. V. a. die Passage 7.341c-d ähnelt dem Zweiten Brief: οὔκουν ἐμόν γε περὶ αὐτῶν ἔστιν σύγγραμμα οὐδὲ μήποτε γένηται· ῥητὸν γὰρ οὐδαμῶς ἐστιν ὡς ἄλλα μαθήματα, ἀλλ’ ἐκ πολλῆς συνουσίας γιγνομένης περὶ τὸ πρᾶγμα αὐτὸ καὶ τοῦ συζῆν ἐξαίφνης, οἷον ἀπὸ πυρὸς πηδήσαντος ἐξαφθὲν φῶς, ἐν τῇ ψυχῇ γενόμενον αὐτὸ ἑαυτὸ ἤδη τρέφει. Zur Verbindung mit der Schriftkritik im Phaidros A. D. MORRISON (2013) 305-307, der den Siebten Brief für unecht hält, da er Priorität gegenüber den Dialogen beanspruche, diesen Anspruch jedoch (wie der Zweite Brief) durch die eigene schriftliche Medialität konterkariere. 890 Vgl. EDELSTEIN (1962) 3: “Plato not only disowns his writings to a certain extent, he dissociates himself from them altogether and attributes them to someone else. Their real author is Socrates, not Plato; it is his teacher who speaks here.” A. D. MORRISON (2013) 309 urteilt, das antike Publikum verstand den Hinweis auf die Fiktionalität des Briefs, und vergleicht die pseudepigraphischen Briefe unter Platons Namen mit der ‚sokratischen‘ Apologie: “Those moving in Socratic circles or members of the Academy will have known that it did not ‘really’ record the words of Socrates, and perhaps also that the Socrates depicted was very much Plato’s invention.” 891 Die Übersetzung der Junktur καλοῦ καὶ νέου γεγονότος bei BURKE (2008) 148 (“[but what are now called his are the work of a Socrates] embellished and modernized”) führt in die Irre, da sie die biologische (aus Sokrates’ Sicht) bzw. biographische (aus Platons Sicht) Dimension überdeckt. Da νέος gegenüber καινός („stets neu, innovativ“, ab dem 5. Jh. alternativ zu νέος) relational zu verstehen ist (was jung/neu ist, wird alt werden), liegt im Brief eine Umkehrung vor. Zur Semantik von νέος als “an organic or generational metaphor, one of growth and development over time” D’ANGOUR (2011) 187, ferner S. 19-27 und zum Gegensatz-Paar νέος/καινός 71-84.

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Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk fashioned the Socratic discourse to his own signature – one who could neither speak in his own name nor surrender his own subjectivity fully to that of his master.”892

Diese Deutung einer bloß relativen Autonomie der Autorschaft Platons, welcher so als literarischer Vermittler bzw. ‚Künder‘ des Sokrates auftritt, spiegelt sich auch im Rahmendialog des Theaitetos (142d-143b), in dem die Wiederherstellung des sokratischen Dialogs auch auf der Autorität des Meisters selbst basiert. Eukleides tritt dort wiederum als Sokrates’ ‚Chronist‘, der sich bei der Niederschrift des Dialogs auf eine annähernd mimetische Wiedergabe des Gesprächs (143c5-6) konzentriert, auktorial zurück: Überhaupt beruht die rekonstruktive Arbeit am sokratischen Philosophieren gerade in den platonischen Texten mit teils komplexen erzählerischen oder dialogischen Rahmungen generell auf mehreren Akteuren (s. u.). Ferner wird in mehreren Schriften wie dem Staat aus der Perspektive eines nahezu omnipräsenten und allwissenden Sokrates erzählt.893 Entsprechend wurde in der Forschung teils die Ansicht einer autoritativen Prävalenz des Sokrates vor Platon vertreten: Der Rückzug Platons von der Bühne der Dialoge wird zumeist als Funktion gedeutet, die den Fokus auf den Protagonisten Sokrates in der Hauptrolle rücken soll.894 Die sokratische Stimme erschallt aus einer zurückliegenden Vergangenheit, Platon selbst bleibt vordergründig stimmlos: “Plato writes dialogue in another’s voice at another time.”895 Die ‚starke‘ Präsenz des Sokrates im corpus Platonicum geht dementsprechend mit einer ‚schwachen‘ Autorschaft Platons einher.896 ___________________________

892 BURKE (2008) 148; vgl. das Fazit: “We are given neither an authentic Socrates nor an authentic Plato: the Socratic dialogues are caught between the two just as they purport to dwell in a realm that crosses both speech and writing”. 893 Zu Sokrates als autoritativem, häufig allwissendem Erzähler (primär im Staat, Lysis, Charmides, sekundär im Protagoras, Euthydemos), der etwa die Motivationen seiner Gesprächspartner kennt, MORGAN (2004) 361-364. 894 GOLDHILL (2002) 109: “Central to Plato’s project is Socrates, the authority figure who claims and disclaims (his own) authority. Central to the paradoxical fascination of Plato is the strategic choice not to represent his own voice but always to remain concealed within and behind the conversation of the bare-footed wandering gadfly, questioning and teasing whomever he happens to meet.” Auf S. 110 wird eine Brücke zur doktrinalen Anonymität geschlagen: “philosophy seeks to place authority in the power of argument itself”. Ähnlich BLONDELL (2000) 128: “It is […] the site of an intrinsic and indissoluble connection between aspects of Plato that are still often distinguished as “literary” and “philosophical” respectively.” 895 GOLDHILL (2002) 97. Zugleich betonen die Dialoge die Relevanz stimmlicher Präsenz, die vor fremder Beeinflussung und Deutungsherrschaft schütze: zur Rolle der ‚Stimme‘ (φωνή) bei Platon HUNTER (2018) 105. 896 Als antiker Reflex dieses Phänomens kann eine Passage in Lukians Lügenfreunden gelten, in welcher der vom Tod wiederauferstandene Eukrates auf die Nachfrage eines Gesprächspartners, ob er denn Sokrates und Platon unter den Toten gesehen habe (Philops. 24 σὺ δὲ μὴ καὶ τὸν Σωκράτην αὐτὸν καὶ τὸν Πλάτωνα εἶδες ἐν τοῖς νεκροῖς;),

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Die platonische ‚Absenz‘ lässt so beispielsweise auch Deutungen zu, die Apologie in der platonischen Werkanlage entsprechend als Wiedergabe der Prozessrede des ‚realen‘ Sokrates zu betrachten, die von Platon in der Rolle eines ‚Chronisten‘ mitprotokolliert wurde:897 “it is worth considering the possibility that prompting such strong readings in some readers was always part of Plato’s design. The Apology is a key text in the struggle to control the legacy of Socrates and his image, and so it seems plausible (indeed, likely) that Plato would have been happy to have later readers interpreting the Socrates of the Apology as the Socrates.”898

In den Darstellungen bei Xenophon und Platon scheint das historische Individuum Sokrates in der Tat für sich selbst zu sprechen. Da Sokrates keine Schrift hinterließ, kontrollierten spätere sokratische Autoren dessen Erbe und kreierten durch ihre Texte einen traditionellen Zusammenhang, innerhalb dessen sie sich selbst über die Konstruktion eines Porträts des Weisen Sokrates, das bleibende Relevanz für spätere Zeiten besaß, gewissermaßen allelopoietisch nobilitierten: 899 Vermittels ihrer literarischen Konstruktionen der prominenten Lehrer-Figur Sokrates konnten sie jeweils eigene Ansätze legitimieren.900 Entsprechend etablierten Xenophon und Platon je ein intergenerational-diachrones Werkprojekt, von dem beide Autoren profitierten: Zum einen war Sokrates schon zu Lebzeiten eine berühmte Persönlichkeit – man denke an Aristophanes’ Wolken – und galt als unumgehbare Autorität, zum anderen schien ihn sein Gedankengut zum nützlichen Vorgänger zu machen, auf dessen Ideen die Sokratiker aufbauen konnten, und den sie sowohl zur Validierung eigener Theoreme als auch zur

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897 898 899

900

antwortet, zwar Sokrates gesehen, Platon jedoch nicht erkannt zu haben (τὸν Πλάτωνα δὲ οὐκ ἐγνώρισα). Dazu auch NÍ MHEALLAIGH (2005). Vgl. A. D. MORRISON (2013) 309f. zum Spektrum auktorialer Zuschreibungen der Apologie an Platon. A. D. MORRISON (2013) 310. EDELSTEIN (1962) 12 zieht einen Vergleich mit den Pythagoreern, die sich ähnlich wie die Sokratiker ihrem Schulgründer auktorial-autoritativ unterordneten und Schriften unter dessen Namen publizierten (vgl. Iambl. Vit. Pyth. 198 ed. Deubner). Im Falle Platons und Xenophons wurde die Zuschreibung der Werke jedoch nie hinterfragt, was nahelegt, dass sie sich selbst durch ihre Socratica als eigenständige Literaten profilieren konnten. Vgl. MICHELINI (2003) 61: “Since no texts existed from Socrates’ own hand, his genius could preside over an author’s new ideas, without raising the possibility that the Socratic writer’s achievement could be overshadowed by those of his predecessor. In Plato’s case, especially, ascription of the origin of his ideas to a fifth-century figure gave a reassuring historical depth to a daringly innovative world view.”

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Steigerung ihrer Reputation brauchten, da sie dadurch selbst würdig erschienen,901 die Ideen des Sokrates erfolgreich in die Gegenwart und die Zukunft zu führen. 902 Aus dieser Perspektive erscheinen Platon und Xenophon als prominente ‚Überarbeiter‘ oder Fortführer sokratischer Dialoge:903 Vergleichbar mit der scheinbaren Absenz Xenophons, die durch den thukydideischen Beginn der Hellenika (1.1.1) oder die Zuschreibung der Anabasis an Themistogenes (Hell. 3.1.2) evoziert wird, ist auch Platons virtuelle Absenz, die in Form auktorialer Anonymität das Œuvre durchzieht, als Spiel mit den Rezipienten zu verstehen, das gewissermaßen durch Platons krankheitsbedingte Absenz plausibilisiert und – im Sinne einer Lösung des ‚Tendenzproblems‘ – als ‚unparteilich‘ objektiviert wird. Zugleich ist Platon als Vermittler philosophischer Konzepte und Visualisierer des dramatischen Dialogs, besonders aber des letzten Tages im Leben des Sokrates, gleich einer epischen Erzählinstanz, in gedanklicher Nähe stets omnipräsent. Damit ‚schwächen‘ beide Sokratiker, Xenophon und Platon, durch die Fokussierung auf präkursorische Autoren – analog zur scheinbaren Übernahme einer revisorischen Autorfunktion – 904 vordergründig ihre literarische Autonomie. 905 Doch dürften beide von der diachronen Kooperation mit Meisterfiguren profitiert haben: Ihre Werke reflektieren auf spielerische Weise die Möglichkeiten des virtuellen Rückzugs eines Autors aus seinem Werk, was unter der Bedingung relativ gesicherter Autorschaft im 4. Jh. möglich geworden war. ___________________________

901 Vgl. das Fazit bei WIETZKE (2017) 365 zu diachroner Kooperation mit Vorgänger-Autoren in der Wissenschaftsliteratur: “At its core, then, this is a story of progress”. Gleichwohl konnte einem späteren, ‚kooperierenden‘ Autor auch der Vorwurf des Plagiats gemacht werden, wie der Fall eines anderen Sokratikers, Aischines von Sphettos, zeigt: Diesen verleumdete Menedemos aus Eretria mit der Aussage, seine Dialoge seien Werke des Sokrates, die er über Xanthippe erhalten habe (Diog. Laert. 2.60); vgl. SPEYER (1971) 127. 902 Es gilt zu bedenken, dass bereits die antiken Rezipienten oft Werke vor sich hatten, die nicht immer eindeutig zuweisbar oder gar deutlich gefälscht waren. Es konnte sich um kooperativ entstandene Werke von Schülern bedeutender Autoren handeln, die mehr oder minder von ihrem Lehrer abwichen oder aber dessen Stimme impersonierten: Man kann so von einem skalaren Spektrum zwischen einer engen und einer nur noch losen Verbindung zum Modellautor ausgehen. Zu dieser Unterscheidung vgl. die Analysen bei A. D. MORRISON (2013) 308f., der die pseudepigraphischen Platon-Briefe in ihrem Verhältnis zu Platon sowie Platons Apologie in ihrem Verhältnis zu Sokrates als zentraler Modellfigur beleuchtet. 903 Hierzu vgl. die Diskussionen zu Ko-Autorschaft in den Dialogen Theaitetos und Menexenos in Kap. 3.2. 904 Zu Platon in dieser Rolle, s. o. das Zeugnis ep. 2.314b7-c6; zu Xenophon als ‚Überarbeiter‘ bzw. Redaktor des Thukydides s. die biographischen Dokumente bei Diog. Laert. 2.57 sowie Markellinos’ Vita Thucydidis 43. 905 In dieser Hinsicht spielen Thukydides und das Pseudonym ‚Themistogenes‘ (bzw. Sokrates in den philosophica) für Xenophon die auktorial-autoritative Rolle, die Sokrates für Platons Werk innehat.

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So lässt sich die auktoriale Leerstelle im corpus Platonicum im Sinne einer diachronen Kooperation des absenten Autors Platon mit Lehrerfiguren, allen voran mit Sokrates, verstehen, dessen Stimme der Schriftsteller Platon scheinbar unverstellt vermittelt.906 Neben dieser im vorigen entwickelten Deutung (a) existieren seit der Antike jedoch noch weitere Auslegungen der platonischen Anonymität. In ihnen wird die Frage ‚Wer spricht?‘ jeweils unterschiedlich beantwortet. Hierzu zählen b) die bereits antike Sprachrohr-Hypothese, c) die Entwicklungs-Hypothese und d) die Deutung der Dialoge im Sinne dramatischer Polyphonie. Sie seien im Folgenden kurz vorgestellt und diskutiert. b) Eine bereits antike Position bildet die sogenannte Sprachrohr-Hypothese. Zwar tritt sie in verschiedenen Spielarten auf, doch folgen diese stets der Maxime, gemäß der die Aussagen des Sokrates und/oder der anderen Dialogpartner auf den Autor Platon als das übergeordnete Prinzip rückzubeziehen seien. 907 Sie findet sich bereits bei Diog. Laert. 3.52 formuliert, laut dem Platon seine Anschauungen durch Figuren wie Sokrates, Timaios, den Fremden aus Athen (in den Nomoi) oder den Eleatischen Fremden (im Sophistes), in anderen Worten konsistent durch Früh- und Spätwerk, aufzeige (καὶ περὶ μὲν τῶν αὐτῷ δοκούντων ἀποφαίνεται διὰ τεττάρων προσώπων, Σωκράτους, Τιμαίου, τοῦ Ἀθηναίου ξένου, τοῦ Ἐλεάτου ξένου), wobei die letzten beiden Figuren reine Erfindungen Platons seien (πλάσματά ἐστιν ἀνώνυμα). Demnach habe er Sokrates und anderen Hauptunterrednern der Dialoge seine eigenen Dogmen in den Mund gelegt (καὶ τὰ Σωκράτους καὶ τὰ Τιμαίου λέγων Πλάτων δογματίζει). 908 Damit steht die Sprachrohr___________________________

906 Eine humorvolle antike Reaktion auf Sokrates’ ‚Autor-Rolle‘ bei Platon findet sich bei Lukian von Samosata, wenn in Vit. Auct. 17-18 Platons Staatskonzept und die Ideenlehre dem Sokrates – nicht dem Autor Platon – zugesprochen werden. 907 Hierzu H. TARRANT (2000) 27-32, NAILS (2000). GEIGER (2017) 376 bietet weitere, auch ältere Forschungsliteratur. Vgl. EDELSTEIN (1962) 2 sowie 6 Anm. 16 und 15 Anm. 37. 908 Gegenteilige Meinungen, die durch den ἔλεγχος falsifiziert würden, habe er dagegen Figuren wie Thrasymachos, Kallikles etc. in den Mund gelegt (περὶ δὲ τῶν ψευδῶν ἐλεγχομένους εἰσάγει οἷον Θρασύμαχον καὶ Καλλικλέα καὶ Πῶλον Γοργίαν τε καὶ Πρωταγόραν, ἔτι δ’ Ἱππίαν καὶ Εὐθύδημον καὶ δὴ καὶ τοὺς ὁμοίους). H. TARRANT (2000) bietet weitere antike Zeugnisse zur Sprachrohr-Hypothese. Kritisch BLÖßNER (1997) 7-12. Laut FITZPATRICK (1992) 101ff. differenziere die Sprachrohr-Hypothese medial nicht zwischen Sprechen und Schreiben: Während Platon stimmlos bleibe, habe Sokrates nichts geschrieben und streite in den ἔλεγχοι Autorität ab. NAILS (2000) 25 kritisiert die Skalierungen der Hypothese, die lauteten: a) Sokrates als literarische Erfindung Platons; b) Sokrates, der literarische Dialogsprecher, als Sprachrohr Platons (z. T. übereinstimmend mit Sokrates-Darstellungen anderer Autoren). Da Sokrates jedoch widersprüchlich und variabel gezeichnet ist, sei die Sprachrohr-Hypothese für jeden Dialog einzeln zu untersuchen: “the thesis is not compelling, paling by comparison to a methodological unity thesis that preserves the coherent variety of doctrines and methods in the dialogues with the argument that Plato deploys views and methods, as he deploys images and myths, to create occasions for philosophizing.” Humorvolle Reflexe auf die Sprachrohr-Hypothese bietet die Anekdote bei Diog. Laert. 3.35,

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Hypothese der Ansicht entgegen, an manchen Stellen, gerade des Frühwerks, habe Platon die Biographie des historischen Sokrates nachgezeichnet.909 Eng verwandt mit dieser Ansicht ist die Feststellung, Figuren wie Sokrates, der Eleatische Fremde und Timaios dienten bloß als personalisierte Verkörperungen abstrakter Argumente, die sich in fiktiven Gesprächen gegenüberstünden. In Vermeidung abstrakter Theorien bekleide der platonische Dialog diese jeweils mit einem personal konturierten Gesprächsteilnehmer, durch den – als den ebenso ethopoietisch wie literarisch raffiniert gestalteten Repräsentanten einer Theorie – ein bestimmtes Argument menschliche Züge sowie eine Stimme erhalte.910 Als interessanten Nebenaspekt der Sprachrohr-Hypothese enthüllt die Stelle bei Diogenes Laertios (3.52) auch, dass die mit Auktorialität aufgeladenen Figuren des platonischen Spätwerks wie Timaios, der Athenische Fremde oder der Gast aus Elea dieselbe ko-auktoriale Rolle im Werk erlangen, wie diese in den frühen sowie mittleren platonischen Dialogen die Figur des Sokrates repräsentiert. Somit ginge die lediglich vordergründige Absenz des gleichwohl omnipräsenten Autors als eines übergeordneten Steuerungs-Prinzips mit der Präsenz variierender auktorialer Stellvertreterfiguren Platons innerhalb des Werks einher. c) Da die Darstellung der Sokrates-Figur in Platons Werk mitunter stark oszilliert, versuchte die Platon-Forschung ferner, mit Hilfe der developmentalistischen Perspektive der ‚Entwicklungs-Hypothese‘ die zentrale Stellung des Sokrates im Frühwerk mit der ‚platonischeren‘ Tonalität späterer Schriften zu harmonisieren:911 So habe sich Platon im Laufe der Zeit zu einem unabhängigen Denker entwickelt, sich dabei von Sokrates emanzipiert und eine eigene Stimme und Sprache gefunden. 912 Allerdings treten auch im Spätwerk alle Dialogpartner ___________________________

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gemäß der Sokrates sich, als er von seiner Darstellung in Platons Lysis erfährt, über seine derart entstellten Aussagen echauffiert. Hierzu PATZER (2012); dagegen betont SEDLEY (1996) 4f., Platon weiche in Fragen des Zweifels von Sokrates ab. So MORGAN (2004) 376, die hinter dieser Technik protreptische Züge erkennt. Zuerst bei VLASTOS (1991) 53, vgl. PATZER (2012) 172f., FINKELBERG (2018); kritisch FREDE (1992), NAILS (2000). PATZER (2012) 119 geht von einer solchen Entwicklungs-Hypothese aus: Dessen Separierung in Phasen zeige sich an den jeweiligen Endpolen: Die Apologie (Frühwerk und Vorspiel der Frühdialoge) biete „die größtmögliche Sokratesnähe der Darstellung“, die Nomoi (Spätwerk), in denen Sokrates nicht einmal als Gesprächspartner auftrete, dagegen „die größtmögliche Sokratesferne“: Platons Präsenz in der Apologie wird als Signal dafür gesehen, dass Platon „das Philosophieren des Sokrates in reinster Form dargestellt hat: Die Singularität der literarischen Form, die größtmögliche Sokratesnähe signalisiert, drückt die Singularität des gedanklichen Horizonts aus, in dem sich die Rede bewegt – das Philosophieren des Sokrates so darzustellen, daß der Anfang des Platonischen Philosophierens, wie es die Dialoge zeigen, erkennbar und verstehbar wird“ (121). Während Platon in der Apologie als „fiktionaler Gewährsmann“ des Sokrates auftrete, zeige die Absenz Platons im Phaidon, dass nun „statt des Sokratischen Sokrates erstmals der Platonische Sokrates das Wort ergreift, der Platon

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gewissermaßen als dramatis personae auf, die ihre jeweiligen Ansichten miteinander konfrontieren, ohne dass eine dominante platonische Textstimme erkennbar würde.913 Zwar lässt sich die Existenz gewisser höher hierarchisierter Identifikationsfiguren wie der Brüder Platons nicht abstreiten.914 Doch statt auf die Entwicklung einer platonischen Stimme trifft man eher auf das “gradual unfolding of a literary plan”915 des Schriftstellers Platon. d) Eine letzte, ebenfalls moderne Lesart versucht einem mit Rückschlüssen auf ‚genuin‘ platonisches Gedankengut sowie auf ein platonisches Sprachrohr notwendigerweise verbundenen ‚intentionalen Fehlschluss‘ (intentional fallacy) 916 sowie einer auf fehlenden Indizien basierenden petitio principii917 zu entgehen, wobei zugleich die methodisch schwierige Rekonstruktion eines ‚historischen‘ Sokrates umgangen wird: “There is much to be gained in understanding the dialogues by refusing either to hypostatize the Platonic Socrates as a quasi-historic figure, in defiance of historical method, or to identify this fictional persona with the implied author, the “Plato” that readers are invited to construct out of the dialogues. The ambivalent relation

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gedanklich so nahe steht, daß er selbst nicht mehr als außenstehender Zeuge anwesend sein kann und darf“ (173). Daran zeige sich in nuce die Metamorphose der Sokratesgestalt im corpus Platonicum als „schmerzhafter Prozess bis zur Wiederauferstehung des Platonischen Sokrates“. Oder pointiert: „Will man eine Formel, so stellt die Apologie den Sokratischen Sokrates dar, der Phaidon aber den Platonischen“ (ebd.). Vgl. GONZALEZ (2000) 161f.: Während Sokrates im Theaitetos die Hauptrolle innehat, ist er im Sophistes, der dramatisch auf den Theaitetos folgt (am nächsten Tag), in einer untergeordneten Rolle präsent. Vgl. 180 die Kritik an der Sprachrohr-Deutung in den Spätdialogen Sophistes und Politikos: “we see the author not as expounding his doctrines through some ‘mouthpiece’, but rather as using his characters to play positions against each other in a dramatic context that reveals both the virtues and the limitations of these positions. […] [A]s in a great play, the “message” is not to be found in the words of one character, but rather in the interaction of all the characters.” BLONDELL (2000) zum Inklusions-Angebot der Dialoge an die Rezipienten, sich mit der Schülerrolle eines Glaukon oder Adeimantos im Staat zu identifizieren. Zu Sokrates-Schülern als Focalizern MORGAN (2004) 364ff. THESLEFF (2000) 59ff. nennt Sokrates eine “quasi-authority”, ohne dass er zugleich Platons Sprachrohr sei. So KAHN (1996) xv, dessen ‚unitarische‘ Lesart der Dialoge sich gegen die Entwicklungs-Hypothese wendet. Vgl. FREDE (1992), MICHELINI (2003) 62 mit Anm. 72: “the question of whether Socrates is Plato’s “mouthpiece” […] or whether the dialogues can tell us “what Plato thought” […] oversimplifies a complex problem that literary scholars have been working with for some time, cf. the “intentional fallacy,” [WIMSATT/BEARDSLEY (1946)] the attempt—which may, however, be impossible to avoid completely—to excavate authorial intention from texts.” So die Kritik an der Hypothese, eine willkürliche Figur ‚x‘ fungiere als Platons Sprachrohr, bei PRESS (2000a).

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Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk between the two is one key to understanding the remarkable work of their hidden creator.”918

Diese Deutung betont die Konvergenz des platonischen Dialogs mit dramatischen Literaturformen, etwa dem Mimos oder der Tragödien-Dichtung,919 in denen die „Geschichte sich selbst zu erzählen scheint“,920 wobei der Autor als steuerndes Prinzip im Hintergrund präsent bleibt: Die Dialogform der Werke Platons und die darin dargestellte kommunikative Situation des lebendigen Austauschs versammelt eine Polyphonie der von verschiedenen Charakteren geäußerten Ansichten und Theoreme, in denen Platon allesamt gleich präsent oder absent sei. Die dialogische Vielstimmigkeit der Texte, die im Moment der späteren Rezeption lebendig nachvollzogen werden könne, erscheint demnach als Grundsignatur platonischen Schreibens:921 “Yet Plato still speaks to us. He does so like Homer or Sophocles, through the deployment of character, speech, style, and incident. […] On the level of dramatic representation, of course, it is Plato who controls the argument.”922

Zugleich wird auch gemäß dieser Lesart zwischen mehr oder weniger dogmatischen Charakteren unterschieden, die in einem hierarchischen Spannungsverhältnis zueinander stehen, ohne dass diese Hierarchien auf auktoriale Intentionen

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918 MICHELINI (2003) 65. 919 Hierzu ERLER (2007) 67. Zur literarischen Deutung der Dialoge am Beispiel von Platons Staat BLÖßNER (1997). 920 So das Urteil bei LUBBOCK (1921) 113 über die dramatische Kunst des Guy de Maupassant (“the effect is that he is not there at all, because he is doing nothing that ostensibly requires any judgement, nothing that reminds us of his presence. He is behind us, out of sight, out of mind; the story occupies us, the moving scene, and nothing else”). Man denke in diesem Kontext etwa an den dramatischen Einsatz medias in res am Anfang des Dialogs Eutyphron. 921 Für HEITSCH (1988) verlangt die Dialogform Platons im Sinne einer indirekten Vermittlung die rekonstruktive Verstehensarbeit durch die Leser. Vgl. FREDE (1992), NAILS (2000) 16: “The dialogue form provides a means of encouraging readers and listeners to reason dialectically to defensible positions of their own, rather than to treat Plato’s words—or those of Socrates—as so authoritative as to obviate the necessity for intellectual labor.” 922 Das Zitat entstammt den beiden Passagen BLONDELL (2000) 127 sowie 136.

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Platons zurückgeführt werden müssen.923 Auch darin lässt sich Platon mit einem Dramatiker vergleichen.924 Hieran schließt sich die Frage an, ob man aus den Dialogen eine Platonische (im Gegensatz zu einer Sokratischen) Ironie ableiten kann, durch die Platon – als εἴρων – selbst seine auktoriale Rolle verbirgt und eine spielerische Distanz zum dramatischen Geschehen der Dialoge und – übertragen – auch zu seinen Rezipienten einnimmt:925 “Without stating it, the texts induce readers to guess that such authority might be possessed by the author Plato. The implied authorial persona, the “Plato” projected by the works, is marked mainly by an absence; but this absence has not prevented readers from hearing a Platonic voice in the dialogues. […] The dialogues in many different ways impose a hermeneutic task on the reader, in part by stimulating an unending search for Plato’s voice.”926

Aufgrund der Verhüllung auktorialer Positionen hinter einem Spektrum dialogischer Ansichten verbleibt die Aufgabe und Verantwortung der Suche nach einem Autor demnach letztendlich bei den Rezipienten.927 ___________________________

923 BLONDELL (2000) 144: “By offering us both teacher and students as models, Plato displaces onto his dramatic characters the tension between authoritarian dogmatism and creative autonomy that pervades the work.” Vgl. OSTENFELD (2000) 212: “Plato does present alternative ways of thinking, ways that have various degrees of plausibility and that may stimulate our own thinking.” Laut YUNIS (2003a) 204, der Thukydides’ Reden (“No single speech […] has ultimate authority; all compete in the reader’s mind for interpretative potential”) mit dem dramatischen effet de réel platonischer Dialoge vergleicht (210 “They engage the reader’s emotions in the progress of the drama and give the reader a literary version of the poetic experience”), zielen beide Texte auf kritische Leser. 924 OSTENFELD (2000) 216: “All characters are in a way the mouthpiece of Plato (not none or some or one), not in the sense that the views of every character are identical with Plato’s views, buth rather in the sense that Plato thought that the arguments advanced by each and every character deserved consideration in various degrees. Just like a playwright who includes exactly the characters necessary for the “message” of his play. There is a further similarity with drama: the spectator or reader often knows more than the participants in the play or dialogue do. E.g., when a fallacious argument is advanced the reader may realize this even if it is unknown to the respondent or even the questioner.” 925 Hierzu ROWE (1987). Beispiele für das Auftreten Platonischer Ironie bietet MORGAN (2004) 359. 926 MICHELINI (2003) 58f. 927 So auch HEITSCH (1988). Entgegen der Ansicht von der ‚Dialogizität‘ der Dialoge entspricht laut FINKELBERG (2018) die Vielfalt der Meinungen, die Platons Dialogpartner in den Texten äußern, keiner Polyphonie der Perspektiven, da letztlich immer nur eine erzählerische Sicht greifbar werde: Mittels dieser vereinheitlichten Erzählperspektive (von ihr als “gatekeeper” [„Türhüter, Pförtner“] bezeichnet), filtere, reguliere und kontrolliere der Autor Platon (als der “demiurge of a fictional universe”), die

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Wie voranstehend nachgezeichnet, provoziert die irritierende auktoriale Leerstelle des corpus Platonicum seit jeher verschiedene Deutungen der Anonymität Platons, welche die Frage ‚Wer spricht?‘ jeweils verschiedentlich beantworten: a) der absente Platon etabliert eine diachrone allelopoietische Kooperation mit Lehrerfiguren, allen voran mit Sokrates, dessen Stimme in seinem Werk vermittelt, konserviert und tradiert wird; b) bestimmte Dialogfiguren, besonders Sokrates, fungieren als Sprachrohre platonischer Dogmen; c) laut der Entwicklungs-Hypothese bietet das Werk einen Übergang von einer anfänglichen Absenz der platonischen Stimme (und sokratischer Präsenz) im Frühwerk hin zu einer genuin platonischen Tonalität (und sokratischen Absenz) im Spätwerk; d) wie ein dramatischer Dichter inkorporiert und distribuiert Platon über Sprecherrollen und Dialogfiguren widerstreitende Stimmen, mit dem Ergebnis einer Polyphonie mehr oder minder hierarchisierbarer Ansichten. Mit jeder Deutung ändert sich auch die Auffassung von der auktorialen Heteronomie bzw. Autonomie Platons.928 Die Absenz des Autors im corpus Platonicum lässt sich auch vor dessen institutionellem Hintergrund und Sitz im Leben, besonders der Rezeption in der Platonischen Akademie, verstehen:929 Innerhalb des Akademie-Kontexts durfte die Zuweisung der Werke an die Gründerfigur Platon und damit dessen Verfasserschaft als gesichert gelten.930 Die Beschreibung im fiktiven Rahmendialog des Theaitetos darüber, wie Sokrates’ Schüler dessen Dialoge über das Schriftmedium

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Wahrnehmung der Dialoge durch die Rezipienten: “There is little room to doubt whose perspective it ultimately is” (16). 928 GEIGER (2017) 376 differenziert demgegenüber zwei Typen, eine starke sowie eine schwache Anonymität: Laut der ersten könne aus den Argumentationen der Dialoge niemals auf eine platonische Lehre geschlossen werden, bei der zweiten werde „nicht prinzipiell bestritten, dass sich bestimmte Aussagen und Argumente in den Dialogen Platon zurechnen lassen“, doch könne „Unsicherheit darüber entstehen, ob die Dialogfiguren wirklich für Platon sprechen.“ Diese skeptische Zurückhaltung verortet er im Kontext von Platons Schriftkritik. 929 Zur Verbindung THESLEFF (2000) 63f.: “Plato is likely to have written for his friends and for their friends (and for different groups of such people), and to have taken for granted that there were well-informed persons present at the reading performances to provide explication, comments, and perhaps a continuation of the discussion.” 930 Vgl. SZLEZÁK (1985) 348-350; zu Institutionen wie der Akademie Platons als antiken Kontexten für Autorschaft DEL CORSO (2015) 19f. War Platon schon zu Lebzeiten eine prominente Figur, die neben Verehrung auch Spott auf sich zog, entstanden in der Generation nach ihm Werke von Schülern über die Lehrerfigur, wie im Bereich der Akademie Speusipps Πλάτωνος περίδειπνον (fr. 1 Tarán) oder Xenokrates’ Περὶ τοῦ Πλάτωνος βίου (fr. 53 Heinze); vgl. Aristot. fr. 650 Rose (zu Aristoteles’ Bezügen auf platonische Dialoge GEIGER [2017] 376) sowie aus Aristoteles’ Schule Dikaiarchos fr. 40-45, Aristoxenos fr. 61-68 sowie Klearchos fr. 2a-b Wehrli. Zur voralexandrinischen Überlieferung des corpus Platonicum im Akademie-Kontext ARONADIO (2008) 9-14.

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konservieren und über dieses auch dessen Philosophie praktizieren, 931 lässt sich als Angebot verstehen, die auktorialen Praktiken auf die platonischen Dialoge selbst zu übertragen, die in der Akademie produziert wie auch rezipiert wurden. 932 Zugleich erreicht die mehrfache Rahmung platonischer Texte, etwa im erwähnten Theaitetos oder auch im Phaidon, in besonderem Maße jedoch in Symposion und Parmenides, einen hohen Grad an Komplexität vor allem auch in Bezug auf die Bestimmung der jeweiligen Autorfunktionen:933 In den gerahmten Dialogen wird die philosophische Diskussion motiviert durch einen einleitenden Abschnitt, der narrativ oder dramatisch – oder aus beiden literarischen Formen gemischt – verfasst sein kann. In solchen Rahmungen wird ein Schauplatz skizziert oder behandelt, wie und über welche kommunikative Vermittlung ein früheres philosophisches Gespräch den jeweiligen Unterrednern zu Ohren gekommen ist. Im Rahmen einer solchen Perspektive der Rückschau können der persönliche Bezug zu Sokrates sowie Herkunft und Weitergabe des Wissens über die jeweiligen philosophischen Kontroversen thematisiert werden. Die rahmenden Partien lassen sich dabei als vermittelnde Verständnishilfen verstehen, gerade mit Blick auf ein ___________________________

931 MORGAN (2004) 364ff. sieht die aus Schülerperspektive erzählten, protreptischen Dialoge wie den Theaitetos von affektiver Erinnerung an den Lehrer geleitet. Zu Leseprozessen und Erkenntnis im Theaitetos REITZ (2003). 932 Platons Texte entwerfen retrospektiv eine Traditionskette von Schüler-Lehrer-Abfolgen (διαδοχαί) und übertragen diese auch in ‚vor-sokratische‘ Zeit: Sokrates/Platon steht so in einer philosophischen Sukzession, die über den Lehrer Anaxagoras (dessen Buch er besitzt: Phaed. 98b) auf Parmenides zurückgeht. Bei Diog. Laert. 2.23 wird mit Verweis auf Ion von Chios, 4. Jh. (FGrHist 392 F 9: Ἴων δὲ ὁ Χῖος καὶ νέον ὄντα [sc. Sokrates] εἰς Σάμον σὺν Ἀρχελάῳ ἀποδημῆσαι), zwischen Anaxagoras und Sokrates auch noch Archelaos von Samos geschaltet. 933 Im dramatischen Dialog Phaidon bittet Echekrates Phaidon, ihm die Umstände von Sokrates’ Tod zu berichten, es folgt Phaidons Bericht über die letzten Stunden des Sokrates und über dessen Gespräche mit Simmias und Kebes: d. h. Ebene 1) Phaidon und Echekrates, Ebene 2) Sokrates, Simmias und Kebes. Im Symposion wird die Geschichte von der Tischgesellschaft im Hause des Dichters Agathon von Aristodemos, der beim Fest anwesend war, an Apollodoros weitergegeben, der sie wiederum erzählt: 1) Apollodoros und Zuhörer, 2) Aristodemos und Apollodoros, 3) Symposiasten und Sokrates, 4) Diotima und Sokrates. Im Theaitetos war die Geschichte von der Begegnung zwischen Sokrates und dem jungen Theaitetos von Sokrates einst dem Eukleides erzählt worden, der nun eine schriftliche Fassung vor seinem Freund Terpsion verlesen lässt: 1) Eukleides und Terpsion, 2) Eukleides’ geschriebener Bericht, 3) Sokrates, Theaitetos und Theodoros. Im Parmenides schließlich war die Begegnung des jungen Sokrates mit Parmenides und Zenon einst von Pythodoros, einem Augenzeugen, dem Antiphon berichtet worden; Antiphon erzählt wiederum dem Kephalos von Klazomenai davon: 1) Kephalos und Antiphon, 2) Pythodoros und Antiphon, 3) Sokrates, Parmenides und Zenon. Dazu schematisch JOHNSON (1998) 595, der auf einer übergeordneten Ebene zusätzlich noch den Autor Platon verortet. Auch weitere platonische Texte bieten Rahmungen, etwa der Euthydemos oder der Phaidros: FINKELBERG (2018) 76-102 und (2021) 29f.

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erweitertes, über die platonische Akademie hinausgehendes Publikum, das die Dialoge bereits in Schriftform rezipierte. 934 Zugleich schaffen die verschachtelten Rahmenhandlungen eine raumzeitliche Distanz zu den gerahmten Gesprächen, in denen es um den Nachvollzug von Sokrates’ Philosophieren und, idealiter, um den aktiven Nachvollzug einer dialektischen philosophischen Praxis geht. Dabei offenbart das Spannungsverhältnis zwischen akkurater und inakkurater Wiedergabe sokratischer Gespräche die Ambivalenz dieser Vermittlung, die im Rahmen der Rekonstruktionsarbeit zwar autoritative Zeugen benötigt, duch diese Einschränkung jedoch zugleich ein genaues Verständnis sokratischen Philosophierens beeinträchtigt.935 Somit ließe sich als ‚ideale Leserschaft‘ ein Publikum denken, das dazu angehalten war, diese Ambivalenz als ein herausforderndes Verstehensangebot wahrzunehmen und zugleich zum Ausgangspunkt einer kritischen Reflexion und Übung im philosophischen Denken zu machen.936 Aus narratologischer Perspektive wurden die teils mehrfach verschachtelten Erzählsituationen unter anderem als Metalepsen, und damit als Grenzüberschreitungen zwischen den narrativen Ebenen von Binnendialog und Rahmung, analysiert; mittels der Erzähltheorie lassen sich so Markierungen der Durchdringung wie auch der Trennung bestimmter (binnen-)fiktionaler Ebenen feststellen. 937 Genauso komplex stellen sich die Implikationen der mehrfach verschachtelten Rahmungen für die Behandlung der in die Texte involvierten Autorfunktionen und -Stimmen dar: Lassen die rahmenden Partien doch weder die (platonische) Autorschaft der Schriften noch den (über Platon) privilegierten Zugang zum sokratischen Philosophieren als per se gegeben erscheinen. Vielmehr bieten die Rahmungen es an, über die Zuschreibung von Autorstatus und, genereller, Autorität zu reflektieren, da darin die raumzeitliche Distanz zu einem philosophischen Ereignis, dem sokratischen Gespräch als idealer philosophischer Praxis, verhandelt wird.938 Der Rückbezug kann nur über verschiedene vermittelnde Instanzen als Träger eines je spezifischen Wahrheitsanspruchs hergestellt werden: ___________________________

934 So die Deutung bei THESLEFF (1982) 63, jedoch nur mit Blick auf die textuelle Archäologie und die Chronologie der platonischen Schriften. Zur Medialität platonischer Werke TARRANT (1996). 935 JOHNSON (1998) 591f. verortet die literarische Rahmenform in Platons prinzipiell dualistischer Philosophie. Seine Schlussfolgerung lautet (596f.): “The narrative frame helps then to vivify for the reader the in-betweenness that informs Plato’s universe, that is, between the perceptible world (where striving for accuracy in argument and method is essential if we are to understand) and the Ideal world (where logos, however accurate, is found inadequate for Understanding).” 936 So TSAKMAKIS (2021) zum Theaitetos. Vgl. bereits REITZ (2003). 937 FINKELBERG (2018) und (2021). 938 Vgl. JOHNSON (1998) 596f. zum Zwiespalt “between the philosopher’s need to work with authoritative models (of Socratic argument and method) and the recognition of how far such models necessarily diverge from perfect Understanding.”

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“The structure of the narrative frame is meant […] to lead the reader towards reflection on the nature of the relationship between report, event, and Ideal in the doing of philosophy – on the nature, that is, of authority, and what Truth a given authority is able to represent.”939

Im Rahmen dieses literarisch sehr komplexen Designs beruht die Sicherung von Autorschaft damit auf verschiedenen Akteuren, die gleichzeitig oder sukzessive an der Rekonstruktion des philosophischen Ereignisses beteiligt sind. Anhand dieser Aufgliederung wird zugleich die Möglichkeit einer akkuraten und feststehenden Wiedergabe durch Verschriftlichung – und damit vordergründig Platons eigene Autorschaft – problematisiert: Beruht die rekonstruktive Arbeit am raumzeitlich distanzierten philosophischen Ereignis doch auf multiplen Akteuren und ‚Tradenten‘ sokratischen Philosophierens, die jeweils verschiedenen Graden und Möglichkeiten des Zugriffs auf dieses entsprechen. Andererseits basiert die Aufgliederung der autoritativen Sicherungsprozesse sokratischen Philosophierens auf verschiedene Akteure und Phasen gerade auf Platons kunstvollem literarischem Design, das damit lediglich ‚Fassaden‘ kooperativer Autorschaft hervortreten lässt. Und doch spiegeln die komplexen Rahmungen der Dialoge Fragen, die auch mit Blick auf die Auktorialität des platonischen Werks als relevant gelten konnten. Denn Rahmenerzählungen wie die des Theaitetos spielen im literarischen Gewand durchaus Sicherungsprozesse von Autorwissen mit Hilfe verschiedener Akteure durch, wie sie auch für die tatsächliche Erhaltung des platonischen Gesamtwerks konstitutiv waren. Zugleich ist für Platon, wie auch für Aristoteles, die beide von den durch sie begründeten Schultraditionen ‚überlebt‘ und deren Theorien darin systematisiert wurden, anzunehmen, dass deren Schüler innerhalb des jeweiligen institutionellen Rahmens genuine Werke ihrer Lehrer überarbeiteten oder selbst anonyme Texte nach Art der Meister produzierten, die dann fälschlicherweise unter deren Namen kursierten.940 Damit scheinen mit den ausladenden philosophischen Prosa-Werken Platons und seines Schülers Aristoteles Auffassungen präfiguriert, die Michel Foucault später, obwohl er dies vor dem Hintergrund moderner Zeitstellungen untersuchte, in seinem Essay dem Autor zuschreibt: Bei den philosophischen Schulgründern, die bereits in der Antike auch als ‚Diskursivitäts-Begründer‘ anerkannt wurden, erscheint der Autorname als ein klassifikatorisches Instrument, wodurch das jeweilige Werk erst seinen Zusammenhang erfuhr (zu dieser Funktion des Namens ‚Homer‘ s. u. Kap. 5.2). ___________________________

939 JOHNSON (1998) 592. 940 In vielen Textkorpora, nicht nur in demjenigen Platons, findet sich Pseudepistolographie aus der Feder späterer Autoren: ROSENMEYER (2001) 193-233. Die epistolare Prosa war generell ein populäres Kommunikationsmittel im Kontext antiker Philosophie: von Epikur sind beispielsweise drei Briefe an Schüler überliefert (An Menoikeus, An Pythokles, An Herodot).

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Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk

Auch in der nachklassischen Fachprosa spielte das auktoriale ‚Ich‘ und die werkinterne Konturierung des Verfassers eine marginale Rolle. Damit traten die ‚objektiven‘ Fakten in den Fokus der Darstellung, und die Sonderrolle des Autors lag gerade in der Expertise seiner Untersuchung begründet.941 Statt einer personal konturierten Autorzeichnung rückte eine wissenschaftliche und zugleich depersonalisierte Position ins Blickfeld. 942 Zwar traten in der medizinischen Wissenschaftsprosa der hippokratischen Tradition Verfasserstimmen durch Analysen oder Polemiken deutlich hervor; doch trugen die Texte nicht die Namen ihrer anonym bleibenden Autoren,943 sondern wurden unter der deklarativen Autorschaft der relativ schemenhaften Arztfigur Hippokrates subsumiert und überliefert. Auch für gelehrte Fachtexte, wie sie verstärkt ab dem Hellenismus im Umkreis berühmter Literatur entstanden, etwa Grammatiker-Kommentare, Inhaltszusammenfassungen oder Lexika, galt, dass das Zurücktreten hinter bzw. die Unterordnung unter ein kommentiertes Werk meist das Hervortreten der jeweiligen Autoren verhinderte: Wurde Fachtexten, die in späterer Zeit in aller Regel anonym zirkulierten, doch im Rahmen der Textüberlieferung häufig der subliterarische Status erklärender Auxiliar-Texte zugewiesen.944 Die auktoriale Leerstelle als ein für Wissenstexte geltender ‚Normalfall‘ stand damit in der Nachfolge prominenter Prosa-Autoren des 4. Jh., allen voran Xenophons und Platons, sowie deren innovativer literarischer Experimente mit virtueller Verfasser-Absenz.

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941 Zur Suprematie der Fakten vor personalen Urteilen in der philosophischen Prosa, etwa bei Aristoteles, LONGLEY (2013) 202. In der Historiographie erkennt HOSE (2016) 14 dagegen einen „Primat der Urteilskraft“. 942 So trugen z. B. Euklids Elemente mit Sicherheit keine eindeutige Verfasser-Signatur, doch “self-effacement could carry authority in itself, just as it does for us in the objective, dispassionate language of much modern scientific discourse. […] In ancient mathematics in particular the author is very often absent: mathematical authority is founded not on rhetorical self-presentation, but on logical demonstration to a degree which is unusual in ancient science” (so KÖNIG/WOOLF [2017] 8 in ihrer Einleitung). Vgl. auch LLOYD (2003) 133-137, bes. 134 (“Euclid himself does not just not obtrude: he is invisible, and his life and character are unknown quantities”). 943 Zur ‚körperlosen Autorität‘ der medizinischen Autorstimme im corpus Hippocraticum vgl. HOLMES (2013). 944 Vgl. SCODEL (2019) 47: “Authorial texts were certainly not immune to interpolation or other alterations, but their integrity was supposed to be maintained in copying. Authorless auxiliary works lacked such an expectation of integrity in transmission, so that someone copying a text for a particular purpose could add or omit material at will.” Zum auktorialen Verhältnis kommentierender Grammatiker zu den von ihnen behandelten Dichtern HAFNER (2023).

Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk

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4.4 Resümee In Kapitel 4.3 wurden verschiedene Typen der Modellierung auktorialer Stimmen im literarhistorischen Zeitraum vom archaischen Epos bis in die Prosa des 4. Jh. v. Chr. beleuchtet. Mit Blick auf eine raumzeitlich erweiterte Rezeption schrieben sich Autoren autographisch in ihre Werke ein und blieben – medientechnisch ‚modern‘ – über literarisch modellierte Signaturen darin präsent, was sich in spezifischen Modi der Autorpoietik niederschlug. Während der Rhapsode des homerischen Epos, aus dem uns kein Dichter namentlich hervortritt, anonymisierte deiktische Verweise wie das unbestimmte Personalpronomen μοι – das etwa im Musenanruf vor dem Schiffskatalog der Ilias (2.484) oder im Odyssee-Proöm (1.1) erscheint –945 im Moment der Aufführung impersonierte und im performativen hic et nunc mit auktorialer ‚Persönlichkeit‘ füllte, inauguriert das Theogonie-Proöm mit der Dichterweihe ‚Hesiods‘ die Tradition der Nennung einer onymen Autorfigur in der dritten Person (V. 22) wie auch diejenige einer Adressierung der ersten Person durch eine interne Sprechinstanz (die Musen: V. 24 τόνδε δέ με πρώτιστα θεαὶ πρὸς μῦθον ἔειπον). 946 Solchermaßen modellierte Autor-Signaturen finden sich auch in der Lyrik, man denke nur an die vier Nennungen Sapphos jeweils in vokativischer Ansprache.947 Ähnliches zeigt sich in elegischen Sphragides, wenn etwa der Autorname ‚Theognis‘ aus dem Munde eines jeden zukünftigen Rezipienten erklingen wird (V. 22 ὧδε δὲ πᾶς τις ἐρεῖ· Θεόγνιδός ἐστιν ἔπη). Auch Prosawerke weisen eine autographische Binnenmodellierung und werkinterne Autorsignaturen auf, wie sie oftmals in programmatischer Anfangsposition in Titelsätzen erscheinen. Entsprechend dem für die Dichtung untersuchten Verfahren konnten auch werkinterne Informationen zu Prosa-Autoren im Zuge der Rezeption mittradiert werden: Wie schon Hesiod inkorporiert sich Thukydides durch das Kurzporträt des exilierten athenischen Feldherrn in sein Werk, wobei er den General an den Autor Thukydides rückbindet. Als subtiler Reflex solcher autorpoietischer Verfahren findet sich ein fiktionalisiertes Verfasser-Selbst in Form ___________________________

945 KRANZ (1961) betrachtet bereits diese Nennung als Frühform des Sphragis-Motivs. BOWRA (1964) 444ff. sah die Anonymität des Autors dagegen durch den Kontext heroischer Dichtung bedingt. 946 Vgl. NÜNLIST (2004) 25, der die dritte wie auch die erste Person (V. 22/24) plausibel derselben Instanz zuschreibt. 947 In der Chorlyrik (Alkman, Bakchylides, Pindar), in der Autornamen direkt (bei Alkman in fr. 17.4, 39.1, 95b PMGF), oft jedoch indirekt über Toponyme präsentiert werden (so in Alkmans fr. 16.1-5 PMGF in Form einer Priamel; ferner Bakchyl. 3.97-98; Pind. Isthm. 1.1-3, Pyth. 2.3-4), erklingen Urhebersignaturen ebenfalls aus der Außenperspektive des Chores. So konnten sich die Dichter vorausblickend in ihre Auftragswerke einschreiben. CALAME (1995) 185 deutet den Autornamen als kondensierte microstory, die als rhetorische Figur Kurzbeschreibungen ihres Trägers enthält (“a metaphor for the identity of its bearer”).

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Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk

einer werkimmanenten Autorfigur auch noch bei Xenophon 948 und Platon. 949 Während die Taten von Xenophon als dem Akteur der Anabasis laut der von ihm selbst etablierten Autorfiktion aus der Perspektive des pseudonymen Autors Themistogenes geschildert werden (Hell. 3.1.2), fällt Platons Name jeweils in der dritten Person aus dem Munde seiner eigenen Dialogfiguren: Zweimal nennt ihn Sokrates, einmal Phaidon. Als wiederkehrendes Element auktorialer Signaturen hat sich die werkinterne Einfügung von Autornamen in der dritten Person erwiesen, 950 häufig verbunden mit einem Toponym.951 Diese dritte Person variiert häufig mit einer „Ich“ sagenden Autorstimme in der ersten Person: Bereits Hesiods Theogonie offenbart ein Zusammenspiel aus dem Autornamen in der dritten Person (Theog. 22: Ἡσίοδος) und dem folgenden Pronomen με (V. 24).952 Indem das ‚Ich‘ des Lehrdichters neben den Autornamen Ἡσίοδος in der dritten Person tritt, wird eine bis in die spätere Prosa beobachtbare Zweigleisigkeit externer wie interner Perspektiven auf Autorfiguren und -stimmen inauguriert: Die Kombination einer externen und distanzierten Perspektive mit der Innensicht der Verfasserstimme, dem ‚Ich‘, zeigt sich auch bei Theognis (V. 19 μοι, 22 Θεόγνιδός), 953 Hekataios (Ἑκαταῖος Μιλήσιος und ὥς μοι δοκεῖ)954 und späteren Historiographen, prominent in den beiden Proömien des Thukydides. 955 Diese Pluralität auktorialer Personen und Perspektiven, zwischen einem jeweils neu impersonierbaren auktorialen ‚Ich‘ und dem in der Erzählung auftretenden, fiktionalisierten Autor-Akteur in der dritten

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948 Vgl. Xen. An. 3.1.4 (τις ἐν τῇ στρατιᾷ Ξενοφῶν Ἀθηναῖος). 949 Vgl. Pl. Apol. 34a1 (οὑτοσὶ Πλάτων), 38b6 (Πλάτων δὲ ὅδε), Phaed. 59b9-10 (καὶ ἄλλοι τινὲς τῶν ἐπιχωρίων. Πλάτων δὲ οἶμαι ἠσθένει). 950 Hierzu vgl. die grobe Übersicht bei CALAME (2004). 951 Vgl. CALAME (2004) 17 („Une même geste d’authentification du poème présent par l’attribution à une figure de poète identifiée à la troisième personne par un nom propre et par une origine civique peut donc déboucher sur un véritable programme poétique“). Zur dritten Person Hesiods RÖSLER (1980) 59f., laut dem Stoff, Intention und (Wahrheits-)Anspruch Hesiods ein stärkeres Hervortreten des Autors bedingten. Vgl. schon MAEHLER (1963) 38ff. 952 Das Demonstrativpronomen τόνδε im selben Vers verweist syntaktisch auf μῦθον, stellt jedoch – dafür spricht die Juxtaposition τόνδε δέ με in V. 24 – zugleich einen assoziativen Rückbezug auf das letzte maskuline Nomen Ἡσίοδον her, d. h. die Musen sprechen das ‚Ich‘ in V. 24 als eben den in V. 22 genannten ‚Hesiod‘ an. 953 Auch in Pindars Isthm. 8.15 liegt bei der nicht explizit biographischen Information ἐν ἑπταπύλοισι Θήβαις τραφέντα ein Wechsel von der zuvor verwendeten ersten Person, etwa 8.5 (ἐγώ), vor: UHLIG (2016) 123. 954 Hekataios’ Junktur ὧδε μυθεῖται erinnert an einen Hemiepes (z. B. Il. 7.76) und deutet so auf poetisches Erbe. 955 Vgl. Thuk. 1.1.1 (Θουκυδίδης Ἀθηναῖος) mit 1.1.3 (σκοποῦντί μοι und νομίζω) sowie 5.26.1 (ὁ αὐτὸς Θουκυδίδης Ἀθηναῖος) mit 5.25.4 (αἰεὶ γὰρ ἔγωγε μέμνημαι).

Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk

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Person, scheint bereits früh Teil von Autorsignaturen gewesen zu sein.956 Dies deutet auf ein Werkdesign hin, das den Status der durch die griechische Welt reisenden Texte mitsamt den variablen performativen Kontexten und Sprechern, die in die Rolle des ‚Ich‘ schlüpften und dabei zugleich eine personalisierte Urheberfigur aus dem Werk heraus deklarierten, kombiniert.957 Durch den Übergang von einer externen zu einer internen Perspektive und von einer Autorfigur in der dritten Person zu einer Autorstimme in der ersten Person konnten die Rezipienten im Rahmen eines Werkbeginns den Eintritt in die Erzählung aktiv mitvollziehen, indem sie zugleich mit dem Autor von außen in diese ‚eintraten‘. Herodot etwa leitet in der Passage Hdt. 1.5 von der dritten Person und der Außenperspektive des Titelsatzes auf den Autor ‚Herodot‘ (1.1.1) zur „Ich“-sagenden Werkstimme des Forschers über. Die Gleichzeitigkeit mehrerer, im Nachvollzug der Rezeption oftmals verschwimmender Perspektiven zeugt bereits früh von der medialen Verfasstheit der Kommunikation zwischen Autoren und Rezipienten. Die Herausformung pluraler Autorstimmen – die jedoch häufig von einer dominanten Textstimme überlagert werden – gründet in der insgesamt agonalen Anlage griechischer Literatur, in deren Rahmen Autoren ihre Rivalen oder Vorgänger zu überbieten suchten: So sind etwa die homerischen Epen beim Chorlyriker Pindar zwar über Referenzen präsent, 958 doch behandelt Pindar zugleich moralisch tadelnswerte Mythen und ersetzt sie durch eigene Varianten.959 Die Auseinandersetzung mit der früheren Dichtung, allen voran den homerischen Epen, kann für viele spätere Werke somit als konstitutiv gelten:960

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956 Vgl. CALAME (2004) 23: “En mettant l’individu auquel correspond ce nom propre à la distance qu’implique l’usage de la troisième personne, en le distinguant ainsi de la figure du locuteur qui, en tant que je, assume la conduite du discours, le mouvement de la sphragis est assurément marqué par la référence extra-discursive. Apposer sur un lógos poétique ou prosaïque un sceau en tant que signature c’est en fixer l’autorité poétique aussi bien que l’autorité sociale.” 957 Vgl. CALAME (2004) 27: „Sans doute ce jeu entre je et il est-il en correspondance avec la distinction, caractéristique de la poésie grecque, entre une instance d’énonciation anonyme, susceptible d’être assumée par différents exécutants du chant, et celle ou celui qui historiquement a composé le poème”. 958 SOTIRIOU (1998), BRIAND (2001), UHLIG (2016) 114ff. 959 PFEIJFFER (2004) 222f. A. D. MORRISON (2007) 76f. sieht Epenkritik außer in Hes. Theog. 27-28 in Pindars Ol. 1. Vgl. LEDBETTER (2003) 77 zu Pindars Anspruch, ein legitimerer Musendeuter zu sein als die Vorgänger: “Pindar’s poetics lend sense to his revisionist claims that some specifics of his predecessors’ poems are erroneous.” 960 Vgl. KRANZ (1961) 21. Zur generic rivalry der Lyrik mit dem Epos bei Stesichoros BEECROFT (2010) 170, CARRUESCO (2017) 192f. Zur Nobilitierung von Dichtung durch Abgrenzung (wie z. B. im Fall von Solon vs. Mimnermos) oder Beglaubigung eigener Inhalte (z. B. Mimnermos fr. 14.1-4 W.) vgl. HOSE (2003) 48f. Auch Zitate von Vorautoren untermauern eigene Positionen: CALAME (2004) 23ff.

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Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk “it is hardly an exaggeration to say that most Greek poetry, from the time of Homer and Hesiod to that of Euripides, was composed for performance in an explicitly or implicitly agonistic context”.961

Kennt bereits die Poesie die agonale Überbietung von Vorautoren im Rahmen der Proklamation eigener Wahrheitsansprüche,962 so bildet sich in der Prosa des 6./5. Jh. eine weit stärkere Tendenz zu interauktorialer Agonalität und Bezugnahme heraus, die in Hesiods oder Pindars Kritik zwar Vorläufer findet, 963 doch in philosophischen und historiographischen Untersuchungen eine viel tragendere Rolle einnimmt.964 So inkorporierte Herodot seinen Vorgänger Hekataios auf drei Arten in die eigene Erzählung: durch die von Polemik geprägte Erwähnung von dessen historiographischem Projekt, durch dessen Einfügung als Protagonisten einer Erzählung sowie, drittens, als den Quellen-Garanten eines λόγος.965 Kapitel 4.3 hat insgesamt vier Typen der autorpoietischen Modellierung auktorialer Stimmen beleuchtet. Diese erstrecken sich zwar über Genre-Grenzen hinweg, sind jedoch an historisch-soziokulturelle und besonders mediale Faktoren rückgebunden: War für das homerische Epos die hybride Gott-Mensch-Verbindung in Gestalt erfolgreicher auktorialer Kooperation zwischen dem anonymen Sänger, der seinem Publikum in einer manifesten Wirklichkeit distanzlos gegenübertritt, und den von ihm apostrophierten Musen konstitutiv (3.3.1: Inspirationsmodell), so lässt sich beginnend mit dem Odysseus poeta (Od. 9-12) und anderen Sängerfiguren der Odyssee, besonders dann jedoch in nach- und nebenhomerischer Dichtung, der verstärkte Einsatz onymer Autorfiguren innerhalb von Werken beobachten. Treten Autorfiguren bei Homer noch innerhalb der binnenfiktionalen Gestaltung des Werks hervor, kommt es über zirkulierende Texte nach und nach zu einer Mediatisierung des Autors: Bereits frühgriechische Autoren experimentierten mit der durch das Distanzmedium Schrift ermöglichten Autorpräsenz sowie

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961 GRIFFITH (1990) 188. 962 Hierzu übersichtlich HOSE (2015). 963 So SCODEL (2001) 135. Bei Homer hingegen findet sich noch nichts Vergleichbares, vgl. SCODEL (2004) 1: “Homeric epic generally treats other epic traditions respectfully rather than competitively. This should not be surprising, but recent scholarship has strongly emphasized the agonistic aspects of archaic Greek poetry.” 964 Erst in der Kaiserzeit finden sich theoretische Überlegungen zum Thema literarischer Rivalität im Kontext des aemulatio- und imitatio-Diskurses, vgl. Quint. inst. 10.2.9 (Sed etiam qui summa non adpetent, contendere potius quam sequi debent. Nam qui hoc agit, ut prior sit, forsitan, etiam si non transierit, aequabit) und 10.2.28 (Nam erit haec quoque laus eorum, ut priores superasse, posteros docuisse dicantur) sowie Ps.Longin. 13.4 (hierzu auch ROSENMEYER [1992] 71 mit Anm. 38 mit Bezug auf H. Blooms anxiety of influence). 965 Vgl. CALAME (2004) 25 zu dieser „oscillation entre différents status d’auteur“.

Autorstimmen oder Konfigurationen auktorialer Präsenz im Werk

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mit auktorialen Werk-Signaturen (3.3.2: Namensmodell).966 In der frühen Prosa des 6./5. Jh. manifestiert sich dann ein konturierterer, virtuell (d. h. nicht mehr in manifester Wirklichkeit) anwesender auctor revelatus, der meist in Titelsätzen, in denen die Verfasser ihr Werk nun nicht mehr göttlich, sondern durch eigenes Wissen und Erfahrung motivieren, oder auktorialen Kommentaren als Experte und Neuerer im Werk auftritt; diese veränderte Form der Autorpoietik impliziert zugleich eine stärkere Abgrenzung gegenüber anderen Autoren (3.3.3: Präsenzmodell). Schließlich tritt im 4. Jh. der auctor absconditus in Erscheinung: Die Prosaiker Xenophon und Platon sind in ihren Werken zwar ‚virtuell‘ absent und stilisieren sich als Fortführer bedeutender Vorläufer. Doch erlaubt ihre Anonymität ein Spiel mit Pseudonymie und subtiler Autorpräsenz,967 wodurch beiden Autoren im Rahmen der medialen Möglichkeiten eine ebenso paradigmatische wie exzeptionelle Rolle zukommt: Während sich Xenophon des Pseudonyms ‚Themistogenes‘ bedient, bleibt Platon im Phaidon krankheitsbedingt fern. Da beide jedoch als Autoren feststehen, lässt sich ihre werkinterne Absenz zugleich als universelle Herrschaft über das Werk verstehen. Xenophon wie Platon konnten so gewissermaßen hinter ihr Werk zurücktreten, da Autorschaft nun stärker als je zuvor durch äußere Zuschreibung, ausgehend von dem sich etablierenden Buchmarkt oder – im Falle Platons – durch Institutionen wie die Akademie, gesichert war (3.3.4: Absenzmodell).968

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966 Der Terminologie bei GENETTE (2016) 43ff. folgend ist in diesem Fall auch von ‚Onymität‘ die Rede, in Abgrenzung von Anonymität und Pseudonymie bzw. Pseudonymität: s. u. Kap. 5.1. 967 Vgl. erneut den zentralen Passus zum Pseudonym bei GENETTE (2016) 56: „Das Pseudonym ist ganz offenkundig bereits eine dichterische Tätigkeit und so etwas wie ein Werk. Wenn Sie Ihren Namen wechseln können, dann können Sie schreiben.“ 968 Den Mechanismus problemloser Zuschreibung trotz auktorialer Absenz illustriert ein Beispiel der modernen Popkultur: Auf ihrem 1968 erschienenen Album The Beatles ließ die bereits berühmte Band ihren Namen zuerst blind und kaum lesbar auf das weiße Cover prägen. Bald kannte das Publikum das Beatles-Album unter dem Titel White Album. Der New Yorker schrieb im Jubiläumsjahr 2018: “Fifty years later, the White Album, the Beatles’ masterpiece, is still good, still indelible, still as clean and pure as its sleeve, requiring no explanation or description beyond the band’s name” (https://www.newyorker.com/culture/cultural-comment/the-accidental-perfection-ofthe-beatles-white-album). Zur dieser Autorpoietik und ihrem Bezug zu BARTHES (1968/2000) vgl. WOMACK (2007) 163.

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Autorfiktionen oder die diachrone Modellierung von Autorstimmen

5. AUTORFIKTIONEN ODER DIE DIACHRONE MODELLIERUNG VON AUTORST IMMEN „Die literarische Hinterlassenschaft der Griechen und Römer gliedert sich hinsichtlich der Verfasserangabe in anonyme, orthonyme und pseudonyme Schriften. Statt von pseudonymen Schriften sollte terminologisch genauer von pseudepigraphischen Schriften gesprochen werden.“969

Untersuchte das vorangehende Kapitel 4 werkintern dokumentierte Formen der Autorpoietik und unterschiedlich gestaltete Typen von Autorstimmen, betrachtet Kapitel 5 kooperative Autorschaft im Sinne einer diachronen Modellierung von Autorstimmen im Laufe der Rezeption. So wurde in späteren Werken häufig die Stimme eines früheren Modell-Autors wiederaufgegriffen und fortgeführt: Entsprechend konnte das Werk eines bedeutenden Autors entweder a) durch Autoren fortgeführt werden, die selbst anonym blieben und die Stimme dieses Autors impersonierten (primäre Pseudepigraphie oder Autorfiktion). Oder jedoch, b), ein anonymes Werk wurde retrospektiv, etwa durch Paratexte wie beispielsweise nachträglich hinzugefügte Titel, bestimmten Autoren zugewiesen (sekundäre Pseudepigraphie). In beiden Fällen wurden die Werke anonymer exekutiver Autoren rückwirkend einem deklarativen Autor zugewiesen.970 Bevor das Phänomen diachroner Kooperation am Beispiel (spät-)archaischer Dichter-Korpora erläutert wird (Kap. 5.2-3), sollen zuvor die in diesem Kontext grundlegenden Begriffe Anonymität, Pseudonymität sowie Pseudepigraphie erläutert werden.

5.1 Vorbemerkung zu Anonymität, Pseudonymität und Pseudepigraphie Es bietet sich an dieser Stelle an, näher auf die Terminologie auktorialer Zuweisung einzugehen, um in der Folge den Begriff der ‚Autorfiktion‘ im thematischen Feld angrenzender Termini wie ‚Anonymität‘, ‚Pseudonymität‘ sowie der Spielarten von ‚Pseudepigraphie‘ zu verorten und somit Prozesse diachroner auktorialer Kooperation exakter beschreiben zu können. ‚Anonymität‘ zeigt sich, wenn ein Text ohne das Anzeigen eines Autornamens zirkuliert, sei es in Titel, praefatio, Widmung oder anderen Paratexten, sei es ___________________________

969 SPEYER (1972) 333. Speyers Dreiteilung nimmt damit GENETTE (2016) 43-57 vorweg, der S. 43-45 jedoch, statt von ‚Orthonymität‘ zu sprechen, den Begriff der ‚Onymität‘ einführt. 970 Vgl. hierzu auch Kap. 3.1.3. Zur nachträglichen Zuweisung deklarativer Autorschaft LOVE (2002) 45: “Every time they attach a name to an anonymous text they are making a retrospective bestowal of declarative authorship.”

Autorfiktionen oder die diachrone Modellierung von Autorstimmen

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innerhalb eines Werks, wenn ein Proöm etwa keinen Autornamen aufweist. 971 Nimmt man speziell die Anonymität antiker Texte in den Blick, 972 sollte unterschieden werden zwischen a) der anonymen Stimme der Tradition in der Performanzkultur archaischer Dichtung: Die Ich-Stimme des Sänger-Autors ist in den homerischen Epen zugleich anonym und universal, d. h. ohne jeglichen Kontext außerhalb der epischen Welt (Kap. 4.3.1); und b) der werkinternen Anonymität späterer Autoren wie Xenophon oder Platon, deren Autorschaft über ihr Werk durch äußere Faktoren wie den frühen Buchmarkt oder institutionelle Kontexte, im Falle Platons die Akademie, abgesichert war (Kap. 4.3.4). Im ersten Fall (a) erschien Anonymität lange Zeit nicht begründungsbedürftig, zugleich konnten einem Werk verschiedene Urheber zugewiesen werden. Die Onymität ‚Homers‘ folgte durch rückwirkende Zuweisung erst sekundär. Dagegen war im zweiten Fall (b) Onymität primär, nämlich durch ein bestehendes Wissen zum Namen des Autors, wie es etwa in Paratexten vermittelt wurde, gesichert. In beiden Fällen (a und b) wurde eine ‚interne‘ Anonymität ermöglicht durch eine ‚externe‘ Kontextualisierung des entsprechenden Werks. Der antike Umgang mit Anonymität ist von grundlegender Ambiguität sowie – aus heutiger Perspektive – Alterität gekennzeichnet: Nachdem Verfassersignaturen lange Zeit lediglich innerhalb fiktionaler Welten auftraten, in denen Autoren lediglich als Akteure in der dritten Person agierten, erschienen Autornamen – wenngleich nicht einheitlich –973 ab dem Hellenismus und besonders in römischer Zeit auch in Paratexten (wie Titeln). 974 Neben dem Buchmarkt zeigte von da an auch die philologische Werkbehandlung ein großes Unbehagen angesichts der ‚Herrenlosigkeit‘ von Texten: Wilamowitz-Moellendorff sprach passenderweise vom horror vacui gegenüber anonymen Gedichten.975 Im Umgang mit autorlosen Gedichten entwickelte die gelehrte Literaturkommentierung entsprechend früh terminologische Instrumentarien zur paratextuellen Klassifizierung von Werken, deren Autorschaft nicht oder zumindest nicht zweifelsfrei identifiziert werden konnte: Eine Typologie findet sich in der Anthologia Graeca abgebildet, einer byzantinischen Kompilation von Versepigrammen, deren Bücher V-XII auf hellenistische (Meleager), kaiserzeitliche (Philippos) sowie spätantike (Agathias) ___________________________

971 Die Definition bei GRIFFIN (2019) 341, Anonymität zeige sich in einem Text “without the author’s name printed either on the title page or in any other paratext such as a preface or dedication” unterscheidet nicht zwischen Titel und Vorwort – das auch als Paratext gesehen wird – eines Texts. 972 Gemeint ist dabei die primäre Anonymität von Werken; ein weiterer Fall wäre die sekundäre, d. h. spätere Anonymisierung von Texten, die hier unbehandelt bleibt. Zu anonymen Gedichten und dem antiken Umgang damit s. mehr bei KAYACHEV (2021). 973 Vgl. SCHIRONI (2010) zu auktorialen Markierungen literarischer Papyri. 974 PEIRANO (2013) 272. 975 WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1896) 634 Anm. 1: „Man soll nie vergessen, daß der horror vacui auch im Altertum nicht leicht anonyme Gedichte duldete.“ Vgl. hierzu SPEYER (1971) 40. Das Urteil wird erneuert bei HUNTER (2002) 91.

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Autorfiktionen oder die diachrone Modellierung von Autorstimmen

Blütenlesen zurückgehen. Von den 3069 Epigrammen dieser acht Bücher weisen 586 keinerlei Autor-Zuschreibung auf. Häufig fehlt eine entsprechende Überschriftszeile mit Verfassernamen, alternativ versahen spätere Editoren die Gedichte mit Titeln – als kleinste Form des Paratexts – wie ἀδέσποτον („herrenlos“) sowie ἄλλο oder ὅμοιον. Dagegen kategorisierte ἄδηλον Verse mehrdeutiger oder zweifelhafter Zuweisung, deren Autorschaft umstritten war, wenn Epigramme beispielsweise von Steininschriften transkribiert oder aus literarischen Texten übernommen worden waren: Entsprechend konnten die Anthologia-Redaktoren den Gedichten bisweilen auch alternative Autorzuschreibungen anfügen.976 Während die philologischen Sammlungen des 19. und 20. Jh. wie etwa TrGF (Nauck 21889, 835-958, später Kannicht/Snell Bd. 2, 1981), PCG Bd. 8 (Kassel/Austin 1995), PMG lyrica adespota fr. 918-1045 (Page 1962) oder IEG Bd. 2 (West 11972, 21992, darin je 62 adespota elegiaca und iambica) ἀδέσποτα als Werk(fragment)e unbekannter Autoren marginalisierten, war der klassifikatorische Umgang mit ‚herrenlosen Texten‘ in der Antike ein anderer: Ein ἀδέσποτον konnte ein Gerücht977 oder aber einen Vers bezeichnen, der allgemein bekannt war und ohne Autor ‚auskam‘ – so erscheint etwa die Zeile AG 7.704.1 (im Epigramm des Myrinos: Ἐμοῦ θανόντος γαῖα μιχθήτω πυρί) bei Cic. fin. 3.64 (vulgaris quidam versus Graecus) anonymisiert oder in Sud. τ 552 Adler s. v. Τιβέριος (τοῦτο τὸ ἀρχαῖον) als abgegriffene Floskel.978 Schließlich konnten (nach A. Jolles) ‚einfache Formen‘ wie Sprüche oder Zitate in der Antike auch ohne nähere auktoriale Spezifikation als ‚sozial geteiltes‘ Wissen eines anonymen Autors oder AutorenKollektivs,979 versehen mit anekdotischer Evidenz und Plausibilität, zirkulieren, bzw. konnte selbst Aussagen anonymer Autoren eine besondere argumentative

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976 Diese Terminologie erscheint in den Überschriften von Epigrammen der byzantinischen Handschrift der Anthologia Palatina: vgl. hierzu die Typologie der Anonymität anzeigenden Termini bei GOW (1958) 20-29. 977 So etwa Cic. fam. 15.17.3; Dion. Hal. ant. 11.50; Plut. mor. 737b. Auf ein anonymes Schreiben deutet es dagegen bei Plut. Cic. 15 und Demosth. 5.7. Hierzu GOW (1958) 27. Auch herrenlose Dinge konnten als ἀδέσποτα bezeichnet werden, wie Strab. 17.1.12 bezeugt. 978 DE MARTIN (2020) untersucht die antike Rezeption von Theognis-Versen im symposialen Milieu: Die ohne Autornennung zitierten Verse deuten auf ein kollektiv geteiltes Repertoire an Weisheitssprüchen, das eine kulturell relevante Moral konservierte und von jeweils neuen Sprechern aufgerufen wurde. 979 Die Nähe von (positiv verstandener) Anonymität und kollektiver Autorschaft liegt gerade für antike Inschriften auf der Hand: Es waren oft von Handwerkern ausgeführte Auftragswerke, die von und für Gemeinschaften verfasst wurden (z. B. Ehrungen). Ein spezifischer Autorname hätte dabei die kollektive Aussage oder auch das πιθανόν der kommunikativen Situation ausgehöhlt. Ehe ἐπιγραμματοποιοί wie Poseidipp große Berühmtheit erreichten, setzten Autor-Signaturen auf Inschriften ab dem 4. Jh. ein (z. B. Ion von Samos p. 87 Diehl-Beutler).

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Beweiskraft zugewiesen werden:980 Denn obwohl Herodot der Ansicht war, dass die Kypria nicht von Homer, sondern von einem anderen, unbekannten Epen-Autor verfasst worden seien (Hdt. 2.117 δηλοῖ ὅτι οὐκ Ὁμήρου τὰ Κύπρια ἔπεά ἐστι ἀλλ’ ἄλλου τινός), bezogen sich spätere Autoren wie Aristoteles dennoch auf den „Verfasser der Kypria“ (poet. 1459b ὁ τὰ Κύπρια ποιήσας).981 Und Platon konnte Sokrates den elegischen Vers eines Anonymus als bezeugenden Sinnspruch anführen lassen, ohne dabei die Quelle des Zeugnisses anzuführen (Prot. 344d6-7 = adespota elegiaca fr. 2 W. [IEG Bd. 2] ὥσπερ καὶ παρ’ ἄλλου ποιητοῦ μαρτυρεῖται τοῦ εἰπόντος).982 In der lateinischen Literatur zeigt sich ein ähnliches Bild, wofür Sueton als Beispiel dienen mag, der in Aug. 70.1 et sine auctore notissimi versus aufführt und in Iul. 56.1 Ansichten zum incertus auctor der Pseudo-Caesariana referiert, ohne sich auf einen Autor festzulegen.983 Dies zeigt, dass der Umgang mit (An-)Onymität in der Antike anders konnotiert war als von der Moderne an: Verse konnten ohne Verfasser zirkulieren, und anonyme Texte wurden neben solchen mit Autornamen tradiert. Onymität blieb ein markierter, Anonymität ein häufiger Fall und Anonymi konnten weiterhin als wichtige Referenzpunkte dienen. 984 Somit erschienen ‚herrenlose‘ Texte, lange vor Einführung des Urheberrechts, als universelles ‚Gemeingut‘ all derer, die auf sie zurückgriffen und dabei auch verändernd auf sie einwirkten.985 Dagegen bezeichnet ‚Pseudonymität‘ eine Form der Anonymität, sofern für letztere gilt, sie sei “constituted formally by the absence of a name, o r th e

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980 GEUE (2019) analysiert die Bedeutsamkeit externer – durch Werkattribution – wie interner Anonymität anhand ausgewählter Werke der Römischen Kaiserzeit. 981 Vgl. SCODEL (2019) 47; allg. bereits von WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1884) 365f. 982 Der elegische Vers wird auch in Xen. Mem. 1.2.20 neben einem gleichfalls anonymisierten Theognis-Spruch (V. 35-36 W.) zitiert (μαρτυρεῖ δὲ καὶ τῶν ποιητῶν ὅ τε λέγων […] καὶ ὁ λέγων). Beide ungenannten Elegiker erscheinen als Zeugen, deren Urteil sich der Sprecher anschließt (κἀγὼ δὲ μαρτυρῶ τούτοις). Statt um die Herkunft der Aussagen geht es dabei um die Validität eines Urteils, das durch die Akkumulation von Belegen zusätzliche persuasive Kraft erhält. 983 Zur bedrohlichen ‚Anonymität der Masse‘ bei Sueton s. die Untersuchungen bei GEUE (2019) 39-52. 984 Zu vormoderner Anonymität, am Beispiel des Mittelalters, resümiert HAFERLAND (2011) 55: „›Anonymität‹ – im Sinne einer Nichtnennung des Verfassernamens – bildet dort (im Mittelalter) den unmarkierten und Onymität den markierten Fall; in der Moderne hingegen bildet Anonymität – im Sinne einer intendierten Anonymität – den markierten und Onymität den unmarkierten Fall. Die Verhältnisse haben sich damit verkehrt.“ 985 Zur Literatur-, Rechts- und Kulturgeschichte der Namenlosigkeit PABST (2011); ferner GENETTE (2016) 45-50.

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p res en ce o f a f al se n am e , in the medium of publication”. 986 Sie bezieht sich auf die Verbreitung eines Texts unter dem Namen eines erfundenen, möglicherweise unbekannten Autors. Im Gegensatz zur Frühen Neuzeit, in der Pseudonymie dem Schutz von Autorinnen und Autoren vor Sanktion oder Zensur gelten konnte,987 trat sie in der Antike selten auf.988 Ferner konnte es in Kontexten, in denen ein realer Autorname durchaus bekannt war, zu einem Spiel mit fiktiver Verfasserschaft kommen.989 ‚Pseudepigraphie‘ wiederum bedeutet wörtlich sowohl „fälschlich überschrieben“ als auch „fälschlich zugeschrieben“. 990 Pseudepigraphische Texte geben fälschlicherweise an, von einem prominenten historischen oder mythischen Autor verfasst worden zu sein, und sollten daher von pseudonymen Texten unterschieden werden, in denen der Autorname in der Regel erfunden oder sonst unbekannt ist. Es ist zwischen zwei Fällen der Pseudepigraphie (I und II) zu unterscheiden: I) Primäre Pseudepigraphie (oder Autorfiktion) bezeichnet den Fall, wenn ein exekutiver Autor unter dem Namen eines anderen, deklarativen Autors arbeitet, ___________________________

986 GRIFFIN (2019) 341. Zu Gründen für auktoriale Anonymität oder Pseudonymität in der Moderne S. 349f. Kritisch gegenüber Griffins Ableitung der Pseudonymität aus der Anonymität ist PABST (2011) 27 Anm. 86. 987 Vgl. zu Motiven und Formen moderner Pseudonymität GENETTE (2016) 50-56. 988 SPEYER (1972) 333: „Die literarische Hinterlassenschaft der Griechen und Römer gliedert sich hinsichtlich der Verfasserangabe in anonyme, orthonyme und pseudonyme Schriften. Statt von pseudonymen Schriften sollte terminologisch genauer von pseudepigraphischen Schriften gesprochen werden. Denn nach heutigem Sprachgebrauch versteht man unter einem Pseudonym einen freigewählten literarischen Decknamen, der nicht mit dem Namen eines bekannten Schriftstellers übereinstimmen darf, damit nicht der Schein der Fälschung entsteht.“ SPEYER/HEIMGARTNER (2001) Sp. 510 bieten Beispiele der römischen Antike wie Lygdamus, angeblich Autor der Elegien 3.1-6 des corpus Tibullianum (es wäre auch an Sulpicia als Autorin von 3.13-18 zu denken), oder die sechs Verfasser der Historia Augusta. Vgl. LEFKOWITZ (2012) 24: “the existence and apparent success of the fictitiously authored Historia Augusta indicates that an audience for learned fraud existed and might be exploited.” 989 Zu Xenophons nom de plume Themistogenes, dem in Hell. 3.1.2 die Anabasis zugewiesen wird, wohl zur Lösung des ‚Tendenzproblems‘, Kap. 4.3.4. Vgl. FLOWER (2012) 54f.: “I take this to be a polite and rhetorically self-effacing reference to his earlier work, and one in keeping with Xenophon’s accustomed reticence. […] A contemporary reader would not have been fooled by this device.” 990 Hierzu SPEYER (1971), SPEYER/HEIMGARTNER (2001), PEIRANO (2012). Das Adjektiv ψευδής macht den Begriff mehrdeutig, da Texte „fälschlicherweise“, d. h. entweder „aus Versehen“ oder „hinterlistig“ (d. h. mit Täuschungsabsicht) zugewiesen werden. Die Begriffsverwendung für frühgriechische Texte ist stricto sensu anachronistisch, da ψευδεπίγραφος, ον erst mit der kaiserzeitlichen Literatur auftritt (Dion. Hal., Plut., Diog. Laert.). Für die frühere Literatur ist noch kein solches Attributionsmodell anzunehmen: s. u. Kap. 5.3. Mit dem Buchhandel der Kaiserzeit geht dagegen die Ubiquität pseudepigraphischer Titel einher, wie Gal. HNH 15.105.4-6 Kühn bezeugt.

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und somit fälschlich eine spezifische Herkunft vermittelt. 991 Bei Autorfiktionen schaffen spätere Autoren in imitativen Werken eine diachrone Kooperation mit bestimmten Modell-Autoren. Dies ist etwa der Fall in den carmina Anacreontea, deren Dichter ihre lyrischen Werke im Geiste Anakreons schrieben. 992 Die hemiambische Ouvertüre der Sammlung lautet (c. 1.1-17): Ἀνακρέων ἰδών με | ὁ Τήϊος μελωιδός | (ὄναρ λέγω) προσεῖπεν· | κἀγὼ δραμὼν πρὸς αὐτόν | περιπλάκην φιλήσας. | γέρων μὲν ἦν, καλὸς δέ, | καλὸς δὲ καὶ φίλευνος· | τὸ χεῖλος ὦζεν οἴνου· | τρέμοντα δ’ αὐτὸν ἤδη | Ἔρως ἐχειραγώγει. | ὃ δ’ ἐξελὼν καρήνου | ἐμοὶ στέφος δίδωσι· | τὸ δ’ ὦζ’ Ἀνακρέοντος. | ἐγὼ δ’ ὁ μωρὸς ἄρας | ἐδησάμην μετώπωι· | καὶ δῆθεν ἄχρι καὶ νῦν | ἔρωτος οὐ πέπαυμαι. „Anakreon sah mich, | der Sänger aus Teos, | und (ich hielt es für einen Traum) sprach mich an: | Ich rannte hin zu ihm, | umarmte und küsste ihn: | ein Greis zwar, doch schön, | schön und dem Liebeslager zugetan. | Die Lippe roch nach Wein; | ihn, der bereits zitterte, | führte Eros an der Hand. | Doch er nahm von seinem Haupt | einen Kranz und gab ihn mir: | Der aber roch nach Anakreon. | Ich Dummkopf nahm ihn | und band ihn mir um die Stirn: | Und von der Zeit bis jetzt | ließ ich nie von der Liebe ab.“

Das von Anakreon selbst abgegrenzte ‚Ich‘ schildert in diesen programmatischen Anfangsversen des ersten carmen, die an eine Dichterweihe erinnern, wie es einst seiner lyrischen Vorbildfigur, die in ihrer Zeichnung zur Gänze und gewissermaßen stereotyp von der erotisch-sympotischen Dichtung Anakreons (1.7-8 καλὸς δὲ ___________________________

991 In der Moderne tritt dieser Fall selten auf: LOVE (2002) 45 (“some authors are reluctant to assume declarative authorship and may go to considerable lengths to evade it”); nicht jedoch in der Antike: HOSE (2021) Sp. 974 zu Autor-Fiktionen in pseudepigraphischen σφραγῖδες (Epicharm: Pap.Hib. 1 = PCG I 244; Eratosthenes: F 35 Coll. Alex.; Pseudo-Demokrit [Bolos] 68 B 300.2 DK) sowie (peritextuellen) Titel-Epigrammen, die retrospektiv bestimmten Korpora angefügt wurden und diese näher charakterisierten (Theokrit: AG 9.343; Kallimachos’ Aitia: AG 11.275; Meleager von Gadara: AG 12.257; Ps.-Luk. ep. 1 = Photios cod. 128, 96b7-11). Zur Anfälligkeit von σφραγῖδες für Fälschung PEIRANO (2013) 270: “precisely because the self-naming was held an authenticating force, sphragides were commonly inserted into both fake and perfectly genuine texts in order to offer further proof of their authorial origin with the consequence that the one and the same device could be conjured up with radically different result.” 992 Die Sammlung der 60 Ἀνακρεόντεια, überliefert in einer Hs. des 10. Jh., führt ihren Namen aufgrund der verwendeten Metren (neben Hemiamben auch Anakreontische Verse) und der – in ihrem Ausdrucksspektrum gleichwohl reduzierten – erotisch-sympotischen Thematik. Zur Vielzahl antiker Verfasser der Lieder ROSENMEYER (1992) 62-73, die von einem “collective effort reproduced over hundreds of years” (72) spricht: Es kam zu einem “gradual anacreontizing of Anacreon”, der graduellen Entwicklung einer stereotypen Version poetischer Themen und Versmaße, die später als anakreontisch galten. Zum intergenerationalen Verhältnis Anakreons und seiner Nachfolger MÜLLER (2010) sowie BAUMBACH/DÜMMLER (2014).

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καὶ φίλευνος· | τὸ χεῖλος ὦζεν οἴνου) durchdrungen ist, gegenübertrat und von dieser den Dichterkranz erhielt: Durch die Übergabe, die der berühmte Lyriker selbst initiiert, legitimiert das ‚Ich‘ sein Projekt, von nun an in die Rolle Anakreons zu treten und selbst in dessen Folge Verse zu verfassen. Diese Poetologie wird zum Abschluss des letzten Gedichts (60.30-31) erneut evoziert und rahmt die Sammlung, wenn das ‚Ich‘ andere Dichter dazu auffordert, die Rolle des „berühmten Sängers“ Anakreon auch in Zukunft zu spielen (τὸν Ἀνακρέοντα μιμοῦ, | τὸν ἀοίδιμον μελιστήν). Autorfiktionen finden sich auch in pseudoplatonischen Schriften, die das literarische Erbe Platons fortführten oder adaptierten.993 Ähnliches gilt für Pseudopythagoreisches, mit dem Unterschied, dass hier aus der Feder des Meisters keine genuinen Texte bekannt sind und alle Werke diesem – wie im Falle des Orpheus – lediglich retrospektiv zugeschrieben wurden. 994 Hier ließen sich viele weitere Werke aus antiker Literatur995 und Kunst996 anführen. Die Philologie der Frühen Neuzeit betrachtete pseudepigrapha jedoch primär als Fälschungen, hinter denen sich die grundsätzliche Absicht verbarg, die Leserschaft zu täuschen. Insofern war es Pflicht der Wissenschaft, solche ‚Betrügereien‘ aufzudecken.997 Seit Richard Bentleys ‚Enttarnung‘ der Phalaris-Briefe als Pseudepigraphie galt es als Aufgabe der Philologie, “[to] pull off the disguise from those little Pedants, that have stalked about so long in the apparel of Hero’s”.998

Die Suche nach unechten Texten (spuria) basierte dabei in der Regel auf angeblichen stilistischen und chronologischen Inkonsistenzen im Vergleich zu den als ___________________________

993 Zu den Pseudoplatonica s. etwa DÖRING/ERLER/SCHORN (2005), ARONADIO (2008) 23-102, JOYAL (2014), DONATO (2020). Zur Platon-Impersonierung in der unter Platons Namen überlieferten Pseudepistolographie A. D. MORRISON (2013), in ‚platonischen‘ Epigrammen MASSIMO (2020). 994 Weiteres bei VON FRITZ (1972), wo sich Beiträge zu ‚Pseudopythagorica‘ neben solche zu den platonischen Briefen sowie zur jüdisch-hellenistischen Pseudepigraphie reihen (vgl. darin auch SPEYER [1972]). 995 Zu primärer Pseudepigraphie in christlichen Texten – man denke an die pseudepistolaren Schriften, deren praescriptiones den Namen ‚Paulus‘ bieten und in denen neben paulinischer Autorfiktion auch Adressatenfiktion vorliegt – vgl. den Überblick bei SPEYER/HEIMGARTNER (2001) Sp. 510f. 996 So war es Praxis bildender Künstler, Werke mit den Namen gefeierter Urheber zu versehen. Vgl. SQUIRE (2013) zu den Tabulae Iliacae, welche die Signatur des archaischen Künstlers Theodoros von Samos bieten (vgl. Kap. 2). 997 FOUCAULT (1969/2000) 214-216 sah bereits in der philologischen Praxis des Hieronymus echtheitskritische Prinzipien vorweggenommen; Kritik an Foucaults diesbezüglichen Generalisierungen äußert LOVE (2002) 17f. 998 BENTLEY (1697) §79 (“Introduction”), zitiert auch bei A. D. MORRISON (2013) 311 mit Anm. 65.

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genuin erachteten Werken eines Autors. 999 In der Forschung des 20. Jh. wurden pseudepigrapha neubewertet: Nun schrieb man ihnen eine (zumindest künstlerische) „Täuschungsabsicht”1000 zu, sie wurden in zunehmendem Maße als ästhetisch wertvolle Schriften in ihrem eigenen Recht anerkannt. Doch wandelte sich die Perspektive auf pseudepigraphische Schriften erst relativ spät von einer Betrachtung der Produktion(-sästhetik) zu derjenigen der Rezeption(-sästhetik). In diesem Zuge werden pseudepigrapha inzwischen mitunter als gestalterisch eigenständige Schöpfungen und als essenzieller Aspekt einer literarischen Kultur angesehen, in welcher “assumed authorship is not necessarily an act of deception but a playful challenge to continue, resurrect, and even embody the past.”1001

Als Teil eines literarischen Spiels appropriieren primäre pseudepigrapha demnach die Stimme eines als autoritativ anerkannten Autors: Lange Zeit vor Einführung des Urheberrechts 1002 sahen antike Leser kanonische Texte entsprechend als Werke ohne feste Grenzen an. So konnten sich angehende Text-Produzenten als potentielle Ko-Autoren betrachten, die ein bestimmtes Schriften-Korpus durch eigene Ergänzungen oder Zusätze ‚betreten‘ und somit erweitern konnten. 1003 Beispielsweise konnten sie ihre Geschichten auf bestimmten Elementen aus dem fiktionalen Repertoire eines populären Autors – etwa auf wiederkehrenden Charakteren – basieren, den sie diachron ‚fortführten‘. Im Rahmen solcher ___________________________

999 Zur Methodik von Quellenforschung und Echtheitskritik PEIRANO (2012a). Zu den hellenistischen Grundlagen bei Aristarchos von Samothrake HUNTER (2018) 136ff.: Schon die antike Philologie formte Texte etwa durch das Werkzeug der Athetese, um der Vorstellung einer kohärenten Welt eines Autors Ausdruck zu verleihen. 1000 SPEYER (1972) 335 unterschied die „künstlerische Täuschungsabsicht“ von auf dolus malus basierter Fälschung: „Mit der Fälschung ist die ihr ähnlich sehende, pseudepigraphisch eingekleidete literarische Erfindung zu verwechseln, die um der Unterhaltung oder Erbauung willen geschrieben wurde und wie die Fälschung durch Nachahmung echter Schriften zustandekommt.“ SPEYER/HEIMGARTNER (2001) Sp. 510 sprechen von „literarischen Erfindungen im Gewand von Pseudepigraphen“ und führen sie u. a. auf die rhetorische Übungspraxis zurück. 1001 PEIRANO GARRISON (2017) 237. Vgl. aus interdisziplinärer Perspektive der Philologie und Theologie PEIRANO GARRISON/NAJMAN (2019). 1002 ZIEGLER (1950) Sp. 1962: „Der griechischen (und jeglicher) Frühzeit fehlt der Begriff des Eigentums an geistigen Gütern durchaus. […] Der frühe epische Dichter ist nichts, das Werk ist alles.“ 1003 Vgl. PEIRANO (2012) 2f. – kritisch REITZ (2015) 542ff. – sowie PEIRANO (2012a). Zum antiken Zielpublikum von Autorfiktionen PEIRANO GARRISON (2017) 237 (über pseudepigraphische Epigramme berühmter Dichter: “the implied reader of these Hellenistic fakes is […] a willing participant in the fictional restaging of the past with poets and editor both reacting to and self-consciously commenting on the assumption of a fictional authorial persona in the context of the epigrammatic genre”), A. D. MORRISON (2013) 309 (die Leser der Briefe des corpus Platonicum).

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Autoren-Relationen (eine aktuelle literaturwissenschaftliche Bezeichnung dafür wäre fan fiction)1004 weisen spätere exekutive Autoren ihre Werke dem autoritativen Namen eines verehrten deklarativen Autors zu, scheuen in der Regel jedoch davor zurück, die eigene Identität offenzulegen. Entsprechend ist dieser Typus primärer Pseudepigraphie das Gegenteil eines Plagiatsfalls (κλοπή, furtum): Bei letzterem eignet sich ein späterer, nicht-exekutiver Autor das Werk eines anderen an und gibt es in der Folge fälschlicherweise als das eigene bzw. sich selbst als deklarativen Autor aus.1005 Daneben verwendeten manche Texte die Stimme eines prominenten Autors dazu, um ‚wahre‘ Begebenheiten aus dessen Leben nachzutragen und so ein kohärentes Lebensbild zu entwerfen, wie dies die ‚platonischen‘ Briefe verdeutlichen.1006 Wann immer spätere Werke die Stimme eines Meister-Autors impersonierten und über die Nachreichung biographischer Daten zu einem Autor Verbindungen zu dessen als genuin erachtetem Korpus herstellten, produzierten sie eine fiktionale Biographie oder ‚Biofiktion‘ dieses Autors.1007 Entsprechend einer ‚Minimaldefinition‘ ist Biofiktion gegeben, wenn spätere Schreiber Daten über einen prominenten Autor (‚Autorwissen‘) enthüllen oder ihn als den Akteur eines Werks auftreten lassen, der ‚selbst‘ sein eigenes Werk kommentiert und interpretative Lücken ‚schließt‘.1008 ___________________________

1004 Zu fan fiction im Rahmen der archaischen song culture KAHANE (2016). Besaß die kreative Produktion von prequels oder sequels kanonischer Erzählungen in vormodernen Kulturen ein bedeutendes kulturelles Gewicht – zur Epik SIMMS (2018) –, begrenzt das moderne Urheberrecht die Fabrikation von fan fiction: Entsprechend wird sie zumeist in nichtkommerziellen Subkulturen produziert. Dazu PUGH (2006) 1005 Zum literarischen Plagiat in der Antike STEMPLINGER (1912), MCGILL (2012). Zu Plagiat (illegitime Verwendung literarischen Materials) vs. Pseudepigraphon (Fälschung einer Werk-Zuschreibung) s. BRAUN (2012). 1006 Zu Pseudepistolographie ROSENMEYER (2001). Laut A. D. MORRISON (2013) 296 zielt der Fokus auf biographische Schlüsselereignisse dabei v. a. auf apologetische Zwecke. So bietet Pseudepistolographie Beispiele für fan fiction, “that contain some element of fidelity or accuracy with regard to the author’s life or work, but are not viewed as straightforwardly ‘by’ that author. A simple example might be a collaborative work to which the famous author contributed little, another might be the product of a disciple working closely with the purported author, where the words themselves are the work of the follower. And there might also be examples of later texts that employ the voice of a famous name in order to express some truth about his life, work, or reputation” (308f.). 1007 Zu Biofiktion als kreativem Rezeptions-Modus römischer Dichter GOLDSCHMIDT (2019); vgl. bereits PEIRANO (2012). Zur biographischen Fiktion, die sich meist aus den Werken von Vorautoren speiste, LEFKOWITZ (2012). 1008 PEIRANO (2012) 3 sieht Autorfiktion bei Texten gegeben, “which selfconsciously purport either to be the work of the author to whom they are attributed or to be written at a different time from that in which they were composed.” Mittel der Authentifizierung (vgl. SPEYER [1971] 44ff.) sind neben Sphragis v. a. autobiographisch-prosopographische Informationen.

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II) Sekundäre Pseudepigraphie basiert gegenüber primärer Pseudepigraphie, die in mehr oder minder organischen Bezügen eines pseudepigraphon auf einen Referenz-Autor gründet, auf der Rezeption eines Werks, wenn dieses – absichtlich oder aus Versehen – in einem späteren Kontext fälschlicherweise einem bestimmten Autor zugewiesen wird. Beispiele solcher ‚allographen‘ Zuweisungen in der Antike sind die (variablen) corpora eines ‚Orpheus‘, ‚Homer‘ oder ‚Pythagoras‘. Man denke ferner an die vier neutestamentlichen Evangelien, die erst nach ihrer Entstehung mit Verfassernamen, etwa κατὰ Μάρκον, versehen wurden.1009 Somit wurden Texte, die möglicherweise anonym zirkuliert wären, bestimmten Autoritäten und Traditions-Zusammenhängen zugewiesen. Spätere Zuordnungen, die sich jeweils an einem zeitgenössischen Autor-Verständnis orientierten, historisierten somit die entsprechenden – ohne auktoriale Zuweisung epistemisch unhandlich bleibenden – Wissensbestände eines Werks und verbanden diese mit einem personalen Urheber.1010 Eine solche Authentifizierung durch ‚Autorisierung‘ fungierte als “a way of conferring dignity on […] writings and making sure they were taken seriously”.1011

Es lassen sich insgesamt drei Spielarten feststellen, Verfasserschaft in antiken Texten anzuzeigen: mittels (Orth-)Onymie, Anonymität sowie primärer Pseudepigraphie – bei sekundärer Pseudepigraphie wurde Autorschaft von anderer Seite zugewiesen. Pseudonymie – meist als Spiel mit der Authentizität von Berichten – blieb gegenüber dem häufigen Auftreten von Anonymität jedoch ein Sonderfall: ___________________________

1009 Zur späten Stabilisierung der Autor-Zuschreibung des Markus-Evangeliums, dessen Verfasser wie derjenige des Matthäus-Evangeliums anonym bleibt (nur Mt 9,9 oder Mk 14,51-52, 16,5 wurden als indirekte Verweise gedeutet), vgl. LARSEN (2018). Dagegen werden die Verfasser des Lukas-Evangeliums – vgl. die Adressaten-Widmung im Prolog (Lk 1,1-4) an Theophilos (vgl. Apg 1,1) – und des Johannes-Evangeliums (Joh 21,24-25) trotz vorherrschender Anonymität personaler konturiert. Zur Geschichte der Zuschreibung PESCH (1975). 1010 Das faszinierende Zusammenspiel primärer und sekundärer Pseudepigraphie wird in der Antike anhand paratextueller Zuschreibungen durch Titel sowie anhand philologischer Praktiken sichtbar. Während z. B. der kaiserzeitliche Autor der Ephesiaka mittels der xenophontischen Verfasserfiktion die Rolle des bekannten Prosaikers spielen und dessen Panthea-Geschichte fortzuführen hoffte (die Hss. tragen lediglich den Autornamen ‚Xenophon‘), wurde in Byzanz das Toponym Ἐφέσιος („aus Ephesos“) angefügt und der Text so einem bestimmten Xenophon zugeschrieben (Sud. ξ 50 Adler): CAPRA (2009) 48 mit Anm. 86. Dieser späten Zuweisung lag wohl die Logik zugrunde, der Autor habe die Handlung deshalb in die kleinasiatische Stadt versetzt, da er sie aus eigener Anschauung kannte und durch eben jenes Werk seiner Heimat Ephesos ein literarisches Denkmal setzte. Zum philologischen Umgang mit dem Problem auktorialer Homonymie ZACCARIA (2020), HAFNER (2023). 1011 LOVE (2002) 45 zur retrospektiven Zuschreibung deklarativer Autorschaft (s. o. Kap. 3.1.3).

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Anonyme Autoren konnten, selbst wenn deren Aussprüche ‚herrenlos‘ zirkulierten, gleichwohl als Referenzpunkte gelten, wobei man Gewicht statt auf den Urheber eher auf Wert und Evidenz einer Aussage legte. Erst in der späteren, verstärkt dann in der neuzeitlichen Philologie wurden ἀδέσποτα problematisiert und als anomal marginalisiert. Wie gesehen, war neben anonymer Verfasserschaft auch Pseudepigraphie ein häufiger Fall, entweder (primär) als Autorfiktion, wodurch das fiktionale Universum eines Werks durch die (oftmals reduktive) Übernahme grundlegender Merkmale diachron fortgeführt oder supplementiert wurde; oder aber sekundär, wenn spätere Texte erst im Laufe der Werkrezeption in das Korpus eines Autors (im wahrsten Sinne) ‚inkorporiert‘ wurden. Exemplarisch für beide Fälle von Pseudepigraphie ist die Herausformung eines dem ‚Homer‘ zugeschriebenen und je nach Zeitstellung variierenden Schriftenkorpus. Das folgende Kapitel 5.2 beleuchtet entsprechend die Formationsprozesse von Autorschaft im paradigmatischen Fall des griechischen Dichters, wobei es zu einer spannungsreichen Verbindung zwischen werkinternen Autorstimmen und einer variablen auktorialen Zuschreibung im Sinne des deklarativen Autems kommt: Homer ist gewiss das prominenteste Beispiel nachträglich zugewiesener Verfasserschaft. Insgesamt können die Entwicklung einer Autorfigur und -Stimme ‚Homer‘ sowie die Zuschreibungen und Anfechtungen von Urheberschaft im Falle des Ependichters als exemplarisch für die Mechanismen des Umgangs mit Autorwissen in der spätarchaischen und klassischen Literatur gelten. Ferner gilt für die homerische Autorpoietik ganz besonders, dass ein zuerst im Rahmen von Aufführungen mit einem Dichtersänger verbundenes Wissen im Zuge erweiterter Rezeption – und hiermit einhergehender, über Homers Autorschaft geführter LegitimationsDiskurse – mit einem mehr und mehr ausgestalteten Autor verbunden wurde, der ein zum Teil unhandlich gewordenes, jedoch zunehmend kanonisches Wissen neu zu begründen half. Die Historisierung der Autorfigur ‚Homer‘ als einer autorisierenden Instanz diente damit einer Neuverortung und Einordnung der in den Epen tradierten Wissensbestände. Letztlich erweist sich die Geschichte der Autorschaft Homers und – wie hieran deutlich wird, antiker Autorschaft generell – als „Geschichte ihrer bestätigten oder bestrittenen Geltung“.1012

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1012 So BERENSMEYER (2001) 115 mit Blick auf die Geschichte moderner Autorschaft. Das Diktum bei FOUCAULT (1969/2000) 202, „Der Begriff Autor ist der Angelpunkt für die Individualisierung in der Geistes- Ideen- und Literaturgeschichte“, kann besonders auch für die Entwicklung der Autorfunktion ‚Homer‘ in der spätarchaisch-klassischen Kultur gelten. Vgl. SCHWARTZ (1940) 5, GRAZIOSI (2002) 15, 28 LEFKOWITZ (2012) 14-29.

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5.2 Making the poet – becoming the poet: homerische Autorfunktion und -fiktion (spät-)archaisch-klassischer Zeit „Um 500 sind alle gedichte von Homer; um 350 sind von Homer im wesentlichen nur noch Ilias und Odyssee, alle andern sind ihm abgesprochen und werden nun durch hypothesen bald dem bald jenem beigelegt, einzeln auch noch dem Homer; um 150 sind alle diese hypothesen wieder beseitigt, die gedichte alle anonym: aber gleichzeitig verschwinden dieselben aus den händen der leser. sie existiren nur noch in auszügen und citaten. die ehemals einheitliche homerische masse war dann eine weile unter eine unbestimmte menge dichter verteilt; nun war sie wieder einheitlich, aber die einheitlichkeit lag in der negation. Dem Homer hatte man die gedichte genommen, einem andern nicht gegeben. wollte man sie citiren, so genügte in den meisten fällen der titel ohne dichternamen.“1013

Die Dichterinstanz, die uns in den homerischen Epen begegnet, ist nicht unzutreffend als “voice without identity” bezeichnet worden. 1014 Das große Schweigen derselben Instanz über sich selbst motivierte bereits die antiken Rezipienten, die ‚Leerstelle Homer‘ mit biographischen Daten und Details und somit einer namentlichen Persönlichkeit mitsamt einer extratextuellen Existenz ‚hinter‘ den epischen Gedichten zu füllen: “Despite his anonymity and the uncertainty about when Homer might have lived, readers have always wanted to know more about him and have sought to discover why and how and when the poems were composed and put into writing. In antiquity the biography of the author known as Homer became increasingly detailed as time went on.”1015

Lassen sich doch aus der Ilias selbst außer in den wenigen Fällen, in denen die Dichterstimme im Vokativ oder Imperativ an die sie inspirierenden Gottheiten appelliert und in denen sie ihre eigene Präsenz über Personalpronomen vermittelt (so in Il. 1.1, 2.484-493, 11.218, 14.508, 16.112), keine ‚autobiographischen‘ Informationen ablesen. Der Fall ‚Homer‘ ist insofern exemplarisch für Entwicklung und Geschichte der Autorschaft in der frühen griechischen Literatur, als mit diesem Verfassernamen verschiedene Werke nachträglich assoziiert wurden und das corpus Homericum somit – wie Wilamowitz-Moellendorffs Motto zu Anfang des Kapitels zeigt – in der Antike großen Schwankungen unterworfen war, wenn man von der meist

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1013 VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1884) 353f. 1014 So LEFKOWITZ (2012) 14; zur homerischen Anonymität Kap. 4.3.1. 1015 Ebd. Zu den biographisch an der Homerfigur orientierten Werkzuschreibungen an Vergil ZOGG (2015).

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zweifelsfreien Zuschreibung von Ilias und Odyssee absieht.1016 Die Schwierigkeiten der Autorzuweisung stehen mit der antiken Überlieferung, Verbreitung bzw. den Aufführungskontexten des Korpus in Zusammenhang – und lassen sich mutatis mutandis auch auf andere Autorfiguren der Archaik wie Pythagoras oder den Verfasser des corpus Theognideum übertragen. Einerseits beglaubigte der Name ‚Homer‘ Texte, andererseits erschwerte die notorische Absenz Homers in den epischen Werken Versuche, die um Homers Autorschaft kandidierenden Texte zu ‚homerisieren‘.1017 Das vorliegende Kapitel versucht, die antike Entwicklung der Autorschaft Homers en bref nachzuzeichnen.1018 Die Verwendung des Autornamens ‚Homer‘ als eines klassifikatorischen Instruments und zugleich eines Markers exklusiver Werkzuschreibung blieb im Laufe der Zeit alles andere als stabil. Doch trotz der Varianz, die sich mit dem Werkzusammenhang um Homer verband, blieb die ungeheure Präsenz dieser Autorfigur in der nachfolgenden griechischen Literatur konstant: Spätere Autoren rezipierten die Werke Homers kreativ und definierten dabei jeweils das Bild des Dichters neu. Damit trifft für den exemplarischen ποιητής Folgendes zu: “authors can themselves be objects of creative processes”.1019

Die Tradition, Homer als Autor zu sehen, setzte, soweit die antiken Zeugnisse den Blick hierauf freigeben, ab dem 6. Jh. v. Chr. ein.1020 Die Ilias scheint in ihren Hauptteilen bereits vor 600 v. Chr.1021 im ostionischen Kulturraum – fraglich, da erst bei Pausanias bezeugt, ist die Nennung Homers um 650 v. Chr. bei Kallinos – 1022 sowie auf dem griechischen Festland bekannt gewesen zu sein. Letzteres lässt ___________________________

1016 SCHWARTZ (1940) 8. Aristoteles sprach Homer außer den beiden Epen noch den Margites zu: PFEIFFER (1970) 72-74. Erst spät wird dem Homer die Plagiierung von Versen der Pythia (Diod. 4.66.6), der Musaios-Tochter Helena (laut der Καινὴ ἱστορία des Ptolemaios Chennos bei Photios, cod. 190, 149b22-25) oder des Ependichters Korinnos von Ilion (Sud. κ 2019 Adler s. v. Κόριννος) vorgeworfen: STEMPLINGER (1912) 22, MEZZADRI (2006). 1017 Zur Ambivalenz auktorialer Zuschreibung PEIRANO (2013) 269f.: „the reference to the author’s name and identity can be a destabilizing as well as an authenticating force.” 1018 Zu zunehmender Personalisierung und gar Personenkult Homers SCHWARTZ (1940), BURKERT (1987), WEST (1999), GRAZIOSI (2002), LEFKOWITZ (2012) 14-29, GROSSARDT (2016) sowie, bis in die Moderne, VOGT (1991). 1019 GRAZIOSI (2002) 8. 1020 Vgl. den Überblick über die Textstellen bei LATACZ (2011). 1021 Sofern der Nestor-Becher von Pithekoussai/Ischia und das hesiodeische Werk Spuren einer Rezeption bieten, wäre gar bereits um 720 v. Chr. mit mündlich oder schriftlich zirkulierenden Vorformen der Ilias zu rechnen. 1022 Paus. 9.9.5 (= Kallinos fr. 6 W.) diskutiert die homerische Autorschaft des Epos Thebais (Θηβαΐς), das Kallinos dem Homer zugeschrieben habe (τὰ δὲ ἔπη ταῦτα

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das nachträgliche Zeugnis Hdt. 5.67.3-5 vermuten, das vom Verbot rhapsodischer Homer-Rezitationen durch Kleisthenes von Sikyon handelt. Wie man einem Heraklit-Zeugnis des 6. Jh. entnehmen kann (22 B 42 DK), wurde die Ilias besonders über Rhapsoden-Agone bekannt und verbreitet. Bereits in der zweiten Hälfte des 6. Jh. wird die Ilias als wichtiges Lehrbuch – schon in diesem frühen Stadium im Verbund mit der Odyssee – mit dem Autornamen Ὅμηρος verbunden, wie Xenophanes (21 B 10 DK ἐξ ἀρχῆς καθʼ Ὅμηρον ἐπεὶ μεμαθήκασι πάντες und B 11 DK) sowie Heraklit (22 A 22 DK) bezeugen. Dies offenbart eine beginnende Kanonisierung der beiden epischen Großgedichte im Laufe des 6. Jh. v. Chr.: Homer galt als deren Schöpfer, „als überragende autoritative Dichterpersönlichkeit“1023 und Lehrer der Hellenen, der als solcher außer in Ionien wohl auch bereits in Athen „uneingeschränkt anerkannt“ wurde: 1024 Nach dem Zeugnis bei Ps.-Pl. Hipparchos 228b wurden die Epen Homers wohl von 532/531 an kontinuierlich (τὰ Ὁμήρου ἔπη […] ἐ φε ξῆ ς ) an den Großen Panathenäen, dem athenischen Hauptfest, durch Rhapsoden institutionalisiert. 1025 Vielleicht nach athenischem Vorbild gab es auch auf der Peloponnes bereits früh vergleichbare Wettbewerbe, wie besagtes Zeugnis Hdt. 5.67.3-5 über Kleisthenes von Sikyon nahelegen dürfte. Dieser erste, archaische ‚Homer-Diskurs‘ des 6. Jh. kennt außer der Rolle des nun als Dichter und Erzieher namentlich bekannten Homer keine weiteren ___________________________

Καλλῖνος ἀφικόμενος αὐτῶν ἐς μνήμην ἔφησεν Ὅμηρον τὸν ποιήσαντα εἶναι, Καλλίνῳ δὲ πολλοί τε καὶ ἄξιοι λόγου κατὰ ταὐτὰ ἔγνωσαν). Der Sprecher schließt sich dem Urteil des Elegikers Kallinos implizit an, da er die Thebais bezüglich ihrer dichterischen Qualität gleich hinter Ilias und Odyssee ansiedelt (ἐγὼ δὲ τὴν ποίησιν ταύτην μετά γε Ἰλιάδα καὶ τὰ ἔπη τὰ ἐς Ὀδυσσέα ἐπαινῶ μάλιστα). 1023 LATACZ (2011) 7. Zur Rolle und Instrumentalisierung Homers bei der Herausbildung eines hellenischen kulturellen Gedächtnisses im Laufe der Archaik bis zur Zeit der Perserkriege HÜBNER (2019). 1024 LATACZ (2011) 7 (kursiv im Original). Zur Vorstellung griechischer Dichter als Lehrer RUSSELL (1981) 84-98. 1025 Vgl. Cic. de orat. 3.137; AG 11.442 (Philiskos); Paus. 7.26.13; Ael. VH 13.14. Zur Verbindung der homerischen Epen mit den Peisistratiden (oder Solon) vgl. die Zeugnisse des Dieuchidas von Megara (4. Jh. v. Chr.) bei Diog. Laert. 1.57 (Solon statt Hipparchos) sowie des Hereas von Megara (3. Jh. v. Chr.) bei Plutarch Thes. 20.1. Nach BURKERT (1987) war es Hipparchs – von den Homeriden auf Chios ererbter – Anspruch, die lose dem Homer zugeschriebenen Werke zu einem Kanon von Ilias und Odyssee (mit festgelegter Episodenfolge) zu vereinigen und die in Konkurrenz mit Chorlyrik und Monodie stehenden Epen als homerisch zu etablieren; ferner sollte so die auswuchernde Praxis der professionellen Rhapsoden eingeschränkt werden. SHAPIRO (1993) parallelisiert Hipparchs panathenäische Neuordnung des homerischen Korpus mit Darstellungen auf Attischen Vasen: Ab ca. 520 v. Chr. lassen sich statt Einzelepisoden auf den Bildwerken ganze Ereignis-Sequenzen mit iliadisch-odysseischer Thematik feststellen. Zur Weitergabe der Epen aus den Händen der Rhapsoden an bestimmte Poleis vgl. GRAZIOSI (2002) 228-232, die die sog. ‚Peisistratidische Redaktion‘ als Mythos des 1. Jh. v. Chr. ansieht.

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bio(biblio)graphischen Details. Erst mit der zweiten Hälfte des 6. Jh. tritt das aus den Epen selbst auf deren Urheber übertragene ‚Label‘ der Blindheit auf, von dem die früheren Zeugnisse noch schweigen – das Heraklit-Zeugnis 22 B 56 DK setzt demgegenüber sogar noch die besondere Sehkraft und Weitsicht Homers voraus! In einem Fragment des Dichters Simonides (6./5. Jh.), fr. 19 W. (= Stob. flor. 4.34.28; früher dem Semonides von Amorgos zugeschrieben), 1026 erscheint ein Χῖος ἀνήρ als Verfasser der Ilias.1027 Der im selben Fragment in Vers 2 zitierte Ilias-Vers, Il. 6.146, scheint bereits vom Hören her dermaßen bekannt gewesen zu sein (οὔασι δεξάμενοι, V. 3), dass Simonides den Bezug auf Homer nicht verdeutlichen musste. 1028 Auch andere Fragmente (Pindar fr. 264 M.; Stesimbrotos FGrHist 107 F 22) erwägen eine Herkunft Homers aus Chios: So war die Insel bereits in der Spätarchaik Bewerberin um den Status als Geburtsort Homers. 1029 Im Apollon-Hymnos1030 (V. 172-173) wird ein „blinder Mann von der bergigen Insel Chios“ genannt, dessen Lieder die Menschen stets rühmten.1031 Während die anderen, später als homerisch erachteten Götterhymnen keine Sphragides aufweisen und lediglich Bezüge auf die performative Situation bieten,1032 endet die erste, ‚Delische‘ Sektion des Apollon-Hymnos, in der von der Geburt des Gottes auf Delos die Rede ist, mit einer auktorialen Signatur: Das ‚Ich‘ adressiert und rühmt den delischen Festchor der jungen Frauen und fordert diese auf, in Zukunft den „blinden Mann vom felsigen Chios“ als ihren bevorzugten Dichter anzugeben. In der entscheidenden Passage der Verse 165-176 werden darüber hinaus keine weiteren biographischen Daten über den Autor gegeben. 1033 Wie auch in der ___________________________

1026 Eine Übersicht über die Geschichte der Autor-Zuweisung an Semonides vs. Simonides gibt MERISIO (2020). 1027 Der Ilias-Vers Il. 6.146 (Vergleich sterblicher Menschen mit fallenden Blättern), den Simonides als ἓν δὲ τὸ κάλλιστον (den „einen äußerst schönen Vers“) bezeichnet, wird dem Χῖος ἀνήρ genannten Anonymus zugewiesen. 1028 SCODEL (2019) 48 verweist zu Recht darauf, dass „[i]t is irrelevant here that the line in the Iliad is spoken not in the voice of the poet himself, but in that of a character”: In der Literaturkritik argumentiere nur Plutarchs De audiendis poetis (20e etc.) für eine Berücksichtigung von Charakterreden im Rahmen der Werkinterpretation. 1029 Hierzu GRAZIOSI (2016) 62-89. 1030 Vgl. u. a. WEST (2003) 10-12. Die Datierung diskutiert HÜBNER (2019) 140-145. 1031 Zum Apollon-Hymnos A. D. MORRISON (2007) 46-48, ALONI (2009). Zur Diskussion von dessen homerischer Autorschaft PEIRANO (2013) 257-261, bes. 258: “authorial self-identification is introduced as part of the projected future reception of the poem”. Vgl. CAREY (2000) 166f., A. D. MORRISON (2007) 67. 1032 Vgl. PITOTTO/RASCHIERI (2017) 275 ab Anm. 22 mit einer Übersicht über Zeugnisse. 1033 Die V. 165-176 lauten: ἀλλ’ ἄγεθ’ ἱλήκοι μὲν Ἀπόλλων Ἀρτέμιδι ξύν, | χαίρετε δ’ ὑμεῖς πᾶσαι· ἐμεῖο δὲ καὶ μετόπισθε | μνήσασθ’, ὁππότε κέν τις ἐπιχθονίων ἀνθρώπων | ἐνθάδ’ ἀνείρηται ξεῖνος ταλαπείριος ἐλθών· | ὦ κοῦραι, τίς δ’ ὔμμιν ἀνὴρ ἥδιστος ἀοιδῶν | ἐνθάδε πωλεῖται, καὶ τέῳ τέρπεσθε μάλιστα; | ὑμεῖς δ’ εὖ μάλα πᾶσαι ὑποκρίνασθ’ ἀμφ’ ἡμέων· | τυφλὸς ἀνήρ, οἰκεῖ δὲ Χίῳ ἔνι παιπαλοέσσῃ, | τοῦ πᾶσαι μετόπισθεν ἀριστεύουσιν ἀοιδαί. | ἡμεῖς δ’ ὑμέτερον κλέος οἴσομεν ὅσσον ἐπ’ αἶαν |

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unbestimmt bleibenden Dichtersignatur des Margites (fr. 1 W.), in der von einem in Ionien tätigen θεῖος ἀοιδός die Rede ist,1034 wird noch nicht explizit auf eine Autorfigur namens ‚Homer‘ verwiesen:1035 “It is impossible to be certain whether the singer was thereby attributing the song to Homer, or whether an actual blind singer from Chios accidentally contributed to the legend of Homer.”1036

Bereits die Passage des Apollon-Hymnos sowie das Margites-Fragment (fr. 1 W.) lassen sich – ohne dass jeweils ein Autor genannt wird – ausgehend von der charakteristischen Anonymität der epischen Dichterstimme und insgesamt der auktorialen Leerstelle der Epen als Schlüsselstimuli für spätere Ausdeutungen begreifen, die diese mit biographischen und besonders auch topographischen Informationen supplementierten und einen qualitativ herausragenden Autor im ionischen Einflussgebiet von Chios oder Kolophon situierten. In den Viten erscheint Homer dann selbst als ein herumreisender, ärmlich lebender Barde, wie der Sänger des Margites. Das vage auktoriale Wissen früher Texte wurde so im Laufe der Tradition informativ angereichert. So zeigt bereits das Zeugnis des Thukydides (3.104.4-6), dass die Hymnos-Passage bald auf die Figur „des blinden Homer“ bezogen wurde, der nun auch generell als Urheber des ‚Homerischen‘ Hymnos galt.1037 Die im Apollon-Hymnos 165___________________________

ἀνθρώπων στρεφόμεσθα πόλεις εὖ ναιεταώσας· | οἱ δ’ ἐπὶ δὴ πείσονται, ἐπεὶ καὶ ἐτήτυμόν ἐστιν κτλ. Das Zeugnis Ps.-Hdt. Vita Homeri 9 (113-114 ed. Allen) macht Homer zum Verfasser von Götterhymnen. 1034 Zur Zuweisung des Margites an ‚Homerus‘ IEG2 Bd. 2, 69-78. Zum Text WEST (2003) 225-228 und 240-253. Die ersten Verse des Fragments (fr. 1 W.) thematisieren einen wandernden, von den Musen und Apoll begnadeten Sänger, der einst mitsamt seiner Leier ins ionische Kolophon kam (ἦλθέ τις ἐς Κολοφῶνα γέρων καὶ θεῖος ἀοιδός, | Μουσάων θεράπων καὶ ἑκηβόλου Ἀπόλλωνος, | φίληις ἔχων ἐν χερσὶν εὔφθογγον λύρην). 1035 Aristot. poet. 1448b28-1449a2 sah im Margites humorvoll-komische Aspekte homerischer Dichtung. 1036 SCODEL (2019) 57. Laut LEFKOWITZ (2012) 16 spricht die Hoffnung des Sängers auf künftigen Ruhm in V. 173 gegen eine intendierte Gleichsetzung mit dem zu dieser Zeit bereits berühmten Ependichter. 1037 Vgl. VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1916) 368, 421. Zur Autorschaftsfrage des Hymnos GRAZIOSI (2002) 62-66, MORRISON (2007) 67ff., PEIRANO (2013) 257-261. Thukydides schreibt über die Autorschaft Homers 3.104.4 (δηλοῖ δὲ μάλιστα Ὅμηρος ὅτι τοιαῦτα ἦν ἐν τοῖς ἔπεσι τοῖσδε, ἅ ἐστιν ἐκ προοιμίου Ἀπόλλωνος) und 3.104.6 (τοσαῦτα μὲν Ὅμηρος ἐτεκμηρίωσεν), d. h. er zieht Homer als Hymnen-Verfasser und den Hymnos als glaubwürdige Quelle heran. Zur Funktion des Namens ‚Homer‘ PEIRANO (2013) 267: “because of his high standing, he can be appealed to as a witness to lend authority to espoused truths. The appeal to the authenticating force of his name is directly related to a particular approach to his text as a store-house of information. […]

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176 anonym bleibende Autorgestalt – ein blinder, auf Chios wohnhafter Sänger, dessen Lieder noch in späterer Zukunft gesungen würden – sowie die chorische Aufführungssituation von hexametrischer Dichtung auf Delos wurden somit retrospektiv mit der Figur Homer und deren Schaffen in Bezug gesetzt: In vergleichbarer Weise heißt es in einem Fragment Hesiods, er und Homer hätten als erste Sänger auf Delos eigene Götterhymnen nach Art herumreisender Rhapsoden präsentiert (fr. 357 M.-W. ἐγὼ καὶ Ὅμηρος ἀοιδοὶ | μέλπομεν […] ῥάψαντες ἀοιδήν). Hier zeigt sich der Beginn der gängigen antiken Praxis im Sinne eines hermeneutischen Prinzips, literarische Texte eng an eine Autorfigur zu binden und deren Werk vermittelt über biographisches Wissen zu rezipieren, oder (auto-)biographische Fakten direkt aus Werken zu extrapolieren und mittels dieser einen Autor chronologisch einzuordnen und damit zu historisieren: So speiste sich die Vorstellung von Homer als blindem Dichter etwa aus der Darstellung des Phäaken-Sängers Demodokos in der Odyssee, der von Odysseus für sein großes Wissen gerühmt wird (Od. 8.487-491). Ferner galt Blindheit als physischer Ausdruck geistiger Fähigkeiten und prophetischen Wissens, das man mit Sehern und Dichtern1038 assoziierte.1039 Die Identifizierung des im Apollon-Hymnos auftretenden, „Ich“ sagenden Dichters mit dem (von nun an historisch verankerten) Autor Homer konnte, musste jedoch nicht akzeptiert werden, wie die Zuschreibung desselben Hymnos an den Rhapsoden Kynaithos von Chios in einem Scholion zu Pindars Nem. 2.1 zeigt: Kynaithos habe laut diesem Zeugnis den Hymnos unter Homers Namen verfasst1040 und sich gemäß der Praxis eines Homer impersonierenden Rhapsoden indirekt in das Gedicht eingeschrieben.1041 Dazu führt das Scholion den sizilischen Lokalhistoriker Hippostratos (3. Jh. v. Chr., FGrHist 568 F 5) an: Lange vor der Zeit des Kynaithos (τὸ μὲν ἀρχαῖον) hätte der prominente Rhapsoden-Clan der ___________________________

The name of Homer thus enhances the value of the text beyond its internal fictional universe to reach out to the world of the audience.” 1038 Zum Vergleich der Spezialisten-Gruppen Dichter und Seher (Od. 17.384-385) vgl. TREU (1965), KRAUS (1984) 44f. 1039 Vgl. LEFKOWITZ (2012) 15. GRETHLEIN (2017) 90 betont, das grundlegende Merkmal der Blindheit unterscheide den Sänger von den Zuhörern und sei Sinnbild besonderer Unparteilichkeit, da das Wissen der Muse, nicht eigene Anschauung, dessen Gesang in Gang setze. Zugleich argumentiert er für grundlegende Konvergenzen zwischen den Dichterfiguren Demodokos und Odysseus, da in deren Erzählungen jeweils List über blanke Gewalt siege. 1040 Hierzu BURKERT (1979), WEST (1975) und (1999) 367-372, GRAZIOSI (2002) 208f., LEFKOWITZ (2012) 20f. 1041 Mehr bei FERRARI (2007) 61-64. Zu rhapsodischen Zusätzen ferner schon VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1900) 114 („diese alte Poesie ist genau derselben Umformung ausgesetzt gewesen wie Homer, weil sie wie dieser beständig im Munde der Menschen weiter lebte“).

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Homeriden1042 über die Schlagwörter γένος und διαδοχή eine genealogische Abstammung von Homer und eine Herkunft von der Insel Chios beansprucht.1043 Dagegen stünden die Rhapsoden um Kynaithos laut Hippostratos nicht mehr in legitimer Abstammung und Tradition Homers. Gleichwohl habe Kynaithos von Chios den Hymnos an Apoll unter Homers Namen verfasst, wie die Rhapsoden angeblich (φασι) auch generell im Rahmen ihrer pseudepigraphischen Praktiken Verse in Homers Gedichte hineininterpoliert hätten (Kynaithos T 1 Davies = FGrHist 568 F 4 = schol. ad Pind. Nem. 2.1c Drachmann: πολλὰ τῶν ἐπῶν ποιήσαντας ἐμβαλεῖν εἰς τὴν Ὁμήρου ποίησιν).1044 Bereits im 4. Jh. heißt es bei Platon negativ über die Homeriden, sie hätten Homers Texte verfälscht, indem sie eigenhändig produzierte Verse in dessen Werken „abgelegt“ hätten (Phaidr. 252b-c: ἀποθέτων ἐπῶν).1045 Das Scholion zur Pindarstelle zeigt jedoch, dass bereits seit dem 6. Jh. widerstreitende Ansprüche auf die Werke Homers bestanden und es konkurrierende Bedürfnisse gab, sich in dessen Tradition zu lokalisieren und anderen entsprechende Ansprüche abzusprechen: 1046 So sind spätere biographische Zugänge zum Leben Homers, wie man sie etwa in der pseudo-herodoteischen Vita Homeri fasst, als apologetische Antwort auf Versuche zu verstehen, dem Homer bestimmte Werke abzusprechen, indem dort etwa ausdrücklich von Homers Komposition der Götterhymnen die Rede ist (Ps.-Hdt. 9 [113-114 ed. Allen] τοὺς ὕμνους τοὺς ἐς θεοὺς πεποιημένους αὐτῷ). Auch im kaiserzeitlichen Certamen Homeri et Hesiodi (cod. Laur. 56.1), das auf klassischen Vorlagen beruht, wird dem Homer der ApollonHymnos ausdrücklich zugesprochen (Cert. 18).1047 ___________________________

1042 Zu den Homeriden s. die antiken Quellen bei Hellanikos FGrHist 4 F 20; Akusilaos FGrHist 2 F 2; Strabo 14.1.35; Harpokration s. v. Ὁμηρίδαι (p. 191 Keaney). 1043 Vgl. FGrHist 568 F 4 = schol. Pind. Nem. 2.1 Drachmann (Ὁμηρίδας ἔλεγον τὸ μὲν ἀρχαῖον τοὺς ἀπὸ τοῦ Ὁμήρου γένους, οἳ καὶ τὴν ποίησιν αὐτοῦ ἐκ διαδοχῆς ᾖδον). Zu den Homeriden WEST (1999) 366-372, GRAZIOSI (2002) 208-217. 1044 Zum Scholion WEST (1999) 368 und 371, GRAZIOSI (2002) 208f., SCODEL (2002) 58ff. sowie PEIRANO (2013) 267. 1045 WEST (2003) 224-237 sieht in der Platonstelle Hinweise auf (pseudo-)homerische apokrypha. Isokr. or. 10.65 sah in den eigenständig Gedichte produzierenden Homeriden den Ursprung der Legende, Helena sei Homer im Traum erschienen und habe ihn zur Abfassung der Epen über den Troianischen Krieg bewogen. 1046 BURKERT (1987), SCODEL (2002) 60f. Laut BURKERT (1972) konnten traditionelle Sängergruppen wie die Homeriden auf Chios oder die Kreophyleer auf Samos gar den Werkbestand der homerischen Epen sichern. Von einer Weitergabe der mit den Epen verbundenen Autorität von der Gruppe der Kreophyleer auf Samos an den spartanischen Gesetzgeber Lykurg berichten Plut. Lyk. 4.4-5 und Aristot. fr. 611.10 Rose. Diese Episode von der ‚Aneignung‘ Homers verdeutlicht den hohen ‚Warenwert‘, der einem kanonischen Homer zugemessen wurde: BURKERT (1972) 76-77, GRAZIOSI (2002) 217-228 (zu Recht skeptisch bzgl. der Historizität). 1047 Laut FERRARI (2007) 53 ist erst ab dem 1. Jh. v. Chr. eine konsequente Übertragung der Autorschaft der Hymnen in Richtung Homer feststellbar, was sich in Urteilen über die Hymnen wie „Homer sagt“ äußert.

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Noch im 6. Jh. setzte ein reges Interesse an bio(biblio)graphischen Abhandlungen über Leben und Werk ‚Homers‘ ein: So entstanden Schriften des Theagenes von Rhegion, der „zuerst über Homer geschrieben habe“ (ὃς πρῶτος ἔγραψε περὶ Ὁμήρου, 8 A 2.13-14 DK),1048 besonders Über Homers Dichtung, seine Herkunft und seine Blütezeit (8 A 1 DK Περὶ γὰρ τῆς Ὁμήρου ποιήσεως γένους τε αὐτοῦ καὶ χρόνου καθ’ ὃν ἤκμασεν), wobei es sich womöglich um eine Homer-Apologie gegen Kritiker handelte, später weitere des Stesimbrotos von Thasos (5. Jh.) und des Antimachos von Kolophon (5./4. Jh.).1049 Aristoteles’ Homer-Biographie im dritten Buch der verlorenen Schrift De poetis liegt nur noch fragmentarisch vor (fr. 76 Rose). Indem die Figur ‚Homer‘ ab dem 6. Jh. v. Chr. mit der Urheberschaft der Epen Ilias und Odyssee betraut wird, zeigt sich deklarative Autorschaft als Autorisierungsstrategie, mittels der im Sinne eines ‚Werturteils‘1050 beide Großtexte als herausragende Schöpfungen einem entsprechend prominenten Autor zugeordnet werden, wobei, wie das Pindar-Scholion zeigt, Rhapsoden-Gruppen wie diejenige um Kynaithos von Chios eigene Ansprüche durchzusetzen strebten. 1051 Die Geschichte deklarativer Autorschaft folgt somit bereits in der Archaik dem Bedürfnis nach einer autorisierenden Figur, um deren Urheberschaft sich bestimmte Texte zentrierten, sowie nach Markierungspunkten für einen ‚Ursprung‘ und eine Signatur, die mit der personalen Chiffre ‚Homer‘ verknüpft wurde. Solche Autorisierungsmuster lassen sich mutatis mutandis auch für Autorchiffren wie ‚Pythagoras’, ‚Solon‘ oder andere der für ihre Lehrsätze berühmten Sieben Weisen, ferner ‚Musaios‘ oder ‚Orpheus‘ feststellen, die ebenfalls im Zuge von Systematisierungsprozessen der entstehenden Buchkultur seit dem 6. Jh. v. Chr. zu archegetischen Autoren stilisiert wurden (Kap. 3.1.3). ‚Homer‘ diente bereits früh als Garant für die Zusammengehörigkeit und Authentizität 1052 von Ilias und Odyssee, ___________________________

1048 Zu Theagenes von Rhegion vgl. die Übersicht bei PFEIFFER (1970) 26ff. 1049 Die neun Homer-Viten, die alle unterschiedliche und bisweilen widersprüchliche Angaben zu Homers Person bieten – mehrheitlich werden Vermutungen zur Etymologie von ‚Homeros‘ sowie zur Blindheits- bzw. Erblindungsthese angestellt –, fanden zwar erst in der Kaiserzeit ihre abschließende Form, spiegeln jedoch viel frühere Ansprüche auf den Autor Homer wieder: GROSSARDT (2016). Auch laut LATACZ (2011) 13-19, 22 könne die biographische Homer-Überlieferung entgegen anderer Ansichten durchaus plausible Ergebnisse erbringen. 1050 SCHWARTZ (1940) 4: „‘Homerisch, von Homer’ ist ein Werturteil, man möchte sagen, ein Patent, das unter Umständen seine Geltung erweitert.“ 1051 WEST (1999) sieht die Etymologie des Namens ‚Homer‘ als Erfindung und Ableitung von den ‚Homeriden‘. 1052 BERENSMEYER (2001) 115 bespricht anthropologische Begründungen für das Phänomen der Autorschaft („Der Autor […] als symbolischer Kontingenzfilter“); vgl. S. 117 zur „Garantiefigur des Autors, dessen Werk als geschlossenes Ganzes durch seine „Individualität“ und seinen „Stil“, d. h. seinen Wiedererkennungswert im Sinne des Buffonschen »Le style est l’homme même« verbürgt und dessen Sinn in seiner (seltener: ihrer) „Intention“, gleichsam (sprechakttheoretisch) als Versprechen von der

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wie dies etwa aus einem Zeugnis des Aristoteles (poet. 1462b9-11) hervorgeht – später galt dies auch für die Hymnen. Andererseits entstanden Autorfiktionen, die homerische Stilregister auf neue Sujets übertrugen, wie dies etwa bei der Batrachomyomachie der Fall war.1053 Zugleich erweiterte sich mit der Zeit der Radius der Autorfigur Homer auf weitere Werke: So wurden ihm nebst Hymnen und Margites auch Werke des Troianischen Kyklos zugeschrieben, etwa Kypria, Kleine Ilias und Nostoi,1054 aus dem Thebanischen Kyklos Thebais und Epigonoi sowie das Herakles-Epos Eroberung Oichalias.1055 Mit der im Laufe der Zeit selbstverständlicheren Etablierung einer Autorfigur namens ‚Homer‘1056 verband sich auch die Möglichkeit, Kritik an den traditionellen Epen ad personam zu adressieren oder die ethische Haltung der Werke in Frage zu stellen – ohne dass generell die Existenz eines individuellen Autors angezweifelt werden musste:1057 Diese bereits archaische Geburt des Autors ‚Homer‘ aus dem Geiste der Kritik geht aus Fragmenten des Xenophanes (21 B 11, 12, 14-16, 23-26 DK) sowie des Heraklit (22 A 22 DK und B 42, 56), besonders aus deren ___________________________

Gültigkeit des Gelesenen aufzufinden sei.“ Zur entsprechend kontroversen Absenz auktorialer Signaturen in frühen Texten PEIRANO (2013) 272f.: “Not surprisingly, because authorial signatures are perceived to authenticate texts, the absence of self-naming or authorial inscription is cited as a factor that facilitates plagiarism.” 1053 Das späthellenistische Hexameterepos Froschmäusekrieg wurde variabel attribuiert: Während Mart. 14.183 dem Maeonius Homer (vgl. Stat. Silv. 1 praef.) die Autorschaft zuspricht – Ps.-Hdt. 24 (332-335 ed. Allen) zählt das Werk zu Homers παίγνια –, nennen andere Zeugnisse Pigres von Halikarnass (Sud. π 1551 Αdler, interpoliert Plut. de mal. Her. 43, mor. 873f), dessen Verbindung zu Artemisia das Werk ins frühe 5. Jh. datiert. 1054 Dagegen wurden Aithiopis und Iliupersis Arktinos von Milet zugeschrieben, die Kleine Ilias dem Lesches von Mytilene (bzw. dem Homer bei Ps.-Hdt.), was auf konkurrierende ionische bzw. äolische Ansprüche auf die Epen-Tradition schließen lässt. Als Telegonie-Autor wird bei Proklos Eugammon von Kyrene (p. 166 W.) genannt. 1055 WEST (2003a) 2-35, GRAZIOSI/HAUBOLD (2005) 24-26. Der Suda-Artikel (Sud. o 251 Adler) dokumentiert Werk-Zuweisungen an Homer. Dazu zählen außer Ilias und Odyssee (ἀναφέρεται δὲ εἰς αὐτὸν καὶ ἄλλα τινὰ ποιήματα, u. a. in der Homer-Vita Nr. 5 werden ihm diese abgesprochen): Amazonia, Kleine Ilias, Nostoi, Epikichlides, Ethiepaktos/Iamboi, Batrachomachia (d. h. Batrachomyomachie), Arachnomachia, Geranomachia, Kerameis, Amphiarau exelasis, Paignia, Sikelias Halosis, Epithalamia, Kyklos, Hymnen, Kypria und Margites. 1056 Vgl. PFEIFFER (1970) 205: „Homer […] war für die Griechen eine geschichtliche Persönlichkeit“. 1057 Während frühe Zeugnisse Homer allesamt ‚unitarisch‘ als Schöpfer beider Epen ansehen, treten im Hellenismus mit Xenon und Hellanikos die sogenannten ‚Chorizonten‘ („Trennende“) auf, die Ilias und Odyssee verschiedenen Autoren zuschreiben. Bereits im 16./17. Jh. (d’Aubignac, Vico) und dann v. a. mit F. A. Wolfs Prolegomena ad Homerum (Halle 1795) wurden Zweifel an der Vorstellung vom Einzelautor ‚Homer‘ prominent. Bis heute argumentieren Vertreter der Einzelschöpferthese gegen solche einer multiauktorialen Genese der Ilias. Im vorliegenden Kontext geht es jedoch allein um Zuordnungen von Autorschaft an die personalisierte Chiffre ‚Homeros‘.

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Polemik gegen ‚Homers‘ fehlgeleitete Darstellung moralischer oder religiöser Zusammenhänge hervor; 1058 andererseits konnten Autoren wie Theagenes von Rhegion ihren ‚Homer‘ für ihre eigenen Deutungen und Interessen funktionalisieren und sich als Homer-Apologetiker profilieren. Klärungen der Identität Homers dienten auch noch in späterer Zeit der Rechtfertigung eigener Ansprüche, wie dies etwa die Streitfrage über den Herkunftsort Homers zeigt, mit der sich stärker ein patriotisches oder anderweitig ideologisches denn ein primär exegetisches Interesse verband. 1059 Eine besondere Prominenz kam in diesem Kontext den Versuchen zu, Verbindungen zwischen einem autoritativ abgesicherten Homertext und der Polis Athen herzustellen, wie dies im Anspruch derselben Stadt deutlich wird, vermittels Hipparch und der Gruppe der Homeriden über eine angeblich authentische Homertradition zu verfügen.1060 Ferner konnten biographische Annahmen über die Lebensumstände des Autors Homer auf die Werke selbst rückprojiziert und interpretatorisch geltend gemacht werden: So wird Homers Kenntnis der Insel Ithaka etwa durch die Assoziation des empirischen Autors mit ‚realen‘ Charakteren wie Telemachos oder Penelope plausibilisiert (Hermesianax fr. 7.29-30; Cert. 3).1061 Schließlich konnte die Assoziierung Homers mit bestimmten griechischen Land- oder Ortschaften die homerische Autorschaft eines bestimmten Texts begründen, wie dies beim delischen ApollonHymnos (Cert. 18) oder der Eroberung Oichalias (bei Strabo 14.1.18 wird Homer mit dem Gastfreund Kreophylos auf Samos verbunden) der Fall war. So tangierte die Rekonstruktion der persönlichen Lebensumstände einer Urheberfigur Homer auch den Bereich auktorialer Zuschreibung sowie die mit dieser Autorschaft verbundenen Ansprüche. All dies erweist das antike Interesse an der Konstruktion eines Autorbilds zu ‚Homer‘. Zur Herausbildung der Dichter-Persönlichkeit dienten biographische Details, die häufig den Werken selbst entnommen waren und ein ‚stimmiges‘ Homerbild abgeben sollten. Zugleich war die Autorschaftsfrage an autoritative ___________________________

1058 Vgl. MARINCOLA (1997) 218f. mit Anm. 7f. Implizite oder explizite Homer-Kritik durch (Mythen-)Korrektur bieten Solon fr. 29 W.; Pindar Nem. 7.20-27, Ol. 1.35ff.; Thuk. 1.10.3 (τῇ Ὁμήρου αὖ ποιήσει εἴ τι χρὴ κἀνταῦθα πιστεύειν), 1.21.1. 1059 Vgl. LEFKOWITZ (2012) 16ff. zur Frage nach der Lokalisierung Homers durch Autoren wie Ephoros (Kyme) oder Philochoros (Argos); GROSSARDT (2016) lokalisiert die Homer-Biographien im Wettstreit ionischer Städte des 6. Jh., die durch die Vereinnahmung Homers eigene Ansprüche und lokales Prestige innerhalb der panhellenischen Kulturtradition durchsetzen wollten. BEECROFT (2010) betrachtet die Autorschaft Homers aus Sicht der Rezeption (v. a. in Certamen und Viten) und sieht in deren impliziten Annahmen ideologische Programmatiken am Werk. 1060 Laut GRAZIOSI (2002) 217-228 sei eine spartanische Homertradition durch Verknüpfung mit dem fragwürdigen Autor Kreophylos diskreditiert worden; sie rät davon ab, aus den Zeugnissen zu den legitimen ‚Erben Homers‘ eine Überlieferungs-Geschichte der Epen abzuleiten. Zu den Homeriden WEST (1999) 366-373. 1061 Dieses Verfahren wird prominent in der ps.-herodoteischen Vita Homeri angewandt: LEFKOWITZ (2012) 24.

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kulturelle Ansprüche gekoppelt. 1062 Die wechselnden Zuschreibungen und Anfechtungen von Werken einer rückprojizierten ‚Homer‘-Figur verdeutlichen so die Geschichte der fluiden Zuweisung homerischer Autorschaft in der Antike. Nicht nur die Entwicklung der Autorfigur ‚Homer‘, auch die Zuschreibungen und Anfechtungen ihrer Urheberschaft können im Falle des archetypischen Ependichters von ihrem Beginn an als paradigmatisch für den Umgang mit Autorwissen und Autorschaft in der spätarchaischen und klassischen Literatur gelten: So kursierten lange vor der Fixierung des antiken Homer-Bildes verschiedene epische Gedichte zum Troiastoff, die sich inhaltlich komplementär um das in Ilias und Odyssee Erzählte gruppieren ließen.1063 Inwieweit von einer früheren Entstehung oder einem Fort- oder Weiterschreiben der beiden in späterer Zeit als besonders prestigevoll eingeschätzten Epen auszugehen ist, bleibt letztlich fraglich. Doch schien in ihnen das epische Universum gewissermaßen narrativ expandiert und fortgesetzt.1064 Manche der Epen, die nur fragmentarisch erhalten sind, boten so eine Vorgeschichte der Ilias (die Kypria) oder folgten auf die Geschehnisse von Ilias (die Aithiopis) oder Odyssee (die Telegonie).1065 Sie entstammen allesamt dem gigantischen Kooperationsprojekt epischer Troia-Erzählungen, das seit Alexandrinischer Zeit als der Epische Kyklos bekannt war, und dessen Autoren zuerst in einem kreativen, ‚prä-homerischen‘ Netzwerk von Dichter-Sängern und Rhapsoden agierten. Selbst wenn sie unabhängig voneinander innerhalb der poetischen Makrostruktur archaischer Dichtung mythologische Werke zum Troiastoff entwarfen, so ließen sich diese Werke später in eine erzähllogische und mythenchronologische Kohärenz (laut Photios eine ἀκολουθία […] τῶν πραγμάτων, T 22 PEG I) mit den prominenten Epen Ilias und Odyssee einfügen und sich damit innerhalb eines seriellen narrativen Zyklus situieren. Bemerkenswerterweise bietet die Ilias ___________________________

1062 Vgl. dazu WEST (1999), GRAZIOSI (2002), PORTER (2002), HÜBNER (2019). 1063 Für die Epen-Entstehung nimmt die oralistische Forschung ebenfalls offene Produktionszyklen an, worin sich Erzählungen aus traditionellem Kontext umeinander gruppierten. Vgl. FOLEY (2002) 143: “there isn’t any such thing as an archetype or masterversion. And what if these epics existed not as freestanding stories but as networked cycles, with each tale ‘complete’ only by reference to the implied poetic tradition?” 1064 Inhaltliche Übereinstimmungen können eine spätere Entstehung von Ilias und Odyssee nahelegen, sofern diese auf das im Kyklos Erzählte verweisen – man denke an die Hoplon krisis in Od. 8.62-92 mit Blick auf Aithiopis und Kleine Ilias oder den Gesang vom Hölzernen Pferd (Od. 8.469ff.) mit Blick auf die Iliupersis. Zu den Kyklos-Gedichten als vorhomerisch KULLMANN (1960), relativiert (1981); BURGESS (2001) erkennt eine “extra-Homeric tradition” im Kyklos. Dagegen sieht WEST (2003b) Epen wie die Aithiopis der Ilias zeitlich nachgeordnet. 1065 Laut WEST (2003) 14 führten spätere Verfasser Erzählstränge der Ilias fort, indem sie neue Helden auftreten ließen: “There was the Thracian Rhesus in the interpolated tenth rhapsody of the Iliad; in the Aithiopis there were successively the Amazon Penthesilea and the Ethiop Memnon; in the Little Iliad there was Eurypylus the son of Telephus. It was Memnon who took the place of Hector as the hero whose death led swiftly to that of Achilles.”

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selbst in späterer Zeit eingefügte rhapsodische Zusätze, 1066 und auch die Scholien zur Ilias bewahren alternative Lesarten, die Kohärenz mit den Gedichten des Kyklos hergestellt haben dürften: So überliefert ein Kommentar am Ende des Epos zwei Verse (schol. T ad Il. 24.804a), die Hektors im Schlussteil der Ilias geschildertes Begräbnis mit dem Beginn der Aithiopis verbanden und den Auftritt der Amazone Penthesilea vorbereiteten. Das Verspaar insinuierte somit einen nahtwie fugenlosen Werkübergang.1067 Bei den sechs fragmentarischen Werken des Kyklos, die um den Troiamythos kreisen und deren Titel sowie Inhalts-Zusammenfassungen in einem Ilias-Kodex des 10. Jh. erhalten sind (Venetus Marcianus 822, vormals 454) – auf früheren Darstellungen wie Proklos’ verlorener Chrestomathie beruhend –,1068 handelte es sich um die folgenden Epen: die Kypria (elf Bücher) behandelten Kriegsgrund, Paris-Urteil, Heeres-Versammlung in Aulis, Aussetzung des Philoktet auf Lemnos sowie den Beginn der Kampfhandlungen vor Troia; die Aithiopis (fünf Bücher) wiederum den Tod Penthesileas, Memnons sowie Achills, die Trauer um Achilles und den Waffenstreit zwischen Ajax und Odysseus; die Kleine Ilias (vier Bücher) behandelte die Entscheidung im Waffenstreit, Ajax’ Selbstmord, die Rückholung Philoktets und den Tod des Paris, Helenas Heirat mit Deiphobos, Eurypylos’ Ermordung durch Neoptolemos, den Raub des Palladions durch Odysseus und Diomedes sowie die Einholung des Troianischen Pferds; die Eroberung Troias (Iliupersis) handelte (zwei Bücher) vom Tod Laokoons, Polyxenas und Astyanax’, vom Aufbruch des Aeneas und Troias Zerstörung; die Nostoi („Heimfahrten“, fünf Bücher) von Diomedes’ und Nestors Heimkehr, Menelaos’ Fahrt nach Ägypten, Agamemnons Warnung durch den Geist Achills, von Schiffbruch und Tod des Lokrischen Ajax, Neoptolemos’ Heimkehr, der Ermordung Agamemnons sowie ___________________________

1066 Ergebnis solcher Rhapsoden-Praxis ist die später in die Ilias eingefügte Dolonie (Il. 10), die bereits antike Kommentatoren als (peisistratidische) Einfügung ansahen: schol. ad 10.1, allg. DANEK (1988); zu vor-alexandrinischen Ilias-Interpolationen WEST (2001) 10-15. 1067 Die Verse lauten im Anschluss an Il. 24.804: „Manche schreiben: ‚Während diese mit der Bestattung Hektors beschäftigt waren, | erschien eine Amazone, eine Tochter des stolzherzigen Ares, des männerschlachtenden“‘ (τινὲς γράφουσιν „ὣς οἵ γ’ ἀμφίεπον τάφον Ἕκτορος· ἦλθε δ’ Ἀμαζών, | Ἄρηος θυγάτηρ μεγαλήτορος ἀνδροφόνοιο“). Laut PEIRANO (2013) 274f. sollte damit die Aithiopis und der dort erzählte Tod Achills vor Versionen wie der Kleinen Ilias, worin Achill von Telephos’ Sohn getötet wird, favorisiert werden. Zur Strategie solcher editorial fakes ebd.: “claims of authorship via self-reference are often part of the complex apparatus of ‘authenticating devices’, which include indications of historical occasion, that are inserted to convey the impression of reliability, but actually have the effect of parading the mendacity of the text.” Ähnliches findet sich später im ille ego-Proöm vor Beginn der Aeneis. Zur antiken Werkpolitik als Etablierung auktorialer Kohärenz SCHEIDEGGER LÄMMLE (2016). 1068 Zur Identität dieses Proklos vgl. die Diskussionen bei KULLMANN (1960) 52-57, (2002) 156-161, HILLGRUBER (1990), WEST (2003) 12. Zum Kyklos DAVIES (1989), BURGESS (2001), WEST (2003), FANTUZZI/TSAGALIS (2015).

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der Heimkehr des Menelaos nach Sparta; zuletzt thematisierte die Telegonie (zwei Bücher) die Beerdigung der Freier Penelopes, Odysseus’ Reise zu den Thesprotern (gemäß der in Od. 11 gegebenen Prophezeiung), seine Heirat mit Königin Kallidike, die Rückkehr nach Ithaka, die Tötung durch seinen und Kirkes Sohn Telegonos und die Überführung des Leichnams auf die Kirke-Insel.1069 Zwei Beispiele – Kypria und Telegonie – verdeutlichen die Nähe der kyklischen Gedichte zu Ilias und Odyssee: Die Kypria behandelten mit der Vorgeschichte des Kriegs auch die Ereignisse bis zu dem Punkt, an dem die Ilias einsetzt.1070 Manche Episoden, die sich laut den Proklos-Exzerpten in den Kypria fanden, erinnern an Stoffe, die in der Ilias nur beiläufig thematisiert werden, wie etwa die Erwähnung der Heeresversammlung in Aulis oder Kalchas’ Prophezeiung über das Kriegsende (Prokl. Chrest. 6 p. 40f. PEG I = p. 72 GEF ~ Il. 2.301-329).1071 Andere KypriaEpisoden werden in Ilias-Scholien referiert (Prokl. Chrest. 8 p. 41 PEG I = p. 74 GEF ~ schol. [D] Il. 1.106 = [A] 1.108-9b), worin sie „nach-homerischen Autoren“ (νεώτεροι) zugewiesen werden.1072 Das prominenteste ‚Sequel‘ der Odyssee ist die Telegonie, die zugleich als Abschlussgedicht des Kyklos fungiert haben könnte.1073 Sie bot die Geschichte vom Tod des Odysseus in der Version, er sei von seinem Sohn Telegonos („Der weit weg Geborene“), den er während des jahrelangen Aufenthalts bei Kirke mit dieser gezeugt hatte, unwissentlich im Kampf getötet worden. Die Telegonie nimmt die Odyssee insofern als Ausgangspunkt, als deren Verfasser – bei Proklos fällt der

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1069 Synopsen der Kyklos-Gedichte bieten DAVIES (1989), FANTUZZI/TSAGALIS (2015). Texte finden sich bei PEG I und GEF. 1070 WEST (2003) 13 schätzt, die Kypria “must have been composed after the Iliad had become well established as a classic”. Zum Inhalt vgl. S. 67-81. Vgl. dagegen zur Auffassung rivalisierender poetischer Traditionen NAGY (2015); zur bloß lokalen Relevanz des Kyklos im Vergleich zum panhellenischen Anspruch von Ilias und Odyssee NAGY (1989) 36f. Pindar schien die Kypria für ein homerisches Gedicht zu halten, wie seine Anspielungen in Nem. 10 vermuten lassen: Handelten die Kypria doch vom Troianischen Krieg und galt Homer doch als dessen Dichter. 1071 Vgl. auch Prokl. Chrest. 11 p. 42f. PEG I = p. 78 GEF mit Il. 21.23-44, 23.746-747. 1072 Zu den Zuschreibungen an die νεώτεροι – in den Homer-Scholien auch κυκλικοί genannt – durch die Alexandrinische Philologie, etwa Aristarch, BURGESS (2001) 9 und PEIRANO (2012a) 221ff. 1073 Hierzu WEST (2003) 18f. Statt von einem Schlusspunkt wird man weniger spekulativ von einem narrativen Anschluss an die Odyssee ausgehen können. Proklos’ Chrestomathie (p. 166 GEF) zeigte diese Abfolge im Kyklos wie folgt an: “Darauf (d. h. auf die Nostoi) folgt Homers Odyssee, und dann die zwei Bücher der Telegonie des Eugammon von Kyrene” (μετὰ ταῦτά ἐστιν Ὁμήρου Ὀδύσσεια· ἔπειτα Τηλεγονίας βιβλία δύο Εὐγάμμωνος Κυρηναίου).

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Autorname Eugammon von Kyrene –1074 darin Prophezeiungen wiederaufgriff, die Teiresias in der Odyssee dem Odysseus mitgeteilt hatte (Od. 11.121-137).1075 Ohne über konkrete Abhängigkeiten zu spekulieren, lässt sich gleichwohl festhalten, dass der um Troia kreisende Epische Kyklos einen gemeinsamen Bezugsrahmen mit Ilias und Odyssee teilte und insgesamt auf ein vielstimmiges multiauktoriales Großprojekt deutet.1076 Der Eindruck narrativer Zyklenhaftigkeit des epischen ‚Kreises‘ im Sinne eines ko-kreativen Produktions-Zirkels wie auch die erzählerische Kohärenz mit Ilias und Odyssee lassen auf ein agonales Sänger- oder Rhapsoden-Milieu schließen, innerhalb dessen konkurrierende Ansprüche verhandelt wurden, sich jedoch auch synergetische Prozesse abspielten: 1077 Hinter den anonymen Dichterstimmen verbarg sich ein großangelegtes, partizipatives Epenprojekt, das um die diachrone Ausweitung oder Modifizierung autoritativer Erzählungen kreiste. Der Epische Kyklos ist so das wenngleich fragmentarische Überbleibsel dieser multiauktorialen Aktivität, die wahrscheinlich noch bis in die Kaiserzeit ihre Wirkung entfalten konnte.1078 ___________________________

1074 Laut Eusebios (bei Hieron. Chron. 102.1 Helm) schuf Eugammon die Telegonie in der ersten Hälfte des 6. Jh. (53. Olympiade). Laut Clem. Strom. 6.2.25.2 plagiierte er dafür Musaios’ Werk zu Odysseus’ Thesproter-Reise. 1075 Sie lautete, dass Odysseus nach seiner Rückkehr solange reisen solle, bis er auf ein des Meeres unkundiges Volk treffen werde. Dort solle er ein Ruder weihen und dem Poseidon opfern. Nach seiner Rückkehr solle er in Frieden herrschen und hochbetagt durch das Meer sterben. In der Telegonie reiste Odysseus nach Thesprotia (daher der alternative Titel Thesprotis) und wurde zurück in Ithaka von Telegonos durch einen aus einem Stachelrochen hergestellten Speer getötet – was die Prophezeiung zum Tod aus dem Meer erfüllte. 1076 Auch FINKELBERG (2011) erkennt Homer wie Kyklos als unabhängige Varianten einer gemeinsamen Tradition. 1077 BURGESS (2001) 7-46, bes. 12f.: “The few surviving indications of poetic treatment of the Trojan War for the Archaic Age represent only the tip of the iceberg. Oral culture continued through the fifth century B.C.E., and we might well imagine that there were thousands of poets of varying skills and success throughout the ancient Greek world who sang of the Trojan War.” Zum Kyklos und generell narrativen Kontinuen CANFORA (1971) 660-662. 1078 Prominentester Zeuge eines Obsoletwerdens des Kyklos in der Kaiserzeit sind die Posthomerica (Tὰ μεθ’ Ὅμηρον) des Quintus von Smyrna in 14 Büchern. Quintus, dessen Name erst in späteren Kommentaren überliefert ist, schloss wohl im 3. Jh. n. Chr. mit seinem Epos die narrative Lücke zwischen dem Ende der Ilias (Tod Hektors) und dem Anfang der Odyssee und ‚überschrieb‘ durch seine ‚Modernisierung‘ Teile des Kyklos – was nicht heißen muss, dass die Posthomerica diesen vollständig ersetzten. Im Binnenproöm mit Musenanruf (12.306-313) und hesiodeisch anmutender Musenweihe äußert sich das Dichter-Ich über seine Herkunft aus Smyrna. Auch Nonnos’ spätantike Dionysiaka stellen sich, wie das Zweite Proöm verdeutlicht, stilistisch in die Tradition von „Vater Homer“ (25.265), suchen jedoch den poetischen Wettkampf mit dem Vorbild (25.8 τελέσας δὲ τύπον μιμηλὸν Ὁμήρου, 25.27 ἀρχεγόνοισιν ἐρίζων). Dagegen nähern sich bereits im frühen Rom Dichter dem Homer über imitatio

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Es ist nicht verwunderlich, dass die personale Chiffre ‚Homer‘ bereits früh auch mit der Urheberschaft mancher der im Kyklos enthaltenen Gedichte betraut wurde. Gegen eine Ineinssetzung des Autors von Ilias und Odyssee mit einem der Verfasser dieser Epen wehrte sich jedoch bereits Herodot, indem er unübersehbare inhaltliche Diskrepanzen ausmachte, welche gegen die Autorschaft Homers im Falle der Kypria sprachen.1079 Bei Aristoteles (poet. 1459a30-b2) wird die Kluft zwischen ‚beiden‘ Autoren vergrößert und ein enormer qualitativer Unterschied zwischen Homer, als dem Autor von Ilias und Odyssee, und dem weiterhin anonymen Dichter der Kypria wie auch demjenigen der Kleinen Ilias geltend gemacht.1080 In diesem Sinne erkannte auch der Historiker Hippostratos, wie oben gesehen, den Apollon-Hymnos als rhapsodische Fälschung durch den Chier Kynaithos. Damit lässt sich Wilamowitz’ Folgerung bestätigen, der schloss, „[d]em Homer hatte man die gedichte genommen, einem andern nicht gegeben“ (s. o. das Motto). Mit der bei Herodot (5. Jh.), Aristoteles (4. Jh.) und Hippostratos (3. Jh. v. Chr.) bezeugten Trennung in genuine sowie unechte Homerica nahm die spätere, am Maßstab der Authentizität orientierte Klassifikation ihren Anfang. In späterer Zeit wurden die Kyklos-Dichter dann gar als schamlose Homer-Plagiatoren gesehen.1081 Doch es regten sich auch Widerstände gegen die Verengung des homerischen Korpus: So gibt die biographische Tradition Aufschluss darüber, Verwandte von Homer hätten epische Werke in dessen Umkreis geschaffen, oder er habe ihnen deren Autorschaft zumindest übertragen. Diese auktoriale Übertragung schien ___________________________

– man denke an den onym greifbaren Dichter Livius Andronicus und dessen VersÜbersetzung der Odyssee (Odusia) oder später die Ilias Latina, eine Miniaturversion der Ilias; in deren Epilog imaginiert der vates einen Wettstreit mit dem großen Vorbild Homer: iamque tenet portum metamque potentis Homerum (V. 1066) – wie auch aemulatio, wie Ennius’ Stilisierung zum alter Homerus (Hor. ep. 2.1.50) in den Annalen gezeigt haben dürfte. 1079 Vgl. Hdt. 2.117, wo ein Anonymus hinter den Kypria vermutet wird, sowie Hdt. 4.32 über Zweifel zur Autorschaft der Epigonoi (ἔστι δὲ καὶ Ὁμήρῳ ἐν Ἐπιγόνοισι, εἰ δὴ τῷ ἐόντι γε Ὅμηρος ταῦτα τὰ ἔπεα ἐποίησε). Zum Namen ‚Homer‘ bei Herodot, der fest mit den Epen Ilias und Odyssee verknüpft ist, CALAME (2004) 27-29: „ces poèmes sont identifiés par un titre et par rapport à un nom d’auteur […]. Par titres des poèmes interposés, le nom d’Homère devient le garant de la vraisemblance aussi bien du récit égyptien sur la guerre de Troie que de la version assumée par le locuteur-je, qui correspond à Hérodote d’Halicarnasse. […] La référence homérique apparaît à nouveau comme un moyen de renforcer et de garantir l’autorité d’une voix énontiative en général très retenue“. 1080 So heißt es poet. 1459a30-b2 zur uneinheitlichen dramatischen Ökonomie des anonymen Epen-Autors: οἱ δ’ ἄλλοι περὶ ἕνα ποιοῦσι καὶ περὶ ἕνα χρόνον καὶ μίαν πρᾶξιν πολυμερῆ, οἷον ὁ τὰ Κύπρια ποιήσας καὶ τὴν μικρὰν Ἰλιάδα. τοιγαροῦν ἐκ μὲν Ἰλιάδος καὶ Ὀδυσσείας μία τραγῳδία ποιεῖται ἑκατέρας ἢ δύο μόναι, ἐκ δὲ Κυπρίων πολλαὶ καὶ τῆς μικρᾶς Ἰλιάδος [πλέον] ὀκτώ κτλ. 1081 So in einem Epigramm des Pollianos (AG 11.130). Die Dichtung der κυκλικοί wurde später, v. a. seit dem Hellenismus, im Vergleich mit Homers Werken als ästhetisch inferior abgetan: PEIRANO (2012a) 225.

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einer Strategie der Rehabilitierung von Werken zu folgen, die unter den Namen anderer, ansonsten meist werkloser Autoren – nicht demjenigen Homers – zirkulierten.1082 So habe Homer etwa die – bei Herodot und Aristoteles als unhomerisch betrachteten – Kypria seinem Schwiegersohn Stasinos von Kypros als Mitgift seiner Tochter beigegeben (T 1-3, 7 PEG I; p. 64-66 GEF). Andere Zeugnisse verbinden das ebenfalls fragmentarisch überlieferte Herakles-Epos Eroberung Oichalias mit einem weiteren Schwiegersohn Homers, Kreophylos von Samos (T 4, 6 PEG I; p. 174-176 GEF).1083 Mit solchen Zuweisungen, die einen biographischen Synchronismus der entsprechenden Autoren mit Homer herstellten, ließen sich etwa die kyklischen Gedichte aufwerten und dazu relativ früh datieren. Zugleich ließ sich so eine formelle sowie inhaltliche ‚Familiarität‘ zwischen homerischen und ‚beinahe‘ homerischen Gedichten herstellen.1084 Es scheint plausibel, dass die biographische Tradition die metaphorische Sprache der philologischen Echtheitskritik, nach der Texte als genuiner ‚Nachwuchs‘ eines bestimmten Autors (γνήσιοι) oder aber illegitime ‚Bastarde‘ (νόθοι) bzw. fälschlicherweise untergeschobene ‚Kinder‘ (ὑποβολιμαῖοι) personalisiert und klassifiziert wurden, 1085 in die konkrete Darstellung fiktiver Familien-Relationen rückübertrug. So wurde, wohl als Antwort auf Anfechtungen homerischer Autorschaft,1086 eine paternale Metaphorik zur Bildung genealogischer Ko-Autorschaft und entsprechender Verwandtschafts- bzw. Autoren-Relationen ‚re-konkretisiert‘. Mittels einer solchen ‚Rückkopplung‘ an homerische Anciennität ließ sich den unter anderen Autornamen ___________________________

1082 So vermutet bei WEST (2003) 13 und 21f. 1083 BURKERT (1972), GRAZIOSI (2002) 189-193. In einem Epigramm des Kallimachos (ep. 6 Pfeiffer = 55 G.-P.) wird Kreophylos als geschickter Nachahmer Homers gekennzeichnet, der Homer in sein Haus aufgenommen, dann jedoch dessen Verse, das Ὁμήρειον […] γράμμα, unoriginell, doch gekonnt plagiierte: PEIRANO (2012a) 224f. 1084 Autorfiktionen aus dem Verwandtenkreis Homers bleiben keinesfalls auf die Antike beschränkt: Während antike Quellen nur spärliche Informationen zu Homers Töchtern bieten (Ps.-Hdt. 25 [343-345 ed. Allen]), präsentierte Robert Graves in seiner fiktionalen Biographie Homer’s Daughter (1955), inspiriert von Samuel Butlers The Authoress of the Odyssey (1897), Nausikaa, die ‚ehrenamtliche Tochter‘ Homers, als Odyssee-Autorin. 1085 Dazu vgl. HAFNER (2022a). Zur Terminologie HIGBIE (2017) 11ff. Zur Echtheitskritik und ihrem Kriterienkatalog SPEYER (1971) 112ff. und PEIRANO (2012a). In Platons Phaidros werden dialektische λόγοι, im Gegensatz zu rein überredenden Texten, zu „rechtmäßigen Söhnen“ (278a6 ὑεῖς γνησίους) ihres ‚Vaters‘, des Philosophen. GEIGER (2017) 394 setzt diese Metaphorik des athenischen Ehe- und Bürgerrechts in Bezug zu Platons Dialogen, „die in schriftlicher Gestalt vorliegen, nicht als die vollbürtigen und rechtmäßigen Kinder ihres Autors“, der in seinem Werk selbst zwar abwesend sei, zugleich jedoch auf die innerakademische, mündliche Lehre verweise. 1086 Die Vita Homeri des Pseudo-Herodot verhandelt Plagiate homerischer Gedichte im Gewand biographischer Fiktion am Beispiel des Phokäers Thestorides, der Homers Epen heimlich mitschrieb und in Chios als eigene Werke ausgab: Ps.-Hdt. 16 (214-216 ed. Allen) ὁ μὲν δὴ Θεστορίδης ἐκ τῆς Φωκαίης ἀπηλλάγη ἐς τὴν Χίον […] καὶ τὰ ἔπεα ἐπιδεικνύμενος ὡς ἑωυτοῦ ἐόντα ἔπαινόν τε πολλὸν εἶχε καὶ ὠφελεῖτο κτλ.

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zirkulierenden Texten, oder solchen zweifelhafter Herkunft, Legitimität zuschreiben. Es lässt sich festhalten, dass unter der Chiffre ‚Homer‘ (oder ihm ‚nahestehender‘ Verfasser) eine nicht identifizierbare Zahl anonymer Akteure subsumiert wurde, die in exekutiver, performativ-impersonierender oder auch revisorischer Funktion – dabei ist besonders an die Rhapsoden zu denken – an dem Korpus mitwirkten, das später als homerisch (oder teilweise wiederum pseudo-homerisch)1087 etikettiert wurde: Die Werke selbst, die in späterer Zeit einem genialen Einzelautor zugewiesen wurden, schweigen jedoch über ihre Urheber. Lange Zeit vor der auktorialen Personalisierung ‚Homers‘ erscheinen die Epen selbst als Gesänge (ἀοιδή) in der Reihe der κλέα ἀνδρῶν („ruhmvoller Männer Taten“), die implizit die Erwartung künftiger Tradierung in sich tragen (vgl. Il. 9.186-189):1088 Sie entstammen einer Kultur, die weder Konzepte literarischer Kanonizität noch Marginalität entwickelt hatte und die lediglich wirkungsvolle epische Erzählungen kannte, um die sich in einem agonalen Sängermilieu neue – ergänzende oder konkurrierende – Werke ansiedelten. Somit sind die Homerica wie auch der Kyklos Ausdruck einer großangelegten kooperativen, zugleich jedoch anonymen Aktivität,1089 in deren Rahmen prestigevolle Dichterstimmen modelliert, erweitert oder variiert wurden. In Ermangelung eines kanonischen Autographen konnten ambitionierte Rhapsoden wie der Chier Kynaithos Modifikationen, etwa Zusätze oder Auslassungen, – exzeptionell bleibt der Einschub der Dolonie in der Ilias (10. Buch) – vornehmen und, in die populäre Rolle des Meisterdichters schlüpfend, bei Rezitationen Varianten improvisieren; zum anderen konnten Autoren wie im Falle der Batrachomyomachie selbst formell auf eine quasi-iliadische Verfasserstimme zurückgreifen und das Epos durch den Bezug auf einen un-epischen Inhalt parodieren. Ruft die ‚epische Sänger-Instanz‘ zu Beginn den Musenchor vom Helikon zur eigenen Inspiration herbei (V. 1-2 Ἀρχόμενος πρώτης σελίδος χορὸν ἐξ Ἑλικῶνος | ἐλθεῖν εἰς ___________________________

1087 Bd. 5 von Th. W. Allens Oxoniense (1912) gibt einen Überblick über die Geschichte homerischer Zuweisung (v. a. S. vi). Man denke auch an die παίγνια, welche Homer laut Ps.-Hdt. 24 (332-335 ed. Allen) in Bolissos auf Chios zur Erziehung Heranwachsender verfasst haben soll: zu apokrypha, etwa dem Margites oder anderen ‚Schelmenstückenʻ, Kerkopes und Epikichlides, Psaromachia („Starenkrieg“) oder Batrachomyomachia („Froschmäusekrieg“), WEST (2003) 224-237. Die Viten weisen die minora verschiedenen Stationen in Homers Biographie zu: LEFKOWITZ (2012) 24ff. Zu Konvergenzen in der Vergil-Tradition ZOGG (2015). 1088 Vgl. MAEHLER (1963) 9-20. 1089 Durch die Interaktion anonymer (späterer und früherer) Dichterstimmen verschmolzen die Rollen von Rezipienten und Produzenten, vgl. SCHWARTZ (1940) 1 zum frühgriechischen Epos: „Solange im kleinasiatischen Epos noch ein Rest von formendem Leben war, ist die Grenze zwischen schaffendem Dichten und reproduzierendem Wiederholen des Überkommenen in ständigem Fluß“. Zum Konzept von produsage als einer Hybridisierung von Rollen im Rahmen kreativer (digitaler) Prozesse und Produktionszyklen von Artefakten BRUNS (2010) 2.

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ἐμὸν ἦτορ ἐπεύχομαι εἵνεκ’ ἀοιδῆς), wird in Vers 6 nach Art von Il. 1.6-7 das Thema des Froschmäusekampfs angedeutet (πῶς μύες ἐν βατράχοισιν ἀριστεύσαντες ἔβησαν), dessen Erzählung in Vers 9 (Μῦς ποτε) nach Art der epischen Regression zeitlich zurückgreifend von Beginn an eingeführt wird; in Vers 8b (τοίην δ’ ἔχεν ἀρχήν) wird wie in Od. 1.10 (τῶν ἁμόθεν γε, θεά, θύγατερ Διός, εἰπὲ καὶ ἡμῖν) das Proöm abschließend gerahmt. Weitere ‚homerische‘ Tierepen, die in der Vita Herodotea (24.332-335 Allen = p. 382 WEST [2003]) oder der Suda (s. v. Ὅμηρος, o 251 Adler) erwähnt werden, sind nur noch namentlich bekannt: Die Geranomachia („Kranichkampf“) könnte sich auf das Gleichnis in Il. 3.3-7, den Krieg zwischen Kranichen und Pygmäen, bezogen haben, das später entweder spin-off-artig zu einem eigenen Werk ausgeformt wurde oder bloß ein – bereits verlorenes – Gedicht Homers vermuten ließ. Das Projekt homerischer Autorschaft stand so stets im Zeichen der Diachronizität, da die Gedichte im Zuge ihrer langen, unabgeschlossenen Entwicklung durch stetige dichterische und rhapsodische Tätigkeit überarbeitet wurden. Grundbedingung der Offenheit dieser thematisch wie narrativ verbundenen Gedichte gegenüber Bearbeitung war besonders deren auktoriale Anonymität. Die namenlosen Werke blieben disponibel für Transformationen seitens verschiedener Akteure, bis ein Gedicht – zumindest eine Zeit lang – durch Zuweisung als ‚Eigentum‘ eines Autors ausgewiesen wurde. Die genannten Akteure wirkten somit an der später einem deklarativen Autor zu- (und teils wieder ab-)gesprochenen und fortan stärker monistisch verstandenen Dichterstimme mit, unter der sie gemäß dem Modell auktorialer Onymität subsumiert und gebündelt wurden:1090 ‚Homer‘ erscheint seit frühklassischer Zeit als ein Organisations-Prinzip, das ansonsten anonyme Texte wie den Margites oder die Hymnen autorisierte. In der Folge, vor allem von der frühklassischen bis in die Klassische Zeit (6. bis 4. Jh.), wandelten sich die Vorstellungen vom Autor ‚Homer‘ jedoch erheblich: “The process was circular, as the imagined Homer was filtered through contemporary assumptions, and contemporary authors sought the lasting fame of imagined Homer.”1091

So setzte Herodot, in dessen Lebenszeit die Kanonisierungs-Prozesse der Werke Homers bereits in vollem Gange waren, bereits auktoriale Konsistenz als ein Bewertungsprinzip voraus, wenn er denjenigen Werken, die mit dem als homerisch erachteten Korpus – für Herodot waren dies zweifelsfrei Ilias und Odyssee – ___________________________

1090 Vgl. DAVIES (1989) 5f. Insofern sind die archaischen Gedichte mit materiellen Objekten vergleichbar, laut INGOLD (2013) 31 “always and already on their ways to becoming something else […]. In the phenomenal world, every material is such a becoming, one path or trajectory through a maze of trajectories.” 1091 SCODEL (2019) 53.

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inhaltlich inkonsistent waren, die Autorschaft Homers absprach.1092 Für Aristoteles dagegen bildeten bei dessen Einschätzung der Kypria (poet. 1459b) stilistische Konsistenzen sowie Fragen der narrativ-dramatischen Ökonomie die Hauptmaßstäbe für die Qualität und damit die Authentizität genuin homerischer Werke.1093 Homer war den klassischen Autoren so „eine Person geworden“,1094 „eine geschichtliche Persönlichkeit“,1095 die als bedeutende Lehrerfigur adressiert wurde (Aristoph. Frösche 1030-1036), und aus dessen Werken die Charaktere platonischer Dialoge frei zitieren konnten.1096 In diesem Zuge wurde auch die Autor-Intention ‚Homers‘ im Rahmen der Auslegung seiner Texte zu einem hermeneutischen Grundprinzip, wovon prominenterweise die (bT-)Scholien der Ilias Zeugnis liefern, die sich mit Blick auf den Homertext als Relikte einer traditionellen Kommentar-Praxis verstehen lassen: Ihre Erklärungen bieten etwa wiederholt die Formel „der Dichter will damit sagen“ (vgl. die Scholien ad Il. 1.5c, 1.193b, 1.430a, 1.512c, etc.). Eine anachronistische Verengung auf das deklarative Autem, das als Ergebnis eines kontinuierlichen Historisierungs- und Rezeptionsprozesses des Autors ‚Homer‘ gelten kann,1097 verstellt so den Blick auf die primär kooperative, ‚prä-homerische‘ Entstehungphase der Werke selbst. Die hierbei zentralen Formationsprozesse werden im folgenden Kapitel, ausgehend von Homer, doch auch mit Blick auf andere griechische Dichter, beleuchtet. ___________________________

1092 Vgl. PEIRANO (2012a) 228 (zu Hdt. 2.117: “The rudimentary authenticity criticism which we see at work here is based on a strong presumption of what we might call ‘authorial consistency’”) und (2013) 258. Zu den soziopolitischen Umständen der Kanonisierung Homers CANCIK (2003). Zur Bildung abgeschlossener Korpora in textzentrierten Gemeinschaften HALBERTAL (1997). 1093 Im 3. Jh. v. Chr. häufen sich dann Fragen nach späteren Einschüben in die Epen, wie dies der Historiker Hereas von Megara (486 FGrHist F 1) bezeugt, der eine peisistratidische Einfügung des Theseus in Od. 11.631 vermutete. 1094 So VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1916) 356 („Der Dichter der Ilias ist uns eine Person geworden“). 1095 PFEIFFER (1970) 205. VOGT (1991) verfolgt den biographischen Umgang mit Homer bis in die Moderne. 1096 SCODEL (2019) 47 zu den kanonischen Dichtern bei Platon, zu denen auch Homer gehört: “Plato’s characters know a great deal of poetry by heart and most often have evidently mentally filed the quotations under authors’ names. While Plato attacks the tradition that gave poets their cultural importance, his texts also show clearly how profound that influence was.” 1097 Laut MASLOV (2015) 57 besaß die Autorfunktion ‚Homer‘ Modellfunktion auch für lyrische Dichter: “The case of Homer may, again, be instructive. While furnishing a precedent that prompted lyric poets to think of themselves as authors, Greek epic may have crystallized as a literary form in the context of Archaic Greece because it was a culture where an increasingly large number of kinds of texts competed for authority. […] Western literary discourse is, in this sense, a tradition that derives its authority from a foundation”.

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5.3 Performanz- vs. authentizitätsbasierte Autorschaft oder: Die zögerliche Geburt des Autors Topographische Einengungen der Homertradition auf Ionien und die Polis Athen sowie Aufführungen homerischer Gedichte in einer institutionalisierten Festkultur1098 brachten einen relativ konformen Kanon Homers1099 sowie eine exklusivere Form der Autor-Zuschreibung hervor. So finden sich ab dem 5. Jh., prominent bei Herodot, Debatten darüber, ob Homer bestimmte Gedichte verfasst habe oder nicht, etwa Hdt. 2.117 zu den Kypria, wo die Angaben zur Reise des Paris nach Troia, oder 4.32 zu den Epigonoi, wo homerische Autorschaft zugleich mit dem Wahrheitsgehalt von Erzählungen über die Hyperboreer angezweifelt werden: “by the fifth century [the Greeks] consistently imagined even heroic epics as texts with single and definite authors who created them to fulfill personal intentions, to express individual meanings, at particular times. Homer was an author for others to emulate.”1100

Die Frage nach der Urheberschaft der Epen wird in der Forschung eng mit der Datierung des medialen Wandels und damit der Verschriftlichung der Gedichte verknüpft. Dabei gibt es geteilte Ansichten über die grundlegende Beziehung zwischen einem traditionell und über lange Zeit agierenden Autoren-Kollektiv, das ein Korpus anonymer Epen herausgeformt habe, sowie dem Auftauchen eines EinzelAutors, der eben jene Tradition verkörpert und diese gewissermaßen in seinem Werk abgebildet habe. Wie konnte die Praxis mündlicher Performanz somit Epen hervorbringen, die unter dem Namen Homers überliefert sind? Eine Antwort hierauf lautet, dass die Epen von Einzelsängern bereits gegen Ende des 8. Jh. oder bis spätestens etwa zur Mitte des 7. Jh. verfasst und diktiert wurden, ehe die in Athen um 520 v. Chr. im Kontext des Panathenäenfests zu lokalisierenden Kanonisierungs-Prozesse Ilias und Odyssee als genuin homerisch festgelegt hätten. Die Chiffre ‚Homer‘ stünde so für einen oder mehrere Autoren, der/die ein in seiner Anlage einzigartiges, zugleich aber tief in der Tradition verwurzeltes Gedicht hervorgebracht hätte/n – und nicht erst für ein Ergebnis ___________________________

1098 Zwar spielten die Epen im Rahmen archaischer Machtdiskurse eine Rolle – HÜBNER (2019) –, sie blieben jedoch aufgrund ihrer formalen wie inhaltlichen Traditionalität gegenüber politischer (aristokratischer, tyrannischer, bürgerschaftlicher) Vereinnahmung unparteilich und waren panhellenisch rezipierbar, wie SCODEL (2002) illustriert. Dagegen gab es widerstreitende Ansprüche auf ‚Homer‘ selbst: GROSSARDT (2016). 1099 Zu den institutionellen Formationsprozessen des Kanons CANCIK (2003). Später sind ähnliche Festlegungs-Tendenzen im Fall der Tragödien sowie der lykurgischen ‚Staatsexemplare‘ zu beobachten, vgl. SCODEL (2007) 152: “It guarantees the survival even of plays that were completely ignored in contemporary performance.” 1100 SCODEL (2019) 52f.

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retrospektiver Zuschreibung im Rahmen der Rezeption. Die Schwierigkeit dieses Ansatzes1101 liegt im enormen Aufwand dieses großangelegten schriftlichen Projekts bereits zu diesem frühen Datum. Demgegenüber wurden laut dem oralistischen Modell1102 die aus der preisenden Helden-Verehrung, mitsamt ihrer um Ehre und Selbstaufopferung kreisenden Kodices, hervorgegangenen Gedichte durch Institutionalisierung im Rahmen der späteren, panhellenischen Festkultur, konkret durch die Veranstaltung von Wettkämpfen, graduell herausgeformt. 1103 Im Zuge gesamtgriechischer KristallisationsProzesse kam die frühere Improvisations-Praxis zum Erliegen, die Gedichte wurden bald bei jährlichen Festen von Homeriden vorgetragen: Als Stationen einer solchen allmählichen ‚Standardisierung‘ bzw. ‚Kanonisierung‘ gelten demnach die Panathenäen im Athen des späten 6. Jh., ferner die textuelle Fixierung im hellenistischen Alexandria.1104 Aus oralistischer Perspektive ist per se kein EinzelAutor eines solchen kooperativen Großprojekts erkennbar, bzw. wird die Bedingung der Möglichkeit einer Autor-Existenz grundlegend angezweifelt, da im Rahmen der entsprechenden performanzbezogenen Konzeption prinzipiell jeder ‚Tradent‘ von Tradition im Sinne mündlicher composition in (re-)performance zugleich zu einem Ko-Autor wird.1105 Im Zuge einer Mythologisierung der Tradition, die mit der Zeit eine bedeutende soziokulturelle Funktion erhalten hatte, wurde derselben, ursprünglich kollektiven Tradition nach diesem Ansatz erst retrospektiv ein individueller, namentlich bekannter Urheber zugeschrieben. 1106 ___________________________

1101 Vgl. etwa WEST (1999) 364. 1102 Grundlegend war die Diktattheorie, nach der Homer als mündlich vortragender oral poet nicht schriftkundig gewesen sei, u. a. bei LORD (1960), später erweitert bei JANKO (1998). 1103 Dagegen stehen laut NAGY (1990) 174 politische Phänomene wie Tyrannis und Aristokratie in Verbindung mit dem Aufkommen individueller Autorschaft protegierter Poeten: “Pindar and his contemporaries, figures like Simonides and Bacchylides, made their own breakthroughs as individuals, as historically verifiable persons whom we may call authors, by virtue of being protégés of powerful families of tyrants or quasityrants who forged their individuality through such public media as poetry itself.” 1104 Prominent vertreten bei NAGY (1996). 1105 Vgl. BAKKER (2017a) 2 zu frühgriechischer Autorschaft: “for the audience of the performance the question as to who composed the song is of less importance than the presence and identity of the performer, or performers, even when the author is a wellknown name, such as Pindar: the maker or poet (poiētēs) is less important than the doer (singer, dancer) who embodies the song and gives physical voice to the role or roles embedded in it.” 1106 Zu diesem soziologischen Begründungsmuster für eine Individualisierung der Gedichte durch das Pseudonym ‚Homer‘ NAGY (1989) 29, 31. NAGY (1996) 21 sieht Homer als “retrojected as the original genius of epic”, die ‚Mythologie des Autors‘ werde erst im Rahmen panhellenischer re-performances kreiert (vgl. NAGY [1990] 79-81). Nagys “evolutionary model of Homeric text-fixation” (auch “crystallization” genannt) reicht über fünf Stufen von einem stark fluktuierenden, rein mündlichen Werk bis zur

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Doch erklärt die mit diesem Entwicklungsmodell verbundene Spätdatierung nicht den Konservatismus homerischer Sprache, die sich ja gleichermaßen hätte mitentwickeln müssen;1107 erklärungsbedürftig bleibt auch die etwa von Aristoteles vielgelobte, einzigartige Ökonomie der epischen Handlung, welche die Ilias mit ihren narrativen Verschachtelungen, den subtilen und kunstvoll eingearbeiteten Rück- und Vorverweisen, etwa auf den Fall Troias, der durch Hektors Tod antizipiert scheint, zum herausragenden Einzelkunstwerk macht.1108 Somit bleiben Fragen, ob die dem Homer zugewiesenen Gedichte Ilias und Odyssee von einem Autor verfasst wurden, und ob die in späterer Form vorliegenden Gedichte bereits im Athen des 6. Jh. oder erst im Alexandria des 3. Jh. stabilisiert und kanonisiert wurden,1109 weiter schwierig zu beantworten und sind viel genereller im Kontext archaischer Literatur zu stellen: Schließlich lässt sich einerseits ein bereits archaisches Interesse an Autorfiguren und -Signaturen nachverfolgen,1110 wie sich am Einsatz auktorialer Onymität und deklarativen Zuweisungsmodellen in werkinterner Modellierung bereits bei Hesiod (Theog. 22) oder Sappho (fr. 1.19-20 V.) zeigt. Ob man diese nun als fiktive personae der jeweiligen Gedichte ansieht1111 oder, was für den archaischen Zeitraum plausibler erscheint, ___________________________

textuellen Fixierung der homerischen Epen unter Aristarch. NAGY (1985) überträgt dieses Modell beispielsweise auf das corpus Theognideum. 1107 Vermittlung bietet FOLEY (1990) 5ff. und (1991) 22-29, der in den homerischen Gedichten nicht “oral texts” gemäß Parry/Lord, sondern “oral-derived [bzw. “oralconnected”] traditional texts” sieht, die trotz schriftlicher Form Einblicke in die lebendige Tradition mündlicher Kompositionspraktiken bieten: So leiten z. B. Formeln ihre Bedeutung statt aus dem unmittelbaren Gedichtkontext aus der epischen Tradition im Ganzen ab; als konkrete Signale deuten sie auf ein plurales extratextuelles und multiperspektivisches Assoziations-Netzwerk; rhetorische Elemente wie Musenanrufe evozieren eine dynamische Aufführungstradition. Vgl. FOLEY (2002) 132: “In such cases we’re called upon to cooperate in the fiction of a performance event […] and join an imagined audience ready to “hear” the poem from a certain perspective. The bottom line is that we aren’t excused from communicating via the traditional idiom if oral poetry exists only as a text. Poems composed in a particular traditional register must be received in the same register, to the extent that such fidelity is possible over gaps of space, time, and culture.” 1108 Vgl. SCODEL (2019) 52. Eine frühe Auxiliarfunktion der Schrift ist auch für andere Dichtungskontexte plausibel, z. B. Alkmans Parthenien, die der gemeinschaftlichen Koordination durch einen geübten Chor bedurften, oder die anspruchsvollen Epinikien Pindars: Laut A. D. MORRISON (2007) 72f. dürfte in der archaischen (Chor-)Lyrik die Konstruktion mündlicher Settings (“pseudo-oral features”), etwa ‚gespielter Mündlichkeit‘ und Pseudo-Spontaneität, wiederum auf die Zuhilfenahme des Schriftmediums verweisen. 1109 Vgl. den ‚Excurs‘ zum alexandrinischen Kanon bei VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1900) 63-70. 1110 Hierzu s. o. Kap. 4.3.1 und 4.3.2; zu Konvergenzen mit Objekten vgl. Kap. 2. 1111 So im Falle Hesiods STODDARD (2004) 1-15. GRIFFITH (1983) vergleicht Hesiods persona mit denjenigen Archilochos’ und Pindars, und argumentiert, Hesiods

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als repräsentative Modellierungen einer soziokulturellen Konventionen folgenden – nicht notwendigerweise historisch-empirischen –, Autorfigur im Werk:1112 In jedem Fall wird mittels entsprechender Signaturen, die einen hohen Grad auktorialer Konsistenz über verschiedene Gedichte hinweg enthalten konnten,1113 Autorpräsenz erzeugt, wobei eine Dichterfigur wie ‚Hesiod‘ Teil der Handlung sein oder von Gottheiten wie den Musen apostrophiert werden konnte (Theog. 26-28; vgl. Sapphos Anrede durch Aphrodite in fr. 1.18b-24 V.) und somit bei zukünftigen Wiederaufführungen als eine vermittelnde, personal konturierte Instanz im Gedicht wahrnehmbar blieb. Die Erwartung künftiger Wiederaufführungen ihrer Werke bei Festen oder Symposien konnte Autoren entsprechend dazu veranlassen, Urheberschafts-Markierungen in dieselben zu integrieren, um einem mit der Zirkulation des Werks einhergehenden Verlust von Autorwissen teilweise entgegenzuwirken. So verweisen Autorspuren in frühen Texten geradezu proleptisch auf ihre Aktualisierungen in zukünftigen Rezeptions-Momenten: “Signatures are thus primary foci for scenes of reception, allowing authors to stage projected encounters with their audiences.”1114

Statt eine Antwort auf die Frage ‚Wer spricht?‘ in der empirischen Autorperson zu suchen, ist es daher passender, danach zu fragen, wie oder durch welche attributiven Strategien Werken Autorschaft verliehen wurde, um künftige Wiederaufführungen zu überdauern, und wie Autorstimmen gerade im Rahmen der PerformanzKultur – mit ihrer Vielzahl beteiligter Akteure – fortdauernd erschallen

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‚Autobiographie‘ käme eine Funktion allein innerhalb des Gedichts zu – eine Antwort auf den Biographismus etwa bei WEST (1966) 161 Anm. 22. 1112 Vgl. D’ALESSIO (1994) 138: “Any distinction between the author’s literary portrait and his ‘real’, or ‘biographical’ image is anachronistic.” Zur engen Verbindung der literarischen mit der sozialen Rolle des Dichters RÖSLER (1985) 142. A. D. MORRISON (2007) 60 erkennt ein quasi-biographisches “authorial grounding”, das modernen Kriterien von Fiktionalität zuwiderlaufe (“we know that some of the characters mentioned in Archilochus were historical, while Pindar regularly exploits aspects of his own biography, such as his Theban nationality”). Autorfiguren wurden somit durch die soziokulturellen Umstände historischer Autoren herausgeformt: “in Archaic poetry outside Homer the principal narratorial persona of an author was based on that author, and united several works by the same poet” (67); ferner UHLIG (2016) 110: “by locating his poetic creation in his Theban homeland Pindar seeks to establish a firm extrapoetic grounding for himself, and thereby to ensure that his own authorship is on clear display in his work.” 1113 CAREY (1995) 90 sieht in der gedichtübergreifend konsistenten Figur des laudans bei Pindar den Ausdruck eines “Pindaric corpus before the age of the book”. 1114 PEIRANO (2013) 256. Sie sieht dies als “mediation on topics such as memory, excellence, and immortalization”.

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konnten.1115 Autorsignaturen lassen sich in diesem Rahmen als Reflexe archaischer Vorstellungen von dichterischem Ruhm und dem Weiterleben von Poesie und Poeten durch Wiederaufführung sowie, abstrakt gesprochen, Erinnerung deuten: Ein Publikum konnte den besonderen Wert bestimmter Werke erkennen und durch deren Verbreitung, mit Wolfgang Rösler gesprochen, „die in den Gedichten an sich angelegte Ephemerität durchbr[e]chen“.1116 Für eine schon früh ausgebildete Autorfunktion spricht, wie in Kapitel 5.2 gezeigt, dass der Name ‚Homer‘ bereits im 6. Jh. im Rahmen einer kritischen Diskussion poetischer Darstellungen auftritt.1117 Andererseits finden sich noch viel später, in hellenistischer Zeit, neben authentizitätsbasierten Modellen von Autorschaft weiterhin auch performanzbasierte Modelle. Zwar verfasste im 3. Jh. v. Chr. Kallimachos mit seinen Pinakes („Tafeln“) ein Grundwerk auktorialer Biobibliographie,1118 das, in der Tradition früherer Autorenlisten stehend,1119 als gelehrtes Verfasser-Handbuch bedeutende griechische Autoren nach Name sowie Titel, incipit und Umfang der Werke katalogisierte sowie die Einträge mit einem biographischen Abriss und gegebenenfalls einer Diskussion von Authentizitäts-Fragen versah. Aus dieser Perspektive auf das Buch als liber poeticus wurden Werke – sowie deren Urheber – als abgeschlossene Einheiten dargestellt, was sich bereits auf Tendenzen des 5./4. Jh. und die ansatzweise Verbreitung der Buchrolle als Artefakt zurückverfolgen lässt.1120 Doch zeigen selbst Papyri des frühen und mittleren 3. Jh. v. Chr. noch ___________________________

1115 A. D. MORRISON (2007) 44 stellt fest, archaische Gedichte wurden auch mit Blick auf “secondary audiences” verfasst: Somit konnte der Ruhm von auftraggebendem Patron sowie ausführendem Dichter gesichert werden. 1116 RÖSLER (1980) 102. 1117 Vgl. die Übersicht über Erklärungen zur Etymologie des Namens ‚Homeros‘ bei LIAPIS (2017) 203. 1118 Hierzu PFEIFFER (1970) 161ff., BLUM (1977). Die Ordnung der Pinakes erfolgte formell nach dem Genus, d. h. Rhetorik, Recht, Epos, Lyrik, Tragödie wie Komödie, Philosophie, Geschichte, Medizin und miscellanea; innerhalb dieser Einteilung waren die Autornamen in alphabetischer Abfolge arrangiert. Vgl. SCODEL (2019) 60f.: “It is sometimes called the first library catalogue, but although it was surely based on the holdings of the great library at Alexandria, it was more like a bibliographical handbook of Greek literature and learning.” 1119 Zuvor bot wohl bereits z. B. Glaukos von Rhegion Ende des 5. Jh. v. Chr. (Ps.-Plut. de musica 1132e) in seiner musikgeschichtlich-antiquarischen Abhandlung Περὶ τῶν ἀρχαίων ποιητῶν τε καὶ μουσικῶν Dichternamen seit Orpheus in chronologischer Reihenfolge bzw. entsprechend systematisierte Listen mit ‚Wissenswertem‘. 1120 Vgl. ROSSI (2001) 105 zur geradezu “modern kind of unity” in der alexandrinischen und römischen Literatur: “In this field, as in others, we have what Droysen called ‘modernity in the ancient world’, dealing with the period that we have since become accustomed to calling Hellenistic.“ Bereits REITZENSTEIN (1893) 1 zog einen ähnlichen Vergleich („dass der alexandrinische Dichter für buchmässige Verbreitung arbeitet, wie der moderne“), betonte jedoch auch die Kontinuitäten und Nachwirkungen der sympotischen Aufführungskultur im Hellenismus.

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extreme Formen der Variabilität und Ungenauigkeit bei der Zitation bestimmter Werke,1121 was einer idealisierten Vorstellung von der Akkuratheit und vom Authentizitätsstreben alexandrinischer Gelehrter im Umgang mit geschriebenen Texten zuwiderläuft. Die Abweichungen lassen sich auch damit erklären, dass bei der Produktion von Texten weiterhin mündliche Aspekte eine große Rolle spielten, wenn Bücher etwa weiterhin diktiert und nicht primär abgeschrieben wurden. 1122 Statt von einem abrupten Paradigmenwechsel hin zum Medium der Schriftlichkeit sollte daher vielmehr von einer langen Phase der Koexistenz bzw. der graduellen Überschneidung mündlicher (in aller Regel performanzorientierter) und schriftlicher (in aller Regel authentizitätsorientierter) Modelle und entsprechender Autorschaftskonzeptionen ausgegangen werden. So trifft man noch im Hellenismus auf das seit der Archaik weiterhin wirkmächtige, performanzorientierte Autorschaftsmodell. In dessen Rahmen konnten sich beispielsweise die Sänger eines Chors selbst autorisieren, indem sie sich innerhalb einer poetischen Tradition verorteten, die außer den Bezugnahmen auf bestimmte Dichter durch keine festen Grenzen beschränkt war und zugleich mit Zeitpunkt, Ort und soziokulturellen Gegebenheiten variierte: Dies zeigt sich im seit 2004 vieldiskutierten Kölner Sappho-Papyrusfragment (P. Köln 21351 + 21376; 3. Jh. v. Chr.), 1123 besonders an dem flexibel gestalteten hymnischen Proöm (P. Köln inv. 21351, Sp. 1, Z. 1-11) mit Musenanruf in der letzten Zeile (Μοῖσ’, ἀείδω in Z. 11), das insgesamt auf einen aktuellen Anlass hin komponiert erscheint, eine Praxis, wie man sie etwa von den Homerischen Hymnen her kennt.1124 Dieses hellenistische Zeugnis, das noch keine Eingriffe durch die Alexandrinische Philologie aufzuweisen scheint, deutet so auf die weiterhin gültige Praxis von mittels Wiederaufführungen tradierter Dichtung, deren Autorisierung durch die prominente Dichterin Sappho einer erfolgreichen Verbreitung dienen konnte. Eine solche Praxis vermag insgesamt auch die zahlreichen, von manus recentiores revisorisch ad hoc vorgenommenen Abweichungen von Klassikertexten auf ägyptischen Papyri zu erklären. ___________________________

1121 Hierzu THOMAS (1992) 93 mit Verweis auf weitere Literatur. Zur diachronen Varianz späterer lectiones der dem Menander zugeschriebenen Γνῶμαι μονόστιχοι (Menandri Sententiae) vgl. BONOLLO (2020). 1122 Dazu THOMAS (1992) 91f. (“the production of Greek books was commonly effected by means of dictation. A Greek often read a text in order to memorize it, particularly if it was a poetic work”), bes. zum Usus des lauten Lesens: “the written word was subordinate to the spoken, thus perhaps rather a mnemonic aid for the recollection of what was to be communicated orally than a text to be read in its own right. Even when exact and accurate transmission of a literary text was intended in the late fourth century […], the written text was apparently transmitted orally”. 1123 Hierzu vgl. etwa die Beiträge in GREENE/SKINNER (2009). 1124 Ferner scheinen Götteranrufe Gedichte bzw. Hymnen verbunden zu haben, wie die Passage am Ende des (großen) Aphrodite-Hymnos zeigt (V. 292-293, bes. 293 μεταβήσομαι ἄλλον ἐς ὕμνον). Auf ein ähnliches Konnektivitätsprinzip deuten die Verse Hes. Theog. 1021-1022. Zum Folgenden vgl. PITOTTO/RASCHIERI (2017).

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Andere Textabschnitte des Kölner Sappho-Fragments lassen wiederum auf eine authentizitätsbasierte Autorschaftskonzeption schließen: Eine solche leitet sich von Vorstellungen ab, die sich Texteditoren von der poetischen Produktion eines bestimmten (deklarativen) Autors machten. Sie stammen nicht direkt aus archaischer Zeit, sondern “progressively crystallized through stratified reperformances in contexts, occasions, and sociopoliticial situations possible quite different from the original ones”. 1125

Gemäß dem hellenistischen ‚Patent auf Authentizität‘ wurden bestimmte Gedichtversionen gegenüber anderen favorisiert, die jedoch keineswegs deckungsgleich mit der ‚Originalversion‘ sein mussten. Von einer solchen authentizitätsorientierten Konzeption als dem Ergebnis alexandrinischer Editions-Expertise zeugt, dass sich der Kölner Papyrus zum Teil, in einem Dutzend Versen, mit dem bereits bekannten Altersgedicht aus P. Oxy. 1787 (vgl. fr. 58 V.) überlappt, das in einem 500 Jahre später (2. Jh.) datierten Oxyrhynchos-Fragment überliefert ist (P. Köln inv. 21351 + 21376, Sp. 1, Z. 12 bis Sp. 11, Z. 8 ~ P. Oxy. 1787 fr. 1, Z. 10-21). Außer diesem Teilstück variieren die jeweiligen Anfangs- und Schlussabschnitte jedoch deutlich. Eine adäquate Lösung der querelle, welches testimonium nun Sapphos ursprüngliches Altersgedicht enthalte, kann darin bestehen, sich von der Auffassung einer ‚Originalversion‘ zu lösen und stattdessen “alternative performative versions”1126 desselben Gedichts in den Blick zu nehmen. Diese Prämisse betont die Nachwirkungen kommunikativer Mechanismen der archaisch-klassischen Kultur und erklärt somit gerade die Textvarianz 1127 des Kölner und des Oxyrhynchos___________________________

1125 PITOTTO/RASCHIERI (2017) 272. Die Textüberlieferung, in anderen Worten, “approved as fully consistent with the idea a given Hellenistic editor maintained of the poetic production by a given ancient author”. Im Kölner Papyrus werden die beiden Konzeptionen durch die Koexistenz differenzierbarer Schreiberhände deutlich. 1126 PITOTTO/RASCHIERI (2017) 270. Die beim Grammatiker Hephaistion (2. Jh. n. Chr.) erwähnten ἀρχαῖοι ἀντίγραφοι des Sappho-Texts (Heph. Poëm. 1.2 p. 63.15ff. Consbruch = Sappho T 228 V.) lassen sich als Varianten hellenistischer Editionspraxis verstehen, von denen der Oxyrhynchos-Papyrus einen möglichen Text darstellte. 1127 Laut PITOTTO/RASCHIERI (2017) 281 zeige die Kombination aus Neuem Kölner Sappho-Fragment (Proöm) und Altersgedicht “traces of a thematically homogeneous relay performance, which could have taken place either in a public competition […] or in a sympotic chain […] or in subsequent, stratified reperformances”. BOEDEKER (2009), LARDINOIS (2009) 48 und NAGY (2009) 186 führen Variationen des Altersgedichts auf hellenistische und frühere performative Kontexte zurück, die auf den Wandel der Sappho-Rezeption (auf Lesbos, in Athen, durch hellenistische Schreiber, in Wiederaufführungen) deuteten. YATROMANOLAKIS (2007), NAGY (2009) sehen literarische wie soziokulturelle Wertigkeiten hinter den Redaktionen und Kompilationen des SapphoKorpus. BOEDEKER (2009) 72-76 spricht gar von “Sapphic mouvance”, auf den mediävistischen Ansatz P. Zumthors verweisend, wo mouvance auf die fluiden Grenzen

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Fragments, neben den bemerkenswerten Gemeinsamkeiten der jeweils zentralen ‚Kurzversion‘ des Gedichts. Gerade im Neuen Kölner Sappho-Fragment zeigt sich somit eine Koexistenz autor- bzw. authentizitätszentrierter sowie performanzzentrierter Konzeptionen. Diese Zeugnisse verweisen darauf, dass noch Texte hellenistischer und späterer Zeit von offenen Produktions-Zyklen geprägt waren, die an Konzeptionen archaischer wie klassischer Zeit erinnern. Nicht nur für die epische Dichtung gilt somit, dass sie in ihrer Entstehungsphase ein “open book” war,1128 das im Rahmen von Wiederaufführungen und somit jeweils neuen Rezeptionskontexten verändert, erweitert und überarbeitet werden konnte, sondern auch für Gedichtkorpora, die man Autoren wie Sappho, Tyrtaios, Theognis oder Solon zuschreibt: “In archaic or classical Athens there was little concern for the integrity of literary compositions, as can be seen from the changes made in the elegies of Tyrtaeus or the interpolations into the texts of the tragedians. Such changes are part of a still living, (largely) oral tradition, in which poetry that matters is constantly updated and renewed. […] In most cases, however, we only have one version and therefore do not know how much of it goes back to the sixth century and how much is the result of later additions or changes.”1129

Die Verbreitung von Literatur im Rahmen der archaischen Performanz-Kultur erscheint somit als große Herausforderung für eine Untersuchung von ___________________________

vormoderner Werke deute, die durch anonyme Eingriffe, Korrekturen und Verbesserungen bedingt seien. Generell geht die New Philology davon aus, dass vormoderne Editionspraktiken die strukturelle Vorläufigkeit und Abänderbarkeit der Werke bestimmten. So nimmt das neo-mediävistische Editionskonzept der variance statt genealogischem Stemma und der Archetyp-Suche Lachmanns handschriftliche Versionen in den Blick: CERQUIGLINI (1989) 111 („L’écriture medieval ne produit pas de variantes, elle est variance”); grundlegend NICHOLS (1990). BERNSDORFF (2018) kritisiert dagegen die vorschnelle Anwendung von Prämissen der New Philology, die auf der „notgedrungen beschränkten Kenntnis von Sprache und Gedankenwelt“ antiker Dichter beruhten, auf das Altersgedicht. Gegen eine Primärvarianz von Kurzversion und Langversion des Gedichts vgl. auch BERNSDORFF (2022). Nach WILSON/HEYWORTH (1997) beruht Textvarianz v. a. auf Eingriffen von Schreibern und Kopisten; s. PASQUALI (1934) zu ‚Autoren-Varianten‘. 1128 Hierzu ROSSI (2001) 110, wobei für die Archaik die Bezeichnung “open work” passender erscheint: zum Konzept des “open work” ECO (1979) 47-66, bes. 63 zu ‚Offenheit‘ und Dynamik von Kunstwerken (“the ‘openness’ and dynamism of an artistic work consist in factors which make it susceptible to a whole range of integrations”). Dies kann auch für eine Deutung archaischer Gedichtkorpora mit ihren offenen bzw. fluiden Grenzen nutzbar gemacht werden, die spätere Rezipienten im Sinne von KoAutoren erweitern konnten. 1129 LARDINOIS (2006) 32f. Vgl. GENTILI (2006) 81 zu Praktiken archaischer PerformanzKultur wie Übernahme, Anpassung und Kompilation: “Una tecnica di tipo associativo o antologico che permetteva di riutilizzare testi già pronti, appartenenti al repertorio tradizionale o composti dal poeta stesso per altre analoghe occasioni”.

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Autorfunktionen in diesem Zeitraum: Es gilt dabei besonders zu fragen, ob eine Welt der Sänger und der prima facie autorlosen Traditionen ohne ein Autor-Konzept auskommt, und ob man entsprechend, sofern man auktoriale Modelle daran anlegt, angesichts doppelter oder widerstreitender Zuweisungen in methodische Schwierigkeiten gerät? Man denke hier nur an die variable Zuweisung von Hymnen an Sappho oder Alkaios,1130 an die jeweils verschiedenen Autoren zugerechneten sympotischen Skolia1131 oder an die floating verses, die etwa sowohl im solonischen Elegien-Korpus als auch unter Theognis’ Namen überliefert sind.1132 Auch die Variabilität der Solon-Zitate bei späteren Autoren legt nahe, Gründe für diese Abweichungen in den jeweiligen Rezeptionsumständen zu suchen.1133 Entsprechend sehen Teile der Forschung in den Elegien und teils auch Iamben Solons das Produkt eines Kompilators des 4. Jh.,1134 der die zuvor mündlich tradierte Solon-Sammlung mit Blick auf eine eigene Agenda literarisiert habe.1135 Ist die archaische Literatur also prinzipiell autorlos, oder deutet der Einsatz von Autorstimmen und -Markierungen nicht doch auf den Versuch archaischer Dichter, die gegenwärtige wie die zukünftige Rezeption ihrer Werke wenigstens begrenzt zu kontrollieren? So tragen die solonischen Verse gemäß einer anderen Forschungsansicht durchaus die auktoriale Handschrift ihres Verfassers, der – in

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1130 Vgl. BOYCHENKO (2017). Man vergleiche das 1592 anonym publizierte Stück Arden of Faversham, das verschiedenen Dramatikern zugewiesen wurde und lange als apokryph galt. In der Shakespeare-Edition von 2016 wird kooperative Autorschaft Shakespeares mit einem Anonymus angenommen. 1131 So werden drei bei Athenaios überlieferte Skolia (fr. 890, 893 und 897 PMG) wahlweise Simonides, Epicharm oder Aristoteles, Kallistratos sowie Alkaios, Sappho oder Praxilla zugewiesen. 1132 Vgl. CALAME (2004), IRWIN (2006). Zu Versen, die Solon oder Theognis zugeschrieben wurden, vgl. LARDINOIS (2006) 19: “They can be best explained by assuming an oral tradition behind the two versions.” 1133 Hierzu LARDINOIS (2006) 23: “differences between the elegiac fragments of Solon […] need not be the result of scribal error but of different ways in which the poems were remembered and recorded.” 1134 STEHLE (2006) 111 nimmt eine gemäßigte Haltung zur Frage des echten Kerns ein: “It does not follow that no element of the persona goes back to (the time of) Solon. One old poem could have stimulated the creation of further poems. A few scattered poems or quotations could have been brought together, adapted, and supplemented”. 1135 Laut LARDINOIS (2006) 28 lasse sich ein solonischer Nukleus identifizieren, dessen Einfluss auf die vorliegende Gestaltung der Sammlung jedoch fraglich sei: “I do believe that the historical Solon composed some poems—there must have been some basis for ascribing other poetry to him—, but how many of the iambic and elegical fragments attributed to Solon were actually composed by him we will never know”. Vgl. ALONI/IANNUCCI (2016) 155-161, die jedoch für eine schriftliche Verbreitung bereits im 5. Jh., wohl durch Kritias, argumentieren.

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bewusstem Bruch mit der elegisch-sympotischen Tradition – seine Verse zur Propagierung politischer Ansichten genutzt habe.1136 Hier zeigt sich die Schwierigkeit, die konkreten Prozesse der Entstehung, Formierung und Fixierung multiauktorialer Textkorpora nachzuverfolgen: Geht die Kodifizierung und Autorisierung jeweils auf die Initiative späterer Revisionen zurück, oder reicherten spätere Zusätze eine im Grunde bereits einheitliche auktoriale Agenda um weitere Verse an und führten damit eine ebenso kenntliche wie prominente Dichterstimme diachron fort?1137 Damit verbunden sind auch die Fragen, welche auktorialen Funktionen (Darbietung, Abfassung, Kompilation, Revision, erneute Darbietung) jeweils an welcher Stelle des Entstehungsprozesses zum Einsatz kamen1138 und wie sich Autor-Funktionen von -Fiktionen unterscheiden lassen? Zugleich lässt sich aus der Autorlosigkeit der frühen griechischen Literatur schließen: “and yet the world of the song culture is full of authors. Are these all principles of thrift? The Greek world did not know copyright, nor plagiarism as we understand it, but isn’t the assignment of a composition to a maker, a poiētēs, a matter of authoring, authenticating, it, and therefore a matter of exclusion?”1139

Es ist mit Blick auf die archaischen Konzeptionen des Autors (vgl. Kap. 4.3.1 und 4.3.2) plausibel, dass Textsammlungen wie die theognideische oder die solonische Sylloge zuerst einen authentischen ‚Kern‘ genuiner Verse enthielten,1140 um die herum sich verschiedene Texte anonymer Autoren im Laufe der Zeit und in jeweils neuen soziokulturellen Rezeptionskontexten ansiedelten, welche sich inhaltlich wie formell an bereits Vorhandenem orientierten. So konnten etwa die politischen Reflexionen, welche die dem Solon zugeschriebenen Verse enthalten, in jeweils ___________________________

1136 So die Deutung von Solons Manipulation seiner poetischen persona mit Blick auf die zukünftige Rezeption bei IRWIN (2006) 73: “That a large part of the extant Solon contains the repeated and explicit assertion that he refused tyranny not only emphasises the deeply political nature of his poetry, but such emphatic denial no doubt also functioned for its ‘I’ as a means of attempting to control both contemporary and future audience receptions”. 1137 Gemäß dem in FIGUEIRA/NAGY (1985) vertretenen Tenor stellt auch das corpus Theognideum eine Sammlung zuerst mündlich tradierter Dichtung megarischer Aristokraten dar. Dagegen plädiert HUBBARD (2007) für die Autorschaft eines Innovators. Zu redaktionellen Schichten und Zusätzen der theognideischen συλλογή REITZENSTEIN (1893) 52ff., WEST (1974) 40-61, SELLE (2008) 381ff., LEAR (2011) und die Übersicht bei HOSE (2021). 1138 Vgl. die Andeutung des Problems bei HUBBARD (2007) 195 mit Anm. 5. 1139 BAKKER (2017b) 99. 1140 Vgl. STEHLE (2006) zu Solon. REITZENSTEIN (1893) 266f. sah in Theognis’ σφρηγίςVersen Hinweise, ein Teil der Sammlung sei das „älteste nachweisbar vom Autor selbst edierte Buch“ gewesen. Hierzu RÖSLER (2006).

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neuen Kontexten und für verschiedene Gruppen Wirkung entfalten. Erwiesen sich doch gerade die ethisch-paränetischen Passagen, die wenig Indizien für konkrete Namen oder Ereignisse bieten, entweder aufgrund ihres Generalisierungs-Potentials als besonders adaptierbar, oder die Rezeptionsstadien der solonischen Sammlung stellten Filterungsprozesse dar, die je nach Zeitstellung gerade auf das Generelle der Dichtung fokussierten. 1141 Einen ähnlichen Befund bietet die Überlieferung der elegischen Distichen eines Kallinos, Tyrtaios oder Mimnermos. Die Sammlung, die mit der Zeit um die mit Solon identifizierte Autorstimme – bisweilen variiert mit Zuweisungen an Theognis –1142 herum entstand, vereint solche Verse, in denen aus athenozentrischer Perspektive das historisch-situativ eingebettete ‚Ich‘ des politischen Mahners der spätarchaischen Polis Athen hervortritt, mit einer Dichtung, die verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften Orientierungsangebote in politischen Umbruchzeiten bieten und somit zeitlose Relevanz und bleibendes Wirkpotential entfalten konnte. 1143 Dies wird besonders deutlich anhand von Solons Eunomie (fr. 4 W.): An deren Anfang ist die Rede von „unserer Stadt“ (V. 1) – wobei Ἡμετέρα δὲ πόλις prinzipiell auf jede griechische Polis deuten kann –,1144 die zwar dem Schutz der Zeustochter Pallas Athene untersteht (V. 4), deren Wohlergehen jedoch im Rahmen der folgenden ethisch-politischen Mahnungen grundsätzlich und universell gültig allein an eine gute und gerechte Polis-Ordnung geknüpft wird. Dabei erwies sich gerade das Medium der elegischen Verse als besonders variabel und offen für verschiedene Erweiterungen entsprechender Sammlungen: 1145 im Vergleich zu den strophischen melischen Versmaßen und den Eigenheiten des äolischen Dialekts Alkaios’ und Sapphos, die im Verbund mit musikalischer Selbstbegleitung weit größeres Spezialistentum erforderten, scheint im Falle der ionisch geprägten – also in dem seit Homer panhellenischen poetischen Idiom ___________________________

1141 Doch konnten Passagen mit deutlichem Bezug auf Athen oder Attika (etwa der Iambos fr. 36.8-12 W. oder die Fragmente der Salamis-Elegie: fr. 1-3 W.) im Zuge der Überlieferung als exemplarisch und kaum erläuterungsbedürftig verstanden werden. Bemerkenswerterweise finden sich in sympotischen Fragmenten z. T. deutlichere Konkretisierungen, z. B. fr. 20.3 W. der Verweis auf den Λιγυαστάδης Mimnermos. 1142 Vgl. Sol. fr. 6.3-4 ~ Thgn. 153-154, Sol. fr. 13.65-70. 71-76 ~ Thgn. 585-590. 227232, Sol. fr. 15 ~ Thgn. 315-318, Sol. fr. 23 ~ Thgn. 1253-1254 sowie Sol. fr. 24 ~ Thgn. 719-728 W. 1143 RÖSLER (1980) 70f. argumentierte für die Mündlichkeit der politischen Lyrik Solons. Vgl. HERINGTON (1985) 33-36. Doch weist im Bereich der Gesetzgebung die materielle Fixierung der Vorschriften (Plut. Sol. 25 zu ἄξονες/κύρβεις) auf die frühe Rolle der Schriftlichkeit; zugleich bleibt eine Übertragung auf die Dichtung fraglich. 1144 Eine solche universell deutbare referenzielle Leerstelle stellt auch die Bezeichnung πόλις ἥδε im Elegien-Korpus des Theognis (V. 39, 52-53, 782 W.) dar: hierzu BAKKER (2017b) 102-105. 1145 Zu Wandelbarkeit und Adaptabilität theognideischer Verse in der antiken Rezeption DE MARTIN (2020). Zur Entstehung von Varianten in griechischen Elegien im Laufe ihrer Überlieferung LARDINOIS (2020) 51-60.

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bzw. dialektalen Amalgam verfassten – Elegien-Korpora eine spätere Expansion durch hinzugefügte Verse weitaus leichter durchführbar gewesen zu sein.1146 Gegenüber der Lyrik war die Elegie auch weniger stark auf bestimmte Aufführungskontexte beschränkt.1147 In einigen der späteren Zusätze, die wohl zumeist auf performative Aktualisierungen zurückgehen,1148 konnte die „Ich“ sagende Instanz des elegischen ‚Kerns‘ auktorial impersoniert und somit re-modelliert werden; andererseits scheint das Dichter-Ich etwa in den Kyrnos-Passagen des corpus Theognideum weniger als impersonierbare Rolle, die von beliebigen Dichtern angenommen wurde, als vielmehr ein konstanter und Authentizität insinuierender Marker und damit als ein Alleinstellungsmerkmal des Werks rezipiert worden zu sein. Anhand dieser exemplarischen Adressaten-Markierung sind Unterschiede etwa zur vollständig anonymen homerischen Dichtung feststellbar, deren auktoriale Leerstelle später bio(biblio)graphisch ausgefüllt wurde. Die entsprechenden Werke wurden zuerst wohl im Nahbereich der Dichter verbreitet, vor allem über Darbietungen bei Festen oder Symposien, die den Anwesenden in Erinnerung bleiben konnten.1149 Erst später, als sich Schriftlichkeit und Textualität als Leitmedien etablierten, verlief dies über das Aushändigen von Kopien an Freunde, Vertraute und Förderer, woraufhin der Text eine Reise auch an andere Orte antreten konnte: “Such mechanics of production, if thoroughly pursued, allowed ancient writers to achieve a certain level of control over the reliability (orthographical, textual, and conceptual) of their texts.”1150

Obwohl auch in Zeiten des frühen Buchmarkts (5./4. Jh.) weiterhin zahlreiche Risiken für die Tradierung von Autornamen sowie für eine sichere Werkzuweisung bestanden1151 – gab es doch zu keiner Zeit in der Antike wirksame Regulierungen ___________________________

1146 Zum elegischen Versmaß als einem im Vergleich “less demanding format” MASLOV (2015) 69f., mit dem Hinweis, dass selbst die Anacreontea ihr Modell durch Reduktion der metrischen Varianz fortsetzten. 1147 Vgl. WEST (1974) 7 zum expansiven Format des elegischen Distichons im Laufe der griechischen Archaik; zur in den Elegien geäußerten, auf eine projizierte Zukunft gerichteten Ruhmeserwartung BOWIE (2010). 1148 Zu Impersonierungen Anakreons in den carmina Anacreontea ROSENMEYER (1992) 115-146. Diachrone Autorfiktionen betreffen etwa das corpus Theognideum und, im Bereich der Prosa, das corpus Hippocraticum sowie die Pseudoplatonica. Zu unter den Namen berühmter Personen verfassten Briefen A. D. MORRISON (2013). 1149 Vgl. SCODEL (2019) 16: “Early Greek poetry was transmitted orally, and so the link between composer and text depended on the network of transmission.” 1150 DEL CORSO (2015) 21. 1151 Vgl. ebd.: “ancient authors had little opportunity to reclaim ownership of their works: after a text was published even basic information, such as the name of its author, could be easily altered because of the material conditions of transmission, or the malignity of less skilled imitators. It was common that texts belonging to less famous authors

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oder Institutionen, die Autorschaft felsenfest garantieren konnten –, galt vom späten 6. Jh. ausgehend das Prinzip: “Nonetheless, throughout classical antiquity, Greeks revered authors, identifying texts by and with their authors, and establishing canons that later writers hoped to join.”1152

Gleichwohl war die ‚Geburt des Autors‘, die besonders im Laufe des 6. Jh. einsetzte,1153 um im Rahmen dieser Metaphorik zu bleiben, von jahrhundertelangen ‚Wehen‘ begleitet: Wie gezeigt, koexistierten noch in hellenistischer Zeit performanzbasierte neben authentizitätsbasierten Autor-Konzeptionen. Bis zum Triumph des attributionistischen Paradigmas war der Weg noch weit. Als dessen erklärtes Ziel kann es jedoch seitdem gelten, den mit anonymen oder pseudonymen, also autorlosen, Texten verbundenen horror vacui tunlichst zu verhindern.1154

5.4 Resümee und Ausblick Die Untersuchung der Entwicklung literarischer Autorschaft ab frühgriechischer Zeit hat zwei Befunde ergeben: Ab der zweiten Hälfte des 6. Jh. bildet sich der ‚Mythos Homer‘ heraus, und bis dahin anonyme Gedichte werden von nun an verstärkt an einen personalen Schöpfer rückgebunden – in der Autorfigur bündelten sich fortan zirkulär Vorstellungen, die sich die jeweilige Zeit von der Urheberfigur machte.1155 Die sich wandelnden Konzeptionen von Autorschaft korrespondierten ___________________________

were ascribed to those better known, especially for works appealing to a large public […]. Galen reports that he saw a book in Rome with a treatise falsely ascribed to him. But this problem was much more ancient, evident already in the anthology of lyrics ascribed to Theognis – only partially by the poet – or the corpus of juridical speeches of Lysias, which consists mainly of texts not by Lysias […]. Drafts were often published without their author’s consent, and the author was forced to write apologetic prefaces. Plato already alludes to such a problem in his Parmenides […], but the unauthorized diffusion of works not meant for publication – works in progress or still uncorrected – was a common problem for intellectuals throughout antiquity.” 1152 SCODEL (2019) 61. 1153 Zum Bild eines entwicklungsgeschichtlichen Frühstadiums archaischer Autorschaft vgl. KRANZ (1924) 7: „Denn, archaische Epoche des Hellenentums, das ist ja in gewissem Sinne zugleich Kindheit des Menschen überhaupt – oder doch Kindheit des europäischen Menschen“. 1154 Hierzu LOVE (2002) 45: “Attributionists see the anonymous or pseudonymous work as a vacuum in nature which it is their moral duty to fill with an author.” Zum antiken horror vacui gegenüber autorlosen Gedichten vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1896) 634 Anm. 1. 1155 Vgl. GRAZIOSI (2002) 3 zu biographischen Rekonstruktionen der Homerfigur: “Precisely because they are fictional, early speculations about the author of the Homeric

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jeweils mit dem kulturellen Horizont und variierten zugleich mit der Darstellungsform von Dichtung: Als entscheidende Faktoren können besonders der Übergang von epichorischen zu panhellenischen Rezeptionsmodi sowie die Verbreitung des Schriftmediums gelten, welches es Autoren erlaubte, unabhängig von performativen Kontexten in Werken präsent zu bleiben, jedoch auch Grenzen vorgab.1156 Die Individualisierung des Autors und die zunehmende Zuweisung von Werken an deklarative Autoren lässt sich mutatis mutandis als Frühform dessen begreifen, was Foucault für das bürgerliche 17. und 18. Jh. diagnostizierte, als der Urheberschaft von Texten, nun jedoch besonders aus rechtlichen Gründen, eine zuvor nie dagewesene Relevanz beigemessen wurde: „Der Begriff Autor ist der Angelpunkt für die Individualisierung in der Geistes-, Ideen- und Literaturgeschichte, auch in der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte. Selbst wenn man heute die Geschichte eines Begriffs, einer literarischen Gattung oder eines bestimmten Philosophietyps nachzeichnet, glaube ich, betrachtet man diese Einheiten wohl als relativ schwache, zweitrangige und überlagerte Ordnungsprinzipien, verglichen mit der ersten, soliden und grundlegenden Einheit: Autor und Werk.“1157

Rekurse auf Urhebergestalten und deren Werke prägen nach wie vor unseren Umgang mit literarischen Texten und künstlerischen Erzeugnissen: Foucault nennt etwa auch die Bereiche Malerei, Musik oder Technik. Auch die Literaturgeschichtsschreibung orientiert sich an der, und konstituiert sich noch immer über die, Herstellung von Autoren-Relationen: Vorformen der hier grundlegenden Auffassungen finden sich jedoch, wie gesehen, bereits in antiken Mechanismen auktorialer Werkzuweisung gewissermaßen präfiguriert. Eine zweite Einsicht betrifft das in der gesamten Antike wirksame Phänomen kooperativer Autorschaft – sei es, dass die Werke anonym arbeitender Verfasser (etwa der Rhapsoden) zu Gedichten prominenter Autoren wie Homer deklariert wurden, sei es, dass anonyme Autoren später in die Rolle großer Dichter der Vergangenheit schlüpften und diese kunstfertig impersonierten. Viele archaische ___________________________

poems must ultimately derive from an encounter between the poems and their ancient audiences”. 1156 MASLOV (2015) 41ff. sieht die Entstehung individueller Autorschaft – wie er am Beispiel von Pindars Epinikien erläutert – dann gegeben, wenn Autoren traditionell vorgegebene literarische Muster grundlegend erneuern und mit neuer Formensprache versehen. Vgl. bes. 55f.: “the individual author appears as a function of the process of genre renewal […]. A new corpus entering the literary tradition is endowed with a name vouchsafing its historical uniqueness – the name of the author – which is at the same time a name for a new form, a hindrance and an aid for future participants in the tradition.” Dies erscheint jedoch plausibler für die Schlüsselrolle Pindars als z. B. für diejenige Homers, da im letzteren Fall eine Tradition erst retrospektiv mit einer Ursprungsfigur versehen wurde. 1157 FOUCAULT (1969/2000) 202.

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Werke zirkulierten unter dem Namen Homers – man denke an die Hymnen – wie auch Hesiods – man denke an die pseudo-hesiodeischen Fragmente oder diesem zugewiesene Werke wie die Melampodie –, doch lassen sich Ausmaß und Grad der Bearbeitung durch Redaktoren im Umkreis dieser Dichter kaum taxieren. In jedem Fall muss das Modell einer zunehmenden Monopolisierung individueller Autorschaft – Mittel und Bedingung der Möglichkeit literarischer Ruhmeserwartung – als koexistent mit den Mechanismen der Performanzkultur gedacht werden: Die seit der (Spät-)Archaik entstandenen Werke stellten in ontologischer Hinsicht unabgeschlossene Produkte multiauktorial-kooperativer Schaffensprozesse dar. Fand die ständige Zirkulation der Werke von Darbietung zu Darbietung, und damit von Hand zu Hand, doch in ständiger Interaktion der jeweils involvierten Darbietenden und Rezipienten mit den Werken statt, die entsprechend ihren Bedürfnissen, Umständen und Praktiken darin eingriffen. Aus diesen Einsichten in vormoderne Verfasstheiten autorpoietischer Praktiken lassen sich Bezüge ins gegenwärtige 21. Jh. herstellen: 1158 Noch immer wird jedem Buch ein Autor, jedem Film oder Stück ein Regisseur, jedem Bild ein Maler oder Fotograf zugewiesen. Über Urheber lassen sich Werke in öffentlichen Diskursen verorten.1159 Gemäß einer solchen Prämisse formen Urheber- und Autornamen noch immer die Grundlage kultureller Kanonisierung. Weiterhin lässt sich noch immer ein außerordentliches Bestreben fassen, im Falle anonymer oder pseudonymer Texte das Geheimnis orthonymer Autorschaft zu lüften – wie dies im Jahre 2016 am Beispiel der Romanautorin Elena Ferrante zu beobachten war. Andererseits scheint der Mythos des Autors als eines einsamen Schöpfers im Zeitalter der ubiquitären gesellschaftlichen Digitalisierung im Verschwinden begriffen – fördern die Prozesse der Digitalisierung doch besonders kooperative Autorschaftsmodelle statt individueller Autorschaft. Entsprechende Formen einer ‚Autorschaft 2.0‘ scheinen so den Eindruck eines – pointiert gesprochen – ‚Tod des Autors 2.0‘, im Sinne eines Verschwindens des Autors in digitalen Datennetzen, zu begünstigen. Zugleich droht die stete Verfügbarkeit immenser digitaler Datensammlungen, menschliche Handlungsspielräume, individuelle Verantwortlichkeit und Kontrolle zu beschränken. Des Weiteren arbeitet eine Heerschar kreativer Ko-Autoren in der digitalen (oder Film-)Industrie, ohne dass die individuelle ___________________________

1158 Für beide Epochen gilt die Feststellung bei BERENSMEYER/BUELENS/DEMOOR (2012) 17: “Because, in modernity, the number of authors is legion, the individual author disappears in a mass of authors.” Vgl. LOVE (2002) 38f. (das Internet als neue Form mündlicher Kultur), BRUNS (2010) 3 (Vergleich von Schreibpraktiken digitaler Plattformen mit mittelalterlichen Palimpsest-Handschriften) sowie SELLE (2008) 392f. (Vergleich redaktioneller Schichten des corpus Theognideum mit kooperativen Produktionen im Internet-Zeitalter). Allg. FOLEY (2012). 1159 In der Moderne wird die Inklusion von Autornamen obsolet, vgl. MASLOV (2015) 19: “In the context of modern literary production, embedding a poet’s name in the text would be gratuitous, since editorial practices support the author-function by, for instance, placing the poet’s name on the book’s cover, not to speak of copyright.”

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Handschrift oder Signatur eines Produzenten aus der anonymen Masse heraus oder hinter dem Namen von Firmenlabels kenntlich wird. Die Absenz eines personalen Autors im Sinne eines Diskursivitäts-Begründers, durch dessen Signatur sich Werke in aktuellen Diskurs-Formationen verorten lassen, kann so etwa in Fällen von Missbrauch die rechtlich gebotene Zuweisung von Verantwortung erschweren: In Folge des Fehlens einer zurechenbaren Instanz erscheint auch eine rechtlich notwendige Schuldzurechnung an einzelne Akteure unmöglich. Somit bleibt die Zuweisung von Autorschaft und entsprechender Funktionen ein gesellschaftliches Anliegen. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass bereits der Name ‚Homer‘ im 6. Jh. erstmals in solchen Fragmenten fällt, in denen die epische Menschen- und Götterwelt als moralisch unangemessen kritisiert wird – pointiert ließe ich dabei von einer archaischen ‚Geburt des Autors aus dem Geiste der Kritik‘ sprechen.1160

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1160 Xenophanes 21 B 11, 12, 14-16, 23-26 DK; Heraklit 22 A 22 DK und B 42, 56. Man vergleiche die früheste Nennung des Iambikers Archilochos (außer bei Heraklit 22 B 42 DK) im Rahmen dichterischer Abgrenzung bei Pindar, Pyth. 2.52-56 (s. auch Pind. Ol. 9.1-4 das in Olympia gesungene Archilochos-μέλος; ferner Hdt. 1.12.2, etc.). Eine Parallele zur Verbindung von Autornamen und Kritik stellt die erstmalige Nennung der ansonsten anonym apostrophierten Pythia von Delphi bei Herodot dar (Hdt. 6.66): Hier ist von der Bestechung der Pythia Perialla zugunsten eines innenpolitischen Streits in Sparta die Rede (ὁ δὲ Κόβων Περίαλλαν τὴν πρόμαντιν ἀναπείθει τὰ Κλεομένης ἐβούλετο λέγεσθαι λέγειν), deren Entdeckung zum Skandal und in der Folge zur Verbannung der Pythia führte. So ragt Perialla aus der Masse der bei Herodot ansonsten anonym bleibenden Pythien heraus: zur Etymologie ihres Namens LSJ s. v. περίαλλος, ον “before all others: Adv. περίαλλα before all, h.Pan. 46, Pi.P.11.5, Ar.Th.1070”. Die zweite Nennung einer Pythia bei Herodot, ebenfalls mit sprechendem Namen, findet sich bei Hdt. 7.140-142, wo eine Pythia namens Aristonike den Athenern andeutet, wie sie „auf bestmögliche Art“ gegen die Perser „gewinnen“ könnten: Ihr zweites Orakel bezieht sich auf die berühmten „hölzernen Wände“, was über Themistokles’ interpretative Intervention zur Seeschlacht bei Salamis (480 v. Chr.) führt. Hartmut Leppin verweist mich darauf, dass im Falle der Pythia statt von Zuweisung individueller Autorschaft eher die Frage der Zurechnung von Verantwortung und agency relevant sei, da die poetischen Aussagen der Priesterin zwar aus ihrem Munde erschallen, sie jedoch zu einem gewissen Grade als heteronomes Sprachrohr des Delphischen Apoll fungiert. Dazu HAFNER (2022).

286

Abkürzungen

6. ABKÜRZUNGEN CPG: DK: DNP: FGE: FGrHist: GEF: G.-P.: IG: LSJ: M.: M.-W.: OF: PCG: PEG: PMG: PMGF: RE: SH: SOD:

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314

Index locorum

8. INDEX LOCORUM Der folgende Stellenindex enhält lediglich diejenigen antiken Textpassagen, die im Fließtext der vorliegenden Studie näher besprochen werden. Aischylos fr. 135-136 TrGF: 56 Alkman fr. 1, 29, 38 PMGF: 69 fr. 14(a) PMGF: 151 fr. 16 PMGF: 169 fr. 27 PMGF: 150 Anacreontea 1.1-17: 245 60.30-31: 246 Anakreon fr. 402c PMG: 62f., 66 Archilochos fr. 5 W.: 87 Aristophanes fr. 235 PCG: 65 Ran. 530-532: 74f. Vesp. 1018-1022: 73f. Aristoteles poet. 1460a5-6: 138, 143 Diogenes Laertios 3.37: 215 3.52: 225f. Eusebios Hist. eccl. 6.23.1-2; 6.36.1: 102f.

2.117: 85, 243, 265, 269f. 3.38.4: 106f. 3.80.1: 98 4.29: 85 4.32: 265, 270 5.67.3-5: 253 7.19-21: 190f. Hesiod erg. 1: 149 erg. 658-659: 161 Theog. 22: 157f., 164, 235, 272 Theog. 24: 235f. Theog. 31-34: 148 Homer Il. 1.1-12: 141 Il. 2.484-493: 141f., 146, 190 Il. 2.594-600: 146 Il. 9.186-189: 267 Il. 11.786-787: 57 Od. 1.1-10: 143f. Od. 9-12: 134f., 155f., 238 Od. 9.19-21: 155-157 Od. 9.19-38: 86, 155 Od. 9.37: 156 Od. 12.181-192: 147 Od. 14.277-279: 87 Od. 22.347-348a: 117f., 145 Homerica Apollon-Hymnos 165-176: 254f. Batrachomyomachie: 267f. Margites fr. 1 W.: 255

Hagesandros-Graffito (Mekone): 35 Hekataios 1 F 1 FGrHist: 71, 184-186, 201, 236

Lysias or. 1: 112 Nestor-Becher: 35

Herodot 1.1.1: 97, 184, 187, 237

Pindar

Index locorum Isthm. 5.38: 153 Nem. 3: 152 Ol. 1.111-112: 152 Ol. 3.4: 152 Ol. 13.96-97: 151 Pyth. 1.58-59: 153 Pyth. 4.67-68: 153 Pyth. 5: 103-105 Pyth. 11.41-42: 152f.

315 fr. 58 V. (P. Oxy. 1787): 165, 276f. P. Köln 21351 + 21376: 275-277

Solon Eunomie fr. 4 W.: 280 Stesichoros fr. 192.1 PMGF: 150 fr. 193.9-10 PMGF: 150 fr. 210 PMGF: 15ß

schol. ad Pind. Nem. 2.1c D.: 256f. Platon Apol. 34a: 215f., 218 Apol. 38b: 215f., 218 Ion 533d1-534e5: 115f. Ion 541b2-3: 65 Menex.: 110f. Phaed. 59b: 215f., 218 Phaidr. 227d6-228a4: 109f. Phaidr. 264c7: 77 Phaidr. 264e3: 77f. Phaidr. 275d9-e5: 126 Prot. 339a-347a: 55 Symp. 180a4-7: 56f. Tht. 142d-143b: 100-102, 222 Ps.-Platon ep. 2.314b7-c6: 220f. Hipp. 228b8-9: 67f., 253 Plinius d.Ä. Nat. hist. 35.9: 129 Quintilian inst. 3.3.1: 41, 108 Sappho fr. 1.19-20 V.: 151, 165, 272 fr. 1.20, 65.5, 94.5, 133.2 V.: 63, 164 fr. 55 V. : 165f.

Susarion fr. 1.1-2 PCG: 174 Tabulae Iliacae: 38f. Theognis 19-20 W.: 36 19-23 W.: 93, 170-173 21 W.: 93, 128 22-23 W.: 173 239-240 W.: 128, 172 Thukydides 1.1.1: 184, 191f., 197, 209 1.22: 191f., 196 3.104.4-6: 255f. 4.104.4: 184, 193f., 209 5.26.1: 184, 194f., 199f. 5.26.4-6: 195f. 7.87: 197f. Timotheos fr. 15 = fr. 791 PMG: 151, 174f. Xenophon An. 3.1.4: 208f. Hell. 1.1.1: 198f., 224 Hell. 3.1.2: 209-211, 224, 236 Hell. 7.5.27: 204 Mem. 1.3.1: 207

316

Index nominum et rerum

9. INDEX NOMINUM ET RERUM Absenz (des Autors): 13, 15, 134, 167, 202, 205, 209, 215, 217-219, 223f., 226, 230, 234, 239, 252, 285 adespota: 242f. agency: 22, 28f., 40, 42, 114, 120, 143, 285 Agonalität: 176, 238 Allelopoietisch: 201, 223, 230 Anonymität: 52, 71, 138, 149, 155, 159, 183, 200, 211, 219f., 224f., 230, 239-244, 249, 255, 268 vs. Onymität: 14, 131, 135, 154f., 157f., 182f., 201, 235, 238, 240f., 243, 249, 268, 272 Aoide: 66, 135, 138, 140 Apologe (Odyssee): 37, 86, 134, 155, 157 Arbeitsteilung: 78, 136 Attribution: 44, 83, 87, 123f., 166, 282 Fremdzuschreibung: 78f., 156 Selbstzuschreibung: 150, 178, 201 Auktorialität: 77, 104, 220, 226, 233 Auteme: 11f., 41-120, 250, 269 Authentifizierung: 18, 173, 209, 249 authorship: 9, 27-29, 60, 87, 114, 127, 161, 194, 221, 247 composite authorship: 23f., 60, 76 distributed authorship: 24 Research Group on Authorship as Cultural Performance (RAP): 27-29 authorship 2.0: 22 Autonomie vs. Heteronomie: 40, 46, 113-120, 147f., 205, 230, 285 Autor als Diskursivitätsbegründer: 233, 285 als Experte: 29, 75f., 108, 116, 136, 177179, 205, 239 Geburt des Autors: 16, 259, 270, 282, 285 Meister-Autor: 15, 113, 248 Tod des Autors: 17, 19, 38, 123, 199 Tod des Autors 2.0: 10, 19, 22, 284 Autorenkollektiv: 242, 270 Autorenrelation: 10, 16f., 46, 114, 248, 266, 283 Autorensicherung: 14, 171 Autorfigur: 14f., 23, 63, 82f., 87, 127, 131f., 135f., 157f., 165, 182, 186, 208, 236-238, 250, 252, 255f., 259, 261, 272f., 282 Autorfiktion: 15, 38f., 124, 187, 210f., 220, 236, 240, 244-250, 259, 266, 281 Autorfunktion (fonction-auteur): 11, 17f., 42, 66, 79, 85f., 104, 114

Deklarative Autorfunktion (declarative autheme): 6, 39, 42, 44, 57, 78-87, 107f., 110-115, 123f., 164, 172, 182, 214, 234, 240, 244, 248, 250, 258, 268f., 272, 276, 283 Exekutive Autorfunktion (executive autheme): 29, 42, 44, 59-80, 87-91, 101, 107, 110-115, 240, 244, 248, 267 Präkursorische Autorfunktion (precursory autheme): 42, 45-59, 114f., 178-180, 201, 203, 224 Revisorische Autorfunktion (revisionary autheme): 42, 76, 87-101, 107, 113-115, 202, 267, 275 Autorisierung: 47, 63, 79f., 82, 87, 106, 115, 118, 123, 176, 180, 203, 249, 258, 268, 275, 279 Autorität: 9, 14, 33, 38, 47f., 55, 58, 80, 84, 104f., 124, 131f., 136, 141, 146, 153, 162, 168, 173, 178, 180f., 188, 190, 192, 201, 220, 222f., 232, 249 Autorname: 17f., 42-44, 48, 52, 63f., 79-81, 83, 85, 114f., 120, 123f., 127, 161, 163165, 169, 174, 183, 188, 211, 217, 233, 235f., 240-242, 244, 252, 264, 266, 274, 281, 284f. Autorpräsenz: 13-15, 121, 125-127, 129, 161, 163, 176, 178, 189, 202, 206, 215, 238f. Autorschaft als one-man show: 60 kollektive vs. kooperative: 23 multiple vs. kooperative: 23f. Autorstimme als (anthropomorph-personale) Illusion (von Präsenz): 18, 86f., 123f., 127f. weibliche Autorstimmen: 69, 140 Barthes: 17, 46f., 115, 119, 129, 239 Bedeutungsperspektive: 134f. Biographismus (biographistisch): 17, 38, 129, 132, 159, 273 Buchkultur: 11, 14, 18, 55, 58, 81, 137, 211, 258 Buchmarkt: 14, 16, 44, 126, 155, 212f., 239, 241, 281 Buchrolle: 85, 100-102, 112, 166, 182, 189, 213, 274 Buchtitel: 85, 181 Cartesisches Subjekt: 20, 22, 130 Choregin: 69f.

Index nominum et rerum Chorlyrik: 49, 69-71, 75, 103-108 Chorodidaskalos: 63, 70, 72f., 107 copyright: 279, 284 Derrida: 17, 20, 128 Diachrone (kooperative) Autorschaft: 15f., 23, 26, 29, 31, 41, 54, 58, 99f., 133, 137, 180, 201f., 204, 224, 230, 240, 245, 247, 250, 264, 268, 279, 281 Digitales Zeitalter (Digitalisierung): 20-22, 24-26, 89, 284 Echtheitskritik: 18, 246f., 266 Elegie: 14, 80, 83, 93f., 151, 155, 163, 170, 172f., 182, 277f., 280f. Enthusiasmos: 116f. Epichorisch: 64, 83, 162, 175, 283 Epos: 13f., 49, 52, 54f., 58, 92, 117f., 122124, 130, 134, 138, 140f., 144, 149, 155159, 179, 186f., 235, 238, 259, 262, 266f. Erzähler vs. Autor: 12f., 63, 132-135, 156f. fan fiction: 248 Ferrante: 21, 284 Festkultur: 36, 83f., 270f. Fiktionalisierung des Selbst/Künstlers im Werk: 14, 37, 87, 133, 158 floating verses: 278 Foucault: 11f., 17f., 42f., 59, 66, 79, 84, 114f., 119, 233, 283 Genealogie: 47, 49, 69, 71, 95, 158, 175, 186, 257, 266 Genie(-ästhetik): 19-21, 38, 47, 115 Götter: 116, 140, 142f., 150, 157f., 254, 256f., 285 Heroisierung des Autors : 12, 21, 81, 136 Hipparch: 174, 253, 260 historia continua : 180, 198f., 204 Historiographie: 32, 50, 58, 71, 80, 97f., 109, 177-179, 181f., 184-205 ‘Homer’ als deklarativer Autor: 250, 258, 268f. Identität: 12, 18, 49, 65, 86, 124f., 131, 133, 141, 153, 155, 157, 216f., 248, 260 Impersonierung: 15, 56, 62f., 68, 128, 133, 135, 157, 164, 235f., 246, 256, 267, 281, 283 Individualität: 19, 45, 83, 105-107, 130 Inschriften: 34-36, 52, 174, 182, 187, 214, 242 Inspiration: 13, 52, 64, 116-118, 138, 140, 147f., 150, 184, 238

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Institutionalisierung: 14, 28, 44, 67, 212, 253, 270f. intentional fallacy: 17, 121, 227 Intentionalität: 28 Interpolation: 87, 90-92, 94, 214, 277 Intertextualität: 46f. Kanon/Kanonisierung: 15f., 56f., 68, 82, 91, 202, 214, 247, 250, 253, 267f., 270-272, 284 Ko-Autor(schaft): 25f., 65, 74, 95f., 136f., 247, 266, 271, 284 Komödie (Alte Komödie): 31f., 46, 51, 72-75, 94-96, 174, 212f. Kompetenz: 72, 74f., 136, 176, 178-180, 204 Kompilation: 241, 276f., 279 Kopie: 53, 94, 102, 160, 171 Kopisten: 102f., 277 Korrektur: 64, 87, 89, 90f., 94, 100f., 168, 206, 260, 277 Kreativität ([ko-]kreativ): 12f., 15, 21-24, 28f., 33, 46, 65f., 96, 118, 125, 200f., 252, 261, 264, 284 Künstler (künstlerisch): 11, 14, 17, 19, 21, 24, 31-39, 46, 67, 80, 116, 118, 122f., 134, 144, 158, 168, 172, 185, 283 Künstler-Signatur: 36-39, 80 Logographie: 75-78, 99, 103, 108-113, 213 Macht (Machtbeziehungen, Machtverhältnisse): 22, 56, 117, 153, 194, 203f. Mania des Dichters: 116f. manus recentior: 275 Marlowe: 26 McGann: 43f., 59, 80 Medialität: 11, 14, 32, 49, 100, 105, 107, 112, 176, 185, 221, 232 Middleton: 26, 89 Mündlichkeit: 18, 21, 30, 60f., 66, 78, 103, 111, 120, 137, 162, 189, 192, 213, 280 Musaios: 53, 81f., 148, 252, 258, 264 Musen: 13, 42, 74f., 105, 116-118, 120, 125, 136, 138-153, 155-159, 161f., 164f., 168, 173, 186, 190, 235-238, 255f., 267, 273 Musenanruf: 57, 63, 105, 140-142, 148f., 162, 182f., 235, 264, 272, 275 Mythische Autoren: 25, 30, 49, 53, 68f., 72, 81, 244 New Philology: 25, 90, 277 Odysseus poeta: 54, 135, 175, 238 officia oratoris: 41, 108 Onymität: 14, 131, 135, 154f., 157f., 182f., 201, 235, 238, 240f., 243, 249, 268, 272

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Index nominum et rerum

open book: 277 Orakel: 25, 81f., 116, 140, 188, 208, 285 Originalität: 28, 38, 47, 172, 179, 181 Orpheus: 49, 81-83, 147f., 174f., 246, 249, 258, 274 Orthonymie: 86, 240, 244, 284

Publikum: 36, 54, 61, 67, 70, 86f., 90f., 95, 98, 101, 120, 123, 126-128, 145, 148, 154, 159, 161-163, 167, 169, 171, 178f., 182, 186, 194, 207, 217, 232, 238, 274 Pythia: 140, 252, 285 Quellenforschung: 77, 247

Panhellenisch: 12, 54, 62, 64, 97, 103, 126, 154, 159, 161, 169, 171, 175, 194, 201, 271, 280, 283 Paratext: 85, 112, 126, 133, 173, 182, 211f., 219, 240-242 Performanz: 12, 26-28, 33, 61, 63f., 100, 107, 109, 112, 119, 137, 154, 171f., 175, 270f., 273-275, 277, 284 performance: 33, 61, 66, 90, 105, 113, 140, 147, 213, 238 re-performance: 61, 93, 120, 169, 215, 271, 276 Peisistratidische Redaktion: 68, 253 persona: 37, 55, 64, 122, 130, 132, 134, 159, 167, 179, 227, 229, 259, 272 Persönlichkeit: 57, 124, 127, 129, 223, 235, 251, 253, 260, 269 Plagiat: 9, 18, 20, 45, 53, 73, 79, 93, 136, 171, 248, 265 Platon (Plato): 9, 14f., 40, 48f., 51f., 55-57, 68, 77, 84, 98-103, 109f., 114-117, 119, 126f., 148, 200, 202, 212f., 215-234, 236, 239, 241, 243, 246, 248, 257, 269 poeta faber: 13, 153 poeta vates: 13, 153 Porträt: 129, 207, 218, 223, 235 Posthumanistisch: 22, 27 Präsenz: 12-15, 45f., 49, 61, 63, 86f., 107, 121, 123-129, 138, 141-143, 161-163, 166, 175f., 178, 181, 189f., 193f., 201, 206f., 215, 217, 220, 222, 226, 230, 238f., 251f., 283 produsage: 24, 267 Produzent: 11, 14, 21, 24, 32, 34, 65f., 71f., 75, 80, 82-84, 135, 138, 150, 153-156, 163, 247, 285 Proöm: 86, 97f., 134f., 141-143, 145, 149, 151f., 155-160, 164, 175, 181, 184f., 187196, 199, 206, 208, 218, 235f., 241, 268, 275 Zweites Proöm: 190, 194, 196, 199f., 264 Prosa: 12-15, 32, 49-51, 58, 71, 80, 9799,102, 124, 136f., 171, 176-184, 186, 196, 200f., 206, 215f., 218, 233-235, 238f. Pseudepigraphie: 240, 244, 248-250 Primäre vs. sekundäre: 240, 244-250 Pseudonymie (Pseudonym): 15, 21, 38f., 204, 209-212, 224, 236, 239f., 243f., 249, 282

Revision: 15, 21, 25, 44, 59, 87, 89, 92f., 95, 97, 101, 175, 199, 205, 279 Rezeptionsästhetik: 50, 121, 125, 166, 247 Rhapsode (rhapsodisch): 62, 65-68, 84, 91f., 102, 115f., 127, 134, 148, 151, 155, 157, 159, 181, 235, 253, 256-258, 262, 264f., 267f., 283 Rückzug des Autors: 12, 14, 115, 124, 138, 203, 219, 221f., 224 Schauspieler-Interpolationen: 94, 214 Schreiber: 13, 29, 43f., 46, 90f., 102f., 128, 189, 213, 248, 276f. Schreibwerkstatt: 78, 100, 103 Schriftlichkeit: 11, 18, 30, 46, 61, 66, 71, 78, 83, 114, 120, 134, 137, 177, 192, 275, 281 Shakespeare: 19, 25f., 47, 89, 278 Siegerlisten: 15, 72, 214 Signatur: 11f., 16, 19, 23, 34, 36-38, 54, 8587, 106, 120, 123f., 128, 131, 135, 154, 158, 160f., 164, 171-176, 182, 191, 208, 213, 218, 221f., 228, 235-237, 239, 241, 254f., 259, 272-274, 285 in Inschriften: 34-36, 174, 182 auf Vasen: 32-38, 80, 85 Sokrates: 57, 65, 77, 96, 100f., 109-111, 115f., 126, 148, 176, 206-208, 212f., 215227, 230-232, 236, 243 song culture: 14, 26, 64, 78, 125, 137, 153, 248, 279 Sphragis: 14, 34, 37f., 85, 93f., 110, 162, 164, 167, 169-174, 185, 188, 204, 235, 237, 248 Staatsexemplar der Tragiker: 94, 214, 270 Subjekt: 19-22, 27, 46f., 83-85, 122, 130, 139, 182 Symposion: 36, 62, 66, 82, 102, 106, 163 Textkritik: 90, 99, 137 Text-Netzwerk: 16, 21, 25, 115 Textproduktion: 11, 24, 26, 43f., 60, 75, 77, 87, 90, 102f., 108, 112, 114 Textualität: 107, 114, 134, 281 Titel: 15, 42, 51, 78, 81, 84-86, 89, 107, 112f., 114, 121, 158, 165, 182f., 191, 211f., 219, 239-242, 244f., 249, 251, 262, 264, 274 Titelsatz: 14, 78, 80, 158, 165, 181-184, 187, 191, 194-197, 201, 205f., 209-211, 216, 235, 237, 239

Index nominum et rerum Überarbeitung: 16, 24, 27, 30, 42, 59, 73, 8797, 101f., 107, 113f., 130, 224, 233, 268, 277 Überbietung: 51, 58, 176, 184, 186, 191, 201, 204, 237f. Urheberrecht: 18, 20f., 26, 84, 243, 247f. Vasenmaler: 33, 36, 38 Väter und Söhne (Dichter-Genealogien): 95f.

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Verantwortung: 6, 11f., 84f., 117, 126, 145, 229, 285 Virtuell: 13f., 26, 115, 121, 124f., 202, 209, 211, 213, 218, 221, 224, 234, 239 ‚Werk ohne Autor‘: 218 Workshop: 33f. writer vs. author (McGann): 43f., 59 #ThanksForTyping: 102