Funkmeß: Die Entwicklung und der Einsatz des RADAR-Verfahrens in Deutschland bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges [1. Aufl.] 978-3-663-19983-0;978-3-663-20332-2

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Funkmeß: Die Entwicklung und der Einsatz des RADAR-Verfahrens in Deutschland bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges [1. Aufl.]
 978-3-663-19983-0;978-3-663-20332-2

Table of contents :
Front Matter ....Pages 1-10
Wissenschaftliche Vorstufen und Vorläufer (Frank Reuter)....Pages 11-15
Eintritt eines Verfahrens zur elektrischen Rückstrahlortung in den Entwicklungsstand der allgemeinen Anwendbarkeit (Frank Reuter)....Pages 15-22
Die Weiterentwicklung bis zum Kriegsbeginn (Frank Reuter)....Pages 23-36
Die Entwicklung im Ausland (Frank Reuter)....Pages 36-41
Die Lage bei Kriegsbeginn (Frank Reuter)....Pages 43-50
Deutsche Kriegserfahrungen und Auswirkungen bis 1942/43 (Frank Reuter)....Pages 50-113
Die Wende 1943 und die Abwehr des gegnerischen Hochfrequenzeinsatzes bis zum Kriegsende (Frank Reuter)....Pages 113-185
Forschung und Entwicklung. Das Funkmeßwesen im Ringen um die Kriegsentscheidung (Frank Reuter)....Pages 186-202
Back Matter ....Pages 203-288

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WISSENSCHAFTLICHE ABHANDLUNGEN DER ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

Band 42

WISSENSCHAFTLICHE ABHANDLUNGEN DER ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

Band 42

FRANK REUTER

Funkmeß Die Entwicklung und der Einsatz des RADAR-Verfahrens in Deutschland bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

Funkmeß Die Entwicklung und der Einsatz des RADAR-Verfahrens in Deutschland bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

Von Frank Reutet

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

Das Manuskript wurde der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Wesdalen am 26. November 1969 von Professor Dr. Max Braubach vorgdegt

ISBN 978-3-663-19983-0 ISBN 978-3-663-20332-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-20332-2 © 1971 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1971.

Vorwort Die neuzeitliche Technik kann als eines der wesentlichen Instrumente angesehen werden, mit denen der Mensch versucht, seine Gegenwart und Zukunft zu gestalten. Sie ist zu einem der wirkungsvollsten Werkzeuge der Veränderung menschlichen Zusammenlebens geworden. Als geschichtsbildender Faktor hat sie heute, wo der Besitz oder Nichtbesitz nuklearer Waffen oder die Fähigkeit, den Weltraum zu erforschen, den politischen Rang der Staaten entscheidend mitbestimmen, eine Bedeutung erlangt, wie dies zuvor noch nicht zutraf. Die Geschichtsforschung kann bei ihren Bemühungen, Auskunft über die Vergangenheit zu geben, zukünftig die Technik nicht mehr ausklammern. Im engeren Sinne einer "Technikgeschichte" hat die Technik ihre eigene Geschichte. Diese besteht aus einer Summe technischer Erfindungen, Entwick.lungen und Entwicklungsschritte, wie sie in zeitlicher Abfolge hervorgebracht und vollzogen wurden. Sie aufzuzeigen, wird kaum Aufgabe des Historikers sein können, da er hierfür die Voraussetzung, die Ausbildung zum Techniker, nicht besitzt. Daneben besteht aber die Aufgabe, die Bedeutung der Technik innerhalb eines geschichtlichen Ablaufes oder ihren Einfluß auf diesen darzustellen; es geht darum, die "Technik in der Geschichte", ihre Kraft als geschichtsbildenden Faktor aufzuspüren, festzuhalten und in der ihr angemessenen Proportion in die Reihe anderer mitbestimmender Umstände einzuordnen. Diese Aufgabe muß der Historiker übernehmen, und um ihr gerecht werden zu können, ist die Kenntnis gewisser Teile der Technikgeschichte unerläßlich 1 • Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, in einem ersten Teil die Entwicklung der Funkmeßtechnik (Radar) in Deutschland zu schildern und in einem zweiten Teil ihrer weiteren Durchbildung für die militärische Anwendung und ihren Auswirkungen auf Verlauf und Ausgang des Zweiten Weltkrieges nachzugehen. Denn die Funkmeßtechnik, die als neues Kampfmittel in diesem Krieg eingeführt wurde, veränderte das Gesicht der kriegerischen Auseinandersetzung grundlegend und erlangte geradezu kriegsentscheidende Bedeutung. Die Begrenzung dieser Untersuchung auf den Zeitraum zwischen 1933

6

Vorwort

und 1945 ergab sich daraus, daß das Erkennen der Bedeutung dieser Technik für die militärische Anwendung in Deutschland im Jahre 1933 den Anstoß für ihre Entwicklung gab und daß nach Kriegsende Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet dunh Verbot der Siegermächte in Deutschland eingestellt werden mußten. Die große Zahl der in jener Zeit ausgeführten Entwicklungen und Vorhaben, insgesamt über 950 2, bedingte eine Einschränkung auf die tatsächlich zur Anwendung gekommenen Projekte, und auch von diesen konnten nicht alle erwähnt werden. Die Arbeit konnte thematisch nicht auf alle technischen Verfahren der Funkortung ausgedehnt werden, also beispielsweise auf die Funknavigationsverfahren, da diese selbst ein umfangreiches Teilgebiet darstellen. Auch Steuerungs- und Ortungsverfahren von Raketen konnten nicht behandelt werden, da hierfür die Quellenlage zu unergiebig war. Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Verbot der alliierten Mächte steht die Tatsache, daß über die deutsche Funkmeßentwicklung, die bis zum Kriegsende strengster Geheimhaltung unterlag, auch in der Nachkriegszeit kaum Berichte erschienen, während sich ausländische Publikationen über entsprechende anglo-amerikanische Entwicklungen und deren militärische Anwendung bereits häuften. Dieser Zustand änderte sich, als am 6. September 1951 auf Vorschlag von Ministerialdirektor Dipl.-Ing. Leo Brandt im Düsseldorfer Verkehrsministerium der "Ausschuß für Funkortung" in der "Deutschen Gesellschaft für Verkehr", deren Vorsitzender Brandt war, gegründet wurde. Der Ausschuß, der am 1. 1. 1962 als "Deutsche Gesellschaft für Ortung und Navigation" ein selbständiger Verein wurde, stellte sich unter anderem die Aufgabe, das spärliche und weitverstreute Quellenmaterial über die deutsche Funkmeßentwicklung zu sammeln und zu veröffentlichen. Mit diesen Veröffentlichungen konnten die wichtigsten Phasen der deutschen Funkmeßentwicklung im Sinne einer Technikgeschichte rekonstruiert werden. Hinzu kamen zahlreiche Aufsätze über Sonderprobleme, die von Mitlebenden aus der Erinnerung aufgezeichnet wurden. Mit der Rückführung des von den Siegermächten beschlagnahmten deutschen militärischen Aktenmaterials aus England und den Vereinigten Staaten von Amerika in deutsche Archive besserten sich dann auch die Voraussetzungen für eine auf historische Quellen abgestützte Darstellung, die die militärtechnischen Beschreibungen mit dem allgemeinen Kriegsablauf verbindet. Eine geschichtswissenschaftliehe Darstellung der Entwicklung der Funkmeßtechnik in Deutschland ist bisher noch nicht erfolgt. Die allgemeine politische und militärische Geschichte des Zweiten Weltkrieges hat von der entscheidenden Bedeutung des Funkmeßwesens bisher so gut wie keine Notiz genommen, weil dafür die Sachkenntnis des Historikers und alle Vorarbeiten

Vorwort

7

im Bereich der allgemeinen Geschichte fehlten. So lassen die bisherigen großen Darstellungen des Zweiten Weltkrieges - die kommentierenden Teile des Kriegstagebuches des Oberkommandos der Wehrmacht (Schramm), die immer noch maßgebende Darstellung des Handbuches der Deutschen Geschichte (Erdmann) und das sonst in Einzelheiten gehende Standardwerk von Dahms - eine Erörterung der Ortungsverfahren vermissen. In der hier vorgelegten Arbeit wird die Entwicklungsgeschichte des Funkmeßwesens mit der allgemeinen Geschichte des Zweiten Weltkrieges verknüpft. Durch anschauliche Darstellung der technischen Probleme möchte sie den Techniker wie den Historiker in gleichem Maße ansprechen und viele Legenden und unklare Vorstellungen beseitigen. Das Material zu dieser Arbeit, hauptsächlich Akten und Kriegstagebücher der Luftwaffe und Kriegsmarine, habe ich von Ende 1964 bis Anfang 1968 zusammengetragen. Der weitaus größte Bestand für die Fragestellung wurde im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (zitiert MGFA/DZ), Freiburg i. Br., aufgefunden. Infolge des noch nicht abgeschlossenen Rücklaufs aus dem Ausland ist er für die Forschung noch nicht vollständig erfaßt, aufbereitet und geordnet. Die Ungleichheit einzelner Abschnitte in der Darstellung, insbesondere bei den Kapiteln über den Luftkrieg, erklärt sich aus den für die Fragestellung ungleichmäßig strömenden Quellen der Luftwaffe, die lückenhaft und teilweise stark verstümmelt sind. Wichtige Dokumente meist technischen Inhalts wurden mir vom Archiv der "Deutschen Gesellschaft für Ortung und Navigation e. V." (zitiert DGON), Düsseldorf, zugänglich gemacht. Die im Bundesarchiv (zitiert BA) beziehungsweise Bundesarchiv/ Militärarchiv (zitiert BA/MA), Koblenz, für diese Arbeit aufgefundenen Akten ergänzen das Material aus Freiburg hinsichtlich der Funkmeßforschung und der Industrie. Die Industriearchive selbst sind durch Kriegs- und Nachkriegseinwirkungen völlig zerstört beziehungsweise zerstreut worden. Nur im Telefunken-Archiv, Hannover, konnten einzelne, nicht zusammenhängende Dokumente ausfindig gemacht werden. Bei verschiedenen Bundeswehrdienststelleu befanden sich Gerätebeschreibungen und Betriebsanweisungen. Schließlich konnte durch Befragungen ehemaliger Offiziere und Beamte der Wehrmacht sowie Mitarbeiter der Industrie früher amtliches und privates Quellenmaterial herangezogen werden und mündliche wie schriftliche Aussagen für die Erkenntnis von Zusammenhängen und Ereignissen, die allein aus dem schriftlichen Material nicht geklärt werden konnten, ausgewertet werden. Aus praktischer Sicht kamen der Arbeit ein vierwöchiger Lehrgang, den ich bei der Marineortungsschule absolvierte, und eine zweiwöchige Ausbildungsfahrt mit dem Radarschulschiff der Bundesmarine zugute.

Vorwort

8

Bei der Sammlung des Materials wurde mir von vielen Seiten freundliche Unterstützung durch Hinweise und Mitteilungen gewährt, für die ich hier herzlich danken möchte. Mein aufrichtiger Dank gilt besonders Herrn Staatssekretär Prof. Dr. Dr. Leo Brandt, der die Anregung zu dieser Arbeit gab, und Herrn Prof. Dr. Walther Hubatsch, der sie betreute; beiden Herren bin ich darüber hinaus wissenschaftlich wie menschlich für ihre stets erwiesene Hilfe und Förderung zutiefst verpflichtet. Dank zu sagen habe ich auch dem Präsidenten und Mitarbeitern der "Deutschen Gesellschaft für Ortung und Navigation e. V." und den Leitern und Mitarbeitern des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und des Bundesarchivs, die mir vielfältige Förderung zuteil werden ließen. Bann, im Frühjahr 1969 Frank Reuter

1

Wilhelm Treue, Tedmikgeschichte und Technik in der Geschichte, in: Technik Geschichte,

Bd. 32 (1965), S. 3 ff. 2

Fritz Trenkle, Deutsche Ortungs- und Navigationsanlagen (Land und See 1935-1945). Düsseldorf (o. J.).- Ders., Bord-Funkgeräte der deutschen Luftwaffe 1939-1945. Düsseldorf (o. J.)

Inhalt 1. Teil: Geschichtliche Wurzeln der Funkmeßtechnik (RADAR) und ihre Entwicklung bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges

I. Wissenschaftliche Vorstufen und Vorläufer . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

II. Eintritt eines Verfahrens zur elektrischen Rückstrahlortung in den Entwicklungsstand der allgemeinen Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . .

1S

III. Die Weiterentwicklung bis zum Kriegsbeginn.................. 1. Marine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Luftwaffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23

31

IV. Die Entwicklung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Amerika .......... , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

2. Teil: Die Funkmeßtechnik als Mittel der Kriegführung

I. Die Lage bei Kriegsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

II. Deutsche Kriegserfahrungen und Auswirkungen bis 1942/43 . . . . SO 1. Der Einsatz auf den schweren Überwassereinheiten . . . . . . . . . . SO 2. Der Einsatz bei der Luftwaffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3. Der Krieg im Kther.................................... 102 III. Die Wende 1943 und die Abwehr des gegnerischen Hochfrequenzeinsatzes bis zum Kriegsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Nacht-Luftverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwischenbetrachtung über den Einsatz der Funkmeßtechnik bei der Luftwaffe. Die Lage bei Kriegsende. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die V-Boot-Waffe im Kampf mit der Ortung .............. 4. Der Kampf der Schnellbootwaffe im englischen Küstenvorfeld

113 113 144

149 173

Inhalt

10

IV. Forschung und Entwicklung. Das Funkmeßwesen im Ringen um die Kriegsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

Anhang Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

203 235 255 257 273 283

Register a) Personenregister ........................................ 285 b) Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

1. Teil Geschichtliche Wurzeln der Funkmeßtechnik (RADAR) und ihre Entwicklung bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges

/. Wissenschaftliche Vorstufen und Vorläufer (Wurzeln der modernen Technik - James Clark Maxwell - Heinridl Rudolf Hertz Guglielmo Marconi- Christian Hülsmeyer- Heinridl Löwy - Hans Dominik)

Bei der Beschäftigung mit der Geschichte einer technischen Erfindung und ihrer Weiterentwicklung erwecken vor allem ihre Anwendung wie ihre Auswirkungen auf die geschichtlichen Vorgänge und Ereignisse die Aufmerksamkeit des Historikers. Doch gleich zu Beginn seinesBemühenstaucht die Frage nach den geschichtlichen Wurzeln dieser Erfindung auf. Folgte die erfinderische Leistung einem einmal beschrittenen unausweichlichen Weg der allgemeinen wissenschaftlichen Forschung und technischen Entwicklung? Ist sie rein zufällig, gleichsam zur Überraschung selbst ihres Erfinders hervorgetreten, oder war sie das erstrebte Ziel eines planmäßigen Vorgehens? Der Aufgang der modernen Naturwissenschaft vollzog sich im 16. und 17. Jahrhundert, als Kopernikus und Kepler, Galilei und Newton durch ihre methodische Eroberung neuen Wissens, durch Nachdenken auf logischem Wege, die Gesetze formulieren, welche sie dann durch das Experiment in der Natur bestätigt sahen. Denn dies ist die Methode moderner naturwissenschaftlicher Forschung, daß sie zunächst eine gesuchte Auskunft in Gestalt einer reinen Theorie, einer Hypothese, hervorbringt, welche dann der wissenschaftliche Versuch verifiziert. Erst nach Schaffung dieser Grundlage folgt die praktische Anwendung der so gefundenen Naturgesetze in Gestalt der Technik. Ein Moment der Notwendigkeit ist diesem methodischen Vorgehen enthalten, die innere Samlogik der modernen Naturwissenschaft. Wie sehr sie den Fortgang der denkenden Bemühungen mitbestimmt und "den einzelnen Denker zum Vollstrecker eines durch ihn hindurchlaufenden Gesamtprozesses macht" 1, lehrt die erstaunliche Erscheinung, daß gleiche Erfindungen von verschiedenen Denkern unabhängig voneinander ohne Wissen des einen vom anderen hervorgebracht werden und daß eine einmal in Vergessenheit geratene Erfindung als neuer Fund eingebracht werden kann. Das hängt damit zusammen, daß der Mensch durch die Mathematisierung der Natur ein Wissen um sie gewinnt, welches vor allem dadurch an Bedeutung

12

Geschichtliche Wurzeln und Entwicklung der Funkmeßtechnik

hervorragt, daß es wegen seiner Allgemeingültigkeit jedem denkenden Wesen allenorts und jederzeit zugänglich ist. Das bedeutet zugleich, daß der Mensch, auch wenn er zum Vollstrecker eines durch ihn hindurchlaufenden Gesamtprozesses wird, nicht einem undurchsichtigen Schicksal blind ausgeliefert ist, sondern daß er den Gang des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts sehenden Blicks verfolgen und gestalten kann. - Neben dieser Geistigkeit ist auch die menschliche Bedürftigkeit nicht zu vergessen; sie ist die andere Wurzel jeder Technik. Immer war der Mensch bestrebt, sich die physische Arbeit zu erleichtern und schon aus Gründen der Selbsterhaltung die Schranken der Natur durch künstliche Zurüstung zu bezwingen 2 • Ein Beispiel für diese allgemeingültigen Ausführungen ist der Weg bis hin zur Erfindung der Funkmeßtechnik. Die theoretischen, naturwissenschaftlichen Grundlagen der heutigen Funkmeßtechnik schuf der englische Physiker James Clark Maxwell. Ausgehend von Faradays elektrischen Versuchen führte Maxwells Theorie über den Verschiebungsstrom zwangsläufig, auf rein mathematischem Wege, zu der Folgerung, daß sich im leeren Raum, losgelöst von den sie erregenden Körpern, elektromagnetische Wellen ausbilden können und diese sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Er sprach daraufhin 1865 die kühne Idee aus, das Licht sei selbst nichts anderes als derartige elektrische Wellen. 1873 erschienen die beiden Bände seines "Treatise on Electricity and Magnetism", in denen er seine in den nach ihm benannten Maxwellsehen Gleichungen gipfelnde elektromagnetische Wellentheorie, eine Reihe mathematischer Beziehungen, welche die Eigenschaften dieser Wellen beschrieben, zusammenfaßte. Die theoretischen Erkenntnisse Maxwells bestätigte der deutsche Professor der Physik in Karlsruhe und Bann, Heinrich Rudolf Hertz. Experimentell entdeckte er 1888 die elektromagnetischen Wellen und wies in seinen Untersuchungen ihre Bündelungs- wie Reflexionsfähigkeit nach, und stellte fest, daß sie sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Das war die volle experimentelle Bestätigung der theoretischen Voraussagen Maxwells. (Es ist also zweckmäßig und physikalisch richtig, sich diese Wellen als unsichtbares Licht vorzustellen, die sich vom sichtbaren Licht nur durch andere Wellenlängen unterscheiden.) Als Maxwell seine Erkenntnisse niederschrieb und Hertz sie in der Natur bestätigt fand, lag ihnen der Gedanke der praktischen Anwendung noch fern 3 • Ihr Bemühen, die bis dahin nur sinnlich wahrnehmbare Erscheinung der Elektrizität und des Lichts in ein System von mathematischen Relationen umzuwandeln, in eine reine Theorie, die nur durch das unsinnliche reine Denken begriffen werden kann, war aber kein müßiges Spiel. Denn von der Einsicht in die Gesetzlichkeit und ihrem experimentellen Beweis konnte der

Wissenschaftliche Vorstufen und Vorläufer

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denkende Geist nun den Schritt zu ihrer systematischen Ausnutzung tun. Die praktische Bedeutung dieses Denkens wurde bald offenkundig in dem Entstehen der gesamten Funktechnik. Der italienische Physiker Guglielmo Marconi beschäftigte sich als erster mit der praktischen Anwendung der Hertzsehen elektrischen Wellen, um sie zur Übertragung von Nachrichten zu benutzen. 1897 gelang es ihm erstmals, Zeichen auf die Entfernung von fünf Kilometern funktelegrafisch zu übertragen, und schon im Jahr 1901 überbrückte er den Nordatlantik zwischen England und Amerika. Der Wert der drahtlosen Telegrafie als ein verbesserter Signaldienst, der unabhängig von jedem Wetter, Nebel, Regen und Schnee und von jeder Tageszeit ist, war bereits um die Jahrhundertwende anerkannt. An seiner Verwertung für militärische Zwecke bestand in vielen Staaten großes Interesse 4 • Oft eilen Erfinder ihrer Zeit, die mit ihren Ideen nichts anfangen kann, voraus. Etwa zur gleichen Zeit, als die Funktelegrafie in rascher Entwicklung fortschritt und nicht nur in der Fachwelt immer größere Aufmerksamkeit fand, beschäftigte sich der kaum zwanzigjährige Seminarist Christian Hülsmeyer im Physiksaal des Lehrerseminars in Bremen mit den Hertzsehen Spiegelversuchen 5 • Hier kam ihm der Gedanke, die von einem Sender ausgestrahlten und von Metallflächen zurückgeworfenen elektrischen Wellen zur Feststellung entfernter metallischer Gegenstände zu verwenden. Es mußte für ihn naheliegen, die Verwirklichung seiner Idee als Kollisionsschutz für Schiffe anzustreben. Denn in seiner engeren Heimat, der Landschaft an der Unterweser, waren Schiffszusammenstöße bei Nacht und Nebel keine seltenen Ereignisse, bei denen oft genug Menschenleben zu beklagen waren. Hülsmeyer gab seine Lehrstelle bei Siemens in Bremen auf, um sich ganz seiner Idee zu widmen. Nachdem er in Versuchen am Rheinufer in Düsseldorf den praktischen Erfolg seiner Erfindung nachgewiesen hatte, in denen das von ihm konstruierte "Telemobiloskop" Schiffe durch Auslösen einer Klingel angezeigt hatte, solange sie im Bereich der elektrischen Strahlung waren, erteilte ihm das Kaiserliche Patentamt im April 1904 ein Patent auf sein "Verfahren, um entfernte metallische Gegenstände mittels elektrischer Wellen einem Beobachter zu melden". Und ein halbes Jahr später erhielt er ein Zusatzpatent zur Entfernungsbestimmung 6 • Im September 1904 wurde Hülsmeyers Erfindung auch in England patentiert 7 • Eine neue Erfindung war entstanden auf dem Boden der Erkenntnisse von ganz nur dem naturwissenschaftlichen Problem verschriebenen Forschern und letztlich geschaffen von einem dem Wohle der Menschen nachsinnenden Erfinder. Aber ihre Anwendung im großen war nur möglich, wenn Persönlichkeiten mit Pioniergeist und Erwerbssinn ihre Bedeutung erkannten

14

Gesdüchtliche Wurzeln und Entwiddung der Funkmeßtechnik

und Zeit und Geld an ihr wagten. Marconi fand die Unterstützung der englischen Telegrafenverwaltung. 1897 wurde die "Wireless Telegraph Company" gegründet, die für seine Versuche großes Kapital aufbrachte 8 • Hülsmeyer war weniger glücklich, obgleich seine Erfindung nicht weniger bedeutsam war. Er wandte sich an verschiedene große Reedereien im In- und Ausland, auch an die Kaiserliche Marine, und erhielt stets Absagen. Ein Kölner Kaufmann, Heinrich Mannheim, begeisterte sich für die Erfindung und beteiligte sich mit 5000 Mark an der Gründung der "Telemobiloskop-Gesellschaft Hülsmeyer und Mannheim". Die Geldsumme reichte aber kaum aus, die Versuche zu finanzieren, die Geräte zu verbessern und neue Einzelteile zu beschaffen. Mannheim nahm 1905 Kontakt mit der deutschen Elektroindustrie auf, der gerade im Jahre 1903 gegründeten "Gesellschaft für drahtlose Telegrafie Telefunken", um sie für die Erfindung zu interessieren, und übersandte ihr die Patentbeschreibungen. In dem Antwortschreiben der Firma Telefunken hieß es, daß sie "für die genannten Erfindungen keine Verwendung" habe 9 • Hülsmeyers Erfindung kam zu früh. Das Flugwesen, für das sie später größte Bedeutung erlangen sollte, stand gerade erst in den Anfängen. 1903 waren die Brüder Wright zu ihrem ersten Motorflug gestartet. So konnten die Forderungen der Praxis teilweise noch gar nicht geklärt sein. Man erkannte vielleicht nicht klar den Unterschied zwischen der Anwendung der elektromagnetischen Wellen zur Nachrichtenübertragung und der zur Ortung - ein Begriff, der erst noch erdacht werden mußte - und war also einer technischen Fehleinschätzung erlegen. Die großen Erfolge Marconis überschatteten Hülsmeyers Arbeiten. Auch war seine Apparatur noch keine technisch ausgereifte Konstruktion, gleichsam fertig zum Gebrauch, sondern naturgemäß mit allen Fehlern und Mangelerscheinungen eines Versuchsmodells behaftet. Die Entfernungsmessung blieb noch recht unbefriedigend. Darüber hinaus waren einige technische Voraussetzungen noch nicht entwickelt, ja unbekannt: die Elektronenröhre und damit zusammenhängend die Erzeugung sehr kurzer elektrischer Wellen mit ausreichender Energie und die Verwendung der Impulstechnik. Dies waren die Gründe dafür, daß der für die Weiterentwicklung einer technischen Erfindung lebensnotwendige Bund mit industriellem Kapital hier nicht zustande kam. Die Absage der Industrie entschied endgültig, daß Hülsmeyers Verfahren in Vergessenheit geriet. Doch gilt er als der erste, der den Gedanken eines elektrischen Rückstrahlverfahrens verwirklichte. Ein Fachmann auf dem Gebiet der heutigen Funkmeßtechnik, Leo Brandt, urteilt nachträglich: "Wenn man heute diese Patentschriften betrachtet, so erscheint es völlig unverständlich, warum dieser Weg drei Jahrzehnte nicht begangen wurde" 10 • Stellt man die unzu-

Verfahren zur elektrischen Rückstrahlortung

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reichenden technischen Mittel der in jenen Tagen erst entstehenden Funktechnik in Rechnung, so war die von Hülsmeyer erzielte Reichweite zwischen 300 und 3000 Meter, die er noch auf 10 000 Meter zu steigern erhoffte, ein großer Erfolg. Unabhängig von ihm griff 1923 der Göttinger Privatdozent Heinrich Löwy den Gedanken der elektrischen Rückstrahlortung in seinem Patent für die "Einrichtung zum Nachweis und zur Messung des Abstandes elektrisch leitfähiger Massen", erneut auf 11 • Aber auch ihm blieb der praktische Erfolg versagt. Nicht bis in das Stadium der Verwirklichung beziehungsweise bis zu einer Patentanmeldung sollen die Arbeiten des Ingenieurs Hans Dominik, der hauptsächlich als Verfasser wissenschaftlich und technisch durchaus fundierter Zukunftsromane bekannt ist, gediehen sein. Er beschäftigte sich während des Ersten Weltkrieges mit dem Gedanken, die elektrischen Wellen zur Rückstrahlortung militärisch auszunutzen. Auch er dachte dabei an eine Verwendung zur Ortung von Schiffen und prägte für die zu entwickelnde Apparatur die Bezeichnung "Strahlenzieler". Er glaubte auf Grund seiner theoretischen Untersuchungen, daß sich eine Wellenlänge von 10 Zentimetern am besten für die praktische Ausführung seiner Idee eignete 12 •

//. Eintritt eines Verfahrens zur elektrischen Rückstrahlortung in den Entwicklungsstand der allgemeinen Anwendbarkeit (Technische Voraussetzungen und militärische Forderungen- Entwicklungsarbeiten für Entfernungsmessung und Peilung- Verwendung von Zentimeterwellen)

Mit der Erfindung der Elektronenröhre durch den Österreichischen Physiker Robert v. Lieben und unabhängig von ihm durch den amerikanischen Physiker und Radiotechniker Lee de Forest erfuhr die Funktechnik ab 1906 einen bedeutenden Aufschwung. Diese Erfindung hatte weitreichende Folgen und ermöglichte für lange Zeit alle weiteren Fortschritte in der Funktechnik. Sie verdrängte als Schwingungserzeuger den bis dahin üblichen Funkensender. Die in den folgenden Jahrzehnten fortschreitende Beherrschung der Elektronenröhre als Erzeuger und Verstärker elektromagnetischer Schwingungen eröffnete die Erforschung des als Ultrakurzwellen bezeichneten elektromagnetischen Wellenbereiches von 10 Meter abwärts. Hinzu kam, daß der Wellenmangel des rasch zunehmenden Funkbetriebes es nahelegte, bis dahin unausgenutzte Wellenhereiche zu erschließen. Es begann sich ein viel versprechender Zweig der drahtlosen Technik zu entwickeln, in welchem zwar fertige Konstruktionen noch nicht vorhanden waren, aber doch schon gewisse

16

Geschid1tliche Wurzeln und Entwicklung der Funkmeßtechnik

Richtlinien der Gestaltung und neue Aufgaben der Forschung erkennbar wurden 1 • So schuf Hans E. Hallmann zu einer Zeit, als die Kurzwellen im Bereich von 100 bis 10 Meter eben in die Praxis einzudringen begannen, am Physikalischen Institut der Technischen Hochschule in Darmstadt die ersten VItrakurzwellensender und -empfänger, und im Jahre 1927 gelang es ihm, Wellenlängen unter einem Meter zu erzeugen 2 • Die Forschung an den deutschen Universitäten drang in jenen Jahren sogar bis in das Zentimeterwellengebiet vor. Abraham Esau, Professor der technischen Physik an der Universität Jena, arbeitete dort seit dem Jahr 1925 mit seinen Schülern vorzugsweise auf diesem Gebiet kürzester Wellen, und unter den aus seinem Institut hervorgegangenen Untersuchungen über die Zentimeterwellen befand sich schon eine solche über die Rekordwellenlänge von 1,5 Millimeter 3 • Die Praxis konnte nicht mit diesem stürmischen Vordringen der Theorie in bisher unbekannte Wissensgebiete Schritt halten. Aber mit den in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gewonnenen neuen Erkenntnissen über die Funktechnik waren die technischen Voraussetzungen für die kommende Funkmeßtechnik geschaffen worden, die Hülsmeyer noch nicht vorgefunden hatte. Auf diesem Fundament nun konnte die Idee einer elektrischen Rückstrahlortung erneut entstehen, das Bemühen um ihre Verwirklichung überhaupt erst Aussicht auf Erfolg haben, und auf dieser Grundlage konnten in den dreißiger Jahren nicht nur die Pioniere der Funkmeßtechnik in Deutschland aufbauen, sondern zur gleichen Zeit auch die in den V ereinigten Staaten von Amerika, England und Frankreich. In Deutschland wurde diese Idee aus einer militärischen Forderung erneut geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg beschäftigte sich die Nachrichtenmittel-Versuchsanstaltder Marine mit der Entwicklung von Unterwasserhorchgeräten zur Peilung von Unterwassergeräuschen, wie sie etwa durch Schiffsschrauben verursacht werden. Diese Geräte ließen zwar schon eine recht genaue Peilung zu, eine direkte Entfernungsmessung war jedoch noch nicht möglich. Sie konnte lediglich durch eine Kreuzpeilung von mindestens zwei dieser Geräte von verschiedenen Standorten aus ermittelt werden. Daraufhin stellte 1926 die Torpedowaffe der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt die Aufgabe, ein Gerät zu entwickeln, welches von einem Standort aus ein Fahrzeug bei Nacht oder Nebel auf einige tausend Meter nach Seite und Entfernung für den gezielten Torpedoschuß festzustellen gestatten würde. So wurden 1929 bei der Nachrichtenmittel-VersuchsanstaltVersuche mit einem Unterwasserhorizontallot unternommen, das mit Schallimpulsen arbeitete 4 • - Die Weiterentwicklung der Schiffsartillerie nach dem Ersten Weltkrieg führte zu höheren Forderungen an ihre optischen Entfernungsmeßgeräte. Hierin wurde ein

Verfahren zur elektrisdten Rückstnahlortung

17

Tabelle des Spektrums der elektromagnetischen Wellen

Bezeichnung

Wellenlänge

Frequenz

Anwendung

Längstwellen (VLF)

30000 m bis 3000m

10kHz bis 100kHz

Telegrafie

Langwellen (LF)

3000 m bis 1000m

100kHz bis 300kHz

Telegrafie Rundfunk

Mittelwellen (MF)

1000 m bis 100m

300kHz bis 3000 kHz (3 MHz)

Rundfunk

Kurzwellen (HF)

100m bis 10m

3 MHzbis 30MHz

Rundfunk Telegrafie

Ultrakurzwellen (VHF)

10m bis 1m

30 MHzbis 300MHz

Rundfunk, Fernsehen, Telefonie, Funkmeß (Radar)

Dezimeterwellen (UHF)

100 cm bis 10cm

300 MHzbis 3000MHz

Fernsehen, Richtfunk, Funkmeß (Radar)

Zentimeterwellen (SHF)

10 cm bis 1cm

3000 MHzbis 30000 MHz

Funkmeß (Radar)

Millimeterwellen (EHF)

10 mm bis 1mm

30000 MHz bis 300000MHz

teilweise noch Funkmeß (Radar)

Wärmewellen

3,4 x 10-2 cm bis 7,8 X 10-5 cm

3

X

1014 Hz

X

1014Hz

9 X 1011Hz bis

Sichtbares Licht

7,8 x tQ-5 cm bis 3,6 X 10-5 cm

3

Ultraviolettes Licht

3,6 x 10-5 cm bis 1 x 10-6 cm

8 x 1014 Hz bis 3 X 1016Hz

Röntgenstrahlen

1 6

Gammastrahlen u. Höhenstrahlen

3 x 10-9 cm bis 2 X 10-14 cm

X X

10-6 cm bis 10-10 cm

3 x 1016Hz bis 5 X 1019Hz 1 1,5

X X

1019Hz bis 1024Hz

Stand erreicht, der die weitere Beschießung eines vorübergehend durch eine Nebelwand oder Wolke unsichtbar gewordenen Zieles rechtfertigte, vorausgesetzt, daß es Kurs und Geschwindigkeit nicht änderte. Aus diesen Arbeiten ergab sich nun folgerichtig auch für die Schiffsartillerie immer klarer die Forderung nach einem unabhängig von der Sicht arbeitenden Ortungsver-

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Geschichtliche Wurzeln und Entwicklung der Funkmeßtechnik

fahren. Es liefen daher bei der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt Untersuchungen, die Wärmestrahlung (infrarot) von Flugzeugen wenigstens zu laufenden Richtungsbestimmungen auszunutzen 5 • Nachdem die verschiedenen Ortungsverfahren mit akustischen und infraroten Wellen erhebliche Nachteile gezeigt hatten, faßte die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt im April 1933 auf Vorschlag des damals gerade neu ernannten Laboratoriumleiters, Dr. Rudolf Kühnhold, den Plan, elektromagnetische Wellen für Ortungszwecke zu verwenden 6 • Im Januar 1936 hielt Kühnhold einen Vortrag im Allgemeinen Marineamt über die bis dahin geleisteten Arbeiten auf diesem Gebiet, die durchgeführten Erprobungen und die dabei zu überwindenden Schwierigkeiten. Zunächst erläuterte er die Aufgabenstellung: "Da eine Ortung vor allem die Messung einer Entfernung verlangt, ist als Ziel zu setzen, durch Anstrahlung des Gegners und Wiederaufnahme der von ihm reflektierten Wellen die Ortung durchzuführen. Voraussetzung für eine derartige Reflexion ist jedoch, daß die benutzte Wellenlänge möglichst klein zu der reflektierenden Fläche ist. Das heißt aber in diesem Fall, daß die Wellenlänge klein gemacht werden muß zu den verschiedensten Flächen, z. B. Aufbauten des Zieles, um nicht eine Abhängigkeit von der Lage des Zieles zum Sender zu bekommen. Andererseits verlangt eine Ortung auch die Durchführung einer Peilung; eine Peilung ist aber nur möglich mit Hilfe eines scharf gebündelten Strahles. Diese für die Ortuug maßgebenden Gesichtspunkte zwangen von vornherein dazu, möglichst kurze elektromagnetische Wellen zu nehmen, am besten also eine Wellenlänge unterhalb einem Meter zu benutzen" 7 • Aber weder für die Erzeugung dieser Dezimeterwellen mit einigermaßen brauchbarer Leistung noch für ihren Empfang waren die notwendigen physikalischen Grundlagen gegeben. Die für die Erzeugung und den Empfang längerer Weilen bekannte Elektronenröhre war aus physikalischen Gründen unterhalb 1 Meter nicht mehr anwendbar. Bei der Firma Julius Pintsch AG in Berlin lief zwar zu dieser Zeit die Entwicklung von Sendern und Empfängern auf 13,5 Zentimeter, von denen die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt im Frühsommer 1933 je einen bestellte; die Versuche mit diesen Geräten am Kieler Hafen im Herbst 1933 ergaben aber, daß die Leistung der hierbei verwendeten Röhren zu gering war, um Reflexionen zu erzielen. So schieden auch diese Röhren, die mit einer besonderen Kunstschaltung - dem Barkhausensehen Bremsröhrenprinzip - versehen waren, von vornherein aus. Die damalige Röhrentechnik gestattete es noch nicht, in diesem Wellenbereich zwischen 10 und 50 Zentimetern genügend große Leistungen für die Lösung des vorliegenden Problems zu erzeugen 8 • Es ist aber bemerkenswert, daß zu Beginn der Funkmeßentwicklung in Deutschland zunächst der Ver-

Verfahren zur elektrischen Rückstrahlortung

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such stand, dieses Problem mit Wellen, die schon an den Zentimeterbereich grenzten, zu lösen. Im Zuge der Weiterentwicklung dieser Technik sollte die Anwendung der Zentimeterwellen im Zweiten Weltkrieg durch die Kriegsgegner Deutschlands entscheidende Bedeutung erlangen. Die einzig mögliche Erzeugungsquelle für diese Weilen war ein besonderer Schwingungserzeuger, das sogenannte Magnetron, das damals in Deutschland zwar theoretisch einigermaßen bekannt war, praktisch aber noch nicht vorlag. Nachdem die Versuche mit der Firma Pintsch nicht zum Ziel geführt hatten, bemühte sich die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt, die für die Entwicklung derartiger Schwingungserzeuger in Deutschland am besten geeignete Firma, nämlich Telefunken, zur Mitarbeit anzuregen 9 • Kühnhold nahm etwa gegen Ende des Jahres 1933 Kontakt mit dem damals stellvertretenden Laboratoriumschef bei Telefunken, Dr.-Ing. Wilhelm T. Runge, auf 10 • Eine Zusammenarbeit kam jedoch nicht zustande, weil, wie Kühnhold später berichtete, "sich Telefunken sehr ablehnend verhielt, sowohl dem gesamten Problem als auch der besonders schnellen Förderung der Röhrenentwicklung gegenüber" 11 • Vizeadmiral Erhard Maertens, Chef der Amtsgruppe Technisches Nachrichtenwesen im Oberkommando der Kriegsmarine, machte im April 1941 in einem Bericht über "die Entstehung und Entwicklung der Ortungsgeräte nach der Reflexionsmethode" sogar geltend, "daß der Chef des zuständigen Entwicklungslabors, Dr. Runge, die erforderliche Entwicklungsarbeit als ,Utopie' abgelehnt und die Tragweite der Entwicklung damals nicht erkannt hat" 12 • Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Runge bei dem damaligen Stand der Technik das Vorhaben Kühnholds für nicht durchführbar hielt 13 • Wenig später aber, wie noch an anderer Stelle zu berichten ist, begann er selbst auf diesem Gebiet zu arbeiten. Anstatt auf eine Fühlungnahme auf höherer Ebene, also zwischen der Führung der Marine und dem Vorstand von Telefunken, anstelle des gescheiterten Kontaktes mit einem stellvertretenden Laboratoriumsvorstand zu drängen, beschloß nun die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt, offenbar auch aus Gründen sicherer Geheimhaltung, eigens eine Firma für die Entwicklung und Fertigung der notwendigen Geräte zu gründen 14 • Etwa Ende Januar 1934 gewann Kühnhold die beiden Ingenieure Hans Karl Frhr. v. Willisen und Paul Günter Erbslöh, Inhaber der "Tonographie Gesellschaft", einer kleinen Firma, die Schallplatten herstellte, und gründete mit ihnen die "Gesellschaft für elektro-akustische und mechanische Apparate" (Gema). Weder v. Willisen noch Erbslöh waren Fachleute auf dem Gebiet der Hochfrequenztechnik. Sie gewannen aber, zunächst nur halbtags, einen jungen Mitarbeiter des Heinrich-Hertz-Instituts in Berlin, Dr.-Ing. Theodor Schuhes, der nun die Idee Kühnholds in die Wirklichkeit umsetzen sollte 15 •

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Die Folgen der Entscheidung der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt, eine eigene Firma aus dem Nichts für ihr schwieriges Vorhaben aufzubauen und mit ihr die Entwicklung durchzuführen, kennzeichnet Leo Brandt treffend: "Man verzichtete mit diesem Schritt auf das Fachwissen und die dreißigjährige Tradition der Funkindustrie und mußte in jeder Hinsicht, vom Physikalischen bis zum Handwerklichen, von der Röhrenentwicklung bis zur Serienproduktion, neu anfangen. Jeder Fachmann wird sich darüber klar sein, daß ein solches Experiment mit größten Schwierigkeiten verbunden sein mußte und nicht den gleichen Erfolg bringen konnte wie eine Gemeinschaftsarbeit auf breiter Basis" 16 • Es zeigte sich tatsächlich, daß die Gema einige Teile für ihre Entwicklung aus dem Ausland beschaffen mußte, da sie selbst sie nicht entwickeln und herstellen konnte 17 • Einen nicht geringen Teil der Aufgaben übernahmen später auch die Firmen Siemens und AEG, weil die Kapazität der Gema nicht ausreichte 18 • Unbestritten jedoch bleibt die große Leistung der Gema und der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt, trotzdieser vielfältigen Schwierigkeiten in den folgenden Jahren die ersten brauchbaren Funkmeßgeräte in Deutschland zu schaffen. Nach Gründung der Gema wurde sofort mit den Entwicklungsarbeiten begonnen. Zufällig war v. Willisen bekanntgeworden, daß die holländische Firma Philips in Eindhoven Magnetrons für eine Wellenlänge von 50 bis 60 Zentimetern mit genügend hoher Leistung herstellte 19 • Nachdem ein Mustermagnetron von Philips beschafft worden war, führte die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt zusammen mit der Gema in einem dreiviertel Jahr die gesamte Magnetronentwicklung bis zu einer Wellenlänge von 50 Zentimetern sowie den Bau eines technisch bereits vollkommen brauchbaren Senders für diesen Bereich durch. Gleichzeitig damit lief die entsprechende Empfängerentwicklung. Als so die Grundlage für die Lösung des Ortungsproblems geschaffen war, begannen im Sommer und Herbst 1934 die eigentlichen Reflexionsversuche gegen Seeziele. Sie dienten zunächst nur dazu, prinzipiell die Reflexionsbedingungen und die zu erzielenden Reichweiten zu untersuchen. Im Oktober 1934 wurden sie mit dem Ergebnis abgeschlossen, daß ein Ziel mittels der an ihm reflektierten Dezimeterwellen bis zu einer Entfernung von 10 Kilometern sicher nachzuweisen war 20 • Nachdem die Versuche vom Sommer und Herbst 1934 die ausgezeichnete Eignung der Dezimeterwellen für Ortungszwecke bestätigt hatten, ging die N achrichtenmittel-Versuchsanstalt an die weitere Ausbildung des Verfahrens für die Entfernungsmessung und Peilung. Ähnlich wie beim Echolot bedeutet eine Entfernungsmessung mit Hilfe einer vom Ziel reflektierten Welle eine Laufzeitmessung dieser Welle über den Weg vom Sender zum Ziel und zurück zum Empfänger. Besonders erschwerend für die Durchführung der

Verfahren zur elektrischen Rückstnahlortung

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Entfernungsmessung bei Verwendung elektromagnetischer Wellen ist ihre sehr hohe Ausbreitungsgeschwindigkeit von etwa 300 000 Kilometern in der Sekunde. Das bedeutete bei den für die vorliegende Aufgabe zu messenden Entfernungen, daß außerordentlich kurze Zeiten in der Größenordnung von 10-4 bis 10-5 Sekunden zu messen waren. Ein weiteres Problem war, daß der Empfänger auch die vom Sender direkt ausgestrahlte Welle aufnahm, diese aber bereits abgeklungen sein mußte, wenn die vom Ziel reflektierte Welle auf den Empfänger traf. Dies erforderte, daß der Sender nicht kontinuierlich, sondern ganz kurze Impulse ausstrahlte. Die Dauer des Impulses mußte kleiner sein als seine Laufzeit vom Sender zum Ziel und zurück zum Empfänger. Sie durfte in diesem Fall 10-6 Sekunden nicht überschreiten. So wurde zunächst ein Impulsgerät entwickelt, welches den Sender für die Dauer von 1o-6 Sekunden strahlen ließ. Ein derartig kurzer Impuls erfordert auch die Verwendung eines dem Empfänger zugeschalteten Gerätes zur Verstärkung des vom Ziel reflektierten Impulses, den sogenannten Verstärker. Diese gesamte Entwicklung war nicht einfach und hatte längere Zeit aufgehalten. Der Übergang vom kontinuierlich strahlenden Sender zur Impulstechnik war ein entscheidender Schritt. Professor Jonathan Zenneck von der Technischen Hochschule München hatte mittels elektrischer Impulse die Höhe der Heaviside-Schicht gemessen; von daher war in Deutschland das Impulsverfahren im Prinzip bekanntgeworden. Im Sommer 1935 waren die einzelnen Geräte soweit fertig, daß das Impulsverfahren zur Entfernungsmessung praktisch erprobt werden konnte. Als Ziel diente der Kreuzer "Königsberg". Auf dem Schirm eines Braunsehen Rohres wurde die Entfernung bildlich dargestellt und konnte unabhängig von der erzielten Reichweite mit einer Genauigkeit von 50 Metern abgelesen werden. Dieser absolute Wert der Entfernungsmeßgenauigkeit genügte nach Ansicht des Flottenkommandos für die Schiffsartillerie vollauf. Nach einer Forderung der Abteilung "Artillerieentwicklung und Konstruktion" im Marinewaffenamt sollte sie jedoch noch verfeinert werden, und eine dafür schon in der Entwicklung befindliche Apparatur ließ die Entfernungsbestimmung auf 10 Meter genau möglich erscheinen 21 • Gleichzeitig mit der Durchführung dieses im Prinzip nach der Echomethode auch heute noch bei den Funkmeßgeräten üblichen Entfernungsmeßverfahrens lief die Entwicklung einer besonderen Peilapparatur für die Richtungsbestimmung. Bei den Erprobungen mit dem Kreuzer "Königsberg" ergab das entwickelte Peilverfahren eine Peilgenauigkeit von 1110° 22 • Sender und Empfänger waren bis dahin bei allen Versuchen in einem Abstand von 700 Metern aufgestellt, weil die direkte Strahlung des Senders noch stark auf den Empfänger einwirkte. Im Vordergrund stand aber als

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Geschichtliche Wurzeln und Entwicklung der Funkmeßtechnik

Entwicklungsziel die Bordverwendung zur Seezielortung. Da natürlich an Bord eine räumliche Trennung von Sender und Empfänger nicht möglich war, plante man, den Empfänger für die Dauer des vom Sender ausgehenden Impulses durch besondere Hilfsmittel nicht aufnahmefähig zu machen. Verschiedene derartige Sperrverfahren waren in Erprobung und sollten im Januar 1936 abgeschlossen werden 23 • In diesem Stadium befand sich Ende 1935 das Ortungsverfahren mit elektromagnetischen Wellen auf einer Wellenlänge von 50 Zentimetern, das die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt in gemeinsamer Arbeit mit der Gema entwickelt hatte. Es war von Grund auf eine vollständige Neuentwicklung, wobei sich mancher eingeschlagene Weg als nicht gangbar herausgestellt hatte. Trotz des geringen zur Verfügung stehenden Personals, der Knappheit der bewilligten Geldmittel und ungünstiger Arbeitsbedingungen - Umstände, die die Durchführung dieser Sonderentwicklung wesentlich erschwerten 24 - war Erhebliches in den wenigen Jahren, in denen diese Entwicklung lief, erreicht worden. Die Erkenntnis, daß für die Entstehung von Reflexionen möglichst kurze Wellen zu verwenden seien, ließ Kühnhold trotz der entmutigenden Ergebnisse mit der Firma Pintsch im Jahre 1933 an der Absicht festhalten, eine Zentimeterwellenentwicklung aufzunehmen. Schon 1935 war mit den ersten Arbeiten im Bereich von 4 bis 10 Zentimetern begonnen worden 25 • Kühnhold erwartete nicht zu Unrecht von der Verwendung derart kurzer Zentimeterwellen erhebliche Vorteile. "Einmal", so führte er aus, "ist die Reflexionsfähigkeit insofern sehr viel besser, als nur noch ganz kleine Flächen in der Größenordnung von 20 bis 30 qcm für die Reflexion genügen. Zweitens lassen sich mit ganz geringen geometrischen Dimensionen [der Antennenanordnung] so scharfe Bündelungen erzielen, daß es möglich erscheint, jeweils nur bestimmte Teile des Ziels überhaupt zu erfassen. Damit wird dann aber die Möglichkeit gegeben, das Ziel nicht nur zu orten, sondern sogar zumindest zunächst in groben Zügen das Ziel abzubilden. Die auf diesen Wellen heute erreichbare geringe Leistung bedeutet in keiner Weise einen Nachteil, da durch die scharfe Bündelung die gesamte Energie in einem kleinen Winkelbereich konzentriert wird" 26 • Im Januar 1936 sollte mit dem praktischen Versuchen auf der Zentimeterwelle begonnen werden.

Die Weiterentwicklung bis zum Kriegsbeginn

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lll. Die Weiterentwicklung bis zum Kriegsbeginn

1) Marine (Forderungen an die Entwicklung- Folgerungen für den Einsatz- Verlauf der Erprobungen bis zur ersten Versuchsserie - Stand der Zentimeterwellentechnik)

Das auf Betreiben der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt entwickelte elektrische Rückstrahlverfahren hatte sich als allgemein anwendbar erwiesen. Vorerst waren nur Laborausführungen der späteren Geräte vorhanden. Der zügige Fortgang und die Richtung der Weiterentwicklung vom Labormuster bis zur Serienherstellung der Geräte hing nun, nachdem die Technik ihr Angebot gemacht hatte, davon ab, ob die Vorstellungskraft des Soldaten an die des Forschers und Technikers heranreichte. Wurden die Erfolge der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt gewürdigt und gefördert? Sind die Anwendungsmöglichkeiten klar und folgerichtig erkannt worden? Welche militärisch-taktischen Forderungen wurden aufgestellt? Am 26. September 1935 fand auf dem Gelände der NachrichtenmittelVersuchsaustalt in Pelzerhaken eine Vorführung des Ortungsverfahrens vor dem Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Admiral Erich Raeder, statt. Auch der Flottenchef und der Chef des Marinewaffenamtes waren erschienen. Allgemein stimmten sie nach dieser Vorführung in der Ansicht überein, daß größere Geldmittel durch das Oberkommando der Kriegsmarine bereitzustellen seien, um die Entwicklung nun voranzutreiben. Im Anschluß an den von Dr. Kühnhold im Allgemeinen Marineamt im Januar 1936 gehaltenen Vortrag und den danach geführten Einzelbesprechungen legte der Kommandeur der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt, Fregattenkapitän Herbert Bahte, die in dem Vortrag von Kühnhold bereits genannten Geldforderungen für das Rechnungsjahr 1936/37 seiner übergeordneten Dienststelle, der Inspektion des Torpedo- und Minenwesens, vor, um eine möglichst schnelle und umfassende Weiterführung der Arbeiten auf dem Gebiet der Funkmeßortung zu gewährleisten. Insgesamt beantragte die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt für notwendige Neu- und Erweiterungsbauten ihrer Gebäude, für die Ausrüstung der Labore mit den entsprechenden Meßgeräten, Maschinen und elektrischen Einrichtungen, für die Bezahlung ihres zu vermehrenden Personalbestandes, für ein zweites Versuchsschiff und die Versuchsdurchführungen eine Summe von 2 466 000 Reichsmark 1 • Nach einem Vermerk des 4. Admiralstabsoffiziers im Flottenkommando, dem diese Unterlagen ebenfalls zugeleitet wurden, rechnete die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt nicht mit sofortiger, jedoch wenigstens mit abschnittsweiser Erfüllung ihrer Forderungen 2 • Noch im Rechnungsjahr 1935/36 waren für diese Entwick-

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lung nur 325 000 Reichsmark aufgewendet worden. Daran hatte sich die Marine mit nicht einmal der Hälfte des Betrages beteiligt; 75 000 Reichsmark hatte das Reichsluftfahrtministerium aus seinen Versuchsfonds beigesteuert, und allein die Gema hatte aus eigenen Mitteln 90 000 Reichsmark zur Verfügung gestellt 3 • Es ist fraglich, welchen Betrag die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt dann tatsächlich erhalten hat und welche von ihren Plänen zur Erweiterung der wissenschaftlichen Basis verwirklicht werden konnten. Die erreichbaren Quellen weisen hier eine Lücke auf. Im Zusammenhang mit den vielfältigen Aufgaben und Anstrengungen zur Vergrößerung der Marine und zum Aufbau der Flotte seit dem deutsch-englischen Flottenabkommen vom 18. Juni 1935 ergibt sich folgendes Bild. Die Aufteilung des dafür vorgesehenen jeweiligen Gesamtjahresetats der Marine folgte, wie Raeder in seinen Erinnerungen angibt, dem bei der Marine einheitlich vertretenen Grundsatz, daß der Aufbau sich vorwiegend in der zunehmenden Zahl der Schiffsneubauten und der Steigerung ihrer Kampfkraft zeigen müsse; dafür könnten Einschränkungen auf anderen Gebieten nötigenfalls in Kauf genommen werden 4 • Raeder fährt fort: "Die Reihenfolge der Dringlichkeit der einzelnen Aufgaben und die Zuteilung der entsprechenden Geldmittel für ihre Durchführung wurde vom Marinekommandoamt und der Haushaltsabteilung in Zusammenarbeit mit den technischen Kmtern und dem Verwaltungsamt vorgeschlagen." Die letzte Entscheidung hatte sich Raeder aber selbst vorbehalten 5 • So hatte er auch bei der Besichtigung der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt am 26. September 1935 "die schnellste Förderung" der zur gleichen Zeit laufenden Entwicklung der Ortung von Unterwasserzielen mit Schallwellen "als vordringlichste [ !] militärische Aufgabe im Rahmen des NVA-Arbeitsgebietes [NVA = Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt] befohlen ... " 6 Diese Entwicklung war bereits soweit abgeschlossen, daß in absehbarer Zeit mit einem frontfertigen Gerät gerechnet werden konnte. Nachträglieh (!) machte der Chef der Abteilung Technisches Nachrichtenwesen geltend, daß in den Jahren vor Kriegsausbruch der Aufbau der Firma Gema wesentlich langsamer vor sich ging, als es die Wichtigkeit der Entwicklung erfordert hätte, was nicht allein mit den Schwierigkeiten zusammenhing, die mit dem Neuaufbau dieser Firma aus dem Nichts zwangsläufig verbunden waren. Er hob hervor, daß langwierige Verhandlungen im Oberkommando der Kriegsmarine über die Bereitstellung von staatlichen Mitteln und über die aufzusetzenden Verträge ihren raschen Aufbau hemmten 7 • Am 18. April 1936 wurde von der Abteilung Technisches Nachrichtenwesen im Oberkommando der Kriegsmarine erstmals die militärische Forderung aufgestellt, alle großen Schiffsneubauten, also Kreuzer und Schlacht-

Die Weiterentwicklung bis zum Kriegsbeginn

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schiffe, mit Funkmeßgeräten auszurüsten. Gleichzeitig erhielt die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt den Auftrag, "die dringend notwendige Entwicklung eines kleineren Gerätes anzustreben", damit später ebenso die kleineren Kriegsfahrzeuge wie Zerstörer, Torpedoboote, U-Boote und dergleichen ein solches Gerät erhalten könnten 8 • Wenngleich die Schwierigkeiten dieser Aufgabe nicht verkannt wurden, so ist es doch bemerkenswert, wie frühzeitig von technischer Seite im Oberkommando der Kriegsmarine der Wert solcher Geräte auch für den Einsatz auf den kleinen Kriegsfahrzeugen erkannt worden war. Bezüglich der großen Schiffsneubauten sollte bereits jetzt Rücksicht auf den späteren Einbau der Geräte genommen werden. Die Marinewerft in Wilhelmshaven und das Marine-Arsenal in Kiel sowie das Amt Kriegsschiffbau erhielten Anweisung, sich mit der NachrichtenmittelVersuchsanstalt hierüber ins Einvernehmen zu setzen. Insgesamt sah die Planung für die großen Neubauten vier Geräte vor, und zwar je eines auf den Drehhauben der optischen Entfernungsmeßgeräte im Vormars und im achteren Stand und ferner je ein Gerät auf den beiden vorderen Flakleitständen. Maßgebend für die gewählten Einbauplätze waren hauptsächlich technische Gründe. Es war wichtig und notwendig, das Sende- und Empfangs-Antennensystem so hoch wie möglich anzuordnen, um einmal die Reichweite zu erhöhen sowie den Ortungswinkel zu erweitern und zum anderen zu erwartende Streureflexionen durch eigene Aufbauten, Antennen, Masten und Schornsteine zu vermeiden. Gleichzeitig ergab sich bei der Aufstellung auf den Drehhauben der optischen Entfernungsmeßgeräte der Vorteil der sofortigen wechselseitigen Kontrolle der Meßergebnisse 9 • Die beabsichtigte Aufstellung von je einem Gerät auf den beiden vorderen Flakleitständen deutet darauf hin, daß sie zur Ermittlung der Schießwerte verwendet werden sollten. Auf die Verwendung der Geräte für die taktische Führung der Schiffe ließe nur die kurze abschließende Bemerkung "praktisch wird das dm-Gerät [Funkmeßgerät] überdies dann eingesetzt, wenn bei Nebel oder nachts optische Mittel nicht verwertbar sind" 10, eine Deutung zu. Vielmehr scheint aber diese Formulierung auszudrücken, daß man die Geräte vorerst nur als Ergänzung der optischen Entfernungsmeßgeräte betrachtete, zumal bei dem derzeitigen Entwicklungsstand lediglich Reichweiten erzielt worden waren, die ohnehin die der optischen Geräte nicht übertrafen. Darüber hinaus konnte es auch nicht Aufgabe einer technischen Dienststelle sein, sondern vielmehr die der Taktiker im Oberkommando der Kriegsmarine, aus dieser technischen Entwicklung neue Erkenntnisse für die taktische Führung von Seestreitkräften zu folgern. Es scheint, daß das Flottenkommando bei diesem Entwicklungsstand der Funkmeßtechnik ihr nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte 11 • Dagegen

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GesclJ.ichtliche Wurzeln und Entwicklung der Funkmeßtechnik

schalteten sich das Torpedo- und das Artillerie-Waffenamt in immer stärkerem Maße in die Entwicklungsarbeiten ein, vor allem durch laufende Verfeinerung der aufgestellten Forderungen bezüglich der genauen Bestimmung der Schußwerte für Torpedo und Artillerie. Insbesondere die speziellen Forderungen der Flakartillerie, die Genauigkeit der Seitenmessung zu steigern, wurden im Oberkommando der Kriegsmarine stark beachtet 12 • Als die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt in Geldnöten gewesen war, waren es die Waffenämter, die weitere Mittel aus ihren Versuchsfonds zur Verfügung gestellt hatten 13 • Schließlich hatten auch sie die Entwicklung eines solchen Ortungsgerätes, welches unabhängig von den optischen Sichtverhältnissen für Zwecke des Artillerie- und Torpedoschießens eingesetzt werden konnte, ursprünglich gefordert. Es ist darum kaum verwunderlich, daß die Waffenämter anfangs einen größeren Einfluß auf die Entwicklung der Funkmeßgeräte nahmen als die operativ-taktische Führung im Oberkommando der Kriegsmarine. Bei den letzten Versuchen Ende Oktober 1935 waren mit der Apparatur auf der 50-Zentimeterwelle gegen den Leichten Kreuzer "Königsberg" (6650 t) 7000 Meter überbrückt worden. Es hatte sich aber gezeigt, daß die bis dahin verwendeten Magnetrons noch nicht sehr frequenzstabil waren und weiter verbessert werden mußten. Dies war das Ziel eines in gemeinsamer Arbeit von der Gema und der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt um die Jahreswende 1935/36 aufgestellten Entwicklungsprogramms. Gleichzeitig damit sollte ein Gerät für den Zentimeterwellen-Bereich auf etwa 4 bis 10 Zentimeter entwickelt werden; die Vorarbeiten dafür hatten schon 1935 begonnen. Weitere Punkte in diesem Programm sahen die Entwicklung eines Gerätes für die Wellenlänge von etwa 1,8 bis 2 Meter vor, die Verbesserung des Seitenpeil- und Entfernungsmeßverfahrens zur Steigerung der Meßgenauigkeit und die Entwicklung der Sperrung für den Empfänger, die während der Abstrahlung der Sendeimpulse den Empfänger unempfindlich machen sollte, um eine Vereinigung von Sender und Empfänger an Bord zu ermöglichen 14 • Im Laufe des Jahres 1936 wurden die einzelnen Abschnitte dieses Entwicklungsprogrammes mit unterschiedlichem Erfolg weitgehend durchgeführt. Zuerst wurde die neue Apparatur mit der Wellenlänge von 1,8 Meter erprobt. Die Versuche gegen Seeziele blieben erfolglos. Dagegen verursachte ein zufällig in einer Entfernung von 8000 Meter durch den Sendestrahl fliegendes Flugzeug einen sehr starken Rückstrahleffekt im Empfänger. Dies war der Anlaß, eine planmäßige Versuchsreihe aufzunehmen, bei der das Flugzeug vom Sender aus in Richtung auf die freie See im Sendestrahl mit einer Höhe von ungefähr 500 Meter abfliegen sollte. Es gelang auf Anhieb,

Die Weiterentwicklung bis zum Kriegsbeginn

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dieses Flugzeug ohne Unterbrechung bis auf eine Entfernung von 28 Kilometer einwandfrei nachzuweisen. Es wurde vermutet, daß sich die Reichweite gegen Flugzeuge mit diesem Gerät nach einigen Verbesserungen an der Sendeantenne noch erheblich steigern ließe. In weiteren Versuchen wurden dann Flugzeuge auch auf eine Entfernung von über 40 Kilometer gemessen. Dies war die Geburtsstunde des späteren Funkmeßgerätes "Freya". Im Laufe der nächsten Jahre gelang es, das Gerät nach Umstellen auf eine Wellenlänge von 2,4 Meter so zu verbessern, daß es bei genügender Flughöhe der Ziele später Entfernungen bis zu 150 Kilometer messen konnte. Die Genauigkeit der Seitenpeilung betrug dabei et;wa 2 bis 3 Grad. Eine Höhenmessung mit dem "Freya"-Gerät war nicht möglich 15 • Nach Abschluß der Entwicklung der Empfängersperrung erfolgten im Juli 1936 mit der auf dem Versuchsboot "Welle" provisorisch eingebauten 50-Zentimeter-Apparatur die ersten Bordversuche. Bei einer Vorführung vor dem Flottenchef und dem Artillerieinspekteur im August 1936 wurden gegen das Linienschiff "Schleswig-Holstein" 9000 Meter und gegen den Flottentender "Grille" 5500 Meter erzielt. Mit dieser Vorführung und den vorausgegangenen Versuchen war die Brauchbarkeit des Gerätes an Bord bewiesen 16 • 193 7 war die Verbesserung der Sende- und Empfangsröhren soweit durchgeführt, daß im Mai dem Oberbefehlshaber der Kriegsmarine eine aus dem 50-Zentimeter-Gerät hervorgegangene Seezielanlage mit einem neuen Sender auf der Wellenlänge von 60 Zentimeter und das "Freya"-Gerät vorgeführt werden konnten. Die Seezielreichweite des GO-Zentimeter-Gerätes gegen den Leichten Kreuzer "Köln" betrug bei dieser Vorführung 10 000 Meter, die Luftzielreichweite des "Freya"-Gerätes gegen ein Wasserflugzeug 50 Kilometer. Wenig später begann die Ausrüstung von Versuchsschiffen der Waffeninspektionen und des Flottenkommandos mit Mustergeräten der 60-Zentimeter-Seezielanlage. So erhielt Anfang Juli 19 37 die Torpedo-Inspektion für den Einbau auf dem Torpedoschulboot "G 110" die erste erprobte Seezielanlage, um mit ihr Versuche zum Torpedonachtschießen aufnehmen zu können. Dabei wurden gegen ein Kreuzerziel Reichweiten bis zu 9000 Meter gemessen. Gleichzeitig erhielten je ein Gerät die Artillerie-Inspektion für den Einbau auf einem Artillerieschulschiff, das Flottenkommando für den Leichten Kreuzer "Königsberg" und die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt für das Versuchsboot "Strahl" 17 • Seit das Flottenkommando über ein Mustergerät zur Erprobung verfügte, scheint es auch sein Interesse an dieser Entwicklung gegenüber den Waffenämtern stärker vertreten zu haben. Das führte offensichtlich zu einem Meinungsstreit im Oberkommando der Marine über Verwendungszweck und

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Ansprum auf die Geräte zwismen dem Flottenkommando und den Waffenämtern, wobei das Flottenkommando seinen Standpunkt nur unter erheblimen Smwierigkeiten durmsetzen konnte. Es gelang "dem Flottenkommando trotz mehrmaliger grundsätzlimer Bemühungen der Flottenmefs nur gegen erheblimen Widerstand der Auffassung der Waffenämter des OKM smließlim kurz vor Beginn des neuen Weltkrieges erste Versumsmuster im Verbande anzusetzen ... Bei den Bemühungen des Flottenkommandos wurde stets klar zum Ausdruck gebramt, daß der jeweilige Stand der Entwicklung, unabhängig von der weiteren Verbesserung der Genauigkeitswerte von Peilung und E-Messungen [Entfernungsmessungen], von großer Bedeutung für die taktisme Führung der Seestreitkräfte sei ... Während die Erprobungen den Waffeninspektionen immer wieder klar vor Augen führen mußten, daß die Genauigkeit der Funkmessungen vorerst nur sehr bedingt braumbare Leistungen zeitigte, wurde die grundsätztime Leistungsfähigkeit smon der ersten Geräte für Zwecke der taktismen Führung, insbesondere bei Namt und Nebel, hom und günstig bewertet" 18 • Diese Sätze smeinen nahezulegen, daß das Flottenkommando die umwälzende Bedeutung der Funkmeßgeräte für Operation und Taktik im Seekriegsmon durmaus frühzeitig vor dem Kriege erkannt hatte, die Erkenntnis nämlim, daß hierdurm die Namt zum Tage geworden war und folglim die klassisme Taktik der Führung von Seestreitkräften völlig überholt wurde. Sie sind jedom vorbehaltlim zu lesen, denn die Quelle datiert vom 13. 4. 1943; ihr Verfasser, der Chef des Marinenamrimtendienstes, konnte smon auf eine 31/2jährige Kriegsdauer zurückblicken, als er diese Sätze unter dem Eindruck der bereits zu diesem Zeitpunkt gewonnenen taktismen Erfahrungen mit Funkmeßgeräten niedersmrieb. Daß das Flottenkommando seine Interessen gegenüber den Waffenämtern nur smwer durchsetzen konnte, momte mit daran gelegen haben, daß es nimt schon zu einem früheren Zeitpunkt mit der erforderlim gewesenen Dringlimkeit für die Förderung der Entwicklungsarbeiten eingetreten war und die Initiative den Waffenämtern überlassen hatte. Offen war aber aum die Frage gewesen - und das war wohl aum mit ein Grund dafür, weshalb die Waffenämter eine so einflußreime Stellung gewinnen konnten -, wer die organisatorisme Führung auf diesem neuen Gebiet übernehmen sollte. Dieses Problem wurde erst kurz nam Kriegsbeginn einer Lösung nähergebramt 19 • Der weitere Verlauf der Erprobungen, Vorführungen und erforderlimen Vorarbeiten für die erste Versumsserie ist smnell gesmildert. Im Januar 1938 erhielt das Panzersmiff "Admiral Graf Spee" aus einer ersten Musterfertigung eine Seezielanlage, namdem man die Erfahrungen aus dem Wehrmamtsmanöver von 1937, bei dem in Swinemünde drei "Freya"-

Die Weiterentwiddung bis zum Kriegsbeginn

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Geräte und eine Seezielanlage zum Einsatz gekommen waren, ausgewertet hatte. Sie wurde behelfsmäßig auf dem Drehstand der optischen Entfernungsmeßgeräte im Vormars eingebaut. Eine eindrucksvolle Vorführung des "Freya"-Gerätes, bei der Entfernungsmessungen von rund 60 Kilometern gegen Flugzeuge erzielt wurden, fand Ende Juli 1938 gelegentlich ihres Flottenbesuches erstmals auch vor Hitler, Göring und General Keitel statt. Nach dieser Vorführung wurde von höchster Stelle angeordnet, mit der Seezielanlage beschleunigt zu beginnen. Nach Fertigstellung der Fabrikationsunterlagen Ende 1938 und nach eingehenden Untersuchungen des Gesamtwellenbereiches wurden im Januar 1939 als günstigste Wellenlängen für Seezielgeräte 80 Zentimeter und Luftwarngeräte 2,4 Meter endgültig festgelegt. Im März 1939 lief die Serienfertigung einer Versuchsserie von etwa 50 "Freya"-Geräten an, nachdem der ursprünglich vorgesehene sehr große Auftrag der Luftwaffe für die Fertigung von 200 "Freya"-Geräten stark eingeschränkt worden war 20, vermutlich weil er über die Kapazität der Gema hinausging. Es kann angenommen werden, daß diese sehr große Bestellung der Luftwaffe auf den Einsatz einiger "Freya"-Muster während der Besetzung des Sudetenlandes im Oktober 1938 zurückgeht. Oberst Wolfgang Martini, Inspekteur der Luftnachrichtentruppe, hatte die Marine um Laborausführungen des "Freya"-Gerätes für den Einsatz an der tschechischen Grenze gebeten, um ihre Brauchbarkeit für den Flugmeldedienst zu erproben. Auf dem Großen Schneeberg bei Glatz und im Erzgebirge bei Geising wurden sie aufgestellt und von Laborpersonal der Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt der Marine bedient. Als größter Mangel stellte sich hierbei heraus, daß die "Freya"-Geräte keine Höhenmessung der Flugziele erlaubten. Als weitere Erfahrung ergab sich, daß von den umliegenden Berggipfeln Reflexionen empfangen wurden, die als störende Festzeichen im Anzeigebild erschienen, als solche aber erst gedeutet werden konnten, nachdem ein Gerät auf dem ebenen Marchfeld östlich von Wien aufgestellt worden war. Dies war der erste militärische Einsatz von Funkmeßgeräten, und wie beim Einsatz in Swinemünde während des Wehrmachtmanövers 1937 bewiesen auch hier die "Freya"-Geräte trotz fehlender Höhenmessung grundsätzlich ihren militärischen Wert für den Flugmeldedienst der Luftwaffe 21 • Wie Kühnhold es in seinem Anfang Januar 1936 im Allgemeinen Marineamt gehaltenen Vortrag angekündigt hatte und wie es in dem oben erwähnten Entwicklungsprogramm auch vorgesehen war, begann die Nachrichtenmittel-Versuchsanstalt im Januar 1936, auch die Verwendung von kürzeren Wellenlängen im Zentimeterwellenbereich zu untersuchen. Die Ergebnisse der Versuche mit dem dafür entwickelten Gerät waren schlecht. Das Ver~

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suchsboot "Welle" konnte nur auf eine Entfernung von 2000 Meter gemessen werden. Wegen Instabilität des Senders und Empfängers sowie scheinbar auftretender Spiegelreflexionen wurden die Versuche abgebrochen und die Arbeiten nicht vertieft 22 • Offensichtlich führte dieser Mißerfolg zu der endgültigen Entscheidung vom Januar 1939, sich auf die erfolgversprechenderen längeren Wellen festzulegen, da man mit ihnen günstigere Ergebnisse erzielt hatte. Bis in das verhängnisvolle Jahr 1943 hinein bestärkte dieser Rückschlag anscheinend auch die vielfach verbreitete Auffassung, daß Wellen im Zentimeterbereich für die elektrische Rückstrahlortung ungeeignet seien 23 • Das Problem der günstigsten Wellenlänge scheint trotz eingehender Untersuchungen nicht sachlich genug ausgefochten worden zu sein. Es hätte einer Vertiefung der technischen Arbeiten bedurft, um ein leistungsfähiges Zentimeterwellengerät zu schaffen 24, wenngleich diese Entwicklung einen großen Aufwand an Zeit und finanziellen Mitteln gekostet hätte. Den damaligen in Deutschland erreichten Stand der Forschung auf dem Gebiet der elektrischen Wellen im Zentimeterbereich und ihre Bedeutung für die Praxis umriß Prof. Abraham Esau in einem Vortrag im Dezember 1937 bei der Deutschen Akademie der Luftfahrtforschung. Esau führte aus, daß die Zentimeterwellen zur damaligen Zeit zwar noch nicht für technisch bedeutsame Probleme anwendbar waren, "aber in der allernächsten Zukunft einsatzfähig sein werden, und zwar sowohl für die eigentliche Nachrichtenübertragung als auch für gewisse Probleme, die gerade für die Luftfahrt von ganz besonderer Bedeutung sind und deren Lösung vielleicht mit ihnen erreicht werden kann: die Ortung, Höhenbestimmung von Flugzeugen und andere mehr." 25 Wenn auch bisher die mit diesen Weilen herstellbaren Energien als sehr klein angesehen werden müßten, so könne dieser Mangel sehr weitgehend ausgeglichen werden, indem sich durch eine geeignete und schon vorhandene Antennenanordnung eine außerordentliche Energiekonzentration erzielen ließe, die um so stärker werde, je weiter man mit der Wellenlänge heruntergehe. Hand in Hand damit gehe eine sehr scharfe Bündelung der ausgestrahlten Energie. Darin liege der große Vorteil dieser Wellen gegenüber denen im Dezimeterund Ultrakurzwellenbereich. Das Problem der Erzeugung und des Empfangs von Zentimeterwellen sei mit Hilfe des Magnetrons zu einer vorläufigen Lösung gebracht worden. Bevor man sich aber mit ihrer Ausnutzung für militärische Zwecke hätte befassen können, war die außerordentlich bedeutsame Frage zu beantworten gewesen, ob die Zentimeterwellen beim Durchgang durch die Atmosphäre von deren wechselnder Beschaffenheit beeinflußt werden oder nicht. So habe man noch vor einigen Jahren die Ansicht vertreten, daß schon bei elektrischen Wellen von 20 bis 30 Zentimeter Stö-

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rungen durch Regen, Schnee, schweren Nebel und dergleichen vorliegen müßten. Nach nunmehr bekannten Forschungsergebnissen sei ein Einfluß wenigstens nicht in einem solchen Ausmaß vorhanden, daß die technische Anwendung dieser Wellen in Frage gestellt sein könnte. Es sei zu erwarten, daß Wellen von 5 bis 6 Zentimeter Reichweiten von mehr als 100 Kilometer ergäben. Auch im Ausland beschäftigte man sich mit den Problemen der Erforschung und Anwendung von Zentimeterwellen, und zwar unter Ausnutzung des Reflexionseffektes zur Feststellung stationärer Objekte, aber auch bewegter Gegenstände wie beispielsweise Flugzeuge 26 • "Für derartige Probleme sind gerade diese Wellen besonders gut geeignet, und es besteht kein Zweifel darüber, daß sie eines Tages die Lösung derartiger Probleme fördern und ermöglichen werden. Die notwendigen Vorarbeiten sind ... erfolgreich durchgeführt worden. Es beginnt jetzt die zweite Phase! Die Durchbildung der Geräte und ihr Einsatz bei den angeführten Problemen, von der wir hoffen wollen, daß sie sich für die Luftfahrt bald erfolgreich auswirken möge, sowohl in bezugauf den Nachrichtenverkehr als auch für navigatorische Zwecke" 27 • Die zweite Phase, die Verwirklichung der Anwendung der Zentimeterwellen, begann in Deutschland aber erst mit dem Jahre 1943. 2) Luftwaffe (Militärische Forderungen - Entwicklungen bei Lorenz und Telefunken - Problem der Freund-Feind-Kennung- Zusammenarbeit zwischen Luftwaffe und Marine)

Im Bereich der Luftwaffe erhob die Flakartillerie zuerst die Forderung nach Funkmeßgeräten. Das ist nicht verwunderlich, denn die Grundlage für ein erfolgversprechendes Schießen der Flugabwehrgeschütze ist eine möglichst genaue und fortlaufende Standortbestimmung des Flugzieles. Vor Einführung der Funkmeßtechnik bediente sich die Flakartillerie optischer und akustischer Geräte für die Zielortung. Die allgemeine Entwicklung der modernen militärischen Luftfahrt ließ die Tendenz erkennen, daß die Flugzeuge auch bei Dunkelheit und unsichtigem Wetter, wie Nebel oder Wolken, in der Lage sein würden, Bombenangriffe zu fliegen. Um ihre Abwehraufgaben auch unter diesen Bedingungen erfüllen zu können, ergab sich für die Flakwaffe die zwingende Notwendigkeit, neue Ortungsgeräte für die Zieleinweisung der Geschütze zu schaffen. Die Forderung der Flakartillerie nach einer von Tageszeit und Wetter unabhängigen Ortung war in den Jahren 1935/36 der Anlaß für die Beauftragung der Firmen Lorenz und Telefunken durch das Heereswaffenamt, bei dem damals die Führung der Flakentwicklung lag, die Anwendungsmöglichkeiten von Funkwellen zur Ortung für

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flakartilleristische Zwecke zu klären 1 • Offenbar wurde auf eine rasche Erfüllung dieses Auftrages nicht gedrängt. Zu diesem Schluß gelangt man, wenn man die ersten Bemühungen von Dr.-Ing. Wilhelm T. Runge auf dem Gebiet der Funkmeßtechnik betrachtet. 1934 hatte Telefunken unter Leitung von Runge die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten der Richtfunkverbindungstechnik bis hinunter in den Wellenbereich der 50-ern-Welle ausgedehnt. Bei diesen Untersuchungen stieß Runge zwangsläufig und angeregt durch Fachliteratur auf die Tatsache, der er in dem Gespräch mit Kühnhold noch skeptisch gegenübergestanden hatte, daß nämlich die von einem mit Funkwellen angestrahlten Objekt zurückgeworfene Energie auf Sender und Empfänger einwirkte. Um festzustellen, wie stark die zurückkommende Energie sei, unternahm Runge 1935 mit dem Firmenflugzeug von Telefunken Reflexionsversuche, die seine Annahme bestätigten. Er bemühte sich nun, den Vorstand der Gesellschaft für diese Arbeit zu interessieren. Finanzielle Mittel wurden ihm jedoch nur für die Richtfunkverbindungstechnik zur Verfügung gestellt. Runge war aber jetzt von der Möglichkeit, Richtung und Entfernung eines Objektes mittels Funkwellen bestimmen zu können, so fasziniert, daß er zunächst ohne Wissen des Vorstandes von Telefunken auf diesem Gebiet weiterarbeitete. Lange Zeit wurden diese Arbeiten auch vor den beiden Mutterfirmen von Telefunken, AEG und Siemens, geheimgehalten, da man befürchtete, sie könnten dieses Arbeitsgebiet der Tochterfirma wegnehmen. Da ein Auftrag des Heereswaffenamtes nicht bis zu ihm gedrungen war, vertritt Runge heute die Auffassung, daß es sich zunächst nur um eine unverbindliche Anfrage an den Vorstand von Telefunken gehandelt haben kann, zumal auch das Heereswaffenamt vorläufig offenbar keine weiteren Schritte mehr unternahm 2 • Spätestens seit dem Frühjahr 1936 wurde jedoch das Geheimnis gelüftet. Sowohl die Vorstände von Telefunken, Siemens und der AEG als auch das Heereswaffenamt und das Technische Amt des Reichsluftfahrtministeriums ließen sich seit März 1936 bei mehreren Vorführungen der Apparaturen und in einigen Besprechungen fortlaufend über den weiteren Gang der Arbeiten unterrichten. Am 1. Juli 193 7 fand für das Heereswaffenamt eine Vorführung der inzwischen sehr zufriedenstellend funktionierenden Geräteteile für Entfernungsmessung und Seiten- und Höhenbestimmung statt 3 • Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Arbeiten folgenden Stand erreicht: Von Anfang an war es die Absicht Runges gewesen, das Verfahren zur Ermittlung der Schießwerte für die Flakartillerie auszunutzen. Runge wählte die nach dem damaligen Stand der Röhrentechnik kürzeste sich ergebende Wellenlänge von 53 cm 4 • Da bei den ersten Versuchen im Jahr 1935 nur sehr geringe Sendeleistungen mit den kontinuierlich und ungleichmäßig stark

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strahlenden Sendern erzielt wurden, regte Runge an, Impulse zu verwenden. Seit dem 1. Mai 1935 führte unter der Leitung von Runge sein Mitarbeiter Wilhelm Stepp die Entwicklung fort. Um die für flakartilleristische Zwecke gebotene hohe Meßgenauigkeit zu erhalten, ging Stepp im Januar 1937 dazu über, statt Flächenantennen einen Parabolspiegel von 3 m Durchmesser zu verwenden, in dessen nach innen gewölbter Seite ein um den Brennpunkt ständig rotierender Dipol angebracht wurde. Durch diese Vorrichtung entstand ein sehr scharfer Leitstrahl. Praktisch war damit die automatische, sehr scharfe Funkmeßpeilung geschaffen. Dies war die wichtigste, auch für alle späteren von Telefunken entwickelten Funkmeßgeräte charakteristische Neuerung. Stepp nannte diese nicht serienmäßige Vorentwicklung nach seiner Geburtsstadt "Darmstadt"-Gerät 5 • Unterdessen hatte der Vorstand von Telefunken erstmals 10 000 RM für diese Arbeiten bewilligt. 1938 bestellte das Heereswaffenamt 10 Muster des "Darmstadt"-Gerätes für flakartilleristische Erprobungen. Doch auch jetzt noch wurde wenig Druck auf eine rasche Fertigstellung ausgeübt 6 • Das zeigte sich sogar noch, als kurz vor Kriegsausbruch im August 1939 das Technische Amt des Reichsluftfahrtministeriums Hitler, Göring, Milch, Udet und zahlreichen anderen Persönlichkeiten den technischen Stand der gesamten Luftrüstung in der Erprobungsstelle der Luftwaffe Rechlin vorführte. Der Leiter der Abteilung LC 4 (Funk- und Navigationsgerät) des Technischen Amtes, Oberstabsingenieur Beckmann, bat Telefunken, die flakartilleristische Vorentwicklung "Darmstadt", jedoch ohne die eigentlichen Flakzusätze für die Genauigkeitspeilung, anläßlich dieser Vorführung zur Verfügung zu stellen. Die umfangreichen Laboratoriumsgeräte wurden in einem Zelt aufgestellt. Hitler bemerkte von sich aus, daß dieses Gerät auch die Höhe messen konnte. Ihm waren von den Marineentwicklungen her nur Geräte für Entfernungsmessung und Seitenpeilung bekannt. Eine Reaktion auf diese Vorführung blieb jedoch aus, auch nach dem Kriegsausbruch. Daraufhin ergriff der Chef der Geräteentwicklung bei Telefunken, Dipl.-Ing. Leo Brandt, die Initiative und schlug, zusammen mit seinem Mitarbeiter Flugbaumeister Dr.-Ing. Karl Müller, im Oktober 1939 dem Oberstabsingenieur Werner Beckmann vom Technischen Amt vor, den Auftrag zur Serienherstellung eines Nah-Flugmeldemeßgerätes zu erteilen. Es sollte eine Entfernungs-, Seiten- und Höhenmessung auf 25 bis 35 km gestatten und so klein und einfach sein, daß es auf einem vierrädrigen Wagen von einem Mann bewegt und bedient werden konnte. Beckmann hatte den Weitblick, von diesem Gerät, das ja überhaupt noch nicht existierte, eine große Bestellung in Aussicht zu stellen. Entwicklung, Konstruktion und Serienanlauf wurden ungefähr gleichzeitig angelassen 7 •

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Erst aus dieser Situation heraus wurden die Entwicklungsarbeiten, aus denen die späteren "Würzburg"-Geräte hervorgingen, aufgenommen. Diese zeichneten sich durch eine sehr scharfe Bündelung des Ortungsstrahles aus. Die Antennenkonstruktion führte die Zeppelinwerft in Friedeichshafen am Bodensee in Form eines Parabolspiegels aus. Die Gesamtkonstruktion des Gerätes war aufgeteilt in eine Anzahlleicht austauschbarer Einzelbausteine. Mit diesem wichtigen Merkmal war schon früh beabsichtigt, Fehler nicht am Gerät selbst beseitigen zu müssen, sondern nach Austausch eines defekten Bauelementes die Reparatur in die Werkstätten verlegen zu können, ohne das Gerät aus dem Einsatz ziehen zu müssen. Diese Bauweise bewährte sich auch bei den im Laufe des Krieges notwendig werdenden Nachrüstungen und Improvisationen. Die erste Vorführung eines "Würzburg"-Gerätes fand im April 1940 in Rechlin statt. Obwohl es als Flugmeldegerät gedacht war, wurde es zuerst in einer Flakbatterie bei Berlin, in Falkensee, eingesetzt und erzielte nach seiner Verlegung nach Frintrop bei Essen etwa im September 1940 den ersten Nachtabschuß. Auf Grund dieses Erfolges wurden nun die "Würzburg"-Geräte schnell für den Einsatz bei der Flakartillerie mit den aus der "Darmstadt"-Vorentwicklung ja bekannten flakartilleristischen Zusätzen versehen, die eine gute Genauigkeit von Entfernungs-, Seiten- und Höhenmessung erst garantierten. Das Wichtigste war dabei die automatische, sehr scharfe Peilung durch den um den Brennpunkt des Antennenspiegels rotierenden Dipol. Die so verbesserten Geräte blieben während des gesamten Krieges unter der Bezeichnung "Würzburg-C" und "Würzburg-D" die Standardfunkmeßgeräte der Flakartillerie. Das ursprüngliche "Würzburg"Gerät wurde als "Würzburg-A" bezeichnet 8 • Die Firma Lorenz konnte einige Erfahrungen für ihre Entwicklung aus einer vorherigen kurzfristigen Zusammenarbeit mit der Firma Gema verwerten. 1938/39 ging aus der Vorentwicklung ein Gerätetyp hervor, der später unter der Bezeichnung "FuMG 39 L" mit einer Wellenlänge von 62 Zentimeter und "FuMG 40 L" mit einer Wellenlänge von 53 Zentimeter zum Einsatz kam. Es war das erste eigens für Flakzwecke bestimmte Gerät. Die Entfernungsmeßgenauigkeit und Peilgenauigkeit für Seiten- und Höhenmessung erreichten noch nicht die geforderten Werte. Die mit ihm erzielbaren Reichweiten von 10 bis 15 Kilometer entsprachen dagegen den gestellten Forderungen 9 • Erstmalig in einer Sitzung beim Oberkommando der Kriegsmarine im November 1938 über Fragen der Erkennung eigener Flugzeuge und Schiffe im Funkmeß-Ortungsstrahl, bei der die Gema schon eine in den Grundfragen fertige Lösung- das spätere "Erstling"-Kenngerät- für die 2,4 Meterwelle des "Freya"-Gerätes anbot, erfuhren die Vertreter des Oberkommandos

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der Kriegsmarine von den Funkmeßentwicklungen speziell für Belange der Luftwaffe bei Lorenz und Telefunken 10 • Die Tatsache, daß dies ohne vorherige Abstimmung mit der Marine geschah und die beauftragten Firmen ihre Entwicklungen auf bestimmte Wellenlängen festlegten, erschwerte nam Ansicht des Chefs der Amtsgruppe Technismes Namrichtenwesen im OKM die Lösung des Problems der Freund-Feind-Kennung im OrtungsstrahL Noch im Kriege, so hob er hervor, bedurfte es langer Verhandlungen, um zu einem Kennungsverfahren für Flugzeuge gegen alle Ortungswellen (2,4 Meter; 80, 62 und 53 Zentimeter) zu kommen 11 • Eine befriedigende Lösung konnte aber aum bis zum Ende des Krieges nicht mehr geschaffen werden. Das hing teilweise mit internen Gegensätzen innerhalb der Luftwaffe zwischen dem Technischen Amt im Reichsluftfahrtministerium und dem Chef des Nachrichtenverbindungswesens der Luftwaffe zusammen. Nachdem die Firma Gema schon im Herbst 1939 dem Chef des Nachrichtenverbindungswesens der Luftwaffe das fertige Kenngerät "Erstling" für die 2,4-MeterWelle des "Freya"-Gerätes vorgeführt hatte, forderte diese die Produktion von 2000 bis 3000 Stück 12 • Ein gleiches Kennverfahren für die 53-Zentimeter-Welle des Telefunkeu-Gerätes "Würzburg" hatte der Luftwaffeningenieur Dr. Hans Plendl ebenfalls schon vor dem Kriege entwickelt und den verantwortlichen Stellen vorgeführt 13 • Smließlich wurde aber vom Technischen Amt ein anderes Kenngerät eingeführt, das den Tarnnamen "Zwilling" erhielt und sich später als völlig unbrauchbar erwies. 25 000 Stück wurden Anfang 1941 in Auftrag gegeben, obwohl die im praktischen Gebrauch auftretenden Mängel von vornherein bekannt waren 14 • Grundsätzlich besteht ein Kennverfahren aus zwei Geräteeinheiten, dem im Flugzeug eingebauten Empfangs- und Sendeteil und einem besonderen mit dem Bodenfunkmeßgerät gekoppelten Empfänger. Die Bordeinheit des "Zwillings" sandte bei Anstrahlung durch ein "Würzburg"-Gerät ein akustisches Signal aus, das von dem mit dem "Würzburg" gekoppelten EmpfängeramBoden aufgenommen und im Kopfhörer des Bedienungspersonals wiedergegeben wurde. Sobald die Funkmeßbedienung am Boden das Signal hörte, wußte sie also, daß das geortete Ziel ein eigenes Flugzeug war. Befand sich ein einziges Flugzeug im überwachten Luftraum so war die Freund-Feind-Unterscheidung eindeutig; da beim "Zwilling" aber keine entfernungsmäßige Zuordnung und auch keine scharfe Peilmöglichkeit gegeben war, versagte er völlig beim Anflug zweier oder gar mehrerer Flugzeuge, weil nun nicht festgestellt werden konnte, von welchem der georteten Ziele das Kennsignal kam 15 • Erst am 10. Januar 1942 konnte der Chef des Nachrichtenverbindungswesens der Luftwaffe auf einer Konferenz über Funkmeßfragen durchsetzen, daß die Fertigung des "Zwillings" gestoppt wurde. Am 9. Juli 1942

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wurde dann das "Erstling"-Gerät vom Tedmischen Amt als einführungsreif erklärt. Seine Fronterprobung bei der Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin hatte einwandfreie Ergebnisse gebracht 16 • Neue Schwierigkeiten entstanden aber, als man im Krieg durch gegnerische Funkmeßstörungen dazu gezwungen wurde, die nunmehr im Großeinsatz stehenden "Freya"-Geräte auf eine Vielzahl von Funkmeßwellen umzustellen und das gesamte Band der eingesetzten Ortungswellen auseinanderzuziehen. Das "Erstling"-Gerät ermöglichte aber nur eine Kennung innerhalb eines eng begrenzten Frequenzbandes. Schließlich wurde seit dem Frühjahr 1944 als endgültige Lösung des Kennungsproblems die Entwicklung eines neuen Kenngerätes, des "Neuling", verstärkt betrieben. Es sollte die Forderung, für alle Frequenzbänder der Funkmeßgeräte eine einfache Freund-Feind-Kennung gegen Flugzeuge zu liefern, erfüllen 17 • Für den Herbst 1944 sagte die Firma Telefunken bereits die Serienanlieferung von 400 "Neuling"-Geräten zu. Sie kamen aber nicht mehr zum Einsatz 18 • Wenn auch spät, aber noch vor Kriegsbeginn vereinbarten Luftwaffe und Marine, zukünftig in ständigem Gedankenaustausch gemeinsame Entwicklungsziele festzulegen. Erstes Vorkriegsergebnis dieser Übereinkunft war, daß sich die Marine der Luftwaffenforderung nach einem Flakschieß-Funkmeßgerät für einen Entfernungsbereich von 1 bis 40 Kilometer mit einer Meßgenauigkeit von ± 25 Meter und einer Peilgenauigkeit für die Höhenund Seitenmessung von ± 1/t& Grad anschloß 19 • Während die Luftnachrichtentruppe unter General Martini sich um eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der Marine stets bemühte - es war ständig ein Marineverbindungsoffizier in seinem Stabe -, verfolgte das Technische Amt im Reichsluftfahrtministerium eigene Wege 20, so daß es noch bis weit in den Krieg hinein zu einer echten Koordinierung der Forschung, Entwicklung und Fertigung nicht kommen konnte. Dies mußte sich für die Praxis ungünstig auswirken; die geschilderten Zusammenhänge bei der Entwicklung eines geeigneten Kenngerätes waren ein besonderer Fall dafür 21 •

IV. Die Entwicklung im Ausland * 1. England

Als Kühnhold 1936 seinen Vortrag im Allgemeinen Marineamt hielt, wies er schon darauf hin, daß mit Sicherheit die Möglichkeit der Verwendung von Funkwellen zur Ortung von Flugzeugen und Schiffen auch viele Wissen-

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Siehe auch Fußnote Seite 41

Die Entwicklung im Ausland

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schafder und Techniker in den Vereinigten Staaten von Amerika, England, Frankreich und Italien beschäftigte. Besonders wichtig erschien ihm die französische Entwicklung, das sogenannte "Normandie«-Gerät, welches Ende 1935 auf dem Passagierschiff "Normandie" eingebaut worden war und wahrscheinlich auf einer Wellenlänge von 16 Zentimeter arbeitete. Um stets über die Entwicklungen des Auslandes unterrichtet zu sein und daran den eigenen Entwicklungsstand messen zu können, forderte er einen verstärkten Einsatz des Geheimdienstes 1 • Im Frühjahr 1939 ließ der Chef des Nachrichtenverbindungswesens der Luftwaffe, wie Churchill in seinen Memoiren berichtet, das Luftschiff "Graf Zeppelin" mit speziellen Beobachtungsempfängern ausstatten und auf drei Erkundungsflügen die Ostküste Englands überwachen, um eventuelle britische Funkmeßausstrahlungen festzustellen. Diese Flüge des "Graf Zeppelin" schlugen fehl, da die Beobachtungsgeräte angeblich nicht einwandfrei funktionierten, denn die britischen Radarstationen arbeiteten damals, wie Churchill fortfährt, "und stellten auch die Bewegungen des Luftschiffes fest, dessen Absichten sie durchschauten ... Die Deutschen wären nicht überrascht gewesen, denn sie [die Deutschen] hatten ein technisch vorzügliches Radarsystem 2 , das in mehreren Hinsichten dem unsrigen überlegen war. Was sie aber überrascht haben würde, das war die umfassende Art und Weise, mit der wir unsere Entdeckungen praktisch verwendet und eng mit unserem allgemeinen Fliegerabwehrsystem verbunden hatten ... Die britische Leistung beruhte eher auf der wirksamen operativen Verwendung der Erfindung als auf der Originalität der Apparatur." 3 Die englische Radarentwicklung ging aus dem Sicherheitsbedürfnis hervor, bei einer möglichen militärischen Auseinandersetzung die britische Insel vor schweren Luftangriffen wirksam schützen zu können. Die Entwicklung der militärischen Luftfahrt seit dem Ende des Ersten Weltkrieges hatte dazu geführt, daß weitreichende Bombenflugzeuge verfügbar waren, und besonders der Neuaufbau der deutschen Luftwaffe erschien England als ernste Bedrohung seiner Industrie und Zivilbevölkerung. Dem zu Beginn des Jahres 1935 gebildeten Technischen Komitee des britischen Luftfahrtministeriums unter Vorsitz von Sir Henry Tizard, das die Probleme der Luftabwehr untersuchen sollte (Committee for the Scientific Survey of Air Defense), legte am 27. Februar 1935 Professor Robert Watson-Watt, später als "Vater des Radar" bezeichnet, ein sorgfältig ausgearbeitetes 20-Punkte-Memorandum vor mit dem Titel "Detection and Location of Aircraft by Radio Methods". Watson-Watt selbst betrachtet es als die Erfindung des Radars. Hierin führte er aus, daß die Entdeckung von Flugzeugen unter Ausnutzung des Reflexionseffektes mit elektromagnetischen Wellen möglich sein dürfte. In genialer Weise erörterte er in diesem Programm alle zukünftigen Anwen-

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dungsmöglidtkeiten der Radartedtnik für die Luftverteidigung. Mit einem Netz von Badenradargeräten könnte ein Flugwarn- und Jägerleitdienst erridttet werden. Anfliegende feindlidte Flugzeuge könnten damit frühzeitig entdeckt und eigene Jäger zur Bekämpfung an sie herangeführt werden. Darüber hinaus könnten die Jäger mit Bordradargeräten ausgerüstet werden, um ihre Ziele audt selbständig in der Luft sudten zu können. Watson-Watt sdtlug vor, Experimente in dieser Ridttung durdtzuführen, um eine Grundlage für das weitere Vorgehen zu gewinnen 4 • Seine Anregungen waren eine Planung der tedtnisdten Zukunft, in England mit dem Begriff "operational research" umsdtrieben; es waren Vorstellungen mit sdton praktisdt verwertbaren Ergebnissen für die militärisdt-tedtnisdten Bedürfnisse Englands in einer zukünftigen kriegerisdten Auseinandersetzung. Noch im Frühjahr desselben Jahres wurde auf einer kleinen Insel an der Ostküste Englands eine Versumsausführung mit einer Wellenlänge von 50 Meter in Betrieb genommen. Im Juli 1936 unterbreitete das Luftfahrtministerium Pläne für die Anlage einer Kette von zwanzig Küstenstationen ("Chain Horne") von der Insel Wight bis an die Tees. Die Kosten wurden auf mehr als eine Million Pfund geschätzt. Das Forschungskomitee für die Luftverteidigung billigte diese Pläne. Bis Ende des Jahres 1937 gelang es, Flugzeuge bei einer Flughöhe von 3000 Meter auf eine Entfernung von 55 Kilometer zu orten. 1939 waren die geplanten zwanzig Radarstationen vollendet. Sie ermöglichten es, von See her sich nähernde Flugzeuge schon auf eine Entfernung von 90 Kilometer zu entdecken, da man inzwischen auf eine Wellenlänge von etwa 12 Meter heruntergegangen war. Durch ein Netz telefonischer Verbindungen wurden alle einzelnen Stationen an eine Kommandozentrale in Uxbridge angeschlossen. Dort konnten die Bewegungen der beobachteten Flugzeuge auf Karten verfolgt werden. Zur Unterscheidung eigener von gegnerischen Luftstreitkräften waren die Radarstationen mit einem Freund-Feind-Kennungssystem ("IFF", Abkürzung für Identification Friend or Foe) ausgerüstet worden. Eine weitere Kette von Radarstationen ("Chain Horne Low") wurde erridttet, die eine Wellenlänge von 1,5 Meter verwendeten, als sidt herausstellte, daß die mit sehr langen Wellen arbeitenden Stationen Flugzeuge, die im Tiefflug über die See an die Küste heranflogen, nidtt auffassen konnten. Mit diesem gesamten Radarsystem gewann man eine Warnzeit von 15 bis 20 Minuten vor dem Eintreffen eines Angreifers. Man war auch bedacht, die eigenen Flugzeuge so zu leiten, daß sie den Angreifern schon entgegenfliegen und sie abfangen konnten. Ein Netz von "GCI"-Stationen (Ground Control of Interception) sollte dies ermöglichen. Gleidtzeitig war daran gedadtt worden, die eigenen Flugzeuge selbst mit Radargeräten auszurüsten. Zwei Ausführungen wurden geplant, die

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eine Wellenlänge von 1,5 Meter verwendeten: Das "AI''-Gerät (Air Interception) für Jagdflugzeuge und das "ASV"-Gerät (Air to Surface Vessel) für Seeaufklärer zur Ortung von überwasserfahrzeugen. Ein erstes "ASV"Versuchsgerät konnte schon während der britischen Flottenmanöver im September 1938 erfolgreich vorgeführt werden. Im Juni 1939 war das erste "AI"-Versuchsgerät fertiggestellt. Noch vor Ende September 1939 waren dreißig Nachtjäger mit diesem Gerät ausgerüstet. Radargeräte für die Feuerleitung von Flugabwehrgeschützen und für die Einweisung von Scheinwerfern wurden ebenfalls noch vor dem Kriege in England entwidielt 5•

2. Amerika Als im Januar 1934 die Gema gegründet wurde, trat ihr als wissenschaftlicher Beirat Hans E. Hollmann bei, der sich Ende der zwanziger Jahre in Deutschland auf dem Ultrakurzwellengebiet schon einen Namen gemacht hatte. Während der Zeit seiner Tätigkeit bei der Gema verfaßte er in den frühen dreißigerJahren eine Abhandlung über die "Physik und Technik der ultrakurzen Wellen", in der er auf die kommende Fernseh- und Funkmeßtechnik hinwies. Obwohl aus Geheimhaltungsgründen von der Marine stark gekürzt, konnten sich Fachleute im Ausland zusammen mit anderweitigen Veröffentlichungen hieraus ein Bild über den Entwi