Friedrich von Schlümbach - Erweckungsprediger zwischen Deutschland und Amerika: Interkulturalität und Transkonfessionalität im 19. Jahrhundert 9783666558047, 9783525558041, 9783647558042

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Friedrich von Schlümbach - Erweckungsprediger zwischen Deutschland und Amerika: Interkulturalität und Transkonfessionalität im 19. Jahrhundert
 9783666558047, 9783525558041, 9783647558042

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-55804-1 — ISBN E-Book: 978-3-647-55804-2

Arbeiten zur Geschichte des Pietismus Im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus

Herausgegeben von Hans Schneider, Christian Bunners und Hans-Jürgen Schrader

Band 56

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-55804-1 — ISBN E-Book: 978-3-647-55804-2

Thomas Hahn-Bruckart

Friedrich von Schlümbach – Erweckungsprediger zwischen Deutschland und Amerika Interkulturalität und Transkonfessionalität im 19. Jahrhundert

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-55804-1 — ISBN E-Book: 978-3-647-55804-2

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung – der Calwer Verlag-Stiftung – der Studiengemeinschaft für Geschichte der Ev.-meth. Kirche – des Alumni Kiel e. V. – des Vereins für Freikirchenforschung – der S. T. O. A. Kiel

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55804-1 ISBN 978-3-647-55804-2 (E-Book) © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: h Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Vorwort Genügend Stoff für einen Abenteuerroman biete sein Leben, heißt es in einem Nachruf auf Friedrich von Schlümbach. Dass das vorliegende Buch kein solcher geworden ist, sondern eine – wenngleich hoffentlich trotzdem gut zu lesende – akademische Studie, verdankt sich dem Umstand, dass dieses Leben zwischen den Kontinenten ebenso Stoff bietet für die wissenschaftliche Beschäftigung mit interkulturellen Phänomenen und Fragen religiösen Transfers zwischen Deutschland und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – was im Rahmen kirchenhistorischer Forschung in gewisser Weise auch ein Abenteuer darstellen mag. Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um die geringfügige Überarbeitung meiner Dissertationsschrift, die im Wintersemester 2009/2010 von der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel angenommen worden ist. Mehreren Menschen gilt es in diesem Zusammenhang zu danken: Zuerst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. Johannes Schilling. Mit großem Vertrauen hat er mich zu eigenen akademischen Wegen ermutigt, mich in der Wahl meines Themas bestärkt und dafür gesorgt, dass die Arbeit erfolgreich zum Abschluss gebracht werden konnte. Mit Interesse und Offenheit hat er die Entstehung der Arbeit begleitet, mit dem nötigen Nachdruck Arbeitsfortschritte gesichtet und auf persönlich zugewandte Weise auch immer die lebensweltliche Einbettung eines solchen Langzeitprojekts im Blick gehabt. Dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Dr.hc. Hartmut Lehmann, bin ich ebenfalls zu Dank verpflichtet. Von Beginn an hat er die Entstehung der Arbeit begleitet, Fragestellungen angeregt und mich von seinen Kenntnissen der transatlantischen Religionsgeschichte und seinen internationalen Wissenschaftskontakten profitieren lassen. Pastor i. R. Karl Heinz Voigt, Bremen, der durch seine Vorarbeiten meinen Blick überhaupt erst auf Friedrich von Schlümbach gelenkt hat, stellte mir als Ausgangspunkt für meine eigenen Forschungen großzügig die von ihm selbst zusammengetragene Materialien zur Verfügung. Er hat die Arbeit in ihrer Entstehung immer wieder kritisch begleitet und war als Ratgeber stets ansprechbar. Herr Prof. Dr. Martin Wallraff, Basel, schließlich steht am Anfang meiner Beschäftigung mit der Kirchengeschichte, indem er während seiner Bonner Assistentenzeit die Begeisterung für dieses Fach bei mir weckte und seither meinen akademischen Weg begleitet hat – und mich nicht zuletzt während der Arbeit an der Promotion für ein anregendes Semester als sein Assistent an die Universität Basel holte. Ermöglicht wurden die notwendigen Forschungsarbeiten für das Disserta-

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Vorwort

tionsprojekt durch ein Promotionsstipendium in der Graduiertenförderung des Landes Schleswig-Holstein. Meine Forschungen in den USA wurden großzügig unterstützt durch einen Reisekostenzuschuss der Societas Theologicum Ordinem Adiuvantium (S.T.O.A.) Kiel. Zu meiner Freude wurde die Dissertation schließlich im Sommer 2010 mit dem Fakultätspreis der Christian-Albrechts-Universität ausgezeichnet. Der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus, namentlich dem Vorsitzenden ihres Publikationsausschusses, Herrn Prof. Dr. Hans Schneider, danke ich für die Aufnahme in die Reihe der Arbeiten zur Geschichte des Pietismus. Ermöglicht wurde die Drucklegung durch namhafte Druckkostenzuschüsse der Calwer Verlag-Stiftung, der Studiengemeinschaft für Geschichte der Evangelisch-methodistischen Kirche, des Alumni Kiel e. V., des Vereins für Freikirchenforschung und der S. T. O. A. Kiel, wofür ich herzlich danke. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner dem Personal in zahlreichen Archiven und Bibliotheken diesseits und jenseits des Atlantiks, das Anfragen bearbeitet, meine Besuche vorbereitet, Kontakte vermittelt und für Kopieraufträge mit manchem Zeitdruck bereit gestanden hat. Die Gastfreundschaft, die ich bei Freunden, Verwandten und Institutionen während meiner Archivreisen erfahren durfte, hat meine Arbeit beflügelt. Besonders gefreut hat mich die Bekanntschaft mit Friedrichs Enkelin Marian Schluembach in Cleveland. Da die Abfassung einer solchen Arbeit nicht nur das akademische, sondern auch das persönliche Umfeld in Mitleidenschaft zieht, danke ich zuerst und von Herzen meiner Frau Silke und meiner Tochter Lena für ihre Geduld und Unterstützung. Niedergeschrieben wurde diese Arbeit hauptsächlich während zwei Jahren meiner Elternzeit, was nicht möglich gewesen wäre, wenn unsere Tochter sich nicht bei zwei Menschen so wohl gefühlt hätte, dass mir daraus der nötige Freiraum zum Schreiben entstanden wäre: Angelika Schulte und Annika Smit. Auch ihnen sei herzlich gedankt. Dass ich überhaupt sorgenfrei bis zu einer Promotion studieren konnte, verdanke ich meinen Eltern Dorothee und Gerhard Hahn, die nicht nur den Grundstock für die Liebe zur Theologie bei mir gelegt haben, sondern mir während meiner Studienzeit auch in jeglicher Hinsicht Unterstützung gewährten. Dorothee Hahn, Silke Bruckart und Ute Bruckart haben darüber hinaus die Doktorarbeit Korrektur gelesen. Für die Drucklegung vorbereitet wurde meine Dissertation nun in neuen wissenschaftlichen Zusammenhängen in Mainz. Auch wenn mein gerade geborener Sohn Tim die Abschlussarbeiten an ihr miterlebt hat, lagen Freude und Last des Werdens dieser Studie doch seinem Leben voraus. Gewidmet ist dieses Buch daher den beiden Menschen, die am intensivsten in seine Entstehung involviert waren: Silke und Lena. Mainz, im Dezember 2010

Thomas Hahn-Bruckart

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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Teil Lebenswenden: Von Deutschland nach Amerika (1842–1868) . . . . .

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1. Kindheit und Jugend in Württemberg (1842–1859) . . . . . . . . . 1.1 »Devout, orthodox and conservative«: die Familie . . . . . . . 1.2 Ingelfingen – der Heimatort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Kirchliches Leben in Ingelfingen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 »Ich wollte nicht lernen« – Schulzeit in Ingelfingen, Heilbronn, Künzelsau und Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Intermezzo beim Militär und familiäres Zerwürfnis . . . . . . .

21 21 25 27

2. Von Deutschland nach Amerika (1859–1861) . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Auswanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 »A Club German« – unter den Deutschen in Amerika . . . . .

36 36 40

3. Kriegserfahrungen (1861–1865) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Bürgerkrieg beginnt – Offizier der 29. New York Infantry Volunteers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Über Pomeroy in die 118. Pennsylvania Infantry . . . . . . . 3.3 Religiöse Erfahrungen im Bürgerkrieg – Delegat der U. S. Christian Commission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Das letzte Kriegsjahr in Philadelphia . . . . . . . . . . . . .

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4. Vom Atheismus zum Christentum? (1865–1868) . . . . . . . . . . 4.1 »A terrible life of atheism and debauchery« – die Nachkriegszeit 4.2 »Eine wunderbare Bekehrung« – August 1868 . . . . . . . . .

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5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Teil »A real incarnation of American religion in a German constitution«. Kirchliche Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

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Inhalt

1. Vorbereitungszeit: Gemeindeaufgaben in Mauch Chunk und theologische Studien (1868–1872) . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Gemeindeaufgaben in der East Mauch Chunk Methodist Episcopal Church . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Berufliche Tätigkeitsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Theologische Studien in Vorbereitung auf den vollzeitlichen Predigerdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . 104 . . 104 . . 110 . . 112

2. Methodistischer Prediger in Baltimore und der Aufbau eines Nationalbundes Deutscher Christlicher Jünglingsvereine (1872–1875) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Aufnahme in die Oestliche deutsche Conferenz der Bischöflichen Methodistenkirche . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Gemeindearbeit in Light Street und Pennsylvania Avenue . . 2.3 Die Baltimore Union: Lagerversammlungen, Sonntagsschule und Jünglingsverein in »ökumenischem« Geist . . . . . . . . 2.4 Der Aufbau eines Nationalbundes christlicher Jünglingsvereine

. 115 . 115 . 118 . 126

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4. Auf methodistischem Missionsposten in Texas und Generalsekretär des Nationalbundes Deutscher Christlicher Jünglingsvereine (1875–1878) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Kirchliche Aufbauarbeit in Galveston . . . . . . . . . . . . . 4.2 Gemeindearbeit in und um Waco . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Arbeit an Struktur und Programmatik des Nationalbundes . .

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172 172 192 195

3. Reisen durch die USA und Europa (1875) . . . . . . . . 3.1 Erste Rundreise zu den Jünglingsvereinen in den USA 3.2 Durch Deutschland und Europa . . . . . . . . . . . 3.3 Die 2. Convention des Nationalbundes in Toledo . .

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5. »The German Moody« – Erweckungsprediger in Diensten des YMCA (1879–1881) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Stellung im International Committee des YMCA . . . . . . . 5.2 Weiterentwicklung der deutschsprachigen Jünglingsarbeit in Richtung YMCA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Verhältnis zur Bischöflichen Methodistenkirche . . . . . . . 5.4 Schlümbach und Moody – Evangelisation der amerikanischen Großstädte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Arbeiten bis zur Erschöpfung: von der Internationalen YMCA-Convention zum gesundheitlichen Zusammenbruch

. 206 . 206 . 207 . 216 . 221

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6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

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Inhalt

Dritter Teil »German Evangelist« – unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Kontakte entstehen: Vorbereitung einer Evangelisationskampagne in Deutschland (1881–1882) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Kontaktaufnahme: Die Internationale Jünglingskonferenz in London . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Jugendarbeit als Türöffner: Besuch beim Rheinisch-westfälischen Jünglingsbund in Elberfeld . . . . . 1.3 Von der Idee zum Komitee: Theodor Christlieb und die Vorbereitung einer Evangelisationskampagne . . . . . . . . . 1.4 Kampagne im Kleinen: Besuchsreise durch den Rheinisch-westfälischen Jünglingsbund . . . . . . . . . . . . 1.5 In die Öffentlichkeit: Vom Jünglingstreffen am Hermannsdenkmal zur Tagung der Positiven Union nach Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Hoffnungen und Selbstverständnis . . . . . . . . . . . . . . 2. In Berlin: Evangelisation der »Massen« und Gründung eines Jünglingsvereins nach amerikanischem Modell (1882–1883) . 2.1 Die religiöse und soziale Lage in Berlin . . . . . . . . . . 2.2 »Der fremde Prediger« – Evangelisationsarbeit im Berliner Norden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Gründung des CVJM . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Wahrnehmungen und Konflikte . . . . . . . . . . . . .

. 242 . 242 . 245 . 249 . 256

. 261 . 274

. . . 275 . . . 275 . . . 280 . . . 291 . . . 303

3. Zwischen Kooperation und Konfrontation: Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und in anderen Regionen (1883) . . . . . . . . 317 4. Neuorientierungen (1883–1884) . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Austritt aus der Methodistenkirche . . . . . . . . . . . . . 4.2 »Carpenter-boss, driver, farmer etc.« – Eine neue Existenz in Texas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Freier Evangelist? – Pastor der Evangelischen Synode von Nord-Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . 337 . . 337 . . 343 . . 347

5. Zwischen den Kontinenten – Evangelisation und Innere Mission in Amerika und Europa (1884–1889) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Erneute Evangelisationen in Deutschland und Europa . . . . . 5.2 »Schlimbach boom« – Farmer und Koloniegründer in Texas . . 5.3 Pastor in übergemeindlichen Diensten und Innerer Mission in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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359 359 395 406

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Inhalt

5.4 Die Gründung zweier Evangelistenschulen? Johanneum und Lee Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425

Vierter Teil Rückzug nach Cleveland (1890–1901)

. . . . . . . . . . . . . . . . 430

1. Neuanfang: von Texas nach Cleveland . . . . . . . . . . . . . . . 430 1.1 Hilfe für »Zum Schifflein Christi« . . . . . . . . . . . . . . . . 430 1.2 Berufung zum Gemeindepastor . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 2. Pastorat in der Gemeinde »Zum Schifflein Christi« 2.1 Gemeindegeschichte und Gemeindesituation . 2.2 Gemeindearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Austritt aus der Synode . . . . . . . . . . . .

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3. Beziehungsgeflechte . . . . . 3.1 Familie in Cleveland . . . 3.2 Familie in Texas . . . . . 3.3 Familie in Deutschland . . 3.4 Freunde in Europa . . . . 3.5 Gemeinde und Gesellschaft

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445 445 453 453 456 458

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4. Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 4.1 Krankheit und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 4.2 Posthum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

Schlussresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Abkürzungsverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 Ortsregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

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Einleitung Grundlegende Fragestellung und Eingrenzung des Themas Der deutsche Protestantismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war von einer Vielzahl von Bewegungen geprägt, die sich zum Teil außerhalb oder am Rande gefestigter Institutionen, etwa der Landeskirchen, entfalteten. Dazu sind die Heiligungsbewegung, die Evangelisationsbewegung und die Anfänge der Gemeinschaftsbewegung zu zählen, aber auch das Umfeld der Evangelischen Allianz und des Freikirchentums. Ein gemeinsames Element dieser Bewegungen ist die Vernetzung über Konfessions- und Ländergrenzen hinweg. Beide Aspekte – nur wenig institutionalisierte Organisationsformen und fehlende nationale oder konfessionelle Begrenzung – haben diese Bewegungen in der kirchengeschichtlichen Forschung bisher eher zurücktreten lassen. Dabei sind diese für eine umfassende Wahrnehmung des historischen Bildes und ein adäquates Verständnis der neueren evangelischen Frömmigkeitsgeschichte von nicht zu übersehender Bedeutung – gerade angesichts der zunehmenden konfessionalistischen und nationalistischen Engführungen im Deutschen Kaiserreich. Aber auch auf dem aktuellen Hintergrund einer Transformation kultureller Identitäten und einer zunehmenden Bedeutung internationaler Zusammenschlüsse sind Forschungen zu den Vorläufern dieser Entwicklungen von Relevanz. Nachdem im Jahr 2000 durch den dritten Band der von der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus herausgegebenen Geschichte des Pietismus1 eine wesentliche Wegmarke des Forschungsstandes bezüglich dem Pietismus nahestehender Frömmigkeitsformen im 19. und 20. Jahrhundert vorgelegt worden ist, sind auf dieser Grundlage die zu bearbeitenden Forschungsdesiderate deutlich hervorgetreten. Bereits im einleitenden Aufsatz von Hartmut Lehmann wird deutlich, dass diese zu einem großen Teil auf dem Gebiet der internationalen und interkulturellen Zusammenhänge und Bezüge des Pietismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts2 liegen, insbesondere im Hinblick auf die USA. Es gelte zu fragen, welche direkten

1 U. Gäbler (Hg.): Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert (Geschichte des Pietismus 3), Göttingen 2000. 2 Auf die Problematik der Verwendung des Pietismusbegriffs für Phänomene dieses Zeitraumes soll an dieser Stelle nur verwiesen werden; vgl. u. a. die Diskussion zwischen Johannes Wallmann und Hartmut Lehmann in Pietismus und Neuzeit 28 (2002) 30–71; 29 (2003) 18–36; 30 (2004) 191–224; 31 (2005) 13–20.

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Einleitung

Kontakte und welcher direkte Erfahrungsaustausch zwischen den »Frommen« in der Alten und in der Neuen Welt von der Mitte des 19. Jahrhunderts an bestanden, was führende deutsche Pietisten von den Vorgängen in der Neuen Welt wussten, wie sie diese beurteilten und wie sich die Beziehungen und die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der pietistischen Bewegung und den Freikirchen, die von Großbritannien und den USA aus in Deutschland eigene Gemeinden aufbauten, gestalteten. Daneben sei es lohnend, die Entwicklung der deutschen Pietisten in den Auseinandersetzungen ihrer Zeit im internationalen Zusammenhang zu sehen und im internationalen Vergleich zu beurteilen. Was – zugespitzt formuliert – in den Blick genommen werden müsse, sei so etwas wie eine »fromme Internationale«.3 Angeregt von diesen Fragestellungen und Perspektiven soll es in der vorliegenden Studie heuristisch darum gehen, was an Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturräumen stattgefunden hat, wie Transferprozesse zustande kamen, in welcher Weise Frömmigkeitstraditionen transformiert wurden und auf welchen Wegen unterschiedliche Kirchen und Organisationen miteinander in Kontakt traten. Die für die Themenstellung gewählten und unten näher zu erläuternden Begriffe »Interkulturalität« und »Transkonfessionalität« bringen diese zentralen Aspekte der grundlegenden Fragestellung pointiert zum Ausdruck. Unter den verschiedenen Optionen, ein klar abgegrenztes Forschungsprojekt auf dem zuvor skizzierten Gebiet zu entwickeln, wurde einer biographischen Arbeit mit ihren mannigfaltigen Möglichkeiten innerhalb eines überschaubaren zeitlichen und räumlichen Rahmens der Vorzug gegeben. So lassen sich anhand einer konkreten Biographie die für ein realisierbares Forschungsprojekt unerlässlichen Eingrenzungen vornehmen, gleichwohl ausgehend von dieser aber auch übergeordnete Fragestellungen bearbeiten. Die Gestalt, an deren Lebenslauf und Wirkung Aspekte interkultureller Dynamiken und ekklesiologischer Konzeptionalisierungen untersucht wer-

3 Vgl. H. Lehmann: Die neue Lage. In: U. Gäbler (Hg.): Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert (Geschichte des Pietismus 3), Göttingen 2000, S. 2–26, dort v. a. 2–3 u. 26. Vgl. auch H. Lehmann: Aufgaben der Pietismusforschung im 21. Jahrhundert. In: U. Sträter u. a. (Hg.): Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2001 (Hallesche Forschungen 17/1), Tübingen 2005, S. 3–18, bes. 12–14, 18. Für eine internationale Forschungsperspektive im Hinblick auf des Phänomen der »Erweckung« plädiert auch Ulrich Gäbler in: »Erweckung« – Historische Einordnung und theologische Charakterisierung. In: Ders.: »Auferstehungszeit«. Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts, München 1991, S. 161–186. Beiträge speziell zur religiösen Dynamik zwischen Alter und Neuer Welt versammelt in diesem Horizont der Tagungsband: Hartmut Lehmann (Hg.): Transatlantische Religionsgeschichte. 18. bis 20. Jahrhundert, Göttingen 2006. Vgl. davor auch schon H. Lehmann: Alte und Neue Welt in wechselseitiger Sicht. Studien zu den transatlantischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert (VMPIG 119), Göttingen 1995.

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Einleitung

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den sollen, ist der Deutsch-Amerikaner Friedrich von Schlümbach (1842– 1901). Was ihn für derartige Forschungen in besonderer Weise spannend macht, ist, dass sein Leben sich in großer räumlicher Mobilität und immer wiederkehrender Auseinandersetzung mit kulturellen und religiösen Identitäten vollzog. Vor allem in Deutschland hatte sein Wirken – man denke an die Gründung des ersten CVJM nach dem Modell des amerikanischen YMCA, das erste Nationalfest der deutschen Jünglingsvereine am Hermannsdenkmal, die Bedeutung seiner Evangelisationen4 für die Formierung der Deutschen Gemeinschaftsbewegung – bleibenden Einfluss. Persönlich heißt es über ihn in einem Nachruf: »Er war wie ein Komet am Kirchenhimmel erschienen und nach kurzem Lauf im Dunkel verschwunden«.5 Erforscht war sein Leben bisher erst in Ansätzen.

Forschungsstand und methodischer Ansatz »Eine Biographie fehlt bisher.« Mit diesem Satz schließt die bis heute umfänglichste wissenschaftliche Darstellung zur Biographie Friedrich von Schlümbachs in kirchenhistorischer Perspektive, nämlich der entsprechende Lexikonartikel von Karl Heinz Voigt im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon.6 Alle anderen bisher zu Schlümbach erschienen Lexikonartikel sind im Vergleich zu diesem Überblick sehr knapp gehalten und stützen sich zum Teil explizit auf die Ausführungen Voigts.7 Dabei hat es immer wieder Versuche gegeben, das Leben Friedrich von Schlümbachs zur Darstellung zu bringen. Er selbst hatte privat oder in seinen Reden gern Anekdoten aus seiner Lebenserfahrung eingeflochten, die von 4 Der Terminus, der entsprechend für Schlümbach gebraucht und von diesem selbst für sich verwendet wurde, ist der des »Evangelisten«. In der Terminologie der deutschsprachigen kirchenhistorischen Forschung ist dieser Begriff aber ungebräuchlich und soll daher zumindest im Titel dieser Arbeit durch den eingeführten Begriff des »Erweckungspredigers« ersetzt werden. Diese begriffliche Problematik mag ein Indiz dafür sein, dass das Phänomen der Evangelisationsbewegung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts noch nicht recht im Blick der Forschung ist. 5 Nachruf auf Friedrich von Schlümbach. In: CA 61 (1901) 711. Später benutzte Schlümbachs Kollege in der Evangelischen Synode Friedrich Werner ein ganz ähnliches Bild, um das Auftreten Schlümbachs zu beschreiben: »Wie ein Meer stieg er auf am synodalen Himmel, um ebenso schnell in der Vergessenheit zu ersticken.« F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Fortsetzung.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/10 (1927) 4–6, dort 6. 6 Vgl. K. H. Voigt: Art. Schlümbach, Friedrich von. In: BBKL IX (1995) 306–314. 7 Vgl. H. Hohlwein: Art. Schlümbach, Friedrich von (1842–1901). In: RGG3 5 (1961) 1449; H. Brandenburg: Art. Schlümbach, Friedrich von. In: Evangelisches Gemeindelexikon 1978, 462; J. Ohlemacher: Art. Schlümbach, Friedrich von (1842–1901). In: ELThG 3 (21998) 1773; M. Domsgen: Art. Schlümbach, Friedrich von. In: RGG4 7 (2004) 924; o. N.: Art. Schlümbach, Friedrich von. In: Deutsche Biographische Enzyklopädie der Theologie und Kirchen 2 (2005) 1200.

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anderen weiter kolportiert und zusammengestellt wurden. So entstanden von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre hinein mehrere Lebensbilder Schlümbachs im Umfang von selten mehr als zwei bis drei Zeitschriftenseiten, die auf persönlichen Erinnerungen und biographischen Anekdoten beruhen.8 Karl Kupisch, der für die erste Auflage seiner Geschichte des CVJM 1930 noch mit einem Manuskript Wilhelm Elsässers in diesem Stil gearbeitet hatte, zog bei der Überarbeitung für die zweite Auflage 1958 das Fazit, dass es hoffnungslos sei, »in Einzelheiten dieses durch zweckhafte, erbauliche Übermalung verfärbten Lebensberichts Klarheit zu bringen«9. In der Folgezeit konzentrierte man sich – so man sich denn überhaupt mit Schlümbach beschäftigte – auf die beiden Aspekte, die in Deutschland am ehesten zu erschließen waren: Schlümbachs Wirksamkeit im Kontext der »Jünglingsvereinssache«10 und seine Evangelisationen in Deutschland zu Beginn der 1880er Jahre11. In den 1980er Jahren rückte Schlümbach dann im Rahmen von Studien zur Entstehung der Gemeinschaftsbewegung und ihr nahestehender Persönlichkeiten wieder ins Blickfeld der Forschung, ohne dass über diesen unmittelbaren Kontext hinaus neue Quellen über ihn erschlossen worden wären.12 Dies geschah erst von Mitte der 1990er Jahre an durch Karl Heinz Voigt, der sich darum bemühte, verstärkt Schlümbachs Rolle im Beziehungs-

8 Vgl. Erinnerungen an Friedrich von Schlümbach. In: Ev. Sonntagsblatt 1901 (unpaginierter Auszug in ArchFam, Sign. 5 I 44/20); T. Jellinghaus: Erinnerungen an Friedrich von Schlümbach. In: Mittheilungen aus der Bibelschule 1901, Heft 8; P. Fabianke: Friedrich von Schlümbach. In: Auf der Warte 1921, S. 141–143, 148–150; o. N.: Friedrich von Schlümbach. In: Licht und Leben 1930, S. 260–263; daneben Bruchstücke in Pflugschar 1923, S. 6; Der Ruf 1923, S. 7, 9. 9 K. Kupisch: Der deutsche CVJM. Aus der Geschichte der Christlichen Vereine Junger Männer Deutschlands, Kassel 1958, S. 138 Anm. 20. 10 Vgl. W. Stursberg: Glauben – Wagen – Handeln. Eine Geschichte der CVJM-Bewegung in Deutschland, Wuppertal 1977, passim; J. Jürgensen: Vom Jünglingsverein zur Aktionsgruppe. Kleine Geschichte der evangelischen Jugendarbeit, Gütersloh 1980, passim. Bereits in den 1920er Jahren hatte sich auf der Basis gründlicher Quellenstudien L. Cordier: Evangelische Jugendkunde. Bd. II, Schwerin 1925, 256 ff., 269 ff. ausführlich mit Schlümbachs Auftreten in Deutschland auseinandergesetzt. 11 Vgl. H. Klemm: Elias Schrenk. Der Weg eines Evangelisten, Wuppertal 1961, passim; P. Scharpff: Geschichte der Evangelisation. Dreihundert Jahre Evangelisation in Deutschland, Großbritannien und USA, Gießen/Basel 1964, passim; E. Beyreuther: Kirche in Bewegung. Geschichte der Evangelisation und Volksmission, Berlin 1968, S. 192–198. 12 Vgl. D. Lange: Eine Bewegung bricht sich Bahn. Die deutschen Gemeinschaften im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert und ihre Stellung zu Kirche, Theologie und Pfingstbewegung, Berlin 1979; Th. Schirrmacher: Theodor Christlieb und seine Missionstheologie, Wuppertal o. J. [1985]; J. Ohlemacher: Das Reich Gottes in Deutschland bauen. Ein Beitrag zur Vorgeschichte und Theologie der deutschen Gemeinschaftsbewegung (AGP 23), Göttingen 1986.

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geflecht von Evangelisationsbewegung und entstehender Gemeinschaftsbewegung mit der Frage nach der Rolle der methodistischen Kirchen in diesen Prozessen zu verbinden.13 Nun wurden auch Quellen aus dem nordamerikanischen Raum mit einbezogen. Währenddessen erschien in der Geschichte des Pietismus eine neue Darstellung der Gemeinschaftsbewegung von Jörg Ohlemacher, in der auch Schlümbach an einigen Stellen Erwähnung findet.14 Ein wichtiges Überblickswerk, das den Kontext der Wirksamkeit Schlümbachs in Deutschland in größere Zusammenhänge stellt, wurde 2005 veröffentlicht. Stephan Holthaus schloss mit seiner Geschichte der deutschen Heiligungs- und Evangelisationsbewegung eine empfindliche Lücke, indem er erstmals einen umfassenden Überblick über diese international vernetzten Bewegungen im deutschsprachigen Raum publizierte, in die an vielen Stellen auch Schlümbach einbezogen war.15 Damit stellt sich die Forschungslage zur Biographie Schlümbachs so dar, dass zum Zeitraum von 1881–1884 eingehendere Studien zur Wirksamkeit Schlümbachs in Deutschland bestehen, die aber durchaus noch ergänzungsfähig sind. Die über den deutschen Kontext hinausgehenden Lebensphasen

13 Vgl. neben dem bereits erwähnten Lexikonartikel v. a. K. H. Voigt: »Die Neuevangelisierung der längst Entchristlichten« – eine Forderung von Professor Christlieb 1888. Evangelisation in Landeskirchen, Freikirchen und Gemeinschaftsbewegung. In: Mohr, R. (Hg.): »Alles ist Euer, ihr aber seid Christi«. FS Dietrich Meyer (SVRKG 147), Düsseldorf 2000, S. 433–458, bes. 441 ff.; K. H. Voigt: Der Gründer des CVJM in Deutschland – ein Methodist. Friedrich von Schlümbach zum 100. Todestag. In: unterwegs 2001/20, S. 12; K. H. Voigt: Unterwegs nach Gnadau 1888. Stationen von Professor Dr. Theodor Christlieb. In: Freikirchenforschung 12 (2002) S. 1–70, passim; K. H. Voigt: Theodor Christlieb und die Evangelische Allianz. Evangelische Allianz zur Disziplinierung der »Außerkirchlichen«? In: MEKGR 52 (2003) 181–212, bes. 197, 204 f.; Voigt, K. H.: Friedrich von Schlümbach, Theodor Christlieb und die Evangelisation in Deutschland. Vom ökumenischen Verein mit »undenominationellem Charakter« zum »Deutschen Evangelisationsverein«. In: MEKGR 53 (2004) 337–358, passim. Die meisten dieser Artikel wurden zusammengeführt und um weitere Beiträge ergänzt in: K. H. Voigt: Theodor Christlieb (1833–1889). Die Methodisten, die Gemeinschaftsbewegung und die Evangelische Allianz, Göttingen 2008. 14 Vgl. J. Ohlemacher: Gemeinschaftschristentum in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. In: U. Gäbler (Hg.): Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert (Geschichte des Pietismus 3), Göttingen 2000, S. 393–464, dort 399, 417, 423. 15 Vgl. S. Holthaus: Heil – Heilung – Heiligung. Die Geschichte der deutschen Heiligungsund Evangelisationsbewegung (1874–1909) (KGM 14), Gießen 2005, passim. In den verbreiteten Überblickswerken zur deutschen Kirchengeschichte hatte sie bisher kaum Erwähnung gefunden, ebenso Schlümbach selbst. Ausnahmen sind für die Evangelisationsbewegung M. H. Jung: Der Protestantismus in Deutschland von 1870 bis 1945 (KGE III/5), Leipzig 2002, S. 76– 78, für Schlümbach K. Kupisch: Die deutschen Landeskirchen im 19. und 20. Jahrhundert (KiG 4.2), Göttingen 1966, S. 85 ff.; K. Nowak: Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, München 1995, S. 186.

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Friedrich von Schlümbachs sind dagegen bisher wenig erforscht16 und wurden lediglich auf Grundlage mündlicher Tradition und erbaulicher Erzählung in groben Zügen oder in der Form der Anekdote weitergegeben. Erst ihre Kenntnis aber ermöglicht es, in einem zu erhebenden Gesamtbild religiöse und kulturelle Transformationsprozesse transparent zu machen. Da kein gesammelter Nachlass von Schlümbach erhalten ist17, erweist sich die Quellenlage als sehr disparat. Aus den bereits bekannten (auto-)biographischen Bruchstücken seiner Vita mussten die genannten oder vermuteten Bezugsräume seines Lebens auf überlieferte Quellenbestände hin untersucht werden. Nachforschungen in über vierzig Archiven und Spezialbibliotheken waren erforderlich, brachten schließlich aber umfangreiches Material zutage, über das das Literaturverzeichnis Rechenschaft gibt. Ein Teil dieses Materials besteht aus ungedruckten Quellen: zum einen aus Korrespondenzen, zum anderen aus Aufzeichnungen in Protokollbüchern mit Schlümbach verbundener Gremien und amtlichen Dokumenten. Daneben tritt eine Fülle von Schlümbachs jeweilige Lebenskontexte erhellendem Kleinschrifttum, das von publizierten Verhandlungsniederschriften kirchlicher Konferenzen über zeitgenössischen Festschriften bis hin zu weltanschaulichen Pamphleten oder Informationsbroschüren reicht. Als eine ausgesprochen wichtige und ergiebige Quelle erwiesen sich die zahlreichen kirchlichen Zeitschriften, die für diese Studie ausgewertet wurden. Schlümbach veröffentlichte viele kleinere Artikel, die sich meist mit aktuellen Erlebnissen und Erfahrungen beschäftigten, zum Teil aber auch mit theologischen Themen. Auch über sein Wirken wurde meist sehr aufmerksam, oft auch kontrovers, berichtet. Schließlich sind zeitgenössische Lebensbilder mit Schlümbach verbundener Persönlichkeiten zu nennen, die häufig Quellen wiedergeben, die nicht mehr erhalten sind.

16 Zeitgleich mit dieser Arbeit entstand ein im kleinen Rahmen sorgfältig recherchiertes Lebensbild Friedrich von Schlümbachs ohne wissenschaftlichen Anspruch, das sich vor allem auf die Zeit des Bürgerkriegs bezieht: J. W. Rokus: The Bible and Life of Frederick von Schluembach. Yankee Soldier, Atheist, Evangelist, 2008 (unveröffentlichtes Typoskript in den Archives of the Fredericksburg and Spotsylvania National Military Park). H. G. Lindner: Frederic von Schluembach. His Life and Influence on the American and German YMCA, 1959 (unveröffentlichtes Typoskript in den Kautz Family YMCA Archives) gibt nur einen knappen und sachlich nicht immer richtigen Überblick auf schmaler Quellenbasis. Mit erbaulicher Note verfasst ist das Kapitel über Friedrich von Schlümbach in R. Scheffbuch: Grafen und Fürsten im Dienst des höchsten Königs, Holzgerlingen 2008, S. 137–149. Von Rolf Scheffbuch ist bereits 2000 ein Hörbeitrag über Friedrich von Schlümbach für den ERF in der Reihe »Blaues Blut von Gott geadelt« auf Audiokassette erschienen (SCM ERF-Verlag). 17 Seine Enkelin Marian Schluembach (*1920) in Cleveland besitzt lediglich einige persönliche Gegenstände, aber keine schriftlichen Hinterlassenschaften ihre Großvaters.

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Dabei waren die Materialen nicht für alle Lebensbereiche Schlümbachs in gleicher Weise erhellend. So ließ sich trotz umfangreicher Archiv- und Bibliotheksstudien kaum etwas über seine Tätigkeit in säkularen deutsch-amerikanischen Vereinen in den 1860er Jahren ermitteln. Erschwerend kam hinzu, dass zu manchen Aspekten gerade seines Lebens in den USA noch keine die historischen Hintergründe erhellende Forschungsarbeiten existieren. An autobiographischen Angaben Schlümbachs mangelt es – wie eingangs erwähnt – nicht. Allerdings verdanken diese sich meist einem auf bestimmte Effekte zielenden Kommunikationsvorgang; Überzeichnungen und Ausschmückungen sind daher oftmals wahrscheinlich. Das wird auch für das einzige Buch gelten, das Friedrich von Schlümbach selbst veröffentlichte, nämlich einen autobiographischen Bericht über seine Bekehrung im Jahr 1868.18 In diesem schildert er auch in einzelnen Zügen sein Leben vor der Bekehrung – aber in der deutlichen Abzweckung, eine möglichst dunkle Folie zu erzeugen, vor der sich das Licht der neuen Erfahrung um so heller abzeichnet. Inwieweit eine Bekehrungserzählung geeignet ist, zuverlässigen Aufschluss über frühere Lebensphasen des Erzählenden zu geben, wird aufgrund solcher Phänomene daher auch von der religionssoziologischen Konversionsforschung eher kritisch beurteilt.19 Die bei Schlümbach gemachten Angaben mussten deshalb anhand anderer Quellenbestände überprüft werden. Einigermaßen zuverlässigen Aufschluss über wesentliche Lebensstationen Schlümbachs hingegen dürften die beiden biographischen Skizzen geben, die aufgrund eigener Angaben in seinem letzten Lebensjahrzehnt in Cleveland veröffentlicht wurden – sie waren nicht in einen narrativen Kontext eingebettet und hatten auch keinen »erbaulichen« Charakter.20 Vor diesem Hintergrund soll die kritisch aus den Quellen erhobene Darstellung der Lebensgeschichte Friedrich von Schlümbachs in ihren äußeren Bezügen im Zentrum dieser Arbeit stehen. Da Schlümbach kein literarisches Oeuvre hinterlassen hat, aus dem mehr oder weniger losgelöst vom jeweiligen biographischen Kontext Lehranschauungen oder theoretische Grund18 Vgl. F. v. Schluembach: The Story of my Conversion from Atheism, New York/Cincinnati 1881. 19 Vgl. M. Wohlrab-Sahr/V. Krech/H. Knoblauch: Religiöse Bekehrung in soziologischer Perspektive. Themen, Schwerpunkte und Fragestellungen der gegenwärtigen religionssoziologischen Konversionsforschung. In: Dies. (Hg.): Religiöse Konversion. Systematische und Fallorientierte Studien in soziologischer Perspektive (Passagen und Transzendenzen 1), Konstanz 1998, S. 7–43, dort 17. Zur Rolle der Bekehrung in der (Re)Konstruktion religiöser Autobiographien vgl. auch L. Kuld: Glaube in Lebensgeschichten. Ein Beitrag zur theologischen Autobiographieforschung, Stuttgart/Berlin/Köln 1997, bes. S. 251–260. 20 Vgl. Memorial Record of the County of Cuyahoga, Esp. City of Cleveland Ohio. Illustrated, Chicago 1894, S. 47–48; Cleveland und sein Deutschthum, Cleveland 1897/1898, S. 180.

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legungen erhoben werden könnten, ist diese Arbeit nicht in »Leben« und »Werk« unterteilt, sondern belässt im Sinne des pragmatischen Ansatzes ihres Protagonisten dessen Reflexionen im Kontext der Anlässe und Anforderungen, aus denen sie erwachsen sind. Untergliedert ist die Biographie in vier Teile, die sich jeweils an entscheidenden Umbrüchen in Schlümbachs Leben orientieren. Am Ende der Teile werden die jeweiligen Ergebnisse zusammengefasst, bevor sie in einem die Studie abschließenden Kapitel anhand der im Hintergrund der Darstellung stehenden Leitbegriffe der Interkulturalität und Transkonfessionalität ausgewertet werden. Die beiden Leitbegriffe der Interkulturalität und Transkonfessionalität beschreiben die Perspektiven, die für die Untersuchung von besonderer Relevanz sind. Zum einen soll auf die Dynamiken und Transferprozesse zwischen den unterschiedlichen kulturellen Räumen geachtet werden, die mit dem Wirken Friedrich von Schlümbachs in Zusammenhang stehen. Die sich mit dem Begriff des »Kulturtransfers« verbindende kulturwissenschaftliche Forschungsprogrammatik, die sowohl nach den Rahmenbedingungen von Kulturbegegnung als auch nach deren Rezeptionsrichtung und Rezeptionsdynamik fragt und die Komplexität der Wechselbeziehungen gegenüber unilinearen Erklärungsmodellen betont, soll dabei – rein im Sinne einer Programmatik – auch hinter dieser kirchenhistorischen Forschungsarbeit stehen.21 Zum anderen sollen die kulturellen Bindungen und Transformationen auch im Blickwinkel konfessioneller Festlegungen beziehungsweise der Durchbrechung bestimmter konfessioneller Identifikationsschemata betrachtet werden. Der Begriff der Transkonfessionalität wird von Thomas Kaufmann im Kontext der Diskussion der frühneuzeitlichen Konfessionalisierungsthese bestimmt als »ein bewußtes Hinausgehen über die ›Grenze‹ der jeweiligen Konfession [. . .], das unterschiedlichen Motiven entsprechen kann und sich in verschiedenen Formen, der Relativierung des Trennenden, des Rückgriffs auf vorkonfessionell Gemeinsames, des Ausgriffs auf über21 Vgl. zur Einordnung in die geschichtswissenschaftliche Methodologie S. Jordan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft (Orientierung Geschichte), Paderborn u. a. 2008, S. 207–210. Aspekte des Ansatzes im Hinblick auf innereuropäische Prozesse werden diskutiert bei R. Muhs/J. Paulmann/W. Steinmetz (Hg.): Aneignung und Abwehr. Interkultureller Transfer zwischen Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert (Arbeitskreis Deutsche England-Forschung 32), Bodenheim 1998; Paulmann, Johannes: Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. In: Historische Zeitschrift 267 (1998) 649–685. An dieser Stelle sei vermerkt, dass die im Titel der vorliegenden Arbeit für die unterschiedlichen kulturellen und geographischen Räume verwendeten Begriffe »Amerika« und »Deutschland« eigentlich unpräzise sind, aber zeitgenössischen Sprachgebrauch wiedergeben. Mit »Amerika« ist Nordamerika gemeint, genauer die Vereinigten Staaten von Amerika. »Deutschland« bezieht sich im Hinblick auf Schlümbachs Jugend vor allem auf das Königreich Württemberg, nach 1871 dann auf das Deutsche Reich.

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konfessionell Verbindendendes, Gemeinchristliches, äußern mag«.22 Dies lässt sich auch auf die zu untersuchenden Phänomene des 19. Jahrhunderts übertragen und bekommt im Zusammenhang der Wirksamkeit Schlümbachs eine besondere Note durch das Einbringen der Grundvoraussetzungen des amerikanischen Denominationalismus in die kulturelle Begegnung mit einem sich weitgehend anders verstehenden deutschen Protestantismus. Wenn diese Arbeit einen Beitrag dazu leisten kann, nationalgeschichtliche beziehungsweise territorialkirchliche Perspektiven interkulturell zu durchbrechen und zu relativieren, wäre das ganz im Sinne ihrer Anlage. Dass es zwischen Nordamerika und Europa im 19. Jahrhundert intensive Wechselbeziehungen und Austauschprozesse gegeben hat, wird kaum bestritten, ist im Hinblick auf die Christentumsgeschichte aber erst wenig erforscht. Zu sehr waren in der deutschen Kirchengeschichtsschreibung lange andere Kategorien prägend als der Blick auf derartige Phänomene zwischen den Kulturen.

22 T. Kaufmann: Einleitung. Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität – Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. In: K. v. Greyerz u. a.: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese (SVR 201), Heidelberg 2003, S. 9–15, dort 14–15.

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Erster Teil Lebenswenden: Von Deutschland nach Amerika (1842–1868) Als am 6. Juni 1880 ein groß gewachsener, korpulenter Mann mit dichtem Vollbart und durchdringendem Blick das Podium der Evangelisch-Lutherischen Kirche an der Ecke der Market zur Clay Street in Louisville, Kentucky, bestieg, war er den meisten der 1.400 Besuchern kein Unbekannter. Zwei Wochen hatte er bereits in der Stadt gewirkt, um beim Aufbau deutscher christlicher Jünglingsvereine zu helfen. Täglich hatte er gut besuchte Versammlungen gehalten und allabendlich vor großen Hörerscharen in unterschiedlichen Kirchen gepredigt. Wer die landesweiten Kirchenblätter las, war schon häufig auf seinen Namen gestoßen. Und nun, am Ende seiner Wirksamkeit in Louisville, hatten ihn die deutschsprachigen Prediger der Stadt gebeten, das zu tun, womit er in den letzten Monaten viele Menschen bewegt und für den christlichen Glauben erreicht hatte: die Geschichte seiner Bekehrung zu erzählen. Er war ein guter Erzähler, mitreißend, fesselnd, humorvoll – und in der knappen Stunde, die er für seinen Vortrag brauchte, folgte ihm die Zuhörerschar gebannt, »hunderte [. . .] aufs Tiefste bewegt. Der Eindruck war geradezu überwältigend.«1 Die Ereignisse, von denen Friedrich von Schlümbach erzählte, lagen bereits zwölf Jahre zurück. Im Sommer 1868 war er auf einer Zugfahrt in Pennsylvania einem ehemaligen Vorgesetzten begegnet. Vergnügungssucht, Trinkerei und atheistische Kampfreden hatten zu diesem Zeitpunkt sein Leben bestimmt. Doch durch den Einfluss dieser alten Bekanntschaft kam es zu einer grundlegenden Wende in Schlümbachs Leben. Eine intensive Glaubenserfahrung stellte sein ganzes Leben in ein neues Licht. Es bekam eine völlig neue Richtung.2 Von diesem Bekehrungserlebnis her interpretierte Schlümbach sein bisheriges Dasein, im Licht dieser Erfahrung sind Schlümbachs spätere Aussagen über die ersten 26 Jahre seines Lebens formuliert und zu lesen.3 Von daher 1 So G. Trefz: Aus Louisville, Ky. In: CA 1880, S. 194. Diesem Artikel sind auch die anderen Informationen über Schlümbachs Wirken in Louisville entnommen. 2 Zu Schlümbachs Bekehrung vgl. im einzelnen Kap. 4.2. 3 Allerdings gewann er in seinem letzten Lebensjahrzehnt einen gewissen Abstand zu dieser Deutung seiner eigenen Biographie, denn in den beiden auf eigenen Angaben beruhenden biographischen Skizzen, die in den 1890er Jahren publiziert wurden, erwähnt er seine Bekehrung überhaupt nicht. Vgl. Memorial Record, S. 47–48; Cleveland und sein Deutschthum, S. 180.

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Kindheit und Jugend in Württemberg (1842–1859)

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soll im Folgenden – wo möglich – auf andere Quellen zurückgegriffen werden, um Lebensweg und Entwicklung Friedrich von Schlümbachs zu untersuchen. Ein Lebensweg, der fernab von Louisville und den Vereinigten Staaten in der württembergischen Provinz begann.

1. Kindheit und Jugend in Württemberg (1842–1859) Am 27. Juni 1842 wurde Friedrich von Schlümbach in Öhringen geboren, einem Landstädtchen dreißig Kilometer östlich von Heilbronn. Über die Jahrhunderte aus einer römischen Grenzbefestigung erwachsen und in einem fruchtbaren Umland gelegen, war es Residenz der Fürsten zu Hohenlohe-Oehringen, deren Schloss neben der dominierenden Stiftskirche das bedeutendste Bauwerk des Ortes darstellte.4 Eingebettet in das Hohenloher Land, das sich von Heilbronn bis an die Grenze von Franken erstreckt, war Öhringen Teil einer Region, die bei Schlümbachs Geburt zwar 1806 zum Königreich Württemberg gehörte, aber von Selbstbewusstsein und Prägung her durchaus eigenständig war. Erst 1806 war im Zuge der napoleonischen Kriege dieser agrarisch geprägte Landstrich von Franken an das Königreich Württemberg gefallen.5 Es wurden schwäbische Beamte, Pfarrer, Lehrer und Verwaltungsbeamte dorthin entsandt, aber in Mundart, Sitten und Gebräuchen setzte man sich doch vom restlichen im Westen und Süden gelegenen Württemberg ab und blieb eng an Franken angelehnt.6 Dies spiegelt sich auch in der Familiengeschichte der Schlümbachs wieder, denn Friedrichs Familie väterlicherseits hatte enge Verbindungen zu Franken und war regelmäßig zu längeren Aufenthalten dort.

1.1 »Devout, orthodox and conservative«: die Familie Das angestammte Siedlungsgebiet der Familie Schlümbach hatte vor dem Dreißigjährigen Krieg in Thüringen gelegen. Zu dieser Zeit war die Familie noch nicht in den Adelsstand erhoben. Nachdem sie durch den Dreißigjährigen Krieg um fast alle ihre Besitztümer gebracht worden war, war es Fami4 Zu Öhringen allgemein vgl. Schlauch: Hohenlohe-Franken, S. 131–157; zur Geschichte des Ortes im 19. Jahrhundert vgl. Weber: Oberamtsstadt. 5 Vgl. Weber: Mediatisierung, S. 185; Gönner/Haselier: Baden Württemberg, S. 43–44. Ein kleiner Teil Hohenlohes ging auch an Bayern. 6 Vgl. Schlauch: Hohenlohe-Franken, S. 2. Schlümbach bezeichnete sich später allerdings immer wieder als »Württemberger« oder »Schwaben«.

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Lebenswenden: Von Deutschland nach Amerika

lienmitgliedern jedoch gelungen, sich wieder auf geistliche und weltliche »Ehrenstellen« emporzuarbeiten.7 Das Familienmitglied, das im August 1761 von Kaiser Franz I. in den Reichsadelsstand erhoben wurde – und mit ihm seine Nachkommen –, war Georg Michael Schlümbach (1724–1794), der als »Hof- und Kriegsrath« zu diesem Zeitpunkt auf eine erfolgreiche politische Karriere zurückblicken konnte.8 Zum Familiensitz wurde zu dieser Zeit der »Schallershof« bei Erlangen.9 Der älteste Sohn Georg Michaels, Ludwig Friedrich Christian von Schlümbach (1764–1849), wurde dort geboren.10 Er war der Großvater Friedrich von Schlümbachs. Wie es durch die Karriere seines Vaters vorgezeichnet 7 In der am 19. August 1761 ausgestellten Adelsurkunde heißt es, die Familie Schlümbach sei »seit erdenklichen Zeiten« in Thüringen ansässig gewesen. Das Adelsdiplom befand sich zuletzt im Privatbesitz von Marian Schluembach, Cleveland, einer Enkelin Friedrich von Schlümbachs und letzten Trägerin dieses Familiennamens in den USA. Michael Schlimmbach (1620– 1708) war von 1654 an Zehntpfarrer in Zeitloffs, sein Sohn Johannes (1669–1755), der Ur-Urgroßvater Friedrich von Schlümbachs, war 55 Jahre lang Pfarrer in Burghaslach und Kirchrimbach, unter dessen Söhnen waren wiederum Pfarrer, aber auch ein gräflicher Verwalter und der Hof- und Kriegsrat Georg Michael von Schlümbach, Friedrich von Schlümbachs Urgroßvater; vgl. Genealogie Familie Schlümbach Schlimbach (Privatbesitz Dr. Herbert Leube); Familie Schlümbach genealogische Forschungen (ArchFam, Sign. 5 I 85–3). 8 1749 war er zum »Reichsgräflich-Erbach-Fürstenauische[n] Rath« berufen worden, danach wirkte er als »Fürst-Löwenstein-Wertheimischer Hof-Rath«, wechselte als »Kriegs-Commissarius« in den Dienst der Markgrafen zu Brandenburg-Kulmbach und wurde 1760 zum »würcklichen Hof- und Kriegsrath« des Herzogs zu Württemberg berufen, um unter anderem die fürstlichen Angelegenheiten »bey dem fränckischen Kreiß« sich angelegen sein zu lassen. »All-devoteste Treue und Ergebenheit« führten neben Ehrbarkeit, Redlichkeit, Vernunft und Geschicklichkeit in allen Angelegenheiten, in denen er sich »vor anderen mit beständiger Dienstbarkeit hervorgethan« hatte, dazu, dass er nun in den Adelsstand erhoben wurde. Vgl. Adelsdiplom (Privatbesitz Marian Schluembach, Anfang 2010 übergeben an ArchFam); geboren wurde Georg Michael Schlümbach am 12. 10. 1724 in Burghaslach in Mittelfranken; Schulbesuch in Neustadt/Aisch; am 28. 8. 1745 als stud.iur. in Erlangen immatrikuliert; dann politische Karriere; zweimal verheiratet; am 2. 1. 1794 auf dem Schallershof bei Erlangen gestorben; vgl. Familie Schlümbach genealogische Forschungen (ArchFam, Sign. 5 I 85–3). 9 Vgl. die maschinenschriftliche Abschrift aus Eduard von der Becke-Klüchtzner: Der Adel des Königreichs Württemberg, Stuttgart 1879, im Privatbesitz Marian Schluembachs. Zu dieser Hofanlage gehörte das Schlösschen »Mon Plaisier«, das durch die zweite Ehefrau Georg Michaels, Freiin von Geuder gen. Rabensteiner, in die Familie gekommen war. Das Schloss war 1711– 1712 von der Markgräfin Elisabeth Sophie erbaut worden, wurde aber 1860 abgebrochen und in Schmiegling bei Nürnberg als Privathaus wieder aufgebaut. Vgl. Korrespondenz von 1943 mit Abbildung des Schallershofs (Privatbesitz Dr. Herbert Leube); Kurzer Stammbaum der Familie von Schlümbach (ArchFam, Sign. 35 I 23/1); Burgen und Schlösser im Landkreis ErlangenHöchstadt, URL: http://www.burgeninventar.de/html/bay/EH_big.html#273 (26. 06. 2008). Im Staatsarchiv Nürnberg befinden sich in den Altbeständen zu »Reichsritterschaft, Adel und Patriziat« Akten zu den Güter- und Rentenangelegenheiten der Familie von Murr von Schlumbach, die lediglich einen Großonkel Friedrich von Schümbachs betreffen. 10 Zu Geburt und Taufe vgl. die Abschrift des Taufscheins in: Familie Schlümbach genealogische Forschungen (ArchFam, Sign. 5 I 85–3).

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war, schlug Ludwig eine Militärlaufbahn ein, wurde 1794 Premierleutnant im »k. k. Anspach’schen Kürassierregiment« und 1809 Hauptmann in der Königlichen Württembergischen Armee.11 Für seinen Einsatz in der Schlacht von Brienne am 1. Februar 1814 erhielt er die goldene Ehrenmedaille.12 Er hatte ebenfalls am Russlandfeldzug Napoleons I. 1812 teilgenommen und zu den wenigen württembergischen Offizieren gehört, die diesen Feldzug überstanden und in die Heimat zurückkehrten.13 Im Dezember 1815 wurde er mit einer Pension von 300 Gulden jährlich in den Ruhestand versetzt14 und lebte zuletzt in Neckargartach bei Heilbronn15. Als erster Sohn Ludwigs – es folgten noch ein weiterer Sohn und zwei Töchter – wurde Friedrich von Schlümbachs Vater Georg Christoph von Schlümbach am 18. März 1801 in Nürnberg geboren. Er trat im Jahr 1817 ebenfalls in die württembergische Armee ein, wurde später zusammen mit seinem Bruder Christian in der Kadetten-Anstalt erzogen16 und am 15. 9. 1827 zum Oberleutnant des 3. Württembergischen Reiterregimentes in Esslingen ernannt.17 Am 12. Juli 1831 heiratete er die 31 Jahre alte Witwe Adelheid von Graff geb. Eggel, die Tochter des Arztes und Hofrats Dr. Franz Eggel aus Öhringen. Sie brachte vier Kinder aus erster Ehe mit in die neue Verbindung18 und hatte mit Georg Christoph vier weitere Kinder: Ale-

11 Vgl. Genealogie Familie Schlümbach Schlimbach (Privatbesitz Dr. Herbert Leube); Wurttemberg Officers, URL: http://members.home.nl/uythoven/Wurttemberg/Wurttemberg officers.htm (13. 02. 2008). 12 Vgl. Wurttemberg Officers, URL: http://members.home.nl/uythoven/Wurttemberg/ Wurttemberg officers.htm (13. 02. 2008). 13 Vgl. Kurzer Stammbaum der Familie von Schlümbach (ArchFam, Sign. 35 I 23/1). 14 Vgl. Wurttemberg Officers, URL: http://members.home.nl/uythoven/Wurttemberg/ Wurttemberg officers.htm (13. 02. 2008). 15 Dort wurde sein Haushalt von den Töchtern Mina und Adelheid geführt. Bei seinem plötzlichen Tod im Jahre 1849 war Friedrichs Schwester Emma zugegen, die für ein standesgemäßes militärisches Begräbnis ihres Großvaters in den Revolutionswirren dessen militärische Abzeichen aus Heilbronn zu schmuggeln hatte; vgl. Episoden aus Emma von Schlümbachs Leben (ArchFam, Sign. 35 I 23/1). 16 Christian wurde 1850 vom Oberstleutnant zum Hauptmann befördert; vgl. die Ernennungsurkunde vom 28. 10. 1850 (ArchFam, Sign. 4 I 7/5 [1]). Die Kadetten-Anstalt befand sich bis 1817 in Stuttgart und sollte sowohl »Edelknaben« als auch bei den Regimentern befindliche Kadetten zu Offizieren heranbilden. Söhne von Offizieren aus den ersten elf Rangklassen wurden unentgeltlich aufgenommen. Voraussetzung war ein Mindestalter von 13 Jahren und der Nachweis entsprechender Vorkenntnisse. Von 1817–1820 war der Lehrbetrieb nach Poten: Geschichte, S. 317–318, allerdings eingestellt, so dass die Ausbildung der Schlümbachs – insofern die familiengeschichtlichen Angaben korrekt sind – dort erst später (oder früher) erfolgt sein kann. 17 Vgl. Genealogie Familie Schlümbach Schlimbach (Privatbesitz Dr. Herbert Leube). 18 Dies waren Otto (*31. 8. 1819), Thekla (*4. 10. 1821), Adelheid (*20. 9. 1824) und Wilhelm (*26. 9. 1827); vgl. Kirchenbuch Öhringen, Familienbuch, S. 431 (Family History Library).

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xander (*26. 2. 1833), Emma (*21. 2. 1834), Karoline (*27. 9. 1836)19 und Friedrich (*27. 6. 1842)20. Die Hochzeit war in Esslingen gefeiert worden, doch schon bald zog die Familie aus beruflichen Gründen nach Ludwigsburg. Dort soll Georg, ein guter Reiter, seinen Freund Graf Alexander von Württemberg mit dem Pferd in dessen Schlafgemach im Obergeschoss des Schlosses besucht haben.21 Auch sonst zeigt sich in einigen Familienüberlieferungen ein starkes Temperament Georgs, das sich zum einen seinen Kindern gegenüber in einer strengen Erziehung äußerte, ihn sich aber zum anderen auch als Lebemann gerieren ließ.22 Von seiner Frau – die von sich aus eher schlichtere Formen bevorzugte – erwartete er, dass sie sich nach der neuesten Mode frisierte, bei seiner Tochter legte er Wert auf die Einführung in gesellschaftliche Fertigkeiten wie Tanz und Konversation; insgesamt heißt es in der Familienüberlieferung, dass er ein »strenges Regiment« führte und die »höchsten Anforderungen« stellte – im Gegensatz zu seiner Frau, die als zurückhaltend und liebevoll beschrieben wird.23 Im gesellschaftlichen Leben der Orte, in denen er lebte, war Georg von Schlümbach stets präsent und aktiv.24 Im Rückblick und mit dem Abstand mehrerer Jahrzehnte beschrieb Friedrich von Schlümbach seine Eltern als »devout, orthodox and conservative«.25 Am 15. 2. 1836 wurde Georg von Schlümbach als Rittmeister pensioniert26 und lebte seitdem mit seiner Familie in Öhringen, wo er im Kirchenbuch zunächst noch als »Oberlieutenant« dann aber als »pens. Rittmeister« geführt ist27 – und wo schließlich auch sein jüngster Sohn Friedrich geboren und am 30. 7. 1842 unter der Zeugenschaft mehrer männlicher Verwandter und des Erbprinzen Friedrich zu Hohenlohe-Oehringen in einem Privathaus getauft wurde.28 Schon seit längerer Zeit hatte Georg von Schlümbach dem Erbprinzen nahe gestanden, so auch in Öhringen, wo zu der Zeit der Hauptsitz des Herrscherhauses war, und diese Verbindung war es auch, die 19

Karoline verstarb allerdings bereits nach wenigen Wochen. Vgl. Kirchenbuch Öhringen, Familienbuch, S. 431 (Family History Library). 21 Vgl. Kurzer Stammbaum der Familie von Schlümbach (ArchFam, Sign. 35 I 23/1). 22 Letzteres wird u. a. deutlich aus Briefen aus den frühen 1860er Jahren (ArchFam, Sign. 4 I 7/5 1852–1889 [6–11]). In dieses Bild passt auch, dass er vor seiner Ehe eine Tochter zeugte, von der seine Familie erst nach seinem Tod erfahren sollte. 23 Vgl. Episoden aus Emma von Schlümbachs Leben (ArchFam, Sign. 35 I 23/1); Lebensskizze Adelheid Eggel (ArchFam, Sign. 77 I 33). 24 Vgl. Rede am Grabe des Herrn Georg Christoph von Schlümbach, S. 5 (Württembergische Landesbibliothek). 25 Vgl. Memorial Record, S. 47. 26 Vgl. Genealogie Familie Schlümbach Schlimbach (Privatbesitz Dr. Herbert Leube). 27 Vgl. Kirchenbuch Öhringen, Familienbuch, S. 431 (Familiy History Library). 28 Vgl. Kirchenbuch Öhringen, Taufen 1842 Nr. 104 (Family History Library). 20

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ihn im folgenden Jahr mit seiner Familie nach Ingelfingen führen sollte, das zur eigentlichen Heimatstadt Friedrich von Schlümbachs wurde. 1.2 Ingelfingen – der Heimatort Das ebenfalls in Hohenlohe gelegene Ingelfingen hatte zu Beginn der 1840er Jahre seine besten Zeiten eigentlich hinter sich. Nachdem es einhundert Jahre lang als Residenz und auch als Grablege der Fürsten zu Hohenlohe-Ingelfingen gedient hatte, war es nach 1805, als die Oehringer Linie des Hauses Hohenlohe an die Ingelfinger gefallen war und der Fürst Friedrich Ludwig die Regierung nach Öhringen verlegte, nur noch sporadisch Residenzort. Da zahlreiche fürstliche Verwaltungseinheiten aus der Stadt abgezogen worden waren und auch die Hofhaltung als wichtiger ökonomischer Faktor wegfiel, stand es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht gut um die wirtschaftliche Situation des Städtchens.29 Warum die Familie Schlümbach dennoch im Sommer 1843 dorthin zog, lag an einem folgenreichen Entschluss des Erbprinzen Friedrich. Dieser hatte sich nämlich 1842 entschieden, die Stuttgarter Offizierstochter Mathilde von Breuning zur Frau zu nehmen. Dies missfiel seinem Vater, dem Fürsten August II. zu Hohenlohe-Oehringen, entschieden, denn er sah darin für einen zukünftigen Fürsten keine standesgemäße Partie. So zwang er seinen Sohn – da dieser sich nicht von einer Heirat abbringen ließ – zum einen, sein Erbrecht an den jüngeren Bruder Hugo abzutreten, und zum anderen, mit seiner Braut Wohnsitz im Ingelfinger Schloss zu nehmen. Die Gründe dafür dürften gewesen sein, ihn aus Stuttgart zu entfernen und ihn auch dauerhaft von seinem Bruder, der in Öhringen residierte, zu separieren. Außerdem verband Fürst August II. Kindheitserinnerungen mit dem Schloss seiner Väter und der Stadt, in der seine Vorfahren begraben lagen, und hatte so einen Anlass, das Schloss wieder in einen guten Zustand zu bringen und etwas für die Stadt zu tun.30 Allerdings widerstrebte dem Prinzen der Umzug nach Ingelfingen, doch jegliche Interventionen bei seinem zumeist auf den schlesischen Besitzungen der Familie weilenden Vater blieben erfolglos. So fügte er sich in sein Schicksal und genehmigte im Januar 1843 die Instandsetzung der Ingelfinger Residenz. Im Sommer 1843 zog der Prinz mit seiner Frau nach Ingelfingen um und richtete im Schloss – die Bauarbeiten waren noch nicht abgeschlossen – eine zunächst provisorische Hofhaltung ein.31

29 30 31

Vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 50–51. Vgl. Gross: Schloss, S. 34. Vgl. Gross: Schloss, S. 35–37.

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Das anfängliche Sträuben gegen den Umzug hatte aber bewirkt, dass dem Prinzen ein Wunsch von seinem Vater erfüllt worden war: der Rittmeister von Schlümbach durfte ihn begleiten. Denn durch ein Dekret vom 18. Juli 1843 gewährte Fürst August diesem für seine »seit längerer Zeit erwiesene Anhänglichkeit« und dem Prinzen Friedrich geleisteten Dienste ein jährliches Honorar von 200 Gulden aus der fürstlichen Hofkasse und für den Fall des Umzugs nach Ingelfingen einen jährlichen Mietzinsbeitrag von 150 Gulden. Um einen zusätzlichen Anreiz zu schaffen, ihn nach Ingelfingen zu begleiten, gewährte Prinz Friedrich ihm darüber hinaus eine Naturalabgabe von jährlich 4 Scheffel (708 l) Korn, 8 Scheffel (1.416 l) Dinkel, 2 Eimern (534 l) Weinmost und 5 Maß (16,9 m3) Dienstholz.32 Und Georg von Schlümbach kam. Im September 1843 bezog er mit seiner Familie eine Wohnung, die im »Schwarzen Hof« für ihn hergerichtet worden war, einem direkt an das Schloss angrenzenden markanten, um einen Innenhof angelegten Gebäude mit mehreren Galerien. Als Hofkavalier übernahm Georg von Schlümbach die Aufsicht über den Marstall im Schloss, den Kutscher, die Pferdeknechte, die Beschaffung der nötigen Fouragen und die Abrechnung der Stallkasse. Daneben stand er dem Prinzen für weitere Dienste zur Verfügung.33 Das alltägliche Leben der Familie von Schlümbach und damit auch des jungen Friedrich spielte sich auf überschaubarem Raum ab. Beim Schwarzen Hof befand sich das Kutschenhaus, auf der anderen Seite des Schlosses der Marstall – die beiden Bereiche, für die Friedrichs Vater primär zuständig war. In unmittelbarer Nachbarschaft des Schwarzen Hofes, sogar durch einen Gang mit ihm beziehungsweise dem Schloss verbunden, befand sich die Nikolauskirche mit ihrer Fürstengruft. Direkt daneben lag die Volksschule, auf der anderen Straßenseite – direkt gegenüber dem Schwarzen Hof – befand sich das Pfarrhaus.34 Aber auch sonst war Ingelfingen eine überschaubare Stadt. Mit ihren anderthalbtausend Einwohnern fügte sie sich in ein Tal, das im Süden von der Kocher durchflossen wird und sich Richtung Norden die »Schulbachklinge« hinauf zwischen steil ansteigenden Hängen erstreckt. Die Anlage der Stadt hatte die Form eines unregelmäßigen Rechtecks, fast schon eines Dreiecks, und von daher existierten drei Stadttore, die die Wege nach Osten und Westen sowie nach Norden bewachten.35 32 Außerdem bezog Georg von Schlümbach noch seine Militärpension, und es ist auch von einem gewissen Familienvermögen auszugehen. 33 Vgl. Dienstverhältnis des Rittmeisters a. D. Christoph Georg von Schlümbach als Hofkavalier beim Prinzen Friedrich zu Hohenlohe-Oehringen (Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein). Der Vorgang ist auch wiedergegeben in Gross: Schloss, S. 38. 34 Vgl. den Stadtplan auf der Innenseite des Buchumschlags von: Ingelfinger Schloss. 35 Einen Eindruck vom sozialen Gefüge der Stadt gibt das Güterbuch aus dem Jahr 1858, das bezüglich der dargestellten Grundstrukturen auch für die 1840er Jahre – die Revolutionszeit hatte zu keinen grundlegenden Umwälzungen geführt und die Zeit als Residenz unter Prinz

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Schon 1847 hatte Prinz Friedrich die Residenz in Ingelfingen wieder aufgegeben und war nach Stuttgart gezogen; die Familie von Schlümbach blieb aber in Ingelfingen, unterhielt jedoch weiterhin enge Kontakte zum Prinzen.36 1848/49 hatte es auch in Ingelfingen revolutionäre Umtriebe gegeben, die die ganze Stadt in Aufruhr versetzten und den Stadtrat spalteten. Vor allem der Apotheker Dr. Frech trat dabei als Wortführer der republikanisch Gesinnten hervor.37 Die reaktionäre Positionierung von Schlümbachs Vater wird dadurch deutlich, dass dieser zu jener Zeit das Kommando der Bürgerwehr übernahm und so bis zum Sommer 1850 mit dazu beitrug, dass sich die reaktionäre Restauration in Ingelfingen wieder die Oberhand verschaffte.38 1.3 Kirchliches Leben in Ingelfingen Der Anschluss Hohenlohes an Württemberg hatte auch auf kirchlichem Gebiet einschneidende Änderungen mit sich gebracht. Zunächst waren die Gebiete, die 1806 zu Württemberg hinzugekommen waren, in kirchlicher Hinsicht einem eigenen Konsistorium in Heilbronn unterstellt gewesen.

Friedrich hatte nur kurz gewährt – Geltung haben dürfte: »Die Gemeinde hat 1477 Einwohner, worunter nur 7 der katholischen Konfession angehören. [. . .] Hauptnahrungszweig der Einwohner der Bezirksgemeinde ist Ackerbau und Viehzucht; in Ingelfingen vorherrschend der Weinbau. [. . .] ist der Gewerbebetrieb in der Stadt nicht ganz unbedeutend. Die Einwohner sind meist fleißig und sparsam und erfreuen sich [. . .] des Lobes guter Sitten und der Religiosität. Die Stadtbewohner sind mittelmäßig wohlhabend [. . .]. Der Gesundheitszustand der Leute ist ein guter [. . .]. Zur Erleichterung des Verkehrs mit der Post und den Ämtern gehen täglich ein laufender Bote in die Oberamtsstadt und wöchentlich einmal ein solcher nach Öhringen. Die Beförderung von Frachtgütern besorgen zwei in Ingelfingen ansässige Frachtfuhrmänner, die wöchentlich ein- bis zweimal nach Heilbronn und Hall fahren. [. . .] Für die Parochie Ingelfingen bestehen die Schulen in dem Mutterort und zwar eine lateinische und 4 deutsche Schulen. Die Kinder von Ingelfingen [. . .] sind bis jetzt von der Entrichtung des Schulgeldes befreit gewesen, dagegen bezahlte Ingelfingen aus der Stadtkasse hierfür jährlich 37 fl 130 xr [. . .]. Die hiesige Stadtalmosen-Stiftungspflege ist größtenteils für die Schulen verpflichtet. [. . .] Außerdem ist mit dem Almosen ein Bibelstiftungsfonds vereinigt, woraus die Zinsen alljährlich zur Anschaffung von Bibeln von armen Kindern verwendet werden. [. . .] Die Gebäude sind größtenteils aus Holz erbaut, teils mit Stock, teils mit Fußmauer, und mit Ziegeln bedeckt; wenige Gebäude sind ganz von Stein bis unter das Dach. [. . .] Die Gärten werden von den Stadtbewohnern besonders gepflegt und sind sehr ertragreich.« Zit. nach Rauser: Heimatbuch, S. 55. 36 Sie war die letzte adelige Familie, die in den kommenden drei Jahrzehnten auf Dauer in Ingelfingen verbleiben sollte. Ihre Mitglieder waren – abgesehen vom Dienstpersonal – die letzten Bewohner des Ingelfinger Schlosses, auch wenn sie nach 1849 vorübergehend als Mieter im Amthaus in der Bühlhofer Straße lebten; vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 370; Gross: Schloss, S. 38. 37 Zur Revolution in Ingelfingen vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 51–55. Nach der Niederschlagung der Revolution wurde Frech gefangen gesetzt, konnte aber 1850 nach Frankreich entkommen. 38 Vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 54–55.

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Durch die politische Vereinigung der alten und neuen Landesteile wurde aber bereits 1807 die Zuständigkeit an das nun für alle evangelischen Gebiete zuständige Oberkonsistorium in Stuttgart übertragen.39 Im Bekenntnis waren die neuen Gebiete lutherisch und zeigten in ihrem gottesdienstlichen Leben einen größeren liturgischen Reichtum als in Altwürttemberg üblich. Letzterer erlosch aber nach und nach entweder durch konsistoriale Verordnungen oder aufgrund eigenmächtiger Änderungen durch altwürttembergische Pfarrer. Zum Teil ist aber erst durch den Anschluss an Württemberg die Konfirmation in den neuen Landesteilen eingeführt worden.40 Zur Zeit des Anschlusses herrschte – so formuliert es eine Darstellung Ende des 19. Jahrhunderts – vor allem im Fränkischen eine weitaus höhere Geltung von »Form und Ordnung, Amt und Sitte der Kirche«41 als in Altwürttemberg, also eine stärkere hierarchisch-konservative allgemeine Kirchlichkeit, während das alltägliche Leben – auch der Geistlichen – sehr viel freier war, was zum Beispiel Tanzen oder Wirtshausbesuch anbelangte. Der Pietismus war in den neuen Gebieten nicht verbreitet, und für Pietisten mit ihrer Innerlichkeit mag das kirchliche Leben dort vor allem als an der äußeren Form orientiert erschienen sein. Ende des 19. Jahrhunderts heißt es dazu: »Über bleiernes Kirchentum konnte noch auf der ersten Landessynode geklagt werden. Aber es liegt doch auch ein gewisser Vorzug in dem, was ein Beobachter mitteilt: ›Dem fränkischen Gemüt muß alles was gut ist, auch kirchlich sein können.‹ Die beiden Strömungen, eine zur Ergänzung der anderen bestimmt, lassen sich ja noch jetzt unterscheiden.«42 Mit dem Verlust seiner politischen Stellung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen für Ingelfingen auch Änderungen in der kirchlichen Organisation einher. Bestand im Jahr 1809 noch ein »Königliches Dekanat Ingelfingen«, so wurde es schon bald der General-Superintendentur Öhringen unterstellt und der Dekanatssitz 1825 nach Künzelsau verlegt. Die Pfarrstelle in der so gut wie geschlossen evangelischen Stadt war fortan nur noch mit einem Geistlichen besetzt, nachdem es vorher auch immer einen Vesperprediger gegeben hatte.43 Zentrum des kirchlichen Lebens war die Nikolauskirche, unter deren gotischem Chor sich die fürstliche Grablege befand. In der Kirche gab es eine genaue Stuhlordnung44, bei der die Familie Schlümbach als dem Herrscher

39 40 41 42 43 44

Vgl. Kolb: Jahrhundert, S. 546–547. Vgl. Kolb: Jahrhundert, S. 547. So formuliert es Kolb: Jahrhundert, S. 547. Kolb: Jahrhundert, S. 547. Vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 282. Vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 283–284.

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besonders nahestehend entsprechend privilegiert berücksichtigt sein worden dürfte. Zu den Eigenheiten gehörte auch, dass von ca. 1700 bis 1876 alljährlich eine »Fastenkinderlehre« stattfand, an deren Ende Wecken unter den Kindern verteilt wurden.45 Die Verbindungen zwischen Kirche und Schule waren eng; das Amt des Mesners wurde traditionell vom Schulmeister übernommen, und die Lehrer wirkten als Organisten.46 Der Stadtpfarrer, der während Schlümbachs Kindheit und Jugend in Ingelfingen wirkte, war Gottfried Friedrich Weber.47 Wenngleich der junge Friedrich bereits mit neun Jahren nur die Ferien in Ingelfingen verbrachte, war er doch mit dem auf der anderen Straßenseite wohnenden Pfarrer vertraut und wurde am 4. Mai 1856 auch durch ihn in der Evangelischen Kirche in Ingelfingen konfirmiert.48 Schlümbach sprach später gelegentlich davon, im Konfirmandenunterricht »erste Wahrheitseindrücke« empfangen zu haben, ohne dies jedoch näher zu spezifizieren.49 Auf jeden Fall erkundigte er sich acht Jahre nach der Konfirmation in einem Brief nach Pfarrer Weber50 – eine gewisse Verbundenheit mag er also empfunden haben. Die einzigen religiösen Eindrücke aus Ingelfingen, von denen Friedrich von Schlümbach selbst im Rückblick schreibt, sind mit seiner Mutter verbunden: »My mother loved the Lord Jesus Christ, and taught me in all her power until the age of eight years, when I came away to school, and never went home to her control. But up to eight years of age she did all she could to make me love Jesus.«51

45 Vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 282–283. Zu den weiteren kirchlichen Gegebenheiten gehörte bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Ingelfingen das Institut der »Kirchenbuße« bzw. des »Sittengerichts«, in welchem die Kirche in polizei- bzw. kriminalstrafrechtliche Verfahren involviert war und ihrerseits Strafmaßnahmen einbringen konnte. Eine gewisse Lockerung dieser Praxis war zwar im Zuge der Aufklärung aufgekommen, setzte sich aber nur sehr langsam bis zur Abschaffung dieser Institution um 1900 durch. Vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 285–286. 46 Vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 292–293. 47 Vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 291. Er amtierte von 1829–1862. 48 Vgl. Kirchenbuch Ingelfingen, Catechumeni 1856 und Familienbuch I, S. 558 (Family History Library). 49 Vgl. Erinnerungen an Friedrich von Schlümbach (ArchFam, Sign. 5 I 44/20). 50 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann und Emma Werner vom Februar 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [2]). 51 Schluembach: Story, S. 4.

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1.4 »Ich wollte nicht lernen« – Schulzeit in Ingelfingen, Heilbronn, Künzelsau und Stuttgart Die ersten acht Lebensjahre verbrachte Friedrich von Schlümbach bei seiner Familie in Ingelfingen. Hier widmete sich die Mutter seiner Erziehung. Seine erste Schulbildung erhielt er an der Ingelfinger Volksschule, die er etwa von 1848 bis 1851 besuchte.52 Hier erlernte er die elementaren Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen und erhielt die damit verbundene religiöse Unterweisung. Feste Lehrpläne erhielten die Volksschulen erst im Laufe der 1850er Jahre.53 Mit neun Jahren kam Friedrich von Schlümbach auf das Karlsgymnasium in Heilbronn und bezog das dem Gymnasium angegliederte Königliche Pensionat54, das im Jahr 1851 gegründet worden war. Er dürfte zu den ersten 28 Zöglingen gezählt haben, die am 31. 10. 1851 den provisorisch für das Pensionat hergerichteten Teil der Deutschhofkaserne bezogen55. Der gymnasiale Lehrplan umfasste Unterricht in Latein, Griechisch, Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte, Geographie und Religion.56 Dem Pensionat stand ein Ephorus vor, der in der pädagogischen Arbeit von drei Repetenten unterstützt wurde. Diese Repetenten waren die eigentlichen Kontaktpersonen der Schüler, da diese sie nicht nur bei ihren Hausaufgaben unterstützten, sondern von ihrem Vertrag her auch verpflichtet waren, die Zeit des Essens, Schlafens und größtenteils auch der Erholung mit den Zöglingen zu verbringen.57 Die drei Repetenten deckten von ihrer fachlichen Qualifikationen her die Gebiete der Philologie, Mathematik und Theologie ab. Der theologische Repetent Rudolf Georg Ludwig Rooschüz machte in besonderer Weise Eindruck auf den jungen Friedrich von Schlümbach, so dass ein Wiedertreffen einige Jahrzehnte später ein bewegendes Ereignis für ihn wurde.58 Rooschüz hatte als Tübinger Stiftler vor allem bei Christian Friedrich Schmid und Johann Tobias Beck studiert und dort den »einfachen Bibelglauben« – so wird es in der Leichenrede formuliert59 – in sich auf52 Vgl. die eigenen Angaben in Cleveland und sein Deutschthum, S. 180. Nach Auskunft des Kreisarchivs Hohenlohe vom 7. 9. 2006 ist im Stadtarchiv Ingelfingen nicht mit Informationen über die Schulzeit Friedrich von Schlümbachs zu rechnen. 53 Vgl. Schmitz: Geschichte, S. 64. 54 Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 180. Im Schularchiv des heutigen TheodorHeuss-Gymnasiums, das allerdings durch Kriegsschäden unvollständig ist, konnten nach Auskunft des Stadtarchivs Heilbronn vom 4. 10. 2006 keine Hinweise auf Friedrich von Schlümbach gefunden werden. Allerdings findet sich später in den württembergischen Militärakten der Eintrag, dass Schlümbach Pensionatszögling gewesen ist. 55 Vgl. Schneck: Pensionat, S. 121. 56 Vgl. Schmitz: Geschichte, S. 69–70. 57 Vgl. Schneck: Pensionat S. 120. 58 Vgl. Kupisch: CVJM 1930, S. 64. 59 Vgl. Andenken (Württembergische Landesbibliothek), S. 19.

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genommen. Er hatte offenbar die Gabe, junge Menschen für biblische Geschichten und den christlichen Glauben zu begeistern.60 Am Pensionat in Heilbronn war er nur für ein Jahr tätig61, der Eindruck auf den jungen Friedrich scheint aber ein nachhaltiger gewesen zu sein. Die Anforderungen des gymnasialen Lernens und des Lebens im Internat trafen sich nicht unbedingt mit Schlümbachs Begabungen, denn er wechselte nach nur zwei Schuljahren in Heilbronn auf die Realschule nach Künzelsau62, wo unter Zurückstellung der alten Sprachen, vor allem des Griechischen, hoher Wert auf die »Realien«, die zum Teil auch kaufmännischgewerbliche Inhalte einschlossen, und auf moderne Sprachen gelegt wurde.63 Mit 14 Jahren kam Friedrich von Schlümbach auf die Oberrealschule in Stuttgart.64 Diese war 1845 eingerichtet worden, um in zwei parallelen Klassen entweder in einem einjährigen Kurs auf den Besuch der polytechnischen Schule vorzubereiten oder in einer »Gewerbeklasse« an die praktischen Bedürfnisse des Berufs- und Erwerbslebens heranzuführen.65 Diese Struktur wurde 1849 dahingehend modifiziert, dass die Gewerbeklasse in zwei Abteilungen gegliedert wurde, von denen die eine für angehende Militärs, Forstleute und Techniker, die andere für angehende Kaufleute konzipiert war.66 Aufgrund seiner beruflichen Pläne besuchte Schlümbach wahrscheinlich letztere, die ursprünglich angelegt war für »junge Leute, die nur 1 bis 1½ Jahre lang über die Confirmation noch eine Schule besuchen wollen«67, von 1854 an aber auch die Möglichkeit für einen zweijährigen Kurs eröffnete. Neben kaufmännischem Rechnen lag ein Schwerpunkt auf den modernen Sprachen; sowohl Französisch als auch Englisch wurden mit Übungen in Korrespondenz und Konversation gelehrt.68 Seine häufigen Schulwechsel und eigene spätere Aussagen deuten an, dass Schlümbach wohl kein einfacher Schüler gewesen ist.69 Zur Wirkung seiner Erziehung entfernt von der Familie schreibt er im Rückblick kritisch: »[. . .] 60

Vgl. Andenken (Württembergische Landesbibliothek), S. 15–16. Vgl. Andenken (Württembergische Landesbibliothek), S. 19; es dürfte sich etwa um den Zeitraum von Herbst 1851 bis Herbst 1852 gehandelt haben. 62 Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 180. 63 Vgl. Schmitz: Geschichte, S. 71–72. 64 Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 180. Im Stadtarchiv Stuttgart konnten mit Auskunft vom 25. 8. 2006 keine relevanten Bestände ermittelt werden. 65 Vgl. Görlich: Handelsschulen, S. 90–91. 66 Vgl. Görlich: Handelsschulen, S. 91–92. 67 So der Vorstand der Realanstalt, Rektor Kieser, in einem Schreiben vom 17. 8. 1845; zit. nach Görlich: Handelsschulen, S. 91. 68 Vgl. Görlich: Handelsschulen, S. 92. 69 So heißt es – wahrscheinlich aufgrund mündlicher Mitteilungen – bei Th. Jellinghaus: Erinnerungen an Friedrich von Schlümbach. In: Monatlicher Anzeiger des CVJM zu Berlin 19/8 (1901) Beilage o. P., dass Schlümbach das Schulleben nicht gefallen habe. Fabianke: Schlümbach, S. 141 schreibt, dass der junge Schlümbach nicht lernen wollte. 61

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[I]t turned out that this was not best for me, because it made me go into manhood when I ought to have been a boy.«70 Auch die Schulgebäude in Heilbronn und Stuttgart haben einen düsteren Eindruck bei ihm hinterlassen.71 Gleichwohl scheint er eine gute Bildung genossen zu haben, wie in seinen späteren Texten durch Bezüge zur klassischen und deutschen Literatur, zur Philosophie und auch zur lateinischen Sprache deutlich wird. Nach dem Schulexamen wandte er sich – seinen letzten Schuljahren entsprechend – weiter der Ökonomie zu und machte ein Praktikum in der Verwaltung der Güter der Familie von Berlichingen in Jagsthausen.72 1.5 Intermezzo beim Militär und familiäres Zerwürfnis 1859 trat Schlümbach jedoch – nach eigenen Aussagen auf Wunsch des Prinzen Friedrich73 – in das Württembergische Militär ein. Im April hatte es aufgrund der angespannten politischen Situation zwischen Deutschland, Frankreich und Österreich die erste Mobilmachung seit langem in Württemberg gegeben. Für einen aktiven Kriegseinsatz fehlten zahlreiche Offiziere.74 Schlümbach bewarb sich also im April 1859 um die Stelle eines Regimentskadetten75, wurde als »tüchtig« gemustert76 und in die offizielle Liste der Bewerber aufgenommen77. Der Vater Friedrichs hatte laut den dortigen Eintragungen in diesen Schritt seines Sohnes eingewilligt und auch der Rentamtmann hatte Friedrich ein gutes Zeugnis ausgestellt.78 So ist 70

Schluembach: Story, S 3. So schreibt er beim Besuch des Wallace Collegiums in Berea, Ohio 1874: »Unsere Institute in Heilbronn und Stuttgart waren noch finsterer in Lehrsälen und Wohnungen, und wir mußten 300 fl. per Jahr zahlen«; Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach II. In: CA 1875, S. 129. 72 Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 180. Im Archiv der Freiherren von Berlichingen in Jagsthausen konnte nach Auskunft vom 19. 9. 2006 nichts dazu ermittelt werden. Schlümbach selbst erzählte später, dass er während seiner Kindheit als junger »Tunichtgut [. . .] zum Werner gethan« worden sei (vgl. Wurster: Leben, S. 216); im Archiv der Bruderhaus-Diakonie in Reutlingen hat sich aber kein entsprechender Hinweis erhalten. 73 Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 180. 74 Vgl. Sauer: Heer, S. 164. 75 Vgl. Kriegsministerium. Verzeichnis der Kandidaten auf Offiziersstellen im April 1859, Nr. 59. In: Bewerbungen um die Stelle eines Regimentskadetten 1859–1860 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart). 76 Vgl. Visitationsliste der Offizierscandidaten 1859, Nr. 131. In: Bewerbungen um die Stelle eines Regimentskadetten 1859–1860 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart). 77 Vgl. Liste, Nr. 147. In: Bewerbungen um die Stelle eines Regimentskadetten 1859–1860 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart). Dort ist sein Geburtsjahr mit 1841 angegeben, so dass die Altersangabe von 17 Jahren korrekt erscheint. 78 Vgl. Liste, Nr. 147. In: Bewerbungen um die Stelle eines Regimentskadetten 1859–1860 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart). 71

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sein freiwilliger Eintritt als Offizierskandidat beim 8. Infanterie-Regiment für den 12. 5. 1859 in den Militärakten vermerkt.79 Sein Gewerbe wird dort als »Oekonom« angegeben, Bürgerrechte besaß er – wie seine Familie, die keine Bürgerrechte in Ingelfingen hatte80 – in Oberesslingen. Am 16. Mai verfügte der König die Einrichtung von 96 Regimentskadettenstellen, auf die junge gut gebildete Männer zwischen 17 und 22 Jahren berufen werden sollten. Im Rahmen der Vorbereitung auf ihren künftigen Beruf als Offizier sollten sie vor allem praktisch ausgebildet, aber auch theoretisch unterricht werden.81 Durch den Corpsbefehl No. 56 des Stuttgarter Kriegs-Ministeriums vom 23. 5. 1859 wurde Friedrich als »Offiziers-Kandidat« in eine solch neu errichtete Kadettenstelle beim 5. Regiment der Infanterie eingewiesen.82 Die politische Lage entspannte sich aber im Laufe des Sommers so, dass es zu keiner kriegerischen Auseinandersetzung für das württembergische Heer kam.83 Von daher quittierten einige der neu eingestellten Regimentskadetten im August bereits wieder ihren Dienst.84 Schlümbach jedoch wurde Mitte Oktober zusammen mit anderen verbliebenen Kadetten zum »Kursus der Regiments-Soldaten« nach Ludwigsburg befehligt, wo er am 1. November einzurücken hatte. Die WaffenKommandos und das Gouvernement Ludwigsburg wurden angehalten, Personal zur Erteilung der einzelnen Unterrichtsfächer, für die praktischen Übungen und zur Bedienung der Kadetten abzustellen.85 Es handelte sich dabei um einen außerordentlichen, auf zwei Jahre angelegten Kursus, der in Anlehnung an die Offiziers-Bildungs-Anstalt in Ludwigsburg, auch »Kriegsschule« genannt, die seit 1821 bestand, abgehalten wurde, aber wohl nicht einfach in das bestehende Lehrprogramm integriert war.86 Falls er in Anlehnung an das Curriculum der Oberen Abteilung konzipiert war, umfasste er in eingeschränkter Form Unterricht in Deutsch und Französisch, Mathema-

79 Vgl. K. 5tes Infanterieregiment. 6. Kompagnie. Nationalbuch für die Aushebungsklassen der Jahre 1859–1866, Nr. 351 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart). 80 Zum Erwerb des Bürgerrechts in Ingelfingen vgl. Rauser: Heimatbuch, S. 56. 81 Vgl. Sauer: Geschichte, S. 165. 82 Vgl. Corpsbefehl No. 56. In: Bewerbungen um die Stelle eines Regimentskadetten 1859–1860 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart); K. 5tes Infanterieregiment. 6. Kompagnie. Nationalbuch für die Aushebungsklassen der Jahre 1859–1866, Nr. 351 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart). 83 Vgl. Sauer: Geschichte, S. 168–169. 84 Vgl. Sauer: Geschichte, S. 171. 85 Vgl. Corpsbefehl 127. In: Bewerbungen um die Stelle eines Regimentskadetten 1859– 1860 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart). 86 Vgl. Poten: Geschichte, S. 374 Anm. 1, wo eine Notiz des Kriegsministeriums bezüglich des Kurses wiedergegeben ist, ohne die Poten nichts von diesem Kurs gewusst hätte. Er konnte Genaueres auch nicht rekonstruieren und vermutet, dass der Kurs für Offiziersanwärter, die aus Anlass der Mobilmachung eingetreten waren, bestimmt war.

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tik, Naturwissenschaften, Zeichnen, Waffenlehre, Befestigungskunst, Taktik, Kriegsgeschichte, Dienstlehre, Exerzieren, Fechten, Voltigieren, Reiten und Tanzen.87 Schlümbachs Zeit in Ludwigsburg währte allerdings nicht lange, da er bereits am 28. 11. 1859 »auf bes. Befehl« aus dem Militärdienst entlassen wurde88, was von der Formulierung an sich nicht ungewöhnlich ist, da dies bei fast allen vor Schlümbach in der Liste erfassten Nummern für den 6. 8. 1859 der Fall war. Überhaupt brachten nur zehn von ursprünglich einmal 96 Regimentskadetten diesen Kurs zu Ende.89 Was genau die Umstände seiner Demission oder seines Austritts waren, lässt sich nicht mehr genau erheben90, aber es scheint ein Zerwürfnis mit seinem Vater ob seines Lebenswandels gewesen zu sein, das ihn veranlasste, seine Koffer zu packen und das Militär zu verlassen. In den vorangegangenen Monaten hatte er offenbar so leichtfertig Geld ausgegeben beziehungsweise mit allerlei Vergnügungen durchgebracht, auch Geld der Familie, dass sein Vater sich weigerte, ihn weiter zu finanzieren.91 Bei diesem Zerwürfnis haben sicher auch alte persönliche Konflikte eine Rolle gespielt92, denn für Schlümbach kam es hier zu einem regelrechten Bruch: Er ließ nicht nur das Militär hinter sich, sondern gleich das ganze Königreich Württemberg. Die USA waren das Ziel, das ihn anzog. Bereits vor ihm waren zwei Brüder nach Amerika ausgewandert. Während Friedrichs Zeit in Heilbronn war sein älterer Bruder Alexander in die USA emigriert und am 4. September 1857 amerikanischer Staatsbürger geworden.93 Ob politische, wirtschaftliche

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Vgl. den 1855 beschlossenen Normallehrplan bei Pott: Geschichte, S. 372–373. Vgl. K. 5tes Infanterieregiment. 6. Kompagnie. Nationalbuch für die Aushebungsklassen der Jahre 1859–1866, Nr. 351 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart). 89 Vgl. Sauer: Geschichte, S. 171. 90 Die Dokumente der Militäraktengruppen E 271 c und E 297 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart geben hierüber keinen Aufschluss. Daher ist es wahrscheinlich, dass sein Austritt auf eigenen Wunsch erfolgte und nicht Produkt eines Prozesses oder Disziplinarverfahrens war. 91 Vgl. Schluembach: Story, S. 4. 92 In der Familienüberlieferung wird das Zerwürfnis auch auf die Strenge und den Jähzorn des Vaters zurückgeführt; vgl. Aufzeichnungen von Luise Zeller (ArchFam, Sign. 22 I 6/3); Manuskript C. v. Prosch: Lebenslauf des CVJM-Gründers (ArchFam), der sich auch auf Erinnerungen von Schlümbachs Witwe beruft. 93 Alexander war in die USA emigriert, nachdem er zuletzt als Bierbrauer in Oberesslingen gelebt hatte. Am 5. Juni 1852 verließ er seine württembergische Heimat in Richtung Nordamerika; vgl. die beim Oberamt Esslingen aufgenommenen Daten (heute im Hauptsaatsarchiv Stuttgart) in: Auswanderung aus Südwestdeutschland. URL: http://www.auswanderer-bw.de. Der Wuerttemberg Emigration Index führt ihn in Bd. 7 auf S. 359, nach ihm beantragte er im Mai 1852 die Auswanderung mit dem Ziel Nordamerika. Vgl. Philadelphia Naturalization Records 1789–1880, URL: www.ancesterylibrary.com. Am 5. August 1852 war Alexander in New York eingetroffen. Zuvor hatte er an Bord der St. Denis von Le Havre aus den Atlantik überquert; vgl. New York Passenger Lists, Microfilm Serial: M237, Microfilm Roll: 117, List Num88

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oder rein private Gründe den Ausschlag für die Auswanderung gegeben hatten, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, aber da Alexander sich bei den Behörden ordnungsgemäß abmeldete, kann es sich um keine »Flucht« gehandelt haben. Außerdem war Friedrichs Halbbruder Wilhelm Mitte der 1850er Jahre ebenfalls in die USA emigriert94 und in New Orleans als Apotheker ansässig geworden95. Informationsmöglichkeiten über Amerika gab es Mitte des 19. Jahrhunderts genug: Auswanderungsführer, fiktionale Amerika-Literatur, Artikel in der allgemeinen Presse, spezielle Auswandererzeitschriften und je nach persönlichen Verbindungen Auswandererbriefe.96 Letztere stellten ein ausgesprochen wichtiges Medium dar, durch das die Zurückgebliebenen ihr Amerikabild formten.97 Hatten Verwandte oder Freunde bereits erfolgreich in der neuen Welt Fuß gefasst, so kam man leichter zu dem Schluss, ihnen zu folgen. Auf diese Weise entstanden Kettenwanderungen.98 Ob Schlümbach von seinem Bruder Alexander und seinem Halbbruder Wilhelm nach deren Auswanderung hörte, ist allerdings fraglich – es scheint, als sei der Kontakt der beiden in die alte Heimat nicht besonders eng gewesen.

ber: 1082 (National Archives, Washington DC), wo er als »Alanand Van Schumbach« verzeichnet ist. Laut Fahrplan dürfte der Paketsegler St. Denis am 18. Juni 1852 von Le Havre aus in See gestochen sein; vgl. den Abdruck bei Krohn: Deutschland, S. 280. 94 Vgl. Kirchenbuch Ingelfingen, Familienbuch I, S. 558 (Family History Library). 95 Vgl. Genealogie Familie Schlümbach Schlimbach (Privatbesitz Dr. Herbert Leube); Memorial Record, S. 47. 96 Vgl. Helbich: Amerika, S. 174 Anm. 48. Im 19. Jahrhundert nahm die über Amerika berichtende Literatur einen solchen Aufschwung, dass Wilhelm Engelmann 1857 in seinem »Verzeichnis der seit Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Jahres 1856 in Deutschland erschienen Werke über Geographie und Reisen« im Abschnitt »Auswanderungsschriften« für Nordamerika etwa 200 Handbücher, Reiseführer und Ratgeber aufführt. Vgl. Krohn: Deutschland, S. 128–129. Vgl. zu den Informationsmöglichkeiten insgesamt Krohn: Deutschland, S. 126–146. 97 Zur Bedeutung von Auswandererbriefen aus den USA vgl. v. a. Helbich/Kamphoefner/ Sommer: Briefe, S. 31–39. 98 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 116. Zum Phänomen der Kettenwanderung und der Wichtigkeit persönlicher Verbindungen für Auswanderungsentschluss und Eingliederung in der Neuen Welt vgl. auch Helbich: Amerika, S. 26–27.

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2. Von Deutschland nach Amerika (1859–1861) 2.1 Die Auswanderung Schlümbach verließ seine Heimat im Dezember 1859, um sich über Le Havre nach New York einzuschiffen. Zurück ließ er neben seinem erzürnten Vater eine schwer an Brustkrebs erkrankte Mutter.1 Die Umstände seiner Abreise schilderte er mehr als zwanzig Jahre später in »The Story of my Conversion from Atheism.« Wenngleich dort vielleicht auch nicht wörtlich korrekt das Vorgefallene wiedergegeben wird, so wird doch die dramatische Grundstimmung dieses Abschieds im Unfrieden deutlich: »When I left home on the 13th of December, 1859, I left a dying mother. My father telegraphed me at two o’clock in the morning: ›Come home. Mother is dying.‹ I telegraphed back, ›I am going to America.‹ On the early morning train another dispatch came: ›Fred, everything forgiven and forgotten. Mother is dying.‹ I telegraphed home, ›Too late!‹ That is all I telegraphed. A message came to America from my dying mother. It was this from my father: ›You have driven the nail in mother’s coffin; you have broken your father’s heart with your debaucheries, but mother sends you this word, ›Fred, never forget the Lord Jesus Christ.‹ ‹ My father had that nailed over my bed, and he said, ›That shall not come down from the bed.‹ And it did not [. . .].«2

Als ihn die letzte Nachricht erreichte, befand sich Schlümbach bereits auf amerikanischem Boden; seine Mutter starb zehn Tage später3. Eingetroffen war er in den USA am 29. Dezember 1859 an Bord der Arago, eines recht neuen Dampfschiffs, das ein weitaus schnelleres und bequemeres Fortbewegungsmittel darstellte als die sonst im Transatlantikverkehr üblichen Segelschiffe, die mehrere Wochen für die Überfahrt brauchten. Es ist wahrscheinlich, dass Schlümbach während der Überfahrt eine Kajüte zweiter Klasse bewohnte und nicht im berüchtigten Zwischendeck reiste.4 Sein Name ist in der Passagierliste mit »Frederic Schleinbach« wiedergegeben, als Beruf ist »Studt.« eingetragen.5 Mit seiner Auswanderung reihte sich Schlümbach ein in die große Zahl derer, die im 19. Jahrhundert ihrer südwestdeutschen Heimat den Rücken 1 Die Erkrankung wird genannt im Kirchenbuch Ingelfingen, Totenregister 1860 Nr. 2 (Familiy History Library). 2 Schluembach: Story, S. 21. 3 Vgl. Kirchenbuch Ingelfingen, Totenregister 1860 Nr. 2 (Familiy History Library). 4 Im allgemeinen, nicht speziell auf die »Arago« bezogen, hauste der Großteil der Auswanderer während der Überfahrt im sog. Zwischendeck, einem Großraum mit engen Bettstellen, meist blieb für jeden nur eine Fläche von 0,5x2 m, um sich zu lagern. Nur wenige konnten sich eine Überfahrt in der komfortableren Kajüte leisten; zu den Reisebedingungen im Zwischendeck vgl. Krohn: Deutschland, S. 229–240. 5 Vgl. New York Passenger Lists, Microfilm Serial: M237, Microfilm Roll: 198, List Number: 1257 (National Archives, Washington DC).

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kehrten und ihr Glück in der Ferne suchten. Denn Südwestdeutschland gehörte von Beginn des 19. Jahrhunderts an zu den Regionen Deutschlands mit einer ausgesprochen starken Emigration in die USA.6 Dabei waren die Gründe für eine Emigration durchaus vielschichtig: wirtschaftliche Not, politische Repression, Abenteuerlust oder »Abschiebung« eines missratenen Sohnes aus der Familie oder ökonomischer Problemfälle aus den Kommunen.7 Als am gewichtigsten sind sicherlich die wirtschaftlichen Gründe zu veranschlagen. Aber neben den differenziert nach lokalen Kontexten zu analysierenden wirtschaftlichen Faktoren8 spielten auch – allerdings mit weitaus geringerer Bedeutung – politische Faktoren eine Rolle. Wenngleich die sogenannten Achtundvierziger, also politische Flüchtlinge im Zuge der gescheiterten Revolution, in der gesamten Auswanderung nur eine kleine Minderheit darstellten9, so ist der spätere Einfluss dieser bildungsbürgerlichen Elite auf die deutsch-amerikanische Presse und Politik beträchtlich gewesen. Wenngleich kein abstraktes Demokratieverständnis, so ist auch bei den »gewöhnlichen« Auswanderern häufig ein doch stark egalitäres Bewusstsein und eine kritische Haltung gegenüber dem Obrigkeitsstaat zu beobachten10 – im Falle Schlümbachs ist wenigstens davon auszugehen, dass er im persönlichen Bereich Konflikte mit sich autoritär gebenden Instanzen wie seinem Vater und der Schule oder dem Militär hatte. Die Grenze zwischen wirtschaftlichen und politischen Faktoren war freilich fließend.11 Und immer waren diese eingebunden in konkrete persönliche Dispositionen: »Each adult immigrant had his or her own complex of 6 Vgl. Helbich/Kamphoefner/Sommer: Briefe, S. 11–12. Von 1815 bis 1870 wanderten 400.000 Menschen aus dem Königreich Württemberg aus, freilich nicht alle in die USA; vgl. Hippel: Auswanderung, S. 115. Der Anteil der Südwestdeutschen an der Amerikaauswanderung aus Deutschland lag in den 1840er Jahren bei 50%, sank danach aber; vgl. Helbich: Menschen, S. 19. Vgl. auch das dort auf S. 18–27 dargebotene statistische Material überhaupt. 7 Vgl. zu den Auswanderungsgründen Krohn: Deutschland, S. 67–102. 8 Nach älteren Thesen wurde dafür vor allem die Realteilung bei der Vererbung, also eine zunehmende Parzellierung des Bodens verantwortlich gemacht, aber neuere Studien haben gezeigt, dass dies nur bedingt in Anschlag zu bringen ist. Der Niedergang der Heimgewerbe und Missernten, auch ein schlechter Weinpreis gehörten zu den wichtigsten Faktoren. Lokale Wirtschaftsbedingungen sind von daher eher und differenziert in Betracht zu ziehen, um Auswanderungsströme zu erklären, als monokausal betrachtete Erbformen; vgl. Helbich/Kamphoefner/ Sommer: Briefe, S. 12. Wiedergegeben sind die Forschungsthesen in Auszügen aus den Originaltexten bei Helbich: Menschen, S. 158–160. Im selben Band besprochen werden (primär wirtschaftliche) Auswanderungsgründe auf S. 36–39. 9 Helbich gibt die Zahl mit 3.000–4.000 an; vgl. Helbich: Menschen, S. 37. »Es wird wohl nie geklärt werden können, wie viele der Revolutionäre und wie viele, die nicht aktiv an der Revolution beteiligt, aber enttäuscht über ihre Niederschlagung waren, die Flucht nach Amerika antraten«; Marx: Deutsche, S. 46. 10 Vgl. Helbich/Kamphoefner/Sommer: Briefe, S. 13. 11 Vgl. Helbich/Kaemphoefner: Deutsche, S. 37.

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reasons for wanting to leave and they often included family considerations as well as psychological needs, few of which can be sorted out.«12 Der Großteil der Auswanderer rekrutierte sich aus den Unterschichten und der unteren Mittelschicht13, schon von daher war Schlümbach – wie die Achtundvierziger vor ihm – Teil einer privilegierten Minderheit unter den Emigranten. Aufs Ganze gesehen fielen »missratene Söhne«, religiöse Minderheiten und politisch Verfolgte zahlenmäßig kaum ins Gewicht gegenüber der Masse aus Kleinbauern, Tagelöhnern, Arbeiten und Handwerkern, die emigrierten, weil sie in Deutschland keine Möglichkeiten der Verbesserung ihrer prekären ökonomischen Situation sahen.14 Das Verfahren, das einer legalen Auswanderung vorauszugehen hatte, umfasste mehrere Schritte. Zunächst brauchte man eine offizielle Genehmigung zur Ausreise. Voraussetzung war, dass man alle Schulden beglichen und rückständige Steuern bezahlt hatte. Dann brauchte man einen Pass und Visa für die zu durchreisenden Länder. Minderjährige brauchten die Einwilligung der Eltern.15 Dann musste der Auswanderungswillige eine Ausbürgerungsurkunde unterzeichnen, in der er auf seine Bürgerrechte verzichtete.16 Schließlich musste er sich um die Modalitäten seiner Reise kümmern.17 Welche Route sollte er wählen? Für die süddeutschen Auswanderer war mit Abstand Le Havre der attraktivste Hafen. Zum einen bot er für sie die beste Erreichbarkeit, da er (von Mainz beziehungsweise Köln aus) über Paris mit der Bahn zu erreichen war. Zum anderen bot er die höchste Dichte an Abfahrten in die USA, außerdem die Aussicht auf eine im Vergleich zu den weiter nördlich liegenden Häfen kürzere Überfahrt.18 In den größeren Städten vermittelten Auswanderungsagenten die Formalitäten der Beförderung. Die Umstände der Reise legten es nahe, nur das Nötigste mitzunehmen.19 Da Schlümbach das offizielle Ausbürgerungsverfahren durchlief und auf seine Bürgerrechte verzichtete20, ist es nicht wahrscheinlich, dass er Schulden 12

Luebke: Centuries, S. 161. Vgl. Helbich/Kamphoefner/Sommer: Briefe, S. 13; Helbich: Menschen, S. 21. 14 Vgl. Helbich: Amerika, S. 16. Präzisiert werden kann dies mit Helbich: Menschen, S. 39 dahingehend, dass eine prekäre ökonomische Situation darin bestand, so nahe am Existenzminimum zu leben, dass eine Missernte oder eine Konjunkturkrise existenzbedrohend gewesen wären oder man sich in einer stetigen wirtschaftlichen Abwärtsentwicklung befand. Nach dem bei Helbich: Menschen, S. 36–37 besprochenen Schema P. Marschalcks würden demnach etwa 90% auf wirtschaftlich-soziale Gründe entfallen, der Rest auf religiöse, politische und wirtschaftlich-spekulative, wobei Schlümbach am ehesten letzterer Kategorie zuzuordnen wäre. 15 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 162. 16 Im Königreich Württemberg nannte sich diese »Bürgerrecht-Verzichts-Urkunde«; vgl. Krohn: Deutschland, S. 164. 17 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 70. 18 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 165–168. 19 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 174–180. 20 Vgl. den auf den Akten der Oberämter beruhenden Wuerttemberg Emigration Index, 13

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hatte, die ihn zur »Flucht« veranlassten, sondern eher – wie bereits angedeutet – ein familiäres Zerwürfnis angesichts seines ausschweifenden Lebensstils.21 Seine Reiseroute dürfte ihn zunächst mit der Kutsche zum Rhein geführt haben, wo er ein Schiff nach Mainz oder Köln bestieg und von dort aus den Weg nach Le Havre über Paris mit der Bahn zurücklegen konnte. Die Preise für die Überfahrt von Le Havre nach Amerika lagen bei einem Segelschiff im April 1852 bei 66 Gulden im Zwischendeck, die Anreise ab Mainz war darin bereits inbegriffen. Die Überfahrt in der Kajüte dürfte gut das Doppelte gekostet haben, in der zweiten Kajüte etwas weniger.22 Die in den 1850er Jahren den Betrieb aufnehmenden Dampfschiffe lagen bei den Preisen etwa 20–30% über denen der Segelschiffe23, so dass Schlümbach wohl etwa 120 Gulden für seine Überfahrt zu bezahlen hatte. Dauerte die Reise mit dem Segelschiff im Schnitt 40 Tage, brauchte man mit den frühen Dampfschiffen nur noch zwei Wochen.24 So auch Schlümbach, der am 29. Dezember in den Vereinigten Staaten ankam. Das erste, was er erblickt haben dürfte, als er amerikanischen Boden betrat, war ein gewaltiger Rundbau. Denn seit August 1855 befand sich das zentrale Einwanderungsdepot der Stadt New York in Castle Garden an der Südspitze Manhattans. Alle Ankömmlinge hatten den riesigen Kuppelbau zu durchlaufen. Nachdem sie bereits bei der Ausschiffung ärztlich untersucht worden waren, wurden in der Rotunde die Einwanderer nach Sprachen getrennt, so dass eigene Schalter für die Deutschsprachigen vorhanden waren. Am ersten Schalter wurden allgemeine Daten für die Einwanderungsstatistik aufgenommen. Am zweiten Schalter bekamen die Einwanderer für die individuelle Weiterreise alles Nötige notiert. Am dritten Schalter bestand die Möglichkeit zum Geldumtausch, außerdem konnten dort hinterlegte Briefe entgegengenommen werden. Dann schließlich wurden die Immigranten im hinteren Teil der Rotunde von einer Tribüne aus über alles weitere Wissenswerte zu Fragen der Gepäckbeförderung und Weiterreise unterrichtet. der in Bd. 7 S. 359 auch Friedrich von Schlümbach führt. Nach diesem – offenbar auf unvollständiger Aktenlage beruhenden – Eintrag beantragte er die Auswanderung »bef. 1860«. Sein Auswanderungsziel ist dort mit »PA–N. A.« relativ konkret angegeben, offensichtlich hatte er fest vor, seinen Bruder Alexander in Philadelphia aufzusuchen. Vgl. auch seinen Brief an Hermann und Emma Werner vom Februar 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [2]), in dem er schreibt, dass er auf seine Bürgerrechte verzichtet habe. 21 Aufgrund der Ausbürgerung kann auch seine spätere Darstellung in »The Story of my Conversion«, S. 4–5, nicht korrekt sein, er habe lediglich eine Reise machen und nicht zurückkehren wollen, wenngleich er Ende 1860 schreibt, er würde gerne auf eine Besuch nach Deutschland kommen; vgl. seinen Brief an Emma und Hermann Werner vom 31. 12. 1861 [corr. 1860] (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [1]). 22 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 254–255. 23 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 256. 24 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 263. Zur Überquerung des Atlantiks vgl. auch Günther: Weg, S. 55–105.

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An den in der Rotunde befindlichen Bahnschaltern konnten die Zugfahrten gebucht und das Gepäck aufgegeben werden, außerdem gab es in Castle Garden auch Gelegenheit für einen preiswerten Imbiss. Die Abreise von Castle Garden erfolgte mit Dampfschiffen, die einen zu den weiteren Verbindungen brachten. Insgesamt ließ sich so alles komprimiert in sechs bis acht Stunden erledigen, wofür man früher mehr oder weniger in der Stadt umherirren musste und allerlei auf die Einwanderer spezialisierten Betrügern auf den Leim gehen konnte.25 Sein Bruder, zu dem Friedrich sich zunächst in Philadelphia begab, hatte selber noch keinen eigenen Hausstand, sondern lebte als »Boarder« in wechselnden Haushaltsgemeinschaften.26 Er empfing ihn mit den Worten: »Fritz, einige Wochen will ich dich bei mir behalten, damit du dich im Lande etwas einlebst; dann aber suchst du dir Arbeit und kämpfst dich durchs Leben; ich tue dann nichts mehr, um dich zu unterhalten.«27 Und so war es. Mit wechselnden Beschäftigungen musste sich Friedrich von da an über Wasser halten. 2.2 »A Club German« – unter den Deutschen in Amerika Die Deutschen siedelten bevorzugt in Orten, in denen sich bereits Landsleute niedergelassen hatten, so dass man eigenständige deutschsprachige Vergesellschaftungsformen schuf, die wiederum durch eine deutsche Presse und ein reges Vereinsleben als »Ausdruck kultureller Ethnizität«28 getragen wurden.29 Bei den Vereinen waren die Turnvereine30 und die Gesangsvereine31 von besonderer Bedeutung. Bei Stiftungsfesten und Paraden stellte man sich selbst bzw. das eigene Nationalbewusstsein der Öffentlichkeit dar.32 Deutsche »Gemütlichkeit« wurde in zahlreichen Biersalons und Biergärten groß geschrie-

25

Zu Castle Garden vgl. Krohn: Deutschland, S. 296–299; Marx: Deutsche, S. 61–62. So ist er in den Unterlagen der Volkszählung von 1860 zusammen mit Hellen Sites und Amelia Schopf als Haushaltsmitgliedern in Philadelphia, Ward 10 East District gemeldet; vgl. United States Federal Census Record, Roll: M653_1160; Page: 468; Image: 35 (National Archives). 27 Fabianke: Friedrich von Schlümbach, S. 141. 28 Hofmann: Aufstieg, S. 70. 29 Faust: Deutschtum, S. 370 sieht in der Gründung von Vereinen, »um die Geselligkeit, Mildtätigkeit und Bildung zu fördern« ein Charakteristikum deutscher Siedlungskultur. 30 Zu den Turnvereinen vgl. Faust: Deutschtum Bd. 1, S. 350–356. Die Zwecke, die die Vereine verfolgten, waren nach Faust S. 353 »gesundheitliche, erzieherische, gesellige und auch mildtätige«. 31 Der Einfluss der Deutschen auf die Chorpflege in den Vereinigten Staaten war groß. Als erster Chor wurde 1835 der Philadelphia Männerchor gegründet, fast jährlich folgten ihm weitere Gründungen; vgl. Faust: Deutschtum I, S. 250. 32 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 305–308. 26

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ben, was gerade an den Sonntagen, zu Konflikten mit der englischsprachigen Bevölkerung führte.33 Aber auch innerhalb der deutsch-amerikanischen Bevölkerungsgruppe gab es eine Ausdifferenzierung, die – vereinfachend – mit den Schlagworten »Vereinsdeutsche« und »Kirchendeutsche« beschrieben worden ist.34 Während die »Church Germans« vor allem auf ihre Kirchengemeinden konzentriert waren und nur relativ geringen Anteil an weitreichenderen gesellschaftlichen Prozessen nahmen, waren die »Club Germans«, die von ihren Anschauungen und Werten her eher säkular waren und eine liberale Politik vertraten, auf diesem Gebiet sehr aktiv. In zahlreichen Vereinen – Gesangsvereinen, Schützenvereinen, Feuerwehren, Veteranengesellschaften, mildtätigen Vereinen – fanden sie sich zusammen. Es waren vor allem sie, die deutschen Lebensstil definierten und propagierten und in Festumzügen, Konzerten, Bällen und Reden in den Städten öffentlichkeitswirksam in Erscheinung traten. Ihre Mentalität dominierte auch die deutschsprachige Presse, die meist liberale Positionen vertrat und Wert auf eine eigenständige Identität legte, welche sich selbstbewusst als eine dem eigenen Selbstverständnis nach überlegene Kulturform in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen wollte.35 Die deutschen Viertel in den Städten machten oft einen recht geschlossenen Eindruck, wenngleich dort fast immer eine bedeutende Minderheit anderer Nationalitäten vorhanden war.36 Oftmals war es möglich, in fast allen Lebensbezügen unter Deutschen zu verkehren: man hatte einen deutschen Gemischtwarenhändler, Tischler, Banker oder Doktor; man war bei deutschen Arbeitgebern beschäftigt, besuchte eine deutsche Kirche, las eine deutsche Tageszeitung und nahm am Leben der zahlreichen deutschen Vereine teil.37 Seine Blütezeit erreichte das deutsche Presse- und Vereinswesen in den USA nach der Ankunft der sogenannten Achtundvierziger.38 Diese aus Enttäuschung über die gescheiterte Revolution in den deutschen Staaten 1848/49 oder sogar wegen konkreter politischer Verfolgung zu Beginn der 1850er Jahre Ausgewanderten mit ihrer Hoffnung auf Demokratisierung und nationale Einigung Deutschlands machten unter den fast einer Million deutschen Auswanderern der 1850er Jahre noch nicht einmal ein Prozent aus, aber mit ihren egalitären und demokratischen Idealen wirkten sie wie ein Sauerteig39. Die meisten von ihnen waren gebildet und eloquent und ga-

33 34 35 36 37 38 39

Vgl. Krohn: Deutschland, S. 310. Vgl. Tolzmann: Experience, S. 187. Vgl. Luebke: Centuries, S. 170–171. Vgl. Helbich/Kamphoefner/Sommer: Briefe, S. 21. Vgl. Luebke: Centuries, S. 167–168. Vgl. Marx: Deutsche, S. 49. Vgl. Helbich/Kamphoefner: Deutsche, S. 25.

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ben langfristig wichtige Impulse für die politische Ausrichtung, aber auch das kulturelle Leben der deutschen Einwanderer. Dabei kam es immer wieder zu Konflikten mit den vor ihnen eingewanderten und bereits länger in den USA ansässigen Deutschen.40 Durch die Einwanderung der Achtundvierziger verdoppelte sich die Zahl deutscher Zeitungen zwischen 1848 und 1852.41 In den journalistischen Publikationsformen sahen die Emigranten – zum Teil mit entsprechender Ausbildung – neben öffentlichen Reden die beste Möglichkeit, ihre in Deutschland gescheiterten Ideale – die Grundsätze der Revolution: Freiheit, Bildung und Wohlstand für alle42 – nun in einem neuen Kontext, in dem politisch in ihren Augen zwar vieles besser stand als in der Heimat, aber doch auch vieles im Argen lag, zu verbreiten.43 Ideologisch nahe standen den politisch radikalen Achtundvierzigern die Turner, die einerseits die Erhaltung der deutschen Kultur unterstützten, sich zum anderen aber auch am gesellschaftlichen Leben der Vereinigten Staaten beteiligten.44 Zahlreiche Turnvereine wurden von Achtundvierzigern als »Brutstätten des republikanischen Idealismus« gegründet. Viele Achtundvierziger schlossen sich der 1854 gegründeten Republikanischen Partei an, um im Kampf gegen die Sklaverei in gewissem Sinne ihre revolutionären Kämpfe fortzusetzen.45 Dabei hielten sie aber Distanz zur abolitionistischen Bewegung, die den freidenkerisch beeinflussten politischen Flüchtlingen im Ton zu missionarisch war und dem gegenüber sie die rationale Grundlage ihres humanitären Anti-Sklaverei-Programms betonten.46

40 Zum Unterschied zwischen den sog. »Grauen« und »Grünen« vgl. Marx: Deutsche, S. 150; Wittke: Renaissance, S. 519–521. Nach Hofmann, S. 59 es ging dabei um die »Führungsrolle innerhalb der Gruppe der deutschen Einwanderer«. 41 Zum Aufschwung des deutschen Pressewesens unter dem Einfluss der Achtundvierziger vgl. Wittke: Renaissance. 42 Hofmann: Aufstieg, S. 58. 43 Vgl. Wittke: Renaissance, S. 516. Um in einem County eine deutschsprachige Wochenzeitung zu unterhalten, reichte meist schon eine kritische Masse von 1.000 bis 2.000 deutschen Einwohnern. Ihren Höhepunkt erreichte die deutsche Presse 1894, als 800 verschiedene Titel auf dem Markt waren, darunter 97 Tageszeitungen. Einen Überblick über die Vielzahl an Titeln gibt Arndt/Olson: Presse. Dabei war die Rolle der deutsch-amerikanischen Presse insofern ambivalent, als dass sie zunächst eine konservierende Funktion hatte, indem sie die deutsche Sprache pflegte und die Wahrnehmung und Verteidigung ethnischer Interessen förderte, gleichzeitig aber durch ihre Vermittlungsfunktion zu den amerikanischen Gepflogenheiten und dem amerikanischen politischen System ihren eigenen Niedergang einläutete; vgl. Helbich/ Kamphoefner/Sommer: Briefe, S. 27–28. 44 Vgl. Hofmann: Aufstieg, S. 72. 45 Vgl. Helbich/Kamphoefner: Deutsche, S. 36; Luebke: Immigrants, S. 81. Allerdings ist umstritten, inwieweit ihre Ideale von der Masse der deutschen Einwanderer geteilt wurden. 46 Vgl. Helbich/Kamphoefner: Deutsche, S. 37. Die Distanz zum Abolitionismus erklärt sich auch daher, dass viele Reformen im Paket gefordert wurden und Elemente beinhalteten,

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Aufgrund der Durchdringung von Achtundvierzigern, Turnvereinen und Republikanischer Partei sollten die Turner zu großen Teilen auch im aufziehenden Bürgerkrieg auf Seiten der Union kämpfen.47 Viele der Achtundvierziger waren durch ihre öffentliche Tätigkeit an der Entwicklung einer deutsch-amerikanischen Identität aufgrund bestimmter kultureller Charakteristika interessiert und beteiligt und stellten deutschen »Idealismus« in einen scharfen Kontrast zu einem amerikanischen »Materialismus«.48 Von den Siedlungsgebieten her waren Deutsche in den USA während des 19. Jahrhunderts vor allem in den Städten des Nordostens zwischen New York und Baltimore und im städtischen und ländlichen Milieu des Mittleren Westens konzentriert. Dabei waren sie zu einem höheren Grad urbanisiert als ihre ehemaligen Landsleute und auch als ihre amerikanischen Mitbürger: 1850 wohnten in den acht größten Städten fast 30 Prozent aller Deutschen in Amerika, aber nur knapp 8 Prozent der englischsprachigen Bevölkerung. Unter den Städten hatte New York in absoluten Zahlen immer die größte deutsche Bevölkerung, an zweiter Stelle stand Chicago. Die Städte mit dem relativ gesehen höchsten deutschen Bevölkerungsanteil lagen sämtlich im Mittleren Westen: Milwaukee, Cincinnati und St. Louis. Für viele war die Stadt freilich nur eine Durchgangsstation, und auch die jeweilige Lebensphase stellte einen nicht unwichtigen Faktor dar. Attraktiv war die Stadt vor allem für junge unverheiratete Menschen, die als Kostgänger ohne eigenen Haushalt – wie Schlümbach und sein Bruder ja auch – mit ihrem Auskommen zu wirtschaften suchten.49 Es ist zu beobachten, dass sich die Ansiedlung von Deutschen auch an der konkreten Herkunftsregion orientierte. So fanden sich in Philadelphia besonders viele Württemberger konzentriert, ein Phänomen das bei anderen regionalen Landsleuten mit anderen Siedlungsorten ebenfalls festzustellen ist.50 Durch die oben skizzierten Siedlungsformen bestand die Möglichkeit, sich – zumindest für eine gewisse Zeit – nur minimal an die Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Allerdings machte sich der größte Teil der Einwanderer schnell mit Sprache und Gepflogenheiten des Landes vertraut, auch dann, wenn man größtenteils mit Deutschen verkehrte und untereinander weiter die den Deutschen nicht entgegen kamen: z. B. Temperenz bzw. Alkoholverbot oder strikte Sonntagsruhe. 47 Vgl. Helbich/Kamphoefner/Sommer: Briefe, S. 24; Marx: Deutsche, S. 151, 160–161; Faust: Deutschtum, S. 353 Anm. 1 und weiter unten. 48 Vgl. Luebke: Centuries, S. 162. Zur Entwicklung einer eigenen Ethnizität der Deutschamerikaner durch die Achtundvierziger vgl. Hofmann: Aufstieg, S. 56. 49 Vgl. Helbich/Kamphoefner/Sommer: Briefe, S. 19–21. 50 Vgl. Luebke: Centuries, S. 163–164, wo er Beispiele für die konzentrierte Ansiedlung regionaler Landsleute nennt.

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Deutsch sprach. Manche assimilierten sich aber soweit, dass sie vollständig von der Mehrheitsgesellschaft integriert wurden – etwas, das für die Kinder der Einwanderer, also die zweite Generation, eine Selbstverständlichkeit werden sollte. Eine große Gruppe jedoch assimilierte sich lediglich im beruflichen Bereich und bemühte sich daneben, ihr »Deutschtum«, also Sprache und Kultur, zu bewahren oder sogar die »kulturlosen Angelsachsen« durch Beeinflussung zu bessern.51 Insgesamt muss man aber sagen, dass die Deutschen zu den ethnischen Gruppen gehörten, die am wenigsten mit Diskriminierung zu kämpfen hatten und am bereitwilligsten integriert wurden.52 Die Erlangung der amerikanischen Staatsangehörigkeit gliederte sich in zwei Stufen. Schon bald nach seiner Ankunft konnte man einen Antrag auf Erlangung des Bürgerrechts stellen, wobei man eidlich versichern musste, dass man nicht mehr Bürger seines Heimatlandes war. Daraufhin bekam man ein Zertifikat ausgestellt. Die volle Staatsbürgerschaft wurde aber erst fünf Jahre später erteilt, und das auch nur dann, wenn man sich ohne Unterbrechung in den USA aufgehalten hatte.53 Nach der Volkszählung des Jahres 1860 lebten 1. 276. 000 in Deutschland geborene Menschen in den USA, die damit etwa 4% der Gesamtpopulation von 31,5 Millionen Einwohnern ausmachten.54 Nachdem Friedrich von Schlümbach eine Weile bei seinem Bruder gelebt hatte, um sich einzugewöhnen, und dabei offensichtlich auch noch von mitgebrachten eigenen Geldmitteln zehren konnte, war er doch bald darauf angewiesen, sich durch verschiedene Gelegenheitsarbeiten über Wasser zu halten. Längere Zeit arbeitete er in einem Steinbruch, in der zweiten Jahreshälfte 1860 in einer Apotheke.55 Sein Lebensmittelpunkt war Philadelphia und die wohl über seinen Bruder zustande gekommenen Kontakte und Freundeskreise sind eindeutig dem Spektrum der »Club Germans« zuzurechnen. Bereits der Beruf seines Bruders als Bierbrauer und dessen wechselnde Tätigkeiten in Brauereien und Bier-Saloons56 legen dies nahe, aber auch Schlümbachs Mitgliedschaft in der Philadelphia Turngemeinde, wo er sich 51 Vgl. Helbich: Amerika, S. 17. Helbich/Kamphoefner/Sommer: Briefe, S. 7 spricht auch von der »prekäre[n] Position zwischen zwei Zivilisationen«. 52 Vgl. Helbich: Amerika, S. 19. 53 Vgl. Krohn: Deutschland, S. 311; Helbich/Kamphoefner/Sommer: Briefe, S. 23. 54 Vgl. Luebke: Centuries, S. 162. Dabei sind die Kinder der Immigranten und Deutschsprachige anderer Herkunft nicht berücksichtigt. 55 Dass Schlümbach hart in einem Steinbruch gearbeitet habe, wurde von ihm mehrfach kolportiert; vgl. z. B. Fabianke: Friedrich von Schlümbach, S. 141. Seine Tätigkeit in einer Apotheke wird von Schlümbach selbst in seiner Declaration for an Invalid Pension vom 19. 12. 1879. In: Pension File (National Archives) angegeben. In seiner Beantwortung eines Fragenkatalogs des Pension Departments vom 29. 1. 1886 gibt er an, dass die Apotheke bzw. Drogerie in der Arch Street gelegen habe und Wilhelm Radde gehörte; vgl. Pension File (National Archives). 56 Vgl. dessen Aussage in Deposition C vom 25. 2. 1887 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives).

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sportlich wahrscheinlich nur in der Schützenkompanie engagierte, aber sonst am politischen und gesellschaftlichen Leben Anteil genommen haben dürfte. In späteren Aufzeichnungen klingt es so, als sei Schlümbach von der harten Realität des amerikanischen Wirtschaftslebens recht ernüchtert gewesen, hatte er doch davon geträumt, sein bisheriges Leben nun unter den Vorzeichen größerer Freiheit weiterführen zu können.57 Die wirtschaftlichen Konsequenzen des sich verschärfenden Nord-SüdKonflikts in den USA führten dazu, dass sich Schlümbach gegen Ende des Jahres 1860 arbeitslos in wirtschaftlicher Not befand. Er schrieb vergeblich an seinen Vater mit der Bitte, ihm finanziell auszuhelfen, und stellt seine Situation gegenüber Schwester und Schwager so dar: »leider werdet Ihr durch den l. Vater erfahren müssen, daß ich ein elends-Leben habe in dieser Zeit, Ihr werdet zwar schon durch die Zeitungen unser Elend erfahren haben, u. leider traf es mich auch hart; nun es wird besser werden; ich möchte Euch nur inständig bitten, den l. Vater zu ersuchen, mich nicht so schreklich durchmachen zu lassen, ich will Alles wieder ins Reine bringen bei Zeit; von draußen hört man hier auch nicht viel Gutes, in politischer Beziehung, jedoch gegen hier ist es ein nichts, l. Hermann, Du kannst Dir gar nicht denken wie elend es hier ist, ein Bergerkrieg [sic] in Aussicht, elende Geschäfte in Gegenwart, fühlbar theurer Alles u. kein Geld, jetzt sage wie man da durch macht. Nun mit der Zeit wird Alles gut, wenn mir mit einigem Geld aufgeholfen wird so ist es mir schon möglich mich wieder zu restauriren. [. . .] Ich hatte beabsichtigt, wenn die Crisis nicht gekommen wäre Euch zu besuchen jedoch nun ist es aus, denn jetzt handelt sich darum sein Leben zu machen. Nie genug ich hoffe der l. Vater wird mich vor dem Bettelstab schützen ich weiß daß es auch ihm hart ankommt, nun ich kann es wieder gut machen sobald ich Arbeit habe.«58

Die belastete Beziehung zu seiner Familie in Deutschland wird aus den Schlusszeilen des Briefes deutlich: »wo lebt der l. Vater wie lebt Er, ich denke oft mit Schmerzen an Ihn wie viel Sorgen Ihm seine Söhne schon gemacht haben, u. noch ist es Ihm nicht möglich sich zu revangiren u. ihm Friede zu machen. Nun mit der Zeit hoffen wir es zu Stande zu bringen. Schreibt mir doch eingehend, selbst wenn der l. Vater nichts beilegen will oder kann, selbst ein Brief giebt Trost. [. . .] Adieu l. Emma u. Herman, wenn Ihr mir grollt verzeiht Alles am Neuen Jahr, u. gebt wenigstens dem büßenden Bruder Eure Liebe.«59

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Vgl. Schluembach: Story, S. 4–5. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 31. 12. 1861 [corr. 1860 – die in dem Brief geschilderte politische und persönliche Situation weist eindeutig darauf, dass der Brief Ende 1860 verfasst worden ist; wahrscheinlich ist der Datierungsfehler auf den nahen Jahreswechsel zurückzuführen] (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [1]). 59 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 31. 12. 1861 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [1]). 58

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Schlümbach wohnte zu diesem Zeitpunkt als Boarder in Philadelphia bei einem John Gleisner, N. W. Corner Seventh and Cherry Street.60 Die politischen Entwicklungen bargen allerdings nicht nur Problematisches für Schlümbach, sondern schufen ihm ein Sprungbrett für eine neues Berufsfeld mit gewissen Karrieremöglichkeiten: das amerikanische Militär.

3. Kriegserfahrungen (1861–1865) 3.1 Der Bürgerkrieg beginnt – Offizier der 29. New York Infantry Volunteers Aus dem Brief Friedrich von Schlümbachs von Ende Dezember 1860 war es bereits hervorgegangen: Ein Bürgerkrieg stand vor der Tür. Denn kurz zuvor war Wirklichkeit geworden, was länger befürchtet worden war: Der erste Staat des Südens hatte sich von der Union losgesagt. Die Phase des großen Wachstums der USA in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die die Dimensionen von Land, Bevölkerung und Wirtschaft umfasste, hatte zu grundlegenden Umwälzungen innerhalb eines recht kurzen Zeitraums geführt, die schließlich in die große Krise des Sezessionskrieges mündeten.1 Es sind sowohl sozio-ökonomische als auch politische und kulturelle Faktoren, die sich hier in Richtung eines Nord-Süd-Konfliktes auswirkten. »Je schneller die Vereinigten Staaten wuchsen, desto deutlicher erschienen die Verschiedenheiten und Interessenlagen der nördlichen und südlichen Regionen. [. . .] Die Sklaverei bewirkte letztlich, daß diese Divergenzen zu einem Antagonismus wurden, der sich erst durch einen unerbittlichen Verschleißkrieg zwischen beiden Regionen entladen sollte.«2 Das Problem war, dass die Vereinigten Staaten in diesem stetigen Wachstumsprozess zwei unterschiedliche Gesellschaftsformen integrieren mussten. Die Gesellschaft im Süden war tendenziell agrarisch geprägt und in ihrer Struktur eher statisch und hierarchisch angelegt, während die Gesellschaft im Norden als Industriegesellschaft Mobilität und Demokratie betonte.3 Durch Kompromisse gelang es eine Weile, den Konflikt unter Kontrolle zu halten4, aber der Kansas-Nebraska-Act von 1854 machte politische Kompromisse für die Zukunft so gut wie unmöglich.5 Der Widerstand gegen dieses Gesetz führte 60

Vgl. die Adressangabe im zitierten Brief. Vgl. Nagler: Expansion, S. 42. Die wohl gründlichste Überblicksdarstellung zum Bürgerkrieg liefert McPherson: Freiheit; zur Vorgeschichte des Krieges vgl. dort ausführlich S. 1–295. 2 Nagler: Expansion, S. 57. 3 Vgl. Nagler: Expansion, S. 57. 4 Zu dieser Politik des Ausgleichs vgl. Helbich/Kaemphoefner: Deutsche, S. 28–30. 5 Durch dieses Gesetz wurde der Missouri Compromise von 1820, der mit seinem Verbot der 1

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im Norden zu Umwälzungen in der Parteienlandschaft, da die alte Partei der Whigs mit ihren Verbindungen zum Süden zerbrach und in das politische Vakuum die neu formierte Partei der Republikaner vorstieß. Diese Partei war in ihrer Zusammensetzung durchaus heterogen, hatte aber das gemeinsame Ziel, die Ausbreitung der Sklaverei weiter zu verhindern.6 Es bildete sich somit ein Zweiparteiensystem – die weiteren Parteien hatten nur marginale Bedeutung – mit den den Norden repräsentierenden Republikanern und den zunächst Nord und Süd umspannendenden Demokraten, deren Einheit aber im Präsidentschaftswahlkampf 1860 zerbrach. Gewählt wurde am 6. November 1860 der Republikaner Abraham Lincoln. Keine zwei Monate später trat das lange Befürchtete ein: Mit South Carolina verließ der erste Staat des Südens am 20. Dezember 1860 die Union. »Die Sezession war Wirklichkeit geworden.«7 Zwischen dem 9. Januar und dem 1. Februar 1861 folgten die Staaten Mississippi, Florida, Alabama, Georgia, Louisiana und Texas. Sie schlossen sich am 8. Februar 1861 zu den Konföderierten Staaten von Amerika zusammen. In seiner Antrittsrede als Präsident am 4. März 1861 machte Lincoln deutlich, dass es von Seiten der Regierung nicht zu einem Bürgerkrieg kommen werde.8 Doch der Krieg kam trotzdem. Am 12. April wurde Fort Sumter, eine der beiden verbliebenen mit Regierungstruppen besetzten Festungen im Gebiet der Südstaaten, angegriffen, als notwendige Versorgungsschiffe auf die Inselfestung bei Charleston Kurs nahmen und eine friedliche Übergabe am 11. April verweigert worden war. Die ersten Schüsse fielen also von Seiten der Südstaaten, lagen damit aber im politischen Kalkül Lincolns. Am 15. April rief Lincoln 75.000 Freiwillige für eine Miliz auf – die Regierungsarmee hatte bis dahin aus lediglich 16.000 Mann bestanden –, um den Bundesgesetzen in den Staaten, in denen diese missachtet würden, wieder Geltung zu verschaffen9. Angesichts des bevorstehenden Krieges kam es in den Grenzstaaten zu inneren Spannungen, die oftmals mitten durch Familien liefen.10 Militärisch waren beide Seiten auf einen kriegerischen Konflikt nicht wirklich vorbereitet. Das stehende Heer des Bundes war aufgrund einer mangelnden ernsthaften Bedrohung und einer verbreiteten Skepsis gegenüber jedem regulären Militär mit seinen 16.000 Mann nicht sehr umfangreich gewesen. So waren es viele »Laien«, die nun zu den Waffen griffen.

Sklaverei nördlich des Breitengrades 36.30 die Grundlage des bisherigen Kompromisspolitik dargestellt hatte, praktisch außer Kraft gesetzt; vgl. Helbich/Kaemphoefner: Deutsche, S. 29. 6 Vgl. Nagler: Expansion, S. 60. 7 Junkelmann: Bürgerkrieg, S. 67. 8 Vgl. Junkelmann: Bürgerkrieg, S. 73. 9 So formulierte es Lincoln in seinem Aufruf. Vgl. Junkelmann: Bürgerkrieg, S. 82. 10 Vgl. Junkelmann: Bürgerkrieg, S. 82.

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Ein wirklicher »Laie« war er nicht mehr, aber auch alles andere als ein erfahrener Soldat, als Friedrich von Schlümbach sich auf den Aufruf Lincolns vom 15. April 1861 hin zum Militärdienst meldete.11 Der Kontext, in dem sich für ihn die Reaktion auf diesen Aufruf realisierte, war der deutsche Turnverein in Philadelphia. In den deutschen Turnvereinen waren aufgrund ihrer engen Verbindungen zu den Achtundvierzigern radikal-republikanisches Gedankengut und die Ablehnung der Sklaverei sehr verbreitet, so dass zahlreiche Turnvereine, zumal wenn sie eine Schützen-Kompanie unterhielten, militärische Einheiten für die Sache der Union zusammenstellten.12 So rekrutierte sich auch Schlümbachs militärisches Bataillon zunächst aus dem deutschen Turnverein. Da diese Turner-Kompanien aber im April 1861 in keinem der deutschsprachigen Regimenter Pennsylvanias untergebracht werden konnten, gingen die Turner nach New York, wo sie Teil der von Colonel von Steinwehr rekrutierten Astor Rifles wurden, einer Einheit, die sich fast ausschließlich aus Deutschamerikanern zusammensetzte. Am 21. Mai 1861 wurden sie als 29. New York Infantry Volunteers offiziell in den Staatsdienst übernommen und am 6. Juni in das nördliche Bundesheer eingegliedert.13

11

Vgl. Memorial Record, S. 47. Vgl. Junkelmann: Bürgerkrieg, S. 96. Kaufmann: Deutschen, S. 132 schreibt aus seiner tendenziösen Perspektive, die vor allem apologetisch die Leistungen der Deutschen im Bürgerkrieg hervorheben will, über die 48er: »Die meisten dieser Feuerköpfe [. . .] zogen sofort in den Krieg, und energischere Werber und Schürer der Kriegsbegeisterung hat es wohl nicht gegeben«. Die Motive für freiwillige Armeeeintritte dürften bei gebürtigen US-Amerikanern in ideologischer Hinsicht in einem beleidigten Nationalgefühl gelegen haben, aus dem heraus man dem Zerfall der Republik entgegentreten wollte, und in den lange gepflegten Animositäten zwischen den Landesteilen. Hinzu kam bei vielen Abenteuerlust und der Reiz der hohen Prämien, die im Norden für sich Verpflichtende gezahlt wurden. Eine Art Wehrpflicht gab es im Norden erst vom März 1863 an, sie ließ aber zahlreiche Ausnahmen und das Stellen von Ersatzmännern zu. Sie sollte vor allem dazu dienen, bereits Dienende zur Weiterverpflichtung zu veranlassen. 13 Vgl. 29th New York Volunteers Newspaper Clippings; Kaufmann: Deutschen, S. 185. Kaufmann redet allerdings nur von einem Turner-Batallion, das Teil der 29. NY Inf. wurde. Schlümbachs Kamerad Charles Rosanowsky hingegen spricht von drei Kompanien von Turnern aus Philadelphia, die sich ins 29. NY Inf. einschrieben; vgl. seine Zeugenaussage vom 29. 4. 1886, Deposition A zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). Nach Lonn: Foreigners, S. 101 wurden vier Kompanien von Turnern aus Philadelphia der 29. NY Inf. eingegliedert. In den 29th New York Volunteers Newspaper Clippings ist davon die Rede, dass sechs Kompanien des Regiments in Philadelphia rekrutiert worden seien. Eigentlich stellte – wie bereits im Unabhängigkeitskrieg – jeder Einzelstaat gemäß seiner Bevölkerungszahl eigene Truppen, in manchen Staaten gab es einen gewissen Ehrgeiz, möglichst viele Regimenter aufzustellen. Daneben gab es das Heer des Bundes als Nationalarmee. Durch die Bindung der Truppen an die Einzelstaaten hatten die Gouverneure große Mitspracherechte, so bestimmten sie z. B. die Regimentskommandanten, die nicht unbedingt militärisch ausreichend versiert waren. Zu Beginn des Krieges wurden die Offiziere bis zum Rang des Majors von den Soldaten gewählt. Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 81–83. Die Musterungen waren im Übrigen aufgrund des 12

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Zu Offizieren dieses Regiments wurden solche Männer bestimmt, die bereits eine entsprechende Ausbildung genossen hatten.14 Für Schlümbach, der offenbar auf seine – allerdings abgebrochene – Offizierslaufbahn in der württembergischen Armee verwies, hieß das, dass er im Rang eines Second Lieutenant seinen Dienst in der Kompanie B begann.15 Die Struktur der InfanterieEinheiten sah so aus, dass zehn Kompanien von jeweils 80–100 Mann ein Regiment bildeten. Die Kompanien standen unter Leitung eines Captain, auf den die Ränge eines First und Second Lieutenant folgten. Vom Regiment ging es dann aufwärts über Brigade, Division und Army Corps bis zur Army16, in Schlümbachs Fall der Army of the Potomac. Friedrichs Bruder Alexander war in das gleiche Regiment eingetreten und begann ebenfalls als Second Lieutenant, und zwar in Kompanie K.17 Die erste Grundausbildung erhielten die Soldaten im New Yorker Elm Park, einer großen Freifläche im nördlichen Manhattan, wo gute Voraussetzungen bestanden, die Männer physisch und militärisch auf das Kommende vorzubereiten.18 Am 21. Juni 1861 brach das Regiment nach Washington auf, wo es für eine Nacht auf dem Fußboden des Kapitols campierte.19 Von dort sollte es weiter in die Nähe von Chambersburg gehen, um für vier weitere Wochen gedrillt zu werden.20 Die Hauptaufgabe in den nächsten Monaten bestand für die 29. NY Inf. in der Sicherung der Hauptstadt Washington. Die einzige Kampfhandlung, in die das Regiment in dieser Zeit verwickelt war, war die erste Schlacht von Bull Run. Zwischen den verfeindeten Hauptstädten Washington und Richmond gelegen, war diese Gegend um Manassas in Virginia Teil des soMassenandrangs oft nur recht oberflächlich, weshalb es zu einer unverhältnismäßig hohen Zahl an Kranken und »Marschmaroden« kam. Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 87–88. 14 Vgl. 29th New York Volunteers Newspaper Clippings. 15 Zu Beginn des Krieges wurde dieser Rang noch als »Ensign« bezeichnet und nur der spätere First Lieutenant als »Lieutenant«; vgl. 29th New York Volunteers Newspaper Clippings. Eine Übersicht über die Offiziere des Regiments gibt: Twenty-Ninth New York Volunteer Infantry Officers, URL: http://bowja01.home.mindspring.com/default.htm (03. 06. 2005). Zum Phänomen von in Deutschland gescheiterten Offizieren in der Unionsarmee schreibt Kaufmann: Deutschen, S. 131 in dem für ihn typischen Stil: »Und mancher kleiner Ex-Leutnant, dem ›Widersacher, Weiber, Schulden‹ die deutschen Epauletten einst raubten und der dann seinen Weg fand nach dem großen überseeischen Waisenhause für verkrachte deutsche Offiziere, hat jenen [großen Offizieren] wacker zur Seite gestanden und dem Adoptivvaterlande damit bedeutende, wenn auch verborgen gebliebene Dienste geleistet.« 16 Vgl. Helbich/Kamphoefner: Deutsche, S. 63. 17 Vgl. Twenty-Ninth New York Volunteer Infantry Officers und die eigene Aussage in Depostition C vom 25. 2. 1887 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 18 Vgl. 29th New York Volunteers Newspaper Clippings. Die Schusswaffen bestanden allerdings aus alten Musketen und sollten erst später gegen Enfield-Büchsen ausgetauscht werden. 19 Vgl. Vogelmann: Regiment, o. P. 20 Vgl. 29th New York Volunteers Newspaper Clippings.

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genannten »östlichen Kriegsschauplatzes«, der in Nord-Süd-Ausrichtung etwa die 150 km zwischen den Flüssen Potomac und James und in Ost-WestAusrichtung die 150–220 km zwischen Atlantikküste und Appalachen umfasste.21 Dies war auch das Gebiet, in dem sich Schlümbach während seiner ganzen Militärzeit bewegen sollte. Zur Schlacht war es gekommen, nachdem die politische Führung auf öffentlichen Druck hin – und gegen den Rat der Militärs, die sich mehr Ausbildungszeit erbeten hätten – ein Heer von ca. 35.000 Mann Richtung Südwesten und damit in Richtung Richmond entsandt hatte. Beim Flüsschen Bull Run traf es am 21. 7. 1861 auf eine etwa gleich große Streitmacht der Südstaaten. Nach wechselvollem Kampf kam es zu einem Sieg der Konföderierten: Die Unionstruppen wichen zurück, teilweise wohl völlig demoralisiert in wilder Flucht.22 Die 29. NY Inf. war als Teil der Reserve nicht direkt an der Schlacht beteiligt gewesen, wurde aber im Zusammenhang der deutschen Brigade unter Col. Louis Blenker eingesetzt, um den Rückzug zu sichern.23 Bei Scharmützeln mit den nachrückenden Konföderierten wurden zwei Soldaten des Regiments getötet und neun weitere verwundet. Dennoch konnte Schlümbachs Regiment ein Dutzend Unionskanonen vom Schlachtfeld bergen.24 Nach einem Gewaltmarsch von 19 Stunden zog die fast intakte Brigade gegen Abend des nächsten Tages in Washington ein.25 Die folgenden acht Monate blieben militärisch relativ ruhig – »all quiet on the Potomac«, so das geflügelte Wort General McClellans.26 Das Regiment campierte zunächst bei Roach’s Mill südlich von Washington und lebte den üblichen Campalltag, der aus Exerzieren, Übungen und der Pflege des Materials bestand. Trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – dieser äußeren Monotonie waren die Monate im Camp für Schlümbach dennoch eine bewegte Zeit. Bereits im Frühjahr des Jahres 1861 hatte er sich in Philadelphia mit einer jungen Frau angefreundet, die ebenfalls aus Deutschland stammte und 1856 21

Vgl. Helbich/Kaemphoefner: Deutsche, S. 66. Vgl. Helbich/Kaemphoefner: Deutsche, S. 523. Zu 1. Bull Run vgl. ausführlicher McPherson: Freiheit, S. 329–336. 23 Aus seinem apologetischen Interesse heraus schreibt Kaufmann: »Anders als von General Miles angeordnet schloss sich die mit zahlreichen Deutschen besetzte 1. Brigade nicht dem flüchtenden Heer an, sondern zog dem Feind entgegen und brachte ihn durch die Präsenz an schnell errichteten Schanzen ohne Kampf zum Stehen.« Kaufmann: Deutschen, S. 166–167. 24 Vgl. Vogelmann: Regiment, o. P. 25 Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 167, der der Tendenz seines Werkes entsprechend dem Einzug der fast intakten deutschen Brigade in Washington eine nicht geringe Bedeutung für die durch die Niederlage angeschlagene Volkspsyche zuschreibt. 26 Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 168–169. Nach der ersten Schlacht von Bull Run, bei der man nach nur kurzer Vorbereitungszeit die Kräfte maß, nutzte man diese Zeit, um sich auf die großen Schlachten, die das Jahr 1862 bereithalten sollte, vorzubereiten. Vgl. Kaufmann: Deutschen 71. 22

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mit ihren Eltern in die USA immigriert war. Sie hieß Coelestine Fuerle, war gebürtige Görlitzerin und ein Jahr älter als er. Obwohl sie nur relativ wenig über Schlümbachs bisheriges Leben wusste und seit seinem Eintritt ins Militär nur brieflich mit ihm Kontakt hatte, warb er wohl so erfolgreich um sie, dass sie sich Mitte Oktober von Philadelphia aus auf den Weg nach Washington machte, um sich mit ihm zu verheiraten.27 Ganz ohne Komplikationen lief diese Eheschließung allerdings nicht ab, denn eigentlich war sie für den 16. 10. 1861 vorgesehen gewesen und Schlümbach hatte sich für diesen Tag von seinem Regiment beurlauben lassen. Aber er wartete vergeblich auf seine Braut, was ihn – neben der persönlichen Verunsicherung – in arge Bedrängnis wegen der Abwesenheit von seinem Regiment brachte. Denn unverheiratet zurückkehren und sich dem Gespött des Offizierscorps aussetzen, das wollte er nicht, seine Braut einfach aufgeben aber auch nicht. Also entschied er sich, in Washington zu bleiben, an seinen Lieutenant Colonel zu schreiben und nichts unversucht zu lassen, Coelestine in Philadelphia zu erreichen.28 Letztlich hatte es sich um ein Kommunikationsproblem gehandelt, das behoben werden konnte, so dass seine Braut doch noch kam und die Eheschließung am 19. 10. 1861 in der Concordia Evangelical Lutheran Church in Washington vollzogen wurde.29 Coelestine von Schlümbach mietete sich in einer Wohnung ein, die acht Meilen von Friedrichs Camp in Bailey’s Crossroads entfernt lag, von wo aus er sie etwa dreimal in der Woche zu Fuß und meist über Nacht besuchte.30 Die disziplinarischen Schwierigkeiten, die sich durch sein verlängertes Fernbleiben vom Regiment im Oktober 1861 ergeben hatten, sollten aber nicht die einzigen bleiben. Zwar kann das Vergehen mit der eigenmächtigen Verlängerung des Urlaubs von Mitte Oktober nicht allzu schwer gewogen haben, da Schlümbach am 6. 11. 1861 zum First Lieutenant befördert wurde31, aber die Vorfälle häuften sich in den nächsten Monaten. Die Verstöße reichten von ungebührlichem Verhalten wie Trunkenheit über Diebstahl bis hin zu übermütigem Leichtsinn: einen kleinen »Ausbruch« mit mehreren Privates nutzte Schlümbach, um recht erfolgreich auf den Ochsen eines Farmers zu schießen. Der wollte den Schaden natürlich ersetzt haben. Es scheint, dass extra eine Offiziersversammlung einberufen wurde, um über den »Fall« 27 Vgl. ihre Aussage in Deposition A vom 24. 2. 1887 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 28 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an seinen Oberstleutnant vom 17. 10. 1861. In: Military Record (National Archives). 29 Vgl. Concordia Lutheran Evangelical Church Washington DC, Church Records (Family History Library). Es handelt sich hierbei um die älteste deutschsprachige Kirche in Washington, zu der Schlümbach sonst aber keine Beziehung hatte. 30 Vgl. Deposition A vom 24. 2. 1887 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 31 Vgl. 29th N. Y. Inf. Order Book, o. P. (National Archives).

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Friedrich von Schlümbach zu verhandeln, bei der der allgemeine Wunsch ausgedrückt wurde, ihn doch möglichst aus dem Regiment zu entfernen.32 Von Mitte Februar 1862 ist ein Brief Friedrich von Schlümbachs an die Regimentsführung erhalten, aus dem hervorgeht, dass er zu dieser Zeit unter Arrest stand und den Grund seiner Inhaftierung erfahren will.33 Das Charakterbild, das einige Kameraden später von ihm zeichneten, ist kein allzu günstiges. Unzuverlässig und trinkfreudig sei er gewesen, außerdem feige im Kampf. »He cheated & swindled the soldiers wherever he could, he was wholly unreliable in service both as a man & as a soldier.«34 »He was a regular loafer without character or morality, he had a very bad reputation; there was not another man like him & no one respected him [. . .] he always played cards with the private soldiers & he did a great many [. . . ] acts, his reputation was generally very bad, no reliance could be placed in his word.«35 Während all dieser Zeit hatte eine Art Waffenstillstand auf dem östlichen Kriegsschauplatz geherrscht, in der man sich auf beiden Seiten der weiteren Kriegsrüstung widmete. Dies sollte sich im Frühjahr 1862 ändern. Im Gefüge allgemeiner Truppenbewegungen brach im März 1862 auch das Regiment Friedrich von Schlümbachs vom Lager bei Hunter’s Chapel zu Operationen Richtung Südwesten auf. Während ein Teil der Potomac-Armee unter McClellan versuchte, Richmond von Südosten über den Seeweg anzugreifen, sollten zwei Corps als Ablenkungsmanöver auf die feindlichen Stellungen bei Manassas zumarschieren, darunter auch die Deutsche Division36 unter dem Oberbefehl von Brigadegeneral Sumner. Die Konföderierten waren aber bereits von dort abgezogen, hatten jedoch von weitem imposant wirkende Geschützattrappen aus Stämmen und Rohren hinterlassen. Da lediglich eine Bedrohung des Gegners geplant war, hatte die Deutsche Division ihr Lager 32 Vgl. Deposition B vom 3. 5. 1886 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). Übergriffe auf »sezessionistische« Besitztümer durch Unionssoldaten kamen im Norden Virginias immer wieder vor und wurden schwer geahndet; vgl. Vogelmann: Regiment, o. P. 33 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an das Regimentskommando vom 14. 2. 1862. In: Personal Military Record (National Archives). 34 Deposition A vom 29. 4. 1886 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 35 Deposition B vom 3. 5. 1886 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 36 Zur Bildung einer Deutschen Division war es gekommen, da direkt zu Beginn des Krieges zehn rein deutschsprachige Regimenter in New York und vier in Pennsylvania entstanden waren, die so zusammengefasst wurden; vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 182. Konkret war die Division aus Blenkers Brigade hervorgegangen und umfasste im Januar 1862 über 10.000 Mann. Die 29. NY Inf. war Teil der II. Brigade unter General von Steinwehr; vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 169. Die Offiziere der Regimenter waren Deutschstämmige und auch die Kommandosprache war Deutsch.

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bei Hunter’s Chapel nur mit leichtem Gepäck verlassen. Daher mussten die Soldaten bei Manassas unter ungünstigsten Umständen campieren. Es regnete in Strömen, aber es fehlte an Zelten, Gummimänteln und Decken, selbst an Proviant. Trotz dieser schlechten Ausrüstung erhielt die Division den Befehl, 30 Meilen weiter nach Warrenton zu marschieren. »Die Straßen waren in Schlammbäche umgewandelt, die vielen kleinen Flüßchen und Waldbäche der Gegend mussten durchschritten werden. Diese Wasserläufe haben ihren Quell in hohen Gebirgen, wo die Schneeschmelze schon teilweise eingetreten war. Oft ging den Leuten das eiskalte Wasser bis an die Brust. Das Klima der Gegend ist um diese Jahreszeit außerordentlich veränderlich. Auf warme Tage folgen starke Nachtfröste, Regen wechselt mit Schnee, eine über Nacht hartgefrorene Straße wird nach wenigen Marschstunden zur Pfütze. So litt die Division schon auf dem kurzen Marsche von Manassas nach Warrenton ganz außerordentlich, viele Leute erkrankten schon hier, und man besaß nur sechs Ambulanzwagen für 10 000 Mann!«37 Und das war erst das Vorspiel für einen später als »Schreckensmarsch« bezeichneten Gewaltmarsch38 durch West Virginia, der seinen Tribut forderte und auch zu ersten gesundheitlichen Problemen bei Schlümbach führte, die in seinen Augen den Grundstein für zwei Jahrzehnte währende schwere Gesundheitsbeschwerden legten. In Warrenton hatte die Division den Befehl zur Vereinigung mit den Truppen General Frémonts erhalten, die im Nordosten West Virginias, im südlichen Potomactal standen. Treffpunkt sollte Romney sein.39 Für die Deutsche Division bedeutete dies, dass drei Gebirgsketten zu überqueren sein würden. Die Luftlinie zwischen den Orten betrug etwa 110 englische Meilen, aber die Beschaffenheit des Weges machte daraus eine Strecke von etwa 200 Meilen. Da die in Aussicht gestellte bessere Ausrüstung der Truppen nicht eintraf, musste Blenker mit schlecht ausgerüsteten Truppen – ohne Zelte, zum Teil ohne Decken, nur wenig Proviant, keine ortskundigen Führer – ins Gebirge abrücken. Selbst die Bewaffnung war immer noch schlecht, die ausrangierten österreichischen und belgischen Gewehre sollten erst am 10. Mai unter Frémont durch Enfield-Büchsen ersetzt werden.40 Am 4. April traf Blenker in der ersten Wegstation Salem ein, aber es sollte mehrere Tage dauern, bis die letzten Nachzügler ankamen. Am 10. April wurde der Marsch fortgesetzt. »Aber der Zustand der Division wurde mit jedem Tage schlimmer. Der mitgenommene Proviant war aufgezehrt, man mußte furagieren, um die allernotwendigsten Lebensmittel aufzutreiben. Mit rücksichtsloser Härte wurden die wenigen Farmen geplündert, welche die dünn 37 38 39 40

Kaufmann: Deutschen, S. 295. So mehrmals bei Kaufmann: Deutschen. Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 295. Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 296; Vogelmann: Regiment, o. P.

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besiedelte Gegend darbot. Unter den entsetzlichsten Entbehrungen wurde Paris erreicht, ein erbärmliches Dörfchen noch östlich des zweiten Gebirgszuges (der Blue Ridge). Hier fand man immerhin noch einige Nahrungsmittel und massenhaft Whiskey in einer Brennerei.«41 Auch bei der nächsten Station traf die notwendige Ausrüstung nicht ein, so dass, nachdem man am 18. April unter großen Mühen den Übergang über den Shenandoah bewerkstelligt hatte, der Abgesandte des Kriegsministeriums am 30. April in Winchster »die zerfetzten und zerlumpten Regimenter«42, die man schon verloren geglaubt hatte, visitierte und ihnen sein Lob aussprach. Er meldete nach Washington, dass großer Mangel an Kleidern, Schuhen, Zelten, Proviant, Ambulanzen und Munition herrsche und die Division auf dem Marsch starke Verluste erlitten habe. Tatsächlich waren während der drei Wochen 2.000 Soldaten verloren gegangen, die meisten krank, aber auch viele verhungert oder erfroren. Die Truppen konnten nicht so ausgestattet werden, wie es wünschenswert gewesen wäre, aber immerhin kam der Zahlmeister, der zwei Monate (von den vier Monaten Rückstand) Sold ausbezahlte.43 Nach einigen Tagen Rast bei Winchester, etwa auf halbem Weg nach Romney, machte sich die Division am 5. Mai auf den Weg durch die Great Northern Mountains. War Schlümbach schon durch den ersten Teil des auszehrenden Marsches geschwächt gewesen, so traten nun erstmals Beschwerden auf, die ihn die nächsten zwei Jahrzehnte seines Lebens begleiten und stark beeinträchtigen sollten. Bei einer Rast auf dem Weg nach Romney befielen Schlümbach plötzlich so starke Schmerzen im Anus, dass er nicht mehr aufstehen konnte, sondern auf einen Wagen geladen werden musste. Im Laufe des Tages wurde es besser, gewisse Beschwerden beim Marschieren blieben aber, auch wenn er zunächst nicht weiter ärztlich behandelt wurde.44 Nachdem man unter Strapazen Romney erreicht hatte und dort von General Frémont empfangen worden war, eilte die Division weiter, um die 41

Kaufmann: Deutschen, S. 296. Kaufmann: Deutschen, S. 298. 43 Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 298. 44 Vgl. Brief F. v. Schlümbachs an den Secretary of Pensions in Washington DC vom 24. 4. 1883 und seine Beantwortung eines Fragenkatalogs des Pension Departments vom 29. 1. 1886. In: Pension File (National Archives). Dieser Vorfall wird auch in weiteren Dokumenten der Pensionsakte von Schlümbach als Beginn seiner Krankengeschichte angegeben. Vgl. auch Zeugenaussage von Joseph Heisel am 10. 3. 1887, Deposition A zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). Eine Zeugenaussage vom 28. 9. 1885 ist als Exhibit B angefügt, enthält mehr Details: um den 10. Mai herum auf dem Weg von Winchester nach Petersburg und Franklin, der Grund war nass und matschig, Schlümbach war wie die anderen ermüdet, legte sich hin und schlief ein, als das Regiment weitermarschierte, war er nicht in der Lage zu gehen und wurde in einem Krankenwagen transportiert, in den Heisel ihn mit hineinlegte. 42

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Truppen im Kampf gegen den konföderierten General »Stonewall« Jackson zu unterstützen, der mit vergleichsweise wenig Truppen auf einem Beutezug durch das Shenandoahtal der Union immer wieder herbe Verluste zufügte, aber nicht dingfest zu machen war.45 Vom 10. März bis zum 3. Juni war die Deutsche Division auf diese Weise fast ununterbrochen auf dem Marsch gewesen und hatte mit schlechter Ausrüstung und bei widriger Witterung 500 Meilen hinter sich gebracht. Von den ursprünglich 10.000 Soldaten der Division waren Anfang Juni, als sie bei Strasbourg im Shenandoahtal eintraf, nur noch 6.000 einsatzbereit.46 Dort versuchte man, Jackson zwischen dem Süd- und Nordarm des Shenandoah durch zwei Unionskorps in die Zange zu nehmen, woraus sich am 8. Juni die Schlacht von Cross Keys entwickelte, an der als Teil des Frémontschen Armeekorps auch die Deutsche Division unter Blenker beteiligt war. Sie bildete den linken Flügel in der Schlacht, bei der Frémont glaubte, das gesamte Heer Jacksons vor sich zu haben. Die Brigade von Steinwehr, zu der auch die 29. NY Inf. gehörte, bildete die Reserve. Nachdem der linke Flügel schon fast verloren gegangen war, führte Blenker die Reserve in den Kampf, allerdings war die 29. NY Inf. wohl nicht mehr allzu intensiv am Kampfgeschehen beteiligt.47 Insgesamt konnten die Unionstruppen sich auf dem Schlachtfeld – von dem im Übrigen eine von Schlümbach angefertigte Skizze existiert48 – behaupten; vernichtend schlagen konnten sie Jacksons Truppen, die zum großen Teil entkamen, aber nicht.49 Nach der Schlacht von Cross Keys kam es zu einem zweiten gesundheitlichen Zusammenbruch Schlümbachs. Beim Marsch Richtung Cherry Valley ließ ihn ein plötzlicher Ohnmachtsanfall zusammenbrechen, als sich das Regiment zum Überqueren des Shenandoah fertig machte. Nachdem er wieder auf den Beinen war, eilte er hinter dem Regiment her, das aber mittlerweile den Fluss überquert hatte und sich genau gegenüber befand. Beim Versuch der Überquerung wäre Schlümbach aufgrund seiner Schwäche beinahe ertrunken. Auf der anderen Seite wurde er in ein nahes Dorf gebracht und von den Regimentsärzten Hermann und Neuhaus untersucht und zur Behandlung ins Krankenhaus geschickt.50 Dies war der Auftakt für eine kleine 45

Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 298–301. Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 302. 47 Lediglich zwei Soldaten wurden verwundet; vgl. Phisterer nach URL: http://bowja01. home.mindspring.com/default.htm (03. 06. 2005). 48 Diese befindet sich auf der Innenseite des Einbands seiner Bibel; vgl. die Abbildung in Rokus: Bible, S. 16 (Archives of the Fredericksburg and Spotsylvania National Military Park); zur Bedeutung dieser Bibel insgesamt weiter unten. Erwähnung findet dieses Skizze auch bei Vogelmann: Regiment, o. P. und Krick: Valley, S. 208. Nach letzterem handelt es sich bei ihr bezüglich dieses Teils der Schlacht um das einzige derartige Dokument. 49 Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 306–307. 50 Vgl. Beantwortung eines Fragenkatalogs des Pension Departments durch Schlümbach vom 29. 1. 1886. In: Pension File (National Archives). 46

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Odyssee. Über Nacht blieb er in Front Royal, am nächsten Morgen wurde er von General Sigels Provost Marshall angehalten, sich im Krankenhaus von Middletown zu melden; für die Fahrt hatte er 5 $ zu bezahlen, um in Middletown zu erfahren, dass das Hospital nach Winchester verlegt worden war; um dorthin zu gelangen, musste er weitere 2 $ bezahlen und kam abends um 7 Uhr äußerst erschöpft dort an; als er im Krankenhaus vorsprach, wurde ihm gesagt, dass kein Platz sei und dass er im Hotel übernachten und am nächsten Morgen wiederkommen solle; für das Hotel gab er seinen letzten Dollar aus; am nächsten Morgen hieß es, dass das Krankenhaus nach Baltimore verlegt werden solle und Offiziere selbst für ihren Transport aufzukommen hätten; er erklärte, dass er in Baltimore keinerlei Geschäfte hätte und hier behandelt werden wolle, zudem habe er kein Geld mehr; er schaffte es aber, auf den Viehwagen zu gelangen, mit dem die verletzten Unionisten transportiert wurden; in Harpers Ferry fünf Stunden Pause ohne Essen; von dort weiter mit einem Pferdezug aus Wheeling; Winchester hatten sie um 7 Uhr morgens verlassen, in Baltimore trafen sie um 4 Uhr morgens am nächsten Tag ein, bekamen aber erst um 8 Uhr etwas zu essen und trinken; die schwer Verwundeten kamen ins City Hospital, die, die sich auf den Beinen halten konnten (mit Schlümbach 90 andere) hatten eine Meile zum Stewarts Mansion Hospital zu gehen, wo sie schwer erschöpft ankamen, aber sehr gut behandelt wurden; ein Arzt gab freundlicherweise seinen eigenen Raum für Schlümbach her, da Offiziere eigentlich für ihre Unterbringung hätten zahlen müssen, was Schlümbach nicht konnte; Schlümbach hoffte auf jeden Fall, nicht zu den »Bummlern« gerechnet zu werden und betont gegenüber dem Regimentskommando, dass er nicht gegangen wäre, wenn seine gesundheitliche Lage ihn nicht gezwungen hätte51. Der Tag, an dem Schlümbach dort angekommen war, war der 12. Juli 1862, und er blieb dort bis zum 5. August.52 Die Diagnose ist in den Akten des War Department nicht enthalten, wird von Schlümbach aber mit Sonnenstich angegeben.53 Im Rückblick sah Schlümbach diesen Vorfall im Zusammenhang mit den früheren Schmerzattacken als Beginn seiner langen 51 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an sein Regimentskommando, verfasst am 14. 7. 1862 in Baltimore. In: Pension File (National Archives). Diesen Brief hatte Alexander von Schlümbach im nach eigener Aussage bei ihm verbliebenen Regimentsarchiv verwahrt. 52 Vgl. Auskunft des War Department, Surgeon General’s Office vom 2. 2. 1882. In: Pension File (National Archives). 53 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an sein Regimentskommando, verfasst am 14. 7. 1862 in Baltimore. In: Pension File (National Archives). Auch seine Frau erinnert sich in der Weise, dass er wegen Sonnenstichs und »general debility« nach der harten West VirginiaKampagne behandelt wurde; vgl. Brief Coelestine von Schluembachs an den Commissioner of Pension vom 11. 1. 1884, Exhibit B zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). In der Aussage von 1887 konnte sie sich interessanterweise nicht mehr an eine Diagnose erinnern.

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Krankheitsgeschichte.54 Der mehrwöchige Krankenhausaufenthalt bot ihm Gelegenheit, seine Frau wiederzusehen, die sich für die Zeit in einem Hotel in Baltimore einmietete und ihren Mann täglich besuchte.55 Nach gut drei Wochen kehrte Schlümbach zu seinem Regiment zurück und traf dort nach der Schlacht von Cedar Mountain ein, die am 9. August nahe Culpepper Courthouse stattgefunden hatte. In den folgenden Tagen warteten beide Heere auf Verstärkung und sammelten sich diesseits und jenseits des Rappahannok River – das Unionsheer unter Pope am linken Flussufer, die Konföderierten unter Lee am Rechten.56 Lees Plan war, das Unionsheer von weiterer Verstärkung abzuschneiden. Lee verwickelte Pope immer wieder in Gefechte über den Fluss hinweg, bei denen vom 24.–25. August auch einige Soldaten der 29. NY Inf. verwundet wurden.57 Jackson wiederum brach mit einem Teil der Truppe durch das Bull Run Gebirge auf, um zwischen die Unionsarmee und Washington zu kommen. Nachdem Jackson die Einnahme der Versorgungsstation der Union bei Manassas Junction geglückt war, entdeckte Sigels Korps am 28. August die strategische Aufstellung der Konföderierten zwischen Sudley Springs und Groveton und erhielt von Pope den Befehl, am nächsten Morgen um 5 Uhr anzugreifen – daraus entwickelte sich die zweite Schlacht von Bull Run.58 Gegen 8 Uhr wurde das 29. NY Inf. Reg aus der Reserve herangezogen und half bei der Erstürmung des Bahndamms, den die Konföderierten als Stellung nutzten. Die gegnerischen Truppen konnten in die dahinter liegenden Felder abgedrängt und der Bahndamm bis zum Nachmittag als erobert

54 Vgl. Beantwortung eines Fragenkatalogs des Pension Departments durch Schlümbach vom 29. 1. 1886. In: Pension File (National Archives). Friedrichs Bruder Alexander von Schlümbach schiebt in seiner Erinnerung die beiden Vorfälle auch ineinander, wenn er im Pensionsverfahren aussagt, dass ihm auf dem Marsch von Cedar Creek nach Front Royal im Juli 1862 gemeldet worden sei, sein Bruder sei aufgrund von Schmerzen im Bereich des Anus zurückgefallen und nicht mehr in der Lage weiterzumarschieren. Vgl. Deposition C vom 25. 2. 1887 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). Ähnlich auch seine frühere Aussage: »During the heavy marches of the Regt. from Winchester Virg. May 11th 1862 to Front Royal Virg. July 8th 1862 near the upper Potomac and Schonandoah Valleys, the severity of the Campaign broke down the Claimant, so that he had to be send from Front Royal Virg. tho the Military Hospital at Winchester Virg. on or about July 9th 1862 from there to Mansion House Hospital Baltimore Md.« Zeugenaussage Alexander v. Schluembachs am 8. 2. 1884, Exhibit D zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). Alexander hat seinen Bruder von diesem Vorfall an erst nach Ende des Krieges wiedergesehen. 55 Vgl. Deposition A vom 24. 2. 1887 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 56 Vgl. zu den Aktionen am Rappahannock Kaufmann: Deutschen, S. 319–322. 57 Vgl. Phisterer nach URL: http://bowja01.home.mindspring.com/default.htm (03. 06. 2005). 58 Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 322–324.

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gehalten werden.59 Schlümbachs Regiment befand sich in diesem Gefecht vom Vormittag an auf dem Bahndamm, konnte trotz der Verluste, Ermüdung und des Munitionsmangels aber erst gegen 15 Uhr ausgetauscht werden, da vorher keine neuen Truppen zur Verfügung standen.60 Es wurde für den nächsten Tag der Reserve zugeteilt.61 Am 30. August erhielt die 29. NY Inf. morgens um 6 Uhr den Befehl, in südwestlicher Richtung zu marschieren, um dort eine neue Gefechtsposition einzunehmen. Bis zum Nachmittag wartete sie dort auf ihren Einsatz. Sie befand sich damit genau an der Stelle, wo im Laufe des Tages die Verstärkung des Südstaatenheeres anrückte, während am Vortag die Kämpfe weiter nördlich stattgefunden hatten. Die Verstärkung der Konföderierten unter General Longstreet drängte das Unionsheer Stück für Stück zurück. Als gegen 17 Uhr die 29. NY Inf. in die Schlacht geführt wurde, war schweres Artilleriefeuer hinzugekommen, und die Frontlinie schob sich vor und zurück. Letztlich mussten die Nordstaatler den Rückzug antreten und sich geschlagen geben. Für die 29. NY Inf. waren die beiden Tage am Bull Run verlustreich: 22 Männer waren im Kampf getötet worden, zehn weitere starben später an ihren Verwundungen. 98 Männer hatten Verwundungen erlitten, 21 wurden als vermisst gemeldet.62 Zu letzteren gehörte auch Schlümbach.63 Die Umstände, unter denen er seinem Regiment verloren ging, sind nicht ganz klar. Er selbst schreibt: »I was taken prisoner during an attack on the second day of the second Battle of Bull Run, was struck by some missile during a bayonet attack to regain some ground and being already in the enemies’ ranks as soon as dropping down, was captured and made free again but was unable to recover. Was captured, but the battle being lost on our side, and so I was carried to the rendezvous of officers and after some days paroled and brought to Libby Prison, Richmond, Va.«64

Nach eigener Darstellung führte also eine Verwundung dazu, dass er gefangen genommen wurde. In seinem Regiment war allerdings der »general talk«, dass er sich aus Feigheit in einer Kuhle versteckt gehalten und willentlich der Kampfhandlung entzogen hatte, um sich unversehrt gefangen nehmen lassen zu können und so den Gefechten zu entgehen.65 59 Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 324–327. Zu Second Bull Run vgl. auch McPherson: Freiheit, S. 519–522. 60 Vgl. Vogelmann: Regiment, o. P.; Rokus: Regiment, o. P. 61 Vgl. Vogelmann: Regiment, o. P.; Rokus: Regiment, o. P. 62 Vgl. Twenty-Ninth New York Volunteer Infantry Casualities; vgl. auch Rokus: Regiment, o. P. 63 Vgl. Muster Roll. In: Military Record (National Archives). 64 Beantwortung eines Fragenkatalogs des Pension Departments durch Schlümbach vom 29. 1. 1886. In: Pension File (National Archives). 65 So die Aussage seiner Kameraden Charles Rosanowsky, Robert Stolpe, George Fauser,

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Er kam als »Prisoner of War« nach Libby Prison in Richmond, einem Gefängnis der Konföderierten, in dem nur Offiziere gefangen gehalten wurden. Die Bedingungen dort waren ausgesprochen hart. Das Gefängnis bestand aus einer Reihe von Backsteingebäuden an einem Kanal des James River und war zuvor als Tabaklager genutzt worden. Die Räume waren etwa 30 Meter lang und 12 Meter breit. In sechs solcher Räume waren insgesamt 1.200 Offiziere untergebracht, ohne weiteren Platz für Essen, Schlafen, Kochen oder Waschen. Nicht viel mehr als 2 qm standen jedem Gefangenen auf diese Weise zur Verfügung. Den Fenstern durfte man sich nicht mehr als 1 m nähern, andernfalls wurde vom Aufseher geschossen. Hunger und Kälte setzten den Gefangenen stark zu.66 Nach knapp vier Wochen Gefangenschaft unter diesen Bedingungen wurde Schlümbach durch einen der letzten Gefangenenaustausche unter Lincoln freigelassen. Seine Gesundheit war aber so nachhaltig ruiniert – und wohl auch sein Ruf in der 29. NY Inf. –, dass er Ende Oktober 1862 aus der Armee austrat67.

3.2 Über Pomeroy in die 118. Pennsylvania Infantry Auf dem Weg nach Libby Prison hatte Schlümbach die Bekanntschaft eines Mitgefangenen gemacht, der Captain der 1. West Virginia Cavalry Volunteers war und später auch im gleichen Raum zusammen mit ihm inhaftiert wurde.68 Dieser stammte aus Ohio und hatte Schlümbach erzählt, dass man in Pomeroy, einer Kleinstadt am Ohio River 100 Meilen südöstlich von Columbus, gut Arbeit finden könne. Daher zog Schlümbach nach seiner Resignation im November 1862 dorthin und holte kurz darauf seine Frau, der der Umzug allerdings widerstrebte, und den gerade geborenen Sohn Adolph nach.69 Er arbeitete zunächst als Lehrer in der örtlichen Schule, später in einem Company Store, war aber sehr viel krank und zum Teil tagelang ans Bett gefesselt.70 Es war eine – wie er es nannte – Fistula in Ano, die ihm rasende Christian Thoet; vgl. die Depositions A–D zum Special Examiner’s Report vom 4. 5. 1886. Die Gefangennahme Schlümbachs wird auch erwähnt in Engelhart: Waffen, S. 32. 66 Vgl. Cross: War, S. 11. 67 Vgl. sein Entlassungsgesuch vom 24. 10. 1862, dem am 28. 10. 1862 stattgegeben wurde. Als Grund wird »disability« genannt. In: Military Records (National Archives). 68 Es handelte sich dabei um John Hess, der zusammen mit Schlümbach als Kriegsgefangener auf dem Weg nach Richmond im Richmond Dispatch vom 12. 9. 1862, S. 1 genannt wurde. Über die Umstände ihres gemeinsamen Weges als Gefangene gibt Hess Auskunft in Deposition D vom 15. 10. 1886 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 69 Vgl. Deposition A vom 24. 2. 1887 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 70 Vgl. die Aussage von Eliza Hess in Deposition E vom 15. 10. 1886 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives) und von Augusta Goessler, der Frau des Hausarztes, in Deposition A vom 15. 10. 1886 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives).

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Schmerzen bereitete und stark blutete, nun aber auch erstmals gezielt medizinisch behandelt wurde.71 Im Laufe des Jahres 1863 wurden seine Beschwerden dank der intensiven ärztlichen Therapie und der Pflege seiner Frau – die aufgrund der schwierigen Situation oftmals am Rande ihrer Kräfte stand –, besser, so dass sich Schlümbach entschloss, in die Armee zurückzukehren. Seine Frau bezeichnete ihn zwar als »always patriotic, and a whole souled soldier«72, aber es war wohl auch wirtschaftliche Not und eine mehr oder weniger gründlich eingeführte Wehrpflicht, die ihn veranlassten, sich erneut als Soldat einzuschreiben. Die politische Lage tat ihr übriges, denn nach der verlorenen Schlacht von Chancellorsville Anfang Mai 1863 war die Armee der Südstaaten bis an den Susquehannafluß in Pennsylvania vorgedrungen und stellte eine ernsthafte Bedrohung für die Stadt Philadelphia dar. Anfang Juli konnte die Potomac-Armee die Konföderierten zwar vernichtend schlagen, aber der Schreck über das Vordringen des Feindes in den Norden saß trotzdem tief. Die kleine Familie kehrte zurück nach Philadelphia und bezog eine Wohnung im Obergeschoss eines deutsch-amerikanischen Haushalts in der 474 3rd North Street.73 Schlümbach kam in Kontakt mit dem Colonel der 118. Pennsylvania Infantry und erhielt von diesem die Zusage, als Lieutenant in sein Regiment eintreten zu können. Allerdings zerschlugen sich aufgrund eines Führungswechsels im Regimentskommando diese Pläne, so dass Schlümbach als einfacher Private am 17. Juli 1863 zur 118. Pennsylvania Infantry kam.74 Die Tatsache, dass er als Substitute zum Regiment hinzukam, weist darauf hin, dass tatsächlich wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend für seine erneute Einschreibung waren und er die zusätzliche Prämie als Ersatzmann gut gebrauchen konnte. Litt er auch nicht mehr an den schweren Beschwerden der letzten Monate, so war er physisch doch weit davon entfernt, wieder voll belastbar zu sein. Doch noch war er nicht im vollen militärischen Einsatz, sondern in Camps in der Nähe Philadelphias stationiert. So kam es, dass er im August 1863 in eine religiöse Versammlung in Camp Cadwallader geriet, die sein Leben für eine ganze Zeit verändern sollte. 71 Vgl. Brief F. v. Schlümbachs an den Secretary of Pensions vom 24. 4. 1883 und Beantwortung eines Fragenkatalogs des Pension Departments durch Schlümbach vom 29. 1. 1886. In: Pension File (National Archives). Zurzeit in Pomeroy vgl. auch die Zeugenaussagen von Bekannten aus der damaligen Zeit in der Pensionsakte: Depositions B, C, D vom 15. 10. 1886 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 72 Brief Coelestine von Schluembachs an den Commissioner of Pension vom 11. 1. 1884, Exhibit B zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 73 Vgl. die Aussage der Tochter des Hauses in Deposition N vom 10. 6. 1886 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). 74 Vgl. Beantwortung eines Fragenkatalogs des Pension Departments durch Schlümbach vom 29. 1. 1886. In: Pension File (National Archives) und die Muster Rolls in: Military Record (National Archives).

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3.3 Religiöse Erfahrungen im Bürgerkrieg – Delegat der U. S. Christian Commission Wenngleich die Religion nicht die Ursache des Krieges darstellte, so war sie doch allgegenwärtig, indem sie die politischen, sozialen und kulturellen Differenzen zwischen Nord und Süd zu verstärken vermochte.75 Der Abolitionismus im Norden war stark religiös motiviert und aus dem Second Great Awakening erwachsen.76 Sowohl im Norden als auch im Süden berief man sich auf die Bibel, um seine jeweiligen Anschauungen zu untermauern, sowohl im Norden als auch im Süden betrachtete man sich von Gott zu diesem Krieg berufen.77 »Religious and political convictions were linked more closely than ever before or since in the history of the United States.«78 Bereits in den 1840er Jahren war es wegen der Sklavenfrage zu Trennungen innerhalb der zwei größten amerikanischen Denominationen – Baptisten und Methodisten – gekommen.79 All dies führte bereits im Vorfeld des Krieges zu einer deutlichen Schwächung der Beziehungen, auch zwischen den Kirchen.80 Im Kriegsgeschehen selbst kam es zu einer Vielzahl christlicher Aktivitäten. Abgesehen von nationalen Dank- und Fasttagen oder Predigten, die das Kriegsgeschehen mit biblischer Semantik ideologisch deuteten, gab es in den Camps selbst ein reges geistliches Leben. Hier waren die sonntäglichen Predigten, anders als an der Heimatfront, nicht so sehr auf die Kriegsideologie als vielmehr auf die persönlichen geistlichen Nöte und Bedürfnisse der Soldaten zugeschnitten. Vor allem zwei Themen standen im Zentrum: zum einen zwar auch das patriotische Erfordernis, für das eigene Land zu kämpfen, zum anderen aber die persönliche Notwendigkeit für jeden einzelnen, sich geistlich auf den möglichen Tod bei der Erfüllung seiner patriotischen Pflichten vorzubereiten.81 75 Vgl. Noll: History, S. 314. Noll spricht daher auch vom amerikanischen Bürgerkrieg als einem »religious war«. Vgl. auch Noll: Work, S. 72; Noll: Religion, S. 109. 76 Noll geht sogar so weit, dass man im Bürgerkrieg in gewissem Sinne das letzte Kapitel des Second Great Awakening sehen könne; vgl. Noll: History, S. 315. 77 Dieses Phänomen wurde von Lincoln in kongenialer Weise in seiner Second Inaugural Address aufgegriffen. 78 Noll: Religion, S. 109. 79 Vgl. Noll: History, S. 316. Vor allem in der Methodist Episcopal Church wurde diese Trennung als sehr schmerzlich empfunden. Während Mitgliederzahlen und Vermögen der Kirche im Norden zwischen 1861 und 1865 rapide wuchsen, stagnierte die Kirche im Süden. In engem Schulterschluss und mit finanzieller Unterstützung der Regierung dehnte sich die nördliche Kirche nach dem Krieg in das wieder angegliederte Gebiet der Methodist Episcopal Church South aus. Vgl. Shattuck: Shield, S. 21. 80 Dies wird schon aus dem Titel der einschlägigen Studie von C. C. Goen deutlich: Broken Churches, Broken Nation. Denominational Schisms and the Coming of the Civil War, Macon 1985. Vgl. auch Noll: History, S. 317 und Miller: God, S. 61–72. 81 Vgl. Shattuck: Shield, S. 60.

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In personeller Hinsicht wurde die religiöse Versorgung der Truppen zunächst durch Feldgeistliche wahrgenommen, von denen es vor dem Bürgerkrieg nur wenige gegeben hatte. Da Lincoln aber von der Wichtigkeit einer guten geistlichen Versorgung der Soldaten überzeugt war, bestimmte er im Mai 1861, dass die Colonels aller Regimenter einen Geistlichen für ihre Einheiten zu bestimmen hätten und dieser von den Offizieren des Regiments bestätigt werden müsse.82 So wirkten in der 29. NY Inf. J. Hieronymus Goldschmidt und Charles Luther als Kapläne83 – wahrscheinlich aber nicht mit allzu großem Eindruck auf den jungen Schlümbach, denn in seinen Aufzeichnungen finden sie nirgends Erwähnung. Neben den Feldkaplänen nahmen aber nach und nach auch von den Kirchen entsandte Missionare und Prediger verschiedener Organisationen Verkündigungsdienste wahr. Die in dieser Hinsicht aktivste Organisation, die im Laufe des Krieges mehrere tausend freiwillige Helfer in die Lager und Lazarette entsandte und auch bei Schlümbach für die entscheidenden Anstöße sorgte, war die U. S. Christian Commission (USCC), die überkonfessionell in erster Linie vom erwecklichen Spektrum des nördlichen Protestantismus getragen wurde.84 Die Christian Commission war im November 1861 auf Initiative des YMCA in New York gegründet worden, der andere evangelical organizations aufgerufen hatte, ein gemeinsames Werk zur Unterstützung der geistlichen Bedürfnisse der Unionssoldaten zu gründen.85 Auf der Gründungskonferenz

82 Vgl. Shattuck: Shield, S. 52. Der beste Weg für die angehenden Kapläne, sich den Respekt der Mannschaften zu sichern, war der, sich zunächst als normaler Soldat einzuschreiben und dann aus den Rängen der Soldaten als Geistlicher gewählt zu werden. Viele Colonels bevorzugten diesen Weg der Rekrutierung gegenüber der Rekrutierung eines Geistlichen »von außen«; vgl. Shattuck: Shield, S. 57. Die Feldkapläne mussten ordinierte Geistliche einer christlichen Denomination sein und wurden mit einem sehr ordentlichen Salär bedacht; vgl. Shattuck: Shield, S. 52–53. Etwa ein Drittel der 2.300 Feldkapläne, die im Bürgerkrieg zum Einsatz kamen, waren Methodisten. Es folgten (in dieser Reihenfolge): Presbyterianer, Episkopale, Baptisten, Kongregationalisten, Römisch-Katholische und Unitarier. Obwohl die Baptisten von der Zahl der Kirchenglieder her mit den Methodisten gleichauf lagen, gab es dort größere Vorbehalte gegen eine zu enge Verbindung von Kirche und Staat, wie man sie in den Feldgeistlichen zu sehen meinte. Daher wirkten Baptisten eher als freiwillige Missionare für ihre Kirchen; vgl. Shattuck: Shield, S. 62–63. 83 Vgl. Twenty-Ninth New York Volunteers Infantry Officers. URL: http://bowja01. home.mindspring.com/default.htm (03. 06. 2005) 84 Die andere große Organisation war die Sanitary Commission, die eher eine kirchlich-liberale Trägerschaft hatte und sich vor allem um die physischen und materiellen Bedürfnisse der Soldaten kümmere. Zwischen den beiden Organisationen gab es immer wieder Rivalitäten, da sie ja jeweils auch die beiden stärksten Strömungen innerhalb des amerikanischen Protestantismus vertraten; vgl. Raney: Lord’s Army, S. 287–288. Vgl. auch Shattuck: Shield, S. 24; Noll: History, S. 318–319. 85 Vgl. Shattuck: Shield, S. 26. Dort bezeichnet er diese Gründung als »fullest realization of popular evangelical benevolence in the wartime North«. Zu Einzelheiten der Entstehungsgeschichte vgl. Raney: Lord’s Army, S. 263–269.

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wurde George H. Stuart zum Präsidenten gewählt, ein Bankier und presbyterianischer Laienführer aus Philadelphia.86 Die Christian Commission wurde bald zu einem riesigen Werk, das hierarchisch vom Executive Committee an der Spitze über Field Agents in den Corps bis zu den 5.000 freiwilligen »Delegaten« – Geistlichen, aber auch Laien –, die in der ganzen Unionsarmee tätig waren, reichte.87 Die Dienstzeiten der Delegaten variierten, aber eine Verpflichtung für mindestens sechs Wochen wurde zumeist erwartet.88 Jeder Delegat erhielt vom Office der USCC eine »Commission« ausgestellt, in der deren Dienst und die Unterstützung durch die Regierung zur Vorlage bei den Offizieren von Army und Navy bescheinigt wurden. Dieses Dokument wurde auch von den Delegaten selbst unterzeichnet, da sie sich in ihm zu der weiten Bandbreite an Diensten bereit erklärten, die ihr Amt mit sich brachte.89 Dieses bestand ursprünglich in der Unterstützung der Regimentskapläne bei der Verkündigung des Evangeliums durch Leitungsdienste in den Gottesdiensten, die Verbreitung christlicher Literatur und Beteiligung an der seelsorgerlichen Begleitung der Soldaten. Hinzu kamen aber nach und nach auch Fürsorgeaufgaben für die leiblichen Bedürfnisse der Soldaten, das heißt vor allem pflegerische Aufgaben auf den Schlachtfeldern und in den Hospitälern90, die schließlich in der letzten Version der »Commission« auch fest verankert wurden. Dort 86 Zu George H. Stuart (1816–1890) vgl. Selleck: Art. Stuart; George H. Stuart: The Life of George H. Stuart. Ed. by R. E. Thompson, Philadelphia 1890. 87 Vgl. Moorhead: Apocalypse, S. 65; Shattuck: Shield, S. 26. 88 Vgl. Raney: Lord’s Army, S. 269. 89 Vgl. Raney: Lord’s Army, S. 270. Die von den Delegaten mit sich zu führenden Commissions trugen eine Nummer in der Reihenfolge des Diensteintritts. Auf der Commission befand sich auch ein vom Delegaten zu unterschreibende Verpflichtung, den Anweisungen des Agenten zu folgen, das ihm zugewiesene Arbeitsfeld einzunehmen und nicht weniger als sechs Wochen tätig zu sein, außerdem am Ende der Tätigkeit einen Bericht zu geben. Außerdem befanden sich auf der Commission von den Agenten auszufüllende Teile wie Dienstzuweisung und Entlassung aus dem Dienst. Alles hatte unter Meldung beim General Field Agent zu geschehen, eigenmächtiges Handeln hätte sofortige Entlassung aus dem Dienst nach sich gezogen. Generell wird in den Instructions für den Dienst der Delegaten darauf hingewiesen, dass diese keine Bezahlung erhalten, Unkosten aber ersetzt werden. Drei Talente seien für den erfolgreichen Einsatz als Delegat vonnöten: »Preaching, Business, and Working«. Dabei müssten diese getragen werden von »piety and patriotism, good common sense and energy«. Unterordnung unter den field agent sei von großer Bedeutung, damit sich das Werk gedeihlich entwickeln könne. Jeder Delegat wurde mit einem Notizbuch und Stift ausgestattet, um Erlebnisse, Name, Daten etc. festzuhalten. Das zum einen, um Veröffentlichungen über die USCC, und zum anderen ein ordentliches Führen der Berichtsbücher zu ermöglichen. Christlicher Ernst und Vertrauenswürdigkeit seien die Schlüssel zum Gelingen der großen Aufgabe. Vgl. dazu Moss: Annals, S. 542– 543 u. 548–549 und die Broschüre »Instructions to the Delegates«. 90 Vgl. Shattuck: Shield, S. 27–28, der auch das Diktum George Stuarts zitiert: »There is a good deal of religion in a warm shirt and a good beefsteak«. Hintergrund dieses Ausspruchs ist die Kritik am Kurs der Christian Commission, sich nicht mehr allein um die geistlichen Bedürfnisse der Soldaten zu kümmern. Für das leibliche Wohl sei doch die Sanitary Commission zuständig.

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werden als Aufgaben genannt: das Verteilen von Gütern91, die Verbreitung guten Lesematerials, Besuchsdienst bei den Verwundeten und Kranken, verbunden mit dem Führen von Korrespondenz für diese, die Unterstützung der Feldkapläne in ihrem Dienst, und eine Rednertätigkeit, bei der sowohl über die Arbeit der USCC gesprochen werden soll als auch über Anleitungen für ein besseres Leben im irdischen wie im ewigen Sinne.92 Bei der Verbreitung religiöser Schriften arbeitete die Christian Commission eng mit der American Bible Society und mit der American Tract Society zusammen. Im Laufe des Krieges wurde so eine enorme Zahl an Schriften in Umlauf gebracht.93 Man begegnete damit zum einen einem großen Hunger der Soldaten nach Lektüre (die Möglichkeiten der Abwechslung und Zerstreuung waren ja sehr beschränkt) und konnte zum anderen freundschaftliche Bande zu den Männern aufbauen.94 Zur Begleitung Verwundeter in den Krankenhäusern gesellte sich bald auch das Abhalten von Gottesdiensten dort95, das christliche Begräbnis ver91 Dazu gehörten z. B. warme Unterwäsche, Socken, Schuhe, Bettwäsche, Schreibzeug, frisches Essen, sogar alkoholische Getränke, was freilich nicht ganz unumstritten war, da es doch auch viele Berührungspunkte mit der Temperenzbewegung gab; vgl. Raney: Lord’s Army, S. 277. 92 Vgl. den Abdruck der Commission bei Moss: Annals, S. 541–542. Näher erläutert werden die einzelnen Aufgaben in den Instructions to Delegates: »Visiting hospitals, camps and battle fields, for the instruction, supply, encouragement and relief of the men of our army, according to their various circumstances; Distributing stores, where needed, in hospitals and camps; Circulating good publications amongst our soldiers and sailors; Aiding Chaplains in their ministrations and influence for the spiritual and temporal welfare of the men under their care; Encouraging specials and stated meetings for prayer amongst the men in the field and in the hospital; Encouraging soldiers and sailors to communicate freely and frequently with their friends, aiding them to do it, and if need be, writing for them, especially when they are sick or wounded; Addressing the men personally and collectively, to encourage them in every right way, discourage every vice, give them information from the people and from home, explain the work of the commission in their behalf, cheer them to duty, and above all persuade them to become reconciled to God through the blood of His Son, if they have not already done so, and if they have, then to be strong in the Lord, resolute for duty, earnest and constant in prayer, and fervent in spirit, serving the Lord; In aiding surgeons on the battle field in the kind care and removal of the wounded, giving them food and drink and everything needed to mitigate suffering and aid recovery, or if dying, point them with prayer to Jesus, and give them Christian burial. In short, striving to do all that man can do to meet the wants of brethren far from home and kindred.« Instructions to Delegates, S. 6–7; auch wiedergegeben in Moss: Annals, S. 543–544. 93 Auf diese Weise brachte die Christian Commission von 1862 bis 1865 1. 466. 748 Bibeln in Umlauf, außerdem 1. 370. 953 Gesangbücher, 18. 126. 002 Exemplare religiöser Magazine, 39. 104. 243 Traktatseiten und 296.816 sonstige gebundene Bücher. Vgl. Raney: Lord’s Army, S. 274. 94 Vgl. Raney: Lord’s Army, S. 274–275. Unter der Ägide der Christian Commission kam es auch zur Einrichtung von Leihbüchereien. 95 Über den Charakter dieser Gottesdienste heißt es in einem Bericht aus der Zeit: »A passage of Scripture was explained; songs of praise and fervent prayers ascended; the soldiers frequently leading in prayer, to the edification of the assembly. The services were solemn and im-

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storbener Soldaten kam ebenfalls als Dienst der Delegaten hinzu96. Nicht zu unterschätzen war auch die Bildungsarbeit der USCC unter den Soldaten.97 Letztlich wiesen alle diese Anstrengungen in Richtung Evangelisation mit dem Ziel, die Soldaten in eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus zu bringen.98 Entsprechend der differenzierten Aufgabenbeschreibung in der Commission beziehungsweise den Instructions gab es drei unterschiedliche Arbeitsfelder für die Delegaten und damit auch drei Arten derselben, nämlich 1. »Delegates to the Field«, 2. »Delegates to the Hospitals« und 3. »Delegates to the Battle-Ground«.99 Nach dem Ausscheiden wurde vom »Delegate at Home« erwartet, dass er sowohl im persönlichen Bereich als auch eventuell publizistisch von seinen Erlebnissen berichtet und so der Spendeneinwerbung für die USCC dient.100 Die Delegaten waren nicht nur Repräsentanten der »Heimat« unter den Soldaten, sondern in der Heimat auch Repräsentanten der abwesenden Soldaten.101 Für ihre bereits im Einzelnen dargestellte Tätigkeit orientierte sich die Christian Commission an den folgenden grundlegenden Prinzipien102: I. Catholicity II. Nationality III. Voluntariness IV. Combination of Benefits for Body and Soul V. Reliance upon Unpaid Delegates VI. Personal Distribution with Personal Ministrations VII. Co-Operative VIII. Respect for Authorities.103 pressive; men renewed their vows to God; thoughtless souls were aroused, some were conversed with, who were seeking the Lord with tears, and the faith of many was strengthened. [. . . ] Numbers were asking the way of salvation«; First Annual Report der USCC, zit. nach Raney: Lord’s Army, S. 279. 96 Vgl. dazu Raney: Lord’s Army, S. 281–282. 97 Vgl. dazu Raney: Lord’s Army, S. 282–283. 98 Dies war schon im grundlegenden Acht-Punkte-Programm vom Januar 1862 so formuliert worden; vgl. Raney: Lord’s Army, S. 269. 99 Die einzelnen Arbeitsfelder werden genauer spezifiziert in den Instructions to Delegates, S. 8–13; vgl. auch Moss: Annals, S. 544–547. 100 Vgl. Moss: Annals, S. 550. 101 Vgl. Moss: Annals, S. 566. 102 Zu diesen Prinzipien vgl. Christ in the Army, S. 23–31. 103 Die ersten beiden Prinzipien betonen die interdenominationelle Ausrichtung der USCC und ihre Unparteilichkeit im Gefüge der »defenders of the nation from every State«. Das Prinzip der »Voluntariness« wird in Bezug auf das Engagement der Delegaten und die Weitergabe von Gütern durch sie in dem Satz zusammengefasst: »freely received, freely given«. Das vierte Prinzip wird anhand der Beispiele John Wesleys und Florence Nightingales in ihrer Verbindung von religiöser Botschaft und sozialem Engagement illustriert. Beim fünften Prinzip wird eine Verbin-

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Da die Regierung in Washington durchaus an den religiösen Zuständen innerhalb der Truppen als stabilisierendem Faktor interessiert war, unterstützte sie die Delegaten in ihrer Tätigkeit.104 Mit zunehmendem Erfolg der Unionsarmee fand auch die Christian Commission immer größere Akzeptanz. Vor allem ihre Leistungen Ende 1862/Anfang 1863 nach den Schlachten von Second Bull Run, Antietam, Fredericksburg und Murfreesboro verschafften ihr größten Respekt und breite Unterstützung in der Gesellschaft, was sich auch im Spendenaufkommen niederschlug.105 Gerade General Ulysses S. Grant erkannte den Wert von Revivals innerhalb der Armee, sodass nach den ersten größeren Erweckungen vom Herbst 1863 an die Delegaten uneingeschränkten Zugang und wohlwollende Aufnahme in allen Truppenteilen fanden.106 Aufgrund der persönlichen Ansprache in einer existentiell bedrohlichen Situation waren Revivals mit zahlreichen Bekehrungen in den Camps des Nordens sowie des Südens keine Seltenheit.107 Allerdings gehörten diese dung zur apostolischen Zeit gezogen, da auch die Delegaten der Christian Commission auf das Geheiß Jesu hin »in the apostolic spirit, for the apostolic pay« ausgesandt würden. Die letzten drei Prinzipien werden sehr viel umfassender erläutert als die ersten fünf, denn in ihnen geht es konkret um das Verhalten in der Praxis. So wird bei der Weitergabe von Gütern an die Soldaten betont, dass dies immer aus einer inneren Haltung des Dienens heraus geschehen soll und auch die Art der Weitergabe Teil der angebotenen Hilfe ist. D.h. dass die Güter fürsorglich und ansprechend weitergegeben werden, Essen schön angerichtet wird oder eine neue Decke um den verwundeten Soldaten geschlungen wird, außerdem auch eine aufbauende persönliche Ansprache dazu gehört. Dies alles geschieht freilich in der Hoffnung auf eine missionarische Zuspitzung: »Then when good gifts and kind words and deeds have made their impress, and the soldier exclaims, ›Well, this is religion!‹ and says, ›Tell me all about it, how I can become a real Christian?‹ then tell him of Jesus, his love, his sacrifice for sin, his power to safe, his abundant grace, his readiness to pardon, his perfect righteousness«. Davon ausgehend erhofft man sich auch Rückwirkungen auf die Verwandten zu Hause, die von den Soldaten über ihre Lebensveränderung erfahren. Ein ebenso gewichtiger Teil der Delegatentätigkeit neben dem Verteilen der Gaben ist daher auch das Halten religiöser Versammlungen in der Chapel tents der Christian Commission. Dabei wird die persönliche Offenheit für die Botschaft angesichts der Möglichkeit eines raschen Todes im Kampf als besondere Chance gesehen und die erwünschte Wirkung emphatisch beschrieben: »How their breasts heave, and tears course their cheeks!«. Das Thema der Kooperation ist ein wichtiges in Bezug auf die Akzeptanz der Christian Commission in der Armee und wird daher sowohl in Richtung der Feldkapläne, deren Dienst man respektvoll und nicht ungefragt ergänzen soll, als auch der sonstigen Diensthabenden entfaltet, was insgesamt in das achte Prinzip mündet. Über all diesen Prinzipien steht »the threefold inspiration of love«, nämlich »love for the country, the soldiers and the Saviour«. Vgl. Christ in the Army, S. 24–32. 104 Vgl. Shattuck: Shield, S. 29–31. 105 Vgl. Raney: Lord’s Army, S. 285. 106 Vgl. Shattuck: Shield, S. 31–32; Moss: Annals, S. 370. 107 Vgl. Noll: History, S. 318. Die Revivals des Bürgerkriegs sind dabei keineswegs isoliert zu betrachten, sondern gehören in einen größeren Strom von Erweckungen, der das ganze 19. Jahrhundert durchzieht. Konkrete Verbindungen, sowohl von den Personen als auch inhaltlicher Art, gibt es zum sogenannten »businessmen’s revival« von 1857/58. Führende Köpfe dieser Erweckung fanden sich nun in leitenden Positionen der Christian Commission wieder, unter

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noch nicht in die Anfangszeit des Krieges. Die Abenteuerlust und Aufregung vieler Rekruten ließ im ersten Kriegsjahr 1861 religiöse Fragen zunächst zurücktreten. Es gab zwar sonntägliche Predigtgottesdienste108 und gelegentliche wochentägliche Gebetsversammlungen, aber damit wurden meist nur die ohnehin schon Frommen erreicht. Sporadisch begannen erste Erweckungen in den großen Militärlagern bei Washington, Chicago und St. Louis im Jahr 1862.109 Oft stellten religiöse Versammlungen eine der wenigen Abwechslungen im sonst eintönigen Camp-Alltag dar.110 Denn die erste Aufgeregtheit des Kriegs war während der langen Kampfpause in den Wintermonaten der Langeweile in den Camps gewichen. Eine Konsequenz war, dass die Männer sich die Zeit mit Dingen vertrieben, die zeitgenössisch mit »to make some foolishness together« beschrieben wurden111 – etwas, dem sich auch Schlümbach nicht hatte entziehen können. Im Zuge der generellen Sorge um moralisches Wachstum der Nation als ganzer und Ausbreitung der Kirchen im speziellen spielten während des Bürgerkriegs Evangelisationen unter den Soldaten der Nordstaaten eine herausragende Rolle. In den Armeen sah die Kirche zu dieser Zeit ihr hauptsächliches Missionsfeld.112 Zu mehreren Revivals kam es daher von Mitte des Krieges an. Erste Erfolge der Union beflügelten die Soldaten, und die auf die Schlachten von Gettysburg, Vicksburg und Chattanooga folgenden Erweckungen gaben den Soldaten weitere Zuversicht. »The gradual emergence of revivalism in the armies in 1863 suggests that the tested Northern veterans were turning from their original carefree attitude about the war toward a more reflective, religious stance.«113 Die ständige Bedrohung durch den Tod und die Erfahrung, nicht Herr des eigenen Schicksals zu sein, führte viele Soldaten im Krieg zur Beschäftigung mit religiösen Fragen.114 Dabei ging es freilich weniger um

ihnen auch George H. Stuart; vgl. Shattuck: Shield, S. 79–80. Die aus dieser Erweckung hervorgegangenen Daily Union Prayer Meetings wurden vom YMCA auch in die Armee getragen und bildeten das Vorspiel zur Entstehung der U. S. Christian Commission; vgl. Christ in the Army, S. 17–18. 108 Zur später zunehmenden Sonntagsheiligung unter General McClellan vgl. Shattuck: Shield, S. 74–75 und Woodwort: God, S. 83. 109 Vgl. Shattuck: Shield, S. 73–74. 110 Vgl. Shattuck: Shield, S. IX. 111 Vgl. Shattuck: Shield, S. 74. Dazu gehörten »profanity, drunkenness, licentiousness, gambling, petty thievery«. 112 Vgl. Shattuck: Shield, S. 22. 113 Shattuck: Shield, S. 79. 114 Vgl. Shattuck: Shield, S. 85–86. Ein weiterer Faktor im Aufkommen von Revivals in der Armee ist soziologischer Natur und lässt eine Parallele zum früheren Erfolg von Revivals an der Frontier erkennen. In einem Umfeld, in dem man von den bisherigen Lebensbezügen abgeschnitten ist und unter physisch anstrengenden und äußerlich unsicheren Verhältnissen lebt, bieten religiöse Aktivitäten eine Stabilität, die in der Umwelt fehlt. »Revivalism brought a type of discipline, order, and community that even the regulated life of an army in wartime was unable

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theoretische Fragen der Theologie, sondern um praktische Glaubenserfahrungen, wie sie mit der Erfahrung der Bekehrung und der Hingabe an ein christliches Leben im Mittelpunkt der Erweckungsversammlungen standen. »In this regard, the army Revivals were quintessentially American, that is, laying stress more on participation and practicality than on contemplation and speculation. The leaders of the Revivals were concerned more with results than with process.«115 Die Revivals des Jahres 1863 begannen im Frühjahr und Sommer und gewannen an Zugkraft, als die Soldaten gegen Ende des Jahres die Winterquartiere bezogen. In der Army of the Potomac kam es im Winter 1863/64 zu viel religiöser Bewegtheit, so dass viele Brigaden provisorische Kirchen oder chapel tents für Gebetsversammlungen errichteten. Im Februar 1864 notierte ein Agent der U. S. Christian Commission, dass eine Phase ungewöhnlichen spirituellen Verlangens eingesetzt habe und die Zelte nicht alle zu den Versammlungen strömende Soldaten fassen konnten.116 In diese Phase allgemeiner religiöser Erregtheit fiel auch ein geistliches Schlüsselerlebnis Friedrich von Schlümbachs. Im August 1863 besuchte er eine religiöse Versammlung der Christian Commission in einem Camp nahe Philadelphia, bei der er eine Art Bekehrungserlebnis hatte. Eine Predigt George H. Stuarts selbst ergriff ihn so sehr, dass er von Stuart im Zusammenhang der Versammlung für sich persönlich beten ließ117 und ihm – da er in gewisser Weise eine längere spirituelle Suche nun zu ihrem Durchbruch gekommen sah – das Neue Testament, das er an der Front von der Christian Commission erhalten hatte, und das für ihn große Bedeutung besaß, übergab. In seine Bibel hatte Schlümbach einige Notizen zu seiner persönlichen Biographie geschrieben; entweder spontan und auf der Stelle für Stuart oder bereits in einem anderen Kontext118: »Fredrick enlisted in N. Y. City 12 May 1861 & was in 1st Bull Run, Cross Keys, 2 Bull Run, Pope’s Retreat, being in 3 battles there or 6 in all – carried this book through them all & in prison (Libby Prison) 4 weeks. It has been a comfort to me all through – for this I had always Courage[,] for this peace I always went in my trouble – always prayed in his tent – a member of the United Brethren. I had left the Sav[iour] for some time but I came back to Him. I was well brought up by my Mother who died in Jesus with a full hope of resurrection in that I will die like my Mother«119. to provide. It linked soldiers both spiritually to the churches at home and emotionally to one another in new associations in the camps.« Vgl. Shattuck: Shield, S. 88. 115 Shattuck: Shield, S. 84. 116 Vgl. Shattuck: Shield, S. 79–80. 117 Bei den abendlichen Prayer Meetings war es üblich, dass Soldaten auf eigenen Wunsch für sich beten ließen; vgl. z. B. die Berichte in Moss: Annals, S. 427. 118 Der Stil der Eintragung spricht dafür, dass sie auf die Schnelle angefertigt wurde. Wie sich dies zu weiteren autobiographischen Eintragungen auf Deutsch verhält, muss offen bleiben. 119 Das Neue Testament mit handschriftlichen Eintragungen Friedrich von Schlümbachs auf

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Aus diesen Notizen geht hervor, dass Schlümbach in religiöser Hinsicht tatsächlich schon länger auf der Suche war und mehrfach die in den Camps errichteten chapel tents besucht hatte, darüber hinaus sich selbst den United Brethren zugehörig fühlte.120 Darüber hinaus findet Schlümbachs Mutter besondere Erwähnung, sowohl im Hinblick auf ihre christliche Erziehungstätigkeit, als auch auf ihre Auferstehungshoffnung, die für Schlümbach angesichts der Gefährdungen des Krieges neu von Bedeutung wurde. Dass Schlümbach sich intensiv mit dieser Bibel auseinandergesetzt hatte, davon zeugen nicht nur die zitierten Bemerkungen, sondern auch mehrere Eintragungen, die die Beschäftigung mit bestimmten Bibelstellen jeweils durch Orts- und Zeitangabe dokumentieren. Wahrscheinlich hatte Schlümbach die Bibel Ende April in Winchester zusammen mit den anderen Gütern, die für die Armee dorthin gesandt worden waren, erhalten, denn die erste Eintragung stammt vom 1. 5. 1862.121 Im Folgenden sind Schlümbachs Markierungen in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben: I. 1. 5. 1862

Winchester

1. Kor. 6

II. 2. 5. 1862 III. 2. Maihälfte 1862

Winchester Franklin

IV. 8. 6. 1862 V. 29. 8. 1862

Cross Keys Bull Run

Titus 1,5–6 Apg. 2,21–24 Apg. 17,22–23 Eph. 2 Eph. 6 2. Tim. 4,5–8 Lk. 19,43 Lk.12,4–5 2. Kor. 1,19–22 1. Joh. 4,7–9 2. Kor. 11 (bes. 20–27) Röm. 8,17–22.

VI. 30. 8. 1862 VII. 10. 9. 1862 VIII. 9. 8. 1863

Bull Run Libby Prison Barracks 22

Leerseiten am Buchende (Archives of the Fredericksburg and Spotsylvania National Military Park). Auf diese Bibel machte mich freundlicher Weise Josef Rokus, Locust Grove/VA, aufmerksam. 120 Mit dieser Bezeichnung können sowohl die Herrnhuter als auch die methodistischen Vereinigten Brüder in Christo gemeint sein; wahrscheinlicher ist zu diesem Zeitpunkt eine empfundene Nähe zu den Herrnhutern, wie sie sich auch in den folgenden Monaten durch persönliche Verbindungen äußern wird. Allerdings konnte anhand der in den Moravian Archives, Bethlehem/Pennsylvania, vorhandenen Kirchenbüchern keine Mitgliedschaft Schlümbachs in Gemeinden der Stadt Philadelphia nachgewiesen werden. 121 Vielleicht besaß er die Bibel aber auch schon länger, ohne eine Eintragung vorgenommen zu haben, da er schreibt, dass er sie schon in First Bull Run bei sich gehabt habe.

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Da nicht klar ist, in welcher Weise Schlümbach sich mit diesen Texten auseinandersetzte, muss die theologische Analyse vorsichtig erfolgen. Eine Möglichkeit ist, dass die Texte bei religiösen Versammlungen, entweder durch den Feldkaplan oder durch einen USCC-Agenten, eine Rolle spielten. Eine Möglichkeit ist aber auch, dass sich Schlümbach selbständig mit diesen Texten auseinandergesetzt hat. Für letzteres spricht, dass Schlümbach in einem Brief vom Juni 1864 schreibt, er habe nach der Rückkehr von einem Angriff am 6. Mai »as usual« seine Bibel aufgeschlagen, um zu beten, und dabei »providentially« Dtn. 20 zu lesen bekommen.122 Es scheint also gängige Praxis für ihn gewesen zu sein – zumindest im Kontext einer Gefechtssituation – die Bibel wahllos aufzuschlagen und dabei das rechte Wort in die jeweilige Situation hinein zu erhoffen.123 Inhaltlich kreisen die markierten Bibelstellen um drei Themen: 1. Bedrohung durch Feinde und Tod, 2. das rechte Verhalten eines Christen und 3. Umkehr und Erlösung. Ethik und Soteriologie sind also die entscheidenden theologischen Topoi, die Schlümbach in seiner Auseinandersetzung mit der Bibel und Entwicklung eines eigenen geistlichen Lebens beschäftigten. In der Chronologie der Beschäftigung mit den einzelnen Bibelstellen ist jedoch keine klare Entwicklung in der inhaltlichen Auseinandersetzung erkennbar, alle drei Themen tauchen immer wieder auf. Allerdings ist erkennbar, dass das Thema Tod eine Rolle vor allem an den Tagen der Schlachten spielt, und in direkter Weise auf die eigene Situation appliziert wird. In gleicher Weise wird der apostolische Leidenskatalog in 2. Kor. 11 in Beziehung gesetzt zum selbst erfahrenen Leiden während der Gefangenschaft in Libby Prison. Über seine Bekehrungserfahrung und was sie in seinem Leben bewirkte, schreibt Schlümbach vier Monate später an George Stuart, den er als »the founder of my eternal happiness« und »the soldier’s true friend« bezeichnet, und dem er wünscht, Gott möge ihn segnen für das, was er mit Gottes Geist an »us poor trembling Sinners« getan habe: »My soul turned forward to God, through your kind but earnest prayer [. . .]. God had love for me [. . .], Jesus converted me and helped me strongly against temptations. [. . .] he makes me stronger and stronger every day, and I am happy now; in God, confidential in Jesus, and a good husband; before I wend [sic] to God, I was a miserable creature, a terrible wretch, a trunkard, and for that a miserable bad husband, but through the Grace of God I enjoy now not only internal happiness in my heart, but happiness

122 Vgl. Letter from Lieutenant Schluembach [to F. F. Hagen, June 4th, 1864]. In: The Moravian 1864, S. 93. 123 Dazu, dass es sich bei der selbständigen Bibellektüre angesichts bedrohlicher Gefechtssituationen um eine gängige Praxis gehandelt haben dürfte, vgl. Woodworth: God, S. 86. Schlümbachs Praxis des »Losens« könnte ein weiterer Hinweis auf den Einfluss der Herrnhuter sein.

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in my earthly work and in my family; My dear beloved wife has a good husband, and I have peace; I joined the Temperance Union, and enjoy this blessings daily; [. . .] my good education in younger years has now change [sic] to break through, God helped me forward every day, visible. [. . .] I am very weak, the Camps ruined my whole body, but my soul grows stronger and stouter and I am assured now that Jesus is my friend, I feel no terror in death, but joy, and My only prayer is, God may give me his holy spirit to keep on the right road evermore, and my family and myself we be happy for eternity.«124

Ganz deutlich treten hier die ethischen Implikationen eines durch die Bekehrung bewirkten neuen Lebenswandels hervor. Dies liegt auf einer Linie mit den in Schlümbachs Neuem Testament markierten Bibelstellen und legt die Vermutung nahe, dass er ein stärkeres Sensorium für eventuelles Fehlverhalten entwickelte, das zu gewissen inneren Spannungen und Kämpfen führte. Als besonders problematische Bereiche sind der Umgang mit Alkohol und sein Familienleben angesprochen, etwas, das in seinem späteren Leben als Problemfeld wieder auftauchen sollte.125 Schlümbachs Zeit bei seinem Regiment währte nicht allzu lange. Nachdem er erst Mitte September im Lager seines Regiments bei Beverly Ford vorstellig geworden war126, fand das militärische Leben für ihn nach drei Wochen bereits wieder ein Ende. Denn Anfang Oktober, als Schlümbach Bounty Jumpers vom Camp seines Regiments in Virginia aus nach Washington bringen sollte, holte ihn das alte Leiden seiner Fistula in Ano ein, sodass er vom 14. 10. an in Washington im Mansion Square General Hospital behandelt werden musste.127 Dort verpasste er keine Gelegenheit, an den Gottesdiensten teilzunehmen, und er schreibt über seine Teilnahme am Abendmahl, dass er es als durchgehende Reinigung seiner Seele empfunden habe.128 Als er wieder einigermaßen hergestellt war, kam er Anfang November ins Camp Convalescent bei Alexandria, wo er sich stark im christlichen Leben dieses Lagers engagierte. In 50 Baracken lebten jeweils etwa 100 Mann, die nicht mehr akut medizinisch versorgt werden mussten, aber noch nicht soweit wiederhergestellt waren, dass sie zu ihren Regimentern hätten zurückkehren können. Dort war die Kapelle, die zu Beginn des Jahres 1863 noch aus einem Zelt bestanden hatte und Mitte des Jahres massiv erbaut worden war, in der zweiten Jahreshälfte erweitert worden, um nun 1.000 Mann Platz zu bieten und damit der großen Nachfrage gerecht zu werden. Die Ka124

Brief F. v. Schlümbachs an George H. Stuart vom 28. 12. 1863 (Library of Congress). Auf die in dem Brief geäußerten theologischen Anschauungen Schlümbach soll im Kontext weiterer Zeugnisse weiter unten eingegangen werden. 126 Vgl. Muster Rolls. In: Military Record (National Archives). 127 Vgl. War Departement, Surgeon General’s Office vom 2. 2. 1882. In: Pension File (National Archives). 128 Vgl. Brief F. v. Schlümbachs an George H. Stuart vom 28. 12. 1863 (Library of Congress). 125

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pelle bot Raum für ein reges Veranstaltungsleben: jeden Morgen um 9 Uhr Gebetstreffen, bis auf sonntags jeden Nachmittag um 2 Uhr Bibelklasse, bis auf mittwochs und samstags jeden Abend Predigtversammlung mit anschließender Gebetszeit, mittwochabends Temperenzversammlung, jeden Samstag ein Konferenztreffen nach dem businessmen’s plan129 (Schlümbach nannte dies »Bekenntnißstunde«), an jedem Sonntag drei Predigtgottesdienste, nach dem letzten Gebetszeit. Daneben weitere pastorale Betreuung in den Baracken und im Krankenhaus.130 In den abendlichen Versammlungen bekehrten sich regelmäßig 40–50 Männer.131 Die Christian Commission unterhielt dort eine Zentralstation mit 3–4 Delegaten, die aber nur Englisch sprachen. Schlümbach integrierte sich in das bestehende Programm, erweiterte es aber in eigener Regie um Angebote in deutscher Sprache, da zahlreiche seiner Landsmänner nicht des Englischen mächtig waren. So fand jeden Sonntag um 13 Uhr ein deutschsprachiger Gottesdienst statt, in dem Schlümbach zu predigen pflegte.132 Was dort fehlte, waren deutsche Gesangbücher. Und so nutzte Schlümbach die einzige deutschsprachige Publikation, die regelmäßig, nämlich wöchentlich ins Lager kam und unter den Soldaten entsprechend gefragt war, um in einem Artikel dort diese Bitte zu lancieren. Es handelte sich um den Christlichen Apologeten, die Zeitschrift des deutschsprachigen Zweiges der Methodist Episcopal Church. In diesem Artikel gibt Schlümbach auch einen Einblick in seinen persönlichen Glaubensweg: »[. . .] [N]ur ein Soldat weiß, mit welchen Versuchungen wir hier auf Erden zu kämpfen haben; ich war auch ein so großer Sünder, doch Gott, der gnadenreiche Gott, hat ja seinen lieben Sohn Jesus Christus auch für mich gegeben, und es ist in mir verkündigt, daß Jesus thatsächlich unter uns wirkt, denn er hat bei mir aus einem Saulus einen Paulus gemacht; [. . .] betet für mich und uns alle, daß wir als Sieger aus diesem Erdenstreite herauskommen.«133

An George Stuart schrieb Schlümbach über seine Erfahrungen in Camp Convalescent, er habe nie mehr Glück empfunden als dort: »church is my joy, and by the great aid of the Cristian Comission [sic] here, we have a glorious time«. Die Agenten seien echte Diener Gottes, fleißig in ihrer Arbeit, und kein Tag vergehe, an dem nicht wenigstens zehn bis zwölf Seelen zu 129

Zum Businessmen’s Revival vgl. Anm. 265. Vgl. USCC: Annual Report 1863, S. 178–179. 131 Vgl. F. v. Schluembach: Correspondenz aus Virginien. In: CA 1864, S. 13. 132 Vgl. F. v. Schluembach: Correspondenz aus Virginien. In: CA 1864, S. 13: »[. . .] [Ich habe] mich seit meinem Hierseyn durch den Geist Gottes berufen gefühlt, obgleich kein ordinirter Geistlicher, doch das Wort des Herrn lauter und rein zu verkündigen [. . .]«. Schlümbach bedient sich hier einer aus den lutherischen Bekenntnisschriften bekannten Wendung. Im Hospital des 11. Corps hatte es ebenfalls spezielle Angebote in deutscher Sprache gegeben; vgl. USCC: Annual Report 1863, S. 77. 133 F. v. Schluembach: Correspondenz aus Virginien. In: CA 1864, S. 13. 130

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Gott bekehrt würden. Gott sei mit ihnen dort, und vor allem mit der Christian Commission, »the true comfort and help of the soldiers«. Das Wirken der Christian Commission habe Auswirkungen auf die Truppenmoral als ganze: »wherever the Christian Comission [sic] is in Connection with the army, a great change appears in the heart of the Soldiers, coursing and swearing gets weeker [sic] and the love of God takes quarter in the hearts; oh I wish all the Soldiers of the Army could enjoy the blessing of this Institution, and we would have a better Army a more victorious Army«.134

Mithilfe des USCC-Agenten Rev. Collom belebte Schlümbach ein deutsches Gebetstreffen und die gemeinschaftliche Betrachtung der Heiligen Schrift wieder (»revive«). Da kein deutscher Geistlicher vor Ort war, mussten sie sich selbst weiterhelfen, denn es bestand das Bedürfnis, das Wort Gottes in der eigenen Sprache zu vernehmen, zumal viele Landsleute gar kein Englisch sprachen. In Hinsicht auf die Vielfalt der Denominationen der jeweils für sechs Wochen im Camp tätigen englischsprachigen Prediger formulierte Schlümbach erste ekklesiologische Ansätze, indem er schreibt: »Es verwirklicht sich hier das Wort des Herrn: Liebet euch unter einander; es ist hier die göttliche Eintracht, die den wahren Christen kennzeichnet.«135 So wichtig ihm seine Arbeit im Camp auch war, sobald es seine Gesundheit zuließ, wollte Schlümbach zurück an die Front, um der »Army of the Cross« so viel wie möglich zurückzugeben.136 Doch bis dahin sollte es noch dauern, und seine Verbindung mit der Christian Commission sollte konkrete Formen annehmen. Denn offensichtlich hatte George H. Stuart umgehend an Schlümbach zurück geschrieben137, woraus sich der Plan entspann – der auch von Schlümbach aktiv verfolgt wurde138 –, als Delegat für die Christian Commission tätig zu werden. George H. Stuart als Leiter der Organisation schrieb am 13. Februar 1864 an Kriegsminister Stanton mit der Bitte, Schlümbach zeitweise zur USCC abzukommandieren. Schlümbach war zu diesem Zeitpunkt wieder in Philadelphia, und zwar im Citizen’s Volunteer Hospital.139 Doch schon bevor er offiziell zu diesem Dienst abkommandiert wurde, war er be134 135 136

Brief F. v. Schlümbachs an George H. Stuart vom 28. 12. 1863 (Library of Congress). F. v. Schluembach: Correspondenz aus Virginien. In: CA 1864, S. 13. Vgl. Brief F. v. Schlümbachs an George H. Stuart vom 28. 12. 1863 (Library of Con-

gress). 137 Der Brief Schlümbachs vom 28. 12. trägt den Vermerk, dass er am 30. 12. beantwortet worden sei. 138 Vgl. Brief an Emma und Hermann Werner vom Feb. 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [2]). 139 Vgl. Brief George H. Stuarts an Edward M. Stanton vom 13. 2. 1864. In: Military Record (National Archives).

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reits für die Christian Commission tätig gewesen. Das geht aus einem Brief von Mitte Februar an seine Familie hervor, der bereits auf dem Briefpapier des Zentralbüros der Christian Commission verfasst ist. Bemerkenswert an diesem Brief ist die enge Verquickung von kirchlicher Tätigkeit und patriotischer Emphase, die sich im weiteren Verlauf in einen regelrechten politischen Furor steigert und das eigentlich »Missionarische« gegenüber der Familie in Deutschland, in diesem Fall besonders Schlümbachs Schwager Hermann, darstellt: »Über mein Befinden kann ich leider nur Schlimmes berichten. Ich bin stets krank. Rhen. Dispepsia pp. wirft mich aufs Bett. Ich denke ehe Du diese Zeilen erhältst ist meine Bitte im Kriegsministerium, genehmigt, nehmlich in die Christl. Gesellschaft kommandiert zu werden; um englische Traktate in’s Deutsche zu übersetzen u. Reden zu Gunsten der Gesellschaft unter Deutschen zu halten. Die Gesellschaft hat darum angehalten. Ich habe mich der Kirche eng angeschlossen u. Arbeit im Weinberge des Herrn ist mein Ziel; Freiheit u. Religion sind mein Panier. Ich bin Republicaner aus vollem Herzen u. mit Gottes Hilfe ein Christ; der Segen des Herrn ist mit mir. Ich sprach in letzteren Tagen in etlichen 15 der ersten Kirchen Phil.s zu Gunsten der Armee und solcher Patriotismus & Entus. ist Euch völlig fremd; ich bin stolz auf Amerika u. wünsche nur daß mein Vaterland einmal so frei wäre wie mein Adoptio-Vaterl. Herrmann ich weiß Du bist ein Mann; Dich muß es schmerzen die Tyrannen auf dem Thron sitzen zu sehen u. das Volk für eine Nulle zu erklären. Schmeißt Sie herunter, klopft Preußen u. Oesterreich u. wenn Ihr Napol. holen müßt. Wir wollen Euch unterstützen zeigt uns einmal ernst. Ist denn der deutsche Michel noch nicht bald am Erwachen. Wir erwarten Großes von Euch u. das bald. Mit unserem Feind da werden wir bald fertig sein; die Kerls kriegen Klopfe von allen Ecken; u. dann kommt der Maxel dran; wir reiben uns schon die Hände den dummen Habsburg ordentlich zu keilen; Onkel Sam spaßt nicht; nur Geduld dem wird Mexiko noch viel Kopfweh kosten & Unsere Fahne siegt. Macht Euch frei u. wir rufen Euch Hallelujah zu. Geld u. Waffen stehen Euch zu Diensten; Also Muth; Die Freiheit muß siegen u. ein einig Deutschland geht mit Ameri. Hand in Hand.«140

Was vorhin bereits in Hinsicht auf ekklesiologische Ansätze festgehalten wurden, nämlich die Betonung der Einheit, begegnet hier auch in politischer Dimension in Form der Betonung eines »einig Deutschland« als adäquatem Partner Amerikas – ein Motiv, das für Schlümbachs spätere Tätigkeit noch einmal wichtig werden sollte. Was Schlümbach in besonderer Weise für die USCC wertvoll machte, war seine Fähigkeit, unter den deutschen Bürgern Sympathie für die Christi140 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom Februar 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [2]). Zu dieser Wahrnehmung der politischen Situation in Deutschland vgl. den einschlägigen und mit den Formulierungen Schlümbachs fast wörtlich übereinstimmenden Aufsatztitel von W. Kamphoefner: »Auch unser Deutschland muss einmal frei werden«. The Immigrant Civil War Experience as a Mirror on Political Condition in Germany. In: Barclay/Glaser-Schmidt: Images, S. 87–108.

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an Commission zu wecken. Zum einen qualifizierte ihn natürlich das Beherrschen der deutschen Sprache dazu, zum anderen muss aber auch sein Auftreten für diese Zwecke geeignet gewesen sein, denn Stuart schreibt von seinem »earnest and impassioned style of address« als großem Vorteil, der zu seinen Gunsten spreche.141 Der Bitte wurde stattgegeben und Schlümbach zehn Tage später für einen dreißigtägigen Dienst für die USCC freigestellt.142 Da er seine Aufgabe wohl sehr gut machte und in den deutschen Distrikten Pennsylvanias erfolgreich für die Christian Commission warb, bat Stuart Mitte März um eine Verlängerung seiner Beurlaubung, die am 24. 3. auch gewährt wurde143. So kam es, dass Schlümbach die Monate März und April 1864 über im Dienst der Christian Commission stand und in der Gegend von Philadelphia wirkte, um unter den Deutschamerikanern für die Sache der USCC zu werben. Einen Einblick in seine Tätigkeit gibt er seiner Familie in recht unbescheidener Weise: »Als ich Euch das letzte Mal schrieb erwartete ich eine Stelle in der U. S. Christlichen Gesellschaft, u. erhielt dieselbe auch einige Tage nachher mit einem sehr schmeichelhaften Schreiben des Kriegssecretärs begleitet, welche mich bis auf weiteres vom activem Dienst lossagte u. mich zu der benannten Gesellschaft delekirte [sic], u. habe ich dadurch mein Glück begründet für die Zukunft, ich hatte die Aufgabe in den Vereinigt. Staaten umherzureißen [sic] u. Reden zu halten in englisch sowohl als in deutsch u. wenn ich Euch bemerke daß ich in sechs Wochen 5.000 Dollar [. . .] collectierte sowie 6 Stationen ins Leben rief, so könnt ihr begreifen, daß mein Wege mit Erfolg gekrönt war; u. persönlich machte ich Bekanntschaften mit den ersten amerikanisch. Familien, welche mir später von ungeheurer Wichtigkeit werden; ich erhalte täglich Briefe von verschiedenen Seiten in welchen ich Einladungen erhalte wieder zu kommen; u. schmeichle ich mir deßhalb nicht wenig«.144

Über eine religiöse Motivation Schlümbachs wird aus diesen Zeilen nichts erkennbar. Was aber deutlich wird, ist, dass er hier erstmals Erfahrungen mit etwas sammelte, das für seine spätere berufliche Tätigkeit von Bedeutung werden sollte: das Umherreisen als Redner, die Gründung von Vereinen und die Akquirierung von Spendengeldern. Auch der Aufbau eines Netzwerks an Kontakten gehört dazu, auf das er später zurückgreifen zu können hoffte. Wahrscheinlich besuchte Schlümbach als Delegat im März auch die alte Herrnhuter Siedlung Bethlehem in Pennsylvania, um dort eine Unterstüt141 Vgl. Brief George H. Stuarts an Edward M. Stanton vom 13. 2. 1864. In: Personal Military Record (National Archives). 142 Vgl. Reskript auf der Rückseite des Briefes vom 13. 2. 143 Vgl. Brief George H. Stuarts an Brigardier General Ferry vom 12. 3. 1864 und Reskript. In: Personal Military Record (National Archives). 144 Brief F. von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 27. 11. 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [3]).

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zergruppe für die Christian Commission ins Leben zu rufen. Dort fand nämlich am 8. März eine große Versammlung in der Moravian Church statt, bei der die Sache vorgestellt und erste Schritte vorbereitet wurden. Das abschließende »mass-meeting« fand an gleicher Stelle am 26. März statt; bei diesem wurde eine Satzung angenommen und ein Aktionskomitee berufen, das die Unterstützungsarbeit leiten sollte.145 Da im Juni ein Brief Schlümbachs in der Zeitschrift The Moravian veröffentlicht wurde, aus dem – beziehungsweise aus dessen Einleitung – deutlich wird, dass er einen gewissen Bekanntheitsgrad und viele Freunde in Bethlehem hatte146, ist anzunehmen, dass er derjenige war, der diese Veranstaltungen zusammen mit dem USCC-Delegaten und herrnhutischen Prediger F. F. Hagen initiierte und leitete. Diesem Brief ist auch einiges über Schlümbachs Ergehen nach der Beendigung des Engagements bei der Christian Commission zu entnehmen. Denn mit Ablauf seines USCC-Engagements – auch wenn er es gegenüber seiner Familie in Deutschland so darstellte, als habe es ihn geradezu zurück an die Front gezogen147 – war Schlümbach Ende April zu seinem Regiment zurückgekehrt. Am 1. Mai verließ die 118. Pennsylvania Infantry ihr Winterquartier, um nach Brandy Station zu marschieren und sich damit auf den Weg zu machen in die lange anhaltende Schlacht in der Wilderness und die unter ähnlichen Bedingungen stattfindenden Kämpfe nahe Spotsylvania Court House. Es handelte sich bei diesen Kämpfen tatsächlich – wie der Name besagt – um Schlachten, die in dichtem Wald stattfanden. General Grant hatte ursprünglich vorgehabt, die dicht bewaldeten Gebiete Virginias möglichst schnell zu durchschreiten und im offenen Gelände die Flanke des Südstaatenheeres unter General Lee anzugreifen, aber Lee durchschaute diesen Plan und fing Grants Vorstoß in unwegsamem Gelände ab. In diesem Stellungskrieg konnte nur die Infanterie eingesetzt werden, die versuchte, von improvisierten Schanzwerken aus zu operieren. Die Anforderungen an Mut und Selbstständigkeit der Soldaten waren in diesem Umfeld ausgesprochen hoch. Regimenter verirrten sich, im Einzelkampf wurden Freund und Feind verwechselt, die Truppen waren hungrig und erschöpft fast rund um die Uhr zum Weiterkämpfen gezwungen, viele Verwundete kamen in brennenden Waldstücken ums Leben.148 Doch als Schlümbachs Regiment nach ausdauerndem Marschieren am Abend des 4. Mai die Wilderness erreichte, hatten diese Kämpfe noch nicht ihren Lauf genommen. Das änderte sich mit dem nächsten Tag, an dem sich 145

Vgl. Levering: History, S. 749. Vgl. Letter from Lieutenant Schluembach [to F. F. Hagen, June 4th, 1864]. In: The Moravian 1864, S. 93. 147 Vgl. Brief F. von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 27. 11. 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [3]). 148 Vgl. Kaufmann: Deutschen, S. 426. 146

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das Regiment um 3 Uhr von der Nachtruhe erhob und den Feind bei Morgengrauen angriff. Die Konföderierten konnten anderthalb Meilen zurückgedrängt werden. Schlümbach selbst nahm einen »rebel« gefangen, einem anderen, der verwundet am Boden lag, half er einen Bachlauf zu erreichen, und schöpfte dort mit der eigenen Tasse Wasser für ihn, half ihm sich seiner blutigen Schuhe zu entledigen und sagte diesem dankbaren Soldaten, dass er für das, was er empfangen habe, in der Schuld der Christian Commission stehe. Schlümbach berichtet von mehreren Situationen in diesen Kämpfen, in denen er die Bewahrung und Nähe Gottes erfahren habe. So habe ihn etwa zehn Minuten lang ein Scharfschütze unter Beschuss genommen, ohne einen Treffer zu landen – Gott habe seine Hand über ihn gehalten. Einen Beweis (»proof«), dass Gott mit ihnen sei, sah Schlümbach auch darin, dass am Morgen des 6. Mai, als sie nach einem achtmaligen Angriff gegen den Feind sicher von einer Bajonettattacke zurückkehrten, er wie gewöhnlich die Bibel aufschlug, um zu beten, und so auf Dt. 20 stieß, das er laut vorlas und seine Kompanie dadurch tief bewegte und Kraft für den weiteren Kampf gab. Er resümiert: »When I think of it how God has been with me, I am full of gratitude.«149 Nie habe er ruhiger gekämpft als jetzt, wo er wisse, dass er zu Christus gehöre. Als die Unionisten in aller Eile Bäume fällten, um sich zu verschanzen, wäre Schlümbach beinahe von einem umstürzenden Baum erschlagen worden: »[. . .] [B]ut by dint of a supernatural leap, as though borne on angels’ arms, I escaped, but was struck by a limb and received an inward injury from the fearful effort which I had just made. The trunk of the tree fell into pieces on the very spot were I had stood. God wrought a great miracle for me! All the men ceased working, and the Colonel came to me and said: ›That was a narrow escape from death.‹«150

Schlümbach schreibt, er habe sich trotz dieser inneren Verletzung unter Schmerzen wieder in den Kampf begeben, sei aber bei einer Bajonettattacke so unglücklich zu Boden gegangen, dass er schwer verletzt fortgetragen werden musste. Er kam ins Feldlazarett, wo der Arzt ihm sagte, dass er wohl sterben würde. »But the Lord Jesus strengthened and comforted me; and at such times we learn to know the true value of religion. Next morning I was still alive, though I had longed for death and release from my dreadful sufferings all the night long.«151 Er wurde mit einem einfachen Wagen, der ihm den Weg zur Qual werden ließ, nach Belle Plain gebracht, wo Delegaten der Christian Commission und Ärzte, die mit der Christian Commission in Verbin149 150 151

Letter from Lieutenant Schluembach [June 4th, 1864]. In: The Moravian 1864, S. 93. Letter from Lieutenant Schluembach [June 4th, 1864]. In: The Moravian 1864, S. 93. Letter from Lieutenant Schluembach [June 4th, 1864]. In: The Moravian 1864, S. 93

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dung standen, sich seiner annahmen. Vielen Soldaten wurden sie so zum Segen: »If you could hear the blessings that are invoked by the soldiers upon the Commission, you would weep tears of joy. Oh! tell my dear friends at home that they must kindly continue to help the Commission, and that God will bless them for it. This ist the best work I know of on this earth.«152 Da nichts wirksamer war als derartige Berichte vom Feld, veröffentlichte F. F. Hagen den Brief Schlümbachs im Moravian, um die »numerous friends of Lieutenant Schluembach« zu erreichen und zu mobilisieren. Schlümbach schreibt, dass er weitere Seiten mit dem füllen könnte, was Gott dieser Tage alles für ihn getan habe.153 Mit dieser Verwundung war der aktive Einsatz im Bürgerkrieg für Friedrich von Schlümbach beendet. Schlümbach wurde über holprige Feldwege nach Alexandria gebracht. Dort wurde seine schwere Verwundung immerhin so gut versorgt, dass er bereits drei Wochen später ins Summit House Hospital nach Philadelphia verlegt werden konnte. Seine Frau stand ihm in dieser Zeit als Pflegerin treu zur Seite und konnte im Hospital wohl ein besonderes Zimmer für ihn organisieren. Allerdings kostete die Behandlung und Krankenhausunterbringung »ein rasendes Geld«, aber darin sah Schlümbach kein ernsthaftes Problem, denn »das Geld kann gemacht werden«, sobald er wieder gesund sei. Auch die allgemeine Teuerung in dieser Zeit schien Schlümbach nicht nachhaltig zu beunruhigen. Nicht zuletzt die Wirt152

Letter from Lieutenant Schluembach [June 4th, 1864]. In: The Moravian 1864, S. 93 Seiner Familie gegenüber stellte er die Ereignisse der Schlacht etwas konsistenter folgendermaßen dar: »Anfangs Mai war die militärische Crisis so weit vorgeschritten, daß kein Mann der es mit diesem Lande gut meint zu Hause bleiben konnte, und so gab ich meine Commission wieder freiwillig auf, u. eilte zu meinem Regt. gerade noch in der Zeit mit der Armee unter unserem l. Gen. Grant vorzurücken, u. auch schon den zweiten Tag war ich im Gefecht ich war mit meinem Rgt. 8 Tage und Nächte in stetigem Feuer, in der Schlacht von der Wilderniß u. Spottsylvania Courthouse, Schlachten wie bisher noch keine geschlagen wurden, schrecklich u. blutig, fortwährend im Wald, u. ohne alle Stellung Mann gegen Mann, u. wenn ich Euch sage daß mein Regt. am 4 Mai 680 Mann stark war u. am 12. Mai 173 hatte so kannst Du Dir vorstellen wie wir gelitten, in der Schlacht von Spottsylvania Courthouse wurde ich von einem fallenden Baum beinahe erdrükt u. mein Rück[. . .] so zersplittert nach innen, daß man an meinem Aufkommen zweifelte, u. beinahe wäre ich im Walde verbrannt, wir griffen nehmlich gerade den Feind mit Bajonetten an u. waren schon beinahe auf seinen Werken als ich fiel, die Kugeln flogen schon seit 10 Tagen u. Nächten u. waren wir mit der Musik sehr vertraut, aber der Feind überwältigte meine Brigade u. trieb sie zurück, die [. . .] hatten den Wald in Brand gestekt, u. hätten mich nicht zwei fliehende Kameraden mitgeschleppt so wäre ich elend umgekommen, diese Stunden, die ich da durchlebte können nicht beschrieben werden, es war schreklich u. die Schmerzen die ich durchmachte [. . .] als ich ins Feldlazarett gebracht wurde [. . .] [sagte] der Arzt [. . .] zu zwei Soldaten, die mich pflegten [. . .]: Macht Euch keine Sorge um den, bis die Sonne aufgeht ist der todt; mein Kaplan fand mich bald u. betete mit mir, indem ich mich auf den Tod vorbereitete verging die Nacht, ich gab meinen Ring [. . .] einem Delegaten meiner Gesellschaft u. ließ Euch u. allen den Lieben ein Lebewohl zurück, doch Gott hatte es anders mit mir beschlossen ich wurde gerettet«. Brief F. v. Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 27. 11. 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [3]). 153

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schaftskraft war es, in der er einen entscheidenden Faktor für den seiner Meinung nach bald bevorstehenden Sieg der Nordstaaten sah: »Patriotismus und Geld thut alles«.154 Versucht man eine systematische Zusammenschau der in diesen Kriegsjahren geäußerten Glaubensanschauungen Schlümbachs, so zeigt sich, dass er sich in den Bahnen in der Unionsarmee allgemein verbreiteter theologischer Positionen bewegte.155 Auch für ihn war die Vorsehung Gottes im Sinne einer die Geschichte, aber auch das persönliche Geschick lenkenden göttlichen Handlungsmacht eine selbstverständliche Grundlage, auf die er mehrfach rekurrierte.156 Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ließ Schlümbach eine neue Einstellung zu seinem Dienst als Soldat finden, wenngleich ihn im Gegensatz zu vielen seiner Kameraden weder Einzelheiten des zukünftigen himmlischen Lebens näher zu beschäftigen schienen noch die Schrecken der Hölle als des Gegenbildes zum Leben »in the Light of God’s Throne and the Presence of Jesus«157. Gleichwohl wollte er vorbereitet in den Tod gehen.158 Eingebettet war all dies in eine klar fixierbare Bekehrungserfahrung, die Gottes Erlösung in Jesus Christus persönlich applizierte und in eine Umkehr hin zu Gott und damit hin zu einem Leben im von ihm geschenkten Frieden mündete.159 Da der Glaube auf einen neuen Lebenswandel hin drängte, war für Schlümbach – wie es wohl auch in der Verkündigung der Prediger geschah und sich in den Aufzeichnungen vieler Soldaten findet160 – der Aspekt der Buße und Reue ein zentrales Element seiner Glaubenserfahrung. Die Gewohnheiten 154 Brief F. v. Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 27. 11. 1864. (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [3]). 155 Grundlage dieses Vergleichs ist das umfangreiche in Woodworth: Marching ausgewertete Material an Selbstzeugnissen von (allerdings englischsprachigen) Bürgerkriegssoldaten. 156 Zum Thema der Providenz vgl. Woodworth: God, S. 27–39. 157 So ist bei Woodworth das Kapitel über das zukünftige Leben überschrieben; vgl. Woodworth: God, S. 40. Zu den verbreiteten Anschauungen über Himmel und Hölle vgl. S. 42–48. 158 Damit teilt er das in der Zeit generell verbreitete, aber von den Predigern in der Armee auch speziell angemahnte memento mori; vgl. Woodworth: God, S. 48–51. 159 Und dies nicht als reiner Affekt auf bewegende Worte hin, sondern aufgrund sorgfältiger – und oft langwieriger – Prüfung als einer »genuinely and profoundly felt religion of the heart« (Woodworth: God, S. 56). Zu einem solchen Weg zur Glaubensgewissheit vgl. das Beispiel bei Woodworth: God, S. 58. Die Eintragungen in Schlümbachs Bibel zeigen, dass auch er sich seit längerem mit der Sache auseinandergesetzt hat. Allerdings bedeutete dies nicht, dass die Erlösung als individuell variabler Prozess angesehen wurde, sondern dass man persönlich »God’s plan of salvation«, wie er von den Predigern verkündigt wurde, für sich in Anspruch nahm; vgl. Woodworth: God, S. 56. Als Erinnerung an diesen Heilsplan fand sich an manchen USCC-Stationen über dem Eingang der Bibelvers: »This is a faithful saying, and worthy of all acceptation, that Christ Jesus came into the world to save sinners; of whom I am chief«. Dieser Bibelvers fand sich später – sicher auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin – auch auf Schlümbachs Grabstein. Zum Thema Bekehrung allgemein vgl. Woodworth: God, S. 64–65. 160 Vgl. Woodworth: God, S. 59–60.

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des gemeinschaftlichen Militärlebens, die für erweckte Christen von nun an Tabu waren und in gewissem Sinne Identitätsmarker darstellten, waren Kartenspielen beziehungsweise Glücksspiel allgemein, Fluchen und der Konsum alkoholischer Getränke161, alles Dinge, derer sich Schlümbach vor seiner Bekehrung erfreut hatte und die er nun ganz im Sinne der Mehrheitsmeinung ablehnte. Ein Bereich, der für viele Erweckte eine besondere Rolle spielte162, findet bei Schlümbach allerdings keine Erwähnung, nämlich die Heiligung des Sonntags. Bei der spirituellen Suche der Soldaten spielte nicht nur die Ansprache durch Missionare oder Prediger, sondern auch der persönliche Umgang mit der Bibel eine große Rolle, so auch bei Schlümbach. Bibeln waren im Krieg von verschiedenen Organisationen – meist nur in Form des Neuen Testaments, aber 1864 hatte Schlümbach wie oben gesehen offenbar auch eine Bibel mit beiden Testamenten bei sich – verbreitet worden. Von ihr erhoffte man sich göttliche Weisung, durch sie konnte man aber auch in den Anforderungen des Krieges ein Stück weit Zerstreuung erfahren.163 Und wenn Schlümbach von seinem Neuen Testament als »my Testament« sprach, so verwendete er damit den unter den Soldaten üblichen Ausdruck.164 Mitunter schrieben die Soldaten – über die von Schlümbach geäußerte Hochschätzung hinaus – dem Buch selbst apotropäische Wirkungen zu, indem sie es wie einen Talisman mit sich führten oder im Gefecht bewusst in der Brusttasche über ihrem Herzen trugen.165 Ein weiterer Topos, der bei Schlümbach mehrfach auftaucht, ist das Gebet, vor allem im Sinne der Dankes und der Segensbitte. Da dies allgemein ein wesentlicher Bestandteil gelebten Glaubens ist, braucht das nicht weiter zu verwundern166, allerdings finden sich bei Schlümbach Anschauungen, die in ihrer ritualistischen Ausrichtung von der allgemeinen protestantischen Praxis abweichen. So bittet er seine Schwester und seinen Schwager in einem Brief: »betet am Neujahrsfest auch ein Vaterunser für mich u. meine Familie«167, und in einem anderen Brief kann er sogar – an Heiligenanrufungen erinnernd – von Gebeten an seine Mutter sprechen.168 Überhaupt stellt die Rolle seiner Mutter eine Eigentümlichkeit in der religiösen Gedankenwelt Friedrich von Schlümbachs dar. Sie war ja wenige 161

Vgl. Woodworth: God, S. 84–86. Vgl. Woodworth: God, S. 78–83. 163 Vgl. Woodworth: God, S. 68–70. 164 Vgl. Woodworth: God, S. 69. 165 Vgl. Woodworth: God, S. 71–72. 166 Zum Thema Gebet vgl. Woodworth: God, S. 72–77. 167 Brief Friedrich von Schlümbachs an seine Schwestern und Schwager vom 27. 11. 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [3]). 168 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann und Emma Werner vom Februar 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [2]). 162

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Wochen nach der Auswanderung Schlümbachs verstorben, und offenbar machte ihm dies schwer zu schaffen. Am Ende eines Briefes an seine Schwester und deren Mann schreibt Schlümbach, als er bereits in die Christian Commission involviert war, die doch recht unorthodoxen Zeilen: »l. Emma gehe an der Mutter Grab, lege einen Vergissmeinnichtkranz auf den Stein, u. bete in meinem Namen ein Dankgebet zu Ihr u. meinem Gott; denn Sie ist um mich und Gott hat sie zu meinem Schutzengel erkoren.«169 Vielleicht ist letzteres aber auch nur sinnbildlich gemeint, denn seine darüber hinaus gehenden Äußerungen können auch auf der Ebene der Gewissensbildung verstanden werden. So bittet Schlümbach seine Stiefschwester Adele, ihm ein Andenken an die Mutter zu schicken, das er bei sich tragen könne, denn »sie ist stets im Geiste bei mir u. ihr Bild hält mich von mancher Thorheit ab«170. Und auch in seiner Bibel war die Zeile notiert »Her spirit is always with me.« An seine Schwester Emma schreibt Schlümbach in Anknüpfung an die gemeinsame christliche Erziehung durch die Mutter: »nicht wahr liebe Emma du denkst doch auch recht oft und gern an die liebe Mutter, und zwar mit dankbarem Herzen, wie sie uns so lieb hatte und uns in Gottes Schutz empfohlen, ach ich versichere dich, im Gefecht, in der Todesstunde in der Schlacht, und im Hospital, unter grässlichen Schmerzen, war ich in Gedanken bei ihr und habe ihr gedankt für ihre christliche Erziehung mütterliche Sorgfalt, und treue Liebe, ja liebe Emma in Gefahren und in Not ist solche Erinnerung ein Trost ein Balsam, und in der Fremde habe ich dieselbe als ein Kräftigungsmittel gefunden.«171

Aufgrund dieses Befundes ist davon auszugehen, dass für Schlümbachs religiöse Entwicklung das Bild seiner Mutter eine zentrale Rolle spielte. Denn dieses war zum einen von der durch sie erfahrenen mit liebevoller Zuwendung konnotierten christlichen Erziehung geprägt, zum anderen durch die Schuldgefühle bezüglich ihres Todes emotional stark aufgeladen. Beides kam in Extremsituationen während des Krieges mehrfach zusammen und behielt auch nach Schlümbachs Durchbruch zum aktiv gelebten Glauben seine Bedeutung. Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Charakter der Religiosität während des Bürgerkriegs im Norden geprägt war vom Charakter der dort dominierenden protestantischen Glaubensrichtungen. »These faiths were quick to action, eager to discern the mind of God, and deeply convinced of the rightness of their cause.«172 Insofern waren diese Anschauungen eng verknüpft 169 Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann und Emma Werner vom Februar 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [2]). 170 Brief Friedrich von Schlümbachs an seine Schwestern und Schwager vom 27. 11. 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [3]). 171 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 9. 4. 1865 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [4]). 172 Noll: History, S. 320. Dieser aktivistische Zug fehlte der Religiosität in den Südstaaten

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mit patriotischen Gefühlen.173 Schlümbach selbst bewegte sich im Wesentlichen in den Bahnen dieser Glaubensanschauungen und religiösen Praktiken. Er adaptierte sie aber auch für einen deutschsprachigen Kontext, indem er in seiner Muttersprache Versammlungen und Gottesdienst organisierte, die von ihren Grundmustern dem entsprochen haben dürften, was Schlümbach in englischsprachigen Kontexten kennengelernt hatte. Insofern war seine Perzeption auch nicht von kulturellen Stereotypen geprägt, die etwa die religiöse Erregung der Revivals als »undeutsch« apostrophiert hätten. Damit machte er erstmals wesentliche Erfahrungen mit einer Brückenfunktion, die für sein späteres Wirken charakteristisch werden sollte.

3.4 Das letzte Kriegsjahr in Philadelphia Sobald es ihm nach seiner Verwundung besser ging, arbeitete Schlümbach im Büro der Krankenhausverwaltung des Summit House Hospital als Assistent des Buchhalters174 und zog – als seine Zustand sich wieder deutlich gebessert hatte – zurück zu seiner Familie, von wo aus er jeden Tag die zehn Meilen zur Arbeit pendelte. Das Leben war für ihn zu dieser Zeit relativ beschaulich und regelmäßig.175 Wirtschaftlich kam die junge Familie einigermaßen über die Runden, lebte aber von Ersparnissen, die Schlümbach wohl in erster Linie aus Deutschland in die USA transferiert hatte176, da er für seine Arbeit in der tendenziell, da dort ein stärker individualistisches Verständnis von Religion vertreten wurde, das einem Einbringen von Kirchen in gesellschaftliche Prozesse eher skeptisch gegenüberstand; vgl. Shattuk: Shield, S. 1–12. 173 Vgl. dazu Woodworth: God, S. 256–269. 174 Das war zu dieser Zeit Charles G. Warth, der darüber Auskunft gibt in Deposition F vom 20. 4. 1886 zum Special Examiner’s Report. In: Pension File (National Archives). Dort gibt Warth auch an, sich noch längere Zeit nach dem Krieg mit Schlümbach getroffen und ihn zuletzt 1872 oder 1873 gesehen zu haben. 175 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 9. 4. 1865 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [4]): »abends 4 Uhr schließe ich meinen Pult ab, nehme meinen Pass, gehe etwa zweieinhalb Meilen zu Fuß und fahre etwa fünf 1/2 Meilen mit der Eisenbahn, dieselbe bringt mich in die Mitte der Stadt, da lese ich die Abendzeitung an der Straßenecke, vor welcher die Zeitungen ausgestellt ist, und gehe dann nach Hause; sobald mein Söhnchen meinen Schritt erlauscht, eilt er an die Treppe und empfängt mich mit einem Hurra ein ganzer Republikaner; ich eile zu ihm und dann ihn auf dem Arm tragend zu meiner leidenden Coelestine, öfters ist sie recht munter, häufig und meistens sehr schwach, ich besorge dann das nötige aus der Apotheke, hole den Arzt oder verschaffe Ihnen die nötigen Victualien, welche sie jedoch meistens selbst auf dem Markt einkauft, dann lese ich ihr die Zeitung vor, wir unterhalten uns, empfangen hier und da Besuch und gegen zehn oder 11:00 gehen wir zur Ruhe, um morgens 5:00 wieder munter zu erwachen, worauf ich in mein Geschäft eile.« 176 Zu den entsprechenden Anweisungen an seinen Schwager vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann und Emma Werner vom Februar 1864; der erfolgreiche Abschluss der Transaktion wird deutlich aus dem Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann und Em-

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Krankenhausverwaltung kein Geld erhielt.177 Aus seinen Briefen wird nach wie vor eine starke religiöse Grundorientierung deutlich, die sich offenbar mit seinen Verbindungen zum Turnverein und der Turnbewegung, die er aufrecht erhielt, insgesamt vertrug. Für die Taufe seines am 27. Februar 1865 geborenen Sohnes Hermann bat er seinen Schwager Hermann Werner in Deutschland die Patenschaft trotz der großen Distanz zu übernehmen; ein Schritt, der nicht mit diesem Aufwand betrieben worden wäre, wenn nicht eine hohe Wertschätzung des kirchlichen Aktes dahintergestanden hätte. Gleichwohl schreibt Schlümbach in dieser Zeit nichts über ein besonderes Engagement für kirchliche Angelegenheiten oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde.178 Spielten die freisinnigen Tendenzen der Turnbewegung für Schlümbach zu dieser Zeit offensichtlich keine große Rolle, so waren die stark republikanischen Anschauungen für ihn nach wie vor eine mit Emphase vertretene Herzensangelegenheit. Vor allem seinem Schwager Hermann Werner in Württemberg setzte er seine diesbezüglichen Positionen auseinander179 – nicht zuletzt, um diesen politisch auf den in seinen Augen richtigen Weg zu bringen.180 Systematisiert man Schlümbachs in der Bürgerkriegszeit getätigten politischen Äußerungen, so zeigt sich, dass der Kampf in der Unionsarmee für ihn stark mit patriotischen Gefühlen verbunden war.181 Es dominiert vor allem das Thema der Freiheit, das für Schlümbach eng mit der Frage der Sklaverei verbunden war, zum einen aus humanitären Gründen182,

ma Werner vom 27. 11. 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [2] & [3]). Bei der Transaktion war es nicht nur um Bargeld gegangen, sondern auch um Wertgegenstände wie eine Uhr und Silberbesteck. 177 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 9. 4. 1865 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [5]). Dass Schlümbachs Lebensumstände nicht ganz schlecht gewesen sein können, zeigt zum Beispiel der Umstand, dass er gelegentlich die Oper besuchte. Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann und Emma Werner vom 27. 11. 1864 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [3]). 178 Auffällig ist, dass er zwanzig Jahre später für das Pensionsverfahren keine Zeugen aus Bürgerkriegszeiten oder der Zeit danach benennt, die er aus Kirchengemeinden gekannt hätte. Hätte er sich dort intensiv engagiert, wären sicher sehr persönliche Kontakte mit einem guten Leumund entstanden. 179 Geprägt vom Rollenbild seiner Zeit schreibt er an seine Schwester eher von den kleinen Dingen des Alltags, an seinen Schwager von der großen Politik. 180 Ein Beispiel dieser eindringlich appellativen Passagen war ja bereits zitiert worden. 181 Damit schien er eher eine Ausnahme zu sein. Helbich/Kamphoefner stellen fest, dass »deutsche Unionssoldaten weit weniger ›patriotisch‹ waren als ihre in Amerika geborenen Kameraden«. Helbich/Kamphoefner: Deutsche, S. 77. 182 Gerade in der persönlichen Begegnung mit befreiten Schwarzen und aufgrund ihrer Berichte hatte sich bei Schlümbach die Empörung über die bisherigen Verhältnisse noch verstärkt: »[. . .] kurz der einzige Unterschied lag nur in der Hautfarbe, und deshalb sollten dieselben Sklaven seien, deshalb misshandelt werden? Nein und 10 tausendmal nein, frei müssen sie seien, freie Bürger der großen Republik Amerika. [. . .] unsere durch Sklaverei beschmutzte Flagge ist durch

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politisch aber insofern, als dass der Süden für ihn ein System aristokratischer Tyrannei repräsentiert, gegen das aus dem Fortschritt der Menschheit heraus notwendigerweise vorgegangen werden müsse183. Die persönliche Motivation für Schlümbach, in den Krieg zu ziehen, bestand in einem Gefühl der Verpflichtung seinem »neuen Vaterland« beziehungsweise »Adoptivvaterland« gegenüber, da dieses für seine politischen republikanischen Ideale stand, und in der Bewahrung der staatlichen Einheit und der Abschaffung der Sklaverei für eine »edle Sache« kämpfte.184 Eine weitere Perspektive, die für Schlümbach während des Krieges hinzukam, war die, dass er seinen Söhnen eine bestmögliche Zukunft erschließen wollte – das im Bürgerkrieg zu Erreichende schien ihm dafür die notwendige Voraussetzung zu sein, und auf dieser Linie lag es auch, wenn er die Zukunft des Landes in wirtschaftlicher Hinsicht ausgesprochen positiv sah.185 Das Motiv der Einigkeit, das in der Darlegung seiner politischen Anschauungen auftaucht, findet sich auch wieder in seinen Bestrebungen für die Bewegung, in der er sich seit seiner Ankunft in den USA engagiert hat: die Turnvereine. Er zählt es zu den positiven Auswirkungen des Krieges, dass unter den Deutschen in Amerika nun – im April 1865 – ein Turnerbund gegründet worden war, der Nord und Süd in sich vereinte und durch den Anschluss von rund 500 Vereinen in der Lage war, »das Deutschtum Amerikas auf diejenige Stufe welche ihm gebührt« zu bringen.186 Schlümbach wollte sich selbst stark in dieser Sache engagieren. Nach einer achtmonatigen Belagerung Richmonds, in der der Ring um die Stadt immer enger gezogen wurde, kapitulierte General Lee schließlich am 9. April 1865. Damit endete der Krieg.

Blut reingewaschen und ist jetzt in Wahrheit das echte Symbol der Freiheit«; Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 9. 4. 1865 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [5]). 183 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 9. 4. 1865 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [5]): »Dieser Krieg hat uns viel gelernt u. war ein Nothwendigkeit geworden, derselbe war von dem Fortschrittsgeist des jetzigen Jahrhunderts geboten u. ohne denselben wäre unsere Republik stets eine corrupte Lüge geblieben.« 184 Vgl. die Briefe Friedrich von Schlümbachs an seine Familie in Deutschland vom 27. 11. 1864 und 9. 4. 1865 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [3–5]). 185 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 9. 4. 1865 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [5]). 186 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 9. 4. 1865 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1861–1865 [5]).

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Vom Atheismus zum Christentum? (1865–1868)

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4. Vom Atheismus zum Christentum? (1865–1868) Mit einer gewissen Verwunderung muss man feststellen, dass die oben geschilderten Erfahrungen in den von Schlümbach selbst publizierten Texten, die autobiographische Elemente enthalten, so gut wie keine Rolle spielen. Lediglich in einigen mündlichen Bemerkungen verwies er darauf, dass er während des Bürgerkriegs aufgrund seiner Verwundungen in aussichtsloser Lage zu Gott geschrieen habe, ohne dass dies weiter reichende Konsequenzen für sein Leben gehabt hätte. Stattdessen gab er das Jahr 1868 als das Jahr seiner Bekehrung an, dem schlimme Jahre in Gottlosigkeit vorangegangen seien. 4.1 »A terrible life of atheism and debauchery« – die Nachkriegszeit Mit dem Ende des Krieges begann die Lebensphase Friedrich von Schlümbachs, die den unmittelbaren Hintergrund für seine Bekehrungserzählung darstellt und in dieser in ausgesprochen dunklen Farben gemalt wird. Leider sind aus den drei Jahren von Sommer 1865 bis Sommer 1868 so gut wie keine direkten Zeugnisse über den Lebensweg Friedrich von Schlümbachs erhalten. Die entsprechenden Angaben müssen daher – mit aller Vorsicht – den unterschiedlichen Versionen seines Bekehrungsberichtes und späteren autobiographischen Aussagen entnommen werden. Dass die Zeit vor 1868 eine solche dunkle Zeit gewesen sein soll, deutete sich am Ende des Bürgerkrieges noch nicht an. Denn die Zeugnisse, die wir von Schlümbach aus der letzten Phase des Bürgerkriegs besitzen, zeigen ihn eher in einer beschaulichen Familiensituation mit einer weiterhin bestehenden Affinität zum kirchlichen Leben. Doch im Rückblick auf diese Zeit schrieb er im Jahre 1885 folgende Widmung in seine Bibel aus Bürgerkriegszeiten, die er damals George H. Stuart geschenkt hatte, und die er nun nach einem Wiedersehen mit diesem erneut in Händen hielt: »Met Apr. 19/85 at Bethany Church Phila After 23 years of absence and from 64 to 68 a terrible life of atheism & debauchery until conversion at Mauch Chunk Aug. 68. Your grateful friend F. Schluembach Perry Texas«.1

1 Eintrag auf letzter Seite in Schlümbachs Neuem Testament von 1861 (Archives of the Fredericksburg an Spotsylvania National Military Park).

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Dieser Eintragung nach führte Schlümbach von 1864–1868 ein Leben in Gottlosigkeit und Ausschweifung. Zumindest für die Zeit bis zum Sommer 1865 gibt es allerdings keine Indizien dafür, dass dies tatsächlich so gewesen ist. Beruflich war Schlümbach nach dem Krieg als Geschäftsmann in den Grocery Store eines Kriegskameraden in Philadelphia eingetreten.2 In der Freizeit hielt er nach wie vor seine Verbindungen zum Turnverein in Philadelphia (der sich im Übrigen in der gleichen Straße wie seine Wohnung befand3), und wenn er später über die Zeit unmittelbar vor seiner Bekehrung schreibt, er sei im Jahre 1868 »Ex. Vice Präsident des Ph. Turnvereins« und »Mitglied des Nat. Turnerbundes« gewesen4, so handelte es sich dabei wohl um eine gewisse Übertreibung, was den Rang angeht, aber nicht um bloße literarische Fiktion. Vier Briefe von 1865 und 1866 bezeugen, dass er zwar nicht Vizepräsident des Philadelphia Turnvereins insgesamt gewesen ist, wohl aber eine führende Position in der Schützenkompanie der Philadelphia Turngemeinde innehatte.5 Da er auch schon vorher seine Verbindungen zum Turnverein gepflegt hatte, ist allein daraus aber noch nicht abzuleiten, dass er deswegen sein Leben nun in Gottlosigkeit geführt hätte. Gleichwohl bringt er beides später immer wieder in enge Verbindung. Schlümbach äußert in seinem Bekehrungsbericht von 1868 mehrfach, dass er in den Jahren zuvor ein atheistischer Kampfredner gewesen sei, der der epikureischen Philosophie und der »Schopenhauer school of thought«6 angehört habe. Diese atheistische Rednertätigkeit verband er zum einen eng mit der Turnbewegung, zum anderen aber auch mit seinem Engagement für die Republikanische Partei. Denn es scheint von seinem Selbstverständnis her auch eine stark politisch orientierte Rednertätigkeit gewesen zu sein, die er ausübte. Direkt nach dem Krieg sei er als republikanischer Politiker tätig geworden und habe auch hochrangige Positionen in der »Union League of Pennsylvania« innegehabt.7 Union Leagues waren während des Bürgerkriegs in den 2

Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 180. Die Adresse des Vereins war 444 North 3rd Street, die Schlümbachs 474 North 3rd Street; vgl. die jeweilige Korrespondenz. 4 Vgl. Schlümbach: Bekehrung, S. 43. 5 Vgl. Friedrich von Schlümbachs Briefe an den Vorort des Nationalen Turnerbundes vom 28. 6. 1865, 13. 5. 1866, 29. 5. 1866 und 3. 8. 1866 in: National Council Correspondence, American Turners Collection Mss 030 7/8 1866 und 7/10 1866 (Indiana University). In den Briefen geht es um Materialbestellungen bzw. Reklamationen für die Schützenkompanie, Schlümbach unterzeichnet als »Feldwebel«, »Compagnieschreiber« oder »corr. Schriftwart«. 6 So Morse: Life, S. 134. 7 Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 47. Da sich für letzteres keinerlei Nachweise finden ließen und es auch korrekter Weise »Union League of Philadelphia« hätte heißen müssen, war dies vielleicht auch mehr zur rückblickenden Einordnung seiner politischen Anschauungen gedacht. Zum durchgesehenen Material bezüglich der Union League vgl. das Quellenverzeichnis. 3

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großen Städten des Nordens entstanden, um die Sache der Union und den Präsidenten aktiv zu unterstützen. Nach dem Krieg engagierten sie sich in Bürgerrechtsangelegenheiten und der Rekonstruktionspolitik, indem sie die Verfassungszusätze bezüglich der Reconstruction, das Freedman’s Bureau und ähnliche Organisationen unterstützten. Sowohl finanziell als auch organisatorisch und politisch setzten sie sich für die Republikanische Partei ein. Es waren vor allem Männer der oberen Mittelschicht, die in der Union League zusammenkamen, speziell in Philadelphia waren es auch die industriellen Eliten, die sich für die gemeinsame Sache einsetzten.8 Mehrmals holte sich Schlümbach für seine Reden Rat bei führenden Vertretern der Freidenkerbewegung (»großen Ungläubigen«) in den USA, vor allem bei Friedrich Schünemann-Pott in Philadelphia.9 Er scheint aber nie eine institutionelle Verbindung mit den Freien Gemeinden aufgenommen zu haben.10 1866 zog Schlümbach mit seiner Familie ins pennsylvanische Wilkesbarre und eröffnete dort mit seinem Schwager ein Geschäft. Auch hier engagierte er sich im Turnverein, der 1867 in den Turnbezirk der Philadelphia Turngemeinde aufgenommen wurde11. Ebenfalls brachte er sich in den Männerchor ein; die deutschen Gesangsvereine standen oft der – unten näher zu erläuternden – Bewegung der Freien Gemeinden nahe. Sein politisches Engagement fand einen festen institutionellen Rahmen, als er im Jahr 1868 vom Republican National Committee als Stump Speaker für den Wahlkampf Ullysses S. Grants angestellt wurde und die Staaten Pennsylvania, Delaware, New-Jersey und Connecticut zu diesem Zweck bereiste.12 Führt man all diese verschiedenen Linien zusammenführt, so ergibt sich folgendes Bild: Politisch verschrieb sich Schlümbach ganz der Republikanischen Partei, als öffentlicher Redner verband er dies aber mit atheistisch-freidenkerischen Anschauungen, mit denen er sich primär an die Turnbewegung angebunden wusste, aber auch lose Verbindungen zur institutionalisierten Freidenkerbewegung aufwies. Als philosophische Prinzipien, die für ihn zu dieser Zeit leitend waren, werden von ihm die Schopenhauers und der Epikureer aufgeführt. 8 Vgl. Rokus: Bible, S. 39 (Archives of the Fredericksburg and Spotsylvania National Military Park). 9 Vgl. Ansprache über positives Christenthum (Vortrag von F. v. Schlümbach in Flensburg, nachgeschrieben von Jürgen Wischhusen). In: Ev. 1882, S. 318–320. 10 Weder die Durchsicht der Jahresberichte der Freien Gemeinde zu Philadelphia noch die Biographie Schünemann-Potts geben Hinweise auf Schlümbach. 11 Vgl. Schreiben der Philadelphia Turngemeinde an den Vorort des Nationalen Turnerbundes vom 29. 9. 1867. In: National Council Correspondence Mss 030 7/14 1867, American Turners Collection (Ruth Lilly Special Collection). 12 Vgl. Preaching to the Germans. In: New York Times vom 7. 3. 1881, S. 8.

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Um den geistigen Wurzelboden zu verstehen, auf dem sich Schlümbach in diesem Segment der deutsch-amerikanischen Bevölkerungsgruppe bewegte, seien einige Anmerkungen zur Turn- und Freidenkerbewegung gemacht. Mit der Einwanderung der politischen Flüchtlinge nach der gescheiterten Revolution 1848/49 hatte auch das auf Friedrich Ludwig Jahn zurückgehende deutsche Turnwesen in den USA Fuß fassen können.13 In den ersten Jahrzehnten vertraten die Turner entsprechend das sozialistisch geprägte radikal-demokratische Gedankengut der Achtundvierziger.14 »Der Turnerbund bezeichnete sich in den 1850er Jahren als ›Pflanzschule revolutionärer Ideen‹ und verwies darauf, dass die Turner aufgrund ihrer ›kosmopolitischen Weltanschauung‹ jede Art der Einschränkung der individuellen Rechte bekämpften, wie sie in den USA besonders durch die Sklaverei, die amerikanische Fremdenfeindlichkeit und andere Diskriminierungen, die sich auf Hautfarbe, Religion, Geburtsort oder Geschlecht bezöge, zum Ausdruck komme.«15 Seine politischen Ziele sah der Turnerbund am ehesten in der Republikanischen Partei verwirklicht, welche entsprechend von der Mehrheit der Turner in den 1850er und -60er Jahren unterstützt wurde. Im Bürgerkrieg hatten die Turner – wie bereits gesehen – mehrere Regimenter gestellt und versuchten danach, das Turnen in der amerikanischen Öffentlichkeit zu verbreiten.16 Dem diente eine Nationalversammlung in Washington Anfang April 1865, auf der der nationale Verband sich nun den Namen »Nordamerikanischer Turnerbund« gab und damit eine politisch neutralere Formulierung gegenüber dem bisherigen »Socialistischer Turnerbund« wählte, wenn-

13 Die Turnbewegung geht zurück auf Friedrich Ludwig Jahn, der vor dem Hintergrund der napoleonischen Kriege in seinen Werken »Deutsches Volksthum« (1810) und »Deutsche Turnkunst« (1816) darlegte, dass ein lebensfähiges und unabhängiges Deutschland nur durch nationale Einigung, demokratische Reformen und durch eine Jugend, die in physischer Hinsicht, aber auch in patriotischen Idealen und Liebe zur Freiheit erzogen sei, erreicht werden könne. Das Turnen hatte von daher von Anfang an eine starke politische Komponente, was auch zum zeitweiligen Verbot der Bewegung in Deutschland führte. In der 1848er Revolution spaltete sich die Bewegung in einen konservativen Flügel, der eine konstitutionelle Monarchie befürwortete, und einen radikaleren Flügel, der in größerem Umfang demokratische Reformen durchsetzen wollte und auch aktiv am revolutionären Geschehen beteiligt war. Nach dem Scheitern der Revolution verließen viele der Letzteren Deutschland, in erster Linie Richtung USA. Vgl. Pumroy/Rampelmann: Research Guide, S. XX–XXI. Bereits zuvor hatte es vereinzelt deutsche Turnvereine in den USA gegeben, aber zu einer nationalen Bewegung wurden sie erst nach 1848. 1855 bestanden bereits 74 Vereine in den USA, für das Jahr 1860 kann bereits von 10.000 Turnern ausgegangen werden. Die Achtundvierziger hatten vielfach führende Positionen inne. Vgl. Pumroy/Rampelmann: Research Guide, S. XVIII. 14 Vgl. Hofmann: Aufstieg, S. 14. 15 Hofmann: Aufstieg, S. 14–15. 16 Vgl. Hofmann: Aufstieg, S. 15.

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gleich das politische »Feuer« weiter brannte.17 Die führenden Männer des Turnerbundes vertraten bis ins frühe 20. Jahrhundert die auf Rationalismus und Liberalismus fußenden Anschauungen der Freidenker, die jede Verbindung von Kirche und Staat strikt ablehnten.18 Von daher waren die Verbindungen zur Freidenkerbewegung eng, mit der man in Publikationen und Veranstaltungen zusammenarbeitete oder, wie in Philadelphia, sogar auf organisatorischer Ebene, indem man Räumlichkeiten zur Verfügung stellte oder die Schulen der Freidenker unterstützte.19 Der antireligiöse beziehungsweise antikirchliche Impetus und die Betonung von Vernunft, Wissenschaft und Geschichte als die angemessenen Leitlinien selbstverantworteten Lebens verbanden die beiden Bewegungen.20 Die Wurzeln der deutsch-amerikanischen Freidenker-Bewegung reichen zurück bis in das vorrevolutionäre Deutschland der 1840er Jahre. Die mangelnde Bereitschaft zum Dialog mit dem theologischen Rationalismus vonseiten der Kirchen verbunden mit repressivem Verhalten, außerdem die enge Verknüpfung von konservativen Kirchenkreisen und preußischem Staatsapparat hatten zu einer kritischen Bewegung innerhalb der protestantischen und katholischen Kirche geführt, die Entfaltungsmöglichkeiten nur außerhalb institutioneller Schranken sah, und sich ab 1845 in von den Landeskirchen unabhängigen sogenannten »freien Gemeinden« kanalisierte.21 Zwei Veränderungen in der Entwicklung der Bewegung gaben ihr das Profil, das zu ihrem »Export« in die Vereinigten Staaten von Amerika führte und ihr dort das spezifische Gesicht gab: zum einen eine inhaltliche Radikalisierung, zum anderen eine deutliche Politisierung. Die inhaltliche Radikalisierung ist dahingehend zu umschreiben, dass man sich vom theologischen Rationalismus zu einer »Religion der Humanität« bewegte. Hatte zunächst im Sinne des theologischen Rationalismus eine Verwurzelung im Christentum bestanden und hatten sich zum Teil pantheistische Anschauungen ausgeprägt, so entwickelte sich eine weitere Richtung darüber hinaus, indem sie in Anschluss an die Schriften Ludwig Feuerbachs und David Friedrich Strauß’ eine grundsätzliche Umorientierung der Kirchen forderte und in der Emanzipation des Individuums den Schlüssel zu sozialen und politischen Reformen sah. Ziel war nun nicht mehr eine innere Reform der Kirchen, sondern die Entwicklung umfassender sozialer und politischer Programme 17

Vgl. Pumroy/Rampelmann: Research Guide, S. XX. Vgl. Hofmann: Aufstieg, S. 15. Von da aus erklärt sich auch der Kampf der Turner gegen Temperenz- und Sabbath-Day-Laws. 19 Vgl. Pumroy/Rampelmann: Research Guide, S. XX–XXI. 20 Vgl. Pumroy/Rampelmann: Research Guide, S. XX–XXI. 21 Vgl. Rampelmann: Licht, S. 18–24. Diese »Freien Evangelischen Gemeinden«, wie sie sich z. T. nannten, sind keinesfalls mit den gleichnamigen Gemeinden zu verwechseln, die von Mitte der 1850er Jahre an in Deutschland entstanden, aber aus pietistischer Tradition stammen und von Hermann Heinrich Grafe die entscheidenden Impulse empfingen. 18

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im Sinne einer allgemeinen »Religion der Humanität«. Mittelpunkt menschlichen Handelns sollte die autonome Urteilskraft der menschlichen Vernunft sein.22 Im Zuge der gescheiterten Revolution von 1848 waren zahlreiche Führer der freien Gemeinden, vor allem der religionskritischen Richtung, zu Exponenten politisch revolutionärer Ansichten avanciert und damit auch die Gemeinden vermehrt zum Sammelbecken des politischen Dissens geworden. Das wirkte sich nach der Revolution dahingehend aus, dass sie unter schweren Repressionen zu leiden hatten und zahlreiche führende Gestalten aufgrund persönlicher staatlicher Verfolgung den Weg in die Emigration wählten, wo sie sich in freien Gemeinden sammelten.23 Entwicklungen inhaltlicher Art vollzogen sich vor allem seit der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der auch Schlümbach durch die Turner in engeren Kontakt mit dem Gedankengut der Freidenkerbewegung gekommen sein dürfte. Seit den späten 1850er Jahren hatte mit den Veröffentlichungen von Büchner (»Kraft und Stoff« 1855) und vor allem Darwin (»On the Origin of Species by the Means of Natural Selection« 1859) ein Aufschwung der Naturwissenschaften eingesetzt und Positivismus und Empirismus als weltanschaulichen Konzeptionen große Popularität verschafft, die sich nicht nur in einer Vielzahl weiterer Publikationen niederschlug, sondern auch die freien Gemeinden wieder vermehrt ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte. Von der Erkenntnis geleitet, dass Gesellschaft und Natur gewissen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, verabschiedeten sich immer mehr freie Gemeinden von den ursprünglich theologisch-philosophischen Themen und beschäftigten sich mit der Ergründung der Natur und des Weltalls. Die meisten Mitglieder wurden Darwinisten und Materialisten, und da diese Bewegungen gerade in gewisser Weise en vogue waren, wuchsen auch die freien Gemeinden wieder. Gleichzeitig entstand mit sogenannten Freidenkervereinen eine neue Organisationsform, die sich auf die Verbreitung des Darwinismus und Materialismus konzentrierte und sich nicht mehr der ehemals theologisch-rationalistischen Bewegung verpflichtet fühlte.24 Falls Schlümbach über die Turnbewegung hinaus aktiv war, dürfte einiges dafür sprechen, ihn im Mi22

Vgl. Rampelmann: Licht, S. 29. Vgl. Rampelmann: Licht, S. 37–43. Die Struktur der nun entstehenden freien Gemeinden in den USA lehnte sich an die vereinsähnlichen Formen an, die zum Teil schon in Deutschland eingeführt worden waren. Die Gemeinden wurden geleitet von einem von der Gemeinde gewählten »Sprecher« und trafen sich sonntags und gelegentlich unter der Woche zu Versammlungen mit Gesang und Vorträgen, bei denen historische, religiöse, naturwissenschaftliche und philosophische Frage erörtert wurden, in ihren eigenen Gemeindehäusern oder – wo ein solches noch nicht vorhanden war – in Hallen der Arbeiterbewegung oder der Turner. Ihrem Bildungsauftrag suchten sie darüber hinaus durch die Einrichtung von Schulen und Bibliotheken, auch von Chören oder Lesezirkeln nachzukommen. Zur Struktur der Freien Gemeinde von Philadelphia vgl. Rampelmann: Licht, S. 64–68. 24 Vgl. Rampelmann: Licht, S. 75–76. 23

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lieu dieser Vereine zu verorten. Denn zum einen ist das Thema des Materialismus genau das Thema, mit dem er sich in späteren Schriften immer wieder auseinandersetzte. Zum anderen taucht er aber in den Publikationen der freien Gemeinden nicht auf, was gegen ein Engagement in diesem institutionellen Bereich freireligiösen Lebens spricht.25 Angesichts dessen, dass Schlümbach in der zweiten Hälfte des Bürgerkriegs sehr engagiert für den christlichen Glauben beziehungsweise die Christian Commission öffentlich geworben hatte und auch pastorale Aufgaben unter seinen Kameraden übernahm, stellt sich die Frage, was zu solch einem radikalen Umschwung in seiner weltanschaulichen Orientierung geführt haben könnte. Da belastbares Material fehlt, kann darüber nur spekuliert werden. Aber ein Schicksalsschlag, der wahrscheinlich in den Sommer 1865 fiel und der das Potential hatte, Schlümbachs Lebenssicht tiefgreifend zu erschüttern, war der Tod seines kleinen Sohnes Hermann. Dieser war im Februar 1865 geboren worden. Da er jedoch bis auf eine Erwähnung im Frühjahr desselben Jahres weder in privaten noch offiziellen Dokumenten wieder auftaucht, ist davon auszugehen, dass er früh verstarb. Über seine persönliche Disposition in dieser Zeit erzählte Schlümbach im Rückblick, dass er zusammen mit Freunden oft in den Wirtshäusern getrunken habe, volltrunken auch einmal mit dem Messer auf seine Frau losgegangen sei und durch ein Kampftrinken den Tod eines seiner Kumpanen verursacht habe.26

4.2 »Eine wunderbare Bekehrung« – August 1868 Die Lebensphase, die Schlümbach im Rückblick als »practical infidelity« bezeichnete27, fand einen jähen Abbruch durch Ereignisse, die im August 1868 im pennsylvanischen Mauch Chunk stattfanden. Da diese einen Erzählungszusammenhang darstellen, der später in vielerlei Weise in die Öffentlichkeit getragen wurde, sollen im Folgenden die Ereignisse in der Form wiedergegeben werden, wie Schlümbach sie selbst 1876 erstmals schriftlich publizierte: »Wie wunderbar führt doch der Herr die Menschenkinder, wenn sie glauben sie haben sich ganz befreit von der Idee der Gottesexistenz, so hält Er sie an seiner Liebeshand. Die Art und Weise meiner Bekehrung sei ein Zeugnis für das Obengesagte. Im 25 Die Blätter für Freies religiöses Leben, die von Friedrich Schünemann-Pott in Philadelphia herausgegeben wurden, enthalten in den relevanten Jahrgängen keinerlei Hinweise auf Friedrich von Schlümbach. 26 Vgl. z. B. The German Moody’s Remarks. In: St. Louis Globe-Democrat vom 19. 2. 1880, S. 5. 27 Vgl. Schluembach: Story, S. 6.

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Jahre 1868 hatte ich es in meinem unchristlichen Lebenswandel so weit gebracht, daß ich in dem Kreise meiner Freunde und Bekannten, als ausgemachter Atheist bekannt war, Sinnenlust hatte mich so sehr betäubt, daß ich kein höheres Vergnügen kannte, als von einer Festlichkeit zur Andern zu eilen, Alles hintansetzend; Ehre und Wohlergehen meiner Selbst, noch meiner Familie dabei im Auge behaltend. Es war ein inneres Jagen nach Befriedigung sinnlicher Lust und Vergnügungen, und war mein wohlbekannter Humor ein Mittel viele Menschen in diesen Sinnentaumel hineinzulocken, auch trug meine politische Stellung viel dazu bei diesen Kreis von Genossen bedeutend zu erweitern. So etwa standen die Dinge Anfangs August, besagten Jahres: Ich war Präsident des Turnvereins zu W. B. in Pa.; Vice Präsident des Männerchor daselbst, Mitglied des Nat. Turnerbundes, und Ex. Vice Präsident des Ph. Turnvereins und hatte soeben ein Engagement als Stumpredner unter der Direction des Rep. Nat. Committee’s abgeschlossen, da mein Geschäft geschlossen war. So kam es, daß ich an einem Samstag im August früh Philadelphia verließ, um nach Hause zu reisen. Während der Fahrt wollte ich mich in den Rauchwagen begeben, als mich Jemand beim Vorbeigehen am Rock faßte und mit den Worten ›Hallo Captain!‹ zu sich hinzog; es war mein alter Kriegskamerad, General C. Albright. Nach kurzer Unterhaltung, als der General hörte, daß ich in seinem Wohnort, Mauch Chunk, über Mittag zu bleiben gedenke, um etliche Geschäfte zu besorgen, lud er mich ein, bei ihm den Imbiß einzunehmen; unser Gespräch war bald in vollem Zug, alter und neuer Krieg und Politik wurde durchgenommen, als plötzlich die Frage an mich gerichtet wurde: Captain, do you love the Lord Jesus Christ? (liebst Du den Herrn Jesum Christum?). Ich antwortete ihm in meiner geraden deutschen Weise: Nein General, im Gegentheil, ich hasse Ihn, seine Lehre und seine Nachfolger. Nun, sagte der General, das thut mir leid; doch fügte er hinzu, das soll unsere alte Freundschaft nicht stören, obgleich ich Dir sagen muß Captain, ›Ich bin ein Christ.‹ Es that mir leid, den lieben Freund so kurz behandelt zu haben und somit sagte ich ausweichend: Nun General, auch bei mir, ›keine Regel ohne Ausnahme.‹ Wir hatten jetzt die besagte Station erreicht, ich nahm Quartier im Mansion House Hotel und nachdem ich meine Geschäfte eingeleitet und theils abgemacht, war 4 Uhr, die Stunde zum Dinner, gekommen. Ich traf den General in seiner Office, er ist nämlich Advokat, und nach kurzem Aufenthalt führte er mich in sein Privatzimmer und stellte mich seiner Gattin vor, die ich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen und kaum mehr kannte, obgleich ich früher einmal dort übernachtet hatte. Sie war voll Freundlichkeit, obgleich der General zu Einführung in die Familie die Worte gebrauchte: Hier stelle ich Dir meinen atheistischen Kameraden, Captain v. S. vor, der alle Christen haßt! Zum Unglück traf’s sich, daß im Hause ein junger Methodisten-Prediger logierte, der als Missionär in der Nachbarschaft thätig war; am Tische konnte ich nun nicht umhin mit dem Herrn anzubinden und glaube, daß ich ziemlich hart mit ihm umgegangen bin; der General ließ uns Beide schalten und walten, bis endlich der Kampf heiß wurde, da griff Mrs. Albright in das Gespräch ein und es gab eine gewaltige Wendung; anstatt auf die Gründe und Gegengründe der Philosophie oder Wahrheit des Christenthums oder Nicht-Christenthums einzugehen, um welche Punkte bisher das Gesprächsthema sich drehte, machte sie den Vorschlag, daß sie und ich über die wirklichen Resultate unserer beiderseitigen Ansichten, so weit sie das Wohl der Menschheit berührten, sprechen wollten, da ich das Steckenpferd der ›Weltverbesserung‹ geritten; und um kurz

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zu sein, bald war ich am Ende der thatsächlichen Errungenschaften meiner Seite der Debatte angekommen, während sie Hieb auf Hieb versetzte, und ich mußte ehrlich bekennen, ich war glänzend geschlagen, doch that ich es nur damit, daß ich mich langsam zurückzog. Während dieser Debatte, hatten sich die Herren langsam unbemerkt fortgemachtund [sic] als Madame mit mir fertig war, war die Zeit so vorgerückt, daß der letzte Zug nach W. B. fort und ich somit gebunden war, über Sonntag zu bleiben. Sie lud mich nun ein, den Muth zu haben und einer Methodisten-Predigt und Sonntag-Schule beizuwohnen, und bei ihr Dinner einzunehmen, beides nahm ich an in der Hoffnung die Scharte auswetzen zu können. Jene Samstag Nacht bleibt mir ewig im Gedächtniß. In’s Hotel zurückgekommen, fing ich an über das Gesprochene nachzudenken, und in dieser Selbstprüfung kam ich zu dem Resultat, daß ich von jetzt an entweder ein Christ werden müsse, oder ein Schurke, der vor sich selbst kein Achtung mehr haben könne; Ersteres schien mir unmöglich, weil die vielen Freunde und Bekannte im Wege, und Letzteres wollte ich nicht sein, somit war ich nahe daran Selbstmord zu begehen; ich war im vierten Stock, unter mir brauste der Lehigh (der schwarze Fluß) und ein Sprung, sagte ich mir, und du bist frei von diesem Dilemma; doch hatte der Hintergrund, die Ewigkeit, das Schreckliche der Thatsache eines verdammenden Gottes, die Betrübniß welche durch meinen Selbstmord, über Familie, Brüder, Vater und Verwandte käme, etwas höchst Lähmendes in sich und von Furien gepeitscht maß ich mein Zimmer bis der Tag am Grauen war, tausendmal verfluchend, daß ich diesem Weibe in den Weg kam und erst als der Humor das Uebergewicht bekam, der da sagte: ›Laß nur, am Montag bist du frei, denn es weiß ja Niemand was davon, dann wirfst du dich in den Taumel der Lust und betäubst diese Mahnstimme des Gewissens;‹ so schlief ich ein. Ein spätes Frühstück und ein Besuch bei einem Wirthe, einem persönlichen Freunde, überzeugte mich und gewiß auch ihn, daß ich die Blues habe, ich hatte keine Lust zu irgend Etwas; doch war die Stunde zur Predigt gekommen und ich ging zur Kirche, das war seit langer Zeit wieder das erstemal, daß ich in die Kirche gekommen und das erstemal, daß ich eine Methodistenkirche von innen gesehen. Die Predigt gab mir Stoff zu neuem Muth, denn sie war durch einen alten Herrn gegeben, nicht nur schläfrig sondern solches leeres Stroh gedroschen, daß es mich von Neuem bestärkte zu behaupten, nur Schafsköpfe könnten Geduld genug haben, von Woche zu Woche solchem Bleche zu lauschen, auch bemerkte ich wie Madame Albright sehr unruhig fühlte unter dieser nackten Declamation von thörichten, gedankenarmen Sätzen. Nach dem Gottesdienste machte ich einen Spaziergang um pünktlich um halb zwei Uhr in der Sonntags-Schule zu sein; denn, dachte ich, dort giebt’s neuen Grund zu gerechtem Tadel. Als ich in die Nähe der Kirche kam, hörte ich die lieblichen Töne frischer Kinderstimmen und lauschte recht befriedigt ihrem fröhlichen Gesang. Als ich eintrat hatte ich vor mir eine der lieblichsten Scenen, die ich je erlebt zu haben glaubte, etwa hundert ganz kleine Mädchen und Knaben saßen in einem ziemlich engen Zimmer, das mit allerlei hübschen Bilder [sic] der biblischen Geschichte entnommen, decorirt war. Als ich die Thüre hinter mir geschlossen und da ihr Lied zu Ende war, riefen die Kinder einstimmig: ›Good day, Sir!‹ Mrs. Albright, die einzige erwachsene Person im Zimmer, stellte mich nun vor und ich muß sagen, ich fühlte in gehobener Stimmung,

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so vor einer lieblichen Kinderschaar als Beobachter zu stehen, kein trübes Gesichtchen unter ihnen, wahrer Sonntagsglanz lag auf ihren Angesichtern, und wahrlich, ich mußte das Zugeständnis in mir machen, so was haben wir ›Weltverbesserer‹ doch nicht aufzuweisen, mit solchem jungen Zeug geben wir uns doch nicht ab, denn wir sind ja keine ›Kleinkinderbewahranstalt.‹ Ich nahm Platz und nun ließ die Lehrerin die Kinder recitiren und Psalmen sagen, daß es eine Freude war, hier ein Mädchen, kaum groß genug um allein über die Straße gehen zu können, und siehe zehn Bibelworte kamen da im Fluge zu Tage; die ganze Klasse betete den schönen Psalm: ›Der Herr ist mein Hirte.‹ Jetzt folgte ein herrliches Lied und denke Dir, lieber Leser, das brach mein ganzes Bollwerk nieder; ich mußte weinen, wie ein Kind, meine Gefühle waren überwältigt, ich kämpfte selbst halbzornig dagegen, doch umsonst, ich wurde mit jedem Vers mehr und mehr unfähig meine Gefühle zu überwinden. Ich verließ weinend das Zimmer, jedoch nicht ohne das Versprechen, den General im nächsten Schulraume aufzu suchen [sic]. Rasch trocknete ich meine Thränen und trat dann in den großen Sonntagschulsaal; vor mir war ein bild des christlichen Lebens wie es nicht schöner gemalt werden kann. Die Wände mit Wandkarten und Mottos versehen, waren einladend genug um dem Fremden es heimisch werden zu lassen, aber die vielen Burschen und Mädchen, auch Herren und Damen aller Altersklassen, bildeten eine Gesammtklasse der interessantesten Art. Sobald mich der General, der als Superintendent auf dem erhöhten Standort am anderen Ende des Saals sich befand, erblickte, rief er mir ein freundliches ›Willkommen‹ zu, sprang auf mich zu und führte mich Arm in Arm zum Ehrensitz; dicht neben mir war die große wohlgefüllte Bibliothek, die meine ganze Bewunderung hervorrief und rasch frug ich ihn, ›sind da auch wissenschaftliche Werke;‹ ›siehe selbst,‹ war die Antwort; ich trat näher, und wirklich da waren allerlei bekannte, clasische [sic] und dann mir noch fremde aber sichtbarlich gediegene Werke, ich ward befangen, da schlug der Ton der Glocke des Superintendent an mein Ohr und es wurde gleich stille im Zimmer, jetzt hörte ich ihn sagen: ›Nun wollen wir singen, und dann wird mein alter Freund und Captain v. S. Euch anreden, habt gut Acht, ihr könnt nun hören, was die Menschen denken, welche an keinen Gott glauben und Jesum Christum als Erlöser der Menschen verspotten.‹ Ich war wie vom Blitz getroffen, und mußte mich setzen um erst Fassung zu gewinnen, der Mann wagt es vor diesen Kindern mich herauszufordern, die Thorheit des Christenglaubens darzulegen, ich ergrimmte und dachte, nun denn, so sei’s; da begann der Gesang, O weh! diese herrlichen Töne eines alten deutschen Kirchenlieds, von englischem Text begleitet war zu viel, ich brach von Neuem zusammen und war verloren. Als das Lied zu Ende war und der General mich wiederum bat, zu reden, faßte ich Muth und sprach thränenfeuchten Auges etwa folgende Worte: Es war schon lange mein Wunsch einmal Zugang zu haben zu den S. S. der Christen um den Kindern zu erzählen, daß sie von Pfaffen und Pfaffenknechten irre geführt werden, um ihnen zu beweisen, daß der Mensch ohne Gott in der Welt frei und glücklich ist, und seinen Geist ausbilden kann, ohne durch diese einschüchternden Ammenmärchen von Rechenschaft und Geist gehindert zu werden, etc., festglaubend, daß nur der Gottesleugner wissenschaftlich und humanitärisch principiell Fortschritte machen kann; heute bin ich vom Gegentheil überzeugt, denn solche Ordnung, solchen Eifer, solcher Hingabe, bin ich mir nicht bewußt in irgend einem mir bekannten atheistischen Kreise gefunden zu haben, und ich schäme mich und bekenne es vor Ihnen, daß ich bisher so einseitig geurtheilt und bitte Sie bei Ihrem Gotte für

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mich zu beten, daß wenn Er ›sei‹ Er mir in Gnaden beistehe, Ihn näher kennen und seine Sache lieben zu lernen. Weiter konnte ich nicht reden, meine Gefühle übermannten mich zu sehr. Das Betragen der Anwesenden war so zart mir gegenüber, daß trotzdem, daß ich in höchst lächerlicher Weise vor ihnen gehandelt haben mußte, sie doch, weder jung noch alt, es mich durch Blick oder Wort fühlen ließen; ein ernstes Gebet wurde gesprochen, unterbrochen von mehreren ›Amen‹ und ›Glory,‹ Ausrufe die mir in dieser Weise sehr fremd klangen. Die Schule wurde in militärischer Ordnung entlassen. Im Hause des General angekommen, aßen wir unser Dinner ohne auch nur ein Wort über Religion zu reden, es schien als ob die sämmtlichen Anwesenden es darauf anlegten, alles Beengende oder mich Aufreizende zu vermeiden, und ich wußte es Allen zum größten Dank. Nach dem Desert [sic] wurde ich von der Hausfrau eingeladen, ihr Gesellschaft zu leisten, während die Herrn anderweitig beschäftigt waren. Wir nahmen auf der lieblichen, blumenumrankten Veranda des zweiten Stockwerks Platz, so daß das romantische Gartenlabyrinth längs der steilen Bergwände zu unseren Füßen sich ausdehnte, und doch war die Welt gleichsam ausgeschlossen und kein Auge noch Ohr konnte lauschen. Unsere Unterhaltung drehte sich zuerst um dies und das, und endlich kam die Dame auf Deutschland zu sprechen, bemerkend, daß sie mit ihrem Gatten im Laufe des nächsten Sommers eine Reise dahin beabsichtige und bat mich nun ihr nähere Mittheilung zu machen; das war Wasser auf meine Mühle; bald war ich in feurigem Redefluß über die liberale Lebensweise meiner Landsleute dort drüben, über das Idylische [sic] des lieben Heimaththales, Scenen aus dem elterlichen Hause wurden zu Tage gefördert, und ich befand mich in Kurzem in sehr elegischer Stimmung. Da unterbrach mich Mrs. Albright mit: ›Ob ich Ihr eine Frage beantworten wollte, ohne böse zu werden, daß sie so neugierig (inquisitive) sei.‹ Natürlich bejahte ich, sie frug: ›War Ihre liebe Mama, von der Sie so liebenswürdig erzählen, auch eine Ungläubige (Infidel)?‹ Ich war wie betäubt durch diese unvermuthete Wendung der Dinge, wenn man mich mit einem Steine vor die Stirne geschlagen, wahrlich ich hätte nicht entsetzlicher fühlen können. Mit einem Augenblick trat die Abschiedsscene der längst im Grabe Schlummernden, vor meine Seele, sie die fromme Mutter, die durch mich sechszehn [sic] Jahre nach Leib und Seele gelitten, die in ihrem langjährigen Todeskampfe, als einzigen Trost und Nutzen ihren Jesus, ihren Erlöser geliebt und besessen, die mir den Schwur abgenommen, diesem Sohne des Allerhöchsten im Leben und Tode treu zu bleiben, sie eine Ungläubige, diese Schmach! – denn dieser Gedanke ließ es mir als solche erscheinen, – habe ich durch mein Leben, ihr durch den Reflex aufgeprägt. Ich sah, hier mußte die Ehre der Mutter gerettet werden, und erzählte unter Tränen und Herzweh von dem heiligen, frommen Wandel der Entschlafenen und gelobte im Stillen, wenn es möglich, durch Gottes Gnade Umkehr zu halten. Niemand störte uns und die Worte des Trostes, die mütterliche Liebe der Frau des Hauses, sollen auch hier unbeschrieben bleiben, es war eine der feierlichsten Stunden meines Lebens. Ich folgte der Einladung, sie in die Missionskirche in East Mauch Chunk zu begleiten, es war eine halbe Stunde Wegs und endlich im Dunkel des Abends, traten wir in

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den matterleuchteten Saal eines Schulhauses; unfreundlich ruhig, die Bänke unbequem, Alles die größte Armuth andeutend. Und die feine Dame, die angesehene Frau, setzt sich hier Mitten unter die bunte Versammlung, den untersten Stufen der menschlichen Familie entnommen und nur wenige schienen der besseren Gesellschaft anzugehören, und doch wie ich bald entdeckte, war es gerade hier, wo das biederste, treueste Völkchen zusammenkam, das ich je kennen gelernt. Der junge Prediger der beim General logirte, stand auf und nach lieblichem Gesang, ernstem, feierlichem Gebet, voll Kraft und Feuer, redete er zu uns über den Gott der Gnade und Liebe, im Gegensatz zum unbekümmerten, widerspenstigen Sünder. Jedes Wort schlug bei mir ein und ich war vollständig hingerissen von der fesselnden Rede und der Gediegenheit seines Gedankenganges. Ein Satz griff in den Andern und überzeugte mich zuerst von der Wahrhaftigkeit der Existenz Gottes und späterhin in der Predigt von der Gnade Jesu Christ; kaum hatte er Amen gesagt, so lud er: ›Alle die da glaubten, daß der lebendige Gott Willen und Kraft hätte arme Sünder zu retten, ein, sich nieder zu knieen und Jesum zu bitten, daß er sich ihrer in Gnade erbarme und theilhaftig mache des Blutopfers, das er am Kreuze für sie vergossen.‹ Alles um mich her vergessend, war ich nur darauf aus, der Erste zu sein der Gnade erhalte und stürzte zur Bank. Ich war mir für eine Zeit völlig unbewußt, einer Ohnmacht ähnlich, hörte nur wunderlieblichen Gesang, und in meiner Seele sprach eine Stimme: Dir sind deine Sünden vergeben, gehe hin, sündige nicht mehr. Was dort in mir sich entwickelte, ist nicht für mich hier mitzutheilen; ich weiß nur, daß ich heute noch an der Errinnerung [sic] mich labe und stärke. Ich weiß an wen ich glaube! Als ich die Dinge um mich her wahrnahm, und frei fühlte wie ein Vogel in der Luft, sprang ich auf meine Füße und lobte Gott, und hielt eine Rede über Christus und sein Reich, von der man mir oft nachher sagte, daß sie in besserem englisch und so evangelisch gewesen, daß der Prediger sich selbst erstaunte. Warum ich’s that? Menschlich gesprochen, ich weiß es nicht; geistlich geredet, um Gott zu verherrlichen, der mir armen Sünder Gnade und Heil widerfahren ließ. Ich schleppte mich in’s Hotel zurück, und ich schrieb bis lange über die Mitternachtstunde Abschiedsbriefe an die weltlichen Vereine, bei denen ich in Amt und Würde war, die Brüder bittend, sich von mir sagen zu lassen, daß es wahr ist, daß Gott lebt und regiert. Es ist leicht denkbar, daß ich mich beeilte, sobald ich Gelegenheit hatte, der Kirche mich anzuschließen, in welcher ich diesen Weg zum wahren Glück der Menschen gefunden; und niemals habe ich es bereut, daß ich dem Mahnruf Gottes an jenem Sonntag Abend gefolgt, und mein Leben ist erst seither ein glückliches, frohes gewesen! Noch niemals habe ich den vielen Bitten der verschiedenen Brüder gewillfahrt meine Bekehrung zu veröffentlichen, doch glaube ich, daß auf Bitte Br. Schütz, durch Zusammenstellung der verschiedenen Gnadenwunder dieser Art, Sein Name verherrlicht, viele Herzen ermuthigt, viele Sünder gerufen werden möchten, und ich nicht Nein sagen darf. So möge denn der allgütige Gott diese Worte zum weiteren Segen machen.«28 28

F. v. Schlümbach: Eine wunderbare Bekehrung. In: H. Schuetz (Hg.): Christliche Zeug-

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Wenngleich diese Bekehrungsgeschichte in den folgenden Jahren in vielerlei Variationen sowohl mündlich als auch schriftlich in die Öffentlichkeit getragen wurde29, blieb der Kernbestand und die darin beschriebenen Erfahrungen derselbe. Die wesentlichen Elemente der Erzählung sind die direkte Ansprache General Albrights auf den christlichen Glauben hin beim ersten Treffen, die auf gleicher Linie liegende konfrontative Vorstellung als Atheist in seinem Haus, das Gespräch mit Mrs. Albright über die praktischen Leistungen von Christentum und Unglauben, die Selbstprüfung im Hotel, der Kirchbesuch mit der besonderen Wirkung der beiden Sonntagsschulklassen, das Gespräch mit Mrs. Albright über Deutschland und Schlümbachs Mutter und der Kirchbesuch in East Mauch Chunk, bei dem Schlümbach durch die Predigt schließlich zu einer intensiv erlebten Bekehrungserfahrung geführt wird.30 Untersucht man diese einzelnen Elemente, so tritt als Grundstruktur dessen, wie Schlümbachs Verhältnis zum christlichen Glauben sich hier neu konstituierte, eine zeitliche dichte Entwicklung in zwei Phasen vor Augen. Die erste Phase ist geprägt von der existentiellen Infragestellung bisheriger Lebensanschauungen und Lebenspraxis, wie es zum einen durch die konfrontativ auf die Plausibilitäten der bisherigen Anschauungen angelegte, aber gleichwohl zugewandte Form der menschlichen Begegnung mit den Albrights geschah. Die unangemessen wirkenden Selbstmordgedanken im Kontext dieser Selbstprüfung werden von Schlümbach an anderer Stelle als Konsequenz seiner philosophischen Ausrichtung auf Schopenhauer erklärt.31 nisse und Lehre. Eine Zusammenstellung der Gnadenwunder Gottes in den Erfahrungen der Christen aus verschiedenen Kirchen und Ständen, Chicago 1876, S. 43–51. 29 In schriftlicher Form veröffentlicht wurde die Bekehrungsgeschichte erstmals 1876 in der zuvor zitierten Ausgabe. Fünf Jahre später wurde sie von Schlümbach in noch etwas erweiterter Form auf Englisch herausgegeben: F. von Schluembach: The Story of my Conversion from Atheism, New York/Cincinnati 1881. Diese beiden Ausgaben dienten z. T. als Vorlage für spätere Abdrucke der Bekehrungsgeschichte; so die Ausgabe in Schuetz für: Männer der Tat. Züge aus dem Leben von Sir George Williams und Friedrich von Schlümbach, Führer christlicher junger Männer. Bearb. v. W. Jörn, Heiligenbeil, 21923, S. 47–56, und o. N.: Herumgeholt. In: Licht und Leben 1930, S. 227–231. Viel häufiger aber war sie Gegenstand der Ansprachen Schlümbachs, wo sie z. T. nachgeschrieben wurden, so in: Watchman 1880, S. 61–63; JB 1880, S. 69–71, 78–80, 86–87. 30 Zu Charles Albright (1830–1880) vgl. Biography: Carles Albright, URL: http://www. rootsweb.com/~paberks/Biographies/CharlesAlbright.html (02. 03. 2006) und Charles Albright. In: Encyclopedia Dickinsonia, URL: http://chronicles.dickinson.edu/encyclo/a/ed_albrightC.htm (14. 08. 2010). Albright arbeitete seit 1856 als Rechtsanwalt in Mauch Chunk, war in der Republikanischen Partei aktiv und im Bürgerkrieg zum Brevet Brigadier General aufgestiegen. Neben seiner Tätigkeit als Anwalt war er auch im Bankwesen und der Eisenmanufaktur tätig und gehörte ab 1872 für eine Wahlperiode dem Kongress an. Er war ein aktives Glied der Methodistenkirche und nahm 1872 als Laiendelegierter an deren Generalkonferenz teil. Seit 1852 war er verheiratet mit Naomi E. Wingard. 31 Vgl. Schluembach: Story, S. 14. Schopenhauer kommt u. a. in § 69 von »Die Welt als

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Zum anderen kam es zu mehreren emotional sehr dichten Momenten, als bei Schlümbach Erfahrungen und Gefühle aus Kindheit und Jugend aufgrund äußerer Reize wieder aufstiegen. Von besonderer Bedeutung war hier wieder – wie in den religiösen Erfahrungen des Bürgerkriegs – Schlümbachs Verpflichtung seiner Mutter gegenüber, gemessen an der er seine derzeitige Lebensführung nur als innere Anklage empfinden konnte. Von daher wurde von ihm die bewusste Anknüpfung an das von ihm so empfundene Vermächtnis seiner Mutter in dieser Situation auch als »eine der feierlichsten Stunden meines Lebens«32 bezeichnet. Diese Disposition, die mit einer diffusen innerlichen Gefühlslage einhergegangen sein dürfte, wurde nun in einer zweiten Phase durch eine soteriologisch zugespitzte Predigt gefüllt, die bei Schlümbach zu einer Erfahrung der Lebensübergabe an Gott führte, die er mit Anklängen an mystisches Erleben beschrieb.33 Wohl aufgrund der Schwierigkeit und der potentiellen Missverständlichkeit dieser Beschreibung unterließ er eine solche in der von ihm fünf Jahre später veröffentlichten (ansonsten ausführlicheren) Ausgabe seiner Bekehrungsgeschichte in englischer Sprache.34 Das verweist auf das generelle Problem, dass eine solche Bekehrungserfahrung immer nur als »kommunikative Rekonstruktion«35 zugänglich sein kann. Dabei dient diese Rekonstruktion – wie bei Schlümbach ja auch explizit formuliert – einem bestimmten kommunikativen Zweck und nicht nur der reinen Selbstvergewisserung. Auch seine Bekehrungserfahrung von 1863 hatte Schlümbach in einem kommunikativen Prozess, nämlich einem Brief an George H. Stuart versprachlicht, der allerdings nicht mit einer so klaren Zielsetzung verbunden gewesen war. Wie verhalten sich nun die beiden Bekehrungsberichte zueinander? Am Ende der 1881 veröffentlichten Version schreibt Schlümbach, dass ihm nun, 1868, das Christsein nicht mehr als etwas theoretisches, sondern als eine lebendige Macht begegnet sei. Wenngleich auffällt, dass seine Wortwahl nicht in gleicher Weise von stereotypen Formulierungen beziehungsweise Formeln geprägt ist, wie es 1863 der Fall gewesen war, so ist in Anschlag zu bringen, dass dieser Bericht einige Jahre später geschrieben ist. Aber auch damals hatte Schlümbach besonders auf die lebensverändernde Wirkung des Glaubens in moralischer Hinsicht abgehoben, insofern nicht nur kognitive Zustimmung zu theoretischen Glaubenssätzen signalisiert. Andererseits war Wille und Vorstellung« und in Kap. XIII von »Vereinzelte, jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände« auf das Thema Selbstmord zu sprechen. 32 Schlümbach: Bekehrung, S. 49. 33 In diese Richtung gehen die Elemente der Entrückung aus der Welt und des Hörens himmlischer Gesänge bzw. einer inneren Stimme. 34 F. von Schluembach: The Story of my Conversion from Atheism, New York/Cincinnati 1881. 35 Wohlrab-Sahr/Krech/Knoblauch: Bekehrung, S. 17.

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der Ton, in dem er über seine christlichen Aktivitäten in den Camps und für die Christian Commission berichtete, in seiner Selbstherrlichkeit eigentümlich gewesen. Die größte Plausibilität für einen Bruch zwischen den beiden Bekehrungserfahrungen dürfte – wie bereits angedeutet – eine tiefgreifende Krisenerfahrung haben, wie sie der Tod des Sohnes sicher darstellte. Die Rückkehr in alte äußere Strukturen wird darüber hinaus ihren Teil dazu beigetragen haben, dass für deren Bewältigung die erste Glaubenserfahrung nicht ausreichte. Doch was Schlümbach im August 1868 erlebt hatte, blieb.

5. Zusammenfassung Die ersten 26 Lebensjahre Friedrich von Schlümbachs sind gekennzeichnet durch mehrere tiefgreifende Umbrüche, die zum einen eine räumliche und damit auch soziale Dimension aufweisen, sich aber auch – vor allem später – auf seine weltanschauliche Positionierung beziehen. Seine Kindheit bis zum neunten Lebensjahr verbrachte Schlümbach im kleinstädtischen Milieu der Hohenloher Residenzstadt Ingelfingen. Schloss, Kirche und Schule befanden sich in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses seiner als »devout, orthodox and conservative« charakterisierten Eltern und bildeten den wesentlichen Bezugsrahmen des täglichen Lebens. Religiöse Eindrücke in dieser Zeit verband Schlümbach vor allem mit seiner Mutter, von der er das Bild einer innigen Jesus-Frömmigkeit zeichnete. Sein Vater, Hofkavalier am Ingelfinger Schloss, war stark an gesellschaftlichem Status und öffentlichem Ansehen orientiert und scheint eher eine konventionelle Kirchlichkeit vertreten zu haben. Eine erste Bruchstelle in Schlümbachs Biographie war die Trennung von seiner Familie, vor allem von der Mutter, von seinem zehnten Lebensjahr an, als er Ingelfingen für den Besuch auswärtiger Schulen verlassen musste und nur in den Ferien dorthin zurückkehrte. Er sah darin in gewisser Weise eine vorzeitige Beendigung seiner Kindheit und den Eintritt in einen Bereich persönlicher Verantwortung, dem er in diesem Alter noch nicht gewachsen war. Seine Schulzeit erwies sich als schwierig und machte mehrere Schulwechsel erforderlich, die ihn schließlich in Richtung einer ökonomischen Ausbildung führten, welche er aber abbrach, um der Tradition der Familie folgend die Offizierslaufbahn in der württembergischen Armee einzuschlagen. In religiöser Hinsicht machte in dieser Zeit lediglich der für ein Jahr am Heilbronner Pensionat wirkende theologische Repetent Georg Rooschütz einen besonderen Eindruck auf ihn; Schlümbachs religiöse Sozialisation im Kontext der württembergischen Landeskirche mit Konfirmandenunterricht und Konfirmation berührte ihn ansonsten nur punktuell.

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Schlümbachs Militärzeit währte lediglich ein halbes Jahr. Da er sich in seiner Freizeit – wahrscheinlich nicht ganz glücklich mit den Gegebenheiten militärischen Lebens – einen so aufwendigen Lebensstil zugelegt hatte, dass er die finanziellen Möglichkeiten seiner Familie permanent überreizte, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung mit seinem Vater. Das von strenger Erziehung und aufbrausendem Temperament vorbelastete Verhältnis der beiden kumulierte in einem Zerwürfnis, aufgrund dessen Schlümbach sich zu einem tiefgreifenden Einschnitt entschied: die Ausreise in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort erhoffte er sich größere Freiheit in seiner Lebensführung. Obwohl seine Mutter schwer an Krebs erkrankt war und wenige Wochen später verstarb, emigrierte Schlümbach im Dezember 1859 unter schweren Vorwürfen seines Vaters in die USA. Nach einer Eingewöhnungszeit bei seinem einige Jahre zuvor ausgewanderten Bruder in Philadelphia ging Schlümbach aus wirtschaftlicher Notwendigkeit verschiedenen Beschäftigungen nach und lebte als Boarder in wechselnden Haushaltsgemeinschaften. Gesellschaftlich orientierte er sich innerhalb der deutsch-amerikanischen Bevölkerungsgruppe hin zu den säkularen Vereinen, die als Gesangs- oder Turnvereine tätig waren, in denen aber auch radikaldemokratisches und freisinniges Gedankengut gepflegt wurde. Zu deutschsprachigen Kirchen scheint Schlümbach demgegenüber keinen näheren Kontakt gesucht zu haben, wiewohl auch schon vorher seine dahingehende Affinität nicht besonders groß gewesen war. Vielmehr scheint er bewusst das, wofür sein konservativ-autoritärer und obrigkeitshöriger Vater gestanden hatte, über Bord werfen zu wollen. Die wirtschaftliche Not im Vorfeld des amerikanischen Bürgerkriegs zwang ihn aber, sich mit einem Hilfegesuch an seinen Vater zu wenden, das unbeantwortet blieb. Einen Ausweg aus der Not stellte der Eintritt in die Armee der Nordstaaten dar, wo er im Kontext eines New Yorker von Turnern aus Philadelphia dominierten Regiments bald zum First Lieutenant aufstieg. Unter seinen Kameraden galt er als etwas zweifelhafter und unzuverlässiger Charakter, der auch mehrmals disziplinarisch belangt wurde. Die Entbehrungen der Kriegszeit führten zu ernsten körperlichen Beschwerden, die lange Krankenhausaufenthalte und später auch den Austritt aus der Armee nötig machten. Nach einer von längerer Krankheit und unterschiedlichen Beschäftigungen geprägten Zwischenstation in Ohio – nun mit eigener Familie: mit 19 Jahren hatte Schlümbach nach kurzer Bekanntschaft geheiratet und war mit 20 Jahren Vater geworden – trat er schließlich als Substitute wieder in die Armee ein. Bis zu der Zeit in Ohio hatte sich Schlümbach fast ausschließlich in einem deutschsprachigen Kontext bewegt, der sich mit einem entsprechenden kulturellen Bewusstsein und eigenen Organisationsformen von der englisch-

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sprachigen Mehrheitsgesellschaft absetzte. Mit seinem erneuten Armeeeintritt begab er sich nun in stärker angloamerikanisch geprägte Lebenszusammenhänge. Dieser Umbruch in den ethnokulturellen Gegebenheiten des ihn im engeren Sinn umgebenden Umfelds ermöglichte ihm eine neue Qualität religiöser Erfahrung, zu der es für ihn bei einer erwecklich ausgerichteten Versammlung der US Christian Commission kam. Schon während seiner ersten Armeezeit hatte er sich in den existentiellen Fragen der prinzipiellen Lebensbedrohtheit als Soldat intensiver mit einem ihm geschenkten Neuen Testament beschäftigt. Den dadurch begonnenen Prozess sah er nun im Sinne einer Bekehrungserfahrung bei besagter Versammlung zu einem vorläufigen Abschluss kommen. Neben soteriologischer und eschatologischer Motivik standen dabei vor allem die starken ethischen Implikationen eines als grundlegend neu empfundenen Lebenswandels im Vordergrund. Mit den von ihm in diesem Zusammenhang geäußerten Anschauungen bewegte er sich weithin in den Bahnen erwecklicher1 protestantischer Frömmigkeit während des Bürgerkriegs, eine Besonderheit stellte allerdings die Rolle seiner Mutter dar. Schlümbach sah die wesentlichen Anknüpfungspunkte der neuen religiösen Erfahrung in dem, was seine Mutter ihm in früher Kindheit vermittelt hatte, überhöhte ihr Bild dabei aber eigentümlich in fast an Heiligenverehrung erinnernder Weise. Seine neue Lebensorientierung führte Schlümbach zu einem neuen Betätigungsfeld, auf dem er sich im Campleben während des Krieges engagierte. Gab es dort zwar ein reges englischsprachiges religiöses Veranstaltungsleben, so blieben viele seiner deutschen Landsleute aus sprachlichen oder kulturellen Gründen diesen Veranstaltungen fern. Daher bemühte er sich um deutschsprachige religiöse Versammlungen, die er in eigener Regie im Camp anbot. Dass er dabei – ja selbst gerade erst zu einem lebendigen Glaubensleben durchgedrungen – zu predigen pflegte, zeugt von einer gewissen Beredsamkeit und auch einem ausgeprägten Selbstbewusstsein. Redebegabung und Organisationstalent blieben auch den Leitern der US Christian Commission nicht verborgen, die Schlümbach schließlich für ihre Dienste gewannen, so dass er im Nordosten der USA umherreiste, um als Redner – ohne rhetorische Ausbildung – deutschstämmige Unterstützer für die Christian Commission zu mobilisieren und aus ihnen Unterstützerkreise zu organisieren. In diesem Mehrklang aus Reise- und Rednertätigkeit, der Gründung von Vereinen und der Akquirierung von Spendengeldern präfigurierten sich bereits wesentliche Elemente, die für spätere Tätigkeiten prä-

1 Das Wort »erwecklich« steht hier für das im Englischen gebräuchliche »evangelical« – dessen Wiedergabe mit dem Begriff »evangelikal« scheint mir aufgrund der kirchenpolitischen Verortung der Begriffseinführung im deutschen Sprachraum als historische Kategorie nicht recht brauchbar zu sein.

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gend sein würden. Was allerdings auffällt, ist der selbstgefällige Ton, in dem Schlümbach von seinen Erfolgen schreibt. Ein Motiv, das bei Schlümbach in dieser Zeit in verschiedenen Zusammenhängen auftaucht, ist das der »Einheit«, »Einigkeit« oder »Eintracht«. Ekklesiologisch sieht er es als das Kennzeichen eines wahren Christen, wenn er angesichts der Vielheit der Konfessionen in Eintracht mit seinen Glaubensgeschwistern lebt. Im Hintergrund stehen seine Erfahrungen mit der Christian Commission, die interdenominationell arbeitete und in ihrem Auftreten ein transkonfessionelles Bewusstsein verkörperte und beförderte. Das Motiv der Einigkeit spielte für Schlümbach aber auch im politischen Bereich eine Rolle, wo er das Leitbild eines einigen und demokratisch umgestalteten Deutschland vertrat; schließlich auch Einheit im deutsch-amerikanischen Vereinsleben, wo er die Bildung des nationalen Turnerbundes ausdrücklich begrüßte und mit großen Hoffnungen verband. Hatte er auch mit seiner neuen christlichen Grundorientierung in Philadelphia wieder Kontakt mit den Turnern aufgenommen, muss es kurz darauf zu einem erneuten Bruch in Schlümbachs Leben gekommen sein. Denn es folgen Jahre, die Schlümbach im Rückblick mit Gottlosigkeit und Ausschweifung charakterisierte. Er verortete sich im Spektrum der deutschamerikanischen Turn- und Freidenkerbewegung, und kam wohl verschiedenen ideologisch für den Atheismus und radikale politische Positionen werbenden Rednertätigkeiten nach, während er seinen Lebensunterhalt als Geschäftsmann verdiente. Ausgelöst wurde dieser Bruch wahrscheinlich durch den Tod seines zweiten Sohnes im Jahre 1865, der das Potential hatte, eine geistliche Krise herbeizuführen und Schlümbachs ja noch relativ jungen Glauben zu erschüttern. Der gegenüber dem Krieg grundsätzlich veränderte Lebenskontext mag sein übriges dazu getan haben, bei Schlümbach aus einer öffentlichen Tätigkeit für das Christentum eine öffentliche Tätigkeit gegen das Christentum entstehen zu lassen. Erstaunlicher Weise kam es jedoch drei Jahre später zu einem erneuten Umbruch – nun zurück zum Christentum. Im Hause seines ehemaligen Vorgesetzten General Albright und in dessen methodistischer Kirchengemeinde wurde durch Gespräche, Gottesdienste und Sonntagsschule Schlümbachs derzeitiges Leben als »infidel« so in Frage gestellt und erschüttert, dass er schließlich neu und nun bleibend zum christlichen Glauben und dem Vertrauen auf Gott durchrang. Wieder war es in besonderer Weise die Anknüpfung an die Gestalt seiner Mutter und seine Erfahrungen der Kindheit, die ihn emotional berührten und dazu bewegten, sein derzeitiges Leben existentiell in Frage zu stellen. Diese Bekehrungserfahrung wurde für Schlümbach zu einem Schlüssel seiner Lebensdeutung und in späteren Jahren sowohl mündlich als auch schriftlich von ihm in die Öffentlichkeit getragen. Betrachtet man die unterschiedlichen Erfahrungen Schlümbachs in ihrem

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primären kulturellen Kontext, so fällt auf, dass sich ihm der christliche Glaube vor allem in den Ausprägungen des englischsprachigen nordamerikanischen Christentums vermittelte, was er für seine deutsch-amerikanischen Landsleute in deren anders geprägte Erfahrungswelt zu übersetzen suchte. Erfahrungen mit Atheismus und Freidenkertum machte Schlümbach dagegen vor allem im Zusammenhang der deutschsprachigen Vereinswelt in den USA. Politisch fühlte er sich als republikanischer Amerikaner, maß dem »Deutschtum« in Amerika aber eine herausgehobene Bedeutung bei.

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Zweiter Teil »A real incarnation of American religion in a German constitution«. Kirchliche Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881) 1. Vorbereitungszeit: Gemeindeaufgaben in Mauch Chunk und theologische Studien (1868–1872) 1.1 Gemeindeaufgaben in der East Mauch Chunk Methodist Episcopal Church Bereits kurze Zeit nach der Bekehrung zog Schlümbach mit seiner Familie nach Mauch Chunk. Die Geschichte dieses Ortes war eng verknüpft mit den Kohlevorkommen der Region, deren Ausbeutung die wesentliche Voraussetzung für die Besiedlung in diesem bergigen und waldigen, von engen Tälern durchzogenen Landstrich darstellte. Sowohl die Förderung als auch der Transport der Kohle waren ökonomisch die hauptsächlichen Stützen der sich in der Region entwickelnden Gemeinwesen. Die Anfänge Mauch Chunks selbst liegen im Jahr 1818, als sich die ersten Familien auf dem Land der Lehigh Coal and Navigation Company niederließen, unter ihnen viele Quäker.1 Im Laufe der Zeit bildeten sich auf beiden Seiten des Lehigh River Siedlungen – Mauch Chunk und East Mauch Chunk –, die aber erst sehr viel später zur einer Stadt zusammenwuchsen.2 Die Gemeinde, der Schlümbach sich anschloss, war eine Gemeinde der Methodist Episcopal Church, und damit Teil einer der Kirchen, die den Protestantismus der Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert maßgeblich prägten. Die Methodist Episcopal Church stellte die erste Kirchenbildung dar, die aus der methodistischen Erweckungsbewegung um den anglikanischen Pfarrer John Wesley (1703–1791) hervorgegangen war. Im Zentrum der Bewegung stand die missionarische Zuwendung an weithin entkirchlichte Bevölkerungsgruppen und die Betonung eines sowohl im Sinne einer persönlichen als auch sozialen Heiligung stehenden neuen Lebenswandels der Bekehrten, 1

Vgl. Wiggins: History o. P. 1954 gaben sich Mauch Chunk und East Mauch Chunk als eine Stadt schließlich den Namen »Jim Thorpe«. 2

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Gemeindeaufgaben und theologische Studien (1868–1872)

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was der Bewegung auch eine sozialdiakonische und gesellschaftspolitische Stoßrichtung verlieh. Dies entsprach in ihrer Grundstruktur der Glaubenserfahrung John Wesleys, bei dem sich die Erfahrung der befreienden Rechtfertigungsbotschaft mit der Ermöglichung und dem Anspruch eines »geheiligten« Lebens unter der Führung Gottes verband.3 Waren die Gemeinschaften, die sich in England im Zuge dieser Erweckungsbewegung gebildet hatten, zu Lebzeiten Wesleys in der anglikanischen Staatskirche verblieben, stellte sich die Situation in den USA, in die die Bewegung durch Auswanderer in den 1760er Jahren gelangt war, anders dar. Hier war weder in allen Kolonien die anglikanische Kirche in gleicher Weise verankert noch überhaupt in allen Regionen eine kirchliche Versorgung gewährleistet, die regelmäßigen Gottesdienstbesuch und Sakramentsempfang ermöglicht hätte. Schon von daher waren die methodistischen Gemeinschaften in den USA nicht in eine bereits bestehende Kirche eingebunden. Nach jahrelangen Sondierungen wurde schließlich auf der sogenannten »Weihnachtskonferenz« in Baltimore 1784 die Methodist Episcopal Church organisiert. Grundlegende Dokumente waren 24 von Wesley auf Grundlage 39 Articles der Anglikanischen Kirche bearbeitete Glaubensartikel und eine Kirchenordnung, die auf der Grundlage der Large Minutes, einer Zusammenstellung von Beschlüssen zur Ausgestaltung der Bewegung in Großbritannien, erarbeitet worden war.4 Aufgrund der großen Flexibilität, volksnahen Predigtweise und erwecklichen Theologie ihrer Reiseprediger, die meist 15–20 Predigtplätze auf ihrem Circuit bedienten und immer nur eine überschaubare Zeit an einzelne Gemeindebezirke gebunden waren, und dem regen Gemeinschaftsleben, das sich in von Laien getragenen »Klassen« – überschaubaren Gruppen, in denen man sich gegenseitig Anteil gab an seinem geistlichen Leben – verwirklichte, erlebte die Methodist Episcopal Church bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein rasantes Wachstum. Hatten in der Gründungsphase nur wenige tausend Mitglieder zu ihr gehört, waren es 1850 über eine Million Mitglieder im gesamten damals besiedelten Territorium der Vereinigten Staaten.5 Organisatorisch bildete sich eine Leitungsstruktur aus, die aus einem System von ineinander verschränkten »Konferenzen« auf unterschiedlichen Ebenen bestand: Vierteljährlichen Konferenzen, Jährlichen Konferenzen und der Generalkonferenz. 3 Zum Methodismus allgemein vgl. Noll: Art. Methodismus/Methodisten; Ward: Art. Methodistische Kirchen. Zur Frühzeit der methodistischen Bewegung vgl. im einzelnen Streiff: Methodismus; Sommer/Wade: Entstehung; Nuelsen/Mann/Sommer: Geschichte, S. 1–205. 4 Das im Kirchennamen angedeutete Bischofsamt wurde dabei funktional, nicht im Sinne eines historischen Episkopats verstanden. Zu den Anfängen in den USA und der Bildung der Methodist Episcopal Church vgl. Sommer: Methodistenkirche; Nuelsen/Mann/Sommer: Geschichte, S. 375–451. 5 Vgl. Raedel: Methodistische Theologie, S. 12–13.

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Vierteljährliche Konferenzen stellten das leitende Gremium der einzelnen Gemeinde beziehungsweise des Gemeindebezirks dar, zu dem auch mehrere Gemeinden gehören konnten. Zu ihnen gehörten neben dem Reiseprediger die Laien, die in der Gemeinde bestimmte Ämter ausfüllten. Dies waren einmal die im Verkündigungs- und Seelsorgedienst stehenden Lokalprediger6, Ermahner7 und Klassführer8. Daneben gehörten die für die Gemeindefinanzen zuständigen Verwalter9 und die für das Kircheneigentum zuständigen 6 Im Gegensatz zu den im vollzeitlichen Kirchendienst stehenden Reisepredigern waren die Lokalprediger an einem Ort sesshaft und gingen dort ihrem Beruf nach. Seine Predigerlizenz erhielt ein Lokalprediger vom Leitungsgremium seines Gemeindebezirks, der Vierteljährlichen Konferenz, unter der Voraussetzung, dass er von der Klassführerversammlung oder der ganzen Gemeinde empfohlen worden war und eine Prüfung über die Kirchenordnung und die Lehren der Kirche erfolgreich bestanden hatte. Die Lizenz musste jährlich von der Vierteljährlichen Konferenz erneuert werden. Eine Tätigkeit als Lokalprediger stellte den ersten Schritt – so man dies denn anstrebte – in das vollzeitliche Reisepredigtamt der Kirche dar, indem er nach vier Jahren Tätigkeit als Lokalprediger von der Vierteljährlichen Konferenz an die Jährliche Konferenz zur Ordination als Diacon empfohlen und nach zwei weiteren Jahren zum Aeltesten ordiniert werden konnte. 7 Die Erlaubnis, als Ermahner tätig zu werden, erhielt man vom Aufsichtführenden Prediger auf Grundlage der Zustimmung der Klassführerversammlung oder der Klasse, zu der der Bewerber gehörte. Ludwig Sigismund Jacoby schreibt in seinem Handbuch des Methodismus von 1853, S. 336: »Die Pflichten eines Ermahners sind, wie der Name selbst schon andeutet, zu ermahnen, und zwar öffentlich sowohl als privatim. Es ist Gebrauch, daß, nachdem der Prediger die Predigt beendet hat, er öfters, wenn er es für nothwendig hält, dem Ermahner den Auftrag ertheilt, zum Schluß eine kurze Ermahnung an die Versammlung zu halten, um den Sünder noch ferner zu warnen und ihn zu bewegen, von seinem Sündenwege abzulassen; Bußfertige zu ermuntern, sich augenblicklich zu den Füßen Jesu zu werfen; die schon Bekehrten zur Treue gegen Gott und Jesum und zu einem frommen christlichen Lebenswandel aufzufordern«. Außerdem darf der Ermahner in Vertretung eines Lokalpredigers Versammlungen und Gebetsstunden leiten. Die Erlaubnis muß jährlich durch die Vierteljährliche Konferenz erneuert werden. 8 Das Amt des Klassführers war eng verbunden mit der typischen Struktur methodistischer Gemeinden. Jacoby schreibt in seinem Handbuch S. 337: »Der Prediger hat bei größeren Gemeinden nicht die Gelegenheit, mit dem Seelenzustand eines jeden Mitglieds so bekannt zu sein und über seinen Lebenswandel so zu wachen, wie es sein sollte. Um aber eine sorgfältige und genaue Aufsicht über jede einzelne Seele möglich zu machen, ist eine jede Gemeinde in sogenannte Klassen eingeteilt, welche ungefähr aus 12 Personen bestehen und unter die Aufsicht und Leitung eines besonderen Führers gestellt sind, welcher Klaßführer genannt wird«. Die Pflichten eines Klassführers waren 1. jedes Mitglied seiner Klasse mindestens einmal wöchentlich zu sehen, 2. den Umständen entsprechend den Mitgliedern beizustehen, und 3. die Beiträge der Mitglieder zur Unterhaltung der Kirchen, Prediger und Armen in Empfang zu nehmen. Außerdem sollte der Klassführer einmal wöchentlich mit dem Prediger und den Verwaltern zusammenkommen, um den Prediger über seelsorgerlich schwierige Fälle zu unterrichten und den Verwaltern die gesammelten Beiträge auszuhändigen. Im Klassbuch hielt der Klassführer die Vorgänge in der Klasse fest und händigte es dem Prediger regelmäßig zur Durchsicht aus. Die Klassführer waren allein dem Prediger verantwortlich, wurden also von ihm zu ihrem Dienst erwählt und aus diesem entlassen. 9 Sorge zu tragen hatten die Verwalter für alle finanziellen Angelegenheiten der Gemeinde, vor allem für den Unterhalt des Predigers nach den Vorgaben der Kirchenordnung und den persönlichen Lebensumständen desselben, aber auch für die Unterstützung von Armen und Kran-

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Trustees10 zur Vierteljährlichen Konferenz, außerdem – je nach lokalen Gegebenheiten – die Leiter weiterer Gruppen in der Gemeinde, wie zum Beispiel der Sonntagsschule oder des Missionsvereins. Bindeglied zur Gesamtkirche war der die Vierteljährliche Konferenz leitende Vorstehende Aelteste, der die Funktion eines Superintendenten erfüllte. Er war für einen Distrikt zuständig, zu dem mehrere Gemeinden gehörten. Aus mehreren Distrikten wiederum setzten sich die Jährlichen Konferenzen zusammen, die ein Mal im Jahr alle Reiseprediger ihres Konferenzgebietes zusammenführten und von einem Bischof geleitet wurden. Auf ihnen wurden allgemeine Belange der kirchlichen Arbeit behandelt und beschlossen und vom Bischof die jährlichen Dienstzuweisungen für die Reiseprediger ausgesprochen. Auch das gemeinsame gottesdienstliche Leben spielte bei den Jährlichen Konferenzen für die Gemeinschaft der Prediger eine wichtige Rolle. Die Generalkonferenz tagte alle vier Jahre und umfasste Delegierte aus allen Jährlichen Konferenzen, daneben die Bischöfe und seit 1872 auch Laien11. Hier wurden alle die Gesamtkirche betreffenden Fragen verhandelt, die kirchliche Gesetzgebung beschlossen und die Bischöfe gewählt. Diese wiederum hatten gegenüber der Generalkonferenz keine eigenen legislatorischen Kompetenzen und – wie bei den Jährlichen Konferenzen – kein Stimmrecht. Die erste methodistische Predigt war in dem jungen Ort Mauch Chunk 1827 von einem Lokalprediger gehalten worden, der auch eine Klasse um sich sammelte. 1828 wurde der Ort in den Reiseplan eines Reisepredigers der Philadelphia Conference aufgenommen, 1832 wurde eine konkrete Gemeindearbeit als Mission begonnen. Kurz darauf wurde auch eine erste Kirche errichtet, auf die 1844 eine neue und größere Kirche an der Hauptstraße folgte und zu der 1863 ein großes Pastorat in guter Wohnlage hinzukam.12 Im Jahr 1868 wirkten James E. Meredith als Hauptpastor und Charles W. Bickley als sein Assistent, letzterer mit Zuständigkeit für die Mission in East Mauch Chunk. Im Wesentlichen durch die Initiative General Albrights war dort in diesem Jahr mit der Gründung einer Tochtergemeinde begonnen worden.13 Die Finanzen für den Bau einer eigenen Kirche wurden von Albright und R. Q. Butler bereitgestellt, so dass die Mission von Anfang an in ken. Darüber hinaus sollten sie aber auch über den Lebenswandel der Gemeinde und des Predigers wachen und Missstände offen ansprechen. Der Prediger hatte das Recht, die Verwalter zu ernennen, sie mussten aber von der Vierteljährlichen Konferenz jährlich bestätigt werden, sollten den Planungen zur Verwendung von Geldern zum Kirchenbau beiwohnen und in der Gemeinde schiedsrichterlichen Rat geben. 10 Die Bauverwalter waren im Besonderen für die Liegenschaften einer Gemeinde zuständig und hatten auch über den Abbau eventueller Bauschulden zu wachen. 11 Vgl. Hahn-Bruckart: Weg. 12 Vgl. Wiggins: History o. P. 13 Vgl. Wiggins: History o. P.

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einem eigenen Gebäude betrieben werden konnte, auch wenn die offizielle Einweihung durch Bischof Janes aus terminlichen Gründen erst am 16. Dezember 1868 stattfand.14 Dies war die Gemeinde, die Schlümbach in Mauch Chunk besucht hatte, und dies war die Gemeinde, in die er nach seiner Übersiedlung auch eintrat. Am 1. September 1868 wurde er auf Probe in die Methodist Episcopal Church in East Mauch Chunk aufgenommen.15 Noch im gleichen Jahr wurde seine am 9. Juni 1868 geborene Tochter Thekla im Hause General Albrights getauft.16 Bis zum Winter waren in der Gemeinde drei Klassen entstanden17, zu einer davon auch Schlümbach gehört haben muss. Denn die dort verbindlich gelebte christliche Gemeinschaft und Bewährung in der Zeit als Probeglied war Voraussetzung für die Aufnahme in die volle Gliedschaft der Kirche. Als volles Kirchenglied wurde Schlümbach am 25. März 1869 durch Reverend Bickley in die Methodist Episcopal Church aufgenommen.18 Neben der obligatorischen Zugehörigkeit zu einer der Klassen engagierte sich Schlümbach auf verschiedenen Feldern der Gemeindearbeit. Bereits am 27. Februar 1869 war er zum Steward ernannt worden, ein Amt, das er die nächsten drei Jahre über inne haben sollte.19 Von Februar 1870 an wirkte er auch als Trustee.20 Dass Schlümbach sich aber nicht nur in der Gemeindeverwaltung engagierte, zeigt sich daran, dass er 1869/1870 zum Local Preacher berufen wurde, also aktiv Verkündigungsdienste wahrnahm und sich auch eine theologische Grundbildung erarbeitet hatte.21 Ein weiterer wichtiger Arbeitszweig, in dem sich Schlümbach zumindest teilweise engagierte, war die Sonntagsschule, die schon bald ausgesprochen gut besucht war und der – wahrscheinlich von Albright – auch eine beacht14 Vgl. Mathews/Hungerford: History, S. 692. Zu Bischof Edmund S. Janes (1807–1875) vgl. Voigt: Art. Janes. 15 Vgl. Probationers, Book 1, S. 1 No. 1 (Grace Church Archives). Wahrscheinlich war er damit das erste Probeglied überhaupt in dieser noch jungen Gemeinde. Bevor man in die volle Gliedschaft der Kirche aufgenommen werden konnte, musste man mindestens sechs Monate lange als Probeglied am Gemeindeleben teilgenommen und eine Klasse besucht haben. 16 Vgl. Baptisms, Book 1, S. 1 No. 12 (Grace Church Archives). 17 Vgl. Mathews/Hungerford: History, S. 692. 18 Vgl. Alphabetical Record of Members in Full Connection, Book 1, S. 6, No. 10 (Grace Church Archives). 19 Vgl. Record of Official Members, Book 1, S. 2–3 (Grace Church Archives). 20 Vgl. Record of Official Members, Book 1, S. 3 (Grace Church Archives). 21 Vgl. Record of Official Members, Book 1, S. 4 (Grace Church Archives), wo seine Berufung zum Lokalprediger für 1870 vermerkt ist. Schlümbach selbst schreibt Anfang 1872, dass er nun fast drei Jahre als Lokalprediger gedient habe, was eine Berufung zu diesem Dienst für das Jahr 1869 nahelegt; vgl. F. Schlümbach: Correspondenz aus Pennsylvanien. In: CA 1872, S. 26. Dass Schlümbach zu den wichtigen und aktiven Gliedern der Gemeinde zählte, wird auch dadurch ersichtlich, dass er in Mathews/Hungerford: History, S. 692 zu den besonders erwähnten Kirchengliedern gehört.

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liche Bibliothek zur Verfügung gestellt wurde.22 Im Jahr 1870 wirkte Schlümbach in der Weihnachtsfeier der Sonntagsschule mit, in der er der Klasse, die die höchste Missionskollekte gesammelt hatte, ein Banner überreichte und einige ermahnende Worte an die Kinder richtete. Bemerkenswert ist, dass die Sonntagsschule beschloss, am kommenden Sonntag eine Kollekte zusammenzulegen für die Kinder in Deutschland, deren Väter im deutsch-französischen Krieg gefallen waren.23 1869 hatte die Gemeinde in East Mauch Chunk 41 volle und 20 Probeglieder24, Ende 1870 waren es etwa 60 Glieder, zum größten Teil nicht sehr wohlhabend und entweder als Arbeiter oder Beamte bei der Bahn beschäftigt.25 Von 1870–1872 diente als Nachfolger Rev. Bickleys Rev. S. H. Hoover der Gemeinde.26 Obwohl in einer englischsprachigen Gemeinde beheimatet, nahm Schlümbach über die Lektüre des Christlichen Apologeten doch auch gelegentlich Anteil am deutschen Zweig der Methodist Episcopal Church, dessen Organ diese Zeitschrift war.27 Denn von den 1830er Jahren an hatte sich auch ein deutschsprachiger Zweig in dieser Kirche gebildet. Prägende Gestalt war Wilhelm Nast (1807– 1899)28, der sich als junger, in Deutschland ausgebildeter Theologe 1835 der MEC anschloss und von da an eine missionarische Tätigkeit unter den Deutschen in Ohio entfaltete. Daraus entstanden deutschsprachige methodistische Gemeinschaften, aus denen wiederum weitere Prediger hervorgingen. Seine eigentliche Berufung fand Nast als Herausgeber der neu gegründeten methodistischen Wochenzeitung Der Christliche Apologete im Jahr 1839, durch die er über 50 Jahre lang, verbunden mit weiteren publizistischen Tätigkeiten, den deutschen Methodismus in den USA maßgeblich prägte. 1844 wurden drei eigene Distrikte für die deutschsprachigen Gemeinden geschaffen. Zwanzig Jahre später zählte der deutsche Zweig der Methodist Episcopal Church, der als Kirchennamen die Übertragung Bischöfliche Methodistenkirche wählte29, bereits über 300 Reiseprediger und 26.000 Mitglieder, so dass von der Generalkonferenz 1864 drei deutschsprachige Jährliche Konferenzen or22 Vgl. Mathews/Hungerford: History, S. 692. Jede US-Sonntagsschule hatte eine Bibliothek, die überwiegend durch die Traktatgesellschaft ausgestattet wurde. 23 Vgl. F. Schlümbach: Aus Pennsylvanien. In: CA 1871, S. 18. 24 Vgl. Wiggins: History o. P. 25 Vgl. F. Schlümbach: Aus Pennsylvanien. In: CA 1871, S. 18. 26 Vgl. Mathews/Hungerford: History, S. 692. 27 Vgl. F. Schlümbach: Aus Pennsylvanien. In: CA 1871, S. 18. 28 Zu Nast vgl. Voigt: Art. Nast. 29 Von daher soll im Folgenden der Begriff Methodist Episcopal Church (MEC) für den englischsprachigen Zweig, Bischöfliche Methodistenkirche (BMK) für den deutschsprachigen Zweig stehen.

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ganisiert wurden, die jedoch unter der Aufsicht englischsprachiger Bischöfe blieben.30 Obwohl viele Deutsche in Pennsylvania lebten, gab es dort 1870 nur sechs Gemeinden der Bischöflichen Methodistenkirche: eine in Philadelphia, eine in Scranton und vier in und um Pittsburgh.31 Viele deutschsprachige Kirchenglieder gehörten daher zu englischsprachigen Gemeinden – ein Umstand, der zu gewissen Divergenzen innerhalb der MEC führte: während vor allem deutschsprachige Prediger betonten, dass es sehr viel hilfreicher und erfolgversprechender sei, die Deutschen in eigenen Gemeinden zu sammeln, tendierten vor allem englischsprachige Prediger dazu, gelegentlich deutsche Prediger auf ihre Kanzeln zu rufen, um auch die Deutschen in ihre Gemeinden zu führen.32 Hatte Schlümbach vorübergehend über den Christlichen Apologeten am Leben des deutschen Kirchenzweiges teilgenommen, so war die Zeitschrift ihm doch zwischendurch »fremd« geworden, zumal er so gut wie keinen persönlichen Kontakt zu Gemeinden der BMK gehabt hatte und nur im englischsprachigen Teil der Kirche verkehrte.33 Dennoch hatten sich schon früh seine Gemeinde- und Glaubenserfahrungen dahingehend verdichtet, in den vollzeitlichen Predigtdienst der Methodistenkirche treten zu wollen – und zwar in ihrem deutschen Zweig. Da er eine Familie zu ernähren hatte, war es ihm nicht möglich, als Student dauerhaft ein Theologisches Seminar zu besuchen. Stattdessen verdiente er sein Geld mit verschiedenen Tätigkeiten in und um Mauch Chunk. 1.2 Berufliche Tätigkeitsfelder Eine Weile bevor Schlümbach nach Mauch Chunk gezogen war, hatte er ein Engagement durch das National Republican Committee angenommen, als Stump Speaker für General Grant im Präsidentschaftswahlkampf 1868 die Staaten Pennsylvania, Delaware, New Jersey und Connecticut zu bereisen.34 Er kam diesen Verpflichtungen wohl nach, konzentrierte sich aber spätestens nach der Wahl im November auf die Herausgabe einer deutschsprachigen 30 Vgl. Raedel: Methodistische Theologie, S. 12–16; Voigt: Zweig; Douglass: Story. Auch andere deutschsprachige Kirchen methodistischer Prägung hatten sich in den USA gebildet, nämlich die Evanglische Gemeinschaft und die Vereinigten Brüder in Christo. 31 Vgl. J. J. F. Brunow: Correspondenz aus Philadelphia. In: CA 1870, S. 361. Die Ausbreitung der Methodistenkirche folgte wesentlich der Besiedelung des Kontinents und war damit eher Richtung Westen orientiert. 32 Vgl. J. J. F. Brunow: Correspondenz aus Philadelphia. In: CA 1870, S. 361. 33 Vgl. F. Schlümbach: Correspondenz aus Pennsylvanien. In: CA 1872, S. 26. Schlümbach schreibt, dass er lediglich einmal die deutsche Gemeinde in Philadelphia besucht habe. 34 Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 180; Preaching to the Germans. In: New York Times vom 7. 3. 1881, S. 8.

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republikanischen Zeitung in Mauch Chunk, die den Titel Lecha Fackel trug.35 1869 wechselte das Blatt nach Easton in das Verlagshaus der Daily Free Press. Obwohl Mitte April eine Auflage von 1.000 Exemplaren erreicht werden konnte36, wurde das Erscheinen der Lecha Fackel einen Monat später eingestellt.37 Schlümbach schreibt, dass das Verlagshaus 1869 niederbrannte, was – da nicht versichert – das Ende dieser Publikation und auch dieser Tätigkeit Schlümbachs zur Folge hatte.38 Schlümbach blieb der journalistischen Arbeit aber zunächst treu und arbeitete als Redakteur für den Lecha Patriot, ein republikanisches Wochenblatt, das in Allentown herausgegeben wurde.39 Nach diesen doch eher unsicheren Beschäftigungen eröffnete sich für ihn 1869/1870 die Möglichkeit, als U. S. Government Mail Agent auf der Lehigh Valley Railroad zwischen Easton und Hazleton zu arbeiten40 – eine sichere Arbeitsstelle mit gutem Auskommen, die er gerne annahm. Seit Beginn des Bergbaus war die Eisenbahn – zusammen mit der Flussschifffahrt – wichtig für den Transport der Kohle gewesen, und so hatte sich bis zu den 1860er Jahren eine vielbefahrene Eisenbahnroute entwickelt, die über Easton hinaus bis nach Philadelphia reichte. Sowohl der Gütertransport als auch die Personenbeförderung stellten bedeutende Wirtschaftszweige dar, die vielen Menschen Lohn und Brot brachten.41 So zeigt die Volkszählung des Jahres 1870 Schlümbach auch als Mail Agent in East Mauch Chunk mit einem Immobilienbesitz im Wert von 1.400 $ und einem Vermögen von 500 $.42 Ein weiterer Vorteil dieser Tätigkeit war, dass er Freiraum hatte für seine theologischen Studien. So schreibt er später, dass er am Postschalter seine theologischen Bücher griffbereit hatte, um jede Pause im Kundenverkehr 35 Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 180. Die Lecha Fackel wird in Arndt/Olson: Presse Bd. 1 noch nicht geführt, sondern erscheint erst im 2. Bd. unter den Nachträgen; vgl. Arndt/Olson: Presse Bd. 2, S. 516 (Easton) u. 525 (Mauch Chunk). Es scheint sich kein Exemplar der Zeitung erhalten zu haben. 36 So berichtet die Easton Daily Free Press am 14. 4. 1869; vgl. die Übersicht in: Pennsylvania Dutchman 4 (1952) [es konnte kein vollständiges Exemplar eingesehen werden; die Eintragung zur Lecha Fackel ist aber über die Google-Buchsuche auffindbar (zuletzt am 14. 8. 2010)]. 37 Steigers Literarischer Monatsbericht vermerkt im Juni 1869, S. 29: »Die Lecha Fackel, ein radikales Blatt des Kapitän Schlümbach, vor einigen Monaten in Mauchchunk, Pa., gegründet, ist wieder eingegangen.« Zit. nach Arndt/Olson: Presse Bd. 2, S. 525. Der Easton Correspondent & Democrat hatte bereits am 19. 5. 1869 berichtet, dass die Lecha Fackel eingestellt worden sei; vgl. die Eintragung in Pennsylvania Dutchman 4 (1952). 38 Vgl. Cleveland und sein Deutschthum, S. 180. 39 Vgl. Shoemaker: Checklist, S. 133, wo Schlümbach namentlich erwähnt wird. Arndt/Olson: Presse Bd. 1 weisen die Zeitung auf S. 505 nach. 40 Vgl. Cleveland und seine Deutschthum, S. 180; Memorial Record, S. 47; New York Times vom 7. 3. 1881, S. 8. 41 Vgl. Guide-Book of the Lehigh Valley Railroad, passim. 42 Vgl. 1870 United States Federal Census Record, Roll: M593_1320; Page: 281; Image: 562 (National Archives). Sein Frau Coelestine ist als »keeping house« geführt.

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dazu zu nutzen, sich auf den von ihm angestrebten Dienst als Reiseprediger der Bischöflichen Methodistenkirche vorzubereiten.43 1.3 Theologische Studien in Vorbereitung auf den vollzeitlichen Predigerdienst Da er, wenn überhaupt, nur sporadisch zum Besuch von Lehrveranstaltungen in einem Theologischen Seminar abkömmlich war, eignete Schlümbach sich seine theologische Bildung vor allem im Selbststudium an.44 Nach der Kirchenordnung gehörten zu seiner Pflichtlektüre unter anderem Fletchers Appelation, Nasts Wesley-Biographie, Wesleys Predigten, Sulzbergers Systematische Theologie, Nasts Einleitung in das Neue Testament, Stevens’ Geschichte der Bischöflichen Methodistenkirche, Wesleys Erklärung der christlichen Vollkommenheit, Pearsons Buch über den Unglauben, daneben weitere allgemeinbildende und theologische Werke.45 Da Schlümbach bisher die BMK, den deutschen Zweig der MEC, in eine von deren Konferenzen er im Frühjahr 1872 aufgenommen werden wollte, kaum aus persönlicher Anschauung kannte, wurde er Ende 1871 von Prediger J. W. Freund nach Newark eingeladen, um ein gegenseitiges Kennenlernen mit mehreren Reisepredigern zu ermöglichen – und auch schon einen Vorgeschmack auf das zu bekommen, was ihn im vollzeitlichen Predigtdienst erwarten sollte. Schlümbach reiste an einem Samstag Mitte Dezember 1871 nach Newark und verbrachte den Abend bei der Familie Prediger Freunds beziehungsweise im intensiven Zwiegespräch mit diesem bis spät in die Nacht. Am nächsten Morgen hielt Schlümbach in der Bischöflichen Methodistenkirche zu Newark seine erste deutsche Predigt seit langem. Danach bat Prediger Freund ihn, die Geschichte zu erzählen, wie er zu Gott und zur Kirche gefunden habe, was Schlümbach auch tat. Nachdem die beiden nachmittags mehrere Sonntagsschulen besucht hatten, hielt Schlümbach am Abend eine zweite Predigt, nach der eine Betstunde stattfand, in der mehrere den Weg zu Christus suchten. Am Montag besuchte Schlümbach mit Prediger Freund die englischsprachige Predigerversammlung von Newark und redete dort auf Freunds Aufforderung hin über die Temperenzsache in Pennsylvania. Danach fuhren sie nach New York, wo Schlümbach das Missionshaus der Kirche kennenlernte, dessen Bedeutung für die Einwanderer er nicht zu hoch veranschlagen konnte. Nachmittags traf er mit mehreren

43

Vgl. o. N.: Friedrich von Schlümbach. In: Licht und Leben 1930, S. 260–263, dort 260. Am Wallace Collegium in Berea, der deutschsprachigen methodistischen Ausbildungsstätte, ist er nach Auskunft des dortigen Archivs nie immatrikuliert gewesen. 45 Vgl. den Studienplan in Lehre und Kirchenordnung 1876, S. 315–318. Eine frühere Kirchenordnung war nicht greifbar; die Angaben dürften aber auch für die Jahre davor zutreffen. 44

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Predigern der BMK zusammen, in deren Kreis er sich vorstellte und mit denen er einen Vortrag hörte. Abends kehrte er zurück nach Newark, um in der Kapelle des »City Missionär[s]« auf Englisch zu predigen: »Der Herr erweckte dort elf Seelen, wovon fünf den Sieg des Glaubens davontrugen.«46 Dienstag vertiefte sich Schlümbach – wie wohl schon in den Nächten zuvor – in den Gedankenaustausch mit Prediger Freund und wurde insbesondere mit aktuellen theologischen Werken vertraut gemacht, von denen er vor allem den Synoptikerkommentar Wilhelm Nasts hervorhob. Am Dienstagabend fand erneut eine Predigt Schlümbachs statt mit anschließender Betstunde und Gesprächen bis in die Nacht. Am Mittwoch reiste Schlümbach erfüllt zurück nach Mauch Chunk, denn er hatte seine Bestimmung gefunden.47 In seinem Bericht von dieser Reise im Christlichen Apologeten kam Schlümbach auch auf eine Thematik zu sprechen, die Anfang der 1870er Jahre mehr und mehr ins Zentrum der theologischen Diskussionen rückte und auch ihn beschäftigte, nämlich die Frage der Heiligung, wie sie von der an Popularität gewinnenden Heiligungsbewegung propagiert wurde. Diese hatte fast zeitgleich mit dem deutschsprachigen Methodismus, nämlich von den 1830er Jahren an, begonnen, sich auszubreiten, und ebenso den englischsprachigen wie den deutschsprachigen Teil der MEC erfasst.48 Das Thema der Heiligung war schon bei John Wesley von zentraler Bedeutung gewesen. Er akzentuierte damit den Aspekt eines nach Gottes Willen geführten Lebens, in dem der natürliche Hang zum Sündigen überwunden werde, als konkrete Erfahrung im Sinne einer zweiten Stufe nach der Erfahrung der Tilgung aller bisherigen Sünden in der Rechtfertigung. Die Heiligungsbewegung griff diese Aspekte auf, führte sie weiter und popularisierte sie, so dass die Bewegung weit über die wesleyanisch geprägten Kirchen hinausgriff und auch im Calvinismus Einfluss gewann. Es ging ihr um die »völlige Reinigung des Herzens durch die Einwohnung des Geistes«49, weshalb diese Erfahrung mit pfingstlichen Sprachbildern beschrieben wurde und auch bereits in diesem Zusammenhang die Rede von einer

46

F. Schlümbach: Correspondenz aus Pennsylvanien. In: CA 1872, S. 26. Vgl. F. Schlümbach: Correspondenz aus Pennsylvanien. In: CA 1872, S. 26. 48 Zur Heiligungsbewegung insgesamt vgl. Dieter: Holiness Revival; Holthaus: Heil; Ohlemacher: Evangelikalismus; Ohlemacher: Art. Heiligungsbewegung [EKL]; Ohlemacher: Art. Heiligungsbewegung [ELThG]; Geldbach: Freikirchen, S. 244–253; zur Heiligungsbewegung in den USA vgl. außerdem Faupel: Art. Heiligungsbewegungen; zur Heiligungsbewegung in Europa vgl. Cochlovius: Art. Heiligungsbewegungen. Speziell zum Verhältnis von Methodismus und Heiligungsbewegung vgl. Weyer: Heiligungsbewegung; Raedel: Theologie, S. 79– 112. 49 Geldbach: Freikirchen, S. 250. 47

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»Geisttaufe« Verwendung finden konnte.50 Terminologisch wurde das Ziel eines sündlosen Lebens durch Begriffe wie »Christliche Vollkommenheit«, »gänzliche Heiligung«, »das höhere christliche Leben«, »vollkommene Liebe« oder »der zweite Segen« zum Ausdruck gebracht51, die wiederum an aus der methodistischen Tradition vertraute Semantik anknüpften.52 Dabei wurde meistens von einem prozessualen Charakter im Sinne einer fortschreitenden Heiligung ausgegangen, wenngleich auch die Position eines einmaligen zur gänzlichen Sündlosigkeit führenden Aktes vertreten werden konnte. Ein wesentliches Instrument, die Anliegen der Heiligungsbewegung zu verbreiten, war von 1867 an die National Camp Meeting Association for the Promotion of Holiness. Die evangelistische Ausrichtung traditioneller Camp Meetings wurde nun zusammengebracht mit der auf Erneuerung der Kirche und des Einzelnen zielenden Predigt von der »völligen Heiligung«.53 Fanden zunächst nur einzelne große Treffen statt, so entwickelte sich im Laufe der Zeit ein reges und weitverzweigtes Veranstaltungsleben über das ganze Land. In einer Zuschrift an den Christlichen Apologeten im Januar 1872 bezog sich Schlümbach ausdrücklich auf die Darstellung einer Heiligungsversammlung und der ihr zugrunde liegenden Theologie, die ihn in positivem Sinne »zu tiefem Nachdenken« gebracht und »zum eifrigen Suchen nach ›völliger Freiheit‹ aufgestachelt« habe.54 Diese Darstellung war unter dem Titel »Das höhere christliche Leben« ohne Autorenangabe, also wahrscheinlich aus der Feder Wilhelm Nasts, am 8. Januar 1872 im Christlichen Apologeten erschienen und berichtete von Versammlungen der National Camp Meeting Association in einer Methodistenkirche in Cincinnati. Diese Versammlungen sollten »den speziellen Zweck haben, denjenigen, welche den Herrn in der Vergebung ihrer Sünden gefunden haben, das Vorrecht und die Pflicht vorzuhalten, volle Erlösung, Reinigung von aller Sünde im Blute Christi zu suchen, und ihnen den Weg klar zu machen, auf dem sie in diesen herrlichen Stand der Gnade kommen können.«55 Es wird hier also deutlich eine zweite Erfahrung von der des Rechtfertigungsgeschehens abgehoben. Diejenigen, die diese Erfahrung der »völligen Erlösung« gemacht hätten, würden selbst Skeptiker der Heiligungsbewegung überzeugen können, nach dieser besonderen Heiligungserfahrung zu streben. Die Art und Weise, wie man diese Erfahrung des zweiten Segens empfangen könne, bestehe darin, eine bewusste »Ueberga50

Vgl. dazu auch die instruktive Studie von Schmieder: Geisttaufe, S. 142–236. Vgl. Faupel: Art. Heiligungsbewegungen, Sp. 1576–1577. 52 Gerade letzteres führte oft zur unkritischen Rezeption einseitig perfektionistischer Anschauungen in den methodistischen Kirchen. Zur späteren Entwicklung des Umgangs mit der Heiligungslehre im (europäischen) Methodismus vgl. Schuler: Mission, S. 237–244. 53 Vgl. Dieter: Holiness, S. 98–118; Holthaus: Heil, S. 23. 54 Vgl. F. Schlümbach: Correspondenz aus Pennsylvanien. In: CA 1872, S. 26. 55 O. N.: Das höhere christliche Leben. In: CA 1872, S. 12. 51

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Prediger und Aufbau eines Nationalbundes (1872–1875)

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be« an Gott zu vollziehen. Dabei »müsse er [der Mensch] glauben, daß Gott seine Verheißung erfüllt und Das gibt, um was man bittet, die völlige Reinigung des Herzens. Diese kann sich der Mensch nicht selbst geben. Sie wird ihm auch nicht gegeben, um dessen willen, daß er die Uebergabe gemacht hat, oder um dessen willen, daß er es glaubt, sondern einzig und allein um des Blutes Christi willen, um dessen Besprengung durch den Heiligen Geist er bittet.« Das Vertrauen darauf, dass Gott seine Verheißungen erfüllt, sei das einzige Unterpfand, das der Mensch in diesem Vorgang habe, aber »das Zeugnis und die Früchte des Geistes, ja die Fülle und Kraft, die volle Taufe des Geistes wird unfehlbar folgen.«56 In diesem Artikel wird also in nuce das Beispiel eines aktualistischen Heiligungsverständnisses gegeben. Im weiteren Verlauf des Textes stellt der Verfasser das Thema auch in einen ekklesiologischen Rahmen, indem er die »Kraft der Kirche« im Wesentlichen davon abhängig macht, inwiefern ihre Glieder wirklich von dieser Heiligungserfahrung durchdrungen seien, und indem er aufweist, inwiefern diese Thematik auch schon bei John Wesley von zentraler Bedeutung gewesen war.57 Für Schlümbach selbst lag hier der Anfangspunkt für ein langes Ringen nach der rechten Heiligungslehre, das ihn auch durch seinen pastoralen Dienst begleiten sollte. In diesen trat er im Frühjahr 1872 ein.

2. Methodistischer Prediger in Baltimore und der Aufbau eines Nationalbundes Deutscher Christlicher Jünglingsvereine (1872–1875) 2.1 Aufnahme in die Oestliche deutsche Conferenz der Bischöflichen Methodistenkirche Gemäß der Ordnung der Bischöflichen Methodistenkirche geschah Friedrich von Schlümbachs Aufnahme in den Reisepredigtdienst bei der Sitzung einer Jährlichen Konferenz. Seinem bisherigen Wohnort entsprechend war dies für ihn die Oestliche deutsche Conferenz, die seit 1866 bestand und in Nord-Süd-Ausrichtung Gemeinden von Massachusetts bis Maryland umfasste, Richtung Westen Gemeinden bis zu den Großen Seen.1 Sie tagte vom 21.–23. März 1872 in New York.2 56

O. N.: Das höhere christliche Leben. In: CA 1872, S. 12. Vgl. o. N.: Das höhere christliche Leben. In: CA 1872, S. 12. 1 Ihre Wurzeln reichten zurück bis in das Jahr 1841, als in New York von Deutschen, die sich in englischen methodistischen Gemeinden bekehrt und ihnen angeschlossen hatte, der Wunsch geäußert wurde, in kirchlicher Hinsicht bewusst etwas für die Deutschen in der Stadt 57

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Schlümbach war bereits am 19. März vom heimatlichen Mauch Chunk in Pennsylvania nach New York aufgebrochen und wohnte für die Zeit der Konferenz mit mehreren zukünftigen Kollegen bei dem New Yorker Prediger Stehl. War er nun zum ersten Mal für einige Tage in der Gemeinschaft deutscher methodistischer Prediger, so machte bereits das Miteinander in seiner Unterkunft – wohl auch angesichts einer kurzen Erkrankung Schlümbachs, während der er sich bester Pflege erfreute – tiefen Eindruck auf ihn. Was ihn aufgrund seiner bisherigen Lebenserfahrung dabei bewegte, war der »Contrast [. . .] zwischen der Art und Weise des Lebens der Kinder Gottes unter einander und des der Weltmenschen«.3 Bischof Janes, der der Konferenz präsidierte, hatte Schlümbach bereits dreieinhalb Jahre zuvor bei der Einweihung der englischen Kirche in Mauch Chunk, zu der er »Convertit« war, kennen gelernt.4 Insgesamt lag ein den Berichten nach zufriedenstellendes Jahr hinter der Oestlichen deutschen Conferenz: die Gliederzahlen konnten um 7% auf rund 3.300 Kirchenglieder (die Probeglieder nicht eingerechnet) gesteigert werden, etliche Gemeinden konnten ihre Schulden abtragen und einige neue Kirchen konnten gebaut werden. Im brüderlichen Dienstgespräch wurde gegen keinen der Prediger etwas vorgebracht.5 Thematische Schwerpunkte der Konferenz waren die Temperenzbewegung und die Sonntagsheiligung. Was Schlümbach aber in besonderer Weise in Erinnerung blieb, war die eindringliche Weise, in der Bischof Janes von der Situation der jungen Menschen im Land sprach.6 Gegen Ende der Konferenz wurde Friedrich von Schlümbach zusammen mit R. Steil, Ch. Reuß und Jacob Wörz auf Probe in die Konferenzgemeinschaft aufgenommen, zwei weitere Brüder wurden zu Ältesten ordiniert.7

zu tun; vgl. Müller: Geschichte, S. 13. Im Mittleren Westen hatten sich unter dem Einfluss Wilhelm Nasts schon früher deutsche Gemeinden gebildet. 1849 wurden die mittlerweile an der Ostküste entstandenen methodistischen Missionen organisatorisch in einem Distrikt zusammengefasst, der Teil der New York Conference wurde; vgl. ebd., S. 19. Nachdem die Generalkonferenz des Jahres 1864 die deutschen Konferenzen des Westens organisiert hatte, gab sie den Bischöfen die Vollmacht, auch eine eigene deutsche Konferenz für den Osten zu organisieren. Da sich die Prediger der New York Conference im folgenden Jahr dafür aussprachen, konnte am 11. 4. 1866 die Konferenz organisiert werden; vgl. ebd., S. 20–21. Sie wurde in zwei Distrikte untergliedert – New York und Philadelphia –, wobei Baltimore zum Philadelphia Distrikt gehörte; vgl. ebd., S. 21–22. 2 Vgl. Verhandlungen der Oestlichen Deutschen Conferenz, Titelseite. 3 Fr. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. 4 Vgl. Fr. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. 5 Vgl. L. W.: Oestliche deutsche Conferenz. In: CA 1872, S. 116. 6 Vgl. Fr. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. Auch an den Aspekt der Sonntagsschullieder erinnerte sich Schlümbach besonders. 7 Vgl. L. W.: Oestliche deutsche Conferenz. In: CA 1872, S. 116; Deutscher Kalender 1873, S. 38.

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Erst bei der Verlesung der Bestellungen am Samstagabend erfuhr Schlümbach, dass er zusammen mit John Swahlen nach Baltimore gesandt werden solle.8 Swahlen war bereits Mitte 60 und hatte sich während der Konferenz auf die Liste der Supernumerären setzen lassen.9 Die gemeinsame Bestellung sah so aus, dass die Gemeinde in der Pennsylvania Avenue das Arbeitsfeld Johann Swahlens und die in der Light Street das Schlümbachs sein sollte, wobei die pastorale Aufsicht letztlich bei Swahlen lag, da Schlümbach ja zunächst nur »Gehilfe« war.10 Schlümbach freute sich sowohl auf die Zusammenarbeit mit diesem alten »Pionier«11 der Ostdeutschen Konferenz als auch auf Baltimore als Arbeitsfeld.12 Die Stimmung bei der Konferenz beschrieb Schlümbach im Rückblick als harmonisch und würdevoll.13 Seine Eindrücke von den gemeinsamen »Betstunden« geben den stark heiligungstheologisch orientierten Impetus methodistischer Frömmigkeit dieser Zeit wieder: das gradualistische »Näher zu Gott« und das mit diesem prozesshaften Ansatz verbundene im Superlativ angegebene Ziel »vorwärts zur völligen Liebe«. Auf der gleichen Linie liegt es, wenn Schlümbach als sein Motto angesichts der Aufnahme in die Konferenz ausgibt: »Ich will den Herrn meinen Gott lieben von ganzem Herzen«.14 In den folgenden Jahren durchschritt Schlümbach die einzelnen Stationen zur lebenslangen Berufung als Reiseprediger der Bischöflichen Methodistenkirche.15 So wurde er nach dem einen Jahr als »Gehilfe« auf der Jährlichen Konferenz des Jahres 1873 zum Diakon ordiniert16, verblieb aber für ein 8

Vgl. Fr. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. Vgl. L. W.: Oestliche deutsche Conferenz. In: CA 1872, S. 116. Mit diesem Begriff wurden die Reiseprediger bezeichnet, die wegen »Körperschwäche« nicht mehr im vollen Dienst stehen konnten. Davon zu unterscheiden sind die »Superannuären«, die wegen Altersschwäche zurückgestellt wurden. 10 Nach den Konferenzverhandlungen in Deutscher Kalender 1873, S. 39 liest sich dies so: »Baltimore, Pennsylvania Avenue und Süd-Mission, J. Swahlen, Sup. F. Schlümbach«. Dass Schlümbach primär für Light Street, also die »Süd-Mission« zuständig sein sollte, geht auch aus der Liste der Prediger, die in Diensten der Oestlichen Deutschen Conferenz standen, in Müller: Geschichte, S. 167 hervor, nach der Schlümbach »zuerst Light Str.« bediente. 11 Zur Rolle Swahlens (1806–1898) als »Pionier-Prediger[. . .]« in der Entstehung der Ostdeutschen Konferenz vgl. Müller: Geschichte, S. 18–19. 12 Vgl. Fr. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. 13 Er schreibt, dass nur wenige Witzeleien vorgekommen seien, »und wurde, glaube ich, außer meiner Wenigkeit, Niemand ein Opfer der freundlichen Angriffe«; Fr. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. 14 Fr. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. 15 Vgl. dazu Nuelsen: Ordination; v. a. die Zusammenfassung der Ergebnisse auf S. 158–166. In Anlehnung an die anglikanische Praxis, der der Methodismus entstammte, wurde man zunächst für zwei Jahre zum »Diakon« ordiniert, danach zum »Ältesten«. 16 Vgl. Deutscher Kalender 1874, S. 35–37. Als Voraussetzung der »Erwählung« Schlümbachs zum Diakon wird genannt, dass er vier aufeinanderfolgende Jahre lang als Lokalprediger gedient habe. 9

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weiteres Jahr im Probedienst17. In die »volle Verbindung« der Jährlichen Konferenz, das heißt in die lebenslange Gemeinschaft der Methodistenprediger mit allen Rechten und Pflichten, wurde er als »Diakon erster Klasse« im März 1874 aufgenommen.18 Zuvor hatte er sowohl die Empfehlung des Examinations-Komitees, das die theologischen Kenntnisse des Bewerbers zu prüfen hatte, als auch des Disziplinar-Komittes, das die bisherige Dienstführung während der Probezeit zu begutachten hatte, erhalten. Ob er der Ermahnung des Bischofs an die neu Aufgenommen bedurfte, stets aktuelle und lebendige Predigten zu halten19, kann im Falle Schlümbachs dahingestellt bleiben – denn seine in anderen Kontexten entwickelte mitreißende Rhetorik dürfte er im kirchlichen Dienst kaum abgelegt haben.

2.2 Gemeindearbeit in Light Street und Pennsylvania Avenue Die Gemeinde in der Light Street, die Schlümbach als »Gehilfe« Prediger Swahlens zu bedienen hatte, war noch klein. Sie war erst vor kurzer Zeit gegründet worden und eine von vier deutschsprachigen methodistischen Gemeindearbeiten in Baltimore.20 Baltimore, gelegen an der Chesapeake Bay, hatte zu dieser Zeit etwa 350.000 Einwohner und gerade einige Jahre wirtschaftlichen Aufschwungs erlebt. Vor allem die Metall- und Bekleidungsindustrie und der Handel bestimmten das Wirtschaftsleben. Eine nationale Wirtschaftskrise dämpfte aber von 1873 an das Wachstum.21 Die Einwanderer, die über den Hafen in die Stadt strömten, waren zum größten Teil Deutsche. Die meisten zogen weiter Richtung Westen, aber auch in der Stadt selbst verblieb ein großer deutscher Bevölkerungsanteil, der sich oft in deutsch geprägten Nachbarschaften niederließ und sich entweder durch Vereine mit ihren Festivitäten im gesellschaftlichen Leben der Stadt bemerkbar machte oder sich aber in eigenen Kirchengemeinden zusammenfand, wobei für Baltimore ein hoher Anteil an Katholiken charakteristisch war.22 Die älteste Gemeinde der vier deutschsprachigen der MEC war die Gemeinde am Broadway im Osten der Stadt, deren Wurzeln in die frühen 1840er Jahre zurückreichten und die zu Beginn der 1870er Jahre eine Blüte17

Vgl. Deutscher Kalender 1874, S. 40. Vgl. Deutscher Kalender 1875, S. 34–35, 39. Die Bezeichnung meint, er hatte die Studien bis zur ersten Klasse absolviert. 19 Vgl. The East German Methodist Conference. In: The New York Times vom 21. 3. 1874, S. 5. 20 Vgl. Müller: Geschichte, S. 21–22. 21 Vgl. Olson: Baltimore, S. 149–150. 22 Vgl. Olson: Baltimore, S. 179–183. 18

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zeit erlebte.23 Eine Frucht dieser Blütezeit war die Gründung einer Tochtergemeinde in der Harford Avenue im Norden Baltimores.24 Die zweitälteste deutsche Gemeinde der BMK in der Stadt war aber die an der Pennsylvania Avenue. Diese war Ende der 1840er Jahre im Westen Baltimores gegründet worden. Hier, bei der 1849 erbauten Kirche an der Ecke zur Mosher Street, bezog Schlümbach mit seiner Familie eine Wohnung im Haus No. 111. Dass er bei der Pennsylvania Avenue Gemeinde wohnte, hing damit zusammen, dass die kleine Gemeinde in der Light Street, für die er in erster Linie zuständig war, eine Tochtergemeinde derselben war und noch kein eigenes Gebäude besaß. Sie war die Frucht einer Ende der 1860er Jahre im Süden der Stadt begonnenen Missionsarbeit und nutzte Räume in der Light Street, einer belebten Verkehrsader, die sich durch das Viertel am Hafen zog. Bereits 1870 hatte sich die Light Street Gemeinde, zu der in diesem Jahr 15 Kirchenglieder und fünf Probeglieder gehörten, für selbständig erklärt. Die Mitglieder setzten sich zusammen aus Neubekehrten und früheren Mitgliedern der Gemeinden an Broadway und Pennsylvania Avenue, die dorthin gewechselt waren, um die Sache zu unterstützen. Dieses Missionsfeld im Süden der Stadt war von 1870–1872 mit Ernst Ferdinand Stroeter25 erstmals von einem eigenen Reiseprediger bedient worden.26 Als Schlümbach 1872 dorthin kam, übernahm er unter der Aufsicht von John Swahlen zusammen mit Lokalpredigern aus anderen Gemeinden die pastorale Versorgung der Gemeinde27, wobei die Lokalprediger wohl im Laufe des Jahres zusammen mit den Ermahnern immer mehr übernehmen mussten, da Schlümbach immer stärker in die Arbeit der Pennsylvania Avenue Gemeinde eingebunden wurde.28 Zur Light Street Gemeinde gehörten im März 1872 18 volle und fünf Probeglieder.29 Als die Familie von Schlümbach, zu der Anfang 1872 neben Friedrich seine Frau Coelestine der neunjährige Adolph und die dreijährige Thekla gehörten, bereits eine Woche nach Ende der Jährlichen Konferenz in Baltimore eintraf, wurde sie von der Gemeinde überschwänglich begrüßt. Einen Tag nach ihrer Ankunft – es war Ostersonntag – hielt Schlümbach seinen 23

Zur Geschichte dieser Gemeinde vgl. Müller: Geschichte, S. 32–34. Vgl. Müller: Geschichte, S. 33; zur Geschichte der Gemeinde in der Harford Road bzw. Avenue vgl. Müller: Geschichte, S. 74–75. 25 Zu E. F. Stroeter (1846–1922) vgl. Voigt: Art. Ströter, wo allerdings ein falsches Jahr für seinen Dienstbeginn und als Dienstort irrtümlich Philadelphia angegeben ist. 26 Vgl. Müller: Geschichte, S. 72. 27 Vgl. Church Records Light Street, S. 2 (Baltimore-Washington Conference Archives). 28 In einem Bericht des Vorstehenden Aeltesten Julius Friedrich Seidel über die Gemeinden in Baltimore von Anfang Februar 1873 ist Schlümbach als verantwortlich für Pennsylvania Avenue eingezeichnet, während für Light Street Lokalprediger und Ermahner zuständig sind. Vgl. Von unserem Felde. Ostdeutsche Konferenz. In: CA 1873, S. 50. 29 Vgl. Deutscher Kalender 1873, S. 48. 24

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ersten Gottesdienst und fand eine seinem Eindruck nach empfängliche und eifrige Gemeinde vor. Besonders beeindruckt war er von der Sonntagsschule, zu der knapp 40 Kinder gehörten, die im Wechsel von insgesamt zehn Lehrern unterrichtet wurden.30 Vom »alltäglichen« Gang des Gemeindelebens in der folgenden Zeit sind kaum Zeugnisse erhalten, aber es ist davon auszugehen, dass in der Gemeinde das übliche methodistische Leben mit sonntäglichen Gottesdiensten, Klassversammlungen, Betstunden, Sonntagsschule und gelegentlichen Kasualien stattfand.31 Außergewöhnliches fand naturgemäß eher einen Niederschlag in schriftlichen Aufzeichnungen. Und dazu gehörte während Schlümbachs Zeit in Baltimore eine rege Bautätigkeit der methodistischen Gemeinden. Bis jetzt hatte die Gemeinde in der Light Street nämlich noch kein eigenes Gebäude besessen, wenngleich schon länger für ein solches gesammelt worden war.32 Mit Schlümbach stand ihr nun ein Prediger vor, der die Sache mit Nachdruck verfolgte, da ihm die Wichtigkeit geeigneter und einladender Räumlichkeiten für eine ansprechende Gemeindearbeit deutlich vor Augen stand. Die Gebäude müssten hell, einladend und stilistisch stimmig sein, um Fremde anzusprechen und ein Umfeld zu schaffen, in dem diese von der Botschaft des Evangeliums getroffen werden könnten.33 Ging es um den werbenden Einsatz für bestimmte Ziele, so konnte Schlümbach nach seiner Tätigkeit für die Christian Commission und in der Politik bereits auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Und so ergriff er gleich die erste Gelegenheit, sich in der Sache zu engagieren. Nachdem Anfang 1872 entschieden worden war, dass sowohl die Süd-Baltimore-Mission als auch die Mission in der Harford Avenue eine eigene Kapelle erhalten sollte, und Schlümbachs Kollege Swahlen mit der Kollektensammlung für erstere betraut worden war, griff Schlümbach zur Feder, um im Christlichen Apologeten für die Sache zu werben. In diesem Artikel wird auch deutlich, welche strategische Bedeutung er der deutsch-methodistischen Arbeit in Baltimore beimaß, was er wiederum in militärische Bilder und Sprache kleidete:

30 Vgl. Fr. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130; zur Größe der Sonntagsschule vgl. Deutscher Kalender 1873, S. 48. 31 Auf letztere verweisen gelegentliche Nachrufe auf Kirchenglieder, die von Schlümbach im Christlichen Apologeten veröffentlicht wurden; vgl. zum Beispiel in CA 1873, S. 71 den Nachruf auf Johann Schäfer. 32 In den vorausgegangenen Jahren dürften dafür bereits 1.500 $ kollektiert worden sein; vgl. Müller: Geschichte, S. 72. 33 Vgl. seine diesbezüglichen Überlegungen beim Besuch einer Kirche in Cincinnati in F. v. Schlümbach: Mein Ausflug nach Ohio II. In: CA 1874, S. 226.

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»Es ist von größter Wichtigkeit, daß Süd-Baltimore eine Kirche erhalte, und wird dieses Fort die Kette in den Festungswerken schließen, welche der Methodismus um den Unglauben Baltimores herum angelegt hat; wir können dann von 4 Seiten aus mit gezogenem Geschütz die kalten Herzen, und ihre Zahl ist ›Tausend,‹ beschießen [. . .]. Wollen die Brüder uns beistehen, wir brauchen Mittel und wenn sie erkennen würden, wie ein so wichtiger Punkt dieses Baltimore für unser deutsches Werk ist und noch werden wird, so wollten sie ihre ›Greenbacks‹ dem Br. Swahlen in den Schoß werfen. Von hier aus wird das südliche Werk an der atlantischen Küste vorgehen und ist der Brückenkopf nicht äußerst befestigt, so ist für unsere Vorpostenkette große Gefahr, also zu Hilfe und zwar rasch!?«34

Es ist also eine doppelte Funktion, die Schlümbach den deutschen Gemeinden der MEC in Baltimore zumisst. Zum einen sollen sie durch eine feste Verankerung in allen vier Teilen der Stadt missionarisch nach innen wirken, zugleich aber auch der weiteren Ausbreitung des Methodismus Richtung Süden dienen. Kurz darauf eröffnete sich für Schlümbach die Gelegenheit, die Sache erneut voranzubringen, diesmal in freier Rede und wieder mit gewisser Affinität zu militärischen Bildern. Das Forum stellte eine Versammlung der englisch- und deutschsprachigen methodistischen Prediger Baltimores im April 1872 dar, die zusammengekommen waren, um über den Bau von Kirchen »Kriegsrath« zu halten. Sein ungestümes rhetorisches Talent wird deutlich, wenn er schreibt, dass er, als sich die Gelegenheit zur Rede bot, »vom Leder [zog]«. Nachdem Vater Swahlen, »mein geistlicher Feldherr«, ein wenig »herumgeplänkelt« hatte, schlug »endlich meine Stunde [. . .] und mit dem Rufe ›Gott mit uns‹ gings an die Arbeit. Da gings hart her, die Vorurtheile wurden niedergemäht, die Winterkälte der amerikanischen Herzen abgestreift und ein Amen nach dem Anderen floß aus dem bereits höher schlagenden Busen, immer mehr Kraft gab mir der Herr, ›Ihm sei alle Ehre,‹ das Werk der deutschen Mission diesen l. Brüdern ans Herz zu legen, und als ich nach etwa 20– 25 Minuten dauernder Rede meinen Platz einnahm, waren die sonst etwas zähen Herzen willig Etwas zu thun, ein tüchtiges Committee wurde zu Gunsten unserer Sache ernannt«.35

Am Ende wurde beschlossen, dass es als gemeinsames Anliegen der Versammlung verfolgt werden solle, ein Finanzvolumen von 9.000 $ von den Laien mithilfe der Prediger für den Kapellenbau in Baltimore aufzubringen.36 34

Fr. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. F. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 154. 36 Vgl. F. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 154. Am Ende seines Artikels kann sich Schlümbach den »Tipp« nicht verkneifen, dass wer mit etwas mehr Platz in der Bahn zur Generalkonferenz reisen wolle, seinen Überzieher zusammenrollen, ihm einen Hut aufsetzen, ihn gegenüber platzieren und sich ein wenig mit ihm unterhalten sollte. 35

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Doch nicht nur die Gemeinden, die bisher kein eigenes Gebäude besessen hatten, bemühten sich in den folgenden Monaten um den Bau einer Kirche. Die fast 25 Jahre alte Kirche in der Pennsylvania Avenue wurde langsam baufällig, so dass in der Gemeinde der Entschluss gefasst wurde, diese Kirche abzureißen und eine neue samt Predigerwohnung an gleicher Stelle zu errichten. Die treibende Kraft hinter dieser für die nicht allzu große Gemeinde37 gewichtigen Entscheidung war Friedrich von Schlümbach, unter dem »mit Glaubensmuth und großer Energie« die Sache vorangetrieben wurde.38 Im September 1872 kam es in der Gemeinde zu einer »Aufrüttelung«39, bei der sich 25 Personen bekehrten, was die Dynamik hin auf ein geräumigeres Gotteshaus noch vergrößerte. Mit besonderer Freude erfüllten Schlümbach die jungen Menschen in der Gemeinde, die ein reges Leben entwickelten und die er in eine lebendige Chorarbeit einzubinden suchte.40 Mittlerweile hatte sich auch eine Klassversammlung im benachbarten Frederick City gebildet, was Schlümbach zum Anlass nahm, im Christlichen Apologeten noch einmal die strategische Bedeutung Baltimores als »Brückenkopf« für die südlichen Atlantikstaaten deutlich zu machen.41 Dass Schlümbach bereits während des Jahres 1872 leitende Aufgaben in der Pennsylvania Avenue Gemeinde übernommen hatte, wird deutlich, wenn der Vorstehende Älteste des Philadelphia Distriktes, J. F. Seidel, Anfang 1873 berichtet, die Pennsylvania Avenue Gemeinde, »welche von Br. F. Schluembach bedient wird«, habe sich gut entwickelt. »Hier hat der Herr Wunder gethan in diesem Jahre; die Gliederzahl hat sich vermehrt, Neubekehrte singen mit den Alten die Loblieder dem Heilande der Welt, die Sonntagschule ist frisch und gesund und ist diese Gemeinde besonders in der Liebe täthig nach innen und außen«.42 Für einen Kirchbau gebe es schon 6.000 $ an zugesagten Spenden, 10.000 $ seien noch vonnöten. Einer der leitenden Brüder allein wolle 1.000 $ geben.43 Doch auch andere Einzelpersonen spendeten namhafte Summen.44 37 Im März 1872 hatte die Gemeinde 71 volle Glieder und sechs Probeglieder; vgl. Deutscher Kalender 1873, S. 48. 38 Vgl. Müller: Geschichte, S. 42. 39 F. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1872, S. 410. 40 Letzteres wird deutlich, als Ende November Wilhelm Nast auf der Durchreise Station bei Schlümbach in Baltimore machte, dieser aber für ein Konzert am Danksagungsfest eine Chorprobe mit seinen jungen Sängerinnen und Sängern zu leiten hatte; vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1872, S. 396. Am Abend des Thanksgiving-Day fand dann wie geplant während der »deutsche[n] christliche[n] Abendunterhaltung« ein Konzert mit seinen Sängerinnen und Sängern statt; vgl. F. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1872, S. 410. 41 Vgl. F. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1872, S. 410. 42 J. F. Seidel: Von unserem Felde. Ostdeutsche Conferenz. In: CA 1873, S. 30. Zur Gemeinde in der Pennsylvania Avenue gehörten mittlerweile 82 volle und 13 Probeglieder; vgl. Deutscher Kalender 1874, S. 48–49. 43 Vgl. J. F. Seidel: Von unserem Felde. Ostdeutsche Conferenz. In: CA 1873, S. 30. 44 Vgl. Müller: Geschichte, S. 42–43.

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Die Light Street Gemeinde wurde zu dieser Zeit bereits maßgeblich von Lokalpredigern und Ermahnern bedient, hatte auch mit einigen Rückschlägen zu kämpfen, betrieb aber eine insgesamt recht erfolgreiche Sonntagsschularbeit.45 Am 16. Februar 1873 konnte Schlümbach dort sechs Personen »from probation« in die volle Kirchengliedschaft aufnehmen.46 Mit dem neuen Konferenzjahr 1873/74 sollte die Light Street Gemeinde nun einen eigenen Reiseprediger erhalten. Denn die im März 1873 vorgenommenen Bestellungen für das neue Konferenzjahr lauteten für Baltimore Broadway und Harford Ave.: Jakob Kolb (1824–1900); Pennsylvania Ave.: F. Schlümbach; Light Str.: August Flammann (1846–1913).47 Letzterer berichtet über seine Ankunft in Baltimore Anfang April, dass gleich am nächsten Tag die Ecksteinlegung zu dem neuen Kirchengebäude in der Light Street vorgenommen wurde, bei der auch Friedrich von Schlümbach zugegen war.48 In den nächsten Monaten wuchs die kleine Gemeinde, und innerhalb von vier Monaten konnte die Kirche fertiggestellt werden. Am 3. August 1873 wurde sie mit einem deutschen Gottesdienst vormittags, einem englischen nachmittags und einer deutschen Versammlung abends eingeweiht. Schlümbach sprach bei letzter neben anderen zum Thema »Geben, fröhlich Geben, reichlich Geben«. Im Laufe des Festtages waren durch Kollekten 1.600 $ zusammengekommen, die zusammen mit den bereits vorher zugesagten 3.500 $ einen Großteil der Bausumme deckten.49 Nachdem im Frühsommer 1873 die Kirche in der Pennsylvania Ave. abgerissen worden war50, konnte am 4. August der Grundstein für das neue Kirchengebäude gelegt werden, das in »gotisch-byzantinischem« Stil nun 450 Gottesdienstbesuchern Platz bieten würde und repräsentativen, aber schlichten Charakter haben sollte. Außerdem sollte ein neues Pfarrhaus mit neun Zimmern und einem großen Keller errichtet werden.51 An der Feier waren neben den Mitgliedern der bischöflich-methodistischen Gemeinden auch Vertreter der Evangelischen Gemeinschaft und der Vereinigten Brüder in Christo beteiligt, die die Stärkung und Ausbreitung des Methodismus unter den Deutschen als gemeinsames Anliegen betonten.52 45 Vgl. J. F. Seidel: Von unserem Felde. Ostdeutsche Conferenz. In: CA 1873, S. 30. Mittlerweile besuchten über 60 Schüler die Sonntagsschule in der Light Street, der größte Teil von ihnen Kleinkinder. Ihnen standen 18 Lehrer zur Seite; vgl. Deutscher Kalender 1874, S. 50. 46 Vgl. Church Records Light Street, S. 70–71 (Baltimore-Washington Conference Archives). 47 Vgl. Bestellungen der östlichen deutschen Conferenz. In: CA 1873, S. 100. Jakob Kolb war zu diesem Zeitpunkt 49 Jahre alt, August Flammann 27. 48 Vgl. Ostdeutsche Konferenz. In: CA 1873, S. 115. 49 Vgl. Von unserem Felde. Ostdeutsche Conferenz. In: CA 1873, S. 266–267, dort 266. 50 Vgl. Oestliche Conferenz. In: CA 1873, S. 203. 51 Vgl. Von unserem Felde. Ostdeutsche Conferenz. In: CA 1873, S. 266–267. 52 Vgl. Von unserem Felde. Ostdeutsche Conferenz. In: CA 1873, S. 266–267.

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Eine dritte Grundsteinlegung fand am 5. August an der Harford Ave. statt, auch dort war Schlümbach zugegen.53 In der Presse der Stadt erregte es »kein kleines Aufsehen [. . .], daß der deutsche Methodismus sich so lebendig zeigt und fühlbar macht.«54 Die Bauzeit für die neue Kirche in der Pennsylvania Ave. betrug sieben Monate. In dieser Zeit scheint sich das Gemeindeleben, auch wenn man räumlich auf Provisorien ausweichen musste, positiv entwickelt zu haben. Schlümbach sprach in dieser Zeit von einigen »Auflebungszeichen«: »Unser geistliches Werk schreitet [. . .] rüstig voran. Wir haben recht aufgeweckte Versammlungen. Die ganze Gemeinde dringt vorwärts nach dem vorgesteckten Ziel, und es rührt sich bei Vielen, die nicht zur Kirche gehören und uns besuchen, gewaltiglich. Wir durften bereits etliche recht wackere Auflebungszeichen genießen und unsere jungen Leute sind an der Arbeit.«55

Eingeweiht werden konnte die Kirche Anfang März 1874, was mit einer deutschsprachigen Feier am ersten des Monats und mit einer englischen Feier am 8. März 1874 begangen wurde.56 Heinrich Liebhart, prominenter Herausgeber methodistischer Zeitschriften, der als Redner bei der deutschen Feier zugegen war, lobte die klare Architektur des Gebäudes in den höchsten Tönen.57 Nachdem die knapp 100 Mitglieder zählende Gemeinde bereits 10.000 $ für den Kirchenbau gezeichnet hatte, kamen durch die Bemühungen bei der Einweihung Verpflichtungen für die restlichen 13.000 $ der 23.000 $ teuren Kirche mit Predigerwohnung zusammen.58 Sie war damit doch deutlich teurer geworden als zunächst angenommen.59 Bei allen drei Kirchbauprojekten fällt auf, dass die Gemeinden für ihre Größe eine ganz beträchtliche Finanzkraft aufzubringen hatten. Die Gottesdienste in der Folgezeit waren gut besucht, auch von vielen Fremden. Man wartete aber, so Schlümbach, sehnlich auf eine »Auflebung«, »daß Gott Feuer auf uns regnen lasse, nämlich das Feuer des Heiligen Geistes«.60 Zu einer großen Erweckung kam es in den nächsten Monaten zwar nicht, aber die Gemeinde wuchs stetig und konnte in ihrer Sonntagsschule mittlerweile über hundert Kinder versammeln.61

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Vgl. Von unserem Felde. Ostdeutsche Conferenz. In: CA 1873, S. 266–267, dort 267. Von unserem Felde. Ostdeutsche Conferenz. In: CA 1873, S. 266–267, dort 267. 55 F. Schlümbach in Editorielle Notizen. In: CA 1874, S. 60. 56 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1874, S. 60. 57 Vgl. H. Liebhart: Baltimore. In: CA 1874, S. 81. Zu Heinrich Liebhart (1832–1895) vgl. Voigt: Art. Liebhart. 58 Vgl. H. Liebhart: Baltimore. In: CA 1874, S. 81. 59 Vgl. Von unserem Felde. Ostdeutsche Conferenz. In: CA 1873, S. 266–267, dort 267, wo noch mit Kosten von 15.000 bis 20.000 $ gerechnet worden war. 60 F. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1874, S. 201. 61 Vgl. Deutscher Kalender 1876, S. 50–52. 54

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Prediger und Aufbau eines Nationalbundes (1872–1875)

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Mit dem Jahreswechsel 1874/75 neigte sich Schlümbachs Dienstzeit in Baltimore bereits ihrem Ende zu, da die maximale Verweildauer eines methodistischen Predigers von drei Jahren auf einem Gemeindebezirk von ihm erreicht war. Wenngleich es aufgrund der Quellenlage schwierig ist, ein Gesamtbild seiner auf die Einzelgemeinden bezogenen Tätigkeit zu entwerfen (sein darüber hinausgehendes Wirken soll im folgenden Unterkapitel zur Sprache kommen), so lässt sich doch erkennen, dass er die Gemeinden generell als missionarisches Instrument sah, um sowohl nichtkirchlich gebundene Deutsche zur Bekehrung zu führen als auch apologetisch den christlichen Glauben vor Angriffen von außen zu verteidigen. Die von ihm vorangetriebenen Kirchbauprojekte liegen auf dieser doppelten Linie, sind sie doch zum einen deutlicher Ausdruck des Willens, einladende Räume für die Begegnung mit dem Christentum zu schaffen, zum anderen Ausdruck von Konsolidierung, Präsenz und Selbstbewusstsein, das sich auch in einem gewissen Glanz der von Schlümbach verantworteten Bauwerke zeigte. Das Einwerben von Mitteln wurde von Schlümbach als integraler Bestandteil seiner pastoralen Aufgaben begriffen und auch entsprechend geistlich gedeutet, wobei sich bereits hier eine gewisse Ambivalenz abzeichnete, die sich durch seinen Dienst in den folgenden Jahren ziehen sollte: durchaus erfolgreiches Fundraising für kostspielige Visionen zu betreiben, aber die realen finanziellen und damit verbunden auch persönlichen Belastungen aus der Umsetzung »seiner« Projekte zu unterschätzen. So drückten die Schulden, mit denen Schlümbach seine Baltimorer Gemeinden zurückließ, in den Folgejahren recht schwer und waren für ein aufblühendes Gemeindeleben eher hinderlich.62 Dem gegenüber stand die ständige Hoffnung Schlümbachs auf Erweckung, die sich zum Teil im Kleinen immer wieder vollzog, aber doch nicht in so großem Stil um sich griff wie Schlümbach es mehrfach als Hoffnung geäußert hatte. In besonderer Weise sah Schlümbach in der Musik ein geeignetes Mittel, durch die in ihr liegenden missionarischen Möglichkeiten Menschen zur Kirche zu führen und durch eine rege Chorarbeit dort zu halten. Im Kontext des Berichtes von einem deutschen Konzertabend Ende 1874, den er mit Sachverstand beschreibt, weist er der Musik als kultureller Ausdrucksform, aber auch im Hinblick auf ihre Funktion in der Kirche einen hervorgehobenen Platz zu und ist insofern froh, dass die Pennsylvania Avenue Gemeinde kürzlich eine neue Orgel erwerben konnte, mit deren Begleitung »fröhlich« und »nach alt methodistischer Weise lebhaft und herzhaft« gesungen werde.63

62 63

Vgl. Müller: Geschichte, S. 43. Vgl. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1874, S. 414.

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Ein persönliches Fazit seiner Dienstzeit zog Schlümbach wenige Wochen vor Dienstende im Christlichen Apologeten.64 Er habe in den drei Jahren in Baltimore viele wertvolle Erfahrungen machen dürfen und in der Kürze der Zeit nicht alles zur Ausführung bringen können, was ihm vorgeschwebt habe. Allerdings sei die Gemeinde gewachsen, auch kürzlich (was er auf ein »Rauschen des Geistes« zurückführt), und auch die finanzielle Entwicklung beziehungsweise Opferwilligkeit der Gemeinde sei angesichts der Baukosten, von denen nur 2.000 $ von außen beigesteuert wurden, sehr positiv zu nennen. Für Schlümbach selbst sei es eine Zeit des inneren Wachstums gewesen, und er hoffe nun, das Erlernte an anderem Ort weitergeben zu können. »Mein Gebet zum Herrn ist, daß er mich immer mehr segne mit der Kraft seines heiligen Geistes, um geschickter zu werden für das wichtige Amt eines Predigers und hoffe ich, daß Nichts, das ich in meinem jugendlichen Eifer oder Schwachheit gethan oder gutgeheißen, meinem lieben Nachfolger, wer immer er auch sei, unangenehme Zeiten verursache.«65

2.3 Die Baltimore Union: Lagerversammlungen, Sonntagsschule und Jünglingsverein in »ökumenischem« Geist Bereits an seinem ersten Arbeitstag in Baltimore hatte Schlümbach am Nachmittag einen Diensttermin, der ihm die Gelegenheit bot, eine interdenominationelle Arbeitsgemeinschaft in der Stadt kennenzulernen, die für seine Gemeindearbeit und darüber hinaus als Trägerin ihm wichtiger Arbeitszweige von Bedeutung werden sollte. Es war eine Sitzung der Baltimore Union. Bei dieser Union handelte es sich um eine Kooperation der drei unter den Deutschen wirkenden methodistischen Denominationen: der Evangelischen Gemeinschaft, der Vereinigten Brüder in Christo und der Bischöflichen Methodistenkirche – eine Form der Zusammenarbeit, die Schlümbach vorbehaltlos befürwortete.66 Nicht zuletzt enger zusammengerückt war man in der Stadt wohl vor einiger Zeit im Kampf gegen eine laxere Handhabung der Sonntagsruhe, die unter anderem von deutschen Bierwirten betrieben worden war.67 64

Vgl. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore V. In: CA 1875, S. 66. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore V. In: CA 1875, S. 66. 66 Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. 67 Vgl. Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. Offenbar war man nicht nur im Schmieden der Koalition erfolgreich gewesen, sondern auch im Durchsetzen von deren Zielen, denn Schlümbach ist gleich an seinem ersten Sonntag in Baltimore von der strengen Sonntagsheiligung in der Stadt beeindruckt; vgl. Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 130. Von den Spannungen bezüglich der Sonntagsgesetzgebung berichtet auch Olson: Baltimore, S. 181–182. 65

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Auf unterschiedlichen Ebenen arbeitete man in der »Union« zusammen; die Versammlung, der Schlümbach am Ostersonntag beiwohnte, war die der »Sonntagsschulunion«. Weitere wichtige Arbeitszweige waren die jährlichen Lagerversammlungen, die man in der Nähe Baltimores abhielt, und der erst kürzlich gegründete Jünglingsverein. Lagerversammlungen und Anhaltende Versammlungen im Zeichen der Heiligungsbewegung Lagerversammlungen (Camp Meetings) gehörten im 19. Jahrhundert zum festen Inventar amerikanisch-protestantischen Lebens. In ihrer historischen Genese der besonderen Situation an der Frontier geschuldet, stellten sie eine über die Jahrhundertmitte hinaus besonders von den Methodisten gepflegte Form der Versammlung dar. Für mehrere Tage kampierte man auf großen Lagerplätzen, um dort in Zelten und unter freiem Himmel Gemeinschaft zu erfahren und in verschiedenen Gottesdienstformen religiöse Erfahrungen zu sammeln.68 Die erste Lagerversammlung der Baltimore Union, die Schlümbach miterlebte, fand vom 11.–21. Juli 1872 in der Nähe von Baltimore statt. Bereits Mitte Juni hatte Schlümbach im Christlichen Apologeten zu dieser großen in erster Linie deutschsprachigen Veranstaltung eingeladen.69 Zu diesem Zeitpunkt stand bereits der 1.200 Personen fassende Pavillon für die Gottesdienste auf dem Festgelände. Als Motto der Lagerversammlung gab Schlümbach in dieser Einladung aus: »’Völlige Liebe’ [. . .], in hoc signo vinces«70, eine eigenwillige Zusammenstellung eines in der methodistischen Heiligungslehre geprägten Begriffs mit der Kreuzesvision des antiken Kaisers Konstantin – wieder wird der prozesshafte Charakter des inneren Kampfes auf dem Weg der Heiligung deutlich. Bei der Lagerversammlung waren drei deutsche bischöflich-methodistische Gemeinden, zwei Gemeinden der Evangelischen Gemeinschaft und der deutsche christliche Jünglingsverein71, sowie drei Gemeinden der Vereinigten Brüder in Christo vertreten.72 Eröffnet wurde die Lagerversammlung unter dem Motto »Dem Herrn geheiligt«, welches auch auf einem großen Banner zu lesen war. Die unterschiedlichen Veranstaltungen umfassten in erster Linie Gottesdienste und Bet- und Bekenntnisstunden. An den Sonntagen kamen etwa 3.000 Personen zusammen. Als den Hauptduktus der Predigten bezeichnete Schlüm68

Vgl. Eller: Art. Camp Meeting. Vgl. Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 195–196. Zu diesem Zeitpunkt war noch geplant, die Versammlung vom 11.–23. 7. stattfinden zu lassen. Besondere Zugtickets könne Schlümbach für Anreisende besorgen (seine Adresse: Nr. 111 Mosher Str.). 70 Aus Baltimore. In: CA 1872, S. 195–196. 71 Zu diesem unten mehr. 72 Vgl. Von unserem Felde. Oestliche Conferenz. In: CA 1872, S. 250. 69

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bach, der selbst als Sekretär der Lagerversammlung wirkte: »Näher zu Gott«. Unter den zahlreichen Predigern, zu denen er auch selbst gehörte, hob er besonders Rev. Rudolph Dubs aus Cleveland, den Editor des Christlichen Botschafters, hervor, der »nach allgemeiner Ansicht [. . .] der Stern unserer Versammlung« war.73 Auch Rev. Raeber von den Vereinigten Brüdern wird als Prediger besonders hervorgehoben.74 Insgesamt wurden die Predigten in der Mehrzahl auf Deutsch gehalten, es wurde aber auch auf Englisch gepredigt. Als »Resultat« der Versammlung hielt Schlümbach in einem rückblickenden Bericht fest, dass zwölf Personen sich bekehrt hätten, »viele schwache Christen die höhere Glaubensstufe einnehmen« und die Einigkeit unter den Geschwistern gefördert worden sei.75 Er räumt den Lagerversammlungen damit eine dreifache Funktion ein, wobei auffällt, dass das ursprünglich primäre Element der Bekehrung zum christlichen Glauben nur für eine verhältnismäßig geringe Zahl der Besucher zur zentralen Erfahrung wurde, wohingegen die Anstöße, in der Heiligung voran zu schreiten und zu größerer geschwisterlicher Einheit zu finden, auf größere Resonanz stießen. Mag dies zum einen an der im Vergleich zu den Entstehungszusammenhängen der Lagerversammlungen anders zusammengesetzten Sozialstruktur des Publikums aus den großen Städten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegen (wer zu den Lagerversammlungen hinausfuhr und die zahlreichen Unterhaltungsangebote der Stadt hinter sich ließ, war mit Sicherheit zu einem gewissen Grade bereits christlich sozialisiert), ist zum anderen aber auch der Einfluss der Heiligungsbewegung in Hinsicht auf eine etwas andere Schwerpunktsetzung in der Verkündigung in Anschlag zu bringen.76 Der Dreiklang aus Bekehrung, Heiligung und geschwisterlicher Einheit steht auch in den Berichten von der Lagerversammlung im Folgejahr im Mittelpunkt. Denn wie im Vorjahr fand auch im Juli 1873 eine elf Tage dauernde Union-Lagerversammlung in der Nähe von Baltimore statt, an der Schlümbach dauerhaft teilnahm. Sowohl Teilnehmer als auch Prediger waren dem Eindruck Schlümbachs nach im Umgang miteinander von echter Geschwisterlichkeit über alle Kirchengrenzen hinweg geprägt. Nach außen führe die Union erst dazu, dass man überhaupt wahrgenommen werde. Inhaltlich hob Schlümbach die biblische Klarheit der Predigten hervor, die 73

Vgl. Von unserem Felde. Oestliche Conferenz. In: CA 1872, S. 250. Dubs predigte über die Texte Hebr. 2,3–4; Luk. 24,6; Luk. 24,8 und Joh. 21,19, Raeber predigte über Offb. 12,1 und Eph. 4,3. 75 Vgl. Von unserem Felde. Oestliche Conferenz. In: CA 1872, S. 250. Schlümbach bemerkt auch, die Logistik sei gut gelungen, sodass die Teilnehmer zu sehr günstigen Preisen verköstigt werden konnten und dadurch auch die Frauen in der Lage waren, an den Versammlungen teilzunehmen. 76 Zu den sozialen und inhaltlichen Veränderungen im Zuge von Urbanisierung und Heiligungsbewegung vgl. Dieter: Holiness Revival, S. 91–98. 74

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sich christozentrisch auf die Soteriologie zuspitzten, aber darin auch heiligungstheologische Aspekte implizierten: »Christus, der große, heilige, allmächtige Gottmensch, in dem allein Heil, und zwar völliges Heil zu finden ist, bildete den Kern und Stern aller Predigten«.77 In A. Flammanns Bericht von der Lagerversammlung formuliert dieser, dass »die Kinder Gottes [. . .] die Geisttaufe von Oben« empfingen.78 Mit dieser bereits erwähnten Anschauung ist ein theologischer Topos aufgegriffen, der im Rahmen der Heiligungsbewegung besonders von Charles G. Finney, Asa Mahan und Thomas Upham geprägt worden war, um eine persönliche Erfahrung, nämlich die ganzheitliche Durchdringung mit dem Heiligen Geist, in das Raster der methodistischen Heiligungslehre zu integrieren. Erst die Fülle des Heiligen Geistes, die in dieser Erfahrung empfangen wird, führt den Gläubigen auf die Stufe der Heiligung, auf der ihm die Überwindung der Sünde im Alltag möglich und er zum Dient bevollmächtigt wird.79 Dass die Heiligungsbewegung im Bereich öffentlicher Massenversammlungen auch unter den Deutschen immer größeres Gewicht erhielt, zeigt sich daran, dass vom 12. Oktober 1873 an eine zehn Tage dauernde Anhaltende Versammlung unter den Auspizien des National LagerversammlungsCommittees in Baltimore stattfand. Auf einem freien Platz im Zentrum der Stadt wurde das große Zelt des Committees (»Tabernacle«) errichtet, das 3.000 Menschen Platz bot. Das Ziel dieses Committees war es, »schriftgemäße Heiligung zu verbreiten über das Land« – eine Formulierung John Wesleys. Dass der Berichterstatter, A. Flammann, diesem Anliegen nahe stand, zeigt sich in seiner Wortwahl: »Alle, welche mit aufrichtigem Herzen kamen, fühlten bald, daß die Kraft Gottes dort weilte und sich offenbarte. Viele bekannten nach ernstlichem gläubigen Ringen, daß der Herr sie in der Liebe völlig gemacht habe, und daß das Blut Christi Macht hat, uns rein zu waschen von aller Sünde.« Heiligung und Bekehrung – wobei die Heiligungsbewegung ja eigentlich auf bereits Bekehrte abzielt – waren die beiden Pole dieser Arbeit: Etwa 500 Menschen seien während der Versammlungen bekehrt worden, ebenso viele seien »in die völlige Freiheit der Kinder Gottes versetzt worden«. Die Wirkung der Versammlung sei eine allgemeine geistliche Belebung in der Stadt gewesen.80 Nachdem das Zelt am letzten Tag durch ein Unwetter zerstört worden war, kollektierten die Gemeinden in Baltimore für ein neues, sodass die »National-Gesellschaft zur Förderung der schriftgemäßen Heiligung« im Juni 1874 tatsächlich ein neues »Tabernacle-Zelt« auf dem Bel Air Lot in Baltimore einweihen konnte. Schlümbach schreibt in einem Brief an Wilhelm 77 78 79 80

Union Lagerversammlung bei Baltimore. In: CA 1873, S. 250. Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1873, S. 252. Vgl. Zimmerling: Bewegungen, S. 77–78. Vgl. Oestliche Conferenz. In: CA 1873, S. 347.

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Nast, die Versammlungen zu diesem Anlass seien auch für ihn zum Segen geworden, und man habe beschlossen, in diesem Jahr – 1874 – keine Lagerversammlung abzuhalten, sondern an drei verschiedenen Orten der Stadt im Juni, Juli und August mit dem »Tabernacle« präsent zu sein.81 Es lässt sich also auch hier beobachten, dass sich die zunehmende Popularisierung der Heiligungsbewegung in den Massenveranstaltungen, die die deutsche methodistische Union in Baltimore verantwortete, dauerhaft niederschlug. Auf dieser Linie liegt es auch, dass Schlümbach in jener Zeit mit einigen Protagonisten der Heiligungsbewegung zusammentraf. Bereits Anfang 1874 hatten Versammlungen einer »Schw. Van Cott«82 in Baltimore stattgefunden. Es handelte sich dabei um die in der Heiligungsbewegung aktive Maggie Van Cott83, auf die Schlümbach besonders öffentlich hinwies, da sie Großes und Segensreiches in Baltimore wirke.84 Die Gelegenheit, mit der führenden Gestalt der Verbreitung der Heiligungsbewegung während der 1870er Jahre zusammenzutreffen, ergab sich für Schlümbach im Januar 1875. Er schreibt, während der Allianz-Gebetswoche in diesem Monat habe ihn der Geist Gottes getrieben, in einer Versammlung über die Oxford-Bewegung zu reden, wie sie ihm aus dem Christlichen Apologeten und den Briefen Wilhelm Nasts bekannt war.85 Er berichtete dort auch von einer deutschen Predigerversammlung am ersten Montag des neuen Jahres, wo sich ein Gedanke durch alle Reden zog und offenbar ein allgemeines Bedürfnis ausdrückte: »daß der Herr, wenn er die Deutschen vom ewigen Verderben retten wolle, einen Ausguß des h. Geistes zu senden habe und daß die Wirksamkeit dieses Pfingstsegens sich an der Geistlichkeit zuerst zu äußern habe!« Nach der Allianz-Versammlung sprach ihn ein Mann an, der sich als Schwager Robert Pearsall Smiths86 zu erkennen gab und Schlümbach zu sich nach Hause einlud, um diesen Protagonisten der Heiligungsbewegung persönlich kennen zu lernen, was Schlümbach dankbar annahm. Als an besagtem Abend Schlümbach Smith vorgestellt wurde, erkundigte sich dieser sogleich nach Wilhelm Nast und war erfreut zu hören, dass er eifrig für die Heiligungsbewegung wirke. Außerdem berichtete Smith, dass er mit deutschen Predigern in England zusammengekommen sei, »welche ein 81

Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1874, S. 180. Editiorielle Notizen. In: CA 1874, S. 60. 83 Zu Maggie Van Cott (1830–1914) vgl. Hardesty: Women, S. 96. 84 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1874, S. 60. 85 Vgl. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1875, S. 25. Mit »OxfordBewegung« werden in diesem Zusammenhang die Impulse bezeichnet, die von den Heiligungsversammlungen mit R. P.Smith in Oxford im Spätsommer 1874 ausgingen; vgl. dazu Holthaus: Heil, S. 47–57. 86 Zu Pearsall Smith (1827–1898) vgl. Voigt: Art. Smith. 82

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sehr trübes Bild des evangelischen Lebens in Berlin entwarfen«. Nach und nach trafen auch die anderen Gäste ein, die aus Vertretern unterschiedlicher protestantischer Denominationen bestanden. Bald war man in intensiven Diskussionen über die Frage, ob der Mensch ganz frei werden könne von seinen »bösen Leidenschaften«. Seine diesbezüglichen Behauptungen illustrierte Smith anhand einiger Beispiele. Er selbst habe »in dieser Beziehung keinerlei Kampf« mehr zu bestehen, sein »Temperament« sei »gänzlich durch Christus umgewandelt«. Nach dem Abendessen lauschte die Gesellschaft einem Vortrag Smiths über seinen Aufenthalt in England im letzten Jahr. Von kleinen privaten Versammlungen aus habe die Bewegung dort immer mehr um sich gegriffen, bis sie ihren Höhepunkt in den zahlreich besuchten Oxford-Versammlungen erreichte. Nach den Schwerpunktthemen der Selbstprüfung und des Wertes der göttlichen Verheißungen habe »sich ein Feuer des h. Geistes über die Versammlung [ergossen]«, das sich aber nicht in ekstatischen Erscheinungen, sondern in einer großen persönlichen Stille geäußert habe. Für Mai sei eine zweite Versammlung in Brighton anberaumt, zu der auch eine große Zahl deutscher Prediger eingeladen würden. Ein Kaufmann habe bereits eine Unterstützung von 500 Pfund Sterling zugesagt. In der anschließenden Diskussion brachten viele der Anwesenden ihre Bedenken gegen die Lehre Smiths zum Ausdruck, besonders daran, dass der Mensch in seinem Glaubensleben gleichbleibend keine Niederlagen mehr im Kampf mit der Sünde erleide. »Da brachte Pearsall Smith seine ganze innewohnende Gotteskraft zur Anwendung«, schreibt Schlümbach. Aus seiner Definition des Begriffs »Sünde« entwickelte er, dass der Mensch frei von aller bewussten Sünde werden könne, was aber keinen Stand der vollkommenen Sündlosigkeit bedeute. Er illustrierte dies an dem Beispiel, dass er vor einiger Zeit mit Moody und einem weiteren Bruder viele Stunden um Befreiung von sich selbst gebetet habe, was bei letzterem zum Erlebnis der anhaltenden Gegenwart Gottes in seiner Seele führte. Schlümbach schildert seine Eindrücke von diesem Abend so: »dieser Bruder führt dich mit der Erzählung seiner Erfahrungen näher zu Jesu, und wurde wieder neuer Muth und neues Gottvertrauen in mir rege«. Auf die Frage Schlümbachs nach dem Gebet als Weg zu dieser Erfahrung, aber auch als Mittel, diese Erfahrung zu behalten, antwortete Smith, dass beständiges Beten in kurzen Gebeten nach der Devise »Kurz, oft und bündig!« der richtige Weg sei, nicht langes Reden. Schlümbach empfand die Begegnung mit Smith als äußerst segensreich. Bestärkt worden sein dürfte Schlümbach aufgrund dieser Eindrücke auch darin, wie wichtig die anschauliche Weitergabe eigener Erfahrungen für die Verkündigung ist. Zum Abschied erhielt Schlümbach das Buch »Walking in the Light« und sagte zu, im nächsten Sommer London aufzusuchen, um den Versammlungen Smiths beiwohnen und nach Amerika aus eigener An-

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schauung vom »Wirken des Geistes Gottes in Europa« berichten zu können. »Gott segne unser deutsches Zion!«87 Seine Eindrücke von der Wichtigkeit der Bewegung kommunizierte Schlümbach auch nach Deutschland. In einem Privatbrief an seinen Schwager vom 13. 1. 1875 wies Schlümbach ihn eindringlich auf die Bewegung um Pearsall Smith hin. Er selbst »erkenne die Schönheiten der christl. Religion je mehr u. mehr, je höher ich steige auf der Glaubensleiter des Christen«. Dennoch habe er noch oft mit der menschlichen Schwachheit zu kämpfen. Pearsall Smith nennt er nicht namentlich, sondern spricht von der »Bewegung von Eng. ausgehend (Oxford)«, die sein Schwager doch ohne alle Vorurteile wahrnehmen und »ergreifen« solle. Denn sie sei »das Wahre. ›Herzensheiligung‹ sonst Nichts als Christus Alles!«88 Der christliche Jünglingsverein und die Sonntagsschulunion Der Arbeitszweig, der mehr und mehr zum eigentlichen Betätigungsfeld Friedrich von Schlümbachs werden sollte, war der christliche Jünglingsverein, der 1871 von der Baltimore Union gegründet worden war. Der Jünglingsverein war das jüngste Kind der Union, nachdem sich bereits vorher eine Sonntagsschul-Union, die die Kirchen und Schulen miteinander vernetzte, und eine »deutsche vereinigte Lagerversammlungs-Gesellsch.« gebildet hatte.89 Nach dem ersten Jahr des Bestehens hatte der Jünglingsverein bereits 107 Mitglieder, die ein reges Vereinsleben gestalteten. Man besaß ein eigenes Vereinslokal, in dem sonntagmorgens um sechs Uhr eine Betstunde stattfand, und das jeden Montag und Mittwoch für Besucher geöffnet war. Im Vereinshaus war auch eine Bibliothek im Aufbau begriffen. Im verflossenen Jahr hatte der Verein 7.000 Traktate verteilt und im Sommer 72 Gottesdienste gehalten. Geleitet wurde er von einem Präsidenten, dem ein Sekretär zur Seite stand.90 Das Konzept des Vereins war, die jungen Menschen zwar klar in den jeweiligen Gemeinden zu beheimaten, aber auf Unionsbasis eine Arbeitsform zu schaffen, die zum einen der Kirche Fernstehende eher erreichen konnte, zum anderen auch untereinander die trennenden Eindrücke unterschiedlicher konfessioneller Beheimatung zu minimieren versuchte. Am 8. Dezember 1872 hielt der Jünglingsverein sein erstes Jahresfest, das musikalisch von einem großen Festchor, der sich aus den neun Gemeinden

87 F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1875, S. 25. Es fällt auf, dass in dem ganzen Artikel das Stichwort »Heiligung« nicht gebraucht wird. Zu der anvisierten Begegnung in London sollte es aber nicht kommen. 88 Brief F. v. Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 13. 1. 1875. (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [2]). 89 Vgl. F. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1872, S. 410. 90 Vgl. F. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1872, S. 410.

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der Union speiste, gestaltet wurde. Schlümbach hielt eine der drei Festreden, die »harmonisch in einander [griffen]«91. Besonders von Schlümbach gelobt wurde in seinem Bericht die anschließende »Finanzrede«, »voller Frische und lebendiger Vorstellungen«, die zu einer reichen Kollekte führte. Die Union hatte mittlerweile eine reichhaltige Tätigkeit entfaltet und plante als nächstes eine große Lehranstalt, die vom Kindergarten bis zu höheren Gymnasial- und Realklassen reicht. Über die Sonntagsschularbeit berichtete Schlümbach selten ausführlicher, aber auch für sie konnten eigene Räumlichkeiten eingeweiht werden. Anfang März 1874 kam es im Rahmen eines Sonntagsschul-Missionsfestes zu einem Wiedersehen Schlümbachs mit General Albright, der mittlerweile Kongressmitglied war und auf dem Sonntagsschul-Fest als Redner auftrat.92 Der Deutsche Christliche Jünglingsverein erzielte eine gute Außenwirkung, vor allem auch durch seinen Männerchor »Eintracht«, in den auch Schlümbach involviert war. Man sang in der Öffentlichkeit und predigte in diesem Zusammenhang im Sommer jeden Sonntagnachmittag an vier verschiedenen Plätzen in der Stadt. Schlümbach schreibt, junge Menschen würden durch den Gesang angezogen und man habe so eine Chance, viele zu erreichen, die sonst dem christlichen Glauben fern stünden. Die Chorarbeit gerade unter jungen Männern sollte daher gestärkt werden, zumal sich die »deutschen Zionslieder« gut zum mehrstimmigen Chorgesang eigneten.93 Darüber hinaus arbeitete der Verein an einem zensusartigen Überblick über die Stadtbevölkerung, der Pfarrern dabei helfen sollte, ihre Arbeitsfelder besser einschätzen zu können. In der Arbeit mit jungen Leuten sah Schlümbach den besten Weg, Menschen zu retten.94 Und von daher unternahm Schlümbach einige Anstrengungen, um der Sache nicht nur in Baltimore, sondern landesweit einen kräftigen Schub zu geben.

91

F. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1872, S. 410. Vgl. Baltimore. In: CA 1874, S. 81. 93 Vgl. F. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1874, S. 201. Vielleicht sind damit auch Gebhardts »Zions Perlenchöre« gemeint, die speziell für den Chorgesang gesetzt waren; vgl. Holthaus: Heil, S. 527. 94 Vgl. Aus Baltimore. In: CA 1874, S. 201. »Rettung« begriff Schlümbach in diesem Zusammenhang nicht nur als Befreiung aus unguten sozialen Zusammenhängen, sondern auch in soteriologischer bzw. eschatologischer Hinsicht, wie aus einer Bemerkung auf einer seiner späteren Reisen deutlich wird: »wie schrecklich muß es erst sein, wenn die Menschen, welche in der Gnadenzeit alle göttlichen Lockrufe verworfen, vom Sündenwurm durchfressen, droben am Gerichtstag des Herrn, Hülfe flehend, vor ihn hintreten und sich nun gerne um allen Preis heilen lassen wollen, wenn er ihnen sagen muß: zu spät, ich bin jetzt nicht mehr der Erlöser, sondern der Richter! Ach, ihr lieben Leser, die ihr noch nicht gesund seid an Euren Seelen, kommt jetzt zu Jesu, weil es noch Zeit ist.« Die National-Convention der Deutsch. Christl. Vereine von Nord-Amerika. In: CA 1874, S. 358–359. 92

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2.4 Der Aufbau eines Nationalbundes christlicher Jünglingsvereine Bereits in den 1830er oder 1840er Jahren – die Angaben differieren hier95 – waren unter deutschen Auswanderern einzelne Christliche Jünglingsvereine nach deutschem Vorbild entstanden. In Deutschland war es in dieser Zeit innerhalb landeskirchlicher Gemeinden zu Vereinsbildungen gekommen, um unter der Leitung der Pastoren die konfirmierte Jugend auch weiterhin kirchlich zu betreuen und zu binden. So waren auch diese Jünglingsvereine in einigen amerikanischen Großstädten zunächst vor allem an lutherische Gemeinden angebunden. Mit der Entstehung der YMCAs in England und den USA kam es zu Umgestaltungsprozessen, die zur Neugründung von Vereinen und zu einer Weitung der denominationellen Enge führten96 – letzteres traf allerdings nur sehr eingeschränkt auf die Lutheraner zu97. Die erste Young Men’s Christian Association (YMCA) war 1844 von George Williams98 in London gegründet worden mit dem Ziel, jungen Männern ein christliches soziales Netz zu verschaffen, in dem neben dem sozialen auch das geistige und geistliche Leben gefördert werden sollte. Zunächst beschränkte man sich als Zielgruppe auf die Handlungsgehilfen der Stadt, die wie Williams in räumlicher Enge mit ihren Kollegen in den Handelshäusern zusammenlebten. Mehr und mehr öffnete man sich aber nach außen. Dieser Ausrichtung entsprach es, dass man sobald es sich der Verein leisten konnte, ein eigenes Vereinshaus mit Gesellschafts-, Lese-, Bibliotheks- und Speiseräumen bezog und auch einen eigenen Sekretär anstellte, um die Arbeit zu koordinieren. Schon dieser erste Verein trug die Merkmale aller späteren Gründungen: Er war interparochial und interkonfessionell, also nicht an eine bestimmte Ortsgemeinde und Konfession gebunden; er unterschied zweierlei Mitgliedschaft, eine sogenannte »eingeschriebene« (oder auch: »besuchende«) und eine »tätige«, die »tätigen« Mitglieder trugen die eigentliche Verantwortung; schließlich waren die Vereinsleiter Laien und keine Geistlichen. Dieses Vereinsmodell fand in den 1850er Jahren Eingang in die USA, dort vor allem in den Großstädten. Es erwies sich als wichtiges Instrument, um die jungen Männer, die zum einen als Immigranten, zum anderen aus wirtschaftlichen Gründen im Zuge der Industrialisierung in die Städte strömten, in ein gemeinschaftliches Leben zu integrieren, das eine »anständige« Freizeitbeschäftigung bot. Bereits im Jahr 1854 gründete sich ein Nationalver-

95 Godtfring spricht von den 1830er Jahren, Hopkins von der Zeit nach 1848. Vgl. Hopkins: History, S. 221. 96 Vgl. Godtfring: History, S. 24–25 (YMCA Arch.). 97 Zum lutherischen Konfessionalismus in den USA vgl. Noll: Christentum, S. 221–226. 98 Zu George Williams (1821–1905) vgl. Hodder Williams: Farm.

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band der YMCAs in den USA, der seit den 1860er Jahren von einem Executive Committee beziehungsweise International Committee geleitet wurde. In den 1870er Jahren waren die deutschen Jünglingsvereine in den USA so zahlreich geworden, dass das starke Verlangen aufkam, einen engeren Zusammenschluss zu organisieren.99 Doch unter allen ethnischen Gruppen, in denen der YMCA mit eigenen Zweigen vertreten war, war besonderes die deutsche geprägt von »tensions and contradicitions«, die die Arbeit erschwerten.100 Bereits Ende der 1860er Jahre war das Thema der Arbeit unter den Deutschen auf der Agenda der Conventions des YMCA gewesen und von YMCA-Sekretär Robert Weidensall (1836–1922) zahlreiche deutsche Vereine organisiert worden.101 Im Watchman, der Zeitschrift des YMCA, wurde dem Ganzen regelmäßig eine Spalte gewidmet. Aber Auftrieb bekam die Sache erst, als 1874 mit Schlümbach »an aggressive young leader«102 auf der Bühne erschien. So urteilt Howard Hopkins über die besondere Zunahme der Vereinsarbeit unter den Deutschen im Vergleich mit anderen ethnischen Gruppen in den 1870ern: »The much greater development and similar decline of German Y. M. C. A.’s was not only a reflection of the larger number of these immigrants – many cities counted a fourth of their population as German-born – but also the long shadow of a creative leader«.103 Damit war Friedrich von Schlümbach gemeint. Die Einberufung der ersten National-Convention der Deutschen Christlichen Jünglingsvereine in den USA Was Schlümbach dazu bewegte, sich über den Jünglingsverein der Baltimore Union hinaus für die Arbeit unter jungen Männern zu engagieren, war die lebensmäßig unterfütterte Erfahrung, wie schnell sich die jungen Einwanderer aus Deutschland von den atheistisch geprägten Vereinen und dem gesellschaftlichen Leben der weltlich orientierten Deutsch-Amerikaner ansprechen ließen. Ein wesentliches Mittel, um dem entgegen zu treten, sah er in der Bündelung der Kräfte und inneren Vernetzung des christlichen Vereinswesens. Und so veröffentlichte er am 1. Juni 1874 einen Aufruf in der deutschsprachigen Kirchenpresse, mit dem er zu einer »Ersten NationalTagsatzung der Deutsch. Christl. Jüngl. Vereine der Ver. Staaten« für den 2. September nach Baltimore einlud. Als Anlass nannte er die oben skizzierte gesellschaftliche Situation: »Die Feinde des Herrn unter den Deutschen Amerika’s scharen sich immer mehr und mehr zusammen, und sollten wir deßhalb weislich handeln und ebenfalls versuchen uns zu vereinigen, um in 99

Vgl. Godtfring: History, S. 24–25 (YMCA Arch.). Vgl. Hopkins: History, S. 221. 101 Vgl. Hopkins: History, S. 221–222. 102 Hopkins: History, S. 222. 103 Hopkins: History, S. 221. 100

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nächster Zukunft von der Vertheidigung zum Angriff übergehen zu können.«104 Die zur Tagsatzung Delegierten sollten mit Empfehlungsschreiben Gäste des Baltimorer Vereins sein und Entscheidungsbefugnis für Organisationsfragen haben. Folgende Themen sollten bei dem Treffen zur Sprache kommen: »1. Was ist der Zweck der Deutsch. Christl. Jüngl. Vereine?, 2. Die Vereine in kleineren Städten; ihr Feld, Mittel und Methode, 3. Wie können die Vereine größerer Städte die jungen Männer aller Klassen beeinflussen?«105 Die Organisation lag in den Händen Friedrich von Schlümbachs als Initiator und als Sekretär des Baltimorer Jünglingsvereins.106 Schlümbach hoffte auf eine rege Beteiligung an dieser National-Convention. Zu tragen seien nur die Fahrtkosten – ansonsten sei man Gast des Baltimorer Vereins.107 Wiederholt erinnerte Schlümbach im Vorfeld an die Wichtigkeit der von ihm einberufenen National-Convention; sie verspreche großen Segen, und man müsse die Notwendigkeit dieser »Agitation« sehen. Vorher, am 24. 6., plante er an der Internationalen Konferenz des YMCA in Dayton teilzunehmen, da er als Delegierter des deutschen Baltimore-Zweiges des YMCA für diese gewählt worden war.108 Die Internationale Convention des YMCA 1874 Am 23. Juni machte sich Schlümbach daher auf den Weg nach Ohio, wovon er im Christlichen Apologeten ausführlich berichtet.109 In Washington DC stiegen zahlreiche junge Männer zu, die ebenfalls auf dem Weg zur Internationalen Convention in Dayton waren. Die Route führte über Harpers Ferry, was bei Schlümbach und seinen Begleitern zahlreiche Erinnerungen an die Bürgerkriegszeit wach werden ließ.110 Durch die Naturschönheiten der Alleghanies und Ohio hindurch erreichte der Zug am nächsten Morgen Dayton. Schlümbach wurde bei seinem Kollegen Prediger Andreas Gräsle (1835–1906) untergebracht, wo er auch auf Dr. Nast111 und John C. Weidmann (1834–1906) traf.

104

F. v. Schluembach: An die Deutsch. Christl. Jüngl. Vereine der Staaten. In: CA 1874,

S. 172. 105

F. v. Schluembach: An die Deutsch. Christl. Jüngl. Vereine der Staaten. In: CA 1874,

S. 172. 106 Die Angaben bei Hopkins: History, S. 221–222, Schlümbach sei Präsident des Vereins gewesen, ist nicht korrekt. Schlümbach strebte immer eher den konkret gestaltenden Sekretärsposten als das repräsentierende Präsidentenamt an. 107 Vgl. F. Schlümbach: Aus Baltimore. In: CA 1874, S. 201. 108 Vgl. Proceedings of the Nineteenth Annual Convention 1874, S. 55. 109 Vgl. F. v. Schlümbach: Mein Ausflug nach Ohio I & II. In: CA 1874, S. 209, 226. 110 Vgl. F. v. Schlümbach: Mein Ausflug nach Ohio. In: CA 1874, S. 209. 111 Wilhelm Nast war Delegierter des deutschen Cincinnati-Zweiges; vgl. Proceedings 1874, S. 55.

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Die Konferenz mit ihren 200 Delegierten aus den USA und Kanada wurde noch am Abend des 24. 6. eröffnet. Von dieser die Convention eröffnenden Beststunde berichtet Schlümbach: »Ich selbst war so hingerissen von dem Ernst des Augenblicks, daß ich mich an der Himmelsthüre glaubte und die herrlichen Chöre der himmlischen Heerscharen zu hören vermeinte«. Innerhalb der Eröffnungsfeierlichkeiten wurde Schlümbach durch die Rede eines Delegierten aus Richmond, Virginia, so bewegt, dass er – »als alter Kriegsgefangener im Libby Prison« – im Anschluss eine Erklärung formulierte, die von der Versammlung einstimmig angenommen wurde: »Wir begrüßen, mit dankerfülltem Herzen in Gott, unserem Herrn und Meister, diesen köstlichen Augenblick, wo wir von jetzt an, in diesem unserm lieben Heimathlande, und wie wir zu Gott hoffen, für immer, in den Reihen unserer Organisation keinen Norden noch Süden kennen, sondern wissen, dass es unsere Pflicht ist, einmüthiglich zu wirken für dessen Reichssache, der uns alle seine Kinder nennt.«112

In den nächsten Tagen widmete man sich den folgenden Themen: »I. Die Gesellschaften (Christl. Jünglingsvereine) in kleineren Ortschaften, ihr Feld, Methode und Mittel.« »II. Gesellschaftliche Bibelklassen.« »III. Wie kann der Verein in größeren Städten die jungen Männer erreichen?« »IV. Das Internationale Werk.« »V. Die Wichtigkeit und das Vorrecht der persönlichen Ansprachen an die Unbekehrten.« »VI. Die Jünglingsvereine als ein Gegenmittel und Substitut für die Trinkhäuser.«113

Aus den Referaten und Diskussionen nahm Schlümbach einige Anregungen mit oder wurde in bisherigen Ansichten bestärkt. So betont er in seinem Bericht von der Konferenz, dass bei den Vereinen generell vor allem das religiöse Profil hervortreten solle. Es gehe letztlich darum, Einzelpersonen auf ihren Glauben hin anzusprechen. Diesem Ziel könne unter anderem eine Verkündigung im »Unterhaltungsstyl« dienlich sein. Auch ein alternatives Unterhaltungs- und Kostprogramm sei insgesamt hilfreich, um die jungen Männer von den Trinkhäusern fernzuhalten.114 Für die, die bereits im Glauben stünden, seien Bibelklassen eine gute Möglichkeit, sich geistlich weiterzuentwickeln. Schlümbach selbst leitete eine Bibelklasse in Baltimore, was für ihn mit so intensivem Studium verbun-

112 F. v. Schlümbach: Mein Ausflug nach Ohio. In: CA 1874, S. 209. Ob Schlümbach bewusst war, das Theodor Christlieb, mit dem er später eng zusammenarbeiten sollte, bei der Allianzkonferenz im Jahr zuvor eine ganz ähnliche Erklärung in Bezug auf die französischen Delegierten abgegeben hatte? Vgl. Voigt: Christlieb, S. 19. 113 Mein Ausflug nach Ohio. In: CA 1874, S. 209. 114 Vgl. Mein Ausflug nach Ohio. In: CA 1874, S. 209.

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den war wie jeweils die Vorbereitung einer Predigt.115 Eine neue Erfahrung machte er während der Konferenz, als er einer Bibelklasse in Dayton beiwohnte, in der es im gemeinsamen Gespräch, das aber stringent geleitet wurde, einmal quer durch die Bibel ging – Schlümbach verzeichnete 80 verschiedene Bibelstellen in seinem Notizbuch. Der Ablauf war so, dass man sich assoziativ von Bibelstelle zu Bibelstelle bewegte, was das Interesse an diesem »Schatz der Weisheit«116 nach Schlümbachs Wahrnehmung immer mehr steigerte. Als beim Thema des Erreichens junger Männer in den größeren Städten die Sprache auf die besondere Zielgruppe der Deutschen kam, führte Schlümbach ausführlicher in dieses Thema ein. Zunächst bemühte er sich, die Delegierten überhaupt von einer speziellen Arbeit unter den Deutschen zu überzeugen und das Vorurteil abzubauen, Deutsche seien von Haus aus ungläubig (infidel). Im Gegenteil brächten die meisten eine dezidiert christliche Erziehung mit, an die man anknüpfen könne. In seinem Verein in Baltimore arbeite man jeden Tag der Woche daran, junge Menschen mit der lebensverändernden Botschaft des Evangeliums zu erreichen. Dabei wirke man allerdings anders als die englischsprachigen Vereine, weil die Zielgruppe doch anders beschaffen sei als die der gebürtigen Amerikaner. Von besonderer Bedeutung sei aufgrund eines einschlägigen Interesses vieler Deutschen dafür die musikalische Arbeit des Vereins. Von daher habe der Verein in Baltimore einen Männerchor zusammengestellt, mit dem man bei »openair meetings« im Sommer auftrete und die Zions-Lieder singe, was immer viele Menschen anziehe und erreiche.117 Es gebe bisher zwar erst wenige deutsche Vereine, aber da sie segensreich gewirkt hätten und viel bewirken könnten, habe er für den 2. September eine erste National-Convention geplant, um diese einzelnen Vereine enger zusammen zu führen. Da man eng an den YMCA angeschlossen wirken wolle, bat Schlümbach darum, dass der YMCA einen offiziellen Repräsentanten zu dieser National-Versammlung schicke, um einen deutschen Nationalbund als Teil des YMCA zu organisieren.118

115

Vgl. seine Wortmeldung in: Proceedings of the Nineteenth Annual Convention 1874,

S. 42. 116

Mein Ausflug nach Ohio. In: CA 1874, S. 209. »We should never have these meetings without music«. Die Kinder der Sonntagsschule, die jungen Frauen aus den Kirchenchören und die jungen Männer des Vereinschors würden die Veranstaltungen in den Parks und Markthallen musikalisch umrahmen; oftmals gingen beim Erklingen der Chormusik die Fenster der umliegenden Häuser auf. »I could tell you of men converted lying in their beds, by what the minister said down on the street«; vgl. Proceedings 1874, S. 89. 118 Vgl. neben der Zusammenfassung in CA die Nachschrift seiner Rede in: Proceedings 1874, S. 80–81. Vgl. auch Hopkins: History of the YMCA, S. 221–222. 117

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Ganz am Schluss der Konferenz, in die sich Schlümbach an mehreren Stellen engagiert eingebracht hatte, kam es nach dem offiziellen Ende der Abschlussfeier zu einem besonderen geistlichen Erlebnis für ihn: »Nun fing eine Scene an, die etwa eine halbe Stunde dauerte und das Publikum auf seinen Sitzen fesselte, ein Händedrücken und Jubel-Lieder Singen, ein Weinen und Jauchzen. Ein Geistesrauschen war eingetreten, das alle Anwesenden zu überwältigen schien.«119 Was die Konferenz unter anderem bewirkt hatte, war, dass Schlümbach nun deutlich in das Blickfeld der leitenden Männer des nordamerikanischen YMCA getreten war. Der Generalsekretär des International Committee, Richard C. Morse (1841–1926), schreibt in seinen Erinnerungen: »Among the new delegates at the Dayton Convention there came one who soon ranked among the ablest and most remarkable Association leaders of this period. [. . .] By his appeal for Association work among German speaking young men he gained assurance of cooperation from the Convention and its Committee.«120

Ohne diese Unterstützung wären Schlümbachs weitere Pläne nur schwer durchzuführen gewesen. Die erste National-Convention der Deutschen Christlichen Jünglingsvereine in den USA und ihre Nachgeschichte In welcher Weise ethnozentrische Publikationsorgane auf die Ankündigung einer National-Convention der Deutschen Christlichen Jünglingsvereine reagierten, lässt sich einem Artikel des Deutschen Volksfreunds entnehmen, in dem die bevorstehende Convention mit Nachdruck begrüßt wurde, denn der Zustand der deutschen Jugend in Amerika sei äußerst bedenklich. Sie suche sich aus der Gesellschaft das Verderbliche für sich selbst heraus. Als auf diese Weise um sich greifendes Grundübel sei zum einen die »Pietätlosigkeit« zu nennen, eine falsch verstandene Freiheit, die nicht mehr auf Autoritäten wie zum Beispiel Eltern zu hören geneigt sei beziehungsweise überhaupt nach ihnen frage. Als zweites Grundübel wird der »materialistische Zeitgeist« genannt, der sich gerade auch der Jugend bemächtige. Die Gefahr für deutsche junge Männer, in Amerika ihren Glauben zu verlieren, sei ausgesprochen groß, da die deutschen Zeitungen fast alle sagten, »daß der Glaube ein abgethaner Standpunkt, die Bibel ein veraltetes Legendenbuch, die Kirche eine Verdummungsanstalt, das Christenthum eine in die Rumpel119 Mein Ausflug nach Ohio. In: CA 1874, S. 209. Kurioserweise findet sich in diesem Bericht der Druckfehler, Schlümbach habe in Dayton einen »Jungfrauen Verein« gegründet, was er erstaunt in den Editoriellen Notizen der Folgenummer anmerkt (CA 1875, S. 220). Auf dem Rückweg machte Schlümbach Station in Cincinnati, dem »Sanktum« des Deutschen Methodismus und traf mit einem »neuangefachten Glaubensmuth« wieder in Baltimore ein; vgl. Mein Ausflug nach Ohio II. In: CA 1874, S. 226. 120 Morse: Life, S. 134.

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kammer der Geschichte geworfene, in unsere aufgeklärte Zeit nicht mehr passende Erscheinung ist«. Auf diesem Hintergrund sei die Gründung deutscher christlicher Jünglingsvereine nur zu unterstützen, »die sich die Aufgabe stellen, aus der schrankenlosen und pietätslosen, ideallosen und gottlosen Jugend heraus zu retten, was zu retten ist«. Das rechte Lebensideal liege in der »Heiligung des Lebens durch Glauben und Liebe«. Daraus würden die Tugenden der Treue, Demut und Selbstverleugnung hervorgehen. Daher hofft man, dass die National Convention eine Bewegung durchs ganze Land in Gang setze: »Möchten sich bald in allen Städten deutsche Jünglings-Vereine zur Pflege deutscher Art und Sitte, deutscher Bildung und Werdelust, vor allem aber zur Pflege christlicher deutscher Gesinnung sich bilden, und möchten diese Jünglingsvereine eine Macht im Lande werden, die am Bau des Reiches Gottes unter unsern Landsleuten wesentlich mithilft. Die Sache dieser Vereine ist durchaus des Schweißes aller Deutschen werth!«121

In diesem Artikel wird besonders auf den Zusammenhang der Ethnizität mit der Vereinsarbeit hingewiesen, da man sich vor allem der Pflege mit der eigenen Volksgruppe verbundenen Eigenheiten widmen sollte. Eine Hilfe zur »Amerikanisierung« lässt sich darin nicht entdecken. Diese Wahrnehmung dürfte in einer gewissen Spannung zu den Anschauungen Schlümbachs gestanden haben, der den Jünglingsvereinen durchaus auch eine Rolle zur Eingliederung in die amerikanische Gesellschaft beimaß. Die National-Convention war unterdessen – wohl aus organisatorischen Gründen – auf Mitte Oktober verschoben worden.122 Schlümbach trat noch einmal mit einem Rundschreiben an die Öffentlichkeit, in dem neben Fragen der Reise- und Quartierorganisation auch bereits die Tagungsordnung bekannt gegeben wurde. Die erste Sitzung sollte am Mittwoch, 21. 10., um 15 Uhr stattfinden. Abends um 19:30 Uhr sollte es eine »Willkomm-Massenversammlung« geben. Am Donnerstag sollten vormittags und nachmittags Sitzungen stattfinden, abends um 19:30 Uhr die »General-Versammlung des Jünglings-Vereins und Besprechung der wichtigsten Lebensfragen«. In diesem Rahmen sollten drei versierte Delegierte Reden über zentrale Themen halten. Nach der Sitzung am Freitagmorgen sollte am Nachmittag die Generalversammlung der Baltimorer deutschen Sonntagsschul-Union stattfinden, am Abend dann die Abschiedsversammlung der Convention. Die zentralen Fragen der Konferenz, auf die sich die Delgierten für die Debatten

121 Die National-Convention der deutschen Jünglingsvereine in Baltimore. Abgedruckt [aus dem Deutschen Volksfreund] in: CA 1874, S. 329. 122 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1874, S. 317, wo auch auf die Möglichkeit verbilligter Fahrkarten über einen Herrn Hartmann, Pittsburgh, hingewiesen wird. Vgl. auch CA 1874, S. 324, wo nähere Angaben zu den Fahrtkosten gemacht werden.

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vorbereiten sollten, lauteten – wie bereits auch schon vorher veröffentlicht –: »1. Was ist der Zweck der Deutsch. Christl. Jünglingsvereine? 2. Feld, Mittel und Methode der Vereine kleinerer Städte. 3. Wie können die Vereine größerer Städte die jungen Männer aller Classen beeinflussen?«123 Vertreter von dreizehn Vereinen fanden sich schließlich in Baltimore ein.124 In einem ausführlichen Bericht von der National-Convention im Christlichen Apologeten unterstreicht Peter A. Mölling zunächst die ausgesprochene Wichtigkeit der Zusammenkunft, um in einzelnen Orten aufgebrochene Initiativen zu bündeln und zusammenzuführen. Zahlreiche Delegierte, die nicht persönlich bei der Konferenz erscheinen konnten, hätten sich schriftlich zu Wort gemeldet. Als Hauptzweck wird die »Lebensfrage« angegeben, was getan werden könne, »um die Jugend des Landes für den Herrn zu gewinnen«. Im Spannungsfeld der christentumsfeindlichen Turnvereine und der freidenkerischen Logen sei dies die Hauptfrage, die sich im Hinblick auf die deutsche Jugend stelle und auch bei der Konferenz im Mittelpunkt gestanden habe. Letztlich sei Gott es, der wie er sich mit Luther und Wesley zu deren Zeiten Werkzeuge geschaffen hatte, um in eine schwierige Zeit zu sprechen, auch nun die jungen Männer von allem Nationalismus und christentumsfeindlichen Weltanschauungen fernhalten werde. Dafür sei die Einheit der Kirchen, wie sie sich in der seit 1846 von London ausgehenden Einheitsbewegung der Evangelischen Allianz abzeichne, unabdingbar. Die Vereine wollten die Kirche lediglich bei dem unterstützen, was sie allein nicht schaffe.125 Bereits eine Betrachtung der leitenden Persönlichkeiten der Konferenz machte die Vielfalt der vertretenen Benennungen deutlich. Und auch die Begrüßungsrede, die wahrscheinlich von Schlümbach gehalten wurde126, thematisierte den Aspekt der Einheit der Kirchen untereinander, die durch »keine Streitfragen, keine theologischen Controversen« in der gemeinsamen Sache des Kampfes gegen die Feinde des Christentums getrübt sein solle. Ekklesiologisch deutete der Redner in ihr Einhalt und Vielfalt der Kirchen mit einer militärischen Metapher: »Wir bilden die Armee Christi, und wie jedes wohlgeschulte Heer in einzelne Corps eingetheilt ist, so gehören auch wir verschiedenen religiösen Corporationen an, die al-

123 Friedr. v. Schluembach: Rundschreiben an die geehrten Delegaten und Besucher der Ersten National-Convention der Deutsch. Christl. Vereine von Nord-Amerika. In: CA 1874, S. 336. 124 Vgl. Hopkins: History, S. 222. 125 Vgl. [A. Mölling:] Die National-Convention der Deutsch. Christl. Vereine von NordAmerika. In: CA 1874, S. 350–351, dort 350. 126 Der Text in der eingesehenen Ausgabe des Christlichen Apologeten war an dieser Stelle defekt, so dass dies nicht mit letzter Sicherheit bestimmt werden kann.

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le zusammen aber nur einen einzigen Herrn, Christum, anbeten, darum liebst du Christum, deinen Herrn, so schlage ein.«127

Im Weiteren wird die gemeinsame Aufgabe als »Arbeit des Evangelisirens dieses großen schönen Landes« bezeichnet, die Jünglingsvereinssache insgesamt also einem größeren Kontext zugeordnet. Dieser umfassende Aspekt wird auch deutlich, wenn die Rede mit dem Aufruf endet: »laßt uns Alles aufbieten, uns ein Werk zu schaffen, das der ganzen Menschheit zum Nutzen gereicht«.128 Geradezu universalistische Töne werden hier angeschlagen, was nicht nur der rhetorischen Dynamik der Rede geschuldet sein dürfte, sondern durchaus auch den Dimensionen entsprach, die Schlümbach vor Augen hatte und die ihn motivierten. Mit dem korrespondiert, dass Schlümbach – so er denn der Redner war – die Jünglingsarbeit schon hier, ganz am Anfang ihrer organisatorischen Ausgestaltung, wesentlich im Dienste der Evangelisation sah. Mölling machte in seinem Bericht daher betont deutlich, dass man weder die Kirche ersetzen noch ihr schaden wolle. Es sei vor allem Laienarbeit, die die Vereinsarbeit voranbringen könne. Man wolle von den englischsprachigen Vereinen, die bereits eine 20-jährige erfolgreiche Geschichte haben, lernen und einen engen Anschluss an deren Werk suchen. Bei der Behandlung der Frage »Was ist der Zweck der Deutsch. Christl. Jünglingsvereine?« am zweiten Sitzungstag ergriff Schlümbach als erster das Wort: »Ich denke, der hauptsächliche Zweck soll sein, der deutschen Jugend ein Mittel zu bieten, den in unseren Zeiten besonders übermächtigen Versuchungen der Welt zu entfliehen, und ihre Annäherung an Gott zu fördern. Mehr als je, hängt heute unserer Jugend der Zug der Vergnügungssucht an, der leicht dazu führen kann, daß man auch hier, wie im alten Vaterlande, die Kirche als eine Bürde betrachtet. In den Theatern, Bierlokalen und sonstigen Orten, wo anreizende Vergnügungen geboten werden, findet man sie überall, nur nicht bei unseren Vorlesungen, Andachtsübungen und Erbauungsstunden. Der Mensch, besonders aber der Jüngling liebt die Gesellschaft, und viele von ihnen besuchen die Conzerte und Logen, nicht weil ihre Seele mit dem dort Gehörten harmonirt, sondern oft lediglich der Unterhaltung wegen. Wir müssen daher danach trachten, der Jugend, wenn sie am Abende von den Geschäften des Tages ausruhen will, eine Erholungsstätte für Geist und Körper anzubieten, ihr Unterhaltung zu verschaffen, allerdings nur solche, welche sich mit den christlichen Grundsätzen verträgt. Wir müssen suchen, selbst solche Jünglinge und auch ältere Männer, die gar keine Liebe zu Christo haben, in unsere Jünglings-Vereine hineinzuziehen, aber auch sie dort zu fesseln. Haben wir sie erst dort, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Kirche. Verlegen wir aber solche Uebungen hinein, wie sie eigentlich nur von der

127 [A. Mölling:] Die National-Convention der Deutsch. Christl. Vereine von Nord-Amerika. In: CA 1874, S. 350–351, dort 350. 128 [A. Mölling:] Die National-Convention der Deutsch. Christl. Vereine von Nord-Amerika. In: CA 1874, S. 350–351, dort 351.

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Kirche gehalten werden sollen, so kommen sie ein, zweimal und dann bleiben sie weg.«129

Vier zentrale Punkte für das Verständnis der Vereinssache werden hier genannt: 1. Ansatzpunkt ist, junge Männer vor den zahlreichen auf sie einstürmenden »weltlichen« Versuchungen zu bewahren. 2. Christliche Jünglingsvereine müssen von daher die jungen Männer ganzheitlich ansprechen als »Erholungsstätte für Geist und Körper«. 3. Ziel ist es, die jungen Männer zu Gott zu führen. 4. Der Weg zur Kirche führt über die feste Einbindung in den Verein, der bewusst keinerlei klerikales Gepräge trägt. Engagiert wurde über diese Punkte, in denen unschwer autobiographische Erfahrungen Schlümbachs zu erkennen sind, diskutiert. Noch kontroverser wurde es bei der Behandlung der zweiten Frage am Nachmittag: »Die Vereine, deren Feld und Mittel« (die Beschränkung auf kleinere Städte hatte man offenbar fallen lassen). Die Positionen reichten von sozialdiakonischer Tätigkeit bis hin zur Aufnahme »weltlicher« Vergnügungen in das Vereinsprogramm. Schlümbach drängte, auch noch zur Behandlung der dritten Frage zu kommen: »3.Wie können die Vereine größerer Städte die jungen Männer aller Classen beeinflussen?« Das maßgebliche Votum ging dahin, sich vor einer pharisäischen Frömmigkeit zu hüten und den jungen Männern auch in Gefängnisse und »Lasterhöhlen« nachzugehen. Die Abendversammlung fand vor 1.400 Menschen in der Kirche Schlümbachs statt. Schlümbach leitete als Dirigent die Chorauftritte. In der Hauptrede wurde die Jünglingsvereinssache als »Morgenstern« in einer dunklen Zeit gelobt. Dr. Zimmermann aus Berlin, der von einer erfreulichen Entwicklung des Vereins dort berichtete, warnte, sich zu eindeutig in politische Fragen wie die Temperenzsache zu begeben. Am dritten Tag wurde eine Resolution verabschiedet, nach der die Mittel der Vereinsarbeit bestehen aus »geselliger Erholung, geistiger und religiöser Fortbildung, den Jünglingen die Bibliotheken zur Verfügung zu stellen u. s. w. und bei Zusammenkünften wissenschaftliche und apologetische Vorträge zu halten, zur Rechtfertigung und Vertheidigung unseres heiligen Glaubens an Jesum Christum.«130 Letztlich bleibe es aber jedem einzelnen Verein selbst überlassen, wie er den äußeren Umständen entsprechend arbeite. Die Abschiedsfeier am Abend fand wieder vor großem Publikum statt. Schlümbach leitete erneut den Chor. Mölling, der Schlümbach schon vorher als »die leitende Seele dieser ganzen Bewegung« bezeichnet hatte, schrieb in Anlehnung an das vorgetragene Lied »Mein Jesus ist mein Steuermann«, 129 A. Mölling: Die National-Convention der Deutsch. Christl. Vereine von Nord-Amerika II. In: CA 1874, S. 358–359, dort 358. 130 A. Mölling: Die National-Convention der Deutsch. Christl. Vereine von Nord-Amerika II. In: CA 1874, S. 358–359, dort 358.

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»hätte Bruder Schlümbach nicht den Herrn Jesum zum Steuermann gehabt, so wäre seine Seele unter der Last dieses Unternehmens erlegen. Doch er, der in zwei ArmeeCorps mit blitzendem Schwerte die Union gegen die Rebellion retten half, wusste auch jetzt, unter dem Beistande seines Herrn, dieser Sache glorreich bis zum Sieg unter dem Kreuz & Panier zu verhelfen.«131

Allerdings musste Mölling am folgenden Sonntag für den »abgemüdeten« Schlümbach einspringen und zwei Gottesdienste in dessen Kirche halten.132 Organisatorisch hatte man sich während der Konferenz als eigenständiger »Nationalbund Deutscher Christlicher Jünglingsvereine in Nord-Amerika« konstituiert und die Angliederung an den YMCA in die Wege geleitet, der durch die Delegierten des Executive Committee Richard C. Morse und Cephas Brainerd bei der Convention vertreten wurde.133 Morse schreibt in seinen Erinnerungen: »According to the plan he [Schluembach] suggested at Dayton he had summoned to Baltimore, in October, 1874, in the name of the Committee, a meeting of a National Bund of German Associations. Chairman Brainerd and I were present and welcomed the Bund as an auxiliary of our Convention. Von Schluembach was chosen General Secretary and consented to make a tour of investigation and organizitation«.134

Welche Wirkung die National-Convention auf einzelne Vereine hatte, lässt sich exemplarisch am Jünglingsverein von Dayton, Ohio, ersehen. Während der International Convention im Juni hatte Schlümbach in der Stadt einen deutschen christlichen Jünglingsverein gegründet, der sich aber seitdem »nur mit Mühe am Leben hielt«. Neuen Schwung bekam er durch die National Convention (»Unions-Versammlung des deutschen christlichen Jung-Männerbundes«) in Baltimore, an der der Vereinspräsident Mittendorf teilnahm. »Die Brüder begannen von dieser Zeit an wieder zu hoffen und zu vertrauen«. Man mietete ein Vereinsheim, das jeden Abend öffnete. Die Vereinsarbeit dort ging von dem Prinzip aus, dass sie als »ein Ast der inneren Mission« anzusehen sei; ihr Hauptzweck sei »die Rettung junger Männer«. Dieses Ziel wollte man erreichen, 1. indem sich der Verein der Kirche unterstellte und sie nicht zu ersetzen suchte, 2. indem der Verein auch durch seine Vorträge eine Anziehungskraft auf die Jugend ausübte, die so nicht 131 A. Mölling: Die National-Convention der Deutsch. Christl. Vereine von Nord-Amerika II. In: CA 1874, S. 358–359, dort 358. 132 Vgl. A. Mölling: Die National-Convention der Deutsch. Christl. Vereine von NordAmerika II. In: CA 1874, S. 358–359, dort 358. Die Verhandlungen der Konferenz sind zwar – wie die der folgenden des deutschen Nationalbundes – gedruckt worden, aber in den Kautz Familiy YMCA Archives ist kein Exemplar derselben erhalten. Zur Druckabsicht vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1874, S. 356. 133 Vgl. Hopkins: History, S. 222. Der Wortlaut der verabschiedeten Resolution findet sich im Bericht Schlümbachs bei der International Convention des Jahres 1875; vgl. Proceedings 1875, S. 33. 134 Morse: Life, S. 137.

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Prediger und Aufbau eines Nationalbundes (1872–1875)

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von den Kirchen ausging, 3. indem alle Mitglieder am Werk der inneren Mission mitarbeiten und so etwas wie »Proselytenmacherei« ausgeschlossen wird.135 Dies entsprach ziemlich genau dem Entwurf Schlümbachs. Auch in der Folgezeit gründete Schlümbach – soweit es seine Gemeindetätigkeit zuließ – weitere deutsche Jünglingsvereine, im Herbst 1874 allein dreizehn in Baltimore, die jeweils bei einer deutschen Kirchengemeinde angesiedelt waren.136 Aber auch in anderen Städten war er tätig, was ohne das zu dieser Zeit ausgezeichnete Bahnnetz der USA kaum möglich gewesen wäre. Im Herbst 1874, schreibt er, sei er mit einer solchen Geschwindigkeit nach Pittsburgh gereist, um dort einen Jünglingsverein zu gründen, dass es eine gute Sache sei, »die Siege der Mechanik zur Ausbreitung des Reiches Gottes zu benützen«.137 In Pittsburgh sei ihm in Hinblick auf die Jünglingsvereine »von Neuem klar [geworden], wie nothwendig unter uns DeutschProtestanten dieses Mittel ist, die Jugend zur Kirche zu locken«. Bis auf die Missouri-Lutheraner (»Gottes G. wird auch sie zu finden wissen«) seien dort aller Kirchen offen für eine Zusammenarbeit.138 Ende November 1874 nahm Schlümbach als einer von vier Delegierten des deutschen YMCA in Baltimore an der 3. Jahreskonferenz des YMCA im Staate Maryland teil, die vom 27.–29. 11. 1874 in Hagerstown stattfand.139 Diese diente als ein Multiplikator des auf der International Convention Verhandelten, denn die Themen der Besprechungen deckten sich zu einem gewissen Teil.140 Schlümbach hatte als Vizepräsident der Versammlung auch einige Male die Sitzungsleitung inne141 und schaltete sich sowohl in die Diskussionen um Kleinstadtvereine als auch um die Bibelklassen ein und berichtete von der Arbeit unter den Deutschen142. 135

Vgl. H. Liebhart: Ein Festtag in Dayton, O. In: CA 1874, S. 393. Vgl. Proceedings 1875, S. 33. 137 Es ist eine sich bis heute durchhaltene Konstante, dass der missionarisch beziehungsweise evangelistisch orientierte Protestantismus auf alle technischen Möglichkeiten der Verbreitung seiner Botschaft zurückgreift. 138 Vgl. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1874, S. 414. Seine Versammlung im Interesse der Jünglingsvereinssache war so erfolgreich, dass noch am gleichen Abend acht Lokalvereine und ein Centralverein zur Bündelung und Außenwerbung gegründet wurden. Auf der Rückreise von Pittsburgh traf Schlümbach im Zug General Sherman, der zusammen mit seinem »Indianer Comissär« Jones nach Washington reiste, und mit denen er sich über die »Civilisation der Indianer« unterhielt. In philosophischer Hinsicht setzte er sich Anfang 1875 mit einer Publikation zum Materialismus auseinander, für den er – da wohl selbst einige Zeit in engerer Berührung mit ihm – ein anhaltenden Interesse hegt, nun freilich, um ihn vom christlichen Wahrheitsanspruche her zu widerlegen; vgl. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Baltimore III. In: CA 1875, S. 22. 139 Vgl. Proceedings Maryland 1874, S. 2. 140 So ging es unter anderem auch um die Arbeit in Kleinstädten, Bibelklassen und das Halten von Freiluftveranstaltungen; vgl. Proceedings Maryland 1874, passim. 141 Vgl. Proceedings Maryland 1874, S. 11, 13. 142 Vgl. Proceedings Maryland 1874, S. 11, 13, 16. 136

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Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881)

Die Erfahrungen dieses Jahres 1874 hatten Schlümbach gezeigt, dass dem Gebiet der Jünglingsvereine, ihrer inneren Vernetzung und der Gründung neuer Vereine, mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden müsste als ihm dies nebenamtlich möglich war. Von daher reifte in ihm der Plan, sich für eine ausgedehnte Besuchsreise im nächsten Jahr von seinem Kirchendienst freistellen zu lassen. Die Kirche wiederum hatte eigene Pläne mit ihm, da die drei Jahre in Baltimore abgelaufen waren und man in ihm den geeigneten Mann sah, einen Missionsposten in der Südlichen Deutschen Konferenz, das heißt in Louisiana oder Texas, zu übernehmen. Von daher würde er an diese Konferenz transferiert werden, was bei der Jahressitzung der Südlichen Deutschen Konferenz im Januar 1875 bereits vom Bischof angekündigt worden war und Schlümbach auch schon an seine Verwandten in Deutschland kommunizierte143. Klar und offenbar genehmigt war aber auch, dass Schlümbach bis dahin eigene Projekte verfolgen würden, denn in den Konferenzverhandlungen heißt es auch, Schlümbach könne seine Arbeit am neuen Dienstort Galveston in Texas erst im Oktober beginnen.144

3. Reisen durch die USA und Europa (1875) Dass zwischen der Beendigung seines Pastorendienstes in Baltimore und dem Dienstantritt Schlümbachs in Texas ein halbes Jahr liegen sollte, hing mit dem zusammen, was sich Schlümbach für die Zeit von März bis September 1875 vorgenommen hatte: Reisen. Im Laufe der wenigen vor ihm liegenden Monate sollte er große Teile der USA und Mitteleuropas durchqueren – im Dienste der Jünglingsvereinssache, seiner Kirche und privater Interessen.

3.1 Erste Rundreise zu den Jünglingsvereinen in den USA Nachdem er bei der National-Convention 1874 bereits eine Rundreise im Interesse der Jünglingsvereinssache angekündigt hatte, klärte Schlümbach An143 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 13. 1. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [2]). 144 Vgl. E. F. Stroeter: Von der Südlichen deutschen Conferenz. In: CA 1875, S. 41. In der veröffentlichten Bestellungsliste ist Schlümbach allerdings nicht vermerkt, sondern Galveston noch mit »zu besetzen« markiert; vgl. Bestellungen der Prediger. In: CA 1875, S. 44. Die Ostdeutsche Jährliche Konferenz, auf der Schlümbach Abschied von seinen Kollegen im Osten der Staaten nahm, fand in der Karwoche 1875 statt. Schlümbach hielt eine Abschiedsrede. Die Konferenz drückte daraufhin ihr Bedauern aus, dass er an eine andere Konferenz transferiert werden solle, und sagte ihm stetige Fürbitte zu. Vgl. Deutscher Kalender 1876, S. 37.

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Reisen durch die USA und Europa (1875)

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fang 1875 weitere organisatorische Fragen, vor allem der Finanzierung. In einem Brief an das International Committee des YMCA, welcher dort am 6. Februar verlesen wurde, stellte Schlümbach seine Pläne bezüglich einer Besuchsreise unter den Deutschen in Amerika dar, woraufhin man beschloss, Schlümbach für einen Zeitraum von zwei Monaten anzustellen, um ihm diese Reise in Diensten des YMCA zu ermöglichen.1 Am 27. März 1875 erschien Schlümbach persönlich vor dem International Committee in New York2, um seine Pläne und das bereits mit dem Vorsitzenden erarbeitete konkrete Programm näher zu erläutern.3 Zwei Tage später nahm Richard C. Morse zusammen mit anderen New Yorker Vereinsmitgliedern die Gelegenheit war, Schlümbach bei einem Treffen des Jünglingsvereins von Newark in Aktion zu erleben.4 Seine Reisepläne hatte Schlümbach zu diesem Zeitpunkt bereits als Vorankündigung einer »besondere[n] Mission«, die sich ihm für die nächsten Monate eröffnet habe, veröffentlicht.5 Nach dieser plante er – ermöglicht durch Mittel des »Internationalen Executiv-Committees des YMCA« – die deutschen Vereine in den USA in den Monaten April und Mai zu besuchen.6 Zuvor plante Schlümbach, zwei »Special-Versammlungen« zu halten: am 25. 3. in New Haven, Connecticut, und am 30. 3. in Scranton, Pennsylvania. Schlümbach sei ausgestattet mit »Empfehlungen prominenter Prediger aller protestantischen Benennungen« und hoffte daher auf rege Beteiligung an den Vorbereitungen.7 Mit geringen Abweichungen fand die Reise diesem Plan entsprechend statt.8 Da bereits aus der Ankündigung ersichtlich war, wie wenig Zeit 1

Vgl. Minute Book No. 1 of the International Committee (YMCA Arch.), S. 250–251. Er befand sich zu dieser Zeit auf der Östlichen deutschen Jährlichen Konferenz in Newark und hatte es von daher nicht weit. 3 Vgl. Minute Book No. 1 of the International Committee (YMCA Arch.), S. 256. 4 Vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach I. In: CA 1875, S. 124. 5 Vgl. F. v. Schlümbach: Die Rundreise des Gen.-Sekretärs des National-Bundes der deutschen Christlichen Jünglingsvereine der Ver. Staaten. In: CA 1875, S. 68. 6 Sein Reiseplan sah folgendermaßen aus: 7.–9. 4. Rochester NY, 9.–12. 4. Buffalo NY, 12.–14. 4. Erie PA, 14.–16. 4. Cleveland OH, 16.–17. 4. Berea OH, 17.–19. 4. Toledo OH, 19.–21. 4. Detroit MI, 21.–22. 4. East Saginaw MI, 23.–24. 4. Grand Rapids MI, 24.–26. 4. Chicago IL, 26.–28. 4. Milwaukee WI, 28.–29. 4. Madison WI, 30. 4.–1. 5. St. Paul MN, 1.–3. 5. Minneapolis MN, 4.–6. 5. Burlington IW, 6.–8. 5. Quincy IL, 8.–10. 5. St. Louis MO, 11.– 13. 5. Louisville KY, 13.–15. 5. Indianapolis IN, 15.–17. 5. Dayton OH, 17.–19. 5. Columbus OH, 20.–23. 5. Cincinnati OH, 24.–25. 5. Washington DC, 26.–29. 5. International Convention in Richmond VA, 31. 5.–2. 6. Baltimore MD, 2. 6.–4. 6. Philadelphia PA. 7 Vgl. F. v. Schlümbach: Die Rundreise des Gen.-Sekretärs des National-Bundes der deutschen Christlichen Jünglingsvereine der Ver. Staaten. In: CA 1875, S. 68. 8 Einen Bericht gibt Schlümbach im Report des Executive Committee 1875, S. XXVII– XXIX. Statt in Grand Rapids wurden Treffen in Lansing MI gehalten, zwischen Burlington und Quincy legte er einen Zwischenstopp in Warsaw IL ein, die eigentlich geplanten Aufenthalte in Washington und Philadelphia werden im Bericht nicht erwähnt. 2

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Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881)

Schlümbach an jedem Ort haben würde, musste jeder Besuch gründlich vorbereitet werden. Dafür gab Schlümbach genaue Instruktionen: Am Tage seiner Ankunft wünschte er nachmittags eine Privatkonferenz mit allen deutschen protestantischen Predigern der Stadt zu halten. Dann, am Abend des ersten oder am Morgen des zweiten Tages, sollte eine Versammlung mit den leitenden Laienmitarbeitern der deutschen protestantischen Gemeinden stattfinden. Am Abend des zweiten Tages schließlich sei eine große öffentliche Versammlung für junge Menschen beiderlei Geschlechts zu halten. In den Städten, in denen sich Schlümbach sonntags aufhielt, sollte außerdem nachmittags eine Konferenz für Sonntagsschullehrer und Sonntagsschüler stattfinden.9 Aus dieser Strukturierung wird deutlich, dass Schlümbach zum einen auf eine stärkere Zusammenarbeit der unterschiedlichen deutschen Kirchen zielte, zum anderen auf eine von Anfang an starke Einbindung von Laienmitarbeitern. Ihm war gleichwohl bewusst, dass er ohne das Wohlwollen und die Unterstützung der Pastoren keine Chance auf die Verwirklichung seiner Ziele hatte.10 Auf seiner Reise besuchte Schlümbach sowohl Orte, in denen bereits Vereine bestanden, als auch Orte, in denen die Gründung von Vereinen eine aussichtsreiche Perspektive haben könnte. Und so wurden im Zuge seiner Rundreise zahlreiche Vereine gegründet, auch im Umland der besuchten Städte, bereits bestehende Vereine wiederum in ihrer Struktur modifiziert oder in ihrem Engagement belebt. Die Massenversammlungen fanden mitunter mit mehreren hundert Menschen statt. Die Wirkung derselben sah Schlümbach zum einen nach innen im Zusammenführen von Christen aus unterschiedlichen Hintergründen, zum anderen nach außen als »Demonstration gegen die Ungläubigen«. Dass Vereine tatsächlich auf interdenominationeller Basis gegründet werden konnten, war aber eher die Ausnahme, da die Situation in den meisten Städten noch nicht reif dafür war.11 Stattdessen verfolgte Schlümbach weiter das Konzept, möglichst in jeder deutschsprachigen Gemeinde die Gründung eines Jünglingsvereins anzuregen und später nach positiven Erfahrungen der Gemeinden mit den Vereinen und einer stärkeren Annäherung unter den Kirchen auf die Vereini-

9 Vgl. F. v. Schlümbach: Die Rundreise des Gen.-Sekretärs des National-Bundes der deutschen Christlichen Jünglingsvereine der Ver. Staaten. In: CA 1875, S. 68. 10 In Toledo fand Schlümbach eine gut besuchte Pastoralconferenz aus allen Kirchen vor, bei der er die erneute Beobachtung machte, dass die Pastoren, die der Jünglingssache zunächst etwas reserviert gegenüber stünden, oft begeistert bei der Sache seien, sobald Schlümbach sie näher mit dieser vertraut gemacht habe; vgl. Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach III. In: CA 1875, S. 137. 11 Im englischsprachigen Bereich hatten sich dagegen Sonntagsschulen und Jugendbewegung weitgehend überkonfessionell verwirklicht.

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Reisen durch die USA und Europa (1875)

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gung in einem »Central-Verein« hinzuwirken.12 Er hoffte, dass die Kirchen sich vorbehaltlos hinter die Vereinsarbeit stellten, denn die Jünglingsvereine »gehören zur Kirche und haben als Werkzeug der Kirche Christi benutzt zu werden«. Gemeinsames Motto sei: »Die Jugend zu Jesus zu führen!«13 Sein Konzept der engen Anbindung der deutschen Vereine an die Kirchen, »daß die Arbeit innerhalb und für die Kirchen gethan werden solle«, stellte Schlümbach gelegentlich auch vor den anders strukturierten englischsprachigen Vereinen dar, denen dieser Ansatz einzuleuchten schien.14 In Schlümbachs Berichterstattung insgesamt fällt auf, wie wichtig ihm auch die finanzielle Unterstützung der Vereinsarbeit war – rein ideelle Sympathie war für ihn nur eine halbe Sache. Damit zeigte er sich gleichzeitig deutlich als Teil der amerikanischen Gesellschaft, in der Mäzenatentum beziehungsweise Philanthropie und Fundraising integrale Bestandteile eines funktionierenden Sozialwesens waren und sind. Und so war für Schlümbach auch die Pflege eines sozialen Beziehungsnetzwerks von Bedeutung, für das er die Reise immer wieder nutzte. Zum Teil waren die Begegnungen zufällig, zum Teil aber auch von Schlümbach arrangiert: So traf er in Cleveland führende Männer der Evangelischen Gemeinschaft und lernte deren Publikationshaus kennen, machte einen Abstecher zum Wallace-Kollegium in Berea, sicherte dem Verein in Lansing eine Halle als Versammlungsraum, die »ein alter Kriegskamerad unter Blenker«, Prof. Meiser, zur Verfügung stellte15, wurde in Wisconsins Hauptstadt Madison von Gouverneur Taylor empfangen16 und pflegte die Kontakte zu führenden Männern der eigenen Kirche17. Aber auch eine zentrale Gestalt der Heiligungsbewegung lernte Schlümbach auf seiner Reise kennen, denn in New York machte er Bekanntschaft mit dem Evangelisten Henry Varley18, bei dem er eine »Charakterähnlichkeit« mit Pearsall Smith feststellte: »Der 12 Dies wird deutlich aus Bemerkungen in: Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach I und II. In: CA 1875, S. 124 und 130. 13 Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach I. In: CA 1875, S. 124. 14 Vgl. Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach I. In: CA 1875, S. 124. 15 Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach III. In: CA 1875, S. 137. Meiser selbst berichtet in CA 1875, S. 150 von diesen Versammlungen. Nach einstimmendem Lied und Gebet hielt Schlümbach einen »ausgezeichnete[n], belehrende[n] und aus dem Leben gegriffene[n] Vortrag«, der von den Anwesenden »mit Spannung und Aufmerksamkeit« verfolgt wurde. Deutlich wird am Ende des Artikels die Freude, dass der alte Kriegskamerad Schlümbach nun genau so eifrig für Christus kämpfe wie er es einst für die Nordstaaten getan habe. 16 Vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach IV. In: CA 1875, S. 150. 17 So besuchte er in Rochester den Superintendenten des New Yorker Bezirks Freund und traf in St. Louis mit Wilhelm Nast zusammen; vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach II und VI. In: CA 1875, S. 129 und 166. 18 Vgl. Schlümbach: Reiseskizzen I. In: CA 1875, S. 124. Zu Henry Varley (1835–1912) vgl. Holthaus: Heil, S. 35.

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Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881)

Geist Gottes beseelt auch Br. Varley so, daß jedes Wort, das von seinen Lippen fließt, die Kraft Gottes, als im Innern wohnend, bekundet.« Die Arbeit Henry Varleys in New York sei außerordentlich erfolgreich. In Bezug auf eine Konferenzrede des Bischofs bemerkt Schlümbach: »Ja, Bischof Simpson hat Recht, die Kirche Christi sollte die Zeichen der Zeit besser beobachten und aufwachen, um Alles in Anwendung zu bringen, damit der heilige Geist seine mächtige Wirkung an und durch aller Herzen ausführen kann«.19 Das Thema der »Herzens-Heiligung« diskutierte Schlümbach auch lange mit seinen methodistischen Kollegen in Milwaukee.20 Eine der letzten Stationen auf Schlümbachs Rundreise war die 20. International Convention des YMCA in Richmond, die vom 26.–30. Mai 1875 erstmals seit dem Bürgerkrieg in einem Südstaat stattfand. In einer Vorankündigung Ende April war bereits als besonderes Thema das Zusammenwirken mit den deutschen Christlichen Jünglingsvereinen genannt worden, wozu auch Schlümbach sprechen würde.21 Doch nicht nur er nahm sich dieses Themas an, sondern unter anderem sprachen auch Wilhelm Nast und John W. Freund. Schlümbach, der als Delegierter des deutschen Baltimore YMCA an der Konferenz teilnahm22, schilderte vor allem die Ereignisse der letzten Monate, die zur Gründung des Nationalbundes und seitdem zu einer weiteren Ausdehnung des Werkes geführt hatten. Nach seiner Besuchsreise seien nun landesweit 55 Vereine organisiert oder auf dem Weg sich zu organisieren. »I praise Him, at this moment, that He put so glorious a victory in my hands.«23 Auf die grundlegende Notwendigkeit eines eigenen Arbeitszweiges des YMCA für die Deutschen ging Nast ausführlicher ein. Er schätzte, dass Mitte der 1870er Jahre in erster und zweiter Generation etwa 6–8 Millionen Deutsche in Amerika lebten. Dies biete ein großes Feld für die Vereinsarbeit und verlange nach einer gut durchdachten Organisation. Denn sowohl der Katholizismus mit seiner klaren Amtshierarchie als auch der »Unglaube« mit dem Turnerbund – es sind nicht die Freidenker, sondern die Turner, die offensichtlich die erfolgreichste Arbeit mit atheistischem Hintergrund taten – hätten wirksame Organisationsformen gefunden. Gerade letztere unternähmen alles, um junge deutsche Männer von der Kirche, Gott und den Erinnerungen an ihre christliche Erziehung zu entfernen. Daher müsse man 19 Bischof Simpson (1811–1884) hatte in seiner Karfreitagsansprache auch über Pearsall Smith geredet, der bereits nach Berlin berufen war, und über Sankey und Moody in England sowie Varley in New York. All diese seien Laien, die Gott zu »mächtigen Evangelisten« erweckt habe. Vgl. P. A. Mölling: Die östliche deutsche Conferenz. In: CA 1875, S. 108. Zu Matthew Simpson vgl. Voigt: Art. Simpson. 20 Vgl. Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach IV. In: CA 1875, S. 150. 21 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1875, S. 132. 22 Vgl. Proceedings 1875, S. 20. 23 Proceedings 1875, S. 33.

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Reisen durch die USA und Europa (1875)

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deutsche Zweige des YMCA haben. Die Erfahrung zeige, dass junge Deutsche sich nicht einfach als Mitglieder in die amerikanischen Vereine einschrieben, sondern andere Formen des gesellschaftlichen Lebens bräuchten. Was die Sache so schwierig mache, sei, dass die deutschen Kirchen weithin separiert neben einander her lebten; die Einheit unter ihnen sei weitaus weniger ausgeprägt als zwischen den englischsprachigen Kirchen. Daher bedingten sich ein engeres Zusammenrücken der »orthodox German churches« und eine gelingende deutsche Vereinsarbeit gegenseitig. Schon lange habe Nast um ein engeres Zusammengehen der deutschen Kirchen gebetet – und nun sei sein Gebet erhört worden, indem mit Schlümbach der geeignete Mann öffentlich in Erscheinung getreten sei: »Wonderfully has He raised up just such a man as we need for that work. I have often prayed to God to give us such a German as brother Schluembach. You have in him a wonderful phenomenon. You can tell that he is a German by looking at him; he is German all through, but there is within him an American soul and an American spirit; he is a real incarnation of American religion in a German constitution.«24

Mit diesen wenigen Worten war präzise das getroffen, was Schlümbach auszeichnete und ihn unter den Deutsch-Amerikanern so beliebt und für die Arbeit unverzichtbar machte. Die jeweiligen Attribute werden zwar nicht näher erläutert, aber die Perzeption der jeweiligen Mentalitäten legt es nahe, unter amerikanischer Religiosität einen pragmatischen Zugang sowohl zu theologischen als auch kirchlichen Problemstellungen, eine von Revivalismus und Denominationalismus geprägte Frömmigkeit und eine auf theologische Elementarisierung und Erfahrung bezogene Predigtweise zu verstehen, während mit der deutschen Verfasstheit ein grundlegendes Verständnis der besonderen Befindlichkeiten, gesellschaftlichen Bedürfnisse und lebensgeschichtlichen Voraussetzungen der deutschen Einwanderer, auch in religiöser Hinsicht, gemeint ist. Diese Kombination wird sicher nicht nur bei Schlümbach anzutreffen gewesen sein, aber er hatte die nötige Öffentlichkeitswirksamkeit, um die Kirchen näher zusammen zu bringen – denn das ist der Kontext, in dem Nast die besondere Begabung Schlümbachs betont, nicht die Jünglingsvereinssache im engeren Sinn. Von daher sind es in besonderer Weise die transkonfessionellen Anschauungen des amerikanischen Denominationalismus, auf deren Vermittlung Nast hofft, wenngleich er durchaus ein starkes eigenkirchliches Bewusstsein hatte. Schlümbachs Reise habe einen guten Teil dazu beigetragen, Vorurteile zwischen den Kirchen abzubauen. John W. Freund griff diese Charakterisierung in gewisser Weise auf, indem er die Erfahrung der religiösen Wiedergeburt seiner eigenen Biographie

24

Proceedings 1875, S. 63.

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Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881)

gemäß als dezidiert amerikanisch konnotierte und insofern die deutschen Vereine letztlich auch im Dienst der Amerikanisierung sah: »We can never make true Americans if we are not born from above, and we will never make these Germans true, good Americans unless we preach the gospel to them, and that we can’t do in English. [. . .] if I had waited until I learned English I would have been carried away with the infidel influences surrounding me.«25

Für ihn war die Amerikanisierung verbunden mit bestimmten religiösen Erfahrungswelten, deren Vermittlung aber auf Deutsch zu geschehen habe, um anderen Einflüssen zuvorzukommen. Das Executive Committe hatte die Arbeit unter den Deutschen im vergangenen Jahr auch finanziell unterstützt und befürwortete eine Erhöhung der Haushaltmittel.26 In der Berichterstattung des Christlichen Apologeten war es vor allem das Thema der Aktivierung der Laien zur Mitarbeit, das im Vordergrund stand, denn daran hänge im Wesentlichen die Zukunft der Kirche. Von daher könnten die deutschen Kirchen viel von dem »Laien-Verein« des YMCA lernen, und umso glücklicher sei man, dass es Schlümbach gelungen sei, den Nationalbund der deutschen Vereine nun in »brüderliche Verbindung« mit dem amerikanischen Werk zu bringen. Auch hier wird der Dienst an der Einheit besonders betont: »Was die deutschen Christen der ungläubigen Welt gegenüber so schwach macht, ist die zu große Zerspaltung, zu viel Formalität und zu wenig Thätigkeit unter den Laiengliedern der verschiedenen deutschen Kirchen.«27 Gegen diese drei Punkte – konfessionelle Separation, fehlenden Pragmatismus und mangelnde Einbindung der Laien – versuche Schlümbach sich zu wenden. Aber nicht nur ein Fazit der International Convention wurde im Christlichen Apologeten gezogen, sondern auch ein Fazit der Rundreise Schlümbachs insgesamt: »Köstlichen Samen hat er in die deutschen Gemeinden der verschiedenen evangelischen Confessionen geworfen und hat sie alle fühlen lassen, daß sie auf einem Fundament stehen«28. Es ist also die Wirkung hin auf größere Einheit, die hier im Vordergrund steht. Eine solche Reise könne nur von jemandem mit einer ausgesprochen guten Konstitution so unbeschadet 25

Proceedings 1875, S. 65. Vgl. Report of the Executive Committee 1875, S. xiii. 27 Vgl. o. N.: Die zwanzigste jährliche Convention der Young Men’s Chr. Association. In: CA 1875, S. 188. Dort heißt es, dass Schlümbach vom YMCA als Delegierter für die Weltkonferenz in Hamburg im Sommer 1875 bestellt worden sei. Er findet sich aber weder auf der Delegatenliste der International Convention (dafür finden sich dort die Namen prominenter Mäzene wie Wanamaker und Dodge, aber auch R. Pearsall Smith) oder der des Executive Committee; vgl. Proceedings 1875, S. 66 und Minute Book No. 1, S. 259 u. 264. 28 Editorielle Notizen. In: CA 1875, S. 164. 26

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Reisen durch die USA und Europa (1875)

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überstanden werden. Der Blick wird aber vor allem in die Zukunft gelenkt, und damit auf ein Vorhaben, das Schlümbach schon lange geplant hatte und das nun Wirklichkeit werden sollte: eine Deutschlandreise.29

3.2 Durch Deutschland und Europa Bereits 1874 war ein wohlhabendes Baltimorer Brüderpaar, Georg und Carl Meister, an Schlümbach herangetreten, ob dieser nicht eine Reise nach Deutschland und durch Europa mit ihnen machen wolle. Zum einen sollte es dabei einfach um einen Besuch in der Heimat gehen, zum anderen aber auch um »belehrende Erfahrungen«, nicht zuletzt auch in kirchlicher Hinsicht. Mehrere methodistische Kollegen waren mit dem Wunsch an Schlümbach herangetreten, dass er engen Kontakt zu den Gemeinden der BMK in Deutschland suchen solle und sowohl ihre äußere als auch innere Lage genau kennenlernen, um konkrete Unterstützungsmaßnahmen von Seiten der USA erarbeiten zu können.30 Seit 1849 arbeitete die BMK in Deutschland, um »vital religion«, lebendige Religiosität in erwecklichen Strukturen, zu befördern, und hatte mittlerweile eine ganze Reihe von Gemeinden gegründet31, die aber oft unter großen Repressionen zu leiden hatten.32 Die Kontakte, die sich dann während der Reise ergaben, waren eher sporadisch, was Schlümbach aber nicht daran hinderte, dennoch konkrete Maßnahmen für die Unterstützung der deutschen Werkes vorzuschlagen.33 Eine die Kontinente verbindende Wirksamkeit Schlümbachs wurde im Christlichen Apologeten bereits antizipiert beziehungsweise zumindest erhofft, 29

Editorielle Notizen. In: CA 1875, S. 164. Vgl. Fr. v. Schlümbach: Reiseskizzen. In: CA 1875, S. 305. Die Bischöfe Edward R. Ames (1806–1879) und William L. Harris (1817–1887) hatten Schlümbach für diese Reise freigestellt. 31 1875 bestanden in Deutschland 35 und in der Schweiz 14 Bezirke, auf denen 514 Predigtplätze bedient wurden; vgl. Statistik der Verhandlungen 1875. 32 Zum Beginn der Arbeit der BMK in Deutschland vgl. Voigt: Methodistenkirche; Voigt: Methodisten. Zu den Repressionen gegenüber Freikirchen in Deutschland im 19. Jahrhundert vgl. Geldbach: Freikirchen, S. 150–160. 33 Dazu im Einzelnen weiter unten. Zur Art seiner Begegnung mit dem Methodismus in Deutschland schreibt Schlümbach, »daß ich nicht jedem Wunsche gerecht werden konnte, dieses als Erklärung etlichen Brüdern gegenüber, welche ihre Erwartungen nicht erfüllt sehen. Es war mir aber immerhin ermöglicht, vielseitige Beobachtungen auf dem Gebiete der Kirche sowohl, als dem des socialen und politischen Leben zu machen, nur verbot die Art und Weise unseres Reisens in den gewünschten näheren und inneren Verband mit unserem deutschen Werke in Europa zu treten; doch glaube ich andererseits, daß ich dadurch, daß ich mit etlichen unserer leitenden Brüder in ernstem, wenn auch der Zeit nach kurzem Gedankenaustausch pflegen durfte und dadurch, daß ich mit den wohl und zum Theil übel wollenden Predigern der Staatskirche in’s freie Wort kam, befähigt bin, eine klare, wenn auch natürlicherweise engbegrenzte Rundschau zu liefern«. Schlümbach: Reiseskizzen. In: CA 1875, S. 305. 30

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wenn es dort im Vorfeld der Reise heißt: »Der Herr möge ihn [. . .] geleiten auf seiner Reise durch Deutschland und ihn dem deutschen christlichen Volk, ohne Unterschied der Confession, auf beiden Seiten des atlantischen Ozeans zu immer größerem und bleibendem Segen machen!«34 Die Reise begann am 19. Juni 1875 in Baltimore mit dem Dampfer Ohio des Norddeutschen Lloyd. Mit Wehmut ließ Schlümbach die Freunde – seine Familie erwähnt er nicht, obwohl er gerade in Bezug auf sie etwas kryptisch von einer »geistigen Klärung« spricht35 – beim Abschied zurück. An Bord Gottesdienste zu halten, wurde Schlümbach vom Kapitän des Schiffes untersagt, und als er diesen darauf ansprach, dass man doch am Sonntagabend keine Tanzveranstaltung abhalten könne, antwortete dieser: »Nun, Herr Pastor, wir sind eh schon auf deutschem Boden«. Grund genug für gewisse Vorahnungen und den Entschluss, während der Reise wenigstens als Seelsorger unter den Passagieren zu wirken.36 Nach fast zweiwöchiger Fahrt erreichte das Schiff England, von wo aus sich die kleine Reisegesellschaft umgehend nach Deutschland begab.37 In der Nacht vom 3. auf den 4. Juli erreichten Schlümbach und seine Reisegefährten Bremerhaven. Was in den nächsten Wochen folgen sollte, war eine ausgedehnte Reise durch Mitteleuropa, wie allein schon durch die Reihung der Hauptstationen deutlich wird: Bremen – Göttingen – Kassel – Würzburg – Mergentheim – Ingelfingen – Schwäbisch Hall – Baden-Baden – Straßburg – Neuhausen – Konstanz – Zürich – Biel – Neuchatel – Lausanne – Genf – Luzern – Rigi – Biasca – Locarno – Mailand – Venedig – Triest – Wien – Prag – Dresden – Berlin. Vielfältig waren die Reiseeindrücke, die Schlümbach auf dieser Reise sammelte, vielfältig die Gespräche, die er führte, vielfältig die Gebiete, auf denen er seine Einschätzungen entwickelte. Seine Beobachtungen erstreckten sich auf gesellschaftliche Entwicklungen, die Politik, vor allem aber auf die religiöse Situation in den Ländern, die er bereiste. In seinen »Reiseskizzen«, die er als 23teilige Serie im Christlichen Apologeten veröffentlichte, verband er viele Einsichten direkt mit den Orten, die ihm diese ermöglichten. 34

Editorielle Notizen. In: CA 1875, S. 164. Vgl. Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach I. In: CA 1875, S. 124. 36 Vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen III. In: CA 1875, S. 321. 37 Die erzählerische Gestaltung der Ankunft lässt bereits erkennen, wie Schlümbach in seinem 23teiligen Reisebericht im Christlichen Apologeten immer wieder von Reiseerfahrungen aus auf geistliche Themen zu sprechen kommt: »Wir sind von Ufer aus erkannt und werden telegraphirt; welcher Trost, die Lieben in Amerika wissen nun in wenigen Stunden, daß wir sicher über’s Meer gekommen sind. So ist’s beim Sünder, der sein Schifflein durch den Glauben in den Hafen bringt. Jesus telegraphirt in’s Himmelreich, wieder einen gewonnen, und es wird Freude sein bei den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße thut.« Und vom Leuchtturm Northforelands fühlt sich Schlümbach daran erinnert, wie die »Liebe unseres Erlösers [. . .] überall hinleuchtet, wo immer wir im Glaubensleben uns befinden mögen«. 35

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Er stellte zu Beginn aber auch einige zentrale Punkte systematisierend zusammen. Was Schlümbach in religiöser Hinsicht in dieser Art Resümee seiner Reise zunächst anführt, ist »die religiöse Gleichgültigkeit des deutschen Volkes als einer Masse«38. Diese Gleichgültigkeit äußere sich vor allem in weit verbreiteter Sonntagsarbeit, einer Marginalisierung des Kirchgangs, und in den Städten in weitgehend leeren Kirchen. Was sich stattdessen in der Bevölkerung finde, sei ein »moderne[r] Pantheismus«, durch den die christliche Gottesidee gründlich verwirrt werde, und ein »sinnliche[r] Naturalismus«, der schon wenige Jahre nach der Konfirmation trotz vorherigen Religionsunterrichts durch Lehrer und Pfarrer um sich greife. In den höheren Schichten der Gebildeten sei sogar häufig ein »principielles Leben ohne Gott in der Welt« anzutreffen.39 Gesellschaftlich sei eine allgemeine »Vergnügungssucht« zu konstatieren. Auch die Regierungen müssten sich bald dieses Themas annehmen, denn es erzeuge einen »großartigen Verarmungszustand«.40 Überall seien geld- und zeitaufwendige Festivitäten vorzufinden, während es wirtschaftlich eigentlich nicht in allem gut gehe. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Feiersucht seien nicht zu unterschätzen.41 38

F. v. Schlümbach: Reiseskizzen. In: CA 1875, S. 305. Vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen. In: CA 1875, S. 305. Bereits auf der kurzen Fahrt von Bremerhaven nach Bremen war Schlümbach aufgefallen, dass trotz des Sonntags auf den Feldern eifrig gearbeitet wurde. Wer nicht auf den Feldern arbeitete, schien sich zu allerlei bierseligen Vergnügungen in Sommergärten aufzuhalten. Auch in Bremen waren die Läden wie an einem Werktag geöffnet. »Auf der Rennbahn war Wettrennen und als wir einen Spaziergang machten, trafen wir allenwärts auf Musik und Trubel.« In Potsdam besuchte Schlümbach das Grab Friedrich des Großen, dessen Lebensskizzen er bereits in seiner Jugendzeit tief beeindruckt gelesen habe, und schreibt im Blick auf dessen Freundschaft mit Voltaire: »ach daß er in andere Hände gefallen wäre, als des französischen Spötters!« (so hat Schlümbach Voltaire schon zuvor auf seiner Reise bezeichnet). Die Besichtigung des Schlosses Sanssouci bewegte Schlümbach ebenfalls: »ich war deutsch-patriotisch gesinnt, blickte tiefbewegt auf den Sessel, in welchem der alte Fritz sein Leben aushauchte«. Als der Kastellan ihm allerdings ins Ohr raunte, dass Skizzen von Voltaire die letzte Lektüre des sterbenden Königs gewesen seien, fühlte sich Schlümbach auf den Boden zurückgeholt: »Das macht nüchtern; denn der Geist des Herrn rief mir zu: Was hülfe es den Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? Ja, lieber in bescheidenem Heim mit Christus als steter Begleiter, denn im Palast mit den Spöttern sitzen.« Schlümbachs Stimmung hellte sich auch bei der Besichtigung des Schlossparks nicht auf, denn ihn beschäftigte weiter das Schicksal Friedrichs des Großen: »der große deutsche Held, der Tausenden zum Vorbild diente und so hohe Achtung vor dem Gesetz hatte, mochte sich nicht unter das herrliche Gnadenrecht des Erlösers beugen; hoffentlich doch ehe er verschied.« F. v. Schlümbach: Reiseskizzen XXII. In: CA 1876, S. 182. 40 Vgl. Schlümbach: Reiseskizzen II. In: CA 1875, S. 313. 41 In Dresden erlebte Schlümbach ein Schützenfest um den Sachsenkönig mit 15.000 Menschen. Wie sehr die Untertanen in Deutschland an ihren Fürsten hingen, sei Schlümbach deutlich geworden, als alle bei der Durchfahrt des Königs durch die Menge jubeln »wie rasend«. Das Fest wurde beschlossen mit einem einstündigen Feuerwerk, das selbst ein solches in den Schat39

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Für Schlümbach zeigte sich also ein religiöser Verarmungszustand zum einen in den konkreten kirchlichen Zuständen, zum anderen aber auch in allgemeinen gesellschaftlichen Tendenzen über den kirchlichen Bereich hinaus. Die Staatskirche – Schlümbach verwendete bevorzugt diesen aus amerikanischer Perspektive naheliegenden Begriff für die deutschen Landeskirchen – sieht Schlümbach in einem bedenklichen Zustand, da es sowohl in der Predigerschaft als auch zwischen den Gemeindegliedern zu viele Verwerfungen zwischen den Frommen und den »Protestantenvereinlern« gebe, wobei letztere ihren Einfluss immer weiter ausbauen könnten.42 Dennoch sei eine große Empfänglichkeit der »verirrten Schafe« in der Gesellschaft für das »lautere Wort vom Kreuz« zu konstatieren.43 Für die, die bereits ein gottesfürchtiges Leben führten, seien die äußeren Bedingungen aber alles andere als ideal. Um sie zu unterstützen, seien Anstrengungen aus Amerika vonnöten, um sowohl das Modell einer Trennung von Kirche und Staat zu popularisieren als auch geistliche Unterstützung in der Durchdringung der Gesellschaft zu leisten: »ja wäre heute die Kirche vom Staate getrennt, so würde diese kleine Schar als hellleuchtender Stern erscheinen, und um sich her ein klares einladendes Licht verbreiten, Wärme gebend, wie die liebe Sonne; wenn man diesen lieben Gotteskindern von den kirchlichen Zuständen Amerikas erzählt, jubeln sie auf und danken Gott für die Freiheit unseres Landes, dem Hoffnungsgefühl Raum gebend, daß ihnen aus Amerika einmal geistige Hilfe komme.«44

Diese »geistige Hilfe« betreffend sah Schlümbach bereits zwei vielversprechende Anfänge: zum einen die gerade sich in Europa in zahlreichen Konferenzen entfaltende Heiligungsbewegung, zum anderen den schon länger in Deutschland wirksamen Methodismus. Das Wirken Pearsall Smiths sei ein Vorläufer der Bewegung gewesen, auf die Deutschland warte, ein »Eisbruch«, aber für einen größeren Erfolg dürfe es kein umständliches Dolmetten stellte, das Schlümbach vier Jahre zuvor in Washington erlebt hatte. In diesen Volksbelustigungen sah Schlümbach vor allem die Möglichkeit des Eskapismus, den die äußeren Zustände seien vielfach alles andere als ein Anlass zum Feiern. »Wie so ganz anders schaut doch der Christ das Vergnügungsleben der Welt an; so lange man mit der Welt lebt, ist man gefesselt von der sogenannten Herrlichkeit und Freude dieser Dinge und ich kann gestehen, daß ich nur abstoßende Gefühle empfand über dieses tolle Treiben, obgleich ich zur Ehre der Deutschen gerne bemerken will, daß ich weder auf dem Festplatz noch in Dresden unter der rückkehrenden Menge irgend einem Betrunkenen oder unordentlichen Menschen begegnete, und doch wie viel Elend ist hier unter Lustbarkeit und Pracht verborgen.« Schlümbach: Reiseskizzen XIX. In: CA 1876, S. 134. 42 Schlümbach bezeichnet den Widerstreit auf Seiten der Prediger so: »wahres Christenthum im Gegensatz zur Protestantenvereinler-Naturgott-Weiß-selbst-nicht-was-ich-will-Anbetung«. 43 Vgl. Schlümbach: Reiseskizzen II. In: CA 1875, S. 313. 44 Vgl. Schlümbach: Reiseskizzen II. In: CA 1875, S. 313.

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schen geben, sondern müsse die Bewegung von »deutschen Laien« ausgehen. Dem Methodismus schrieb Schlümbach dabei eine entscheidende Rolle zu, wenn er steil formuliert: »Ich behaupte nach reiflicher Erwägung, der amerikanische Methodismus ist von Gott bestimmt, der Sauerteig für Deutschland zu werden; denn Alles, was Deutschlands Christen brauchen, ist in unserem Kirchenleben enthalten. Nicht träume ich von einer Methodisten-Staatskirche in Europa, wie man mir oft sagte, wir seien die Staatskirche Amerikas, nein, ich sehe, ohne prophetischen Blick zu beanspruchen, ich sehe in Folge der Lage der Dinge jetzt, in naher Zukunft, eine freie, lebenskräftige, lebensfrische Protestantische Kirche in Deutschland, die, wenn auch sehr klein an Zahl, doch einer segensreichen Zukunft entgegengeht, und dazu muss ihr der deutsche Methodismus verhelfen.«45

Für Schlümbach hatte der Methodismus, in den er neben der Bischöflichen Methodistenkirche auch ausdrücklich die Evangelische Gemeinschaft und die Vereinigten Brüder mit einschließt, somit die göttliche Bestimmung, eine Art Hilfsfunktion grundlegender Art in der Belebung des Christentums in Deutschland zu erfüllen. Es gehe nicht in erster Linie darum, lebendiges Christentum erst nach Deutschland zu bringen, sondern dem dort bereits vorhandenen durch neue Strukturen zur Blüte zu verhelfen.46 Ziel sei daher auch nicht eine »methodistische« Kirche in Deutschland, sondern eine »protestantische«, in der freilich wesentliche Elemente des Methodismus verwirklicht wären, die aber abgestimmt ist auf die Gegebenheiten ihres kulturellen Kontexts. Insofern schreibt er eben dem deutschen Methodismus die entscheidende Brückenfunktion zu. Dieser Ansatz wird auch deutlich, wenn er zu einem Vorfall im Hohenloher Land, seiner Heimat, bei dem es um die Verfolgung eines methodistischen Predigers und das Unterbinden seiner Tätigkeit im Landkreis ging, bemerkt:

45 F. v. Schlümbach: Reiseskizzen. In: CA 1875, S. 305. Diese Passage ist auch bei Voigt: Friedrich, MEKR 53 (2004) 337–358, dort 348 wiedergeben, auf die Deutschlandreise wird auch auf S. 341–342 eingegangen. 46 Schlümbach verweist auf seiner Reise immer wieder auf die Verwurzelung Deutschlands im Christentum, die früher deutlicher zum Tragen gekommen sei. Der Bremer Dom habe ihm noch einmal die tiefe Verwurzlung der früheren Herrscher im Christentum vor Augen geführt. »Wer geneigt ist, das Christentum als ›Drohne‹ hinzustellen, der reise und studire Altdeutschland, er wird eines besseren belehrt werden«. In der Erinnerung an seinen Besuch in Genf schreibt Schlümbach über Calvin, dass die Verbrennung Servets »die Schandthat seines Lebens« gewesen sei. Diese Bemerkung zog nach sich, dass die Reformierte Kirchenzeitung Schlümbach Verleumdung vorwarf, da die Genfer Regierung an dieser Stelle gegen Calvins Wunsch gehandelt habe. Als Antwort darauf veröffentlichte das Evangelisch-Lutherische Gemeindeblatt einen Auszug aus der Reformierten Kirchenzeitung von 1854, in der Calvins aktive Involvierung in den Fall aufgrund seines unduldsamen Temperamentes dargestellt wird. Der Christliche Botschafter fragt daraufhin: »In welchem Jahre hat nun die Ref. Kirchenzeitung Recht?« Und auch der Christliche Apologete druckt die Auseinandersetung; vgl. CA 1876, S. 84.

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»Ich hoffe zu Gott, daß er doch helfen möge den Landsleuten des schönen Distriktes es klar zu machen, das wir unsere Brüder nur deshalb zu ihnen gesandt, um ihnen zu helfen, das wahre Christenthum unter ihnen aus seinem Winterschlaf aufrütteln zu helfen, um den Armen, vom Satan und weltlicher Verblendung erfüllten Heidenchristen, das volle Heil in Christo zu verkündigen; aber der Hauptwiderstand kommt von den Ortspredigern jener Gegend, die wie früher Tetzel jetzt auch sagen: Wenn den Leuten die Augen geöffnet werden, dann hört der Ablasszettelverkauf auf, ja die Herren fürchten für Brod und Butter, doch es muß kommen was sie scheuen, die Kirche Christi muß frei werden von Stipendien und Politik und muß eine helle Leuchte werden dem deutschen Volk in der dunklen Nacht des Un- und Aberglaubens der Gegenwart.«47

Was das gegenwärtige Wirken der Bischöflichen Methodistenkirche in Deutschland betrifft, so stellt Schlümbach allgemein – wie auch hier im konkreten – fest, dass dieses »völlig mißverstanden« werde. Wo man sie eigentlich unterstützen müsste, würden ihr Hindernisse in den Weg gelegt, selbst von wohlwollenden Pfarrern und Laien würden ihr »falsche Motive« unterstellt.48 Näheren Kontakt mit Methodisten in Deutschland hatte Schlümbach vor allem in Berlin. Zwar hatte er in Bremen bereits das Traktathaus und die Kapelle besucht und sich mit den leitenden Männern dort besprochen, mit der Gemeinde hatte er jedoch keinen näheren Kontakt gehabt.49 Auch seinen ursprünglichen Plan, der Einladung zur Jährlichen Konferenz in Heilbronn Folge zu leisten, musste Schlümbach kurzfristig absagen, da ihm seine Bahnfahrkarte eine Reiseunterbrechung dort nicht erlaubte.50 Bei seinem Besuch in Berlin wurden ihm die bereits angedeuteten schwierigen Bedingungen, unter denen die Methodisten ihr Glaubensleben in Deutschland gestalten mussten, erneut deutlich. Er besuchte am Sonntag die Kapelle der Bischöflichen Methodistenkirche und hielt nach einer längeren Unterredung mit seinem dortigen Kollegen den Nachmittagsgottesdienst. Im Hinblick auf seine Predigthörer und die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatten, schreibt er:

47 F. v. Schlümbach: Reiseskizzen VI. In: CA 1875, S. 374. Mit dem Begriffspaar »Un- und Aberglauben« wurde im erwecklichen deutsch-amerikanischen Protestantismus weithin Rationalismus zum einen, Katholizismus zum anderen bezeichnet; vgl. Raedel: Methodistische Theologie, S. 118. Daß sich Schlümbach die Terminologie in diesem Sinne zueigen machte, wird deutlich, wenn er eine öffentliche Debatte zwischen dem Freidenker Ende und einem katholischen Priester in Warsaw 1875 als Debatte von »Unglaube mit dem Aberglauben« bezeichnet; vgl. Reiseskizzen von Rev. Fr. v. Schlümbach V. In: CA 1875, S. 158. 48 Vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen. In: CA 1875, S. 305. 49 Vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen III. In: CA 1875, S. 321. 50 Er schreibt des Weiteren von einem Zusammentreffen mit Methodisten in Frankfurt, über das in seinen Reiseskizzen aber nichts näher ausgeführt ist.

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»Ja, diese Berliner Geschwister und in der That alle unsere lieben Kirchengenossen Deutschlands sind wackere Streiter, denn sie haben mit großen, uns jetzt hier ungekannten Hindernissen zu kämpfen; ein Glied unserer Kirche zu werden in Berlin ist gleich bedeutend mit Austritt aus dem Verband anderer Christenmenschen, denn jedes unserer Glieder wird mit Verachtung behandelt, keine liebevolle Gleichberechtigung, wenn auch nicht gerade Haß, so müssen sie doch in so vielen Dingen fühlen, daß man ihnen absichtlich das Gottesanbeten nach innerer Überzeugung, weil es nicht in der Staatskirche geschieht, recht sauer macht.«51

Dies sei ein Grund, warum die deutschen Methodisten der Hilfe aus den Vereinigten Staaten bedürften. In Hinsicht auf die skizzierte Gefühlslage sei dies zunächst durch unterstützende und ermutigende Briefe im Sinne moralischer Unterstützung möglich. Darüber hinaus müsse Hilfe aber auch – und das ist für Schlümbach von noch größerer Bedeutung – in finanzieller Hinsicht geleistet werden. Die Kapellenschuld gerade auch in Berlin drücke schwer; die Geschwister seien voll Glaubensmut, aber die Schulden verhinderten doch ein Vorwärtsgehen in großen Schritten und lähmten die Aktivitäten.52 Für Deutschland insgesamt bedürfe es »colossaler Mittel« aus Amerika. Und so wird Schlümbach nicht müde zu betonen, dass die methodistischen Gemeinden in Deutschland auch durch ihre finanziellen Belastungen nicht frei wirken könnten, obwohl sie schon viel Positives auf träge gewordene Frömmigkeit in Deutschland hätten ausstrahlen können. »Ja, die Thüren stehen weit offen für unser Werk, Gott der Allgütige hat die Bahn gebrochen. Aber die Brüder sagen: Wir können nicht eintreten, denn wir dürfen es nicht wagen, die Last ist groß genug wie sie ist, wer hülfe uns weiteres Risiko tragen«. Daher der Aufruf Schlümbachs im Christlichen Apologeten: »Laßt einmal den Ruf durch’s Land gehen: Wir wollen einen deutschen Fond anlegen, freiwillig, zur 100-jährigen Feier aus Dankbarkeit, daß uns Deutschland eine Barbara Heck gesandt, wollen wir Deutschland eine Schaar tüchtiger Kämpfer im Gottesreiche senden und sie ausrüsten zum Streit«. Ein neues Interesse für die Konferenz in Deutschland und der Schweiz wünscht sich Schlümbach langfristig von seinen Glaubensgeschwistern in Amerika.53 Sein Plan eines »Centennial Fond« für Deutschland sah so aus, dass jeder am 4. Juli – statt sein Geld für »Firecrackers« auszugeben – einen Dollar als »Jubelopfer« in diesen einzahlen solle. Zu diesem Zweck möge die Generalkon-

51 F. v. Schlümbach: Etwas über unser deutsches Werk in Berlin (Reiseskizzen XX). In: CA 1876, S. 142. 52 Vgl. F. v. Schlümbach: Etwas über unser deutsches Werk in Berlin (Reiseskizzen XX). In: CA 1876, S. 142. 53 Vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen. In: CA 1875, S. 305. Barbara Heck (1734–1795), eine gebürtige Deutsche, wird zu den ersten gezählt, die den Methodismus über Irland nach Nordamerika brachten.

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ferenz doch beschließen, dass die Publikationsbehörde »einen billigen aber hübschen Schein« drucken lasse, der – deutsch und englisch beschriftet – zum Preis von einem bis fünf Dollar von den Buchagenten oder der Missionsbehörde ausgegeben werden soll. Man könne unabhängig von solchen Scheinen auch die Adressen derer angeben, bei denen die Sammlungen eingehen sollten. »Und ich möchte fragen, welchen besseren Dank könnten selbst unsere Kinder dem Vaterland ihrer Eltern abstatten, als daß sie durch liberale Unterstützung dieser Centennialfeier dazu beitragen, dorten ein freies Christentum mit neuem Eifer und Kraft zu beseelen, denn ich bin fest überzeugt, daß wenn wir die Geschwister in Deutschland recht unterstützen, sie deßhalb nicht erlahmen, sondern selbst zu neuen Opfern sich aufraffen werden, denn sie wissen wohl, daß wie jene Blume, die nur alle hundert Jahre blüht, so auch die allgemeine Tilgung der Kapellenschulden, und gewiß haben die Brüder auch Manches bei der Zeit gelernt mit bitterer Erfahrung, das ihnen für die Zukunft zu großem Nutzen wird.«54

Die Zeit dränge, denn »die Sachen da draußen stehen ernster als Manche denken, wir sind mit unserem Werk in Deutschland an einem Punkt angekommen, wo wir nicht stillhalten können, ohne zu zerstören, wir müssen vorwärts, können das jedoch nur, wenn wir die Last der Kirchenbauschulden vertheilen.«55

Auch durch diese wenigen Begegnungen mit methodistischen Geschwistern in Deutschland habe er »die Ueberzeugung gewonnen, daß wenn wir in Amerika auch nur einen theilweisen klaren Begriff des Segens hätten, welcher von unserem Werke für die alte Heimath ausströmt, wir trotz aller Selbstsorgen willig und bereit wären, schnelle Hülfe zu senden. Wer ist mit mir bereit, am 4. Juli Worte zur That zu machen?«56

Immer wieder war Schlümbach auf seiner Reise deutlich geworden, wie eng Deutschland und die USA verbunden waren, auch wenn die Vorstellungen über die Verhältnisse und Errungenschaft in den USA in Deutschland mitunter etwas unscharf seien. Aber das Interesse sei groß.57 Daher hoffte 54 F. v. Schlümbach: Etwas über unser deutsches Werk in Berlin (Reiseskizzen XX). In: CA 1876, S. 142. 55 F. v. Schlümbach: Etwas über unser deutsches Werk in Berlin (Reiseskizzen XX). In: CA 1876, S. 142. 56 F. v. Schlümbach: Etwas über unser deutsches Werk in Berlin (Reiseskizzen XX). In: CA 1876, S. 142. 57 In der Schweiz lernte er in der Bahn einen von dort stammenden Deutsch-Amerikaner aus St. Louis kennen, mit dem er gleich in vertrautem Gespräch war und feststellte, »das Wort, ich bin ein Amerikaner, gewinnt für Europareisende einen sonst nie gekannten Werth, denn trotz aller Herrlichkeiten erkennt man doch erst dort, wie sehr man sein liebes Adoptivvaterland in’s Herz eingeschlossen.« Vom Bieler See aus ging die Reise weiter nach Neuenstadt und Neu-

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Schlümbach auch auf die Wirkungen der Weltausstellung in Philadelphia 1876, dass »dieses Jahr, wenn die Gäste bei Hunderten aus allen deutschen Gauen kommen, die deutschen Kirchen des Ostens Alles aufbieten, das ächte freie Leben der prot. Kirche dieses Landes ihnen vor Augen zu stellen, wir werden dann mit jedem Gast einen willkürlichen oder unwillkürlichen Missionär zurücksenden.«58 Dass Schlümbach durchaus noch patriotische Gefühle für sein Heimatland empfand, wird an mehreren Stellen der Reise deutlich. Unter den Deutschen in Amerika, die ja ansonsten nicht nur positiv an ihre alte Heimat zurückdachten, hatte die Reichseinigung 1871 eine Welle des Patriotismus hervorgerufen, und so waren die patriotischen Äußerungen Schlümbachs auch vor allem auf den deutschen Kaiser und das neue Kaiserreich gerichtet. Zur Lage des Deutschen Reichs im Allgemeinen bemerkt Schlümbach, dass in jeglicher Hinsicht ersichtlich sei, »welcher Vortheil daraus erwächst, wenn ein Volk einig ist«. Die Reichseinigung sei als ein Segen zu begreifen.59 Die mit ihr zusammenhängenden und freilich weiter zurückreichenden antifranzösischen Ressentiments wurden auch von Schlümbach gepflegt. So gibt er sich am Herkules in Kassel patriotisch angesichts des Sieges über Napoleon III.60, ebenso im Schloss, nachdem er zuvor die Gemächer des Ex-Kaisers und der »katholischen Intrigantin« in französischem Stil besichtigt hatte61. In Straßburg, wo Schlümbach auch das »Denkmal der gefallenen Helden deutschen Blutes«62 bei der Zitadelle besuchte, waren die Kriegsschäden noch deutlich zu sehen, und auch den Triumphbogen Napoleons I. in Mailand betrachtete Schlümbach angesichts der jüngsten politischen Ereignisse mit chatel, wo sie im Auftrag zahlreiche Uhren kaufen und Schlümbach betont, mit welchem Entgegenkommen und Vertrauen Amerikaner überall behandelt würden. Das gerade in der Stadt abgehaltene Turnfest veranlasst Schlümbach zu dem Vergleich mit Amerika, dass es auch hier um das »trinkende Turnen« gehe. 58 F. v. Schlümbach: Etwas über unser deutsches Werk in Berlin (Reiseskizzen XX). In: CA 1876, S. 142. 59 Vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen II. In: CA 1875, S. 313. 60 »Welch’ ein kerniges Volk, welch’ ein reizendes Land dieses deutsche Land und Nation war, das ihn und seine Dynastie stürzte und sein Volk in die rechte politische Lage brachte«; vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen IV. In: CA 1875, S. 350. 61 Dem stellt er gegenüber: »Der Castelan zeigt an: Dieses sind die Gemächer Sr. Majestät des Kaisers von Deutschland. Ehre dem biederen deutschen Manne und Helden. Hier ist’s heimathlich, kein französischer Luxus, Alles einfach, reich, aber nicht überladen. Ein reicher deutsch-amerikanischer Kaufmann hat manchen prachtvolleren Parlor als das Besuchszimmer des deutschen Kaiserherrn; einfaches Feldbette, alles so einladend auch in den Zimmern der Kaiserin, daß man ordentlich stolz fühlt ein Deutscher, wenigstens von Geburt aus zu sein. Ein Feld zum Studium zweier Länder ist in diesem Königsschlosse, wie selten sonstwo, es sei denn in Sanssouci bei Berlin, doch fehlt hier, als Hamlet’s Geist, der hartnäckige Hessenfürst, wie er auf Wilhelmshöhe überall seine Mahngestalt dazwischen schiebt«; vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen IV. In: CA 1875, S. 350. 62 F. v. Schlümbach: Reiseskizzen VII. In: CA 1875, S. 390.

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einer gewissen Ironie.63 Vom Weg dorthin durch die Schweiz schreibt er: »In Biel [. . .] hieß es zum ersten Mal auf unserer Reise: ›Parlez vous francais?‹ und die Eisenbahnbeamten wurden grob!«64 Wie in Amerika, so galt auch in Europa ein besonderes Augenmerk Schlümbachs der Situation junger Männer sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft. In Göttingen fielen Schlümbach vor allem die vielen Burschenschaftler auf, die er – wenn er es nicht besser gewusst hätte – von der äußeren Erscheinung her für »Harlequins und Klopffechter«65 zu halten geneigt gewesen wäre. Für ihr Auftreten und Commersleben zeigt Schlümbach wenig Verständnis: »Kein Wunder, daß diese Herren vom praktischen Leben so gar keine Idee haben, denn wer noch so sehr in dem Zeitalter des Faustrechts lebt wie sie, kann für die praktische Anschauungsweise des 19. Jahrhunderts wenig Anerkennung übrig behalten.«66 Da sagten ihm die Studenten in Straßburg schon eher zu, da sie »mehr um ihre geistige als um ihre fleischliche Ausbildung besorgt« zu sein schienen. Und vor den Anstrengungen des Volkes für die Ausbildung der Jugend im Zürcher Polytechnikum hat Schlümbach den höchsten Respekt, »und besonders, wenn es ein freies, republikanisches ist!«67 Das Leben eines Christlichen Jünglingsvereins lernte Schlümbach in Berlin kennen. Nach dem Besuch bei den Methodisten begaben sich Schlümbach und seine Begleiter zum Christlichen Jünglingsverein, wahrscheinlich in der Oranienstraße, um die Arbeit dort aus eigener Anschauung kennenzulernen. Der erste Eindruck war etwas ernüchternd, denn nach Anmeldung beim Portier und einem längeren Weg durch einen dunklen Vorsaal und Hofraum kamen sie in ein Sitzungszimmer, in dem einige junge Männer das Abendbrot einnahmen, das von seiner Einrichtung aber so gar nicht zu einem Speisesaal passte. Das erhöhte Bild mit Kruzifix und die ehrwürdigen Bilder der Reformatoren bildeten bei Schlümbach »für den ersten Augenblick die Ursache eines Gefühls der Unbehaglichkeit«. Aber durch die herzliche Begrüßung und Einführung ins Vereinsleben war dieses Gefühl bald zerstreut, was Schlümbach mit dem Ausspruch: »Ländlich, sittlich!« erklärte. Um halb neun Uhr abends fand eine größere Versammlung statt, die Schlümbach durch den »tiefernste[n]« und »strengevangelische[n] Geist, welcher durch die Reden des Vorsitzers und die der Brüder wehte«, beeindruckte. Als Motto hätte »Ganz des Herrn!« über der Versammlung stehen können.68 63 64 65 66 67 68

Vgl. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen XVI. In: CA 1876, S. 94. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen X. In: CA 1876, S. 6–7, dort 7. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen V. In: CA 1875, S. 366. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen V. In: CA 1875, S. 366. F. v. Schlümbach: Reiseskizzen X. In: CA 1876, S. 6–7, dort 6. Aus dieser Nebenbemerkung Schlümbachs, in der er sein Empfinden in einem populären

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Als Schlümbach das Wort ergriff, um von den Vereinen in Amerika zu grüßen, fand er so aufmerksame Zuhörer wie wohl selten zuvor. Im Anschluss an die Versammlung fand in kleinerem Kreis noch bis ein Uhr nachts ein reger Austausch zwischen den Deutsch-Amerikanern und den jungen Männern statt, bei dem Schlümbach einiges über die Arbeit der Jünglingsvereine in Deutschland erfahren konnte. Schlümbach zog das Fazit, was Not tue, sei ein engeres Verhältnis zwischen den Jünglingsvereinen in Deutschland und den USA, denn viele junge Vereinsmitglieder wanderten nach Amerika aus, würden ihre »Scheine«69 aber nicht bei den dortigen Vereinen abgeben, da sie nicht wüssten, in welchem Verhältnis diese Vereine zu den deutschen Vereinen stünden. Über seine Beweggründe schreibt Schlümbach: »Ach, daß ich doch es Jedermann so klar machen könnte, als es in meinem Innern ist, wie es eine der dringendsten Nothwendigkeiten unserer Zeit ist, die deutsche Jugend beider Kontinente fest für Jesum zu sichern, wie so manches wichtige Resultat dadurch erzielt werden könnte, wie die Zukunft dann so voll wäre mit riesigen Siegen allerwärts. Ich danke Gott in meiner Schwachheit täglich, daß Er immer mehr Herzen willig macht, dieser hochwichtigen Zeitfrage die volle Aufmerksamkeit, welche sie per se verdient, zu schenken, und wiederum Andere, ihre Zeit und Talente dazu zu verwenden. [. . .] ich bin so sehr, möchte fast sagen Tag und Nacht mit dem Gedanken beseelt wie kann der deutschen Jugend, dieses Landes besonders, geholfen werden? daß ich beim Schreiben und Reden oftmals in diese Rüge [vom eigentlichen Thema abzuschweifen] gerathe«.70

Neben der Sorge um die nach Amerika einwandernden Deutschen bewegte Schlümbach also vor allem die Wichtigkeit der Frage, ob die Jugend zu Christus geführt werden könne, da sich daran im wesentlichen die Gestaltung der Zukunft entscheide. Die kulturelle Differenz der Vereine in Deutschland und den USA wird dabei deutlich wahrgenommen: »Daß die Vereine in Deutschland eine ganz andere Art und Weise von den unseren einschlagen, ist den Verhältnissen gemäß. Ihre Gewerbsklassen bedingen schon in sich selbst eine eigenthümliche Aufmerksamkeit, das kirchliche Verhältniß andererseits und die gewohnten deutschen Anschauungsweisen sind besonders stark in dem Charakter des Vereins ausgeprägt und doch kann selbst der oberflächlichste Beobachter nicht umhin zu bemerken, in wie vielen, und gewiß nicht geringen Punkten, die Vereine aller Länder innig übereinstimmen. Es ist meine Ansicht, daß die Organisation

Begriff der gerade auf dem Höhepunkt stehenden Heiligungsbewegung ausdrückt, wird die Wahrnehmung einer sachlichen Kongruenz der frömmigkeitsgeschichtlich ja anders geprägten Traditionen deutlich. Diese Grundeinsicht sollte für Schlümbach einen wichtigen Anknüpfungspunkt für seine spätere Tätigkeit in Deutschland darstellen. 69 »Scheine« waren – wenn man so will – Überweisungsdokumente, wie sie auch bei den Methodisten üblich waren, wenn ein Umzug erfolgte. 70 F. v. Schlümbach: Reiseskizzen XXI. In: CA 1876, S. 151.

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der christlichen Jünglinge für Deutschland ein weiterer und zwar bedeutender Hebel wird. Die Sonntagsfeier, das praktische Christenthum im täglichen Leben, im Gegensatz zum Form- und Namenchristenthum, und derartige evangelische und für ganz Deutschland dringend gebotene Reformen ein- und durchzuführen, dazu bedürfen die Vereine im Zusatz zu dem bereits allerorten sich regenden Geist der apostolischen Zeit, das praktische Wirken des amerikanischen evangelischen Christenthums; schon deßhalb sollten wir uns mehr und mehr nähern, besonders auch da diese Vereine Deutschlands dem Methodismus quasi Sektenwesen (nach dortigen Begriffen) ferne stehen und somit diese Reformen, von dieser Seite kommend, nicht auf die Vorurtheile stoßen, mit welchen unsere Kirche draußen hauptsächlich zu kämpfen hat. Diese angedeutete Propaganda braucht auf keinem anderen Weg angebahnt zu werden, als daß wir einfach den Brüdern drüben ein klares, wahrheitstreues Bild des kirchlichen Lebens Amerikas mit seinen Licht- und Schattenseiten und insbesondere das Wirken und Wesen der christlichen Jünglings-Vereine mittheilen. Es wurde mir durch persönlichen Umgang mit diesen Brüdern und vielen Andern die Ueberzeugung zu Theil, daß der Herr da drüben Rüstzeuge hat, die in Bälde fühlbar in das christliche Leben Deutschlands eingreifen werden und ihnen sollten unsrerseits alle nur erdenklichen Waffen und Hülfsmittel zugeschoben werden.«71

Wenngleich Schlümbach also in besonderer Weise kirchliche Verhältnisse und nationale Mentalitäten in den deutschen Jünglingsvereinen niedergeschlagen sieht, stellt er dennoch elementare Überschneidungen zwischen den Jünglingsvereinen aller Länder fest. Eine Neuorganisation der deutschen Vereinsarbeit wäre für ihn ein wesentliches Mittel im Hinblick auf eine Erweckung in Deutschland. Denn die bereits in Deutschland vorhandenen erwecklichen Tendenzen bedürften des Anstoßes aus den USA, um zu gelebter Frömmigkeit in großem Stil gegenüber einem rein nominellen Christentum zu führen. Schlümbach sieht in Deutschland die nötigen Kräfte vorhanden, die durch Anstoß von außen aber erst in rechter Weise mobilisiert werden müssten. Dem Sinne nach soll auf diese Weise das gleiche befördert werden wie durch den Methodismus, dies aber ohne sich des Sektenvorwurfs verdächtig machen zu müssen. Methodisch reiche es – wie Schlümbach ja auch schon früher, aber sicher zu kurz greifend geäußert hatte –, den entsprechenden Kreisen das kirchliche Leben der USA vor Augen zu stellen, um sie für die erweckliche Arbeit nach außen zu mobilisieren. Die Rolle der Jünglingsvereine changierte also in den Plänen Schlümbachs – allerdings in durchaus komplementärer Weise – zwischen einem Weg zur positiven Zukunftsgestaltung in der Gesellschaft und einem Mittel, um zu einer durchgreifenden Erweckung zu führen. Dabei sah Schlümbach das aus Amerika benötigte Engagement gebunden an den Dreiklang aus Jünglingsvereinen, Methodismus und Heiligungsbewegung, wobei er realistisch einschätzte, dass den methodistischen Kirchen in ihrem Einsatz in

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F. v. Schlümbach: Reiseskizzen XXI. In: CA 1876, S. 151.

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Deutschland zu viele Türen versperrt bleiben würden und die Heiligungsbewegung aufgrund ihrer starken englischsprachigen Orientierung nur vorbereitenden Charakter für das Anzubahnende haben könne. Was sich bei ihm also abzeichnet, ist die spätere Konzeption Theodor Christliebs72, nur unter etwas anderen Vorzeichen: »Methodismus« – als Chiffre für erweckliche Arbeitsformen und entsprechende Frömmigkeit – ins kirchliche Leben Deutschlands zu bringen, ohne diesen an die methodistischen Kirchen als solche zu binden. Schlümbachs Verhältnis zur Arbeit der BMK in Deutschland war damit ambivalent. Auch in familiärer Hinsicht blieb die Reise für Schlümbach nicht ohne Bedeutung, denn in Ingelfingen kam es zu der lange ersehnten Versöhnung mit seinem Vater:73 »›Willkommen‹ – dies freundliche Wort, das im grünen Kranze im lieben Vaterhause mir entgegengrüßte, wäre genug gewesen, mir alles Bangen und Zagen ob der dahingeschwundenen 16 Jahre zu nehmen; doch weit mehr als dieses sprach das thränenfeuchte Auge des greisen Vaters, der frohe Ruf aus seinem Munde: Also das ist mein Fritz! Ja, glücklicher Augenblick, unbeschreiblich groß das Wiederfinden des einst verlorenen Sohnes und auf so glückliche Art und Weise. O wie traut ist’s in der lieben Heimath, zwar die Idylle ist zerbrochen, wie ein dünnes Crystallglas – denn die Stadt in ihren sonst so umfangreich gedachten Entfernungen schmolz in ein kleines, wenngleich liebliches Städtchen zusammen; das Schloß, das dem Jüngling, der die Welt nur wenig gesehen, so riesenhaft in seinen Räumlichkeiten erschienen, ist dem Manne, der es mit amerikanischen Augen betrachtet, ein einfach großes Haus geworden. Alles ist verändert und trotzdem hat es an seinem Reiz dadurch nur gewonnen und meine Seele schwebte im Glück und der Freude, wie in einem Taumel. Also hier ist meine Wohnung für die Dauer meines kurzen Besuches, das Bett am selben Ort, wo meine Wiege stand; dort daneben die Stelle, wo ich von der todtkranken Mutter im Leichtsinn des Lebens ebenso leichtfertig Abschied genommen, und sie, die Theure, liegt ja längst draußen im Stillen Friedhof und ihr frommer Geist ruht in den Armen ihres Vaters und, hochgelobt sei der Herr, jetzt auch meines Erlösers. Aber die Mutter, welche jetzt in diesen Räumen waltet, sie, die mir unbekannte, spricht zu mir in der Zusammenstellung der vielerlei Mementos, welche sich in meinem Zimmer befinden; hier Geschmack in hohem Grade entfaltet und dort die Bibliothek, zeigt die Quelle an, aus welcher sie ihren geistigen Trank schöpft, und das christliche Element hat den Vorrang – gutes Omen – und als sie nun herein tritt und mit ihrem herzlichen Blick und Wort den jüngsten der Familie bewillkommt, da ist mein Herz bezwungen, und sie ist für mich nicht länger die Gattin des Vaters, seine treue Gehülfin im Herbst des Lebens, sie ist mir eine liebe Mutter, welche in ihrer Sorgfalt und Liebe die sonst so 72

Vgl. dazu v. a. Kap. 1.3. in Teil III dieser Arbeit. Bereits durch einen Brief im Januar 1875 hatte sich Schlümbach um die nötigen Arrangements für ein Wiedersehen mit seiner Familie bemüht, besonders mit seinem mittlerweile wiederverheirateten Vater, von dem er seit seiner Auswanderung keine persönlichen Zeilen mehr erhalten hatte. Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 13. 1. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [2]). 73

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schwergefühlte Lücke im Elternhause, so weit dies nur Menschen möglich war, ausfüllt; als nun auch noch meine liebe Schwester Emma mit ihren bereits herangewachsenen Töchtern Einkehr hält, da ist’s ganz wie in alten Tagen und die Jahre, welche den Schnee auf Vaters Haar und Bart geworfen, sind vergessen, es ist Frühling und die Liebe Jesu bildet das Band, das uns jetzt fester und inniger umschlinget, als es früher die Bande des Elternhauses thun konnten. Dürfte ich doch erzählen von den herrlichen Stunden, die ich im Kreise der Lieben zugebracht, die Gefühle, die Erinnerungen, welche wachgerufen wurden mit jedem Schritt durchs Haus, durchs Städtchen und drunten am Grabe der seligen Mutter! Nein, nein, ich weiß wohl, das Alles hat für den lieben Leser des Apologeten keinen Werth, denn es ist ja etwas ganz Persönliches und [. . .] ich hoffe, daß ich mit dieser Abweichung in den idyllischen Theil meiner Reise keinen Anstoß gegeben [habe].«74

3.3 Die 2. Convention des Nationalbundes in Toledo Anfang September kehrte Schlümbach von seiner Europareise »voll Glaubensmuth« nach Baltimore zurück, um sich nach Toledo zu begeben75 und anschließend mit seiner Familie nach Texas weiterzureisen.76 In Toledo sollte nämlich Anfang Oktober die 2. National-Convention der Deutschen Christlichen Jünglingsvereine stattfinden, um die Arbeit weiterhin enger zu vernetzen und das künftige Wirken anzuregen.77 Schlümbach selbst veröffentlichte einen Aufruf, um die Inhalte der bevorstehenden Tagung zu skizzieren und für eine rege Teilnahme zu werben. Es gehe um die Lösung »einer höchst wichtigen Zeitfrage«, nämlich: »Wie die Deutsche Jugend für Jesu zu sichern sei?!«78 Zusammen mit anderen Fragen solle bei der Zusammenkunft ein freier Gedankenaustausch über dieses Thema erfolgen, auch solle der »innere Ausbau« des Bundes vorangetrieben werden. Um eine möglichst breite Beteiligung zu erreichen, versucht Schlümbach die Leser bei der Ehre zu packen: »Es gilt eurerseits zu beweisen, daß ihr als principielle Christen zum Mindesten ebenso opferwillig seid, als die Sänger, Schützen und Turner des Landes, welche trotz aller finanziellen Hindernisse ihre Bundesfeste durch Massenvertretungen einflußreich machen«. Schlümbach vergleicht die Jünglingsvereinssache also durchaus mit 74

F. v. Schlümbach: Reiseskizzen VI. In: CA 1875, S. 374. Zuvor weihte Schlümbach am 21. 9. eine Kirche in Philadelphia ein und hielt am 23. 9. in Pittsburgh einen Vortrag über die Jünglingsvereinssache, auf dem Weg dorthin machte er für eine evangelistische Veranstaltung in Cumberland Station; vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 76 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1875, S. 300. 77 Vgl. Circular des Toledoer Vereins an die Chr. Jünglingsvereine der Vereinigten Staaten. In: CA 1875, S. 300–301 mit genauen Reise- und Anmeldungsinstruktionen. Erneuter Abdruck in CA 1875, S. 312. 78 Vgl. F. v. Schlümbach: Aufruf an alle deutschen christlichen Jünglingsvereine der Ver. Staaten. In: CA 1875, S. 308. 75

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den anderen deutschen Vereinen, deren Popularität er auch auf öffentlichkeitswirksame Massenveranstaltungen zurückführt. Die Delegierten würden mit neuem Eifer von der Tagung zurückkehren. Aufgerufen seien nicht nur die Vereine des Bundes, Delegierte abzuordnen, sondern auch alle deutschen Jünglingsvereine, die nicht dem Bund angehören, daneben jeder Prediger, jeder Herausgeber eines evangelischen Magazins und jeder Angehörige einer evangelischen Gemeinde. Die Vereinssekretäre, die als Delegierte anreisen, sollen sich bereits einen Tag vor Tagungsbeginn mit Schlümbach in Toledo treffen, um die Vorarbeiten zu erledigen.79 Die National-Convention fand wie geplant vom 7. bis zum 10. Oktober 1875 in Toledo, Ohio, statt. Am Nachmittag des 7. Oktober versammelten sich 40 Delegierte in der mit Mottos, Symbolen und Girlanden geschmückten Immanuel-Kirche der BMK in Toledo80, zu denen im Laufe des Nachmittags 25 weitere Delegierte hinzukamen, und zwar aus Vereinen und Kirchengemeinden in New York, Pennsylvania, Maryland, Ohio, Michigan, Kentucky, Indiana, Illinois und Texas.81 Die Convention wurde nach Verlesen des ersten Psalms und »gottesdienstlichen Uebungen« um halb drei Uhr nachmittags durch den Präsidenten Charles J. Rehrbas eröffnet. In unterschiedlichen Komitees und im Plenum nahmen die Geschäftssitzungen ihren Lauf, oft mussten sie verlängert werden, weil die Gegenstände so eingehender Erörterung bedurften, obwohl sich alle an die Vorgaben zur Redezeit hielten. Die zahlreichen Einladungen für Besichtigungen und Ausflüge nahm man zwar dankend entgegen, lehnte sie aber mit Blick auf die zu leistende Arbeit ab. Vom Nominationskomitee wurden die Bundesbeamten vorgeschlagen und von der Convention gewählt: Rehrbas als Bundes-Präsident, Schlümbach als Bundes-Sekretär, H. Kahlo als Bundes-Schatzmeister, J. C. Weidmann und F. Forwick als Bundes-Vizepräsidenten. Gleich in einer der ersten Sitzungen beschloss man, auf die Nennung jeglicher Titel zu verzichten und nur unter dem »Brudertitel« miteinander zu verkehren. Die landesweite Verbundenheit untereinander drückte sich auch durch die zahlreichen eingegangen Schreiben von diversen Central- und Lokalvereinen aus.82 79 Vgl. F. v. Schlümbach: Aufruf an alle deutschen christlichen Jünglingsvereine der Ver. Staaten. In: CA 1875, S. 308. 80 So fielen einem beim Eintreten die Schriftzüge »Willkommen Freunde Jesu« und »Willkommen Streiter Christi« ins Auge. Zur Linken erblickte der Eintretende ein Kreuz, zur Rechten einen Anker und in der Mitte eine Blumenkrone. Wandte man sich zum Eingang zurück, so erblickte man das Sternenbanner und die Deutschlandfahne miteinander verbunden. Prediger dort war von 1873–1876 John C. Weidmann. 81 Vgl. R. A. W. Bruehl: Die zweite National-Convention des Nationalbundes der deutschen christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten. In: CA 1875, S. 342. 82 Vgl. R. A. W. Bruehl: Die zweite National-Convention des Nationalbundes der deutschen christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten II. In: CA 1875, S. 350.

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Die zentralen Fragen der Verhandlungen waren die folgenden: »1. Was kann und sollte von uns gethan werden? a. Die christliche Jugend mehr an Jesu zu fesseln? b. Die christliche Jugend mehr für Jesu wirken zu machen? c. Die Jugend, welche ohne Gott und Erlöser in der Welt lebt, für Jesu zu gewinnen? 2. Was kann und sollte der National-Bund der deutschen christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten thun, sein Wirken allgemein fühlbar zu machen? a. In allen Staaten? b. In größeren Städten? c. In kleineren Städten? d. Auf dem Lande? 3. Welche Thätigkeit wurde im Laufe des verflossenen Jahres in unserem Werke entfaltet? a. Im Bunde? b. In Central-Vereinen? c. In Lokal-Vereinen?«83

Die unterschiedlichen Aspekte der ersten Frage wurden nicht nur im Plenum der Delegierten erörtert, sondern auch auf einer Jugend-Versammlung am Sonntagnachmittag. Bei dieser sprach der Methodistenprediger Heinrich G. Lich über die Motivation zum Einsatz bei den Jugendlichen. Es sei möglich, aber auch eine Verpflichtung, auf vielfältige Weise für Jesus zu wirken. Denn ein solches Wirken, zum dem den Jugendlichen auch Arbeitsfelder angewiesen und gegeben werden sollten, sei notwendig, um »in Jesus« zu bleiben. Wenn man sie dazu ermuntere, werde dies auch positive Folgen haben für die, die bisher außerhalb des christlichen Glaubens stehen. Louis Hamel sprach über den missionarischen Aspekt, Außenstehende zu erreichen. Es sei zwar gut, die Jugend zur Wissenschaft zu erziehen, aber noch besser, sie zum Glauben zu führen. Mit Mut und Beharrlichkeit müsse man ihnen mit gutem Beispiel vorangehen und dürfe dabei nicht auf die Kosten schauen. Friedrich von Schlümbach als letzter Redner ging der Frage, was vom Nationalbund getan werden könne und solle, als ganzer nach, »in einer die Versammlung höchst spannenden Weise. Er, ein warmer, treuer Freund der Jugend, entzündete und entflammte die Herzen der alten und jungen Zuhörer und mancher der Alten faßte den festen Entschluß, in der Folge mehr und besser für das Wohl der Jugend zu wirken.«84 Interessanterweise wird 83 R. A. W. Bruehl: Die zweite National-Convention des Nationalbundes der deutschen christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten II. In: CA 1875, S. 350. 84 R. A. W. Bruehl: Die zweite National-Convention des Nationalbundes der deutschen christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten II. In: CA 1875, S. 350.

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hier wieder stark von der Redewirkung, aber kaum von deren Inhalten geredet. Die Jugendversammlung hatte den missionarischen »Erfolg«, dass sich mehrere junge und ältere Männer zu einem neuen Leben entschieden. Das Resultat der Behandlung der zweiten Frage, wie der Nationalbund öffentlich noch besser in Erscheinung treten könne, war der Entschluss zur offiziellen Anstellung eines Bundessekretärs und zur Herausgabe einer monatlichen Zeitschrift, die dazu dienen sollte, sowohl im Inneren als auch außerhalb des Bundes für Informationen zu sorgen. Was man strukturell empfahl, war die Organisation von Staats-, Distrikts-, Central-, und Lokalvereinen. An dieser Stelle wurde betont, dass es den deutschen Vereinen nicht darum gehe, »die Jünglinge von der Kirche zu isolieren«, wie es oft durch die amerikanischen Vereine geschehe, die sich selbst als eine Art Kirchengemeinde betrachteten. Den deutschen Vereinen gehe es darum, die Mitglieder zu stärken für die Arbeit innerhalb der jeweiligen Kirchen, denen sie angehörten. »Der Bund empfiehlt, in jeder Gemeinde einen Jünglingsverein zu gründen, welcher in der Gemeinde und für die Gemeinde wirken, und mit dem Prediger der Gemeinde Hand in Hand gehen soll.«85 Die dritte Frage, der Rechenschaftsbericht, wurde durch Schlümbach in der vierten Sitzung beantwortet, indem er einen Jahresbericht über seine Tätigkeit gab. Ergänzt wurde dieser durch Berichte aus einzelnen Vereinen. Insgesamt sei viel Erfreuliches geschehen, wofür der Verfasser des Berichtes Gott dankt.86 Die Kosten der laufenden Convention wurden durch zwei Kollekten gedeckt, für den Bund wurde von den Delegierten die Summe von 552 $ gezeichnet; die Verhandlungen sollen wie im letzten Jahr mit einer Auflage von 1.500 Exemplaren gedruckt werden. Was die Herausgabe der neuen Monatszeitschrift betraf, so sollten alle Lokal-Vereine bekannt geben, wie viele Exemplare sie zu abonnieren beabsichtigten. Sei die Zahl von 800 Abonnenten erreicht, so könne das Blatt vom Bundes-Auschuss unter der Leitung des Sekretärs Friedrich von Schlümbach ab Januar 1876 herausgegeben werden. Am Sonntagabend fand eine Abschiedsversammlung in der dicht gefüllten Immanuelkirche statt, bei der 21 Delegierte, umrahmt von Liedern und Gebet, kurz ihre Eindrücke von der Tagung vortrugen. Über 150 Personen erklärten durch Aufstehen, dass sie fortan intensiver in der Jugendarbeit tätig sein wollten.

85 R. A. W. Bruehl: Die zweite National-Convention des Nationalbundes der deutschen christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten. In: CA 1875, S. 350. 86 Vgl. R. A. W. Bruehl: Die zweite National-Convention des Nationalbundes der deutschen christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten II. In: CA 1875, S. 350.

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Von der National-Convention war auch eine Bundes-Constitution mit folgendem Inhalt angenommen worden: »Einleitung. Da die jungen Männer der christlichen Gemeinden unter einander ein enges, brüderliches Freundschafts-Verhältnis zur gegenseitigen Erbauung und Hülfeleistung und zur Erweckung ihrer Altergenossen schließen sollten, und weil sich in und durch verschiedene evangelische Gemeinden derartige Vereine gebildet haben, deren Wunsch es nun ist, in engere Verbindung mit einander zu treten, und durch vereinte Kräfte ihre Interessen um so besser zu fördern, so haben sie zu dem Zwecke im Vertrauen auf Gott, ihren Heiland, die folgenden Artikel angenommen: Artikel 1. Der Name dieses Vereins soll sein: ›National-Bund der Deutschen Christlichen Jünglings-Vereine der Vereinigten Staaten.‹ Artikel 2. Die Christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten bestreben: ihre Glieder vor den ihnen drohenden Versuchungen zum sittlichen Verderben zu bewahren, ihnen in ihren Feierstunden Gelegenheit zu freundschaftlicher Zusammenkunft, wie aus Erwerbung nützlicher Erkenntnisse zu bieten, vor allem aber ein wahrhaft thatkräftiges Christentum unter ihnen, sowie überhaupt unter der deutschen Jugend dieses Landes zu wirken, zu fördern und zu erhalten. Artikel 3. Als geeignete Mittel zur Erreichung dieses Zweckes betrachten wir: 1. Gesellschaftliche Zusammenkünfte, in welchen den Jünglingen eine Bibliothek und eine Anzahl zweckentsprechender Zeitschriften zur Verfügung steht, und durch persönlichen Verkehr eine edle, christliche Freundschaft gepflegt werden soll. 2. Zusammenkünfte zur geistigen Anregung und Fortbildung, in welchen a. Belehrende Vorträge über wissenschaftliche Gegenstände, b. Apologetische Vorträge zur Rechtfertigung und Verteidigung des Glaubens. c. Vorträge zur Einführung in das Verständnis der heiligen Schrift und der Geschichte des Reiches Gottes gehalten werden sollen. 3. Zusammenkünfte zu gemeinschaftlicher Erbauung auf dem Grund unseres christlichen Glaubens. Artikel 4. 1. Jeder Lokal-Verein, welcher sich die Erreichung des genannten Zweckes mit den weiter bezeichneten Mitteln zur Aufgabe macht, kann als organisches Glied des Deutschen Christlichen Jünglings-Bundes aufgenommen werden. 2. In Bezug auf die Ausgestaltung der Lokal-Vereine werden keine Vorschriften gegeben. Jeder Verein kann in diesem seinem Interesse Rechnung tragen, vorausgesetzt, daß er im Allgemeinen der Tendenz des Bundes entspricht. 3. Empfohlen wird, daß die Lokal-Vereine einer Stadt das Gefühl der brüderlichen Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit durch von Zeit zu Zeit sich wieder-

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holende allgemeine Versammlungen pflegen. 4. Wird empfohlen, daß alle Lokal-Vereine in gliedliches Verhältniß zum Bunde treten sollen, und die Bundes-Convention durch Delegaten zu beschicken. 5. Daß in einem jeden Staate, der für unser Werk erreichbar ist, solche leitende deutsche Männer, welche für die Jünglings-Vereinssache ein warmes Herz haben, als correspondirende Mitglieder des Bundes-Ausschusses ernannt werden. Artikel 5. Die Beamten des National-Bundes sollen bestehen aus: Einem Präsidenten, zwei Vice-Präsidenten, einem Sekretär, einem Schatzmeister und einem Bundes-Ausschuß von zwölf Gliedern.«87

Die Verfassung war also recht lose gehalten und ließ den lokalen Vereinen jeweils großen Spielraum in der konkreten Ausgestaltung ihres Vereinslebens. Drei Arbeitsbereiche, aus denen die Vereinsarbeit allgemein bestehen soll, werden allerdings genannt: geselliges Leben in einladenden Räumen, geistige Anregung in Vorträgen und Fortbildung, und geistliches Leben in erbaulichen Versammlungen. Das Ziel ist, ein »thatkräftiges« Christentum unter den deutschen jungen Männern in Amerika zu fördern. Ausgerichtet waren die Vereine schließlich auf die wachsende Gemeinschaft untereinander. Aufbau und Selbstverständnis des Nationalbundes wurden nach der National-Convention von Schlümbach noch einmal im Christlichen Apologeten erläutert. Der National-Bund habe keinerlei korporative Funktionen, sondern ein lokaler Jünglingsverein bekunde dadurch seine Zugehörigkeit zum Nationalbund, dass er Delegierte an die National-Convention sende und seinen Jahresbericht im Protokoll veröffentlichen lasse. Alle Vereine, die noch nicht Bundesmitglied seien, sich dem Bund aber anzuschließen wünschten, seien angehalten, das gleiche zu tun. Sein Verständnis des National-Bundes formulierte Schlümbach so, »daß der Bund [. . .] kein Vereinswesen als solches organisirt, sondern durch das Band des Friedens im Geiste Gottes zusammengehalten wird«. Damit die Vereinssache stärkere Unterstützung erhalte, bat Schlümbach die Delegierten darum, ihm die Adressen »solcher prominenten Deutschen ihres Distriktes einzureichen, welche gewillt wären, dieses Jahr thätig mitzuwirken, als correspondirende Mitglieder des Bundesausschusses«. Dieser Aufruf sollte auch in weiteren evangelischen Magazinen erscheinen.88

87 Zit. nach R. A. W. Bruehl: Die zweite National-Convention des Nationalbundes der deutschen christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten III. In: CA 1875, S. 358. 88 Vgl. F. v. Schluembach: Rundschreiben Jünglingsvereine betreffend. In: CA 1875, S. 332. Wilhelm Nast bedauert in der gleichen Ausgabe des Christlichen Apologeten, dass er aus Krankheitsgründen nicht selbst bei der National-Convention zugegen sein konnte, hatte jedoch gehört, dass die Versammlung sehr »segensreich« gewesen war und die Teilnehmer mit neuem

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Die Adresse, die Schlümbach Mitte Oktober unter sein Rundschreiben gesetzt hatte, lautete »153 Mosher Straße, Baltimore, Md.«, lag also direkt bei seiner alten Gemeinde. Hier hatte sich seine Familie in den letzten Wochen aufgehalten, hier in seiner ehemaligen Kirche fand am 15. Oktober auch eine Abschiedsfeier statt. Die Sympathiebekundungen »tat[en] mir wohl in meiner Seele; denn man liebt doch zu sehen, dass die Arbeit Segen bringt und Anerkennung.«89 Dieses für Schlümbach nicht unwichtige Moment der Selbstbestätigung war auch schon in einem früheren Brief an seine Familie deutlich geworden, in dem er schreibt: »Es ist mir eine Ursache des Lobens zu Gott, daß ich sehen darf welche Liebe und Hochachtung ich in dieser Stadt genieße, seit es bestimmt ist daß ich fort muß, stürmen die Liebesbeweise auf mich ein u. allerlei Versuche werden gemacht mich zu fesseln. Finanzl. Offerten der günstigsten Art, doch bleibe ich meinem Gott und meiner Kirche treu; ich gehe wohin der Herr mich sendet.«90

Da er letzteres mit der Sendung durch die Bischöfe seiner Kirche identifizierte, machte er sich mit seiner Familie umgehend auf den Weg nach Texas.

4. Auf methodistischem Missionsposten in Texas und Generalsekretär des Nationalbundes Deutscher Christlicher Jünglingsvereine (1875–1878) 4.1 Kirchliche Aufbauarbeit in Galveston Am 19. Oktober 1875, dem 14. Hochzeitstag Friedrichs und Coelestines, machte sich die fünfköpfige – 1872 war die Tochter Anna geboren worden – Familie auf den Weg Richtung Süden. Erste Station war vom 21.–22. 10. Cincinnati, wo Schlümbach mit Wilhelm Nast zusammentraf. Angesichts manchen Unmuts in der Östlichen Deutschen Konferenz, vor allem aber bei den Jünglingsvereinen über Schlümbachs Versetzung schreibt Nast im Christlichen Apologeten über ihre Begegnung: »Vielen von unseren Lesern wird es schmerzlich sein zu hören, daß Bischof Harris es für seine Pflicht hielt, Br. Schlümbach’s Bestimmung für Texas festzuhalten. Da Br. Schlümbach seine Zukunft mit freudiger Zuversicht gänzlich in die Hände des Herrn Mut erfüllt habe, »das zum Heil unserer Jugend angefangene Werk kräftig fortzuführen«; vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1875, S. 333. 89 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 90 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 13. 1. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [2]).

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Missionsposten in Texas und Generalsekretär (1875–1878)

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[. . .] gelegt hat, so wurde es ihm trotz seiner Begeisterung für das Werk der Gründung deutscher christlicher Jünglingsvereine, dem er gern ein oder zwei Jahre gewidmet hätte, nicht schwer, die Reise nach Texas anzutreten. [. . .] Möge der Herr einen so reichlichen Segen auf seiner Wirksamkeit in Texas ruhen lassen, daß auch die begeisterten Freunde der Jünglingsvereine die Hand des Herrn in der Entscheidung des Bischofs erkennen!«1

Auf dem Weg nach St. Louis machten sich die ersten Folgen der Reisestrapazen bemerkbar, denn Schlümbachs Familie begann zu kränkeln. Allerdings konnte sie sich in St. Louis im Haus des methodistischen Fabrikanten Friedrich G. Niedringhaus (1837–1922)2 erholen, während Schlümbach verschiedene Gemeindedienste wahrnahm3. Überraschend trat dort die deutsche Methodistengemeinde mit dem Antrag an ihn heran, ihr Prediger zu werden. Etwas verwirrt ob der diversen Anfragen der letzten Zeit und ohne Zweifel geschmeichelt von dieser Anfrage – »das wäre ein Sieg, denn es ist unsere größte Kirche in Amerika und die wichtigste«4 – sagte Schlümbach zu und hielt einen Dienstbeginn im Oktober 1876 sogar für möglich, all dies allerdings unter dem Vorbehalt, dass »der Herr sein Jawort gebe, durch den Bischof«.5 Sofern die Sache überhaupt weiter verfolgt wurde, kam es aber nicht dazu. Nach den Tagen in St. Louis schiffte sich Familie von Schlümbach auf ein Mississippi-Dampfboot ein, das sie in elf Tagen nach New Orleans bringen sollte. Auf dem Schiff hielt Schlümbach zwei Gottesdienste und war begeistert sowohl vom Komfort des Dampfers als auch von der abwechslungsreichen Szenerie der Flusslandschaft. New Orleans beeindruckte ihn durch seine Baulichkeiten, allerdings bekam die Familie dort auch schon einen Vorgeschmack auf die klimatischen Besonderheiten des Südens, die sich in sintflutartigen Regenfällen und einer Moskitoplage äußerten. Per Schnellzug ging es vorbei an »Schlangensümpfe[n] und Alligatorennester[n]«6 nach Brashear City, von dort weiter per Dampfboot hinaus auf den Golf von Mexiko, wo bald ein Sturm aufzog, der Schlümbachs gesamter Familie Seekrankheit 1

Editorielle Notizen. In: CA 1875, S. 340. Dieser war auch politisch aktiv und später, von 1889–1891, republikanisches Mitglied des Repräsentantenhauses; vgl. Art. Niedringhaus, Frederick Gottlieb. In: Biographical Directory of the United States Congress, URL: http://bioguide.congress.gov/scripts/biodisplay.pl?index=N000104 (14. 8. 2010). 3 So predigte er in der deutschen Methodistenkirche und hielt einen Vortrag über seine Eindrücke aus Deutschland; vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 4 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/41874–1879 [3]). 5 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 6 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 2

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bescherte. Nach einer qualvollen Nacht an Bord erreichten sie im Morgengrauen Galveston, wo sie von »Br. Kopp« von der Südlichen Methodistenkirche in Empfang genommen wurden.7 Die Methodist Episcopal Church South8 hatte nach vielversprechenden Anfängen in den 1840er Jahren nur noch eine kleine deutschsprachige Gemeinde mit drei Gliedern in Galveston9; daneben gab es eine deutschsprachige lutherische Gemeinde, deren Prediger aber »mehr im Wirtshaus als im Dienste Gottes« war, und eine deutsche presbyterianische Gemeinde, die zwar eine schöne Kirche, aber nur wenige Glieder hatte. Schlümbach verstand seinen Dienstauftrag dahingehend, »für unsere Kirche Bahn zu brechen«. Denn »das Feld ist groß für meine Tätigkeit, Tausende von Deutschen, aber keine Christen, auch nicht 300 aus 13.000 gehen in die Kirche, viel weniger dienen sie Gott. Ach Herr hilf sie mir sammeln«10. Galveston hatte wie San Antonio und Houston in der Tat ein recht starkes deutsches Bevölkerungselement, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts bei etwa einem Drittel der Gesamtbevölkerung gelegen haben dürfte.11 Es war der wichtigste Einwandererhafen für die Besiedelung von Texas. Durch seine exponierte Lage auf einer dem Festland vorgelagerten Insel von einer Meile Breite und 30 Meilen Länge im Golf von Mexiko wurde Galveston allein im 19. Jahrhundert elf Mal von Hurrikans mit schweren Schäden getroffen. Seit 1860 war die Stadt durch eine Eisenbahnbrücke mit dem Festland verbunden, die einen direkten Transfer nach Houston ermöglichte. In den 1870er Jahren stellte Galveston mit einer Bevölkerungsentwicklung von 13.000 auf 7 Vgl. zur Reise nach Texas insgesamt F. v. Schlümbach: Aus Galveston. In: CA 1875, S. 377; Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 [3]). Eine alternative Reisemöglichkeit hätte in einer Schiffsreise von New York aus nach Galveston bestanden. Coelestine weigerte sich, diese Reiseform zu wählen, und bewahrte die Familie damit vor einem Unglück: an Bord der City of Waco, welches ihr Schiff gewesen wäre, brach ein Brand aus, der zahlreiche Menschenleben kostete. Unter den Toten war auch Medora Mölling, die Tochter eines Kollegen Schlümbachs, auf deren Besuch er sich schon gefreut hatte. So war eine der ersten Veranstaltungen, die Schlümbach in Galveston besuchte, eine große Totenfeier im Opernhaus, zu der Menschen aller Coleur strömten. Schlümbach bemerkt: »Die Dekoration war schön und eindrucksvoll; die Gebete voll Ernst und Kraft, die Reden aber flau, und soll das nun Alles sein? Soll den leichtsinnigen Verbrechern kein Halt zugerufen werden?«; F. v. Schlümbach: Aus Galveston. In: CA 1875, S. 377; vgl. auch Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 8 Wie bereits im Kapitel über den Bürgerkrieg erwähnt, hatte sich eine eigenständige Methodistenkirche in den südlichen Staaten gebildet, die auch über den Krieg hinaus Bestand hatte. 9 1846 war in Galveston mit einer Gemeindearbeit begonnen worden, die sich ursprünglich gut entwickelt hatte; vgl. Buehrer: Geschichte, S. 8; zur aktuellen Situation 1875 vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874– 1879 [3]). 10 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 11 Vgl. Gold: Immigration o. P.

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22.000 Einwohner – sollte sich Schlümbach mit seiner obigen Zahl allein auf die Deutschen bezogen haben, so überschätzte er deren Zahl – die größte Stadt in Texas dar. Entsprechend waren technische und kulturelle Neuerungen hier relativ schnell bemerkbar.12 Viele Einwohner entflohen der Hitze des Sommers Richtung Norden und kamen erst im Herbst zurück, sodass die Geschäfte in der Stadt über den Sommer eher schlecht gingen. Ein wichtiger Geschäftszweig waren die vielen Baumwollpressen. Die meisten Wohnsiedlungen waren sehr ansehnlich und komfortabel, die Gärten oft voll exotischer Blumen.13 Auch Schlümbach schreibt, dass Galveston »an und für sich [. . .] keine unfreundliche Stadt [ist], meistens Holzgebäude, etwa 150 Backsteinerne dazwischen, schön im Quadrat angelegte Straßen; vielfach vorne und hinten mit Oleanderbäumen eingerahmt«14. Die Suedliche Deutsche Conferenz der Bischöflichen Methodistenkirche, von der Schlümbach nach Galveston entsandt worden war, umfasste das Gebiet von Louisiana und Texas.15 Ihre Wurzeln reichten zurück bis in die 1840er Jahre, als sich dort erste deutschsprachige methodistische Gemeinden sammelten, die fortan zum größten Teil zur Südlichen Bischöflichen Methodistenkirche gehörten. Vor allem nach dem Bürgerkrieg kam es zu Wechselbewegungen einzelner Gemeinden oder Gemeindeteile hin zur Nördlichen MEC, was Konflikte und Spaltungen mit sich brachte, aber zum Teil auch nur das nachvollzog, was viele seit längerem empfunden hatten.16 Die deutschen Gemeinden wurden Mitte der 1860er Jahre Teil der neu gegründeten Texas-Konferenz der MEC, zu der in erster Linie weiße und farbige englischsprachige Prediger gehörten.17 1873 wurde beschlossen, diese stark gewachsene und – obwohl ja der nördlichen Kirche zugehörig – mit Spannungen zwischen den Rassen belastete Konferenz in neue Konferenzen aufzuteilen, wobei eben nicht nur die deutschen Prediger eine eigene Konferenz bilden sollten, sondern auch Weiße und Schwarze in unterschiedliche Konferenzen getrennt wurden.18 Ein Jahr später, im Januar 1874 konstituierte sich die Suedliche Deutsche Conferenz der Bischöflichen Methodistenkirche in Industry mit 16 Predigern.19 Zu diesem Zeitpunkt gab es 21 Gemeindebezirke mit 511 Kirchengliedern.20 12 Vgl. McComb, David G.: Art. Galveston, Texas. In: Handbook of Texas Online, URL: www.tshaonline.org/handbook/online/articles/GG/hdg1.html (03. 11. 2008). 13 Vgl. G. Werner: Correspondenz aus Galveston. In: CA 1876, S. 211. 14 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 15 Vgl. Buehrer: Geschichte, S. 7. 16 Vgl. dazu Buehrer: Geschichte, S. 8–11. 17 Vgl. Buehrer: Geschichte, S. 11. 18 Vgl. Buehrer: Geschichte, S. 17–18. 19 Vgl. Buehrer: Geschichte, S. 19, 103. 20 Vgl. Buehrer: Geschichte, S. 21, 103.

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Die Konferenz untergliederte sich trotz der geringen Mitgliederzahlen in drei Distrikte, da sie eine sehr große räumliche Ausdehnung hatte und das Reisepensum der Vorstehenden Aeltesten sonst kaum zu bewältigen gewesen wäre. Hinzu kam, dass die Funktionen der Lagerversammlungen und Anhaltenden Versammlungen im Wesentlichen durch die Vierteljährlichen Konferenzen wahrgenommen wurden, die auf diese Weise der Anlass für mehrere Tage dauernde gottesdienstliche Zusammenkünfte unter Leitung der Vorstehenden Aeltesten waren.21 Galveston wurde 1875 als Missionsfeld Teil des Waco-Distriktes, der ein Territorium umfasste, auf dem es bisher – mit Ausnahme von Waco, wo es neben der Stadtgemeinde auch eine kleine Landbestellung gab – noch überhaupt gar keine methodistische Missionsarbeit unter Deutschen gegeben hatte. Fast alle Arbeitsfelder waren also völliges Neuland. Der Distrikt reichte von Galveston im Süden bis Dallas im Norden. Als der Distrikt seine Arbeit aufnahm, gab es nicht eine Kirche oder Predigerwohnung. Die Probleme, mit der die Arbeit in seinem Distrikt zu kämpfen habe, so der Vorstehende Aelteste Friedrich Schuler in einem Artikel Anfang 1876, seien mannigfaltig: nur ein geringer deutscher Bevölkerungsanteil im Norden, Vorurteile gegenüber dem Methodismus22 und Antipathien der englischsprachigen Bevölkerung, die die methodistischen Prediger als »Emissäre einer ›Nördlichen Kirche‹« ansähen, also immer noch Ressentiments aus Zeiten des Bürgerkrieges pflegten. Daher wäre zu vermuten, dass die Arbeit schwer werden und nur langsam vorankommen würde. Dennoch seien bereits erste Erfolge zu verzeichnen. Galveston bezeichnet Schuler als »ein Feld ›reif zur Ernte‹«, und er ging davon aus, dass die Arbeit Schlümbachs mit Gottes Hilfe fruchtbar sein werde. Den nördlichen Deutschen Konferenzen machte Schuler deutlich, dass die sich ausdehnenden südlichen unmöglich ohne die Hilfe der nördlichen überleben könnten, sondern angewiesen seien auf verlässliche Unterstützung von dort.23 Da die Kirche noch keine eigenen Räumlichkeiten in Galveston hatte, bezog Schlümbach für monatlich 25 $ ein kleines gemietetes Haus mit eigenem Gemüsegarten, das er mit seiner Familie nach und nach einrichtete. Für all dies, die Reisen und den Aufbau eines neuen Haushalts, hatte Schlümbach innerhalb der letzen anderthalb Monate mehr als 800 $ ausgegeben.24 Aber auch das Leben in Galveston war nicht billig, hohe Lebensmittelpreise 21

Vgl. Buehrer: Geschichte, S. 18. Er wurde vor allem von den »Lateinern« bekämpft, gebildeten Achtundvierzigern, die sich als Farmer niedergelassen und sich z. T. Vergemeinschaftungsformen nach ihrem Ideal mit religionskritischem Impetus geschaffen hatten; vgl. Buehrer: Geschichte, S. 17; Gold: Immigration, o. P. 23 Vgl. F. Schuler: Correspondenz aus Waco, Texas. In: CA 1876, S. 18. 24 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 22

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schlugen sich im Familienbudget nieder, hinzu kamen die mangelnden Lagermöglichkeiten für Nahrungsmittel aufgrund fehlender Keller und des schwülwarmen Klimas. Letzteres machte Schlümbach und seiner Familie auch in gesundheitlicher Hinsicht zu schaffen, was Schlümbach darauf zurückführte, dass sie einfach zu lange im Osten gelebt hätten und sich ihre Konstitution auf die dortigen Gegebenheiten eingestellt hätte. Da es Schlümbach und seiner Familie »bis jetzt im Süden nicht so gut als im Westen oder Osten« gefällt, hoffte er, nicht länger als nötig in Galveston bleiben zu müssen. Vom texanischen Landesinneren habe er aber gehört, dass es dort »köstlich« sei.25 Trotz aller empfundenen Widrigkeiten machte sich Schlümbach mit Elan an die Arbeit. Gleich am ersten Sonntag konnte er in der Kirche Pastor Kopps predigen, wo auch eine stattliche Anzahl Deutscher versammelt war. Für den Nachmittag hatte ihn der englische YMCA eingeladen, eine Rede zu halten, und Schlümbach fühlte sich gleich zu Hause.26 Seine Wahrnehmung der religiösen Situation in Galveston ließ ihn ein weites Arbeitsfeld erkennen: »Der christliche Theil Galvestons scheint noch in großer Minorität zu sein, denn es ist ihm noch nicht gelungen, eine ruhige Sonntagfeier herzustellen, es besteht so eine Art Compromiß, nämlich von 10–4 Uhr darf keine Wirthschaft geöffnet sein, aber dann ›grade wie in Deutschland‹, ist der Teufel Herr und Meister und thut Alles, wie es ihm gefällt, der Herr helfe dem Uebel Zügel anzulegen. Nichts als ein mächtiger Ausguß des heil. Geistes über die Einwohner kann sie beeinflussen, abzulassen vom Bösen; es giebt jedoch Viele, welche ernstlich zu Gott flehen, daß es bald anders werden möge. [. . .] Gott helfe mir Seelen zu gewinnen für meinen lieben Erlöser, ich finde ein großes Feld. Herr schenke Muth und Glauben!«27

Schlümbach bemühte sich darum, eine eigene Gottesdienststätte zu finden und fand diese in einem Schulhaus, wo er sowohl Gottesdienste als auch eine Sonntagsschule anbot.28 In dieser Anfangsphase eröffnete sich für Schlümbach auch die Möglichkeit, seine 21 Kollegen in der Südlichen Deutschen Konferenz näher kennen zu lernen, denn die Jährliche Konferenz des Jahres 1876 sollte Mitte Januar in Brenham stattfinden, sodass sich Schlümbach am 25 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 30. 11. 1875 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1874–1879 [3]). 26 Vgl. F. v. Schlümbach: Aus Galveston. In: CA 1875, S. 377. Der YMCA unterhielt im Geschäftsviertel der Stadt ein Lesezimmer und veranstaltete jeden Mittag eine Gebetsversammlung, außerdem – sowohl unter der Woche als auch am Sonntag – Versammlungen im Freien, »wo dem Volke der Weg des Heils in einfacher Sprache gezeigt wird«. Daneben gab es jeden Freitag einen Vortrag mit anschließender Diskussion; vgl. E. Werner: Correspondenz aus Galveston. In: CA 1876, S. 211. 27 F. v. Schlümbach: Aus Galveston. In: CA 1875, S. 377. 28 Vgl. E. Werner: Aus dem »sonnigen Süden«. In: CA 1878, S. 162, wo sich ein geschichtlicher Abriss zur Arbeit in Galveston findet.

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10. 1. früh morgens auf den Weg Richtung Norden machte. Mit der Bahn ging es über die zwei Meilen lange Eisenbahnbrücke durch die Bay, anschließend weiter durch die Prärie, wo Schlümbach von der Größe der Farmen beeindruckt war. So schreibt er, der Zug sei für 1¼ Stunden am Zaun einer einzigen Farm entlanggefahren.29 Um neun Uhr morgens erreichte Schlümbach Houston, wo er mit dem Vorstehenden Ältesten seiner Konferenz, Friedrich Schuler, und seinem dortigen Kollegen Rudolf Brück zusammentraf. Für eine Weile konnte Schlümbach der »Texas Conferenz der farbigen Brüder« beiwohnen, danach statteten er und seine Kollegen in einem auf den ersten Blick etwas antagonistischen Tagesprogramm dem Prediger der Südlichen Methodisten, Prinzing, einen Besuch ab, doch der freimütige Austausch rief bei Schlümbach den Eindruck hervor, »als ob alle Engherzigkeit aus Texas verschwunden wäre, in unserem deutschen Methodismus von Süd und Nord«30. Mit dem Frühzug ging es weiter Richtung Norden, erst durch Prärie, dann durch fruchtbares Farmland, über dessen Reichhaltigkeit im Ertrag ein staunender Schlümbach von dem Kollegen, bei dem er später in Brenham wohnte, ins Bild gesetzt wurde: »Br. Pfäffle bewies mir augenscheinlich, daß mit ein wenig Fleiß und Eifer der Boden eine Ernte liefere, die an’s Wunderbare gehe. Doch habe ich in Texas weder gehört noch gesehen, daß die gebratenen Tauben umherfliegen, es heißt: aller Anfang ist schwer.«31 Das gleiche gelte auch für die Anfänge der methodistischen Konferenz in Texas, die mit vielerlei Hindernissen und Widrigkeiten zu kämpfen habe. Aber entsprechend seien seine Amtsbrüder »desselben Schlags Leute«. Und für ihre Zusammenkunft gelte: »eine köstliche Konferenz!« Dieser Eindruck resultierte für Schlümbach auch aus dem aufrichtigen und unprätentiösen Miteinander: »Aufopferungswillig, freigebig, frisch und fromm« seien seine Amtsbrüder.32 Verbunden seien sie auch durch die Opfer, Entbehrungen und Gefahren, die sich Ihnen bei der Ausbreitung des Methodismus in Texas entgegenstellten. Jeder berichtete von seinem Arbeitsfeld, vom Schönen und vom Schweren. Schlümbach war von Freude erfüllt, in Zukunft mit solchen Brüdern zusammenarbeiten zu können. Entsprechend empfand er die Konferenzsitzungen als »Segensströme«. Auch Vorbehalte wegen seines starken Engagements im Jünglingsbund waren für ihn nicht zu spüren: »Die Brüder glaubten zwar, ich würde sie wegen der Jünglingsvereinssache am Ende bald 29

Vgl. F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35. F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 34. 31 F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 34. 32 Vgl. F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 35. Nach seinem Geschmack dürfte auch gewesen sein, dass Ernst F. Stroeter in seinem Konferenzbericht später schrieb, Schlümbach sei der »jüngste und wohlbeleibteste Zuwachs unseres jungen Werkes, ein allen [. . .] Lesern wohlbekannter Korrespondent«; vgl. E. F. Stroeter: Von der Südlichen Deutschen Konferenz. In: CA 1876, S. 41. 30

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wieder verlassen und doch ließen sie mich nur Liebe und Brüderlichkeit und Nichts Anderes fühlen«33. Darüber hinaus wurde sogar ein Schlümbach sehr entgegenkommender Entschluss gefasst, den Bischof Andrews34 so formuliert hatte: »Wir sind so fest überzeugt von der Wichtigkeit der Jünglingsvereinssache für unser deutsches Zion, daß wir Br. Schluembach gestatten, 3–4 Monate, während des Sommers auf Reisen, behufs besserer Organisation des Bundes, zuzubringen, ihn ersuchend, den Bund in Texas zu verzweigen, jedoch bemerken, daß wir ihn für das Werk in Galveston verantwortlich halten, und ihm erlauben einen passenden Mann, während seiner Abwesenheit, anzustellen.«35

Schlümbach war voll Freude über dieses Entgegenkommen: »[W]ahrlich, ich hatte Alles in der Brüder Hände gelegt, wie die Distrikts-Aeltesten wohl bezeugen können, im Herzen überzeugt, daß Gott das Beste herbeiführen würde. Er hat es gethan; besser, als ich gewusst hätte, meinen Herzenswunsch in Form zu bringen, hat er die Arbeit geleitet, und ich weiß, die Vereine werden dem Herrn mit mir Preis und Dank geben, daß wir diese weitere Anerkennung der Wichtigkeit des Werke genießen durften; die englischen Brüder werden Mittel finden, diese Organisations-Reise möglich zu machen; darum lade ich alle Vereine und Gemeinden ein, die da wünschen, daß ich sie im Sommer besuchen soll, mir die Mittheilung zu machen, damit ich den Reiseplan ruhig ausarbeiten kann.«36

Über seine inneren Konflikte im Vorfeld berichtet Schlümbach offen: »Ich hatte einen harten Seelenkampf; denn wie gesagt in den wenigen Wochen, die ich in Texas bin, habe ich unser Werk so lieben gelernt, daß es einen heißen Gewissenskampf kostete, dem Versprechen, das ich an der Toledo Convention der Bundessache gegeben hatte, nachzukommen, und doch meiner Kirche treu zu bleiben. Aber wiederum sehe ich, nichts ist lohnender als Gottvertrauen!«37

Für Schlümbach war die Konferenz auch insofern von Bedeutung, als dass er nun nach zwei Jahren als Diakon zum Ältesten ordiniert wurde.38 Über die Situation in Texas schreibt Schlümbach im Zusammenhang der Konferenz, dass der Zuzug Deutscher rapide zunehme. Die Konferenz brauche also dringend junge Männer, die sich in den Predigtdienst berufen ließen.39 Freilich müsse man sich mit Wenigem begnügen, aber das Arbeitsfeld sei vielversprechend. Und außerdem: 33

F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 35. Zu Edward G. E. Andrews (1825–1907) vgl. Voigt: Art. Andrews. 35 Zit. nach F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 35. 36 F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 35. 37 F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 35. 38 Vgl. Minutes 1876, S. 7. 39 Auf diesen Aspekt der Personalsituation weist auch Stroeter in seinem Konferenzbericht hin; vgl. E. F. Stroeter: Von der Südlichen Deutschen Konferenz. In: CA 1876, S. 41. 34

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Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881)

»In Texas wird man ordentlich beschämt gemacht von dem Geiste Christi, der in unseren Predigern sich zeigt, und ich bin gewiß, wenn Alles gegen mein Bitten und Wünschen im Gebet gegangen wäre, ich hätte mich geschämt vor mir selber, zurückzustehen im Willigsein und herzensfreudig das Werk des Herrn unter den Deutschen in Texas zu treiben. Ich bin mit Leib und Seele Texaner geworden.«40

Vieles sei einfach: die Kirchengebäude rustikal, die Predigerwohnungen oftmals erst halbfertig, auf Predigtreisen Übernachtungen unter freiem Himmel, Hunger, Durst etc. Aber gerade deswegen seien Schlümbach und seine Amtsbrüder »kernsgesunde, glückliche Menschen«41. Erneut lädt Schlümbach junge Männer zum Predigtdienst ein (aber: »Kein Weichling braucht sich zu melden!«). Abschließend fasst Schlümbach das Motto der Arbeit in Texas so zusammen: »Wenig Geld, viel Arbeit, sehr viel Segen«.42 Die Option, Schlümbach durch die Einstellung einer zusätzlichen Kraft für Galveston weiterhin seine Tätigkeit für den Jünglingsbund zu ermöglichen, wurde im Mai 1876 in die Tat umgesetzt. Direkt vom Seminar in Berea, Ohio, kam Ernst Werner nach Galveston, um dort am 13. Mai 1876 seinen Dienst aufzunehmen.43 Die Missionsarbeit in Galveston hatte sich dahingehend entwickelt, dass Schlümbach im Mai die »Pflege« der »evang.prot.« St. Pauls-Gemeinde übernommen hatte, Werner dagegen die von Schlümbach aufgebaute Missionsarbeit in West-Galveston übernahm. Diese bestand im Wesentlichen aus einer Missionssonntagsschule, zu der 25 bis 40 Kinder kamen. Da noch keine weiteren Lehrer vorhanden waren, musste man dort als Prediger »Lehrer, Organist und Superintendent zugleich«44 sein. Neben der Sonntagsschule fanden in dem Schulhaus auch Vormittagsgottesdienste statt, wobei die Sonntagsschule das Hauptarbeitsfeld darstellte, über das man auch Kontakt zu den Familien zu bekommen hoffte. Ziel war, in Zukunft eine eigene Gemeinde gründen zu können.45 Allerdings wurden räumliche Veränderungen notwendig, als das Schulhaus nicht mehr für »denominationelle« Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wurde. Die Gemeinde hatte zwar noch keine Glieder, aber man beschloss, für 10 $ im Monat ein Haus zu mieten, in dem auch eine gut besuchte Tagschule eingerichtet wurde. Außerdem wurde neben dem Sonntagvormittag-Gottesdienst ein Abendgottesdienst eingeführt, der höhere Besucherzahlen anzog als ersterer und daraufhin auch mittwochs gehalten wurde.46

40 41 42 43 44 45 46

F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 35. F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 35. F. v. Schlümbach: Meine erste Conferenzreise in Texas. In: CA 1876, S. 34–35, dort 35. Vgl. E. Werner: Aus dem »sonnigen Süden«. In: CA 1878, S. 162. E. Werner: Correspondenz aus Galveston. In: CA 1876, S. 211. Vgl. E. Werner: Correspondenz aus Galveston. In: CA 1876, S. 211. Vgl. E. Werner: Aus dem »sonnigen Süden«. In: CA 1878, S. 162.

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Schlümbachs Engagement bei der St. Pauls-Gemeinde hatte zunächst darin bestanden, morgens und abends für sie zu predigen, was er unter großem Zulauf tat. Außerdem sammelte er die dortige Jugend zu einem Chor, der unter seiner Leitung nach Meinung Ernst Werners den besten Gemeindegesang Galvestons zu Gehör brachte.47 Auch der Sonntagsschularbeit nahm Schlümbach sich an, so dass am Pfingstmontag 1876 ein Picknick der St. Pauls-Sonntagsschule auf dem Lande stattfand. Die Kinder wurden mit Wagen zum Festplatz gebracht, wo Schlümbach als Pastor sie begrüßte. Mit Gesang und Gebet wurde das Fest eröffnet, und nach dem Lunch hatten die Kinder Gelegenheit, ausgiebig zu spielen. Am Nachmittag rief Schlümbach dann alle zum Gottesdienst zusammen, und der »beliebte[. . .] Pastor[. . .]« predigte über Tobias 9,12: »Aber das Mahl und die Freude genossen sie in Gottesfurcht«. Alle hatten sich ohne Murren zusammenrufen lassen und hörten der Predigt gespannt zu, was E. Werner bewies, dass ein Picknick und ein Gottesdienst sich durchaus verbinden ließen, »ohne die Freude irgendwie zu stören«. Nach einer Schlussandacht ging es abends zurück in die Stadt.48 Als der Schwerpunkt der Arbeit Schlümbachs sollten sich aber die gut besuchten Bibelstunden herausstellen. Dabei ging Schlümbach von der Beobachtung aus, dass die Bibel (»der Stein des Weisen«49) trotz ihrer großen Verbreitung für die meisten letztlich ein verschlossenes und unbekanntes Buch sei. Bei den Kindern könne man froh sein, wenn sie überhaupt einige der Erzväter und der Propheten zusammenbekämen. Wenn man die Probe aufs Exempel mache und in der deutschsprachigen Bevölkerung die ja getauften und zu etlichen bereits konfirmierten Christen auffordere, selbständig eine Bibelstelle aufzusuchen, zeige sich, dass »das verbreitetste Buch am unbekanntesten ist in der Masse der Deutschamerikaner«50. Schlümbach bezeichnet dies als »wunde[n] Fleck unseres Kirchenthums, viel Predigt und wenig Bibel«. Wohlklingende Phrasen für eine Predigt aneinander zu reihen sei nicht schwer, aber »des Herrn Wort recht zu theilen« sei eine durchaus schwierige Aufgabe. Letztlich sei der hier erkennbare Mangel die Ursache dafür, warum die Jugend den deutschen Kirchen in Amerika so fern stehe. Dass die Predigten eigentlich zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Predigtthema, zum Selbststudium der Bibel und zur Selbstprüfung führen sollten, werde vielfach verkannt. Hier sah Schlümbach die »nöthigste Stelle zur Reform auf kirchlichem Gebiete«. Auf Grundlage seiner eigenen Erfahrun47

Vgl. E. Werner: Correspondenz aus Galveston. In: CA 1876, S. 211. Vgl. E. Werner: Correspondenz aus Galveston. In: CA 1876, S. 211. 49 F. v. Schlümbach: Eine unbekannte Größe! In: CA 1876, S. 354–355, dort 354. 50 Schlümbach trägt der allgemeinen Entwicklung Rechnung, wenn er nun, Mitte der 1870er Jahre, beginnt von »Deutschamerikanern« statt von »Deutschen in Amerika« zu sprechen. 48

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gen behauptet er, »daß das größte Reizmittel, unsere jungen Leute zur Kirche und der Gemeinschaft der Kinder Gottes im heiligen Wandel zu bringen, wohlgeordnete Bibelstunden sind«.51 Der Erfolg im Predigtamt hänge vielfach davon ab, wie sehr man Interesse für vertieftes Schriftstudium wecken könne, sowohl im Selbststudium als auch in der Gemeinschaft. Letzteres habe viele positive Auswirkungen: »Engere Verbindung, aufrichtigere Liebe, besseres gegenseitiges Verständniß, viel größeres Zu- und Vertrauen; kurz es ist meiner unmaßgeblichen Meinung nach der Punkt, an welchem wir den Hebel ansetzen müssen, um in der Zukunft siegen zu können«. All das, was in den Bibelstunden angestoßen werde, arbeite in den Menschen weiter und lasse sie der nächsten Zusammenkunft entgegenfiebern. Es entstehe in pragmatischer Hinsicht ein allgemeines Fragen danach, was zu tun sei. Bibelstunden lockten junge Leute an, die sonst der Kirche entfremdet seien, ebenso auch ganze Familien. Zur praktischen Durchführung gibt Schlümbach einige Hinweise aus eigener Erfahrung. Seine »Bibelforscherklassen«, die unter der Woche an verschiedenen Tagen und an unterschiedlichen Orten zusammenkamen, legten in der ersten Zusammenkunft ein Thema oder eine biblische Person fest, das beziehungsweise die näher erforscht werden solle. Dann arbeitete Schlümbach das Thema mithilfe seiner Bibliothek und seiner Erfahrung so aus, dass es über einen längeren Zeitraum erschöpfend behandelt werden konnte. Dies konnte über Monate gehen. Wichtig war Schlümbach, dass Dinge ausführlich zur Sprache kommen und nicht nur kurz angerissen werden. Dies sei »die köstlichste Arbeit meines Berufs«52. Eine Anregung für die Zukunft ist, im Apologeten doch Ausarbeitungen erscheinen zu lassen, die auch für das Bibelstudium in den Familien, gerade jetzt an den langen Winterabenden, eine gute Hilfestellung leisten könnten. Schlümbach schließt seinen Artikel mit dem Aufruf: »Laßt uns die Jugend locken und reizen durch Bibelforschen!«53 Da es die Jugend war, für die nach wie vor Schlümbachs Herz schlug, war er in seiner Funktion als Generalsekretär des Nationalbundes von Ende Juni bis Mitte August 1876 auf Besuchsreise durch die USA. Eigens seinetwegen wurde die eigentlich für Ende Juli geplante Distriktsversammlung des WacoDistriktes auf Ende August gelegt, denn er sollte dort über »Die Verantwortlichkeit der Christusbekenner der Jugend gegenüber« referieren54. Nach seinem ersten Jahr der Tätigkeit in Galveston resümierte Schlümbach im November 1876:

51 52 53 54

F. v. Schlümbach: Eine unbekannte Größe! In: CA 1876, S. 354–355, dort 355. F. v. Schlümbach: Eine unbekannte Größe! In: CA 1876, S. 354–355, dort 355. F. v. Schlümbach: Eine unbekannte Größe! In: CA 1876, S. 354–355, dort 355. Vgl. Kirchliche Anzeigen. In: CA 1876, S. 120 und 192.

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»Der Herr ist bei mir mit seiner großen Gnade und Barmherzigkeit. Es geht täglich besser im Werke; bei Br. Werner, wie in der Gemeinde, an der ich jetzt arbeite, regt sich’s unter den Todtengebeinen und wir harren des Sieges. Es muß in Galveston zum Durchbruch kommen, es sind so viele unsterbliche Seelen zu retten. Gott gab mir die Liebe der Leute, und letzten Sonntag beschloß die evangel. prot. Gemeinde einstimmig, den Bischof zu bitten, mich ihr noch ein Jahr dienen zu lassen.«55

Dieser Bitte wurde stattgegeben, denn bei der Sitzung der Südlichen Deutschen Konferenzen vom 6.–12. Dezember 1876 in Austin erhielt Schlümbach eine Dienstzuweisung für die »Galveston, St. Paul’s Mission«, während Ernst Werner mit dem Dienst für »West Galveston« betraut wurde.56 Die Statistik für das Jahr ergab, dass drei volle und drei Probeglieder zur neu gegründeten Gemeinde der BMK gehörten und vier Lehrer die 64 Kinder in der Sonntagsschule unterrichteten, auch ein Lokalprediger für Verkündigungsdienste zur Verfügung stand. Im Laufe des Jahres hatte es auch neun Kindertaufen gegeben.57 Anfang 1877 führten Schlümbach verschiedene Anlässe auf eine Reise durch das Konferenzgebiet. Sie begann am 1. März mit einer Fahrt nach Brenham, wo die Konferenzkomitees für Kirchenbau und für die Erziehungssache tagten. An den Verhandlungen des ersteren nahm Schlümbach nur als Gast teil, es ging allerdings um ein für ihn wichtiges Thema, das auch in seinem Sinn entschieden wurde: in West-Galveston sollte mit Unterstützung des entsprechenden Boards der MEC gebaut werden, da die bisher gemieteten Räume sich doch als sehr eng erwiesen hatten. Darüber hinaus sollte Friedrich Schuler für Bauten in Austin und Friedrichsburg sammeln, so dass Schlümbach seine Lesern das »Vorrecht« vor Augen führt, »die Seligkeit des Gebens zu erproben und glaubt’s, nur jedes ›zwei Bit,‹ wie man hier zu Lande für 25 Cents sagt, wie jeder V (das heißt 5 Dollars) ist hier nicht nur sehr gut angewandt, sondern in diesem Fall unumgänglich nothwendig; er wird’s erklären!«58 Über Nacht ging es weiter nach Waco, das Schlümbach sehr zusagte. Sowohl die Stadt als auch die methodistische Gemeinde machten einen ausgesprochen guten und vielversprechenden Eindruck auf ihn. Der eigentliche Grund seiner Reise war das Kirchweihfest am nahe gelegenen Sandy Creek. Sein Quartier fand Schlümbach als Gast eines Gemeindegliedes in dessen Blockhütte, die zwar rustikal, aber gemütlich war:

55

Editorielle Notizen. In: CA 1876, S. 356. Vgl. Minutes 1876, S. 164. 57 Vgl. Minutes 1876, S. 359. 58 F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 106–107. Durch das Komitee für Erziehung, in dem Schlümbach ordentliches Mitglied war, wurde die Gründung des ›Immanuel-Instituts‹ beschlossen, einer Schule in Brenham unter der Aufsicht von E. F. Stroeter. Vgl. den Bericht des Komitees in Verhandlungen 1877, S. 10–11. 56

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»Ueber die innere Balkenwand, mit ihren großen Ritzen, war der ›Apologete‹ als Tapete genagelt. Gerade über meinem Bette konnte ich die Bestellungen der südwestlichen deutschen Conferenz meinem Gedächtniß einprägen und die editoriellen Ermahnungen gleichsam als Morgenimbiß des Geistes schlugen in meiner Seele den rechten Ton an für die Predigten des Tages.«59

Zunächst predigte er im Morgengottesdienst vor einer vollbesetzten Kirche auf Deutsch über Dan. 2,35. Nachmittags predigte er auf Englisch über Jes. 5,15. Besonders das Benehmen der jungen Leute war seinem Bericht nach ein auffällig gesittetes und zuvorkommendes, das Schlümbach in den höchsten Tönen lobt. Auch den finanziellen Aspekt des Baus brachte Schlümbach – in gewohnter Weise – zur Sprache, die Kollekte seiner Versammlungen betrug 180 $. »Der Herr hilft seinen Knechten auch in Texas, darum seid fröhlich, ihr Gerechten.«60 Am 29. April war Schlümbach beteiligt an der Einweihung einer neuen Kirche in Giddings Mission an der Bahnstrecke zwischen Brenham und Austin. Die Mission dort war ein relativ neues, aber vielversprechendes Projekt, sodass man sich zum Bau einer Kirche entschlossen hatte, die relativ schnell schuldenfrei war. Einen nicht geringen Anteil daran hatte »unser Fritz«, also Schlümbach, »der sich meisterhaft aufs gemüthliche doch dringliche Taschenklopfen versteht«. Schlümbach predigte nachmittags und redete abends vor einem amerikanischen Publikum, wobei es ihm gelang, die noch fehlenden 250 $ zu sichern.61 Im Sommer des gleichen Jahres konnte auch der Grundstein für die Kirche in Galveston gelegt werden. Schlümbach nahm dies zum Anlass, im Christlichen Apologeten ausführlicher von der gesellschaftlichen Situation in Galveston zu schreiben und dies mit grundlegenden Gedanken über die menschliche Heiligung zu verknüpfen. In der Einleitung, in der er auf die Bedrohtheit der Stadt durch das Meer hinweist, kommt er darauf zu sprechen, dass die Basis für die neue Kirche kürzlich, also im Juli 1877, gesetzt worden sei. Alle Häuser der Stadt seien als moderne »Pfahlbauten« »immer fertig zum schwimmen«. »Und doch leben die hiesigen ›Pfahlbautenbewohner‹ so gleichgültig in den Tag hinein, als ob der liebe Gott noch nie zu ihnen geredet.« Segen, zum einen materieller, zum anderen spiritueller Art, erhoffte sich Schlümbach von zwei »Feu-

59 F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 106–107. Die Einfachheit des Lebens korrespondierte in der Wahrnehmung Schlümbachs mit einer glücklichen Zufriedenheit der Deutsch-Texaner, denen er begegnete. Wer also im Norden umzugswillig sei, der komme in diese Gegend, denn nicht nur die entstehende kirchliche Gemeinschaft sei ein Anziehungspunkt, sondern auch das billige und fruchtbare Land, die schöne Landschaft und die gute Anbindung an Eisenbahn und Handel. 60 F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 106–107, dort 106. 61 Vgl. E. F. Stroeter: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 162.

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ersbrünsten«, die kürzlich in Galveston gewütet hätten. Zum einen zerstörte tatsächlich ein Feuer zahlreiche Gebäude und verursachte – auch aufgrund städtebaulicher Fehlplanung – einen nicht unerheblichen Schaden. Die Verluste könnten vielleicht, hoffte Schlümbach, so manche Einstellung ändern. Die andere »Feuersbrunst« wirkte zerstörend für mehrere Familien und habe viel inneren Aufruhr hervorgebracht. Ein angesehenes Mitglied der deutschen Bevölkerungsgruppe hatte »aus ›sinnlicher Lust‹« nach 16 Jahren seine Familie verlassen und sich von seiner Frau scheiden lassen, um ein sehr viel jüngeres Mädchen zu heiraten. Nach den Flitterwochen mit seiner neuen Frau verübte er Selbstmord. An der öffentlichen Diskussion über diesen Vorfall kritisiert Schlümbach, dass zwar groß »moralisirt und gekannegießert« würde, man den Kern des Übels aber unberücksichtigt lasse. Dieser liegt für Schlümbach darin, sich die eigenen Lüste und Wünsche als Zielpunkt vorgenommen und Gott beiseite gesetzt zu haben. »Die Lust, wenn sie empfangen hat, gebieret sie die Sünde, sagt der Apostel Paulus, und der Tod ist der Sünde Sold«. Dass man sich in aller Sinnlichkeit und allen Schwelgereien die »Masken der Moral« vors Gesicht halte, müsse sich eines Tages von selbst rächen. Die Deutschen in Galveston seien so »gottentfremdet« wie kaum anderswo sonst, die Kirchen seien schlecht besucht, allerdings auch die englischsprachigen, und allerlei Vergnügungen zögen weitaus mehr Menschen an als wissenschaftliche Vorträge oder religiöse Veranstaltungen. So seien kürzlich auch die Evangelisationen von Grant und Williams nur schlecht besucht gewesen. »Es ist die Masse der Gesellschaft auf abschüssiger Bahn angekommen«. Der beschriebene Vorfall möge vielen zum »heilsamen Schrecken« dienen. Nur durch ein Wunder Gottes sei es möglich, dass jemand, in dem die Lüste »die Oberhand über den Einfluß des Geistes Gottes« gewonnen hätten, gerettet werde. Denn aus eigener Kraft könne man dort nichts ausrichten. Das sei auch das Problem der meisten Moralprediger, dass sie an das menschliche Vermögen appellierten, was nach Eph. 5,12 aber aussichtslos sei. Entsprechend seien die meisten weltlichen Moralapostel auch Heuchler. Nur der Christ habe erkannt, »daß es einen täglichen Glaubenskampf kostet, die Lüste des Fleisches unter den Füßen zu halten und daß der Sieg nur durch die Gnade und durch das Heil in Christo errungen wird, denn mit unserer Macht ist’s nicht gethan«. Der Christ verfüge in diesem Kampf über Waffen, die stärker als eine »Krupp’sche Kanone« seien, den Gottlosen aber treffe der Satz Shakespeares: »Das ist der Fluch der bösen That, daß sie fortzeugend Böses muß gebären«. In diesem Labyrinth erscheine für die »bon vivantes« der Selbstmord oft als einziger Ausweg.62 Bereits Ende April 1877 hatte Schlümbach von weiteren politischen als auch kirchlichen Entwicklungen in Texas geschrieben. Was politisch im 62

F. v. Schlümbach: Aus Texas. In: CA 1877, S. 238.

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Moment hoch auf der Agenda stehe, sei die Frage der Prohibition, die Schlümbach als »gewaltig Werk auf moralischem Gebiete« beschreibt. Derzeit würde in den einzelnen Counties über den Verkauf alkoholischer Getränke abgestimmt. Was Schlümbach betrübte, war, dass die Schwarzen, auch der eigenen Kirche, in großer Mehrheit für den freien Verkauf einträten, obwohl der Alkohol ihnen am meisten schade. Die deutsche Presse würde sich natürlich aufs Schärfste gegen ein Alkoholverbot wenden, sei aber letzten Endes machtlos gegen die »Feinde des Königs Alkohol«, die auf dem Vormarsch seien und zu denen sich Schlümbach offensichtlich selbst zählte. Ansonsten stehe die Vegetation des Landes in voller Blüte; die Fruchtbarkeit des Bodens und das Klima seien ausgezeichnet, sodass jeder mit ein wenig Fleiß in diesem »Prachtgarten« zu Wohlstand kommen könne. Entsprechend sei der Zuzug von Fremden groß, neue Kolonien entstünden quasi über Nacht. Darunter seien auch viele Christen, und ihr Zuzug sei auch von daher von großer Notwendigkeit, als dass in den letzten Jahrzehnten Texas als Land der »Freiheit« auch viele gefährliche Gestalten angezogen habe. Gerade den Deutschen maß Schlümbach eine entscheidende Rolle zu: »Wenn nicht die Deutschen, welche sich hier ansiedelten, durchweg ein gesunder kerniger Schlag Menschen gewesen wären, so hätte für die Dauer für die nächsten 25 Jahre noch niemand daran denken dürfen, für ein schönes ruhiges Heim nach Texas zu blicken; so aber, zur Ehre der Deutschen sei es gesagt, haben sie, wie beinahe überall in den Ver. Staaten dem Amerikanismus gezeigt, wie man einem Lande den Segen durch Fleiß und Ausdauer abgewinnen kann. Und kürzlich bezeugte es mir ein hochangesehener Mann von New York, welcher mich auf der Durchreise besuchte: Br. Schlümbach, in diesem Staat zeigt sich Leben und Lebenskraft [. . .] auch nur da, wo deine Landsleute angesiedelt sind. Wenn uns der Liebe Gott auch noch den Segen gibt, dass der kirchliche Sinn und ein klares Verständnis göttlicher Dinge unter unseren Deutsch-Texanern volksthümlich und allgemein wird, dann ist wirklich kein Land auf diesem Continent, das geeigneter ist, den Menschen glücklich fühlen zu machen, als Texas.«63

Was die Förderung eines lebendigen Christentums unter den Deutschen erschwere, seien die großen Distanzen, die es nur schwer möglich machten, eine flächendeckendes Angebot zu schaffen, durch das auch zunächst wenig Interessierte für das kirchliche Leben gewonnen werden könnten. Die deutschen Ansiedlungen seien aber dabei, auf eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur hinzuarbeiten. Insofern sei die derzeitige Arbeit der deutschen Prediger der BMK in Texas im Wesentlichen als »Vorbereitungsarbeit« zu verstehen. Für die Prediger 63 F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 137. Bei dem Durchreisenden handelte es sich wahrscheinlich um den im New Yorker YMCA aktiven Industriellen William E. Dodge Jr. (1833–1903).

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sei es nicht ganz leicht, die Früchte ihrer Arbeit nicht selbst ernten zu können, Schlümbach war aber überzeugt, dass in wenigen Jahren die Bemühungen reiche Frucht gebracht haben würden. Den Menschen in Texas sei zwar schon viel gepredigt worden, weswegen man als Prediger genauer beobachtet und kritisiert werde als anderswo, aber sie seien doch empfänglich für ein Christentum, das sich »alle Tage als nützlich, segensreich und innerlich und äußerlich beglückend erweist«, auch wenn dies manchmal nicht so offen gezeigt würde. Für den Methodismus im Besonderen sah Schlümbach daher in Texas eine gute Zukunft, denn Methodismus meine nichts anderes als »Christenthum im Ernst«. Für das Predigtamt sei wichtig, »ganz in Christo« zu sein, das heißt keinem philosophischen Glauben anzuhängen, sondern gerade nicht in eigener Kraft, sondern in der Kraft Gottes wirken zu wollen; »ich wage das Bekenntniß hier, daß auch gerade in solcher Schule der volle Werth des Heils in Christo in der Seele zur klaren Erkenntnis kommt«. Die Verheißungen der Bibel bezögen sich nicht auf eine ferne Zukunft, sondern verwirklichten sich täglich im Hier und Jetzt. Schlümbach schließt mit dem Ausruf: »Welch ein Erlöser! Wie so vollkommen das Heil in ihm für den sich willig hingebenden Gläubigen!«64 Der Grundstein für den Kirchbau in Galveston war nun, im Sommer 1877, zwar gelegt, vollständig finanziert war das Vorhaben allerdings noch nicht. Um Geld für den Kapellenbau in Galveston zu sammeln, entwickelten Schlümbach und sein Kollege Ernst Werner daher eine ungewöhnliche Idee. Am 6. August 1877 erschien folgendes Angebot im Christlichen Apologeten: »Hier am Ufer des schönen Golfs werden viele sehr merkwürdige Muscheln und andere Meerwunder gefunden. Wer möchte nicht gerne einige davon haben? Unsere deutsche Sonntagschule macht euch folgende Offerte: Für 25 Cents schicken wir drei sehr schöne Sternmuscheln. Für 50 Cents sechs Sternmuscheln und eine Auswahl kleiner Muscheln. Für $1.00 sechs Sternmuscheln und eine nette Auswahl kleiner und mittelgroßer Muscheln. Für $1.50 eine Auswahl Sternmuscheln, Seebohnen und andere Muscheln. Wir wissen, diese Muscheln werden euch freuen. Der Fund, welchen wir damit gewinnen, soll zur Zahlung unserer jetzt im Bau begriffenen Kapelle bestimmt werden. Schreibt eure Namen und Postamt deutlich. Die Muscheln schicken wir portofrei.«65

Einen Monaten später fügte Schlümbach in einem längeren Artikel ausführlichere Erklärungen zu den Muscheln hinzu, da im Norden natürlich vielfach keine Vorstellung von Naturwundern am Golf von Mexiko bestehe. Bei dieser Gelegenheit wies Schlümbach aufgrund der großen Nachfrage da64 65

F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 137. Editorielle Notizen. In: CA 1877, S. 253.

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rauf hin, was für ein gutes Mittel zum »Advertisiren« der Christliche Apologete sei. »Unsere Waare hat uns der liebe Gott geliefert und schenkt sie uns täglich in neuer Weise, und gottlob, sie findet ziemlich guten Absatz.«66 Die Baupläne für die neue Kapelle waren von einem berühmten Architekten der Kirche geschenkt worden. Den Bau selbst führte man aber zum großen Teil in Eigenleistung aus, so dass die Kosten um die Hälfte gesenkt werden konnten. Das »Missionswerk« wuchs; sowohl die Sonntagsschule als auch die Versammlungen waren gut besucht und auch in Schlümbachs St. Pauls-Gemeinde ging die Arbeit gut voran. Erschwerend war allerdings, dass »durch die Handlungsweise verschiedener Prediger, das deutsche Volk beinahe systematisch dem Christenthum entfremdet wurde«. Aber wenn das Werk in Galveston vorangehe, so sei ein wichtiger Brückenkopf in Texas gewonnen.67 Kurz darauf, Anfang September 1877, plante Schlümbach an der Llano Lagerversammlung teilzunehmen, »von welcher ich mir sehr vieles Herrliches für meine Seele und Geist verspreche, und mich darauf freue wie ein Kind, wieder einmal in der freien Natur Gottes mit seinem Volk Lobgesänge erschallen zu lassen.« Im Hinblick auf die Gnadenmittel der Bischöflichen Methodistenkirche schreibt Schlümbach: »Nur der weiß die Segnungen, welche die religiösen Institutionen unserer Kirche in sich schließen, zu schätzen, der sie zeitweise entbehren muß; Klassen, Betstunden, Liebesfeste, Lagerversammlungen sind Wanderstäbe in der Hand des Christen, die nicht leicht durch irgend etwas anderes ersetzt werden können.«68 Am 4. 9. machte sich Schlümbach auf den Weg zur Lagerversammlung und reiste zusammen mit seinen Kindern nach Houston, wo er diese bis zu seiner Rückkehr zu einem »Rundbesuch« einquartierte. Hier traf er mit einigen Reisegefährten zusammen, mit denen er gemeinsam über Nacht nach Austin, in die Hauptstadt des Staates Texas, reiste. Dort waren sie mit methodistischen Glaubensgeschwistern verabredet und besichtigten gemeinsam die Stadt. Wenngleich viele Viertel einen recht guten Eindruck machten, schien das Kapitol in einem ausgesprochen schlechten Zustand zu sein, so dass sich Schlümbach nicht wunderte, »daß die letzte Staats-Constitution so ein traurig Machwerk wurde«69. Am nächsten Tag ging die Reise weiter – nun nicht mehr per Bahn, sondern mit der Kutsche – durch den Colorado und über Camp Cortes nach Friedrichsburg, einer mehrheitlich deutschen Siedlung. Dem lang gezogenen Ort drückte in Schlümbachs Wahrnehmung das katholische Kirchengebäude »den Stempel Deutsch« auf. Über mehrere Tage hielten Schlümbach und seine mitreisenden Kollegen Gottesdienste 66 67 68 69

Vgl. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 282–283, dort 282. Vgl. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 282–283. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 282–283, dort 282. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 282–283, dort 283.

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und Versammlungen in der Methodistenkirche. Er konnte auch die Vierteljährliche Konferenz miterleben, auf der deutlich wurde, das F. Schuler auf seiner Kollektenreise zahlreiche Spenden zur Begleichung der Kirchbauschuld eingetrieben hatte70, was Schlümbach, der in solchen Schulden »das größte Hindernis jeder Gemeinde« sah – auch wenn er nicht selten welche verursachte –, besonders freute. Für den Restbetrag öffneten die anwesenden Kollegen ihre Geldbeutel. Am Mittwoch, den 12. September brachen sie zur Llano Lagerversammlung auf, wo sie nach einem weiten Weg durch beeindruckende Viehherden und reiche Felder am Donnerstagmittag ankamen. Schlümbach schloss zahlreiche neue Bekanntschaften, wobei er feststellte, dass viele ihn durch seine Artikel oder Berichte über ihn im Christlichen Apologeten kannten und in etwa mit folgenden Worten auf ihn zukamen: »Ja, Br. Schl., ich kenne dich gut, aber wollte dir auch einmal in die Augen schauen und die Hände fest drücken«. Die Begegnung mit den deutschen Familien bestärkte seine Ansicht, dass man auch in Amerika die Kultur des Heimatlandes gut pflegen und an seine Kinder weitergeben könne. Überhaupt machte die Jugend auf dem Land Schlümbach Hoffnungen, dass starke Impulse für die Zukunft von ihr ausgehen könnten, während sich die Jugend in den Städten als zunehmend problematisch erwies. Die Eröffnungsbetstunde wurde von Schlümbachs Kollegen Pfäffle gehalten, der das Motto, das sich durch alle Veranstaltungen, »durch jedes Gebet, jede Predigt« ziehen sollte, vorgab: »Dem Herrn geheiligt«.71 Neben den zahlreichen Neubekehrten hob Schlümbach vor allem die Bekenntnisstunden als besonders intensive Veranstaltungen hervor. Die Trennung von den »südlichen Brüdern« schmerzte ihn besonders, da sie mit den nördlichen Methodisten »eines Sinnes seien«.72 Der Abschied von einander fiel schwer, wurde aber durch die christliche Hoffnung auf ein »Wiedersehen« erleichtert. Schlümbach regte an, doch ein Konferenzzelt anzuschaffen, das der ganzen Konferenz zur Verfügung gestellt werden könne, um im Sommer Lagerversammlungen witterungsunabhängiger gestalten zu können und sonst anhaltende Versammlungen oder Missionsposten zu unterstützen. Die Kosten hätten sich bestimmt bald amortisiert, und der Nutzen sei ein großer.73 Kurz darauf wurde die Fundraising-Idee mit den Muscheln noch ausgebaut, indem Prediger Brück aus Houston für die Unterstützung der Missionsarbeit insgesamt Bilder von Schlümbach und Werner zum Kauf anbot, 70 Schuler berichtet später selber, er habe 644,35 $ gesammelt und 394 $ gezeichnet. Vgl. F. Schuler: Correspondenz aus Waco. In: CA 1877, S. 354. 71 Vgl. F. v. Schluembach: Am Llano. In: CA 1877, S. 338. 72 Vgl. F. v. Schluembach: Am Llano. In: CA 1877, S. 338. 73 Vgl. F. v. Schluembach: Am Llano. In: CA 1877, S. 338.

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die die bereits erstandene Muschelsammlung doch gut ergänzen würden. Dann könne man sehen und zeigen, von wem diese Meeresschätze stammten.74 Vom 29. November bis 2. Dezember 1877 fand die 5. Jahressitzung der Südlichen Deutschen Konferenz in Houston statt. Die Konferenz selbst tagte unter tatkräftiger Unterstützung der südlichen BMK, da die nördliche BMK nur eine kleine Gemeinde in der Stadt hatte. In deren noch nicht ganz fertiggestellter Kirche – »kauft Bilder, ihr Geschwister, daß sie fertig wird«75 – fanden die Sitzungen aufgrund des eisigen Nordwindes um den Ofen herum statt, weswegen die Konferenz den Beinamen »Fireside Conference« erhielt: »Die Herzen wurden warm wie die Füße.«76 Die Berichte von den unterschiedlichen Arbeitsfeldern waren sehr ermutigend, sowohl die Gliederzahl als auch die Kollekten waren gestiegen.77 Für ihren aufopferungswilligen Einsatz wurden die Prediger der Konferenz von Bischof Randolph S. Foster, der der Konferenz zum ersten mal präsidierte und einen sehr guten Eindruck auf Schlümbach machte, ausdrücklich gelobt. Aus der Verhandlungsniederschrift ist ersichtlich, dass Schlümbach in mehreren Funktionen für die Konferenz tätig war. So fungierte er als »Conferenz-Schatzmeister«, als Sekretär der »Conferenz-Missionsgesellschaft«, zusammen mit anderen als »Appellations-Richter«, und als Mitglied der Komitees über öffentliche Gottesdienste, die Erziehungssache und Reisekosten zur Konferenz.78 Im »Danksagungsgottesdienst« der Konferenz hatte er die Leitung und hielt wohl auch die Predigt.79 Für das neue Konferenzjahr erhielt Schlümbach eine Dienstzuweisung nach Waco, »der schönen Binnenstadt am Brazos«, wohin er nach der Kircheneinweihung in Galveston zu ziehen gedachte.80 Die Einweihung der neuen Kirche in Galveston war für Dezember 1877 geplant, und auch wenn Schlümbach in den letzten anderthalb Jahren aushilfsweise der Evangelischen St. Pauls-Gemeinde zugeteilt worden war, hatte er sich weiter für die Mission in West-Galveston engagiert. So hatte er 74

Vgl. R. Brück: Correspondenz aus Houston. In: CA 1877, S. 345. F. v. Schlümbach: Südliche deutsche Conferenz. In: CA 1877, S. 402. 76 Vgl. F. v. Schlümbach: Südliche deutsche Conferenz. In: CA 1877, S. 402. 77 Die Konferenz vertrat nun 1.085 Kirchenglieder, mehr als doppelt so viele wie bei der ersten Konferenz vier Jahre zuvor; vgl. Buehrer: Geschichte, S. 103. 78 Vgl. Verhandlungen 1877, S. 3–4. 79 Vgl. Verhandlungen 1877, S. 5; F. v. Schlümbach: Südliche deutsche Conferenz. In: CA 1877, S. 402. 80 Vgl. F. v. Schlümbach: Südliche deutsche Conferenz. In: CA 1877, S. 402. Vgl. auch die Bestellungsliste in Minutes 1877, S. 158 beziehungsweise Verhandlungen 1877, S. 9, aus der hervorgeht, dass die St. Pauls-Gemeinde in Galveston nach Schlümbachs Weggang nicht weiter von einem methodistischen Prediger bedient werden sollte. Die St. Pauls-Gemeinde hatte der Konferenz zuvor brieflich ihren Dank für die durch Friedrich von Schlümbach geleisteten Dienste übermittelt; vgl. Verhandlungen 1877, S. 6. 75

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nicht nur an der Muschel-Aktion mitgewirkt, die im Übrigen ein voller Erfolg gewesen war81, sondern sich auch bei den Kaufleuten der Stadt um Mittel für den Kirchbau bemüht. Zu seinem eigenen Erstaunen erwiesen sich dabei die jüdischen Kaufleute als die freigiebigsten Unterstützer. Ein auswärtiger Kaufmann, G. Ranger, bat Schlümbach, nachdem dieser bei ihm wegen des Kirchenbaus vorgesprochen hatte, später wiederzukommen, was er tat, aber vernehmen musste, dass Ranger bereits zurück nach New York gereist war. So schickte Schlümbach ihm einen Brief, um ihn an die Sache zu erinnern, zumal er selbst die Arbeit in Galveston bald verlassen würde. Der Einweihungstag rückte näher, während sich die wirtschaftliche Lage in Galveston wegen zweier Stürme, eines Stadtbrandes und der schlechten Baumwollernte verschlechterte. Schlümbach selbst hatte »im Vertrauen auf Gott« Schuldscheine für die entstehenden Kosten unterzeichnet, bekam aber zum Zeitpunkt der Kirchweihe Probleme, da das von Werner gesammelte Geld für die von diesem selbst aufgenommen Verpflichtungen aufgewendet werden musste und bei Schlümbach eine Forderung von 200 $ stehen blieb. Am Montag nach der Kirchweihe war Schlümbach in großer Not, da er den Bankier bezahlen wollte, sich aber keine Hilfe abzeichnete. Er hatte sein Gehalt für das erste Quartal 1878 zwar schon erhalten, aber der Umzug nach Waco stand kurz bevor. Schlümbach besprach sich mit seiner Frau (»Mamma«), und gemeinsam beschlossen sie, ihre Kasse für die Zahlungsverpflichtung zu leeren. »Es musste des Herrn Werk unbeschädigt fortgehen, für mich und die Meinen wird er sorgen.«82 Auf dem Rückweg vom Mittagessen bei Ernst Werner an diesem Montag holte Schlümbach seine Briefe bei der Post ab und fand dort ein Schreiben aus New York, das er »zitternd« und »in fieberischer Aufregung« öffnete. Es enthielt einen Scheck über 200 $ von G. Ranger. »Ich lobte Gott aus vollem Herzen und ein Hallelujah nach dem andern entfuhr meinem Munde, denn weß des Herz voll ist, deß geht der Mund über. Es war aus der bittersten Noth geholfen. Der Herr hatte meinen Glauben geprüft und ich pries ihn für seine Hülfe. Ich bin natürlich mehr als je überzeugt von der Richtigkeit meines Glaubens an einen gebetserhörenden Gott.«83

Er bat öffentlich um weitere Gaben für das Missionswerk in Galveston, das Bischof Foster bei seinem Besuch sehr gelobt habe. Die Kapelle stelle einen wichtigen Schritt für das Werk in Texas dar, und so sei zu hoffen, dass mit-

81 Gerechnet hatte man mit Einnahmen von etwa 100 $, doch über 300 Bestellungen verschafften dem Projekt in Galveston einen Reingewinn von 225 $. Vgl. E. Werner: Aus dem »sonnigen Süden«. In: CA 1878, S. 162. 82 F. v. Schlümbach: Eine Gebetserhöhrung. In: CA 1878, S. 9. 83 F. v. Schlümbach: Eine Gebetserhöhrung. In: CA 1878, S. 9.

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hilfe des Christlichen Apologeten sich bald die »Ninety and Nine« – eine Anspielung auf das populäre Lied Ira Sankeys – dazu finden würden.84 Ganz so einfach war es allerdings nicht. Einige Monate später war die Kapelle immer noch nicht schuldenfrei. Die Geschäfte in Galveston gingen zu dieser Zeit schlecht, so dass der in Galveston verbliebene Ernst Werner schreibt, es sei weiterhin Hilfe von außen notwendig. Da aktueller Zahlungsdruck bestehe, seien sofortige Spenden – in welcher Form auch immer – ein dringendes Anliegen. Denn »wenn wir nicht Hilfe bekommen, müssen wir uns von diesem Felde zurückziehen.« Das Missionsprojekt stecke zwar noch in den Kinderschuhen, aber man könne ohne Zweifel in Galveston eine schöne Gemeinde sammeln.85 Das hatte Schlümbach genauso gesehen, aber sich – wie schon in Baltimore – mit den finanziellen Planungen etwas weit aus dem Fenster gelehnt. 4.2 Gemeindearbeit in und um Waco Noch im Dezember 1877 zog Schlümbach mit seiner Familie, zu der nun auch die in diesem Jahr geborene Felice gehörte, nach Waco, einer aufstrebenden Stadt mit 10.000 Einwohnern und einem kleinen deutschen Bevölkerungsanteil etwa 70 Meilen südlich von Dallas, nahe dem Zusammenfluss von Brazos und Bosque. Die Stadt war 1849 gegründet worden und hatte sich zur Handelsdrehscheibe sowohl für Baumwollplantagen als auch für Viehhalter entwickelt. Ebenso war sie Ausgangspunkt oder Durchreisestation für die vielen Siedler, die Richtung Westen strömten. Entsprechend bunt war auch das Stadtbild mit allen möglichen Vergnügungen, aber auch anerkannten Bildungseinrichtungen und der Verwaltung des McLennan County.86 Mitte 1872 war dort die erste Vierteljährliche Konferenz abgehalten worden, F. Mumme 1872–1873 der erste »Missionär«. Als direkte Vorgänger Schlümbachs wirkte G. Dosdall in Waco.87 1875/1876 war eine Backsteinkirche errichtet worden, auf der aber längere Zeit noch eine Schuldenlast ruhte. Der Vorstehende Aelteste dieser Zeit, Friedrich Schuler, schrieb im Jahr 1876, die Gemeinde sei in einem vielversprechenden Zustand. Zur Situation im Umland schrieb er: »die Schönheit der Gegend und der Reichthum und Billigkeit des Landes zieht immer mehr unsere Landsleute in diesen Theil des Staates; die Gemeinde geht einem sichern Gedeihen entgegen und in

84

Vgl. F. v. Schlümbach: Eine Gebetserhörung. In: CA 1878, S. 9. Vgl. E. Werner: Aus dem »sonnigen Süden«. In: CA 1878, S. 162. 86 Vgl. Conger: Art. Waco. 87 Vgl. F. v. Schlümbach: Das Wirken unserer Kirche im mittleren Brazos und Leon. In: CA 1878, S. 202; Buehrer: Geschichte, S. 61. 85

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nicht sehr langer Zeit wird dieses eines unserer angenehmsten Felder in der Conferenz sein.«88 An seinem neuen Wirkungsort hatte Schlümbach vier Predigtplätze zu bedienen, die alle zum Bezirk »Waco Mission« gehörten. Zur Gemeinde in Waco gehörten Mitte 1878 41 volle und 13 Probeglieder. Schlümbach schreibt, von wirtschaftlichen Schwankungen sei Waco wenig betroffen, da rings umher ein wohlhabender Farmerstand siedele. Die Vorstehenden Ältesten hätten eine strategisch richtige Entscheidung getroffen, als sie in dieser Stadt die Arbeit aufnahmen, und auch Schlümbach war guter Hoffnung, einen Teil der deutschen Bevölkerung erreichen zu können. Die zweite Predigtstation, die Sandy Creek Mission, lag zwanzig Meilen südöstlich von Waco. Bei der Einweihung ihres »Kirchlein im Walde« war Schlümbach 1877 zugegen gewesen. Mitte 1878 gehörten dort 21 volle und 5 Probeglieder zur Kirche. Für die Gegend sah Schlümbach eine glänzende Zukunft, da der Boden ausgesprochen fruchtbar und durch die Bahn eine gute Anbindung an die Märkte gegeben war. Die dritte Predigtstation, South Bosque Settlement, befand sich 15 Meilen westlich von Waco. Dort wohnten viele deutsche Familien, die Schlümbach regelmäßig besuchte, um zu predigen. Eine Klasse hatte bisher aber noch nicht gegründet werden können. Der vierte Predigtplatz schließlich, dicht am Leon, befand sich 40 Meilen südwestlich von Waco. Dorthin reiste Schlümbach alle 14 Tage unter der Woche, da die Sonntagsdienste zwischen Waco und Sandy Creek aufgeteilt waren.89 Mitte März 1878 fand die für Schlümbach erste Vierteljahrs-Konferenz am Sandy Creek unter der Leitung des Vorstehenden Aeltesten Carl Urbantke (1831–1912) statt. Die damit verbundenen Veranstaltungen führten wohl zu einer Belebung der methodistischen Arbeit, so dass Schlümbach im Rückblick von »Festtagen« spricht. Aus der Stadt seien viele mit hinausgekommen und hätten die Gastfreundschaft der Familien dort erleben können. Abends habe man sich in den Familien versammelt, um »suchenden Seelen durch Gebet und Anweisung Hülfe leistend zur Seite zu stehen«. Das Liebesfest am Sonntagnachmittag habe gezeigt, dass viele zum Glauben gefunden oder ihren Glauben vertieft hätten. Schlümbach hoffte, dass sich auch in der Stadt solch eine Erweckung ereignen werde.90 Im South Bosque Settlement hatte Schlümbach etliche Jungen im Katechismusunterricht, die am Pfingstsonntag 1878 examiniert werden sollten. Zusammen mit dem Kirchenchor aus Waco und weiteren Gemeindeglie88

F. Schuler: Correspondenz aus Waco, Texas. In: CA 1876, S. 18. Vgl. F. v. Schlümbach: Das Wirken unserer Kirche im mittleren Brazos und Leon. In: CA 1878, S. 202. 90 Vgl. Südliche deutsche Konferenz. In: CA 1878, S. 83. 89

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dern traf Schlümbach am Vorabend in der Siedlung ein. Als Gottesdienstsaal diente am nächsten Tag die Scheune eines Farmers, in welcher eine große Versammlung zusammenkam. Schlümbach schreibt, dass der Heilige Geist »fühlbar« in der Mitte der Versammlung gewesen sei, sich etliche bekehrt und 17 Personen der Kirche angeschlossen hätten. Da aufgrund starker Regenfälle der Leon unpassierbar geworden war, blieb man bis zum Mittwoch beisammen und feierte Gottesdienste und Liebesfeste, die eine hohe geistliche Intensität und persönliche Nähe hervorbrachten.91 Eine Eigentümlichkeit seines Dienstes in Waco waren im Zusammenhang mit den häufig zu lesenden Beschreibungen des fruchtbaren und billigen Umlandes zahlreiche Anfragen Einwanderungswilliger aus dem Norden an Schlümbach. Es müssen wohl so viele gewesen sein, dass er einen Artikel im Christlichen Apologeten veröffentlichte, um Allgemeines über die Situation in Texas zu äußern und so seine Korrespondenz zu reduzieren. Er ermunterte dazu, sich mit eigenen Augen ein Bild zu machen, bevor man irgendwo Land in diesem aufstrebenden Staat erwerbe. Die Bischöfliche Methodistenkirche sei engagiert darum bemüht, überall »das Christenthum im Ernst als edelsten Samen auszustreuen«.92 Die 6. Jahressitzung der Südlichen Deutschen Konferenz vom 21.–25. November 1878 in Grassyville brachte für Schlümbach wichtige Entscheidungen. Denn die Konferenz stimmte unter Bestätigung von Bischof Gilbert Haven dafür, dass Schlümbach vollzeitlich als Bundessekretär in den Dienst der Jünglingsvereine treten dürfe93, was dieser dankbar annahm, auch wenn er formal Mitglied der Südlichen Deutschen Konferenz blieb. Unter ihm hatte sich die Arbeit in Waco sehr positiv entwickelt, so dass die Mitgliederzahlen im verflossenen Konferenzjahr um ein Drittel gesteigert werden

91 Vgl. F. v. Schlümbach: Das Wirken unserer Kirche im mittleren Brazos und Leon. In: CA 1878, S. 202. 92 F. v. Schlümbach: Das Wirken unserer Kirche im mittleren Brazos und Leon. In: CA 1878, S. 202. Aufgrund der großen Nachfrage von Deutschen nach Einwanderung nach Texas hatte bereits ein Jahr zuvor E. F. Stroeter im Christlichen Apologeten einige Hinweise veröffentlicht. So mache es für Handwerker und kleine Geschäftsleute gar keinen Sinn, sich in die Städte zu begeben, da die wirtschaftliche Situation dort schlecht sei. Die Konkurrenz sei so groß, dass trotz reger Bautätigkeit im Staat die Bauhandwerker, die Arbeit erhielten, zu Minimallöhnen arbeiten müssten. Ganz anders stelle sich die Situation auf dem Land dar. Grund und Boden sei günstig zu erwerben, gerade für kinderreiche Familien, und die Erträge sehr reichhaltig und vielfältig (dass nur Baumwolle und Mais gedeihe, sei ein Vorurteil). Wer zunächst Land pachten wolle, um sich in Ruhe nach eigenen Länderein umzusehen, solle am besten im Oktober mit seiner Familie nach Texas kommen. Die Prediger der BMK in Texas könnten gerne Auskunft geben über die aktuelle Situation des »Kaiserstaats im Südwesten«, so auch Schlümbach, damals noch in Galveston. Vgl. E. F. Stroeter: Soll ich nach Texas kommen? Ein Wort an Alle, die es angeht. In: CA 1877, S. 153. 93 So ist Schlümbach in den Bestellungen bereits als »General Secretary of German Young Men’s Christian Associations« geführt; vgl. Minutes 1878, S. 81.

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konnten und sich auch die Sonntagsschularbeit positiv entwickelte.94 Von der Konferenz selbst berichtet Schlümbach, dass man bis auf Ernst Werner, der aus dem Dienst ausgeschieden war, vollzählig in brüderlichem Geist beieinander gewesen sei. Aufrichtig tauschte man sich über den Stand der Arbeit und etwaige Probleme aus. Außerdem wurden Anstrengungen unternommen, der Gründung einer Nord-Texas-Konferenz vorzuarbeiten, die für 1883 ins Auge gefasst war. Die Gastfreundschaft in Grassyville sei vorbildlich gewesen.95 Über seine Zeit in Texas insgesamt schreibt Schlümbach abschließend: »Nie werde ich die gesegneten Jahre, die ich in Texas durchlebt, vergessen; ewig will ich rühmen von der Liebe der Brüder, besonders in der Conferenz mir geschenkt, und von lieben Gemeinden und Amtsbrüdern scheidend, steure ich getrost in’s offene Meer der neuen Wirksamkeit hinaus, denn ›Jesus ist mein Steuermann‹. Nur im Weiterziehen werfe ich einen Blick zurück zu den lieben Texanern und winke ihnen, eingedenk ihrer vielen Liebesbeweise, ein ›Lebewohl‹, ›habt Dank‹, ›auf Wiedersehen‹ zu«.96

4.3 Arbeit an Struktur und Programmatik des Nationalbundes Mit seiner Berufung zum hauptamtlichen Sekretär für die deutschen Jünglingsvereine war ein Ziel erreicht, für das viele im Nationalbund lange gekämpft hatten und das Schlümbach sich auch lange gewünscht hatte. Bereits Ende 1875 hatte er geschrieben: »Die Zeit wird kommen, wo ich mich ganz unserm herrlichen Werke widmen kann, um allen den vielen Einladungen von nah und fern gerecht zu werden. Geduld und Eifer thut noth, daß Tausenden junger Deutscher, denen ein Werk wie das Unsere sehr erwünscht kommt, recht bald der Genuß des christlichen Vereinslebens geboten werden kann.«97

Sein Ziel für 1876 war, durch die Arbeit des Bundes viele hundert Männer zu Christus und seiner Kirche zu führen. Auch wenn ihn zu dem Zeitpunkt, als er diese Zeilen schrieb, seine neuen Gemeindeaufgaben in Texas beanspruchten, wirkte er Anfang 1876 dennoch in organisatorischen Angelegenheiten für den Nationalbund, indem er die Publikation eines eigenen Organs vorantrieb und an Berichte beziehungsweise Zahlungen erinnerte.98 Außerdem berichtete er im Januar 1876, 94 95

Vgl. Minutes 1878, S. 190. Vgl. F. v. Schlümbach: die Südliche deutsche Conferenz. In: CA 1878, S. 386–387, dort

386. 96

F. v. Schlümbach: Die Südliche deutsche Conferenz. In: CA 1878, S. 386–387. F. v. Schlümbach: An die Jünglings-Vereine! In: CA 1875, S. 385. 98 Vgl. F. v. Schluembach: An die Deutschen Christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten. In: CA 1876, S. 8. 97

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dass der Bund in »officieller Weise« mit den Jünglingsvereinen in Deutschland in näheren Kontakt getreten sei, indem man durch die Vermittlung des Berliner Vereins eine Korrespondenz mit Hauptmann Wenz, dem Adjutanten des Kaisers, eröffnet habe. Zu diesem Zweck bat Schlümbach aus allen Vereinen um Jahresberichte für 1875, um das amerikanische Vereinswerk korrekt darstellen zu können.99 Angesichts eines kritischen Artikels F. W. Dingers im Christlichen Apologeten über die Situation in Baltimore, wo der auf methodistischer Unionsbasis gegründete Central-Verein aufgelöst werden musste und der Schwerpunkt der Arbeit sich in die den Kirchengemeinden angegliederten und durch Pastoren geleiteten Lokal-Vereine verlagerte100, sah sich Schlümbach genötigt, die Prinzipien der Vereinsarbeit in einem eigenen Artikel genauer darzulegen. Pointiert definiert er darin, was ein Jünglingsverein ist und was die Funktion von Centralvereinen und Nationalbund: »Der christliche Jünglingsverein ist [. . .] ein freiwilliger Zusammentritt der jungen Leute einer evangelischen Gemeinde unter Anleitung ihres Predigers, um das zu thun, was Gott nach Innen und Außen für sie zu thun hat. Die Verbindung der einzelnen Vereine durch einen Centralverein hat nur den Zweck, dem evangelischen Geiste der Kirche gerecht zu werden und stark zu machen durch Einigkeit, aber dies hat für den inneren Organismus keine Rückwirkung; die National-Conventionen sind allgemeine Bereicherungen durch Gedankenaustausch und statistische Vergleiche.«101

Das hier vertretene Modell klingt deutlich pastorenzentriert, wenngleich Schlümbach die grundlegende Bedeutung der Lokalvereine in den einzelnen Gemeinden immer schon hervorgehoben hatte. Sehr viel nüchterner als früher klingt es, wenn er in dem Zusammenschluss zu einem Central-Verein nicht mehr eine wesentliche Stoßrichtung der Vereinsarbeit auf größere christliche Einheit hin, sondern lediglich den Ausdruck eines bestimmten Geistes sieht, der an sich aber ohne konstitutive Bedeutung für die Arbeit selbst ist. Und auch die National-Conventionen dienten dieser Konzeption nach lediglich als Plattform zur Begegnung und zur Information. Auf diese Einleitung folgend entfaltete Schlümbach seine Position in fünf Einzelpunkten: 1. Die Notwendigkeit des Nationalbundes Würde es den Kirchen gelingen, alles zu tun, was für die jungen Männer getan werden kann, um sie zu Jesus zu führen und im Glauben an ihn zu halten, so wäre der Nationalbund unnötig. Einzelne Gemeinden, in denen dies gelänge, seien eher als Ausnahme zu betrachten – angesichts der »colossalen 99 Vgl. F. v. Schluembach: An die Deutschen Christlichen Jünglings-Vereine der Ver. Staaten. In: CA 1876, S. 8. 100 Vgl. F. W. Dinger: Correspondenz aus Baltimore. In: CA 1876, S. 82. 101 F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Galveston. In: CA 1876, S. 105.

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Anstrengungen des Satans« würde insgesamt viel zu wenig getan, um die jungen Leute »massenhaft« der Kirche zuzuführen und bei ihr zu halten. Einzelbekehrungen kämen vor, was aber nötig sei, sei eine »Massenthätigkeit der Jugend nach Innen und Außen«. 2. Das Selbstverständnis des Nationalbundes Der Nationalbund wolle in keiner Weise in die inneren Angelegenheiten einzelner Vereine eingreifen. Vielmehr sei seine Aufgabe, in der Verbindung der Vereine als »ein Ganzes, wovon Christus das Haupt ist« tätig zu sein. Die National-Conventionen hätten daher vor allem den Charakter allgemeiner Besprechungen. Dass einzelne Lokalvereine nicht recht vorankämen, bedeute nicht, dass »das Ganze ein Fehlgriff oder gar ein Schaden sei«. 3. Zum Verhältnis von Verein und Gemeinde Dinger hatte beobachtet, dass die Lokalvereine in Baltimore sich nur unter der Anleitung der Prediger entwickelten. Dies war nach Schlümbach aber auch ganz im Interesse der Vereinssache, denn »ohne alle Pflege« von selbst laufen könnten die Vereine nicht. »Nein, der christliche Jünglingsverein einer Gemeinde (Localverein!) ist nichts mehr oder weniger, als das Mittel, dem Prediger die passendste Gelegenheit zu geben, einmal die Woche die sämmtliche Jugend der Kirche zu versammeln, um sie zu belehren, sie zur evangelischen Thätigkeit anzuspornen und anzuleiten. Oft fragt man mich nach Constitution etc.; es scheint der Gedanke zu herrschen, als sei Localverein eine logenartige Organisation. Das ist eine grundfalsche Idee.«

4. Zur Notwendigkeit einer deutschsprachigen Vereinsarbeit Dinger hatte geschrieben, dass die Jugend doch immer mehr amerikanisiert sei, sie sich entsprechend zum YMCA orientiere und ein deutsches Angebot weder wolle noch brauche. Dem widerspricht Schlümbach energisch. Sein Eindruck sei vielmehr, »daß die deutsche Jugend darnach hungert, in richtiger Weise angeleitet zu werden«. Natürlich sei das mit viel Arbeit verbunden, vielfach auch ein Problem der »richtigen Agitation«, aber die Kinder deutscher Eltern, die im Umfeld deutscher Kirchen aufwüchsen, seien auch empfänglich für eine deutsche Jugendarbeit.102

102 Auf die These Dingers, dass die deutsche Jugend weitgehend amerikanisiert sei, reagierte auch der Sekretär des Jünglingsvereins von Indianapolis, dessen Gründung im Frühjahr 1875 von Schlümbach angeregt worden war, Elso Köller. Nach Köller gäben die Amerikanisierungstendenzen keinen Grund, auf das »Gegenmittel« deutscher Jünglingsvereine zu verzichten, im Gegenteil. Bisher hätten sich neben der BMK leider noch keine weiteren Denominationen an dem Jünglingsverein beteiligt. Vgl. E. Köller: Der deutsche christliche Jünglingsverein von Indianapolis, Ind. In: CA 1876, S. 130.

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5. Zur Finanzstruktur des Nationalbundes Nachdem sich Dinger kritisch über die Herausgabe eines eigenen Organs des Nationalbundes geäußert hatte, macht auch Schlümbach deutlich, dass er vorsichtig und zögernd an die Sache herangegangen sei. Schlümbach vermutet hinter den Einwendungen Dingers die Befürchtung, für eine Sache finanziell mit haftbar gemacht zu werden, von der man nicht überzeugt sei. Aber Schlümbach erklärt, dass jemand, der die Zeitschrift nicht subskribiert habe, auch nichts zahlen müsse (und die Zeitschrift auch nicht lesen brauche). Es ergebe sich also keinerlei Risiko. Überhaupt geschehe im Nationalbund nichts in finanziellen Angelegenheiten per Order. Man lebe von den Spenden Einzelner, auch die Lokalvereine seien nicht zu Zahlungen verpflichtet. Die Delegierten müssten ihre Reisekosten selbständig aufbringen.103 Insgesamt begegnet hier eine spannungsreiche Konzeption der Jünglingsvereinsarbeit, die sich aus der Vielgestaltigkeit der Vereine, aber auch aus dem möglichen Auseinanderklaffen von Ideal und Wirklichkeit ergeben mag. Einerseits legt Schlümbach einen deutlichen Schwerpunkt auf die Lokalvereine in den Gemeinden, die hauptsächlich dazu da seien, dem Prediger eine regelmäßige Gelegenheit zur Belehrung der Jugend zu verschaffen, andererseits betont er die missionarische Herausforderung derselben in Bezug auf die »Massen«. Sieht er hierbei den Nationalbund als wesentliches Element, um eine Wendung nach Außen zu befördern, weist er diesem zum einen lediglich eine funktionale Kompetenz im Hinblick auf Anregung und Schulung zu, kann aber zum anderen für das Gefüge im Bund das Bild des Leibes Christi verwenden, das doch in seiner geistlichen Dimension weit über rein funktionale Zuordnungen hinausweist. Mit diesen konzeptionellen Ambivalenzen im »Gepäck« machte sich Schlümbach im Sommer 1876 auf zu einer erneuten Besuchsreise durch die USA, die ihn vor allem in Städte des Mittleren Westens und an der Ostküste führte.104 Schlümbachs Motivation zu dieser zweiten Rundreise war zum einen die Notwendigkeit einer »geordneten Thätigkeit zu Gunsten der deutschen Jugend Amerikas«, zum anderen aber auch der bisherige Erfolg – von Baltimore wollte er sich das Bild nicht trüben lassen – der Vereinsarbeit. Die dies103

Vgl. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Galveston. In: CA 1876, S. 105. Vgl. Kirchliche Anzeigen. In: CA 1876, S. 168. Der Reiseplan sah wie folgt aus: »20. 6. New Orleans LA, 23. 6. Louisville KT, 24.–25. 6. Indianapolis IN, 26. 6. (abends) Columbus OH, 27. 6. Wheeling WVA, 29.–30. 6. Baltimore MD, 2.–4. 7. Philadelphia PA, 5.–7. 7. Newark NJ (3. National-Convention), 8.–10. 7. New York City, 12.–16. 7.Toronto CAN (Int. Convention des YMCA), 17.–18. 7. Buffalo NY, 25.–26. 7. Pittsburg PA, 27.–28. 7. Cleveland OH, 29. 7. (abends) Toledo OH, 30.–31. 7. Detroit MI, 1.–2. 8. Lansing MI, 4.–6. 8. Milwaukee WI, 7.–8. 8. Chicago IL, 10.–11. 8. Pekin IL, 13.–14. 8. St. Louis MO«. 104

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jährigen Versammlungen sollten einen etwas anderen Charakter tragen als die im letzten Jahr, insofern als dass nun »alle thätigen Glieder der deutschprotestantischen Kirchen« anwesend sein sollten. Auch aus dem Umland der Städte sollten Menschen eingeladen werden. Am besten sei es, wenn einige der von Schlümbach vorgeschlagenen Themen von prominenten Männern behandelt werden könnten – auf jeweils eine Viertelstunde Vortrag sollte eine allgemeine Diskussion des Themas erfolgen. Die vorgeschlagenen Themen im Einzelnen: »1. Die Verantwortlichkeit der Christusbekenner der Jugend gegenüber. 2. Der bestimmte Zweck und die Arbeit der deutschen christlichen Jünglingsvereine dieses Landes. 3. Worin bestehen die größten Gefahren für die deutsche Jugend Amerikas vom Standpunkte des Protestantismus aus betrachtet? 4. Welche Mittel sind nothwendig, um die Jugend vor denselben zu bewahren? 5. In welchem Verhältnis stehen die deutschen christlichen Jünglingsvereine zu der gegenwärtigen Bewegung zu Evangelisirung des Volkes? 6. Welches ist die beste Art und Weise, um die deutsche Jugend zu einem ernsten Bibelstudium anzureizen? 7. Welches sind die geeignetsten Mittel das Interesse der deutschen Christen für unser Werk wachzurufen?«105

Die Versammlungen sollten morgens, mittags und abends stattfinden, damit aus allen Bevölkerungsschichten Menschen zugegen sein könnten. Für Schlümbach waren sie von entscheidender Bedeutung, denn »der Erfolg der Jünglings-Vereinssache kann nur dann gesichert werden, wenn die Nothwendigkeit derselben allgemein bewiesen und anerkannt wird«.106 Sowohl in der Ausrichtung der Versammlungen als auch in der expliziten Behandlung dieses Themas in einem der Referate ist eine immer größere Öffnung hin zu der gerade auf einem Höhepunkt stehenden Evangelisationsbewegung unter Dwight Lyman Moody nicht zu verkennen.107 Hatte Schlümbach schon früher seinen Dienst gelegentlich als »evangelistisch« bezeichnet, so sind hier Anzeichen wahrzunehmen, dass er dies nun konsequent in seinen Veranstaltungen erprobte und auch theoretisch reflektierte. Im Christlichen Apologeten war in den Jahren zuvor ausführlich von den großen Evangelisationen Moodys und Sankeys, aber auch anderer berichtet worden, und in der BMK wurde Mitte der 1870er Jahre unter dem Eindruck der Heiligungs- und Evangelisationsbewegung über das Evangelistenamt in der Kirche diskutiert. Wenn man auf die Bedürfnisse und Erfahrungen der Zeit schaue, heißt es in einem dieser Diskussion entstammenden Artikel im Christlichen Apologeten, so biete das nicht an eine bestimmte Gemeinde gebundene Evangelis105 C. J. Rehrbas/F. v. Schlümbach: General-Secretariat des National-Bundes der Deutschen Christl. Jünglings-Vereine der Ver. Staaten. In: CA 1876, S. 162–163, dort 162. 106 Vgl. C. J. Rehrbas/F. v. Schlümbach: General-Secretariat des National-Bundes der Deutschen Christl. Jünglings-Vereine der Ver. Staaten. In: CA 1876, S. 162–163, dort 162. 107 Zur Evangelisationsbewegung in den USA vgl. Holthaus: Heil, S. 26–30; 192–195.

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tenamt, »den Sündern das Evangelium verkündigend und den Kindern Gottes ihre hohen Vorrechte, volles Heil in Christo, vorhaltend«, gute Möglichkeiten. Das Umherreisen mache das Charakteristische des Evangelistenamtes im Gegenüber zum Predigerdienst aus. Übertragen auf die BMK bedeute dies, dass einem solchen Evangelisten nicht von der Konferenz ein bestimmter Gemeindebezirk angewiesen würde, sondern dass er innerhalb der Konferenz dort predigen und arbeiten möge, wo eine Gemeinde seine Dienste wünsche. Sein Lebensunterhalt solle auch nicht von der Konferenz finanziert werden, sondern aus freiwilligen Gaben an seinen jeweiligen Dienstorten bestehen. In einigen englischsprachigen Konferenzen gebe es diesen Dienst bereits, auch die »National-Association zur Beförderung der Heiligung« arbeite mit Evangelisten, die Glieder von Konferenzen seien. Aber auch für den deutschen Zweig der Kirche sei die Berufung solcher Evangelisten sehr zu wünschen. Vor allem die Anhaltenden Versammlungen im Winter und die Lagerversammlungen im Sommer seien ein geeignetes Arbeitsfeld für einen Evangelisten. Zu den persönlichen Voraussetzungen für dieses Amt gehöre, dass ein Evangelist ein Mann sei, »welcher der Welt und dem Irdischen, gänzlich abgestorben und gänzlich Gott und seinem Werke geweiht, der die erlösende und reinigende Kraft des Blutes Jesu erfahren und in der Liebe Gottes völlig, eines Mannes, der starken überwindenden Glauben an Gott und seine Verheißungen hat, der groß an Geduld und unermüdlich eifrig in dem Werke des Herrn, ein ächter Methodist in Grundsätzen, Lehre und Wandel, aber auch liberal, liebevoll und weislich gegen alle Christen, eines Mannes von guter Bildung, praktischem Gemüth, lebhaftem Temperament, liebevollem Wesen und doch mit dem Ernste der Ewigkeit seinen Worten und ganzen Wesen aufgeprägt, ausgerüstet mit leiblichen, sowie geistlichen Kräften und Gaben, voll heiligen Triebes und hingebender Liebe zu dieser Arbeit, der aber vor allem andern die Kraft und Salbung des heiligen Geistes in einem besonderen Maße hat«.108

Es stelle sich daher vor allem die Frage, wer für ein solches Amt ernannt werden solle. Der Einwand, dass es sich beim Aufgabengebiet des Evangelisten doch eigentlich um das Tätigkeitsfeld des Vorstehenden Aeltesten handle, entspreche so nicht der gegenwärtigen Realität, wo die Superintendenten mit allerlei Verwaltungsaufgaben zu tun hätten. Die Generalkonferenz möge doch Vorkehrungen treffen, ein solches Evangelistenamt in den Konferenzen einzurichten, »wie die apostolische Kirche es that«.109 Diese Gedanken fielen bei Schlümbach auf fruchtbaren Boden. An mehreren Stellen in seiner Wirksamkeit für den Nationalbund ist diese evangelistische Note in den nächsten beiden Jahren zu erkennen. Am deut108 W. Balcke: Wäre es wünschenswerth, daß von der Conferenz jährlich ein Prediger als Evangelist ernannt würde? In: CA 1876, S. 226. 109 Vgl. W. Balcke: Wäre es wünschenswerth, daß von der Conferenz jährlich ein Prediger als Evangelist ernannt würde? In: CA 1876, S. 226.

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lichsten, als Schlümbach im Rahmen der Internationalen Konferenz des YMCA in Toronto bei einer öffentlichen Abendversammlung am 12. Juli 1876 vor 6.000 Zuhörern – unter ihnen auch George Willliams vom Londoner YMCA – über seine Bekehrung sprach.110 Denn die Geschichte zielte natürlich auf eine entsprechende persönliche Reaktion der Hörer, passte aber auch in den Rahmen der Jünglingsvereinssache, da sie Schlümbachs eigenen Weg zwischen den weltanschaulichen Alternativen als junger Einwanderer in die USA schildert und als ein Exemplum für die Notwendigkeit der Vereinsarbeit dienen kann.111 Auch im Rahmen der National-Conventionen des Nationalbundes fanden von nun an öffentliche Versammlungen unterschiedlichen Charakters statt, bei denen Schlümbach vor großem Publikum sprach.112 Aufgrund seiner »begeisterte[n]« Rede bei der National-Convention 1877 in Pekin, Illinois, luden ihn die Delegierten des Jünglingsvereins in Indianapolis ein, auf der Rückreise bei ihnen Station zu machen und auf dem Jahresfest am 10. Oktober zu sprechen. Schlümbach sagte zu und erschien zur Freude des Vereins, um eine »kernig[e]« Rede zu halten und dem Verein Mut zu machen: »Ein französischer Kritiker sagt, daß die Deutschen Liebhaber von Festen sind, und insofern es mich anbetrifft, hat er vollkommen recht. Ich liebe christliche Feste, und daher war es mir eine große Freude, eine Einladung zum Jahresfeste des deutschen Christlichen Jünglingsvereins zu erhalten. Vor allen Dingen müssen wir uns klar sein, was ein Jünglingsverein ist. Solche Vereine sind in diesem Lande eine neue Erscheinung und werden wie manche andere gute Sache von vielen mißverstanden. Sie haben den Zweck, die Jugend zu retten, und weil hier bekanntlich sehr vorsichtig zu Werke gegangen werden muß, um so mehr, da die Jugend hier in Amerika nicht auf demselben Wege erreicht werden kann, als im alten Vaterlande, so ist es einleuchtend, daß zu einem solchen Vereine nicht blos unerfahrene Jünglinge, sondern auch Männer und Frauen gehören sollen, welche der Jugend mit Rath und That zur Seite stehen. Die Jugend will Belehrung haben, und wenn wir es ihr nicht geben, erhält sie es von einer Seite, wo wir es am wenigsten wünschen. Und wenn wir uns hierin prüfen, werden wir bald finden, daß wir es in der Vergangenheit verfehlt haben.

110 Vgl. Seibert: Ueber die Internationale Convention der Young Men’s Christian Association. In: CA 1876, S. 257. 111 Im gleichen Jahr publizierte Schlümbach seine Bekehrungsgeschichte auch in einem Sammelband mit Glaubenszeugnissen vor allem methodistischer Kollegen, nachdem man mit einer entsprechenden Bitte an ihn herangetreten war. Vgl. Christliche Zeugnisse und Lehre. Eine Zusammenstellung der Gnadenwunder Gottes in den Erfahrungen der Christen aus verschiedenen Kirchen und Ständen. Zusammengestellt und herausgegeben von Rev. H. Schuetz, Chicago 1876, S. 43–51. Schuetz ging es dabei zum einen um die »Bekehrungsgnade«, vor allem aber um die »Heiligungsgnade« (vgl. S. 1); sein Buch hat – gerade auch was den lehrhaften Teil angeht – einen deutlich heiligungstheologischen Schwerpunkt. 112 Vgl. J. Schlagenhauf: Jünglings-Convention von Amerika. In: CA 1877, S. 337.

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Man glaubt nicht, daß das Elend so groß ist. Nehmet nur eure Tageszeitungen zur Hand und notirt euch einen Monat lang alle Verbrechen und Selbstmorde, welche darin verzeichnet sind, und dann denkt euch den Jammer und das Elend, welche zu diesen schauderhaften Thaten geführt haben, und ihr werdet die Wahrheit meiner Aussage bestätigen müssen. Die Turner mit ihren Festen und Saufgelagen sind ein rechtes Mittel in der Hand des Teufels, unsere Jugend zu verstricken und irre zu führen. Blicke ich in die Reihen der Turner von anno ’68, so finde ich, daß manche derselben gegenwärtig das Zuchthaus zieren. Gelehrsamkeit macht nicht glücklich; das haben uns Göthe [sic] und Andere zur Genüge bewiesen. Folge mir in irgend ein weltliches Seminar, und du wirst dort eine solche Masse gelehrtes Unglück antreffen, daß du dich vor solcher Gelehrsamkeit bedankst, und das größte Ding, was manche dieser Gelehrten lernen und gelernt haben, ist, daß sie nichts wissen. Alles Wissen ohne Christum hat keinen Werth! Daher sollte in jeder Gemeinde ein Verein unter Oberaufsicht des Predigers bestehen, damit den jungen Leuten Belehrung aus der Bibel zu Theil werde; und wenn sie erst dahin gekommen sind, die Bibel zu studiren, werden sie bald einen Abscheu gegen ihre faulen Zeitschriften und Romane bekommen. Blicke ich in mein Kirchenbuch, so finde ich darin viele Namen von Personen, welche mir unbekannt sind, Erkundige ich mich bei den Eltern, so heißt es nur zu oft: Sie sind in der Welt. Kann man keine Kinder mehr für den Herrn erziehen? Ganz gewiß! Ich traf unlängst einen Texaner, der hatte acht Söhne und vier Töchter, und alle waren Christen. (Sich an den Verein wendend.) Ich gratulire euch zu eurem Geburtstag. Ich freue mich und bin dankbar gegen Gott, daß ihr noch am Leben seid. Die ersten Jahre sind immer die schwersten. Laßt euch nicht durch Hindernisse entmuthigen. Diese sind höchst nothwendig zu eurer Entwickelung. Legt euch auf den Altar Gottes. Gebt euch ihm ganz zum Opfer dar, damit, wenn die Zeit kommt, ihr dienen könnt in den Aemtern, die euch angetragen sind. Betet, auf daß Der, welcher versprochen hat, in den Schwachen mächtig zu sein, euch anthun möge mit dem Geist aus der Höhe, auf daß durch euch manches verirrte Schäflein der Heerde Jesu zugeführt werde. Das gebe der Herr in Gnaden! Amen.«113

In dieser Rede klingen einige zentrale Themen an, die den Nationalbund in diesen Jahren intensiv beschäftigten und zum Teil auch schon Gegenstand des eingangs besprochenen Artikels von Anfang 1876 gewesen waren. Als Zweck der Vereinsarbeit wird hier genannt, die Jugend zu »retten«. Auf der vorhergehenden National-Convention war ausführlicher formuliert worden, dass ein Jünglingsverein »eine Verbindung von Personen [sei], welche es sich zur Aufgabe gestellt habe, die Jugend auf den Weg der Tugend und Frömmigkeit zu leiten und darauf zu erhalten«.114 Es geht also stark um die Bewahrung vor für die Jugend als schädlich erachteten Einflüssen, genauer vor dem atheistisch geprägten Vereinswesen mit seinen zahlreichen attraktiv erscheinenden Angeboten. Grundlage dieser Bemühungen sollte 113 E. Keller: Etliches von der Feier des Jahresfestes des deutschen Christlichen Jünglingsvereins von Indianapolis, Ind. In: CA 1877, S. 362–363. 114 Vgl. J. Schlagenhauf: Jünglings-Convention von Amerika. In: CA 1877, S. 337.

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wiederum eine genaue Wahrnehmung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation sein.115 Da sich die Situation für die deutschen jungen Männer in den USA sowohl von den Gegebenheiten in Deutschland unterschied als auch von denen, unter denen die englischsprachigen YMCAs arbeiteten, wurde in diesem Zusammenhang auch immer wieder über Fragen der Amerikanisierung und der eigenen kulturellen Identität diskutiert. Tendenzen in den englischsprachigen Kirchen, von einer schnellen Amerikanisierung der jungen Deutsch-Amerikaner auszugehen, trat Schlümbach deutlich entgegen. Schlümbach zweifelte an der Prognose, dass deutsche Kirchen nach und nach überflüssig werden würden: »Nun aber bedenke man, wie viele aus den Reihen der Jugend bei dieser Transformations Scene zwischen die Bretter fallen, nur der geringste Theil würde sicher in die eine oder andere der englischen Kirchen gebracht werden und bin ich überhaupt noch gar nicht überzeugt von der Richtigkeit des Urtheils [. . .]; im Gegenteil, ich glaube, daß wenn wir alle, die wir uns Jünger Christi nennen, einmüthig an die Arbeit gehen und mit Gebet und Flehen, mit Wirken, Schaffen und Arbeiten, durch Einschlagen neuer Bahnen, auch ungewohnte Mittel dabei gebrauchend, vorwärts gehen und durch Gedanken-Austausch, der sich um Mittel und Wege dreht, unserer Erfahrung und Geistesforschung entsprungen, das Werk nach und nach auf- und ausbauen, so werden wir ein Geschlecht heranziehen, das ächt Deutsch-Amerikanisch ist, das heißt das die Tugenden beider Nationen in sich trägt und in Christo Jesu festgeankert ist. Es ist gewiß ein herrliches Ding, Seelen dem Herrn Jesu zuzuführen, aber höher und herrlicher ist es, unsere christliche Jugend bei ihm zu erhalten, durch richtige, religiöse und dabei liberale Erziehung und durch die dem Alter entsprechende leibliche und geistige Thätigkeit. Die Welt bewegt sich, die alten Formen fallen ab und die Schärfe eines Werkzeuges wird stumpf; wir müssen auf neue Mittel sinnen, allerdings alle auf biblischem Grund gewachsen, aber wir müssen etwas thun, wenn wir nicht später, vielleicht viel zu spät, es bereuen wollen, nicht besser für unsere Jugend gesorgt zu haben.«116

Entsprechend des allgemeinen Trends der 1870er Jahre, in der die Rede von »Deutschen« auf »Deutsch-Amerikaner« überging, findet sich hier eine ethnokulturelle Positionierung, die eine Verbindung beider Kulturen beziehungsweise entsprechend konnotierter »Tugenden« hin zu einer neuen, christlich gegründeten Verortung der Deutschstämmigen im gesellschaftlichen Spektrum der USA vornimmt. Für Schlümbach hing an der Förderung der Jugend das Wohl der »deutschen protestantischen Kirche in Amerika«.117

115 Darum bemühte sich Schlümbach auch in seinem Artikel: Die Internationale Versammlung der christlichen Jünglingsvereine. In: CA 1877, S. 225. 116 F. v. Schlümbach: Die Internationale Versammlung der christlichen Jünglingsvereine. In: CA 1877, S. 225. 117 Vgl. F. v. Schlümbach: Die Internationale Versammlung der christlichen Jünglingsvereine. In: CA 1877, S. 225.

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Dass im Rahmen der Mittel, die aufgeboten werden müssten, die Jugend nach »Belehrung« verlange, hatte Schlümbach bei der Rede in Indianapolis formuliert, und dies näher mit dem Bezug auf die Bibel spezifiziert. Dies sollte für spätere inhaltliche Schwerpunktsetzungen in der Vereinsarbeit von Belang werden, aber auch die Rolle der Pastoren in der Vereinsführung hervorheben. Auch in der neuen Bundes-Constitution von 1876 spielte die Bibel eine herausgehobene Rolle, während sie in der vorhergehenden Fassung nicht in dieser Weise erwähnt war. In Art. VI § 2 heißt es: »Es wird jedem Lokal-Vereine eine selbständige Einrichtung und eine seinen Umständen und Lokalanschauungen entsprechende Thätigkeit gesichert und freigelassen, Confessions- und Gewissensfragen sollen in den allgemeinen Versammlungen nicht erörtert werden und keiner christlichen Benennung soll das herzlichste Mitwirken durch irgend welche Bundesverhandlungen verleidet werden. Es wird jedoch von jedem mit uns verbundenem Vereine vorausgesetzt, daß er sich zur heiligen Schrift, als Gottes geoffenbartem Worte und zum Herrn Jesu Christo, als dem Erlöser der Welt unumwunden bekenne«.118

Bei dieser Beschreibung des theologischen Fundamentalkonsenses fällt auf, dass sie von der Glaubensbasis des YMCA-Weltbundes von 1855 insofern abweicht, als dass die Heilige Schrift zu einem eigenen Bekenntnisgegenstand wird, und zwar in einer bestimmten Engführung, der neben das Bekenntnis zu Jesus Christus tritt. Auch die inhaltliche Füllung des Christusbekenntnisses ist bemerkenswert, denn war dieses in der YMCA-Basisformel noch persönlich auf Jesus »als ihren [der jungen Männer] Gott und Heiland« zugespitzt, findet sich bei Schlümbach mit »Erlöser der Welt« eine universalistische Formulierung.119 In der Strukturierung des Vereinswesens hatte man einen Schwerpunkt auf den Lokalvereinen belassen, auf der National-Convention 1878 aber explizit eine neue anzustrebende Vereinsform hinzugefügt. Um auf einer möglichst breiten Basis wirken zu können, erkannte der Bund nun drei Arten von Jünglingsvereinen an: 1. Lokalvereine, die den Jugendverein einer einzelnen christlichen Gemeinde darstellen. Die Bundes-Constitution garantiert, dass der Bund sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Lokalvereine einmischt. Durch die Mitgliedschaft im Bund dokumentiert der den Verein leitende Prediger seine Wertschätzung der »Einheit«, ohne sich in einer engeren Verbindung 118 Zit. nach F. v. Schlümbach: Die Internationale Versammlung der christlichen Jünglingsvereine. In: CA 1877, S. 225. 119 Zur Pariser Basis des YMCA von 1855 vgl. Kupisch: CVJM 1958, S. 13–16. Sie lautet: »Die CVJM haben den Zweck, junge Männer miteinander zu verbinden, welche Jesum Christum als ihren Gott und Heiland anerkennen, wie die Heilige Schrift es lehrt, deshalb seine Jünger sein und gemeinsam danach trachten wollen, das Reich ihres Meisters unter den jungen Männern auszubreiten.«

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vor Ort »compromittiren« zu wollen. Formal beweist ein Lokalverein dadurch seinen Anschluss an den Bund, dass er jährlich für jedes Mitglied 5 Cent abführt, dass er sich bei der Nationalconvention vertreten lässt (ein Delegierter für zehn zahlende Mitglieder) und dass er gelegentlich seinen Bericht beim Bundessekretär einreicht. 2. Central-Vereine, die aus einem Zusammenschluss mehrerer Lokalvereine einer Stadt bestehen. Die Pastoren einer oder mehrerer Denominationen haben so die Möglichkeit, noch erfolgreicher zu wirken. Auch sie sind zur Entsendung von Delegierten berechtigt. Lokalvereine, die sich nicht einem bestehenden Central-Verein anschließen, können trotzdem Mitglied im Bund sein. 3. General-Vereine, die zwar auch unter der Kontrolle der verschiedenen Pastoren stehen, aber nach dem Modell der amerikanischen YMCAs stark missionarisch nach außen gerichtet sind. Gerade für größere Städte sieht Schlümbach in ihnen »besonders wichtige Organisationen«. Allerdings gibt es nur wenige derart arbeitende deutschsprachige Vereine, da diese Form der Vereinsarbeit ausgesprochen kostspielig ist. Deutlich tritt in dieser Konzeption die tragende Rolle der Pastoren in der Leitung der Vereine hervor, die nun auch als die entscheidenden Mittelsmänner für übergemeindliche Kontakte explizit benannt werden. Mit dem letzten vorgestellten Vereinsmodell tritt ein Modell auf den Plan, das die Arbeitsweise der englischsprachigen YMCAs für den deutschsprachigen Raum adaptiert, sich bisher aus praktischen Gründen aber noch kaum durchgesetzt hatte.120 Untergliedert hatte man die Arbeit des Nationalbundes 1876 in drei Distrikte, die helfen sollten, die Vereine noch besser zu vernetzen.121 War Friedrich von Schlümbach von der National-Convention 1876 zwar beauftragt worden, im nächsten Jahr alle drei Distriktsversammlungen zu besuchen und auch sonst wieder eine Rundreise zu planen, »um neue Vereine zu gründen und bereits bestehende zu befestigen«122, so musste er aus gesundheitlichen Gründen wohl gelegentlich etwas kürzer treten.123 Bei den National-Conventionen des Nationalbundes im Juli 1876, Oktober 1877 und Juli 1878 war er aber anwesend. 60 Vereine gehörten mittlerweile zum Nationalbund, und man bemühte sich intensiv um eine vollzeitliche Tätigkeit Friedrich 120 Vgl. F. v. Schlümbach: Die 5. National-Convention der deutschen christlichen Jünglings-Vereine von Amerika. In: CA 1878, S. 234. 121 Vgl. [o.N.:] Die dritte National Convention christlicher deutscher Jünglingsvereine. In: CA 1876, S. 249. 122 Vgl. [o.N.:] Die dritte National Convention christlicher deutscher Jünglingsvereine. In: CA 1876, S. 249. 123 Lediglich über einige Termine im Frühjahr 1877 liegen Berichte vor; vgl. F. v. Schlümbach: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 106–107; A. Müller: Correspondenz aus Texas. In: CA 1877, S. 115.

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von Schlümbachs für denselben. Angesichts der Bemühungen auf der National-Convention 1878 – Schlümbach wusste noch nicht, dass die Bischöfe dem Bittgesuch tatsächlich stattgeben würden – schrieb er über seine persönliche Situation: »Es wurde mir auf’s Neue das wichtige Amt des Bundessecretärs anvertraut, mit der Bitte, mich ganz der Sache zu weihen, auch fühle ich mich so durchdrungen von der Wichtigkeit und Nothwendigkeit der Organisation, bin auch so fest davon überzeugt, daß die Art und Weise unserer Organisation allen Ansichten, die es ehrlich mit der Jünglingsvereinssache meinen, die Bruderhand bietet, daß die Opposition nur eine persönliche sein kann, von Vorurtheil oder Mißverständniß begleitet; so daß ich, sobald die Verhältnisse es gestatten und der Herr es zulässt, willig bin, dem Ruf Folge zu leisten. Zwar ist mir nicht fremd, daß leider Manche schon sich ausgedrückt haben, ich betheilige mich an der Sache aus selbstsüchtigen Ursachen oder daß Größenwahn mich treibe, doch ich überlasse das meinem Heiland, der mich kennt und mir die deutlichsten Beweise auch jetzt wieder gegeben hat, daß er diesen Bund in’s Leben gerufen hat und erhalten will und meine Dienste will; ist die Bahn frei, so will ich demüthigen Herzens und nur im Gottvertrauen es wagen, voranzugehen, mich auf das Motto stützend, welches die Brüder als Dekoration angebracht hatten: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?«124

5. »The German Moody« – Erweckungsprediger in Diensten des YMCA (1879–1881) 5.1 Stellung im International Committee des YMCA Schlümbach trat seinen neuen Dienst gleich mit dem Jahreswechsel an. Als Sekretär des International Committee bildete Schlümbach nun die Schnittstelle von Nationalbund und YMCA in den Vereinigten Staaten. Während der Nationalbund weiter die Reisekosten Schlümbachs aufbrachte, sorgte der YMCA für sein regelmäßiges Einkommen. Vor allem James Stokes war es gelungen, Geldmittel aufzutreiben, um für das Einkommen Schlümbachs zu sorgen.1 Stokes fungierte innerhalb des Komitees als Representative of the German Work und kümmerte sich mit seinen guten Kontakten zu reichen Philanthropen wie Vanderbilt, Dodge oder Colgate um gute äußere Bedingungen. Generalsekretär des International Committee war Richard C. Morse, der die Arbeit unter den Deutschen mit Interesse und eigenem Engagement verfolgte. Als ehrenamtlicher Chairman des Komitees fungierte Cephas Brainerd. Daneben beschäftigte das International Committee weitere Sekretäre für 124 F. v. Schlümbach: Die 5. National-Convention der deutschen christlichen JünglingsVereine von Amerika. In: CA 1878, S. 234. 1 Vgl. [o. N.:] Convention der christlichen Jünglings-Vereine. In: CA 1879, S. 223.

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einzelne Sparten der YMCA-Arbeit. Dazu gehörten Thomas K. Cree, Edwin Ingersoll, Luther D. Wishard, Erskine Uhl, Russell Sturgis und Robert Weidensall. Sitz des International Committee war in New York, aber fast alle Sekretäre waren gemäß ihrer Aufgabe fast permanent auf Reisen. So nun auch Schlümbach.2 5.2 Weiterentwicklung der deutschsprachigen Jünglingsarbeit in Richtung YMCA Kurz nach seinem Dienstantritt war Schlümbach bereits Mitte Januar 1879 auf Reisen. Dem Christlichen Apologeten schrieb er von unterwegs, dass er am 15. 1. in Cedar Springs einem »Gospel Meeting« beiwohnen und anschließend nach Chicago reisen wolle, für die nächste Ausgabe des Apologeten auch einen Artikel verfasst habe. Seine neue Aufgabe erfülle ihn sehr. »Ich weiß, ich bin in der Arbeit, die Gott von mir haben will. Möge der gnadenreiche Erlöser sein Werk durch mich armen Wurm fördern ganz nach seinem Wohlgefallen!« Sein »Hauptquartier« plante Schlümbach für das Jahr 1879 nach Chicago zu verlegen, wo seine Adresse bereits mit »196 East Division Str.« angegeben ist.3 Der angekündigte Artikel im Christlichen Apologeten enthält unter der Überschrift »Inschau, Umschau, Rundschau« Schlümbachs Gedanken zum Jahreswechsel. »Rundschau heißt vom Alten lernen, um im Neuen daraus Nutzen zu ziehen«. So wie man in der Geschäftswelt eine Jahresbilanz ziehe, um das nächste Jahr planen zu können, solle es auch der Christ halten. Nicht nur Inschau ins eigene Herz solle er halten, wie es um sein Verhältnis zu Christus stehe, sondern auch Umschau auf die »herrlichen Segnungen Gottes«, die er im vergangenen Jahr erfahren habe. Gerade angesichts der eigenen Unzulänglichkeiten und des eigenen Versagens sei Gott hoch zu loben. Das gedankenlose Hineinleben in den Tag und in das neue Jahr verbiete sich. Darüber hinaus solle man aber auch »Rundschau« halten nach den Erscheinungen der Zeit, die für sich oft klein erschienen. »Im Mosaik [findet] man aber eine große Idee ausgeführt, die nur den lieben Gott zum Grunde haben kann«. Als ihm wichtige Beispiele führt Schlümbach die Sonntagsschulbewegung und das Bibelstudium an. Gerade an letzterem macht er Aspekte der interkulturellen Wahrnehmung zwischen Deutschen und Amerikanern fest, denn im »Bibelforschen« seien die Amerikaner allen anderen voraus.

2 Zum International Committee vgl. Hopkins: History, S. 105–147; zu James Stokes (1841– 1918) vgl. Ober: Stokes; zu Richard C. Morse (1841–1926) vgl. Morse: Life. 3 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1879, S. 20.

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Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881)

»Es ist in vielen deutschen Kreisen zur Gewohnheit geworden, zu sagen: Ach was, die Amerikaner sind so flüchtig, so enthusiastisch; wir Deutschen nehmen’s ruhiger und was dergleichen Phrasen mehr sind. Lieber Leser, ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage: die Tendenz der amerikanischen Christenheit ist Bibel-Christenthum.«4

So sei Schlümbach kürzlich eingeladen worden, in Chicago der »Bibel-Allianz« beizutreten, einem Zusammenschluss von 35.000 Personen, die sich verpflichten, einmal täglich füreinander zu beten und nach einem bestimmten Plan das gleiche Kapitel der Bibel zu studieren, was Schlümbach vortrefflich fand. Eine weitere wichtige Zeiterscheinung sei »das sich wunderbare Annähern von Christen aller Denominationen in dem einen Wort: Geistestaufe. Woimmer man hinkommt, trifft man solche, denen der Herr den Segen des direkten Zeugnisses des heiligen Geistes, daß sie Kinder des Lichtes sind, gegeben hat, und eine Jahres-Rundschau über unser Land hin zeigt die colossale Zahl solcher Bekenner und Beleber ihre Glaubens«.

Im schon mehrfach im Zusammenhang der Heiligungsbewegung erwähnten Topos der Geistestaufe als einer besonderen geistlichen Erfahrung sah Schlümbach also ein wesentliches Element, die unterschiedlichen Kirchen zusammenzuführen. Gemeinsames geistliches Erleben mache eine stärkere Bewegung zur Einheit hin möglich. Schließlich verwies Schlümbach in seinem Artikel – und das mit besonderem Gewicht – auf die Arbeit des YMCA. Seit er die Bewegung verfolge, sei er angetan von der »Großartigkeit des ganzen Unternehmens«. Wie viele Menschen allein im letzten Jahr durch diese Organisation zum Glauben gefunden hätten, würde alle Aufzeichnungsmöglichkeiten sprengen. Die Versammlungen in der Farwell Hall in Chicago und die täglichen Mittagsgebete dort seien außerordentlich segensreiche Veranstaltungen. Wenn nur schon ein Verein mit so großer Ausstrahlung wirken könne, wie dann erst die vielen hundert im ganzen Land! Das war für Schlümbach als Bundessekretär ein Ansporn auch für die deutsche Arbeit: »Wenn ich diese göttlichen Segnungen anschaue, wie sie die englischen Brüder letztes Jahr erhielten, die völlige Hingabe und Opfer-Freudigkeit dieser Gottes-Arbeiter betrachte, frage ich mich immer, warum so viele ›Wenns‹ und ›Aber‹ unter uns Deutschen, warum nicht anstatt der bisherigen rationalistischen Vorausberechnungen und Mißcalculationen, einmal einmüthiglich im Gottvertrauen klein angefangen, und Schritt für Schritt gelernt und vervollständigt. Fehlt’s uns Deutschen etwa an Material? Haben wir vielleicht schon zu viele überfüllte Gotteshäuser? Oder arbeiten Alle unsere deutschen Christen mit vollen Händen im Reiche Gottes? Ist nicht die Klage allgemein, wie wenig Willigkeit zur christlichen Arbeit ist doch unter uns wahrnehmbar!«5 4 5

F. v. Schlümbach: Inschau, Umschau, Rundschau. In: CA 1879, S. 25. F. v. Schlümbach: Inschau, Umschau, Rundschau. In: CA 1879, S. 25.

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Erweckungsprediger in Diensten des YMCA (1879–1881)

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Schlümbach ermuntert im Folgenden jeden, im täglichen Leben seinen Mitmenschen ein lebendiges Zeugnis für die Gnade Christi zu sein und so zum Glauben einzuladen.6 Mitte März 1879 begann Schlümbach in seiner neuen Funktion eine Arbeit unter jungen Deutschen aller Denominationen in St. Louis. Drei Wochen blieb er in der Stadt und legte den Grundstein für eine gut vorangehende Vereinsarbeit, nun organisiert nach dem YMCA-Modell, also dem, was in der Konzeption des Nationalbundes als »General-Verein« bezeichnet wurde. Zunächst hatte Schlümbach einiges an Vorurteilen und Widerständen zu überwinden. Bereits nach einigen von Schlümbach geleiteten Versammlungen konnte aber ein solcher Verein organisiert werden. Man entwarf gemeinsam eine Constitution, und 53 junge Männer traten dem Verein als Mitglied bei. Bis Ende April waren daraus bereits 100 Vereinsmitglieder geworden. Von etlichen Bürgern und vielen Kaufleuten in St. Louis, bei denen man vorstellig geworden war, wurde die Gründung finanziell und durch Sachspenden unterstützt. Gerade die Kaufleute sahen in der Sache »einen geeigneten Schritt unserer Zeit [. . .], um die Jugend auf einen besseren Pfad zu führen«7. In der Morgan Street wurde für 25 $ im Monat ein Vereinshaus gemietet, das im Erdgeschoss vier Lese- und Versammlungsräume für die Vereinsarbeit bereithielt und im Obergeschoss eine Wohnung für den Vereinssekretär beherbergte. Ein solcher wurde mit F. Reitz vom Verein auch angestellt. Es fanden Bet- und Bibelstunden statt, die von unterschiedlichen Predigern geleitet wurden, und in denen man ein besonderes Mittel sah, von der Kirche – oft auch durch deren Interesselosigkeit verschuldet – entfremdete junge Männer für das Christentum anzusprechen. Das deckte sich mit der von Schlümbach gemachten Erfahrung, dass Bibelstunden ein ungeahnt wichtiges Instrument seien, um junge Leute ins Christentum einzuführen und für die Bibel zu begeistern. Von daher wurde formuliert: »Der Zweck des Vereins ist, jungen Männern nachzugehen und sie einzuladen, die Bibelstunden zu besuchen«8. Die Befürchtung, dass der Verein keinen Erfolg haben könnte, da er sich aus Gliedern verschiedener Kirchen zusammensetze, habe sich nicht bestätigt, vielmehr sei das Miteinander im Verein geprägt von einer »Harmonie, die ihren Ursprung in der Religion Jesu Christi hat«. Alle seien Schlümbach mit »Liebe und Achtung« begegnet, und freuten sich auf ein baldiges Wiedersehen. »Möge Gott in Gnaden dieses sein Werk und seinen Knecht reichlich segnen!«9 Am Donnerstag, dem 24. April sprach Schlümbach in einem »interessanten und in die Lebensverhältnisse der Jugend tief eingreifenden« Vortrag in 6 7 8 9

Vgl. F. v. Schluembach: Inschau, Umschau, Rundschau. In: CA 1879, S. 25. So H. C. G.: Der deutsche christliche Jünglingsverein in St. Louis. In: CA 1879, S. 130. H. C. G.: Der deutsche christliche Jünglingsverein in St. Louis. In: CA 1879, S. 130. H. C. G.: Der deutsche christliche Jünglingsverein in St. Louis. In: CA 1879, S. 130.

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Galena über das Thema »Fliehet die Lüste der Jugend«. Schlümbach zeigte auf, »welcher besonderen und immer neuen Mittel sich der Teufel in unserer Zeit bedient, um die jungen Leute, auf welche er es besonders abgesehen hat, in seine Netze zu ziehen«. Er ermunterte die Hörer, einen positiven Einfluss auf die Jugend auszuüben. Am folgenden Tag sprach Schlümbach vor Schülern der methodistischen Galena-Normalschule und führte den Schülern vor Augen, was für ein Vorrecht es sei, sich mit der Wissenschaft beschäftigen zu dürfen. Ein Schüler der Schule schrieb: »Möge Gott unseren Br. v. Schlümbach allezeit ausrüsten mit Kraft aus der Höhe, das herrliche Werk, in welchem er beschäftigt ist, so zu betreiben, daß es mit großem Erfolg gekrönt werde!«10 Vom 10. bis zum 13. Juni nahm Schlümbach an einer JugendvereinsConvention in St. Paul teil, auf der er zum Thema »Was ist und bezweckt der Nationalbund der christlichen Jugendvereine von Amerika?« sprach.11 Zuvor wirkte Schlümbach vom 25. Mai an in Mt. Vernon, Indiana, einer kleinen Stadt, die von Dienstag, dem 27. 5. an die Louisville Distriktsversammlung der Bischöflichen Methodistenkirche und eine SonntagsschulConvention beherbergen sollte. Schlümbach hielt am Sonntag und Montag »zum großen Segen der deutschen Bevölkerung der Stadt« Vorträge in Unionsversammlungen. Am Dienstagabend, als bereits die meisten Prediger zur Distriktskonferenz anreisten, hielt er einen freien Vortrag über »den modernen Unglauben gegenüber der Lehre der Auferstehung Christi«, der im Bericht als »wirklicher ›treat‹« bezeichnet wird.12 Schon hier fällt auf, dass Schlümbach nicht eigentlich für die Jünglingsvereine tätig war, sondern auf Unionsbasis eine Art evangelistische Arbeit für alle Deutschen der Stadt durchführte. Die Distriktsversammlung des Nordwest-Distriktes des Nationalbundes Deutscher Christlicher Jünglingsvereine fand vom 9. bis zum 11. Juni 1879 in St. Paul statt. Den Vorsitz bei der Versammlung führte Schlümbach »aus Chicago«: »Unser lieber Br. Schlümbach wurde uns zum großen Segen. Er war unter uns, wie ein Vater unter seinen Kindern. Seine Reden und praktischen Winke, die er uns mittheilte, besonders um die Jünglings- und Jugendvereine interessant und erfolgreich zu machen, werden den Jungen und Alten noch lange im Gedächtnis bleiben.«13

10

[Ein Schüler der Galena Normalschule:] Correspondenz aus Galena. In: CA 1879, S. 150. Vgl. Programm für die Jugendvereins-Convention, gehalten in St. Paul, Minn., vom 10. bis zum 13. Juni. In: CA 1879, S. 160. 12 Vgl. J. C. Weidmann: Louisville Distrikts-Versammlung und Sonntagschul-Convention. In: CA 1879, S. 178. 13 [O. N.:] Die Distrikts-Convention der deutschen christlichen Jugendvereine des Nordwestens. In: CA 1879, S. 202–203, dort 202. 11

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Erweckungsprediger in Diensten des YMCA (1879–1881)

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Zahlreich waren Prediger und Vereinsdelegierte erschienen, die die aufstrebende Vereinsarbeit im Nordwesten, innerhalb derer in den letzten Jahren Vereine neu entstanden waren, auf der Versammlung vertraten und debattierten. Allerdings war die Zahl der Jugendvereine mit sieben noch relativ gering. Darüber hinaus war eine konfessionelle Durchmischung noch nicht gegeben; alle Vereine wirkten im Zusammenhang mit der Bischöflichen Methodistenkirche. Daher wurde der Besuch einer Delegation der Evangelischen Gemeinschaft bei der Versammlung auch besonders gewürdigt. Aus Genf war Karl Fermaud angereist, der Präsident der weltweiten YMCA-Arbeit. Man beschloss, sich stärker darum zu bemühen, dass in weiteren Gemeinden des Nordwestens Vereine gegründet würden – auch und gerade in anderen Kirchen als der BMK.14 Diese Absicht zeigt, dass innerhalb des Nationalbundes weiterhin stark nach dem gemeindeorientierten Modell gearbeitet wurde, während Schlümbach selbst als Sekretär des International Committee seine Arbeit eher nach dem YMCA-Modell strukturierte. Für die bevorstehende National-Convention veröffentlichte Schlümbach ein »Wort für Cincinnati«, indem er deutlich zur Teilnahme ermunterte. Wenn die Convention »zum Segen für die deutsche Jugend Amerika’s« werden solle, so sollten die Vereine von ihrem Recht, für zehn Vereinsmitglieder einen Delegierten zu entsenden, Gebrauch machen oder auch erst für lediglich 5 Ct. pro Mitglied im Jahr sich dem Nationalbund anschließen. Auch die Prediger seien herzlich eingeladen, und wenn sie noch keinen Verein verträten, so seien sie auch als beratende Mitglieder herzlich willkommen. Da das Werk sehr stark wachse, die finanzielle Unterstützung des amerikanischen YMCA habe und offensichtlich unter dem Segen Gottes stehe, sei davon auszugehen, dass der Bund auch in Zukunft eine immer größere Ausdehnung erfahren werde, so dass die Zeit, auf den weiteren Weg des Bundes Einfluss zu nehmen, solange er noch überschaubar sei, nicht mehr allzu lang sein könne – ein größer dimensionierter Bund sei natürlich schwerer zu führen und zu gestalten. Daher der Appell, jetzt tätig zu werden: »Die Frage: ›Was will aus dem Kindlein werden?‹ kann nur beantwortet werden mit: ›Was wir unter Gott jetzt aus demselben machen.‹« Man sei für alle praktisch erprobten Vorschläge, wie die Jugendarbeit besser zu gestalten sei, offen. Schlümbach lud alle an der Sache interessierten »Laienbrüder« ein, sich an dieser Stelle einzubringen.15 Doch zunächst war es Zeit für die International Convention des YMCA für das Jahr 1879, die vom 21. Mai an in Baltimore stattfand. Nach erfolgter Organisation nahm der Bericht des Exekutivkomitees den ersten Tagungsord14 Vgl. [o. N.:] Die Distrikts-Convention der deutschen christlichen Jugendvereine des Nordwestens. In: CA 1879, S. 202–203, dort 203. 15 Vgl. F. v. Schlümbach: Ein Wort für Cincinnati. In: CA 1879, S. 203.

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nungspunkt ein. Die Mitglieder des International Committee berichteten von ihren Arbeitsfeldern. In seinem Bericht legte Schlümbach dar, dass er bisher 5.950 Meilen im Dienst gereist sei, auf 106 Versammlungen gesprochen, sechs Vorträge gehalten und 61-mal gepredigt habe. Für das deutsche Werk habe er 600 $ sammeln können. Schlümbach war guter Dinge, dass bis zur National-Convention im Juli weitere Vereine hinzukommen würden. Er hob besonders die freundliche Aufnahme der Vereinsarbeit seitens vieler deutscher Pastoren und die tatkräftige Mithilfe der englischsprachigen Vereine hervor. Das Bundes-Banner – man hatte die bisherige Zeitschrift BundesPosaune 1878 umbenannt – habe dem Bund bisher gute Dienste geleistet.16 Richard C. Morse gab abschließend einen Bericht von der Arbeit des Exekutivkomitees als ganzem. An jeder der 26 Staatsconventionen in den Jahren 1878–1879 habe das Komitee teilgenommen. Man habe 4.000 Briefe an Prediger und 1.000 an Vereine gesandt. Zahlreiche Erweckungen seien auf das Wirken des Komitees zurückzuführen. Etwa 200 Gemeinden und viele Vereine hatten Kollekten für den YMCA erhoben. Eine Druckschrift über die Vereinsarbeit war mit einer Auflage von 16.000 Exemplaren verbreitet worden, 45.000 Circulare berichteten über Teile der Arbeit. Für die Presse gab man 4.000 Notizen, insgesamt 7.000 Briefe wurden die Vereinsarbeit betreffend geschrieben.17 Die 6. National-Convention des Nationalbundes Deutscher Christlicher Jünglingsvereine fand schließlich vom 8. bis 10. Juli in Cincinnati statt. Die Beteiligung von außerhalb der Stadt war trotz des Aufrufs Schlümbachs aber nur sehr gering. Die Verhandlungen unter der »leitende[n] Seele« Friedrich von Schlümbach, der als Generalsekretär wiedergewählt wurde, verliefen harmonisch und brachten die Arbeit voran, wenngleich noch vieles »zu wünschen übrig [bleibt], denn die christliche Jünglingsvereinssache unter den deutschen Christen Amerikas ist erst noch im Werden«. Es dürfte allerdings eher so gewesen sein, dass der Nationalbund als eigenständige Größe seinen Zenit bereits überschritten hatte. Dafür spricht auch, dass man beschloss, in Zukunft nur noch alle zwei Jahre zu tagen und dies immer in Verbindung mit der Internationalen Convention des YMCA. Die nächste Sitzung sollte daher erst 1881 in Cleveland stattfinden.18 In seinem persönlichen Bericht von der National-Convention erläuterte Schlümbach vor allem das Verhältnis des Nationalbundes zum YMCA. Zu-

16 Vgl. [o. N.:] Convention der christlichen Jünglings-Vereine. In: CA 1879, S. 223. Bei der Tagung war auch Dwight Lyman Moody anwesend; vgl. das auf den 22. 5. 1879 datierte großformatige Druckstück im Folder »D. L. Moody & the YMCA 1879« (Langsdale Library, Ser. IX Box 4). 17 Vgl. [o. N.:] Convention der christlichen Jünglings-Vereine. In: CA 1879, S. 223. 18 Vgl. [o. N.:] National Bund der deutschen christlichen Jünglings-Vereine. In: CA 1879, S. 220.

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nächst verlieh er aber seiner Freude Ausdruck, dass an der Convention immerhin mehr Teilnehmer anwesend waren als von ihm erwartet. Denn eine Erfahrung, die er in all den Jahren mit dem deutsch-amerikanischen Christentum gemacht habe, sei, dass eine große Zurückhaltung bestehe, wenn es bei einer Sache nicht direkt um den positiven Nutzen für die eigene Kirche gehe, sondern das »allgemeine Wohl« im Blick sei. Angesichts der doch beschränkten Kräfte könne man im Rückblick freudig ausrufen: »Herr, du bist wahrlich in den Schwachen mächtig, denn Großes hast du bisher an uns und durch uns gethan!«19 Die Konferenz habe aufs neue erwiesen, dass es sich bei der gemeinsamen Arbeit vor allem ums »praktische Handeln dreht und weniger um’s Theorisiren«. Eine wichtige Frucht dieser Erkenntnis sei, junge Männer auch wirklich gemäß ihrer Gaben praktisch in den Vereinen einzusetzen. Nur so ließe sich erfolgreich dahingehend arbeiten, die Vereine »zu einer Schule praktischer, christlicher Liebesarbeit unter der Jugend zu machen«. Auf den Nationalbund insgesamt bezogen habe man die embryonale Phase nun verlassen und sei in die achtjährige Schulzeit eingetreten, um heranzureifen und dem »gesammten christlichen Deutschthum zum reichsten Segen [zu] werden«20. Gerüchten, der Nationalbund habe sich aufgelöst und sei in das amerikanische Werk einverleibt worden, trat Schlümbach mit dem Argument entgegen, dass dies schon formal gar nicht möglich sei. Vielmehr habe man im deutschen Nationalbund eine »Wahrheit« erkannt und sei ihr gefolgt. Konkret heißt das, dass sich auch der Nationalbund die Prinzipien des weltweiten YMCA zueigen gemacht habe und seine besondere Aufgabe nur darin sehe, sich an die deutsch-amerikanische Jugend zu wenden. Erst hier, Ende der 1870er Jahre, findet sich also eine deutliche Adaption des amerikanischen YMCA-Modells für die deutschsprachigen Vereine. Die praktische Arbeit wiederum sei nur möglich gewesen, weil er selbst als Generalsekretär des Bundes vom Internationalen Komitee bezuschusst worden sei. Ein solch »unklares« Verhältnis habe man als für die Zukunft nicht förderlich angesehen und darum einstimmig entschieden, das deutsche Werk wie die anderen Arbeitszweige des Internationalen Komitees mit seinen eigenen Beamten arbeiten zu lassen, den Bundessekretär aber als »das den Zweig mit dem Ganzen vermittelnde Glied« zu betrachten, wozu gehöre, dass dieser in seiner engen Verbindung mit dem International Committee »als der von jenen erwählte Agitator unter den Deutschen ex officio anerkannt werde«. Dadurch konnte »viel unnöthige Maschinerie und möglicher Weise spätere Eifersüchtelei« umgangen werden. Der Bundessekretär sei nun außerdem in 19 F. v. Schlümbach: Die 6. National-Convention der deutschen christlichen Jünglings-Vereine Amerikas. In: CA 1879, S. 234–235, dort 234. 20 F. v. Schlümbach: Die 6. National-Convention der deutschen christlichen Jünglings-Vereine Amerikas. In: CA 1879, S. 234–235, dort 234.

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seiner Position gestärkt worden, da er mit der »amerikanischen Central-Behörde« im Rücken sicher einflussreichere Arbeit leisten könne. Dass das Internationale Komitee ungebührlich in den deutschen Bund eingreifen könnte, hielt Schlümbach aufgrund seiner Erfahrungen für nicht realistisch. »Das internationale Commitee garantirt uns eine völlig freie Handlungsweise, so lange wir nur das Eine, welches Noth ist, im Auge behalten, und ihnen durch ihren dazu bestimmten Beamten beständig klare Mittheilung über unser Wirken abstatten; und auf der anderen Seite verbindet es uns auf’s Innigste mit allen Gleichgesinnten, unter allen Klassen der Jugend wirkenden Christen Amerikas und ermöglicht oft die Durchführung unserer Pläne, wo diese sonst rein unausführbar wären.«21

Eine in den Augen Schlümbachs wichtige Entscheidung der Konferenz war die Gründung von Bezirken, vor allem in und um Handelsstädte, mit dem Ziel, bessere »Propaganda« für das Werk machen zu können. Man hätte so ein mit Regelmäßigkeit arbeitendes Netz, außerdem würde die Zusammenstellung von Delegationen zur Convention erleichtert, wenn die Bezirke jeweils einfach ihren Sekretär entsenden könnten beziehungsweise diese sich auch jährlich mit den amerikanischen Generalsekretären träfen. Dies wäre eine gute Möglichkeit, »die Propaganda über’s ganze Land systematisch und gleichartig zu erhalten«. Als Nationalbund verstehe man sich keinesfalls elitär als die beste Lösung, die Jugend zu erreichen; daher sei zu hoffen, dass die derzeitigen Kritiker sich produktiv in die Zukunftsgestaltung einbrächten. Schlümbachs in der Arbeit gewonnen ekklesiologischen Prinzipien werden deutlich, wenn er schreibt, »daß wir in unserem Werke nur eine Kirche kennen und die heißt die Gemeinschaft der Gläubigen an Christi Jesu«. Um dem Werk eine noch segensreichere Zukunft zu sichern, hoffte Schlümbach, dass es in Zukunft in der kirchlichen Presse größere Beachtung finden würde. Schließlich gehe es darum, eines Sinnes darin zu sein, »die Jugend zu Jesu zu führen«.22 Mitte Juni 1879 wirkte Schlümbach in Minnesota, wo er an zwei Lagerversammlungen teilnahm und Vorträge hielt. »Der Herr half seinem Knechte, kurz, kräftig und gesalbt den ganzen Rath Gottes zu verkündigen. Sünder wurden erweckt und zu Gott bekehrt, und etliche der Kinder Gottes zeugten von einer tiefen Erfahrung im Christenthum, wissend, daß Jesu Blut von allen Sünden rein macht.«23 In den Folgetagen sprach Schlümbach vor einer großen Versammlung in Minneapolis über die Vereinssache und hielt in St. 21 F. v. Schlümbach: Die 6. National-Convention der deutschen christlichen Jünglings-Vereine Amerikas. In: CA 1879, S. 234–235, dort 234. 22 Vgl. F. v. Schlümbach: Die 6. National-Convention der deutschen christlichen JünglingsVereine Amerikas. In: CA 1879, S. 234–235, dort 235. 23 H. Boettcher: Die drei Lagerversammlungen auf dem St. Paul Distrikt. In: CA 1879, S. 242–243.

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Paul erneut seinen Vortrag über »Die Auferstehung Jesu Christi dem modernen Unglauben gegenüber«.24 In New Orleans wurde für den Winter 1879/1880 die Gründung eines deutschen christlichen Jünglingsvereins geplant, die Schlümbach begleiten sollte.25 Die Initiative ging von den Predigern der BMK aus, wurde aber von weiteren unionsgesinnten Predigern aufgenommen. Schlümbach traf am 11. Dezember 1879 dort ein. Allerdings konnte er nicht sofort mit der Arbeit beginnen, da er erst eine schwere Erkältung kurieren musste. Als Schlümbach einigermaßen gesundet war, begann er eine Reihe öffentlicher Versammlungen, um die deutschsprachige Bevölkerung der Stadt für die Sache zu interessieren. Die Themen seiner Vorträge waren: »Der Einfluß der deutsch-amerikanischen Jugend auf die Zukunft unseres Landes, die christliche Kirche in unsern Tagen und die Jünglinge von Amerika«, und »[d]er Einfluß der deutschen Christenheit auf die Zukunft unseres Landes, die deutschen christlichen Jünglings-Vereine Amerikas, ein Zeichen der Zeit, die Rettung der Jugend und ihre Hindernisse«. Neben diesen Versammlungen fanden interne Beratungen »zur Beförderung des Reiches Gottes unter den Deutschen hiesiger Stadt« mit den deutschen Predigern von New Orleans statt, die einen Geist der Einheit verspüren ließen, der für viele der Anwesenden offensichtlich so noch nie erlebt worden war. »Br. von Schlümbach war die Seele des Ganzen. Er bewies sich in seiner ganzen Thätigkeit, nicht nur als der ›umfangreiche‹, sondern auch als der inhaltsreiche Schlümbach. Es war ein wahrer Genuß, seinen Reden zu lauschen.«26 In den letzten Tagen von Schlümbachs Anwesenheit, etwa gegen den 20. Dezember, schritt man konkret zur Vereinsgründung. Entgegen allem »Zittern« und allem »Kleinglauben« wurde von zahlreichen jungen Männern ein lebensfähiger Verein gegründet. Bei diesem Verein handelte es sich bereits um den 64. von Schlümbach gegründeten und zum Nationalbund gehörigen. Die Vereine des Nationalbundes umfassten 1.500–2.000 Mitglieder, ihre ekklesiologische Verankerung sei zu verstehen – so hatte es wahrscheinlich Schlümbach formuliert – als »in der Kirche, für die Kirche und durch die Kirche«.27 Eine Abschiedsversammlung nach der zehntägigen Vereinstätigkeit in New Orleans fand am 21. Dezember in einer überfüllten Kirche statt. Schlümbach wählte als Grundlage seiner wohl eindrücklichen Abschiedsworte Eph. 6,10–19. Der Abschied fiel schwer, »hat er doch die Herzen Vieler gewonnen«. Die Wirkung der Arbeit Schlümbachs muss eine besondere 24 Vgl. H. Boettcher: Die drei Lagerversammlungen auf dem St. Paul Distrikt. In: CA 1879, S. 242–243, dort 243. 25 Vgl. D. Matthaei: Aus New Orleans. In: CA 1879, S. 291. 26 D. Matthäi: Festtage in New Orleans. In: CA 1880, S. 3. 27 D. Matthäi: Festtage in New Orleans. In: CA 1880, S. 3.

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gewesen sein: »Diese Tage waren für uns in Wahrheit Festtage, Tage des Segens und des Siegens und des Genusses. Ehe wir Abschied nahmen, sagte ein Br. Prediger zu mir, während Freudenthränen in seinen Augen strahlten: ›Br. Matthäi, es hat sich Vieles bei uns in der letzten Zeit geändert, viel Gutes ist geschehen, Gott hat Großes gethan. Gelobet sei sein Name!‹«28 5.3 Verhältnis zur Bischöflichen Methodistenkirche Schlümbach bemühte sich auf seinen Reisen, weiterhin Kontakt zu der Kirche zu halten, deren Prediger er nach wie vor – wenn auch freigestellt – war. So predigte er während seines Aufenthaltes in St. Louis im März 1879 auch mehrmals in Kirchen der BMK.29 In Mt. Vernon, Indiana, wo Schlümbach in seiner Funktion als YMCASekretär Station gemacht hatte, nutzte er die Gelegenheit, zu der vom 27. 5. 1879 an tagenden Louisville Distriktsversammlung der Bischöflichen Methodistenkirche hinzuzustoßen. An den Folgetagen brachte er sich vielfältig ein. Abends predigte er und hielt einen Vortrag. Darüber hinaus nahm er regen Anteil in den Konferenzverhandlungen: »seine offene und freie Mischung in Kritik und Besprechung der Referate und sein gesellschaftlicher Umgang [. . .] [gewann] die Herzen aller Brüder [. . .], deren innigen Gefühle nur matten Ausdruck fanden in den gefaßten Beschlüssen, welche zur Veröffentlichung im Christl. Apologeten bestimmt wurden.« Diese Beschlüsse lauteten wie folgt: »1. Beschlossen, daß wir als eine Distriktsversammlung hiermit bekunden, daß wir uns aufs herzlichste freuten, ihn in seinem Berufe in unserer Mitte sehen zu dürfen; und seine Gegenwart und Belehrungen uns zum großen Segen geworden sind. 2. Beschlossen, daß wir uns freuen, daß der Herr und die Kirche ihm den Weg gebahnt haben für das große und herrliche Werk als Generalbundessekretär der Jünglingsvereine von Amerika, und glauben, daß er der rechte Mann für diesen Posten ist. 3. Beschlossen, daß wir ihn in seinem Berufe allen unseren Brüdern und Amtsbrüdern aufs herzlichste empfehlen.«30

28 D. Matthäi: Festtage in New Orleans. In: CA 1880, S. 3. Aufgrund seines vielen Unterwegsseins räsonierte Schlümbach immer wieder über das Reisen an sich und empfahl des Lesern des Christlichen Apologeten die Bibel als »besten Reisegefährten«. Dort finde der Reisende Antwort auf die ihn manchmal umtreibende Ungewissheit seines äußeren Daseins. Gleichzeitig könne er einstimmen in das Lob Gottes angesichts der vielen wunderbaren Eindrücke der Schöpfung. Letzteres tat Schlümbach auch selbst in einer langen, ungewöhnlich poetischen Passage innerhalb eines Artikels aus seiner Feder; vgl. F. v. S.[chlümbach]: Ein lieber Reisegefährte. In: CA 1879, S. 154. 29 Vgl. H. C. G.: Der deutsche christliche Jünglingsverein in St. Louis. In: CA 1879, S. 130. 30 J. C. Weidmann: Louisville Distrikts-Versammlung und Sonntagschul-Convention. In: CA 1879, S. 178.

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Im publizierten Bericht von der Distriktsversammlung wurde die Anwesenheit Schlümbachs an vorderster Stelle notiert, noch bevor man im Einzelnen auf den Verlauf der Versammlung einging.31 Dass man Schlümbachs Anwesenheit in dieser Weise würdigte, ist ein deutlicher Erweis seiner gewachsenen Bekanntheit und Popularität. Angesichts der nahenden Zentralkonferenz und seiner eigenen Erfahrungen auf den ausgedehnten Reisen skizzierte Schlümbach im Christlichen Apologeten seine Gedanken zu der Frage: »Was wird die Zukunft unserer Kirche sein und in wie weit bereiten wir uns vor, den sich vor uns entwickelnden und reisenden Dingen gerecht zu werden?« und hoffte, dadurch eine Diskussion anzuregen. Die Kirche, die er im Blick habe, sei »die deutsche bischöfliche Methodisten Kirche Amerikas«. In ihrer Geschichte sah Schlümbach Gott selbst am Werk, und je mehr er mit den »Vätern« dieser Kirche bekannt wurde, umso mehr wurde er von dieser Anschauung überzeugt. Diese Perspektive lasse ihn die Zukunft auch »mit ruhigem Blick ins Auge [. . .] fassen«. In historischer Perspektive sei der gottgegebene Auftrag der BMK darin zu sehen, »dem aus der siechen Staatskirche herüberströmenden Formenchristentum als ›Stern‹ und ›Sporn‹ zu dienen und der Welt, besonders dem eingewanderten Deutschthum im Allgemeinen, ein ›Salz‹ und ›Balsam‹ zu sein«. Solange die »Grundursachen« dieser Aufgabe fortbestünden, werde sich auch am entsprechenden Auftrag der BMK nichts ändern. Dennoch hätten sich Entwicklungen vollzogen – nicht im »Organismus« der Kirche als solchem, auch nicht im dogmatischen Bereich, sondern bei den Kirchengliedern –, die eine neue Zugangsweise erforderten. Diese Entwicklungen gingen sehr langsam vonstatten, seien aber für eine zukunftsgerichtete Perspektive unbedingt in Betracht zu ziehen. An zwei Punkten lasse sich eine im Verhältnis zur Vergangenheit gewandelte kirchliche Gegenwart ablesen: 1. An den bereits im Kontext der Kirche herangewachsenen und -wachsenden Kindern. 2. Am »junge[n] Deutsch-Amerikanismus« im Allgemeinen. Dabei argumentierte Schlümbach wie folgt: Der nicht-methodistische Deutsch-Protestantismus habe im Laufe der Zeit einen »ernsteren evangelischen Charakter« angenommen, wodurch der ursprüngliche Unterschied zwischen ihm und den methodistischen Kirchen geringer geworden sei. Damit einher gegangen sei ein numerisch schwächeres Wachstum in der BMK. Daher eröffne sich nun das neue Aufgabenfeld, für die mittlerweile zahlreichen methodistisch erzogenen Kinder und Jugendlichen verstärkt Sorge zu tragen. Angesichts dessen, dass die BMK bereits auf eine 50-jährige Geschichte zurückblicken könne, schätzte Schlüm-

31 Vgl. J. C. Weidmann: Louisville Distrikts-Versammlung und Sonntagschul-Convention. In: CA 1879, S. 178.

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bach die Zahl dieser Kinder und Enkel auf eine Viertelmillion. Die Zahl der heranwachsenden Jugend entspreche gegenwärtig in etwa der Zahl der übrigen Kirchenglieder und bringe mit ihren Anforderungen so manchen Prediger in Bedrängnis. Die Gründe für diese Bedrängnis liegen nach Schlümbach in allgemeinen kulturellen Einflüssen von außen. Zunächst skizziert Schlümbach seine Sicht des traditionellen deutsch-amerikanischen Methodismus: »Der deutsche Methodismus Amerikas trägt in sehr vielen Punkten, das wird nicht bezweifelt werden können, das Gepräge des alten deutschen Christenthums, und obgleich ein Theil, ein lebendiges Glied am Leib des rein amerikanischen Methodismus, hat er doch bis auf unsere Zeit seinen eigenthümlichen deutschen Charakter zu bewahren gewußt und zwar nur deßhalb, weil seine einzelnen Glieder den Grund-Charakter der deutschen Erziehung mit hereingebracht und beibehalten haben.«32

Die Dinge gestalteten sich nun anders, da die nachwachsende Generation anders als »wir Deutsche« ganz im »Amerikanismus« aufwachse; ein deutsches Familienleben könne zwar eine gewisse Bindung aufbauen, aber ein Besuch im Vaterland zeige, wie sehr man bereits »von der Väter Weise« abgewichen sei. Im Bezug auf die Kirche behielten die Jugendlichen zwar oft eine gewisse »Pietät« ihr gegenüber, die sich im Einzelnen aber sehr locker gestalte. Die Bedrängnis entstehe, wenn man ihren Bedürfnissen gerecht werden wolle, da diese kompliziert und vielschichtig seien. So sei zunächst die Sprachbarriere in Anschlag zu bringen. Denn die meisten deutschstämmigen Jugendlichen verhielten sich in deutschsprachigen religiösen Versammlungen äußerst zurückhaltend, da ihre Ausdruckskraft im Deutschen ihrem Empfinden nach beschränkt sei. Erlaube man ihnen, sich auf Englisch – der Sprache, die sie auch sonst meist unter der Woche sprächen – zu äußern, kämen meist gute und tiefgehende Beiträge. Schlümbach ist erstaunt, wie viele deutsche Kinder er überall im Land in englischsprachigen Sonntagsschulen und Gemeinden angetroffen habe. Eine große Zahl methodistisch erzogener Deutsch-Amerikaner kehre der Kirche aber auch ganz den Rücken. Und hier berührten sich die Punkte 1 und 2: »verstehen wir nicht die in unserer Mitte großgewordenen jungen Leute zu fesseln und in der Masse mit uns einzuverleiben, so werden wir erst recht Fiasco machen mit denen die ›draußen‹ aufgewachsen sind und das ganze Elend der leichtsinnigen deutsch-amerikanischen Lebensweise von Mutterbrust an eingesogen haben«33. Die Jugendarbeit innerhalb der Gemeinden, die zuletzt ja auch Hauptort der Jünglingsvereinsarbeit gewesen war, wird nun zum Übungsplatz für die Sendung nach außen zum Deutsch-Amerikanismus insgesamt. Dass die Jünglingsvereinssache so geringe Fortschritte mache, liege daran, dass die passenden Mittel und fähige junge Mitarbeiter fehlten, »um die 32 33

F. v. Schlümbach: Der deutsche Methodismus und seine Zukunft. In: CA 1879, S. 250. F. v. Schlümbach: Der deutsche Methodismus und seine Zukunft. In: CA 1879, S. 250.

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deutsch-amerikanische Jugend zu locken und zu reizen«. Man müsse sich dabei anderer Mittel bedienen als die amerikanischen Vereine, denn gegenüber den dort zur Verfügung stehenden Mitteln könne man in direkter Konkurrenz nur verlieren. Da die Erfahrung zeige, dass deutsche Jugendliche nicht dauerhaft in amerikanischen Vereinen und Gemeinden eine Heimat finden würden – »es wird nur Wenigen dort wirklich so recht heimisch zu Muthe« –, sei die gemeinsame Aufgabe, neue Mittel und Wege zu finden, gerade die deutsch-amerikanische Jugend anzusprechen. An dieser Stelle sieht Schlümbach den Methodismus in besonderer Verantwortung, sowohl die eigene Jugend als auch die Millionen nicht kirchlicher deutsch-amerikanischer Jugendlicher zu Christus zu führen. Das sei gegenwärtig eine größere Herausforderung als die Mission unter der geringer werdenden Einwanderung, die natürlich auch nicht vernachlässigt werden dürfe.34 Auch seine eigene Kirche sah Schlümbach also im Kontext dessen, was ihm in seiner täglichen Arbeit begegnete und woraus er ihr ihre Hauptaufgabe zuwies. Zur Überraschung und Freude seiner Predigerkollegen erschien bei der Südlichen Deutschen Konferenz vom 27.–30. 11. 1879 auch Friedrich von Schlümbach in Industry, Texas. »Wenn er auch des Jahres über seine 18,000 Meilen im ganzen Land umher zurückgelegt hat, und rastlos thätig war für das besondere Werk, dazu ihn Gott ausersehen hat, so zog’s ihn doch zur Conferenz wieder ›heim‹ in den ›sonnigen Süden‹. Ein echter MethodistenPrediger bleibt eben doch ein Methodistenprediger.« Aufgrund der Berichte von seiner Arbeit beschloss die Konferenz, Schlümbach für ein weiteres Jahr vom Predigtamt freizustellen, damit er sich ganz der Jünglingsvereinssache widmen zu können. Allerdings wurde von Schlümbach für das kommende Jahr eine Entscheidung erwartet, inwieweit die Konferenz ihn in den kommenden Jahren als ihren Mitarbeiter betrachten dürfe, oder ob er ganz – im Sinne einer Lebensaufgabe – in den Dienst der Jünglingsvereine treten wolle.35 Im April 1880 bekundete Schlümbach im Christlichen Apologeten ausführlich seine Unterstützung eines neuen, vom ehemaligen Bischof der Evangelischen Gemeinschaft Ruben Jäckel36 herausgegebenen methodistischen Blattes, der »evangelisch-theologischen Vierteljahrsschrift«. Er sah in ihm eine gute Ergänzung zu den Monatsblättern Haus und Herd und Evangelisches Magazin (lobend erwähnt werden auch die Wochenblätter Der Christliche Apologete, Der Christliche Botschafter und der Volksfreund der Amerikanischen Traktatgesellschaft). Erfreulicherweise sei die deutsch-amerikanische christliche Literatur nicht »hinter der Zeit«, sondern strebe »Vorwärts«, bezogen 34 Vgl. F. v. Schlümbach: Der deutsche Methodismus und seine Zukunft. In: CA 1879, S. 250. 35 E. F. Stroeter: Südliche deutsche Conferenz. In: CA 1879, S. 395. 36 Zu Ruben Jäckel (1827–1904) vgl. Voigt: Art. Jäckel.

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auf die Evangelisch-theologische Vierteljahrsschrift sei dies als ein »Vorwärts nach Innen« zu verstehen. Den großen Vorzug dieser Zeitschrift sah Schlümbach in der überdenominationellen Anlage, die auf eine breite Beteiligung hoffen und die »Spuren der Einzelbenennung« hoffentlich immer mehr zurücktreten lasse. Denn die Zeitschrift werde umso segensreicher sein, je mehr sie »frei vom Einzelnen, gebunden an’s Ganze« sich gebare; die Liebe, die das göttliche Zeichen der Einheit der Jünger Christi sei, könne durch diese Zeitschrift augenscheinlich bewiesen werden. Der die den Ansprüchen voll genügenden Artikel durchwehende Geist sei ein »gesunder« und der editorielle Teil »frisch, offen und positiv«. Ein deutschsprachiges Blatt dieser Art fülle eine schmerzlich empfundene Lücke und sei am ehesten mit dem englischen Quarterly zu vergleichen. Schlümbach regte außerdem an, eine »Rundschau« einzufügen, die einen Überblick über die verhandelten Themen der monatlichen deutschamerikanischen Predigerversammlungen in den größeren Städten gibt.37 Für die aktuelle Situation und die Not der Deutschen herrsche in den Kirchen aber weithin kein Sensorium. Vielmehr gehe das Leben in den halbleeren Gemeinden fort nach dem Motto: »Die Welt ist doch zu schlecht geworden; sie kommen ja nicht einmal mehr in unsere schönen Kirchen und staunen unsern Geschmack und Fürsorge für sie an, nach unserer Facon selig zu werden«. Einen Teil dieser Lethargie verortet Schlümbach bei den Predigern. Nicht die Kraft zum Predigen fehle, sondern die Liebe im Sinne von 1. Kor. 13,2, »die völlige Liebe, die brennende, aufopferungswillige, hingebende Liebe zu Gott und dem Nächsten«. Von daher sei Buße und Abkehr von aller Ichbezogenheit notwendig. Das schwerer wiegende Hindernis liege aber bei den Gläubigen der Kirche selbst. Bezogen auf die Propria des Methodismus mangele es an der »praktischen Durchführung der Lehre unserer Disciplin«. Die Lehrdifferenzen mit den anderen Kirchen seien zum Glück einem Geist der Einheit, der sein Zentrum in der gemeinsamen Evangeliumsverkündigung sehe, gewichen. »Die Klassen, die Betstunden, die Bibelstunden, die ernsten Hausgottesdienste das Traktatvertheilen, kurzum das Christenthum im Ernst, das uns den Spottnamen »Methodisten« eingetragen, das fehlt!«38 Schlümbach nahm Ende November/Anfang Dezember 1880 offenbar erneut an der Sitzung der Südlichen Deutschen Konferenz in Industry, Texas, teil, denn im Bericht wird gesagt, dass die Prediger vollzählig zusammengetreten seien. Bischof Haven bemühte sich um die deutsche Sprache, so dass – wohl entgegen mancher Forderungen – »kein Bedürfniß für einen

37 38

Vgl. F. v. Schlümbach: »Vorwärts!«. In: CA 1880, S. 131. F. v. Schlümbach: Narren! In: CA 1880, S. 286.

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deutschen Bischof« aufgekommen sei. Die Kirche in Galveston litt anscheinend immer noch unter drückenden Schuldenlasten. Der geringe Zuwachs an Kirchengliedern wird darauf zurückgeführt, dass »uns die rechte Salbung des heiligen Geistes fehlt«.39 Im Hinblick auf seine Stellung zur Konferenz entschied sich Schlümbach schließlich, sich »lokalisieren« zu lassen, also aus dem Verband der Reiseprediger der BMK auszuscheiden. Wahrscheinlich hatte er vorher darum bemüht, seinen Evangelistendienst organisatorisch in seine Kirche einbinden zu lassen, was aber nicht gelang.40 Seine Ordinationsrechte behielt er jedoch.41 5.4 Schlümbach und Moody – Evangelisation der amerikanischen Großstädte Dwight Lyman Moody war seit Anfang der 1870er Jahre die prägende Gestalt großstädtischer Evangelisation in den USA. Selber kein Theologe, sondern von Haus aus Geschäftsmann und eng mit dem YMCA verbunden, wirkte er durch groß angelegte Evangelisationskampagnen, die – privat finanziert und professionell beworben – eine breite Öffentlichkeit erreichten. Der Stil seiner Ansprachen war bibelorientiert und von leicht nachvollziehbarem Duktus, durchsetzt von Alltagserfahrungen und aus dem Leben gegriffenen Bildern. Durch seine oft massenhaft besuchten Veranstaltungen erreichte er so viele Menschen wie kein anderer Prediger vor ihm. Wesentlichen Anteil am Erfolg dieser Evangelisationen hatten die leicht mitzusingenden und emotional bewegenden Evangeliumslieder, die sein Begleiter Ira D. Sankey als Sänger und Harmoniumspieler inhaltlich passend in die Veranstaltungen einbettete. Seit 1875 – die Jahre 1873–1875 hatten sie auf einer Evangelisationskampagne durch Großbritannien geführt – evangelisierten die beiden in Großveranstaltungen im Osten der USA.42 Nach langen Anstrengungen war es den Predigern Clevelands gelungen, Moody und Sankey für eine Evangelisationskampagne zu gewinnen, die am 5. Oktober 1879 ihren Anfang nahm. In der Zeit davor fanden bereits Unionsversammlungen statt, um die Kampagne vorzubereiten. Bei dieser Gelegenheit wirkte auch Schlümbach in Cleveland. Im Bericht heißt es: »In einer dieser Versammlungen machte ›unser Fritz‹ (Fr. v. Schlümbach) auf besondere Einladung hin seine Erscheinung, und seine zeitgemäße Rede zündete in allen Her39 C. Urbantke: Die letzte Sitzung der Südlichen deutschen Konferenz. In: CA 1880, S. 393. 40 Er schreibt in CA 1884 Nr. 12, S. 4, dass er zahlreiche Korrespondenz über diese Frage geführt habe, sich aber durch seine Kirche in seiner Berufung als Evangelist eher gehindert als gefördert fühlte. 41 Vgl. Certificate of Location vom 24. 11. 1881 (Bridwell Library). 42 Zu Dwight L. Moody (1837–1899) vgl. v. a. Moody: Life; Findlay: Moody; Gundry: Love; Dorsett: Passion; zu Ira D. Sankey (1840–1908) die entsprechenden Angaben ebd.

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zen. Moody hat nie besser geredet. Neben uns saß Herr Ingersoll [. . .], er wischte sich eine Thräne aus dem Auge und sagte: ›Das ist ein deutscher Moody.‹ Möge er damit prophetisch angedeutet haben, was Gott dem deutschen Volke aus Gnade geben möchte. Moody selbst erkennt in ihm – wie wir später erfuhren – ein besonderes Werkzeug des Herrn. Mehrere Zeitungen dieses Staates bestanden darauf, ihm das Prädikat ›Bischof‹ beizulegen. Seiner Rede lagen die Schriftworte: Hebr. 13, 12.13, zu Grunde. Er legte besonderen Nachdruck auf das Hinausgehen außer der Lager [sic], um Jesu Schmach zu tragen.«43

Eine wirkliche Kooperation zwischen Schlümbach und Moody ergab sich Anfang 1880 in St. Louis, wo Moody schon länger evangelisierte. »Des Evangelisten Moody Wünsche in Bezug auf Br. Fr. von Schlümbach scheinen sich verwirklichen zu wollen«, heißt es im Christlichen Apologeten, wo Schlümbach nun erstmals als »deutscher Evangelist« bezeichnet wird44, was mehr und mehr Ausdruck seiner inneren Berufung werden sollte.45 Auch das Ev. Gemeindeblatt von St. Louis überschrieb seinen Artikel über Schlümbachs Arbeit mit »Ein deutscher Evangelist«.46 So wie seit einigen Monaten die Englischsprachigen Moody, so hätten nun die Deutschsprachigen seit zwei Wochen Schlümbach als Evangelisten in der Stadt. Schlümbach eröffnete seine Tätigkeit in der großen Mercantile Library Hall. Auch Moody und Sankey waren anwesend. Nachdem man einige Lieder gesungen hatte und ein Gebet gesprochen war, betete auch Moody. Sankey sang ein Solo auf Englisch, auf das die Versammlung jeweils mit einem deutschen Chorus antwortete. Schlümbach sprach danach über »Die Philosophie und das Christenthum«. Einleitend bemerkte Schlümbach, dass Philosophie nichts sei, wovor ein Christ sich fürchten müsse; vielmehr gehe es darum, alles zu prüfen und das Gute zu behalten. In einer philosophiegeschichtlichen Einleitung skizzierte Schlümbach die antike Philosophie so, dass sie nach »dem Ursprung, der Erschaffung der Welt, nach der Bestimmung des Menschen« gefragt und vieles erkannt habe. Die neuere Philosophie hingegen beschäftige sich vor allem mit dem »Seelenleben« und sei bemüht, das Christentum zu destruieren –

43 [X.:] Moody und Sankey in Cleveland. I. In: CA 1879, S. 353. In diesem Bericht wird auch aus der Vorrede einer Predigtsammlung des Prälaten Kapff zitiert, in der er einige Maximen festhält, nach denen auch Moody (und Schlümbach?) arbeitet: »Manches, was ich da aus Natur, Geschichte, Zeitung und Erfahrung beitrage und das manchen Leuten nicht zur Kanzel zu passen scheint, erklärt sich aus dem Streben, in’s Leben einzugehen; denen, die nicht zur Kirchenthür hereinwollen, eine Staffel herzustellen, daß der Sprung ihnen nicht zu schwer wird«. 44 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 44. 45 Auch wenn Moody und Schlümbach in Kontakt waren, ergaben die Repertorien der großen Korrespondenzsammlungen Moodys keinen Hinweis auf brieflichen Austausch zwischen den beiden. 46 Vgl. [o.N.:] Ein deutscher Evangelist. (Aus dem Ev. Gemeindeblatt für St. Louis.) In: CA 1880, S. 50.

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was ihr genau so wenig gelungen sei wie der ganz aktuellen Philosophie eines Schopenhauer oder Hartmann. Die Grundfrage, die sich Schlümbach angesichts dieser philosophischen Entwürfe stellte, war diese: »Sind diese Leute mit ihrer pessimistischen [. . .] Lebensanschauung glücklich?« Seine Antwort: »Nein, sie sind es nicht, ihre Aussprüche beweisen es.« Sein Fazit, bezogen auf die Zielrichtung von Philosophie überhaupt, lautet: »Eine Philosophie aber, die nicht glücklich macht, ist nichts werth«. Dieser dunklen Folie stellte Schlümbach nun die »wahre Philosophie« gegenüber. Darunter verstand er eine an Christus orientierte Lebenssicht. Denn in ihm habe sich Gott »vollkommen offenbart«, in ihm sei die »volle Wahrheit« erschienen. Wer nun im Glauben in dieser Wahrheit lebe, empfinde dabei das »höchste Glück«, immer tiefer in sie einzudringen.47 In St. Louis hielt Schlümbach täglich – bis auf Samstag – nachmittags um halb drei eine Bibelstunde in der Wash Street Methodistenkirche und abends – ebenfalls bis auf Samstag – eine Predigt in wechselnden Kirchen. Die Versammlungen waren gut besucht und fanden Unterstützung sowohl von den Predigern, die ihre Kirchen bereitwillig zur Verfügung stellten, als auch von den Gliedern der deutschen evangelischen Kirchen in St. Louis. In diesem Zusammenhang fanden auch Beratungen mit Schlümbach statt, wie seine Arbeit am besten zu unterstützen sei.48 Der St. Louis Daily Globe, der regelmäßig ausführlich von den englischen Versammlungen unter Moody berichtete, erwähnte wohlwollend auch Schlümbachs Arbeit, den er als »the German Moody« betitelte.49 Der Central Christian Advocate hob ebenfalls die für die deutschen Gemeinden in St. Louis segensreiche Tätigkeit Schlümbachs hervor. Was die Menschen berühre, sei »die Wärme und Einfachheit seines Vortrags«. Man spüre ihm seine Leidenschaft, Menschen zu Christus zu führen, ab.50 Moody wiederum griff die erfolgreiche Arbeit Schlümbachs in seinen Versammlungen auf und sprach davon, dass »Gott seinen Geist [. . .] auf die Deutschen in St. Louis [ausgegossen habe]«. Außerdem gedachte er immer wieder in Fürbitte der Arbeit unter den Deutschen.51 Als Moody an einem Tag zu heiser zum Predigen war, ersuchte er Schlümbach, ihn zu vertreten. Schlümbach nutzte die Gelegenheit, in dieser englischsprachigen Versammlung seine Bekehrungsgeschichte zu erzählen, 47 Vgl. [o.N.:] Ein deutscher Evangelist. (Aus dem Ev. Gemeindeblatt für St. Louis.) In: CA 1880, S. 50. 48 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 44. 49 Vgl. St. Louis Globe-Democrat vom 16. 1. 1880, wo auf S. 5. unter der Überschrift »The German Moody« von der Ankunft Schlümbachs in der Stadt berichtet wird; diese Überschrift wurde auch für weitere Berichte von der Arbeit Schlümbachs beibehalten. Vgl. auch Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 44. 50 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 68. 51 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 44.

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was auf allgemeines Interesse stieß. Er erzählte sie wohl auf ausdrückliches Verlangen Moodys hin. Der Eindruck war so ein großer, dass der St. Louis Globe die Rede vollständig wiedergab.52 Die Redaktion des Christlichen Apologeten verzichtete auf eine Übersetzung, da sie darauf hoffte, dass Schlümbach die Geschichte bald auf Deutsch erzählen werde, in den Watchman wurde sie aber übernommen.53 Doch Schlümbach hielt nicht nur im eigentlichen Sinne evangelistische Vorträge. So sprach er auch über »Die Deutschen in Amerika und ihr Einfluß auf die Zukunft dieses Landes«. Zunächst wies er hin auf den großen »Umschwung«, dass noch vor 20 Jahren die Deutschen in Amerika eher eine untergeordnete Rolle gespielt hätten, während sie nun einen großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einfluss besäßen. In dieser Situation sei es erforderlich, treu an den Geboten Gottes festzuhalten. Diese Haltung zeige sich auch in der Losung Wilhelms und Bismarcks: »Gott die Ehre!«, was Schlümbach als »deutsche Frömmigkeit« bezeichnet. Diese wiederum könne ein gutes Bindemittel zu den Amerikanern sein, denn Amerika sei das »Land des Protestantismus«, das – geeint in einem antirömischen Affekt – von den frommen Deutschen in seinem weiteren Geschick entscheidend mit bestimmt werden könne.54 Die Dynamik wird deutlich, die sich für den Deutsch-Amerikanismus nach der Reichsgründung 1871 ergeben hatte. Auch im Februar und März waren die Versammlungen Schlümbachs gut besucht.55 Schlümbachs Kollege R. Brück hatte zu dieser Zeit für zwei Wochen Gelegenheit, Schlümbach in St. Louis zu erleben, da er im März auf Kollektenreise für die Texas-Konferenz war. Zusammen mit Moody und Sankey, so Brück, leiste Schlümbach Großes in der Stadt. Die von Tausenden besuchten Evangelisationsveranstaltungen seien sehr eindrücklich. Auch »unserem robusten Br. Fritz« machten die damit verbundenen Anstrengungen zwar mitunter zu schaffen, aber er sei »freudig und selig in seinem Gott«. Wichtig sei, dass die Neubekehrten in die Kirchengemeinden eingegliedert würden. Zur Berufung eines Evangelisten bemerkt Brück: »So weit ich bis jetzt mit diesen Evangelisten bekannt geworden bin, hat sich in mir diese 52 Vgl. St. Louis Globe-Democrat vom 19. 2. 1880, S. 5. Interessant an dieser – seltenen – Wiedergabe einer Rede Schlümbachs sind die eingestreuten Reaktionen des Publikums (»[Laughter.]«, »[›Hear, hear.‹]«). In seiner Schlussbemerkung in dieser Versammlung rechnete Moody bereits damit, dass die Rede Schlümbachs in der Presse abgedruckt werden würde und empfahl die Weitergabe des Artikels an »ungläubige« Bekannte der Anwesenden. Die durch Schlümbachs Rede Ergriffenen unter den letzteren lud er zu einer persönlichen Begegnung mit diesem im Anschluss an die Veranstaltung ein. 53 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 68. Offensichtlich war man sich nicht bewusst, dass die Geschichte bereits auf Deutsch veröffentlicht worden war. 54 Vgl. [o.N.:] Ein deutscher Evangelist. (Aus dem Ev. Gemeindeblatt für St. Louis.) In: CA 1880, S. 50. 55 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 68.

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Ueberzeugung befestigt, daß es ganz eigenthümliche Naturen sind, welche durch Gottes Geist geheiligt sein müssen«. Außerdem sei die Einheit des Geistes in aller Mannigfaltigkeit der Gaben eine wichtige Voraussetzung, um gemeinsam segensreich in einer Stadt wirken zu können.56 Allerdings gab es auch Anfeindungen gegen Schlümbach in der deutschen Presse der Stadt.57 Schlümbach selbst schreibt in diesem Zusammenhang an Wilhelm Nast von seiner Gemütsverfassung: »Es ist wunderbar, wie doch der liebe Gott alles so herrlich geordnet, Bahn gebrochen und zubereitet hat, so daß ich nur hinterher zu wallen brauche, aber mein Muth ist mir doch recht klein geworden, ich werde immer zaghafter, je größer das Werk vor mir auftaucht. Je mehr ich die Verantwortlichkeit empfinde, die auf mir ruht, desto kümmerlicher erscheine ich mir selbst, ich fürchte mich einen Schritt vorwärts zu thun und kann ehrlich sagen, was ich jetzt lebe, lebe ich ganz im Glauben an den Sohn Gottes, und stehe unter dem beständigen Regiment des Geistes Gottes, und wage nichts zu thun ohne Licht und Wort von Oben; ach, es ist so süß, ein Kind Gottes zu sein, und doch möchte mans auch recht machen, seinen Heiland ehren, und da lerne ich die Lection, Gehorsam ist besser als Opfer. Es war mir schon manchmal, als müsse ich fliehen, denn ich erkenne meine Ohnmacht, wenn ich das Werk betrachte, dann aber höre ich die Stimme des Hirten: ›Fürchte dich nicht, glaube nur‹, und in dieser Himmelsbotschaft zeuge ich vom Herrn. Das Volk kam herbei Tag für Tag, Nacht für Nacht, manchmal sind die Kirchen überfüllt und ich Armer weine in mir, daß ich nicht Brods genug habe, die Vielen zu speisen, und da bringe ich eben die paar Fischlein herbei und Jesus segnet es. Der arme blinde Teufel hilft nun gottlob auch noch dazu, daß das Wirken ein gesegnetes ist; er macht die Seinen wild und böse und seine Zeitungsschreiber gehen nun ins Geschirr und werfen mit Koth und Steinen und spotten sich eins und ich weiß gar nicht vor Freude genug zu danken, daß mich der liebe Heiland so würdigt. Der Glaube an Christum hat doch recht eigenthümliche Wirkungen in des Menschen Herz und Sinn; was ich früher für unerträglich geachtet hätte, ist mir jetzt Seligkeit. Alle evangelischen Prediger der Stadt, ausgenommen die der Missouri-Synode, stehen mir treulich und einmüthiglich zur Seite. Nun, Gott wolle alles lenken nach seinem Wohlgefallen! Ich bin willig zu wirken, wie und wo der Herr will, ich weiß, ich bin ganz sein!!«58

Vom 25. Mai bis zum 7. Juni 1880 hielt sich Schlümbach im Interesse der Jünglingsvereinssache in Louisville auf, wo in dieser Zeit auch die DistriktsConvention der Vereine in Cincinnati, Louisville und Indianapolis gehalten wurde. Schlümbach hielt tagsüber Versammlungen und predigte abends in gut gefüllten Kirchen. Am Freitag, dem 4. Juni hielt er abends einen Vortrag über die »irreligiösen« Deutschen in Amerika und wie sie »für den Herrn gewonnen« werden können. Schlümbach malte wohl den Zuhörern eindrücklich vor Augen, wie »furchtbar« der Zustand der vielen Tausend gottent56 57 58

Vgl. R. Brueck: Noch Etwas aus St. Louis. In: CA 1880, S. 102. Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 44. Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 44.

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fremdeten Deutschen sei. Es sei zu deren Rettung notwendig, dass alle Glieder der Kirchen und Vereine dahingehend tätig würden. Die Prediger Louisvilles ersuchten Schlümbach, am 6. Juni die Geschichte seiner Bekehrung zu erzählen. Dies tat er in der Kirche an der Ecke Market und Clay Street vor über 1.400 Zuhörern. Für seinen Vortrag brauchte Schlümbach fast eine Stunde, die Wirkung scheint außerordentlich gewesen zu sein: »Seine Rede floß wie ein Strom. Vor uns stand das beglückte Kind, der begeisterte Jüngling; fort wandert er von des Vaters Hause und von Gott, hinunter gehts in die Tiefe des Verderbens, mächtig unbeschreiblich ist die Gnade Gottes, die ihn rettet, der Sohn in des Vaters Hause und beider Glückseligkeit. Die Versammlung folgt erstens mit gespannter Aufmerksamkeit, endlich in Thränen, ja hunderte sind aufs Tiefste bewegt. Der Eindruck war geradezu überwältigend.«59

Man hoffte, dass Schlümbach seine Tätigkeit in Louisville eines Tages fortsetzen werde, denn »der Herr hat ihn ohne Zweifel ausersehen als Evangelist zu arbeiten in den Jünglingsvereinen und in den verschiedenen Gemeinden«. Fremdwahrnehmung und Selbstverständnis Schlümbachs waren kongruent. Ende Juli 1880 plante Schlümbach an der Cincinnati-Lagerversammlung teilzunehmen und am 25. nachmittags eine spezielle Versammlung bezüglich der Jünglingsvereinssache zu halten.60 Die Cincinnati-Lagerversammlung fand vom 22.–29. Juli auf dem Cincinnati-Lagergrund, einem eigens für diese Zwecke hergerichteten und befestigten Plateau oberhalb des Little Miami River eine Meile entfernt von Loveland statt, wohin man bequem mit der Bahn gelangen konnte. Es befand sich dort eine Kapelle, die vielen im Obergeschoss als Schlafstätte diente, außerdem waren von den Organisatoren sechs Zelte aufgebaut worden. Mehr als zwanzig deutsch- und englischsprachige Prediger nahmen an der Versammlung teil, daneben einige Hundert Besucher. Schlümbach hielt an jedem Nachmittag eine Bibelstunde. Am Sonntag leitete Schlümbach ein »Unions-Liebesfest«, zum dem er in morgendlicher Prozession die Deutschen führte. Bei diesem Liebesfest wechselten sich deutsche und englische Beiträge und Lieder ab. Am Nachmittag hielt Schlümbach eine Kinder- und Jugendversammlung, bei der er in eindringlicher Weise über den Vers: »Fliehet die Lüste der Jugend, jage aber nach der Gerechtigkeit, dem Glauben, der Liebe und dem Frieden« sprach. Am Montagabend erzählte Schlümbach seine Bekehrungsgeschichte »mit einem überwältigenden Eindruck«. Ein Novum in den Berichten über seine Tätigkeit – später sollte es zu einem Charakteristikum werden – war ein einleitender Sologesang Schlümbachs. Er trug »Where is my boy to-night?« in der Übersetzung Ernst Gebhardts 59 60

G. Trefz: Aus Louisville, Ky. In: CA 1880, S. 194. Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 228.

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vor. Unter dem Eindruck seiner Ausführungen wird Schlümbach im Bericht als »Denkmal Gottes«, als »Evangelist, wozu der Herr ihn ausgerüstet hat« und als »auserwählte[s] Rüstzeug« bezeichnet.61 Das Thema der Situation der Jugend zog sich bei der Lagerversammlung immer wieder durch die Ansprachen Schlümbachs. Um es den Jugendlichen eindrücklich zu machen, welche Gefahren ihnen im täglichen Leben lauerten, verteilte Schlümbach mehrere Karten mit einem wahrscheinlich von ihm selbst stammenden Aufdruck. Was in leichten Versen daher kommt, beinhaltet eine einer strikten Heiligungsidee entspringende fortdauernde Selbstprüfung: »›Sei täglich in der Furcht des Herrn!‹ Spr. 23, 17. Wenn du denkst oder sprichst, wenn du liest oder schreibst, Wenn du singst oder sonstwie die Zeit dir vertreibst, So hüt’ dich vor Unrecht, daheim oder fern, Leb’ immer als unter dem Auge des Herrn! Was immer du liest, wie verlockend’s auch scheint, Lies ja Nichts (oh, es ist aufrichtig gemeint), Wo vor Scham und Bestürzung dein Herz würde matt, Wenn Gott plötzlich spräche: Zeige mir dieses Blatt! Was immer du denkst, denke Nichts, dir bewußt, Wenn’s vor Gott offenbar, du erröthen nur mußt, Was du redest (gar Mancher ist hierin bethört), Rede Nichts, was du nicht möchtest, daß Jesus es hört! Was du schreibst, sei’s nur flüchtig oder sorgfältig schön, Schreibe ja nichts, was nicht auch dein Jesus darf seh’n! Was immer du singest inmitten der Freuden, Singe Nichts, was Sein lauschend Ohr nicht mag leiden! Wohin du auch gehst, bedenke doch sehr, Daß Gott möchte fragen: Wie kommst du hierher? Genieß’ kein Vergnügen, erstreb’ keine Freud’, Wo Gott nicht kann sagen: Was machst du denn heut’? (2. Petri 3, 11–14.)«62

Die problematische Einseitigkeit solch einer ständigen selbstkritischen Introspektion ist offensichtlich. Seinen Dienst als Evangelist und die Verankerung dieses Dienstes in der Kirche reflektierte Schlümbach in einem Artikel Anfang September 1880 unter dem Titel »Narren!«. »Narren« insofern, als es ihm bei der Beschreibung der Ausgangssituation um eine Haltung ging, die von außen oft verspottet wurde – wie etwa bei Noah oder Simeon –, nämlich sich unbeirrt auf Gott auszurichten. Für Schlümbach hieß das konkret, mit der nahen 61 62

Vgl. [o.N.:] Cincinnati Lagerversammlung. In: CA 1880, S. 244. Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 244.

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Wiederkunft des Herrn in jedem Augenblick zu rechnen. Dabei empfand er sich nicht als allein, vielmehr glaubten immer mehr das, was in Apg. 1,11; 1. Thess. 5,1–11 und 2. Petr. 3,10–14 geschrieben steht. Er freute sich, dass in diesem Sinn viele zu »Narren« würden und sich bereit machten und hielten für die Wiederkunft Christi. Hier ist ein deutlich neuer Akzent im theologischen Denken Schlümbachs auszumachen. Hatten ihn bisher eschatologische Fragen nur wenig interessiert, rückt er nun den Premilleniarismus in den Vordergrund, den auch Moody vertrat. Im Hinblick auf seine Wirksamkeit als Evangelist bedeutete dies, dass die Zeit, »meine lieben Menschen [. . .] vom Verderben [zu] retten« eventuell nicht mehr allzu lang sein würde und daher Handlungsbedarf bestand. Damit verbunden war aber auch die Frage an die Leser, ob sie aktiv auf den »Hülferuf« Verlorengehender reagierten und ihre Leidenschaft dafür brenne, diese zu retten. Denn wenn man hinausgehe »in’s freie volle Volksleben«, dann seien solche Hilferufe allenthalben zu hören, nur kranke das gegenwärtige Christentum eben daran, nicht hinauszugehen, sondern sich auf die eigenen Kirchenwände zu beschränken, ein »pharisäische[s] Abschließen von der Welt«, das die »Fragenden, Forschenden und Suchenden (Ap. Gesch. 8,27 u. 28)« erst gar nicht mehr wahrnimmt. Anders als vor 10 bis 15 Jahren merkten die Deutschen in Amerika, dass die Führer des »Unglaubens« keine wirkliche Hilfe bieten würden, daher werde gefragt wie in Joh. 7,11: »Wo ist der wahre Retter und Seligmacher, weißt du wer er ist?« Ausgangspunkt für eine langfristige missionarische Tätigkeit müssten die einzelnen Kirchengemeinden sein. Man halte Lagerversammlungen oder anhaltende Versammlungen für ausreichend, ohne deren oft wenig nachhaltigen Charakter wahrzunehmen. Oder man rufe Evangelisten, um die Sache wieder neu in Gang zu bringen. Doch der Erfolg eines wahren Evangelisten beruhe darauf, »daß die einzelnen Gläubigen der verschiedenen Kirchen willig sind, die ihnen angewiesene Arbeit zu thun; gehen die nicht daran, einzuladen, zu wirken und zu beten Tag und Nacht, dann kann selbst ein Engel vom Himmel gesandt unter den Menschen nichts ausrichten.« Schlümbach lädt daher jeden ein, miteinander zu probieren, »den Herrn an uns, durch uns und mit uns wirken zu lassen«. Zwei Dinge seien dafür notwendig: zum einen, an die unverhoffte Wiederkunft Jesu zu glauben, was zur Aktivität ansporne, zum anderen, zu glauben, dass man aus Gnaden selig sei, und deshalb nicht auf sich schauen müsse, sondern die persönlichen Belange von Gott getragen wisse und man sich daher ganz der Aufgabe verschreiben könne, die Mitmenschen zu Jesus zu führen. Die persönlichen Schritte sähen wie folgt aus: 1. Das Wort Gottes im eigenen Haushalt zum täglichen Gesprächsthema machen. 2. In allem, was man tut, im Kontakt mit Gott sein.

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3. Vom Prediger Traktate erbitten und diese auf der Straße, bei Besuchen, auf Reisen etc. verteilen. 4. Keine Versammlungen verpassen, vor allem nicht die Klassen. Sie seien die beste Anleitung zu einem fruchtbaren Frömmigkeitsleben. »Auf ihr Methodistengeschwister, richtet die Klassen auf«. Allen Endzeitberechnungen erteilte Schlümbach eine klare Absage. Es komme lediglich darauf an, seinen Blickwinkel durch die Erwartung einer baldigen Parusie ändern zu lassen. Schlümbach war davon überzeugt, dass man durch solch eine Perspektivverschiebung nicht nur zu einem besseren Christen, sondern auch zu einem besseren Familienmenschen, einem besseren Geschäftsmann und Mitmenschen werde. »Liebst du deinen Heiland wahrhaftig, dann komme und beweise es durch die That. Er will, daß allen Menschen geholfen werde, sei denn sein Botschafter zu deinem Nebenmenschen, wirke so lange es Heute heißt!«63 Ende Oktober 1880 wirkte Schlümbach in Boston, wo er im Tremont Temple die Geschichte seiner Bekehrung erzählte. Der Zions Herald schreibt darüber: »Unser Raum gestattet uns nicht, auch nur den kleinsten Auszug aus dieser merkwürdigen und pathetischen Erfahrung zu machen, aber die schlagende und ernste Weise des Redners bestätigte vollkommen die Reputation, welche ihm vorausgegangen war und die ihn als ›den deutschen Moody des Westens‹ bezeichnete«.64 Interessant ist hier, dass aus der Ostküstenperspektive Schlümbachs Hauptarbeitsfeld der Westen zu sein schien. Mitte November besuchte Schlümbach Sandusky, um die Jünglingsvereinssache zu unterstützen. Er predigte über 1. Kor. 1,21, erzählte die Geschichte seiner Bekehrung und hielt mehrere weitere Ansprachen, von denen einiges wiedergegeben wird: »Arbeit für den Herrn und die Schmach Christi zu tragen sind Grundprinzipien der göttlichen Heilsökonomie, welche mit wahrem Christenthum unzertrennlich verbunden sind. Arbeit! und auch noch Schmach? Ist das der Lohn? schlechte Philosophie! Aber so ist’s; seit dem Sündenfall ist es der allweise Wille Gottes, es zuzulassen, daß die treusten Arbeiter oft die größte Schmach zu tragen haben. So ging es den Patriarchen und Propheten, so erfuhren es die Apostel und seither alle wahren Jünger des Herrn. Schmach ist in einem gewissen Sinn der Lohn ihrer Arbeit, aber mit Moses tragen sie lieber diese, als daß sie die zeitlichen Ergötzungen der Sünden genießen. Sie schauen auf die zukünftige, unaussprechlich herrliche Belohnung im Himmel. Das gibt ihnen immer Muth und Kraft. Manche Christenbekenner würden schon gerne arbeiten, aber sie fürchten sich Fanatiker, Mucker und thörichte Menschen geheißen zu werden. Sie gehen nur mit halbem Herzen an’s Werk und ach, das macht’s so schwer. Es fehlt ihnen die rechte Ausrüstung von Oben, ihr Herz und Gewissen ist nicht gänzlich von allen anklebenden Sünden gereinigt. Sie schleppen das Sündenbe63 64

F. v. Schlümbach: Narren! In: CA 1880, S. 286. Zit. nach Editorielle Notizen. In: CA 1880, S. 348.

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wußtsein mit sich herum und das lähmt ihre Thatkraft, macht sie wankelmüthig und zur rechten Arbeit unfähig. Der Psalmist bat Gott zuerst um die Reinigung seines Herzens – dann, sagt er, dann will ich die Uebertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren. Am eigenen Herzen muß die Arbeit beginnen, sonst geht’s nicht.«65

Zu den Hindernissen, die die Rettung der Jugend erschwerten, bemerkt Schlümbach: »Die jungen Leute im Allgemeinen haben im großen Maße die Achtung vor der Kirche und den Knechten Gottes verloren, und das ist kein Wunder, wenn die Eltern immer nur deren Fehler (und oft nur vermeintliche) hervorzuheben wissen. Väter, ich bitte euch, um Gotteswillen, wie kann der Prediger eure Kinder erreichen und zu Christo führen, wenn ihr seinen Einfluß verderbt!«

Die systematische Sorge für die Jugend sah Schlümbach offenbar schon in der »Theokratie des alten Bundes« vorgezeichnet, wo entsprechende Maßregeln in Geltung waren. »Fragt Jemand, was thun denn die ›christlichen Jünglingsvereine‹? so diene zur Antwort: Sie suchen wahres Christenthum über das Land zu verbreiten und besonders diejenige Klasse von Menschen zu erreichen, die die Kirche als solche nicht wohl erreichen kann. Sie reden mit ihren Altersgenossen, ermahnen sie ihre Versammlungen zu besuchen und in die Kirche zu gehen; suchen nützliche und christliche Literatur unter sie zu verbreiten – kurz, Alles zu thun, was zur moralischen und intellektuellen Hebung der Jugend dienlich ist. Auf diese Weise werden Tausende zu Christo gebracht. Kannst du in Anbetracht dieser Resultate noch fragen, ob sich’s lohne, der Sache Herz und Hand zu geben!? O Gott, wecke die träge Christenheit auf, mehr zu thun für die Retung unserer theuren Jugend!«66

Seinen Aufenthalt im Nordosten der USA nutzte Schlümbach auch, um dem Heimatort Moodys, in den dieser sich im Sommer zurückzuziehen pflegte und wo er eine Reihe von Bildungsmöglichkeiten geschaffen hatte, einen Besuch abzustatten. Northfield im Dreiländereck von Vermont, New Hampshire und Massachusetts war zu diesem Zeitpunkt vor allem Moodys wegen bekannt. So wies auch der Schaffner beim Aussteigen darauf hin: »Da drüben ist Moody’s Heimath«. Der erste Eindruck des Ortes auf Schlümbach war ein sehr idyllischer, die Hauptstraße bestand aus einer Allee mit sehr alten Bäumen und gepflegten Häusern. Das einzige Hotel des Ortes, in dem Schlümbach sich niederließ, machte einen »ganz bescheidenen, aber freundlichen« Eindruck auf ihn. Auf dem Weg zu Moodys Haus kam Schlümbach am Haus des Evangelisten Pentecost vorbei, der sich dort niedergelassen hat65 Zit. nach G. C. Ries: Eine Aufmunterung für das Werk christlicher Jünglings-Vereine. In: CA 1880, S. 369. 66 Zit. nach G. C. Ries: Eine Aufmunterung für das Werk christlicher Jünglings-Vereine. In: CA 1880, S. 369.

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te, um im Sommer im Kontakt mit den »lieben Brüdern« zu sein, was auch Schlümbach bereits ernsthaft erwogen habe. Moodys Anwesen mit dem Wohnhaus und den Farmgebäuden beschreibt Schlümbach als »einfach [. . .], aber lieblich«. Moody selbst war zurzeit nicht zu Hause, aber seine Ehefrau begrüßte – das jüngste Kind auf dem Arm – den Besucher herzlich. Auch von der restlichen Familie wurde Schlümbach sehr freundlich aufgenommen. »Wahrlich, das Musterbild eines christlichen Familienlebens ist hier zu finden, und nur höchst ungern reißt man sich von den Lieben los.« Einen besonderen Eindruck auf Schlümbach macht das Studierzimmer Moodys, in diesem »Sanctum« und »Eldorado« atmeten alle Gegenstände den Geist des Bewohners, zudem sei die Bibliothek eine vortreffliche. Das eigentliche »Bethel«, der Ort, an dem Moody mit seinem Gott ringe, sei aber eine nahe Waldschlucht. Schlümbach empfiehlt jedem Leser sich einen solchen Ort zu suchen, wo man in Ruhe mit Gott allein sein könne. Von den Erzeugnissen der Farm ließen die Moodys sehr großzügig Gaben an sozial Bedürftige ausgehen. Die noch relativ neu gegründeten Lehranstalten für Mädchen und nun auch für Jungen beeindruckten Schlümbach. Sein Bildungsideal für das weibliche Geschlecht war freilich von den Vorgaben seiner Zeit geprägt, wenn er schreibt, dass die Mädchen dort »zu praktischen Hausfrauendiensten« erzogen würden. Das Institut solle aber nach den Plänen Moodys auch noch eine zweite Aufgabe erfüllen, nämlich in den Sommermonaten – der unterrichtsfreien Zeit – als Zentrum und Bildungsstätte für die »Brüder Evangelisten« dienen. Einen Vorgeschmack darauf, wie segensreich so etwas sein könne, habe bereits eine zehntägige Versammlung im September gezeigt, an der Schlümbach selbst aber wahrscheinlich nicht hatte teilnehmen können. Die Rundfahrt durch die Gegend unternahm Schlümbach mit dem Bostoner Kaufmann Marshall, der als »rechte Hand« Moodys und wichtiger Financier in Northfield wirkte. Die neu eingerichtete Schule für Jungen ließ Schlümbach das Unternehmen im Blickwinkel seiner Vereinstätigkeit wahrnehmen: »Bald werden auch hier christliche Jünglinge heranwachsen, die ohne diese christliche Hülfe im Schlamme der Sünde der großen Städte untergegangen wären, nun aber nicht nur als christliche Männer wirken werden, sondern auch vielleicht Führer in Kirche und Staat abgeben können«. Abschließend konnte Schlümbach noch einen Besuch bei der Mutter Moodys in ihrem Haus machen, aus dem auch etwas über das Verhältnis Moodys zu Schlümbach deutlich wird. Sein Begleiter stellte Schlümbach mit den Worten vor: »Mutter, ich will dich nicht stören, will dir nur den deutschen Moody bringen«. Sie antwortete fröhlich: »Ich habe ihn schon lange erwartet, nun der ist ja noch dicker als Dwight«. Und fügte hinzu: »seinen Namen kann ich nicht nachsprechen«. Worauf Schlümbach antwortete: »Da geht es dir, lieb Mütterchen, gerade wie deinem Sohn, der läßt es auch

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bleiben«. Es schloss sich eine angeregte Unterhaltung über Dwight L. Moody an. Nach dem Gespräch stand Schlümbach ganz unter dem bewegenden Eindruck, dass in diesem einfachen Framehaus »durch die wunderbare Fügung Gottes [. . .] der einflußreichste Arbeiter im Weinberge des Herrn unter den Laien unserer Zeit« geboren ist.67 Vom 4. Dezember 1880 an hielt sich Schlümbach für zwei Wochen in New Orleans auf. Er begann seine Arbeit am folgenden Sonntag in der ihm bereits aus dem Jahr zuvor bekannten Kirche von D. Matthaei. Da Schlümbach in der Stadt bereits aus dieser Zeit und aus der Presse bekannt war, strömten die Menschen aus allen Stadtteilen zusammen, um diesen »Wundermann« – so die Berichterstattung – »über den Weg zur Seligkeit« reden zu hören. Der Bericht seines Kollegen Dosdall beschäftigt sich 1. mit den Zielen der Wirksamkeit Schlümbachs, 2. mit der Art und Weise seiner Tätigkeit und 3. mit dem Resultat seiner Arbeit. Als Ziel seines Wirkens wird formuliert, »die Glieder der verschiedenen Kirchen [. . .] aufzuwecken zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Pflichten als Christen, und dieselben zur Arbeit im Reiche Gottes aufzumuntern und anzuspornen«. Um Salz und Licht zu sein, reiche »die bloße Form der Gottseligkeit« nicht aus, vielmehr müsse man die »Kraft« derselben erfahren haben und beständig in sich wirken lassen. »Diese Kraft empfangen wir durch eine völlige Uebergabe an Gott oder durch eine gründliche Bekehrung und bewahren sie dadurch in der Seele, daß wir fortan in einem neuen Leben mit Christo wandeln, heilig leben, entschieden auf der Seite Gottes stehen und in Geduld laufen in dem Kampf, der uns verordnet ist«. Ein Christ solle sich fern von der Sünde halten und nicht in die gleiche Richtung laufen wie die »Welt« – und das nicht aus Angst vor Strafe, sondern aus Liebe zu Christus. Christus sei gestorben, um die Menschen von den »Folgen der Sünde zu erlösen«. Der Christ müsse die Sünde »verabscheuen«, und sein Leib als ein Tempel des heiligen Geistes dürfe keine Gemeinschaft mit der Welt haben. Das Fazit des Berichterstatters bezogen auf die Zielsetzung Schlümbachs war, dass er das eingangs formulierte Ziel nicht ganz erreicht habe, aber doch wichtiges in diese Richtung auf den Weg bringen konnte. Zur Art und Weise seiner Arbeit wird bemerkt, er habe die Evangelisation – so wird es trotz des eher innerkirchlichen Ziels genannt – nicht so »handwerksmäßig« gehandhabt wie viele seiner amerikanischen Kollegen. »Er trägt dem deutschen Charakter, deutscher Bildung und Erziehung besonders Rechnung. Er versteht und kennt sein Volk, unter dem er groß geworden, er kennt aber auch die tiefen Schäden in unserm sozialen und kirchlichen Wesen besser als tausend andere, die niemals solche Gelegenheit hatten wie er, in den Abgrund des Verderbens einen Blick zu thun. O, in welch herzlichen und ernsten Worten hat er vor

67

Vgl. F. v. Schlümbach: Ein Tag in Br. Moody’s Heimath. In: CA 1880, S. 378.

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dem Gemüth seiner Hörer das dunkle Schreckensbild der Sünden, an welchen unser Volk leidet und unsere Zeit kränkelt, entrollt und blosgestellt: die Trunksucht, Wollust, Fleischeslust, Unzucht, Unreinlichkeit in Worten und Schriften, die das Gemüth vergiften und endlich in Hurerei und Ehebruch enden, denn das ist der Fluch der bösen That, daß sie fortwirkend Böses muß gebären.«68

Die Sünde sei mit allen Mitteln zu bekämpfen, gerade auch im Hinblick darauf, dass der Teufel sich mit einer allgemeinen Lethargie in die Kirche eingeschlichen habe. Diese sei angesichts einer nicht mehr fernen Parusie verheerend. Als Methodist bekenne Schlümbach insofern Farbe, als dass er die »Fundamental-Wahrheiten der Bibel« einzuschärfen suche, worin er auch mit den anderen evangelischen Predigern übereinstimme. Das Resultat der Versammlungen Schlümbachs sei schwer zu beurteilen. Sicher seien viele vom Geist bewegt worden, viele hätten in den Versammlungen auch die Hände erhoben, um zu zeigen, dass sie ihr Leben von nun an ganz Gott weihen wollten. Schlümbach predigte sonntags drei bis vier Mal, hielt jeden Nachmittag eine Bibelstunde und auch unter der Woche an jedem Abend in unterschiedlichen Kirchen eine Predigt. Die Leitung der Bibelstunden wird als meisterlich gelobt, sowohl Christen als auch Nichtchristen hätten sie mit Gewinn besuchen können. Seine Predigten werden als »einfach, klar, verständlich und volksthümlich« bezeichnet.69 Insgesamt wird Schlümbachs Besuch als wichtige Vorarbeit einer Erweckung in New Orleans gewertet. Um viele durchgreifende Bekehrungen zu erzielen, sei die Arbeit zu »zertheilt« gewesen, aber die Zielsetzung sei ja auch eine andere gewesen. Um bleibenden Nutzen aus Schlümbachs Arbeit zu ziehen, würde eine gründliche Nacharbeit notwendig sein.70 Auch die Konferenz der deutschen protestantischen Prediger von New Orleans war sehr angetan. Schlümbach sei es gelungen, sowohl im Interesse der Jünglingsvereinssache zu wirken als auch »Hunderte« deutscher Christen mit dem Wort Gottes in Kontakt und die Gemeinden der verschiedenen Denominationen einander näher gebracht zu haben. Es wurden die folgenden Beschlüsse gefasst: 1. Schlümbach Dank und Anerkennung auszusprechen, 2. »daß wir glauben, Gott habe ihn zu einem besonderen Rüstzeug für diese Arbeit berufen«, 3. ihn allen Predigern und Gemeinden zu empfehlen, 4. das Internationale Komitee des YMCA um eine erneute Entsendung Schlümbachs im folgenden Jahr zu bitten und 5. diese Beschlüsse im Christlichen Apologeten, im deutschen Evangelisten und im deutschen Hausfreund zu veröffentlichen.71 68

G. Dosdall: Correspondenz aus New Orleans. In: CA 1881, S. 3. Vgl. G. Dosdall: Correspondenz aus New Orleans. In: CA 1881, S. 3. 70 Vgl. G. Dosdall: Correspondenz aus New Orleans. In: CA 1881, S. 3. 71 Vgl. W. H. Träger/L. Voß: Die Conferenz deutscher protestantischer Prediger von New Orleans, La. In: CA 1881, S. 3. 69

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Im März 1881 arbeitete Schlümbach in New York, erst in der Houston Street, dann in der 2. Street. Die Kirchen dort konnten die Besuchermassen zu seinen Vorträgen kaum fassen. Schlümbach selbst war zufrieden mit seiner Arbeit.72

5.5 Arbeiten bis zur Erschöpfung: von der Internationalen YMCA-Convention zum gesundheitlichen Zusammenbruch Ende Mai 1881 tagte die Internationale Convention des YMCA in Cleveland. Diesmal fand die Versammlung des deutschen Nationalbundes erstmals im Rahmen dieser Konferenz statt. Dienstag, der 24. 5. war als Tag der deutschen Zusammenkunft angesetzt, doch bereits am Abend zuvor traf man sich zu einer »Begrüßungsversammlung« in der Kapelle des neuen Vereinsgebäudes. Verschiedene Ansprachen wurden gehalten, Schlümbach leitete »mit kräftiger Stimme« den Gesang. Bei der Sitzung am nächsten Tag wurde Schlümbach im Amt des Bundessekretärs wiedergewählt, sein Wohnsitz wurde nun mit »New York« angegeben. Mit seiner Familie, zu der nun auch der 1880 geborene Alexander gehörte, hatte Schlümbach sich in Crawford, New Jersey, niedergelassen. Schlümbachs Bericht über seine Tätigkeit fiel »sehr günstig« aus. Während des vergangenen Jahres hatte er 15 Conventionen und 67 Conferenzen besucht, 523 Predigten, Vorträge etc. gehalten und war 31.000 Meilen gereist. Schlümbach machte sich angesichts des riesi72 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1881, S. 92. In Heskel: Years, S. 33 ist ein undatiertes Einladungsplakat zu Vorträgen Schlümbachs in Boston aus dieser Zeit abgedruckt (wahrscheinlich stammt es von 1881): »Off. John 22: 17. Ev. Luc. 21: 33–36. Versammlungen Veranstaltet von dem Deutschen Zweig der B. Y. M. C. A. Ecke der Eliot und Tremont Straßen. – Der Deutsche Evangelist, F. von SCHLUEMBACH, wird in der Deutschen Methodisten Kirche, an der Shawmut Ave. (No. 777), Predigen Dienstag. Mittwoch, Donnerstag und Freitag, FEBRUAR 1, 2, 3, und 4, um 8 Uhr Abends. – Jedermann Willkommen! Sitze Frei! Keine Collekten! – (Die bei den Versammlungen zu Gebrauch kommenden Lieder sind unter dem Titel, »Frohe Botschaft in Liedern,« a 10 cts., bei den Vereinsmitgliedern zu haben.)«

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gen Arbeitsfeldes für die Anstellung eines »Gehülfssekretärs« stark, der vor allem die Vereine besuchen sollte, die bis jetzt noch nicht Mitglied im Bund waren, um sie zum Beitritt zu ermutigen. In Bezug auf das Bundes-Banner sprach man sich für eine deutliche Qualitätsverbesserung aus, was unter anderem durch die Einsetzung eines Publikationskomitees, zu dem auch Schlümbach gehörte, gelingen sollte. Am Abend des 24. fand eine Versammlung in der Kirche der Evangelischen Gemeinschaft statt, bei der Schlümbach über den Erfolg der Jünglingsvereine sprach: »Es sind der Ursachen gar viele, liebe Brüder, welche uns zum innigsten Dank gegen den lieben Gott stimmen sollten, denn wenn wir den Ursprung und Fortgang unseres Werkes betrachten, so können wir wohl sagen: Großes hat der Herr gethan. Zuerst laßt mich darauf aufmerksam machen, wie sehr verändert die Zusammensetzung der Delegaten der National-Convention ist. Die ersten waren fast ganz in den Händen der hervorragendsten Prediger des Landes, und Gottlob! daß es so war, denn dadurch wurde dem Bunde eine solide Basis verschafft. Diese theuren Männer thaten Alles in ihrer Macht, um eine Zusammenstellung von Prinzipien zu sichern, bekannt als Constitution des Bundes, welche uns bisher und auch fernerhin immer köstlicher und gesegneter erscheint; jetzt jedoch ist die Majorität der Delegaten junge Laienbrüder, und zwar direkte Vertreter von den deutschen christlichen Jünglingsvereinen, ein Beweis des sicheren Bestandes unseres Werkes und eine freudige Bestätigung, daß die Brüder lernen thätig zu sein im Dienst des Herrn. Es ist ja unsere Aufgabe, daß junge Laien angeregt und angespornt werden, dem heilsamen Predigtamt treulich zur Seite zu stehen im täglichen Wirken für Jesum. Ein weiterer erfreulicher Fortschritt des Bundes ist die Thatsache, daß unsere Vereine besser erkennen und verstehen, was ihre eigentliche Aufgabe ist, und daß deßhalb auch ein viel allgemeineres Gedeihen berichtet wird; der beste Beweis dafür liegt in den Debatten der Bundes-Convention selbst, wo wir nicht mehr so sehr beflissen sind, einzelne oft sehr unpraktische Themen unpraktisch zu behandeln, sondern uns vielmehr alle damit beschäftigen, die brennenden Fragen der einzelnen Vereine oder des Gesammtbundes in höchst praktischer Weise zu erledigen; darin liegt für unsere Sache ein gewaltiger Fortschritt. Doch ein weiterer Punkt soll hier Erörterung finden, der Erfolg des Bundes in der Wirkung nach Außen, zuerst unter den lieben Brüdern Pastoren. Als ich zum erstenmal hinausging in die Welt als Euer Vertreter, da hatte ich meine liebe Noth, die Brüder-Prediger einer Stadt zu einer gemeinschaftlichen Berathung unserer Sache bewegen zu können, denn sie waren sich untereinander mehr oder weniger fremd und etliche sogar standen sich etwas bitter gegenüber, doch Gottlob! es gelang in den meisten Fällen und viele der jetzt bestehenden Prediger-Versammlungen sind aus dem Besuch Eures Bundessekretärs herausgewachsen, es stimmt mich zum größten Jubel gegen den Herrn Jesum Christum, wenn ich jetzt auf meinen Reisen sehen darf, wie hin und her in den Städten des Landes die lieben Amtsbrüder in Einigkeit tagen und von Monat zu Monat wichtige Fragen erörtern und zum Oefteren sich auch mit unserer Sache ernstlich beschäftigen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, daß es ganz besonders erfreulich für uns ist, daß wir das volle Vertrauen dieser lieben Brüder besitzen. Wie oft in früheren Jahren hat man uns mit großem Mißtrauen beobachtet und sich gefragt, ob am Ende der Kirche nicht Schaden durch uns erwüchse, oder am

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Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881)

Ende gar ein neues Kirchlein entstünde, doch Gottlob! diese Zeit liegt hinter uns, Eure Loyalität zu Euren Gemeinden und Kirchen, liebe Brüder, hat alle Zweifel überwunden und wir ruhen heute an dem Herzen der leitenden Prediger unserer Kirchen, als von ihnen gewürdigt ihre Mitarbeiter zu sein und ihr Sanctum und ihre Kirchen stehen uns offen, um Rath zu holen und um Theilnahme zu bitten. Das bringt mich auf den Schlußgedanken, nämlich den Erfolg auf dem Gebiete der deutschen Kirchen im Allgemeinen. Nicht Prediger allein kennen sich näher, nein, auch die verschiedenen kirchlichen Benennungen. Durch unsere allgemeinen Versammlungen, bei welchen alle sich betheiligenden Kirchen auf gleichem Fuße standen, erkannten die Gemeinden bald, daß, wenn ihre Jünglinge und Männer sich trefflich zurecht finden konnten zu gemeinsamer Arbeit für den Herrn Jesus, daß, wenn ihre Prediger in Liebe sich vertragen konnten und einig wirken in vielen Dingen, gewiß auch sie als Gemeinden nicht zurückzustehen brauchen, und deßhalb sehen wir jetzt in so vielen Stücken ein so lieblich sich Verbinden, in den monatlichen Versammlungen, in den verschiedenen Kirchen. Das Material zur Vereinigung war vorhanden, doch bedurfte es eines Mittels, es zum Durchbruch zu bringen, und Der, dessen Name ›Wunderbar‹ ist, benutzt dazu ein so geringes Ding, wie unseren Bund, um dieses herrliche Werk zu wirken. Ihm sei Ehre und Preis! Das sind so etliche der ersten praktischen Erfolge unseres Bundes; da ließe sich noch viel sagen über die Erkenntniß, z. B. welche wir selbst erfahren haben über die Aufgabe unserer Vereine, und Gottlob! dürfen wir bekennen, wir wissen jetzt wenigstens einigermaßen, was wir wollen, und können darum sicherer auftreten und größere Erfolge erzielen in der Zukunft. Doch Eins möchte ich bitten, Brüder, haltet fest an der Demuth, seid treu Eurem Herrn und haltet mit eiserner Festigkeit und Ausdauer an den Grundprincipien des Bundes fest: ›Loyalität zur Kirche vor Allem Vereinsleben.‹ Der Herr wird uns dann in Gnade immer mehr und mehr zum Siege verhelfen.«73

Wesentliche Elemente aus der Wirksamkeit Schlümbachs in den letzten Jahren werden hier in einer Gesamtschau noch einmal zur Sprache gebracht. Zum einen sei es gelungen, in der Vereinsarbeit die Verantwortung immer mehr von den Pastoren auf die Laien zu verlagern – Mitte der 1870er Jahre hatte der Schwerpunkt in der Leitung der Vereine noch deutlich bei ersteren gelegen. In seiner Wirkung nach außen sei es durch die Bundesarbeit gelungen, Pastoren unterschiedlicher Kirchen in nicht gekanntem Ausmaß mit einander in Verbindung zu bringen, was zu von der Jugendarbeit unabhängigen Predigerversammlungen führte. Durch die Arbeit des Bundes seien aber schließlich auch die Kirchen selbst zu einer größeren Einigkeit geführt worden. Dem entspreche wiederum, dass der Bund von seinem Selbstverständnis her fest in den Kirchen verankert sei. Die unterschiedlichen Dimensionen der Tätigkeit Schlümbachs – auch wenn die Evangelisation hier nicht explizit genannt ist – hatten einander so durchdrungen, dass sie in verschiedene Richtungen ausstrahlten. 73 Zit. nach [o. N.:] (Aus dem Christl. Botschafter.) Convention der christlichen Jünglingsvereine. In: CA 1881, S. 190–191.

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Zusammenfassung

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Sein Auftritt im Kontext der Internationalen Convention, bei der Ernst Ferdinand Stroeter im allgemeinen Programm auch über die Arbeit unter den Deutsch-Amerikanern referierte74, sollte für längere Zeit Schlümbachs letzter gewesen sein. Denn noch in Ohio erlitt er einen solchen gesundheitlichen Zusammenbruch, dass seine Freunde – unter ihnen Morse und Stokes – ihn nach Philadelphia brachten, um ihn dort als Gast eines reichen Kaufmanns, Mr. Hunter, von zwei Ärzten behandeln zu lassen. Diese diagnostizierten Probleme mit der Aorta und eine Fistula in Ano. Mit diesem Leiden hatte Schlümbach seit Bürgerkriegszeiten zu kämpfen. Seine Frau schrieb über die vergangenen Jahre: »his fistula in ano made him a sufferer, who outwardly appeared well and healthy but to us his family and some intimate friends who knew what pains he endured he was a cause of pity, for he was often in great danger to become permanently insane as some of his physicians informed me.«75 Zusammen mit seinen Freunden wurde entschieden, Schlümbach nach Europa zu schicken, um zuerst die Herzerkrankung zu heilen und dann eine Operation durchführen zu lassen.76 Das Arbeitspensum war einfach zu groß gewesen.

6. Zusammenfassung Schlümbach wählte den Ort seiner Bekehrung als neuen Wohnort für sich und seine Familie und wurde dort aktives Mitglied der englischsprachigen methodistischen Kirche. Zunächst eher in der Verwaltung der Gemeinde engagiert, übernahm er bald auch Verkündigungsdienste. Schon für diese Aufgabe, aber auch da Schlümbach sich berufen fühlte, vollzeitlich in den Predigtdienst zu treten, bildete er sich im Selbststudium nach dem Studienplan der Kirche theologisch fort, was vor allem Werke zur systematischen und historischen Theologie aus dem angelsächsischen Raum umfasste. Beruflich ging er zunächst einer journalistischen Tätigkeit nach, arbeitete dann aber als Bahnbeamter. Obwohl er sich in diesen Jahren mehrheitlich in einem englischsprachigen Kontext bewegte, wollte er als Prediger in den deutschsprachigen Zweig der Bischöflichen Methodistenkirche treten, da er sich nach wie vor den Deutschen in Amerika als eigener Bevölkerungsgrup74 Vgl. [o. N.:] (Aus dem Christl. Botschafter.) Convention der christlichen Jünglingsvereine. In: CA 1881, S. 190–191. 75 Vgl. Brief Coelestine von Schluembachs an den Commissioner of Pension vom 11. 1. 1884, Exhibit B zum Special Examiner’s Report vom 25. 2. 1887. In: Pension File (National Archives). 76 Beantwortung eines Fragenkatalogs des Pension Departments durch Schlümbach am 29. 1. 1886 in Berlin (Adresse: Hohenzollernstr. 1). In: Pension File (National Archives).

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pe zugehörig und verbunden fühlte. 1872 wurde er zunächst auf Probe in eine deutschsprachige Konferenz der Bischöflichen Methodistenkirche aufgenommen und durchlief in den Folgejahren die Stationen hin zum auf Lebenszeit berufenen Ältesten. Die ersten Gemeinden, die er 1872 übernahm, lagen in Baltimore und umfassten eine schon ältere und etablierte und eine kleinere mit dem Charakter einer Missionsstation. Was Schlümbach als besonders wichtig empfand und was seinen Dienst in diesen Jahren prägte, war die Schaffung einladender kirchlicher Räumlichkeiten als ein geeignetes Umfeld, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Auch in strategischer Hinsicht war ihm der Kirchbau als Ausdruck christlicher Präsenz in einer sich zu großen Teilen anders verstehenden deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe von Bedeutung. Dies korrespondiert mit Schlümbachs genereller sich in einer doppelten Spitze äußernden Grundkonzeption missionarischer Gemeindearbeit: der Bekehrung Entkirchlichter und der apologetischen Verteidigung des christlichen Glaubens. Sowohl publizistisch als auch rhetorisch setzte sich Schlümbach für diese Ziele ein und griff auf seine bisherigen Erfahrungen zurück, um erfolgreich die nötigen Gelder für den Kirchbau zu beschaffen. Für die Gemeindearbeit selbst hoffte er durchgehend auf eine Erweckung. Vor allem junge Menschen ließen sich erreichen und wurden von Schlümbach unter anderem durch eine Chorarbeit in die Gemeinde eingebunden. Wesentliche Erfahrungsfelder der Zeit in Baltimore lagen aber im übergemeindlichen Bereich der interdenominationellen Baltimore Union. Sowohl durch Lagerversammlungen als auch durch den Jünglingsverein engagierte sich Schlümbach stark in diesem heiligungstheologisch geprägten, in gemeinsamen Anliegen bewusst über die eigenen Kirchen hinausweisenden Raum der gemeindlichen Zusammenarbeit. In Form der Lagerversammlungen, denen Schlümbach die dreifache Funktion von Bekehrung, Glaubensvertiefung und zwischenkirchlicher Einigung beimaß, sammelte er Erfahrungen mit der Gestaltung von Massenveranstaltungen. Wichtiger noch und eigentliches Zentrum seiner Tätigkeit war der Jünglingsverein, der das Konzept verfolgte, junge Männer zusammenzuführen, die in ihren jeweiligen Kirchengemeinden beheimatet blieben, aber durch ihre Vereinigung größere Möglichkeiten der missionarischen Tätigkeit nach außen hatten und sich nach innen in der Einheit des christlichen Glaubens einübten. Das Motiv der Einheit als einer geistlichen Größe und das der Vereinigung zur gemeinsamen Aktion verbanden sich bei Schlümbach auch in dem Anliegen, die mittlerweile an mehreren Orten in den USA entstandenen deutschsprachigen Jünglingsvereine in einem Nationalbund zusammenzuführen. In der besseren Vernetzung des deutschsprachigen christlichen Vereinswesens sah er das wirksamste Mittel, den den jungen Männern bei ihrer Einwanderung begegnenden säkularen Vergemeinschaftungsformen entgegenzutreten und alternative Formen der Geselligkeit anzubieten. Von daher spielten in seiner

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Zusammenfassung

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Vereinskonzeption Elemente des gemeinsamen Lebens und der Unterhaltung, auch der Musik, eine große Rolle. Gleichzeitig sollte aber – wie bei den englischsprachigen YMCAs – das religiöse Profil der Vereine deutlich hervortreten. Ziel müsse sein, junge Männer zu Gott zu führen. Die Zusammenarbeit mit den Kirchen, an deren Gemeindeleben die Vereinsmitglieder aktiv teilnehmen sollten, war von daher wesentlich. Bei den aus Deutschland einwandernden jungen Männern könne man darüber hinaus vielfach an eine religiöse Erziehung anknüpfen, was die Arbeit der Jünglingsvereine von der der YMCAs unterscheide. Gleichzeitig sollten die Jünglingsvereine eine Hilfe zur Eingliederung in die amerikanische Gesellschaft sein, als deren Bestandteil man sich trotz aller ethnokultureller Besonderheiten begriff. Dem unter seiner Federführung in Verbindung mit dem landesweiten YMCA 1874 organisierten Nationalbund Deutscher Christlicher Jünglingsvereine stellte sich Schlümbach als Generalsekretär zur Verfügung und prägte die Arbeit maßgeblich über die nächsten Jahre. Das in diesem Bund zum Ausdruck kommende Bewusstsein kirchlicher Einheit deutete Schlümbach im Sinne der branch theory. Zusammenführung unterschiedlicher Kirchen war auch ein wesentliches Element seiner Rundreisen. Dem dienten jeweils Zusammenkünfte mit Pastoren und Laien und Versammlungen für junge Leute, die zum einen zur Gründung eines Jünglingsvereins ermuntern, zum anderen ein beredtes Zeugnis des christlichen Glaubens nach außen geben sollten. Dass Pastoren unterschiedlicher Benennungen zusammenarbeiteten, war mancherorts ein Novum, so dass die Bemühungen Schlümbachs hier den ersten Schritt zu einer größeren Gemeinschaft der Kirchen darstellten. Vereinsgründungen auf überkonfessioneller Basis waren aufgrund dieser Ausgangslage zumeist noch nicht möglich; stattdessen regte Schlümbach die Gründung von Jünglingsvereinen in den jeweiligen Kirchengemeinden an (»Lokal-Vereine«) und hoffte auf die spätere Vereinigung – nach weiter gehender Annäherung der Kirchen – in einem »Central-Verein«. In dieser Hinsicht waren die deutschsprachigen Jünglingsvereine von den von vornherein auf überkonfessioneller Basis arbeitenden YMCAs also deutlich unterschieden. Doch auch für die Situation in Deutschland interessierte sich Schlümbach weiterhin. Sowohl die Jünglingsvereine als auch die Heiligungsbewegung, deren Frömmigkeit Schlümbach intensiv prägte, ihn aber zwischen den verschiedenen Modellen der Heiligungslehre schwanken ließ, eröffneten ihm durch Begegnungen und Berichte Perspektiven auf die alte Heimat. Daneben wurde auch in den von Schlümbach intensiv gelesenen methodistischen Zeitschriften häufig über Deutschland berichtet. In der persönlichen Begegnung zeichnete ihm Pearsall Smith Anfang 1875 ein relativ düsteres Bild von den religiösen Zuständen in Berlin; wenige Monate später sollte Schlümbach aber auf einer ausgedehnten Europareise Gelegenheit haben, sich ein eigenes Bild zu machen. Was Schlümbach in Deutschland wahrnahm, war in gesellschaftlicher

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Wirksamkeit unter den Deutschen in den USA (1868–1881)

Hinsicht eine stark diesseitige Orientierung, die sich für ihn unter anderem in der verbreiteten Sonntagsarbeit und einer gewissen Vergnügungssucht manifestierte, in kirchlicher Hinsicht eine gewisse religiöse Gleichgültigkeit, die für ihn aus der unterschiedslos geübten Tauf- und Konfirmationspraxis der Staatskirche resultierte, außerdem spürbare Spannungen zwischen den unterschiedlichen kirchenpolitischen Richtungen. In die USA berichtete er von der schwierigen Situation der Methodistenkirche in Deutschland und legte einen Plan auf, wie dieser von den USA aus moralische und finanzielle Unterstützung zukommen könne. Doch letztlich sah er die methodistische Kirche in Deutschland nur in einer Hilfsfunktion hin auf das, was eigentlich notwendig sei: eine große Erweckung und eine freie protestantische Kirche. Die in Deutschland bereits vorhandenen erwecklichen Tendenzen bedürften des Anstoßes aus den USA, um sich im großen Stil entfalten zu können, aber aufgrund der äußeren Bedingungen könnten Methodistenkirche und auch Heiligungsbewegung lediglich Impulsgeber sein. Anders verhalte es sich mit den Jünglingsvereinen, von denen er auch einen in Berlin besuchte: Eine Neuorganisation der Vereinsarbeit in Deutschland könnte ein wesentliches Mittel hin auf eine große Erweckung in Deutschland sein, und das ohne sich des Sektenvorwurfs verdächtig zu machen. Für ihn könnten die Jünglingsvereine in Deutschland so zu Trägern »methodistischer« erwecklicher Strukturen und Frömmigkeit werden. Daher begann Schlümbach nach seiner Rückkehr in die USA auch erste Kontakte zur Vereinsarbeit in Deutschland zu pflegen. Der Nationalbund in den USA war zu dieser Zeit von einigen konzeptionellen Ambivalenzen belastet, die aus Unstimmigkeiten zwischen einer Binnenorientierung an der einzelnen Kirchengemeinde und dem missionarischen Wirken auf die »Massen« bestanden und aus der Spannung zwischen einer rein funktionalen Sicht des Nationalbundes und seiner geistlichen Deutung als Organismus. In der Betonung der Rolle der Pastoren für die Vereinsarbeit und für die Anbindung der Vereine an die Kirchengemeinden ähnelten die deutschen Jünglingsvereine in den USA zu dieser Zeit mehr den Vereinen in Deutschland als den englischsprachigen YMCAs. Beruflich hatte Schlümbach von der Bischöflichen Methodistenkirche ein neues Arbeitsfeld in Texas zugewiesen bekommen, wo er in Galveston eine deutschsprachige methodistische Gemeinde aufbauen sollte. Er begann auch ein Gründungsprojekt, erhielt aber die Erlaubnis – da er bald von einem Kollegen in der Gründungsarbeit unterstützt wurde –, in erster Linie eine bereits bestehende evangelische Gemeinde in der Stadt zu betreuen. Letztlich entsprach ein solcher Ansatz durchaus Schlümbachs Vorstellungen, der unter Methodismus vor allem »Christentum im Ernst« verstand und die »Gnadenmittel« der Methodistenkirche wie Klassen und Lagerversammlungen zwar ausgesprochen schätzte, sich durch die Kirchenordnung in seinem Wirkungskreis aber zunehmend eingeschränkt fühlte.

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Zusammenfassung

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In Schlümbachs Wirksamkeit für den Jünglingsbund sind in der zweiten Hälfte der 1870er Jahre einige entscheidende Akzentverschiebungen zu beobachten. Zum einen eine deutliche Tendenz in Richtung Evangelisation: Die von ihm gehaltenen Versammlungen sollten nun nicht mehr nur für junge Leute sein, sondern sich prinzipiell an jeden richten. Daneben eine immer deutlichere Orientierung am YMCA-Modell: Die Gründung von überkonfessionellen »General-Vereinen« statt der gemeindebezogenen »Lokal-Vereine« trat in den Vordergrund. Außerdem förderte er eine Modifikation der Strukturen des Nationalbundes durch Einführung von Distrikten. Zu beobachten ist auch, dass eine größere Bibelbezogenheit in den Vereinen propagiert wurde. Nachdem Schlümbach für ein Jahr im texanischen Waco und dessen Umland als Pastor der Bischöflichen Methodistenkirche gearbeitet hatte, gab seine Kirche ihm nach langen Bemühungen die Erlaubnis, als vollzeitlicher Sekretär in den Dienst der Jünglingsvereinssache zu treten. Diesen Dienst als German Secretary des International Committee des YMCA trat Schlümbach Anfang 1879 an und war von nun an fast permanent auf Reisen. Dabei versuchte er im Wesentlichen zwei Linien zusammenzubringen: zum einen die Arbeit für die Jünglingsvereine im engeren Sinn – nun unter konsequenter Umsetzung des YMCA-Modells –, zum anderen eine Tätigkeit als Evangelist, zu der er sich mehr und mehr berufen fühlte. Zahlreiche Einladungen ergingen an Schlümbach, und viel wurde über ihn berichtet. Moody wurde auf ihn aufmerksam, und sie wirkten zum Teil gemeinsam. Seine Tätigkeit verstand Schlümbach im wesentlichen als einen Dienst an der christlichen Einheit, brachte er doch Angehörige unterschiedlicher Kirchen zusammen und verband sie in der Arbeit an gemeinsamen Anliegen. So erwiesen sich die Vereinsarbeit und Schlümbachs Evangelisationen als Motor interkonfessionellen Zusammengehens in den einzelnen Orten. Schlümbach wandte sich gegen konfessionelle Separation, fehlenden Pragmatismus und mangelnde Einbindung der Laien. Das Engagement, das er dafür aufbrachte, erschöpfte ihn aber so sehr, dass diese Lebensphase zu seinem gesundheitlichen Zusammenbruch führte.

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Dritter Teil »German Evangelist« – unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889) 1. Kontakte entstehen: Vorbereitung einer Evangelisationskampagne in Deutschland (1881–1882) 1.1 Kontaktaufnahme: Die Internationale Jünglingskonferenz in London Nach eigener Aussage in schlechter gesundheitlicher Verfassung »und mit dem Gefühl des Nichtmehrwiedersehens vor dem großen Tag der Offenbarung meines Gottes und Erlösers«1 nahm Schlümbach am 16. Juli in New York Abschied von Familie und Freunden und bestieg das schottische Dampfschiff Devonia. Auf der ruhigen Überfahrt kam es bereits zu einer deutlichen Besserung seiner Herz- und Migränebeschwerden. An Bord befanden sich etwa 50 YMCA-Delegierte, die an der Weltkonferenz in London teilnehmen wollten. Täglich feierte man gemeinsam Gottesdienst.2 Hatten Schlümbach die Ärzte vor seiner Abreise noch geraten, sich schnellstmöglich in die Kur nach Deutschland zu begeben, so plante er nun – wie er es auch ursprünglich einmal vorgehabt hatte3 und die gesundheitliche Besserung es ihm möglich werden ließ – an der YMCA-Weltkonferenz 1

F. v. Schlümbach: Etliche Platten aus meiner Camera obscura. In: CA 1881, S. 297. Was Schlümbach aber als das für ihn Denkwürdigste der ganzen Reise beschreibt, sind vier wissenschaftliche Vorträge des Geologen Prof. Dr. Murray über »Das Meer und sein Leben«. Seine entscheidenden Eindrücke fasst Schlümbach so zusammen: »Eins hätte ich gewünscht, daß die großen Schreier des Unglaubens unter den Deutschen in Amerika diesen großen Gelehrten hätten hören können, wie er in kindlicher Einfachheit und großer Bescheidenheit alle diese wichtigen Entdeckungen beschrieb und stets Gott die Ehre gab und kein Wort davon faselte, daß sein großes Wissen seinen Glauben an den wahren lebendigen Gott störe, vielmehr, daß er durch diese großen Forschungen je mehr und mehr von der fortdauernden väterlichen Leitung und Führung Gottes im Weltall überzeugt werde.« Schlümbach wurde anhand dieser Vorträge in seiner schon lange währenden Auseinandersetzung mit materialistischer Philosophie aufs Neue deutlich, wie häufig philosophisch-materialistisch orientierte Wissenschaft Axiome formuliere, die sich zwar bereits schnell als haltlos erwiesen, sich bis dahin aber schon im allgemeinen Bewusstsein festgesetzt hätten. Vgl. F. v. Schlümbach: Etliche Platten aus meiner Camera obscura. In: CA 1881, S. 297. 3 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Ottilie Werner vom 8. 4. 1881 (ArchFam, Sign. 13 I 21/4 1881–1889 [1]), indem er sowohl die geplante Abreise für Mitte Juli als auch die Pläne, zuerst nach London zu gehen, mitteilt. 2

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Evangelisationsvorbereitung in Deutschland (1881–1882)

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in London teilzunehmen. Daher wollte Schlümbach nach der Ankunft in Glasgow eigentlich möglichst bald mit seinen Freunden nach Edinburgh und London weiterreisen, ließ sich aber zu einem eindrücklichen Ausflug in die schottische Bergwelt überreden.4 Die 9. Internationale Jünglingskonferenz, zu der Schlümbach pünktlich als Teilnehmer erschien, fand vom 30. 7. bis 6. 8. 1881 in London statt. Schlümbachs Teilnahme als Delegierter an dieser Konferenz ergab sich aus seiner Stellung als German Secretary des International Committee des YMCA.5 Überblickt man die Tagesordnungspunkte der Konferenz6, so lässt sich – abgesehen von den geistlichen Schwerpunktsetzungen in der Gestaltung der Sitzungstage – keine einheitliche Linie bei den Themen der Referate ausmachen. Daher wurde auch mehrfach bemängelt, dass die Zahl der behandelten Themen eine zu große gewesen sei.7 In der Rezeption der Konferenz in Deutschland wird aber deutlich, dass man vor allem die Arbeit der Vereinssekretäre, die Beschaffung der Geldmittel (wobei die deutsche Situation in starkem Kontrast zu den USA wahrgenommen wurde) und die Methoden, mit denen in den USA junge Männer für die Vereinssache gewonnen werden sollten, als die Hauptthemen betrachtete.8 Daneben spielte der – oft auch informelle – internationale Erfahrungsaustausch eine große Rolle. Schlümbach trat bei dieser Konferenz an verschiedenen Stellen hervor. Im Bericht des Delegierten des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes Christian Klug nennt dieser als die wichtigsten der 80 Delegaten aus Amerika Russel Sturgis, McBurney, Morse und Schlümbach.9 Sein Sohn Pastor Alfred Klug, der ebenfalls an der Konferenz teilnahm, schreibt über Schlümbach: »Man bemerkte, wie auf ihn die Reihen der Amerikaner hörten, wenn er mit begeisternden Worten in ihrer Sprache redete.«10 4 Vgl. den ausführlichen Bericht in F. v. Schlümbach: Etliche Platten aus meiner Camera obscura. In: CA 1881, S. 306. Bei der Ankunft an der irischen Küste am 25. 7. hatte Schlümbachs erste Frage ganz patriotisch dem Befinden des amerikanischen Präsidenten nach dem Attentat auf ihn gegolten: »Der Mann lebt im Herzen des ganzen amerikanischen Volkes«. Vgl. F. v. Schlümbach: Etliche Platten aus meiner Camera obscura. In: CA 1881, S. 297. 5 Vgl. Proceedings 1881, S. 1. 6 Diese wurden auch in deutschen Zeitschriften veröffentlich; vgl. z. B. JB 1881, S. 103. 7 Vgl. W. Augener: Skizzen von der Londoner Konferenz. In: JB 1881, S. 164–165, dort 164; Beschlüsse der Londoner Konferenz. In: JB 1881, S. 197–199, dort 198. 8 Vgl. den großformatigen Druckbogen »Die 9. Internationale Jünglingsvereins-Conferenz« im Archiv des CVJM-Westbundes in Wuppertal (Akte »CVJM-Geschichte. Materialmappe I«). Die häufige Kontrastierung von deutscher und amerikanischer Situation ist auffällig. Der Bericht wird auch verwendet, um mit der deutschen Vereinssache vertraut zu machen (Ausrichtung gegen die Sozialdemokratie, für das Kaisertum). Etwas andere Akzente setzt aber Augener in seinen »Skizzen von der Londoner Konferenz« in: JB 1881, S. 156–158, 164–165, 173–175. 9 Vgl. Ch. Klug: Neunte internationale Jünglings-Konferenz in London. In: JB 1881, S. 141–144, dort 141–142. 10 Klug: Jubiläum, S. 47–48. Die weiteren deutschen Delegierten waren W. Augener (Bent-

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Täglich fand von ein Uhr bis zwei Uhr mittags ein Treffen der deutschsprachigen Delegierten statt, an dem sich neben Deutschen, Holländern und Schweizern auch Schlümbach als »deutsch redender und deutsch fühlender Amerikaner« beteiligte.11 Aber auch in den Sitzungen des Plenums trat Schlümbach hervor. Von den Berichten aus den einzelnen Ländern der Welt am Montag heißt es bei Augener, dass Schlümbachs Ausführungen über die Deutschen in Amerika »von höchstem Interesse« gewesen seien: »Der für die Reichssache des Herrn begeisterte Mann (er wird in Nordamerika wohl der deutsche Moody genannt), dessen zündende Worte allemal einen gewaltigen Eindruck machten, wünscht im Interesse der schon vorhandenen deutsch-amerikanischen Vereine und der alljährlich nach Amerika auswandernden deutschen Jünglinge mit den verschiedenen Jünglingsbündnissen in Deutschland in nähere Verbindung zu treten«.12

Beim Mittagessen am Dienstag der Sitzungswoche kam Schlümbach in einer kleinen Ansprache ebenfalls auf seine amerikanischen Erfahrungen zu sprechen.13 Im Bericht des International Committee von seinen Arbeitszweigen am Mittwochmorgen wurde eine kurzer entstehungsgeschichtlicher Abriss der Vereinsarbeit unter den Deutschsprachigen in Amerika gegeben, aus dem wiederum deutlich hervorging, welch tragende Rolle Schlümbach dabei zukam. Unter ihm hatte sich das Vereinswerk auf seinen gegenwärtigen beachtlichen Stand ausgedehnt.14 Einen eindrucksvollen Beweis seiner Redekunst lieferte Schlümbach beim Public Meeting am Mittwochabend, wo er eine flammende Rede hielt, die in einen Spendenaufruf mündete.15 Die vielfältigen Beiträge Schlümbachs zu dieser Konferenz veranlassten den Evangelist im Anschluss an die Neue Evangelische Kirchenzeitung zu resü-

heim), P. Clarenbach (Ronsdorf), W. Joster (Elberfeld), T. Kübler (Elberfeld), T. Reiff (Stuttgart), L. Stöcker (Elberfeld), O. von Ranke (Elberfeld); vgl. Proceedings 1881, S. 2. Die List of Delegates enthält auf S. 6–7 die gleiche Zuteilung zu Orten, führt aber statt Joster und Kübler W. Sosten (Elberfeld) und Rev. Steinfuhrer (Neubrandenburg); (YMCA Arch., Box 3 »World Alliance«, Folder »IX Conference London, Tableaux Statistiques, list of delegates«). Von Ranke dürfte allerdings den Ostbund vertreten haben – er stammte aus Potsdam, nicht aus Elberfeld. 11 So Ch. Klug: Neunte internationale Jünglings-Konferenz in London. In: JB 1881, S. 141–144, dort 144. Vgl. auch W. Augener: Skizzen von der Londoner Konferenz. In: JB 1881, S. 173–175, dort 175. 12 W. Augener: Skizzen von der Londoner Konferenz. In: JB 1881, S. 164–165, dort 165. 13 Vgl. Ch. Klug: Neunte internationale Jünglings-Konferenz in London. In: JB 1881, S. 141–144, dort 143. Vgl. auch unpaginierten Zeitungsausschnitt in Folder »IX. Conference, London, Misc. Print, Newspaper Clippings« (YMCA Arch., Box 3 »World Alliance«). 14 Vgl. Proceedings 1881, S. 144. Am Mittwochnachmittag schaltete Schlümbach sich mehrfach in die Diskussion um die Beschickung des Welt-Komitees mit Sitz in Genf ein, Streitpunkt war die repräsentative Vertretung Schottlands; vgl. Proceedings 1881, S. 158, 167. 15 Eine Nachschrift der Rede findet sich in Proceedings 1881, S. 177–179.

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Evangelisationsvorbereitung in Deutschland (1881–1882)

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mieren, dass »Prediger von Schlümbach [. . .] tiefen Eindruck« gemacht habe.16 Alfred Klug und sein Vater Christian waren nun diejenigen Deutschen, über die der persönliche Kontakt Schlümbachs zu den Jünglingsvereinen in Deutschland zustande kam. Christian Klug hoffte aufgrund seiner bei den deutschsprachigen Mittagstreffen gewonnen Eindrücke, in Zukunft Wege zu finden, um mit den Vereinen in Nordamerika enger zusammen zu arbeiten.17 Sein Sohn Alfred Klug schreibt in seinen Erinnerungen: »Als am 6. August [corr.: 5. August] der große Ausflug zum herrlichen Landsitz Turnbridge, Hall Place, des Parlamentsmitgliedes Samuel Morley gemacht wurde, saß von Schlümbach mit dem deutschen Vertreter im Internationalen Komitee, Chr. Klug von Elberfeld und dessen Sohne P. Klug, im Zelte an der festlichen Tafel zusammen und erzählte von seinem wechselvollen gottlosen Leben und seiner wunderbaren Bekehrung. [. . .] Auf einmal fragte er mit erhobener Stimme: ›Warum kann ich nicht nach Deutschland hineinkommen? Alle Versuche eine offene Tür zu erlangen, sind bis jetzt gescheitert. Und doch brennt mein Herz fürs deutsche Vaterland. Können Sie denn nicht helfen, nicht durch Ihre Vereinssache mir Eingang verschaffen?‹ ›Das denke ich doch‹, war die Antwort. ›Ich will heute (Freitag-)Abend noch an unseren Präses P. Krummacher schreiben. Wir haben Sonntag unser Bundesfest. Wenn Sie daran teilnehmen könnten, dann wäre das die beste Gelegenheit für Sie.‹«18

Alfred Klug hielt Wort, und nachdem Krummacher sich einverstanden erklärt hatte, erschien Schlümbach bereits zwei Tage später zusammen mit einigen amerikanischen Freunden beim Bundesfest des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes in Elberfeld.

1.2 Die Jugendarbeit als Türöffner: Besuch beim Rheinisch-westfälischen Jünglingsbund in Elberfeld Für viele im Rheinisch-westfälischen Jünglingsbund war Friedrich von Schlümbach dem Namen nach kein Unbekannter, als er in diesem August 1881 persönlich in Erscheinung trat. Bereits im Januar 1879 war er mit einem Schreiben an den Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbund herangetreten, das, nachdem es im Bundesvorstand verlesen worden war19, auch im Jünglingsboten veröffentlicht wurde.20 In diesem Schreiben äußerte Schlüm16

Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: Ev. 1881, S. 326. Vgl. Ch. Klug: Neunte internationale Jünglings-Konferenz in London. In: JB 1881, S. 141–144, dort 144. 18 Klug: Jubiläum, S. 47–48. 19 Vgl. Protokollbuch des Bundesvorstands, S. 742 (792) (Archiv des CVJM-Westbundes). 20 F. v. Schlümbach: Ein freundlicher Gruß aus Amerika [aus Chicago am 2. 1. 1879]. In: JB 1879, S. 28–29. Wahrscheinlich zur gleichen Zeit richtete Schlümbach auch ein Schreiben an den Süddeutschen Jünglingsbund, das dort mit Freude aufgenommen wurde; vgl. Fünfzig Jahre Arbeit, S. 31. 17

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

bach die Hoffnung, »neue Verbindungen im Reiche der christlichen Jünglings-Vereine anzuknüpfen«, indem er über den Stand der deutschsprachigen Arbeit in den USA informierte und über den Atlantik die »Bruderhand« zur engeren Zusammenarbeit reichte. Für die Arbeit in Deutschland erhoffte er sich eine stärkere Außenwirkung der Vereine, um »irregeleiteten Jünglingen zum bleibenden, ja ewigen Segen« zu werden. Er unterstreicht in seinem Schreiben die Bedeutung der Jünglingsvereine gerade für die Großstädte. Die Redaktion des Jünglingsboten merkte an, dass man die von Schlümbach ausgestreckte Bruderhand »freudig ergriffen« und brieflich geantwortet habe und mit Segenswünschen dem deutsch-amerikanischen Nationalbund und seinem Generalsekretär verbunden sei.21 Konkrete Schritte der Zusammenarbeit wurden allerdings nicht vereinbart, so wie der Brief Schlümbachs in dieser Hinsicht auch wenig konkret gewesen war.22 Die zweite Veröffentlichung im Jünglingsboten, durch die er den Lesern dieses Organs vertraut gewesen sein dürfte, war seine Bekehrungsgeschichte, wie er sie bei seiner Evangelisation mit Moody in St. Louis erzählt hatte. Diese wurde 1880 in mehreren Teilen abgedruckt.23 Das 31. Bundesfest des Rheinisch-westfälischen Jünglingsbundes war für Samstag, den 6., und Sonntag, den 7. August 1881 angesetzt. Während die Internationale Konferenz in London zu Ende ging, war das Bundesfest also bereits in vollem Gange. Am ersten Tag des Bundesfestes standen mit der »General-Versammlung« Vereinsinterna im Mittelpunkt. Am zweiten Tag hatte das Bundesfest im Sinne eines »Jahres-Festes« dann öffentlicheren Charakter, mit Festgottesdienst, Ansprachen und Grußworten.24 An das Wochenende des Bundesfestes sollte sich die »Wupperthaler Festwoche« anschließen, in der die größten protestantischen Vereine und Gesellschaften der Stadt im täglichen Wechsel zu ihren Jahresfesten einluden.25 Das Wuppertal war ein Zentrum der westdeutschen Erweckung und eine Vielzahl von religiösen Gesellschaften und protestantischen Kirchen fanden sich dort. Das Bundesfest trug zum Teil stark nationalistisches Gepräge, was sich unter anderem – wie auch schon im Bericht über die internationale Konferenz – in einer deutlich von militärischen Sprachbildern geprägten Berichterstattung im Jünglingsboten niederschlug. In solch eine Situation national-monar-

21

Vgl. die Anmerkung zum Abdruck des Briefes Schlümbachs in JB 1881, S. 29. Allerdings ist anzumerken, dass einige Zeilen des Artikels in der eingesehenen Ausgabe des Jünglingsboten unleserlich beziehungsweise beschädigt waren. 23 Vgl. [Kl.:] Bekehrungsgeschichte des Pastor von Schluembach. (Von ihm selbst erzählt.) In: JB 1880, S. 69–71, 78–80, 86–87. Auf S. 78 wird von der Redaktion erläuternd angemerkt, dass die religiösen Zustände in Amerika andere seien und insofern für deutsche Leser vieles fremdartig erscheinen mag. 24 Das Programm des Bundesfestes wurde in JB 1881, S. 117 veröffentlicht. 25 Das Programm der Festwoche ist in JB 1881, S. 119 wiedergegeben. 22

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chistischer Loyalitätsbekundungen kam nun Schlümbach mit seinen amerikanischen Begleitern: »Schon während des vorhergehenden Gesanges waren 10 Männer eingetreten, welche sich zum großen Teil schon durch ihr Aussehen als Ausländer legitimierten. ›Es sind amerikanische Delegierte von der internationalen Konferenz!‹ murmelte es durch den Saal. – Oh weh, die kommen zur falschen Stunde. Solch warmer Patriotismus wird diesen Republikanern unverständlich sein. So mag wohl mancher gedacht haben, und nicht ohne Grund. Aber es sollte anders kommen.«26

Nach einer freundlichen Begrüßung ergriffen die Amerikaner das Wort. Der Jünglingsbote berichtet: »Der erste war der uns dem Namen nach wohlbekannte Pastor von Schlümbach, der Agent der deutschen Jünglingsvereine im fernen Westen. Wie ein mit Mühe zurückgehaltener Strom brachen die Worte nicht nur aus seinem Munde, sondern man fühlte es, aus seinem Herzen hervor. Einen Gruß von 76 deutschen Vereinen mit 3000 Jünglingen, einen Gruß von einer Million deutscher Christen in Amerika gab er der Versammlung ab. Wie sein Herz jubelte vor Freude, nun in der Heimat auch deutsche Jünglingen in so großer Zahl unter der gleichen Fahne zusammengeschart zu sehen, welche er erst in der neuen Welt kennen, lieben und erheben gelernt hatte, der Kreuzesfahne unsres Herrn Jesu Christi. – Aber auch unsere patriotischen Ergüsse hatte er wohl verstanden, und mit ganzem Herzen bekannte er sich auch zur Liebe gegen unsern Heldenkaiser. Daran anknüpfend rief er uns ein beherzigenswertes Wort zu: ›Ihr Deutschen seid jetzt einig unter dem einen Kaiser, warum nicht auch in geistlicher Beziehung? Ihr müßt einig werden!‹ - Es würde zu weit führen, seine Berichte über die deutschen Einwanderer, deutschen Verhältnisse und deutsche Vereine wiederzugeben. Seine warmen Worte drangen gewiß jedem tief in’s Herz, und als nachdem er geendet, unser l. Präses durch Handschlag und Kuß ihn unsrer Bruderliebe versicherte, geschah es gewiß im Sinn und Geist aller Anwesenden.«27

Schlümbach war es gelungen, die von ihm als Ausländer ausgehende Exotik mit deutsch-nationalen Empfindungen zu verbinden und beides für einen neuen geistlichen Impuls – Einigkeit – nutzbar zu machen. Mr. Wishard redete noch auf Englisch, und nachdem die zehn Amerikaner ein Lied vorgetragen hatten, ging das Fest zu Ende. »Blicken wir zurück auf das Fest, so müssen wir mit Dank gegen den Herrn bekennen, daß es einen gesegneten und durch das Erscheinen der l. amerikanischen Brüder auch einen begeisterten Verlauf genommen hat.«28 26 [O. N.:] Das 31. Jahresfest des Rheinisch-Westfäl.-Jünglings-Bundes am 7. August 1881. In: JB 1881, S. 148–150, dort 150. 27 [O. N.:] Das 31. Jahresfest des Rheinisch-Westfäl.-Jünglings-Bundes am 7. August 1881. In: JB 1881, S. 148–150, dort 150. 28 [O. N.:] Das 31. Jahresfest des Rheinisch-Westfäl.-Jünglings-Bundes am 7. August 1881. In: JB 1881, S. 148–150, dort 150. Alfred Klug erinnert sich 26 Jahre später an den Besuch Schlümbachs beim Bundesfest: »Da ging es wie Wetterleuchten durch die ganze Versammlung;

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Bald darauf trat Schlümbach seine von langer Hand geplante Kur in Süddeutschland an. Er hatte dem Vorstand des Rheinisch-westfälischen Jünglingsbundes zwar im August 1881 signalisiert, in einigen Wochen gern mehrere große Versammlungen im Bundesgebiet zu halten, aber seine angegriffene Gesundheit machte ihm diese Pläne zunichte.29 An seinem Kurort Markgröningen wurde ihm im September alles Anstrengende – auch das Korrespondieren – untersagt. Er berichtet lediglich kurz, dass von vielen Seiten Einladungen an ihn ergangen seien, die deutschen Jünglingsvereine zu besuchen, und er sich über die »offene Thür« freue: »Doch der Herr will nicht, daß ich jetzt eintrete; sein Wille geschehe! Ich bin jetzt in der Schule, worinnen Geduld gelernt wird und danke Gott dafür, denn so ein Brausekopf, wie ich bin, muß doch einmal zur Ruhe kommen; meinem Ich will es nicht recht gefallen, aber wir sind ja, Gottlob, nicht Schuldner dem Ich, sondern dienen dem Herrn.«30

Zwei entscheidende Bekanntschaften hatte Schlümbach auf dem Wuppertaler Bundesfest machen können. Zum einen traf er mit Theodor Christlieb, dem Bonner Praktischen Theologen mit starker Affinität zum angelsächsischen Raum, zusammen, zum anderen mit dem den Norddeutschen Jünglingsbund leitenden Jasper von Oertzen.31

das Geistesschwert flog aus der Scheide und durchfuhr die Luft mit strahlendem Glanze, die Herzen wurden entflammt. Die Tür war geöffnet, die Bahn gebrochen, und die Zeit einer neuen treuen Mithilfe festlich eingeläutet.« Klug: Jubiläum, S. 48. Das Bremer Kirchenblatt schreibt von »markigen, aus tiefbewegtem Herzen quellenden Worten, voll des edelsten deutschen, aber auch des wärmsten Reichsgottes-Patriotismus« und dass »dann die Männer der fremden Zunge, aber des einen christlichen Glaubens, zusammentraten und ein amerikanisches Glaubens- und Siegeslied sangen«; [o.N.:] Die Wupperthaler und Bremer Festwoche. In: Bremer Kirchenblatt 1881, S. 339–341, dort 341. Aus amerikanischer Perspektive berichtete der Watchman im Rückblick: »[. . .] a number of delegates from abroad being present. The work is spreading through all that section of Europe, but no doubt much greater results would be accomplished if they had a man like Rev. F. Von Schluembach to give his whole time to looking after the work.« Watchman 1882, S. 59–60. 29 Vgl. Protokollbuch des Bundesvorstands, S. 774–775 (824–825) (Archiv des CVJMWestbundes). 30 Editorielle Notizen. In: CA 1881, S. 332. 31 Vgl. zur Anwesenheit des letzteren Niemeier: Säegang, S. 32. Baron Jasper von Oertzen (1833–1893) hatte nach mehreren Jahren im österreichischen Militär und als Gutsherr von 1868 bis 1875 mit Wichern im Rauhen Haus zusammengearbeitet und leitete seit 1875 die Hamburger Stadtmission. Seit 1873 war er zudem Vorsitzender des Vereins für Innere Mission in Schleswig-Holstein und seit 1880 Präses des Norddeutschen Männer- und Jünglingsbundes. »Überkonfessionelle Weite« – so Ohlemacher – zeichnete Oertzen aus, wenngleich er in all seinen Bemühungen immer engen Anschluss an die Landeskirche und deren Pastoren suchte. Zu Oertzen vgl. v. a. Ohlemacher: Reich, S. 48–55, dort weitere Literatur.

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1.3 Von der Idee zum Komitee: Theodor Christlieb und die Vorbereitung einer Evangelisationskampagne Theodor Christlieb war seit 1868 Professor für Praktische Theologie in Bonn und hatte bis 1865 sieben Jahre lang als Pfarrer einer deutschen Gemeinde in London gewirkt. Dort war er mit der Spiritualität der angelsächsischen Erweckungsbewegungen in Berührungen gekommen, hatte Erfahrungen mit zahlreichen missionarisch aktiven freikirchlichen Gemeinden gemacht, letztlich auch seine eigene Gemeinde aufgrund der äußeren Gegebenheiten nach freikirchlichen Prinzipien organisiert, den Geist der Evangelischen Allianz in ihrem Streben nach ökumenischer Einheit auf sich wirken lassen und die zahlreichen Verbindungen, die aus den unterschiedlichen Teilen der Erde in der Hauptstadt des britischen Commonwealth zusammenliefen, mit Interesse verfolgt. Wesentliche Elemente seines späteren Wirkens und Denkens wurden hier geprägt: konfessionelle Offenheit, Betonung von Bekehrung und Wiedergeburt als Beginn eines notwendigen persönlichen Glaubenslebens, evangelistisches Wirken und theologische Apologetik als Mittel, um Entkirchlichte wieder mit Kirche und christlichem Glauben in Berührung zu bringen. Auf den Weltkonferenzen der Evangelischen Allianz war er eine vielbeachtete Persönlichkeit. Aus England waren Christlieb Evangelisationsveranstaltungen, die sich in großen Kampagnen an zwar getaufte, aber nicht gläubig gewordene Kirchenglieder richeteten, vertraut. Für die deutsche Übersetzung eines Buches Charles G. Finneys hatte er das Vorwort geschrieben. Moodys Evangelisationen verfolgte er mit Interesse. Und auch Persall Smith hatte er 1875 in Deutschland unterstützt. Als er nun mit dem »deutschen Moody« Friedrich von Schlümbach zusammentraf, ergriff er die Gelegenheit, seine Gedanken zur Evangelisation in Deutschland in die Tat umzusetzen. Theoretisch entfalten sollte er diese Gedanken in der Schrift »Zur methodistischen Frage in Deutschland«, die 1882 erschien.32 Grundgedanke der Schrift ist, dass innerhalb der Landeskirchen »methodistische« Arbeits- und Missionsformen beheimatet werden müssten, um so zu einer wirklich missionarischen Kirche zu werden und gleichzeitig eine eigene Mission und Kirchenbildung durch die Methodisten in Deutschland überflüssig zu machen. Er teilte mit diesen die Auffassung, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung, wenngleich formal Glied der Landeskirche, ohne eine persönliche Beziehung zum christlichen Glauben lebte und daher Evangelisation als Mission an Getauften zu den vorrangigen Aufgaben kirchlicher Arbeit gehören müsse. Konkret sprach er sich für die erweckliche Predigt durch Laien als Ergänzung zum geordneten Pfarramt aus, für die allgemeine Einführung von Sonntagsschulen und eine auf Ge32 Christlieb, Theodor: Zur methodistischen Frage in Deutschland, Halle 1882 (2. Auflage Bonn/Gernsbach: Johannes Schergens 1882).

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meinschaftsbildung zielende erwecklich-missionarische Ausrichtung der Gemeinden. In Schlümbach sah er den geeigneten Mann, seine Konzeption in einem ersten Schritt in die Tat umzusetzen.33 Dieser war im Oktober 1881 zwar in die USA zurückgekehrt34, aber doch wieder in so schlechter körperlicher Verfassung, dass er von den Ärzten zurück nach Deutschland geschickt wurde, um sich weiter behandeln zu lassen.35 Die finanziellen Mittel für die Kur und zum Unterhalt der Familie wurden von einigen Freunden um Richard C. Morse vom YMCA und H. G. Dickhaut von der Methodistenkirche organisiert.36 Sowohl in Kreisen des YMCA als auch der Methodistenkirche bat man öffentlich um Spenden für Schlümbach. Im Januar 1882 wurde Schlümbach schließlich in Stuttgart erfolgreich an seiner Fistula in Ano operiert und ihm eine zweimonatige Rekonvaleszenz empfohlen.37 Zum Teil hat sich Schlümbach wohl an die empfohlene Ruhezeit gehalten – zumindest trat er in den folgenden Monaten nicht öffentlich in Erscheinung. Dennoch war er bereits im März in die Planung seiner weiteren Tätigkeit in Deutschland involviert. Mit Friedrich Wegener, dem Bundesagenten des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes, machte er Pläne für eine Besuchsreise durch das Bundesgebiet im Sommer. Eine ganze Reihe von Vereinsjubiläen und Sommerfesten standen an, die einen idealen Rah33 Zu Theodor Christlieb (1833–1889) vgl. v. a. Voigt: Art. Christlieb; Voigt: Christlieb; Schirmacher: Christlieb. Dort jeweils zahlreiche Literaturangaben. 34 Aus seiner Kur hatte Schlümbach geschrieben, er plane, in Bälde mit der Furnesia in die USA zurückzukehren, »um stille zu harren, was Jesus mit mir vor hat. Ob er mich bei Seite stellen will für immer? Nun, ich sage ihm Lob und Dank, dass ich gewürdigt war, so lange im aktiven Dienste gewesen zu sein; bin aber von Herzen willig, auch noch recht lange zu wirken, bis daß er kommt!« Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1881, S. 332. 35 Die Ärzte rieten zu einem erneuten, etwa einjährigen Erholungsaufenthalt »absoluter Ruhe« in Deutschland; vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1882, S. 2. Schlümbach verließ also New York am 19. 11. 1881 mit der Circassia und erreichte Glasgow im Dezember nach stürmischer Überfahrt. Auch Moody und Sankey unternahmen etwa zur gleichen Zeit eine stürmische Überfahrt, um in einigen Städten Englands ihre Evangelisationen fortzusetzen; vgl. CA 1882, S. 14. 36 Zu diesem Zweck ließ sich auch für 1 $ ein Photo von Schlümbach, das vor Abreise aufgenommen worden war, erstehen. Für Schlümbach und seine Familie, die »ein Jahr besonderer Anfechtung und Prüfung« erlebe, wurde im Christlichen Apologeten zum Gebet aufgerufen. Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1882, S. 4; auch Watchman 1882, S. 9. 37 Schlümbach hatte sich erneut in Behandlung bei seinem Schwager, Dr. Hermann Werner in Markgröningen, begeben, bei dem er am 30. 12. 1881 eingetroffen war. Dieser hatte Schlümbach eine Operation seiner Fistula in Ano empfohlen, so dass sich Schlümbach Anfang 1882 in das Hospital der Diakonissenanstalt in Stuttgart begab, um sich operativ von Dr. Hermann, assistiert von Dr. Roth, behandeln zu lassen. Die Operation am 9. 1. hatte vollen Erfolg, so dass Schlümbach seiner diesbezüglichen Leiden entledigt werden konnte. Vgl. Physician’s Affidavit, State of Wurttemberg, County of Ludwigsburg 23. 12. 1882 (Pension File Von Schluembach, National Archives). Am 30. 1. 1882 wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Vgl. Physician’s Avidavit, Dr. Roth, Stuttgart 31. 1. 1883 (Pension File Von Schluembach, National Archives).

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men für eine publikumswirksame Neubelebung der Vereinsarbeit durch Schlümbach abgeben würden.38 Außerdem stand Schlümbach in Kontakt mit Ernst Ferdinand Stroeter, seinem Predigerkollegen aus der Bischöflichen Methodistenkirche, der sich zur gleichen Zeit in Europa aufhielt und gemeinsam mit Schlümbach über eine längere Wirksamkeit in Deutschland nachdachte. Sie hatten verabredet, sich Mitte April in Frankfurt am Main zu treffen.39 Ende April reiste Schlümbach nach London, um für seine Pläne einer Tätigkeit in Deutschland Geldgeber vor allem im Kreise des YMCA zu finden. Eine Person – wahrscheinlich George Williams persönlich – sagte bereits zu diesem Zeitpunkt eine Summe von 300 $ jährlich zu, Schlümbach bemühte sich aber um weitere Gönner.40 Zur gleichen Zeit bemühte sich Stroeter in den USA um Mittel, indem er Richard Morse auf das wohlhabende Ehepaar Stokes ansetzte und selbst an den Industriellen Niedringhaus schrieb. Inhaltlich hatte er sich mit Morse besprochen und in dessen Sinne an Schlümbach und Christlieb geschrieben. Er selbst hoffte, bald nach Deutschland nachkommen zu können.41 Auch in Deutschland hatte Schlümbach seine Kontakte ausgebaut, so dass Theodor Christlieb Ende Mai von ganz konkreten Plänen an Richard Morse berichten konnte.42 Christlieb hatte mit Schlümbach ein Circular zur Evangelisation in Deutschland erarbeitet, das er in den nächsten Tagen zu verschicken beabsichtigte – auch nach Amerika. Für Ende September war ein großes Treffen evangelischer Freunde in Berlin geplant, bei dem Schlümbach die Notwendigkeit für die Evangelisierung der deutschen Großstädte darstellen sollte. Christliebs Hoffnung war, dass auf diese Weise einflussreiche Mitglieder – sowohl Prediger als auch Laien – für ein Internationales Komitee zur Evangelisierung Deutschlands gefunden werden könnten. Von Ende September an bis Weihnachten oder später sollte Schlümbach dann in Berlin in öffentlichen Veranstaltungsräumen wirken, wofür auch schon einer der Hofprediger – wohl Adolf Stoecker – seine Unterstützung zugesagt hatte.

38 Vgl. Brief Friedrich Wegeners an das International Committee des YMCA vom 28. 3. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). 39 Vgl. Brief Ernst F. Ströters an Richard C. Morse vom 29. 3. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). Dort wollten sie über ein Schreiben des International Committee beraten, dessen näherer Inhalt nicht ermittelt werden konnte. 40 Schlümbach hatte dies von London aus Ernst Stroeter brieflich mitgeteilt; vgl. Brief Ernst F. Ströters an Richard C. Morse vom 10. 5. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). 41 Vgl. Brief Ernst F. Ströters an Richard C. Morse vom 10. 5. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). 42 Vgl. Brief Theodor Christliebs an Richard C. Morse vom 28. 5. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«), worauf sich auch die folgenden Ausführungen beziehen.

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Christlieb schreibt, in finanzieller Hinsicht sei Schlümbach für die Vorbereitungszeit im Sommer und Herbst durch Geldmittel aus England abgesichert. Die amerikanischen Mittel, die von Morse gesammelt und überwiesen werden sollten, würden also nur gebraucht, um Stroeter und seine Familie nach Deutschland zu holen. Zur Mittelbeschaffung überlegte Christlieb, ob er einen für den Spätsommer vorgesehenen Aufenthalt in Yale zu einer werbenden Vortragsreise durch große Städte der USA nutzen sollte. Für das geplante Projekt in Deutschland erwartete Christlieb vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen an der Universität Bonn eine kräftige Opposition sowohl von rationalistischen Kräften als auch von konfessionellen Lutheranern. Einen Monat später konnte Christlieb dem International Committee bereits konkrete Pläne unterbreiten: Er habe die Mithilfe Stoeckers und von Oertzens gewinnen können, so dass Schlümbach mindestens für vier Monate, also bis Ende Januar 1883, von seiner Arbeit in Amerika freigestellt werden solle. Das für Ende September anvisierte Treffen von »friends of the evangelical party of our Church« in Berlin sei nun mithilfe Stoeckers fest geplant. Er selbst wolle dort in das Thema der Massenevangelisation einführen, Schlümbach solle ihm dann als Redner folgen. Dadurch sollten einflussreiche Mitglieder für das Internationale Evangelisationskomitee in den einzelnen Provinzen gewonnen werden, vielleicht kristallisiere sich nach der viermonatigen Tätigkeit Schlümbachs auch ein größeres Internationales Evangelisationskomitee heraus. Bisher habe Schlümbach viele offene Türen am Niederrhein, in Westfalen, Hannover, Hamburg und Berlin gefunden, auch bei sonst nur schwer zu gewinnenden Kirchenleuten. Wie die weitere Evangelisationsarbeit in Deutschland im nächsten Jahr zu gestalten sei, hänge wesentlich vom Erfolg Schlümbachs in den nächsten Monaten ab. Die Reisekosten für den Sommer hätten bereits einige Freunde in London übernommen.43 Dorthin war Schlümbach im Juni erneut gereist, und am 29. 6. schrieb er im Christian von einer »gesegneten ›Allianz-Versammlung‹« in der Stadt.44 Ob diese Versammlung identisch war mit der in Aldersgate, von der der Evangelist schreibt, dass Schlümbach Engländer und Amerikaner für die Evangelisationsarbeit in Deutschland begeistern konnte, ist nicht ganz deutlich.45 Jasper von Oertzen und Adolf Stoecker, die Christlieb als Mitstreiter hatte gewinnen können, wandten sich derweil jeweils selbst an Richard C. Morse.

43 Vgl. Brief Theodor Christliebs an Richard C. Morse vom 25. 6. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). 44 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1882, S. 268. 45 Vgl. Ev. 1882, S. 188.

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Oertzen schreibt aus Hamburg unter dem Eindruck eines Besuches Schlümbachs dort am 11. und 12. Juni: »Theurer Bruder in Christo! Nach Jahren der Dürre [. . .] scheint der HErr jetzt fruchtbare Jahre senden zu wollen über unser Norddeutschland. Ganz besonders beginnt es sich zu rühren u zu regen unter unserer Jugend, der Geist Gottes arbeitet an den Herzen vieler Jünglinge, aller Orten kommen Jünglinge zum Glauben. Jetzt gilt es aber einzusetzen und zu arbeiten, die Zeit auszukaufen – die Gnadenzeit kann schnell vorüber ziehen. – Sonntag und Montag haben wir unser Bundesfest hier gefeiert u schenkte der HErr uns seinen Segen – es steht hier jetzt anders als zur Zeit der internationalen Versammlung – es geht vorwärts. Großen Segen hat uns der liebe Bruder von Schluembach gebracht, er hat die Jünglinge durch sein Wort elektrisiert u begeistert u beherrscht der eine Wunsch uns nun: Könnte dieser liebe Freund, doch etwas länger, nachhaltiger [. . .] unter unseren Jünglingen arbeiten!! Er sagte mir er müße bald nach Amerika zurück; ich möchte Sie nun aber bitten, verzeihen Sie es uns – daß dieser begnadigte Arbeiter einige Monate länger ruhig unter uns wirken und zeugen könne vom HErrn. – Die Thüren öffnen sich aller Orten gerade jetzt in unseren sonst so verschlossenen lutherischen Norden. Helfen Sie uns! Beten Sie alle für uns! In herzlicher Liebe Ihr geringer Bruder und Mitstreiter Baron J. von Oertzen.«46

Auch Stoecker schrieb im Hinblick auf eine Evangelistentätigkeit Schlümbachs in Deutschland an Morse und das International Committee des YMCA. Er sei durch Christlieb mit Schlümbach bekannt gemacht worden und habe mit Freude den Gedanken Christliebs, Schlümbach als Evangelist in Berlin wirken zu lassen, aufgegriffen. Schon lange schwebe ihm als Vorsitzendem der Stadtmission eine Evangelisationstätigkeit in den entkirchlichten Berliner Vorstädten vor; Schlümbach sei genau der richtige Mann für dieses Vorhaben. Bedingung für eine erfolgreiche Tätigkeit sei aber, dass Schlümbach für einige Monate nach Berlin kommen könne, in wenigen Wochen könne nicht viel ausgerichtet werden. Er selbst wolle Schlümbach von Einsatzort zu Einsatzort begleiten. Seine Bitte sei, dass das International Committee die Abwesenheit Schlümbachs von Amerika nicht zu sehr begrenzen möge, sondern Schlümbach den ganzen Winter über in Berlin wirken lasse.47

46 Brief Jasper von Oertzens an Richard C. Morse vom 14. 6. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). Handschriftliche Eintragungen auf dem in den Kautz Family YMCA Archives erhaltenen Programmblatt zeigen, dass Schlümbach jeweils in Programmblöcken mit freien Ansprachen redete und nicht mit einem Referat o. ä. angekündigt wurde (Box »Germany – Alsace – Lorraine – Berlin – Braunschweig – Herne«, Folder »Germany – North German Bund misc. ND–1882«). Im gleichen Ordner findet sich auch der Liederzettel des Bundesfestes mit zahlreichen nur schwer lesbaren handschriftlichen Notizen zum Programm und den gehaltenen Reden, wahrscheinlich aus der Feder Schlümbachs. 47 Vgl. Brief Adolf Stoeckers an Richard C. Morse vom 28. 6. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«).

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Am 12. Juli wurden die Schreiben Christliebs und Stoeckers in einer Sitzung des International Committee verlesen. Die Bitten um Kooperation mit dem International Committee bei einer Tätigkeit Schlümbachs in Deutschland liefen allerdings ins Leere, da Schlümbach mittlerweile nicht mehr beim Komitee angestellt war. Entsprechend verhielt es sich mit den Finanzen. Auch wenn das Komitee »in hearty sympathy« mit aller guten Arbeit Schlümbachs in Deutschland war48, schrieb Morse, bevor er Christlieb und Stoecker antwortete, am 15. 7. einen Brief an Schlümbach, der seinen Worten nach zwar in freundschaftlichem und brüderlichem Geist zu verstehen war, in dem er Schlümbach aber massiv und direkt anging: Was hatte Schlümbach seinen deutschen Freunden erzählt? »Do they think and have you allowed them to think that your support and that of your family is assured by the Committee, and that all they have to do is to ask for your services?« Schlümbach dürfte doch klar gewesen sein, dass eine Unterstützung seiner Arbeit in Deutschland durch das International Committee nicht möglich sein würde. Wie hatte er da falsche Hoffnungen wecken können? Er und seine deutschen Freunde müssten sich schon selbst um die nötigen Geldmittel bemühen. Allerdings sollte Schlümbach lieber Christlieb und Oertzen an Stokes schreiben lassen, denn ein Brief von diesen wiege mehr als viele von ihm. Und es müsse dabei auch um den Unterhalt seiner Familie gehen. Denn der Fonds zu diesem Zweck, der eigentlich nur für die Zeit seiner krankheitsbedingten Abwesenheit angelegt worden war, sei erschöpft. Überhaupt müsse die Klärung seiner familiären Situation Vorrang vor allem anderen haben; in einem kürzlich eingegangen Brief habe Schlümbach sich nicht zufriedenstellend dazu geäußert: »Your letter seems to leave this re-union and consummation a little in doubt. You do not express the determination as head and real master of the situation to set your home in order as a Christian household. Yet how you can exspect to continue a respected Christian teacher and preacher without such a scriptural ordering of your household the Committee cannot understand or conceive.«

Die Wiedervereinigung mit seiner Familie sei Bedingung sine qua non für jedwede weitere christliche Tätigkeit.49 Sollte Schlümbach eine Zusammenführung mit seiner Familie nicht ohnehin schon erwogen haben, so reagierte er prompt auf das Schreiben von Morse, denn bereits am 27. 7. ging – wahrscheinlich telegraphisch – bei seiner Familie in Crawford die Nachricht ein, dass sie nach Deutschland kommen müssten und sich am 2. 9. für die Reise bereithalten sollten. In ungelenker Handschrift schrieb Schlümbachs Tochter Thekla an Morse, was es denn 48

Vgl. Minute Book of the International Committee, Part II, S. 25 (YMCA Arch.). Vgl. Brief Richard C. Morses an Friedrich von Schlümbach vom 15. 7. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). 49

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damit auf sich habe und dass ihre Mutter ihn in den kommenden Tagen besuchen würde, um Näheres zu erfahren.50 Sowohl auf Christliebs als auch Stoeckers Briefe hatte Morse mittlerweile mit jeweils eigenen Schreiben reagiert. In beiden betonte er, dass Schlümbach, seit er die USA verlassen habe, nicht mehr vom International Committee bezahlt worden sei und seine Familie durch einen bald erschöpften Fonds unterstützt werde. Die Familie müsse nach Deutschland kommen und die nötigen Gelder bei Freunden diesseits und jenseits des Atlantiks, deren Adressen Schlümbach kenne, am besten durch ein für diesen Zweck zusammentretendes Komitee beschafft werden. Wenn es also lediglich um die weitere Freistellung Schlümbachs ohne jedwede finanzielle Verpflichtung gehe, könne man den Anfragen aus Deutschland gerne zustimmen: »We have long felt that he was qualified to be a great blessing to many in his native land.«51 Wenngleich die Finanzfrage zunächst ungelöst blieb, wurden bereits Mitte August 1882 die Pläne für eine Evangelisationstätigkeit Schlümbachs in Deutschland publik gemacht. So schreibt die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung am 11. 8.: »Schon wieder steht uns der Besuch eines Erweckungspredigers bevor. Der Methodist F. v. Schlümbach aus New-York, unter dem Namen ›der deutsche Moody‹ bekannt, hat sich entschlossen, die vielen Einladungen anzunehmen, welche an ihn herantraten, um in Deutschland, namentlich unter den ›unbekehrten Massen der großen Städte‹ zu wirken. Gegenwärtig hält er sich in Bonn auf. Späterhin wird er an der Wupperthaler Festwoche theilnehmen und am 13. August bei dem Jahresfest der Evang. Gesellschaft für die protestant. Deutschen in Amerika als Festprediger auftreten.«52

Was zunächst von der Organisationsform eher lose angedacht war, fand seine organisatorische Ausgestaltung in der Gründung eines »Evangelisations-Comités« am 4. Oktober 1882 in Berlin. Dem Komitee gehörten Theodor Christlieb, Andreas Graf Bernstoff, Jasper von Oertzen und Adolf Stoecker an. Nicht ganz klar ist, ob Karl Krummacher auch zu diesem Komitee gehörte53; auf jeden Fall war er bei der Konstituierung nicht anwesend, wurde aber umgehend von der Sitzung in Berlin informiert. Ziel war zum einen die konzentrierte Unterstützung Schlümbachs, gleichzeitig aber auch, »den Weltstürmer [. . .] in Zucht u Zaum zu nehmen«, also auch die konkrete 50 Vgl. Brief Thekla von Schlümbachs an Richard C. Morse vom 28. 7. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). 51 Brief Richard C. Morses an Theodor Christlieb vom 17. 7. 1882; vgl. auch Brief Richard C. Morses an Adolf Stoecker vom 17. 7. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). 52 AELKZ 1882, S. 764. 53 Bei der Aufzählung derer, die ihn zur Evangelisation nach Deutschland berufen hätten, wird Krummacher von Schlümbach in CA 1883, S. 284 zusammen mit den anderen Komiteemitgliedern genannt.

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Lenkung seiner Tätigkeit. Zielgruppe der Evangelisationen sollten »die entkirchlichten Massen der Großstädte« sein.54 So liefen die Vorbereitungen im Hintergrund, als Schlümbach wieder auf der Bühne der Öffentlichkeit erschien.

1.4 Kampagne im Kleinen: Besuchsreise durch den Rheinisch-westfälischen Jünglingsbund Von Ende Mai 1882 an trat Schlümbach wieder öffentlich in Erscheinung. So wurde im Mai 1882 im Jünglingsboten die Ankündigung veröffentlicht, dass Schlümbach zusammen mit Wegener eine Reihe von Vereinen im Bundesgebiet besuchen wolle, der Reiseplan sei schon zusammengestellt. Außerdem wolle er im August am Bundesfest teilnehmen.55 Und so wurden zahlreiche Vereins- und Jünglingsfeste im Rheinisch-westfälischen Jünglingsbund von Schlümbach und Wegener im Juni besucht, unter anderem in Wittlage, Nordhorn, Lengerich, Eisernfeld, Siegen, Herborn, Dillenburg, Jöllenbeck, aber auch eines in Hamburg, dem Hauptsitz des Nordbundes.56 In Lengerich traten Schlümbach und Wegener am 2. Pfingsttag als Festredner beim Kreis-Jünglingsfest des Tecklenburger Kreises auf. Im Bericht des Jünglingsboten wird die Rede Schlümbachs in besonderer Weise hervorgehoben. Schlümbach schilderte Arbeitsweise und Erfolg der Jünglingsvereine in Amerika, betonte auch die große »Opferwilligkeit«57, von der diese getragen würden. Das Problem der interkulturellen Vermittlung wird wahrgenommen: »Wenn auch amerikanische Art sich nicht ohne weiteres auf deutschen Boden verpflanzen läßt, so hat doch gewiß ein jeder aus den Mitteilungen und herzandringenden Mahnungen des vielerfahrenen Mannes eine kräftige Anregung mitgenommen, sich die Jünglingssache ernst am Herzen liegen zu lassen. Was unter uns am meisten den noch gedeihlicheren Fortgang derselben hindert, ist die in manchen Gemeinden, auch unter ernsten Menschen, herrschende beklagenswerte Gleichgültigkeit gegen diesen hochwichtigen Zweig der inneren Mission.«58

Auch hier sollte ein Hoch auf den Kaiser der patriotischen Gesinnung der Jünglingsvereine Ausdruck verleihen. 54 Vgl. Brief Jasper von Oertzens an Karl Krummacher vom 5. 10. 1882 (Archiv des CVJMWestbundes, Akte 02.2–4, Bd. 1). 55 Vgl. Aus unseren Vereinen. In: JB 1882, S. 92. 56 Vgl. Aus unseren Vereinen. In: JB 1882, S. 109. Ein sehr positives Resümee dieser Reise wurde am 28. 6. 1881 auch im rheinisch-westfälischen Bundesvorstand gezogen; vgl. Protokollbuch des Bundesvorstands, S. 789 (833) (Archiv des CVJM-Westbunds). 57 Aus unseren Vereinen. In: JB 1882, S. 102. 58 Aus unseren Vereinen. In: JB 1882, S. 102.

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Beim Jahresfest des Jünglingsvereins von Zollenbeck redete Schlümbach nach Ansprachen von Prediger Thelemann und Bundesagent Wegener vor 2.500–3.000 jungen Menschen. Seine Erfahrungen bestärkten ihn, eine langfristige Tätigkeit in Deutschland ernsthaft ins Auge zu fassen: »Durch den Segen, welchen Gott sichtbar auf seine eigene Ansprache legte, fühlte Br. v. Schlümbach sich ermuthigt, die vielen Einladungen anzunehmen, welche an ihn herantraten, um in Deutschland, namentlich unter den unbekehrten Massen der großen Städte zu wirken. Er ersucht die Brüder, für ihn zu beten. Briefe und Einladungen erreichen ihn unter der Adresse: Rev. F. v. Schlümbach in Bonn am Rhein.«59

Schlümbach dürfte in Bonn Gast von Theodor Christlieb gewesen sein, und im Vergleich zum Vorjahr ist die Einladungen betreffend eine deutliche Akzentverschiebung von der Jünglingsarbeit hin zur großstädtischen Evangelisationsarbeit zu erkennen. Doch nicht nur in Hamburg wirkte Schlümbach in diesen Sommermonaten über das Bundesgebiet des Rheinisch-westfälischen Jünglingsbundes hinaus, sondern auch in die Hauptstadt Berlin und in die Schweiz führten ihn Reisen. Zusammen mit Wegener muss Schlümbach bereits im Juni 1882 auch in Berlin gewesen sein.60 Am 8. und 9. Juli besuchte Schlümbach von Elberfeld aus das Bundesfest der deutsch-schweizerischen Vereine in Zürich. Er sprach vor 400–500 Zuhörern über die Vereinsarbeit in den Vereinigten Staaten und wusste die Zuhörerschaft dabei offensichtlich derart zu fesseln, dass das leitende Komitee in einem Brief an das International Committee seinen tiefen Dank aussprach »für den Segen der uns durch Bruder Schlümbach zu Theil geworden ist. [. . .] In sichtlicher Bewegung gelobte die ganze Versammlung künftig treuer und eifriger in dem uns aufgetragenen Werk zu stehen u zu arbeiten mit völligerer Hingabe an den HErrn.« Man erwartete sich nachhaltige Impulse von Schlümbachs Besuch. Auch Adolf Stoecker besuchte die Konferenz auf der Durchreise durch die Schweiz und bekräftigte in seiner Rede die Anregungen Schlümbachs.61 Seine Teilnahme am Bundesfest des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes vom 5.–6. 8. hatte Schlümbach fest zugesagt.62 Im veröffentlichten Programm des 32. Bundesfestes am 6. 8. wird »Pastor von Schlümbach aus Amerika« als »Erster Redner« (und im Programm auch einziger namentlich genannter) bei der »Begrüßung von seiten anderweitiger Jünglingsbündnisse« erwähnt. Außerdem sind für den nachmittäglichen Ausflug am Montag, 59

Editorielle Notizen. In: CA 1882, S. 268. Vgl. Protokollbuch des Bundesvorstands, S. 789 (833) (Archiv des CVJM-Westbunds). 61 Brief H. Eidenbenz’ an Erskine Uhl vom 11. 7. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«). 62 Vgl. die Notiz in JB 1882, S. 116. 60

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dem 7. 8. zum Elendsthal »Mitteilungen von Pastor von Schlümbach« angekündigt.63 Schon bei der Generalversammlung des Bundes am 5. 8. war Schlümbach anwesend und wurde zusammen mit Vertretern anderer Bündnisse begrüßt.64 Er hörte dort die verhandelten Vereins-Interna wie die Frage der Mittelbeschaffung, aber auch die Reiseberichte der Agenten Wegener und Aßmann. Dabei wurde die Vielfalt ihrer Tätigkeiten geschildert und auch die zahlreichen Vorträge und öffentlichen Versammlungen mit dem »lieben amerikanischen Freund von Schlümbach«65 erwähnt. Angemerkt wird weiter, dass in Deutschland die Landvereine die Stadtvereine meist überflügelten und man überlegen müsse, wie die Arbeit in den Städten zu stärken sei. Das Hauptreferat des Tages von K. H. Nebinger aus Deutz widmete sich dem Thema: »In welcher Weise können die Mitglieder unserer Vereine für das Reich Gottes thätig sein?«. Schlümbach war so angetan – der Schwerpunkt des Vortrags auf der Bekehrung des jungen Mannes als Grundvoraussetzung für alles Wirken in Verein, Kirche und Gesellschaft deckte sich mit seinen Vorstellungen –, dass er das Bundeskomitee darum bat, das Referat doch in Traktatform erscheinen zu lassen. Dieser Bitte wurde auch stattgegeben. Er werde sich um die Verbreitung desselben in Amerika bemühen.66 Bei der inhaltlichen Diskussion der Sache machte sich Schlümbach für den »Wert der Einzelarbeit« stark. Man leide in Amerika vielerorts an der »Phraseologie«, einer zu oberflächlichen Anschauung von der Vereinsarbeit, die zwar die Massen begeistern, aber nicht die Arbeit im Kleinen tun wolle. Er spickte seine Ausführungen mit eigenen Erfahrungen und praktischen Hinweisen für die Vereinsvorsteher.67 Dem Bundesfest am 6. 8. mit etwa 1.400 jungen Männern wohnte Schlümbach ebenso bei. Karl Krummacher führte in seinem Jahresbericht aus, dass es zu einem Fortschritt des Werkes vor allem auf dem Lande und in Kleinstädten gekommen sei, während in den Großstädten keine nennenswerten Zuwächse zu verzeichnen seien. Es sei wohl notwendig, dort eigene Agenten einzustellen, die ihre ganze Zeit und Kraft der Jünglingsvereins63

Vgl. Aus unseren Vereinen. In: JB 1882, S. 124. Vgl. [G. R.:] Die 32te Generalversammlung des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes am 5ten August 1882. In: JB 1882, S. 132–135, dort 133. 65 Vgl. [G. R.:] Die 32te Generalversammlung des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes am 5ten August 1882. In: JB 1882, S. 132–135, dort 133. 66 Vgl. [G. R.:] Die 32te Generalversammlung des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes am 5ten August 1882. In: JB 1882, S. 132–135, dort 133. Das Referat ging noch im gleichen Jahr als 14seitiges Pamphlet in Elberfeld in Druck; vgl. das Exemplar in den Kautz Familiy YMCA Archives (Box »Germany – Student work – West German Bund«, Folder »Germany – West German Bund – Yearbooks and Annual Reports 1869–1910«). 67 Vgl. [G. R.:] Die 32te Generalversammlung des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes am 5ten August 1882. In: JB 1882, S. 132–135, dort 134. 64

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sache widmen könnten.68 Am Schluss des Berichts kündigte Krummacher ein erstes deutsches Jünglingsfest am Hermannsdenkmal an, das maßgeblich von Schlümbach initiiert worden war.69 »Möge die Einigkeit Deutschlands auch in unserer Arbeit zur Ausgestaltung kommen.«70 Nach dem Hoch auf den Kaiser durch Pastor Krafft, Elberfeld, ergriff Schlümbach das Wort, um von den Jünglingsvereinen in Amerika zu grüßen und zu berichten. Gerade das letzte Jahr sei ein besonders gesegnetes gewesen. Viele junge Männer hätten sich ganz der Vereinssache zur Verfügung gestellt, so dass mittlerweile 258 Agenten für die Vereine angestellt seien und sich auch die Zahl der Vereinsgebäude stetig vermehre. Aber auch das »Wachstum nach innen« habe sich intensiviert, »indem die Liebe zur Bibel und der Eifer im Studium derselben entschieden zugenommen habe«. Erfreulich sei überdies, dass die Vereine mittlerweile auch von der Pastorenschaft der Kirchen breite Unterstützung erhielten.71 Im Protokoll des Vorstands heißt es: »[Schlümbach] wußte in seiner derben, packenden und mit Humor durchwürzten Ansprache die Versammlung an seinen Bericht, den er teils über die amerikanische Jünglingsarbeit, teils über seine Erfahrungen hier in Deutschland gab, ganz zu fesseln. Es waren drei Dinge, die er den deutschen Jünglingsvereinen auch wünschte, nämlich: mehr Einigkeit, mehr Festigkeit und mehr Lebensfrömmigkeit verbunden mit Demut.«72

Der Berichterstatter des Jünglingsboten formulierte, dass man sich diese Mahnungen zu Herzen nehmen wolle.73 Im Grußwort von Pastor Deggau, Darmstadt, im Namen des Süddeutschen Jünglingsbundes, kommen im Vergleich mit dem Westbund andere Prägungen zur Sprache. Während die süddeutschen Vereine eher etwas »engherzig« nach innen lebten, seien die westdeutschen sehr auf die »äußere Ausgestaltung« bedacht. Beides müsse aber zusammenwirken.74

68 [O. N.:] Das 32te Bundesfest des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes am 6ten August 1882. In: JB 1882, S. 139–141, dort 140. 69 Vgl. dazu Kap. 1.5. 70 [O. N.:] Das 32te Bundesfest des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes am 6ten August 1882. In: JB 1882, S. 139–141, dort 141. 71 Vgl. [o. N.:] Das 32te Bundesfest des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes am 6ten August 1882. In: JB 1882, S. 148–149, dort 148. 72 Vgl. Protokoll des Bundesvorstands, S. 787 (837) (Archiv des CVJM-Westbundes). 73 Vgl. [o. N.:] Das 32te Bundesfest des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes am 6ten August 1882. In: JB 1882, S. 148–149, dort 149. Dort waren die drei »Mahnworte«, die programmatisch Schlümbachs Anliegen für die deutschen Vereine zusammenfassten, mit: »Völligere Einigkeit! Mehr Festigkeit! Innigere Frömmigkeit!« wiedergegeben worden. 74 Vgl. [o. N.:] Das 32te Bundesfest des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes am 6ten August 1882. In: JB 1882, S. 148–149, dort 149.

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Bei der Nachfeier am Montagnachmittag, bestehend aus einer Wanderung zum Elendstal mit dortigem Kaffeetrinken und Ansprachen, redete – wie im Programm bereits angekündigt – auch Schlümbach. Er gab auf humorvolle Weise Einblick in seine Arbeit in Amerika, wobei er vor allem Episoden aus der Arbeit mit jungen Männern in Baltimore und Texas erzählte75, aber auch den in Amerika üblichen Pragmatismus und die geistliche Grundhaltung vieler amerikanischer Kaufleute mit ihren Auswirkungen auf die Vereinsarbeit veranschaulichte76. In diesem Zusammenhang kam Schlümbach auf den in Deutschland oft kritisierten »Bekehrungseifer« zu sprechen, von dem er sich zumindest in gewissen Zügen der Methodik distanzierte: »Es giebt dort Bekehrungsfanatiker, denen die armen Ungläubigen aus dem Wege gehen, wie man dem Juden aus dem Wege geht, dem man Geld schuldig ist. Man darf nicht mit plumper Energie losstürmen, darf aber auch nicht in zaghafter Schüchternheit die Gelegenheit versäumen. Da spricht so ein ängstlicher Hasenfuß: ›Wie kann ich dem N. N. ein Führer auf dem rechten Weg sein wollen! Er kennt ja meine schwachen Seiten, er weiß, was ich für ein Schwachmatikus im Christentum bin; er weiß, daß es bei mir nicht so klappt.‹ Das ist eine feige Sprache. Darüber, daß es bei uns hapert, haben wir zu klagen unser Leben lang. Aber vorwärts kommen wir im inneren Leben, so wir anders Kinder Gottes sind. Auch wenn wir straucheln – der liebe Gott hebt uns schnell wieder auf und bringt uns einen Schub höher. Darum sprich dem N. N. nur herzlich und herzhaft zu trotz deiner Mängel; er muß doch der Wahrheit die Ehre geben und bekennen: ›Es ist im Christentum mehr als ich gedacht habe.‹ – Herzhaft und herzlich! das sei die Regel. Moody sagt: ›Ein warmer Händedruck und ein freundliches Wort am Anfang der Bekanntschaft wirkt segensreicher, als hernach die glänzendste Ansprache!‹«77

Am gleichen Tag fand im Rahmen der Wuppertaler Festwoche die Konferenz der Evangelischen Gesellschaft statt. Auch dort redete Schlümbach. In einem Bericht der Elberfelder Zeitung vom 7. 8. 1882 heißt es: »Herr Pastor v. Schlümbach erinnert in seiner leutseligen Weise an die Umstände, unter denen die Thessalonicher zum Herrn geführt wurden. Nur wer selbst so gründlich zum Herrn gebracht worden und in dem der Herr eine Gestalt gewonnen, sei geschickt zur Arbeit im Reiche Gottes. Wir müssen uns also gründlich prüfen, ob der Herr in uns ist – wenn das der Fall ist, so sollen wir ihm dafür danken. Nun herrscht aber in christlichen Kreisen of zu viel Neid, wenn einmal einer merkt, daß der Andere ein bißchen weiter in seinen Erfolgen ist, als er. Nicht so der Apostel; er dankt dem Herrn für alle Segnungen, die er der Gemeinde zugewandt hat. Da, wo man für einander betet, da ist die rechte evangelische Gesellschaft, weil man da lernt, sich mit einander zu freuen. Wenn diese rechte brüderliche Freude sich nun auch nicht über

75 76 77

Vgl. Eine Nachlese zum Bundesfeste. In: JB 1882, S. 156–160, dort 157–160. Vgl. Aus anderweitigen Jünglingsbündnissen. In: JB 1882, S. 197–198. Aus anderweitigen Jünglingsbündnissen. In: JB 1882, S. 197–198, dort 198.

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Evangelisationsvorbereitung in Deutschland (1881–1882)

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Nacht erlernen läßt, so dürfen wir doch sicher sein, daß wir endlich darin ein klein wenig weiter kommen. Aber dies Werk des Glaubens macht den Menschen auch gebeugt, wie das durch schwere Arbeit gebeugte Alter. Jeden Schritt, den wir so thun, müssen wir im Glauben thun; wenn auch der Jordan nicht gleich bei dem ersten Schritt, den wir hineinsetzen, stille steht, nur nicht gleich den Muth scheitern lassen, der Herr ist da und hat sein Häuflein hin und her.«78

Am nächsten Tag gab Schlümbach als Jahresmotto Phil. 2,1.4 aus. Er verdeutlichte den Unterschied von Weltkindern und Kindern Gottes und malte die göttliche Liebe vor Augen, die befähige, einander zu lieben und aus der Barmherzigkeit als Frucht hervorwachse. Der Artikel beschreibt den Vortrag Schlümbachs als »köstlich« und ihn selbst als »allezeit frische[n] und an Erfahrung reiche[n] Mann«79. Im Rückblick auf Schlümbachs Reisetätigkeit innerhalb des Rheinischwestfälischen Jünglingsbundes schreibt die Neue Evangelische Kirchenzeitung, dass die Vereine »eine neue Anfrischung durch Pastor von Schlümbach erhalten haben, [. . .] überall in herzlicher und eindringender Weise zur Arbeit unter der heranwachsenden Jugend unseres Volkes ermunternd«80.

1.3 In die Öffentlichkeit: Vom Jünglingstreffen am Hermannsdenkmal zur Tagung der Positiven Union nach Berlin Eine Woche, nachdem Krummacher es auf dem Bundesfest bereits angekündigt hatte, erschien am 13. August 1882 im Jünglingsboten ein »Aufruf an die christlichen Jünglingsvereine Deutschlands«, in dem unter maßgeblicher Mitwirkung Schlümbachs zu einem Nationalfest der deutschen Jünglingsbündnisse am Hermannsdenkmal am Teutoburger Wald auf den 23.–25. September eingeladen wurde. Der Aufruf im Wortlaut: »Aufruf an die christlichen Jünglingsvereine Deutschlands. Liebe Brüder! Der Fortschritt der christlichen Jünglingsvereine Deutschlands während der letzten zehn Jahre erfüllt uns mit fröhlicher Hoffnung für dieselben und giebt uns das Recht, auch auf unser Werk das Dichterwort anzuwenden: ›Die Sach ist dein, Herr Jesu Christ, die Sach, an der wir stehen.‹ Aber darin liegt zugleich für uns der Antrieb, unsere Arbeit immer weiter auszudehnen und sie noch besser zu organisieren, besonders auch im Hinblick auf das, was von unsern Brüdern in anderen Ländern geschieht. Da erscheint es uns zunächst geboten, neben der Aufgabe, unseren Vereinen eine neue Anregung zu geben, eine gemeinsame Verständigung über Zweck und Ziel der in Deutschlands Gauen bestehenden Bündnisse ins Auge zu fassen. Zu diesem Zweck ist 78 79 80

Abgedruckt unter Editorielle Notizen in CA 1882, S. 284. Editorielle Notizen. In: CA 1882, S. 284. [o. N.:] Ein deutsches Jünglingsfest. In: NEKZ 1882, Sp. 518–519.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

ein allgemeines deutsches Jünglingsfest auf den 23.–25. September bei dem Hermannsdenkmal im Teutoburgerwalde (in der Nähe von Detmold) angeregt worden. Wir erlauben uns, alle Freunde unseres Werkes zu dieser Feier herzlich einzuladen und bitten die Vereine, sich möglichst durch einen oder mehrere Abgeordnete vertreten zu lassen. Nach gemeinsamer Verabredung haben wir folgendes Programm festgesetzt: Samstag, den 23. September, 5 Uhr abends: Begrüßungsrede: Pastor Dürselen aus Ronsdorf. Konstituierung des Bureau's. Verhandlung über das Thema: Welche Prinzipien müssen der Jünglingsvereinsarbeit zu Grunde liegen? Referent: Pastor von Ranke aus Potsdam. 8 Uhr: Pause zum Abendbrot. Nachher Verhandlung über das Thema: Was kann zur Ausdehnung unseres Werkes geschehen, namentlich auch in den größeren Städten? Referent: Pastor von Schlümbach aus Amerika. Sonntag, den 24. September, morgens 6 Uhr: Choral-Musik der Posaunenchöre. 7–8 Uhr: Gemeinsames Frühstück. 9 ½ Uhr: Beginn des Festgottesdienstes. Predigt: Professor Dr. Christlieb aus Bonn; Schlußwort: Pastor Krummacher aus Elberfeld. 12 Uhr: Gemeinschaftliches Mittagessen. 2 ½ Uhr: Freie Ansprachen. Redner: Pastor von Schlümbach, Oberlehrer Frenzel, Agent Wegener, Daniel Hermann aus Elberfeld und andere. Schlußwort: Konsistorialrat Thelemann aus Detmold. Abends 8 Uhr: Gesellige Vereinigung. Montag, den 25. September, morgens 7–8 Uhr: Morgenandacht und Frühstück. 8 ½ Uhr: Vortrag über ›die wahren Jugendideale‹: Pastor Reiff aus Stuttgart. Verhandlung über das Thema: Wie ist eine engere Bindung der deutschen Jünglingsbündnisse unter Wahrung ihrer Selbständigkeit herbeizuführen? Referent: v. Oertzen aus Hamburg. 12 Uhr: Gemeinschaftliches Mittagessen und offizieller Schluß. Für diejenigen Freunde, welche noch eine weitere Nacht ausbleiben können, ist für den Nachmittag ein Ausflug nach den romantisch gelegenen Extern-Steinen projektiert. Zur Geschäftsordnung bemerken wir, daß die Zahl der Deputierten eine unbeschränkte sein soll. Bei Abstimmungen jedoch darf jeder Bund höchstens 50 Stimmen abgeben. Zur Durchführung der äußeren Arrangements haben wir die Herren Pastor v. Schlümbach, Bundessekretär der deutschen Jünglingsvereine Amerikas, derzeit in unserer Mitte weilend, und Friedr. Wegener, Bundesagent des Rheinisch-Westfälischen Jünglingsbundes, beauftragt, die weiteren Schritte zu thun. Die genannten Freunde werden den Vereinen durch Rundschreiben nähere Mitteilungen machen. Behufs Unterbringung der Deputierten ist mit dem Besitzer des Gasthofes in unmittelbarer Nähe des Hermannsdenkmals folgende Vereinbarung getroffen. Derselbe übernimmt die Verpflegung von Samstag Nachmittag bis Montag Mittag (incl.) für Mark 7,50. (Nachtlager auf Strohmatratzen; wer Zimmer mit Bett wünscht, hat dieses bei der Anmeldung zu bemerken.)

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Die Anmeldungen müssen spätestens bis zum 15. September an Friedrich Wegener in Elberfeld gemacht werden. Betreffs Reiseerleichterungen wird nach eingezogenen Erkundigungen den sich meldenden Näheres mitgeteilt werden. Indem wir vorstehendes zur Kenntnis unserer Vereine bringen, können wir nicht umhin, den herzlichen Wunsch auszudrücken, daß die deutsche Jugend und ihre Freunde an dieser Feier sich zahlreich beteiligen und damit ihr Interesse an dem kräftigen Fortschritt der Jünglingsvereinssache unter uns bezeigen mögen, um so mehr, als das Fest an einem für das deutsche Volk hochbedeutsamen historischen Platze stattfindet und damit schon dem nationalen Gefühl: ›das ganze Deutschland soll es sein‹ kräftigen Ausdruck verleiht. Dem Herrn aber möge es gefallen, zu der Versammlung Segen und Gedeihen zu geben! Mit brüderlichem Gruß namens der verschiedenen Jünglingsbündnisse Deutschlands: Frenzel, Bautzen. Krummacher, Elberfeld. von Oertzen, Hamburg. von Ranke, Potsdam. Reiff, Stuttgart.«81

Zentrale Anliegen dieses Treffens sollen also die weitere Ausdehnung und eine bessere Organisation des Werkes sein – dabei durch das angeregt, was in Jünglingsbündnissen des Auslands geschieht. Damit solche Anregungen ihre Wirksamkeit entfalten können, soll auf dem Treffen ganz grundsätzlich eine Verständigung über (gemeinsamen) Zweck und Ziel der deutschen Jünglingsbündnisse erfolgen. Sprechend ist die Wahl des Ortes, welche auch im Aufruf selbst kommentiert wird. Das Hermannsdenkmal als Symbol nationaler Einheit – den Hintergrund bildet vor allem die Vereinigung des deutschen Reiches 1870/71 – soll einen entsprechenden Geist auf die Versammlung ausstrahlen. Einigkeit des deutschen Reiches und Einigkeit der deutschen Jünglingsbündnisse werden so miteinander verknüpft. Auch in anderen Publikationsorganen wurde auf das Jünglingsfest hingewiesen. Dort sah man die Mitteilung oft bereits im Kontext einer weiteren evangelistischen Tätigkeit, zum Teil wurde auch schon die Bekanntgabe veröffentlicht, dass man mit Schlümbach eine weitergehende evangelistische Tätigkeit in Deutschland beabsichtige. Der Evangelist schreibt in diesem Zusammenhang – wohl in Anspielung auf Christliebs Schrift zur methodistischen Frage –, dass »mit etwas mehr Seelsorge und Evangelisation von Seiten der Landeskirche« die Arbeit der Methodistenkirche nicht überflüssig werde.82

81 Aufruf an die christlichen Jünglingsvereine Deutschlands. In: JB 1882, S. 129–130; zit. nach Stursberg: Glauben, S. 83–84. 82 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: Ev. 1882, S. 316–317, dort 317.

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Das von Schlümbach angeregte und wohl auch maßgeblich organisierte83 Treffen von Delegierten aller fünf deutscher Jünglingsbündnisse am Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald kam vom 23.–25. September 1882 tatsächlich zustande. Im Vorfeld wurde debattiert – entzündet wohl an der Person Schlümbachs – ob es sich hierbei um eine Art Lagerversammlung nach amerikanischem Vorbild handele.84 Tatsächlich gingen junge Männer mit der Erwartung, eine solche zu erleben, in das Jünglingstreffen. Etwa 400 »Deputierte« aus den deutschen Jünglingsbündnissen nahmen an dem Fest teil. Jeder Teilnehmer erhielt eine Teilnehmerkarte mit der programmatischen Aufschrift »Seid einig! Philipper 2, 2.« Darunter, eine Abbildung des Hermannsdenkmals flankierend, die Parolen »Deutsche Einigkeit meine Stärke« und »Meine Stärke Deutschlands Macht«.85 Das Fest wurde am Samstagabend in einem eigens errichteten Festzelt von Pastor Dürselen aus Ronsdorf eröffnet.86 Dem Versammlungsort entsprechend schlug er deutlich nationale Töne an: »Es ist, als ob von dem kolossalen Denkmal herab das Flüstern der Bäume uns in das Ohr raunte: Deutschland, Deutschland über alles«. Das »deutsch-nationale Bundesfest«, das man nun feiere, sei eine Frucht der Reichseinigung vor zehn Jahren, als »Gott, der Herr, wieder einen deutschen Armin erweckt[e] in unserem teuren Kaiser Wilhelm I.«. Das deutsche Volk habe als Ursprungsland der Reformation »besondere Gaben von Gott empfangen«. Wenn nun zum neu erwachten

83 Im Festbericht des Jünglingsboten wird Schlümbach ausdrücklich für seine Veranlassung und organisatorische Ermöglichung des Festes gedankt. Vgl. [B.:] Das erste gemeinsame Fest der vereinigten Jünglingsbündnisse Deutschlands am Hermanns-Denkmal bei Detmold. In: JB 1882, S. 167–169, dort 167. Krummacher schreibt: »Das nach aller Urteil herrliche gelungene deutsche Jünglingsfest am Hermannsdenkmal [ist] wesentlich sein Werk. Ohne seine energische Initiative wäre das Fest schwerlich zustande gekommen, und wie trefflich hat er in Gemeinschaft mit Br. Wegener die äußeren Anordnungen getroffen, wie eindringlich und aus der Fülle seines Herzens in den Versammlungen zu uns geredet.« [K. Krummacher:] Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 84–85, dort 85. Die Vorarbeiten Schlümbachs sind auch aus den Protokollen des Vorstandes des Rheinisch-westfälischen Jünglingsbundes zu ersehen: Am 5. Juli machte Schlümbach den Vorschlag eines deutschen Bundesfestes für den 23. 9. und hatte zu diesem Zweck bereits ein Programm und eine Ansprache entworfen, die er an die deutschen Jünglingsvereine sandte. Dürselen, Krummacher, Spiecker und Wegener bildeten ein Komitee, das aufgrund der Vorlage Schlümbachs ein Programm an die Präsides der anderen Bündnisse zur Genehmigung senden sollte. Bereits zwei Wochen später heißt es, dass die nötigen Vorbereitungen getroffen seien und alles einen guten Erfolg verspreche. Am 6. 9. wurde dies noch einmal bestätigt; vgl. Protokollbuch des Bundesvorstands, S. 784–788 (834–838). Vgl. auch Krummacher: Jünglingsvereine, S. 103. 84 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: Ev. 1882, S. 316–317, dort 316. 85 Vgl. Schlümbachs Teilnehmerkarte in der Box »Germany – Student work – West German Bund«, Folder »Germany – National Conferences – Reports, etc. 1882–1904« (YMCA Arch.). Die letztgenannten Parolen sind in natura auf dem Schwert des Denkmals zu lesen. Die Teilnehmerkarte findet auch Erwähnung bei Stursberg: Glauben, S. 82. 86 Seine Rede ist wiedergegeben in JB 1882, S. 165–167, daraus auch die folgenden Zitate.

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nationalen Geist der Geist Gottes hinzukomme, könne man auf »eine völlige Erneuerung und Wiedergeburt des nationalen Lebens« rechnen, dem auch die Jünglingsvereinssache dienen wolle.87 In den Duktus der Rede passt es, wenn in einem Nebensatz – wohl gegen allzu erwartungsvoll in den angloamerikanischen Raum Blickende – betont wird, dass alle Arbeit der Jünglingsvereine »unter Wahrung der heimischen Eigentümlichkeiten« zu geschehen habe.88 Im Anschluss wählte man Jasper von Oertzen zum Präses des Festes, Karl Krummacher fungierte als Vize-Präses.89 Dem Fortgang der Jünglingsvereinsarbeit widmeten sich in den nächsten Tagen die Referate von Reiff, Oertzen und Schlümbach. Während Reiff über »die wahren Jugendideale« referierte, waren die beiden sich ergänzenden Referate Schlümbachs und von Oertzens programmatisch der Zukunft zugewandt. Schlümbach hielt am Abend des ersten Tages seinen Vortrag über das Thema: »Was kann zur Ausdehnung unseres Werkes geschehen, namentlich in den größeren Städten?«90 Die zentralen Punkte seiner Rede waren: 1. absolute Freiheit in der Vereinsentwicklung, 2. eine geordnete Arbeitsteilung innerhalb der Vereine, 3. ein Jünglingsvereinshaus als Sammelpunkt, 4. ein Generalsekretär oder -agent als Leiter der Vereinsarbeit. Im einzelnen: Die Vereine sollten ihre Arbeitsformen frei entfalten können, diese stellten sich sogar fast von selbst ein, wenn man nur einig dem Ziel folge, Jesus als dem Herrn dienen zu wollen. Ergebe sich daraus das Wissen, was man tun solle, so müsse man in einem zweiten Schritt bedenken, was man tun könne. Dabei habe man im Hören auf Gott, aber auch auf den rechten Zeitpunkt für das Tun zu achten. Mit der Zeit würde die Arbeit

87 Das Deutsch-Nationale nimmt auch Cordier: Jugendkunde Bd. II, S. 270–271 deutlich wahr. Auch der Christen-Bote betont in seinem Bericht – nachdem er die Geschichtsträchtigkeit des Ortes skizziert hat – das »christlich patriotische[. . .] Feuer« der Rede von Dürselens (vgl. CB 1882, S. 332). In dieser Formulierung sind Patriotismus und christlicher Glaube aufs engste miteinander verschränkt.. 88 Vgl. JB 1882, S. 166. 89 Vgl. [B.:] Das erste gemeinsame Fest der vereinigten Jünglingsbündnisse Deutschlands am Hermanns-Denkmal bei Detmold. In: JB 1882, S. 167–169, dort 168. In welcher Weise sich Schlümbach an diesem ersten Abend in pragmatischer Weise um das Kennenlernen der jungen Männer untereinander bemühte, zeigen die Erinnerungen des Teilnehmers F. W. Bergmann an das gemeinsame Abendessen: »v. Schlümbach räumte immer wieder alle Bedenklichkeiten und Hindernisse mit seinem goldenen Humor auf die Seite. Er sagte zum Beginn: ›Nun rückt mal ein wenig auseinander und setzt euch mal zu den euch Unbekannten und fragt sie, wie ich euch jetzt frage: Ich heiße v. Schlümbach, und wie heißt du? dann sollt ihr mal sehen, dann werden die Herzen bald warm, und die kalten Füße verschwinden!‹« F. W. Bergmann: Am Hermannsdenkmal vor 50 Jahren. In: Der Ruf 1932, S. 333–336, dort 333. 90 Vgl. zum Folgenden B.: Das erste gemeinsame Fest der vereinigten Jünglingsbündnisse Deutschlands am Hermanns-Denkmal bei Detmold. In: JB 1882, S. 167–169, dort 169.

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so schon die nötige Ausdehnung bekommen. Dafür sei es aber notwendig, dass man auf die jeweiligen Begabungen der einzelnen Vereinsmitglieder achte und sie entsprechend für die Vereinsarbeit einsetze. In Amerika habe sich bei diesen Tätigkeiten eine Unterscheidung in solche, die eher nach innen und solche, die eher werbend nach außen gerichtet seien, als nützlich erwiesen. Dabei komme einem zentralen Sammelpunkt, zu dem man einladen könne, also einem eigenen Vereinshaus, große Bedeutung zu. Dieses müsse als Anlaufstelle für junge Männer stadtbekannt sein und ein attraktives Angebot bieten. Gerade in größeren Städten müsse als zentrale Kontaktperson ein Agent für die Vereinsarbeit angestellt sein. Das alles koste freilich Geld, aber »der Hammer des Glaubens kann auch die Geldbeutel öffnen«91. Neben tatkräftigem Anpacken sei das Gebet von entscheidender Bedeutung, das am besten durch feste Kleingruppen in den Vereinen (»yoke-fellows«) geleistet werde. In den Fliegenden Blättern werden die zentralen Punkte, denen die amerikanischen Vereine ihr Wachstum verdankten, stichwortartig so wiedergegeben: »Zweckmäßige Organisation ohne Behinderung der Freiheit, Arbeitstheilung, bei der jedes Mitglied seine ihm angemessene Aufgabe zu lösen habe, Anstellung von Generalsekretären, deren es jetzt in Amerika 250 gebe, Errichtung von Jünglingsvereinshäusern als allgemein bekannten Centralpunkten, Bildung von Kameradschaften und Gebetsgemeinschaften, Vertheilung von Schriften, Einladung zu Vorträgen und Versammlungen an Bekannte und Unbekannte.«92

An der anschließenden Diskussion beteiligten sich zahlreiche Konferenzteilnehmer.93 Am nächsten Tag sprach Jasper von Oertzen über die »engere Verbindung der deutschen Jünglingsbündnisse unter Wahrung ihrer Selbstständigkeit«. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Selbständigkeit eines jeden Einzelbundes. Unter Beibehaltung dieser Selbständigkeit erhoffte sich von Oertzen eine engere Verbindung durch eine organisierte Gemeinschaft des Gebets, ein gemeinsames Organ, einen gemeinsamen Agenten, ein gemein-

91

JB zit. nach Stursberg: Glauben, S. 86. [O. N.:] Das allgemeine evangelische Jünglingsvereinsfest am Hermannsdenkmal. In: Fliegende Blätter 1882, S. 392–394, dort 393. 93 Es ist interessant zu sehen, dass Cordier bei seiner phänomenologischen Beschreibung des CVJM-Modells im Kontrast zur bisherigen Jünglingsarbeit in Deutschland in den 1920er Jahren genau die bereits in diesem Vortrag Schlümbachs aufgeführten Punkte als charakteristische Merkmale anführt. Der jugendliche Teilnehmer F. W. Bergmann erinnerte sich später an diese Rede Schlümbachs als einer über »Neue Wege in unserm Werk«: »Er redete so eindringlich und praktisch, daß der Eindruck bei der Versammlung ein tiefgehender war und hernach alles Gehörte wie aus einem Guß vor uns stand.« F. W. Bergmann: Am Hermannsdenkmal vor 50 Jahren. In: Der Ruf 1932, S. 333–336, dort 333. 92

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sames Wanderbuch und eine gemeinsame Soldatenliste.94 Allerdings regten sich gegen fast alle diese Punkte Bedenken: religiöse gegen eine organisierte Zeit des Gebets, für ein gemeinsames Organ sei es zu früh, gegen einen gemeinsamen Agenten mit Befugnissen über technische Dinge hinaus konfessionelle Bedenken. Wanderbuch und Soldatenliste wollte man aber in Angriff nehmen.95 Festlicher Höhepunkt des Jünglingstreffens waren der Festgottesdienst am Sonntagmorgen und die Ansprachen am Sonntagnachmittag. Zum Gottesdienst versammelten sich 1.000–2.000 Menschen, am Nachmittag erschienen 6.000–7.000 Besucher. Die Predigt beim Festgottesdienst hielt Theodor Christlieb. Er sprach über Mt. 5,13–16: »Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt! oder der herrliche Beruf der Kinder Gottes auf Erden!« Salz und Licht für die Welt zu sein, sei der Auftrag der jungen Männer, dem sie nicht gerecht werden könnten, wenn sie »Weltlust« und »Weltliebe« statt des »Pfingstgeistes« im Herzen trügen. Von der Erfüllung dieses biblischen Auftrags hänge alles ab, auch das Wachstum der Jünglingsvereinssache.96 Am Nachmittag standen diverse Ansprachen auf dem Programm. Schlümbach nutzte die Gelegenheit, um der Versammlung die Leitworte »Einigkeit, Treue, Festigkeit« mit auf den Weg zu geben: »Pastor von Schlümbach will der Versammlung nur drei Worte zurufen: Einigkeit, Treue, Festigkeit! Es ist schon etwas Großes um die nun erlangte Einigkeit des Vaterlandes. Früher, vor 1870 mußten sich die Deutschen in Amerika den Spottnamen: Dutchmen gefallen lassen; jetzt aber haben sie den Ehrennamen: Germans. Wir sollen daran denken, daß wir bei aller Verschiedenheit der Nationalität Brüder eines Stammes sind, und um diesem Gedanken eine Verkörperung zu geben, feiern wir dieses Fest. Ganz Jungdeutschland muß dem Herrn Jesu gehören, und sein Einigungspunkt sei die Bibel! Das zweite ist die Treue. Wir müssen festhalten am Bekenntnis; nun giebt es aber noch so viele Schwächlinge und Feiglinge in unseren Reihen, die sollen ermuntert werden [. . .] Auch heute soll der Ruf: Vorwärts, Brüder! laut erschallen [. . .] und wenn wir uns über kurz oder lang bei einem ähnlichen Fest wiedersehen, dann sollen wir bekennen dürfen: Wir haben Treue gehalten, denn Jesus ging voran! Das dritte ist die Festigkeit. Nur keine Bauarbeit in den Vereinen aufführen wie bei manchen amerikanischen Palästen! Die sehen zwar von außen ganz schön aus; aber es

94 Zum Referat von Oertzens vgl. B.: Das erste gemeinsame Fest der vereinigten Jünglingsbündnisse Deutschlands am Hermanns-Denkmal in Detmold (Schluß.) In: JB 1882, S. 186–189, dort 186–187. 95 Vgl. B.: Das erste gemeinsame Fest der vereinigten Jünglingsbündnisse Deutschlands am Hermanns-Denkmal in Detmold (Schluß.) In: JB 1882, S. 186–189, dort 188. 96 Vgl. [o.N.:] Das erste gemeinsame Fest der vereinigten Jünglingsbündnisse Deutschlands am Hermanns-Denkmal in Detmold. In: JB 1882, S. 174–179, dort 175. Die Predigt erschien auch als separater Druck: Ein Gottesdienst auf der Höhe des Teutoburger Waldes, Elberfeld 1883.

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fehlt ihnen die Solidität des Fundamentes und des Aufbaus, sodaß sie von Stürmen leicht beschädigt werden können. Erst in die Tiefe bauen auf den einen Grund, der gelegt ist, dann fest weiterbauen mit dem unvergänglichen Material des Wortes Gottes, und der bindende Kitt sei die Bruderliebe, die alles trägt, hofft und glaubt!«97

Am Ende des Treffens versäumte es Schlümbach nicht, nachdem ihm von Konsistorialrat Thelemann für all seine Bemühungen gedankt worden war, ein dreifaches Hoch auf den gastgebenden Fürsten von Lippe auszubringen.98 Wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit erinnerte Schlümbach die Versammelten an die eröffnete Perspektive engerer nationaler Zusammenarbeit: »Was wir treu gelobt im Wald, wollens draußen ehrlich halten«.99 Die wichtigste Frucht des Treffens war, dass die verschiedenen deutschen Jünglingsbündnisse in engeren Kontakt miteinander getreten waren, der auch nicht mehr abreißen sollte. Die Vereinigung zu einem Nationalbund, wie sie Schlümbach vorgeschwebt hatte, kam in dieser aber Form noch nicht zustande. Auch die beschlossene gemeinsame Soldatenliste wurde vorerst nicht herausgegeben. Karl Krummacher schrieb zwar Anfang 1883, dass auf die Anregungen des Treffens hin eine provisorische »Vereinigung der evangelischen Jünglingsbündnisse Deutschlands« gebildet worden sei, die die bestehenden Strukturen der regionalen Bündnisse aber unangetastet lasse und als deren Präses er fungiere.100 Was sich langfristig aus diesem Versuch entwickelte, war allerdings nur eine lose Vereinigung der Präsides der Bündnisse unter dem Vorsitz Krummachers.101 Aber so blieb man immerhin in engem Kontakt. Friedrich Wegener wurde mit dem Dienst eines gesamtdeutschen Hauptagenten beauftragt, tat diesen aber nur wenige Wochen.102

97 [O. N.:] Das erste gemeinsame Fest der vereinigten Jünglingsbündnisse Deutschlands am Hermanns-Denkmal in Detmold. In: JB 1882, S. 174–179, dort 176–177. 98 Vgl. B.: Das erste gemeinsame Fest der vereinigten Jünglingsbündnisse Deutschlands am Hermanns-Denkmal in Detmold (Schluß.) In: JB 1882, S. 186–189, dort 188. 99 So Cordier: Jugendkunde II, S. 272. 100 Vgl. K. Krummacher: Mitteilung an unsere Vereine. In: JB 1883, S. 30–31. Andernorts ist von einem »Gesamtvorstand« der deutschen Jünglingsbündnisse die Rede; vgl. Stursberg: Glauben, S. 332. 101 Gleichwohl wird in der späteren CVJM-Historiographie das Treffen am Hermannsdenkmal als Beginn des CVJM-Gesamtverbandes gesehen. So trägt ein CVJM-Gedenkstein am Hermannsdenkmal die Aufschrift: »1882 schlossen sich hier die ev. Jungmännerbünde zum Reichsverband des deutschen CVJM-Werkes zusammen«. Das 125-jährige Jubiläum des CVJM-Gesamtverbandes wurde im Jahr 2007 gefeiert. 102 Weitere Früchte erwuchsen freilich aus den Eindrücken und Impulsen, die einzelne Teilnehmer von der Tagung mitnahmen. So wurden von den Brüdern Mockert und Willi Weigle die ersten »Bibelkränzchen für Gymnasiasten« gegründet, aus denen sich eine Schüler-Bibelkreisbewegung entwickelte, die schließlich eine der Wurzeln der Deutschen Christlichen Studenten-Vereinigung darstellte. Konstantin Liebich wurde angeregt, sich in Berlin den Armen mit dem Evangelium in sozialdiokonischer Hilfe zuzuwenden, woraus die »Schrippenkirche« und der »Dienst an Arbeitslosen« entstanden. Vgl. Stursberg: Glaubens, S. 87.

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All dies betraf natürlich nur die landeskirchlichen Jünglingsvereine. Bei dem Jünglingstreffen waren auch Freikirchler anwesend gewesen, aber nicht als stimmberechtigte Delegierte. Dass Lutheraner, Reformierte und Unierte bei diesem Treffen zusammenarbeiteten, ging manchen Konfessionellen schon zu weit – an eine Beteiligung der Freikirchen war nicht zu denken.103 Die Wahrnehmung des Nationalfestes in den USA war methodistischerseits die, dass man sich erfreut zeigte über die Zusammenkunft und die dort verhandelten Prinzipien, und hoffte, dass die deutschen Jünglingsvereine, die als rückständig empfunden wurden, auf diesem Wege neuen Schwung erhielten.104 Dies entsprach dem Bild, das in den USA weithin von den deutschen Jünglingsvereinen gezeichnet wurde: relativ geschlossene Gesellschaften mit geringem Laienengagement und wenig Aktivität nach außen. Dass es sich hierbei um »ein ungerechtes Urteil« handele, legte Krummacher in einem Artikel über den Bericht des Präsidenten des Nationalbundes in den USA, Kessler, von der Internationalen Konferenz in London dar. In manchen Kreisen in Deutschland herrsche zwar Skepsis gegenüber der Laientätigkeit, und evangelistisch würden junge Männer erst eingesetzt, wenn sie im christlichen Glauben schon gereift seien, aber das spreche nicht gegen eine rege Vereinsarbeit in enger Verschränkung mit der Inneren Mission und ihren Bruderhäusern. Man erkenne in den Vereinen der USA zwar Vorreiter und lasse sich von ihnen anspornen, aber das dürfe nicht dazu führen, in Deutschland alles schwarz zu malen. Vielmehr könne man von einander lernen, die Amerikaner nicht nur von »unserer deutschen Wissenschaft« und »deutschen Gründlichkeit«, sondern auch »auf praktischen Gebieten«, zum Beispiel was die Herbergen zur Heimat betreffe. Auf jeden Fall werde in Amerika oft »ein Bild von unseren Vereinen entworfen, das durchaus nicht zutrifft«.105 Von Detmold aus eilten Schlümbach und Christlieb nach Beendigung des Jünglingstreffens nach Berlin, um dort bei der Tagung der Positiven Union vom 26.–27. 9. ihr Projekt der Massenevangelisation vorzustellen. Von einem der Union zwischen lutherischer und reformierter Kirche prinzipiell wohlwollend gegenüberstehenden Standpunkt aus ging es der Positiven Union im kirchenpolitischen Spektrum darum, die Wahrung der Grundelemente des christlichen Glaubensbekenntnisses im Gegenüber zu liberalen Grup-

103 Von Seiten der Freikirchen bestand aber durchaus Bereitschaft zu solcher Zusammenarbeit und auch die Hoffnung, dass die Jünglingssache durch eine solche Allianz »noch größeren Segen« erfahren würde (vgl. EB 1882, S. 343). 104 Vgl. HuH 1883, S. 53: »Es steht zu hoffen, daß die Feier dieses Festes eine neue Anregung für die noch immer in der Entwicklung zurückstehenden deutschen Jünglingsvereine bieten wird«. 105 Vgl. K.: Ein ungerechtes Urteil über unsere deutschen Jünglingsvereine. In: JB 1882, S. 68–70.

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pierungen zu fördern.106 Die Versammlung bestand aus etwa 200 Predigern aus Berlin und den Provinzen.107 Nachdem es am ersten Tag um Fragen der staatlichen Finanzzuweisungen an die Kirchen und kirchlichen Schulen gegangen war, hörte man am zweiten Tag ein Referat über Rechtfertigung und Versöhnung. Die Lehren Ritschls wurden aufs schärfste verurteilt, und man erhob sich, »um gemeinsam den zweiten Artikel des Apostolikums in lutherischer Auslegung zu bekennen«108, was Schlümbach fremd vorgekommen sein dürfte. »Als die Geister schon ermüdet waren«109, kam man zu dem Thema, das sowohl in Haus und Herd als auch im Evangelist als das wichtigste und eigentlich auch einzig interessante der Tagesordnung angesehen wurde: Christliebs Vortrag über »Zeitgemäße Mittel zur Erreichung der unkirchlichen Massen«110. Zunächst schilderte Christlieb eindringlich die Notwendigkeit der Wendung zu den »entkirchlichten Massen« – ein Begriff, der in der nordamerikanischen Evangelisationsbewegung oft Verwendung fand, in Deutschland bisher aber kaum aufgegriffen worden war. Hierbei handele es sich um »die Frage aller Fragen der inneren Mission«, denn hierbei gehe es um das Fortbestehen der evangelischen Gemeinden in Deutschland.111 Der Zeitpunkt, tätig zu werden, sei mit dem sich abzeichnenden Ende des Kulturkampfes günstig. In drei Punkten entfaltete Christlieb sein Anliegen. Zunächst stellte er dar, warum die bisherige kirchliche Tätigkeit in dieser Hinsicht unzureichend gewesen sei. Mit der Einführung der Kirchensteuer, dem Wirken der Stadtmission, den Kindergottesdiensten, der Bewegung für Sonntagsheiligung, der Predigtverteilung, den Jünglingsvereinen, den Rettungshäusern und dem Anwachsen christlicher Literatur sei zwar vieles Positive auf dem Wege, aber dadurch seien bisher nur Einzelne oder Familien erreicht worden, nicht aber die großen Massen. Am deutlichsten trete dies bei den Zuständen in den großen Städten hervor. Nicht zuletzt auch die kirchliche Unterversor106 Vgl. C. Weiß: Bilder aus der neuen Evangelischen Bewegung in Deutschland. In: HuH 1883, S. 20–24, dort 22. Weiß entfaltet in diesem Zusammenhang von seinem freikirchlichen Blickwinkel aus die Position, das es besser wäre für das Christentum in Deutschland, wenn die »Gläubigen« die bestehende Kirche verließen und die Liberalen dort allein zurückblieben, denn so könnten erstere eine »herrliche freie Kirche« bilden und würden alsbald das Volk durch ihren lebendigen Glauben anstecken und in ihre Kapellen und Hallen führen. 107 Vgl. Aus Berlin. In: Ev. 1882, S. 332. 108 NEKZ 1882, Sp. 646. 109 Ev. 1882, S. 332. 110 Der erste und dritte Teil der Rede Christliebs ist als Nachschrift in HuH 1883, S. 22–23 abgedruckt; eine Wiedergabe des dritten Teils findet sich in Ev. 1882, S. 332. Die NEKZ berichtete in drei Teilen ausführlich von der Tagung; vgl. NEKZ 1882, Sp. 625–628, 644–646, 660–662. 111 So übereinstimmend HuH 1883, S. 22–23 und NEKZ 1882, Sp. 660.

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gung, die nur zu einem gewissen Teil durch die Stadtmission aufgefangen werden konnte, habe dazu geführt, dass man heute vielfach von »Christenheiden« sprechen müsse. Auch die Zunahme der Verbrechen sei ein sicheres Indiz für die zunehmende Entkirchlichung. Die Situation der Pfarrer gerade in den Großstädten sei eine ausgesprochen schwierige. Christlieb zog das Fazit: »Die Kirche allein kann die Massen nicht mehr zurückgewinnen, die amtlichen Kirchen sind ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen«; theologisch interpretiert: »die Kräfte der Finsternis wachsen immer mehr«. Wie soll dem nun methodisch begegnet werden? Man müsse neue Wege finden, die Massen zu erreichen. »Kommen sie nicht in die Kirche, so muß die Kirche, so müssen wir zu ihnen gehen.«112 In einem zweiten Schritt schilderte Christlieb, wie in anderen Ländern erfolgreich versucht werde, die Massen für das Christentum zurückzugewinnen. Er kam dabei unter anderem auf London, die Heilsarmee und auf Moody zu sprechen.113 In einem dritten Schritt entfaltete er ein konkretes Aktionsprogramm. Grundsatz war: »Willst du die Massen erreichen, gehe zu ihnen! In außerkirchlichen Versammlungen müssen die Massen erreicht werden, womit ja Gott sei Dank in dieser Stadt der Anfang gemacht ist.« Einfache Leute mit der Gabe der Rede sollten sich an ihresgleichen wenden, »in eindringlichem, lebendigem Wort, in Lokalen aller Art, in abwechselnder Weise, mit frischen Gesängen muß gewirkt werden.« Ebenso müsse es eine »Nachsorge« der Versammlungen in Form einer »mehr persönlichen Besprechung« geben. Die Leitung könnten freie Vereine haben, die »Angefaßten« sollten dann aber »ordentlichen Seelsorgern« übergeben werden. Die Laien müssten insgesamt mehr herangezogen werden, auch dort sei Redegabe vorhanden; gerade zeugnishaftes Erzählen erreiche die Massen. »Ergänzen wir die Arbeit der Kirche durch eine Armee von Laien«. Auch an Spezialveranstaltungen für einzelne Gruppen sei zu denken. Man müsse »frisch und muthig anfangen und [. . .] dann vom Herrn Jesu treiben lassen«. Es gehe um nichts weniger, als dass »dem deutschen Volke das Christenthum zurückgewonnen wird«.114 Schon in seinem Vortrag hatte Christlieb davon gesprochen, dass »den deutschen Christen in Amerika die geistliche Noth Deutschlands so zu Herzen [geht], daß sie Evangelisten heranbilden und herübersenden«.115 Vor die-

112 Ev. 1882, S. 332 stellt dieses Zitat in den Zusammenhang des dritten Teils der Rede Christliebs. 113 Vgl. HuH 1883, S. 23, wo über diesen Teil nicht ausführlich berichtet wird, da man das Dargebotene bei den Lesern als bekannt voraussetzt. 114 Vgl. C. Weiß: Bilder aus der neuen Evangelischen Bewegung in Deutschland. In: HuH 1883, S. 20–24, dort 23. 115 Ev. 1882, S. 332.

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sem Hintergrund, aber wohl auch in gewisser Absetzung davon, denn er war ja nicht entsandt worden, entfaltete Schlümbach, auf welche Weise in Amerika Evangelisation getrieben werde.116 Er betonte, dass, wenn eine Erweckung hervorgerufen werden solle, diese ihren Ausgang bei den Pastoren in besonders dazu abgehaltenen Gebetsversammlungen nehmen müsse und von diesen dann in die Gemeinden und von den Gemeinden in die Welt getragen werde. Er vertrat vor diesem Forum also eine deutlich kirchen- und gemeindebezogene Konzeption seiner Arbeit. Im Einzelnen schilderte er auch die Nachversammlungen und spezielle Treffen für einzelne Bevölkerungsgruppen.117 Das veranlasste Stoecker wiederum – ob in Absetzung oder in Kontinuität zu seinen Vorrednern, wird in der Berichterstattung nicht ganz deutlich118 – sich dagegen zu verwahren, einfach englische und amerikanische Methoden nach Deutschland übertragen zu wollen. Vielmehr müsse eine Erweckung des deutschen Volkes nicht nur den religiösen, sondern auch den nationalen Aspekt beinhalten. Die Kirche sei in Deutschland »anders in’s Volk hineingewachsen« als in Amerika. Gleichwohl erkenne er, dass auch die von ihm der Sozialdemokratie Entrissenen einer gründlichen Evangelisation bedürften, warum er Friedrich von Schlümbach gebeten habe, nach Berlin zu kommen.119 Bereits am Abend des 26. 9., als man noch nicht unter dem Eindruck der Christliebschen Rede stand, fand eine große Volksversammlung im Tivoli, einem großen Veranstaltungssaal, statt. Auf Plakaten war für diese religiöse Volksversammlung geworben worden.120 Initiiert hatte die Veranstaltung Adolf Stoecker, und reden sollten diverse Pastoren von auswärts, unter ihnen auch Christlieb und Schlümbach. Wie bei einer politischen Veranstaltung saßen die 1.200–1.500 Besucher beiderlei Geschlechts beieinander, die Männer ihrer Gewohnheit gemäß Bier trinkend und rauchend. Zwischen den einzelnen Ansprachen wurde ein Vers aus »Ein feste Burg ist unser Gott« gesungen. Das Szenario entbehrte wohl nicht einer gewissen Skurrilität. Allerdings hatten die Beiträge zum Teil auch politische »Zugaben« – so der Bericht in Haus und Herd121 – beziehungsweise bewegten sich vor allem »auf [. . .] socialem Gebiet«122. Stoecker 116

In dieser Kürze berichtet HuH, Ev. ist ausführlicher. Vgl. Ev. 1882, S. 332. 118 Ev. 1882, S. 332 schreibt, dass er das gleiche betonte wie seine Vorredner; NEKZ 1882, Sp. 661 schreibt, dass Stoecker »in etwas anderer Richtung« redete als Schlümbach. 119 Vgl. C. Weiß: Bilder aus der neuen Evangelischen Bewegung in Deutschland. In: HuH 1883, S. 20–24, dort 23. 120 Vgl. Ev. 1882, S. 332. 121 Vgl. C. Weiß: Bilder aus der neuen Evangelischen Bewegung in Deutschland. In: HuH 1883, S. 20–24, dort 23. 122 Ev. 1882, S. 332. 117

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stellte dem Bericht der Berliner Zeitung nach die »christlich-soziale Denkungsweise« vor, und Schlümbach hielt eine »erbauliche Ansprache«.123 Schlümbach und Christlieb waren die letzten Redner des Abends. Geschlossen wurde die Versammlung mit »Nun danket alle Gott«. Wenngleich Christlieb und Schlümbach viel Beifall gefunden hatten, bemerkte der Evangelisch-kirchliche Anzeiger von Berlin, dass sich sicher bei vielen Bedenken regten gegenüber der »Verwendbarkeit der Sensation für religiöse Einwirkung auf die Massen« oder den »abrupten methodistischen Machinationen«. Die organische Vereinsarbeit der Inneren Mission entspreche doch eher den deutschen Verhältnissen, da die sozialen Gegensätze von anderer Art seien als in den amerikanischen Großstädten und dort auch das kirchliche Leben »zersetzter und zersplitterter« sei.124 Damit war die Serie konsequenter Anfeindungen durch diese Zeitschrift eröffnet. Zu Schlümbach wurde in diesem Zusammenhang sowohl im methodistischen Haus und Herd als auch im Evangelist bemerkt, dass sonderbare Gerüchte über ihn kursierten beziehungsweise in verschiedenen Blättern verbreitet würden. Es heiße, die methodistischen Bischöfe hätten in geheimer Sitzung beschlossen, ihn als Spion nach Deutschland zu schicken, um der methodistischen Kirche dort heimlich Bahn zu brechen; an anderer Stelle heißt es, Schlümbach sei zur Landeskirche übergetreten.125 Von Seiten Haus und Herd würde man sich freuen, wenn eine »große Erweckung innerhalb der Landeskirche« zustande käme. »Dafür beten und arbeiten wir seit Jahren.«126 Die Neue Evangelische Kirchenzeitung schreibt: »Pastor von Schlümbach, ein geborener Württemberger, aber geistlicher Sohn Amerika’s, war zuletzt General-Sekretär des National-Bundes der deutschen JünglingsVereine Amerika’s, und hat als solcher mit großem Erfolg gearbeitet. Dem Vernehmen nach, wird er den Winter über in Deutschland verbleiben und in großen Städten, Hamburg, Bremen und Berlin evangelisirend thätig sein. Er hat das christliche Leben erst in den methodistischen Gemeinden kennen gelernt, ist aber seitdem in entschieden kirchliche Bahnen eingelenkt und begehrt auch die beabsichtigte Evangelisationsarbeit im engsten Anschluß an die kirchlichen Organe zu betreiben.«127

Bereits hier wird ansatzweise deutlich, was später zu einem handfesten Konflikt führen sollte: die Haltung weiter Teile der deutschen Landeskirchen zu dem, was als »methodistisch« empfunden wurde. So wurde im Christlichen 123

Das sind die einzigen im Bericht der Berliner Zeitung einzeln erwähnten Reden. EKA zit. nach CA 1882, S. 396. 125 Vgl. C. Weiß: Bilder aus der neuen Evangelischen Bewegung in Deutschland. In: HuH 1883, S. 20–24, dort 23. Der Evangelist schreibt, dass Bischof Foster erheitert war, als ihm dies zu Ohren kam; vgl. Ev. 1882, S. 333. 126 Vgl. C. Weiß: Bilder aus der neuen Evangelischen Bewegung in Deutschland. In: HuH 1883, S. 20–24, dort 23. 127 NEKZ 1882, Sp. 519. 124

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Apologeten der Artikel aus der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung mit der Anmerkung abgedruckt: »Wenn die Neue Ev. Kirchenzeitung mit ihrer Bemerkung andeuten will, daß Br. von Schlümbach in seinem bisherigen Wirken nicht in entschieden kirchlichen Bahnen sich bewegte, und erst jetzt, wo er unter staatskirchlichen Auspizien und im staatskirchlichen Interesse wirkt, solche kirchliche Bahnen betreten hat, um dadurch der Methodisten-Kirche ihren kirchlichen Charakter abzusprechen, so wollen wir darüber mit ihr nicht streiten.«128

Es sei auf jeden Fall erfreulich, dass deutsche Kirchenmänner einen Methodisten zur Belebung des eigenen kirchlichen Lebens engagierten, und dieser Tätigkeit wird reicher Segen gewünscht. Schlümbach brauche dabei nicht seine methodistischen Grundsätze zu verleugnen, denn »im Anschluss« an jemand zu wirken heiße lediglich, unter der Leitung dessen zu arbeiten, der die Evangelisationsarbeit ermöglicht. Seien dies die Landeskirchen, so arbeite man im Anschluss an diese, seien dies andere, so arbeite man im Anschluss an andere. Kritisch bemerkt auch der Evangelist, was die Neue Evangelische Kirchenzeitung unter einem Einlenken in kirchliche Bahnen verstehe. Es gelte festzuhalten: Schlümbach sei ordinierter Methodistenprediger, seine Ordination werde in Deutschland offenbar anerkannt (»Pastor«). Er sei nach wie vor der Methodistenkirche »von Herzen zugethan«. In Bezug auf seine Evangelisationen stehe er auch jetzt noch in Verbindung mit Moody.129

1.6 Hoffnungen und Selbstverständnis Etwas von den Intentionen und Hoffnungen Friedrich von Schlümbachs wird deutlich in einem Artikel, den er im Oktober 1882 im Londoner Christian veröffentlichte. Darin bezeichnet er die religiöse Situation in Deutschland aufgrund der allgemeinen Gleichgültigkeit, die er auch auf die unterschiedslos geübte Praxis der Taufe und Konfirmation in der »Staatskirche« zurückführt, als »dunkel«, aber nicht »hoffnungslos«. Hoffnung mache ihm zum einen die große und zunehmende Anzahl »treuer evangelischer Prediger« im ganzen Land, von denen Schlümbach schon »einige hundert« persönlich kennen gelernt habe, was sonst auf oberflächlichen Reisen nicht möglich sei – und von daher wahrscheinlich sein Bild von 1875 auch ein Stück weit korrigierte. Darüber hinaus sei zunehmend ein Zusammenfinden von Gemeinschaften »positiver« Christen, die sich entschieden dem Weg Liberaler in die Kirchenverwaltungen widersetzen würden, wahrzunehmen. 128 129

Editorielle Notizen. In: CA 1882, S. 317. Vgl. Aus Berlin. In: Ev. 1882, S. 333.

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Schließlich mache ihn »das neue unverkennbare Leben in den Jünglingsvereinen des Landes«, wie es sich beim Nationalfest geäußert hatte, hoffnungsfroh. Er sei nun voll Zuversicht, »daß bessere Tage bevorstehen«, »um eine Phalanx gegen den allgemeinen Feind bilden zu können«. Die christlich-soziale Bewegung Adolf Stoeckers, die »die Gleichgültigen zur Arbeit für den Herrn zu gewinnen« suche, habe immerhin schon den Erfolg gehabt, unter den Gleichgültigen eine positive Haltung zur Evangelischen Kirche zu bewirken; daran könne die Evangeliumsverkündigung anknüpfen, wie sie bereits unter Stoecker in den Biersälen der Stadt geschehe. Sei einmal die Bereitschaft zum Predigthören geweckt, dann könne eine »herrliche Erweckung« in Deutschland hereinbrechen, die allerdings nicht »mit englischen oder amerikanischen Brillen« betrachtet werden dürfe, sondern »mit Anerkennung der besonderen Eigenthümlichkeiten deutschen Lebens«. Die Zeit für eine religiöse Lebendigkeit wie zur Zeit der Reformation in Deutschland sei bald gekommen.130

2. In Berlin: Evangelisation der »Massen« und Gründung eines Jünglingsvereins nach amerikanischem Modell (1882–1883) 2.1 Die religiöse und soziale Lage in Berlin Mit zu Beginn der 1880er Jahre mehr als 1,22 Millionen Einwohnern war Berlin die mit Abstand größte deutsche Stadt, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein rasantes Bevölkerungswachstum erlebt hatte.1 Dieses rasante Wachstum resultierte aus einer gewaltigen Wanderungsbewegung in die Großstadt, die vor allem junge Menschen in die Stadt brachte und wirtschaftliche, soziale und mentale Folgen nach sich zog. Es gab eine enorme Wohnungsnot mit erschreckenden Zuständen in den Arbeiterbezirken. Die Zeitschriften der Inneren Mission malten Unsittlichkeit und Verbrechertum in diesen Bezirken meist in drastischen Bildern, aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass durch äußere Not und innere Abstumpfung tatsächlich viele Menschen zu kriminellen Delikten, Unsittlichkeit und Prostitution veranlasst wurden.2 Zu den kirchlichen Missständen gehörte in erster Linie die mangelnde Präsenz der Kirche in weiten Teilen Berlins, insbesondere in den von Arbei130 Dieser am 10. 10. 1882 in Berlin verfasste Artikel ist wiedergegeben in Pastor von Schlümbach, S. 17–19. 1 Lebten 1871 etwa 800.000 Menschen in Berlin, waren es 1890 bereits mehr als 1,5 Millionen. 2 Vgl. Greschat: Protestanten, S. 23–24.

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tern bevölkerten Vorstädten. Einzelne Gemeinden hatten zu Beginn der 1880er Jahre zum Teil mehr als 100.000 Mitglieder, auf einen einzelnen Pfarrer kamen mitunter mehrere 10.000 Menschen. Martin Greschat geht von einer »faktischen Nicht-Existenz der Kirche in den Arbeitervorstädten Berlins« aus.3 Von daher prägten zwei Annahmen entscheidend Gesellschaftsanalyse und Zukunftsprognosen der Kirchen, die sich mit den Schlagworten »Entkirchlichung« und –angesichts der hohen Zuwanderung und der Lebenssituation in den Arbeiterbezirken – mit »Kampf um die Jugend« beschreiben lassen.4 Diesen Herausforderungen versuchte man durch verschiedene Initiativen zu begegnen. Evangelischer Verein für kirchliche Zwecke Bereits seit 1848 wirkte der Evangelische Verein für kirchliche Zwecke in Berlin. Er gehört in den Kontext der zu dieser Zeit aufbrechenden Inneren Mission und sah die Schwerpunkte seiner Arbeit zum einen auf »kirchlichem«, zum anderen auf »socialem« Gebiet, nämlich in der »Pflege kirchlichen Sinnes in den Berliner Gemeinden« und der »Pflege und Erhaltung eines christlichen Handwerkerstandes [. . .] als der Stütze und des Stammes eigentlichen Bürgerthums«.5 Diesen beiden Zielen wollte man durch kirchliche Distriktsvereine dienen, die im Einvernehmen mit den jeweiligen Pfarrern in den Grenzen der einzelnen Parochien von Theologen und Laien gegründet wurden. Dabei nahmen sich in der Regel Einzelne oder kleine Gruppen der Nöte in ihrem Umkreis an, gründeten dazu Vereinigungen oder Vereine und suchten die Unterstützung hochgestellter Persönlichkeiten.6 Die Arbeit in den Bezirken bereits bestehender Vereine sollte durch den Evangelischen Verein koordiniert und intensiviert werden. Im Vergleich zum Konzept Wicherns sieht Greschat hier »dieselbe Verbindung von diakonischem und evangelistischem Einsatz, dasselbe Bemühen um kirchliche und gesellschaftliche Erneuerung im Rahmen eines politisch und sozial konservativen Selbstverständnisses.«7 Was allerdings als Kooperation zwischen den Kirchengemeinden und dem

3 Vgl. Greschat: Protestanten, S. 25. Von den Einwohnern Berlins zählten über eine Million zur Preußischen Landeskirche. Sonntägliche Kirchgänger gab es jedoch lediglich 30.000. Aber die 49 evangelischen Kirchen in Berlin hätten auch nicht mehr als 40.000 Besuchern zur gleichen Zeit Platz geboten. Die großen Parochien umfassten 20.000 bis 60.000 Seelen, im ganzen standen für die Arbeit in Berlin nur etwa 100 Pfarrer zur Verfügung; vgl. HuH 1883, S. 20–22. 4 So Hitzer: Netz, S. 218. Zur religiösen Situation bzw. kirchlichen Versorgungslage in Berlin vgl. auch McLeod: Piety, S. 3–28 und Hölscher: Weltgericht, S. 156–163. 5 Vgl. Hülle: Verein, S. 47. 6 Greschat: Protestanten, S. 20–21. 7 Greschat: Protestanten, S. 19.

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Evangelisation und Gründung des CVJM (1882–1883)

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Evangelischen Verein gedacht war, zerfaserte in eigenständige oder sogar auseinanderdriftende Initiativen in verschiedenen Vereinigungen. Anstelle eines weiter gespannten Aktionsprogramms durch ein zentrales Organ engagierte man sich in enger und genau umrissenen Projekten, die man eigenverantwortlich durch Zeit, Geld und Kreativität zu gestalten versuchte. Der Einfluss des Evangelischen Vereins auf Koordinierung und Steuerung dieser Aktivitäten blieb gering.8 Womit der Evangelische Verein eher öffentlich in Erscheinung trat, waren wissenschaftliche Vorträge im Vereinshaus in der Oranienstraße 106, um durch sie »einen Versuch der inneren Mission unter den höheren Ständen«9 zu machen, ein eigenes Presseorgan mit dem Namen Evangelisch-kirchlicher Anzeiger von Berlin, das ohne »politische oder kirchliche Parteiinteressen« unter anderem der »Abwehr aller der Kirche drohenden Gefahren« dienen sollte10 und eine Sonntagsschule im Vereinshaus, die sich zwar englischen beziehungsweise amerikanischen Vorbildern und Anregungen verdankte, aber bemüht war, von »deutsche[m] Geist und deutsche[r] Kirchlichkeit die fremde Form durchdringen zu lassen«.11 Die Aktivitäten auf »socialem« Gebiet umfassten eine Herberge zur Heimat und ein Hospiz, einen Bürger- und einen Lehrburschenverein, aber vor allem auch einen Jünglingsverein, der Mitte der 1870er Jahre einmal der größte in Norddeutschland gewesen war. Er konzentrierte sich auf den Handwerkerstand und bezweckte als »christlicher Arbeiterverein [. . .] christliche Sitte und volksthümliche Geselligkeit, Erbauung und Fortbildung seiner Mitglieder« in gleicher Weise zu fördern.12 Im Vergleich zu den Jünglingsvereinen im Rheinisch-westfälischen Jünglingsbund konstatiert der Vereinsgeistliche Ernst Hülle, der seit den frühen 1870er Jahren dem Verein vorstand, dass diese stärker an England und Amerika orientiert eine »erbauliche« und dem »Zweck des Reiches Gottes unmittelbar zugewandte« Richtung verträten, während sein Berliner Verein dahingehend auf den Ostbund ausgestrahlt hätte, dass dort eine »freiere, mehr die sociale Bedeutung der Vereine für den ganzen Handwerkerstand betonende Richtung« vorherrsche.13 Bei vielen lokalen Vereinen für Innere Mission gab es Verbindungen zu führenden kirchlichen Repräsentanten. Die Vernetzung mit dem orthodoxkonservativen Führungskreis der Preußischen Landeskirche war eng. Die konservative kirchenpolitische Fraktion in der Landeskirche konnte auf die 8

Vgl. Greschat: Protestanten, S. 20. Hülle: Verein, S. 50. 10 Vgl. Hülle: Verein, S. 66–67. 11 Vgl. Hülle: Verein, S. 69–70. Die Sonntagsschule des Evangelischen Vereins war ein wichtiger Sammelpunkt für die später Schlümbach in Berlin unterstützenden Pückler, Phildius, Rothkirch und Bernstorff; vgl. Redern: Ruf, S. 44. 12 Vgl. Hülle: Verein, S. 89. 13 Vgl. Hülle: Verein, S. 90. 9

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Unterstützung dieser Vereine zählen und ihrerseits einen beträchtlichen Einfluss auf sie ausüben.14 Das galt in besonderer Weise für die Berliner Stadtmission. Adolf Stoecker und die Berliner Stadtmission Die Berliner Stadtmission stellte einen zweiten wesentlichen Faktor in den Bemühungen um missionarische Durchdringung der Berliner Bevölkerung seit der Mitte der 1870er Jahre dar. Strukturell stand sie in dem oben gezeichneten Kontext eines vielfältigen, sowohl von Theologen als auch von Laien getragenen Vereinslebens im Geiste der Erweckungsbewegung. In besonderer Weise verbunden war sie mit Adolf Stoecker, der 1877 die Leitung der Stadtmission übernommen hatte. Stoecker war 1874 im Alter von 38 Jahren zum vierten Dom- und Hofprediger berufen worden, nachdem er zuletzt als Militärpfarrer in Metz gewirkt hatte.15 In der Berliner Stadtmission fand er ein Instrument, seine Vorstellungen von einer sozial engagierten, zugleich kaisertreuen Kirche, in ihren Formen volksnah und vom Staat weitgehend unabhängig, modellhaft zu verwirklichen.16 Stoecker plädierte für eine parochiale Organisation der Aktivitäten in enger Verbindung mit den Gemeindepastoren. Arbeitsschwerpunkt wurde zunächst der systematische Besuch der Stadtmissionare in den Wohnungen der Kirche entfremdeter Gemeindeglieder, um sie durch persönlichen Kontakt wieder in Berührung mit kirchlichem Leben zu bringen. Zu diesem Zweck wurden von den Stadtmissionaren, die bewusst keine Akademiker waren, auch Sonntagsschulen und Familienandachten in den Stadtteilen eingerichtet und erbauliche Literatur verteilt.17 Auf derartige Veranstaltungen und Versammlungen in den Vorstädten verlagerte sich nach und nach der Schwerpunkt. Damit vollzog sich in den 1880er Jahren eine Akzentverschiebung hin zur Sammlung und Betreuung Gleichgesinnter in eigenen Gemeinschaften.18 Dass aus der gemeinschaftsorientierten Arbeit Spannungen mit der verfassten Kirche entstehen konnten, sah Stoecker durchaus. Nach seiner Auffassung sollte die Arbeit der Stadtmission – wie die Innere Mission überhaupt – eng an die verfasste Kirche gekoppelt werden, denn es ging ihm um die missionarische und diakonische Durchdringung der ganzen Kirche und dadurch um deren Mobilisierung zur Durchdringung der ganzen Gesellschaft. Sein Konzept hatte also eine doppelte innerkirchliche Stoßrichtung: 14

Vgl. Greschat: Protestanten, S. 22. Zu Adolf Stoecker (1835–1909) vgl. v. a. Oertzen: Stoecker; Brakelmann/Greschat/Jochmann: Protestantismus; Greschat: Stoecker. 16 Vgl. Hitzer: Netz, S. 242. 17 Vgl. Hitzer: Netz, S. 244. Eine genaue Beschreibung des Besuchsdienstes gibt Hitzer auf S. 248–259. 18 Greschat sieht die Berufung besonderer Evangelisten durch Stoecker als Teil dieser Strategie; vgl. Greschat: Protestanten, S. 28–29. 15

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durch Besuche und Evangelisationen die der Kirche Entfremdeten zurückzugewinnen, diese gleichzeitig aber in eigenen Gemeinschaften zu sammeln, in denen sie die »richtige« Pflege bekommen sollten. Im Hintergrund stand die Einsicht, dass in der modernen Massengesellschaft der einzelne Christ die Unterstützung und Stabilisierung durch andere nötig habe. Laien sollten in der lebendigen Kirche, die ihm vorschwebte, eigenständig mitarbeiten können. Durch diese Vereine und Organisationen – wie durch seine eigene politische Partei, die 1878 gegründete »Christlich-soziale Arbeiterpartei« – hoffte Stoecker, Einfluss auf die kirchliche und politische öffentliche Meinung zu gewinnen, um der Kirche wieder zu ein stärkerer Stellung zu verhelfen. Stoecker brauchte die Stadtmission zur Durchsetzung seines (kirchen-)politischen Programms einer Rechristianisierung der Gesellschaft. »Denn nur mit einer starken und möglichst geschlossenen Kirche, wenigstens mit einer dominierenden kirchlichen Partei im Rücken konnte er hoffen, ein respektierter Bündnispartner für den politischen Konservatismus zu sein.«19 Greschat beschreibt Stoeckers Kirchenbegriff als »pragmatisch-konservativ[. . .]«, da er zum einen auf äußerer politischer Effizienz basierte, zum anderen von einer inneren Geschlossenheit getragen wurde, die auch eine unter Umständen lehramtlich durchzusetzende orthodoxe Lehreinheit einschloss.20 Ohne Zweifel haben die Anstrengungen der Stadtmission dazu geführt, ein evangelisches Kirchenbewusstsein zu befördern. Stoecker ging dabei von der Grundvoraussetzung aus, dass die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes immer noch christlich gesinnt sei.21 In Berichten Stoeckers von der Arbeit der Stadtmission wurde es geradezu zu einem literarischen Topos, wie sich ein neuer Zugang zur Kirche individuell in der Anknüpfung der Erweckten an ihre christliche Prägung realisierte. Von Bedeutung in der Arbeit der Stadtmission war, dass sich die Menschen als Individuen angesprochen und ernst genommen sahen. Nach Martin Greschat war das Besondere an der Berliner Stadtmission ihr Erfolg, der sich vor allem mit der besonderen kirchenpolitischen Lage in Berlin und der Person Adolf Stoeckers verband.22 Kirchenpolitische Konstellationen Die Erfolge der Berliner Stadtmission sind im Kontext der kirchenpolitischen Gesamtkonstellation zu sehen, in der sich in den 1870er Jahren die konservative »Positive Union«, die aufgrund der in ihr führenden Männer auch »Hofpredigerpartei« genannt wurde, mit den theologisch und politisch 19 20 21 22

Greschat: Protestanten, S. 30, zum Vorhergehenden vgl. S. 29–30. Vgl. Greschat: Protestanten, S. 29. Vgl. Greschat: Stoecker und der deutsche Protestantismus, S. 57. Greschat: Protestanten, S. 23.

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ebenfalls konservativen erwecklichen Werken und Vereinen verband. Die Positive Union attackierte nicht nur Vertreter eines vermeintlichen Liberalismus, sondern auch die um Verständigung und Ausgleich bemühte Mittelpartei, mit dem Vorwurf, die kirchliche Lehre nicht allzu genau zu nehmen und der Zersetzung der Kirche Vorschub zu leisten. Nach ihrer eigenen Überzeugung – und dafür hatte die Positive Union auch Kaiser Wilhelm I. gewinnen können – hatte die Preußische Landeskirche im Wesentlichen identisch mit ihrer eigenen kirchenpolitischen Linie zu sein, was man bei der Besetzung der Synoden und Pfarrstellen Schritt für Schritt durchzusetzen suchte. Unter Stoeckers Führung wurde die Stadtmission vor diesem Hintergrund auch zur Durchsetzung der eigenen theologischen und kirchenpolitischen Zielvorstellungen eingesetzt.23 Was die »Hofpredigerpartei« in Berlin verfolgte, war das geschlossene Konzept, alle orthodoxen und erweckten kirchlichen Kreise und Gruppen zu gewinnen, zu aktivieren und ihren Einfluss auszuweiten. Dafür aktivierte man auch die ursprünglich vom Evangelischen Verein gegründeten Parochial-Vereine für Innere Mission, die zu Sammelbecken der »positiv« Gesinnten und »Erweckten« in den Gemeinden werden sollten. Denn der christliche Glaube wurde dort im Wesentlichen von den Mitarbeitern der Stadtmission und anderer Vereinigungen und Vereine bezeugt. Mit dieser Verantwortung verband sich das Selbstbewusstsein, dass das eigene erwecklich-orthodoxe Verständnis des Christentums und der Kirche und das eigene missionarischkaritative Handeln zur Rückgewinnung der Massen für den christlichen Glauben das allein richtige Paradigma darstelle. Faktisch waren die Kreise, die die Stadtmission trugen, eine kirchliche beziehungsweise kirchenpolitische Gruppe neben anderen, nach ihrem Selbstverständnis jedoch stellten sie den Kern der Kirche dar und begegneten theologisch und kirchenpolitisch anders denkenden Pfarrern sehr reserviert. Ihr missionarisch-diakonisches Handeln zielte also auch darauf, Menschen für die eigene kirchliche Partei zu gewinnen und somit ihr Verständnis von Glaube, Frömmigkeit und Kirche durchzusetzen.24 2.2 »Der fremde Prediger«25 – Evangelisationsarbeit im Berliner Norden Ansatz und Methodik In den Wochen zwischen der Tagung der Positiven Union Ende September und dem endgültigen Beginn seiner Evangelisationskampagne Anfang November hatte Schlümbach ein wenig Freiraum, seine persönlichen Verhält23 24 25

Vgl. Greschat: Protestanten, S. 26–27. Zur Positiven Union vgl. auch Mau: Formation. Vgl. Greschat: Protestanten, S. 25–27. Dieser Titel wurde Schlümbach in Berlin aufgrund seiner amerikanischen Herkunft und

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nisse zu ordnen, indem er in Berlin eine Wohnung in der Müllerstraße 34 bezog und seine Familie aus den USA nachkommen ließ. Er reiste aber auch zu Vorträgen in den Norden und Süden Deutschlands. So hielt er am 30. 9. 1882 einen Vortrag über »Positives Christentum« in der methodistischen Gemeinde in Flensburg – es war einer der wenigen Kontakte, die er in Deutschland zu methodistischen Kirche suchen sollte.26 Am 29. Oktober 1882 war Schlümbach als Redner beim 14. Bundesfest des Süddeutschen Jünglingsbundes in Stuttgart zu Gast. Er gab »zuerst seiner Freude, ein Schwabe zu sein, begeisterten Ausdruck, liest dann einen Zeitungsabschnitt, der Hohn und Spott über den Glauben und die Gläubigen ergießt und fragt dann: Sollte es uns angesichts solcher frecher Leistungen an Arbeit fehlen? Unsere Jünglingsvereine müssen Bewahranstalten sein gegen die Flucht aus dem Vaterhause, Zufluchtstätten für die in die Fremde Geratenen, endlich Heimstätten, drinn die rechte Freiheit waltet, die allein der Herr Jesus verleiht. Wir wollen uns an ihn halten und sein Wort reichlich unter uns wohnen lassen. Was wir auch sonst in den Vereinen treiben, der Welt können wir es nie gut genug machen. Wir wollen nicht weggehen, ohne dem Herrn die Hand gegeben zu haben. Mit Jesu vorwärts!«27

In Berlin diskutierte er den rechten Ansatz und die Methodik seiner Evangelisationen für den deutschen Kontext mit den Mitgliedern des neu gegründeten Evangelisationskomitees. Stoecker machte ihm dabei die folgenden Vorschläge: 1. Schlümbach solle ein viertel bis ein halbes Jahr in Berlin bleiben, 2. er solle nicht Säle in der Stadtmitte, sondern in den Vorstädten für seine Veranstaltungen nutzen, und 3. die Werbung für die Veranstaltungen solle nicht durch Zeitungsanzeigen, sondern durch das Verteilen von Handzetteln geschehen. Hintergrund dieser Vorschläge waren die bisherigen Erfahrungen mit englischen oder amerikanischen Evangelisten, die oft nur für wenige Tage gekommen waren und ein Strohfeuer unter den ohnehin schon Frommen entzündet hatten und damit aufs Ganze gesehen in der Perspektive Stoeckers mehr schadeten als nützten. Konnte sich Schlümbach methodisch auf diese drei Vorschläge Stoeckers einlassen, so bereitete eine weitere Bedingung des Hofpredigers ihm zunächst gewisse Zweifel. Stoecker verlangte nämlich von ihm, die Berliner Bevölkerung keineswegs als »Heiden« anzusehen, wie es oft in der amerikanischen Perspektive geschehe, sondern als die empfänglichste Bevölkerung, die man sich auf Erden vorstellen könne. Stoecker führte die anfänglichen Zweifel Schlümbachs auf dessen eingeschränktes Bild von den Zuständen in Berlin durch die einseitige Lektüre englischer und amerikanischer Zeitungen zurück, das noch nicht durch ungewöhnlichen Arbeitsweise bald beigelegt; vgl. CA 1883, S. 97 (unter Bezug auf das Tageblatt) u. S. 145 (C. Weiß). 26 Vgl. [J. Wischhusen:] Ansprache über positives Christentum. Gehalten von Pastor Fr. v. Schlümbach in der Aula des Gymnasiums in Flensburg. In: Ev. 1882, S. 318–320. 27 [O. N.:] Das 14. Bundesfest in Stuttgart. In: JB 1882, S. 202–203.

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persönliche Erfahrungen geschärft worden sei.28 Der Einblick, den Schlümbach auf seiner Reise 1875 von Berlin gewinnen konnte, war gewiss auch nur punktuell gewesen. Zur Methodik seiner Arbeit bemerkt Schlümbach im November 1882 in einem Brief an Wilhelm Nast: »Ich habe nichts anderes zu tun, als Sünder zur Buße zu rufen. Ach, es ist so nothwendig, daß hier etwas freier und gründlicher gewirkt wird. Es gibt so viele heilsbegierige Seelen; fehlte es nicht an der hinreichenden Anzahl eifriger Prediger und an praktischer, christlichen Laienarbeit, so könnten Millionen von Weltkindern zu Jesu gebracht werden. Ich schaue einer großen Bewegung in Deutschland entgegen; früher oder später muss der Hunger des Volkes gestillt werden. Daß wir mit den für Amerika passenden Methoden hier nicht dieselben Erfolge erreichen können, ist unbestreitbar. Aber ebenso klar ist es mir, daß die Regeneration des Volkes aus der gläubigen Laienwelt hervorkommen muß und von treuen Dienern des Evangeliums weiter getragen werden sollte. Die bestehenden kirchlichen Verhältnisse sind aber noch nicht dazu geeignet. Der Herr muß da erst die Bahn brechen, aber es ist nur eine Frage der Zeit – und dann bricht es durch.«29

Anders als bei seiner Vorstellung auf der Tagung der Positiven Union legte er nun einen Schwerpunkt auf die »Laienwelt« als Keimzelle einer Erweckung – in Richtung der landeskirchlichen Kreise in Deutschland kommunizierte er offenbar anders als mit seinen methodistischen Kollegen. Evangelisationsarbeit in der Nazarethgemeinde Am 1. November 1882 begann Schlümbach mit einer auf mehrere Monate angelegten Evangelisationskampagne im Norden Berlins. Im Deutschen Tageblatt und im Reichsboten wurde nach einiger Zeit regelmäßig von seinen Veranstaltungen berichtet, während die landeskirchlichen Blätter von seiner Arbeit so gut wie keine Notiz nahmen – beziehungsweise sie bewusst ignorierten.30 Mag dies als Spitze gegen die Arbeit dieses amerikanischen Evangelisten eingesetzt worden sein, so kam das Schweigen der Presse Schlümbach in den ersten Wochen seiner Tätigkeit sehr gelegen, denn er hoffte, auf diese Weise eher die eigentliche Zielgruppe zu erreichen. So 28

Vgl. Beyreuther: Kirche, S. 194–195. Zit. nach W. N.: Ueber die evangelistische Thätigkeit unseres Br. Fr. v. Schlümbach inmitten der deutschen Landeskirche. In: CA 1883, S. 92. 30 Im Deutschen Tageblatt vom 25. 12. 1882 wird offen gefragt, warum die Berliner Kirchenpresse, die sonst von sehr viel weniger bedeutsamen Ereignissen lange Artikel drucke, von dieser Sache überhaupt keine Notiz nehme; vgl. Das Werk Gottes im alten Vaterland. In: CA 1883, S. 28. Über die Presse hinausgehende Aufzeichnungen in Berlin selbst sind aber kaum erhalten, nicht zuletzt auch wegen der Kriegsschäden des Zweiten Weltkriegs. So lässt sich zum Beispiel auch sehr viel mehr Material über die Anfänge des CVJM in Berlin in den Kautz Family YMCA Archives in Minneapolis finden als in Berliner Archiven. 29

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wurde es schließlich auch wahrgenommen, als im Dezember 1882 die ersten Berichte über Schlümbachs Evangelisationen in der Presse erschienen: »[Schlümbach] arbeitet seit einigen Wochen im Norden von Berlin in der Nazarethgemeinde in aller Stille mit reichem Segen. Es kommt ihm nicht sowohl darauf an, nach Art anderer englisch-amerikanischer Brüder in großen Versammlungen, welche doch nur von erweckten Christen besucht werden, zu reden, als unter den der Kirche Entfremdeten in den äußersten Vorstadtgemeinden der Hauptstadt zu wirken, und zwar in beständiger Verbindung mit dem geistlichen Amt.«31

Schlümbachs erstes Arbeitsfeld im Berliner Norden war die Parochie der Nazarethkirche, in die der dortige Pfarrer Karl Diestelkamp Schlümbach eingeladen hatte. Diestelkamp war schon seit langem den Impulsen der Heiligungsbewegung mit Wohlwollen begegnet und nun auch für die Frage der Evangelisation aufgeschlossen.32 Andreas Graf Bernstorff wirkte bereits seit längerer Zeit in kleineren Versammlungen in Diestelkamps Parochie.33 Bei seinem Gemeindegebiet handelte es sich um Arbeiterbezirke im Wedding, die eine in hohem Maße entkirchlichte Bevölkerung beherbergten. Um diese Menschen überhaupt zu erreichen, verzichtete Schlümbach – wie von Stoecker angeregt – bewusst auf das Schalten von Anzeigen in der Tagespresse, um zu den Veranstaltungen einzuladen. Diese hätten wahrscheinlich in erster Linie interessierte Fromme angezogen, aber nicht die eigentliche Zielgruppe. Stattdessen verteilte man Einladungskarten in den Straßen und Häusern und versuchte persönlich mit Menschen in Kontakt zu kommen und sie zu gewinnen.34 Und die Menschen kamen tatsächlich, erst nur wenige, aber in kurzer waren die Versammlungen auf mehrere hundert Besucher angewachsen.35 So konnte Schlümbach recht bald zu Stoecker sagen: »Sie haben buchstäblich recht; ich kenne alle Großstädte Amerikas, aber ich habe kaum irgendwo eine so große Empfänglichkeit gefunden als in den Vorstädten Berlins.« Was Stoecker in seiner Ansicht bestärkte: »Das ist eine Tatsache, die jeder erfährt, der in Berlin arbeitet; sie zeigt, daß, wenn wir nur die rechten Männer, die rechten Herzen, die rechten Lippen gefunden haben, unser Volk noch lange nicht für das Evangelium verloren ist.«36

31 Correspondenzen. In: NEK 1882, S. 746. Auch der Evangelische Botschafter berichtet Ende des Jahres kurz von Schlümbachs Tätigkeit. Dort wird mit einem gewissen Erstaunen bemerkt, dass »die Herren Pastoren [. . .] ihn willig mit dem Pastorentitel [beehren]«; vgl. Kirchliche Nachrichten. In: EB 1882, S. 405. 32 Zu Karl Ludwig Diestelkamp (1833–1912) vgl. Voigt: Heiligungsbewegung, S. 67–68. 33 Vgl. Bernstorffs Bericht in E. Ansbach: Ein Theeabend im Fürsten Blücher (Schluß). In: EKA 1883, S. 78. Zu Andreas Graf Bernstorff (1844–1907) vgl. Voigt: Art. Bernstorff. 34 Vgl. Reichsbote vom 13. 1. 1883 nach Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 284–285. 35 Der Reichsbote schreibt, dass »zuerst etwa 200, bald 500, 700, 1000 und mehr« kamen. Vgl. Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 285. 36 Zit. nach Beyreuther: Kirche, S. 194–195.

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Unter den Menschen, die kamen, waren tatsächlich auch zahlreiche aus den untersten sozialen Schichten, so dass sich ein Redakteur des Deutschen Tageblatts bei einer solchen Versammlungen an das Schriftwort erinnert fühlte: »Den Armen wird das Evangelium gepredigt«.37 Für ein bis zwei Wochen fanden die Versammlungen fast allabendlich jeweils im gleichen Lokal statt, dann wechselte man den Versammlungsort.38 Die Versammlungen liefen – zumindest in der Anfangszeit – wohl für gewöhnlich so ab, dass zunächst ein Pfarrer einführende Worte sprach und dann Schlümbach die Rednerbühne betrat.39 Später konnte auch Schlümbach den Anfang machen und ihm ein weiterer Redner folgen.40 Ungewöhnlich war, dass Schlümbach zum Beginn und zum Schluss der Vorträge ein zum Thema passendes Lied alleine vortrug, in dessen Chorus die Versammlung dann einstimmte. Er verwendete hierfür die Lieder Ira Sankeys, die in deutscher Übersetzung in der Frohen Botschaft abgedruckt waren und die er aus Amerika gut kannte.41 Ein Augenzeuge dieser Versammlungen im November und Dezember 1882 schreibt: »Er kam nicht in kirchlicher Manier, sondern als ein freundlicher Kamerad zu den Leuten. Zum großen Verwundern der Berliner stellte er sich hin und sang Sololieder, daß die Fenster klirrten. Es gab einen ungeheuren Zulauf zu seinen Versammlungen, deren er täglich mehrere hielt. Er hat den Boden Berlins für wirkliche Reichsgottesarbeit bereitet. Entkirchlichte Leute wurden Besucher der Versammlungen. Gewohnheitschristen wurden freudige Bekenner, und selbst notorische Diebe und Einbrecher kamen unter das Kreuz Christi und fanden Gnade.«42

Der Augenzeuge, der diese Eindrücke festhielt, war Eduard Graf Pückler. Der junge, vor wenigen Jahren zum Glauben gekommene Reichsgraf steckte im Herbst 1882 mitten in den Vorbereitungen auf das juristische Assessorexamen, als er von der Wirksamkeit Schlümbachs in den berüchtigten Schanklokalen Nordberlins hörte. Er wollte sich diese ungewöhnlichen Versammlungen nicht entgehen lassen und besuchte gelegentlich die Zusammenkünfte.43 37

Vgl. Das Werk Gottes im alten Vaterland. In: CA 1883, S. 28. Vgl. Reichsbote vom 13. 1. 1883 nach Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 285. 39 Vgl. C. Weiß: Bilder aus der evangelischen Bewegung. In: HuH 1883, 194–196, dort 195–196. 40 So war es in einer Versammlung, von der das Deutsche Tageblatt am 25. 12. 1882 berichtete; vgl. [o.N.:] Das Werk Gottes im alten Vaterland. In: CA 1883, S. 28. 41 Christian Phildius, von dem unten noch zu handeln sein wird, schrieb, dass Schlümbachs Lieder kaum jemanden unbewegt ließen und führt als Beispiel die Textzeilen an: »Wo ist wohl jetzt mein armes Kind, meines Herzens geliebter Sohn? [. . .] Geht, sucht mein armes Kind mir auf, sagt ihm, schließt auch bald mein Pilgerlauf, die Liebe zum Kind stirbt nie!«; vgl. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 4. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie Schlümbach diese Verse in autobiographische Erzählungen eingeschoben haben mag. 42 Zit. nach Pagel: Pückler, S. 11. 43 Zu Eduard Graf Pückler (1853–1924) vgl. Ohlemacher: Art. Pückler; Redern: Ruf. 38

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Dabei kam er wohl auch persönlich mit Schlümbach in Kontakt, dem der fromme Eifer des jungen Juristen nicht entging und den er daraufhin für ein Projekt zu gewinnen suchte. Schlümbach machte sich nämlich Gedanken darüber, was mit den Erweckten – Hedwig von Redern sprach von einer »Erweckungswelle«44 – geschehen solle, wenn er seine Arbeit in Berlin abgeschlossen habe. Die Bewegung müsse doch weitergeführt werden. Pückler schien ihm der richtige Mann, um dies zu bewerkstelligen. Doch Pückler hatte aufgrund seiner traditionellen kirchlichen Ansichten Bedenken. Könne er als Laie denn eine solche geistliche Aufgabe übernehmen? Diese Bedenken versuchte Schlümbach in einem Brief an Pückler zu zerstreuen, indem er zunächst die Bibelstellen Joh. 17,20, Apg. 1,1–6, Apg. 8,1.4, Apg. 13,1, Apg. 15,39–40, Röm. 16, Apg. 18,24–28 als Beispiele für »Laienarbeit« in apostolischer Zeit anführt. Nur Barnabas und Paulus seien »wirklich in den Predigerstand eingesetzt« worden: »Es gibt unendlich viele Beweise in der Heiligen Schrift, daß Gott will, daß in Seinem Reiche allerlei Arbeit getrieben werde. Was Deutschland am meisten not tut, ist Laientätigkeit. Alle Länder, selbst Frankreich, sind darin weiter. Hier, wo die meisten tüchtigen Kräfte zu finden sind, schläft alles, und deshalb gehen Hunderttausende zugrunde, o, welch ein Elend! Da schiebt immer einer die Last auf den anderen, statt alles zu vergessen und Christum zu lieben. Es ist tatsächlich wahr, das deutsche Volk geht unter aus Mangel an christlicher Tätigkeit. Manche Theologen lehren oft, was nicht taugt; die Bibel zersetzen sie und lassen nur gelten, was in ihren Kram paßt. Nein, es muß anders kommen. Die gläubigen Männer müssen geschart werden und an systematische christliche Tätigkeit gesetzt, dann kommt neues Leben, und Kaiser und Reich sind gesichert, und das Reich Gottes faßt wieder Wurzel in den Herzen! Nun Gott befohlen, lieber Herr Graf, stehen Sie fest für den HErrn, der Arbeit harrt viel Ihrer und Gott wird es unter Ihren Händen segnen. Nur mutig!«45

Offenbar gelang es Schlümbach, die Bedenken Pücklers zu zerstreuen, so dass dieser zu Schlümbachs »große[r] Weihnachtsfreude«46 seine Zusage gab. Mit diesem Projekt hatte Schlümbach ein Herzensanliegen Pfarrer Diestelkamps aufgegriffen, der es immer als großen Missstand empfunden hatte, dass in seiner Parochie für die ortsansässigen Arbeiter – gegenüber den wandernden, für die ja die Herbergen zur Heimat einen Anlaufpunkt darstellten – kein adäquates Angebot zur Verfügung stand. Nachdem die Evangelisationen Schlümbachs das Bedürfnis nach einem solchen Sammelpunkt noch einmal verstärkt hatten, gewann die Sache nun konkrete Gestalt. Die Räumlichkeiten, die man für die Sammlung der Erweckten und die Fortführung der Arbeit ausersehen hatte, aber auch, um durch soziales Enga44

Redern: Ruf, S. 52. Zit. nach Redern: Ruf, S. 50–51. 46 So Schlümbach in einem Brief an den die Weihnachtstage auf dem Familiensitz in Rogau verbringenden Grafen; zit. nach Redern: Ruf, S. 51. 45

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gement die Not der armen Bevölkerungsschichten zu lindern, lagen in einem Haus an der Ecke der Müller- zur Fennstraße. Es handelte sich dabei um das berüchtigte Tanzlokal »Zum Fürsten Blücher« am Weddingplatz, dessen Besitzer willens war – wohl auch angesichts der regelmäßigen Tumulte in seinem Lokal, die diesem den Beinamen »Zum Blutigen Knochen« eingebracht hatten – das Anwesen zu verkaufen. Bereits seit Oktober 1882 hatte man in der Nazarethgemeinde dahingehende Überlegungen angestellt.47 Der Kauf wurde zwischen Weihnachten und Neujahr getätigt, wobei Pfarrer Diestelkamp die notwendigen Formalitäten erledigte.48 Der Kaufpreis betrug 113.500 Mark, hinzu kamen die Umbaukosten. »Hochgestellte Freunde« stellten die Summe für die Anzahlung bereit49, für den Rest wurde eine Hypothek aufgenommen. Die Abzahlung dieses Betrages sollte neben Gewinnen aus der Bewirtschaftung und den Vereinsbeiträgen maßgeblich durch Mieteinnahmen geschehen, die man aus Ladenlokalen und Wohnungen in einem noch zu errichtenden Anbau erwirtschaften wollte. Zur Ausführung dieses Anbaus wurden 30.000 Mark benötigt, und zu diesem Zweck veröffentlichten Bernstorff, Diestelkamp und Pückler im Januar 1883 einen Aufruf, in dem sie die Arbeit im neuen Vereinshaus vorstellten und um Spenden baten.50 Bis zum Mai gingen bereits über 11.000 Mark an Spenden ein, von denen allein fast 3.000 Mark von der königlichen Familie stammten.51 Im Sommer wurde entschieden, auf der unbebauten Fläche lediglich zwei Läden zu errichten und den Rest zur Errichtung einer Herberge zur Heimat und eines Hospizes zu nutzen. Vielleicht hoffte man so, neue Spenderkreise zu erschließen, denn bis Juli waren nur weitere 1.000 Mark an Spenden eingegangen.52 Pückler konnte schon bald nach seiner Ende 1882 gegebenen Zusage mit der neuen Aufgabe betraut werden. Denn am 13. 1. 1883 fand die offizielle Konstituierung des Vereins mit Annahme der Statuten und Wahl eines elfköpfigen Vorstands (u. a. Pückler und Baron v. Ungern-Sternberg, daneben Lehrer, Beamte, Handwerker und Arbeiter) statt. Am 15. 1. folgte eine weitere die Vereinsarbeit festigende Versammlung.53 Die Räumlichkeiten waren zwar heruntergekommen, aber für Versammlungen gut geeignet, der 47 Vgl. den Bericht Bernstorffs in E. Ansbach: Ein Theeabend im Fürsten Blücher (Schluß). In: EKA 1883, S. 78. 48 Vgl. Redern: Ruf, S. 53. 49 Vgl. Redaktionelle Notizen. In: EKA 1883, S. 12. 50 Vgl. A. Graf von Bernstoff/L. Diestelkamp/E. Graf Pückler: Aufruf. In: EKA 1883, S. 47. In dem Aufruf wird noch einmal sehr die kirchliche Unterversorgung in Berlin betont. 51 Der Kaiser spendete 2.000 Mark, die Kaiserin 500 Mark, Kronprinz und Kronprinzessin 300 Mark und Prinz Friedrich Karl 150 Mark. Vgl. A. Graf v. Bernstorff/L. Diestelkamp/E. Graf Pückler: Vereinsthätigkeit. Aufruf. [9. 5. 1883]. In: EKA 1883, S. 150. 52 Vgl. A. Graf v. Bernstorff/L. Diestelkamp/ E. Graf Pückler: Aufruf! In: EKA 1883, S. 270. 53 Vgl. den Bericht des Tageblatts vom 18. 1. 1883, wiedergegeben in: CA 1883, S. 97.

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Hauptsaal verfügte über ein Podium, von dem von nun an statt einer Tanzkapelle christliche Vorträge und ein Harmonium erklingen sollten. Das »Fürst Blücher« am Eingang wurde durch »Christliches Vereinshaus ›Friedefürst‹« ersetzt; die Stammkundschaft kam freilich wie zuvor und musste mit gewisser Verwunderung die Umwidmung zur Kenntnis nehmen, geriet dabei aber in Versammlungen, die sie auf andere Weise kaum besucht hätte.54 Schlümbach hielt gelegentlich selbst noch Versammlungen dort, in denen er dazu aufrief, sich in die Vereinslisten einzutragen, begann mit dem neuen Jahr 1883 aber eine Tätigkeit in der Parochie der Zionsgemeinde. Seine Eindrücke von einem »Theeabend im Fürsten Blücher« in dieser Zeit gibt E. Ansbach wie folgt wieder: »Prediger von Schlümbach war der erste, der das Podium betrat, von welchem herab die Reden gehalten werden sollten. Nun sah ein Jeder diesen Mann, und sollte ihn auch hören, und seine Weise, die unleugbar Viele gefesselt hatte, kennen lernen. Sein Aussehen verräth auf den ersten Blick den Süddeutschen, – eine kräftige Gestalt in den besten Mannesjahren, corpulent, vollblütig und vollbärtig, mit guten Augen und biederem Gesichtsausdruck, in seiner ganzen Erscheinung wenig den Geistlichen verrathend, ausgerüstet mit einer Kraft und Biegsamkeit des Organs, die es ihm ermöglicht, alle Register der physischen Tonmittel vom sanftesten Piano bis zum Fortissimo gebrauchen zu können. Er redet nämlich nicht bloß, er kann auch singen, und verfügt über eine sympathische Bassstimme, welche insbesondere ihn dazu befähigt, die neue drüben von Moody und Sankey eingeführte Art, das Evangelium nicht bloß zu predigen, sondern auch zu singen, in deutscher Sprache nachzumachen, wie denn auch die Methodisten-Blätter ihn den ›deutschen Moody‹ nennen. Wie alle Evangelisten wirkte er weniger durch das, was er sagt, als dadurch, wie er es sagt, und durch die Mittel, die er zur Anregung des religiösen Gefühles gebraucht. Schlümbach wendet sich vornehmlich an das Gemüth und versteht es, in methodistischer Weise dasselbe zu ergreifen durch die Predigt von Buße und Gnade. Er sprach am Theeabend von der Liebe zu den Brüdern, schlicht und einfach, und sang auch hernach eines von den Evangeliumsliedern, wie er dies in seinen Versammlungen zu thun pflegt, und zwar gerade an den Stellen der Predigt, wo er für die Zuhörer die meiste Wirkung eines solchen Liedes voraussetzt. Er hatte sich das hübsche Lied von Max von Schenkendorf: ›Nimm, Gärtner, diesen Feigenbaum und wirf ihn aus dem Garten‹ ausgewählt, welches durch den Schweizer Methodisten Ernst Gebhardt, den deutschen Herausgeber der Revival-Lieder, einen charakteristischen Zusatzvers erhalten hat. [. . .] Dieses schlichte, innige Lied, hat eine sehr schöne, würdige und ergreifenden Melodie, welche Herr Schlümbach durch seinen Gesangvortrag, bei Begleitung durch die Phisharmonika, in hohem Grade wirkungsvoll zu machen verstand.«55 54 Vgl. Redern: Ruf, S. 53–54; Pagel: Pückler, S. 12–13. Vgl. auch die Kurznachrichten in: Ev. 1883, S. 21. Eine im Arbeitermilieu angesiedelte Geschichte über das Elend am Wedding mit seinen zahlreichen Vergnügungen und den Weg heraus durch die Bekehrung zum christlichen Glauben erschien in Ev. 1883, S. 90–91 unter dem Titel »Vom Fürsten Blücher zum Friedefürsten. (Eine wahre Geschichte aus Berlin.)«. 55 E. Ansbach: Unterhaltungsblatt. Ein Theeabend im Fürsten Blücher. In: EKA 1883, S. 69–70.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Dieses Zeugnis vermittelt gut die generelle Tendenz der Berichterstattung, dass es vor allem die Wirkungen des Auftretens Schlümbachs waren, die berichtenswert erschienen, während konkrete Inhalte seiner Ansprachen nur selten ausführlich dargestellt wurden. Ansbach äußert Verständnis dafür, dass die unkirchlichen und sensationsbedürftigen Massen am ehesten durch das religiöse Einwirken auf Sinne und Empfinden, weniger auf den Intellekt zu erreichen seien. Dennoch sei doch die Hauptaufgabe, den christlichen Glauben zur Gesinnung heranwachsen zu lassen und ihn nicht nur im Gefühlsmäßigen zu belassen. Viel zu schnell würden die Erweckten in der derzeitigen Arbeit schon zur Mitarbeit im Reich Gottes herangezogen, wo der Glaube sich doch erst in Nüchternheit im alltäglichen Leben und Beruf erweisen müsse. Den amerikanischen und englischen Evangelisten wirft er vor, dass sie einen »Apparat von Hülfsmitteln« für ihre Predigten mitbrächten, den sie »drüben« erprobt hätten mit dem Ziel, die gewünschte Wirkung zu erzielen. Dazu gehörten vor allem auch die Lieder, in deutscher Übersetzung gesammelt in der Frohen Botschaft und den Evangeliumsliedern56, die Ansbach im Vergleich zum deutschen Liedgut vom Inhalt her aber als »poetisch unbedeutend, arm und süßlich« erscheinen, von der Melodie her »monoton, meistens trivial und bei vielen ganz weltlich«. Mit dem deutschen Choral und Volkslied könnten sie nicht mithalten.57 Getragen wurde die Arbeit im Christlichen Vereinshaus durch Spenden; durch unkonventionelle Aktionen wie zum Beispiel einen Landprodukteverkauf im Herbst 1883, der 3.000 Mark erbrachte, gingen weitere Gelder für die Arbeit ein.58 Durch Schlümbachs Initiative hatte sich, nun von anderen getragen, eine Verzahnung von Evangelisations- und Gemeinschaftsarbeit ergeben, durch die er langfristig das durch ihn Angestoßene lebendig zu halten hoffte. 56 Die Frohe Botschaft in Liedern war 1875 im Kontext der »Triumphreise« Pearsall Smiths von Ernst Gebhardt herausgegeben worden und avancierte zum erfolgreichsten Liederbuch der Erweckungs- und Heiligungsbewegung Ende des 19. Jahrhunderts. 1896 erschien bereits die 50. Auflage, insgesamt sollen etwa 900.000 Exemplare gedruckt worden sein. Zum größten Teil beinhaltete das Gesangbuch Lieder der angelsächsischen Erweckungs- und Heiligungsbewegung, die nun erstmals in größerem Umfang einem deutschen Publikum zugänglich waren. Neben den Übersetzungen fanden sich auch viele Lieder aus der Feder Gebhardts. Der 1880 erschienene Folgeband Evangeliumslieder versammelte Lieder, die insbesondere bei Evangelisationsveranstaltungen zum Einsatz kommen sollten und entsprechend stärker den Ruf zur Umkehr des Sünders beinhalteten. Auch hier handelte es sich zum größten Teil um Übertragungen englischer Lieder aus Sankeys Songs and Solos und den Gospel Hymns durch Ernst Gebhardt, aber auch eigene Kompositionen von ihm finden sich darin. Zum Liedgut der Heiligungs- und Evangelisationsbewegung insgesamt vgl. Holthaus: Heil, S. 516–550, zu den beiden genannten Liederbücher dort 530–532. 57 Vgl. E. Ansbach: Unterhaltungsblatt. Ein Theeabend im Fürsten Blücher. In: EKA 1883, S. 69–70. 58 Vgl. Redern: Ruf, S. 55–57.

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Evangelisation und Gründung des CVJM (1882–1883)

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Innerhalb von drei Wochen war der Verein mit seinen Unterabteilungen für Männer, Frauen, Jünglinge, Jungfrauen und Sonntagsschule auf 700 Mitglieder gewachsen. Auch wurde das Komitee »Dienst an Arbeitslosen«, dessen Verbindung mit Evangelischem Verein und Stadtmission gelöst worden war, in das Haus aufgenommen.59 Neben den beiden großen Versammlungssälen, in denen oft gleichzeitig vor über 1.000 Zuhörern religiöse Versammlungen stattfanden, wurden unter anderem auch eine geräumige Restauration betrieben, in der christliche Lektüre auslag und welche den Arbeitern zu einem geringen Preis eine gute Mahlzeit ermöglichen sollte.60 Nach dem Ende seiner Tätigkeit in der Nazarethgemeinde wurde von dort ein Brief an den Nationalbund Deutscher Christlicher Jünglingsvereine in den USA gesandt, in dem für die Freistellung und finanzielle Unterstützung Schlümbachs – hatte er das so »verkauft«? – gedankt wird, der mit großem Segen in ihrer Gemeinde gewirkt habe. Eine Frucht dieser segensreichen Tätigkeit sei eben der »Christliche Verein zu Nazareth«, der im Zusammenhang der Vorträge Schlümbachs und der von dieser ausgehenden Bewegung des engeren Zusammenschlusses der Erweckten entstanden war. Daher ist der Brief auch von Pastor Diestelkamp, dem »Comité für religiöse Vorträge« und von Eduard Graf Pückler als dem Präsidenten des Vereins unterzeichnet, es folgen weitere 212 Unterschriften.61 Evangelisationsarbeit in der Zionsgemeinde Vom 2. Januar 1883 an sollten, wie bereits erwähnt, die Schlümbachschen Versammlungen in einem anderen Pfarrbezirk des Berliner Nordens stattfinden, nämlich in der Parochie der Zionsgemeinde, wo der Puhlmannsche Saal in der Schönhauser Allee für religiöse Versammlungen angemietet worden war. Als Redner hatten sich neben Schlümbach Pfarrer Kraft, Hofprediger Stoecker, Stadtmissionsinspektor Häufig, Schlegel, Pfarrer Boehme und andere angekündigt.62 Die Zionsgemeinde hatte zu Beginn der 1880er Jahre zwischen 70.000 und 80.000 Mitglieder, die von zwei Pfarrern und einem Hilfsprediger betreut wurden.63 Pfarrer Kraft, der ältere der beiden Pfarrer, stand der seit Mitte der 1870er Jahre in seiner Parochie arbeitenden Stadtmission sehr wohlwollend gegenüber. Unterstützung in der kirchlichen Arbeit und der 59 Vgl. den Bericht des Tageblatts vom 18. 1. 1883, wiedergegeben in: CA 1883, S. 97. Vgl. auch einen kurzen Bericht über die Hilfe für Arbeitslose am Weddingplatz in Editorielle Notizen. In: CA 1883, S. 260. 60 Vgl. A. Graf von Bernstoff/L. Diestelkamp/E. Graf Pückler: Aufruf. In: EKA 1883, S. 47. 61 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In. Ev. 1883, S. 61. Übernommen in: Editorielle Notizen. In: CA 1883, S. 92 und auch in: Redaktionelle Notizen. In: EKA 1883, S. 67. 62 Vgl. Das Werk Gottes im alten Vaterland. In: CA 1883, S. 28. 63 Vgl. Mayer: Anfänge, S. 159. Die Hilfspredigerstelle wurde Ende Februar 1883 vakant, was zu neuen Diskussionen über Stellenzuschnitt und -besetzung in der Gemeinde führte.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Seelsorge tat not, und Kraft nahm die Hilfe gerne an, zumal er die »positive« Ausrichtung der Stadtmissionare unterstützte.64 Anders sein Gemeindekirchenrat, der eher liberal ausgerichtet war und der Tätigkeit der Stadtmission ablehnend gegenüberstand. Kraft war es daher, der Schlümbach die Zionsgemeinde öffnete und ihn persönlich einführte.65 Neben Versammlungen im Puhlmannschen Saal hielt Schlümbach auch gut besuchte Evangelisationsveranstaltungen in der großen Tonhalle.66 Auch im Berliner Prater und im Germaniatheater fanden Versammlungen »unter ungeheurem Zulauf« statt: »Das Neue und Anziehende an diesen Versammlungen war, daß Schlümbach aus der Liedersammlung ›Frohe Botschaft‹ vor Beginn der Versammlung vorsang, bis die Zuhörer die Melodie und den Text auswendig konnten. Dann hielt er jene so ganz anders gearteten biblischen Vorträge, in denen er mit echt schwäbischer Gründlichkeit und einer reichen Gemütstiefe den Leuten ihr Sündenregister aufrollte, um dann mit recht packenden Geschichten die eine einzigartige Wahrheit einzuprägen, daß Jesus alle Sünder, auch die schlechtesten annimmt, und daß ihm die selbstgerechten Heiligen ein Greuel sind. Die Erweckung ging so tief, daß selbst früher ganz ungläubige Personen auf der Straße die Botschaftslieder sangen.«67

Von den Wirkungen der Versammlungen Schlümbachs zeugt auch der Reichsbote: »Trunkenbolde, Witwen, Konfirmanden, am Rande des Verderbens angekommene Mädchen bekennen ihre Sünden, finden wieder den Weg zum Trost und Frieden, lernen Beten und Glauben.«68 Die Spannungen, die zwischen Kraft und dem Gemeindekirchenrat schon bezüglich der Arbeit der Stadtmission bestanden hatten, äußerten sich auch in Reaktionen auf Schlümbachs Auftreten. So meinte der stellvertretende Vorsitzende des Gemeindekirchenrats, Schumacher, Schlümbach habe wie ein Schauspieler die einfachen Menschen an sich gebunden, um wie die Stadtmission unter Stoecker die liberalen Elemente in den Berliner Gemeinden zu sprengen. Die auf den Straßen Evangeliumslieder singenden Erweckten bezeichnete er als »Heuchler«. Wie Schumacher hielten sich auch die anderen Ältesten und Gemeindevertreter sowie Diakonus Dr. Wachsmann von den Schlümbach-Veranstaltungen fern.69

64 Zu Julius Adolf Gottlieb Kraf(f)t (die Schreibweisen differieren) (1825–1895) vgl. Voigt: Heiligungsbewegung, S. 68. 65 Vgl. Mayer: Anfänge, S. 153–155. 66 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In. Ev. 1883, S. 61. Übernommen in: Editorielle Notizen. In: CA 1883, S. 92. 67 Stadtmissionar Scharpff zit. nach Mayer: Anfänge, S. 154–155. 68 Reichsbote vom 23. 1. 1883 nach Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 285. 69 Vgl. Mayer: Anfänge, S. 155. Mit Wachsmann sollte zusätzliches Konfliktpotential aus der Jungmännerarbeit erwachsen; s. u. Kap. III 2.3.

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Evangelisation und Gründung des CVJM (1882–1883)

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Ebenso wie in der Nazarethgemeinde bemühte man sich auch in der Zionsgemeinde um die Sammlung und Pflege der durch die Schlümbach-Versammlungen Erweckten, was in erster Linie durch die Stadtmission geschah. Am 1. 10. 1883, als Schlümbach bereits abgereist war, nahm die Stadtmission ein ehemaliges Tanzlokal für gottesdienstliche Versammlungen durch den Stadtmissionsinspektor Scharpff in Betrieb. Die Gemeinschaftspflege durch die Stadtmission mündete 1886 in der Gründung des Stadtmissionsvereins »Zion«. Dieser Verein untergliederte sich wie der Christliche Verein zu Nazareth. Eine weitere Frucht, die auf Anregungen Schlümbachs zurückging, war die Gründung eines »Christlichen Gesangsvereins«, aus dem später wiederum der Stadtmissionsverein »Bethel« und der Gesangsverein »Frohe Botschaft« hervorgingen.70Insgesamt bestand auch in den Folgejahren in der Zionsgemeinde ein enges Zusammenwirken von Stadtmission und Kirche.71 Seit 1860 gab es in der Zionsgemeinde ein Jünglingsverein, der unter der Leitung des bereits erwähnten Dr. Wachsmann einen großen Aufschwung genommen hatte. In diesem Jünglingsverein war es aber 1881/82 zu einer Krise gekommen, die zum Austritt zahlreicher junger Männer geführt hatte. Diese wandten sich, nachdem der Konflikt nicht hatte geklärt werden können, mit der Bitte um Hilfe an Pfarrer Kraft. Dieser besprach die Sache mit Schlümbach, Rothkirch und Phildius – und verschaffte damit den aus dem Verein der Zionsgemeinde Ausgeschiedenen kurz darauf eine neue Heimat.72 2.3 Die Gründung des CVJM Evangelisation und die Sorge um die jungen Männer verbanden sich bei Schlümbach wie schon in den USA so auch in Berlin zu einer Einheit, die ihn ein folgenreiches Projekt in Angriff nehmen ließ, das die Jugendarbeit in Deutschland nachhaltig verändern sollte. 1883 lebten etwa 300.000 zugezogene junge Männer in Berlin mit einem hohen jährlichen Zugang. Um den Bedürfnissen dieser jungen Männer zu begegnen und ihrer Entwurzelung Einhalt zu gebieten, drängte sich Schlümbach immer mehr die Notwendigkeit einer eigenen Art von Jugendarbeit auf, die in Berlin begonnen werden müsse. Nach Dietrich von Oertzen stieß sich Schlümbach an der geringen Lebendigkeit der »stille[n] konventikelhafte[n] Methode der deutschen Jünglingsvereine«73. So könne die

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Vgl. Mayer: Anfänge, S. 156–157. Vgl. Mayer: Anfänge, S. 158. 1893 sollte die kirchenpolitische Saat aufgehen und zu einem Sieg der Positiven in der Gemeinde führen. 72 Vgl. Mayer: Anfänge, S. 155. 73 Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 285. 71

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Jugend weder gewonnen noch begeistert werden. Was ihm besonders fehlte, sei »das Moment der Arbeit«74 gewesen. Schlümbach wandte sich zunächst an den Zentralausschuss der bestehenden elf Berliner Jünglingsvereine, um ein gemeinsames Vorgehen, zu dem nach seiner Auffassung auch ein engerer Zusammenschluss der bestehenden Vereine notwendig war, zu veranlassen. Ihm schwebte eine gemeinsame Arbeit nach dem YMCA-Modell vor, das er persönlich in einer Sitzung des Berliner Zentralausschusses vorstellte. Dort konnte er sich allerdings mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen. In der Sitzung vom 15. 1. 1883 wurde aber der Entschluss gefasst, die Gründung eines solchen Vereins gutzuheißen und zu unterstützen, ihm auch Sitz und Stimme im Ausschuss zu gewähren.75 Konkret bedeutete diese Entscheidung, dass der Ausschuss die Gründung eines Vereins nach YMCA-Modell Schlümbach übertrug, da er aufgrund des rein parochialen Charakters der von ihm vertretenen Vereine sich nicht in der Lage sah, bei solch einer Gründung aktiv mitzuwirken.76 Vorsitzender des Ausschusses war Dr. Wachsmann, und vor allem er stellte sich wohl gegen eine engere Form der Zusammenarbeit.77 Schlümbach lud daraufhin zu einer Versammlung im Evangelischen Vereinshaus ein, auf der er die Arbeitsweise des YMCA in packender Weise schilderte und sie auch für Berlin empfahl.78 Die Zustimmung an diesem Abend ermutigte ihn, am 20. 1. 1883 einen Aufruf im Reichsboten zu veröffentlichen, der zu einem Treffen von Interessenten für eine Vereinsgründung einlud: »Aufruf! Alle diejenigen Herren, welche sich für die Gründung eines Christlichen Jungmänner-Vereins für Berlin interessieren, dessen Aufgabe es sein soll, den Tausenden von jungen Männern, die hier den vielen und großen Versuchungen ausgesetzt sind, die christliche Bruderhand zu bieten und sie dem Herrn Jesus zuzuführen, sind hiermit freundlichst eingeladen für Montag, den 22. Januar, nachmittags 3 Uhr, Behrenstr. 29, 1. Treppe, zu einer Besprechung mit Herrn Pastor F. von Schlümbach, dem Bundessekretär des Christl. Jungen-Männer Vereins von Nord-Amerika. Das Komitee.«79

Zu denen, die diese Anzeige im Reichsboten lasen, gehörte der bei der Berliner Hofkammer als Forstbeamter tätige Eberhard von Rothkirch.80 Er nahm 74

Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 285. Vgl. Geschichte des Kreisverbandes, S. 19. 76 Vgl. Kupisch: CVJM 1958, S. 23; Mayer: Anfänge, S. 155–156. 77 Vgl. H.: Neue Art Jünglingsvereine. In: EKA 1883, S. 60. 78 Vgl. Kupisch: CVJM 1958, S. 23. 79 Zit. nach Mayer: Anfänge, S. 156. 80 Zu Eberhard von Rothkirch (1852–1911) vgl. Ohlemacher: Art. Rothkirch; Hassell: Rothkirch. 75

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sich vor, die Versammlung zu besuchen, bei der er mit einer großen Zuhörerschar rechnete und bei der er Interessantes über Schlümbachs Arbeit in der Inneren Mission zu hören hoffte. Nach der Sonntagsschule in der Oranienstraße, bei der er am nächsten Tag als Helfer mitwirkte, sprach er auch mit seinem Freund, dem Kaufmann Christian Phildius, ebenfalls Helfer in der Sonntagsschule, über diese Versammlung, und sie verabredeten, gemeinsam dorthin zu gehen.81 Phildius, vielleicht auch Rothkirch hatten bereits die Informationsveranstaltung Schlümbachs im Evangelischen Vereinshaus besucht, von der Phildius schrieb: »Alle, die wir dieser Versammlung beiwohnten, waren für diese Idee begeistert.«82 Dass die kommende Zusammenkunft im Hospiz in der Behrenstraße einen anderen Verlauf nehmen würde, als sie ahnten, war noch nicht abzusehen. Rothkirch schreibt: »Beim Betreten des Sitzungsraumes am Montag, den 22., waren wenige Männer vorzufinden. Die Gesamtzahl betrug mit mir 16. So konnte keiner von uns vor dem anderen verborgen bleiben. Wir nahmen an einem runden Tisch Platz, und Pastor von Schlümbach leitete die Besprechung ein, indem er erzählte, wie Gott ihn geführt in seinem Leben und was er in Berlin bei seinem Aufenthalt erfahren, insonderheit in der Arbeit in der jungen Männerwelt, und wie er von der Kreisvertretung der Berliner Jünglingsvereine aufgefordert sei, diese Besprechung anzuberaumen. Hierauf entwickelte er in kurzen Worten das Programm der Christlichen Vereine junger Männer, als einer Missionsarbeit an jungen Männern durch junge Männer, sowie ihre Arbeitsmethode, Zwecke und Ziele. Nachdem dies geschehen, fragte er die Anwesenden, ob sie nach Kenntnis der Berliner Verhältnisse wohl der Ansicht wären, daß solch ein Verein hier am Platze sei. Ich mußte auf jene Frage schweigen, da ich keinerlei Kenntnis von dieser ganzen inneren Missionsarbeit hatte. Von den übrigen Besuchern waren mehrere sehr gut unterrichtet auf diesem Gebiet, da sie schon seit Jahren Mitglieder von Jünglingsvereinen waren, sowohl in privater Beteiligung, als auch als Stadtmissionare. Sie alle waren einstimmig für die Begründung eines derartigen Vereins und meinten, daß er für Berlin einem durchaus vorhandenen Bedürfnis entspräche. Damit war die Sache für Pastor von Schlümbach entschieden: Er sagte uns: ›Sie haben die Frage, die ich Ihnen gestellt habe, mit einem unumwundenen ›Ja‹ beantwortet. Dies genügt mir als die Antwort von Gott und alles andere wird nun von seinem Segen abhängen, sowohl die Weisheit, wie der Erfolg der Arbeit, wie die nötigen Mittel, und die Erweckung des Interesses in weiteren Kreisen der Bevölkerung – alles dies wird er uns geben, wenn wir im Gebet zusammenstehen.‹ Er forderte ein Blatt Papier, einen Bleistift, schrieb den Namen des Vereins oben über das Blatt und setzte darunter: ›Wir, die Unterzeichneten, treten hiermit zur Bildung eines ›Christlichen Vereins Junger Männer zu Berlin‹ zusammen.‹ Nun folgte sein Name, das Blatt wurde herumgereicht und ein jeder – er mochte wollen oder nicht – mußte sich unterschreiben. So erschien auch mein Name auf dem Blatt. Als Pastor von Schlümbach es zurück erhielt, bat er, ihm nun für das Amt eines stellvertretenden Vorsitzenden und eines stellvertretenden Sekretärs Vorschläge zu machen. Da nannte einer der Anwesenden – ich glau81 82

Festschrift 1908, S. 3 (Rothkirch); Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 6. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 5.

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be es war Pastor Diestelkamp, der mich auch so gut wie gar nicht kannte – meinen Namen. Ich erschrak bis ins innerste Herz hinein und stammelte in längerer Rede Entschuldigungsgründe, indem ich hervorhob, daß mir die Sache der Jünglingsvereine und Christlichen Vereine junger Männer noch nie bisher nahe getreten sei, daß ich noch keinen Schritt in derartigen Vereinen getan, auch nie näheres darüber gehört, nie öffentlich gesprochen, noch nie einen Menschen in die Arbeit gestellt hätte usw. Als ich fertig war, sagte Pastor von Schlümbach: ›Sind Sie nun fertig?‹ ›Ja.‹ ›Nun, Gott kann nur Toren gebrauchen für seine Arbeit, die andern Leute sind ihm zu klug, und weil Sie gar nichts wissen und können, so kommen Sie in Gottes Namen und nehmen Sie das Amt an.‹ So konnte ich nun nicht mehr widersprechen. Meine Entschuldigungen waren hinfällig geworden, und ähnlich erging es dem lieben Baumeister Schwartzkopff, der als stellvertretender Sekretär genannt wurde; auch er mußte seinen Namen vorläufig hergeben.«83

Phildius schreibt, dass der provisorische Vorstand aus Rothkirch als Vorsitzendem, Phildius als Stellvertreter und Schwartzkopff als Schriftführer bestanden habe. Da sich bald darauf Dr. Caspar zum stellvertretenden Vorsitz bereiterklärte, wurde Phildius – da er ja Kaufmann war – mit dem Schatzmeisteramt betraut.84 Die 16 Teilnehmer in der Reihenfolge ihrer Sitzordnung waren: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Schlümbach Pfarrer Diestelkamp Hilfsprediger Ufer Oberförster von Rothkirch Baumeister Schwartzkopff Schriftsetzer Hein Journalist Liebich Stadtmissionar Gilweit Gerichtsassessor Graf Pückler Korbflechtmeister Tettweiler Kaufmann Grubert Oberprimaner Sommerburg Konsistorialassessor Dr. Caspar Bürodiätar Heynemann Stadtmissionar Weber Kaufmann Phildius.85

Die 16 Teilnehmer vertraten damit ganz unterschiedliche Berufsgruppen – und auch unterschiedliche Kirchenzugehörigkeiten. 14 von ihnen gehörten 83

Festschrift 1908, S. 3–5 (Rothkirch). Vgl. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 6. 85 Vgl. Kupisch: CVJM 1958, S. 23–24. Kupisch konnte für diese Angaben bei der Erarbeitung der ersten Auflage seines Buches die Anwesenheitsliste verwenden, die sich bis zum Zweiten Weltkrieg im Berliner Vereinsarchiv befunden haben muss. 84

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der Preußischen Landeskirche an, Schlümbach der Bischöflichen Methodistenkirche und Phildius der Congregational Church of England.86 Dem entsprach der Ansatz des neuen Vereins, möglichst junge Männer aller Stände und jeder Herkunft zu erreichen. Nach der Vereinsgründung galt es, die Satzungen und Geschäftsordnung für denselben zu entwerfen. Viele Treffen und Besprechungen fanden zu diesem Zwecke mit Schlümbach in Rothkirchs Wohnung in der Kanonierstraße statt, auf denen man sich in erster Linie darum bemühte, aufgrund der Erfahrungen Schlümbachs bestehende Statuten in den deutschen Kontext zu übertragen. Man übernahm also offensichtlich nicht einfach die Statuten der deutschsprachigen Jünglingsvereine in den USA.87 Diese sich über mehrere Wochen hinziehenden Besprechungen dienten so dazu, von Schlümbach mit Wesen, Zweck, Ziel und Arbeitsmethoden des CVJM vertraut gemacht zu werden.88 Den ersten Artikel der Satzungen, der die Grundlage bilden sollte, versuchte man dem Geist der Pariser Basis, auf der seit 1855 der internationalen YMCA-Arbeit stand, nachzubilden. Phildius sah diesen in einer »unabhängige[n], gewissermaßen ›überkirchliche[n]‹ Stellung« gegenüber den verfassten Kirchengemeinschaften, mit dem Ziel »der Gemeinde Jesu Christi auf Erden im ersten und letzten Grunde zu dienen«.89 Rothkirch schreibt, dass ihnen bei der Beratung der Satzungen in jenem Februar 1883 oftmals das große Werk vor Augen stand, ohne dass sie wussten, wie es überhaupt zu leiten sein sollte. Wurde den Beteiligten angesichts der weitgesteckten Ziele und großen Aufgaben mulmig zu Mute, so mahnte Schlümbach zum Gebet: »Alles, sei es Arbeitsfreude, sei es Geld, sei es weiterer Segen, schaffen wir im Gebet auf den Knien herbei!« Mit nur diesem einen Mittel, dem gläubigen Gebet, habe er in den USA viele Vereine gegründet.90 In den Beratungen über Satzung und Geschäftsordnung machte Schlümbach immer mehr deutlich, wie wichtig es sei, eine zentrale Gestalt zu ha86

Vgl. Kupisch: CVJM 1930, S. 51. Kupisch schreibt, die Statuten der nordamerikanischen CVJM dienten als Vorlage, man sei sich aber bewusst gewesen, bei der Abfassung den deutschen Verhältnissen Rechnung tragen zu müssen; vgl. Kupisch: CVJM 1930, S. 51. Lohnend wäre eine genaue Analyse dieses Übertragungsprozesses. Leider lagen mir keine eindeutig vor das Jahr 1883 zu datierenden Vereinsstatuten aus den USA als Vergleichsmaterial vor. 88 Vgl. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 6. 89 Vgl. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 6. In der ersten Auflage seine Buches, die vor diesen Erinnerungen Phildius’ veröffentlicht wurde, ging Kupisch noch davon aus, dass die Pariser Basis bei der Formulierung des ersten Artikels nicht vorlag, überhaupt höchstens Schlümbach bekannt gewesen sei, und man daher rein intuitiv den Geist dieses Dokumentes aufgegriffen habe; vgl. Kupisch CVJM 1930, S. 51. 90 Vgl. [E.] v. Rothkirch: Christlicher Jünglings-Verein in Berlin. [Abdruck aus dem Monatlichen Anzeiger.] In: CA 1883, S. 182. 87

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ben, bei der alle Fäden zusammenliefen und die sich mit ganzer Kraft und Zeit der Vereinsarbeit widmen könne. Es war das Amt eines Generalsekretärs, das ihm vorschwebte, und das es in dieser Form bisher in Deutschland noch nicht gegeben hatte. In den einzelnen Jünglingsbünden gab es zwar sogenannte Bundesagenten, die als Reisesekretäre die Jünglingsvereine betreuten, aber ein hauptberuflicher Sekretär ausschließlich für einen Verein war ungewöhnlich. Da Schwartzkopff aufgrund seiner beruflichen Verpflichtungen schon bald vom Posten des Sekretärs zurücktrat, sprang Phildius in die Bresche, der Rothkirch in einem ausführlichen Brief darlegte, wie sich in ihm in den letzten Jahren der Eindruck verfestigt habe, ganz in die Arbeit für das Reich Gottes treten zu sollen, und der nun mit dem CVJM das rechte Betätigungsfeld dafür gefunden zu haben glaubte. Mit seinen Erfahrungen als bisheriger Präses des Christlichen Vereins für junge Kaufleute in Berlin91, seiner Kenntnis der französischen und englischen Sprache und seiner tiefen Frömmigkeit kam er für Rothkirch und Schlümbach wie gerufen. Seine Berufung geschah einstimmig durch den Vorstand und ganz ohne schriftliche Abmachung und Vertrag, »nur auf Grund brüderlicher Vereinbarungen und im Glauben, daß Gott ihm geben werde, was er brauche zu seinem Leben«92. Schlümbach war so bewegt von Phildius’ Bereitschaft, dass er dessen Hand ergriff und ausrief: »Bruder, du hast nun den Sprung ins Wasser gewagt; mein letztes Stück Brot teile ich mit dir!«93 Sollte das Geld zusammenkommen, so hielt Schlümbach aber ein Jahresgehalt von 3.000 Mark für angemessen. Er gab Phildius mit auf den Weg: »Lieber Bruder, merke Dir, Du wirst nie von Menschen bezahlt, nur Gott bezahlt Dich.« Und wohl aufgrund eigener schmerzlicher Erfahrungen fügte Schlümbach hinzu: »Auch merke Dir, die Sekretäre drüben bleiben zumeist nur zehn Jahre, dann sind sie fertig mit ihren körperlichen und seelischen Kräften. [. . .] Sei ein Haushalter Deiner Arbeitskräfte. Du hast zu organisieren, zu leiten, zu regieren, zu führen und auszubauen. Gedenke an Apostelgeschichte 6,1–7.«94 Am 1. März 1883 trat Phildius sein Amt an. Das Statut wurde im Februar fertig, man hatte allerdings noch keine Vereinsräume, und die Zeit drängte, da Schlümbach nur noch bis Anfang April 91 Christliche Vereine für junge Kaufleute hatten sich als Ergänzung zu den Jünglingsvereinen gebildet, die vor allem Handwerker und Arbeiter anzogen. Sie führten auch Beamte, Lehrer und Studenten unter ihren Mitgliedern und unterhielten ein eher nach innen gerichtetes Vereinsleben mit Bibelstunden, Missionsstunden, Vortrags- und Unterhaltungsabenden. Der Berliner Verein engagierte sich allerdings auch in der Inneren Mission, indem er auch in Sonntagsschulen und in der Armenfürsorge aktiv war. Im Gegensatz zu den Jünglingsvereinen wurden diese Verein nicht von Pastoren, sondern von Laien geführt. Nach und nach gingen diese Vereine in den nun entstehenden CVJMs auf. Vgl. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 5 Anm. 92 Festschrift 1908, S. 6 (Rothkirch). 93 Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 8. 94 Festschrift 1908, S. 6 (Rothkirch).

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in der Stadt sein würde. Auf ein Zeitungsinserat hin wurden ihnen viele Wohnungen angeboten, passend schienen schließlich die Räume einer leerstehenden Hofvilla in der Friedrichstraße 214, die Tettweiler dem Verein vermittelte. Die Villa bestand aus zwei Stockwerken mit einem Kuppelsaal, einem großen Gewächshaus, einem Garten und einem zweistöckigen Seitenflügel. Man mietete zunächst nur das untere Stockwerk, die Miete betrug aber immer noch 2.400 Mark im Jahr. »Obgleich wir keinerlei Mittel besaßen, mieteten wir dennoch.«95 Dies wurde möglich, da Pückler die erste Vierteljahrsmiete vorschoss und Schwartzkopff einen Teil des Nebengebäudes für sein Baubüro anmietete. Am 8. März wurde der Vertrag geschlossen.96 Nun hatte man zwar ein Haus, aber die erste Vorstandssitzung in demselben am 9. März nahm schon das ganze herbeigeschaffte Inventar in Anspruch: eine Petroleumlampe, einen Tisch und sechs Stühle. Um dem abzuhelfen, griff Schlümbach auf seine Kontakte zu den vornehmen Salons im Berliner Westen zurück, in die er – zum einen vermittelt durch Stoecker, zum anderen durch regelmäßige Bibelarbeiten in der Wohnung Bernstorffs97 – Eingang gefunden hatte. Zu einem guten Teil waren dies Familien aus dem evangelischen Hochadel, die auch bisher schon die »Reich-Gottes-Arbeit« im Sinne der Erweckungsbewegung unterstützt hatten.98 Nach Unterzeichnung des Mietvertrages versammelte er in mehreren Häusern christliche Frauen, erzählte ihnen von dem neuen Verein und rief sie auf, den Vereinsgründern »mit Geld und Rat« bei der Ausstattung und Einrichtung des Hauses zur Seite zu stehen. Überraschend schnell wurde dem neuen Verein geholfen, denn innerhalb kürzester Zeit waren die Haupträume mit Stühlen, Tischen, Sofas, Kronleuchtern, Bibliotheksschränken etc. versehen.99 Die führende Gestalt hierbei war Gräfin Mary Esther von Waldersee, die als Amerikanerin den YMCA aus ihrer Heimat gut kannte und entsprechend sachkundig bei anderen Frauen zu werben wusste.100 Um dieses Potential nicht zu verlieren, wurde ein Damen-Hilfskomitee gegründet, was »in vielen christlichen Kreisen als etwas Neues Befremden hervorrief«101. Den Vorsitz übernahm die Gräfin Waldersee.

95

Festschrift 1908, S. 7 (Rothkirch). Vgl. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 8. 97 Vgl. Aus Berlin. [Auszug aus einem Bericht der Mrs. Palmer Davies.] In: CA 1883, S. 209. 98 Vgl. Beyreuther: Geschichte, S. 11. 99 Eine eingehende Beschreibung der Vereinsräume findet sich in JB 1883, S. 68–69. 100 Vgl. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 8. Zu Mary Esther von Waldersee (1837–1914) vgl. Rothenberg: Art. Waldersee; Waldersee: Klarheit. 101 Festschrift 1908, S. 8 (Rothkirch). Diesem Damenkomitee gehörten an: Gräfin Waldersee als Vorsitzende, Gräfin Bernstorff, Frl. v. Blücher, Frau Gilweit, Frau v. Heintze, Frl. v. Jena, 96

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Nachdem am 12. März bereits eine erste Versammlung mit 100 Personen, bei der unter anderem Schlümbach und Stoecker sprachen, in den neuen Räumen stattgefunden hatte102, wurden die Vereinsräume unmittelbar vor der Weiterreise Schlümbachs am 4. April 1883 offiziell eingeweiht. Zu dem Fest war eine gemischte und bunte Gesellschaft zusammengekommen. Neben dem Vorsitzenden des Oberkirchenrates Ottomar Hermes waren auch Konsistorialpräsident Immanuel Hegel und der Präses des Ostdeutschen Jünglingsbundes von Ranke erschienen, auch Prediger Hülle vom Evangelischen Verein war zugegen, daneben zahlreiche weitere Vertreter der Kirche und hohe Militärs.103 Der Bundesbote schreibt: »Unter den Gästen befanden sich Vertreter aller Stände, von der hohen Aristokratie bis hin zum einfachen Arbeiter, von der höheren Beamten- und Offizierswelt bis in die unscheinbaren Glieder der Klassen, in denen in erster Linie der Verein zu wirken sich vorgesetzt hat.«104 Rothkirch als der Vereinsvorsitzende hatte die Begrüßungsrede zu halten. Wie wenig er innerlich schon in der Vereinsarbeit angekommen war, wird – gewiss nicht frei von Koketterie – aus seinem Eingeständnis deutlich: »Nun wußte ich aber selbst nicht, was ich wollte, resp. was wir wollten und mußte mir daher alles sagen lassen, was ich wiedergeben sollte. Welcher Grad der Unwissenheit – das schalte ich hierbei ein – mich umfing, sei damit dargetan, daß kurze Zeit vorher der liebe, damals in Hamburg lebende, in der Vereinsarbeit weitbekannte Herr Jasper von Oertzen mich eines Tages ganz überrascht fragte: ›Sagen Sie mal, da hat ja der gute Schlümbach hier so’n Christlichen Verein junger Männer ins Leben gerufen, was will er denn eigentlich damit? – Ach, Sie sind ja überhaupt Vorsitzender – was wollen Sie denn mit dem Verein?‹ Ich mußte ihm sagen: ›Ich habe keine Ahnung, was wir wollen.‹«105

An diesem Eröffnungsabend war es nicht viel anders, Rothkirch hatte sich alles fein säuberlich aufgeschrieben und auswendig gelernt; bevor er auf das Podium trat, drückte ihm Pastor von Ranke, der Präses des Ostbundes, ermutigend die Hand. Und die Rede gelang. Nachdem Rothkirch allgemein in die Ziele und Einrichtungen des Vereins eingeführt und die freundliche und brüderliche Stellung zu den anderen Jünglingsvereinen betont hatte, stellte nach einem Sologesang Schlümbachs Pückler den »werbenden Charakter des Vereins« heraus und hob die religiösen Versammlungen an jedem Mittwoch hervor. Bernstorff betonte, dass man durch den Verein andere christliche Unternehmungen stärken und keinesfalls schwächen wolle, GilFrau Laacke, Frau Phildius, Gräfin v. d. Schulenburg, Frau Schwartzkopff, Frau Stuckenberg, Frau Tettweiler, Frl. v. Zitzewitz; vgl. Kupisch: CVJM 1958, S. 25. 102 Vgl. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 8. 103 Vgl. Kupisch: CVJM 1930, S. 55; ders.: CVJM 1958, S. 26. 104 Zit. nach Kupisch 1930, S. 56. 105 Festschrift 1908, S. 9 (Rothkirch).

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weit skizzierte die beabsichtigten Fortbildungs- und Unterrichtsbestrebungen und Phildius die gesellige Seite des Vereinslebens.106 Nach musikalischen Darbietungen und einer Pause mit mehreren Büffets, die das Damenkomitee vorbereitet hatte, erhielt Schlümbach das Wort für seine Abschiedsrede. Sie stand in der Spannung von Freude über das Erreichte und Schmerz angesichts des baldigen Abschieds: »Wenn ich etwas in Berlin liebgewonnen habe, so ist es dieser Christliche Verein Junger Männer. Was meine Ohren hier gehört, das hat meine Seele mit neuer Lust, mit neuer Kraft, neuem Mut erfüllt. Das Wort Pauli an die Korinther rufe ich euch zu: ›Freut euch! Habt Mut!‹ Von allen Seiten kommen euch Grüße und Ermutigungen; so ist z. B. von dem Verein in London und von den Brüdern in Süddeutschland ein telegraphischer Gruß eingelaufen. Seid demütig und brüderlich! Tröstet euch! Habt einerlei Sinn untereinander! Einer achte den anderen höher als sich selbst! Habt einander herzlicher lieb! Nehmt den Heiland zum Vorbild! Seid friedsam, nicht so, daß nicht jeder seine Meinung zu sagen wage, sondern in freier, freundlicher Weise. Seid vollkommen! Habt Frieden mit Gott! Arbeitet fleißig! Betet für euch und für mich! Ich will euch nie vergessen und will immer für euch beten. Treibt euer Werk mit betendem, vertrauendem, gläubigem Herzen. Denkt dabei, daß einer in der Ferne steht, der mit euch betet!«107

Im Anschluss ergriff auch Hofprediger Stoecker das Wort: »Es war ein Wagnis, als ich auf Professor Christliebs Nachricht zu dem lieben Bruder Schlümbach sagte: ›Komme her‹. Allerdings war er recht weit her; aber wir haben schon viele Amerikaner als Prediger hier gehabt, die nur wie ein leichter Sprühregen gewirkt haben. Nun, unser Schlümbach war kein solcher Sprühregen; aber er war ein Methodist. Was schadet das, wenn er nur die rechte Methode hat? Pastor von Schlümbach hat keine andere Methode hier geübt als das Wort Gottes. Gott hat ihm Segen geschenkt. Er hat viele Gemüter und Herzen gewonnen. Manche werden es ihm noch in der Ewigkeit danken. Freilich hat es auch an Angriffen nicht gefehlt, an verhüllten und unverhüllten (Heiterkeit); aber es ist doch so leicht und schön vorwärts gegangen. Ich würde lieber zu ihm sagen: Bleibe hier! Aber er will ja nicht! Darum sage ich: ›Gehe hin!‹, aber zugleich: ›Komme wieder!‹, und manchmal klingt es ja, als ob er wiederkommen wollte. – Es ist jetzt ein rechter Zug durch Berlin gegangen. Es war eben eine gute Lokomotive (Pastor von Schlümbach) davor. Darum: Komme wieder! Tue das! sage ich zu dir, du neuer Verein. Laßt es nicht fehlen an eifriger Tätigkeit, an dem Gebet um den heiligen Geist. Aus eigener Kraft könnt ihr eure große und schwere Aufgabe nicht erfüllen. Solche amerikanischen Riesenbäume wie dieser Verein ei-

106

Vgl. Kupisch: CVJM 1930, S. 56–57. Zit. nach Kupisch: CVJM 1930, S. 58. Nach Mary Palmer Davies sagte Schlümbach in seiner Abschiedsrede, dass man nicht ihm, sondern nächst Gott den englischen und amerikanischen Freunden, die ihn hergesandt und unterstützt hätten, Dank schulde; vgl. Aus Berlin. [Auszug aus einem Bericht der Mrs. Palmer Davies.] In: CA 1883, S. 209. In dieser Formulierung dürfte Schlümbach diese Aussage aber wohl kaum gemacht haben, da er sicher kein Öl in die Flammen der Kritiker gießen wollte, die in ihm einen amerikanischen »Emissär« sahen. 107

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ner zu sein scheint, müssen sich in Deutschland gar sehr vor Frost hüten, wie die Wellingtonia gigantea (ein kalifornischer Riesenbaum) beweist. Ihr könnt nicht zuviel Liebe, nicht zuviel Begeisterung haben. Kämpfet den guten Kampf des Glaubens nicht nach dem eigenen, sondern nach dem Willen Gottes. Der Anfang ist schwer, fortsetzen und ausharren ist aber noch schwerer. Darum: haltet aus! Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat!«108

Rothkirch, dessen Eindruck nach Stoecker nicht ganz glücklich über die neue Vereinsgründung war, nahm den Unterton gegen Ende als Mahnung wahr: »Vergeßt nicht, daß ihr eine importierte Pflanze, eine Art Wellingtonia seid.« Aber dies störte den Gesamteindruck Rothkirchs von der Eintracht dieses abends nicht, in der Wellingtonia sah er im Rückblick sogar ein durchaus treffendes Bild, da dieser Pflanze ein rasantes Wachstum gegeben sei.109 Nach Stoecker sprach noch Bernstorff als Vizepräses des Vereins, der die Sonntagsschularbeit innerhalb desselben übernehmen wollte und hoffte, dass überall in der Stadt unter der Zustimmung der Geistlichen Zweige entstehen würden. Rothkirch richtete schließlich Abschiedsworte an Schlümbach, der die Versammelten noch einmal zu fleißiger Tätigkeit aufrief. Schlümbach wurde zusammen mit Graf Waldersee zum Ehrenmitglied des Vereins ernannt. Mit Gebet und Schlussgesang ging man auseinander.110 Am nächsten Morgen begleiteten die Mitstreiter aus dem Verein Schlümbach zum Bahnhof und sangen ihm ein Abschiedslied. »Als wir darauf in die Vereinsräume zurückkehrten, hatten wir wohl die Empfindung eines Menschen, der ins Wasser geworfen wird und noch nicht schwimmen kann.«111 Und dennoch war es in Phildius’ Augen gut, dass Schlümbach sie zu diesem Zeitpunkt in Berlin zurückließ: »Wir wären sonst in der Gefahr gewesen, uns an Schlümbach zu hängen und bei ihm Rat zu holen anstatt bei dem Herrn.«112 Dennoch: »Da hat uns der liebe Schlümbach eine schöne Suppe eingebrockt!«113 Schlümbach hatte ihnen den Rat gegeben, einen Monatlichen Anzeiger herauszubringen, um sich selbst einen Ansporn zu geben, regelmäßig mit Berichten und Planungen in die Öffentlichkeit zu treten. So erschien vom Frühjahr 1883 an dieses vierseitige Blatt mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren im Druck. Finanziert wurde es durch Inserate. Da ein wichtiger Teil

108 Zit. nach Kupisch: CVJM 1930, S. 59, dort wahrscheinlich wiedergegeben nach JB 1883, S. 69. 109 Vgl. Festschrift 1908, S. 9 (Rothkirch). 110 Vgl. Kupisch: CVJM 1930, S. 59. 111 Festschrift 1908, S. 10 (Rothkirch). 112 Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 9. 113 So Rothkirch nach Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 9.

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desselben das jeweilige Monatsprogramm war, machte sich Rothkirch auf zu zahlreichen Besuchen, um Prediger und Redner für die Veranstaltungen zu gewinnen. Bei einem der Hofprediger stieß er zunächst auf Ablehnung (»Wie denn, ist das der Verein von dem Pastor von Schlümbach? [. . .] Nein, nein, da komme ich nicht hin, ich will mit Methodisten und Solosängern nichts zu tun haben!«), gewann ihn aber später als treuen Unterstützer; Hofprediger Kögel engagierte sich gleich im Verein, zum einen wegen der Überzeugung von der Wichtigkeit eines solchen Unterfangens, zum anderen aber auch, damit dieser »nicht durch Abseitsstehen der kirchlichen Organe in Absonderung getrieben werde«114. Im Jünglingsboten des Rheinischwestfälischen Jünglingsbundes wurden die Entwicklungen in Berlin recht wohlwollend kommentiert. Hier hegte man wenig Scheu gegen erfolgversprechende Arbeitsmethoden aus dem angloamerikanischen Raum: »Hat er bewährte amerikanische Einrichtungen nach Deutschland verpflanzt, so wollen wir uns dessen von Herzen freuen; denn warum sollten wir nicht von unseren Freunden jenseits des Ozeans gern etwas annehmen, wenn es gut und nützlich ist.«115 Besonders hervorgehoben wird hier die Einrichtung unterschiedlicher Kommissionen, von denen die Einladungskommission bereits 6.000 Einladungen zu religiösen Versammlungen und 5.500 kleine Kärtchen als Einladung zum Besuch des Vereins verteilen konnte.116 Wenngleich die Arbeit in diesen ersten Monaten noch recht »schülerhaft [. . .,] nach dem vorgeschriebenen Schema F« vorangetrieben wurde, wuchs der Verein doch und gewann Freunde, die das Modell nach und nach auch in andere deutsche Städte tragen sollten.117 Mitte Mai 1883 hatte Schlümbach nach Amerika geschrieben, dass der Verein zwar kämpfe und er hoffe, dass die Brüder dort den Mut nicht sinken ließen, »[but] if we pull through for one year, the battle is won and Germany is ready for steady advance of our plan of working for young men«118. Entgegen aller Widerstände wachse der Verein, und weitere Unterstützung aus den USA käme sehr gelegen. Wenn die Arbeit am Leben gehalten werden könne, könnten viele einflussreiche Persönlichkeiten in und um Berlin dauerhaft an die Arbeit gebunden und der Verein langfristig selbsterhaltend werden. In dem Schreiben ist auffällig, mit welcher Selbstverständlichkeit Schlümbach von der Aufbringung der Mittel in den USA ausgeht. In Vorbereitung auf die Weltkonferenz des YMCA 1884 in Berlin hoffte Schlüm114

Festschrift 1908, S. 11 (Rothkirch). Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 102–103, dort 103. 116 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 102–103, dort 103. 117 Vgl. Festschrift 1908, S. 11. So wurde in München durch Vermittlung des aus Berlin kommenden Arztes Dr. Wilhelm Frobenius 1886 ein CVJM gegründet; vgl. dazu: Beyreuther: Geschichte, S. 9–18. 118 Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Hamburg vom 18. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 115

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bach, dass Phildius einige hundert Dollar aus Amerika erhalten könne.119 Charles Fermaud aus Genf vom Weltbund der YMCAs besuchte im Frühjahr 1883 Berlin, um erste Dinge für die Weltkonferenz zu ordnen. Schlümbach sah in Berlin nach wie vor ein hartes Arbeitsfeld, was er vor allem auf die »jealousy of pastors« zurückführte, wahrscheinlich also auf die komplizierte kirchenpolitische Lage, in der mit unterschiedlichen Interessen gegen den Verein agitiert wurde.120 Denn kaum war es in die Öffentlichkeit gedrungen, dass Schlümbach einen CVJM nach »amerikanischem Muster« gegründet habe, wurde der Verein vom Evangelisch-kirchlichen Anzeiger scharf angegriffen. Der Evangelischkirchliche Anzeiger von Berlin wurde herausgegeben von Prediger Ernst Hülle vom Evangelischen Verein in der Oranienstraße, also einem Mann der Inneren Mission. Hülle reagierte geradezu allergisch auf alle »äußeren Einflüsse« auf die kirchliche Arbeit in Berlin und sah in ihnen die große Gefahr des »Methodismus« und der »Zersetzung«. Phildius schreibt über diese Angriffe: »Man nahm an dem Namen Anstoß, den man als undeutsch bezeichnete, - nannte den Verein ein ausländisches Machwerk, eine exotische Pflanze, die in den deutschen Boden nicht hineinpasse, - sprach von einem Vorstoß des Methodismus, von einem Sichvordrängen des Laienelements usw. Die Artikel wurden so heftig, daß Schlümbach uns eines Tages vor die Frage stellte, ob wir wohl auch willig wären, diesen Angriffen gegenüber standzuhalten; sonst sei es jetzt noch Zeit, zurückzutreten. Darauf gab es für uns nur eine Antwort und die lautete: ›Wir gehen in Gottes Namen voran!‹«121

Auf die Angriffe ging man bewusst nicht weiter ein, sondern hoffte, das Vereinsleben für sich sprechen lassen zu können. Außerdem hatte man gewichtige Fürsprecher: Hofprediger Stoecker, Hofprediger Frommel, den zuständigen Parochialpfarrer Hingmann von der Jerusalemkirche und Pastor Engel, den Chefredakteur des Reichsboten. Beim Reichsboten, der ja auch schon wohlwollend von den Evangelisationen Schlümbachs berichtet hatte, handelte es sich um das sogenannte »Pastorenblatt«, das hauptsächlich in den Pfarrhäusern der Provinz gelesen wurde und von daher den Verein in weiten Pastorenkreisen mit einer positiven Berichterstattung bekannt machte.122 Und so berichtete der Reichsbote nun von der Gründung des CVJM, dass es sich bei ihm um »eine ganz neue Erscheinung [handele], die in ihrer großartigen Anlage, bei kleinem Anfang, die Wahrscheinlichkeit einer ausgebrei119 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Hamburg vom 18. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 120 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Kiel vom 30. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 121 Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 7. 122 Vgl. Phildius: Entstehungsgeschichte, S. 7. Bereits im ersten Jahr besuchten 79 auswärtige und 42 Berliner Pastoren den Verein, um ihn näher kennen zu lernen.

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teten und segensreichen Wirksamkeit in sich berge.«123 Wesentliche Elemente seien die enge Anlehnung an den YMCA, die Zielgruppe junger Männer zwischen 18 und 40 Jahren, ein stärkeres Angebot geistiger Erholung im Vergleich zu den bestehenden Jünglingsvereinen, ein eigenes Haus und ein besoldeter Generalagent. Der Reichsbote berichtete weiter über das Verhältnis des CVJM zu den bestehenden Vereinen, dass der Ausschuss der Berliner Jünglingsvereine der Sache zwar wohlwollend gegenüberstehe, aufgrund der Weigerung des Präses aber nicht selbst beteiligt sei. Außerdem wolle der CVJM »geistig und organisch« mit den Jünglingsvereinen in Verbindung treten. Nicht ihnen wolle er Konkurrenz machen, sondern den »von jüdischfortschrittlicher Seite ins Leben gerufenen Handwerkervereinen«, dies allerdings nicht durch Polemik, sondern »durch edlen Wettstreit in heilsamer Thätigkeit unter offenem und festem Bekenntniß der positiven christlichen Religion«124. Eine kirchenpolitische Vereinnahmung für die Interessen der Positiven Union ist an dieser Stelle nicht von der Hand zu weisen. Hülle schreibt in einem Kommentar dazu über die Motive des Ausschussvorsitzenden der Berliner Jünglingsvereine Wachsmann, sich so zurückhaltend gegenüber dem CVJM zu verhalten, dass dieser eine »Alterirung der Jünglingsvereinsziele« und eine »Conkurrenz gegen die Jünglingsvereine« befürchtete. Außerdem sei die nur vorübergehende Tätigkeit Schlümbachs und die mit ihr einhergehende »beschleunigte[. . .] Importierung amerikanischer Anschauungen und Ideen« nur mit Vorsicht mit den der Landeskirche obliegenden Aufgaben der Inneren Mission in Verbindung zu bringen. Für Hülle ergab sich daraus die Notwendigkeit, in Berlin ein Organisation der christlichen Vereinstätigkeit zu schaffen, die als Instanz derartige Unternehmungen prüft und überwacht, um »sowohl dem Liberalismus wie auch dem Eindringen der Sekten und ausländischen Muster« zu wehren, damit »keine Zersplitterung, keine Theilung des Interesses, keine unnatürliche Concurrenz, kein methodistisches Wesen oder unberufener Dillettantismus« in die Vereinstätigkeit im Raum der Landeskirche Einzug halte.125 2.4 Wahrnehmungen und Konflikte Polemiken gegen Schlümbach Nicht erst die Gründung des CVJM führte zu Auseinandersetzungen, schon von Beginn an war Schlümbachs Tätigkeit in Berlin von Konflikten begleitet gewesen. Diese betrafen zunächst seine Kirchenzugehörigkeit. Bereits im November 1882 schrieb Schlümbach an Wilhelm Nast, dass seine Stellung 123 124 125

Zit. nach H.: Neue Art Jünglingsvereine. In: EKA 1883, S. 60. Zit. nach H.: Neue Art Jünglingsvereine. In: EKA 1883, S. 60. Vgl. H.: Neue Art Jünglingsvereine. In: EKA 1883, S. 60.

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zum Methodismus und zur Staatskirche immer wieder angefragt werde. Zwischen den Pastoren der Landeskirche gebe es sogar heftige Auseinandersetzungen um seine Wirksamkeit. Es selbst wolle sich dazu aber nicht äußern, da dies immer nur missverstanden werden könne, sondern die Wirkungen seiner Arbeit für sich selbst sprechen lassen. Die Hindernisse, die ihm im Weg stünden, seien jedoch groß, und dass er überhaupt im Kontext der Staatskirche arbeiten könne, »ein Wunder Gottes vor meinen Augen«. Um nicht zwischen den kirchenpolitischen Parteien zerrieben zu werden und überhaupt einen »offenen Zugang zum Volk« zu bekommen, sei es wichtig, dass er »kirchlich frei stehe«, was er programmatisch so ausweitet: »In der Zerrissenheit unserer Zeit thut ein freies Evangelisiren noth und ich weiß, daß ich nirgends mit dem Pfund, das mir der Herr gegeben hat, besser wuchern kann, als wenn ich Theil nehme an dem evangelistischen Werk, welches leitende Gottesmänner der Landeskirche im nördlichen Deutschland in Angriff genommen haben, und wozu sie auch mich eingeladen haben, ohne von mir einen Uebertritt von der Methodistenkirche in die Staatskirche zu fordern. Mein Herz ist voll Dankens und Lobens, daß der Herr eine so weite Thür, Sünder zur Buße zu rufen, geöffnet hat. Es ist ein unaussprechlich großes Vorrecht, für das ich willig bin, mich von allem loszumachen, was mich hindern könnte.«126

Derjenige, der äußerst lautstark Anfeindungen gegen Schlümbach in die Öffentlichkeit trug, war der bereits erwähnte Prediger Ernst Hülle vom Evangelischen Verein, der im wesentlichen den Evangelisch-kirchlichen Anzeiger von Berlin für seine Angriffe gegen Schlümbach nutzte. Neben die Ablehnung des »Methodismus« und aller angelsächsischer Einflüsse trat dort schon bald die Warnung vor der Verletzung kirchlicher Ordnungen: »Es ist in letzter Zeit wiederholt vorgekommen, daß der Evangelist v. Schlümbach, Mitglied der bischöflich-methodistischen Kirche in Amerika, bei Gottesdiensten in Kirchen die Predigt übernommen hat. Wie wir hören, hat das hiesige Consistorium beschlossen, die Aufrechterhaltung der kirchlichen Ordnung zu wahren, wonach Niemandem auf einer landeskirchlichen Kanzel zu predigen gestattet ist, der nicht die sogenannte licentia concionandi (Erlaubnis zu predigen) besitzt, welche bekanntlich durch das erste kirchliche Examen erworben wird.«127

Nicht nur Hülle, sondern auch das Konsistorium war also auf die Sache aufmerksam geworden. Schlümbach reagierte entgegen seiner sonstigen Politik auf diesen Artikel mit einer eigenen Zuschrift, in der er festhält, »daß er im Jahre 1875 in Brenham, Texas, nach 5-jährigem theologischen Examen, wie es die Bischöfliche Methodistische Kirche vorschreibt, durch Bischof An126 Zit. nach W. N.: Ueber die evangelistische Thätigkeit unseres Br. Fr. v. Schlümbach inmitten der deutschen Landeskirche. In: CA 1883, S. 92. 127 Redaktionelle Notizen. In: EKA 1883, S. 59.

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drews und 7 Aelteste, als Aeltester die volle Ordination erhalten habe, und daher dem geistlichen Stande angehöre.«128 Weiter wurde kritisiert, dass Schlümbach in einem Brief nach Amerika, der in einer Zeitschrift publiziert wurde, Anfang 1883 geschrieben hatte, dass eines der schönsten Resultate seiner Arbeit in Berlin die Organisation »eines wirklichen christlichen Jünglingsvereins« sei. Hülle kritisierte, dass Schlümbach damit die in Deutschland bereits bestehenden Jünglingsvereine als »nicht wirkliche« oder »nicht wirkliche christliche« qualifiziert habe. Dies wird nicht weiter kommentiert, aber erwähnt, dass aufgrund der stetigen Vernachlässigung des Nationalbundes in den USA dieser nun ohne eigenen Sekretär unter die Direktion des International Committee gefallen sei.129 Außerdem gibt Hülle den Widerspruch Gustav Warnecks wieder, dass in Publikationen der Bischöflichen Methodistenkirche Deutschland unter die Heidengebiete wie Afrika, China oder Japan gerechnet werde. Deutschland sei nun wirklich nicht diesen gleich von Heiden bevölkert.130 In konzentrierter Form wurde die Kritik an Schlümbach in einem Pamphlet veröffentlicht, das Ende Mai 1883 im Verlag des Evangelischen Vereins anlässlich der Bundeskonferenz des Östlichen Jünglingsbundes, zu dem 79 Vereine in Berlin, der Mark und den östlichen Provinzen gehörten, erschien. Diese fand am 19. Mai 1883 im Evangelischen Vereinshaus in der Oranienstraße statt. In seinem Jahresbericht fand der Bundespräses Pastor v. Ranke viele lobende Worte für die »Schlümbach’sche Bewegung« und den CVJM. »Schlümbach sei Fleisch von unserem Fleisch, Bein von unserem Bein, der biedere Schwabe sei nicht durch den Amerikaner, der württembergische Lutheraner nicht im Methodismus erstickt.«131 In seinem Bericht erscheint aber auch ein Hinweis auf das, was in besonderer Weise Ernst Hülle gegen Schlümbach aufgebracht haben könnte, nämlich der deutliche Rückgang in dessen Evangelischem Lehrburschenverein. Ranke sah zwischen diesem und der Gründung des CVJM keinen Zusammenhang, Hülle wahrscheinlich schon. So war es auch er, der in der Diskussion am engagiertesten das Wort gegen Schlümbach ergriff. Er sah die Gefahr, dass durch ein 128 Redaktionelle Notizen. In: EKA 1883, S. 70. Diese Auseinandersetzung wurde unter der Überschrift »Ist Schlümbach ein Geistlicher?« auch im baptistischen Wahrheitszeugen wiedergegeben, freilich mit dem Fazit, dass es aus Sicht der Herausgeber keinen herausgehobenen geistlichen Stand gebe; vgl. Kurze religiöse Nachrichten. In: WhZ 1883, S. 91. 129 Vgl. Evangelische im Auslande. In: EKA 1883, S. 225. 130 Vgl. H: Sekten. In: EKA 1883, S. 68–69. C. Weiß korrigierte dies in einer Zuschrift dahingehend, dass die Zusammenstellung im Manual in der Reihenfolge der Aufnahme der Arbeit in den jeweiligen Ländern gegeben werde und der Begriff »Mission« im Methodismus eine andere Bedeutung habe als in den deutschen Landeskirchen. Vgl. Stimme aus den Gemeinden. In: EKA 1883, S. 78. 131 Berliner Festwoche. Die Verhandlungen der Bundesconferenz. In: Beiblatt zum EKA Nr. 21, 1883.

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solches Loblied für einen »ausgesprochenen Methodisten« die Jünglinge in den Vereinen derart verwirrt würden, dass sie sich für den Methodismus öffneten. Der zweite Punkt hatte wieder eine persönliche Note. Der Vorsitzende des Zentralausschusses der Berliner Jünglingsvereine, Dr. Wachsmann, war aufgrund der ganzen Schlümbach-Sache am 28. 2. von seinem Amt zurückgetreten.132 Hülle hielt nun Ranke vor: »Sie sind für Pred. Wachsmann aufgestanden. Was hat den Mann hinausgetrieben aus unserem Vereinsleben und dem Ausschuß? Es war die Schlümbach’sche Geschichte; dadurch ist Zwietracht und Zank in unsere Reihen gekommen, und was wir bis jetzt erlebt, das ist nur der Anfang davon.« Sein eigener Verein sei durch den Weggang des bisherigen Vereinshelfers in eine schwierige Situation geraten, die aber von außen ganz anders beurteilt würde, wenn nicht der Geist des Streites und der Zwietracht durch Schlümbach in die Berliner Vereinsarbeit gekommen wäre. Differenzen und Trennungen seien wohl unausweichlich. »In Bezug auf den ›christlichen Verein der jungen Männer,‹ der den ehrlichen Namen ›Evangelischer Jünglingsverein‹ verschmähe, um sich den hässlichen, undeutschen, übersetzten Namen ›Christlicher Verein der jungen Männer‹ beizulegen, und der ein englisches Gesicht habe, müsse sich erst zeigen, ob wir von ihm zu lernen haben, oder er von uns.«133 Ranke betonte in seiner Antwort die Dankesschuld, die er gegenüber Schlümbach empfinde, Rothkirch, der sich ebenfalls zu Wort meldete, dürfte auch den CVJM verteidigt haben. Außerdem sprachen noch ein Herr Seffinghaus aus Stettin und Pfarrer Koller aus Nowawes, ohne dass ihre Beiträge wiedergegeben sind.134 Im kurzen Bericht der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung heißt es aber, dass Redner in der Diskussion vehement für die Anerkennung Schlümbachs eingetreten seien.135 Beim Bundesfest am folgenden Tag hatte Rothkirch Gelegenheit, die Arbeit des CVJM näher vorzustellen, und betonte dessen Programm, nach dem jeden Abend eine Versammlung stattfände, und die Herzlichkeit, mit der – im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen – jedem Besucher begegnet werde.136 Die 22-seitige Schrift, die am Eingang zum Vereinshaus anlässlich der Bundeskonferenz an die Teilnehmer verteilt wurde, trägt den schlichten Titel »Pastor von Schlümbach«. Die Schrift war anonym herausgebracht, es stand aber ohne Zweifel der Vereinsgeistliche Hülle dahinter.

132

Vgl. Geschichte des Kreisverbandes, S. 20. Berliner Festwoche. Die Verhandlungen der Bundesconferenz. In: Beiblatt zum EKA Nr. 21, 1883. 134 Vgl. Berliner Festwoche. Die Verhandlungen der Bundesconferenz. In: Beiblatt zum EKA Nr. 21, 1883. 135 Vgl. Die Berliner Festwoche. In: NEKZ 1883, Sp. 345. 136 Vgl. Die gesellige Feier des Bundesfestes. In: EKA 1883, S. 173–174, dort 174. 133

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Anhand dieser Schrift lassen sich in Auszügen Struktur und Inhalte der Polemik gegen Schlümbach beleuchten. Die Schrift ist in drei Teile untergliedert, die überschrieben sind: 1. »Was sagt Herr von Schlümbach von sich selbst?« (S. 3–4), 2. »Was sagen die christlichen Blätter über Herrn von Schlümbach?« (S. 5–16) und 3. »Wie urteilt Herr von Schlümbach über seine Wirksamkeit bei uns?« (S. 17–22). Die einzelnen Abschnitte sind so aufgebaut, dass der Autor ausführlich aus Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln zitiert, die sich mehr oder weniger auf die jeweilige Kapitelüberschrift beziehen, und diesen dann einen mit »Anmerkung« überschriebenen eigenen Kommentar folgen lässt. In diesen Anmerkungen wird die polemische Intention der Broschüre deutlich, damit verbunden natürlich – auf den zweiten Blick – auch schon in der Auswahl des zitierten Materials. Vorausgeschickt sei, dass hier die Polemik auch deutlich gegen den »Methodismus« gerichtet ist, womit entweder tatsächlich die Bischöfliche Methodistenkirche gemeint ist oder allgemein eine erweckliche Arbeit angelsächsischer Prägung. Die einzige Passage, die Hülle zu der Frage »Was sagt Herr v. Schlümbach über sich selbst?« anführt, ist ein kleiner Ausschnitt aus dem Evangelist, der Zeitschrift der Bischöflichen Methodistenkirche in Deutschland und der Schweiz. In diesem Ausschnitt wird von einem Vortrag Schlümbachs berichtet, in dem er vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen mit dem aggressiven nordamerikanischen Atheismus auf seine Bekehrung zu sprechen kommt. Schlümbach wird zitiert: »Da trat ich eines Freitag Abends auf und war meiner Sache ganz gewiß, mit einer Freiheit (oder Frechheit) wie nie zuvor, nannte ich allen Glauben an das Dasein Gottes Wahnsinn und sagte unter Anderem: ›An dem Tage, wo ich ein Christ werde, setzt mich herab zu einem Schurken.‹ Am nächsten Tage einem Samstag, traf ich mit einer positiven Christin zusammen, der Frau eines Generals [. . .], sie sprach einige wenige Worte im christlichen Ernst von dem Glauben an Christum und siehe da! – das ganze Kartenhaus meines Unglaubens war zusammengestürzt, und noch ehe der Sonntag Abend kam, lag ich als ein armer Sünder zu den Füßen meines Heilandes und bat um Vergebung meiner Sünden.«137

Genau diese knappe Wiedergabe ist es, die Hülle als Aufhänger seiner Kritik nimmt. Es geht dabei um methodistisches und lutherisches Bekehrungsverständnis, wie Hülle es zu erkennen und verstehen glaubt, unterschwellig sehr viel grundlegender aber um die Basis, von der Schlümbach her agiert und die mit seiner Tätigkeit verbundene Zielsetzung. Hülle schreibt: »Wir haben hier eine echt methodistische Bekehrung, bei der vom Sonnabend bis Sonntag Abend aus einem Gotteslästerer ein bekehrter Christ wird. [. . .] Unsere evangelische Kirche hat eine andere Lehre und Erfahrung von dem, was wir Bekehrung 137

Pastor von Schlümbach, S. 3.

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nennen, als die Methodisten. Zwar stimmen wir mit ihnen überein in dem Bekenntniß der Sündenvergebung und Rechtfertigung durch den Glauben allein, obwohl freilich viele Methodisten in neuerer Zeit Rechtfertigung und Heiligung fortwährend verwechseln und sich der römischen Glaubensauffassung nähern, wie denn auch ihre ganze Praxis auf Aeußerlichkeiten und Mechanisiren geht, im Vertrauen auf unfehlbare Methoden, durch welche man den Menschen zum Glauben bringen kann. Darin aber sind wir Evangelische auf Grund des Wortes Gottes Gegner der Methodisten, daß diese lehren, jeder Mensch müsse, um zum Glauben zu gelangen, durch einen Bußkampf hindurch, ein Gefühl heftiger Sündenangst durchmachen, um dann sofort – zwischen Sonnabend und Sonntag – das Gefühl der Vergebung und seligen Gotteskindschaft zu erlangen. Und diese Gefühle und inneren Erfahrungen sind das Siegel und das Unterpfand ihres Gnadenstandes.«138

Es werden mehrere theologische Themen angesprochen, deren kontroverstheologisches Potential durchaus richtig erkannt wird – man denke an den Themenkomplex Rechtfertigung und Heiligung –, aber die methodistische Position wird dann doch so überspitzt und verzeichnet, dass sie den üblichen Vorurteilen, wie sie sich in den Begriffen »Methoden« und »Mechanisiren« oder dem Eindruck übertriebener religiöser Emotionalität äußern, entspricht. Demnach gründet sich methodistischer Glaube lediglich auf subjektive menschliche Gefühle und Erfahrungen und nicht – sozusagen objektiv – fest in Gott. Indem also von vornherein schon die Grundlage, von der aus Schlümbach tätig ist, diskreditiert wird, liegt es auch nahe, den Begriff »evangelisch« exklusiv für sich selbst, gerade in Abgrenzung zu den Methodisten zu gebrauchen.139 Im zweiten Kapitel »Was schreiben die christlichen Blätter über Herrn v. Schlümbach?« werden mehrere Ausschnitte eingebracht. Sie stammen aus den methodistischen Blättern Evangelist und Christlicher Botschafter, dem Reichsboten, dem Bundesbanner des YMCA, dem lutherischen Pilger und dem Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Kirchen- und Schulblatt. Die besondere Pointe im Umgang mit den methodistischen Blättern liegt hier darin, dass diese bereits geäußerte Kritik an Schlümbach aufgreifen, um daraufhin nun wiederum von Hülle angegriffen zu werden. Dem Vorwurf, Schlümbach sei von den methodistischen Bischöfen als Spion nach Deutschland gesandt worden, »um Propaganda für den Metho138

Pastor von Schlümbach, S. 4. Die Auswahl dieses Artikels ist insofern tendenziös, als das die ausführliche Version seiner Bekehrungsgeschichte zu den weitverbreiteten Darstellungen religiöser Autobiographie der Zeit gehört. In vielen Organen ist sie mit leichten Variationen abgedruckt worden, die Kritik Hülles entzündet sich also an einer singulären Verkürzung, die keinesfalls repräsentativ ist. So bemerkt auch die NEKZ zu diesem Vorwurf: »[. . .] daß auch ausführliche Relationen über dieselbe vorliegen, in denen die entscheidende Wendung in seinem Leben nicht den Charakter des Gewaltsamen und Abrupten trägt, vielmehr erscheint sie psychologisch wohl vermittelt«. Zum Aspekt religiöser Emotionen als kultureller Praxis im Methodismus vgl. Scheer: Glaube. 139

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dismus unter fremdem Visir zu treiben«, war der Evangelist damit begegnet, dass dies ein »Gaudium« für den methodistischen Bischof Foster bei dessen Deutschlandreise gewesen sei, »der von gar nichts wußte«. Die Wortwahl der Evangelischen Kirchenzeitung, Schlümbach habe mit seiner Tätigkeit für die Landeskirchen nun »in kirchliche Bahnen eingelenkt«, hatte der Evangelist dahingehend kritisiert, dass seine Bekehrung und sein Anschluss an die Bischöfliche Methodistenkirche doch wohl auch ein Einlenken in kirchliche Bahnen seien. Es wird klargestellt, dass Schlümbach keinesfalls der Methodistenkirche den Rücken gekehrt habe, sondern »in vollem Besitz seiner Ordinationsscheine als Prediger« sei, was von den kirchlichen Blättern in Deutschland offenbar anerkannt werde, da sie Schlümbach den Titel »Pastor« zugestünden. Schlümbach gehe es aber nicht darum, Glieder für irgendeine Kirche zu sammeln, sondern ganz allgemein darum, dass die deutschen Landeskirchen »doch auch erwachen möchten zur Arbeit außerhalb der Kirchenmauern«.140 Hülle setzt sich damit nun in der Form auseinander, dass er einzelne Stichworte aufgreift, um eher assoziativ seine Position zu entfalten. So sei das eigentliche Gaudium für Bischof Foster gewesen, dass man beim ersten Auftreten Schlümbachs in Berlin »weder aus noch ein wußte«, da er sich niemandem vorgestellt habe. Außerdem habe Foster im Christlichen Apologeten einen Artikel mit der These veröffentlicht, dass die deutschen Landeskirchen durch ihre Verbindung mit dem Staat ihrer geistlichen Kraft verlustig gegangen und nicht mehr Kirche im wahren Sinn seien, daher eine Reformation nur von außen kommen könne. Für die Bischöfliche Methodistenkirche sei nur sie selbst die wahre Kirche, und sie käme deshalb nach Deutschland, wo es nur zum Austritt aus der Landeskirche kommen könne. Jegliches »Mißtrauen« gegen methodistische Prediger sei also gut verständlich. Im Übrigen sei Schlümbach nicht vom Kirchenregiment als »Pastor« bezeichnet worden, sondern nur in der Presse, die aber keine Ordinationen anerkennen könne. Dort wo dies explizit vereinbart sei (zum Beispiel mit Stoecker), verzichte Schlümbach auf »methodistische Anwandlungen« und »Gebräuche«; wo nicht, habe sich Schlümbach »ganz als Methodisten gegeben«, zum Beispiel Fragen wie diese am Schluss des Gottesdienstes gestellt: »Wer sich nun bekehrt fühle, bei wem die Gnade zum Durchbruch gekommen, der möge zur Bußbank kommen«; »in ähnlicher Weise« habe es auch Nachfragen bei den Gemeindegliedern von Nazareth und Zion gegeben. Zum Erwachen der deutschen Landeskirchen schreibt Hülle, dass auch schon vor Schlümbach »die gläubigen evangelischen Geistlichen und die kirchlich-gesinnten Laien« aus den Kirchenmauern herausgegangen seien: Innere Mission, Stadtmission, kirchliche Presse, Arbeiten zur Rettung der 140

Vgl. Pastor von Schlümbach, S. 5.

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Verlorenen, Vorträge und Gebetsversammlungen in außerkirchlichen Lokalen, »aber das alles nennen sie schlafen, weil es nicht methodstisch ist«.141 In der Auseinandersetzung mit den weiteren Texten kritisiert Hülle unter anderem das Liedgut, das bei den Schlümbachschen Evangelisationen zum Einsatz kommt, als »über-pietistisch, poetisch unbedeutend, arm und süßlich«. Ein Vorzug sei aber, dass »Leute, die weder Choräle noch geistliche Lieder kennen, noch dieselben je gesungen haben, gleich mitsingen lernen.« Sein Einwand: »Solche Leute aber giebt es wohl in Amerika und England, aber nicht in Deutschland, wo durch unsere Volksschule die Choräle und durch unsere Sonntagsschulen die geistlichen Lieder Eigenthum des Volkes geworden sind«.142 Dieses Argument findet sich auch sonst immer wieder. Weitere Ausschnitte werden unkommentiert übernommen, geben aber zum Teil Widersprüchliches über Schlümbach wieder und unterstreichen seine Verbindung zum angelsächsischen Raum und zu den Methodisten. In diesem Zusammenhang kritisiert Hülle zwischen den Zeilen, dass Schlümbachs Tätigkeit durch Freunde in London finanziert werde und Schlümbach seine eigentlichen Aufgaben in Amerika vernachlässige. Es findet sich hier also eine Vielzahl an nicht nur theologischen Motiven, die auf unterschiedliche Weise miteinander verwoben sind: nationalistische, persönlich-moralische, ekklesiologische, methodische in Bezug auf die Innere Mission (denn offenbar sah man sich in Konkurrenz zueinander), diffamierende im Hinblick auf das, was man als »methodistisch« empfand. Gerade diese Verflechtung der Motive scheint ein Charakteristikum zu sein: In die theologische Auseinandersetzung, die zum Teil auf gründlichen Recherchen beruht, mischen sich ungeprüfte Klischees, in eine sachliche Kontroverse mischen sich persönlich-emotionale Vorbehalte, in die Anerkennung der Notwendigkeit einer Inneren Mission xenophobe Stimmungen.143 Das machte es für Schlümbach und seine Unterstützer schwer, dieser Polemik zu begegnen, verschaffte ihr aber auch eine große Breitenwirkung. Die der Positiven Union nahe stehende Neue Evangelische Kirchenzeitung verhielt sich kritisch gegenüber dieser Broschüre, bemängelte den zum Teil »einseitigen confessionellen Standpunkt« der einzelnen Stimmen und auch die Ausführungen über den summarischen Bekehrungsbericht, über den ja auch »ausführlichere Relationen« vorlägen, in denen die Bekehrung »psychologisch wohl vermittelt« erscheine.144 Karl Krummacher nahm Schlümbach im Jünglingsboten gerade angesichts der in Berlin erschienen Broschüre in Schutz. Wenngleich Schlümbach »sein 141

Vgl. Pastor von Schlümbach, S. 5–8. Vgl. Pastor von Schlümbach, S. 8–9. 143 Auf den Komplex konfessionalistischer Polemik gegen Schlümbach, die auch in Hülles Schrift eine Rolle spielt, soll im nächsten Kapitel eingegangen werden. 144 Vgl. o. N.: Pastor v. Schlümbach. In: NEKZ 1883, Sp. 413–414, dort 413. 142

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Verhältnis zu den Methodisten noch [!] nicht förmlich gelöst [hat,] [. . .] sind seine Vorträge nichts weiter, als die einfache, schlichte, aber warme und eindringliche Verkündigung des Evangeliums, und wenn sie hie und da einen amerikanischen Anstrich haben, so wird doch kein Unbefangener etwas spezifisch Methodistisches in ihnen entdecken können«. Als Evangelist habe Schlümbach im Übrigen nur auf ausdrücklichen Wunsch landeskirchlicher Pfarrer und in enger Verbindung mit diesen gewirkt.145 Gleichwohl konnten auch kritische Stimmen aus dem Rheinisch-westfälischen Jünglingsbund kommen. Im Jünglingsboten Nr. 5 von 1883 heißt es: »Wir freuen uns der rührigen und erfolgreichen Thähigkeit des lieben Bruders Schlümbach, sähen aber gern, daß er sich noch weit mehr wie seither in die deutsche Art, die Vereinssache zu betreiben, einlebte. Innerhalb unseres westlichen Bundesgebietes hat er sich ganz an die bestehenden Einrichtungen angeschlossen.«146 Auf Veranlassung Stoeckers begab sich Schlümbach im Sommer 1883 persönlich zu Hülle, um dessen Bedenken möglichst zu zerstreuen. Zu Schlümbachs Überraschung fand das Gespräch in einer sehr freundlichen Atmosphäre statt, in der die Bedenken Hülles immer mehr zu weichen schienen, was darin gipfelte, dass Hülle ihm den Posten des Pflegers für den Jünglingsverein des Evangelischen Vereins anbot. »Schlümbach meinte zunächst lächelnd, das sei wohl nicht ernst gemeint. Hülle bestätigte aber, es sei sein voller Ernst. Schlümbach entwickelte nun die inneren und äußeren Gründe, warum der Gedanke nicht realisierbar sei. Schon die Geldfrage sei ein Hindernis, denn er (Schlümbach) brauche viel bei doppeltem Haushalt in Deutschland und Amerika. Hülle sagte alles zu – sein Verein sei reich. ›Aber ich bin ja Methodist.‹ Hülle: ›Das schadet gar nichts. Sind sie bei uns angestellt, kräht kein Hahn danach, was Sie sind.‹ Als Schlümbach Hülle daran erinnerte, daß er doch die sog. Evangeliumslieder so heruntergemacht habe, meinte Hülle: ›Ihre Lieder sind famos,‹ nur eine bessere Uebersetzung sei nötig.« Es blieb aber bei Schlümbachs Ablehnung, zumal er sich wohl auch schon Stoecker für eine dauerhafte Tätigkeit versagt hatte. Dennoch glaubte er, als Freund von Hülle geschieden zu sein.147 Konfessionelle Polemik in Berlin drang auch zu Christlieb im Rheinland vor. Über einen polemischen Artikel in der »Luthardtschen Kirchenzeitung« schreibt er an Stoecker:

145

Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 84–85. Zit. nach Evangelische Chronik. Evangelische im Reiche. In: EKA 1883, S. 151. 147 Vgl. Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 286. Die Angaben dort beruhen auf einem Brief Schlümbachs an Stoecker vom 22. 8. 1883. Nach der Darstellung des historischen Kontexts im Buch von Oertzens erschien die Broschüre gegen Schlümbach erst nach diesem Gespräch, das also Mitte Mai hätte stattgefunden haben müssen, was aufgrund der Datierung des Briefes aber unwahrscheinlich ist. 146

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»Es ist dies wieder einer der vielen Fälle, wo sich Luthardt von schändlich ungerechten Korrespondenten bedienen läßt, wie er sie in Amerika und Deutschland hat, die sich nie über die klarsten Fortschritte des Reiches Gottes freuen können, wenn sie nicht streng kirchlich-lutherische Farbe tragen, ja, die an solche Fortschritte gar nicht glauben können, weil in ihren eigenen Gemeinden sich niemals welche zeigen.«148

Von einem konfessionellen Standpunkt aus wurde sogar von den USA aus in die Debatte eingegriffen. Der Readinger Pilger zeigte sich sehr verwundert über die »Dehnbarkeit der Lehr- und Glaubensgenossenschaft«, wenn landeskirchliche Pfarrer Schlümbach auf ihre Kanzeln ließen. Guten Lutheranern fehle nun einmal der »unionistische Straußenmagen«149. Bei diesem Argument wird deutlich, wie eine eigentlich gegen einen Methodisten gerichtete lutherisch-konfessionell motivierte Polemik auch eine Spitze gegen die Union beinhalten konnte, bei der man eine Zusammenarbeit mit »Sektierern« letztlich als logische Konsequenz des unionistischen Ansatzes sah. Auf der Kreissynode Berlin II am 20. Juni 1883 wurde sowohl kritisch über den Ankauf des »Fürsten Blücher« als auch über die Berufung Friedrich von Schlümbachs diskutiert, wobei Pastor Kraft derjenige Synodale war, der beides verteidigte, Schlümbach vor allem gegen den Synodalen Schumacher. Im Berichtsheft zur Synode waren sowohl der Ankauf des »Fürsten Blücher« als auch das Wirken Schlümbachs einigermaßen positiv dargestellt worden, was den Widerspruch einiger Synodaler hervorrief. Der »Fürst Blücher« sei lediglich ein Spekulationsgeschäft des Pastors Diestelkamp, die Berufung Schlümbachs ein Angriff auf die Pastorenschaft, da sie dieser indirekt ein Armutszeugnis ausstelle. Ein Mann mit seiner Rednergabe sei vor einer ungebildeten Zuhörerschaft geradezu gefährlich. Begabung allein könne nicht der Maßstab für den guten Gehalt des Wirkens sein.150 Spätere Verfügungen gegen das Sektenwesen sollen später bei Pfarrer Kraft eine Distanzierung von Schlümbach bewirkt haben.151 Verhältnis zur methodistischen Kirche Zur gleichen Zeit wie Schlümbach arbeitete auch die Bischöfliche Methodistenkirche unter Prediger Carl Weiß im Berliner Norden.152 Angeregt von den Evangelisationen Sommervilles, Radcliffes, Baedekers und eben auch

148

Zit. nach Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 287. Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1883, S. 100. Als der Pilger sich im Mai erneut in der Sache zu Wort meldete, kommentierte der Christliche Apologete: Schlümbachs Wirken in Deutschland erfordere »christliche Weiterherzigkeit, eine Eigenschaft, wovon der ›Pilger‹ leider nur wenig besitzt«. Editorielle Notizen. In: CA 1883, S. 156. 150 Vgl. Beiblatt zum EKA Nr. 27. 151 Vgl. Mayer: Anfänge, S. 155. 152 Zu Ludwig Daniel Carl Weiß (1841–1883) vgl. Voigt: Art. Weiß. 149

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Schlümbachs begann Weiß selbst mit Evangelisationsveranstaltungen in wechselnden Lokalen. Für die »Berliner Evangelisationsarbeit« erhielt er Anfang 1883 914 Mark an Spenden aus Amerika, die vor allem für Mietkosten aufgewendet wurden. Neben die bereits bestehende methodistische Kapelle in der Junkerstraße trat nämlich bald ein fest gemieteter Versammlungssaal in der Ackerstraße in einem sozialen Problemviertel, von dem aus sowohl eine rege Arbeit mit Kindern als auch eine Arbeit unter Frauen aufgebaut wurde.153 Über Schlümbach äußerte sich Weiß sehr anerkennend. Gleichwohl verschweigt er nicht: »Wir hätten ihn ja lieber auf unserer Seite, wo auch sein Herz ist, er könnte uns eine sehr große Hülfe sein, doch wünschen wir ja auch, daß das Reich Gottes komme innerhalb der Landeskirchen und Seelen zu Gott geführt werden, zumal es nicht in unserer Macht steht, jene Kreise zu erreichen.«154 Interessanterweise wurde die Vereinsbildung im »Fürsten Blücher« von methodistischer Seite nicht als geeignet angesehen, die Erweckten dauerhaft zu sammeln. C. Weiß schreibt zwar ausführlich vom Kauf des »Fürst Blücher«, äußert im nächsten Absatz – ohne diese Gemeinschaftsbildung weiter zu reflektieren – aber seine Zweifel, wie dauerhaft die Wirkungen der Schlümbachschen Evangelisationen sein könnten, wenn nicht eine engere Verbindung der Erweckten untereinander stattfinde, wie es in der Gemeindebildung der BMK vollzogen werde. Ohne Gemeindebildung sei keine Seelenpflege möglich, und eine permanente Evangelisationstätigkeit sei ohne eine sie tragende Gemeindearbeit auch nicht denkbar. Von daher betont Weiß bei aller Anerkennung für Schlümbach den auf nachhaltige Durchdringung der deutschen Gesellschaft angelegten Ansatz der methodistischen Mission gegenüber der eher punktuell wirkenden Evangelisationsarbeit Friedrich von Schlümbachs.155 Schlümbach selbst hatte gemäß den vereinbarten Rahmenbedingungen seines Evangelistendienstes nur sehr sporadisch Kontakt zur methodistischen Kirche in Deutschland gesucht. So hielt er in der Berliner Gemeinde der Bischöflichen Methodistenkirche lediglich einmal eine kleine Ansprache bei einem Fest.156 Der Jährlichen Konferenz der Bischöflichen Methodistenkirche in Deutschland und der Schweiz ließ Schlümbach durch Carl Weiß aber herzliche Grüße und Segenswünsche übermitteln, die auch erwidert wur-

153 Vgl. C. Weiß: Das Werk des Herrn in Berlin. [Zuschrift vom 16. 3. 1883.] In: CA 1883, S. 116 und G. Frei: Correspondenz von Berlin. In: CA 1883, S. 282. Zur Arbeit der methodistischen Kirchen in Berlin vgl. auch Voigt: Junkerstraße. 154 C. Weiß: Bilder aus der evangelischen Bewegung. In: HuH 1883, S. 194–196, dort 196. 155 Vgl. C. Weiß: Bilder aus der evangelischen Bewegung. In: HuH 1883, S. 194–196, dort 195–196. 156 C. Weiß: Br. v. Schlümbach in Berlin. In: CA 1883, S. 145. Weiß sah den Grund dieser Schlümbach auferlegten Zurückhaltung in der herrschenden »kirchlichen Eifersucht«.

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den.157 Und in Kolberg muss Schlümbach bei einem Besuch wohl geradezu eine Lanze für den dort mehr oder weniger verfolgten Methodismus gebrochen haben, als er auf einer landeskirchlichen Kanzel schon in der Einleitung seiner die Menschen bewegenden Ansprache erklärte, er verdanke alles der Methodistenkirche.158 Der Methodisten-Herold sah die andauernde Kritik am Methodismus im Evangelisch-kirchlichen Anzeiger vor allem als am Wirken Friedrich von Schlümbachs entflammt und verwahrte sich gegen die dortige generalisierende Unterstellung, ein Methodistenprediger habe keinen »göttlichen Ruf« für seinen Dienst.159 Der Methodistenprediger Ludwig Nippert führte aufgrund eigener Eindrücke in Deutschland bezüglich der Bekämpfung des Methodismus und all dessen, was »sich nicht ganz in den alten kirchlichen Bahnen« bewegt, Schlümbach an, vor dem die meisten Geistlichen warnten und dem sie Wirkungsmöglichkeiten zu versperren suchten. Zum Glück stünden ihm einflussreiche und ehrbare Männer zur Seite. So habe Stoecker auf einem großen Missionsfest den Pfarrern zugerufen: »Wenn es nicht gehen wolle in ihren Gemeinden, so sollten sie eine solche Locomotive vorspannen und es würde wie in Berlin vorwärts gehen, wo er in Gemeinschaft mit Br. Schlümbach gesegneten Erfolg erzielte«.160 Schon Carl Weiß hatte bemerkt, dass Adolf Stoecker beim Jubiläum der Stadtmission im Berliner Dom sehr wohlwollend die Arbeit der Methodisten in Berlin erwähnt habe: Wenn die Stadtmission nicht in der Lage sei, alle Arbeit zu tun, so sei es besser, die Seelen würden methodistisch gerettet als gar nicht.161 Auf dem Vereinstag der Positiven Union hatte Stoecker erklärt: »Es gilt das Evangelium dem Volk wieder in seiner Herrlichkeit zu zeigen. Ich habe selbst den Bruder Schlümbach gebeten auf einige Zeit nach Berlin zu kommen. Wir müssen mit helfender Liebe das Christentum wieder zur Tat werden lassen, das Laientum aufrufen und mit Kraft und Energie an die Durchdringung des Volkes mit lebendiger Religion herangehen«162. Der Ausdruck »lebendige Religion« ist in der Terminologie des deutschen Erweckungschristentums – anders als der Begriff »lebendiger Glaube« – eher ungebräuchlich, und könnte das im Methodismus häufig verwendete »vital religion« wiedergeben. 157

Vgl. Verhandlungen 1882, S. 9. Vgl. auch Voigt: Kirche, S. 192. C. Weiß: Br. v. Schlümbach in Berlin. In: CA 1883, S. 145. Nach Weiß wurde dort ein Jünglingsverein gegründet, an dem auch Methodisten beteiligt waren; das Auftreten Schlümbachs habe auch unter einigen Pastoren den »Allianzsinn« befördert. 159 P. Schweikher: Der Evang.-kirchl. Anzeiger in Berlin und der Methodismus. In: MH 1883, S. 68–69. 160 L. Nippert: Aus Deutschland. In: CA 1883, S. 257. 161 Vgl. C. Weiß: Das Werk des Herrn in Berlin. [Zuschrift vom 16. 3. 1883.] In: CA 1883, S. 116. 162 Zit. nach Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 287. 158

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Evangelisation und Gründung des CVJM (1882–1883)

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Fortgang der Berliner Evangelisationsarbeit und zeitgenössische Resümees Schlümbach hatte seine Tätigkeit in Berlin Anfang April 1883 abgeschlossen. Sein »Evangelisationswerk« wurde aber von anderen um Christlieb, Stoecker und Diestelkamp weitergeführt.163 Vor allem Prediger Oscar von BarchwitzKrauser setzte in persönlicher Kontinuität das Wirken Schlümbachs fort und arbeitete vom 10. Juli an im Norden Berlins. Für seine Veranstaltungen wurde auf den Einladungsblättern als »Fortsetzung der v. Schlümbach’schen Versammlungen« geworben.164 Er schrieb im September 1883 an Wilhelm Nast, er stehe »in der Mitte einer durch und durch gehenden Erweckung« in allen Stadtteilen Berlins.165 Barchwitz-Krauser war Mitglied der East MaineConference der Bischöflichen Methodistenkirche und hatte von 1878 bis 1883 unter William Taylor als Missionar in Südamerika gewirkt, wo er zuletzt in Valparaiso (Chile) in Trinkhäusern und anderen Vergnügungslokalen erfolgreich evangelisiert hatte. Aufgrund gesundheitlicher Probleme seiner Frau reiste die Familie im Februar 1883 nach Europa, wo er zunächst drei Wochen in Liverpool evangelisierte. In Deutschland öffneten sich ihm schnell die Türen – er schreibt nicht genau, wie – für eine Wirksamkeit »im Innern der Landeskirche«. Er arbeite nach »Moody’s principle«, und selten sei er auf einen so großen Hunger nach dem Evangelium gestoßen. Neben auf Bekehrung zielenden Evangelisationsveranstaltungen hielt er auch Heiligungsversammlungen für bereits Gläubige. »Die Landeskirche öffnet mir ihre Türen und das Haus wird voll«166. Auf der Linie dieser Eindrücke Barchwitz-Krausers liegt es auch, wenn Ulrich von Hassel bemerkt, durch Schlümbach sei eine religiöse Erweckung herbeigeführt worden, die nicht vorübergehend und vereinzelt, sondern nachhaltig und weitreichend gewirkt habe.167

163

Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1883, S. 260 von Mitte August 1883. Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: Ev. 1883, S. 293; Notizen der Redaction. In: Ev. 1883, S. 317–318. 165 W. Barchwitz-Krause: Aus Berlin. In: CA 1883, S. 322–323, dort 323. Als Autorenangabe findet sich dort die wiedergegebene abweichende Schreibweise. 166 W. Barchwitz-Krause: Aus Berlin. In: CA 1883, S. 322–323, Berlin S. 323. Die Allgemeine Kirchliche Chronik 1883, S. 226 schreibt, dass Barchwitz-Krauser in die Preußische Landeskirche übergetreten sei, »um ungestörter das Werk fortsetzen zu können«. Das würde einiges erklären. Bereits im Winter 1883/84 gab Barchwitz-Krauser seine Evangelisationstätigkeit in Berlin wieder auf, hielt im Januar 1884 noch Versammlungen in West- und Ostpreußen und reiste dann mit einer von ihm gesammelten Auswanderergruppe nach Südamerika; vgl. Redaktionelle Notizen. In: EKA 1884, S. 52–53. Der Methodistenprediger G. Frei sah einen großen Segen von den Evangelisationen ausgehen und die Hauptaufgabe der Zukunft – neben weiteren Evangelisationen – darin, die Erweckten zu sammeln und zu betreuen. Sowohl bei Christlieb also auch bei Stoecker nahm er den Ansatz war, methodistische Methodik in den Grenzen der Staatskirche anwenden zu wollen; vgl. G. Frei: Streiflichter über die religiösen Zustände Berlins. In: HuH 1884, S. 251–252. 167 Vgl. Hassel: Rothkirch, S. 70. 164

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Mary Palmer Davies, umtriebige Witwe des 1881 verstorbenen Agenten der Britischen Bibelgesellschaft in Berlin George Palmer Davies, hatte Schlümbachs Wirken ebenfalls aufmerksam verfolgt und mit Sympathie begleitet. Sie schreibt, Schlümbach habe in Berlin großen Einfluss und viele Freunde gewonnen. Seine Botschaft, die sie durchaus als sehr bibelbezogen wahrnahm, habe zuerst die Armen erreicht. Die Menschen bekannten Schlümbach als »einem Manne, der sich nicht geschämt hatte, öffentlich zu bezeugen, aus welchem Sündenabgrunde ihn der Herr errettet habe«, ihre Verfehlungen. Akzeptanz und Kontakte Schlümbachs seien aber durch alle Stände gegangen, und auch der CVJM lasse vermuten, dass sich »Laien aus den besseren Ständen« mehr und mehr engagieren würden.168 Der methodistische Prediger Carl Weiß zog nach Beendigung der Arbeit Schlümbachs das Fazit, dass die Aufgabe, die der Kirche entfremdeten Massen durch volkstümliche Evangelisation für das Evangelium zu gewinnen, unter den Ärmsten im Berliner Norden »in herrlicher Weise« angegangen worden sei. Zahlreiche Bekehrungen und Belebungen auch in den untersten Schichten hätten stattgefunden. Der »Fürst Blücher«, »das eigentliche Centrum für Vereinsthätigkeit des Nordens«, sei eins der schönsten Resultate. Ebenso sei der nach dem Vorbild amerikanischer Vereine gegründete CVJM von herausragender Bedeutung. Wenngleich es auch »keine direkte Frucht« für die Berliner Methodistengemeinde gegeben habe, so sei doch »durch sein offenes Bekenntniß zu unserer Kirche, durch die Aufklärungen, die er bis in die höchsten Kreise geben konnte, ein Berg von Vorurtheilen gegen uns hinweggeräumt worden, an dem wir Jahrzehnte hätten schaffen können. Der Name Methodist ist jetzt stadtbekannt und wird von Allen, die Zion lieb haben, mit Achtung genannt« – mit einer Ausnahme: dem Evangelischkirchlichen Anzeiger, der schon immer gegen den Methodismus opponiert habe.169 Diese Einschätzung teilte auch der Evangelist. Durch Schlümbachs Arbeit sei »der Landeskirche viel Segen erwachsen und ein Berg an Vorurtheilen gegen den Methodismus hinweggeräumt worden, so daß wer gegen die Methodisten schreibt, sicher ist, beim christlich unparteiischen Publikum in Mißcredit zu fallen«170. Hierauf erwiderte prompt der Evangelisch-kirchliche Anzeiger – auch an dieser Stelle erwies sich die Einschätzung Weiß’ als richtig –, dass bewusste evangelische Gemeindeglieder »ihre Kirche viel zu lieb« hätten und »die Segnungen der evangelischen Volkskirche« viel zu genau kennten, um »sich für amerikanisches Sektenwesen in unserer Mitte begeistern« zu können. Außerdem habe Schlümbach, da im Dienst der Landeskirche, so wenig wie möglich seinen Methodismus durchscheinen lassen. »Hät168 169 170

Aus Berlin. [Auszug aus einem Bericht der Mrs. Palmer Davies.] In: CA 1883, S. 209. Vgl. C. Weiß: Br. v. Schlümbach in Berlin. In: CA 1883, S. 145. Notizen der Redaction. In: Ev. 1883, S. 132.

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Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und anderen Regionen (1883)

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te er sich ganz als Methodist gegeben und auch bei uns, wie er dies in Amerika gethan, mit der Bußbank operirt, so würde Jedermann solchen Methodismus erkannt und verurteilt haben.«171 Im Rückblick auf das gesamte Jahr 1883 stellte sich für Hülle die Frage, wie der Evangelistendienst im Verhältnis der Kirche zu den »Sekten« zu verorten sei. In Bezug auf Schlümbach schreibt er, ohne ihn namentlich zu nennen: »Nicht der erste beste redebegabte Angehörige irgendwelcher Denomination kann als willkommener Evangelist begrüßt werden, weil er Christum lieb hat und es in sogenannter christlicher Weitherzigkeit seinen Zuhörern überläßt, welcher Denomination sie sich nach ihrer Erweckung anschließen wollen. In dieser Weise würde man einfach das kirchliche Gemeindeleben unterminiren, der volkskirchlichen und volksthümlichen Arbeit Abbruch thun und einem engherzigen Sektenpietismus Vorschub leisten, der unserem Vaterlande und unserer Kirche ebenso schädlich ist wie der Romanismus.«

Bei aller Unklarheit über die Einbindung des Evangelistendienstes in die bestehenden Strukturen sei doch deutlich, dass ein Evangelist der Landeskirche angehören und nicht nur temporär, sondern ständig in den Gemeinden arbeiten müsse.172 Dass dem bei Schlümbach nicht so war, hatte auch außerhalb Berlins für Unruhe und Aufruhr gesorgt.

3. Zwischen Kooperation und Konfrontation: Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und in anderen Regionen (1883) Die Evangelische Kirchenzeitung berichtete im April 1883: »In Berlin hat Pastor v. Schlümbach seine fünfmonatliche Thätigkeit als methodistischer Emissär am 3. April beschlossen, um sich zunächst nach Holstein zur Unterstützung des H. v. Oertzen zu begeben. Von da aus gedenkt er im Herbste nach der Hauptstadt zurückzukehren.«1 Tatsächlich hatte Schlümbach von mehreren Pastoren briefliche Einladungen nach Schleswig-Holstein erhalten.2 Maßgeblich war aber Jasper von Oertzen für seine Berufung dorthin verantwortlich. Wahrscheinlich auf dessen Veranlassung hin gab Stoecker ihm folgendes Zeugnis mit auf den Weg: 171

Redaktionelle Notizen. In: EKA 1883, S. 142. Vgl. [H.]: Rückblick auf das Jahr 1883 II. In: EKA 1883, S. 513–514, dort 513. Kirchliche Chronik. In: EKZ 1883, S. 366. Vgl. H. R.: Zur Erweckung. In: KKA o. S. (Privatarchiv Karl Heinz Voigt).

172 1 2

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

»Dem Pastor F. v. Schlümbach wird hiermit unter herzlichem Dank bezeugt, daß er fünf Monate lang in den Vorstadtgemeinden Berlins mit der größten Treue und Hingebung, mit sichtlichem göttlichen Segen religiöse Versammlungen gehalten hat. Von Geistlichen der evangelischen Landeskirche eingeladen, hat er gemeinsam mit ihnen gearbeitet und ihr volles Vertrauen erworben, daß er nichts andres als der Kirche dienen will. Von seiner vor der Bekehrung liegenden Vergangenheit hat er kein Hehl gemacht, vielmehr durch das Zeugnis von der ihm widerfahrenen Gnade viele Herzen erweckt und erschüttert. Der Herr begleite ihn ferner mit seinem Segen. Berlin, den 14. April 1883. Hofprediger Stöcker.«3

Eigentlich hatte Jasper von Oertzen Schlümbach nach Hamburg holen wollen, aber bereits seit Februar hatten Hamburger Pastoren selbständig öffentliche Versammlungen in verschiedenen Teilen der Stadt gehalten. Carl Ninck4, der zusammen mit den Pastoren Kreusler und Weymann diese Evangelisationsversammlungen in »außerkirchlichen Lokalen« initiierte5, hatte nämlich im vom ihm redigierten Nachbar erklärt – ohne Schlümbach namentlich zu nennen –, dass er einem auch noch so segensreich wirkenden methodistischen Evangelisten nicht das Wort reden könne.6 Die religiösen Versammlungen würden von »positiven« Geistlichen »auf Grund des lutherischen Bekenntnisses« gehalten.7 Ninck hatte sowohl an den Brighton-Versammlungen mit Pearsall Smith 1875 teilgenommen8 als auch Moody und Sankey in England erlebt9. In seiner Wahrnehmung der kirchlichen Verhältnisse in den Großstädten stimmte er mit den Männern um Schlümbach überein – mit Jasper von Oertzen war er befreundet –, in der Wahl der Mittel im Prinzip auch, aber eben mit Vorbehalten gegenüber nicht in der Landeskirche beheimateten Akteuren. Dabei differenzierte er zwischen den Anstrengungen der Inneren Mission, um die der Kirche Entfremdeten zu erreichen, und dem Ansatz der »sog. religiö-

3 Zit. nach Hofprediger Stöcker: Zeugnis. In: SHL KuSbl 1883, S. 72; auch abgedruckt in Oertzen: Stoecker Bd. 1, S. 287. 4 Carl Wilhelm Theodor Ninck (1834–1887) wirkte seit 1873 als Hauptpastor an St. Anschar in Hamburg, für seine Berufung hatte sich auch Jasper von Oertzen aktiv eingesetzt. Sowohl diakonisch als auch missionarisch nach innen und außen engagierte er sich in Hamburg und nahm Impulse aus dem angelsächsischen Bereich auf, fügte diese aber in seine national und konfessionell bestimmte Grundhaltung ein. Vgl. Voigt: Art. Ninck. 5 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: Ev. 1883, S. 101. Dort ist der Name »Kreußer« angegeben. Es handelte sich aber wohl um Adolph Kreusler (1824–1894), seit 1871 Hauptpastor in Hamburg an St. Petri. Otto Weymann (1832–1903) war seit 1882 Pastor an St. Johannis in Harvestehude. 6 So die kritische Rezeption in Kirchliche Nachrichten. In: EB 1883, S. 181. Der betreffende Artikel erschien in Nachbar 1883, S. 127 und ist auszugsweise auch in Ninck: Jedermann, S. 189 wiedergegeben. 7 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: Ev. 1883, S. 149. 8 Vgl. Cuntz: Ninck, S. 153–157. 9 Vgl. Ninck: Jedermann, S. 192.

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Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und anderen Regionen (1883)

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sen Versammlungen«, also Evangelisationen in außerkirchlichen Räumen. Diese Evangelisationsversammlungen deckten sich inhaltlich im Großen und Ganzen mit dem, was Schlümbach in Berlin gemacht hatte: volkstümliche Verkündigung grundlegender christlicher Wahrheiten mit Erfahrungsbezug, Verwendung profaner Lokale, Einsatz von Musik und Gesang, Schwerpunkt auf persönlicher Einladung zu den Veranstaltungen.10 Unterschiede lagen darin, dass ausschließlich landeskirchliche Pfarrer zum Einsatz kamen, die Lieder dem landeskirchlichen Gesangbuch entstammten und man auch durch Zeitungsanzeigen zu den Versammlungen einlud. In Bezug auf die inhaltliche Gestaltung der Vorträge führt Ninck aus, dass man keine Apologetik getrieben habe, von deren Erfolg er ohnehin nicht überzeugt sei, sondern »wir haben unsern Zuhörern das Evangelium gepredigt nach ›Evangelistenweise‹: Wir haben ihnen die großen Taten Gottes erzählt«11. Als entscheidendes Element tritt hier also ein narrativer Zugang zur »positiven« Darlegung christlicher Glaubensinhalte hervor, in den auch die eigene Glaubens- und Lebenserfahrung einbezogen wird. Mit dem Typ der religiösen Versammlungen nahm Ninck einen Impuls der transkonfessionellen angelsächsischen und angloamerikanischen Evangelisationsbewegung auf, fügte sie aber in die konfessionellen und nationalen Rahmenbedingungen seines Umfelds ein.12 Über sein persönliches Verhältnis zu Schlümbach und den Grund, warum dieser nicht bei den Versammlungen in Hamburg mitwirkte, schreibt Ninck: »Daß dabei nicht Eifersucht oder Lieblosigkeit der treibende Beweggrund war, darf ich aufrichtig versichern. Ich schätze und liebe Herrn v. Schlümbach als christlichen Bruder, wie ich auch gläubige katholische Christen als Brüder liebe, aber wie ich deshalb gewiß nicht einen katholischen Priester einladen würde, auf meiner Kanzel zu predigen oder in einer religiösen Versammlung zu reden, so wünschte ich auch mit Herrn v. Schlümbach in kirchlichen Angelegenheiten nicht gemeinsame Sache zu machen. Im persönlichen Verkehr mit allen gläubigen Christen jeglicher Confession 10 Ninck entfaltete dies in zwei Artikeln im Nachbarn, die in Ninck: Jedermann, S. 189–192 wiedergegeben werden. 11 Ninck schreibt weiter: »So haben wir auch die Tatsachen der Heiligen Schrift zum Hauptinhalt unsrer Ansprache gemacht, diese aber stets auf jene unaustilgbaren Bedürfnisse des menschlichen Herzens und Gewissens angewandt und aus der Erfahrung zu bezeugen gesucht, wie das Evangelium schon hier der Seele Ruhe, dem Familienleben den göttlichen Segen der Wohlordnung und des stillen Glückes bringt, wie es den Sklaven der Sünde zu wahrer Freiheit, wie es den Schiffbrüchigen in den sicheren Hafen führt, wie das Halten der Gebote Gottes jedermann den Beweis liefert, ob Jesu Lehre von Gott sei usf.« Artikel aus dem Nachbarn 1883, S. 203 u. 211, zit. nach Ninck: Jedermann, S. 192. 12 Was interessanterweise – eigentlich hatte es sich dabei ja um eine Agitation gehandelt, um den Methodisten Schlümbach von Hamburg fern zu halten – vom Berliner methodistischen Prediger C. Weiß positiv aufgefasst wurde: »Schlümbachs Hand [war] frei [. . .], weil andere seine Arbeit thaten«. Vgl. C. Weiß: Br. v. Schlümbach in Berlin. In: CA 1883, S. 243.

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und Sekte gilt die Losung: freundlich-brüderlich, auf dem Gebiet der Kirche aber heißt es, so lange nach Gottes Ordnung die großen Unterschiede in der Lehre noch bestehen, im Verhältniß zu denen, welche nicht dasselbe Bekenntnis haben: schiedlich-friedlich. Zu meiner großen Freude hat Herr v. Schlümbach, mit dem ich mich eine ganze Stunde lang eingehend und freundlich ausgesprochen, diese Grundsätze selber als berechtigt anerkannt und es für ganz richtig erklärt, daß er nicht zu unseren religiösen Versammlungen zugezogen worden ist. Ich wünschte, die mir über mein Verhalten Vorwürfe gemacht haben, wären als Glieder unserer lutherischen Kirche ebenso einsichtsvoll wie er.«13

Wenn in der kirchlichen Presse dennoch von gut besuchten Veranstaltungen Schlümbachs in Verbindung mit Jasper von Oertzen in Hamburg im April und Mai die Rede ist, bei denen mehr als 1.000 Menschen zusammenkamen, um »in größter Ruhe und Spannung dem volksthümlichen Wort [zu] lauschen«14, so sind damit wahrscheinlich Wandsbek und andere Umlandgemeinden gemeint, in denen Schlümbach wirkte.15 In Wandsbek hielt Schlümbach Mitte April seine erste Versammlung im dortigen Jünglingsverein und sprach anhand Eph. 4,1 ff. über den christlichen Wandel der Jünglinge und wie dieser auf Christus hinweise. Auf dieser Versammlung regten Jasper von Oertzen und ein Dr. Richter an, doch größere Veranstaltungen abzuhalten, was gemeinsam beschlossen wurde. Am 19. April begann Schlümbach mit Versammlungen im »Schwarzen Bären«, einem Lokal, das sonst vor allem von den Sozialdemokraten für ihre Zusammenkünfte genutzt wurde, und setzte diese am 20. und vom 24.–28. April unter steigendem Besuch mit bis zu 800 Zuhörern, am Abschlussabend sollen es sogar 1.000 gewesen sein, fort. Zielsetzung war – wie bereits in Berlin – der Kirche Entfremdende wieder in Kontakt zum christlichen Glauben zu bringen. Es wurde deutlich betont, dass Schlümbach nicht für den Methodismus wirke, sondern beabsichtige, »die unkirchlichen Elemente wieder ihrer Kirche zuzuführen«16. In der Wahrnehmung des Berichterstattenden, des lutherischen Pastors Kedenburg, waren die Besucher der ersten Versammlung jedoch nicht wirklich »unkirchlich«: in erster Linie Methodisten und Baptisten, daneben einige wenige Lutheraner. Ein Chor von Methodisten sang auf Eigeninitiative zum Schluss der Versammlung sogar ein Lied, wovon Schlümbach sagte, man hätte ihm keinen schlechteren Dienst erweisen können. Die Zahl der Besucher wuchs an den folgenden Abenden beträcht13

Zit. nach Evangelische im Reiche. In: EKA 1883, S. 243. Kirchliche Nachrichten. In: Ev. 1883, S. 149. 15 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 63. Schlümbach selbst wohnte allerdings im »Pariser Hof« in Hamburg. Mit der Wirksamkeit Schlümbachs in Hamburg und Schleswig-Holstein hat sich auch Karl Heinz Voigt auseinandergesetzt; vgl. Voigt: Schlümbach (Privatarchiv Karl Heinz Voigt). 16 D. Kedenburg: Herr v. Schlümbach in Wandsbeck. In: S-H-L KuSbl 1883, S. 69–71, dort 69. 14

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lich, aber Kedenburg meinte, neben Methodisten und Baptisten vor allem Mitglieder der lutherischen Gemeinden von Wandsbek, Hamm, Eilbek und Barmbek erblickt zu haben, die auch sonst mehr oder weniger regelmäßig die Kirche besuchten. Die Abende gestalteten sich derart, dass mit dem gemeinsamen Singen von Liedern aus Volkenings Missionsharfe – dezidiert kein »methodistisches« Liederbuch – eröffnet wurde und Schlümbach danach Lieder Sankeys in deutscher Übertragung vortrug, in deren eingängige Refrains die Versammlung einstimmte. In das Eröffnungsgebet konnten vorher eingereichte Bitten und Fürbitten aufgenommen werden. Dann folgte der Vortrag, dem jeweils ein Schriftwort zugrunde lag.17 Zum Abschluss des Abends sang Schlümbach noch ein Sololied, was in den Versammlungen offenbar großen Anklang fand. Anders als in Berlin arbeitete Schlümbach in Schleswig-Holstein nicht auf ausdrückliche Einladung der Parochialpfarrer, sondern in freier Trägerschaft von Männern aus dem Landesverein für Innere Mission und den Gemeinschaftskreisen. Entsprechend ambivalent war auch die Gefühlslage des Wandsbeker lutherischen Pastors Kedenburg. Auf der einen Seite begrüßte er die Tätigkeit Schlümbachs und war geradezu begeistert von ihm: »Daß der Herr von Schlümbach Methodist ist, darf keinen Lutheraner abhalten, die Gabe anzuerkennen und sich zu Nutze zu machen, die ihm von Gott in hervorragender Weise gegeben ist. Ich gestehe es offen, noch kein Geistlicher, ausgenommen Ludwig Harms, dem ich vor Allen die Palme zuerkennen muß, hat auf mich einen so gewaltigen, fesselnden packenden, das innerste Seelenleben erfassenden überwiegenden Eindruck gemacht, als v. Schlümbach. Die Klarheit, die Kraft, die Volkstümlichkeit seiner Rede, das Schlagende seiner Beweisführung, der Reichtum seiner Lebenserfahrungen, die innere Wärme, der feste Grund des göttlichen Worts, der Alles trägt – und bei der eminenten Beredsamkeit des Mannes die große Einfachheit – das Alles ist von einer oft ganz unwiderstehlichen und hinreißenden Gewalt und Überzeugungskraft. Ich wünsche jedem lutherischen Prediger, daß es ihm zu Teil werden möge einen solchen Mann länger zu hören; - der ersetzt ihm eine ganze Homiletik, bringt ihn, wenn er aufrichtig gegen sich selbst ist, zu heilsamer Selbsterkenntnis und wird ihm ein mächtiger Sporn, mit mehr Eifer auf Mittel und Wege zu sinnen, wie dem Herzen seiner Gemeinde nahe zu kommen. Wir können gewiß Alle sehr viel von Herrn v. Schlümbach lernen. Möge niemand diese Gelegenheit unbenutzt lassen.«18

17 Schlümbach sprach in Wandsbeck über 2. Kor. 4,5; 1. Joh. 5,4; Apg. 17,30–31; 2. Tim. 3,1 ff.; Mk. 10,17 ff.; Lk. 16,19–31 und Spr. 1,23–33. Vgl. D. Kedenburg: Herr v. Schlümbach in Wandsbeck. In: S-H-L KuSbl 1883, S. 69–71, dort 71. 18 D. Kedenburg: Herr v. Schlümbach in Wandsbeck. In: S-H-L KuSbl 1883, S. 69–71, dort 70.

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Auf der anderen Seite empfand er ein gewisses Unwohlsein bezüglich der kirchlichen Zugehörigkeit Schlümbachs und der Zielsetzung seiner Arbeit. Der Tatsache, dass Schlümbach Methodist war, begegnete Kedenburg mit der Einschränkung, dass Schlümbach der eigenen Aussage nach »zu den Methodisten eine ganz freie Stellung« habe und ohne jede Verpflichtung oder Absicht sei, für den Methodismus Propaganda zu machen. Im Gegenteil, »was Herr v. Schlümbach hier gelehret und gepredigt hat, das lehren und predigen wir alle, die wir auf dem Grunde des göttlichen Worts stehen, nur nicht so eindringlich und anfaßlich, wie er.« Von besonderen methodistischen Lehren sei nichts zu hören gewesen. Von daher müsste es doch möglich sein, einen solch begnadeten Prediger einer anderen Kirchengemeinschaft, der Gottes Wort in neuer Weise zu Gehör bringe, auch für die eigene lutherische Kirche wirken zu lassen. Schlümbach werde der lutherischen Kirche sicher nicht schaden. Sehr wohl schaden könnten aber gewisse Kreise innerhalb der Kirche, die Schlümbach unterstützten, nämlich die »sog. Gemeinschaftsleute«, denen das »kirchliche Gemeinschaftsbewußtsein« fast ganz fehle. Sie seien unzufrieden mit dem Gemeindeleben in den Kirchengemeinden und suchten darüber hinaus nach besonderen Veranstaltungen und Erfahrungen und hätten separatistische Tendenzen. Allein dass diese Kreise Schlümbach besonders unterstützten, mache ihn aber für die Kirche nicht unannehmbar. Er selbst in seiner pfarramtlichen Praxis war aber zurückhaltend in der aktiven Unterstützung Schlümbachs und riet – wobei er auf die Erfahrungen mit Pearsall Smith verwies – seinen Kollegen ebenfalls zu Zurückhaltung; landeskirchliche Pfarrer sollten sich nicht an den Versammlungen Schlümbachs durch Einführungen, Ansprachen oder Gebete beteiligen19. Als nach der ersten Schlümbach-Versammlung im Jünglingsverein zwei Gemeindeglieder mit der Frage zu Kedenburg kamen, ob er etwas gegen die größere Kampagne einzuwenden hätte, verneinte er, betonte aber, dass er sich nicht in der Sache engagieren werde. Die hauptsächlichen Bedenken Kedenburgs richteten sich auf die Zielsetzung der Arbeit, und zu einem guten Stück sollte er mit diesen Bedenken Recht behalten. Denn es ging Schlümbach ja darum – und das äußerte er auch in den Veranstaltungen –, Menschen wieder zum Christentum und zum Besuch der Kirche zu führen. Der Erfolg des letzteren erschien Kedenburg aber zweifelhaft, da die sonntäglichen Gottesdienste in ihrer oft etwas steifen und feierlichen Art noch deutlicher gegen eine Verkündigung im Stile Schlümbachs abfielen, sich also auch noch der letzte treue Rest unter den neuen Eindrücken enttäuscht von der Kirche abwenden könnte. Zumindest

19 Gleichwohl sagte Kedenburg später, er habe bei den Vorträgen Schlümbachs neben ihm gestanden; vgl. Verhandlungen der 4. ordentlichen Gesammtsynode 1889, S. 65.

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ging Schlümbachs Wunsch bei seiner letzten Versammlung, nämlich dass die Kirche am nächsten Tag die Besuchermassen nicht fassen könne, nicht in Erfüllung – im Gegenteil, Kedenburg schreibt, dass die Kirche nur ausgesprochen mäßig besucht gewesen sei. Wenngleich Kedenburg also über die langfristigen Wirkungen der Arbeit Schlümbachs in Zweifel war, so hatte er doch das Gefühl, dass Gott am Werke sei und er sich deshalb auch nicht gegen Schlümbach stellen dürfe: »Aber auch wenn es zunächst so käme, daß sichtbar eine direkt nachteilige Wirkung von dem Auftreten des Herrn v. Schlümbach sich zeigen würde für unser gewöhnliches, regelmäßiges, kirchliches Leben; - ich möchte dennoch diesem reichbegabten Verkündiger des Evangeliums nicht in den Weg treten; und den Geist nicht dämpfen, - ich möchte keinen Christen des Segens berauben, der ihm durch diese besonders eindringliche Art der Verkündigung des göttlichen Worts zu Teil werden kann.«20

Auf der Seite der Pastoren gehöre aber zu einer solchen Haltung, sich an den zumindest kurzfristigen Erfolgen Schlümbachs zu freuen, auch »Selbstverleugnung, Aufrichtigkeit und Demut«. Mit dieser Position nahm Kedenburg eine Mittelstellung in einer öffentlichen Auseinandersetzung ein, die gerade um das Wirken Friedrich von Schlümbachs in Schleswig-Holstein entbrannt war. Wieder stand eine kirchenpolitische Konstellation im Hintergrund, die den Umgang mit Schlümbach maßgeblich prägte. Diese Spannungslage hing zusammen mit Auseinandersetzungen um den Landesverein für Innere Mission, der Frage des Umgangs mit den Freikirchen und Spannungen zwischen liberalen und positiven Kräften in der Landeskirche. Der Breklumer Hauptpastor Christian Jensen hatte sich in dem von ihm redigierten Sonntagsblatt fürs Haus Mitte April sehr engagiert für das Wirken Schlümbachs ausgesprochen und dazu aufgefordert, ihn zu Gemeinde- und Missionsfesten einzuladen und seine Evangelisationstätigkeit zu unterstützen. Jensen war eine theologisch konservative, charismatische Persönlichkeit, und hatte in Breklum unter Anknüpfung an erweckliche Kreise in NordSchleswig eine vielfältig nach außen wirkende Arbeit aufgebaut. Zentrum war die 1878 eröffnete und auf Vereinsbasis operierende Evangelisch-lutherische Missionsgesellschaft, die sich sowohl der Inneren Mission als auch der Weltmission mit einem Schwerpunkt auf Indien widmete. Jensen pflegte darüber hinaus enge Kontakte nach Amerika. 1882 war er zum ersten Mal dort gewesen und hatte ein Predigerseminar zur Ausbildung deutschsprachiger Prediger für die Generalsynode der Lutherischen Kirche in Amerika in Breklum gegründet.21 20

D. Kedenburg: Herr v. Schlümbach in Wandsbeck. In: S-H-L KuSbl 1883, S. 69–71, dort

71. 21 Vgl. Werner: Jensen, S. 132–135. Zu Breklum vgl. auch Ramm: Anfänge, S. 327–331. Zu Christian Jensen (1839–1900) vgl. Heubach: Art. Jensen.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Ein solches Predigerseminar war unter der Ägide Pastor Johannes Paulsens auch in Kropp entstanden, nur wurden von dort aus Prediger an das Generalkonzil der Lutherischen Kirche in Amerika entsandt.22 Dieses wiederum lehnte die Tätigkeit des YMCA in den USA vor allem wegen der dort gepflegten Laientätigkeit ab. Wenngleich sowohl Jensen als auch Paulsen in der historischen Würdigung als »Erweckungsprediger« und Paulsen als »Wegbereiter für Evangelisation und Volksmission in Schleswig-Holstein« bezeichnet worden sind23, waren die beiden von ihren Anschauungen bezüglich der kirchlichen Arbeitsformen doch deutlich unterschieden, durch die beiden Predigerseminare auch in einer gewissen Konkurrenz. Paulsen hatte in den USA bereits von Schlümbach gehört und stufte dessen Verhältnis zur lutherischen Kirche dort durchaus zutreffend als sehr distanziert ein.24 Auch dies mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass Paulsen sich vehement gegen eine Wirksamkeit Friedrich von Schlümbachs in SchleswigHolstein aussprach. Paulsens Kritik kreiste aus lutherisch-konfessioneller Perspektive um das Wirken Friedrich von Schlümbachs. Wie schon die Kritiker in Berlin betonte auch er die zersetzende Wirkung des Methodismus auf die deutschen Landeskirchen25 und legte unter Hinweis auf Schlümbachs Zugehörigkeit zur Methodistenkirche und der »methodistischen Art« seiner Arbeit nun auch einen Schwerpunkt auf die Bewahrung der »reinen Lehre«, gegen die sich eine gewisse Gleichgültigkeit breit mache26: »Gut und Blut haben unsere Väter daran gesetzt, die reine Lehre ihren Kindern zu bewahren. Wehe uns, wenn wir dieses Gut nicht achten und unverletzt erhalten. Die Methodistenkirche beweist, wo nicht reine Lehre ist, ist auch nicht reines Leben.«27 Die Methodisten und konkret Schlümbach werden in diesem Zusammenhang als »Irrlehrer« wahrgenommen, durch die »die ganze Kirche in Gefahr geraten« könne. »Es steht fest, daß Schlümbach Methodist ist, und 22 Vgl. Werner: Jensen, S. 134. Die Generalsynode war 1820 in den USA als lutherische Denomination organisiert worden. Maßgeblich geprägt wurde sie in der Folgezeit durch Samuel Simon Schmucker, der sich um Annährung an den amerikanisch-protestantischen Mainstream bemühte und von daher sowohl für erweckliche Methoden in der kirchlichen Arbeit als auch für eine Abschwächung der theologischen Propria des lutherischen Bekenntnisses eintrat. Gegen diesen »American Lutheranism« wandte sich eine Oppositionsbewegung, die sich 1867 im Generalkonzil formierte und eine lutherisch-konfessionelle Ausrichtung vertrat. Vgl. Diefenthaler: Art. General Synod. Zu Johannes Paulsen (1847–1916) vgl. Kröger: Art. Paulsen. 23 Vgl. Kröger: Art. Paulsen, Sp. 45; Heubach, Art. Jensen, Sp. 29. Das in Bezug auf Jensen durch Martin Pörksen geprägte Wort vom »lutherischen Pietisten« lässt sich im Verhältnis zu Paulsen vielleicht so wenden, dass dieser ein »pietistischer Lutheraner« gewesen ist. 24 Vgl. Kirchliches. In: KKA 1883, S. 77. 25 Auch er betont, dass er unter dem Vorwand käme, die Kirche zu beleben, letztlich aber die engagiertesten Kirchenglieder an sich ziehen würde. Vgl. Kirchliches. In: KKA 1883, S. 77. 26 Vgl. Kirchliches. In: KKA 1883, S. 84–85, dort 84. 27 Kirchliches. In: KKA 1883, S. 84–85, dort 85.

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Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und anderen Regionen (1883)

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es steht fest, daß Irrlehrer in den Weinberg GOttes zu rufen, ein Zerstören des Weinbergs ist.«28 Vor allem bei den Laien könne die Berufung eines methodistischen Predigers in lutherische Gemeinden nur zu »Verschwommenheit und Verworrenheit« führen. Hier kommen auch Paulsens Vorbehalte gegenüber der von Schlümbach propagierten stärkeren Aktivierung des Laienelements zum Tragen, sieht er doch vor allem »Laienprediger« – hiermit können eigentlich nur in Innerer Mission und Gemeinschaftskreisen aktive Laien gemeint sein – sich auf die Seite Schlümbachs stellen. Auch dass Schlümbach forderte, Frauen sollten in Gebetsversammlungen öffentlich beten, hält Paulsen für »Quacksalberei«29. Eine besondere Note erhält die Polemik von lutherisch-konfessioneller Seite durch gegen die Union gerichtete Spitzen. So schreibt Paulsen über die Auseinandersetzungen in Berlin, »daß man selbst innerhalb der Union [!] nicht Gleichgültig ist gegen das Auftreten v. Schlümbachs«30. Zumal er den Besuch des methodistischen Bischofs Foster bei Stoecker, bei welchem Foster versicherte, dass die Methodisten nichts gegen eine Tätigkeit Schlümbachs innerhalb der Landeskirche hätten, so kommentiert: »Das ist also doch wahre Union«.31 Diese Auseinandersetzung Paulsens mit der Schlümbach-Sache hatte indes eher kommentierenden Charakter, da die eigentliche Debatte von der öffentlichen Stellungnahme des Eutiner Kirchenrates Dr. Justus Ruperti vom 29. 4. bestimmt wurde, die Paulsen mit voller Zustimmung auch in seinem Kropper Kirchlichen Anzeiger abdruckte. Ruperti wiederum hatte eigene Amerika-Erfahrungen und in streng konfessioneller Art in New York gewirkt: »Man ruft also Methodisten in lutherische Gemeinden. Bruder Jensen erklärt freilich in Nr. 14, daß die Kanzeln natürlich ihm nicht offen stehen. Aber ob ich einen Methodisten auf meine Kanzel stelle, oder ihn sonst in die Mitte meiner Gemeinde hole, das ist vollkommen dasselbe. Man hofft eine Belebung unserer Gemeinden durch den begabten Redner. Aber ich nenne es eine Schmach der lutherischen Kirche, wenn sie bei den Methodisten um Leben bettelt. Ich denke nicht, daß unsere Kirche so arm und bankrott ist, daß sie von den Almosen der Sekten leben muß. [. . .] Schlümbach soll sich Jensen gegenüber zu dem ›milden Lutherthum‹ der Württemberger bekannt haben. Hat er das gesagt, so war es unredlich; denn ein Methodist mit seinen falschen Lehren kann kein Lutheraner sein, auch kein milder.«

Die Polemik ist nun eindeutig konfessionell bestimmt, indem ein grundsätzlicher und unüberbrückbarer Gegensatz zwischen Luthertum und Methodismus aufgebaut wird. Auch die Konzentration auf die »Lehre« weist in diese Richtung. Ruperti fährt fort: 28

Kirchliches. In: KKA 1883, S. 77. Kirchliches. In: KKA 1883, S. 77. 30 Kirchliches. In: KKA 1883, S. 88–89, dort 88. Paulsen zitiert und bespricht an dieser Stelle mehrere Passagen aus der gerade erschienenen Schrift Hülles gegen Schlümbach. 31 Kirchliches. In: KKA 1883, S. 84–85, dort 85. 29

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

»Die Lutheraner des Generalkonzils in Nordamerika gerade in den Teilen Pennsylvaniens, in denen Schlümbach sein Wesen trieb, schreiben entrüstet, daß wir deutschen Lutheraner uns an den Siegeswagen der Methodisten spannen. [. . .] Man wünscht Leben in die Totengebeine zu bringen. Gewiß, aber dazu haben wir bessere Mittel als die Methodisten mit ihrer falschen Lehre in unserem unverfälschten Evangelium.«

Der Aspekt der Lehre ist hier noch einmal pointiert formuliert und der Antagonismus zwischen konfessionellem Luthertum und Methodismus auch in den amerikanischen Kontext eingezeichnet. Der Deutsch-Amerikaner Friedrich von Schlümbach sei eine Gefahr für die lutherische Kirche, weil die hiesigen Methodistenprediger ihm folgen würden und auf gute Aufnahme rechneten, wenn sie sich auf Schlümbachs Aufnahme durch die lutherischen Pastoren berufen könnten. »O gewiß, wir wollen die Schläfer wecken, alle unsere Kräfte einsetzen, das heilige Evangelium zu verkündigen, alle Mittel gebrauchen, die unserer Kirche zu Gebote stehen. Aber in dem Jubeljahr unserer lutherischen Kirche sollten wir darüber erröten, daß wir den Methodisten in unseren Gemeinden das Wort geben. Heute Schlümbach, nächstes Jahr die Heilsarmee mit General Booth, der dann auch uns toten Lutheranern Leben beibringen will. - Darum warne ich vor Schlümbach und bitte die Brüder in Schleswig Holstein, nicht diese falschen, unheilvollen Schritte zu tun. Es kommt nicht darauf an, daß das Schiff segelt, sondern daß es den rechten Kurs hat, und den haben die Methodisten nicht. Sie gehören nicht auf unsere Feste, weder für Äußere noch Innere Mission; es sei denn, daß wir das alte ehrliche Panier unserer lutherischen Kirche vor diesen Sektierern senken wollen. Unsere Gemeinden müssen uns vor Gott anklagen, wenn wir solche Wege gehen wollen.«32

Jensen reagierte darauf wiederum mit einer eigenen Stellungnahme, die die Auseinandersetzung im Kontext des von ihm als gravierend empfundenen Konflikts zwischen »positiver« und »liberaler« Theologie in der Landeskirche betrachtet: »Es ist schon merkwürdig! Da stehen hin und her diese ungläubigen Leute auf unseren lutherischen Kanzeln, vor unseren lutherischen Altären, läugnen die Grundwahrheiten des Wortes Gottes, verstümmeln das christliche Glaubensbekenntnis, schänden unsere lutherische Kirche. Herr Dr. Ruperti hat noch niemals wider diese heillosen Zustände von drüben her uns seine helfende Hand gereicht, niemals ein Manneswort gegen dieses Satanswerk geredet. Da kommt Herr Pastor von Schlümbach, - er ist ein gläubiger Mann, er hat ein gutes Gerücht vor vielen, daß es ihm nur um den Bau der Kirche, um die Rettung unsterblicher Seelen zu thun ist, - da aber muß Herr Dr. Ruperti die Feuerglocke ziehen, die Kirche ist in Gefahr oder erleidet Schmach! – Mag das verstehen, wer es verstehen kann; ich muß sagen: ich hasse dieses Mückenseihen und Kameeleverschlucken von Grund meines Herzens! So baut man keine Kirchen und am wenigsten unsere lutherische Kirche.

32

Zit. nach Voigt: Schlümbach, S. 5–6 (Privatarchiv Karl Heinz Voigt).

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Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und anderen Regionen (1883)

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Lieber Herr Dr. Ruperti! suchen Sie den Augiasstall der Irrlehrer und Seelenmörder in unserer teueren lutherischen Kirche hinauszufegen; haben Sie das fertig gebracht, dann lassen Sie uns einmal darüber sprechen, ob Männer wie Hofprediger Stöcker und Pastor von Schlümbach, die beiden Festredner auf dem letzten Jahresfest des Landesvereins für innere Mission, künftig noch in der Mitte unseres Volkes, von dem an vielen Orten 90% den Weg zur Seligkeit nicht mehr wissen, Ansprachen, Reden und Predigten halten dürfen. Brecklum, den 29. April 1883. Christian Jensen, Hauptpastor.«33

Gegenstimmen nahmen Ruperti in Schutz, denn Ruperti habe als Superintendent nur sein Wächteramt ausgeübt, und so richtig es sei, dass der Kirche von ungläubiger Seite Gefahr drohe, so doch auch von sektiererischer. Die Gefahr sei ein »verschwommenes Christentum«, dem man entschieden wehren müsse. So stellte sich die Pastoralkonferenz des Fürstentums Lübeck am 8. Mai geschlossen hinter Ruperti.34 Auch Jasper von Oertzen meldete sich mit einem Artikel im Kirchen- und Schulblatt zu Wort35, den er mit der captatio benevolentiae beginnt, jeder treue Lutheraner könne dankbar dafür sein, wenn das Hirten- und Wächteramt in der Kirche sorgsam ausgeübt werde. Im aktuellen Fall könnten einige Bedenken des Kirchenrats Ruperti aber zerstreut werden. Von Oertzen ist sich sicher, dass Ruperti manche Bedenken schon fallen lassen würde, wenn er nur eine Stunde mit Schlümbach persönlich verkehrte, unter anderem auch die Vorstellung, dass Schlümbach für die Bischöfliche Methodistenkirche wirke. Er sei »Evangelist auf seine eigene freie Hand« und von Männern der Landeskirche eingeladen worden, für ein bis zwei Jahre in Deutschland zu wirken, nachdem diese seine »ungewöhnliche charismatische Begabung, auf die der Kirche entfremdeten Massen zu wirken« erkannt hatten. Von Oertzen betont die Zielsetzung der sittlichen Hebung angesichts der Zeitumstände, wenn er schreibt: »Der Protestantismus macht bankerott, und erweist sich unfähig ein Volksleben sittigend zu umfassen und zu heben. Wir müssen es daher lernen, die Bibel an’s Volk heran zu bringen und zwar durch Evangelisten, oder wir sind verloren.« Daneben sah er in der Stärkung des Protestantismus auch eine antirömische Note. Was ihn darüber hinaus an Rupertis Auslassungen ärgerte, war die Bezeichnung Schlümbachs als »Sectierer«. Denn er selbst musste, als er in Diensten der österreichischen Armee stand, sich als Lutheraner auf diese Weise beschimpfen lassen und reagierte seitdem sehr sensibel auf derartige 33 Christian Jensen: Kirchenrat Dr. Ruperti und Prediger v. Schlümbach. In: S-H-L KuSbl 1883, S. 69. Auch abgedruckt in Ev. 1883, S. 156–157, WhZ 1883, S. 161. 34 Vgl. J. E. Busse: Offenes Sendschreiben der Pastoralkonferenz des Fürstentums Lübeck an den Herrn P. Jensen. In: S-H-L KuSbl 1883, S. 78. 35 J. v. Oertzen: Der Evangelist F. v. Schlümbach. In: S-H-L KuSbl 1883, S. 71–72.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Verunglimpfungen. »Die bischöflich methodistische Kirche zählt ihre Glieder nach Millionen, und ist selbst ein Glied an dem Riesenleibe, an dem Christus das Haupt ist, reden wir Lutheraner doch nicht verächtlich von den anderen Gliedern des herrlichen Gesamtleibes, an dem wir auch nur ein kleines Glied sind.« Was die Befürchtung bezüglich der Heilsarmee angeht, so habe Schlümbach keine Beziehung zu dieser und sehe auch viel Unevangelisches in ihr. Zur besonderen Freude von Oertzens machte Schlümbach ihm gegenüber wohl deutlich, wie fern ihm Unionsbestrebungen lägen. »Das Recht der Sonder-Konfession ist ihm ein Geheiligtes. Er erklärte es kürzlich erst bündig für eine schwere Versündigung eine, vom heiligen Geist gewirkte Konfession, aus kirchenpolitischen Opportunitäts-Rücksichten, etwa zu verwischen.« Dies wäre auf den ersten Blick für Schlümbach eine recht steile Formulierung, auch wenn sein Kirchenverständnis in Deutschland in Fluss geraten sein sollte, ist aber bei genauerem Hinsehen gut mit den Denkvoraussetzungen des amerikanischen Denominationalismus in Einklang zu bringen, der die Existenzberechtigung der einzelnen Benennungen ja nicht bestreitet, sie aber zu einem größeren Ganzen in Beziehung setzt und von daher relativiert. Schließlich sei es doch nicht verkehrt, von Schlümbach zu lernen. So wie in den USA von Luther und der deutschen theologischen Wissenschaft gelernt werde, so könne man in Deutschland doch von den »praktischen Vettern« lernen. »Uns in Deutschland fehlt noch der Evangelisten Beruf – Schlümbach ist ein Evangelist von Gottes Gnaden – schämen wir uns nicht von ihm etwas zu lernen!« Interessant an der interkulturellen Wahrnehmung sind die Stereotypen, dass aus Deutschland vor allem das Akademische, aus den USA vor allem das Praktische zu rezipieren sei. Auch Schlümbach selbst bemühte sich, sich in die Nähe des Luthertums zu rücken. Hatte er sich offenbar Jensen gegenüber im Zusammenhang einer kirchlichen Zuordnung zur »Deutschen Evangelischen Synode des Westens« zum »milden Luthertum« Württembergs bekannt, so wies er wohl bei Kedenburg darauf hin, dass er als Württemberger »von Hause aus Lutheraner«36 sei. In seinen Ansprachen nahm er immer wieder Martin Luther als Bezugspunkt seiner Botschaft, sei es durch Zitate, sei es durch das Herausstreichen von dessen Bedeutung als dem »größten Propheten des deutschen Volkes«37. Dass Schlümbach sich offensichtlich vom Methodismus distanzierte und sich der Evangelischen Synode annäherte, wurde auch in den USA kritisch wahrgenommen: 36

D. Kedenburg: Herr v. Schlümbach in Wandsbeck. In: S-H-L KuSbl 1883, S. 69–71, dort

37

D. Kedenburg: Herr v. Schlümbach in Wandsbeck. In: S-H-L KuSbl 1883, S. 69–71, dort

69. 70.

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Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und anderen Regionen (1883)

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»Ist diese Mittheilung authentisch, und hat dies wirklich Herr v. Schlümbach gethan, so wird es Sache der deutschen Methodistenkirche von Amerika sein, sich Aufklärung über solche doppelkirchliche Stellung, nämlich gliedlich der Deutschen Methodistenkirche von Amerika anzugehören und dabei nicht sich zu der kirchlichen Stellung derselben, sondern zu der der ›Deutschen Evangelischen Synode von Nordamerika‹ zu bekennen, von Herrn v. Schlümbach zu verschaffen. Als Glied der ›Deutschen Evangelischen Synode von Nordamerika‹ muß ich mich ernstlich verwahren, daß unsere kirchliche Stellung nach der des Herrn v. Schlümbach beurtheilt werde.«

Die Synode stehe der Preußischen Landeskirche und innerhalb derselben der Positiven Union nahe, ein Glied der Bischöflichen Methodistenkirche könne aber nicht die kirchliche Stellung der Evangelischen Synode einnehmen.38 In Briefen an Richard C. Morse, den Generalsekretär des International Committee des YMCA in New York, schrieb Schlümbach von der bedrängten Lage, in der er sich derzeit befinde. »What a storm broke over my land for daring to introduce Am. and Engl. ideas ammy the young men, now some of them are already blessing the movement.« Unter der lutherischen Geistlichkeit schlage ihm großer Widerstand entgegen, aber in seiner Arbeit erfahre er täglich die Segnungen Gottes: »[B]elieve me dear Richard the Lord has used my poor services wonderfully to break down the barriers of prejudice and highchurchism! But oh what battles I had to go through, and got to feel all the lean peace in my soul, for Jesus was with me richly! a victory was followed by a victory glory be to the Lord, Hallelujah!«39

Zwei Wochen später wurde er in einem erneuten Brief an Richard Morse konkreter: »The battle has been hot, all winter + spring + will not end until Aug. 1st – you have no idea how some of these preachers fight me step by step, and for no other reason, than: that I am not a lutheran minister! Although everyone thus far acknowleged that I preach nothing erretic, at least not one thus far has charged me with wrong doing in my dogmas preached, only they say 1) he is an american 2) he belongs to the Methodists 3) he is bringing new ideas for Germany + they are so foolish as to look down on every one who dares to do this! But thank God the Lord is with me + gives me daily grace + patience + power! The meetings are well attended and many of the lower as well as upper classes testify to the blessings received. [. . .] I only accept invitations, and never arrange for myself, so no one can blame me, if I had strength I have invitations to occupy me another year, but I must rest or become lost. I will may be accept a call in fall of 1884 but leave this to Jesus.«40 38

A.Th.: Mittheilungen aus Nord-Amerika. In: EKA 1883, S. 264–265, dort 265. Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Hamburg vom 18. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 40 Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Kiel vom 30. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 39

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Die Einladungen, die Schlümbach in Schleswig-Holstein angenommen hatte, führten ihn nach Hanerau/Hademarschen, Neumünster, Kiel, Flensburg und Sonderburg.41 Nach Hademarschen kam Schlümbach am Sonntag Kantate anlässlich des Missionsfestes des Landesvereins für Innere Mission, wo er zusammen mit Jasper von Oertzen auftrat. Schlümbach sprach über 1. Joh. 3,3–16 (ein »ebenso interessanter als lehrreicher Vortrag«, »Wenn man’s nicht gewußt, daß er Methodist ist, so hätte man es seiner Rede kaum abmerken mögen, aber einige Brocken fielen mir doch auf«, schreibt der lutherische Berichterstatter). Die Nachfeier hatte Gesprächscharakter, und Schlümbach forderte öffentliche Gebetsstunden für »Jünglinge und Jungfrauen« zur Auferbauung. Generell war er von mehreren Pastoren »zur Erweckung« in die Region eingeladen worden.42 In Neumünster und im Norden der Provinz redete Schlümbach vor großen Versammlungen.43 In Kiel wirkte er von Ende Mai bis Anfang Juni und hielt Versammlungen in unterschiedlichen Lokalen, unter anderem in der Harmonie und in Gaarden im Alhambra und im Apollosaal. Ein jugendlicher Besucher erinnerte sich später an diese großen Schlümbach-Versammlungen: »Das war damals noch etwas ganz Neues, und viele Arbeiter kamen rauchend mit dem Hut auf dem Kopf in die Versammlung, setzten sich an die Tische und ließen sich Bier bringen. Die Einberufer schüttelten die Köpfe und wußten nicht, wie sie es anfangen sollten, eine würdige Haltung zu erreichen. Aber Schlümbach, der wohl schon oft in solchen Lagen gewesen sein mochte, beruhigte sie. Als er dann angefangen war, dauerte es gar nicht lange, so gingen die Zigarren aus, die Hüte kamen vom Kopf, und ans Biertrinken dachte keiner mehr, so packte sie das Zeugnis dieses Mannes.«44

Über Schlümbachs Versammlungen im Apollosaal »vor zahlreichem Publikum der verschiedenen Stände« schreibt das Kieler Tageblatt: »Er besitzt in einem ganz ungewöhnlichen Grade die Gabe echt populärer Rede, so daß er jedem Zuhörer irgendwelchem Bildungsgrades verständlich werden und ihm ans Herz dringen muß«. Das, was man gemeinhin für »methodistisch« hielt, wurde für seine Person zurückgewiesen: »Weder von krankhaftem Pietismus, noch von einem specifisch amerikanischen Wesen ist das Geringste bei ihm zu spüren; alles ist frisch aus dem Leben und dem deutschen Gemüthe angemessen.«45 Neben den bereits skizzierten Konflikten führte Schlümbachs Wirksamkeit aber auch zu Auseinandersetzungen in der bestehenden Vereinsstruktur. 41

Vgl. die Ankündigung in NEKZ 1883, Sp. 324. Vgl. H. R.: Zur Erweckung. In: KKA 1883, o. S. (Privatarchiv Karl Heinz Voigt). 43 Vgl. [o.N.:] Pastor v. Schlümbach. In: NEKZ 1883, Sp. 413–414, dort 414. 44 J. Grohmann: Erinnerungen aus 70 Jahren Kieler Gemeinschaftsarbeit. In: Gemeinschaftsfreund 53 (1937) 65–68, dort 67. 45 Kieler Tageblatt vom 2. 6. 1883 (unpaginierte Abschrift, Privatarchiv Karl Heinz Voigt). 42

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Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und anderen Regionen (1883)

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Im Landesverein für Innere Mission kam es zu Differenzen, weil einige Mitglieder Schlümbach aktiv unterstützt beziehungsweise eingeladen hatten. Pastor Palmer, früher Vereinsgeistlicher, trat aufgrund dieses Konfliktes aus dem Vorstand des Vereins aus.46 Auf einer Konferenz der Jünglingsvereine des Nordbundes setzte Pastor Hofmeyer aus Lübeck durch, dass keine Mitglieder von »Secten« Vereinsmitglied werden konnten und auch keine Mitarbeit derselben möglich war, »damit die Vereine nicht ein Tummelplatz sectirischer [sic] Bestrebungen werden«.47 Es ist wahrscheinlich, dass es sich bei dieser ganzen Sache nicht zuletzt um eine Reaktion auf Schlümbach handelte. Aufgrund der schweren Vorwürfe, mit denen Oertzen überschüttet wurde, beugte er sich diesem Beschluss, er stimmte sogar dafür, wenngleich er bisher betont hatte, dass die Methodisten nicht unter die Sekten zu rechnen seien. Im Hintergrund dessen stand die Gefahr oder konkrete Drohung, dass die Vereine Altona und Lübeck im Falle der Ablehnung dieses Antrags aus dem Nordbund ausgetreten wären. Hofmeyer setzte von Oertzen unter Druck, sich so schnell wie möglich von Schlümbach zu trennen. Von Oertzen setzte dem entgegen, dass er als Laie es sich doch wohl erlauben könne, »einen Mann in die Gemeinden einzuführen, von dem die Pastoren lernen könnten, wie sie praktisch das Evangelium verkündigen müssten«. Er sagte aber bezeichnenderweise auch, dass, wenn er Pastor oder Superintendent wäre, er »den Finger warnend gegen Schlümbach aufheben« würde.48 Paulsen ging davon aus, dass mit diesen Auseinandersetzungen und dem Einknicken von Oertzens »die Schlümbachiade für unser Land tot ist«.49 Zur gleichen Zeit war aber bereits die Landessynode in Rendsburg in vollem Gange, auf der auch Schlümbach Gegenstand der Auseinandersetzung war, allerdings nur mittelbar. Eigentlich ging es um die Weiterbewilligung einer jährlichen verpflichtenden Kollekte für die Innere Mission, aus der vom Konsistorium auch Gelder an den Landesverein überwiesen wurden. Dieser nun hatte sich den Unmut zahlreicher Synodaler zugezogen, da er dem Pastor Harder aus Dithmarschen die Aufnahme verweigerte. Harder wiederum hatte sich durch allerlei Agitationen für die theologisch liberale Strömung in der Landeskirche stark gemacht und war auch kirchenpolitisch in dieser Hinsicht aktiv geworden. Zur Debatte stand also der Kurs des Landesvereins für Innere Mission, und in diesem Zusammenhang brachten Synodale das Engagement Schlümbachs kritisch zur Sprache. In einem Redebeitrag des Synodalen Brütt brachte dieser seine Bedenken zum Ausdruck, dass der Landesverein »den Methodisten Herrn von Schlümbach aus Ame46

Vgl. Voigt: Schlümbach (Privatarchiv Karl Heinz Voigt). Vgl. NEKZ 1883, Sp. 527. 48 Vgl. [o.N.:] Pastor v. Schlümbach. In: NEKZ 1883, Sp. 414; Evangelische im Reiche [Aus dem Kropper Kirchlichen Anzeiger]. In: EKA 1883, S. 201. 49 Vgl. Kirchliches. In: KKA 1883, S. 93. 47

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

rika herbeiruft, um mit seinen methodistischen Lehren dem Verein zu dienen«50. Andreas Graf Bernstorff stellte daraufhin in der Debatte klar, dass keinesfalls der Landesverein Schlümbach berufen habe, sondern Einzelpersonen – zu denen er sich selber zählte –, die Mitglieder des Landesvereins seien. Schlümbach habe wie in Berlin ausschließlich für die Landeskirche gewirkt und sich damit stets an die Absprachen gehalten.51 Als zwei Tage später abschließend über die Kollekte für die Innere Mission beraten wurde, kochte das Schlümbach-Thema erneut hoch, als der Synodale Theodor Wilhelm Jeß, Propst in Kiel, sein Unverständnis darüber zum Ausdruck brachte, wie im Verein nur zum Mittel der Berufung eines methodistischen Predigers gegriffen werden konnte, um »durch die Anwendung außerordentlicher Mittel die Entwicklung des Vereins zu fördern«52. Das Argument, Schlümbach wirke allgemein für das evangelische Christentum, verfange nicht: »Ich kenne so ein allgemeines evangelisches Christentum nicht; sondern es ist entweder ein lutherisch- oder ein reformiert-, - oder auch ein methodistisch gefärbtes. [. . .] Der Methodismus steht doch unserem lutherischen Standpunkt absolut fern.«53 Er könne sich gar nicht vorstellen, wie ein Methodist die Grundlagen seiner Sekte so zurückstellen könnte, dass man es nicht merke. Allerdings argumentiere er nur aufgrund literarischer Studien. Der Synodale Mau reagierte auf diesen Beitrag, indem er unterstrich, dieses ganze Thema sei für die Beschlussfassung der Landssynode eigentlich nicht von Belang, »da der Landesverein als solcher mit Herrn v. Schlümbach nichts zu thun hat.«54 Das war sachlich richtig, die ganze Diskussion zeigt aber, wie sehr die Berufung Schlümbachs eingeflochten war in ein Netz kirchenpolitischer Befindlichkeiten. Doch nicht nur in Berlin und Schleswig-Holstein wurden 1883 Schlümbachs Dienste gewünscht, sondern auch aus anderen Teilen des Reiches wurden Termine an ihn herangetragen. Aber bei weitem nicht alle konnte er wahrnehmen.55 Zu den Terminen, die er annahm, gehörte eine Predigt im Magdeburger Dom am 14. Januar im Rahmen des Stiftungsfestes des dortigen evangelischen Jünglingsvereins.56 Inhaltlich im Zentrum stand die Frage der Sonntagsheiligung, um die es in Magdeburg Auseinandersetzun-

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Verhandlungen der Gesamtsynode, S. 146. Vgl. Verhandlungen der Gesamtsynode, S. 152. 52 Verhandlungen der Gesamtsynode, S. 201. 53 Verhandlungen der Gesamtsynode, S. 202. 54 Verhandlungen der Gesamtsynode, S. 204. 55 So hatte er z. B. im Januar vom Bremer Jünglingsverein die Anfrage erhalten, die Festrede bei dessen diesjährigem Jünglingsfest zu halten, was sich aus terminlichen Gründen aber nicht verwirklichen ließ; vgl. die Abschrift aus dem Bremer Protokollbuch im Privatarchiv Karl Heinz Voigt. 56 Vgl. die Anzeige in der Magdeburgischen Zeitung im Privatarchiv Karl Heinz Voigt. 51

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Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und anderen Regionen (1883)

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gen geben hatte und deren strikte Befürworter Schlümbach als Redner engagiert hatten. Eindrücklich machte er deutlich, wie wichtig ein Tag des Innehaltens und der Sammlung für den einzelnen Menschen, die Familie und die ganze Gesellschaft sei.57 Von seiner Tätigkeit in Hamburg aus unternahm Schlümbach zwei abendliche Vortragsveranstaltungen in Bremen, im St. Stephani-Gemeindehaus und in der St. Paulikirche58, am 11. und 12. April.59 Während seiner Zeit in Holstein liefen die Planungen für eine erneute Wirksamkeit Schlümbachs im Rheinisch-westfälischen Jünglingsbund im folgenden Sommer. Diese sollte »nicht bloß Jünglingsversammlungen, sondern auch freie Evangelisationsversammlungen« umfassen.60 Zahlreiche Anfragen bezüglich eines Dienstes Schlümbachs waren bei Krummacher eingegangen.61 Das Programm sah schließlich so aus, dass Schlümbach am 24. 6. in Blankenstein, vom 25.–26. 6. in Bielefeld, vom 28.–29. 6. in Wallenbrück, vom 30. 6.–1. 7. in Laar und vom 2. 7. an im Wuppertal arbeiten sollte. Veranlasst durch die Wirksamkeit Schlümbachs in Bielefeld beschäftigte sich eine lutherische Pastoralkonferenz dort mit dem Methodismus, auf der wohl auch namentlich vor Schlümbach gewarnt wurde.62 Einige Geistliche rieten sehr eindringlich davon ab, »daß man die methodistisch gerichteten Leute hierher ruft«.63 Pastor Braun aus Gütersloh warnte aufs Schärfste davor, übereilt methodistisch gesinnte Festredner einzuladen. Sein Hauptpunkt war, dass die herbeigerufenen Prediger oft nur für Aufweckung, aber nicht für Seelenpflege sorgten: »Aber so sehr wir auch wünschen, daß Sünder aufgeweckt werden, so kommt es doch schließlich darauf an, daß sie selig werden«. Seine weiteren Ausführungen lassen sich eigentlich nur dahingehend verstehen, dass die methodistischen Erweckungsprediger noch sehr viel stärker auf Gemeinschaftsbildung hin dringen müssten, um eben auch weiterhin Verantwortung zu übernehmen, da die landeskirchlichen Gemeinden dazu nur eingeschränkt in der Lage zu sein schienen. Aber verglichen mit dem, wie offenbar eine gute Gemeindearbeit aussehen müsste, könne er das, was der 57

Vgl. Aus unseren Vereinen. In: JB 1883, S. 46–47. Vgl. die entsprechende Notiz in: Ev. 1883, S. 125. 59 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 63. 60 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 63. Ende Mai besuchte Fleming H. Revell (1849–1931), der Schwager Moodys und Herausgeber dessen Schrifttums, Schlümbach für einen Tag in Schleswig-Holstein, reiste weiter nach Berlin und traf auf seiner Rückreise erneut mit ihm zusammen. Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Kiel vom 30. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 61 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 84–85, dort 85. 62 Vgl. [o.N.:] Pastor v. Schlümbach. In: NEKZ 1883, Sp. 413–414, dort 414. 63 Vgl. Erneute Angriffe. In: EB 1883, S. 196–197. 58

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Methodismus bringt, nur eine »Vergiftung des geistlichen Lebens« nennen.64 Das Problem, vor dem Braun bei seiner Argumentation stand, war, dass die Berufung eines methodistischen Predigers zur Arbeit in einer landeskirchlichen Gemeinde eine absolute Ausnahme darstellte. Das Modell der Arbeit Schlümbachs war singulär. Wenn methodistische Prediger evangelisierten, dann taten sie dies ohne landeskirchlichen Auftrag und zielten auf verbindliche Gemeinschaftsbildung. Schlümbach dagegen bemühte sich um eine angemessene Begleitung der Erweckten innerhalb der Landeskirche. Im Wuppertal wurde Schlümbach am 3. 7. 1883 von Krummacher eingeführt, um eine Reihe von Evangelisationsversammlungen im Elberfelder Vereinshaus zu beginnen. Am 7. 7. fand eine Versammlung von »Jünglingen und Männern« im Barmer Vereinshaus statt, am 8. 7. 1883 predigte Schlümbach beim Kreisfest in Radevormwald. Darauf folgten Versammlungen in Barmen. Den Abschluss seiner Tätigkeit im Westen stellte schließlich die Predigt beim Kreisfest in Krefeld am 15. 7. dar.65 In der Krefelder Friedenskirche redete Schlümbach, »der liebe vielgeschmähte Mann«66, über 1. Joh. 5,18–21. Vereinspräses Schmidt äußerte später: »das war heute Morgen kein amerikanisches Christentum, sondern das eine wahre Evangelium, worauf wir leben und sterben können«. Schlümbach hielt auch bei der Nachfeier noch eine anspornende Ansprache vor 400 Jünglingen.67 Bereits seit Mai hatten sich bei Schlümbach die Gesundheitsprobleme wieder verstärkt, er fühlte sich überarbeitet und er sah die Gefahr eines erneuten Zusammenbruchs wie zwei Jahre zuvor heraufziehen. Von daher nahm er sich vor, den Rat seiner Freunde zu befolgen und trotz der zahlreichen Einladungen – »invitations pour in from all sides and I had to say 100 times No already, when my heart gladly would have said Yes!«68 – einige Monate vom Evangelistendienst zu pausieren, um wieder zu Kräften zu kommen. Bis zum 1. August hatte er Verpflichtungen übernommen, Ende September oder Anfang Oktober wollte er von Bremen aus in See stechen und über New York direkt nach Texas weiterreisen, um dort als Farmer zu leben. Freunde aus Deutschland hatten ihm die Mittel dafür zugesagt. Außerdem plante er seine seit vier Jahren verwitwete Stiefmutter und deren Schwester dorthin mitzunehmen. Diese Auszeit sollte maßgeblich aus Ruhe und Studien bestehen, während denen ihm hoffentlich klar werden würde,

64 Vgl. P. Schweikher: Die lutherische Konferenz in Bielefeld. In: MH 1883, S. 116–117, dort 116 mit Kritik an Braun. Die Passage aus der Rede Brauns wird auch in EB 1883, S. 196– 197 zitiert. 65 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 109–110. 66 Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 127. 67 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 127. 68 Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Hamburg vom 18. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«).

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Wirksamkeit in Schleswig-Holstein und anderen Regionen (1883)

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was Gott weiter mit ihm zu tun gedenke. Seinen Freunden in Deutschland könne er lediglich das Versprechen geben, zurück zu kommen.69 Allerdings liefen im Hintergrund schon die finanziellen Vorbereitungen für eine weitergehende Tätigkeit Schlümbachs in Deutschland. Morse – offenbar war er nun doch in die Sache involviert – hatte seine Hilfe angeboten, für weitere Mittel zu sorgen. Niedringhaus hatte 200 Dollar pro Jahr zugesagt, George Williams und William Seagram jeweils 100 Pfund für den Fall, dass Schlümbach ein weiteres Jahr in Deutschland bleiben wolle.70 Das Komitee des Rheinisch-westfälischen Jünglingsbundes in Elberfeld hatte ihm – so schreibt er – sogar die Leitung des »YMCA« in Deutschland unter Krummacher angetragen, aber er hatte zu viel Heimweh nach Amerika, um für immer in Deutschland zu bleiben. Die deutschen Freunde wünschten jedenfalls sein Rückkehr für 1884, aber Schlümbach war noch unentschieden; auf jeden Fall würde die Internationale YMCA-Konferenz in Berlin 1884 ein Anlass sein, und wenn »der Herr« ihn für ein weiteres Jahr in Deutschland haben wolle, werde er nicht zögern zu gehen. Seine Mitstreiter in Berlin machten eine gute Arbeit; Schlümbach hoffte nur, dass sie auch finanziell durchhielten.71 Der Fonds, der von Paton aus dem Umfeld des Londones YMCA verwaltete wurde, wies insgesamt wohl mehr Einzahlungen aus England auf als aus Amerika, für Schlümbach doch ein Indiz dafür, wie wenig die Wichtigkeit seiner Arbeit in Amerika verstanden würde. Seine innere Zerrissenheit wird deutlich, wenn er von Deutschland als »my land« spricht, gleichzeitig aber Heimweh nach Amerika äußert.72 Inzwischen waren bereits die Pläne für die Rückreise nach Amerika gediehen. Am 7. 9. wollte Schlümbach von Hamburg abreisen, um am 13. September von Glasgow aus mit der Circassia in See zu stechen und etwa am 24. September in New York einzutreffen. Für seine Ankunft in New York würde er noch die nötigen Arrangements mit dem Präsidenten des deutschen Jünglingsvereins, Witte, und seinem Bruder Alex treffen. Er sei auch bereit auf Englisch oder Deutsch vor den Geschwistern in der Assocation Hall zu sprechen, auch wenn ihm wohl eher nach Schweigen zu Mute sein würde.

69 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Hamburg vom 18. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 70 Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Hamburg vom 18. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 71 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an J. T. Bowne vom Sommer 1883 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882–1884«); Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse vom 19. 12. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 72 Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Hamburg vom 18. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«).

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Schlümbach plante, in großer Gesellschaft unterwegs zu sein: er selbst, seine Frau, Mutter und Tante und die Kinder als Familie, daneben 10–15 junge Emigranten – das war der Stand Ende Mai –, die Schlümbach für ein Siedlungsprojekt in Texas begeistern konnte. Deren Zahl wuchs »täglich«, so dass er im Sommer nach Amerika schrieb, etwa 30 Personen gehörten zu den mit ihm reisenden »Circassia Independents«. Morse sollte bei Vanderbilt in New York versuchen, verbilligte Tickets für die Weiterreise gen Süden zu bekommen. Ziel sollte Waco sein, wo er gedachte, sich in dem ihm wohlbekannten fruchtbaren Umland niederzulassen; Morse beauftragte er damit, Informationen über Frachtkosten etc. einzuholen. Der im US-YMCA für Bibliothekarisches und Archivalisches zuständige Jacob T. Bowne sollte für ihn zwei Bücher besorgen: »How to build a house« und »Barns and Anthouses« – Schlümbach hatte sie im Anzeigenteil des Watchman gesehen und brauchte sie dringend.73 Vor seiner Rückreise hielt Schlümbach noch einmal religiöse Versammlungen in Berlin, und ließ in den Blättern seine Pläne veröffentlichen, wegen der Ordnung von Familienverhältnissen im September nach Amerika zurückkehren zu wollen – seine angegriffene Gesundheit wollte er offensichtlich nicht publik machen. Ob er im folgenden Jahr dem Wunsch deutscher und englischer Freunde entspreche, weiter in Deutschland als Evangelist und für die Jünglingsvereine zu wirken, müsse er noch offen lassen.74 Seine Abschiedsfeier in Berlin fand am 5. September im »Friedefürst« am Wedding statt. Im Reichsboten dazu eingeladen hatte ein Festkomitee, bestehend aus Pastor Laacke, v. Rothkirch, Phildius und Graf Pückler.75 Im Rahmen dieser Abschiedsfeier äußerte sich Schlümbach sehr positiv über die deutschen Landeskirchen. Der Christliche Apologete bemerkte kritisch zu dieser »Lobrede auf die Staatskirche«, dass »wir [sie] in seinem Munde und bei den Erfahrungen, die er selbst gemacht hat, nur schwer verständlich finden. Er scheint die preußische Staatskirche nur nach Stöcker, Christlieb und anderen gleichgesinnten Männern zu beurtheilen. Ein solches Urtheil ist jedoch viel zu einseitig. Würden nur solche Elemente die Staatskirche ausmachen

73 Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Kiel vom 30. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«) und Brief Friedrich von Schlümbachs an J. T. Bowne aus Markgröningen vom Sommer 1883 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882-1884«). Über Schlümbach ließ J. T. Bowne, der Bibliothekar des Internationalen Komitees, wiederum einen Aufruf an die Jünglingsvereine in Deutschland veröffentlichen, ihm für den Aufbau einer historischen Bibliothek Schriftstücke zur Geschichte der Jünglingsvereine in Deutschland zukommen zu lassen. Schlümbach veröffentlichte diesen Aufruf am 15. August von Markgröningen aus; vgl. An alle Vereine Deutschlands. In: JB 1883, S. 136. 74 Vgl. Redaktionelle Notizen. In: EKA 1883, S. 317. 75 Vgl. Redaktionelle Notizen. In: EKA 1883, S. 317.

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Neuorientierungen (1883–1884)

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(wir wollten Gott dafür danken), dann, ja dann wären sicherlich auch die Methodisten mit ihrer Arbeit fern geblieben.«76

Sein Verhältnis zur preußischen Landeskirche hatte Schlümbach in den letzten Wochen gründlich überdacht.

4. Neuorientierungen (1883–1884) 4.1 Austritt aus der Methodistenkirche Im Juli 1883 veröffentlichte Friedrich von Schlümbach ein »Offene[s] Wort zum Abschied«, in dem er – für viele überraschend – nicht nur Abschied von Deutschland nahm: »Da ich durch die Gnade Gottes meine evangelistische Thätigkeit in Deutschland, nach den von mir angenommenen Einladungen, - habe glücklich beenden dürfen, und nun behufs Ausruhens und Ordnens von Familienverhältnissen, in wenigen Wochen wieder in mein liebes Amerika zurückkehren darf, halte ich es für zeitgemäß, ein Wort zur Feststellung von Thatsachen, sowie zur Aufklärung mit meiner Unterschrift zu veröffentlichen, denn die Erklärungen meiner Freunde, welche von Zeit zu Zeit der Oeffentlichkeit übergeben worden sind, scheinen immer noch auf Missdeutungen und Unglauben hier, wie in Amerika, zu stoßen. Nachdem ich vom Jahre 1872 an auf verschiedenen Plätzen der Bischöflichen Methodisten Kirche gewirkt hatte, erging an mich im Jahr 1878 von dem Internationalen Committee der christlichen Jünglingsvereine Amerika’s, in welchem alle dortigen evangelischen Kirchen Vertretung haben, der Ruf, mich allen Jünglingsvereinen, besonders aber den deutsch-amerikanischen, zur Propaganda ihrer Sache zu Diensten zu stellen. Ich nahm mit Aufgebung meiner bisherigen pastoralen Thätigkeit, den Ruf an und habe in dieser Weise bis zum Jahre 1881 in den Vereinigten Staaten gewirkt. Erst in jenem Jahre fand ich es dann für passend, aus dem Conferenzverband der Bischöflichen Methodisten-Kirche auszutreten, um für freiere Thätigkeit als Evangelist Raum zu gewinnen, - ohne jedoch gänzlich von jener Kirche, welcher ich nächst Gott so viel verdanke, was zu meinem jetzigen Wirken von Nutz und Frommen ist, mich zurückzuziehen, da mir ja in keiner Weise aus diesem Verhältnisse für meine evangelistische Wirksamkeit in Amerika Hindernisse entstehen konnten. Mein Gesundheitszustand im Winter 1881/82 schien meine ganze Thätigkeit lahm legen zu wollen und war der Zweck meiner Reise nach Deutschland nur der, Heilung zu suchen; durch Gottes Gnade und Barmherzigkeit wurde mir dieselbe auch im Frühling 1882 völlig zu Theil. Die damals durch die theuren Brüder Pastor K. Krummacher, Elberfeld, Prof. Dr. Th. Christlieb, Bonn, Herr Hofprediger Stöcker, Berlin, Baron von Oertzen, Hamburg, Graf A. von Bernstorf, Berlin etc. mir gewordenen Einladungen, theils im Interesse der Jünglingsvereine, theils in evangelistischer Thä76

Editorielle Notizen. In: CA 1883, S. 357.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

tigkeit zu wirken, in welcher ich den Ruf Gottes deutlich zu erkennen glaubte, - besonders da ohne mein Zuthun liebe Freunde in England und Amerika die damit verbundene Finanzfrage so freundlich ordneten, - brachte mich unerwarthet in meine alte Thätigkeit zurück. Es schien mir nun geboten, alle etwa auftauchenden Gerüchte und Mißdeutungen in die Hände der mich berufenden Freunde zu legen, um so mehr, als ich denselben vollkommene Klarheit über mein bisheriges Leben gegeben hatte. – Es stand für mich fest, daß zum bleibenden Erfolg meiner evangelisatorischen Thätigkeit in Deutschland vor Allem ein Wirken innerhalb der bestehenden Landeskirchen die Grundbedingung sei, und ich verpflichtete mich deshalb auch für die Dauer meines hiesigen Wirkens, nicht nur im innigen Anschluß an die betreffenden Kirchen zu arbeiten, sondern auch die Anordnungen betreffs meiner Besuche und deren Zeitdauer in den einzelnen Gemeinden und Städten jenen anerkannten kirchlichen Vertrauensmännern vollkommen zu überlassen. Obgleich mir aus dieser meiner Stellung Schwierigkeiten und Angriffe aller Art entstanden sind, halte ich mich doch zu der Erklärung berechtigt, daß ich meinen Verpflichtungen überall getreulich nachgekommen bin. Dem Herrn sei Lob und Dank, daß er mich, seinen geringen Knecht, in diesem letzten Jahr meines Wirkens hier im alten Vaterlande so wunderbar geführt und, wie ich hoffe und glaube, zum Segen für manche Seele hat werden lassen. Dank sei auch all den lieben Freunden, welche mir so treu bei meiner Arbeit mit Rath und That beigestanden sind, trotz aller für sie daraus entstehenden Unannehmlichkeiten und Kämpfe. Möge der treue Herr, unser hochgelobter Heiland, sie dafür reichlich segnen! Da ich aber jetzt bald wieder, aus schon bemerkten Gründen, mit den lieben Meinigen nach Amerika zurückkehre, so glaube ich nun den rechten Zeitpunkt zu erkennen, in welchem ich, ohne Mißdeutungen ausgesetzt zu sein und meiner Ueberzeugung gemäß, als ein vom Herrn Jesu berufener Evangelist, die Erklärung abgeben sollte, daß ich im Laufe der Zeit meine Anschauungen über manche Dinge geändert habe, so daß ich mich den Regeln und Ordnungen der Bisch. Methodisten-Kirche nicht mehr aus vollem, freiem Herzen unterwerfen könnte, und deshalb mich schon genöthigt sehe, hiermit meinen formellen Austritt zu erklären, - mit dem Bemerken, daß ich die Brüder herzlich lieb habe und niemals vergessen werde, was sie mir durch Gottes Gnade geworden sind. Welcher kirchlichen Benennung ich mich in Amerika anschließen werde, behalte ich mir vor an Ort und Stelle zu entscheiden. Ich erwarte zuversichtlich, daß von allen Befürchtungen meiner Gegner betreffs Sektirerei, Auflösung des Bestehenden, Verwirrung der Gemüther etc. nichts in Erfüllung gehen oder sich bewahrheiten werde, wenigstens habe ich weder bewußter, noch unbewußter Weise solche Ziele im Auge gehabt. Ingelfingen, Württemberg, im Juli 1883. Fritz von Schlümbach.«1

Dieses Schreiben wurde in den kirchlichen Blättern zum Teil ausführlich kommentiert, zum Teil aber auch nur mit einer knappen Notiz zur Kenntnis genommen.2 In den nichtmethodistischen Organen wurde dabei meist die 1 2

Zit. nach CA 1883, S. 284. Auch wiedergegeben in Ev. 1883, S. 268–269. Vgl. z. B. den Eintrag unter »Correspondenzen« in NEK 1883, Sp. 563.

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Neuorientierungen (1883–1884)

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Zeile zitiert, dass sich Schlümbach den Ordnungen der BMK nicht mehr aus vollem Herzen unterwerfen könne3, im Evangelischen Botschafter der Evangelischen Gemeinschaft wurde dagegen betont, dass er die methodistischen Geschwister weiter lieb habe, und nicht weiter auf die Kirchenordnung rekurriert4. Wie die Kirchliche Monatsschrift, die gemäß der eigenen kirchenpolitischen Ausrichtung den Artikel als allgemein überzeugenden Beleg dafür ansah, dass die zahlreichen Angriffe gegen Schlümbach unbegründet gewesen waren, sah es auch der Jünglingsbote – doch der Evangelisch-kirchliche Anzeiger belehrte ihn eines besseren. Dort heißt es: »Der Widerspruch, den Schlümbachs Evangelistenthätigkeit fand, leitete sich keineswegs lediglich aus der Voraussetzung einer beabsichtigten oder nur bemäntelten bischöflich-methodistischen Propaganda her, welcher Verdacht ja schon dadurch ausgeschlossen war, daß Herr von Schlümbach unter Anweisung des Hofpredigers Stöcker und anderer landeskirchlichen Geistlichen, seine Wirksamkeit in Berlin übernommen hatte. Der Widerspruch richtete sich vielmehr gegen Schlümbachs methodistische Manier und gegen den Import des amerikanisch-englischen, auf Zahl und Erfolg gestützten Frömmigkeitstreibens, daß mit seinem Evangeliumsingen und Gebetssturmlaufen eine Betriebsmethode für Erweckung christlichen Lebens modern macht, welche in ihren Mitteln die Sensation, in ihren Wirkungen die momentane Gefühlserregung erstrebt. Uns deutschen Christen, die wir als Ziel den Ausbau unserer Volkskirche im Auge haben und als Weg ›Geduld und Glauben‹ kennen, ist diese Art unsympatisch. Wir können von ihr die religiöse Wiedergewinnung der Massen nicht erwarten, da dabei erfahrungsmäßig trotz allen Pochens auf die großen Erfolge schließlich doch nur kleine Palliativmittelchen herauskommen, während der Weg der organisierten Kirche mit ihrer Verkündigung des Wortes und Austeilung der Sakramente, Hand in Hand mit der stillen Arbeit der innern Mission, wohl ein längerer, aber auch ein gesegneterer ist. Man braucht da keine Enthusiasmierung durch Gefühlsregungen und Phantasieaufregungen, keine romantisch eingekleidete Erzählung von Bekehrungsgeschichten, keine interessante Wichtigthuerei mit der eigenen Person, mit persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen, kein Auskramen der innersten, individuellsten Herzensangelegenheiten, keine treibhausmäßigen Buß- und Glaubensexerzitien, kein voreiliges Erpressen und Erkünsteln von Gebetserfahrungen – sondern man hält sich einfach an die gesunde Lehre, an das Beispiel und den Vorangang unseres Herrn und Meisters und seiner Apostel.«5

Dieser Artikel wurde – wahrscheinlich von Krummacher – im Jünglingsboten so kommentiert: »Mit den hier ausgesprochenen allgemeinen Erwägungen können wir uns schon einverstanden erklären, bestreiten aber, das sie auf unsern Freund ihre Anwendung finden. Ist auch eine gewisse amerikanische Manier ihm nicht abzusprechen, so habe ich

3 4 5

So in NEK 1883, Sp. 563; WhZ 1883, S. 191; KM 1883, S. 861. Vgl. EB 1883, S. 293 unter Bezug auf die Wiedergabe des Artikels im Evangelist. Zit. nach: Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 149–150.

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doch nirgendwo methodistische Bekehrungstreiberei bei ihm wahrgenommen. Innerhalb unseres Bundesgebietes hat er in durchaus nüchterner, aber volkstümlicher und kräftig anfassender Weise das Evangelium verkündet. Das bezeugen seine Vorträge im Wupperthal und seine Predigten in Krefeld und Rade vorm Wald. Wenn er gelegentlich auch seiner Bekehrung Erwähnung thut und des traurigen ›einst‹, aus dem ihn die Gnade Gottes herausgerissen hat, so tritt er damit in die Fußtapfen des großen Heidenapostels, der wiederholt in seinen Briefen auf seine Bekehrung zu reden kommt und sie ausführlich erzählt. Ein zu häufiges Reden von persönlichen Erfahrungen im Glaubensleben hat ja gewiß seine Bedenken; ich habe aber nicht wahrgenommen, daß unser Freund von Schlümbach in diesen Fehler verfallen ist. So wolle des Herrn Gnade ihn auch fernerhin geleiten auf allen seinen Pilgerwegen.«6

Ausführlichere Reaktionen finden sich auch im Evangelist und im Christlichen Apologeten. Der Evangelist drückt ein mehrfaches Bedauern aus; zum einen über den Austritt Schlümbachs, zum anderen aber auch über die kirchlichen Zustände in Deutschland, die diesen Austritt wohl wesentlich mit veranlasst und Schlümbach in diese schwierige Lage gebracht hätten. Es ist interessant zu sehen, dass hier in Bezug auf Deutschland eine »Zerfahrenheit und Trennung selbst unter den Gläubigen« konstatiert wird, die anders herum ja üblicherweise als Vorwurf in Bezug auf Amerika gebraucht wird. Wenn Schlümbach meine, durch seinen Austritt aus der Methodistenkirche freier als Evangelist wirken zu können, so sei das seine Sache und man wolle ihm deswegen nicht grollen. »Wir wünschen ihm zu seiner Arbeit Gottes Segen, denn auch unser Hauptziel und größter Wunsch ist – nicht die Ausbreitung der Methodistenkirche, sondern – das Kommen des Reiches Gottes, die Rettung der unsterblichen Seelen.«7 An Wilhelm Nast als Herausgeber des Christlichen Apologeten hatte sich Schlümbach im August 1883 selbst gewandt, um seinen Schritt zu erläutern. Nast schreibt auf Grundlage dieses Briefes in seiner Einleitung zur Wiedergabe des Artikels aus dem Reichsboten, Schlümbach habe sich zu diesem Schritt gedrungen gefühlt, »um auf diese Weise den gläubigen Predigern und Laien der deutschen Landeskirchen den unwiderlegbaren Beweis zu geben, daß er sich nicht mit dem Gedanken getragen habe, Proselyten zu machen für die Methodisten-Kirche, sondern einzig und allein Seelen zu gewinnen für den Herrn. Dadurch erhofft er bei seiner späteren Rückkehr nach Deutschland ein freieres Feld und mehr Sympathie für seine Thätigkeit zu gewinnen.«8

6

Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1883, S. 150. [O. N.:] Von Bruder von Schlümbach. In: Ev. 1883, S. 268–269, dort 269. Auch wiedergegeben unter Editorielle Notizen in CA 1883, S. 300. 8 [O. N.:] Bruder von Schlümbachs Austritt aus der Methodisten-Kirche. In: CA 1883, S. 284. 7

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Neuorientierungen (1883–1884)

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Demnach hätte Schlümbach also in Richtung seiner methodistischen Freunde vor allem vom Zweck, nämlich einer erneuten Tätigkeit in Deutschland, her argumentiert, und weniger Probleme mit der Kirchenordnung kommuniziert. Damit bestärkte er die mit der Austrittserklärung einher gehende Vermutung Nasts, sie sei vor allem kirchenpolitischer Opportunität und weniger innerer Überzeugung geschuldet. So macht dieser denn auch deutlich, dass Schlümbach als Lokalprediger wohl kaum Hindernisse vonseiten der Kirche für seine Wirksamkeit in den Weg gelegt worden sein könnten. Vielmehr erkennt er »zwischen den Zeilen« die eigentliche Ursache für den Austritt Schlümbachs in der »heftigen[n] Opposition«, die ihm in Deutschland entgegentrat, um jeden Einfluss der »Sekten«, und sei er auch noch so heilsam, zurückzudrängen.9 Dass er damit nicht falsch lag, zeigen die Aktivitäten des Evangelisationskomitees, das Schlümbach berufen hatte, im Herbst 1883. Zur Lutherfeier veröffentlichte dieses einen Aufruf im Londoner Christian, um Beiträge für Evangelisationsarbeit in Deutschland zu beschaffen. Darin heißt es, man wolle explizit mit den etablierten protestantischen Kirchen zusammenarbeiten und nach den gleichen Grundsätzen wie die Evangelisationsgesellschaft in London wirken. Zu diesem Zeitpunkt war bereits öffentlich geworden, dass das Komitee in Bonn ein Gebäude erworben hatte, um eine Evangelistenschule zu gründen.10 Die Erklärung, die Theodor Christlieb in Deutschland abgab, markierte den Weg, den man nach den Erfahrungen mit Schlümbach zu beschreiten gedachte: »Die Arbeit des letzten Jahres, der unbillige Aufschrei der Lutheraner gegen Schlümbach, obschon er stets in der Landeskirche communizirte, der Widerstand der Geistlichen Hamburgs gegen ihn usw., haben uns klar gezeigt, daß der von uns beabsichtigte undenominationelle Charakter des Werkes ein Ding der Unmöglichkeit ist, wenn das Werk sich ausbreiten und selbsterhaltend werden soll. Wir haben daher festgesetzt, weil anders die großen Volksmassen gar nicht zu erreichen sind, wenn nicht wenigstens einige landeskirchliche Geistliche sich der Sache mit annehmen, daß der Verein im Anschluß an die Geistlichen der Landeskirche (nicht abhängig von ihnen oder dem Kirchenregiment; er bleibt eine ganz freie Gesellschaft), d. h. an die ernsten, evangelisch gesinnten, eifrigen Seelsorger der bestehenden Kirchen arbeiten muß. Die Evangelisten müssen in die Landeskirchen eingetreten sein, in ihr das Abendmahl nehmen, nur dahin gehen, wo wenigstens ein Pastor sie ruft und sie einführt. Natürlich nicht so, daß wir es den Erweckten nicht freistellen, in welcher Gemeinde oder Kirche sie nun fortan ihre geistliche Pflege suchen sollten; aber doch so, daß wir als das

9 Vgl. [o.N.:] Bruder von Schlümbachs Austritt aus der Methodisten-Kirche. In: CA 1883, S. 284. Mit geringen Kürzungen auch wiedergegeben unter »Ueber Br. v. Schlümbach’s Austritt« in: Ev. 1883, S. 316–317. 10 Vgl. H.: Rückblick auf das Jahr 1883 II. In: EKA 1883, S. 513–514, dort 513. Hülle sah in diesen Plänen den Versuch, die angespannte kirchenpolitische Situation zu befrieden.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Gewöhnliche voraussetzen, daß sie einer landeskirchlichen Gemeinde (in der sie fast alle getauft sind), sich wieder anschließen.«11

Christliebs Modell einer »undeminationellen« Evangelisationsarbeit hatte sich in Deutschland nicht verwirklichen lassen. Zu groß waren die Widerstände gewesen. Entgegen seiner weiten »ökumenischen« Gesinnung musste von daher die Arbeit in noch engerem Anschluss an die Landeskirche geschehen. Dass die Evangelisten »in die Landeskirche eingetreten sein« müssen, zeigt, dass er dabei weiter an Schlümbach dachte – die Formulierung ergäbe angesichts der konfessionellen Gegebenheiten in Deutschland sonst keinen Sinn.12 In dieser prononciert landeskirchlichliche Orientierung sah Nast ein wesentliches Moment für seine Einschätzung des Austritts Schlümbachs. Entsprechend hob er in der Wiedergabe der Erklärung im Christlichen Apologeten die Zeile »Die Evangelisten müssen in die Landeskirche eingetreten sein« im Druckbild auch besonders hervor. Hier sei die eigentliche Triebfeder zu suchen, Schlümbach habe sich lediglich nicht so freimütig geäußert wie Christlieb. Ob der Austritt tatsächlich positive Auswirkungen auf eine weitere Tätigkeit Schlümbachs haben werde, bezweifelte Nast: »Nach unserem Dafürhalten hat Br. v. Schlümbach den größten und folgeschwersten Irrthum seines Lebens begangen. Durch seinen Austritt aus der MethodistenKirche unter diesen Umständen hat er viel verloren und nichts gewonnen.« Denn die Opposition gelte ja nicht einfach dem Kirchennamen, sondern der als methodistisch empfundenen Arbeitsweise Schlümbachs. »Läßt er sich aber zu noch weiterer Nachgiebigkeit verleiten und bequemt sich ihnen mehr an in seiner Wirkungsweise, so ist er ein geschorener Simson und seine Kraft ist geschwunden.« In gewisser Weise sollte Nast Recht behalten, aber er unterschätzte das kirchenpolitische Programm Theodor Christliebs, wenn er schreibt, dass »lebendiges Christentum wenig von dem deutschen Staatskirchenthum zu hoffen hat«13. Einige Monate später äußerte sich Schlümbach selbst im Christlichen Apologeten zu seinem Austritt. Er nennt dort zwei wesentliche Gründe: erstens fühlte er sich schon länger zum Evangelisten unter den Deutschen berufen, habe sich dabei aber – schon in Amerika – durch die Kirchenordnung der Bischöflichen Methodistenkirche immer wieder behindert gesehen. Daher sei es für ihn der richtige Schritt gewesen, dieses Band zu lösen. Zweitens habe sein Aufenthalt in Deutschland die Liebe zu seiner »lutherischen Mutterkir11 Der Text ist wiedergegeben in: Bruder von Schlümbachs Austritt aus der MethodistenKirche. In: CA 1883, S. 284. 12 Vgl. dazu insgesamt Voigt: Schlümbach. 13 [O. N.:] Bruder von Schlümbachs Austritt aus der Methodisten-Kirche. In: CA 1883, S. 284. Mit geringen Kürzungen auch wiedergegeben unter »Ueber Br. v. Schlümbach’s Austritt«. In: Ev. 1883, S. 316–317.

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che« wieder wachgerufen. Nach 1. Joh. 5,1 fühle er sich aber allen »Kindern Gottes« in Liebe verbunden, und es liege ihm fern, abschätzig über irgendeine Kirche zu denken.14 Der baptistische Wahrheitszeuge bemerkte zu Schlümbachs Austritt: »Es mag der Methodistenkirche nichts schaden, dass er sich von ihr zurückzieht, und Schlümbach auch nicht, so er im Dienst des Herrn sein Leben zubringt. Er ist ein etwas unruhiger Geist und bedarf großen Raum. Er sollte nun wissen, was er will. Es wird geglaubt, dass der sich der Ev. Synode von Nord-Amerika (Union) zuwenden wird. Vielleicht bleibt er ganz frei von allen kirchlichen Ordnungen. Die Zeit wird’s lehren.«15

Die Annäherung Schlümbachs an die Evangelische Synode thematisierte auch der Christliche Apologete, der sein Unverständnis darüber zum Ausdruck brachte, dass Schlümbach dies offensichtlich trotz ablehnender Stimmen aus der Synode selbst weiter erwog.16 4.2 »Carpenter-boss, driver, farmer etc.« – Eine neue Existenz in Texas Am 24. September 1883 kam Schlümbach mit seiner Familie und seinen Begleitern in New York an und wurde dort von einem Komitee des Jünglingsvereins und weiteren Freunden und Verwandten, der Tochter Thekla und dem Bruder Alexander empfangen, die ihn in sein Hotel geleiteten und ihn für den restlichen Tag instruierten. Für abends acht Uhr war nämlich eine Versammlung in der Association Hall anberaumt, auf der unter anderem auch Schlümbach sprechen sollte. Als Schlümbach nach mehreren Gesängen und anderen Vorträgen die Bühne betrat, brandete nicht enden wollender Beifall auf. Schlümbach berichtete daraufhin von seiner Arbeit in Deutschland, vor allem in Berlin, und machte den deutschen Jünglingen in New York Mut für ihre Tätigkeit. Die Versammlung hatte den Eindruck, Schlümbach gesund und tatkräftig wiederzusehen, doch dieser sehnte sich eher nach Ruhe und Zurückgezogenheit und machte sich nach wenigen Tagen in New York, in denen er auch mit Richard C. Morse zusammentraf und Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit signalisierte, mit seiner Familie und Begleitern auf in Richtung Süden.17 Über St. Louis, das sie nach 14

Vgl. [o.N.:] Ein Wort zur Abwehr. In: CA 1884 Nr. 12, S. 4. WhZ 1883, S. 191 unter Bezug auf den Artikel im Reichsboten. 16 Vgl. [o.N.:] Bruder von Schlümbachs Austritt aus der Methodisten-Kirche. In: CA 1883, S. 284. 17 Vgl. Editorielle Notizen. In: CA 1883, S. 316. Das dort angegebene Datum (25. 9.) ist Anhand der Schiffslisten, aber auch des im Artikel genannten Wochentags (Montag) auf den 24. 9. zu korrigieren. Vgl. New York Passenger Lists 1820–1957 auf www.ancestry.com. Das Zusammentreffen mit Morse ist erwähnt in einem Brief von diesem an Schlümbach vom 12. 12. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence«). 15

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zweitägiger Bahnfahrt erreichten und wo Schlümbach am 30. 9. eine englische und ein deutsche Rede beim Jünglingsverein hielt, ging es am Abend des 1. 10. mit dem Schnellzug weiter, der sie in anderthalb Tagen nach Waco brachte. Dort wurden sie von Schlümbachs Sohn Adolph mit Wagen bereits erwartet. Am Nachmittag desselben Tages erreichten Coelestine mit den Kindern und die Stiefmutter Felice mit ihrer Schwester nach fünfstündiger beschwerlicher Fahrt das vorläufige Ziel der Reise, die Farm eines Mr. Stamm am Sandy Creek, bei dem sie Unterkunft fanden. Schlümbach selbst kam erst spät nachts mit dem Gepäck und weiteren Mitgliedern seiner Reisegesellschaft nach. Felice und ihre Schwester wurden am nächsten Tag auf der Farm der Familie Wiebusch untergebracht, wo wohl langfristig bis zur Fertigstellung des eigenen Hauses auch der Rest der Auswanderer-Gesellschaft unterkam – sei es in der Farm selbst, in Zelten oder in einer alten ungenutzten Hütte auf dem Gelände, in der sich vor allem die alleinstehenden Männer der Auswanderergruppe einrichteten.18 Mit der Familie Wiebusch dürfte Schlümbach noch aus seiner Zeit als Pastor in der Gegend bekannt gewesen sein, gehörten sie doch als aktive Glieder zur Methodistenkirche. Der Familienvater Georg Wiebusch war darüber hinaus der Cousin des ehemaligen Vizepräsidenten des Nationalbundes Deutscher Christlicher Jünglingsvereine, Heinrich Wiebusch in St. Louis. Überhaupt war Schlümbach sicher vielen der deutschen Siedler in dieser Gegend noch aus Zeiten seines Pastorats in Waco und Umgegend bekannt. Die Gegend um Perry gehört zum nördlichen Rand des Falls County, das seinen Namen von den Fällen des Brazos River hat, der das Gebiet etwa mittig Richtung Golf von Mexiko durchfließt und das County in eine Ostund eine Westhälfte teilt. Im sich weit erstreckenden Becken des Brazos befand sich östlich des Flusses Prärieland, die sogenannte Black Prairie, die vom Sandy Creek und weiter östlich vom Big Sandy Creek durchzogen wurde. In diesem Gebiet siedelten seit der Jahrhundertmitte Pionierfamilien, die vor allem Viehhaltung und Ackerbau betrieben. Einen wesentlichen Schub für die Besiedlung des Falls County brachte der Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Marlin, dem Verwaltungssitzung des Countys, und Waco im benachbarten McLennan County Anfang der 1870er Jahre. An der Bahnstrecke entstanden die neuen Orte Reagan und Perry, das bis 1883 zunächst Peyton hieß, von denen aus nun Güter umgeschlagen, Post versandt und später auch Personen befördert werden konnten.19 1872 wurde im späteren Perry mit der Anlage einer Siedlung begonnen, 1876 erhielt der Ort ein eigenes Postamt und entwickelte sich in den folgenden Jahren immer mehr zum Zentrum für die im Umland lebenden Siedler. Mitte der 1880er Jahre

18 19

Vgl. Weibush: Life History, S. 4. Zur Geschichte des Falls County vgl. Eddins: History; Maxwell: Art. Falls County.

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hatte der Ort 250 Einwohner und stellte mir seinen vier dampfbetriebenen Mühlen und Egreniermaschinen für Baumwolle, zwei Warenhäusern und einem Hotel wesentliche Elemente der regionalen wirtschaftlichen Infrastruktur bereit.20 Baumwolle war immer mehr auch im Fall County zu einem Wirtschaftszweig geworden, wenngleich sie hier nicht so eine dominierende Rolle wie in anderen Teilen von Texas spielte. Hier erwarb Schlümbach mit zum großen Teil von deutschen Freunden bereitgestellten Mitteln Ländereien aus dem Basquez 7 League Grant.21 Es wurde unmittelbar mit dem Bau eines Wohnhauses für Schlümbachs Familie begonnen, von dem seine Stiefmutter Mitte Oktober hoffte, es würde in etwa drei Wochen fertig sein.22 Doch der Bau zog sich länger hin. Dies lag nicht zuletzt an den Dimensionen dieses Gebäudes. Schon von weitem zu sehen lag es stattlich auf einer Anhöhe. Es bestand aus zwei Gebäudeflügeln, die U-förmig durch einen flacheren Bau miteinander verbunden waren. In diesem Verbindungsteil, in den man über eine Treppe und Veranda gelangte, befand sich ein großer Saal mit Glasdach, der zweihundert Menschen fassen konnte. In den beiden Flügeln befanden sich auf zwei Stockwerken insgesamt 26 Zimmer.23 Umgeben war es von umzäunten achtzehn Morgen Land, auf denen sich auch Hof, Stallungen, Scheune und Garten befanden.24 Dass dieses für die texanische Prärie doch ungewöhnliche Bauwerk nicht allein als Wohnhaus dienen sollte, sondern Schlümbach andere Pläne mit ihm verfolgte, liegt auf der Hand. Wahrscheinlich handelte es sich bei ihm zunächst um ein »Koloniehaus«, in dem Neuankömmlinge wohnten und Versammlungen der Gemeinschaft stattfanden.25 Am 4. Dezember wurde es – noch nicht ganz fertig – bezogen. Mittlerweile waren auch die Möbel, die die Familie in St. Louis gekauft hatte, eingetroffen. Dass das Haus 20

Vgl. Smyrl: Art. Perry. Vgl. Kuehl: World, S. 3. Sie schreibt, dass Schlümbach bereits 1879 damit begann, Land aus diesem Grant aufzukaufen, um den Grundstock für kleine um Kirchen konzentrierte Communities zu legen, was er bis Ende 1885 fortführte. Sollte er tatsächlich schon so frühzeitig in Texas investiert haben, war er doch erst seit 1883 persönlich zugegen. Dass er bis dahin aus der Ferne Siedlungsprojekte »dirigierte«, ist sehr unwahrscheinlich und konnte von mir nicht belegt werden. Im eigenen Bericht über seine ersten Eindrücke von der Gegend Ende der 1870er Jahre schreibt Schlümbach nichts davon, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt Land gekauft habe; vgl. auch F. v. Schlümbach: Ein offenes, freies Wort aus Texas. In: FB 1889, S. 29. 22 Vgl. Brief Felice von Schlümbachs an Familie Werner vom 19. 10. 1883 (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [13]). 23 Zur Beschreibung des Hauses vgl. F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Fortsetzung.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/8 (1927) 6–7, dort 7; W.: Aus dem Süden. In: FB 1886, S. 173. Auf diese Artikelserie machte mich Terry L. White, Cleveland, aufmerksam. 24 Vgl. F. Holke/F. Werning/F. v. Schlümbach: Texas Missions-Sache, S. 4. In: Synodal Reports 1886. 25 Zur Strukturierung einer solchen Kolonie am Beispiel Neu Badens vgl. J. Rieger: Deutsche Evangelische Kolonie in Texas. In: FB 1883, S. 158–159. 21

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auf einer Anhöhe lag, hatte den Nachteil, dass in dem ausgesprochen kalten Winter 1884 der Wind durch alle Ritzen drang. Aber Schlümbach fühlte sich wohl: »ein schönes Land dieses Texas!«26 Das Weihnachtsfest, das man in gewohnter Weise mit Weihnachtsbaum – diesmal keine Tanne – und Bescherung verbrachte, wurde von einem schweren rheumatischen Schub Coelestines überschattet, der sie ans Bett fesselte. Ende Dezember war das Haus noch nicht ganz fertig, aber in paar Wochen würde es ein gemütliches Heim mit viel Platz auch für Gäste sein. Schlümbach schrieb Richard C. Morse, er sei nun »carpenter-boss, driver, farmer etc.«27 Mit vier Pferden und drei Mauleseln würden die Fuhr- und Pflügearbeiten erledigt, Hühner würden wegen der Eier gehalten, Schweine und Gänse für die Fleischproduktion gemästet, auch mehrere Truthähne, außerdem würde im Frühjahr das Anlegen eines Gartens durch einen der mitgereisten Auswanderer, einen gelernten Gärtner, in Angriff genommen. Für den eigenen Haushalt beschäftigte die Familie von Schlümbach eine Köchin. Dass noch keine festen Siedlungsstrukturen entstanden waren, lässt sich aus dem Ortsangabe der Briefe dieser Zeit ersehen: entweder ist dort »Schlümbach’s Farm« oder »Schlümbach’s Home« im Briefkopf zu finden – die Bezeichnung des Hauses sollte schließlich »Villa Friedrichsruhe« werden, wie es von 1885 an auf Schlümbachs Briefkopf zu sehen ist. Dennoch konnten die Kinder zur Schule gehen, die in einem erst im Herbst errichteten Holzhaus gehalten wurde, und in der es Unterricht auf Deutsch und auf Englisch gab, wenngleich es der Großmutter schien, »es kommt nicht allzu viel dabei heraus« und die Kinder »hier auf der Prairie [haben] nur zu viel Freiheit«.28 Die Siedlung war so gut wie ausschließlich deutsch geprägt, sodass Schlümbachs Stiefmutter auf die Frage, wie sie denn mit den amerikanischen Sitten und Gebräuchen zurechtkomme, schreibt: »[Ich] finde [. . .] keine große Abweichung von den Unsrigen, eigentlich muß ich sagen, daß ich bis jetzt nur deutsches Leben gesehen habe, in unserem Haus lebt man ganz nach deutscher Weise, wie überhaupt in dem ganzen Settelment [sic] um uns herum nur deutsche Ansiedler wohnen. Der wenige Umgang, den wir haben, besteht aus Deutschen, die der deutschen Sprache vollkommen mächtig sind, so daß ich mit meinem englisch sprechen wenig vorwärts komme.«29

26 Anhang Freidrch von Schlümbachs an Brief Felice von Schlümbachs an Hermann Werner vom 30. 1. 1884 (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [14]). 27 Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse vom 19. 12. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »German Branches, Correspondence 1870s–1880s«). 28 Vgl. Brief Felice von Schlümbachs an Adelheid von Schlümbach (?) (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [15]). 29 Brief Felice von Schlümbachs an Emma Werner vom 11. 3. 1884 (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [16]).

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Die nächste Kirche, in der deutsche Gottesdienste gehalten wurden, war die Methodistenkirche am Sandy Creek in einer Stunde Entfernung. In Waco gab es auch eine deutsche lutherische Gemeinde, die Schlümbachs Schwiegermutter gern öfter besucht hätte, die aber zu weit entfernt war, um beide Wege an einem Tag zu machen.30 Dass sich vier Meilen nordöstlich von Perry die neu entstandene deutschsprachige Trinity Lutheran Church befand, hatte Schlümbach ihr wahrscheinlich »unterschlagen« – denn sie gehörte zur Missouri-Synode, mit der Schlümbach nicht viel Positives verband. Es scheint ganz so, als habe die Familie von Schlümbach in dieser Zeit keine Kirche regelmäßig besucht, auch an Weihnachten begnügte man sich wohl mit einer Weihnachtspredigt durch Friedrich von Schlümbach im eigenen Haus.31 Im Januar 1884 traf Friedrichs Bruder Alexander mit seinen vier Töchtern ein, der sich entschlossen hatte, ebenfalls bei Perry zu siedeln. Bereits im Herbst 1883 war Alexander zwei Wochen auf der Wiebusch-Farm zu Besuch gewesen, und da ihm das Land gut gefiel und fruchtbar zu sein schien, gab er seine sich nur schlecht rentierende Farm im Norden auf, um eine Farm in Texas zu gründen. Das Pachten einer Plantage am Brazos kam für Alex kurzfristig nicht zustande, aber Friedrich war froh, Alex als seinen Vertreter in allen Angelegenheiten, auch als erfahrene Hilfe für seinen Sohn Adolph auf der Farm, auf dem eigenen Land und bei der eigenen Familie zu wissen, damit er Freiheit für eine erneute Abwesenheit haben könnte. 4.3 Freier Evangelist? – Pastor der Evangelischen Synode von Nord-Amerika Bereits für die Wintermonate 1883/84 hatte Schlümbach mehrere Anfragen aus den USA erhalten, an verschiedenen Orten evangelistisch zu wirken. Und auch beim International Committee des YMCA in New York, Schlümbachs früherem Arbeitgeber, liefen Anfragen ein, eine Tätigkeit desselben im Zusammenhang der Jünglingsvereinsarbeit zu vermitteln.32 Letztere war in den Monaten zuvor einer größeren Strukturveränderung unterworfen gewesen.

30 Brief Felice von Schlümbachs an Emma Werner vom 11. 3. 1884 (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [16]). 31 Vgl. Brief Felice von Schlümbachs an Hermann Werner vom 30. 1. 1884 (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [14]). 32 Der YMCA in San Francisco hatte sich im Dezember 1883 sowohl an Schlümbach selbst als auch zur Verstärkung an das International Committee gewandt, um Schlümbach dafür zu gewinnen, einige Monate unter den 50.000 Deutschstämmigen der aufstrebenden Stadt zu evangelisieren und beim Aufbau des noch jungen deutschsprachigen Vereinszweigs zu helfen. Vgl. das Schreiben Henry J. M. Seays an Richard C. Morse vom 12. 12. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »German Branches, Correspondence 1870s–1880s«).

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Am 21. Mai 1883 hatte sich nämlich in Milwaukee der Nationalbund Deutscher Christlicher Jünglingsvereine aufgelöst und einen eigenen Bundessekretär nun nicht mehr für notwendig erklärt, »da durch die dauernde Abwesenheit unseres früheren Bundessekretärs, Bruder v. Schlümbach, der Bund seinen reisenden Agenten und damit den Hauptfaktor zu einer erfolgund segensreichen Thätigkeit verloren hat und da in der Zwischenzeit das International-Comité der Young Men’s Christian Association die weitere Ausbreitung unseres Werkes und dessen Propaganda unter den Deutschen unternommen und in sehr anerkennenswerther Weise fortgeführt hat«33. Diese Fortführung war unter dem zum 1. 1. 1882 als neuer German Secretary in das International Committee eingetretenen Claus Olandt aus dem New Yorker Jünglingsverein geschehen. Unter ihm wurden die deutschen Vereine nun lediglich zu einer Abteilung des YMCA. Entsprechend erschien das Bundesbanner nun auch nicht mehr als Organ des Nationalbundes, sondern nur noch »im Interesse der deutschen christl. Jünglingsvereine von Amerika«.34 Zur Zeit der Konferenz im Mai 1883 schrieb Schlümbach an Richard C. Morse, dass er von einer glorreichen Zusammenkunft ausgehe und Olandt gerne in Zukunft beistehe, wenngleich er selbst noch nicht wisse, welcher Art die Zusammenarbeit in Bezug auf die USA oder Deutschland in Zukunft sein werde. Im Hinblick auf die Konferenz gehe er davon aus, dass er nun »Ex! Secy. of the German Nat. Bund« sei. Im Rückblick sei dieser Titel für ihn von großer Bedeutung gewesen, da er ihm viele Türen geöffnet habe.35 Ende Mai hatte Schlümbach immer noch nichts von den Ergebnissen der Konferenz in Milwaukee gehört und wartete mit Spannung auf Nachricht.36 Im Zuge des auch schon von Schlümbach propagierten engeren Zusammengehens der deutsch-amerikanischen Jünglingsvereine mit den YMCAs in den amerikanischen Städten setzte im Jahr 1883 bei diesen eine Entwicklung ein, sich mehr und mehr umzubenennen in »Christlicher Verein junger Männer«, was eine genauere Wiedergabe des »Young Men’s Christian Association« darstellte – und vom Berliner Verein erstmals verwendet worden war. In transatlantischer Perspektive wurde diese Entwicklung in den USA sehr wohl auch in Deutschland wahrgenommen. Zum einen sah man in der Umbenennung einfach eine Konsequenz der unterschiedlichen Füllung des Be33

Zit. nach Evangelische im Auslande. In: EKA 1883, S. 225. Vgl. Aus anderweitigen Jünglingsbündnissen. In: JB 1883, S. 111. 35 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Hamburg vom 18. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 36 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse aus Kiel vom 30. 5. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »Correspondence 1870s–1880s«). 34

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griffes »Jüngling« in den beiden Kulturen. Während man in Amerika unter »Jüngling« jemanden im Alter von 12/13 bis 18 Jahren verstand, so in Deutschland jemanden von 17/18 bis 25/26 Jahren – von daher erschien in Amerika, wo eine Vereinsmitgliedschaft ab 16 Jahren möglich war, der Name nicht mehr ganz passend. Zum anderen, und das vor allen Dingen, äußerte sich darin aber ein gewisser Richtungsstreit, der sowohl für die USA als auch für Deutschland Bedeutung hatte. In den USA sollten durch den neuen Namen diejenigen Vereine gekennzeichnet werden, die die »progressive Richtung unseres Werkes« – so die Stellungnahme des New Yorker Vereins – vertraten, nämlich analog zu den englischsprachigen Vereinen überkonfessionell und selbständig wirkten. Dem gegenüber sollten die nach dem »alten Zopfsystem« an einzelne Kirchengemeinden angegliederten Vereine ruhig weiter »Jünglingsvereine« heißen. Letztere Richtung sah man – wiederum in transatlantischer Perspektive – vor allem im Entschluss des Norddeutschen Jünglingsbundes in Deutschland auf die Spitze getrieben, nur Angehörige der Landeskirchen als Vereinsmitglieder aufzunehmen. Wenngleich Karl Krummacher und mit ihm die meisten Vereine des Rheinisch-westfälischen Jünglingsbundes den Beschluss des Nordbundes nicht guthießen und selbst eine »freiere Stellung« einnahmen, sahen sie die Entwicklung in den USA gleichwohl kritisch, da die gemeinsame deutsche Sache und auch die Verbindung zur alten Heimat doch durch eine faktische Trennung zwischen General- und Lokalvereinen nur leiden könne. »Sollten nicht die Deutsch-Amerikaner bei aller Anerkennung amerikanischen Vereinswesens wohl thun, sich ihre deutsche Eigenart zu wahren und auf die Verbindung mit dem Mutterlande entschieden Werth zu legen?«37 Doch zunächst stand für Schlümbach im Vordergrund, welcher Tätigkeit er in den USA neben seiner Arbeit auf der Farm nachgehen sollte – Ruhe schien er aufgrund der zahlreichen Anfragen nicht wirklich zu finden, aber seinem Naturell entsprechend vielleicht auch weniger zu suchen, als er sich vorgenommen hatte. Dem International Committee schienen Anfragen aus New York durch den dortigen Vereinssekretär Witte und aus St. Louis durch Vereinssekretär Kessler, die auf der Sitzung des International Committee am 11. 12. 1883 verhandelt wurden, von besonderer Wichtigkeit zu sein.38 In New York wurde es so wahrgenommen, dass Schlümbach gebraucht werde, um das vor zwei Jahren von ihm begonnene Werk zu vollenden, indem er helfe, die nötigen Mittel für ein eigenes Vereinshaus zu sammeln. Einflussreiche Deutsche in New York beriefen sich darauf, dass sie erst Geld geben wollten, wenn Schlümbach zurückkehre, da sie offenbar nur ihm eine entsprechende Zug37

Aus anderweitigen Jünglingsbündnissen. In: JB 1883, S. 182–183, dort 183. Zum folgenden vgl. Minute Book of the International Committee, Teil II, S. 77–79 (YMCA Arch.). 38

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kraft zutrauten und er auch die Zusage einer weiteren Wirksamkeit gemacht habe. Daher befürwortete das Komitee eine zweimonatige Tätigkeit Schlümbachs dort unter seiner Direktion. In St. Louis war die Arbeit des deutschen Jünglingsvereins kraftlos geworden und bedurfte einer gründlichen Neuorganisation, für die man ebenfalls Schlümbach als den geeigneten Mann sah. Im Komitee war man sich zwar einig, dass Schlümbach eher ein Evangelist als ein Organisator sei, aber aufgrund seiner Erfahrungen auf dem Gebiet und seines Charismas wollte man ihn auch mit dieser Aufgabe betrauen. Allerdings sollte er in Vorbereitung auf diesen Einsatz während des vorhergehenden Aufenthaltes in New York durch das Komitee in Organisationsmethodik weiter geschult werden. Dann müsse man einen Begleiter für die Arbeit in St. Louis finden und Schlümbach unmissverständlich klar machen, dass seine ausschließliche Aufgabe dort in der Reorganisation des Vereins bestehe. Aus der Vorgabe dieser klaren Richtlinien wird deutlich, dass man sich des Eigensinns Friedrich von Schlümbachs – »the great difficulty [. . .] in managing Mr. V. S.« – noch sehr bewusst war. Dennoch: »In the absence of anyone else we possess in Mr V. S. a man who has a wonderful power, which if rightly used and controlled by this Committee could be of vast service to it; and we think that it is possible that Mr V. S. may develop under the proper direction in the four months for which we engage him such powers as may if rightly employed afterwards prove the solution of the vexed German question.«39

Es fällt auf, wie sehr man bemüht war, Schlümbachs Arbeit in kontrollierte oder kontrollierbare Bahnen zu bringen – ähnliches war ja auch schon in der internen Kommunikation des deutschen Evangelisationskomitees bei dessen Berufung angeklungen. Richard C. Morse schrieb daraufhin am folgenden Tag an Schlümbach, um ihm eine viermonatige Tätigkeit für das International Committee vorzuschlagen. Da er ja erst ab Mitte nächsten Jahres an eine erneute Tätigkeit in Deutschland denke, habe er vielleicht bis dahin Zeit für diesen Dienst. In der Kommunikation der durch das Komitee gestellten Bedingungen blieb Morse aber recht allgemein und bezog sie nicht direkt auf die besprochenen Zusammenhänge: 1. Schlümbachs Arbeit solle noch mehr als bisher und direkter auf junge Männer zielen, und 2. die Finanzierung müsse jeweils von engagierten Deutschen in New York und St. Louis geleistet werden. Als »Secretary pro tem.« würde das Komitee Schlümbach gerne zu diesen beiden wichtigen Aufgaben entsenden.40 39

Minute Book, Teil II, S. 79 (YMCA Arch.). Vgl. Briefmanuskript Richard C. Morses an Friedrich von Schlümbach vom 12. 12. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »German Branches, Correspondence 1870s– 1880s«). 40

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Aus Schlümbachs Antwort an Morse wird deutlich, dass es genau diese Bedingungen waren, die ihm Bedenken bereiteten. Er schreibt, der erste Punkt, sich nur den jungen Männern zu widmen, sei für ihn kein erfolgversprechendes Modell, denn aus seinen Erfahrungen habe er gelernt, dass man sich mehr auch an die deutschen Eltern wenden müsse, um die Vereine langfristig zu stärken. Ganz generell wolle er aber bei einem erneuten Engagement durch das International Committee freie Hand bezüglich der von ihm zu haltenden Versammlungen haben. Größeres Unbehagen bereitete ihm der zweite Punkt, denn bei aller Bereitschaft, bei der Beschaffung von Geldern für die YMCA-Arbeit zu helfen, sei er nicht gewillt, systematisches Kollektieren als eine seiner Hauptaufgaben zu betrachten, schon gar nicht mit der Beschränkung nur auf die Deutschen. Was seine Dienstbezeichnung angehe, sei ihm diese egal, da sie nun keine Auswirkungen auf seine Arbeit als solche hätte. Wozu er aber nicht bereit sei – im Brief von Morse hatte dazu allerdings gar nichts gestanden –, sei unter Olandt zu arbeiten, von dessen Arbeitsweise Schlümbach nicht überzeugt war. Vielleicht hatte er ja zwischen den Zeilen herausgelesen, dass das Komitee seine Arbeit stärker zu lenken und leiten beabsichtigte. Da er Anfragen aus verschiedenen Städten des Westens habe, tendiere er dazu, vom 1. Februar an als freier Evangelist in Kalifornien zu wirken. Bevor er dort zusage, lasse er dem International Committee jedoch eine Frist, um Missverständnisse auszuräumen. Unter den »iron forms«, wie er sie aus Morses Brief herausgelesen habe, sei eine Zusammenarbeit aber nicht denkbar, wenngleich er die Verbindung zum YMCA nur ungern aufgebe. Witte und Kessler, die sich wohl auch direkt an ihn gewandt hatten, habe er nur unter dem Vorbehalt zugesagt, dass es zu einer Einigung mit dem International Committee komme. Seine Bedingung: »I will not undertake it except as free man guided by the holy spirit and after personal consultation with you and any a few experienced workers in N. Y.« Er war also bereit, eng mit Richard C. Morse zusammenzuarbeiten, nicht aber mit dem ganzen Komitee. Schlümbach versäumte auch nicht, auf den pekuniären Aspekt aufmerksam zu machen, denn bei den Anfragen aus Kalifornien seien ihm 200 $ monatlich geboten worden und die Übernahme aller Auslagen.41 Von dieser Antwort war Morse sehr überrascht, denn er hatte aufgrund ihres Gesprächs und der bisherigen gemeinsamen Arbeit nicht mit einer Absage gerechnet. Von 1874 bis 1881 hatte Schlümbach nach seiner Wahrnehmung schließlich genau nach den nun aufgestellten Bedingungen unter Leitung des Komitees gearbeitet. »The proposition of the Committee indi-

41 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Richard C. Morse vom 19. 12. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »German Branches, Correspondence 1870s–1880s«).

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cated no change of policy, while his letter certainly indicates a change in F. von S.«42 Dass Schlümbachs Selbstverständnis sich entwickelt hatte, ist nicht von der Hand zu weisen. In einem Brief, den er am 2. Januar 1884 an das ganz Komitee richtete, schreibt er einleitend: »Let me first tell you that since I parted from you, the Lord has given me full proof that I am sent by Him as an Evangelist to the Germans.« Das hätte er zwei Jahre zuvor noch nicht so deutlich formuliert, wenngleich sich seine Arbeit aus der inneren Pragmatik heraus schon damals in diese Richtung entwickelt hatte. Diese explizite und im Grunde ja auch nicht angreifbare Berufungsgewissheit war in dieser Intensität neu.43 Von ihr aus entfaltete er nun mit Selbstbewusstsein, aber auch Gesprächsbereitschaft, die deutlicher spürbar war als im Schreiben an Morse zwei Wochen zuvor, seine Bedingungen. Um seine Freunde in der Welt nicht zu verwirren, sei es ihm zunächst ein Anliegen auch weiterhin als »Evangelist« öffentlich in Erscheinung zu treten und nicht nur unter dem Titel des Sekretärs – wenn auch nur auf Zeit –, denn das könne als erster Schritt zurück in seine alte Tätigkeit missverstanden werden. Innerhalb der vier Monate müsse ihm freie Hand gelassen werden, tatsächlich auch »evangelistisch« zu wirken, indem er – eventuell neben denen in Diensten den Komitees – Veranstaltungen anbiete, zu denen jeder unabhängig vom Alter kommen könne. Alles andere halte er nicht für fruchtbar und er hoffe auf persönliche Verständigung bezüglich dieses Punktes mit dem International Committee. Der zweite Punkt, der des Kollektierens, könne von ihm akzeptiert werden, wenn es sich dabei lediglich um einen Nebenaspekt seiner Tätigkeit handele und nicht um das Zentrum. Was seine eigene Bezahlung anging, so teilte er das mit, was er auch schon an Morse über die anderen Angebote geschrieben hatte: 200 $ im Monat und Übernahme von Reisekosten, Kost und Logis. Wenn es zu einer Verständigung kommen sollte, dann habe diese für ihn Vorrang vor den anderen Angeboten, und er stehe ab 1. Februar zur Verfügung.44 Cephas Brainerd hatte bereits am 13. Januar ein Memo erarbeitet, das bei der nächsten Sitzung des International Committee am 15. Januar nach Besprechung des Schlümbach-Briefes als Grundlage einer Antwort angenommen wurde. Darin macht er deutlich, dass das Komitee keinerlei Ambitionen ha42 Memo Richard C. Morses vom 26. 12. 1883 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »German Branches, Correspondence 1870s–1880s«). 43 Auf dieser Linie liegt es auch, wenn Schlümbach in den folgenden Jahren die Bezeichnung »German Evangelist« für sich in Anspruch nimmt; vgl. z. B. seine Unterschrift eines Briefes an das Bureau of Pensions vom 29. 1. 1886 (Pension File, National Archives). 44 Vgl. Abschrift des Briefes Friedrich von Schlümbachs an das International Committee des YMCA vom 2. 1. 1884. In: Minute Book of the International Committee, Teil II, S. 86–88 (YMCA Arch.).

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Neuorientierungen (1883–1884)

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be, ihm sein Selbstverständnis als Evangelist für die Deutschen streitig zu machen oder diesem im Wege zu stehen. Seine Beauftragung durch das Komitee beziehe sich aber auf zwei konkrete Aufgaben, in deren Rahmen es auch zu Veranstaltungen mit evangelistischem Charakter kommen könne, die aber nicht im Zentrum stünden. Es entspreche nicht dem Selbstverständnis und der bisherigen Praxis des International Committee des YMCA, Evangelisten auszusenden. Schlümbach »can say he is an evangelist, but when in service of the Committee this position will practically be in suspense«. Er dürfe den Titel weiter führen, auch um seiner baldigen Rückkehr nach Deutschland willen, werde aber nicht als solcher vom Komitee angestellt.45 Brainerd selbst verfasste im Auftrag des Komitees zusammen mit Dodge am 18. 1. eine Antwort an Schlümbach. Sehr ausführlich legt er darin die durch das Memo vorgezeichnete Linie des Komitees dar und unterstreicht, wie sehr man die evangelistische Tätigkeit Schlümbachs schätze. Er umreißt aber auch sehr konkret die beiden Aufgaben, mit denen Schlümbach durch das Komitee betraut werden solle: das Erschließen neuer Spenderkreise für ein Vereinshaus in New York und die Neustrukturierung und –belebung der Vereinsarbeit in St. Louis. Seine Gehaltsvorstellungen könnten akzeptiert werden, darüber hinaus würde das Komitee ihm gerne Claus Olandt an die Seite stellen – und zwar, damit dieser von Schlümbachs Arbeit lerne. Die Intention dürfte freilich gewesen sein, auf diese Weise eine gewisse Kontrolle über Friedrich von Schlümbach ausüben zu können. Der Brief schließt mit einem Appell an Schlümbach Gewissen, die Freunde in den beiden Städten nicht zu enttäuschen.46 Letzteres dürfte ein wesentlicher Grund dafür gewesen sein, dass Schlümbach sich im Februar 1884 tatsächlich in New York einfand. Seine endgültige Antwort an das International Committee ist nicht erhalten, allerdings zeigt ein Brief Cephas Brainerds an Kessler in St. Louis vom 23. 1. 1884, dass man sich im Komitee noch nicht gewiss war, ob er zusagen würde. Denn »the real call for him comes from the fatherland«. Für Kessler schien Schlümbach der einzig akzeptable Mann für die Aufgabe in St. Louis zu sein, da er Olandt, den Brainerd zu verteidigen suchte, strikt ablehnte.47 Schlümbach hatte sich Ende Januar entschieden, die Aufgaben in New York und St. Louis anzunehmen und sich Anfang Februar auf den Weg zu machen, um erst an Pfingsten wieder zu seiner Familie zurückzukehren. »Wir vermissen 45 Vgl. Memo as to Mr. Von Schluembach vom 13. 1. 1884 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »German Branches, Correspondence 1870s–1880s«); Abschrift in: Minute Book of the International Committee, Teil II, S. 88–89 (YMCA Arch.). 46 Vgl. Briefmanuskript Cephas Brainerds an Friedrich von Schlümbach vom 18. 1. 1884 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »German Branches, Correspondence 1870s– 1880s«). 47 Vgl. Briefmanuskript Cephas Brainerds an Kessler vom 23. 1. 1884 (YMCA Arch., Box »German Branches«, Folder »German Branches, Correspondence 1870s–1880s«).

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

ihn natürlich alle sehr ungern, aber wir sehen auch ein, daß es nothwendig für ihn und seine Verhältnisse ist, wieder seine Arbeit zu ergreifen und seinem Berufe nachzugehen.«48 Schlümbach selbst schreibt: »Ich fühle mich wohl auf der Farm, doch gehe ich auch gern an meine Arbeit, die Jesus mir aus Gnaden anvertraut.«49 Schlümbach wirkte in New York in der mit dem Komitee besprochenen Weise, obwohl er Mitte Dezember noch geschrieben hatte, dass er sich eine Arbeit, in der das Kollektieren im Vordergrund stehe, nicht vorstellen könne. Seine vor zwei Jahren gegebenen Zusagen holten ihn offenbar ein, und er konnte sich schlecht dieser Verpflichtung entziehen. Am 8. Februar 1884 reiste er von Texas ab und bezog einige Tage später eine Unterkunft in der New Yorker Second Avenue No. 115 bei Jacob Miller. Schon einen Monat später schrieb er nachhause, dass er durchaus Heimweh nach seinem neuen Heim in Texas habe.50 Am 13. März berichtete die New York Times, dass Schlümbach ein Grußwort bei der 13. Jahresfeier des Brooklyn YMCA gehalten habe. James Stokes berichtete am 8. April dem International Committee, dass Schlümbach durch persönliche Besuche und öffentliche Versammlungen der Vereinssache in New York einen großen Schub gebe.51 Insgesamt war sein Wirken in New York wohl so erfolgreich, dass bis Ende April genug Zusagen zur Finanzierung eines Vereinshauses in New York zusammen gekommen waren und er – wie mit dem International Committee vereinbart – nach St. Louis weiterreisen konnte. Dort fand er allerdings eine Vereinssituation vor, die es für ihn nicht geraten, vielmehr überhaupt möglich sein ließ, sich erfolgversprechend zu engagieren.52 Er wurde daher einen Monat früher vom International Committee aus seinem Vertrag entlassen, das ihm seinen wärmsten Dank für das erbrachte Engagement aussprach und Anerkennung für seine Arbeit in Deutschland äußerte, wofür es ihm die besten Wünsche mit auf den Weg gab.53 Hatte Schlümbach bereits in Schleswig-Holstein seine kirchliche Ausrichtung mit der der Evangelischen Synode von Nord-Amerika angegeben und

48 Brief Felice von Schlümbachs an Hermann Werner vom 30. 1. 1884 (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [14]). 49 Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 30. 1. 1884 (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [14] Anhang). In diesem gibt er auch selbst seine Pläne so wieder, zunächst für zwei Monate in New York zu wirken und danach bis Pfingsten in St. Louis. 50 Zu entnehmen dem Brief Felice von Schlümbachs an Emma Werner vom 11. 3. 1884 (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [16]). 51 Vgl. Minute Book of the International Committee, Teil II, S. 113 (YMCA Arch.). 52 Vgl. Schlümbachs Bericht im Yearbook 1884–1885, S. 86. Für einige Tage hatte Schlümbach im April auch an den Boston Congregational Club Meetings teilgenommen; vgl. Minute Book of the International Committee, Teil II, S. 121 (YMCA Arch.). 53 Vgl. Minute Book of the International Committee, Teil II, S. 115–116 (YMCA Arch.).

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Neuorientierungen (1883–1884)

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kurz darauf seinen Austritt aus der Bischöflichen Methodistenkirche erklärt, so sondierte er nach seiner Rückkehr in die USA die Modalitäten eines Wechsels in diese Kirche. Mit der Evangelischen Synode wählte er die Kirche, die in den USA die engsten Beziehungen zur Preußischen Landeskirche unterhielt, zum Teil sogar als mit dieser organisatorisch verbunden wahrgenommen werden konnte.54 Dabei ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Evangelischen Synode kein direkter Bezug zu Preußischen Landeskirche. Die Gründer der Evangelischen Synode waren Sendboten der Basler Missionsgesellschaft gewesen, die freilich einem versöhnlichen Klima zwischen reformierter und lutherischer Tradition entstammten. So war beiden Kirchen – Preußischer Landeskirche und Evangelischer Synode – gemeinsam die positive Haltung zur Union, die in der Evangelischen Synode als Bekenntnisunion verstanden und gelebt wurde. In den Differenzpunkten der jeweiligen Bekenntnisschriften reformierter und lutherischer Tradition wurde auf das Gewissen des Einzelnen in der persönlichen Bindung an die Heilige Schrift verwiesen55 – eine Position, die von konfessioneller, vor allem lutherischer Seite scharf angegriffen wurde. In ihrer Ausrichtung fühlte sich die Evangelische Synode vor allem der Positiven Union innerhalb der Preußischen Landeskirche verbunden. Die Basler Sendboten waren Mitte der 1830er Jahre von den USA aus angefordert worden, um unter den Deutschen des äußersten Westens, was damals Missouri bedeutete, evangelische Gemeinden zu bilden. Dies geschah in ökumenischer Weite, indem man nicht einer bestimmten Richtung des traditionellen deutschsprachigen Protestantismus den Vorzug geben wollte, 54 So führt Albert Faust in seinem »Das Deutschtum in den Vereinigten Staaten« von 1912 die Evangelische Synode in einem Überblick der religiösen Körperschaften des Landes unter dem Stichwort »Deutsche Landeskirche« und schreibt auf S. 383: »Die preußische Landeskirche ist in den Vereinigten Staaten durch die ›Deutsch-Evangelische Synode‹ vertreten.« Die Assoziation einer organisatorischen Verbindung ist sachlich freilich falsch, doch wird aus diesen Worten deutlich, als wie eng die Verbindung empfunden und wahrgenommen wurde. Die Neue Evangelische Kirchenzeitung schreibt in einem Artikel, dass die Evangelische Synode der »amerikanische Kirchenkörper [sei], welcher mehr als alle anderen den Typus der deutschen evangelischen Kirche trägt«; vgl. [o.N.:] Eine evangelische Kolonie in Nord-Amerika. In: NEK 1883, Sp. 175– 176, dort 175. 55 Das Bekenntnis der Evangelischen Synode im Wortlaut: »Die Deutsche Evangelische Synode von Nord-Amerika, als ein Teil der evangelischen Kirche, versteht unter der evangelischen Kirche diejenige Kirchengemeinschaft, welche die heiligen Schriften des Alten und Neuen Testaments für das Wort Gottes und für die alleinige und untrügliche Richtschnur des Glaubens und Lebens erkennt und sich dabei bekennt zu der Auslegung der heiligen Schrift, wie sie in den symbolischen Büchern der lutherischen und reformierten Kirche, als da hauptsächlich sind, die Augsburger Konfession, Luthers Katechismus und der Heidelberger Katechismus, niedergelegt ist, insofern dieselben miteinander übereinstimmen; in ihren Differenzpunkten aber hält sich die Deutsche Evangelische Synode von Nord-Amerika allein an die darauf bezüglichen Stellen der heiligen Schrift und bedient sich der in der evangelischen Kirche hierin obwaltenden Gewissensfreiheit.« Zit. nach Schory: Geschichte, S. 7.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

sondern alle einschließen, die sich zu den Grundsätzen evangelischen Glaubens bekannten. Im Jahr 1840 konstituierten sich die wenigen bis dahin entstandenen Gemeinden zum Deutschen Evangelischen Kirchenverein des Westens. Dadurch, dass man die evangelischen deutschsprachigen Immigranten zu Gemeinden sammelte, verstand man sich als »Teil der evangelischen Mutterkirche Deutschlands [. . .], der wir angehört haben, aus der wir hervorgegangen sind, und die infolge der Auswanderung in diesen Weltteil verpflanzt worden ist«56. Den Gemeinden wurde relativ große Selbständigkeit in eigenen Angelegenheiten gelassen, durch synodale Zusammenkünfte kam die Verbundenheit zum Ausdruck und wurden Dinge von überregionalem Belang entschieden. Dazu gehörte auch die Gründung eines eigenen Predigerseminars, dessen Zöglinge die Sendboten der Basler und Barmer Mission ergänzten, und das von 1852 an durch Überweisung von Kollekten durch den preußischen Oberkirchenrat unterstützt wurde. Auf diese Weise wurde aber auch über die Herausgabe eines eigenen Katechismus, Gesangbuchs, einer eigenen Agende etc. entschieden. Da sich auch in anderen Regionen der USA kirchliche Vereinigungen mit ähnlichem Profil gebildet hatten, wuchs der Deutsche Evangelische Kirchenverein des Westens in den folgenden Jahrzehnten auch durch Zusammenschluss mit diesen und erweiterte dadurch seinen Wirkungsradius. Entsprechend wurde im Jahre 1877 die Beschränkung auf den Westen im Kirchennamen fallengelassen und die Synode in »Evangelische Synode von Nord-Amerika« umbenannt. Um der zunehmenden Ausbreitung gerecht werden zu können, wurden regionale Distrikte gebildet, auf deren Synodal-Versammlungen die Pastoren und Delegierte der Gemeinden jährlich zusammenkamen. Aus ihrer Mitte wurde ein Pastor zum Distriktspräses gewählt, der diese Aufgabe nebenamtlich versah. Zu den wesentlichen Kompetenzen der Synodal-Versammlungen gehörte die Prüfung von Schul- und Predigtamtskandidaten sowie die Zulassung zur Ordination der letzteren, die Versorgung der Gemeinden mit Pastoren, die Einführung derselben in die Gemeinden, die Aufnahme von Gliedern in die Synode und das Wachen über Lehre und Wandel der eigenen Glieder. Auf der Synodalversammlung konnten die Pastoren gesondert zu einer Ministerialkonferenz zusammenkommen, in der übrigen Zeit des Jahres regional gegliedert auch zu Pastoralkonferenzen. Das übergeordnete Organ stellte die Generalsynode dar, die alle drei Jahre zusammentrat und sowohl von pastoralen Delegierten als auch Gemeindedelegierten aus den Synodal-Versammlungen der Distrikte beschickt wurde. Sie regelte alle die Gesamtkirche betreffenden Belange (Ausbildung, Gottesdienstordnung, Verlagswesen etc.) und unterhielt die zwischenkirchlichen Beziehungen. Neu in den Dienst eintretende Pastoren wurden von ihr beziehungsweise zwischen den Tagungen vom Generalpräses den Distrikten 56

Schory: Geschichte, S. 26.

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Neuorientierungen (1883–1884)

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zugeteilt. 1883 gehörten 557 Gemeinden und 428 Pastoren zur Evangelischen Synode, die 32.286 Familien in den Gemeinden betreuten.57 Im gleichen Jahr wurde von Gliedern der Evangelischen Synode auch die »deutsche evangelische Colonisationsgesellschaft von Chicago, Ill.« gegründet, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Richtung Westen auswandernde Glaubensgenossen in evangelischen Siedlungen zu sammeln und als Kirchengemeinden zu organisieren. Die Vergünstigungen, die von den Bahngesellschaften für solche Gesellschaften gewährt wurden, sollten für Kirchen-, Schul- und Kommunalzwecke in den Kolonien verwendet werden. Eine Erforschungskommission bemühte sich darum, vor Ort den Siedlern die unentgeltliche Überlassung von Regierungsland zu sichern. Eng mit diesen Bestrebungen zusammen arbeiteten in Deutschland die Berliner und Langenberger Gesellschaften für die Deutschen in Amerika, die sich vor allem um die Vermittlung von Pastoren aus Deutschland bemühten.58 Konzentrierte sich die Colonisationsgesellschaft zunächst auf Dakota, so war hier doch etwas vorgezeichnet, das für Schlümbach in eine ansprechende Richtung wies. In Waco und überhaupt in Texas war die Evangelische Synode seit 1881 präsent. Pastor Friedrich Werning (1843–1931) war zusammen mit einem Kollegen nach Texas entsandt worden, um dort evangelische Gemeinden zu sammeln. Er hörte davon, dass etwa 20 Meilen östlich von Waco ein großes deutsches Settlement sei, die Bewohner seien aber vornehmlich Methodisten und bildeten eine große Gemeinde, sodass er sich für seine Arbeit nicht dorthin wandte.59 Dem Namen nach dürfte Schlümbach in der Evangelischen Synode nicht nur durch seine Tätigkeit in den USA bekannt gewesen sein, sondern auch durch seine Arbeit in Deutschland, da von dieser in der Zeitschrift der Kirche, dem Evangelischen Friedensboten, berichtet wurde.60 Auch sein Austritt aus der Methodistenkirche und die von ihm vorgenommene Zuordnung zur Evangelischen Synode wurden dort zur Kenntnis genommen, aber nicht weiter kommentiert.61 Auf welche Weise Schlümbach den Kontakt mit der 57

Vgl. Schory: Geschichte, S. 136. Vgl. [o.N.:] Eine evangelische Colonie in Nordamerika. In: NEK 1883, Sp. 175–176. 59 Vgl. F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Fortsetzung.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/10 (1927) 4–5, dort 4. Auch habe er gehört, dass dort Pastor von Schlümbach wohne, der aber viel auf Reisen sei. (Da Werning 1883, dem Jahr als Schlümbach erst nach Perry zog, von Waco nach Houston wechselte, kann dies für diesen Zeitpunkt aber eigentlich nicht zutreffen.) Er hatte Schlümbach bereits 1880 in Hermann, Mo., erlebt, als dieser vor großer Versammlung im dortigen Courthouse sprach. Werning war damals eher enttäuscht gewesen, fand aber, dass Schlümbach in späteren Jahren »mehr in evangelischer Weise redete«, und man ihm gut zuhören konnte. 60 Vgl. die Berichte in FB 1883, S. 23, 46, 47, 55, 102. 61 Vgl. Schlümbachs Austritt. In: FB 1883, S. 142. Evtl. ist die oben aus dem Evangelischkirchlichen Anzeiger zitierte kritische Stimme ursprünglich im Friedensboten veröffentlicht worden. 58

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Evangelischen Synode anbahnte, lässt sich nicht mehr genau ermitteln, aber am 1. Mai 1884 wurde er der Distriktskonferenz des vierten Distrikts in St. Louis, die dort vom 1.–5. Mai tagte, vorgestellt und am 3. Mai nach vorhergehendem Kolloquium in die Pastorenschaft der Evangelischen Synode aufgenommen.62 Am nächsten Tag hielt er in der Abendversammlung der Konferenz eine kurze Ansprache über 1. Joh. 5,20: »Wir wissen, daß wir von Gott sind, und die ganze Welt liegt im Argen.«63 Werning schreibt im Rückblick über Schlümbach: »[Er] war [. . .] eine bedeutende Persönlichkeit und nahm sehr bald nach seiner Aufnahme eine einflußreiche Stellung in der Synode ein. [. . .] Er war eine stattliche Gestalt, hatte eine gute Bildung, tadelloses Benehmen, freundliches, angenehmes Wesen und war ein guter Unterhalter und Redner.«64 Auf dieser Konferenz wurde im Rahmen der Diskussion über Innere Mission auch beschlossen, dass den beiden Pastoren in Texas auf deren Ersuchen hin jüngere englischsprachige Männer und ein Kolporteur zur Seite gestellt werden sollten.65 Ein weiteres Thema war die Gründung evangelischer Kolonien, über das am ersten Tag gesprochen wurde. Dabei wurde hervorgehoben, dass es darum gehe, auch für die »leiblichen Bedürfnisse« der Glaubensgenossen zu sorgen, ihnen gutes Land und eine Heimat mit Kirche und Schule zu verschaffen.66 Auf sein Ersuchen hin erhielt Schlümbach die Erlaubnis, im Dienst der Inneren Mission nach Deutschland zu reisen, um dort zu wirken.67

62 Vgl. Protokoll der zehnten Jahres-Conferenz des vierten Distrikts 1884, S. 3. Im JuniHeft des neu gegründeten Evangelischen Gemeindeboten des Südens wird Schlümbach erstmals in der Pastorenliste aufgeführt (S. 4). 63 Vgl. Protokoll der zehnten Jahres-Conferenz des vierten Distrikts 1884, S. 17. 64 Vgl. F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Fortsetzung.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/9 (1927) 4–5, dort 5. 65 Vgl. Protokoll der zehnten Jahres-Conferenz des vierten Distrikts 1884, S. 12. 66 Vgl. Protokoll der zehnten Jahres-Conferenz des vierten Distrikts 1884, S. 14. Ein Bericht über die Konferenz findet sich auch in FB 1884, S. 76–77. 67 Dies geht aus dem Protokoll der elften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1885, S. 16 hervor. Bereits Ende 1883 hatte Schlümbach so viele Briefe aus Deutschland erhalten, dass er schreibt: »Die l. Berliner überwältigen mich mit herzl. Einladungen, habe gar nicht gewußt, daß Gott mir solche Gnade schenkte, so viele Herzen zu gewinnen um Jesu Willen«; Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 10. 1. 1884 (Archiv für Familienforschung, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [14] Anhang).

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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5. Zwischen den Kontinenten – Evangelisation und Innere Mission in Amerika und Europa (1884–1889) 5.1 Erneute Evangelisationen in Deutschland und Europa Wie in der Erklärung Theodor Christliebs vom Herbst 1883 bereits angeklungen, hatte dieser sich darum bemüht, die Evangelisationsarbeit in Deutschland in Folge des heftigen Widerspruchs gegen Schlümbach in explizit landeskirchliche Bahnen zu lenken und entsprechend auf eine Festigung und Ausgestaltung der Bewegung hinzuwirken. Daher wurde auf sein Betreiben hin im März 1884 in Bonn der Deutsche Evangelisationsverein ins Leben gerufen. Dessen Keimzelle war das Evangelisationskomitee, das im Herbst 1882 Schlümbach berufen hatte, zu dem nun aber weitere Interessierte hinzukamen. Versammelt waren in den Tagen vom 18.–20. 3. neben Christlieb, Oertzen, Pückler und Bernstorff die Evangelisten Elias Schrenk, Jan Wildemann und Dr. Peter Ziemann, Oscar Erdmann von der Elberfelder Evangelischen Gesellschaft, Christliebs Sohn Alfred, zeitweilig Otto Stockmayer und Gerhard von Niebuhr, der Geld für den Erwerb des »Johanneums« lieh.1 Denn in Bonn hatte sich für Christlieb die Gelegenheit ergeben, ein Haus, das dem Evangelisationsverein dienen sollte und in dem auch die Sitzung stattfand, zu erwerben – es sollte zu einer Evangelistenschule werden und erhielt den Namen »Johanneum«.2 Aus England waren 10.000 Mark zur Unterstützung der Arbeit in Deutschland eingegangen.3 Schuldentilgungs- und Evangelisationskasse wollte man zunächst nicht trennen, aber eindeutig zweckgebundene Spenden sollten auch nur entsprechend eingesetzt werden – wie zum Beispiel für Schlümbachs Gehalt. Graf Bernstorff beantragte nämlich, dass Friedrich von Schlümbach, der seine Rückkehr für den Sommer brieflich in Aussicht gestellt hatte, für eine erneute Tätigkeit vom Komitee berufen werden solle, sofern er mindestens ein Jahr in Deutschland zu wirken gedenke. »Ueber seinen [sic] Gehalt soll später besondere Verabredung mit ihm getroffen werden. Die Londoner Freunde, die ihn früher unterhielten, sollen aufgefordert werden, ihre Beiträge durch unser Comite an ihn gelangen zu lassen, um den Schein eines nur vom Ausland besoldeten Arbeiters zu vermeiden.«4 Aufgrund der vorgenommenen 1

Vgl. Voigt: Schlümbach, S. 352; ausführlicher zu dieser Sitzung Klemm: Schrenk S. 262–

266. 2

Zu dieser Institution vgl. Kap. III 5.4. Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: Ev. 1884, S. 380–381. Da der Evangelist diese Information dem Londoner Christian entnommen hatte, vermutete der Redakteur, dass die »Deutsche Evangelisationsgesellschaft« maßgeblich aus den Kreisen der englischen »Dissenter« unterstützt werde. Vgl. auch: Die deutsche Evangelisationsgesellschaft. In: NEKZ 1884, Sp. 772. 4 Zit. nach der Transskription des Protokolls in Voigt: Gnadau, S. 68–69. 3

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Neuausrichtung wollte man allen Anstoß für neue Kritik möglichst vermeiden. Entsprechend behandelten die auf der Tagung besprochenen Themen auch Fragen wie die Stellung der Evangelisten zur Landeskirche, die Zuordnung von Gemeinschaftsbildung zu den bestehenden Gemeinden und die rechte Evangelisationsmethodik. Im jährlichen Rhythmus wollte man von nun an zusammenkommen und einen weiteren Ausschuss bilden, für den man Vertreter in allen Teilen des Reiches suchte.5 Die Bewegung nahm in enger Anlehnung an die Landeskirche Gestalt an.6 Schlümbach reiste Anfang August 1884 in Begleitung seiner Tochter Thekla nach Deutschland, allerdings noch nicht, um für den Evangelisationsverein aktiv zu werden, sondern, um rechtzeitig für die 10. Internationale Konferenz der Jünglingsvereine vor Ort zu sein. Diese fand vom 20.– 24. 8. 1884 in Berlin statt. 300 Delegierte aus Nordamerika, Europa und Australien nahmen an ihr teil, um über den Fortgang der Vereinsarbeit zu diskutieren.7 Da Friedrich von Schlümbach als New Yorker Delegierter geführt wurde8, reiste er wahrscheinlich im Auftrag des dortigen deutschsprachigen YMCA an; dem International Committee, das seinen Sitz ebenfalls in New York hatte, gehörte er ja nicht mehr an. Bereits in der Eröffnungsversammlung am Abend des 20. 8. im Haus der Stadtmission trat Schlümbach in charakteristischer Weise, nämlich mit dem Versuch, die unterschiedlichen Kulturen zueinander zu bringen, in Erscheinung. Auf die Verlesung eines Grußschreibens des Kaisers durch Andreas von Bernstorff hin ergriff Schlümbach das Wort und erklärte zunächst auf Englisch den Engländern und Amerikanern »die Herzlichkeit und Vorzüglichkeit des kaiserlichen Briefes«. Dann forderte er auf, einzustimmen in den Ruf: »Se. Majestät, der mächtige, glorreiche Kaiser von Deutschland, er lebe hoch!« Nach dreimaligem Hoch-Ruf sang die Versammlung »Heil Dir im Siegerkranz«.9 Es ist davon auszugehen, dass darin tatsächlich Überzeugun5 Im Blick hatte man Frommel und Kraft, Berlin; Cuntz, Bremen; Graf Lüttichau, Ballenstedt; Hesekiel, Sudenburg; Siebel, Freudenberg; Streetz, Marklissa; Sarasin, Basel; Zimmer, Frankfurt. Von sich aus meldete sich im April Caspar Wilhelm Sieveking, Hamburg. Vgl. Klemm: Schrenk, S. 266. 6 Japer von Oertzen bemühte sich im Verein für Innere Mission in Schleswig-Holstein zu dieser Zeit auch um eine nachdrücklichere Anlehnung an die Landeskirche, was sich in einer entsprechenden Änderung der Vereinsstatuten im Jahr 1885 niederschlug; vgl. Lange: Bewegung, S. 57. 7 Zum Komitee, das die Konferenz organisierte und seit dem Frühjahr um öffentliche Unterstützung und die Aufnahme von Gästen warb, gehörten von Bernstorff, Krummacher, von Ranke, Seffinghaus, Phildius, Bosse, Caspar, Diestelkamp, Dryander, Engel, Hähnelt, Kögel, Laacke, Pückler, Quandt, von Rothkirch, Stoecker, von Ungern-Sternberg und Wegener; vgl. Aufruf. In: EKA 1884, S. 157; Eine herzliche Bitte! In: EKA 1884, S. 252. 8 Vgl. die Delegiertenliste in Bericht über die zehnte Internationale Jünglingskonferenz, S. 134. 9 Vgl. Bericht über die zehnte Internationale Jünglingskonferenz, S. 8; vgl. auch [o.N.:] Die

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gen Schlümbachs zum Ausdruck kamen. Für viele Deutsch-Amerikaner galt, was mit dem Begriff der »dual identities« zu umschreiben versucht wird: sich sowohl als Deutsche als auch als Amerikaner zu fühlen.10 In den unterschiedlichen Kulturräumen auch unterschiedliche politische und kirchliche Systeme gutheißen zu können, liegt auf dieser Linie, stellt aber eine geradezu extreme Dichotomie dar. Gleichwohl drängt sich dem Betrachter der Eindruck eines gewissen Opportunismus auf, da Schlümbach sich keine Chancen mehr verbauen wollte und sich daher als guter Deutscher und damit »Landeskirchler« geriert haben könnte. Denn bei der Konferenz gab es in Hinsicht auf die Herkunft der Delegierten eine gewisse Doppelbödigkeit, die der Korrespondent des methodistischen Evangelist so umschreibt: »Methodisten und Baptisten waren herzlich willkommen, wenn sie aus England und Amerika kamen, aber nicht aus Deutschland«.11 Die Lieder aus der vom Methodisten Ernst Gebhard herausgegebenen Frohen Botschaft konnten zwar alle mitsingen – auch deutsche Pastoren, die diese Lieder noch vor nicht allzu langer Zeit verschmäht hatten. Aber in der Tat war es so, dass im Gegensatz zu den USA, wo die YMCAs auf überkonfessioneller Basis operierten, die deutschen Jünglingsvereine bis auf den Berliner CVJM weiterhin konfessionell gebunden waren. Methodistische und baptistische Vereine durften nicht Mitglied in einem der deutschen Jünglingsbündnisse werden. Insofern durften freikirchliche Vereinsvertreter aus Deutschland zwar an der internationalen Konferenz teilnehmen, hatten aber kein Stimmrecht.12 Eine gewisse Reserve wird auch daraus ersichtlich, dass man im Ostbund der Konferenz weitgehend ablehnend gegenüber stand und auch von den Berliner Pfarrern nur wenige an den öffentlichen Verhandlungen teilnahmen.13 In besagter Eröffnungsversammlung überbrachte Schlümbach als letzter Redner in einer Reihe von Grußworten unter großem Applaus auch die Grüße der Deutschen in Amerika: »Der letzte Redner war Prediger von Schlümbach, um seitens der Deutschen in Amerika ein Wort zu sagen. Er wurde mit ganz außerordentlichem Beifall begrüßt. Zuerst englisch sprechend, verfiel er bald in das ihm eben so geläufige Deutsch, pries sich glücklich, der Ueberbringer des Grußes der Deutschen zu sein, die noch nie vergessen zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine zu Berlin. In: Ev. 1884, S. 284. 10 Vgl. Hofmann: Aufstieg, S. 69. 11 Vgl. [o.N.:] Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine zu Berlin. In: Ev. 1884, S. 284. 12 Vgl. [o.N.:] Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine zu Berlin. In: Ev. 1884, S. 284. Die in der Berichterstattung kursierende Zahl von 502 freikirchlichen Jünglingsvereinen in Deutschland war allerdings viel zu hoch gegriffen, worauf auch in den freikirchlichen Blättern selbst verwiesen wurde. 13 Vgl. Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine. (Fortsetzung.) In: EKA 1884, S. 313–314, dort 313.

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haben, daß sie dem deutschen Stamme entsprossen sind, und die in einer Arbeit, eine Liebe und einem Gebet mit den Deutschen im alten Vaterlande stehen. Es ist ihr lebhafter Wunsch, die nächste Conferenz in New York stattfinden zu sehen. (Stürmischer Beifall).«14

Stoecker hielt in den folgenden Tagen einen Vortrag unter dem Titel »Die Wichtigkeit der Jünglingsvereinssache für den Staat«, in dem er deutlich die für ihn mit der Vereinssache verbundenen politischen Implikationen zur Sprache brachte. Im Dienst einer neuen Durchdringung des öffentlichen Lebens mit dem Christentum hätten die Jünglingsvereine eine nicht zu unterschätzende Funktion – ja sogar ihre eigentliche Bedeutung: »Nicht äußerlich, sondern im Innern liegt die Aufgabe der Jünglingsvereine«. Mit der Liebe zum eigenen Land würden sie ihren christlichen Glauben in die junge Generation tragen. »Wer die sozialen Ideen und Gedanken der Bibel im Herzen trägt, der kann sein bischen [sic] Hab und Gut nicht schlecht verwalten, der hat ein Herz auch für die Brüder, der kämpft gegen die soziale Gefahr.« Der kirchlichen Zersplitterung begegneten sie mit ihrem Zusammenschluss. Aber auch in die weltweite Bewegung setzte Stoecker politische Hoffnungen: »Wenn ich mir die Jünglingsvereine denke als eine große Internationale, um dem Umsturz der Staaten steuern zu helfen, dann freut sich mein Herz.«15 Den größten Einfluss auf den Verlauf der Konferenz hatten aber die englischen und amerikanischen Delegierten, die zahlenmäßig am stärksten ins Gewicht fielen und auch in die Debatten am aktivsten eingriffen.16 Schlümbach trat an mehreren Stellen des Programms hervor; so leitete er am 22. August die Morgenandacht über Gal. 4 in englischer und deutscher Sprache17 und sprach im Rahmen eines Ausflugs nach Potsdam an der Festtafel im Namen der Amerikaner18. Übersetzungsarbeit im buchstäblichen Sinn musste Schlümbach am vierten Sitzungstag leisten, als General Howard eine Rede über die Notwendigkeit der Bekehrung auf Englisch hielt und Schlümbach simultan dolmetschte. Eine persönliche Bemerkung fügte er aber hinzu: »Right here Mr. von Schluembach explained, in German, that Gen. Howard had been his superior officer during the American war and the [sic] he and his comrads

14 Bericht über die zehnte internationale Jünglingskonferenz, S. 9. Vgl. auch G. Frei: Die christliche internationale Jünglings-Conferenz. In: HuH 1884, S. 597–599, dort 597; Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine. In: EKA 1884, S. 300. 15 Vgl. G. Frei: Die christliche internationale Jünglings-Conferenz. In: HuH 1884, S. 597– 599, dort 598–599. 16 Vgl. [o.N.:] Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine zu Berlin II. In: Ev. 1884, S. 292. 17 Vgl. Bericht über die zehnte Internationale Jünglingskonferenz, S. 58. 18 Vgl. Bericht über die zehnte Internationale Jünglingskonferenz, S. 89.

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had often made fun of him on account of his piety but that they had honored him on account of his bravery. That he was very happy that the old, one-armed General had come to Germany and also given his testimony in the World Conference«.19

In einer Debatte über das Thema, wie der Wirkungsradius der Vereine vergrößert werden könne, zeigte sich Schlümbach zuversichtlich – und wurde darin von Jasper von Oertzen bestärkt –, überall Geld für die Vereinsarbeit zu erlangen, wenn man den Reichen nur klar mache, dass ihr Geld nicht ihnen, sondern dem Herrn gehöre.20 Am Samstagabend wurden öffentliche Versammlungen in verschiedenen Vereinshäusern der Stadt gehalten; im CVJM fanden sowohl eine deutschsprachige Versammlung im großen Saal als auch eine englischsprachige in der Rotunde statt, bei der auch Schlümbach sprach.21 In der Abschiedsversammlung am 24. 8. eröffnete Schlümbach eine längere Reihe von Redebeiträgen von Delegierten verschiedener Länder.22 George Williams hatte in einer Rede gesagt: »Wir haben hier [. . .] Ihren christlichen Verein junger Männer bewundert, und wünschen sehr, daß er ein eigenes Gebäude bekommt.« Schlümbach versuchte in seiner Antwort diplomatisch darauf hinzuweisen, dass man auch die übrigen Berliner Jünglingsvereine nicht vergessen dürfe.23 Aus seinem Redebeitrag ist ersichtlich, wie sehr er als Brücke zwischen den Kulturen gesehen und in Anspruch genommen wurde: »Als ich vor drei Jahren nach Berlin kam, machte das Bild Kaulbachs vom Thurmbau zu Babel einen großen Eindruck auf mich; als ich aber jetzt in die Versammlung der Internationalen hier kam, da trat mir der Thurmbau zu Babel wieder ins Gedächtniß; denn es konnte einer den andern nicht verstehen und sie machten mich förmlich zum Steinträger hin und her, um alle ihre Mißverständnisse auszugleichen. Aber im Dome, im Gottesdienst, da wurden die Steine schon kleiner, und am dritten Tage sah ich, daß die Liebe Christi durch uns durchging, da waren die Steine verschwunden. Die Gemeinschaft der Brüder in Christo machte sich geltend. Ich freue mich so über die Berliner Jünglingsvereine, die uns so gepflegt haben wie eine Mutter; aber heute Mittag hatte mein englischer Bruder Williams den Stiefel am falschen Fuß angezogen; denn er hat bloß den Verein in der Friedrichstraße gefeiert, aber nicht die anderen Jünglingsvereine. Er hat jedoch alle gemeint, das hat er mir gesagt, als ich ihn fragte. Meine englischen Brüder und ich haben uns das Wort gegeben, daß wir alles vermeiden wollen, was die Berliner Jünglingsvereine schädigen oder verletzen kann, was 19 Vgl. den handschriftlichen Bericht in Folder »X Conference, Berlin (28)«, S. 26 (YMCA Arch.); vgl. auch Bericht über die zehnte Internationale Jünglingskonferenz, S. 114. 20 Vgl. Bericht über die zehnte Internationale Jünglingskonferenz, S. 71. 21 Vgl. Bericht über die zehnte Internationale Jünglingskonferenz, S. 123. 22 Vgl. Bericht über die Verhandlungen der internationalen Jünglingsconferenz. In: EKA 1884, S. 314–316. Schlümbach wird im EKA dabei New York als Herkunftsort zugeschrieben. 23 Vgl. Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine. (Fortsetzung.) In: EKA 1884, S. 313–314, dort 314.

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Steine zu einem babylonischen Thurm der Mißverständnisse beitragen kann. Vielmehr wollen wir Bausteine der nüchtern [sic] Liebe und des Eifers für das Reich Gottes zusammentragen. Wir wollen Berlin auf betendem Herzen behalten und wollen zu vergelten suchen, was Ihr an uns gethan habt. Nicht mit Silber und Gold, sondern mit einem Herzen voll Liebe den Brüdern und voll Eifer für die Sache des Reiches Gottes, voll Eifer gegen Unglauben, Aberglauben, Sünde und Finsterniß. Wir beten für Berlin und für ganz Deutschland. Ein Amerikaner hat mir gesagt, ich solle Euch mittheilen, wie lieb sie Euch haben, und zum Zeichen dessen wollen wir jetzt singen mit einander ›Ein feste Burg ist unser Gott‹«,

was man auch tat.24 Am Ende der Konferenz fragte sich der Evangelisch-kirchliche Anzeiger, ob die internationalen Delegierten wohl einen Eindruck davon erhalten hätten, »was ein deutscher evangelischer Jünglingsverein ist und was er für das landeskirchliche Gemeindeleben sowie für die volkskirchliche Arbeit unter den Handwerkern und den arbeitenden Klassen bedeutet«. Denn »ihr Interesse schien sich ausschließlich um den christlichen Verein junger Männer in der Friedrichstraße zu concentrieren, der auch seinerseits ein specielles Interesse mit der Conferenz verband, nämlich mit Hülfe der englischredenden Freunde 200.000 Mark zum Ankauf eines Hauses zu bekommen.« Zu diesem Zweck und um den Verein allgemein weiter zur Entfaltung zu bringen, werde Schlümbach einige Monate – maßgeblich finanziert von Williams – in Berlin zubringen.25 Im Rahmen der Berichterstattung von der Konferenz sah sich der Evangelisch-kirchliche Anzeiger genötigt, eingehender auf die von ihm wahrgenommenen nicht bloß »graduellen«, sondern »generellen« Unterschiede zwischen dem angelsächsischen und dem deutschen Vereinsmodell zu sprechen zu kommen. Hätten die deutschen Vereine eher einen erbaulichen Zweck und stünden unter der Leitung eines Pfarrers, der auf die Weckung eines entschieden kirchlichen Sinnes bei den jungen Männern zielen sollte, so hätten die angelsächsischen Vereine vor allem geselligen Charakter und fühlten sich einem Bildungsauftrag verpflichtet; im vielfältigen Programm kämen auch religiöse Veranstaltungen vor, für die Erbauung seien aber eher die Kirchen, denen die Mitglieder angehören, zuständig. Entsprechend dieser Ausrichtung könnten die amerikanischen und englischen Vereine aber auch viel größere Zahlen anziehen als die deutschen Vereine mit ihrer »Concentrierung auf den ernsten Pietismus«. Beides entspreche den jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen. Von daher sei es »weder nöthig noch erwünscht, daß wir in unserem Lande die Jünglingsvereine etwa nach amerikanischem Muster umbilden, wenngleich wir auch nicht zweifeln, daß die innere und äußere Leitung der Vereine in 24

Vgl. Bericht über die zehnte Internationale Jünglingskonferenz, S. 128–129. Vgl. Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine. (Fortsetzung.) In: EKA 1884, S. 313–314, dort 314. 25

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Amerika den dortigen religiösen, nationalen und socialen Verhältnissen entspricht.«26 In der englischsprachigen Welt sei es jedoch weithin üblich, Deutschland »in Bezug auf den christlichen Glauben als eine Art Vacuum anzusehen [. . .] [,] namentlich die Jünglingsvereinssache mit ihren stillen, unscheinbaren Vereinsbildungen.« Das sei Wasser auf die Mühlen des angelsächsischen Missionseifers, der sich nun auch auf die Jünglingsvereinssache erstrecke. Explizit wird darauf verwiesen, dass maßgeblich George Williams die Wirksamkeit Schlümbachs in Berlin vom Oktober 1882 an finanzierte, ja diesen sogar »entsandt« habe, woraufhin dieser den CVJM »genau nach englischem Muster« ins Leben gerufen habe.27 Sowohl die Eigeninitiative Friedrich von Schlümbachs als auch seine Transferleistung in der Adaption eines Grundmodells für einen neuen Kontext sind hier sicher nicht recht im Blick; die Beobachtung, dass die Finanzen zum Teil aus dem Ausland kamen, war zwar richtig, aber nicht Ausdruck dessen, was Hülle so gern in Szene setzte. Aber auch für den methodistischen Evangelist wurden bei den zahlreichen Berichten, Vorträgen und Redebeiträgen aufs neue die Differenzen deutlich, die zwischen der Vereinsarbeit in Deutschland und der englischsprachigen Welt bestanden: hier »christliche Jünglingsvereine«, dort »christliche Vereine junger Männer«, hier nur wenige Vereine mit mehreren Hundert Mitgliedern, dort viele Vereine mit mehreren Tausend Mitgliedern, hier vor allem Jünglinge aus dem Handwerkerstand, dort Jünglinge aus allen Schichten, hier nur geringe öffentliche Unterstützung, dort große, hier nur bescheidene Vereinslokale, dort reich ausgestattete Vereinshäuser, hier keine eigenen Vereinsangestellten, dort 388 vollzeitliche Vereinssekretäre. In den Vereinigten Staaten komme den Vereinen auch größere Bedeutung in der Weiterbildung der Vereinsmitglieder und in der Vermittlung von Stellen zu. Außerdem werde dort ein größeres Gewicht auf die »persönliche Mitarbeit im Reiche Gottes« gelegt, was sich durch die Teilnahme an Gebets- und Evangelisationsversammlungen, am Verteilen von Traktaten oder dem öffentlichen Bekenntnis zeige und letztlich auch in der gestuften Mitgliedschaft. Der Korrespondent des Evangelisten nennt als Ziel der Vereine, »junge Leute 26 Vgl. Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine. In: EKA 1884, S. 308–309. 27 Vgl. Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine. (Fortsetzung.) In: EKA 1884, S. 313–314, dort 313. Über die Frage der Außenwahrnehmung Deutschlands entbrannte im Laufe des Jahres auch ein Streit des Evangelisch-kirchlichen Anzeigers mit Theodor Christlieb, dem vorgeworfen wurde, auf der Allianzversammlung in Kopenhagen zu schlecht von den deutschen kirchlichen Zuständen gesprochen zu haben. Hintergrund der Auseinandersetzung waren freilich auch die diametral entgegengesetzten Anschauungen bezüglich einer innerkirchlichen Evangelisationstätigkeit von Laien. Vgl. Verhandlungen der Allianz-Versammlung in Kopenhagen. (Schluß.) In: Beiblatt zum EKA 1884 Nr. 39; Eine Berichtigung. In: EKA 1884, S. 382–384.

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für Christum zu gewinnen, ihre Bekehrung herbeizuführen«. Dabei wurde das Verständnis von »Bekehrung« als durchaus unterschiedlich wahrgenommen. Während im englisch-amerikanischen Raum die vollzogene Bekehrung als Grundlage und Ausgangspunkt eines neuen Lebens gesehen und entsprechend die Heiligung betont werde, sei aus den deutschen Reden eher das Verständnis einer allmählichen Entwicklung herauszuhören gewesen, die sich durchs ganze Leben ziehe.28 Wie im Bericht des Evangelisch-kirchlichen Anzeigers bereits angedeutet, nahm Schlümbach mit dem Ende der Konferenz seine »evangelisirende Thätigkeit« in Deutschland wieder auf, in deren Rahmen er auch verschiedene christliche Jünglingsvereine besuchen wollte.29 Der Monatliche Anzeiger des Berliner CVJM zeigt, dass Schlümbach im August, September und November des Jahres 1884 und im Januar und April des Jahres 1885 im Verein aktiv war.30 Am 31. 8. 1884 sprach er neben Jasper von Oertzen bei einem Missionsfest in Pinneberg.31 In Berlin wirkte er in den nächsten Wochen oft im Verbund mit Adolf Stoecker; so sprachen sie gemeinsam beim Sommerfest der Berliner Stadtmission im Schlosspark Schönholz am 7. September 1884.32 Mit Freude stellte Schlümbach fest, dass unter der Arbeiterbevölkerung Berlins immer noch ein großes Verlangen nach dem Evangelium vorhanden war und das monatelange Halten von allabendlichen religiösen Vorträgen in außerkirchlichen Lokalen Früchte trug. Auf diesem Feld engagierte sich Schlümbach wieder intensiv. In besonderes Erstaunen versetzte ihn der Zulauf zu den Samstagabend-Bibelstunden, zu denen der Andrang so groß war, dass man die Geschlechter trennte, um so zwei Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten unterweisen zu können. Viele kamen mit ihren Fragen in diese Versammlungen. Was die Arbeit in Berlin aber weiter sehr behinderte und Schlümbach auch persönlich belastete, war die Rivalität und Uneinigkeit zwischen den unterschiedlichen kirchlichen Lagern, die sich nicht allein an der Heranziehung von »Deutschamerikanern« zur christlichen Arbeit ent-

28 Vgl. [o.N.:] Die zehnte internationale Conferenz der christlichen Jünglingsvereine zu Berlin II. In: Ev. 1884, S. 292. 29 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: MH 1884, S. 189, wo in Bezug auf die Jünglingsvereine betont wird, dass Schlümbach die Vereine, »die in Verbindung mit der prot. Staatskirche stehen«, besuchen werde. Er selbst wird als »früherer Methodistenpred.« bezeichnet. Vgl. auch Kirchliche Nachrichten. In: EB 1884, S. 358. Schlümbachs Nachfolger im International Committee des YMCA Claus Olandt, der schon im Vorfeld der Berliner Konferenz nach Deutschland gereist war, reiste im November 1884 mit Helbing im Westbund umher; vgl. JB 1884, S. 191. 30 Vgl. Monatlicher Anzeiger des CVJM Berlin für 1884 II/16, S. 3–4, II/17, S. 3–5, II/19, S. 3, und für 1885 III/21, S. 3 und III/3, S. 2. 31 Vgl. unpaginierten Auszug aus der Der Nachbar 1884 (Privatarchiv Karl Heinz Voigt). 32 Vgl. Mayer: Anfänge, S. 157. Vgl. auch die Ankündigung des Festes in Editorielle Notizen. In: EKA 1884, S. 319.

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zündete. Doch vielleicht – diese Möglichkeit erwog Schlümbach immerhin – waren diese Differenzen auch gottgewollt, »um jeden Theil zu umso eifrigerer Thätigkeit anzuspornen«?33 Die Jungmännerarbeit hatte dem Eindruck Schlümbachs nach beachtlich an Fahrt gewonnen, so dass nun »durch alle deutschen Gauen ein frisches Geisteswehen unter den Jünglingen und Männern« zu spüren sei.34 Im Spätsommer reiste Schlümbach auch nach Mecklenburg und nach Köthen, um dort zu wirken, und hatte daselbst »höchst gesegnete« Erlebnisse.35 In Berlin fand er Mitte Oktober für den Winter eine Unterkunft bei Fräulein von Jena, bei der er auch schon während der Konferenz gewohnt und das Zimmer gemocht hatte, wo er außerdem einen ruhigen Haushalt für die Erholung von seiner Arbeit vorfand. Bis dahin logierte er im Hospiz in der Behrenstraße 29, wo auch die Positive Union ihr hauptsächliches Versammlungslokal hatte. Am 19. Oktober weilte Schlümbach in »Grandenz bei Königsberg«, reiste aber bald zurück, um nun für eine Weile für kontinuierliche Arbeit in der Hauptstadt zur Verfügung zu stehen.36 Am 29. Oktober war er gemeinsam mit Stoecker und Bernstorff als Redner für das erste Jahresfest des Evangelischen Vereins junger Männer für den Osten von Berlin, Grüner Weg 104, im Buß’schen Salon vorgesehen.37 Am 2. November sprach Schlümbach

33

Fr. v. Schl.: Innere Mission in Deutschland II. In: FB 1885, S. 134–135, dort 135. Fr. v. Schl.: Innere Mission in Deutschland II. In: FB 1885, S. 134–135, dort 135. 35 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 14. 10. 1884 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [17]). Nach Mecklenburg reiste er wohl auf Einladung der Familie von Oertzen. M. v. Oertzen schreibt, dass sie und ihr Mann persönlich mit Schlümbach in Berlin bekannt geworden seien und ihn nach Woltow eingeladen hätten. In ihren Aufzeichnungen ist dieses Zusammentreffen allerdings nicht genau datiert, insofern kann es auch 1883 stattgefunden haben (für das aber ansonsten keine Tätigkeit in Mecklenburg bezeugt ist), zumal Schlümbach noch als »Methodist« gilt – aber das muss nicht unbedingt mit seiner aktuellen Kirchenzugehörigkeit übereingestimmt haben: »Ein Methodist! Selbst mein Vater runzelte etwas die Stirn. Und nun gar die Kirche! Wir hatten uns gar nicht klargemacht, daß die Empörung so groß werden würde. Aber er war nun einmal da. Wir machten unsre Wagenremise auf das Schönste zurecht; die faßte einige hundert Menschen, und dann ließen wir Einladungen ergehen, auch nach der kleinen Stadt Tessin. Ich hatte mich mit Kaffee und Kuchen eingerichtet, aber nicht mit einer solch großen Menschenmenge gerechnet, und war nicht wenig entsetzt, als ein großer Strom von Menschen sich auf unseren Hof ergoß, darunter besonders viele Tessiner. Ich konnte den Herrn in meiner Angst nur an die Speisung der 5000 erinnern, – und wirklich, Kaffee und Kuchen reichten einigermaßen. – Woher aber kam es, daß so viele Tessiner da waren? Der Pastor hatte von der Kanzel vor diesem Methodisten Schlümbach gewarnt, und da mußten die Leute sich doch anhören, was dieser Mann zu sagen hatte. Auch viele Nachbarn kamen, und Gott hat Segen auf diese Versammlung gelegt. Da sieht man, daß auch das Warnen zwei Seiten hat.« Oertzen: Leben, S. 43–44. 36 Vgl. seine Pläne in Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 14. 10. 1884 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [17]). 37 Vgl. Editorielle Notizen. In: EKA 1884, S. 392. 34

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nach Stoecker in der Einweihungsversammlung des neuen Stadtmissionshauses am Gesundbrunnen, das als »Immanuel-Kapelle« vor allem als Bethaus dienen sollte. Im Anschluss an Mt. 12,15 sagte Schlümbach, »daß Jesus der rechte Mann des Volks, der rechte Retter, der rechte Arzt sei. Die Sünde ist der Leute Verderben: sie macht die Menschen krank, verzweifelt, hülflos, halsstarrig, blind, daß sie nicht mehr begreifen, daß der Herr im Regimente sitzt. Möge diese Stätte zum Gesundbrunnen für viele Tausende von Berlinern werden!«38

In Berlin arbeitete Schlümbach Ende 1884 mit Dr. Ziemann zusammen, indem beide gemeinsam Evangelisationsversammlungen im Stadtmissionshaus, Johannestisch 6, hielten.39 Über die Arbeit in Berlin im Winter 1884/1885 heißt es resümierend im zweiten Jahresbericht des CVJM: »Wie können wir diesen Bericht indessen schließen, ohne unseres lieben Pastor von Schlümbach zu gedenken, den wir im vergangenen Jahre in unserer Mitte haben durften. Ein jeder von uns weiss, was er diesem theuren Manne verdankt; wir brauchen daher seine Verdienste um unsere Sache hier nicht aufzuzählen. Der schönste Dank, den wir ihm darbringen können, ist gewiss der, dass wir das unsern Händen anvertraute Werk weiter treiben in der rechten Demuth und Liebe, im rechten Gebetsgeist und in der Kraft Gottes.«40

In der Tat hatte sich der CVJM in der Friedrichstraße sehr gut weiterentwickelt. Noch auf Anregung Schlümbachs hin hatte man 1883 damit begonnen, Veranstaltungen für bestimmte Berufsgruppen einzurichten, für die man durch Plakate und gezielte Einladungsaktionen warb. Daraus entwickelten sich im Laufe der Jahre die »Berufsabteilungen« des Vereins, die genau auf die Bedürfnisse der einzelnen Gruppen abgestimmt waren. Aber auch die wöchentlichen »religiösen Versammlungen« und Bibelstunden liefen weiter. Daneben betrieb der Verein eine Sonntagsschule mit 400–500 Kindern und eröffnete auch eine »Knaben-Abteilung« und eine »JugendAbteilung« für die Altersgruppen von 10–14 und 14–18 Jahren. Durch Mitglieder des Vereins hatten sich in Berlin Ableger des CVJM gebildet, »Christophorus« und der »Ostverein«, die während Schlümbachs Besuch am 1. 1. 1885 als Zweigvereine dem »Gesammtverein« angeschlossen wurden.41 Aufgrund des rasanten Wachstums – Ende 1884 hatte der Verein bereits mehrere hundert Mitglieder – wurden die Räume in der Friedrichstraße allmählich zu eng, so dass weitere Räume hinzugemietet werden mussten und ein großer Versammlungssaal angebaut wurde, für dessen Kosten Schlüm-

38

Vgl. F.: Ein neues Stadtmissionshaus. In: EKA 1884, S. 408–409, dort 409. Vgl. Editorielle Notizen. In: EKA 1884, S. 417. 40 Vgl. 1885. Zweiter Jahresbericht des Christlichen Vereins Junger Männer zu Berlin, S. 6. 41 Vgl. 1885. Zweiter Jahresbericht des Christlichen Vereins Junger Männer zu Berlin, S. 6. Zur Vereinsentwicklung vgl. auch Festschrift, S. 11–13. 39

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bach »auf sehr amerikanisch freimütige Weise« in einer großen Versammlung des Freundeskreises die notwendigen Spenden einwarb.42 Dass Schlümbach nun der Evangelischen Synode angehörte, scheint ihm – wie erhofft – manche früher verschlossene Tür geöffnet zu haben. So schreibt der methodistische Evangelische Botschafter über eine Reise Schlümbachs durch Württemberg, wo er im Winter 1884/1885 in mehreren Städten Vorträge, vor allem bezüglich der Jünglingsvereinssache, hielt: »Seit der ehemalige Methodistenprediger wieder öffentlich zur Landeskirche zurückgetreten ist, findet er auch hierlands bei den Pfarrern vielseitiges Entgegenkommen. Daß er aber seine einflussreiche Stellung benutzen könnte, um dem Methodismus in Deutschland entgegenzuwirken, glauben wir nicht; er bleibt sich lebendig und dankbar anerkennend dessen bewußt, was er demselben persönlich zu verdanken habe«.43

In der Tat brachte diese Reise durch Württemberg einen mächtigen Aufschwung für die Vereinsarbeit dort. Im Herbst 1884 fand auf dem Kappelberg bei Fellbach ein Treffen der umliegenden Jünglingsvereine »aus Anlaß der Anwesenheit des Pastor von Schlümbach« statt. Aufgrund der Art des »löwenmutigen Fritz von Schlümbach« breitete sich eine »begeisterte[. . .] Stimmung« unter den jungen Männern aus.44 Im Januar 1885 wurde in Reutlingen der erste CVJM Württembergs gegründet. Nachdem Schlümbach am 7. Januar in Reutlingen seinen ersten Vortrag gehalten hatte, konnte bereits am 1. Februar bei einer Mitgliederzahl von 100 Männern die Eröffnungsfeier gehalten werden. Von Anfang an bemühte sich der Verein den Maßgaben Schlümbachs entsprechend um ein gutes Miteinander mit dem bereits bestehenden Jünglingsverein.45 Der Besuch in Reutlingen war Teil einer dreiwöchigen Tätigkeit Schlümbachs im Süddeutschen Jünglingsbund, der ihn für die Zeit vom 1.–23. Januar berufen hatte, um »mit der ihm vom Herrn verliehenen Gabe speziell auch einmal diesem seinem engeren Vaterlande [zu] dienen«46. Von allen Seiten kamen Einladungen, und man bemühte sich, daraus eine Rundreise zusammenzustellen.47 Schlümbach wechselte täglich den Ort und hielt oft jeweils 42 Vgl. Festschrift, S. 14–15. Zur Vereinsentwicklung in den Jahren 1883–1885 vgl. auch 50 Jahre Christlicher Verein Junger Männer, S. 9–15. 43 [O. N.:] Der bekannte Evangelist v. Schlümbach. In: EB 1885, S. 29. 44 Vgl. Fünfzig Jahre Arbeit, S. 35. 45 Vgl. 1869–1919, S. 23–24. 46 Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1884, S. 215. 47 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1884, S. 215 und JB 1885, S. 6. Das Programm sah schließlich wie folgt aus: 28. 12. vormittags Feuerbach, nachmittags Ludwigsburg, 1. 1. mittags Bezirkskonferenz in Cannstatt, abends Vortrag im Königsbau in Stuttgart, 2. 1. Heidenheim, 3. 1. Gemünd, 4. 1. Schorndorf, 6. 1. Kirchheim, 7. 1. Reutlingen, 8. 1. Dettingen, 9. 1. Nagold, 10. 1. Calw, 11. 1. Herrenberg, 12. 1. Esslingen, 13. 1. Vortrag in Stuttgart, 14. 1. Bibelstunde, Vortrag in Heslach, Vortrag und Besuch im Jugend- und Männerverein, 15. 1. Göppingen, 16. 1. Tuttlingen, 17. 1. Reutlingen, 18. 1. Thailfingen und Ebingen, 19. 1.

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mehrere Vorträge – eine große Strapaze, die den Ausschuss noch einmal ausdrücklich für Schlümbachs »willigen, aufopferungsvollen Sinn« danken ließ. Gott dankte man für den Segen, der aus Schlümbachs Rundreise erwachsen sei.48 Schlümbach wiederum zog viel Ermutigung aus der ihm allseits gewährten Gastfreundschaft. In den Jünglingsvereinen fand er viel Erfreuliches, hoffte aber, dass die Vereine noch besser ihre spezifische Aufgabe in ihrem jeweiligen Umfeld wahrnehmen und dass darüber auch weitere Geldgeber über den bisherigen Unterstützerkreis hinaus gefunden werden würden.49 Speziell für den seit 1861 bestehenden Stuttgarter Jünglingsverein brachte das Wirken Schlümbachs wichtige Impulse. Man wagte den Schritt in die größere Öffentlichkeit, indem man Schlümbach im Bürgermuseum und im Königsbau Versammlungen halten ließ, die allgemein Beachtung fanden. Nun weitete sich der Kreis derer, die sich für die Vereinsarbeit interessierten, über den Kreis der »Erweckten« hinaus. »Durch die Klarheit, Kraft und innere Wärme, wie die Volkstümlichkeit seiner Rede, das Schlagende seiner Beweisführung, den Reichtum seiner Lebenserfahrung mit unwiderstehlicher Gewalt und Überzeugungskraft« trieb Schlümbach zu neuen Schritten an.50 In Anlehnung an das 1855 auf der Pariser Konferenz für die Vereine empfohlene Zweiklassensystem der Mitgliedschaft änderte der Stuttgarter Jünglingsverein aufgrund der äußeren Notwendigkeiten seine Vereinsstatuten entsprechend um und entwickelte sich damit in Richtung CVJM. In der Folgezeit trat man aber auch in regen Kontakt und engen Austausch mit dem Berliner CVJM, was sowohl die führenden Persönlichkeiten als auch die Erweiterung der Vereinsangebote betraf.51 Zu einem CVJM wurde der Stuttgarter Verein aber erst im Jahre 1890.52 Tübingen, 20. 1. Bönnigheim, 22. 1. Stuttgart Ausschuss des Jünglingsbundes, 23. 1. Freiburg, 24. 1. Karlsruhe, 25. 1. Heidelberg und Karlsruhe; vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1885, S. 24. 48 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1885, S. 24. 49 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1885, S. 24. 50 Vgl. Fünfzig Jahre Arbeit, S. 31; 125 Jahre, S. 8. Dort wird Schlümbach in Bezug auf die sich an eine größere Öffentlichkeit wendenden Versammlungen für den damaligen Kontext nicht ganz unzutreffend als »Stargast« bezeichnet. Auf den späteren Vereinssekretär Wilhelm Elsässer (1866–1950) hatte Schlümbach prägenden Einfluss. In einem Nachruf auf Elsässer heißt es, dass er von Schlümbach sein Lebensprogramm übernahm: »Schlümbach rief mit Posaunenton zur Sammlung und zur Arbeit: Heraus aus abgelegenen, düsteren Lokalen an die Straße des Lebens, aus einer schläfrigen, unfruchtbaren Atmosphäre in fröhlichen Dienst für den Herrn und sein Reich; nicht warten, bis junge Leute von selbst kommen, und nicht allein an die Söhne aus gläubigen Elternhäusern denken, sondern ›die andern‹ suchen und einladen, auf die Landstraßen, an die Hecken und Zäune gehen und sie dort nötigen, hereinzukommen; die einzelnen Berufsklassen vornehmen und alle darin arbeitenden jungen Männer in den C. V. J. M. einladen. Das war ihm Plan und Ziel!« Auch die Weite und Großzügigkeit Schlümbachs habe Elsässer übernommen; vgl. Faltblatt Wilhelm Elsässer+ (Archiv des CVJM Stuttgart). 51 Vgl. Fünfzig Jahre Arbeit, S. 32; 36–38. 52 Vgl. Fünfzig Jahre Arbeit, S. 44.

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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Schon im Herbst 1884 war der Vorstand des Östlichen Jünglingsbundes an Schlümbach herangetreten, um ihn für eine mehrwöchige Rundreise »im Interesse der Jünglingsvereinssache« durch das Bundesgebiet zu gewinnen. Schlümbach nahm diesen Ruf an.53 Und so reiste er im Februar 1885 »wie toll durchs Land, heute hier an der russischen Grenze, gestern in Stettin, morgen in Breslau, siehe dein Onkel« – er schreibt an seine Nichte – »fliegt durchs Land«, und überall empfinde er: »Der Herr ist mit mir«.54 Vom 14.–17. und am 24. Februar 1885 wirkte Schlümbach in Breslau. Bereits im Vorfeld seines Besuchs war Ende 1884 eine Festschrift des Verbandes der schlesischen Jünglingsvereine erschienen, in der der Herausgeber B. Hildt auf den Besuch Schlümbachs vorausblickt. Er beschreibt, wie gespannt auf der Internationalen Konferenz in Berlin alle gewesen seien, Schlümbach in natura zu erleben, zumal er selbst früher ein großer Skeptiker gewesen sei: »In jeder Hinsicht ein ganzer Christ in der Kraft des HErrn, so schaute ich ihn, den ich heute vor einem Jahre noch für einen Verderber und Verhunzer unserer evangelischen Jünglingsvereine hielt, dessen Stiftung, den evangelischen Jungmännerverein, ich sodann im Januar d. J. in Berlin schaute und bei seinem Beten und Arbeiten beobachten durfte. Schon damals sagte ich: Wer solche Frucht schafft, kann nur in der Kraft Christi arbeiten und Jesu Werkzeug sein, und heute sage ich: Kommt Pastor von Schlümabch zu uns nach Schlesien, wie er’s nach Neujahr vorhat, so brauchen wir sein Kommen nicht zu fürchten, sondern können uns darauf freuen! Die Hauptstadt Breslau müßte ihn ja zuerst aufnehmen, vielleicht durch Vermittelung des VerbandsVorstandes; von dort aus würden ihn seine Wege hierhin und dorthin führen in die Provinz. Er verlangt kein Geld, er erbittet nur freundliche Aufnahme, und ich denke, liebe Brüder, die soll er bei uns in Schlesien finden! – Meine letzten Worte wollten eben nur dies bezwecken, daß, sobald er kommt, wir diesem Manne Gottes nichts Andres entgegenrufen als: ›Herzlich willkommen! Herzlich willkommen!‹«55

Schlümbach fand freundliche Aufnahme. Die Erinnerung an diese »Schlümbach-Tage« wurde in einer Broschüre des Diakonus H. Küntzel festgehalten, die im selben Jahr in Breslau erschien.56 Ziel der Schrift wie auch schon des Besuches Schlümbachs war es, möglichst viele Unterstützer für die Jungmänner- und Jugendvereinsarbeit zu gewinnen. In mehreren Kapiteln werden in ihr die zentralen Elemente der Wirkungsweise Schlümbachs kom-

53

Vgl. Aus den deutschen Jünglingsvereinen. In: JB 1884, S. 191. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 11. 2. 1885 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [19]). 55 Licht und Brot für evangelische Jünglings-Vereine, S. 27–28. 56 P. Küntzel: Pastor von Schlümbach und die evangelischen Männer- und Jünglingsvereine. Zur Erinnerung an die Schlümbach-Tage in Breslau, Breslau 1885. Diese Broschüre wurde »bei der großen Verehrung«, die Schlümbach im Westbund genoss, auch dort zum Erwerb vorgehalten; vgl. Vom Büchertisch. In: JB 1885, S. 55. 54

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poniert, wie sie auch ein seinen Ansprachen aufeinander gefolgt haben mögen. Das erste Kapitel bringt vor allem Lebenserfahrungen Schlümbachs zur Sprache, indem es seine Lebens-, vor allem seine Bekehrungsgeschichte erzählt. Dann wird der Frage nachgegangen, was aus dem amerikanischen Kontext für Deutschland fruchtbar gemacht werden könne. Bei der Beschreibung der gesellschaftlichen Zustände wird auf die »sociale« Bedeutung der Jünglingsvereinssache abgehoben. Da für deren Wachstum Finanzmittel notwendig seien, folgt ein Kapitel über die »Bekehrung des Geldbeutels« und schließlich ein zusammenfassendes Schlusswort. Schlümbach machte deutlich, dass man nicht einfach amerikanische Einrichtungen nach Deutschland transferieren könne, da die Kontexte sehr verschieden seien. »Hütet Euch vor Allem davor, Alles nach einer Schablone machen zu wollen.«57 Küntzel schreibt: »Obwohl Schlümbach jetzt Amerikaner ist, so hat er doch das Deutschreden (in vollem Sinne des Wortes) durchaus nicht verlernt. Er redet nicht blos [sic] durch die Blume, spricht nicht in Allgemeinheiten und Abstractionen, sondern greift hinein in das volle Menschenleben, nennt die Dinge beim rechten Namen und trifft daher auch immer so zu sagen den Nagel auf den Kopf. Im Bekennen Christi sind wir noch viel zu blöde und schüchtern, wägen immer noch viel zu ängstlich ab, ob solch Bekennen auch ›opportun‹ sei oder nicht, anstatt eingedenk zu sein der Mahnung des Apostels: Predige das Wort, halte an, es sei zur rechten Zeit oder zur Unzeit. (2 Timoth. 4, 2.) Solche Blödigkeit kennt Schlümbach nicht wie folgende Worte beweisen: ›Ich bin stolz auf den Namen Mucker, den man uns beilegt; ja wir mucken auf gegen alles lüderliche Wesen, gegen Hurerei und Trunksucht; wir mucken auf, wenn uns Jemand unsern Glauben antastet, wenn Jemand sich seiner Gemeinheiten und Schändlichkeiten rühmt. Die Familie Mucker hat ein warmes Herz für den Herrn und einen breiten Rücken für die Welt. Die Familie Mucker ist überall da, wo es gilt eine Arbeit zu thun, die der Welt zu gering erscheint. Es ist eine Ehre, ein Glied in solcher Familie zu sein, denn wir sind da in der besten Gesellschaft und haben den Herrn Jesum Christum zum Bruder.‹«58

Die Vereine hätten eine große Aufgabe darin, die jungen Männer vor den schwerwiegenden Folgen der sozialen Umwälzungen der Zeit zu bewahren, indem sie ihnen Heimat und Orientierung böten. Als Raum dafür seien eigene Vereinshäuser unabdingbar. Und so sollten auch in Breslau alle Anstrengungen unternommen werden, die Vereinsarbeit dahingehend auszubauen. »Der blutig rothen Internationale des Umsturzes ist nur die heilige Internationale des christlichen Glaubens und der christlichen Liebe gewachsen.«59 Auffällig ist, wie sehr Schlümbach die Jünglingsvereinssache hier mit politischen Konnotationen versieht. 57 58 59

Küntzel: Pastor, S. 10. Küntzel: Pastor, S. 10–11. Küntzel: Pastor, S. 14.

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Am 1. März berichtete Schlümbach im Saal des Berliner Stadtmissionshauses von seinen Erlebnissen im Ostbund. Aus vielen Orten waren Dankesschreiben beim Bundesvorstand eingegangen, deren Verfasser durch Schlümbachs Besuch die Vereinsarbeit zu neuem Leben angestoßen sahen. In Breslau hätte man eigentlich die größten Lokale der Stadt mieten müssen, »so massenhaft« sei der Besucherandrang gewesen. Schlümbach habe es verstanden, die Zuhörer »mit sich fortzureißen«, und zahlreiche Beitrittserklärungen zu den Jünglingsvereinen seien eine direkte Frucht seines Wirkens gewesen.60 Kurze Zeit später heißt es im Jünglingsboten: »In Schlesien ist ein reger Eifer auf dem Gebiete unserer Vereinssachen erwacht.«61 Gerahmt wurde der Deutschland-Aufenthalt Schlümbachs 1884/1885 von Besuchen in London beim dortigen deutschsprachigen Jünglingsverein. Auf der Hinreise hatte er im Juli 1884 für einen Abend dort Station gemacht. In der Vereinsentwicklung vorangegangen war eine gewisse Neubelebung, die mit den Tumulten um die November-Vorträge Adolf Stoeckers im Jahr 1883 zu tun hatte, die den Verein zu einer noch entschiedeneren Tätigkeit anspornten. Man organisierte daher eine »Kommission für Evangelisation unter den Deutschen in London«, die wöchentliche Evangelisationsversammlungen unter Handwerkern in der Herberge des Vereins ins Leben rief. Dass Schlümbach nun in dieser Zeit der Neuorientierung einen »feurigen, begeisterten« Vortrag im Verein hielt, spornte die Mitglieder weiter an.62 Weihnachtsvorträge von F. W. Baedeker und H. P. Ziemann Ende 1884 führten dazu, dass am 27. 1. 1885 eine erste »Versammlung christlicher Gemeinschaft« stattfand, auf der dieselben »mit aller Entschiedenheit auf die Notwendigkeit noch festeren Zusammenschlusses und zielbewußterer Missionsarbeit unter den Deutschen Londons hinwiesen«.63 Von den Beteiligten wurde eine entsprechende Selbstverpflichtung unterzeichnet. Zu den praktischen Resultaten dieser Zusammenkunft gehörte die Einführung von Evangelisationswochen. Die erste fand vom 1.–7. Februar 1885 mit F. W. Baedeker und C. H. Rappard statt. Allerdings gelang es nicht, der Kirche entfremdete Landsleute zu gewinnen, aber immerhin Deutschsprachige aus verschiedenen Londoner Gemeinden enger unter einander zu verbinden. Für die zweite Evangelisationswoche vom 3.–13. März 1885 hatte man Friedrich von Schlümbach gewinnen können. Aufgrund seiner Popularität plante man täglich zwei bis drei Versammlungen in der Vereinsherberge, im Haupthaus des YMCA in der Aldersgate Street und mittags in einem Lokal in Mincing Lane. Zunächst nur spärlich besucht, wuchsen die Besucherzahlen stetig, und »es war Pastor von Schlümbach gegeben, in besonders pa60 61 62 63

Vgl. Aus den deutschen Jünglingsbündnissen. In: JB 1885, S. 47. Vom Büchertisch. In: JB 1885, S. 55. Vgl. Glaubenswerk, S. 31–40. Vgl. Glaubenswerk, S. 41–42.

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ckender Weise zu jungen Männern zur reden und sie in heiligem Ernst, wo es Not tat, zu strafen, andererseits sie aber auch zu ermuntern, sich für Jesu Sache zu begeistern und ganz Ihm sich auszuliefern«.64 Die folgenreichste Veranstaltung aber war eine erneute »Versammlung christlicher Gemeinschaft« am 7. März, in der Schlümbach den 25 Teilnehmern, die alle dem deutschen Jünglingsverein angehörten, aufs Wärmste nahelegte, nach neuer Arbeitsweise einen »Deutschen Christlichen Verein Junger Männer zu London« zu gründen. Noch in der gleichen Versammlung konstituierte sich dieser Verein und wählte einen eigenen Präsidenten, Vizepräsidenten, Schatzmeister und Sekretär. »Mit großer Begeisterung und unter spürbarer Leitung des Herrn wurde die Umwandlung vollzogen. Das war der Geburtstag der neuen Ära!«65 Nun musste man allerdings das Verhältnis zum bereits bestehenden Jünglingsverein klären. In einem Schreiben vom 9. April wurde dem Vorsitzenden des Jünglingsvereins bekannt gegeben, dass man sich nach den Statuten des Berliner Vereins als CVJM konstituiert habe und alle Mitglieder des bisherigen Jünglingsvereins eingeladen seien, dem neuen Verein beizutreten. Daraufhin fand am 17. April 1885 eine Generalversammlung des Jünglingsvereins statt, auf der die 38 Anwesenden einstimmig beschlossen, »den Namen des neuen Vereins anzunehmen, dessen Statuten anzuerkennen, sein ganzes Besitztum an Möbeln, Bildern, Büchern, Schriften, Kassenbeständen, rückständigen Beiträgen und sonstigen Rechten und Pflichten zu übertragen«. Das 25-jährige Stiftungsfest am 24. April 1885 feierte man dementsprechend als Gründungsfest des neuen Vereins »mit seinen weiteren Zielen und größeren Aufgaben«.66 Bereits Ende des Jahres 1885 hatte der Verein 125 Mitglieder und eigene, den ganzen Tag geöffnete Vereinsräume.67 Zu einer ihm zu Ehren veranstalteten Abschiedsfeier am 21. März nach Berlin zurückgekehrt sagte Schlümbach: »Es ist eine Lust, hier in Deutschland zu sein, es geht alles rüstig voran. Wo man auch hinkommen mag, überall regen sich Hunderte und Tausende für die große Sache des Reiches Gottes. Es weht Frühlingsluft durch die christlichen Kreise Deutschlands. Da gilt es aber, den Augenblick zu erfassen und ohne Zaudern voran zu gehen. Zwar sehen manche trübe in die Zukunft; aber das können nur die, die müßig am Markte stehen. Wer arbeitet, der arbeitet auf Hoffnung, und Arbeit weckt Hoffnung. Pessimisten sind in der Regel Faulenzer. Aber gemeinsame Arbeit macht auch einig. Und

64 Vgl. Glaubenswerk, S. 43. Von den Planungen für einen Londonaufenthalt schrieb Schlümbach bereits in einem Brief an Emma Werner vom 11. 2. 1885 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [19]). 65 So wird es formuliert in Glaubenswerk, S. 44. Entsprechend ist auch das ganze dritte Kapitel (S. 40–47) mit »Ein Wendepunkt« überschrieben. 66 Vgl. Glaubenswerk, S. 43–47. 67 Vgl. Aus anderweitigen Jünglingsbündnissen. In: JB 1885, S. 211.

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keine Gesellschaft arbeitet in solcher Einigkeit als die Gläubigen, und wo es anders ist, da steht’s nicht recht. Einer sporne den andern an, aber in Demut. Für die Arbeit im Reiche Gottes ist es überhaupt sehr wichtig, daß man nicht selber dieses und jenes will, sondern man muss sich leiten lassen. Vertiefung im Wort Gottes ist notwendig. Hieraus lernt man die Weise kennen, wie Gott sein Werk gethan haben will.«68

Der Jünglingsbote kommentierte: »Vielleicht sieht unser Freund die deutschen Zustände gar zu rosig an; aber gegenüber von der Anschauung vieler Engländer, die Deutschland für eine große Heidenwüste halten, ist seine Stimme immerhin beachtenswert.«69 Zum Abschied bekam Schlümbach von seiner Berliner Freundin Mary Esther von Waldersee ein Neues Testament geschenkt, das diese für ihn aus Jerusalem mitgebracht hatte. Die Widmung vom 22. 3. 1885 lautet: »Souvenir of Jerusalem! Offered to Pastor von Schlümbach as a slight testimonial of high esteem and of sincere Christian friendship, from Countess A. Waldersee«.70 Im April 1885 kehrte Schlümbach nach neunmonatiger Abwesenheit von Hamburg aus nach Amerika zurück. Dass die Beziehung zu seiner Frau Coelestine bereits belastet war, zeigt sich daran, dass er in seiner ersten Zeit in Deutschland nichts von ihr gehört hatte.71 Seine innere Unruhe wurde aber geringer, als er bei der Überfahrt an Bord des Dampfschiffs Westphalia inmitten von schweren Stürmen durch das nächtliche Aufleuchten eines hellen Sterns an das Wort Jesu, das Licht der Welt zu sein, erinnert wurde und daraus neue Hoffnung schöpfte.72 Wohl behalten kamen er und seine Tochter Thekla in New York an. In der Zwischenzeit hatte sich der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin weiter mit den um Schlümbach im letzten Jahr virulent gewordenen Auseinandersetzungen beschäftigt und am 15. 12. 1884 einen Erlass an die Geistlichen der Landeskirche gesandt. Als Anlass des Schreibens wird formuliert, dass »in neuerer Zeit auch innerhalb unserer evangelischen Landeskirche sectirerische Einflüsse und separatistische Regungen sich in bedenklicher Weise geltend gemacht haben und dies noch jetzt geschieht. Die darauf bezüglichen Umtriebe geschehen meist, ohne die letzten Ziele vorzeitig aufzudecken, und sind eben darum auch nicht selten mit Erfolg gekrönt.« Die Gefahr der inneren Zersetzung sah man im Oberkirchenrat also gegeben, wenn »in wohlmeinendem Eifer« innerhalb der Kirche »Emissäre[n]« Wirkungsmöglichkeiten eingeräumt würden, die »vielfach ausländischen Kir68 Zit. nach Aus den deutschen Jünglingsbündnissen. In: JB 1885, S. 63; vgl. auch 1869– 1919, S. 24. 69 Aus den deutschen Jünglingsbündnissen. In: JB 1885, S. 63 70 Buch im Privatbesitz von Marian Schluembach, Cleveland. 71 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 14. 10. 1884 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [17]). 72 Vgl. Fr. v. Schl.: Innere Mission in Deutschland. In: FB 1885, S. 111.

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chengemeinschaften angehörig es nicht verschmähen, sich in der Gestalt von ›Evangelisten‹ einzuführen.« Dies dürfte in besonderer Weise auf Schlümbach bezogen gewesen sein, der ja als Methodist (was per se eine ausländische Kirchengemeinschaft war) zu Evangelisationen innerhalb der Landeskirche eingeladen worden war. Die drohende Zersetzung wurde nicht darin gesehen, dass nun massenweise Gemeindeglieder austreten würden, um sich den »Secten« anzuschließen, sondern dass sich innerhalb der Landeskirche Sondergemeinschaften bilden könnten, die ein eigenes Gemeinschaftsleben mit eigenen Abendmahlsfeiern einführten oder es gar zu Doppelmitgliedschaften in Landeskirche und »Secte« kommen könne, bei der die Glieder »thatsächlich innerhalb der Kirche eine feindliche Stellung gegen diese einnehmen«. Dagegen müsse die Landeskirche entschieden vorgehen. Allerdings sollten »separatistisch Gesinnte« nicht einfach ausgeschlossen werde, ihnen aber kirchliche Ämter und Religionslehrerstellen verwehrt bleiben. Weitere Verfahren hätten unter Maßgabe der gültigen Gesetze zur Kirchenzucht zu geschehen.73 Seine Vorstellungen über »Innere Mission« – Schlümbach verwendete nun interessanterweise auch diesen Begriff – in Deutschland legte Schlümbach im Sommer 1885 in zwei Artikeln für den Friedensboten dar. Über seine Motivation, 1884 erneut nach Deutschland zu gehen, auch wenn alles in ihm rief, er möge doch daheim bei seiner Familie bleiben, schreibt er: »Die Hoffnung des inwendigen Menschen, die aus dem Schriftwort kommt: ›Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes‹ ist mächtiger als alle menschlichen Liebesbande und treibt hinaus in’s stürmische Meer der Menschheit, um die Rettungsapparate der Liebe Gottes den müden Schwimmern zuzuwerfen, um mit dem herrlichen Evangelium den tausenden von Hoffnungslosen um uns her Hülfe und Rettung zu bieten. Welche Wonne, wenn so ein Mitmensch nach dem andern seine Füße auf den Felsen stellt und nun dankend anblickt zu dem Himmel und dem lieben Vater da droben sein Lobopfer, die Frucht der Lippen (Eb. 13,15), darbringt.«74

Bei seiner Darstellung der Zustände in Berlin erwähnt er zahlreiche Initiativen, die der kirchlichen Unterversorgung entgegensteuerten, wobei neben der Schriftenverteilung oder der Mission unter den Droschkenkutschern durch Mrs. Palmer Davies unter anderem auch der Verein in der Oranienstraße wohlwollende Erwähnung findet. Das eigentliche Zentrum, die »beste Arbeit«, sieht Schlümbach aber in der Berliner Stadtmission. Er setzt an zu einer Lobrede auf Stoecker, die stark politisch ausgerichtet ist: »Berlin war so recht der Tummelplatz der Socialdemokraten und Freigeister, sie hatten ja

73 Vgl. Der Evang. Oberkirchenrath in Berlin. In: FB 1885, S. 22–23; vgl. auch Voigt: Christlieb, S. 37. Das Schreiben des Evangelischen Oberkirchenrats ist im EZA Berlin unter der Bestandnummer 7/3449 archiviert. 74 Fr. v. Schl.: Innere Mission in Deutschland. In: FB 1885, S. 111.

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die ganze Maschinerie in ihrer Hand, um die Herzen der Menschen zu vergiften und zu verderben.« Doch mit Stoecker sei dem ein Mann entgegengetreten, »der noch nicht genug gekannt ist in der Welt der Christenheit, dessen wirkliche Größe im Dienste des Herrn erst nach seinem Tode wahrhaft erkannt werden wird; ich hatte die allerbeste Gelegenheit, mit diesem Helden Israels bekannt zu werden und je mehr ich ihn beobachtete, desto mächtiger und herrlicher erschien er mir, desto inniger liebte ihn mein Herz; bescheiden, wie selten einer, demüthig, kindlich einfach, muthig wie ein Löwe, tiefernst in seinem inneren Glaubensleben, aufrichtig und wahrhaftig zum Erstaunen steht er, verfolgt und verachtet von Tausenden, ein selbstbewußtes Werkzeug Christi, wie ein Held auf seinem Platze.«75

Neben der Stadtmission wirke er großen Segen durch seine Christlich-Sociale Partei; es sei schon »etwas Großes, daß im Gegensatz zu den pantheistischen Bestrebungen der Socialdemokraten und auch der Fortschrittler, eine Volkspartei besteht, die sich nicht schämt, auf ihr Banner den Namen des Nazareners zu schreiben. Bricht erst wieder das Evangelium sich Bahn unter den Volksmassen der Großstädte, so wird es bald ein Ende haben mit den dummdreisten Maulhelden der Volksverführer unserer Zeit, die da glauben, daß das Volk so dumm sei, daß es sich stets Steine für Brot reichen lasse.«76

In Bezug auf den Konflikt mit dem Reformjudentum in Berlin schreibt Schlümbach: »Kein Mann wie gerade er hat es verstanden an das Herz der Berliner Massen zu dringen; keiner wie er konnte dem Riesen ›Religionshaß‹ die Stirne bieten und es wagen in die Höhle des Löwen einzudringen. [. . .] Gerade deßhalb aber wurde er auch die Zielscheibe des Hasses der Feinde Gottes und wurde ihm Falle um Falle gelegt.«77 Dass Schlümbach sich hier traditioneller antisemitischer Diktion bedient, ist deutlich; den Begriff »Held Israels« für Stoecker zu gebrauchen, ist doch ein eigenwilliges Bild. Über den Verlauf des sogenannten Bäcker-Prozesses schreibt Schlümbach an Stoecker: »Laß die Satansbrut nur heulen. Du siehst, daß Du ihnen hart auf den Fersen gesessen hast. Sonst würden sie nicht so erbärmlich toben.«78 Im Sommer 1885 war Schlümbach noch unsicher, wo er den Herbst über arbeiten würde; London und Berlin, aber auch Kalifornien standen zur Wahl. Über sein Verhältnis zur deutschen und amerikanischen Kultur schreibt Schlümbach in dieser Zeit an seine Schwester: »Mit welcher Freude Nachrichten aus Eurer Mitte aufgenommen werden kann ich dir nicht sagen, weißt du ich bin eben schon so sehr Deutscher geworden, daß ich wie 75 76 77 78

Fr. v. Schl.: Innere Mission in Deutschland. In: FB 1885, S. 111. Fr. v. Schl.: Innere Mission in Deutschland. In: FB 1885, S. 111. Fr. v. Schl.: Innere Mission in Deutschland II. In: FB 1885, S. 134–135. Zit. nach Oertzen: Stoecker I, S. 318.

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der Colossus vor Zeiten mit einem Fuß drüben u. mit dem anderen hier stehe u. so für beide Theile gleiches Interesse habe; u. so weißt du auch, daß ich für Alles da drüben ein Herz voll Liebe [. . .] habe.« 79

So reiste er denn im September 1885 auch nicht nach Kalifornien, sondern nach Europa, um zunächst in London und dann in Berlin zu wirken. Über die Tätigkeit in London liegen keine weiteren Informationen vor, aber der geplante Berliner Aufenthalt konkretisierte sich im Herbst dahingehend, dass wohl unter Federführung des Komitees vom Christlichen Vereinshaus am Weddingplatz entschieden worden war, ihn vom 1. November an als »Evangelist« arbeiten zu lassen.80 Bereits am 6. November schreibt er: »Meine Arbeit geht recht gesegnet voran u. ich hoffe zu Gott[,] daß viele Seelen gewonnen werden, die Säle füllen sich schön.«81 Zur gleichen Zeit arbeitete auch Dr. Bädeker in Berlin, der in enger Verbindung mit einigen freikirchlichen Gemeinden dort und in einem Evangelisationszelt in Charlottenburg Versammlungen hielt.82 Darüber hinaus hielt Schlümbach den ganzen Winter über Veranstaltungen im CVJM.83 Dass die familiären Verhältnisse Schlümbachs in Amerika nicht zum Besten standen, zeigt sich daran, dass er Anfang November von zu Hause immer noch nichts gehört hatte, »die Stille fängt an schaurig zu werden«.84 Umso mehr genoss er das Miteinander in seiner deutschen Verwandtschaft. Zur Verlobung seiner Nichte Emma schrieb er einen überschäumenden Glückwunschbrief, zumal sie sich mit »m. l. Freund Wolfgang [Zeller]« verlobt hatte.85 Weihnachten verlebte Schlümbach wie im letzten Jahr im Kreise seiner Verwandtschaft in Markgröningen. Seine Stiefmutter hatte er nach einer schwierigen Zeit aus den USA wieder mit nach Deutschland gebracht. Sie unterstützte Schlümbach in den ersten Wochen in Europa finanziell.86 79 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 18. 8. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [24]). 80 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: EB 1885, S. 405; Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 21. 10. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [28]). Schlümbach kam wieder bei Fräulein von Jena in der Hohenzollernstraße unter. 81 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 6. 11. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [29]). Vgl. auch Kirchliche Nachrichten. In: EB 1885, S. 405. Auch der methodistische Prediger G. Frei berichtete Anfang Dezember davon, dass Schlümbach wieder in Berlin wirke, hatte dies aber lediglich gehört und Schlümbach nicht selbst erlebt; vgl. G. Frei: Mittheilungen aus Berlin. In: CA 1886, S. 6. 82 Vgl. G. Frei: Mittheilungen aus Berlin. In: CA 1886, S. 6. 83 Vgl. Monatlicher Anzeiger des CVJM Berlin für 1885 III/8, S. 2 u. 5, III/9 S. 2 u. 5, III/10, S. 2 u. 5, III/11, S. 2, 3 u. 5, für 1886 IV/1, S. 2, 3 u. 5, IV/2, S. 2 u. 5, IV/3, S. 2 u. 5. 84 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 6. 11. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [29]). 85 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 18. 11. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [30]). 86 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 16. 10. 1885 (ArchFam,

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Nach den Weihnachtstagen begab sich Schlümbach Ende Dezember nach Stuttgart. Dort traf er mit seiner Halbschwester Mina zusammen. Bis zum Sommer hatte er von deren Existenz gar nichts gewusst, ein Pastor in Deutschland hatte den Kontakt schließlich hergestellt; an seine deutschen Verwandten schrieb Schlümbach darüber: »Habt Ihr schon von Frl. Mine v. Schlümbach gehört, ich stehe in Correspondenz mit ihr, sie ist die Tochter unseres Vaters vor der Ehe u. scheint eine recht brave Alte Jungfer zu sein, sie zieht nach Stuttgart dieser Tage. Kurz vor meiner Abreise schrieb mir ein Pastor über sie u. seitdem bin ich mit ihr bekannt, sie sandte mir ihr Bild. Ich bedaure sehr daß Vater sie nicht nach Ingelfingen genommen, es wäre christlicher gewesen. Ich schrieb jedoch Mine, daß ich mich nicht für Emma oder Alex verbürge sondern nur individuell handle, also könnt ihr sie gerade so behandeln, wie es Euch paßt.«87

Doch auch bei seiner Schwester Emma fand Mina freundliche Aufnahme. Mina selbst schreibt an Sylvester 1885: »Unser l. Fritz der gestern & vorgestern sehr schön gesprochen hat (aber leider etwas heiser war,) will heute noch mit [. . .(unleserlich)] bei mir zusammen sein, den Sylvesterabend sollen wir mit der l. Ottilie & ihren Kindern feiern & von dort zur Bahn, indem Fritz mit dem Nachtzug weiter will.«88 Mittlerweile hatte Schlümbach auch wieder regelmäßig von seiner Familie aus Texas gehört. Die Versammlungen, von denen Mina schrieb, hatten im Stuttgarter Königsbau stattgefunden. Dort sprach Schlümbach am 29. 12. 1885 über »die religiöse Bewegung in Berlin«. Diese vollziehe sich »innerhalb der Landeskirche, wenn sie zunächst auch nicht von ihr angeregt ist«. Schlümbach führte aus, welche tragende Rolle das Gebet und das Hören auf das Wort Gottes für diese Bewegung hätten.89 Die Unterkünfte für die nächsten Wochen und damit seine Reisepläne lauteten: bis 6. 1. »General von Jena, Lobeit bei Horken, Schlesien.«, dann bis 11. 1. »F. v. Seidlitz, Habendorf, Langenbülow, Schlesien«, danach Hohenzollernstraße in Berlin.90 Nach der Rückkehr aus Schlesien fand vom 31. Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [27]); Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 21. 10. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [28]). 87 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 17. 7. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [20]). 88 Vgl. Brief Mina von Schlümbachs an Familie Werner vom 31. 12. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [31]). 89 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsbündnissen. In: JB 1886, S. 6. 90 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner, Anhang zum Brief Mina von Schlümbachs an Familie Werner vom 31. 12. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [31]). Bei Redern: Segensspuren, S. 71 heißt es, Schlümbach habe – wie Ende des Jahres Dr. Ziemann – 1886 bei der umtriebigen Miss Garnett in der Regentenstraße gewohnt, wo auch regelmäßig Versammlungen stattfanden. Vielleicht bezieht sich das auf einen späteren Aufenthalt oder Schlümbach wechselte das Quartier.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Januar bis zum 1. Februar 1886 das dritte Jahresfest des Berliner CVJM statt, bei dem Schlümbach als Festredner zugegen war. Er legte seiner abendlichen Ansprache 2. Kor. 10,4 zugrunde: »Die Waffen unserer Ritterschaft sind nicht fleischlich«.91 Über Schlümbachs öffentliche Rednertätigkeit hinaus waren im Winter 1885/1886 in Berlin Zusammenkünfte von besonderer Bedeutung, die »in verschiedenen Salons für Schlümbach eingerichtet wurden«92. Als erste öffnete Gräfin Waldersee ihre Wohnung in der Herwarthstraße für eine solche Zusammenkunft, die am 26. Januar 1886 stattfand. Marie von Waldersees Nichte, Elisabeth von Waldersee, skizzierte in ihren Aufzeichnungen den Abend folgendermaßen: »Auf Stöckers Veranlassung hatte Tante Mary dem Prediger v. Schlümbach ihre Salons geöffnet und einen Teil der Hofgesellschaft dazu eingeladen, sowie etliche Verwandte. Der Onkel stellte den Prediger den Anwesenden vor, einen schlichten, aber seltsam imponierenden Mann, groß und stark, mit hellen klaren Augen, die den Hörer durch und durch zu blicken schienen. Er erzählte etwas von seiner Evangelisation im Norden und Osten der Stadt und fügte hinzu, es sei kein Unterschied zwischen denen, die in den Arbeitervierteln im Schmutz ihrer Gottesferne zugrunde gingen, und den Anwesenden. ›Sie, meine Damen und Herren, brauchen das reinigende Blut Christi genau wie jene; auch Ihre Herzen sind beschmutzt. Das erschreckt Sie? Sie sind solche Sprache nicht gewohnt? Ich möchte es noch schärfer ausdrücken: Auch das natürliche Herz des Weltmenschen verkommt im Dreck, wenn nicht das Blut Jesu Christi es rein wäscht von aller Sünde. Aber nicht nur zur Vergebung ist das Blut Jesu da, sondern es reinigt uns auch von aller Untugend, es macht frei! Es gibt nur dies eine Heilmittel; und noch heute abend können Sie es annehmen und anwenden.‹«93

Elisabeth von Waldersee drang ihren eigenen Aufzeichnungen nach in dieser Nacht zur christlichen Heilsgewissheit durch. Ob diese Salonzusammenkünfte tatsächlich von Stoecker veranlasst waren, mag dahingestellt sein, denn Mary von Waldersee und Schlümbach verband schon zuvor eine enge Freundschaft. An diesem ersten Abend war auf jeden Fall auch Andreas Graf Bernstorff zugegen und sprach das Eingangsgebet.94 In diesen ersten Monaten des Jahres 1886 war das erweckliche Leben in Berlin ausgesprochen rege. Versammlungen, Bibelstunden und Gebetsstunden folgten dicht aufeinander. »Man traf sich immer wieder mit denselben Menschen, man redete untereinander über diese Fragen und über weiter

91 Vgl. Editorielle Notizen. In: EKA 1886, S. 51. Im Februar 1886 war auch Ernst Gebhardt in der Stadt und leitete eine Heiligungsversammlung; vgl. G. Frei: Unser Werk in Deutschland’s Residenz. In: CA vom 27. 5. 1886, S. 1. 92 Waldersee: Klarheit, S. 263. 93 Redern: Segensspuren, S. 66–67. 94 Waldersee: Klarheit, S. 263, wo auch ausführlich von dieser Zusammenkunft berichtet wird.

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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nichts; auch in anderen Kreisen wurde die ›Bewegung‹ zum Gesprächsstoff. Stöcker und Schlümbach waren in aller Mund, auch Pückler und Bernstorff, - und nun auch der Graf Waldersee -, es gab Leute genug, die es nicht gut heißen konnten, daß vornehme Männer, und gar noch hohe Offiziere, sich an solcher Bewegung beteiligten.«95 Seine »schwere anstrengende Arbeit« in Berlin plante Schlümbach nach der ersten Märzwoche abzuschließen und freute sich schon auf etwas Ruhe.96 Diese suchte er in Köthen zu finden. Davon, dass er tatsächliche Muße fand, zeugt ein langer Brief, den er am 9. März an seine Verwandten in Markgröningen schrieb. In ihm setzt er sich aber auch intensiv mit seinem angeschlagenen Eheleben auseinander: »Meine Theuren! Nun ist ja meine Berliner köstliche reichgesegnete Arbeit zu Ende u. ich sitze hier im lieben Cöthen bei den theuren Freunden u. ruhe mich [. . .] aus! Fahre Schlitten, spiele Billard u. schreibe, plaudere u. lebe ruhig u. glücklich. Gott sei Dank der mir einen so reichen Kranz von theuren Freunden u. Freundinnen geschenkt hat, es ist wirklich erfreuend zu sehen, wie sie es Alle mit mir so gut meinen u. ich recht gesegnet werde für das schwere Herzeleid, das mich sonst begleitet durchs Leben. Mein Abschiedsbesuch bei Generalsup. Braun war auch ein recht köstlicher u. für meine Seele ein rechter Trost, dieser hohe Kirchenfürst hat mich so inbrünstig geherzt u. gesegnet, trägt mit mir stille im Gebet, das Trübe m. Ehelebens u. ist mit mir eines Herzens u. Sinnes in der Sache für die Zukunft das tröstet mich so sehr. Leider ist drüben noch Alles beim Alten u. vor der Hand wenig Hoffnung auf Besserung, so viel ist mir aber sonnenklar Scheidung ist nicht! Aushalten bis ans Ende mit treuer Glaubensfestigkeit, meine tr. Berliner Freunde u. Freundinnen, besonders m. treue Schwester Emilia, sind mir Ersatz genug für alles Herzeleid u. hoffentlich behaltet auch Ihr meine Verwandten mich herzlich lieb [. . .]; es wird der treue Gott gewiß auch Wege [. . .] [wissen] aus meinem Elend heraus u. solange mir dieser Pfahl im Fleische bleibt, wird Er mir auch Kraft geben es zu tragen. Er hat zwar die Fackel der ehelichen Liebe (des Wohlgefallens am Weibe) jetzt gänzlich ausgelöscht, so daß ich nur noch in ihr die Mutter meiner Kinder u. mein Eheweib sehe, aber um so ruhiger werde ich sie tragen mit ihren Schwächen u. Sünden, aber Theil daran nehmen wie bisher werde ich nicht u. darf es auch nicht; hat sie schwere Zeiten für die Zukunft so thut es mir leid, sie hat es viel selbst verschuldet, ich gehe ruhig nach Hause zurück, denn ich habe jetzt innere Klarheit über m. Verhalten u. es sei denn sie bekehre sich zu Ihrem

95 Waldersee: Klarheit, S. 264. Vgl. auch Redern: Segensspuren, S. 65, die die »durch die Berliner Kreise wehende Erweckungsluft« mit der Oxfordbewegung verbindet, als deren Exponenten sie Stockmayer in der Schweiz und Christlieb in Bonn bezeichnet; in Berlin seien die »ernst nach Heiligung strebenden Christen« ergriffen. 96 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 20. 2. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [32]). Ebenfalls in Berlin, im Verlag der Deutschen Evangelischen Buchund Tractatgesellschaft, erschien im Jahr 1886 eine heiligungstheologische Schrift, für die Schlümbach das Vorwort verfasst hatte, von der heute aber leider kein Exemplar mehr vorliegt: G. H. Wilkinson: Brich um, was brach liegt. Handreichung zur Selbstprüfung. Aus dem Englischen von E. v. W. Mit einem Vorwort von F. v. Schlümbach, Berlin 1886.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Gott u. nehme die [bibl.(?)] Stellung zu ihrem Manne ein, so wird sie eben lernen, daß Herzlosigkeit eine Strafe im Gefolge hat aufs eigene Herz, u. mag sie dadurch noch geweckt werden können ehe es zu spät ist. Ich habe gottlob den [. . .] Sieg in Christo Jesu gewonnen daß ich ihr nicht im Zorn grolle [. . .]; ich habe furchtbare Zeiten durchkämpft u. Schweres gelitten Tag u. Nacht, nur Er hat mich getröstet u. in Seiner Liebe besonders m. tr. Freundin zur Seite gestellt, die mich kennt u. so versteht wie ich verstanden sein muß u. lenkbar zu sein; los von der Sünde zu kommen u. frei zu werden vom Haß [. . .] u. Tücke. Gottlob ich glaube ich kann nun ruhig weiterleben u. m. Berufspflichten erfüllen, ohne thörichte Pläne u. Wünsche u. nur hoffend auf die zukünftige (hoffentlich baldige) Hülfe meines Herrn! doch genug davon, ich sehe ich bin in ein Thema gerathen das ich gar nicht berühren wollte. Hoffentlich kann ich mit Schw. Mina am Abd des 28 März zu Euch kommen und den 29. bleiben am 30. früh über Leonberg nach Stuttgart u. Abds nach Geislingen fahren, am Abd des 1. muß ich spätestens in Berlin sein. Bis zum 26. bleibe ich in Schlesien! Adr. bleibt Berlin! wie bisher! [. . .] Ich reise über München, da ich dort m. liebe Freundin, die sehr krank ist, besuchen soll. [. . .] Der letzte Brief brachte günstige Nachrichten von Thekla die Kinder sind alle wohl gesund u. glücklich, das freut mich so sehr, daß meine armen Kinder nicht darunter zu leiden haben u. will ich eben gerade wegen ihnen das Schwerste tragen wenn ich sie nur recht glücklich sehe.«97

In Berlin besuchte Schlümbach auf Wunsch Mary von Waldersees deren schwer erkrankten Ehemann, um unter Handauflegung mit ihm zu beten.98 Bevor Schlümbach abreiste, fand in Berlin Anfang April eine Konferenz des Evangelisationsvereins statt, den auch Gräfin Waldersee mit viel Sympathie begleitete. Für drei Tage traf man sich im Haus in der Behrenstrasse, um dem Verein und der zu ihm gehörenden Evangelistenschule Johanneum einen festeren Rahmen zu geben. Zur Eröffnung der Tagung am 2. April sprach Schlümbach das Eingangsgebet. Die wichtigsten Vorträge hielten Elias Schrenk, Jasper von Oertzen und Theodor Christlieb. Bereits aus diesen wurden die zentralen Punkte deutlich, die sich bereits in den vorläufigen Statuten von 1884 befunden hatten und die man schließlich in die endgültigen Satzungen übernehmen sollte, nämlich 1. nur im Anschluss an die Geistlichen der Landeskirche zu wirken, 2. Evangelisten »nur das lautere Evangelium schlicht und kräftig zur Erweckung der Gleichgültigen und Unkirchlichen« verkündigen zu lassen, 3. die Zugehörigkeit der Evangelisten zur Landeskirche und deren Abendmahlsgemeinschaft zur Pflicht zu machen, 4. niemals Versammlungen zur Stunde eines öffentlichen Gottesdienstes abzuhalten, und 5. die Erweckten »den bestehenden Kirchen und deren gläubigen Seelsorgern zur weiteren Pflege zu überweisen und keinerlei außerkirchliche denominationelle Zwecke zu verfolgen«99. Der »evangelisch97 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 3. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [35]). Beachtlich ist die nun enge Verbundenheit mit Th. Braun. 98 Vgl. Waldersee: Klarheit, S. 264. 99 Vgl. Voigt: Schlümbach, S. 353; vgl. auch Aus Berlin. In: FB 1886, S. 79, wohl in Übernahme eines Artikels aus dem EKA.

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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kirchliche Charakter« war damit eindeutig festgeschrieben und hatte wohl auch Schlümbachs Zustimmung gefunden. Für ihn wurde nach diesen Tagen eine Abschiedsfeier im CVJM veranstaltet. Das Ehepaar Waldersee gab ihm herzliche Segenswünsche mit auf die Rückreise.100 Schlümbach reiste aber noch nicht in die USA, sondern zunächst nach London, wo er über die ganze Stadt verteilt arbeitete, was durch die »colloss. Distancen« recht mühsam und anstrengend war.101 Gleichwohl »[hat] der Herr mein Wirken auch hier wunderbar gesegnet! Ich kann ihm nicht genug danken.« Nun sei es aber Zeit für Ruhe und Erholung. Seine Stiefmutter konnte er offenbar bei Verwandten in Deutschland lassen, auch wenn diese gerne weiter mit ihm die Welt bereist hätte. Die Art ihrer Lebensführung, ohne Pläne in den Tag hineinzuleben und diesen nach Möglichkeit mit Nichtstun zu verbringen, machte Schlümbach nach wie vor ratlos.102 Am 22. April schiffte er sich auf der Werra ein und erreichte am 1. Mai 1886 New York. In Deutschland gab es mittlerweile auch aus den Reihen des Schlümbach wohlgesinnten Rheinisch-westfälischen Jünglingsbundes Kritik am Sendungsbewusstsein des Berliner CVJM, das vor allem dem Drängen von dessen amerikanischen Freunden zugeschrieben wurde. So veröffentlichte Bundesagent Helbing einen ausführlichen Artikel im Jünglingsboten, in welchem er kritisierte, dass der Berliner CVJM Gratisausgaben seines Monatlichen Anzeigers an die westdeutschen Vereine sende, um Propaganda für seine Art der Vereinsarbeit zu machen. Amerikanische Freunde und Gönner hätten darüber hinaus beim Weltkomitee in Genf den Vorschlag gemacht, in Deutschland gezielt auf Vereinsgründungen nach dem Modell des YMCA hinzuarbeiten. Da kürzlich nur die bereits bestehenden CVJMs in Berlin, Hamburg – dort war 1885 von Jasper von Oertzen ein solcher gegründet worden – und Reutlingen im Monatlichen Anzeiger als Vereine »gleicher Tendenz« bezeichnet worden waren, versucht Helbing ausführlich nachzuweisen, dass die bestehenden Vereine des Westbundes keine andere Tendenz verfolgten und in ihrer Außenwirkung ähnlich offensiv und erfolgreich seien wie der CVJM in Berlin. »Um noch mehr Erfolg als bisher zu haben, haben wir nicht nötig, unsern von den Vätern ererbten Namen und unsere Organisation dranzugeben; treue Arbeit ist der sicherste Weg zum Erfolg.«103

100

Vgl. Waldersee: Klarheit, S. 264. Erneut arbeitete er mit Dr. Ziemann zusammen, mit dem gemeinsam er in London einen jungen Mann namens Zimmermann auf das Johanneum in Bonn aufmerksam machte und diesem damit den ersten offiziellen Schüler zuführte; vgl. Haarbeck: Evangelistenschule, S. 24. 102 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 19. 4. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [34]). 103 F. Helbing: Vergleiche und Schlußfolgerungen. In: JB 1886, S. 85–87, dort 87. 101

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Ein gutes Jahr sollte vergehen, bis Schlümbach erneut nach Deutschland kam, nun aber unter anderen Vorzeichen. Waren die beiden Winterkampagnen 1884/1885 und 1885/1886 durch eine rege Tätigkeit und ein großes Reisepensum gekennzeichnet gewesen, so war Schlümbachs Gesundheit von 1887 an erneut sehr angegriffen, was ihn in seinen Wirkungsmöglichkeiten deutlich einschränkte. Er bezeichnete sich selbst als »nervenkrank« und suchte in Deutschland vor allem Gesundung.104 Mitte Juni 1887 war er in Begleitung seiner Nichte Emma, der Tochter Alexanders, die er kurz zuvor zu dieser Reise überredet hatte, in Deutschland eingetroffen.105 Erst bei der vom 27.–29. August 1887 in Dessau tagenden zweiten General-Konferenz der deutschen – das Deutschnationale wurde wie schon beim ersten Jünglingstreffen stark betont – Jünglingsvereine trat er öffentlich in Erscheinung. In der öffentlichen Versammlung am Nachmittag des 28. 8. hielt er neben Oertzen, Frenzel, Klug, Brinkmann und Fermaud eine Ansprache. Er sprach über das Thema »Heiliget den Herrn in euren Herzen!«, »gewürzt durch manche praktische Erzählung«. Am Abend gab er einen Bericht von seiner Reise durch Kalifornien Anfang 1887.106 Im »Verzeichnis der Deputierten« war er mit »Texas, N. Amerika« angegeben.107 Schlümbach nahm noch einige Termine im Berliner CVJM wahr108, im Oktober stand für ihn aber fest, dass er nachhause musste und ein weiterer Verbleib in Deutschland keinen Sinn ergeben hätte.109 Am letzten Tag vor seiner Rückkehr nach Amerika war Schlümbach bei Graf und Gräfin Waldersee zum Essen in die Herwarthstraße geladen. Wehmütig ließen die beiden ihn ziehen, denn es war nicht zu übersehen, dass er in schlechter körperlicher Verfassung war.110 Im Herbst kehrten Friedrich 104 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Keun vom 10. 10. 1887 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [42]). 105 Zu den Reiseplänen vgl. Brief Alexander von Schlümbachs an Emma Werner vom 28. 5. 1887 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [41]): Am Pfingstmontag 1887 Abreise mit der Nichte Emma (Alex an seine Schwester: »Du kennst Fritzens Überredungskunst, er zerstreut sofort jede Bedenken«), am 4. Juni Einschiffung in New York auf der Werra. Emma sollte in Deutschland bei den Werners unterkommen. 106 Vgl. Bockmühl: Die Dessauer Generalkonferenz (Schluß.) In: JB 1887, S. 190–192, dort 191. 107 Vgl. Druckbogen »Zweite General-Konferenz der deutschen Jünglingsvereine« (YMCA Arch., Box »Germany – Student work – West German Bund; Germany – miscellaneous printed material«, Folder »Germany – National Conferences – Reports, etc. 1882–1904«). Das Programm ist auch wiedergegeben in JB 1887, S. 157. 108 Vgl. Monatlicher Anzeiger 1887 V/9, S. 2–4 u. V/10, S. 4–5. 109 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Keun vom 10. 10. 1887 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [42]). Für seine frisch verheiratete Nichte Emma Zeller geb. Werner versuchte er noch bei einem befreundeten Klavierfabrikanten, »Bruder Keun« ein günstiges Instrument für den jungen Haushalt zu bekommen. Er selbst besaß auch ein Piano aus dieser Manufaktur. 110 Vgl. Waldersee: Klarheit, S. 266. Im diesem Lebensbild klingt es so, als sei dies das letzte Zusammentreffen der beiden gewesen. Möglich ist aber auch ein Irrtum in der Datierung. Für

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und Emma nach Texas zurück; in der Weihnachtszeit bedankte sich Emma noch einmal für die schöne Zeit in Markgröningen.111 Auch im Sommer 1888 reiste Schlümbach in erster Linie nach Deutschland, um zu gesunden. Neben seiner Nervenschwäche plagten ihn Nierensteine, und so brachte er den Juni zum Kuren in Bad Wildungen zu und erwog, zur weiteren Therapie nach Marienbad oder Kissingen zu gehen.112 Anfang Juli reiste Schlümbach mit seiner Schwester über Freudenstadt und den Rheinfall nach Konstanz.113 Seine Nichte Emma und deren Mann Wolfgang Zeller animierte er zu einem Überraschungsbesuch für seine Schwester Emma in Konstanz am 9. Juli.114 Vom 10. bis 13. Juli war er mit Emma noch in Solmssenried, bevor sie die Heimreise nach Markgröningen antraten.115 Danach wurde Schlümbach aber wieder im Berliner CVJM aktiv.116 Dieser war mittlerweile aufgrund von allerlei Querelen aus dem Östlichen Jünglingsbund ausgetreten117, blieb in der neu entstandenen Nationalvereinigung aber weiter Mitglied, da auf der Dessauer Konferenz die Gleichberechtigung von CVJMs und Jünglingsvereinen anerkannt worden war.118 In Berlin waren die Vorbereitungen für den Bau eines eigenen Vereinshauses bereits mächtig vorangeschritten. Einen Spendenaufruf zum Bau des Vereinshauses unterschrieben 1888 Bernstorff, Königl. Kammerherr und Schlosshauptmann Freiherr von Ende, Hofprediger Frommel, Kammerherr und Major a. D. Lüttichau, Fürst zu Solms-Baruth, Ratgeber Wilhelms II., Generalstabschef Alfred Graf Waldersee, außerdem weitere hochgestellte Persönlichkeiten.119 Für die veranschlagten Kosten von 905.000 Mark verbürgten sich schließlich fünf finanzkräftige Mitglieder, da der Verein zu diesem Zeitpunkt noch keine Korporationsrechte besaß.120 Bei der Einweihung Mary sei es eine tiefe Freude gewesen, als sie Jahre später hörte, dass Schlümbach im Frieden und mit ruhigem Gewissen heimgegangen sei. 111 Vgl. die Briefe Emma von Schlümbachs an Hermann und Antonie Werner vom 27. 12. 1887 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [43]). 112 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 10. 6. 1888 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [44]). 113 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 3. 7. 1888 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [45]). 114 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Zeller vom 5. 7. 1888 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [46]). 115 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 12. 7. 1888 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [47]). 116 So führt der monatliche Anzeiger ihn für die Monate Juli bis September 1888; vgl. VI/7, S. 4–5; VI/8, S. 4–5 und VI/9, S. 4–5. 117 Zu diesen Auseinandersetzungen vgl. Kupisch: Geschichte 1930, S. 115–122. 118 Vgl. Aus den deutschen Jünglingsbündnissen. In: JB 1888, S. 112. 119 Vgl. Hitzer: Netz, S. 299. 120 Die fünf Mitglieder waren Graf Bernstorff, Graf Waldersee, Professor Miller, Baumeister Schwartzkopff und Graf Harrach; sie verbürgten sich wahrscheinlich zunächst nur für den Kauf

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

am 20. November 1889 war die Kaiserin Auguste Viktoria zugegen.121 John Wanamaker aus Philadelphia hatte angeboten, ein amerikanisches Zimmer im neuen Vereinshaus ganz auf seine Kosten einzurichten.122 Mary Esther von Waldersee hatte auf ihre Kosten ein »Schlümbach-Zimmer« »zu Ehren des Stifters« einrichten lassen.123 Im August 1888 führte Schlümbach eine Reise nach Schweden. Denn der 11. Weltkongress der Jünglingsvereine fand vom 15.–20. August 1888 in Stockholm unter dem Vorsitz von Bischof Gez von Scheele, Gotland, statt. Schlümbach war zusammen mit Bernstorff als Delegierter des Berliner CVJM erschienen; aus Elberfeld war Karl Krummacher angereist.124 Weltweit bestanden zu diesem Zeitpunkt 3.800 Vereine mit 267.052 Mitgliedern und einem deutlichen Schwerpunkt auf den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Irland; aber auch in Deutschland wurden immerhin 35.752 Mitglieder gezählt, wenngleich diese sich aus im Vergleich mit den USA eher kleinen Vereinen zusammensetzten. Die Delegierten wurden auch zu einem Imbiss ins Schloss Drottningholm geladen, wo sie vom Kronprinzen empfangen wurden. Die deutschen Delegierten, unter ihnen sicher auch Schlümbach, legten in der Riddarholmskirche einen Kranz am Sarg Gustav Adolfs als »siegreichen Verteidigers des evangelischen Glaubens nieder«.125 Schlümbach trat bei dieser Konferenz weniger hervor als gewohnt, lediglich in der Debatte über die Frage, was die Bibel jungen Männern heute noch sagen könne, brachte er sich mit einem längeren Redebeitrag ein. Er hob hervor, dass man den jungen Männern die Bibel nur nahe bringen könne, wenn man auch begeistert von ihr rede, so wie man auch sonst Freunden ein gutes Buch empfehle. Denn viele junge Leute hätten Vorbehalte gegenüber der Bibel, sie müssten dahin geführt werden, in der Bibel ein Buch der Freiheit und nicht des Gesetzes zu sehen, einen persönlichen Brief Gottes an sie. Ein Großteil der gegenwärtigen gesellschaftlichen Unordnung sei zurückzuführen auf die Loslösung von den Lehren der Bibel. Als es Schlümbach selbst schlecht gegangen sei, habe der Arzt ihm geraten, die Bibel doch zur Seite zu legen und zu leichterer Kost zu greifen, was er auch getan habe. Schnell habe er aber gemerkt, dass diese »diet« nicht gut für seine Seele gewesen sei und wie sehr sein alltägliches Leben in der Bibel verwurzelt war, und so kehrte er über die Bibel zurück zu »joy and peace in des 400.000 Mark teuren Grundstücks in der Friedrichstraße 214; vgl. Aus den deutschen Jünglingsbündnissen. In. JB 1888, S. 112. 121 Vgl. Hitzer: Netz, S. 299. 122 Vgl. Aus auswärtigen Jünglingsbündnissen. In: JB 1889, S. 152. 123 Vgl. P. Klug: Die Einweihung des neuen Vereinshauses des »Christlichen Vereins junger Männer« zu Berlin. In: JB 1889, S. 195–198, dort 196. 124 Vgl. Report of the Eleventh International Conference, S. 106. 125 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: Ev. 1888, S. 301; Zur Jünglingsvereinssache. In: EB 1888, S. 292.

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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Christ«.126 Schlümbach beteiligte sich auch an der Diskussion über ein Referat zum Thema, wie durch die Vereine die moralische Entwicklung der jungen Männer zu fördern sei.127 Im »inoffiziellen« Teil einer abendlichen Versammlung im Vereinslokal in der Kungsgatan, bei der mehrere internationale Delegierte zusammenkamen, hielt Schlümbach aber eine »feurige[. . .] Ansprache«128; desgleichen bei einem abendlichen Zusammensein auf dem Kapitänshof Ahlberg129. Bernstorff bezeichnete in einem Referat über die geistliche Förderung der Vereinsmitglieder »die Bekehrung der jungen Männer, und demnächst das geistliche Wachstum derjenigen, welche es sind« als das Hauptziel aller Arbeit. Krummacher kommentierte im Jünglingsboten, dass eine solche Konzentration auf die Bekehrung in Deutschland oftmals als »Methodisterei« bezeichnet werde. »Wenn aber das, was ich Dir so eben aus dem Vortrag angeführt habe, ›Methodisterei‹ ist, dann sind wir beide auch Methodisten, wenigstens habe ich die Ziele der Vereinsarbeit nie anders aufgefasst.«130 Wie befremdlich das Miteinander auf der Konferenz auf Außenstehende wirken konnte, wird deutlich aus den Aufzeichnungen der achtzehnjährigen Margaret Ethel Gladstone, die den englischen Delegierten John Gladstone nach Stockholm begleitete und offensichtlich bei den gleichen Gastgebern untergebracht war wie Schlümbach: »The less men understood each other, the more they smiled and embraced. It was most comic the way they all gushed at each other; every one felt so affectionate when all were united there for the same cause and with the same aims. One Swede excused himself for speaking to M. without introduction, as we all expected to meet in heaven and were making acquaintance on earth first. [. . .] The gentlemen were fond of sitting hand-in-hand. [. . .] Before we left, Mr. Schlumbach, a big German who had been an American cowboy, proposed a cordial vote of thanks to our host and hostess [. . .]«.131

Nach der Konferenz in Stockholm reiste Schlümbach zunächst weiter nach Norwegen, wo er in Christiana, dem heutigen Oslo, auf die nachkommenden deutschen Delegierten Helbing und Krummacher wartete (»Es ist gut, Karl, daß Du da bist«) und einige Tage mit der Erkundung der Stadt und Umgebung mit ihnen verlebte, auch im dortigen Jünglingsverein sprach.132

126 127 128

Vgl. Report of the Eleventh International Conference, S. 46–47. Vgl. Report of the Eleventh International Conference, S. 66. Vgl. [o.N.:] Briefe über die Stockholmer Konferenz II. In: JB 1888, S. 162–167, dort

167. 129

[O. N.:] Briefe über die Stockholmer Konferenz III. In: JB 1888, S. 170–175, dort 172. [O. N.:] Briefe über die Stockholmer Konferenz III. In: JB 1888, S. 170–175, dort 171. 131 Zit. nach Cox: Marriage, S. 31. Margaret Ethel Gladstone heiratete den späteren britischen Premierminister Ramsay MacDonald. 132 Vgl. [o.N.:] Briefe über die Stockholmer Konferenz. In: JB 1888, S. 178–180, dort 179– 180. 130

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Daneben waren drei Vertreter des Stuttgarter Vereins zu ihnen gestoßen, mit denen sich Schlümbach auch auf die Rückreise begab. Auf dem Weg nach Kiel machten sie für zwei Tage Station im dänischen Seebad Klampenborg, um sich von der anstrengenden Tagung zu erholen. Einer der Stuttgarter schreibt: »Dieses traute Zusammensein mit Schlümbach war uns besonders teuer, und wir durften beobachten, daß der Schlümbach, der sich uns da in seinem kindlichen Frohsinn und seiner ungesuchten Natürlichkeit gab, die schöne Ergänzung bildete zu dem redegewaltigen und die Gewissen aufrüttelnden Evangelisten Schlümbach der Öffentlichkeit.«133 Wenngleich die Tagung anstrengend gewesen war, fühlte sich Schlümbach bei seiner Rückkehr doch einigermaßen gut. Aber »ich darf nur in dieses Berlin hinein reisen, dann ists mit Ruhe aus. Ein armer. Freund ist hier dem ich diese Woche schenke, er will mir helfen, er ist Millionär in Chicago u. so hat der Herr in Gnaden mein Gebet erhört. Nächste Woche gehe ich mit ihm nach Wildungen auf kurze Zeit u. dann nach Bielefeld zu Bodelschwing [sic] [. . .] u. reise dann hierher zur Arbeit.«134 Mehrere Besuche und kleinere Versammlungen standen auf dem Programm. In einer Versammlung im Berliner Stadtmissionshaus sprach Schlümbach über die Unternehmungen des Missionsbischofs William Taylor in Afrika, die in Deutschland meist sehr kritisch gesehen wurden.135 Nachdem Schlümbach also doch recht aktiv geworden war, musste der Monatliche Anzeiger des CVJM Berlin im Oktober 1888 vermelden: »Wir haben unseren Mitgliedern die betrübende Nachricht zu geben, daß unser Ehrenmitglied, Herr Pastor von Schlümbach, in Folge seiner geschwächten Gesundheit leider nicht in der Lage ist, den Winter über mit uns zu arbeiten, wie es ursprünglich seine Absicht war. Sein Zustand, sowie Krankheit in seiner Familie, haben ihn veranlasst, schon jetzt nach Amerika zurückzukehren. Wir bedauern mit ihm diese Wendung der Dinge, erkennen jedoch auch hierin des Herrn Hand und beugen uns gern unter seinen heiligen Willen. Wir befehlen unsern theuren Pastor von Schlümbach der Obhut unseres Gottes und der Fürbitte unserer Mitglieder. Vielleicht dürfen wir zu einer späteren Zeit mit ihm gemeinsam wieder arbeiten!«136

Die familiäre Situation empfand Schlümbach nach wie vor als belastend und suchte Zuflucht bei seinem Heiland.137 133

Wilhelm Hoch: Friedrich von Schlümbach. In: Licht und Leben 1930, S. 260–263, dort

263. 134 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 29. 8. 1888 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [48]). Er logierte wieder bei Frl. von Jena in der Hohenzollernstraße. 135 Vgl. D. Grundemann: Bischof Taylors sich selbst erhaltende Mission in Afrika. In: Allgemeine Missions-Zeitschrift 1888, S. 270–272, dort 271 Anm. 1. Zu William Taylor (1821– 1902) vgl. Harper: Art. Taylor. 136 Monatlicher Anzeiger 1888 Nr. 10, S. 3. 137 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 29. 8. 1888 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [48]).

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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Das Jahr 1888 hatte in Deutschland eine entscheidende Entwicklung mit sich gebracht, die zwar ohne Schlümbachs direktes Zutun vonstatten ging, aber eng mit dem verbunden war, was durch seine Tätigkeit seit 1882 in Bewegung gekommen war. Männer des damals organisierten Evangelisationskomitees und des daraus entstandenen Deutschen Evangelisationsvereins hatten darauf hingewirkt, für das gemeinsame Anliegen der Evangelisation einen langfristig tragfähigen Rahmen zu schaffen und so den Weg zur Formierung der Deutschen Gemeinschaftsbewegung bereitet. 1886 hatten Bernstorff, Oertzen und Pückler – in Bezug auf Schlümbach also alles »Männer der ersten Stunde« – ein Einladungsschreiben zu einer in Berlin für 1887 geplanten »freien Conferenz christlicher Männer aus ganz Deutschland« entworfen.138 Auf ihr wollte man die »Gegensätze« klären, die sich in der Praxis der Evangelisation in Deutschland ergeben hatten – gemeint waren wohl die Spannungen zwischen Laienevangelisten und kirchlichem Amt, Gemeinschaft und Gemeinde, aber auch »kirchlicher« und »außerkirchlicher« Evangelisation. Entsprechend lässt sich das Einladungsschreiben als in konfessioneller Hinsicht offen verstehen, um eine möglichst breite Beteiligung zu erreichen.139 Die Konferenz kam aber nie zustande. Stattdessen wurde an dem Einladungstext weiter gearbeitet und im nächsten Jahr eine von Christlieb, Pfleiderer, Schrenk und Fabri überarbeitete Version veröffentlicht, die nun zu einer »Versammlung christlicher Männer aus den Landeskirchen Deutschlands« nach Gnadau einlud. Waren die vier Männer zwar in beruflichen Positionen, die es ihnen erlaubten, ein sozusagen »überkonfessionelles« Christentum zu propagieren, so hatten sie doch die Erfahrung machen müssen, dass sie umso weniger Vertrauen und Wirkungsmöglichkeiten fanden, je mehr sie einen solchen überkonfessionellen Standpunkt in ihrer Arbeit vertraten. Daher sollte die Evangelisation verbunden mit der Gemeinschaftsbildung und -pflege nun strikt in innerlandeskirchlichen Bahnen verlaufen. Im Einladungsschreiben wurde als eine der grundlegenden Voraussetzungen genannt, dass man sich an Volkskirche und geordnetem Amt orientiere und daher »separatistische Tendenzen und unevangelische, schwärmerische und gewaltsame Heilsmethoden ferne zu halten seien«, wobei man semantisch gängige Bilder reproduzierte.140 Eigentliche Aufgabe der Konferenz sollte sein, »das Recht der gemeinschaftlichen Privaterbauung [. . .] in ihrem Verhältnis zum geordneten Amt und den Organen der Kirche klar zu stellen«141

138

Dieses Schreiben ist wiedergegeben in: Gemeinschaftsbewegung, S. 24–26. So die Interpretation in Voigt: Christlieb, S. 153. Eine gewisse Einschränkung ist aber bezüglich des Gegenstandsbereichs dadurch gegeben, dass dezidiert vom »Aufbau des Reiches Gottes innerhalb der Volkskirche« die Rede; vgl. Gemeinschaftsbewegung, S. 24. Zur Analyse dieses Entwurfs vgl. auch Ohlemacher: Reich, S. 35–60. 140 Vgl. Voigt: Christlieb, S. 154–155. 141 Zit. nach Voigt: Christlieb, S. 155. 139

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

und damit etwas einzulösen, das auch Elias Schrenk seit seiner Mitwirkung immer wieder betont hatte, nämlich die Erweckten in Gemeinschaften zur Vertiefung ihrer Glaubenserfahrung zu sammeln. Darüber hinaus dürfte es vor allem ein Anliegen Christliebs gewesen sein, die zahlreichen bestehenden Gemeinschaftskreise zu einer noch stärker missionarischen Bewegung zu formen.142 Die Konferenz fand vom 22. bis 24. Mai 1888 in Gnadau statt und versammelte 142 Männer, etwa zur Hälfte Theologen, zur Hälfte Laien, um an den Themen Evangelisation, Gemeinschaftspflege, Laientätigkeit und Heiligung zu arbeiten. Man fand in den meisten Punkten zwar keinen Konsens, schuf aber doch ein Forum intensiven Austauschs und ging im deutlich signalisierten Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit auseinander. Zwei Jahre später wurde bei der zweiten Gnadauer Konferenz das »Deutsche Komitee für Evangelische Gemeinschaftspflege« gegründet, das zahlreiche Gemeinschaften unterschiedlichen Gepräges in einer Bewegung zusammenführte.143 Von Anfang an bestand eine gewisse Spannung zwischen dem Wunsch nach größerer Freiheit der Gemeinschaften von den Landeskirchen und einer grundsätzlichen Positionsbestimmung innerhalb derselben. Auf der zweiten Gnadauer Konferenz führte Jasper von Oertzen aus, dass es ausgerechnet Friedrich von Schlümbach gewesen sei, der ihm aufs Neue den 142

Zu diesem veröffentlichten Einladungsschreiben vgl. auch Ohlemacher: Reich, S. 61–

121. 143 Die sich formierende Gnadauer Gemeinschaftsbewegung wurde im Evangelist so kommentiert, dass man diese »evangelistische Bewegung in den Landeskirchen« durchaus auch als »methodistisch« bezeichnen könne, »denn nach Ansicht eines landeskirchlichen Theologen nennt man heutzutage vielfach ›methodistisch‹ alles, was darauf abzielt, durch Evangelisationsund Gebetsversammlungen, ernstes Predigen und Dringen auf augenblickliche Umkehr die gleichgültigen und unerweckten Seelen zu einer Entscheidung für Christum zu bringen, wie man auch anerkennen müsse, daß diese Bewegung, welche in der ganzen Christenheit zu spüren sei, in dem Auftreten Wesleys in England seinen Ausgangspunkt habe.« Die Konferenz in Gnadau vom 22.–24.1888 Mai sah man auf dieser Linie und fasste die wesentlichen Ergebnisse unter den Stichworten »Laienthätigkeit« und »Evangelisation« zusammen. Es gebe scharfe Angriffe, da die Gegner die Einführung des »Methodismus« witterten; auf der anderen Seite sei aber auch der Versuch, durch Integration seiner Methoden den kirchlichen »Methodismus« überflüssig zu machen, eine wesentliche »Triebfeder«. »Uns selbst aber muß diese Bewegung zur Ermutigung gereichen, denn sie ist eine Frucht des Methodismus.« Vgl. Die evangelistische Bewegung in den Landeskirchen. In: Ev. 1888, S. 244–245. Bereits im Vorfeld der Konferenz hatte der Evangelist bei der Bekanntgabe des Programms kommentiert: »Laienthätigkeit! Evangelisation! Heiligung! Christliche Gemeinschaft! Sind das nicht vier wesentliche Stücke des Methodismus? Vier Punkte, zu deren Vertretung der Methodismus von der Vorsehung ins Leben gerufen worden ist, und welche ihm vonseiten seiner Gegner so oft zum besonderen Vorwurf gemacht worden sind! Und nun wird eine Konferenz landeskirchlicher Männer aus ganz Deutschland berufen, mit dem ausgesprochenen Zweck, dieses ganz und gar methodistische Programm zu prüfen und nach den rechten Wegen, Mitteln und Werkzeugen zu suchen, um es in die Praxis umzusetzen! Wir glaubten, unsern Augen nicht trauen zu dürfen, als wir das lasen.« Vgl. Der Einfluß des Methodismus auf die Landeskirchen. In: Ev. 1887, S. 348–349.

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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Wert der Volkskirche vor Augen geführt habe. Schlümbach habe zu ihm gesagt: »Redet ihr in Deutschland doch nicht von Heidentum! Ihr wisst gar nicht, was das ist. Was neben den Christengemeinden in Amerika von heidnischem Wesen herläuft, davon habt ihr gar keinen Begriff. Wenn ich hier in Europa eine Ansprache halte, da finde ich Verständnis. Woher kommt das? Das Volk ist getauft und das ist nicht gleichgiltig; sehr oft ist christliche Kindererziehung darauf gefolgt und viele sind durch einen gläubigen Konfirmanden-Unterricht hindurchgegangen; darin liegen große Segnungen.«144

Das habe Oertzen in seinen Zweifeln über die richtige Kirchenform geholfen, wenngleich man nicht zuviel an Kirchenverfassungen hängen dürfe.145 An dieser Stelle ist interessant zu sehen, wie Schlümbach, der ursprünglich als amerikanischer Methodist nach Deutschland gekommen war, sowohl von seinen Arbeitsformen als auch seiner späteren volkskirchlichen Orientierung her nun zum Gewährsmann für das in der deutschen Gemeinschaftsbewegung sich verwirklichende Modell zwischen Freikirche und Volkskirche wurde. Mit Theodor Christlieb war derjenige, der von den Erfahrungen mit Schlümbach am ehesten in seiner Arbeitsprogrammatik und ekklesiologischen Verortung beeinflusst worden war, allerdings schon 1889 verstorben. Martin Schian schreibt über die englisch-amerikanischen Anregungen, die letztlich zur modernen Gemeinschaftsbewegung geführt hätten, dass durch Robert Pearsall Smith »und einige später in ähnlichem Sinne in Deutschland arbeitenden Männer, besonders den Deutsch-Amerikaner von Schlümbach, [. . .] der Same zu dem gelegt worden [ist], was wir jetzt die Gemeinschaftsbewegung nennen.«146 Bereits Ende Januar 1889 machte Schlümbach sich erneut auf den Weg nach Deutschland. Nach stürmischer Überfahrt an Bord der Werra, auf der bei Schlümbach eine gesundheitliche Besserung eintrat, erreichte er am 3. Februar 1889 Hamburg. Von dort reiste er weiter nach Berlin, wo er in der Behrenstraße 29 logierte. Über weitere Stationen sollte zwar noch entschieden werden147, aber Schlümbachs Tätigkeit konzentrierte sich doch auf die Hauptstadt selbst. Beim Jahresfest der Predigtverteilung im Osten Berlins hielt Schlümbach die Festrede. Mittlerweile war die Predigtverteilung zu einem großen Arbeitszweig der Stadtmission herangewachsen und brachte jeden Sonntag 120.000 gedruckte Predigten von Berlin aus unters Volk.148 144 Verhandlungen der Gnadauer Pfingstkonferenz Bd. 2, 1890, S. 57–58 u. Oertzen: Oertzen, S. 136; vgl. auch Ohlemacher: Reich, S. 54–55 und Lange: Bewegung, S. 98. Bei Lange: Bewegung, S. 239 wird ein weiteres Zitat Schlümbachs im gleichen Duktus wiedergegeben. 145 Vgl. Verhandlungen der Gnadauer Pfingstkonferenz Bd. 2, 1890, S. 58. 146 Schian: Gemeinschaftsbewegung, S. 4–5, zit. nach Holthaus: Heil, S. 298. 147 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Zeller vom 2. 2. 1889 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [50]). 148 Vgl. Kirchliche Nachrichten. In: EB 1889, S. 143.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Auch im Berliner CVJM engagierte Schlümbach sich wieder auf vielfältige Weise. So waren für den 21. 3., 27. 3., 4. 4. und 25. 4. Ansprachen in den Gruppen der unterschiedlichen Berufsgruppen vorgesehen, daneben allgemeine religiöse Versammlungen für den 31. 3. und 21. 4., Ansprachen bei den Gemeinschaftsabenden der Mitglieder am 1. 4. und 15. 4. und ein »Thee-Abend« über »Reisebilder« für den 26. 4.149 Beim Richtfest für das neue Vereinshaus am 17. 4. war er ebenfalls anwesend.150 Ein so engmaschiges Programm wie in früheren Jahren hätte Schlümbach wohl nicht mehr bewältigen können. Kurz nach seinem letzten Termin Ende April reiste er zurück nach Amerika und traf am 11. 5. in New York ein. Drei Monate später machte sich Schlümbach erneut auf den Weg nach Deutschland, nun ausschließlich, um seine angegriffene Gesundheit zu kurieren. Seinen Sohn »Dolfi« nahm er mit auf die Reise. Beide hofften, bei einer Hochzeit im Hause Werner dabei sein zu können. Aus der Kur in Bad Mergentheim schreibt er an seine Schwester: »Gottlob die Kur scheint mir gut zu thun, es dünkt mich als ob ›Herzverhellung‹ Dr. Ellingers diagnose sei u. ich deshalb allerlei Dinge einnehmen muß, sehr viel gehen, Bäder, Wassertrinken etc. jedenfalls bleibe ich bis 1 Okt. hier u. gehe dann wahrscheinlich an die Arbeit in Stuttgart. [. . .] Ich leide sehr viel an Verstimmungen etc. du kennst das an mir u. bin froh daß Mina u. Frl. Metzenthin hier sind, zur Begleitung, Letztere muß leider bald abreisen, doch kommt wohl Mutter später hierher, diese Woche muß ich noch wenigstens volle Ruhe haben. [. . .] Für die Zukunft habe ich noch keine Pläne.«151

Nach dem 1. Oktober ging er nicht an die Arbeit in Stuttgart, und auch nirgendwo anders. Er begab sich zwar nach Berlin, hatte sich aber auch dort absolut ruhig zu verhalten. Wie schwer ihm das fiel, bezeugt ein besorgter Brief des besagten Fräulein Metzenthin aus Berlin an Hermann Werner: »Sehr geehrter Herr Doctor! [. . .] Herr Dr. Ellinger hat mir das Resultat [. . .] gemeldet, welches im Allgemeinen ja recht günstig lautet, aber die jenigen doch nicht zu beruhigen vermag, die mit der ganzen Eigenart unsres lieben Freundes vertraut sind. Ruhe verordnen ist recht leicht, aber einem solchen Strebegeist welche geben, unendlich viel schwerer. Fragen Sie nur Ihren ›gehorsamen‹ Patienten wie er sich zu dem Verbot Briefe zu schreiben verhält, und Sie werden [. . .] bedenklich den Kopf schütteln u. tadeln da muß die arme Schwester Mina wohl unter Ach u. Weh einige nichtssagende Worte niederschreiben, da übernehme ich wohl die diplomatische Beantwortung einer Note [. . .] (was heut geschehen,) eben kommt etwas was an Kopf u. Herz geht, dann sitzt unser ›Herzkran-

149

Vgl. Monatlicher Anzeiger 1889 Nr. 3, S. 1; Nr. 4, S. 1. Vgl. Kupisch: CVJM 1930, S. 106. 151 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 12. 9. 1889 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [51]). 150

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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ker‹ nicht nur am Schreibtisch sondern weiß ohne viel Mühe den [. . . (unleserlich)] in Trab zu bringen; ist das Ruhe?«152

Bezüglich der beabsichtigten Abreise des Freundes nach Amerika will sie sich versichern, dass die Lasten und Anstrengungen dort keine Gefahr für ihn darstellen. Da viele Freunde in Berlin ähnlich dächten und alles zu Gesundung Schlümbachs beitragen wollten, würden diese »Vorschläge zum Bleiben in allen möglichen Formen darbringen«. Ließen sich von Deutschland aus vielleicht ohne zu große innere Anstrengung die äußeren Verhältnisse regeln? »Was ist hier schon alles über den lieben Freund u. sein Wohl u. Wehe geplant worden, aber mir ist doch die Gewißheit, daß man auch viel für ihn betet der größte Trost. [. . .] Mir ist menschlich gesprochen recht bange den theuren Freunde jetzt wo der Geist in ruhigere Bahnen zurückgekehrt, in die Heimat, die für ihn die Fremde bedeutet zurückzusenden. Sie können versichert sein, ich bin von Schwärmerei u. Sentimentalität weit entfernt, aber das Herz thut mir weh wenn ich denke, daß der Mann, der sich in so weiten Kreisen inniger Liebe u. Anerkennung erworben in seiner Ehe so arm, so bettelarm sich fühlen muß.«153

Hier wird es so formuliert, dass Schlümbach mittlerweile seine eigentliche Heimat in Deutschland gefunden habe. Indirekt werden seine körperlichen Beschwerden so auch mit einer inneren Zerrissenheit zwischen den Kulturen in Verbindung gebracht. Dennoch reiste Schlümbach schon bald nach Amerika ab, blieb aber nicht lange in Perry, sondern begab sich nach Galveston, um sich weiter zu kurieren. Von dort schreibt er am 20. Dezember 1889 an den Berliner CVJM: »Meine theuren Brüder! Daß ich so lange geschwiegen, ist nicht deshalb, weil mein Herz nicht warm schlug für Euch und Euer Werk, oder daß ich nicht hochbeglückt war für die lieben Cabelworte. Nein, ich war begierig, erst das Nähere der herrlichen Einweihung vor mir zu sehen (Bericht im Heft Dez. 1889), und bin so sehr beglückt über den Bericht! Ach der liebe Heiland ist doch recht gut, daß Er auch da wieder so klar bewiesen hat, es ist Seine heilige Sache, die wir treiben. Kann es da fehlen? Wenn uns dann auch Freunde, auf deren Hülfe wir gebaut, untreu werden, wenn dann auch unsere Hoffnungen zerschlagen werden, Er führt es alles nach seinem Willen herrlich hinaus! Darum unverzagt! Kommen Prüfungen, Brüder, das sind nur so zu sagen Signalsteine wie an der Eisenbahn: Halt! wenn die Barriere geschlossen ist! Ja ein Halt ruft auch Er oft zu, wenn wir anfangen, etwas gleichgültig zu werden, oder wenn besondere Gefahren uns drohen; solche Prüfungszeiten sind die herrlichsten Liebesbeweise Gottes gegen uns, wenn wir sie nur recht verstehen wollen. Was das Werk selbst anbetrifft, werden wir 152 Brief Frl. Metzenthins an Hermann Werner vom 7. 10. 1889 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [52]). 153 Brief Frl. Metzenthins an Hermann Werner vom 7. 10. 1889 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [52]).

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finden, hat es keine Noth. Er hat es in sein Vaterherz geschlossen, und Niemand darf es bleibend stören! Darum, Brüder, auf zu dem Werk in dem Dienst des Herrn! Sorget doch ja recht dafür, daß der Nachwuchs nicht vernachlässigt wird, tragt ihr alten Kriegshelden nicht immer die Last allein, bedrückt andere Schultern damit, nicht um ihnen Mühe zu machen, sondern um sie mit Segen zu beglücken, denn das ist ja doch unser aller Erfahrung, je schwerer Kreuz, je größerer Segen! Und besonders wer recht hart unter das Arbeitsjoch im Herrn tritt, hat große Freude im täglichen Leben. Seid darauf bedacht, daß Eure Besucher und Glieder nicht nur den Segen des Vereins genießen, sondern auch bald herangezogen werden, gebend und wirkend, so viel, als Gott Gaben und Talente ihnen geschenkt, einzugreifen. Es ist so wie so in unserem menschlichen Thun und Treiben sehr viel Tod im Topf, kommt dazu noch ein selbstgefälliges Genießen, dann stirbt es schnell im Herzen drin, das bischen [sic] Liebeseifer für den Heiland und Sein Reich auf Erden! Streckt die Fühlhörner ruhig aus nach allen Seiten und, Brüder, stärket das Schwache! Schart Euch immer inniger um den Herrn her und wisset, die Epistel des 22. Decembers ist Gottes Wort: Der Herr ist nahe! Im Geiste stehe ich mitten unter Euch, und täglich flehe ich zu Gott, daß er Euch segne fort und fort über Bitten und Verstehen. Mein Herz ist mit dem Euren eng verbunden, und ich freue mich mit Euch über jeden Segen und leide mit Euch in jeder Trübsal. Betet auch für mich. Nun zum Schluß ein gesegnetes neues Jahr! Möge 1890 wiederum tagein, tagaus uns allen zeigen, wie gnädig der Herr ist, und unser Herz voll Jubels, voll heiligen Dankes sein! Grüßet die Brüder und Freunde herzlich Alle von mir. Lasset Eure Lindigkeit kund werden allen Menschen und bittet für die, so unsere Arbeit noch nicht recht verstehen wollen. Wir müssen des Herrn Willen thun! Junge Männer zu Jesu zu führen, o selige Arbeit! In dankbarer, treuer Bruderliebe bleibe ich Euer geringer Bruder Schlümbach«154

Etwa zur gleichen Zeit schrieb er auch einen Brief an Adolf Stoecker, der in Berlin als Hofprediger entlassen worden war, in dem er vor allem die neue Freiheit betonte, die Stoecker nun habe.155 Anders als in den Jahren zuvor dürften bei den letzten Reisen Schlümbachs über den Atlantik keine jungen Männer mehr mit ihm nach Amerika gekommen sein. In der Mitte der 1880er Jahre hatte er noch regelmäßig einige von ihnen für das Leben in seiner texanischen Kolonie begeistern können. Doch auch seine Projekte dort mussten gegen Ende der 1880er Jahre einige Rückschläge erleben. Am Anfang hatte jedoch ein regelrechter »Boom« gestanden.

154 155

Zit. nach Monatlicher Anzeiger 1890 Nr. 2, S. 4. Vgl. Oertzen: Stoecker I, S. 426.

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5.2 »Schlimbach boom« – Farmer und Koloniegründer in Texas Für die Entwicklung der Region um Perry mit dem Grenzgebiet zum McLennan County waren der Zuzug Friedrich von Schlümbachs und seine ehrgeizigen Siedlungspläne von großer Bedeutung. Der dort bereits ansässige Charles L. Wiebusch sah mit dem Herbst 1883 eine Periode beginnen, die in der Region unter dem Namen »Schlimbach boom« bekannt werden sollte.156 Schlümbach kaufte Ländereien auf – zum einen, um sie in kleinen Parzellen an die mit ihm aus Deutschland einreisenden Deutschen weiterzuverkaufen, aber auch um das Land selbst zu kultivieren und von den mitgebrachten jungen Männern bebauen zu lassen, die sich noch keine eigene Farm leisten konnten. So heißt es in späteren Quellen über Schlümbach, dass er »große Ländereien besaß und Viehzucht betreiben ließ« und dass mehrere der jungen alleinstehenden Männer aus Deutschland »in Schlümbachs Betrieben tätig waren«.157 Tatsächlich war Schlümbach bei seinen landwirtschaftlichen Zielen ehrgeizig. Er gehörte zu den einzigen beiden Farmern in den USA, die für die eigene Zucht Simmenthal-Rinder aus Europa einführen ließen; eine Rasse, auf die Schlümbach 1886 in Deutschland gestoßen war und die auf ihn den Eindruck machte, dass sie gut für die Verhältnisse in Texas geeignet sei. Auch weitere Zuchttiere führte er aus Deutschland ein.158 Im Rahmen dieses Aufschwungs stiegen die Preise für den Morgen Land von 2,50 $ auf 8–10 $.159 Im Gespräch mit seinen Freunden in Deutschland über Texas beauftragten diese ihn damit, doch »im Interesse der evangelischen Deutschen das Kolonisationswerk [. . .] in Perry zu versuchen«, und stellten die nötigen Mittel dafür bereit – laut Schlümbach »ohne jeglichen Hintergedanken der Spekulation oder Selbstbereicherung«. Dieses Angebot wollte er nicht ausschlagen und kaufte im Laufe der Zeit mehrere tausend Morgen Land, die er bis zum Ende der 1880er Jahre größtenteils zu einem sehr günstigen Zinssatz an deutsche Farmer weiterverkaufte. Den Kaufinteressenten gab er Gelegenheit, sich das Land vorher ausgiebig anzusehen und es nach Kauf im Rahmen einer gewissen Zeitspanne bei Nichtgefallen auch wieder zurückzugeben.

156 Vgl. Interview mit Charles L. Weibush (*1873), Riesel, S. 10–11. URL: www.denke.org/weibush.htm (02. 06. 2006). 157 Vgl. F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Fortsetzung.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/9 (1927) 4–6, dort 5–6. 158 Auf diese Weise fand Schlümbach sogar Eingang in ein Buch über Viehzucht: vgl. Curtis: Cattle, S. 207. Charles Wiebusch, der die Rinder als Jugendlicher auf Schlümbachs Weidegründen sah, kann sich Jahrzehnte später noch gut an den ungewohnten Anblick erinnern; vgl. Interview mit Charles L. Weibush (*1873), Riesel, S. 10–11. URL: www.denke.org/weibush.htm (02. 06. 2006). 159 Vgl. Interview mit Charles L. Weibush (*1873), Riesel, S. 4. URL: www.denke.org/ weibush.htm (02. 06. 2006).

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So wollte er vermeiden, als profitorientierter Land-Agent angesehen zu werden.160 Sein Anliegen war es, die einwandernden Glaubensgenossen am besten direkt bei der Ankunft zu sammeln und durch Kolonisation große und lebensfähige Gemeinden zu gründen. Dadurch könnte zum einen die Missions-Behörde Geld sparen, da die Gemeindegründung sich vereinfache, vor allem aber auch für die Jugend der Einwanderer durch Kirche und Schule ein Hineinwachsen in den christlichen Glauben gefördert werden. Doch nur gemeinsam könne man diese Aufgabe meistern: »Kolonisation ist nicht nur nöthig, sondern auch ein Zeichen unserer Zeit; es gilt auch hier in unserer Kirche das Motto: ›Einigkeit macht stark!‹«161 Seine aus der volkskirchlichen Arbeit in Deutschland gewonnen Eindrücke sind bei diesem Ansatz nicht zu verkennen. Schlümbach verstand das Kolonisationswerk aber nicht als private Initiative, sondern wollte sie einbinden in die Arbeit seiner Kirche. Der Christliche Apologete – an der Person Friedrich von Schlümbachs offenbar immer noch interessiert – berichtet im Mai 1885: »Evangelische Kolonie. Pastor Friedrich von Schlümbach, der sich voriges Jahr der Ev. Synode von Nord-Amerika anschloß und vor Kurzem aus Deutschland zurückkehrte, brachte bei der vor Kurzem in Waterloo, Ill., gehaltenen Conferenz des 4. Distrikts besagter Synode den Plan in Anregung, daß von der evangelischen Kirche Colonien in Texas angelegt und beaufsichtigt werden sollen. Schlümbach gedenkt nun 24,000 Acker Land zu Colonisationszwecken sichern zu können und hat bereits 100,000 Mark an Hand, die ihm von einem Herrn in Deutschland, der seinen Namen nicht genannt haben will, zur Verfügung gestellt worden sind. Einem Ausschuß von vier Pastoren, welchem Schlümbach präsidiert, wurde die Sache überwiesen. Jedem Colonisten soll ein Stück Land übergeben werden, worüber er verfügt, und sollen diese Colonien von evangelischen Geistlichen mit Gottesdienst und Schule versorgt werden. Nachdem der von dem Ausschuß entworfene Plan geprüft sein wird, soll sofort gehandelt werden. Wahrscheinlich wird Perry, Texas, die Haupt-Colonie werden.«162

Als Beispiel, wie eine solche Kolonie aufgebaut wurde, mag die Deutsche Evangelische Kolonie bei Neu-Baden in Texas gelten, die sich als zur Evangelischen Synode gehörig betrachtete. Überhaupt gegründet wurden Kolonien, um Fürsorge für einwandernde Glaubensgeschwister zu tragen und ihnen eine neue Heimat zu schaffen, in der sowohl die materiellen als auch die geistigen und geistlichen Bedürfnisse gestillt würden. Die New York und Texas Land-Companie stellte Land zur Verfügung, das parzelliert weiter an die Gründer von Farmen verkauft wurde. Diese hatten den Preis in vierteljährlichen Raten zu einem bestimmten Zinssatz abzubezahlen, beginnend mit 160 161 162

Vgl. F. v. Schlümbach: Ein offenes, freies Wort aus Texas. In: FB 1889, S. 29. F. v. Schlümbach: Ein offenes, freies Wort aus Texas. In: FB 1889, S. 29. Editorielle Notizen. In: CA vom 25. 5. 1885, S. 6.

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dem zweiten Jahr ihrer Tätigkeit und mit Rücksicht auf eventuelle Missernten. Außerdem wurde ein großes Koloniehaus errichtet, das die Siedlerfamilien in der Zeit ihre Hausbaus aufnahm. Von jedem gekauften Morgen Land wurden 10 Cents in die Koloniekasse gezahlt, um das Koloniehaus und Bauplätze im Ort Neu Baden selbst, an den sich die Kolonie direkt anschloss, zu erwerben. Im Koloniehaus selbst wurde sonntags Gottesdienst und unter der Woche Schule gehalten.163 Schlümbach kaufte große Prärieflächen nördlich von Perry und verkaufte sie dann parzelliert an deutsche Immigranten.164 Von jedem seiner Deutschlandbesuche brachte Schlümbach neue Auswanderer mit nach Texas. Es waren oftmals wohlhabende junge Adelige, die Schlümbach für Texas begeistern konnte (genannt werden die Namen von Jarra, von Graeling, von Gaeburg, van Dyck). Denn diese zweite Einwanderungswelle nach Texas war weniger geprägt von Pionieren, die ein unsicheres und hartes Leben zur Sicherung ihres Grundbedarfs in Kauf nahmen, sondern von Immigranten, die hofften, ihren in Deutschland durch eine landwirtschaftliche Krise bedrohten hohen Lebensstandard in neuem Kontext halten zu können.165 Unter ihnen war auch Max von Bethmann-Hollweg, der ältere Bruder des späteren deutschen Reichskanzlers, dessen Familie im brandenburgischen Hohenfinow ansässig war, und der aufgrund eines Zerwürfnisses mit seinem streng konservativen Vater, wohl auch wegen einer unglücklichen Liebe, im Sommer 1884 in die Gegend um Perry kam. Er dürfte schon vorher in Deutschland in Kontakt mit Schlümbach gekommen sein und fand nun im Gespann mit diesem eine neue Aufgabe: deutschen Auswandererfamilien eine neue Existenz in Texas zu ermöglichen und sie bei ihren ersten Schritten zu unterstützen. Er kaufte im Herbst 1884 sein erstes Landstück vier Meilen südöstlich von Perry und errichtete dort ein Haus für sich, das von Heinrich Ludwig verwaltet wurde. Noch im selben Herbst kaufte er 200 weitere Morgen Land, die er später H. Ludwig, der seine Verlobte aus Deutschland nachgeholt hatte, schenkte. Das Paar zog in sein Haus und verwaltete seinen Besitz und Haushalt.166 163

Vgl. J. Rieger: Deutsche Evangelische Kolonie in Texas. In: FB 1883, S. 158–159. Vgl. Interview mit Edwin Punchard, Riesel (*1856). URL: http://files.usgwarchives.net/ar/state/bios/punchare.txt (25. 03. 2009). 165 Vgl. Kuehl: World, S. 12–13. 166 Vgl. Interview mit Charles L. Wiebusch (*1873), S. 5. URL: www.denke.org/weibush.htm (02. 06. 2006). Bei Kuehl: World, S. 2 steht, dass er ein bemerkenswertes Haus mit edler Einrichtung fünf Meilen südöstlich von Riesel baute, welches durch ein Feuer am 3. März 1904 zerstört wurde. Laut Marlin Democrat vom 10. 3. 1904 war dieses Haus ursprünglich von Col. Schluembach, also Friedrichs Bruder Alexander gebaut worden, und erst später für einige Zeit von Bethmann-Hollweg bewohnt. Es soll als »Schleumbach place« bekannt gewesen sein. Auf dem Dach soll sich eine große Glocke befunden haben, die geläutet wurde, wenn BethmannHollweg sich zu Besuchen in der Nachbarschaft aufmachte. In der kommunalen Erinnerung 164

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Alexander von Schlümbach hatte mittlerweile eine eigene Farm gegründet und dort ein Haus errichtet, das er am 20. August 1884 mit seinen Töchtern und der Stieftante Caroline Merck bezog. Es dürfte sich in ein bis zwei Meilen Entfernung vom Haus seines Bruders befunden haben. Geschäftlich hatte Alex öfter in Marlin zu tun, wohin ihn seine Stieftante oder seine Töchter begleiteten, um ein wenig Abwechslung vom Landleben zu finden.167 Von 1885 bis 1889 kaufte Bethmann-Hollweg weitere umfangreichere Ländereien einige Meilen weitere östlich, parzellierte das Land und verkaufte oder verpachtete es an deutsche Einwanderer, die dort ihre Farmen gründeten. Der Ort, der sich dort bildete, nannte sich Wilhelmsburg/ Mettina.168 Schlümbach begab sich im Sommer 1885 auf zwei »Reise[n] in der Colonisationsfrage«, um Land für weitere zu gründende Kolonien zu erkunden. Zu seinen Begleitern bei der ersten Erkundungstour im Juni gehörte Eduard Graf Pückler, der sich wohl auf Einladung Schlümbachs zu einer Reise in die USA aufgemacht hatte.169 Auf der Hinfahrt hatte er Ende März Moody und Sankey in London erleben können. Nach der Ankunft in New York am 12. April begab er sich in die Obhut »lieber christlicher Freunde«, zu denen sowohl Schlümbach als auch Phildius gehörten, der ebenfalls in die Staaten gereist war.170 Zu den ungewöhnlicheren Unternehmungen Schlümbachs mit seinen beiden Gästen gehörte in Washington der Besuch beim Präsidenten der Vereinigten Staaten im Weißen Haus. Sie wurden ohne weiteres zu Präsident Cleveland vorgelassen, um ihm ihre Aufwartung zu machen, was bei den beiden deutschen Besuchern Erstaunen über das fehlende Zeremoniell und die völlige Gleichberechtigung im Umgang miteinander hervorrief.171 Ende April reiste Pückler zusammen mit Schlümbach in das 20 Meilen von St. Louis entfernte Waterloo, wo er als Gast an der bereits erwähnten Distriktskonferenz der Evangelischen Synode teilnahm. Teilweise in Schlümbachs Gesellschaft reiste Pückler weiter, hielt am 7. Mai einen Vortrag über die religiösen Zustände Deutschlands in der Matthäus-

verbanden sich aber auch die beiden von Friedrich von Schlümbach errichteten großen Häuser mit Bethmann-Hollweg, sodass es in einigen Quellen heißt, dieser habe zwei große Gebäude, die später als Waisenhäuser dienten und durch Feuer vernichtet wurden, errichtet; vgl. Odintz: Art. Riesel. 167 Vgl. Brief Caroline Mercks an Emma und Felice Werner vom 11. 12. 1884 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [18]). 168 Vgl. Interview mit Charles L. Wiebusch (*1873), S. 5. URL: www.denke.org/weibush.htm (02. 06. 2006). 169 Vgl. Redern: Ruf, S. 61–63. 170 Phildius war auf Einladung einiger YMCA-Sekretäre in die USA gereist, um die Arbeit dort besser kennen zu lernen; vgl. JB 1885, S. 108. 171 Vgl. den ausführlichen Bericht Phildius’ in: Aus anderweitigen Jünglingsbündnissen. In: JB 1885, S. 203.

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Kirche in Cincinnati172 und quartierte sich Ende Mai für drei Wochen bei Familie Schlümbach in Perry ein.173 In diesen Aufenthalt fällt die erwähnte Kolonisationsreise Schlümbachs, um Land für »Colonie No. 1« zu sichten. Schlümbach, sein Sohn Adolph, Graf Pückler, dessen Korpsbruder Bethmann-Hollweg und ein oder zwei weitere Begleiter machten sich mit vier Pferden, dem Wagen und zwei Mauleseln auf und lagerten acht Tage lang an verschiedenen Orten in der Prärie. Doch Schlümbach blieb unentschieden und plante für die nächste Zeit eine weitere Erkundungstour.174 Das ambitionierteste Gründungsprojekt, das Schlümbach und BethmannHollweg verfolgten, lag einige Meilen weiter nördlich an der Bahnlinie Richtung Waco und damit schon im McLennan County. In diesem County spielte der Baumwollanbau seit dem Bürgerkrieg eine größere Rolle, wenngleich auf der Prärie auch Viehhaltung betrieben wurde. Der meiste Teil des Landes an diesem südöstlichen Rand des Countys war frühzeitig von Gottfried von Jena aufgekauft worden, einem Großinvestor und Spekulanten aus Deutschland, der sich in der Region durch Otto Rau und Hermann Siemers vertreten ließ. Von ihm – Schlümbach war mit dessen Familie in Deutschland bekannt – erwarben sowohl Schlümbach als auch Bethmann-Hollweg Mitte der 1880er Jahre umfangreiche Ländereien, außerdem auch H. Wiebusch aus St. Louis. Auf dem größtenteils vom letzteren erworbenen Land sollte das entstehen, was Schlümbach nun vorschwebte: nicht nur lose Settlements durch eine Ansammlung von Farmen, sondern eine kleine Stadt mit einer für eine solche üblichen Infrastruktur.175 Seit 1880 hatte sich dort ein Eisenbahnposten namens Roddy befunden. Der fruchtbare Boden, das gute Wasser, die Verfügbarkeit von Land und die Anbindung an die Märkte hatte sich im Umland bereits einige Siedler ansiedeln lassen, die durch den von Schlümbach initiierten Transfer deutscher Siedler aus dem Washington County bereits Mitte der 1880er Jahre verstärkt worden waren.176 Diese hat172 Vgl. Kirchliche Rundschau. In: CA vom 18. 5. 1885, S. 6; die Rede ist dort teilweise wiedergegeben. 173 Pückler schreibt: »bei Herrn Pastor von Schlümbachs Frau« (zit. nach Redern: Ruf, S. 63), Schlümbach selbst war wohl viel auf Reisen. Pückler nahm auch an einer Studentenkonferenz des YMCA in Atlanta teil; vgl. Kupisch: Studenten, S. 296. 174 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 20. 6. 1885 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [22]). Der Bericht von seiner ersten Reise sollte eventuell im Druck erscheinen; vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 17. 7. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [20]). 175 Zum Landkauf H. Wiebuschs vgl. Interview mit Charles L. Weibush (*1873), Riesel, S. 7. URL: www.denke.org/weibush.htm (02. 06. 2006). Er siedelte allerdings nicht selbst dort, sondern schickte seinen Sohn, um den Besitz zu verwalten. 176 Vgl. Riesel. In: Wilson, Diane E. (Hg.): Historical Markers or Community Notes of Genealogical Interest in McLennan County. URL: www.rootsweb.com/~txmclenn/historiccommunities.html (09. 02. 2006). Ein Schild mit diesen Informationen, auf dem Schlümbach zweimal namentlich erwähnt wird, befindet sich heute als Historical Marker im Zentrum von Riesel.

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ten auch bereits auf dem von ihm aus dem Basquez 7 League Grant weiter südlich erworbenen Lands gesiedelt. Schlümbach errichtete an diesem Ort 1888 die erste Cotton Gin. Da Dorothy Kuehl in ihrer Studie über Riesel von der Annahme ausgeht, dass Schlümbach eigentlich »another one of his church-communities« gründen wollte, führt sie den Bau einer Gin vor einer ersten Kirche auf Druck Gottfried von Jenas zurück, dem Schlümbach mehrere tausend Dollar schuldete und der so auf wirtschaftliche Prosperität hoffte.178 Allerdings ist ihr Bild von den Kolonisationsprojekten Schlümbachs nach einem bestimmten »pattern« zu einseitig, da immer auch stark wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund standen. 1888 brannte die Scheune mit der Entkörnungsmaschine ab, was für den Ort ein schwerer Schlag war, da die Baumwolle von den Farmern nun zu weiter entfernten Cotton Gins gebracht werden musste. 1890 gelang es Schlümbach, einen Mann aus dem Maschinenbaugewerbe in St. Louis für den Bau einer neuen Anlage zu gewinnen. Es war Henry Riesel, der am 16. 6. 1890 mehr als zwanzig Morgen Land samt den Resten der alten Gin von Schlümbach kaufte und sich an die Konstruktion einer neuen machte. Seit im gleichen Jahr ein Postamt eröffnet worden war, nannte sich der Ort Prospect. Schlümbach hatte mittlerweile einen Grundriss für das Stadtgebiet im engeren Sinne entworfen, der ein Jahr später auch zu den Gerichtsakten genommen wurde und bis heute die Anlage des Ortes bestimmt. In einem schachbrettartigen Muster unterteilen die Straßenzüge das Stadtgebiet in mehrere Blocks, die aus vier bis sechs Einzelgrundstücken bestehen. In der Mitte befindet sich ein großer öffentlicher Platz. Die Straßen hatte Schlümbach – neben Broadway, North und Main Street – nach für ihn wichtigen Persönlichkeiten benannt, außerdem nach sich selbst: Frederick Street, Alexander Street, Wiebusch Street, Henry Street, Jena Street, Albright Street, Charles Street.179 Es ist auffällig und spricht gegen die Koloniethese Kuehls, dass in diesem Entwurf keine Kirche für das Stadtgebiet vorgesehen ist. 1891 wurde Prospect in Riesel umbenannt.180 Schlümbachs Familienkreis hatte sich bereits während seiner ersten Abwesenheit in Deutschland erweitert, denn am 5. November 1884 wurde seine Tochter Frieda geboren und bereitete mit ihrem »unruhigen Geist« Coelestine einige Mühe.181 In Perry hielt sie die Familie auf Trab und wurde am 177

177 hochx/1 Nach Kuehl wurden deutsche Einwanderer aus dem Washington County 1880–1883 von Schlümbach ins Falls County gebracht; vgl. S. 13. 178 Vgl. Kuehl: World, S. 17. 179 Vgl. Abbildung der handschriftlichen Skizze des Stadtplans in Kuehl: World, S. 18. 180 Vgl. Odintz: Art. Riesel. Einen kurzen Abriss der Stadtgeschichte gibt auch Wallace: Land, S. 90. 181 Vgl. Brief Caroline Mercks an Emma und Felice Werner vom 11. 12. 1884 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [18]).

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24. 5. 1885, gehalten von Max von Bethmann-Hollweg und den Cousinen Emma und Grace, getauft. Thekla war zu dieser Zeit in die Haushaltsführung involviert, da Coelestine gesundheitlich angeschlagen war und die bisherige Haushälterin nicht mehr kam; lediglich eine Haushaltshilfe war noch angestellt.182 Was Coelestine zu schaffen machte, war, dass sie mit ihrer Schwiegermutter nicht zurecht kam und ihre Beziehung voller Spannungen war. Schlümbach beschrieb die Situation so: die Stiefmutter im eigenen Haushalt war faul und zu nichts zu bewegen, die Stieftante bei Alex mit allerlei Marotten. Coelestine war darüber krank geworden und Schlümbach hoffte, mit ihr für einige Zeit nach Galveston zu reisen, damit sie sich an der See kurieren könne.183 So verbrachten die beiden mit den kleinsten ihrer Kinder in der ersten Julihälfte 1885 acht Tage am Meer in Galveston, wo Schlümbach nebenbei »Missionsgeschäfte« zu erledigen hatte, fanden wegen der großen Hitze und der zahlreichen Moskitos aber nicht wirklich Erholung.184 Das Zusammenleben mit Coelstine gestaltete sich für Friedrich unerwartet gut: »Coelestine hat Vernunft angenommen u. ist seit dem 2. Tag meines Hierseins nicht nur gesund, sondern wie ein umgewandter Handschuh, ich könnte es mir nicht besser wünschen, u. habe keine Klage, m. Arbeit geht mir deßhalb auch von der Hand u. die Sorgen sind entflohen, dem Herrn sei Dank! Es ist wunderbar vor meinen Augen, wie der Herr Gebet erhört [. . .]. Wo 2 eines werden in einer Sache um die sie bitten etc. meine treue Berliner Freundin, hat sich wahrlich m. innigen Dank verdient, sie hat mich nicht allein in den trübsten Nächten getröstet, sie hat ihr Wort gehalten u. mit mir gefleht u. den Herrn gebeten! Er hat erhört! Ich habe diesmal nicht aufgegeben u. das war gut, ich sehe jetzt ist die Zeit des Herrn zur Abhilfe, ich lebe so glücklich, da ich sehe wie es im Hause so ruhig und still zugeht, [. . .] [obwohl] über 15 Erwachsene [. . .] zusammenleben. Noch etliche Tage vor meiner Ankunft war der Teufel in ihr, sie schrieb mit einen furchtbaren Brief auch wegen Thekla, die sich am 22. May mit Herrn Müller verlobt hat, u. erst als sie sah, daß ich mit Groll fest entschlossen war, ruhig u. fest die Zügel des Hauses zu führen brach sie zusammen! Ich bin natürlich noch sehr zögernd u. zurückhaltend aber doch freundlich u. liebevoll, so daß auch sie glücklich ist.«185

Die Situation mit seiner Stiefmutter wurde aber immer schwieriger, mittlerweile hatte sie eine »völlig isolierte Stellung«, die Schlümbach auch damit er182 Vgl. Brief Thekla von Schlümbachs an Familie Werner vom 18. 5. 1885 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [21]). 183 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 20. 6. 1885 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [22]). 184 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 17. 7. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [20]). 185 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 1. 6. 1886. (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [36]).

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klärte, dass sie Schwierigkeiten mit dem egalitären Umgang in der Familie hatte. »Sie lebt in Amerika, wo es im Walde wiederhallt wie man hineinschreit, [. . .] sie wird eben nie bei uns ›Großmama‹ werden können, wenn sie nicht mütterlichere Seiten aufzieht, gnädige Frauen giebt es hier nicht!« Nach Deutschland zurückkehren, was Schlümbach ihr anbot, wollte sie aber nicht.186 Sie musste es aber trotzdem; im Herbst 1885 brachte Schlümbach sie wieder mit zurück. Es war wohl notwendig gewesen. In Alex’ Haushalt sah es mit Tante Merck auch nicht ganz einfach aus187, sie blieb aber noch länger bei ihnen in Perry wohnen und veränderte sich im Laufe der Jahre trotz ihrer Marotten zum Positiven. Die erwachsenen Kinder gründeten langsam ihre eigenen Familien. Am 18. Mai 1885 hatte Friedrichs Nichte Minnie in Perry geheiratet188, für den Winter 1885 stand die Hochzeit von Schlümbachs Sohn Adolph bevor.189 Was die wirtschaftliche Situation betraf, so stand die Ernte 1885 gut und ließ zusammen mit den Verbesserungen auf der Farm ein gutes Auskommen erwarten – würde es zehn Jahre so weitergehen, müsste Schlümbach gar kein Land mehr weiterkaufen, sondern der Betrieb würde sich irgendwann selbst rechnen. Gräfin Waldersee, »meine l. Freundin«, hatte ihm überraschend 2.500 Mark für den Bau eines neuen Wohnhauses zum Geburtstag geschenkt. Im Sommer 1885 war Schlümbach bereits mit dem Bau dieses neuen Hauses und eines neuen Stalles beschäftigt. Um wirklich »sorgenfrei« zu sein, fehlten ihm aber noch etwa 5.000 Mark, die er zu 5% auf fünf Jahre aufnehmen würde, um die ganzen notwendigen Verbesserungen und Einzäunungen auf den Ländereien vornehmen zu können. Als Sicherheit konnte er sein Land bieten und die Zinsen garantieren. Sollte er im Herbst nach London reisen, würde es kein Problem sein, das Geld zu erhalten, allerdings benötigte er es vor dem 1. November. Daher dachte er an die wohlhabende »Stuttgarter Ottilie« aus seiner Verwandtschaft, die ihm vielleicht etwas zu besseren Konditionen als den in Texas üblichen leihen könnte. Sollte Ottilie ihr Geld fest angelegt haben, werde er sich an seine Berliner Freunde wenden – bevor er im Herbst abreise, wolle er die Sache gerne geordnet haben.190 186 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 18. 8. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [24]). 187 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 18. 8. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [24]). 188 Vgl. Brief Thekla von Schlümbachs an Familie Werner vom 18. 5. 1885 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [21]). 189 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 18. 8. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [24]). Adolphs Tochter Anna kam 1887 auf die Welt; vgl. die Briefe Emma von Schlümbachs an Hermann und Antonie Werner vom 27. 12. 1887 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [43]). 190 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 17. 7. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [20]).

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Die Farm machte den Sommer über sehr viel Arbeit; 700 Morgen Land waren zu »fenzen« und Dämme waren zu bauen, damit Schlümbach im nächsten Jahr bis zu 1.000 Stück Rindvieh weiden könnte. Außerdem stand eine sehr gute Baumwollernte bevor191, die sich sogar als vortrefflich erwies, so dass Schlümbach davon ausging, dass die Baumwolle etwa 800–900 $ einbringen werde, der Mais etwa 500 $.192 Zu der ursprünglich gedachten Anfrage an Ottilie schreibt er angesichts dessen an seine Nichte: »ich hätte nicht sorgen u. planen sollen, der l. Gott hatte schon Abhülfe auf dem Wege, so daß ich hoffe ohne Mühe die weiteren Anlagen besorgen zu können. Ich bin so froh, daß der Werth des Landes hier so steigt, wodurch es mir ja später leicht sein wird durch Verkauf des übrigen Landes alle Verbindlichkeiten die ich auf 10 Jahre einging (wie du oder Papa weißt) auch lösen kann, denn späterhin will ich ja nur etliche Hundert acres Land behalten u. mich zur Ruhe setzen. Es ist so schön hier ich kann dir es nicht beschreiben, wie so gerne ich hier wohne, so gesund u. frisch u. habe ich nur 2 oder 3 Tage diesen Sommer etwas an der Hitze gelitten, sonst war es sehr erträglich u. jetzt kommt die herrliche Herbstzeit.«193

Einen schweren finanziellen Schlag für Schlümbach bedeutete es aber, dass in der Nacht vom 27. auf den 28. August 1885 sowohl die neue Scheune als auch die neuen Stallungen abbrannten: Ackergerätschaften, Maschinen, Geschirre für Pferde und Maulesel, Hühner wurden ein Raub der Flammen, was einen Schaden von etwa 1.500 $ verursachte, wovon nur 400 $ durch die Versicherung gedeckt wurden. Nebengebäude und wertvolle Tiere kamen nicht zu Schaden, Menschen ebenso wenig. Auch wenn er diese Prüfung noch nicht verstehe, da er seine finanziellen Verhältnisse gerade erst geordnet hatte, schreibt Schlümbach, wolle er sie aus Gottes Hand nehmen, der die besten Pläne für ihn habe.194 In diese Richtung gehen auch die Gedanken, mit denen er seinem neuen Beruf als Farmer durchaus auch theologische Aspekte abgewinnt, wenn er schreibt, »daß mich der Gedanke stets so begeistert, daß der Bauermann so ein glücklicher Mensch in seinem Beruf ist, da er vor Allen in ganz directer Beziehung zum lieben Gott steht und sich im Glauben sicher darauf verlassen kann, daß Alles wohl wird, wenn er nur seinerseits Alles im Glauben und dankbaren Herzen gethan. Giebts ein Fehljahr, so kann er sich ruhig sagen, mein himmlischer Vater hat es so gewollt, seine Wege sind eben unerforschlich, aber er führt es sicher zuletzt doch herrlich hinaus.

191 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 17. 7. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [20]). 192 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 18. 8. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [24]). 193 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 18. 8. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [24]). 194 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 31. 8. 1885 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [25]).

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Giebts reichen Erntesegen, so hat er den allerdeutlichsten Beweis von der großen Liebe seines Gottes und kann aus vollem Herzen jubeln und danken: Lobe den Herrn meine Seele und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat. Glücklicher Stand der Bauernstand, der auf Gott vertraut! Dann ist's Wetter immer recht, wie es ist, und hat er zu klagen, so thut er es vor Gott im Kämmerlein, und dann ist's Herz so froh und frei, ohne jegliche Last.«195

Auf die Probe gestellt wurde diese Sicht bereits in den Jahren 1886 und 1887, in denen Dürren auftraten. Die Ernte im ersten Jahr geriet dadurch zwar nicht insgesamt in Gefahr196, 1887 war aber ein schlechtes Jahr, da die Ernte nur sehr mager ausfiel und die Menschen Not leiden ließ. Es war ein Jahr, in dem jeder sehen musste, wie er durchkam.197 Ende September 1886 stand das neue Haus fast fertig zum Bezug bereit und wurde die Farm in kleinere Sektionen aufgeteilt, so dass Schlümbach nur noch einen Teil des Landes, der mit zwei Arbeitern zu bewirtschaften sein würde, für sich behielt. Im alten Haus wohnten nun Thekla und die jungen Leute, die sich dort eingemietet hatten, was die eine Hälfte des Hauses unten betraf. Die andere Hälfte sollte für einen Pastor bereitstehen, so denn einer kommen könne.198 Das neue Haus lag anderthalb Meilen näher am kleinen Bahnhof von Perry und war etwas kleiner, aber in der Ausstattung noch schöner als das alte Haus. Es lag im Schatten eines kleinen Wäldchens und unweit eines kleinen Sees, der ebenfalls Schlümbach gehörte. Im Oktober 1886 konnte es bezogen werden und war am 19. 10. Schauplatz eines Doppelfestes: Friedrich und Coelestine feierten groß ihre silberne Hochzeit und die achtzehnjährige Tochter Thekla ihre Eheschließung mit C. H. Müller. Zur Einsegnung der beiden Paare durch F. Werning im Parlor des Hauses und dem anschließenden Festessen waren 30 Familienmitglieder und auswärtige Freunde, unter ihnen auch das Ehepaar Wiebusch aus St. Louis und Coelestines 70-jähriger Vater, geladen. Als Brautjungfern wirkten Emma und Felice, Brautführer war Herr von Graeling. Aufgetischt wurde Suppe, Rinder- und Kalbsbraten mit Gemüse und Puterbraten mit Sellerie, Pudding, Dessert, Früchte und Kaffee. Nachmittags fuhr die Gesellschaft zum ehemaligen Wohnhaus, nun »Missionshaus« genannt199, wo sich die jungen Leute und Nachbarn aus dem Settlement zur gemeinsamen Feier in den großen Räumlichkeiten versam-

195 Fr v. Schlümbach: Perry, Falls Co., Texas. In: Evangelischer Gemeindebote des Südens 1886 Nr. 7, S. 2. 196 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 1. 6. 1886. (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [36]). 197 Vgl. Eddins: History, S. 186. 198 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 23. 9. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [37]). Zur Gemeindesituation in Perry vgl. das folgende Kapitel. 199 Zu den das Haus betreffenden Plänen vgl. Kap. 5.4.

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melt hatten. Abends konnte man schließlich noch eine Illumination des Wäldchens neben der neuen »Villa Friedrichsruhe« bewundern, die Adolph vorbereitet hatte.200 Eine große Aussteuer konnten sie Thekla freilich nicht mitgeben, war die Schuldenlast auf ihrer »Heimstätte«, für die Schlümbach einen Wert von 50.000 Mark angibt, doch weiterhin hoch. Dies ist mit ein Grund, warum Schlümbach bald schon wieder auf Reisen gehen wollte, auch wenn ihm eigentlich nicht danach war: um »m. Einnahmen im Fluß zu erhalten«. Von allen möglichen Seiten kämen schon Anfragen, aber vor dem Reformationsfest wolle er sich nicht auf den Weg machen.201 Zu schaffen machte ihm seine angegriffene Verfassung. Seine Nerven seien schnell reizbar und er sei unruhig; einiges davon führte auf die Verhältnisse zurück, die er sich durch seine »Jugendsünden« geschaffen habe.202 Daneben hatte er mit Schwermut zu kämpfen, da sich die Verhältnisse daheim auch wieder verschlechterten. An seinen Schwager schreibt er Ende 1886: »Hier zu Hause ist Nichts mehr zu hoffen, ein Zeugnis sagt Dir Alles! [. . .] meine Schwester [corr.: Schwägerin] Adelheid [sagte mir] unter Thränen, nachdem sie sah wie ich mich bemühte Celeste [. . .] Alles aufs köstlichste zu bereiten, das Haus u. Alles: ›Fritz du kannst ihr eben Nichts recht machen, sie will dir das Leben eben verbittern!‹ ihre eigene Schwester! eine ältere gesetzte Person! Mutter vieler Kinder, über 50 Jahre alt. Das sagt dir mehr als ich in Tagen schreiben kann. Mein Leben ist durch Gottes Gnade noch immer recht erträglich. Ich baute das herrliche neue Haus – sie war unzufrieden, die Zimmer zu klein, die Malerei nicht üppig genug, ich opferte mit schweren Opfern 6000 Dolls daran u. erreichte m. Ziel nicht, an Allem [. . .] ärgert sie mich, [. . .] u. hätte ich nicht in Deutschland m. Berliner Freunden gelobt, was ich habe, ich glaube es wäre mir diesmal zu viel geworden. Nimmst du u. Emma es mir übel oder nicht ich sage es frei heraus! der innere Bruch ist seit der silb. Hochzeit ganz complete! Äußerlich geht es gut, ich habe sie in einen Wohlstand versetzt durch Gottes Gnade, wie eine Gräfin in Deutschl. nicht hat u. hoffe zu Gott durch [. . .] Sparsamkeit u. Entbehrungen [. . .] daß ich gut zu ihr bin muß sie jetzt selbst gestehen, ich bemühe mich jede gerechte Klage gegen mich zu vermeiden, aber innerlich ist es wie die Schrift sagt: die da Weiber haben, als hätten sie keine! Furchtbar wahr!«203

Statt auf die Liebe seiner Frau sei er nun angewiesen auf die Liebe seines Erlösers und »vieler treuer Seelen, die ich zu Jesu führen durfte«. Doch seine 200 Zur Planung des Festes vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 23. 9. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [37]); zum Bericht vgl. [o.N.:] Houston, Texas. In: Evangelischer Gemeindebote des Südens 1886 Nr. 12, S. 2–3. 201 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 30. 9. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [38]). 202 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 30. 9. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [38]). 203 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 20. 11. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [39]).

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

»furchtbare Last« sei eine »selbstverschuldete[. . .]«.204 Ob er nach der Missionsreise, auf der er sich derzeit befinde, nach Kalifornien weiterreisen werde, sei noch offen; doch stelle er sich ganz unter die Leitung Gottes, dessen Werkzeug er sein wolle.205 Dass er sich auf einer »Missionsreise« befand, hing mit der besonderen Beschaffenheit seines pastoralen Dienstes in der Evangelischen Synode zusammen.

5.3 Pastor in übergemeindlichen Diensten und Innerer Mission in den USA Da Schlümbach seine Verbindung zur Methodistenkirche gelöst hatte, galt es, auch konkret in seiner Siedlung bei Perry eine neue kirchliche Beheimatung zu schaffen. Das wird aufgrund seiner zahlreichen persönlichen Bekanntschaften, denen er ja noch als methodistischer Prediger vertraut war, nicht ganz einfach gewesen sein. Er versammelte in seinem Haus aber diejenigen zu Gottesdiensten, die nicht der Methodistenkirche angehörten und schuf so eine kleine Gemeinde, die in ihren Anfängen mit der Gemeinde der Evangelischen Synode in Waco verbunden war beziehungsweise vom dortigen Pastor mit bedient wurde.206 War Schlümbach zu Hause, so übernahm er selbst pastorale Aufgaben in Perry. Im Sommer 1885 war er daneben auch kurzzeitig für die Gemeinde in West Station, McLennan County, zuständig207, die am ersten März 1885 als eine eigene Kirche eingeweiht worden war.208 Aber auch in der ganzen Texas-Mission der Evangelischen Synode hatte Schlümbach eine führende Stellung. Auf der Konferenz des Vierten Distrikts Ende April 1885 in Waterloo, Illinois, wurde zur Unterstützung der Arbeit in Texas durch den Distriktspräses ein Subkomitee (»Missionsausschuss«) gebildet, das für die Leitung der Texasmission freie Hand haben sollte. Mit der Führung dieses Ausschusses wurde Friedrich von Schlümbach betraut. So wurde auch an die Generalsynode berichtet, wo es im Bericht des Synodalpräses über Innere Mission bezüglich der Arbeit in Texas heißt: »Fr. von Schlümbach leitet als Vorsitzer des Missions-Ausschusses für Texas, der bei der Distriktskonferenz im vorigen Jahre geschaffen wurde, das gesammte [sic] Werk«.209 Der Bericht Schlümbachs »vom gesegneten Fortschritt der inneren Mission im alten Vaterlande« und die zahlreichen Grüße »von hervor204 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 20. 11. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [39]). 205 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 20. 11. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [39]). 206 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 15. 207 Vgl. Evangelischer Gemeindebote des Südens 1885 Nr. 4, S. 2 und Nr. 3, S. 4. 208 Vgl. W. Schulz: Correspondenz aus West Station, Texas. In: FB 1885, S. 79. 209 Protokoll der General-Conferenz 1886, S. 45.

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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ragenden Geistlichen der Evangelischen Landeskirche« hatten auf der Distriktskonferenz 1885 Eindruck gemacht.210 Schlümbach sprach auch vom »herzlichen Entgegenkommen«, das ihm in Deutschland als Glied der Evangelischen Synode zuteil geworden war. Man sei interessiert am Weg der Glaubensgeschwister in den USA und suche diese zu unterstützen. Ausdruck dieses Interesses sei auch der Besuch des Grafen Pückler bei dieser Distriktssynode.211 Im Spätsommer 1885 machte Schlümbach eine »Missionsreise« durch die Countys McLennan, Bosque, Erath, Comanche, Hamilton, Cornell, Bell und Falls, wo die Glaubensgeschwister oft sehr weit auseinander wohnten.212 In seiner Funktion als Leiter des Missionswerks in Texas ermutigte Schlümbach deutsche Siedler in Texas, die eine Versorgung mit Wort und Sakrament wünschten, sich an ihn zu wenden. Er werde versuchen, diesem Wunsch nachzukommen. Außerdem plante Schlümbach für den Herbst 1886 eine Rundreise zu den evangelischen Gemeinden in Texas, um persönliche Kontakte zu knüpfen oder zu vertiefen und die Situation vor Ort kennen zu lernen.213 Der Ausschuss berichtete mündlich auf der Distriktskonferenz 1886 von seiner Arbeit. Schlümbach als Vorsitzender dieses Ausschusses stellte die Schwierigkeiten heraus, mit denen die Missionsarbeit in Texas zu kämpfen habe. Nur Brüder, die zu Selbstverleugnung und Entbehrungen bereit seien, könnten in Texas erfolgreich wirken.214 Um den Rückhalt für die Innere Mission in Texas zu stärken, wurde der Generalsynode empfohlen, Schlümbach zu beauftragen, »hin und her Vorträge zur Belebung des Missionssinnes zu halten und besonders zur Förderung des Werkes der Inneren Mission und zur Darbringung der nötigen Mittel anzuspornen«215 – eine Aufgabe, die durchaus innerhalb seiner Begabungen lag.216 So war er am 27. 6. 1886 beim Missionsfest des Missouridistriktes in New Orleans als Festredner und verdeutlichte als Grundlage für eine Innere Mission die »innerste« Mission der Missionsträger, die aufgrund eigener Glaubenserfahrung »Missions-Enthusiasmus« im Herzen trügen.217 210

Vgl. A. Reusch: Conferenzbericht des vierten Distrikts. In: FB 1885, S. 76–77, dort 77. Vgl. Protokoll der elften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1885, S. 16. 212 Vgl. seinen Bericht als Vorsitzender des texanischen Missionsausschusses im Protokoll der zwölften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1886, S. 19. 213 Vgl. Fr. v. Schlümbach: Perry, Falls Co., Texas. In: Evangelischer Gemeindebote des Südens 1886 Nr. 7, S. 2. 214 Protokoll der zwölften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1886, S. 19. 215 Zusammenstellung der Distrikts-Anträge für die General-Synode, Buffalo, N. Y. 1886, S. 8, im Anhang zum Protokoll der zwölften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1886. 216 Vgl. auch Protokoll der zwölften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1886, S. 19. 217 Vgl. [o.N.:] Missionsfest-Berichte. In: Evangelischer Gemeindebote des Südens 1886 Nr. 7, S. 1. Den Begriff der »innersten Mission« benutzte auch Theodor Christlieb bei einem Vortrag im Jahr 1888 im Hinblick auf die Zielgruppe der Mission angesichts der Gefahr einer Veräußerlichung der Inneren Mission in Deutschland; vgl. Voigt: Christlieb, S. 32. 211

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Über die Vielfalt seiner Aufgaben zu dieser Zeit schreibt Schlümbach: »[Ich bin] Präses der Mission. Muß reisen um neue Gemeinden zu sammeln. Mein Haus bauen [. . .], bin als Delegat zur General Synode gewählt u. soll als Evangelist in Großstädten Amer. wirken für etliche Monate. Nun wie Jesus mich führt! So soll es gehen! Er hat Alles wohlgemacht.«218 Unterbrochen wurde Schlümbachs Arbeit in den USA allerdings durch seine langen Aufenthalte in Deutschland. Im September 1885 hatte Schlümbach beim Distriktspräses um Erlaubnis gebeten, im Winter 1885/1886 für einige Monate in Deutschland wirken zu können. Dies wurde ihm gewährt. »Er war besonders in Berlin als Evangelist tätig.«219 Und auch ein Jahr später wurde er offiziell mit einem Dienst in Deutschland beauftragt: »In der Angelegenheit des P. F. v. Schlümbach wurde folgender Beschluß gefaßt: Der Distrikt giebt seine volle freudige Zustimmung für die Wirksamkeit des P. F. v. Schlümbach in Deutschland hiermit ab und ist vollständig befriedigt mit dessen Erklärung über seine Evangelisten-Arbeit daselbst und freut sich in ihm einen Arbeiter gefunden zu haben, der unsere Synode im alten Vaterlande in würdiger Weise repräsentiert.«220

Mit der Konstituierung des Missouri-Distrikts, zu dem Texas nun gehörte, im Herbst 1886 wurde der Missionsausschuss in seiner bisherigen Form wieder aufgelöst.221 Unterdessen wurde Schlümbachs Gemeinde in Perry zum Pfingstfest 1886 offiziell als »Friedens-Gemeinde zu Perry« organisiert. Als Gemeindevorsteher wurden Max von Bethmann-Hollweg, H. Deeke, Ludwig Fleischhauer, Otto von Gyzicky und Heinrich Ludwig gewählt. Es waren vorerst nur wenige Glieder, da es eine starke Gemeinde der Methodisten und der MissouriLutheraner in Perry gab222, aber Schlümbach schreibt, dass immer mehr Familien hinzu kämen, »da sie aus unserer Heimath her, Glieder der evang.

218 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 1. 6. 1886. (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [36]). 219 Vgl. Protokoll der zwölften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1886, S. 13. 220 Protokoll der zwölften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1886, S. 25; vgl. auch C. Kramer: Kurzer Bericht über die Konferenz des vierten Distrikts der Evang. Synode von NordAmerika. In: FB 1886, S. 84–86. 221 Werning mit seiner Tendenz, die Rolle Schlümbachs herunterzuspielen, verlegte in seinen Erinnerungen die Gründung des Missionsausschusses in das Jahr 1886, so dass – da Schlümbach gleichzeitig die Erlaubnis erteilt wurde, in Berlin als Evangelist zu wirken – dieser Ausschuss schon wieder außer Kraft gewesen sei, bevor er seine Arbeit überhaupt richtig aufgenommen hatte; vgl. F. Werning: Wir der Texas Distrikt geworden ist. (Fortsetzung.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/8 (1927) 6–7, dort 7. 222 So war erst am 7. Februar 1885 etwa zwei Meilen von Perry entfernt eine Kirche der Bischöflichen Methodistenkirche eingeweiht worden, die aus der seit 1872 am Sandy Creek bestehenden Gemeinde hervorgegangen war, wo seit 1876 eine eigene Kirche bestand.

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Landeskirche sind und sich bei uns am glücklichsten fühlen«.223 Zu ihr gehörten 1887 lose die beiden Familien von Schlümbach, der Schwiegersohn Alexanders, von Bethmann-Hollweg (Sekretär und Schatzmeister der Gemeinde), dessen Verwalter mit Familie, ein »Herr von B.« und dessen Verwalter, eine Dame aus Deutschland, die später auch im Missionshaus wohnte, und 6–8 junge adelige Deutsche, die ehemalige Offiziere waren und nun »in Schlümbachs Betrieben tätig«, daneben einige Farmerfamilien. Als »Evangelische Friedens-Gemeinde Perry« wurde sie, nachdem sie zuvor lediglich ein Predigtplatz in der Zuständigkeit des Pastors in Waco gewesen war224, 1887 in die Evangelische Synode aufgenommen.225 War Schlümbach anwesend, kümmerte er sich selbst um die Gemeinde – so firmierte er von Mitte September bis Mitte November 1886 und im Januar 1887 offiziell als »Pastor loci pro tempore«226 –, um aber eine dauerhafte pastorale Versorgung sicherzustellen, wandte sich der zur Gemeinde gehörende Max von Bethmann-Hollweg 1887 an Pastor Friedrich Werning, der aus gesundheitlichen Gründen sein Pfarramt in Houston gerade aufgegeben hatte, um ihn für die Tätigkeit in dem geruhsameren ländlichen Umfeld zu gewinnen. Auch Schlümbach schrieb ihm mit freundlichen Worten, dass er den Ruf doch als von Gott kommend ansehen solle; er könne im Koloniehaus wohnen, und man könnte schauen, ob gemeinsame Projekte angegangen werden könnten. Das Gehaltsangebot war nicht geringer als das seiner alten Gemeinde, allerdings kamen 350 $ davon auch aus der Missionskasse227. Werning sagte zu, zog kurz darauf mit Frau und Kind in Schlümbachs »Missionshaus« – wie das Koloniehaus mittlerweile genannt wurde – und wurde am Pfingstmontag 1887 von Schlümbach in seinen neuen Dienst eingeführt. In dem die beiden Gebäudeflügel verbindenden Saal fanden die Gottesdienste statt. Auf einem Podest stand das Rednerpult, unten standen die Stühle. »Einen feierlichen, ja nur würdigen Eindruck machte das Ganze freilich nicht.«228 Die enge Verbindung der Gemeinde mit dem von Schlümbach errichteten Haus äußert sich darin, dass in den lokalen Quellen zum Teil von einer »Friedrichruh Evangelical Church« die Rede ist, die sich in der »Villa« versammelte229: 223 Vgl. Fr. v. Schlümbach: Perry, Falls Co., Texas. In: Evangelischer Gemeindebote des Südens 1886 Nr. 7, S. 2. 224 Vgl. Protokoll der zwölften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1886, S. 30. 225 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Missouri-Distrikts 1887, S. 19. Vgl. auch J. C. Kramer: Etwas über die erste Konferenz des Missouri-Distrikts. In: FB 1887, S. 77–78, dort 77. 226 Vgl. Berichte der Synodal-Beamten an die Distrikte der Deutschen Evangelischen Synode von Nord-Amerika 1887, S. 14. 227 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Missouri-Distrikts 1887, S. 13. 228 F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Fortsetzung.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/8 (1927) 6–7. 229 Vgl. Kuehl: World, S. 14. Dort wird die Gründung der Gemeinde mit dem »orphanage

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ohne Zweifel Schlümbachs Haus, »Villa Friedrichsruhe«. Bemerkenswert ist, dass sich in unmittelbarer Umgebung des Hauses auch ein Friedhof befunden haben muss, auf dem Mitglieder der Gemeinde bestattet wurden.230 Auch weiterhin übernahm Schlümbach pastorale Aufgaben, wenn er zu Hause und Werning verhindert war.231 Die Gemeinde bestand 1888 aus 14 Gliedern und 57 Kommunikanten232, 1889 aus 13 Gliedern und 49 Kommunikanten233. Im Jahr 1890 waren es 10 Glieder und zusammen mit dem benachbarten Wilhelmsburg/Mettina 50 Kommunikanten.234 Dort hatte von Bethmann-Hollweg Farmland an deutsche Siedler verkauft; denen waren auf Dauer die zehn Meilen zum Missionshaus zu weit. Werning hielt von Ostern 1888 an also alle zwei Wochen auch dort Gottesdienst, zunächst bei einer Familie Hommel, kurze Zeit auch in einem leerstehenden Farmhaus, von 1889 an aber in einem eigenen Gebäude, in dem auch Schule gehalten wurde.235 Durch die Neugründung in Wilhelmsburg verlor die Gemeinde in Perry sechs Glieder dorthin und hatte nach Meinung des im Missionshaus lebenden Distriktspräses Werning kaum noch Chancen auf Wachstum. Lediglich ein begrenzter Anteil der Siedler hielt sich zur Gemeinde der Evangelischen Synode, sehr viel mehr orientierten sich zu der in der Gegend traditionell starken Methodistenkirche oder zur nahe gelegenen lutherischen Kirche. Obwohl Schlümbach nun Gemeindeglied in Wernings Gemeinde war und die beiden »vertraute Freunde« wurden, erhielt Werning in der ganzen Zeit seines Dienstes nicht wirklich Einblick in Schlümbachs landwirtschaftliche und familiäre Verhältnisse.236 Schlümbach selbst war zu dieser Zeit nur zu Hause, wenn er Ferien hatte, und sonst auf Reisen. Die Generalsynode 1886 hatte für Schlümbach in der Evangelischen Synode eine Ausnahmestelfor little Indians« durch den »Baron« in Verbindung gebracht – gemeint ist damit wahrscheinlich Max von Bethmann-Hollweg, gelegentlich konnte auch aber auch Schlümbach so bezeichnet werden. 230 Vgl. Kuehl: World, S. 14. 231 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 5. 232 Vgl. Statistischer Anhang zum Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, o. P. 233 Vgl. Statistischer Anhang zum Protokoll der zweiten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1890, o. P. 234 Vgl. Statistischer Anhang zum Protokoll der dritten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1891, o. P. 235 Vgl. Kuehl: World, S. 36. Dort werden die Anfänge dieser Gemeinde unter Werning auf das Jahr 1886 datiert, was für eine Tätigkeit desselben zu früh ist. Werning selbst schreibt, dass er Ostern 1888 mit einem Predigtplatz dort begann; vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 12. Sowohl das Land als auch das Baumaterial für den Kirchbau stellte Bethmann-Hollweg der Gemeinde zur Verfügung; vgl. Protokoll der zweiten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1890, S. 3. 236 Vgl. F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Fortsetzung.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/10 (1927) 4–6, dort 6.

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lung geschaffen, indem er für Aufgaben in der Inneren Mission direkt den Generalbeamten unterstellt wurde und so in ihrem Auftrag nach Deutschland oder andere Orte entsandt werden konnte.237 Und dies geschah schon bald, denn von den Synodalbeamten wurde ihm »Evangelistenarbeit« übertragen, die er Ende des Jahres 1886 aufnahm.238 Auf seiner ersten »Missionsreise« vom 15. November bis 19. Dezember 1886 besuchte er die Staaten Missouri, Kansas, Iowa, Minnesota, Wisconsin, Illinois, Indiana und Ohio. Überall traf er auf freundliches Willkommen und sah die Verheißung Gen. 28,15 an sich als »geringe[m] Werkzeuge« erfüllt. In den fünf Wochen legte er 4.200 Meilen zurück und hielt 43 Predigten und Vorträge, wobei die Art der Veranstaltungen durchaus differierte – sie reichte von Gemeindegottesdiensten über Missionsversammlungen bis zu Zusammenkünften von Jünglingsvereinen. Dabei fanden aber fast alle Veranstaltungen in Kirchen statt, in die Schlümbach von seinen örtlichen Kollegen gerufen worden war. Schlümbachs Reisekosten hatten 177,95 $ betragen, die in den Gemeinden gesammelten Kollekten aber 384,66 $. Somit blieben über 200 $ übrig, um Schulden für das »Missionshaus« – dazu im nächsten Kapitel – zu begleichen, bei deren Abtragung er auch von einem Freund aus St. Louis unterstützt wurde.239 Derselbe Freund machte auch eine weitere »Missionsreise« möglich, indem er für Honorar und Reiseauslagen Schlümbachs aufkam. Diese führte ihn vom 1. Februar bis 1. April 1887 nach Kalifornien. Schon lange hatte er in das »Wunderland am äußersten Westen« reisen wollen, aber bis jetzt hatte er trotz verschiedener Einladungen noch nicht »den klaren Ruf meines Herrn« vernommen. Diesen sah er nun im »ehrenvollen Auftrag« der Synodal-Missionsbehörde, für sie als »Kundschafter« den Staat zu bereisen, 237

Vgl. Protokoll der General-Conferenz 1886, S. 49. Vgl. Berichte der Synodal-Beamten an die Distrikte der Deutschen Evangelischen Synode von Nord-Amerika 1887, S. 14. 239 Vgl. Auszug aus dem Berichte unsers Evangelisten, P. F. v. Schlümbach. In: FB 1887, S. 36. Sein Reiseplan im einzelnen: 16. 11. Sedalia MO 16h und 18h Predigt, gut besucht; 17. 11. Boonville 19h Vortrag vor großer Vers., 24h Aufbruch; 18. 11. Higginsville 15h und 19h Predigt; 19. 11. Napoleon MO 14h Predigt, Missionsbehörde d. Kansas Dist.; 20. 11. Wyandotte KS abends Vers.; 21. 11. Kansas City morgens Predigt, 16h Vortrag f. junge Leute, abends Missionspredigt, Wyandotte 14h Vortrag für junge Leute; 22. 11. Lawrence Predigt; 23. 11. Eudora KS Predigt; 24. 11. 20.30 Ankunft Burlington IA, Unterredung mit Syn-Präs.; 25. 11. Festpredigt; 26. 11. Primrose IA, Wagenburg um Kirche; 27. 11. Ankunft St. Paul MN; 28. 11. Vortrag Kirche St. Paul; 29. 11. Osseo MN Versammlung; 30. 11. Vortrag Kirche St. Paul; 1.–3. 12. Milwaukee zwei Vorträge im Interesse des Christlichen Vereins junger Männer; über Chicago nach Michigan City; 5. 12. vormittags Predigt, nachmittags Ansprach in S-schule, abends Missionsvortrag vor übervoller Kirche; 7. 12. Dayton OH Versammlung; 8. 12. Massillon OH 2 Vers.; 9. 12. Andrews 2 Vorträge in Kirche; 10. 12. West Point Missionsvers.; 11. 12. Reise nach Lafayette IN; 12. 12. Predigten in Kirche; 13. 12. Pana ILL, auf dem Land; 14. 12. drei Vers., trotz Kälte gut besucht; 15. 12. Gottesdienst, abends Predigt in Pana; 16. 12. 4h Abfahrt nach St. Charles MO, abends Ansprache im christl. Jünglingsverein; 19. 12. Pilot Grove MO Predigt, gut besucht; Sedalia Abendpredigt und Schlussversammlung. 238

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um Empfehlungen für die weitere Missionsarbeit zu geben und den Gemeinden vor Ort zu helfen.240 Schlümbach reiste zunächst in den südlichen Teil des Landes – und gelangte damit in »das herrlichste Stückchen der Vereinigten Staaten, das ich bis jetzt kenne.«241 Das Klima empfand er als ausgesprochen angenehm und die üppige Vegetation, wenn auch abhängig von künstlicher Bewässerung, versetzte ihn in Begeisterung. Das eigentliche Ziel seiner Reise war »der Mittelpunkt dieses irdischen Paradieses«, Los Angeles. Dort traf er mit seinem Kollegen Paul Branke zusammen, der seit einem Jahr eine kleine Gemeinde für die Evangelische Synode gesammelt hatte, die noch kein eigenes Gebäude besaß, sondern sich in einer Kirche der MEC South traf. Gemessen an dem deutschen Bevölkerungsanteil in der Stadt erschien Schlümbach das von den wenigen deutschsprachigen Gemeinden anderer Konfessionen in der Stadt Erreichte als viel zu gering, aber ein vielversprechendes Feld für die Evangelische Synode. Schlümbach und Branke entwarfen ein mehrwöchiges Programm aus Predigten, Bibelstunden und Vorträgen, das nicht nur in deutschsprachigen Kirchen, sondern auch mit Unterstützung englischsprachiger Pastoren in deren Kirchen stattfand. Schlümbach hoffte auf diese Weise Unterstützer für die Mission zu finden und Geldgeber für einen Kirchenbau zu motivieren. Am Tag vor seiner Abreise waren mehrer hundert Dollar für die Sache zusammengekommen.242 Doch auch der YMCA engagierte Schlümbach für seine Belange. Am 2. März, einen Tag vor seiner Abreise, sprach Schlümbach auf einer Versammlung des dortigen YMCA vor 1.500 Zuhörern im Opernhaus von Los Angeles. Nach seiner Rede wurden 6.000 $ für ein neues Vereinshaus gezeichnet mit Zusagen zahlreicher weiterer Geldgeber.243

240 Vgl. F. v. Schlümbach: Meine Reise nach Californien I. Die Reise. In. FB 1887, S. 116. Die Reisepläne nach Kalifornien standen im Januar 1887 fest. Schon im Sommer 1885 hatte für Schlümbach eine Reise nach Kalifornien zur Debatte gestanden; vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 20. 6. 1885 (ArchFam, Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [22]). Von konkreten Reiseplänen schreibt Schlümbach aber erst im Januar 1887; vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Antonie Werner vom 20. 1. 1887 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [40]). Zur gleichen Zeit wandte sich der Jünglingsverein in Milwaukee mit der Bitte ans International Committee des YMCA, Schlümbach für einen evangelistischen Einsatz in die Stadt zu senden – eine Bitte, der in der geäußerten vom International Committe nicht entsprochen werden konnte, da man sich für die Vermittlung derartiger Einsätze nicht zuständig sah; vgl. Minute Book of the International Committee, Teil II, S. 280 (YMCA Arch.). 241 F. v. Schlümbach: Meine Reise nach Californien I. Die Reise. In. FB 1887, S. 116. 242 Vgl. F. v. Schlümbach: Meine Reise nach Californien II. Das südliche Californien. In: FB 1887, S. 124–125. 243 Vgl. [o.N.:] Pastor F. v. Schlümbach. In: FB 1887, S. 63. Auch der Jünglingsbote berichtete von dieser Versammlung und »erhöhte« die Zuhörerschaft auf 15.000 Personen. Auch gab er die zum Teil in Aussicht gestellten enormen Geldsummen wieder; vgl. Aus anderweitigen Jünglingsbündnissen. In: JB 1887, S. 100–101.

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Strategische Bedeutung für die Mission legte Schlümbach aber vor allem dem Umland von Los Angeles bei. So sah er im Verkehrsknotenpunkt Pomona »für unser Synodalwerk das eigentliche Centrum«, in das bald ein eigener Seelsorger entsandt werden sollte und wo sich auch ein Sanatorium für kranke Pastoren gründen ließe. Den »Schlüssel für den ganzen unteren Theil des südlichen Californiens« sah er hingegen in San Diego, wo möglichst bald ein Missionswerk unter den zahlreichen deutschen Einwohnern begonnen werden sollte.244 Durch das Drängen seiner Freunde war Schlümbach etwas länger als beabsichtigt in Südkalifornien geblieben, reiste aber am 4. März weiter nach San Francisco, wo er für drei Wochen als persönlicher Gast im Hause seines Amtsbruders A. Schilling aufgenommen wurde. In der ersten Woche hatten die Veranstaltungen mehr den Charakter christlicher Vorträge, in der zweiten und dritten Woche bestanden sie aus »Evangelisations-Arbeit, in dem Sinne, das Schwache zu stärken und zu ermutigen, das Schwankende zur Entscheidung zu bringen und die Starken fröhlich zu machen«.245 Wie schon in Los Angeles wurden die beiden von den englischsprachigen Kollegen unterstützt. Der YMCA stellte den großen Saal seines Vereinshauses für mittägliche öffentliche Bibelstunden zur Verfügung, die sehr gut besucht waren und auch Spenden für die Missionskasse einbrachten. Wieder sah Schlümbach in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Gemeinden eine wesentliche Voraussetzung für deren Wachstum; die unter Pastor Niebuhr am North Beach erbaute Kirche müsse bald schuldenfrei sein und für Pastor Schilling ein mietfreier Predigtplatz gefunden werden: »Unsere liebe Synode sollte die größten Anstrengungen machen, sich das uns hier und in Oakland zunächst darbietende wahrlich großartige Arbeitsfeld zu sichern, und vor keinen Unkosten zurückscheuen; denn von hier aus läßt sich in einem Umkreis von 100 Meilen durch systematische Wirken eine Kette lebensfähiger und auch sehr bald von der Missionskasse unabhängiger Gemeinden sammeln. [. . .] Wenige tausend Dollars, jetzt schnell praktisch angelegt, theils zur Stärkung des Bestehenden, theils zur Besoldung neuer opferwilliger Missionare und zur Aufnahme neuer Missionsstationen, würden schon in wenigen Jahren, abgesehen von allem anderen Segen, der Missionskasse reichliche Zinsen und Rückvergütung bringen.«246

Davon war er nach der Inspektion des Umlands überzeugt. Nach einer vom deutschen YMCA ausgerichteten Abschiedsfeier kehrte Schlümbach Ende März 1887 zurück nach Perry. Bezüglich der beiden Missionsreisen trafen 244 Vgl. F. v. Schlümbach: Meine Reise nach Californien II. Das südliche Californien. In: FB 1887, S. 124–125, dort 125. 245 Vgl. F. v. Schlümbach: Meine Reise nach Californien III. Das mittlere Californien. In: FB 1887, S. 133–134, dort 134. 246 F. v. Schlümbach: Meine Reise nach Californien III. Das mittlere Californien. In: FB 1887, S. 133–134, dort 134.

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zahlreiche Briefe von Pastoren bei der Synodal-Behörde ein, in denen von der segensreichen Tätigkeit Schlümbachs berichtet wurde.247 Wie es scheint, wurde mit A. Schilling in den Folgemonaten tatsächlich ein Pastor nach Pomona abgeordnet. Es wurden Kirche und Pfarrhaus errichtet. Er teilte die Einschätzung Schlümbachs, dass hier der »Mittelpunkt« der Mission in Südkalifornien entstehe.248 Schlümbach reiste Ende 1888 in Texas umher, um die Lage für neue Koloniegründungen beziehungsweise die pastorale Versorgung bereits bestehender Siedlungen zu sondieren.249 Nachdem 1887 der große vierte Distrikt bereits unterteilt worden war und Texas seitdem zum Missouri-Distrikt gehörte, wurde den Pastoren aus Texas auf der Distriktskonferenz 1888 aufgrund der immer noch großen Entfernungen nahegelegt, doch einen eigenen Texasdistrikt zu gründen. Dieser konstituierte sich und wurde für 1889 zum ersten Mal ordnungsgemäß einberufen.250 Zu ihm gehörten 14 Pastoren: L. Alpermann in West, C. Baumann in Fort Worth, M. L. Bretz in Hillendahl, W. Hackmann in Houston, A. Hagenstein in Neu Baden, W. Helmkamp in Lyons, C. Kniker in Gay Hill, C. Kreuzenstein in Cibelo, C. Lengtat in Waco, M. Ratsch in Neu Braunfels, J. Rieger in Brenham, F. v. Schlümbach in Perry, W. Wiege in Galveston und F. Werning in Perry. Gemeindevertreter nahmen aufgrund der hohen Reisekosten nur vereinzelt an den Distriktskonferenzen teil.251 Bei der ersten Texas-Distriktskonferenz vom 27. 6. bis 1. 7. 1889 in Houston versah Schlümbach im Eröffnungsgottesdienst den Altardienst und wurde in verschiedene Komitees gewählt.252 Im Hauptgottesdienst am Sonntag Morgen predigte er über 1. Joh. 3,13–18.253 Für die Generalkonferenz 1889 stellte der Texas-Distrikt den Antrag, das Dienstverhältnis Schlümbachs gegenüber der Zentralmissionsbehörde bestehen zu lassen.254 Für die Generalsynode stellte der Synodalpräses einen mündlichen Bericht Schlümbachs über seine Tätigkeit in Aussicht.255 Dass Schlümbach durchaus noch mit dem YMCA zusammengebracht wurde, zeigt sich daran, dass er am Sonntagnachmittag auf Einladung des YMCA in Houston einen englischen Vor247 Vgl. Berichte der Synodal-Beamten an die Distrikte der Deutschen Evangelischen Synode von Nord-Amerika 1887, S. 14–15. 248 Vgl. J. A. Schilling: Aus dem südlichen Californien. In: FB 1888, S. 78. 249 Vgl. F. v. Schlümbach: Ein offenes, freies Wort aus Texas. In: FB 1889, S. 29. 250 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts der Deutschen Evang. Synode von Nord-Amerika, gehalten vom 27. Juni bis 1. Juli 1889. 251 Vgl. F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Schluß.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/11 (1927) 4–7, dort 6–7. 252 Dies waren die Komitees zur Prüfung der Aufnahmegesuche von Pastoren, zur Begutachtung des Jahresberichts der Synodalbeamten und zur Prüfung der Entschuldigungsschreiben; vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 1–3. 253 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 21. 254 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 13. 255 Vgl. Protokoll der Deutschen Evang. Synode 1889, S. 18.

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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trag über christliche Jünglingsvereine hielt.256 Aber auch bei der Konferenz der deutschen Jünglingsvereine in Philadelphia im Mai 1889 war Schlümbach noch einmal in Erscheinung getreten, indem er die Konferenz, die im Anschluss an die internationale Konferenz vom 12.–14. 5. stattfand, mit einer Andacht eröffnete, ansonsten aber nicht in die inhaltliche Gestaltung eingebunden war.257 Da Schlümbachs Gesundheit immer noch angegriffen war, hielt er sich im Sommer 1890 zur Erholung in Galveston auf. Als sein Kollege L. Alpermann, der die durch allerlei Konflikte klein gewordene Gemeinde der Evangelischen Synode in der Stadt betreute, erkrankte, übernahm Schlümbach dessen Vertretung und wurde so auch zum eigentlichen Gastgeber der Distriktskonferenz vom 25.–28. Juni 1890. Er predigte im Eröffnungsgottesdienst über Micha 7,8 mit dem Thema: »In der Finsternis dieser Welt ist Gott das Licht. 1. Dies lehrt der Lebenslauf der Glaubenshelden heilige Schrift. 2. So ist’s auch heute noch in der Gesammt-Kirche. 3. So erfährt es jede gläubige Seele an sich selbst.«258 An einem freien Abend fuhr die Gesellschaft mit einem Segelboot hinaus aufs Meer, wo Schlümbach die Gelegenheit für eine Ansprache nutzte.259 Allerdings lag die Gemeinde in Galveston so darnieder, dass – so sah es Werning später – »eine Vertretung nicht nötig gewesen wäre, da nichts vorhanden war, was auch durch die längste Vakanz hätte geschädigt werden können«. Stattdessen wurde dort später ein Neuanfang gemacht.260 Auf der Konferenz hatte Schlümbach ein Referat über die Innere Mission in Texas gehalten, auf Grundlage dessen es zu Neustrukturierung der Arbeit in drei Missionsbezirke kam, die jeweils einem pastoralen Mitglied des Missionskomitees unterstanden. Bei der Central-Missionsbehörde wollte man sich weiter um einen Reiseprediger für Texas bemühen.261 Schlümbach selbst wurde von der Distriktskonferenz zum reisenden Agenten für die Lehranstalten berufen, was sich mit seiner neuen Aufgabe als Kollektor für das Lee Institute verband.262 Mit diesem hatte es eine besondere Bewandtnis.

256

Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 20. Vgl. Aus auswärtigen Jünglingsbündnissen. In: JB 1889, S. 111. 258 Protokoll der zweiten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1890, S. 1. 259 Vgl. Protokoll der zweiten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1890, S. 11–12. 260 Vgl. Protokoll der dritten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1891, S. 5. 261 Vgl. Protokoll der zweiten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1890, S. 8–9. 262 Vgl. Protokoll der zweiten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1890, S. 10; W. Hackmann: Conferenz des Texas-Distrikts. In: FB 1890, S. 124–125, dort 124. 257

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

5.4 Die Gründung zweier Evangelistenschulen? Johanneum und Lee Institute »Unser Haus heißt jetzt in englisch: Lee Institute, in deutsch: Präparantenanstalt u. Missionshaus der Deut. Ev. Synode von Nord-Am. – ich spreche hier [. . .] nur immer vom Missionshaus u. da versteht ihr uns ich meine, das neue Heim heißt nun »Friedrichsruh«.263 Das neue Heim, das war das im Herbst 1886 bezogene Wohnhaus der Familie von Schlümbach, das Koloniehaus firmierte seither als »Missionshaus« beziehungsweise »Lee Institute«.« Ihren Ausgang genommen hatte diese Entwicklung im Sommer 1885. Um die Arbeit in dem großen Missouri-Distrikt besser koordinieren zu können, fand sich für Texas eine eigene Pastoralkonferenz zusammen, die im Sommer 1885 von Schlümbach in sein Heim bei Perry eingeladen wurde. Bei der Zusammenkunft ging es vor allem um die Frage, wie mehr gute Mitarbeiter für das Arbeitsgebiet in Texas gewonnen werden könnten. Denn unter den erfahrenen Pastoren fand sich kaum einer bereit, nach Texas zu gehen. Die Entfernung zum Kerngebiet der Synode war groß, zudem hatte man kein großes Vertrauen in die texanische Infrastruktur, was Schulen für die Kinder oder den Lebensstandard anging. Von daher war die Mission in Texas angewiesen auf Zöglinge des Predigerseminars, die ihre erste Stelle zugewiesen bekamen – meist fähige Männer, die aber nicht frohen Herzens nach Texas gingen und so bald wie möglich eine Stelle im Norden antraten. Von daher kam es zu häufigen Personalwechseln. Zu einem guten Teil besoldet oder unterstützt wurden die Pastoren in Texas zumindest in den Anfangsjahren von der Behörde für Innere Mission der Generalsynode, die die eingehenden Spendengelder an die Distrikte verteilte. Verglichen mit den anderen Posten, für die aus den Gemeinden Gelder bei der Generalsynode eingingen, führte die Innere Mission aber eher ein stiefmütterliches Dasein. Die Finanzmittel waren knapp, die Missionsarbeiter schlecht bezahlt, und so manches wünschenswerte Projekt konnte so nicht in Angriff genommen werden.264 Um die Missionskasse zu entlasten, unterrichteten manche Pastoren an den in Texas oft nur dürftig ausgestatteten Volksschulen. Bei dieser Pastoralkonferenz in Schlümbachs Haus fand man 1885 zunächst keine Antwort auf die Frage, woher Missionsarbeiter mit Herzblut für die Arbeit in Texas in ausreichender Zahl gewonnen werden sollten. Doch dann äußerte jemand in der Runde den Gedanken, dass man in Texas eine Art Missionshaus brauche, in dem junge Leute kurze Zeit unterrichtet

263 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 23. 9. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [37]). 264 Vgl. F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Fortsetzung.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/10 (1927) 4–6, dort 6. Das Protokoll der zwölften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1886 weist aus, dass die Mittel für die innere Mission hinter den Anforderungen um etwa ein Drittel zurückgeblieben waren (S. 16).

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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und dann ausgesandt werden könnten. Schlümbachs Kollege Friedrich Werning erinnert sich: »Der Gedanke hatte etwas bestechendes und wurde sofort aufgegriffen und besprochen. Geplant wurde, daß ein Missionsinspektor ernannt werde, der mit einem Reiseprediger im Missionshause wohnen, den Unterricht erteilen und die Missionsarbeit leiten solle. Knaben im Alter von 14 bis 18 Jahren, die den Herrn Jesum lieb hätten, sollten in die Anstalt aufgenommen und für Elmhurst vorbereitet werden. Die Schüler sollten dann einigemal im Jahr als Kolporteure und Kundschafter ausgesandt werden, daß der Reiseprediger an geeigneten Plätzen seine Arbeit beginne. Pastor v. Schlümbach, in seiner großen Liebe zur Texasmission, war leicht entzündet und schnell begeistert für den Plan. Er versprach sein Wohnhaus für diese Sache zur Verfügung zu stellen und bei seiner nächsten Reise seine Freunde in Deutschland dafür zu interessieren und von ihnen die Mittel zu erbitten, die zur Ausführung dieses Planes benötigt seien. Als ich später das Protokoll las und Pastor Schlümbach mir erzählte, wie sie zu dem Beschluß gekommen seien und was beabsichtigt werde, wäre ich fast auf den Rücken gefallen, aber nicht in Begeisterung, sondern in Schreck; ich konnte die Brüder nicht begreifen und sagte: Luftgespinste! Der Plan hätte unter denselben Verhältnissen vielleicht in Deutschland ausgeführt werden können, in Amerika nicht und in Texas noch weniger. Wo sollten die Schüler herkommen? Wir hatten kaum 12 ordentliche Gemeinden, die nicht sehr groß und an Liebestätigkeit noch nicht gewöhnt waren. Eine Vorbereitungsanstalt für unser Proseminar wäre ja der weiten Entfernung wegen sehr erwünscht gewesen, aber die Sache war verfrüht und vorläufig nicht ausführbar. Doch das Verhängnis ging seinen Weg.«265

Ungewöhnlicher Weise – Werning bemerkt, dies sei weder vorher noch später wieder vorgekommen – wurde Schlümbach bei der nächsten Jahreskonferenz des 4. Distriktes, bei der Werning und Schlümbach auch Vorträge über Innere Mission hielten266, nach nur zweijähriger Mitgliedschaft in der Evangelischen Synode zum Delegierten für die im Herbst 1886 tagende Generalsynode bestimmt, die vom 25. August bis 2. September 1886 in Buffalo, New York stattfand.267 Werning schreibt, »durch seine imponierende Persönlichkeit, seinen gesellschaftlichen Takt und tadelloses Benehmen wie auch durch seine Rednergabe gewann Schlümbach viele Freunde und großen Einfluß in der Generalsynode«.268 Unter Umgehung des Distriktes legte Schlümbach hier nun direkt seine Pläne für das Missionshaus in Texas dar. 265 F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Schluß.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/11 (1927) 4–7, dort 4–5. In diesen Erinnerungen stellt sich Werning sehr viel skeptischer dar, als es die Quellen aus der Mitte der 1880er Jahre erkennen lassen. 266 Vgl. Protokoll der zwölften Jahres-Konferenz des vierten Distrikts 1886, S. 27. 267 Vgl. die Liste der Delegaten aus dem vierten Distrikt in C. Kramer: Kurzer Bericht über die Konferenz des vierten Distrikts der Evang. Syonde von Nord-Amerika. In: FB 1886, S. 84– 86, dort 85. 268 Schlümbach predigte auch in einem Abendgottesdienst der Konferenz; vgl. Protokoll der General-Conferenz 1886, S. 79.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Distriktspräses Holke hatte in seinem Bericht an die Generalsynode bereits angekündigt, dass Schlümbach als Vorsitzender des Missionsausschusses aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen und Beobachtungen auf dem Gebiet der Synode einen Plan unterbreiten werde, wie die Missionsarbeit in Texas ohne allzu großen finanziellen Aufwand verbessert werden könne.269 Der Missionsausschuss für Texas, zu dem neben Schlümbach auch Werning und Distriktspräses Holke gehörten, hatte ein mehrseitiges Circular über die »Texas-Missionssache« erarbeitet, das sie zur Generalkonferenz vorlegten. Missionsarbeit wird in diesem als »Sammlung neuer Gemeinden [aus] den zerstreuten Gliedern der evangelischen Kirche« definiert – also ein deutlicher Ansatz »Innerer Mission« und weniger der »Evangelisation«. Die zu sammelnden Deutschen seien der Kirche – auch durch den Einfluss der Achtundvierziger in Texas – so entfremdet, dass man durchaus von einem »deutsche[n] Heidenthum in der Christenheit« sprechen könne.270 Darüber hinaus seien die konfessionellen Verhältnisse in den USA derart, dass die aus unierten deutschen Landeskirchen kommenden Einwanderer aufgrund der gewohnten Terminologie oft die Kirchen, die »lutherisch« im Namen führten, für das entsprechende Pendant hielten, sodass die »evangelischen«, also die unierten, mit der Methodistenkirche oder der Evangelischen Gemeinschaft, verwechselt würden. Da Texas mit seinen wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten weiterhin zahlreiche deutsche Immigranten anziehen werde, sei trotz aller Widrigkeiten wie großer Distanzen und klimatischer Besonderheiten Texas ein vielversprechendes kirchliches Arbeitsfeld, für das sich alle Mühen lohnten. Man müsse nur einen Weg finden, »mit geringen Mitteln die größt-möglichen Erfolge« zu erzielen. Und dazu gehöre im Verbund mit weiteren Maßnahmen eben auch das Missionshaus. »Die ganze Missionsarbeit in Texas muß organisch geleitet und systematisch ausgeführt werden.« Daher sei eine »Centralstelle« vonnöten, die von einem Missionsleiter als Direktor oder Inspektor geführt werde. Er habe die ganze Missionsarbeit selbständig zu leiten, solle aber der Distriktsbehörde für Innere Mission gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Die Missionsarbeit selbst sei zu gliedern in 1. »feste Stellen«, 2. »eigentliche Missionsgemeinden«, 3. »Predigtplätze und Versuchsfelder«. Zu 1. gehören solche Gemeinden, die fest organisiert sind und zur Finanzierung ihres Pastors keine Missionsgelder benötigen. Unter 2. werden die Gemeinden gefasst, die organisiert sind, aber erst teilweise einen eigenen Pastor bezahlen können oder von Reisepredigern besucht werden müssen. Mit 3. werden alle Predigtplätze erfasst, die zu keiner Parochie gehören und von Reisepredigern und Kolporteuren besucht werden sollen. 269

Protokoll der General-Conferenz 1886, S. 21. Christlieb hatte bei seiner Rede vor den Freunden der Positiven Union 1882 von »Christenheiden« gesprochen, s. o. 270

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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Dieser Gliederung entsprechend würden auch verschiedene Arten von Mitarbeitern benötigt. Ältere erfahrene Pastoren sollten die festen Stellen übernehmen, aber bereit sein, sich dem Missionsleiter zu unterstellen und Predigtplätze im Umland mit zu bedienen. Junge Seminarabgänger sollten für zwei bis drei Jahre als Reiseprediger unter Direktion des Missionsleiters in Texas Dienst tun und könnten danach auf feste Gemeindestellen vermittelt werden. Darüber hinaus seien junge Kolporteure unabdingbar, »die noch keine Pastoren sind noch sein wollten« und außerdem nicht viel kosteten. Sie sollten durch ihre Besuche bei den Siedlern den Boden für die Wirksamkeit der Reiseprediger bereiten. Diese Kolporteure sollten für zwei Jahre ins Missionshaus kommen, wo sie durch Unterricht, aber eben auch durch ihre praktische Kolportagearbeit auf den Besuch des Predigerseminars vorbereitet würden. Der Unterricht obliege dem Missionsleiter, worin er durch gerade anwesende Reiseprediger unterstützt werde, die in eigenen Ruhezeiten das Missionshaus als Wohnung nutzen könnten. Zu den Aufgaben der Studenten gehöre auch die Arbeit auf dem Farmland, für die der Missionsinspektor verantwortlich sei. Die Funktion des Missionshauses bestehe also darin, 1. »Centralstelle« für die Leitung der Texas-Mission zu sein, 2. »Präparanden-Anstalt« des Predigerseminars in St. Louis für als Kolporteure einzusetzende Zöglinge und 3. Rückzugs- und Studienort für die Reiseprediger. Daneben sollte das Haus weiter als Kirche für die kleine Gemeinde am Ort dienen, der der Missionsinspektor auch als Pastor zur Verfügung stehen könne, und als Haupthaus einer Farm. Durch deren Erträge könne sich das Seminar zusammen mit Liebesgaben aus den Gemeinden selbst erhalten, während das Gehalt des Missionsinspektors und das der Reiseprediger aus der General-Missionskasse gezahlt werden müssten. Der Wert seines Hauses, das Schlümbach samt 18 Morgen Land der Synode als Missionshaus zu überschreiben gedachte, war auf 9.240 $ geschätzt worden. Auf das Grundstück war eine Hypothek aufgenommen. Während seines Aufenthaltes in Deutschland im Winter 1885/86 hatte Schlümbach bereits 3.291 $ für diesen Zweck gesammelt und stellte für seine nächste Deutschlandreise eine noch größere Summe in Aussicht. Aufgrund der Hauptspenderin – Mary Esther von Waldersee, geb. Lee – sollte das Haus »Evang. Lee Institute« heißen.271 Im gleichen Jahr – 1886 – liefen auch in Deutschland die Planungen für eine Ausbildungsstätte, die ebenfalls auf ihre Weise den kirchlichen Notständen ihres Kontexts begegnen wollte: das bereits mehrfach erwähnte Johanneum in Bonn. Auf der Tagung des Deutschen Evangelisationsvereins in Berlin Anfang April 1886 hatte Schlümbach an den Beratungen über die Ausgestaltung dieses Institutes teilgenommen. 271

Vgl. Texas-Missionssache im Anhang zu den Synodal Reports von 1886.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Die Planungen für eine Evangelistenschule in Deutschland waren von Theodor Christlieb schon seit Beginn der 1880er Jahre vorangetrieben worden. In ihr sollten Männer zur Ergänzung des kirchlichen Amts eine theologische und praktische Grundausbildung für den evangelistischen Dienst erhalten. Diese Pläne hatte Christlieb schon frühzeitig ins englischsprachige Ausland kommuniziert, nicht zuletzt auch, um dort die nötigen Gelder zu akquirieren.272 1883 hatte sich die Gelegenheit ergeben, in der Bonner Lennéstraße ein Gebäude für dieses Projekt zu erwerben, das Ende Oktober dieses Jahres eingeweiht werden konnte. Ein regulärer Lehrbetrieb mit eigenem Inspektor kam aber erst 1886 zustande, nachdem auf der Berliner Konferenz Dr. J. Gottlob Pfleiderer für dieses Amt und das des Generalsekretärs des Evangelisationsvereins gewonnen werden konnte. So fand die Eröffnung des Johanneums am 21. 10. 1886 statt.273 Der Lehrplan unterschied sich von der Ausbildung in Bruder- und Diakonenhäusern durch »ein erheblich reicheres Maß von biblisch-theologischem Unterrichtsstoff«. Eine große Rolle spielte dem Zweck des Hauses entsprechend die Praktische Theologie mit Übungen in »Bibelerklärung« und »Ansprachehalten«. Aber auch Dogmatik, Ethik, Apologetik und Kirchengeschichte standen auf dem Lehrplan, daneben grundlegende Fächer wie Deutsch und Weltgeschichte. In den Ferien gingen die Studenten auf kleinere Evangelisationsreisen in Deutschland.274 Nach ihrem Examen sollten die Absolventen als Evangelisten den sie einladenden Kirchengemeinden oder kirchlichen Werken zur Verfügung stehen. Während Christlieb sich im englischsprachigen Ausland um Gelder für seine Evangelistenschule in Bonn bemühte, sammelte Schlümbach – wie bereits erwähnt – im Winter 1885/1886 eifrig Gelder in Deutschland für sein geplantes Missionshaus in Texas. Es waren nicht nur Spenden, die er zusammentrug, sondern zum größeren Teil Darlehen, die ihm von wohlhabenden Gönnern zur Verfügung gestellt wurden. Anfang März konnte er an seine deutschen Verwandten schreiben, dass er bereits 10.000 Mark für sein »Seminar« gesammelt habe.275 Konzeptionell waren die beiden Ausbildungsstätten durchaus verschieden, denn Schlümbach dachte mittlerweile eher an Absolventen mit Tätigkeiten, wie sie in Deutschland in der Inneren Mission eingesetzt wurden, Christlieb vor allem in den Bahnen angelsächsischer

272 So hatte Christlieb über das Projekt eines Missionshauses und die Beschaffung der Mittel auch schon mit Richard C. Morse kommuniziert; vgl. Brief Theodor Christliebs an Richard C. Morse vom 28. 5. 1882 (YMCA Arch., Box »Germany 1882–1947«, Folder »Germany 1882– 1884«). Zum Londoner Unterstützerkreis vgl. Klemm: Schrenk, S. 261. 273 Vgl. Bieneck: Evangelisten, S. 12–14. 274 Vgl. Bieneck: Evangelisten, S. 22–23; vgl. auch Fleisch: Gemeinschaftsbewegung, S. 85. 275 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 3. 1886 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1880–1889 [35]).

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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Evangelisationsarbeit. Aber dass die Gründung des Johanneum Schlümbachs Seminaridee befruchtet hat, liegt sehr nahe. Die Generalsynode Ende August 1886, auf der Schlümbach seine Pläne für das Missionshaus in Texas dargestellt hatte, fasste folgenden Beschluss: »Da Pastor von Schlümbach durch seine Freunde das Geschenk eines Missionshauses für Texas darbringt, so nimmt die Synode dieses Geschenk zu vorläufiger Benutzung dankend entgegen, als vollständiges Besitztum doch erst dann, wenn es durch Herrn v. Schlümbachs Bemühung und Fleiß schuldenfrei gemacht worden ist, und legt die Synode diese Angelegenheit mitsamt der Texasmission vertrauensvoll in die Hände der Missionsbehörde des Missouridistrikts, welche in Verbindung mit den Synodalbeamten die nötigen Maßnahmen im Interesse unserer Synode treffen möge.«276

Für Schlümbach war das ein gutes Ergebnis: Sein Projekt war von der Synode angenommen worden, wenn auch vorsichtig, aber immerhin. Als er Werning davon erzählte und dieser ihn fragte, ob die Generalsynode denn auch beschlossen habe, woher die Schüler kommen sollten, antwortete Schlümbach nur: »Die werden schon kommen.« Und das Geld? »Um das Geld kümmere dich nicht [. . .]; das Geld ist vorhanden und ich werde dafür sorgen, daß es kommt.«277 Ein Reisebericht aus Texas vom Oktober 1886 im Friedensboten zeigt, dass das Missionshaus bereits ins allgemeine Bewusstsein der Synode gelangt war, indem der Korrespondent es ausführlich beschreibt und hofft, das doch bald ein Inspektor gefunden werde, »um junge Leute heranzubilden, die jetzt noch weit zerstreuten Deutschen in Gemeinden zu sammeln, oder solange solches noch nicht geht, ihnen das Wort Gottes anzubieten.« Zu diesem Zeitpunkt wurde offenbar noch daran gedacht, dass der Missionsinspektor gleichzeitig der Seelsorger der dort befindlichen Gemeinde werden sollte.278 Auf der Texas-Pastoralkonferenz vom 12.–13. November 1886, auf der Werning und Schlümbach das Projekt noch einmal persönlich vorstellten, wurde der Entschluss der Generalkonferenz von den Kollegen gutgeheißen und Schlümbach viel Glück bei der Aufgabe des weiteren Kollektierens für das Haus gewünscht, um die Bedingungen der Synode zu erfüllen.279 Gemäß den Vorgaben der Generalsynode übernahm das Missionskomitee des neu geschaffenen Missouridistrikts die Sache, war aber in Zweifel über 276 Zit. nach F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Schluß.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/11 (1927) 4–7, dort 5; vgl. Protokoll der GeneralConferenz 1886, S. 49 u. [o.N.:] Bericht über die General-Konferenz der Deutschen Evang. Synode von Nord-Amerika. In: FB 1886, S. 140–142, dort 141. 277 F. Werning: Wie der Texas Distrikt geworden ist. (Schluß.) In: Gemeindebote der evangelischen Gemeinden in Texas 31/11 (1927) 4–7, dort 5. 278 Vgl. W.: Aus dem Süden. In: FB 1886, S. 173. 279 Vgl. W. H. S.: Verhandlungen der Texas Pastoral-Conferenz. In: Evangelischer Gemeindebote des Südens 1887 Nr. 1, S. 2.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

die Durchführbarkeit, nur Schlümbach nicht. Auch dass das Missionskomitee zunächst keine weiteren Schritte unternahm und die Frage auf der Distriktskonferenz vom 28. 4.–2. 5. 1887, bei der Schlümbach nicht zugegen war, erst gar nicht besprochen wurde, konnte Schlümbach nicht beirren.280 Zu diesem Zeitpunkt bewohnte Schlümbach bereits seit einem halben Jahr sein neues Heim und hatte das Missionshaus für einen Wächter und dessen Familie geräumt. Doch eröffnet war das Missionshaus bis Mitte 1888 noch nicht281, auch wurden die Umstrukturierungsvorschläge des texanischen Missionsausschusses auf der Distriktskonferenz nicht weiter beraten282, vielleicht weil ohnehin die Schaffung einer eigenen Texas-Konferenz beschlossen wurde. Werning, der seit 1887 als Inspektor der Texas-Mission fungierte, versandte im Herbst 1888 ein Circular an die Mitglieder des texanischen Missionskomitees und weitere Funktionsträger des Distrikts mit dem Plan, im Januar 1889 das Missionshaus zu eröffnen, um dort in einem zweijährigen Lehrkurs Kolporteure auszubilden, die nach ihrer Kolportage- und Missionstätigkeit an das Predigerseminar der Synode wechseln könnten. Die Angeschriebenen jedoch wollten nichts vor den gemeinsamen Beratungen auf der Distriktskonferenz im Frühjahr 1889 entscheiden, und so traute sich Werning – obwohl der Synodalpräses ihm privatim gut zuredete – auch nicht. Daher diente das Missionshaus auch Anfang 1889 lediglich als Wohnung des Pastors und als Gottesdienststätte für die Friedensgemeinde.283 Im April 1889 ernannte Werning als Distriktspräses ein Komitee, das die Beratungen auf der Distriktskonferenz Ende Juni und Anträge an die im gleichen Jahr tagende Generalsynode vorbereiten sollte. Zu diesem gehörte neben den Pastoren Lengtat, Alpermann und Hackmann auch Max von Bethmann-Hollweg, der Schatzmeister des Texas-Distrikts und Delegierte der neuen Gemeinde in Wilhelmsburg, zehn Meilen östlich von Perry.284 Nach gründlichen Beratungen mit Werning und Schlümbach kam das Komitee zu dem Schluss, dass ein Seminar zur Ausbildung von Kolporteuren »nicht mehr zeitgemäß und nötig ist«, denn mittlerweile stünden genug junge Abgänger des Predigerseminars in St. Louis für Texas bereit, und auch ältere Prediger zeigten größere Bereitschaft nach Texas zu gehen als früher. Aber die Synode solle »das von P. Schlümbach durch seine Freunde dargebrachte Geschenk« dennoch »mit Dank gegen Gott« annehmen, allerdings nun mit einer anderen Zweckbestimmung: als deutsches Waisenhaus in Te280 Es wurde lediglich im Zusammenhang des Wechsels Wernings nach Perry der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass dadurch auch die Arbeit im Missionshaus einen verheißungsvollen Anfang nehme; vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Missouri-Distrikts 1887, S. 14. 281 Vgl. F. Werning: Correspondenz aus Texas. In: FB 1888, S. 173. 282 Der Distrikt drückte lediglich seine Freude über den guten Fortgang des Missionswerks in Texas aus; vgl. Protokoll der zweiten Jahres-Konferenz des Missouri-Distrikts 1888, S. 9. 283 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 12, 16. 284 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 2–3.

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Evangelisation und Innere Mission (1884–1889)

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xas. Im ganzen Staat gebe es kein deutsches Waisenhaus, obwohl durchaus Bedarf vorhanden sei. Darüber hinaus bestehe in vielen Landgemeinden der Wunsch nach höherer Bildung für die älteren Kinder, der durch die Volksschulen nicht gedeckt werden könne. Das Haus könne daher außerdem als Pensionat verwendet werden, wenn sich die Lehrerfrage klären lasse. Schlümbach war aufgrund seiner zwei Jahre lang angegriffenen Gesundheit von 1887 bis 1889 nicht in der Lage gewesen, weiteres Geld für das Missionshaus zu kollektieren, so dass noch eine Schuld von 5.000 $ bestand, für die Schlümbach jährlich sechs Prozent Zinsen zu zahlen hatte. Er wollte das Haus nur unter dem Vorbehalt übergeben, dass für das neue Projekt eingehende Gelder auch zur Tilgung der auf ihm lastenden Schulden verwendet würden und das Haus nie einem anderen Zweck diene als der Mission unter den Deutschen in Texas.285 Entsprechend beschloss der Texas-Distrikt, drei Anträge an die Generalsynode zu stellen, nämlich 1. das Missionshaus als Synodalbesitztum von Schlümbach unter der Berücksichtigung der beiden von diesem gestellten Bedingungen anzunehmen, 2. das Haus »Lee Institut [sic]« zu nennen und dort ein Waisenhaus und Pensionat einzurichten, und 3. dem Texas Distrikt die Einrichtung und Verwaltung des Hauses zu übertragen. Zu diesem Zwecke waren von der Distriktskonferenz bereits sieben »Direktoren« des Lee Instituts gewählt worden, um als Board of Trustees alle organisatorischen Belangen des Hauses, wie zum Beispiel die Anstellung eines »offiziellen Kollekteur[s]«, in die Hand zu nehmen. Zu diesem Direktorium gehörten auch Schlümbach und Bethmann-Hollweg.286 Im Vorfeld der Generalsynode hatte der Synodalpräses – noch von anderen Voraussetzungen ausgehend – die Distrikte beauftragt, sich für die Generalsynode bezüglich des von Schlümbach angebotenen Hauses »zur Errichtung einer Predigerschule« zu positionieren, ohne dass er nähere Erläuterungen zum Stand der Dinge gab.287 Der Rücklauf an Anträgen aus den Distrikten ging einstimmig dahin, die Einrichtung einer Predigerschule in Texas abzulehnen.288 Damit hatten sie auf das weitverbreitete – und vom Präses ja auch kommunizierte – Missverständnis reagiert, das Missionshaus habe ein Predigerseminar werden sollen.289

285 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 16–17. Der vollständige Bericht des »Komitee über das Missionshaus bei Perry, Falls Co., Texas« ist abgedruckt S. 15–17. 286 Vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 17–18. Vgl. auch W. Hackmann: Conferenz des Texas-Districts. In: FB 1889, S. 116–117. 287 Vgl. Berichte der Synodal-Beamten 1889, S. 17. 288 Vgl. Zusammenstellung der Distrikts-Anträge 1889, S. 7–8. 289 Dies wird im Bericht des Missionshaus-Komitees als häufiges Missverständnis genannt, vgl. Protokoll der ersten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1889, S. 15.

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

Für den neuen Plan der Einrichtung eines Waisenhauses und Pensionats zeigte man sich aber offen und genehmigte auf der Generalsynode im August 1889 die Anträge des Texas-Distrikts.290 Das Waisenhaus wurde nach einigen Umbauten eröffnet, Ende 1889 war ein erstes Kind aufgenommen, Werning übernahm zusammen mit dem Direktorium die Verwaltung der Einrichtung, und Schlümbach »wurde als Collectant angestellt«. Denn noch war die von Bethmann-Hollweg verwaltete Kasse leer, aber man hoffte auf Gaben und rief im Friedensboten auch zu solchen auf.291 Bei der Conferenz des Texas-Distrikts vom 25.–29. 6. 1890 wurde beschlossen, das Waisenhaus unter der Leitung Wernings weiterzuführen – auch wenn dieser ernsthaft über seinen Rücktritt nachdachte –, und bald mit dem Betrieb des Lee Institutes zu beginnen als einem Pensionat, das Jungen aus evangelischen Familien des ganzen Landes auf die höhere Ausbildung vorbereiten sollte.292 Aber es kamen keine weiteren Kinder, so dass die Distriktskonferenz im Juni 1891 beschloss, das Waisenhaus zu schließen, wenn nicht mehr Kinder dazukommen sollten. Werning erneuerte seinen Rücktritt, da er keine Perspektive für das Haus und auch nicht ausreichend Unterstützung im Distrikt sah.293 So geschah es: Das Waisenhaus wurde 1892 aufgelöst und dem ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben.294 Doch zu diesem Zeitpunkt war Schlümbach schon nicht mehr in Texas. Er hatte 1891 einen Ruf des Generalpräses erhalten, einer von Schulden bedrohten Gemeinde in Cleveland zur Hilfe zu kommen. Dieser Bitte kam er – selbst hoch verschuldet – aus unterschiedlichen Gründen nach.295

290

Vgl. Protokoll der Deutschen Evang. Synode 1889, S. 58. Vgl. F. Werning: Evangelische Waisenheimath in Perry, Tex. In: FB 1890, S. 13; vgl. auch Protokoll der zweiten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1890, S. 5. 292 Vgl. Protokoll der zweiten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1890, S. 11. 293 Vgl. Protokoll der dritten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1891, S. 4-5. 294 Vgl. Protokoll der vierten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1892, S. 7. Vgl. auch W. Hackmann: Conferenz des Texas-Distrikts. In: FB 1890, S. 124–125. Bei diesen »ursprünglichen Besitzern« handelte es sich wohl um Kreise in Deutschland mit Jasper von Oertzen oder einem anderen Mitglied seiner Familie an der Spitze (s. u. Teil IV Kap. 1.2), die die Darlehen für Schlümbachs Projekt zur Verfügung gestellt und ihr Geld nie wieder gesehen hatten. Welche Rechtsform die ganze Sache hatte, ist nicht mehr transparent. Vgl. W. Hackmann: Conferenz des Texas-Distrikts. In: FB 1890, S. 124–125. 295 Dazu in Teil IV dieser Arbeit. Bei der dritten Jahres-Konferenz des Texas-Distriktes im Juni 1891 war Schlümbach schon nicht mehr zugegen gewesen. Die Gemeinde in Perry wurde als vakant angegeben und der Status als Hauptgemeinde, den sie bisher nur wegen der Pfarrwohnung im Waisenhaus gehabt hatte, auf die Gemeinde in Wilhelmsburg/Mettina übertragen; vgl. Protokoll der dritten Jahres-Konferenz des Texas-Distrikts 1891, S. 16. 291

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Zusammenfassung

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6. Zusammenfassung Schlümbach reiste 1881 zur Genesung nach Europa, besuchte aber Ende Juli die Weltkonferenz des YMCA in London. Dort ergaben sich für ihn endlich die Kontakte nach Deutschland, die er lange gesucht hatte. Er wurde zum Bundesfest des Rheinisch-westfälischen Jünglingsbundes eingeladen. Dabei begriff Schlümbach die Jugendarbeit als Türöffner für eine umfassendere Tätigkeit in Deutschland, wie sie ihm im Sinne allgemeiner Erweckung und Neubelebung seit 1875 vorschwebte. Beim Bundesfest im Wuppertal, wo er die Jünglingsvereine zu größerer Einigkeit aufrief und die jungen Männer begeisterte, lernte Schlümbach neben Karl Krummacher und Jasper von Oertzen auch Theodor Christlieb kennen, der die Entwicklungen in der angelsächsischen Welt immer sehr genau im Blick hatte und in Schlümbach den richtigen Mann für seinen ersten Schritt zu Beheimatung »methodistischer«, das heißt erwecklicher, auf Bekehrung zielender Arbeitsformen in den deutschen Landeskirchen sah. Damit traf er bei Schlümbach auf offene Ohren. Da Berlin die Stadt in Deutschland war, die am ehesten mit dem Phänomen der »Entkirchlichung« identifiziert wurde, suchte Christlieb den Kontakt zu Adolf Stoecker und empfahl ihm Schlümbach für eine Evangelisationstätigkeit in den Berliner Vorstädten. Infolgedessen traten sowohl Christlieb als auch Stoecker und Oertzen mit dem International Committee des YMCA in Verbindung, um Schlümbach für eine mehrmonatige Tätigkeit in Deutschland gewinnen zu können. Das International Committee konnte allerdings keine direkten Geldmittel zusagen, verwies aber auf Möglichkeiten der Mitteleinwerbung. Gleichzeitig nutzten Christlieb und Schlümbach ihre Kontakte nach England, um Gelder für eine Evangelisationskampagne in Deutschland zu beschaffen, was wesentlich durch Unterstützung George Williams’ und eines beim Londoner YMCA angesiedelten Fonds gelang. Hier sollte für die gesamte Evangelisationskampagne die finanzielle Basis liegen. Der Zweiklang aus Arbeit für die Jünglingsvereine und großen Evangelisationsveranstaltungen sollte das Charakteristikum der Tätigkeit Schlümbachs in Deutschland werden. Denn zunächst reiste er durch den Rheinischwestfälischen Jünglingsbund und traf Vorbereitungen für ein Treffen, das nach seiner Vorstellung zu einer Vereinigung der bisher getrennten Jünglingsbündnisse in Deutschland und damit zu einer durchschlagenden Organisation führen sollte. Das erste Nationalfest der deutschen Jünglingsvereine fand am Hermannsdenkmal als einem wie kaum ein anderer Platz zu dieser Zeit für die Einheit Deutschlands stehenden Ort statt und brachte Delegierte aus allen deutschen Jünglingsbündnissen zusammen, vor denen Schlümbach – als ein Teil des Programms – seine Vorstellungen moderner nach außen gerichteter Vereinsarbeit vorstellte. Wenngleich die von ihm angestrebte Vereinigung der deutschen Jünglingsbündnisse noch nicht zustande kam,

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

war doch ein Schritt auf größere Einheit hin getan und er nun mit Kontakten in alle Teile Deutschlands ausgestattet. Mit Christlieb begab er sich im Anschluss zu einer Tagung der Freunde der Positiven Union in Berlin, wo sie gemeinsam mit Stoecker ihr Konzept der großstädtischen Evangelisation vorstellten und damit auch in die kirchenpolitische Konstellation einzeichneten. Es wurde Wert darauf gelegt, im angelsächsischen Bereich erprobte Methodik nur nach sorgfältiger Adaption in den neuen Kontext zum Einsatz zu bringen, Schlümbachs Zugehörigkeit zur Methodistenkirche aber nicht weiter problematisiert. Im August war die bevorstehende Evangelisationskampagne Schlümbachs publik gemacht worden, um unter den »unbekehrten Massen« zu wirken. Anfang Oktober 1882 konstituierte sich schließlich in Berlin ein Evangelisationskomitee aus Christlieb, Stoecker, Bernstorff und Oertzen, um Schlümbachs Arbeit in Deutschland zu koordinieren und leiten. Im Berliner Norden begann Schlümbach seine Evangelisationen in der Parochie der Nazarethgemeinde auf Einladung des dortigen Pfarrers. Anders als in den USA, wo Schlümbach häufig in Kirchengebäuden evangelisiert hatte, wirkte er nun in wechselnden nichtkirchlichen Lokalen. Für die Veranstaltungen, in die die Menschen bald zu Hunderten, auch aus den ärmsten Bevölkerungsschichten, kamen, wurde bewusst nicht in den Zeitungen, sondern durch persönliche Einladung geworben. Schlümbachs die christliche Botschaft elementarisierende und mit konkreten Erfahrungen verknüpfende lebensnahe Predigtweise, verbunden mit den von ihm vorgetragenen eingängigen Lieder der angelsächsischen Heiligungs- und Evangelisationsbewegung, die für viele ein Novum darstellten, sprachen sich schnell herum und sorgten für Aufsehen. Allerdings ist in den Berichten fast immer nur von den Wirkungen des Auftretens Schlümbachs die Rede, Näheres über die Inhalte seiner Ansprachen ist kaum zu erfahren. Nach Amerika kommunizierte Schlümbach, dass in der kirchlichen Situation erst noch Bahn gebrochen werden müsse für eine durchgreifende Erweckung. Um aber wenigstens die durch seine Evangelisationen Erweckten zu sammeln und weiter zu betreuen, sprach er Eduard Graf Pückler auf eine solche Tätigkeit hin an und ermutigte ihn, als Laie eine solche Aufgabe übernehmen zu können. Daraus entstand die Gemeinschaftsarbeit im neu gegründeten Christlichen Vereinshaus am Weddingplatz. Anfang 1883 wechselte Schlümbach mit seinen Evangelisationen in die Parochie der Zionskirche, wo er ebenfalls vor großen Versammlungen sprach. Auch hier wurden die Erweckten in einer Gemeinschaftsarbeit gesammelt, diesmal unter Federführung der Stadtmission. In Schlümbachs Wahrnehmung waren die Jünglingsvereine der Stadt in ihrer Ausrichtung nicht dazu angetan, dem Zustrom an jungen Männern nach Berlin gerecht zu werden. Daher empfand er die Notwendigkeit einer neuen, stärker nach außen gerichteten Vereinsform, konnte sich beim Zentralausschuss der Berliner Jünglingsvereine damit aber nicht durchsetzen.

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Zusammenfassung

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Daraufhin gründete er mit einem kleinen Unterstützerkreis einen am großstädtischen YMCA-Modell orientierten Verein und nannte ihn in möglichst enger Anlehnung an dieses Vorbild »Christlicher Verein Junger Männer«. In den Statuten versuchte man den ersten Artikel der Pariser Basis in »überkonfessioneller« Weite nachzubilden und die Prinzipien einer doppelten Mitgliedschaft und einer Leitung durch Laien zu verankern. Mit tatkräftiger Unterstützung aus adeligen Kreisen konnten Anfang April 1883 eigene Räume eingeweiht werden, von denen aus sich in den nächsten Jahren ein rasantes Vereinswachstum vollziehen sollte. Von Beginn der Tätigkeit Schlümbachs in Berlin an war diese von Kritik und Polemik begleitet gewesen, die vor allem aus den Reihen der Inneren Mission kam. Man warf Schlümbach Unverständnis für die Eigenart des deutschen Kirchen- und Vereinswesens, verbunden mit dem Einführen »undeutscher« Methoden vor, eine Störung der kirchlichen Ordnung durch seine Wirksamkeit als eines Methodisten, generell eine Beförderung des Methodismus und damit Zersetzung der Gemeinden. Diese Kritik wurde in Periodika verbreitet und auch in einem Pamphlet konzentriert veröffentlicht. Auch auf kirchenamtlicher Seite beschäftigte man sich zu der Zeit mit Fragen des Kanzelrechts und der Abwehr sektiererischer Einflüsse. Jasper von Oertzen hatte Schlümbach auch nach Hamburg holen wollen, scheiterte aber daran, dass sich die dortigen Pastoren gegen eine Wirksamkeit Schlümbachs sperrten und in Eigeninitiative Evangelisationsveranstaltungen abhielten. Stattdessen wirkte Schlümbach in Schleswig-Holstein, stieß dort aber auf entschiedenen Widerstand von konfessioneller Seite. Dabei hatte er den Ablauf seiner Veranstaltungen schon insofern modifiziert, als dass er nur aus der Missionharfe singen ließ und in seine Ansprachen keine Sologesänge eingliederte. Die Polemik baute einen grundsätzlichen und unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Luthertum und Methodismus auf und kreiste nun auch um die Bewahrung der reinen Lehre. Man sah die Gefahr eines »verschwommenen« Christentums und stichelte gegen die Union, indem man eine Kooperation mit Methodisten letztlich als die logische Konsequenz deren Ansatzes herausstellte. Schlümbach versuchte zwar, sich durch seine Herkunft aus der württembergischen Landeskirche und explizite Bezüge auf Luther in seinen Ansprachen in Nähe des Luthertums zu rücken, und Oertzen wehrte sich dagegen, Schlümbach als Sektierer zu bezeichnen, jedoch ohne Erfolg. Im Hintergrund standen wieder kirchenpolitische Animositäten, zum einen zwischen Vertretern der Inneren Mission selbst, zum anderen innerhalb der Landeskirche bezüglich des Kurses des Landesvereins für Innere Mission, was die Wellen bis in die Landessynode hinein hochschlagen ließ. Schlümbach rückte sich mittlerweile selbst in die Nähe der Evangelischen Synode von Nord-Amerika, die eng mit der Preußischen Landeskirche verbunden war. Noch vor seiner Rückreise in die USA erklärte er förmlich sei-

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Unterwegs zwischen Deutschland und Amerika (1881–1889)

nen Austritt aus der Methodistenkirche und bezog sich dabei darauf, dass er sich als freier Evangelist nicht mehr voll deren Ordnungen unterwerfen könne. Wenngleich sich zunächst weiter Gegenstimmen regten, die Angriffe hätten sich keinesfalls nur gegen seine Kirchenzugehörigkeit gerichtet, sondern auch gegen die »methodistische Art« seiner Arbeit, brachte dieser Schritt doch eine deutliche Beruhigung im Hinblick auf sein weiteres Wirken. Schlümbach gab später als weiteren Grund für den Austritt an, dass er innerlich einen neuen Zugang zur Volkskirche in Deutschland gefunden habe. Im Hintergrund stand aber auch, dass Christliebs Modell einer vom Grundansatz her undenominationellen Evangelisationsarbeit sich aufgrund des intensiven Widerstands nicht hatte verwirklichen lassen und von nun an eine Zugehörigkeit der Evangelisten zur Landeskirche unumgänglich geworden war. Aus diesen weiteren Bemühungen entwickelte sich der Deutsche Evangelisationsverein, der wiederum die Keimzelle für den späteren Gnadauer Gemeinschaftsverband darstellte. In Deutschland hatte Schlümbach den Gedanken einer Koloniegründung auf christlicher Basis in Texas vorangetrieben und dafür Mitstreiter gefunden, die ihn finanziell unterstützten oder sich als Emigranten mit ihm Ende 1883 auf den Weg dorthin machten. Er erwarb Land in der fruchtbaren Gegend, die er aus seiner Pastorenzeit in Waco kannte und baute dort in den nächsten Jahren Farmbetriebe auf. Sein Haus diente als Gottesdienststätte einer kleinen sich sammelnden Gemeinde, ohne dass sich – dies war wohl auch nicht beabsichtigt – ein allzu enges kommunitäres Gemeinschaftsleben entwickelt hätte. Doch Schlümbach empfand weiter eine Berufung als Evangelist und suchte nach dem rechten Rahmen, diese zu leben. Nach vorübergehenden Tätigkeiten für den YMCA, die aus alten Verpflichtungen erwachsen waren, an welchen er sich nun aber nicht mehr binden wollte, ließ er sich als Pastor in die Evangelische Synode aufnehmen, ohne fest einer Gemeinde zugewiesen zu werden. Nun begann eine Zeit, in der Schlümbach jährlich für mehrere Monate nach Deutschland reiste, um dort für die CVJM-Arbeit und im Dienste der Evangelisation zu wirken. In den Jahren 1884–1886 konnte er dies auch in mehr oder weniger alter Kraft tun und bewältigte ein immenses Reisepensum. Er legte neben Berlin auch neue Schwerpunkte auf Württemberg und Schlesien. Allerdings scheint er nicht mehr an die Massenveranstaltungen von 1882/83 angeknüpft, sondern nun in kleinerem Rahmen gewirkt zu haben, wozu auch gehörte, dass er Versammlungen in den vornehmen Berliner Salons hielt. Für seine Arbeit adaptierte Schlümbach mehr und mehr den Begriff der Inneren Mission, der auch in der Evangelischen Synode gebräuchlich war. Auch in London gestaltete Schlümbach anhand des YMCAModells die deutschsprachige Vereinsarbeit um. In den USA setzte sich Schlümbach weiter für die Gründung evangelischer Kolonien ein, von denen Riesel das ehrgeizigste Projekt werden sollte.

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Zusammenfassung

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Von jedem seiner Deutschlandbesuche brachte er junge Männer mit, die von Schlümbach Land erwerben und sich in der Umgegend niederlassen konnten; zum Teil arbeiteten sie auch in seinen landwirtschaftlichen Betrieben. Schlümbach wurde von der Evangelischen Synode vor allem damit beauftragt, die Missionsarbeit im noch jungen Arbeitszweig in Texas voranzubringen und auch in der Synode die Gelder dafür zu sammeln. Mission verstand er dort vor allem unter dem Gesichtspunkt der Sammlung Evangelischer zu Gemeinden, wie es auch in seinen Kolonisationsprojekten Ausdruck fand, und weniger im Sinne der Evangelisation. Auch wenn bei seiner Tätigkeit gelegentlich von »Evangelistenarbeit« die Rede war, vollzog diese sich im Vergleich zu früher meist in den Bahnen der Inneren Mission nahestehender Formen. Unterdessen konstituierte sich Schlümbachs Hausgemeinde in Perry zu einer offiziellen Gemeinde der Evangelischen Synode. Zur Einschätzung der kirchlichen Arbeitsmöglichkeiten wurde Schlümbach auch nach Kalifornien entsandt. Zur Jünglingsarbeit hatte er aber nur noch sporadisch Kontakt. Von 1887–1889 kam hinzu, dass seine Gesundheit sehr angegriffen war und sich seine Ehe immer schwieriger gestaltete. An seinem Wohnort Perry beabsichtigte Schlümbach ein »Missionshaus« zu errichten, in dem junge Männer auf die Missionsarbeit in Texas vorbereitet werden sollten. Inspiriert wurde er dabei durch die zeitgleichen Planungen für das Johanneum als Evangelistenschule in Bonn. Allerdings bewegten sich seine Vorstellungen für die Ausbildung nun auch hier eher in Richtung der Praktiken der Inneren Mission und nicht der klassischen Evangelisation. Da Schlümbach für dieses Seminarprojekt viel Geld in Deutschland geliehen hatte, das Ganze aber nie zur Ausführung kam, blieb er auf einem Schuldenberg sitzen, der die alten Freundschaften belastete. In Deutschland wurde er nie mehr evangelistisch tätig.

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Vierter Teil Rückzug nach Cleveland (1890–1901) 1. Neuanfang: von Texas nach Cleveland 1.1 Hilfe für »Zum Schifflein Christi« In die aus seiner Sicht ausweglose familiäre Situation zu Hause in Perry hinein hatte Schlümbach unerwartet eine Anfrage seiner Kirche erhalten. Eine Gemeinde der Synode in Cleveland hatte sich über die Maßen verschuldet, und ihr drohten sowohl die Versteigerung ihres Kirchengebäudes als auch der gemeindliche Zusammenbruch, da die Mitgliederzahlen rapide sanken. Synodalpräses Zimmermann sah in Schlümbach mit seinen Fähigkeiten und Qualifikationen den richtigen Mann, um der Gemeinde aus ihrer Not zu helfen. Bereits Mitte Mai 1890 hatte sich die Gemeinde an den Synodalpräses mit der Bitte gewandt, auch in anderen Distrikten der Synode Gelder für ihre Gemeinde sammeln zu dürfen. Der Synodalpräses hatte daraufhin ein Schreiben an den direkt der Synodalleitung unterstellten Schlümbach aufgesetzt mit der Beauftragung an ihn, in der ganzen Synode für die Gemeinde in Cleveland zu sammeln.1 Da sich Schlümbach mit seiner Familie den Sommer über in Galveston aufhielt, dauerte es bis Ende August, bis der Distriktspräses des Ohio-Distrikts, Friedrich Bueßer, vermelden konnte, dass Schlümbach sich bereit erklärt habe, den September über für die Gemeinde Geld zu sammeln.2 Die Entscheidung, den Ruf anzunehmen, dürfte für Schlümbach dadurch erleichtert worden sein, dass eine erneute Abwesenheit für ihn erträglicher sein würde als die schwierige Situation zu Hause. Schlümbach entwickelte Pläne, auf welche Weise der Gemeinde aufgeholfen werden könne, und machte sich in der zweiten Septemberhälfte – später als eigentlich geplant – auf den Weg nach Norden. Am 2. Oktober saß er dem Kirchenrat der Gemeinde zum Schifflein Christi in Cleveland gegenüber, um alles weitere zu besprechen. »In sehr liebevoller weiße [sic]«3, wie es im Protokoll dieser Sitzung heißt, stellte Schlümbach seine Pläne den Versammelten vor und wünschte darauf auch deren Vorstellungen kennen zu lernen – worauf es aber so gut wie keine Reaktion gab, da alle spontan 1 2 3

Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 74, 76. Vgl. F. Büßer: Korrespondenz aus dem Ohio-Distrikt. In: FB 1890, S. 140–141, dort 141. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 82.

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Neuanfang: von Texas nach Cleveland

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das von Schlümbach Vorgetragene guthießen. Er wurde einstimmig als Ehrenmitglied der Gemeinde aufgenommen, und der ganze Kirchenvorstand trat zu einem Komitee mit Schlümbach an der Spitze zusammen, um die Finanzsache zu regeln. Der Name, den man diesem Komitee gab, zeigt, dass Schlümbach mit seiner neuen Aufgabe bewusst an bisherige Tätigkeiten anknüpfte, was für die konkrete Problemlage in Cleveland allerdings ungewöhnlich erscheinen mochte: »Evangelisations Comitee«. Es trat sogleich in seine Verhandlungen ein, und Schlümbach wurde ermächtigt, im Anschluss an den von ihm zu haltenden Gottesdienst am nächsten Sonntag alle mit ihren Mitgliedsbeiträgen in Rückstand geratenen Gemeindeglieder zur Zahlung ihrer Beiträge zu ermahnen und zu motivieren. Schlümbach seinerseits forderte engen Zusammenhalt und intensives gemeinschaftliches Engagement.4 Zu diesen »evangelistischen« Bemühungen, die sich zu einem guten Teil in der Gemeinde nach innen richteten, gehörten aber nach außen auch öffentliche Vorträge, die Schlümbach in Cleveland hielt.5 Für ihn hatte die Aufgabe in Cleveland zunächst lediglich temporären Charakter, da er plante, nur bis in den November hinein dort zu bleiben, um der Gemeinde »auf die Beine [zu] helfen«, wie er an seine Verwandten in Deutschland schreibt. Danach wollte er längere Zeit in St. Louis arbeiten. Gesundheitlich fühlte er sich gut und war auch nicht abgeneigt, bald wieder nach Berlin zu gehen, so Gott ihm diese Tür denn öffne.6 Und so gab Schlümbach in der Gemeindeversammlung am 4. 11. 1890 den abschließenden Bericht von der Arbeit des Komitees und erklärte selbiges für aufgelöst. Von der Gemeinde wurde ihm herzlich gedankt.7 Sein kurzer Dienst war offensichtlich so erfolgreich gewesen, dass ein Verkauf der Kirche abgewendet werden konnte und die Gemeinde wieder eine langfristige Perspektive erhielt. Es müssen – neben dem Erschließen neuer Geldquellen – wohl auch schlicht einige Selbstblockaden der Gemeinde gelöst worden sein. Entlassen aus seinem Dienst war Schlümbach damit aber noch nicht. Sowohl die Gesamtaufgabe war viel zu groß, als dass sie innerhalb eines Monats hätte gelöst werden können, als auch das Einvernehmen zwischen der Gemeinde und Schlümbach zu gut, als dass man nicht an eine weitere Zusammenarbeit gedacht hätte.8 Über die Amtsführung des bisherigen und sich noch im Amt befindenden Pastors John Andres hatte es nämlich manchen Unmut gegeben, weshalb dieser auch sei4 5

Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 82–83. Vgl. L. Alpermann: Correspondenz aus Cleveland, Ohio. In: FB 1890, S. 188–189, dort

188. 6 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 10. 1890 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [1]). 7 Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 83–84. 8 Der Pastor einer anderen Clevelander Gemeinde, W. Behrendt, schrieb im Friedensboten, dass Schlümbach nicht eher ruhen werde, als »bis das ›Schifflein Christi‹ weiter steuern kann.« W. Behrendt: Cleveland, Ohio. In: FB 1890, S. 165.

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Rückzug nach Cleveland (1890–1901)

nen Rücktritt erwog.9 Doch noch war er im Amt, und Schlümbach reiste zunächst wieder nach Süden, wohl um Verpflichtungen in St. Louis nachzukommen und eventuell um Angelegenheiten in Texas zu ordnen. Für den 28. 12. wurde er aber auf Wunsch der Gemeinde in Cleveland zurückerwartet, und man war bemüht, bis dahin eine geeignete Wohnung für ihn zu beschaffen.10 Dieses Mal sollte er länger bleiben. Bereits in der Kirchenratssitzung am 1. Januar 1891 nahm er regen Anteil an den Verhandlungen, und es wurden in der Folgezeit die Weichen gestellt, die Gemeinde langfristig auf eine neue organisatorische Grundlage zu stellen. Mehrere Komitees wurden zu diesem Zweck ins Leben gerufen, in allen war Schlümbach Mitglied. Eines sollte neue Regeln für die Geschäftsordnung erarbeiten, eines sich der Revision der Gemeindekonstitution widmen und ein drittes eine »Regelung der nunmehrigen Finanzbasis« erarbeiten. Als Teil des letzteren wurde ein eigenes Schuldentilgungskomitee gegründet und damit dieser Teil auch im Finanzplan aus dem laufenden Haushalt ausgegliedert. Die revidierte Konstitution konnte bereits am 18. 1. 1891 angenommen werden und in einer Auflage von 500 Stück in Druck gehen, ebenso Ende Januar eine neue Geschäftsordnung.11 Unterdessen hatte Pastor Andres seinen Rücktritt eingereicht und Schlümbach gebeten, ihn während seiner dreimonatigen Kündigungszeit zu vertreten. Beide Anträge wurden von der Gemeinde am 18. 1. angenommen.12 1.2 Berufung zum Gemeindepastor Während dieser drei Monate ging es weiterhin darum, die Gemeinde auf eine solide Finanzgrundlage zu stellen. Während das Komitee für Finanzen mit Hochdruck an einem neuen Finanzplan arbeitete, setzte Schlümbach darauf, Gemeindeglieder zum Zeichnen finanzieller Verpflichtungen zu bewegen, die ein wesentliches Element des Weges aus der Krise werden sollten. Ein ausgeklügelter Finanzplan wurde schließlich am 29. März 1891 der Gemeinde vorgestellt. Durch ein System von Shares beziehungsweise Bonds und eine gemeindeeigene Sparkasse sollte Kapital ausschließlich für die Tilgung der Schulden erbracht und finanzielles Engagement auf möglichst viele Schultern verteilt werden.13 In der gleichen Sitzung wurde Schlümbach von der Gemeinde einstimmig zu ihrem neuen Pastor berufen, da die Kündigungszeit seines Vorgängers nun abgelaufen war. Schlümbach nahm an. Be9

Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 85. Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 86. 11 Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 86–94. 12 Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 92–93. 13 Der Finanzplan ist im einzelnen wiedergegeben in: Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 103–106. 10

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Neuanfang: von Texas nach Cleveland

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reits drei Tage zuvor hatte er gegenüber dem Kirchenrat geäußert, dass er es als »die Stimme Gottes an ihn« betrachten würde, wenn die Gemeinde ihn ebenso einmütig berufen wolle wie zu diesem Zeitpunkt der Kirchenrat.14 Sein Monatsgehalt sollte 100 $ betragen; bisher hatte er lediglich seine Unkosten eingereicht und kein festes Einkommen von der Gemeinde bezogen. Damit war die Sache klar. Ein neues Leben würde beginnen. Nach Texas wollte er nicht mehr zurück. Dort war auch bereits alles in Auflösung begriffen. Von seinem Bruder Alexander hatte er gehört, dass Coelestine mit den beiden jüngsten Mädchen mittlerweile in Waco wohnte. Adolph, »ein ungezogener Schlingel«, ließ nichts mehr von sich hören und war nun nach Greenfield in Massachusetts gezogen. Von Thekla, der es mit ihren Kindern gut ging, hörte er aber gelegentlich. Seinen Sohn Alex, der bisher die Schule in Galveston besucht hatte, hoffte er nach Cleveland zu sich holen zu können. Aber auch Friedrichs Bruder Alexander hielt es nicht mehr in Texas, so dass Schlümbach ihm eine Stelle in der Jacob Mall Brewing Company in Cleveland verschaffte und Alexander bereits Ende April mit seinen Töchtern Felice und Lilly in Cleveland nicht weit entfernt von der Schifflein-Christi-Kirche eine eigene Wohnung bezog. Um im eigenen Haushalt Gesellschaft zu haben, hatte Schlümbach bereits zuvor seine Halbschwester Mina gebeten, nach Amerika zu kommen, um ihm »beizustehen«, denn er fühle sich »sehr allein«.15 Für die schwereren Haushaltsarbeiten hatte er eine Zugehfrau eingestellt, und er hoffte, so insgesamt ein gutes Umfeld für die Erziehung des kleinen Alexander zu schaffen. Mina kam und traf bereits Anfang Mai in Cleveland ein.16 Zunächst musste sie bei Alexander unterkommen, da die Pfarrwohnung erst im Juni fertig werden würde. Im Herbst wollte Schlümbach seine Scheidung von Coelestine einreichen: »Bin ich erst geschieden, dann habe ich die situation in m. Hand u. lerne die Leutchen ›beten!‹ Jetzt drückt man auf mich mit Uebermacht, aber der Herr ist m. Hirte mir wird nicht mangeln!«17 Das Haus in Perry hatte Schlümbach »an Oertzen« gegeben, was dafür spricht, dass Jasper von Oertzen führend zum Unterstützerkreis gehört hatte, der die Gelder für Schlümbachs missglücktes Projekt in Deutschland bereitgestellt hatte.18 An anderer Stelle heißt es, das Haus sei »seinen ursprüng14

Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 102–103. Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 14. 4. 1891 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [3]). 16 Vgl. undatiertes Fragment, das den zweiten Teil des Briefes vom 14. 4. 1891 darstellt (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1900–1915 [9.3]). Bei der Überfahrt Minas war als wichtiger Kontaktmann Schlümbachs in Hamburg, Deichthorstraße 8, ein Herr Falck behilflich, der sich auch um die Begleichung von Rechnungen für Bestellungen Schlümbachs in Deutschland kümmerte. 17 Undatiertes Fragment, das den zweiten Teil des Briefes vom 14. 4. 1891 darstellt (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1900–1915 [9.3]). 18 Vgl. undatiertes Fragment, das den zweiten Teil des Briefes vom 14. 4. 1891 darstellt (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1900–1915 [9.3]). 15

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Rückzug nach Cleveland (1890–1901)

lichen Besitzern« zurückgegeben worden. Zur privaten Situation schreibt Schlümbach: »Mein Hausdrache hat mir Alles fortgenommen u. so bin ich wieder an der Basis! Aber ich bin als alter Amerikaner darüber hinaus über Geld zu klagen, es ist auch wieder zu erringen, auch hoffe ich daß m. Pension erhöht wird!«19 1879 hatte sich Schlümbach erstmals wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen um eine staatliche Pension wegen alter Kriegsverletzungen bemüht, die ihm nach mehrjährigen Verhandlungen und 44 eingeholten eidesstattlichen Versicherungen auch gewährt wurde.20 Anfang der 1890er Jahre hatte diese Pension bei 4,25 $ im Monat gelegen, wurde im Laufe der Dekade aber auf 6,00 $ erhöht. Doch offensichtlich war Schlümbachs finanzielle Lage so prekär, dass er seine Verwandten in Deutschland beruhigen musste, sie würden gewiss nicht für seine Schulden in die Pflicht genommen werden. Immerhin hatte er eine Lebensversicherung über 60.000 Mark abgeschlossen, die seiner Familie in Texas zugute kommen sollte, »obgleich sie mich so schnöde verlassen haben«. »Mein Unglück trage ich in Geduld u. Demuth u. hoffe ich Alles so ordnen zu können, daß ich schließlich der Einzige bin der hat Haare lassen müssen u. darüber gräme ich mich nicht. [. . .] Vielleicht macht mich der l. Gott auch noch glücklich im Leben, jedenfalls trägt mich Seine Gnade täglich u. hilft mir trotz aller Schwachheit auf.«21 Trotz all dieser Belastungen fühlte sich Schlümbach wohl in Cleveland, hatte sehr viel Arbeit und war im Frühjahr 1891 – zur Zeit als Mina ankam – mit dem Ausbau seines Pfarrhauses beschäftigt, mit dessen Fertigstellung in der Dodge Street 61 er im Juni rechnete. In der zweiten Maihälfte plante er zwei Wochen in St. Louis zu verbringen. Auf seine offizielle Einführung blickte er freudig voraus: »Meine Gemeinde trägt mich auf Händen u. sehe ich meiner Investitur an Jubilate mit Freuden entgegen!«22 Am 19. April 19 Undatiertes Fragment, das den zweiten Teil des Briefes vom 14. 4. 1891 darstellt (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1900–1915 [9.3]). 20 Die Einzelheiten sind zu verfolgen anhand der Pension File (National Archives). Eine knappe Darstellung des Verfahrens anhand dieser Akte findet sich bei Rokus: Bible, S. 33–36 (Archives of the Fredericksburg and Spotsylvania National Military Park). 21 Undatiertes Fragment, das den zweiten Teil des Briefes vom 14. 4. 1891 darstellt (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1900–1915 [9.3]). 22 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 14. 4. 1891 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [3]); vgl. auch undatiertes Fragment, das den zweiten Teil des Briefes vom 14. 4. 1891 darstellt (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1900–1915 [9.3]). Zeichen der Zuneigung und des Dankes gegenüber Schlümbach war auch eine Dankadresse, die der Vorstand der Gemeinde im Friedensboten veröffentlichen ließ: »Pastor F. von Schlümbach hat auf vielseitiges Drängen der Gemeindeglieder sich endlich entschlossen, die einstimmige Wahl als Seelsorger der Gemeinde anzunehmen. Seit der kurzen Zeit seines Wirkens in der Gemeinde hat dieselbe kräftig zugenommen nach Innen sowohl wie nach Außen, und steht derselben jedenfalls eine blühende Zukunft bevor. – In der Gemeindeversammlung vom 29. März wurde Herrn Pastor von Schlümbach, auf einstimmigen Beschluß der Dank abgestattet für die treue

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Pastorat in der Gemeinde »Zum Schifflein Christi«

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1891 wurde Schlümbach offiziell in sein neues Amt eingeführt. Seine bald darauf eintreffenden Familienmitglieder traten ebenfalls in seine Gemeinde ein.23

2. Pastorat in der Gemeinde »Zum Schifflein Christi« 2.1 Gemeindegeschichte und Gemeindesituation Die Gemeinde zum Schifflein Christi hatte bereits eine längere konfliktreiche Geschichte hinter sich, als Schlümbach auf der Bühne des Geschehens erschien. 1835 war sie als »deutsche Evang. Prot. Gemeinde« gegründet worden, um die noch nicht sehr zahlreichen Deutschen in der Stadt zu einer Gemeinde zu sammeln. Bereits im ersten Jahr kam es aber zu einer Spaltung der Gemeinde, die zwar wieder versöhnt werden konnte, aber doch etwas vorzeichnete, das sich in den folgenden Jahrzehnten noch mehrere Male wiederholen sollte. Verbunden gewesen war die Spaltung mit der Parteigängerschaft für bestimmte pastorale Führungspersönlichkeiten. Im Jahr 1838 kehrte mit Pastor Allardt zwar eine gewisse Kontinuität ein, da er der Gemeinde 23 Jahre lang diente und unter ihm 1842 die Backsteinkirche »Zum Schifflein Christi« gebaut wurde, aber Anhänger des damaligen Hilfspastors gründeten mit diesem in den 1850er Jahren die St. Pauls-Gemeinde, die auch in den 1890er Jahren noch bestand. Unter Allardts Nachfolger Pastor Schmidt kam es zur Abspaltung eines Teils zur »Ersten protestantischen Kirche von Cleveland«; später, in den 1870er Jahren, zur Abspaltung der Dreifaltigkeitsgemeinde. 1875–76 entstand der imposante Bau der Kirche zum Schifflein Christi an der Ecke von Superior Street und Dodge Street. Zu dem Anwesen gehörten auch ein Schulhaus und ein Vereinshaus. Von 1883–1891 wirkte Pastor John Andres in der Gemeinde; unter ihm bekam die Gemeinde durch die Schulden des Kirchenbaus und Abnahme der Gliederzahl 1890 aber solche finanzielle Probleme, dass ihre Weiterexistenz in Frage stand. Auf ihrem Besitztum ruhte eine hypothekarische Schuld von 22.000 $, die nun im Bundesgericht eingeklagt wurde. Die Kirche sollte daher versteigert werden. Andres und die »stark zusammengeschmolzene« Geund liebevolle Arbeit zur Rettung und zum Aufbau der Gemeinde, welches ihm gelungen durch die Gnade Gottes und unseres Heilandes Jesu Christ. Das gestrandete Schifflein ist wieder flott geworden und segelt in ruhigem Fahrwasser. Dem HErrn sei Ehre und Preis in Ewigkeit. Namens der Gemeinde Der Vorstand.« Vgl. [o.N.:] Schifflein Christi in Cleveland, Ohio. In: FB 1891, S. 70. 23 Auf der Kirchenratssitzung vom 14. 5. 1891 wurden alle vier aufgenommen; vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 109.

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meinde konnten aber Aufschub erwirken, »und als im Jahre 1891 F. v. Schluembach das Pastorat übernahm, kam neues Leben in die Gemeinde und eine Wende zum Besseren trat ein.«1 2.2 Gemeindearbeit Diese Wende zum Besseren hing zusammen mit einigen Modifizierungen und Umgestaltungen, die Schlümbach im Gemeindeleben vorgenommen hatte, aber auch mit seiner charismatischen Persönlichkeit und seinem einnehmenden Wesen. Letzterem ist es sicherlich zuzuschreiben, dass es ihm gelang, innerhalb und außerhalb der Gemeinde neue Geldgeber zu aktivieren und die bisherigen neu zu motivieren. Mehrmals ging er auf Kollektenreise und brachte Summen zur Schuldentilgung mit nach Cleveland. So reiste er im August 1891 für eine Woche an den oberen Ohio und durch Pennsylvania, zum einen weil ihn dort Gemeinden zu Missionsfesten eingeladen hatten, zum anderen, weil er auf »’a bisele Seaga’ in klingender Münze«2 für Schifflein Christi hoffte. Sowohl am Nachmittag als auch am Abend des Erntedankfestes sprach Schlümbach auf gut besuchten Missionsfesten einer Synodalgemeinde am oberen Ohio, die 100 $ in die Missionskasse der dortigen Gemeinde brachten. Diese hohe Summe ließ Schlümbach etwas zweifeln, ob zwei Tage später bei seinem Vortragsabend für Schifflein Christi überhaupt noch etwas zusammenkommen würde. Aber der Abend war wieder ausgesprochen gut besucht, der Chor sang auf Englisch und Deutsch aus den Zionsliedern und Schlümbach hielt eine längere Ansprache. Der Abend erbrachte 104,50 $ für Schifflein Christi. Am Abend des 19. 8. predigte Schlümbach in der St. Petri-Gemeinde in Pittsburgh, am Abend darauf in der St. Petri-Gemeinde in Allegheny City, am Freitagabend in der St. Johannis-Gemeinde zu Sharpsburg und am Samstag in der Synodalgemeinde in Millvale.3 Am letzten Tag seiner Reise, dem 23. August 1891, sprach der »rühmlichst bekannte Pastor F. von Schlümbach« als »Hauptredner des Tages« auf einem großen Kirchenfest in der Region, bei dem die Grundlage für einen Fonds einer zu gründenden »Wohlthätigkeitsanstalt« gelegt werden sollte. Schlümbach traf wohl auch dort den richtigen Ton.4 Insgesamt brachte Schlümbach nach Abzug der Reisekosten 217 $ mit nach Cleveland. Im nächsten Monat verbrachte Schlümbach einige Tage in und um Neu Bre-

1 Vgl. Artikel aus dem Wächter und Anzeiger zum Gemeindejubiläum 1895. In: Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 252. 2 F. v. Schlümbach: Festtage auf dem Berge und im Thal! In: FB 1891, S. 148. 3 Vgl. F. v. Schlümbach: Festtage auf dem Berge und im Thal! In: FB 1891, S. 148. 4 Vgl. J. F. W. Helmkamp: Gemeinschaftliches Kirchenfest. In: FB 1891, S. 141.

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Pastorat in der Gemeinde »Zum Schifflein Christi«

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men in Ohio, um in mehreren Gottesdiensten zu sprechen. Wenngleich er wegen körperlichen Unwohlseins an einem Tag nur mühsam seine Veranstaltung hinter sich brachte, kamen auf der Reise insgesamt 100 $ für Schifflein Christi zusammen.5 Darüber hinaus machte er in Cleveland Veranstaltungen zur Regelmäßigkeit, die aufgrund ihrer guten Publikumswirksamkeit auch sehr willkommene Einnahmen für den Gemeindehaushalt mit sich brachten. Dazu gehörten ein mehrtägiger Frühlingsbasar im Mai, Sommerveranstaltungen wie Picknicks und ähnliches in der Mitte des Jahres und ein Herbstbasar gegen Ende des Jahres.6 Daneben konnte es zu den anderen Festtagen Außergewöhnliches wie eine Christbaumverlosung geben.7 Ein anderer stark nach außen gerichteter Schwerpunkt der Gemeindearbeit wurde die Kirchenmusik. Ein großer Chor bereicherte nicht nur den Gottesdienst und war ein wöchentlicher Treffpunkt innerhalb der Gemeinde, sondern wirkte durch Konzert auch über die Gemeinde hinaus in die Öffentlichkeit. Neue Dynamik bekam die musikalische Arbeit unter dem Organisten Carl Groenwold, der von 1893 an in der Gemeinde wirkte. Neben den Gemeindechor trat ein noch anspruchsvollerer Festchor, daneben etablierten sich in jedem Winterhalbjahr Konzertreihen mit monatlichen gut besuchten Konzerten, in deren Rahmen Schlümbach religiöse Vorträge hielt.8 In der inneren Strukturierung der Gemeindearbeit baute Schlümbach das bereits bestehende Vereinsmodell aus. Die einzelnen zielgruppenorientierten Sparten wurden als eigenständige Organisationen in Vereinsform zwar organisch mit der Gemeinde verbunden, erhielten aber auch eine gewisse Eigenständigkeit, was den Wirkungsradius über die Gemeinde hinaus erhöhen sollte. Schlümbach beschreibt die im Jahre 1895 bestehenden Vereine folgendermaßen: »Der Männer Unterstützungs Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Mitgliedern in Krankheitsfällen Unterstützung zu verschaffen und bei Sterbefällen mit prakti5

Vgl. F. v. Schlümbach: Bei den Oelquellen Ohio’s. In: FB 1891, S. 157. Zu den Frühlingsbasaren von 1891 an vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 100, 116 (Im Jahr 1891 700 $ Gewinn), 135, 184, 205; zu den Herbst- oder Winterbasaren von 1891 an vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 122, 168, 176 (1892 1070 $ Gewinn), 222, 258, 278 (Schlümbach will im Rahmen des Winterbasars 1896 auch Vorträge halten), 280, 287 (1896 1.156,62 $ Gewinn), 302, 323 (1898 Attraktion »lebender Bilder«), 326, zu einem Picknick vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 115. 7 Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 175, 282. 8 Zur Chorarbeit vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 114, 182, 190, 205, 241– 242, 301 (1897 Festchor organisiert), 312–313, 316, 325, 368; zu Konzerten vgl. S. 151, 169, 172–173, 177, 187, 189, 192, 201 (ab 1893 Verbindung von Konzerten und freien Vorträgen Schlümbachs), 220, 228, 236–237, 258, 292–293, 302–303, 307, 312–313 (»freie Volkskonzerte«), 316, 325, 379. Vgl. auch Cleveland and Its Germans, S. 51–52. 6

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scher Hülfe bei den Familien einzuspringen. Der Kranke erhält 4 Dollars per Woche für 6 Monate. Der Reservefond besitzt über $1500. Etwa 30 Mitglieder gehören dazu. Der Frauen Verein 100 Mitglieder zählend bildet den Kern der Gemeinde, derselbe eifert und wirkt beständig für ihr Wohl, und giebt jährlich etwa $400 in Baar nebenbei an sie ab. Auch bei ihnen besteht eine Sterbekasse. Der monatliche Beitrag ist 25 cts. Aus diesem Verein hat stets das Schifflein Christi seine innere Kraft entfaltet. Seit Kurzem hat sich auch ein Tabea Nähverein organisirt, zum Zweck der weiteren Beihülfe für Kirche und Familien. Der Junge Männer Verein mit 25 Mitgliedern bestrebt sich dieselben für spätere tüchtige Mithülfe in der Gemeinde vorzubereiten und ist stets beflissen zu helfen, wo immer nur möglich. Es besitzt ein hübsches Vereins Zimmer; hat angefangen sich eine Biliothek anzulegen; gebraucht jeden Donnerstag den Turnsaal und hat jetzt auch mit Erlaubniß des Kirchenraths eine Knaben-Abtheilung eingerichtet. Der Jungfrauen Verein, etwa 50 Mitglieder zählend hat sich die Aufgabe gestellt die weibliche Jugend um sein Panier zu schaaren und wird mit der Zeit sicherlich tüchtige Kräfte für die Zukunft der Gemeinde heranbilden. Er hat den oberen Saal zu seiner Verfügung, und eifert besonders in den Winter Monaten der Gemeinde kräftiglich beizustehen. Auch finanziell ist er derselben eine große Hülfe. Der Kirchenchor unter Leitung des Organisten besteht aus solchen Mitgliedern, denen der liebe Gott die Gabe des Gesangs verliehen, und die es für ihre Pflicht halten diese Gabe zur Verschönerung und höheren Erhebung der Gottesdienste zu gebrauchen. Neben demselben besteht ein festabgeschlossener Festchor der den Gliedern der Gemeinde Gelegenheit bieten will sich in der Kunst des Gesangs auszubilden, zu dem aber auch unsere Freunde Zutritt finden und der dann der Gemeinde durch Concerte u. s. w. praktische Hülfe geben will. Alle unsere Vereine arbeiten mit Eifer und zielbewußter Kraft, natürlich könnte noch viel mehr Erfolg erzielt werden, wenn jedes einzelne Mitglied seine volle Schuldigkeit thun würde. Aber gottlob es ist doch allenthalben ein richtiger Fortschritt zu merken, besonders scheint die Jugend zu begreifen, daß es ihre Pflicht ist, sich um das zukünftige Wohl der Gemeinde zu kümmern und thatkräftig mit einzuschreiten.«9

Daneben gab es eine Sonntagsschule mit 125 Kindern, die von insgesamt 25 Lehrern in zwei Abteilungen jeweils vor dem Hauptgottesdienst am Sonntagmorgen unterrichtet wurden. Die kleineren Kinder wurden in den Grundlagen des christlichen Glaubens und wenn nötig auch in der deutschen Sprache unterwiesen, die größeren widmeten sich der Lektüre und Erklärung der Bibel und dem Lernen des Katechismus. Kinder im Konfirmationsalter wurden außerdem von Schlümbach in einer Gruppe zur intensiveren Auseinandersetzung mit Bibel angeleitet. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass Schlümbach im Auftrag der Gemeinde einen eigenen

9 Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 254–257. Zur Vereinsstruktur vgl. auch Cleveland and Its Germans, S. 51.

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Katechismus erarbeitete, der auch in Druck ging und in der Gemeindeunterweisung verwendet wurde.10 Gottesdienste fanden sonntags um 10.30 Uhr und meist auch abends, entweder am Sonntag oder am Freitag, statt. Schlümbach charakterisierte sie in traditioneller protestantischer Diktion so: »Die Gottesdienste sind evangelisch einfach, das Wort Gottes wird rein und lauter verkündigt und die heiligen Sakramente treulich verwaltet.«11 Wie bereits in seinen früheren Pastorentätigkeiten spielte auch die Attraktivität der Räumlichkeiten eine große Rolle. So wurde innerhalb seiner ersten vier Jahre in Cleveland zuerst das alte Schulhaus hinter der Kirche renoviert, dann eine neue Pfarrwohnung angebaut, im Vereinshaus zwei große Säle und sonstige Vereinsräumlichkeiten attraktiver eingerichtet, ein Turnsaal geschaffen, Kirche und Schulhaus angestrichen, die Dodge Street gepflastert und die Kirche innen ausgemalt. Die dafür entstandenen 6.000 $ Kosten konnten ohne neue Schulden beglichen werden.12 Schlümbach schreibt zu seinem Konzept, dass die Gemeinde »nach dem Princip des christlichen Socialismus« geleitet würde. Damit meint er wohl die starke »soziale«, wenn man so will »gesellige« Komponente im Gemeindeleben. »Jedem Fremden wird mit Freuden die Bruderhand dargereicht, und ist es immer mehr das Bestreben der Mitglieder im Dienste der einen Mission zu wirken.«13 Dabei kam es Schlümbach darauf an, die Gemeindeglieder zur selbständigen Durchdringung des Glaubens zu erziehen, was seinen Stil wenig dogmatisch und seine Haltung zu den sogenannten Mitteldingen einigermaßen liberal erscheinen ließ.14 Die Clevelander Zeitung Wächter und Anzeiger beschrieb dies im Rückblick so: »Er liebte und achtete in Jedem die Ueberzeugung, auch wenn sie mit der seinigen nicht übereinstimmte; und war darin einig, daß zu großen Dingen das leidenschaftliche Ergreifen nothwendig sei. Als Pastor war er mehr Philosoph als Doctrinär; er wollte die Menschen zum Selbstdenken erzogen sehen und feuerte sein Gefolge dahin an. Dabei wohnte ihm ein tiefes religiöses Gefühl inne, mit dem er aber kein Schaugepränge hielt.«15

10 Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 200. Von diesem in einer Auflage von 100 Stück veröffentlichten Katechismus war für diese Arbeit leider kein Exemplar greifbar. 11 Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 254. 12 Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 254 u. ö. 13 Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 255. 14 Vgl. den Abdruck eines Briefes Friedrich von Schlümbachs vom 19. 10. 1899 im Londoner Vereinsblatt des deutschen CVJM vom 1. 9. 1901, S. 2. 1882 hatte Schlümbach noch eine striktere Haltung vertreten; vgl. [B.:] Das erste gemeinsame Fest der vereinigten Jünglingsbündnisse Deutschlands am Hermanns-Denkmal bei Detmold. In: JB 1882, S. 167–169, dort 168. 15 [O. N.]: Fr. Schlümbach. Ein thatenreiches, hochveranlagtes Leben beendet. In: Wächter und Anzeiger vom 29. 5. 1901, S. 3.

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Durch all dies konnte bereits in den ersten vier Jahren der Wirksamkeit Schlümbachs die Schuldenlast bedeutend zusammengeschmolzen und innerhalb von zehn Jahren halbiert werden, mit der Aussicht, sie in einigen Jahren getilgt zu haben. »Es waren Jahre des Friedens und der erfreulichen Entwicklung. [. . .] Die Gemeinde [. . .] arbeitete auch wieder an ihrem inneren Ausbau.«16 Im Bericht des Wächter und Anzeiger zum Gemeindejubiläum 1895 wurde Schlümbach, über den ein biographischer Abriss in der Zeitung veröffentlicht wurde, »ein nicht unbedeutender Antheil an dem Wiederaufblühen der Gemeinde« gegeben, dem »Retter in der Noth«, der sich bewegen ließ, »das erledigte Pastorat« anzunehmen.17 So waren denn seit 1891 auch die Mitgliederzahlen stetig gestiegen – teilweise wurden fast monatlich Aufnahmen vorgenommen – und hatte sich Mitte der 1890er Jahre bei stabilen 250 Gemeindegliedern eingependelt. Ein weiter Kreis von Freunden der Gemeinde kam hinzu. Was Schlümbach die Gemeindearbeit aber zunehmend erschwerte, war sein instabiler Gesundheitszustand. Wie noch deutlich werden wird, lässt sich im Zusammenhang seiner längeren Leidenszeiten eine theologische Entwicklung hin zur Betonung der Heilung im Vertrauen auf Gott und einer ausgeprägten Naherwartung beobachten. Schlümbach pflegte Kontakte zu anderen Gemeinden in Cleveland, wurde aber in späteren Jahren so gut wie gar nicht mehr über die Grenzen der Stadt hinaus aktiv.

2.3 Austritt aus der Synode Für die Gemeinde als ganze von Bedeutung war das Ringen um Schlümbachs Verbleib und damit verbunden die Zugehörigkeit der Gemeinde zur Evangelischen Synode. Der Ende 1891 eingereichten Scheidungsklage Schlümbachs war vom Gericht in Cleveland im Frühjahr 1892 stattgegeben worden. Schon am 11. 2. 1892 hatte Schlümbach beim Kirchenrat seinen Rücktritt eingereicht, zum einen wegen des vermuteten Anstoßes durch die Scheidungsklage, zum anderen wegen einer für den Sommer geplanten mehrmonatigen Deutschlandreise.18 Doch der Kirchenrat lehnte dieses Rücktrittsgesuch ab und be16

Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 251. Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 252. 18 Vgl. Brief Mina von Schlümbachs an Emma Werner vom 30. 1. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [5]). Er schreibt dazu: »Bei m. Arbeit vor 14 Tagen in N. York, luden mich zwei reiche Freunde ein sie zu begleiten auf einer großen Reise als Führer (a la Meister 1875) ich nahm es an u. wenn es Alex möglich ist abzukommen so kommt er mit; wir reisen deo vol. Mai 12. von N. Y. ab.« Geplant war, bis August in Deutschland unterwegs zu sein; vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 21. 2. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890– 1899 [1]). 17

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schloss einstimmig, dass Schlümbach sich für die Zeit seiner Abwesenheit einen Substituten besorgen und die ganze Scheidungsgeschichte zunächst unberücksichtigt bleiben sollte. Darüber hinaus wurde für Schlümbach eine Gehaltserhöhung beschlossen, die dieser aber ablehnte, denn darum war es ihm bei der ganzen Sache nicht gegangen. Das Angebot, in der Gemeinde zu verbleiben, nahm er aber an.19 Allerdings hatte er sich durch den Scheidungsprozess gedrängt gesehen, auch bei der Evangelischen Synode seinen Rücktritt einzureichen. Der Distriktspräses hatte ihn vor die Alternative gestellt, entweder die Synode zu verlassen oder die Angelegenheit einer Untersuchung zu unterziehen. Da Schlümbach letzteres ablehnte, wurde sein Austritt angenommen, was ihm und der Gemeinde in einem Schreiben des Distriktspräses vom 8. 3. 1892 mitgeteilt wurde. Daraufhin sah Schlümbach keine andere Möglichkeit, als bei der Gemeinde erneut seine Resignation einzureichen, was am 10. 3. geschah: »An der ehrw. Kirchenrath der Gemeinde zum Schifflein Christi. Liebe Brüder in dem Herrn Jesu! Durch meine unglücklichen Familien-Verhältnisse sehe ich mich genöthigt, meinen Austritt aus der Synode zu erbitten und wurde derselbe von dem ehrw. District Präses Büßer mit Zustimmung des ehrw. General Präses Zimmermann gütigst und freundlichst genehmigt. Da nun die Gemeinde Constitution §3 die Gemeinde zum Mitglied der Ev. Synode macht und Artikel 8 erklärt, daß der Prediger ebenfalls ein Glied der Synode sein muß, die Synodalstatuten andererseits aber Cap. III Abth. 2. §17 vorschreiben, daß eine Synodalgemeinde nur durch Prediger der Synode bedient werden darf, so halte ich es für meine Ehrenpflicht, hiermit dem ehrw. Gem. Kirchenrath meine Resignation als Pastor der Gemeinde einzuhändigen. Indem ich Ihnen u. der Gemeinde meinen Dank ausdrücke für das bisher mir erwiesene Vertrauen u. die viele Liebe, die man mir seit meinem Amtsantritt, ja seit meiner Verbindung mit Ihnen im Sept. ’90 erwiesen hat, und Ihnen Gottes [. . .] Segen erflehe, schließe ich mit der Bitte, daß sie veranlassen möchten, daß mein Nachfolger schon am 1. Mai d. J. sein Amt antrete, da ich spätestens am 8. Mai abzureisen gedenke. Mit herzlichem Bedauern, daß meine Verhältnisse diesen Schritt benöthigen zeichne ich als Ihr ergebener Bruder F. Von Schluembach Ev. Pastor.«20

Der Kirchenrat lehnte den Rücktritt Schlümbachs aber erneut ab und beschloss, an den Distriktspräses und durch diesen an die Synode die Petition ergehen zu lassen, Schlümbach bis auf weiteres im Pastorenamt in Cleveland

19 20

Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 133–134. Zit. nach Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 139.

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Rückzug nach Cleveland (1890–1901)

zu belassen wegen der »immer noch schwierigen Finanzfrage«21. Die Gemeindeversammlung am 13. 3. unterstützte einstimmig die Beschlüsse des Kirchenrats und gab ihm freie Hand, wie im Falle der Ablehnung der Petition zu handeln sei. »Sodann wurde der Pastor gerufen und mit sehr großem Applaus der stark besuchten Versammlung begrüßt; worauf er seine Herzensfreude ausdrückte über die in der Gemeinde herrschende christliche Einig- und Einmüthigkeit.«22 Die an den Distriktspräses gerichtete Petition zielte darauf, aufgrund der immer noch schwierigen äußeren Lage der Gemeinde das Arbeitsverhältnis zwischen Schlümbach und ihr nicht aufzulösen und der Gemeinde keinen Predigerwechsel aufzuzwingen.23 Dieses Gesuch wurde jedoch abschlägig beschieden, da sich der Distriktspräses nicht in der Lage sah, auf so eklatante Weise gegen die Synodalstatuten zu verstoßen. Immerhin wurde aber ein Aufschub bis zur Distriktssynode im Juni gewährt, wo sich die Gemeinde durch einen Delegierten noch einmal würde erklären können.24 Da Bueßer einem definitiven Bleiben Schlümbachs nicht hatte zustimmen können, reichte dieser erneut seine Resignation bei der Gemeinde ein. Schlümbach schreibt: »Cleveland, O, 4/4. 1892. An den Ehrwürdigen Kirchenrath der Ev. Synodalgemeinde zum Schifflein Christi dahier. Geliebte Brüder! Nach Durchlesung des offiziellen Handschreiben des Ehrw. Präses des Ohio Dist. der Ev. Syn. von N. A. an Ihre Gemeinde, sehe ich mich veranlaßt und gezwungen, jetzt von meinem Reservat Cedet, das ich mir, bei Annahme des Rufes der Gem. an mich, machte, namlich: ›nur so lange ihr Pastor zu sein, als dieses mir möglich sei‹ sofortigen Gebrauch zu machen. Ich kann nicht mehr Ihr Pfarrer beiben [sic] aus folgenden Gründen: 1. Sind meine Reisepläne gemacht + verlangt der Zustand meiner Nerven das Festhalten daran; solche günstige Gelegenheit darf ich nicht abweisen. 2. Hat – der ehrw. Dist. Prases keinen Vicar berufen; und kann ich, auf so unbestimmte Verhältnisse hin, wie sie durch den Amtsbericht an Sie geschaffen wurden, unmöglich einen Vicar berufen, auf mein eigenes Risiko hin. 3. Halte ich es nach den Andeutungen des Berichts für meine Ehrenpflicht + im Interesse der Gemeinde liegend, daß unser Verhältniß im Frieden gelöst werde; Ihr ehrw. Präses kennt die Ursache der Andeutungen, beides durch den ehrw. Dist. Präses + mich selbst + gestatte ich ihm hiermit, Ihnen alles diesbezügliche mitzutheilen. 21 Der Wortlaut der Petition vom 17. 3. 1892 ist wiedergegeben in Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 140–141. 22 Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 139. 23 Vgl. Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 140–141. 24 Vgl. die Wiedergabe des Antwortschreibens vom 31. 3. 1892 in Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 141–143.

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Pastorat in der Gemeinde »Zum Schifflein Christi«

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4. Ist es mir nach oben erwähtem [sic] offiziellen Schreiben unmöglich noch länger an einer Gemeinde Pfarrer zu sein, die ein Glied der Ev. Synode von N. A. ist. Da ich nun dem amtlichen Schreiben nach zu dem Glauben berechtigt bin, daß die ehrw. Synode im Stande ist, sofort einen passenden Nachfolger für mich zu senden, so ersuche ich Sie hiermit ganz ergebenst mich am 1. Mai d. J. meine Abschiedspredigt halten zu lassen. Ich schließe mit der herzlichen Bitte, daß Sie mir ein Abschiedszeugniß zustellen, welches bezeugt, daß wir im Frieden gearbeitet + weder mein Character noch meine Amtsverhandlungen diesen Bruch veranlaßten, sondern nur mein Verhältniß zur Synode; ferner, daß Sie dieses Schreiben wortgetreu in Ihr Protokoll eintragen lassen und ein Copy dem ehrw. Dist. Präses zustellen möchten. Ihnen, sowie der Gemeinde Gottes reichsten Segen wünschend, zeichnet Hochachtungsvoll Ihr Ergebenster F. Von Schluembach, Pastor.«25

Der Kirchenrat beraumte daraufhin eine Gemeindeversammlung für den 10. 4. an und machte die Vorlage, der Gemeinde den Austritt aus der Synode zu erklären. Entsprechend dieser Empfehlung entschied auch die stark besuchte Gemeindeversammlung am 10. 4. Einstimmig und mit Applaus wurde die Resignation Schlümbachs abgelehnt und ebenso einstimmig der Austritt der Gemeinde aus der Evangelischen Synode, der sie seit 1880 angehört hatte, beschlossen. An Schlümbach sollte ein neuer Ruf ergehen, und es wurde »Beschlossen, daß der Neuerwählte Prediger der Gemeinde vorgestellt werde und wurde er beim Eintritt in’s Zimmer mit sehr großem Beifall (Enthusiasmus) empfangen.«26 Schlümbach hielt eine kurze Ansprache mit dem Versprechen, »noch getreuer« sein zu wollen als bisher, nahm den Ruf also offensichtlich an. Mit dieser Sicherheit im Rücken konnte Schlümbach einige Tage später den auf eigene Rechnung als Vikar angestellten Vertreter während seiner Abwesenheit, Friedrich Kratz, vorstellen. Mit folgenden Worten erklärte man schließlich am 12. 5. 1892 den Austritt aus der Evangelischen Synode: »An die Ehrwürdige Ev. Districts Synode. Herrn Präses F. Bueßer! In der am Sonntag den 10. April auf Ihr Verlangen gesetzlich anberaumten Versammlung der Gemeinde zum ›Schifflein Christi‹ wurde Ihr Document sowie einliegende Resignation des Pastors F. Von S. der Versammlung vorgelegt. Die Versammlung war sehr zahlreich besucht und wurden folgende Beschlüsse Einstimmig gefaßt.

25 Austrittsgesuch Schlümbachs vom 4. 4. 1892, zitiert nach Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 144–145. 26 Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 147.

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Beschlossen; In Anbetracht, daß die Gemeinde nichts gegen ihren jetzigen Pastor F. Von Schluembach auszusetzen hat und denselben nothwendiger Weise braucht und in Anbetracht, daß das Verhältnis zwischen Pastor und Gemeinde seit seiner Wirksamkeit an derselben ein stets ungetrübtes war sei beschlossen, daß die Gemeinde ihren jetzigen Pastor F. Von S. nicht ziehen lassen will und kann. Ebenfalls wurde beschlossen, aus dem Synodalverbande auszutreten, indem die Constitution der Synode es der Gemeinde nicht erlaubt, einen nicht zur Synode gehörigen Pastor zu haben. Wie schon erwähnt war die Versammlung sehr zahlreich besucht und wurden obige Beschlüsse einstimmig gefaßt. Im Auftrag der Gemeinde zeichnet Achtungsvollst. Gez: A. Forsch, Secr. John Lendy Pres.«27

Dem Brief an den Distriktspräses fügte man auf Schlümbachs Wunsch auch dessen Resignationsgesuch bei. Bueßer reagierte in einem ausgesprochen scharfen Brief mit persönlichen Angriffen gegen Schlümbach: zur Frage des Vikars als Vertreter schreibt er, »daß Ihr Herr Pastor sehr eingebildet ist und mehr zu sein meint als andere Leute, oder daß er die Synodalgesetze nicht kennt. [. . .] Nach meiner Ansicht ist das auch nur so ein Grund, der herbei gezogen wird.« Nur wenn Schlümbach die Gemeinde verlasse, werde er den Verpflichtungen gerecht, die er bei Diensteintritt einmal eingegangen sei. »Der liebe Herr weiß vielleicht selbst nicht mehr, was er versprochen hat. Ob ich mir fremdes Gut nehme oder in die Tasche stecken lasse, ist schließlich einerlei.« Der Ton legt es nahe, dass bei dieser Auseinandersetzung auch persönliche Animositäten im Hintergrund standen. Außerdem bemängelt Bueßer in seinem Schreiben die mangelnde Dankbarkeit der Gemeinde gegenüber der Synode – und erinnert sie bei der Gelegenheit an eine bei Aufnahme in die Synode eingegangene Zahlungsverpflichtung für den Fall des Austritts aus der Synode von 452 $.28 Diesen Betrag zu zahlen war der Gemeinde zum Schifflein Christi nicht möglich. Das teilte man in einem Brief vom 8. 6. dem Distriktssekretär Fleck mit, da man das Verhältnis zu Präses Bueßer aufgrund der »persönlichen Angriffe[. . .]« und der »gehäßigen Ausfälle gegen unsern Seelsorger« als gestört ansah. Das Schreiben des Präses habe nur gezeigt, dass es höchste Zeit war, zur »Selbsthülfe« zu greifen, da es ihm nicht um das Wohl der Gemeinde gegangen sei. Schlümbach habe sich durch sein Bleiben »dem Willen Gottes und der Bitte der Gemeinde unterstellt[. . .]«.29 27

Zit. nach Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 150–151. Vgl. die Wiedergabe des Schreibens vom 23. 5. 1892 in Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 154–156. 29 Vgl. die Wiedergabe des Schreibens vom 8. 6. 1892 in Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 157–159. 28

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Beziehungsgeflechte

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Die Distriktssynode im Juni, zu der Schifflein Christi offensichtlich keinen Delegierten mehr entsandt hatte, verteidigte das Vorgehen ihres Präses. Dieser habe richtig entschieden, und auch die Finanzschuld der Gemeinde sei möglichst bald zu begleichen.30

3. Beziehungsgeflechte 3.1 Familie in Cleveland War Schlümbach Ende 1890 zunächst allein nach Cleveland gekommen, so kamen – wie bereits erwähnt – schon einige Monate später sein Bruder mit zwei Töchtern und seine Halbschwester Mina nach; letztere zog bei ihm ein, organisierte mit ihm den Alltag, und die beiden bildeten eine Hausgemeinschaft. Das Zusammenleben mit ihr gestaltete sich sehr harmonisch, und auch der elfjährige Alex, der aus Galveston zu ihnen gezogen war, bereitete seinem Vater viel Freude.1 Noch war Schlümbach mit Coelestine verheiratet, gab ihrer Ehe aber keine Chance mehr. Im Herbst 1891 hatte er die Scheidung eingereicht, im März 1892 wurde sie vollzogen. Die Scheidungsurkunde nennt »wilfull desertion« seitens der Ehefrau als Scheidungsgrund. Felice und Frieda wurden Coelestine zugesprochen und Schlümbach zu einer jährlichen Unterhaltszahlung von 400 $ verpflichtet.2 Auch wenn eigentlich Schlümbach die Familie verlassen hatte und diese sich lediglich weigerte, ihm zu folgen, war mit der Begründung der Scheidung Coelestine, die auch nicht persönlich vor Gericht erschien, die Schuld gegeben. Im Monat vor der Scheidung hatte Schlümbach an seine Verwandten in Deutschland noch geschrieben, dass er hoffe, bald »ein freier Mann« zu sein. »Das Weib« habe ihn »scheußlich genug behandelt«, Gott habe ihn aber vor ihrem Temperament bewahrt; sie habe »keine Herzensbildung«, sei »teuflisch hartherzig« und bei ihm »oft rechter Lebenssturm!«3 Welche Last Schlümbach mit der Scheidung von Coelestine von den Schultern fiel, wird aus einem Brief an seine Verwandtschaft in Deutschland von Ende März 1892 überdeutlich:

30 Vgl. die Wiedergabe des Schreibens vom 22. 6. 1892 in Minute Book Schifflein Christi (WRHS), S. 160. 1 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 21. 2. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [1]). 2 Vgl. Kopie des Divorce Record vom 24. 3. 1892 in der Pension File (National Archives). 3 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 21. 2. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [1]).

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»Gott sei Dank! Gestern wurde ich im hiesigen Gericht geschieden! Endlich hat die Noth ein Ende, ich bin frei! Ach wie glücklich! Ohne Scandal! Sämtl. Zeitungen zu m. Gunsten! Die Gemeinde einstimmig m. Resignation verweigert! Alex u. s. Mädchen standen treu bei mir! Der Richter sprach herrlich! Er sprach mir den kl. Alex zu, so daß ich den nun erziehen kann ohne Störungen! Ach ich preise Gott mit Jubel für m. Freiheit, nun kommt ein neues Leben u. ich gründe mir einen christl. Hausstand! Wills Gott so werde ich noch recht glücklich!«4

Die Gründung eines »christl. Hausstands« ging erstaunlich schnell vonstatten. Denn es dürfte eine Überraschung gewesen sein, als bei Werners im April ein Brief aus Hamburg eintraf, in dem sich Schlümbachs neue Braut Alwine Malcomes vorstellte. Schlümbach hatte zuvor brieflich um ihre Hand angehalten und ihr geschrieben, sie solle doch bei einer Zusage sofort an seine Verwandten in Deutschland schreiben, was sie, nachdem sie ihm telegraphiert hatte, tat. An Schlümbach hatte sie geschrieben, »daß sie m. l. Braut sei u. bin ich nun der glücklichste Mensch den Ihr Euch denken könnt.«5 Er kannte sie bereits seit 17 Jahren, denn während er Pastor in Galveston gewesen war, hatte er ihre erste Ehe geschlossen. Ihr Mann war wenige Jahre später gestorben, die gemeinsame Tochter Minna, die 1877 geboren wurde und von Schlümbach getauft worden war, wuchs fortan bei der verwitweten Mutter auf. Alwine hatte seither als Musiklehrerin in Galveston gelebt.6 Sie war nun Mitte dreißig, als sie wieder näher ins Leben Schlümbachs trat. Durch die enge Freundschaft zu ihrem Bruder, Carl Groenwold, der als Musikprofessor in Galveston lebte und früher der Organist in Schlümbachs Gemeinde gewesen war, hatte Schlümbach über die Jahre immer wieder vom Ergehen der Familie gehört, und als Groenwold mit seiner Schwester und Mutter im Juni 1891 auf der Durchreise für eine Woche in Schlümbachs Pfarrhaus in Cleveland Station machte, sahen sie sich wieder. Seither stand er in brieflichem Kontakt mit ihr, »ein[em] Juwel von einem Weibe, edel, rein u. fromm. [. . .] eine herrliche Seele u. hat eine Liebe zu mir, so rein u. heilig, wie ich noch selten eine gesehen.« Über seine Motivation, erneut zu heiraten, schreibt Schlümbach: »[A]ls ich endlich zur Scheidung schreiten mußte u. mich frug vor Gott, wen ich zur Erzieherin m. Söhnchens u. zur Pflegerin meiner selbst in alten Tagen wählen sollte, denn so wie jetzt kann ich als Pfarrer nicht leben, [. . .] da war m. Hoffnung auf meine

4 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 24. 3. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1890 [9]). 5 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 4. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [7]). 6 Sowohl Alwine als auch ihre Tochter Minna scheinen sehr musikalisch gewesen zu sein; Schlümbach schreibt, dass die beiden 1892 in Altona mit öffentlichen Auftritten »furore« machten. Alwine sang und wurde dabei von ihrer Tochter am Piano begleitet. Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 4. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [7]).

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treue gute Alwine, oder ›Käte‹ wie ich sie nenne gerichtet! Nur Ihre große Liebe in Ihrem köstlichen liebevollen Herzen konnte Sie bestimmen mich armen Unglücklichen zu wählen, u. möge nur der l. Gott mir Kraft geben m. Lebenlang es Ihr zu vergelten.«7

Dass Schlümbach sie »Käte« nannte, mag an ihrem Zweitnamen Katharine gelegen haben; gleichwohl evozierte er damit – auch unter Betonung dessen, wie er als »Pfarrer« zu leben habe – das Ideal der protestantischen Pfarrfamilie, wie es unter Rückgriff auf Luthers Hausstand auch für das 19. Jahrhundert prägend war.8 Bereits hier kündigt sich eine deutliche Verschiebung in Schlümbachs Lebensgestaltung hin zum Häuslichen und Familiären an. Das genaue Hochzeitsdatum war noch unbestimmt, aber das Paar wollte gerne in Deutschland heiraten. Schlümbach ging am 12. 5. 1892 an Bord der Auguste Viktoria, um zehn Tage später über London in Hamburg einzutreffen. Im August würde er wieder in Cleveland sein müssen, um den Vikar abzulösen, der ihn in der Zeit seiner Abwesenheit vertrat.9 Ursprünglich war daran gedacht, die Ehe Ende Mai vor einem amerikanischen Konsul in Hamburg zu schließen und anschließend die kirchliche Einsegnung durch Schlümbachs Neffen Wolfgang Zeller in Heidelberg vornehmen zu lassen.10 Die Eheurkunde, die sich als rechtskräftiges Dokument in Schlümbachs Pensionsakte findet, zeigt aber, dass sich ihre Pläne änderten. Dort ist dokumentiert, dass die Ehe erst am 3. August 1892 in Bad Wildungen geschlossen wurde.11 7 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 4. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [7]). 8 Schlümbach schreibt weiter: »Sie giebt eine herrliche Pfarrfrau, Ihre Tugenden, Ihre Geduld, Ihr Glaube, Ihr Gottvertrauen, Ihre Sittsamkeit Alles Alles wird dazu dienen mir eine prächtige Gefährtin zu schaffen!« Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 4. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [7]). 9 Finanziell war die Reise für Schlümbach nur möglich, weil er als Gast das New Yorker Ehepaar Miller begleiten sollte. »Es ist auch so lieb vom lieben Gott, daß Er mir diese Reise schenkt, sie kostet mich gar Nichts. [. . .] Er hat Großes an mir gethan!« Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 4. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [7]). 10 Die Pläne gingen relativ konkret dahin, erstere am 31. 5. vorzunehmen und dann über Kassel nach Heidelberg zur Einsegnung zu fahren; vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 21. 5. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [8]) und Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 29. 5. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [4]). Die möglichen Bedenken seines Neffen wegen der Scheidung suchte Schlümbach zu zerstreuen: »Lieber Wolfgang wenn Du es thun kannst, bitte sprich den Segen über m. Ehe! Ich bin wohl ein geschiedener Mann, aber das Gericht gab mir die Scheidung auf Grund des ›böswilligen Verlassens‹ m. Weibes, die eben teuflisch handelte u. auf Nichts mehr hörte, du weißt das Kirchenrecht Deutschlands genehmigt auch die Scheidung auf diesen Grund hin, neben dem Ehebruch. Also wirst du keine Gewissenssorgen zu haben brauchen, ich wäre so glücklich, wenn du es für deinen Onkel thätest!« Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 4. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [7]). 11 Vgl. Heirathsurkunde vom 3. 8. 1892. In: Pension File (National Archives). Bei der Ehe-

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Zwei Monate waren die Brautleute zuvor durch Europa gereist: Heilbronn, Ingelfingen (»Heimatstadt« und Grab der Eltern), dann nach längerem Aufenthalt in Markgröningen über Interlaken – achtstündige Bergwanderung: »50 Jährig! (142 Kilo!!!)« –, Luzern, Ragaz, Bad Gastein, Wien, München, Stuttgart, Nürnberg und Eisenach Ende Juli nach Bad Wildungen, wo Schlümbach bis zum 14. August zu kuren gedachte.12 Am 24. 7. schreibt er von seiner Vorfreude, dass am 2. August »die Ruhe« für ihn kommen solle. Gemeint ist wohl die Eheschließung, zu der Wolfgang Zeller leider nicht anreisen konnte und der Ortspfarrer, der in Urlaub war, von einem Schlümbach fremden Kollegen vertreten wurde.13 Mitte August machten sie sich auf den Weg zurück nach Amerika und damit auch zurück zu Schlümbachs Sohn Alex, der drei Monate ohne seinen Vater mit der Tante gelebt hatte. Bereits vor seiner Abreise hatte Schlümbach geschrieben: »Mein kleiner Alex, den mir das Gericht zugesprochen hat, freut sich sehr auf s. neue Mama, er kennt sie seit Jahren u. hat viel mit den Leuten verkehrt. Wer immer meine Braut kennt, muß Sie hochschätzen und verehren! Gott sei Lob u. Dank, daß Er Ihr herz so gelenkt hat, daß Sie mich nimmt, es ist für mich das große Loos [sic]!«14 Am Mittag des 29. 8. wurden die Heimkehrenden am Clevelander Bahnhof von einem Empfangskomitee der Gemeinde und dem großen und kleinen Alexander willkommen geheißen. Am nächsten Tag gab es einen offiziellen Empfang der Gemeinde, der Schlümbach erneut für deren Freundlichkeit begeisterte und ihm Lust auf seine Arbeit machte. Im Haushalt griff nun Schlümbachs Stieftochter Minna ihrer Mutter unter die Arme, und Schlümbach war überschwänglich glücklich, wie sich alles gefügt hatte.15

schließung zugegen war auch das Ehepaar Groenwold und das Ehepaar Miller aus New York, mit dem gemeinsam Schlümbach seine Reise machte. Die Männer fungierten jeweils als Trauzeugen. 12 Zur Reise vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 21. 5. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [8]); Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 29. 5. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [4]); Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 25. 6. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 190–1899 [10]); Brief Alwine von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner, Anhang zum Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 25. 6. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 190–1899 [10]); Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 3. 7. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 190– 1899 [11]); Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 24. 7. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 190–1899 [12]). 13 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 24. 7. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [12]). 14 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 9. 4. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [7]). 15 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 31. 8. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [13]).

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Sein neues Eheleben sollte für ihn eine Quelle steten Glücks werden, und in fast jedem Brief, den er in den folgenden Jahren nach Deutschland schrieb, erwähnte er das harmonische Zusammenleben in seinem Haushalt. Dabei fällt auf, wie häufig Schlümbach zur Beschreibung des neuen häuslichen Lebens die semantischen Felder von »Ruhe« und »Friede« abschreitet. Sein Heim erscheint ihm nun als »Himmelsreich« und »Paradies« und »so friedlich [. . .], wie ich es noch nie erlebt«.16 Gerade in Zeiten der Krankheit, die Schlümbach des Öfteren zu durchleiden hatte, bewährten sich für ihn der Zusammenhalt in seiner Familie und die Fürsorge seiner Frau. Rheumatische Beschwerden zogen sich durch die ganzen nächsten Jahre und fesselten Schlümbach öfter ans Haus. Ende 1892 erkrankte er an einer schweren Entzündung im Kiefer, die fast zu einer Blutvergiftung geführt hätte.17 Von 1897 an war Schlümbach wegen Diabetes bei einem Spezialisten in Cincinnati in Behandlung.18 Nach seiner ersten schweren Erkrankung im Herbst 1892 schrieb Schlümbach: »Die Liebe, die ich jetzt erfahren darf, übersteigt die Möglichkeit der Beschreibung durch m. Feder! [. . .] Es ist doch etwas Herrliches ja Göttliches um ein glückliches Eheleben, jetzt erst erkenne ich voll u. ganz was ich entbehrt u. was ich gelitten habe!«19 Das familiäre Glück wurde komplettiert durch die Geburt eines Sohnes am 25. August 1894. Bereits im Juni 1893 hatte Alwine eine Fehlgeburt erlitten; nun aber war alles gut gegangen und der kleine Friedrich Carl entwickelte sich zur großen Freude seines Vaters zu einem aufgeweckten kleinen Jungen. Wohl im Hinblick auf seine anderen Kinder aus erster Ehe schreibt er Anfang 1896: »Ach was ein Unterschied in der Erziehung! Gott sei Dank für das Glück, das Er mir darreicht in diesen Jahren, ich lebe so glücklich in m. Ehe wie noch nie in m. Leben. Es ist Alles Alles anders!«20 Friedrichs Sohn Alex erhielt von 1894 an eine gründliche musikalische Ausbildung bei seinem Onkel Carl Groenwold, war auch mit einer gewissen Begabung, aber ohne rechten Enthusiasmus dabei.21 Daher brach er diese 16 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 19. 10. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [14]). 17 Vgl. Brief Alwine von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner; Anhang zum Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 19. 10. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [14]). 18 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Antonie Werner vom 30. 12. 1897 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 [34]). 19 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 21. 12. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [15]). 20 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 20. 1. 1896 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [28]). 21 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 21. 4. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [26]); Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 20. 1. 1896 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [28]).

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Ausbildung 1897 ab und übernahm eine Stelle in einer Buchbinderei, die einem Gemeindeglied von Schifflein Christi gehörte.22 Schlümbachs Stieftochter Minna verlobte sich 1896 mit Gustav Klauminzer, den sie in der Kirchengemeinde kennen gelernt hatte. Bis zur Hochzeit im Jahr 1898 arbeitete sie als Privatlehrerin in einem wohlhabenden Haushalt23, danach zogen die beiden in einen Clevelander Vorort. Sich selbst konnte Schlümbach kaum zu den Wohlhabenden rechnen. Im Gegenteil, er schreibt, dass er »arm« sei, »die Texas Geschichte hat mich ganz zerstört«24. Damit meinte er in erster Linie den Schuldenberg, den er seit der missglückten Seminargründung vor sich her schob. Zum anderen drückte aber auch der Unterhalt für seine Familie in Texas, für den er ein Drittel seines Jahreseinkommens aufzuwenden hatte. »Das Kreuz besonders auch das finanz. das mir Texas gebracht hat, drückt ja schwer, aber der Christ kann ohne Kreuz nicht sein.«25 Hinzu kam, dass sich 1893 eine allgemeine Wirtschaftskrise bemerkbar machte, die weitere Einschränkungen erforderte, welchen Alwine durch eine sparsame Haushaltsführung zu begegnen suchte.26 Teure Arztbehandlungen kamen in späteren Jahren als Zusatzbelastung hinzu.27 Blickte Schlümbach auf sein Leben, so hingen die schweren Dinge, die es gab, in seiner Wahrnehmung vor allem als Folgen mit früheren unglücklichen Entscheidungen zusammen. Dies betraf nicht nur das Finanzielle, sondern auch Gesundheit und Gemüt. Bereits 1893 schreibt Schlümbach: »leider bin ich jetzt aber durch m. früheres Unglück ziemlich schachmatt u. werd alt.«28 Der Rückblick auf sein bisheriges Leben ließ ihn auch über alternative Verläufe nachdenken: »Je älter ich werde desto mehr fühle ich wie viel ich versäumt habe.«29 In diese Richtung geht auch das Lob seiner Frau: »Hätte ich sie vor 30 Jahren schon gehabt, welch anderes Leben hätte ich

22 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner von 28. 1. 1897 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [32]). 23 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner von 28. 1. 1897 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [32]). 24 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner von 28. 1. 1897 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [32]). 25 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 20. 1. 1896 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [28]). 26 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 9. 2. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [25]). 27 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Antonie Werner vom 17. 5. 1898 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [35]). 28 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 5. 9. 1893 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [22]). 29 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner und Verwandte vom 29. 9. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [27]).

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doch führen können! Aber ich murre nicht, mein Leichtsinn verdiente noch weit herbere Strafe! Mein Leben ist jetzt so glücklich, daß alle Stürme von Außen an diesem Liebesglück scheitern.«30 Zur Regeneration verbrachte Schlümbach erstmals im Juli 1893 mit Alwine Ruhetage auf dem Land, zehn englische Meilen von der Stadt entfernt direkt am See. Es gefiel ihm so gut, dass daraus eine regelmäßige Gewohnheit werden sollte, um Kraft für die »Winterarbeit« zu schöpfen. Von Mitte der 1890er Jahre an verlegte sich in den Sommermonaten daher der Lebensmittelpunkt der Familie an die Ufer des Eriesees. Ihr »Camp Idylle« in Hahn’s Grove bestand aus drei zusammenhängenden Zelten zum Schlafen, Essen und Kochen, die unter Apfelbäumen aufgeschlagen waren.31 Von Grocery und Farm wurden sie mit Lebensmitteln versorgt. Schlümbach schreibt über seine Aufenthalte dort: »Es stärkt m. Nerven u. gibt mir Gelegenheit m. Pläne für die Winterarbeit zu legen.«32 Vom gemeinsamen Leben dort zeichnete Schlümbach in seinen Beschreibungen – gemäß dem dem Camp gegebenen Namen – auch geradezu ein Idyll: mit der nähenden Alwine, der strickenden Mina – seine Schwester wohnte nach wie vor bei ihnen – und dem zu ihren Füßen spielenden kleinen Friedrich. Letzterer hing während der Wochen am See nach Schlümbachs eigenen Worten wie eine Klette an ihm; fast täglich blätterte er mit ihm den Struwelpeter durch, wobei dieser immer Neues entdeckte. »Macht mich wieder jung u. bringt mich in Zeiten zurück, wo ich auch ein so begeisterter Struwelpeter Junge war!«33 Schlümbachs Lieblingsplatz lag in einer natürlichen Laube direkt am Ufer des Sees, wo er oft saß. »Das Plätschern der Wellen ruft mir zu: der Herr ist nahe, preiset Ihn!« Häufig bekamen sie Besuch im Camp, den sie im Obstgarten bewirteten. Gegen Ende der 1890er Jahre waren die Sommercamps am See sehr in Mode gekommen, so dass sich mehrere tausend Zelte am Ufer aufreihten. Auch Schlümbachs Nichte Minnie mit ihren fünf Kindern war im August 1898 zu 30 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 9. 2. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [25]). 31 Im Sommer 1900 wurden von einem Freund einige Photographien aufgenommen, die im Hintergrund die Zelte und im Vordergrund eine Gruppe um Friedrich und Alwine zeigen, die aus der Erzieherin Fritzchens, Marie Lenders, Schlümbachs Schwiegermutter, dem Ehepaar Dietz aus Schlümbachs Gemeinde (die in diesem Sommer ihre Zeltnachbarn waren), und der mit diesen verwandten Familie Burgg aus New York bestand, außerdem dem Papagei und der Katze der Schlümbachs. Nur Fritzchen fehlte, da er mit Scharlach im Bett lag. Vgl. Bilder (ArchFam., Sign. 4 I 7/1) mit Erläuterungen vom 4. 10. 1900. Vgl. auch den Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner und Verwandte vom 6. 10. 1900 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [3]). Zwei Bilder aus dem Camp Idylle befinden sich auch im Privatbesitz Marian Schluembachs. 32 Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 11. 7. 1896 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [31]). 33 Brief Friedrich von Schlümbachs an Antonie Werner vom Sept. 1897 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [37]).

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Besuch und bewohnte ein eigenes Zelt in der Nachbarschaft.34 Allerdings musste immer jemand im Pfarrhaus bleiben, um Schlümbach bei Bedarf rufen zu können. Die elektrische Straßenbahn, die vom Camp aus nach einem längeren Fußweg zu erreichen war, brauchte etwa 45 Minuten bis zur Kirche. Gelegentlich musste Schlümbach fast täglich in die Stadt.35 Überschattet waren die 1890er Jahre von mehreren Todesfällen in der Familie. Ende September 1894 war Friedrich noch mit seinem Bruder Alexander und seinem Schwager Carl für zwei Tage in der freien Natur unterwegs gewesen, was vor allem Alexander sehr gut getan hatte, der sonst sehr im Geschäft eingespannt war. Bald darauf erkrankte dieser jedoch schwer und sollte sich auch nicht mehr erholen. Er starb am 19. April 1895 in Cleveland und wurde am 22. 4. von der Schifflein-Christi-Kirche aus bestattet. War ihm sein kleiner Bruder einst nach Amerika gefolgt, so war es in den letzten zwölf Jahren umgekehrt gewesen: Alexander war Friedrich nach Texas hinterhergezogen, dann nach Cleveland gefolgt. So unterschiedlich die beiden gewesen sein mögen – »er ist eben ein andrer Character als ich«, schreibt Alexander zwei Jahre vor seinem Tod36 –, hatten die beiden doch auch eine enge Verbundenheit empfunden. Anders als ihr Halbbruder Alexander starb Mina nicht nach kurzer schwerer Erkrankung, sondern nach einer mehrjährigen Phase geistigen und körperlichen Abbaus. Seit 1896 durchlitt sie immer wieder längerer Krankheitszeiten und ließ in ihren Kräften spürbar nach. Am 21. Januar 1900 entschlief sie schließlich. Eine Stunde vor ihrem Tod war sie noch einmal bei vollem Bewusstsein gewesen und hatte mit Schlümbach Einzelheiten ihres Begräbnisses besprochen. Sie freute sich darauf, bald mit »den Lieben da droben« vereint zu sein.37 Am schwersten traf Schlümbach aber ein anderer Todesfall. Als 1898 der Spanisch-Amerikanische Krieg ausbrach, meldete sich sein Sohn Alexander, der Ende 1897 nach Texas gereist war, um seine Mutter zu besuchen, als Freiwilliger und wurde als Corporal der Kompanie F des 2. Infanterieregi-

34 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 19. 8. 1898 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [36]). 35 Schlümbachs Plan für Sonntag, den 12. September 1896 sah wie folgt aus: 6 Uhr aufstehen in Camp Idylle, Frühstück und »Familiengottesdienst«, 7 Uhr Aufbruch in die Stadt, 8.45 Uhr Ankunft an der Kirche, 9 Uhr Sonntagsschule, 10.30 Uhr Gottesdienst, 12.30 Uhr Konfirmandenunterricht, 13.30 Uhr Kirchenratssitzung, 14.30 Uhr Gemeindeversammlung, 16 Uhr Männer-Unterstützungsverein, 19 Uhr Probe des Festchors zum Stadtjubiläum mit 350 Sängern, gegen Mitternacht Rückkehr ins Camp. Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner und Verwandte vom 29. 9. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [27]). 36 Brief Alexander von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner vom 8. 4. 1893 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [17]). 37 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 22. 1. 1900 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1900–1915 [1]).

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ments von Texas eingegliedert – »so daß doch auch wieder ein Schlümbach dabei ist«, wie sein Vater bemerkte.38 Von Florida aus sollte er zu den Truppen gehören, die sich zur Besatzung Kubas auf den Seeweg machten. Dazu kam es aber nicht mehr. Am 2. November 1898 starb er im Alter von 18 Jahren im Haus seiner Mutter in Waco an Typhus und wurde einen Tag später auf dem Oakwood Cemetery bestattet.39

3.2 Familie in Texas Da aus den Monaten nach Alexanders Tod keine privaten Briefe Schlümbachs erhalten sind, bleibt ungeklärt, in welcher Weise er angesichts dieses Todesfalls mit seiner Familie in Texas kommunizierte. Alexander war 1897 nach Texas zu seiner Mutter gereist, weil diese »Heimweh« nach ihm hatte. Schlümbach schrieb damals: »ich lege ihm selbstverständlich nichts in den Weg. Er ist jetzt alt genug um sich selbst zu helfen u. kann er seiner Mutter eine Hülfe sein, so ist es mir doppelt lieb; ich trage ja keinerlei Haß im Herzen.«40 Sollte letzteres stimmen, hatte sich seit der Zeit der Scheidung viel getan. Kontakt hatte er in den letzten Jahren aber nicht mehr gehabt. Nur über Umwege hatte er 1892 gehört, dass Thekla ihre jüngste Tochter verloren hatte, über deren Geburt er indes nicht einmal informiert gewesen war.41 In zwei Briefen, die Thekla und Coelestine 1893 nach Deutschland schrieben, kamen diese ihrerseits mit keiner Silbe auf Friedrich zu sprechen.42 Anlass dieser Briefe war ein Schicksalsschlag im deutschen Zweig der Familie, der Schlümbach ebenfalls hart traf.

3.3 Familie in Deutschland Am 10. April 1893 war Schlümbachs Nichte Emma Zeller, der er immer besonders nahe gestanden hatte, im Alter von 29 Jahren verstorben. Als Schlümbach die Nachricht am 26. 4. mit der Nachmittagspost erhielt, kam 38 Brief Friedrich von Schlümbachs an Antonie Werner vom 17. 5. 1898 (ArchFam., Sign. 4 I 7/41890–1899 [35]). Auch der kleine Friedrich in Cleveland nahm auf seine Art »sehr patriotisch« am Krieg teil, indem er täglich mehrere Spanier »erschoss« und in seinem Feuereifer zum Leidwesen seiner Eltern das Haus in Aufruhr versetzte. 39 Vgl. Waco Times-Herald vom 3. 11. 1898, S. 3. 40 Brief Friedrich von Schlümbachs an Antonie Werner vom Sept. 1897 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [37]). 41 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 31. 8. 1892 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [13]. 42 Vgl. Brief Thekla Müllers an Hermann und Emma Werner vom 14. 5. 1893 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [19]); Brief Coelestine von Schlümbachs an Hermann Werner vom 15. 5. 1893 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [20]).

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er selbst gerade von der Beerdigung eines achtzehnjährigen Mädchens, wo er über 1. Thess. 4,13–18 gesprochen hatte – Verse, die ihm auch jetzt zum Trost wurden. Den Eltern im unmittelbaren Eindruck dieser Nachricht schreibt er in Anlehnung an Vers 18: »da giebts kein besseres Wort; als hebet Eure Augen auf u. sehet Jesum an u. dort bei Ihm nach Seiner Verheißung unsere selig Entschlafenen!« Und an den Witwer Wolfgang richtete er die Worte: »Dich kann ich nur trösten mit der Bitte; halte deine Augen fest auf den Meister u. Herrn! Der giebt dir, als Gott Allen Trostes, wie du wohl weißt, Trostkraft in Fülle! Auf denn – wir gehören zu denen die wahrlich Lebenshoffnung (die herrliche Gottesgabe!) nicht entbehren, wir wissen wohin zu gehen um Frieden zu besitzen! Dem treuen Jesus sei Preis und Dank! [. . .]es gilt eben da aufs Neue den heiligen Glauben bewahren u. zu beweisen daß das Christenthum gerade in solchen Fällen des Lebens eine [. . .]kraft ist u. uns beseligt in That u. Wahrheit! Für die Kleinen schreit auch mein Herz zu Gott in dieser Stunde mit tiefer Inbrunst, kurz mit Allem Leid [. . .] zum Herrn, der wird sicher halten!«43

Über den Verlust seiner Tochter kam Schlümbachs Schwager Hermann nicht mehr hinweg. Vielmehr begann für ihn nun auch eine Phase körperlicher Hinfälligkeit und Krankheit. Aus der Korrespondenz dieser Zeit lassen sich zwei theologische Phänomene bei Schlümbach beobachten, die vorher so nicht festzustellen waren. Zum einen ist ein deutlicher Einfluss der auf vielerlei Weise mit der Heiligungsbewegung vernetzten Heilungsbewegung spürbar, die die tatsächliche Heilung durch den Glauben betonte. Zum anderen findet sich nun eine stark intensivierte Naherwartung. So antwortet Schlümbach im Frühjahr 1896 auf einen Leidensbrief seines Schwagers: »Es ist ja ein so köstliches Ding seine Hoffnung auf Ihn zu setzen u. an Seinen Verheißungen sich festzuankern! Er hilft uns auf! Das habe ich so oft erfahren u. noch niemals hat der treue Gott mich verlassen. Sei ganz unverzagt Er errettet Dich auch aus dieser Trübsalshitze! Wir wollen recht anhalten zum Gebet! Erst vor 4 Wochen erlebte ich eine solche Gebetshülfe vom Herrn bei einer Frau die in den letzten Zügen lag, die Ärzte hatten alle Hoffnung aufgegeben, Mutterleiden, Blutungen ohne Ende u. s. w. wir flehten zu Christus u. er erhörte unser Schreien, die l. Frau ist jetzt wieder auf u. munter; sie war gesund zur selbigen Stunde! Sein Wille geschehe! Das ist ja allerdings die Grenze, wo wir stillhalten müssen, aber Sein Wille ist ja auch: ›daß ich Dir helfe!‹ Also fasse frisch an l. Hermann u. wo zwei eins werden in einer Sache [immer wieder!] im festen Glauben da giebt Er so gerne! Ich hoffe recht bald von Dir zu hören, daß Du wieder gesund bist! Hilf uns der treue Gott! sei unser Flehen! In m. schweren hiesigen Arbeit da lerne ich ja täglich was es heißt auf den Herrn trauen! u. je mehr ich Gemeinschaft mit Ihm habe, desto köstlicher wird mir die Thatsache: daß Jesus lebt u. gerne hilft, denen die Seiner harren! Er kommt bald selber u. dann ist das Leben voll43 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 26. 4. 1893 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [16]).

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kommen da, jetzt ist es verborgen in Ihm! Ich sehne mich ja mehr u. mehr nach Seiner Gegenwart u. erwarte Ihn von Tag zu Tag! Ich wollte nur Du könntest Blumhardt sehen in Boll, der ist auch wie ich sehe, weit vorgerückt in der Erkenntnis des Königs u. Seines Reiches! besonders wichtig für Dich in dieser schweren Zeit für Euch, wäre seine Anschauung über die Güter der Zeit, sei getrost er läßt es Dir nie mangeln, erhoffe den 23 Psm. u. bete gläubig, ›mir wird nicht mangeln [corr:‹]. Was habe ich doch da erlebt, in den letzten Jahren besonders! Das ›nie‹ Gottes ist eine Trostverheißung sonder Gleichen! Blicke nur auf Jesum!«

An Emma richtet er die Worte: »Er wird Dir geben um was Du Ihn bittest u. das Leben Deines Geliebten bleibt Dir erhalten!«44 Das Thema der Glaubensheilung und der explizite Verweis auf Blumhardt deuten an, dass Schlümbach Einflüsse der in den USA von den 1880er Jahren an sich entwickelnden Heilungsbewegung rezipierte, eventuell auch eigenständig deutsche Vorläufer und amerikanische Ausprägung zueinander brachte.45 In einem Brief an Hermann Werner ein halbes Jahr später führt Schlümbach diese Linie weiter: »Wir gedenken Deiner täglich beim Gebet u. legen Dich zu Seinen Füßen nieder, daß Er Dich gesund mache, Sein Wille geschehe! Ach daß Er Dich doch bald befreie von Deinen Leiden u. noch recht viele Jahre gesund in der Mitte Deiner Lieben lasse! Jesus rettet! Jesus hilft! Ich weiß es aus Erfahrung u. habe auch hier schon manches Wunder seiner Kraft erlebt. Sei unverzagt u. harre auf Ihn, Er wirds wohl machen. Wir Alle haben Dich auf uns. Herz gebunden u. beten für Dein Gesundwerden! Es ist ja so schwer für Dich ich weiß das wohl, der Du so eifrig u. fleißig warst Dein Leben lang, nun gleichsam in die Rumpelkammer geworfen zu werden, aber sei getrost, der treue Heiland weiß, warum Er es zuläßt, u. die Zukunft wird es auch Dir offenbaren! Haltet fest am Glauben an die rettende Kraft Jesu Christi, schon jetzt! Ich kenne seine Wunderkraft u. flehe ihn an, daß Er auch an Dir jetzt seinen Namen verherrliche, der da heißt: Wunderbar! Es ist für Ihn etwas Geringes dich heraus zu reissen u. ich weiß Er hätte es längst gethan, wenn nicht Seine göttl. Weisheit Dinge für Dich bereiten will, die eben nur durch solche Prüfungen reifen können. Wir aber wollen nicht müde werden Ihn anzuflehen, daß Er helfe nach Seiner Verheißung! Forschet recht in der Schrift nach denselbigen u. klammert Euch daran fest! Das hilft zum Siegen! zu Trost u. Kraft, zum Leben!«46

Die Möglichkeit, dass es auch keine Heilung geben könne, klingt nicht einmal an. Dieser Optimismus auf persönlicher Ebene steht in eigenartiger Spannung zu dem mehrfach angeklungenen Pessimismus in größeren Bezügen, der sich in Schlümbachs akuter, in diesem Brief aber nicht geäußerter

44 Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 19. 5. 1896 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [30]). 45 Zur Heilungsbewegung vgl. Holthaus: Heil, S. 333–362. 46 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner von 28. 1. 1897 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 [32]).

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Naherwartung andeutet. Was Schlümbach nicht wusste: Hermann war am Tag, bevor er diesen Brief schrieb, gestorben. Persönlich war Hermanns Tod für Schlümbach ein großer Verlust. Er schreibt seiner Schwester, dass er vor keinem Menschen so viel Hochachtung gehabt habe wie vor seinem Schwager und in keinen Freund größeres Vertrauen gesetzt hätte. »Gottlob daß wir Alle in uns. Trauer auch die Freude des zukünft. Wiedersehens haben! Ich meine es ist viel näher von hier zum Himmel als nach Markgröningen u. fühle als sei mir der l. Hermann näher gerückt!«47 Mit Hermann Werner war für Schlümbach eine der wesentlichen Brücken nach Deutschland abgebrochen. Da Werners ihm Geld geliehen hatten, das er über Falck in Hamburg verzinst zurückzahlte48, hatte die Beziehung zu seinen Verwandten auch eine etwas geschäftsmäßige Note bekommen. Er schreibt, ein Brief von dort schenke ihm aber trotzdem immer ein Stück neues Leben. Bis auf seine Nichte Toni hatte Schlümbach allerdings nicht mehr viel Kontakt mit der alten Heimat. »Ich fühle oft als sei ich so eine alte Wurzel eines abgehauenen Baumes u. stehe einsam in einer Ecke, vergessen u. am Verenden!«49

3.4 Freunde in Europa Ein ähnliches Gefühl äußert sich ein einem Brief, den Schlümbach im Oktober 1899 an einen Freund im Londoner CVJM schrieb: »Mein lieber Bruder! Herzlichsten Dank für deinen lieben Brief, er war mir ein rechtes Labsal der Seele, denn ich stehe so still und einsam in meiner Arbeit des Herrn, dass ich mich immer freue, wenn ein lieber Bruder mein gedenkt und der alte Geistesverband brieflich erneuert wird. Ja es ist ja Vieles anders geworden, doch das Eine bleibt, die innere Verbindung in und durch Jesum, wenn auch äussere Dinge und Anschauungen wechseln, im Herrn findet sich das Herz wieder in alter Liebe mit den Gleichgesinnten. Mein vieles Schwere, das ich seit unserem letzten Zusammentreffen durchgemacht, hat mich unendlich viel näher zu Ihm hingetrieben; und geniesse ich Seine Gnade mehr als je, hänge auch ganz und gar nur von Ihm ab! Aeusserlich, d. h. amtlich, stehe ich auf einem Missionsposten, der schlimmer ist als unter den Wilden! Das ist aber sehr gut, denn hat man es nur mit Gläubigen zu thun, dann wird man ›weichlich‹ und ein47 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner und Familie vom 13. 2. 1897 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [33]). 48 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner und Verwandte vom 29. 9. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [27]). 49 Brief Friedrich von Schlümbachs an Antonie Werner vom 17. 5. 1898 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [35]).

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seitig, so aber ist man täglich im Strom der Zeit und hat bittere Kämpfe und schwere Arbeit, da gilt es fest stehen und ist der innere Mensch durchleuchtet und seiner göttlichen Sache sicher, dann hat's nicht Not! In den Mitteldingen stehe ich freier, weil ich zur Einsicht kam, dass der Mensch auch von der menschlichen Seite aus betrachtet werden muss, und nach seiner Erziehung und Umgebung nach zu behandeln ist, wir schreiben da oft dem Heiligen Geist zu viel Gesetze des Wirkens vor, während Er doch nur nach den Gesetzen der göttlichen Freiheit wirkt! Es ist mir immer mehr klar, dass die grosse Heuchelei unter den Frommen darin wurzelt, dass sie Formeln machen, die ihnen selbst Lasten sind, und die kindliche Freiheit der Gotteskinder zerstören, so dass die innere Gemeinschaft oft sehr gestört wird mit dem Vater und eine Angst und Furcht zeitigt, die doch nie mit der Liebe zu Ihm vereinbar ist. Ich harre wie du des Herrn und zwar mit Seufzen! Herr, komme recht bald! Denn ich glaube nie und nimmermehr, dass die Kirche in ihrer Allgemeinheit etwas ausrichten kann, bis Er da ist! Von meinem stillen Winkel aus sehe ich so nüchtern ein, dass das jetzige Christentum »viel Geschrei und wenig Wolle« hat und der lästige Streit zwischen den Denominationen ist in meinen Augen teuflisch! Mein Kranksein hält mich auch leiblich so, dass ich täglich bereit sein muss das Finis zu hören ›welches auch viel besser wäre!‹ Doch kümmere ich mich um Nichts, nur ›mit Christo‹ allezeit ist mein Losungswort. Ich erhalte die Zeitungen des Vereins und bin dafür sehr dankbar. Ich freue mich stets darüber, dass London das göttliche Werk oben anstellt; was ich hier sehe, gefällt mir oft gar nicht, ich wenigstens könnte mich nicht mehr begeistern für derartige Vereine, es ist ja grosses Hallo, aber - nun ich will nicht urteilen, stehe nicht nahe genug, der Herr wird's schon auch da gut machen! Aber kommen muss Er, sonst wird wohl der Abfall noch übermächtig, aber Er ist nahe! Grüsse die lieben Deinigen herzlichst von mir! Ich lebe jetzt sehr glücklich in meiner Familie! Alles Schwere der Vergangenheit liegt auf Ihm! Ich aber als armer Sünder liege sicher in Jesu Armen! In treuer Liebe, dein Fritz v. Schl.«50

Wie bereits aus dem Briefanfang anklingt, hatte Schlümbach kein aktives Netzwerk an transatlantischen Kontakten mehr, sondern stand in den 1890er Jahren relativ allein. Zum Teil waren deutsche Freunde wie Christlieb und Oertzen bereits gestorben, zum Teil hatten aber auch die gescheiterten Seminarpläne Schlümbachs in Texas zahlreiche Gönner verärgert und von ihm entfremdet. Schließlich trug auch seine Scheidung dazu bei, dass er in Deutschland in Misskredit geriet. Daneben gab es Gerüchte, Schlümbach habe später (nicht näher benannte) Irrlehren vertreten. So heißt es bei Hedwig von Redern und Ulrich von Hassel, Schlümbach habe in den 1890ern vorübergehend »in allerlei Irrtümern« gesteckt, sei aber im Glauben heimgegangen.51 Elisabeth von Waldersee berichtet, es hätten allerlei »unfreundli50 Dieser Brief wurde nach Schlümbachs Tod in mehreren Organen veröffentlicht, so im Londoner Vereinsblatt des deutschen CVJM vom 1. 9. 1901, S. 2 und im Wegweiser zur Heiligung 1902, S. 86–87. 51 Vgl. Redern: Ruf, S. 48; Hassel: Rothkirch, Anm. S. 94.

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che Gerüchte« über Schlümbach kursiert.52 Oft ist zu lesen, Schlümbach habe »moralisch Schiffbruch erlitten«. Adolf Stoecker schreibt im Jahr 1906 über Schlümbach: »Daß dieser hochbegabte Mann später in Amerika in einen ungeistlichen und weltlichen Lebenswandel verfiel, mitsamt seiner Gemeinde von der Synode ausgeschlossen wurde und den Christen von Cleveland schweres Ärgernis bereitete, ist einer der größten Schmerzen meines Lebens.«53 Obwohl Stoecker 1893 in Amerika war, da Moody ihn eingeladen hatte, mit ihm Versammlungen auf der Weltausstellung in Chicago zu halten, scheint es nicht zu einem Wiedersehen zwischen ihm und Schlümbach gekommen zu sein.54 In einem Brief, in dem der Stuttgarter CVJM – der Vereinssekretär Wilhelm Elsässer arbeitete an einem Lebensbild Schlümbachs – nach dem Tod Schlümbachs versuchte, Informationen über seine letzten Lebensjahre und seine Gemeinde in Cleveland zu bekommen, heißt es, dass Schlümbach unter den Deutschen der Stadt eine bekannte Persönlichkeit gewesen sei und »Lieberaler [sic] Pastor«, der bei allerlei gesellschaftlichen Anlässen, wie zum Beispiel dem Turner-Basar, Reden hielt. Zusammen mit zwei anderen unabhängigen evangelischen Gemeinden rechnete der Berichterstatter Zum Schifflein Christi zu den »offenbare[n] Freisinnige[n] Gemeinden«. Mit den Pastoren der anderen beiden freien Gemeinden habe gelegentlich ein Kanzeltausch stattgefunden.55 Ob die freiere Stellung zu den Möglichkeiten des gesellschaftlichen Lebens, wie sie Schlümbach im vorstehenden Brief skizzierte, zu diesem Ruf seiner Gemeinde beigetragen hatte? Denn aus seinen Briefen ist zu ersehen, dass diese äußere Freiheit bei Schlümbach mit tiefer Spiritualität verbunden war, die gewiss nicht »freisinnig« war und durch die er auch seine Gemeinde prägte. Dennoch hatte es bereits an anderer Stelle geheißen, dass er nicht dogmatisch oder gar doktrinär war, was das vorstehende Urteil befördert haben könnte. 3.5 Gemeinde und Gesellschaft Dass das Kulturelle in seiner Gemeinde einen hohen Stellenwert hatte, davon zeugen auch Äußerungen Schlümbachs über seine Gemeindearbeit in privatem Kontext. »Wir erstreben Liebe zu höherer Musik u. Verständniß

52

Vgl. Waldersee: Klarheit, S. 266. Seeberg: Reden, S. 134. 54 Vgl. Oertzen: Stoecker I, S. 67–78. Gleichwohl sagte Stoecker später über Schlümbach: »Ich habe nie wieder so leuchtend und zündend vom Heiland reden hören wie von ihm«; Seeberg: Reden, S. 134. 55 Vgl. Brief J. H. Hemsaths an Ch. Dietrich vom 26. 11. 1901 (Archiv des CVJM Stuttgart). 53

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für das Schöne u. Edle!«, schreibt er nach Deutschland.56 Regelmäßige Konzerte und große Festivitäten waren daher zum festen Bestandteil des Gemeindelebens geworden. 20 Musiker – nach Schlümbach »die besten der Stadt«57 – und 50 Sänger boten wohl Musik auf recht hohem Niveau. 10 Cent Eintritt wurden genommen, was aber kaum die Kosten deckte. Vielmehr wurden auf diese Weise Menschen mit der Kirche bekannt und lernten sie schätzen, was sich langfristig auf anderen Wegen bezahlt machte. »In Amerika muß man eben zu allerlei Mitteln greifen um die Kirche aufrecht zu erhalten, sonst geht Alles rückwärts.«58 Denn »es ist ja nicht leicht in Amerika eine Gemeinde zu führen, besonders wenn sie so verschuldet ist, wie die Meinige. Das Element der Deutschen das sich hier überhaupt zur Kirche hält ist von Haus aus roh u. ungebildet u. will geleitet sein wie die Kinder. Trotzdem ist es ein Segen Gottes an solchen Seelen arbeiten zu dürfen u. man weiß, daß man wahre Mission treibt.«59 Doch »oft will schier der Muth sinken, aber der Herr ist nahe! Hallelujah!«60 War Schlümbach gesundheitlich stabil, so konnte er sich engagiert in die Arbeit werfen. Aber er merkte doch, dass mit zunehmendem Alter die Kräfte schwanden und ihm die Arbeit immer schwerer fiel.61 Es half ihm aber, dass die Gemeinde stets verständnisvoll reagierte, auch wenn sie sich keinen Vikar zur Entlastung leisten konnte. Was sein Predigtamt besonders erschwerte, waren sein schlecht gewordenes Gehör und seine »zerrütteten Nerven«. Doch »wie es der l. Gott macht ist es mir recht, ich folge Jesus«. Denn »das Predigen macht mir große Freude, u. des Herrn Licht leuchtet mächtiger Herein als je zuvor!«62 Im Mittelpunkt seiner Predigten stand Christus: »Seit 1½ Jahren predige ich nur über Jesus, den Fürsten des Lebens!«63 Auch seine Familie war in die Gemeindearbeit involviert. Am 20. April 1894 bereitete der Frauenverein der Gemeinde eine Überraschung für Alwine, die von 80 Damen zusammen mit Friedrich zu einem Kaffeetrinken in den großen Saal geführt wurde. Im Rahmen der Feier bekam sie ein Porzel56 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 21. 4. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [26]). 57 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 21. 4. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [26]). 58 Undatierter Briefanhang (Sept. 1897?) (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [38]). 59 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 25. 6. 1893 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [21]). 60 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 21. 4. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [26]). 61 Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner vom 22. 1. 1900 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [1]). 62 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 20. 1. 1896 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [28]). 63 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner von 28. 1. 1897 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [32]).

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lan-Service geschenkt, und Friedrich freute sich, wie beliebt seine Frau in der Gemeinde war. Vor allem im Bereich der Musik engagierte sie sich, indem sie den Klavierunterricht im Rahmen der Sonntagsschule leitete und im Chor mitsang.64 Sowohl die größeren Kinder Carl Groewolds als auch Alex und Minna gingen bei Schlümbach in den Unterricht »über allerlei Wissenswerthes, es thut Ihnen gut«.65 So lange wie in Cleveland hatte Schlümbach noch in keiner Gemeinde gewirkt. Doch auch im kulturellen Leben der Stadt war Schlümbach aktiv. Er war Mitglied in einigen den schönen Künsten zugetanen Vereinen und gehörte zu den Organisatoren eines großen Sängerfestes im Juli 1893.66 Äußerte er sich zur Tagespolitik, war seine Hoffnung resignativ auf die baldige Wiederkunft Christi gerichtet.67

4. Lebensende 4.1 Krankheit und Tod Im Mai 1901 erkrankte Schlümbach schwer. Sein rechter Fuß hatte sich entzündet und verschlechterte sich zusehends, eine Begleiterscheinung der Diabetes, an der er seit längerem litt. Am Donnerstag, dem 23. 5., trat kurzzeitige Besserung ein, aber bereits am folgenden Samstag hatte sich der Zustand so verschlechtert, dass aufs Neue die Ärzte konsultiert werden mussten. Diese sahen die einzige Chance, Schlümbachs Leben zu retten, in der Amputation des rechten Beines. Am Montag, dem 27. 5., wurde er in das Lakeside Hospital überführt, um von Dr. Allen und dem Familienarzt Dr. Macks operiert zu werden. Schlümbachs Familie war auf das Schlimmste gefasst. Am Sonntag waren noch mehrere hundert Menschen im Vereinshaus erschienen, um sich nach dem Befinden des »geliebten Pastors« – so der Wächter und Anzeiger – zu erkundigen und schwer betroffen, als sie hörten, wozu er sich entschieden habe. Ein Reporter des Wächter und Anzeiger wurde zum Kran64 Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 21. 4. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [26]). 65 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Emma Werner und Verwandte vom 29. 9. 1894 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [27]). 66 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 25. 6. 1893 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [21]). 67 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Familie Werner vom 5. 9. 1893 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 1890–1899 [22]). 1 Vgl. Brief Friedrich von Schlümbachs an Hermann Werner vom 11. 7. 1896 (ArchFam., Sign. 4 I 7/4 [31]).

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kenbett vorgelassen und fand Schlümbach »geistig so frisch wie immer, todesmuthig und ergeben in sein Schicksal, über das er sich natürlich keinen Illusionen hingab. Beim Abschied trug er Grüße an all’ seine Freunde auf und eine schwere Thräne rollte ihm über die Wange, als er den Abschied mit einer Handbewegung begleitete«.1 Dass von den letzten Lebenstagen Schlümbachs nur öffentliche Zeugnisse in Form von Zeitungsartikeln existieren, gibt den Texten die vorstehende stilistische Note, entspricht aber auch dem, dass die Familie Schlümbach sich durchaus bereitwillig der Öffentlichkeit mitteilte. Als Schlümbach sich am nächsten Tag im Krankenhaus den eben genannten Artikel vorlesen ließ, bemerkte er gegenüber seiner Frau, dass es ihn von ganzem Herzen freue, nicht ohne Freunde in den Tod gehen zu müssen. »Dabei konnte er die Thränen und auch nicht das Gefühl zurück halten, daß er nur ungern von dem Leben Abschied nehme, er, der, wie er sagte, in zwanzig Schlachten gefochten, und nun auf so unrühmliche Weise sein Bein verlieren müsse. Im demselben Augenblicke scherzte er wieder und faßte das ihm Bevorstehende vom philosophen [sic] Standpunkte auf; seine Umgebung mehr tröstend als sich selbst trösten lassend.«2

Da die Operation bis Dienstagmittag noch nicht stattgefunden hatte, spekulierte der Wächter und Anzeiger, ob man doch noch andere Therapien gefunden habe, die lebensgefährliche Entzündung zu behandeln. Doch die Beratung der Ärzte am Dienstagmittag ergab, dass die Amputation unumgänglich sei, sodass man keine Zeit mehr verlor und zur Operation schritt. Am Nachmittag war Schlümbach bereits aus der Narkose erwacht und machte einen stabilen Eindruck. Seine Frau war wieder an seiner Seite, und Schlümbach gab ihr Zeichen, dass er die Hoffnung noch nicht aufgegeben habe. Gegen 23 Uhr meinte er, es sei besser, wenn sie die Nacht über nachhause ginge. Zwanzig Minuten später war er an Herzversagen gestorben. 4.2 Posthum Der ausführlich berichtende Wächter und Anzeiger sprach am nächsten Tag sowohl Familie als auch Gemeinde sein herzliches Beileid aus und brachte neben einem Lebenslauf eine sehr anerkennende Würdigung des Charakters und Wirkens Friedrich von Schlümbachs:

1 Vgl. [o.N.]: Rev. v. Schlümbach. Eine schwere Stunde, die ihm und den Seinen bevorsteht. In: Wächter und Anzeiger vom 27. 5. 1901, S. 2. 2 Vgl. [o.N.]: Fr. Schlümbach. Ein thatenreiches, hochveranlagtes Leben beendet. In: Wächter und Anzeiger vom 29. 5. 1901, S. 3.

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»Wer mit ihm näher Umgang gepflegt und ihn bei Erzählerlaune antraf, der weiß, welche Fülle von Lebenserfahrungen mit ihm in’s Grab sinkt. Unerschöpflich war der Brunnen, aus dem er schöpfte, und da er die seltene Gabe des Humors besaß, so war jede Erzählung für den Zuhörer eine unterhaltende, erheiternde Belehrung. Mit Schlümbach ist ein großes Licht verloschen. Daß er sich bei seinen reichen Gaben nach Amerika verpflanzte, mag deren Entfaltung hinderlich gewesen sein, doch schätzten ihn Alle, die ihn kennen lernten, nichtsdestoweniger. Jeder nahm von ihm die Ueberzeugung und das Gefühl fort, daß er mit einem seltenen und genialen Mann zusammengekommen. Seiner ganzen Veranlagung nach ein Volksmann, wußte er in all seinen Reden und Ansprachen den einfachsten und natürlichsten Ton anzuschlagen; ihm war alle Affektirtheit, alle Heuchelei, alle Unnatur an und im Menschen ein Greuel. [. . .] Ein Gesellschafter ersten Ranges wußte er sich in allen Kreisen zu bewegen und sich zum Centrum zu machen, ohne es zu wollen. Wo er sich bewegte, war frische Luft, große Auffassung, Streben nach dem Guten und Schönen. Er ist kaum nach dem, was er dem Deutschthum war und was er für dasselbe hätte sein können, geschätzt worden und es war sein Bedauern, daß er so wenig Gelegenheit erhielt, sich hervorzuthun. In den letzten Jahren lähmte Krankheit des öfteren seine Kräfte, aber gelegentlich kam doch immer wieder der alte Schlümbach hervor, die urkräftige, geniale Natur, die sich für Alles begeistert, was es Hohes im Leben giebt, anfeuernd, sich anfeuern lassend, das Gute anerkennend, wo es sich zeigte, über Schwächen milde lächelnd. Die Zahl seiner Freunde und Verehrer war Legion, er zählte solche auch unter denen, die in ihm nicht den Pastor sahen, sondern den Menschen und hochbegabten Mann, der mit der Feder ebenso eindrucksvoll sein konnte, wie mit dem Worte.«3

Die Gemeinde zum Schifflein Christi habe »einen idealen Pastor verloren und ideale Pastoren, welche dem Leben keiner [sic] schablonenhaften Inhalt zu geben suchen, sind selten«.4 Von Donnerstagnachmittag an sollte der Leichnam in der Kirche zum Schifflein Christi aufgebahrt sein, am Freitag, dem 31. 5., die Beerdigung von dort aus stattfinden. Schlümbach hatte verfügt, dass er kein »Gepränge« bei seiner Beerdigung wünsche, aber der Wächter und Anzeiger vermutete, dass sie aufgrund der zu erwartenden Menschenmassen doch zu einer »großen deutschen Demonstration« werden würde. Als Geistlichen für die Trauerfeier hatte sich Schlümbach Rev. Dr. Friedrich Müller aus Pittsburgh ausersehen, mit dem er seit seiner Zeit in Baltimore freundschaftlich verbunden gewesen war. Die Kirche konnte die zur Trauerfeier Erschienenen nicht einmal zur Hälfte aufnehmen. Da Schlümbach nicht nur in seiner Gemeinde, sondern auch im öffentlichen Leben aktiv gewesen war, erschienen Menschen aus allen Schichten, sogar einige Farbige, was als Besonderheit vermerkt wurde. Während des Orgelvorspiels zogen der Memorial Posten der Grand Old Army 3

[O. N.]: +Pastor von Schlümbach. In: Wächter und Anzeiger vom 29. 5. 1901, S. 2. [O. N.]: Fr. Schlümbach. Ein thatenreiches, hochveranlagtes Leben beendet. In: Wächter und Anzeiger vom 29. 5. 1901, S. 3. 4

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of the Republic, die Pastoren der Stadt und die Familie des Verstorbenen in die Kirche ein. Der Sarg und der gesamte Altarraum waren reich mit Blumen geschmückt; die Vereine der Gemeinde hatten jeweils eigene Gestecke binden lassen. Auch von sonstigen Vereinigungen, in denen Schlümbach tätig gewesen war, waren Gebinde gekommen: vom Geneva Hotel-Verein, dessen Kaplan Schlümbach gewesen war, und vom deutschen Theater-Verein. Vor dem Sarg war der Spruch, der sich am Sterbetag auf Schlümbachs Tageskalender befunden hatte, angebracht: »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren« (Lk. 2,29). Schlümbach hatte Pastor Müller zwei Jahre zuvor das Versprechen abgenommen, ihm die Leichenrede über 1. Timotheus 1,15 zu halten: »Denn das ist ja gewißlich wahr und ein theuer wertes Wort, das Jesus Christus gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin.« Dieser kam seinem Versprechen nach und handelte sicher ganz im Sinne seines Freundes, seine Predigt auf die geistliche Auslegung dieses Bibeltextes zu beschränken. Viele wird er damit überrascht haben, und auch der Wächter und Anzeiger schreibt, daß wohl die meisten »einen Tribut der großen Vielseitigkeit des Verstorbenen, seiner leuchtenden Begabung und seinen seltenen guten Charaktereigenschaften, seiner angesehenen Stellung im öffentlichen Leben, seiner weitherzigen Toleranz, seinem innigen Verhältniß zu seiner im Selbstdenken und nicht in starrer Orthodoxie von ihm erzogenen Gemeinde und vor allem zu seiner Gattin, die ihm im Leben eine treue Gehülfin in allem Guten und Schönen gewesen« erwartet hatten. Sein Lebenslauf wurde in knapper Form auf Deutsch und Englisch verlesen; weitere Elemente waren eine Lesung aus dem 103. Psalm und die Lieder »Selig, Selig« durch den Kirchenchor und »Es ist bestimmt in Gottes Rath« durch ein Streichquartett. Das Defilee am Sarg vorbei dauerte 45 Minuten, daraufhin wurde er unter dem Geleit des Kirchenrates aus der Kirche getragen und auf den Friedhof in der Eriestraße überführt. Die Bestattung dort wurde von den Veteranen der Grand Old Army geleitet. Auch diese letzte Szene brachte die Verbindungslinien und Spannungen in Schlümbachs Leben noch einmal bildlich zum Ausdruck: Sein in den preußischen Talar gekleideter Leib wurde unter dem Baldachin der gekreuzten Sternenbanner in die Erde gesenkt.5 Sein Grabstein sollte die Aufschrift »1. Tim. 1,15–16« erhalten. Nachrufe erschienen – abgesehen von der lokalen Presse – vor allem in Vereinsblättern der CVJMs, die sich Schlümbach besonders verbunden wussten. Der Monatliche Anzeiger des CVJM Berlin druckte im Juli die Todesanzeige von Schlümbachs – »Begründer unseres Vereins, unser Ehren-

5 Vgl. [o.N.]: Unterm Sternenbanner. Die sterblichen Ueberreste von Pastor v. Schlümbach beerdigt. In: Wächter und Anzeiger von 1. 6. 1901, S. 6.

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mitglied« – und hoffte für eine der nächsten Ausgaben auf nähere Informationen.6 In der nächsten Ausgabe brachte man einen ausführlichen Artikel aus der Feder von Theodor Jellinghaus mit persönlichen Erinnerungen an Schlümbach.7 Anerkennend schreibt er, dass man in Deutschland damals »zum erstenmale einen leibhaftigen, von Gott wirklich mit Geistesgaben ausgerüsteten Evangelisten« gesehen und gehört habe. Jellinghaus hat die »feste Hoffnung« – auch angesichts der Ehescheidung, die er nicht billigen könne –, »daß der Heiland, der ihn sich erwählet hatte, und dem er, als einer, der viele zum Leben geführt, treu gedient hat und dem er treu bleiben wollte, seine Barmherzigkeit und Gnade nicht von ihm gewendet hat und daß ich ihn im Himmel wiedersehen werde bei denen, die überwunden haben durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses.« Das Londoner Vereinsblatt des deutschen CVJM würdigte in einem anderthalbseitigen Artikel die herausragende Bedeutung Schlümbachs für die Entwicklung der dortigen Vereinsarbeit, brachte auch einen knappen Lebenslauf und den oben8 zitierten Brief von 1899.9 Im Jünglingsboten, der von 1900 an weitaus weniger international berichtete, als er es bisher getan hatte, gab es 1901 keinen Nachruf auf Schlümbach. Der Christliche Apologete hingegen druckte einen Nekrolog, auch wenn Schlümbach schon vor 18 Jahren die Bischöfliche Methodistenkirche verlassen hatte. Neben einer kurzen Skizze seines Lebens mit »Abenteuerlichkeiten genug für einen interessanten Roman« wird dort ein durchaus kritisches Fazit seiner Tätigkeit gezogen. Für den YMCA »war seine Arbeit [. . .] nicht ganz ohne Erfolg, aber er besaß zu wenig Organisationstalent, um etwas Bleibendes zu schaffen. Er galt als Volksredner, der die Massen zu interessieren und zu unterhalten verstand. Seine Lebensweise und sein Verhältnis zur Kirche war schon vor seinem Austritt derartig, daß dieser letzte Schritt niemand überraschte. Er war wie ein Komet am Kirchenhimmel erschienen und nach kurzem Lauf im Dunkel verschwunden. In sofern er Segen gestiftet hat, wird ihm jetzt der Lohn der Gnaden zuteil werden.«10

6

Vgl. Monatlicher Anzeiger des CVJM Berlin 1901 Nr. 7, S. 4. Vgl. Beilage zum Monatlichen Anzeiger des CVJM Berlin 1901 Nr. 8. Jellinghaus hatte Schlümbach 1882 beim Nationalfest am Hermannsdenkmal kennengelernt. Danach trafen sie sich in Berlin wieder, und Schlümbach war auch bei Jellinghaus in Gütergotz zu Gast. Dort begleitete ihn Jellinghaus seelsorgerlich in einer Phase schwerer Anfechtungen, von der er betont, wie demütig und aufrichtig Schlümbach gerungen und gekämpft habe. Da Schlümbach in Amerika nicht zu Klarheit in der Lehre von der Heiligung gefunden hatte, lud Jellinghaus Schlümbach ein, ein Vierteljahr bei ihm zu verbringen, um gemeinsam die Bibel zu studieren. Das kam aber nicht zustande. 8 Vgl. Kap. 3.4. 9 Vgl. W.: Friedrich von Schlümbach. In: Londoner Vereinsblatt vom 1. 9. 1901, S. 1–2. 10 Nachruf auf Friedrich von Schlümbach. In: CA 1901, S. 711. 7

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Zusammenfassung

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5. Zusammenfassung Die 1890er Jahre waren geprägt durch eine deutliche Verringerung von Schlümbachs Aktionsradius und einen stärkeren Rückzug ins Private. 1890 wurde er von der Evangelischen Synode berufen, einer überschuldeten Gemeinde in Cleveland aus ihrer Not zu helfen. Durch Überarbeitung der Finanzierungskonzepte, Ermutigung der Gemeinde nach innen und öffentlichkeitswirksame Tätigkeit nach außen gelang es Schlümbach, der Gemeinde eine Zukunftsperspektive zu verleihen und notwendige Spenden zu sichern. Schlümbachs Sicht auf die Ursache und auf die Lösung des Problems zeigt sich in charakteristischer Weise darin, dass er die mit dieser Sache befasste Arbeitsgruppe »Evangelisations-Komitee« nannte. Aufgrund der guten Zusammenarbeit wurde Schlümbach von der Gemeinde schließlich zu ihrem Pastor ernannt. Diese Tatsache brachte ein Jahr später große Probleme mit der Evangelischen Synode mit sich, da Schlümbach die Scheidung von seiner Frau Coelestine einreichte, die nach ihrer schon lange zerrütteten Ehe nicht mit nach Cleveland gekommen war. Wegen der Ehescheidung musste Schlümbach die Pastorenschaft der Evangelischen Synode verlassen; seine Gemeinde aber war nicht bereit, ihn ziehen zu lassen. Daher trat sie schließlich aus der Evangelischen Synode aus und war von nun an unabhängig. Sie bewegte sich zwar weiter auf einer unierten Grundlage, verkörperte aber letztlich die freie Stellung, die Schlümbach angesichts des Unfriedens zwischen den Konfessionen am nächsten lag. Die Gemeindearbeit strukturierte er nach einem Vereinsprinzip, in dem er für die einzelnen Gruppen die besten Wirkungsmöglichkeiten sah. Er pflegte eine offene Gemeindeatmosphäre, in der Kulturelles, vor allem die Musik, einen hohen Stellenwert hatte. Daneben traten mehrmals jährlich große Feste und Basare. Hierüber erreichte die Gemeinde regelmäßig Menschen über den engeren Kreis der Mitglieder hinaus und konnte auch ihren Gemeindehaushalt stabilisieren. Wie schon in seinen früheren Gemeindetätigkeiten sorgte er auch für eine attraktive Ausgestaltung der Räumlichkeiten. Großen Wert legte er nach innen auf die Erziehung der Gemeindglieder zu eigenständigem Denken und Handeln. Wegen dieser Weitherzigkeit erfreute sich Schlümbach auch in der Stadt einiger Beliebtheit. Über Cleveland hinaus wirkte er so gut wie gar nicht mehr. In familiärer Hinsicht entwickelte sich für Schlümbach ein ganz neuer von Beschaulichkeit geprägter Bezugsrahmen. Seine zweite Ehe, die er 1892 einging, war glücklich. Der 1894 geborene Sohn Friedrich Carl wurde für Schlümbach ein wesentlicher Lebensinhalt. Hinzu kamen sein Bruder mit seiner Familie und seine Halbschwester Mina, die nun auch in Cleveland lebten. Durch seine Briefe zieht sich die stetige Freude an seinem harmonischen Hausstand. Lediglich die finanziellen Belastungen, die sich aus der

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missglückten Seminargründung in Texas und der Scheidung ergeben hatten, drückten schwer. Überschattet wurden die letzte Lebensjahre Schlümbachs allerdings auch vom Tod seines Sohnes Alexander 1898 und zunehmender Krankheit, während derer sich Schlümbach für die Anschauungen der Heilungsbewegung öffnete. Außerdem lebte er in einer intensiven Naherwartung. Alte Kontakte nach Deutschland bestanden kaum noch. Dort kursierten – hervorgerufen durch die Scheidung und die missglückte Seminargeschichte – allerlei Gerüchte über Lebenswandel und Anschauungen Friedrich von Schlümbachs. Nach dem Tod seines Schwagers Hermann Werner wurden auch die Kontakte zu seinen dortigen Verwandten deutlich weniger, was Schlümbach schmerzte. Im Mai 1901 erkrankte Schlümbach infolge seines Diabetes schwer an der Entzündung eines Fußes, gegen die die Amputation eines Beines das einzige Mittel zu sein schien. Die Clevelander Öffentlichkeit nahm durch zahlreiche persönliche Besuche und eine ausführliche Berichterstattung in der lokalen Tagespresse regen Anteil an Schlümbachs Geschick. Dieser war sich seiner lebensbedrohlichen Situation voll bewusst und schwankte zwischen dem Schmerz des möglichen Abschieds und der Gelassenheit im Vertrauen auf Gott. Nach der Amputation war Schlümbach zunächst in stabilem Zustand, starb in der folgenden Nacht jedoch an Herzversagen. Unter großer Anteilnahme wurde er in Cleveland bestattet. Seinem im letzten Lebensjahrzehnt nur noch eingeschränkten Wirkungskreis entsprechend wurde über Cleveland hinaus nur teilweise mit ausführlicheren Nachrufen auf seinen Tod reagiert. Für viele war er schon vorher aus dem Blickfeld verschwunden. Hatte Schlümbach in seinen letzten Jahren angesichts des familiären Glücks die kontrafaktische Frage gestellt, wie anders wohl sein Leben verlaufen wäre, wenn er solches schon früher erfahren hätte, so kann man nur vermuten: Es hätte nicht in diesem Maß den Stoff für eine Biographie zwischen den Kulturen gegeben.

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Schlussresümee Mit den Leitbegriffen der Interkulturalität und Transkonfessionalität waren zwei Perspektiven dieser Studie vorangestellt, die für die Betrachtung des Lebens und Wirkens Friedrich von Schlümbachs von grundlegender Bedeutung sind. Die Richtigkeit dieser Annahme dürfte bereits aus der in dieser Hinsicht noch nicht systematisierenden vorhergehenden Darstellung deutlich geworden sein. Räumliche und geistige Bewegung zwischen unterschiedlichen Kulturräumen, zugleich die Frage nach Verortung und Identität in jeweiligen Kulturräumen prägten diesen Lebensweg. Dimensionen dieser Prozesse waren nicht nur die der Ethnizität oder politischen Orientierung, sondern auch die der konfessionellen Perzeption und Identifikation und die jeweiligen Brechungen oder Überschreitungen bisheriger konfessioneller Muster. Dies betrifft Friedrich von Schlümbach selbst, über seine Person hinaus aber auch andere Akteure aus dem Umfeld seines Wirkens. Dabei ist zu beobachten, dass es sich bei diesen interkulturellen und religiösen Dynamiken um ein komplexes reziprokes Geschehen handelt, das nicht unter der Perspektive Einseitigkeit suggerierender Begriffe subsumiert werden kann. Ohne Zweifel sind »Einflüsse« Friedrich von Schlümbachs auf das Christentum in Deutschland zu konstatieren. Aber es wäre eine zu statische Vorstellung, wenn man darin lediglich den Transport bestimmter Anschauungen aus einem Kulturkreis in den anderen – wie er zeitgenössisch mit Begriffen wie »verpflanzen« nahegelegt wurde – sähe, ohne die bereits in diesen Transferprozessen stattfindenden Transformationen und Rückwirkungen wahrzunehmen. Dass derartige Übersetzungsvorgänge bei Friedrich von Schlümbach schon früh in sein Leben eingezeichnet sind, ergibt sich daraus, dass er seit seinem siebzehnten Lebensjahr als Deutschstämmiger in den USA gewissermaßen zwischen den Kulturen lebte und seine jeweiligen Bezugspunkte changierten. Dies hing zunächst mit den weltanschaulichen Prägungen der Subkontexte innerhalb der deutsch-amerikanischen Bevölkerungsgruppe zusammen, an denen Schlümbach sich orientierte. Seinem Bezug zum deutschsprachigen Umfeld der freisinnigen und radikaldemokratischen Turnvereine in Amerika entsprechend nahm er die politische Situation in Deutschland Mitte der 1860er Jahre als »Tyrannei« wahr und kommunizierte Gedanken des revolutionären Umsturzes an seine dortigen Verwandten. Zur gleichen Zeit wandelte sich seine religiöse Positionierung entscheidend, da er in einer englischsprachigen Erweckungsversammlung eine Bekehrungserfahrung ge-

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Schlussresümee

macht hatte, die ihn dahingehend tätig werden ließ, ähnliche Erfahrungen auch seinen deutschsprachigen Landsleuten ermöglichen zu wollen und in diesem Zusammenhang gewisse kirchliche Veranstaltungsformen in deren ethnokulturelle Zusammenhänge zu übertragen. Nach der Zwischenphase der wie auch immer gearteten christentumskritischen Rednertätigkeit in einem mehrheitlich deutschsprachigen Umfeld erlebte Schlümbach einen erneuten religiösen Durchbruch, der sich wie zuvor in einem englischsprachigen Kontext vollzog, welcher offenbar eine Art der Methodik und Ansprache bereitstellen konnte, der von den deutschsprachigen Kirchen in Amerika nicht in gleicher Weise gegeben war. Nun wurden alle Verbindungen zum säkularen Vereinswesen abgebrochen. Abgesehen von kindheitlichen Prägungen in der württembergischen Landeskirche vollzog sich Schlümbachs religiöse Sozialisation von daher wesentlich im Christentum amerikanischer Prägung, genauer einer methodistischen Kirche, in der auf ein persönliches Glaubensleben in enger Anbindung an die Gemeinschaft und intensives Engagement für dieselbe Wert gelegt wurde. Erneut empfand Schlümbach den Impuls, diese Erfahrungen für seine aus Deutschland eingewanderten Landsleute fruchtbar zu machen und sich als Prediger dem deutschsprachigen Zweig der Bischöflichen Methodistenkirche zur Verfügung zu stellen. Die interkulturelle Dynamik geht auf dem Gebiet des Religiösen also zunächst deutlich von amerikanischen Formen kirchlichen Lebens hin zu deren Vermittlung in deutschsprachige Kontexte in Amerika. Wesentlicher Anknüpfungspunkt in Schlümbachs religiösen Durchbrüchen war aber wiederum seine frömmigkeitliche Prägung in Deutschland gewesen. Die Organisationsform, für die er sich während seiner kirchlichen Wirksamkeit in den USA primär engagierte, nämlich die Deutschen Christlichen Jünglingsvereine, hatten entstehungsgeschichtlich ein eher an derartige Vereinsformen in Deutschland anknüpfendes Gepräge als den Charakter der englischen YMCAs, wurden von Schlümbach aber später auf der Basis letzterer konzeptionell weiterentwickelt. Aufgrund dieser sich durchdringenden Prägungsmuster konnte ein Kollege bezüglich Schlümbach formulieren: »a real incarnation of American religion in a German constitution«. Schlümbachs Deutschlandbild während seiner langjährigen Abwesenheit von dort wurde – vor allem auch in kirchlicher Hinsicht – durch entsprechende Artikel in den deutsch-amerikanischen Zeitschriften geprägt, wie sie auch in dem von ihm regelmäßig gelesenen Christlichen Apologeten veröffentlicht wurden. Durch eigene Reiseerfahrungen sah er sich in dessen prinzipiellen Einschätzungen bestätigt. Anders als früher konnte er sich mit der monarchischen Regierungsform in Deutschland arrangieren und empfand in Bezug auf das Kaiserhaus deutsch-patriotische Gefühle, denen er sowohl auf internationalen Konferenzen, auf denen er zunehmend in einer Art Brückenfunktion wahrgenommen wurde, als auch bei seinen späteren Versammlungen in Deutschland Ausdruck verlieh. Von besonderem Interesse

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Schlussresümee

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ist aber das kirchliche Programm, das Schlümbach aufgrund seiner Erfahrungen in beiden Kulturen entwickelte. Die auch im Apologeten immer wieder beschriebene und auf das Staatskirchentum zurückgeführte religiöse Gleichgültigkeit in Deutschland bedürfe eines Anstoßes aus den USA, genauer des deutsch-amerikanischen Methodismus, um eine durchgreifende Erweckung und religiöse Umgestaltung herbeizuführen. Dass es ihm dabei in erster Linie um gewisse Grundstrukturen ging, zeigt sich daran, dass dieser Ansatz in der besonderen Spitze mündete, eine freie »protestantische« Kirche in Deutschland zum Ziel zu haben, keine »methodistische«. Schlümbach ging es darum, die Grundansätze und Arbeitsformen des Methodismus in Deutschland zu verankern, er maß den methodistischen Kirchen aufgrund der äußeren Gegebenheiten aber keine Chance bei, dies selbst verwirklichen zu können. Diese sah er vielmehr bei den Jünglingsvereinen, die zu diesem Zweck gründlich neu organisiert werden müssten. Bis Schlümbach dieses Programm in Angriff nahm, vergingen einige Jahre. Es ist aber bemerkenswert, dass er einige Zeit nach dem Deutschlandbesuch in den USA begann, die Jünglingsvereine dort mehr und mehr an das Modell des YMCA heranzuführen. Auch hier scheint sich dieser Grundgedanke einer notwendigen Umgestaltung ausgewirkt zu haben. Um engere Verbindungen zwischen deutsch-amerikanischen und deutschen Jünglingsvereinen herzustellen, trat Schlümbach in Kontakt mit verschiedenen Jünglingsbündnissen in Deutschland. Öffentlich hervor trat er währenddessen in den USA mehr und mehr als deutschsprachiger Evangelist, der im Stile Dwight Lyman Moodys die Arbeitsmodelle der Evangelisationsbewegung für den Raum der Deutsch-Amerikaner adaptierte. Wer in Deutschland die kirchlichen Entwicklungen in den USA verfolgte, musste in den entsprechenden Zeitschriften früher oder später auf Schlümbach stoßen. Zu denen, die einen solch aufmerksamen Blick für die Entwicklungen hatten, gehörte wie kaum ein anderer Theodor Christlieb. Schon vor der persönlichen Bekanntschaft mit Schlümbach dürfte er dessen Tätigkeit wahrgenommen haben. Christlieb trieben ganz ähnliche Gedanken um wie Schlümbach, nämlich wie Formen erwecklicher kirchlicher Arbeit, wie sie von den methodistischen Kirchen praktiziert wurden, in Deutschland dauerhaft und durchschlagend zu beheimaten seien. Bei ihm verband sich dies mit der Perspektive, die Tätigkeit eigenständiger methodistischer Kirchen in Deutschland dadurch mehr oder weniger überflüssig zu machen. Schlümbach war der rechte Mann, der den dafür notwendigen Ansatz verkörperte: erfolgreich im Einsatz amerikanischer revivalistischer Methoden – aber deutschsprachig und mit den entsprechenden Mentalitäten vertraut. Die Initiative zur Gewinnung Schlümbachs für eine Evangelisationskampagne in Deutschland führte zu Allianzen, die von der Zielsetzung her nicht ganz identisch waren – Theodor Christlieb ging es vor allem um Evangelisation, der ebenfalls eingebundene Adolf Stoecker verfolgte immer auch poli-

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Schlussresümee

tische Ziele –, aber sie brachten ein beachtenswertes internationales Netzwerk zusammen, das sich gemeinsam für diese Sache einsetzte. Vor allem Christlieb nutzte die Kontakte, die er nicht zuletzt auch von den internationalen Tagungen hatte, die er besuchte, vor allem der Evangelischen Allianz. Die Koordinaten des Netzwerks waren Männer aus der New Yorker Zentrale des YMCA, für den Schlümbach zuletzt gearbeitet hatte, Kreise um den YMCA in London, zu dem auch Schlümbach durch internationale Konferenzen über persönliche Kontakte verfügte, und ein sich formierendes Evangelisationskomitee in Deutschland. Die Amerikaner stellten Schlümbach frei, weil sie dessen persönliche Begabung für die Aufgabe in Deutschland sahen, die Engländer stellten hauptsächlich die Finanzen bereit, weil sie angesichts der auch von ihnen rezipierten düsteren Bilder vom religiösen Leben in Deutschland von der Notwendigkeit dieser Arbeit überzeugt waren, die Männer im Evangelisationskomitee schließlich sahen die Notwendigkeit der groß angelegten Evangelisation, um den Herausforderungen der Zeit zu begegnen, und blickten unterschiedlich erwartungsvoll oder skeptisch auf Impulse aus dem angelsächsischen Raum. So entstand die ungewöhnliche Situation, dass ein deutschsprachiger amerikanischer Methodist zu Massenevangelisationen amerikanischen Stils in den deutschen Landeskirchen berufen wurde, welche wiederum maßgeblich von den Dissentern nahestehenden Kreisen in England finanziert wurden. Im konfessionellen Gefüge des Deutschen Reiches am Ende des 19. Jahrhunderts war das ein absolut außergewöhnlicher Vorgang. Gemäß den Grundgedanken Schlümbachs konzentrierte sich seine Tätigkeit in Deutschland aber nicht allein auf die in Amerika erprobten, in Deutschland Aufsehen erregenden Methoden großstädtischer Evangelisation, sondern auch stark auf die anvisierte Umgestaltung des Jünglingsvereinswesens. Denn nach wie vor hoffte er darauf, entscheidende Voraussetzungen für eine Erweckung in Deutschland durch eine Umgestaltung der Jünglingsarbeit herbeiführen zu können. Eine solche Umgestaltung des Bestehenden ließ sich jedoch nicht ohne weiteres zuwege bringen. Schon auf lokaler Ebene ließ sich eine stärker missionarisch ausgerichtete Jungmännerarbeit, wie Schlümbach sie vorschwebte, nicht in Anbindung an die bestehenden Vereine verwirklichen. Daraus resultierte die Gründung eines für Deutschland neuen, dem angelsächsischen YMCA-Modell nachempfundenen Vereinstyps, des CVJM, der auch international starke Beachtung fand. Eine Rückwirkung in den USA war die, dass nun auch dort die deutschsprachigen Jünglingsvereine, die nach dem überkonfessionellen YMCA-Modell arbeiteten, anfingen, sich in »CVJM« umzubenennen, und sich so von den nach altem, in Deutschland üblichen Modell in Anbindung an eine Kirchengemeinde stehenden Jünglingsvereinen absetzten. Im Spannungsfeld von Theodor Christlieb, Adolf Stoecker und Jasper von Oertzen entwickelte sich schließlich Schlümbachs Kirchenverständnis

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Schlussresümee

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in eine neue Richtung. Mit Christlieb hatte er zunächst die aus amerikanisch-protestantischer Perspektive übliche Grundannahme geteilt, dass Deutschland weithin entchristlicht sei. Stoecker wiederum hatte ihm eingeschärft, dass er nirgendwo ein stärker christlich gesinntes Publikum finden würde als in Deutschland. Da er offenbar tatsächlich eine weitaus bessere Anschlussfähigkeit für die christliche Botschaft vorfand als in den USA, machte er sich diese Position zu eigen. War er vorher gemäß den Absprachen und den Zielen der eigenen Konzeption nach eher pragmatisch an den Landeskirchen orientiert gewesen, wurde ihm diese Orientierung mehr und mehr zur Überzeugung. Sein Austritt aus der Methodistenkirche mag noch stark den Auseinandersetzungen um seine Person geschuldet gewesen sein, aber es zeichnete sich bereits ein innerer Anschluss an die Volkskirche ab. Im Hintergrund standen aber auch hier wieder mit bestimmten Kirchenformen verbundene kulturelle Bilder. Die Methodistenkirche stand für Schlümbach vor allem für Amerika und sollte lediglich von ihren Arbeitsmodellen die etablierten Kirchen in Deutschland durchdringen. Die Landeskirchen standen für ihn für eine »deutsche« Form des Kircheseins und damit für den Ort, an dem er seine so empfundene Berufung zum Evangelisten unter den Deutschen leben wollte. Theologische Gründe spielten bei seinem Kirchenwechsel keine Rolle. Es ist interessant zu sehen, wie sehr Schlümbach in den Folgejahren Elemente der volkskirchlichen Praxis in seine Arbeit für die Evangelische Synode in Amerika eintrug. Sein Bestreben, evangelische Kolonien zu gründen, erscheint als ein Versuch, in den USA das Modell einer »idealen« Volkskirche in Kongruenz von Bürger- und Kirchengemeinde zu verwirklichen. Seine Konzepte der Missionsarbeit entsprachen nun sehr viel eher der Programmatik der Inneren Mission als der angelsächsischen Evangelisation und wurden zum Teil ja auch von Deutschland aus finanziert: Sammlung von mehr oder weniger bereits als evangelische Christen Ansprechbaren durch Besuchsdienste und Kolportage. Auf dieser Linie liegt es auch, wenn ein Kollege Schlümbachs bemerkte, dass dieser nach seinen großen Evangelisationskampagnen »mehr in evangelischer Weise« gewirkt habe. So ergibt sich das Bild, dass Schlümbach im Laufe der 1880er Jahre in den USA immer mehr in den Bahnen der Inneren Mission wirkte, während er in Deutschland noch große Evangelisationsveranstaltungen hielt, allerdings mit immer stärkerer Konzentration auf der Arbeit für die Jünglingsvereine und abnehmendem Erfolg im Hinblick auf die Publikumswirksamkeit. Für die beiden Seminargründungen, die aus dem Kreis, der ihn anfangs zur Evangelisation nach Deutschland berufen hatte, und seinen eigenen Bemühungen erwuchsen beziehungsweise erwachsen sollten, gilt ein ähnliches Bild im Hinblick auf Innere Mission und Evangelisation: In Deutschland wurde mit englischen Mitteln ein Institut gegründet, das junge Männer zu Evangelisten heranziehen sollte, in den USA sollte, von Deutschland aus finanziert, ein Mis-

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sionshaus entstehen, das junge Männer für Dienste im Sinne der Inneren Mission heranbildete. In den Bereich dieser Wechselwirkungen gehört auch, dass Schlümbach den in der entstehenden Gnadauer Gemeinschaftsbewegung bedeutenden Jasper von Oertzen in Fragen der kirchlichen Ausrichtung nachdrücklich auf den Wert der Volkskirche hinwies. Den Weg der Gemeinschaftsbewegung zwischen Volkskirche und Freikirche haben die mit Schlümbach gemachten Erfahrungen entscheidend mitgeprägt. Betrachtet man überhaupt die unterschiedlichen ekklesiologischen Konzeptionen, die einander anhand der Person Friedrich von Schlümbachs begegnen, so zeigt sich ein Gefüge von pointierten konfessionellen Engführungen hin bis zu alle konfessionellen Schranken durchbrechenden Modellen. Schlümbach selbst hatte immer eine Tendenz zu letzteren. Die erste von ihm beschriebene intensive Glaubenserfahrung hatte er im Kontext der von einem transkonfessionellen Bewusstsein getragenen US Christian Commission gemacht. Verschiedene Kirchen arbeiteten in einem gemeinsamen Anliegen zusammen, was zum einen dem pragmatischen Ansatz des auf gegenseitiger Anerkennung beruhenden amerikanischen Denominationalismus entsprach. Es konnten sich damit aber auch tiefer gehende Perspektiven theologisch gedeuteter und biblisch inspirierter Einheitsvorstellungen verbinden, wie es bei Friedrich von Schlümbach der Fall war. Das Motiv der Einheit beziehungsweise Einigkeit war ein leitendes Prinzip für Schlümbachs Anschauungen in unterschiedlichen Zusammenhängen. In Bezug auf die Jünglingsvereinssache sah er in ihr den entscheidenden Weg zu einer wahrnehmbaren und damit in Anspruch genommenen und erfolgreichen Strategie der Bewahrung junger Männer. Über seine Tätigkeit für die Jünglingsvereine in den USA bahnte Schlümbach an den einzelnen Orten vielfach ein engeres Zusammengehen der Kirchen an. In politischer Hinsicht erschien ihm staatliche Einheit als Grundvoraussetzung einer gedeihlichen Entwicklung, im Hinblick auf Deutschland schon vor der Reichseinigung; nach ihrer Verwirklichung nahm er diese zum Imperativ für seine Einigungsbestrebungen in der dortigen Jünglingsvereinssache. Über sein Wirken im amerikanischen Nationalbund hinaus war Schlümbach auch in seiner pastoralen Arbeit in den USA immer in die eigene Kirche übergreifender Weise tätig, ob innerhalb der Baltimore Union oder als Pastor einer nicht-methodistischen Gemeinde in Galveston. Gemeinchristliches war ihm wichtiger als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession. Deutlich wird dies auch daran, dass er zuletzt als Pastor einer unabhängigen Gemeinde wirkte und den Streit unter den Kirchen scharf verurteilte. Allerdings hatte auch schon die Bischöfliche Methodistenkirche keine im eigentlichen Sinne »konfessionelle« Kirche dargestellt, sondern war von ihrem Selbstverständnis eine Denomination neben anderen. Insofern bezeichnet der Begriff der Transkonfessionalität für den amerikanischen Kontext das bewusste Überschreiten der eigenen Kirchengrenzen, auch wenn sich diese

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nicht als »Konfessionskirchen«, sondern als »Denominationen« verstanden. Entsprechend hatte Schlümbach in den USA Schwierigkeiten mit Kirchen, die sich in konfessionellem Sinn mit ausgeprägtem Bekenntnisstand darstellten, da sie meist nicht für zwischenkirchliche Zusammenarbeit offen waren. In anderem Licht musste sein Wirken in Deutschland erscheinen. Hier gab es kein Klima denominationeller Vielfalt wie in den USA. Von daher geschahen durch Schlümbachs Wirken »Grenzüberschreitungen« in mehrfacher Hinsicht. Er selbst hatte vom amerikanischen Denominationalismus herkommend keine Schwierigkeiten damit, im Rahmen einer anderen Kirche als der eigenen tätig zu werden. Von den in Deutschland gebräuchlichen ekklesiologischen Paradigmen her musste seine Tätigkeit als Methodist innerhalb der Landeskirchen aber als Übergriff in ein anderes Kirchentum erscheinen. Dies blieb nicht ohne massiven Widerspruch, wobei die gegen Schlümbach gerichteten Polemiken sowohl konfessionelle Ausrichtung – wie im Hinblick auf die Bewahrung der »reinen Lehre« – als auch eine kulturelle Spitze in der Abwehr alles »Fremdländischen« haben konnten, da der Protestantismus ideologisch eng mit deutschen Konnotationen verwoben war. Aber auch die Männer, die Schlümbach beriefen, gingen bewusst über die Grenzen ihrer eigenen Kirchen hinaus. Am weitesten ging sicher Christlieb, dem in seiner ökumenischen Offenheit eine vom Prinzip her »undenominationelle« Form der Evangelisationsarbeit vorgeschwebt hatte, die er aber schließlich doch in expliziter Anbindung an die Landeskirchen in einen Deutschen Evangelisationsverein überführen musste. Aber auch Oertzen war in dieser Sache weitherzig. Was sie in diesem Versuch transkonfessioneller Arbeit verband, war der Ausgriff auf die Bewältigung der Herausforderungen der Zeit, wie sie sich mit den Schlagworten »Entkirchlichung« und »Kampf um die Jugend« verbanden. Auf beiden Seiten des Atlantiks wurde diese Herausforderung in den deutschsprachigen Kontexten als elementar wahrgenommen, und auf beiden Feldern hatte Schlümbach einschlägige Erfahrungen. Wenn Hartmut Lehmann in dem in der Einleitung zitierten Text schreibt, dass eine »fromme Internationale« in den Blick genommen werden müsse, so findet sich der Begriff einer »Internationale des christlichen Glaubens« oder der »großen Internationale der Jünglingsvereine« tatsächlich in den Quellentexten und zeigt an, dass man die politische Herausforderung sah und explizit aufgriff. Friedrich von Schlümbach verband auf besondere Weise die Kulturen, litt aber mitunter unter den damit einhergehenden Ambivalenzen. Denn in allen dynamischen Austausch- und Entwicklungsprozessen, die sein Leben prägten, bleibt doch eine ambivalente Grundstruktur erkennbar, die man so formulieren könnte, dass er sich als Amerikaner und Deutscher, als Freikirchler und Volkskirchler empfand. Diese Grundspannung hält sich durch und ist in gewisser Hinsicht sogar in der Gemeinschaftsbildung zu erkennen, die durch seinen Unterstützerkreis in Deutschland vorangetrieben wurden.

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In den USA sind die Wirkungen seines Lebens mit dem Erlöschen einer eigenständigen deutsch-amerikanischen Bevölkerungsgruppe – sieht man einmal von der Siedlungsgründung Riesel ab – nicht mehr leichthin abzulesen. In Deutschland sind mit dem CVJM und der Gemeinschaftsbewegung zwei Organisationsformen erhalten geblieben, die sich entweder direkt seinem Wirken oder indirekt seinen Impulsen und den mit ihm gemachten Erfahrungen verdanken. Das Feld der transatlantischen Beziehungen in christentumsgeschichtlicher Perspektive bleibt ein weites und fordert heraus, weitere Mosaiksteine zusammenzutragen, um nach und nach ein genaueres Bild von Verbindungswegen und Trennungslinien, von den Prozessen der Aufnahme und den wechselseitigen Wirkungen zwischen den Kulturen zu gewinnen.

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Abkürzungsverzeichnis Die in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen richten sich nach S. Schwertner: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete: IATG, Berlin/ New York 21994. Alle davon abweichenden oder zusätzlichen Abkürzungen sind hier aufgeführt: ArchFam: BMK: CA: CB: CVJM: EB: EKA: ELThG: Ev.: EZA: FB: HuH: JB: KGM: KKA: KKR: KM: MEC: MH: S-H-L KuSbl:

Archiv für Familienforschung, Leonberg Bischöfliche Methodistenkirche Der Christliche Apologete [Zeitschrift] Der Christen-Bote [Zeitschrift] Christlicher Verein Junger Männer Der Evangelische Botschafter [Zeitschrift] Evangelisch-kirchlicher Anzeiger von Berlin [Zeitschrift] Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde Der Evangelist [Zeitschrift] Evangelisches Zentralarchiv Berlin Der Friedensbote [Zeitschrift] Haus und Herd [Zeitschrift] Der Jünglingsbote [Zeitschrift] Kirchengeschichtliche Monographien [Buchreihe] Kropper Kirchlicher Anzeiger [Zeitschrift] Kirche – Konfession – Religion [Buchreihe] Kirchliche Monatsschrift [Zeitschrift] Methodist Episcopal Church Der Methodisten-Herold [Zeitschrift] Schleswig-Holstein-Lauenburgisches Kirchen- und Schulblatt [Zeitschrift] USCC: United States Christian Commission WhZ: Der Wahrheitszeuge [Zeitschrift] WRHS: Western Reserve Historical Society, Cleveland YMCA Arch.: Kautz Family YMCA Archives, Minneapolis YMCA: Young Men’s Christian Association

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Literaturverzeichnis I. Quellen a) Ungedruckte Quellen [auch negative Befunde sind aufgeführt] Archiv der BruderHaus-Diakonie, Reutlingen kein Quellenmaterial zum 19. Jahrhundert mehr vorhanden Archiv der Freiherren von Berlichingen, Jagsthausen keine Hinweise auf eine Tätigkeit Schlümbachs in den Betrieben der Familie Archiv des CVJM Berlin kein Quellenmaterial zum 19. Jahrhundert mehr vorhanden Archiv des CVJM-Gesamtverbandes, Kassel kein Quellenmaterial zu Friedrich von Schlümbach vorhanden Archiv des CVJM Lippe, Detmold kein Quellenmaterial zum Nationalfest am Hermannsdenkmal vorhanden Archiv des CVJM Stuttgart Ordner »Wilhelm Elsässer«: Mappe »Friedrich von Schlümbach«. Archiv des CVJM-Westbundes, Wuppertal Akte »CVJM-Geschichte. Materialmappe I«. Akten des Westdeutschen Jünglingsbundes: 0. 1. 1. Allgemeines 0. 1. 4. Wegener Bundesagent 1872–1883 01. 2. 1–1 Protokollbücher des Bundesvorstands (1868–1897) 01. 2. 1–2 Bundesvorstandssitzungen 1880–1933 02.2–4, Bd. 1 Norddeutscher Bund 03.1–3, Bd. 1 Ausländische Angelegenheiten. Archiv des Diakonischen Werkes der EKD, Berlin Acta des Provinzial-Ausschusses für Innere Mission betr. Jünglings-Vereins-Sache [BP 1795]. Archiv des R. Brockhaus-Verlages, Witten kein Manuskript Hermann Klemms zu Schlümbach vorhanden Archiv des Theodor-Heuss-Gymnasiums, Heilbronn in den wenigen erhaltenen Unterlagen zum 19. Jahrhundert kein Eintrag zu Friedrich von Schlümbach Archiv für Familienforschung, Leonberg Adelsdiplom der Familie von Schlümbach, Wien 19. August 1761. [im Frühjahr 2010 aus dem Privatbesitz Marian Schluembachs übernommen]

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Quellen

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Aufzeichnungen von Luise Zeller [Sign. 22 I 6/3]. Briefe Felice von Schlümbachs 1881–1884 [Sign. 13 I 21/1]. Briefe Friedrich von Schlümbachs an Emma und Hermann Werner 1861–1865 [Sign. 4 I 7/4]. Briefe Friedrich von Schlümbachs u. a. an Hermann und Emma Werner 1874–1879 [Sign. 4 I 7/4]. Briefe Friedrich von Schlümbachs u. a. an Familie Werner 1880–1889 [Sign. 4 I 7/4]. Briefe Friedrich von Schlümbachs u. a. an Familie Werner 1890–1899 [Sign. 4 I 7/4]. Briefe Friedrich von Schlümbachs u. a. an Familie Werner 1900–1915 [Sign. 4 I 7/4]. Briefe Friedrich von Schlümbachs an Ottilie Zeller 1881–1889 [Sign. 13 I 21/4]. Briefe Georg Christoph, Adelheid und Felice von Schlümbachs an Kinder und Enkelkinder 1852–1889 [Sign. 4 I 7/5]. Briefe Hermann Werners an Ehefrau 1866–1870 [Sign. 4 I 14/1]. Episoden aus Emma von Schlümbachs Lebens. Kurzer Stammbaum der Familie von Schlümbach [Sign. 35 I 23/1]. Erinnerungen an Friedrich von Schlümbach (aus dem Ev. Sonntagsblatt 1901) [Sign. 5 I 44/20]. Familie Schlümbach genealogische Forschungen [Sign. 5 I 85–3]. Lebensskizze Adelheid Eggel [Sign. 77 I 33]. Manuskript C. v. Prosch: Lebenslauf des CVJM-Gründers. Erinnerungen an Friedrich von Schlümbach [Sign. 15 I 33/11]. Bilder von Friedrich von Schlümbach und seiner Familie [Sign. 4 I 7/1; 5 III 6/19C; 5 III 61/1; 5 III 74/3; 5 III 119/8; 5 III 119/13–14; 5 III 119/16; 51 III 6/19 A–B; 51 III 6/24;]. Archives of the Fredericksburg and Spotsylvania National Military Park, Chancellorsville/Virginia Das Neue Testament unseres Herrn und Heilandes Jesu Christ, New York: American Bible Society 1861 mit handschriftlichen Eintragungen Friedrich von Schlümbachs [Item No. FRSP-301]. Rokus, Josef W.: The Bible and Life of Frederick von Schluembach. Yankee Soldier, Atheist, Evangelist, 2008 [unveröffentlichtes Typoskript]. Baldwin-Wallace College Historian’s House, Berea/Ohio kein Hinweis auf eine Immatrikulation Schlümbachs in der Zeit von 1868–1875 Baltimore-Washington Conference Archives of the United Methodist Church, Baltimore/Maryland Church Records Light Street. Bridwell Library, Dallas/Texas Manuscript Letters and Documents Collection: Ministerial Orders and Ordination Certificates. Cincinnati Historical Society Library, Cincinnati/Ohio Nippert Collection of German Methodism: – General Histories: Box 3–35. – Series 1 Conferences: Box 1–8; 1–14. – Series 2 Institutions: Box 2–46; 2–53.

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Literaturverzeichnis

– Series 3 Personal Papers: Box 3–56; 3–59; 3–62; 3–96. – Series 4 Periodicals: Box 4–4; 4–14; 4–15; 4–44; 4–56; 4–57. – Series 5 Bound Volumes: Box 5–6; 5–7; 5–11; 5–19; 5–66; 5–151; 5–153. Eden Archives, St. Louis/Missouri Archives Correspondence, Folder K. Protokolle des Ohio-Districts 1887 ff. [31–2 OHI 3 Vol. I]. Evangelisches Landeskirchliches Archiv, Berlin Akten aus Bestand 14: CVJM DI adh XII Evangelisation J IX 104 III Freie kirchliche Vereine J IX 61 Freikirchen G III 72 I Gruppen innerhalb der Kirche J IX 69 Landeskirchliche Vereinigung Positive Union J IX 112 Methodisten G III 75 (14/2948). Evangelisches Zentralarchiv, Berlin Akte 7/3818: Die evangelischen Jünglingsvereine in Deutschland 1875–1904. Akte 7/8047: Die Evangelistenschule Johanneum zu Bonn. Family History Library, Salt Lake City/Utah Church Records Concordia Lutheran Evangelical Church Washington DC 1833– 1944 [Film 1303264 IT 1–8]. Kirchenbuch Evangelische Kirche Öhringen 1584–1956: – Taufen 1836–1863 [Film 1340184] – Familienbuch L-U [Film 1340191]. Kirchenbuch Evangelische Kirche Ingelfingen 1556–1902: – Tote 1834–1893 – Konfirmationen 1809–1894 – Familienbuch I 1808–1860 [Film 1340101]. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin Teilnachlass 1 Adolf Stoecker. Nachlass Alfred Graf von Waldersee. HA I., Rep. 76 Kultusministerium, III Evangelisch-geistliche Angelegenheiten Sekt. 12 Specialia. Berlin: – Abt. I Ober-Behörden-Sachen. Nr. 1 Das Konsistorium der Provinz Brandenburg zu Berlin. Bd. IV 1880–1883 – Abt. XIV Synoden-Sachen. Nr. 1 Das Synodalwesen in der Provinz Brandenburg. Bd. III 1876–1893. – Abt. XIV Synoden-Sachen. Nr. 3 Die vereinigten Berliner Kreis-Synoden. Bd. I 1874–1886 – Abt. XIX, XX Parochie-, Patronats- und Kirchen-Sachen. Nr. 65 Die Angelegenheiten der Nazareth-Kirche auf dem Wedding bei Berlin. Bd. I 1843–1889. Grace Church Archives, Jim Thorpe/Pennsylvania Alphabetical Record of Members in Full Connection, Book 1. Baptisms, Book 1, 1868–1885. Probationers, Book 1, 1868–1885.

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Quellen

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Quellen

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b) Gedruckte Quellen Zeitschriften und Zeitungen [jeweils mit Ausrichtung oder institutioneller Verbindung] Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 1881–1884. [(gemäßigt) konfessionelles Luthertum in Deutschland] Blätter für freies religiöses Leben 1860–1868. [freireligiöse Bewegung in Nordamerika] Bundes-Banner 1879–1883. [Nationalbund Deutscher Christl. Jünglingsvereine in Nordamerika] Der Christliche Apologete 1863–1886.1901. [BMK in Nordamerika] Der Christen-Bote 1880–1884. [Pietismus in Württemberg] Der Christliche Botschafter 1881–1884. [Ev. Gemeinschaft in Nordamerika]

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Personenregister Albright, Charles 92–97, 102, 107–108, 133, 307, 400 Albright, Naomi E. (geb. Wingard) 92–97, 307 Allardt, C.A.H. 435 Allen, Dr. 460 Alpermann, L. 414, 415, 422 Andres, John 431–432, 435 Andrews, Edward G.E. 179, 304–305 Ansbach, E. 287–288 Aßmann, Bundesagent 258 Auguste Viktoria von Deutschland 386 Baedeker, Friedrich Wilhelm 312, 373, 378 Barchwirtz-Krauser, Oscar von 315 Baumann, C. 414 Beck, Johann Tobias 30 Berlichingen, Familie von 32 Bernstorff, Andreas Graf von 255, 277, 283, 286, 297, 298, 300, 332, 337, 359, 360, 367, 380, 381, 385, 386, 387, 389, 426 Bethmann-Hollweg, Max von 397, 398, 399, 401, 408–409, 410, 422, 423, 424 Bickley, Charles W. 107–108, 109 Bismarck, Otto von 224 Blenker, Louis 50, 53, 55, 149 Blumer, Adelheid 405 Blumhardt, Christoph 455 Bodelschwingh, Friedrich von 388 Boehme, Pfr. 289 Booth, William 326 Bowne, Jacob T. 336 Brainerd, Cephas 144, 206, 352–353 Branke, Paul 412 Braun, Theodor 333–334, 381 Bretz, M.L. 414 Breuning, Mathilde von 25 Brinkmann, Hr. 384 Brück, Rudolf 178, 189, 224 Brütt, Synodaler 331 Büchner, Ludwig 90 Bueßer, Friedrich 430, 441–445 Butler, R.Q. 107

Caspar, Konsistorialassessor Dr. 294 Christlieb, Alfred 359 Christlieb, Theodor 137, 165, 248–250, 251–252, 253–255, 257, 262, 263, 267, 269–271, 272–273, 299, 311–312, 315, 336, 337, 341–342, 359, 365, 381, 382, 389–390, 391, 407,418, 420, 425, 426, 428, 457, 469–470, 470–471, 473 Cleveland, Grover 398 Colgate, Samuel 206 Collom, Rev. 73 Cree, Thomas K. 207 Darwin, Charles 90 Deeke, H. 408 Deggau, Johannes 259 Dickhaut, H.G. 250 Diestelkamp, Karl Ludwig 283, 285–286, 289, 294, 312, 315, 360 Dinger, Friedrich Wilhelm 196–198 Dodge, William E. Jr. 152,186, 206, 353 Dosdall, Gottlieb 192, 232 Dubs, Rudolph 128 Dürselen, Gerhard 262, 264, 265 Dyck, Familie van 397 Eggel, Franz 23 Ellinger, Dr. 392 Elsässer, Wilhelm 458 Ende, Freiherr von 385 Engel, Heinrich 302, 360 Erdmann, Oscar 359 Fabri, Friedrich 389 Falck, R. 433, 456 Fermaud, Charles 211, 302, 384 Feuerbach, Ludwig 89 Finney, Charles Grandison 129, 249 Flammann, August 123, 129 Fleck, C.F. 444 Fleischhauer, Otto 408 Fletcher, William 112 Forsch, A. 444 Forwick, F. 167 Foster, Randolph S. 190, 191, 273, 309, 325 Frémont, John C. 53, 54, 55

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Personenregister Frenzel, Oberlehrer 262, 263, 384 Freund, John W. 112–113, 150, 151–152 Frommel, Emil W. 302, 360, 385 Fuerle, Coelestine (s. auch Schlümbach, Coelestine) 50–51 Gaeburg, Familie von 397 Gebhardt, Ernst 133, 226, 287, 288, 361, 380 Gilweit, Fr. 297 Gilweit, Hr. 294, 298–299 Gladstone, John 387 Gladstone, Margaret Ethel 387 Goldschmidt, Hieronymus 62 Graeling, Familie von 397 Graeling, Hr. von 404 Gräsle, Andreas 136 Grant, Ulysses S. 66, 76, 78, 87, 110 Groenwold, Carl 437, 446, 448, 449 Grubert, Kaufmann 294 Gustav II. Adolf von Schweden 386 Gyzicky, Otto von 408 Hackmann, Wilhelm 414, 422 Häufig, Stadtmissionsinspektor 289 Hagen, F.F. 76, 78 Hagenstein, A. 414 Hamel, Louis 168 Harder, Richard 331 Harms, Ludwig 321 Hartmann, Eduard von 223 Haven, Gilbert 194, 220 Hegel, Immanuel 298 Hein, Schriftsetzer 294 Helbing, Hermann 383, 387 Helmkamp, J.F.W. 414 Hermann, August 55 Hermann, Daniel 262 Hermes, Ottomar 298 Heynemann, Bürodiätar 294 Hildt, B. 371 Hingmann, Pfr. 302 Hofmeyer, Friedrich Gustav Adolf 331 Hohenlohe-Oehringen, August II. Fürst zu 25–26 Hohenlohe-Oehringen, Friedrich Ludwig Fürst zu 25 Hohenlohe-Oehringen, Friedrich Prinz zu 24–27 Hohenlohe-Oehringen, Hugo Prinz zu 25 Holke, Friedrich 418 Hoover, S.H. 109

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Howard, Oliver O. 362–363 Hülle, Ernst 277, 298, 302, 303, 304–311, 317, 325, 341, 365 Hunter, George W. 237 Ingersoll, Edwin 207, 222 Jackson, Thomas Jonathan 55, 57 Jäckel, Ruben 219 Jahn, Friedrich Ludwig 88 Janes, Edmund S. 108, 116, 118 Jarra, Familie von 397 Jellinghaus, Theodor 464 Jena, Frl. von 297, 367, 378, 388 Jena, General von 379 Jena, Gottfried von 399, 400 Jensen, Christian 323–324, 326–327, 328 Jeß, Theodor Wilhelm 332 Jones, William Arthur 145 Kahlo, H. 167 Katz, Friedrich 443 Kaulbach, Wilhelm von 363 Kedenburg, D. 320–323, 328 Kessler, J.G. 269, 349, 351, 353 Klauminzer, Gustav 450 Klug, Alfred 243, 245, 247, 384 Klug, Christian 243, 245 Kniker, C. 414 Kögel, Rudolf 301, 360 Kolb, Jakob 123 Koller, Pfr. 306 Köller, Elso 197 Kopp, Rev. 174, 177 Kraf(f)t, Julius Adolf Gottlieb 289–291, 312, 360 Kreusler, Adolph 318 Kreuzenstein, C. 414 Krummacher, Karl 245, 247, 255, 258–259, 261, 262, 263, 264, 265, 268, 269, 310–311, 333, 334, 335, 337, 339, 349, 360, 386, 387, 425 Küntzel, H. 371 Laacke, Fr. 298 Laake, P. 336, 360 Lee, Robert Edward 57, 76, 84 Lendy, John 444 Lengtat, C. 414, 422 Lich, Heinrich G. 168 Liebhart, Heinrich 124 Liebich, Konstantin 268, 294 Lincoln, Abraham 47, 48, 59, 61, 62 Lippe-Detmold, Woldemar Fürst zur 268

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Personenregister

Longstreet, James 58 Ludwig, Heinrich 397, 408 Lüttichau, Max Graf von 385 Luthardt, Christoph Ernst 311–312 Luther, Charles 62 Luther, Martin 141, 328, 341, 355, 427, 447 Macks, Dr. 460 Mahan, Asa 129 Malcomes, Alwine (s. auch Schlümbach von, Alwine) 446 Malcomes, Minna 446, 448, 450, 460 Marshall, H.N.F. 231 Matthäi, D. 216, 232 Mau, Synodaler 332 McBurney, Robert 243 McClellan, George B. 50 Meister, Carl 153 Meister, Georg 153 Merck, Caroline 334, 336, 344, 398, 401, 402 Meredith, James E. 107 Metzenthin, Frl. 392–393 Miller, Jacob 354 Mölling, Peter A. 141, 142, 143, 144 Moody, Betsey (geb. Holton) 231–232 Moody, Dwight Lyman 131, 150, 199, 212, 221–224, 228, 230–232, 241, 246, 249, 250, 260, 271, 274, 287, 315, 318, 333, 398, 458, 469 Moody, Emma C. (geb. Revell) 231 Moody, Paul Dwight 231 Morse, Richard C. 139, 144, 147, 206, 207, 212, 237, 243, 250, 251, 252–255, 329, 335, 336, 343, 346, 348, 350–352, 420 Müller, C.H. 401, 404 Müller, Friedrich 462 Mumme, F. 192 Napoleon I. von Frankreich 161 Napoleon III. von Frankreich 161 Nast, Wilhelm 109, 112, 113, 114, 116,122, 130, 136,149, 150, 151, 171, 172, 225, 282, 303, 315, 340–341, 342 Nebinger, K.H. 258 Neuhaus, Charles 55 Niebuhr, Gerhard von 359 Niebuhr, Gustav 413 Niedringhaus, Friedrich G. 173, 251, 335 Ninck, Carl 318–319

Nippert, Ludwig 314 Oertzen, Familie von 367, 424 Oertzen, Jasper von 248, 252–255, 256, 262, 263, 265, 266–267, 298, 317–320, 327, 328, 330, 331, 337, 359, 360, 363, 366, 382, 383, 384, 389, 390–391, 424, 425, 426, 427, 433, 457, 470, 472, 473 Olandt, Claus 348, 351, 353, 366 Palmer Davies, George 316 Palmer Davies, Mary 316, 376 Palmer, Otto 331 Paton, Mr. 335 Paulsen, Johannes 324–325, 331 Pearson, Thomas 112 Pentecost, George F. 230 Pfäffle, Wilhelm 178, 189 Pfleiderer, Johann Gottlob 389, 420 Phildius, Christian 277, 284, 291, 293–295, 296, 299, 300, 302, 336, 360, 398 Phildius, Fr. 298 Pope, John 57 Prinzing, Rev. 178 Pückler, Eduard Graf von 277, 284–286, 289, 294, 297, 298, 336, 359, 360, 381, 389, 398–399, 407, 426 Radcliffe, Reginald 312 Raeber, Rev. 128 Ranger, G. 191 Ranke, Otto von 244, 262, 263, 298, 305, 306, 360 Rappard, Carl Heinrich 373 Ratsch, M. 414 Rau, Otto 399 Rehrbas, Charles J. 167 Reiff, Friedrich 244, 262, 263, 265 Reitz, F. 209 Reuß, Ch. 116 Richter, Dr. 320 Rieger, J. 414 Riesel, Henry 400 Ritschl, Albrecht 270 Rooschütz, Rudolf Georg Ludwig 30–31, 99 Rothkirch, Eberhard von 277, 291, 292–301, 306, 336, 360 Ruperti, Justus 325–327 Sankey, Ira 150, 192, 199, 221–224, 250, 284, 287, 288, 318, 321, 398 Scharpff, F. 290–291

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Personenregister Scheele, Gez von 386 Schenkendorf, Max von 287 Schilling, A. 413, 414 Schlegel, P. 289 Schlümbach, Adelheid von (verw. von Graff, geb. Eggel) [Mutter] 23, 29, 36, 68–69, 80–81, 95, 97–98, 99, 100, 101, 102, 165, 448 Schlümbach, Adolph von [Sohn] 59–60, 100, 119, 172–174, 177, 188, 192, 234, 237, 242, 254–255, 344, 347, 353, 376, 392, 399, 402, 405, 433, 449 Schlümbach, Alexander von [Bruder] 24, 34–35, 39, 40, 43, 44, 45, 49, 56, 57, 100, 335, 343, 347, 379, 384, 397, 398, 400, 401, 402, 409, 433, 435, 445, 448, 452, 446, 465 Schlümbach, Alexander von [Sohn] 234, 242, 254–255, 281, 336, 338, 343–344, 353, 376, 382, 401, 433, 445, 448, 452–453, 466 Schlümbach, Alwine von (verw. Malcomes, geb. Groenwold) [2. Ehefrau] 446–449, 450, 451, 459–460, 460–461, 463 Schlümbach, Anna von [Tochter] 172–174, 177, 188, 192, 234, 242, 254–255, 281, 336, 338, 343–344, 353, 376, 382, 401, 434, 449, 450 Schlümbach, Coelestine von (geb. Fuerle) [1. Ehefrau] 51, 57, 59–60, 78, 82, 111, 119, 172–174, 177, 191, 192, 234, 237, 242, 254–255, 281, 336, 338, 343–344, 346, 353, 375, 376, 378, 379, 381–382, 388, 393, 400, 401, 404, 405, 433–434, 445, 450, 452, 453, 465 Schlümbach, Emma von (s. auch Werner, Emma) [Schwester] 23, 24 Schlümbach, Emma von [Nichte] 384, 385, 398, 401, 404, 465 Schlümbach, Felice von [Stiefmutter] 165–166, 334, 336, 338, 343–344, 345, 346, 353–354, 378, 383, 392, 401–402 Schlümbach, Felice von [Tochter] 192, 234, 242, 254–255, 281, 336, 338, 343–344, 353, 376, 382, 401, 404, 433, 434, 445, 449, 450 Schlümbach, Felice von [Nichte] 433, 435, 445, 446, 465

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Schlümbach, Frieda von [Tochter] 400, 401, 433, 434, 449, 445, 450 Schlümbach, Friedrich Carl von [Sohn] 449, 451, 453, 460, 461, 463, 465 Schlümbach, Georg Christoph von [Vater] 23–27, 32, 36, 37, 45, 99, 100, 165, 226, 379, 448 Schlümbach, Georg Michael von [Urgroßvater] 22 Schlümbach, Grace von [Nichte] 401, 465 Schlümbach, Hermann von [Sohn] 83, 91, 102 Schlümbach, Karoline von [Schwester] 24 Schlümbach, Lilly von [Nichte] 433, 435, 445, 446, 465 Schlümbach, Ludwig Friedrich Christian von [Großvater] 22–23 Schlümbach, Mina von [Halbschwester] 379, 382, 392, 433, 434, 435, 445, 448, 451, 452, 465 Schlümbach, Minnie von [Nichte] 402 Schlümbach, Thekla von [Tochter] 108, 119, 172–174, 177, 188, 192, 234, 237, 242, 254–255, 343–344, 353, 360, 375, 382, 401, 404, 405, 433, 449, 453 Schlümbach, Wilhelm von (geb. von Graff) [Stiefbruder] 35 Schmid, Christian Friedrich 30 Schmidt, Vereinspräses 334 Schmidt, P. 435 Schopenhauer, Arthur 86, 87, 97, 223 Schrenk, Elias 359, 382, 389–390 Schünemann-Pott, Friedrich 87, 91 Schulenburg, Gräfin von der 298 Schuler, Friedrich 176, 178, 183–184, 189, 192 Schumacher, Rektor 290, 312 Schwartzkopff, Baumeister 294, 296, 297, 385 Schwartzkopff, Fr. 298 Seagram, William 335 Seffinghaus, Hr. 306, 360 Seidel, J.F. 122 Seidlitz, F. von 379 Sherman, William T. 145 Siemers, Hermann 399 Sigel, Franz 56, 57 Smith, Robert Pearsall 130–132, 149, 150,152,156, 239, 249, 288, 318, 322, 391

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Personenregister

Solms-Baruth, Friedrich Fürst zu 385 Sommerburg, Oberprimaner 294 Sommerville, Alexander 312 Stamm, Mr. 344 Stanton, Edward M. 73 Stehl, Rev. 116 Steil, R. 116 Steinwehr, Adolph von 48, 52, 55 Stockmayer, Otto 359, 381 Stoecker, Adolf 251, 252, 253–255, 257, 272, 275, 278–280, 281, 283, 289, 290, 297, 298, 299–300, 302, 309, 311, 314, 315, 317–318, 325, 327, 336, 337, 339, 360, 362, 366, 367–368, 373, 376–377, 380, 381, 394, 425, 426, 458, 469, 470–471 Stokes, James 206, 207, 237, 251, 254, 354 Strauß, David Friedrich 89 Stroeter, Ernst Ferdinand 119, 178, 179, 183, 194, 237, 251, 252 Stuart, George H. 63, 68, 70–71, 72, 73, 75, 85 Stuckenberg, Fr. 298 Sturgis, Russell 207, 243 Sulzberger, Arnold 112 Sumner, Edwin V. 52 Swahlen, John 117, 118, 119, 120, 121 Taylor, William 315, 388 Taylor, William Robert 149 Tettweiler, Korbflechtmeister 294, 297 Tettweiler, Fr. 298 Thelemann, Karl Otto August 257, 262, 268 Ufer, Hilfsprediger 294 Uhl, Erskine 207 Ungern-Sternberg, Moritz Baron von 286, 360 Upham, Thomas 129 Urbantke, Carl 193 Van Cott, Maggie 130 Vanderbilt, Cornelius II. 206, 336 Varley, Henry 149–150 Volkening, Johann Heinrich 321 Wachsmann, Diaconus Dr. 290, 291, 292, 303, 306 Waldersee, Alfred Graf von 300, 380, 381, 382, 383, 384, 385 Waldersee, Elisabeth Gräfin von 380, 457 Waldersee, Mary Esther Gräfin von (verw. von Noer, geb. Lee) 297, 375, 380, 382, 383, 384, 386, 402, 419

Wanamaker, John 152, 386 Warneck, Gustav 305 Weber, Gottfried Friedrich 29 Weber, Stadtmissionar 294 Wegener, Friedrich 250, 256–258, 262, 263, 264, 268, 360 Weidensall, Robert 135, 207 Weidmann, John C. 136, 167 Weiß, Carl 270, 312–313, 314, 316, 319 Wenz, Hauptm. 196 Werner, Emma [Schwester] 45, 80–81, 166, 378, 379, 381, 385, 392, 420, 431, 434, 445–446, 455, 456 Werner Emma [Nichte] ( s. auch Zeller, Emma) 370, 378, 403 Werner, Ernst 180, 181, 183, 187, 189, 191, 192, 195, 240 Werner, Hermann 45, 74, 80–81, 83, 132, 378, 379, 381, 392, 403, 405, 420, 431, 434, 445–446, 454–456, 466 Werner, Toni 456 Werning, Friedrich 357, 358, 404, 408, 409–410, 414, 415, 417, 418, 421, 422, 424 Wesley, John 65, 104–105, 112, 113, 115, 129, 141, 390 Weymann, Otto 318 Wichern, Johann Hinrich 248, 276 Wiebusch, Familie 344, 347 Wiebusch, Charles L. 395 Wiebusch, Georg 344 Wiebusch, Heinrich 344, 399, 400, 404 Wiege, W. 414 Wildemann, Jan 359 Wilhelm I. von Deutschland 224, 264, 280, 286, 360 Williams, George 134, 201, 251, 335, 363, 364, 365, 425 Wishard, Luther D. 207, 247 Witte, George R. 335, 349, 351 Wörz, Jacob 116 Württemberg, Alexander Graf von 24 Zeller, Emma 384, 385, 453 Zeller, Wolfgang 378, 385, 447, 448 Ziemann, Heinrich Peter 359, 368, 373, 379, 383 Zimmermann, Dr. 143 Zimmermann, Eugen 383 Zimmermann, J. 430, 441 Zitzewitz, Fr. von 298

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Ortsregister Afrika 305, 388 Alexandria VA 71, 78 Allegheny City PA 436 Altona 331, 446 Austin TX 183, 184, 188 Australien 360 Baden-Baden 154 Bad Boll 455 Bad Gastein 448 Bad Mergentheim 392 Bad Wildungen 385, 388, 447, 448 Bailey’s Crossroads VA 51 Baltimore MD 43, 56–57, 105, 116, 117, 118–133, 135, 138, 139,140, 141, 144, 145, 146, 147, 150, 153, 154, 166, 172, 192, 196, 197, 198, 211, 238, 260, 462, 472 Barmbek 321 Barmen 334 Bautzen 263 Belle County TX 407 Belle Plain VA 77 Berea OH 32, 112, 147, 149, 180 Berlin 131, 143, 150, 154, 158–159, 161, 162–163, 196, 237, 239, 240, 251, 252, 253, 255, 257, 268, 269–274, 275–317, 318, 319, 320, 321, 324, 325, 332, 333, 335, 336, 337, 339, 343, 348, 357, 358, 360–364, 366, 367, 368, 370, 371, 373, 374, 376, 377, 378, 379, 380, 381, 382, 383, 384, 385, 386, 388, 389, 391–392, 392–394, 401, 402, 405, 408, 419, 420, 425–427, 428, 431, 463, 464 Bethlehem PA 75–76 Beverly Ford VA 71 Biasca 154 Biel 154, 160, 162 Bielefeld 333, 388 Blankenstein 333 Bonn 248, 249, 252, 255, 257, 262, 337, 341, 359, 381, 383, 419–420, 429 Bosque County TX 407 Boston MA 229, 231, 234, 354 Brandy Station VA 76

Breashear City LA 173 Breklum 323, 327 Bremen 154, 155, 158, 273, 333, 334, 360 Bremerhaven 154, 155 Brenham TX 177–178, 183, 184, 304, 414 Breslau 371, 372, 373 Brighton 131, 318 Buffalo NY 147, 198, 417 Camp Cadwallader MD 60 Camp Convalescent VA 71–73 Cedar Springs MI 207 Chambersburg PA 49 Chancellorsville VA 60 Chicago IL 43, 67, 147, 198, 207, 208, 210, 245, 357, 388, 411, 458 Christiana/Oslo 387 Cibelo TX 414 Cincinnati OH 43, 114, 120, 136, 139, 147, 172, 211, 212, 225, 226, 399, 449 Cleveland OH 16, 17, 22, 128, 147, 149, 198, 212, 221–222, 234, 424, 430–466 Columbus OH 59, 147, 198 Comanche County TX 407 Cornell County TX 407 Crawford NJ 234, 254 Cross Keys VA 55, 68, 69 Culpeper VA 57 Dallas TX 176, 192 Darmstadt 259 Dayton OH 136–139, 144, 147, 411 Dessau 384, 385 Detmold 262, 269 Deutz 258 Dillenburg 256 Dithmarschen 331 Dresden 154, 155–156 Easton PA 111 Edinburgh 243 Eilbek 321 Eisenach 448 Eisernfeld 256 Elberfeld 244, 245–248, 255, 257–261, 262, 263, 334, 335, 337, 359, 386 Elmhurst IL 417

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Ortsregister

England 105, 130, 131, 134, 150, 154, 249, 250, 252, 277, 295, 310, 318, 335, 338, 359, 360, 361, 362, 375, 390, 420, 425, 470 Erath County TX 407 Erlangen 22 Esslingen 23–24, 33, 34, 369 Europa 153, 156, 157, 160, 162, 166, 237, 239, 251, 315, 360, 378, 391, 395, 425, 448 Falls County TX 344, 400, 407 Fellbach 369 Flensburg 281, 330 Fort Worth TX 414 Franken 21–22, 28 Frankfurt/Main 158, 251, 360 Franklin VA 54, 69 Frankreich 27, 32, 285 Frederick City MD 122 Fredericksburg VA 66 Freudenstadt 385 Friedrichsburg TX 183, 188 Front Royal VA 56 Galena IL 210 Galveston TX 146, 174–175, 176–178, 179, 180–183, 184–185, 187, 190–192, 221, 240, 393, 401, 414, 415 Gay Hill TX 414 Geislingen 382 Genf 154, 157, 211, 244, 302, 383 Gettysburg PA 67 Giddings Mission TX 184 Glasgow 243, 250, 335 Gnadau 389–391, 428, 472 Göttingen 154, 162 Gotland 386 Grandenz 367 Grassyville TX 194–195 Greenfield MA 433 Großbritannien 12, 104–105, 221, 386 Groveton VA 57 Gütersloh 333 Hagerstown MD 145 Hahn’s Grove OH 451–452 Hamburg 152, 248, 252, 253, 256, 257, 262, 263, 273, 298, 301, 302, 318–320, 329, 333, 334, 335, 337, 341, 348, 360, 375, 383, 391, 427, 433, 446, 447, 456 Hamilton County TX 407 Hamm 321

Hanerau/Hademarschen 330 Hannover 252 Harpers Ferry WV 56, 136 Hazleton PA 111 Heidelberg 370, 447 Heilbronn 21, 23, 27, 28, 30–31, 32, 34, 99, 158, 448 Herborn 256 Hillendahl TX 414 Hohenfinow 397 Hohenlohe 21, 24–30, 157 Holstein 317, 333 Horken 379 Houston TX 174, 178, 188, 189, 190, 357, 409, 414 Hunter’s Chapel VA 52–53 Indianapolis IN 147, 197, 198, 201, 204, 225 Industry TX 175, 219, 220 Ingelfingen 25–30, 33, 99, 154, 165–166, 338, 379, 448 Interlaken 448 Irland 159, 243, 386 Jagsthausen 32 Jöllenbeck 256 Kanada 137 Kassel 154, 161, 447 Kiel 302, 329, 330, 332, 333, 336, 348, 388 Kissingen 385 Klampenborg 388 Köln 38, 39 Königsberg 367 Köthen 367, 381 Kolberg 314 Konstanz 154, 385 Krefeld 334, 340 Kuba 453 Künzelsau 28, 31 Laar 333 Langenbülow 379 Lansing MI 147, 149, 198 Lausanne 154 Le Havre 36, 38, 39 Lengerich 256 Leonberg 382 Liverpool 315 Llano TX 188, 189 Locarno 154 London 131, 132, 134, 141, 201, 242,

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Ortsregister 243–245, 246, 249, 251, 252, 269, 271, 299, 310, 335, 341, 359, 373–374, 377, 378, 383, 398, 402, 420, 425, 428, 439, 447, 456, 457, 464, 470 Los Angeles CA 412, 413 Louisville KY 20, 147, 198, 225–226 Loveland OH 226 Ludwigsburg 24, 33–34, 369 Lübeck 327, 331 Luzern 154 Lyons TX 414 Madison WI 147, 149 Magdeburg 332 Mailand 154, 161 Mainz 38, 39 Manassas VA 49, 52–53, 57 Marienbad 385 Markgröningen 248, 250,336, 378, 381, 385, 448, 456 Marlin TX 344, 398 Mauch Chunk PA 85, 91–97, 104, 107–109, 110, 111, 113, 116, 237 McLennan County TX 192, 344, 395, 399, 407 Mecklenburg 367 Mergentheim 154, 392 Mettina TX s. Wilhelmsburg Metz 278 Middletown VA 56 Millvale PA 436 Milwaukee WI 43, 147, 150, 198, 348, 411, 412 Minneapolis MN 147, 214 Mt. Vernon IN 210, 216–217 Neckargartach 23 Neu Baden TX 396, 414 Neu Braunfels TX 414 Neu Bremen OH 436–437 Neuchatel 154 Neuhausen 154 Neumünster 330 Newark NJ 112–113, 147, 198 New Haven CT 147, 252 New Orleans LA 35, 173, 198, 215–216, 232–233, 407 New York NY 34, 36, 39–40, 43, 48–49, 52, 112, 115–117, 147, 149, 167, 191, 207, 234, 242, 325, 329, 334, 335, 343, 347, 348, 349–350, 351, 353, 354, 360,

513

362, 375, 383, 392, 398, 440, 447, 448, 451, 470 Nordhorn 256 Northfield MA 230–232 Norwegen 387 Nürnberg 22, 23, 448 Oakland CA 413 Öhringen 21, 23, 24, 25, 27, 28 Oxford 130 Paris 38, 39, 204, 295, 370, 427 Pekin IL 198, 201 Perry TX 85, 344–347, 393, 395, 396, 397, 399, 400, 402, 404, 406, 408–410, 413, 414, 416, 422, 424, 429, 430, 433 Peyton TX 344 Philadelphia PA 39, 40, 43, 44–45, 48, 51, 60, 68, 73, 75, 78, 82, 85, 86, 87, 92, 100, 102, 110, 111, 119, 147, 161, 166, 198, 237, 386, 415 Pittsburgh PA 110, 140, 145, 166, 436, 462 Pomeroy OH 59–60 Pomona CA 413, 414 Potsdam 155, 244, 262, 263, 362 Prag 154 Prospect TX 400 Radevormwald 334, 340 Ragaz 448 Reagan TX 344 Rendsburg 331 Reutlingen 32, 369, 383 Richmond VA 49, 52, 58, 59, 84, 137, 147, 150 Riesel TX 395, 397, 399, 400, 428, 474 Rigi 154 Roddy TX 399 Romney WV 53–55 Ronsdorf 262, 264 Salem VA 53 San Diego CA 413 Sandusky OH 229 Sandy Creek TX 183, 193, 344, 347, 408 San Francisco CA 347, 413 Schlesien 25, 371–372, 373, 379, 382 Schwäbisch Hall 154 Schweden 386 Schweiz 153, 159, 160, 162, 244, 257, 287, 307, 313, 381 Scranton PA 110, 147 Sharpsburg MD 436

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Ortsregister

Siegen 256 Solmssenried 385 Sonderburg 330 South Bosque Settlement TX 193–194 Spotsylvania VA 76 St. Louis MO 43, 67, 147, 149, 160, 173, 198, 209, 216, 222–225, 246, 343, 344, 345, 349, 350, 353, 354, 358, 398, 399, 400, 404, 411, 419, 422, 431, 432, 434 St. Paul MN 147, 210, 214–215, 411 Stettin 371 Stockholm 386–387 Strasbourg VA 55 Straßburg 154, 161, 162 Stuttgart 23, 25, 27, 28, 31, 32, 244, 250, 262, 263, 281, 369, 370, 379, 382, 388, 392, 402, 448, 458 Sudley Springs VA 57 Thüringen 21–22 Toledo OH 147, 148, 166, 167, 179, 198 Tonbridge 245 Toronto 201 Triest 154

Valparaiso 315 Venedig 154 Waco TX 176, 183, 190, 191, 192–194, 241, 336, 344, 347, 357, 399, 406, 409, 414, 428, 433, 453 Wallenbrück 333 Wandsbek 320–321 Warrenton VA 53 Washington DC 49, 50, 51, 54, 57, 66, 67, 71, 88, 136, 145, 147, 156, 398 Waterloo IL 396, 398, 406 West Station TX 406, 414 Wheeling WV 56, 198 Wien 154 Wilhelmsburg/Mettina TX 398, 410, 422 Wilkesbarre PA 87 Winchester VA 54, 56, 69 Wittlage 256 Wuppertal 333, 334, 340 Würzburg 154 Zollenbeck 257 Zürich 154, 162, 257

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Sachregister Abendmahl 71, 105, 339, 341, 376, 382, 407, 410, 439 Abolitionismus 42, 61 Adelserhebung 22 American Bible Society 64 American Tract Society 64, 109, 219 Amerikanisierung 140, 152, 197, 203, 239 Anglikanische Kirche/Anglikaner 104–105, 117 Apologetik 125, 143, 170, 238, 249, 319, 420 Atheismus/Unglaube 85–86, 87, 91, 92, 94, 95, 97, 102, 103, 112, 121, 135, 138, 148, 150, 152, 155, 158, 202, 210, 215, 225–226, 228, 242, 245, 260, 290, 307, 337, 364, 468 Auferstehung 68–69, 70, 79, 210, 215 Auswanderung 34–39, 90, 100, 105, 134, 163, 243, 336, 344, 346, 356, 394, 397, 428, 452, 462 Baptismus/Baptisten 61, 62, 305, 320–321, 343, 361 Bekehrung 17, 20, 65, 66, 68, 70–71 , 72–73, 79, 80, 85, 86, 91–99, 101, 102, 104, 112–113, 119, 122, 125, 128, 129, 169, 189, 194, 195, 196–197, 201, 208, 214, 219, 223, 224, 226, 229, 230, 232, 233, 237, 238, 239, 245, 246, 249, 253, 257, 258, 260, 287, 307, 309, 310, 315, 316, 318, 339–340, 362, 366, 372, 381–382, 387, 425, 426, 467, 468 Bibelgebrauch s. Schriftverständnis Bischöfliche Methodistenkirche (USA) 93, 97, 109–110, 112, 115–126, 146, 167, 172, 173–174, 175, 188–189, 192–195, 199–200, 210, 211, 215, 216–221, 237–238, 240–241, 250, 251, 273, 274, 295, 304–305, 308–309, 315, 324, 328–329, 337, 338–339, 340, 342, 343, 344, 347, 355, 406, 408, 410, 418, 426, 428, 464, 468, 471, 472 Bischöfliche Methodistenkirche (D) 153, 157, 158–160, 162, 165, 240, 263, 281, 307, 312–314, 316, 327

Britische Bibelgesellschaft 316 Buße 29, 45, 79, 154, 220, 282, 287, 304, 308, 309, 317, 339 Calvinismus s. Reformiertentum CVJM 13, 14, 266, 268, 292–303, 305–306, 316, 348, 361, 363, 364, 365, 368, 369, 370, 371, 374, 378, 380, 383, 384, 385, 386, 388, 392, 393–394, 426, 428, 456, 463–464, 470, 474 Denominationalismus 19, 73, 102, 151, 328, 472, 473 Deutsch-amerikanische Identitäten 40–44, 100–101, 102–103, 110, 118, 139–140, 151, 186, 188, 189, 197, 203, 215, 217–219, 224, 228, 232–233, 237, 242, 335, 346, 349, 360–361, 377–378, 393, 459, 462, 467–469, 473, 474 Deutsch-amerikanischer Protestantismus 100, 130, 145, 147–152, 171, 181, 199, 203, 208, 213, 215, 217, 233, 323–324, 347, 355–356, 412, 435, 458, 463, 468 Deutscher Evangelisationsverein 359–360, 382, 389, 419, 420, 428, 473 Eheschließung 51, 447–448, 465 Ehescheidung 381, 393, 405, 429, 430, 433–434, 440–441, 445–446, 449, 457–458, 464, 465, 466 Einigung/Einigkeit (politisch) 74, 84, 102, 161, 224, 235–236, 247, 259, 263, 264, 267, 425, 472 Eintracht/Einheit (kirchlich) 73, 102, 128, 137, 141, 151, 152, 156, 170–171, 196, 198, 204, 208, 209, 215, 220, 225, 226, 238, 239, 241, 247, 249, 263, 266–267, 273, 299, 300, 305, 317, 319–320, 322, 327–328, 332, 340, 343, 362, 363, 374–375, 387, 396, 425, 426, 442, 443, 456, 472 Ekklesiologie 73, 74, 102, 105, 115, 141–142, 151, 157, 169, 195, 214, 215, 220, 236, 280, 310, 313, 320, 326, 327–328, 355–356, 391, 396, 470–471, 472, 473 Entkirchlichung 104, 125, 132, 133, 155,

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Sachregister

177, 185, 209, 219, 225–226, 230, 238, 249, 253, 255, 257, 270, 271, 276–279, 283, 284, 288, 318, 320, 373, 382, 418, 425, 471, 473 Erweckung/Revival 66–68, 80, 82, 122, 124, 125, 157–158, 164–165, 177, 193, 212, 214, 230, 232, 233, 238, 240, 253, 272, 273, 274, 275, 279, 282, 285, 288, 289, 290, 291, 309, 313, 314, 315, 316, 317, 318, 325–326, 330, 333, 334, 339, 341, 370, 382, 389, 425, 426, 467, 469, 470 Erweckungsbewegung/Revivalism 104–105, 157, 240, 246, 249, 278, 280, 282, 285, 297, 305, 315, 379, 380–381, 426 Erziehung 24, 29, 31–32, 81, 97–98, 138, 150, 189, 190, 193, 197, 202, 203, 217–218, 230, 231, 232, 279, 328, 391, 396, 446, 456, 465, 468 Evangelisation 65, 67, 141, 168, 198, 199–204, 210, 219, 221–234, 238, 241, 249, 251, 252, 253, 255–256, 257, 263, 269, 270–275, 279, 280, 282–291, 304, 309, 310, 311, 315, 318–323, 330–333, 334, 336, 337–338, 340, 347, 352–353, 359, 365, 368, 373–374, 376, 378, 380, 389, 390, 413, 418, 420, 421, 425, 426, 427, 428, 429, 431, 465, 469, 470, 471, 473 Evangelisationsbewegung 11, 13, 15, 199, 221–234, 249, 270, 288, 319, 359, 426, 469 Evangelisationskomitee (D) 251, 252, 255–256, 281, 337, 341, 350, 359, 389, 426, 470 Evangelische Allianz 11, 130, 137, 141, 249, 252, 314, 365, 470 Evangelische Gemeinschaft 110, 123, 126–130, 149, 157, 211, 219, 235, 339, 418 Evangelische Synode von Nord-Amerika 328–329, 343, 354–358, 369, 396, 398, 406–419, 421–424, 427, 428–429, 430, 440–445, 458, 465, 471 Evangelist/Erweckungsprediger 13, 149, 150, 199–200, 221, 222, 224–225, 226, 227, 228, 230, 231, 241, 253, 255, 271, 281, 288, 313, 317, 319, 324, 327, 328, 333, 334, 336, 337, 338, 339, 341, 342,

350, 351, 352–353, 359, 360, 376, 378, 382, 388, 389, 408, 411, 420, 428, 429, 464, 469, 471 Evangelistenschule Johanneum 341, 359, 382, 383, 419–421, 429, 471 Familiengeschichte 21–25 Freidenker 42, 83, 87, 89–91, 102–103, 150, 228, 376, 458, 467 Freiheit 42, 45, 74, 83, 84, 88, 100, 114, 129, 139, 156, 186, 265, 266, 281, 307, 319, 346, 347, 355, 386, 390, 394, 446, 457, 458 Freikirchen 11, 12, 153, 249, 269, 323, 331, 341, 361, 376, 378, 382, 389, 391, 472, 473 Gebet/Gebetsversammlung 67, 68, 70, 72, 73, 80, 95, 96, 112, 117, 120, 127, 131, 132, 137, 151, 169, 188, 189, 202, 208, 209, 220, 222, 231, 266–267, 272, 290, 293, 295, 299, 300, 310, 321, 322, 325, 330, 339, 364, 365, 368, 371, 379, 381, 382, 388, 393, 394, 401, 433, 454–455 Geistestaufe/-ausgießung 113–114, 115, 129, 130, 208 Gemeindearbeit 108–109, 118–126, 180–192, 193–195, 196–197, 198, 228, 238, 239, 240, 406, 408–410, 415, 431, 436–440, 458, 459, 465 Gemeinschaftsbewegung 11, 13, 14–15, 249–250, 274, 278–279, 283, 285–289, 291, 313, 321, 322, 325, 360, 376, 389–391, 426, 428, 472, 473, 474 Gleichgültigkeit (religiös) 155, 240, 256, 274, 275, 324, 325, 469 Gottesdienst 28, 63, 64, 67, 71, 72, 82, 93, 95–96, 102, 105, 107, 120, 123, 124, 127, 132, 144, 154, 158, 167, 173, 176, 177, 180, 181, 184, 188, 190, 193–194, 220, 242, 246, 262, 267, 291, 304, 309, 322, 347, 356, 363, 382, 396, 397, 406, 409, 410, 411, 414, 415, 417, 422, 428, 431, 437, 438, 439, 452, 462–463 Heiligung 68, 70–71, 79–80, 104–105, 113, 114, 115, 117, 127, 128, 129, 131–132, 140, 150, 184–185, 189, 200, 225, 227, 229, 230, 232, 238, 239, 308, 366, 384, 390 Heiligungsbewegung 11, 113–115, 117, 127, 128, 129, 130–132, 149–150, 156,

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-55804-1 — ISBN E-Book: 978-3-647-55804-2

Sachregister 163, 164–165, 199, 208, 239, 240, 282, 288, 318, 426, 454 Heiligungsversammlungen 114, 128–132, 315, 318 Heilsarmee 271, 326, 328 Heilung 337, 382, 440, 454–455 Heilungsbewegung 454–455, 466 Herrnhuter/Moravians 69, 70, 75–76, 78, 108 Immigration 39–40, 109, 112, 118, 134, 135, 151, 179, 186, 192, 194, 201, 217, 219, 238, 239, 247, 336, 343–344, 345, 356, 395, 396, 397, 398, 408, 410, 418, 429 Innere Mission 144–145, 256, 269, 270, 273, 275, 276–277, 278, 280, 293, 302, 303, 309, 310, 318, 321, 323, 325, 326, 327, 330, 331, 339, 358, 363–364, 376, 406–408, 411–419, 420–423, 427, 428, 429, 439, 471, 472 Interdenominationelle Zusammenarbeit 126–133, 135, 141, 145, 147–153, 170, 180–182, 184, 190, 196, 199, 204, 205, 209, 210, 211, 215, 220, 221, 223, 225, 226–227, 233, 235–236, 238, 239, 240, 241, 314, 319, 322, 325, 337, 361, 389, 440, 457, 467, 472, 473 Interkontinentale/-kulturelle Wahrnehmungen 34–35, 37, 45, 74, 104, 153–166, 201, 207, 217, 224, 239–240, 243–245, 246, 247, 254, 256, 259, 260, 264–265, 267–268, 269, 271, 273, 275, 277, 281, 282, 283, 288, 299–300, 301, 302, 303, 305, 306, 308–312, 313–314, 316–317, 319, 326, 328–329, 330, 334, 339–340, 348–349, 353, 356, 357, 361–362, 364–366, 369, 372, 375–376, 383, 398, 402, 406–407, 425, 426, 427, 457, 458, 459, 466, 467, 468–469 International Conventions des YMCA (Nordamerika) 136–139, 150, 201, 211–212, 234, 236 Jugendarbeit (kirchlich, USA) 116, 122, 124, 132–133, 138, 151, 181–182, 193, 196–197, 198, 202, 204, 218–219, 226–227, 238, 438 Jünglingsbündnisse (D) 244, 257, 261–269, 296, 361, 425–426, 469 Jünglingsvereine (D) 162–165, 196, 239, 240, 243–248, 250–269, 270, 275, 277,

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281, 291–303, 305–306, 311, 320, 322, 331–334, 335, 336, 337, 361, 362, 363–365, 367, 369–373, 383, 384, 385, 386–388, 425, 426–427, 469, 470, 471, 472 Jünglingsvereine (deutschsprachig, GB) 373–374 Jünglingsvereine (deutschsprachig, USA) 127, 132–133, 134, 135, 137–145, 146–152, 163- 164, 166–171, 172–173, 178–179, 195–206–216, 219, 225–226, 230, 234–237, 238–240, 241, 243, 246, 247, 256, 257, 259, 260, 266, 295, 335, 343, 344, 347–354, 360, 364, 411, 414–415, 429, 438, 457, 468, 469, 470, 472 Katholizismus 150, 158, 161, 224, 308, 317, 319, 327 Kindergottesdienst 270 Kirchbau 107, 116, 120–124, 125, 183, 184, 187–188, 190–192, 193, 238, 439, 465 Klassen (methodistisch) 105–106, 109, 120, 122, 188, 193, 220, 229, 240 Kolonisierung 336, 344–347, 357, 358, 394–400, 402–404, 414, 428, 429, 471 Konfessionalismus 11, 134, 145, 225, 241, 252, 267, 269, 310, 312, 317, 320, 324–329, 332, 341, 347, 355, 427, 472, 473 Konfirmation 28, 29, 99, 135, 240, 274, 290, 391, 438 Kongregationalismus/Kongregationalisten 295 Konsistorium 27, 28, 304, 331, 478 Krankheit 54, 55–57, 59–60, 71, 77–78, 100, 116, 177, 205, 215, 237, 241, 242, 248, 250, 296, 334, 336, 337, 346, 384, 385, 388, 392–393, 405, 415, 423, 429, 437, 440, 442, 449, 450, 452, 454, 457, 459, 460–461, 462, 466 Lagerversammlungen 127–130, 132, 176, 188, 189, 200, 214, 226–227, 228, 238, 240, 263 Laien 105–106, 107, 157, 232, 235–236, 239, 241, 251, 271, 276, 278, 279, 282, 285, 302, 309, 314, 316, 325, 331, 340, 390, 426, 427 Laienprediger 106, 107, 108, 119, 123, 249, 271, 325, 389

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Sachregister

Laientätigkeit 134, 142, 148, 152, 211, 235–236, 266, 269, 282, 285, 324, 390 Landeskirchen (D) 156, 240, 249, 273–274, 282, 304, 309, 311, 312, 313–314, 315, 317, 318–319, 321, 322–334, 336, 338, 340, 341–342, 349, 359, 360, 361, 364, 369, 376, 382, 389, 390, 407, 409, 418, 425, 427, 428, 469, 470, 471, 473 Landeskirche (Preußen) 89, 275–280, 295, 298, 301, 303, 304, 307, 312, 315, 316, 318, 329, 333, 336–337, 339, 355, 375, 379, 427 Landeskirche (Schleswig-Holstein) 331–332, 427 Landeskirche (Württemberg), 27–29, 99, 325, 328, 427, 468 Lee Institute 415–419, 420–424, 429, 433–434, 450, 457, 466, 472 Liberalismus (theologisch) 269–270, 274, 280, 285, 290, 303, 323, 326, 331, 458 Libby Prison 59, 68, 69, 70, 137 Liedgut (christlich) 72, 94, 133, 138, 192, 221, 222, 226, 247, 261, 271, 272, 273, 284, 287, 288, 290, 298, 300, 301, 310, 311, 319, 320, 321, 339, 343, 361, 364, 426, 427, 436, 463 Luthertum/Lutheraner 134, 145, 225, 252, 253, 269, 305, 307, 312, 319–322, 323–330, 332, 341, 347, 355, 408, 410, 418, 427 »Massen«/Massenveranstalungen/-evangelisation 129, 130, 140, 143, 148, 155, 166, 167, 181, 185, 197, 198, 218, 201, 222–225, 232, 233–234, 238, 240, 248, 250–251, 252, 255, 256, 257, 258, 267, 269–271, 272–273, 279, 280, 283, 284, 288, 289, 290, 316, 320, 323, 327, 339, 341, 342–343, 373, 377, 426, 428, 464, 470 Materialismus (philosophisch) 90–91 Methodismus/Methodisten (allg.) 361, 468, 470, 473 Methodismus (deutschsprachig, USA) 123, 176, 178, 187, 218, 219, 220, 233, 240, 269, 282, 304, 306, 317, 326, 340, 357, 361, 408, 427, 469 Methodismus (D) 156–161, 164–165, 249, 274, 287, 299, 301, 305–306, 307–312, 313, 314, 316, 319, 320–322, 324–329,

331–332, 333, 337, 369, 376, 387, 391, 427 »Methodismus« (als Chiffre für erwecklichen Protestantismus angelsächsischer Prägung) 165, 240, 249–250, 263, 273–274, 287, 301, 302, 303, 304, 306, 307, 308, 309, 310, 316–317, 330, 333–334, 339–340, 342, 387, 425, 427, 428 Methodist Episcopal Church 61, 72, 92–96, 104–110, 175, 190, 237, 327 Methodist Episcopal Church South 61, 174, 175, 178, 189, 412 Militär (Württemberg) 22–26, 32–34, 49, 99–100 Militär (Nordstaaten, USA) 46, 47–81, 144, 462–463 Mittelpartei 280 Musik/Gesang 40, 41, 64, 72, 87, 90, 93, 94, 96, 98, 100, 125, 132–133, 138, 143, 181, 193, 226, 234, 238, 239, 291, 299, 427, 436, 437, 438, 446, 449, 458–459, 460, 463, 465 National Camp Meeting Association 114, 129, 200 Nationalbund Deutscher Christlicher Jünglingsvereine (Nordamerika) 138, 144, 150, 152–171, 178–179, 182, 194, 195–206, 207–216, 219, 234–236, 238, 239, 240, 241, 244, 246, 247, 262, 269, 273, 289, 292, 305, 344, 348–349 National Conventions der Jünglingsvereine in den USA 136, 139–144, 146, 166–171, 179, 196, 201, 205, 206, 211, 212–214, 234–236 Nationalfest der Jünglingsbündnisse am Hermannsdenkmal (D) 259, 261–269, 275, 425 Nationalismus 246–247, 264–265, 272, 285, 310, 384 Naturalismus 155 Norddeutscher Jünglingsbund 248, 253, 256, 331, 349 Ostdeutscher Jünglingsbund 277, 298, 305–306, 361, 371, 373, 385 Oxford-Bewegung 130–132 Pantheismus 155 Parteiungen (kirchenpolit.) 277–280, 290, 302, 304, 323, 331–332, 340, 341, 366–367, 426, 427

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Sachregister Patriotismus 74, 79, 82, 83–84, 161, 247, 256, 259, 268, 360–361, 468 Philosophie 32, 86–87, 92, 222–223, 229, 242 Pietismus 11, 28, 310, 317, 330, 364 Polemik/Angriffe/Repression 157–159, 225, 229, 240, 252, 273, 299, 302, 303–312, 314, 316–317, 324–332, 333–334, 337–339, 341, 342, 359, 360, 364–365, 371, 372, 375–376, 383, 427–428, 457–458, 466, 471, 473 Positive Union 251, 252, 269–273, 279–280, 282, 303, 310, 329, 355, 367, 426 Predigt 20, 61, 67, 68, 72, 93, 96, 97, 98, 105, 106, 107, 108, 110, 112–113, 114, 115, 118, 127–128, 129, 131, 133, 138, 181, 184, 187, 189, 190, 200, 212, 216, 220, 223, 229, 233, 234, 237, 267, 275, 287, 304, 319, 321–322, 323, 326, 327, 329, 331, 334, 340, 379, 407, 411, 412, 414, 415, 426, 439, 459 Presse (säkular, deutsch-amerikanisch) 37, 40, 41–42, 110–111, 139–140, 237 Prohibition 186 Protestantenverein 156 Rationalismus 42, 89–91, 158, 208, 252 Rechtfertigung 105, 113, 114, 270, 308 Rednertätigkeit (ohne Predigt/Evangelisation) 75, 86, 87, 92, 101, 102, 110, 118, 120, 307, 468 Reformation 264, 275, 309, 405 Reformiertentum/Reformierte 113, 268, 269, 329, 332, 355 Reich Gottes 170, 215, 232, 258, 260, 277, 284, 285, 288, 296, 297, 312, 313, 340, 364, 365, 374–375, 394, 455 Republikanische Partei (USA) 42, 47, 86–87, 88, 103, 110–111 Revolution 27, 37, 41–42, 74, 88, 90, 467 Rheinisch-westfälischer Jünglingsbund 245–248, 250, 256–261, 277, 301, 311, 333–334, 335, 340, 349, 383, 425 Schlachten 461 Bull Run (I.) 49–50 Cross Keys 55 Rapahannok/Pope’s Retreat 57 Bull Run (II.) 57–58 Wilderness 76–77 Schriftverständnis/Bibelgebrauch 68–70,

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77, 80, 101, 137–138, 181–182, 187, 199, 202, 204, 206–207, 209, 220, 221, 223, 226, 233, 241, 259, 260–261, 290, 308, 316, 321, 322, 326, 327, 355, 368, 375, 386–387, 412, 413, 420, 438, 455, 463 Schulbildung 30–32, 133, 180, 346, 396, 397, 423, 424 Sklaverei 42, 46–47, 83–84 Sonntagsheiligung 80, 116, 126, 155, 177, 240, 270, 332–333 Sonntagsschule 93–95, 97, 102, 108–109, 112, 120, 122, 123, 124, 126, 132, 133, 140, 148, 177, 180, 181, 183, 188, 195, 206, 210, 249, 277, 278, 293, 310, 313, 368, 438 Sozialdemokratie 272, 320, 362, 376–377, 473 Spendeneinwerbung 75, 101, 109, 120, 122, 123, 124, 125, 129, 133, 149, 159–160, 184, 187–188, 189–190, 190–192, 200, 206, 209, 212, 224, 238, 240, 243, 244, 250, 251, 252, 254–255, 258, 266, 288, 295, 297, 301, 313, 331–332, 335, 338, 349, 351, 352, 353, 354, 359, 363, 364, 369, 370, 372, 385, 388, 402, 407, 411, 412, 413, 415, 417, 419, 420, 421, 423, 424, 425, 430–431, 436, 465 Stadtmission (Berlin) 253, 270, 271, 278–279, 280, 289, 290, 291, 293, 309, 314, 360, 368, 373, 376–377, 388, 391, 426 Süddeutscher Jünglingsbund 259, 281, 369–370 Sündlosigkeit 114, 131 Taufe 24, 83, 108, 240, 249, 274, 339, 342, 391, 401, 439 Temperenz 43, 64, 71, 72, 89, 112, 116, 143 Theologische Ausbildung (s. auch Evangelistenschule Johanneum; Lee Institute) 108, 109, 110, 111–113, 118, 237, 420 Tod 23, 24, 36, 58, 61, 66, 67, 70, 78, 79, 81, 91, 95, 99, 100, 102, 185, 377, 452–454, 456, 457, 461, 466 Transkonfessionalität/Überkirchlichkeit 12, 18, 102, 151, 295, 319, 341–342, 343, 349, 361, 389, 427, 457, 465, 467, 470, 472–473

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Sachregister

Trennung von Staat und Kirche 156–157, 158, 161, 240, 309 Turnbewegung/Turner 40, 42–43, 44–45, 48, 83, 84, 86, 87, 88–89, 90, 92, 100, 102–103, 141, 150, 166–167, 202, 458, 467 Union/Unierte 269, 312, 325, 328, 343, 418, 427, 465 United Brethren 68–69 U.S. Christian Commission 62–66, 67, 68, 72–78, 81, 91, 99, 101, 102, 120, 472 Vereinigte Brüder in Christo 123, 126–135, 157 Vereinswesen (säkular, deutsch-amerikanisch) 40–41, 87, 92, 96, 100, 102–103, 118, 135, 141, 150–151, 166, 201, 202, 238 Volk 74, 105, 154, 155, 158, 161, 162, 177, 188, 199, 222, 225, 228, 232–233, 243, 261, 263, 264, 270, 271, 272, 277, 278, 279, 282, 283, 285, 304, 310, 314, 316, 317, 319, 320, 321, 324, 327, 328, 340, 341, 368, 370, 376, 377, 391, 428, 462, 464

Volkskirche 279, 283, 314, 316, 317, 328, 339, 364, 389, 391, 396, 428, 471, 472, 473 Volkspartei 377 Vollkommenheit 112, 114, 131, 187, 228, 299 Vorsehung 77, 79, 390 Weltkonferenzen des YMCA 242–245, 246, 247, 253, 269, 301–302, 335, 360–366, 367, 371, 386, 425, 468, 470 Wiedergeburt 151, 249, 265 Wiederkunft Christi 227–229, 394, 451, 440, 454–456, 457, 459, 460, 466 YMCA 13, 62, 67, 134–135, 136–139, 142, 147, 150, 152, 177, 197, 201, 203, 204, 205, 206–216, 219, 221, 233, 239, 240, 241, 242–245, 250, 251, 252–255, 257, 292, 295, 297, 301–302, 303, 308, 324, 329, 335, 336, 337, 347–354, 360, 361, 364, 365, 373, 383, 386, 412, 413, 414, 425, 426, 428, 464, 468, 469, 470

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-55804-1 — ISBN E-Book: 978-3-647-55804-2