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German Pages 37 Year 1897
Friedrich
und
der
Große
Voltaire.
Von
F. Linz in Elberfeld.
Hamburg. Verlagsanstalt und Druckerei A.-G. (vormals J. F. Richter), Königliche Hofverlagshandlung.
1897.
Das Recht der Ueberseßung in fremde Sprachen wird vorbehalten .
Drud der Verlagsanstalt und Druderei Actien-Geſellſchaft (vormals J. F. Richter) in Hamburg, Königliche Hofbuchdruckerei.
Es war im Auguſt des Jahres 1736, als der Kronprinz von Preußen, der spätere König Friedrich der zweite, Beseitigung
des
Zerwürfnisses
malerischer Gegend,
mit
seinem
etwa zwei Meilen
Vater
das
nach in
nördlich von Ruppin
gelegene Schloß Rheinsberg bezog, um Athem zu schöpfen nach den Leiden und Entbehrungen einer harten, freudlosen Jugendzeit und zugleich Kraft zu sammeln zu dem Wirken, Kämpfen und Ringen des Mannes. Getrieben von brennendem Wissensdurste und zugleich in stetem Blick auf die hohen Aufgaben seines zukünftigen Berufes stürzte sich der jugendliche Prinz mit der vollen Energie ſeines eisernen Willens
auf das Studium der Litteratur, Geschichte
und Philosophie, um die zur Erfüllung seiner späteren Herrscher. pflichten unerläßlichen Kenntniſſe, Wahrheiten und Erfahrungen zu sammeln, um durch ernste Geisteszucht seine Seele vor dem Ausbruch heftig aufbrausender Leidenschaften zu schäßen,
und
seinen Geist zu füllen mit allem, was das Alterthum und die neuere Zeit an glänzenden Musterbildern darreichten .
Wolff's
Philosophie, Bayle's Wörterbuch, Rollin's Geschichte, die vorzüglichsten
poetischen
Geisteswerke
der
Franzosen
und
ihre
Uebersetzungen der Griechen und Römer bildeten die tägliche Speise des Kronprinzen. Die ernste, angeſtrengte Geistesarbeit fand ein entsprechendes Gegengewicht in königlichen Gastmählern, Schauspielen, herr(883) 1* Sammlung. N. F. XI. 263.
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licher Musik, Spaziergängen in Gärten und Wäldern, Waſſerfahrten, ſowie geistreichen und heiteren Unterhaltungen, zu welchen der zukünftige
Thronerbe
außer seinen
Jugendfreunden
eine
ganze Reihe hervorragender Geister um sich sammelte, so den durch seine und tiefe Bildung wie gesellschaftliche Gewandtheit und Liebenswürdigkeit ausgezeichneten Oberst von Keyserlingk, so
den
rationalistischen,
ehemaligen
reformirten
Prediger
Jordan, so den gewandten Diplomaten und gründlichen Kenner der Wolff'schen Philosophie, den früheren sächsischen Premierminister von Manteuffel, so den wissenschaftlich durchgebildeten, biederen und echt deutsch gesinnten General von Stille.
Geist-
reiche junge Offiziere, Tonkünstler und Maler, sowie zahlreiche Damen vom Hofstaate der Kronprinzeſſin vervollſtändigten den gewählten und glänzenden Kreis .
Selbst Fremde, welche durch
launigen Scherz, sprühenden Wiß
oder dialektische Schärfe sich
über das Maß
der Mittelmäßigkeit erhoben,
waren in dem
Tusculum Friderici gern gesehene, willkommene Gäste.
Wo
die Möglichkeit persönlichen Verkehrs ausgeschlossen war, mußte der fixirte Gedanke, das
geschriebene Wort,
die Geister miteinander verbinden .
der Briefwechsel
Wir gewinnen
aus
den
zahlreichen Korrespondenzen, die Friedrich zu jener Zeit geführt hat, und die in der akademischen Ausgabe seiner Werke vollſtändig vor uns liegen, ein getreues, anschauliches Bild von dem Leben und Treiben des Kronprinzen in Rheinsberg und müſſen zugleich die Vielseitigkeit seiner Intereſſen, die Beweglichkeit seines Geiſtes, die Schärfe seines Verſtandes, die Klarheit seines Urtheils, die Fülle seines Wißes, die Tiefe und Wärme seines Gemüthes bewundern. einem
Bald rührte er die Feder, um
treuen Freunde sein Herz
auszuschütten
innersten Geheimniſſe ſeines Fühlens
und ihm die
und Strebens zu offen-
baren, bald um seine Vertrauten in Zeiten der Krankheit und Bedrängniß zu trösten, bald (884)
um namhaften Gelehrten seinen
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Beifall zu spenden oder
tiefe wissenschaftliche Probleme, sowie
litterarische Fragen mit ihnen zu diskutiren. So führte Friedrich in Rheinsberg jenes eigenartige, zwischen strenge Selbſterziehung und schwärmerischen Muſendienſt getheilte Doppelleben, wie es auch die sonnigsten Tage von Sanssouci nicht zurückzuzaubern vermochten. Es bedarf nach den voraufgegangenen Mittheilungen wohl kaum der Erwähnung,
daß keine bedeutsame Erscheinung auf
dem Gebiete der Wissenschaft, Kunst und Litteratur ins Leben trat, ohne daß sie von dem scharfblickenden Geiste des Rheins. berger Philosophen als solche erkannt und mit freudiger Be geisterung
begrüßt
worden wäre.
die Kraft selbständigen, der durfte gewiß sein,
Wer darum zu jener Zeit
originellen Schaffens in sich spürte,
in dem königlichen Mäcen einen ebenso
verständnißinnigen Kritiker
wie warmen Freund und Gönner
zu finden. Damals aber stand am litterarischen Himmel Frankreichs im Zenith seines Ruhmes Voltaire , ein Mann,
der zu den
merkwürdigsten Persönlichkeiten gehört, welche die Weltgeschichte hervorgebracht hat, ein Charakter so voller Widersprüche, daß man es kaum widersprechende
begreifen kann, Naturen
in
wie zwei so verschiedene, sich
einem
Menschen
vereinigt sein.
können : ein herrliches Genie, aber verbunden mit einer nichts. würdigen Seele; in seinen Schriften ein mannhafter Vertheidiger politischer und religiöser Freiheit, und dabei persönlich so gereizt und intolerant,
daß
er
durch den
unbändige Wuth versezt werden
geringsten Widerstand in
konnte ;
ein muthiger
Vor-
kämpfer für Wahrheit und Ehre, und doch selbst so verlogen und ehrlos, daß er aus bloßer Furcht vor Unannehmlichkeiten seine
eigenen Schriften
verleugnete ;
ein
begeiſteter Lobredner
überzeugungstreuen Denkens und Handelns, und doch ein ebenso entschiedener
Gegner
persönlichen
Märtyrerthums ;
ein Feind (885)
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jedes Servilismus,
und doch selbst in der unwürdigſten Ab-
hängigkeit von den Großen und gebig bis zur Verschwendung,
Gewaltigen der Erde ;
frei-
und doch wiederum habsüchtig
bis zum niedrigsten Geiz ; ein warmer Gönner und Beschüßer seiner Freunde, aber voll Neid und Eifersucht, wenn ihr Ruhm den seinigen zu überstrahlen oder gar zu verdunkeln drohte. Aber troß seiner geradezu mephistophelischen Natur, troß seiner Widersprüche, Reizbarkeit,
Bosheiten
und
Schwächen ,
troß
Eitelkeit und Habsucht hat Voltaire
seiner
mit seinen
glänzenden Gaben gewuchert wie selten ein Mensch.
Er hat
gearbeitet und gewirkt, wie wenige vor und nach ihm,
manche
Fessel kühn gesprengt und die Atmosphäre des Gedankens von einer
Menge fauler
Dünste
gereinigt.
Zum Popularisiren
großer Wahrheiten besaß er eine seltene Klarheit und Anmuth des Ausdrucks, zum Kampf gegen das Vorurtheil die furchtbare Waffe vernichtenden Spottes, zur Lösung einer ungeheuren Aufgabe die Kraft alles zu umfassen, die Universalität .
Voltaire
gehört unstreitig zu den vielseitigſten und beweglichſten Geiſtern, die je gelebt haben. Es giebt kaum eine Frage der menschlichen Bildung, welche er nicht gelegentlich einmal berührt, keine Form der
dichterischen
er nicht mit hätte.
und
wissenschaftlichen
Darstellung,
meist sehr glücklicher Geschicklichkeit
welche
angewendet
Kein Wunder, wenn ein so phänomenaler Geiſt ſeine Zeitgenossen
in seine Kreise
bezauberte.
bannte,
ja
sein
ganzes
Zeitalter
Man ehrte ihn nicht nur in Frankreich, ſondern
in ganz Europa als den ersten lebenden Schriftsteller und über. häufte ihn mit Ehrenbezeugungen jeder Art ; selbst der franzöſiſche Hof überschüttete ihn zeitweilig
mit
Aufmerksamkeiten
und
Liebenswürdigkeiten ; man gab ihm die Würde eines königlichen Kammerherrn ; man ernannte ihn zum Historiographen Frank. reichs ; glänzende Theatervorstellungen und Soupers vereinigten (886)
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die vornehmste Geſellſchaft der franzöſiſchen Hauptstadt in ſeinen Salons . Was ist natürlicher, als daß dieses glänzende Meteor seine Strahlen
auch bis nach Rheinsberg warf und die für alles
menschlich Große und Schöne erglühende Seele des preußischen Musensohnes elektrisirte ! danken aus
dem
Wie
lauschigen
oft schweiften Friedrichs
Thurmzimmer
am
Ge-
Grienerickſee
hinaus nach Schloß Cirey, wo, abseits der großen Heerstraße, hingebende Liebe dem Dichter ein Asyl vor Neid
und Nach-
stellungen bereitet hatte.
Dem feurigen Prinzen,
dem
jener
die einst
Sophie Charlotte,
Liezenburg
mit
Leibniz
in
den Laubgängen
philosophirte,
war
es
bald
Enkel von nicht
genug, den bewunderten Schriftsteller nur in der Stille, als Leser seiner Werke zu verehren ;
es drängte
ihn,
diese Ver-
ehrung auch zum Ausdruck zu bringen und vorerst eine briefliche Berührung mit Voltaire herbeizuführen, nisse eine persönliche gestatten würden.
bis die Verhält-
So wurde denn eine
Korrespondenz eröffnet, die mit wenigen Unterbrechungen fast 42 Jahre gedauert hat, und die für beide Männer immer mehr zum Lebensbedürfniß werden sollte.
Es sind zwei der bedeu
tendsten Persönlichkeiten ihrer Zeit, die Vertreter zweier Nationen, in
ganz
verschiedenen Lebensstellungen
und
von
ganz
ver-
schiedenem Temperamente, welche wir in einen friedlichen Wettkampf eintreten sehen, worin, was Geist und Wig anbetrifft, der Prinz dem Schriftsteller wenig, Schriftsteller dem Prinzen und König
um so
mehr
aber der
an Charakter nachsteht.
Die ersten Jahre des Briefwechsels sind voll von den ausschweifendsten, gegenseitigen Huldigungen .
Voltaires Schmeiche
leien verstiegen sich bis zur platteſten Geschmacklosigkeit. wird der „Prinz-Philosoph " Prinzen ", zum
gewaltigen
Sprache die Ehre erweise,
Raſch
in seinen Briefen zum „ großen Genie ", sich ihrer
das zu
der
französischen
bedienen,
und die (887)
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französische Poesie würdige, ſie durch seine Oden zu verherrlichen. Bald darauf ist ihm Friedrich schon zum „ Alexander " gewachsen,
bei
welchem
er
selbstverständlich
die
heran-
Rolle
des
Aristoteles zu übernehmen gedenkt ; dann verwandelt sich Alexander ebenso seltsam als plöglich in „ Sokrates “ , Preußen in „ Griechenland “ , bis schließlich der auf der Höhe seines Ruhmes Stehende den kaum Fünfundzwanzigjährigen kurz und bündig seinen
Gott Friedrich" nennt. — Auch Friedrichs Begeisterung
für Voltaire kannte keine Grenzen .
Er
bewunderte
ihn als
einen Philosophen, liebte ihn als einen Dichter und verehrte ihn als einen Freund . Schriftsteller.
Ihn hielt er für den einzig
großen
Die „Henriade“ wußte er auswendig und seßte
ſie über Homer, Virgil und Taſſo, und ebenſo überſchwänglich wurden die übrigen Werke Voltaires
erhoben.
Friedrich ver
glich seinen Freund mit dem Gott der Musen, mit dem könig . lichen Sänger David und seinem weisen Sohn Salomo . weiß es nicht genug
zu rühmen,
Er
daß Voltaire nicht Rang,
Titel und beträchtliche Einkünfte gebrauche, um die Augen der Menschen auf sich zu ziehen, sondern daß er bloß
um seiner
Verdienste willen hochgeachtet, bewundert und beneidet werde Voltaires Bild schmückte seine Bibliothek und hing dem Orte gegenüber, wo er gewöhnlich saß, damit er dasselbe stets vor Augen habe.
Es war ihm die Memnonsſäule, die harmoniſch
ertönte, wenn die ersten Strahlen der Morgensonne ſie begrüßten, und die den Geist eines jeden belebte, der sie anschaute.
Ja,
er verſteigt sich sogar zu dem idolatrischen Ausspruch, es gebe nur einen
Gott und
Voltaire bedurft, machen.
einen
Voltaire,
und Gott
habe
eines
um das 18. Jahrhundert liebenswürdig zu
Friedrich bezeichnete seine Handlungen als die Frucht
von Voltaires Lehren, deren Befolgung er sich für sein ganzes Leben
zum
unverbrüchlichen
Gesetz
gemacht
habe.
Seinem
französischen Freunde widmete er die Erstlinge seiner Poeſie; (888)
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ihm sandte er zu wiederholten Malen zart gewählte Geschenke ; ja er schrieb sogar, um dem großen Dichter zu gefallen, eigen. händig
an dessen
Geliebte,
die Marquise von Châtelet, und
wiewohl er sie im tiefsten Herzensgrunde verachtete, nannte er sie doch in seinen Briefen die
göttliche Emilie“ und stellte sie
auf eine Stufe mit den größten Philosophen der damaligen ein schweres, fast unbegreifliches Opfer, das der ſonſt
Zeit
so wahrheitsliebende Prinz den Musen brachte.
Ein Beweis
für die schwärmerische Verehrung, welche Friedrich dem französischen Dichter entgegenbrachte, ist auch der Umstand, daß er den Gedanken faßte, die ganze Henriade in Kupfer stechen zu lassen; ja, er hatte bereits
ein lobpreisendes Vorwort zu der
beabsichtigten Prachtausgabe geschrieben, in dem er unter anderem sagt :
„ Ein Gedanke der Henriade
auf."
Er wollte durch dieses Unternehmen zur Unsterblichkeit
eines Werkes beitragen, das der
wiegt die ganze Iliade
ganzen Erde Nußen schaffe,
ein Gedicht vervielfältigen, worin der Verfaſſer die Pflichten der Großen und des Volkes lehre, eine Regierungsart empfehle, von der die Fürsten
gewöhnlich wenig
wissen,
Gesinnungen
pflege, wodurch Homers Götter veredelt werden würden . selben
Begeisterung
voll
blieb Friedrich sein
ganzes
Der. Leben
hindurch für den französischen Dichterhelden, und mochte auch in späteren Jahren so manches ihm den persönlichen Umgang mit Voltaire verleiden, des Königs Bewunderung für seine Geisteswerke minderte sich kaum .
Noch 1777 gelobte er dem
Verfasser, dieselben ebenso herrlich zu bewahren, wie Alexander den Homer, und in der Lobrede auf den verstorbenen Dichter (1778) fagte er,
der Gott der Musen habe Voltaire seinen
Plaz zwischen Homer und Virgil angewiesen. So lange der glaubens- und ſittenſtrenge Vater Friedrichs lebte, durfte dieser nicht daran denken, eine persönliche Bekannt. schaft mit dem leichtfertigen französischen Spötter zu suchen. (884)
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Als
aber im Mai
1740 Friedrich Wilhelm der Erste die
Augen geschlossen hatte, benußte der neue König gleich die erste Huldigungs- und Inspektionsreise in den westlichen Provinzen seines
Reiches ,
zu schaffen.
um einem
langgehegten Wunsche
Erfüllung
Nachdem er Voltaire verschiedene Male, so durch
Keyserlingt, so durch den Obersten von Camas hatte begrüßen laſſen, fand die erſte Zuſammenkunft am 11. September 1740 auf dem Schloſſe Moyland bei Kleve statt, wo sich der wegen seiner Schriften zum zweiten Male verbannte Voltaire einfand. Welchen Genuß Friedrich aus diesem Besuche geschöpft, spricht er selbst aus in einem Briefe an Jordan : „ Ich habe Voltaire gesehen,
auf deſſen Bekanntschaft
ich so neugierig war ;
ich hatte gerade ein viertägiges Fieber,
aber
und mein Geist war
ebenso ohne Spannung wie mein Körper ohne Kraft.
Er ist
so beredt wie Cicero, so angenehm wie Plinius, so weiſe als Agrippa; mit einem Wort,
er vereinigt in sich alle Tugenden
und Talente der drei größten Männer des Alterthums .
Sein
Geist arbeitet unaufhörlich ; jeder Tropfen Tinte, der aus seiner Feder fließt, wird
zu einem Bonmot.
Ich habe zwei Gegen-
stände gesehen, die mir immer am Herzen lagen : Voltaire und französische Truppen . " Aus Anhänglichkeit an die Marquise von Châtelet hatte Voltaire sich lange nicht entschließen können, Friedrich zu be. suchen;
aber im
November
König ihn nochmals
1740
durch eine
erschien
er,
nachdem
poetische Epistel
hatte, auf einige Tage in Rheinsberg,
der
eingeladen
wohin sich der König
nach Erledigung der ersten Regierungsgeschäfte zu seiner Er. holung zurückgezogen hatte, dem
in einer politischen Mission,
mit
geheimen Auftrage, den König auszuforschen, ob er sein
Heer für oder gegen Maria Theresia gebrauchen wolle. Voltaire fand den
töniglichen
Freund
zwar
überaus liebenswürdig,
inbetreff seiner Pläne aber undurchdringlich, (890)
was ihm um so
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verdrießlicher war,
als er gar zu
Nachricht hierüber
den Kardinal Fleury verpflichtet und sich
gerne
durch
eine diplomatische Laufbahn eröffnet hätte.
eine
Da er
geheime
außerdem
nicht fein genug war, die wahre Absicht seines Besuches zu verbergen, machte er seinem hohen Verehrer nicht die Freude, welche er ihm sonst bereitet haben würde. folgende
Stelle
eines
Briefes
an
Daraus erklärt sich
Jordan :
„ Dein Geizhalz
Voltaire soll die Hefen seiner unersättlichen Habgier trinken und noch dazu 1300 Thaler bekommen . Von den sechs Tagen, die er hier gezecht, kostet mich jeder 550 Thaler .
Das nenne
ich einen Lustigmacher theuer bezahlen ; niemals hat der Hofnarr bei irgend einem großen Herren eine solche Bezahlung gefunden. “ Das
war das erste ferne Grollen
an dem noch wolkenlosen
Himmel, das den langsam, aber unabwendbar heraufziehenden Gewittersturm verkündete. Ich will hier gleich bemerken, daß Friedrich von
denen, die
seine Freundschaft genossen, einmal,
in seiuer unmittelbaren Nähe
wesentlich zweierlei
vorausseßte :
daß sie sich um politische und Verwaltungsangelegen-
heiten durchaus nicht kümmerten, und dann,
daß sie mit ihm
als Menschen zufrieden sein sollten, ohne von dem Könige weltliche Dinge zu begehren.
So minderten zwei sehr empfindliche
Schattenseiten Voltaires - seine Sucht, sich in die Welthändel einzumiſchen, und seine Habsucht den Reiz seiner Gesellschaft beim Könige, der früh lernen mußte, entzückt blieb. Während
während
seines
auf den Menschen in ihm er
ersten
von
dem schönen
Aufenthalts
an
verzichten
Geiste
dem
stetig
märkischen
Musenhofe machte Voltaire auch die Bekanntschaft der Lieblingsschwester des Königs, der Markgräfin Wilhelmine von Baireuth, die ihm, selbst durch das spätere Zerwürfnis mit dem Bruder unbeirrt, bis zu ihrem Tode eine treue Freundin geblieben ist. Ein neues Zusammentreffen, welches im Jahre 1742 in (891)
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Aachen stattfand, scheint ſehr herzlich geweſen zu ſein ; wenigſtens berichtet Voltaire in seinen Briefen, der Held, welcher zwei Schlachten gewonnen, mit Terenz .
Aber
habe mit
ihm
geplaudert,
wie Scipio
von seinen Absichten mit Karthago wird
wohl der Feldherr und Politiker dem Poeten wenig verrathen haben. Wenigstens sah sich Voltaire, nachdem er eine Woche lang Friedrichs Gast gewesen war, inbetreff der
politischen Kon-
junkturen so klug wie zuvor, und was er seinem Kardinal zu berichten hatte, war kaum des Dankes werth. Bei einem wiederholten Besuche in Berlin im September 1743 mußte Friedrich zu seiner peinlichen Ueberraschung erfahren, daß
nicht
einmal
sein
eigenes
Haus
vor
den geckenhaften
Streichen seines Gastfreundes sicher sei . Bei aller Vielgeschäftigkeit hatte nämlich Voltaire Zeit und Lust gefunden, Friedrichs schönen Schwestern, den Prinzessinnen Ulrike und Amalie, den Hof zu
machen.
Die Wahl,
welcher von beiden der Preis
gebühre, fiel ihm anfangs schwer ; denn er sang
ebenso hübsch
wie galant : „Käm' Paris wieder auf die Erde, daß zwiſchen Euch er Richter sei :
Den Apfel schnitt er flugs entzwei und
brächte keine Kriegsgefährde. "
Später jedoch würdigte er die
Aeltere seiner ganz besonderen Auszeichnung.
Er
übersandte
ihr ein zierliches Madrigal, das nichts mehr und nichts weniger als eine regelrechte Liebeserklärung enthielt und also lautete : „ Es mischt ein Schein der Wahrheit sich Oft mit der gröbsten Lüge. So vor'ge Nacht, da deucht es mich, Als ob ich eine Königskrone trüge. Brinzessin , rief ich glutentbrannt, ich liebe dich!' Doch beim Erwachen ist nicht alles mir genommen, Nur um ein Königreich bin ich gekommen." Das war selbst für Friedrichs Langmuth zu viel . solche (892)
Dreistigkeit verlangte
Züchtigung .
Auf des
Eine
Bruders
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Geheiß und unter dessen poetischer Mithilfe mußte Prinzessin Ulrike in Versen antworten,
die den kecken Minnesänger
auf
verbindliche, aber nicht mißzuverstehende Weise über den Unter, schied der beiderseitigen Stellung belehrten und ihm schriftlich riethen, auf dem Helikon zu bleiben, den er durch eigene Kraft erobert habe, die Fürstentochter aber in
der Höhe zu belaſſen
zu der nur das Verdienst ihrer Ahnen sie erhoben. -- Weniger verblümt fiel des Königs Entgegnung aus : „ Es stimmt der Traum, wie man gemeinhin siehet, Mit unserer Gemüthsart überein. Dem Helden träumt, er überschritt den Rhein, Dem Kaufmann, daß er reichen Vorteil ziehet, Dem Hund, daß er den Mond anbellt ; Doch daß Voltaire sogar in Preußen, Traumselig, sich für einen König hält, Um sich als einen Gecken zu erweiſen : Fürwahr, das muß ein Mißbrauch selbst der Träume heißen." Noch im nächsten Frühjahr, als Prinzessin Ulrike ſich mit dem Könige
von
Schweden verlobt
hatte,
schrieb Friedrich
spottend an Voltaire : „Meine Schwester Ulrike sieht theilweise Ihren Traum in Erfüllung gehen ;
ein König verlangt sie zur
Gemahlin ." Wie diese kleinen Unverschämtheiten Voltaires, so drängten sich auch wieder die unseligen diplomatischen Zwischenfälle wie ein Keil in das persönliche Verhältnis der beiden Männer . Voltaire sandte geheime Berichte an den französischen Minister des Aeußern und hielt sogar für denselben ein Tagebuch, in welchem er alle vertraulichen Aeußerungen des Königs zeichnete. Berlin zu
Es war seine werden,
und
diese Ernennung selbst
Absicht,
französischer
ver-
Gesandter in
der König sollte sich noch überdies erbitten.
Voltaire erzählt in seinen
Denkwürdigkeiten mit ſelbſtgefälliger Ausführlichkeit, wie gewandt er mitten in die Erörterungen
über Livius
und
Virgil die (893)
14
Fragen
über Frankreich und Oesterreich einzuflechten gewußt
habe; Friedrich dagegen sagt
in der
Geschichte seiner Zeit,
Voltaires glänzende Einbildungskraft habe sich mit mächtigem Schwunge in das große Gebiet der Politik erheben wollen, ſeine ganze vermeintliche Gesandtschaft aber sei nichts als eine lächerliche
Spielerei
gewesen.
Auch während
des sieben.
jährigen und russisch-türkischen Krieges strebte Voltaire darnach, sich in der großen Politik wichtig zu machen, und Friedrich ließ in jener Zeit in seinen Briefen
manches
Wort fallen,
welches auf Mittheilung an den französischen Miniſter Richelieu oder die russische Kaiſerin Katharine berechnet war . Die Selbst. sucht und Unlauterkeit,
welche Voltaire in
allen diesen An-
gelegenheiten bewies, diktirten Friedrich das herbe Urtheil in die Feder : "/ Voltaire verdiente auf dem Parnasse gebrandmarkt zu werden; es ist schade, daß eine so nichtswürdige Seele mit einem so herrlichen Genie verbunden ist. "
Doch fährt er fort :
„Indes werde ich mir nichts merken lassen ; denn ich habe ihn zum
Studium
der französischen
Sprache nöthig,
man kann
schöne Sachen auch von einem Bösewichte lernen. " Die Donnerschläge des zweiten schlesischen Krieges waren verhallt ; friedlicher Sonnenschein lachte wieder über den deutschen Fluren und spiegelte sich in den Bogenfenstern von Sanssouci, die aus laubumgrünter Höhe in wald- und waſſerreiche Fernen herniederblinkten . aber
saß
In den sonnigen
Preußens
König,
inmitten
Räumen seiner
des
Schlosses
reformatorischen
Thätigkeit für des Staates Wohlergehen und Größe doch auch von dem Wunsche erfüllt, seine durch den Krieg zeitweise unterbrochenen Studien wieder aufzunehmen, das Rheinsberger Idyll zu erneuern, und den sanften
Jüngern Apolls , welche
eine
Zeitlang den sporenklingenden Söhnen des Mars hatten weichen müſſen,
aufs
neue
eine
Stelle
an seiner Seite
anzuweisen.
Wie oft vermißte er bei seinen weitschichtigen litterariſchen Ent(894)
15
würfen das klare und feine Urtheil seines französischen Freundes ; wie oft weilten seine Gedanken bei dem unübertroffenen Meister der Poesie und Prosa ; wie dringend verlangte ihn in stillen Stunden nach der Gesellschaft seines ästhetischen Orakels . So hörten denn die Einladungen nicht auf; sie wurden im
Gegentheil
immer
dringender.
Aber
erst
als Voltaires
Freundin gestorben war, ließen sich seine Bedenken gegen eine Ueberſiedelung
nach Potsdam
allmählich heben.
Er schüßte,
um sich zu entschuldigen, bald den rauhen Himmel, bald Reisekosten vor.
die
Da übersandte ihm Friedrich Melonen aus
Potsdam und 2000 Thaler mit einem dithyrambischen Briefe, daß Postpferde,
Straßen, Gasthöfe
und Wetter Deutschlands
sich beeilen würden, den Dichter der Henriade pfangen
würdig
zu em,
und der große Geist erfreute am 10. Juli 1750
den entzückten König in seiner bleibenden Nähe.
Sanssouci
durch die
Ankündigung
Voltaire genoß in Potsdam die ſorgſamſte Aufmerksamkeit, bekam 20 000 Franken
Pension,
wohnte im Schloffe, hatte
freie Tafel, freie Equipage, freie Dienerschaft, dazu die Kammer. herrnwürde und ausnehmend ;
den Verdienstorden.
Das
alles behagte ihm
er kannte nichts Schöneres als dieses Leben ; er
war entzückt über die Freiheit, welche an der königlichen Tafel herrschte; sein Enthuſiasmus für den König von Preußen ging bis
zur Leidenschaft.
Am Ende
des
ersten
Monats seines
Berliner Aufenthalts schrieb er : „ Endlich bin ehemals wilden Orte,
der jezt ebenso
sehr
ich an diesem durch die Künſte
verschönert, wie durch den Ruhm geadelt ist . reiche Soldaten,
keine Prokuratoren,
Oper
150 000 ſieg . und
Schauspiel,
Philosophie und Poesie, ein Held, der zugleich Philoſoph und Dichter ist, Größe und Anmuth, Grenadiere und Musen, Kriegs . trompeten und Geigen, platonische Gastmahle, Gesellschaft und Freiheit.
Wer sollte es glauben, und doch ist es ganz wahr . " (895)
16
Aber schon die Briefe, welche er am Schluſse desselben Jahres an Madame Denis ſchrieb, sind voll räthselhafter Andeutungen und zeigen
eine
beginnende Verſtimmung, die sich
von Tage zu Tage zusehends steigerte.
So lesen wir : „ Man
weiß also in Paris, daß es hier Vergnügen giebt ?
Alles das
ist wahr; aber -. Die Soupers des Königs sind köstlich; Vernunft, Geist, Freiheit herrschen da ; aber, aber - Mein Leben ist frei und beschäftigt ; aber, aber —. und besser
angelegt als Paris,
Berlin ist groß
Paläste und
Theater,
dazu
freundliche Königinnen, liebenswürdige Prinzessinnen; aber, aber - Mein liebes Kind, das Wetter macht sich nachgerade etwas kalt. " Der Sinn aller dieſes „ Aber “ ist, daß es Voltaire in der Nähe des Königs
nie recht geheuer war.
Er befand
sich einem durchdringenden Verstande, einem mächtigen Willen und einem schonungslosen Spötter gegenüber.
In dem kazen.
artigen Wiggefechte der Gesellschaftsabende schreckte ihn immer die Löwentaße Naturell .
ein unerträglicher Zwang für sein ungezügeltes
In einem Briefe an den König beklagte er sich über
das " unglückliche Vergnügen,
das
der König sich zu
machen
pflege, andere zu demüthigen, ihnen verleßende Dinge zu sagen . “ Der König
war
überdies
sparsam,
was
Günstling durchaus nicht gefallen wollte .
dem
habsüchtigen
Aber troß der zahl-
reichen, durch diese Umstände herbeigeführten Reibereien blieb das
Verhältniß
der
beiden Männer zu
einander wenigstens
äußerlich ein freundſchaftliches, da Friedrich in der Freude über Voltaires wißigen Umgang große Nachsicht übte, bis endlich ein ärgerlicher Vorfall
alle Bande zerriß.
Es
ist dies der
Prozeß Voltaires mit dem Kaufmann Hirsch, eine Epiſode aus dem Leben des Dichters , welche von der französischen National. eitelkeit gewöhnlich verschleiert wird, und welche allerdings auf Voltaires Charakter ein überaus ungünstiges Licht wirft und ihn in den Augen eines jeden sittlich denkenden Menschen herabseßen muß. (896)
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Voltaire hatte sich nämlich gegen
ein von
dem Könige
erlassenes Edikt vergangen, daß von den königlichen Vasallen und Unterthanen kein Handel,
kein
gewinnsüchtiges Gewerbe
mit kursächsischen Steuerscheinen getrieben werden dürfe . die Sache besonders mißlich machte,
Was
war der Umstand, daß
Voltaire seine Stelle als begünstigter Gaſt, ja als Freund des Königs gleichsam zum Schuß- und Deckmantel seiner unsauberen Geschäftsmanipulationen Abraham Hirsch,
mißbrauchte .
der ihm
Ein jüdischer
Bankier,
als Unterhändler diente,
reiste in
seinem Auftrage nach Dresden, um dort eine bedeutende Summe, für die er von Voltaire theils Barzahlung, theils Wechsel auf Pariser Bankhäuser scheinen anzulegen.
empfangen hatte,
in sächsischen
Steuer.
Wie gewöhnlich, so folgte auch hier der
scheele Neid nur zu bald den Spuren des in Aussicht stehenden Gewinns .
Ein israelitischer Händler, der spätere Münzpächter
Ephraim, benugte die unersättliche Habgier des französischen Philosophen, um seinen Konkurrenten zu verdächtigen und sich selbst als einen vortheilhafteren Geschäftsvermittler auzubieten . Er erreichte es auch, daß Voltaire den Accept seiner eigenen Wechsel verweigerte, so daß Hirsch dadurch in große Verlegenheit kam.
Er kehrte unverrichteter Sache nach Berlin zurück,
machte Voltaire die bittersten Vorwürfe, verlangte Schadenersat und
drohte sogar
mit
einer
gerichtlichen Klage.
Da
aber
Voltaire den heiklen Handel der Oeffentlichkeit entziehen wollte, verstand
er sich zu
einem Vergleich und
kaufte sogar,
um
Hirsch zu versöhnen, für eine bedeutende Summe Diamanten von ihm, die als Sicherheit für die dem Gekränkten früher anvertrauten Gelder schon in seinem Besit waren. Aber auch hier
war
Prinzip .
wieder Ephraim
der
böse
Dämon,
das schlimme
Zwar hatte Voltaire die Edelsteine vorher von einem
Hofjuwelier
abschäßen
lassen ;
aber
Ephraim
erklärte
diese
Schäzung für falsch und ließ eine zweite vornehmen von Leuten, 2 Sammlung. N. F. XI . 263. (897)
18
die er bestochen hatte. Darauf verfuhr Voltaire mit dem armen Hirsch, dem Opfer schändlichen Konkurrenzhaſſes, in der gewalt. thätigsten Weise. Er mißhandelte ihn, behielt Ansichtssendungen von Schmucksachen zurück und ließ ihn zuleßt, da der Gequälte mit Klagen drohte, verhaften, wozu er sich den Befehl durch seinen Einfluß erschwindelt hatte.
Der Vater des Verhafteten
erschrak über diese seinem Sohne widerfahrene Ungerechtigkeit so sehr, daß ein Schlagfluß seinem Leben ein Ende
machte.
Voltaire aber, noch nicht zufrieden, klagte gegen Hirsch, leugnete die ganze Angelegenheit mit dem Papiergelde und schreckte nicht einmal vor einer Fälschung seiner eigenen Handschrift zurück. Der Beklagte gerieth außer sich ;
er beschuldigte seinerseits den
Kläger, daß dieser die ihm als Pfand übergebenen Juwelen betrügerisch vertauscht habe, und versprach den Beweis dafür . Voltaire hielt es indeſſen für besser, diesen Beweis nicht abzuwarten, sondern ihn lieber durch
einen Vergleich zu Gunſten
des Betrogenen zu verhindern, und Hirsch nahm wirklich den Vergleich an, da es ihm weniger um die Sache, als vielmehr um sein Geld zu thun war. Eine überaus herbe,
aber
durchaus
gerechte Kritik des
Prozesses stammt von Lessing, der zu Anfang seines Berliner Aufenthalts
durch seine Freundschaft mit Voltaires Geheim-
sekretär Richier auch zu deſſen Herrn in Beziehung trat, und der insofern
an der ganzen Angelegenheit betheiligt war,
als
er Herrn von Voltaire als Ueberseßer der von dieſem ſelbſt in französischer
Sprache
abgefaßten
Vertheidigungen diente.
Dokumente,
Eingaben
und
Zwar mischte er sich in den Prozeß
selbst nicht ein ; doch findet sich in dem Schlußsaße einer Fabel des
Phädrus
unter Hinweis
auf
den
Hirsch-Voltaireſchen
Prozeß die Bemerkung, man hätte sehr wohl dem einen zurufen können: " Du forderst, scheint es, was du nicht verloren hast, " und dem andern : „ Du, (898)
glaub' ich,
hast
gestohlen,
was
du
19
listig leugnest."
Schärfer noch, ja geradezu vernichtend ist das
Urtheil, welches Lessing in dem bekannten wißigen Epigramm niederlegte : „ Und kurz und gut den Grund zu faſſen, warum die Liſt dem Juden nicht gelungen ist, so fällt die Antwort ungefähr : Herr Voltaire war ein größerer Schelm als er. “ Bei dieser Gelegenheit will ich noch kurz die Thatsache erwähnen, daß Lessing später nochmals in persönlicher Angelegenheit in sehr unangenehmer Weise mit Voltaire zusammenſtieß . Als nämlich Voltaire sein „ Siècle de Louis XIV " in Berlin hatte drucken lassen, und sein Sekretär ohne Vorwiſſen ſeines Herrn Lessing
ein
Exemplar
zugestellt
hatte,
königliche Familie die ihrigen in Händen hatte, nur der
Sekretär
aus
noch
ehe die
wurde nicht
dem Dienste entlassen, sondern
Lessing von Voltaire des Diebstahls beschuldigt.
auch
Lessing ant-
wortete in einem lateinischen Briefe, von dem er später sagt, Voltaire werde ihn nicht ans Fenster gesteckt haben. Lessings persönliche Begegnung
mit Voltaire ist durchaus
nicht gleichgiltig für sein späteres Verhalten gegen den gefeierten Schriftsteller. Die fast grausam übermüthige Behandlung, welche
etwa 12 Jahre später bei dem Befreiungskampfe des
deutschen
Geistes
Abgott des
18.
von
den Fesseln der Fremdherrschaft der
Jahrhunderts
durch Lessings
zermalmenden
Wig erfahren mußte, ist nicht nur durch Voltaires poetischen und
kritischen Dünkel hervorgerufen
worden, sondern
ebenso
sehr in dem tiefen Widerwillen begründet, welchen der ehrliche deutsche Charakter gegen die persönliche Niedrigkeit und Nichtswürdigkeit des französischen Schöngeistes gefaßt hatte.
Voltaire war dem eben geschilderten schmußigen Handel noch sehr glimpflich entschlüpft ;
aber die Sache machte un-
geheueres Aufsehen ; Voltaires Neider und Feinde triumphirten, und des großen Königs Achtung vor seiner sittlichen Persönlichkeit war für immer verscherzt.
Zwar hatte Voltaire anfangs noch 2* (899)
20
auf die königliche Gunst getroßt ; doch mußte er nur zu bald erfahren, daß Friedrich in Sachen der Gerechtigkeit keinen Spaß verstand .
Sobald der König von den Handel Kenntniß erhielt,
befahl er,
denselben mit unparteiischer Strenge zu untersuchen .
Den verhafteten Hirsch ließ er sofort auf freien Fuß seßen ; an Voltaire aber schrieb
er:
„ Die Sache mit den sächsischen
Steuerscheinen ist bekannt, und man hat darüber große Klage bei mir geführt."
der ihm nach
Den Besuch des Dichters,
Potsdam folgen wollte, verbat er sich mit den Worten : „Wenn Ihr Euch dem Ausbruch Eurer Leidenschaften überlaßt und mit aller Welt Streit
anfangt, so werdet Ihr mir gar kein Ver-
gnügen machen hierher zu kommen, und Ihr könnt ebenso gut in Berlin zurückbleiben. "
Als
Voltaire ihm endlich meldete,
er habe den Prozeß gewonnen, gratulirte ihm der König dazu in einer so sarkastischen Weise, daß über seine wahre Ansicht von der Sache kein Zweifel übrig bleibt : „ Weil Ihr den Prozeß gewonnen habt, so wünsche ich Euch Glück dazu . Es ist mir lieb, daß diese häßliche Geschichte einmal zu Ende ist. daß Ihr keine Händel
weiter haben werdet,
Ich hoffe,
weder mit dem
alten, noch mit dem neuen Testament ; denn dadurch wird immer Eure Ehre verlegt, uud mit all Euren Talenten, die Ihr als der schönste Geist Frankreichs aufzuweisen habt, bedeckt Ihr die Flecken nicht, mit denen Ihr Euren Ruf schändet. "
Aber noch
deutlicher spricht gegen Voltaire die satirische Komödie „ Der prozessirte Tantalus ", welcher eine überaus humoristische Dar. stellung des ganzen Handels vorausgeschickt ist, die zugleich die aktenmäßige Darstellung desselben in allen Punkten beſtätigt. Das Verhältniß zwischen dem Könige und Voltaire wurde. noch mehr getrübt durch den Klatsch, der sich in jeden Riß einzunisten pflegt.
La Mettrie erzählte Voltaire, der König werde
ihn bald entlassen ; denn er habe bereits gesagt : die Orange aus und wirft die Schale weg. " (900)
„ Man preßt
Auf der anderen
21
Seite wurde auch dem Könige ein ärgerliches Wort von Voltaire hinterbracht.
Der General Manstein sei
um sich wegen seiner russischen besprechen.
bei dieſem gewesen,
Denkwürdigkeiten mit ihm zu
Voltaire aber habe die Durchsicht des Memoiren-
manuskripts abgelehnt mit der Bemerkung : „ Erst muß ich des Königs schmußige Wäsche reinigen, ehe ich an die Ihrige gehe. " Zu
alledem
geriet
Voltaire
mit
dem
Präsidenten der
Akademie, seinem ehemaligen Freunde Maupertuis,
einem be-
deutenden Geographen und Mathematiker, in einen litterarischen Streit, in dem er gegen den Willen des Königs eine sehr herbe Streitschrift veröffentlichte : die „ Abhandlung des Dokters Akakia “, worin er seinen nunmehrigen Gegner höhnte.
aufs
entseßlichste
ver-
So läßt er ihn unter anderm vorschlagen, Patagoniern
das Gehirn aufzuschneiden, um das Wesen der Seele kennen zu lernen, ein Loch bis zum Mittelpunkte der Erde zu bohren, um einen Einblick in ihre innere Beschaffenheit zu gewinnen, eine lateinische Stadt zu bauen, um die philologischen Studien zu erleichtern, die Kranken mit Harz zu überziehen,
um das
Verdunsten der Lebenskraft zu verhindern, die Geistesthätigkeit der Menschen so zu steigern, daß sie die Zukunft durchblicken können. — So großes Vergnügen dieses derbe und wißige Pasquill dem Könige auch bereiten mochte, und so sehr er dem selbstgefälligen, Demüthigung
ehrgeizigen und
anmaßenden Maupertuis
eine
gönnte, so durfte er doch die Verhöhnung der
von ihm protegirten Akademie nicht ungeahndet hingehen lassen . Dazu war er empört darüber, daß Voltaire das Privileg zur Herausgabe
eines
Apologie, für
ganz
andern
Buches ,
einer
den Druck seines Pamphlets
theologischen
verwandt hatte.
Als er Voltaire über die Ungehörigkeit seines Verhaltens Vorstellungen und Vorwürfe machte, leugnete derselbe einfach die Autorschaft und erbitterte darüber seinen Gönner so
sehr,
daß
dieser ihm schrieb : "/ Eure Unverschämtheit setzt mich in Erstaunen . (901)
22
Nach allem, was Ihr gethan habt, und was klar wie die Sonne ist, beharrt Ihr im Leugnen, bekennen.
anstatt Euch für schuldig zu
Bildet Euch nicht ein, mich glauben zu machen, daß
Weiß Schwarz ist ;
wenn man nicht immer sieht, so will man
nicht immer sehen.
Aber wenn ihr die Sache aufs Aeußerste
treibt, werde ich alles drucken lassen, und man wird erkennen, daß wenn Eure Werke Statuen verdienen, doch Euer Betragen Ketten werth ist. "
Die gedruckten Exemplare des Akakia wurden
mit Beschlag belegt und des Verfaſſers
auf des Königs Zimmer im Beisein
in das
Kaminfeuer
geworfen ;
Voltaire schriftlich musterhaftes Betragen
und
dazu
mußte
den schuldigen
Respekt gegen gelehrte wie politische Würdenträger geloben. Aber mit dieser Erklärung
war der Vorfall
noch nicht beendigt ;
denn als bald nach Unterdrückung der Potsdamer Ausgabe in Dresden eine neue
erschien und in Paris zum Ergößen der
ganzen gebildeten Welt in Tausenden von Exemplaren verkauft wurde, kannte Friedrich keine Schonung mehr, und er ließ am 24. Dezember 1752 das verhaßte Libell öffentlichen Pläßen Berlins Voltaire, der im Hause
eines Freundes
dem Gensdarmenmarkte zugesehen hatte, Behandlung tief gekränkt .
auf den vornehmsten
durchs Henkershand dem
verbrennen.
Autodafe
auf
war über eine solche
Er mied den Hof, fandte Penſions .
patent, Orden und Kammerherrnschlüssel dem Könige zurück mit der ebenso feinen
wie tief empfundenen Aufschrift: „Be-
glückt als Du sie mir gespendet, geb' ich sie nun mit Schmerz zurück, so wie ein Liebender im düstern Augenblick der Liebsten Bild ihr wieder sendet. "
Dieser wehmüthige und schmerzvolle
Herzenserguß verfehlte seine Wirkung auf den König nicht. Noch an demselben Nachmittage erhielt Voltaire Orden und Schlüssel wieder, bezog aufs neue ſeine Zimmer im königlichen Schloß, begleitete auch den König mählungsfeierlichkeiten (902)
des
nach Berlin zu den Ver-
Prinzen Heinrich;
aber
das
alte
23
Verhältniß kam doch nicht wieder zustande, und alle Versuche Friedrichs, Voltaire dauernd zu halten, waren erfolglos .
Dieser
schied am 26. März 1753 mit sehr gesunkenem Rufe von dem Fürsten, den er in einem schönen Gedichte als den
Salomo
des Nordens " gepriesen hatte, und den er nun im Unmut mit dem Tyrannen Dionysius von Syrakus verglich. Voltaire reiste als großer Herr in einem eigenen Reisewagen bald vier , bald sechsspännig mit zwei Dienern und seinem
Sekretär
Korrespondenz
nach Leipzig,
eröffnete,
auch
eine umfassende
er
wo
Gottsched
als
Vertreter
der
deutschen Litteratur besuchte und sich mit neuen Satiren gegen Maupertuis
beschäftigte .
Dieser
hatte
auf die Kunde,
daß
Voltaire einen neuen Angriff beabsichtigte, ihm in einem Briefe Voltaire schrieb nicht nur eine
persönliche Rache angedroht. Erwiderung
im
schlimmsten
öffentlichte auch in
Verhöhnungsstil,
einer Leipziger Zeitung
folgenden Wortlauts :
sondern
ver-
einen Steckbrief
„Ein quidam hat an einen Inwohner
von Leipzig einen Brief geschrieben, worin er ihm androht, ihn zu ermorden.
Da nun Mordanschläge sichtbarlich den Meß-
privilegien zuwiderlaufen, so ersucht man jedermann, von beſagtem quidam Nachricht zu geben, falls er sich an den Thoren von Leipzig blicken ließe.
Derselbe ist ein Philosoph, von zer.
ſtreutem Wesen und haſtigem
Gange, Augen klein und rund,
Perrücke desgleichen, Nase platt, Gesicht voll, Gesichtsausdruck schlimm und selbstgefällig, trägt beständig ein Skalpell in der Tasche, um Leute von hoher Statur zu seziren.
Wer Nach-
weisung über ihn geben kann, erhält 1000 Dukaten Belohnung, angewiesen auf die lateinische Stadt, bauen
läßt,
oder
auf
den
welche
besagter quidam
ersten Kometen von Gold
oder
Diamant, der nothwendig auf die Erde fallen muß, gemäß der Vorherverkündigung des besagten quidam . " Mit solchen Waffen verwundete allerdings Voltaire den (903)
24
feierlichen Akademiepräsidenten aufs
schlimmste ;
aber die
geschossenen Pfeile fielen auch auf ihn selbst zurück.
ab.
Da er das
bei seiner Abreise gegebene Versprechen, sich Maupertuis gegen. über ruhig zu verhalten, gebrochen hatte, hielt Friedrich die Gelegenheit für
gekommen, sich
maligen Freundes zu sichern . sich nämlich außer so
vor
den Ränken seines vor-
In den Händen Voltaires befand
manchem vertraulichen Handbillet eine
Auswahl von Friedrichs Poesien, welche der König in wenigen Exemplaren nur für seine vertrautesten Freunde hatte drucken lassen . jenes
Um dieses gefährliche Kampfesmaterial unberechenbaren
preußische
Resident
in
Menschen
zu
Frankfurt ,
der Rachsucht
entreißen,
wurde
der
Kriegsrath von Freytag,
durch eine Kabinetsordre beauftragt, Voltaire bei seiner Durch. reise den Orden pour le mérite sowie den Kammerherrnſchlüſſel abzufordern
und sich seiner
Briefe und
Skripturen zu be
mächtigen ; im Weigerungsfalle solle Voltaire mit Haft bedroht und nöthigenfalls wirklich verhaftet werden .
Die Befehle des
Königs wurden, soweit es möglich war, prompt vollzogen;
da
aber die Gedichtsammlung unglücklicherweise mit anderem Gepäck zurückgeblieben war, erhielt Voltaire Hausarrest im Gasthof zum
goldenen
Löwen .
Ein Fluchtversuch wurde
vereitelt,
einem zweiten durch eine militärische Wache vorgebeugt .
Auch
Madame Denis, welche dem Onkel nach Frankfurt entgegen. gereist war, wurde von Freytag verhaftet, da sie die Frankfurter Polizei zur Vermittelung herbeizurufen versucht hatte. von Mißverständnissen und Freytags unverständigem eifer traf erst
Infolge Dienſt.
nach fünfwöchentlicher Gefangenschaft der Ent-
assungsbefehl aus Berlin ein. Mit der Wahrheit hat es Voltaire, wie wir schon früher gesehen,
niemals
genau genommen,
mit den Nebenumständen
und bisweilen auch mit Hauptumständen in poetischer Freiheit gespielt ; (904)
aber maß- und schamloser hat er nie gelogen als in
25
seinen Briefen und
Aufzeichnungen über die Frankfurter Ge-
schichte, weil ihn keine andere so erbittert hat .
Den preußischen
Kommissar Freytag hat er mit seinem „ Monsir “ und „ phoésies “ dem Spotte Europas zu überliefern versucht,
wiewohl deſſen
Originalberichte im Berliner Archiv eine tadellose Rechtschreibung zeigen .
Seine Nichte,
deren Verwickelung
in die Sache für
seinen Zweck von unschäzbarem Werthe war, erscheint fort. während
in Krämpfen und Ohnmachten,
wiewohl Nervosität
nicht zu ihren schlimmsten Eigenschaften und Untugenden gehört haben soll. ihre
weibliche
Ja,
er redet sogar von nächtlichen Anfällen auf
Ehre
und
behauptet, sie habe
Kammerfrauen und Bajonette statt
Soldaten zu
der Bettvorhänge
gehabt .
Noch schlimmer kam Voltaires boshafte Gesinnung zum Aus . druck in einer falschen Ausgabe der Gedichte des Königs und am schlimmsten in einer autobiographischen Aufzeichnung, welche noch zu Friedrichs Lebzeiten unter
dem
Titel „ Das Privat-
leben des Königs von Preußen “ erſchien, und in der nicht nur Friedrichs Charakter, sondern auch seine Sittlichkeit aufs ärgſte verleumdet wird.
Friedrich soll die Publikation mit großem
Gleichmuth aufgenommen haben .
Er mochte sich dessen erinnern,
was er schon früher Voltaire gesagt hatte :
Sie werden das
Vergnügen haben, auf meinem Grabe ein boshaftes Couplet zu machen.
Ich werde nicht böse
darüber werden und ertheile
Ihnen zum voraus dafür Absolution. "
Wie Voltaire sich in der schärfsten Weise an dem Könige rächte, ſo ließ es auch dieser nicht an heftigen Ausfällen gegen seinen früheren Freund fehlen ; Polemik läßt er Voltaires
jedoch selbst bei
der heftigsten
menschlichen Tugenden und Ver-
diensten volle Gerechtigkeit widerfahren, und ſelbſt ſein Tadel ist frei von Uebertreibung oder gar Unwahrheit. Voltaire ließ sich nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Mainz, Mannheim, Schwetzingen und Straßburg in Kolmar (905)
26
nieder, um hier den Druck der „Reichsannalen ", einer deutschen Geschichte zu überwachen.
Da er aber glaubte, daß nur ein
königlicher Hof eine würdige Stätte zur Entfaltung seiner herrlichen Gaben sei, hatte er seine Nichte nach Paris geſandt, um seine Rückkehr dorthin zu ermöglichen . welche sie ihm
geben konnte,
Feinde, besonders
Allein die Nachrichten,
waren keine günstigen .
die Geistlichen, boten alles
auf,
Königs Abneigung gegen Voltaire zu verstärken.
Seine um
des
Da es vor.
zugsweise religiöse Bedenken waren, welche gegen eine etwaige Rückkehr geltend gemacht wurden, suchte Voltaire seinen kirchlichen
Ruf
wieder herzustellen,
indem er Ostern
1754 die
Kommunion in der Kirche mitmachte, ein Schritt, der ihn bei seiner Denkungsart durchaus keine Ueberwindung kostete . auch dieser Schachzug verfehlte seinen Zweck. zuckten die Achseln knirschten über
über
diese
Aber
Voltaires Freunde
Schwäche ; seine Feinde
aber
diesen Hohn, und seine Aussichten für Paris
waren ebenso ungünstig wie zuvor. In dieser Verlegenheit machte Voltaire den Versuch, sich Friedrich wieder zu nähern.
Er nahm dazu die Verwendung
der Markgräfin von Baireuth,
die ihn bei
einer Durchreiſe
durch Kolmar persönlich besuchte, in Anspruch und schickte dem Könige seine
Reichsannalen
gütigendem Schreiben zu .
und
andere
Schriften
mit
be.
Ob Voltaire nach seinen früheren
Erfahrungen einer etwaigen Rückberufung wirklich Folge geleistet, oder
ob er dieselbe nur als Ehrenerklärung verwendet haben
würde, ist schwer zu entscheiden ; sicherlich aber wollte Friedrich sich nicht wieder den Schwächen und Launen
eines
wankel-
müthigen Charakters aussehen ; denn er schrieb an seinen früheren Sekretär Darget :
„ Sollten Sie glauben, daß Voltaire nach
all den Streichen, die er mir gespielt,
Schritte gethan hat,
um wieder zu kommen ? Doch Gott soll mich davor bewahren. Er ist nur gut zu lesen, aber gefährlich kennen zu lernen. " So (906)
27
scharf die erſte Absage an Voltaire war, so hatte doch auch der König seinen Grund
zu vergessen ,
was
geschehen
war.
Seine Achtung vor Voltaires seltenem Talente, ſein Verlangen nach geistigem Genuß wurden die Veranlassung zur Erneuerung des zeitweise unterbrochenen Briefwechsels,
der troß scharfer
Differenzen endlich harmonisch ausklingt und in unserem Gemüthe einen unauslöschlichen Eindruck zurückläßt. Als der König Voltaire schreibt, ziehen
habe,
erwidert
dieser
daß
er ihm alles ver-
in
einem freundlichen
sogleich
Schreiben, in dem er aber schon die Bitte um Rückerstattung der Titel und Orden durchblicken
läßt.
Auf ein solches An-
sinnen folgt sofort ein abschlägiger Bescheid , und auch später hat der König nie daran gedacht, das Brandmal zu verwischen, welches
Voltaire sich
schmeichelnd, bittend,
zugezogen hatte. heftig,
Wie oft auch dieser
bitter die früheren Zeichen von
Friedrichs Huld zurückbegehrte , seine Wünsche sind unerfüllt geblieben, weil sein moralischer Name und geächtet war.
Ruf für immer
Der Stachel in der Wunde des Dichters blieb
darum, wenn auch der alte Austausch der Gedanken zwischen ihm und dem Könige Bedürfniß blieb. von
Prag,
nachdem
er den König
Er huldigt dem Sieger von Preußen in seinen
Schmähgedichten schon unter die Paniere von Friedrichs Feinden getreten hatte.
Er speit Gift und Galle gegen den König in
allen Briefen an den französischen Premierminister RichelieuEr wünschte durch dessen Vermittelung die sittenlose Maitresse Ludwigs XV., die Marquise von Pompadur, wissen zu laſſen, daß sie von dem Könige nichts Schmeichelhaftes erfahren habe, während dagegen Maria Theresia erst vor einem Monat mit großem Lobe von ihr
gesprochen .
Ja,
er rühmt sich sogar,
eine verheerende Kriegsmaschine gegen Friedrichs Heer erfunden und
angegeben
zu
haben.
Als
Friedrich
gar
in
einigen
Schlachten unglücklich gewesen war, konnte Voltaire seine Freude (907)
28
über das tragische Geschick
des
Helden nicht
verbergen,
und
wenn er auch in einigen seiner Briefe ein geheucheltes Mitgefühl zu Tage treten läßt, so athmen doch andere seiner Briefe offen. bare Feindseligkeit.
Während er zur Feder greift, um Friedrich
zu trösten und ihm die schwarzen Gedanken auszureden, schreibt der
Ehrvergessene
an
einen
Freund :
„ Ich habe die
Rache
gekostet, einen König zu trösten, der mich mißhandelt hat, und es lag an Herrn von Soubise,
daß
ich ihn nicht ferner zu
trösten hatte. "
Der unfähige französische General hatte nämlich
inzwischen die
Schlacht bei Roßbach verloren, durch welche
Friedrich den Ruhm seiner Waffen glänzend
wiederherstellte.
Bald nach diesem Ereigniß begrüßte der König Voltaire
in
einem poetischen Erguß, was seit dem Ende der Potsdamer Tage nicht mehr vorgekommen war . Aber Voltaire bleibt troßdem boshaft und zweideutig und schreibt an Argental, er sei weit davon entfernt, sich für interessiren.
den König von Preußen zu
Er nennt ihn in seinen Briefen an d'Alembert und
andere Bekannte immer nur Luc und bezeichnet ihn so mit dem Namen eines
bissigen
Ein Spottgedicht
Affen,
den
er
auf die Franzosen,
auf seinem Gute hielt. ihren König und deſſen
Maitresse, das Friedrich nach der Schlacht bei Krefeld gedichtet und Voltaire mitgeteilt hatte, sandte dieser an den Minister Choiseul, um dadurch die franzöſiſche Rachsucht zu entflammen. Als das Jahr 1759 mit seinen herben Schlägen die Kraft des königlichen Helden niederbeugte, behagen Ausdruck,
wenn
giebt Voltaire seinem
er schreibt :
Wohl-
„Ich werde dem König
sein Vorgehen gegen mich nie verzeihen.
Ich wünsche ſehr ſeine
tiefste Erniedrigung als Strafe des Sünders ; ich weiß nicht, ob ich auch seine ewige Verdammniß wünschen soll . " Und welche Heuchelei
und
Falschheit,
später nach Berlin schreibt :
wenn
derselbe
Voltaire
14 Tage
„ Euer König ist ein einziger, er-
staunlicher, unvergleichlicher Mensch; (908)
er macht herrliche Verse
29
in Zeiten, wo
ein
anderer nicht
eine Zeile Prosa schreiben
könnte ; er verdient glücklich zu werden."
So fährt der Falsche
fort, anders dem Könige, anders seinen übrigen Bekannten und Freunden, wie es der gröbste Eigennuß erheischt, zu schreiben. Blinde Rachsucht treibt ihn fortwährend, Friedrichs Verderben zu wünschen.
Nach einem Briefe aus dem Jahre 1760 spricht
er seine Freude darüber aus, daß Friedrichs Feinde über ihn triumphiren werden ; er hofft, den König von Preußen zu einem Markgrafen von Brandenburg herabgesezt zu sehen ; er freut sich darüber, daß der russische General Totleben in Berlin ein. gezogen ist und von Sanssouci aus seine Befehle erläßt . Einnahme von Schweidnih,
Die
welche Friedrich in eine äußerst
bedrängte Lage brachte, erscheint ihm als die schönste That des ganzen Krieges . Jedes menschliche Gefühl ist verwundet und gekränkt durch solche Aeußerungen satanischer Rachgier;
um so
befriedigter sind wir über den schönen Triumpph, daß das Genie und die Tugenden, machen, sogar seinen
welche Friedrich eben zu dem Einzigen erbittertſten
Gegner bisweilen
zu den
nnigsten Wünschen für Preußens Wohlfahrt erheben. Friedrich benußte auch, wie schon früher angedeutet, während des siebenjährigen Krieges Voltaires Verlangen, sich in öffentliche Angelegenheiten einzumischen,
dazu,
seine Wünsche dem
französischen Kabinet zu unterbreiten und zur baldigen Herbei. führung des Friedens das französische Heer von dem Bunde seiner Gegner zu trennen .
Scherzhaft schreibt er seinem alten
Freunde, wenn ihm die Friedensstiftung gelinge, damit über Virgil stellen, der zwar ebenso
werde er sich
gute Verse wie er
gemacht, aber keinen Frieden zu stande gebracht habe. war für den Frieden um jeden Preis .
Voltaire
Er war mit Friedrichs
kriegerischer Laufbahn von vornherein unzufrieden gewesen und konnte es nicht
verschmerzen,
daß
aus
dem heitern Jünger
Apolls ein ernster Sohn des Mars und der Minerva geworden (909)
30
war.
Dazu
erschien dem
modernen Aufklärungsapoſtel,
dem
internationalen kosmopolitischen Friedensschwärmer der Krieg als eine bloße Barbarei ; für die innere Nothwendigkeit der ſchleſiſchen Kriege im Intereſſe der ſelbſtändigen Entwickelung des preußischen Staats fehlte ihm jedes Verständniß. --- Seine Bemühungen um Herstellung des Friedens Forderungen,
welche
Friedrich stellte, und
er
im
deun
die
Auftrage seiner Regierung
verliefen
an
trugen so sehr
Lächerlichen,
erfolglos ;
den Charakter des Absurden.
daß Friedrich ihm schrieb,
er
wolle seine
Friedensbedingungen ins Tollhaus schicken, weil man dort gerade recht darauf zu antworten vermöge.
Der große König wollte
ebenso wenig einen Fuß breit Landes abtreten, als seine Verbündeten im Stich laſſen, und lieber zu Grunde gehen, als mit befleckter Ehre den Kampf beendigen. Aus dem weitern Briefwechsel hebe ich nur noch einige charakteristische
Stellen hervor.
Voltaire gab immer wieder
Veranlassung zu ernſten Meinungsverschiedenheiten, welche das relativ gute Einvernehmen eine wieder ausgeglichen wurden.
Zeitlang
trübten und
dann
Wenn Voltaire es wagte, dem
Könige das vermeintlich erlittene Unrecht vorzuwerfen, verbat sich dieser mit aller Entschiedenheit eine solche für Gelehrte und schöne Geister unerträgliche Unverschämtheit und forderte ihn auf, endlich doch philosophisch,
d. h.
vernünftig zu werden .
Die
Eitelkeit, mit der Voltaire sich seiner Titel und Herrschaften zu rühmen liebte, veranlaßte ihn einmal zu dem Briefſchluſſe : „Ich wünsche Frieden und Wohlsein nicht dem Kammerjunker, nicht dem Historiographen des vielgeliebten (1) Ludwig XV., nicht dem Beſizer von 20 Herrschaften im
Schweizerland, sondern
dem Dichter der Henriade, des Brutus u . s . w. “
Häufig aber,
wenn der König vorhatte, ihn zu schelten, erstarb ihm der Vorwurf in der Federspiße.
Voltaires Kunst, Geist und Grazie
entwaffneten seinen Zorn, wenn er über des Franzosen Bosheit (910)
31
auch noch so erbittert war . dem Jahre 1759 :
So lesen wir in einem Briefe aus
„ Alles in allem genommen, haben Sie mir
mehr Vergnügen als Verdruß gemacht.
Ich erfreue mich mehr
an Ihren Werken, als Ihre Bosheiten mir wehe thun.
Hätten
Sie keine Fehler, so würden Sie das Menschengeschlecht allzu . tief demüthigen, und die Welt hätte Grund, auf Ihre Vorzüge neidisch zu ſein ; denn Sie sind der schönste Geist aller Zeiten. " Im Sommer des folgenden Jahres schreibt er gar : Sie Süßigkeiten haben? Wahrheit sagen.
Gut,
es sei .
„Wollen
Ich werde Ihnen die
Ich schäße in Ihnen den schönsten Genius, den
die Jahrhunderte hervorgebracht haben ; ich bewundere Verse; ich liebe
Ihre
Prosa .
Ihre
Nie hat ein Schriftsteller vor
Ihnen einen so zarten Takt, einen so feinen und sichern Geschmack besessen.
Sie sind bezaubernd in der Unterhaltung ; Sie wissen
zu gleicher Zeit zu belehren und zu ergößen. unwiderstehlichste Geschöpf, das ich kenne ; lieb haben, sobald
Sie
wollen .
Anmuth, daß Sie beleidigen
und
Sie sind das
jedermann muß Sie
Sie haben soviel
geistige
doch zugleich die Nachsicht
dessen gewinnen können, der Sie kennt.
Genug, Sie würden
vollkommen sein, wenn Sie fein Mensch wären. "
Am wohl.
thuendsten berührte es den jeder Zeit zur Versöhnung geneigten König, wenn Voltaire bisweilen ein offenes Schuldgeſtändniß ablegte.
Als der durch Friedrichs
bittere Vorwürfe
tief
ge-
troffene Schöngeiſt ſagt : „ Sie erwähnen meiner Schwachheiten . Vergessen Sie, daß ich ein Mensch bin ? " lautet Friedrichs Erwiderung : schließen,
„Hätten vor
Sie mir
10 Jahren
das,
gesagt,
womit so
Sie
Ihre Briefe
wären Sie noch hier.
Damit hätten Sie anfangen sollen, so wäre alles andere überflüssig gewesen,
und ich hätte Sie troß Ihrer Fehler geliebt,
da Ihre Talente groß genug sind, um einige Schwachheiten zu bedecken. “ Voltaires
Schriften werden nach wie vor
mit
großer (911)
32
Freude von dem Könige gelesen .
Während er die alten immer
wieder aufschlägt, ist er gespannt auf die neuen.
Sie begleiten
ihn auf seinen Reisen und sind seine Lektüre und sein Trost in kranken Tagen. Dramen andern
Scherzhaft schreibt er dem Dichter, da er ſeine
auswendig
wisse,
Hülfsquellen
werde er, falls
ausgehen
sollten ,
ihm
als
einmal die
Souffleur
der
Voltaireschen Stücke sein Brot zu verdienen suchen. Obgleich Voltaire im
Jahre
1769
wieder einmal sehr
scharf die Kazenpfoten ausgestreckt hatte, so daß der Briefwechsel infolge dessen Voltaires
einige Zeit stockte, zeichnete doch Friedrich, als
Marmorbild
in
Ferney
gearbeitet
werden
sollte,
200 Friedrichsdor zur Freude ganz Frankreichs und zum Entzücken des Dichters, der durch einen solchen Schritt wieder mit dem Könige versöhnt wurde.
— Schön und ergreifend ist die
Huldigung, welche Friedrich in folgenden Worten niederlegte : ,,Welch Feuer, welcher Reiz steht Dir noch zu Gebote ! Abendhimmel thut's
zuvor dem Morgenrothe.
Lebensbach das Alter Anmut uns und Geist.
übereist ,
Dein
Wenn unsern
entschwinden Munterkeit und
Doch Deine Stimme hat an Wohllaut
nichts verloren, als Greis bist Jüngling Du, zum Schimpf und Leid der Thoren." Ferney,
Als Voltaire aus seiner Einsamkeit in
wo er seit dem Jahre 1758 seinen dauernden Auf-
enthalt genommen hatte, seine gewaltige Stimme gegen die Ungerechtigkeit seines Jahrhunderts, gegen die Willkür tyranniſcher Herrscher, zum Kampfe für die Rechte der Witwen und Waisen, zum
Schuß
der
bedrückten und
bedrängten Unschuld
erhob,
wünschte ihm niemand mehr Glück dazu als der gerechteste und weiſeſte Preußen.
aller
damals
lebenden Fürsten,
Unter Voltaires
Büste,
als
der König
von
welche von der Berliner
Porzellanmanufaktur in Berlin geliefert worden war , seßte er die Inschrift „ Viro immortali “ , und der gefeierte Sänger dankte für diese (912)
Schmeichelei mit der ausgesuchtesten Höflichkeit.
33
So flogen denn die Briefe hin- und herüber, von dem Philo. sophen in Sanssouci zu dem Patriarchen in Ferney und von dem Eremiten der Alpen zu dem Einsiedler auf dem Thron. Wie Friedrich bis zu seinem Ende für Voltaires großen Geist ungeschwächte Bewunderung fühlte, so erwartete er dieselbe auch von
allen,
welche überhaupt auf Geist und Geschmack
Anspruch machten. Anerkennung Unmuth .
Wenn seinem Liebling einmal die schuldige
versagt wurde, umwölfte sich seine Stirne mit
Als einst Kaiser Joseph II. auf seiner Rückkehr von
Paris Haller, den deutschen Dichter und Gelehrten, mit großer Auszeichnung behandelte, vorüberfuhr,
dem Schlosse
Voltaire nur
von Ferney aber
eines Grußes zu
würdigen ,
verdachte ihm der König diese Gleichgültigkeit sehr .
In einem
Briefe
ohne
vor
an d'Alembert schreibt
er :
„Wäre ich an des Kaisers
Stelle gewesen, ich wäre nicht durch Ferney gereist, ohne den alten Patriarchen zu hören,
um wenigstens sagen zu können :
„Ich habe ihn gesehen und gehört. " Verleßten aber tröstete er,
Den Zurückgesezten und
indem er ihm Mittheilung machte
von seiner Absicht, in Berlin eine öffentliche Bibliothek bauen zu laſſen, in der Voltaires Werke wenigstens anständig logiren fönnten . Man kann sich denken,
welch schwerer und schmerzlicher
Verlust es unter solchen Umständen für
den König war,
als
sein berühmter und gelehrter Freund im Mai des Jahres 1778 in
die
Gruft stieg .
27 Jahre hatte Frankreich seinen ersten
Dichter wegen seiner Schriften aus dem Vaterlande verbannt . Endlich erwirkte der Minister Necker bei Ludwig XVI. für ihn die Erlaubniß zurückkehren zu
dürfen.
Die Einwohner der
Hauptstadt vergötterten den so lange Entbehrten ; Adressen liefen
in
großen Mengen ein;
Deputationen wurden angemeldet .
Gedichte und
Deputationen über
Wenn der alte Dichter in
seinem wunderlichen Kostüm, der Tracht einer verschwundenen Sammlung. N. F. XI . 263. 3 (913)
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Zeit, in rothem Hermelinkleide, mit schwarzer Lockenperücke und viereckiger Müße erschien, Huldigung.
war er der Gegenstand allgemeiner
Die Akademie machte ihn zum Ehrenmitgliede und
Direktor ; bei der Aufführung seiner Irene wurde er feierlich gekrönt.
Aber schon wenige Tage nachher starb er infolge der
zahlreichen
und
übergroßen
Aufregungen.
Die französische
Geistlichkeit verweigerte ihm ein Begräbniß an geweihter Stätte ; Friedrich aber, der in einem solchen Vorgehen nichts als das ohumächtige Streben einer neidischen Wut erblickte, schrieb im Feldlager zu Schazlar, unter dem Geräusch der Waffen,
eine
Lobrede auf den seltenen Toten, welche in einer außerordentlichen Sizung der Akademie der Wissenschaften vorgelesen wurde. veranstaltete
am Jahrestage seines Todes
Er
in der katholischen
Kirche zu Berlin ihm zu Ehren einen feierlichen Trauergottesdienst und ließ einen Bericht darüber in die Berliner Zeitungen sowohl wie in die damals gelesensten europäischen Blätter einrücken.
Die Bibliothek erhielt eine schöne Gypsbüste von dem
berühmten Pariser Bildhauer Houdon, bei welchem der König auch noch Voltaires Marmorbüste für den Versammlungsfaal der Akademie bestellte . So hatte Voltaire ſeine an Kämpfen und Siegen, Freuden und Leiden, Ehren und Enttäuschungen, Genüssen
und
Entbehrungen
überreiche
Laufbahn
vollendet.
Niemand kann sich rühmen, mit dem Könige von Preußen in vertrauterem persönlichen Umgange, in lebhafterem und längerem brieflichen Verkehr gestanden zu haben als er. Würde der mit so seltenen Geistesgaben ausgestattete Franzose,
deſſen Dichter-
größe, deſſen Wig, deſſen kecke und freimüthige Feder Friedrich ſtets bewunderte, es nicht an der nöthigen politischen Klugheit haben fehlen lassen ; hätte er des Königs Würde nicht verkannt und bei habenheit
aller Vertraulichkeit und Freundschaft doch der Erdes
gekrönten
Hauptes
die
nöthige
Ehrerbietung
erwiesen, er würde manchem Geißelhieb entgangen sein, manche (914)
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trübe Stunde sich erspart und vielleicht bis zu seinem Ende in des großen Königs Nähe reiche Freude genossen und bereitet haben. Wenn wir die nie erkaltende Bewunderung des Königs für den französischen Dichterhelden betrachten ; wenn wir sehen, wie noch der greise Einsiedler von Sanssouci den Toten als den erhabensten Dichter aller Zeiten feiert, so können wir, die Epigonen eines Göthe und Schiller, uns eines Lächelns kaum erwehren; dagegen wollen wir Voltaire den Ruhm nicht streitig machen, daß er der erste war, der - gleichviel ob als Prophet oder
als
Schmeichler - den werdenden Friedrich mit dem
Namen begrüßte, den ihm erst nach einem langen und thatenreichen Leben sein dankbares Volk und die bewundernde Mitund Nachwelt in Anerkennung seiner Tugenden und Verdienste mit dem Ehrennamen Friedrich der Große ". beigelegt hat,
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