Frühgriechische Lyriker: Teil 2 Archilochos, Semonides, Hipponax [2., unveränderte Auflage, Reprint 2021] 9783112528426, 9783112528419

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German Pages 136 [137] Year 1973

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Frühgriechische Lyriker: Teil 2 Archilochos, Semonides, Hipponax [2., unveränderte Auflage, Reprint 2021]
 9783112528426, 9783112528419

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SCHRIFTEN UND QUELLEN DER ALTEN WELT HERAUSGEGEBEN VOM ZENTRALINSTITUT FÜR ALTE GESCHICHTE UND ARCHÄOLOGIE DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR

BAND 24,2

FRÜHGRIECHISCHE LYRIKER ZWEITER TEIL

ARCHILOCHOS, SEMONIDES, HIPPONAX

DEUTSCH VON ZOLTAN FRANYÖ UND PETER GAN GRIECHISCHER TEXT BEARBEITET VON BRUNO SNELL 2., unveränderte Auflage

AKADEMIE- VERLAG 198 1

BERLIN

Redaktor der Reihe: Günther Christian Hansen Redaktor dieses Bandes: Hadwig Helms

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1080 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1972 Lizenznummer: 202 • 100/135/81 Herstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza Bestellnummer: 751 967 8 (2066/24/2) • LSV 7385 Printed in GDR DDR 18,— M

INHALT Einführung Abkürzungen

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Die Jambographen Archilochos von Paros Semonides von Amorgos Panarkes Hipponax von Ephesos Ananios Aischrion von Samos Phoinix von Kolophon Unbekannter Dichter

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Erläuterungen

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EINFÜHRUNG ARCHILOCHOS Ein römischer Historiker der frühen Kaiserzeit/ Vellerns Paterculus, sagt (I 5): „Bei keinem anderen, der etwas als erster erfunden hat, finden wir, daß es die höchste Vollkommenheit besitzt, — nur bei Homer und Archilochos." Für Homer gilt das nicht, da vor ihm andere Rhapsoden dichteten (deren Epen aber verloren sind). Archilochos dagegen, der bald nach Homer um die Mitte des 7. Jahrhunderts v. u. Z. lebte, ist in der Tat ein Beispiel dafür, daß eine radikal neue literarische Gattung sofort in nie übertroffener Größe auftritt. Es gab gewiß früher schon Gedichte, die wir zur Lyrik rechnen würden: Volkslieder, kultische Gesänge, Improvisationen beim Symposion und dergleichen, aber Archilochos hat als erster die Enge solcher Gelegenheitsdichtung durchbrochen, hat bewußt sehr persönliche Meinungen geäußert und damit Neues geschaffen, das im prägnanten Sinn „Literatur" ist. Wohl spüren wir in vielem, wie Archilochos Älteres benutzt: Auch er dichtet für eine bestimmte Gesellschaft, für den mündlichen Vortrag; er schreibt nicht im stillen Kämmerlein für ein literarisch interessiertes Publikum. Aber er will persönlich, als Dichter, gewertet sein, anders als ein Barde der Vorzeit. E r sagt von sich, er verstehe sich auf die liebliche Gabe der Musen (Fr. 1). Das Versmaß, das er besonders pflegt, der Jambus, war sicher auch vor ihm im Schwang; wie er es zu seinen Invektiven benutzt, wird es früher schon zum „Rüge-Lied" gebraucht sein. Zu einer Zeit, da man die Moral des Menschen am Ansehen maß, das er in dér Gesellschaft genoß, war solche „Schelte" ein wichtiges Mittel, den Wert eines Menschen herabzusetzen, wie umgekehrt das „Preislied", das den Würdigen feiert, ihm seine „Ehre" erhöhte. Die soziale Funktion der Poesie war dabei wichtiger als die poetische. Wiewohl Archilochos in seinen Jamben oder auch in den Epoden seine Feinde um ihre Reputation zu bringen sucht, hat sich doch eins bei ihm wesentlich gewandelt : er erklärt rund heraus, man solle sich nicht um das Gerede der Leute kümmern (Fr. 9; 40 A), hebt also gerade das auf, was dem Rüge- oder Preis-Lied seinen vollen Sinn gab. So bekennt er denn auch ungeniert, daß er Fehler gemacht hat, — seine Verteidigung ist, daß andere das auch tun (Fr. 73). Der erzkonservative Athener Kritias (Diels-Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker 88 B 44) hat noch am Ende des 5. Jahrhunderts verständnislos festgestellt: „Hätte Archilochos selbst es nicht unter den Griechen über sich verbreitet, wäre unbekannt geblieben, daß er der Sohn der Sklavin Enipo war, daß er aus Armut und Not von Paros fort nach Thasos ging und, dort angekommen, sich mit den Einwohnern verzankte,

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und daß er gar gleichermaßen Freunde und Feinde beschimpfte. Noch wüßten wir, daß er ein Ehebrecher war, erführen wir es nicht von ihm, oder daß er liederlich und frech war und, was das schändlichste von allem ist, seinen Schild wegwarf (siehe Fr. 6). Also ist Archilochos kein guter Zeuge in eigener Sache, da er sich solchen Ruf und Nachruhm selbst hinterließ." So wenig dem Archilochos am guten Ruf lag, war er doch keineswegs gleichgültig in Dingen der Moral; im Gegenteil, er hatte ernste und entschiedene Meinungen. Nur sah er sich dem Mitmenschen gegenüber auf neue Weise verpflichtet. Als Sohn eines Adligen und einer Sklavin, der offenbar nicht vollbürtig war, der als Söldner und Kolonist seine Heimat Paros verließ, war er nicht fest eingebettet in die Traditionen seiner väterlichen Familie. Wenn er von Menschen spricht, die zusammengehören, sind es Freunde, Gefährten, also nicht auf traditionelle Weise in Sippe, Familie und Kultgemeinschaft miteinander Verbundene. Solch persönliches Zueinandergehören (das er einmal ^uvcovir) nennt, Fr. 89,2) kann enger werden durch einen wechselseitigen Eid (Fr. 95,1; 79,13). Der Bruch eines solchen Vertrauensverhältnisses ist für Archilochos, wie er öfter sagt, das große Unrecht, das einem Menschen widerfahren kann. Solcher Verrat empört ihn (Fr. 79,13; vgl. Fr. 94,4). An die Stelle der verletzten Ehre tritt das verletzte Recht (Fr. 79,13; vgl. Anm. dazu und Fr. 94,4). Von diesen Fragmenten gehören 89, 94 und 95 zu der Fabel von Fuchs und Adler, die Archilochos demLykambes vorhält: dieser hat ihm seine Tochter zugesagt, dies Versprechen aber gebrochen. Leider ist bei Fr. 79 nicht kenntlich, zu welchem Zweck Archilochos solche Brüderschaft schloß, ob nur die freundschaftliche Sicherheit bei gefahrvollen Unternehmen dabei eine Rolle spielte oder etwa politische Pläne — doch hören wir von richtigen Parteien erst später bei Alkaios. Wie bitter ernst es Archilochos war mit solchen eigenen untraditionellen Bindungen, lassen seine Verse spüren. Und daß er recht hatte damit, hat ihm das weitere griechische Denken bestätigt: er steht am Beginn einer reichen Entwicklung. Bei solch feierlich eingegangenen Freundschaften steigert sich einerseits das Bewußtsein des Persönlichen, andererseits aber die Geltung des Überpersönlichen: Niemals zuvor hat jemand so leidenschaftlich vertreten, selber im Recht zu sein und etwas besser zu wissen als andere, niemand hat aber auch mit solcher Heftigkeit ausgesprochen, daß Zeus, der im Himmel herrscht, über Gut und Böse wacht, daß er Lohn und Strafe gerecht verteilt (Fr. 94; vgl. Fr. 84; Fr. 30 ist Apoll der Rächer). Daß für Archilochos die „inneren" Qualitäten, die Gesinnung und das echte Sein wichtiger sind als der allgemein anerkannte Schein, zeigt auch Fr. 60: Er ist kein Freund des „eleganten" Feldherrn, sondern dessen, der „voller Herz" ist. Archilochos gibt wie dem Rüge-Lied so auch den anderen Dichtgattungen, die er gepflegt hat, eine neue Wendung. Das zeigen zum Beispiel seine Liebesgedichte. Freilich ist nur wenig von ihnen erhalten, und das, womit wir sie vergleichen müßten, ist verloren: die volkstümlichen Verse Liebender aus früherer Zeit. Immerhin läßt sich soviel sagen: Primitive Liebeslieder (wie übrigens auch Haßgedichte) haben oft eine magische Komponente: sie rufen gute oder böse Geister um Hilfe auf,

Einfühlung

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haben also eine direkte praktische Funktion. Nichts davon erscheint bei Archilochos, nicht einmal ein Gebet an Aphrodite oder Eros ist kenntlich. Volkstümliche Poesie sagt über den Liebenden Herkömmliches, Typisches, Tatsächliches (das rührend oder auch großartig sein kann), — Archilochos beschreibt Neues, Persönliches, Inneres. Den stürmischen Einbruch der Leidenschaften begreift er mit einer Fülle von neuen Bildern und Metaphern, in denen sich seine Sprachkraft besonders entfaltet. All das Zwiespältige, Unheimliche, Feindliche, dem er sich ausgesetzt fühlt, ist ihm nicht nur, wie den homerischen Menschen, Schickung der Götter, sondern etwas, das in seinem eigenen Innern vor sich geht. Wie er sich müht, dies in seiner seelisch-geistigen Eigenart zu verstehen, mag kurz das Fragment 1 1 2 beleuchten. Seine Liebe nennt er mit einer neugeprägten Wendung: „Eros der (oder: zur) Freundschaft." Eros allein genügt ihm offenbar nicht, weil damit entweder der Gott oder aber lediglich das „Erotische" verstanden wird. Archilochos entfernt sich also von der mythischen Vorstellung und strebt danach, die geistige Verbundenheit, die er, wie sich schon zeigte, in der Freundschaft findet, auch bei der Liebe hervorzukehren. Freilich spricht schon Homer von der „Freundschaft" der Liebenden auf dem Lager; aber Archilochos' ungewöhnliche Wendung trennt zum ersten Mal zwei Seiten der Liebe — was kommenden Geschlechtern mancherlei zu schaffen gemacht hat. Ausführlich (man könnte beinahe sagen, umständlich) beschreibt Archilochos sein „Inneres": Die Liebe „schmiegte sich unter mein H e r z , " (wie Homer in der Odyssee 9,433 einen äußeren Vorgang beschrieb: um aus der Höhle des Polyphem zu entweichen, schmiegte Odysseus sich unter den Bauch des Widders) „goß viel Finsternis über meine A u g e n " (was bei Homer durch Tod oder Ohnmacht geschieht) „und stahl aus der B r u s t das zarte Z w e r c h f e l l " (d. h. die Einsicht, die man dort lokalisierte). Solch ein langsam und zaghaft bei ihm sich bildendes Bewußtsein von einem differenzierten Innenleben des Menschen spricht Archilochos auch im Fragment 67 aus: seine Mahnung „Erkenne, welcher Rhythmus die Menschen hält" behauptet zum ersten Mal, daß der Mensch durch eigene geistige Anstrengung hinter den Erscheinungen so etwas wie ein allgemein gültiges Gesetz aufspüren kanci. Dies Erkennen ist für Archilochos noch wichtiger als seine Fähigkeit, die Nöte und Zwiespältigkeiten mit allen Fasern seines Herzens zu erleben. Denn das Bewußtsein vom Wechsel alles Lebendigen und die Fähigkeit, in seinen Versen davon zu sprechen, gibt ihm die Kraft, sich aus Not und Trauer aufzuraffen (Fr. 7; 8; 10; 58 usw.). Der späteren Dichtung, zumal der lyrischen, sind diese Züge selbstverständlich geworden, — sie stammen von Archilochos. Man glaubt Archilochos, was er sagt, da er in zwingender Weise seine Verse handhabt. Es heißt bisweilen, die hellenistischen Dichter, zumal Kallimachos, hätten den Jamben und Daktylen ihre raffiniert-vollkommene Form gegeben. In Wahrheit sind die des Archilochos schon genauso perfekt. Übersetzungen lassen das allerdings nicht erkennen. Von der artistischen Meisterschaft des Archilochos können die hier vorgelegten Übertragungen aber zum mindesten in dem einen Punkt eine Vorstellung geben: wie in den Epoden

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(Fr. 79 fr.) der Wechsel des Rhythmus den Ausdruck steigert. Aber diese immer wieder überraschende Schönheit ist weit entfernt von der spielerischen Eleganz des Hellenismus. Die natürliche Kraft der Sprache hat eher etwas von Härte.

SEMONIDES Der Jambendichter Semonides war etwa fünfzig Jahre jünger als Archilochos. Auch er stammte von einer jonischen Insel, von Samos, und brachte eine Kolonie zu einer anderen Insel, nach Amorgos. Sein bekanntestes Gedicht, der 'Weiberjambus* (Fr. 7), schildert im Anschluß an Phokylides (siehe diese Reihe Bd. 24,1: Frühgriechische Lyriker, erster Teil. Die frühenElegiker, Berlin 1971, S. 66) mehrere Typen von Frauen und erklärt ihre Verschiedenheit aus dem Ursprung. Aber während Phokylides nur vier Arten vorführt, die von Pferd, Schwein, Hund und Biene stammen, und diese bewertet als zwei gute, eine schlechte und eine mittlere Gruppe, läßt Semonides in seiner viel längeren Liste, in der außer Tieren auch die Elemente Wasser und Erde als Vorfahren erscheinen, allein die Bienen-Frauen gelten — und fügt (Vers 94—118) noch einen nicht gerade glücklichen Epilog an, in dem er, nun allgemeiner werdend, bejammert, wie schlecht es die Männer mit den Frauen haben. Ist das Gedicht auch etwas bäurisch-unbeholfen, so ist es doch ein interessanter Versuch, aus älteren Fabeln und epischen Tiervergleichen so etwas wie eine differenziertere und reichere Psychologie zu gewinnen. Im einzelnen ist manches nicht ohne Witz. Den ersten Jambus beginnt Semonides mit einem Zitat aus Archilochos (Fr. 84): Zeus hält das Telos von allem in Händen, das Ende, die Bestimmung. Aber für Semonides enthält der Satz nicht den Trost, daß das Recht über das Unrecht siegen muß, sondern er spricht das Elend der Sterblichen aus, die vergeblich hoffen und streben, die sich womöglich noch abquälen, nur um Schmerzen zu erwerben. Auf einen ähnlichen Ton ist auch die Elegie (Fr. 29) und manches andere Bruchstück gestimmt.

PANARKES Auf dies Rätsel, das einem sonst unbekannten Dichter namens Panarkes zugeschrieben wird, spielt schon Piaton an. Die Lösung: ein schielender Eunuch warf mit einem Bimsstein nach einer Fledermaus auf einem Narthexzweig — traf aber nicht. HIPPONAX Hipponax aus Ephesos, der kleinasiatischen, jonischen Metropole, lebte um das Jahr 540. Der Name klingt nach Adel, seine Verse zeigen, daß er in Armut lebte. Wegen der heimatlichen Tyrannis wanderte er in das weiter nördlich gelegene

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Klazomenai aus. Mit bitterem Realismus hat er sich offenbar über seine Nöte hinweggeholfen. Seine Situation ist in manchem der des Archilochos ähnlich, nur äußert er nichts von dessen Empörung. Derb und kraß schildert er, was er in seinem Milieu erlebt — „Humor" nennt man das heute bisweilen. Doch sollte man dies Wort lieber beschränken auf die Situation, für die es geprägt ist: die christlichbürgerliche Selbstbescheidung, die ein Malheur nicht recht ernst nimmt, weil schließlich das Wichtigere seinen guten Gang geht. Davon ist bei Hipponax nichts zu spüren. Sein Spaß ist offenbar, Dinge beim Namen zu nennen, von denen der Feine nicht spricht — was es (ebenfalls ohne Humor) bis auf den heutigen Tag gibt.

ANANIOS Ananios war ein Jonier des 6. Jahrhunderts v. u. Z. Seine Herkunft ist unbekannt.

AISCHRION Aischrion von Samos schrieb wohl erst zur Zeit des Aristoteles. Er mag zeigen, wie die Dichtung des Hipponax weitergebildet wurde, so daß sie im Hellenismus wieder aufgenommen werden konnte.

PHOINIX Phoinix von Kolophon gehört ins 3. Jahrhundert v. u. Z., also in eine Zeit, die diese Sammlung nicht mehr berücksichtigt. Das „Krähenlied" hält sich aber an ein volkstümliches Bettellied (wie das rhodische Schwalbenlied, das in einem späteren Band erscheinen wird): als Vögel verkleidete Kinder ziehen von Haus zu Haus.

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ABKÜRZUNGEN (...) (abc) [...] [abc] abc Hss. v. /., w. II. f

= angenommene Lücke = Ergänzung einer angenommenen Lücke = überlieferte Lücke = Ergänzung einer überlieferten Lücke = unvollständige, unsichere Buchstaben — handschriftliche Überlieferung = varia lectio bzw. variae lectiones, d. h. Variante bzw. Varianten der Überlieferung = Verderbnis = Anfang bzw. Ende eines Gedichtes

APXIAOXOZ O n A P I O I EAETEIA

I

eljii 8' èycb SEptìnrcov pèv ' E v u a X t o i o fivcncros Kaì Movaécov èporròv Scopov è-mo-ràpevos.

2

èv Sopì |iév |ioi pcc£a pi£|iocypiévri, èv Sopì S' oTvos 'la^apiKÓs, ttìvco 8' èv 8opl KEKÀipévos.

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