Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert: Einführung in Freuds Schriften Das Ich und das Es und Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit [1 ed.] 9783737011426, 9783847111429

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert: Einführung in Freuds Schriften Das Ich und das Es und Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit [1 ed.]
 9783737011426, 9783847111429

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Sigmund Freuds Werke Wiener Interdisziplinäre Kommentare

Band 4

Herausgegeben von Marlen Bidwell-Steiner, Daniela Finzi, Patrizia Giampieri-Deutsch, Christian Huber, Friedrich Schipper und Herman Westerink in Verbindung mit dem Sigmund Freud Museum

Herausgebergremium: Klaus Davidowicz, Michael Rohrwasser, Felix de Mendelssohn †, Wolfgang Müller-Funk, August Ruhs, Elisabeth von Samsonov Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Sigmund Freud

Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert Einführung in Freuds Schriften Das Ich und das Es und »Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit«

herausgegeben und kommentiert von Patrizia Giampieri-Deutsch

Mit 3 Abbildungen

V& R unipress Vienna University Press

Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung des Rektorats der UniversitÐt Wien, der Sigmund Freud Privatstiftung und der Karl Landsteiner PrivatuniversitÐt fþr Gesundheitswissenschaften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. Verçffentlichungen der Vienna University Press erscheinen bei V& R unipress.  2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung:  Arnulf Rainer »Rainer þber Freud«  Sigmund Freud Privatstiftung; s. S. 145 in diesem Buch. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2510-1269 ISBN 978-3-7370-1142-6

Inhalt

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Patrizia Giampieri-Deutsch Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert. Einführung in Freuds Schriften Das Ich und das Es und »Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Entstehungsgeschichte beider Studien . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freuds Auseinandersetzung mit der Philosophie . . . . . . . . . . . 3. Drei Modelle des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Bezüge von Freuds Strukturmodell zu Wien . . . . . . . . . . . 3.2 Lacans Verständnis von »Wo Es War, Soll Ich Werden« . . . . . 4. Das Über-Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Freuds Auffassung des Bewusstseins und der Wahrnehmung in den drei Modellen des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Bewusstsein und Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Shevrins Einteilung in drei Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Freuds Theorie des Bewusstseins und sein Bezug zu den »consciousness studies« der Philosophie des Geistes . . . . . . . . . 7. Das Ich ist ein Körper-Ich: Freud und das psychophysische Problem 8. Anatomische Lokalisierungsversuche des Strukturmodells . . . . . . Editorische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 55 61 77

DAS ICH UND DAS ES . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

XXXI. VORLESUNG. »DIE ZERLEGUNG DER PSYCHISCHEN PERSÖNLICHKEIT« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

Rainer über Freud . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145

Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

9 9 13 20 25 27 28 34 35 38

Geleitwort

Die Reihe Sigmund Freuds Werke. Wiener Interdisziplinäre Kommentare (SFWWIK) kommentiert in mehreren, in unregelmäßigen Abständen erscheinenden Bänden das Werk Sigmund Freuds hinsichtlich seiner Aktualität im interdisziplinären Diskurs und verortet es dabei auch in seinem zeitgenössischen Wiener Kontext. Diese Reihe verfolgt somit drei wichtige Zielsetzungen. Erstens werden Freuds Werke nach ihrer gegenwärtigen Bedeutung dargestellt und kritisch kommentiert. Diese gegenwärtige Bedeutung geht u. a. aus dem besonderen Proprium der Psychoanalyse hervor, sowohl das Seelenleben des Einzelnen als auch kulturelle Phänomene aus der Perspektive einer klinischen Anthropologie zu erfassen und zu interpretieren. Zweitens hat die Reihe einen fachübergreifenden Charakter : Aus den unterschiedlichen Perspektiven von Einzeldisziplinen und vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Fragestellungen, Diskurse und Debatten wird in Form von wissenschaftlichen Kommentaren die gegenwärtige Bedeutung von Freuds Werken hervorgehoben. Drittens werden Freuds Werke in ihrem zeitgenössischen Wiener Kontext verortet. Es soll also das wissenschaftliche, kulturelle, gesellschaftliche, künstlerische und politische Wiener Umfeld skizziert werden, in dem die Werke Freuds entstanden sind. Dabei soll die internationale Dimension nicht völlig vernachlässigt, aber Wien als Lebens- und Schaffensmittelpunkt Freuds ins Zentrum der Betrachtungen geru¨ ckt werden. Dies ist bislang noch nie in einer systematischen und umfassenden Weise getan worden und somit besteht hier eine eindeutige Publikationslu¨ cke, deren Schließung zum besseren Verständnis der Werke Freuds wesentlich beitragen wird. Die Reihe erscheint in der Vienna University Press, einem Imprint von V& R unipress. Die Wahl des Verlags ist Ausdruck der besonderen Verbundenheit zu Wien als dem primären Wirkungsort von Sigmund Freud sowie eines besonderen wissenschaftlich-universitären Anspruchs. In Zusammenarbeit mit dem österreichischen Ku¨ nstler Arnulf Rainer werden unter Ru¨ ckgriff auf seine Serie von Übermalungen von Portraitfotos von Sigmund Freud die Einbände der Reihe gestaltet. Die Portraits sind dabei so aus-

8

Geleitwort

gewählt, dass sie Freud zur Zeit der Erstpublikation des jeweiligen Bandes zeigen. Sigmund Freuds Werke sind bislang mannigfach und in verschiedener Weise sowie in den unterschiedlichsten Übersetzungen herausgegeben worden. Mit dieser Reihe kehren Freuds Werke nun erstmals dorthin zuru¨ ck, wo sie ihren Ausgang genommen haben – nach Wien, die Stadt, die zusammen mit ihren Bewohnern bzw. Patienten Freuds Erfahrungen, Forschungen und Publikationen geprägt hat. Um sowohl der geschichtlichen als auch der gegenwärtigen Bedeutung gerecht zu werden, haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Wiener Universitäten sowie wissenschaftlicher Vereinigungen zusammengefunden und sich einer großen Aufgabe gestellt: der gemeinsamen, neu kommentierten Herausgabe von Sigmund Freuds Werken. Marlen Bidwell-Steiner, Daniela Finzi, Patrizia Giampieri-Deutsch, Christian Huber, Friedrich Schipper und Herman Westerink fu¨ r das Herausgebergremium

Patrizia Giampieri-Deutsch

Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert. Einführung in Freuds Schriften Das Ich und das Es und »Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit«

1.

Zur Entstehungsgeschichte beider Studien

1923 führte Freud in Das Ich und das Es1 ein Modell des »psychischen Apparats«2 ein, das einer dynamischen Auffassung des mentalen Lebens, des Geistes gut genug Rechnung tragen konnte, das »Strukturmodell«. Im darauffolgenden Jahrzehnt arbeitete Freud das Strukturmodell weiter aus und »Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit«, als XXXI. Vorlesung aus der Neue[n] Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse3, stellte das Ergebnis dieser Präzisierung vor, was eine einführende Besprechung beider Studien in diesem Band nahelegt. Zur Relevanz von Das Ich und das Es kommentierte Ernest Jones im letzten Band der Biographie Sigmund Freud. Leben und Werk: »Das wichtigste Werk dieses Jahres war eine Schrift, die grundlegend Neues brachte: ›Das Ich und das Es‹. Es erschien in der dritten Aprilwoche. Begonnen hatte er es im Juli des vorangegangenen Jahres, in einer von Freuds produktivsten Phasen […] Es war in der Zeit vom Juli bis Ende des Jahres 1922 geschrieben worden. Am Berliner Kongress im September hatte er schon einige der neuen Ideen daraus, vor allem den Begriff eines unbewußten Ichs vorgelegt.«4

Auf dem 7. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Berlin präsentiert Freud am 26. September 1922 den Vortrag »Etwas vom Unbewußten«, dessen Zusammenfassung unter dem gleichen Titel in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse noch im selben Jahre erscheint.5 Freud hob darin hervor, »daß es auch im Ich ein Unbewußtes gibt, das sich dynamisch wie das verdrängte 1 Freud (1923b), Das Ich und das Es, GW 13, S. 237–289. 2 Freuds Terminus für »Psyche«, »Seele« und, in gegenwärtigeren Begriffen, »Geist« oder »Mentales«, werden alle insgesamt als Synonyme betrachtet. 3 Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 15, S. 62–86. 4 Jones (1962 [1957]), Sigmund Freud. Leben und Werk, Bd. 3, S. 124. 5 Freud (1922f), Etwas vom Unbewußten, GW Nachtragsbd., S. 730.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Unbewußte benimmt, nämlich den vom Ich ausgehenden Widerstand in der Analyse und das unbewußte Schuldgefühl.«6 Die Korrespondenz zwischen Freud und S#ndor Ferenczi, seinem Freund und wissenschaftlichem Wegbegleiter in Ungarn, beleuchtet manche Hintergründe der Entstehung des Werkes sowie einige grundlegende Gedanken, wie aus Freuds Brief an Ferenczi vom 21. Juli 1922 (F 908) zu entnehmen ist: »Außerdem bin ich mit etwas Spekulativem beschäftigt, was das ›Jenseits‹ [A. d. H.: Jenseits des Lustprinzips (Freud 1920g)] fortsetzt, entweder ein kleines Buch wird oder nichts. Den Titel verrate ich Ihnen noch nicht, sage nur, es hat mit Groddeck zu tun.«7

In der Tat übernahm Freud von Georg Groddeck8 den Terminus »Es«9, wie der kollegiale Briefwechsel zwischen Freud und Groddeck bezeugt.10 In einem Brief an Groddeck vom 14. April 1921 (F 13) schreibt Freud: »das Unbewußtsein ist doch nur etwas Phänomenales, ein Kennzeichen in Ermangelung einer besseren Bekanntschaft […] Längst empfehle ich daher im intimen Kreise, nicht das Ubw und das Bw, sondern ein zusammenhängendes Ich und ein davon abgespaltenes Verdrängtes in Gegensatz zu bringen.«11

Freud ist sich jedoch im Klaren, die damit verbundene Schwierigkeit nicht gelöst zu haben, und fügt deshalb hinzu: »Das Ich ist in seinen Tiefen gleichfalls tief unbewußt und dort mit dem Kern des Verdrängten zusammenfließend. Die richtigere Vorstellung scheint also zu sein, daß die von uns beobachteten Gliederungen und Sonderungen nur in relativ oberflächlichen Schichten Geltung haben, nicht in der Tiefe, für die Ihr ›Es‹ die richtige Bezeichnung wäre.«12

In diesem Brief visualisiert Freud das Besprochene in einer Zeichnung, welche das Modell im Buch Das Ich und das Es in einer einfacheren Form vorwegnimmt, so dass Freud in einem mit Weihnachten 1922 datierten Brief (F 22) an Groddeck, notiert: »Erinnern Sie sich übrigens, wie frühzeitig ich das Es von Ihnen angenommen habe? Es war, lange ehe ich Sie kennen gelernt hatte, in einem meiner ersten Briefe13 an Sie. Dort hatte ich eine Zeichnung eingeschaltet, die demnächst wenig verändert vor die Öffentlichkeit treten soll. Ich denke, Sie haben das Es (lite6 Ibid., S. 730. 7 Freud und Ferenczi (2003), Brief F 902, 21. 07. 1922, Briefwechsel (1920–1924), Bd. 3/1, S. 139. 8 G. W. Groddeck (1866–1934), Arzt, Psychoanalytiker und Pionier der Psychosomatik. Er führte das Sanatorium Villa Marienhöhe in Baden-Baden. 9 Groddeck (1923), Das Buch vom Es: Psychoanalytische Briefe an eine Freundin. 10 Freud und Groddeck (2008), Briefwechsel Sigmund Freud – Georg Groddeck. 11 Ibid., Brief F 13, 14. 04. 1921, S. 138–139. 12 Ibid., S. 139. 13 Ibid.

Zur Entstehungsgeschichte beider Studien

11

rarisch, nicht assoziativ) von Nietzsche hergenommen. Darf ich das auch so in meiner Schrift sagen?«14

Freuds Protodiagramm des Strukturmodells in seinem Brief an Groddeck vom 14. April 1921 (F 13) aus dem Briefwechsel S. Freud – G. Groddeck.

In Das Ich und das Es erinnert Freud an die Ansicht von Groddeck, »der immer wieder betont, daß das, was wir unser Ich heißen, sich im Leben wesentlich passiv verhält, daß wir nach seinem Ausdruck ›gelebt‹ werden von unbekannten, unbeherrschbaren Mächten.«15 In diesem Sinn soll »das andere Psychische […] das sich wie ubw verhält, nach Groddecks Gebrauch das Es« genannt werden.16 Zurück zu Freuds Brief an Ferenczi (F 908). Freud macht darin seinem Freund gegenüber kein Hehl aus seinem Widerwillen, am Berliner Kongress teilzunehmen. Freud bezeichnete diesen als »Materialisation des mir wohlvertrauten Widerstandes« in Form einer »Heiserkeit«. Nur in einem Fall wäre er dazu bereit, und zwar wenn Ferenczi mit ihm den Inhalt besprechen und vorbereiten würde. Eine Vorgehensweise, welche die beiden Freunde an der Clark University in Worcester schon übten: »Der Anfang war in Worcester, wo noch alles gut ging, wenn Sie mir sagten, was ich erzählen soll.«17 Während ein Resümee seines Kongressbeitrags als »Etwas vom Unbewußten«18 in der Zwischenzeit erschienen ist, arbeitete Freud weiter an dessen Erweiterung für Das Ich und das Es.

14 Ibid., Brief F 22, 24. 12. 1922, S. 184. 15 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 251 zu Groddeck (1923), Das Buch vom Es: Psychoanalytische Briefe an eine Freundin. 16 Ibid., S. 251. 17 Freud und Ferenczi (2003), Briefwechsel (1920–1924), Bd. 3/1, S. 140. 18 Freud (1922f), Etwas vom Unbewußten [Freuds Zusammenfassung seines Vortrags vom 26. September 1922 auf dem 7. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Berlin], GW Nachtragsbd., S. 730.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Das erhalten gebliebene Buchmanuskript des Werkes bespricht Ferenczi mit Freud schließlich in einem Brief vom 15. April 1923 (Fer 926) und hebt darin insbesondere jene dem Über-Ich und dem Ichideal19 gewidmeten Stellen hervor : »Weit befremdender ist aber eine andere Erfahrung. Wir lernen in unseren Analysen, daß es Personen gibt, bei denen die Selbstkritik und das Gewissen, also überaus hochgewertete seelische Leistungen, unbewußt sind und als unbewußt die wichtigsten Wirkungen äußern; das Unbewußtbleiben des Widerstandes in der Analyse ist also keineswegs die einzige Situation dieser Art. Die neue Erfahrung aber, die uns nötigt, trotz unserer besseren kritischen Einsicht, von einem unbewußten Schuldgefühl zu reden, verwirrt uns weit mehr und gibt uns neue Rätsel auf, besonders wenn wir allmählich erraten, daß ein solches unbewußtes Schuldgefühl bei einer großen Anzahl von Neurosen eine ökonomisch entscheidende Rolle spielt und der Heilung die stärksten Hindernisse in den Weg legt. Wollen wir zu unserer Wertskala zurückkehren, so müssen wir sagen: Nicht nur das Tiefste, auch das Höchste am Ich kann unbewußt sein.«20 »Die Entstehungsgeschichte des Über-Ichs macht es verständlich, daß frühe Konflikte des Ichs mit den Objektbesetzungen des Es sich in Konflikte mit deren Erben, dem Über-Ich, fortsetzen können. Wenn dem Ich die Bewältigung des Ödipuskomplexes schlecht gelungen ist, wird dessen dem Es entstammende Energiebesetzung in der Reaktionsbildung des Ichideals wieder zur Wirkung kommen. Die ausgiebige Kommunikation dieses Ideals mit diesen ubw Triebregungen wird das Rätsel lösen, daß das Ideal selbst zum großen Teil unbewußt, dem Ich unzugänglich bleiben kann.«21

In seinen Überlegungen zu diesen Passagen bringt Ferenczi unmittelbar sein Staunen zum Ausdruck: »Das wäre mir allerdings nie eingefallen, dass das ›Über-Ich‹ (infolge der unedlen Herkunft aus dem Erotischen) bewußtseinsunfähig werden kann.«22 Freuds düstere Replik am 17. April 1923 (F 927) scheint vorerst lediglich sein übliches und dem Freund Ferenczi bereits wohlvertrautes Unbehagen nach der Fertigstellung und Korrekturarbeit eines Werkes entsprechend widerzuspiegeln: »bin in der bekannten Depression […] dies ›Es‹ ist direkt unklar, künstlich zusammengesetzt und garstig in der Diktion. […] Bis auf die Grundidee des ›Es‹ und das AperÅu von der Entstehung der Moral mißfällt mir eigentlich alles an diesem Buch.«23 Erst der biographische Zusammenhang ermöglicht es hier, Freuds subjektive Bestandsaufnahme ins richtige Licht zu rücken.24 19 20 21 22 23 24

»Über-Ich« und »Ichideal« werden in Das Ich und das Es noch als Synonyme gehandelt. Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 254. Ibid., S. 267. Freud und Ferenczi (2003), Briefwechsel (1920–1924), Bd. 3/1, S. 158–159. Ibid., S. 160. Jones (1962), Sigmund Freud. Leben und Werk 1957, Bd. 3, S. 112–125. Ernest Jones standen alle ärztlichen Aufzeichnungen von Felix Deutsch und die diesbezügliche Korrespondenz zwischen diesem und Freud zur Verfügung, vgl. ibid., Bd. 3, S. 113.

Freuds Auseinandersetzung mit der Philosophie

13

Am 20. April 1923, wenige Tage nach diesem Briefaustausch, findet die erste der dreiunddreißig Karzinomoperationen der kommenden sechzehn Jahre bis zu Freuds Tod im Jahr 1939 statt. Die Tragweite der realen Diagnose wird Freud allerdings erst zum Zeitpunkt der beiden darauffolgenden invasiven Operationen am 4. und 11. Oktober 1923 eröffnet, was aufgrund der unverzeihlichen Zurückhaltung der Wahrheit zur Entfremdung zwischen Freud und seinem Arzt, dem Wiener Internisten, Psychoanalytiker und psychosomatischen Mediziner Felix Deutsch25, führte.26 Nach den Eingriffen im Oktober, die eine weitgehende Entfernung seiner Gaumen, Ober- und Unterkiefer und Backe zur Folge haben, muss Freud nun eine gewaltige Prothese – von ihm »Ungeheuer« genannt – verwenden, und ist nunmehr auf Grund seiner unerwarteten Bedürftigkeit abrupt auf eine permanente Pflegehilfe angewiesen.27 Demzufolge wurde Freuds Sprachfähigkeit schwerstens beeinträchtigt, sodass der begnadete Redner Freud auf einmal kaum mehr imstande war, in der Öffentlichkeit Vorträge zu halten oder an Kongressen teilzunehmen.

2.

Freuds Auseinandersetzung mit der Philosophie

Bereits der Auftakt von Freuds Buch Das Ich und das Es eröffnet eine Auseinandersetzung mit der Philosophie, bei der Freud die Psychoanalyse als eine Herausforderung der philosophischen Bewusstseinspsychologie darstellt: »die Psychoanalyse kann das Wesen des Psychischen nicht ins Bewußtsein verlegen, sondern muß das Bewußtsein als eine Qualität des Psychischen ansehen, die zu an25 Ehemann der Psychoanalytikerin Helene Rosenbach-Deutsch, die Freud für eine der begabtesten seiner ehemaligen Analysandinnen und Analysanden sowie wissenschaftlichen Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter hielt. 26 Das Dilemma der Mitteilung lebensgefährdender Erkrankungen an Patientinnen und Patienten betreffend, nimmt Susan Sontag entschieden Stellung gegenüber dem renommierten Psychoanalytiker Karl A. Menninger. Menninger (1963) hat in seinem Buch Das Leben als Balance einen allgemeinen Verzicht auf »Namen« und »Etikette« im Umgang mit Patientinnen und Patienten empfohlen und war der Überzeugung, dass die ärztliche Funktion darin bestünde, »diesen Menschen zu helfen, nicht darin, ihnen noch mehr Kummer zu bereiten« (zitiert nach Sontag, S. 8). In ihrem Plädoyer gegen die Geheimhaltung von Krebserkrankungen, welche Sontag als »paternalistisch« empfindet, bemerkt sie: »Solange eine besondere Krankheit als ein bösartiger unbezwingbarer Feind und nicht einfach nur als Krankheit behandelt wird, werden die meisten Menschen mit Krebs in der Tat demoralisiert sein, wenn sie erfahren, was für eine Krankheit sie haben. Die Lösung kann wohl kaum darin bestehen, daß man Krebspatienten nicht länger die Wahrheit sagt, sondern nur in der Berichtigung der Vorstellung von dieser Krankheit, ihrer Entmythisierung.« Sontag (1980), Krankheit als Metapher 1977, S. 8–9. 27 Jones (1962), Sigmund Freud. Leben und Werk 1957, Bd. 3, S. 119.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

deren Qualitäten hinzukommen oder wegbleiben mag. […] Den meisten philosophisch Gebildeten ist die Idee eines Psychischen, das nicht auch bewußt ist, so unfaßbar, daß sie ihnen absurd und durch bloße Logik abweisbar erscheint. Ich glaube, dies kommt nur daher, daß sie die betreffenden Phänomene der Hypnose und des Traumes, welche – vom Pathologischen ganz abgesehen – zu solcher Auffassung zwingen, nie studiert haben. Ihre Bewußtseinspsychologie ist aber auch unfähig, die Probleme des Traumes und der Hypnose zu lösen. Dieses Unbewußt fällt dann mit latent-bewußtseinsfähig zusammen. Die Philosophen würden uns zwar einwerfen: Nein, der Terminus unbewußt hat hier keine Anwendung, solange die Vorstellung im Zustand der Latenz war, war sie überhaupt nichts Psychisches.«28

Jedoch stellt eine nähere Untersuchung der philosophischen Theorien zu nichtbewussten Denkvorgängen Freuds Annahme in Frage, nach welcher jede Philosophie an einer Bewusstseinspsychologie festhält, wie es etwa bei Franz Brentano oder William James deutlich der Fall war. Bei näherer Betrachtung zeigt Freuds Theorie der nicht-bewussten Denkvorgänge kaum zu übersehende Ähnlichkeiten mit der Leibniz’schen Theorie der kleinen Perzeptionen auf, wie sie aus der Monadologie (1714)29 und aus den Nouveaux essais sur l’entendement humain (1703–1705)30 zu entnehmen ist, um lediglich ein wichtiges Beispiel aus der Philosophiegeschichte zu nennen. Im Gegensatz zu Leibniz wird Freud allerdings seinen Begriff der Wahrnehmung lange mit dem Begriff des Bewusstseins verbinden, sodass der Begriff von nicht-bewusster Wahrnehmung, der bei Leibniz bereits vorhanden war, von Freud erst im Jahre 1910 herausgearbeitet wird, jedoch kaum in Freuds Theorie des Geistes Aufnahme fand. Noch zu einem späteren Zeitpunkt in der dritten Phase seiner Theorie des Geistes ab 1923, welche in dieser Einleitung eingeführt wird, wiederholte Freud seine Annahme bezüglich der Bewusstseinspsychologie der Philosophie, u. a. in seiner Schrift »Die Widerstände gegen die Psychoanalyse«, offensichtlich vergessend, dass er im Philosoph Leibniz einen Wegbereiter gehabt hatte: »Was kann der Philosoph also zu einer Lehre sagen, die wie die Psychoanalyse behauptet, das Seelische sei vielmehr an sich unbewußt, die Bewußtheit nur eine Qualität, die zum einzelnen seelischen Akt hinzutreten kann oder auch nicht und die eventuell an diesem nichts anderes ändert, wenn sie ausbleibt?«31 28 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 239–240. 29 Dieser Teil ist eine Wiederaufnahme und Weiterentwicklung des Materials aus: GiampieriDeutsch (2017a), Nach Leibniz: die Entwicklung der Auffassung eines nicht-bewussten Denkens bei Freud, S. 237–254; Leibniz (1703–1705), Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S. 49. 30 Leibniz (1714), Monadologie und andere metaphysische Schriften, S. 609. 31 Freud (1925e [1924]), Die Widerstände gegen die Psychoanalyse, GW 14, S. 99–110, S. 103.

Freuds Auseinandersetzung mit der Philosophie

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Wie Leibniz begründet Freud bereits in seiner Schrift »Das Unbewusste« nichtbewusste mentale Vorgänge mit der grundsätzlichen Kontinuität der mentalen Vorgänge, derer man nicht jederzeit bewusst ist: »Wir können dagegen anführen, daß die Annahme des Unbewußten notwendig und legitim ist, […] weil die Daten des Bewußtseins in hohem Grade lückenhaft sind.«32 Freud wurde nicht müde, die Identität des Psychischen mit dem Bewussten in Frage zu stellen. Seiner Ansicht nach war »die konventionelle Gleichstellung des Psychischen mit dem Bewußten […] durchaus unzweckmäßig. Sie zerreißt die psychischen Kontinuitäten, stürzt uns in die unlösbaren Schwierigkeiten des psychophysischen Parallelismus, unterliegt dem Vorwurf, daß sie ohne einsichtliche Begründung die Rolle des Bewußtseins überschätzt, und nötigt uns, das Gebiet der psychologischen Forschung vorzeitig zu verlassen, ohne uns von anderen Gebieten her Entschädigung bringen zu können.«33

Zum differenzierten Verständnis der unterschiedlichen nicht-bewussten Denkvorgänge versuchte die Schrift »Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten in der Psychoanalyse« aus 1912 eine Trennlinie zwischen vbw vorbewussten und ubw unbewussten Denkvorgängen zu zeichnen: »Wir waren gewohnt zu denken, daß jeder latente Gedanke dies infolge seiner Schwäche war, und daß er bewußt wurde, sowie er Kraft erhielt. Wir haben nun die Überzeugung gewonnen, daß es gewisse latente Gedanken gibt, die nicht ins Bewußtsein eindringen, wie stark sie auch sein mögen. Wir wollen daher die latenten Gedanken der ersten Gruppe vorbewußt nennen, während wir den Ausdruck unbewußt (im eigentlichen Sinne) für die zweite Gruppe reservieren […] Er bezeichnet nicht bloß latente Gedanken im allgemeinen, sondern besonders solche mit einem bestimmten dynamischen Charakter, nämlich diejenigen, die sich trotz ihrer Intensität und Wirksamkeit dem Bewußtsein ferne halten.«34

Zum Vbw Vorbewussten, dem latenten Ubw Unbewussten, das möglicherweise am nächsten zur Leibniz’schen Theorie der kleinen Perzeptionen steht, präzisierte Freud drei Jahre später in seiner Schrift »Das Unbewußte« von 1915: »Man kann weiter gehen und zur Unterstützung eines unbewußten psychischen Zustandes anführen, daß das Bewußtsein in jedem Moment nur einen geringen Inhalt umfaßt, so daß der größte Teil dessen, was wir bewußte Kenntnis heißen, sich ohnedies über die längsten Zeiten im Zustande der Latenz, also in einem Zustande von psychischer Unbewußtheit, befinden muß.«35

32 Freud (1915e), Das Unbewußte, GW 10, S. 264–303, S. 264–265. 33 Ibid., S. 266. 34 Freud (1912g), Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten in der Psychoanalyse, GW 8, S. 430–439, S. 433–434. 35 Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 265.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Zur klinischen phänomenologischen Unterscheidung zwischen bw bewussten, vbw vorbewussten und ubw unbewussten mentalen Vorgängen bietet erst ein spätes Werk aus der letzten Phase, das postum veröffentlichte Manuskript Abriß der Psychoanalyse, eine klärende Stelle an: »Wir haben also den psychischen Vorgängen drei Qualitäten zugeschrieben, sie sind entweder bewusst, vorbewusst oder unbewusst. Die Scheidung zwischen den drei Klassen von Inhalten, welche diese Qualitäten tragen, ist weder eine absolute noch eine permanente. Das was vorbewusst ist, wird, wie wir sehen, ohne unser Zutun bewusst, das Unbewusste kann durch unsere Bemühung bewusst gemacht werden, wobei wir die Empfindung haben dürfen, dass wir oft sehr starke Widerstände überwinden.«36

Wie oben angeführt, wandte sich Freud in der ersten Anmerkung zu Das Ich und das Es ausdrücklich gegen jene Annahme von »schwachen«, »unmerklichen« jedoch »bewussten« Vorgängen, die sich nach Freud gegen seine Annahme von ubw unbewussten mentalen Zuständen richtete. Ohne jegliche Nennung der Vertreterinnen bzw. der Vertreter dieser philosophischen Annahme kritisierte Freud die Auffassung, »daß auch das Bewußtsein – als Phänomen – eine große Reihe von Abstufungen der Intensität oder Deutlichkeit erkennen läßt. So wie es Vorgänge gibt, die sehr lebhaft, grell, greifbar bewußt sind, so erleben wir auch andere, die nur schwach, kaum eben merklich bewußt sind, und die am schwächsten bewußten seien eben die, für welche die Psychoanalyse das unpassende Wort unbewußt gebrauchen wolle. […] Ferner erreicht man durch die Subsumierung des Unmerklichen unter das Bewußte nichts anderes, als daß man sich die einzige unmittelbare Sicherheit verdirbt, die es im Psychischen überhaupt gibt. Ein Bewußtsein, von dem man nichts weiß, scheint mir doch um vieles absurder als ein unbewußtes Seelisches. Endlich ist solche Angleichung des Unbemerkten an das Unbewußte offenbar ohne Rücksicht auf die dynamischen Verhältnisse versucht worden, welche für die psychoanalytische Auffassung maßgebend waren. Denn zwei Tatsachen werden dabei vernachlässigt; erstens, daß es sehr schwierig ist, großer Anstrengung bedarf, um einem solchen Unbemerkten genug Aufmerksamkeit zuzuführen, und zweitens, daß, wenn dies gelungen ist, das vordem Unbemerkte jetzt nicht vom Bewußtsein erkannt wird, sondern oft genug ihm völlig fremd, gegensätzlich erscheint und von ihm schroff abgelehnt wird. Der Rekurs vom Unbewußten auf das wenig Bemerkte und nicht Bemerkte ist also doch nur ein Abkömmling des Vorurteils, dem die Identität des Psychischen mit dem Bewußten ein für allemal feststeht.«37

Freuds ambivalente Haltung gegenüber der Philosophie gründete in seinem Versuch, die bisherigen philosophischen Theorien des Geistes durch eine eigene Theorie des mentalen Lebens, die Psychoanalyse, zu ersetzen. Spuren seiner philosophischen Bildung, seines Studiums der Philosophie bei Brentano und seiner Lektüren, wurden deswegen von Freud systematisch entfernt. For36 Freud (1940a [1938]), Abriß der Psychoanalyse, GW 17, S. 63–138, S. 82. 37 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 242.

Freuds Auseinandersetzung mit der Philosophie

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schungen zur Wissenschaftsgeschichte der Psychoanalyse erweisen die bereits in ihren Anfängen und fortwährend einflussreiche Präsenz von Leibniz und Freuds philosophischer Bildung im Allgemeinen.38 Entgegen anderer irreführender autobiographischer Aussagen bekundete Freud während einer Sitzung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 1. April 1908, dass er tatsächlich Philosophie studiert hatte: »Deren abstrakte Art« sei ihm jedoch so wenig kongenial gewesen, »daß er auf das Studium der Philosophie schließlich verzichtet habe.«39 Dass Freud ein ehrlicher und leidenschaftlicher Briefschreiber gewesen ist, schien zwar dem von ihm selbst erstellten Selbstbild nachträglich zum Verhängnis geworden zu sein, verlieh jedoch seinem biographisch-geschichtlichen Entwicklungsprofil zusätzliche Ernsthaftigkeit und Dichte. Freuds Briefe (1887–1904) an seinen Freund Wilhelm Fließ wurden als Ganzes in den 1980er Jahre veröffentlicht. Am 25. Mai 1895, Brief 64, schrieb Freud an Fließ: »Es ist die Psychologie, von jeher mein fern winkendes Ziel, jetzt seitdem ich auf die Neurosen gestoßen bin, um soviel näher gerückt.«40 Und am 1. Jänner 1896, Brief 85, offenbarte Freud, dass: »ich im geheimsten die Hoffnung nähre, über dieselben Wege [A. d. H: das Arztsein] zu meinem Anfangsziel, der Philosophie, zu kommen.«41 Am 2. April 1896, Brief 93, gestand ihm Freud: »Ich habe als junger Mensch keine andere Sehnsucht gekannt als die nach philosophischer Erkenntnis, und ich bin jetzt im Begriffe, sie zu erfüllen, indem ich von der Medizin zur Psychologie hinüberlenke.«42 Freuds Gebrauch von Philosophie und Psychologie als Synonyme, die Psychologie also als Bestandteil der Philosophie zu betrachten, hing nicht lediglich mit der akademischen Taxonomie zusammen, sondern entsprach dem Programm einer Philosophie der Psychologie als Wissenschaft, die Philosophen wie Herbart und Brentano jeweils mit anderen Mitteln verfolgten. Nach dem Ideenhistoriker William Johnston hatte die Leibniz’sche Philosophie eine pervasive Präsenz im Bildungswesen des Vielvölkerstaats der k. u. k Monarchie, nicht zuletzt aufgrund des indirekten Einflusses über den Leibnizianer Johann Friedrich Herbart. Die österreichischen Herbartianer waren als 38 Vgl. Giampieri-Deutsch (2019). Ernst Mach und Sigmund Freud: Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln?, in Ernst Mach – Zu Leben, Werk und Wirkung. Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis 29, S. 45–73. 39 Nunberg und Federn (Hg.) (1962), 45. Protokoll, in Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Bd. 1 1976, S. 334–339, S. 338. 40 Freud (1985c [1887–1904]), Brief 64, 25. 06. 1895, Briefe an Wilhelm Fließ (1887–1904) 1986, S. 130. 41 Ibid., Brief 85, 01. 01. 1896, S. 165. 42 Ibid., Brief 93, 02. 04. 1896, S. 190.

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Reformer des Unterrichtswesens besonders umtriebig, wobei Johnston den Psychologen Gustaf Adolf Lindner (1828–1887), einen Schüler von Franz Exner, besonders hervorhebt, der österreichweit für die Gymnasien Lehrbücher der Psychologie darunter das Lehrbuch der empirischen Psychologie als inductiver Wissenschaft43 verfasst hat. Johnston fügte hinzu: »Freud etwa hat in seinem letzten Jahr am Gymnasium das Lehrbuch Lindners studiert.«44 Die bereits 1912 verfasste Studie »Über die psychologischen Grundlagen des Freudismus«45 der Philosophin und Psychoanalytikerin Luise von Karpinska46, Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, arbeitet Analogien zwischen Freud und Herbart heraus. Daran anschließend untersucht auch die Wissenschaftshistorikerin Maria Dorer im Jahre 1932 Historische Grundlagen der Psychoanalyse.47 In diesem Buch stellt sie die Beziehung der Psychoanalyse zur Leibniz’schen Philosophie heraus. Sie verglich Herbart und Freud48 und machte insbesondere auf die Bedeutung der Herbart’schen Terminologie für Freud aufmerksam. In einem der umfangreichsten Werke zur Wissenschaftsgeschichte der psychodynamischen Psychiatrie und Psychoanalyse Die Entdeckung des Unbewussten. Geschichte und Entwicklung der dynamischen Psychiatrie von den Anfängen bis zu Janet, Freud, Adler und Jung von Henri F. Ellenberger wird der Einfluss von Leibniz’schen Begriffen und Termini wie »unmerkliche Perzeptionen« und »dynamisch« für die psychodynamische Psychiatrie und insbesondere für Freud hervorgehoben. Wie von Karpinska, Dorer und Johnston kam auch Ellenberger, der sich auf deren Studien bezog, zum Schluss: »Man weiß nicht, ob Freud Herbart gelesen hat, aber es ist sicher, daß er durch Lindners Lehrbuch während seiner Schulzeit am Sperläum [A. d. H.: Freuds Gymnasium, Leopoldstädter Communal-Real und Obergymnasium] in Herbarts Psychologie eingeführte wurde.«49 Als Ende der 1980er Jahren Freuds Jugendbriefe an Eduard Silberstein (1871–1881) zur Gänze vorlagen, erhielt das Bild vom jungen Freud als Philo43 Lindner (1872), Lehrbuch der empirischen Psychologie als inductiver Wissenschaft. 44 Johnston (1972), Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938, S. 237. 45 von Karpinska (1914 [1912]), Über die psychologischen Grundlagen des Freudismus, S. 305– 316. 46 Giampieri-Deutsch (1989), Freud: ein österreichischer Philosoph?, S. 69–86; dies. (1990), Freud und die österreichische Philosophie, in Philosophie und Psychoanalyse, S. 41–54; dies. (1992), Alfred von Winterstein und die Rolle der Philosophie in den Diskussionen der Mittwoch-Gesellschaft, in Aus dem Kreis um Sigmund Freud. Zu den Protokollen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, S. 69–95. 47 Dorer (1932), Historische Grundlagen der Psychoanalyse. 48 Ibid., S. 103–106. 49 Ellenberger (1973), Die Entdeckung des Unbewussten. Geschichte und Entwicklung der dynamischen Psychiatrie von den Anfängen bis zu Janet, Freud, Adler und Jung 1985, S. 745.

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sophie-Student deutlichere Konturen. Erst im Laufe seines Studiums der Philosophie bei Franz Brentano wird Freud mit Fragestellungen und Methoden der philosophischen Psychologie und ihren Beziehungen zur Metaphysik und den Naturwissenschaften konfrontiert. Freuds erster Eindruck der Psychologie, der ihm durch das Lehrbuch des Herbartianers Lindner im Gymnasialunterricht vermittelt worden ist, wird dadurch auf den Prüfstand gestellt. Mit Franz Brentano verschiebt sich der Schwerpunkt vom Erwerb einer psychologischen Fachsprache, welche die Lektüre des Lehrbuchs ermöglichte, zur Frage der methodologischen Grundeinstellung der philosophischen Psychologie. In seiner Antrittsvorlesung »Über die Gründe der Entmutigung auf philosophischem Gebiete« im Jahr 1874 bekräftigte Brentano noch, dass es nicht Aufgabe der Philosophie sei, »mit einem genialen Wurfe das ganze einer vollkommeneren Weltanschauung vorzulegen.«50 In seiner Psychologie vom empirischen Standpunkt des Jahres 1874 nimmt Brentano gegen die Philosophie als System und Weltanschauung deutlich Stellung. Er präsentiert seine eigene Philosophie als Kritik der als ein geschlossenes System verstandenen Philosophie, jedoch nicht ausschließlich als Kritik des deutschen Idealismus: »Eine Philosophie, die sich in unseren Tagen für einen Augenblick das Ansehen eines Abschlusses aller Wissenschaft zu geben wusste, wurde sehr bald, nicht als unübertrefflich, wohl aber als unverbesserlich erkannt.«51 Brentanos Haltung gegen systematische Ansätze in der Philosophie wird samt seiner Ablehnung des Herbart’schen Systems vom jungen Freud übernommen und, wenn auch Freud jede Erwähnung Brentanos sorgfältig vermied52, so werden Zeichen des Brentano-Erbes sogar beim reifen Freud – zum Beispiel in seiner »XXXV. Vorlesung: Über eine Weltanschauung«53 – kaum zu übersehen sein und im vorliegenden Werk Das Ich und das Es wies Freud darauf hin »daß die psychoanalytische Forschung nicht wie ein philosophisches System mit einem vollständigen und fertigen Lehrgebäude auftreten konnte […].«54 50 Brentano (1874), »Über die Gründe der Entmutigung auf philosophischem Gebiete«, in Über die Zukunft der Philosophie nebst den Vorträgen »Über die Gru¨ nde der Entmutigung auf philosophischem Gebiet« und »Über Schellings System« sowie den »Fu¨ nfundzwanzig Habilitationsthesen«, 1924, S. 85. 51 Brentano (1874), Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. 1 1924, S. 4. 52 In seinem Werk erwähnt Freud den Philosophen Franz Brentano nur einmal in einer Fußnote und nicht wegen dessen philosophischen Werk, sondern als Erfinder von Rätsel: »Der Philosoph Fr. Brentano hat eine Gattung von Rätseln gedichtet, in denen eine kleine Anzahl von Silben zu erraten ist, die, zu einem Worte vereinigt, oder so oder anders zusammengefaßt, einen anderen Sinn ergeben […]« in Freud (1905c), Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, GW 6, Anm. 1, S. 31–32. Das in Freuds Anmerkung nicht zitierte Buch ist Brentano (1909), Aenigmatias: Neue Rätsel. 53 Freud (1933a [1932]), XXXV. Vorlesung: Über eine Weltanschauung, Neue Folge der Vorlesungen zur Einfu¨ hrung in die Psychoanalyse, GW 15, S. 170–197. 54 Freud (1923b), Das Ich und Das Es, S. 264.

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3.

Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Drei Modelle des Geistes

Das im Buch Das Ich und das Es eingeführte Strukturmodell des »psychischen Apparats« markiert, wie bereits angedeutet, den Anfang der dritten Phase von Freuds Theorie des Geistes. Wenn Freud selbst auch keine systematische Theorie des Geistes hinterlassen hatte, so konnten seine diesbezüglichen theoretischen Annahmen dennoch nachträglich von David Rapaport55 in drei Phasen eingeteilt und weiter von Joseph Sandler, Christopher Dare und Alex Holder56 durch Isolierung und Benennung der Modelle präzisiert werden, obwohl diese von Freud nicht als solche formuliert worden waren. In einer ersten, noch präanalytischen Phase von 1886 bis 1897 denkt Freud im Bezugsrahmen eines Affekt-Trauma-Modells des »seelischen« oder »psychischen Apparats« oder Geistes. In einer zweiten Phase von 1897 bis 1923 führt Freud ein »topisches« oder »topographisches«, also räumliches Modell des Geistes ein. Dieses ist in drei bereits aus der Traumdeutung57 bekannte »Lokalitäten« oder Systeme unterteilt: System Wahrnehmung-Bewusstsein (W-Bw, manchmal einfach auch W genannt), System Vorbewusst (Vbw) und System Unbewusst (Ubw). In einer dritten und letzten Phase ab 1923 entwickelt Freud in Das Ich und das Es das aus drei Strukturen oder Instanzen – Es, Ich und Über-Ich – bestehende Strukturmodell. Das Affekt-Trauma-Modell entstand im Zusammenhang mit Freuds klinischem Interesse für die Hysterie in der Zeit anschließend zu seinen Studienaufenthalten in Frankreich bei den renommierten Hypnoseforschern jener Zeit, wie dem Neuropathologen Jean-Martin Charcot in Paris (1885–1886) und dem Psychiater und Internisten Hippolyte Bernheim in Nancy (1889), bis zur Zeit der Studien über Hysterie58, welche Freud zusammen mit dem Physiologen und Internisten Josef Breuer verfasste. Sandler, Dare und Holder nannten es 1972 auf diese Weise, weil es die zwei wichtigen Bestandteile des Affekt-Trauma-Modells beinhaltet: Erstens, das Auftreten äußerer, realer, traumatischer Ereignisse, die ihrerseits, zweitens, »eingeklemmte« »Affektladungen« zur Folge haben, wobei 55 Rapaport (1959), A Historical Survey of Psychoanalytic Ego Psychology, S. 5–17. 56 Sandler, Dare und Holder (1972), Frames of reference in psychoanalytic psychology. II. The historical context and phases in the development of psychoanalysis, S. 133–142; dies. (1978), Frames of reference in psychoanalytic psychology. XI. Limitations of the topographical model, S. 61–65; dies. (1982), Frames of reference in psychoanalytic psychology. XII. Characteristics of the structural frame of reference, S. 213–217 und Holder (1982), Freuds Theorie des psychischen Apparats, in Sigmund Freud. Leben und Werk. Kindlers »Psychologie des 20. Jahrhunderts«, Bd. 1, S. 220–260. 57 Freud (1900a), Die Traumdeutung, GW 2/3, S. 541–546. 58 Freud (1895d [1893–1895]), Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene. Vorläufige Mitteilung, Studien über Hysterie, GW 1, S. 81–98.

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diese durch die noch präanalytische kathartische Behandlung zur Abreaktion gebracht werden können. »Unter dem Drängen meines damaligen technischen Verfahrens reproduzierten die meisten meiner Patienten Szenen aus ihrer Kindheit, deren Inhalt die sexuelle Verführung durch einen Erwachsenen war. Bei den weiblichen Personen war die Rolle des Verführers fast immer dem Vater zugeteilt. Ich schenkte diesen Mitteilungen Glauben und nahm also an, daß ich in diesen Erlebnissen sexueller Verführung in der Kindheit die Quellen der späteren Neurose aufgefunden hatte. Einige Fälle, in denen sich solche Beziehungen zum Vater, Oheim oder älteren Bruder bis in die Jahre sicherer Erinnerung fortgesetzt hatten, bestärkten mich in meinem Zutrauen.«59

Dieses frühe Modell beinhaltet bereits die Auffassung eines psychischen Apparates, einer psychischen Energie und deren Abfuhr, sowie die Auffassung von psychischen Abwehrmechanismen. Als Freud jedoch externe Traumata wie Verführungen nicht mehr für die allgemeine Ursache der Neurosen hält, realisiert er die Grenzen dieses Modells, wie er in seiner Selbstdarstellung erzählt: »Als ich dann doch erkennen mußte, diese Verführungsszenen seien niemals vorgefallen, seien nur Phantasien, die meine Patienten erdichtet, die ich ihnen vielleicht selbst aufgedrängt hatte, war ich eine Zeitlang ratlos. Mein Vertrauen in meine Technik wie in ihre Ergebnisse erlitt einen harten Stoß; ich hatte doch diese Szenen auf einem technischen Wege, den ich für korrekt hielt, gewonnen und ihr Inhalt stand in unverkennbarer Beziehung zu den Symptomen, von denen meine Untersuchung ausgegangen war. Als ich mich gefaßt hatte, zog ich aus meiner Erfahrung die richtigen Schlüsse, daß die neurotischen Symptome nicht direkt an wirkliche Erlebnisse anknüpften, sondern an Wunschphantasien, und daß für die Neurose die psychische Realität mehr bedeute als die materielle.«60

Andererseits zweifelte Freud weder das reale Vorkommnis von sexuellem Missbrauch in der Kindheit an, noch vernachlässigte er später die pathogene Rolle des infantilen Traumas, wie Freud in der »XXIII. Vorlesung: Die Wege der Symptombildung« der Einführung in die Psychoanalyse deutlich macht: »Besonderes Interesse hat die Phantasie der Verführung, weil sie nur zu oft keine Phantasie, sondern reale Erinnerung ist. Aber zum Glück ist sie doch nicht so häufig real, wie es nach den Ergebnissen der Analyse zuerst den Anschein hatte. […] Glauben Sie übrigens nicht, daß sexueller Mißbrauch des Kindes durch die nächsten männlichen Verwandten durchaus dem Reiche der Phantasie angehört. Die meisten Analytiker werden Fälle behandelt haben, in denen solche Beziehungen real waren und einwandfrei festgestellt werden konnten; […].«61 59 Freud (1925d [1924]), Selbstdarstellung, GW 14, S. 33–96, S. 59. 60 Ibid., S. 59–60. 61 Freud (1916–1917a [1915–1916]), XXIII. Vorlesung: Die Wege der Symptombildung, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 11, S. 372–391, S. 385.

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In der zweiten Phase von 1897 bis 1923 verschiebt sich Freuds Augenmerk von den realen äußeren Ereignissen zu den Trieben62 und dem inneren psychischen Konflikt. In dieser Zeit führt der bereits psychoanalytische Freud sein topisches oder topographisches Modell des psychischen Apparates ein und unterteilt es in drei Lokalitäten oder Systeme. Es sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass die Auffassung der Topik, welche in gewisser Weise auf etwas Räumliches verweist, keine räumliche Lokalisierung der Systeme anatomisch nahelegt. Im Gegenteil, Freud wird sich u. a. in der Traumdeutung63 oder in »Das Unbewußte«64 gegen eine neuroanatomische Lokalisierung aussprechen. Es wird in dieser Einführung weiter unten im Kapitel acht das Thema der gegenwärtigen Versuche einer neuroanatomischen Lokalisierung noch aufgegriffen werden. Nicht-bewusste Denkvorgänge werden von Freud in zwei Abstufungen, den vorbewussten (vbw) und den unbewussten (ubw) Denkvorgängen, begrifflich klar unterschieden, jedoch von Freud oft selbst vereinfachend »unbewusste Denkvorgänge« im beschreibenden Sinne genannt. Sandler, Holder und Dare haben auf die Weiterführung des Begriffs von Trauma und des Affektbetrags aus dem ersten Modell auch in Freuds späterem Werk aufmerksam gemacht.65 Das von Freud im Jahr 1923 eingeführte Strukturmodell wird das topische Modell keinesfalls aufheben. Bezüglich der weiteren Koexistenz des topischen Modells mit dem Strukturmodell erzählt die 76jährige Anna Freud Joseph Sandler im Zuge von Diskussionen einer Forschungsgruppe im Zeitraum 1972–1973 an der Londoner Hampstead Klinik: »Im Unterschied zu den Leuten, die bei ihrem Eintritt in die Psychoanalyse die Strukturtheorie bereits vorfanden und das topische Schema als der Vergangenheit angehörig betrachteten, wuchs ich mit dem topischen Schema auf und erlebte in meiner eigenen psychoanalytischen Entwicklung den allmählichen Übergang zum strukturellen Modell. Ich muß gestehen, daß ich in meinen Schriften nie die scharfe Unterscheidung zwischen den beiden Modellen gemacht habe […] Ich rechne mich entschieden zu denjenigen, die sich dafür offenhalten, je nach Bedarf auf die topischen Aspekte zurückzugreifen, oder aber sie beiseite lassen und rein strukturell zu sprechen.«66

So wird das räumliche, topische oder topographische Modell vom Strukturmodell nicht aufgehoben. Freuds neues Modell zielt auf die Überwindung der Grenzen der Topik, welcher ein optisches Gerät als Vorbild stand, durch einen neuen Entwurf, das genuin dynamisch ist. Deshalb wird von Freud diese neue 62 63 64 65 66

Freud (1905d). Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, GW 5, S. 27, S. 33–145. Freud (1900a), Die Traumdeutung, S. 541. Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 264–303. Sandler, Holder und Dare (1997), Freuds Modelle der Seele. Eine Einführung 2003, S. 53–54. Sandler (1985), Die Analyse der Abwehr. Joseph Sandler mit Anna Freud, S. 32.

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»Gliederung des seelischen Wesens in ein Es, ein Ich und ein Über-Ich« als ein »Mittel zum tieferen Verständnis und zur besseren Beschreibung der dynamischen Beziehungen im Seelenleben« begriffen.67 Im Vergleich mit den Systemen werden den Strukturen teilweise weitere oder modifizierte Funktionen zugeschrieben. Hier erfolgt nun eine terminologische Berichtigung, da einige Autoren und Autorinnen wie Jacques Lacan, Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis, Didier Anzieu, Paul Ricœur und selbst die »Editorische Einleitung« von Das Ich und das Es der Studienausgabe von Freuds Werken irreführenderweise von zwei Topiken68 sprechen, obwohl es sich dabei um zwei heterogene Modelle handelt. Das räumliche, topische oder topographische Modell ist durch eine »konstante räumliche Orientierung« oder Anordnung wie die Linsensysteme eines Fernrohrs charakterisiert: »Wir stellen uns also den seelischen Apparat vor als ein zusammengesetztes Instrument, dessen Bestandteile wir Instanzen oder der Anschaulichkeit zuliebe Systeme heißen wollen. Dann bilden wir die Erwartung, daß diese Systeme vielleicht eine konstante räumliche Orientierung gegeneinander haben, etwa wie die verschiedenen Linsensysteme des Fernrohres hintereinander stehen. Streng genommen brauchen wir die Annahme einer wirklich räumlichen Anordnung der psychischen Systeme nicht zu machen. Es genügt uns, wenn eine feste Reihenfolge dadurch hergestellt wird, daß bei gewissen psychischen Vorgängen die Systeme in einer bestimmten zeitlichen Folge von der Erregung durchlaufen werden.«69

Hingegen können die Strukturen im neuen Strukturmodell untereinander interagieren, was den relationalen Charakter der Strukturen oder Instanzen deutlich hervorhebt. Trotz seines terminologischen Missverständnisses übersieht Paul Ricœur die Neuheit des Strukturmodells nicht, im Gegenteil, Ricœur ist bemüht, diese Entwicklung folgendermaßen hervorzuheben: »Die ›Instanzen‹, von denen nunmehr die Rede sein wird, sind weniger ›Orte‹ als ›Rollen‹ in einer Personologie […] worum es geht, ist die Beziehung vom Persönlichen zum Anonymen und Überpersönlichen in der Person.«70 Um nun den Begriff einer Struktur »Ich« vom Begriff des Bewusstseins deutlich differenzieren zu können, ist Freuds Auffassung »einer zusammen67 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 268. 68 Lacan (1978), Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Das Seminar, Buch II (1954–1955), S. 18, 33; Ricœur (1965), Die Interpretation. Ein Versuch über Freud 1969, S. 94; Laplanche und Pontalis (1967), Das Vokabular der Psychoanalyse 1972, Bd. 2, S. 503–509; Anzieu (1985), Zwei Vordenker des Haut-Ichs: Freud, Federn, in Das HautIch 1991, bes. S. 110–117; Freud, Editorische Einleitung, Studienausgabe, Bd. 3, S. 275–281. 69 Freud (1900a), Die Traumdeutung, S. 542. 70 Ricœur (1965), Die Interpretation. Ein Versuch über Freud 1969, S. 190.

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hängenden Organisation der seelischen Vorgänge in einer Person«71 näher zu erörtern. Das Ich entstand aus dem Es als Folge von dessen Interaktion mit der äußeren Realität und stellt somit eine Entwicklung des Es im Dienste der Selbsterhaltung dar. Das Ich ist folglich imstande, eine Art Vermittlerrolle zwischen der Außenwelt, dem Es und dem Über-Ich, einer dritten sich aus dem Ich entwickelnden Struktur, zu übernehmen72 : »Wir sehen das Ich jetzt in seiner Stärke und in seinen Schwächen. Es ist mit wichtigen Funktionen betraut, kraft seiner Beziehung zum Wahrnehmungssystem stellt es die zeitliche Anordnung der seelischen Vorgänge her und unterzieht dieselben der Realitätsprüfung. Durch die Einschaltung der Denkvorgänge erzielt es einen Aufschub der motorischen Entladungen und beherrscht die Zugänge zur Motilität.«73

Die Umrisse dieser »Herrschaft« werden jedoch auch in ihren Grenzen aufgezeigt: »Letztere Herrschaft ist allerdings mehr formal als faktisch, das Ich hat in der Beziehung zur Handlung etwa die Stellung eines konstitutionellen Monarchen, ohne dessen Sanktion nichts Gesetz werden kann, der es sich aber sehr überlegt, ehe er gegen einen Vorschlag des Parlaments sein Veto einlegt.«74

Bereits in Das Ich und das Es wird das Ich als »armes Ding, welches unter dreierlei Dienstbarkeiten steht und demzufolge unter den Drohungen von dreierlei Gefahren leidet, von der Außenwelt her, von der Libido des Es und von der Strenge des Über-Ichs«75 beschrieben. Jene Dienstbarkeiten werden in der »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit« genauer ausgeführt: »Ein Sprichwort warnt davor, gleichzeitig zwei Herren zu dienen. Das arme Ich hat es noch schwerer, es dient drei gestrengen Herren, ist bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang miteinander zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein; kein Wunder, wenn das Ich so oft an seiner Aufgabe scheitert. Die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das Über-Ich und das Es. Wenn man die Anstrengungen des Ichs verfolgt, ihnen gleichzeitig gerecht zu werden, besser gesagt: ihnen gleichzeitig zu gehorchen, kann man nicht bereuen, dieses Ich personifiziert, es als ein besonderes Wesen hingestellt zu haben. Es fühlt sich von drei Seiten her eingeengt, von dreierlei Gefahren bedroht, auf die es im Falle der Bedrängnis mit Angstentwicklung reagiert.«76 71 72 73 74 75 76

Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 243. Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 84. Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 285. Ibid., S. 285. Ibid., S. 286. Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 84.

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3.1

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Bezüge von Freuds Strukturmodell zu Wien

Freuds Werk, seine Selbstanalyse in der Traumdeutung77 und noch mehr seine Einführung des Strukturmodells des Geistes werden von Kulturhistorikerinnen und -historikern als Zeitdokument eines Homo modernus viennensis gelesen. Carl E. Schorske78 wies auf Freuds Einfluss bezüglich Umwandlungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften hin, wenn in einer frühen Phase »der psychologische Aspekt nach und nach den Platz des sozialgeschichtlichen Aspekts«79 einzunehmen scheint, während in der Gegenwart wieder mehr das »Interesse an entsubjektiviertem sozialem Verhalten«80 hervortritt. Die Strukturen oder Instanzen des Strukturmodells wurden vom Kulturhistoriker William M. Johnston im Bezugsrahmen der Habsburgerbürokratie gedeutet, so bemerkt er, wenn Freud »von Über-Ich sprach, […] dann wußte er zugleich, was Pressezensur bedeutete: Fehlte auf der Titelseite einer Zeitung ein Artikel und erschien dort statt seiner der bewußte weiße Fleck, womöglich mit der lakonischen Inschrift ›Zensuriert‹, dann hatte das stets eine Lawine von Gerüchten zur Folge.«81 Weiter stellte sich Johnston bezüglich der Struktur Es die Frage: »Wenn Aggression den Reichsrat überschwemmte, wie sollte dann ein Psychotherapeut sie aus dem Behandlungszimmer verbannen? Ein Einströmen des Id [A. d. H.: Es] in die Politik zeigte sich an infantilen Zügen, an denen im gesprochenen Wienerisch kein Mangel herrschte.«82 Das Freud’sche Ich des Strukturmodells wurde von Friedrich Hacker, dem in die USA emigrierten Wiener Psychiater, Psychoanalytiker und Aggressionsforscher, als ein »Beschwichtigungs-Hofrat« bezeichnet, »der zwischen frustrierten Impulsen und gutem Benehmen vermittelt.«83 All diese Abhängigkeiten oder »Dienstbarkeiten« des Ichs vorausgesetzt, versucht Freud das Ich auch gegenüber dem Bewusstsein zu positionieren: 77 Freud (1900a), Die Traumdeutung. 78 Schorske (1961), Wien, Geist und Gesellschaft im Fin de SiHcle. Der Begriff des Homo modernus viennensis wurde von Le Rider (2017) im Vorwort zu Schorskes genanntem Werk verwendet. 79 Schorske (2004), Mit Geschichte denken. Übergänge in die Moderne, S. 43. 80 Ibid., S. 49. 81 Johnston (1972), Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938 1974, S. 246. 82 Ibid. unter Bezug auf den Aufsatz von Schick (1968–1969), The Vienna of Sigmund Freud, S. 529–551; in dieser Perspektive vgl. auch Giampieri-Deutsch (1988), Schlomo-Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, in Com’era dolce il profumo del tiglio. La musica a Vienna nell’et di Freud, S. 67–91. 83 Johnston (1972), Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938 1974, S. 246 unter Bezug auf den Essay von Hacker (1958), Psychologia Austriaca. Der österreichische Anteil an der Lehre Sigmund Freuds, S. 54–56.

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»An diesem Ich hängt das Bewußtsein, es beherrscht die Zugänge zur Motilität, das ist: zur Abfuhr der Erregungen in die Außenwelt; es ist diejenige seelische Instanz, welche eine Kontrolle über all ihre Partialvorgänge ausübt, welche zur Nachtzeit schlafen geht und dann immer noch die Traumzensur handhabt.«84

Zur Verdeutlichung der Folgen der Einführung des Strukturmodells mit einer Struktur »Ich« in der psychoanalytic community sowie zur Rezeption ihres eigenen Buchs Das Ich und die Abwehrmechanismen85 ruft Anna Freud die damalige Kontroverse in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung ins Gedächtnis: »Man sollte sich aber daran erinnern, daß es eine Zeit war, in der die Einführung des Ich als solchem in die psychoanalytische Diskussion oder in die Literatur den meisten Analytikern suspekt war. […] Es gab damals eine ziemlich große Gruppe, die sich gegenüber jedem Versuch, vom Ich oder Ich-Tätigkeit per se zu sprechen, sehr feindlich verhielt. In den Schriften meines Vaters war dies nie der Fall, in der Einstellung der anderen Analytiker jedoch ganz ausgeprägt. Ich erinnere mich, daß Helene Deutsch, die damals schon halb in Amerika war, sagte, mit diesem Buch hätte ich mich für immer vor den Analytikern unmöglich gemacht, weil ich mich mit dem Ich und nicht mit dem Es befaßte.«86

Auf der Linie von Anna Freuds Erinnerung weist die Psychoanalytikerin Gemma Jappe auf das Erscheinen des Manuskripts »Entwurf einer Psychologie«87 in den 1950er Jahren hin. Darin zeigt sich, dass von Beginn an, bereits in der ersten, noch präanalytischen Phase, der Begriff eines »Ichs« Bestandteil von Freuds Theoriebildung ist. Die Rezeption dieses frühen Werkes konnte die verbreitete Meinung, dass Freuds »Ich-Psychologie« erst nachträglich zu den Theorien der Libido und des Unbewussten dazukommt, widerlegen.88 Der Stellenwert des Strukturmodells wird von Jappe einerseits in den Zusammenhang des Übergangs von der »psychoanalytischen Bewegung« zu einer etablierten Disziplin und andererseits in den Bezugsrahmen der nationalsozialistischen Verfolgung, der »vertriebenen Vernunft« mit anschließendem Exil gestellt: »Die Psychoanalyse tritt mit diesem Modell aus der Phase der großen Entdeckungen in eine Periode systematischer Untersuchungen, die mit der ersten Phase der Anerkennung, Verbreitung und Institutionalisierung der Psychoanalyse in den zwanziger Jahren einsetzt und im Exil der Vereinigten Staaten während der Zeit des Zweiten 84 85 86 87

Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 243. Anna Freud (1936), Das Ich und die Abwehrmechanismen 1980. Sandler (1985), Die Analyse der Abwehr. Joseph Sandler mit Anna Freud, S. 15. Freud (1950c [1895]), Einführung des ›Ich‹, I. Teil, § 14, Entwurf einer Psychologie, GW Nachtragsbd., S. 416–419. 88 Jappe (1984), Die Entwicklung von Freuds Ich-Begriff mit Bezugnahme auf Paul Federn, in Sigmund Freud. Leben und Werk. Kindlers »Psychologie des 20. Jahrhunderts«, Bd. 1, S. 423– 452, S. 423.

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Weltkriegs und des kalten Krieges fortgesetzt wird. Schwerlich hätte das Modell seine Stellung als nahezu gleichbedeutend mit der psychoanalytischen Theorie überhaupt erringen und festigen können […]«89

3.2

Lacans Verständnis von »Wo Es War, Soll Ich Werden«

Selbst aus einer differenten Perspektive entging Jacques Lacan bereits Anfang der 1950er nicht, dass Freud an einer Theorie des Ichs seit dem »Entwurf einer Psychologie«90 arbeitete, wobei Lacan die Tragweite des Übergangs von einem topischen Modell zu einem Strukturmodell zu unterschätzen schien, da er, wie bereits ausgeführt, beide Modelle als »Topiken« bezeichnete. In Das Ich und das Es beschreibt Freud das therapeutische Ziel der klinischen psychoanalytischen Behandlung als eine Veränderung der Verhältnisse zwischen den Strukturen der Persönlichkeit: »Die Psychoanalyse ist ein Werkzeug, welches dem Ich die fortschreitende Eroberung des Es ermöglichen soll.«91

Dieses Thema wird am Ende der »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit« von Freud wiederaufgenommen: »Ihre Absicht ist ja, das Ich zu stärken, es vom Über-Ich unabhängiger zu machen, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, so daß es sich neue Stücke des Es aneignen kann. Wo Es war, soll Ich werden. Es ist Kulturarbeit etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee.«92

Während Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker der ichpsychologischen Richtung diese Aussage als eine Aufforderung zur Erweiterung des bewussten Anteils des Ichs auffassten, fand Jacques Lacan, dass dieses Verständnis des Satzes »Wo Es war, soll Ich werden« den Geist des Buches und der Vorlesung missverstand und bemühte sich um eine Umdeutung dieser Aussage im Sinn einer Dezentrierung des Subjektes: »Dem Satz Freuds – Wo Es war, soll Ich werden* – sind zwei Bedeutungen zu geben. Dieses Es*, nehmen Sie wie den Buchstaben S. Es ist da, es ist immer da. Das ist das Subjekt. Es kennt sich oder es kennt sich nicht. Das ist nicht einmal das Wichtigste – es hat oder es hat nicht das Sprechen/das Wort/la parole. Am Ende der Analyse ist es es, das das Wort haben und mit dem wahren Anderen in Beziehung treten soll. Da, wo das S war, da soll das Ich* sein. 89 Ibid., S. 444. 90 Lacan (1978), Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Das Seminar, Buch II (1954–1955), S. 33. 91 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 286. 92 Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 86.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Da reintegriert das Subjekt authentisch seine membra disjecta und anerkennt, reagregiert [sic] seine Erfahrung.«93

4.

Das Über-Ich

Auch wenn Freud noch im Kapitel III »Das Ich und das Über-Ich (Ichideal)« von Das Ich und das Es um die Formung dieser bereits eingeführten, dritten Struktur und einer passenden Bezeichnung auf gut zwölf Seiten94 ringt, widmet er dem Über-Ich zu Beginn der »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit« wieder elf Seiten. Somit verdient diese Struktur besonderes Augenmerk. Das Über-Ich ist »eine Stufe im Ich […], eine Differenzierung innerhalb des Ichs, die Ich-Ideal oder Über-Ich zu nennen«95 ist, welches Werte und Pflichten des Subjektes vertritt96 und welches sich innerhalb des Ichs bei der Auflösung des Ödipuskomplexes bildet: »Das Über-Ich behält wesentliche Charaktere der introjizierten Personen bei.«97 In der »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit« wird der dynamische Vorgang des Ichs dargestellt, der sich selbst als Objekt nimmt und durch die Abspaltung eines Teils von sich das Über-Ich bildet: »Das Ich kann sich selbst zum Objekt nehmen, sich behandeln wie andere Objekte, sich beobachten, kritisieren, Gott weiß was noch alles mit sich selbst anstellen. Dabei stellt sich ein Teil des Ichs dem übrigen gegenüber. Das Ich ist also spaltbar, es spaltet sich während mancher seiner Funktionen, wenigstens vorübergehend. Die Teilstücke können sich nachher wieder vereinigen.«98

Auch in seinem postum veröffentlichen Manuskript Abriß der Psychoanalyse99 wird, wie Meir Perlow heraushebt, die Auffassung des Über-Ichs als »inneres Objekt« noch weiter ausgeführt: »Zwei Aspekte der Auffassung Freuds über das Über-Ich und seine Beziehung zum Ich […] sollten beachtet werden: 1. das Über-Ich wird als eine aktive Instanz, als ein inneres Gegenstück zu den äußeren Objekten begriffen; 2. die Beziehung zwischen Ich und Über-Ich wird als eine aktive Wechselbeziehung, mit gegenseitigen Fragen und 93 Lacan (1978), Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Das Seminar, Buch II (1954–1955), S. 314. 94 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 256–267. 95 Ibid., S. 256. 96 Vgl. Giampieri-Deutsch (1999), Aggression und Normengenese. Zum ethischen Subjekt in der Psychoanalyse, S. 147–164. 97 Freud (1924c), Das ökonomische Problem des Masochismus, GW 13, S. 380. 98 Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 64. 99 Freud (1940a [1938]), Abriß der Psychoanalyse, S. 136–137.

Das Über-Ich

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Antworten, sehr ähnlich zu einer interpersonellen Beziehung beschrieben.« [dt. Ü. d. H.]100

Als eine »Stufe im Ich« führte Freud das Ichideal zuerst in Kapitel 10 der Massenpsychologie und Ich-Analyse ein: »Wir haben dies Wunder so verstanden, daß der Einzelne sein Ichideal aufgibt und es gegen das im Führer verkörperte Massenideal vertauscht. Das Wunder, dürfen wir berichtigend hinzufügen, ist nicht in allen Fällen gleich groß. Die Sonderung von Ich und Ichideal ist bei vielen Individuen nicht weit vorgeschritten, die beiden fallen noch leicht zusammen, das Ich hat sich oft die frühere narzißtische Selbstgefälligkeit bewahrt. Die Wahl des Führers wird durch dies Verhältnis sehr erleichtert.«101

Erst in der »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit« sind sowohl die Terminologie wie auch die Beziehungen der Strukturen mit ihren Anteilen weitgehend geklärt: »Wir haben ihm [A. d. H.: dem Über-Ich] die Selbstbeobachtung, das Gewissen und die Idealfunktion [A. d. H.: Ichideal] zugeteilt«102, so dass in der Schrift Das Unbehagen in der Kultur ein weiteres Stück Theorie möglich wird: »Das Über-Ich ist eine von uns erschlossene Instanz, das Gewissen eine Funktion, die wir ihm neben anderen zuschreiben, die die Handlungen und Absichten des Ichs zu überwachen und zu beurteilen hat, eine zensorische Tätigkeit ausübt. Das Schuldgefühl, die Härte des Über-Ichs, ist also dasselbe wie die Strenge des Gewissens, ist die dem Ich zugeteilte Wahrnehmung, daß es in solcher Weise überwacht wird, die Abschätzung der Spannung zwischen seinen Strebungen und den Forderungen des ÜberIchs, und die der ganzen Beziehung zugrunde liegende Angst vor dieser kritischen Instanz, das Strafbedürfnis, ist eine Triebäußerung des Ichs, das unter dem Einfluß des sadistischen Über-Ichs masochistisch geworden ist, d. h. ein Stück des in ihm vorhandenen Triebes zur inneren Destruktion zu einer erotischen Bindung an das ÜberIch verwendet. Vom Gewissen sollte man nicht eher sprechen, als bis ein Über-Ich nachweisbar ist;[…].«103

Mit dem »Schuldbewusstsein« führt Freud bereits an dieser Stelle die Idee eines frühen »Vorläufers« des Über-Ichs ein, eine Auffassung, der sich Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker wie S#ndor Ferenczi, Melanie Klein, Selma Fraiberg, Robert Fliess, Ren8 Spitz und Herbert Rosenfeld annehmen werden: »vom Schuldbewußtsein muß man zugeben, daß es früher besteht als das ÜberIch, also auch als das Gewissen. Es ist dann der unmittelbare Ausdruck der Angst vor der äußeren Autorität, die Anerkennung der Spannung zwischen dem Ich 100 Perlow (1995), Understanding Mental Objects, S. 21. 101 Freud (1921c), Kapitel 10, Eine Stufe im Ich, Massenpsychologie und Ich-Analyse, GW 13, S. 144–145. 102 Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 72. 103 Freud (1930a [1929]), Das Unbehagen in der Kultur, GW 14, S. 419–506, S. 496.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

und dieser letzteren, der direkte Abkömmling des Konflikts zwischen dem Bedürfnis nach deren Liebe und dem Drang nach Triebbefriedigung, dessen Hemmung die Neigung zur Aggression erzeugt.«104 Eine Wegbeschreibung der Entwicklung der Begriffe von »Ichideal« und »Über-Ich« unternimmt Herbert Rosenfeld, Psychoanalytiker der Kleinianischen Richtung, in seinem Aufsatz »Das Überich und das Ichideal«.105 In Freuds »Zur Einführung des Narzißmus« wird der Begriff des Ichideals als Ausdruck der »narzißtische[n] Vollkommenheit seiner Kindheit«106 eingeführt, während das Gewissen als Wächter des Ichideals definiert wird: »Die Anregung zur Bildung des Ichideals, als dessen Wächter das Gewissen bestellt ist, war nämlich von dem durch die Stimme vermittelten kritischen Einfluß der Eltern ausgegangen, an welche sich im Laufe der Zeiten die Erzieher, Lehrer und als unübersehbarer, unbestimmbarer Schwarm alle anderen Personen des Milieus angeschlossen hatten. (Die Mitmenschen, die öffentliche Meinung.) […] Die Institution des Gewissens war im Grunde eine Verkörperung zunächst der elterlichen Kritik, in weiterer Folge der Kritik der Gesellschaft, […].«107

Während in Das Ich und das Es das Ichideal und das Über-Ich noch als Synonyme108 verwendet werden, wird das Ichideal in der darauffolgenden »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit« zu einer Funktion des Über-Ichs: »Wir haben noch eine wichtige Funktion zu erwähnen, die wir diesem Über-Ich zuteilen. Es ist auch der Träger des Ichideals, an dem das Ich sich mißt, dem es nachstrebt, dessen Anspruch auf immer weitergehende Vervollkommnung es zu erfüllen bemüht ist. Kein Zweifel, dieses Ichideal ist der Niederschlag der alten Elternvorstellung, der Ausdruck der Bewunderung jener Vollkommenheit, die das Kind ihnen damals zuschrieb.«109

In der »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit« stellt Freud die Genese des Über-Ichs dar, welches nicht einfach die Eltern als Vorbild nimmt und welches sich nicht anhand der entsprechenden Erfahrung mit den parentalen Figuren bildet: »Das Über-Ich scheint in einseitiger Auswahl nur die Härte und Strenge der Eltern, ihre verbietende und strafende Funktion aufgegriffen zu haben, während deren liebevolle Fürsorge keine Aufnahme und Fortsetzung findet. Haben die Eltern wirklich ein 104 Ibid. 105 Rosenfeld (1962), Das Überich und das Ichideal, in Zur Psychoanalyse psychotischer Zustände, S. 167–179. 106 Freud (1914c), Zur Einführung des Narzißmus, GW 10, S. 137–170, S. 161. 107 Ibid., S. 163. 108 Freud (1923b), Das Ich und das Es, ab dem Beginn des 3. Kapitels. 109 Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 71.

Das Über-Ich

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strenges Regiment geführt, so glauben wir es leicht begreiflich zu finden, wenn sich auch beim Kind ein strenges Über-Ich entwickelt, aber die Erfahrung zeigt, gegen unsere Erwartung, daß das Über-Ich denselben Charakter unerbittlicher Härte erwerben kann, auch wenn die Erziehung milde und gütig war, Drohungen und Strafen möglichst vermieden hat.«110

Als Vorbild für das Über-Ich dienen weit weniger die Eltern selbst als das ÜberIch der Eltern, was eine transgenerationale Übergabe der Normen und der Werte ermöglicht: »So wird das Über-Ich des Kindes eigentlich nicht nach dem Vorbild der Eltern, sondern des elterlichen Über-Ichs aufgebaut; es erfüllt sich mit dem gleichen Inhalt, es wird zum Träger der Tradition, all der zeitbeständigen Wertungen, die sich auf diesem Wege über Generationen fortgepflanzt haben. Sie erraten leicht, welch wichtige Hilfen für das Verständnis des sozialen Verhaltens der Menschen, z. B. für das der Verwahrlosung, vielleicht auch welch praktische Winke für die Erziehung sich aus der Berücksichtigung des Über-Ichs ergeben.«111

Eine wichtige Hervorhebung erfolgt durch Herbert Rosenfeld, wenn er zwischen einem früheren und einem späteren Über-Ich unterscheidet. Das spätere ÜberIch beginnt in der Latenzzeit und bildet sich weiter während der Adoleszenz, es durchläuft Veränderungen und Justierungen bis das Über-Ich des erwachsenen Subjekts in Erscheinung tritt. Rosenfeld schreibt die Auffassung eines frühen Über-Ichs erst Melanie Klein zu112, die sich auf folgende Stelle in Das Unbehagen in der Kultur bezieht, in der Freud ausführt, »daß die ursprüngliche Strenge des Über-Ichs nicht – oder nicht so sehr – die ist, die man von ihm erfahren hat oder die man ihm zumutet, sondern die eigene Aggression gegen ihn vertritt. Wenn das zutrifft, darf man wirklich behaupten, das Gewissen sei im Anfang entstanden durch die Unterdrückung einer Aggression und verstärke sich im weiteren Verlauf durch neue solche Unterdrückungen. […] Die Erfahrung aber lehrt, daß die Strenge des Über-Ichs, das ein Kind entwickelt, keineswegs die Strenge der Behandlung, die es selbst erfahren hat, wiedergibt. Sie erscheint unabhängig von ihr, bei sehr milder Erziehung kann ein Kind ein sehr strenges Gewissen bekommen.«113

Freud vernachlässigt jedoch weder die konstitutionellen Faktoren noch die Einflüsse des Milieus der realen Umgebung: »Es kommt darauf hinaus, daß bei der Bildung des Über-Ichs und Entstehung des Gewissens mitgebrachte konstitutionelle Faktoren und Einflüsse des Milieus der realen 110 Ibid., S. 68. 111 Ibid., S. 73. 112 Klein (1933), Die frühe Entwicklung des kindlichen Gewissens, Gesammelte Werke, Bd. 1/2, S. 7–27. 113 Freud (1930a [1929]), Das Unbehagen in der Kultur, S. 489.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Umgebung zusammenwirken, und das ist keineswegs befremdend, sondern die allgemeine ätiologische Bedingung all solcher Vorgänge.«114

Rosenfeld schildert die Beziehung des späteren Über-Ichs zum früheren ÜberIch115, um auf jene Faktoren hinzuweisen, welche die Analytikerin oder den Analytiker in die Lage versetzen können, die Struktur des Über-Ichs zu verändern und vertritt den Standpunkt, dass die frühesten Aspekte in den analytischen Prozess eingebracht und durchgearbeitet werden müssen.116 In seinem Aufsatz »Das Über-Ich und das Ichideal« bezieht sich Rosenfeld noch auf einige Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker wie Selma Fraiberg im Jahr 1952117 oder Ren8 Spitz im Jahr 1958118, die auf ein archaisches oder präödipales Über-Ich oder auf Vorläufer vom Über-Ich aufmerksam gemacht haben. Hier bedarf Rosenfelds Rekonstruktionsversuch einer unerlässlichen Ergänzung, weil eigentlich S#ndor Ferenczi119 derjenige war, der bereits 1925 in »Zur Psychoanalyse der Sexualgewohnheiten« die erste Moral des Kleinkindes als jene des Sphinkters beschrieb: bei der frühen, primären Identifizierung mit den Eltern scheint sich beim Kind schon eine Art physiologische Vorstufe des Ichideals oder Über-Ichs zu etablieren. Nicht nur, dass das Kind seine diesbezüglichen Leistungen fortwährend mit jenen der Erwachsenen vergleicht, es errichtet in sich auch eine strenge Sphinktermoral, gegen welche es sich nicht ohne schwere Selbstvorwürfe und Gewissensstrafen versündigen kann. »Es ist gar nicht so unmöglich, daß diese halb noch physiologische Moral eine der wesentlichen Grundlagen der späteren rein psychischen ist […].«120 In ihrem Gespräch mit Joseph Sandler geht Anna Freud auch auf die Theorie der Sphinktermoral von Sandor Ferenczi ein: »Ich glaube es war Ferenczi, der von Sphinctermoral [sic] sprach, die wir als Antwort des Kindes auf eine Vor-Über-Ich-Forderung bezeichnen würden, auf ein Gebot, das von den Eltern übernommen wurde, insbesondere die Sauberkeitsforderung. Hier ist der Vorläufer des Über-Ichs zu erkennen.«121

114 115 116 117 118 119

Ibid. Rosenfeld (1962), Das Überich und das Ichideal, S. 168–169. Ibid., S. 169. Fraiberg (1952), A critical neurosis in a 2 12 year-old-girl, S. 173–215. Spitz (1960 [1958]), Zur Entstehung der Überich-Komponenten, S. 400–426. Vgl. Giampieri-Deutsch (1999), Aggression und Normengenese. Zum ethischen Subjekt in der Psychoanalyse, S. 147–164. 120 Ferenczi (1925), Zur Psychoanalyse der Sexualgewohnheiten (mit Beiträgen zur therapeutischen Technik), Bausteine zur Psychoanalyse. Arbeiten aus den Jahren 1908–1933. Bd. 3, S. 245–293, S. 255. 121 Sandler (1985), Die Analyse der Abwehr. Joseph Sandler mit Anna Freud, S. 167.

Das Über-Ich

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Josef Sandler erwidert ihr, dass Normen und Werte auf der Stufe einer Sphinktermoral noch nicht in dem ausreichenden Ausmaß vom Kind internalisiert werden, es sei nicht so »dass das Kind dies oder jenes tut, weil es weiß, daß es recht ist, sondern weil es weiß, daß es auf Mißbilligung stößt, wenn es nicht das tut, was die Eltern für recht halten. Das Kind ist ganz an die Billigung oder Mißbilligung gebunden, die von den realen Eltern kommt.«122 Zur Schilderung der Weitergabe der ersten Bausteine der Moral in der Beziehung zwischen Eltern und Kind, bringt Anna Freud wieder Ferenczi ins Spiel, der als erster diese frühe Beziehungsdynamik gezeigt hatte: »Ferenczi fügte noch etwas sehr interessantes an, was mich immer beeindruckt hat. Er sagte, alle Moral beginne als Hypokrisie, was sicher wahr ist. Er veranschaulichte es in der analen Phase daran, daß das Kind zunächst am Geruch der eigenen Exkremente Gefallen findet, am Duft einer Blume dagegen keinerlei Interesse zeigt. Aber dann lernt es zunächst, die Eltern nachzuahmen und dann sich mit ihnen zu identifizieren, die ihm eine Rose zeigen und dazu sagen: ›Wie gut das riecht‹, und die sagen, der Geruch der Exkremente sei schlecht.«123

Der Psychoanalytiker und Triebtheoretiker Robert Fliess124, Sohn von Freuds präanalytischem Wegbegleiter Wilhelm Fließ, hat diese Gedanken weitergeführt. Nach Fliess müssen die den Gepflogenheiten der Kultur der Gegenwart angepassten bzw. konträren Triebimpulse während der analsadistischen Stufe durch die Schließmuskelaktion physiologisch gemeistert werden. In diesem Vorläufer des Über-Ichs besteht bereits eine »ursprüngliche kindliche Vorstufe des Gewissens«, welche im Gegensatz zum späteren Gewissen des Überichs eine noch nicht introjizierte Beziehung zu den Eltern ausdrückt. Auf dieser Stufe ist das spätere »Schuldgefühl« noch die bloße Angst des Liebesverlustes und die Moral ist deshalb noch Sphinktermoral. Eine wichtige Entwicklung ist, dass der Stuhlgang von einem Reflex zu einer primitiven Handlung wird und dass die gestreifte Muskulatur nicht mehr von der glatten Muskulatur als Helfer zu seiner

122 Ibid., S. 167. 123 Ibid., S. 168. 124 Diese leichte Veränderung der Schreibweise seines Familiennamens hat damit zu tun, dass Robert Fliess aus dem deutschsprachigen Raum vertrieben wurde und emigrieren musste. Zur Psychoanalyse in der Emigration vgl. Giampieri-Deutsch (2017b), Die Rückkehrerin Hedda Eppel (1919–2004): ihr Beitrag zur Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und zur internationalen Psychoanalyse, in Return from Exile – Rückkehr aus dem Exil: Exiles, Returnees and their Impact in the Humanities and Social Sciences, S. 363–373 und dies. (2018), Zu den Ursprüngen der Frage der Voraussage in der Psychoanalyse in Wien und zu ihrer Fortsetzung in der Emigration, in Strukturen und Netzwerke – Medizin und Wissenschaft in Wien, 1848–1955, S. 763–785.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Reflexantwort einberufen wird, sondern sie wird zur vollziehenden Gewalt der Ich-Funktion der »Motilität«.125 Um an eine zeitgenössischere Ansicht des Über-Ichs anzuschließen, sei schließlich noch daran erinnert, dass Joseph Sandler das Über-Ich nicht nur als Träger von aggressiven Gehorsamsforderungen betrachtet, sondern auch als dessen Aspekt als eines inneren ermutigenden Elternersatzes, der fähig ist, das Subjekt mit lobenden Worten aufzubauen: »Was du tust, ist richtig, ich bin damit einverstanden.«126

5.

Freuds Auffassung des Bewusstseins und der Wahrnehmung in den drei Modellen des Geistes

Über alle Phasen seiner Theorie des Geistes hob Freud zwei Annahmen hervor : Erstens, dass Denkvorgänge an sich unbewusst sind, und zweitens, dass diese zum Teil bewusst werden können. Die erste Annahme zeigt die Kompromisslosigkeit von Freuds Auffassung des Unbewusstseins des Geistes, da Freuds Annahme nicht lediglich bestimmte Vorgänge oder Vorstellungen, wie z. B. eine verdrängte Vorstellung betraf. Freud nahm viel grundlegender an, dass mentale Vorgänge an sich unbewusst sind. In Das Ich und das Es äußert sich Freud explizit: »Die dynamische Betrachtung hatte uns die erste Korrektur gebracht, die strukturelle Einsicht bringt uns die zweite. Wir erkennen, daß das Ubw nicht mit dem Verdrängten zusammenfällt; es bleibt richtig, daß alles Verdrängte ubw [A. d. H.: unbewußt] ist, aber nicht alles Ubw [A. d. H.: Unbewußtes] ist auch verdrängt. Auch ein Teil des Ichs, ein Gott weiß wie wichtiger Teil des Ichs, kann ubw [A. d. H.: unbewußt] sein, ist sicherlich ubw [A. d. H.: unbewußt].«127 Bereits seit seinen frühen Arbeiten, lange vor der dritten Phase seiner Theorie des Geistes, ausgehend von Das Ich und das Es, hielt Freud an dieser Annahme kontinuierlich fest. Dies zeigt sich etwa in »Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen«128, aus der ersten noch präanalytischen Phase seiner Theorie des Geistes bis 1897 und während seiner zweiten Phase ab 1897 durchgehend, u. a. auch in der Traumdeutung, wo Freud erläuterte, »daß die kompliziertesten Denkleistungen ohne Mittun des Bewußtseins möglich sind, [was wir ohnedies aus jeder Psychoanalyse eines Hysterischen oder einer Person mit Zwangsvorstellungen erfahren mußten.]«.129 Des Weiteren hebt Freud auch 125 Fliess (1957), Erogeneity and Libido. Addenda to the Theory of the Psychosexual Development of the Human. 126 Sandler (1985), Die Analyse der Abwehr. Joseph Sandler mit Anna Freud, S. 194. 127 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 244. 128 Freud (1896b), Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen, GW 1, S. 379–403. 129 Freud (1900a), Die Traumdeutung, GW 2/3, S. 592–593.

Freuds Auffassung des Bewusstseins und der Wahrnehmung

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in seinem Aufsatz »Das Unbewußte« hervor: »Es bleibt uns in der Psychoanalyse gar nichts anderes übrig, als die seelischen Vorgänge für an sich unbewußt zu erklären [und ihre Wahrnehmung durch das Bewußtsein mit der Wahrnehmung der Außenwelt durch die Sinnesorgane zu vergleichen.]«.130 Oder wiederum in der Schrift »Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse«, in welcher Freud noch einmal betonte, »daß die seelischen Vorgänge an sich unbewußt sind«.131 Auch in seiner Schrift vom Jahr 1925 »Die Widerstände gegen die Psychoanalyse« tritt Freud nochmals den »Philosophen« entgegen: »Was kann der Philosoph also zu einer Lehre sagen, die wie die Psychoanalyse behauptet, das Seelische sei vielmehr an sich unbewußt, die Bewußtheit nur eine Qualität, die zum einzelnen seelischen Akt hinzutreten kann oder auch nicht und die eventuell an diesem nichts anderes ändert, wenn sie ausbleibt?«132

Im vorliegenden Das Ich und das Es führte Freud schließlich als Beispiel dieser Kontinuität des mentalen Lebens auch während der vorbewussten und unbewussten Zustände des Denkens an, »daß selbst feine und schwierige intellektuelle Arbeit, die sonst angestrengtes Nachdenken erfordert, auch vorbewußt geleistet werden kann, ohne zum Bewußtsein zu kommen. Diese Fälle sind ganz unzweifelhaft, sie ereignen sich zum Beispiel im Schlafzustand und äußern sich darin, daß eine Person unmittelbar nach dem Erwachen die Lösung eines schwierigen mathematischen oder andren Problems weiß, um das sie sich am Tage vorher vergeblich bemüht hatte.«133

5.1

Bewusstsein und Wahrnehmung

Entgegen einer verbreiteten Meinung, nach welcher Freud dem Bewusstsein kaum Aufmerksamkeit gewidmet hätte, stellt diese Einführung nun Freuds zweite Annahme näher dar, nach welcher mentale Vorgänge, wenn auch diese an sich unbewusst sind, dennoch zumindest teilweise bewusst werden können. Zur Annäherung an Freuds Auffassung des Bewusstseins werden nun folgend der Zusammenhang von Bewusstsein und Wahrnehmung, an welcher Freud in allen drei Modellen des Geistes festhalten wird, sowie der Begriff der Wahrnehmung134 ausgeführt. 130 Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 270; zur Begriffsbildung des Unbewussten vgl. Mertens (2010), Zur Konzeption des Unbewussten – Einige Überlegungen zu einer interdisziplinären Theoriebildung, in Reflexionen u¨ ber das Unbewusste, S. 7–76. 131 Freud (1917a [1916]), Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, GW 12, S. 3–12, S. 11. 132 Freud (1925e [1924]), Die Widerstände gegen die Psychoanalyse, GW 14, S. 99–110, S. 103. 133 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 254. 134 Ein gegenwärtiges Verständnis der Freud’schen Theorie der Wahrnehmung bietet Mertens (1998), Kapitel 3 Zur Wahrnehmung – Freud ein Vertreter der Abbildtheorie?, in Erinne-

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Bereits in seinem erst postum veröffentlichten Manuskript »Entwurf einer Psychologie« aus der präanalytischen Phase verknüpfte Freud die Wahrnehmung mit dem Bewusstsein.135 Weiter wurde die Wahrnehmung im topischen Modell des Geistes während der zweiten Phase ab 1897 als Funktion des Systems W-Bw WahrnehmungBewusstsein verstanden, das durch Aufmerksamkeit oder Wachzustand charakterisiert ist, und das von den beiden anderen, nicht durch Bewusstsein ausgezeichneten Systemen, dem System Vbw Vorbewusst und dem System Ubw Unbewusst, unterschieden ist. In der metapsychologischen Schrift, »Das Unbewusste« im Jahr 1915 hatte Freud seine Auffassung eines Zusammenhangs von Bewusstsein und Wahrnehmung weiter präzisiert und erläutert, dass dieser Wahrnehmungsakt durch eine große Quantität von psychischer Energie besetzt werden soll: »das Bewußtwerden sei kein bloßer Wahrnehmungsakt, sondern wahrscheinlich auch eine Überbesetzung, ein weiterer Fortschritt der psychischen Organisation.«136 Im Strukturmodell des psychischen Apparates, also ab 1923, führte Freud über die Wahrnehmung in Das Ich und das Es folgendes aus: »Von vornherein bw sind alle Wahrnehmungen, die von außen herankommen (Sinneswahrnehmungen), und von innen her, was wir Empfindungen und Gefühle heißen.«137 In der »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit« nimmt Freud zur Entstehung des Bewusstseins an, dass das Bewusstsein während der Wahrnehmungsfunktion entsteht, emergiert: »das System W-Bw […] ist der Außenwelt zugewendet, es vermittelt die Wahrnehmungen von ihr, in ihm entsteht während seiner Funktion das Phänomen des Bewußtseins.«138 Zur Entstehung und Genese des Bewusstseins wird auch ein intersubjektiver Aspekt in »Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens«139 anvisiert, als Freud die Ontogenese des Bewusstseins zu rekonstruieren versucht. Ausgehend von der Befriedigung des Wunsches durch die halluzinatorische Phantasie nach dem Lustprinzip bis zur Anpassung an die Realität nach dem Realitätsprinzip, ermöglicht die Versagung, Beziehungen zu realen Ob-

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rung von Wirklichkeiten: Psychoanalyse und Neurowissenschaften im Dialog. Bestandsaufnahme, S. 57–71. Freud (1950c [1895]), Entwurf einer Psychologie, GW Nachtragsbd., S. 387–477, S. 420; folgende Ausführungen sind eine Wiederaufnahme und Weiterentwicklung des Materials aus: Giampieri-Deutsch (2012), Perception, conscious and unconscious processes, in Sensory Perception: Mind and Matter, S. 257–260. Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 292. Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 246–247. Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 81. Vgl. Freud (1911b), Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens, GW 8, S. 230–238.

Freuds Auffassung des Bewusstseins und der Wahrnehmung

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jekten zu entwickeln. Weiter wird die Rolle der intersubjektiven Beziehung zur Bildung des Bewusstseins auch in anderen Werken wie im »Entwurf einer Psychologie«140 und in Die Traumdeutung141 sowie in Ferenczis »Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes«142 herausgearbeitet. Freuds Verknüpfung der W Wahrnehmung mit dem Bw Bewusstsein wurde nicht nur von späteren klinisch arbeitenden Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytikern, sondern auch von Vertreterinnen und Vertretern der psychoanalytischen empirischen Forschung als problematisch angesehen, wie weiter unten bei Shevrins Versuch einer Systematisierung von Freuds Modellen des Bewusstseins zu lesen sein wird. Ein einziges Mal formulierte Freud im Jahr 1910 eine Gegenannahme zur durchgehenden Verknüpfung der W Wahrnehmung mit dem Bw Bewusstsein, denn in Folge seiner Untersuchung der »hysterischen Blindheit« nahm er eine ubw unbewusste Wahrnehmung an: »Sinnreiche Versuche haben gezeigt, daß die hysterisch Blinden doch in gewissem Sinne sehen, wenn auch nicht im vollen Sinne. […] Die hysterisch Blinden sind also nur fürs Bewußtsein blind, im Unbewußten sind sie sehend. Es sind gerade Erfahrungen dieser Art, die uns zur Sonderung von bewußten und unbewußten seelischen Vorgängen nötigen.«143

Im Gegensatz zur französischen Schule der psychodynamischen Psychiatrie, die u. a. aus namhaften Pionieren wie Jean-Martin Charcot, Pierre Janet und Alfred Binet bestand, welche die Ursache der hysterischen Blindheit der Patientinnen und Patienten in nichts anderem als in ihrer Autosuggestion sah, vertrat Freud folgende Ansicht: »Die Hysterischen sind nicht infolge der autosuggestiven Vorstellung, daß sie nicht sehen, blind, sondern infolge der Dissoziation zwischen unbewußten und bewußten Prozessen im Sehakt; ihre Vorstellung, nicht zu sehen, ist der berechtigte Ausdruck des psychischen Sachverhalts und nicht die Ursache desselben.«144

Die hysterische Blindheit ist im Unterschied zur neurologischen Störung Blindsicht nicht durch eine physiologisch bedingte Störung oder insbesondere durch eine Läsion verursacht. Da in der Gegenwart zahlreiche Publikationen zu neurologischen Störungen, darunter Blindsicht, erschienen sind, welche als Auswirkungen von Läsionen erklärt werden konnten, ist diese Spezifizierung 140 Vgl. Freud (1950c [1895]), Entwurf einer Psychologie, S. 387–477. 141 Vgl. Freud (1900a), Die Traumdeutung. 142 Vgl. Ferenczi (1913), Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes, in Bausteine zur Psychoanalyse. Theorie. Bd. 1, S. 62–83. 143 Freud (1910i), Die psychogene Sehstörung in psychoanalytischer Auffassung, GW 8, S. 94– 102, S. 95. 144 Ibid., S. 96.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

angebracht. Die neurologische Literatur aus der Läsionsforschung wurde von der Philosophie des Geistes stark rezipiert, welche den neurologischen Störungen zu einer breiteren Diffusion verholfen hat. Die Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Bewusstsein wurde in der analytischen Philosophie des Geistes anhand neurologischer Syndrome herausgearbeitet. Diese Syndrome haben eine Dissoziation zwischen Wahrnehmung und Bewusstsein der Wahrnehmung experimentell deutlich gemacht (z. B. in der Blindsicht, in der Prosopagnosia, in der Alexia, bei Patientinnen und Patienten mit visueller Extinktion oder »neglect«-Patientinnen und Patienten, in der Epilepsie, bei kommissurotomierten oder »split-brain«-Patientinnen und Patienten).145 Da eine physiologisch bedingte Störung bei hysterisch blinden Patientinnen bzw. Patienten ausgeschlossen werden konnte, nimmt Freud als Ursache der Blindheit einen psychischen Konflikt zwischen einem Wunsch und dessen Abwehr, welcher eine vorläufige psychodynamische Störung bewirkte, an. Die hysterische Blindheit ließ sich aus diesem Grund durch die psychoanalytische Behandlung zur Gänze beheben. Solche Fälle führen Freud zur Formulierung der Annahme, dass auch die Wahrnehmung nicht-bewusst sein kann. Diese Annahme wurde zwar in dieser klinischen Studie herausgearbeitet, findet jedoch keinen weiteren Niederschlag in den Modellen seiner Theorie des Geistes. Ein Versuch, Freuds zerstreute Gedanken zum Bewusstsein zu ordnen, ist jener von Howard Shevrin, der eine stichhaltige Einteilung in drei Modelle vorschlägt146 : erstens Freuds Auffassung des Bewusstseins als Eigenschaft oder Qualität von mentalen Ereignissen; zweitens Freuds Annahme von Bewusstsein als ein System W-Bw im topischen Modell und drittens Freuds Entwurf des Bewusstseins als eine eng mit der Wahrnehmung verknüpfte Ich-Funktion im Strukturmodell – eine Auffassung, die den Begriff von Bewusstsein als Sinnesorgan beinhaltet.147

5.2

Shevrins Einteilung in drei Modelle

Bewusstsein als Eigenschaft mentaler Ereignisse Das erste Modell, Bewusstsein als Eigenschaft mentaler Ereignisse, ist eng mit der Erfahrung der klinischen Arbeit der Psychoanalytikerin und des Psycho145 Vgl. Giampieri-Deutsch (2005), Approaching contemporary psychoanalytic research, Psychoanalysis as an Empirical, Interdisciplinary Science. Collected Papers on Contemporary Psychoanalytic Research, S. 15–53, S. 17–18 und dies. (2012), Perception, conscious and unconscious processes, S. 255–257. 146 Vgl. Shevrin (1997), Commentary on »What is consciousness?« by M. Solms, S. 746–752. 147 Vgl. Ibid., S. 746.

Freuds Auffassung des Bewusstseins und der Wahrnehmung

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analytikers verbunden, und es lässt sich nicht einer bestimmten Phase der drei Modelle des Geistes chronologisch zuordnen. Auch in der vorliegenden Schrift Das Ich und das Es148 kommt Freuds Auffassung des Bewusstseins als Eigenschaft mentaler Ereignisse vor : »die Psychoanalyse kann das Wesen des Psychischen nicht ins Bewußtsein verlegen, sondern muß das Bewußtsein als eine Qualität des Psychischen ansehen, die zu anderen Qualitäten hinzukommen oder wegbleiben mag.«149 In Shevrins Rekonstruktion von Freuds Auffassung des Bewusstseins als Qualität oder Eigenschaft mentaler Ereignisse kann die Beziehung einer Vorstellung oder Repräsentation zur Eigenschaft des Bewusstseins in drei Zuständen bestehen: bewusst, vorbewusst und unbewusst. In Abriß der Psychoanalyse schreibt Freud: »Wir haben also den psychischen Vorgängen drei Qualitäten zugeschrieben, sie sind entweder bewusst, vorbewusst oder unbewusst. Die Scheidung zwischen den drei Klassen von Inhalten, welche diese Qualitäten tragen, ist weder eine absolute noch eine permanente. Das was vorbewusst ist, wird, wie wir sehen, ohne unser Zutun bewusst, das Unbewusste kann durch unsere Bemühung bewusst gemacht werden, wobei wir die Empfindung haben dürfen, dass wir oft sehr starke Widerstände überwinden.«150

Eine vorbewusste Vorstellung oder Repräsentation kann leicht bewusst werden, eine unbewusste dagegen nur sehr schwer. Das Verhältnis einer Vorstellung zur Eigenschaft »Bewusstsein« wird somit operational definiert: Ist man deren bewusst, so ist die Vorstellung bewusst; kann man aufgrund von Willensbemühungen deren bewusst werden, so ist sie vorbewusst; wenn aber Willensbemühungen scheitern, ist die Vorstellung unbewusst. Diese Theorie vermag die Qualität »bewusst« mit allen mentalen Ereignissen und Vorgängen zu vereinbaren.151 Zu diesem Modell des subjektiven Bewusstseins gehören der Begriff der Schwelle oder Barriere sowie der Begriff der Intensität. Für vorbewusste Vorstellungen ist die Schwelle zum Bewusstsein niedrig und das Bewusstwerden eine Funktion der Intensität. Für unbewusste Vorstellungen ist die Schwelle höher ; sie kann auch sehr intensive Vorstellungen zurückhalten. Dieses Modell zeigt das Bewusstsein als eine Eigenschaft mentaler Vorgänge, die unter bestimmten Bedingungen entsteht.152 Shevrin hebt die Vorteile dieser Auffassung hervor und macht deutlich, dass die Probleme, wie das Bewusstsein als Eigenschaft einer bestimmten Vorstellung 148 149 150 151 152

Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 240. Ibid., S. 239. Freud (1940a [1938]), Abriß der Psychoanalyse, S. 82. Vgl. Shevrin (1997), Commentary on »What is consciousness?« by M. Solms, S. 748. Ibid.

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entsteht und welche psychologischen und neurophysiologischen Bedingungen notwendig sind, damit sie entsteht, dadurch zu Fragen werden, welche sowohl in der klinischen analytischen Situation wie auch im Labor gestellt und untersucht werden können.153 In der Freud-Nachfolge wurde eine empirisch-experimentelle Unterscheidung von Wahrnehmung und Bewusstsein herausgearbeitet. Die psychoanalytischen Subliminalitätsforschung, also die Forschung bezüglich unterschwelliger Wahrnehmungsprozesse, begann in Wien mit Otto Pötzl154 und wurde über Charles Fisher155 bis zu Howard Shevrin156 in den Vereinigten Staaten fortgesetzt. In einer späteren Ausgabe der Traumdeutung aus dem Jahre 1919 würdigt Freud bereits den Wiener Kollegen Otto Pötzl, der durch subliminale Stimulation, eine noch heute in psychoanalytischen Laboratorien angewandte Methode157, unbewusste Phänomene auch außerhalb der analytischen Situation experimentell zu untersuchen versucht: »Pötzl ließ von verschiedenen Versuchspersonen in Zeichnung fixieren, was sie von einem tachistoskopisch exponierten Bild bewusst aufgefasst hatten. Er kümmerte sich dann, um den Traum der Versuchsperson in der folgenden Nacht und ließ geeignete Anteile dieses Traumes gleichfalls durch eine Zeichnung darstellen. Es ergab sich dann unverkennbar, dass die nicht von der Versuchsperson aufgefassten Einzelheiten des exponierten Bildes Material für die Traumbildung geliefert hatten, während die bewusst wahrgenommenen und in der Zeichnung nach der Exposition fixierten im manifesten Trauminhalt nicht wieder erschienen waren. Das von der Traumarbeit aufgenommene Material wurde von ihr in der bekannten ,willkürlichen’, richtiger : selbstherrlichen Art im Dienste der traumbildenden Tendenzen verarbeit[et].«158

Freuds ergänzende Bemerkung dazu zeigt auch, dass er mit den experimentellen Untersuchungen des Traumes seiner Zeit vertraut war :

153 Vgl. Shevrin, Bond, Brakel, Hertel und Williams (1996), Conscious and Unconscious Processes. Psychodynamic, Cognitive, and Neurophysiological Convergences. 154 Vgl. Pötzl (1917), Experimentell erregte Traumbilder in ihrer Beziehung zum indirekten Sehen, S. 278–349. 155 Vgl. Fisher (1960), Introduction, S. 1–40. 156 Vgl. Shevrin, Bond, Brakel, Hertel und Williams (1996), Conscious and Unconscious Processes. Psychodynamic, Cognitive, and Neurophysiological Convergences; Shevrin (2004), Die experimentelle Untersuchung von unbewußtem Konflikt, unbewußtem Affekt und unbewußter Signalangst, in Psychoanalyse im Dialog der Wissenschaften. Anglo-amerikanische Perspektiven, S. 114–142; ders. (2005), Toward a theory of consciousness based on recent developments in subliminal research, in Psychoanalysis as an Empirical, Interdisciplinary Science. Collected Papers on Contemporary Psychoanalytic Research, S. 57–73. 157 Vgl. Shevrin, Bond, Brakel, Hertel und Williams (1996), Conscious and Unconscious Processes. Psychodynamic, Cognitive, and Neurophysiological Convergences. 158 Freud (1900a), Die Traumdeutung, S. 188.

Freuds Auffassung des Bewusstseins und der Wahrnehmung

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»Es sei noch mit einem Wort darauf hingewiesen, wie weit diese neue Art, die Traumbildung experimentell zu studieren, von der früheren groben Technik absteht, die darin bestand, schlafstörende Reize in den Trauminhalt einzuführen.«159

Charles Fisher und Howard Shevrin160 machen ausdrücklich auf die Kompatibilität des Modells des Bewusstseins als Eigenschaft mentaler Ereignisse mit den Ergebnissen aus der subliminalen Wahrnehmungsforschung in den »consciousness studies« aufmerksam, wogegen sich die beiden anderen Modelle, das System Wahrnehmung-Bewusstsein und das Bewusstsein als Sinnesorgan des Ichs hier nicht als kompatibel erweisen. Bewusstsein als ein System im topischen Modell des »Bewusstseins« in der zweiten Phase (1897–1923) von Freuds Theorie des Mentalen Gemäß der Rekonstruktion von Shevrin, versucht Freud auch ein weiteres Modell zu entwerfen, und das bereits seit dem »Entwurf einer Psychologie« aus der präanalytischen Phase161 nach welchem einem mentalen Zustand und zwar dem normalen wachen Zustand Priorität zukommt und nach welchem nur sein Bewusstsein als Eigenschaft spezifische Funktionen besitzt, die eng mit der wachen Wahrnehmung verbunden sind, wie die Realitätsprüfung, welche auf einem sekundären Vorgang gründet, sowie die Fähigkeiten zur Selbstreflexion und zum Selbstbewusstsein. Nach Shevrin geht etwas jedoch in diesem zweiten Modell verloren und zwar das unmittelbare subjektive Bewusstsein ohne jede begleitende Reflexion, auf welches von den Neurowissenschaftlern wie Gerald Edelman und Antonio Damasio als »primäres Bewusstsein«162 bzw. als »Kernbewusstsein«163 sowie vom Philosophen und Psychologen William James als »stream of consciousness«164 hingewiesen wurde, also jene Art von Bewusstsein, das meistens vorhanden ist, welches fließt und nur gelegentlich zum Bewusstsein seiner selbst gelangt. Die Verbindung von Bewusstsein und Wahrnehmung wurde klinisch hinterfragt: wenn die Wahrnehmung zuerst immer bewusst sein müsste, würde dies bedeuten, dass jede Interaktion zwischen äußerer Welt einerseits und vorbewussten und unbewussten Vorgängen andererseits theoretisch unmöglich wäre, was den Tatsachen der alltäglichen klinischen Erfahrung – und selbst den klinischen Fällen Freuds – widerspricht. Diese Verknüpfung erscheint auch der 159 Ibid. 160 Fisher (1957), A study on the preliminary stages of the construction of dreams and images, S. 389–445; Shevrin (1997), Commentary on »What is consciousness?« by M. Solms. 161 Freud (1950c [1895]), Entwurf einer Psychologie, S. 403–405. 162 Vgl. Edelman (1989), The Remembered Present. 163 Vgl. Damasio (2000a), Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewußtseins. 164 Vgl. James (1890), The Principles of Psychology, Bd. 1.

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psychoanalytischen empirischen Forschung fraglich und kann nicht mit den Ergebnissen der psychoanalytischen subliminalen Forschung in Einklang gebracht werden, in der wiederholt gezeigt werden konnte, dass äußere Reize subliminal, also unterschwellig, wahrgenommen werden und mit unbewussten Vorgängen interagieren können, um Träume, Phantasien oder Einfälle zu bilden, ohne dass ein Wachzustands-Bewusstsein über deren Ursprung und Quelle vorhanden ist.165 Bewusstsein: eine mit der Wahrnehmung verknüpfte Ich-Funktion im Strukturmodell ab 1923 sowie Bewusstsein als Sinnesorgan Das Strukturmodell wurde eingeführt, als Freud realisierte, dass die dem System Bewusstsein zugeteilten Abwehrmechanismen in der Tat unbewusst arbeiten. Demzufolge entstand das Paradoxon, dass unbewusste Vorgänge einem System zugeschrieben werden, das vom Bewusstsein kontrolliert wird. Durch Einführung des Ichs als übergeordnete Struktur, konnte Freud dieser Instanz sowohl bewusste als auch einige unbewusste Vorgänge wie die Abwehrmechanismen zuteilen. In der Schrift Das Ich und das Es wird das Bewusstsein dem Ich zugeschrieben: »An diesem Ich hängt das Bewußtsein.«166 Obwohl der Begriff des Bewusstseins als einer besonderen Ich-Funktion, die zum Sinnesorgan wird, in Freuds Texten Vorläufer aufweist, ergab die Analogie im Strukturmodell ausgehend von Das Ich und das Es 1923 den meisten Sinn. Das Bewusstsein ist in Freuds bildlicher Darstellung des Modells des psychischen Apparates zur Oberfläche gerichtet und reicht bis zu den Wahrnehmungsorganen, die die Grenze des Systems Bewusstsein zur Oberfläche des Körpers darstellen: »Dieses System ist der Außenwelt zugewendet, es vermittelt die Wahrnehmungen von ihr, in ihm entsteht während seiner Funktion das Phänomen des Bewußtseins. Es ist das Sinnesorgan des ganzen Apparates, empfänglich übrigens nicht nur für Erregungen, die von außen, sondern auch für solche, die aus dem Innern des Seelenlebens kommen.«167

Über die Notwendigkeit der Abkoppelung von Wahrnehmung und Bewusstsein ist oben bereits gesprochen worden. Shevrin kritisiert die Metapher des Be165 Vgl. Giampieri-Deutsch (2002), Einleitung, S. 15–16; dies. (2004), Einleitung, S. 15–44; dies. (2010), Some remarks on psychoanalytic research and universities, S. 210–217; dies. (2012), Perception, conscious and unconscious processes, S. 257–260. 166 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 243. 167 Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 81–82; vgl. auch Freud (1926d [1925]), Hemmung, Symptom und Angst, GW 14, S. 111– 205, S. 119.

Freuds Theorie des Bewusstseins und sein Bezug zu den »consciousness studies«

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wusstseins als »Sinnesorgan« und weist darauf hin, dass auch Francis Crick168 und andere Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler ähnliche Bilder benutzen, indem sie das Bewusstsein mit einem Licht vergleichen, das die »dunklen« Regionen der Welt oder unseres Geistes beleuchten würde. Die Irreführung besteht nach Shevrin, dadurch eine dualistische Lösung des Bewusstseinsproblems zu suggerieren, die keine Unterstützung für die Forschung ist. Vielmehr führt die Metapher des »Sinnesorgans« respektive des »Lichtes« zu einer Neuauflage des »Homunculus«-Fehlschlusses.169 Shevrin ist einer der wenigen psychoanalytischen Forscher, der Freud keine dualistische Haltung in der psychophysischen Fragestellung zuschrieb und in der Tat betrachtete Freud das Physische und das Mentale als kausal verbundenes Kontinuum, wie Freud in seinem ersten Brief an Groddeck vom 5. Juni 1917 (F 1) schrieb: »Gewiß ist das Ubw. die richtige Vermittlung zwischen dem Körperlichen und dem Seelischen, vielleicht das lang-entbehrte ›missing link‹.«170 In seiner »XXX. Vorlesung: Traum und Okkultismus« wiederholt Freud die Auffassung des Unbewussten als Bindeglied zwischen dem Physikalischen und dem bewussten mentalen, welche »durch die Einschiebung des Unbewußten zwischen das Physikalische und das bis dahin ›psychisch‹ Genannte […]«171 ein Kontinuum bilden können. In den philosophischen Diskussionen zum psychophysischen Problem bewegte sich Freud gewandt und machte kein Hehl aus seiner Ablehnung jeglicher Form von Dualismus, so sprach er in »Das Unbewußte« »die unlösbaren Schwierigkeiten des psychophysischen Parallelismus«172 an, welcher von Freud daher abgelehnt wurde.

6.

Freuds Theorie des Bewusstseins und sein Bezug zu den »consciousness studies« der Philosophie des Geistes

Wenn man Freuds Theorie des Bewusstseins mit den in der Gegenwart breit rezipierten Ansätzen der analytischen Philosophie des Geistes, insbesondere im Bereich der »consciousness studies«, vergleicht, erscheint als Schlüsselfrage, ob sich Verbindungen zwischen der Auffassung des subjektiven Bewusstseins der 168 Vgl. Crick (1994), The Astonishing Hypothesis: the Scientific Search for the Soul. 169 Das Postulieren eines kleinen Menschen innerhalb eines Menschen; für Shevrins Argumentation, vgl. Shevrin (1997), Commentary on »What is consciousness?« by Solms, S. 750. 170 Freud und Groddeck (2008), Briefwechsel Sigmund Freud – Georg Groddeck, S. 62. 171 Freud (1933a [1932]), XXX. Vorlesung: Traum und Okkultismus, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 15, S. 32–61, S. 59. 172 Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 266.

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psychoanalytischen Theorie des Geistes und jener der Philosophie des Geistes feststellen lassen. Bereits im § 8. Das Bewußtsein im I. Teil des präanalytischen Manuskriptes »Entwurf einer Psychologie« stellt sich Freud die Frage der Entstehung des Bewusstseins und denkt über die Stellung seiner Bewusstseinstheorie zu anderen zeitgenössischen Ansätzen zum Bewusstsein nach, die auf verschiedenen psychophysischen Theorien gründen: »Eine Erklärung, wieso Erregungsvorgänge in den y Neuronen Bewußtsein mit sich bringen, ist natürlich nicht zu versuchen. Es handelt sich nur darum, die uns bekannten Eigenschaften des Bewußtseins durch parallel veränderliche Vorgänge in den y Neuronen zu decken. Das geht dann im einzelnen nicht übel. Ein Wort über das Verhältnis dieser Bewußtseinstheorie zu anderen. Nach einer vorgeschritten mechanistischen Theorie ist das Bewußtsein eine bloße Zutat zu den physiologisch-psychischen Vorgängen, deren Wegfall am psychischen Ablauf nichts ändern würde.«173

Was in Freuds Text als »Zutat«-Theorie des Bewusstseins bezeichnet wird, ist die psychophysische Theorie des Epiphänomenalismus, zu der sich Freud offensichtlich nicht bekannte. In der Folge weist Freud auf einen weiteren Ansatz innerhalb der psychophysischen Theorien hin, welcher »zwei Aspekte« Theorie genannt werden kann: »Nach anderer Lehre ist Bewußtsein die subjektive Seite alles psychischen Geschehens, also untrennbar vom physiologischen Seelenvorgang.«174 Anschließend führt Freud seine eigene Position an, nach welcher er das Bewusstsein für einen nicht ein für alle Mal gegebenen Zustand im mentalen Leben hält, sondern für ein subjektives Phänomen, das entstehen oder emergieren kann, und dessen Entfallen einen gravierenden Unterschied im mentalen Leben ausmacht: »Zwischen beiden steht die hier entwickelte Lehre. Bewußtsein ist hier die subjektive Seite eines Teiles der physischen Vorgänge im Nervensystem, nämlich der y Vorgänge, und Wegfall des Bewußtseins läßt das psychische Geschehen nicht ungeändert, sondern schließt den Wegfall des Beitrages aus y in sich ein.«175

Bewusstsein ist, wird Freud später in der vorliegenden »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit«, in der letzten Phase seiner Theorie des psychischen Apparats weiter ausführen, eine besondere Qualität des Mentalen, eine »Leuchte« »im Dunkel der Tiefenpsychologie«, wenn es auch in der Tat »nicht viel wert« ist, dennoch »es ist alles, was wir haben«: 173 Freud (1950c [1895]), § 8 Das Bewußtsein, I. Teil, Entwurf einer Psychologie, S. 403. 174 Ibid., S. 403. 175 Ibid., S. 403–404.

Freuds Theorie des Bewusstseins und sein Bezug zu den »consciousness studies«

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»Zunächst sind wir geneigt, den Wert des Kriteriums der Bewußtheit, da es sich als so unzuverlässig erwiesen hat, recht herabzusetzen. Aber wir täten Unrecht daran. Es ist damit wie mit unserem Leben; es ist nicht viel wert, aber es ist alles, was wir haben. Ohne die Leuchte der Bewußtseinsqualität wären wir im Dunkel der Tiefenpsychologie verloren; aber wir dürfen versuchen, uns neu zu orientieren. Was man bewußt heißen soll, brauchen wir nicht zu erörtern, es ist jedem Zweifel entzogen.«176

In ähnlichem Wortlaut wird sich Freud auch im postum veröffentlichten Fragment »Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis« diesbezüglich ausdrücken: »Mit alledem ist aber nicht gesagt, dass die Qualität der Bewusstheit ihre Bedeutung für uns verloren hat. Sie bleibt das einzige Licht, das uns im Dunkel des Seelenlebens leuchtet und leitet.«177 Anders als in Crick verbildlicht die Freud’sche Metapher des Lichtes jedoch eine Qualität des Bewusstseins, es wird also weder das Licht »verdinglicht« noch wird in der Folge durch den »Homunkulus-Fehlschluss« ein Dualismus des »kleinen Menschen im Menschen« herbeigeführt. Obwohl Freud das Bewusstsein für eine »der Grundtatsachen unseres Lebens« hält, muss er eingestehen, dass es sich leider jeglicher wissenschaftlichen Beschreibung entzieht: »Es ist dies der einzigartige, unbeschreibliche aber auch einer Beschreibung nicht bedürftige Charakter der Bewusstheit. Alles Bewusste sei psychisch, umgekehrt, auch alles Psychische bewusst. Das sei selbstverständlich, Widerspruch dagegen unsinnig.«178

Sinngemäß unterlässt auch das 4. Kapitel »Psychische Qualitäten« im Abriß der Psychoanalyse, sich auf eine Definition für das Bewusstsein oder für den Zustand »bewusst« einzulassen: »Was wir bewusst heissen, brauchen wir nicht zu charakterisieren, es ist das Nämliche wie das Bewusstsein der Philosophen und der Volksmeinung.«179 Für die wissenschaftliche Forschung scheinen auch Freud die Folgen dieses Unvermögens gravierend, weil die Wissenschaft deswegen vor diesem Phänomen »wie vor einer Mauer« halten muss: »Nun kann man nicht behaupten, dass mit dieser Entscheidung viel Licht auf das Wesen des Psychischen gefallen wäre, denn vor der Bewusstheit, einer der Grundtatsachen

176 Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 76–77. 177 Freud (1940b [1938]), Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis, GW 17, S. 141–147, S. 142. 178 Ibid. 179 Freud (1940a [1938]), Abriß der Psychoanalyse, S. 81.

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unseres Lebens, steht die Forschung wie vor einer Mauer. Sie findet keinen Weg, der irgendwohin weiter führt.«180

Auch gegenüber der Verhaltenstheorie von John B. Watson, der, mit der Ineffabilität und Unfassbarkeit des Bewusstseins konfrontiert, dieses schließlich aus seinem theoretischen Bezugsrahmen kurzerhand eliminierte, bezieht Freud knapp Stellung: »Eine extreme Richtung wie der in Amerika entstandene Behaviorismus glaubt eine Psychologie aufbauen zu können, die von dieser Grundtatsache absieht!«181 Da Freud auf das »Bewusstsein der Philosophen« und auf deren Definitionen ausdrücklich verwiesen hat, sei die Unterscheidung zweier Bewusstseinsbegriffe und -definitionen eines analytischen Philosophen des Geistes, Ned Block, angeführt, der zwischen dem phänomenalen Bewusstsein, dem »Bewusstsein, wie es fühlt«, und dem Zugangsbewusstsein oder Zugriffsbewusstsein, dem »Bewusstsein, wie es tut« unterscheidet. Nach Block hat das phänomenale Bewusstsein mit Erfahrung und Erlebnis zu tun, das Zugangsbewusstsein oder Zugriffsbewusstsein hingegen hat kognitive, funktionelle, intentionale Eigenschaften, welche einen »access«, einen Zugriff oder Zugang zu Informationen ermöglichen. Dieses wird durch dessen kognitive Fähigkeiten, wie rationales Denken, Sprache, propositionales Wissen, Handlung, durch »kausale« Aspekte des Bewusstseins also, genauer formuliert, durch kognitive, intentionale und funktionale Aspekte des Bewusstseins, charakterisiert.182 Was das phänomenale Bewusstsein betrifft, scheint Block hingegen lediglich imstande, eine eher zirkuläre Definition durch Synonyme für eine nicht-reduktive Definition von Bewusstsein anbieten zu können: »weil alles, was man wirklich tun kann, darin besteht, auf das Phänomen zu zeigen.«183 Mit Blocks Schwierigkeit, eine passende Definition zu finden, lässt sich an Freuds oben erwähnten Überlegungen zur Nicht-Beschreibbarkeit des Bewusstseins anschließen: »Es ist dies der einzigartige, unbeschreibliche aber auch einer Beschreibung nicht bedürftige Charakter der Bewusstheit. Alles Bewusste sei psychisch, umgekehrt, auch alles Psychische bewusst. Das sei selbstverständlich, Widerspruch dagegen unsinnig.«184

180 Freud (1940b [1938]), Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis, S. 142. 181 Freud (1940a [1938]), Abriß der Psychoanalyse, S. 79 Anm. 182 Block (1996 [1995]), Eine Verwirrung über eine Funktion des Bewußtseins, in Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie, S. 523–581. 183 Ibid., S. 532 [A. d. H.: kursiv im Original]. 184 Freud (1940b [1938]), Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis, S. 142.

Freuds Theorie des Bewusstseins und sein Bezug zu den »consciousness studies«

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Nach Wittgenstein, der im Laufe seines Werkes zu den Umrissen dieser Art von Definition beitragen konnte, gebraucht eine ostensive Definition, wie jene von Block, die gezeigten Objekte als Muster, was eine Gebrauchstechnik dieses Musters ebenfalls voraussetzt, während das Muster selbst als Instrument des Vergleiches dient. Block stellt sich folgende Frage: »Wie also sollten wir auf das Bewusstsein zeigen? Eine Art und Weise dies zu tun verwendet grobe Synonyme. Wie ich schon sagte: P-Bewusstsein [A. d. H.: phänomenales Bewusstsein] ist Erleben. P-Bewusstseinseigenschaften sind erlebnismäßige Eigenschaften. P-Bewusstseinszustände sind erlebnismäßige Zustände, d. h., ein Zustand ist P-bewusst, wenn er erlebnismäßige Eigenschaften hat. Die Gesamtheit der erlebnismäßigen Eigenschaften eines Zustandes ist, ›wie-es-ist‹185, sich in ihm zu befinden.«186

Die Eigenschaften des phänomenalen Bewusstseins umfassen nach Block nicht nur die Art und Weise, wie das Bewusstsein sieht, hört, schmeckt, spürt und Schmerzen verspürt, sondern Gedanken, Wünsche und Emotionen: »Um von Synonymen zu Beispielen überzugehen: Wir haben P-bewusste Zustände, wenn wir sehen, hören, riechen, schmecken und Schmerzen haben. P-bewusste Eigenschaften schließen die erlebnismäßigen Eigenschaften von Empfindungen, Gefühlen und Wahrnehmungen ein, aber ich würde auch Gedanken, Wünsche und Emotionen einschließen.«187

Geht Blocks »phänomenales Bewusstsein« in den Freud’schen Modellen des »psychischen Apparats«, des Geistes verloren?188 Wie bereits angeführt hat Freud das Bewusstsein als Wahrnehmung, Aufmerksamkeit oder Wachzustand (wie im System W-Bw Wahrnehmung-Bewusstsein des topischen Modells des mentalen Apparates) und des Weiteren durch die Metapher des Bewusstseins als »Sinnesorgan« verstanden. Die Psychoanalyse hat in ihre Theorie des Geistes immer noch weder eine konsistente noch eine den reichhaltigen klinischen Erfahrungen entsprechende Theorie des Bewusstseins einbauen können, während in der klinischen Theorie der psychoanalytischen Behandlung nicht nur vom Unbewussten, sondern auch vom Vorgang des sogenannten Bewusstwerdens im Vergleich zum Unbewusstsein die Rede ist. 185 In dem einflussreichen Text von Thomas Nagel aus dem Jahre 1974 wird die Perspektivität des Bewusstseins als »wie es ist«, als das subjektive Gefühl des eigenen mentalen Lebens, als das Erste-Person-Gefühl verstanden: es ist irgendwie, sich in diesen Zuständen zu befinden; vgl. Nagel (1974), Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?, in Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, S. 136: »Die Tatsache, daß ein Organismus überhaupt bewußte Erfahrung hat, heißt im wesentlichen, daß es irgendwie ist, dieser Organismus zu sein. [A. d. H.: kursiv im Original]« 186 Block (1996 [1995]), Eine Verwirrung über eine Funktion des Bewußtseins, S. 532. 187 Ibid. 188 Vgl. ibid., S. 523–581.

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Freud hat jedoch das Bewusstsein über alle Phasen seiner Theorie des Geistes auch als Qualität oder Eigenschaft aufgefasst. Wenn Freud die Elusivität des Bewusstseins deutlich angesprochen hat, jene Schwierigkeit, Erklärungen oder auch nur eine Definition des Bewusstseins zu finden, ist es für Freud »die unvergleichliche, jeder Erklärung und Beschreibung trotzende Tatsache des Bewußtseins«, welche den von Freud angenommenen »Ausgang« für seine »Untersuchung«189 bildet. Freud nennt im Abriß der Psychoanalyse das Bewusstsein als Eigenschaft des Mentalen und definiert, wie viele Philosophinnen und Philosophen des Geistes der Gegenwart nach ihm, Bewusstsein als subjektive, eigene Erfahrung: »Spricht man von Bewusstsein, so weiß man trotzdem unmittelbar aus eigenster Erfahrung, was damit gemeint ist.«190 So zeigt Freud auf die persönlichste, die »eigenste Erfahrung« als das Merkmal des Bewusstseins, und hat durch seine Auffassung der subjektiven Eigenschaft des Bewusstseins schon vorweggenommen, was in den gegenwärtigen »consciousness studies« eine entscheidende Rolle spielt: das Bewusstsein als subjektive Erfahrung. Der Philosoph des Geistes David Chalmers spricht in diesem Zusammenhang von einem »schwierigen Problem des Bewusstseins«, einem »hard problem of cousciousness«191. »Manchmal werden auch Termini wie ›phänomenales Bewusstsein‹ oder ›Qualia‹ hier verwendet, aber ich finde es anschaulicher von ›bewusster Erfahrung‹ oder einfach ›Erfahrung‹ zu sprechen. [dt. Ü. d. H.]«192 Chalmers unterteilt die Probleme des Bewusstseins in »schwierige« und »einfache« Probleme. Die »einfachen« Probleme sind kognitive Leistungen und Funktionen, welche erklärt werden können, indem jene Mechanismen spezifiziert werden, welche imstande sind, diese Leistungen und Funktionen durchzuführen und welche im Wesentlichen in den erwähnten Bereich von Ned Blocks Zugangsbewusstsein oder Zugriffsbewusstsein193, »access consciousness«, fallen. Schwierige Probleme sind jene, welche das phänomenale Bewusstsein oder subjektive Erfahrung betreffen, welche nicht wie computationale oder neurobiologische Mechanismen im Bezugsrahmen der Neuro- und Kognitionswissenschaften gelöst werden können. Unter den »einfachen« Problemen des Bewusstseins, welche durch computationale oder neuronale Mechanismen im Sinne einer funktionalen Erklärung Freud (1940a [1938]), Abriß der Psychoanalyse, S. 79. Ibid. Chalmers (1996), The Conscious Mind. Chalmers (2007), The hard problem of consciousness, in The Blackwell Companion to Consciousness, S. 225–235, S. 226: »Sometimes, terms such as ›phenomenal consciousness‹ or ›qualia‹ are also used here, but I find it more natural to speak of ›conscious experience‹ or simply ›experience‹.« 193 Block (1996 [1995]), Eine Verwirrung über eine Funktion des Bewußtseins, S. 523–581.

189 190 191 192

Freuds Theorie des Bewusstseins und sein Bezug zu den »consciousness studies«

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von Bewusstseinsleistungen durch die Standard-Methoden der Disziplinen des kognitiven Feldes erklärt werden können, listet Chalmers folgende auf: »Manchmal sagt man, dass ein mentaler Zustand bewusst ist, wenn dieser verbal berichtbar ist, oder innerlich zugänglich. Manchmal wird ein System als bewusst betreffend gewisser Information genannt, wenn es auf der Basis dieser Information reagieren kann, oder, stärker, wenn es auf eine Information hört, oder wenn es jene Information integrieren kann und sie in einer hochentwickelten Kontrolle des Verhaltens verwerten kann. Wir sagen manchmal genau dann, dass eine Handlung bewusst ist, wenn sie vorsätzlich ist. Oft sagen wir, dass ein Organismus bewusst ist, um auf eine andere Weise zu sagen, dass er wach ist. [dt. Ü. d. H.]«194

Wenn diese Leistungen und Funktionen die einzigen Fragen des Bewusstseins wären, wäre nach Chalmers das Bewusstsein eine wissenschaftliche Frage wie viele andere, weil eine Erklärung dafür in absehbarer Zeit über die Standard Methoden der Kognitions- und Neurowissenschaften beschafft werden könnte. Das wirklich schwierige Problem des Bewusstseins besteht nach Chalmers eher in einer Zahl von Fragen darüber, wie und weshalb die Durchführung all der genannten Leistungen und Funktionen von subjektiver Erfahrung begleitet wird. Warum findet all diese Informationsverarbeitung nicht einfach »im Dunkeln« statt? »Wie können wir erklären, warum es so etwas gibt, dass es irgendwie ist, ein mentales Bild zu haben, oder eine Emotion zu erleben? Es herrscht breite Einigkeit darüber, dass Erfahrungen aus einer physikalischen Basis hervorgehen, aber wir haben keine gute Erklärung des Warum und Wie dies auf diese Art geschieht. Warum sollten physische Prozesse ein reiches inneres Leben überhaupt entstehen lassen? [dt. Ü. d. H.]«195

Zu den »leichteren Probleme« des Bewusstseins, zu den Fragen für deren Lösung die Kognitions- und Neurowissenschaften bereits über geeignete und erprobte Standardmethoden verfügen, erläutert Chalmers noch folgendes: »Die einfachen Probleme sind einfach, weil wir ein Standardparadigma haben, um sie zu erklären. Um eine Funktion zu erklären, müssen wir nur einen geeigneten neuro194 Chalmers (2007), The hard problem of consciousness, S. 225: »For example, one sometimes says that a mental state is conscious when it is verbally reportable, or when it is internally accessible. Sometimes a system is said to be conscious of some information when it has the ability to react on the basis of that information, or, more strongly, when it attends to that information, or when it can integrate that information and exploit it in the sophisticated control of behavior. We sometimes say that an action is conscious precisely when it is deliberate. Often, we say that an organism is conscious as another way of saying that it is awake.« 195 Ibid., S. 226: »How can we explain why there is something it’s like to entertain a mental image, or to experience an emotion? It is widely agreed that experience arises from a physical basis, but we have no good explanation of why and how it so arises. Why should physical processing give rise to a rich inner life at all?«

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nalen oder computationalen Mechanismus finden, der diese Funktion ausführt. Wir wissen, wie man das zumindest im Prinzip macht. In der Praxis haben die Kognitionswissenschaften stetige Fortschritte bei den einfachen Problemen gemacht. [dt. Ü. d. H.]«196

Das schwierige Problem des Bewusstseins hingegen ist im Grunde die Frage, wie unsere aus physikalischen oder neuronalen Prozessen entstehende subjektive Erfahrung, die wir mit ihren qualitativen Färbungen aus der Erste-PersonPerspektive unmittelbar erleben, in einer von der scientific community allgemein akzeptierbaren Art und Weise erklärt werden kann: »Das schwierige Problem der Erklärung des phänomenalen Bewusstseins ist eines der rätselhaftesten in der gesamten Wissenschaft und Philosophie, und derzeit gibt es keine Lösungen, welche einen breiten Konsens finden würden. [dt. Ü. d. H.]«197 Auch Freud bezeichnet das Bewusstsein bereits als eine Mauer, vor der die wissenschaftliche Forschung halten muss: »Alles Bewusste sei psychisch, umgekehrt, auch alles Psychische bewusst. Das sei selbstverständlich, Widerspruch dagegen unsinnig. Nun kann man nicht behaupten, dass mit dieser Entscheidung viel Licht auf das Wesen des Psychischen gefallen wäre, denn vor der Bewusstheit, einer der Grundtatsachen unseres Lebens, steht die Forschung wie vor einer Mauer. Sie findet keinen Weg, der irgendwohin weiter führt.«198

So bleibt eine theoretische Erfassung des Phänomens des Bewusstseins nach wie vor ein Desideratum und gleichzeitig eine der am meisten vernachlässigten Fragen in der Psychoanalyse. Wie eben aber sehr deutlich wurde, rang Freud lange mit dieser Frage, wie die Korrespondenz zwischen Freud und Ferenczi zeigt. Man kann dort lesen, dass Freud das Bewusstsein in einer metapsychologischen Schrift untersuchte. In einem Brief vom 9. August 1915 (Brief 560 F) schreibt Freud an S#ndor Ferenczi: »Die zwölf Abhandlungen sind sozusagen fertig.«199 Ferenczi antwortet am 12. August 1915 (Brief 561 Fer): »Ihre zwölf Abhandlungen möchte ich sehr, sehr gerne lesen! Vielleicht im Herbst, wenn wir uns – in P#pa oder sonstwo – wiedersehen.«200 Bekanntlich veröffentlichte Freud

196 Chalmers (2018), The meta-problem of consciousness, S. 7: »The easy problems are easy because we have a standard paradigm for explaining them. To explain a function, we just need to find an appropriate neural or computational mechanism that performs that function. We know how to do this at least in principle. In practice, the cognitive sciences have been making steady progress on the easy problems.« 197 Ibid.: »The hard problem of explaining phenomenal consciousness is one of the most puzzling in all of science and philosophy, and at the present time there are no solutions that command any sort of consensus.« 198 Freud (1940b [1938]), Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis, S. 142. 199 Freud und Ferenczi (1996), Briefwechsel (1914–1916), Bd. 2/1, S. 140. 200 Ibid.

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am Ende nur sechs metapsychologische Schriften und die Abhandlung über das Bewusstsein verschwand. Ein späterer Brief von Freud an Ferenczi am 24. März 1916 (Brief 603 F), der das Konvolut mit den Schriften offensichtlich noch bei sich hatte, deutet darauf hin, dass erstens Freud auch eine Abhandlung über das Bewusstsein verfasst hatte und zweitens, dass er mit dem Ergebnis unzufrieden war und die Schrift ersetzen wollte: »Wenn Sie zuerst hierher kommen, so wäre es eine Gelegenheit, die Mappe mit der Metapsychologie mitzubringen. Ich gedenke die Abhandlung über das Bw [A. d. H.: Bewusstsein] aufzulassen und durch eine besser passende, z. B.: ›Die drei Gesichtspunkte der Metapsychologie‹ zu ersetzen.«201

Ist Freuds Zögern und schließlich sein Verzicht, die metapsychologische Schrift über das Bewusstsein zu veröffentlichen, der Beleg für seine Vorahnung, dem »schwierigen« Problem des Bewusstseins zu begegnen? Der Psychoanalytiker Mark Solms unternimmt einen Versuch, David Chalmers’ Fragestellung zum »schwierigen« Problem des Bewusstseins zu beantworten. Solms ist einer der Pioniere der Neuropsychoanalyse, die an einer »Verbindung zwischen der ganzen Psychoanalyse und den Neurowissenschaften«, einem neueren Forschungsbereich innerhalb der Psychoanalyse arbeiten.202 Solms weist auf einschlägige Untersuchungen der Neurowissenschaftler Jaak Panksepp vom Jahr 1998 und Antonio Damasio vom Jahr 2010 hin, die sich insbesondere mit Freuds Haltung zu den Affekten befassten, um sich zu dieser anerkennend zu äußern. Sein Beitrag will zeigen, dass Bewusstsein nicht in erster Linie auf dem Wege der Wahrnehmung, wie nach Solms Freud angenommen hat, sondern durch innere Erregung oder »Arousal«, durch interozeptive Qualitäten oder Qualia bzw. durch Affekte entsteht: »[ein A]ffekt ist eine grundlegendere Form von Bewusstsein als jene Form, welche mit den klassischen Wahrnehmungsmodalitäten verbunden ist [dt. Ü. d. H.].«203 »Die wichtigste Funktion des Bewusstseins ist nicht, Zustände der äußeren Welt aufzunehmen, sondern eher die inneren Zustände des erfahrenden Subjekts. Diese Ansicht gründet nicht auf der Philosophie, sondern auf der anatomischen und physio-

201 Ibid., S. 193. 202 Solms und Turnbull (2002), Das Gehirn und die innere Welt. Neurowissenschaft und Psychoanalyse, S. 141. 203 Solms (2017), What is »the unconscious«, and where is it located in the brain? A neuropsychoanalytic perspective, S. 91: »[A]ffect is a more fundamental form of consciousness than the form attaching to the classical perceptual modalities.«

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logischen Evidenz […] welche nahelegt, dass die Quintessenz des Bewusstseins interozeptiv ist […] [dt. Ü. d. H.; A. d. H.: kursiv im Original].«204 »In erster Linie entstehen bewusste Qualitäten oder Qualia nicht aus exterozeptiver Wahrnehmung (wie Sicht, Gehör, somatischen Empfindungen, Geschmack und Geruch), und noch weniger aus der reflexiven Bewusstheit von solchen Vorstellungen oder Repräsentationen, sondern eher aus endogenen Vorgängen von innerer Erregung (»Arousal«), welche diese Wahrnehmungen und Vorstellungen aktivieren. […] Die Erregungsvorgänge, welche das üblicherweise als »Wachzustand« bezeichnete erzeugen, konstituieren unserer Meinung nach das erfahrende Subjekt – sie sind das Bewusstsein selbst. [dt. Ü. d. H.; A. d. H.: kursiv im Original]«205

Der Psychoanalytiker Mark Solms erhebt in seinem Beitrag Einwände gegen die Unterscheidung zwischen dem kortikalen »Inhalt« und dem »Zustand« des Bewusstseins und behauptet, dass das erweiterte retikulare und thalamische Aktivierungssystem ERTAS nicht nur den Zustand des Bewusstseins, sondern auch basale Inhalte, interozeptive Qualia oder Affekte erzeugt. »Die besagten Erregungsvorgänge erzeugen mehr als eine lediglich quantitative ›Stufe‹ von Bewusstsein – sie verkörpern auch qualitative ›Inhalte‹; es fühlt sich irgendwie an206 wach zu sein. Die Erregungsvorgänge, von welchen wir glauben, dass sie das erfahrende Subjekt zum Sein/zur Existenz führen, besitzen selbst eigene Qualia. Diese Qualia werden Affekte genannt; und zwar Gefühle wie Hunger, Lust und Überraschung […] welche unabhängig von Wahrnehmungsvorstellungen oder kognitiven Vorstellungen oder sogar in Abwesenheit des Cortex entstehen. [dt. Ü. d. H.; A. d. H.: kursiv im Original]«207

204 Solms und Friston (2018), How and why consciousness arises. Some considerations from physics and physiology, S. 205: »[T]he primary function of consciousness is not to register states of the external world but rather to register the internal states of the experiencing subject. This view is not based in philosophy but on the anatomical and physiological evidence […] which suggests that consciousness is quintessentially interoceptive. […]« 205 Ibid.: »[C]onscious qualia arise primarily not from exteroceptive perception (i. e. vision, hearing, somatic sensation, taste, and smell), and still less from reflective awareness of such representations, but rather from the endogenous arousal processes that activate them. […] The arousal processes that produce what is conventionally called ›wakefulness‹, in our view, therefore, constitute the experiencing subject – they are consciousness itself.« 206 Im zitierten Text von Thomas Nagel »Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?« wird das subjektive Gefühl des eigenen mentalen Lebens als »wie es ist« verstanden: es ist irgendwie, sich in diesen Zuständen zu befinden; vgl. Nagel (1974) und Anmerkung 184. 207 Solms (2017), What is »the unconscious« and where is it located in the brain? A neuropsychoanalytic perspective, S. 91: »[T]he arousal processes in question produce more than a merely quantitative ›level‹ of consciousness – they embody qualitative ›content‹ too: it feels like something to be awake. The processes of arousal, which we believe bring the experiencing subject into being, possess qualia of their own. These qualia are called affects; namely, feelings like hunger, lust, and surprise […] which can exist independently of perceptual or cognitive representations – and arise even in the absence of the cortex.«

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Als Untermauerung dieser Theorie beruft sich Solms auf klinische Fälle, in welchen der Kortex schwere Läsionen erlitten hat oder von Geburt an gar nicht vorhanden ist. Wenn auch bei solchen Fällen wesentliche kognitive Leistungen nicht verfügbar sind, und vielleicht kein Zugangsbewusstsein oder »access consciousness« im Sinne Ned Blocks vorhanden ist, könne nicht davon die Rede sein, dass kein Bewusstsein vorhanden sei. Das phänomenale Bewusstsein, das Solms als ein »affektives« Bewusstsein versteht, ein Bewusstsein »wie es fühlt«, wird in dieser Theorie zum primären Bewusstsein, möglicherweise dasjenige, was man mit William James als »stream of consciousness« bezeichnen könnte, ein Bewusstsein, das in Solms Theorie für alle anderen Modalitäten des Bewusstseins wesentlich ist. Rückblickend hatten bereits Solms Untersuchungen, zusammen mit Oliver Turnbull, in Das Gehirn und die innere Welt208 versucht, das Bewusstsein, obwohl von ihnen noch als Wahrnehmung als »globalen Zustand des Wachseins, des bewussten und aufmerksamen Wahrnehmens« aufgefasst209, nicht weiterhin in der Hirnrinde sondern im Hirnstamm zu lokalisieren. Eine besondere Rolle spielt eine »Gruppe von Strukturen, die vom Gehirninnern oberhalb der Medulla oblongata durch den Pons verläuft und durch das Mittelhirn in einen Teil des Thalamus aufsteigt […].«210 Für Solms war die Entdeckung des »retikulare[n] Aktivierungssystems«211, heute als »erweitertes retikulares und thalamisches Aktivierungssystem« oder »ERTAS« bezeichnet, Ende der 1940er Jahren seitens Giuseppe Moruzzi und Horace Magoun, ein Wendepunkt, um die neurobiologischen Grundlagen des Bewusstseins zu identifizieren, da Läsionen der Kerne in diesem eng umschriebenen Teil die Auslöschung des Bewusstseins verursachen, so »wird das Bewusstsein nicht durch spezifische kortikale Zonen erzeugt, sondern vielmehr dadurch, dass diese tief im Innern des Gehirns gelegenen Strukturen spezifische kortikale Zonen aktivieren.«212 Darauf bezugnehmend beriefen sich Solms und Turnbull in Das Gehirn und die innere Welt auf den Neurowissenschaftler Antonio Damasio213 und dessen Unterscheidung zwischen »Inhalt« des Bewusstseins, der mit kortikalen Kanälen

208 Für einen kurzen Überblick der Neuropsychoanalyse vgl. Giampieri-Deutsch (2014), Neuro-Psychoanalyse, in Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, S. 617–626. 209 Solms und Turnbull (2002), Das Gehirn und die innere Welt. Neurowissenschaft und Psychoanalyse, S. 101 [A. d. H.: kursiv im Original]. 210 Ibid., S. 101–102. 211 Moruzzi und Magoun (1949), Brain stemreticular formation and activation of the EEG, S. 455–473. 212 Solms und Turnbull (2002), Das Gehirn und die innere Welt. Neurowissenschaft und Psychoanalyse, S. 102–103 [A. d. H.: kursiv im Original]. 213 Damasio (2000a), Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewußtseins.

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zusammenhängt und dem »Zustand« des Bewusstseins, der vom aufsteigenden Aktivierungssystem des Hirnstamms erzeugt wird. Vor diesem Hintergrund bezieht Mark Solms neuerlich Stellung214 gegenüber Freuds Lokalisierungsversuch des Bewusstseins in der Hirnrinde, den Freud in Jenseits des Lustprinzips in Anlehnung an die Neuroanatomie seiner Zeit vorgeschlagen hatte: »Da das Bewußtsein im wesentlichen Wahrnehmungen von Erregungen liefert, die aus der Außenwelt kommen, und Empfindungen von Lust und Unlust, die nur aus dem Innern des seelischen Apparates stammen können, kann dem System W-Bw eine räumliche Stellung zugewiesen werden. Es muß an der Grenze von außen und innen liegen, der Außenwelt zugekehrt sein und die anderen psychischen Systeme umhüllen. Wir bemerken dann, daß wir mit diesen Annahmen nichts Neues gewagt, sondern uns der lokalisierenden Hirnanatomie angeschlossen haben, welche den ›Sitz‹ des Bewußtseins in die Hirnrinde, in die äußerste, umhüllende Schicht des Zentralorgans verlegt. Die Hirnanatomie braucht sich keine Gedanken darüber zu machen, warum – anatomisch gesprochen – das Bewußtsein gerade an der Oberfläche des Gehirns untergebracht ist, anstatt wohlverwahrt irgendwo im innersten Innern desselben zu hausen.«215

Nach Solms wäre nun das Bewusstsein, wie oben erläutert, also nicht in kortikalen Hirnteilen zu verorten, sondern vielmehr tief im Inneren des Gehirns. Kortikales Bewusstsein wäre daher in erster Linie abhängig von der ERTAS Erregung und das »affektive Bewusstsein« muss nicht erst durch die Vermittlung des Kortex Bewusstheit erlangen. Abschließend scheint der Psychoanalytiker Solms gegenüber seinem früheren Versuch vom Jahr 1997 »What is consciousness?«216 im oben angeführten Artikel »How and why consciousness arises. Some considerations from physics and physiology«, sich mit der Diskussion in den »consciousness studies« gründlich befasst zu haben, so konnte er sich David Chalmers’ Fragestellung zum »schwierigen« Problem des Bewusstseins annehmen und Ned Blocks Unterscheidung zwischen phänomenalem Bewusstsein und Zugangsbewusstsein oder Zugriffsbewusstsein in den eigenen theoretischen Rahmen integrieren. Abgesehen von der Frage des »schwierigen« Problems des Bewusstseins leitet Solms noch andere Konsequenzen mit Blick auf die Metapsychologie der Psychoanalyse ab. Ausgehend von einer Arbeit gemeinsam mit Jaak Panksepp217 214 Solms (2017), What is »the unconscious,« and where is it located in the brain? A neuropsychoanalytic perspective, S. 90–97. 215 Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, GW 13, S. 1–69, S. 23–24. 216 Solms (1997), What is consciousness?, S. 682–702 und S. 765–778. 217 Solms und Panksepp (2012), The »Id« knows more than the »Ego« admits: Neuropsychoanalytic and primal consciousness perspectives on the interface between affective and cognitive neuroscience, S. 147–175.

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bringt er das »affektive Bewusstsein« in Stellung, um es mit der Struktur des Es zu identifizieren. Solms meint in seinem Artikel über das, was er das »bewusste Es«218 nennt, zunächst: »[…] hier kann es kein kortikales Bewusstsein ohne Hirnstamm-Bewusstsein geben; es kann kein Ich ohne Es geben. [dt. Ü. d. H.]« Entsprechend werden von Solms die Hirnstammmechanismen mit »affektivem Bewusstsein« und die kortikalen Mechanismen mit kognitivem Bewusstsein korreliert. Daraus folgt für Solms, dass das Es, das von ihm mit der Hirnstammfunktion in Verbindung gebracht wird, nicht nur Quelle des Bewusstseins sondern schon ein Art Bewusstsein ist, und dass eher das Ich in sich selbst unbewusst ist.

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Das Ich ist ein Körper-Ich: Freud und das psychophysische Problem

Nach Freud ist das Ich, eine der drei Strukturen der Persönlichkeit begriffen als »zusammenhängende Organisation der seelischen Vorgänge in einer Person«219 , ein Körper-Ich, also nicht ohne einen Körper denkbar und somit verkörpert. Der Körper wird als Ort aufgefasst, von dem die inneren und äußeren Wahrnehmungen ausgehen. Die Struktur des Ich kann als mentale Projektion der Körperoberfläche betrachtet werden: »Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche.«220 Auf diese Weise wird noch einmal deutlich, dass das Ich nach Freud nicht die Gesamtheit des Subjekts ist, weil dieses aus mehreren Teilen bzw. Strukturen besteht. Das Ich ist, wie bereits klarer geworden ist, einer dieser Teile, der sich auf die anderen Teile dynamisch bezieht: »Ein Individuum ist nun für uns ein psychisches Es, unerkannt und unbewußt, diesem sitzt das Ich oberflächlich auf, aus dem W-System als Kern entwickelt. Streben wir nach graphischer Darstellung, so werden wir hinzufügen, das Ich umhüllt das Es nicht ganz, sondern nur insoweit das System W dessen Oberfläche bildet, also etwa so wie die Keimscheibe dem Ei aufsitzt. Das Ich ist vom Es nicht scharf getrennt, es fließt nach unten hin mit ihm zusammen.«221

Freuds progressive Annäherung zur Auffassung des Ichs als Struktur oder Instanz, wie es in Das Ich und das Es definiert wird, weist eine lange Vorgeschichte auf, auf welche mehrere Autorinnen und Autoren aufmerksam gemacht haben. Sie beginnt mit dem Paragraph §14 »Einführung des ›Ich‹« im präanalytischen 218 219 220 221

Solms, M. (2013), The conscious Id, S. 5–19. Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 243. Ibid., S. 253–254. Ibid., S. 251.

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Manuskript »Entwurf einer Psychologie«222, entwickelt sich über »Die psychogene Sehstörung in psycho-analytischer Auffassung«223, als Freud die Ich-Triebe einführt, und entfaltet sich in seiner Leonardo-Studie224 und im Fall Schreber225 sowie in metapsychologischen Schriften wie »Formulierungen über zwei Prinzipien des psychischen Geschehens«226, »Zur Einführung des Narzißmus«227 und »Das Unbewußte«228 bis hin zu Jenseits des Lustprinzips229 und rundet sich noch später im Manuskript Abriß der Psychoanalyse230ab. Bei der Darstellung der Genese des Ichs denkt Freud gleichzeitig an zwei Modelle: erstens an das Protozoon, einen einfachen Protokörper, der aber auch bereits ein Körper ist, und zweitens an das Produkt einer Folge von sukzessiven Identifizierungen mit Anderen. In welcher Beziehung steht die Genese des Ichs mit dem Bild des eigenen Körpers? Nach Laplanche und Pontalis liegt der Ursprung dieser Frage in Freuds kontinuierlicher Auffassung »einer lebenden Form, die durch den energetischen Niveauunterschied zum Außen definiert wird und eine Grenze besitzt, die Einbrüchen unterworfen ist, unaufhörlich verteidigt und neu gebildet werden muß«.231 Im Bild des »Protoplasmatierchens« von Zur Einführung des Narzissmus232 oder des »lebenden Bläschens«233 von Jenseits des Lustprinzips wird ein mit Energie ausgestatteter Körper in einer mit Energie versorgten Umgebung gezeigt. Gerade der Energieunterschied zwischen diesem fiktiven Protozoon und der Außenwelt bestimmt die Grenzen dieses Bläschens, da dieses gegenüber den Reizen eine reizaufnehmende und reizschützende Rinde bildet: »An dem lebenden Bläschen mit seiner reizaufnehmenden Rindenschichte haben wir noch anderes zu erörtern. Dieses Stückchen lebender Substanz schwebt inmitten einer mit den stärksten Energien geladenen Außenwelt und würde von den Reizwirkungen 222 Freud (1950c [1895]), Einführung des ›Ich‹, I Teil, § 14, Entwurf einer Psychologie, S. 416– 419. 223 Freud (1910i), Die psychogene Sehstörung in psycho-analytischer Auffassung. 224 Freud (1910c), Eine Kindheitserinnerung des Leonardo Da Vinci, GW 8, S. 127–211. 225 Freud (1911c), Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides) [Schreber], GW 8, S. 239–316. 226 Freud (1911b), Formulierungen über zwei Prinzipien des psychischen Geschehens, GW 8, S. 230–238. 227 Freud (1914c), Zur Einführung des Narzißmus. 228 Freud (1915e), Das Unbewußte. 229 Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips. 230 Freud (1940a [1938]), Abriß der Psychoanalyse. 231 Laplanche und Pontalis (1973), Das Vokabular der Psychoanalyse, Bd. 1, S. 198. 232 Freud (1914c), Zur Einführung des Narzißmus, S. 141: »Wir bilden so die Vorstellung einer ursprünglichen Libidobesetzung des Ichs, von der später an die Objekte abgegeben wird, die aber, im Grunde genommen, verbleibt und sich zu den Objektbesetzungen verhält wie der Körper eines Protoplasmatierchens zu den von ihm ausgeschickten Pseudopodien.« 233 Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, S. 26.

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derselben erschlagen werden, wenn es nicht mit einem Reizschutz versehen wäre. Es bekommt ihn dadurch, daß seine äußerste Oberfläche die dem Lebenden zukommende Struktur aufgibt, gewissermaßen anorganisch wird und nun als eine besondere Hülle oder Membran reizabhaltend wirkt, das heißt, veranlaßt, daß die Energien der Außenwelt sich nun mit einem Bruchteil ihrer Intensität auf die nächsten lebend gebliebenen Schichten fortsetzen können. Diese können nun hinter dem Reizschutz sich der Aufnahme der durchgelassenen Reizmengen widmen. Die Außenschicht hat aber durch ihr Absterben alle tieferen vor dem gleichen Schicksal bewahrt, wenigstens so lange, bis nicht Reize von solcher Stärke herankommen, daß sie den Reizschutz durchbrechen. Für den lebenden Organismus ist der Reizschutz eine beinahe wichtigere Aufgabe als die Reizaufnahme; er ist mit einem eigenen Energievorrat ausgestattet und muß vor allem bestrebt sein, die besonderen Formen der Energieumsetzung, die in ihm spielen, vor dem gleichmachenden, also zerstörenden Einfluß der übergroßen, draußen arbeitenden Energien zu bewahren. Die Reizaufnahme dient vor allem der Absicht, Richtung und Art der äußeren Reize zu erfahren und dazu muß es genügen, der Außenwelt kleine Proben zu entnehmen, sie in geringen Quantitäten zu verkosten.«234

Wie stellt sich Freud die Translation dieses, auf den Fall eines einfachen Protozoons maßgeschneiderten Modells auf den Fall von komplexen Organismen wie Säugetieren vor? »Bei den hochentwickelten Organismen hat sich die reizaufnehmende Rindenschicht des einstigen Bläschens längst in die Tiefe des Körperinnern zurückgezogen, aber Anteile von ihr sind an der Oberfläche unmittelbar unter dem allgemeinen Reizschutz zurückgelassen. Dies sind die Sinnesorgane, die im wesentlichen Einrichtungen zur Aufnahme spezifischer Reizeinwirkungen enthalten, aber außerdem besondere Vorrichtungen zu neuerlichem Schutz gegen übergroße Reizmengen und zur Abhaltung unangemessener Reizarten. Es ist für sie charakteristisch, daß sie nur sehr geringe Quantitäten des äußeren Reizes verarbeiten, sie nehmen nur Stichproben der Außenwelt vor; vielleicht darf man sie Fühlern vergleichen, die sich an die Außenwelt herantasten und dann immer wieder von ihr zurückziehen.«235

Im vorliegenden Das Ich und das Es wird schließlich eine weiter entwickelte Version des Protozoon-Modells des Ichs mit der Aussage »Das Ich ist vor allem ein körperliches«236 vorgestellt und am Ende des Kapitels »Das Ich und das Es« schreibt Freud: »Es ist, als würde uns auf diese Weise demonstriert, was wir vorhin vom bewußten Ich ausgesagt haben, es sei vor allem ein Körper-Ich.«237 Weder in der Originalausgabe noch in den Gesammelten Werken bot Freud eine erklärende Anmerkung oder Erläuterung an. Erst in der englischsprachigen Version von Freuds Werken, in The Standard Edition of the Complete Psychological Works of Sigmund Freud, erschien eine von Freud autorisierte Glosse: 234 235 236 237

Ibid., S. 26–27. Ibid., S. 27. Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 253. Ibid., S. 255.

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»[T]he ego is ultimately derived from bodily sensations, chiefly from those springing from the surface of the body. It may thus be regarded as a mental projection of the surface of the body, besides […] representing the superficies of the mental apparatus.« »Das Ich ist in letzter Instanz von den körperlichen Empfindungen abgeleitet, vor allem von denen, die von der Oberfläche des Körpers herrühren. Es kann also als eine seelische Projektion der Oberfläche des Körpers betrachtet werden neben der Tatsache […], daß es die Oberfläche des psychischen Apparates ist. [dt. Ü. d. H.]«238

Mit einer wichtigen Veränderung im zweiten Diagramm des Strukturmodells in der »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit«239 im Vergleich zu dessen erster graphischer Darstellung in Das Ich und das Es240 befasst sich Didier Anzieu im Kapitel »Zwei Vordenker des Haut-Ichs: Freud, Federn« des Buchs Das Haut-Ich. Im zweiten graphischen Diagramm weist Anzieu auf eine »Öffnung der Hülle nach unten, während sie 1923 den psychischen Apparat noch gänzlich umschloß« hin und fügt seine Interpretation hinzu: »Diese Öffnung bringt den kontinuierlichen Übergang vom Es und seinen Triebanteilen zum Körper und den biologischen Bedürfnissen zum Ausdruck […].«241 Nicht nur den Körper, sondern den eigenen Körper und dessen Entwicklung scheint Freud als Modell für das Ich genommen zu haben, wie Richard Wollheim in »The bodily ego« aus Freuds Gedankengängen manche Schlussfolgerungen weiterzuführen versucht: »Das philosophische Interesse der Annahme des Körper-Ichs ist es, dass sie nicht nur den Geist zum Körper, sondern die geistige Entwicklung zur körperlichen Entwicklung verbindet. [dt. Ü. d. H.]«242 Wenn Freuds Begriff des Körper-Ichs in Zusammenhang mit der Theorie der psychosexuellen Entwicklung243 gestellt wird, erschließt diese Verbindung die Möglichkeit, die körperliche Form der jeweiligen mentalen Interpretationen

238 Ibid., S. 26; folgende leicht abweichende Übersetzung dieser Stelle stammt aus Anzieu (1985), Zwei Vordenker des Haut-Ichs: Freud, Federn, in Das Haut-Ich 1991, S. 114: »Das heißt, das Ich leitet sich letztlich von körperlichen Gefühlen ab, hauptsächlich von solchen, die auf der Körperoberfläche entstehen. Es könnte deswegen als eine psychische Projektion der Körperoberfläche angesehen werden und nicht nur, wie wir oben gesehen haben, als Darstellung der Oberfläche des psychischen Apparats. [dt. Ü. v. M. Korte und M. H. Lebourdais-Weiss]« 239 Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, S. 85. 240 Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 252. 241 Anzieu (1985), Zwei Vordenker des Haut-Ichs: Freud, Federn 1991, S. 97–117, S. 116. 242 Wollheim (1982), The bodily ego, in Philosophical Essays on Freud, S. 124–138, S. 138. 243 Abraham (1924), Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen; Fliess (1961), Ego and Body Ego: Contributions to Their Psychoanalytic Psychology.

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bzw. Missdeutungen des Selbst mit entsprechenden Entwicklungsstufen des Subjektes zu verbinden.244 Wollheim beschreibt Freuds Auffassung der Introjektion, durch welche ein mentaler Akt als ein körperliches Phänomenon oder ein körperlicher Vorgang repräsentiert werden kann.245 Auch wenn Freud vom Psychischen und Physischen spricht und somit den Unterschied zwischen einer psychischen Innenwelt und einer physischen Außenwelt bewahrt, betrachtet er die beiden Sphären oder Bereiche als durchgehendes Kontinuum.246 In einem Brief aus den 1930er Jahren an die Philosophin Juliette Boutonier drückt Freud zwar seine bereits bekannte Distanzierung von der Philosophie, etwa durch seine Aussage »[P]hilosophische Probleme und Formulierungen sind mir so fremdartig«247, erneut aus, ist dennoch bereit »eine physische Welt neben der psychischen anzuerkennen in der Art, daß die letztere [A. d. H.: die psychische Welt] ein Teilgebiet des ersteren [A. d. H.: der physischen Welt] ist. Die Frage der Relation zwischen physisch und psychisch kommt nur für letztere[s] [A. d. H.: das Psychische] in Betracht. Die physische Welt hat eine psychische Seit[e] insofern, als auch sie von uns nur durch psychische Wahrnehmung erkannt wird. Andererseits drängen uns unsere psychische[n] Wahrnehmungen auch die Notwendigkeit der Annahme einer physische[n] Realität hinter dem Seelenleben auf.«248

Ontologisch wird die psychische Welt von Freud als ein »Teilgebiet«, als eine »Seite« eines Kontinuums, der ganzen physikalischen Welt angesehen. Erkenntnistheoretisch vermag der Mensch durch die Wahrnehmung zwei Bereiche, das Physikalische und das Mentale, zu unterscheiden. 1915, in seinem Aufsatz »Das Unbewusste«, äußerte sich Freud zu dieser Frage insofern, als er »die unlösbaren Schwierigkeiten des psychophysischen Parallelismus« adressierte249 und einmal mehr dadurch zeigte, dass er mit den philosophischen Fragestellungen zum psychophysischen Problem doch wohlvertraut gewesen ist. Was für Freud nicht vertretbar war, war die Position eines ontologischen Dualismus und in diesem theoretischen Rahmen wird von ihm auch der Parallelismus als dualistische Position abgelehnt.250 244 Wollheim (1982), The bodily ego, S. 134. 245 Ibid. 246 Folgende Ausführungen sind eine Wiederaufnahme und Weiterentwicklung des Materials aus: Giampieri-Deutsch (2019), Ernst Mach und Sigmund Freud: Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln?, S. 45–73. 247 Freud (1955e [1930]), Brief an Juliette Boutonier vom 11. April 1930, GW Nachtragsbd., S. 671–672, S. 672. 248 Ibid., S. 672. 249 Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 266. 250 In einer kritischen Rezension hob der Neurowissenschaftler und Emotionsforscher Jaak Panksepp die Freud’sche Aufassung des Körper-Ichs hervor und wandte sich gegen Antonio Damasios Dualismus in der Art eines Geist-Körper-Parallelismus, vgl. Panksepp

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Zum behandelten Schwerpunkt ist relevant auch zu erwähnen, dass der Freud’sche Begriff von Trieb bereits von Anfang an kein biologischer, sondern einer »der Begriffe der Abgrenzung des Seelischen vom Körperlichen« ist.251 In Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie sind die Triebe die Vertretung des somatischen Elements, welches die Grundlage des Mentalen bildet: »Unter einem ›Trieb‹ können wir zunächst nichts anderes verstehen als die psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden innersomatischen Reizquelle […]. Trieb ist so einer der Begriffe, der Abgrenzung des Seelischen vom Körperlichen.«252 In diesem Licht kann das Freud’sche dynamische Unbewusste als ein System von Inhalten und Mechanismen, welches mit einer spezifischen Energie versorgt ist, aufgefasst werden. Diese Inhalte werden als »Triebrepräsentanzen« bezeichnet. Es handelt sich dabei um Vorstellungen wie Phantasien, Szenarien oder bildliche Darstellungen der Wünsche, welche die Triebwünsche repräsentieren. Des Weiteren beinhaltet das dynamische Unbewusste alles, was verdrängt wurde, wie etwa das Infantile, darüber hinaus das Phylogenetische, also jene nicht vom einzelnen Subjekt im Laufe seiner Entwicklung, sondern von der Art erworbenen Inhalte, darunter Freuds »Urphantasien«, welche universale Szenarien betreffend das intrauterine Leben, den elterlichen Coitus (oder »Urszene«), die Kastration oder die Verführung und unabhängig vom individuellen Erleben, also von den realen Erfahrungen des Subjektes, sind: »Ich meine, diese Urphantasien – so möchte ich sie und gewiß noch einige andere nennen – sind phylogenetischer Besitz. Das Individuum greift in ihnen über sein eigenes Erleben hinaus in das Erleben der Vorzeit, wo sein eigenes Erleben allzu rudimentär geworden ist. Es scheint mir sehr wohl möglich, daß alles, was uns heute in der Analyse als Phantasie erzählt wird, die Kinderverführung, die Entzündung der Sexualerregung an der Beobachtung des elterlichen Verkehrs, die Kastrationsdrohung – oder vielmehr die Kastration, – in den Urzeiten der menschlichen Familie einmal Realität war, und daß das phantasierende Kind einfach die Lücken der individuellen Wahrheit mit prähistorischer Wahrheit ausgefüllt hat. Wir sind wiederholt auf den Verdacht gekommen, daß uns die Neurosenpsychologie mehr von den Altertümern der menschlichen Entwicklung aufbewahrt hat als alle anderen Quellen.«253

Die Triebrepräsentanzen werden von Freud als eine Art Delegation des Physischen ins Psychische gedacht.

(2003), The Ego is first and foremost a body Ego. Review of Antonio Damasio: Looking for Spinoza. Joy, Sorrow, and the Feeling Brain. New York 2003, S. 201–215, zum Freud’schen Körper-Ich, S. 203. Vgl. auch die Ansichten von Jan Sletvold (2013, 2020), der sich hingegen Damasios Auffassung (2000b, 2010) anschließt. 251 Freud (1905d), Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, S. 67. 252 Ibid. 253 Freud (1916–1917a [1915–1917]), XXIII. Vorlesung: Die Wege der Symptombildung, S. 386.

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8.

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Vom »Entwurf einer Psychologie« an zu den späten Werken hindurch wird der psychophysische Monismus als eine Einheit, als ein integriertes Ganzes des Physikalischen und Mentalen hervorgehoben.254 Bereits Freud-Forscher wie Frank Sulloway stellten den Einfluss der Biologie und der Evolutionstheorie auf die Psychoanalyse heraus.255 Vor diesem Hintergrund wird immer wieder die Frage gestellt, ob die drei Strukturen oder Instanzen des Strukturmodells des Geistes – Es, Ich und ÜberIch – anatomisch lokalisierbar seien, oder ob, und wenn ja, wie die Funktionen des Geistes bzw. mentale Prozesse mit deren neurobiologischen Grundlagen und Mechanismen in Relation gesetzt werden können. Einige Ansätze versuchen eine Beantwortung dieser Frage. Der ehemalige Neurowissenschaftler und Neuroanatom Freud kannte keine Berührungsängste mit der Neurobiologie, wie er schmunzelnd in einem Brief vom 21. September 1924 an Karl Abraham bemerkte: »Es ist eine starke Zumutung an die Einheit der Person, daß ich mich mit dem Autor der Arbeit über die Spinalganglien von Petromyzon identisch fühlen soll. Indes, es dürfte doch so sein, und ich glaube, ich war über diesen Fund glücklicher als seither über andere.«256 Die erwähnte Arbeit »Über Spinalganglien und Rückenmark des Petromyzon« wurde in der Zeitschrift Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften [Wien] Mathematisch – Naturwissenschaftliche Classe im Jahr 1878, als Freud 22 Jahre alt war, veröffentlicht257; jedoch bereits im Jahr davor hatte er »Über den Ursprung der hinteren Nervenwurzeln im Rückenmarke von Ammocoetes (Petromyzon Planeri)« in demselben hochangesehenen Periodikum publiziert.258 Zu seiner Arbeit am Manuskript »Entwurf einer Psychologie«259 schrieb Freud an Wilhelm Fließ am 27. April 1895, Brief 63: »Wissenschaftlich bin ich übel daran, nämlich so in die ›Psychologie für den Neurologen‹ verrannt, die mich regelmäßig ganz aufzehrt [. . .]«.260 Es handelt sich um Freuds Versuch, ein 254 Freud (1950c [1895]), Entwurf einer Psychologie, S. 404. 255 Sulloway (1979), Freud, Biologe der Seele. Folgende Ausführungen beginnen eine Wiederaufnahme und Weiterentwicklung des Materials aus: Giampieri-Deutsch (2014), NeuroPsychoanalyse, S. 617–626. 256 Freud und Abraham (1965a [1907–1926]), Briefe (1907–1926), S. 343. 257 Freud (1878a), Über Spinalganglien und Rückenmark des Petromyzon. 258 Freud (1877a), Über den Ursprung der hinteren Nervenwurzeln im Rückenmarke von Ammocoetes (Petromyzon Planeri). 259 Freud (1950c [1895]), Entwurf einer Psychologie. 260 Freud (1985c [1887–1904]), Brief 63, 27. 04. 1895, Briefe an Wilhelm Fließ (1887–1904), S. 129.

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Modell der Funktionen des Geistes auf der Grundlage ihrer neurobiologischen Mechanismen aufzustellen. Für den Neurowissenschaftler Gerhard Roth war Freud mit dem »Entwurf« »einer der ersten, der die Idee vortrug, dass das Gehirn aus untereinander verknüpften Neuronen besteht, die dadurch komplizierte Nervennetze bilden, und dass sich aus der Art der Verknüpfung der Neurone die Funktionen dieser Nervennetze ergibt.«261 Aus heutiger Sicht habe sich diese Auffassung mehrfach bewahrheitet. In einer früheren Arbeit argumentiert der Psychoanalytiker Solms zusammen mit Michael Saling262 jedoch, dass der »Entwurf« in diesem Zusammenhang nicht überbewertet werden dürfe. Es sei hingegen das frühere Buch Zur Auffassung der Aphasien263, das eine wesentlich bedeutendere Rolle einnehme, wenn es darum geht, Freuds Verhältnis zur Neurobiologie zu verstehen und noch mehr seinen Weg aus der Abwendung von der Neurobiologie seiner Zeit hin zur Entwicklung der Psychoanalyse nachzuvollziehen. Nicht zuletzt sei es gemäß Solms und Saling auch so, dass Zur Auffassung der Aphasien seit seinem Erscheinen noch bis heute allgemein rezipiert und als klassischer Beitrag zur Neurologie betrachtet wird – auch und vor allem außerhalb der Psychoanalyse, in neurowissenschaftlichen Fachkreisen. Darüber hinaus schuf die Studie Zur Auffassung der Aphasien nach Solms und Saling auch den begrifflichen Rahmen, in welchem Freud die Psychoanalyse entwickeln konnte: »Alle psychoanalytischen Arbeiten von Freud wurden im ausgefeilten anti-lokalisationistischen Geist von Zur Auffassung der Aphasien geschrieben, das den psychologischen Analysen einen privilegierten Platz einräumt. Zur Auffassung der Aphasien, und nicht der ›Entwurf einer Psychologie‹, ist die fehlende Verbindung zwischen Freuds neurologischen und seinen psychoanalytischen Jahren. Man muss zur Monographie über Aphasie zurückkehren, wenn man das Verhältnis zwischen Neurowissenschaften und Psychoanalyse definieren will. Und von da aus muss man beginnen, wenn man verstehen will, wie Psychoanalyse und Neurowissenschaften in Zukunft zusammenarbeiten können. [dt. Ü. d. H.]«264 261 Roth (2004), Wie das Gehirn die Seele macht, in Psychoanalyse im Dialog der Wissenschaften. Anglo-amerikanische Perspektiven, Bd. 2, S. 171–191, S. 172. 262 Solms und Saling (1986), On psychoanalysis and neuroscience: Freud’s attitude to the localizationist tradition. 263 Freud (1891b), Zur Auffassung der Aphasien. Eine kritische Studie. 264 Solms und Saling (1986), On psychoanalysis and neuroscience: Freud’s attitude to the localizationist tradition, S. 407: »All of Freud’s psychoanalytic work was written in the sophisticated anti-localizationist spirit of ›On aphasia‹, affording a privileged place to psychological analysis. ›On aphasia‹, and not the Project, is the ›missing link‹ between Freud’s neurological and his psychoanalytic years. It is to the monograph on aphasia that one must return if one wishes to define the relationship between neuroscience and psychoanalysis. And it is from there that one must begin if one wishes to understand how psychoanalysis and neuroscience might collaborate in future.«

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Freud selbst, der seinem eigenen Werk stets kritisch und prüfend gegenüberstand, betrachtete Zur Auffassung der Aphasien als eines seiner besten Werke. Es handelt sich dabei um seine erste theoretische neurologische Arbeit und seinen ersten Versuch, eine umfassende Theorie mentaler Phänomene zu entwickeln. Freud legte darin ein begründetes Argument gegen die Lokalisierung psychologischer Prozesse in anatomisch eingegrenzten Hirnregionen vor. Er argumentierte deshalb, dass die komplexen mentalen Prozesse des Gehirns eine dynamische psychologische Analyse erfordern, womit er sich von den meisten seiner Lehrer, insbesondere vom Psychiater, Neurologen und Neuroanatom Theodor Meynert abwendete. Der Neurowissenschaftler Freud, der für die heute weithin unbestrittene Annahme, dass das Gehirn ein komplexes, dynamisch und hierarchisch aufgebautes Organ ist, eintrat, musste sich von der Neurobiologie seiner Zeit verabschieden, da diese noch nicht weit genug gediehen war, jene Vorgänge zu untersuchen und so zum Aufbau der Psychoanalyse fruchtbar beitragen zu können. In »Das Unbewußte«265 kam Freud erneut auf die »Beziehungen des seelischen Apparates zur Anatomie«, wie er es formulierte, zu sprechen. Er sprach sich gegen dessen Lokalisierungsversuche, auch von Teilen davon, wie dem System Bw oder den unbewussten Vorgängen, wieder aus und präzisierte: »Wir wissen, daß solche Beziehungen im Gröbsten existieren. Es ist ein unerschütterliches Resultat der Forschung, daß die seelische Tätigkeit an die Funktion des Gehirns gebunden ist wie an kein anderes Organ. Ein Stück weiter – es ist nicht bekannt, wie weit – führt die Entdeckung von der Ungleichwertigkeit der Gehirnteile und deren Sonderbeziehung zu bestimmten Körperteilen und geistigen Tätigkeiten. Aber alle Versuche, von da aus eine Lokalisation der seelischen Vorgänge zu erraten, alle Bemühungen, die Vorstellungen in Nervenzellen aufgespeichert zu denken und die Erregungen auf Nervenfasern wandern zu lassen, sind gründlich gescheitert. Dasselbe Schicksal würde einer Lehre bevorstehen, die etwa den anatomischen Ort des Systems Bw, der bewußten Seelentätigkeit, in der Hirnrinde erkennen und die unbewußten Vorgänge in die subkortikalen Hirnpartien versetzen wollte.«266

Jedoch handelt es sich bei Freud nicht um eine prinzipielle Ablehnung, sondern eher um einen vorläufigen Verzicht auf vorzeitige Spekulationen in Anbetracht des damaligen Entwicklungsstandes der Neuroanatomie seiner Zeit: »Es klafft hier eine Lücke, deren Ausfüllung derzeit nicht möglich ist, auch nicht zu den Aufgaben der Psychologie gehört. Unsere psychische Topik hat vorläufig nichts mit der Anatomie zu tun; sie bezieht sich auf Regionen des seelischen Apparats, wo immer sie im Körper gelegen sein mögen, und nicht auf anatomische Örtlichkeiten.«267 265 Freud (1915e), Das Unbewußte. 266 Ibid., S. 273. 267 Ibid.

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Freud traf daher die methodologische Entscheidung, sich mit dem psychologischen Gesichtspunkt abzufinden und hielt fest, dass »der seelische Apparat, um den es sich hier handelt, uns als anatomisches Präparat bekannt ist«, nichtsdestoweniger möchte er »der Versuchung sorgfältig aus dem Wege gehen, die psychische Lokalität etwa anatomisch zu bestimmen. Wir bleiben auf psychologischem Boden […].«268 In den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse mahnt Freud sogar ein, dass die Psychoanalyse »sich von jeder ihr fremden Voraussetzung anatomischer, chemischer oder physiologischer Natur frei halten«269 muss. Freud stellte dennoch die Möglichkeit einer zukünftigen psychophysischen Gesamtbetrachtung nicht prinzipiell in Frage. In dem biologischen Interesse gewidmeten Kapitel von »Das Interesse an der Psychoanalyse« wird die Sachlage deutlicher formuliert: »Wir haben es notwendig gefunden, biologische Gesichtspunkte während der psychoanalytischen Arbeit ferne zu halten [. . .] Nach vollzogener psychoanalytischer Arbeit müssen wir aber den Anschluß an die Biologie finden [. . .].«270 Der Neuro- und Molekularbiologe Eric Kandel weist auf Konvergenzen zwischen der kognitiven Neurobiologie und der Psychoanalyse hin. Betreffend die Begriffe des Freud’schen Unbewussten zeigt Kandel bei Freud drei verschiedene Verwendungen dieses Begriffes auf. Das Freud’sche dynamische Unbewusste umfasst nach Kandel nicht nur das Es, sondern auch die Abwehrmechanismen des Ichs, welche verhindern, dass Triebwünsche und Konflikte das Bewusstsein erreichen. In einem allgemeineren und deskriptiv verwendeten Sinn ist das vorbewusste Unbewusste zwar nicht bewusst jedoch bewusstseinsfähig. Der Vorschlag von Kandel ist, die Struktur Ich noch durch einen weiteren unbewussten Anteil des Ichs zu ergänzen, welcher nicht dynamisch verdrängt und frei von Konflikten ist, jedoch dem Bewusstsein unzugänglich bleibt. Dieser Anteil des Ichs wird von Kandel prozedurales Unbewusstes bezeichnet und diesem zusätzlichen Unbewussten werden Gewohnheiten, Wahrnehmung und Motorik zugeschrieben, welche dem biologischen Begriff des prozeduralen Gedächtnisses der kognitiven Neurobiologie zugeordnet sind.271

268 Freud (1900a), Die Traumdeutung, S. 541. 269 Freud (1916–1917a [1915–1917]), I. Vorlesung: Einleitung, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 11, S. 7–17, S. 14. 270 Freud (1913j), Das Interesse an der Psychoanalyse, GW 8, S. 389–420, S. 410. 271 Kandel (1999), Biologie und die Zukunft der Psychoanalyse. Ein neuer theoretischer Rahmen für die Psychiatrie erneut betrachtet, Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des Geistes, S. 119–183, S. 130–132.

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Aber wie ist die Auffassung eines »prozeduralen Gedächtnisses« zu verstehen?272 Die kognitive Neurobiologie ermöglicht die Grundunterscheidung zwischen prozeduralem und deklarativem Gedächtnis (stark vereinfacht lassen sich »prozedural« mit »implizit« und »deklarativ« mit »explizit« gleichsetzen). Dieser Unterscheidung nach ist für Kandel das prozedurale Gedächtnis ein biologisches Beispiel eines Teils der unbewussten mentalen Prozesse. 1954 entdeckte Brenda Milner den Zusammenhang zwischen dem medialen Temporallappen und dem Hippocampus sowie dem deklarativen Gedächtnis ihres amnesischen Patienten H. M.273 Das deklarative Gedächtnis entspricht der bewussten Erinnerung an Menschen, Objekte und Platze: »Es hängt von der Integrität des medialen Temporallappens ab und ermöglicht die Fähigkeit, sich bewusst an Fakten und Ereignisse zu erinnern. Deklaratives Gedächtnis ist propositional – es kann wahr oder falsch sein.«274 Milner stellte 1962 fest, dass das prozedurale Gedächtnis von H. M. trotz seines Verlusts des deklarativen Gedächtnisses erhalten geblieben war. H. M. konnte implizit memorieren und weitere perzeptuelle und motorische Fertigkeiten dazu lernen. Sein prozedurales Gedächtnis war nicht bewusst; wenn auch die bewusste Erinnerung an dieses fehlte, so waren die erlernten Fertigkeiten nichtsdestoweniger in der Leistung erkennbar.275 Gewöhnlich werden beide Gedächtnissysteme zusammen benutzt: konstante Wiederholungen verwandeln deklarative bewusste Erinnerungen in prozedurales Gedächtnis (z. B. wenn auch das Erlernen des Klavierspielens vorerst bewusstes Gedächtnis verlangt, wird das Klavierspielen schließlich zu einer nicht-bewussten motorischen Fertigkeit). Ein früherer Lokalisationsversuch des Strukturmodells wurde von Solms in seinem Aufsatz »Auf dem Weg zur Anatomie des Unbewussten« unternommen. Mit dem caveat, dass die anatomischen Grenzen des Ichs nicht mit dessen Einflussbereich verwechselt werden dürfen, schreibt Solms, »daß das Ich als Ganzes anatomisch dem gesamten cortico-thalamischen Bereich entspricht, der die äußere und die innere Welt trennt. Es beginnt in den primär sensorischen und motorischen Zonen auf der äußeren Cortexoberfläche und endet im Ring des limbischen Cortex im Inneren des Gehirns.«276

Das Es, bemerkt Solms Ende der 1990er Jahre, hat hingegen »sein Epizentrum in den vitalen grauen Strukturen, die den dritten und vierten Ventrikel umgeben. 272 273 274 275 276

Giampieri-Deutsch (2014), Neuro-Psychoanalyse, S. 625–626. Scoville und Milner (1957), Loss of recent memory after bilateral hippocampal lesions. Milner, Squire und Kandel (1998), Cognitive neuroscience and the study of memory, S. 450. Ibid. Solms (1998), Auf dem Weg zur Anatomie des Unbewussten, in Erinnerung von Wirklichkeiten: Psychoanalyse und Neurowissenschaften im Dialog. Bestandsaufnahme, S. 416– 461, S. 456.

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Von dort breitet es seinen Einfluß rostralwärts mittels des aufsteigendes Aktivierungssystems aus.«277 Wie zuvor in Kapitel sechs über Freuds Theorie des Bewusstseins und seinen Bezug zu den »consciousness studies« der Philosophie des Geistes angedeutet, schlägt Solms in dem rezenteren Artikel »The conscious Id«278 vor, das Es mit dem Hirnstamm und das Ich mit dem Cortex in Verbindung zu bringen. Nach der Annahme des Neurowissenschaftlers Gerhard Roth scheint der gegenwärtige Stand der einschlägigen Forschung nahe zu legen, sofern eine Lokalisierung möglich sei, dass der Cortex eher als mögliche neurobiologische Grundlage für das Freud’sche Über-Ich dienen könnte, so dass sich das Über-Ich im orbitofrontalen Cortex anatomisch lokalisieren ließe: »Das Über-Ich Freuds lässt sich ohne große Schwierigkeiten im orbitofrontalen Cortex ansiedeln. Wie bereits geschildert, sind hier die in der Kindheit und Jugend erworbenen moralischen und ethischen Regeln niedergelegt. Es ist in diesem Zusammenhang höchst bemerkenswert, dass der orbitofrontale Cortex derjenige Hirnteil ist, der am spätesten, d. h. erst zum Ende der Pubertät, ausreift, d. h. zu einem Zeitpunkt, an dem die (meisten) Jugendlichen sprichwörtlich ›zur Vernunft‹ kommen.«279

Obwohl eine Reihe von Methoden, von welchen neuerlich die Autoren Geraint Rees und Chris D. Frith einen Überblick anbieten, zur Feststellung von neurobiologischen Grundlagen von bewussten und nicht-bewussten Vorgängen entwickelt wurden,280 scheint eine nicht-spekulative und wissenschaftlich konsensfähige Lokalisierung des Strukturmodells und sogar von einfacheren mentalen Ereignissen noch fraglich, sodass die Versuche von Solms und Roth als hypothetisch anzusehen sind. Robin Carhart-Harris und Karl Friston281 führen eine Reihe empirischer Befunde aus der Neuropsychologie, der Neuroradiologie und der Psychopharmakologie zusammen, um die Freud’sche Struktur des Ich beziehungsweise den sekundären Vorgang mit neurobiologischen Prozessen in Verbindung zu bringen, ohne diese anatomisch lokalisieren zu wollen. Carhart-Harris und Friston beziehen sich dabei auf ein Netzwerk, das default-mode network (DMN) [dt. Ü. Grundzustandsnetzwerk], welches eine funktionale Struktur des Gehirns als konstant operativen Standardmodus näher beschreibt. Der Begriff des DMN stammt aus einem Übersichtsartikel von Raichle mit Kolleginnen und Kolle277 278 279 280

Ibid. Solms, M. (2013), The conscious Id. Roth (2004), Wie das Gehirn die Seele macht, S. 184. Rees und Frith (2017), Chapter 42: Methodologies for identifying the neural correlates of consciousness, in The Blackwell Companion to Consciousness, S. 728–747. 281 Carhart-Harris und Friston (2010), The default-mode, ego-functions and free-energy : a neurobiological account of Freudian ideas; dies. (2012), Free-energy and Freud: An update, in From the Couch to Lab: Trends in Psychodynamic Neuroscience, S. 219–229.

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gen282, in welchem ein konsistentes Muster bei zielgerichteter Kognition im Gehirn erfasst werden konnte. Das DMN stellt einen konstant operativen Standardmodus der Gehirnfunktion dar, seine spezifische Aktivität wird von Carhart-Harris und Friston mit Phänomenen wie Selbstreflexion, Vorannahmen bezüglich zukünftiger Ereignisse, sozialer Kognition (»theory of mind«) und moralischem Erwägen in Verbindung gebracht. »Kurz gesagt, wir schlagen vor, dass das DMN der Kern des Ich ist. […] [Es] ist dasjenige, das immer da ist. […]. Es enthält Erinnerungen als mentale Repräsentationen unserer Vergangenheit und es setzt unseren Wünschen Grenzen. Sein explorativer kognitiver Stil erlaubt es uns, Szenarien mental zu simulieren, die vom unmittelbaren Moment weit entfernt sind – aber für den sozialen Zusammenhalt unerlässlich sein können [dt. Ü. d. H ].«283

Carhart-Harris und Friston betrachten jenen konstant operativen Standardmodus und das Aufmerksamkeitssystem als das obere Ende der hierarchischen Organisation des Gehirns und insbesondere den Standardmodus als höchstes Funktionssystem. Sowohl der Standardmodus als auch das Aufmerksamkeitssystem beziehen sich auf entwickeltere Schichten des assoziativen Kortex, welche nach Carhart-Harris und Friston abstrakte Repräsentationen kodieren. Carhart-Harris und Friston nennen eine Reihe Merkmale des Standardmodus, wie etwa, dass dieser mehr Verbindungen zu anderen Gehirnregionen als jedes andere Gehirnnetzwerk aufweist, was bedeuten könnte, dass er imstande ist, ein sehr weitreichendes Modell der Welt zu kodieren. Das DMN zeigt ein anhaltendes Aktivitätsniveau und ein höheres Maß an metabolischer Aktivität als jedes andere Gehirnnetzwerk, was auf eine hohe Funktionalität hinzuweisen scheint. Die mit dem DMN in Verbindung stehenden Verhaltensweisen zeigen einen zeitextendierten Fokus, der sich mit Angelegenheiten befasst, die den augenblicklichen Moment überschreiten. Es dient dazu, die Zukunft zu simulieren, indem es sich vom gegenwärtigen, sensorischen Bewusstsein abkoppelt, wobei dies eine ausreichend starke Dynamik des Systems erfordert, sodass es sich gedanklich explorativ bewegen kann und diese Dynamik ein optimales Funktionsniveau findet.284 282 Raichle, MacLeod, Snyder, Powers, Gusnard und Shulman (2001), A default mode of brain function. 283 Carhart-Harris und Friston (2012), Free-energy and Freud: An update, S. 224: »In brief, we propose that the DMN is the core of the ego. […] [I]t is the thing that is always there; […]. It contains representations of our pasts, and it is the constraining edge of our desires. Its explorative cognitive style allows us to mentally simulate scenarios that are far removed from the immediate moment – but which may be essential for social cohesion and prosperity.« 284 Ibid., S. 224.

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Nach Carhart-Harris und Friston deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass sich dieser Standardmodus ontogenetisch in einer Weise entwickelt, die der Entwicklung der Freud’schen Struktur Ich entsprechen könnte.285 Freuds Ermahnung zur Umsichtigkeit bei der Untersuchung jener zwar erahnten jedoch immer noch unbekannten Glieder zwischen unserem mentalen Leben und dessen neurobiologischen Grundlagen – damals wie heute, auch nach den unleugbaren Entwicklungen des »Jahrzehnts des Gehirns« – sei aus seinem unvollendet gebliebenen Manuskript Abriß der Psychoanalyse schließlich noch zitiert: »Die Psychoanalyse macht eine Grundvoraussetzung, deren Diskussion philosophischem Denken vorbehalten bleibt, deren Rechtfertigung in ihren Resultaten liegt. Von dem, was wir unsere Psyche (Seelenleben) nennen, ist uns zweierlei bekannt, erstens das körperliche Organ und Schauplatz desselben, das Gehirn (Nervensystem), anderseits unsere Bewusstseinsakte, die unmittelbar gegeben sind und uns durch keinerlei Beschreibung näher gebracht werden können. Alles dazwischen ist uns unbekannt, eine direkte Beziehung zwischen beiden Endpunkten unseres Wissens ist nicht gegeben.«286

Eine relevante Frage, nämlich ob eine Lokalisation der mentalen Vorgänge und Ereignisse wirklich zum besseren Verständnis des Geistes und des Bewusstseins verhelfen würde, taucht an dieser Stelle für Freud auf, um schlussendlich von ihm selbst mit folgendem Verweis verneint zu werden: »Wenn sie bestünde, würde sie höchstens eine genaue Lokalisation der Bewusstseinsvorgänge liefern und für deren Verständnis nichts leisten.«287

Literatur zur Einführung In dieser Edition erfolgt die Zitation der Schriften von Sigmund Freud nach S. Freud, Gesammelte Werke, 18 Bde., A. Freud et al. (Hg.), und ein nichtnummerierter Nachtragsband (im Folgenden zitiert als GW Erscheinungsjahr Kleinbuchstaben). Frankfurt am Main: Fischer.

285 Ibid., S. 222. 286 Freud (1940a [1938]), Abriß der Psychoanalyse, S. 67. 287 Ibid. An dieser Stelle seien Christian Huber, Mitglied des Herausgabeteams der Reihe Sigmund Freuds Werke. Wiener Interdisziplinäre Kommentare (SFW-WIK), für seine sorgfältige Durchsicht und Herman Westerink, ebenfalls Mitglied des Herausgabeteams, für die Redaktion des Endmanuskripts sowie Robert Stefan, Mitarbeiter am Fachbereich Psychodynamik der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften und Doktorand, für das gewissenhafte Korrekturlesen und für seine engagierte Unterstützung bei Anmerkungen, Literaturrecherche und Register gedankt.

Literatur zur Einführung

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Die Jahresangaben zu den Publikationen Sigmund Freuds sind entnommen aus: I. Meyer-Palmedo und G. Fichtner (1989). Freud-Bibliographie mit Werkkonkordanz. Frankfurt am Main: Fischer, S. 15–90. Die in Klammern ergänzten Jahresangaben geben das Jahr der Erstveröffentlichung an. Im gleichen Jahr publizierte Schriften werden durch Kleinbuchstaben unterschieden. Die nachgestellten Zahlen nennen das Jahr der Niederschrift. In dieser Edition erfolgt die Zitation der Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz unter Verweis auf den jeweiligen Band seiner Gesamtausgaben: Gerhardt, C. I. (Hg.) (1875–1890). Die philosophischen Schriften von Leibniz. 7 Bde. Berlin: Weidmann (Wiederabdruck Hildesheim: Olms 1965) (im Folgenden zitiert als GP). Leibniz, G. W. Sämtliche Schriften und Briefe. Sechste Reihe, Philosophische Schriften, hg. Leibniz-Forschungsstelle Universität Münster. Berlin: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (im Folgenden zitiert als A).

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Literatur zur Einführung

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Freud, S. (1896b). Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen. GW 1, S. 379– 403. Freud, S. (1900a). Die Traumdeutung. GW 2/3. Freud, S. (1905c). Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. GW 6. Freud, S. (1905d). Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW 5, S. 33–145. Freud S. (1910i). Die psychogene Sehstörung in psychoanalytischer Auffassung. GW 8, S. 94–102. Freud (1910c). Eine Kindheitserinnerung des Leonardo Da Vinci. GW 8, S. 127–211. Freud (1911c). Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides) [Schreber]. GW 8, S. 239–316. Freud (1911b). Formulierungen über zwei Prinzipien des psychischen Geschehens. GW 8, S. 230–238. Freud, S. (1912g). Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten in der Psychoanalyse. GW 8, S. 430–439. Freud. S. (1914c). Zur Einführung des Narzißmus. GW 10, S. 137–170. Freud, S. (1915e). Das Unbewußte. GW 10, S. 264–303. Freud (1916–1917a [1915–1917]). Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW 11. Freud, S. (1917a [1916]). Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse. GW 12, S. 3–12. Freud, S. (1920g). Jenseits des Lustprinzips. GW 13, S. 1–69. Freud, S. (1921c). Massenpsychologie und Ich-Analyse. GW 13, S. 71–161. Freud S. (1922f). Etwas vom Unbewußten. GW Nachtragsbd., S. 730. Freud, S. (1923b). Das Ich und das Es. GW 13, S. 237–289. Freud, S. (1923b). The Ego and the Id. In (1953–74) The Standard Edition of the Complete Psychological Works of Sigmund Freud, Bde. 1–23 hg. J. Strachey, A. Freud, A. Strachey und A. Tyson; Bd. 24 (Gesamtregister, zusammengestellt von A. Richards) hg. J. Strachey in Zusammenarbeit mit A. Freud, A. Strachey und A. Tyson, Mitarbeit von A. Richards. 24 Bde. London: The Hogarth Press und The Institute of Psychoanalysis, Bd. 19, S. 12–59. Freud, S. (1924c). Das ökonomische Problem des Masochismus. GW 13, S. 371–383. Freud, S. (1925d [1924]). Selbstdarstellung. GW 14, S. 33–96. Freud, S. (1925e [1924]). Die Widerstände gegen die Psychoanalyse. GW 14, S. 99–110. Freud, S. (1926d [1925]). Hemmung, Symptom und Angst. GW 14, S. 111–205. Freud, S. (1927c). Die Zukunft einer Illusion. GW 14, S. 325–380. Freud, S. (1930a [1929]). Das Unbehagen in der Kultur. GW 14, S. 419–506. Freud, S. (1933a [1932]). Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW 15. Freud, S. (1933a [1932]). XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit. Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW 15, S. 62–86. Freud, S. (1933a [1932]). XXXV. Über eine Weltanschauung. Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW 15, S. 170–197. Freud, S. (1940a [1938]). Abriß der Psychoanalyse. GW 17, S. 63–138. Freud, S. (1940b [1938]). Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis, GW 17, S. 141– 147. Freud, S. (1955e [1930]). Brief an Juliette Boutonier vom 11. April 1930. GW Nachtragsbd., S. 671–672.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Freud, S. und Abraham, K. (1965a [1907–1926]). Briefe (1907–1926), hg. H. C. Abraham und E. Freud. Frankfurt am Main: Fischer. Freud (1985c [1887–1904]). Briefe an Wilhelm Fließ (1887–1904), hg. J. M. Masson, ungekürzte Ausgabe. Frankfurt am Main: Fischer. Freud, S. (1989). Jugendbriefe an Eduard Silberstein (1871–1881), hg. W. Boehlich. Frankfurt am Main: Fischer. Freud, S. und Ferenczi, S. (1996), Briefwechsel (1914–1916). Bd. 2/1, hg. E. Brabant, E. Falzeder und P. Giampieri-Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau. Freud, S. und Ferenczi, S. (2003). Briefwechsel (1920–1924). Bd. 3/1, hg. E. Brabant, E. Falzeder und P. Giampieri-Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau. Freud, S. und Groddeck, G. (2008). Briefwechsel Sigmund Freud-Georg Groddeck, hg. M. Giefer und B. Schuh. Frankfurt am Main und Basel: Stroemfeld. Giampieri-Deutsch, P. (1988). Schlomo-Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. In Com’era dolce il profumo del tiglio. La musica a Vienna nell’et/ di Freud, hg. C. de Incontrera. Trieste: Stella Editore, S. 67–91. Giampieri-Deutsch, P. (1989). Freud: ein österreichischer Philosoph? Austriaca, Aspects de la philosophie autrichienne 14/28, S. 69–86. Giampieri-Deutsch, P. (1990). Freud und die österreichische Philosophie. In Philosophie und Psychoanalyse, hg. L. Nagl, H. Vetter und H. Leupold-Löwenthal. Frankfurt am Main: Nexus, S. 41–54. Giampieri-Deutsch, P. (1992). Alfred von Winterstein und die Rolle der Philosophie in den Diskussionen der Mittwoch-Gesellschaft. In Aus dem Kreis um Sigmund Freud. Zu den Protokollen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, hg. E. Federn und W. Wittenberger. Frankfurt am Main: Fischer, S. 69–95. Giampieri-Deutsch, P. (1999). Aggression und Normengenese. Zum ethischen Subjekt in der Psychoanalyse. Geschichte und Gegenwart 3, S. 147–164. Giampieri-Deutsch, P. (2002). Einleitung. In Psychoanalyse im Dialog der Wissenschaften. Europäische Perspektiven. Bd. 1, hg. P. Giampieri-Deutsch. Stuttgart: Kohlhammer, S. 13–36. Giampieri-Deutsch, P. (2004). Einleitung. In Psychoanalyse im Dialog der Wissenschaften. Anglo-amerikanische Perspektiven. Bd. 2, hg. P. Giampieri-Deutsch. Stuttgart: Kohlhammer, S. 15–44. Giampieri-Deutsch, P. (2005). Approaching contemporary psychoanalytic research. In Psychoanalysis as an Empirical, Interdisciplinary Science. Collected Papers on Contemporary Psychoanalytic Research, hg. P. Giampieri-Deutsch. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, S. 15–53. Giampieri-Deutsch, P. (2010). Some remarks on psychoanalytic research and universities. International Forum of Psychoanalysis 19/4, S. 210–217. Giampieri-Deutsch, P. (2012). Perception, conscious and unconscious processes. In Sensory Perception: Mind and Matter, hg. F. G. Barth, P. Giampieri-Deutsch und H.-D. Klein. Wien und New York: Springer, S. 245–265. Giampieri-Deutsch, P. (2014). Neuro-Psychoanalyse. In Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe. 4. überarbeitete und erweiterte Auflage, hg. W. Mertens. Stuttgart: Kohlhammer, S. 617–626. Giampieri-Deutsch, P. (2017a). Nach Leibniz: die Entwicklung der Auffassung eines nichtbewussten Denkens bei Freud. Studia Leibnitiana Supplementa 39, S. 237–254.

Literatur zur Einführung

73

Giampieri-Deutsch, P. (2017b). Die Rückkehrerin Hedda Eppel (1919–2004): ihr Beitrag zur Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und zur internationalen Psychoanalyse. In Return from Exile – Rückkehr aus dem Exil: Exiles, Returnees and their Impact in the Humanities and Social Sciences, hg. W. Zacharasiewicz. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, S. 363–373. Giampieri-Deutsch, P. (2018). Zu den Ursprüngen der Frage der Voraussage in der Psychoanalyse in Wien und zu ihrer Fortsetzung in der Emigration. In Strukturen und Netzwerke – Medizin und Wissenschaft in Wien, 1848–1955, hg. D. Angetter, B. Nemec, H. Posch, Ch. Druml, P. Wendling. Göttingen und Wien: V & R unipress und Vienna University Press, S. 763–785. Giampieri-Deutsch, P. (2019). Ernst Mach und Sigmund Freud: Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln? In Ernst Mach – Zu Leben, Werk und Wirkung. Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis 29, hg. F. Stadler. Cham, Switzerland: Springer Nature, S. 45–73. Groddeck, G. (1923). Das Buch vom Es: Psychoanalytische Briefe an eine Freundin. Leipzig, Wien und Zürich: Internationaler Psychoanalytischer Verlag. Hacker, F. (1958). Psychologia Austriaca. Der österreichische Anteil an der Lehre Sigmund Freuds. Forum 5, S. 54–56. Holder, A. (1982). Freuds Theorie des psychischen Apparats. In Sigmund Freud. Leben und Werk. Kindlers »Psychologie des 20. Jahrhunderts«, Bd. 1, hg. D. Eicke. Weinheim und Basel: Beltz, S. 220–260. James, W. (1890). The Principles of Psychology. 2 Bde. New York: Henry Holt and Company. Jappe, G. (1984). Die Entwicklung von Freuds Ich-Begriff mit Bezugnahme auf Paul Federn. In Sigmund Freud. Leben und Werk. Kindlers »Psychologie des 20. Jahrhunderts«. Bd. 1, hg. D. Eicke. Weinheim und Basel: Beltz, S. 423–452. Johnston, W. M. (1972). Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1974. Jones, E. (1953–1957). Sigmund Freud. Leben und Werk, 3 Bde. Bern: Huber 1962. Kandel, E. R. (1999). Biologie und die Zukunft der Psychoanalyse. Ein neuer theoretischer Rahmen für die Psychiatrie erneut betrachtet. In Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des Geistes. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 119–183. Karpinska, L. von (1914 [1912]). Über die psychologischen Grundlagen des Freudismus. Internationale Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse 2, S. 305–316. Klein, M. (1933). Die frühe Entwicklung des kindlichen Gewissens. Gesammelte Schriften. Bd. I/2: Schriften 1920–1945, Teil 2, hg. R. Cycon. Stuttgart Bad Cannstatt: frommannholzboog 1996, S. 7–27. Lacan, J. (1978). Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Das Seminar, Buch II (1954–1955). Wien und Berlin: Turia und Kant. Laplanche, J. und Pontalis, J.-B. (1967). Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973. Leibniz, G. W. (1703–1705). Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (Nouveaux essais sur l’entendement humain), dt. Ü. und hg. E. Cassirer. Hamburg: Meiner 1996; A VI, GP V. Leibniz, G. W. (1714). Monadologie und andere metaphysische Schriften, dt. Ü. und hg. U. J. Schneider. Hamburg: Meiner 2002; GP V.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Le Rider, J. (2017). Carl E. Schorske und die Wiener Moderne. Vorwort, in Schorske (1961), Wien, Geist und Gesellschaft im Fin de SiHcle 2017, S. 7–16. Lindner, G. A. (1872). Lehrbuch der empirischen Psychologie als inductiver Wissenschaft. Dritte durchgesehene Auflage. Wien: Druck und Verlag von Carl Gerold’s Sohn. Menninger, K. A. (1963). Das Leben als Balance. Seelische Gesundheit und Krankheit im Lebensprozeß. München: Piper 1968. Mertens, W. (1998). Kapitel 3 Zur Wahrnehmung – Freud ein Vertreter der Abbildtheorie? In Erinnerung von Wirklichkeiten: Psychoanalyse und Neurowissenschaften im Dialog. Bestandsaufnahme. Bd. 1, hg. M. Koukkou, M. Leuzinger-Bohleber und W. Mertens. Stuttgart: Verlag Internationale Psychoanalyse, S. 57–71. Mertens, W. (2010). Zur Konzeption des Unbewussten – Einige Überlegungen zu einer interdisziplinären Theoriebildung. In Reflexionen über das Unbewusste, hg. M. Kettner und W. Mertens. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 7–76. Milner, B., Squire, L. R. und Kandel, E. R. (1998). Cognitive neuroscience and the study of memory. Neuron 20, S. 445- 468. Moruzzi, G. und Magoun, H. (1949). Brain stem reticular formation and activation of the EEG. Electroencephalography and Clinical Neurophysiology 1, S. 455–473. Nagel, T. (1974). Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? In Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, hg. M. Frank. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 135–152. Nunberg, H. und Federn, E. (Hg.) (1962). 45. Protokoll. In Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. 4 Bde, Bd. 1, hg. H. Nunberg und E. Federn. Frankfurt am Main: Fischer 1976, S. 334–339. Panksepp, J. (2003). The Ego is first and foremost a body Ego. Review of Antonio Damasio: Looking for Spinoza. Joy, Sorrow, and the Feeling Brain. New York 2003. Neuropsychoanalysis 5, S. 201–215. Perlow, M. (1995). Understanding Mental Objects. London und New York: Routledge. Pötzl, O. (1917). Experimentell erregte Traumbilder in ihrer Beziehung zum indirekten Sehen. Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 37, S. 278–349. Raichle, M. E., MacLeod, A. M., Snyder, A. Z., Powers, W. J., Gusnard, D. A. und Shulman, G. L. (2001). A default mode of brain function. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 98/2, S. 676–682. Rapaport, D. (1959). A Historical Survey of Psychoanalytic Ego Psychology. Psychological Issues, Bd. 1, Monograph 1. New York: International Universities Press. Rees, G. und Frith, C. D. (2017). Chapter 42: Methodologies for identifying the neural correlates of consciousness. In The Blackwell Companion to Consciousness, hg. S. Schneider und M. Velmans. 2. Ausgabe. Malden MA und Oxford: Wiley-Blackwell, S. 728–747. Ricœur, P. (1965). Die Interpretation. Ein Versuch über Freud. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1969. Rosenfeld, H. (1962). Das Überich und das Ichideal. In Zur Psychoanalyse psychotischer Zustände. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 167–179. Roth, G. (2004). Wie das Gehirn die Seele macht. In Psychoanalyse im Dialog der Wissenschaften. Anglo-amerikanische Perspektiven, Bd. 2, hg. P. Giampieri-Deutsch. Stuttgart: Kohlhammer, S. 171–191. Sandler, J. (1985). Die Analyse der Abwehr. Joseph Sandler mit Anna Freud. Stuttgart: Klett-Cotta 1989.

Literatur zur Einführung

75

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Solms, M. (2017). What is »the unconscious« and where is it located in the brain? A neuropsychoanalytic perspective. Annals of the New York Academy of Sciences 1406, S. 90–97. Solms, M. und Friston, K. (2018). How and why consciousness arises. Some considerations from physics and physiology. Journal of Consciousness Studies 25/5–6, S. 202–238. Solms, M. und Panksepp, J. (2012). The »Id« knows more than the »Ego« admits: Neuropsychoanalytic and primal consciousness perspectives on the interface between affective and cognitive Neuroscience. Brain Sciences 2, S. 147–175 Solms, M. und Saling, M. (1986). On psychoanalysis and neuroscience: Freud’s attitude to the localizationist tradition. International Journal of Psycho-Analysis 67, S. 397–416. Solms, M. und Turnbull, O. (2002). Das Gehirn und die innere Welt. Neurowissenschaft und Psychoanalyse. Düsseldorf und Zürich: Patmos und Walter 2004. Sontag, S. (1977). Krankheit als Metapher. München und Wien: Hanser 1980. Spitz, R. (1960). Zur Entstehung der Überich-Komponenten. Psyche 14/7, S. 400–426. Sulloway, F. (1979). Freud, Biologe der Seele. Köln-Lövenich: Hohenheim 1982. Wollheim, R. (1982). The bodily ego. In Philosophical Essays on Freud, hg. R. Wollheim und J. Hopkins. Cambridge: Cambridge University Press, S. 124–138.

Editorische Vorbemerkung

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Editorische Vorbemerkung Der vorliegenden Edition Sigmund Freuds Werke. Interdisziplinäre Kommentare standen Freuds Texte aus der früheren Ausgabe der Gesammelten Schriften (GS) zur Verfügung. Freuds originale Anmerkungen aus den GS sind ein integraler Bestandteil seines Textes und werden in eckigen Klammern wiedergegeben. Freuds eigene Verweise auf andere Werke in seinen Anmerkungen, welche sich im Original auf die GS beziehen, werden mit Bezug zu den Gesammelten Werken (GW) wiedergegeben und durch die entsprechend der aktuell verfügbaren Werkkonkordanz mit Jahres- und Seitenzahl und einschlägigem Buchstaben ergänzt. Die in Klammern ergänzten Jahresangaben geben das Jahr der Erstveröffentlichung an. Im gleichen Jahr publizierte Schriften werden durch Kleinbuchstaben unterschieden. Die nachgestellten Zahlen nennen das Jahr der Niederschrift.288 Die Anmerkungen der Herausgeberin dieses Bandes berücksichtigen allfällige relevante Auskünfte aus den Anmerkungsapparaten der deutschen Werkausgaben Gesammelte Werke (GW) und Studienausgabe (SA) sowie aus der englischen Standard Edition of the Complete Psychological Works of Sigmund Freud (SE). Ein detailliertes Verzeichnis der Originalausgaben sowie der einschlägigen Werkausgaben, in denen die in diesem Band edierten Schriften Freud (1923b), Das Ich und Das Es, GW 13, S. 237–289 und Freud (1933a [1932]), »XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der Psychischen Persönlichkeit«, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 15, S. 62–79 erschienen sind, findet sich zu Beginn der Bibliographie. Die Anmerkungen der Herausgeberin der vorliegenden Edition werden nicht gesondert gekennzeichnet und verstehen sich als eine Ergänzung der bereits bestehenden Anmerkungsapparate jener Werkausgaben. Nach der Gepflogenheit der früheren Bände der Reihe Sigmund Freuds Werke. Wiener Interdisziplinäre Kommentare wird die Seitenkonkordanz der Gesammelten Schriften, im Text gekennzeichnet mit [S], mit den korrespondierenden Seiten der Gesammelte Werke, im Text gekennzeichnet mit [W], in eckigen Klammern durch einen Schrägstrich getrennt mit der jeweiligen Seitenzahl sowie durch kursive und fette typographische Charaktere wiedergegeben (Beispiel: [S 353 / W 237]). Die Form der Anmerkungen der Herausgeberin folgt ebenfalls den vorangegangenen Bänden der Reihe mit Kurzverweis mit ausführlicher Quellenangabe in der Bibliographie.

288 Vgl. Meyer-Palmedo und Fichtner (1989), Freud-Bibliographie mit Werkkonkordanz, Frankfurt am Main: Fischer, S. 15–90.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Bibliographische Angaben der gegenständlichen Texte in chronologischer Reihenfolge. Deutsch Freud, S. (1923b). Das Ich und das Es. Leipzig, Wien und Zürich: Internationaler Psychoanalytischer Verlag (77 Seiten). Freud, S. (1923b). Das Ich und das Es. In Gesammelte Schriften 6 (GS) (1924–1934), hg. Anna Freud, Adolf Josef Storfer, Otto Rank und Robert Waelder, 12 Bände. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1925, S. 351–405. Freud, S. (1923b). Das Ich und das Es. In Theoretische Schriften (1911–1925). Leipzig, Wien und Zürich: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1931, S. 338–391. Freud, S. (1923b). Das Ich und das Es. In Gesammelte Werke 13 (GW) (1940–1987), hg. Anna Freud, Eduard Bibring, Wilhelm Hoffer, Ernst Kris, Otto Isakower und Marie Bonaparte, 18 Bände mit einem nichtnummerierten Nachtragsband, Bde. 1–17 London: Imago Publishing Co., Ltd. 1940–1952 (nach 1960 Frankfurt am Main: Fischer) und Bd. 18 und Nachtragsband, Frankfurt am Main: Fischer 1968 und 1987, S. 237– 289. Freud, S. (1923b). Das Ich und das Es. In Studienausgabe 3: Psychologie des Unbewußten, (SA) (1969–1975), hg. Alexander Mitscherlich, Angela Richards und James Strachey unter Mitarbeit von Ilse Grubrich-Simitis, 10 Bände mit einem nichtnummerierten Ergänzungsband. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1975, S. 273–330. Freud, S. (1933a [1932]). Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag (255 Seiten). Freud, S. (1933a [1932]). Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. In Gesammelte Schriften 12 (GS) (1924–1934), hg. Anna Freud, Adolf Josef Storfer, Otto Rank und Robert Waelder, 12 Bände. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1934, S. 149–345. Freud, S. (1933a [1932]). Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. In Gesammelte Werke 15 (GW) (1940–1987), hg. Anna Freud, Eduard Bibring, Wilhelm Hoffer, Ernst Kris, Otto Isakower und Marie Bonaparte, 18 Bände mit einem nichtnummerierten Nachtragsband, Bde. 1–17 London: Imago Publishing Co., Ltd. 1940– 1952 (nach 1960 Frankfurt am Main: Fischer) und Bd. 18 und Nachtragsband, Frankfurt am Main: Fischer 1968 und 1987. Freud, S. (1933a [1932]). Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. In Studienausgabe 1: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folge, (SA) (1969–1975), hg. Alexander Mitscherlich, Angela Richards und James Strachey unter Mitarbeit von Ilse Grubrich-Simitis, 10 Bände mit einem nichtnummerierten Ergänzungsband. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1969.

Editorische Vorbemerkung

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Englisch Freud, S. (1923b). The Ego and the Id, hg. Leonard und Virginia Woolf. Übersetzt von Joan Riviere. London: The Hogarth Press (88 Seiten) 1927. Freud, S. (1923b). The Ego and the Id. In The Standard Edition of the Complete Psychological Works of Sigmund Freud 19 (SE) (1953–1974), hg. James Strachey, Anna Freud, Alix Strachey und Alan Tyson. 24 Bände. London: The Hogarth Press und The Institute of Psychoanalysis, S. 12–59. Freud, S. (1933a [1932]). New Introductory Lectures on Psycho-Analysis, hg. Leonard & Virginia Woolf. Übersetzt von Walter John Herbert Sprott. London: The Hogarth Press. Freud, S. (1933a [1932]). New Introductory Lectures on Psycho-Analysis. In The Standard Edition of the Complete Psychological Works of Sigmund Freud 22 (SE) (1953–1974), hg. James Strachey, Anna Freud, Alix Strachey und Alan Tyson, 24 Bände, London: The Hogarth Press und The Institute of Psychoanalysis, S. 5–182.

Werkausgaben von Sigmund Freud Freud, S. (1923b). Gesammelte Schriften 6 (GS) (1924–1934); Bde. 1, 2, 3, 6, 9, 11 hg. unter Mitwirkung des Verfassers von Anna Freud und Adolf Josef Storfer ; Bde. 4, 5, 7, 8 hg. unter Mitwirkung des Verfassers von Anna Freud, Otto Rank und Adolf Josef Storfer ; Bd. 12 hg. unter Mitwirkung des Verfassers von Anna Freud und Robert Waelder, 12 Bände. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1925, S. 351–405. Freud, S. (1940–1987). Gesammelte Werke (GW), Bde. 1–8, 10–14, 17 hg. unter Mitwirkung von Marie Bonaparte, Prinzessin Georg von Griechenland, Anna Freud, Eduard Bibring, Wilhelm Hoffer, Ernst Kris, Otto Isakower ; Bde. 9, 15 unter Mitwirkung von Marie Bonaparte, Prinzessin Georg von Griechenland von Anna Freud, Eduard Bibring und Ernst Kris; Bd. 18 (Gesamtregister, zusammengestellt von Lilla Veszy-Wagner) hg. Anna Freud und Willi Hoffer; Nachtragsbd., hg. Angela Richards unter Mitwirkung von Ilse Grubrich-Simitis, Bde. 1–17: London: Imago Publishing Co., Ltd., 1940–1952 (seit 1960 Frankfurt am Main: Fischer), 18 Bände mit einem nichtnummerierten Nachtragsband. Frankfurt am Main: Fischer. Freud, S. (1953–1974). The Standard Edition of the Complete Psychological Works of Sigmund Freud (SE). Bde. 1–23 hg. James Strachey in Zusammenarbeit mit Anna Freud, Alix Strachey und Alan Tyson; Bd. 24 (Gesamtregister, zusammengestellt von Angela Richards) hg. James Strachey in Zusammenarbeit mit Anna Freud, Alix Strachey und Alan Tyson, Mitarbeit von Angela Richards. 24 Bände. London: The Hogarth Press und The Institute of Psychoanalysis. Freud, S. (1969–1975). Studienausgabe (SA), hg. Alexander Mitscherlich, Angela Richards und James Strachey unter Mitarbeit von Ilse Grubrich-Simitis; Ergänzungsband hg. Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey und Ilse Grubrich-Simitis. 10 Bände mit einem nichtnummerierten Ergänzungsband, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

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Freuds dynamisches Strukturmodell des Mentalen im 21. Jahrhundert

Bibliographie zu den beiden Werken Freuds Ferenczi, S. (1913a). Ein kleiner Hahnemann. Internationale Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse 1, S. 240–246. Nachdruck in: Bausteine zur Psychoanalyse. Praxis. Bd. 2. Bern, Stuttgart und Wien: Huber, S. 185–195, 3. Auflage: 1984. Freud, S. (1891b). Zur Auffassung der Aphasien. Eine kritische Studie, hg. P. Vogel. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1992. Freud, S. (1894a). Die Abwehr-Neuropsychosen. Versuch einer psychologischen Theorie der acquirierten Hysterie, vieler Phobien und Zwangsvorstellungen und gewisser hallucinatorischer Psychosen. GW 1, S. 59–74. Freud, S. (1900a). Die Traumdeutung. GW 2/3. Freud, S. (1905c). Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW 6. Freud, S. (1905d). Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW 5, S. 27, S. 33–145. Freud, S. (1907b). Zwangshandlungen und Religionsübungen. GW 7, S. 129–139. Freud, S. (1908b). Charakter und Analerotik. GW 7, S. 203–209. Freud, S. (1911b). Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens. GW 8, S. 230–238. Freud, S. (1912b). Zur Dynamik der Übertragung. GW 8, S. 364–374. Freud, S. (1912–1913a). Totem und Tabu. GW 9. Freud, S. (1912g). Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewußen in der Psychoanalyse. GW 8, S. 430–439. Freud, S. (1914c). Zur Einführung des Narzißmus. GW 10, S. 137–170. Freud, S. (1914d). Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. GW 10, S. 43–113. Freud, S. (1915c). Triebe und Triebschicksale. GW 10, S. 210–232. Freud, S. (1915e). Das Unbewußte. GW 10, S. 264–303. Freud, S. (1916d). Einige Charaktertypen aus der psychoanalytischen Arbeit. GW 10, S. 364–391. Freud, S. (1916–1917a [1915–1917]). Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW 11. Freud, S. (1916–1917f [1915]). Metapsychologische Ergänzung zur Traumlehre. GW 10, S. 402–410. Freud, S. (1916–1917g [1915]). Trauer und Melancholie. GW 10, S. 428–446. Freud, S. (1920g). Jenseits des Lustprinzips. GW 13, S. 1–69. Freud, S. (1921b). Introduction. GW 13, S. 439–440. Freud, S. (1921c). Massenpsychologie und Ich-Analyse. GW 13, S. 71–161. Freud, S. (1922b [1921]). Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität. GW 13, S. 195–207. Freud, S. (1923a [1922]). Libidotheorie, Psychoanalyse. GW 13, S. 211–233. Freud, S. (1923b). Das Ich und Das Es. GW 13, S. 237–289. Freud, S. (1923e). Die infantile Genitalorganisation (Eine Einschaltung in die Sexualtheorie). GW 13, S. 293–298. Freud, S. (1924c). Das ökonomische Problem des Masochismus. GW 13, S. 371–383. Freud, S. (1924d). Der Untergang des Ödipuskomplexes. GW 13, S. 395–402. Freud, S. (1925a). Notiz über den »Wunderblock«. GW 14, S. 3–8. Freud, S. (1925h). Die Verneinung. GW 14, S. 11–15. Freud, S. (1925i). Einige Nachträge zum Ganzen der Traumdeutung. GW 1, S. 561–573.

Editorische Vorbemerkung

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Freud, S. (1925j). Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds. GW 14, S. 19–30. Freud, S. (1926d). Hemmung, Symptom und Angst. GW 14, S. 111–205. Freud, S. (1926e). Die Frage der Laienanalyse. Unterredungen mit einem Unparteiischen. GW 14, S. 207–286. Freud, S. (1927d). Der Humor. GW 14, S. 311–317. Freud, S. (1928b). Dostojewsky und die Vatertötung. GW 14, S. 399–418. Freud, S. (1933a [1932]). Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW 15. Freud, S. (1939a [1934–1938]). Der Mann Moses und die monotheistische Religion. GW 16, S. 103–246. Freud, S. (1940a [1938]). Abriß der Psychoanalyse. GW 17, S. 63–128. Freud, S. (1950a [1887–1902]. Aus den Anfängen der Psychoanalyse, Briefe an Wilhelm Fließ, Abhandlungen und Notizen aus den Jahren (1887–1902), hg. Marie Bonaparte, Anna Freud und Ernst Kris. London 1950. Frankfurt am Main: Fischer 1986. Freud (1950c [1895]). Entwurf einer Psychologie. GW Nachtragsbd., S. 387–477. Freud (1966b). Einleitung, zu: S. Freud und W. C. Bullitt, Thomas Woodrow Wilson, Twenty-eighth President of the United States: A Psychological Study. Boston: Houghton Mifflin 1967, S. XI–XVI, GW Nachtragsbd., S. 686–692. Freud (1985c [1887–1904]). Briefe an Wilhelm Fließ, hg. J.M. Masson. Frankfurt am Main: Fischer. Groddeck, G. W. (1923). Das Buch vom Es. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag. Jung, C. G. (1911–1912). Wandlungen und Symbole der Libido. Leipzig und Wien: Deuticke. Lichtenberg, G. C. (1971). Schriften und Briefe, hg. W. Promies, Bd. 2: Südelbücher II. München: Hanser. Ludwig, E. (1926). Wilhelm der Zweite. Berlin: Rowohlt. Marcuse, M. (1923). Handwörterbuch der Sexualwissenschaft. Bonn: A. Marcus und E. Webers Verlag. Sachs (1945). Freud, Master and Friend. Cambridge, MA und London: Harvard University Press. Sandler, J. (1985). Die Analyse der Abwehr. Joseph Sandler mit Anna Freud. Stuttgart: Klett- Cotta 1989. Stekel, W. (1908). Nervöse Angstzustände und ihre Behandlung. Berlin und Wien: Urban und Schwarzenberg. Varendonck, J. (1921). The Psychology of Day-Dreams. London: George Allen & Unwin und New York: Macmillan.

DAS ICH UND DAS ES

»Das Ich und das Es« erschien 1923 (1.–8. Tausend), im Internationalen Psychoanalytischen Verlag, Leipzig, Wien, Zürich.1 [S 352] [S 353 / W 237] Nachstehende Erörterungen setzen Gedankengänge fort, die in meiner Schrift »Jenseits des Lustprinzips« 19202 begonnen wurden, denen ich persönlich, wie dort erwähnt ist3, mit einer gewissen wohlwollenden Neugierde gegenüber stand. Sie nehmen diese Gedanken auf, verknüpfen sie mit verschiedenen Tatsachen der analytischen Beobachtung, suchen aus dieser Vereinigung neue Schlüsse abzuleiten, machen aber keine neuen Anleihen bei der Biologie und stehen darum der Psychoanalyse näher als das »Jenseits«. Sie tragen eher den Charakter einer Synthese als einer Spekulation und scheinen sich ein hohes Ziel gesetzt zu haben. Ich weiß aber, daß sie beim Gröbsten Halt machen, und bin mit dieser Beschränkung recht einverstanden. Dabei rühren sie an Dinge, die bisher noch nicht Gegenstand der psychoanalytischen Bearbeitung gewesen sind, und können es nicht vermeiden, manche Theorien zu streifen, die von Nicht-Analytikern oder ehemaligen Analytikern auf ihrem Rückzug von der Analyse aufgestellt wurden. Ich bin sonst immer bereit gewesen, meine Verbindlichkeiten gegen andere Arbeiter anzuerkennen, fühle mich aber in diesem Falle durch keine solche Dankesschuld belastet. Wenn die Psychoanalyse gewisse Dinge bisher nicht gewürdigt hat, so geschah es nie darum, weil sie deren Leistung übersehen hatte oder deren Bedeutung verleugnen wollte, sondern weil sie einen bestimmten Weg verfolgt, [S 354 / W 238] der noch nicht so weit geführt hatte. Und endlich, wenn sie dahin gekommen ist, erscheinen ihr auch die Dinge anders als den anderen.

1 Freuds Originalangabe aus den GS. 2 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Ges. Schriften, Bd. VI] Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, GW 13, S. 1–69. 3 Ibd., S. 16 und S. 64.

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I

Das Ich und das Es

BEWUSSTSEIN UND UNBEWUSSTES

[S 355 / W 239] In diesem einleitenden Abschnitt ist nichts Neues zu sagen und die Wiederholung von früher oft Gesagtem nicht zu vermeiden. Die Unterscheidung des Psychischen in Bewußtes und Unbewußtes ist die Grundvoraussetzung der Psychoanalyse und gibt ihr allein die Möglichkeit, die ebenso häufigen als wichtigen pathologischen Vorgänge im Seelenleben zu verstehen, der Wissenschaft einzuordnen. Nochmals und anders gesagt: die Psychoanalyse kann das Wesen des Psychischen nicht ins Bewußtsein verlegen, sondern muß das Bewußtsein als eine Qualität des Psychischen ansehen, die zu anderen Qualitäten hinzukommen oder wegbleiben mag. Wenn ich mir vorstellen könnte, daß alle an der Psychologie Interessierten diese Schrift lesen werden, so wäre ich auch darauf vorbereitet, daß schon an dieser Stelle ein Teil der Leser Halt macht und nicht weiter mitgeht, denn hier ist das erste Schibboleth4 der Psychoanalyse. Den meisten philosophisch Gebildeten ist die Idee eines Psychischen, das nicht auch bewußt ist, so unfaßbar, daß sie ihnen absurd und durch bloße Logik abweisbar erscheint. Ich glaube, dies kommt nur daher, daß sie die betreffenden Phänomene der Hypnose und des Traumes, welche – vom Pathologischen ganz abgesehen – zu solcher Auffassung zwingen, nie studiert haben. Ihre Bewußtseinspsychologie ist aber auch unfähig, die Probleme des Traumes und der Hypnose zu lösen.

4 Schibboleth oder Schiboleth (aus dem Hebräischen) ist ein charakteristisches, unterscheidendes Erkennungszeichen, sei es als Wort, als spezifisches sprachliches Merkmal oder als kulturgebundene Kenntnis, welche anderssprachig Sprechende oder Nichtdazugehörende nicht korrekt aussprechen bzw. nicht wissen können, um diese als Nichtzugehörige auszugrenzen. In Freud (1905d), Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, GW 5, S. 27, S. 33–145, S. 127, Anm. 2 betrachtet Freud den Ödipuskomplex als das Kennzeichnendste der Psychoanalyse: »Der Fortschritt der psychoanalytischen Arbeit hat diese Bedeutung des Ödipuskomplexes immer schärfer gezeichnet; seine Anerkennung ist das Schiboleth geworden, welches die Anhänger der Psychoanalyse von ihren Gegnern scheidet.« In zwei weiteren Schriften hält Freud eher den Traum für das Schiboleth der Psychoanalyse, zum Beispiel als Freud kritisiert: »was Adler über den Traum, dieses Schiboleth der Psychoanalyse, geäußert hat. Der Traum war ihm zuerst eine Wendung von der weiblichen auf die männliche Linie, was nichts anderes besagt, als die Übersetzung der Lehre von der Wunscherfüllung im Traume in die Sprache des ›männlichen Protestes‹.« In Freud (1914d), Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, GW 10, S. 43–113, S. 101. Oder als Freud in seiner Theorie des Traums das Merkmal der Psychoanalyse sieht: »Die Traumlehre ist seither auch das Kennzeichnendste und Eigentümlichste der jungen Wissenschaft geblieben, etwas wozu es kein Gegenstück in unserem sonstigen Wissen gibt, ein Stück Neuland, dem Volksglauben und der Mystik abgewonnen. Die Fremdartigkeit der Behauptungen, die sie aufstellen mußte, hat ihr die Rolle eines Schiboleth verliehen, dessen Anwendung entschied, wer ein Anhänger der Psychoanalyse werden konnte und wem sie endgültig unfaßbar blieb.« In Freud (1933a [1932]), XXIX. Vorlesung: Revision der Traumlehre, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 15, S. 6–31, S. 6.

Bewusstsein und Unbewusstes

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[S 356 / W 240] Bewußt sein ist zunächst ein rein deskriptiver Terminus, der sich auf die unmittelbarste und sicherste Wahrnehmung beruft. Die Erfahrung zeigt uns dann, daß ein psychisches Element, zum Beispiel eine Vorstellung, gewöhnlich nicht dauernd bewußt ist. Es ist vielmehr charakteristisch, daß der Zustand des Bewußtseins rasch vorübergeht; die jetzt bewußte Vorstellung ist es im nächsten Moment nicht mehr, allein sie kann es unter gewissen leicht hergestellten Bedingungen wieder werden. Inzwischen war sie, wir wissen nicht was; wir können sagen, sie sei latent gewesen, und meinen dabei, daß sie jederzeit bewußtseinsfähig war. Auch wenn wir sagen, sie sei unbewußt gewesen, haben wir eine korrekte Beschreibung gegeben. Dieses Unbewußt fällt dann mit latent-bewußtseinsfähig zusammen. Die Philosophen würden uns zwar einwerfen: Nein, der Terminus unbewußt hat hier keine Anwendung, solange die Vorstellung im Zustand der Latenz war, war sie überhaupt nichts Psychisches. Würden wir ihnen schon an dieser Stelle widersprechen, so gerieten wir in einen Wortstreit, aus dem sich nichts gewinnen ließe. Wir sind aber zum Terminus oder Begriff des Unbewußten auf einem anderen Weg gekommen, durch Verarbeitung von Erfahrungen, in denen die seelische Dynamik eine Rolle spielt. Wir haben erfahren, das heißt annehmen müssen, daß es sehr starke seelische Vorgänge oder Vorstellungen gibt, – hier kommt zuerst ein quantitatives, also ökonomisches Moment in Betracht – die alle Folgen für das Seelenleben haben können wie sonstige Vorstellungen, auch solche Folgen, die wiederum als Vorstellungen bewußt werden können, nur werden sie selbst nicht bewußt. Es ist nicht nötig, hier ausführlich zu wiederholen, was schon so oft dargestellt worden ist.5 Genug, an dieser Stelle setzt die psychoanalytische Theorie ein und behauptet, daß solche Vorstellungen nicht bewußt sein können, weil eine gewisse Kraft sich dem widersetzt, daß sie sonst bewußt werden könnten und daß man dann sehen würde, wie wenig sie sich von anderen [S 357 / W 241] anerkannten psychischen Elementen unterscheiden. Diese Theorie wird dadurch unwiderleglich, daß sich in der psychoanalytischen Technik Mittel gefunden haben, mit deren Hilfe man die widerstrebende Kraft aufheben und die betreffenden Vorstellungen bewußt machen kann. Den Zustand, in dem diese sich vor der Bewußtmachung befanden, heißen wir Verdrängung, und die Kraft, welche die Verdrängung herbeigeführt und aufrecht gehalten hat, behaupten wir während der analytischen Arbeit als Widerstand zu verspüren. Unseren Begriff des Unbewußten gewinnen wir also aus der Lehre von der Verdrängung. Das Verdrängte ist uns das Vorbild des Unbewußten. Wir sehen aber, daß wir zweierlei Unbewußtes haben, das latente, doch bewußtseinsfähige, und das Verdrängte, an sich und ohne weiteres nicht bewußtseinsfähige. Unser 5 Vgl. z. B. Freud (1912g), Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewußen in der Psychoanalyse, GW 8, S. 430–439.

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Das Ich und das Es

Einblick in die psychische Dynamik kann nicht ohne Einfluß auf Nomenklatur und Beschreibung bleiben. Wir heißen das Latente, das nur deskriptiv unbewußt ist, nicht im dynamischen Sinne, vorbewußt; den Namen unbewußt beschränken wir auf das dynamisch unbewußte Verdrängte, so daß wir jetzt drei Termini haben, bewußt (bw), vorbewußt (vbw) und unbewußt (ubw), deren Sinn nicht mehr rein deskriptiv ist. Das Vbw, nehmen wir an, steht dem Bw viel näher als das Ubw, und da wir das Ubw psychisch geheißen haben, werden wir es beim latenten Vbw um so unbedenklicher tun. Warum wollen wir aber nicht lieber im Einvernehmen mit den Philosophen bleiben und das Vbw wie das Ubw konsequenterweise vom bewußten Psychischen trennen? Die Philosophen würden uns dann vorschlagen, das Vbw wie das Ubw als zwei Arten oder Stufen des Psychoiden zu beschreiben, und die Einigkeit wäre hergestellt. Aber unendliche Schwierigkeiten in der Darstellung wären die Folge davon und die einzig wichtige Tatsache, daß diese Psychoide fast in allen anderen Punkten mit dem anerkannt Psychischen übereinstimmen, wäre zugunsten eines Vorurteils in [S 358 / W 242] den Hintergrund gedrängt, eines Vorurteils, das aus der Zeit stammt, da man diese Psychoide oder das Bedeutsamste von ihnen noch nicht kannte. Nun können wir mit unseren drei Terminis, bw, vbw und ubw, bequem wirtschaften, wenn wir nur nicht vergessen, daß es im deskriptiven Sinne zweierlei Unbewußtes gibt, im dynamischen aber nur eines. Für manche Zwecke der Darstellung kann man diese Unterscheidung vernachlässigen, für andere ist sie natürlich unentbehrlich. Wir haben uns immerhin an diese Zweideutigkeit des Unbewußten ziemlich gewöhnt und sind gut mit ihr ausgekommen. Vermeiden läßt sie sich, soweit ich sehen kann, nicht; die Unterscheidung zwischen Bewußtem und Unbewußtem ist schließlich eine Frage der Wahrnehmung, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist, und der Akt der Wahrnehmung selbst gibt keine Auskunft darüber, aus welchem Grund etwas wahrgenommen wird oder nicht wahrgenommen wird. Man darf sich nicht darüber beklagen, daß das Dynamische in der Erscheinung nur einen zweideutigen Ausdruck findet.6 6 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Soweit vgl.: Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten. Ges. Schriften, Bd. V. Eine neuerliche Wendung in der Kritik des Unbewußten verdient an dieser Stelle gewürdigt zu werden. Manche Forscher, die sich der Anerkennung der psychoanalytischen Tatsachen nicht verschließen, das Unbewußte aber nicht annehmen wollen, schaffen sich eine Auskunft mit Hilfe der unbestrittenen Tatsache, daß auch das Bewußtsein – als Phänomen – eine große Reihe von Abstufungen der Intensität oder Deutlichkeit erkennen läßt. So wie es Vorgänge gibt, die sehr lebhaft, grell, greifbar bewußt sind, so erleben wir auch andere, die nur schwach, kaum eben merklich bewußt sind, und die am schwächsten bewußten seien eben die, für welche die Psychoanalyse das unpassende Wort unbewußt gebrauchen wolle. Sie seien aber doch auch bewußt oder »im Bewußtsein« und lassen sich voll und stark bewußt machen, wenn man ihnen genug Aufmerksamkeit schenkte. Soweit die Entscheidung in einer solchen entweder von der Konvention oder von Gefühls-

Bewusstsein und Unbewusstes

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[S 359 / W 243] Im weiteren Verlauf der psychoanalytischen Arbeit stellt sich aber heraus, daß auch diese Unterscheidungen unzulänglich, praktisch insuffizient sind. Unter den Situationen, die das zeigen, sei folgende als die entscheide hervorgehoben. Wir haben uns die Vorstellung von einer zusammenhängenden Organisation der seelischen Vorgänge in einer Person gebildet und heißen diese das Ich derselben. An diesem Ich hängt das Bewußtsein, es beherrscht die Zugänge zur Motilität, das ist: zur Abfuhr der Erregungen in die Außenwelt; es ist diejenige seelische Instanz, welche eine Kontrolle über all ihre Partialvorgänge ausübt, welche zur Nachtzeit schlafen geht und dann immer noch die Traumzensur handhabt. Von diesem Ich gehen auch die Verdrängungen aus, durch welche gewisse seelische Strebungen nicht nur vom Bewußtsein, sondern auch von den anderen Arten der Geltung und Betätigung ausgeschlossen werden sollen. Dies durch die Verdrängung Beseitigte stellt sich in der Analyse dem Ich gegenüber, und es wird der Analyse die Aufgabe gestellt, die Widerstände aufzuheben, die das Ich gegen die Beschäftigung mit dem Verdrängten äußert. Nun machen wir während der Analyse die Beobachtung, daß der Kranke in Schwierigkeiten gerät, wenn wir ihm gewisse Aufgaben stellen; seine Assoziationen versagen, wenn sie sich dem Verdrängten annähern sollen. Wir sagen ihm dann, er stehe unter der Herrschaft eines Widerstandes, aber er [S 360 / W 244] weiß momenten abhängigen Frage durch Argumente beeinflußt werden kann, läßt sich hiezu folgendes bemerken: Der Hinweis auf eine Deutlichkeitsskala der Bewußtheit hat nichts Verbindliches und nicht mehr Beweiskraft als etwa die analogen Sätze: es gibt so viel Abstufungen der Beleuchtung vom grellsten, blendenden Licht bis zum matten Lichtschimmer, folglich gibt es überhaupt keine Dunkelheit. Oder : es gibt verschiedene Grade von Vitalität, folglich gibt es keinen Tod. Diese Sätze mögen ja in einer gewissen Weise sinnreich sein, aber sie sind praktisch verwerflich, wie sich herausstellt, wenn man bestimmte Folgerungen von ihnen ableiten will, zum Beispiel: also braucht man kein Licht anzustecken, oder : also sind alle Organismen unsterblich. Ferner erreicht man durch die Subsumierung des Unmerklichen unter das Bewußte nichts anderes, als daß man sich die einzige unmittelbare Sicherheit verdirbt, die es im Psychischen überhaupt gibt. Ein Bewußtsein, von dem man nichts weiß, scheint mir doch um vieles absurder als ein unbewußtes Seelisches. Endlich ist solche Angleichung des Unbemerkten an das Unbewußte offenbar ohne Rücksicht auf die dynamischen Verhältnisse versucht worden, welche für die psychoanalytische Auffassung maßgebend waren. Denn zwei Tatsachen werden dabei vernachlässigt; erstens, daß es sehr schwierig ist, großer Anstrengung bedarf, um einem solchen Unbemerkten genug Aufmerksamkeit zuzuführen, und zweitens, daß, wenn dies gelungen ist, das vordem Unbemerkte jetzt nicht vom Bewußtsein erkannt wird, sondern oft genug ihm völlig fremd, gegensätzlich erscheint und von ihm schroff abgelehnt wird. Der Rekurs vom Unbewußten auf das wenig Bemerkte und nicht Bemerkte ist also doch nur ein Abkömmling des Vorurteils, dem die Identität des Psychischen mit dem Bewußten ein für allemal feststeht.] Vgl. Freud (1912g), Einige Bemerkungen u¨ ber den Begriff des Unbewußen in der Psychoanalyse, S. 430–439 und vgl. auch Kapitel I, Die Rechtfertigung des Unbewußten, S. 264–270 und Kapitel II, Die Vieldeutigkeit des Unbewußten und der topische Gesichtspunkt, S. 270–275, in Freud (1915e), Das Unbewußte, GW 10, S. 264–303. In diesem ersten Kapitel entfaltet Freud seine Auseinandersetzung mit der Philosophie in der Nachfolge von Leibniz (vgl. dieser Band »Einfu¨hrung«, Kapitel 2, Freuds Auseinandersetzung mit der Philosophie).

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Das Ich und das Es

nichts davon und selbst, wenn er aus seinen Unlustgefühlen erraten sollte, daß jetzt ein Widerstand in ihm wirkt, so weiß er ihn nicht zu benennen und anzugeben. Da aber dieser Widerstand sicherlich von seinem Ich ausgeht und diesem angehört, so stehen wir vor einer unvorhergesehenen Situation. Wir haben im Ich selbst etwas gefunden, was auch unbewußt ist, sich gerade so benimmt wie das Verdrängte, das heißt starke Wirkungen äußert, ohne selbst bewußt zu werden, und zu dessen Bewußtmachung es einer besonderen Arbeit bedarf. Die Folge dieser Erfahrung für die analytische Praxis ist, daß wir in unendlich viele Undeutlichkeiten und Schwierigkeiten geraten, wenn wir an unserer gewohnten Ausdrucksweise festhalten und zum Beispiel die Neurose auf einen Konflikt zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten zurückführen wollen. Wir müssen für diesen Gegensatz aus unserer Einsicht in die strukturellen Verhältnisse des Seelenlebens einen anderen einsetzen: den zwischen dem zusammenhängenden Ich und dem von ihm abgespaltenen Verdrängten.7 Die Folgen für unsere Auffassung des Unbewußten sind aber noch bedeutsamer. Die dynamische Betrachtung hatte uns die erste Korrektur gebracht, die strukturelle Einsicht bringt uns die zweite. Wir erkennen, daß das Ubw nicht mit dem Verdrängten zusammenfällt; es bleibt richtig, daß alles Verdrängte ubw ist, aber nicht alles Ubw ist auch verdrängt. Auch ein Teil des Ichs, ein Gott weiß wie wichtiger Teil des Ichs, kann ubw sein, ist sicherlich ubw.8 Und dies Ubw des Ichs ist nicht latent im Sinne des Vbw, sonst dürfte es nicht aktiviert werden, ohne bw zu werden, und seine Bewußtmachung dürfte nicht so große Schwierigkeiten bereiten. Wenn wir uns so vor der Nötigung sehen, ein drittes, nicht verdrängtes Ubw aufzustellen, so müssen wir zugestehen, daß der Charakter des Unbewußtseins für uns [S 361 / W 245] an Bedeutung verliert. Er wird zu einer vieldeutigen Qualität, die nicht die weitgehenden und ausschließenden Folgerungen gestattet, für welche wir ihn gerne verwertet hätten. Doch müssen wir uns hüten, ihn zu vernachlässigen, denn schließlich ist die Eigenschaft bewußt oder nicht die einzige Leuchte im Dunkel der Tiefenpsychologie.

7 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Vgl. Jenseits des Lustprinzips.] Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips. 8 Freud führte eine solche Ansicht sowohl in (1920g), Jenseits des Lustprinzips, vgl. S. 17 als auch schon in (1915e), Das Unbewußte, vgl. S. 291–292 aus.

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II

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DAS ICH UND DAS ES

[S 362 / W 246] Die pathologische Forschung hat unser Interesse allzu ausschließlich auf das Verdrängte gerichtet. Wir möchten mehr vom Ich erfahren, seitdem wir wissen, daß auch das Ich unbewußt im eigentlichen Sinne sein kann. Unser einziger Anhalt während unserer Untersuchungen war bisher das Kennzeichen des Bewußt- oder Unbewußtseins; zuletzt haben wir gesehen, wie vieldeutig dies sein kann. Nun ist all unser Wissen immer an das Bewußtsein gebunden. Auch das Ubw können wir nur dadurch kennen lernen, daß wir es bewußt machen. Aber halt, wie ist das möglich? Was heißt: etwas bewußt machen? Wie kann das vor sich gehen? Wir wissen schon, wo wir hiefür anzuknüpfen haben. Wir haben gesagt, das Bewußtsein ist die Oberfläche des seelischen Apparates, das heißt wir haben es einem System als Funktion zugeschrieben, welches räumlich das erste von der Außenwelt her ist. Räumlich übrigens nicht nur im Sinne der Funktion, sondern diesmal auch im Sinne der anatomischen Zergliederung.9 Auch unser Forschen muß diese wahrnehmende Oberfläche zum Ausgang nehmen. Von vornherein bw sind alle Wahrnehmungen, die von außen herankommen (Sinneswahrnehmungen), und von innen her, was wir Empfindungen und Gefühle heißen. Wie aber ist es mit jenen inneren Vorgängen, die wir etwa – roh und ungenau – als [S 363 / W 247] Denkvorgänge zusammenfassen können? Kommen sie, die sich irgendwo im Innern des Apparates als Verschiebungen seelischer Energie auf dem Wege zur Handlung vollziehen, an die Oberfläche, die das Bewußtsein entstehen läßt, heran? Oder kommt das Bewußtsein zu ihnen? Wir merken, das ist eine von den Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man mit der räumlichen, topischen Vorstellung des seelischen Geschehens Ernst machen will. Beide Möglichkeiten sind gleich unausdenkbar, es müßte etwas drittes der Fall sein.10 An einer anderen Stelle11 habe ich schon die Annahme gemacht, daß der wirkliche Unterschied einer ubw von einer vbw Vorstellung (einem Gedanken) darin besteht, daß die erstere sich an irgendwelchem Material, das unerkannt 9 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: S. Jenseits des Lustprinzips] Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips. 10 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Das Unbewußte. Internat. Zschr. f. PsA., III. 1915. [Ges. Schriften, Bd. V.]] Vgl. insbesondere Freuds detaillierte Darstellung in Kapitel II, Die Vieldeutigkeit des Unbewußten und der topische Gesichtspunkt, S. 270–275 seiner Arbeit (1915e), Das Unbewußte. 11 Freud bezieht sich hier wieder auf seine Abhandlung (1915e), Das Unbewußte, vgl. S. 300– 303.

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bleibt, vollzieht, während bei der letzteren (der vbw) die Verbindung mit Wortvorstellungen hinzukommt. Hier ist zuerst der Versuch gemacht, für die beiden Systeme Vbw und Ubw Kennzeichen anzugeben, die anders sind als die Beziehung zum Bewußtsein. Die Frage: Wie wird etwas bewußt? lautet also zweckmäßiger : Wie wird etwas vorbewußt? Und die Antwort wäre: durch Verbindung mit den entsprechenden Wortvorstellungen. Diese Wortvorstellungen sind Erinnerungsreste, sie waren einmal Wahrnehmungen und können wie alle Erinnerungsreste wieder bewußt werden. Ehe wir noch weiter von ihrer Natur handeln, dämmert uns wie eine neue Einsicht auf: bewußt werden kann nur das, was schon einmal bw Wahrnehmung war, und was außer Gefühlen von innen her bewußt werden will, muß versuchen, sich in äußere Wahrnehmungen umzusetzen. Dies wird mittels der Erinnerungsspuren möglich. Die Erinnerungsreste denken wir uns in Systemen enthalten, welche unmittelbar an das System W-Bw anstoßen, so daß ihre Besetzungen sich leicht auf die Elemente dieses Systems von innen [S 364 / W 248] her fortsetzen können.12 Man denkt hier sofort an die Halluzination und an die Tatsache, daß die lebhafteste Erinnerung immer noch von der Halluzination wie von der äußeren Wahrnehmung unterschieden wird13, allein ebenso rasch stellt sich die Auskunft ein, daß bei der Wiederbelebung einer Erinnerung die Besetzung im Erinnerungssystem erhalten bleibt, während die von der Wahrnehmung nicht unterscheidbare Halluzination entstehen mag, wenn die Besetzung nicht nur von der Erinnerungsspur auf das W-Element übergreift, sondern völlig auf dasselbe übergeht. Die Wortreste stammen wesentlich von akustischen Wahrnehmungen ab14, so daß hiedurch gleichsam ein besonderer Sinnesursprung für das System Vbw gegeben ist. Die visuellen Bestandteile der Wortvorstellung kann man als sekundär, durch Lesen erworben, zunächst vernachlässigen und ebenso die Bewegungsbilder des Wortes, die außer bei Taubstummen die Rolle von unterstützenden Zeichen spielen. Das Wort ist doch eigentlich der Erinnerungsrest des gehörten Wortes. Es darf uns nicht beifallen, etwa der Vereinfachung zuliebe, die Bedeutung der optischen Erinnerungsreste – von den Dingen – zu vergessen, oder zu verleugnen, daß ein Bewußtwerden der Denkvorgänge durch Rückkehr zu den 12 Vgl. Freud (1900a), Die Traumdeutung, GW 2/3, Kapitel VII, Zur Psychologie der Traumvorgänge, Abschnitt B, Die Regression. 13 Diese Auffassung wurde schon von J. Breuer in dessen Beitrag in Freud (1895d), Studien über Hysterie, GW 1, S. 75–312 zum Ausdruck gebracht. Vgl. auch Freud (1916–1917f [1915]), Metapsychologische Ergänzung zur Traumlehre, GW 10, S. 402–410. 14 Die Schädigung oder Läsion des akustischen Zentrums führte Freud zu diesem Schluss bereits in seinem Buch (1891b), Zur Auffassung der Aphasien. Eine kritische Studie, S. 92–94.

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visuellen Resten möglich ist und bei vielen Personen bevorzugt scheint. Von der Eigenart dieses visuellen Denkens kann uns das Studium der Träume und der vorbewußten Phantasien nach den Beobachtungen J. Varendoncks15 eine Vorstellung geben. Man erfährt, daß dabei meist nur das konkrete Material des Gedankens bewußt wird, für die Relationen aber, die den Gedanken besonders kennzeichnen, ein visueller Ausdruck nicht gegeben werden kann. Das Denken in Bildern ist also ein nur sehr unvollständiges Bewußtwerden. Es steht auch irgendwie den unbewußten Vorgängen näher als das Denken in Worten und ist unzweifelhaft onto- wie phylogenetisch älter als dieses. [S 365 / W 249] Wenn also, um zu unserem Argument zurückzukehren, dies der Weg ist, wie etwas an sich Unbewußtes vorbewußt wird, so ist die Frage, wie machen wir etwas Verdrängtes (vor)bewußt, zu beantworten: indem wir solche vbw Mittelglieder durch die analytische Arbeit herstellen. Das Bewußtsein verbleibt also an seiner Stelle, aber auch das Ubw ist nicht etwa zum Bw aufgestiegen. Während die Beziehung der äußeren Wahrnehmung zum Ich ganz offenkundig ist, fordert die der inneren Wahrnehmung zum Ich eine besondere Untersuchung heraus. Sie läßt noch einmal den Zweifel auftauchen, ob man wirklich Recht daran tut, alles Bewußtsein auf das eine oberflächliche System WBw zu beziehen. Die innere Wahrnehmung ergibt Empfindungen von Vorgängen aus den verschiedensten, gewiß auch tiefsten Schichten des seelischen Apparates. Sie sind schlecht gekannt, als ihr bestes Muster können noch die der Lust-Unlustreihe gelten. Sie sind ursprünglicher, elementarer als die von außen stammenden, können noch in Zuständen getrübten Bewußtseins zustande kommen. Über ihre größere ökonomische Bedeutung und deren metapsychologische Begründung habe ich mich an anderer Stelle geäußert.16 Diese Empfindungen sind multilokulär wie die äußeren Wahrnehmungen, können gleichzeitig von verschiedenen Stellen kommen und dabei verschiedene, auch entgegengesetzte Qualitäten haben. Die Empfindungen mit Lustcharakter haben nichts Drängendes an sich, dagegen im höchsten Grad die Unlustempfindungen. Diese drängen auf Veränderung, auf Abfuhr und darum deuten wir die Unlust auf eine Erhöhung, die Lust auf eine Erniedrigung der Energiebesetzung.17 Nennen wir das, was als Lust und Unlust bewußt wird, ein quantitativ-qualitativ Anderes im seelischen Ablauf, so

15 Vgl. Freuds Einleitung zum Buch von J. Varendonck (1921), The Psychology of Day-Dreams, in Freud (1921b), Introduction, GW 13, S. 439–440. 16 Vgl. Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, S. 15. 17 Ibd., S. 4.

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ist die Frage, ob ein solches Anderes an Ort und Stelle bewußt werden kann oder bis zum System W fortgeleitet werden muß. [S 366 / W 250] Die klinische Erfahrung entscheidet für das letztere. Sie zeigt, daß dies Andere sich verhält wie eine verdrängte Regung. Es kann treibende Kräfte entfalten, ohne daß das Ich den Zwang bemerkt. Erst Widerstand gegen den Zwang, Aufhalten der Abfuhrreaktion macht dieses Andere sofort als Unlust bewußt. Ebenso wie Bedürfnisspannungen, kann auch der Schmerz unbewußt bleiben, dies Mittelding zwischen äußerer und innerer Wahrnehmung, der sich wie eine innere Wahrnehmung verhält, auch wo er aus der Außenwelt stammt. Es bleibt also richtig, daß auch Empfindungen und Gefühle nur durch Anlangen an das System W bewußt werden; ist die Fortleitung gesperrt, so kommen sie nicht als Empfindungen zustande, obwohl das ihnen entsprechende Andere im Erregungsablauf dasselbe ist. Abgekürzter, nicht ganz korrekter Weise sprechen wir dann von unbewußten Empfindungen, halten die Analogie mit unbewußten Vorstellungen fest, die nicht ganz gerechtfertigt ist. Der Unterschied ist nämlich, daß für die ubw Vorstellung erst Verbindungsglieder geschaffen werden müssen, um sie zum Bw zu bringen, während dies für die Empfindungen, die sich direkt fortleiten, entfällt. Mit anderen Worten: die Unterscheidung von Bw und Vbw hat für die Empfindungen keinen Sinn, das Vbw fällt hier aus, Empfindungen sind entweder bewußt oder unbewußt. Auch wenn sie an Wortvorstellungen gebunden werden, danken sie nicht diesen ihr Bewußtwerden, sondern sie werden es direkt.18 Die Rolle der Wortvorstellungen wird nun vollends klar. Durch ihre Vermittlung werden die inneren Denkvorgänge zu Wahrnehmungen gemacht. Es ist, als sollte der Satz erwiesen werden: alles Wissen stammt aus der äußeren Wahrnehmung. Bei einer Überbesetzung des Denkens werden die Gedanken wirklich – wie von außen – wahrgenommen und darum für wahr gehalten. Nach dieser Klärung der Beziehungen zwischen äußerer und innerer Wahrnehmung und dem Oberflächensystem W-Bw können [S 367 / W 251] wir darangehen, unsere Vorstellung vom Ich auszubauen. Wir sehen es vom System W als seinem Kern ausgehen und zunächst das Vbw, das sich an die Erinnerungsreste anlehnt, umfassen. Das Ich ist aber auch, wie wir erfahren haben, unbewußt. Nun meine ich, wir werden großen Vorteil davon haben, wenn wir der Anregung eines Autors folgen, der vergebens aus persönlichen Motiven beteuert, er habe mit der gestrengen, hohen Wissenschaft nichts zu tun. Ich meine G. Groddeck, der immer wieder betont, daß das, was wir unser Ich heißen, sich im Leben wesentlich passiv verhält, daß wir nach seinem Ausdruck »gelebt« werden

18 Vgl. Kapitel III, Unbewußte Gefühle, in Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 276–277.

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von unbekannten, unbeherrschbaren Mächten.19 Wir haben alle dieselben Eindrücke empfangen, wenngleich sie uns nicht bis zum Ausschluß aller anderen überwältigt haben, und verzagen nicht daran, der Einsicht Groddecks ihre Stelle in dem Gefüge der Wissenschaft anzuweisen. Ich schlage vor, ihr Rechnung zu tragen, indem wir das vom System W ausgehende Wesen, das zunächst vbw ist, das Ich heißen, das andere Psychische aber, in welches es sich fortsetzt, und das sich wie ubw verhält, nach Groddecks Gebrauch das Es.20 Wir werden bald sehen, ob wir aus dieser Auffassung Nutzen für Beschreibung und Verständnis ziehen können. Ein Individuum ist nun für uns ein psychisches Es, unerkannt und unbewußt, diesem sitzt das Ich oberflächlich auf, aus dem W-System als Kern entwickelt. Streben wir nach graphischer Darstellung, so werden wir hinzufügen, das Ich umhüllt das Es nicht ganz, sondern nur insoweit das System W dessen Oberfläche bildet, also etwa so wie die Keimscheibe dem Ei aufsitzt. Das Ich ist vom Es nicht scharf getrennt, es fließt nach unten hin mit ihm zusammen. [S 368 / W 252] Aber auch das Verdrängte fließt mit dem Es zusammen, ist nur ein Teil von ihm. Das Verdrängte ist nur vom Ich durch die Verdrängungswiderstände scharf geschieden, durch das Es kann es mit ihm kommunizieren. Wir erkennen sofort, fast alle Sonderungen, die wir auf die Anregung der Pathologie hin beschrieben haben, beziehen sich nur auf die – uns allein bekannten – oberflächlichen Schichten des seelischen Apparates. Wir könnten von diesen Verhältnissen eine Zeichnung entwerfen21,

19 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: G. Groddeck, Das Buch vom Es. Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1923.] G. W. Groddeck (1866–1934), Arzt, Psychoanalytiker und Pionier der Psychosomatik. Er führte das Sanatorium Villa Marienhöhe in Baden-Baden. 20 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Groddeck selbst ist wohl dem Beispiel Nietzsches gefolgt, bei dem dieser grammatikalische Ausdruck für das Unpersönliche und sozusagen Naturnotwendige in unserem Wesen durchaus gebräuchlich ist.] Bereits im Jahr 1794, also etliche Zeit vor Nietzsche, notierte G. C. Lichtenberg in einem Aphorismus: »Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zuviel, sobald man es durch Ich denke übersetzt. [A. d. H.: kursiv im Original]« Lichtenberg (1971), Schriften und Briefe, S. 412. 21 Vgl. das Diagramm des gerade eingeführten Strukturmodells der Persönlichkeit am Ende von Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der Psychischen Persönlichkeit, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 15, S. 62–86, S. 85, welches durch die dritte Struktur Über-Ich ergänzt wurde. Eine »räumliche« Darstellung hatte Freud hingegen für sein topisches oder »topographisches«, aus drei Systemen bestehendes Modell gewählt: System Unbewusst, System Vorbewusst und System WahrnehmungBewusstsein, in Freud (1900a), Die Traumdeutung, S. 546 und für dessen Vorläufer in Freud (1985c [1887–1904]), Briefe an Wilhelm Fließ (1887–1904) 1986, Brief 112, 06. 12. 1896, S. 218.

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deren Konturen allerdings nur der Darstellung dienen, keine besondere Deutung beanspruchen sollen. Etwa fügen wir hinzu, daß das Ich eine »Hörkappe«22 trägt, nach dem Zeugnis der Gehirnanatomie nur auf einer Seite. Sie sitzt ihm sozusagen schief auf. Es ist leicht einzusehen, das Ich ist der durch den direkten Einfluß der Außenwelt unter Vermittlung von W-Bw veränderte Teil des Es, gewissermaßen eine Fortsetzung der Oberflächendifferenzierung. Es bemüht sich auch, den Einfluß der Außenwelt auf das Es und seine Absichten zur Geltung zu bringen, ist bestrebt, das Realitätsprinzip an die Stelle des Lustprinzips zu setzen, welches im Es uneingeschränkt regiert. Die Wahrnehmung [S 369 / W 253] spielt für das Ich die Rolle, welche Es dem Trieb zufällt. Das Ich repräsentiert, was man Vernunft und Besonnenheit nennen kann, im Gegensatz zum Es, welches die Leidenschaften enthält. Dies alles deckt sich mit allbekannten populären Unterscheidungen, ist aber auch nur als durchschnittlich oder ideell richtig zu verstehen. Die funktionelle Wichtigkeit des Ichs kommt darin zum Ausdruck, daß ihm normaler Weise die Herrschaft über die Zugänge zur Motilität eingeräumt ist. Es gleicht so im Verhältnis zum Es dem Reiter, der die überlegene Kraft des Pferdes zügeln soll, mit dem Unterschied, daß der Reiter dies mit eigenen Kräften versucht, das Ich mit geborgten. Dieses Gleichnis trägt ein Stück weiter. Wie dem 22 Vgl. die Fußnote zu den akustischen Wortresten weiter oben, nach welcher Befunde wie die Läsion des akustischen Zentrums Freud zu diesem Schluss bereits in seinem Buch (1891b), Zur Auffassung der Aphasien. Eine kritische Studie, S. 92–94 führten.

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Reiter, will er sich nicht vom Pferd trennen, oft nichts anderes übrig bleibt, als es dahin zu führen, wohin es gehen will23, so pflegt auch das Ich den Willen des Es in Handlung umzusetzen, als ob es der eigene wäre. Auf die Entstehung des Ichs und seine Absonderung vom Es scheint noch ein anderes Moment als der Einfluß des Sysems W hingewirkt zu haben. Der eigene Körper und vor allem die Oberfläche desselben ist ein Ort, von dem gleichzeitig äußere und innere Wahrnehmungen ausgehen können. Es wird wie ein anderes Objekt gesehen, ergibt aber dem Getast zweierlei Empfindungen, von denen die eine einer inneren Wahrnehmung gleichkommen kann. Es ist in der Psychophysiologie hinreichend erörtert worden, auf welche Weise sich der eigene Körper aus der Wahrnehmungswelt heraushebt. Auch der Schmerz scheint dabei eine Rolle zu spielen und die Art, wie man bei schmerzhaften Erkrankungen eine neue Kenntnis seiner Organe erwirbt, ist vielleicht vorbildlich für die Art, wie man überhaupt zur Vorstellung seines eigenen Körpers kommt. Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche.24 Wenn man eine anatomische Analogie für dasselbe sucht, kann [S 370 / W 254] man es am ehesten mit dem »Gehirnmännchen« der Anatomen identifizieren, das in der Hirnrinde auf dem Kopf steht, die Fersen nach oben streckt, nach hinten schaut und wie bekannt, links die Sprachzone trägt. Das Verhältnis des Ichs zum Bewußtsein ist wiederholt gewürdigt worden, doch sind hier einige wichtige Tatsachen neu zu beschreiben. Gewöhnt, den Gesichtspunkt einer sozialen oder ethischen Wertung überallhin mitzunehmen, sind wir nicht überrascht zu hören, daß das Treiben der niedrigen Leidenschaften im Unbewußten vor sich geht, erwarten aber, daß die seelischen 23 Diese Analogie erscheint vorerst als Freuds Assoziation in einem seiner Träume, ›Der Traum vom Reiten‹, in Freud (1900a), Die Traumdeutung, S. 235–236. Das nämliche Gleichnis mit Reiter und Pferd kann auch in Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der Psychischen Persönlichkeit, S. 83 gelesen werden: »Man könnte das Verhältnis des Ichs zum Es mit dem des Reiters zu seinem Pferd vergleichen. Das Pferd gibt die Energie für die Lokomotion her, der Reiter hat das Vorrecht, das Ziel zu bestimmen, die Bewegung des starken Tieres zu leiten. Aber zwischen Ich und Es ereignet sich allzu häufig der nicht ideale Fall, daß der Reiter das Roß dahin führen muß, wohin es selbst gehen will.« Zu diesem Gleichnis bemerkte Anna Freud: »Was in der Kindheit als eine Sünde betrachtet wird, ist im Erwachsenenalter bedeutungslos, und so weiter. Auch werden mit fortschreitendem Alter die Wünsche in sich weniger gefährlich. Sie kennen die Geschichte vom Reiter und dem Pferd – nun, Grete Bibring sagte einmal, daß nicht nur der Reiter älter wird, sondern auch das Pferd.« Sandler (1985), Die Analyse der Abwehr. Joseph Sandler mit Anna Freud, S. 196. 24 Folgende, von Freud selbst für die Standard Edition (SE) freigegebene Anmerkung in (1923b), Das Ich und das Es wurde bis heute in den deutschen Ausgaben von Freuds Werken noch nicht übersetzt und integriert: »I.e. the ego is ultimately derived from bodily sensations, chiefly from those springing from the surface of the body. It may thus be regarded as a mental projection of the surface of the body, besides, as we have seen above, representing the superficies of the mental apparatus.« (SE 19, S. 26, Anmerkung 1).

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Funktionen um so leichter sicheren Zugang zum Bewußtsein finden, je höher sie in dieser Wertung angesetzt sind. Hier enttäuscht uns aber die psychoanalytische Erfahrung. Wir haben einerseits Belege dafür, daß selbst feine und schwierige intellektuelle Arbeit, die sonst angestrengtes Nachdenken erfordert, auch vorbewußt geleistet werden kann, ohne zum Bewußtsein zu kommen. Diese Fälle sind ganz unzweifelhaft, sie ereignen sich zum Beispiel im Schlafzustand und äußern sich darin, daß eine Person unmittelbar nach dem Erwachen die Lösung eines schwierigen mathematischen oder anderen Problems weiß, um das sie sich am Tage vorher vergeblich bemüht hatte.25 Weit befremdender ist aber eine andere Erfahrung. Wir lernen in unseren Analysen, daß es Personen gibt, bei denen die Selbstkritik und das Gewissen, also überaus hochgewertete seelische Leistungen, unbewußt sind und als unbewußt die wichtigsten Wirkungen äußern; das Unbewußtbleiben des Widerstandes in der Analyse ist also keineswegs die einzige Situation dieser Art. Die neue Erfahrung aber, die uns nötigt, trotz unserer besseren kritischen Einsicht, von einem unbewußten Schuldgefühl zu reden26, verwirrt uns weit mehr und gibt uns neue Rätsel auf, besonders wenn wir allmählich erraten, daß ein solches unbewußtes Schuldgefühl bei [S 371 / W 255] einer großen Anzahl von Neurosen eine ökonomisch entscheidende Rolle spielt und der Heilung die stärksten Hindernisse in den Weg legt.27 Wollen wir zu unserer Wertskala zurückkehren, so müssen wir sagen: Nicht nur das Tiefste, auch das Höchste am Ich kann unbewußt sein. Es ist, als würde uns auf diese Weise demonstriert, was wir vorhin vom bewußten Ich ausgesagt haben, es sei vor allem ein Körper-Ich.

III

DAS ICH UND DAS ÜBER-ICH (ICHIDEAL)

[S 372 / W 256] Wäre das Ich nur der durch den Einfluß des Wahrnehmungssystems modifizierte Anteil des Es, der Vertreter der realen Außenwelt im Seelischen, so hätten wir es mit einem einfachen Sachverhalt zu tun. Allein es kommt etwas anderes hinzu. 25 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Ein solcher Fall ist mir erst kürzlich, und zwar als Einwand gegen meine Beschreibung der »Traumarbeit«, mitgeteilt worden.] 26 Diese Annahme zeichnet sich bereits in Freud (1894a), Die Abwehr-Neuropsychosen. Versuch einer psychologischen Theorie der acquirierten Hysterie, vieler Phobien und Zwangsvorstellungen und gewisser halluzinatorischer Psychosen, GW 1, S. 59–74 ab und findet sich in Freud (1907b), Zwangshandlungen und Religionsübungen, GW 7, S. 129–139, S. 136 wieder. 27 In der vorliegenden Schrift kommt Freud noch auf die »negative therapeutische Reaktion« und auf die Spezifizierung des Schuldgefühls zu Beginn des Kapitels V, Die Abhängigkeiten des Ichs, vertiefend zurück.

Das Ich und das Über-Ich (Ichideal)

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Die Motive, die uns bewogen haben, eine Stufe im Ich anzunehmen, eine Differenzierung innerhalb des Ichs, die Ich-Ideal oder Über-Ich zu nennen ist, sind an anderen Orten auseinandergesetzt worden.28 Sie bestehen zu Recht.29 Daß dieses Stück des Ichs eine weniger feste Beziehung zum Bewußtsein hat, ist die Neuheit, die nach Erklärung verlangt. Wir müssen hier etwas weiter ausgreifen. Es war uns gelungen, das schmerzhafte Leiden der Melancholie durch die Annahme aufzuklären, daß ein verlorenes Objekt im Ich wieder aufgerichtet, also eine Objektbesetzung durch eine Identifizierung abgelöst wird.30 Damals erkannten wir aber noch nicht die ganze Bedeutung dieses Vorganges und wußten nicht, wie häufig und typisch er ist. Wir haben seither verstanden, daß solche Ersetzung einen großen Anteil an der Gestaltung des Ichs hat und wesentlich [S 370 / W 257] dazu beiträgt, das herzustellen, was man seinen Charakter heißt.31 Uranfänglich in der primitiven oralen Phase des Individuums sind Objektbesetzung und Identifizierung wohl nicht von einander zu unterscheiden.32 Späterhin kann man nur annehmen, daß die Objektbesetzungen vom Es ausgehen, welches die erotischen Strebungen als Bedürfnisse empfindet. Das anfangs noch schwächliche Ich erhält von den Objektbesetzungen Kenntnis, läßt sie sich gefallen oder sucht sie durch den Prozeß der Verdrängung abzuwehren.33 28 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Zur Einführung des Narzißmus, Massenpsychologie und Ich-Analyse.] Vgl. Freud (1914c), Teil III, Zur Einführung des Narzißmus, GW 10, S. 137–170, insbesondere S. 161–164, sowie Kapitel XI, Eine Stufe im Ich, in Freud (1921c), Massenpsychologie und Ich-Analyse, GW 13, S. 71–161, S. 144–149. 29 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Nur daß ich die Funktion der Realitätsprüfung diesem Über-Ich zugewiesen habe, erscheint irrig und der Korrektur bedürftig. Es würde durchaus den Beziehungen des Ichs zur Wahrnehmungswelt entsprechen, wenn die Realitätsprüfung seine eigene Aufgabe bliebe. – Auch frühere, ziemlich unbestimmt gehaltene Äußerungen über einen Kern des Ichs sollen jetzt dahin richtiggestellt werden, daß nur das System W-Bw als Kern des Ichs anzuerkennen ist. [A. d. H.: kursiv im Original]] Vgl. Freud (1921c), Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 126 und Freud (1916–1917f [1915]), Metapsychologische Ergänzung zur Traumlehre, S. 412. In Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, S. 16 und S. 17 nannte er den unbewussten Teil des Ichs dessen Kern, während Freud danach eher das Über-Ich für den Kern des Ichs hielt, z. B. in Freud (1927d), Der Humor, GW 14, S. 311–317. 30 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Trauer und Melancholie.] Vgl. Freud (1916–1917g [1915]), Trauer und Melancholie, GW 10, S. 428–446, S. 435. 31 Eine Anmerkung in Freud (1908b), Charakter und Analerotik, GW 7, S. 203–209, S. 209 verweist auf weitere Aussagen Freuds zur Charakterbildung. 32 Vgl. Kapitel VII, Die Identifizierung, in Freud (1921c), Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 115. 33 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Eine interessante Parallele zur Ersetzung der Objektwahl durch Identifizierung enthält der Glaube der Primitiven, daß die Eigenschaften des als Nahrung einverleibten Tieres dem, der es ißt, als Charakter verbleiben werden, und die darauf gegründeten Verbote. Dieser Glaube geht bekanntlich auch in die Begründung des Kannibalismus ein und wirkt in der Reihe der Gebräuche der Totemmahlzeit bis zur heiligen

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Soll oder muß ein solches Sexualobjekt aufgegeben werden, so tritt dafür nicht selten die Ichveränderung auf, die man als Aufrichtung des Objekts im Ich wie bei der Melancholie beschreiben muß; die näheren Verhältnisse dieser Ersetzung sind uns noch nicht bekannt. Vielleicht erleichtert oder ermöglicht das Ich durch diese Introjektion, die eine Art von Regression zum Mechanismus der oralen Phase ist, das Aufgeben des Objekts. Vielleicht ist diese Identifizierung überhaupt die Bedingung, unter der das Es seine Objekte aufgibt. Jedenfalls ist der Vorgang zumal in frühen Entwicklungsphasen ein sehr häufiger und kann die Auffassung ermöglichen, daß der Charakter des Ichs ein Niederschlag der aufgegebenen Objektbesetzungen ist, die Geschichte dieser Objektwahlen enthält. Es ist natürlich von vorne herein eine Skala der Resistenzfähigkeit zuzugeben, inwieweit der Charakter einer Person diese Einflüsse aus der Geschichte der erotischen Objektwahlen abwehrt oder annimmt. Bei Frauen, die viel Liebeserfahrungen gehabt haben, glaubt man, die Rückstände ihrer Objektbesetzungen in ihren Charakterzügen leicht nach- [S 374 / W 258] weisen zu können. Auch eine Gleichzeitigkeit von Objektbesetzung und Identifizierung, also eine Charakterveränderung, ehe das Objekt aufgegeben worden ist, kommt in Betracht. In diesem Fall könnte die Charakterveränderung die Objektbeziehung überleben und sie in gewissem Sinne konservieren. Ein anderer Gesichtspunkt besagt, daß diese Umsetzung einer erotischen Objektwahl in eine Ichveränderung auch ein Weg ist, wie das Ich das Es bemeistern und seine Beziehungen zu ihm vertiefen kann, allerdings auf Kosten einer weitgehenden Gefügigkeit gegen dessen Erlebnisse. Wenn das Ich die Züge des Objektes annimmt, drängt es sich sozusagen selbst dem Es als Liebesobjekt auf, sucht ihm seinen Verlust zu ersetzen, indem es sagt: »Sieh’, du kannst auch mich lieben, ich bin dem Objekt so ähnlich.« Die Umsetzung von Objektlibido in narzißtische Libido, die hier vor sich geht, bringt offenbar ein Aufgeben der Sexualziele, eine Desexualisierung mit sich, also eine Art von Sublimierung. Ja, es entsteht die eingehender Behandlung würdige Frage, ob dies nicht der allgemeine Weg zur Sublimierung ist, ob nicht alle Sublimierung durch die Vermittlung des Ichs vor sich geht, welches zunächst die sexuelle Objektlibido in narzißtische verwandelt, um ihr dann vielleicht ein anderes Ziel zu setzen.34 Ob diese Verwandlung nicht auch andere TriebKommunion fort. Die Folgen, die hier der oralen Objektbemächtigung zugeschrieben werden, treffen für die spätere sexuelle Objektwahl wirklich zu.] Vgl. dazu auch Freud (1912– 1913a), Totem und Tabu, GW 9, S. 102 und S. 172 sowie S. 186–187. 34 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Als das große Reservoir der Libido, im Sinne der Einführung des Narzißmus, müssen wir jetzt nach der Scheidung von Ich und Es das Es anerkennen. Die Libido, welche dem Ich durch die beschriebenen Identifizierungen zufließt, stellt dessen »sekundären Narzißmus« her. [A. d. H.: kursiv im Original]] Vgl. dazu Freud (1914c), Zur Einführung des Narzißmus, S. 140. Freud wird diesen Punkt im vorliegenden Text weiter unten in Kapitel IV, Die beiden Triebarten, noch näher ausführen.

Das Ich und das Über-Ich (Ichideal)

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schicksale zur Folge haben kann, zum Beispiel eine Entmischung der verschiedenen mit einander verschmolzenen Triebe herbeizuführen, wird uns noch später beschäftigen.35 Es ist eine Abschweifung von unserem Ziel und doch nicht zu vermeiden, daß wir unsere Aufmerksamkeit für einen Moment bei den Objektidentifizierungen des Ichs verweilen lassen. Nehmen diese überhand, werden allzu zahlreich, und überstark und mit- [S 375 / W 259] einander unverträglich, so liegt ein pathologisches Ergebnis nahe. Es kann zu einer Aufsplitterung des Ichs kommen, indem sich die einzelnen Identifizierungen durch Widerstände gegeneinander abschließen, und vielleicht ist es das Geheimnis der Fälle von sogenannter multipler Persönlichkeit, daß die einzelnen Identifizierungen alternierend das Bewußtsein an sich reißen. Auch wenn es nicht so weit kommt, ergibt sich das Thema der Konflikte zwischen den verschiedenen Identifizierungen, in die das Ich auseinanderfährt, Konflikte, die endlich nicht durchwegs als pathologische bezeichnet werden können. Wie immer sich aber die spätere Resistenz des Charakters gegen die Einflüsse aufgegebener Objektbesetzungen gestalten mag, die Wirkungen der ersten, im frühesten Alter erfolgten Identifizierungen werden allgemeine und nachhaltige sein. Dies führt uns zur Entstehung des Ichideals zurück, denn hinter ihm verbirgt sich die erste und bedeutsamste Identifizierung des Individuums, die mit dem Vater der persönlichen Vorzeit.36 Diese scheint zunächst nicht Erfolg oder Ausgang einer Objektbesetzung zu sein, sie ist eine direkte und unmittelbare und frühzeitiger als jede Objektbesetzung.37 Aber die Objektwahlen, die der ersten Sexualperiode angehören und Vater und Mutter betreffen, scheinen beim

35 Freud nimmt die Thematik dieser Stelle in Kapitel IV, Die beiden Triebarten, und Kapitel V, Die Abhängigkeiten des Ichs, weiter unten wieder auf. Die Begriffe »Mischung« und »Entmischung der Triebe« werden insbesondere am Beginn von Kapitel IV noch näher erläutert. Jene Begriffe wurden bereits in den beiden Artikeln in M. Marcuse (1923), Handwörterbuch der Sexualwissenschaft, S. 296–298 und S. 377–383 eingeführt (Freud (1923a [1922]), Libidotheorie, Psychoanalyse, GW 13, S. 211–233). 36 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Vielleicht wäre es vorsichtiger zu sagen, mit den Eltern, denn Vater und Mutter werden vor der sicheren Kenntnis des Geschlechtsunterschiedes, des Penismangels, nicht verschieden gewertet. In der Geschichte einer jungen Frau hatte ich kürzlich Gelegenheit, zu erfahren, daß sie, seitdem sie ihren eigenen Penismangel bemerkt, den Besitz dieses Organs nicht allen Frauen, sondern bloß den für minderwertig gehaltenen aberkannt hatte. Die Mutter hatte ihn in ihrer Meinung behalten. Der einfacheren Darstellung wegen werde ich nur die Identifizierung mit dem Vater behandeln.] Vgl. Freud (1923e), Die infantile Genitalorganisation (Eine Einschaltung in die Sexualtheorie), GW 13, S. 293–298, S. 297. 37 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Vgl. Massenpsychologie und Ich-Analyse, VII.] Vgl. zu Beginn des Kapitels VII, Die Identifizierung, in Freud (1921c), Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 115.

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normalen Ablauf den Ausgang in solche Identifizierung zu nehmen und somit die primäre Identifizierung zu verstärken. Immerhin sind diese Beziehungen so kompliziert, daß es notwendig wird, sie eingehender zu beschreiben. Es sind zwei Momente, welche diese Komplikation verschulden, die dreieckige [S 376 / W 260] Anlage des Ödipusverhältnisses und die konstitutionelle Bisexualität des Individuums. Der vereinfachte Fall gestaltet sich für das männliche Kind in folgender Weise: Ganz frühzeitig entwickelt es für die Mutter eine Objektbesetzung, die von der Mutterbrust ihren Ausgang nimmt und das vorbildliche Beispiel einer Objektwahl nach dem Anlehnungstypus zeigt38 ; des Vaters bemächtigt sich der Knabe durch Identifizierung. Die beiden Beziehungen gehen eine Weile nebeneinander her, bis durch die Verstärkung der sexuellen Wünsche nach der Mutter und die Wahrnehmung, daß der Vater diesen Wünschen ein Hindernis ist, der Ödipuskomplex entsteht.39 Die Vateridentifizierung nimmt nun eine feindselige Tönung an, sie wendet sich zum Wunsch, den Vater zu beseitigen, um ihn bei der Mutter zu ersetzen. Von da an ist das Verhältnis zum Vater ambivalent; es scheint, als ob die in der Identifizierung von Anfang an enthaltene Ambivalenz manifest geworden wäre. Die ambivalente Einstellung zum Vater und die nur zärtliche Objektstrebung nach der Mutter beschreiben für den Knaben den Inhalt des einfachen, positiven Ödipuskomplexes. Bei der Zertrümmerung des Ödipuskomplexes muß die Objektbesetzung der Mutter aufgegeben werden. An ihre Stelle kann zweierlei treten, entweder eine Identifizierung mit der Mutter oder eine Verstärkung der Vateridentifizierung. Den letzteren Ausgang pflegen wir als den normaleren anzusehen, er gestattet es, die zärtliche Beziehung zur Mutter in gewissem Maße festzuhalten. Durch den Untergang des Ödipuskomplexes40 hätte so die Männlichkeit im Charakter des Knaben eine Festigung erfahren. In ganz analoger Weise41 kann die Ödipuseinstellung des kleinen Mädchens in eine Verstärkung ihrer Mutteridentifizierung (oder in die Herstellung einer solchen) auslaufen, die den weiblichen Charakter des Kindes festlegt. [S 377 / W 261] Diese Identifizierungen entsprechen nicht unserer Erwartung, denn sie führen nicht das aufgegebene Objekt ins Ich ein, aber auch dieser Ausgang kommt vor und ist bei Mädchen leichter zu beobachten als bei Knaben. 38 Vgl. Freud (1914c), Zur Einführung des Narzißmus, S. 154 und nachfolgende Seiten. 39 Vgl. Kapitel VII, Die Identifizierung, aus Freud (1921c), Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 115–118. 40 Vgl. die Arbeit von Freud (1924d), Der Untergang des Ödipuskomplexes, GW 13, S. 395–402, in der diese Frage ausführlich diskutiert wird. 41 Freud ließ später seine Annahme einer sich »in ganz analoger Weise« entfaltenden Entwicklung des Ödipuskomplexes bei Mädchen und Jungen fallen. Vgl. Freud (1925j), Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds, GW 14, S. 19–30, S. 19.

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Man erfährt sehr häufig aus der Analyse, daß das kleine Mädchen, nachdem es auf den Vater als Liebesobjekt verzichten mußte, nun seine Männlichkeit hervorholt und sich anstatt mit der Mutter, mit dem Vater, also mit dem verlorenen Objekt, identifiziert. Es kommt dabei offenbar darauf an, ob ihre männlichen Anlagen stark genug sind – worin immer diese bestehen mögen. Der Ausgang der Ödipussituation in Vater- oder in Mutteridentifizierung scheint also bei beiden Geschlechtern von der relativen Stärke der beiden Geschlechtsanlagen abzuhängen. Dies ist die eine Art, wie sich die Bisexualität in die Schicksale des Ödipuskomplexes einmengt. Die andere ist noch bedeutsamer. Man gewinnt nämlich den Eindruck, daß der einfache Ödipuskomplex überhaupt nicht das häufigste ist, sondern einer Vereinfachung oder Schematisierung entspricht, die allerdings oft genug praktisch gerechtfertigt bleibt. Eingehendere Untersuchung deckt zumeist den vollständigeren Ödipuskomplex auf, der ein zweifacher ist, ein positiver und ein negativer, abhängig von der ursprünglichen Bisexualität des Kindes, d. h. der Knabe hat nicht nur eine ambivalente Einstellung zum Vater und eine zärtliche Objektwahl für die Mutter, sondern er benimmt sich auch gleichzeitig wie ein Mädchen, er zeigt die zärtliche feminine Einstellung zum Vater und die ihr entsprechende eifersüchtigfeindselige gegen die Mutter. Dieses Eingreifen der Bisexualität macht es so schwer, die Verhältnisse der primitiven Objektwahlen und Identifizierungen zu durchschauen und noch schwieriger, sie faßlich zu beschreiben. Es könnte auch sein, daß die im Elternverhältnis konstatierte Ambivalenz durchaus auf die Bisexualität zu beziehen wäre und nicht, wie ich es vorhin dargestellt, durch die Rivalitätseinstellung aus der Identifizierung entwickelt würde.42 [S 378 / W 262] Ich meine, man tut gut daran, im allgemeinen und ganz besonders bei Neurotikern die Existenz des vollständigen Ödipuskomplexes anzunehmen. Die analytische Erfahrung zeigt dann, daß bei einer Anzahl von Fällen der eine oder der andere Bestandteil desselben bis auf kaum merkliche Spuren schwindet, so daß sich eine Reihe ergibt, an deren einem Ende der normale, positive, an deren anderem Ende der umgekehrte, negative Ödipuskomplex steht, während die Mittelglieder die vollständige Form mit ungleicher Beteiligung der beiden Komponenten aufzeigen. Beim Untergang des Ödipus42 Die Bedeutung der Bisexualität wurde von Freud schon wesentlich früher herausgestellt. In Freud (1905d), Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, S. 121 schreibt er : »ich […] meine, ohne der Bisexualität Rechnung zu tragen, wird man kaum zum Verständnis der tatsächlich zu beobachtenden Sexualäußerungen von Mann und Weib gelangen können.« Bereits im August 1899 findet sich in einem Brief an W. Fließ eine Stelle, die die gegenständliche Passage schon vorwegnimmt: »[…] die Bisexualität! Mit der hast Du sicherlich recht. Ich gewöhne mich auch, jeden sexuellen Akt als einen Vorgang zwischen vier Individuen aufzufassen.«, Freud (1985c [1887–1904]), Brief 208, 01. 08. 1899, Briefe an Wilhelm Fließ (1887–1904), S. 400.

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komplexes werden die vier in ihm enthaltenen Strebungen sich derart zusammenlegen, daß aus ihnen eine Vater- und eine Mutteridentifizierung hervorgeht, die Vateridentifizierung wird das Mutterobjekt des positiven Komplexes festhalten und gleichzeitig das Vaterobjekt des umgekehrten Komplexes ersetzen; Analoges wird für die Mutteridentifizierung gelten. In der verschieden starken Ausprägung der beiden Identifizierungen wird sich die Ungleichheit der beiden geschlechtlichen Anlagen spiegeln. So kann man als allgemeinstes Ergebnis der vom Ödipuskomplex beherrschten Sexualphase einen Niederschlag im Ich annehmen, welcher in der Herstellung dieser beiden, irgendwie miteinander vereinbarten Identifizierungen besteht. Diese Ichveränderung behält ihre Sonderstellung, sie tritt dem anderen Inhalt des Ichs als Ichideal oder Über-Ich entgegen. Das Über-Ich ist aber nicht einfach ein Residuum der ersten Objektwahlen des Es, sondern es hat auch die Bedeutung einer energischen Reaktionsbildung gegen dieselben. Seine Beziehung zum Ich erschöpft sich nicht in der Mahnung: So (wie der Vater) sollst du sein, sie umfaßt auch das Verbot: So (wie der Vater) darfst du nicht sein, das heißt nicht alles tun, was er tut; manches bleibt ihm vorbehalten. Dies Doppelangesicht des [S 379 / W 263] Ichideals leitet sich aus der Tatsache ab, daß das Ichideal zur Verdrängung des Ödipuskomplexes bemüht wurde, ja, diesem Umschwung erst seine Entstehung dankt. Die Verdrängung des Ödipuskomplexes ist offenbar keine leichte Aufgabe gewesen. Da die Eltern, besonders der Vater, als das Hindernis gegen die Verwirklichung der Ödipuswünsche erkannt werden, stärkte sich das infantile Ich für diese Verdrängungsleistung, indem es dies selbe Hindernis in sich aufrichtete. Es lieh sich gewissermaßen die Kraft dazu vom Vater aus und diese Anleihe ist ein außerordentlich folgenschwerer Akt. Das Über-Ich wird den Charakter des Vaters bewahren und je stärker der Ödipuskomplex war, je beschleunigter (unter dem Einfluß von Autorität, Religionslehre, Unterricht, Lektüre) seine Verdrängung erfolgte, desto strenger wird später das Über-Ich als Gewissen, vielleicht als unbewußtes Schuldgefühl über das Ich herrschen. – Woher es die Kraft zu dieser Herrschaft bezieht, den zwangsartigen Charakter, der sich als kategorischer Imperativ äußert, darüber werde ich später eine Vermutung vorbringen. Fassen wir die beschriebene Entstehung des Über-Ichs nochmals ins Auge, so erkennen wir es als das Ergebnis zweier höchst bedeutsamer biologischer Faktoren, der langen kindlichen Hilflosigkeit und Abhängigkeit des Menschen und der Tatsache seines Ödipuskomplexes, den wir ja auf die Unterbrechung der Libidoentwicklung durch die Latenzzeit, somit auf den zweizeitigen Ansatz seines Sexuallebens zurückgeführt haben.43 Letztere, wie es scheint, spezifisch 43 Eine von der Psychoanalytikerin J. Riviere adaptierte Version dieser Stelle wurde 1927 auf Freuds Anregung in der englischen Übersetzung eingefügt, welche jedoch bis heute in den

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menschliche Eigentümlichkeit hat eine psychoanalytische Hypothese44 als Erbteil der durch die Eiszeit erzwungenen Entwicklung zur Kultur hingestellt. Somit ist die Sonderung des Über-Ichs vom Ich nichts Zufälliges, sie vertritt die bedeutsamsten Züge der individuellen und der Artentwicklung, ja, indem sie dein Elterneinfluß einen dauernden Ausdruck schafft, verewigt sie die Existenz der Momente, denen sie ihren Ursprung verdankt. [S 380 / W 264] Es ist der Psychoanalyse unzählige Male zum Vorwurf gemacht worden, daß sie sich um das Höhere, Moralische, Überpersönliche im Menschen nicht kümmere. Der Vorwurf war doppelt ungerecht, historisch wie methodisch. Ersteres, da von Anbeginn an den moralischen und ästhetischen Tendenzen im Ich der Antrieb zur Verdrängung zugeteilt wurde, letzteres, da man nicht einsehen wollte, daß die psychoanalytische Forschung nicht wie ein philosophisches System mit einem vollständigen und fertigen Lehrgebäude auftreten konnte, sondern sich den Weg zum Verständnis der seelischen Komplikationen schrittweise durch die analytische Zergliederung normaler wie abnormer Phänomene bahnen mußte. Wir brauchten die zitternde Besorgnis um den Verbleib des Höheren im Menschen nicht zu teilen, solange wir uns mit dem Studium des Verdrängten im Seelenleben zu beschäftigen hatten. Nun, da wir uns an die Analyse des Ichs heran wagen, können wir all denen, welche, in ihrem sittlichen Bewußtsein erschüttert, geklagt haben, es muß doch ein höheres Wesen im Menschen geben, antworten: Gewiß, und dies ist das höhere Wesen, das Ichideal oder Über-Ich, die Repräsentanz unserer Elternbeziehung. Als kleine Kinder haben wir diese höheren Wesen gekannt, bewundert, gefürchtet, später sie in uns selbst aufgenommen. Das Ichideal ist also der Erbe des Ödipuskomplexes und somit Ausdruck der mächtigsten Regungen und wichtigsten Libidoschicksale des Es. Durch seine Aufrichtung hat sich das Ich des Ödipuskomplexes bemächtigt und gleichzeitig sich selbst dem Es unterworfen. Während das Ich wesentlich Repräsentant der Außenwelt, der Realität ist, tritt ihm das Über-Ich als Anwalt der Innenwelt, des Es, gegenüber. Konflikte zwischen Ich und Ideal werden, darauf sind wir nun vorbereitet, in letzter Linie den Gegensatz von Real und Psychisch, Außenwelt und Innenwelt, widerspiegeln. späteren deutschen Ausgaben nicht berücksichtigt wurde: »If we consider once more the origin of the super-ego as we have described it, we shall recognize that it is the outcome of two highly important biological factors: namely, the lengthy duration in man of his childhood helplessness and dependence, and the fact of his Oedipus complex, which we have traced back to the interruption of libidinal development by the latency period and so to the diphasic origin of man’s sexual life.« 44 S#ndor Ferenczi stellte seine Annahme in Ferenczi (1913a), Ein kleiner Hahnemann, Bausteine zur Psychoanalyse. Praxis, Bd. 2, S. 185–195 vor, welche in Freud (1926d), Hemmung, Symptom und Angst, GW 14, S. 111–205, S. 187 wieder aufgenommen wird.

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Was die Biologie und die Schicksale der Menschenart im Es geschaffen und hinterlassen haben, das wird durch die Ideal- [S 381 / W 265] bildung vom Ich übernommen und an ihm individuell wieder erlebt. Das Ichideal hat infolge seiner Bildungsgeschichte die ausgiebigste Verknüpfung mit dem phylogenetischen Erwerb, der archaischen Erbschaft, des Einzelnen. Was im einzelnen Seelenleben dem Tiefsten angehört hat, wird durch die Idealbildung zum Höchsten der Menschenseele im Sinne unserer Wertungen. Es wäre aber ein vergebliches Bemühen, das Ichideal auch nur in ähnlicher Weise wie das Ich zu lokalisieren oder es in eines der Gleichnisse einzupassen, durch welche wir die Beziehung von Ich45 und Es nachzubilden versuchten. Es ist leicht zu zeigen, daß das Ichideal allen Ansprüchen genügt, die an das höhere Wesen im Menschen gestellt werden. Als Ersatzbildung für die Vatersehnsucht enthält es den Keim, aus dem sich alle Religionen gebildet haben. Das Urteil der eigenen Unzulänglichkeit im Vergleich des Ichs mit seinem Ideal ergibt das demütige religiöse Empfinden, auf das sich der sehnsüchtig Gläubige beruft. Im weiteren Verlauf der Entwicklung haben Lehrer und Autoritäten die Vaterrolle fortgeführt; deren Gebote und Verbote sind im Ideal-Ich mächtig geblieben und üben jetzt als Gewissen die moralische Zensur aus. Die Spannung zwischen den Ansprüchen des Gewissens und den Leistungen des Ichs wird als Schuldgefühl empfunden. Die sozialen Gefühle ruhen auf Identifizierungen mit anderen auf Grund des gleichen Ichideals. Religion, Moral und soziales Empfinden – diese Hauptinhalte des Höheren im Menschen46– sind ursprünglich eins gewesen. Nach der Hypothese von »Totem und Tabu«47 wurden sie phylogenetisch am Vaterkomplex erworben, Religion und sittliche Beschränkung durch die Bewältigung des eigentlichen Ödipuskomplexes, die sozialen Gefühle durch die Nötigung zur Überwindung der erübrigenden Rivalität unter den Mitgliedern der [S 382 / W 265] jungen Generation. In all diesen sittlichen Erwerbungen scheint das Geschlecht der Männer vorangegangen zu sein, gekreuzte Vererbung hat den Besitz auch den Frauen zugeführt. Die sozialen Gefühle entstehen noch heute beim Einzelnen als Überbau über die eifersüchtigen Rivalitätsregungen gegen die Geschwister. Da die Feindseligkeit nicht zu befriedigen ist, stellt sich eine Identifizierung mit dem anfänglichen Rivalen her. Beobachtungen an milden Homosexuellen stüt-

45 Das Über-Ich ist dementsprechend nicht im weiter oben dargestellten Diagramm in der vorliegenden Schrift gegen Ende des Kapitels II, Das Ich und das Es, zu finden. Wohl aber findet es sich in dem späteren Diagramm in Freud (1933a [1932]), XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der Psychischen Persönlichkeit, S. 85. 46 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Wissenschaft und Kunst sind hier bei Seite gelassen.] 47 Freud (1912–1913a), Totem und Tabu, S. 176.

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zen die Vermutung, daß auch diese Identifizierung Ersatz einer zärtlichen Objektwahl ist, welche die aggressiv-feindselige Einstellung abgelöst hat.48 Mit der Erwähnung der Phylogenese tauchen aber neue Probleme auf, vor deren Beantwortung man zaghaft zurückweichen möchte. Aber es hilft wohl nichts, man muß den Versuch wagen, auch wenn man fürchtet, daß er die Unzulänglichkeit unserer ganzen Bemühung bloßstellen wird. Die Frage lautet: Wer hat seinerzeit Religion und Sittlichkeit am Vaterkomplex erworben, das Ich des Primitiven oder sein Es? Wenn es das Ich war, warum sprechen wir nicht einfach von einer Vererbung im Ich? Wenn das Es, wie stimmt das zum Charakter des Es? Oder darf man die Differenzierung in Ich, Über-Ich und Es nicht in so frühe Zeiten tragen? Oder soll man nicht ehrlich eingestehen, daß die ganze Auffassung der Ichvorgänge nichts fürs Verständnis der Phylogenese leistet und auf sie nicht anwendbar ist? Beantworten wir zuerst, was sich am leichtesten beantworten läßt. Die Differenzierung von Ich und Es müssen wir nicht nur den primitiven Menschen, sondern noch viel einfacheren Lebewesen zuerkennen, da sie der notwendige Ausdruck des Einflusses der Außenwelt ist. Das Über-Ich ließen wir gerade aus jenen Erlebnissen, die zum Totemismus führten, entstehen. Die Frage, [S 383 / W 267] ob das Ich oder das Es jene Erfahrungen und Erwerbungen gemacht haben, fällt bald in sich zusammen. Die nächste Erwägung sagt uns, daß das Es kein äußeres Schicksal erleben oder erfahren kann außer durch das Ich, welches die Außenwelt bei ihm vertritt. Von einer direkten Vererbung im Ich kann man aber doch nicht reden. Hier tut sich die Kluft auf zwischen dem realen Individuum und dem Begriff der Art. Auch darf man den Unterschied von Ich und Es nicht zu starr nehmen, nicht vergessen, daß das Ich ein besonders differenzierter Anteil des Es ist. Die Erlebnisse des Ichs scheinen zunächst für die Erbschaft verloren zu gehen, wenn sie sich aber häufig und stark genug bei vielen generationsweise aufeinanderfolgenden Individuen wiederholen, setzen sie sich sozusagen in Erlebnisse des Es um, deren Eindrücke durch Vererbung festgehalten werden. Somit beherbergt das erbliche Es in sich die Reste ungezählt vieler IchExistenzen, und wenn das Ich sein Über-Ich aus dem Es schöpft, bringt es vielleicht nur ältere Ichgestaltungen wieder zum Vorschein, schafft ihnen eine Auferstehung. Die Entstehungsgeschichte des Über-Ichs macht es verständlich, daß frühe Konflikte des Ichs mit den Objektbesetzungen des Es sich in Konflikte mit deren Erben, dem Über-Ich, fortsetzen können. Wenn dem Ich die Bewältigung des 48 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Vgl. Massenpsychologie und Ich-Analyse [Ges. Schriften, Bd. VI]. – Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität [Ges. Schriften, Bd. V].] Vgl. Freud (1921c), Massenpsychologie und IchAnalyse, S. 133 sowie Freud (1922b [1921]), Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität, GW 13, S. 195–207, S. 205.

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Das Ich und das Es

Ödipuskomplexes schlecht gelungen ist, wird dessen dem Es entstammende Energiebesetzung in der Reaktionsbildung des Ichideals wieder zur Wirkung kommen. Die ausgiebige Kommunikation dieses Ideals mit diesen ubw Triebregungen wird das Rätsel lösen, daß das Ideal selbst zum großen Teil unbewußt, dem Ich unzugänglich bleiben kann. Der Kampf, der in tieferen Schichten getobt hatte, durch rasche Sublimierung und Identifizierung nicht zum Abschluß gekommen war, setzt sich nun wie auf dem Kaulbachschen Gemälde der Hunnenschlacht in einer höheren Region fort.49

IV

DIE BEIDEN TRIEBARTEN

[S 384 / W 268] Wir sagten bereits, wenn unsere Gliederung des seelischen Wesens in ein Es, ein Ich und ein Über-Ich einen Fortschritt in unserer Einsicht bedeutet, so muß sie sich auch als Mittel zum tieferen Verständnis und zur besseren Beschreibung der dynamischen Beziehungen im Seelenleben erweisen. Wir haben uns auch bereits klar gemacht, daß das Ich unter dem besonderen Einfluß der Wahrnehmung steht und daß man im Rohen sagen kann, die Wahrnehmungen haben für das Ich dieselbe Bedeutung wie die Triebe für das Es. Dabei unterliegt aber auch das Ich der Einwirkung der Triebe wie das Es, von dem es ja nur ein besonders modifizierter Anteil ist. Über die Triebe habe ich kürzlich (Jenseits des Lustprinzips)50 eine Anschauung entwickelt, die ich hier festhalten und den weiteren Erörterungen zugrunde legen werde. Daß man zwei Triebarten zu unterscheiden hat, von denen die eine, Sexualtriebe oder Eros, die bei weitem auffälligere und der Kenntnis zugänglichere ist. Sie umfaßt nicht nur den eigentlichen ungehemmten Sexualtrieb und die von ihm abgeleiteten zielgehemmten und sublimierten Triebregungen, sondern auch den Selbsterhaltungstrieb, den wir dem Ich zuschreiben müssen und den wir zu Anfang der analytischen Arbeit mit guten Gründen den sexuellen Objekttrieben gegenübergestellt hatten. Die zweite Triebart aufzuzeigen, bereitete uns Schwierigkeiten; endlich kamen wir darauf, den Sadismus als Repräsentanten derselben anzusehen. Auf Grund theoretischer, durch die [S 385 / W 269] Biologie gestützter Überlegungen supponierten 49 W. von Kaulbach (1805–1874) malte das Wandbild zur Hunnenschlacht auf den Katalaunischen Feldern zwischen Ch.lons-en-Champagne und Troyes (451 n. Ch.) für das Neue Museum in Berlin. Nach der Erzählung des neuplatonischen Philosophen Damaskios setzen die gefallenen Soldaten von Attila und Valeriano III. ihre Kampfhandlungen im Himmel fort. Noch zu Freuds Zeit galt die Schlacht als entscheidendes Ereignis in der Weltgeschichte und Kaulbachs populäre Komposition stand für den unerbittlichen Kampf zwischen den heidnischen Kriegern und dem Abendland. 50 Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips.

Die beiden Triebarten

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wir einen Todestrieb, dem die Aufgabe gestellt ist, das organische Lebende in den leblosen Zustand zurückzuführen, während der Eros das Ziel verfolgt, das Leben durch immer weitergreifende Zusammenfassung der in Partikel zersprengten lebenden Substanz zu komplizieren, natürlich es dabei zu erhalten. Beide Triebe benehmen sich dabei im strengsten Sinne konservativ, indem sie die Wiederherstellung eines durch die Entstehung des Lebens gestörten Zustandes anstreben. Die Entstehung des Lebens wäre also die Ursache des Weiterlebens und gleichzeitig auch des Strebens nach dem Tode, das Leben selbst ein Kampf und Kompromiß zwischen diesen beiden Strebungen. Die Frage nach der Herkunft des Lebens bliebe eine kosmologische, die nach Zweck und Absicht des Lebens wäre dualistisch beantwortet. Jeder dieser beiden Triebarten wäre ein besonderer physiologischer Prozeß (Aufbau und Zerfall) zugeordnet, in jedem Stück lebender Substanz wären beiderlei Triebe tätig, aber doch in ungleicher Mischung, so daß eine Substanz die Hauptvertretung des Eros übernehmen könnte. In welcher Weise sich Triebe der beiden Arten miteinander verbinden, vermischen, legieren, wäre noch ganz unvorstellbar ; daß dies aber regelmäßig und in großem Ausmaß geschieht, ist eine in unserem Zusammenhang unabweisbare Annahme. Infolge der Verbindung der einzelligen Elementarorganismen zu mehrzelligen Lebewesen wäre es gelungen, den Todestrieb der Einzelzelle51 zu neutralisieren und die destruktiven Regungen durch Vermittlung eines besonderen Organs auf die Außenwelt abzuleiten. Dies Organ wäre die Muskulatur und der Todestrieb würde sich nun – wahrscheinlich doch nur teilweise – als Destruktionstrieb gegen die Außenwelt und andere Lebewesen äußern. Haben wir einmal die Vorstellung von einer Mischung der beiden Triebarten angenommen, so drängt sich uns auch die Möglichkeit einer – mehr oder minder vollständigen – Ent- [S 386 / W 270] mischung derselben auf. In der sadistischen Komponente des Sexualtriebes hätten wir ein klassisches Beispiel einer zweckdienlichen Triebmischung vor uns, im selbständig gewordenen Sadismus52 als Perversion das Vorbild einer, allerdings nicht bis zum äußersten getriebenen Entmischung. Es eröffnet sich uns dann ein Einblick in ein großes Gebiet von Tatsachen, welches noch nicht in diesem Licht betrachtet worden ist. Wir erkennen, daß der Destruktionstrieb regelmäßig zu Zwecken der Abfuhr in den Dienst des Eros gestellt ist, ahnen, daß der epileptische Anfall Produkt und Anzeichen einer Triebentmischung53 ist, und lernen verstehen, daß unter den Erfolgen mancher schweren Neurosen, zum Beispiel der Zwangsneurosen, die 51 Zum Masochismus vgl. auch Freud (1924c), Das ökonomische Problem des Masochismus, GW 13, S. 371–383, S. 376. 52 Zum Sadismus vgl. ebenfalls Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, S. 16 und S. 58. 53 Zu dieser Annahme vgl. auch Freud (1928b), Dostojewski und die Vatertötung, GW, 14, S. 399–418.

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Das Ich und das Es

Triebentmischung und das Hervortreten des Todestriebes eine besondere Würdigung verdient. In rascher Verallgemeinerung möchten wir vermuten, daß das Wesen einer Libidoregression, zum Beispiel von der genitalen zur sadistischanalen Phase, auf einer Triebentmischung beruht, wie umgekehrt der Fortschritt von der früheren zur definitiven Genitalphase einen Zuschuß von erotischen Komponenten zur Bedingung hat.54 Es erhebt sich auch die Frage, ob nicht die reguläre Ambivalenz, die wir in der konstitutionellen Anlage zur Neurose so oft verstärkt finden, als Ergebnis einer Entmischung aufgefaßt werden darf; allein diese ist so ursprünglich, daß sie vielmehr als nicht vollzogene Triebmischung gelten muß. Unser Interesse wird sich natürlich den Fragen zuwenden, ob sich nicht aufschlußreiche Beziehungen zwischen den angenommenen Bildungen des Ichs, Über-Ichs und des Es einerseits, den beiden Triebarten anderseits auffinden lassen, ferner, ob wir dem die seelischen Vorgänge beherrschenden Lustprinzip eine feste Stellung zu den beiden Triebarten und den seelischen Differenzierungen zuweisen können. Ehe wir aber in diese Diskussion eintreten, haben wir einen Zweifel zu erledigen, der sich gegen die Problemstellung selbst richtet. Am Lustprinzip ist zwar kein [S 387 / W 271] Zweifel, die Gliederung des Ichs ruht auf klinischer Rechtfertigung, aber die Unterscheidung der beiden Triebarten scheint nicht genug gesichert und möglicherweise heben Tatsachen der klinischen Analyse ihren Anspruch auf. Eine solche Tatsache scheint es zu geben. Für den Gegensatz der beiden Triebarten dürfen wir die Polarität von Liebe und Haß einsetzen.55 Um eine Repräsentanz des Eros sind wir ja nicht verlegen, dagegen sehr zufrieden, daß wir für den schwer zu fassenden Todestrieb im Destruktionstrieb, dem der Haß den Weg zeigt, einen Vertreter aufzeigen können. Nun lehrt uns die klinische Beobachtung, daß der Haß nicht nur der unerwartet regelmäßige Begleiter der Liebe ist (Ambivalenz), nicht nur häufig ihr Vorläufer in menschlichen Beziehungen, sondern auch, daß Haß sich unter mancherlei Verhältnissen in Liebe und Liebe in Haß verwandelt. Wenn diese Verwandlung mehr ist als bloß zeitliche Sukzession, also Ablösung, dann ist offenbar einer so grundlegenden Unterscheidung wie zwischen erotischen und Todestrieben, die entgegengesetzt laufende physiologische Vorgänge voraussetzt, der Boden entzogen. Nun der Fall, daß man dieselbe Person zuerst liebt und dann haßt, oder umgekehrt, wenn sie einem die Anlässe dazu gegeben hat, gehört offenbar nicht zu unserem Problem. Auch nicht der andere, daß eine noch nicht manifeste 54 Vgl. Freud (1926d), Hemmung, Symptom und Angst, vgl. S. 143–144. 55 Eine Diskussion zum Verhältnis von Liebe und Hass befindet sich bereits in Freud (1915c), Triebe und Triebschicksale, GW 10, S. 210–232, S. 228–232 und wird in Kapitel V und Kapitel VI in Freud (1930a), Das Unbehagen in der Kultur fortgesetzt.

Die beiden Triebarten

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Verliebtheit sich zuerst durch Feindseligkeit und Aggressionsneigung äußert, denn die destruktive Komponente könnte da bei der Objektbesetzung vorangeeilt sein, bis die erotische sich zu ihr gesellt. Aber wir kennen mehrere Fälle aus der Psychologie der Neurosen, in denen die Annahme einer Verwandlung näher liegt. Bei der Paranoia persecutoria erwehrt sich der Kranke einer überstarken homosexuellen Bindung an eine bestimmte Person auf eine gewisse Weise, und das Ergebnis ist, daß diese geliebteste Person zum Verfolger wird, gegen den sich die oft gefährliche Aggression des Kranken richtet. Wir haben das Recht, einzuschalten, daß [S 380 / W 272] eine Phase vorher die Liebe in Haß umgewandelt hatte. Bei der Entstehung der Homosexualität, aber auch der desexualisierten sozialen Gefühle, lehrte uns die analytische Untersuchung erst neuerdings die Existenz von heftigen, zu Aggressionsneigung führenden Gefühlen der Rivalität kennen, nach deren Überwindung erst das früher gehaßte Objekt zum geliebten oder zum Gegenstand einer Identifizierung wird.56 Die Frage erhebt sich, ob für diese Fälle eine direkte Umsetzung von Haß in Liebe anzunehmen ist. Hier handelt es sich ja um rein innerliche Änderungen, an denen ein geändertes Benehmen des Objekts keinen Anteil hat. Die analytische Untersuchung des Vorganges bei der paranoischen Umwandlung macht uns aber mit der Möglichkeit eines anderen Mechanismus vertraut. Es ist von Anfang an eine ambivalente Einstellung vorhanden und die Verwandlung geschieht durch eine reaktive Besetzungsverschiebung, indem der erotischen Regung Energie entzogen und der feindseligen Energie zugeführt wird. Nicht das nämliche, aber ähnliches geschieht bei der Überwindung der feindseligen Rivalität, die zur Homosexualität führt. Die feindselige Einstellung hat keine Aussicht auf Befriedigung, daher – aus ökonomischen Motiven also – wird sie von der Liebeseinstellung abgelöst, welche mehr Aussicht auf Befriedigung, das ist Abfuhrmöglichkeit, bietet. Somit brauchen wir für keinen dieser Fälle eine direkte Verwandlung von Haß in Liebe, die mit der qualitativen Verschiedenheit der beiden Triebarten unverträglich wäre, anzunehmen. Wir bemerken aber, daß wir bei der Inanspruchnahme dieses anderen Mechanismus der Umwandlung von Liebe in Haß stillschweigend eine andere Annahme gemacht haben, die laut zu werden verdient. Wir haben so geschaltet, als gäbe es im Seelenleben – unentschieden, ob im Ich oder im Es – eine verschiebbare Energie, die, an sich indifferent57, zu einer qualitativ [S 389 / W 273] differenzierten erotischen oder destruktiven Regung hinzutreten und deren Gesamtbesetzung erhöhen kann. Ohne die Annahme einer 56 Vgl. Freud (1921c), Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 133 sowie Freud (1922b [1921]), Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität, S. 205. 57 Zu dieser Annahme kam es bereits in Freud (1914c), Zur Einführung des Narzißmus, S. 144.

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solchen verschiebbaren Energie kommen wir überhaupt nicht aus. Es fragt sich nur, woher sie stammt, wem sie zugehört und was sie bedeutet. Das Problem der Qualität der Triebregungen und deren Erhaltung bei den verschiedenen Triebschicksalen ist noch sehr dunkel und derzeit kaum in Angriff genommen. An den sexuellen Partialtrieben, die der Beobachtung besonders gut zugänglich sind, kann man einige Vorgänge, die in denselben Rahmen gehören, feststellen, zum Beispiel daß die Partialtriebe gewissermaßen miteinander kommunizieren, daß ein Trieb aus einer besonderen erogenen Quelle seine Intensität zur Verstärkung eines Partialtriebes aus anderer Quelle abgeben kann, daß die Befriedigung des einen Triebes einem anderen die Befriedigung ersetzt und dergleichen mehr, was einem Mut machen muß, Annahmen gewisser Art zu wagen. Ich habe auch in der vorliegenden Diskussion nur eine Annahme, nicht einen Beweis zu bieten. Es erscheint plausibel, daß diese wohl im Ich und im Es tätige, verschiebbare und indifferente Energie dem narzißtischen Libidovorrat entstammt, also desexualisierter Eros ist. Die erotischen Triebe erscheinen uns ja überhaupt plastischer, ablenkbarer und verschiebbarer als die Destruktionstriebe. Dann kann man ohne Zwang fortsetzen, daß diese verschiebbare Libido im Dienst des Lustprinzips arbeitet, um Stauungen zu vermeiden und Abfuhren zu erleichtern. Dabei ist eine gewisse Gleichgültigkeit, auf welchem Wege die Abfuhr geschieht, wenn sie nur überhaupt geschieht, unverkennbar. Wir kennen diesen Zug als charakteristisch für die Besetzungsvorgänge im Es. Er findet sich bei den erotischen Besetzungen, wobei eine besondere Gleichgültigkeit in Bezug auf das Objekt entwickelt wird, ganz besonders bei den Übertragungen in der Analyse, die vollzogen werden müssen, gleichgültig auf welche [S 390 / W 274] Personen. Rank hat kürzlich schöne Beispiele dafür gebracht, daß neurotische Racheaktionen gegen die unrichtigen Personen gerichtet werden. Man muß bei diesem Verhalten des Unbewußten an die komisch verwertete Anekdote denken, daß einer der drei Dorfschneider gehängt werden soll, weil der einzige Dorfschmied ein todwürdiges Verbrechen begangen hat.58 Strafe muß eben sein, auch wenn sie nicht den Schuldigen trifft. Die nämliche Lockerheit haben wir zuerst an den Verschiebungen des Primärvorganges in der Traumarbeit bemerkt. Wie hier die Objekte, so wären es in dem uns beschäftigenden Falle die Wege der Abfuhraktion, die erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Dem Ich würde es ähnlich sehen, auf größerer Exaktheit in der Auswahl des Objekts, wie des Weges der Abfuhr zu bestehen.

58 Zu dieser Anekdote vgl. auch Freud (1905c), Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, GW 6, S. 235 sowie in Freud (1916–1917a [1915–1917]), XI. Vorlesung: Die Traumarbeit, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 11, S. 173–186, S. 178.

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Wenn diese Verschiebungsenergie desexualisierte Libido ist, so darf sie auch sublimiert heißen, denn sie würde noch immer an der Hauptabsicht des Eros, zu vereinigen und zu binden, festhalten, indem sie zur Herstellung jener Einheitlichkeit dient, durch die – oder durch das Streben nach welcher – das Ich sich auszeichnet. Schließen wir die Denkvorgänge im weiteren Sinne unter diese Verschiebungen ein, so wird eben auch die Denkarbeit durch Sublimierung erotischer Triebkraft bestritten. Hier stehen wir wieder vor der früher berührten Möglichkeit, daß die Sublimierung regelmäßig durch die Vermittlung des Ichs vor sich geht. Wir erinnern den anderen Fall, daß dies Ich die ersten und gewiß auch spätere Objektbesetzungen des Es dadurch erledigt, daß es deren Libido ins Ich aufnimmt und an die durch Identifizierung hergestellte Ichveränderung bindet. Mit dieser Umsetzung in Ichlibido ist natürlich ein Aufgeben der Sexualziele, eine Desexualisierung, verbunden. Jedenfalls erhalten wir so Einsicht in eine wichtige Leistung des Ichs in seinem Verhältnis zum Eros. Indem es sich in solcher Weise der Libido der Objektbesetzungen bemächtigt, sich zum alleinigen Liebesobjekt aufwirft, die Libido des Es desexualisiert oder sublimiert, [S 391 / W 275] arbeitet es den Absichten des Eros entgegen, stellt sich in den Dienst der gegnerischen Triebregungen. Einen anderen Anteil der Es-Objektbesetzungen muß es sich gefallen lassen, sozusagen mitmachen. Auf eine andere mögliche Folge dieser Ichtätigkeit werden wir später zu sprechen kommen. An der Lehre vom Narzißmus wäre nun eine wichtige Ausgestaltung vorzunehmen. Zu Uranfang ist alle Libido im Es angehäuft, während das Ich noch in der Bildung begriffen oder schwächlich ist. Das Es sendet einen Teil dieser Libido auf erotische Objektbesetzungen aus, worauf das erstarkte Ich sich dieser Objektlibido zu bemächtigen und sich dem Es als Liebesobjekt aufzudrängen sucht. Der Narzißmus des Ichs ist so ein sekundärer, den Objekten entzogener. Immer wieder machen wir die Erfahrung, daß die Triebregungen, die wir verfolgen können, sich als Abkömmlinge des Eros enthüllen. Wären nicht die im »Jenseits des Lustprinzips« angestellten Erwägungen und endlich die sadistischen Beiträge zum Eros, so hätten wir es schwer, an der dualistischen Grundanschauung festzuhalten.59 Da wir aber dazu genötigt sind, müssen wir den

59 Zum Dualismus der Triebe vgl. die Anmerkung in Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, S. 66: »Der Gegensatz zwischen Ich- und Sexualtrieben wandelte sich in den zwischen Ichund Objekttrieben, beide libidinöser Natur. An seine Stelle trat aber ein neuer Gegensatz zwischen libidinösen (Ich- und Objekt-) Trieben und anderen, die im Ich zu statuieren und vielleicht in den Destruktionstrieben aufzuzeigen sind. Die Spekulation wandelt diesen Gegensatz in den von Lebenstrieben (Eros) und von Todestrieben um.«

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Eindruck gewinnen, daß die Todestriebe im wesentlichen stumm sind und der Lärm des Lebens meist vom Eros ausgeht.60 Und vom Kampf gegen den Eros! Es ist die Anschauung nicht abzuweisen, daß das Lustprinzip dem Es als ein Kompaß im Kampf gegen die Libido dient, die Störungen in den Lebensablauf einführt. Wenn das Konstanz-Prinzip61 im Sinne Fechners das Leben beherrscht, welches also dann ein Gleiten in den Tod sein sollte, so sind es die Ansprüche des Eros, der Sexualtriebe, welche als Triebbedürfnisse das Herabsinken des Niveaus aufhalten und neue Spannungen einführen. Das Es erwehrt sich ihrer, vom Lustprinzip, das heißt der Unlustwahrnehmung geleitet, auf verschiedenen Wegen. Zunächst durch möglichst [S 392 / W 276] beschleunigte Nachgiebigkeit gegen die Forderungen der nicht desexualisierten Libido, also durch Ringen nach Befriedigung der direkt sexuellen Strebungen. In weit ausgiebigerer Weise, indem es sich bei einer dieser Befriedigungen, in der alle Teilansprüche zusammentreffen, der sexuellen Substanzen entledigt, welche sozusagen gesättigte Träger der erotischen Spannungen sind.62 Die Abstoßung der Sexualstoffe im Sexualakt entspricht gewissermaßen der Trennung von Soma und Keimplasma. Daher die Ähnlichkeit des Zustandes nach der vollen Sexualbefriedigung mit dem Sterben, bei niederen Tieren das Zusammenfallen des Todes mit dem Zeugungsakt. Diese Wesen sterben an der Fortpflanzung, insoferne nach der Ausschaltung des Eros durch die Befriedigung der Todestrieb freie Hand bekommt, seine Absichten durchzusetzen. Endlich erleichtert, wie wir gehört haben, das Ich dem Es die Bewältigungsarbeit, indem es Anteile der Libido für sich und seine Zwecke sublimiert.

V

DIE ABHÄNGIGKEITEN DES ICHS

[S 393 / W 277] Die Verschlungenheit des Stoffes mag entschuldigen, daß sich keine der Überschriften ganz mit dem Inhalt der Kapitel deckt, und daß wir immer wieder auf bereits Erledigtes zurückgreifen, wenn wir neue Beziehungen studieren wollen. So haben wir wiederholt gesagt, daß das Ich sich zum guten Teil aus Identifizierungen bildet, welche aufgelassene Besetzungen des Es ablösen, daß die ersten dieser Identifizierungen sich regelmäßig als besondere Instanz im Ich gebärden, sich als Über-Ich dem Ich entgegenstellen, während das erstarkte Ich 60 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Nach unserer Auffassung sind ja die nach außen gerichteten Destruktionstriebe durch Vermittlung des Eros vom eigenen Selbst abgelenkt worden.] 61 Vgl. Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, S. 4–6. 62 Zum Begriff der »sexuellen Substanzen« vgl. Freud (1905d), Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, S. 114–118.

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sich späterhin gegen solche Identifizierungseinflüsse resistenter verhalten mag. Das Über-Ich verdankt seine besondere Stellung im Ich oder zum Ich einem Moment, das von zwei Seiten her eingeschätzt werden soll, erstens, daß es die erste Identifizierung ist, die vorfiel, solange das Ich noch schwach war, und zweitens, daß es der Erbe des Ödipuskomplexes ist, also die großartigsten Objekte ins Ich einführte. Es verhält sich gewissermaßen zu den späteren Ichveränderungen wie die primäre Sexualphase der Kindheit zum späteren Sexualleben nach der Pubertät. Obwohl allen späteren Einflüssen zugänglich, behält es doch zeitlebens den Charakter, der ihm durch seinen Ursprung aus dem Vaterkomplex verliehen ist, nämlich die Fähigkeit, sich dem Ich entgegenzustellen und es zu meistern. Es ist das Denkmal der einstigen Schwäche und Abhängigkeit des Ichs und setzt seine Herrschaft auch über das reife Ich fort. Wie das Kind unter [S 394 / W 278] dem Zwange stand, seinen Eltern zu gehorchen, so unterwirft sich das Ich dem kategorischen Imperativ seines Über-Ichs. Die Abkunft von den ersten Objektbesetzungen des Es, also vom Ödipuskomplex, bedeutet aber für das Über-Ich noch mehr. Sie bringt es, wie wir bereits ausgeführt haben, in Beziehung zu den phylogenetischen Erwerbungen des Es und macht es zur Reinkarnation früherer Ichbildungen, die ihre Niederschläge im Es hinterlassen haben. Somit steht das Über-Ich dem Es dauernd nahe und kann dem Ich gegenüber dessen Vertretung führen. Es taucht tief ins Es ein, ist dafür entfernter vom Bewußtsein als das Ich.63 Diese Beziehungen würdigen wir am besten, wenn wir uns gewissen klinischen Tatsachen zuwenden, die längst keine Neuheit sind, aber ihrer theoretischen Verarbeitung noch warten. Es gibt Personen, die sich in der analytischen Arbeit ganz sonderbar benehmen. Wenn man ihnen Hoffnung gibt und ihnen Zufriedenheit mit dem Stand der Behandlung zeigt, scheinen sie unbefriedigt und verschlechtern regelmäßig ihr Befinden. Man hält das anfangs für Trotz und Bemühen, dem Arzt ihre Überlegenheit zu bezeugen. Später kommt man zu einer tieferen und gerechteren Auffassung. Man überzeugt sich nicht nur, daß diese Personen kein Lob und keine Anerkennung vertragen, sondern, daß sie auf die Fortschritte der Kur in verkehrter Weise reagieren. Jede Partiallösung, die eine Besserung oder zeitweiliges Aussetzen der Symptome zur Folge haben sollte und bei anderen auch hat, ruft bei ihnen eine momentane Verstärkung ihres Leidens hervor, sie verschlimmern sich während der Behandlung, anstatt sich zu bessern. Sie zeigen die sogenannte negative therapeutische Reaktion. Kein Zweifel, daß sich bei ihnen etwas der Genesung widersetzt, daß deren Annäherung wie eine Gefahr gefürchtet wird. [S 395 / W 279] Man sagt, bei 63 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Man kann sagen: Auch das psychoanalytische oder metapsychologische Ich steht auf dem Kopf wie das anatomische, das Gehirnmännchen.]

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diesen Personen hat nicht der Genesungswille, sondern das Krankheitsbedürfnis die Oberhand. Analysiert man diesen Widerstand in gewohnter Weise, zieht die Trotzeinstellung gegen den Arzt, die Fixierung an die Formen des Krankheitsgewinnes von ihm ab, so bleibt doch das meiste noch bestehen und dies erweist sich als das stärkste Hindernis der Wiederherstellung, stärker als die uns bereits bekannten der narzißtischen Unzugänglichkeit, der negativen Einstellung gegen den Arzt und des Haftens am Krankheitsgewinne. Man kommt endlich zur Einsicht, daß es sich um einen sozusagen »moralischen« Faktor handelt, um ein Schuldgefühl, welches im Kranksein seine Befriedigung findet und auf die Strafe des Leidens nicht verzichten will. An dieser wenig tröstlichen Aufklärung darf man endgültig festhalten. Aber dies Schuldgefühl ist für den Kranken stumm, es sagt ihm nicht, daß er schuldig ist, er fühlt sich nicht schuldig, sondern krank. Dies Schuldgefühl äußert sich nur als schwer reduzierbarer Widerstand gegen die Herstellung. Es ist auch besonders schwierig, den Kranken von diesem Motiv seines Krankbleibens zu überzeugen, er wird sich an die näher liegende Erklärung halten, daß die analytische Kur nicht das richtige Mittel ist, ihm zu helfen.64 [S 396 / W 280] Was hier beschrieben wurde, entspricht den extremsten Vorkommnissen, dürfte aber in geringerem Ausmaß für sehr viele, vielleicht für alle schwereren Fälle von Neurose in Betracht kommen. Ja, noch mehr, vielleicht ist es gerade dieser Faktor, das Verhalten des Ichideals, der die Schwere einer neurotischen Erkrankung maßgebend bestimmt. Wir wollen darum einigen weiteren Bemerkungen über die Äußerung des Schuldgefühls unter verschiedenen Bedingungen nicht aus dem Wege gehen. 64 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Der Kampf gegen das Hindernis des unbewußten Schuldgefühls wird dem Analytiker nicht leicht gemacht. Man kann direkt nichts dagegen tun, indirekt nichts anderes, als daß man langsam seine unbewußt verdrängten Begründungen aufdeckt, wobei es sich allmählich in bewußtes Schuldgefühl verwandelt. Eine besondere Chance der Beeinflussung gewinnt man, wenn dies ubw Schuldgefühl ein entlehntes ist, das heißt das Ergebnis der Identifizierung mit einer anderen Person, die einmal Objekt einer erotischen Besetzung war. Eine solche Übernahme des Schuldgefühls ist oft der einzige, schwer kenntliche Rest der aufgegebenen Liebesbeziehung. Die Ähnlichkeit mit dem Vorgang bei Melancholie ist dabei unverkennbar. Kann man diese einstige Objektbesetzung hinter dem ubw Schuldgefühl aufdecken, so ist die therapeutische Aufgabe oft glänzend gelöst, sonst ist der Ausgang der therapeutischen Bemühung keineswegs gesichert. Er hängt in erster Linie von der Intensität des Schuldgefühls ab, welcher die Therapie oft keine Gegenkraft von gleicher Größenordnung entgegenstellen kann. Vielleicht auch davon, ob die Person des Analytikers es zuläßt, daß sie vom Kranken an die Stelle seines Ichideals gesetzt werde, womit die Versuchung verbunden ist, gegen den Kranken die Rolle des Propheten, Seelenretters, Heilands zu spielen. Da die Regeln der Analyse einer solchen Verwendung der ärztlichen Persönlichkeit entschieden widerstreben, ist ehrlich zuzugeben, daß hier eine neue Schranke für die Wirkung der Analyse gegeben ist, die ja die krankhaften Reaktionen nicht unmöglich machen, sondern dem Ich des Kranken die Freiheit schaffen soll, sich so oder anders zu entscheiden.]

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Das normale, bewußte Schuldgefühl (Gewissen) bietet der Deutung keine Schwierigkeiten, es beruht auf der Spannung zwischen dem Ich und dem Ichideal, ist der Ausdruck einer Verurteilung des Ichs durch seine kritische Instanz. Die bekannten Minderwertigkeitsgefühle der Neurotiker dürften nicht weit davon abliegen. In zwei uns wohlvertrauten Affektionen ist das Schuldgefühl überstark bewußt; das Ichideal zeigt dann eine besondere Strenge und wütet gegen das Ich oft in grausamer Weise. Neben dieser Übereinstimmung ergeben sich bei den beiden Zuständen, Zwangsneurose und Melancholie, Verschiedenheiten im Verhalten des Ichideals, die nicht minder bedeutungsvoll sind. Bei der Zwangsneurose (gewissen Formen derselben) ist das Schuldgefühl überlaut, kann sich aber vor dem Ich nicht rechtfertigen. Das Ich des Kranken sträubt sich daher gegen die Zumutung, schuldig zu sein, und verlangt vom Arzt, in seiner Ablehnung dieser Schuldgefühle bestärkt zu werden. Es wäre töricht, ihm nachzugeben, denn es bliebe erfolglos. Die Analyse zeigt dann, daß das Über-Ich durch Vorgänge beeinflußt wird, welche dem Ich unbekannt geblieben sind. Es lassen sich wirklich die verdrängten Impulse auffinden, welche das Schuldgefühl begründen. Das Über-Ich hat hier mehr vom unbewußten Es gewußt als das Ich. [S 397 / W 281] Noch stärker ist der Eindruck, daß das Über-Ich das Bewußtsein an sich gerissen hat, bei der Melancholie. Aber hier wagt das Ich keinen Einspruch, es bekennt sich schuldig und unterwirft sich den Strafen. Wir verstehen diesen Unterschied. Bei der Zwangsneurose handelte es sich um anstößige Regungen, die außerhalb des Ichs geblieben sind; bei der Melancholie aber ist das Objekt, dem der Zorn des Über-Ichs gilt, durch Identifizierung ins Ich aufgenommen worden. Es ist gewiß nicht selbstverständlich, daß bei diesen beiden neurotischen Affektionen das Schuldgefühl eine so außerordentliche Stärke erreicht, aber das Hauptproblem der Situation liegt doch an anderer Stelle. Wir schieben seine Erörterung auf, bis wir die anderen Fälle behandelt haben, in denen das Schuldgefühl unbewußt bleibt. Dies ist doch wesentlich bei Hysterie und Zuständen vom hysterischen Typus zu finden. Der Mechanismus des Unbewußtbleibens ist hier leicht zu erraten. Das hysterische Ich erwehrt sich der peinlichen Wahrnehmung, die ihm von Seiten der Kritik seines Über-Ichs droht, in derselben Weise, wie es sich sonst einer unerträglichen Objektbesetzung zu erwehren pflegt, durch einen Akt der Verdrängung. Es liegt also am Ich, wenn das Schuldgefühl unbewußt bleibt. Wir wissen, daß sonst das Ich die Verdrängungen im Dienst und Auftrag seines ÜberIchs vornimmt; hier ist aber ein Fall, wo es sich derselben Waffe gegen seinen gestrengen Herrn bedient. Bei der Zwangsneurose überwiegen bekanntlich die Phänomene der Reaktionsbildung; hier gelingt dem Ich nur die Fernhaltung des Materials, auf welches sich das Schuldgefühl bezieht.

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Man kann weiter gehen und die Voraussetzung wagen, daß ein großes Stück des Schuldgefühls normalerweise unbewußt sein müsse, weil die Entstehung des Gewissens innig an den Ödipuskomplex geknüpft ist, welcher dem Unbewußten angehört. Würde jemand den paradoxen Satz vertreten wollen, daß der [S 398 / W 282] normale Mensch nicht nur viel unmoralischer ist, als er glaubt, sondern auch viel moralischer, als er weiß, so hätte die Psychoanalyse, auf deren Befunden die erste Hälfte der Behauptung ruht, auch gegen die zweite Hälfte nichts einzuwenden.65 Es war eine Überraschung, zu finden, daß eine Steigerung dieses ubw Schuldgefühls den Menschen zum Verbrecher machen kann. Aber es ist unzweifelhaft so. Es läßt sich bei vielen, besonders jugendlichen Verbrechern, ein mächtiges Schuldgefühl nachweisen, welches vor der Tat bestand, also nicht deren Folge, sondern deren Motiv ist, als ob es als Erleichterung empfunden würde, dies unbewußte Schuldgefühl an etwas Reales und Aktuelles knüpfen zu können.66 In all diesen Verhältnissen erweist das Über-Ich seine Unabhängigkeit vom bewußten Ich und seine innigen Beziehungen zum unbewußten Es. Nun erhebt sich mit Rücksicht auf die Bedeutung, die wir den vorbewußten Wortresten im Ich zugeschrieben haben, die Frage, ob das Über-Ich, wenn es ubw ist, nicht aus solchen Wortvorstellungen, oder aus was sonst es besteht. Die bescheidene Antwort wird lauten, daß das Über-Ich auch seine Herkunft aus Gehörtem unmöglich verleugnen kann, es ist ja ein Teil des Ichs und bleibt von diesen Wortvorstellungen (Begriffen, Abstraktionen) her dem Bewußtsein zugänglich, aber die Besetzungsenergie wird diesen Inhalten des Über-Ichs nicht von der Hörwahrnehmung, dem Unterricht, der Lektüre, sondern von den Quellen im Es zugeführt. Die Frage, deren Beantwortung wir zurückgestellt hatten, lautet: wie geht es zu, daß das Über-Ich sich wesentlich als Schuldgefühl (besser : als Kritik; Schuldgefühl ist die dieser Kritik entsprechende Wahrnehmung im Ich) äußert und dabei eine so außerordentliche Härte und Strenge gegen das Ich entfaltet. [S 399 / W 283] Wenden wir uns zunächst zur Melancholie, so finden wir, daß das überstarke Über-Ich, welches das Bewußtsein an sich gerissen hat, gegen das Ich mit schonungsloser Heftigkeit wütet, als ob es sich des ganzen im Individuum verfügbaren Sadismus bemächtigt hätte. Nach unserer Auffassung des Sadismus 65 [Freuds Originalanmerkung aus den GS: Dieser Satz ist nur scheinbar ein Paradoxon; er besagt einfach, daß die Natur des Menschen im Guten wie im Bösen weit über das hinausgeht, was er von sich glaubt, das heißt was seinem Ich durch Bewußtseinswahrnehmung bekannt ist.] 66 Freud setzt sich mit dem Thema in Kapitel III, Die Verbrecher aus Schuldbewußtsein, von Freud (1916d), Einige Charaktertypen aus der psychoanalytischen Arbeit, GW 10, S. 364– 391, S. 390–391 vertieft auseinander.

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würden wir sagen, die destruktive Komponente habe sich im Über-Ich abgelagert und gegen das Ich gewendet. Was nun im Über-Ich herrscht, ist wie eine Reinkultur des Todestriebes, und wirklich gelingt es diesem oft genug, das Ich in den Tod zu treiben, wenn das Ich sich nicht vorher durch den Umschlag in Manie seines Tyrannen erwehrt. Ähnlich peinlich und quälerisch sind die Gewissensvorwürfe bei bestimmten Formen der Zwangsneurose, aber die Situation ist hier weniger durchsichtig. Es ist im Gegensatz zur Melancholie bemerkenswert, daß der Zwangskranke eigentlich niemals den Schritt der Selbsttötung macht, er ist wie immun gegen die Selbstmordgefahr, weit besser dagegen geschützt als der Hysteriker. Wir verstehen, es ist die Erhaltung des Objekts, die die Sicherheit des Ichs verbürgt. Bei der Zwangsneurose ist es durch eine Regression zur prägenitalen Organisation möglich geworden, daß die Liebesimpulse sich in Aggressionsimpulse gegen das Objekt umsetzen. Wiederum ist der Destruktionstrieb frei geworden und will das Objekt vernichten, oder es hat wenigstens den Anschein, als bestünde solche Absicht. Das Ich hat diese Tendenzen nicht aufgenommen, es sträubt sich gegen sie mit Reaktionsbildungen und Vorsichtsmaßregeln; sie verbleiben im Es. Das Über-Ich aber benimmt sich, als wäre das Ich für sie verantwortlich, und zeigt uns gleichzeitig durch den Ernst, mit dem es diese Vernichtungsabsichten verfolgt, daß es sich nicht um einen durch die Regression hervorgerufenen Anschein, sondern um wirklichen Ersatz von Liebe durch Haß handelt. Nach beiden Seiten hilflos, wehrt sich das Ich vergeblich gegen die Zumutungen des mörderischen Es wie gegen die Vorwürfe des strafenden Gewissens. [S 400 / W 284] Es gelingt ihm, gerade die gröbsten Aktionen beider zu hemmen, das Ergebnis ist zunächst eine endlose Selbstqual und in der weiteren Entwicklung eine systematische Quälerei des Objekts, wo dies zugänglich ist. Die gefährlichen Todestriebe werden im Individuum auf verschiedene Weise behandelt, teils durch Mischung mit erotischen Komponenten unschädlich gemacht, teils als Aggression nach außen abgelenkt, zum großen Teil setzen sie gewiß unbehindert ihre innere Arbeit fort. Wie kommt es nun, daß bei der Melancholie das Über-Ich zu einer Art Sammelstätte der Todestriebe werden kann? Vom Standpunkt der Triebeinschränkung, der Moralität, kann man sagen: Das Es ist ganz amoralisch, das Ich ist bemüht, moralisch zu sein, das Über-Ich kann hypermoralisch und dann so grausam werden wie nur das Es. Es ist merkwürdig, daß der Mensch, je mehr er seine Aggression nach außen einschränkt, desto strenger, also aggressiver in seinem Ichideal wird. Der gewöhnlichen Betrachtung erscheint dies umgekehrt, sie sieht in der Forderung des Ichideals das Motiv für die Unterdrückung der Aggression. Die Tatsache bleibt aber, wie wir sie ausgesprochen haben: Je mehr ein Mensch seine Aggression meistert, desto mehr steigert sich die Aggressionsneigung seines Ideals

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gegen sein Ich. Es ist wie eine Verschiebung, eine Wendung gegen das eigene Ich.67 Schon die gemeine, normale Moral hat den Charakter des hart Einschränkenden, grausam Verbietenden. Daher stammt ja die Konzeption des unerbittlich strafenden höheren Wesens. Ich kann nun diese Verhältnisse nicht weiter erläutern, ohne eine neue Annahme einzuführen. Das Über-Ich ist ja durch eine Identifizierung mit dem Vatervorbild entstanden. Jede solche Identifizierung hat den Charakter einer Desexualisierung oder selbst Sublimierung. Es scheint nun, daß bei einer solchen Umsetzung auch eine Triebentmischung stattfindet. Die erotische [S 401 / W 285] Komponente hat nach der Sublimierung nicht mehr die Kraft, die ganze hinzugesetzte Destruktion zu binden, und diese wird als Aggressions- und Destruktionsneigung frei. Aus dieser Entmischung würde das Ideal überhaupt den harten, grausamen Zug des gebieterischen Sollens beziehen. Noch ein kurzes Verweilen bei der Zwangsneurose. Hier liegen die Verhältnisse anders. Die Entmischung der Liebe zur Aggression ist nicht durch eine Leistung des Ichs zustande gekommen, sondern die Folge einer Regression, die sich im Es vollzogen hat. Aber dieser Vorgang hat vom Es auf das Über-Ich übergegriffen, welches nun seine Strenge gegen das unschuldige Ich verschärft. In beiden Fällen würde aber das Ich, welches die Libido durch Identifizierung bewältigt hat, dafür die Strafe durch die der Libido beigemengte Aggression vom Über-Ich her erleiden. Unsere Vorstellungen vom Ich beginnen sich zu klären, seine verschiedenen Beziehungen an Deutlichkeit zu gewinnen. Wir sehen das Ich jetzt in seiner Stärke und in seinen Schwächen. Es ist mit wichtigen Funktionen betraut, kraft seiner Beziehung zum Wahrnehmungssystem stellt es die zeitliche Anordnung der seelischen Vorgänge her und unterzieht dieselben der Realitätsprüfung.68 67 Freud erläutert diesen komplexen Vorgang in Abschnitt b), Die sittliche Verantwortung für den Inhalt der Träume, in Freud (1925i), Einige Nachträge zum Ganzen der Traumdeutung, GW 1, S. 561–573, in Freud (1924c), Das ökonomische Problem des Masochismus, S. 383 und in Kapitel VII in Freud (1930a), Das Unbehagen in der Kultur, GW 14, S. 419–506, S. 485, Anm. 1: »Eine andere Tatsache des an Problemen so reichen Gebiets der Ethik ist die, daß Mißgeschick, also äußere Versagung die Macht des Gewissens im Über-Ich so sehr fördert. Solange es dem Menschen gut geht, ist auch sein Gewissen milde und läßt dem Ich allerlei angehen; wenn ihn ein Unglück getroffen hat, hält er Einkehr in sich, erkennt seine Sündhaftigkeit, steigert seine Gewissensansprüche, legt sich Enthaltungen auf und bestraft sich durch Bußen.« Freud lässt es sich dennoch nicht nehmen, die schwere Problematik durch eine launige Anmerkung ein wenig zu erheitern: »Diese Förderung der Moral durch Mißgeschick behandelt Mark Twain in einer köstlichen kleinen Geschichte: The first melon I ever stole. Diese erste Melone ist zufällig unreif. Ich hörte Mark Twain diese kleine Geschichte selbst vortragen. Nachdem er ihren Titel ausgesprochen hatte, hielt er inne und fragte sich wie zweifelnd: ›Was it the first‹? [sic] Damit hatte er alles gesagt. Die erste war also nicht die einzige geblieben. [A. d. H.: kursiv im Original]« 68 Vgl. Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 287.

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Durch die Einschaltung der Denkvorgänge erzielt es einen Aufschub der motorischen Entladungen und beherrscht die Zugänge zur Motilität.69 Letztere Herrschaft ist allerdings mehr formal als faktisch, das Ich hat in der Beziehung zur Handlung etwa die Stellung eines konstitutionellen Monarchen, ohne dessen Sanktion nichts Gesetz werden kann, der es sich aber sehr überlegt, ehe er gegen einen Vorschlag des Parlaments sein Veto einlegt. Das Ich bereichert sich bei allen Lebenserfahrungen von außen; das Es aber ist seine andere Außenwelt, die es sich zu unterwerfen strebt. Es entzieht dem Es Libido, bildet die Objektbesetzungen des Es zu Ichgestaltungen um. Mit Hilfe des Über-Ichs schöpft es in einer für uns noch dunklen Weise aus den im Es angehäuften Erfahrungen der Vorzeit. [S 402 / W 286] Es gibt zwei Wege, auf denen der Inhalt des Es ins Ich eindringen kann. Der eine ist der direkte, der andere führt über das Ichideal, und es mag für manche seelische Tätigkeiten entscheidend sein, auf welchem der beiden Wege sie erfolgen. Das Ich entwickelt sich von der Triebwahrnehmung zur Triebbeherrschung, vom Triebgehorsam zur Triebhemmung. An dieser Leistung hat das Ichideal, das ja zum Teil eine Reaktionsbildung gegen die Triebvorgänge des Es ist, seinen starken Anteil. Die Psychoanalyse ist ein Werkzeug, welches dem Ich die fortschreitende Eroberung des Es ermöglichen soll. Aber anderseits sehen wir dasselbe Ich als armes Ding, welches unter dreierlei Dienstbarkeiten steht und demzufolge unter den Drohungen von dreierlei Gefahren leidet, von der Außenwelt her, von der Libido des Es und von der Strenge des Über-Ichs. Dreierlei Arten von Angst entsprechen diesen drei Gefahren, denn Angst ist der Ausdruck eines Rückzuges vor der Gefahr. Als Grenzwesen will das Ich zwischen der Welt und dem Es vermitteln, das Es der Welt gefügig machen und die Welt mittels seiner Muskelaktionen dem Es-Wunsch gerecht machen. Es benimmt sich eigentlich wie der Arzt in einer analytischen Kur, indem es sich selbst mit seiner Rücksichtnahme auf die reale Welt dem Es als Libidoobjekt empfiehlt und dessen Libido auf sich lenken will. Es ist nicht nur der Helfer des Es, auch sein unterwürfiger Knecht, der um die Liebe seines Herrn wirbt. Es sucht, wo möglich, im Einvernehmen mit dem Es zu bleiben, überzieht dessen ubw Gebote mit seinen vbw Rationalisierungen, spiegelt den Gehorsam des Es gegen die Mahnungen der Realität vor, auch wo das Es starr und unnachgiebig geblieben ist, vertuscht die Konflikte des Es mit der Realität und wo möglich auch die mit dem Über-Ich. In seiner Mittelstellung zwischen Es und Realität unterliegt es nur zu oft der Versuchung, liebedienerisch, opportunis69 Vgl. auch Freud (1911b), Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens, GW 8, S. 230–238, S. 233 und Freud (1925h), Die Verneinung, GW 14, S. 11–15, S. 15.

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tisch und lügnerisch zu werden, etwa wie ein Staatsmann, der bei guter Ein[S 403 / W 287] sicht sich doch in der Gunst der öffentlichen Meinung behaupten will. Zwischen beiden Triebarten hält es sich nicht unparteiisch. Durch seine Identifizierungs- und Sublimierungsarbeit leistet es den Todestrieben im Es Beistand zur Bewältigung der Libido, gerät aber dabei in Gefahr, zum Objekt der Todestriebe zu werden und selbst umzukommen. Es hat sich zu Zwecken der Hilfeleistung selbst mit Libido erfüllen müssen, wird dadurch selbst Vertreter des Eros und will nun leben und geliebt werden. Da aber seine Sublimierungsarbeit eine Triebentmischung und Freiwerden der Aggressionstriebe im Über-Ich zur Folge hat, liefert es sich durch seinen Kampf gegen die Libido der Gefahr der Mißhandlung und des Todes aus. Wenn das Ich unter der Aggression des Über-Ichs leidet oder selbst erliegt, so ist sein Schicksal ein Gegenstück zu dem der Protisten, die an den Zersetzungsprodukten zugrunde gehen, die sie selbst geschaffen haben.70 Als solches Zersetzungsprodukt im ökonomischen Sinne erscheint uns die im Über-Ich wirkende Moral. Unter den Abhängigkeiten des Ichs ist wohl die vom Über-Ich die interessanteste. Das Ich ist ja die eigentliche Angststätte.71 Von den dreierlei Gefahren bedroht, entwickelt das Ich den Fluchtreflex, indem es seine eigene Besetzung von der bedrohlichen Wahrnehmung oder dem ebenso eingeschätzten Vorgang im Es zurückzieht und als Angst ausgibt. Diese primitive Reaktion wird später durch Aufführung von Schutzbesetzungen abgelöst (Mechanismus der Phobien). Was das Ich von der äußeren und von der Libidogefahr im Es befürchtet, läßt sich nicht angeben; wir wissen, es ist Überwältigung oder Vernichtung, aber es ist analytisch nicht zu fassen.72 Das Ich folgt einfach der Warnung des Lustprinzips. Hingegen läßt sich sagen, was sich hinter der Angst des Ichs vor dem

70 Protozoen, Einzeller, von welchen bereits in Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, S. 16 und S. 51 die Rede war. 71 Vgl. die Wiederaufnahme und Weiterentwicklung der Untersuchung des Phänomens der Angst in Freud (1926d), Hemmung, Symptom und Angst. Freud (1926d) im Allgemeinen und zu dieser Stelle insbesondere S. 171: »Ein anderer Satz, den ich einmal ausgesprochen, verlangt nun nach Überprüfung im Lichte unserer neuen Auffassung. Es ist die Behauptung, das Ich sei die eigentliche Angststätte; ich meine, sie wird sich als zutreffend erweisen.[…] Die Angst ist ein Affektzustand, der natürlich nur vom Ich verspürt werden kann.[…]« 72 Bereits in Freuds präanalytischen Schriften wird die Annahme aufgestellt, dass das Ich »überwältigt« werden kann, vgl. Kapitel II von Freud (1894a), Die Abwehr-Neuropsychosen. Versuch einer psychologischen Theorie der acquirierten Hysterie, vieler Phobien und Zwangsvorstellungen und gewisser halluzinatorischer Psychosen und Manuskript K, Anhang zu Freuds Brief vom Jänner 1896, in Freud (1985c [1887–1904]), Brief 85, 01. 01. 1896 und Manuskript K, Briefe an Wilhelm Fließ (1887–1904), S. 164–178, S. 177: »Die Hysterie beginnt mit Überwältigung des Ich […]«.

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Über-Ich, der Gewissensangst, verbirgt.73 Vom höheren Wesen, [S 404 / W 288] welches zum Ichideal wurde, drohte einst die Kastration und diese Kastrationsangst ist wahrscheinlich der Kern, um den sich die spätere Gewissensangst ablagert, sie ist es, die sich als Gewissensangst fortsetzt. Der volltönende Satz: jede Angst sei eigentlich Todesangst, schließt kaum einen Sinn ein, ist jedenfalls nicht zu rechtfertigen.74 Es scheint mir vielmehr durchaus richtig, die Todesangst von der Objekt-(Real-)Angst und von der neurotischen Libidoangst zu sondern. Sie gibt der Psychoanalyse ein schweres Problem auf, denn Tod ist ein abstrakter Begriff von negativem Inhalt, für den eine unbewußte Entsprechung nicht zu finden ist. Der Mechanismus der Todesangst könnte nur sein, daß das Ich seine narzißtische Libidobesetzung in reichlichem Ausmaß entläßt, also sich selbst aufgibt, wie sonst im Angstfalle ein anderes Objekt. Ich meine, daß die Todesangst sich zwischen Ich und Über-Ich abspielt. Wir kennen das Auftreten von Todesangst unter zwei Bedingungen, die übrigens denen der sonstigen Angstentwicklung durchaus analog sind, als Reaktion auf eine äußere Gefahr und als inneren Vorgang, zum Beispiel bei Melancholie. Der neurotische Fall mag uns wieder einmal zum Verständnis des realen verhelfen. Die Todesangst der Melancholie läßt nur die eine Erklärung zu, daß das Ich sich aufgibt, weil es sich vom Über-Ich gehaßt und verfolgt anstatt geliebt fühlt. Leben ist also für das Ich gleichbedeutend mit Geliebtwerden, vom Über-Ich geliebt werden, das auch hier als Vertreter des Es auftritt. Das Über-Ich vertritt dieselbe schützende und rettende Funktion wie früher der Vater, später die Vorsehung oder das Schicksal. Denselben Schluß muß das Ich aber auch ziehen, wenn es sich in einer übergroßen realen Gefahr befindet, die es aus eigenen Kräften nicht glaubt überwinden zu können. Es sieht sich von allen schützenden Mächten verlassen und läßt sich sterben. Es ist übrigens immer [S 405 / W 289] noch dieselbe Situation, die dem ersten großen Angstzustand der Geburt und der infantilen Sehnsucht-Angst zugrunde lag, die der Trennung von der schützenden Mutter.75 73 Eine ausführliche Diskussion des Begriffs der Gewissensangst findet sich in Kapitel VII und Kapitel VIII von Freud (1930a), Das Unbehagen in der Kultur. 74 In der Standard Edition (SE) und der Studienausgabe (SA) findet sich an dieser Stelle folgende Anmerkung, die weder in den GS noch in den GWenthalten ist: »cf. Stekel (1908, 5)« (SE 19, S. 57, Anmerkung 5) und »Vgl. Stekel (1908, 5)« (SA 3, S. 324). 75 Zur Trennungsangst von der Mutter führt Freud (1916–1917a [1915–1917]), XI. Vorlesung: Die Angst, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 11, S. 407–426, S. 422 Folgendes aus: »das Kind erschrickt vor der fremden Gestalt, weil es auf den Anblick der vertrauten und geliebten Person, im Grunde der Mutter, eingestellt ist. Es ist seine Enttäuschung und Sehnsucht, welche sich in Angst umsetzt, also unverwendbar gewordene Libido, die derzeit nicht in Schwebe gehalten werden kann, sondern als Angst abgeführt wird. Es

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Auf Grund dieser Darlegungen kann also die Todesangst wie die Gewissensangst als Verarbeitung der Kastrationsangst aufgefaßt werden. Bei der großen Bedeutung des Schuldgefühls für die Neurosen ist es auch nicht von der Hand zu weisen, daß die gemeine neurotische Angst in schweren Fällen eine Verstärkung durch die Angstentwicklung zwischen Ich und Über-Ich (Kastrations-, Gewissens-, Todesangst) erfährt. Das Es, zu dem wir am Ende zurückführen, hat keine Mittel, dem Ich Liebe oder Haß zu bezeugen. Es kann nicht sagen, was es will; es hat keinen einheitlichen Willen zustande gebracht. Eros und Todestrieb kämpfen in ihm; wir haben gehört, mit welchen Mitteln sich die einen Triebe gegen die anderen zur Wehre setzen. Wir könnten es so darstellen, als ob das Es unter der Herrschaft der stummen, aber mächtigen Todestriebe stünde, die Ruhe haben und den Störenfried Eros nach den Winken des Lustprinzips zur Ruhe bringen wollen, aber wir besorgen, doch dabei die Rolle des Eros zu unterschätzen.

kann auch kaum zufällig sein, daß in dieser für die kindliche Angst vorbildlichen Situation die Bedingung des ersten Angstzustandes während des Geburtsaktes, nämlich die Trennung von der Mutter, wiederholt wird.« Vgl. auch Freud (1926d), Hemmung, Symptom und Angst, S. 167–169.

XXXI. VORLESUNG. »DIE ZERLEGUNG DER PSYCHISCHEN PERSÖNLICHKEIT«1

[S 210 / W 62] Meine Damen und Herren! Ich weiß, Sie kennen für Ihre eigenen Beziehungen, ob es sich um Personen oder um Dinge handelt, die Bedeutung des Ausgangspunktes. So war es auch mit der Psychoanalyse: Für die Entwicklung, die sie nahm, für die Aufnahme, die sie fand, ist es nicht gleichgültig gewesen, daß sie ihre Arbeit am Symptom begann, am Ichfremdesten, das sich in der Seele vorfindet. Das Symptom stammt vom Verdrängten ab, ist gleichsam der Vertreter desselben vor dem Ich, das Verdrängte ist aber für das Ich Ausland, inneres Ausland, so wie die Realität – gestatten Sie den ungewohnten Ausdruck – äußeres Ausland ist. Vom Symptom her führte der Weg zum Unbewußten, zum Triebleben, zur Sexualität, und das war die Zeit, da die Psychoanalyse die geistvollen Einwendungen zu hören bekam, der Mensch sei nicht bloß ein Sexualwesen, er kenne auch edlere und höhere Regungen. Man hätte hinzusetzen können, gehoben durch das Bewußtsein dieser höheren Regungen nehme er sich öfters das Recht heraus, Unsinn zu denken und Tatsachen zu vernachlässigen. Sie wissen es besser, es hat von allem Anfang an bei uns geheißen, der Mensch erkranke an dem Konflikt zwischen den Ansprüchen des Trieblebens und dem Widerstand, der sich in ihm [S 211 / W 63] dagegen erhebt, und wir hatten keinen Augenblick an diese widerstehende, abweisende, verdrängende Instanz vergessen, die wir uns mit ihren besonderen Kräften, den Ichtrieben, ausgestattet dachten und die eben mit dem Ich der populären Psychologie zusammenfällt. Nur daß es bei dem mühsamen Fortschreiten der wissenschaftlichen Arbeit auch der Psychoanalyse nicht möglich war, alle Gebiete gleichzeitig zu studieren und sich über alle Probleme in einem Atem zu äußern. Endlich war man so weit gekommen, daß man seine Aufmerksamkeit vom Verdrängten weg auf das Verdrängende richten konnte, und stand vor diesem Ich, das so selbstver1 Diese Vorlesung ist eine Wiederaufnahme und Erweiterung der Kapitel I, Bewußtsein und Unbewußtes, Kapitel II, Das Ich und das Es, Kapitel III, Das Ich und das Über-Ich (Ichideal), und Kapitel V, Die Abhängigkeiten des Ichs, in Freud (1923b), Das Ich und Das Es, GW 13, S. 237–289.

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XXXI. Vorlesung. »Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit«

ständlich zu sein schien, mit der sicheren Erwartung, auch hier Dinge zu finden, auf die man nicht vorbereitet sein konnte; aber es war nicht leicht, einen ersten Zugang zu finden. Das ist es, worüber ich Ihnen heute berichten will! Ich muß aber doch meiner Vermutung Ausdruck geben, daß diese meine Darstellung der Ichpsychologie anders auf Sie wirken wird als die Einführung in die psychische Unterwelt, die ihr vorausgegangen ist. Warum das der Fall sein sollte, weiß ich nicht sicher zu sagen. Ich meinte zuerst, Sie würden herausfinden, daß ich Ihnen vorhin hauptsächlich Tatsachen berichtet hatte, wenn auch fremdartige und sonderbare, während Sie diesmal vorwiegend Auffassungen, also Spekulationen, zu hören bekommen. Aber es trifft nicht zu, bei besserer Erwägung muß ich behaupten, daß der Anteil der gedanklichen Verarbeitung des tatsächlichen Materials in unserer Ichpsychologie nicht viel größer ist als er in der Neurosenpsychologie war. Auch andere Begründungen meiner Erwartung mußte ich verwerfen; ich meine jetzt, es liegt irgendwie am Charakter des Stoffes selbst und an unserer Ungewohntheit, mit ihm umzugehen. Immerhin, ich werde nicht erstaunt sein, wenn Sie sich in Ihrem Urteil noch zurückhaltender und vorsichtiger zeigen als bisher. Die Situation, in der wir uns zu Beginn unserer Untersuchung befinden, soll uns selbst den Weg weisen. Wir wollen das Ich [S 212 / W 64] zum Gegenstand dieser Untersuchung machen, unser eigenstes Ich. Aber kann man das? Das Ich ist ja doch das eigentlichste Subjekt, wie soll es zum Objekt werden? Nun, es ist kein Zweifel, daß man dies kann. Das Ich kann sich selbst zum Objekt nehmen, sich behandeln wie andere Objekte, sich beobachten, kritisieren, Gott weiß was noch alles mit sich selbst anstellen. Dabei stellt sich ein Teil des Ichs dem übrigen gegenüber. Das Ich ist also spaltbar, es spaltet sich während mancher seiner Funktionen, wenigstens vorübergehend. Die Teilstücke können sich nachher wieder vereinigen. Das ist gerade keine Neuigkeit, vielleicht eine ungewohnte Betonung allgemein bekannter Dinge. Anderseits sind wir mit der Auffassung vertraut, daß die Pathologie uns durch ihre Vergrößerungen und Vergröberungen auf normale Verhältnisse aufmerksam machen kann, die uns sonst entgangen wären. Wo sie uns einen Bruch oder Riß zeigt, kann normalerweise eine Gliederung vorhanden sein. Wenn wir einen Kristall zu Boden werfen, zerbricht er, aber nicht willkürlich, er zerfällt dabei nach seinen Spaltrichtungen in Stücke, deren Abgrenzung, obwohl unsichtbar, doch durch die Struktur des Kristalls vorher bestimmt war. Solche rissige und gesprungene Strukturen sind auch die Geisteskranken. Etwas von der ehrfürchtigen Scheu, die alte Völker den Wahnsinnigen bezeugten, können auch wir ihnen nicht versagen. Sie haben sich von der äußeren Realität abgewendet, aber eben darum wissen sie mehr von der inneren, psychischen Realität und können uns manches verraten, was uns sonst unzugänglich wäre. Von einer Gruppe dieser Kranken sagen wir, sie leiden am Beobachtungswahn. Sie klagen uns, daß sie unausgesetzt und bis in ihr intimstes

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Tun von der Beobachtung unbekannter Mächte, wahrscheinlich doch Personen, belästigt werden, und hören halluzinatorisch, wie diese Personen die Ergebnisse ihrer Beobachtung verkünden: Jetzt will er das sagen, jetzt kleidet er sich an um auszugehen usw. Diese Beobachtung ist noch nicht dasselbe wie eine Verfolgung, aber sie ist nicht weit davon, sie setzt voraus, daß man ihnen [S 213 / W 65] mißtraut, daß man erwartet, sie bei verbotenen Handlungen zu ertappen, für die sie gestraft werden sollen. Wie wäre es, wenn diese Wahnsinnigen Recht hätten, wenn bei uns allen eine solche beobachtende und strafandrohende Instanz im Ich vorhanden wäre, die sich bei ihnen nur scharf vom Ich gesondert hätte und irrtümlicherweise in die äußere Realität verschoben worden wäre? Ich weiß nicht, ob es Ihnen ebenso ergehen wird wie mir. Seitdem ich unter dem starken Eindruck dieses Krankheitsbildes die Idee gefaßt hatte, daß die Sonderung einer beobachtenden Instanz vom übrigen Ich, ein regelmäßiger Zug in der Struktur des Ichs sein könnte, hat sie mich nicht mehr verlassen, und ich war getrieben, nach den weiteren Charakteren und Beziehungen dieser so abgesonderten Instanz zu forschen. Der nächste Schritt ist bald getan. Schon der Inhalt des Beobachtungswahns legt es nahe, daß das Beobachten nur eine Vorbereitung ist für das Richten und Strafen, und somit erraten wir, daß eine andere Funktion dieser Instanz das sein muß, was wir unser Gewissen nennen. Es gibt kaum etwas anderes in uns, was wir so regelmäßig von unserem Ich sondern und so leicht ihm entgegenstellen wie gerade das Gewissen. Ich verspüre die Neigung, etwas zu tun, wovon ich mir Lust verspreche, aber ich unterlasse es mit der Begründung: mein Gewissen erlaubt es nicht. Oder ich habe mich von der übergroßen Lusterwartung bewegen lassen, etwas zu tun, wogegen die Stimme des Gewissens Einspruch erhob, und nach der Tat straft mich mein Gewissen mit peinlichen Vorwürfen, läßt mich die Reue ob der Tat empfinden. Ich könnte einfach sagen, die besondere Instanz, die ich im Ich zu unterscheiden beginne, ist das Gewissen, aber es ist vorsichtiger, diese Instanz selbständig zu halten und anzunehmen, das Gewissen sei eine ihrer Funktionen, und die Selbstbeobachtung, die als Voraussetzung für die richterliche Tätigkeit des Gewissens unentbehrlich ist, sei eine andere. Und da es zur Anerkennung einer gesonderten Existenz gehört, [S 214 / W 66] daß man dem Ding einen eigenen Namen gibt, will ich diese Instanz im Ich von nun an als das »Über-Ich« bezeichnen. Jetzt bin ich darauf gefaßt, daß Sie mich höhnisch fragen, ob unsere Ichpsychologie überhaupt darauf hinausläuft, gebräuchliche Abstraktionen wörtlich zu nehmen und zu vergröbern, sie aus Begriffen in Dinge zu verwandeln, womit nicht viel gewonnen wäre. Ich antworte, es wird schwer halten, in der Ichpsychologie dem Allbekannten auszuweichen, es wird mehr auf neue Auffassungen und Anordnungen ankommen als auf Neuentdeckungen. Bleiben Sie also vorläufig bei Ihrer herabsetzenden Kritik und warten Sie die weiteren Ausführungen ab. Die Tatsachen der Pathologie geben unseren Bemühungen

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einen Hintergrund, den Sie für die Populärpsychologie vergebens suchen würden. Ich setze fort. Kaum daß wir uns mit der Idee eines solchen Über-Ichs befreundet haben, das eine gewisse Selbständigkeit genießt, seine eigenen Absichten verfolgt und in seinem Energiebesitz vom Ich unabhängig ist, drängt sich uns ein Krankheitsbild auf, das die Strenge, ja die Grausamkeit dieser Instanz und die Wandlungen in ihrer Beziehung zum Ich auffällig verdeutlicht. Ich meine den Zustand der Melancholie2, genauer des melancholischen Anfalls, von dem ja auch Sie genug gehört haben, auch wenn Sie nicht Psychiater sind. An diesem Leiden, von dessen Verursachung und Mechanismus wir viel zu wenig wissen, ist der auffälligste Zug die Art, wie das Über-Ich – sagen Sie nur im stillen: das Gewissen – das Ich behandelt. Während der Melancholiker in gesunden Zeiten mehr oder weniger streng gegen sich sein kann, wie ein anderer, wird im melancholischen Anfall das Über-Ich überstreng, beschimpft, erniedrigt, mißhandelt das arme Ich, läßt es die schwersten Strafen erwarten, macht ihm Vorwürfe wegen längst vergangener Handlungen, die zu ihrer Zeit leicht genommen wurden, als hätte es das ganze Intervall über Anklagen gesammelt und nur seine gegenwärtige Erstarkung abgewartet, um mit ihnen hervorzutreten und auf Grund dieser Anklagen zu verurteilen. [S 215 / W 67] Das Über-Ich legt den strengsten moralischen Maßstab an das ihm hilflos preisgegebene Ich an, es vertritt ja überhaupt den Anspruch der Moralität, und wir erfassen mit einem Blick, daß unser moralisches Schuldgefühl der Ausdruck der Spannung zwischen Ich und Über-Ich ist. Es ist eine sehr merkwürdige Erfahrung, die Moralität, die uns angeblich von Gott verliehen und so tief eingepflanzt wurde, als periodisches Phänomen zu sehen. Denn nach einer gewissen Anzahl von Monaten ist der ganze moralische Spuk vorüber, die Kritik des Über-Ichs schweigt, das Ich ist rehabilitiert und genießt wieder alle Menschenrechte bis zum nächsten Anfall. Ja bei manchen Formen der Erkrankung findet in den Zwischenzeiten etwas Gegenteiliges statt; das Ich befindet sich in einem seligen Rauschzustand, es triumphiert, als hätte das Über-Ich alle Kraft verloren oder wäre mit dem Ich zusammengeflossen, und dieses freigewordene, manische Ich gestattet sich wirklich hemmungslos die Befriedigung aller seiner Gelüste. Vorgänge, reich an ungelösten Rätseln! Sie werden gewiß mehr als eine bloße Illustration erwarten, wenn ich Ihnen ankündige, daß wir über die Bildung des Über-Ichs, also über die Entstehung des Gewissens, mancherlei gelernt haben. In Anlehnung an einen bekannten Ausspruchs Kants, der das Gewissen in uns mit dem gestirnten Himmel zusammenbringt, könnte ein Frommer wohl versucht sein, diese beiden als die Meisterstücke der Schöpfung zu verehren. Die Gestirne sind gewiß großartig, aber was das Gewissen betrifft, so hat Gott hierin ungleichmäßige und nach2 Vgl. Freud (1916–1917g [1915]), Trauer und Melancholie, S. 3–12.

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lässige Arbeit geleistet, denn eine große Überzahl von Menschen hat davon nur ein bescheidenes Maß oder kaum so viel, als noch der Rede wert ist, mitbekommen. Wir verkennen das Stück psychologischer Wahrheit keineswegs, das in der Behauptung, das Gewissen sei göttlicher Herkunft, enthalten ist, aber der Satz bedarf der Deutung. Wenn das Gewissen auch etwas »in uns« ist, so ist es doch nicht von Anfang an. Es ist so recht ein Gegensatz zum Sexualleben, das wirklich [S 216 / W 68] vom Anfang des Lebens an da ist und nicht erst später hinzukommt. Aber das kleine Kind ist bekanntlich amoralisch, es besitzt keine inneren Hemmungen gegen seine nach Lust strebenden Impulse. Die Rolle, die späterhin das Über-Ich übernimmt, wird zuerst von einer äußeren Macht, von der elterlichen Autorität, gespielt. Der Elterneinfluß regiert das Kind durch Gewährung von Liebesbeweisen und durch Androhung von Strafen, die dem Kinde den Liebesverlust beweisen und an sich gefürchtet werden müssen. Diese Realangst ist der Vorläufer der späteren Gewissensangst3 ; solange sie herrscht, braucht man von Über-Ich und von Gewissen nicht zu reden. Erst in weiterer Folge bildet sich die sekundäre Situation aus, die wir allzu bereitwillig für die normale halten, daß die äußere Abhaltung verinnerlicht wird, daß an die Stelle der Elterninstanz das Über-Ich tritt, welches nun das Ich genau so beobachtet, lenkt und bedroht wie früher die Eltern das Kind. Das Über-Ich, das solcherart die Macht, die Leistung und selbst die Methoden der Elterninstanz übernimmt, ist aber nicht nur der Rechtsnachfolger, sondern wirklich der legitime Leibeserbe derselben. Es geht direkt aus ihr hervor, wir werden bald erfahren, durch welchen Vorgang. Zunächst müssen wir jedoch bei einer Unstimmigkeit zwischen beiden verweilen. Das Über-Ich scheint in einseitiger Auswahl nur die Härte und Strenge der Eltern, ihre verbietende und strafende Funktion aufgegriffen zu haben, während deren liebevolle Fürsorge keine Aufnahme und Fortsetzung findet. Haben die Eltern wirklich ein strenges Regiment geführt, so glauben wir es leicht begreiflich zu finden, wenn sich auch beim Kind ein strenges Über-Ich entwickelt, aber die Erfahrung zeigt, gegen unsere Erwartung, daß das Über-Ich denselben Charakter unerbittlicher Härte erwerben kann, auch wenn die Erziehung milde und gütig war, Drohungen und Strafen möglichst vermieden hat. Wir werden auf diesen Widerspruch später zurückkommen, wenn wir die Triebumsetzungen bei der Bildung des Über-Ichs behandeln.4 [S 217 / W 69] Von der Umwandlung der Elternbeziehung in das Über-Ich kann ich Ihnen nicht soviel sagen, wie ich gerne möchte, zum Teil weil dieser 3 Eine ausführliche Diskussion des Begriffs der Gewissensangst findet sich in Kapitel VII und Kapitel VIII, in Freud (1930a), Das Unbehagen in der Kultur. 4 Freud (1933a [1932]), XXXII. Vorlesung: Angst und Triebleben, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 15, S. 87–118, S. 117.

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Vorgang so verwickelt ist, daß seine Darstellung sich nicht in den Rahmen einer Einführung fügt, wie ich sie Ihnen geben will, zum anderen Teil weil wir selbst nicht glauben, ihn voll durchschaut zu haben. Begnügen Sie sich also mit den folgenden Andeutungen. Die Grundlage dieses Vorganges ist eine sogenannte Identifizierung, d. h. eine Angleichung eines Ichs an ein fremdes, in deren Folge dies erste Ich sich in bestimmten Hinsichten so benimmt wie das andere, es nachahmt, gewissermaßen in sich aufnimmt. Man hat die Identifizierung nicht unpassend mit der oralen, kannibalistischen Einverleibung der fremden Person verglichen. Die Identifizierung ist eine sehr wichtige Form der Bindung an die andere Person, wahrscheinlich die ursprünglichste, nicht dasselbe wie eine Objektwahl. Man kann den Unterschied etwa so ausdrücken: Wenn der Knabe sich mit dem Vater identifiziert, so will er so sein wie der Vater: wenn er ihn zum Objekt seiner Wahl macht, so will er ihn haben, besitzen; im ersten Fall wird sein Ich nach dem Vorbild des Vaters verändert, im zweiten Falle ist dies nicht notwendig. Identifizierung und Objektwahl sind in weitem Ausmaß unabhängig voneinander ; man kann sich aber auch mit der nämlichen Person identifizieren, sein Ich nach ihr verändern, die man z. B. zum Sexualobjekt genommen hat. Man sagt, daß die Beeinflussung des Ichs durch das Sexualobjekt besonders häufig bei Frauen vorkommt und für die Weiblichkeit charakteristisch ist. Von der bei weitem lehrreichsten Beziehung zwischen Identifizierung und Objektwahl muß ich Ihnen schon einmal in den früheren Vorlesungen gesprochen haben. Sie ist so leicht an Kindern wie an Erwachsenen, normalen und kranken Menschen zu beobachten. Wenn man ein Objekt verloren hat oder es aufgeben mußte, so entschädigt man sich oft genug dadurch, daß man sich mit ihm identifiziert, es in seinem Ich wieder aufrichtet, so daß hier die Objektwahl gleichsam zur Identifizierung regrediert.5 [S 218 / W 70] Ich bin von diesen Ausführungen über die Identifizierung selbst durchaus nicht befriedigt, aber genug, wenn Sie mir zugeben können, daß die Einsetzung des Über-Ichs als ein gelungener Fall von Identifizierung mit der Elterninstanz beschrieben werden kann. Die für diese Auffassung entscheidende Tatsache ist nun, daß diese Neuschöpfung einer überlegenen Instanz im Ich aufs innigste mit dem Schicksal des Ödipuskomplexes verknüpft ist, so daß das Über-Ich als der Erbe dieser für die Kindheit so bedeutungsvollen Gefühlsbindung erscheint. Wir verstehen, mit dem Auflassen des Ödipuskomplexes mußte das Kind auf die intensiven Objektbesetzungen verzichten, die es bei den Eltern 5 Die Problematik wird bereits in Freud (1916–1917a [1915–1917]), XXVI. Vorlesung: Die Libidotheorie und der Narzißmus, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 11, S. 427–446, S. 443–444 angesprochen. Kapitel VII, Die Identifizierung, in Freud (1921c), Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 115–121 ist dem Phänomen der Identifizierung gewidmet, während sich Kapitel III, Das Ich und das Über-Ich, in Freud (1923b), Das Ich und Das Es, S. 256–267 mit der Bildung des Über-Ichs befasst.

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untergebracht hatte, und zur Entschädigung für diesen Objektverlust werden die wahrscheinlich längst vorhandenen Identifizierungen mit den Eltern in seinem Ich so sehr verstärkt. Solche Identifizierungen als Niederschläge aufgegebener Objektbesetzungen werden sich später im Leben des Kindes oft genug wiederholen, aber es entspricht durchaus dem Gefühlswert dieses ersten Falles einer solchen Umsetzung, daß deren Ergebnis eine Sonderstellung im Ich eingeräumt wird. Eingehende Untersuchung belehrt uns auch, daß das Über-Ich in seiner Stärke und Ausbildung verkümmert, wenn die Überwindung des Ödipuskomplexes nur unvollkommen gelingt. Im Laufe der Entwicklung nimmt das ÜberIch auch die Einflüsse jener Personen an, die an die Stelle der Eltern getreten sind, also von Erziehern, Lehrern, idealen Vorbildern. Es entfernt sich normalerweise immer mehr von den ursprünglichen Elternindividuen, es wird sozusagen unpersönlicher. Wir wollen auch nicht daran vergessen, daß das Kind seine Eltern in verschiedenen Lebenszeiten verschieden einschätzt. Zur Zeit, da der Ödipuskomplex dem Über-Ich Platz räumt, sind sie etwas ganz Großartiges, später büßen sie sehr viel ein. Es kommen dann auch Identifizierungen mit diesen späteren Eltern zustande, sie liefern sogar regelmäßig wichtige Beiträge zur Charakterbildung, aber sie betreffen dann nur das Ich, beeinflussen nicht mehr das Über-Ich, das durch die frühesten Elternimagines bestimmt worden ist.6 [S 219 / W 71] Ich hoffe, Sie haben bereits den Eindruck empfangen, daß die Aufstellung des Über-Ichs wirklich ein Strukturverhältnis beschreibt und nicht einfach eine Abstraktion wie die des Gewissens personifiziert. Wir haben noch eine wichtige Funktion zu erwähnen, die wir diesem Über-Ich zuteilen. Es ist auch der Träger des Ichideals, an dem das Ich sich mißt, dem es nachstrebt, dessen Anspruch auf immer weitergehende Vervollkommnung es zu erfüllen bemüht ist. Kein Zweifel, dieses Ichideal ist der Niederschlag der alten Elternvorstellung, der Ausdruck der Bewunderung jener Vollkommenheit, die das Kind ihnen damals zuschrieb.7 Ich weiß, Sie haben viel von dem Gefühl der 6 Dieser Punkt wurde von Freud diskutiert in Freud (1924c), Das ökonomische Problem des Masochismus, S. 380. Freud verwendet den Terminus »Imago« selten, insbesondere in seinen späteren Schriften. Er taucht erstmals in der Schrift Freud (1912b), Zur Dynamik der Übertragung, GW 8, S. 364–374, S. 374 auf und wird dort C. G. Jung zugeschrieben, vgl. Jung (1911– 1912), Wandlungen und Symbole der Libido, S. 47–48 und S. 351. Jung habe laut eigener Angabe den Ausdruck dem Titel des gleichnamigen Romans des Schweizer Schriftstellers C. Spitteler entnommen. Laut dem Psychoanalytiker H. Sachs habe die psychoanalytische Zeitschrift Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, welche im Jahr 1912 gegründet wurde, ihren Namen ebenfalls aus dieser Quelle, vgl. Sachs (1945), Freud, Master and Friend, S. 63. 7 Wie bereits in Freud (1916–1917a [1915–1917]), XXVI. Vorlesung: Die Libidotheorie und der Narzißmus, unterscheidet Freud hier zwischen »Über-Ich« und »Ichideal«. Eine synonyme Verwendung jener Begriffe findet sich im III. Kapitel, Das Ich und das Über-Ich, in Freud (1923b), Das Ich und Das Es. Als Freud den Begriff des Ich-Ideals erstmals in Freud (1914c),

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Minderwertigkeit gehört, das gerade die Neurotiker auszeichnen soll. Es spukt besonders in der sogenannt schönen Literatur. Ein Schriftsteller, der das Wort Minderwertigkeitskomplex gebraucht, glaubt damit allen Anforderungen der Psychoanalyse Genüge getan und seine Darstellung auf ein höheres psychologisches Niveau gehoben zu haben. In Wirklichkeit wird das Kunstwort Minderwertigkeitskomplex in der Psychoanalyse kaum verwendet. Es bedeutet uns nichts Einfaches, geschweige denn etwas Elementares. Es auf die Selbstwahrnehmung etwaiger Organverkümmerungen zurückzuführen, wie die Schule der sogenannten Individualpsychologen zu tun beliebt, erscheint uns ein kurzsichtiger Irrtum.8 Das Gefühl der Minderwertigkeit hat starke erotische Wurzeln. Das Kind fühlt sich minderwertig, wenn es merkt, daß es nicht geliebt wird, und ebenso der Erwachsene. Das einzige Organ, das wirklich als minderwertig betrachtet wird, ist der verkümmerte Penis, die Klitoris des Mädchens.9 Aber der Hauptanteil des Minderwertigkeitsgefühls stammt aus der Beziehung des Ichs zu seinem Über-Ich, ist ebenso wie das Schuldgefühl ein Ausdruck der Spannung zwischen beiden. Minderwertigkeitsgefühl und Schuldgefühl sind überhaupt schwer auseinanderzuhalten. Vielleicht täte man gut daran, im ersteren die erotische Ergänzung zum moralischen Minderwertigkeitsgefühl zu sehen. Wir haben dieser Frage der [S 220 / W 72] begrifflichen Abgrenzung in der Psychoanalyse wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zur Einführung des Narzißmus, S. 162 eingeführt hat, unterschied er zwischen dem Ich-Ideal selbst und einer besonderen psychischen Instanz, »welche die Aufgabe erfüllt, über die Sicherung der narzißtischen Befriedigung aus dem Ichideal zu wachen, und in dieser Absicht das aktuelle Ich unausgesetzt beobachtet und am Ideal mißt.« Vgl. auch Freud (1916–1917a [1915–1917]), XXVI. Vorlesung: Die Libidotheorie und der Narzißmus, S. 444: »Er verspürt das Walten einer Instanz in seinem Ich, welche sein aktuelles Ich und jede seiner Betätigungen an einem Ideal-Ich mißt, das er sich im Laufe seiner Entwicklung geschaffen hat.« In manchen von Freuds späteren Arbeiten verschwimmt die Unterscheidung zwischen dem Ideal und der Instanz, die es aufbürdet. Die Verwendung des Begriffs »Idealfunktion«, drei Absätze weiter unten, bringt erneut dieselbe Fragestellung in den Raum. 8 Darauf wird in Freud (1933a [1932]), XXXIV. Vorlesung: Aufklärungen, Anwendungen, Orientierungen, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 15, S. 146–169 noch näher eingegangen. 9 Vgl. die Anmerkung von Freud (1925j), Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds, S. 25, Anm. 1: »Ich habe schon in meiner ersten kritischen Äußerung ›Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung‹ (1913) erkannt, daß dies der Wahrheitskern der Adlerschen Lehre ist, die kein Bedenken trägt, die ganze Welt aus diesem einen Punkte (Organminderwertigkeit – männlicher Protest – Abrücken von der weiblichen Linie) zu erklären und sich dabei rühmt, die Sexualität zugunsten des Machtstrebens ihrer Bedeutung beraubt zu haben! Das einzige ›minderwertige‹ Organ, das ohne Zweideutigkeit diesen Namen verdient, wäre also die Klitoris. Anderseits hört man, daß Analytiker sich rühmen, trotz jahrzehntelanger Bemühung nichts von der Existenz eines Kastrationskomplexes wahrgenommen zu haben. Man muß sich vor der Größe dieser Leistung in Bewunderung beugen, wenn es auch nur eine negative Leistung, ein Kunststück im Übersehen und Verkennen ist. Die beiden Lehren ergeben ein interessantes Gegensatzpaar : Hier keine Spur von einem Kastrationskomplex, dort nichts anderes als Folgen desselben.«

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Gerade weil der Minderwertigkeitskomplex so populär geworden ist, gestatte ich mir, Sie hier mit einer kleinen Abschweifung zu unterhalten. Eine historische Persönlichkeit unserer Zeit, die noch lebt, aber gegenwärtig in den Hintergrund gerückt ist, hat von einer Schädigung während der Geburt eine gewisse Verkümmerung eines Gliedes behalten. Ein sehr bekannter Schriftsteller unserer Tage, der am liebsten Biographien hervorragender Personen bearbeitet, hat auch das Leben dieses von mir bezeichneten Mannes behandelt.10 Nun mag es ja schwer sein, das Bedürfnis nach psychologischer Vertiefung zu unterdrücken, wenn man eine Biographie schreibt. Unser Autor hat darum den Versuch gewagt, die ganze Charakterentwicklung des Helden über dem Minderwertigkeitsgefühl, das jener körperliche Defekt wachrufen mußte, aufzubauen. Er hat dabei eine kleine, aber nicht unwichtige Tatsache übersehen. Es ist gewöhnlich, daß Mütter, denen das Schicksal ein krankes oder sonst benachteiligtes Kind geschenkt hat, es für diese ungerechte Zurücksetzung durch ein Übermaß von Liebe zu entschädigen suchen. In dem zur Rede stehenden Falle benahm sich die stolze Mutter anders, sie entzog dem Kind ihre Liebe wegen seines Gebrechens. Als aus dem Kinde ein großmächtiger Mann geworden war, bewies dieser durch seine Handlungen unzweideutig, daß er der Mutter nie verziehen hatte. Wenn Sie sich auf die Bedeutung der Mutterliebe für das kindliche Seelenleben besinnen, werden Sie die Minderwertigkeitstheorie des Biographen wohl in Ihren Gedanken korrigieren. Kehren wir zum Über-Ich zurück! Wir haben ihm die Selbstbeobachtung, das Gewissen und die Idealfunktion zugeteilt.11 Aus unseren Ausführungen über seine Entstehung geht hervor, daß es eine unsäglich wichtige biologische wie eine schicksalsvolle psychologische Tatsache zu Voraussetzungen hat, nämlich die lange Abhängigkeit des Menschenkindes von seinen Eltern und den [S 221 / W 73] Ödipuskomplex, die beide wieder innig miteinander verknüpft sind. Das Über-Ich ist für uns die Vertretung aller moralischen Beschränkungen, der Anwalt des Strebens nach Vervollkommnung, kurz das, was uns von dem sogenannt Höheren im Menschenleben psychologisch greifbar geworden ist. Da es selbst auf den Einfluß der Eltern, Erzieher und dergleichen zurückgeht, erfahren 10 E. Ludwig (1926), Wilhelm der Zweite. In seiner Biographie des letzten Deutschen Kaisers und Königs von Preußen erzählt der Schriftsteller, wie der Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen (1859–1941) im Laufe seiner Steißgeburt eine geburtstraumatische Plexuslähmung des linken Armes erlitt und wie diese Parese seine Kindheit nachhaltig beeinträchtigte. Freud spielt darauf an, dass sich dessen Mutter, Victoria, Kaiserin Friedrich, die erstgeborene Tochter von Victoria, der Königin des Vereinigten Königreiches und Kaiserin von Indien, mit der Behinderung ihres Sohnes nie abfinden konnte und zu ihm eine ablehnende Haltung entwickelte. Als Kaiser Wilhelm der Zweite in das kaiserliche Neue Palais einzog, verweigerte er der Mutter ein weiteres Wohnrecht, sodass die verwitwete Kaiserin nach Kronberg in Taunus ziehen und ihren Sitz Schloss Friedrichshof erst errichten lassen musste. 11 Zum Begriff der Idealfunktion vgl. die Anmerkung zum Ichideal weiter oben.

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wir noch mehr von seiner Bedeutung, wenn wir uns zu diesen seinen Quellen wenden. In der Regel folgen die Eltern und die ihnen analogen Autoritäten in der Erziehung des Kindes den Vorschriften des eigenen Über-Ichs. Wie immer sich ihr Ich mit ihrem Über-Ich auseinandergesetzt haben mag, in der Erziehung des Kindes sind sie streng und anspruchsvoll. Sie haben die Schwierigkeiten ihrer eigenen Kindheit vergessen, sind zufrieden, sich nun voll mit den eigenen Eltern identifizieren zu können, die ihnen seinerzeit die schweren Einschränkungen auferlegt haben. So wird das Über-Ich des Kindes eigentlich nicht nach dem Vorbild der Eltern, sondern des elterlichen Über-Ichs aufgebaut; es erfüllt sich mit dem gleichen Inhalt, es wird zum Träger der Tradition, all der zeitbeständigen Wertungen, die sich auf diesem Wege über Generationen fortgepflanzt haben. Sie erraten leicht, welch wichtige Hilfen für das Verständnis des sozialen Verhaltens der Menschen, z. B. für das der Verwahrlosung, vielleicht auch welch praktische Winke für die Erziehung sich aus der Berücksichtigung des Über-Ichs ergeben. Wahrscheinlich sündigen die sogenannt materialistischen Geschichtsauffassungen darin, daß sie diesen Faktor unterschätzen. Sie tun ihn mit der Bemerkung ab, daß die »Ideologien« der Menschen nichts anderes sind als Ergebnis und Überbau ihrer aktuellen ökonomischen Verhältnisse. Das ist die Wahrheit, aber sehr wahrscheinlich nicht die ganze Wahrheit. Die Menschheit lebt nie ganz in der Gegenwart, in den Ideologien des Über-Ichs lebt die Vergangenheit, die Tradition der Rasse und des Volkes fort, die den Einflüssen der Gegenwart, neuen Veränderungen, nur langsam weicht, und solange sie durch das Über-Ich wirkt, [S 222 / W 74] eine mächtige, von den ökonomischen Verhältnissen unabhängige Rolle im Menschenleben spielt. Im Jahre 1921 habe ich versucht, die Differenzierung von Ich und Über-Ich beim Studium der Massenpsychologie zu verwenden. Ich gelangte zu einer Formel wie: Eine psychologische Masse ist eine Vereinigung von Einzelnen, die die nämliche Person in ihr Über-Ich eingeführt und sich auf Grund dieser Gemeinsamkeit in ihrem Ich miteinander identifiziert haben.12 Sie gilt natürlich nur für Massen, die einen Führer haben. Besäßen wir mehr Anwendungen dieser Art, so würde die Annahme des Über-Ichs das letzte Stück Befremden für uns verlieren und wir würden von jener Befangenheit gänzlich frei werden, die uns doch noch befällt, wenn wir uns, an die Unterweltatmosphäre gewöhnt, in den oberflächlicheren, höheren Schichten des seelischen Apparats bewegen. Wir glauben selbstverständlich nicht, daß wir mit der Sonderung des Über-Ichs das letzte Wort zur Ichpsychologie gesprochen haben. Es ist eher ein erster Anfang, aber in diesem Falle ist nicht nur der Anfang schwer. Aber nun wartet unser eine andere Aufgabe, am sozusagen entgegengesetzten Ende des Ichs. Sie wird von einer Beobachtung während der analytischen Arbeit 12 Vgl. Freud (1921c), Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 128.

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gestellt, einer Beobachtung, die eigentlich sehr alt ist. Wie es schon manchmal geht, hat es lange gebraucht, bis man sich zu ihrer Würdigung entschloß. Wie Sie wissen, ist eigentlich die ganze psychoanalytische Theorie über der Wahrnehmung des Widerstands aufgebaut, den uns der Patient bei dem Versuch, ihm sein Unbewußtes bewußt zu machen, leistet. Das objektive Zeichen des Widerstands ist, daß seine Einfälle versagen oder sich weit von dem behandelten Thema entfernen. Er kann den Widerstand auch subjektiv daran erkennen, daß er peinliche Empfindungen verspürt, wenn er sich dem Thema annähert. Aber dies letzte Zeichen kann auch wegbleiben. Dann sagen wir dem Patienten, daß wir aus seinem Verhalten schließen, er befinde sich jetzt im Widerstande, und [S 223 / W 75] er antwortet, er wisse nichts davon, er merke nur die Erschwerung der Einfälle. Es zeigt sich, daß wir Recht hatten, aber dann war sein Widerstand auch unbewußt, ebenso unbewußt wie das Verdrängte, an dessen Hebung wir arbeiteten. Man hätte längst die Frage aufwerfen sollen: von welchem Teil seines Seelenlebens geht ein solcher unbewußter Widerstand aus? Der Anfänger in der Psychoanalyse wird rasch mit der Antwort zur Hand sein: Es ist eben der Widerstand des Unbewußten. Eine zweideutige, unbrauchbare Antwort! Wenn damit gemeint ist, er gehe vom Verdrängten aus, so müssen wir sagen: Gewiß nicht! Dem Verdrängten müssen wir eher einen starken Auftrieb zuschreiben, einen Drang, zum Bewußtsein durchzudringen. Der Widerstand kann nur eine Äußerung des Ichs sein, das seinerzeit die Verdrängung durchgeführt hat und sie jetzt aufrecht halten will. So haben wir’s auch früher immer aufgefaßt. Seitdem wir eine besondere Instanz im Ich annehmen, die die einschränkenden und abweisenden Forderungen vertritt, das Über-Ich, können wir sagen, die Verdrängung sei das Werk dieses Über-Ichs, es führe sie entweder selbst durch oder in seinem Auftrag das ihm gehorsame Ich. Wenn nun der Fall vorliegt, daß der Widerstand in der Analyse dem Patienten nicht bewußt wird, so heißt das entweder, daß das Über-Ich und das Ich in ganz wichtigen Situationen unbewußt arbeiten können oder, was noch bedeutsamer wäre, daß Anteile von beiden, Ich und Über-Ich selbst, unbewußt sind. In beiden Fällen haben wir von der unerfreulichen Einsicht Kenntnis zu nehmen, daß (Über-)Ich und bewußt einerseits, Verdrängtes und unbewußt anderseits keineswegs zusammenfallen. Meine Damen und Herren! Ich empfinde das Bedürfnis, eine Atempause zu machen, die auch Sie als wohltuend begrüßen werden, und mich, ehe ich fortsetze, bei Ihnen zu entschuldigen. Ich will Ihnen Nachträge zu einer Einführung in die Psychoanalyse geben, die ich vor fünfzehn Jahren begonnen habe, und muß mich benehmen, als hätten auch Sie in dieser Zwischenzeit nichts [S 224 / W 76] anderes als Psychoanalyse getrieben. Ich weiß, das ist eine ungehörige Zumutung, aber ich bin hilflos, ich kann es nicht anders machen. Es hängt wohl daran, daß es überhaupt so schwer ist, dem, der nicht selbst Psychoanalytiker ist, einen Einblick in die Psychoanalyse zu geben. Sie können mir glauben, daß wir

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nicht gern den Anschein erwecken, als seien wir Geheimbündler und betreiben eine Geheimwissenschaft. Und doch mußten wir erkennen und als unsere Überzeugung verkünden, das13 niemand das Recht hat, in die Psychoanalyse dreinzureden, wenn er sich nicht bestimmte Erfahrungen erworben hat, die man nur durch eine Analyse an seiner eigenen Person erwerben kann. Als ich Ihnen vor fünfzehn Jahren meine Vorlesungen gab, suchte ich Sie mit gewissen spekulativen Stücken unserer Theorie zu verschonen, aber gerade an die knüpfen die Neuerwerbungen an, von denen ich heute zu sprechen habe. Ich kehre zum Thema zurück. In dem Zweifel, ob Ich und Über-Ich selbst unbewußt sein oder nur unbewußte Wirkungen entfalten können, haben wir uns mit guten Gründen für die erstere Möglichkeit entschieden. Ja, große Anteile des Ichs und Über-Ichs können unbewußt bleiben, sind normalerweise unbewußt. Das heißt, die Person weiß nichts von deren Inhalten und es bedarf eines Aufwands an Mühe, sie ihr bewußt zu machen. Es trifft zu, daß Ich und bewußt, Verdrängt und unbewußt nicht zusammenfallen. Wir empfinden das Bedürfnis, unsere Einstellung zum Problem bewußt-unbewußt gründlich zu revidieren. Zunächst sind wir geneigt, den Wert des Kriteriums der Bewußtheit, da es sich als so unzuverlässig erwiesen hat, recht herabzusetzen. Aber wir täten Unrecht daran. Es ist damit wie mit unserem Leben; es ist nicht viel wert, aber es ist alles, was wir haben. Ohne die Leuchte der Bewußtseinsqualität wären wir im Dunkel der Tiefenpsychologie verloren; aber wir dürfen versuchen, uns neu zu orientieren. Was man bewußt heißen soll, brauchen wir nicht zu erörtern, [S 225 / W 77] es ist jedem Zweifel entzogen. Die älteste und beste Bedeutung des Wortes »unbewußt« ist die deskriptive; wir nennen unbewußt einen psychischen Vorgang, dessen Existenz wir annehmen müssen, etwa weil wir ihn aus seinen Wirkungen erschließen, von dem wir aber nichts wissen. Wir haben dann zu ihm dieselbe Beziehung wie zu einem psychischen Vorgang bei einem anderen Menschen, nur daß er eben einer unserer eigenen ist. Wenn wir noch korrekter sein wollen, werden wir den Satz dahin modifizieren, daß wir einen Vorgang unbewußt heißen, wenn wir annehmen müssen, er sei derzeit aktiviert, obwohl wir derzeit nichts von ihm wissen. Diese Einschränkung läßt uns daran denken, daß die meisten bewußten Vorgänge nur kurze Zeit bewußt sind; sehr bald werden sie latent, können aber leicht wiederum bewußt werden. Wir könnten auch sagen, sie seien unbewußt geworden, wenn es überhaupt sicher wäre, daß sie im Zustand der Latenz noch etwas Psychisches sind. Soweit hätten wir nichts Neues erfahren, auch nicht das Recht erworben, den Begriff eines Unbewußten in die Psychologie einzuführen. Dann kommt aber die neue Erfahrung, die wir schon an den Fehlleistungen machen können. Wir sehen uns z. B. zur Erklärung eines 13 Dieser Fehler [das] in den GS wurde in den GW [daß] entsprechend korrigiert.

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Versprechens genötigt anzunehmen, daß sich bei dem Betreffenden eine bestimmte Redeabsicht gebildet hatte. Wir erraten sie mit Sicherheit aus der vorgefallenen Störung der Rede, aber sie hatte sich nicht durchgesetzt, sie war also unbewußt. Wenn wir sie nachträglich dem Redner vorführen, kann er sie als eine ihm vertraute anerkennen, dann war sie nur zeitweilig unbewußt, oder sie als ihm fremd verleugnen, dann war sie dauernd unbewußt.14 Aus dieser Erfahrung schöpfen wir rückgreifend das Recht, auch das als latent Bezeichnete für ein Unbewußtes zu erklären. Die Berücksichtigung dieser dynamischen Verhältnisse gestattet uns jetzt, zweierlei Unbewußtes zu unterscheiden, eines, das leicht, unter häufig hergestellten Bedingungen, sich in Bewußtes umwandelt, ein anderes, bei dem diese Umsetzung schwer, nur unter erheblichem Müheaufwand, möglicher- [S 226 / W 78] weise niemals erfolgt. Um der Zweideutigkeit zu entgehen, ob wir das eine oder das andere Unbewußte meinen, das Wort im deskriptiven oder im dynamischen Sinn gebrauchen, wenden wir ein erlaubtes, einfaches Auskunftsmittel an. Wir heißen jenes Unbewußte, das nur latent ist und so leicht bewußt wird, das Vorbewußte, behalten die Bezeichnung »unbewußt« dem anderen vor. Wir haben nun drei Termini: bewußt, vorbewußt, unbewußt, mit denen wir in der Beschreibung der seelischen Phänomene unser Auskommen finden. Nochmals, rein deskriptiv ist auch das Vorbewußte unbewußt, aber wir bezeichnen es nicht so, außer in lockerer Darstellung oder wenn wir die Existenz unbewußter Vorgänge überhaupt im Seelenleben zu verteidigen haben. Sie werden mir hoffentlich zugeben, das sei so weit nicht gar arg und erlaube eine bequeme Handhabung. Ja, aber leider hat die psychoanalytische Arbeit sich gedrängt gefunden, das Wort unbewußt noch in einem anderen, dritten, Sinn zu verwenden, und das mag allerdings Verwirrung gestiftet haben. Unter dem neuen und starken Eindruck, daß ein weites und wichtiges Gebiet des Seelenlebens der Kenntnis des Ichs normalerweise entzogen ist, so daß die Vorgänge darin als unbewußte im richtigen dynamischen Sinn anerkannt werden müssen, haben wir den Terminus »unbewußt« auch in einem topischen oder systematischen Sinn verstanden, von einem System des Vorbewußten und des Unbewußten gesprochen, von einem Konflikt des Ichs mit dem System Ubw, das Wort immer mehr eher eine seelische Provinz bedeuten lassen als eine Qualität des Seelischen. Die eigentlich unbequeme Entdeckung, daß auch Anteile des Ichs und Über-Ichs im dynamischen Sinne unbewußt sind, wirkt hier wie eine Erleichterung, gestattet uns, eine Komplikation wegzuräumen. Wir sehen, wir haben kein Recht, das ichfremde Seelengebiet das System Ubw zu nennen, da die Unbewußtheit nicht sein ausschließender Charakter ist. Gut, so wollen wir 14 Vgl. Am Ende von Freud (1916–1917a [1915–1917]), IV. Vorlesung: Die Fehlleistungen (Schluß), Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 11, S. 54–76.

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»unbewußt« nicht mehr im systematischen Sinn gebrauchen und dem bisher so Bezeichneten einen besseren, nicht [S 227 / W 79] mehr mißverständlichen Namen geben. In Anlehnung an den Sprachgebrauch bei Nietzsche und infolge einer Anregung von G. Groddeck15 heißen wir es fortan das Es. Dies unpersönliche Fürwort scheint besonders geeignet, den Hauptcharakter dieser Seelenprovinz, ihre Ichfremdheit, auszudrücken. Über-Ich, Ich und Es sind nun die drei Reiche, Gebiete, Provinzen, in die wir den Seelenapparat der Person zerlegen, mit deren gegenseitigen Beziehungen wir uns im weiteren beschäftigen wollen.16 Vorher nur eine kurze Einschaltung. Ich vermute, Sie sind unzufrieden damit, daß die drei Qualitäten der Bewußtheit und die drei Provinzen des seelischen Apparats sich nicht zu drei friedlichen Paaren zusammengefunden haben, und sehen darin etwas wie eine Trübung unserer Resultate. Ich meine aber, wir sollten es nicht bedauern und sollten uns sagen, daß wir kein Recht hatten, eine so glatte Anordnung zu erwarten. Lassen Sie mich eine Vergleichung bringen; Vergleiche entscheiden nichts, das ist wahr, aber sie können machen, daß man sich heimischer fühlt. Ich imaginiere ein Land mit mannigfaltiger Bodengestaltung, Hügelland, Ebene und Seenketten, mit gemischter Bevölkerung – es wohnen darin Deutsche, Magyaren und Slowaken, die auch verschiedene Tätigkeiten betreiben. Nun könnte die Verteilung so sein, daß im Hügelland die Deutschen wohnen, die Viehzüchter sind, im Flachland die Magyaren, die Getreide und Wein bauen, an den Seen die Slowaken, die Fische fangen und Schilf flechten. Wenn diese Verteilung glatt und reinlich wäre, würde ein Wilson seine Freude an ihr haben17; es wäre auch bequem für den Vortrag in der Geographiestunde. Es ist aber wahrscheinlich, daß Sie weniger Ordnung und mehr Vermengung finden, wenn Sie die Gegend bereisen. Deutsche, Magyaren und Slowaken leben überall durcheinander, im Hügelland gibt es auch Äcker, in der Ebene wird auch Vieh gehalten. Einiges ist natürlich so wie Sie es erwartet haben, denn auf Bergen kann man keine Fische fangen, im Wasser wächst kein Wein. Ja, 15 G. W. Groddeck (1866–1934) war ein Arzt, Psychoanalytiker und Pionier der Psychosomatik. Er führte das Sanatorium Villa Marienhöhe in Baden-Baden. 16 Die Abkürzung Ubw, abgesehen von dieser Passage, wird von Freud nach Das Ich und das Es erst wieder und ein einziges Mal in Essay III, Teil I, Kapitel E, Schwierigkeiten, von Freud (1939a [1934–1938]), Der Mann Moses und die monotheistische Religion, GW 16, S. 103–246, S. 202 verwendet. 17 Freud hatte ein Jahr vor dem Schreiben dieses Artikels mit W. C. Bullitt (damals Botschafter der U.S.A. in Berlin) am Entwurf einer psychologischen Studie über Präsident Wilson gearbeitet. Im Jahr 1966 veröffentlichte Bullitt ein Buch über T. W. Wilson, in dem Freud als CoAutor genannt wurde. Das Buch scheint jedoch mit Ausnahme einer Einführung keinen Beitrag von Freud zu enthalten. Vgl. Freud (1966b), Einleitung, zu: S. Freud und W. C. Bullitt, T. W. Wilson, Twenty-eighth President of the United States: A Psychological Study, S. XI–XVI, GW Nachtragsbd., S. 686–692. Die englische Übersetzung dieser Einführung stammt vermutlich von Bullitt.

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das Bild der Gegend, das Sie [S 228 / W 80] mitgebracht haben, mag im großen und ganzen zutreffend sein; im einzelnen werden Sie sich Abweichungen gefallen lassen. Sie erwarten nicht, daß ich Ihnen vom Es außer dem neuen Namen viel Neues mitzuteilen habe. Es ist der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit; das wenige, was wir von ihm wissen, haben wir durch das Studium der Traumarbeit und der neurotischen Symptombildung erfahren und das meiste davon hat negativen Charakter, läßt sich nur als Gegensatz zum Ich beschreiben. Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen. Wir stellen uns vor, es sei am Ende gegen das Somatische offen, nehme da die Triebbedürfnisse in sich auf, die in ihm ihren psychischen Ausdruck finden, wir können aber nicht sagen, in welchem Substrat. Von den Trieben her erfüllt es sich mit Energie, aber es hat keine Organisation, bringt keinen Gesamtwillen auf, nur das Bestreben, den Triebbedürfnissen unter Einhaltung des Lustprinzips Befriedigung zu schaffen. Für die Vorgänge im Es gelten die logischen Denkgesetze nicht, vor allem nicht der Satz des Widerspruchs. Gegensätzliche Regungen bestehen nebeneinander, ohne einander aufzuheben oder sich voneinander abzuziehen, höchstens daß sie unter dem herrschenden ökonomischen Zwang zur Abfuhr der Energie zu Kompromißbildungen zusammentreten. Es gibt im Es nichts, was man der Negation gleichstellen könnte, auch nimmt man mit Überraschung die Ausnahme von dem Satz der Philosophen wahr, daß Raum und Zeit notwendige Formen unserer seelischen Akte seien.18 Im Es findet sich nichts, was der Zeitvorstellung entspricht, keine Anerkennung eines zeitlichen Ablaufs und, was höchst merkwürdig ist und seiner Würdigung im philosophischen Denken wartet, keine Veränderung des seelischen Vorgangs durch den Zeitablauf.19 Wunschregungen, die das Es nie überschritten haben, aber auch Eindrücke, die durch Verdrängung ins Es versenkt worden sind, sind virtuell unsterblich, verhalten sich nach Dezennien, als ob sie neu vorgefallen wären. Als Vergangenheit erkannt, entwertet [S 229 / W 81] und ihrer Energiebesetzung beraubt können sie erst werden, wenn 18 Vgl. dazu Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, S. 27–28: »Der Kantsche Satz, daß Zeit und Raum notwendige Formen unseres Denkens sind, kann heute infolge gewisser psychoanalytischer Erkenntnisse einer Diskussion unterzogen werden. Wir haben erfahren, daß die unbewußten Seelenvorgänge an sich ›zeitlos‹ sind. Das heißt zunächst, daß sie nicht zeitlich geordnet werden, daß die Zeit nichts an ihnen verändert, daß man die Zeitvorstellung nicht an sie heranbringen kann.« 19 Eine umfangreiche Darstellung dieser Problematik, die bis in Freuds früheste Schriften zurückreicht, findet sich in Kapitel V, Die besonderen Eigenschaften des Systems Ubw, in Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 286: »Die Vorgänge des Systems Ubw sind zeitlos, d. h. sie sind nicht zeitlich geordnet, werden durch die verlaufende Zeit nicht abgeändert, haben überhaupt keine Beziehung zur Zeit. Auch die Zeitbeziehung ist an die Arbeit des BwSystems geknüpft.«

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sie durch die analytische Arbeit bewußt geworden sind, und darauf beruht nicht zum kleinsten Teil die therapeutische Wirkung der analytischen Behandlung. Ich habe immer wieder den Eindruck, daß wir aus dieser über jedem Zweifel feststehenden Tatsache der Unveränderlichkeit des Verdrängten durch die Zeit viel zu wenig für unsere Theorie gemacht haben. Da scheint sich doch ein Zugang zu den tiefsten Einsichten zu eröffnen. Leider bin auch ich da nicht weiter gekommen. Selbstverständlich kennt das Es keine Wertungen, kein Gut und Böse, keine Moral. Das ökonomische oder, wenn Sie wollen, quantitative Moment, mit dem Lustprinzip innig verknüpft, beherrscht alle Vorgänge. Triebbesetzungen, die nach Abfuhr verlangen, das, meinen wir, sei alles im Es. Es scheint sogar, daß sich die Energie dieser Triebregungen in einem andern Zustand befindet als in den andern seelischen Bezirken, weit leichter beweglich und abfuhrfähig ist20, denn sonst würden nicht jene Verschiebungen und Verdichtungen vorfallen, die für das Es charakteristisch sind und die so vollkommen von der Qualität des Besetzten – im Ich würden wir es eine Vorstellung nennen – absehen. Man gäbe was darum, wenn man von diesen Dingen mehr verstehen könnte! Sie sehen übrigens, daß wir in der Lage sind, vom Es noch andere Eigenschaften anzugeben, als daß es unbewußt ist, und Sie erkennen die Möglichkeit, daß Teile vom Ich und Über-Ich unbewußt seien, ohne die nämlichen primitiven und irratio20 Freud hat bereits in diesem Sinn differenziert, wie in Kapitel V, Die besonderen Eigenschaften des Systems Ubw, in Freud (1915e), Das Unbewußte, S. 287 und in Freud (1920g), Jenseits des Lustprinzips, S. 26–27. In beiden Passagen führt Freud diese Unterscheidung auf J. Breuer zurück. In Das Unbewußte führt Freud aus, dass seiner Meinung nach diese Unterscheidung die tiefste Einsicht darstellt, die bis heute über die Natur der psychischen Energie gewonnen wurde. In der englischen Standard Edition wird an dieser Stelle auf eine weitreichende Fußnote der Herausgeberinnen und Herausgeber derselben in Freud (1933a [1932]), XXXII Lecture: Anxiety and Instinctual Life, New Introductory Lectures On PsychoAnalysis, SE 22, S. 81–112, S. 89 Anm. 1 verwiesen. Diese führt aus, dass die aufschiebende Funktion des Denkens als eine der Hauptfunktionen des Ichs beschrieben wird. Die Auffassung, dass das Denken als ein Probehandeln begriffen werden kann und ein wesentliches Element der Realitätsprüfung ist, gehört zu den frühesten und grundlegendsten Theorien von Freud, die eng mit seiner Unterscheidung zwischen primären und sekundären Vorgängen verbunden ist. Sie erscheint zuerst in den Kapiteln 16, 17 und 18 von Teil I und dann in Kapitel 3 von Teil III in Freud (1950c [1895]), Entwurf einer Psychologie, GW Nachtragsbd., S. 387–477. An dieser Stelle wird die Problematik in neurologischer Hinsicht diskutiert, während sie von einer psychologischen Perspektive in Kapitel VII, E, Der Primärund der Sekundärvorgang – Die Verdrängung, in Freud (1900a), Die Traumdeutung, S. 605– 606, behandelt wird. Sie findet sich außerdem in Freud (1905c), Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, S. 219, in (1911b), Formulierungen über zwei Prinzipien des psychischen Geschehens, S. 233, in Kapitel V, Die besonderen Eigenschaften des Systems Ubw, in (1915e), Das Unbewußte, S. 287, in Kapitel V, Die Abhängigkeiten des Ichs, in (1923b), Das Ich und Das Es, S. 285 und in (1925h), Die Verneinung, S. 14. Sie findet sich dann auch wieder in Kapitel VIII, Eine Probe psychoanalytischer Arbeit, in Freuds postum veröffentlichtem Manuskript (1940a [1938]), Abriß der Psychoanalyse.

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nellen Charaktere zu besitzen.21 Zu einer Charakteristik des eigentlichen Ichs, insofern es sich vom Es und vom Über-Ich sondern läßt, gelangen wir am ehesten, wenn wir seine Beziehung zum äußersten oberflächlichen Stück des seelischen Apparats ins Auge fassen, das wir als das System W-Bw bezeichnen.22 Dieses System ist der Außenwelt zugewendet, es vermittelt die Wahrnehmungen von ihr, in ihm entsteht während seiner Funktion das Phänomen des Bewußtseins. Es ist das Sinnesorgan [S 230 / W 82] des ganzen Apparats, empfänglich übrigens nicht nur für Erregungen, die von außen, sondern auch für solche, die aus dem Inneren des Seelenlebens herankommen. Die Auffassung bedarf kaum einer Rechtfertigung, daß das Ich jener Teil des Es ist, der durch die Nähe und den Einfluß der Außenwelt modifiziert wurde, zur Reizaufnahme und zum Reizschutz eingerichtet, vergleichbar der Rindenschicht, mit der sich ein Klümpchen lebender Substanz umgibt. Die Beziehung zur Außenwelt ist für das Ich entscheidend geworden, es hat die Aufgabe übernommen, sie bei dem Es zu vertreten, zum Heil des Es, das ohne Rücksicht auf diese übergewaltige Außenmacht im blinden Streben nach Triebbefriedigung der Vernichtung nicht entgehen würde. In der Erfüllung dieser Funktion muß das Ich die Außenwelt beobachten, eine getreue Abbildung von ihr in den Erinnerungsspuren seiner Wahrnehmungen niederlegen, durch die Tätigkeit der Realitätsprüfung23 fernhalten, was an diesem Bild der Außenwelt Zutat aus inneren Erregungsquellen ist. Im Auftrag des Es beherrscht das Ich die Zugänge zur Motilität, aber es hat zwischen Bedürfnis und Handlung den Aufschub der Denkarbeit24 eingeschaltet, während dessen es die Erinnerungsreste der Erfahrung verwertet. Auf solche Weise hat es das Lustprinzip entthront, das uneingeschränkt den Ablauf der Vorgänge im Es beherrscht und es durch das Realitätsprinzip ersetzt, das mehr Sicherheit und größeren Erfolg verspricht. Auch die so schwer zu beschreibende Beziehung zur Zeit wird dem Ich durch das Wahrnehmungssystem vermittelt; es ist kaum zweifelhaft, daß die Arbeitsweise dieses Systems der Zeitvorstellung den Ursprung gibt.25 Was das Ich zum Unterschied vom Es aber ganz besonders auszeichnet, ist ein Zug zur Synthese seiner Inhalte, zur Zusammenfassung und Vereinheitlichung seiner seelischen Vorgänge, der dem Es völlig abgeht. Wenn wir nächstens einmal von 21 Das Es wird auf der Grundlage des Kapitels V, Die besonderen Eigenschaften des Systems Ubw, in Freud (1915e), Das Unbewußte erläutert. 22 Wahrnehmung-Bewusstsein. 23 Vgl. dazu die Diskussion in Freud (1925i), Einige Nachträge zum Ganzen der Traumdeutung, GW 1, S. 561–573 und in Freud (1916–1917a [1915–1917]), XXIII. Vorlesung: Die Wege der Symptombildung, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 11, S. 372–391, S. 387. 24 Dieses Problem wird gegen Ende dieser Vorlesung wieder aufgenommen. 25 Vgl. Freud (1925a), Notiz über den »Wunderblock«, GW 14, S. 3–8.

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den Trieben im Seelenleben handeln, wird es uns hoffentlich gelingen, diesen wesentlichen Charakter des Ichs auf seine Quelle zurückzuführen.26 Er allein stellt jenen hohen Grad [S 231 / W 83] von Organisation her, dessen das Ich bei seinen besten Leistungen bedarf. Es entwickelt sich von der Triebwahrnehmung zur Triebbeherrschung, aber die letztere wird nur dadurch erreicht, daß die Triebrepräsentanz in einen größeren Verband eingeordnet, in einen Zusammenhang aufgenommen wird. Wenn wir uns populären Redeweisen anpassen, dürfen wir sagen, daß das Ich im Seelenleben Vernunft und Besonnenheit vertritt, das Es aber die ungezähmten Leidenschaften. Wir haben uns bisher durch die Aufzählung der Vorzüge und Fähigkeiten des Ichs imponieren lassen; es ist jetzt Zeit, auch der Kehrseite zu gedenken. Das Ich ist doch nur ein Stück vom Es, ein durch die Nähe der gefahrdrohenden Außenwelt zweckmäßig verändertes Stück. In dynamischer Hinsicht ist es schwach, seine Energien hat es dem Es entlehnt, und wir sind nicht ganz ohne Einsicht in die Methoden, man könnte sagen: in die Schliche, durch die es dem Es weitere Energiebeträge entzieht. Ein solcher Weg ist zum Beispiel auch die Identifizierung mit beibehaltenen oder aufgegebenen Objekten. Die Objektbesetzungen gehen von den Triebansprüchen des Es aus. Das Ich hat sie zunächst zu registrieren. Aber indem es sich mit dem Objekt identifiziert, empfiehlt es sich dem Es an Stelle des Objekts, will es die Libido des Es auf sich lenken. Wir haben schon gehört, daß das Ich im Lauf des Lebens eine große Anzahl von solchen Niederschlägen ehemaliger Objektbesetzungen in sich aufnimmt. Im ganzen muß das Ich die Absichten des Es durchführen, es erfüllt seine Aufgabe, wenn es die Umstände ausfindig macht, unter denen diese Absichten am besten erreicht werden können. Man könnte das Verhältnis des Ichs zum Es mit dem des Reiters zu seinem Pferd vergleichen. Das Pferd gibt die Energie für die Lokomotion her, 26 Während diese Eigenschaft des Ichs in keiner der Vorlesungen in Freud (1933a [1932]), Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse weiter ausgeführt wurde, wurde sie in Kapitel III von Freud (1926d), Hemmung, Symptom und Angst, S. 124–127 diskutiert. Obwohl Freud das synthetische Merkmal des Ichs im Besonderen in seinen späteren Schriften betont hatte, wie etwa in Freud (1926e), Die Frage der Laienanalyse. Unterredungen mit einem Unparteiischen, GW 14, S. 207–286, S. 223, war jenes in seinem Bild des Ichs schon in den Anfängen implizit enthalten. Vgl. dazu den Begriff »Unverträglichkeit«, und das Prädikat »unverträglich«, welche Freud durchgängig während seiner Zusammenarbeit mit J. Breuer benutzt hat, so auch in Freud (1894a), Die Abwehr-Neuropsychosen. Versuch einer psychologischen Theorie der acquirierten Hysterie, vieler Phobien und Zwangsvorstellungen und gewisser halluzinatorischer Psychosen, GW 1, S. 59–74, S. 61–62: »Bei den von mir analysierten Patienten hatte nämlich psychische Gesundheit bis zu dem Moment bestanden, in dem ein Fall von Unverträglichkeit in ihrem Vorstellungsleben vorfiel, d. h. bis ein Erlebnis, eine Vorstellung, Empfindung an ihr Ich herantrat, welches einen so peinlichen Affekt erweckte, daß die Person beschloß, daran zu vergessen, weil sie sich nicht die Kraft zutraute, den Widerspruch dieser unverträglichen Vorstellung mit ihrem Ich durch Denkarbeit zu lösen.«

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der Reiter hat das Vorrecht, das Ziel zu bestimmen, die Bewegung des starken Tieres zu leiten. Aber zwischen Ich und Es ereignet sich allzu häufig der nicht ideale Fall, daß der Reiter das Roß dahin führen muß, wohin es selbst gehen will.27 [S 232 / W 84] Von einem Teil des Es hat sich das Ich durch Verdrängungswiderstände geschieden. Aber die Verdrängung setzt sich nicht in das Es fort. Das Verdrängte fließt mit dem übrigen Es zusammen. Ein Sprichwort warnt davor, gleichzeitig zwei Herren zu dienen. Das arme Ich hat es noch schwerer, es dient drei gestrengen Herren, ist bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang miteinander zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein; kein Wunder, wenn das Ich so oft an seiner Aufgabe scheitert. Die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das Über-Ich und das Es. Wenn man die Anstrengungen des Ichs verfolgt, ihnen gleichzeitig gerecht zu werden, besser gesagt: ihnen gleichzeitig zu gehorchen, kann man nicht bereuen, dieses Ich personifiziert, es als ein besonderes Wesen hingestellt zu haben. Es fühlt sich von drei Seiten her eingeengt, von dreierlei Gefahren bedroht, auf die es im Falle der Bedrängnis mit Angstentwicklung reagiert. Durch seine Herkunft aus den Erfahrungen des Wahrnehmungssystems ist es dazu bestimmt, die Anforderungen der Außenwelt zu vertreten, aber es will auch der getreue Diener des Es sein, im Einvernehmen mit ihm bleiben, sich ihm als Objekt empfehlen, seine Libido auf sich ziehen. In seinem Vermittlungsbestreben zwischen Es und Realität ist es oft genötigt, die ubw Gebote des Es mit seinen vbw Rationalisierungen zu bekleiden, die Konflikte des Es mit der Realität zu vertuschen, mit diplomatischer Unaufrichtigkeit eine Rücksichtnahme auf die Realität vorzuspiegeln, auch wenn das Es starr und unnachgiebig geblieben ist. Anderseits wird es auf Schritt und Tritt von dem gestrengen Über-Ich beobachtet, das ihm bestimmte Normen seines Verhaltens vorhält, ohne Rücksicht auf die Schwierigkeiten von Seiten des Es und der Außenwelt zu nehmen, und es im Falle der Nichteinhaltung mit den Spannungsgefühlen der Minderwertigkeit und des Schuldbewußtseins bestraft. So vom Es getrieben, vom Über-Ich eingeengt, von der Realität zurückgestoßen, ringt das Ich um die Bewältigung seiner ökonomischen Aufgabe, die Harmonie [S 233 / 27 Diese Analogie erscheint zunächst als Freuds Assoziation in einem seiner Träume, ›Der Traum vom Reiten‹, in Freud (1900a), Die Traumdeutung, S. 235–236. Das nämliche Gleichnis mit Reiter und Pferd kann auch in Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 253 gefunden werden: »Die funktionelle Wichtigkeit des Ichs kommt darin zum Ausdruck, daß ihm normaler Weise die Herrschaft über die Zugänge zur Motilität eingeräumt ist. Es gleicht so im Verhältnis zum Es dem Reiter, der die überlegene Kraft des Pferdes zügeln soll, mit dem Unterschied, daß der Reiter dies mit eigenen Kräften versucht, das Ich mit geborgten. Dieses Gleichnis trägt ein Stück weiter. Wie dem Reiter, will er sich nicht vom Pferd trennen, oft nichts anderes übrig bleibt, als es dahin zu führen, wohin es gehen will, so pflegt auch das Ich den Willen des Es in Handlung umzusetzen, als ob es der eigene wäre.«

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W 85] unter den Kräften und Einflüssen herzustellen, die in ihm und auf es wirken, und wir verstehen, warum wir so oft den Ausruf nicht unterdrücken können: Das Leben ist nicht leicht! Wenn das Ich seine Schwäche einbekennen muß, bricht es in Angst aus, Realangst vor der Außenwelt, Gewissensangst vor dem Über-Ich, neurotische Angst vor der Stärke der Leidenschaften im Es. Die Strukturverhältnisse der seelischen Persönlichkeit, die ich vor Ihnen entwickelt habe, möchte ich in einer anspruchslosen Zeichnung darstellen, die ich Ihnen hier vorlege.

Sie sehen hier, das Über-Ich taucht in das Es ein; als Erbe des Ödipuskomplexes hat es ja intime Zusammenhänge mit ihm; es liegt weiter ab vom Wahrnehmungssystem als das Ich.28 Das Es verkehrt mit der Außenwelt nur über das Ich, wenigstens in diesem Schema. Es ist gewiß heute schwer zu sagen, inwieweit die Zeichnung richtig ist; in einem Punkt ist sie es gewiß nicht. Der Raum, den das unbewußte Es einnimmt, müßte unvergleichlich größer sein als der des Ichs oder des Vorbewußten. Ich bitte, verbessern Sie das in Ihren Gedanken. Und nun zum Abschluß dieser gewiß anstrengenden und vielleicht nicht einleuchtenden Ausführungen noch eine Mahnung! Sie denken bei dieser Sonderung 28 Das vorliegende Diagramm unterscheidet sich von jenem früheren in Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 252, dadurch, dass auch die dritte Struktur, das Über-Ich, hinzugefügt wurde. In Freud (1923b), Das Ich und das Es, S. 265 wird das Fehlen des Ichideals bzw. Über-Ichs in dieser früheren graphischen Darstellung auf folgende Weise begründet: »Es wäre aber ein vergebliches Bemühen, das Ichideal auch nur in ähnlicher Weise wie das Ich zu lokalisieren oder es in eines der Gleichnisse einzupassen, durch welche wir die Beziehung von Ich und Es nachzubilden versuchten.« In der Originalausgabe der Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse wurde dieses Bild aufrecht gedruckt, wie das frühere Diagramm in (1923b), Das Ich und das Es. Es wurde später das vorliegende Diagramm sowohl in den Gesammelten Schriften (GS) als auch in den Gesammelten Werken (GW) zwar unverändert, jedoch gedreht abgebildet.

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der Persönlichkeit in Ich, Über-Ich und Es gewiß nicht an scharfe Grenzen, wie sie künstlich in der politischen Geographie gezogen worden sind. Der Eigenart des Psychischen können wir nicht durch lineare Konturen gerecht [S 234 / W 86] werden wie in der Zeichnung oder in der primitiven Malerei, eher durch verschwimmende Farbenfelder wie bei den modernen Malern. Nachdem wir gesondert haben, müssen wir das Gesonderte wieder zusammenfließen lassen. Urteilen Sie nicht zu hart über einen ersten Versuch, das so schwer erfaßbare Psychische anschaulich zu machen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Ausbildung dieser Sonderungen bei verschiedenen Personen großen Variationen unterliegt, möglich, daß sie bei der Funktion selbst verändert und zeitweilig rückgebildet werden. Besonders für die phylogenetisch letzte und heikelste, die Differenzierung von Ich und Über-Ich, scheint dergleichen zuzutreffen. Es ist unzweifelhaft, daß das gleiche durch psychische Erkrankung hervorgerufen wird. Man kann sich auch gut vorstellen, daß es gewissen mystischen Praktiken gelingen mag, die normalen Beziehungen zwischen den einzelnen seelischen Bezirken umzuwerfen, so daß z. B. die Wahrnehmung Verhältnisse im tiefen Ich und im Es erfassen kann, die ihr sonst unzugänglich waren. Ob man auf diesem Weg der letzten Weisheiten habhaft werden wird, von denen man alles Heil erwartet, darf man getrost bezweifeln. Immerhin wollen wir zugeben, daß die therapeutischen Bemühungen der Psychoanalyse sich einen ähnlichen Angriffspunkt gewählt haben. Ihre Absicht ist ja, das Ich zu stärken, es vom ÜberIch unabhängiger zu machen, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, so daß es sich neue Stücke des Es aneignen kann.29 Wo Es war, soll Ich werden. Es ist Kulturarbeit etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee.30

29 Freud hat etwas Ähnliches im letzten Kapitel V, Die Abhängigkeiten des Ichs, in Freud (1923b), Das Ich und Das Es, S. 283 gesagt. 30 Metapher für die Landgewinnung wie in den Niederlanden, welche der zersetzenden Kraft des Meeres Land entringt; vgl. eine abweichende Interpretation in der »Einführung«, Kapitel 3.2 Lacans Verständnis von »Wo Es war, soll Ich werden«.

Rainer über Freud

Seit seiner Jugend beschäftigt sich Arnulf Rainer, einer den bedeutendsten österreichischen Künstler der Gegenwart, mit den Schriften Sigmund Freuds, vor allem mit der Traumdeutung. Für das Freud-Jahr 2006 schuf Rainer einen Zyklus, mit dem er »Freud ins Gesicht blicken will«. Dazu wählte er 27 Portraits aus den verschiedenen Lebensphasen Freuds aus, die er übermalte. Enthüllen – Verdecken – Bloßlegen – Verdeutlichen – Vertiefen sind künstlerische Parallelverfahren zum analytischen Prozess, den Freud in seinen Schriften entwickelte und formulierte. Damit bietet Rainer einen neuen Blick auf den Begründer der Psychoanalyse. Die Bilder waren u. a. im Rahmen einer Ausstellung im Wiener Sigmund Freud Museum 2006/2007 zu sehen. Rainer hat diese Bilder nun den Herausgebern der Reihe zur Gestaltung der Einbände zur Verfügung gestellt.

Personen- und Sachregister

Abfuhrreaktion 92 Abhängigkeit des Kindes von den Eltern 113, 131 Abraham, K. 58, 61 Affekt-Trauma-Modell 20 Aggression 25, 28, 30–32, 109, 117f., 120 Akustische Wahrnehmung 90 Ambivalenz 100f., 108 Analytiker 21, 26, 32, 83, 114, 130 Anekdote vom Hängen des Schneiders 110 Angst 29, 33, 42, 103, 108, 119–122, 127, 140, 142 Angstentwicklung 24, 121f., 141 Anhänger der Psychoanalyse 84 Anlage 100–102, 108 Anlehnungstypus der ersten Objektwahl 100 Anzieu, D. 23, 58 Archaische 32, 104 Art 12, 17, 24, 32, 37, 40f., 47, 49f., 55, 57, 59–62, 86f., 95f., 98, 101, 105, 107, 110, 117, 119, 126, 132 Artentwicklung 103 Autorität 29, 102, 104, 127, 132 Begriff des Todes 121 Beobachtungswahn 124f. Bernheim, H. 20 Besetzung 90, 110, 112, 114, 120 Bewusstsein, s. Bewußtsein 14, 20, 23, 25, 34–55, 64–66, 67f., 93, 139

Bewusstsein als Sinnesorgan 35, 38, 41– 43, 47, 139 Bewusstseinspsychologie 13f. Bewußtsein 13, 15f., 26, 34–37, 39, 41f., 44, 46, 48, 53f., 84–87, 89–91, 95–97, 99, 103, 113, 115f., 123, 133, 139 Beziehung zum Objekt 36 Binet, A. 37 Biologische Grundlage des Über-Ich 66 Bisexualität 100f. Block, N. 46–48, 53, 54 Boutonier, J. 59 Brentano, F. 14, 16f., 19 Bw 10, 16, 36f., 51, 86, 88–92, 137 Chalmers, D. 48–51, 54 Charakter 7, 15, 23, 28, 31, 45f., 77, 83, 88, 97–100, 102, 105, 113, 118, 124f., 127, 136f., 139f. Charakterbildung 97, 129 Charcot, J. M. 20, 37 Consciousness studies 41, 43, 48, 54, 66 Crick, F. 43, 45 Damasio, A. R. 41, 51, 53, 59f. Default-mode network (DMN) [dt. Ü. Grundzustandsnetzwerk] 66f. Deklaratives Gedächtnis 65 Denken 14f., 25, 35, 46, 63, 68, 90–92, 110, 123, 134, 137f., 142 Denken in Bildern 91 Denken in Worten 91 Denkgesetze 137

148 Denkvorgänge 14f., 22, 24, 34, 89f., 92, 111, 119 Desexualisierung 98, 111, 118 Destruktion 29, 118 Destruktionstrieb 107f., 110–112, 117 Deutlichkeitsskala der Bewußtheit 87 Deutsch, F. 12f. Deutsch, H. 13, 26 Deutscher Idealismus 19 DMN, Default-mode network 66f. Dorer, M. 18 Drei Gefahren des Ich 119 Dualismus der Triebe 111 Dynamik 67, 86, 129 Dynamisches unbewußt 86 Edelman, G. M. 41 Eiszeit 103 Ellenberger, H. F. 18 Eltern 30–33, 99, 102, 113, 127–129, 131f. Elterninstanz 127f. Empfindungen 36, 47, 52, 54, 58, 89, 91f., 95, 133 Empfindungen und innere Wahrnehmung 91 Energie 21, 36, 56f., 60, 89, 95, 109f., 137f., 140 Energiebesetzung 12, 91, 106, 137 Entstehung der Homosexualität 109 Entstehung des Ich 95 Epileptisch 38, 107 Epiphänomenalismus 44 Eppel, H. 33 Erfahrung 8, 12, 21, 28, 30f., 37f., 41, 46– 50, 60, 85, 88, 92, 96, 101, 105, 111, 119, 126f., 134f., 139, 141 Erinnerung 21f., 26, 65, 67, 90 Erinnerungsreste 90, 92, 139 Erinnerungsspur 90, 139 Erinnerungssystem 90 Erlebnis 21, 46f., 98, 105, 140 Eros 106–108, 110–112, 120, 122 Eros und Todestrieb 122 Es 9–14, 16, 19f., 22–28, 30, 34–36, 39, 42, 55, 57f., 61, 64–66, 83, 89, 93–98, 102– 106, 108–113, 115–123, 128f., 136–143

Personen- und Sachregister

Federn, E. 17, 23, 26, 58 Fehlleistung 135f. Feindseligkeit 104, 109 Ferenczi, S. 10–12, 29, 32f., 37, 50f., 103 Fisher, C. 40f. Fliess, R. 29, 33f., 58 Fließ, W. 17, 33, 61, 93, 101, 120 Fluchtreflex 120 Fraiberg, S. 29, 32 Frauen 98f., 104, 128 Freud, A. 22, 25, 32–34 Frith, C. D. 66 Führer 29, 132 Funktion des Bewußtseins 46–48 Geburt 52, 121f., 131 Gedächtnis 26, 64f. Gefahr 24, 113, 119–121, 141 Gehirnmännchen 95, 113 Gesamtbesetzung 109 Geschlechtsunterschied 99f., 130 »Gestirnter Himmel über mir« 126 Gewissen 12, 23, 29–31, 33, 83, 85, 87, 96, 102, 104, 113, 115–118, 122, 125–127, 129, 131, 134, 143 Gewissensangst 121f., 127, 142 Giampieri-Deutsch, P. 8f., 14, 17f., 25, 28, 32f., 36, 38, 42, 53, 59, 61, 65 Groddeck, G. W. 10f., 43, 92f., 136 Grundzustandsnetzwerk, s. Default-mode network (DMN) 66 Hacker, F. 25 Halluzination 90 Hampstead Klinik 22 Haß 108f., 117, 121f. Haut-Ich 23, 58 Hilflosigkeit der Kinder 103 Homosexualität 105, 109 Homunculus 43 Hörkappe 94 Hörwahrnehmung und Über-Ich 116 Hysterie 20, 90, 96, 115, 120, 140

Personen- und Sachregister

Ich 9–14, 16, 19–20, 23–30, 34–36, 39, 42, 55–58, 61, 64–68, 83, 87–89, 91–100, 102–106, 109–130, 132–134, 136–143 Ichideal 12, 28–30, 32, 99, 102–104, 106, 114f., 117, 119, 121, 123, 129–131, 142 Ich-Ideal 28, 97, 129f. Ichlibido 111 Ich-Spaltung 28 Ich und Es 95, 98, 105, 136, 141f. Ich und Über-Ich 20, 28, 61, 121f., 126, 132–134, 139, 143 Ideal 12, 28, 95, 97, 103f., 106, 117f., 129f., 141 Idealbildung 104 Identifizierung 56, 97–102, 104–106, 109, 111–115, 118, 120, 128f., 140 Identifizierung und Objektwahl 128 Ideologie 132 Implizites Gedächtnis 65 Instanz 20, 23, 25f., 28f., 42, 55, 58, 61, 87, 112, 115, 123, 125f., 128, 130, 133 Intensität des Bewußtseins 15f., 40, 86 Introjektion 59, 98 James, W. 14, 41, 53 Janet, P. 18, 37 Johnston, W. M. 17f., 25 Jones, E. 9, 12f. Jugendliche Verbrecher aus Schuldgefühl 116 Jung, C. G. 17–19, 84, 99f., 104, 129 Kandel, E. R. 64f. Kannibalismus 97 Kannibalistische Einverleibung 128 Kant, I. 126 Kastrationsangst 121f. Kategorischer Imperativ 102 Kaulbachs Hunnenschlacht 106 Kaulbach, W. von 106 Kern des Ich 67, 97 Klein, M. 29–31 Klitoris 130 Kommunion 98 Konflikt 12, 22, 30, 38, 40, 64, 88, 99, 103, 105, 119, 123, 135, 141

149 Konstanz-Prinzip 112 Kontinuum 43, 59 Körper-Ich 55, 57–60, 96 Kultur 18, 25, 29, 31, 33, 103, 108, 118, 121, 127 Lacan, J. 23, 27f., 143 Laplanche, J. 23, 56 Latentes Bewußtsein 14f., 85–88, 134f. Leichtes Problem des Bewusstseins 49 Leibniz, G. W. 14f., 17f., 69, 87 Le Rider, J. 25 Libido 24, 26, 34, 58, 98, 110–112, 118– 121, 129, 140f. Lichtenberg, G. C. 93 Liebe 30, 86, 98, 108f., 117–119, 122, 131 Liebe und Hass 108 Ludwig, E. 131 Lust 52, 54, 91, 125, 127 Lustprinzip 10, 36, 54, 56, 83, 88f., 91, 94, 97, 106–108, 110–112, 120, 122, 137–139 Malerei, Gleichnis von Systemgrenzen 143 Manie 117 Marcuse, M. 99 Massenpsychologie 29, 97, 99f., 105, 109, 128, 132 Materialistische Geschichtsauffassung 132 Melancholie 97f., 114–117, 121, 126 Menninger, K. A. 13 mental 9, 15f., 29, 34f., 38f., 41, 43f., 47– 49, 52, 55, 58–63, 65–68, 95 Mentaler Zustand 49 Mentales Ereignis 38f., 41, 66, 68 Mertens, W. 35 Metaphysik 19 metapsychologisch 36, 50f., 56, 90f., 97, 113 Minderwertigkeit 130, 141 Minderwertigkeitsgefühl 115, 130f. Minderwertigkeitskomplex 130f. Modell des Geistes 20, 34–36, 39 Moral 12, 32f., 104, 118, 120, 138 Moralität 117, 126

150 Motilität 24, 26, 34, 87, 94, 119, 139, 141 Mutter 99–101, 121f., 131 Mystik 84 Nagel, T. 47, 52 Narzißmus 30, 56, 97f., 100, 109, 126, 129f. Narzißmus und Ichlibido 111 Narzißtische Libido 98 Negative therapeutische Reaktion 96, 113 Neurose 12, 17, 21, 88, 96, 107–109, 114, 122 Nietzsche, F. 11, 93, 136 Nunberg, H. 17 Oberfläche des psychischen Apparates 57f. Objekt 28, 37, 47, 56, 65, 95, 97f., 100f., 109–111, 113–115, 117, 120f., 124, 128, 140f. Objektbesetzung 12, 56, 97–100, 105, 109, 111, 113–115, 119, 128f., 140 Objektbeziehung 98 Objektidentifizierung des Ichs 99 Objektverlust 129 Objektwahl 97–102, 105, 128 Ödipuskomplex 12, 28, 84, 100–104, 106, 113, 116, 128f., 131, 142 Ödipusverhältnis 100 Optische Erinnerungsreste 90 Orale Phase 97f. Organismen 57, 87 Organminderwertigkeit 130 Panksepp, J. 51, 54, 59 Paranoia 56, 105, 109 Paranoia persecutoria 109 Partialtriebe 110 Persönlichkeit 9, 24, 27–30, 36, 42, 44f., 55, 58, 77, 93, 95, 99, 104, 114, 131, 137, 142f. Pferd und Reiter 94f., 141 Phänomenales Bewusstsein 47f. Philosophie des Geistes 38, 43f., 66 Phobie 96, 120, 140 Phylogenese 60, 91, 104f., 113, 143

Personen- und Sachregister

Physiologischer Prozeß und Triebart 107 Pontalis, J.-B. 23, 56 Pötzl, O. 40 Präanalytisch 20f., 26, 33f., 36, 41, 44, 55, 120 Primäre Identifizierung 32, 100 Primärvorgang 110 Protisten 120 Protozoon 56f. »Provinzen des Seelenapparates« 136 Prozedurales Gedächtnis 64f. Psychoanalyse 7, 9, 13–19, 21–23, 26–28, 30, 32–37, 39f., 43, 45–48, 50f., 53f., 56, 58, 61–65, 68f., 77, 83–87, 93, 95, 99, 103f., 110, 116, 119, 121, 123, 127–131, 133–135, 138–140, 142f., 145 Psychoid 86 Psychophysisch 15, 43f., 55, 59, 61, 64 Qualia 48, 51f. Qualität der Triebregungen 110 Qualität, Bewußtsein als 13f., 16, 35, 38f., 44f., 50–52, 84, 88, 134, 136 Rank, O. 110 Rapaport, D. 20 Rationalisierung 119, 141 Reaktionsbildung 12, 102, 106, 115, 117, 119 Realangst 127, 142 Realität 21, 24, 36, 59f., 103, 119, 123– 125, 141 Realitätsprüfung 24, 41, 97, 118, 138 Regression 90, 98, 117f. Reiter-Pferd-Gleichnis 94f., 141f. Reizschutz 56f., 139 Religion 104f., 136 Reservoir der Libido 98 Reue 125 Ricœur, P. 23 Rivalität 101, 104, 108 Rosenbach-Deutsch, H. 13 Rosenfeld, H. 29–32 Roth, G. 62, 66

151

Personen- und Sachregister

Sachs, H. 129 Sadismus 106f., 116 Sandler, J. 20, 22, 26, 32–34, 95 Satz des Widerspruchs 137 Schibboleth, Schiboleth 84 Schorske, C. E. 25 Schuldgefühl 10, 12, 29, 33, 96, 102, 104, 114–116, 122, 126, 130 Schwieriges Problem des Bewusstseins 48–51, 54 Seelische Dynamik 85 Selbstmordgefahr 117 Sexualakt 112 Sexualbefriedigung 112 Shevrin, H. 37–43 Silberstein, E. 18 Sittlichkeit 105 Solms, M. 38f., 41, 43, 51–55, 62, 65f. Sontag, S. 13 Soziale Gefühle 104, 109 Spannungsgefühle 141 Spitz, R. 29, 32 Stekel, W. 121 Strafe 31, 110, 114f., 118, 125–127 Strukturelle Einsicht 34, 88 Strukturmodell 9, 11, 20, 22f., 25–27, 36, 38, 42, 58, 61, 65f., 93 Strukturverhältnisse der seelischen Persönlichkeit 129, 142 Subjekt 27f., 31f., 34, 52, 55, 59f., 124 Subjektive Erfahrung 48–50 Sublimierung 98, 106, 111, 118 Sulloway, F. 61 Symptom 21, 42, 103, 108, 113, 120, 122f., 140 System Bw 63 System Unbewusst 20, 93 System Vorbewusst 36, 90 Taubstumme 90 Theorie des Geistes 14, 16, 20, 34, 38, 44, 47f. Tiere 95, 97, 112, 141 Tod 13, 87, 107, 112, 117, 120f. Todesangst 121f. Todestrieb 107f., 111f., 117, 120, 122

Topik 22f., 27, 63 topisch 20, 22f., 27, 36, 38, 41, 47, 87, 89, 93, 135 Totemmahlzeit 97 Transgenerationale Übergabe der Normen 31 Traum 14, 40, 43, 84, 95, 141 Trieb 22, 29, 56, 58–60, 94, 99, 106–108, 110f., 122, 137, 140 Triebbeherrschung 119, 140 Triebentmischung 107f., 118, 120 Triebgehorsam 119 Triebhemmung 119 Triebmischung 107f. Triebrepräsentanzen 60 Triebwahrnehmung 119, 140

Über-Ich 12, 23–25, 27–34, 61, 66, 93, 97, 102–106, 108, 112f., 115–121, 123, 125– 136, 138f., 141–143 Über-Ich und Es 105, 143 Über-Ich und Ich 28, 133 Übertragung 110, 129 Ubw 10–12, 15f., 20, 22, 34, 36f., 43, 86, 88–93, 106, 114, 116, 119, 135–139, 141 Unbewusst 15f., 18f., 22, 26, 34–37, 39– 43, 47, 55, 59f., 63–65, 97 Unbewusste Gefühle 92 Unbewußt 9–12, 14–16, 22, 34–37, 40, 43, 55f., 59, 63, 84–89, 91–93, 96, 102, 106, 110, 114–116, 118, 121, 123, 133–139, 142 Unbewußter Widerstand 133 Unbewußt, s. Unbewusst 9–12, 14–16, 22, 34–37, 40, 43, 55f., 59, 63, 84–89, 91–93, 96, 102, 106, 110, 114–116, 118, 121, 123, 133–139, 142 Unlust 54, 91f. Unlustempfindungen 91 Unsterblich 87, 137 Untergang des Ödipuskomplex 100, 102 »Unterweltatmosphäre« 132 Varendonck, J. 91 Vater 21, 26, 99–102, 121, 128 Vateridentifizierung 100, 102

152

Personen- und Sachregister

Vatersehnsucht 104 Vbw 15f., 20, 22, 36, 86, 88–93, 119, 141 Verbrechen 110 Verdrängtes 10, 88, 91, 133 Verdrängung 85, 87, 97, 102f., 115, 133, 137f. Verdrängungswiderstände 93, 141 Verdrängung und Ödipuskomplex 102 Vererbung 104f. Vererbung im Ich 105 Verschiebbare Energie 109f. Verschiebungsenergie 111 Verwahrlosung 31, 132 Visuell 38, 90f.

Wahrnehmung, innere 35–41, 47, 51–53, 55, 59, 85, 90–92, 95 Wahrnehmungssystem 24, 96, 118, 139, 141f. W-Bw 20, 36, 38, 47, 54, 90–92, 94, 97, 139 Widerstand 10–12, 85, 87f., 92, 96, 114, 123, 133 Wiener Psychoanalytische Vereinigung 17f., 26, 33 Wilson, W. 136 Wittgenstein, L. 47 Wollheim, R. 58 Worte 19, 34, 90, 92, 134 Wortreste 90 Wortvorstellungen 90, 92, 116

Wahrnehmung 14, 20, 29, 34–38, 40–42, 47, 51–55, 59, 64, 85f., 89–95, 100, 106, 115f., 120, 133, 139, 143 Wahrnehmung, äußere 35–42, 54, 55, 59, 89, 90–92, 95f., 139–141

Zeitvorstellung 137, 139 Zugangsbewusstsein 46, 48, 53f. Zuydersee 27, 143 Zwangsneurose 107, 115, 117f. Zwei Herren gleichzeitig dienen 24, 141