Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre: Theoretische Konzepte und praktische Erfahrungen [1. Aufl.] 978-3-658-26277-8;978-3-658-26278-5

Dieser Sammelband bietet einen Einblick in unterschiedliche hochschuldidaktische Ansätze und methodische Herangehensweis

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German Pages XI, 349 [348] Year 2020

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Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre: Theoretische Konzepte und praktische Erfahrungen [1. Aufl.]
 978-3-658-26277-8;978-3-658-26278-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XI
Front Matter ....Pages 1-1
Warum Sprachkompetenz? – Eine Reflexion (Katrin Regier, Stefanie Regier, Meike Zellner)....Pages 3-11
Hochschuldidaktische Möglichkeiten zur Förderung der mündlichen Beteiligung bei Studierenden – Voraussetzungen, Herausforderungen und methodische Ideen (Katayon Meier, Meike Zellner)....Pages 13-52
Lernen durch Lehren – ein handlungsorientiertes und auf Demokratie ausgerichtetes Bildungskonzept (Margret Ruep)....Pages 53-74
Front Matter ....Pages 75-75
Förderung der Sprachkompetenz im Studium der Ingenieurwissenschaften (Cosima Klischat)....Pages 77-105
Baustoffkunde für Studienanfänger – interaktive Vorlesung (Elke Koser)....Pages 107-123
Fishbowl zur Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre (Katrin Regier, Stefanie Regier, Tobias Kopp)....Pages 125-145
Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre (Stefanie Regier, Katrin Regier, Tobias Kopp)....Pages 147-163
Rollenspiele in der Ausbildung zum Vertriebsingenieur (Marion Murzin)....Pages 165-176
Front Matter ....Pages 177-177
Smartphones im Sprachunterricht. Ein Einblick und Ausblick. (Oliver Bayerlein)....Pages 179-203
Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz (Ksenija Fazlić-Walter, Wolfgang Wegner)....Pages 205-228
Erweiterung der Sprachkompetenz im Fremdsprachenunterricht – Praxisbeispiel einer Gruppendiskussion im Fach Technical English C1 (Marina Scherrer)....Pages 229-250
Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis – Studieren im Philosophicum (Marion Grein)....Pages 251-279
Zum Einsatz von Clickern in englischsprachigen Vorlesungen (Nicola Hahn, Ingo Stengel, Stefanie Regier)....Pages 281-294
Front Matter ....Pages 295-295
Sprache und Auftreten – Förderung der Kommunikation durch theaterpädagogische Methoden (Simone Bekk, Susanne Heigl)....Pages 297-321
Management goes Hollywood – Spielfilme zur Vermittlung von Fachsprache (Andreas Henning, Stefanie Regier, Philipp Zollt)....Pages 323-342
Back Matter ....Pages 343-349

Citation preview

Stefanie Regier Katrin Regier Meike Zellner Hrsg.

Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre Theoretische Konzepte und praktische Erfahrungen

Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre

Stefanie Regier · Katrin Regier · Meike Zellner (Hrsg.)

Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre Theoretische Konzepte und ­praktische Erfahrungen

Hrsg. Stefanie Regier Karlsruhe, Deutschland

Katrin Regier Karlsruhe, Deutschland

Meike Zellner Karlsruhe, Deutschland

ISBN 978-3-658-26278-5  (eBook) ISBN 978-3-658-26277-8 https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort Hans-Peter Voss

Mit dem Band „Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre – Theoretische Konzepte und praktische Erfahrungen“ ist es gelungen, ein breites Spektrum an Erfahrungen, Positionen und Perspektiven zur Rolle der Sprache im Kontext des Lehrens und Lernens an der Hochschule zu versammeln. Einige der hier vorgestellten Ergebnisse sind im Kontext von innovativen Lehrprojekten entstanden, mit denen ich direkt oder indirekt verbunden bin. Die Verbreitung der Erkenntnisse aus diesen Projekten ist mir ein großes Anliegen, wie ich überhaupt der Auffassung bin, dass die Weiterentwicklung der Lehre nicht nur von Ideen und Ressourcen für innovative Lehrprojekte lebt, sondern auch von einem intensiven Erfahrungsaustausch der Lehrenden über die von ihnen eingeschlagenen neuen Wege. In der Einführung zu den Beiträgen wird überzeugend dafür argumentiert, dass eine hohe Sprachkompetenz für ein erfolgreiches wissenschaftliches Studium unabdingbar ist. Dies gilt sowohl für die selbständige inhaltliche Erschließung und das Verstehen von Fachtexten als auch für die eigene mündliche und schriftliche Artikulationsfähigkeit, ohne die eine angemessene argumentative Auseinandersetzung über die im Studium abgehandelten Sach-

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verhalte mit Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie den Lehrenden nicht möglich ist. Wenn die Befunde zutreffen, dass sich die sprachlichen Grundfähigkeiten von Studienanfängerinnen und -anfängern im Laufe der zurückliegenden Jahre im Mittel verschlechtert haben, dann müssen im Fachstudium von Anfang an verbindliche Schreibanlässe geschaffen werden, in denen neben dem Erwerb fachlicher Kompetenz auch die Fähigkeit zum sprachlichen Ausdruck im Allgemeinen und zur wissenschaftlichen Argumentation im Besonderen trainiert wird. Erst durch den souveränen Gebrauch der Fachsprache – die vor allem im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich zusätzlich auf die Verwendung von Formeln, Diagrammen, Symbolen und Prinzipskizzen angewiesen ist – werden die Studierenden zu Dialogpartnern auf Augenhöhe gegenüber den Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern einer akademischen Disziplin. Fachtermini dienen einer möglichst eindeutigen Bezeichnung wissenschaftlicher Phänomene und Sachverhalte, die nicht nur saubere Unterscheidungen gewährleistet, sondern auch eine von Bezeichnungs- und Übertragungsfehlern weitgehend freie Fachkommunikation. Auf diese Weise wird nicht zuletzt die Integrität von wissenschaftlichen Erkenntnissen über Raum und Zeit hinweg sichergestellt. Auch für das Unterrichtsgeschehen an Hochschulen ist die sprachliche Kommunikation von zentraler Bedeutung. Eine gut ausgebildete Kompetenz in dieser Hinsicht wird ganz selbstverständlich von allen Menschen erwartet, denen institutionell Lehraufgaben übertragen werden. Um sich vor Augen zu führen, wie komplex das damit verbundene Anforderungsprofil ist, genügt es,

Geleitwort

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sich die mit dem Spracheinsatz im Hochschulkontext verbundenen Zielsetzungen vor Augen zu halten: Sprache soll – häufig höchst komplexe und sehr abstrakte – Sachverhalte darstellen, soll sie aber auch durch anschauliche Beispiele illustrieren, soll durch eine geeignete Regie das längerfristige Interesse und die momentane Aufmerksamkeit der Hörerinnen und Hörer stimulieren, soll zu diesem Zweck auch gelegentlich irritieren, polarisieren und vielleicht sogar emotionalisieren, soll Raum lassen für die aktiven Beiträge der Adressatinnen und Adressaten, soll diese registrieren und in spontaner Rede auf sie reagieren. Lehrende haben in diesem Zusammenhang eine doppelte Aufgabe: Sie sollen Interesse und Antrieb der Studierenden für die Beteiligung an Diskussionen fördern. Sie sollen aber auch ein so menschlich symmetrisches und kooperatives Klima schaffen, dass die Studierenden bereit sind, „öffentlich angstfrei probezudenken“. In vielen Fällen kann auch den Studierenden eine Lehrrolle zufallen. Sie können dann erleben, wie gemäß der Kleist’schen „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ ein Erklärvorgang im Hinblick auf ein Gegenüber zur Ordnung des Denkens und zur Klärung des eigenen Verständnisses beiträgt. Hier zeigt sich wieder die enge Verbindung zwischen der Sprache und dem Verlauf des eigenen Denkens. Es gibt heute eine große Fülle hochschuldidaktischer Methoden, durch welche Studierende dazu veranlasst werden, einander gegenseitig ihre Fachgegenstände vorzustellen und miteinander über sie ins Gespräch zu kommen. Dies dient nicht nur dem eigenen fachlichen Verständnis und dem des Gegenübers, sondern auch der Vorbereitung auf eine berufliche Praxis, in der niemand, auch nicht die Absolventinnen und Absolventen von Ingenieurstudiengängen,

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Hans-Peter Voss

ohne eine solide Argumentations- und Artikulationsfähigkeit auskommen wird. Gelingt es zusätzlich, solche Redeanlässe mit Elementen des Rollenspiels oder gar der Theaterpädagogik zu verbinden, dann ist aufgrund einer verstärkten emotionalen Beteiligung sogar eine tiefere Verankerung des Gelernten zu erwarten, als wenn diese lediglich über rein kognitiv gesteuerte Lernprozesse erfolgt. Eine spannende Frage ist schließlich, in welcher Form die heute oft für ihre negativen Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit der Jugend gescholtenen Medien selbst eine konstruktive Rolle im Erwerb sprachlicher und fachlicher Kompetenzen spielen können. Smartphones können nicht nur als Student Response Systeme die innere Beteiligung der Studierenden in Lehrveranstaltungen erhöhen, sie können auch eingesetzt werden, um sprachliche sowie fachliche Kompetenzen aufzubauen. Und manchmal lassen sich sogar durch die unmittelbare Anknüpfung an Elemente der Medienkultur, in diesem Falle den Spielfilm, Fachbegriffe eindrucksvoll illustrieren, wie der abschließende Beitrag zur Vermittlung von Grundlagen im Bereich Führung und Teamarbeit zeigt. Ich würde mich freuen, wenn die vorgestellten Ansätze dazu beitragen, dass dem Thema Sprache im Zusammenhang mit der Entwicklung von Curricula und der Gestaltung von LehrLernszenarien in Zukunft eine größere Beachtung geschenkt wird, als dies bislang der Fall ist. Hochschullehrende finden in diesem Sammelband eine Fülle von Anregungen für die eigene Lehrpraxis.

Inhaltsverzeichnis

I: Sprachkompetenz in der Hochschullehre – Grundlagen und Überblick Katrin Regier, Stefanie Regier, Meike Zellner Warum Sprachkompetenz? – Eine Reflexion……………………...3 Katayon Meier, Meike Zellner Hochschuldidaktische Möglichkeiten zur Förderung der mündlichen Beteiligung bei Studierenden – Voraussetzungen, Herausforderungen und methodische Ideen……………………...13 Margret Ruep Lernen durch Lehren – ein handlungsorientiertes und auf Demokratie ausgerichtetes Bildungskonzept…………………..…53 II: Didaktische Ansätze zur Förderung der Sprachkompetenz in WiMINT-Fächern Cosima Klischat Förderung der Sprachkompetenz im Studium der Ingenieurwissenschaften……………………………………….…77 Elke Koser Baustoffkunde für Studienanfänger – interaktive Vorlesung...…107 Katrin Regier, Stefanie Regier, Tobias Kopp Fishbowl zur Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre………………………………………………….125

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Inhaltsverzeichnis

Stefanie Regier, Katrin Regier, Tobias Kopp Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre…………….147 Marion Murzin Rollenspiele in der Ausbildung zum Vertriebsingenieur……….165 III: Interkulturelle Sprachkompetenz Oliver Bayerlein Smartphones im Sprachunterricht. Ein Einblick und Ausblick....179 Ksenija Fazlić-Walter, Wolfgang Wegner Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz…………...………………………………….205 Marina Scherrer Erweiterung der Sprachkompetenz im Fremdsprachenunterricht – Praxisbeispiel einer Gruppendiskussion im Fach Technical English C1……………………………………...229 Marion Grein Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis – Studieren im Philosophicum…………………………………….251 Nicola Hahn, Ingo Stengel, Stefanie Regier Zum Einsatz von Clickern in englischsprachigen Vorlesungen………...………………………………………...…281

Inhaltsverzeichnis

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IV: Theater und Film als Instrumente zur Vermittlung von Sprachkompetenz Simone Bekk, Susanne Heigl Sprache und Auftreten – Förderung der Kommunikation durch theaterpädagogische Methoden…………………......……297 Andreas Henning, Stefanie Regier, Phillip Zollt Management goes Hollywood – Spielfilme zur Vermittlung von Fachsprache………………………………………………...323

Kapitel I Sprachkompetenz in der Hochschullehre – Grundlagen und Überblick

Warum Sprachkompetenz? – Eine Reflexion Katrin Regier, Stefanie Regier und Meike Zellner

„Sprache ist der Schlüssel zur Welt“ – so lautet ein bekanntes Sprichwort. Im Bezug auf den Hochschulkontext ließe sich analog formulieren: „Sprachkompetenz ist der Schlüssel für einen erfolgreichen Studienverlauf.“ In den Medien wird in den letzten Jahren jedoch zunehmend angezweifelt, dass die 1 Sprachkompetenzen der Studierenden für ein erfolgreiches Studium ausreichend sind. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht bereits vom „Sprachnotstand an der Uni“ (Bethke, 2014). Der Spiegel tituliert provokativ: „Beherrschen Studenten noch die Rechtschreibung?“ (Olbrisch, 2018). Einer 2011 durchgeführten Umfrage des Philosophischen Fakultätentages zufolge haben immer mehr Studierende Probleme in der sprachlichen Ausdrucksweise, in der argumentativen Logik sowie bei Rechtschreibung, Wortschatz und Grammatik (vgl. Die WELT, 2012). Linssen und Meyer bestätigen diese Ergebnisse in ihren 2016 veröffentlichten Forschungen zur Sprach- und Lesekompetenz von Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften (vgl. Linssen/Meyer, 2016, S. 42 1

In diesem und den folgenden Beiträgen wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit häufig die männliche Form benutzt. Dabei sind sowohl männliche als auch weibliche Personen eingeschlossen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_1

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Katrin Regier, Stefanie Regier und Meike Zellner

ff). Auch nach den Studien von Scholten-Akoun, Kuhnen und Mashkovskaya mangelt es den Studierenden zunehmend an grundlegenden sprachlichen Fähigkeiten, vor allem im Hinblick auf Rechtschreibung, Grammatik, Ausdruck, Form und Argumentationsstruktur (vgl. Scholten-Akoun/Kuhnen/Mashkovkaya, 2012, S. 180 f). Doch der Vorwurf des Verfalls der deutschen Sprache ist nicht neu. Bereits in den 80er-Jahren thematisierte DIE ZEIT den Sprachverfall der Studierenden und schrieb über „ihre zunehmende Sprachlosigkeit”, „das eingeschränkte Sprachvermögen” und „das Phänomen der Entsprachlichung” (Müllender, 1984). Die Fähigkeit, sich schriftlich ausdrücken zu können, ist eine wichtige Schlüsselqualifikation und eine relevante Kulturtechnik unserer Gesellschaft (vgl. Fayol/Alamargot/Berninger, 2012, S. 3ff). Diese bildet sich bereits im Grundschulalter aus, entwickelt sich im Laufe des Alters und mit zunehmender Übung immer weiter und ist schlussendlich die Voraussetzung für eine erfolgreiche schulische und berufliche Laufbahn (vgl. Grünke/Knaak/Sawatzky, 2017, S. 366). Folglich spielt die Sprachkompetenz auch an der Hochschule eine wesentliche Rolle. Mit Sprachkompetenz ist in diesem Buch allerdings nicht vorwiegend die alltagssprachliche Kompetenz gemeint, sondern ein komplexes sprachliches, mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen, das auch die adäquate Verwendung von Fachbegriffen und das Verstehen von einschlägigen Texten einschließt und den Studierenden eine fachlich fundierte Diskussion erlaubt. Denn ohne die entsprechende Sprachkompetenz fehlt den Studierenden der terminologische

Warum Sprachkompetenz? – Eine Reflexion

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Zugang zum weiterführenden Verständnis der jeweiligen Studiengänge, Berufsfelder und Tätigkeitsbereiche.2 Insbesondere im Bereich der Schreibkompetenz ist schon länger bekannt, dass sprachliche Defizite die Studiendauer verlängern und Abbruchquoten erhöhen können (vgl. Kruse/Jacobs, 1999, S. 25). Die Fähigkeiten, selbständig zu formulieren, Argumentationen schlüssig hervorzubringen sowie sich klar und (fachlich) präzise auszudrücken, bilden die Basis für ein erfolgreiches Studium. Ebenfalls sind das Erfassen, Verstehen und Auswerten von wissenschaftlichen Texten notwendige Voraussetzungen hierfür. Eine versierte berufliche Kommunikation, insbesondere im Kollegium sowie im Kundenkontakt, erlangt spätestens mit Einstieg in den Beruf besondere Bedeutsamkeit. Im Lehrendenalltag an Hochschulen und in Gesprächen unter Kollegen, die in der Lehre tätig sind, gewinnt die Beobachtung, dass Studierende zunehmend nachlässiger mit der deutschen Sprache umgehen, an Relevanz. Hinzu kommen weitere Herausforderungen wie immer heterogenere Bildungs- und Lernvoraussetzungen der unterschiedlichen studentischen Zielgruppen an der Hochschule. Linssen und Meyer fordern mit Nachdruck, dass die Studierenden mit schwachen Sprach- und Lesekompetenzen unterstützt werden müssen (vgl. Linssen/Meyer, 2016, S. 45). Wie aber kann eine

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Für eine weiterführende Lektüre zu den Themen „Kompetenzen“ und „Schlüsselqualifikationen“ sei an dieser Stelle auf Seidl (2017) und Müller (2018) verwiesen. Müller fasst bzgl. verschiedener Kompetenzdefinitionen zusammen: „Allen Definitionen gemeinsam ist der Zusammenhang von Wissen oder kognitiven Fähigkeiten, die in einem Handlungskontext stehen und in diesem richtig oder wirkungsvoll angewendet werden, um Situationen, Probleme etc. zu bewältigen“ (Müller, 2018, S. 26).

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Katrin Regier, Stefanie Regier und Meike Zellner

solche Unterstützung durch Lehrende im regulären Hochschulalltag noch zusätzlich zur eigenen Fachlehre geleistet werden? Lehrende stehen nun vor der Herausforderung, in ihre Lehre hochschuldidaktische Methoden einzubauen, mit denen sie entlang des gesamten Studiums neben fachlichen auch die sprachlichen Kompetenzen der Studierenden fördern können. Kenntnisse über die Sprachdidaktik, zu der insbesondere die Bereiche der mündlichen Kommunikation sowie das Lesen, Verstehen und Produzieren von Texten gezählt werden (vgl. Steinig/Huneke, 2011, S. 13), werden bedeutsamer – das gilt nicht nur für den Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften, sondern ebenso für die WiMINT-Fächer3. Zu betonen ist, dass es sich um eine systematische Förderung der Sprachkompetenz über den gesamten Studienverlauf handeln muss – punktuell und sporadisch eingesetzte Methoden werden noch nicht ausreichend sein für nachhaltige und langfristige Verbesserungen. Lahm fasst die Notwendigkeit des regelmäßigen Übens in Bezug auf die Schreibkompetenz prägnant zusammen: „Man lernt Schreiben nur durch Schreiben” (Lahm, 2016, S. 41). Ziel dieses Buches ist es daher, den Lesern anwendungsorientierte Beispiele für fachbezogene hochschuldidaktische Vorgehensweisen anzubieten, die die Ausdrucks-, Argumentationsund Textkompetenz der Studierenden fördern können. Das betrifft im Wesentlichen die logisch nachvollziehbare Begründung von Entscheidungen, die präzise und prägnante Formulierung bei der Analyse eines Problems sowie die argumentative Logik bei Diskussionen um Lösungen. Den Lesern dieses Buches werden für die Förderung dieser Kompetenzen etabliert-erprobte und innovative 3

Zu WiMINT-Fächern zählen Studiengänge aus den Bereichen Wirtschaft, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.

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anschauliche methodische Anwendungsbeispiele präsentiert, die aus den Lehrerfahrungen der Autoren resultieren. So stellen die Autoren bspw. Sequenzen aus ihrem Lehrgeschehen vor, in denen neue Medien für die Förderung der Sprachkompetenz in der Lehre eingebunden werden. Auch werden viele der eingesetzten Methoden zur Förderung der Sprachkompetenzen kritisch reflektiert, um die Grenzen und Herausforderungen des jeweiligen methodischen Vorgehens aufzuzeigen. Mit diesem Buch werden theoretische Konzepte und praktische Erfahrungen zur Förderung der Sprachkompetenz in Lehrveranstaltungen aufgezeigt, die insbesondere auch die intrinsische Motivation der Studierenden, sich (fach-)sprachlich treffend in den Lehrveranstaltungen zu äußern, steigern sollen. Dabei soll einerseits die Kompetenz vermittelt werden, das wissenschaftliche Studium durchführen zu können, und andererseits sollen Grundlagen für eine adäquate berufliche Kommunikation geschaffen werden. Auf diese Weise wird nicht nur das Sprachprofil der Studierenden geschärft, sondern auch deren wissenschaftliche Urteilsfähigkeit. Zudem wird ein Beitrag zur akademischen Integration, Persönlichkeitsentwicklung und beruflichen Professionalisierung geleistet. Diese Überlegungen gelten für Studierende mit und ohne Migrationshintergrund wie für internationale Studierende gleichermaßen. Dieser Themenvielfalt haben sich die Autoren dieses Buchs angenommen, die sowohl aus dem WiMINT-Bereich als auch aus geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern stammen. Ihre Beiträge wurden in vier Themenbereiche gegliedert, deren Übergänge an vielen Stellen jedoch fließend sind:

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Katrin Regier, Stefanie Regier und Meike Zellner

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Themenblock I: Sprachkompetenz in der Hochschullehre – Grundlagen und Überblick Themenblock II: Didaktische Ansätze zur Förderung der Sprachkompetenz in WiMINT-Fächern Themenblock III: Interkulturelle Sprachkompetenz Themenblock IV: Theater und Film als Instrumente zur Vermittlung von Sprachkompetenz

Da die methodisch-didaktischen Vorgehensweisen zur Förderung der Sprachkompetenz den praktischen Lehrerfahrungen der Autoren entstammen, werden diese in vielen Fällen anhand eines spezifischen Faches vorgestellt, konkretisiert und diskutiert. Deutlich wird bei diesen Ausführungen, dass die gewählten Methoden nur dann erfolgreich in der Lehre eingesetzt werden können, wenn sie einen klaren Bezug zu den fachlichen Inhalten des Studiums aufweisen und adäquat zum jeweiligen Studienfach gewählt und eingesetzt wurden. Nur auf diesem Wege erkennen die Studierenden, aus welchen Gründen eine argumentativnachvollziehbare und präzise (Fach-)Sprache für sie und ihr weiteres Studium sowie ihren späteren Beruf von Relevanz ist. Dennoch lassen sich die vorgestellten Methoden auch fachübergreifend nutzen und können in unterschiedlichen Disziplinen zum Einsatz kommen. In den Beiträgen finden sich hierzu Hinweise und durch die jeweiligen Literaturangaben kann zusätzlich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den vorgestellten theoretischen Ansätzen erfolgen. Abschließend möchten wir betonen, dass die Erstellung und Herausgabe dieses Buches nur durch die Hilfe zahlreicher Personen möglich war, denen an dieser Stelle gedankt werden soll. Dabei

Warum Sprachkompetenz? – Eine Reflexion

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möchten wir uns zunächst bei Frau Schöller bedanken, die uns stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden und die Veröffentlichung des Buches betreut hat. Ein großer Dank richtet sich zudem an das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das die Arbeit der Herausgeberin und Autorin M. Zellner im Rahmen des Projekts SKATING (mit dem Förderkennzeichen 01PL16014) gefördert hat. Weiterhin möchten wir uns auch ganz herzlich bei Prof. Voss für die Übernahme des Geleitwortes bedanken. Seine Zusage hat uns umso mehr gefreut, da Prof. Voss schon viele Jahre auch die jungen Lehrenden im Bereich Didaktik berät und coacht und auf den Hochschulalltag vorbereitet. Ferner möchten wir uns natürlich bei allen Autoren bedanken, ohne die dieses Werk niemals zustande gekommen wäre. Ein ganz lieber Dank geht auch an Marcel, der unermüdlich mit uns um Form, Format und mit Formatvorlagen gerungen hat. Schlussendlich danken wir natürlich auch allen weiteren Kollegen, Familienmitgliedern und Freunden, die uns in der Zeit auf vielfältige Art und Weise unterstützt haben.

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Katrin Regier, Stefanie Regier und Meike Zellner

Literatur Bethke, H. (2014): Studenten können keine Rechtschreibung mehr. Sprachnotstand an der Uni, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.3.2014, URL: http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance /campus/sprachnotstand-an-der-uni-studenten-koennen-keinerechtschreibung-mehr-12862242.html (Abruf: 08.08.2018). Die WELT (2012): Studenten können keine Rechtschreibung mehr, Ausgabe vom 24.07.2012, URL: http://www.welt.de/regionales/muenchen/article108370072/Studenten-koennenkeine-Rechtschreibung-mehr.html (Abruf 20.07.2018). Fayol, M. L./Alamargot, D./Berninger, V. W. (2012): From cave writers to elite scribes to professional writers to universal writers, translating is fundamental to writing, in: Fayol, M. L., Alamargot, D. und Berninger V. W. (Hrsg.): Translation of thought to written text while composing. New York, NY: Taylor & Francis, S. 3-14. Grünke, M./Knaak, T./Sawatzky, A. (2017): Die Bedeutung der Schreibflüssigkeit, des mündlichen Sprachschatzes und der orthografischen Fertigkeiten für die Aufsatzqualität bei Grundschulkindern, in: Empirische Sonderpädagogik, 2017, Nr. 4, S. 365-385. Kruse, O./Jakobs. E.-M. (1999): Schreiben lehren an der Hochschule. Ein Überblick, in: Kruse, O./Jakobs, E.M./Ruhmann, G. (Hrsg.): Schlüsselkompetenz Schreiben. Konzepte, Methoden, Projekte für Schreibberatung und Schreibdidaktik an der Hochschule, Neuwied/Kriftel: Luchterhand, S. 19-34. Lahm, S. (2016): Schreiben in der Lehre, Opladen/Toronto: Verlag Barbara Budrich. Linssen, R./Meyer, M. (2016): „Sprache ist die Basis der Grundlage des Fundaments …“ Zu Sprach- und Lesekompetenzen von Studierenden, in: Die Neue Hochschule, H. 2, S. 42-45.

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Müllender, B. (1984): Deutsch für Studenten. Grammatik und Rechtschreib-Nachhhilfe in Aachen, in: DIE ZEIT, 1984, H. 24, URL: https://www.zeit.de/1984/24/deutsch-fuer-studenten (Abruf 20.08.2018). Müller, E. (2018): Schlüsselqualifikation, Schlüsselkompetenz und Schlüsselbildung – eine Annäherung an drei Begriffe, in: Neues Handbuch Hochschullehre, Nr. 85, S. 23-34. Olbrisch, M. (2018): Beherrschen Studenten noch die Rechtschreibung?, in: SPIEGEL ONLINE vom 31.07.2018, URL: http://www.spiegel.de/plus/rechtschreibung-beherrschenstudenten-noch-die-regeln-a-cd163404-a5ba-4224-9246-d249e 4d274df (Abruf: 20.08.2018). Scholten-Akoun, D./Kuhnen, A./Mashkovskaya, A. (2012): Sprachkompetenzen Studierender. Design und erste Ergebnisse einer empirischen Studie, in: Feilke, H./Köster, J./Steinmetz, M. (Hrsg.): Textkompetenzen in der Sekundarstufe II, Stuttgart: Klett Fillibach, S. 179-200. Seidl, T. (2017): Schlüsselkompetenzen als Zukunfts-kompetenzen. Die Bedeutung der „21st Century Skills“ für die Studiengangsentwicklung, in: Neues Handbuch Hochschullehre, Nr. 82, S. 89-114. Steinig, W./Huneke, H.-W. (2011): Sprachdidaktik Deutsch. Eine Einführung, 4. Auflage, Berlin: Erich Schmidt Verlag.

Hochschuldidaktische Möglichkeiten zur Förderung der mündlichen Beteiligung bei Studierenden – Voraussetzungen, Herausforderungen und methodische Ideen Katayon Meier und Meike Zellner

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Einleitung

„Wenn ich an den Kurs eine Frage richte, antworten immer dieselben Studenten1“, „Die Studenten in meinen Seminaren beteiligen sich so gut wie nie. Ich weiß nicht, wie ich sie zum Diskutieren bekommen soll“, „Ich bin ja schon glücklich, wenn einer mal eine Nachfrage stellt“ – diese oder ähnliche Gedanken hat vermutlich jeder, der in der Lehre tätig ist, bereits gehabt. Im Austausch mit Kollegen fällt dann auf, dass fast alle von vergleichbaren Situationen aus Seminaren und Vorlesungen berichten. Doch es gibt auch immer wieder Lehrende, bei denen die mündliche Beteiligung während der Lehrveranstaltung besser funktioniert. Was machen sie anders? 1

Sofern in diesem Artikel Begriffe der Einfachheit halber in rein männlicher Form (z. B. „Dozent“, „Student“) verwendet werden, so sind damit selbstverständlich beide Geschlechter gleichermaßen angesprochen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_2

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Katayon Meier und Meike Zellner

Entlang des nachfolgendenden Artikels sollen auf diese Frage verschiedene Antworten bzw. Antwortmöglichkeiten gegeben werden. Denn die eine Antwort auf diese Frage kann es nicht geben und darf es aus pädagogischer und hochschuldidaktischer Sicht auch nicht geben: Jede Lehr-/Lernsituation mitsamt den Lehrenden und Lernenden ist different zu betrachten und individuell zu analysieren. Es wird also keine Patentlösung präsentiert, wie die mündliche Beteiligung der Lernenden in einer Lehrveranstaltung erhöht werden kann, sehr wohl aber werden verschiedene hochschuldidaktische und methodische Hilfestellungen aufgezeigt und erläutert, mithilfe derer die eigene Lehre und der Umgang mit den Lernenden reflektiert werden können. Dazu wurde dieser Artikel aus drei „Bausteinen“ aufgebaut. In den beiden ersten Abschnitten werden pädagogisch-motivationale Vorüberlegungen getätigt, die der Frage nachgehen, weshalb die mündliche Beteiligung in Lehrveranstaltungen oftmals als nicht angemessen wahrgenommen wird und Lernende auf die Aufforderungen, sich zu beteiligen, häufig – so klagen viele Lehrende – kaum reagieren. Dafür wird zunächst das für eine gelingende Lehr-/Lernsituation notwendige Zusammenspiel von Zutrauen und Vertrauen besprochen, anschließend werden mögliche Gründe für die Nicht-Beteiligung der Lernenden in einer Lehrveranstaltung aufgezeigt. Zum Schluss des Artikels werden drei methodische Vorgehensweisen zur Stärkung der mündlichen Beteiligung in Lehrveranstaltungen präsentiert, mit denen die Autorinnen sehr positive Erfahrungen in der Lehre an Hochschule2, 2

Gefördert wurden die Tätigkeit der Autorin M. Zellner im Projekt SKATING an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft sowie die Ausarbeitung dieses Artikels aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01PL16014.

Hochschuldidaktische Möglichkeiten zur Förderung der mündl. Beteiligung

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Universität und in der außeruniversitären Erwachsenenbildung gesammelt haben. Hierzu werden jeweils konkrete Anwendungsbeispiele aus realen Lehrsituationen beschrieben, die als Inspiration für die eigene Lehre genutzt werden können. Bevor jedoch auf diese Aspekte näher eingegangen wird, bedarf es einleitend weiterer Betrachtungen dazu, weshalb die Stärkung des Ausdrucksvermögens von so außerordentlicher Relevanz ist. Dass die Lehrenden innerhalb ihrer Lehrveranstaltung den Anspruch haben, die mündliche Beteiligung zu stärken und Diskussionen anzuleiten, hat nachvollziehbare Gründe. Einer davon ist, dass die Lehrenden ihren Studierenden den Eintritt in das Berufsleben erleichtern möchten. Gerade an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften bringen die Dozenten Erfahrungen aus der freien Wirtschaft mit und möchten ihren Studierenden Tipps mit auf den Weg geben, nach welchen Kriterien Arbeitgeber ihre Mitarbeiter auswählen. Dazu gehört, dass die potentiellen zukünftigen Arbeitgeber nicht nur auf die Noten der Bewerber schauen, sondern ebenso – wenn nicht sogar noch mehr – auf die Persönlichkeit und die sogenannten Soft Skills, wie z. B. Selbständigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Lernbereitschaft (vgl. Staufenbiel Institut 2016, insb. S. 34 – 38, Staufenbiel Institut/Kienbaum Consultants International 2017, S. 13, Schmidt 2013, Lödermann/Scharrer 2010). Darüber hinaus ist das mündliche Ausdrucksvermögen für ein erfolgreiches Studium (vgl. Schneider/Preckel 2017, S. 565, S. 587f), für die eigene Entwicklung sowie für das soziale Miteinander essenziell. Indem sich der Mensch an Diskussionen beteiligt, Standpunkte beziehen lernt und seine Interessen vertreten kann, d. h. einen Dialog führen kann, stärkt er sein Selbstbewusstsein und sein Selbstvertrauen. Einen Dialog zu führen ist hierbei so zu ver-

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Katayon Meier und Meike Zellner

stehen, dass der Gesprächspartner nicht mit „Macht“, sondern mit Argumenten von dem eigenen Standpunkt überzeugt werden soll. Neue Argumente, so pointiert es der Pädagoge Heitger, erhält man nicht dadurch, „daß man sie einfach übernimmt, quantitativ anhäuft, sondern indem man sie überprüft und abwägt. Das aber heißt Entfaltung der Urteilskraft, heißt Gewinnen intellektueller und sittlicher Mündigkeit“ (1972, S. 75). Und dies wiederum bedeutet, dass es zahlreicher Gelegenheiten bedarf, bei denen sich die eigene Argumentationsfähigkeit entwickeln und stärken kann. Auf diesem Wege entwickelt sich zudem Selbstvertrauen in die eigene Meinung und auch darin, bei strittigen Themen den Mut zu haben, seine Meinung mit begründbaren Argumenten zu äußern. Allen erwähnten Anforderungen liegt dabei ein elementar pädagogisches Verständnis zu Grunde: Der Lernende soll sich von dem Lehrenden – verstanden als dem erfahrenen Gegenüber – und der Bildungsinstitution sukzessive emanzipieren, d. h. er soll lernen, unabhängig von einem Gegenüber eigene begründete Argumente und Haltungen zu entwickeln und für diese selbstbewusst einzustehen. Nur durch selbsttätige Auseinandersetzungen, Anstrengungen und Reflexionen mit einer Fragestellung kann sich der Mensch bilden lernen, seine Stärken erkennen sowie seine Schwächen einschätzen lernen und dadurch zugleich Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten entwickeln. So kann er auch bei strittigen oder „unpopulären“ Themen Argumente anführen und in einen konstruktiven Dialog mit seinen Mitmenschen – seien es Freunde, Partner, Familienmitglieder, Kommilitonen, Dozenten, Kollegen oder Vorgesetzte – treten.

Hochschuldidaktische Möglichkeiten zur Förderung der mündl. Beteiligung

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Zusammenspiel von Zutrauen und Vertrauen – motivationale Voraussetzungen für eine gelingende mündliche Beteiligung

Ein grundlegendes Prinzip im pädagogischen Handeln ist die Aufforderung zur Selbsttätigkeit. Nur indem der Lernende selbst denkt, selbst handelt, eigene Fragen entwickelt, Kontroversen entdeckt und Stellung bezieht, kann er sich selbst bilden. Nur durch diese eigenen Bildungsanstrengungen kann sich der Mensch in die Lage versetzen, die Anforderungen, die das private wie das berufliche Leben an ihn stellen, selbstverantwortlich und erfolgreich zu meistern. Die Aufforderung zur Selbsttätigkeit, die ein Lehrender stets an die Lernenden richtet, ist damit auch nicht nur in den schulischen Kontext oder ausschließlich zu Beginn einer neuen Lernaufgabe zu setzen. In jeder Lebenslage und „[b]is zum Tod hin kann es Situationen geben, in denen wir der pädagogischen Praxis, im Sinne einer Fremdaufforderung zur Selbsttätigkeit, bedürfen. […] Überall dort, wo wir ohne pädagogische Hilfe selbsttätig sein können, ist bereits das Ende der Erziehung erreicht, wirken wir ohne Fremdaufforderung zur Selbsttätigkeit an der Aneignung unserer Bestimmung mit“ (Benner 2012, S. 91). Auch im Studium, in einer Aus- oder Weiterbildung ist es unverkennbar vonnöten, den Lernenden entlang seiner Bildungsprozesse zu unterstützen und ihm Hilfestellungen anzubieten. Selbstverständlich sollten diese Hilfestellungen im Laufe der Zeit schrittweise abnehmen und den Lernenden dazu führen, dass er – innerhalb der neuen Aufgaben und der neuen Lernbereiche – nach und nach eine immer größere Selbstständigkeit entwickelt.

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Wenn ein Lehrender im Lehrgeschehen Fragen an die Lernenden stellt, sie zum Diskutieren, Nach- und Weiterdenken anregen will, handelt er demnach grundsätzlich pädagogisch. Er hat die Intention, die Lernenden anhand seiner Fragen zu eigenen Erkenntnissen zu führen, aufgrund derer sie sich sukzessive weiterbilden und ihre Kenntnisse erweitern können. Er möchte den Bildungsprozess im optimalen Fall so führen, dass das neu erworbene Wissen sowie die damit verbundene Haltung den Lernenden dazu befähigt, eigene Standpunkte in dem Fachgebiet einnehmen und selbstbewusst argumentativ Stellung beziehen zu können. Die Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt ein Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden entwickeln kann, ist eine wertschätzende, respektvolle und positive Lernatmosphäre. Diese wiederum kann sich nur einstellen, wenn sich das interdependente Gefüge von Zutrauen auf der einen und Vertrauen auf der anderen Seite einstellt. Damit ist erstens gemeint, dass der Lehrende den Lernenden zutraut, die gestellten Fragen und Aufgaben zu beantworten. Zugleich heißt das zweitens, dass die Lernenden der Lehrperson dahingehend vertrauen, dass diese nur solche Aufgaben stellt, die mit dem aktuellen Kenntnisstand beantwortet werden können. Sie vertrauen darauf, dass sie durch die Fragen im Allgemeinen nicht über- und nicht unterfordert werden. Der Anfang eines jeden Lernprozesses charakterisiert sich dadurch, dass sich der Lernende selbst zutraut, sich mit den noch neuen und unbekannten Lerngegenständen auseinanderzusetzen. Aus diesem Grund, so stellt es der Pädagoge Pöppel heraus, kann eine Lehr-Lernsituation auch nicht „‚einfach anfangen‘, weder vom Schüler noch vom Lehrer aus gesehen. Über seinen ‚Anfang‘ entscheidet nicht, was der Schüler schon weiß oder kann, auch nicht,

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was der Lehrer will und geplant hat. Über den ‚Anfang‘ des Lernens entscheidet, wie der Schüler sich selbst angesichts der Aufgabe erlebt: sein Selbstvertrauen“ (Pöppel 1988, S. 18). Der Lehrende kann diesen Prozess unterstützen, indem er den Lernenden das Zutrauen in ihre Lernerfolge kontinuierlich demonstriert. Das meint mit anderen Worten, dass ein Lehrender als solcher nur dann glaubwürdig ist, wenn er den Lernenden aus seiner inneren Überzeugung heraus zutraut, dass sie lernen wollen und lernen können (ebd., S. 21). Dieses Wechselspiel aus Zutrauen und Vertrauen ist ein Prozess, der Zeit benötigt, um sich zu entwickeln. Das bedeutet für den Lehrenden: Er muss abwarten können, bis sein Zutrauen die Lernenden ermutigt, sich am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen. Erst wenn der Lernende spürt, dass er sich in einer Lernatmosphäre befindet, in der Zeit zum Nachdenken gegeben wird und richtige, fast oder noch nicht richtige Antworten gleichermaßen wertschätzend behandelt werden, kann sich die Verbindung aus Zutrauen und Vertrauen festigen. Würde der Lehrende den Dialog zu den Lernenden nicht aufsuchen oder die erwarteten Antworten stets vorgeben, würde er dadurch jegliche selbsttätigen Bildungsanstrengungen bei den Lernenden verhindern und lediglich erreichen, dass die Antworten – ohne eigene geistige Anstrengungen – auswendig gelernt werden. Lernprozesse oder selbsttätige Verknüpfungen zu anderen fachlichen oder überfachlichen Inhalten können so nicht stattfinden und nicht unterstützt werden. Gänzlich unpädagogisch wird es, wenn der Lehrende eine argumentative, dialogische Auseinandersetzung bewusst unterbindet, um den Lernenden zu beherrschen oder abhängig machen zu wollen, denn erst „[d]urch Argumente suchen

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wir unsere Meinung zu begründen, zu festigen. […] Im Argumentieren appelliere ich an jene Instanz im Du, die dessen Autonomie ebenso begründet wie die meine“ (Heitger 1972, S. 74). Anders gesagt: Ermöglicht der Lehrende den Lernenden nicht, sich eigene Gedanken zu machen, Hypothesen aufzustellen, eigene Standpunkte zu beziehen oder sich argumentativ an der fachlichen Auseinandersetzung zu beteiligen, so wird es ihnen nicht ermöglicht, selbsttätig zu denken und dadurch Vertrauen in die eigenen Gedanken und Argumente zu finden. Auf diese Weise würde nicht nur der Lernprozess, sondern auch das Sich-bilden-Lernen sowie das Sich-führen-Lernen gehemmt bzw. vorenthalten. Die Psychologin Preckel betont, dass eine soziale Interaktion gerade deswegen so effektiv sei, „weil sie vom Lernenden aktives Engagement und explizite Verbalisierung des Wissens erfordert sowie Perspektivübernahme und den Vergleich von Argumenten beinhaltet“ (Deutsche Gesellschaft für Psychologie 2017). Das Selbstvertrauen eines Lernenden bildet sich immer mehr aus, je mehr Möglichkeiten ihm zur Verfügung gestellt werden, eigene Überlegungen in einer geschützten und vertrauensvollen Lernatmosphäre zu tätigen. Diese Forderung inkludiert nicht, dass in einer Lehrveranstaltung „so getan wird“, als würde der Lernende keine falschen fachlichen Annahmen treffen. Auch geht es nicht darum, den Lernenden „zu schonen“ und ihm nicht transparent zu machen, wenn eine Antwort noch nicht ausgereift ist oder in eine falsche Richtung geht. Ganz im Gegenteil: Im schrittweisen Erkennen eines Lösungswegs, in dem eben auch Fehler gemacht werden können, eröffnen sich für den Lernenden häufig erst diejenigen „Aha-Momente“, aufgrund derer er selbsttätig den vollständigen Lösungsprozess erkennt. Wichtig ist, in welcher Weise der Dozent

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die Rückmeldung an den Lernenden gibt. Wird die Rückmeldung in einer wertschätzenden Art und Weise getätigt und wird dem Lernenden dabei das Gefühl gegeben, dass er mit einer zusätzlichen Führung durch den Lehrenden selbsttätig auf die Lösung kommen kann, so trägt es dazu bei, den Lernenden zum weiteren Nachdenken und Überlegen zu ermutigen. Benner ergänzt, dass der Lehrende Vorkehrungen dafür zu treffen habe, aufgrund derer der Lernende „seine Erfahrungen als Welterfahrungen und als Erfolge und Misserfolge seiner eigenen Versuche deutet“ (2012, S. 82). Als Lehrender sollte man sich immer wieder in Erinnerung rufen, wie schwer es zu Beginn einer neuen Aufgabe ist, diese zu bewältigen. Sobald man einer neuen Herausforderung gegenübersteht – sei es beispielsweise das Lernen einer neuen Fremdsprache, das erstmalige Zubereiten eines Soufflés oder auch das Bereisen eines neuen Landes und das Entdecken eines unbekannten Kulturkreises –, wird einem das Gefühl, noch unwissend (d. h. ein Lernender) zu sein, wieder allgegenwärtig. Man fragt Freunde oder Kollegen um Rat oder sucht im Internet nach Antworten auf seine Fragen – man will Neues lernen, es sich selbst beibringen und braucht dazu doch die Unterstützung von bereits erfahrenen Personen. In der eigenen Lehre jedoch erscheint einem aufgrund des erworbenen Expertenstatus häufig vieles trivial und es fehlt sodann die Vorstellungskraft, sich in diesem Fachbereich an seine eigenen ersten Schritte, Fehlvorstellungen und Schwierigkeiten zurückzuerinnern. Umso wichtiger ist es, dass der Lehrende in seinen Lehrveranstaltungen die Möglichkeit einräumt, Rückfragen zu fachlichen Unklarheiten zu stellen und eine motivierende Lernatmosphäre zu schaffen. Unterricht, d. h. der Erwerb von Wissen, wird umso lehr- und lernintensiver sein, je stärker sich eine respekt- und ver-

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trauensvolle Lernatmosphäre einstellt. Die pädagogische Grundlage dafür liegt in dem wechselseitigen Zutrauen und Vertrauen zwischen Lehrendem und Lernenden.

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Ursachen für eine mündliche Nicht-Beteiligung der Lernenden in Lehrveranstaltungen

Für Lehrende besteht eine kontinuierliche und herausfordernde Aufgabe darin, geeignete Redeanlässe zu finden, die die Lernenden nicht überfordern, aber auch nicht unterfordern. Vor allem zu Beginn einer neuen Lehrveranstaltung – dies gilt fächerübergreifend – sind viele Lernende zurückhaltend, müssen sich erst an die neue Situation sowie den Lehrenden gewöhnen und haben oft große Hemmungen davor, sich vor der Gruppe zu äußern. Diese Anfangssituation erfolgreich zu meistern, ist für den Lehrenden eine große pädagogische Herausforderung. Die Gründe für eine Nichtbeteiligung in Lehrveranstaltung sind vielfältig. Es ist wesentlich, dass die Lehrperson die wichtigsten Gründe der Nicht-Beteiligung kennt und diese in seiner Vorbereitung für die Lehrveranstaltung mit bedenkt. Der Lehrende kann zwar nicht unmittelbar auf die Haltung und die Motivation des Lernenden Einfluss nehmen, doch kann er seine eigene Haltung und Unterrichtsplanung überdenken und die Lehrveranstaltung so konzipieren, dass sie die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche mündliche Beteiligung – und damit für die Motivation, sich zu beteiligen – bereitstellt.3 Im Folgenden werden einige wichtige Grün3

Wie wichtig eine didaktisch durchdachte und sorgfältige Unterrichtsplanung für den allgemeinen Lernerfolg der Studierenden ist, wurde jüngst durch

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de betrachtet, die zu einer Nicht-Beteiligung in Lehrveranstaltung führen können. 3.1 Die Angst, sich vor der Gruppe zu blamieren Angenommen und wertgeschätzt zu werden sind grundlegende Bedürfnisse jedes Menschen. Eines der größten Hemmnisse, sich in einer Lehrveranstaltung mündlich zu beteiligen, liegt in der Angst begründet, sich vor der Gruppe inhaltlich zu blamieren und wegen fehlenden Fachwissens von dem Lehrenden und den Kommilitonen negativ beurteilt zu werden. Die Angst, sich zu blamieren und in der Lerngruppe eine Außenseiterposition einzunehmen, bezieht sich jedoch nicht nur auf das fachliche Wissen, sondern auch auf die Haltung dazu. Im Plenum eine kritische Meinung zu dem Gelernten zu äußern, eine unbequeme und strittige Meinung zu vertreten, kostet viel Mut, macht verletzlich und birgt die Gefahr in sich, von der Gruppe nicht nur fachlich, sondern auch moralisch be- und verurteilt zu werden. Eine sachliche wie auch eine sittliche negative Beurteilung von Kommilitonen und Lehrenden kann das Gefühl der Scham hervorrufen. Scham ist zwar eine universelle menschliche Emotion, jedoch ist das Sprechen über sie nicht selten tabuisiert. Je weniger über Scham gesprochen wird, so konstatiert die US-amerikanische Forscherin Brené Brown, umso mehr gewinnt sie Kontrolle über das Verhalten des Einzelnen (vgl. 2012, S. 47 – 64). Diese Angst, sich zu blamieren und Scham zu empfinden, beginnt oft schon früh in der Familie bzw. in der Schule und setzt sich dann in der weiteSchneider und Preckel mithilfe einer Übersichts-Metastudie herausgestellt (vgl. 2017, insb. S. 565 und S. 592f).

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ren Lern- und Arbeitsbiographie fort. In der Vergangenheit erfahrene verletzende und ausgrenzende Erlebnisse in der Familie und im Klassenraum können die Unwilligkeit verstärken, sich spontan mündlich zu äußern und sich damit der Gefahr auszusetzen, negativ beurteilt zu werden. Diese Angst kann die Lernenden hemmen, sich unbefangen und frei mündlich am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen. Die von außen erlebte negative Beurteilung führt nicht selten zu einer Art „Selbstverurteilung“. Perfektionismus erhöht die Gefahr, sich – wenn überhaupt – nur dann zu melden, wenn man sich gänzlich abgesichert hat, dass die Antwort sachlich „richtig“ bzw. moralisch „politisch korrekt“ ist. Diese innere Einstellung steht dem effektiven Lernen im Wege. Um die Einstellung des Lernenden zu einer freien mündlichen Beteiligung in der Lehrveranstaltung zu ändern und einen Weg für einen konstruktiven Umgang mit Fehlern aufzuzeigen, muss eine achtsame und vertrauensvolle Lehr- und Lernatmosphäre geschaffen werden. Dies ist ein Prozess, denn oft muss eine vertrauensvolle Atmosphäre erst aufgebaut werden. Von dieser Lernumgebung können vor allem auch stille und introvertierte Lernende profitieren. Hierfür kann sich der Lehrende fragen, wie er zu einer guten Atmosphäre beitragen kann, damit die Lernenden sich während der Lehrveranstaltung emotional sicher und wohl fühlen. Die Lehr- und Lernatmosphäre kann „Lernfreude, Lernerfolg, Selbstvertrauen, Konzentration auf die Aufgaben“ fördern, sie hemmen oder gar zu Leistungsversagen und Angst führen (Hintz et al. 2001, S. 20) – umso wichtiger ist es für die Lehrperson, die Relevanz einer wertschätzenden Lernumgebung nicht zu unterschätzen. Es gibt zwar keine Patentrezepte oder stets funktionierende Vorgaben, wie ein Lehrender zu einer guten Atmosphäre beitragen

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kann, jedoch können für die Gestaltung nach Hintz et al. zwei Orientierungspunkte hilfreich sein (vgl. 2001, S. 21f). Der erste Punkt weist auf die Selbstreflexion der Lehrkraft hin. Der wichtigste Schritt besteht darin, dass sie überhaupt ein Problembewusstsein über die Frage nach Lehr- und Lernatmosphäre entwickelt und dies als einen Teil ihrer Unterrichtsvorbereitung erkennt und anerkennt. Das bewusste Nachdenken über die eigene Einstellung zu Perfektionismus, Fehlern, Angst, Scham, Lehrer-Schüler-Verhältnis, Introvertiertheit vs. Extravertiertheit sowie der Umgang mit anderen bzw. strittigen Ansichten gehören hierzu. Der zweite Punkt befasst sich damit, im konkreten Fall herauszufinden und zu erkennen, welche Faktoren zu einer förderlichen Atmosphäre beitragen können. Hierfür ist die Bereitschaft zum Dialog unabdingbar. Ein offenes und ehrliches Gespräch mit den Lernenden und auch den Kollegen kann hierfür wichtige Hinweise geben. Im Gespräch kann herausgearbeitet werden, welche Faktoren als hemmend und welche als fördernd empfunden werden. Durch den Einbezug dieser Vorüberlegungen in die Planung und Durchführung der eigenen Lehre kann die mündliche Beteiligung des Lernenden gefördert werden. So wird auch zu Lernfreude und Lernerfolg beigetragen, denn „[e]s lehrt und lernt sich besser in einer entspannten Atmosphäre, in der man sich wohlfühlt, sich gegenseitig ernstnimmt und sich ohne Ängste mitteilen kann, wie einem zumute ist“ (Hintz et al. 2001, S. 22).

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3.2 Inhaltliche Verständigungsprobleme Um auf eine Frage antworten zu können, muss die Problemstellung zuerst verstanden werden. Unverständliche und nicht zielgerichtet gestellte Fragen erschweren die Bereitschaft zur mündlichen Beteiligung, weil sie in den Lernenden erst einmal Irritation hervorrufen und sie eventuell verunsichern. Seitens der Studierenden fehlt dann oft der Mut, nochmals näher nachzufragen, was genau gemeint sei. Um dieses Hindernis zu minimieren, ist anzuraten, als Lehrkraft mehr Sorgfalt für die verständliche Formulierung der Fragen und deren Zielrichtung zu verwenden. Bestmöglich werden die wichtigsten und fachlich relevantesten Fragen bereits im Vorfeld notiert, damit sie innerhalb der Lehrveranstaltung präzise formuliert vorliegen. Wenn die Beteiligung der Studierenden dennoch ausbleibt, sollte seitens der Lehrperson nachgefragt werden, ob die Frage klar war und verstanden wurde, um diese ggf. nochmals verständlicher bzw. mit anderen Worten formulieren zu können. Eine gute Lehrund Lernatmosphäre fördert ehrliche Antworten der Lernenden auf diese Nachfrage. Die Antwort der Studierenden kann auch ausbleiben, wenn die gestellte Frage als zu einfach bzw. zu schwierig empfunden wurde. Zu einfache Fragen können durch ihre empfundene Banalität irritieren, zu schwierige Fragen die Möglichkeit des Lernenden zur Beantwortung überschreiten. Erschwert wird diese Situation durch die Tatsache, dass der Wissenshorizont der Lernenden in einer Lerngruppe nur selten homogen ist. Diese Heterogenität muss bei Vorbereitung der Lehrveranstaltung mit in Rechnung gezogen werden. Wenn Fragen als zu komplex und zu schwer empfunden werden, können Zwischenfragen als Hilfestellungen eingebaut werden, um

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die Lernenden Schritt für Schritt zu den richtigen Antworten zu führen. Frey und Frey-Eiling weisen auf die starken Lerneffekte von „eingeschobenen Fragen“ hin, die bewusst während eines Vortrags oder einer Arbeit mit Texten verteilt werden, und bei denen den Lernenden von Beginn an eine Zeit zum Bearbeiten bereitgestellt wird (2010, S. 136). Erst nachdem die Bearbeitungszeit vergangen ist, findet ein Austausch in der Gruppe statt. Auf diese Weise erhält jeder Lernende genügend Zeit, sich mit der Frage intensiv auseinanderzusetzen. Generell sollte nach jeder gestellten Frage den Lernenden ausreichend Zeit für das Nachdenken gegeben werden. Diese bereitgestellte Zeit kann insbesondere auch eine Hilfestellung für ausländische Studierende sein, die auf diese Weise ihre Gedanken sammeln und ordnen sowie in der Fremdsprache formulieren können. 3.3 Sprachbarrieren bzw. kulturell bedingte Denkmuster Die zunehmende Pluralität der Gesellschaft spiegelt sich auch in Lehr- und Lerngruppen wider. Es gibt viele Lernende, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Mangelnde Sprachkenntnisse können ein weiterer Grund für mündliche Nicht-Beteiligung in der Lehrveranstaltung sein. Auf der einen Seite kann es vorkommen, dass manche Studierenden die Lehrperson sprachlich nicht ganz verstehen und auf der anderen Seite ist es möglich, dass sie ihre Gedanken in der Fremdsprache (noch) nicht gut formulieren können bzw. diesbezüglich unsicher sind. Hinzukommend kann die Angst vorhanden sein, sich bei der Formulierung in der Fremdsprache vor der Gruppe zu blamieren. Eine vertrauens- und respektvolle Lern-

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atmosphäre ist hier ebenso hilfreich wie eine verständliche und auf die Zielgruppe angepasste Art der Lehrveranstaltung und der Fragestellung. Es sind jedoch nicht nur die Sprachbarrieren, die eine mündliche Beteiligung erschweren können. Auch soziokulturell bedingte Denkmuster können einer freien Beteiligung im Wege stehen. Soziale Schicht und kulturelle Netzwerke, in denen sich ein Lernender bewegt und in denen er enkulturalisiert und sozialisiert wurde, können einen Einfluss darauf haben, ob es jemandem leichtfällt, sich mündlich zu beteiligen oder ob er diesbezüglich eher gehemmt ist. Hier können auch in unterschiedlichen Subkulturen gängige genderspezifische Verhaltensmuster eine Rolle spielen (vgl. Michalak 2010, S. 358). Die Möglichkeit einer mündlichen Beteiligung am Lehrgeschehen nimmt auf jeden Fall dann zu, wenn die Lernenden das Thema der Lehrveranstaltung interessant und anregend finden und die einzelnen Veranstaltungstermine gut aufgebaut sind. 3.4 Zu wenig Interesse an dem Thema Da ein geringes Interesse an dem Lerninhalt ein Grund für mündliche Verweigerung in einer Lehrveranstaltung sein kann, sollte sich der Lehrende fragen, wie der Lerninhalt präsentiert und wie die Lehrstunde aufgebaut werden sollte, damit das Interesse der Lernenden geweckt wird und sie zum aktiven Mitdenken, kritischen Nachfragen und Mitgestalten motiviert sind (siehe hierzu auch Ladenthin 2013, S. 93 – 97). Vom Lehrenden wird dadurch gefordert, dass er die zu bearbeitenden Inhalte so auswählt und formuliert, dass die Lernenden diese mit ihrem Erfahrungs-, Erlebnis- und

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Werthorizont in Verbindung setzen können (vgl. Hintz et al. 2001, S. 16 sowie S. 243). Denn motiviert zur aktiven Mitarbeit ist der Lernende nur dann, wenn er Interesse an einem Thema und einer Fragestellung hat und er sich damit auseinandersetzen will. Die Lernenden nehmen sehr genau wahr, wie motiviert der Dozent selbst ist, ob er gerne lehrt, von seinem Fach begeistert ist und die Begegnungen mit den Lernenden schätzt. Die Lehrperson steht somit immer vor zwei sich ergänzenden Aufgaben. Erstens soll die Lehrveranstaltung sachlich so aufgebaut werden, dass sie auf die Vorkenntnisse der Lernenden Bezug nimmt und darauf aufbaut und zweitens soll die Lehrkraft auf motivierender Ebene den Lernenden aufzeigen, warum das zu Lernende für sie, ihre weiteren Studien, ihren Beruf und ihr Leben von Bedeutung ist bzw. sein kann und warum es sich lohnt, dies zu lernen. Wenn der Dozent den Lernenden auf diese Weise klärend, beratend und unterstützend während der Lehrveranstaltung zur Seite steht, erhöht sich die Chance, dass die Motivation des Lernenden während der Lernphase anhält und somit auch die aktive mündliche Beteiligung in der Lehrveranstaltung zunimmt (vgl. Hintz et al. 2001, S. 243). Hierfür kann der Dozent unterschiedliche Unterrichtsformen und Methoden einsetzen.

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Methoden, mit denen die mündliche Beteiligung gefördert werden kann

Im nachfolgenden Abschnitt werden beispielhaft methodische Vorgehensweisen vorgestellt, die die Mitarbeit und die mündliche Beteiligung der Studierenden während der Lehrveranstaltung unterstützen können. Ausgewählt wurden drei Methoden, mit denen die

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Autorinnen in ihrer Lehrpraxis an Hochschulen, Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen in unterschiedlichen Lehrformaten sehr gute Erfahrungen gemacht haben: 1.) Think-Pair-Share, 2.) Clicker (Classroom Response Systems)/Peer Instruction und 3.) Sechs-Hüte-Methode (Six Thinking Hats).4 Neben Erläuterungen und Erklärungen zur jeweiligen Methode werden konkrete Anwendungsbeispiele aus Lehrveranstaltungen vorgelegt, die einen Transfer für die eigene Lehrpraxis erleichtern sollen. Zu betonen ist, dass auch die Autorinnen in jedem Semester innerhalb der Lehrveranstaltungen neu erproben müssen, welche Methoden mit der Lerngruppe gut und welche weniger gut funktionieren. Manchmal muss eine Alternative gesucht werden, doch oft reicht es sogar schon aus, eine Methode zu variieren – auch dafür werden Beispiele geliefert. Eine Methode kann prinzipiell nur dann gut, d. h. adressaten- und situationsbezogen – funktionieren, wenn sie auf die jeweilige Lehrsituation, den Lehrenden und die Lernenden zugeschnitten ist – und diese Anpassung muss stets neu und individuell geleistet werden. 4.1 Think-Pair-Share Erläuterung: Die Think-Pair-Share-Methode ist eine kooperative Lernmethode, d. h. dass bei dieser Methode die Lernenden entlang ihrer Lernprozesse miteinander kooperieren und aufgrund dieser Zusammenar4

Ebenfalls positive Erfahrungen wurden mit der Methode des Gruppenpuzzles gemacht. Diese Methode sei an dieser Stelle jedoch nicht ausgeführt, vielmehr wird auf den Beitrag von Koser in diesem Band verwiesen, in dem sich eine konkrete und anschauliche Umsetzung nachlesen lässt.

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beit zu Ergebnissen gelangen. Kooperative Lernmethoden erfordern explizit das Miteinander-Arbeiten der daran Beteiligten. Erklärung: Die Think-Pair-Share-Methode ist mit einem geringen zeitlichen Aufwand in der Lehrveranstaltung einsetzbar und bedarf nur weniger einleitender Worte durch den Dozenten. Die Methode gliedert sich in drei Schritte (vgl. Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen 2016): 1.) Think

2.) Pair

3.) Share

Der Lehrende stellt eine Aufgabe, die die Lernenden alleine bearbeiten. Jeweils zwei Lernende tauschen sich über ihre Gedanken und Ergebnisse aus, vergleichen diese und besprechen Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede. Diese Phase kann erweitert werden, indem sich jeweils zwei Paare zusammenfinden und ihre Ergebnisse erneut besprechen. Die Arbeitsergebnisse einzelner oder aller Gruppen – dies ist je nach Arbeitsauftrag und Unterrichtssituation neu zu entscheiden – werden im Plenum präsentiert.

Tabelle 1: Think-Pair-Share-Methode

Anwendungsbeispiel: Innerhalb der Lehrveranstaltung sollen die Studierenden die zentralen Thesen eines Fachtextes herausarbeiten und diskutieren. Das Lesen des Textes kann vorbereitend als Hausaufgabe eingefordert worden sein oder die dafür notwendige Zeit wird innerhalb der Lehrveranstaltung eingeplant. Um die Think-Phase einzuleiten, ist es wichtig, dass die Fragen, mithilfe derer die zentralen Aspekte des Textes herausgearbeitet werden sollen, präzise, klar und ein-

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deutig von der Lehrperson formuliert werden. Aus diesem Grund sollten die Fragen vom Lehrenden bereits im Vorfeld überlegt worden sein, da spontan gestellte Fragen häufig nicht so exakt formuliert und dadurch missverständlich werden können.5 Innerhalb der 1. Phase („Think“) beschäftigen sich die Lernenden in Einzelarbeit mit der gestellten Aufgabe. Der Lehrende setzt den zur Bearbeitung bereitstehenden Zeitrahmen fest. Um eine Binnendifferenzierung zu gewährleisten, können auch mehrere Aufgaben gestellt werden, wovon nur eine Aufgabe als Minimalziel bearbeitet werden muss. Zusätzlich kann der Lehrende die Lernenden dazu auffordern, alle Fragen und Unklarheiten, die entlang des Leseprozesses auftauchen, explizit zu notieren. Diese Fragen können in Phase 2 und/oder Phase 3 besprochen werden. Während der 2. Phase („Pair“) tauschen sich die Lernenden paarweise über ihre Überlegungen aus und besprechen zumeist automatisch auch Fragen und Unklarheiten. In dieser Phase kann das Paar zu einem gleichen Ergebnis kommen, dieses ist aber nicht notwendig. Vor allem für den Austausch mit der gesamten Gruppe innerhalb der 3. Phase („Share“) kann es sogar vorteilhaft sein und eine Diskussion in Gang setzen, wenn es noch differente Auffassungen zu den Ergebnissen gibt. Der Lehrende hält sich in der 1. und 2. Phase insgesamt zurück, ist aber als Ansprechperson präsent, falls die Lernenden Nachfragen oder Verständnisfragen bezüglich des Textes haben. In der 3. Phase moderiert er die Diskussion und sammelt die zentralen Thesen des Textes z. B. an der Tafel. 5

Fragen, die spontan formuliert werden und dadurch häufig nicht exakt zum Lerngegenstand passen, haben eine negative Wirkung auf den Lernprozess (vgl. Frey/Frey-Eiling, S. 136).

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In welchen Situationen kann die Methode eingesetzt werden und was kann sie leisten? Die Methode kann in die Lehrveranstaltungsplanung aufgenommen werden, um z. B. einen Methodenwechsel von einer Input-Phase hin zu einer Einzel- und Partnerarbeit zu gewährleisten. Aber auch ein spontaner Einsatz der Methode ist möglich, wenn es auf eine gestellte Frage keine oder nur wenige mündliche Rückmeldungen der Studierenden gibt. In diesem Moment kann der Lehrende dazu auffordern, dass sich jeder schriftlich, stichpunktartig Gedanken zu der Frage macht („Think“). Nach wenigen Minuten bittet er darum, sich mit dem Sitznachbarn auszutauschen („Pair“). Nach dieser Unterbrechung von wenigen Minuten (schon zwei Minuten können reichen!) kann der Lehrende die ursprüngliche Frage noch einmal ins Plenum richten („Share“). Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich nun bedeutend mehr Lernende melden und sich sogar häufig eine Diskussion anhand der Beiträge entwickelt. Die kurze methodische Unterbrechung führt dazu, dass sich jeder der Anwesenden mit dem Thema alleine auseinandersetzt und schließlich mit einem Partner bespricht. Jeder kann nun etwas auf die eingangs gestellte, aber noch unbeantwortete Frage erwidern. Dieser Umstand führt dazu, dass der Lehrende auch einzelne Paare direkt, aber selbstverständlich wertschätzend, darum bitten kann, ihre Ergebnisse in der Gruppe vorzutragen. Dass der Dozent auf diese Weise vorgeht, sollte er zuvor mündlich kommuniziert und transparent gemacht haben. Die Lernenden werden sich in diesen Situationen durch ein gezieltes Ansprechen durch die Lehrperson dann nicht „ertappt“ fühlen oder „bloßgestellt“ vorkommen, wie es hingegen passieren kann, wenn der Dozent ohne Think- und Pair-Phase jemanden direkt anspricht. Ein weiterer „Nebeneffekt“

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dieses methodischen Vorgehens ist, dass die Lernenden häufiger inhaltliche Nachfragen stellen, die sich erst durch die intensivere eigene Beschäftigung mit der Frage in der Think- und Pair-Phase ergeben haben. Wichtig für einen wertschätzenden Umgang ist, wie der Lehrende in solchen Situationen pädagogisch vorgeht. Es liegt in seinem Verantwortungsbereich, zu betonen, dass er auf seine gestellten Fragen keine „perfekten“ Antworten erwartet, sondern dass auch Nachfragen und Teil-Antworten wichtig sind, um einen Lösungsprozess anzustoßen. Im weiteren Verlauf der Lehrveranstaltungen wird er diese expliziten Äußerungen erfahrungsgemäß kaum noch tätigen müssen, da den Lernenden bewusst geworden ist, dass ihre mündliche Beteiligung generell wertgeschätzt wird. 4.2 Clicker (Classroom Response Systems)/Peer Instruction Erläuterung: Clicker (Classroom Response Systems) oder andere Abstimmungsverfahren sind eine weitere Möglichkeit, die aktive Mitarbeit der Studierenden zu fördern, Diskussionen anzuregen oder auch, um direkte Rückmeldungen zur gegenwärtigen Lehrveranstaltung zu erhalten. Dazu bereitet der Lehrende Abstimmungsfragen mit verschiedenen Antwortmöglichkeiten vor, die er dann innerhalb der Lehrveranstaltung einsetzen kann. Auch ein spontanes Entwickeln von Fragen ist möglich, jedoch besteht hierbei die Gefahr, dass die Fragen nicht so präzise formuliert werden können und damit nicht zur eigentlich gewünschten fachlichen Diskussion führen, wie es mithilfe einer gezielt vorbereiteten Frage der Fall ist.

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Typischerweise nutzen Lehrende Abstimmungsverfahren dazu, um das Vorwissen der Lernenden zu erfragen, Verständnisfragen zu einem behandelten Themengebiet zu stellen, Meinungsbilder zu einem kontroversen Thema zu erhalten oder Feedback einzuholen (Universität Zürich 2016). „Wissensfragen“ oder „simple Quizfragen“ (wie es bei Quizshows im Fernsehen häufig der Fall ist) gehen am didaktischen Ziel dieser Abstimmungsverfahren in den meisten Fällen vorbei (Waldherr/Walter 2014, S. 48f), können aber sicherlich einen guten Einstieg in eine Lehrveranstaltung bieten oder zur Auflockerung dienen. Erklärung: Clicker sind handliche, elektronische Abstimmungsgeräte, die es auch in Lehrveranstaltungen mit einer sehr großen Teilnehmerzahl ermöglichen, alle Lernenden aktiv in das Unterrichtsgeschehen einzubinden. Möchte ein Lehrender Clicker in seiner Veranstaltung nutzen, muss er diese mobilen Abstimmungsgeräte an die Teilnehmer verteilen. Zudem benötigt er eine entsprechende Software, einen Empfänger zur Auswertung der Signale, einen Computer, ein Präsentationsprogramm, in das die Ergebnisse eingebettet werden, und einen Beamer (vgl. e-teaching.org 2016a). Ein großer Vorteil von Clickersystemen ist, dass die Lernenden ihre Antworten anonym abgeben können und sie diese nicht für alle anderen sicht- bzw. hörbar – z. B. per Handzeichen oder durch eine direkte mündliche Antwort – vorstellen müssen. Mit dieser Methode können somit auch diejenigen aktiv in eine Umfrage eingebunden werden, die sich ansonsten nicht direkt beteiligt hätten

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(e-teaching.org 2016b). Im Anschluss an die anonyme6 und „stille“ Beteiligung über die Abstimmungsgeräte kann der Dozent die Ergebnisse in seiner Präsentation öffentlich machen (die Auswertung, Einbettung und Visualisierung der Antworten erfolgt durch die zu installierende Software automatisch) und auf die Ergebnisse eingehen. Er kann an diesem Punkt die mündliche Beteiligung der Lernenden stärken, indem er beispielsweise Rückfragen zu den gegebenen Antworten stellt und die Teilnehmer anschließend zu zweit oder in Kleingruppen darüber diskutieren, bis die Diskussion ins Plenum wandern kann (weitere Hinweise folgen im „Anwendungsbeispiel“ weiter unten). Alternativen zu dem Clickersystem (samt seiner Hard- und Software) sind kostenlose Online-Abstimmungstools („Webbasierte Live-Feedback-Systeme“) wie z. B. PINGO (Universität Paderborn 2016) oder ARSnova (Technische Hochschule Mittelhessen 2016), bei denen die vom Dozenten gestellten Fragen von den Lernenden direkt mit Laptops, Tablets oder Smartphones beantwortet werden können. Auf diese Weise muss der Lehrende im Vorfeld nicht die Clicker austeilen, sondern es können die eigenen mobilen Endgeräte zur Beantwortung der Fragen verwendet werden. Selbstverständlich ist es auch möglich, Zettel mit verschiedenen Antwortoptionen (z. B.: „A“, „B“, „C“ oder „D“) an die Stu6

Es sind auch nicht-anonyme Abstimmungsteilnahmen der Lernenden möglich, z. B. wenn jeder Student ein Gerät mit dessen Kennnummer zugeordnet bekommt. Da der Vorteil dieser Clickersysteme von den Autorinnen jedoch insbesondere in der Anonymität gesehen wird, wird an dieser Stelle nicht weiter auf hochschuldidaktische Vorgehensweisen zur direkten Zuordnung zwischen den Abstimmungsgeräten und den einzelnen Lernenden eingegangen.

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dierenden zu verteilen, mithilfe derer sie ihre Antwort geben. Der organisatorische Aufwand ist bei dieser methodischen Version äußerst gering, jedoch kann es – aufgrund der fehlenden Anonymität – dazu führen, dass die Teilnehmer nur ungerne öffentlich ihre Antwort präsentieren. Sofern jedoch ein angstfreies Lernklima – d. h. eine Atmosphäre, in der Fehler gemacht sowie fachliche Unklarheiten nachgefragt und diskutiert werden können – besteht, ist diese Alternative in einer Lehrveranstaltung problemlos möglich. Aus eigener Erfahrung kann berichtet werden, dass diese Version vor allem in kleineren Lerngruppen (bis ca. 35 Teilnehmern) sehr gut funktioniert. Je weiter das Semester fortgeschritten ist und je deutlicher den Lernenden geworden ist, dass fachliche Unklarheiten gemeinsam besprochen werden können, desto effektiver ist diese Methode einsetzbar. Ein Nachteil bei der Arbeit mit Abstimmungszetteln ist allerdings, dass das Meinungsbild der Gruppe nicht automatisch in einer Präsentation visualisiert wird. Sollte der Dozent bemerken, dass die Lernenden bei einer anonymisierten Abstimmungsweise lieber und aktiver mitarbeiten, so ist dieses methodische Vorgehen zu präferieren. Anwendungsbeispiel: Vor allem für Lehrveranstaltungen mit einer großen Teilnehmerzahl kann die aktive Mitarbeit durch die Verwendung von Abstimmungstools gefördert werden. Ein mögliches Vorgehen soll durch die Methode Peer Instruction gezeigt werden. Hierbei werden die Lernenden mittels verständnisorientierter Multiple-Choice-Fragen zur aktiven Mitarbeit und zur Diskussion mit ihren Kommilitonen angeregt. Weltweite Verbreitung fand diese Methode durch Eric Mazur (Harvard University), der in seinen Lehrveranstaltungen

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nicht mehr nur die Beteiligung weniger, sehr aktiver, sondern aller Studenten erreichen wollte (Crouch/Mazur 2001, S. 970). Um dieses zu erreichen, formulierte er Multiple-Choice-Fragen („Concept Tests“), für deren Beantwortung er den Studierenden eine Minute Zeit gab. In dieser Minute gab es keinen Austausch mit den Kommilitonen – jeder musste für sich eine Antwort festlegen und diese per Handzeichen, Karte oder Clicker der Gruppe mitteilen. Wenn mehr als 70% der Studierenden korrekt antworteten, wurde gemeinsam im Plenum die Lösung besprochen und anschließend inhaltlich fortgefahren. Gab es jedoch viele nicht korrekte Antworten, so stellte Mazur im Anschluss an diese erste Abstimmung den Arbeitsauftrag, den Nachbarn von seiner gegebenen Antwort zu überzeugen, woraufhin es nach kurzer Zeit eine zweite Abstimmungsrunde gab. Die Anzahl der korrekten Antworten stieg nach der eingebauten Diskussionsphase mit dem Nachbarn an. Mazur schlussfolgerte daraus, dass die Studenten ihren Kommilitonen die Lösung der Multiple-Choice-Frage erfolgreich erklären und begründen konnten, wenn er ihnen dafür die Zeit innerhalb seiner Lehrveranstaltung zur Verfügung stellte (vgl. Mazur 2006, S. 12f, vgl. Crouch/Mazur 2001, S. 970). Er kommentiert seine Erfahrungen wie folgt: „[D]ie Aufmerksamkeit und das Engagement der Studenten sind hoch. Weiterhin geben die Antworten in den Concept Tests ein sofortiges Feedback für den Lehrer, es gibt niemals eine Kluft zwischen dem Verständnis der Studiengruppe und der Erwartung des Lehrers“ (Mazur 2006, S. 13). Die Entwicklung von verständnisorientierten Multiple-ChoiceFragen ist eine didaktisch sehr anspruchsvolle Aufgabe, da nicht rein deklaratives, auswendig gelerntes Wissen abgefragt werden soll, sondern die Fragen zum Nachvollziehen und Reflektieren von

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fachlichen Konzepten und Fehlvorstellungen führen sollen (Waldherr/Walter 2014, S. 48). Es existieren bereits viele Webseiten von Universitäten und Hochschulen, auf denen Fragensammlungen von einzelnen Fachbereichen zusammengestellt wurden. Im Bereich Mathematik sei z. B. auf diese Webseiten (Stand: 07.09.2016) hingewiesen:  

http://mathquest.carroll.edu/ (Carroll College, Montana, USA) http://www.lboro.ac.uk/departments/mec/activities/curriculumdevelopment/evs/helmevsquestions/ (Loughborough University, Leicestershire, UK)

Weitere Erläuterungen, Beispielfragen aus anderen Fachbereichen und gesammelte Links zum Thema „Peer Instruction“ sind beispielsweise unter LehrForum.de (Geschäftsstelle der Studienkommission für Hochschuldidaktik (GHD)), einem Online-Forum für Lehre und Lehrende an Hochschulen, gesammelt zu finden oder bei Waldherr/Walter 2014, S. 49. In welchen Situationen kann die Methode eingesetzt werden und was kann sie leisten? Erläutert wurde die Methode Peer-Instruction mit dem Fokus, sie in großen Gruppen einsetzen zu können. Sie bietet eine gute Möglichkeit, aktivierende und die Kommunikation stärkende Elemente in eine Vorlesung einzubauen, die sich ansonsten vor allem durch – meist passives – Zuhören gestalten würde. Die selbsttätige Auseinandersetzung mit inhaltlichen Fragen sowie die anschließende mündliche Beteiligung kann auf diese Weise innerhalb einer Lehrveranstaltung gefördert werden.

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Sehr gute persönliche Erfahrungen wurden mit Peer-Instruction insbesondere innerhalb kleinerer Kurse (bis zu 35 Teilnehmer) gemacht. Eingesetzt wurde diese Methode z. B. in Fremdsprachenkursen, bei denen es naturgemäß zur kontinuierlichen Aufgabe – und Herausforderung – des Lehrenden gehört, die Lernenden zur mündlichen Beteiligung zu ermutigen. Texte zu lesen und zu diesen Texten Verständnisfragen zu beantworten, sind typische Aufgaben in einem Sprachkurs, die standardmäßig in den aktuellen Lehrwerken vorkommen. Sehr häufig werden dabei im Anschluss an einen Text Multiple-Choice-Fragen gestellt, die nur korrekt beantwortet werden können, wenn der dazugehörige Text inhaltlich verstanden wurde. In der konkreten Unterrichtssituation werden die Lernenden nach der Rezeption des Textes zunächst dazu aufgefordert, die Fragen zum Text in Einzelarbeit zu beantworten. In einem zweiten Schritt werden die Antworten der Lernenden verglichen, indem diese per Handzeichen oder Zettel ihre Lösungen präsentieren. Wenn sich der Großteil des Kurses über die korrekte Antwort nicht einig ist, fordert die Lehrperson dazu auf, kleine Gruppen oder Paare zu bilden, die die unterschiedlichen Antwortoptionen und Unklarheiten besprechen. Diese Kurzdiskussion wird von der Lehrperson dahingehend geführt, dass sie einen bestimmten Zeitrahmen, z. B. zwei Minuten, vorgibt und zugleich die Lernenden explizit dazu auffordert, Belege aus dem Text für die jeweilige Argumentation und Begründung einer Antwortoption anzuführen. Nach dieser kurzen Austauschphase („Peer Discussion“) haben in der Regel fast alle Gruppen und Paare im gemeinsamen Austausch die richtige Lösung bestimmen und erklären können. Sollte es im Anschluss jedoch noch inhaltliche oder sprachliche Unklarheiten geben, werden diese in gemein-

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samer Runde besprochen. Aufgrund der vorherigen Austauschphase haben sich die Paare oder Gruppen intensiv mit dem Text beschäftigt und Belege am Text gefunden, mithilfe derer sie ihre Antwort nun auch vor den anderen Kursteilnehmern präsentieren können. Die abschließende Diskussion wird aufgrund dieser Vorarbeiten meist von den Lernenden selbst geleitet, die Lehrperson kann sich bei der Klärung der Frage überwiegend moderierend verhalten. Besonders hervorgehoben werden soll an dieser Stelle die Erfahrung, dass sich bei solchen Diskussionen vor allem die sonst eher zurückhaltenden Studierenden mündlich aktiver und selbstbewusster beteiligten. Bei dieser Methode – ebenso wie bei Think-Pair-Share – erfolgt die Stärkung der mündlichen Beteiligung über den Ausgangspunkt der Einzelarbeit. Im Vergleich zur direkten, an alle gerichteten Frage, die eine mündliche Beteiligung mit vergleichsweise kurzer Zeit zum Nachdenken fordert, stärkt dieses methodische Vorgehen bei vielen Studierenden das Zutrauen darin, sich an einer anschließenden Diskussion mit ihren eigenen Argumenten beteiligen zu können. Zum Schluss sei noch auf eine weitere Möglichkeit hingewiesen, wie Abstimmungsverfahren in die Lehre eingebunden werden können, um die mündliche Beteiligung der Lernenden zu erhöhen. Abstimmungen können für ein direktes Feedback verwendet werden. Hierzu kann der Lehrende z. B. am Ende einer Lehreinheit klären, ob es noch Nachfragen gibt oder ob zum nächsten Thema übergegangen werden kann. Bei Fragen wie diesen werden die Lernenden nicht mit einer fachlichen Frage „getestet“, sondern sie werden um eine Selbsteinschätzung – z. B. im Anschluss an eine Übungssequenz – gebeten. Bei einer solchen Reflexionsfrage kann

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der Lehrende auch gänzlich auf elektronische Abstimmungssysteme verzichten und für ein allgemeines Meinungsbild die Studierenden bitten, sich per Handzeichen („Daumen hoch“, „Daumen zur Seite“, „Daumen runter“) zu beteiligen. Die Bitte um ein solch direktes Feedback bedarf nur eines kleinen Zeitfensters, doch ist die Wertschätzung und die direkte Anteilnahme des Lehrenden am Lernprozess seiner Studierenden nicht zu unterschätzen. Selbstverständlich ist auch die direkt ins Plenum gestellte Frage des Lehrenden wertschätzend („Gibt es von Ihrer Seite aus noch Fragen zu diesem Thema?“) – doch nur die wenigsten erhalten hierauf eine Antwort aus dem Plenum, insbesondere wenn es eine Lehrveranstaltung mit sehr vielen Teilnehmern ist. Der „Umweg“, d. h. die Bitte an die Lernenden, diese Frage mit einem Abstimmungssystem oder mit Handzeichen zu beantworten, bewirkt, dass jeder der Anwesenden seine Antwort aktiv einbinden kann. Erhält der Lehrende an dieser Stelle das Feedback, dass das Themengebiet noch nicht nachvollzogen werden konnte, kann das Thema zurück ins Plenum gebracht und das weitere Vorgehen besprochen werden. 4.3 Sechs-Denkhüte-Methode (Six Thinking Hats) (Edward de Bono) Erläuterung: „Sechs Denkhüte“ ist eine von dem Kognitionsforscher Edward de Bono entwickelte Methode, die ein mehrperspektivisches Denken schult. Diese Methode kann in der Gruppendiskussion eingesetzt werden, um ein Problem unter verschiedenen Aspekten zu untersuchen. Sie hilft dem Lernenden, kreativ zu denken und auch Gedankengänge zu entwickeln, die er sonst nicht in der Art gedacht hätte.

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Denn jede Hutfarbe weist auf eine bestimmte Denkart hin und stellt somit eine bestimmte Perspektive dar. Da die Lernenden quasi mit jedem Hut eine bestimmte „Rolle“ annehmen, fällt es vielen leichter, die entwickelten Gedankengänge laut zu äußern. Da alle gemeinsam mit allen Hüten denken, d. h. die Sache zusammen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachten, bekommen auch Ansichten Raum, die sonst durch Gruppenzwang ungesagt geblieben bzw. überhört worden wären. Erklärung: Die Sechs-Denkhüte-Methode kann leicht in einer Lehrveranstaltung eingesetzt werden. Sie wirkt motivierend und regt dazu an, die Problemstellung aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Für die Durchführung dieser Methode werden Hüte in sechs Farben benötigt. Diese Hüte können im Vorfeld gekauft oder einfach aus farbigem Papier gefaltet werden. Man kann die Hüte selbstverständlich auch durch farbige Kärtchen ersetzen und auf diese Weise die differenten Perspektiven an die Studierenden zuweisen. Den Farben kommen folgende Bedeutungen zu (vgl. De Bono 1999, S. 17 – 172 und Sächsisches Staatsinstitut für Bildung und Schulentwicklung 2016):

Weißer Hut

Objektives, analytisches Denken. Welche Daten, Fakten und Zahlen liegen vor? Welche Informationen sind vorhanden und wie wäre es möglich, weitere Informationen zu bekommen? Welche Methoden wurden angewendet?

44 Roter Hut

Schwarzer Hut

Gelber Hut

Grüner Hut

Blauer Hut

Katayon Meier und Meike Zellner Subjektives Empfinden, Gefühl und Empfindungen, Intuition und Meinungen. Welche Gefühle und Empfindungen können angesichts der betrachteten Sache auftauchen? Wie könnte die intuitive spontane Reaktion hierzu sein? Logische Gründe, die dagegen sprechen, vorsichtige und kritische Haltung. Welche logischen Gründe ermahnen zur Vorsicht? Was könnte schiefgehen bzw. zur Gefahr werden? Wo sollte man vorsichtig sein? Logische Gründe, die dafür sprechen. Optimistische Sicht. Was spricht für die Sache? Welche Chancen sind damit verbunden? Welche Gründe gibt es für die Chancen? Erweiterung der Idee. Neue alternative Gedankengänge, assoziative, kreative, spielerische Einfälle. Was wäre noch möglich, was könnte man ganz anders machen? Metaebene, Moderation, Zusammenfassung, Klärung und Reflexion über den Prozess. Es bietet sich an, mit dem blauen Hut zu beginnen und zu enden. Was wollen wir in der Sitzung erreichen bzw. was haben wir in der Sitzung erreicht? Sind alle Hüte berücksichtigt worden? Welche Ergebnisse wurden erzielt? Wie sieht der nächste Schritt aus?

Tabelle 2: Sechs-Denkhüte-Methode

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Anwendungsbeispiel: Diese Methode ist vielseitig einsetzbar. Sie eignet sich für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen. Sie kann vor allem eingesetzt werden, um die Diskussion über etwas, was gerade gelernt wurde, anzuregen. Die Lehrkraft kann die Lernenden einladen, die Denkhüte bzw. farbigen Karten systematisch nacheinander (z. B. blauer Hut, weißer Hut, roter Hut, schwarzer Hut, gelber Hut, grüner Hut und blauer Hut) durchzugehen. Sie kann aber auch je nach Bedarf die Reihenfolge ändern. Wenn die verschiedenen „Hüte“ erst einmal eingeübt sind und quasi zum Teil der „Gruppenkultur“ gehören, kann der Lehrende auch während der Lehrveranstaltung mit Hilfe der Hutmetapher eine Perspektive in den Vordergrund stellen: „So jetzt setzen wir mal den schwarzen Hut auf!“, „Wir setzen mal den grünen Hut auf!“ oder allgemeiner formuliert: „Wie sieht die ‚gelbe‘ Perspektive zu dieser Frage aus?“. Der Lehrende kann auch mit Hilfe der Hüte dazu anregen, über die eigenen Gedankengänge zu reflektieren: „Mit welchem Hut argumentieren Sie gerade?“, „Nehmen Sie mal eine andere Perspektive ein. Wie sieht der Sachverhalt jetzt aus?“ Die unterschiedlichen Hüte haben eine symbolische Funktion und erlauben, sehr schnell zwischen verschiedenen Perspektiven zu wechseln.7

7

Ob tatsächlich Hüte oder stattdessen farbige Karten in der Lehre zum Einsatz kommen, um dieses methodische Vorgehen durchzuführen, ist eine Entscheidung, die der Lehrende zu treffen hat. In sehr kleinen Kursen kann es eine witzige Aufheiterung sein, mit echten farbigen Hüten zu arbeiten; in größeren Kursen oder wenn der Lehrende selbst skeptisch gegenüber den echten Hüten ist, können die gleichen Ergebnisse in der kommunikativen Mitarbeit selbstverständlich auch mit farbigen Karten erreicht werden.

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In welchen Situationen kann die Methode eingesetzt werden und was kann sie leisten? Diese Methode ist sowohl für die Schule, Hochschule und Berufsausbildung als auch für die Weiterentwicklung von Ideen mit Kollegen geeignet. Die Denkhüte erzeugen eine gewisse Distanz zwischen dem Sprecher und seinen Äußerungen, welches sich positiv auf die Bereitschaft, sich mündig zu äußern, auswirken kann. Sie führen zu einer anregenden Diskussion, in der auch strittige Meinungen frei geäußert werden können. Diese Methode fördert mehrperspektivisches Denken und führt dazu, dass auch die stillen und zurückhaltenden Studenten sich eher in der Lehrveranstaltung beteiligen und so ihr Selbstvertrauen stärken können.

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Fazit

Wenn Lehren und Lernen gelingen sollen, ist die Stärkung der mündlichen Beteiligung unabdingbar. Die aktive mündliche Teilnahme in Lehrveranstaltungen kann die Lehr- und Lernqualität wesentlich erhöhen. Auch aus der erzieherischen Perspektive ist mündliche Beteiligung von großer Bedeutung. Denn jede pädagogische Handlung rechtfertigt sich dadurch, dass sie auf die Bildung des mündigen Menschen gerichtet ist. Sie will letztendlich den Menschen dazu befähigen, dass er sich selbst führen und damit sich und sein Leben sachlich und sittlich zunehmend frei und verantwortlich bestimmen lernt. Ein mündiger Mensch sollte auch in der Lage sein, öffentlich seine Stimme zu erheben, denn Dialogfähigkeit ist für ein gutes Zusammenleben wesentlich. Sich in einer Gruppe frei und mutig zu äußern, fällt aber nicht allen Menschen

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leicht. Dementsprechend stellt dies für viele eine anspruchsvolle Aufgabe und eine Herausforderung dar. Die Stärkung der mündlichen Beteiligung in Lehrveranstaltungen hilft dabei, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen. Die Lehrenden können durch Gestaltung ihrer Lehrveranstaltung wesentlich zum Gelingen dieser Aufgabe beitragen und diesen Lernprozess positiv unterstützen. Ein Dozent, der sich dieser Herausforderung bewusst ist, kann in seiner Lehre, wie beispielhaft gezeigt wurde, diverse Möglichkeiten nutzen, um die mündliche Beteiligung der Studierenden zu fördern. Alle aufgeführten Methoden müssen dabei je nach Unterrichtssituation von der Lehrperson ausgewählt und angepasst werden. Für keine der Methoden kann eine „Geling-Garantie“ versprochen werden, sehr wohl kann aber von sehr positiven und die mündliche Kommunikation stärkenden Erfahrungen berichtet werden. Einige zusätzliche Hinweise seien an dieser Stelle gegeben: Beim Einführen einer gänzlich neuen Methode sollte den Lernenden transparent gemacht werden, aus welchen didaktischen Gründen diese gewählt wird – nur so erkennen die Lernenden den „Mehrwert“ der Methode an und empfinden sie nicht als „pädagogische Überflüssigkeit“, sondern als bewusst ausgewähltes helfendes Instrument, mit dem die Lerninhalte besser und nachhaltiger zu verstehen sind. Bereits bei der Planung einer Lehrveranstaltung sollte bestmöglich mitbedacht werden, wie die mündliche Beteiligung gestärkt werden kann. Dies inkludiert, dass in den unterschiedlichen Phasen der Lehrveranstaltung differente Anforderungen an die mündliche Beteiligung der Studierenden gestellt werden. Nach Hintz et al. können dabei drei typische Gesprächsformen unter-

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schieden werden (2001, S. 360f). Zu Beginn eines Themas, in der Einführungsphase, sollte einerseits geklärt werden, auf welchem Stand die Lernenden sich gerade befinden. Andererseits dient diese Phase auch dazu, Ideen und Einfälle zu sammeln und zu strukturieren. Auch die geplanten Vorhaben in der Lehrveranstaltung und deren Ziele können im Dialog gemeinsam konstruiert werden. Während der sich anschließenden Erarbeitungsphase befassen sich die Gespräche mit der zielgerichteten Auseinandersetzung einer Aufgabe sowie der Erreichung der festgelegten Lernziele. Am Ende steht das Auswertungsgespräch mit dem Ziel, dem Lernenden zu helfen, das Gelernte zusammenzufassen, zu überschauen und eine kritische Reflexion darüber anzuregen. Der Dozent kann sich in allen Phasen einer Lehrveranstaltung, je nach Unterrichtsfach und Zielgruppe, unterschiedlicher Methoden bedienen. Eine gute Lernatmosphäre und ein vertrauensvolles Lehrer-Schüler-Verhältnis bilden dabei stets die Basis für die aktive mündliche Beteiligung. Dieser Vorgang ist ein Prozess, er braucht Zeit und erfordert von der Lehrkraft Geduld und Einfühlungsvermögen. Schließlich kann der Lehrende die Lernenden in einer Lehrveranstaltung stets nur zur mündlichen Beteiligung auffordern, er kann die Beteiligung aus pädagogischer Perspektive nicht erzwingen. Der Lehrende trägt durch eine Lehrveranstaltung, die die mündliche Beteiligung – verstanden als die freiwillige und aktive mündliche Beteiligung – der Lernenden einfordert und fördert, wesentlich zum Gelingen von Lehr- und Lernprozessen bei und hilft den Lernenden darüber hinaus, ihr Selbstvertrauen zu stärken.

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Lernen durch Lehren – ein handlungsorientiertes und auf Demokratie ausgerichtetes Bildungskonzept Margret Ruep

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Grundüberlegungen

Sich mit dem Thema Lernen auseinanderzusetzen bedeutet zunächst, sich mit dem Wesen des Menschen einerseits und mit der Welt andererseits zu befassen. Schließlich geht es darum, wie sich der Mensch mit seiner Wesensart zu der Welt und ihrer Ausprägung in der jeweiligen Gegenwart verhält und wie dieses Verhalten zukünftige Möglichkeiten vorausdenkt, sie dadurch beeinflusst, bestimmt oder auch verhindert. Die Evolution des Menschen ist zugleich immer eine Anpassungsleistung an das Gegebene und führt aufgrund der menschlichen Disposition zum Lernen und zur Exploration zu Veränderungen. Der Mensch ist derjenige, der Veränderungen durch seine Entscheidungen und sein Handeln herbeiführen und steuern kann. Es liegt in seiner Verantwortung, die Welt zu verbessern. Die als Globalisierung bezeichnete Entwicklung hat zu einer weltweiten Vernetzung von (Finanz)-Märkten und Daten geführt, nicht zuletzt von weltweiten Problemen wie Nuklearenergie, Klimaerwärmung, Energie- und Rohstoffknappheit oder das Flüchtlings-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_3

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problem und seine Folgen. Die dynamische Bewegung von Menschen, Wissen und Waren haben die Muster menschlichen Zusammenlebens verändert und, so der Ökonom Joseph Stiglitz, zur Ökonomisierung aller Lebensbereiche geführt (vgl. Stiglitz 2008). Der Philosoph Otfried Höffe sieht durch diese Entwicklung zugleich die Gefahr eines Rückgangs der demokratischen Idee. (Höffe 1999). Jean-François Lyotard untersucht in seiner Schrift ‚Das postmoderne Wissen’ (vgl. Lyotard 2012) den Status des Wissens in hoch entwickelten Gesellschaften. Seine Analyse führt zu der These, dass die Welt als nahezu vollständig vermessene, quantifizierte, in Zahlen gefasste sich als eine präsentiert, in der es in erster Linie die algorithmische Wissensgenerierung gibt. Verfügungswissen habe dabei signifikanten Vorrang vor normativ fundiertem Orientierungswissen. Die Transformation bestehe darin, dass Erkenntnis in Informationsquantitäten übersetzt werde und dass alles, was nicht in dieser Weise übersetzbar sei, vernachlässigt würde. „Das alte Prinzip, wonach der Wissenserwerb unauflösbar mit der Bildung des Geistes und selbst der Person verbunden ist, verfällt mehr und mehr“, so Lyotard (Lyotard 2012, S. 35). Der Physiker Hans-Jürgen Fischbeck spricht vom Maschinenparadigma und von einem Mangel an Orientierungswissen zugunsten zunehmenden Verfügungswissens (vgl. in Dürr & Fischbeck, S. 35 ff.). Letzteres beschreibt und bestätigt das, was ist, gilt als wertfrei und kann in Technologien umgesetzt werden. Nach Habermas wurden Wissenschaft, Technik und Verwertung zu einem System zusammengeschlossen (vgl. Habermas 2013). Wir sprechen in diesem vernetzten Kontext auch von Informations- oder Wissensgesellschaft, in der es zunehmend und immer dringlicher darauf ankommt, relevante Informationen auszuwählen

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und sie in Wissen zu transformieren. Verbesserung bedeutet hier die „Verbesserung der Informationstechnologie“ als „Verbesserung der Mensch-Maschine-Interaktion“ mit dem Ziel, Probleme human zu lösen (Grzega in: Berger u. a. 2011, S. 11). Es liegt auf der Hand, wie bedeutsam angesichts der Fülle der vorhandenen und dynamisch anwachsenden Informationen die Art und Weise des Lernens ist. Gleichermaßen stellt sich die Frage, wie wir als Menschen die notwendige Orientierung, das adäquate Orientierungswissen, erlangen. Letztlich geht es um die Frage, ob das, was wir traditionell im Deutschen als ‚Bildung’ bezeichnen, durch Wissensgenerierung ermöglicht werden kann. Die Idee der Bildung verbindet Wissen mit Haltung durch Reflexion und Selbstreflexion beim Prozess des Wissenserwerbs. Das heißt, Wissen wird nicht einfach aufgenommen und gespeichert, sondern kritisch hinterfragt und in seinem Wert für die Person und ihr Handeln reflektiert (vgl. Ruep 1991 u. Rekus & Mikhail 2013). Dazu ist Orientierungswissen unabdingbar. Bildungsziel ist stets die Freiheit und Mündigkeit der Person hinsichtlich ihres Handelns, das auf Wissen und mit Hilfe des Wissens erworbener Haltung basiert. In diesem Zusammenhang sieht Jürgen Habermas es als notwendig an, „individuelle Autonomie und universelle Moral in Einklang zu bringen“ (in: Doohm 2014, S. 220). Dazu bedarf es der Freiheit „im Zusammenhang mit den kommunikativen Strukturen einer Gemeinschaft“ (ebd., S. 309) in der „alle in Gemeinsamkeit frei sind“ (ebd.). Bildungssysteme weichen angesichts der Unschärfe des Bildungsbegriffs aus auf das Konzept der Kompetenz. Das führt zu exakten Beschreibungen eines Inputs, der als Output ebenso genau erfasst und beschrieben werden kann. Im Gegensatz zur Bildung, die zukunftsoffen ist und angesichts der Freiheit des Menschen in ihrem

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Ergebnis nicht vorab festgeschrieben werden kann, lassen sich Kompetenzbeschreibungen als Input mit dem Ergebnis als Output abgleichen. Einzig der Kompetenzbiographie-Forscher John Erpenbeck zeigt auf, dass es auch bei Kompetenzerfassungen eine normative Basis gibt, den ‚Wertekern’, der dazu führt, dass bei vergleichbaren Kompetenzen individuell unterschiedliche Handlungsmuster entstehen (vgl. Erpenbeck 2010, S. 40 ff.; vgl. auch Erpenbeck & Heyse 2007). Niklas Luhmann ist davon überzeugt, dass wir uns angesichts der Faktenlage von der Bildungsidee verabschieden müssen, weil Bildung als Kontingenzformel des Erziehungssystems nicht mehr möglich sei und durch die Formel der Lernfähigkeit ersetzt werde (vgl. Luhmann & Schorr, S. 58 ff.). Letztere kann durch ein vorab definiertes Input- und ein damit abgeglichenes Outputsystem gesteuert werden. Diese Position wird untermauert durch die Studie von John Hattie, in der Lernen, nicht Bildung, in den Fokus rückt (vgl. Hattie 2013). Beim Wissen geht es immer um eine Vorentscheidung über das WAS dessen, was zur Bildung gehört oder gehören soll. Dies ist angesichts der Fülle dessen, was an Informationen beziehungsweise an Wissen weltweit vorhanden ist, ein zunehmend schwieriger Entscheidungsprozess, betrachtet man die Veränderung des Wissensstatus der informatisierten Gesellschaften in der Postmoderne bzw. im globalen Zeitalter (vgl. Dürr & Fischbeck 2003). Zugleich rückt das Lernen selbst, also das WIE der Wissensaneignung, in den Fokus, weil die Dynamik der Informationen ein stetiges Lernen und Weiterlernen erfordert, wenn Menschen sich in dieser Welt zurechtfinden wollen und sollen. Gleichermaßen ist und bleibt Sprache in der globalisierten Welt die entscheidende Kommunikationstechnik, wes-

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halb der Umgang mit ihr beim Lernen von herausragender Bedeutung ist. Es geht hierbei um Sprachkompetenz nicht nur der Muttersprache, sondern einer oder mehrerer weiterer Sprachen, die erlernt, verstanden und in zunehmend transkulturellen Kontexten angewendet werden sollten. Dies geschieht in einer von Technologie geprägten Welt, in der Wissen durch die technologischen Bedingungen auf eine spezifische Weise generiert und dokumentiert wird. Die Verpackung von Wissen im medialen Betrieb mit einer reichhaltigen oft virtuellen Bildersprache führt dazu, dass die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Realität beziehungsweise Fiktion und Virtualität zunehmend schwierig ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was und wie in Bildungsinstitutionen gelernt werden kann und soll, vor allem wozu und worauf hin wir lehren sollen. Unterwirft sich der Mensch der globalen Ökonomisierung aller Lebensbereiche und dem Maschinenparadigma und passt er sich der Algorithmisierung bei der Wissensgenerierung an? Oder sollten Bildungsinstitutionen ihren Anspruch eines Bildungsziels mit der Ausrichtung auf Mündigkeit und Freiheit aufrechterhalten? Sich der Algorithmisierung anzupassen, würde zugleich bedeuten, dass Sprache sich grundsätzlich verändert und ihre kreativen Möglichkeiten verliert. Sprache zuvörderst gilt es zu kultivieren in einer Weise, dass Verstehen in der Tiefe und in allen Facetten immer wieder ermöglicht wird. Vor diesem Hintergrund möchte ich im Folgenden ein Lehr-Lernkonzept vorstellen, das ich über viele Jahre selbst an Schulen und in der Hochschullehre erfolgreich erprobt und implementiert habe.

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Lernen durch Lehren – ein Bildungskonzept in der globalisierten Welt

Der Eichstätter Didaktiker Jean-Pol Martin hat 1994 eine Habilitationsschrift vorgelegt, in der er den ‚Vorschlag eines anthropologisch begründeten Curriculums für den Fremdsprachenunterricht’ unterbreitet (vgl. Martin 1994). Mit dieser Arbeit entsteht zugleich ein pädagogisches Konzept, Lernen durch Lehren (LdL), dem Martin sich als Gymnasial- und Universitätslehrer widmet und es bis heute auch über die aktive Dienstzeit hinaus gemeinsam mit einem Netzwerk von Experten, etwa Joachim Grzega, weiterentwickelt hat. Für Martin ist das Prinzip von LdL, dass hier der Unterricht weitgehend von den Lernenden verantwortet wird (vgl. Martin 2002, S. 3-9). Er grenzt es ab von anderen Lernkonzeptionen wie Frontalunterricht, handlungsorientierten Unterricht oder dem Modell von Heinz Klippert und begründet die neue Qualität seines Ansatzes damit, dass es sich hier nicht um eine einseitige Methode handelt, sondern dass LdL vielmehr so angelegt ist, dass die in vorgegebenen Curricula angestrebten Lernziele in gewünschte Bildungsziele umgesetzt werden können. Grzega bezeichnet Lernen durch Lehren (LdL) ein in erster Linie „schülerzentriertes und schüleraktivierendes Konzept“, insbesondere „vor dem Hintergrund der Kernkompetenzen in einer globalen Wissensgesellschaft und den Bedingungen für erfolgreiches Lernen“ (Grzega in Berger u. a. 2011, S. 11). Jean-Pol Martin hat an einem Gymnasium im Französischunterricht mit diesem Konzept begonnen, hat es auf die Universitätslehre ausgeweitet, hat ein großes Netzwerk von Lehrkräften in Schulen und Hochschulen aufgebaut, wodurch LdL über alle Fächer erprobt und weiterentwickelt wurde. Es ist kein Zufall, dass dieses Konzept zunächst mit Bezug

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auf das Erlernen eine Fremdsprache entwickelt wurde und sich dabei hinsichtlich der erzielten Resultate als besonders erfolgreich erwies. Das zeigte sich auch in der Muttersprache in gleicher Weise. Wer in der Muttersprache zusammen mit einem Lernpartner spezifische Lernziele verfolgt, muss gleichermaßen die fachliche Seite, methodisches und soziales Vorgehen und das Verhalten der eigenen Person in den Blick nehmen. Die Sprache selbst wird dabei in ihrer Komplexität, Struktur und Semantik vertiefend erlernt und kann darüber hinaus auf andere Fachbereiche immer besser angewendet werden. Sich verständlich auszudrücken wird dabei zu einer dauerhaften Übung. Das gilt zunehmend auch für den Umgang mit moderner Technologie. Martin hat ab 2000 als Schlüsselqualifikationsmodul ‚Internet- und Projektkompetenz’ definiert (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Pol_Martin; Zugriff 12. 09. 2016). Damit wurde LdL in Beziehung gesetzt zur globalen Entwicklung mit ihren Ausprägungen und transkulturellen Herausforderungen (vgl. Oebel 2009). Auf meine Frage „Was halten Sie angesichts der globalisierten, informatisierten und technologisierten postmodernen Welt für die wichtigste Fähigkeit, die ein Mensch heute durch seinen Bildungsprozess erlernen bzw. sich aneignen sollte?“ hat Martin folgende Antwort gegeben (per E-Mail am 13. 09. 2016): „Aus meiner Sicht ist die Fähigkeit, die Menschen schon sehr früh erwerben sollen, die Kompetenz zur Konzeptualisierung. Damit meine ich, dass man sich aktiv in Handlungsfelder begibt, Probleme identifiziert, qualifizierte Partner zur Problemlösung sucht, gemeinsam Informationen sammelt und sortiert (was im

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Netz geschieht), und gemeinsam Problemlösungen erarbeitet (Konzeptualisierung). Der Hauptakteur hat also die Aufgabe, sich permanent einen Überblick über die aus einem bestimmten Feld stammenden Informationen zu verschaffen, ein Problem identifizieren, Partner zu suchen und die kollektive Reflexion zu organisieren bis eine Lösung gefunden wurde. All das muss intensiv in der Schule trainiert werden. Das geschieht am besten, wenn der gesamte Unterricht zum Projekt gestaltet wird, wie es eben bei LdL der Fall ist. Dabei ist die zentrale Kompetenz die Fähigkeit, sehr schnell Informationen zu sortieren (in Foren, Artikeln und sonstigen Informationsflüssen), zu bündeln, zu hierarchisieren und Handlungskonzepte zu entwerfen (Konzeptualisierung) und umzusetzen (Handeln). Dadurch entsteht eine neue Problemsituation und der Prozess setzt sich weiter fort.“ (vgl. dazu auch: https://jeanpol.wordpress.com/2013/06/02/konzeptualisieren-gluck/; Zugriff 14.09.2016) Diese Antwort zeigt in ihrer Komplexität, wie Lernen und zugleich ein je individueller Bildungsprozess ablaufen sollte. Gleichermaßen wird deutlich, wie exzellent sich diese Vorgehensweise auch für Studierende an Hochschulen und Universitäten eignet, da sie in ihrer Eigenständigkeit und ihrer Selbstverantwortung für ihre eigene Entwicklung herausgefordert und bestärkt werden. Eben das sollte der Sinn eines Studiums sein, das im Ergebnis zu der Fähigkeit führt, sich immer wieder neu auf neue Sachverhalte und Situationen einzulassen und mit anderen gemeinsam die Welt zu einer besseren hin zunächst zu denken, dann (mit) zu gestalten.

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2.1 Grundlagen des Konzepts Lernen durch Lehren (LdL) Martin geht zunächst aus von der Bedürfnislage des Menschen, setzt diese dann in Beziehung zu seinen Dispositionen und entwickelt daraus ein Lernerkonstrukt, um schließlich zu einem Lehr-Lern-Konzept hinzuführen, das diesem Lernerkonstrukt am besten entspricht (vgl. Berger u. a. 2011, S. 32 f.). Für die Entwicklung des Lernerkonstrukts nutzt Martin Erkenntnisse über den Menschen aus verschiedenen Forschungsfeldern wie Psychologie, Soziologie, Kognitions- und Neurowissenschaften oder Systemtheorie (vgl. ebd). Ausgehend von Maslows Bedürfnisansatz sieht Martin den Menschen im Spannungsfeld einer antinomischen Bedürfnisstruktur, etwa zwischen Chaos und Ordnung, Einfachheit und Komplexität oder Zwang und Freiheit. Dabei geht es dem Menschen stets darum, in seinem Umfeld die Kontrolle zu erhalten, da diese das Grundbedürfnis nach Sicherheit befriedigt. Die zunehmende Komplexität und Dynamik in der globalisierten Welt generiert zunehmende Unsicherheit und erfordert entsprechende Fähigkeiten, um jeweils aus Unsicherheit Sicherheit zu machen. Martin erweitert die Bedürfnisse um das Grundbedürfnis nach Informationsverarbeitung und sieht als Entsprechung beim Menschen auf der Grundlage der Informationstechnologie die Netzkompetenz und Netzsensibilität. Sie sind die Voraussetzung, um in der heutigen Welt Informationen angemessen zu verarbeiten (vgl. Martin 2009, S. 115-127). Zur Netzkompetenz und –sensibilität gehört auch die Fähigkeit, sich mit anderen auf die unterschiedlichste Weise zu verbinden. Dialog und Partizipation sind dabei Grundprinzipien, wie sie etwa von

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Peter Senge als Fundament des Konzepts der Lernenden Organisation angenommen werden (vgl. Senge 1996a, 1996b, 2000; Ruep & Keller 2004). Die Lernende Organisation kann mit diesen Grundprinzipien und den fünf Disziplinen Personal Mastery, Gemeinsame Vision, Teamlernen, Mentale Modelle und Systemisches Denken als die Entsprechung des Lernkonzepts LdL auf Systemebene gelten (Ruep & Keller 2004, S. 26 f.). Das sinnstiftende Ziel bei der Informationsverarbeitung ist nach Martin die Weltverbesserungskompetenz einerseits und das Streben nach wie das Erreichen von Glück andererseits. Hierbei greift Martin das Konzept des Flow nach Csikszentmyhalyi auf und schlussfolgert, dass Lernen unter Beachtung dieser Grundlagen zu Flow-Erlebnissen führt und damit Glück erzeugt. (vgl. http://jeanpol.wordpress.com/2013/06/02/konzeptualisieren-gluck/; Zugriff 15.09.2016 und https://de.wikiversity.org/wiki/Benutzer:Jeanpol/Menschenbild #2._Wie_man_sich_als_Neuron_verhalten_soll_.28nach_Martin.2 C_2011.29.5B6.5D; Zugriff 15.09.2016). Martin stellt die These auf, dass es pragmatisch ist, beim Informationsverarbeitungsprozess Gruppen von Menschen metaphorisch als Gehirne anzunehmen, bei dem die Einzelnen als Neuronen gelten können. „Bei entsprechender Kommunikationsarchitektur können Personen als Neuronen betrachtet werden, die mit anderen rasch und kontinuierlich interagieren und kollektiv Gedanken als Emergenzen hervorbringen“ (Martin in: Berger u. a. 2011, S. 21). Die Kommunikationsarchitektur kann ein Lehrender in allen Bildungsinstitutionen im Lehrkontext gemeinsam mit den Lernenden adäquat entwickeln. Hilfreich ist es, wenn die Institution sich selbst als Lernende Organisation versteht und entsprechend arbeitet (vgl. Ruep & Keller 2004). Es ist folgerichtig, dass Emergenzen – Neues im Sinne von

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weltverbessernden Ideen und Handlungen – nur in Lernenden Systemen (Individuen, Gruppen und Organisationen) entstehen können. Wenn dies so ist, sind Lernumgebungen, wie das Konzept Lernen durch Lehren sie vorgibt, nicht nur hilfreich, sondern notwendig. Die hier zu erlangenden Ziele korrespondieren mit den Erfordernissen dessen, was die Informations- und Wissensgesellschaft den Menschen als Aufgabe stellt (vgl. auch Grzega in Berger u. a. 2011, S. 11f.): 







Fragekompetenz: Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen (im traditionellen Unterricht oder der traditionellen Lehre bekommt man nicht selten die fertigen Antworten, ohne davor Fragen gestellt zu haben). Unschärfekompetenz: Hier kommt es darauf an, mit Unsicherheit, Unbestimmtheit und Unvorhergesehenem souverän und spielerisch umgehen zu lernen (ebd. und Martin in Berger u. a. 2011, S. 32). Vernetzungskompetenz: Es geht dabei um die Vernetzung von Informationen. Dazu gehört das Auffinden qualitativ hochwertiger Quellen und deren kreative Verbindung, woraus erst Neues entstehen kann. Gleichermaßen geht es um die Vernetzung der Menschen, die durch ihre jeweiligen Kompetenzen im Umgang mit den vielfältigen Informationen und zugleich im gegenseitigen Austausch zu einer Qualitätssteigerung beitragen. Kommunikationskompetenz: „Man muss gelernt haben, über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg mit Gleichgesinnten kommunizieren zu können, und zwar in einer Atmosphäre von Empathie, Toleranz und Kooperation“ (ebd., S. 12).

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Sachkompetenz: Dazu gehören einerseits grundlegendes und vertieftes Wissen in einer spezifischen Domäne, aber auch zugleich eine kognitive Landkarte, die eine schnelle Verfügung neuen Wissens ermöglicht (‚gewusst wo’ ‚gewusst wie’ und ‚gewusst, mit wem’).

Es wird deutlich, dass Lernen in der heutigen Welt weit über Wissen als Sachkompetenz hinausgehen muss. Es kommt gleichermaßen darauf an, zunehmende Unsicherheit zu ertragen und dabei dennoch die richtigen Fragen zu finden. Dass dies leichter möglich ist, wenn man sich mit anderen verbindet und dazu eine angemessene Kommunikationsfähigkeit besitzt, ist offenkundig und konsequent. Es liegt auf der Hand, dass angesichts dieser Entwicklungen gerade die Sprachkompetenz und deren Kultivierung von herausragender Bedeutung ist. Und das dies in einer ganzheitlichen Lehr-Lern-Dramaturgie, wie LdL sie vorsieht, besser geschehen kann als in einseitigen anderen Methoden, liegt auf der Hand. Hinzu kommt, dass dieses Konzept in der Vorgehensweise zutiefst demokratisch ist und durch das partizipative Prinzip alle Beteiligten einlädt, für sich und die Welt verantwortlich zu handeln. Eingeübt werden nämlich notwendige Fragestellungen, das Lösen von Problemen sowie die friedliche Zusammenarbeit mit anderen auf der Grundlage der Berücksichtigung von bei allen gleichermaßen vorhandenen Bedürfnissen. 2.2 Bedingungen für erfolgreiches Lernen nach LdL Unter Beachtung der Grundlagen von LdL gilt es, die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen. Günstig ist es, wenn die Bildungsinstitution selbst sich als Lernende Organisation versteht und wenn

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alle ihre Mitglieder die Kommunikation entsprechend gestalten. Nach Niklas Luhmann gehört die Kommunikation neben der Programmatik und den Personen zu den drei wesentlichen Entscheidungsprämissen von Organisationen (vgl. Luhmann 2000). Im Gegensatz zu bürokratischen Systemen achten Lernende Organisationen auf dialogische Gesprächsformen und partizipative Abläufe, auf Lernmöglichkeiten für Einzelne und vor allem auf Lernen in Teams, auf Transparenz hinsichtlich gemeinsamer Ziele und vorhandener mentaler Modelle, nicht zuletzt auf systemisches Denken als ein Bewusstsein von Komplexität und immanenter Unschärfe, die durch kreatives Problemlösen immer wieder geklärt werden muss (vgl. Ruep & Keller 2004; Ruep 2011, S. 119 ff.). Die Bedingungen für das Lernen im Rahmen dieses Organisationskonzepts zeigt eine hohe Übereinstimmung mit dem Konzept Lernen durch Lehren (LdL) und arbeitet nach demokratischen Prinzipien. Führt man die Bedingungen bezüglich organisationalen Lernens und des Lernens nach LdL (Grzega in Berger 2011, S. 12 f.) zusammen, ergeben sich folgende Übereinstimmungen: Organisationslernen Aktiver Umgang mit neuen Lerngebieten, Themen, Techniken, globalen Bedingungen (exploratives Verhalten) Lernmöglichkeiten anbieten (in vertrauter Sprache und Organisationsumgebung) Autonomie hinsichtlich der Auswahl der zu lernenden Themen (Weiterbildungsmöglichkeiten zur Ausweitung der Personal Mastery) Teamlernen, Gemeinsame Vision (vielfältige Kompetenzen nutzen für organisationales Lernen)

Individuelles Lernen Aktiver Umgang mit Lernstoff, handlungsorientiert Erklärungen in vertrauter Sprache Autonomie im Sinne von Alternativen hinsichtlich der Auswahl relevanter Informationen Gemeinschaft – Problemlösen mit anderen im dialogischen Diskurs

66 Partizipation am Ganzen als Sinnerfüllung, auch mit Blick auf die Möglichkeit, demokratische Strukturen und Kommunikationsweisen einzuüben.

Margret Ruep Sinnfindung als Bedürfniserfüllung und im partizipativen Modus

Tabelle 1: Übereinstimmungen bezüglich organisationalen Lernens und des Lernens nach LdL

Es zeigt sich, dass die Bedingungen für diese Art des Lernens eine große Offenheit auf Seiten der Lehrenden bzw. Führungskräfte von Organisationen erfordert. Dazu gehört stets auch die Ambiguitätstoleranz hinsichtlich größerer Unsicherheit, Unbestimmtheit, Unschärfe und Kontrolle. Hier sind antinomische Spannungen etwa zwischen Chaos und Ordnung oder zwischen Freiheit und Zwang auszuhalten. Es zeigt sich auch, dass es Sinn macht, Lernstoff, Themen, Forschungsgebiete nicht als abzufragendes Wissen zu präsentieren, sondern das Lernen in Projekten zu gestalten. Martin plädiert zum Beispiel für kreative und Interessen aktivierende Internetprojekte, die ein hohes Maß an Bedürfnisbefriedigung auslösen. Transparenz, Vernetzung mit anderen, Reaktionsschnelligkeit und Empathie sind dabei notwendige Grundregeln (Martin in Berger u. a. 2011, S. 35 ff.). Häufig malen die Analysen über die Globalisierung und die in ihr agierenden Gesellschaften ein düsteres Bild der Zukunft mit vielen Problemen ohne Lösungen, im schlimmsten Fall die Abkehr von demokratischen Systemen im Zuge einer Totalökonomisierung aller Lebensbereiche. Ein Bildungskonzept, das die menschlichen Bedürfnisse beachtet und dabei ein Lernumfeld gestaltet, in der Problemlösungen grundsätzlich mit dem Ziel von Weltverbesserung und persönlichem Glück angegangen werden, ist ein Gegenmodell mit dem Ziel, ein Bewusstsein zu erlangen darüber,

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dass jeder durch sein Handeln die Welt beeinflussen und gestalten kann. 2.3 Überlegungen zur Realisierung von LdL mit Studierenden Die folgenden Überlegungen basieren auf eigenen praktische Erfahrungen in der Lehre an Hochschulen und Universitäten (Pädagogische Hochschule Weingarten, Universitäten Tübingen, Heidelberg und Karlsruhe/KIT). LdL eignet sich besonders gut für die Arbeit mit Studierenden, da sie sich in einem Lernkontext befinden, in dem eine größtmögliche Eigenständigkeit erzielt werden sollte. Traditionell ist es an Universitäten üblich, dass Studierende zum Semesterthema Referate anfertigen und diese präsentieren oder dass der Lehrende doziert. Bei Lernen durch Lehren geht es weit darüber hinaus. Die Lehre wird studierendenzentriert und weitgehend von Studierenden verantwortet. Dazu ist es notwendig, die Studierenden von Anfang an einzubinden, also zwar ein Semesterthema anzubieten, dies aber inhaltlich so zu strukturieren, dass Studierende die Möglichkeit haben, eigene Einzelthemen oder Projektideen einzubringen. Zu Semesterbeginn habe ich deshalb zunächst immer die Erwartungen der Studierenden abgefragt und sie dann dazu aufgefordert, eigene Einzelthemen, möglichst kleinere Forschungsprojekte im Tandem zu bearbeiten. Wenn das Semesterthema zum Beispiel lautet „Bildungsinstitutionen als Lernende Systeme“ (durchgeführt im Wintersemester 2015/16 an der Universität Heidelberg und im Sommersemester 2016 am Karlsruher Institut für Technologie), lassen sich die unterschiedlichsten Einzelthemen oder kleinere Forschungsprojekte bear-

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beiten, die Studierende aufgrund ihres Vorwissens oder ihrer Erfahrung selbst festlegen können. Erfahrungsgemäß sind Studierende sehr gut in der Lage, sich über verschiedene Quellen Informationen zu beschaffen und sich mit Personen zu vernetzen, so zum Beispiel Interviews zu führen, sie auszuwerten und im Plenum zu präsentieren. Im besten Sinne wird hier exploratives Verhalten eingefordert, sowohl was die Wahl eines Themas anbelangt als auch, was die Umsetzung und die Präsentation angeht. Im Kontext von Lernen durch Lehren kommt es auf die folgenden Dinge an:    

  

Beteiligung der Studierenden an der Auswahl ihrer zu bearbeitenden Einzelthemen oder Forschungsprojekte, Arbeit in Tandems, Vertiefte Einarbeitung in das Thema, Aufbau eigenen Fachwissens, Professioneller Umgang mit Sprache hinsichtlich der Klarheit in der Sache, der Genauigkeit im Ausdruck, auch hinsichtlich der Strukturiertheit der Sachverhalte, der sachgerechten Fragestellungen sowie in der Kommunikation, Kommunikation wird durch dieses Konzept stetig eingeübt und dadurch verbessert, Den Stoff so vorbereiten, dass die Teilnehmer als aktives Plenum verstanden werden und entsprechend einbezogen werden, Bei der Einbeziehung des Plenums sicherstellen, dass die Lehre didaktisch so aufbereitet ist, dass das Verständnis bei allen sichergestellt wird,

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Methodisch in einer Weise arbeiten, dass alle miteinander interagieren, dass also vielfältige Aktivitäten ermöglicht werden, dabei auf Genauigkeit der eigenen Sprache ebenso achten wie auf diejenige der Teilnehmenden, Feedback geben und einholen, wertschätzend und sachgerecht.

Lernen Studierende, auf diese Weise zu arbeiten, lernen sie zugleich, die Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess wie für die Qualität des Lernens der ganzen Gruppe zu übernehmen. Sie erfahren darüber hinaus eine Arbeitsweise, die sie in allen späteren beruflichen Tätigkeiten gleichermaßen anwenden können. Und sie arbeiten in einer Weise, wie auch demokratische Strukturen und Handlungsmuster sie erfordern. Insoweit ist LdL ein ganzheitlicher Ansatz, der in idealer Weise die Auseinandersetzung mit der Welt und mit anderen Menschen erfahrbar macht, der zudem die Persönlichkeitsentwicklung fördert und mit der Problemlösekompetenz die Grundlage für (Welt-)Verbesserungen legt.

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Zusammenfassung und Bewertung

Lernen durch Lehren (LdL) ist also ein Lehr-Lern-Konzept, das den Menschen und seine Auseinandersetzung in und mit der Welt sowie mit allen anderen in der Welt in einen ganzheitlichen Zusammenhang stellt. Netz- und Vernetzungskompetenz ist deshalb hier von besonderer Bedeutung, und zwar sowohl im Bereich der Informationsverarbeitung und Wissensgenerierung als auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Im globalen Kontext gehört auch erweiterte Sprachkompetenz und transkulturelle Kompetenz dazu.

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Durch die je eigene Entscheidung für die Themen wird von Anfang an interessengeleitet gearbeitet. Die Zusammenarbeit mit anderen ermöglicht eine Mehrperspektivität im Denken. Die Vorbereitung eines Themas oder Projekts für eine größere Gruppe erzwingt eine Vertiefung in die Sache, um die es geht, somit um ein verstehensintensives Lernen, da gegebenenfalls Erklärungen erfolgen müssen. Die Einforderung einer aktiven Beteiligung der Großgruppe erfordert zudem didaktische und methodische Überlegungen, die im herkömmlichen Referat nicht gegeben sind. Insbesondere wird Sprache als wesentliche Grundlage der bei Lehr-Lern-Prozessen notwendigen Interaktion eingeübt und verbessert. Das jeweilige Feedback führt zur kritischen Reflexion sowohl hinsichtlich der Sache, der Sprache wie auch bezüglich der Vorgehensweise im Lern- und Arbeitsprozess. LdL schult somit das Lernen selbst, die sprachliche Kommunikation und die Herangehensweise an unbekanntes Terrain und nimmt somit die Angst vor Neuem. Exploratives Verhalten in einem ganzheitlichen Sinn wird trainiert. Zugleich wird das Selbstbewusstsein dahingehend gestärkt, dass man sich seiner eigenen Fähigkeit nicht nur bewusst wird, sondern dass man Situationen beeinflussen und bestimmen kann, dies alles unter Berücksichtigung der Interessen aller anderen, mit denen man zusammenarbeitet. Gerade angesichts der Tendenz zur Verschulung an Hochschulen und Universitäten ist LdL ein überzeugendes Verfahren, die Aktivität und Eigenständigkeit von Studierenden und somit ihren Bildungsprozess als dauerhaften Lernprozess in einer Weise zu prägen, dass sie sich auch in ihren Persönlichkeiten weiterentwickeln können. Die Aussage Martins

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„Aus meiner Sicht ist die Fähigkeit, die Menschen schon sehr früh erwerben sollen, die Kompetenz zur Konzeptualisierung. Damit meine ich, dass man sich aktiv in Handlungsfelder begibt, Probleme identifiziert, qualifizierte Partner zur Problemlösung sucht, gemeinsam Informationen sammelt und sortiert (was im Netz geschieht), und gemeinsam Problemlösungen erarbeitet (Konzeptualisierung)“ entspricht dem, was Studierende in einem gelingenden Studium erwerben sollten, wenn es sie denn befähigen soll, in ihren beruflichen Aufgaben entsprechend professionell zu handeln. Ein besonderer Wert des Konzepts liegt auch in seinen zutiefst demokratischen Prinzipien und Handlungsmustern, was für die globalisierte Welt mit ihren Unsicherheiten und Unwägbarkeiten von herausragender Bedeutung ist. Insoweit trägt der Ansatz von LdL seinerseits zu einer Weltverbesserung bei.

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Kapitel II Didaktische Ansätze zur Förderung der Sprachkompetenz in WiMINT-Fächern

Förderung der Sprachkompetenz im Studium der Ingenieurwissenschaften Cosima Klischat

Eine Förderung der allgemeinen Sprachkompetenz von Studierenden in den klassischen Ingenieurwissenschaften wie Elektrotechnik und Maschinenbau ist bis heute eher nebensächlich. Die Inhalte des Studiums stehen traditionell eng im Zusammenhang zur Technik, Mathematik sowie den Naturwissenschaften, weshalb Ingenieurwissenschaften häufig als angewandte Naturwissenschaften betrachtet werden. Dieses Paradigma, also die Denk- und Lehrweise, die Themenfelder weiterer Fachgebiete nahezu ausschließt, entwickelte sich bereits zur Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts und wurde häufig kontrovers diskutiert. Der Erfolg deutscher Ingenieurskunst behinderte eine Veränderung dieses Paradigmas, weshalb klassische Ingenieurstudiengänge weiterhin traditionell gelehrt werden (Neef 1997:11 ff). Regelmäßig stattfindende Befragungen von Professorinnen und Professoren im Rahmen des Hochschulrankings des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) belegen diese Betrachtungsweise. Nach Einschätzung der Lehrenden der Elektrotechnik und des Maschinenbaus tragen vor allem die Fähigkeit zum abstrakten, logischen und strukturierten Denken sowie die Affinität zur Mathematik, zu den Naturwissenschaften und zur Technik zu einem gelingenden Studium bei. Interesse an Allge© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_4

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meinbildung und interdisziplinärem Arbeiten wird für den Erfolg als nicht relevant eingestuft. Dies gilt auch für die Anforderungen an sprachliche Fähigkeiten. Kommunikationsvermögen und Sprachkompetenz sowie Ausdrucksfähigkeit wurden von den Befragten ebenfalls als untergeordnet eingestuft (vgl. Horstmann; Hachmeister 2016). Dabei erfordern die Arbeitsfelder im Ingenieurwesen weitaus mehr als die Konstruktion und Berechnung technischer Systeme. So haben Ingenieurinnen und Ingenieure eine tragende Rolle in der Gestaltung von Umwelt und Gesellschaft. Sie sind diejenigen, die „mit [ihren] wirkmächtigen Hervorbringungen unsere Welt mitgestalte[n] und letztlich auch deute[n]“ (Kornwachs 2013:31). Einige Vertreter aus Verbänden, Gewerkschaften und Unternehmen sind sich dieser Verantwortung bewusst. So veröffentlichte der „Verein Deutscher Ingenieure“ (VDI) den Kodex Ethische Grundsätze des Ingenieurberufs. Der daraus zitierte Abschnitt 3.2 ruft Ingenieurinnen und Ingenieure zur Teilhabe an einem Technikdiskurs auf: „Widerstreitende Wertvorstellungen müssen in fach- und kulturübergreifenden Diskussionen erörtert und abgewogen werden. Daher erwerben und pflegen Ingenieurinnen und Ingenieure die Fähigkeit, sich an solchen Diskussionen zur Technikbewertung konstruktiv zu beteiligen“ (Verein Deutscher Ingenieure 2002). Um sich an einer fach- und kulturübergreifenden Diskussion zu beteiligen, wird einerseits Problembewusstsein und anderseits Sprachvermögen, das über eine Fachsprachlichkeit hinausgeht, benötigt. Der Anteil an Sprachkompetenz fördernden Aufgaben in Fachveranstaltungen ist gering. Hier wird meist „die Art der Lehre

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fort[gesetzt], die man selbst erlebt hat“ (Lahm 2016:16). Selbst fachwissenschaftliches Schreiben wird eher am Rande gefördert. Zur Anleitung von Schreibaufgaben wie Projekt- und Laborberichte sowie Abschlussarbeiten wird oft auf Kurse zum wissenschaftlichen Schreiben des Studium Generales verwiesen. An vielen Universitäten und Hochschulen gibt es zusätzlich überfachliche Schreibberatungen. Die geringe Förderung der allgemeinen Sprachkompetenz von Studierenden der Ingenieurwissenschaften wird von Vertretern der Industrie bemängelt. So veranstaltete beispielsweise die „Daimler und Benz Stiftung“ zwei ihrer Ladenburger Diskurse zum Thema „Sprachlosigkeit der Ingenieure“. Wissenschaftler und Experten erörterten anhand von Fallbeispielen das Unvermögen von Ingenieuren, sich an Diskussionen gesellschaftlich relevanter Themen zu beteiligen. In der Dokumentation dieser Diskurse schreibt Jürgen Mittelstraß, ein deutscher Philosoph und Wissenschaftstheoretiker, dass „[d]er technische Verstand […] weitgehend stumm [bleibt], wenn es um seine eigenen Werke im Horizont gesellschaftlicher Zwecke und Programme geht. Er ist stark, wo er entwerfend, konstruierend, bauend mit sich alleine ist; er ist schwach, wo es darum geht, sich selbst in den gesellschaftlichen Disput um Ziele und Zwecke, deren Realisierung dann auch seine Aufgabe ist, einzuschalten“ (Jürgen Mittelstraß 1999:VI). Sprachkompetenzförderung dient aber nicht allein der möglichen Teilhabe am gesellschaftlichen Disput. Damit möglichst viele zur Auseinandersetzung mit technischen Themen befähigt werden, muss Technik allgemeinverständlich vermittelt werden. Dies sollte im Idealfall durch diejenigen geschehen, die technischen Systeme entwickeln. Samuel J. Palmisano, der ehemalige Vorstandsvorsit-

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zende der „International Business Machines Corporation“ (IBM), beschreibt den Bedarf der Gesellschaft folgendermaßen: „[Wir] stehen […] an einem Wendepunkt sowohl hinsichtlich des wissenschaftlichen Denkens als auch der technologischen Möglichkeiten – ein Moment, mit dessen Tragweite und Auswirkungen sich führende Persönlichkeiten und Bürger auseinandersetzen müssen, wenn sie mit der informationsbasierten Zukunft unseres Planeten Schritt halten wollen“ (Palmisano 2011:9). Es ist deshalb empfehlenswert, sowohl die Fähigkeit zum Technikdiskurs als auch zur Technikvermittlung zu stärken. Die Ladenburger Diskurse fanden vor ca. 20 Jahren statt und es stellt sich die Frage, ob eine „Sprachlosigkeit der Ingenieure“ heute noch verbreitet ist. Seit dieser Zeit hat sich viel in der Hochschullandschaft verändert – auch in den Ingenieurwissenschaften. Nahezu zeitgleich wurde der Bologna-Prozess in die Wege geleitet, über den eine europaweite Harmonisierung der Studiengänge und Abschlüsse umgesetzt wurde. Im Zusammenhang mit dieser Reform steht die Ausdifferenzierung der Studiengänge, die zu einer Vielzahl neuer Studiengänge, insbesondere von Schnittstellenstudiengängen, geführt hat. Diese verbinden verschiedene Fachdisziplinen und stehen in Konkurrenz zu den klassisch gelehrten Ingenieurwissenschaften. Eine Vorreiterrolle tragen dabei die Wirtschaftsingenieurwissenschaften, die bei Studienanfängern äußerst beliebt sind. Eine Pauschalisierung von Aussagen über die Vermittlung von Sprachkompetenz im Ingenieurstudium lässt sich deshalb wohl nicht mehr treffen. Die nachfolgenden Inhalte und Anregungen beziehen sich aus diesem Grund auf die klassischen Ingenieurfächer wie Elektrotechnik und Maschinenbau. Sie verfolgen das Ziel, über die Einführung einer schreibintensiven Lehre die „Sprachlo-

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sigkeit der Ingenieure“ zu beenden sowie fachliches Denken und die Fähigkeit zur Technikvermittlung zu fördern. Im Kapitel Paradigma der klassischen Ingenieurwissenschaften wird zunächst der hier verwendete Begriff des Paradigmas definiert. Eine kurze Einführung in die Geschichte der Ingenieurwissenschaften und die Entwicklung ihres szientifischen Paradigmas sowie die Beschreibung der Fachsprache schließt sich an. Die Veränderung des Denkstils durch das Verlassen der Fachsprache sowie die dadurch angeregte Förderung des fachlichen Denkens ist ebenso Teil dieses Abschnitts. Eine mögliche Umsetzung von schreibintensiver Lehre zur Förderung der allgemeinen Sprachkompetenz wird anhand eines konkreten Beispiels aus dem Themenbereich elektromagnetische Felder im Kapitel Integration von Schreiben in die Lehre vorgeschlagen. Weitere Anregungen zu kleineren Formaten zur Sprachförderung, die sich beispielsweise für die Laborvorbereitung und -nacharbeit eignen, schließen sich an. Ebenso werden Anregungen zur Motivation von Lehrenden und Studierenden gegeben. Dieses Kapitel orientiert sich an Vorschlägen von Swantje Lahm des Schreiblabors der Universität Bielefeld.

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Paradigma der klassischen Ingenieurwissenschaften

1.1 Spezifizierung des verwendeten Paradigma-Begriffs Der Begriff des Paradigmas wird hier im Sinne von Thomas Kuhn, einem der bedeutenden Wissenschaftsphilosophen des 20. Jahrhunderts, verwendet. Er definiert das Paradigma als „Konstellation von Meinungen, Werten, Methoden usw., die von den Mitgliedern einer

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gegebenen Gemeinschaft geteilt werden“ (Kuhn 2014: 186). Eine „Gemeinschaft [von] Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen“, wird vom Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck als Denkkollektiv bezeichnet. Das Kollektiv ist Träger „eines bestimmten Wissensbestandes und Kulturstandes, also eines besonderen Denkstils“ (Fleck 2015: 54). Das Kollektiv ist in seiner historischen Entwicklung einer Tradition verpflichtet. Wort und Sprache unterliegen damit der Philosophie einer Gemeinschaft. Der Denkstil eines Kollektivs ist charakterisiert durch „gemeinsame Merkmale der Probleme, die ein Denkkollektiv interessieren; […] der Methoden, die es als Erkenntnismittel anwendet. Ihn begleitet eventuell ein technischer und literarischer Stil des Wissenssystems“ (Fleck 2015: 129). Dieser Denkstil wird zukünftigen Ingenieurinnen und Ingenieuren vorwiegend im Studium vermittelt. 1.2 Einblick in die Geschichte des szientifischen Paradigmas in den Ingenieurwissenschaften Die historische Entwicklung des heute verankerten Paradigmas der Ingenieurwissenschaften in Deutschland beginnt mit der ersten industriellen Revolution. Die Geschichte des deutschen Ingenieurwesens wird umfassend in der durch Karl-Heinz Ludwig herausgegebenen Sammelschrift des VDI-Verlags zur Geschichte des VDI beschrieben (vgl. Ludwig 1981). Um den wachsenden Bedarf an technisch gebildeten Personen in dieser Zeit decken zu können, wurden nach dem Vorbild der französischen École Polytechnique höhere technische Lehranstalten eingerichtet. Die vermittelten Lehrinhalte waren von der Einstellung der Gründer der verschiede-

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nen Schulen abhängig. Sie basierten aber vorwiegend auf mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen und technischem Fachunterricht. Eine Verwissenschaftlichung der Ingenieurausbildung wurde durch die Meinung der Ökonomen vorangetrieben, die „auf einen engen Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem Niveau und wirtschaftlicher Macht“ verwiesen“ (Scholl 1981:2). Anfang des 19. Jahrhunderts organisierten sich in Deutschland Ingenieure mit dem Bestreben gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen. Es galt vor allem das Ziel zu erreichen, den Schulabschluss gleichberechtigt und gleichgeachtet dem universitären Abschluss anzuerkennen. Dabei sahen sie sich, mit ihrem technischen Wissen und den aufkommenden Aufgaben, zwischen Wirtschaft und Wissenschaft positioniert. Die beschleunigte Expansion der Industrie und ihre wachsende Spezialisierung brachte die Aufteilung technischer Fächer in verschieden Fachdisziplinen mit sich. Wie Lehre an Technischen Hochschulen auszusehen hatte und was später in der Praxis gebraucht wurde, führte zu großen Diskussionen. Namen wie Alois Riedler und Franz Reuleaux sind hier zu nennen. Riedler vertrat einen hohen Praxisanteil im Studium, Reuleaux verteidigte eine an den Naturwissenschaften ausgerichtete szientifische Lehre. Beide standen für die wissenschaftliche Anerkennung des Ingenieurstudiums. So beantragte Riedler an der Berliner Hochschule das Promotionsrecht, das 1899 erstmals an preußischen Hochschulen gewährt wurde. In dieser Zeit war ein großer Aufschwung amerikanischer Technik zu beobachten. Riedlers Empfehlungen zum Ingenieurstudium sind deshalb an der damaligen praxisorientierten Vorgehensweise der Vereinigten Staaten orientiert. Vor allem in Fachhochschulen hat sich Riedlers Reform durchgesetzt. Der Schwerpunkt eines Ingenieurstudiums liegt dort in der theoreti-

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schen Vertiefung mit einem relativ hohen Praxisanteil. Mathematik, technische und naturwissenschaftliche Grundlagenfächer sind gepaart mit Laboren, Projektarbeiten und Praktika. Dennoch ist die „rein theoretische Betrachtungsweise technischer Probleme […] [auch dort] erheblich in den Vordergrund getreten“ (Manegold 1981:144). Die Erfolgsgeschichte deutscher Ingenieurkunst stärkte dieses szientifische Paradigma. Die Aufgabengebiete in den Ingenieurwissenschaften wurden mit der Zeit immer vielfältiger. Dies führte zu einer Spezialisierung und damit zu einer Vielzahl weiterer technischer Studiengänge. Diese unterscheiden sich bis heute vorwiegend in den technischen Inhalten - weshalb man nicht zwangsläufig von neuen Denkkollektiven reden kann. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Inhalte des Studiums nur durch neue technische Entwicklungen und Technologien verändert. Beispielsweise revolutionierte die Einführung der systematischen und automatischen Datenverarbeitung die Erfassung, Berechnung und Auswertung von Daten. Im Großen und Ganzen blieb die Art zu Denken und Handeln aber erhalten. Der vorherrschende Denkstil in den Ingenieurwissenschaften findet Ausdruck in der technischen Fachsprache und lässt sich gut anhand ihrer Beschreibung darstellen. 1.3 Technische Fachsprache Die Komplexität technischer Sachsysteme und deren Produktion bedingt eine Arbeitsteilung, die nur dann mit Erfolg verbunden ist, wenn Sachverhalte schnell, präzise und verständlich kommuniziert werden. Die technische Fachsprache trägt deshalb typische Charakteristika, die hier zusammengefasst werden.

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„Die Sprachen des Ingenieurs weisen zwei gegenläufige Tendenzen auf: die Tendenz zur äußersten Konkretion (als technische Zeichnung oder Gegenstandsbenennung) und die Tendenz zu äußerster Abstraktion (als mathematische Formel oder naturwissenschaftlichtheoretischer Begriff)“ (Ropohl 1999:21). Eine konkrete Gegenstandbenennung ist vor allem durch das schnelle Anwachsen von Technik notwendig. Es entstehen ständig neue Fachwörter, die eine hohe Informationsdichte tragen. Die Wurzeln der Terminologielehre, also der „planmäßigen Beschäftigung mit Terminologie“ (Arntz et al. 2009: 3) liegen in der Technik und Naturwissenschaft. Ohne eine Systematik in der Benennung wäre eine Verständigung, auch im selben Fachgebiet, nur schwer möglich. Die Terminologie technischer Gegenstände richtet sich an Normen aus. Eine Benennung wird oft mit Buchstaben, Zahlen und Maßen ergänzt. Als Beispiel wird hier eine Sechskantmutter DIN 934 M4 Edelstahl genannt. Neben der Bezeichnung werden die zugrundeliegende Norm, die Größe und das Material definiert. Eine umständliche und aufwendige Beschreibung der Bauform ist nicht erforderlich und wäre unter wirtschaftlicher Betrachtung auch nicht zu vertreten. Die Komplexität technischer Sachsysteme lässt demnach eine verbale Beschreibung umständlich erscheinen. Visualisierungen anhand technischer Zeichnungen und Schaltbilder sind übersichtlicher, präziser und schnell zu erfassen. Grafische Darstellungen können eine hohe Informationsdichte tragen und eignen sich deshalb auch für die Beschreibung von Prozessabläufen. Für die Ingenieurwissenschaften ist das Überführen von Sachverhalten in Strukturmodelle grundlegend. Der Modellierung unterliegt eben-

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falls Normen und Vorschriften, die zum einen Sicherheit gewährleisten und zum anderen eine Arbeitsteilung in komplexen Systemen ermöglichen (vgl. Duddeck 1999: 1-17). Die Entwicklung und Konstruktion technischer Systeme erfordert zudem einen hohen Grad an Abstraktion. Eine, an den Naturwissenschaften ausgerichtete, mathematische Formelsprache erlaubt Berechnungen und Vorhersagen über das Realverhalten Der Genauigkeitsgrad wird wiederum über Normen geregelt, die letztendlich Sicherheit, Lebensdauer und Funktionalität bestimmen. Über die Darstellung der Berechnungen und die Visualisierung der Modelle werden fundierte Fakten als Ergebnisse von Denkprozessen dargestellt, die den Denkvorgang selbst nicht beschreiben (vgl. Duddeck 1999: 3-8). Informationsdichte und Abstraktion erschweren die Übersetzung der Fachsprache in eine verbale Allgemeinsprache. Zu dieser Fachsprachlichkeit werden Ingenieurinnen und Ingenieure im Laufe ihres Studiums hingeführt. In den Grundlagenfächern wird zunächst die mathematisch-naturwissenschaftliche Abstraktion vermittelt. Die Förderung der verbalen Fachsprache erfolgt in der Erfüllung der bereits erwähnten Schreibaufgaben, die meist im Rahmen des Berichtswesens stattfinden. In diesem Zusammenhang erlernen sie die erforderliche präzise Fachsprache, die durch ihre Klarheit die fachinterne Kommunikation erleichtert. Das Spektrum der Schreibaufgaben erweitert sich im Berufsleben. Neben den bereits geübten technischen Berichten gehört das Schreiben von Projektanträgen und Pflichtenheften sowie von Präsentationen und Veröffentlichungen oft zum Tagesgeschäft. Auch Vorträge in Fachkonferenzen und in Gremien sind keine Seltenheit. Aufgrund der Komplexität und Größe von Industrie-Projekten wer-

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den diese oft kooperativ durchgeführt. Kooperationen erfordern eine Kommunikation zwischen den Beteiligten. Kommen die Projektpartner aus verwandten Denkkollektiven, steht dem beiderseitigen Verständnis nichts im Wege. Heute sind Projekte aber oft interdisziplinär und interkulturell angelegt. Dies erschwert die Kommunikation untereinander und erfordert eine allgemeinverständlichere Sprache, in der komplexe Sachverhalte inhaltlich richtig wiedergegeben werden. 1.4 Veränderung des szientifischen Paradigmas Die Beschreibung der „technischen Präzisionssprache“ lässt die Schwierigkeiten erkennen, die der Kommunikation zu Fragen der Gesellschaft, Umwelt und Politik entgegenstehen (vgl. Ropohl 1999: 19-23). Nun kann man argumentieren, dass jeder Mensch ein Individuum ist, das mehreren, oft auch sehr unterschiedlichen Denkkollektiven angehören kann. Fachsprachen sind deshalb schwer von der Allgemeinsprache abzugrenzen, da sich Denkkollektive kreuzen. Fleck weist darauf hin, dass „jeder interkollektive Gedankenverkehr […] eine Verschiebung oder Veränderung der Denkwerte zur Folge [habe]“ (Fleck 2015: 143). „Dazu kommt, dass keine Fachsprache ohne verbale Gemeinsprache auskommt und Elemente der Fachsprache, vor allem der technischen, in die Terminologie der Gemeinsprache übernommen werden. Dies spiegelt sich gerade im Bereich Technik wieder, die das tägliche Leben beeinflusst und dadurch auch die Gemeinsprache prägt. Der Laie übernimmt Fachwörter in seinen passiven Wortschatz, ohne die genaue Bedeutung oder Funktionsweise zu kennen (vgl. Arntz 2009: 23). Ein Beispiel aus der Informationstechnik ist der engli-

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sche Begriff ‚cloud‘. Er wird diffus als Datenspeicher angenommen, was aber konkret dahintersteht, ist für die Allgemeinheit diffus. Dieser Sachverhalt würde in gewissem Maße eine Kommunikation mit anderen Denkkollektiven erleichtern. Dennoch besteht für Ingenieurinnen und Ingenieure der klassischen Ingenieurwissenschaften weiterhin eine Wortlosigkeit gegenüber der allgemeinverständlichen Darstellung fachwissenschaftlicher Inhalte. Populäres Wissen erfordert eine globale und interdisziplinäre Betrachtungsweise und das Zulassen einer gewissen Ungenauigkeit, die dem Denkstil entgegensteht. Ropohl konstatiert dem Denkkollektiv das Meiden der „Unschärfe der politischen Sprache“ (Ropohl 1999:21-23). Dies dürfte der Grund sein, dass Ingenieurinnen und Ingenieure wenig in öffentlichen Diskussionen, in der Politik und in Gremien vertreten sind, um ihr Wissen zu populärem Wissen zu machen. Dies belegen beispielsweise die Zahlen der Berufsstruktur im Bundestag. Nur ca. drei Prozent der Bundestagsabgeordneten haben Berufe aus den Ingenieurwissenschaften (vgl. Deutscher Bundestag 2018). Im Hinblick auf die grundlegenden Entscheidungen, die hier zu grundsätzlichen technischen Fragen, wie Datensicherheit, Energieversorgung und Automatisierung getroffen werden, ist diese Anzahl bedenklich klein. Um den Mehrwert der Umsetzung von Fachwissen in populäres Wissen vor allem für das eigene Denkkollektiv zu verdeutlichen, werden im Folgenden verschiedene Stellen aus der Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache von Fleck zitiert:

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„[Das populäre Wissen] bildet die spezifische öffentliche Meinung und die Weltanschauung und wirkt in dieser Gestalt auf den Fachmann zurück“ (Fleck 2015: 150). „Gewißheit, Einfachheit, Anschaulichkeit entstehen erst im populären Wissen; den Glauben an sie als Ideal des Wissens holt sich der Fachmann von dort. Darin liegt die allgemeine erkenntnistheoretische Bedeutung populärer Wissenschaft“ (Fleck 2015: 152). „Die Anschaulichkeit eines Wissens hat ihre besondere Wirkung. Zuerst vom Fachmann angewandt, um einen Gedanken anderen Menschen verständlich zu machen (oder aus einer Art mnemotechnischer Gründe), erhält die Bildlichkeit, die vorerst ein Mittel war, die Bedeutung eines Zieles der Erkenntnis. Das Bild gewinnt Oberhand über die spezifischen Beweise und kehrt in dieser neuen Rolle vielfach zum Fachmann zurück“ (Fleck 2015: 154).

Das populäre Wissen dient also nicht nur der Information der Gesellschaft, sondern fördert vor allem auch die eigene Erkenntnis. Um die allgemeine Sprachkompetenz verbunden mit gesellschaftlich relevanten Themen im Studium der klassischen Ingenieurwissenschaften zu fördern, müssten sich der Denkstil und damit das Paradigma verändern. Eine „Umwandlung der Paradigmata […] sind wissenschaftliche Revolutionen, und der fortlaufende Übergang von einem Paradigma zu einem anderen auf dem Weg der Revolution ist das übliche Entwicklungsschema einer reifen Wissenschaft“ (Kuhn 2014: 27). Das bisher vorherrschende Paradigma hat sich in der Vergangenheit bewährt. Das deutsche Ingenieurwesen war weltweit für seine Präzision und Qualität bekannt. Die Prä-

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gung der Ingenieurwissenschaften steht aber in engem Zusammenhang zu den Entwicklungen in der Industrie. Wie zu Beginn der Industrialisierung finden heute, bedingt durch den digitalen Wandel, wieder große technologische, arbeitspolitische und damit auch gesellschaftliche Veränderungen statt. Zusätzlich sind die Unternehmen aufgefordert, über soziokulturelle, ökologische und ökonomische Fragen nachzudenken und entsprechend zu handeln. Diese Veränderungen könnten den schon lange diskutierten Paradigmenwechsel in den Ingenieurswissenschaften einläuten. Einige Veränderungen im Studium der klassischen Ingenieurswissenschaften zeichnen sich bereits ab. So verbreitet sich das problem- oder projektorientierte Lernen an einigen Hochschulen. Beispielsweise führt die Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft an der Fakultät Elektro- und Informationstechnik Service-Learning ein (vgl. Elektro- und Informationstechnik 2017). Hier wird Fachwissen auf soziale Projekte angewandt, was eine fachübergreifende Kommunikation und das Nachdenken über soziokulturelle Fragen fördert. Als weiteres Beispiel sei hier die Technische Hochschule Köln genannt, die interdisziplinäre Projektwochen durchführt. Im Laufe der durchgeführten Projekte „lernen Studierende die Anforderungen und Grundregeln für eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit kennen. Sie entwickeln ein Verständnis für die Fachsprachen, Methoden und Denkweisen anderer Fachrichtungen und stärken gleichzeitig das Bewusstsein für ihre eigene Disziplin“ (Technische Hochschule 2017).“ Eine endgültige Verabschiedung vom bisher bewährten Paradigma findet aber nur zögerlich statt. Dies liegt vor allem daran, dass der Bedarf an Ingenieurinnen und Ingenieuren, vor allem in der Elektrotechnik, hoch ist. Absolventinnen und Absolventen ha-

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ben wenige Probleme einen Arbeitsplatz zu bekommen (vgl. Vogel; Möckel 2017). Solange dieser Bedarf besteht und sich der Ruf deutscher Ingenieurinnen und Ingenieure nicht wesentlich verschlechtert, bleibt es schwer, neue Inhalte, wie die Förderung der (allgemein-)sprachlichen Kompetenzen im Studium, zu etablieren. Hinzu kommt, dass, im Gegensatz zu den Geistes- und Sozialwissenschaften, der Erfolg in den Ingenieurwissenschaften nicht unbedingt an der Anerkennung der produzierten Texte gemessen wird. Dieser steht eher in Relation zur Güte der entwickelten Produkte und in der Anzahl gewinnbringender Patente. Dennoch äußern Unternehmen das Anliegen nach erweiterten Lehrinhalten. Der HaysBranchenreport für die Elektroindustrie zeichnet das Interesse ab, dass Ingenieurinnen und Ingenieure mehr Kompetenzen in der „Fähigkeit, in Zusammenhängen zu denken“ mitbringen sollen (Vogel; Möckel 2017). Die Förderung dieser Kompetenzen kann aber auch ohne weitreichende Änderungen in den Curricula stattfinden, indem problemorientierte Schreibaufgaben in Fachveranstaltungen eingebunden werden. 2

Schreiben in Fachveranstaltungen

Um eine schreibintensive Lehre einzuführen, ist zunächst die Akzeptanz, sowohl der Lehrenden als auch der Studierenden, für diese Erweiterung der szientifischen Lehre zu schaffen. Dies erfordert die Definition der Ziele und des erkennbaren Mehrwerts von Schreiben in der Lehre. Im Vordergrund stehen immer das an die Studierenden vermittelte Wissen und die dadurch erzielte Bildung. Über Schreiben können fachliche Lernprozesse unterstützt und ein

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tieferes Verständnis der Lehrinhalte gefördert werden. Der Linguistik Hans Peter Ortner verweist auf die Mehrleistung des Schreibers gegenüber dem, der vorwiegend Wissen reproduziert: „Er muß denken. Er muß gestalten, d. h. vor allem Zusammenhänge mit Hilfe seiner Kreativität herstellen, Lücken schließen, Sprünge glätten, Neuordnungen vornehmen, […] übergeordnete Gesichtspunkte suchen“ (Ortner 2000: 37). Zugleich fördert eine schreibintensive Lehre die Fähigkeit der zukünftigen Expertinnen und Experten, Informationen und Wissen an Fachfremde zu vermitteln. Sie erlaubt ihnen „ihr jahrelang gesammeltes und durch Erfahrung gebildetes Wissen einem Laien erklären und explizit machen zu können, einem Laien, der hierfür diese Zeit und Gelegenheit eben nicht hatte“ (Kornwachs 2012: 273). Studierende erweitern durch Schreiben also ihre Kompetenzen in der Wissensvermittlung und bauen ihre Diskursfähigkeiten aus. 2.1 Motivation von Lehrenden und Studierenden Die Motivation Studierender Schreibaufgaben zu übernehmen, die außerhalb des Rahmens des (noch) bestehenden Paradigmas liegen, dürfte zu Beginn des Vorhabens eher gering sein. Erschwerend kommt hinzu, dass Sprachkompetenz bisher nicht im Anforderungsprofil für ein Ingenieurstudium liegt, was die Ergebnisse der CHE-Befragung belegen. Die Anforderungsprofile und der Fächerkanon der Curricula geben Studieninteressierten Orientierung bei der Wahl des Studienfaches. Es ist deshalb wohl auch davon auszugehen, dass die Interessen und Stärken Studierender der Ingenieurwissenschaften mehrheitlich nicht auf literarisch-

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geisteswissenschaftlicher Seite liegen. Erschwerend kommt hinzu, dass „[Studierende] bereits über Schreibkompetenzen [verfügen]“ aber nicht erkennen, dass „der Kontext Hochschule grundsätzlich andere Anforderungen als die Schule [stellt]“ (Lahm 2016: 26). Der Bedarf an Übungen zur Textproduktion im ingenieurwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext wird zu Beginn des Studiums aus diesem Grund wohl eher nicht erkannt. Die Bedeutung von Schreibübungen in allgemeinverständlicher Sprache muss von den Lehrenden deshalb sehr gut vermittelt werden. Dafür benötigen sie das Wissen über den Bedarf der Unternehmen und der Gesellschaft an sprachkompetenten Ingenieurinnen und Ingenieuren und den Willen, neue Wege zu beschreiten. Im Idealfall im Verbund mit Lehrenden anderer Studienfächer. Swantje Lahm verweist auf den Zuwachs von Spaß und Befriedigung an der eigenen Lehre, indem man Studierenden die Möglichkeit gibt, „Gedanken zu vertiefen, klären und zu strukturieren“ (Lahm 2016:12). 2.2 Integration von Schreibübungen in Fachveranstaltungen Die folgenden Empfehlungen orientieren sich an der Literatur von Swantje Lahm Schreiben in der Lehre (Lahm 2016). Obwohl hier dasselbe Vorhaben vorliegt, nämlich „die Kluft zwischen Alltagssprache und Fachsprache [zu] überbrücken“ (Lahm 2016: 12), ist das Ziel ein anderes. Lahm möchte Lehrenden eine Methodensammlung an die Hand gegeben, die Studierenden das wissenschaftliche Schreiben näherbringen sollen. Das wissenschaftliche Schreiben ist in diesem Beitrag jedoch zweitrangig. Viele Empfehlungen gelten jedoch auch für diesen Anwendungsfall und können übernommen werden.

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Lahm gibt Lehrenden zur Verknüpfung der Lehre mit Schreibaufgaben das Modell von Beaufort zur Hand (Lahm 2016: 27). In fünf Dimensionen werden Vorüberlegungen zu den Anforderungen an die Studierenden beschrieben, die für gelingende Schreibprojekte unbedingt an diese weitergegeben werden sollten. Anhand dieses Modells wird erläutert, wie Studierende sich neuen Textsorten nähern können. Dafür müssen sie die Aufgabe und die formalen Vorgaben kennen und verstehen lernen. Die fünf Dimensionen des Modells sind im Folgenden kurz erläutert und mit Vorschlägen zum möglichen Vorgehen ergänzt. 1. Vermittlung der Funktion und des Ziels der Aufgabe sowie die Vorgabe eines Beispiels, das möglichst außerhalb des Lehrkontexts liegen sollte. o Vorgeschlagen werden hier Texte zur Wissensvermittlung. Die Einübung solcher Texte könnte im Sinne von H.P. Ortner über „Wissen schaffendes Schreiben“ gelingen. Gelernte Wissenselemente werden über eine Schreibaufgabe in neue Zusammenhänge gebracht. Wissen schaffendes Schreiben „reproduziert nicht nur, sondern es produziert auch Wissen. Es verknüpft Wissenseinheiten, die im Langzeitgedächtnis verschiedenen Wissensnetzen angehören, es schafft Perspektiven, d.h. Zusammenhänge, beim und für das Schreiben, die nicht schon im Gedächtnis reproduktionsfertig bereitliegen“ (Ortner 2000: 14). Eine Schreibaufgabe könnte dabei das Erstellen populärwissenschaftlicher Texte im Kontext zu den vermittelten Fachinhalten sein. Als Textvorbilder können Beiträge in allgemeinwissen-

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schaftlichen Zeitschriften und Internetseiten herangezogen werden. 2. Vermittlung des für die Lösung der Schreibaufgabe notwendigen Fachwissens. Die Schreibaufgabe sollte in engem Zusammenhang zu fachlichen Inhalten stehen und das bisher vermittelte Fachwissen nicht übersteigen. Sie könnte aber unbekannte fachfremde Aspekte aufgreifen (siehe Schreibaufgabe zur Strahlenbelastung weiter unten in diesem Abschnitt). 3. Kennenlernen der Struktur und der formalen Vorgaben der gewünschten Textsorte. 4. Kennenlernen von Formulierungen und Wendungen, die für diese Textsorte typisch sind. Bei Texten in allgemeinverständlicher Sprache gibt es verschiedenste Arten von Textsorten. Die Merkmale der Form, Struktur und Formulierung dieser Texte sollten mit den Studierenden gemeinsam erarbeitet werden. Folgende Textsorten wären im Kontext der Allgemeinsprachlichkeit denkbar: o allgemeinverständliche Texte für eine fiktive interdisziplinäre Zusammenarbeit in Projekten o allgemeinverständliche Berichte für (fiktive) Gremien und Ausschüsse in Gesellschaft und Politik o Technische Dokumentationen und Bedienungsanleitungen o Texte für Lexika und Wikis 5. Vorgaben zur Vorgehensweise und zur Durchführung bestimmter Arbeitsschritte.

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Die Herausforderung besteht dabei, eine Balance zu finden, die Studierenden einen Weg aufzeigt, die Aufgaben zu lösen, ohne „Schülerverhalten“ zu provozieren (Lahm 2016: 31). Dafür muss den Studierenden Sinn und Zweck der Schreibaufgaben sehr bewusst sein. Für die Planung von Veranstaltungen mit großem Schreibanteil ist es hilfreich, die Lernziele der Studierenden und vor allem die Wissensabfrage zu überdenken. Wie erkennt man, dass die Lernziele nach Ablauf der Veranstaltung erreicht sind und was sollte davon nach dem Studium noch vorhanden sein? An was lassen sich die Fähigkeiten der Studierenden erkennen (vgl. Lahm 2016: 75)? Bislang werden die Fachkompetenzen im Rahmen eines klassischen Ingenieurstudiums über Klausuren am Semesterende abgefragt. Vorbereitet werden diese durch Übungen und das Rechnen von Altklausuren, die größtenteils über die Anwendung physikalischmathematischer Formeln gelöst werden können. In Beratungsgesprächen lässt sich aber oft feststellen, dass das Verständnis hinter den Gleichungen und die Motivation für das Fach fehlen. Verständnis und Wissensstand lassen sich auch über Texte abfragen. Sie „liefern […] Informationen über die Studierenden und ihr Lernen: Was wissen und was können sie? Wo haben sie Schwierigkeiten?“ (Lahm 2016: 113). Gleichzeitig bieten Texte die Möglichkeit, Zusammenhänge von erlerntem Fachwissen zur Anwendung zu schaffen, um dadurch die Studienmotivation zu steigern. Um das Schreiben in Veranstaltungen zu etablieren und um Begeisterung dafür zu erlangen, sollten die Texte anfangs eher informellen Charakter haben und explorativ sein. „Informell‘ meint, dass die Texte nicht formell und fachsprachlich korrekt zu sein brauchen, sie werden ,explorativ‘ geschrieben, das heißt, mit dem

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Ziel durch das Schreiben etwas herauszufinden, dass man so vor dem Schreiben noch nicht (bewusst) wusste“ (Lahm 2016: 112). Ein Beispiel zu informellem, explorativem Schreiben im fachlichen Kontext könnte eine Schreibaufgabe für Elektrotechniker zur Strahlenbelastung bei niederfrequenter Energieübertragung sein. Die fachlichen Ansprüche der folgenden Aufgabe sind bei hinreichender Näherung mittels Grundlagenwissen der ersten Semester zu lösen. Sie eignet sich daher für ein drittes Semester. Die Aufgabe ist relativ offen und erfordert viel Recherchearbeit. Die Ergebnisse hängen vom Grad der möglichen Vereinfachung und Annahmen ab, dementsprechend wird es für diese exemplarische Aufgabe unterschiedlichste Lösungen geben: Die Strahlenbelastung von Personen durch elektrische und magnetische Felder ist immer wieder Thema der öffentlichen Diskussion. Deshalb möchte die Bahn ihren Kunden die Sorge um mögliche Gesundheitsschäden durch niederfrequente elektrische und magnetische Felder nehmen. Im Laufe eines Praktikums bei der Deutschen Bahn sollen Sie als Experte die Belastung von Personen, auf dem Bahnsteig und im Zug, abschätzen und entsprechende Berechnungen durchführen. Diese sollen in einem zweiseitigen Bericht des Bahn-Magazins „Mobil“ veröffentlicht werden. Das Magazin liegt in Fernreisezügen aus und dient Fahrgästen zur Unterhaltung und zur Information über das Reisen mit der Deutschen Bahn. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Reisenden auch Träger von elektronischen Implantaten sein können. Für die Berechnungen dürfen Sie von folgenden vereinfachten Situationen ausgehen: • Alle Triebwägen entsprechen dem Typ des ICE 3.

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Wechselstrom-Triebfahrzeuge stellen eine ohmschinduktive Last dar. Der Leistungsfaktor ist mit cosφ = 0,8 anzunehmen. • Für wartende Personen ist anzunehmen, dass der Bahnsteig zwischen je zwei Bahngleisen liegt, auf denen die Züge mit voller Leistung durchfahren sollen. Machen Sie eine Einschätzung für die Strahlenbelastung der Reisenden durch das elektromagnetische Feld. Beschränken Sie die Analyse auf ihre Vorkenntnisse, dabei sind Vereinfachungen erlaubt. Bedenken Sie bei der Formulierung des Artikels, dass er unterhaltsam, informativ, leicht verständlich und dennoch fachlich richtig sein sollte. Ihre Vereinfachungen müssen dargestellt werden und Grafiken sowie Tabellen dürfen zusätzlich zu den 2 Seiten Text enthalten sein. Das Thema dieser Aufgabenstellung bringt fachliche und gesellschaftliche Problemstellungen zusammen. Über ein interdisziplinäres Recherchieren, fachliche Berechnungen und Vergleiche können die Studierenden zu einem adäquaten Ergebnis kommen. Das Bearbeiten der Aufgabe fördert Schreib- und Lesekompetenz, da bei der Recherche auch Texte aus anderen Disziplinen gelesen und verstanden werden müssen. Eine kreative Lösung der Aufgabe erfordert sowohl Fachwissen als auch Abstraktionsvermögen. Die Aufgabe eignet sich für Schreiben über einen größeren Zeitrahmen, beispielsweise als Hausarbeit. Bei allen Textsorten, die im Rahmen von Schreibaufträgen produziert werden, sollten die Studierenden darauf hingewiesen werden, dass „Schreibkompetenz kontextgebunden ist und immer wieder neu erworben werden muss“ (Lahm 2016: 24).

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Als Vorbereitung und Heranführung an das Schreiben längerer Texte und die „Förderung von Denken, Sprechen und Schreiben“ (Lahm 2016: 112) in der Lehrveranstaltung könnten kleinere Formate durchgeführt werden. Aus den Vorschlägen von S. Lahm werden hier drei Methoden vorgestellt, die für die Ingenieurwissenschaften einfach und mit einem relativ kleinen zeitlichen Umfang umzusetzen sind. 1. Ungelöste Laborprobleme „Die Studierenden notieren am Ende eines Laboraufenthalts eine Reihe von ungelösten Problemen und Schwierigkeiten. Dann tauschen sie ihre Notizen, diskutieren die Probleme und entwickeln mögliche Lösungen“ (Lahm 2016: 122). Die Formulierung der Notizen sollte klar und für andere verständlich sein. Als Austauschformat eignet sich dafür die Methode Think-Pair-Share (vgl. Meier; Zellner in diesem Band). Nach dem Austausch der Notiz werden in zeitlich vorgegeben Phasen erst zu zweit und danach in einer größeren Gruppe die Probleme besprochen und Lösungsmethoden erarbeitet. Diese kooperative Lernform eignet sich auch für konkrete Aufgabenstellungen. 2. Daten, Daten, Daten „Die Studierenden erhalten einen Datensatz […] und entwickeln zu zweit eine Aussage zu diesem Datenmaterial. Jedes Paar schreibt dann eine kleine Ausarbeitung“ (Lahm 2016: 124), dessen Format und Struktur vorgegeben ist. Diese Schreibaktivität eignet sich gut zur Vorbereitung von Laboren.

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3. Dialoge verfassen „Die Studierenden schreiben einen imaginären Dialog zwischen Vertretern unterschiedlicher Positionen“ (Lahm 2016: 124). Dieses Schreibformat taugt besonders dazu, technische Entwicklungen zu bewerten. Beispielsweise könnten Vertreter der Verbrennungsmotorischen- und der Elektromobilität einen Dialog führen. Ebenso könnten historische Figuren, wie die Gegner des Stromkriegs 1890, Edison und Westinghouse, fiktiv ihre Positionen vertreten. Die Diskussion über die Vor- und Nachteile der Stromübertragung als Gleich- oder Wechselstrom wird heute wieder geführt und eignet sich deshalb gut für Studiengänge wie Erneuerbare Energien. Eine Wertschätzung ihrer Schreibaufgaben könnten Studierende bekommen, indem dafür ein Bonus für die Klausur angerechnet oder – weitergehend – die Bewertung Teil des kompetenzorientierten Prüfens wäre. Allerdings müssten dafür klare Bewertungskriterien gegeben sein (vgl. Lahm 2016: 155-178). Lässt man die Aufgaben unbenotet, lassen sich gute Texte auch in die eigene Lehre integrieren. Zudem könnte die Möglichkeit eingerichtet werden, gute Texte beispielsweise in einem Blog, Podcast oder studentischen Magazin zu veröffentlichen.

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Fazit

Die Reformen, die sich durch die Veränderungen von Arbeit in Unternehmen und das globale und nachhaltige Handeln langsam an

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den technischen Hochschulen und Universitäten abzeichnen, kündigen einen Paradigmenwechsel, vor allem in den klassischen Ingenieurwissenschaften wie Elektrotechnik und Maschinenbau, an. Dieser wird mit einer Veränderung des Fächerkanons verbunden sein, in dem die Entwicklung von Sprachkompetenz mehr Raum bekommen könnte. Durch schreibintensive Lehre wäre es möglich, diesen Raum bereits jetzt zu gewähren. Schreibübungen, jenseits der Fachsprache, könnten zum Schreiben in allgemein verständlicher Sprache genutzt werden. Sie würden Studierende, als zukünftige technische Problemlöser, schon früh an fachfremde, gesellschaftlich relevante Themen heranführen. Das würde den Vorgaben des VDI-Ethik-Kodex entsprechen und zudem Ingenieurinnen und Ingenieure aus der ihnen unterstellten Sprachlosigkeit befreien. Eine schreibintensive Lehre in allgemeinverständlicher Sprache fördert zudem das Verstehen von Fachinhalten, durch die dafür notwendige Abstraktion des Mitgeteilten. Populäres Wissen kann nur dann gut weitergegeben werden, wenn die Fachinhalte vom Vermittelnden verstanden wurden. Eine Etablierung von Schreiben in Fachveranstaltungen ist mit einer guten Einführung durch den Lehrenden verbunden. Die Arbeitsschritte sowie der Sinn und Zweck einer Aufgabe müssen gut vermittelt werden, damit keine Frustration von Seiten der Studierenden als auch der Lehrenden eintritt. Vom erfolgreichen Schreiben und der dadurch erworbenen Sprachkompetenz würden dann aber viele profitieren – Ingenieurinnen und Ingenieure, Gesellschaft und Politik.

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Verein Deutscher Ingenieure (2002): Ethische Grundsätze des Ingenieurberufs. Online verfügbar unter https://www.vdi.de/file admin/media/content/hg/16.pdf, zuletzt geprüft am 09.07.2017. Vogel, Michael; Möckel, Kathrin (2017): Ausblick Elektroindustrie. Welche Themen den Arbeitsmarkt dieser Branche bewegen (werden). 2000. Aufl. Hg. v. Hays. Mannheim. Online verfügbar unter https://www.hays.de/documents/10192/2226863/ hays-branchenreport-elektroindustrie-2017.pdf/fc5ebce0-52ac41a8-8747-bacabeb9096b, zuletzt geprüft am 15.06.2017.

Baustoffkunde für Studienanfänger – interaktive Vorlesung Elke Koser

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Einleitung 1

Technische Vorlesungen sind gespickt mit Normen, Fachausdrücken und immer wiederkehrenden Formalismen. Baustoffkunde ist ein Grundlagenfach, das Bereiche wie Stahl, Glas, Kunststoffe, Baustoffe, Mauersteine etc. behandelt. Über Grundlagenwissen tauchen Studierende ein in Eigenschaften, Herstellungsbedingungen und Anwendungen von Materialien und müssen sich meistens in typischen Frontalvorlesungen mit einer unglaublichen Menge an Faktenwissen auseinandersetzen. Schon nach kürzester Zeit ist eine solche Art von Vorlesung ermüdend (vgl. Frey 1990), manchmal auch für den Vortragenden. Oft ist der Mensch schon nach zwanzig Minuten nicht mehr fähig, Informationen aufzunehmen und diese zu verarbeiten. Handelt es sich bei einer technischen Vorlesung dazu um eine PowerPoint-Präsentation, kommt es oft zu einem 1

Gefördert wurde die Ausarbeitung dieses Artikels im Rahmen des Projekts SKATING an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01PL16014.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_5

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sogenannten „Overflow“ und die Studierenden können nicht mehr folgen. Sie schalten ab und werden müde. Der sinkende Sauerstoffgehalt bei einer Vorlesung und die Erschlaffung der Muskeln unterstützen diesen Vorgang (vgl. Frey 1990). Einigen Lehrenden2 ist dieses durchaus bewusst. Sie wissen jedoch häufig nicht, mit welchen Maßnahmen Veränderungen in der Vorlesung eingeführt werden sollten. Manchmal führen Lehrende Bewegungen in ihre Vorlesung ein, damit eine Aktivierung und damit eine gesteigerte Aufnahmefähigkeit hergestellt werden kann (vgl. Frey 1990). Andere Lehrende fragen sich, ob die Frontalvorlesung ein „Muss“ ist, damit der Wissenstransfer stattfinden kann. Der Gedanke, die Frontalvorlesung umzustellen, ist vielen unbewusst klar, doch wie soll dieses stattfinden? Oft besteht große Unsicherheit bei den Vortragenden, ob eine abgeänderte Vortragsform adäquat ist und Wissen tatsächlich in der erforderlichen Menge wie notwendig vermittelt werden kann. Manchmal kommt es auch bei anderen Kollegen zu Widerstand oder Kritik gegen eine verändertere Frontalvorlesung, was natürlich zu zusätzlicher Verunsicherung führt. Große Vorteile einer Umstellung der Frontalvorlesung auf eine Vorlesung mit interaktiven Elementen sind in der Diskussionskultur unter den Studierenden zu sehen. Eine mündliche Beantwortung von Fragen schon gleich zu Anfang des Studiums versetzt die Studierenden frühzeitig in die Lage, Prüfungssituationen zu bewältigen. Langfristig wird so ein interaktiver Prozess eingeleitet, der dazu führt, dass sich Studierende bewusst in der Diskussion miteinander auseinandersetzen, was auch in ihrer späteren Berufswelt von ihnen erwartet wird. 2

Nachfolgend wird immer die rein männliche Form verwendet. Selbstverständlich sind damit gleichermaßen alle Geschlechter angesprochen.

Baustoffkunde für Studienanfänger – interaktive Vorlesung

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Ziele der Vorlesung

Die Studierenden des ersten Semesters in Infrastrukturmanagement (Bauingenieurwesen) sollen sich ohne Vorkenntnisse intensiv mit dem Fach „Baustoffkunde“ im Nebenfach auseinandersetzen und dabei die Notwendigkeit erkennen, die Grundlagen dieses Faches zu erwerben. Als Grundlagenvorlesung werden viele Informationen über Materialien und Werkstoffen im Bauwesen vermittelt. Hierfür werden realitätsnahe Bauschäden herangezogen, über die die Studierenden nachdenken und sich austauschen sollen. In vielen Situationen werden die Studierenden zum offenen Dialog angeregt und um ihre Meinung gebeten.

3 Von der Frontalvorlesung zur „gelebten“ Vorlesung – Das Problem mit der „Kommunikation“ Wie wird aus einer typischen Frontalvorlesung, in der technisches Wissen vermittelt wird, ein spannender Austausch? Wissen soll immer noch erworben, verstanden und angewendet werden und das in kürzester Zeit. Wie kann der Vortragende eine lebendige Vorlesung als Grundlage für Fachwissen gestalten und dafür sorgen, dass Grundlagen tatsächlich verstanden werden? Die zwischenmenschliche Kommunikation spielt dabei eine große Rolle, doch im Zeitalter von „Facebook“ und „WhatsApp“ hat sich diese zu einer anderen Art des Austausches entwickelt. Der verbale Austausch, der vom gesprochenen Wort und damit auch von Emotionen lebt, findet oft nur noch spärlich statt. Verbale Kommunikation ist jedoch

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wichtig, wenn im beruflichen Alltag über viele unterschiedliche Sachverhalte diskutiert und entschieden werden sollen. Von einem ausgebildeten Bauingenieur wird erwartet, dass dieser bei Problemen schnell und konstruktiv eine Lösung findet. In der Praxis sieht die Verständigung so aus, dass Informationen schriftlich und mündlich weitergegeben werden. Baupläne, historische Aufzeichnungen müssen gelesen, gedeutet und anderen verständlich gemacht werden. Hierfür gilt es auch, über Maßnahmen zu sprechen, die möglicherweise näher zu erläutern sind, damit diese verstanden werden. Oft muss mit unterschiedlichen Adressaten umgegangen werden. Für eine öffentliche Behörde, den Bauherrn, den Handwerker und andere Interessenten muss in einer verständlichen und erklärenden Sprache gesprochen werden. Erst so können oft teure Maßnahmen und Projektentscheidungen nachvollzogen und eingeleitet werden. Das frühzeitige Erkennen und Benennen eines Schadens ist elementar, auch die Diskussion und folgerichtig natürlich auch das Einleiten von Gegenmaßnahmen (vgl. Bachmann 2014). Wichtig dabei sind immer ein offener Dialog und das Fragestellen. Werden keine kritischen Fragen gestellt, kommt es oft unausweichlich zu Bauschäden, fehlerhafte Planungen und Ausführungen, die später zum Leidwesen aller häufige Diskussionsbestand zwischen Bauherrn, Ausführer und Planer sind. Gibt es keine Einigung, ist der Gerichtsgang oft unvermeidlich. Kommunikation und Im-Gespräch-Bleiben sind wie bei vielen Projekten die Grundlagen zur rechtzeitigen Fehlervermeidung. Missverständnisse können so schnell aus dem Weg geräumt werden.

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Anforderungen an die Vorlesung

Es handelt sich bei dieser technischen Vorlesung um eine Erstsemestervorlesung ohne weitere oder vertiefende Übungen für Bauingenieure im Fach „Baustoffkunde“, allerdings im Nebenfach. Diese wird in zwei Blöcken zu je 1,5 Stunden einmal pro Woche für etwa 50 – 60 Studierende gelesen. Es wird eine Prüfungsvorleistung in Form einer Laborübung und eine mündliche Gruppenprüfung durchgeführt, die Voraussetzungen für die Zulassung zur abschließenden Klausur sind. Lehrende müssen sich vor der Vorlesung grundsätzlich damit beschäftigen, welche Themengebiete vermittelt werden sollten und in welchem Kontext diese zum Lehrplan stehen. Sind die Grundlagen auch Grundlagen für andere Fächer zu anderen Zeitpunkten des Studiums oder müssen diese parallel erworben werden, damit noch andere Fächer zur gleichen Zeit bestanden werden können? Im besten Fall gibt es Absprachen unter den Lehrenden, damit sie sich auf ihre wesentlichen wichtigen Inhalte beschränken können. Lehrende könnten viel Zeit sparen, wenn sie sich auf die Lehrinhalte der anderen Lehrenden verlassen dürfen. Daher ist auch die Kommunikation und Vernetzung unter den Lehrenden sehr wichtig, damit sie sich gegenseitig unterstützen können. Wichtig für eine erfolgreiche Durchführung sind eine gute Planung und ein Zeitmanagement mit Zwischenzielen während der Vorlesung, die im Projektmanagement als Milestones angegeben werden können:

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Was ist bei der Vorlesungsplanung wichtig? ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐

Kenntnis über die Anforderungen an die Lehrpläne. Kenntnis über die Module anderer Lehrender. Was sollen die Studierenden zu welchem Zeitpunkt und am Ende wissen? Welche Kompetenzen erwerben Sie dabei? Wie können die mündliche Kommunikation und damit die Sprachkompetenz gesteigert werden? Wird am Ende der Vorlesung eine Prüfung geschrieben? Gibt es Zwischenprüfungen? Gibt es dabei Übungen, die kontrolliert werden müssen?

Diese Projektplanung macht eine Vorlesung überschaubar, für die Studierenden klar strukturiert und könnte durch das Erreichen von Teilzielen zusätzlich motivierend sein. Wenn Milestones gesetzt werden und sich anschließend etwas an der Vorlesung ändert, könnten auch hier neue Anreize die Studierende gesetzt werden, da sich die Studierenden damit auf neue Lehrinhalte konzentrieren müssen (vgl. Bachmann 2014). Hierfür wird die Vorlesung in mehrere Phasen eingeteilt, die nachfolgend beschrieben werden.

Baustoffkunde für Studienanfänger – interaktive Vorlesung

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5 Durchführung der Vorlesung in aufeinander aufbauenden Phasen: 5.1 Erster Tag der Vorlesung Ziel: Bezug zum Fach herstellen und Begeisterung wecken Vor der eigentlichen Vorlesung wird ein allgemeiner Vortrag über Baustoffe gehalten, der etwa eine Dauer von einer Stunde hat. Mit Hilfe von drastischen Fotos über Bauschäden werden Realitätsbezüge zum Leben der Studierenden hergestellt. Auf diese Weise soll die Aufmerksamkeit der Studierenden und der Zugang zum Fach geweckt werden. Unter dem Titel der Vorlesung „Baustoffkunde“ kann sich sicher jeder Studierende vage ein Bild machen. Fragt man jedoch genauer, welche Vorstellung damit verbunden wird, dann werden die Aussagen schwammig. Baustoffkunde wird dann beschrieben als ein Fach, das irgendwie mit Bauen zusammenhängt. Welche Stoffe genau dazu gehören, können nur wenige Studierende benennen. Der Baustoff Beton ist vielen Studierenden bewusst, doch welchen Anforderungen dieses Material genügen muss, kann keiner zum Anfang des Studiums konkret benennen. Ein Beispiel wäre ein Foto mit einem Betonschaden auf der Autobahn. Zunächst muss man das Bild wirken lassen. Dann wird die Frage gestellt, ob einer von den Studierenden einen solchen Schaden schon mal wahrgenommen hat. Wenn sich jemand meldet, sollte dieser gefragt werden, wann das genau war. Dabei helfen allgemeine Fragen nach den klimatischen oder anderen Bedingungen. Mit der anschließenden Frage, ob denn jemand „Motorradfahrer“ sei, wird vielen klar,

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dass der Betonschaden vor allem körperliche Schäden nach sich ziehen könnte, wenn sich das Material in Abhängigkeit von der Temperatur verändert und zu Schäden führen kann. Die Studierenden verstehen sofort den Zusammenhang und denken mit Grauen über die Auswirkungen des Schadens nach. Nach dem Vortrag werden die Studierenden aufgefordert, im Vorlesungsraum Kontakt mit den vorhandenen „Baustoffen“ aufzunehmen. Meistens kommt nach der Aufforderung die Reaktion, dass es in diesem Raum doch außer den verputzen, aus irgendwelchen Mauersteinen bestehenden Wänden keinen Baustoff gäbe. Wenn dann aber mit Nachdruck darauf hingewiesen wird, dass es sehr viele andere Baustoffe im Raum gibt, fangen die Studierenden an, sich mit dieser Frage näher zu beschäftigen. Auf einem vorgefertigten Papier schreiben sie alle Baustoffe auf, sollen aber auch genau dokumentieren, wie die Baustoffe aussehen, riechen und sich anfühlen. Auf diese Weise stellen sie fest, dass sie unbewusst mit vielen Materialien zusammenleben, diese aber bisher so nicht wahrgenommen haben und beschäftigen sich zum ersten Mal aktiv damit. Beispiele für Holz, Beton, Glas, Stahl, Keramik etc. sind Tische, Stühle, Fußboden, Fenster, Rahmen, Wand, Tür, Waschbecken, Tafel. Danach ist die Vorlesung für diesen Tag beendet. 5.2 Phase 1 (1. Monat, pro Woche zwei Vorlesungsblöcke an einem Nachmittag) Ziel: Studierende zum Gedankenaustausch anregen (miteinander und im Forum), Vorbereitung auf die mündliche Prüfungsvorleistung (PVL), die nach einem Labortag in der Mitte der Vorlesungszeit abgenommen wird.

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Am Ende des ersten Vorlesungsblockes wird pro Woche ein Foto von einem Bauschaden gezeigt. Dazu werden je drei Fragen (z. B. „Was sehen Sie auf dem Foto?“, „Warum ist dieser Schaden eingetreten?“, „Welche Theorien können dieses erklären?“) auf einem Zettel ausgeteilt, worüber die Studierenden 10 Minuten mit ihrem Partner diskutieren sollen (vgl. Bachmann 2014; Macke et al. 2016). Diese Fragen stehen immer in Bezug zur vorherigen Theorie des Vorlesungsblockes und zum Schadensbild auf dem Foto. Nach 10 Minuten wird die reguläre Pause von 15 – 20 Minuten eingehalten. Zu Beginn des zweiten Vorlesungsblockes wird mit allen Studierenden über die Fragen diskutiert, die einen Bezug zur zuvor besprochenen Theorie haben sollten. Die Frontalvorlesung wird bei diesem Schritt aktiv unterbrochen und die Meinung der Studierenden untereinander zum Sachverhalt eingefordert. Es handelt sich hierbei lediglich um etwa 15 Minuten, die für diese Aktivität „geopfert“ wird. Der positive Effekt dabei ist, dass nun der Lehrende eine Pause bekommt, er kann sich etwas ausruhen, entspannt durch die Reihen der Studierenden laufen und Fragen beantworten. Die Studierenden nehmen diese Unterbrechung als Auflockerung des Unterrichts wahr und lernen, dass ihre Meinung auf Augenhöhe wahrgenommen wird. Wenn sie dann im Gespräch die Problematik erläutern oder sich sogar trauen, vor allen anderen die Fragen zu diskutieren, stärkt dieses zusätzlich ihr Selbstbewusstsein. Dabei sollte grundsätzlich positiv mit den Antworten umgegangen werden, damit sich die Studierenden auch weiterhin am Unterricht beteiligen (vgl. Wunderlich 2016; Arnold/Krämer-Stürzl/Siebert 2011). Der Lehrende sieht dabei wahrscheinlich ein großes Risiko für die eigene Vorlesung, da diese „Aktivität“ bei den meisten eine

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Abweichung der selber erfahrenen Lehre darstellt. Vielleicht fühlt sich der Lehrende auch etwas verunsichert, da es oft nur wenig Erfahrungsaustausch unter Kollegen gibt, wenn solche Unterrichtsformen verändert werden. Zur Beseitigung einer solchen Verunsicherung kann in diesem Fall „fachdidaktischer Rat“ zur Hilfe gezogen werden, damit die Vorlesung professionell verändert werden kann. Didaktische Zentren an der Hochschule sind hier oft behilflich. 5.3 Phase 2 (2. Monat, pro Woche zwei Vorlesungsblöcke an einem Nachmittag) Ziel: Studierende zum Gedankenaustausch anregen (miteinander und im Forum), Vorbereitung auf die mündliche Prüfungsvorleistung (PVL), die nach einem Labortag in der Mitte der Vorlesungszeit abgenommen wird. Weiterer positiver Nebeneffekt ist Selbständigkeit und Wertschätzung für die Studierenden. Jetzt wird ein Perspektivwechsel und damit ein neuer Anreiz für die Studierenden eingeführt: Nun werden die Studierenden gebeten, eigene Fotos von Bauschäden mitzubringen, die dann per E-Mail dem Lehrenden vor der eigentlichen Vorlesung zugesendet werden. Auch hier werden dann in der Vorlesung schriftliche Fragen wie in Phase 1 vom Lehrenden gestellt, in Bezug zum Thema gesetzt und direkt diskutiert. Dieses Procedere wird wöchentlich genauso wie in Phase 1 durchgeführt.

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5.4 Durchführung der Prüfungsvorleistung (PVL) mit mündlicher Gruppenprüfung (6 - 8 Studierende, im 3. Monat) Die Durchführung der PVL ist eine notwendige Voraussetzung für die Zulassung zur abschließenden Klausur. Für diese Prüfung ist ein Labortag vorgesehen, für den sich die Studierenden mit einer zuvor per E-Mail ausgegebenen Theorie und Versuchsbeschreibung vorbereitet haben müssen. Der Labortag selber beinhaltet die Durchführung von Versuchen, die jedoch aus Sicherheitsgründen vom technischen Personal durchgeführt werden. Es ist eine Übung von zwei Stunden, bei denen Techniker verschiedene bautechnische Verfahren und Untersuchungen von Baustoffen zeigen. Im Anschluss an den Labortag findet die Prüfung statt. Es ist dem Lehrenden überlassen, wie diese durchgeführt wird. Für die Prüfung wird aus Zeitgründen eine mündliche Gruppenprüfung (vgl. Billerbeck/Tscheulin/Salden 2014) mit etwa 6 – 8 Studierenden durchgeführt, wobei die Prüflinge jeweils mehrere Fragen bezogen zu den Themen des Labortags beantworten müssen. Insgesamt dauern die Prüfungen pro Gruppe etwa 20 Minuten3. Wird im Laufe der Prüfung festgestellt, dass bei einzelnen Studierenden größere Verständnisschwierigkeiten vorhanden sind, dann muss der Prüfling in einer schriftlichen Nachreichung des zu behandelnden Themas sein Verständnis nachweisen. Erst dann ist die PVL bestanden.

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Mit einem schriftlichen Test würde der Leistungstand aller Studierenden wahrscheinlich besser festgestellt werden. Der Zeitaufwand hierfür ist erheblich und belastet den Lehrenden zusätzlich.

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5.5 Phase 3 (3. Monat, pro Woche zwei Vorlesungsblöcke an einem Nachmittag, noch drei Wochen Vorlesungszeit) In der dritten Phase sind es noch vier bis sechs Wochen bis zur Klausur, in denen die Studierenden auf die abschließende Klausur vorbereitet werden. Mittlerweile sollte den Studierenden klar sein, dass das Grundlagenverständnis zwingend notwendig zum Bestehen der Klausur sein wird. Der erste Vorlesungsblock beinhaltet immer noch Vorlesungsstoff, da in diesem dem Lehrmodul entsprechend eine weitere große Fülle von Grundlagenwissen vermittelt werden soll. Im zweiten Vorlesungsblock wird nun das Gruppenpuzzle (Jigsaw (vgl. Strittmatter-Haubold/Ehlail 2012)) eingeführt. Diese Methode sorgt dafür, dass sich die Studierenden selber mit theoretischen Grundlagen beschäftigen und diese dann in eigener Verantwortung ihren Kommilitonen mitteilen müssen. Hierbei werden Verantwortungsbewusstsein und die intensive Beschäftigung mit Grundlagen geschult. Planung: Das Gruppenpuzzle wird für 60 Minuten geplant. Zu je einem Thema pro Gruppe (6 Studierende) werden unterschiedlichen Fragen gestellt, die die Studierenden eigenverantwortlich beantworten sollen. Ziel: Studierende werden zu Experten des theoretisch erfassten Wissens und müssen ihr Wissen verantwortungsvoll weiter-

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vermitteln. Das Wissen wird verfestigt, Selbständigkeit und Verantwortung werden erzeugt. Ablauf: Schritt 1: Jede Gruppe bekommt ein anderes Thema. Die Gruppenmitglieder aus einer Gruppe erhalten Karten gleicher Farben, aber jeweils mit Ziffern von 1 bis 6. In der Gruppe lesen alle Gruppenmitglieder den gleichen Text, beantworten die gleichen Fragen und machen sich dazu Notizen. Dafür haben sie etwa 10 Minuten Zeit und können dabei über ihre Antworten diskutieren. So werden sie für die bearbeiteten Fragen zu Experten ihres Wissens. Der Lehrende geht während der Zeit bei den Studierenden vorbei und versichert sich, dass die Fragen richtig beantwortet worden sind. Dazu kann es zu Diskussionen kommen, die die Grundlagen verfestigen sollten. Schritt 2: Jetzt werden die Gruppen so aufgeteilt, dass jeder in der neuen Gruppe von einem anderen Thema berichten kann. Der Sinn dieser neuen Gruppe besteht darin, dass so in kürzester Zeit bei einer insgesamt hohen Studierendenzahl unterschiedliche Themen schnell erfasst und den anderen Studierenden mitgeteilt werden. Dafür finden sich 6 neue Gruppen unterschiedlicher Kartenfarben mit gleichen Ziffern zusammen. Die Mitglieder sind Experten ihres vorher erworbenen Wissens und müssen nun den anderen Gruppenmitgliedern ihr Wissen vermitteln. Dafür haben sie insgesamt 30 Minuten Zeit. Danach fassen sie die wichtigsten Ergebnisse zusammen und ein Studierender präsentiert diese kurz (2 – 3 Minuten) dem Forum. Insgesamt werden hier nochmal max. 20 Minuten angesetzt. Diese Art und Weise der Vertiefung versetzt

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Studierende in Experten, die ihr Wissen weitergeben müssen. Sie haben die Verantwortung, alles möglichst gut und richtig zu erzählen. Von den Lehrenden werden sie dabei auf Augenhöhe wahrgenommen (vgl. Bachmann 2014). Am Schluss der gesamten Vorlesung wird nochmal das Bild zur Diskussion gestellt, das anfangs zum Betonschaden und dem Motorradfahrer gezeigt worden war. Die Studierenden wissen sofort, warum dieses Bild gezeigt wird. Es soll über die Ursachen des Schadens diskutiert werden. Sofort kommt es zu einer regen Diskussion, bei der einige Studierende nun gezielt ihr erworbenes Wissen zeigen, untereinander diskutieren und sogar Maßnahmen zur Schadensvermeidung vortragen. Viele Studierende merken nun, dass die Vorlesung zu ihrer Wissenserweiterung beigetragen hat. Ergebnis: Ziel der Vorlesung ist es, den Erstsemestern im Fach Baustoffkunde möglichst viel Wissen zu vermitteln. Da die Durchfallraten bei den zuvor gehaltenen Frontalvorlesungen bei mehr als 40% lagen und die Abwesenheit der Studierenden hoch war, kam es zu Überlegungen, die reine Frontalvorlesung umzustellen. Hierbei wurde der Fokus auf eine Einbeziehung der Studierenden und deren Kommunikation untereinandergelegt. Die Einführung von aktiven Unterbrechungen wie die zur Diskussion gestellten Bauschäden führte von Beginn an zu regen Diskussionen mit den Studierenden. Der interaktive Anteil der Studierenden untereinander und der mit den Lehrenden wurden dadurch intensiviert. Dadurch wurde die Schwelle zum mündlichen Austausch untereinander und mit dem Lehrenden bewusst niedrig ge-

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halten, damit die Studierenden selbstbewusst ihre Meinung äußern konnten. Auch für die Lehrenden wurde die Vorlesung lebendiger. Durch die Unterbrechungen kam es zu Erholungsphasen, die für beide Seiten entspannend waren. Die schriftlichen Fragen am Ende eines Blockes mussten zunächst auch schriftlich beantwortet werden, was gleichzeitig auch als gezielte Vorbereitung für die Klausur eingesetzt wurde. Erst danach wurde über die Ergebnisse diskutiert. Am Ende der umgestellten Vorlesung waren noch mehr als die Hälfte der Studierenden anwesend. Die Prüfungsergebnisse der Klausuren wurden insgesamt verbessert, was sich zum einen durch eine reduzierte Durchfallquote von 40% auf 20%, aber auch durch ein größeres Verständnis bei der Beantwortung der Prüfungsfragen äußerte. Mit einem Gruppenpuzzle kann eine große Anzahl von Studierenden schnell erfasst werden. Der anschließende Lerneffekt ist dabei sehr hoch (vgl. Bachmann 2014; Macke et al. 2016), was auch in den Gesprächen festgestellt werden konnte. Durchgeführt wurde diese Art der Vorlesung zweimal bei Erstsemestern und einmal bei Masterstudierenden. Auffällig war, dass Erstsemester diese Art der Umstellung mit großem Engagement angenommen haben, Masterstudierende hätten lieber ihre Frontalvorlesung behalten, was sie in ihrem Feedback zur Vorlesung äußerten. Für die Lehre würde dieses bedeuten, dass schon möglichst früh Umstellungen in der Wissensvermittlung vorgenommen werden sollten, da die jungen Studierenden wahrscheinlich eher noch bereit sind, eine andere Form der Vorlesungsgestaltung anzunehmen (vgl. Arnold/Krämer-Stürzl/Siebert 2011), und sich auf diese Weise eine Kommunikationskultur entwickeln kann, die die Studierenden auf ihr späteres Berufsleben vorbereitet.

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Literatur Arnold, R./Krämer-Stürzl, A./Siebert, H. (2011): Trainerkompetenz: Dozentenleitfaden, Erwachsenenpädagogische Grundlagen für die berufliche Weiterbildung, 2. Auflage, Berlin: Cornelsen Scriptor. Bachmann, H. (2014): Kompetenzorientierte Hochschullehre: Die Notwendigkeit von Kohärenz zwischen Lernzielen, Prüfungsnormen und Lehr-Lern-Methoden (Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung 1), 2. überarbeitete Auflage, Bern: hep Verlag. Billerbeck, K./Tscheulin, A./Salden, P. (Hg.) (2014): Auf dem Prüfstand. Lernen bewerten in technischen Fächern, Zentrum für Lehre und Lernen (ZLL), Hamburg. Online-Zugriff unter: https://www2.tuhh.de/zll/wpcontent/uploads/ZLL_Brosch%C3%BCre_Auf-dem-Pruefstand.pdf, letzter Zugriff: 07.09.2018. Frey, K. (1990): Allgemeine Didaktik, Zürich: vdf Hochschulverlag. Macke, G./Hanke, U./Viehmann-Schweizer, P., Raether, W. (2016): Kompetenzorientierte Hochschuldidaktik. Lehren – vortragen – prüfen – beraten. Mit überarbeiteter Methodensammlung, Weinheim: Beltz. Strittmatter-Haubold, V./Ehlail, F. (2012): Lernen im Aufwind. Methodenreader zur Gestaltung von Lernprozessen, Heidelberg: Institut für Weiterbildung, Pädagogische Hochschule Heidelberg. Online-Zugriff unter: https://www.ph-heidel berg.de/fileadmin/ms-zentrale-einrichtungen/PH-

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Akademie/2011_12/Methodenreader_Titel_Inhalt2012.pdf, letzter Zugriff: 07.09.2018. Wunderlich, A. (2016): Constructive Alignment. Lehren und Prüfen aufeinander abstimmen, Zentrum für Lehrentwicklung, TH Köln. Online-Zugriff unter: https://www.th-koeln.de/mam/ downloads/deutsch/hochschule/profil/lehre/steckbrief_construc tive_alignment.pdf, letzter Zugriff: 07.09.2018.

Fishbowl zur Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre Katrin Regier, Stefanie Regier und Tobias Kopp

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Einleitung

Die klassische Vorlesungskultur an deutschen Bildungseinrichtungen, insbesondere die Wissensvermittlung durch Vorlesungen an Hochschulen, trägt nur wenig zur Förderung der Sprachkompetenz von Studierenden bei. In der Praxis fällt auf, dass viele Studierende von technischen Studiengängen sowohl mündlich als auch schriftlich einen nachlässigen Umgang mit der deutschen Sprache haben. Umso wichtiger sind daher innovative Mittel, Methoden und Konzepte, die zielgerichtet auf die Bedürfnisse der Studierenden ausgerichtet sind, und so den klassischen Vorlesungsstil ergänzen. Der folgende Beitrag hat das Ziel, die Fishbowl-Methode als ein solches didaktisches Konzept im Rahmen der Hochschullehre theoretisch und praktisch vorzustellen. Hierzu werden in einem ersten Schritt die Methode des Fishbowl-Verfahrens erläutert sowie die Ziele für den Einsatz in der Lehre formuliert. Das Konzept wird anschließend anhand eines Pilotprojektes im Rahmen der Vorlesung Marketing am Fachbereich Wirtschaftsinformatik aufgezeigt und einer kritischen Evaluation unterzogen. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_6

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Katrin Regier, Stefanie Regier und Tobias Kopp

Neben der Wichtigkeit des Einsatzes der entsprechenden Lehrund Lernmaterialien soll auch auf die speziellen Rahmenbedingungen, die sich aus dem Hochschulumfeld ergeben, sowie auf den genauen Ablauf, den Zeit- und Aktionsplan eingegangen werden. Besonderes Augenmerk richten die Autoren1 auf die einzelnen Herausforderungen, die das ursprünglich für Schülerinnen und Schüler in der Schuldidaktik eingesetzte Verfahren in der Hochschullehre mit sich bringt. Einen Hauptschwerpunkt stellen dabei die abschließende Auswertung der praktischen Erfahrungen des Verfahrens und damit die eingehende Darlegung von Problemen, Chancen und entsprechenden Verbesserungsmöglichkeiten dar. Diese dienen zur Vorstellung von Hilfestellungen für die praktische Anwendung für Lehrende in der Hochschule und Erwachsenenbildung. In diesem Zusammenhang werden in einem letzten Schritt die Durchführung einer Ergebniskontrolle sowie deren Evaluation im Hinblick auf die Eignung der Methode im Studiengang Informatik vorgestellt. Unter Berücksichtigung der Förderung der Sprachkompetenz wird schließlich ein allgemeines Fazit gezogen.

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Das Fishbowl- bzw. Innen-/Außenkreis-Verfahren

2.1 Beschreibung des Verfahrens Das sogenannte Fishbowl- oder auch Innen-/Außenkreis-Verfahren zählt zu den „formalisierte[n] Diskussionsverfahren“ und dient zur 1

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form benutzt. Darin sind sowohl männliche als auch weibliche Personen eingeschlossen.

Fishbowl zur Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre

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diskursiven Erschließung eines Themenkomplexes (Brenner und Brenner 2011, S. 204). Der Name Fishbowl gibt bereits Hinweise auf die Situation und die Sitzordnung der Diskutierenden. Die aktiven Diskussionsteilnehmer befinden sich in einer Art Podiumsdiskussion im Innenkreis und werden – wie Fische in einem Goldfischglas – von den Diskussionsbeobachtern im äußeren Kreis beobachtet (Scholz 2016, S. 26; Südwest Presse Online-Dienste GmbH). Die spezielle Sitzanordnung ermöglicht die Kombination der „Vorteile eines Kleingruppengesprächs mit einer Plenumssituation“ (Brenner und Brenner 2011, S. 204). Je nach Bedarf kann der GastStuhl im Innenkreis von den Diskussionsbeobachtern für eine kurze Zeit selbstständig besetzt werden, um passende Redebeiträge einzubringen. Die dadurch entstehende spielerische Auflockerung führt dazu, dass die Beobachter nicht passiv und isoliert vom Diskussionsgeschehen bleiben, sondern sich ebenfalls ins Geschehen einbringen und in hohem Maße mit dem Thema der Diskussion identifizieren. Außerdem werden neue thematische Impulse in die Diskussion eingebracht, sodass diese sich weniger in Sackgassen verliert (Matthes, 2011). Ein Moderator kann das Streitgespräch leiten (Scholz 2016, S. 26). 2.2 Ziele für den Einsatz Die Methode schult die Fähigkeit, in einer angemessenen Form miteinander zu diskutieren (Mattes 2011). Durch die Vielzahl der Beobachter entsteht einerseits eine motivierende Situation und andererseits unterschiedliches Feedback. Die Beobachter im Außenkreis schulen – unterstützt durch einen Beobachtungsbogen – ihre

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Katrin Regier, Stefanie Regier und Tobias Kopp

Fähigkeit zur genauen Analyse einer Gesprächssituation. Durch die Möglichkeit der kurzzeitigen Partizipation an der Diskussion durch Nutzung des Gast-Stuhls können sich alle Teilnehmer mit der Diskussion identifizieren und überlegen sich gewinnbringende Argumente und Beiträge. Deren präzise Formulierung wird zusätzlich geschult, da der Gast-Stuhl nur begrenzt lange besetzt werden darf und die Redebeiträge daher prägnant formuliert sein müssen. Da jeder Diskussionsteilnehmer auf die Argumente des Vorredners direkt Bezug nehmen muss, trainieren die Studierenden letztlich auch die logische Argumentation. 2.3 Rahmenbedingungen Gruppengröße: Prinzipiell sind verschiedene Ausgestaltungen des FishbowlVerfahrens möglich. Entsprechend kann die Anzahl der Teilnehmer und insbesondere der Diskutierenden variieren. Die Teilnehmer im Innenkreis werden gewöhnlich mit vier bis zehn Personen angegeben (CAP et al. 2006). Die Gruppengröße hängt u. a. davon ab, ob es sich um eine freie Diskussion zu einem Thema handelt oder ob die Diskussion als Pro-Contra-Debatte gestaltet ist, in der es zwei gegensätzliche Parteien gibt, die von verschiedenen Personen vertreten werden. Im Außenkreis können ca. 30 Studierende Platz nehmen. Die Gruppengröße sollte an die Raumsituation angepasst sein. Raumsituation: Die Raumsituation muss gewährleisten, dass die Personen im Innenkreis von den im Außenkreis sitzenden Beobachtern gut gese-

Fishbowl zur Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre

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hen und verstanden werden können. Der Raum muss ferner die Möglichkeit bieten, dass die Studierenden des Außenkreises ohne größere akustische Störung und schnell den Gast-Stuhl erreichen können. Im Rahmen eines studentischen Seminars erscheint daher eine Gruppengröße von zehn Personen im Innenkreis und weiteren ca. 30 im Außenkreis sinnvoll. 2.4 Ablauf Das Fishbowl-Verfahren kann genutzt werden, um durch eine Diskussion die Vor- und Nachteile verschiedener thematischer Positionen zu einem Diskussionsthema zu erörtern. Dies geschieht dadurch, dass gewisse Personengruppen sich mit einem Diskussionsthema und insbesondere ihrer Position beschäftigen und versuchen, die gegenseitige Personengruppe von deren Überlegenheit zu überzeugen. Im Vorfeld der eigentlichen Fishbowl-Diskussion werden die späteren Diskussionsteilnehmer im Innenkreis in zwei Gruppen mit gleicher Personenzahl unterteilt. Sie erhalten – genauso wie die Zuhörer im Außenkreis – einen Text, der das Diskussionsthema darstellt. Darüber hinaus bekommen die zwei Diskussionsgruppen jeweils Informationen über die Position, die sie in der Debatte vertreten sollen. Die Gruppen diskutieren untereinander, welche Argumente für ihre Position sprechen und wie sie die anderen Teilnehmer von deren Eignung überzeugen können. Bei Bedarf können sie wichtige Argumente für die Diskussion notieren und mitnehmen. Nach einer gewissen Vorbereitungszeit eröffnet der studentische Moderator die Debatte. Während derselben achtet er auf die

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Einhaltung der üblichen Diskussionsregeln und weist bei deren Missachtung die Diskussionsteilnehmer in angemessener Art und Weise darauf hin. Falls die Diskussion einseitig verläuft, greift der Moderator steuernd ein, kann lange Redebeiträge unterbrechen oder das Wort anderen Diskussionsteilnehmern zuteilen. Außerdem sorgt er dafür, dass Besetzer des Gast-Stuhls ihre Redebeiträge vorbringen können und nach angemessener Zeit den Gast-Stuhl wieder verlassen. Nach einer angemessenen Zeitspanne schließt der Moderator die Diskussion. 2.5 Genauer Zeit- und Aktionsplan Nachfolgend liefern wir einen geeigneten Zeit- und Aktionsplan für die Durchführung des Fishbowl-Verfahrens mit einer Studierendengruppe: - 15 Min:

Vorbereitung des Vorlesungssaals

+ 0 Min:

Begrüßung, Vorstellung des Fishbowl-Verfahrens und Hinweis auf übliche Diskussionsregeln

+ 5 Min:

Austeilen und stilles Lesen des Textes, der das Diskussionsthema umreißt  

+ 15 Min:

Die Texte enthalten einen Vermerk, welche Position in der Diskussion vertreten werden soll Der Text wird so ausgeteilt, dass Studierende, die beieinandersitzen, die gleiche Position vertreten

Beginn der vorbereitenden Diskussion innerhalb der Gruppen 

Dozent/In beantwortet einzelne Fragen zu Verständnisproblemen in den Gruppen

Fishbowl zur Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre 

+ 45 Min:

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Gleichzeitiges Austeilen der Beobachtungsbögen, Festlegung & Vorbereitung eines Moderators

Beginn der Fishbowl-Diskussion

+ 60-65 Min: Ende der Diskussion. Beginn einer mündlichen Feedback-Runde + 70 Min:

Beginn schriftliche Beantwortung der Aufgabenstellung

+ 80 Min:

Abschließende Worte und Dank für Teilnahme

+ 85 Min:

Rückbau des Vorlesungssaals

Hinweis: Insbesondere die Vorbereitungszeit in den Gruppen ist wesentlich von der Komplexität und Länge des Textes bzw. der darin behandelten Aufgabenstellung abhängig. In einem gewissen Umfang kann die Dauer der Fishbowl-Diskussion daran angepasst werden. Wenn das Verfahren den Studierenden bereits bekannt und der Text nicht sehr umfangreich ist, kann eine Durchführung in insgesamt 45 bis 60 Minuten realisiert werden. 2.6 Verhaltensregeln Neben den üblichen Regeln guter Kommunikation und fairer Diskussionen gibt es beim Fishbowl-Verfahren einige spezifische Regeln zu beachten: 

Der Gast-Stuhl darf maximal solange besetzt werden, bis der Gast seinen Beitrag mitgeteilt und verteidigt hat oder sich ein anderer Zuhörer auf den Gast-Stuhl setzen möchte. Der Moderator sollte darauf hinweisen, falls der Gast-Stuhl zu lange besetzt wird.

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Der Gaststuhl darf jederzeit verlassen werden, wenn der Diskussionsteilnehmer das Gefühl hat, nichts mehr zur Diskussion beitragen zu können. Im Außenkreis sind keine Gespräche, sondern nur die stille Beobachtung zugelassen. Bei aufkommenden Gesprächen kann der Moderator um Ruhe bitten oder anbieten, den Gast-Stuhl zu besetzen, um einen Redebeitrag vorzubringen.

2.7 Einsatz von Lehr- und Lernmaterialien Für die Durchführung des Fishbowl-Verfahrens werden die folgenden Lehr- und Lernmaterialien benötigt:      

2

Seite mit kurzer Erläuterung des Verfahrens für Studierende Arbeitsanweisung für Studierende Text, der das Diskussionsthema darstellt (in unserem Fall: Case Study zum Thema der Diskussion2) Beobachtungsbogen für Studierende im Außenkreis Schriftliche Aufgabenstellung zum Diskussionsthema (in unserem Fall: zur Case Study) Evaluationsbogen zur Ergebniskontrolle

Entnommen aus Solomon et al. 2009, Electrolux: „Marketing: Real people, real decision“; S. 147-148, Tupperware: „Marketing: Real people, real decision“, S. 428; BR Pharmaceuticals: „Marketing: Real people, real decision“, S. 354.

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Praktische Erfahrungen und Verbesserungsmöglichkeiten

Bei der konkreten Durchführung wurde als Thema für das Fishbowl-Verfahren eine Fallstudie verwendet, welche sich mit der Entscheidungsfindung in einem Unternehmen beschäftigt. Der Text beschreibt zunächst die spezifische Situation, in der sich das jeweilige Unternehmen befindet. Der Text bietet zwei mögliche und realistische Verhaltensoptionen, mit denen das Unternehmen den Herausforderungen begegnen kann, um sich im Wettbewerb besser aufzustellen. Die nachfolgend beschriebenen praktischen Erfahrungen und Ideen zur Weiterentwicklung der Methode basieren auf der Durchführung des Fishbowl-Verfahrens mit den folgenden zwei Studierendengruppen: 



15 Personen aus dem Studiengang International Management an der Hochschule Karlsruhe, im Modul Internetmarketing (6. Fachsemester), Veranstaltungsdauer: 90 Min, verwendeter Text: Decision Time At Electrolux (Option 1 und 3)3 21 Personen aus dem Studiengang Wirtschaftsinformatik, im Modul Marketing (4. Fachsemester), Veranstaltungsdauer: 90 Min, verwendeter Text: Decision Time at BR Pharmaceuticals (Option 1 und 2)4

Die Erfahrungen in den beiden Gruppen waren in einigen Belangen sehr unterschiedlich. Während die Diskussion in der ersten Gruppe 3 4

Entnommen aus Solomon et al. 2009, S. 147f. Entnommen aus Solomon et al. 2009, S. 354.

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überaus intensiv und dynamisch verlief, wurde diese in der zweiten Gruppe wesentlich ruhiger geführt. In der dynamischen Diskussion waren beinahe alle Studierenden aktiv involviert. Durch die hitzige Diskussion litten aber phasenweise die Sachlichkeit der vorgetragenen Argumentationen und die inhaltliche Tiefe im Vergleich zur zweiten Studierendengruppe. Teilweise wurden nicht nachprüfbare Behauptungen eingebracht. Evtl. war dieser Diskussionsverlauf der Tatsache geschuldet, dass die Studierenden im Hinblick auf den erstmaligen Einsatz der neuen Methode schlicht aufgeregt waren. Es ist davon auszugehen, dass dieser Effekt bei einem wiederholten Durchführen der Methode deutlich abnimmt. Letztlich wiesen beide Diskussionen unterschiedliche Vor- und Nachteile auf. Dies interpretieren wir als Beleg dafür, dass beim Einsatz eines solchen Verfahrens die Dynamik der Studierendengruppe bedacht werden muss. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass beide Studierendengruppen mehrere inhaltlich neue und qualitativ sehr gute Argumentationsketten vorbrachten, die in vorherigen Semestern zu diesem Thema beim konventionellen Vorlesungsstil nicht entwickelt wurden. Nachfolgend fassen wir einige grundsätzliche Erkenntnisse zu bestimmten Aspekten des Fishbowl-Verfahrens aus beiden Diskussionen zusammen: Wirkung des Gast-Stuhls Bei den Studierenden in der ersten Gruppe blieb der Gast-Stuhl kaum unbesetzt, wohingegen sich in der zweiten Gruppe nur wenige Personen auf diesen Platz wagten. Insgesamt wurde das Konzept des Gast-Stuhls von den Studierenden sehr positiv bewertet. Viele Studierende erwähnten positiv, dass dadurch ein Festfahren der

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Diskussion verhindert und neue Elemente dynamisch eingebracht werden konnten. Damit bestätigten sie grundsätzlich unsere Auffassung. Ob das Konzept seine volle Wirkung entfaltet, ist allerdings abhängig vom Engagement der Studierenden. Die Schulpraxis zeigt: Ein wiederholtes Durchführen der Lehrform kann diesbezügliche Hemmnisse abbauen. Einsatz des Beobachtungsbogens Entsprechend der stark unterschiedlichen Dynamik der Diskussionen ist der Einsatz des Beobachtungsbogens unterschiedlich zu bewerten. Eine Studierende in der ersten Gruppe betrachtete den Beobachtungsbogen als störend und bestätigte damit unseren Eindruck. Ein Großteil der Studierenden bearbeitete den Beobachtungsbogen gar nicht. Dies lässt sich dadurch begründen, dass viele Studierende sich als Besetzer des Gast-Stuhls teils mehrfach aktiv in die Diskussion einbrachten und durch ihre lebhafte Teilnahme und Beobachtung schlicht nicht genug Zeit zur Bearbeitung hatten. Aufgrund dieser Erfahrung wurde der Beobachtungsbogen in der zweiten Gruppe nicht mehr eingesetzt. In dieser ruhigeren Diskussion entstand allerdings der Eindruck, dass einige Teilnehmer unbeteiligt im Außenkreis saßen und der Beobachtungsbogen hier sinnvoll gewesen wäre. Dies kann aber auch der stärkeren Gruppengröße geschuldet sein. Hier sind weitere Praxistests nötig, um eine klare Aussage treffen zu können. Letztlich sollte der Dozent in Abhängigkeit von seiner Einschätzung der Gruppe den Beobachtungsbogen einsetzen oder darauf verzichten.

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Unklarheiten in der Ausgangslage In beiden Gruppen tauchten einige Unklarheiten beim Verständnis des Textes bzw. der Ausgangssituation auf. Daher ist es unerlässlich, den Studierenden vor Beginn der Fishbowl-Diskussion die Gelegenheit zu geben, Verständnisfragen zu stellen und diese vorab kurz im Plenum zu klären. Dies ist insbesondere deshalb sinnvoll, weil sonst die Argumentationsketten auf unterschiedlichen Auffassungen eines Sachverhaltes basieren könnten. Dies kann zu Verwirrung innerhalb der Diskussion führen, die nicht direkt aufgelöst werden kann. Wahl des zu bearbeitenden Textes Die Erfahrungswerte zeigen, dass der Auswahl eines geeigneten Textes als Diskussionsgrundlage eine hohe Bedeutung zukommt. Neben einem hohen Praxisbezug muss der Text die Möglichkeit bieten, verschiedene kontroverse Sichtweisen einzunehmen und Argumente zu entwickeln, damit eine weitergehende Diskussion entstehen kann. Gleichzeitig sollte er den thematischen Rahmen präzise definieren und möglichst wenig Raum für Missverständnisse oder stark abweichende Interpretationen der Ausgangslage bieten. Ferner sollte das beschriebene Diskussionsthema Inhalte der Vorlesung tangieren, sodass Argumente in Zusammenhang mit theoretischen Inhalten gebracht und dadurch praktisch angewandt werden können. Wahl der zu vertretenden Handlungsoption Einzelne Studierende würden es befürworten, wenn sie selbst entscheiden dürften, für welche Option sie argumentieren wollen. Teils fiel es den Studierenden schwer, realistisch und leidenschaft-

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lich für eine Option zu argumentieren, die sie in Wirklichkeit nicht vertreten würden. Zwar ist nachvollziehbar, dass dies den Diskutierenden besonders schwerfällt, allerdings sind Situationen, in denen Meinungen vertreten werden müssen, die man persönlich nicht favorisiert, im Unternehmensumfeld nicht untypisch. Vor diesem Hintergrund kann dieser Umstand als Vorbereitung auf den Berufsalltag begriffen werden, in dem mitunter auch fremde Positionen nach außen überzeugend kommuniziert werden müssen. Ferner zeigen Erfahrungswerte, dass die Studierenden bei solchen Case Studies häufig eher nach dem Kriterium entscheiden, welches Produkt oder welche Handlungsoption ihnen persönlich besser gefällt. Hier sollte klar artikuliert werden, dass die für das betrachtete Unternehmen beste Lösung zu bevorzugen ist. Diskussionsregeln und theoretische Konzepte Besonders in der hitzig geführten Diskussion entstand phasenweise ein schneller Schlagabtausch von Argumenten, ohne dass auf die Redebeiträge der anderen Partei ausreichend Bezug genommen wurde. Daher sollte bei sehr dynamischen Gruppen im Vorfeld explizit darauf hingewiesen werden, dass es keine „Sieger“ in der Diskussion gibt und dass die Studierenden auf die Argumente der Gegenseite logisch, konkret und präzise eingehen sollen. Behauptungen, die nicht überprüfbar sind, dürfen in der Diskussion grundsätzlich nicht verwendet werden. Außerdem sollte auf theoretische Konzepte aus der Vorlesung hingewiesen werden, auf die zurückgegriffen werden kann, um die Argumentation theoretisch zu untermauern.

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Rolle des Moderators Insbesondere in der Diskussion mit der ersten Studierendengruppe hätte der Moderator eingreifen können, um auf die Gesprächsregeln hinzuweisen und die Debatte zu verlangsamen. Beide Moderatoren agierten allerdings auffallend zurückhaltend und griffen streckenweise kaum in die Diskussion ein. Eine vorgeschaltete Stunde, in der Moderations- und Diskussionsregeln und praktische Übungen gelehrt werden, könnte hierbei hilfreich sein. Generell soll die Lehrperson die Moderation nicht übernehmen, lediglich bei besonders dynamischen Gruppen ohne eine starke Moderationspersönlichkeit könnte die Überlegung angestellt werden, ob die Lehrperson die Moderation selbst übernimmt. Erweiterung des Verfahrens um Elemente zum Diskussionstraining Die Studierenden lobten, dass durch die Fishbowl-Diskussion auch Soft-Skills wie die Fähigkeit zum Diskutieren geschult werden. Wir regen als weiterführende Idee an, zusätzliche Elemente in die Fishbowl-Diskussion einzubauen, um solche Soft-Skills verstärkt zu trainieren. Beispielsweise könnte der Gast-Stuhl genutzt werden, um rhetorische Elemente zu testen. Getreu dem Motto „Wer fragt, der führt!“ könnte bspw. für die Besetzer des Gast-Stuhls die Regel eingeführt werden, dass diese nur Fragen verwenden dürfen und damit versuchen müssen, die Diskussion zu lenken. Es könnten aber bspw. auch „Störer“ eingebunden werden, die mit ungewöhnlichen Argumenten einen destruktiven Einfluss auf die Diskussion ausüben. Eine reflektierende Analyse dieser Elemente könnte den Blick der Studierenden für gutes Argumentieren und Diskutieren schärfen sowie ihre rhetorischen und argumentativen Fähigkeiten in praktischer Anwendung langfristig verbessern.

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Abgleich mit realer Lösung in der Case Study Gerade aufgrund der hitzig geführten Diskussionen, in denen die Studierenden sehr auf ihren eingangs gewählten Optionen beharrten, bietet sich eine weitere Modifizierung der Methode an. Wenn auf realen Problemen basierte Case Studies mit mehreren Handlungsoptionen verwendet werden, könnten die Studierenden am Ende der Fishbowl-Diskussion gefragt werden, welche Option sie nun für die Beste empfinden. Danach wird aufgelöst, für welche Option sich das Unternehmen in der Realität entschied und ob diese Option letztlich den gewünschten Erfolg brachte. Die Gewinner der Diskussion sind dann diejenigen Studierenden, die sich am Ende für eine in der Realität erfolgreiche bzw. gegen eine in der Realität nicht erfolgreiche Option entschieden. Somit wird die künstliche Situation vermieden, dass Studierende entgegen ihrer Überzeugung auf einer Option beharren. Vielmehr müssten sie in der Diskussion abwägen und auch auf die Argumente der gegensätzlichen Partei eingehen. Der Abgleich mit der realen Entwicklung gibt den Studierenden ein Feedback und wirkt motivierend. Die Gefahr besteht allerdings darin, dass es zu einer schnellen Einigung kommt, falls eine Option ersichtlich überlegen ist, und somit die Diskussion ein (zu) rasches Ende findet.

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Herausforderungen und Hürden

Die zuvor beschriebenen Erfahrungen geben bereits Hinweise auf Herausforderungen und Hürden, die dem Gelingen des FishbowlVerfahrens entgegenstehen können.

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Eine Herausforderung besteht darin, auch weniger motivierte und dynamische oder zurückhaltende Studierendengruppen zur Nutzung des Gast-Stuhls zu bewegen, der ein wesentliches Element des Fishbowl-Verfahrens darstellt. Hier sollte die Lehrperson im Vorfeld die Wichtigkeit dieses Elements unterstreichen und darauf hinweisen, dass der Gast-Stuhl schnell wieder verlassen werden kann. Falls der Gast-Stuhl während der Diskussion dennoch ungenutzt bleibt, kann die Lehrperson diesen selbst kurzzeitig besetzen und somit ein Exempel für die Nutzung bieten. Ähnlich problematisch ist das gegenteilige Extrem, nämlich eine Diskussion, die sehr hitzig geführt wird und damit die Diskussionsteilnehmer zu unsachlicheren Argumentationen verleitet. In diesem Fall ist in erster Linie der Moderator gefordert, zu intervenieren und die Diskussion zu einer fundierten Argumentationsbasis zurückzuführen. Für die Lehrperson besteht die Aufgabe darin, den Moderator entsprechend gut für diese anspruchsvolle Aufgabe auszuwählen und im Vorhinein mit seinen Aufgaben und auch Befugnissen betraut zu machen sowie ihn zu deren Gebrauch zu animieren. Als Notlösung kann auch die Lehrperson punktuell moderierend eingreifen. Schließlich liegt eine dritte Herausforderung in der Auswahl eines Textes. Dieser sollte im besten Falle sowohl zum Thema führen als auch Raum für unterschiedliche Optionen, Positionen und Sichtweisen bieten, damit die Studierenden aktiv in die Diskussion einsteigen können. Eine weitere Hürde für das Gelingen der Fishbowl-Diskussion kann die Tatsache sein, dass die Teilnehmer im Außenkreis dem Diskussionsverlauf im Innenkreis aufgrund akustischer Schwierigkeiten nur schlecht folgen können. Je nach Gruppengröße, Raumsituation und beteiligter Personen kann die Gewährleistung einer

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guten Akustik eine unterschiedlich große Herausforderung darstellen. Auf jeden Fall sollten die Teilnehmer im Innenkreis aber auch Besetzer des Gast-Stuhls zu einer lauten und deutlichen Sprache angehalten werden. Ein unverständliches „Durcheinanderreden“ ist entsprechend zu vermeiden. Wenn es nicht gelingt, den Diskussionsverlauf für die Teilnehmer im Außenkreis verständlich zu halten, ist es schwierig, den Gast-Stuhl adäquat zu besetzen. Somit kann ein wichtiges Element der Fishbowl-Diskussion verloren gehen.

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Ergebniskontrolle

Nach der Durchführung des Fishbowl-Verfahrens ist es ratsam, ein Feedback der Studierenden einzuholen, um zu evaluieren, inwiefern die Methode die Erwartungen erfüllt. Eine Messung der angestrebten Verbesserung der Soft Skills „Diskussionsvermögen“ und „Fähigkeit zur genauen Gesprächsbeobachtung“ ist allerdings nur sehr schwer möglich. Hierzu wären grundlegendere und umfassendere Ansätze im Sinne einer Zeitreihenbetrachtung notwendig. Abgesehen von der mündlichen Befragung einzelner Studierender wurden alle Teilnehmer am Verfahren gebeten, in einem kurzen Evaluationsborgen ihre Meinung zum Verfahren mitzuteilen. Wir weisen darauf hin, dass die folgende Auswertung das Meinungsbild in den betrachteten Gruppen wiederspiegelt. Nachfolgend sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Evaluationsbogen aufgelistet (Stichprobe n = 36):

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Insgesamt beurteilten die Studierenden den Einsatz des Fishbowl-Verfahrens sehr positiv. Mit Ausnahme eines Studierenden gaben alle Befragten an, dass die Anwendung des Fishbowl-Verfahrens die Auseinandersetzung mit dem Text förderte und dass es sinnvoll sei, die Methode zu anderen ausgewählten Themen der Vorlesung einzusetzen. Die Studierenden schätzten die Methode als sehr interessant (4,7), praxisorientiert (4,4) und kurzweilig (4,4) ein.5 Ebenfalls breite Zustimmung erhielt die Aussage, dass das Verfahren lehrreich sei (4,0). Die Zustimmung war bei der zweiten Studierendengruppe sogar noch merklich größer, obwohl diese Gruppe insgesamt etwas kritischer war. Damit wurde der Eindruck bestätigt, dass aufgrund der hitzigen Diskussion in der ersten Studierendengruppe die fachliche Qualität etwas gelitten hat. Im Kommentarfeld des Evaluationsbogens beschrieben viele Studierende die Methode als interessant und abwechslungsreich, lobten die Dynamik durch den GastStuhl und die Tatsache, dass die Methode eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Text und eigenes Nachdenken fördert. Ein Kritikpunkt war allerdings, dass die Methode nur für bestimmte Themen bzw. in bestimmten Kontexten sinnvoll angewendet werden kann. Außerdem sei sie in

Die angegebenen Werte sind Mittelwerte auf einer fünfgliedrigen Skala von 1 = „stimme nicht zu“ bis 5 = „stimme voll zu“. Höhere Mittelwerte indizieren entsprechend einen höheren Grad der Zustimmung.

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geringerem Maße effizient, da sie mehr Zeit beanspruche als die Themenvermittlung im konventionellen Vorlesungsstil. Wir regen daher an, die Methode nur punktuell z. B. zu Beginn eines neuen Themas oder zur praktischen Anwendung einer bereits bearbeiteten Thematik einzusetzen.

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Fazit

Insgesamt beurteilen auch wir das Fishbowl-Verfahren sehr positiv. Insbesondere das Konzept des Gast-Stuhls wurde der Zielsetzung gerecht, viele Studierende zu involvieren und eine dynamische Diskussion mit vielen thematischen Aspekten herbeizuführen. Hierbei werden insbesondere die präzise Ausdrucksweise und das schnelle Erfassen und Reagieren auf Argumentationen der Gegenseite trainiert. Die Unterschiedlichkeit der Erfahrungen mit den beiden Studierendengruppen und auch das Feedback der Studierenden zeigen aber auch, dass das Verfahren nicht in der gleichen Form in jeder Gruppe und zu jedem Thema eingesetzt werden kann. Es ist daher vorteilhaft, dass die Lehrperson die teilnehmenden Studierenden einigermaßen gut kennt, um die Dynamik vorherzuahnen und das Verfahren entsprechend anzupassen. Diese Anpassungen können die Rolle des Moderators, die Text-Auswahl, die Diskussionsregeln oder den Einsatz des Beobachtungsbogens betreffen. Nach unserer Einschätzung handelt es sich bei Fishbowl um eine Methode, die bei kontroversen Themen oder zur Vertiefung und zur praxisorientierten Anwendung bereits vermittelter Lehrin-

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Katrin Regier, Stefanie Regier und Tobias Kopp

halte bspw. in Form von Case Studies Anwendung finden kann. Für die breite Wissensvermittlung ist sie, vor allem wegen des Zeitbedarfes, eher weniger geeignet. Dennoch bietet sie eine zielführende und abwechslungsreiche Alternative zum konventionellen Vorlesungsstil, die von den Studierenden als solche geschätzt wird. Die mehrfache Durchführung mit der gleichen Studierendengruppe kann die Zeiteffizienz erhöhen, da das Verfahren dann bereits bekannt ist, und langfristig eine deutliche Verbesserung der Diskussionsfähigkeit herbeiführen. Insbesondere die Weiterentwicklung des Verfahrens um zusätzliche Elemente im Bereich des Soft Skills-Training scheint sowohl aus unserer als auch aus Sicht der Studierenden wünschenswert. Dadurch erhielte das Verfahren eine zusätzliche Aufwertung und würde sich in der erweiterten Form für den Einsatz mit Studierendengruppen bestens eignen, um sowohl fachliche Kenntnisse zu vertiefen als auch um gleichzeitig sprachliche Fähigkeiten und präzise Formulierungen auszubauen. Hierzu könnte auch eine gemeinsame Reflektion über das Diskussionsverhalten im Nachgang einer Fishbowl-Diskussion einen Beitrag leisten.

Fishbowl zur Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre

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Literatur Brenner, Gerd; Brenner, Kira (2011): Methoden für alle Fächer. Sekundarstufe I und II; [mit Zusatzmaterialien auf CD-ROM]. 2., überarb. Aufl. Berlin: Cornelsen (Lernen lehren). CAP; Forschungsgruppe Jugend und Europa; Agentur x hoch 3; Burgdoerfer, Frank (2006): FGJE - Materialien - Demokratie, just do it!? - Fishbowl. Online verfügbar unter http://materialien.fgje.de/demokratie/fishbowl.htm, zuletzt geprüft am 05.05.2014. Mattes, Wolfgang (2011): Methoden für den Unterricht. Kompakte Übersichten für Lehrende und Lernende. Paderborn: Schöningh Verlag im Westermann Schulbuchverlag (Methoden für den Unterricht). Scholz, Lothar (2016): Methodenkiste, Zentrale für Politische Bildung, Bonn. Solomon, Michael R. et al. (2009): Marketing. Real people, real decisions. 1st European ed. Harlow, England: Prentice Hall Financial Times. Südwest Presse Online-Dienste GmbH (2014): Eine Alternative zur klassischen Podiumsdiskussion. Südwest Presse OnlineDienste GmbH. Online verfügbar unter http://www.swp.de/ulm/lokales/kreis_neu_ulm/Eine-Alternati ve-zur-klassischen-Podiumsdiskussion;art4333,2311114, zuletzt geprüft am 23.06.2014.

Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre Stefanie Regier, Katrin Regier und Tobias Kopp

1

Einleitung

Der vorliegende Beitrag behandelt den Einsatz des GruppenmixVerfahrens in der Hochschullehre. Aufgrund der Tatsache, dass in allen Fachrichtungen die Ausdrucks-, Argumentations- und Schreibkompetenz der Studierenden eine wesentliche Bedeutung hat, wollten wir didaktische Methoden in der Hochschulpraxis einsetzen, die ein hohes Transferpotential für andere Fachbereiche bieten. Ziel dieses Beitrages ist es, den unterschiedlichen Wissensund Bildungshintergründen der Studierenden einerseits und den Anforderungen der jeweiligen Fachrichtung andererseits gerecht zu werden. Zunächst gehen wir auf die Methode des GruppenmixVerfahrens ein. Die Vermittlungsmethode wird im Folgenden am Beispiel eines Projektes im Rahmen einer Vorlesung aus dem Fachgebiet Wirtschaftsinformatik vorgestellt. Dabei sollen die Rahmenbedingungen, wie Gruppengröße und Raumsituation, der Ablauf in Form eines Zeit- und Aktionsplans sowie der Einsatz von Lehr- und Lernmaterialien, aufgezeigt werden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_7

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Stefanie Regier, Katrin Regier und Tobias Kopp

In einem nächsten Schritt werden praktische Erfahrungen, Hilfestellungen und Empfehlungen für die konkrete Umsetzung im Hörsaal aufgezeigt sowie mögliche Vorschläge zur Verbesserung der Durchführung formuliert. Einen Hauptschwerpunkt bilden dabei die Herausforderungen, Probleme und Hürden der Methode. Gleichzeitig wird das Verfahren im Hinblick auf die Eignung im Studiengang Wirtschaftsinformatik untersucht. Hierzu wird die Auswertung einer Ergebniskontrolle zur Überprüfung der Wirkung der Methode herangezogen. Eine abschließende Bewertung des Gruppenmix-Verfahrens mit Blick auf die Förderung der Sprachkompetenz rundet den Beitrag ab.

2

Das Gruppenmix-Verfahren

2.1 Beschreibung des Verfahrens Das Gruppenmix-Verfahren gliedert sich grundsätzlich in zwei Phasen. Die themengleichen Gruppen aus der ersten Phase werden vor der zweiten Phase aufgelöst und zu nicht-themengleichen Gruppen zusammengesetzt. So kommt es zu einer Vermischung der ursprünglichen Gruppen, also zu einem Gruppenmix (Mattes 2016). Während der ersten Gruppenphase sind alle Mitglieder einer bestimmten Gruppe auf dem gleichen Kenntnisstand und beschäftigen sich mit demselben Thema. Demgegenüber verfügen die Gruppenmitglieder1 in Phase 2 über unterschiedliche Fachkenntnisse, je 1

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form benutzt. Dabei sind sowohl männliche als auch weibliche Personen eingeschlossen.

Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre

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nachdem, in welcher Gruppe sie sich in Phase 1 befanden. Somit werden die Teilnehmer in Phase 2 zu themenbezogenen „Experten“ (Kontschinsky 2008). Da viele Variationen des GruppenmixVerfahrens existieren, finden sich in der einschlägigen Literatur auch unterschiedliche Bezeichnungen, wie beispielsweise Expertenmethode, Gruppenpuzzle oder Gruppen-Experten-Rallye (Kontschinsky 2008; Scholz 2016, S. 24). Mattes beschreibt das Gruppenmix-Verfahren als vereinfachte Version des Gruppenpuzzles mit nur einer einzigen Vermischung der Gruppen. Aus seiner Sicht kann das Gruppenpuzzle arbeitsgleich oder arbeitsteilig vorgenommen werden. Bei der arbeitsgleichen Vorgehensweise behandeln alle Gruppen in der ersten Phase dasselbe Thema und diskutieren dieses in unterschiedlicher Personenkonstellation erneut in der zweiten Phase (Mattes 2011). Diese Vorgehensweise ist bei kontroversen Themen mit dem Ziel der Meinungsbildung sinnvoll, während die arbeitsteilige Variante der kooperativen, kommunikativen Erschließung von komplexen Themen dient. Bei komplexen Themenstellungen oder falls es den Teilnehmern an Vermittlungskompetenz mangelt, sodass diese nicht ausreichend gut als Experte fungieren können, kann eine sog. „Doppelkonstellation“ angewendet werden. Hierbei werden zwei Personen aus der gleichen Gruppe in Phase 1 gemeinsam einer Gruppe in Phase 2 zugeteilt, sodass sie sich bei der Wissensvermittlung gegenseitig unterstützen können (Kontschinsky 2008).

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Stefanie Regier, Katrin Regier und Tobias Kopp

2.2 Ziele für den Einsatz Das Gruppenmix-Verfahren als etwas weniger aufwändige Alternative zum Gruppenpuzzle bietet eine gute Möglichkeit zur arbeitsteiligen und interaktiven Einführung komplexer Themenbereiche (Brenner und Brenner, 2011, S. 44; Scholz 2016, S. 24). Da die Lernenden das Thema eigenständig anderen Studierenden erklären müssen, wird die Informationsaufnahme geschärft (Brenner und Brenner, 2011, S. 44). Ferner schult die Methode die Fähigkeit, zwischen relevanten und weniger relevanten Informationen zu unterscheiden und Textinhalte prägnant wiederzugeben. Die Informationsweitergabe selbst trainiert das freie Sprechen mit verständlichen Erklärungen (Kontschinsky 2008). Hierbei handelt es sich um eine Kompetenz, die während des Studiums u. a. bei Präsentationen in vielfältiger Weise benötigt wird. Der spezielle Aufbau des Verfahrens beugt dem üblichen Nachteil einer Gruppenarbeit vor, nämlich, dass weniger motivierte Gruppenmitglieder weniger stark mitarbeiten (Brenner und Brenner, 2011, S. 44). Das Gruppenmix-Verfahren fördert ein Höchstmaß an themenzentrierter Kommunikation, Aufmerksamkeit und Verantwortlichkeit. Durch das hohe Maß an Interaktivität wird die Methode häufig als „kurzweilig, spannend und abwechslungsreich“ erlebt (Mattes 2011).

Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre

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2.3 Rahmenbedingungen Gruppengröße: In der Literatur finden sich nur wenige Vorgaben für die Gruppengröße im Gruppenmix-Verfahren. Kontschinsky empfiehlt bis zu fünf Personen für einzelne Diskussionsgruppen (Kontschinsky 2008). In der Schuldidaktik werden Gruppen bis zu maximal sechs Teilnehmern gebildet. Diese Zahl ist allgemein anerkannt für die Größe von Diskussionsgruppen, da die Möglichkeit zur Partizipation bei größeren Gruppen so gering wird, dass sich bei den Teilnehmern Frust aufbaut oder einzelne Teilnehmer sich desinteressiert aus der Gruppe „ausklinken“. Raumsituation: Der Raum sollte so gestaltet sein, dass sich Gruppentische für die Diskussionen bilden lassen. An diesen müssen jeweils bis zu fünf Personen Platz finden können. Außerdem sollten die Gruppentische so weit voneinander entfernt platziert werden, dass die Gespräche an einem Tisch nicht durch störende Akustik von anderen Tischen gestört werden. Dadurch wird auch verhindert, dass die Expertengruppen Informationen über die alternativen Handlungsoptionen erhalten. Vorbereitungen: Die entsprechenden Lehr- und Lernmaterialen müssen für die unterschiedlichen Gruppen vorbereitet und der Raum für die Gruppengespräche hergerichtet werden, so dass die Gruppen zunächst separat voneinander arbeiten können.

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Stefanie Regier, Katrin Regier und Tobias Kopp

2.4 Ablauf Das Gruppenmix-Verfahren kann eingesetzt werden, um ein umfassendes Verständnis von unterschiedlichen Standpunkten zu einem kontroversen Thema zu erlangen. Dies geschieht dadurch, dass einzelne Personengruppen sich mit einem Diskussionsthema und insbesondere ihrer Position beschäftigen. Dabei müssen sich die Teilnehmer in die Lage versetzen, als Experte unwissenden Gruppenmitgliedern ihren Standpunkt qualifiziert zu erläutern. Gleichzeitig müssen sie aber auch die Standpunkte der Erklärungen der Kommilitonen verstanden haben, um anschließend verschiedene Positionen in einer Diskussion gegeneinander abzuwägen. Zunächst werden die Teilnehmer unterschiedlichen Stammgruppen mit optimalerweise gleicher Personenanzahl zugeteilt. Alle Stammgruppen erhalten einen allgemeinen Text, der das Diskussionsthema darstellt. Darüber hinaus bekommen die Stammgruppen jeweils Informationen über einen unterschiedlichen Standpunkt zum Diskussionsthema. Das Ziel der ersten Gruppendiskussionsrunde ist es, ein genaues Verständnis der ausgehenden Problematik und des jeweiligen Lösungsansatzes kommunikativ zu erarbeiten. Ferner soll der Lösungsansatz hinsichtlich seiner Brauchbarkeit bewertet und mögliche positive und negative Aspekte identifiziert werden. Jedes Gruppenmitglied ist aufgefordert, sich Notizen zu den Diskussionsergebnissen zu machen, um damit für die Aufgabe als Experten in der Expertengruppe der zweiten Phase vorbereitet zu sein. Nach der vorbereiteten Arbeit in den Stammgruppen wechseln die Teilnehmer in der zweiten Phase des Verfahrens in die Expertengruppen. In diesen stellen die Teilnehmer die zuvor ausgiebig

Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre

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diskutierten Handlungsoptionen vor und diskutieren anschließend darüber, welche Handlungsoption in der beschriebenen Problemlage vorteilhaft ist. Hierbei werden die in der Vorlesung erworbenen Kenntnisse angewendet, was diese verfestigt und deren Praxisrelevanz unter Beweis stellt. Am Ende der zweiten Phase des Gruppenmix sollten alle Gruppen die unterschiedlichen Handlungsoptionen vor dem Hintergrund derer Eignung für die beschriebene Problemlage bewerten und die jeweiligen Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen können. Außerdem soll sich die Gruppe auf einen Standpunkt geeinigt haben. Ein frei gewählter Vertreter der Gruppen präsentiert abschließend im Plenum kurz (in 1 bis 2 Minuten), für welchen Standpunkt sich die Gruppe entschieden hat und begründet dies umfassend und für alle nachvollziehbar. 2.5 Genauer Zeit- und Aktionsplan Nachfolgend liefern wir einen geeigneten Zeit- und Aktionsplan für die Durchführung des Gruppenmix-Verfahrens mit einer Studierendengruppe: - 15 Min:

ggf. Vorbereitung des Vorlesungssaals (falls Gruppentische arrangiert werden sollen)

+ 0 Min:

Begrüßung, Vorstellung des Gruppenmix-Verfahrens und Hinweis auf übliche Diskussionsregeln

+ 5 Min

Bilden der Stammgruppen

+ 10 Min:

Austeilen und stilles Lesen des Textes, der das Diskussionsthema umreißt

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Stefanie Regier, Katrin Regier und Tobias Kopp  

Die Texte enthalten die Beschreibung der Position, die in der Diskussion vertreten werden soll Der Text wird so ausgeteilt, dass Studierende einer Gruppe die gleiche Position vertreten Gleichzeitiges Austeilen der Bögen zur Vorbereitung auf Expertenrunde

+ 15 Min:   + 45 Min:

Beginn der vorbereitenden Diskussion innerhalb der Gruppen Dozent/In beantwortet einzelne Fragen zu Verständnisproblemen in den Gruppen Ggf. Klärung offener Fragen zum Text im Plenum Wechsel in die Expertengruppe (gemäß vermerkter Nummern auf Texten), Diskussion und Meinungsfindung in der Expertengruppe

+ 60-65 Min: Ende der Diskussion. Ein Vertreter der Gruppe stellt im Plenum vor, für welche Option sich die Gruppe entschieden hat und begründet dies kurz. + 70 Min:

Mündliche Feedback-Runde, anschl. schriftliche Beantwortung der ausgeteilten Aufgabenstellung

+ 80 Min:

Abschließende Worte und Dank für Teilnahme

+ 85 Min:

ggf. Rückbau des Vorlesungssaals

2.6 Verhaltensregeln Für dieses Verfahren gibt es – abgesehen von den gängigen Diskussionsregeln – keine speziellen Verhaltensregeln.

Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre

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2.7 Einsatz von Lehr- und Lernmaterialien Für die Durchführung des Gruppenmix-Verfahrens müssen die folgenden Lehr- und Lernmaterialien vorbereitet werden:      

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Seite mit kurzer Erläuterung des Verfahrens für Studierende Arbeitsanweisung für Studierende Text, der das Diskussionsthema darstellt (in unserem Fall: Case Study zum Thema der Diskussion2) Bogen zur Vorbereitung der Expertengruppe Schriftliche Aufgabenstellung zum Diskussionsthema (in unserem Fall: zur Case Study) Evaluationsbogen zur Ergebniskontrolle

Praktische Erfahrungen und Verbesserungsmöglichkeiten

Bei der konkreten Durchführung wurde als Thema für das Gruppenmix-Verfahren eine Fallstudie verwendet, die sich mit der Entscheidungsfindung in einem Unternehmen beschäftigt. Der Text beschreibt zunächst die spezifische Situation, in der sich das jeweilige Unternehmen befindet. Dabei wird eine Problematik beschrieben, die eine strategische Entscheidung erfordert. Der Text bietet

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Text entnommen aus Solomon et al. 2009, Electrolux: „Marketing: Real people, real decision“, S. 147+148; Tupperware: „Marketing: Real people, real decision“; S. 428, BR Pharmaceuticals: „Marketing: Real people, real decision“, S. 354.

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mögliche Verhaltensoptionen, um den Herausforderungen zu begegnen und das Unternehmen besser aufzustellen. Die nachfolgend beschriebenen praktischen Erfahrungen und Ideen zur Weiterentwicklung der Methode basieren auf der Durchführung des Gruppenmix-Verfahrens mit der folgenden Studierendengruppe: 15 Studierende des Studiengangs Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Karlsruhe im Modul Marketing (4. Fachsemester), Veranstaltungsdauer: 90 Min, verwendeter Text: Decision Time at BR Pharmaceuticals (Option 1 und 2)3. Insgesamt verliefen die Diskussionen sowohl in den Stammals auch in den Expertengruppen recht angeregt. Die jeweiligen Zeiten für die Gruppenphasen schienen dem Diskussionsbedarf der Gruppen angemessen gewählt zu sein. Nach unserer Wahrnehmung brachten sich alle Studierenden in die Gruppengespräche ein und beschäftigten sich somit mit der Thematik. Dieser Eindruck bestätigte sich auch anhand der Vorbereitungsbögen, die bei fast allen Teilnehmern mit Argumenten gefüllt waren. Im Schnitt hatten sich die Studierenden je eine Handvoll Argumente für und gegen ihre Handlungsoption notiert. Das zusätzliche Feld, um sich Notizen zur Erklärung des Sachverhalts zu machen, blieb bei den meisten Bögen leer. Dies war allerdings nicht verwunderlich, da die Beschreibung der Handlungsoption nur wenige Sätze umfasste und somit auch ohne Notizen gut erinnerbar war. Am Ende hatten sich drei der vier Expertengruppen auf die erste Option festgelegt. Alle Gruppen konnten fachlich gute Argumente für ihre Entscheidungen vorbringen. Insgesamt waren die genannten Begründungen sehr vielfältig, was eine intensive Ausei3

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nandersetzung mit dem Thema und mit vielen verschiedenen Standpunkten der Beteiligten indiziert. Die Entscheidungsfindungsprozesse in den einzelnen Gruppen waren im Nachhinein leider nicht detailliert nachvollziehbar. Es wäre hier interessant zu erfahren, wie stark die Studierenden auf ihre anfängliche Option aus der Stammgruppe insistiert hätten bzw. wie viele der Studierenden sich durch die Expertendiskussion hätten umstimmen lassen. Nach Abschluss des Gruppenmix-Verfahrens interessierten sich einzelne Studierende dafür, welche Handlungsmöglichkeit im realen Kontext gewählt wurde und ob sich diese als erfolgreich erwies. Bei Einsatz von Case Studies könnte das Verfahren insofern erweitert werden, dass abschließend im Plenum ein Abgleich mit der realen Entscheidung des Unternehmens, dem Erfolg und den Gründen hierfür erfolgt. Dies könnte eine interessante Rückmeldung zu den eigenen Überlegungen darstellen und eine weitere Reflektion über die Handlungsoptionen und die gefundenen Argumente anregen.

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Herausforderungen und Hürden

Als eine zentrale Herausforderung betrachten wir die Wahl eines geeigneten Texts, der zum Diskussionsthema hinführt und verschiedene thematische Positionen für die Debatte bietet. Wenn er bspw. das Interesse der Studierenden nicht weckt, keinen Raum für Kontroverse bietet oder in der Komplexität nicht den Fähigkeiten der Studierenden entspricht, besteht die Gefahr, dass die Diskussi-

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onen in den Expertengruppen schnell „versanden“ oder sich einzelne Teilnehmer nicht aktiv einbringen. Entsprechend empfehlen wir, die Wahl des Textes sorgsam zu treffen und nach Möglichkeit auf bereits erprobte Texte zurückzugreifen. Die Zeit für die beiden Gruppenphasen sollte an die Gruppengröße, die Länge und Komplexität des Textes sowie an die entstehende Dynamik variabel angepasst werden. Hierfür sind Erfahrungswerte des Dozenten im Zusammenhang mit dem Text und der Studierendengruppe hilfreich. Eine individuelle Anpassung an die sich entwickelnde Dynamik in den Gruppen erscheint uns grundsätzlich sinnvoll. Der Dozent kann den Gruppen jeweils individuelle Verständnisfragen beantworten oder ggf. neue thematische Impulse in die Diskussionen einbringen. Da die einzelnen Gruppen nicht unter permanenter Beobachtung stehen, ist es nur schwierig zu überprüfen, ob sich alle Studierende gleichermaßen einbringen. Wenn es die Anzahl der Teilnehmer zulässt, sollten die Gruppen derart aufgeteilt sein, dass jede Meinung in der Expertengruppe nur einmal vertreten wird (keine sog. „Doppelkonstellation“). Somit haben die Studierenden eine entsprechend motivierende Verantwortung. Auch die aus dem Text hervorgehende Diskussionsthematik spielt hier eine wichtige Rolle. Selbst wenn es letztlich nicht gelingt, dass alle Studierenden sich aktiv beteiligen, so ist aufgrund des zweiphasigen Charakters des Verfahrens allerdings davon auszugehen, dass dies eher der Fall ist als bei konventionellen Gruppenarbeiten.

Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre

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Ergebniskontrolle

Die Ergebniskontrolle beim Gruppenmix-Verfahren kann die angestrebte Wirkung des Methodeneinsatzes recht exakt abprüfen, wenn eine entsprechende Referenzgruppe existiert, die sich einem Thema im klassischen Vorlesungs-Stil nähert. In diesem Fall können die Lernerfolge, also das erworbene Wissen zum neu eingeführten Thema, zwischen den Teilnehmern am Gruppenmix-Verfahren und der Referenzgruppe, die sich dem Thema im klassischen Vorlesungsstil genähert hat, verglichen werden. Dies könnte anhand eines vorbereiteten Fragebogens geschehen, der gleichzeitig eine Vorübung für die Prüfung im entsprechenden Modul fungiert. Da das Gruppenmix-Verfahren auch als eine für die Teilnehmer kurzweilige und abwechslungsreiche Lehrmethode beschrieben wird, sollte ein Feedback der Studierenden eingeholt werden, um zu evaluieren, inwiefern diese positive Beschreibung tatsächlich zutrifft. Abgesehen von der mündlichen Befragung einzelner Studierender wurden alle Teilnehmer am Verfahren gebeten, in einem kurzen Evaluationsbogen ihre Meinung zum Verfahren mitzuteilen. Wir weisen darauf hin, dass die folgende Auswertung nur das Meinungsbild in der betrachteten Studierendengruppe widerspiegelt und aufgrund der geringen Stichprobe nicht ohne weiteres übertragen werden kann. Ferner sind wir uns eines grundsätzlichen Bias in der Bewertung bewusst, da tendenziell nur engagierte und wohlwollende Studierende an der Durchführung der Methode teilnahmen. Da zu Dokumentationszwecken Filmaufnahmen angefertigt wurden, war die Beteiligung der Studierenden freiwillig.

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Nachfolgend sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Evaluationsbogen aufgelistet (Stichprobe n = 15): 





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Grundsätzlich war das Feedback der Studierenden überaus positiv. Mit einer Ausnahme fanden alle Teilnehmer, dass die Anwendung des GruppenmixVerfahrens die Auseinandersetzung mit dem Text förderte. Alle teilnehmenden Studierenden erachten es als sinnvoll, die Methode zu anderen ausgewählten Themen der Vorlesung einzusetzen. Die Studierenden empfanden die Methode als sehr interessant (4,6), praxisorientiert (4,3) und motivierend (4,2).4 Damit erfüllte das Gruppenmix-Verfahren die beschriebenen Erwartungen. Auch in den Freitext-Kommentaren beschrieben viele Studierende die Methode als interessant und einer gewöhnlichen Gruppenarbeit überlegen. Sie lobten den Umstand, dass durch die zweite Gruppenphase, in der Sachverhalte untereinander erklärt werden müssen, eine intensivere und kurzweiligere Auseinandersetzung mit der Thematik stattfindet. In diesem Zusammenhang bewerteten es die Studierenden auch positiv, dass sie dadurch mit neuen Meinungen und Argumenten

Die angegebenen Werte sind Mittelwerte auf einer fünfgliedrigen Skala von 1 = „stimme nicht zu“ bis 5 = „stimme voll zu“. Höhere Mittelwerte indizieren entsprechend einen höheren Grad der Zustimmung. Bei einem Feedbackbogen standen die Freitext-Anmerkungen (positiv) in krassem Gegensatz zu der Bewertung in der Likert-Skala (sehr negativ). Hier wurde vermutet, dass dieser Studierende die Extremwerte der Skala verwechselte.

Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre



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konfrontiert wurden, die sie sich bisher nicht selbst erschlossen und bedacht haben. Kritisch bemängelt wurde, dass die Methode nur für bestimmte Themen bzw. in bestimmten Kontexten sinnvoll angewendet werden kann und dass die Erklärungen von Kommilitonen mitunter inkorrekt sein könnten.

    6

Fazit

Grundsätzlich war unser Eindruck vom Gruppenmix-Verfahren positiv, was sich durch die Bewertung der Studierenden bestätigte. Die Methode hielt das Versprechen, eine intensive und motivierende Alternative zum konventionellen Vorlesungsstil und auch zu üblichen Gruppenarbeiten zu bieten, die ein breites Spektrum an Meinungen und Argumentationsketten hervorbrachte. Für den Einsatz des Verfahrens ist es vorteilhaft, dass die Lehrperson die teilnehmenden Studierenden einigermaßen gut kennt, um in erster Linie den Text und die Länge der Diskussionsphasen entsprechend festzulegen. Nach unserer Einschätzung handelt es sich beim GruppenmixVerfahren um eine geeignete Methode zur Wissensvermittlung, die bei kontroversen Themen oder zur Vertiefung und zur praxisorientierten Anwendung bereits vermittelter Lehrinhalte bspw. in Form von Case Studies Anwendung finden kann. Das Verfahren bietet eine zielführende und abwechslungsreiche Alternative zum konventionellen Vorlesungsstil, die von den Studierenden als solche

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geschätzt wird. Die mehrfache Durchführung mit der gleichen Studierendengruppe kann unserer Einschätzung nach langfristig die Fähigkeit, Texte zu verstehen und prägnant sowie verständlich wiederzugeben, stärken. Außerdem ist damit zu rechnen, dass die Studierenden ihre Fähigkeit, aufmerksam zuzuhören, gegensätzliche Standpunkte nachzuvollziehen, zielführend zu diskutieren und eine Einigung herbeizuführen, trainieren. Ergebnisse des weiterführenden Einsatzes dieser Methode in den darauffolgenden Semestern bestätigen diese Vermutungen. Ein Abgleich der Ergebnisse einer Klausuraufgabe in unterschiedlichen Gruppen zeigen bereits Unterschiede, vor allem in der Argumentationslogik und im Problemverständnis. Dabei hatte sich eine Gruppe die Thematik mit der Fishbowl-Methode, eine Gruppe mit dem Gruppenmix-Verfahren und eine Gruppe auf klassischem Wege erarbeitet. Für die Zukunft planen wir, die Methoden auch in anderen Fachgebieten anzuwenden.

Das Gruppenmix-Verfahren in der Hochschullehre

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Literatur Brenner, Gerd; Brenner, Kira (2011): Methoden für alle Fächer. Sekundarstufe I und II [mit Zusatzmaterialien auf CD-ROM]. 2., überarb. Aufl. Berlin: Cornelsen (Lernen lehren). Kontschinsky, Birgit (2008): konstruktiver Methodenpool. Online verfügbar unter http://methodenpool.uni-koeln.de/techniken/ frameset_techniken.html, zuletzt aktualisiert am 14.05.2008, zuletzt geprüft am 06.05.2014. Mattes, Wolfgang (2011): Methoden für den Unterricht. Kompakte Übersichten für Lehrende und Lernende. Paderborn: Schöningh Verlag im Westermann Schulbuchverlag (Methoden für den Unterricht). Scholz, Lothar (2016): Methodenkiste, Zentrale für Politische Bildung, Bonn. Solomon, Michael R. et al (2009): Marketing. Real people, real decisions. 1st European ed. Harlow, England: Prentice Hall Financial Times.

Rollenspiele in der Ausbildung zum Vertriebsingenieur Marion Murzin

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Einleitung

Die Ausbildung an Hochschulen soll praxisorientiert sein. Um diesem Anspruch an die Ausbildung von Vertriebsingenieuren gerecht zu werden, beinhaltet deren Lehrinhalte sowohl einen theoretischen als auch einen praxisorientierten Bestandteil. Die angewandte Methode der Rollenspiele stellt hierbei einen wesentlichen Bestandteil der Wissensvermittlung dar. Zuvor werden die theoretischen Grundlagen vermittelt. Das Ziel ist, dass am Ende des Semesters der Studierende die Fähigkeit besitzt, die Verkaufstechniken im b2b-Business effektiv und professionell einzusetzen, wobei ein wesentlicher Bestandteil das Stellen von Fragen und das Zuhören ist. Dies fördert automatisch die Entwicklung von Sprachkompetenz, sodass die Studierenden die Fähigkeit erwerben den Kunden besser zu verstehen und z.B. zwischen Einwänden und Vorwänden zu unterscheiden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_8

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Marion Murzin

Theoretische Grundlagen

Die theoretischen Grundlagen beruhen auf den Fundamenten der Sozialpsychologie. Hinzugefügt werden die verschiedenen Phasen eines Verkaufsgespräches, in die die psychologischen Basics eingefügt werden. Die Studierenden suchen sich zu Beginn eines Semesters ein Produkt aus. Vorgabe hierbei ist, dass es sich dabei um ein Produkt handelt, das erklärungsbedürftig und im b2b (Unternehmen verkaufen ihre Produkte an Unternehmen nicht an Endkunden) einsetzbar ist. Dennoch dürfen die Produkte nicht zu kompliziert sein, damit die Rollenspiele nicht länger als maximal sieben Minuten dauern. Die Studierenden arbeiten anhand des ausgewählten Produktes eine Studie aus über potenzielle Anbieter dieser Produkte, den verschiedenen Eigenschaften, deren Vorteile und Nutzen und Möglichkeiten diese Aussagen zu beweisen. Die Rollenspiele greifen die verschiedenen Verkaufsphasen auf und üben diese ein. Jedes dieser Rollenspiele dauert zwischen 5-7 Minuten. Hinzu kommt, dass die „Einkäufer“ mit Regieanweisungen gefüttert werden, die der „Verkäufer“ nicht kennt. Zur Unterstützung dieser Übungseinheiten muss jeder Studierende einen Tag einen Außendienstmitarbeiter eines Unternehmens, das im b2b Bereich tätig ist, zu Kundenbesuchen begleiten. Ebenso müssen die Studierenden 5 Einkäufe von erklärungsbedürftigen Consumer-Produkten in realen Geschäften simulieren, um die Erfahrung zu sammeln, was sie persönlich in einem Beratungsgespräch gut finden und welches Verhalten des Verkäufers eher als negativ beurteilt wird. Weiterhin müssen die Studierenden 4 Stunden Telefonakquise (Kaltakquise) durchführen. Hierzu werden die Dateien eines realen

Rollenspiele in der Ausbildung zum Vertriebsingenieur

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Unternehmens (meist gekaufte Datensätze) herangezogen. Die Studierenden müssen im Vorfeld einen Telefonleitfaden erstellen, mögliche Killerphrasen erarbeiten und geeignete Antworten darauf finden. Das Ziel bei der Telefonakquise ist, dass die Studierenden die Kundenkontakte vorqualifizieren, sodass der ADM des Unternehmens weiß, bei welchem Kunden überhaupt Potenzial besteht. All diese praktischen Übungen versetzen die Studierenden in die Lage technischen Verkauf praxisnah zu erlernen.

3

Das Rollenspiel

„Das Rollenspiel gilt als eine Methode zum Training sozialer Verhaltensweisen und ist in besonderer Weise geeignet, das eigene Rollenverhalten sowie das Verhalten anderer zu erforschen. Das Rollenspiel bietet etwa als Lernstrategie die Möglichkeit, Lernprozesse als Spielhandlungen zu gestalten und ausgewählte Konfliktund Entscheidungssituationen des gesellschaftlichen Lebens zu simulieren.“ (Stangl, 2017, Aufruf vom 03.12.2017). Jedes Rollenspiel wird im Anschluss mit allen Studierenden angeschaut und analysiert. Charakteristisch für Rollenspiele sind die typischen individuellen Verhaltensmuster der Kunden aufzuzeigen und der Umgang mit diesen aus Verkäufersicht. Unterstützt wird dies durch das Lernen vom Umgang mit der Sprache, z.B. in Form von Fragetechniken (Schumacher, 2017). Zu welchen Veränderungen deren Einsatz im Verlauf eines Verkaufsgespräches führt, steht im Vordergrund. Die Regieanweisungen in den Rollenspielen erlauben den Teilnehmern Verhalten in verschiedenen Verkaufssituationen

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zu erlernen. Die mit anwesenden Studierenden, die diese Rollenspiele beobachten können, sehen, wie in verschiedenen Verkaufssituationen agiert und reagiert wird, der Umgang mit ungewohnten Situationen erfolgt und wie Probleme gelöst werden können. Zusammen mit allen Anwesenden werden die aufgezeichneten Rollenspiele analysiert. Zuerst werden der „Einkäufer“ und dann der „Verkäufer“ gefragt, wie sie sich in ihrer Situation jeweils gefühlt haben. Dann können die restlichen Teilnehmer ihr Feedback dazu abgeben. Hierzu werden feedback-Regeln ausgegeben, die besagen, dass jedes Feedback nur als Einzelmeinung und als persönliches Empfinden dargestellt werden darf („Ich habe das so empfunden…, ich hatte den Eindruck, dass…). Pauschalaussagen sind nicht erlaubt. Im Rollenspiel werden einzelne Phasen des Verkaufsprozesses geübt (Bänsch 2013). Geht man von den sieben Verkaufsphasen: Vorbereitung, Kontaktphase, Bedarfsanalyse, Angebotserstellung, Einwandbehandlung, Abschlussphase und Nachabschlussphase aus, so werden im Rollenspiel nur die kritischen Phasen: Bedarfsanalyse, Einwandbehandlung und Abschlussphase explizit geübt. Folgendes Schaubild gibt einen Überblick über die praktische Phase:

Abbildung 1: Der Verkaufsprozess

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Die Phasen im Verkaufsgespräch

Nachfolgend sollen die verschiedenen Phasen des Verkaufsgesprächs kurz erläutert werden. - Vorbereitungsphase: In der Vorbereitungsphase muss sich der Verkäufer mit folgenden Aufgaben beschäftigen: Analyse der bestehenden Kundendatenbank durchführen, Informationen über den Kunden zu generieren, z.B. durch Nachfragen bei Kollegen, in anderen Abteilungen, bei Wettbewerbern, Lieferanten oder auch anderen Kunden (Hofbauer/Hellwig, 2012). Weiterhin muss der Verkäufer das Ziel für das Erstkundengespräch festsetzen und alle hierfür erforderlichen Unterlagen bereitstellen. - Kontaktphase: Die Kontaktphase lässt sich unterteilen in: Telefonkontakt und Erstkundenbesuch (Bänsch 2013). Beim Telefonkontakt muss der Verkäufer einen gelungenen Einstieg finden, den Kunden neugierig machen. Zwei Punkte können am Telefon nur abgehandelt werden: Die Vorqualifikation, d.h. hat der Ansprechpartner überhaupt Potenzial, ein Kunde zu werden. Die zweite Möglichkeit ist die Terminvereinbarung. Beim Erstkundenbesuch sehen sich Kunde und Verkäufer zum ersten Mal (Hofbauer/Hellwig, 2012). Wichtig sind hierbei die ersten 10 Sekunden, in denen der erste Eindruck entsteht. Danach wird das Kommunikationsverhalten ausgerichtet. Hierbei gilt: „Die Chance für einen ersten Eindruck erhält der Verkäufer kein zweites Mal!“ Somit ist Aussehen und Verhalten des Verkäufers aus-

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schlaggebend für den Erfolg eines Verkaufsgespräches. Zum Aussehen gehören eine situationsadäquate Kleidung und ein gepflegtes Erscheinungsbild. Zum Verhalten zählen Aspekte, wie Pünktlichkeit, Offenheit, Freundlichkeit, Blickkontakt und eine gesellschaftskonforme Begrüßung, die je nach Kulturkreis völlig unterschiedlich sein kann. Wichtig dabei ist, dass der Verkäufer Interesse am Gesprächspartner hat, positiv eingestellt ist und die Bereitschaft zeigt, sich auf andere Sichtweisen einzulassen (Weis, 2003). Der Verkäufer muss versuchen den Kunden zu verstehen und gesellschaftliche Benimmregeln sind einzuhalten, wie beispielsweise sich hinzusetzen ohne Erlaubnis. Der zu Anfang des Gespräches stattfindende Small talk dient dazu die Gesprächssituation aufzulockern. - Bedarfsanalyse: Diese korrekte Durchführung der Bedarfsanalyse ist immens wichtig für den Geschäftserfolg. Der Verkäufer muss mit Hilfe der verschiedenen Fragetechniken den wahren Bedarf des Kunden ermitteln (Menthe/Sieg, 2013). Dazu muss er dem Kunden gut zuhören und Unklarheiten ausräumen. Der Verkäufer muss dabei immer lösungsorientiert statt produktorientiert denken. Nur durch eine einwandfrei ausgeführte Bedarfsanalyse kann ein kundenspezifisches Angebot erfolgen. - Angebotsphase: Je besser die Bedarfsanalyse durchgeführt wurde desto treffsicherer ist das Angebot. Idealerweise sollte es genau die Ansprüche erfüllen, die der Kunde hat. Dies kann der Verkäufer unterstützen, indem er dem Kunden nicht die Eigenschaften des Produktes ver-

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mittelt, sondern den Nutzen, den die verschiedenen Eigenschaften mit sich bringen (Hofbauer/Hellwig, 2012). Weiterhin sollte sich der Verkäufer überlegen, wie er seine Aussagen auch beweisen kann. Das bedeutet, dass die gemachten Aussagen für den Kunden visualisiert werden sollten. - Prüfphase: Hat der Kunde das Angebot vorliegen, fängt er an es zu prüfen. Meistens ergeben sich aus der Angebotsanalyse beim Kunden Einwände. Diese können zum einen den Preis oder zum anderen die Eigenschaften der angebotenen Lösung betreffen. Ein guter Verkäufer antizipiert mögliche Einwände bereits im Vorfeld, um auf diese dann adäquat reagieren zu können. Während die Einwände bzgl. fehlender Eigenschaften gerade im technischen Bereich sehr häufig gut zu entkräften sind, da mögliche Alternativen des Wettbewerbes meist nicht die identischen Eigenschaften mitbringen, hat der Preiseinwand eine andere Qualität. Der Preis ist gut vergleichbar, da er eins zu eins übertragen werden kann. Wichtig ist das Hinterfragen der Einwände, um herauszufinden, ob es sich um wirkliche Einwände oder um Vorwände des Kunden handelt (Hofbauer/Hellwig, 2012). Genau hier ist die Ausbildung von Sprachkompetenz nötig, damit der Verkäufer den Unterschied erkennen kann, was mit Hilfe der Fragetechniken ermöglicht wird. Vorwände können dem Kunden dazu dienen, eine Entscheidung – aus welchen Gründen auch immer (z.B. Unsicherheit) – hinauszögern zu können. Zudem werden Einwände gerne geäußert, damit der Kunde Druck auf die Preisverhandlungen ausüben kann. Bei objektivem Mangel am Produkt sollte nicht näher darauf eingegangen werden. Wichtig beim Umgang mit Einwänden ist, dass

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sich der Verkäufer ruhig und sachlich mit den Einwänden auseinandersetzt. Den Käufer ausreden lassen und seine Meinung auch anerkennen, wenn sie aus Verkäufersicht falsch ist, ist ein wichtiges Prinzip. Jeder Einwand sollte sofort behandelt werden, da sonst der Kunde nicht weiter dem Gesprächsverlauf folgen wird (Menthe/Sieg, 2013). Zudem lässt sich mit Hilfe der Plus-Minus Methode eine Gewichtung der Argumentation in Relation setzen. Der Preis nimmt, wie bereits beschrieben, eine Sonderstellung ein. Preise sind vergleichbar. Deshalb sollten Einwände zum Preis immer in Kontext gesetzt werden und mit Nutzenargumenten untermauert werden. wie z.B. ist zwar doppelt so teuer ist aber dafür 3-mal länger haltbar (Fries, 2015). - Abschlussphase: Das Gespräch findet nun seinen Abschluss. Möglich hierbei ist beispielsweise die Vereinbarung von Produkttests oder Produktschulungen bis hin zum Verkaufsabschluss. Je nach Branche können verschiedene Stadien als Gesprächsabschluss gewählt werden. Wichtig in dieser Phase ist auch hierbei ist auch, dass der Verkäufer mögliche Abschlusssignale eines Kunden erkennt. (Bänsch, 2013). Diese können verbaler oder nonverbaler Art sein (Birgelen, 2013). Falls der Kunde keine Abschlusssignale aussendet, kann der Verkäufer die Initiative ergreifen. Mit der „Mal-angenommen-dass“ Methode versucht der Verkäufer den Kunden in die Situation nach einem erfolgten Abschluss zu versetzen, indem er z.B. nach Lieferort oder Zahlungsmodalitäten fragt. Die Plus-Minus Methode kann der Verkäufer heranziehen, um dem Kunden Vor- und Nachteile verschiedener

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Alternativen aufzuzeigen, wobei die Vorteile des Kaufes eindeutig überwiegen müssten. - Nachabschlussphase: Ist das eigentliche Verkaufsgespräch beendet, gilt es für den Verkäufer im Nachgang nicht den positiven Eindruck beim Kunden zu zerstören (Hofbauer/Hellwig, 2012). So gehört die Bekräftigung der positiven Kaufentscheidung des Kunden ebenso in diese Phase, wie eine kurze Zusammenfassung des Verkaufsgespräches bis hin zur Erledigung der Versprechen, die dem Kunden gegenüber geäußert wurden (Bänsch 2013). Hinzu kommt, dass sich der Verkäufer für den Abschluss bedankt, den Kunden auf Serviceleistungen und Vertragsbedingungen hinweist und sich freundlich verabschiedet. Voraussetzung für ein erfolgreiches Gespräch ist, dass der Kunde sich überhaupt auf dieses einlässt und seine Aufmerksamkeit voll darauf ausgerichtet ist. Deshalb müssen alle Informationen so aufbereitet werden, dass sie der Kunde auch verstehen kann. Der Verkäufer muss die verbalen und die nonverbalen Signale der Kunden verstehen lernen.

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Praktisches Beispiel

Das Lernkonzept beruht auf dem Erfahrungsgewinn anhand der Durchführung von simulierten Verkaufssituationen. Die Absicht ist alle Beteiligten an den durchgeführten Rollenspielen teilhaben zu lassen und durch Feedbacks Erfahrungen zu sammeln. Die Studierenden erhalten die Gelegenheit ihr Verhalten in den Rollen-

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spielen zu analysieren und zu verbessern, indem sie die b2b Verkaufssituationen durchspielen. Durchgeführt wird dieses Konzept an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Karlsruhe für Studierende des Faches Wirtschaftsingenieurwesens mit der Vertiefungsrichtung „Einkauf und Vertrieb“. Die Rollenspiele werden in einem eigens dafür errichteten Labor, das ein Büro in einem Unternehmen darstellt, durchgeführt. Dieses Labor ist mit einer hochauflösenden Videokamera und einem leistungsstarken Tischmikrofon ausgestattet. Jeder Studierende muss sowohl auf der Verkäufer- als auch auf der Einkäuferseite Rollenspiele durchführen. Dafür werden nach einem Eingewöhnungsprozess die Käufer mit Regieanweisungen ausgestattet, sodass jedes Rollenspiel eine andere Verkaufssituation darstellt, die der Verkäufer im Voraus nicht kennt und sich somit der vorgefundenen Situation stellen muss. Die Schwerpunkte liegen hierbei auf der korrekten Durchführung einer Bedarfsanalyse. Hier sollen die Studierenden lernen dem Kunden die richtigen Fragen zu stellen, auf seine Antworten einzugehen und Unklarheiten zu hinterfragen. Ein weiterer Baustein ist der Umgang mit den Kundeneinwänden, die in technische und ökonomische Einwände aufgesplittet werden. Hier soll den Studierenden die Kompetenz vermittelt werden, das Auftreten von Einwänden im Voraus zu antizipieren, um darauf selbstbewusst und kompetent reagieren zu können. Der letzte Baustein, der in den Rollenspielen explizit geübt wird, ist die Herbeiführung eines Abschlusses. Das Ziel ist es, den Studierenden die Kompetenz zu vermitteln, den Kunden in die Abschlussphase zu führen und diese auch erfolgreich zu beenden. In der Analyse der Gesprächsvideos wird sequentiell vorgegangen und Verbesserungsmöglichkeiten in den einzelnen Phasen aufgezeigt.

Rollenspiele in der Ausbildung zum Vertriebsingenieur

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Zusammenfassung

Rollenspiele stellen eine erfolgreiche Methode dar, gelernte Theorie in der Praxis zu erproben. Das Verständnis der theoretischen Inhalte kann dadurch direkt überprüft werden. Die in verschiedenen Phasen gezeigten Verhaltensweisen der Verkäufer können durch die Videoanalyse überprüft und verbessert werden. Die Methodik der Fragetechniken und des Zuhörens mit seinen verschiedenen Facetten ermöglichen den Studierenden ihre Sprachkompetenz weiterzuentwickeln. Die Studierenden geben übereinstimmend ein positives Urteil zu dieser Methodik der Wissensvermittlung ab, was sich in positiven Evaluationsergebnissen widerspiegelt.

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Literatur Bänsch 2013, Verkaufspsychologie und Verkaufstechnik, 9. Auflage, München: Oldenbourg. Birgelen, 2013, Alles, was Sie über das Verkaufen wissen müssen: Der Verkaufsprozess. Mehr Kunden, mehr Know-how, mehr Abschlüsse, Wiesbaden: Springer Gabler. Hofbauer/Hellwig, 2012, Professionelles Vertriebsmanagement. Der prozessorientierte Ansatz aus Anbieter- und Beschaffersicht, 3. Auflage, Erlangen: Publics Publishing. Fries, 2015, Mit olympischem Verkaufen zum Erfolg. So werden Sie Top- Verkäufer, 4. Auflage, Wiesbaden: Springer Gabler. Menthe/Sieg, 2013, Investitionsgüter erfolgreich verkaufen. So machen Sie sich fit für die Praxis, Wiesbaden: Springer Gabler. Schumacher, 2017, Verkaufen auf Augenhöhe. Wertschätzend kommunizieren und Kunden nachhaltig überzeugen – ein Workbook, 3. Auflage, Wiesbaden: Springer Gabler. Stangl, W. (2017): Stichwort: 'Rollenspiel'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. WWW: http://lexikon.stangl. eu/12663/rollenspiel/ (2017-12-06). Weis, Hans Christian (2003): Verkaufsgesprächsführung. Modernes Marketing für Studium und Praxis, 4. Auflage, Kiehl Verlag.

Kapitel III Interkulturelle Sprachkompetenz

Smartphones im Sprachunterricht. Ein Einblick und Ausblick. Oliver Bayerlein

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Bestandsaufnahme

Wie wird die nächste Generation von DaF-Lehrwerken aussehen? Es ist schwer vorstellbar, dass technische Hilfsmittel bei neuen Lehrwerken keine große Rolle spielen werden. Bei verschiedenen 2015 und 2016 erschienenen Lehrwerken der großen deutschen Verlage ist bereits ein Engagement zu beobachten, von den Möglichkeiten, die Smartphones bieten, Gebrauch zu machen. Zu nennen sind hier derzeit insbesondere: Panorama (Finster u. a. 2015) aus dem Cornelsen Verlag und Schritte international NEU (Niebisch u. a. 2016) aus dem Hueber Verlag. Auch der Verlag Klett/Langenscheidt stellt für nahezu alle Lehrbücher eine universelle App zur Verfügung1. Die Initiative der Verlage geht konform mit einem Schlagwort, das in den Lehrinstitutionen die Runde macht und mit dem Akronym BYOD abgekürzt wird: Bring Your Own Device. BYOD 1

Näheres dazu auf der Webseite: https://www.klett-sprachen.de/downloads/c-1407 (Abrufdatum: 5.9.2017). Dort kann man auch ggf. überprüfen, ob das Lehrbuch des eigenen Kurses AR-kompatibel ist.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_9

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Oliver Bayerlein

ist ein Konzept, das sowohl die Verantwortlichen für IT-Systeme als auch die Verwalter der Finanzen von Institutionen begeistert. Wenn jeder sein eigenes Gerät mitbringt, brauchen die ITVerantwortlichen keine Infrastruktur bereitzustellen und für Sicherheit zu sorgen. Die Institutionen selbst sparen das Geld für die Anschaffung und Wartung der IT-Systeme. Als „eigenes Gerät“, das man – in die Lerninstitution – mitbringen soll, eignet sich insbesondere ein Smartphone oder ein sogenannter TabletComputer.2 Sie sind bereits allgegenwärtig in den Taschen der Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern (KT), also auch im Kursraum, also auch im Fremdsprachenunterricht: Dort werden sie derzeit meist als Recherchewerkzeug, elektronisches Wörterbuch, zum Abfotografieren von Tafelbildern und teilweise auch als Aufnahmegerät von mündlichen Erklärungen der Kursleiterinnen und den Kursleitern (KL) genutzt. Mit dem Einzug von Smartphones in den Kursraum kommen noch andere Akronyme einher, die sich auf die Einbindung der Smartphones in den Lernprozess beziehen. Im englischsprachigen Sprachraum sind dies MALL, Mobile-Asssisted Language Learning, IMALL, intelligent MALL, CMC, computer-mediated communication (vgl. Pegrum 2014: 88ff), im deutschsprachigen Raum wird häufig von M-Learning oder Mobilem Lernen gesprochen (Mitschian 2010, Feick 2015). Gemeint ist damit die Integration von mobilen Geräten und deren Möglichkeiten in die Lernprozesse, sowohl in den Unterricht im Kursraum als auch in 2

In diesem Text wird von Smartphones gesprochen. Alles ist jedoch auch mit Tablet-Computern, die über ein Cellular-Modul verfügen, die sich also wie ein Telefon verhalten können, oder mit einem WLAN verbunden sind, möglich. Das sollte bei der weiteren Lektüre immer mitgedacht werden.

Smartphones im Sprachunterricht. Ein Einblick und Ausblick.

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die Vor- und Nachbereitungsphase des Unterrichts. Unter „intelligent MALL“ wird die Technik der Spracherkennung von mobilen Geräten verstanden, die damit in die Lage versetzt werden, weitgehend durch natürliche Sprache mit dem Benutzter zu interagieren (Pegrum 2014: 90ff). Sofern Lernprozesse durch gezielte Aufgaben, die mit dem Unterricht verbunden sind, ausgelöst werden, spricht man von gesteuertem Lernen. Lernprozesse, die beiläufig, ausgelöst durch Eigeninitiative der Lerner, ausgelöst werden, bezeichnet man als ungesteuertes oder informelles Lernen. In diesem Beitrag geht es um die Integration von Smartphones in den Unterricht, also um gesteuertes Lernen3. Von den KL werden die mobilen Geräte im Unterricht mehr oder weniger akzeptiert und entsprechend mehr oder weniger offen von den KT während des Unterrichts benutzt. Aber die zunehmende Anbindung von Lehrwerken an Anwendungen oder Apps, mit denen man gezielt und einfach auf Teile des Lehrwerks zugreifen kann, wird die Akzeptanz auch bei bisher skeptischen KL als Mittel zum Sprachenlernen mit großer Wahrscheinlichkeit erhöhen. Diese Überlegungen hier plädieren für eine offene Verwendung der Smartphones. Also Smartphones auf den Tisch, statt unter den Tisch. Was mit den Smartphones auf dem Tisch z. Zt. gemacht wird, d. h. welche Angebote in neueren Lehrwerken für DaF auf dieses Medium zurückgreifen, wie diese Angebote in den Gesamtkontext

3

Zum ungesteuerten Lernen mit mobilen Geräten vgl. Böttcher 2015 und Feick 2015.

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Oliver Bayerlein

des Lehrwerks eingebunden4 sind, und ob diese Aufgaben medienund lernergerecht sind, wird im Folgenden anhand zweier Lehrwerke zunächst exemplarisch dargestellt und dann analysiert. Daran schließen sich Überlegungen an, welche Potentiale der Smartphones noch nicht genutzt werden, aber hilfreich für den Fremdsprachenunterricht sein könnten. Mittels eines Szenariums wird dargestellt, welche Möglichkeiten sich mittelfristig durch die Technik der Smartphones abzeichnen.

2

Angebote der DaF-Verlage

In den untersuchten Lehrwerken sind drei Ansätze zu finden, wie Smartphones mit dem Buch verbunden werden:   

das Smartphone als Trainer zum Selbstlernen das Smartphone als Abspielgerät für audiovisuelles Material das Smartphone als Tool zur Recherche und als Studio für audio-visuelles Material.

Technisch werden die beiden ersten Anstäzte durch das Verfahren der Augmented Reality (AR) realisiert. Zunächst wird eine ganze Seite des Lehrbuchs mit Hilfe der AR-App gescannt (= fotografiert). Über das Bild der Seite legt sich daraufhin eine zweite Ebene, auf der Bedienelemente eingeblendet werden, mit denen die KT einen Film oder eine Audio-Datei starten können. 4

Vgl. zur Verbindung von digitalen Medien mit dem Präsenzunterricht Pfeil 2015, 29ff.

Smartphones im Sprachunterricht. Ein Einblick und Ausblick.

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Während die Medien laufen, muss das Smartphone dann nicht mehr über die Seite gehalten werden. Im Folgenden wird die inhaltliche Dimension von AR-Apps für zwei Lehrwerke dargestellt. Die App PagePlayer für das Lehrbuch Panorama A 1.1 Kursbuch möchte eine „neue Dimension des individuellen Lernens“ (Finster u.a. 2015, Vorwort, o. S.) bieten. Der Schwerpunkt liegt daher ganz klar auf dem ersten Ansatz, nämlich dem Trainer zum Selbstlernen. Auf der Webseite des Buches wird unter dem Stichpunkt „Der richtige Einsatz“ erklärt: „   

Ob zu Hause oder unterwegs – mit Augmented Reality lernt man noch flexibler. Wortschatz, Grammatik und Phonetik kann jederzeit geübt werden. Landeskundliche Quiz-Videos liefern zusätzliche Informationen über die deutschsprachigen Länder.“5

Mit der AR-App lassen sich Videos bzw. Animationen abrufen, mit denen Wortschatz geübt und Phonetik trainiert wird sowie grammatikalische Phänomene erklärt und landeskundliche Fakten zum Thema des jeweiligen Panoramas vermittelt werden. Alle Videos bieten keinerlei Interaktivität, was den Wert zum Selbstlernen sehr einschränkt. Die Didaktik orientiert sich sehr an behaviouristischen Lernvorstellungen: Bei den Wortschatzvideos wird ein Bild gezeigt, die Lerner hören aus dem Off die Aussprache des entsprechenden Wortes. Die Bilder/Wörter sind die gleichen, 5

https://www.cornelsen.de/panorama/1.c.3476201.de 13.10.2017)

(abgerufen

am

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die auch auf der Seite des Lehrbuchs abgebildet sind, auf der die jeweiligen Wortschatzvideos abgerufen werden können. Die Aufgabe des Lerners ist es, diese Wörter nachzusprechen. In der zweiten Phase werden die Referenten der Wörter gezeigt6, die Lerner sollen das Wort erinnern und aussprechen, anschließend wird es wiederholt, sodass die Lerner überprüfen können, ob ihre Antwort richtig war. In der dritte Phase werden die Wörter in kleine Minidialoge eingebettet: Die Sprecher in den Videos geben einen Impuls, auf den die Lerner sprachlich reagieren müssen, anschließend hört man noch eine Reaktion der Sprecher in den Videos. So kann im besten Fall der Eindruck eines Minidialogs zwischen Lernenden und Videosprecher entstehen: Ein Bild, z. B. ein Papierkorb, wird gezeigt und die Stimme aus dem Off fragt: „Ist das eine Lampe?“ In die folgende Pause sollen die Lerner einsprechen: „Nein, das ist keine Lampe. Das ist ein Papierkorb.“. Die Stimme aus dem Off „antwortet“ darauf: „Stimmt, das ist keine Lampe. Das ist ein Papierkorb.“ Die geforderte Aktivität der Lerner bestehen daher in nachsprechen und beurteilen, ob die eigene Aussprache der vorgegebenen Norm entspricht, erinnern der Wörter nach einem visuellen Impuls, Auswahl der korrekten Wörter und Aussprache der Wörter innerhalb einer vorgegeben Zeitspanne in einem kleinen Kontext.

6

Im Fall von abstrakten Begriffen werden diese symbolisch dargestellt.

Smartphones im Sprachunterricht. Ein Einblick und Ausblick.

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Abbildung 1: Screenshot aus einem Wortschatzvideo der AR-App von Panorama: Das Verb „tanzen“ wird symbolisiert. Quelle: Finster u.a. (23.4.2018)

Die Animationen für grammatische Erklärungen visualisieren grammatikalische Phänomene. So wird beispielsweise die Stellung des Verbs in Position zwei mit Hilfe einer Wäscheleine, die zwischen zwei Bäumen vor der Skyline einer Stadt gespannt ist, gezeigt (vgl. das Augmented-Reality-Material zu Aufgabe 7, Seite 13). Die Satzteile des Satzes „Ich wohne in Berlin." fliegen in das Bild des Videos, wo sie dann mit einer Wäscheklammer an einer Wäscheleine befestigt werden. Aus dem Off erklärt eine Stimme: „Das Verb steht im Satz auf Position 2.“ Entsprechendes passiert anschließend mit dem Fragesatz „Wo wohnst du?“. Es folgt dann ein Minidialog, gesprochen von einer männlichen und einer weiblichen Stimme aus dem Off, mit diesen Sätzen: „Ich wohne in Berlin. Wo wohnst du? - Ich wohne auch in Berlin.“ Die Lerner

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müssen, außer - mit Geduld - zuhören/zusehen nichts machen. Das Smartphone übernimmt die Rolle von dozierenden KL.

Abbildung 2: Screenshot der Grammatikanimation der AR-App von Panorama: Stellung der Verben im Hauptsatz. Quelle: Finster u.a., (23.4.2018)

Die elektronische Diashow, mit deren Hilfe landeskundliche Fakten7 zum Thema des jeweiligen Panoramas vermittelt werden sollen, sind nicht weiter mit der Lektion verknüpft. Ein Panorama ist eine Doppelseite am Ende von je zwei Lektionen. In dem Band A 1.1 gibt es vier Panoramen, also auch vier landeskundliche Filme: „Auf der Berlinale“, „Die Leipziger Fußgängerzone“, „Die Alpen in Österreich“, „Auf dem Viktualienmarkt“ (Finster u.a. 2015, 4f). Die Diashow bietet zusätzliche Informationen zu dem Thema. Am Ende wird eine Frage gestellt, die als Text mit drei Antwortmöglichkeiten eingeblendet wird. Für die Diashow zu Berlin ist dies: „Was ist 3x in Berlin? a) Zoo, b) Oper, c) Turm“. 7

Vgl. zur Einordnung der „faktischen Landeskunde“ Rösler 2012: 200ff

Smartphones im Sprachunterricht. Ein Einblick und Ausblick.

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(Inhalt der AR-App zur Doppelseite 24/25) Aus dem Off wird der Lerner aufgefordert, das Video noch einmal zu sehen, falls er/sie die Antwort nicht weiß. Dieser Aufforderung nachzukommen ist nicht ganz leicht, da das Video danach einfach verschwindet. Es gibt also keinen Startknopf mit dessen Hilfe man das Video noch einmal sehen könnte. Man muss erst wieder die Kamera auf die Seite des Lehrbuchs halten, damit das Abspielelement erscheint. Auch die Phonetikübungen der jeweiligen Lektion werden innerhalb eines Films in der AR-App vermittelt. Ein Mann und eine Frau tragen die entsprechenden sprachlichen Einheiten vor, die Lernenden sollen jeweils nachsprechen. Besonders viel Wert wird dabei auf explizite Mundbewegungen gelegt. Auch hier gibt es keine Interaktivität, sieht man davon ab, dass die Kursteilnehmer die Wörter nachsprechen, die die beiden Protagonisten vorsprechen. Für einen Selbstlerner ist es jedoch schwierig zu erkennen, ob die eigene Aussprache dem vorgegebenen Standard entspricht bzw. inwieweit die eigene Abweichung vom Standard noch akzeptabel oder bereits falsch ist. Ob daher die Filme der ARApp im Vergleich zu den Phonetikaufgaben des Lehrbuchs einen Mehrwert darstellen, sei dahingestellt. (vgl. Hirschfeld 2003: 278).

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Abbildung 3: Screenshot aus einem Phonetikvideos der AR-App von Panorama: Die Aussprache von „i“ und „ü“. Quelle: Finster u.a., (23.4.2018)

In Schritte international NEU wird eher das zweite Konzept verfolgt. Mit der zum Buch passenden App wird das Smartphone zum Medienplayer. „Mit dieser kostenlosen App greifen Ihre Kursteilnehmer unkompliziert und schnell auf die Audios, Videos und Slide-Shows von Schritte international Neu zu. (…) Als Kursleiter haben Sie mit der App – alternativ zum klassischen Medieneinsatz mit CDs und DVDs – die passenden Medien zum Buch immer griffbereit.“8 Nach dem Scannen der Seite mit dem Smartphone werden auf der zweiten Ebene, der AR-Ebene, für alle Medien Elemente 8

https://www.hueber.de/seite/pg_app_sitn (abgerufen am 17.10.2017)

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eingeblendet, mit denen man die Audio- und Videodateien auf dem Smartphone starten kann. Nach dem Start gibt es keine weiteren Steuerungselemente, mit denen man diese Medien evtl. pausieren oder an das Ende oder den Anfang zurücksetzen könnte, was den Nutzwert der App sehr steigern würde.

Abbildung 4: Screenshot aus der AR-App von Schritte international NEU: Medienplayer für die Dialoge des Lehrwerks. Quelle: Niebisch, Daniela u.a., (23.4.2018)

Auf gesonderten Wiederholungsseiten am Ende jeder Lektion, genannt Grammatik und Kommunikation, gibt es darüber hinaus noch zwei Aufgabenformen für die AR-App, bei denen das Smartphone die Funktion eines Trainers übernimmt. Im Audiotraining werden den Lernern größere sprachliche Einheiten als Impulse vorgespielt, auf der sie nach dem vorgegebenen Muster

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mündlich reagieren müssen. Es funktioniert nach dem Prinzip Frage - Impuls - Pause zum Sprechen - korrekte Antwort eines Sprechers. Im Audio-Training 2 zur Lektion 1: „(Anweisung) Wie bitte? Fragen Sie nach. (…) • Mein Name ist Anita Zappel. •• Wie bitte? Wie ist Ihr Name? • Anita Zappel. Und jetzt Sie. (…) • Ich komme aus Österreich. •• (akustischer Impuls, danach eine Sprechpause, danach die Antwort) •• Wie bitte? Woher kommen Sie?“ Es geht also darum, größere Sprecheinheiten zu verwenden und mit dem Smartphone in einen Scheindialog zu treten. Auch wenn bei dieser Übungsform keine echte Interaktion mit dem Smartphone stattfindet, wir also von iMALL noch weit entfernt sind, bietet die AR-App hier doch einen Mehrwert im Hinblick auf ein Flüssigkeitstraining beim Sprechen. Ähnlich sind auch die Übungen des Video-Trainers aufgebaut. Die Schauspieler, die auch die Protagonisten der jeweiligen Lektion sind, erklären die grammatischen Phänomene der jeweiligen Lektion. Am unteren Rand des Videos werden zusätzlich die Beispiel- und Aufgabentexte eingeblendet. Nach einem Beispiel werden die Lerner aufgefordert, nach der Beispielvorgabe Aufgaben zu lösen. Das Video wird zum Standbild, um Zeit zum Reagieren zu geben, danach geben die Schauspieler die richtige Lösung an. Der Unterschied zum AudioTraining besteht darin, dass die Lerner von echten Personen direkt angesprochen werden.

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Zusätzlich gibt es in Schritte international NEU noch Aufgaben, die durch ein Symbol als spezielle Smartphone-Aufgaben ausgewiesen sind. Die Lernenden werden darin angewiesen, mit ihrem Smartphone Aufgaben zu bearbeiten oder Medien zu erstellen, die unabhängig von der Verlags-App gelöst werden können. Das Smartphone wird bei diesen Aufgaben zur Internetrecherche (z.B. 13, B4) und als Filmaufnahmegerät (z.B. 15, C4) benutzt.

Abbildung 5: Smartphoneaufgabe mit Verbindung einer Aufgabe des Lehrbuchs (Niebisch u.a. (2016): 56, Ausschnitt)

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Zusammenfassende Beurteilung AR-Materialien

In seinem Buch „Digitale Demenz“ kritisiert Manfred Spitzer u. a., dass digitale Medien die Verarbeitungstiefe verringern (Spitzer 2012: 69ff). Diese Kritik trifft teilweise ins Herz der vorgestellten ARMaterialien. Wenn Bild-Wortgleichungen in Form von Animationen am Auge vorbeifliegen, deklaratives Wissen als Landeskunde verkauft wird, oder das Smartphone vom Katheder doziert „Der Verbstamm steht auf Position 2, das Präfix am Satzende.“9, dann werden die negativen Urteile gegenüber computergestütztem Lernen gefestigt. Es gibt keinen intensiven Umgang mit dem sprachlichen Material, der die Verarbeitungstiefe vergrößern und ein gefestigtes Lernen zur Folge haben könnte. Vielleicht ist es technisch zu schwierig bzw. ökonomisch zu aufwändig, Aufgabenformen zu realisieren, mit denen Lerner aktiv mit dem Sprachmaterial umgehen können. Vielleicht ist die Technik der AR für den Sprachunterricht auch eher ungeeignet. Der Ansatz, das Smartphone als Medienplayer zu benutzen, umgeht dieses Problem zwar, aber er wird dem Potential, das der digitale Begleiter bietet, nicht gerecht. Auch ist nicht genau klar, wer die AR-App mit welchem Nutzen auf diese Weise gebrauchen kann. Zwar heißt es in dem Erklärvideo zur App10, dass sie „ideal zum individuellen Lernen“ sei, aber es ist nicht ganz klar, wo der didaktische Ort für die AR-Inhalte ist. KT können auf einfache Weise auf die Medien des Lehrwerks zugreifen und so jederzeit die Hör-Seh-Angebote noch einmal 9 10

AR-Aufgabe zu Panorama A 1.1, Seite 45 (Finster u.a. 2015) https://www.hueber.de/seite/pg_ar_edi (abgerufen am 27.10.2017)

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wiederholen. Dafür ist jedoch die technische Realisation, ohne die Möglichkeit Audios und Videos anzuhalten, um an bestimmten Positionen noch einmal zu hören, unzureichend. Eigentlich ein Standard bei Medien, auf die man mit dem Computer zugreifen kann. Die Alternative zur DVD oder zur CD für den KL ist m. E. durch die oben beschriebene technische Einschränkung auch nicht gegeben. Zudem besteht immer auch die Gefahr, dass private Nachrichten aufpoppen, die man als KL vielleicht nicht unbedingt den KT zeigen möchte. Und ein eingehender Telefonanruf während der Nutzung als Medienabspielgerät im Unterricht ist sicherlich ein methodischer Tiefpunkt. Die Audio- und Video-Trainings bieten dagegen einen echten Mehrwert. Das im Unterricht Gelernte wird beim Audio-Training noch einmal so präsentiert, dass der Flüssigkeitsaspekt im Vordergrund steht. Zwar müssen auch hier die Lerner sich selbst kontrollieren, da es jedoch nicht um die Aussprache, sondern eher um grammatische Strukturen und die Verwendung von Redemitteln und anderen größeren Einheiten geht, ist die Richtig-FalschSelbstkontrolle möglich. Die korrekte Aussprache bleibt dabei zunächst einmal außen vor. Eine Kontrolle ist aber auch bei der Aufgabenform zunächst nicht intendiert. Mit dem Video-Training können sich die Lerner die grammatischen Phänomene der Lektion noch einmal in einer scheinbar personalisierten Form, die Lerner werden direkt angesprochen, erklären lassen und anschließend üben. Auch hier ist eine Selbstkontrolle möglich, da es klare Richtig-Falsch-Aufgaben sind.

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Interessant ist der Ansatz, im Lehrbuch Smartphone-Aufgaben zu verankern. Allerdings nutzen diese Aufgaben bisher das Potential dieser Geräte bei Weitem nicht aus. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Ansätze der beiden Verlage ein erster Versuch ist, mobile Geräte in das Konzept der Lehrwerke einzubinden. Dabei wird, vermutlich durch die technischen Einschränkungen, der didaktisch-methodische Hintergrund vernachlässigt, die technische Realisation bleibt hinter dem zurück, was in der Computerwelt bereits Standard ist und die Möglichkeiten der Geräte werden nicht im Entferntesten genutzt. Die Technik der AR wurde nicht zum Sprachelernen entwickelt. Die Adaption für DaF-Lehrwerke, die von den beiden Verlagen vorgelegt wurde, überzeugt z. Zt. noch nicht.

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Ein Szenario für den Einsatz von Smartphones in der nahen Zukunft des Fremdsprachenunterrichts

Ein Smartphone ist ein Hochleistungscomputer, den praktisch jede/r in der Tasche hat und der im Fremdsprachenunterricht in vielfältiger Weise für den Fremdsprachenunterricht produktiv verwendbar ist:  Video- und Audiofunktion: Ein Smartphone ist ein audiovisuelles Produktionstool. Die Lernenden können beispielsweise Podcasts erstellen, Szenen spielen und diese aufnehmen, Audio-Spots erstellen und alle diese Aktivitäten im Internet mit anderen teilen. Sie erleben, dass auch im Muttersprachenland Gelerntes nicht nur innerhalb der Wände des Kursraums relevant ist, sondern dass mit

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Hilfe des Smartphones die Produkte ihrer Lernbemühungen auch für andere relevant sein können. Automatische Benachrichtigungen: Mit der Möglichkeit, zu bzw. nach festgelegten Zeitpunkten Mitteilungen zu senden, können Lernende angestoßen werden, bestimmte Aufgaben zu erledigen. Geschickt ausgeführt, können derartige Mitteilungen sich das jüngst nobelpreisgekrönte Prinzip des „Nudging“ (Thaler/Sunstein 2009) zu eigen machen, so dass die Benachrichtigungen nicht störend wirken, aber dennoch wirkungsvoll sind. Feststellung des Aufenthaltsortes: Ein Smartphone kann jederzeit feststellen, wo sich sein Eigentümer befindet. Aufenthaltsort ist dabei nicht nur beschränkt auf den abstrakten Ort der Straße oder des Platzes, sondern ein Smartphone kann „wissen“, ob sich sein Besitzer in einem Kaufhaus, Restaurant oder einer Sprachschule aufhält. Daher können sehr konkrete und individualisierte Aufgaben und Informationen in Abhängigkeit zu diesem Aufenthaltsort bereitgestellt werden. Spracherkennung: Die Erkennung von mündlicher Sprache ist bereits sehr weit fortgeschritten und wird sich sehr schnell weiterentwickeln.11 Die Treffergenauigkeit wird in den nächsten Jahren noch weiter perfektioniert werden. Daher werden Smartphones auch in Hinsicht der Analyse der gesprochenen Sprache ein Hilfsmittel werden, um Aussprache zu kontrollieren und Hinweise auf deren

Benutzer von Smartphones sind wahrscheinlich bereits mit Siri (Apple), Cortana (Microsoft) und den entsprechenden Produkten von Google, Amazon oder Samsung und deren Möglichkeiten und Grenzen vertraut.

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Verbesserung zu geben. Für die nahe Zukunft wird ein Smartphone auch ein Werkzeug werden, um, zumindest für einfache Gespräche, einen Gesprächspartner zu simulieren, der, wenn auch in Grenzen, flexibel reagieren kann. Chat/Videotelefonie: Jenseits dieser Mensch-MaschineInteraktion ist jeder Benutzer eines Smartphones stets mit der Welt verbunden und kann mit anderen Lernenden zeitversetzt (asynchron) und zeitgleich (synchron) in Verbindung treten. Lernende können auf schriftlicher Ebene, in einem sogenannten Chat, oder in einem direkt Videotelefonat mit anderen Lernern der gleichen Sprache auf jedem Niveau erleben, dass die neue erlernte Sprache auch als Mittlersprache für die Kommunikation mit Lernenden aus ganz verschiedenen Kulturkreisen genutzt werden kann. Auch das Tandem-Lernen mit Muttersprachlern kann ganz neue Dimensionen erhalten. Dateiaustausch/kollaboratives Erstellen von Texten und multimedialen Projekten: Neue Dimensionen kann auch sprach- und landeskundebezogene Projektarbeit erhalten: Projekte können mit der Verfügbarkeit von Smartphones kulturübergreifend geplant und durchgeführt werden. Texte, Videos, Audioaufnahmen oder ganze komplexe Projekte können gemeinsam (kollaborativ) erstellt und weiterbearbeitet werden.

Eine Fundgrube für die Einbindung von Technologie, nicht nur von Smartphones, in den Prozess des Sprachlehrens ist das Buch „Language Learning with Technology“ von Graham Stanley (2013). Bei vielen dort beschriebenen Aufgaben ist der Ansatz des

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kollaborativen Lernens bereits verwirklicht. Die Technik entwickelt sich jedoch in rasanter Geschwindigkeit weiter, so dass bereits heute, vier Jahre später, einiges mehr möglich ist. Im nächsten Schritt wird daher ein Versuch gewagt, in die nicht so weite Zukunft zu blicken. Das Werkzeug für diesen Blick ist das Szenarium eines Unterrichts mit einem Lehrbuch, das rund um eine intensive Nutzung des Smartphones konzipiert wurde. Die Politologen Rinke und Schwägerl schreiben zur Funktion von Szenarien: „Es gibt einen Mittelweg zwischen purer Fiktion und den traditionellen wissenschaftlichen Expertisen Szenarien. Sie basieren auf bekannten Fakten, nehmen einen erkennbaren Trend auf und gestatten daran anschließend, eine oder mehrere wahrscheinliche Varianten einer Entwicklung durchzuspielen. Szenarien sind gedankliche Lockerungsübungen. Sie versetzen uns in die Lage, sich von den durch Erfahrungen oder altes Wissen geprägten Denkpfaden zu lösen. Sie ermöglichen einen Weg zwischen Panikmache und Verharmlosung, weil sie eine leichter zugängliche Auseinandersetzung mit teilweise sehr komplizierten Sachverhalten erlauben. Ausdrücklich erheben Sie nicht den Anspruch, eine Prophezeiung zu sein. Sie sollten nie so verstanden werden. Vielmehr geht es darum, in der Möglichkeitsform für die Zukunft Schlüsse aus dem zu ziehen, was sich heute bereits andeutet." (Rinke/Schwägerl 2012: 51)

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In unserem Szenarium wird in diesem Sinne eine LehrLernsituation beschrieben, die auf der Basis des derzeit bereits Möglichen versucht, in die nahe Zukunft zu blicken, ohne auf juristische, organisatorische und ökonomische Beschränkungen Rücksicht zu nehmen. Hiromi (23), Germanistikstudentin in Osaka, sieht morgens nach dem Aufstehen auf dem Screen ihres Smartphones, dass ihr Lernpartner aus Argentinien über Nacht an dem Text, den beide verfassen, weitergearbeitet hat. Sie kann den Text nun kontrollieren und vervollständigen. Ihre Uni verwendet das gleiche Lehrbuch wie die Sprachschule, die ihr argentinischer Partner besucht. Das Lehrwerk ist um eine Community konzipiert, die es u. a. ermöglicht, dass Lernende rund um den Globus kollaborativ Aufgaben lösen. Kurz darauf wird Hiromi von ihrem Smartphone daran erinnert, die Wortschatzaufgaben zu bearbeiten. Gestern konnte sie daran nicht mehr weiterarbeiten. Diese Erinnerungen sind manchmal etwas lästig. Man kann sie auch abschalten, aber Hiromi hat gemerkt, dass sie besser lernt, wenn sie sich von den Erinnerungen leiten lässt. Außerdem hat sie eigentlich nicht den Eindruck, dass das Programm sie überfordert: Die Aufgaben kann sie locker auf dem Weg in die Uni in der Bahn mit ihrem Smartphone erledigen. In der Bahn empfängt sie auch die Antwort auf ihre Frage, die sie in die Community geschickt hat: Sie möchte nächstes Jahr in die Schweiz fahren, um dort für einen Monat in einer Sprachschule lernen. Die App der Community hat automatisch die Aufenthaltsorte der Teilnehmer ausgewertet und jemanden

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gefunden, der Auskunft geben könnte: Boris aus St. Petersburg lernt zur Zeit in einer Sprachschule in Fribourg Deutsch. Ihm wurde daher die Frage zugestellt. Die Antwort von ihm sieht Hiromi jetzt auf ihrem Display. Während ihrer Zeit in der Schweiz wird die App den jeweiligen Standort von Hiromi auswerten. Je nach Aufenthaltsort wird sie dann mit passenden Redemitteln und passendem Wortschatz versorgt. Wenn sie sich in einer Buchhandlung befindet, sieht sie daher auf ihrem Display den passenden Wortschatz sowie Redemittel, die sie ggf. benötigt. Selbstverständlich kann sie sich auch die Übersetzung und die Aussprache angeben lassen. Da die App über das Sprachniveau von Hiromi informiert ist, werden keine sprachlichen Mittel angegeben, die sie überfordern werden. Doch momentan ist sie noch an ihrer Uni in Osaka. Da sie bis zum Beginn des Unterrichts noch Zeit hat, trinkt sie einen Chai latte in der Cafeteria. Dabei macht sie einige PhonetikAufgaben des Lehrbuchs. Ihr Smartphone unterstützt sie dabei, indem die App einerseits ihre Sprache in Text umwandelt, so dass sie sehen kann, ob sich ihre Aussprache im Bereich des Standards bewegt. Andererseits bekommt sie auch von dem Programm konkrete Hinweise zur Verbesserung ihrer Aussprache. Beim Unterricht im Kursraum werden hauptsächlich neue sprachliche Phänomene anhand von realitätsnahen Medien eingeführt, viele interaktive Aufgaben in Gruppen- oder Partnerarbeit gelöst und über interkulturelle Probleme gesprochen. Die Kursleiterin verwendet einen TabletComputer. Den Inhalt des Bildschirms können die Teilnehmer

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auch auf ihren Smartphones sehen. Die relevanten „Tafelbilder“ können sie in der Community jederzeit abrufen. Manchmal verlinken sie sich im Kurs auch für einige Aufgaben über die Community des Lehrbuchs mit einem Kurs aus einem anderen Kulturkreis. Dort bearbeiten sie gemeinsam für diese Art von Partnerarbeit konzipierte interkulturelle Aufgaben. Nach dem Unterricht bekommt Hiromi die Mitteilung, dass ihre australische Freundin, die ebenfalls an der Uni mit diesem Lehrwerk lernt, alle Zutaten für den Kuchen besorgen konnte. Morgen werden sie den zusammen backen. Das Rezept haben sie aus der Einheit über Essen und Trinken in D-A-CH. Die beiden sind beim Backen über Videotelefonie miteinander verbunden und können beim gemeinsamen Kochen miteinander sprechen und sich auch ihre Ergebnisse direkt zeigen. Klar, dass sie den Kuchen dann noch bei einem gemeinsamen interkulturellen, internationalen Kaffeeklatsch probieren. Das beschriebene Szenarium nutzt das Potential von Smartphones, wie es derzeit vorstellbar ist, weitestgehend aus. Im Zentrum steht weiterhin ein Lehrbuch, um das sich ein „digitaler Kranz“ windet, der den Horizont des Kursraums durchsichtig macht. Diese digitalen Apps und Aktivitäten sind nicht im Nachhinein auf das Lehrwerk aufgepfropft, sondern Lehrwerk und digitale Aktivitäten sind gemeinsam konzipiert und miteinander verwoben. Wie dies bereits an einigen Universitäten realisiert wurde, ist im Horizon Report 2017 des New Media Consortiums beschrieben.

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„To facilitate workplace-style collaboration in the classroom, some universities are forgoing fixed seating and transforming traditional lecture halls into dynamic layouts. Telepresence technologies are allowing geographically dispersed students and professors to more flexibly meet and work together.“ (Adams Becker u.a. 2017: 16)12 Als Zeitraum, bis zu dem ein solcher offener Kursraum zum Standard wird, werden vom New Media Consortium fünf Jahre veranschlagt. Durch die beschriebene Anwendung von Smartphones ist gewährleistet, dass der von Spitzer inkriminierte Verlust der Verarbeitungstiefe (Spitzer 2012, 63ff) vermieden wird. Ganz im Gegenteil: Diese Verwendung der Technik führt eher zu einer Intensivierung der Arbeitstiefe durch Anwendung in realen Situationen, durch die Übertragung des künstlichen Rahmens des Kursraums auf die Realität, die so, ohne die Möglichkeiten der Smartphones, nicht realisierbar wäre. Insofern können die Techniken, die Smartphones bereitstellen, eine Bereicherung und Intensivierung des Lernens einer Fremdsprache ermöglichen.

12

„Beispiele aus der Praxis“ sind nachzulesen bei Pfeil 2015: 32-34. Weitere Beispiele auf meiner Homepage: http://mmc-ob.de/storytelling-mitadobe-spark-video/ und http://mmc-ob.de/berufsbezogene-projektarbeit/

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Literatur Adams Becker, Samantha u.a (2017): NMC Horizon Report: 2017 Higher Education Edition. Austin, Texas: The New Media Consortium. Bausch, Karl-Richard/Christ, Herbert/Krumm, Hans-Jürgen (2003): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen und Basel: A. Franke. Böttcher, Rebecca (2015): Lernen mit digitalen Medien in informellen Situationen und die Verbindung zu formal organisierten Lernprozessen. In: Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Faches Deutsch als Fremdsprache 53. 9-13. Feick, Diana (2015): Mehr als nur Apps. Mobiles Lernen im DaFUnterricht. In: Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Faches Deutsch als Fremdsprache 53. 14-18. Finster, Andrea u.a. (2015): Panorama. Deutsch als Fremdsprache. A 1.1, Berlin: Cornelsen. Hirschfeld, Ursula (2003): Ausspracheübungen. In: Bausch, KarlRichard/Christ, Herbert/Krumm, Hans-Jürgen: Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen und Basel: A. Franke. 277280. Mitschian, Haymo (2010): M‐Learning - die neue Welle? Mobiles Lernen für Deutsch als Fremdsprache. Kassel: Kassel University Press GmbH. Niebisch, Daniela u.a. (2016): Schritte international Neu 1. Niveau A1/1, München: Hueber.

Smartphones im Sprachunterricht. Ein Einblick und Ausblick.

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Pegrum, Mark (2014): Mobile Learning. Languages, Literacies and Cultures. New York: Palgrave Macmillan. Pfeil, Andrea (2015): Verzahnung als Schlüssel für erfolgreichen Unterricht mit digitalen Medien. In: Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Faches Deutsch als Fremdsprache 53. 29-34. Rinke, Andreas/Schwägerl, Christian (2012): 11 drohende Kriege. Künftige Konflikte um Technologien, Rohstoffe, Territorien und Nahrung, München: btb. Rösler, Dietmar (2012): Deutsch als Fremdsprache. Eine Einführung. Stuttgart, Weimar: Metzler. Spitzer, Manfred (2012): Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. München: Droemer. Stanley, Graham (2013): Language Learning with Technology. Ideas for integrating technology in the classroom. Cambridge: Cambridge University Press. Thaler, Richard H./Sunstein Cass R. (2009): Nudge. Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness. New York: Penguin Books.

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz Ksenija Fazlić-Walter und Wolfgang Wegner

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Vorüberlegung: Schreiben im akademischen Kontext: Schreib- und Textsortenkompetenz

Dass sich das wissenschaftliche Schreiben vom Formulieren von Texten in anderen formellen wie informellen Bereichen unterscheidet, muss nicht besonders betont werden. Doch worin genau liegen die Unterschiede? Auf den ersten Blick sind es vor allem die Textsorten, die nur im akademischen Kontext vorhanden sind und sich auch dort von Fächergruppe zu Fächergruppe, ja sogar von Fach zu Fach unterscheiden: Vorlesungsmitschrift, Sitzungsprotokoll, Versuchsprotokoll, Seminararbeit, Bachelor-, Master- und Doktorarbeit; die formellen wie inhaltlichen Anforderungen steigen innerhalb der genannten Aufzählung kontinuierlich an. Während man sich auf der Metaebene der Textsorte deren Textbaupläne und formalen Anforderungen leicht aneignen kann, sind auf der Mikroebene unterschiedliche Sprechhandlungen auszuführen, für die es keine „Style Sheets“ gibt. Hier seien nur einige genannt: Zitieren, Beschreiben, Darstellen, Erläutern, Berichten, Fragen stellen, Zusammenfassen, Hervorheben © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_10

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(vgl. Fandrych 2004). Besonders in den Natur- und Ingenieurswissenschaften, teilweise auch in den Sozialwissenschaften, müssen Bezüge zwischen Text und grafischer Darstellung sprachlich realisiert werden. Für jede dieser Sprechhandlungen sind Begriffe und Formulierungen zu verwenden, die vielfach unter den von Konrad Ehlich geprägten Begriff der „Alltäglichen Wissenschaftssprache“ (Ehlich 1999) fallen, also sprachlicher Strukturen, die einerseits in der alltagssprachlichen Kommunikation vorhanden sind, andererseits grundlegend für den besonderen Stil der Wissenschaftssprache sind (vgl. Ehlich 2006, 24-25). Als Beispiele seien hier genannt: „Im Folgenden wird (…) beschrieben“; „Zusammenfassend lässt sich sagen …“, „Ausgehend von…“. Für nicht muttersprachliche Lerner wird es dann schwierig, wenn sich die Verwendung im akademischen Kontext um Nuancen von jener im Alltag unterscheidet bzw. in der alltäglichen Kommunikation als besonders standardsprachlich gelten und daher selten zur Anwendung kommen. Zwei Beispiele: 1. Hypothesenbildung: Hier können die Modalverben subjektiv bzw. epistemisch gebraucht werden, um auszudrücken, „welche Bedingungen ihrer Einschätzung nach für das Zutreffen der gesamten Aussage gegeben sind“ (Hentschel/Weydt 2013, 67). Es ist daher ein Unterschied, ob z. B. die Klimaerwärmung in Europa zu kälteren Wintern führen „kann“ oder „dürfte“; Letzteres drückt eine stärkere Vermutung aus. 2. Schlussfolgerung: Häufig ist die Herleitung des Wortes aus dem Verb „schließen aus…“ nicht bekannt und eine Schlussfolgerung wird mit einer Schlussbemerkung verwechselt.

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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Hier treten interkulturelle Probleme auf, wie später noch zu zeigen ist. Die Alltägliche Wissenschaftssprache berührt die Fachsprache dort, wo Begriffe in beiden Bereichen vorkommen, jedoch in unterschiedlichen sprachlichen Kontexten. Während wir über jemanden, der ein großes Gewicht hochheben kann, sagen können: „Er hat viel Kraft“, ist dieser Satz physikalisch unsinnig, denn Kräfte können nur auf etwas wirken bzw. auf etwas ausgeübt werden. Korrekt müsste es heißen: „Er übt eine große Kraft auf … aus“. Die Fachsprache selbst ist kaum als Problem zu beobachten, da sie während des Studiums automatisch angeeignet wird. Innerhalb der Schreibdidaktik ist jedoch eine „Fachsprachenkompetenz“ zu vermitteln, worunter man die Fähigkeit verstehen kann, Fachwissen, Fachtermini und Ausdrücke der alltäglichen Wissenschaftssprache mit einer wissenschaftssprachlichen Ausdrucksweise und Grammatik, mit Textbauplänen und Textbausteinen zu verknüpfen. Ein zentrales Element der Fachsprachenkompetenz ist das Heranführen der Lerner an die richtige Schreibstrategie (vgl. Wegner 2010).

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Schreibprozess und Schreibstrategien

Mit dem Begriff Schreibprozess wird die Gesamtheit aller kognitiven Vorgänge, die zur Produktion eines Textes notwendig sind, bezeichnet. Eine recht genaue Abbildung des Schreibprozesses bildet das „knowledge-transforming“-Modell von Hayes und Flowers, dessen Vermittlung und Anwendung der Schreibdidaktik zugrunde gelegt werden kann. Das Modell besteht aus drei Komponenten, von

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Ksenija Fazlić-Walter und Wolfgang Wegner

denen der Wissensspeicher des Schreibenden grundlegend ist. In ihm befinden sich Weltwissen, Wissen über die unterschiedlichen Adressaten von Texten, sprachliche Fertigkeiten sowie Kenntnisse über Textsorten und deren Textbaupläne. Der Wissensspeicher wird während des gesamten Schreibprozesses immer wieder zu Rate gezogen, was für die Lerner bedeutet, ihn permanent trainieren und ausbauen zu müssen. Die zweite Komponente ist die so genannte „task environment“, worunter einerseits die Schreibanweisung, andererseits der bereits produzierte Text verstanden wird. Die dritte, zentrale Komponente bildet der eigentliche Schreibprozess, der seinerseits in die Teilschritte Planen, Formulieren und Überarbeiten untergliedert ist. Wichtige Aspekte sind dabei sowohl die jeweilige Textsorte als auch der Adressat des Textes. Ein diesem Modell folgender Schreiber beginnt mit Überlegungen inhaltlicher Art und geht dann über zu Überlegungen der Versprachlichung der Inhalte, wobei er textstrukturelle und adressatenbezogene Anforderungen zu berücksichtigen hat. Eine Modifikation stellt das Modell des „knowledge-telling“ von Bereiter und Scardamalia (1987) dar, demzufolge das Thema automatische Suchprozesse im Wissensspeicher in Gang setzt, die bei einem Problem im Schreibprozess erneut begonnen werden. Bereiter und Scardamalia unterscheiden zwei Phasen, in denen verschiedene Schreibstrategien, also Handlungspläne zur Erstellung eines Textes, eingesetzt werden: Neben der Globalplanung (Erstellen der Gliederung, Anfertigen von Notizen) ist dies das Schreiben des Textes; hier finden sowohl Verschiebungsstrategien, bei denen ein Schreibproblem zurückgestellt oder für den Schreiber unbefriedigend gelöst wird, als auch Strategien zur Vermeidung von Wiederholungen statt (Plag, 1996).

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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Der Schreibprozess wird jedoch durch kulturelle Unterschiede im Problemlöseverhalten beeinflusst, wie im Folgenden gezeigt wird.

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Interkulturelle Unterschiede im Problemlöseverhalten und in Schreibstrategien

3.1 Westen vs. Osten Kognitionswissenschaftler vergleichen das Gehirn häufig mit einem Computer und die menschlichen Denkvorgänge mit entsprechender Software. Geht man wie üblicherweise davon aus, dass die Kultur den jeweiligen „Input“ in diesen von universeller Software gesteuerten Computer bestimmt, dann lässt sich folgern, dass universelle, identische Denkprozesse je nach Kultur zu unterschiedlichem Output führen. Aus diesem Forschungszweig der Kulturvergleichenden Psychologie (Zu diesem Fach vgl. einführend Helfrich 2013; Thomas 2003) heraus entwickelte sich eine Gegenthese Annahme universeller Denkprozesse. Diese Gegenthese besagt, dass grundlegende Denkvorgänge kulturell geprägt seien. Eine dabei zugrunde liegende Annahme besagt, dass Menschen in ihrer Kultur Wissen darüber erwerben, wie man Probleme löst und Aufgaben erledigt, wobei sich beide Begriffe dahin gehend unterscheiden, dass bei Problemen eine Regel bzw. Vorschrift fehlt, wie ein Ausgangs- in einen Zielzustand zu verwandeln ist (vgl. Strohschneider 2007). Eines der berühmtesten Experimente zu kulturellen „Denkunterschieden“ ist das „Aquarium-Experiment“ von Richard Nisbett

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(2003): Japanischen und amerikanischen Studenten wurde am Bildschirm das Bild eines Aquariums gezeigt: Im Vordergrund schwammen große, bunte Fische, im Hintergrund bzw. an den Bildrändern waren darüber hinaus viele kleine Fische, Wasserpflanzen, Kieselsteine und Muscheln zu sehen. Die Probanden sollten nach einer gewissen Zeit notieren, was sie im Aquarium gesehen hatten. Die Amerikaner beschrieben nur die großen Fische. Die Japaner dagegen erwähnten 70 Prozent mehr Randaspekte, d.h. sie beschrieben z. B. auch die Steine bis ins Detail. Im nächsten Schritt wurden den Probanden Standbilder aus dem Aquarium gezeigt, auf denen einer der großen, auffallenden Fische zu sehen war. In einem Durchgang war der Fisch im Original zu sehen, der Hintergrund entsprach jedoch nicht jenem des zuvor gesehenen Aquariums. Im zweiten Durchgang war der Hintergrund im Original, nicht aber der Fisch. Die Amerikaner konnten den Fisch deutlich wiedererkennen, auch wenn die Umgebung verändert war. Die Japaner jedoch schnitten besser ab, wenn Fisch und Hintergrund dem Original entsprachen. Sie scheinen den Fisch in ihrem Kontext, also holistisch wahrgenommen zu haben. Studien mit Chinesen, Koreanern und Malaysiern auf der einen sowie Westeuropäern auf der anderen Seite bestätigten die Ergebnisse. Shinobu Kitayama u.a. (2003) erdachten sich ein Experiment, das ausschließen sollte, dass z. B. die Bedeutung von Aquarien in der Kultur eine Rolle bei der Betrachtung spielt: Sie ließen japanische und US-amerikanische Probanden ein Quadrat betrachten, in das mittig ein senkrechter Strich gezeichnet war, der ein Drittel der Seitenlänge einnahm. Anschließend sollten sie in einem leeren Quadrat anderer Größe den Strich so einzeichnen, dass das Verhältnis zur Seitenlänge dem Original entsprach (= relative task). Diese Aufgabe

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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konnten die Japaner genauer erfüllen als die Amerikaner. Als es im dritten Schritt darum ging, den Strich in der ursprünglichen Länge in ein neues Quadrat zu zeichnen (= absolute task), waren die US-Amerikaner im Vorteil, woraus sich schließen lässt, dass die Amerikaner den Kontext ignorierten. Ulrich Kühnen und Shinobu Kitayama wiederholten den Versuch in Mannheim mit deutschen und japanischen Probanden und kamen zum gleichen Ergebnis (vgl. Kühnen 2003). Das Westeuropäische Denken ist insbesondere durch die Dialektik des Aristoteles geprägt. Im Westen stehen objektzentriertes sowie reduktionistisches Denken im Vordergrund, das zum Erkennen und Formulieren kausaler Gesetzmäßigkeiten führt. Das asiatische, insbesondere das chinesische Denken dagegen ist von der Vorstellung geprägt, dass Dinge nicht allein durch ihre Merkmale, sondern durch ihre Wechselwirkungen mit Kräften der Umgebung zu erklären seien; diese Annahme führte beispielsweise zur Entdeckung des Magnetismus. Auch der Mensch wird als Teil sozialer Netzwerke verstanden (vgl. hierzu das Prinzip des „guanxi“, das Netzwerk persönlicher Beziehungen in China). Westliches und östliches Denken unterscheiden sich demzufolge erheblich (vgl. Kühnen 2003, S. 13). Das Kernstück aristotelischer Logik ist das ableitende Schließen, der Syllogismus, der in seinem Kern aus drei Grundaussagen besteht:   

A=A A ≠ Nicht-A, d.h. keine Aussage kann zugleich wahr oder falsch sein. Tertium non datur (Es gibt kein Drittes), d.h. jede Aussage ist entweder wahr oder falsch

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Ksenija Fazlić-Walter und Wolfgang Wegner

Peng und Nisbett (1999) zufolge folgt das chinesische Denken einem Modell, das vom Vorhandensein von Widersprüchen ausgeht, diese akzeptiert und annimmt, dass beide Positionen jeweils ein Element der Wahrheit enthalten (Strohschneider 2007, S. 76-78). Die östliche Dialektik besteht daher aus drei sich ergänzenden Prinzipien:   

Prinzip der Veränderung = Realität ist ein sich stetig wandelnder Prozess Prinzip des Widerspruchs = Wenn die Veränderung konstant ist, ist auch der Widerspruch konstant Prinzip des Holismus = Weil sich alles stetig ändert und sich im Widerspruch befindet, hängt alles miteinander zusammen.

Daraus folgt: Während man im Westen Widersprüche auflösen will, ist genau dieser Widerspruch für Asiaten eine Selbstverständlichkeit. Die Studien von Peng und Nisbett (1999) zeigen, dass chinesische Probanden in Argumentationen einer „Dialektik des Widerspruchs“ folgten. Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis sind somit empirisch untermauert: Für chinesische Lerner ist es schwer, das westliche Streben nach Auflösung eines Widerspruchs bzw. nach einer klaren Entscheidung für Pro oder Contra nachzuvollziehen. Sie scheitern daher häufig an der Formulierung einer Schlussfolgerung bzw. eines logischen Schlusses, bestehend aus einer Reihe von Aussagen (= Prämissen oder Annahmen) und der Konklusion. Auch wenn der Ost-West-Unterschied besonders deutlich ins Auge sticht, sind unterschiedliche Denk- bzw. Problemlösungsstile

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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auch in anderen Teilen der Welt festzustellen (Nach der Wiedervereinigung waren sie sogar zwischen den westdeutschen und den ostdeutschen Bundesländern feststellbar; vgl. Strohschneider 2007, S. 78-80) Diese Unterschiede lassen sich in mehreren Kategorien fassen (Strohschneider 2003, S. 80; Hill u.a. 2000):       

Umfang des Einbezugs kontextueller Variablen Ausmaß der Geschwindigkeit und Gründlichkeit bei der Informationsverarbeitung Analysierende vs. ganzheitliche Aufnahme und Verarbeitung von Information Symbolisch-abstrakte vs. visuell-anschauliche Repräsentation Induktive vs. deduktive Verfahren Umfang der Beachtung von Vorbildern und Modellen Suche nach der „einen richtigen“ Lösung vs. „sowohl – als auch“

Ein wesentlicher Einflussfaktor ist auch das jeweilige Bildungssystem, in dem ein Lerner bzgl. seines Problemlöseverhaltens sozialisiert wurde. Streng formale Unterrichtsformen mit der Neigung zu repetitiven Problemlösestrategien fördern das abstrakte Denken, während offenere Unterrichtsformen eher induktive Strategien unterstützen (Strohschneider 2007, S. 80-81).

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3.2 Arabischer Raum Studierende aus arabischen Herkunftsländern orientieren sich im Schreibprozess an einer visuell-anschaulichen Darstellung. Sie gehen an einen Text von ästhetischen Gesichtspunkten aus heran, wobei diese selbstverständlich den ästhetischen Ansprüchen der Muttersprache entsprechen. Das führt zu einer Textgestaltung, die im deutschen universitären Umfeld „blumig“, zu bildhaft, bisweilen sogar poetisch anmutet. Gerade in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern wird das zum Problem und hemmt den Schreibprozess. Diese Problematik manifestiert sich in der Weise, dass diese Lerner auf der Suche nach der besten, für sie „schönsten“, Formulierung ein und denselben Sachverhalt in einem Text mehrfach mit immer wieder anderen Worten ausdrücken. Es kommt zu unnötigen Wiederholungen und letztlich zu fehlender Kohärenz, da der / die Schreiber/in den „roten Faden“ verliert. Ein weiterer Aspekt kann sich in diesem Zusammenhang negativ auswirken: die arabische Interpunktion ist sehr frei. Satzzeichen können so zu sagen beliebig gesetzt werden, auch wenn es einen gewissen Konsens bei der Punkt- und Kommasetzung gibt (Marzari 2009, S. 69-70). Somit werden Gedanken bzw. Sätze oft aneinandergereiht, und die Regeln der Groß- und Kleinschreibung werden vernachlässigt. Bei der Verwendung von Redemitteln kommt es immer wieder vor, dass diese zwar auswendig gelernt werden, aber beim Schreiben von Texten nicht in angemessener Weise verwendet werden können. Hier zeigen sich in der Unterrichtspraxis zwei Phänomene:

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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1. Es werden immer wieder dieselben Redemittel verwendet, um beispielsweise einen Text zu strukturieren. Mitunter liegt dies daran, dass in der Muttersprache Texte nur dann als gelungen gelten, wenn sie ganz bestimmte Merkmale (stilistische Redemittel) enthalten bzw. werden diese Redemittel zwingend erwartet. Vor allem Studierende aus osteuropäischen Herkunftsländern berichteten von solchen Vorgaben, wenn es um das Verfassen von Texten ging. 2. Mitunter kommt es zu einer Hyper-Performanz: einer Aneinanderreihung von Redemitteln, die manchmal passend, meistens jedoch unpassend eingesetzt werden. Dazu ein Beispiel: Es ist auffällig, dass das Fracking die einzige ökonomische Methode, um Gas zu gewinnen, ist. Wie gesagt, die finanziellen Aspekte werden als Vorteil gerechnet, außerdem sind die Experten der Meinung, dass das Fracking im Vergleich zu den anderen Methoden die Prüfungen abgelegt haben könnte. Obwohl das besprochene Fracking an sich viele Meinungen gut geschafft hat, ist allerdings einigermaßen Kritik an ihm geübt worden, die ich überschriftenweise im Folgenden nenne. Das heißt, dass es bedauerlicherweise nicht wenige Schädigungen der Natur und auch der Gefüge verursacht, die kaum rekonstruiert werden können. Des Weiteren löst Fracking eine Instabilität im Innern der Erde aus, diese führt dazu, dass ein Erdbeben geschieht. Schließlich bleibt laut der Studien bei der Beendigung der unterirdischen Vorräte die gebohrte Fläche zum Zerreißen weiterhin anfällig. Dieses betrachte ich als bemerkenswerten Nachteil, weil die

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oben genannte Methode leider nicht in der Lage ist, wo gebuddelt wurde, sich zu restabilisieren. An diesem Textauszug lässt sich deutlich erkennen, dass der Verfasser bereits über einige Kenntnisse über die allgemeine Wissenschaftssprache verfügt: -

-

es werden überwiegend Hypotaxen gebildet; Partizipialkonstruktionen werden verwendet (das oben besprochene Fracking; die oben genannte Methode) es wird, wenn auch stellenweise fehlerhaft, versucht, im Nominalstil zu schreiben (im Vergleich zu; sich viele Meinungen geschafft hat; ist Kritik geübt worden; es gibt textstrukturierende Elemente, sowie Verwendung von Pronomina und somit Rückverweise; Fremdwörter werden verwendet und z. T. neu gebildet (ökonomisch, finanziell, Instabilität, rekonstruieren, restabilisieren (wenn auch falsch);

Somit zeigt sich, wie schwierig mitunter die Umsetzung der erworbenen Kenntnisse der grammatischen Phänomene und der wissenschaftssprachlichen Lexik ist. Die zwischen der passiven und aktiven Sprachkompetenz bestehende Diskrepanz ist bereits vielfach beschrieben worden. Anhand obiger Ausführungen lässt sich die Vielschichtigkeit der Probleme während des Schreibprozesses deutlich ablesen (Vgl. Büker 2001): zum einen sind es Sprachschwierigkeiten allgemeiner Art, zum anderen solche, die sich aus interkulturellen Aspekten heraus ergeben. Hinzu kommen fehlende Kenntnisse der Konventionen in Bezug auf die jeweilige Textsorte.

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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Daraus resultiert die Forderung nach der Vermittlung von Planungs-, Schreib- und Überarbeitungsstrategien.

4

Didaktische Vorschläge

Auch wenn die interkulturellen Unterschiede in den Schreibstrategien regional differenziert betrachtet werden müssen, gibt es doch didaktische Ansätze, die in gemischten Kursen bzw. in der Beratung eingesetzt werden können. Für das Problem der unterschiedlichen Problemlösestrategien, das sich vor allem im west-östlichen Vergleich zeigt, können die Lerner durch eine Visualisierung sensibilisiert werden, die gleich zu Beginn eines Kurses eingesetzt werden sollte. Hierbei dient der Unterrichtsraum als Modell der – um im eingangs erwähnten Bild des Vergleichs von menschlichem Gehirn und Computer zu bleiben – Gedanken-Hardware“. Die Lerner stellen sich an der Wand auf, die der Tafel gegenüber liegt. Die Lehrperson fordert einen Teilnehmer auf, sich den günstigsten Weg zur Tafel zu suchen. Er wird den geraden Weg zwischen den Tischen wählen (s. Abbildung 1). Die Lehrperson erklärt, dies sei der westliche, gerade und direkte Weg.

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Auf diesem Weg müsse man leider etwas weglassen, d. h. man könne nicht alle Plätze des Unterrichtsraums (= Aspekte des Themas) berücksichtigen. Die Lehrperson verdeutlicht nun die asiatische Denkweise, indem sie einen Weg zur Tafel wählt, der an möglichst allen Tischen und Plätzen vorbeiführt (s. Abbildung 2).

Abbildung 1: Gerader Weg zur Tafel

Abbildung 2: Weg zur Tafel, der an möglichst allen Tischen und Plätzen vorbeiführt

Der primäre Ansatzpunkt einer kulturspezifischen Schreibdidaktik muss nach allem, was wir oben gesehen haben, der Wissensspeicher und nicht der Schreibprozess sein. Denn im Wissensspeicher

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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muss die westliche Herangehensweise an Probleme und Aufgaben verankert sein. Lerner aus anderen Kulturen sollten mit den Textbauplänen deutscher wissenschaftlicher Texte vertraut und zu einem Bestandteil ihres Wissensspeichers gemacht werden. Hierzu ist es angebracht, zunächst die Gliederungspunkte in Texten erkennen zu können. Mögliche Aufgaben dazu sind einerseits das Gliedern eines Textes in einzelne Abschnitte, zu denen Überschriften gebildet werden, andererseits das Komprimieren von Informationen durch kurze Inhaltsangaben im Nominalstil. Eine Variante ist das Rekonstruieren eines Textes, dessen Abschnitte in einer falschen Reihenfolge gegeben werden. Vor Übungen dieser Art ist es jedoch notwendig, Merkmale der inneren Gliederung eines Textes (Proformen, Adverbien, Textkommentare, Verweise auf bereits Gesagtes usw.) einzuführen, so dass sie von den Lernern als konstruierende Elemente erkannt werden können. Im nächsten Schritt sollten die Lerner dann zu vorgegebenen Themen eigene Gliederungen entwickeln und schließlich den Umgang mit Gliederungen lernen (systematisches Bearbeiten/Abarbeiten, eventuelles Verwerfen bzw. Umstellung von einzelnen Punkten; Gewichtung). In diesem Zusammenhang ist mitunter „Überzeugungsarbeit“ zu leisten, da die Erstellung einer Gliederung von einigen Lernenden zunächst als Zeitverlust angesehen wird. Wenn möglich, sollten die im Kurs durchgeführten Schreibaufgaben so konzipiert sein, dass sie eine visuelle Hinführung zur gewünschten Textstruktur enthalten. Dies kann z. B. durch Schemata oder vorgegebene Gliederungen geschehen, wie im folgenden Beispiel. Vorgeführt wird ein einfaches Experiment, bei dem im ersten Schritt eine Stecknadel in einen aufgeblasenen Luftballon gestochen

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Ksenija Fazlić-Walter und Wolfgang Wegner

wird (Das Ergebnis ist nicht schwer zu antizipieren.). Im zweiten Schritt werden zwei Streifen Tesafilm rechtwinklig übereinander auf den Ballon geklebt. Nun wird die Nadel dort hineingestochen, wo sich die beiden Streifen überlagern. Die Lerner sollen anhand eines Arbeitsblatt (s. Abbildung 3) in Stichworten notieren, was sie erwarten (Hypothese) und was sie beobachten. Aus den Stichworten entsteht im nächsten Schritt ein Text.

Abbildung 3: Arbeitsblatt

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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Im weiteren Lernprozess entfallen Gliederungsvorgaben bzw. Schemata. Vielmehr werden die Lernenden an die Erstellung eigener Gliederungen herangeführt. Dabei ist es sinnvoll, verschiedene Gliederungsarten anhand von Beispielen vorzustellen, wie z. B. deduktiv, induktiv, hierarchisch, chronologisch, sachlogisch oder argumentativ. Die Wahl der Gliederungsart steht in Abhängigkeit zur Aufgabenstellung. Aus den bereits erläuterten kulturspezifischen Unterschieden ergeben sich selbstverständlich auch individuelle Unterschiede im Planungsverhalten. Gerade in kulturell durchmischten Lerngruppen bietet sich in der Planungsphase die Partner- oder Gruppenarbeit an. Wie die Unterrichtspraxis zeigt, können unterschiedliche Herangehensweisen an ein Thema hier bereichernd wirken. Der/die Lehrende übernimmt dabei die Rolle, Impulse zu geben, zu beraten, Welt- und Fachwissen zu aktivieren oder auch für den Text relevante Zusatzinformationen zur Verfügung zu stellen. Durch die Diskussion mit dem/der Lernpartner/in bzw. in der Gruppe ergibt sich nach einem gemeinsamen Brainstorming und der groben Gliederung ein Austausch über die Gewichtung. Lernende gaben bei Evaluierungen von Lehrveranstaltungen an, gerade diese Vorgehensweise als sehr motivierend empfunden zu haben, da sie in ihnen die Lust zum Schreiben geweckt habe. Wesentlich für den Lernerfolg ist jedoch, dass die darauffolgende eigentliche Schreibphase in Einzelarbeit stattfindet. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Vermittlung des Ab- bzw. Bearbeitens der Gliederung, die kein starres Gebilde darstellt, sondern während des Schreibprozesses auch verändert werden kann oder manchmal durchaus angepasst werden muss. Dies ist den Lernenden bewusst zu machen, damit sie die Gliederung als wirksames Instrument zu nutzen wissen.

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Die Hinführung zur Arbeit mit Redemitteln sollte schrittweise erfolgen, keinesfalls mittels unkommentierten Listen idiomatischer Wendungen, die dann auswendig gelernt und an unpassenden Stellen angewendet werden. Zunächst bietet es sich an, Redemittel in fremden Texten erkennen zu lassen. Die Lerner erstellen sich eigene Listen und erhalten im Unterricht zusätzlich Variationen verschiedener Ausdrucksmöglichkeiten. In der Anwendungsphase können Lückentexte mit passenden Redemitteln ergänzt werden. Anspruchsvoller sind Übungen, bei denen Texte unter Berücksichtigung bestimmter Redemittel umgeschrieben werden müssen. Abschließend zum Problem fehlender bzw. falscher Interpunktion: Auch hierbei ist der Lernerfolg am größten, wenn nicht einfach Regeln präsentiert werden. Eine kleine Geschichte kann das Problem verdeutlichen: Vor langer Zeit gab es einen Verbrecher, der hingerichtet werden sollte. Man schrieb dem König. Er hatte das Recht, den Verurteilten zu begnadigen. Der König schickte einen Boten, der sich mit folgender Botschaft ankündigte: „Ich komme nicht hängen“. Nur, wo sollte man das Komma setzen? „Ich komme, nicht hängen“ oder „Ich komme nicht, hängen“? Anschließend werden authentische bzw. leicht dem Lernziel entsprechend veränderte Texte ohne Satzzeichen präsentiert, bei denen die Lerner die Interpunktionen ergänzen sollen. Ähnlich kann man bei der Orthographie vorgehen, wobei jedoch Vorsicht geboten ist: Unbedingt ist sicherzustellen, dass alle Lerner die richtige Lösung verstanden haben.

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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Ist der Wissensspeicher um die relevanten Textbaupläne sowie Redemittel erweitert, muss auch der Schreibprozess thematisiert und geübt werden. Hier stehen vor allem Überarbeitungsstrategien im Fokus, die trainiert werden müssen. Diese sind von folgenden Faktoren abhängig: 1. Welche Sprach- und Schreibkompetenz bringt der/die Autor/in mit? Bei Lernenden mit wenig Schreiberfahrung und damit einhergehend wenig Erfahrung im Überarbeiten von Texten ist die Hilfestellung durch den/die Lehrende unabdingbar. In diesem Fall gibt es folglich zwei Personen, die den Text überarbeiten, wobei dem Umgang mit Fehlern und der Art der Korrektur ein besonderer Stellenwert zukommt, den jedoch näher zu betrachten, hier zu weit führen würde. 2. Verfügt der/die Autor/in bereits über einen bestimmten Schreibstil? Tendenziell lassen sich in der Praxis zwei grundlegende Strategien beobachten: die Vermeidung komplizierter, hypotaktischer Satzkonstruktionen als mögliche Fehlerquelle oder aber die übermäßige Verschachtelung der Sätze, um eine hohe Sprachkompetenz zu zeigen. 3. In welchem Stadium des Schreibprozesses befindet sich der/die Autor/in? Überarbeitung hinsichtlich der Gliederung, wie z. B. eventuelles Verwerfen oder Umstellen von Punkten kann bereits während des Schreibens geschehen. Wohingegen die Korrektur sprachlicher Fehler wohl eher nach der Erstellung des Gesamttextes stattfindet.

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4. Die Überarbeitung sollte immer nur unter einem bestimmten Schwerpunkt erfolgen. Mögliche Schwerpunkte sind: - Kohärenz - Textkohäsion - Inhalt - Lexik und Grammatik - Orthographie und Interpunktion In Anlehnung an diese Faktoren können mit den Lernenden folgende Überarbeitungsstrategien geübt werden:   



 

Gemeinsame Erarbeitung und Festlegung bestimmter Kriterien, nach denen Texte überarbeitet werden Vergleich des Inhalts mit der Gliederung und die Bereitschaft, gegebenenfalls Punkte umzustellen Zunächst inhaltlich überarbeiten. Dabei können Fragen hilfreich sein: Ist die Ordnung sinnvoll und für den Leser/die Leserin nachvollziehbar? Ist die Argumentationsstruktur logisch und nachvollziehbar? Sind die Ausführungen zu knapp oder zu ausführlich? Wurde das richtige Register verwendet? Ist die Lexik angemessen? Bei Unsicherheiten ist das Wörterbuch zu Rate zu ziehen. Werden bestimmte für die allgemeine Wissenschaftssprache typische sprachliche Kriterien erfüllt? Schließlich wird Orthographie und Interpunktion geprüft und überarbeitet.

Interkulturelle Aspekte der Vermittlung von Schreibkompetenz

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Selbstverständlich können Lernende mit einer höheren Sprachkompetenz diese Überarbeitungsstrategien, zumindest teilweise, bereits während des Schreibprozesses anwenden. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass abhängig vom Umfang des Textes (z. B. Klausur, Referat oder Abschlussarbeit) für die Überarbeitung genügend Zeit eingeplant wird.

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Ksenija Fazlić-Walter und Wolfgang Wegner

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Erweiterung der Sprachkompetenz im Fremdsprachenunterricht – Praxisbeispiel einer Gruppendiskussion im Fach Technical English C1 Marina Scherrer

Im Rahmen einer Neukonzeption des Kurses Technical English C1 und der stärkeren Annäherung an den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER), sollte neben dem bisherigen mündlichen Prüfungsformat „Präsentation“ ein alternatives Prüfungsformat für den mündlichen Ausdruck eingeführt werden, welches sich zum einen in die didaktischen Konzepte der Handlungsorientierung und Lernzentriertheit einbinden ließ und zum anderen die spontane Interaktion als Prüfungskriterium stärker berücksichtigte. Als ein solches Format wurde eine Gruppendiskussion gewählt. Der Findungsprozess dieses Prüfungsformats und die ersten Umsetzungen sollen hier beschrieben werden. Die Kursteilnehmer1 sind sowohl Studierende, die Bachelorund Masterstudiengänge mit technischem bzw. wirtschaftlichem Schwerpunkt besuchen, als auch Mitarbeiter der Hochschule Tech1

Sofern in diesem Artikel der Einfachheit halber rein männliche Formen (z.B. „Kursteilnehmer“, „Student“ oder „Lektor“) verwendet werden, so werden damit selbstverständlich beide Geschlechter gleichermaßen angesprochen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_11

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Marina Scherrer

nik und Wirtschaft. Die Kursinhalte sind berufsorientiert ausgerichtet und sollen die Teilnehmer darauf vorbereiten, die Anforderungen, die an sie in der Fremdsprache gerichtet werden und an einem modernen Arbeitsplatz auf sie zukommen, meistern zu können. In der Regel sind es ca. 20 Studierende2, die an einem Kurs teilnehmen. Der Kurs selbst findet entweder als zweiwöchiges Blockseminar, sechs Semesterwochenstunden (SWS)3 täglich, in den Semesterferien statt oder als semesterbegleitender Kurs (einmal wöchentlich 4SWS). Insgesamt umfasst er zwischen 52-56 SWS. Der Kurs wird von Lektoren der Hochschule und von Lehrbeauftragten unterrichtet. In einem ersten Schritt der Kurs-Neukonzeption wurde der GER dahingehend untersucht, welche Anforderungen an den mündlichen Ausdruck der Lernenden im C1-Niveau gestellt werden. Die relevanten Stellen sind nachfolgend zusammengefasst aufgelistet:

2

3

Nachfolgend wird der Einfachheit halber von Studierenden gesprochen, auch wenn teilweise Mitarbeiter am Kurs teilnehmen, da der Anteil der Studierenden stark überwiegt. Semesterwochenstunde = SWS: 1 SWS entspricht einer Unterrichtseinheit von 45 Minuten.

Erweiterung der Sprachkompetenz im Fremdsprachenunterricht

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Beschreibung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER)

4 5

Globalskala4

Kompetente Sprachverwendung:

Interaktive Aktivitäten und Strategien5

Mündliche Interaktion

Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne deutlich erkennbar nach Worten suchen zu müssen. Kann sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern. (GER 2001, S. 35) Bei der mündlichen Interaktion handeln Sprachverwendende abwechselnd als Sprechende und Hörende mit einem oder mehreren Gesprächspartnern, um das Aushandeln von Bedeutung auf der Basis des Prinzips der Kooperation das Gespräch gemeinsam entstehen zu lassen. Während einer Interaktion werden ständig Rezeptions- und Produktionsstrategien verwendet. Ferner gibt es Klassen von kognitiven und kooperativen Strategien (auch Diskurs und Kooperationsstrategien genannt), die die Kooperation und Interaktion steuern, wie etwa Sprecherwechsel, sich auf ein Thema einigen oder darauf, wie man sich einem Thema nähert, Lösungen vorschlagen oder evaluieren, rekapitulieren und den erreichten Gesprächsstand zusammenfassen, in einem Konflikt vermitteln usw. [kursive Hervorhebungen durch Verfasser gesetzt].

Auszug aus Tabelle 1 (Globalskala) des GER 2001, S. 35. Auszug aus Kapitel 4.4.3 – Interaktive Aktivitäten und Strategien, GER 2001, S. 78-85.

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Marina Scherrer

Mündliche Interaktion C1 allgemein:

Muttersprachliche Gesprächspartner verstehen C1

Formelle Diskussion und Besprechungen C1

Informationsaustausch C1

Beispiele für eine interaktive Aktivität sind: […]  Debatten  Verhandlungen  Formelle Diskussion (ebd., S. 78) Kann sich beinahe mühelos, spontan und fließend ausdrücken. Beherrscht einen großen Wortschatz und kann bei Wortschatzlücken problemlos Umschreibungen gebrauchen, offensichtliches Suchen nach Worten und Vermeidungsstrategien sind selten, nur begrifflich schwierige Themen können den natürlichen Sprachfluss beeinträchtigen. (ebd., S. 79) Kann im Detail verstehen, wenn über abstrakte, komplexe Themen auf fremdem Fachgebiet gesprochen wird, muss jedoch Einzelheiten bestätigen lassen, besonders wenn mit wenig vertrautem Akzent gesprochen wird. (ebd., S. 80) Kann in einer Debatte leicht mithalten, auch wenn abstrakte, komplexe und wenig vertrauten Themen behandelt werden. Kann überzeugend eine Position vertreten, Fragen und Kommentare beantworten, sowie auf komplexe Gegenargumente, flüssig, spontan und angemessen reagieren. (ebd., S. 82) Kann komplexe Informationen und Ratschläge verstehen und austauschen. (ebd., S. 82)

Erweiterung der Sprachkompetenz im Fremdsprachenunterricht Interaktionsstrategien6

Sprecherwechsel C1

Kooperieren C1

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Kann aus einem geläufigen Repertoire von Diskursmitteln eine geeignete Wendung auswählen und der eigenen Äußerung voranstellen, um das Wort zu ergreifen oder um Zeit zu gewinnen und das Wort zu behalten, während er/sie überlegt. (ebd., S. 88) Kann eigene Beiträge geschickt mit denen anderer Gesprächspartner verbinden. (ebd., S. 89)

Tabelle 1: Mündlicher Ausdruck - Skala und Deskriptoren im GER

Nach dieser Durchsicht des GER wurde die Entscheidung getroffen, eine Gruppendiskussion, zunächst im Rahmen eines Pilotprojektes, zu testen. Gründe dafür waren, dass dieses Prüfungsformat sowohl einen realitätsnahen Bezug zu Besprechungen im Arbeitsleben herstellen kann als auch dem im GER verankerten Qualifikationsziel an einer Diskussion teilnehmen gerecht werden würde. An dieser Stelle sollte erwähnt sein, dass die englische Sprache hier als Lingua Franca angewandt wird und interkulturelle Aspekte zwar angesprochen, aber nicht detailgenau berücksichtigt werden können, d. h. dass keine Kultur einer englischen Varietät in den Mittelpunkt gerückt wird. Dies entspricht der zukünftigen Arbeitswelt der Mehrheit der Studierenden, die für deutsche Firmen mit internationalen Kontakten tätig sein werden und in diesem kommunikativen Zusammenhang auf eine Vielzahl von Sprechern treffen, die wiederum Englisch als Zweitsprache verwenden. Im Folgenden wird zusammenfassend auf die Entwicklung und Einführung des Prüfungsformats eingegangen und es werden ein6

Auszug aus Kapitel 4.4.3.5 - Interaktionsstrategien GER 2001, S. 87-88.

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Marina Scherrer

zelne Stationen innerhalb dieses Prozesses wiedergegeben.7 Der Einführungsprozess dieses Prüfungsformats umfasst aktuell drei Semester, wobei der Beginn der Entwicklungsphase im Wintersemester 2016/17 lag.

Themen Zunächst mussten passende Themen ausgewählt werden, die zum einen zeitgemäß sein sollten und sich zum anderen in einem technischen Kontext befanden. Vor dem Hintergrund des aktuellen Industriewandels8 – Stichwort Digitalisierung, Industrie 4.0, Big Data – bot es sich an, eben diese Themen als Szenarien für die Gruppendiskussion auszuwählen, um einen authentischen Bezug zu den aktuellen Entwicklungen herzustellen. Die europäische Wirtschaft befindet sich derzeit in einem Strukturwandel und bewegt sich vom Industriezeitalter hin zum Informationszeitalter. Im Bereich der nachhaltigen alternativen Energiequellen und deren Nutzungsmöglichkeiten, z. B. auch in der Automobilbranche, gibt es innerhalb kürzester Zeiträume immer wieder neue Tendenzen. Mit diesen Thematiken beschäftigt sich die Mehrheit der Studierenden ohnehin auch in ihren grundständigen Studiengängen, sodass sie sich

7

8

Begleitet und unterstützt wurde die hochschuldidaktisch-konzeptionelle Entwicklung des neuen Prüfungsformats durch Mitarbeiter des Projekts SKATING (ein Qualitätspakt-Lehre-Projekt aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung) an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft. Vgl. z. B. die Inhalte der Website vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales: http://www.arbeitenviernull.de/

Erweiterung der Sprachkompetenz im Fremdsprachenunterricht

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mit diesen Veränderungsprozessen und Diskussionsthemen im Fremdsprachenunterricht nicht zum ersten Mal beschäftigen. Eine weitere Anforderung an die Themenwahl war der Bezug zu gesellschaftlichen Aspekten bzw. gesellschaftlichen Auswirkungen. Als ein Beispielthema bietet sich das autonome Fahren an. Zu diskutieren wäre bei dieser Thematik bspw., welche Auswirkungen sich auf das Autokaufverhalten der Kunden ergeben oder auch welche juristischen Fragen der Unfallhaftung noch offen sind. Die Studierenden diskutieren dann gemeinsam darüber, welche Voraussetzungen grundsätzlich geklärt sein müssen, bevor das autonome Fahren alltäglich werden kann. Dieses Thema des „Autonomous Driving“ sowie die Themen „Wearables“, „Big Data“, „Human Robotik Collaboration“ und „Renewable Energies“ sollten im Wintersemester 2016/17 von den Studierenden diskutiert werden. Im Laufe des Semesters wurden fünf Szenarien für die Diskussionsthemen erstellt. Jedes Szenario hatte eine einleitende Situation, mit Hilfe derer der Anlass der Diskussion skizziert wurde. Hiernach kamen eine Graphik, Statistik bzw. ein Diagramm, mit denen eine Brücke zum folgenden Fragenteil bereitet werden sollte. Am Beispiel des Themas Driverless Cars soll dies veranschaulicht werden. Das entsprechende Arbeitsblatt zum Start in die Gruppendiskussion war wie folgt gestaltet:

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Abbildung 1: Arbeitsblatt zum Start in die Gruppendiskussion

Marina Scherrer

Erweiterung der Sprachkompetenz im Fremdsprachenunterricht

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Redemittel Als erster Schritt wurden im Unterricht die Sprechintentionen, die in einer Diskussion vorkommen, und die zum Teil bekannten Redemittel von den Studierenden gesammelt bzw. über eine Hörverstehen-Übung erarbeitet. Sie identifizieren diese anhand authentischer Diskussionsbeispiele. YouTube bietet hier authentische und anspruchsvolle Beispiele der Zielsprache9. So werden den Studierenden unterschiedliche Sprechintentionen in einer Diskussion verdeutlicht, z. B. das Gestalten von Nachfragen, das Einbringen eines neuen Arguments oder die angemessene Unterbrechung eines Gesprächspartners. Die Studierenden übertragen anschließend die erkannten Redemittel auf Flipchartpapier, die mit Klebestreifen an der Wand angebracht werden. Im Anschluss werden sie auf der ILIASPlattform für die Studierenden hinterlegt. Das kann nach dem Unterricht auch einer der Studierenden übernehmen.10 Abhängig von den Vorkenntnissen der Studierenden könnte man auch nur eine Klassifizierungsübung machen. Es wurde hierzu ein Handout vorbereitet mit einer Vielzahl unterschiedlicher Redemittel für verschiedene Sprechabsichten. Die Redemittel müssen gesammelt und dann der passenden Sprechabsicht zugeordnet werden. Zusätzlich 9

10

Ein gutes Beispiel findet sich unter: Parliamentary Debate: British Academy: Energy and the Environment: What´s the challenge? https://www.youtube.com/watch?v=2_LbA6ecIDs Bei dieser ersten Diskussion kommen häufig schon sehr konkrete Hinweise für Verbesserung der technischen Ausstattung. Diese können gesammelt werden und für eine spätere Übung verwendet werden. Die Studierenden können einen Verbesserungsvorschlag formulieren, der an die zuständigen Hochschulstellen geschickt werden kann.

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können sowohl auf dem Handout als auch auf dem Flipchartpapier Abstufungen gekennzeichnet werden, z. B. die Unterscheidung „sehr höflich“ und „wenig höflich“. Es ist auch denkbar, die Redemittel lediglich als Hausaufgabe vorbereiten zu lassen. Sowohl durch die Hausaufgabe als auch nach der aktivierenden Variante im Unterricht können in einer anschließenden Diskussion die erarbeiteten Redemittel über ein Einstiegsthema direkt angewandt werden, z. B. „The technical equipment of the classroom“ oder „Attendance lessons versus online lessons“. Zu diesen Themen können die Studierenden direkt etwas sagen und das Augenmerk liegt hier auf der unmittelbaren Anwendung der Redemittel. Die Studierenden haben sich, nachdem die Redemittel erarbeitet waren, jede Woche auf die nächste Diskussion vorbereitet. (Während des zweiwöchigen Intensivkurses geschah dies von einem Tag auf den anderen.) Zur Vorbereitung konnten und sollten sie auf Internetquellen zugreifen, die ihnen über die Lernplattform ILIAS per Links zur Verfügung gestellt wurden, um aktiv an der Diskussion teilnehmen zu können. Die Diskussion selbst wurde von den Studierenden in Gruppen von drei bis vier Studierenden durchgeführt. Auswahl der Bewertungskriterien In der Anfangsphase und auch während des Projektprozesses der Gruppendiskussion stellte sich die Frage nach dem Bewertungsmodus und den Bewertungskriterien, die unter Berücksichtigung der Gütekriterien zur Erstellung von kompetenzorientierten Prüfungen (vgl. Wunderlich 2016) und unter Einbindung der GER-Kriterien

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gefunden werden sollten. Die Prüfung sollte valide, d. h. das Lernziel messen, reliabel, d. h. zu vergleichbaren Ergebnissen in Parallelgruppen führen, objektiv, d. h. mit festgelegten Kriterien für die Beurteilung arbeiten, und praktikabel, d. h. ein angemessenes Verhältnis zwischen notwendigen Ressourcen und dem Kompetenzgewinn durch die Prüfung aufzeigen, sein. Ergänzend wurde der GER dahingehend untersucht, welche Anforderungen an den mündlichen Ausdruck der Lernenden im C1Niveau gestellt werden. Die relevanten Stellen sind nachfolgend zusammengefasst aufgelistet:

C1

C1

Lexikalische Kompetenz Wortschatzspektrum Beherrscht einen großen Wortschatz und kann bei Wortschatzlücken problemlos Umschreibungen gebrauchen, offensichtliches Suchen oder der Rückgriff auf Vermeidungsstrategien sind selten. Gute Beherrschung idiomatischer Ausdrücke und umgangssprachliche Ausdrücke. (GER 2001, S. 112) Phonologische Kompetenz Beherrschung der Aussprache und Intonation Kann die Intonation variieren und so betonen, dass Bedeutungsnuancen zum Ausdruck kommen. (ebd., S. 117)

Tabelle 2: Mündlicher Ausdruck: Bewertungskriterien aus dem GER

Nach dieser Durchsicht und mit Einbindung der Gütekriterien wurde sich auf folgende vier Kriterien geeinigt: Umsetzung des Inhalts, Wortschatz, Phonologische Kompetenz und Interaktion. Nachfolgend sind das Bewertungsraster und die beschriebenen Kriterien beigefügt.

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Abbildung 2: Evaluation Grid (Language Assessment)

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Abbildung 3: Evaluation Grid (Interaction)

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Durchführung der Diskussionen und Bewertung im Unterricht Im ersten Semester dieses Projekts war zunächst angedacht, direkt im Unterricht die Bewertung der Gruppendiskussion durchzuführen, allerdings erwies sich dies bereits in der ersten bewerteten Diskussionsrunde als sehr schwierig und so wurden die Diskussionen mit dem Smartphone aufgenommen. Dies ermöglichte es, die Bewertung mit der notwendigen Ruhe durchzuführen. Im darauffolgenden Semester wurden dann fünf Aufnahmegeräte angeschafft, um die Prüfung am gleichen Tag pro Klasse durchführen zu können. Dadurch wurde eine gleichmäßige Progression sichergestellt und die Studierenden hatten in der abschließenden bewerteten Gruppendiskussion alle dasselbe Thema. Zu Beginn der Übungsphase im Unterricht werden die Bewertungskriterien mit den Studierenden besprochen. Es kann und soll bereits während der Übungsdiskussionen als PeerFeedbackinstrument eingebaut werden. Zudem wird den Studierenden im Sinne einer kompetenzorientierten Lehre (vgl. Walzik 2015) transparent veranschaulicht, was gegen Ende des Semesters/des Kurses von ihnen in der Prüfung abverlangt wird. Die Übungsdiskussionen während des Semesters und die Abschlussdiskussion dauern 20 Minuten, so hat jeder Studierende in seiner Gruppe von vier Personen ausreichend Zeit, sich zum Thema zu äußern und auf Argumente/Äußerungen zu reagieren. Es hat sich gezeigt, dass es die Übungsdiskussionen belebt, wenn einige kleine Varianten eingebaut werden. Z. B. kann, bevor die Diskussion beginnt, jeder leserlich auf einen kleinen Zettel drei Sprechintentionen mit Abstufung („Unterbrechen unfreundlich“, „neues Argument sehr detailliert“, „präzise Zusammenfassung)“ und etwas Lus-

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tiges, z. B. „flirtet“, „zwinkert mit den Augen“ schreiben. Die Zettel werden eingesammelt und neu verteilt, wobei darauf geachtet wird, dass niemand seinen eigenen Zettel erhält. Diese Sprechintentionen wurden für jede Diskussionsgruppe in der Anfangsphase verdeckt in die Mitte des Tisches gelegt und die Studierenden zogen dann nacheinander eine Sprechintention und mussten sie umsetzen. Eine nette Art, andere Studierenden kennenzulernen, ist die folgende Variante: Nachdem die Studierenden in Kleingruppen von drei bis vier Personen eingeteilt wurden, erhalten sie das Thema mit der Aufgabe und beginnen zu diskutieren. Nach etwa fünf Minuten bekommt einer aus jeder Diskussionsrunde ein Zeichen (farbige Karten, Händeklatschen) und muss in eine andere Gruppe gehen, um dort weiter zu diskutieren. Eine vorherige Nennung als „Floater“ ist denkbar, aber auch ein spontanes Aufrufen oder die Zuteilung einer farbigen Karte. Dies wiederholt sich nach fünf Minuten ein weiteres Mal. Die anfängliche Gruppeneinteilung kann durch die Lehrperson erfolgen oder durch die Studierenden selbst. Dank der festen Verankerung der Gruppendiskussion im Unterrichtsgeschehen und der erforderlichen Vorbereitung auf die Diskussionen über die bereitgestellten Informationsquellen sowie zusätzlicher Eigenrecherche erarbeiten sich die Studierenden neue Wortschatzfelder. Das Wortschatzspektrum erweitert sich um die verschiedenen Themenfelder, die im Kontext zu erschließen sind. Dadurch werden sie auch angeregt, Bedeutung und Aussprache einzelner Wörter nachzuschauen. Zur Erweiterung und Stärkung der phonologischen Kompetenz dienen Übungen, die mit Hilfe der zugänglichen TED-Talk-Audios

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und -Transkriptionen durchgeführt werden können.11 In den Transkriptionen werden Pausen und Intonationsmarker gesetzt, z. B. Betonung von Fragen und Aussagesätzen. Ausschnitte der TEDTalks werden dann in Kleingruppen bzw. innerhalb eines Übungspaars individuell vorgetragen. Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Studierenden bereits in der Anfangsphase mit den Bewertungskriterien vertraut gemacht werden. Das sorgt für die notwendige Transparenz und weiterhin dienen die Bewertungskriterien als Grundlage für das Peer-Feedback, welches in die Übungsdiskussionen integriert wird. Jeweils einem Diskussionsteilnehmer wird durch einen Kommilitonen anhand eines Bewertungskriteriums ein Feedback zu den Diskussionsbeiträgen gegeben. Weiterhin werden ein- bis zweimal pro Kurs die Audiodateien der zu Feedbackzwecken aufgenommenen Gruppendiskussionen auf ILIAS hochgeladen und die Studierenden nehmen anhand des Rasters, im Rahmen einer Hausaufgabe, eine Selbstevaluierung vor. Folgende Aufgabe diente den Studierenden dabei als Struktur:

11

TED-Talk-Beispiele finden Sie unter: https://sites.google.com/site/intensiveoralenglishskills/ted-talks.

Erweiterung der Sprachkompetenz im Fremdsprachenunterricht Group Discussion:

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Name:

These aspects went well (please refer to handling of agenda points, interaction, language devices and presentation of arguments): I would like to work on the following points for the next/final group discussion:

Tabelle 3: Self-evaluation

Diese wird dann im Plenum unter dem Motto „Language Garage“ gemeinsam besprochen – häufig wiederkehrende Fehler werden zusammen korrigiert und gleichzeitig wird ein individuelles Feedback durch die Lehrkraft angeboten. Das Arbeiten und Auseinandersetzen mit der eigenen Aufnahme hat sich als äußerst hilfreich erwiesen. Die Studierenden schätzen dies sehr. Hier soll noch mal in Erinnerung gebracht werden, dass die Kurse auch von Lehrbeauftragten unterrichtet werden. Die Bewertungskriterien und die Bewertungsmethoden müssen vom zeitlichen Aufwand her betrachtet also sowohl für die Lektoren als auch für die Lehrbeauftragten praktikabel sein. Das bedeutet, dass die Anzahl der Kriterien überschaubar sein muss und die Rahmenbedingungen stimmen bzw. abgeklärt werden müssen, wie z. B. das zu-

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sätzliche Honorar aufgrund des höheren zeitlichen Aufwands für die Bewertung der Diskussionsaufnahmen.12 Es ist wichtig zu erwähnen, dass es erlaubt ist, während der Abschlussdiskussion ein DIN-A4-Blatt mit Zahlen, Schlüsselwörtern bzw. kurzen Zitaten mitzubringen. Redemittel oder ganze Sätze sind nicht erlaubt. Es gab bisher keine nennenswerten Komplikationen mit dieser Regelung. Die Studierenden halten sich daran, da sie durch das kontinuierliche Üben und die Vorbereitung auf die Diskussionen das Selbstvertrauen in ihre fremdsprachliche Kompetenz stärken. Weiterhin ist ihnen das Bewertungsschema bereits von Anfang an bekannt. Feedback zur Gruppendiskussion Im Allgemeinen wurde die Gruppendiskussion bereits im Wintersemester 2016/17 positiv aufgenommen. Die Studierenden teilten mit, dass der Bezug zur Praxis erkennbar ist und die Gruppendiskussion ihnen das Gefühl vermittelte, an einer „echten“ Besprechung im zukünftigen Arbeitsleben teilzunehmen. Die Diskussionen boten ihnen die Möglichkeit, ihr gesprochenes Englisch zu verbessern und zu unterschiedlichen Themen ihre Sichtweise zu äußern. Die Aufnahmen wurden als sinnvoll bezeichnet und die Bewertung als transparent und fair angesehen. Als negativ erachtet wurde der Umstand, dass sich die Studierenden schlecht auf ihre Beiträge vorbereiten konnten. Dies ist dem 12

Es ist bisher noch keine Entscheidung hinsichtlich der Einbindung der Lehrbeauftragten getroffen. Hierzu müssten einige Rahmenbedingungen angeschaut und weitere Aufnahmegeräte angeschafft werden.

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Bewertungskriterium der spontanen Interaktion geschuldet. Die Studierenden regten an, Diskussionen auch von ihnen gestalten zu lassen. Dies wurde im darauffolgenden Sommersemester 2017 umgesetzt. Die Studierenden hatten die Möglichkeit, in Kleingruppen von maximal drei Studierenden an der Erstellung eines Gruppendiskussion-Settings gemeinsam zu arbeiten. Sie erhielten dafür fünf Punkte zusätzlich, d. h. diese wurden als Bonuspunkte in der abschließenden Klausur angerechnet. Diese tolle Idee seitens der Studierenden bietet zum einen die Möglichkeit, mit den Themen immer am „Puls der Zeit“ der Entwicklungen zu sein. Die Studierenden haben somit die Möglichkeit, ihre in den grundständigen Studiengängen erworbenen Fachkenntnisse im Unterricht anzuwenden. Sie erstellen etwas unter dem Motto „Von Studierenden für Studierende“. Außerdem müssen sie sich gewissermaßen in die didaktische Umsetzung des Settings hineindenken, sie müssen die Materialien für die Vorbereitung per Internetquellen sowohl finden und filtern als auch für geeignet erachten, um an der Gruppendiskussion teilnehmen zu können. Nachfolgend erfolgt ein Auszug der aktuellsten Rückmeldungen von Studierenden des Wintersemesters 2017/2018 und des Sommersemesters 2018 (Intensivkurs). Die Gruppendiskussionen wurden in diesen Semestern als sinnvolle Übung innerhalb des Unterrichts beschrieben, weil sie den Meinungsaustausch zu aktuellen Themen fördert und der Unterricht dadurch auch an „Fahrt aufnehmen“ kann. Weiterhin kamen Rückmeldungen, dass die erarbeiteten Redemittel und angewandten Redemittel nützlich für die zukünftigen Arbeitssituationen sind, die technikbezogenen Themen gut ausgewählt waren und ein neuer Wortschatz „im Fluge“ („on the fly“) erlernt werden konnte.

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Zudem wurde betont, dass die Diskussionen das Selbstvertrauen im gesprochenen Englisch stärken und die Aufnahmen den Stresslevel während der Prüfung reduzieren. Ebenfalls als positiv empfunden wurden die Gruppengröße und das gegenseitige Feedback zu den Aufnahmen. Die in den Szenarien verwendeten Bilder, Illustrationen, Graphiken wurden ebenso als hilfreich erachtet. Von den Studierenden angeregt wurde es, eine Diskussion vor der Klasse zu führen, ebenso wie eine hitzige Debatte im Stile des britischen Unterhauses. Es wurde auch der Wunsch geäußert, mehr Aufnahmen auf ILIAS hochzuladen, um den eigenen Lernfortschritt genauer verfolgen zu können. Weiterhin wünschten sich die Studierenden mehr Szenarien, die eine Problemlösung als Ziel haben oder hatten, z. B. wurde der Vorschlag eingebracht, zu besprechen, welches Herstellungsverfahren für ein Produkt das sinnvollere wäre. Resümee und Ziele für die kommenden Semester: Als Fazit kann festgehalten werden, dass die Studierenden die berufliche Relevanz dieses Prüfungsformats der Gruppendiskussion erkennen. Das aktivierende Format der Diskussion bereitet den meisten, wie aus den Rückmeldungen zu erkennen ist, viel Freude. Es ermöglicht ihnen, im Rahmen einer Diskussion ihre Sprachkenntnisse zu verfeinern und auf ganz detaillierte Weise spezifische Redemittel zu üben und Argumentationsketten aufzubauen. Aus der Sicht der Lehrenden war es besonders in der Anfangsphase spannend zu sehen, wie offen sich die Studierenden diesem Projekt gegenüber gezeigt haben und mit welch großem Vertrauen sie sich bereiterklärt haben, die Aufnahmen mitschneiden zu lassen,

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um zum einen Feedbacks während des Unterrichts geben zu können und zum anderen belastbare Aufnahmen für Nachfragen zu haben, die im Rahmen der Prüfungsbewertungen auftreten könnten. Um die notwendige Transparenz zu gewährleisten, ist es wesentlich, die Bewertungskriterien von Anfang an mit im Unterricht zu integrieren. Angestrebte Ziele für die zukünftigen Semester bleiben die Erstellung von Best-Practice-Beispielen, als Vorlage für die Studierenden, die mit Hilfe der Transkription von bereits erhaltenen Diskussionsaufnahmen erstellt werden können. Kontinuierliche PeerFeedbacks sowie Dozent-Student-Feedbacks sollen fester Bestandteil vor der Abschlussdiskussion werden. Weitere Diskussionsszenarien, die von den Studierenden aufgrund ihrer hervorragenden Fachkenntnisse selbst erstellt werden sollen, sind ebenfalls angedacht. Dies erweitert stetig die Anzahl der Diskussionsszenarien mit aktuellen Themen und soll dazu beitragen, dass die Teilnehmer dieses Sprachkurses auch weiterhin so engagiert wie bisher an den Gruppendiskussionen arbeiten.

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Literatur Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt [Im Text wird diese Quelle bezeichnet als GER]. Federal Ministry for Economic Affairs and Energy (2018): White paper on digital platforms of the Economic Affairs Ministry, online abzurufen unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/EN/ Publikationen/weissbuch-digitale-plattform-kurzfassung-eng. pdf?__blob=publicationFile&v=4, letzter Zugriff: 15.02.2018. Wunderlich, Andrea (2016): Learning-Outcomes ‚lupenrein‘ formulieren, Fachhochschule Köln, abzurufen unter: www.thkoeln.de/mam/downloads/deutsch/hochschule/profil/lehre/stec kbrief_learning_outcomes.pdf, letzter Zugriff: 06.03.2018. Walzik, Sebastian (2015): Kompetenzorientiert Prüfen: Leistungsbewertung an der Hochschule in der Theorie und Praxis, Opladen und Toronto: Verlag Barbara Budrich (UTB). Weiterführende Literatur: Biggs, John/Tang, Catherine (2011): Teaching for Quality Learning at University, Fourth Edition, Maidenhead, Berkshire, England: McGraw-Hill Society for Research into Higher Education & Open University Press. Bolton, Sybille/Glaboniat, Manuela/Lorenz, Helga/PerlmannBalme, Michaela/Steiner, Stefanie (2008): Mündliche Produktion und Interaktion Deutsch, Illustration der Niveaustufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens, Berlin und München: Langenscheidt. Grotjahn, Rüdiger/Kleppin, Karin (2015): Prüfen, Testen, Evaluieren, München: Goethe-Institut (Deutsch Lehren Lernen, Bd. 7).

Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis – Studieren im Philosophicum Marion Grein

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, das Service- und Beratungszentrum PHILIS der JGU Mainz am Fachbereich 051 vorzustellen. Hier wird der Bereich des wissenschaftlichen Schreibens fokussiert, der internationalen Studierenden Tutorien zum wissenschaftlichen Schreiben und zur Studienkultur anbietet. In einem ersten Kapitel wird kurz auf die Ausgangssituation und den Bedarf an solchen Tutorien eingegangen (Kapitel 1). Es folgen konkrete Beispiele aus einer wissenschaftlichen Arbeit einer ausländischen Studierenden und eine Zusammenfassung ihrer Probleme (Kapitel 2). Im 3. Kapitel schließlich wird das Beratungskonzept PHILIS vorgestellt. Das 4. Kapitel geht schließlich kritisch auf das Potential solcher Angebote ein.

1

Der FB 05 umfasst die folgenden Studiengänge: Department of English and Linguistics, Deutsches Institut (inkl. DaF), Gutenberg-Institut für Weltliteratur und schriftorientierte Medien, Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft, Institut für Slavistik, Turkologie und zirkumbaltische Studien, Philosophisches Seminar und Romanisches Seminar.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_12

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Die Ausgangssituation

Im Jahre 2014 wurde mit über 300.000 ausländischen Studienbewerbern und -bewerberinnen in Deutschland ein neuer Rekord gebrochen (vgl. BMBF: 2015) und aufgrund sinkender Studierendenzahlen an den deutschen Universitäten ist davon auszugehen, dass die Bemühungen um internationale Studienbewerbende zunehmen wird. Die meisten Universitäten verfügen inzwischen über eine Internationalisierungsstrategie, mit der ausländische Studierende angeworben werden sollen (vgl. Hochschulforum Digitalisierung 2016: 3). Im Jahr 2015 hatten mehr als 20 Prozent der Studienanfänger eine ausländische Staatsbürgerschaft (vgl. Burkhart et al. 2016). „Deutschland hat sich hier zwei quantitative Ziele gesetzt, die es bis 2020 zu erreichen gilt: Zum einen soll die Zahl internationaler Studierender in Deutschland auf 350.000 steigen. Mit mehr als 340.000 an deutschen Hochschulen eingeschriebenen ausländischen Studierenden im Jahr 2015 ist dieses Ziel bereits in Sichtweite“ (Hochschule Digitalisierung 2016: 6; vgl. Statistisches Bundesamt; Zeit).

Problematisch erscheint jedoch, dass nur ein geringer Teil dieser ausländischen Studienbewerber und Studienbewerberinnen auch einen Studienabschluss in Deutschland erlangen, so ist die Abbruchquote weiterhin hoch (vgl. Burkart & Kercher 2014 DAAD Abbruchquoten ausländischer Studierender). Selbst wenn, wie in Burkart & Kercher 2014 gezeigt, die Abbruchquoten sinken, so bleibt problematisch, dass die ausländischen Studierenden in der Regel mit schlechteren Noten abschließen als ihre deutschen Kommilitonen und Kommilitoninnen.

Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis

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Im Jahr 2008 schrieben Brandl, Brinkschulte & Immich: „Zahlreiche Studien aus dem Bereich der Linguistik zeigen, dass vor allem bei der Bewältigung der Studienleistungen trotz des bereits hohen Sprachniveaus Schwierigkeiten auftreten. Das Spektrum erstreckt sich dabei von Kommunikationsschwierigkeiten mit Dozenten, über Probleme bei der Rezeption von Vorlesungen bis zur selbstständigen Weiterentwicklung.“ (2008: 401).

Die Probleme ausländischer Studierender liegen also meist nicht im Bereich der Fachkompetenzen, sondern im Bereich der Deutschkompetenz. Überprüft werden die Deutschkenntnisse für das Studium an deutschen Hochschulen (siehe Rahmenordnung RO-DT, 2011) durch verschiedene zugelassene Prüfungen (DSH, TestDaF, DSD II, telc Deutsch C1). Nach bestandener Prüfung wird die „sprachliche Studierfähigkeit“ bestätigt (vgl. Wollert & Zschill 2017: 4). Trotz dieser „sprachlichen Studierfähigkeit“ sind viele ausländische Studierende auf ein Studium in Deutschland nicht vorbereitet und es wurde bis dato nicht ausreichend validiert, was genau unter Studierfähigkeit zu verstehen ist (vgl. auch Demmig 2012; Marks 2012). Auch der aufgrund der Geflüchteten großflächig eingeführte TestAS, als Studierfähigkeitstest, vermag es meines Erachtens nicht, die tatsächliche Studierfähigkeit zu messen (vgl. https://www.testas.de/ [Zugriff 05.10.2018]). Das Problem ist dabei kein neues, sondern wurde bereits 1997 z. B. von Ehlich thematisiert, der bereits vor 20 Jahren eine studienintegrierte Sprachqualifizierung (1997: 768) forderte (vgl. auch Graefen 1999). Das Hauptproblem – so vermute ich – liegt nicht zuletzt an den sehr divergierenden Lernkulturen bzw. der Lernbiografien der ausländischen Studierenden. Gerade die Lernenden aus Asien, aber auch slawischen Ländern (in unserem DaF-Studium vor allem Ja-

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pan, China und Indonesien sowie Polen und Russland) haben ihre bisherige schulische und universitäre Laufbahn oftmals damit verbracht, das was ihnen ihr Lehrender vermittelte, auswendig zu lernen (chin. xuéxi 学习: nachahmen und wiederholen). Textformen wie Argumentationen, Stellungnahmen, eigene kohärente Darstellungen eines Sachverhalts aus unterschiedlichen Perspektiven, kritische Reflexionen eines Textes sind ihnen oftmals nicht bekannt. Streitgespräche, mündliche Pro-und-Contra-Diskussionen, konzeptionelle Mündlichkeit in Referaten etc. sind für viele ebenfalls Neuland (vgl. auch Fandrych 2007; Degener 2016 GoetheInstitut; https://www.goethe.de/ de/spr/mag/20708758.html). Meines Wissens werden die Studierenden lediglich mit der Reihe Campus des Hueber Verlags (Hören und Mitschreiben, Lesen, Schreiben sowie Präsentieren und Diskutieren) umfassend auf das Studium in Deutschland vorbereitet – eine Reihe, die von unseren ausländischen Studierenden als ausnahmslos hilfreich eingeschätzt wurde, auch wenn sie es erst nach ihrer Ankunft in Deutschland kennengelernt haben. Für den Bereich des wissenschaftlichen Schreibens liegen drei Lehrwerke vor (siehe Bibliografie), die jedoch nach meinen eigenen Befragungen den ausländischen Studierenden ebenfalls nicht bekannt waren. Dies mag damit zusammenhängen, dass den nichtdeutschen Lehrkräften im Ausland die deutsche „akademische Textkompetenz“ (s. Kapitel 3) oftmals ebenso fehlt. Fokussieren werde ich in diesem Artikel lediglich den Bereich des wissenschaftlichen Schreibens (für mündliche Kompetenzen siehe Fandrych, Meißner & Slavcheva (2014) und Fiehler (2008)). Graefen & Thielmann (2007) haben als grundlegende fachunabhängige sprachliche Mittel des wissenschaftlichen Schreibens

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Verweise im Text, Textkommentierungen, implizite Wissensbewertung und einen sachlich-unpersönlichen Stil aufgeführt. Kennzeichen deutscher wissenschaftlicher Texte sind darüber hinaus die Vermeidung von Redundanzen, Passivierungen, Nominalstil, die kritische Betrachtung unterschiedlicher Perspektiven und die Formulierung des eigenen Standpunkts (vgl. Graefen & Thielmann 2007: 85; Fandrych, 2005, 2007, 2008; Feilke 2012: 9f.). Ferner sind wissenschaftliche Texte kohärent und daher mit den notwendigen Kohäsionsmitteln aufzubauen (vgl. Fix 2008: 66; vgl. Kapitel 2). Im folgenden Kapitel möchte ich einige konkrete Beispiele aus Texten ausländischer Studierender heranziehen, um konkrete Probleme aufzuzeigen.

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Analyse geschriebener Texte

Betrachten wir zunächst Fandrychs (2007) Einzelanalysen, die die folgenden konkreten Problemfelder bei wissenschaftlichen Hausarbeiten deutlich machen (vgl. auch Fandrych 2008): -

Zitatencollagen aus Einführungswerken fehlende Abstraktion fehlender kritisch-bewertender Standpunkt falsche Registerwahl oftmals große Nähe zum Original (Plagiat) fehlende Idiomatik, fehlende Formulierungsroutinen bewertende moralische Urteile

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-

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der übliche Aufbau: Ziel, Relevanz und Aufbau der Arbeit fehlt falsche Kollokationen keine abstrahierende Zusammenfassung, sondern „Abarbeiten“ von Quellen, ohne diese gegeneinander abzugrenzen fehlende Formulierungsroutinen

Die folgenden Beispiele aus einer eingereichten Hausarbeit zeigen, dass die Verfasserin (Polin) zwar das Prinzip des Aufbaus einer wissenschaftlichen Arbeit kennt, sie jedoch oftmals falsche Begrifflichkeiten (abgewandelte Formulierungsroutinen) verwendet, zuweilen einen gesprochenen Sprachstil verwendet (Registerwahl) und inhaltlich das Prinzip der Operationalisierung von Variablen nicht verstanden hat. Die Aufgabe war es, ein empirisches Design zu entwickeln, also den Aufbau einer empirischen Studie zu skizzieren, ohne die Studie durchführen zu müssen (Stichworte: forschungsorientierte Lehre und Vorbereitung auf empirische Masterarbeiten). Zitate aus der Arbeit werden hier kursiv dargestellt. Ihre zu überprüfende These lautete dabei: Die Aussprache der kurzen und langen Vokale im Deutschen wird durch Singen im Unterricht der Grundstufe verbessert. Schon das "in der Grundstufe" ist nicht eindeutig, man kann aber erschließen, dass sie die Studie im Grundstufenbereich durchführen möchte. Sie beginnt, vollkommen richtig, mit einer Einleitung, in der sie die Ziele formuliert: In dem vorliegenden Empirischen Design wird überprüft, ob Singen im Fremdsprachenunterricht die Aussprache der erlernenden Fremdsprache verbessern kann. Die Hypothese, die der Forschung zugrunde liegt, lautet ... s.o. Die Formulierung ist unpräzi-

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se: Es wird nicht innerhalb des Designs überprüft, ob Singen die Aussprache verbessert, sondern der Aufbau der Studie, mit dem diese Hypothese überprüft werden soll. Ferner müsste es der „zu erlernenden Fremdsprache" heißen. Die Hypothese liegt nicht der Forschung zugrunde, sondern die Hypothese soll mit Hilfe der Studie (falscher Begriff Forschung) verifiziert oder falsifiziert werden. Diese Studie wird im DaF-Unterricht mit polnischen Teilnehmenden durchgeführt und bezieht sich auf die Aussprache der kurzen und langen Vokale. Die Population wird vorgestellt und man erahnt, dass sie sich bei der Ausspracheevaluation auf die Vokallänge beschränken möchte. Im nächsten Schritt wird, wieder stimmig, der Hintergrund und der Aufbau skizziert. Sie schreibt: Um die Fragestellung zu beantworten, wird zunächst der theoretische Rahmen umgerissen. Zunächst handelt es sich nicht wirklich um eine Fragestellung, sondern um die Überprüfung einer Hypothese; und die Routineformulierung "etwas umreißen" wird zu einem "umgerissenen" Rahmen. Weiter formuliert sie: Als erstes wird die Aussprache des Deutschen näher beschrieben, es wird die allgemeine Bedeutung der Phonetik im Fremdsprachenunterricht skizziert. Danach wird das Singen im Fremdsprachenunterricht genauer bezeichnet. Es werden die positiven Einflüsse des Singens im Bereich der Phonetik geschildert. Darauffolgend wird die Operationalisierung der beiden Variablen beschrieben und der Forschungsaufbau erläutert. Kohärenter wäre es, erst auf die Bedeutung der Phonetik im Allgemeinen und dann auf die Aussprachephänomene des Deutschen einzugehen. Durch die fehlende Konjunktion zwischen den beiden Sätzen, nur durch Komma getrennt, entsteht der Eindruck,

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als würden die beiden Vorgänge gleichgesetzt. Die folgenden vier Verben treffen nicht genau das, was ausgedrückt werden soll: Das Singen kann nicht genauer bezeichnet werden, die Schilderung der positiven Einflüsse wäre gegebenenfalls noch akzeptabel, die Variablen werden operationalisiert und der Forschungsaufbau eher skizziert. Weiter schreibt sie: Schließlich sollte ein Überblick von Problematik der Studie gegeben werden und Aussichten der Thematik beschrieben. Die Konstruktion mit „sollte“ passt hier nicht, da sie suggeriert, dass sie das gerade nicht macht, obwohl man es sollte. Mit Problematik der Studie meint sie wahrscheinlich die Schwachstellen der Studie und mit Aussichten der Thematik einen Ausblick auf zukünftige Studien. Sie hat zwar einzelne Routineformulierungen abgewandelt verwendet und auch die Verben schön variiert, aber die Präzision fehlt. Im Folgenden wendet sie sich dem ersten theoretischen Bereich, der Aussprache zu, und versucht auch verschiedene Ansätze und Autoren miteinander zu verknüpfen. Das, was sie aussagen möchte, kann man gut erahnen, sie müsste aber die gesamte Konstruktion umformulieren und umgangssprachliche Begriffe streichen oder durch wissenschaftliche ersetzen. Sie schreibt: Der Erwerb der muttersprachlichen Aussprache unterscheidet sich enorm von der Aneignung der Aussprache im DaZ- bzw. DaF-Unterricht, es sei denn erfolgt die Aneignung sehr früh und in einer Wechselbeziehung mit den deutschen Muttersprachlern, so hat das Kind große Chancen die Aussprache am muttersprachlichen Niveau zu erlernen. In dem Fall spricht man vom ungesteuerten frühen Zweitsprachenerwerb (vgl. Rösler 2012: 161). Aus wissenschaftlicher Perspektive müsste sie zwischen Erwerben und Lernen diffe-

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renzieren, mit Aneignung meint sie wohl das institutionelle Lernen. Neben der falschen Wortfolge „es sei denn erfolgte" tritt das hier nicht passende Nomen Wechselbeziehung (gemeint ist wohl, dass das Kind von Beginn an auch Input von deutschen MuttersprachlerInnen erhält) und der Artikel „mit den deutschen Muttersprachlern", der fälschlicherweise auf eine bestimmte, zuvor genannte Gruppe von Menschen schließen lässt. Ferner fällt das „am muttersprachlichen Niveau" (falsche Präposition am) auf, das wiederum nicht mit erwerben, sondern lernen verbunden ist. Lesen wir noch einen weiteren Abschnitt: Es scheint also, als ob alle Anstrengungen, die im Unterricht für Phonetikvermittlung unternommen werden, keinen Sinn mehr hätten. Doch das stimmt so nicht. Laut Hirschfeld (vgl. 1995: 12) ist es immer noch möglich, dass Jugendliche bzw. Erwachsene sehr gute Aussprache der Zielsprache beherrschen, sofern sie gut betreut werden und viel Zeit darin investieren. Redundant ist der Unterricht für Phonetikvermittlung; „keinen Sinn mehr haben“ ist wenig wissenschaftlich und „doch das stimmt so nicht" muss der gesprochenen Varietät zugeordnet werden. Im letzten Satz müsste es heißen „dass Jugendliche und Erwachsene eine sehr gute Aussprache erlangen, ... und viel Zeit in das Einüben der adäquaten Aussprache investieren“. Im Folgenden möchte ich nur noch einzelne ungewöhnliche Formulierungen und Begrifflichkeiten zitieren, die deutlich machen, dass sie das Konzept des wissenschaftlichen Schreibens zwar aufgreift, aber nicht adäquat umsetzen kann. Ferner zeigen sich zahlreiche Kongruenzprobleme, oftmals falsche Verwendung oder das Weglassen des Artikels, eine falsche Wortfolge und ungewöhnliche Satzeinleitungen wie folgendermaßen, demnächst oder

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im Angesichts der Tatsache. Auch finden sich Aussagen, bei denen man lediglich vermuten kann, was sie ausdrücken möchte (Natürlich gemeint ist hier nur die Möglichkeit, aus sich die Wörter im Form eines Gesangs herauszubringen und nicht das professionelle Singen): - die an muttersprachliche Aussprache sehr ähnelt, wobei man es zugeben muss, dass es solche Phänomene sehr selten gibt (vgl. Rösler 2012: 162). -

sodass es keine spezielle Übungen zu der Aussprache in Lehrbücher integriert und keine Zusatzmaterialien angeboten wurden (vgl. Hirschfeld 2001: 872).

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Es war unmöglich, die Mängel in der Ausbildung von heute auf morgen zu ergänzen.

-

Bei dem Erlernen einer Aussprache kann die Musik hilfreich sein.

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Abhängig von der Kultur und individuellen Eigenschaften werden die angeborenen Fähigkeiten zum Singen entwickelt. Folgendermaßen gibt es viele Unterschiede zwischen gleichaltrigen Kindern, die sich musikalisch entwickeln.

-

Natürlich gemeint ist hier nur die Möglichkeit, aus sich die Wörter im Form eines Gesangs herauszubringen und nicht das professionelle Singen.

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Demnächst werden die beiden Variablen der aufgestellten Hypothese – Singen im Fremdsprachenunterricht und Aussprache – operationalisiert [wobei eine allgemeine Beschreibung folgt und keine Operationalisierung],

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Die Probanden haben ungefähr gleiche Bildung.

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Wie die vielzähligen Untersuchungen zeigen, spielt Musik im Leben eines jungen Menschen eine wesentliche Rolle und deswegen wurden Personen vor 30 Lebensjahr ausgewählt [Es wird jedoch nicht eine einzige Studie angeführt oder drauf verwiesen.]

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Im Angesichts der Tatsache, dass die Probanden am Anfang und Ende des Experiments einen Text vorlesen, kommt es zu einem anderen Kritikpunkt der Studie. Die Aussprache der Lernenden könnte viel anders beim Vorlesen eines Textes als bei freiem Sprechen sein.

In der nicht wissenschaftlichen Kommunikation ist die Studierende auf einem guten C1-Niveau. Im wissenschaftlichen Diskurs fehlt ihr jedoch die Kompetenz sich adäquat auszudrücken. Da sie das Grundkonzept des wissenschaftlichen Schreibens verstanden hat, bedarf es lediglich einer vertieften Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Formulieren und somit einer gezielten Förderung der wissenschaftlichen Schreibkompetenz, auf die ich im nächsten Kapitel eingehen werde.

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Die Förderung der Schreibkompetenz

Marks (2015: 25) sieht eines der Hauptprobleme im Bereich des Verstehens und vor allem des Formulierens von Wissenschaftssprache. Wollert & Zschill (2017: 3) fordern daher auch, dass „die Vorbereitung auf den Umgang mit den Spezifika der deutschen Wissenschaftssprache in der Studienvorbereitung verbessert wird

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[…], um die Weichen für die spätere sprachliche Weiterqualifizierung richtig zu stellen“ (2017: 3). Dabei sind jedoch erste Versuche bereits entwickelt und im Einsatz. Ehe das Mainzer Konzept Philis vorgestellt wird, möchte ich Beispiele für den Einstieg ins „wissenschaftliche Formulieren“ eingehen. Fandrych (2007: 275) entwickelte zum Aufbau wissenschaftssprachlicher Kompetenzen (akademische Textkompetenz (2007: 279)) das sog. Modell der „aufgeklärten Zweisprachigkeit“ (allerdings mit direktem Bezug auf German Studies in England), das er als „all diejenigen (mündlichen und schriftlichen) sprachlichen Verwendungsbereiche zusammenfasst […], die für die Bewältigung eines Studiums essentiell sind“ definiert. Dabei handelt es sich „um an Texten orientierte, sach-fachliche Sprachverwendungsweisen, die nicht unabhängig vom Gegenstand und der mit ihm verbundenen Denk- und Argumentierweisen erworben werden können […]“ (Fandrych 2007: 275). Als konkrete Prinzipien und Lernstrategien (mit Bezug auf Schreiben) formuliert er dabei folgende (vgl. Fandrych 2007: 286f.): -

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Lese- und Verstehensstrategien wissenschaftlicher Texte; Exzerpte anfertigen, abstrahieren und bewerten, einordnen, sich distanzieren effektive Verwendung von Hilfsmittel (Wörterbücher, Grammatiken, Fachlexika, verlässliche Online-Ressourcen etc.) einen eigenen Standpunkt entwickeln und sprachlich ausdrücken Standpunkte anderer AutorInnen nuanciert bewertend sprachlich darstellen

Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis

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Textstruktur/Textmusterwissen; textkommentierende Handlungen; Bewertung rezipierter Literatur

Klemm (2015: 1) konzipierte aufbauend auf Fandrychs (2007) Ansatz Materialien zur Entwicklung wissenschaftstheoretischer Kompetenzen und exemplifiziert den Einsatz dieser am BachelorStudiengang Deutsch als Fremdsprache an der Salahaddin Universität Erbil in der autonomen Region Kurdistan (Irak). Das Konzept des sprachsensiblen Fachkurses (CLIL) im Rahmen des DaFStudiums kam 2011 erstmals zum Einsatz. In diesem Modell werden neben den üblichen Fach-, Methoden- und sozialen Kompetenzen die wissenschaftstheoretischen Kompetenzen direkt integriert; dazu gehören u. a. (Klemm 2015: 265) folgende Kompetenzen: (a) „sind mit den Wendungen der Wissenschaftssprache vertraut“ und (b) „beherrschen erste fachtypische Sprachhandlungen, wie das Beschreiben von Fremdsprachenerwerbsmodellen“. Die Studierenden arbeiten hier mit Texten, die nicht nur in die Fachbegrifflichkeiten und das Fachwissen einführen, sondern in und mit denen auch die Eigenschaften von Fachtexten fokussiert werden. Nach der erfolgreichen rezeptiven Verarbeitung wissenschaftlicher Texte und der expliziten Bewusstmachung, wie diese aufgebaut sind, werden die Studierenden zur Produktion von wissenschaftlichen Texten angeleitet. Dabei wird ein Fokus auf die kohärente und logische Gliederung von Fachtexten gelegt (vgl. auch Fandrych 2007). An der Universität Gießen wird mit dem Schreibkontroversenlabor (Skola) gearbeitet, einer webbasierten Lernumgebung, in der Studierende angeleitet werden, Texte mit Randbemerkungen zu versehen, um dann die Inhalte neu zu strukturieren und damit

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eigene Texte zu formulieren. Im Fokus steht die Reflexion wissenschaftlicher Textstrukturen und sprachlicher Mittel (vgl. Steinseifer 2012; https://www.uni-giessen.de/fbz/zmi/projekte/eristische literalitaet/el-projekbeschreibung [Zugriff 30.05.2017]). An zahlreichen Universitäten, so auch an der JGU Mainz, wurden folglich aufgrund des Bedarfs Schreibkurse für die Entwicklung der Schreibkompetenzen angehender Studierenden eingerichtet (vgl. Brandl/ Brinkschulte/ Immich 2008: 401 ff). Primäres Lernziel dieser Projekte oder Versuche ist der Aufbau einer „wissenschaftssprachlichen Handlungsfähigkeit in der Zielsprache Deutsch“ (Fandrych 2007: 1).

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Abbildung 1: Der Flyer

Wie sieht das Konzept von PHILIS aus? (vgl. http://www.philis.uni-mainz.de [Zugriff 05.10.2018]). Es ist dem Fachbereich 05 Philosophie und Philologie angegliedert, einem Fachbereich mit sieben Instituten und Seminaren, insgesamt 92 Studiengängen (37 Bachelor-, 33 Master- und 22 Promotionsstudiengänge). Die sieben Institute sind dabei die folgenden: Department of English and Linguistics, Deutsches Institut, GutenbergInstitut für Weltliteratur und schriftorientierte Medien, Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft, Institut für

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Slavistik, Turkologie und zirkumbaltische Studien und schließlich das Philosophische sowie das Romanische Seminar. PHILIS versteht sich als ein fachbereichsweites Kompetenzzentrum, das sich die Bündelung, Intensivierung und Professionalisierung von Aktivitäten in den Bereichen Studienfachberatung, Internationalisierung und Administration der Lehre zur Aufgabe gesetzt hat. Studierende erhalten zu Beginn ihres Studiums Flyer zu PHILIS, werden von Dozierenden gezielt zu PHILIS geschickt und finden alle Informationen auch über das Internet über das Portal.

Abbildung 2: Das Internetportal

Wie man sehen kann, ist die sog. Schreibberatung hier nur einer der Bereiche, mit dem Studierenden das Studieren erleichtert werden soll. Insgesamt werden sieben Bereiche abgedeckt (Kopie vom Flyer https://www.philis.uni-mainz.de/files/2014/01/PHILISFlyer-SoSe-2015.pdf): 1. InfoZeit: Du hast eine Frage oder ein Problem und weißt nicht, an wen du dich wenden kannst? Wir nehmen uns

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Zeit und weisen dir den Weg durch den Informations- und Beratungsdschungel an der Uni. International informiert: Du interessierst dich für einen Auslandsaufenthalt, weißt aber nicht genau, welche Möglichkeiten dir offenstehen? Bei der Sprechstunde ›international informiert‹ verschaffen wir dir den Durchblick. Auch alle internationalen Studis bekommen hier Antworten auf ihre Fragen. Inform-Tutorium: Du studierst das erste Mal an einer deutschen Universität? Unser Tutorium für internationale Studierende hilft dir, dich im Studium zu orientieren. Schreibzeit: Bei unserem Schreibtutorium steht eure aktuelle Hausarbeit im Mittelpunkt. Dann, wenn es darauf ankommt: In der vorlesungsfreien Zeit sind unsere Tutoren und Tutorinnen für euch da. Schreibmarathon: Hier bekommt eure Abschlussarbeit Struktur. In einer moderierten Gruppe tauscht ihr euch regelmäßig über eure Fortschritte aus und kommt so Schritt für Schritt eurem Ziel näher. Individuelle Schreibberatung: Wissenschaftliches Schreiben will gelernt sein. Wenn sich Fragen und Zweifel auf diesem Feld verdichten, sind wir in der individuellen Schreibberatung für dich da. Kompetenzcheck: Was will und was kann ich eigentlich? Welche Interessen, welche Werte, welche Fähigkeiten habe ich? Und was heißt das für meine Berufswahl? Unser Kompetenzcheck gibt euch Raum, über diese Fragen nachzudenken.

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Für den Bereich des wissenschaftlichen Schreibens finden sich also drei Angebote: Schreibzeit, Schreibmarathon und die individuelle Schreiberatung. Im Rahmen der individuelle Schreibberatung machen die Studierenden einen Termin aus und kommen mit ihren konkreten Fragen zu PHILIS. Im Rahmen des Schreibmarathons werden wöchentliche Treffen organisiert, an denen sich Studierende, die beim Verfassen ihrer Masterarbeit (bei Bedarf auch Bachelorarbeit) sind, über ihre Probleme und Erfahrungen moderiert austauschen können. Dabei erhalten sie konkrete Hilfestellungen und auch gezielten Input während des Verfassens der Abschlussarbeit. Vor dem Schreibmarathon und parallel zur individuellen Schreibberatung empfiehlt sich das „Projekt“ Schreibzeit, in dem gezielt das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten geübt wird - und das anhand konkreter Hausarbeiten. Der Flyer / die Homepage spricht die Studierenden mit den folgenden Fragen und Aussagen an (https://www.philis.uni-mainz.de/schreibzeit-tutorium/ [Zugriff 05.10.2018]): Deine Situation Eine Hausarbeit steht an. Und auf einmal hat man tausend Fragen: Wie komme ich zu meinem Thema? Wie grenze ich es ein? Was muss ich alles lesen? Und wie komme ich selbst ins Schreiben? Sind meine Worte, meine Sätze angemessen? Wie gehe ich mit dem um, was anderswo schon steht? Was ist das überhaupt: wissenschaftlich schreiben?

Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis

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Unser Angebot Das PHILIS-Schreibtutorium möchte Euch einen guten Einstieg in die Welt des wissenschaftlichen Schreibens geben. Im Mittelpunkt steht dabei Euer aktuelles wissenschaftliches Schreibprojekt. Wir bieten Euch einen Rahmen, in dem Ihr bewährte Arbeitsmethoden ausprobieren und dabei doch Euren ganz eigenen Weg finden könnt. Und zwar dann, wenn es darauf ankommt. Der Ablauf Die SCHREIBZEIT startet mit einer Kick-Off-Veranstaltung zu Beginn der vorlesungsfreien Zeit. So bringt Ihr Eure Arbeit frühzeitig auf die richtige Spur und könnt Euch noch gut mit Euren Dozentinnen und Dozenten absprechen. Die weiteren Sitzungen schließen sich zweimal wöchentlich an: Unsere speziell geschulten Schreibtutoren diskutieren mit Euch Eure Arbeitsfortschritte und geben Euch Impulse für das weitere Vorgehen. In fachspezifischen Kleingruppen von zehn bis zwölf Teilnehmern lernt Ihr dabei alle wichtigen Aspekte des wissenschaftlichen Schreibens kennen – und bringt ganz nebenbei Euer eigenes Schreibprojekt voran. Deine Anmeldung Interesse an unserem Programm? Dann könnt Ihr Euch bis eine Woche vor der Kick-Off-Sitzung verbindlich bei uns anmelden. Voraussetzung ist, dass Ihr im angegebenen Zeitraum an einer schriftlichen Studienleistung am Fachbereich 05 arbeitet. Und dass Ihr zu allen angegebenen Terminen Zeit habt. Die Plätze sind begrenzt, deshalb gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst! Nutzt für die Anmeldung unser Online-Formular. Wir senden Euch dann umgehend eine Bestätigung. Oder kommt in der offenen Sprechzeit vor-

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bei, dienstags und donnerstags von 11 bis 13 Uhr, Raum 00-228. Wir freuen uns auf Eure Teilnahme! Die Termine im Sommersemester 2017 sehen dabei wie folgt aus: 17. Juli 2017, 12-16 Uhr KICK-OFF Veranstaltung mit allen Teilnehmenden, Zieldefinition und Arbeitsorganisation, Konturierung der Fragestellung 20. Juli 2017, 10-12 Uhr Aufbau und Argumentationsstruktur 24. Juli 2017, 10-12 Uhr Umgang mit Forschungsliteratur 27. Juli 2017, 10-12 Uhr Strategien der Textproduktion I 31. Juli 2017, 10-12 Uhr Strategien der Textproduktion II 03. August 2017, 10-12 Uhr Feedback und Überarbeitung I 07. August 2017, 10-12 Uhr Feedback und Überarbeitung II und 12-13 Uhr Abschlussveranstaltung mit allen Teilnehmenden Die Studierenden tauschen sich dabei immer auch mit anderen Studierenden aus. Es gibt sowohl Input als auch konkretes Feedback von den Tutorierenden. Zentral ist, dass man an allen Sitzungen teilnimmt, da das Vorgehen genau aufeinander abgestimmt ist. Das meines Erachtens besondere Alleinstellungsmerkmal dieses Ansatzes ist es, dass Studierende während der tatsächlichen Schreibphase einer Hausarbeit Hilfestellung erhalten und fortwährend ein Feedback zu ihren Fortschritten erhalten. Darüber hinaus

Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis

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haben sie immer einen Ansprechpartner bzw. eine Ansprechpartnerin bei konkreten Fragen. Speziell für ausländische Studierende bietet PHILIS inFORM - das Tutorium für internationale Studierende. Das inFORMTutorium ist ein fachorientiertes und studienbegleitendes Angebot für internationale Studierende, das spezifisch für die Wissenschaftskultur am Fachbereich 05 konzipiert wurde. Das Tutorium richtet sich an alle Studierende in der Studieneingangsphase (Semester 1-2) mit ausländischer Hochschulzugangsberechtigung, die am Fachbereich 05 einen Studienabschluss anstreben oder als Austauschstudierende eingeschrieben sind. Das Tutorium dient in erster Linie der Einführung und Begleitung von internationalen Studierenden beim Einstieg in die Studienkultur und die wissenschaftliche Praxis am FB 05. Das Tutorium soll den Studierenden nicht nur den Studienstart an der JGU erleichtern, sondern sie auch dazu anregen, sich intensiver mit dem Thema des wissenschaftlichen Arbeitens auseinanderzusetzen und weitere fachbereichsbezogene und universitätsweite Angebote wahrzunehmen.

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Abbildung 3: inFORM

Das inFORM-Tutorium findet semesterbegleitend mit 2 SWS statt und die Tutoren behandeln mit internationalen Studierenden folgende Themenbereiche:  Studienkultur an der JGU und am Fachbereich 05 (Wie organisiere ich mein Studium? Wer sind meine Ansprechpartner? Wie kommuniziere ich mit den Lehrenden? Warum gehe ich in eine Sprechstunde und wie bereite ich mich darauf vor? Wie knüpfe ich Kontakte?)  Wissenschaftliches Arbeiten (Recherche, Protokolle, Arbeiten im Seminar)  Wissenschaftliches Schreiben (Plagiat, Verfassen von Hausarbeiten)

Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis



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Wissenschaftliche Performance (Präsentation, Referate)

Das Tutorium wird regelmäßig vom Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung evaluiert. Diese Evaluierung zeigt, dass Teilnehmer des Tutoriums ihre Fähigkeiten in den Bereichen Studienkultur, Studienorganisation, wissenschaftliches Arbeiten, wissenschaftliches Schreiben und wissenschaftliche Performance besser einschätzen als die Vergleichsgruppe (internationale Studierende, die nicht am Tutorium teilgenommen haben).

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Kritische Zusammenfassung

Obwohl ausländische Studierenden vor dem Studium oder während des ersten Semesters Kurse zum wissenschaftlichen Schreiben beim Internationalen Sprachen und Studienkolleg (ISSK) belegen können, sich der Masterstudiengang ausreichend Zeit nimmt, den Studierenden das wissenschaftliche Arbeiten (inkl. Schreiben) näher zu bringen und PHILIS ein meines Erachtens perfekt durchdachtes und kohärentes Programm konzipiert hat, lassen sich einige Probleme im Bereich des wissenschaftlichen Schreibens nicht lösen. Studierende sind oftmals sehr stark von ihrer eigenen Lernkultur und Lerntraditionen geprägt: Wer über 20 Jahre gelernt oder internalisiert hat, dass man geschriebene Quellen nicht kritisieren darf, wird nicht gleich zur Kritikerin par excellence; wenn man nicht gelernt hat, eine eigene Position zu beziehen oder Ansätze und Argumente gegeneinander abzugrenzen, dann dauert es meines Erachtens sehr viel länger als ein Semester, um diese Kompe-

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tenzen zu erwerben. Sinnvoll wäre es daher, wenn man bereits frühzeitig und zwar bereits im Ausland mit den u. a. Lehrwerken arbeiten würde. Um auf alle Situationen des wissenschaftsorientierten Studierendenlebens vorbereitet zu sein, würde ich die Campus-Reihe empfehlen. Darüber hinaus sollten Konzepte wie von PHILIS angeboten auf weitere Fachbereiche ausgeweitet werden, aber durchaus auch an anderen Hochschulen zum Einsatz kommen, um den Einstieg ins Studium, aber vor allem auch die Sprachkompetenz der Studierenden zu perfektionieren.

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Literatur Brandl, Heike/Brinkschulte, Melanie/Immich, Stefanie (2008): Sprachbegleitprogramm für internationale Studierende an der Universität Bielefeld. In: Christoph Chlosta, Gabriela Leder, Barbara Krischer (Hrsg.) (2008): Auf neuen Wegen. Deutsch als Fremdsprache in Forschung und Praxis. Tagungsband der 35. Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache 2007 an der Freien Universität Berlin. Göttingen: Universitätsverlag, 401-430. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2015) abrufbar unter https://www.bmbf.de/de/erstmals-ueber-300-000auslaendische-studierende-in-deutschland-956.html; Stand: 6.4.2017. Burkhart, Simone/Kercher, Jan (2014): Abbruchquoten ausländischer Studierender. DAAD-Blickpunkt. https://www .daad.de/medien/der-daad/analysen-studien/final_blickpunktabbruchquoten.pdf; Stand 30.05.2017. Burkhart, Simone et al. (2016): Wissenschaft weltoffen 2016. Daten und Fakten zur Internationalität von Studium und Forschung in Deutschland: Fokus: Internationale Mobilität von Wissenschaftlern. Herausgegeben von DAAD – Deutscher Akademischer Austauschdienst u. DZHW – Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Online verfügbar unter: http://www.wissenschaftweltoffen.de/publikation/ wiwe_ 2016_verlinkt.pdf (Stand: 26.09.2016). Demmig, Silvia (2012): „Sprachkompetenzen prüfen–aber wie? Zur Konstruktvalidität von standardisierten Sprachtests am

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Beispiel der DSH. Theoretische Grundlegung und empirische Longitudinalstudie. Jena: Habilitationsschrift FriedrichSchiller-Universität Jena. Ehlich, Konrad (1997): Von der Attraktivität der Lehrangebote für Deutsch als fremde Wissenschaftssprache. Wissenschaftspolitische Voraussetzungen und didaktische Konsequenzen. Info DaF. Nr. 6, 24. Jahrgang. 757-770. Fandrych, Christian (2005): „‚Räume’ und ‚Wege’ der Wissenschaft: Einige zentrale Konzeptualisierungen von wissenschaftlichem Schreiben im Deutschen und Englischen.“ In: Fix, Ulla/Lerchner, Gotthard/Schröder, Marianne/Wellmann, Hans (Hrsg.) Zwischen Lexikon und Text. Lexikalische, stilistische und textlinguistische Aspekte. Leipzig/Stuttgart: Sächsische Akademie der Wissenschaften, 20-33. Fandrych, Christian (2007): Bildhaftigkeit und Formelhaftigkeit in der allgemeinen Wissenschaftssprache als Herausforderung für Deutsch als Fremdsprache. In: Ehlich, Konrad & Heller, Eva (H Hrsg.): Die Wissenschaft und ihre Sprachen. Frankfurt: Peter Lang, 39-62. Fandrych, Christian (2008): Formulierungsroutinen und Handlungsart in der allgemeinen deutschen Wissenschaftssprache. Beiträge des 1. Lateinamerikanischen Deutschlehrertags, São Paulo, Brasilien. (CD-ROM und online unter http://www.abrapa.org.br/cd/beitrage.htm). Fandrych, Christian/Klemm, Albrecht/Riedner, Renate (2014): Die Förderung des Deutschen als Wissenschaftssprache auf Master-Niveau: Das Beispiel eines integrierten Fach/Sprachmoduls am Herder-Institut der Universität Leipzig.

Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis

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In: Nicole Mackus/Jupp Möhring (Hgg.): Wege für Bildung, Beruf und Gesellschaft – mit Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. 38. Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache an der Universität Leipzig 2011. Göttingen: Universitätsverlag, 2014, 198-214. Fandrych, Christian/Meißner, Cordula/Slavcheva, Adriana (Hgg.) (2014): Gesprochene Wissenschaftssprache: Korpusmethodische Fragen und empirische Analysen. Heidelberg: Synchron-Verlag. Feilke, Helmuth (2012): Was sind Textroutinen? Zur Theorie und Methodik des Forschungsfeldes. In. ders. & Katrin Lehnen (Hrsg.) Schreib- und Textroutinen. Theorie, Erwerb und didaktisch-mediale Modellierung. (Forum Angewandte Linguistik Bd. 52). Frankfurt a.M. u.a.: Lang, S. 1-31. Fiehler, Reinhard (2008): „Gesprochene Sprache – ein sperriger Gegenstand“, in Chlosta, Christoph/Leder, Gabriele/Krischer, Barbara (Hrsg.): Auf neuen Wegen. Göttingen: Universitätsverlag. 261-274. Fix, Martin (2008): Texte schreiben. Schreibprozesse im Deutschunterricht. Paderborn. Graefen, Gabriele/Thielmann, Winfried (2007): Der Wissenschaftliche Artikel. In: Auer, Peter/Baßler, Harald (Hrsg.) Reden und Schreiben in der Wissenschaft. Frankfurt a.M.: Campus, 67-97. Graefen, Gabriele (1999): „Wie formuliert man wissenschaftlich?“ In: Barkowski, Hans/Wolff, Armin (Hrsg.): Alternative Vermittlungsmethoden und Lernformen auf dem Prüfstand. Wissenschaftssprache – Fachsprache; Landeskunde aktuell; Interkulturelle Begegnungen – Interkulturelles Lernen. Ma-

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terialien Deutsch als Fremdsprache 52, Regensburg, 222239. Hochschulforum Digitalisierung (2016): The Digital Turn – Hochschulbildung im digitalen Zeitalter. Arbeitspapier Nr. 27. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung. Klemm, Albrecht (2015): Die Synthese von Sprach- und Fachunterricht im DaF-Studium. Konzept und Umsetzung im BAStudiengang „Deutsch als Fremdsprache“ an der Salahaddin Universität Erbil (Irak). 263-271. http://repository.ulis.vnu .edu.vn/bitstream/ULIS_123456789/510/1/Die%20Synthese %20%20von%20Sprach.pdf. Marks, Daniela (2015): „Prüfen sprachlicher Kompetenzen internationaler Studienanfänger an deutschen Hochschulen: Was leistet der TestDaF?“, Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 20(1), 21–39. Abrufbar unter http://tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/index.php/zif; Stand: 9.4.2017. Steinseifer, Martin (2012): Schreiben im Kontroversen-Labor. Konzeption und Realisierung einer computerbasierten Lernumgebung für das wissenschaftliche Schreiben. In: Helmuth Feilke, Katrin Lehnen (Hrsg.): Schreib- und Textroutinen. Frankfurt/Main, Peter Lang 2012 (= Forum Angewandte Linguistik; 52), S. 61-82. Wollert, Mattheus & Zschill, Stephanie (2017): „Sprachliche Studierfähigkeit: ein Konstrukt auf dem Prüfstand“, InfoDaF 44(1)/2017, 2–17.

Förderung der Sprachkompetenz an Hochschulen: Philis

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Links https://www.hueber.de/campus-deutsch/ http://www.zeit.de/studium/uni-leben/2013-03/ausland-unisstudenten-eu http://www.hochschulbildungsreport2020.de/ Lehrwerke Graefen, Gabriele/Moll, Melanie (2011): Wissenschaftssprache Deutsch: lesen – verstehen – schreiben. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Frankfurt/Main: Lang. Jahr, Silke (2011): Wissenschaftsdeutsch. Argumentationsstrukturen, Sprachhandlungen, Ausdruck von Emotionen. Berlin: Booksbaum. Schade, Günter (2009): Einführung in die deutsche Sprache der Wissenschaften. Ein Lehrbuch für Deutsch als Fremdsprache mit Lösungsschlüssel. 13., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Schmidt. Campus-Reihe (2014, 2015). 4 Bände. (a) Lesen; (b) Hören und Mitschreiben, (c) Schreiben und (d) Diskutieren und Präsentieren. München: Hueber Verlag.

Zum Einsatz von Clickern in englischsprachigen Vorlesungen Nicola Hahn, Ingo Stengel und Stefanie Regier

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Einleitung

Frontalvorlesungen sind eine sehr häufig eingesetzte Lehrmethode an Hochschulen, da sie vor allem bei großen Gruppen von Studierenden als besonders wirtschaftlich und effizient gelten (Uhari, Renko & Soini, 2003). Dabei dominiert die sprachliche Weitergabe von Inhalten: „Sprache zu dekodieren [ist] eine wesentliche Voraussetzung, um [sich] neues Wissen anzueignen.“ (Gerbig-Calcagni, 2009, S. 81). Moderne didaktische Methoden zielen allerdings weniger auf Frontalunterricht ab, sondern versuchen, den Lehrprozess in einen Lernprozess umzuwandeln, wobei die Studierenden die Möglichkeit erhalten, sich Inhalte selbst zu erarbeiten und dadurch ihre Kompetenzen eigenständig weiterzuentwickeln (Hoffmann & Kiehne, 2016, Gerbig-Calcagni, 2009, Beatty, 2004). In diesem Beitrag soll eine Methode vorgestellt werden, die sich auf die aktive Beteiligung der Studierenden fokussiert und mit apparativen Verfahren, den so genannten Clickern, arbeitet. Die Clicker-Ausstattung besteht aus Sende- und Empfangsgeräten, die eine Kommunikation zwischen dem Vortragenden und den © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_13

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Nicola Hahn, Ingo Stengel und Stefanie Regier

Zuhörern ermöglichen. Der Einsatz von Clickern soll zum einen dabei unterstützen, die Aufmerksamkeit der Studierenden zu erhalten, zum anderen erhält der Vortragende eine schnelle und klare Rückmeldung über den Wissenstand der Zuhörer. Auch Kompetenzen wie die Sprachkompetenz können mithilfe von in das Vorlesungskonzept integrierten Verständnisfragen überprüft und ausgebaut werden (Beatty, 2004). In diesem Beitrag soll aufgezeigt werden, inwieweit die Sprachkompetenz der Studierenden in einer fremden Sprache durch die Nutzung von Clickern gefördert werden kann. Einführend wird hierzu allgemein auf die Sprachkompetenz und ihre Bedeutung als Grundlagenkompetenz eingegangen. Anschließend werden die Funktionsweise und die Einsatzmöglichkeiten von Clickern, insbesondere in Hinblick auf die Sprachkompetenzförderung, genauer erläutert. Ferner sollen anhand eines praktischen Beispiels in einer Vorlesung die Auswirkungen des Clickereinsatzes auf die Sprachkompetenz der Studierenden im Rahmen einer englischen Vorlesung zum Thema IT-Security aufgezeigt werden.

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Sprachkompetenz

Eine geschulte Sprachkompetenz ist äußerst hilfreich beim Erlernen neuer Inhalte (Conrad, 2011, S. 19). Kompetenzentwicklung allgemein erfolgt grundsätzlich in verschiedenen Stufen. Zunächst muss sich der Studierende Wissen aneignen. Je nach Lerntyp differenzieren die effektivsten Strategien hierzu. In der klassischen Vorlesung wird das Wissen über den Vortrag des Lehrenden aufgenommen. Um aus dem Wissen tatsächliche Qualifikationen auszubilden, muss es verarbeitet und angewandt werden. Möglichkeiten dafür sind zum

Zum Einsatz von Clickern in englischsprachigen Vorlesungen

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Beispiel Übungen oder Planspiele. Kompetenzen bilden sich allerdings erst durch eine Verbindung der Qualifikation mit eigenen Erfahrungen und Emotionen. Dabei können die Anwendung auf ein Projekt, aber auch ausführliche Diskussionen innerhalb von Gruppen hilfreich sein (Erpenbeck & Sauter, 2015, S. 20ff). Definitionen für den Begriff Sprachkompetenz variieren je nach Forschungsrichtung. Während die Linguistik die Sprachkompetenz unter Einbezug der grundlegenden Regeln des Sprachgebrauchs als Kommunikationsmittel untersucht, beschäftigt sich die kognitive Psychologie mehr mit Sprache in Verbindung mit Informationsverarbeitungstheorien. Neurolinguistische Ansätze erforschen Sprache in Zusammenhang mit neuronalen Vernetzungen und sind damit eng mit der Neuropsychologie verbunden (Jude, 2008, S. 11f). Sprachkompetenz besteht aus den Bereichen Wissen (Kompetenz) und Handeln (Performanz). Beobachten und messen lässt sich lediglich der Performanzfaktor, also die Fähigkeit, Sprache anzuwenden, die von unterschiedlichen situativen Faktoren abhängig ist (Jude, 2008). Die Autorinnen Linssen und Meyer bezeichnen die Sprachkompetenz als eine elementare Fähigkeit von Studierenden, die diese einerseits innerhalb ihres Studiums benötigen, um Wissen aufnehmen zu können und andererseits, um dieses Wissen im darauffolgenden Berufsleben anwenden und weiterentwickeln zu können. Vor allem die Fähigkeit, sich auszudrücken und im Stande zu sein, Sprache sowohl auditiv also auch visuell aufzunehmen (rezeptiv) und zu verarbeiten (produktiv), werden als entscheidende Faktoren für den Studiums- und Berufserfolg gesehen (Linssen & Meyer, 2016) (Jude, 2008).

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Im vorliegenden Beitrag interessiert insbesondere die Sprachkompetenz in Bezug auf englischsprachige Veranstaltungen. In englischsprachigen Fachvorlesungen liegt die Herausforderung im Wesentlichen darin, Fachwissen verständlich in einer fremden Sprache zu vermitteln. Die Geschwindigkeit der Stoffvermittlung ist zwangsläufig geringer als bei einer deutschsprachigen Lehrveranstaltung, da die Studierenden gleichzeitig das fachspezifische Wissen, die englischen Fachbegriffe und die englischsprachigen Erklärungen dazu verstehen und verinnerlichen müssen. Im Folgenden soll der Einsatz von Clickern als Möglichkeit vorgestellt werden, neue fremdsprachliche Fachbegriffe leichter zu erlernen.

3

Clickersysteme und ihr Einsatz in Lehrveranstaltungen

Clickersysteme umfassen in der Regel eine Software – teilweise auch in Verbindung mit einer Hardware – die dem Zweck dient, die Kommunikation und Interaktion innerhalb von Vorträgen zwischen dem Vortragendem und den Zuhörern zu unterstützen. Clickersysteme werden daher auch als Audience Response Systems (kurz: ARS) oder Classroom Communication Systems (kurz: CCS) bezeichnet. Während reine Softwarelösungen lediglich eine bestehende Internetverbindung benötigen, bildet eine Funkverbindung zwischen speziellen Sende- und Empfängergeräten die Basis der hardwarebasierten Anwendung (Beatty, 2004). Softwarebasierte Lösungen sind daher in der Regel deutlich günstiger, da keine spezifischen Geräte angeschafft werden müssen, sondern lediglich Lizenzgebühren für die Nutzung der Software anfallen. Hardwarebasierte Lösungen sind von der Internetverfügbarkeit unabhängig, allerdings

Zum Einsatz von Clickern in englischsprachigen Vorlesungen

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durch die nötige Anschaffung der physischen Geräte auch entsprechend teurer (Reiners & Madan, 2014). In beiden Fällen können Betriebssystemupdates kostenpflichtige Softwareupdates erfordern. Die Anwendung von Clickern im Vorlesungsbetrieb soll aktivierend wirken und Vortragenden helfen, die Aufmerksamkeit aller Zuhörer zu erhalten, insbesondere bei einem großen Auditorium. Darüber hinaus unterstützt das Verfahren ein einfaches und zeiteffizientes Einholen von Rückmeldungen. Durch das Integrieren von Fragen in den Vortrag kann neben einer reinen Wissensabfrage auch der Grundstein für eine weiterführende Diskussion gelegt werden. Insbesondere bei kritischen Fragestellungen erhält man zuverlässige Antworten durch anonyme Rückmeldungen. Die Anonymität befördert ferner auch ruhige und eher introvertierte Studierende, sich zu beteiligen. Eine von der Georg-August-Universität Göttingen erstellte Einweisung zum Einsatz von Clickern in Lehrveranstaltungen nennt drei verschiedene Niveaustufen. Auf der ersten Ebene wird mit einfachen Wiederholungsfragen der Wissensstand der Studierenden überprüft, ihre Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt und das bereits Gelernte wiederholt. Des Weiteren sind die Clicker für Feedbackfragen, Terminabstimmungen und weitere kurze Rückmeldungen einsetzbar (Reiners & Madan, 2014). Clickerfragen, die keine konkreten Antwortoptionen zur Auswahl haben oder sich mit umstrittenen Themen befassen, können die Teilnehmer zu einer weiteren Diskussion animieren, die optimalerweise mit einer tieferen Auseinandersetzung und Meinungsbildung einhergeht. Damit wird die zweite Ebene der Einbindung von Clickern in die Lehre erreicht. Bei Integration der Clicker in die komplette Lehrveranstaltung, der dritten Ebene des Clickereinsatzes, baut das Konzept der Erarbeitung

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von neuen Inhalten auf dem problemorientierten oder forschenden Lernen auf (Rohr, Den Ouden & Rottlaender, 2016). Die Studierenden setzen sich einzeln oder in Gruppen mit den Themen auseinander und erarbeiten sich den Lehrstoff auf diese Weise größtenteils eigenständig. Diese Vorgehensweise ist auch unter dem Begriff „Inverted Classroom“ bekannt. In der Veranstaltung wird dann – zum Beispiel anhand von Clickerfragen – das bereits Erarbeitete diskutiert (Reiners & Madan, 2014). Die Arbeit mit dem Clickersystem erfordert eine gewisse Vorbereitung durch die Dozentin oder den Dozenten. So muss zunächst die Hardware eingerichtet und getestet werden, um spätere Fehlfunktionen zu vermeiden. Um bei einer hardwarebasierten Nutzung die Fragen in die Vorlesung zu integrieren, ist eine spezielle Software notwendig (Beatty, 2004). Im zweiten Schritt integriert man mithilfe des zugehörigen Programms die Clicker-Fragen in die Vortragsfolien. Vor Beginn der Veranstaltung werden die Sendergeräte an die Teilnehmer ausgegeben und die Bedienung derselben erläutert. Zur Beantwortung der Fragen kann bei Erstellung der Folien eine bestimmte Antwortzeit festgelegt werden. Alternativ kann die Runde auch bei Beantwortung der jeweiligen Clickerfrage durch alle Teilnehmer manuell beendet werden. Im Anschluss erscheint das Abfrageergebnis der gesamten Gruppe direkt auf der Präsentationsfolie (Beatty, 2004). 4

Beispielhafter Einsatz in einer Vorlesung aus dem Bereich Wirtschaftsinformatik

Vor diesem Hintergrund wurde die Förderung der Sprachkompetenz durch den Einsatz von Clickern in einer konkreten Lehrveranstaltung

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untersucht. An einer eher technisch ausgerichteten Hochschule wurde dafür eine englischsprachige Fachvorlesung eines überwiegend deutschsprachigen Studienganges ausgewählt, in der neue Fachbegriffe eingeführt und Konzepte vermittelt wurden. Für diese Fachbegriffe gilt, dass das Verständnis und der kompetente Umgang mit ihnen essenziell für das entsprechende Fachgebiet sind. Die konkrete Veranstaltung ist Teil der Mastervorlesung „IT-Sicherheit“ im Studiengang Wirtschaftsinformatik der Hochschule Karlsruhe und umfasst das Thema „Security Awareness“. Der Dozent der Veranstaltung setzt im Rahmen seiner Veranstaltungen regelmäßig Clicker ein, so dass seine 25 Studierenden mit der Technik vertraut sind. Zur Durchführung der Studie wurden ein hardwarebasiertes System von Turning Technologies und eine anonyme Abfrage verwendet. Das System kam an der Hochschule bereits in einigen Lehrveranstaltungen zum Einsatz. Untersucht wurde, inwiefern das Verständnis der Studierenden für ausgewählte, englischsprachige Begriffe durch den Einsatz von Clickern verbessert werden kann. Dazu wurde die Anwendung der erlernten Begriffe mithilfe einer Test- und einer Kontrollgruppe überprüft. Die Testgruppe (13 Personen) arbeitete mit Clickern; die Kontrollgruppe (12 Personen) nahm an der konventionellen Vorlesung ohne Clickertest teil. Die Ziele waren zum einen herauszufinden, inwieweit der Einsatz von Clickern die Studierenden unterstützt, Lehrinhalte zu erinnern und zum anderen, ob ihre Sprachkompetenz in Bezug auf die in der Vorlesung erlernten Begriffe durch den Einsatz der Clicker gefördert werden konnte. Hierzu wurden die Inhalte der Clickerfragen in einem abschließenden Test überprüft. Für die Durchführung des Experiments wurden die Studierenden in zwei Gruppen aufgeteilt. Beide Gruppen

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hörten die Vorlesung gemeinsam. Eine Testgruppe erhielt während der Vorlesung Wiederholungsfragen, die sie mithilfe der Clicker beantwortete, die Kontrollgruppe nahm nur an der allgemeinen Wiederholung des Stoffes ohne Clickerabfrage teil. Die Kontrollgruppe verließ den Raum jeweils für die Zeit, in der die Clickerabfragen stattfand. Die Zeit, um sich für eine Antwort zu entscheiden, wurde auf jeweils 15 Sekunden eingeschränkt. Im Anschluss wurde das Ergebnis präsentiert und die richtige Antwort vorgestellt. Des Weiteren gab es nach jeder Frage die Möglichkeit, die Lösung zu diskutieren beziehungsweise zu erläutern, weshalb die richtige Antwort jeweils die einzig mögliche war. Die ersten Fragen zielten auf das Thema Sicherheitsbewusstsein (security awareness) ab. Lediglich eine Person wählte aus einer vorgegebenen Auswahl von Antworten die korrekten Maßnahmen bei Vorfällen durch geringes Sicherheitsbewusstsein aus. Die Aussage in der folgenden Frage, dass ein Sicherheitsbewusstsein nur aufgrund der erhöhten Rechtsverletzungen wichtig sei, verneinten zehn Teilnehmer richtigerweise. Es ging dabei nicht nur um die sprachliche Kompetenz im Umgang mit dem englischen Begriff „security awareness“. Die Studierenden mussten bei der ersten Frage zusätzlich eine Verbindung zu den Begrifflichkeiten aus den Maßnahmen herstellen. Im Anschluss erhielten die Studierenden Fragen zu den Fachbegriffen in Zusammenhang mit den verschieden Ebenen der Compliance (Regeltreue/Konformität mit Regeln). Dabei ging es um die spezifische Bedeutung der Wörter: „commitment“ (Einsatzbereitschaft/Engagement), „obedience“ (Fügsamkeit/Befolgung von Regeln) und „apathy“ (Gleichgültigkeit). Hatten die Studierenden die

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Definitionen der Begriffe bereits verstanden und konnten sie verwenden, fiel es ihnen leichter, die Begriffe in eine Rangliste einzuordnen und den Überbegriff zu einer der Definitionen zu finden. Die richtige Auswahl bei der Einordung trafen sieben der zwölf Studierenden, während acht Teilnehmer die Definition dem entsprechenden Fachbegriff zuweisen konnten. Im letzten Fragenblock ging es einerseits um die allgemeine Beeinflussung von Nutzern und andererseits um spezielle Möglichkeiten, Sicherheit zu fördern. Die Hälfte der Beteiligten entschied sich für die zutreffenden Möglichkeiten, Nutzer zu beeinflussen und sieben Personen der Testgruppe wählten die richtige Kombination aus den Maßnahmen zur Sicherheitsförderung. Abschließend beantworteten alle 25 Studierenden einen Fragebogen mit Testfragen über die gerade erlebte Vorlesung. Die Teilnehmer, die Clicker verwendet hatten, erhielten zusätzlich noch einen Bewertungsbogen zu dem Verfahren. Bei der anschließenden Korrektur der Fragebögen wurde weniger auf den genauen Wortlaut, sondern mehr auf das Verständnis der Inhalte Wert gelegt. Forderte die Aufgabenstellung zwei Optionen und der Studierende konnte lediglich eine korrekte Option nennen, ging seine Antwort nur mit der Hälfte der möglichen Punktzahl in die Auswertung ein. Am Ende wurde die Summe aller erreichten Punkte aller Studierenden einer Vergleichsgruppe pro Frage zusammengefasst und zu dem maximal erreichbaren Gesamtwert ins Verhältnis gesetzt. Die Veranstaltung selbst dauerte etwas länger als üblich. Pro Clickerfrage musste den Studierenden Zeit eingeräumt werden, um die Fragen und die Antwortmöglichkeiten zu lesen und zu verstehen. Die Auswertung des Tests zeigte, dass die Studierenden unter Zuhil-

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fenahme der Clicker bessere Ergebnisse erzielt haben als die Vergleichsgruppe. Sie hatten die Inhalte der Lehrveranstaltung zu allen gestellten Fragen besser verinnerlicht und sich an die Bedeutung der englischen Fachwörter häufiger erinnert. Insbesondere bei der Frage nach der Bedeutung des Wortes „obedience“ (Fügsamkeit/Befolgung von Regeln), wird der Lerneffekt durch den Einsatz von Clickern deutlich. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ClickerGruppe wählten allesamt die richtige Definition aus, während sich aus der Vergleichsgruppe lediglich fünf von dreizehn Studierenden an die korrekte Definition erinnern konnten. Bei der Abstimmung mit den Clickern in der Clicker-Gruppe während der Vorlesung wussten nur zwei Drittel der Studierenden die richtige Antwort. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch bei den weiteren Testfragen ab. Die Studierenden der Testgruppe konnten deutlich häufiger die richtigen Antworten benennen und herausfinden. Einige Fragen gingen über das bloße Erkennen von Strukturen hinaus. Die englischen Begriffe mussten zum einen verstanden und zum anderen richtig in einem vorgegebenen Kontext angewendet werden. Die Analyse der Antworten lässt vermuten, dass die Clicker sowohl die Bildung von Sprachkompetenz der Studierenden in Bezug auf die englischsprachigen Fachbegriffe gefördert haben, als auch unterstützend geholfen haben, die gelernten Inhalte in einen neuen Kontext zu setzen. Wir planen daher, diesen Ansatzpunkt in weiteren Veranstaltungen tiefer zu untersuchen.

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Feedback der Studierenden

Das Feedback der Testgruppe auf den Einsatz von Clickern in englischsprachigen Vorlesungen war durchweg positiv. Dies ergab eine

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Umfrage im Anschluss an die Veranstaltung, in der die Studierenden auf einer Skala von ‚I do not agree‘ (Ich stimme nicht zu – Wert 0) bis ‚I do agree‘ (Ich stimme zu – Wert 5) unterschiedliche Fragen bewerteten. Der Feedbackbogen im Anschluss an die Lehrveranstaltung ergab bei einer Höchstbewertungszahl von fünf Punkten sehr hohe durchschnittliche Werte bei der Beurteilung als ‚positive‘ (positiv) (4,1), ‚motivating‘ (motivierend) (4,2) und ‚educational‘ (lehrreich) (4,2). Auch als ‚entertaining‘ (unterhaltsam) (3,9) und ‚comprehensible‘ (verständlich) (3,9) ordneten viele Teilnehmer die Vorlesung mit den Clickern ein. Drei Viertel der befragten Studierenden gab zudem an, dass der Einsatz der Clicker ihnen half, sich den Inhalt der Vorlesung zu merken und mehr als zwei Drittel der Studierenden meinte, aufmerksamer gewesen zu sein als in regulären Veranstaltungen ohne den Einsatz des Clickersystems. Alle befragten Studierenden befürworten eine weitere Nutzung der Clicker im Vorlesungsbetrieb, etwa die Hälfte schränkte die ihrer Meinung nach sinnvolle Nutzung jedoch auf „manchmal“ ein. Stellt man die Vorlesung nicht komplett auf ein Inverted Classroom Konzept um, leiden die durch Clicker geschaffenen Anreize. Daher ist es ratsam, die Clicker nur in gewissen Abständen einzusetzen. Insgesamt halten wir den Einsatz von Clickern für eine interessante und abwechslungsreiche Alternative, den Studierenden neue (englischsprachige) Fachbegriffe nahe zu bringen. Es bleibt aber anzumerken, dass sich die Ergebnisse auf unseren Erfahrungen mit relativ kleinen Teilnehmergruppen beziehen und in anderen Fächern und Studiengängen anders ausfallen könnten. Ferner wurde vor allem die kurzfristige Kompetenzbildung getestet und noch nicht, ob

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die Kompetenzen auch nachhaltig gebildet wurde. Weitere Einsätze könnten auch im Hinblick auf diese Fragen Aufschluss geben.

   

 

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Kapitel IV Theater und Film als Instrumente zur Vermittlung von Sprachkompetenz

Sprache und Auftreten – Förderung der Kommunikation durch theaterpädagogische Methoden Simone Bekk und Susanne Heigl

Heutzutage werden immer mehr Forderungen an die Bildungseinrichtungen gestellt, auch an die Hochschulen. Während Lehrende mehr Praxisbezug zu den Lerninhalten herstellen und einen Wandel vom „teaching“ zum „learning“ vollziehen sollen, so wird von den Lernenden unter anderem erwartet, dass sie sich aktiver am LehrLerngeschehen beteiligen und ihr Lernen selbst organisieren. Als sogenannter „Outcome“ sollen die Lernenden auf die Arbeitswelt vorbereitet werden und zwar so, dass sie sich an die sich immer wandelnden Anforderungen anpassen und beim Wandel der Gesellschaft mitwirken können (vgl. Wildt 2003, 15). Auch Firmen legen mittlerweile bei der Einstellung nicht mehr nur Wert auf die Abschlussnote, sondern auf sogenannte „Soft Skills“, allen voran: Eigeninitiative, Einsatzbereitschaft, Selbstständigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit. Kaum eine Stellenausschreibung lässt sich finden, in welcher diese Soft Skills nicht gefordert oder sogar vorausgesetzt werden (vgl. Nünning et al. 2008, S. 7; Staufenbiel 2016, S. 34). Doch gerade Kommunikation ist nicht nur auf Lernenden- sondern auch auf der Lehrendenseite von besonderer Bedeutung. Denn Kommunikation ist ein zentrales Element, wenn © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_14

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Lehren und Lernen gelingen wollen. Es kann also ins Besondere für Lehrende hilfreich sein, sich mit den Grundlagen der Kommunikation, deren Herausforderungen sowie den Mechanismen von sogenannten „Statusspielen“, die häufig unbewusst im Kommunikationsprozess wahrgenommen werden, auseinanderzusetzten, um Kommunikation als sinnvolles und hilfreiches Mittel in Lehrveranstaltungen einsetzen zu können. Der Artikel beschäftigt sich im Folgenden mit der Frage, wie die Kommunikation im Lehr-Lernprozess gefördert werden kann und stellt Methoden der Theaterpädagogik als eine Möglichkeit unter vielen vor, die Kommunikationsfähigkeit zu stärken. Grundlegend wird ein kurzer Exkurs zur Kommunikation allgemein gegeben, um zu beschreiben, was unter Kommunikation zu verstehen ist und welche Verständigungsschwierigkeiten auftreten können, in deren Folge Kommunikation oftmals auch scheitern kann. In einem zweiten Schritt wird die Kommunikation auf die besondere Situation des Lehr-Lerngeschehens bezogen. Dabei wird erörtert, weshalb das Gespräch, der Dialog, ein wichtiges und essentielles Element im Lehr-Lernprozess ist, wenn dieser durch Selbsttätigkeit gekennzeichnet ist. Für eine „gelingende“ Kommunikation in Lehr-Lernsituationen, im Sinne des eigenen Erkennens und Verstehens des Lernenden, wird sowohl auf Studierenden- als auch auf Lehrendenseite Kommunikationskompetenz vorausgesetzt (vgl. Rummler 2012, S. 44). So kann Kommunikation sowohl ein Mittel zur Erreichung von Lernzielen darstellen als auch Lernziel selbst sein (vgl. Wuttke 2005, S. 18). In diesem Zusammenhang findet sich immer mehr Literatur zur Thematik „Schulung der Kommunikationskompetenz“ auch schon für den Schulunterricht (bspw. Klippert 2003 sowie Miller 2004).

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Doch um sowohl die Lernenden hinsichtlich ihrer Kommunikationsfähigkeit zu fördern als auch Kommunikation im LehrLerngeschehen zu gestalten, sollten auch Lehrende in Stimmbildung, Sprecherziehung, Körpersprache, Rhetorik, Präsenz, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit etc. besser qualifiziert werden. Lehrende haben einen entscheidenden Einfluss auf den LehrLernprozess. Sie können bspw. Kommunikation gezielt einsetzen, zum Kommunizieren in der Lehrveranstaltung anregen und entsprechend auf die Lernenden reagieren. Einschränkend wird im weiteren Verlauf des Artikels die Stärkung der Kommunikationsfähigkeit der Lehrperson betrachtet und theaterpädagogische Methoden als eine Option zur Stärkung der Kommunikationsfähigkeit vorgestellt. Gleich zu Beginn gilt es zu erwähnen, dass es für eine optimale Kommunikation kein Patentrezept gibt, denn viele verschiedene Faktoren tragen zu einer gelungenen Lehrveranstaltung bei (wie bspw. die Veranstaltungsstruktur, Auswahl von kommunikationsfördernden Methoden, Kommunikationskompetenz der Lernenden, Rahmenbedingungen). Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die Kommunikation ein zentrales Element des Lehrens und Lernens ist und deshalb einer intensiveren Betrachtung bedarf. Der Artikel fokussiert sich auf Übungen zur Rhetorik, wie sie bspw. in der Schauspielausbildung zu finden sind, sowie auf Keith Johnstones Begriff des Status, welcher sowohl in der Alltagskommunikation als auch in der Kommunikation in LehrLernsituationen zum Tragen kommt. Die Methoden des Theaters bieten hinsichtlich der Entwicklung und Förderung von Kommunikation einen großen Spielraum und ermöglichen eine Auseinandersetzung und Reflektion mit den „Instrumenten“ Körper, Stimme und Auftreten.

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Kommunikation „Man kann nicht nicht kommunizieren“, so lautet das 1. Axiom von Watzlawick et al. (1974, S. 53). Denn Kommunikation ist Bestandteil jeglichen Alltagshandelns (Koch, 2006, S. 185) und kann in mündlicher, körperlicher, schriftlicher oder digitaler Form stattfinden (Heigl, 2014, S. 95). Der Begriff Kommunikation selbst stammt vom lateinischen „communicare“ und bedeutet „teilen“, „mitteilen“. Auch das Nicht-Beantworten einer Frage, ein stummer Blick oder ein Sich-Abwenden ist eine Art von Kommunikation. Unweigerlich wird dabei eine Botschaft an eine andere Person „gesendet“ (vgl. Böhm et al. 1982, S. 306). Vereinfacht dargestellt, wie von Shannon und Weaver in den 50er Jahren, findet bei einer Kommunikation ein Prozess statt, wobei eine Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger1 (oder mehreren Empfängern) übertragen wird, mit dem Ziel der Verständigung (vgl. Koch 2006, S. 185 sowie Schützeichel 2015, S. 19). Vom Prinzip erscheint dieses Modell sehr simpel. Allerdings ist eine störungsfreie Übertragung nicht ausreichend, wenn es um das „Verstehen“ einer Botschaft und nicht nur um „Reproduktion“ geht (vgl. Wuttke 2005, S. 22, 89). Denn eine Nachricht wird immer vom Sender kodiert und muss vom Empfänger wieder entschlüsselt, d. h. dekodiert werden. Dass es dabei auch zu sogenannten „Missverständnissen“ oder „Verständnisschwierigkeiten“ – sogenannten Konflikten – kommen kann, liegt auf der Hand. Denn Kommunikation beschränkt sich nicht nur auf das, was gesagt wird 1

Sofern in diesem Artikel Begriffe wie „Empfänger“ der Einfachheit halber in rein männlicher Form verwendet werden, sind damit selbstverständlich beide Geschlechter gleichermaßen angesprochen.

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– auf die verbale Kommunikation –, sondern auch auf das, was bspw. durch Gestik, Mimik oder Körperhaltung ausgedrückt wird – die nonverbale Kommunikation – sowie auf die Intonation und Lautstärke der Stimme, den Sprachrhythmus oder die Nutzung von Pausen – die paraverbale Kommunikation (vgl. Heringer 2010, S. 81-104). Es gibt nicht ohne Grund Sprichwörter wie „Der Ton macht die Musik“ oder „Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte“. Denn gerade die Körpersprache sowie der Tonfall und die Stimmlage spielen eine wichtige Rolle im Kommunikationsprozess. Beispielsweise wirkt Gesagtes, das nicht in Einklang mit der Körpersprache oder der Mimik steht (es sei denn es handelt sich um Ironie oder Sarkasmus), nicht authentisch und überzeugend. Wichtig zu beachten ist ebenfalls, dass die non- und paraverbale Kommunikation kulturell geprägt ist und es auch hier zu Missverständnissen kommen kann. Nach Fiehler lassen sich vier zentrale Verständigungsschwierigkeiten beschreiben, wobei diese fließend ineinander übergehen und auch gleichzeitig auftreten können: 1) „Ich verstehe nicht, was der andere sagt“ (Fiehler 2002, S. 11). – Äußere Randbedingungen sowie die Beherrschung unterschiedlicher Regeln bzw. Konventionen sind grundlegend für die Kommunikation. Diese kann nicht zustanden kommen, wenn z. B. zu große Distanz, Lärm sowie Störungen der Produktion und Perzeption (wie Schwerhörigkeit) auftreten. Hinzu kommt, dass je unterschiedlicher die Regeln und Konventionen sind, bspw. aufgrund einer anderen Sprache, eines Dialekts oder einer Fachsprache,

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desto schwieriger wird die Kommunikation (vgl. ebd., S. 11f.). 2) Eine zweite Problematik der Kommunikation sind unterschiedliche Wissensbestände sowie unzureichende Adressatenzuschnitte – „Das, was ich verstanden habe, macht für mich keinen Sinn“ (ebd., S. 11). In diesem Fall gelingt eine Bedeutungszuordnung, doch kann das Gesagte nicht in den Wissensbesitz eingeordnet werden, wie bspw. bei einer Experten-Laien-Kommunikation, wenn hauptsächlich Fachsprache verwendet wird (vgl. ebd., S. 11ff.). 3) Klassische Missverständnis sind Problematiken bei kommunikativ-sprachlichen Aspekten aufgrund der „essentiellen Vagheit“ von Kommunikation – „Das, was ich verstanden habe, ist nicht das, was der andere gesagt oder gemeint hat“ (ebd., S. 11). Dann kann sich unter Umständen (oder auch nicht) nach einiger Zeit herauskristallisieren, dass das, was verstanden wurde, vom Gesagten nicht so gemeint war (vgl. ebd., S. 11ff.). Ein bekanntes Kommunikationsmodell, welches den Dekodierungs-Prozess genauer beschreibt, ist das Vier-Seiten-Modell des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun. Nach Schulz von Thun beinhaltet jede gesendete Botschaft vier unterschiedliche Seiten: der Sachinhalt, der Apell, die Selbstoffenbarung und die Beziehung. Bei einer Botschaft beinhaltet die Sachebene Sachverhalte, Daten und Fakten, die mit den Kriterien wahr oder unwahr beurteilt werden können. Wohingegen die Appellebene Aufforderungen, Wünsche oder Bitten zum Ausdruck bringt. Die Beziehungsebene befasst sich mit dem Verhältnis des Senders und Empfän-

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gers (sowohl positiv als auch negativ) und auf der Selbstoffenbarungsebene gibt der Sender (sowohl bewusst als auch unbewusst) Selbstenthüllungen und Gefühle preis (vgl. Wuttke 2005, S. 104f. sowie Gora 2010, S. 36f.). Konflikte entstehen meistens, wenn der Empfänger die Seiten der Botschaft anders versteht, als vom Sender gemeint. 4) Als letzten Aspekt für Verständigungsschwierigkeiten nennt Fiehler unterschiedliche Anschauungen, Werte und Interessen – „Mit dem Sinn, den ich dem Verstandenen zulegen kann, bin ich nicht einverstanden“ (Fiehler 2002, S. 12). In diesem Fall widersprechen sich grundlegende Anschauungen und Werte, so dass ein Übereinkommen bzw. eine Einigung nicht möglich ist (vgl. ebd., S. 11ff.). Möglichkeiten, um diese Verständigungsprobleme zu minimieren, wären zum einen, die äußeren Randbedingungen so zu schaffen, dass Kommunikation überhaupt ermöglicht wird. Zum anderen hilft es, sich ein Grundwissen über Sprache und Kommunikation anzueignen, um dann über Kommunikation reflektieren zu können, Regeln des anderen zu lernen und das Bewusstsein zu erlangen, dass auch bei „gleicher“ Sprache, das vermeintlich „gleiche“ Wort unterschiedlich konnotiert sein kann. Weiterhin ist eine adressatengerechte Kommunikation von Bedeutung. Dabei ist es essentiell, das Wissen und die Erwartungen des Gegenübers z. B. durch aktives Zuhören besser einzuschätzen, sowie zu versuchen, die Perspektive des anderen einzunehmen (vgl. ebd. S. 14). Verringert werden können Kommunikationsstörungen ferner, indem bspw. durch eine prägnante und klare Formulierung die Verständlichkeit der Nachricht erhöht wird und Appelle nicht versteckt formuliert werden.

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Außerdem ist es hilfreich konträre Meinungen auf der Sachebene zu diskutieren und Botschaften nicht einseitig wahrzunehmen, da diese oftmals als Angriff oder Kränkung gedeutet werden können (vgl. Wuttke 2005, S. 104f. vgl. Fiehler 2002, S. 14).

Kommunikation im Lehr-Lernprozess Wird Kommunikation nun auf die besondere Situation des Lehrens bezogen, so findet man diese in der Literatur oftmals unter dem Begriff des „Unterrichtsgesprächs“. Böhm definiert dieses als „ein dem Unterricht dienendes Gespräch zw[ischen] den Schülern und dem Lehrer“ (Böhm et al. 1982, S. 534). Doch was ist „Unterricht“ genau und was ist ein „dem Unterricht dienendes“ Gespräch? Fest steht, dass mit „Unterricht“ nicht nur der Schulische gemeint ist, sondern jede Lehr-Lernsituation zwischen Lehrenden und Lernenden. Jede Bildungseinrichtung, sei es bspw. Schule, Ausbildungsbetrieb oder Hochschule, möchte die Lernenden auf eine unbestimmte Zukunft vorbereiten. Dazu werden Fachinhalte gelehrt, deren Anwendung geübt und abschließend bewertet. Das Bildungsziel ist immer die Autonomie, d. h. die Mündigkeit des Menschen. Denn Mündigkeit ist „die Fähigkeit, sittl[iche] und soziale Normen und deren Verbindlichkeit unabhängig von äußeren Bestimmungsgründen zu erkennen und anzuerkennen und entsprechend eigenverantwortlich zu handeln“ (Böhm et al. 1982, S. 374). Dieses Ziel kann durch die „Aneignung und Differenzierung von Wissen“ (Hintz et al. 2001, S. 350) erreicht werden, d. h., durch das Hinterfragen von Kenntnissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einsichten unter dem Aspekt der Wahrheit. Der Bildungsprozess ist mit der

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Frage nach der Gültigkeit des Wissens noch nicht abgeschlossen. Untrennbar damit zusammenhängend muss zusätzlich eine Haltung bzw. Einstellung zum Wissen eingenommen werden, um das eigene Handeln danach auszurichten. „Wer die Frage nach den Motiven seines Tuns nicht angeht, handelt aus Motiven, über die er nicht selbst bestimmt hat. Er bliebe fremdbestimmt. Er ließe zu, dass andere über sein Leben bestimmen“ (Ladenthin 2008b, S. 28f.). Diese Synthese gipfelt im Herbartschen Begriff des „erziehenden Unterrichts“2. Denn die sachlich gültige Urteilsentscheidung über das Wissen geht immer einher mit der Bewertung dessen nach dem Maß der Sittlichkeit, dem Guten3 (vgl. Petzelt 1955, S. 47 f.). Das Wissen und die dazu eingenommene Haltung dazu gehen eine untrennbare Verbindung ein. Lehren und Lernen stehen in unmittelbarer Verbindung und sind gleichzeitig intra- als sowie interpersonale Prozesse, die sich von Gewöhnung, Disziplinierung, Indoktrination oder Manipulation4 abgrenzen lassen. Lernen kann nur vom Subjekt selbst vollzo2

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„Und ich gestehe hier gleich, keinen Begriff zu haben von Erziehung ohne Unterricht; so wie ich rückwärts […] keinen Unterricht anerkenne, der nicht erzieht“ (Herbart 1971, S. 35).  Herbart setzt als oberstes Ziel des „erziehenden Unterrichts“ die Moralität: „Machen, daß der Zögling sich selbst finde, als wählend das Gute, als verwerfend das Böse: dies oder nichts ist Charakterbildung! Diese Erhebung zur selbstbewußten Persönlichkeit soll ohne Zweifel im Gemüte des Zöglings selbst vorgehen und durch dessen eigene Tätigkeit vollzogen werden; es wäre Unsinn, wenn der Erzieher das eigentliche Wesen der Kraft dazu erschaffen und in die Seele eines anderen hineinflößen wollte" (Herbart 1997, S. 49). Nur dann, wenn der Lernende selbst Wissen, Normen und Werte er- und anerkennt, kann von pädagogischer Führung in Selbstbestimmung gesprochen werden. Ansonsten greifen Maßnahmen der Fremdbestimmung, wie

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gen werden und wird nach Petzelt Aktivität des Ichs genannt (vgl. 1964, S. 20). Denn Wissen ist immer an eine Person gebunden und kann nicht „abgegeben“ oder im wahrsten Sinne des Wortes „beigebracht“ werden, sondern muss vom Lernenden selbst erkannt, verstanden und mit dem eigenen Wissensbesitzt verknüpft werden (vgl. Petzelt 1955, S. 16). Lernen kann nicht für jemanden übernommen werden, sondern nur von jemandem unterstützt werden. Deshalb handelt es sich im Lehr-Lerngeschehen auch um einen interpersonalen Prozess zwischen Lehrendem und Studierenden. Das Lehrendendasein und das Lernendendasein bedingen sich gegenseitig, denn nur „im Hinblick auf einen möglichen Lehrer rechtfertigt sich die Bezeichnung als Schüler“ (Petzelt 1964, S. 45). Doch wie kann ein Lehr-Lernprozess erfolgen, der zu unabhängiger Selbsttätigkeit auffordert? Schon Kant stellte die problematische Frage: „Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“ (1964, S. 711 – A32) und auch Heitger führt an: „[W]ie kann pädagogische Führung möglich sein, die einerseits den anderen nicht in Abhängigkeit bringt, die ihm andererseits Hilfe, Rat und Beistand nicht verweigert?“ (1972, S. 73) Die Antwort drauf kann nur die Hilfe zur Selbsthilfe durch den Lehrenden sein, d. h. durch Vorbild und im Dialog. Lehr-Lernprozesse sind auf das Dialogische, d. h. die Argumentation angewiesen, wenn nicht Machtausübungen, sondern Selbsttätigkeit und Unabhängigkeit den Prozess bestimmen sollen. Wer über die gültigen Argumente verfügt, ist Lehrender und die Manipulation des Verhaltens oder die Indoktrination des Geistes, welche durch Machteinfluss, Abhängigkeit und Unfreiheit bestimmt sind (vgl. Hintz et al. 2001, S. 91f. und Heitger 1972, S. 73f.). Auch die Gewöhnung bedarf der immer währenden Reflexion und erneuten Entscheidungsfindung, damit nicht aus der „Regelgemäßheit der Haltung die ebenso bedenkliche Regelmäßigkeit der Entscheidungen“ (Petzelt 1955, S. 51) folgt.  

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so können das Lehrenden- und Lernenden-Sein jederzeit wechseln, unabhängig von Alter oder Profession (vgl. Heitger 1972, S. 76). Ladenthin nennt in diesem Zusammenhang drei Kennzeichen für den „Unterricht“: die Wissenschaft, die Personalität und die Kommunikation (2008a, S. 54ff). Erläuternd bedeutet dies, dass es sich im Lehr-Lernprozess um Wissen handelt, welches „unter Kontrolle des eigenen Verstandes erkannt wurde oder prinzipiell unter dessen Kontrolle erkannt werden kann“ (ebd., S. 54). Dieses ist an die Selbsttätigkeit des Subjekts – die Personalität – gebunden und wird durch Kommunikation, d. h im Dialog, vom Subjekt selbst erworben. Um den Studierenden dabei als Lehrender die geforderte „Hilfe zur Selbsthilfe“ zukommen zu lassen, müssen beide im Dialog auf einen „Gegenstand“ gerichtet sein (vgl. Petzelt 1964, S. 83; siehe Abbildung 1). Schon Aristoteles verband diese drei Instanzen, Redner, Gegenstand und Zuhörer, für einen Dialog: „Es basiert nämlich die Rede auf dreierlei: dem Redner, dem Gegenstand, über den er redet, sowie jemandem, zu dem er redet, und seine Absicht zielt auf diesen – ich meine den Zuhörer“ (Aristoteles, rhet. 1358b1). Ein Großteil der Lernprozesse findet über gesprochene und schriftliche Sprache statt und ein Lehrender kontrolliert dadurch, ob die Studierenden etwas gelernt haben (vgl. Wuttke 2015, S. 17). Dabei geht es jedoch nicht um die Aneignung fremder Resultate, sondern um die Überprüfung des Gegenstandes unter der Maßgabe der Wahrheit und der Sittlichkeit durch den Lernenden selbst unter Aufforderung durch den Lehrenden. Die Kommunikation im Lehr-Lernprozess ist somit von essentieller Bedeutung für pädagogisches Handeln. Ohne eine „gelingende“ Kommunikation kann kein Dialog zwischen Lehrenden und

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Lernenden über einen Gegenstand und somit kein Lehren und Lernen, keine Aufforderung zur Selbsttätigkeit und keine Selbsttätigkeit stattfinden. Voraussetzung zur Kommunikation ist auf beiden Seiten eine „Gesprächskompetenz, um die oben beschriebenen Verständigungsproblematiken zu minimieren, sowie der Wille zum Dialog. Ziel im Lehr-Lernprozess ist nicht „das äußere Annehmen und Aufnehmen von Wissensinhalten, es geht nicht um das äußere Befolgen von Geboten und Verboten, sondern um eigene Überzeugung im Erkennen, um Verbindlichkeit aus eigener Einsicht im Handeln und in der Haltung“ (Heitger 1972, S. 75). Um pädagogisches Handeln zu ermöglichen und die Voraussetzungen für dieses zu schaffen, müssen Studierende sowie Lehrende ihre Fähigkeit zur sachlichen und sittlichen Argumentation ausbauen und reflektieren. Denn Kommunikation kann im Lehr-Lernprozess sowohl ein Mittel zur Erreichung von Lernzielen als auch Lernziel selbst sein (vgl. Wuttke 2005, S. 18). Dieser Artikel wird sich im Weiteren mit der Möglichkeit beschäftigen, die „Gesprächskompetenz“ der Lehrpersonen zu erweitern, da diese einen großen Einfluss auf den Dialog im Lehrgeschehen hat. Auch Hintz et al. machen deutlich, dass „die Gesprächskompetenz ein wichtiges Merkmal der Professionalität“ eines Lehrenden ist, so dass „die Reflexion über Grundsätze der Gesprächsführung und ein praxisbezogenes Gesprächstraining auch in der Lehreraus- und -weiterbildung einen entsprechenden Platz haben“ sollten (Hintz et al. 2001, S. 363). Eine Möglichkeit dazu bieten theaterpädagogische Methoden.

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Methoden der Theaterpädagogik als Möglichkeit, die Kommunikationskompetenz zu stärken Um Lehr-Lernprozesse und deren Kommunikation gezielt gestalten zu können, sind sowohl die Theorie über Kommunikationsprozesse und Verständigungsschwierigkeiten (vgl. Kapitel Kommunikation)5 als auch praktische Übungen, wie beispielsweise Übungen zur Stimmbildung, zur Aussprache, zum Einsatz von Körpersprache und zur Präsenz, von Bedeutung. Methoden des Theaters und des Schauspielunterrichts stehen dafür in großer Auswahl zur Verfügung. Beispielhaft wird auf die Aspekte „Stimmbildung“ und „Präsenz und Auftreten“ vertiefend eingegangen und einzelne praktische Übungen werden vorgestellt. Die Übungen können auch alleine oder in einer Gruppe durchgeführt werden, ersetzen allerdings keine Anleitung durch geschultes Personal.

Stimmbildung Der Stimme im Lehr-Lernprozess wird zunehmend mehr Bedeutung zugesprochen. Immer mehr Seminare zur Stimmbildung werden auch für Lehrpersonen angeboten, wie bspw. durch die Geschäftsstelle der Studienkommission für Hochschuldidaktik an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in BadenWürttemberg (GHD). Beispielhaft wird eine kurze Stimmübungssequenz vorgestellt, die auch als Einzelperson durchgeführt werden kann. Mit dieser Sequenz kann gezielt an Haltung, Atmung, Resonanz und Artikulation gearbeitet werden. Die Stimme kann als per5

Erläuterungen zu den bekannten Theorien sowie Übungen dazu finden Sie in Plate 2015.

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sönliches Instrument verstanden werden. Dabei stehen Körper, Stimme und Atmung in direktem Zusammenhang. Stimmübungssequenz (Ca.10 Min.) Haltung: Stellen Sie sich hüftbreit, mit leicht gebeugten Knien hin. Lassen Sie das Becken locker und nehmen Sie es als Zentrum wahr. Der Oberkörper soll aufrecht sein. Lassen Sie Ihre Schultern nach hinten unten fallen, strecken Sie die Halswirbelsäule und ziehen Sie den Kopf nach hinten oben. (Hilfreich kann es sein, sich vorzustellen, dass der Kopf wie bei einer Marionette von einem Faden gehalten wird.) Lockerung: Kreisen Sie die Schultern einige Male. Anschließend ziehen Sie auf das Einatmen die Schultern kurz nach oben und lassen Sie auf ein hörbares „Ha“ beim Ausatmen nach unten fallen. Mehrmals wiederholen. Zum Schluss Kopf, Arme, Beine kreisen und ausschütteln. Atem: Zur Ruhe kommen. Eine Hand wird auf die Brust gelegt, die andere auf den Bauch. Nun wird über die Nase eingeatmet und in den Bauchraum hinunter geatmet. Wichtig ist dabei, die Schultern nicht zu heben. Anschließend wird über ein „F“ langsam und dosiert ausgeatmet, wobei sich die Bauchdecke senkt.

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Resonanzraum: Die Übungen dienen dazu, den Körper als Klangraum zu erleben. Wärmen Sie Ihre Stimme mit einem summenden, langsam, von der Lautstärke her anschwellenden „m“ auf. Der Ton sollte dabei in der Tonlage Ihrer natürlichen Sprechstimme liegen. Als nächste Übung haben Sie einen imaginären Ball in der Hand und werfen diesen auf „Ma“ in einem hohen Bogen in den Raum. Der imaginäre Ball soll Ihnen dabei helfen, die Stimme weit in den Raum zu tragen. Das gleiche machen Sie mit „Me“, „Mi“, „Mo“, „Mu“ und mit „Ha“, „He“, „Hi“, „Ho“ und „Hu“. Achten Sie darauf, dass die Stimme den Raum füllt. Artikulation: Hierfür helfen Zungenbrecher jedweder Form. Sprechen Sie diese auf Deutlichkeit und anschließend auf Geschwindigkeit. Suchen Sie sich einen Punkt im Raum, zu dem Sie sprechen. Achten sie darauf, dass Sie dabei den Mundraum, d. h. Lippen, Zunge und Kiefergelenk, wirklich bewegen. Dass können Sie auch vor dem Spiegel überprüfen. Mögliche Zungenbrecher können sein: „Du Dachdecker du da, decke mir das Dach da, Decke mir das Dach da, du Dachdecker du da.“ „Zweiundzwanzig zahme Zwergziegen, zwängten sich zwischen zwei zersplitterten Zaunstützen, durch die Umzäunung des Zwergziegenstalles. Die Zwergziegenzüchter waren verzweifelt.“

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Präsenz und Auftreten Ein wichtiger Aspekt in der Kommunikation ist laut dem britischen Dramaturgen, Schauspiellehrer und Begründer des modernen Improvisationstheaters Keith Johnstone der sogenannte Status. In jeder Interaktion, sei es auf der Bühne oder in der Realität, spielen laut Johnstone „Unterwerfung“ und „Dominanz“ eine wichtige Rolle, auch benannt als Tief- und Hochstatus. Jedoch sollte man sich von den Begrifflichkeiten nicht täuschen lassen. Denn der Status ist wertfrei zu betrachten und damit ist nicht ein Status besser als der Andere. Vielmehr ist es erstrebenswert, mit den verschiedenen Arten umgehen und damit auf sein Gegenüber eingehen zu können. Der Status, den eine Person einnimmt, sowohl gegenüber Menschen als auch Tieren oder Gegenständen, wird durch Mimik, Gestik, Körperhaltung, Stimme, Blickkontakt usw. ausgedrückt. Langsame bewusst geführte Bewegungen und eine ruhige Sprechweise werden beispielsweise eher dem Hochstatus zugeschrieben, wohingegen viele hektische Bewegungen und ein leises Sprechen eher mit Tiefstatus verbunden werden. Niemand ist nur auf einen Status festgelegt. In der Interaktion wechselt eine Person immer zwischen den Status. Allerdings gibt es Personen, die überwiegend einen hohen Status innehaben und welche, die überwiegend im Tiefstatus interagieren. Jedoch kann auch ein tiefer Status präferiert und der andere Status „gespielt“ werden, und umgekehrt (vgl. Johnstone 2008, S. 57f. und 83). Laut Plath können der „gesellschaftlich definierte“, der „natürliche“ und der „gespielte“ Status unterschieden werden. Ersterer ist innerhalb der Gesellschaft durch die Position bzw. Rolle des Einzelnen gegeben, so bspw. zwischen Chef und Angestelltem, Arzt und Patient sowie Professor und Stu-

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dent. Lehrende haben laut Plath gegenüber Lernenden einen gesellschaftlich definierten Hochstatus (vgl. ebd., S. 11). Der „natürliche Status“ ist jener Status, den Personen auch entgegen ihres gesellschaftlichen Status oftmals einnehmen. Dabei können sich äußeres Auftreten und innere Haltung widersprechen. So kann die innere Haltung durch Tiefstatus geprägt sein, jedoch äußerlich ein klares Hochstatusverhalten gezeigt werden oder umgekehrt. Der Mittelweg, d. h. das gezielte Einsetzten eines Hoch- oder Tiefstatus unabhängig von dem gesellschaftlichen oder dem natürlichen Status, ist der „gespielte Status“ (vgl. 2010, S. 38-40, 57f.). Viele Menschen senden „Statussignale“ unbewusst und wissen nur vage, was sie mit ihrer Körpersprache vermitteln und welche verschiedenen Schlussfolgerungen und Interpretationen daraus folgen können. Ein Bewusstsein über die Körpersprache und den gezielten Einsatz dieser wäre für Lehrpersonen in der alltäglichen Kommunikation im Lehr-Lerngeschehen sehr hilfreich, so dass eine Schulung wünschenswert wäre (vgl. ebd., S. 11 und S. 13). In einer Interaktion herrscht eine Art Status-Wippe, denn jeder Mensch kann mit einem Satz, mit einer Geste oder mit seinem Tun den Status von sich selbst erniedrigen und damit den des Gegenübers erhöhen – oder andersherum (vgl. Johnstone 2008., S. 60). Oftmals können diese Status-Unterschiede minimal, manchmal aber auch größer sein. So versuchen Lehrende häufig ihren gesellschaftlich gesetzten Hochstatus bei den Studierenden durchzusetzen. Dabei darf nicht verwechselt werden, dass ein Hochstatus auch automatisch die Kontrolle der Situation bedeutet. Auch ein Tiefstatus kann zu einer erfolgreichen Kommunikation beitragen, so dass Hoch- und Tiefstatus als gleichwertig zu betrachten sind (vgl. Plath 2010, S. 11, 63 und 81). Ebenso kann ein dem gesellschaftlichen

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Status entgegengesetzter gespielter Tiefstatus dazu führen, dass eine Person in einem Hochstatus wahrgenommen wird, was Plath als „Status-Paradoxon“ bezeichnet (vgl. ebd. S. 14f. und 123-126). Eine gelungene Kommunikation, kann dann stattfinden, wenn die Gesprächspartner nicht auf einem Status beharren und so „Status-„ bzw. „Machtkämpfe“ ausgetragen werden, sondern bereit sind, den Status auch zu wechseln. So wie beispielsweise Schauspielerinnen und Schauspieler können auch Lehrende ein großes Repertoire an Verhaltensmöglichkeiten besitzen, um in Lehrveranstaltungen besser situationsangemessen reagieren zu können und die StatusWippe zu nutzen. Dass es sich dabei nicht um allgemeingültige Rezepte zur Kommunikationskontrolle handelt, dürfte jedem bewusst sein. Jedes Lehr-Lerngeschehen ist situationsbedingt und unterschiedlich. Auf eine bestimmte Handlung folgt nicht zwangsläufig eine bestimmte Reaktion. Neben kleineren Übungen Johnstones (vgl. 2008, S. 105ff. sowie Johnstone et al. 2009, S. 381f.) sowie Beispielen und (auch im Alltag durchführbaren) Übungen bei Plath (Plath 2010, S. 89-140), um das Verhalten und die Wirkung der Status-Wippe zu erproben, wird beispielhaft eine Gruppenübung aus einem theaterpädagogischen Seminar vorgestellt, um die verschiedenen Status und deren Wirken praktisch zu erproben. Übung Status (Ca. 30 Min. mit Auswertung) In der Gruppe ziehen vier freiwillige Teilnehmende Zettel, auf denen jeweils einer der folgenden vier Statustypen steht:

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1. Innen hoch, außen hoch – Machtvoll, Verantwortung übernehmend 2. Innen tief, außen tief – Diplomatisch, anderen Raum lassend 3. Innen tief, außen hoch – Unsicherheiten überspielend, sich schützend (es gibt Situationen, in denen auch dieser Status hilfreich sein kann) 4. Innen hoch, außen tief – Charismatisch, anderen Raum gebend

Vor der Tür wird den freiwillig Teilnehmenden eine Konfliktsituation vorgegeben. Z. B. treffen sich zwei Elternpaare bei einem Ehepaar zu Hause zu einem Krisengespräch, weil das eine Kind das andere mit einem Stock geschlagen hat. Die vier Spieler haben nun die Aufgabe, unter Berücksichtigung ihres gezogenen Status, diese Konfliktsituation zu spielen/zu improvisieren. Wenn alle Spieler in der Improvisation ihren Status deutlich verkörpern konnten, wird eine Stufe weitergegangen und die Spieler wechseln langsam in ihren konträren Status (d. h. Status 1 und Status 2 sowie Status 3 und Status 4 wechseln). Dabei gilt es zu beachten, dass der Übergang so gespielt wird, dass die Figur trotzdem noch von außen nachvollziehbar handelt. Die Improvisation wird anschließend mit der Gruppe vom Seminarleiter beispielweise hinsichtlich folgender Fragen ausgewertet:  Wurden die vier Status-Typen erkannt?  Welcher Status-Typ konnte sich mit welchen Mitteln durchsetzen und warum?  Was hat der Statuswechsel bewirkt?

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   

Konnten durch den Statuswechsel verhärtete Fronten friedlich aufgelockert werden? In welchem Status haben sich die Spieler wohl oder unwohl gefühlt und warum? Welchem Statustyp fühlen Sie sich nahe und warum? Kann es hilfreich sein, auch andere Status-Typen spielerisch kennenzulernen, die einem sonst im Alltag eher fremd sind? Wenn ja, warum?

Die vorgestellten Übungen können die Teilnehmenden für die unterschiedlichen Dimensionen der Kommunikation sensibilisieren und somit die Chancen erhöhen, dass die Kommunikation und damit auch das Lehr-Lerngespräch, gelingen.

Fazit Eine Grundvoraussetzung für Lehren und Lernen ist die Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden. Dabei geht es nicht um die einfache Übernahme von Wissen und fremden Resultaten. Stattdessen soll der Lernende sich in Selbsttätigkeit Wissen aneignen, dieses in seinen Wissensbesitz einordnen und bewerten. Dass der Kommunikationsprozess im Lehr-Lerngeschehen (und allgemein) nicht einfach ist und nicht immer gelingt, ist selbstredend. Es können verschiedene „Verständigungsschwierigkeiten“ auftreten und so die Kommunikation misslingen lassen. Deshalb sind sowohl beim Lehrenden als auch beim Lernenden eine gewisse „Kommunikationsfähigkeit“ und ein „Kommunikationswille“ von Nöten,

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wenn ein Lehr-Lerngespräch überhaupt stattfinden und im günstigen Fall gut verlaufen soll. Hauptaugenmerk wurde in diesem Artikel auf die Schulung der Lehrperson gelegt, da diese auf drei Bereiche, in denen Verständigungsschwierigkeiten auftreten können, Einfluss nehmen kann: die äußeren Rahmenbedingungen, der Adressatenbezug und die mannigfaltigen Wissensbesitze sowie die kommunikativ-sprachlichen Aspekte. So können Lehrpersonen auf einige äußere Rahmenbedingungen einwirken, die dazu führen könnten, dass Kommunikation schon zu Beginn gestört wird und nicht zustande kommen kann. Hierzu gehören bspw. die Distanz zwischen Redner und Zuhörer, die Lautstärke in der Veranstaltung, die Lautstärke des Gesprochenen, aber auch die Artikulation oder Nutzung von Dialekt. Gezielt wurde hier Rhetoriktraining genannt und eine Stimmübungssequenz vorgestellt. Ein passender Adressatenbezug ist ebenso wichtig, um das Verständnis für den Lernenden zu ermöglichen, so dass er an seinen Wissensbesitz anknüpfen und das Gelernte einordnen kann. In diesem Bereich wären bspw. die adäquate Nutzung von Fachsprache und Fremdwörtern, aber auch inhaltliche Anknüpfungspunkte zu nennen. Hinsichtlich des Adressatenbezugs, und in diesem Zusammenhang deren heterogenen Wissensbestände, hat auch die Lehrperson Möglichkeiten, sich in größeren Veranstaltungen Rückmeldung einzuholen, um das Lehr-Lerngeschehen an die Studierenden und ihr Vorwissen auszurichten und anzupassen (vgl. dazu Artikel Meier/Zellner). Weiterhin ist es bedeutsam, über Kommunikationsprozesse sowie mögliche Verständigungsschwie-

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rigkeiten informiert zu sein, um Missverständnissen gezielt entgegenwirken zu können. Zuletzt anzuführen sind noch die kommunikativ-sprachlichen Aspekte aufgrund der „Vagheit“ von Kommunikation. Prägnante Formulierungen, kein Verstecken von Apellen und eine Argumentation auf der Sachebene wären beispielhaft zu nennen. Lehrende können sich gezielt mit dem Thema Kommunikation befassen, um so ihre Kommunikation, ihr Auftreten und ihre Wirkung zu reflektieren. Beispielhaft wurden in diesem Artikel die Fremd- und Selbstwahrnehmung sowie Statussignale und deren Wirkung behandelt sowie eine gezielte Übung zum Thema Status vorgestellt. Theaterpädagogische Methoden bieten eine Möglichkeit, sich mit dem Thema Kommunikation in all seinen Facetten, bspw. Stimmtraining, Wirkung von Gestik und Mimik, Fremd- und Selbstwahrnehmung sowie Status nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch auseinanderzusetzen. Dass Kommunikation nicht nach einem Rezept ablaufen kann und nie alle möglichen Problematiken vorhergesehen werden können, liegt an der individuellen und komplexen Konstellation der Kommunikation (im LehrLernprozess). Doch eine Auseinandersetzung mit dem Thema Kommunikation und praktische Übungen bilden eine Grundlage, um gelingende Kommunikation zu ermöglichen.

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Management goes Hollywood – Spielfilme zur Vermittlung von Fachsprache Andreas Henning, Stefanie Regier und Philipp Zollt

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Einführung

Im Laufe des Studiums sind die Studierenden permanent mit neuen Ideen, Konzepten, aber auch Fachbegriffen und Methoden konfrontiert, die sie in kurzer Zeit nicht nur beherrschen, sondern auch anwenden sollen. Die Tatsache, dass der einseitige Frontalunterricht den Zugang zu einem neuen Thema nicht unbedingt erleichtert, ist inzwischen gemeinhin bekannt. Gefragt sind Methoden, die die Wissensvermittlung im aktiven Dialog mit den Studierenden unterstützen und diese letztendlich auch dazu befähigen, fachliche Diskussionen zu führen und bestehende Konzepte kritisch zu hinterfragen. Die Voraussetzung für das Verständnis und das eigenständige Anwenden von Wissen zu einer neuen Thematik bildet nicht nur das Beherrschen der zugrundeliegenden Fachbegriffe, sondern auch eine generelle Sprachkompetenz bzw. Ausdrucksfähigkeit. Im Rahmen dieses Beitrags soll daher ein Ansatz im Vordergrund stehen, der den Studierenden einen leichten Zugang zu Fachtermini gibt und sie ferner zu einer intensiven mündlichen Beteiligung anregt, die das Ausdrucksvermögen schult. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5_15

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Spielfilme sind ein beliebtes Unterhaltungsmedium und insbesondere die Produkte der Hollywoodmaschinerie weisen meist einen internationalen Bekanntheitsgrad auf. Während das Verstehen von Fachliteratur häufig eine Kenntnis von Fachbegriffen voraussetzt, ist die Ausdrucksweise von Unterhaltungsfilmen überwiegend auf den alltäglichen Sprachgebrauch ausgelegt und leicht verständlich. Unterstützend kommen in Spielfilmen Bild und Ton zum Einsatz. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, ein didaktisches Konzept zur Wissensvermittlung zu entwickeln, das den in Spielfilmen häufig verwendeten simplifizierten Sprachstil sowie die audiovisuelle Komponente nutzt, um Studierenden einen leichten Zugang zu den Fachbegriffen und Konzepten eines neuen Themas zu gewähren. Die Ausgangssituation bildet die Idee, theoretische Ansätze, Terminologie und inhaltliche Ausführungen zur Thematik Leadership und Teambuilding durch entsprechend ausgewählten Szenen aus Hollywoodfilmen zu unterlegen. Dadurch ist einerseits ein direkter Praxisbezug gegeben und andererseits soll die spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema die mündliche Mitarbeit intensivieren und das Erlernen von Fachbegriffen erleichtern. Im Folgenden wird die Wahl von Spielfilmen als Mittel des Wissenstransfers erläutert und das methodische Vorgehen am konkreten Beispiel für die grundlegenden Aspekte einer Veranstaltung im Bereich der Erwachsenbildung vorgestellt. Erste praktische Erfahrungen im Rahmen einer Pilotveranstaltung sollen Hinweise für die Eignung dieses Mittels zur Förderung der Sprachkompetenz geben. Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen erfolgt dann eine kritische Überprüfung des Ansatzes. Die sich anschließenden Verbesserungsvorschläge sollen ferner eine Hilfestellung für den weiteren Einsatz von Spielfilmen in der Vorlesung geben.

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2

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Didaktisches Konzept

Die Verwendung von bekannten Unterhaltungsfilmen als Instrument der Informationsvermittlung spielt eine zentrale Rolle im vorliegenden didaktischen Konzept. Der Begriff „Spielfilm“ wird meist in Zusammenhang mit fiktionalen Kinofilmen verwendet und bezeichnet ein Medium der Unterhaltungsindustrie. Der Erfolg solcher Filme ist unmittelbar vom Interesse der Zuschauer abhängig. Dabei gilt es, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu wecken, während des Filmes aufrechtzuerhalten, und den Gegenstand des Films verständlich zu veranschaulichen. Um ein möglichst breites Publikum anzusprechen, müssen auch verstrickte Handlungen und ein komplexer Kontext leicht zugänglich gemacht werden. Der klassische Spielfilm ist durch seine inszenierte Handlung und Umgebung geprägt, soll jedoch so weit wie möglich die Wirklichkeit repräsentieren (vgl. Mikos 2015, S. 70), um gleichzeitig auch glaubwürdig und nachvollziehbar zu bleiben. Autoren, Regisseure, Schauspieler und viele weitere Personen beeinflussen das Resultat der Dreharbeiten und dementsprechend auch die Wirkung des Films. Insbesondere haben dabei auch gegenwärtige Ereignisse, Ideologien und Wertesysteme eine Auswirkung auf sämtliche Aspekte des Filmes (Vgl. Mikos 2015, S. 26ff; Faulstich 2013, S. 163ff). Der Sinn und die Bedeutung des Filmmaterials ergeben sich allerdings erst aus dem Kontext des Betrachters (Vgl. Mikos 2015, S. 251f). Diese Umstände setzen sich aus vielen Komponenten zusammen und sind für jedes Individuum verschieden. Das macht sich auch das vorliegende Konzept zum Vorteil, indem dieser Kontext unmittelbar mit dem Fokus auf die Themen Leadership und Management verändert

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wird. Zudem ist die Inszenierung von Filmen meist mit dem Hervorrufen bestimmter Emotionen verbunden, um die Perspektive und den Fokus des Publikums zu steuern. So können Charaktere und einzelne Handlungen nachempfunden und zu einem Vorbild für den Zuschauer werden. Mit Hilfe von Filmen kann die Komplexität von Personen und Handlungen in einfache Ursache-Wirkung-Relationen reduziert werden. In diesem Rahmen bleibt der Charakter noch erkennbar, wird aber so weit simplifiziert, dass keine Überlagerungen von unbekannten Variablen stattfinden. Diese Überlagerungen stellen in der Realität das Problem dar, richtige Schlüsse zu ziehen. Im Gegensatz zu Filmcharakteren sind die Beweggründe von Menschen in der Wirklichkeit oft unbekannt und können zum Beispiel nur situativ bedingt sein. Filme können also eine Annäherung an reale Situationen darstellen und genutzt werden, um das Lernen zu vereinfachen. Gleichzeitig eröffnet diese Form des Mediums einen neuen, authentischeren sprachlichen Zugang zu Fachinhalten und Fachtermini, was wiederum neue Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Förderung von Sprachkompetenz schafft.

2.1 Grundriss der Veranstaltung Angestrebte Lernziele Die Teilnehmer sollen im Rahmen der Veranstaltung einen Einblick in das Basiswissen, die Terminologie sowie die praktische Anwendung von Leadership und Teambuilding erhalten. Sie lernen die Bedeutung der Themen kennen und können im Anschluss daran selbst

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eine Verbindung zur Realität herstellen. Durch die Anwendungsbeispiele können sie nach dem Prinzip des Phasenmodells der Teamentwicklung den Werdegang eines Teams nachvollziehen und wissen um die Kriterien, die für eine erfolgreiche Entwicklung des Teams erfüllt werden müssen. Die Teilnehmenden werden mit der Möglichkeit, verschiedene Stile der Führung anzuwenden, vertraut. Sie erlernen, welche Anforderungen eine Führungskraft erfüllen sollte, und können in Abhängigkeit der Situation auf den Einsatz eines Führungsstils schließen. Ihnen sind nach dem Besuch der Veranstaltung die wichtigsten Instrumente und Aufgaben des Leaderships bekannt. Das aufgenommene Wissen eröffnet den Teilnehmern die Option, fachliche und kritische Diskussionen zum Thema zu führen. Durch die Art der Wissensvermittlung soll zudem ihre Ausdrucksfähigkeit sowie die Beteiligung in der Veranstaltung gestärkt werden. Fachliche Inhalte der Veranstaltung Die Veranstaltung behandelt Grundlagen zu den Themen Leadership und Teambuilding. Nach einer kurzen inhaltlichen Einführung und einer Abgrenzung der wichtigsten Begrifflichkeiten sollen den Studierenden insbesondere auch die Relevanz und die Bedeutung dieser Themen nahegebracht werden. Um dies herauszustellen, werden die Auftragstaktik und deren Ursprung als Beispiel herangezogen. Diese beschreibt einen aus dem Militär stammenden Führungsstil, bei dem lediglich Ziel und Rahmenbedingungen vom Vorgesetzten vorgegeben werden und der Befehlsempfänger selbständig und eigenverantwortlich handelt, um die Vorgaben zu erfüllen (Vgl. Dupuy 2009, S. 36ff). Des Weiteren wird der Wandel von Führung mit unterschiedlichen Menschenbildern und Erfahrungswerten von Führungskräften

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erläutert. Dies wird zusätzlich mit den kontextuellen Unterschieden in den Problemstellungen in Verbindung gebracht. Dem Vergleich von Vorbildern aus Vergangenheit und Gegenwart folgt die Einführung in die Grundlagen von Teamarbeit und Teambuilding. Anhand des Phasenmodells der Teamentwicklung nach Tuckman wird die Entfaltung eines Teams in Phasen dargestellt (Vgl. Tuckman 1965; Tuckman/Jensen 1977). Anfänglich werden die einzelnen Phasen, ihre Abhängigkeiten und die betrachteten Dimensionen vorgestellt, bevor im Anschluss auf die verschiedenen Merkmale eines Teams im idealtypischen Verlauf eingegangen wird. Konkrete Beispiele zu Ausprägungen dieser Merkmale veranschaulichen mögliche Situationen und verschiedene Alternativen, diese zu behandeln. Anhand dieser Ausführungen sind die Grundlagen, Rollen und Voraussetzungen von Teamarbeit Gegenstand einer Diskussion. Mit der Betrachtung eines Beispiels für Sinnstiftung wird durch die Integration von gemeinsamen Zielen eines Teams und der visionären Vorgabe einer Richtung zur Thematik der emotionalen Führung übergeleitet. Dabei stehen der Ansatz und die zugrundeliegenden Annahmen des Konzepts im Zentrum des Interesses. Die emotionale Intelligenz bildet den Ausgangspunkt der emotionalen Führung. Hiernach können die Führungsstile und deren Anwendungskriterien abgeleitet werden. Jeder dieser Führungsstile wird mit seinen jeweiligen Funktionen, Wirkungen und Einsatzmöglichkeiten beschrieben und am praktischen Beispiel erläutert. Macht als Begründung des Führungsanspruchs bildet den inhaltlichen Abschluss der Veranstaltung.

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Beschreibung der Lehr- und Medienform Zur Einführung in die Theorie und Strukturierung der Veranstaltung dienen eine multimediale Präsentation und der Dialog mit den Teilnehmern. Die Medienbrüche sollen Aufmerksamkeit fördern und zur Verständlichkeit beitragen. Das Grundgerüst der Veranstaltung bildet ein Foliensatz in digitaler Form. Dieser dient insbesondere der strukturellen Orientierung und als Zusammenfassung der wichtigsten theoretischen und wissenschaftlichen Grundsätze. Die Präsentation wird zusätzlich um einzelne Filmausschnitte ergänzt, welche eine größere Authentizität von Sprache und Sprachverwendung garantieren. Diese stehen in enger Verbindung mit den fachlichen Inhalten, dienen zu deren Illustration und erhöhen die Bereitschaft zur Anteilnahme an der Diskussion. In Kombination mit einem Fragebogen werden die Teilnehmenden gebeten, die Filmszenen zu analysieren und eine Einschätzung der Situation zu vollziehen. Dadurch wird gewährleistet, dass der gesamte Kurs aktiv in den Ablauf eingebunden ist. Zugleich ist garantiert, dass jeder unter Verwendung der Fachtermini die Aufgaben sprachlich bearbeiten und ausformulieren muss. Der Fragebogen und die Filmausschnitte sind dabei nach dem Vorlesungsablauf und den inhaltlichen Themen gegliedert und ermöglichen eine interaktive und sprachliche Auseinandersetzung mit der Theorie. Im Anschluss an die Veranstaltung dient der Fragebogen den Studierenden als ergänzende Aufzeichnung zu den Foliensätzen. Die gestellten Fragen bereiten die Teilnehmer zudem auf die Diskussionen vor, die nach jedem Abspielen der Filmszenen stattfinden. Gegenstand dieser Dialoge sind die Situationseinschätzungen der Studierenden, das Einordnen der Szene in den Themenbereich und ergänzende Beispiele des Vortragenden. Diese Beispiele

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berufen sich auf Erfahrungen und zeitgemäße Ereignisse, um die Nähe der Lehrinhalte zur Praxis aufzuzeigen. Die Argumentation bietet den Teilnehmern die Chance, sich direkt mit dem erlernten Hintergrundwissen auseinander zu setzen und in eigenen Worten wiederzugeben. Darüber hinaus erfolgt der Dialog mit einem mobilen Mikrofon. Dieses bestimmt die Rolle des aktuellen Sprechers und rotiert innerhalb der Teilnehmergruppe. Mit dieser Methode wird nicht nur die akustische Verständlichkeit sichergestellt, sie regt auch den freundlichen Umgang an und fördert sowohl Aufmerksamkeit als auch die aktive Mitwirkung aller Studierenden. Erfassung der Rahmenbedingungen Um die erfolgreiche Realisierung der Veranstaltung zu gewährleisten, sind sowohl räumliche als auch zeitliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Die Räumlichkeiten müssen ausreichend Platz für den Vortragenden sowie die Teilnehmenden bieten, um die Bearbeitung des Aufgabenblattes sowie eine Diskussion zu ermöglichen. Die Dauer der Veranstaltung ist auf 90 Minuten angelegt. Um die multimediale Präsentation zu ermöglichen, bedarf es einer technischen Anlage, die darauf ausgelegt ist, den digitalen Foliensatz und das Filmmaterial anschaulich wiederzugeben. Im Idealfall umfasst diese Anlage einen Computer, entsprechende Software, Videoprojektor und Leinwand sowie eine Audioanlage. Damit der Veranstaltungsverlauf wie geplant umgesetzt werden kann, sollte ein mobiles Mikrofon zur Benutzung und Weiterreichung durch die Studierenden bereitgestellt werden. Letztlich müssen der Veranstaltungsfoliensatz und die Filmszenen zur Verfügung stehen sowie die Aufgabenblätter bereitgestellt werden. Die Teilnehmeranzahl sollte sich

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in einem angemessenen Rahmen bewegen, damit die Möglichkeiten zu Interaktion und Diskussion uneingeschränkt bestehen können. Nehmen zu wenige Personen teil, so ist die Veranstaltung stark von dem Engagement einzelner abhängig. Sollten dahingegen zu viele Personen teilnehmen, so resultieren daraus Einschränkungen in Sichtbarkeit, Akustik, Aufmerksamkeit und Übersichtlichkeit. Zudem gilt: Je größer die Gruppenstärke im Plenum ist, desto geringer sind die kommunikativen Möglichkeiten jedes Einzelnen. Auch schwindet Motivation und Anteilnahme, sich in die Debatte einzubringen, und damit die Möglichkeit, mündliche Sprachkompetenz zu stärken. Empfehlenswert ist eine Gruppengröße mit ungefähr 30 Personen.

2.2 Umsetzung Neben Leitmotiv und Gegenstand der Lehreinheit muss insbesondere auch ein geeigneter Spielfilm gewählt werden, der mit den fachlichen Themen assoziiert werden kann. Der speziell für diese Veranstaltung selektierte Film, „Marvel’s The Avengers“ (Marvel 2012), weist keine direkte und offensichtliche Verbindung zu den inhaltlichen Themen auf. Dennoch ist die Handlung derart ausgelegt, dass sie sich hervorragend dazu eignet, die Themen Leadership und Teambuilding abzubilden. Der auf den Marvel Comics basierende Film handelt von einer Geheimorganisation, die mehrere Superhelden anwirbt, um eine unerschöpfliche Energiequelle zu bergen und eine Invasion durch Außerirdische zu verhindern. Diese Superhelden verfügen über unterschiedliche Kräfte und Kompetenzen aber auch verschiedene moralische Ansichten und Vorstellungen. Zu Beginn

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behindern sich die Helden mehr, als dass sie zusammenarbeiten. Doch mit der Zeit und durch das Einwirken des Leiters der Geheimorganisation bildet sich aus der Gruppe der Superhelden ein richtiges Team, das sich bis hin zum Finale weiterentwickelt und dadurch den feindlichen Angriff auf die Erde abwehren kann. Darüber hinaus handelt es sich zum Zeitpunkt des Vortragsentwurfs um einen zeitgemäßen und sehr bekannten Spielfilm, der im Zuge dieser Veranstaltung als altersgerecht einzustufen ist. Nach Analyse des Filmmaterials und einzelnen geeigneten Ausschnitten ist eine Beziehung zwischen Spielfilm und theoretischem Bestand herzustellen. Insbesondere gilt es, den Zusammenhang zwischen den zu präsentierenden Informationen und den extrahierten Filmszenen schlüssig zu gestalten. Nur so kann eine knappe und effektive Darstellung während der Veranstaltung ermöglicht werden. Die in diesem Kontext ausgewählten Szenen werden in Abhängigkeit der zeitlichen Rahmenbedingungen und inhaltlichen Relevanz bestimmt. Da es sich um eine Einführung in die Themen Leadership und Teambuilding handeln soll, stützt sich der Gehalt von Fachwissen auf einen breiteren theoretischen Hintergrund, statt spezifische Aspekte einzelner Elemente ausführlicher zu behandeln. Im Anschluss an die Erarbeitung der Phasen des Teambuildings nach Tuckman verlagert sich der inhaltliche Gegenstand abschließend hin zur emotionalen Führung. In der nachfolgenden Übersicht wurde die Abstimmung von fachlichen Themen und Filmabschnitten festgehalten. Neben den Zeitstempeln und den wissenschaftlichen Ausdrücken werden auch die inhaltlichen Besonderheiten knapp beschrieben.

Management goes Hollywood Thema

Beschreibung

Forming (Tuckman)

Die Mitglieder des Teams treffen sich zum ersten Mal und tasten sich zunächst ab. Beginnend mit einzelnen Mitgliedern kommt es zu Vorwürfen und Konflikten innerhalb der gesamten Gruppe. Das Team verfolgt ein gemeinsames Ziel und beginnt effektiv zusammen zu arbeiten. Das Team funktioniert reibungslos und arbeitet mit höchster Effizienz. Eine Vision beschreibt dem Team eine Richtung und begründet die Sinnhaftigkeit des Engagements. Der Führende stellt hohe Leistungsansprüche an das Team und geht selbst als Vorbild voran.

Storming (Tuckman)

Norming (Tuckman)

Performing (Tuckman) Sinnstiftung und Vision (Goleman) Fordernder Führungsstil (Goleman)

333 Bezeichnung Zeitlicher der Filmszene Filmabschnitt Loki in Stuttvon 00:41:11 gart bis 00:42:47 Run-In-Flugzeugträger

von 01:07:15 bis 01:12:30

Rotor Reparatur

von 01:15:42 bis 01:16:32 von 01:17:45 bis 01:18:16 von 01:50:30 bis 01:53:13

Party in New York Sammelkarten

Captain America gibt Anweisungen

von 01:29:20 bis 01:31:07 von 01:37:47 bis 01:38:20 von 01:49:11 bis 01:49:48

Tabelle 1: Verbindung von Inhalt und Spielfilm

Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, sieht das Konzept vor, nur einzelne, voneinander getrennte und unabhängige Ausschnitte des Films zu betrachten. Daher erfolgt das Abspielen einzelner Sequenzen mithilfe von Lesezeichen eines Videoplayers. Dieser kann mit der parallel dazu erstellten Bildschirmpräsentation aktiviert werden. Um

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den Verlauf der Lehrveranstaltung nachvollziehbar zu gestalten, können diese Vortragsfolien genutzt werden, um den Wechsel zwischen Theorie und ausdruckstarken Bildfolgen möglichst angenehm zu strukturieren. Darüber hinaus ist ein Aufgabenblatt für die Veranstaltung zu erstellen. Dieses muss die für den Fortgang des Vortrags entscheidenden Diskussionspunkte thematisieren und reibungslos in das Gesamtbild eingegliedert werden. Um den Ablauf des Vortrags zu strukturieren und potenzielle Probleme zu umgehen, ist es empfehlenswert, eine Übersicht zur zeitlichen Einteilung und Abfolge zu erstellen, was beispielhaft in Tabelle 2 dargestellt ist. Der Lehrstil, die eingesetzten Medien und die theoretischen Inhalte sollten sich einheitlich und geschlossen repräsentieren.

Zeit

Veranstaltungsgegenstand

- 010 Min.

Vorbereitung der Räumlichkeiten

+ 000 Min.

Begrüßung und Vorstellung

+ 005 Min.

Einleitung: Auftragstaktik und Vergleich von Vorbildern

+ 015 Min.

Einführung in das Phasenmodell der Teamentwicklung

+ 025 Min.

Filmszene und Diskussion zu Forming

+ 035 Min.

Filmszene und Diskussion zu Storming

+ 045 Min.

Filmszene und Diskussion zu Norming

+ 055 Min.

Filmszene und Diskussion zu Performing

+ 065 Min.

Filmszene und Diskussion zur Sinnstiftung und Vision

+ 070 Min.

Überleitung zur Emotionalen Führung

Management goes Hollywood + 080 Min.

Filmszene und Diskussion zum fordernden Führungsstil

+ 090 Min.

Feedback und Verabschiedung

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Tabelle 2: Ablaufplan der Veranstaltung

Bei den hier referenzierten Filmszenen handelt es sich um die bereits vorgestellten Abschnitte und – sofern keine Wiedergabe mit dem Videoprojektor erfolgt – wird der Foliensatz auf der Leinwand dargestellt. Den Zeitaufwand für die mit den Filmszenen einhergehenden Diskussionen gilt es mit Vorsicht einzuschätzen und passend im Gesamtbild zu arrangieren. Die Auseinandersetzung mit einzelnen inhaltlichen Themen sollte weder zu oberflächlich sein, noch Überhand nehmen. So können auch negativen Einflüssen auf die Verständlichkeit und Aufmerksamkeit vorgebeugt werden.

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Praktische Erfahrungen

3.1 Retrospektive Begutachtung Das vorgestellte Konzept wurde im Rahmen einer Vorlesungseinheit an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft erstmalig erprobt und seither mehrmals in Bachelor- und Masterkursen durchgeführt. Bei den Veranstaltungsteilnehmern des Pilotprojektes handelte es sich um eine Gruppe von 35 Studierenden des Masterstudiengangs Wirtschaftsinformatik. Die Studierenden hatten bis dato keinerlei Vorkenntnisse zu den Themen Leadership und Teambuilding. Die Vortragsdauer sowie die zur Verfügung stehenden Räum-

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lichkeiten und Gerätschaften ergaben sich aus dem für Vorlesungseinheiten typischen Rahmen. Jeder der Studierenden erhält ein Exemplar des Fragebogens; die Präsentationsfolien wurden auf der Leinwand dargestellt. Der Verlauf der Veranstaltung orientierte sich am angefertigten Ablaufplan. Nach einer kurzen Vorstellung des Dozenten wurden die Studierenden mit der Methodik und Thematik der Veranstaltung vertraut gemacht. Nach Verdeutlichung der inhaltlichen Relevanz mithilfe der Auftragstaktik wurde der Zusammenhang von Führung mit Werten und Menschenbildern erörtert. Zur Veranschaulichung dienten historische Ereignisse, prominente Führungsbeispiele sowie fiktive Filmcharaktere. Um die Wahrnehmung und Haltung der Studierenden zu diesen Themen zu erfassen, wurde das Mikrofon eingesetzt und der klärende Dialog gesucht. Im Anschluss erfolgte der Einstieg in das Phasenmodell der Teamentwicklung nach Tuckman und zugehörige theoretische Ausführungen einzelner Teamphasen. Das Abspielen der den einzelnen Phasen zugeordneten Filmszenen und die zugehörige Diskussion wurden wie vorgesehen abwechselnd durchgeführt. Mithilfe des Fragebogens und der Verwendung des Mikrofons konnten die Diskussionen zur beobachteten, fiktiven Situation effektiv und zielorientiert geführt werden. Bereits hier fiel eine sehr aktive und angeregte Teilnahme der Studierenden an der Diskussion auf. Im Anschluss an die inhaltliche Überleitung zum Leadership wurde den Teilnehmern eine Filmszene zur Sinnstiftung präsentiert und die Grundlagen der emotionalen Führung nach Daniel Goleman erläutert. Exemplarisch wurde ein Filmausschnitt zum fordernden Führungsstil wiedergegeben und nachfolgend diskutiert. Abschließend beantwortete der Dozent Fragen zu Praxiserfahrungen im Zusammenhang mit Leadership und Teambuilding.

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3.2 Evaluation Um einen Überblick zur Resonanz der Teilnehmer zu erhalten, wurde eine Evaluation der Veranstaltung durchgeführt. Der speziell für die Veranstaltung erstellte Fragebogen bildete die Grundlage, um den Erfolg des Konzepts zu ermitteln sowie Kritikpunkte und Verbesserungspotenziale zu erschließen. Im Fokus standen neben inhaltlicher Relevanz der Themengebiete sowie deren Gewichtung und Verhältnis insbesondere auch die methodische Vorgehensweise des Konzepts. Dazu zählen die Ausgewogenheit der eingesetzten Medien, die Nachvollziehbarkeit der Vortragsstruktur und der Einfluss der angewandten Techniken auf die Verständlichkeit der inhaltlichen Aspekte. Zur Bewertung der Veranstaltung wurde eine Skala von 1 (Stimme nicht zu) bis 6 (Stimme voll zu) eingesetzt, um eine spezifische Rückmeldung zu einzelnen Kernmerkmalen zu erhalten.

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35 Interessant

Anzahl Teilnehmer

30 25

Motivierend

20 Lehrreich

15 10

Kurzweilig

5

Praxisorientiert

0 1

2

3

4

5

6

Zustimmung Abbildung 1: Evaluationsergebnisse - Bewertung der Veranstaltung

Die Studierenden bewerteten die Veranstaltung durchweg positiv. Fast alle Teilnehmer bewerten die Veranstaltung als interessant. Dementsprechend gut wird auch die mit dem Konzept entstehende Motivation beurteilt. Gleichzeitig kann eine deutliche Mehrzahl der Befragten einen klaren Zusammenhang mit der Praxis nachvollziehen und den Vortrag als lehrreich einstufen. Die Veranstaltung wird zudem als kurzweilig anerkannt, was sich mit dem Resultat der vorherigen Merkmale deckt. Insgesamt zeigt das Ergebnis der Evaluation eine klare Nachvollziehbarkeit und Relevanz der Inhalte und der Ansatz kann in diesem Rahmen als gerechtfertigt betrachtet werden. Insbesondere konnten die folgenden Beobachtungen gemacht werden:

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 

  



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Die Teilnehmer empfanden die Themen Leadership und Teambuilding als relevant und die Ausführungen innerhalb der Veranstaltung als hilfreich. Das Veranstaltungskonzept erregt das Interesse der Teilnehmer und wirkt sich positiv auf deren Aufmerksamkeit aus. Die angewandten Techniken und eingesetzten Medien werden von den Teilnehmern als lernförderlich eingestuft und eignen sich zur Veranschaulichung. Mit dem Veranstaltungskonzept sind die Teilnehmer zum Hören, Verstehen, Lesen, Sprechen und Schreiben angehalten. Die aktive Mitarbeit im Rahmen der Diskussion ist als überdurchschnittlich einzustufen. Im Rahmen der Diskussion haben die Teilnehmer die erlernten Fachbegriffe und Konzepte auf die Filmsituation angewendet. Mögliche Unklarheiten oder Verständnisprobleme konnten direkt in der Diskussion beseitigt werden. Während des Dialogs fand zudem eine Übertragung von Fachbegriffen in Allgemeinsprache statt, woraus sich ein Vorteil für die Ausdrucksweise in Alltagssituationen ergibt.

Des Weiteren konnten Verbesserungspotenziale aufgedeckt werden, die zur Weiterentwicklung des Konzepts beitragen können.

4

Fazit

Neben Fachkenntnissen spielen insbesondere auch soziale Kompetenzen und Sprachkompetenzen eine wichtige Rolle im Berufsleben.

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In der vorgestellten Pilotveranstaltung werden fachliche Grundbegriffe erläutert und Kriterien herausgearbeitet, die für einen erfolgreichen, leistungsorientierten Einsatz verschiedener Fähigkeiten und Fertigkeiten nützlich sind. Dabei stellen die innerhalb des Konzepts verankerten Lehrmethoden mithilfe von Spielfilmen eine Besonderheit dar. Der Entwurf konnte in einer Veranstaltung zu Teambuilding und Leadership erprobt und eine positive Resonanz der Teilnehmer festgestellt werden. Insgesamt ist unser Fazit zum Einsatz von Spielfilmen zur Förderung der Sprachkompetenz positiv. Dennoch ergeben sich einige Ansatzpunkte beim Übertragen des Konzepts auf andere Bereiche. Insbesondere sei an diesem Punkt nochmals darauf hingewiesen, dass der Einsatz dieses Konzepts stark von der durchdachten Verknüpfung von wissenschaftlichen Aspekten und Szenen des Spielfilms abhängig ist. Deshalb ist es zweckmäßig, von der Präparation bis zur Nachbereitung einer Veranstaltung durchgehend dasselbe Filmmaterial zu verwenden. Die Gestaltung der Veranstaltung hat sich insgesamt als flexibel erwiesen, neben Ergänzungen aus praktischen Erfahrungen konnten mit Hilfe der Filmausschnitte auch Missverständnisse beseitigt und fachliche Begriffe erläutert werden. Das hier vorgestellte Konzept qualifiziert sich insbesondere, um die fundamentalen Begriffe und Informationen eines Themengebietes zu veranschaulichen. Die spannenden Medienbrüche können genutzt werden, um das Publikum für die wissenschaftlichen Inhalte zu begeistern und die Konzentration zu wahren. Die Lehr- und Medienform des Konzepts bietet eine Möglichkeit, Fachbücher und konventionelle Vortragsarten zu ergänzen.

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In Hinblick auf den wissenschaftlichen Gehalt der Veranstaltung ist es möglich, den Fokus und die Ausgestaltung flexibel und nach eigenen Anforderungen zu gestalten. Darüber hinaus kann das vorgestellte Konzept auch auf weitere Themengebiete oder Spielfilme übertragen werden. Der Ansatz kann in Zusammenhang mit einer plausiblen Kombination von Thema und Spielfilm eine geeignete Alternative zu konventionellen Vortragsmethoden darstellen. Die schriftliche und mündliche Mitarbeit der Studierenden ist stärker ausgeprägt als bei bislang durchgeführten konventionellen Veranstaltungsformen zu dem Thema und die Fachbegriffe werden schneller erlernt. Die Bearbeitung von Filmsequenzen bietet im Vergleich zu anderen in Textform vorliegenden Methoden einen authentischeren Sprachzugang und kann so zum allgemeinen Sprachverständnis und damit auch zur Sprachkompetenz beitragen. Allerdings ist dazu eine angemessene Vorbereitung nötig, die im Vergleich zu anderen Modellen aufwändiger ausfallen kann. Ferner ist diese Veranstaltungsform nur als ergänzende, aktivierende Veranstaltung zu ausgewählten Schwerpunktthemen einzusetzen, da einerseits nicht zu jeder Thematik passende Spielfilme existieren und andererseits die „Besonderheit“ dieser Methode bei ständigem Einsatz ihren Reiz verliert. Wir können sie uns sehr gut als Einstieg in ein neues Thema vorstellen.

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Literatur Bandura, A. (1991): Sozial-kognitive Lerntheorie. Stuttgart: KlettCotta. Dupuy, T. N. (2009): Der Genius des Krieges: Das deutsche Heer und der Generalstab 1807 - 1945. Graz; [Stuttgart]: Ares-Verlag. Faulstich, W. (2013): Grundkurs Filmanalyse. 3., aktualisierte Auflage Hrsg. Paderborn: Wilhelm Fink. Fritz, A./Tobinski, D./Hussy, W. (2014): Pädagogische Psychologie. 2. durchgesehene Auflage Hrsg. München: Ernst Reinhardt. Marvel (2012): Marvel's The Avengers. Online unter: http://marvel.com/movies/movie/152/marvels_the_avengers, Zugriff am 04 März 2018. Mikos, L. (2015): Film- und Fernsehanalyse. 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage Hrsg. Konstanz; München: UVK. Niegemann, H. M. et al. (2008): Kompendium multimediales Lernen. Berlin; Heidelberg: Springer. Nieding, G./Ohler, P./Rey, G. D. (2015): Lernen mit Medien. Paderborn: Ferdinand Schöningh. Perry, M. (2015): Modelldarbietung. In: M. Linden & M. Hautzinger, Hrsg. Verhaltenstherapiemanual. 8., vollständig überarbeitete Auflage Hrsg. Berlin; Heidelberg: Springer, S. 189-192. Tuckman, B. W. (1965): Developmental Sequence in Small Groups, Psychological Bulletin, 63, 384-399. Neuauflage des Artikels in Group Facilitation: A Research and Applications Journal - Number 3, Spring 2001. Tuckman, B. W./Jensen, M. A. C. (1977): Stages of Small-Group Development Revisited. Group and Organizational Studies, 2(4), 419- 427.

Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Oliver Bayerlein ist Professor an der Nanzan Universität. Sein Interessengebiet ist das Lehren und Lernen von Fremdsprachen mit Hilfe digitaler Medien. Er ist auch (Mit-)Autor etlicher Lehrbücher. Kontakt über seine Internetseite: www.mmc-ob.de. Dr. Simone Bekk ist Akademische Mitarbeiterin an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft und ist im Bereich der Hochschuldidaktik im Projekt SKATING tätig. Ihr Arbeitsschwerpunkt lag im Gebiet von Praxisprojekten in der Studieneingangsphase und sie war in der Mentoren- und Tutorenqualifizierung tätig. Momentan ist sie mit der Konzeption und Organisation eines Orientierungssemesters betraut und hält eine Lehrveranstaltung zum Thema Studienkompetenz. Ksenija Fazlić-Walter unterrichtet seit mehr als 30 Jahren Deutsch als Fremdsprache am Studienkolleg des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und leitet den Fachbereich DaF. Sie war Mitautorin zweier Lehrwerke zur Prüfungsvorbereitung auf die Sprachprüfungen DSH und TestDaF. PD Dr. Marion Grein ist habilitierte Leiterin des Masterstudiengangs Deutsch als Fremdsprache / Deutsch als Zweitsprache an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Sprachlehrforschung (Neurodidaktik), Interkulturelle Kommunikation sowie der Einsatz digitaler Medien © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Regier et al. (Hrsg.), Förderung der Sprachkompetenz in der Hochschullehre, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26278-5

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Autorinnen und Autoren

im Fremdsprachenunterricht. Derzeit erforscht sie verstärkt die Lernprozesse bei älteren Lernenden, aber auch die Rolle der unterschiedlichen Lerntraditionen und Lernstile auf den Sprachlernprozess. Sie ist u.a. Mitglied der International Association of Dialogue Studies und Mitglied des Beirats Sprachen des GoetheInstituts. Vorträge und Weiterbildungen hält sie sowohl im In- als auch schwerpunktmäßig im Ausland. Nicola Hahn ist Studentin an der Hochschule Karlsruhe im Studiengang International Management. Während ihres Studiums konnte sie interkulturelle Arbeitserfahrungen in Spanien sammeln, die sie in einem Auslandssemester in Lissabon vertiefte. Derzeit beschäftigt sie sich in ihrer Bachelorarbeit in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Adolf Würth GmbH & Co. KG mit Themen des internationalen Vertriebs. Susanne Heigl ist Theaterpädagogin (BuT) und Schauspielerin. Seit 2014 hat sie am KIT Karlsruhe einen Lehrauftrag als Theaterpädagogin für angehende Lehrer und Pädagogen und unterrichtet auch am Institut für Bildungswissenschaft an der Universität Heidelberg. Sie arbeitet u. a. für die Drogeriekette dm und die Volksbank Bruchsal-Bretten und leitet dort theaterpädagogische Projekte für Auszubildende. Für das kunstspartenübergreifende Projekt „Labyrinth“, mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, führte sie an der Stuttgarter Musikhochschule mehrfach Regie. Zudem leitete sie diverse Spielclubs und führte Regie bei Klassenspielen.

Autorinnen und Autoren

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Andreas Henning hat in seiner über 20-jährigen Karriere verschiedenste Führungsfunktionen bei diversen Technologiegrößen wie Deutsche Bahn, Hughes und Google in Deutschland, Irland und Indien innegehabt. Passioniert im Thema Mitarbeiterentwicklung und Coaching hilft er an der Hochschule Karlsruhe bei der Ausbildung der nächsten Führungsgeneration. Derzeitig ist er Geschäftsführer der Haufe-umanis AG in der Schweiz. Cosima Klischat, Dipl.-Ing. Elektrotechnik, leitet das hochschuloffene Elektrotechnik-Zentrum H.ErT.Z der Hochschule Karlsruhe. Derzeit forscht sie in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe über die Einbindung allgemeinbildender Fächer in das Studium der Elektro- und Informationstechnik. Ihr besonderes Interesse gilt zudem der Erhöhung des Frauenanteils in technischen Fächern, weshalb sie mit dem Gleichstellungspreis der Hochschule Karlsruhe ausgezeichnet wurde. Tobias Kopp ist studierter Wirtschaftsinformatiker (M.Sc.) und Kognitionswissenschaftler (M.Sc.). Derzeit forscht er am Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken (ILIN, Karlsruhe) zu den Auswirkungen der Digitalisierung und Industrie 4.0 auf die Arbeitswelt, zu interdisziplinären Aspekten der Künstlichen Intelligenz sowie zu technologiegestütztem Lernen. Parallel dazu promoviert er am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT im Themenfeld der kognitiven Mensch-RoboterInteraktion am Arbeitsplatz. Dr. Elke Koser arbeitet an der Hochschule Karlsruhe im Projekt SKATING mit Fokus auf Vernetzung und didaktischer Betreuung

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Autorinnen und Autoren

von Lehrenden. Sie ist promovierte Mineralogin mit Schwerpunkt der gutachterlichen Tätigkeiten bei Untersuchungen von geschädigten Bauwerken. Daneben ist sie seit einigen Jahren als Lehrbeauftragte für Baustoffkunde und Denkmalpflege an unterschiedlichen Hochschulen tätig. Dr. Katayon Meier ist Pädagogin sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Ausbildung. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Derzeit ist sie als Ausbilderin für Arbeitspädagogen in der Erwachsenenbildung an der Elisabeth-Stiftung Birkenfeld tätig. Ihre Interessengebiete sind vor allem die systematische Pädagogik sowie die transkulturelle Erziehung, Kommunikation und Therapie. Prof. Dr. Marion Murzin ist Professorin für die Fachgebiete Marketing und Vertrieb an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Hochschule Karlsruhe. Zudem ist sie Gründungsmitglied der AASE (Academic Association of Sales Engineering). Ihre Forschungsgebiete liegen im persönlichen Verkauf von technischen Produkten. Katrin Regier ist Studienrätin an der Engelbert-Bohn-Schule Karlsruhe und unterrichtet die Fächer Deutsch und Gemeinschaftskunde. Sie verfügt über mehr als dreizehn Jahre Berufserfahrung und war unter anderem viele Jahre in der Referendarsausbildung sowie als Mentorin für Lehramtsstudierende tätig. Darüber hinaus bringt sie ihre Expertise im Rahmen von Hochschulprojekten mit dem Schwerpunkt Sprachdidaktik ein.

Autorinnen und Autoren

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Prof. Dr. Stefanie Regier ist seit 2010 Professorin für Marketing und Marktforschung am Fachbereich Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Karlsruhe. Davor war sie mehrere Jahre in leitender Funktion im Consulting tätig. An der Hochschule Karlsruhe verantwortet sie unter anderem die Ph.D.-Kooperation mit der Plymouth University und ist als Mentorin und Coach tätig. Die Vermittlung von sprachlichen Fähigkeiten an ihre Studierenden ist ihr ein wichtiges Anliegen. PD Dr. Margret Ruep ist Erziehungswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkten Didaktik und Systementwicklung. Sie war an verschiedenen Universitäten und Hochschulen in der Lehre tätig, auch als Rektorin der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Sie war als Honorarprofessorin an der Linguistischen Universität Nishni Nowgorod engagiert und ist seit ihrer Pensionierung beratend an einem neuen Universitätskonzept in Kairo aktiv. Seit 1992 engagiert sie sich mit Jean-Pol Martin (Universität Eichstätt) in der Implementierung und Verbreitung des Lehr-Lern-Konzepts „Lernen durch Lehren". Marina Scherrer ist Akademische Mitarbeiterin an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft. Hier unterrichtet sie am Institut für Fremdsprachen als Lektorin in den Fach- und Fremdsprachenbereichen Englisch und Deutsch als Fremdsprache. Die Betonung in ihrer Lehrtätigkeit legt sie auf aktivierende und innovative Unterrichts- und Prüfungsmethoden, die eine Übertragbarkeit ins Berufsleben eröffnen und den Studierenden dort als Sprachwerkzeug dienen können.

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Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Ingo Stengel ist Professor für eBusiness und IT-Sicherheit an der Fakultät für Informatik und Wirtschaftsinformatik der Hochschule Karlsruhe. Im Rahmen der didaktischen Weiterbildung Postgraduate Certificate for Teaching in Higher Education an der Universität Plymouth untersuchte er die Auswirkung von unterschiedlichen Methoden in der Lehre. Seit August 2014 ist er Fellow der Higher Education Academy, England. In seinen Vorlesungen setzt er immer wieder neue didaktische Methoden ein, um den Studierenden interaktives Lernen zu ermöglichen. Prof. Hans-Peter Voss hat Physik und Philosophie an der Universität Marburg studiert. 1991 übernahm er die Leitung der Geschäftsstelle der Studienkommission für Hochschuldidaktik an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in BadenWürttemberg. Im Jahr 2009 wurde er zum Honorarprofessor der Hochschule Karlsruhe ernannt. Er lehrt im Bereich der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen und verantwortet die Konzipierung, Organisation und Durchführung hochschuldidaktischer Fortbildungsangebote. Er war und ist für eine Reihe von durch das Land und den Bund geförderter innovativer Lehrprojekte verantwortlich. Zudem war er viele Jahre im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Hochschuldidaktik und Mitherausgeber des „Neuen Handbuchs Hochschullehre“. Dr. Wolfgang Wegner studierte Germanistik und Politikwissenschaft an der Universität Mannheim. Er arbeitet als Dozent für Deutsch als Fremdsprache am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen zur Schreibdidaktik und Interkulturellen Kommunikation.

Autorinnen und Autoren

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Dr. Meike Zellner ist Akademische Mitarbeiterin im Projekt SKATING an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft, Systemischer Coach und Dozentin für Deutsch als Fremdsprache. An der Hochschule Karlsruhe ist sie in der Hochschuldidaktik tätig und hat u. a. als Schreibberaterin gearbeitet sowie Schreibtutoren ausgebildet und begleitet. Aktuell bietet sie insbesondere hochschuldidaktische Schulungen für Tutoren sowie Mentoren an, außerdem konzeptioniert, koordiniert und betreut sie das Tutorensowie das Mentorenprogramm. Philipp Zollt wurde 1988 geboren und arbeitet seit 2016 als ITSystemadministrator bei der NextIteration Gesellschaft für Softwareengineering mbH in Karlsruhe. Seine Bachelorthesis im Studiengang Wirtschaftsinformatik behandelt die Themen Leadership und Teambuilding im Rahmen der Erwachsenenbildung. Neben Technik und digitalen Medien und zählt auch Natursport zu seinen Interessen.